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German Pages 604 [606] Year 2014
Tanja Junggeburth
Stollwerck 1839–1932 Unternehmerfamilie und Familienunternehmen
Geschichte Franz Steiner Verlag
VSWG – Beihefte 225
Tanja Junggeburth Stollwerck 1839–1932
vierteljahrschrift für sozialund wirtschaftsgeschichte – beihefte Herausgegeben von Günther Schulz, Jörg Baten, Markus A. Denzel und Gerhard Fouquet
band 225
Tanja Junggeburth
Stollwerck 1839–1932 Unternehmerfamilie und Familienunternehmen
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von Herrn Notar Konrad Adenauer, der Deutschen Bank und des Landschaftsverbands Rheinland
Umschlagabbildung: Briefkopf der Firma Franz Stollwerck & Söhne, 1869, Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln 208-218-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10458-6
INHALTSVERZEICHNIS I. EINLEITUNG A. Thema .................................................................................................... 9 B. Forschungsstand ................................................................................... 10 1. Stollwerck: eine Bestandsaufnahme .............................................. 10 2. Unternehmerfamilie und Familienunternehmen: „Großbaustelle“ sozial- und wirtschaftshistorischer Forschung ............................... 16 C. Erkenntnisinteresse, Fragestellung und theoretisch-methodische Aspekte ................................................................................................ 25 D. Vorgehensweise ................................................................................... 38 E. Quellen ................................................................................................. 40 II. DIE UNTERNEHMENSENTWICKLUNG: EIN ÜBERBLICK ............. 45 III. DIE UNTERNEHMERFAMILIE STOLLWERCK ................................ 59 A. Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie ................................. 59 1. „Vom gewöhnlichsten Lehrling an selbst heraufarbeiten“ Sozialisation, Erziehung, Schul- und Ausbildungswege ............... 59 2. „Ich hätte mir ja gerne einen ‚Erbprinzen‘ […] gewünscht“ Heirat und Ehe, Familiengründung und Kinderzahl .......................96 3. „Mit großer Pracht und innerem Luxus als herrschaftliche Besitzung angelegt“ Finanzkraft und Wohnsituation .................................................... 128 B. Das Innenleben der Bürgerfamilie ..................................................... 173 1. „Dass die Familie jederzeit zusammenstehʼ in Einigkeit“ Familiensinn als Fluchtpunkt der Unternehmerfamilie ............... 173 2. „Das Gefühl für einen Bruder […] auf den Gefrierpunkt sinken könnte“ Zwietracht und familiäre Krisen statt Harmonie und Gleichmäßigkeit .......................................................................... 204 C. Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit ............................................. 218 1. „Zu Gottes und unseres Heilandes Ehre in ewiger Dankbarkeit“ Die Bedeutung von Kirche und Religion ..................................... 218 2. „Zu Ehren unseres Vaterlandes“ Politische Grundüberzeugung und öffentliches Engagement ...... 239
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Inhaltsverzeichnis
IV. DAS FAMILIENUNTERNEHMEN STOLLWERCK .......................... 271 A. Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge ................................................................ 271 1. „Für mich hast Du aufgehört mein Sohn zu sein“ Generationenübergang im Zeichen familiärer Auseinandersetzungen (etwa 1866 bis 1884)............................... 271 2. „Herren und Meister unseres Geschäftes bleiben“ Generationenübergang als unvollendeter Prozess (1885 bis 1914) ........................................................................... 300 3. „Was würde Vater dazu sagen“ Die schleichende Auflösung des Familienprinzips (1914 bis 1932) ............................................................................ 362 B. Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie ........... 413 1. „Durch Qualität zum Erfolg“ Werbestrategien eines familiär geführten Unternehmens ............ 413 2. „Mit Lust und Liebe“ Bürgerliche Ideale als Zentrum der Unternehmenskultur ............ 462 V. ZUSAMMENFASSUNG: FAMILIE UND UNTERNEHMEN. HANDICAP ODER RESSOURCE? ....................................................... 511 ANHANG ..................................................................................................... 546 Abbildungsverzeichnis ............................................................................. 546 Stammtafeln ............................................................................................. 549 Quellenverzeichnis ................................................................................... 558 Literaturverzeichnis.................................................................................. 573 Personenregister ....................................................................................... 601
VORWORT Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner im Mai 2012 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn angenommenen Dissertation. Herrn Professor Dr. Günther Schulz, der diese Dissertation in den verschiedenen Phasen ihrer Entstehung als Doktorvater betreut und über fünf Jahre stets mit großem Interesse, zahlreichen Informationen und Hinweisen sowie konstruktiver Kritik begleitet, unterstützt und gefördert hat, gilt mein erster Dank. Ihm verdanke ich auch die Vermittlung der für die Veröffentlichung dieser Arbeit unentbehrlichen Druckkostenzuschüsse. Frau Professor Dr. Susanne Hilger gebührt für die Übernahme des Zweitgutachtens herzlicher Dank. Für die Aufnahme in die Reihe danke ich Herrn Professor Dr. Günther Schulz, den Mitherausgebern der VSWG-Beihefte sowie Herrn Dr. Thomas Schaber vom Franz Steiner Verlag. Für die großzügige finanzielle Unterstützung der Publikation bedanke ich mich bei Herrn Notar Konrad Adenauer, der Deutschen Bank und dem Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland. Die Unterstützung und Fachkompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive und Bibliotheken, aus denen Quellen und Literatur für diese Studie stammen, erleichterten mir die Arbeit sehr. Insbesondere danke ich Herrn Dr. Ulrich S. Soénius, Herrn Dr. Christian Hillen und Herrn Manfred Greitens vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv zu Köln sowie Herrn Dr. Martin L. Müller und Herrn Reinhard Frost vom Historischen Institut der Deutschen Bank, auf deren Bestände sich diese Studie hauptsächlich stützt. Zu Dank verpflichtet bin ich auch der Familie Stollwerck, die mir von Beginn an mit Vertrauen, Offenheit und Interesse begegnete. Sie half mir durch viele Gespräche und geduldig beantwortete Nachfragen, vor allem aber dadurch, dass sie mir wertvolles Quellenmaterial zur Verfügung stellte, das für die Forschung bislang nicht zugänglich war. Mit ihrem Einverständnis war es mir ferner möglich, die beim Amtsgericht Köln hinterlegten Testamente einzelner Familienmitglieder einzusehen. Die meine Promotion begleitende Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Bonn hat mir nicht nur angeregten wissenschaftlichen Austausch, sondern auch ein angenehmes Arbeitsumfeld ermöglicht. Viele Kollegen gaben wertvolle Anregungen und Denkanstöße und schenkten mir viel von ihrer Zeit und Energie. Dr. Boris Gehlen hat das Manuskript mit großem Interesse, Sachverstand und konstruktiv fordernder wie fördernder Kritik gelesen. Ihm verdanke ich wichtige Impulse für inhaltliche und methodische Fragen. Dr. Regine Jägers, Simon Ebert und Heiko Braun danke ich herzlich für vielfältige Anregungen in der Konzeptions- und Schreibphase, nie ermüdende Unterstützung in Wort und Tat sowie für die gründliche und zuverlässige Lektüre der Abgabefassung. Thomas Schmalen
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Vorwort
bin ich für seine tatkräftige Unterstützung in allen EDV-Fragen zu großem Dank verpflichtet. Schließlich gaben auch Frau Dr. Christina Lubinski, Frau Professor Dr. Angelika Epple und Frau Dr. Simone Derix durch Korrekturarbeiten und Gedankenaustausch sachkundige und hilfreiche Hinweise. Die wichtigste Säule während der fünf Jahre, in denen ich an diesem Buch gearbeitet habe, waren meine Familie und meine Freunde. Cathrin Gehlen möchte ich nicht allein für akribische Korrekturarbeiten, sondern vor allem für die gemeinsam erlebten Höhen und Tiefen der Promotionsphase und ihre Freundschaft von Herzen danken. Ein besonderer Dank geht an Steffi für ihre jahrelange Freundschaft in allen Lebenslagen, die für die Entstehung dieser Arbeit unabdingbar war. Mein Bruder Sebastian hat mir nicht nur in vielen betriebswirtschaftlichen Fragen weitergeholfen, sondern durch seine erfrischend pragmatische Sichtweise immer wieder dafür gesorgt, dass neben der Beschäftigung mit historischen Zusammenhängen auch das hier und jetzt nicht zu kurz kam. Schließlich danke ich vor allem meinen Eltern für ihre selbstverständliche und liebevolle Unterstützung seit dem Beginn meines Studiums. Ihr Vertrauen, ihre Motivation und ihr Interesse an meiner Arbeit haben mich all die Jahre getragen. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Den letzten Anstoß, die Arbeit endlich fertigzustellen, gab zweifellos im Februar 2012 die Nachricht, dass sich die Welt in neun Monaten nicht mehr primär um die Familie und das Unternehmen Stollwerck, sondern um unsere eigene kleine Familie drehen würde. Mein Mann Marc hat mich nicht nur in dieser letzten und mitunter sehr anstrengenden, sondern in jeder Phase meiner Arbeit mit unerschöpflicher Geduld, Verständnis für viele durchgearbeitete Wochenenden und beständiger Ermunterung unterstützt. Ihm gilt daher der größte Dank. August 2013
Tanja Junggeburth
I. EINLEITUNG1 I.A THEMA In ihrem Testament formulierten Ludwig Stollwerck (1857–1922) und seine Ehefrau Maria (1859–1919), geb. Schlagloth, 1918 folgende Wünsche an ihre Nachkommen: „Der Hauptbestandteil unseres Vermögens bilden die Stammaktien der FamilienAktiengesellschaft Gebrüder Stollwerck Cöln. Die Gründung dieser Gesellschaft betrachte ich, der Ehemann, als das erfolgreichste Werk meiner geschäftlichen Tätigkeit; der Wert dieser Aktien ist die Frucht meiner Lebensarbeit. […] Es ist unser Wunsch, dass unsere Abkömmlinge diese Familien Aktien behalten und nur wenn unvermeidlich verkaufen und dann möglichst nur an Mitglieder der engeren Familie. Möchten die Aktien durch erfolgreiche Arbeit aller in der Familien-Aktien-Gesellschaft tätigen Familienmitglieder unsern Nachkommen stets […] befriedigende Ergebnisse bringen.“2
Bereits 1902 hatten es die Gebrüder Stollwerck ihren Erben als eine „ernste Pflicht“ auferlegt, „das von ihnen aufgebaute Unternehmen, an das sie die ganzen Kräfte ihres Lebens gesetzt haben, mit allen Mitteln nicht nur auf der jetzigen Höhe zu erhalten, sondern auch in gesunder Weise weiter zu entwickeln, demgemäss nach Kräften dafür zu sorgen, den Aktienbesitz in der Familie zu erhalten und nicht ohne ganz zwingende Gründe in fremde Hände kommen zu lassen, auch alles fern zu halten, was die gedeihliche Weiterentwicklung hemmen könnte, also namentlich in harmonischer Weise an dem gemeinsamen Ziele zu arbeiten […], mit allen
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Der Arbeit liegen folgende editorische Richtlinien zugrunde: Alle direkten Zitate sind kursiv dargestellt; längere, eigenständige Zitate stehen als kursiver, eingerückter Blocktext. Fehler der Grammatik, Interpunktion und Orthographie in Quellenzitaten wurden nicht berichtigt. In den Fußnoten werden für die Literatur Kurztitel verwendet, die im Literaturverzeichnis kursiv wiedergegeben sind. Alle Personen, die im Text (einschließlich der Fußnoten) erwähnt werden und nicht als bekannt vorausgesetzt werden können, werden bei der Erstnennung mit Vornamen und Lebensdaten und/oder – sofern es dem besseren Verständnis bzw. der eindeutigen Zuordnung dient – mit Berufs- oder Funktionsbezeichnung versehen. Nicht in jedem Fall war es allerdings mit vertretbarem Aufwand möglich, alle Angaben zu ermitteln. Dies betrifft aber nur Personen, die für diese Arbeit von nachrangiger Bedeutung sind. Auf nicht rekonstruierbare Daten wird im Text nicht gesondert hingewiesen. Die relevanten Personen der Familie Stollwerck sind im Anhang in Stammtafeln den jeweiligen Familienstämmen zugeordnet. Die Bildung eines Familienunternehmens führt spätestens mit dem Übergang von der zweiten auf die dritte Generation zu einer größeren Zahl von Anteilseignern. Um Koordinationsproblemen vorzubeugen und eine gewisse Übersichtlichkeit zu bewahren, werden zumeist so genannte Familienstämme definiert, in denen die Erben der dritten Generation ihren Eltern zugeordnet werden. Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918.
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I. Einleitung Kräften und in gewissenhaftester Weise dahin zu wirken, dass die Nachkommen der Gründer des Unternehmens […] zu Mitgliedern des Vorstandes bestellt werden“3.
Sie verstanden ihr Unternehmen zweifellos als Familienunternehmen. Eigentum und Leitung sollten dauerhaft innerhalb der Familie weitergegeben, ihr Einfluss gewahrt und der ökonomische Erfolg des Unternehmens gesichert werden. Dieses Wechselspiel zwischen Familie und Unternehmen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Aspekten hatte maßgeblichen Einfluss auf das Handeln der Akteure. Es galt, das familiäre Ziel, Eigentum und Leitung des Unternehmens der Familie generationenübergreifend zu erhalten, mit der unternehmerischen Ratio zu verbinden, also die Ertragsfähigkeit zu sichern bzw. zu optimieren und das Unternehmen bestmöglich am Markt zu positionieren. Im Fokus standen damit sowohl synchrone als auch divergierende Familien- und Unternehmensinteressen. Die vorliegende Arbeit analysiert beispielhaft für die Unternehmerfamilie und das Familienunternehmen Stollwerck diese Symbiose aus familialen und ökonomischen Handlungslogiken, arbeitet die Chancen und Risiken heraus, die sich aus dieser Verschränkung ergaben. Sie untersucht, wie und in welchen Bereichen sich der Familieneinfluss manifestierte, welchen Wandlungen er unterlag und welche Kräfte Wandel bewirkten. Dabei werden Analyse und Narrativität miteinander verbunden und mit systematisierenden Fragestellungen einzelne Bereiche chronologisch aufgeschlossen, anhand derer die wechselseitige Verbindung von Familie und Unternehmen deutlich wird. I.B FORSCHUNGSSTAND I.B.1 Stollwerck: eine Bestandsaufnahme Auch wenn es zum Familienunternehmen Stollwerck und dem Unternehmer Ludwig Stollwerck erste Untersuchungen gibt,4 ist eine Arbeit, die in einer Gesamtschau das Wechselspiel von Familie und Unternehmen im Zeitverlauf untersucht, ein Desiderat der sozial- und unternehmenshistorischen Forschung.5 Die ersten Untersuchungen zu Stollwerck entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts, als Gustav Pohle quellenbasiert die „Probleme aus dem Leben eines industriellen Großbetriebs“6 analysierte. Seine Arbeit ist insofern problematisch, als die Gebrüder Stollwerck den Zugang zu ihren Geschäftsunterlagen an Vorbehalte geknüpft hatten: Pohle musste sich „ehrenwortlich verpflichte[n] […], nichts ohne 3 4 5
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Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig, Carl und Gustav Stollwerck, Juli 1902, RWWA 208-242-1. Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger; Epple: Das Unternehmen Stollwerck; dies.: Gebr. Stollwercks Aufstieg zum Multinational. Zu Arbeiten, die das Unternehmen Stollwerck außerhalb des hier gewählten Untersuchungszeitraums thematisieren, siehe Bräutigam: Ausführliche Firmengeschichte; Hillen: „Süßes verwöhnt, Süßes versöhnt“; Kronenberg: Werbestrategien; Kronenberg/Gehlen: Der „Versager des Jahres“. Pohle: Probleme.
I.B Forschungsstand
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Ihren Willen seiner Arbeit einzuverleiben“7. Zudem verzichtete der Autor auf einen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat, so dass sich seine Angaben nicht überprüfen lassen. Trotz dieser Vorbehalte ist die Studie weiterführend, sachlich überwiegend stimmig und die bislang detaillierteste Abhandlung über die kaufmännischen Aspekte der Stollwerck’schen Unternehmung. Eine umfassende Gesamtdarstellung der Unternehmensgeschichte stammt von Bruno Kuske. Neben seiner Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Unternehmens 1939 ist das unveröffentlichte – und in weiten Teilen der Darstellung ausgewogenere und kritischere – Manuskript zu einer „Ausführlichen Firmengeschichte“ erhalten.8 Doch auch bei Kuske dürfen die Stärken nicht den Blick auf vorhandene Probleme verstellen. Die Vorzüge seiner Studien liegen – wie bei Pohle – darin, dass der Autor Zugang zu den Geschäftsunterlagen des Unternehmens hatte. Durch den persönlichen Kontakt Kuskes mit der Geschäftsleitung, die ihn „durch Auskünfte und Fingerzeige“9 unterstützte, enthalten das Buch und das unveröffentlichte Manuskript ferner Details und Bewertungen, die heute aus dem erhaltenen Material nicht mehr nachvollzogen werden können. Zu berücksichtigen ist aber, dass es sich um eine Auftragsarbeit handelt, in der vor allem die Erfolgsgeschichte des Unternehmens im Vordergrund steht und die Leistung der Unternehmerfamilie für Belegschaft, Gesellschaft und Staat überbetont wird. Weniger glanzvolle Aspekte der Firmengeschichte hingegen werden ausgespart. Ferner liegt starkes Gewicht auf den Fabriken, Fabrikaten und technischen Leistungen, wohingegen die praktische Geschäftspolitik fast vollständig ausgeblendet wird.10 Stark faktizistisch, am Interesse des breiten Publikums und weniger an wissenschaftlichen Standards orientiert, enthält die Festschrift keinen Anmerkungsapparat. Im unveröffentlichten Manuskript finden sich zwar Belege und weiterführende Literaturhinweise, jedoch nicht lückenlos und nicht in allen Fällen korrekt. Doch sind die Ausführungen Kuskes im Großen und Ganzen offensichtlich richtig. Die gleichen Vorzüge und Vorbehalte gelten für die zum 150jährigen Jubiläum der Stollwerck AG 1989 erschienene Festschrift „Stollwerck. Das Abenteuer einer Weltmarke“11. Auch der 1906 in dem Sammelband „Praktische Sozialpolitiker“12 erschienene Beitrag über die Gebrüder Stollwerck AG hebt primär die Erfolge von Unternehmen und Familie hervor. Eine objektive Auseinandersetzung
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Peter Welmans (Leiter des Chemischen Laboratoriums der Stollwerck AG von 1896 bis 1905) an Peter Joseph Stollwerck am 17. März 1903, RWWA 208-241-1. 8 Kuske: Stollwerck-Geschichte; ders.: Ausführliche Firmengeschichte. Im Unternehmensarchiv sind zudem umfangreiche, gedanklich aber wenig klare und insgesamt kaum nützliche Notizen und Entwürfe Kuskes zu einzelnen Kapiteln überliefert. Siehe RWWA 208-250-8, 208-251-1 bis 208-251-8, 208-306-7, 208-306-8, 208-307-1 bis 208-307-5. 9 Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 6. 10 Siehe allgemein zu den Vorbehalten gegenüber Festschriften Pierenkemper: Unternehmensgeschichte, S. 30 f.; Redlich: Anfänge und Entwicklung, S. 10–32; Jaeger: Unternehmensgeschichte in Deutschland. 11 Joest: Stollwerck. 12 O. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein.
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I. Einleitung
mit den Vor- und Nachteilen der betrieblichen Sozialeinrichtungen erfolgte bislang nicht. Bei der zum 50jährigen Bestehen des chemischen Labors der Gebrüder Stollwerck AG 1934 verfassten Festschrift13 ist zu beachten, dass der Autor zum einen Angestellter des Unternehmens war und seine Darstellungen zum anderen „in Ermangelung jeglicher Aufzeichnungen über Gründung und Entwicklung des Chemischen Laboratoriums“14 vor allem auf mündlicher Überlieferung der älteren Beschäftigten fußen. Auch die Darstellungen von Gustav Laute zur Übernahme des Hamburger Kakao- und Schokoladen-Unternehmens Reichardt durch Stollwerck 1930 spiegeln die Sichtweise eines langjährigen Mitarbeiters und Vorstandsmitglieds.15 Viele Passagen dienen eher der Rechtfertigung der Unternehmenspolitik denn der kritischen Auseinandersetzung mit vergangenen Entscheidungen. Mit dem Lohnwesen der Gebrüder Stollwerck AG beschäftigte sich 1913/14 Willy Mannert. Sein Aufsatz enthält wichtige Daten, die sich aus der Überlieferung nicht mehr lückenlos rekonstruieren lassen. Da der Autor jedoch auf ein wissenschaftliches Belegwesen verzichtete, ist die empirische Belastbarkeit der Angaben nicht in allen Fällen nachzuprüfen.16 Aspekte des Unternehmens Stollwerck wurden ferner in kleineren Beiträgen und zwei – allerdings nicht unternehmensgeschichtlich ausgerichteten – Monographien aufgegriffen: zum einen in Martin Spantigs Arbeit zu den StollwerckKünstler-Sammelbildern als kunstgeschichtliches Phänomen, zum anderen in Martin Loiperdingers Studie über Ludwig Stollwercks geschäftliche Beziehungen zu Filmpionieren in Europa und Amerika – in erster Linie ein mediengeschichtlicher Beitrag zur Verbreitung des Films.17 Andrea Weindl ging am Beispiel des internationalen Kakaomarkts und der Sklavenarbeit in den portugiesischen Kolonien der Frage nach, wie schwierig es ist, Vertrauen zwischen Kulturkreisen bzw. Unternehmenskulturen (in diesem Fall dem deutschen Unternehmen Stollwerck und der britischen Firma Cadbury) zu generieren, wenn keine gemeinsamen Institutionen bestehen.18 Thomas Schiffer skizzierte die Entwicklung der Firma Stollwerck zwischen 1876 und 1922, und Vera Hierholzer beschäftigte sich mit den Reinheits- und Qualitätsstandards in der deutschen Schokoladenindustrie und der exponierten Rolle der Gebrüder Stollwerck bei der Etablierung von Verbandsrichtlinien zur Schokoladenqualität.19 Vereinzelte Hinweise auf Stollwerck finden sich in unterschiedlicher Qualität zudem in branchengeschichtlichen Untersuchungen, unternehmenshistorischen Skizzen in Ausstellungskatalogen des Kölner
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Siehe Fincke: 50 Jahre Chemikertätigkeit. Ebenda, S. 13. Siehe zu Gustav Laute ausführlich Kapitel IV.A.3. Siehe Mannert: Das Lohnwesen, S. 216. Siehe Spantig: Kunst und Konsum; Loiperdinger: Film & Schokolade. Siehe Weindl: Vertrauen auf internationale Regulierungsmechanismen? Siehe Schiffer: Vom Kleinbetrieb zum Weltkonzern; Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle.
I.B Forschungsstand
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Schokoladenmuseums,20 Betrachtungen zur Kölner Stadtgeschichte und in einer Biographie über den Unternehmer Hans Imhoff (1922–2007), der das Unternehmen Stollwerck 1972 erwarb.21 Die Darstellungen bauen überwiegend auf Kuske und Joest auf und leisten auf Grund anderer Perspektiven und Erkenntnisinteressen keinen weiterführenden Beitrag zur Stollwerck-Forschung. Einblicke in die Familie eröffnen ein Aufsatz von Gustav Laute über Ludwig Stollwerck und eine Biographie von Sophia Sulkowska-Stollwerck (1870–1952) über ihren Vater Heinrich Stollwerck (1843–1915).22 Durch die persönlichen Verbindungen – Gustav Laute war ein enger Mitarbeiter Ludwig Stollwercks – enthalten beide Publikationen Details und Einschätzungen, die nicht aktenkundig sind. Allerdings betonte Laute vor allem die positiven Charaktereigenschaften Ludwig Stollwercks und betrachtete die erfolgreiche Unternehmensentwicklung primär als dessen Leistung und weniger als Verdienst aller Brüder. SulkowskaStollwerck hob umgekehrt insbesondere das Lebenswerk ihres Vaters hervor und gab etliche Detailhinweise zu den familiären Hintergründen. Auch wenn diese persönlichen Erinnerungen in ihrer Aussagekraft den bekannten Grenzen unterliegen, bleiben sie wichtige Dokumente zu den Unternehmerpersönlichkeiten Ludwig und Heinrich Stollwerck. Gabriele Oepen-Domschky betrachtete in ihrer 2003 erschienenen Studie zum Kölner Wirtschaftsbürgertum u. a. Ludwig Stollwerck und die familiäre Konstruktion der Stollwercks. Ihre Stärken hat die Arbeit in der informativen und quellennahen Darstellung der Lebenswege, Denkmuster, Handlungsweisen und Mentalitäten der jeweiligen Personen; allerdings fehlen Typisierungen und Systematisierungen. Ludwig Stollwerck erscheint in der Zusammenschau lediglich als Unternehmer, der sich „um moderne und objektive Geschäftsleitung“23 bemühte. Diese Schlussfolgerung beschreibt seinen Führungsstil jedoch nur unzureichend und wird in der vorliegenden Arbeit – durch eine Verknüpfung von Ansätzen der neueren (Wirtschafts-)Bürgertumsforschung und Unternehmensgeschichte – kritisch hinterfragt. Alfred D. Chandler diente Stollwerck als Musterbeispiel für seine Typisierung des deutschen „cooperative managerial capitalism“. Das Unternehmenswachstum führte er freilich primär darauf zurück, dass Stollwerck – im Vergleich mit dem britischen Konkurrenten Cadbury – in neue Fabriken investierte, stärker auf Mar20 Das „Imhoff-Stollwerck-Museum“ wurde von Hans Imhoff gegründet und 1993 als weltweit erstes Schokoladenmuseum in Köln eröffnet. Nach dem Verkauf von Stollwerck an die Barry Callebaut AG löste die Schweizer Muttergesellschaft 2006 die Zusammenarbeit mit dem Museum. An die Stelle von Stollwerck trat der Schweizer Hersteller Lindt & Sprüngli, das Museum erhielt den Namenszusatz „Lindt“ 21 Siehe exemplarisch Freudenfeld: Die Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie, S. 121–129; Hagen: Deutsche Direktinvestitionen, S. 222 ff., die knapp das Stollwerck’sche Tochterunternehmen in Großbritannien thematisiert; Menne: Kulturgeschichte der Schokolade, S. 41–48; Hepner: Ludwig Stollwerck und die Künstler seiner Sammelalben; Scherz: Gebäude; Jacobi: Der Schokoladenkönig, S. 121–140. 22 Siehe Laute: Ludwig Stollwerck; Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck. 23 Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 346.
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I. Einleitung
keting und neue Vertriebswege setzte und Teile des operativen Geschäfts in die Hände professioneller Manager legte. Es ist zu hinterfragen, ob dieses „threepronged investment in production, distribution and management“24 wirklich einzig auf einem strategischen Vorgehen, also wirtschaftlichen Effizienzkalkülen beruhte oder inwieweit auch normative und ideologische Gründe, politische und Zufallsfaktoren, der Eigensinn der Akteure und die spezifische Verbindung zwischen den Einheiten Familie und Unternehmen für diese Entwicklung verantwortlich waren. In vorliegender Arbeit wird daher überprüft, ob die typisierende Sicht Chandlers für das Verständnis des Familienunternehmens Stollwerck sinnvoll oder eher erkenntnishemmend ist. Gerald D. Feldman analysierte 1997 die letzte Phase der Stollwerck’schen Familienunternehmung – die Jahre 1930 bis 1932, zwischen der Übernahme von Reichardt und der Abwendung eines Konkurses durch die Deutsche Bank, in deren Folge die Familie aus der Leitung des Unternehmens ausschied. Diese Entwicklung beschreibt Feldman als „a further step in its movement away from being a family-dominated firm and toward the modernization that made its survival possible“25. Er sieht in der Geschichte der Stollwerck AG gewissermaßen eine Bestätigung der Überlegungen Chandlers, gemäß der der Weg vom Kleinbetrieb zum multidivisionalen und -nationalen Großkonzern zwangsläufig mit der Trennung von Eigentum und Geschäftsführung einhergehe, also der Einsetzung von Managern, die keine oder nur geringfügige Kapitalanteile an dem von ihnen geführten Unternehmen halten und nicht der Gründerfamilie angehören. Die überlieferten Quellen hat Feldman aber nur kursorisch gesichtet. Eine große Menge bislang nicht ausgewerteter Korrespondenz erlaubt es daher, diese für das Unternehmen Stollwerck wegweisenden Jahre detaillierter darzustellen. In den vergangenen Jahren hat sich insbesondere Angelika Epple mit Stollwerck beschäftigt. Neben zwei Aufsätzen zur Uniformierung der Stollwerck’schen Bildreklame und der „kulturelle[n] Differenzierung von Vorstellungsbildern“26 vor der Folie von Imperialismus und Globalisierung und einer kurzen Betrachtung von Kontrollmechanismen und deren (inter-)kulturellen Grenzen im multinationalen Unternehmen Stollwerck27 legte sie 2010 eine umfassende Studie mit dem Titel „Das Unternehmen Stollwerck. Eine Mikrogeschichte der Globalisierung“28 vor. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt zum einen auf der globalen Standardisierung des Produkts Schokolade durch die zunehmende Bedeutung der Lebensmittelchemie und moderner Marketingstrategien. Zum anderen fokussiert sich Epple detailliert auf die „Automatisierung der Welt“, d. h. auf die Entwicklung der von Stollwerck gegründeten Deutschen Automaten-Gesellschaft und die Rolle der Handlungsreisenden. Dezidiert widmet sie sich zudem Interna24 Chandler: Scale and Scope, S. 8. 25 Feldman: Thunder from Arosa, S. 695. 26 Epple: Das Auge schmeckt Stollwerck, S. 13. Siehe auch dies.: Wer nicht fühlen kann, muss sehen. 27 Siehe dies.: Gebr. Stollwercks Aufstieg zum Multinational. 28 Dies.: Das Unternehmen Stollwerck.
I.B Forschungsstand
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tionalisierungs- und (Re-)Nationalisierungsstrategien des Unternehmens seit den 1890er Jahren. Konkret beleuchtet Epple hier, dass persönliche Kontrolle und der Leitgedanke, die Interessen des Gesamtunternehmens mit dem Interesse des Subjekts gleichzusetzen, dem Unternehmen enorme Transaktionskostenvorteile sicherten und den internationalen Erfolg ermöglichten. Diese Form der Unternehmensführung sei jedoch an ihre Grenzen gestoßen, sobald Schwierigkeiten entstanden, d. h. die Identifikation mit dem Unternehmen und der hierarchisch übergeordneten Person nicht gegeben war. Epple gründet diese zweifellos richtige Feststellung freilich allein auf der Auswertung der Kommunikation zwischen den im Unternehmen tätigen Mitgliedern der Familie Stollwerck bzw. zwischen Unternehmensleitung und leitenden Angestellten. Der für die Führung eines Familienunternehmens wichtige Blick auf die Beschäftigten und die vielfältigen Aspekte der Unternehmenskultur spielten für ihre Fragestellung offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Dies erstaunt umso mehr, als Epple in ihren Ausführungen zur Unternehmensführung auf den für die Unternehmenskultur von Familienunternehmen charakteristischen paternalistischen Führungsstil rekurriert bzw. anregt, im Fall Stollwerck von einem fraternalistischen Führungsstil zu sprechen. Sie argumentiert, dass das Unternehmen von Brüdern geführt wurde, die sich auf horizontaler Ebene einigen mussten. Es ist in diesem Fall nicht nur Christian Kleinschmidt zuzustimmen, der den Ansatz Epples mit dem Argument hinterfragte, dass sich der analytische Wert des Begriffs „Fraternalismus“ zum einen „nicht zwingend erschließt“ bzw. eine rein heuristische Komponente sei, und man dann zum anderen für jede Führungskonstellation eines Familienunternehmens neue Begrifflichkeiten prägen könne,29 sondern vor allem anzumerken: Zwar liegt Epple richtig, dass die Brüder auf Solidarität, Loyalität und Konsens großen Wert legten, doch hätte eine umfassendere Auswertung der Quellen (konkret und naheliegend der Gesellschaftsverträge) die Autorin vor der Fehleinschätzung bewahrt, die Brüder seien „vollkommen gleichberechtigt“30 gewesen und hätten dem „Zwang zu einer konsensualen Einigung“31 unterlegen. Vielmehr bestimmte das Senioritätsprinzip nicht nur familiale Hierarchien und Rollenbilder, Selbstverständnis und Zusammenarbeit der Brüder und ihrer Nachkommen, sondern war auch in den Köpfen der Belegschaft präsent.32 Zusammengenommen steht eine genauere Analyse der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens Stollwerck daher nach wie vor aus.
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Siehe Kleinschmidt: Rezension, S. 402 f. Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 322. Ebenda, S. 323. Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.A.1.
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I. Einleitung
I.B.2 Unternehmerfamilie und Familienunternehmen: „Großbaustelle“ sozial- und wirtschaftshistorischer Forschung Familienunternehmen haben sich in den letzten Jahren vom lange vernachlässigten Stief- zu einem Lieblingskind sozial- und wirtschaftshistorischer Forschung entwickelt. Doch obwohl die Familienunternehmensforschung nunmehr den Kinderschuhen entwächst, Fortschritte erkennbar sind, bleibt sie ein „Sorgenkind“. Allen Veröffentlichungen ist gemeinsam, dass die Autoren mehr oder weniger uneinig sind, was genau ein Familienunternehmen ist, worin seine Besonderheiten bestehen und welche historische (und aktuelle) Bedeutung dieser Form der Unternehmensorganisation zukommt. Ausgehend von modernisierungstheoretisch inspirierten Forschungen galten Familienunternehmen lange als überholte Erscheinung der Vergangenheit. Als charakteristischer Typus wirtschaftlicher Organisation vorindustrieller Zeit und der ersten Industrialisierungsphase seien sie spätestens im ausgehenden 19. Jahrhundert, so die pointierte Zusammenfassung von Michael Schäfer, zu einem „anachronistischen Relikt“33 geworden. Geprägt wurde diese Auffassung von den lange dominierenden Blickrichtungen Chandlers und Jürgen Kockas, die besonders den „Übergangscharakter“ von Familienunternehmen hervorhoben und einen generellen Beitrag zur Unternehmensentwicklung in der Industrialisierung leisteten, der im Grunde dem Typus des Familienunternehmens nicht vollumfänglich gerecht wurde. Jüngere Studien ergänzen und differenzieren dieses Bild. Chandlers Typologie umfasst im Kern die Überzeugung von einem automatischen Wachstumsdrang der Unternehmen. Die Internalisierung von Größen- und Verbundvorteilen („economies of scale and scope“) sei die conditio sine qua non für eine bessere Wettbewerbsposition, für Erfolg und dauerhaftes Überleben eines Unternehmens.34 Als Schlüsselindikator benannte er ferner die effiziente multidivisionale, dezentralisierte Organisation dieser Größenvorteile.35 Die unterstellte Größendynamik führe schließlich zu einer zwangsläufigen Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht bzw. Kapitalmehrheit und strategischer Entscheidungskompetenz. Chandler ging dabei – im Erfolgsfalle – von einem organisatorischen Dreischritt aus: Auf das vermeintlich vormoderne „personal enterprise“ folge die mögliche, aber nicht notwendige organisatorische Zwischenkategorie des „entrepreneurial enterprise“; am Schluss dieser Stufenfolge stehe das „managerial enterprise“. Zum Pionier dieser Entwicklung erhob er die USA.36 33 34 35 36
Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 8. Chandler: Scale and Scope, S. 14–17. Ders.: Strategy and Structure, S. 1–17. Im personal enterprise liegen die Verfügungsrechte über das Unternehmen und die strategische Entscheidungsfindung allein und persönlich beim Eigentümer, im entrepreneurial enterprise besitzt der Eigentümer bzw. die Eigentümerfamilie weiterhin einen erheblichen Teil des Kapitals und die strategische Entscheidungsfindung bündelt sich in einer Person. Allerdings sind Informations- und Entscheidungswege stärker ausdifferenziert und der strategisch handelnde Unternehmer wird auf der operativen Ebene von angestellten Managern funktional unterstützt. Das managerial enterprise schließlich wird von Direktoren geleitet und das Eigen-
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Den Bedeutungsverlust der Gründerfamilie führte er zum einen auf den Wachstums- und unternehmensorganisatorischen Wandlungsprozess zurück, der bewirke, dass das Vermögen der Eigentümerfamilie für die Unternehmensfinanzierung nicht mehr ausreiche, so dass Banken oder der Kapitalmarkt neue Mittel („outside capital“) bereitstellen müssten. Ferner entstünden zusätzliche Führungspositionen, die – mangels einer ausreichenden Anzahl an (geeigneten) Nachfolgern – nicht mehr ausschließlich mit Familienmitgliedern besetzt werden könnten. Hinzu kämen dem Familienunternehmen immanente Risiken, etwa eine vergleichsweise geringe Bestandsdauer, da Stabilität und Kontinuität stark an den Eigentümer bzw. die Eigentümerfamilie gekoppelt seien und durch biologische Unwägbarkeiten und familiäre Konflikte nachhaltig beeinträchtigt werden könnten. Ein Managerunternehmen hingegen sei eine Quelle kontinuierlichen Wachstums, der Beständigkeit und Stärke. Es agiere unabhängig von den beschriebenen Risiken und professioneller, da die formale schulische und fachliche Qualifikation bei Managern als Auswahlkriterium wichtiger sei, Eigentum und Abstammung – im Vergleich zu den Eigentümerunternehmern – hingegen zurücktreten würden. In der Unternehmensführung trete also die Professionalisierung an die Stelle familiärer Bindung und verwandtschaftlichen Vertrauens. Diese Entwicklung habe es ermöglicht, zentrale Führungspositionen – wenn notwendig – problemlos neu zu besetzen und Entwicklung und Fortbestand des Unternehmens vom Schicksal der Eigentümerfamilie zu lösen: „Men came and went. The institution and its offices remained.“37 Ferner unterstellte Chandler Familienunternehmen eine auf möglichst hohe Profite ausgerichtete Unternehmenspolitik, die sich primär an Eigentumsinteressen und Traditionen orientiere. Dies führe zu statischen Organisationsund Finanzierungsstrukturen, die langfristig die Wettbewerbsfähigkeit gefährden würden. Angestellte, von Eigentums- und familiären Interessen unabhängige Manager hingegen würden eine rein rationale Unternehmenspolitik verfolgen. Ihr vorrangiges Ziel seien langfristige Stabilität und dauerhaftes Wachstum. Daher würden sie Gewinne eher reinvestieren, seien risikobereiter und würden stärker auf Innovation und Expansion setzen.38 tum ist über – idealiter – breit gestreuten Kapitalbesitz verteilt. Siehe Chandler/Daems: Introduction, S. 5 f.; Chandler: Scale and Scope, S. 292, 500. 37 Chandler: The Visible Hand, S. 8. Vorbehalte gegenüber dieser Verklärung von Managern äußerte u. a. Berghoff (Moderne Unternehmensgeschichte, S. 81). Eine Professionalisierung sei auch bei Unternehmenserben festzustellen, die im 20. Jahrhundert zunehmend Fach- und Hochschulen besuchten, praktische Erfahrungen in Unternehmen sammelten und Weiterbildungs- und Beratungsangebote in Anspruch nahmen. 38 Siehe Chandler: The Visible Hand, S. 10. Einwände gegen diese vermeintlich langfristigere zeitliche Perspektive erhob Berghoff (Moderne Unternehmensgeschichte, S. 81), der das Drängen von Eigentümern auf schnelle Gewinnausschüttungen auf „Anfängerfehler“ und auf das dynastische Denken von Eigentümerunternehmern reduzierte und darauf verwies, dass sie bestrebt seien, die Firma nachfolgenden Generationen zu erhalten und mit dem Familiennamen in die Geschichte einzugehen. Der umfassenden Kritik an Chandlers Prämissen, der empirischen Validität und amerikazentrischen Perspektive seines Konzepts wird an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen. Verwiesen sei exemplarisch auf Toms/Wilson: Scale, Scope and Accountability; Langlois: Chandler in a Larger Frame; Kleinschmidt/Welskopp: Zu viel
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Innerhalb des Chandler’schen Ansatzes wurde seine These vom Verfall der Familienunternehmen bzw. vom Antagonismus von Familien- und Managergesellschaften am kritischsten hinterfragt.39 Es ist kaum zu bestreiten, dass sich seit Ende des 19. Jahrhunderts immer größere Unternehmen bilden; und zweifellos sind auch heute noch Beitrag und Bedeutung des „managerial enterprise“ für den Industrialisierungsprozess hoch einzuschätzen. Eine zwangsläufige Entwicklung vom „personal enterprise“ zum „managerial enterprise“ lässt sich aber nicht feststellen und auch ein spezifischer Zusammenhang zwischen Unternehmenstypus und -erfolg erscheint fraglich. Vielmehr betonte Kim Priemel, dass Chandler einer „Fehlwarnehmung“ gefolgt sei, indem er davon ausging, mit seinem Dreischritt „eine Typologie, respektive eine evolutionäre Kette formuliert zu haben“. Es handele sich nicht um Idealtypen und Entwicklungsstufen, die teleologisch aufeinanderfolgen, sondern um Unternehmensformen, die sich „sowohl alternativ als auch teilkongruent“40 nachweisen lassen, eigenständig und hochanpassungsfähig seien sowie untereinander und wiederholt wechseln können. Chandlers Richtungsvorgabe vom Aufstieg und Niedergang stehen im deutschen Raum – gewissermaßen als Gegenbeweis – stabile, langlebige familiengeführte Großkonzerne wie z. B. Bertelsmann, Oetker und Quandt, zahlreiche Mischformen, in denen Komponenten des Familien- und Managerunternehmens verknüpft werden, und eine wachsende bzw. stabile Zahl kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU) entgegen, die die These vom grundsätzlich überlegenen, großen Managerunternehmen Lügen strafen. Zudem nahm Chandler nur Unternehmen in den Blick, bei denen „economies of scale“ und „economies of scope“ immanent sind, nicht aber traditionelle KMU’s oder Handelsfirmen. Im Unterschied zur amerikanischen widmete sich die bundesrepublikanische sozial- und wirtschaftshistorische Forschung weniger der Organisationsgeschichte und -entwicklung von Unternehmen, sondern wandte sich dem Bürgertum als prägende gesellschaftliche Formation des 19. Jahrhunderts und der von ihm geformten „bürgerlichen Gesellschaft“ in ihrer Bedeutung, ihrer Umsetzung und ihren Grenzen zu.41 In den Blick rückten soziale, kulturelle, politische und öko„Scale“ zu wenig „Scope“; Teece: The Dynamics of Industrial Capitalism; Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 71 ff., 80 ff., 103 ff. 39 Chandlers dritte Kategorie, das Entrepreneurunternehmen, fand unter Historikern – im Unterschied zur wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion – kaum empirische Beachtung. Dabei gehörte laut Kocka (Management in der Industrialisierung, S. 145) die Mehrheit der 100 größten Industrie- und Bergwerksunternehmen um 1900 zu jener Zwischenform. Siehe auch Priemel: Wider die Typologie, S. 141–145. 40 Die letzten Zitate aus ebenda, S. 143. 41 Siehe die Ergebnisse der am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld angesiedelten Forschungsgruppe „Bürgertum, Bürgerlichkeit und bürgerliche Gesellschaft. Das 19. Jahrhundert im europäischen Vergleich“ (Kocka [Hg.]: Bürgertum im 19. Jahrhundert), des Bielefelder Sonderforschungsbereichs „Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums: Deutschland im internationalen Vergleich“ (die Forschungsergebnisse erschienen in der Reihe „Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte“) und die vom Heidelberger Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte in der Reihe „Industrielle Welt“ herausgegebenen Bände über das Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert.
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nomische Phänomene (z. B. Literatur, Unternehmerverhalten, Liberalismus, Minderheitenbehandlung) und der internationale Vergleich, um zu erforschen, ob sich ein „Defizit an Bürgerlichkeit“, ein deutscher „Sonderweg“ konstatieren lasse.42 Ferner konzentrierten sich zahlreiche Studien auf den Zusammenhang von Bürgertum bzw. Bürgerlichkeit und Stadt.43 Kocka verknüpfte seine Arbeiten zum Bürgertum Ende der 1970er Jahre mit Überlegungen zum Zusammenhang Familie, Unternehmer und Kapitalismus in der Frühphase der deutschen Industrialisierung. Er bescheinigte der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Familie, zu jenen „nicht- und vorkapitalistischen Institutionen und Kräften“ gehört zu haben, die der kapitalistischen Industrialisierung als „Voraussetzung, Antrieb und Vehikel“44 dienten. Ohne den Beitrag der Familie zur Motivation und Legitimation unternehmerischen Handelns, zur Erziehung, Sozialisation und Ausbildung künftiger Unternehmer, zur Kapitalbildung, Lösung von Problemen des industriellen Managements und zum Aufbau ökonomisch bedeutender Netzwerke, die dem Informations- und Erfahrungsaustausch und der Vertrauensgenese dienten, hätten zentrale Herausforderungen der frühen Industrialisierungsphase – mangels Alternativen – nicht bewältigt werden können.45 Indem Kocka aber der Unternehmerfamilie nur die Bedeutung einer „Übergangsform“ zugestand – zwischen der alten Hausgemeinschaft, die gleichzeitig eine Rechts-, Arbeits-, Konsum- und Wirtschaftseinheit bildete, und der modernen „bürgerlichen Familie“, in der an die Stelle der erwerbswirtschaftlichen Komponente Intimisierung, Privatheit und Emotionalisierung traten46 –, werden Parallelen zur Lesart Chandlers erkennbar. Der Bedeutung familialer Ressourcen für die Entstehung und anfängliche Entwicklung des Industriekapitalismus stellte Kocka einen mit fortschreitender Industrialisierung zunehmenden Bedeutungsrückgang der Familie für die Lösung von Unternehmensproblemen gegenüber. Die Ursache dieser Entwicklung erkannte er u. a. in der Etablierung der Industriefinanzierung durch die Bankwirtschaft, der Professionalisierung und Institutionalisierung der gewerblichen und technischen Ausbildung und der Herausbildung neuer Kommunikationstechniken und -wege. Ferner ging Kocka davon aus, dass im großbetrieblichen Kontext zunehmend Widersprüche und Spannungen zwischen familiären und ökonomischen Handlungslogiken auftraten. Als Beispiel führte er u. a. an, dass Verwandte bei der Besetzung von Schlüsselpositionen bevorzugt wurden, obwohl loyale, besser qualifizierte, professionelle Manager und Fachleute zur Verfügung standen, und dass die Kinderzahl zurückging und die Söhne und Töchter ihren Anspruch auf Selbstverwirklichung nachdrücklicher formulierten. So 42 Siehe zusammenfassend und für weiterführende Literaturhinweise Kocka: Bürgertum und Sonderweg. 43 Hervorzuheben ist das Frankfurter Forschungsprojekt „Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert“ unter der Leitung von Lothar Gall. Exemplarisch siehe zudem Reif: Berliner Villenleben; Schmuhl: Die Herren der Stadt; Sarasin: Stadt der Bürger; Roth: Stadt und Bürgertum; Schambach: Stadtbürgertum. 44 Kocka: Familie, S. 180. 45 Siehe ders.: Familie, Unternehmer und Kapitalismus. 46 Siehe zusammenfassend Schwab: Familie, S. 271–299.
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habe sich beispielsweise die Berufs- und Partnerwahl immer weniger an den Geschäftsstrategien und Zielen des Familienunternehmens orientiert.47 Demonstrieren lasse sich diese Problematik – so Kocka – am sprichwörtlich gewordenen „Buddenbrook-Effekt“ oder dem so genannten „Gesetz der dritten Generation“. Diese Schlagworte gehen – in Anlehnung an Thomas Manns teilfiktive Familiensaga – davon aus, dass insbesondere der Generationenwechsel von der zweiten zur dritten Generation hohe Risiken für den Bestand eines Familienunternehmens berge. Der dritten Generation wird dabei unterstellt, den erarbeiteten Wohlstand der Vorfahren primär für die persönliche Selbstverwirklichung zu nutzen. Unwillig, in die väterlichen Fußstapfen zu treten, strebe sie vor allem wissenschaftliche, soziale oder künstlerische Berufe an und verspiele so das Erbe der Vorgänger – kurz: Sie gehe „von der Fahne“48. Dieser Einschätzung trat zu Recht Daniel Hütter entgegen. Er wies darauf hin, dass es zu kurz greife, den Niedergang eines Familienunternehmens automatisch auf die gescheiterte Organisation des Weitergabe- und Nachfolgeprozesses zurückzuführen. Damit spreche man nicht nur dem (potenziellen) Nachfolger pauschal die Unternehmerbegabung ab, sondern man blende auch die Frage nach möglichen externen Ursachen bzw. unternehmerischen Fehlentscheidungen aus.49 Auch Hartmut Berghoff erkannte im Generationenwechsel eine „unternehmenshistorische Wegscheide“50 und betonte, dass diese Zäsuren generell Risiken bergen, lenkte den Blick aber auch auf mögliche Chancen, etwa in Form potenzieller Innovationsschübe und zuvor nicht nutzbarer Expansionsmöglichkeiten. Eine Möglichkeit, die innerfamiliäre und unternehmerische Kontinuität zu sichern, erkannten mehrere Autoren in den patriarchalischen Strukturen in Familie und Unternehmen. Mit Hilfe von Kategorien der Unternehmenskulturforschung analysierte Berghoff am Beispiel des Musikinstrumentenherstellers Hohner die Möglichkeiten, innerbetriebliche Kommunikation zu strukturieren, Konflikten vorzubeugen und sie zu lösen sowie die Bindung der Arbeitnehmer an das Unternehmen zu stärken. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf Normen und Regeln sowie die Symbole und Rituale des „sozialen Subsystems Unternehmen“51. Der Paternalismus wirkte laut Berghoff bei Hohner als umfassendes Leitbild, das gleichermaßen für Angestellte wie die eigenen Kinder galt, als Unternehmenskultur und Managementtechnik, die als disziplinierende Kraft zur Kontinuitätssicherung des Familienunternehmens beitrug. Er erblickte in den eingespielten Formen des Paternalismus jedoch auch Gefahren für die Langlebigkeit eines Familienunternehmens und benannte konkret die geringe Ausprägung von transparenten, regelhaften und formalisierten Entscheidungsabläufen, eine fehlende Definition von 47 Siehe Kocka: Zusammenfassende Thesen. Auch Rudolf Boch (Unternehmensnachfolge, S. 169 f.) betonte zunehmende Dysfunktionalitäten zwischen Familie und Unternehmen. 48 Landes: Die Macht der Familie, S. 410. Siehe auch Paulsen: Das „Gesetz der dritten Generation“. 49 Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 11. 50 Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 143. 51 Ebenda, S. 112. Siehe auch Berghoff: Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, S. 182 ff. Zur Kehrseite des Paternalismus, der Bekräftigung von Hierarchien, siehe ebenda, S. 186 ff.
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Zuständigkeiten und ein Misstrauen gegenüber externem Sachverstand und der Delegation von Führungsaufgaben. Diese „spezifische Fortschrittsfeindlichkeit“52 zeige sich in Organisationsmängeln, veralteten Techniken und Geschäftsprinzipien und wirke letztlich modernisierungs- und leistungshemmend. David S. Landes merkte zudem kritisch an, dass das Prinzip der väterlichen Führung von Generation zu Generation an sinn- und kohäsionsstiftender Wirkung einbüße, weil oft keine Autoritätsperson mehr am Leben sei, die die Nachfolger auf den „Pfad der aktiven Teilhabe“53 lotse. Als Achillesferse des Familienunternehmens erscheint damit einmal mehr der Generationenwechsel. Einhergehend mit den wirtschaftshistorischen Verfallsnarrativen wurden Einfluss und Bedeutung der Familienunternehmen für die deutsche Volkswirtschaft auch in der Öffentlichkeit lange unterschätzt. Bis zur Jahrtausendwende widmeten Medien und Wissenschaft ihnen nur selten Aufmerksamkeit. Es waren primär die großen börsennotierten Unternehmen, über die berichtet und geforscht wurde und die in der öffentlichen Wahrnehmung maßgeblich zur Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik beitrugen.54 Dabei sind es bis heute die Familienunternehmen, die das Fundament der deutschen Wirtschaft bilden. Sie prägen die Wirtschaftsstruktur von Kommunen und Regionen und sind hierzulande traditionell von herausragender Bedeutung. Forschungsergebnisse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigen, dass in Deutschland – je nach Definition – zwischen 85 und 95 Prozent aller Unternehmen Familienunternehmen sind und einen Anteil an allen Beschäftigten zwischen 45 und 62 Prozent aufweisen.55 Eine Neubelebung des Familienunternehmens bzw. eine neue wirtschaftshistorische und wirtschaftswissenschaftliche wie publizistische Aufmerksamkeit und Anerkennung lässt sich jedoch erst seit etwa zehn Jahren erkennen.56 In Folge der „New Economy“-Krise 2000/01 und der 2008 ausgelösten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise schwand bzw. schwindet zunehmend das Vertrauen in den industriellen Kapitalismus und eine Unternehmensführung, der es lediglich um das Interesse der Aktionäre, also eine kurzfristige Maximierung der Rendite, geht. Familienunternehmen – und damit einhergehend auch kleine und mittlere Unternehmen, für die sich überwiegend eine enge personelle Verbindung von Eigentum und Leitung nachweisen lässt – werden seither zunehmend und oft etwas zu positiv als 52 Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 203. 53 Landes: Die Macht der Familie, S. 413. 54 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht jährlich die Redaktionsbeilage „Die hundert größten Unternehmen“ mit Informationen über die wichtigsten Arbeitgeber, die Marktkapitalisierung der bedeutendsten Aktiengesellschaften und die größten Unternehmen Europas. 55 Siehe Rotfuß: Bedeutung von Familienunternehmen, S. 6. 56 Im Jahr 2000 berichtete die Financial Times Deutschland in 60 Beiträgen über Familienunternehmen, neun Jahre später waren es bereits 102 Artikel. Financial Times DeutschlandArchiv (digital), Anzahl der Artikel pro Jahr mit dem Stichwort „Familienunternehmen“ im Volltext. Eigene Auswertung. Institutionell hat sich das erhöhte Forschungsinteresse u. a. im Wittener Institut für Familienunternehmen, in Beratungsfirmen, Stiftungen und Verbänden niedergeschlagen.
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Geschäftsmodell verstanden, das im Gegensatz zum „Heuschreckenkapitalismus“ für das nachhaltige Wohl des Unternehmens, Beständigkeit, Moral und soziale wie ökologische Verantwortung steht.57 Vor diesem Hintergrund erschienen in den letzten Jahren zahlreiche historische Überblickswerke – neben den prominenteren Darstellungen von Geoffrey Jones und Mary Rose, Andrea Colli, Harold James oder David S. Landes58 sind hier, im internationalen Kontext, auch Studien zu Familienunternehmen in China, Indien und Japan zu nennen.59 Mit Blick auf den historischen Zugriff weichen die Darstellungen – wenig überraschend – erheblich voneinander ab; Einigkeit besteht allerdings in der Ablehnung der skizzierten altvorderen Erklärungsmuster, die von einem durchgreifenden Funktionsverlust der Familie für das Unternehmen im Zuge der Hochindustrialisierung ausgingen. So resümierte David S. Landes: „Das Familienunternehmen als solches blüht und gedeiht derweil, und in vielen Fällen wird die Übergabe des Stabes an die nächste Generation nach wie vor vollzogen. Das geschieht, weil das Familienunternehmen auf einem Fundament aus grundlegenden menschlichen Gefühlen und Impulsen ruht, die politische und wirtschaftliche Erschütterungen und Umbrüche überstehen und überwinden. Deshalb ist das Familienunternehmen im Grunde unentbehrlich.“60
Und Andrea Colli fasste pointiert zusammen: 57 Den größten Anteil an Publikationen zum Thema Unternehmerfamilien und Familienunternehmen haben die Betriebswirtschaftslehre, die Rechtswissenschaft und die systemische Organisationstheorie. Ferner haben z. B. die Soziologie, Psychologie, Philosophie oder Anthropologie Familienunternehmen als Gegenstand interdisziplinärer Fragstellungen entdeckt. Neben Studien zum Stellenwert von Familienunternehmen in der Wirtschaft entstanden zahlreiche Arbeiten zu Fragen der Rechtsform, Nachfolge oder Besitzübertragung im Familienunternehmen. Hinzu kommen etliche populärwissenschaftliche Arbeiten, die sich in erster Linie als praktische Ratgeber verstehen. Beispielhaft seien genannt Frasl/Rieger (Hg.): Family Business Handbuch; Dehn: Der familieninterne Generationenwechsel; Wiechers: Familienmanagement; Nagl (Hg.): Wie regele ich meine Nachfolge?; Klein: Familienunternehmen; von Schlippe (Hg.): Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens; Rossaro: Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen. Siehe für eine kritische Bestandsaufnahme des betriebswirtschaftlichen Forschungsstands in mehreren Ländern Hack: Sind Familienunternehmen anders? Im Vergleich zum angelsächsischen Raum ist die Forschung zu Familienunternehmen in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre noch immer randständig. 58 Siehe Jones/Rose: Family Capitalism; Colli: The History of Family Business; James: Familienunternehmen in Europa; Landes: Die Macht der Familie. Colli (The History of Family Business, S. 75 f.) unterschied zwei Führungsstile, die ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg eines Familienunternehmens seien: die „familiastic“ or „dynastic firm“ als traditionelles Modell und die „open family firm“ als modernes Modell, in dem familienfremde Manager und Mitglieder der Eignerfamilie gemeinsam agieren. 59 Siehe Menkhoff/Gerke (Hg.): Chinese Entrepreneurship; Morikawa: A History of Top Management in Japan; ders.: Zaibatsu; Smith: Fortune and Failure. 60 Landes: Die Macht der Familie, S. 429. Ähnlich argumentierte Casson (Enterprise and Leadership, S. 221), der festhielt: „The family firm is neither an anachronism – as conventional neoclassical economics suggests – nor a viable replacement for the modern managerial corporation. It is, however, a valuable member of the set of institutional forms available to entrepreneurs within a market economy.”
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„Today, the concept of family business has partially lost its association with the negative notions of backwardness, paternalism, primitive technology, simple organizational structures, and commercial and distributional weakness. […] Even if globalization substantially reaffirmed the key role of the large corporation […], the family enterprise has persisted – dynamic, specialized, innovative, flexible, and adaptive to a rapidly changing environment, firmly rooted in regional, often local, entrepreneurial communities, and present in world-wide markets.“61
Für die deutschsprachige Unternehmensgeschichte sind vor allem Michael Schäfers Kollektivbiographie sächsischer Familienunternehmen und Unternehmerfamilien zwischen 1850 und 1914 und Christina Lubinskis Studie zur Corporate Governance und Gesellschafterkultur westdeutscher Familienunternehmen seit den 1960er Jahren zu nennen. Als Ausgangspunkt diente Schäfer die Überlegung, dass die Familie für die Unternehmerrekrutierung und die Unternehmensgründung – mit den Termini Pierre Bourdieus – ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital zur Verfügung stelle. Darauf aufbauend untersuchte er die Entwicklung vom Gründer- zum Familienunternehmen, den Nachfolgeprozess und die Wechselbeziehungen zwischen familiärer und betriebswirtschaftlicher Realität. In Abgrenzung von Chandler und Kocka wandte er sich abschließend – wie Landes und Colli – explizit gegen „Niedergangsszenarien“ und hob hervor, dass Familienunternehmen alles andere als eine Übergangserscheinung aus der Frühphase der Industrialisierung seien. Vielmehr erkannte er in ihnen gerade ein Phänomen der Neuzeit und betonte, dass die Familie und die an sie geknüpften Ressourcen, Strategien und Sinnbildungen auch im 20. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. Auch Hervé Joly wies für Deutschland auf das lange Überleben des Familienkapitalismus in den großen Industriekonzernen hin.62 Lubinski fokussierte vor allem die spezifischen Organisationsprobleme von Familienunternehmen und analysierte, wie sich diese auf die Beziehungen zwischen Gesellschafterfamilie und Management auswirken. Ausgehend von einer quantitativen Untersuchung größerer Familienunternehmen in Düsseldorf und München, für die sich am Ende des Untersuchungszeitraums nur noch bei 25 Prozent ein Familieneinfluss nachweisen ließ, beleuchtete Lubinski am Beispiel von Bagel, Deckel und Rodenstock detailliert den Wandel von Eigentümerpraktiken und Eigentumsstruktur, die wechselseitige Einflussnahme von Familie und Unternehmen. Als Analysekategorien dienten ihr neben der Theorie des psychologischen Eigentums so genannte Generationenerzählungen, die den Gesellschaftern „Anknüpfungspunkte für ihre eigene, individuelle Lebensgeschichte“ bieten und es ihnen ermöglichen, sich selbst als „Bestandteil einer mehrgenerationellen Verbindung von Familie und Unternehmen“63 zu begreifen. Ob es freilich gelingt, eine dauerhafte Verbindung zwischen Familie und Unternehmen zu schaffen, hängt laut Lubinski maßgeblich von einer erfolgreichen, sinnstiftenden Führungsnachfolge und der Integrationskraft einer stabilen Unternehmenskultur ab. Trotz gra61 Colli: The History of Family Business, S. 1. 62 Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 222–226; Joly: Ende des Familienkapitalismus? 63 Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 112.
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vierender Veränderungen, „die das familiäre Engagement bezüglich Großunternehmen tendenziell abschwächten“, hielt auch Lubinski abschließend fest, dass Familieneinfluss auch im 20. Jahrhundert „keine Randerscheinung“64 und nicht auf klein- und mittelständische Unternehmen begrenzt sei. Hervorzuheben sind ferner Ansätze, die qualitativ und systematisch das Problemfeld der Unternehmensführungsorganisation, konkret der Unternehmerrekrutierung65 und Unternehmernachfolge in den Blick nehmen. Neben gescheiterten Nachfolgeregelungen und Familienstreitigkeiten, die zum Untergang traditionsreicher Unternehmen führten, stehen Fallbeispiele erfolgreicher mehrgenerationeller Familienunternehmen. In diesen Zusammenhang schrieben sich zuletzt zwei Sammelbände ein – „Unternehmernachfolge in Geschichte und Gegenwart“ und „Netzwerke – Nachfolge – Soziales Kapital. Familienunternehmen im Rheinland im 19. und 20. Jahrhundert“ –, die aus Tagungen der regionalen Wirtschaftsarchive in Stuttgart und Köln hervorgingen.66 Detailliert nahmen sich auch Sandra Zeumer für Familienunternehmen aus dem Bergischen Land und Daniel Hütter dem Thema Unternehmernachfolge an. Zeumer ging der Frage nach, wie es den Unternehmerfamilien Hardt, von der Heydt, Kersten und Bagel gelang, die Unternehmernachfolge durch spezifische Strategien wirtschaftlich zu gestalten, und analysierte speziell die personelle, rechtliche und finanzielle Ebene des Generationenwechsels.67 Hütter zeigte am Beispiel des Süßwarenherstellers Eszet Staengel & Ziller und des Lederfabrikanten Freudenberg & Co. den Zusammenhang von Eigentumsrechten und Unternehmensführung sowie die Bedeutung von Wissen, Qualifikation und Legitimation für den Nachfolger auf und setzte sich – im Kontext einer kulturalistisch erweiterten Neuen Institutionenökonomik – mit dynastischen Sinnkonstruktionen und Nachfolgemodellen auseinander.68 Für eine vertiefte Diskussion der wechselvollen Geschichte von Niedergang und Persistenz von Unternehmerfamilien und Familienunternehmen sind allerdings weitere Arbeiten erforderlich.
64 Ebenda, S. 292. 65 Diese Thematik wurde bislang vor allem von der Bürgertums- und Elitenforschung aufgegriffen, die aber den Schwerpunkt auf die Konstituierung und (Selbst-)Rekrutierung des Bürgertums und industrieller Eliten legte. Siehe z. B. Ziegler (Hg.): Großbürger und Unternehmer; Kocka (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Band 2; Boch: Grenzenloses Wachstum? 66 Siehe Kollmer-von Oheimb-Loup/Wischermann (Hg.): Unternehmernachfolge in Geschichte und Gegenwart; Hilger/Soénius (Hg.): Netzwerke – Nachfolge – Soziales Kapital. Siehe auch Blümcke/Boelcke (Hg.): Wege zum Erfolg. 67 Siehe Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen. 68 Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen. Siehe ferner Boch: Unternehmensnachfolge; Hillen: Der König ist tot – Es lebe der König?
I.C Theoretisch-methodische Aspekte
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I.C ERKENNTNISINTERESSE, FRAGESTELLUNG UND THEORETISCHMETHODISCHE ASPEKTE Im Unterschied zu anderen Untersuchungsgegenständen bilden Familienunternehmen keine fest definierte Einheit. Vielmehr existiert für den Begriff Familienunternehmen (zumindest bislang) keine allgemein anerkannte Definition. Dieses Dilemma erstaunt angesichts eines in der Entwicklung befindlichen Forschungsfeldes nicht unbedingt, erschwert es aber, Forschungsergebnisse zu vergleichen. Die zahlreichen Ansätze – deren empirischer Nutzen sich teilweise nur erahnen lässt – sind häufig nur begrenzt hilfreich. Dies gilt zunächst für Definitionen, die Familienunternehmen auf eine bestimmte Größe und Struktur,69 traditionelle Branchen, Märkte, Nischen oder einen nationalen Kontext festlegen. In Anbetracht der vielfältigen Erscheinungsformen reichen auch Kriterien wie mehrheitlicher Eigentümer-Besitz („family owned“) oder – über den Faktor Eigentum hinaus – die Besetzung einer Schlüsselposition in der Unternehmensführung mit einem Familienmitglied („both owned and controlled by a family“) nicht immer aus, um eine zweifelsfreie Zuordnung zu treffen.70 Auch systemtheoretische Konzepte wie das Drei-Kreis-Modell, welches das Familienunternehmen als Schnittmenge zwischen Familie, Eigentum und Unternehmen versteht und einen Zielkonflikt von Familie, Eigentümern und Unternehmen, Emotionalität und Rationalität entwirft, wird den komplexen wechselseitigen Beziehungen nur bedingt gerecht. Die Auffassung, dass diese drei Gruppen zwar miteinander verbunden seien, jede aber ihrer Eigenlogik folge und die familialen Spielregeln nicht mit denen von Unternehmen in Einklang zu bringen seien, die in ihrer Zielorientierung wirtschaftlichen Kriterien entsprechen müssen,71 lässt zweierlei unberücksichtigt: zum einen, dass sich aus den unterschiedlichen Handlungszusammenhängen nicht nur Risiken, sondern auch Chancen ergeben, zum anderen, dass wirtschaftliches Handeln mit den Kategorien „individualistisch, rational und nutzenmaximierend“72 nur unzureichend beschrieben ist.73 Zweifellos unterscheidet sich die Art, wie Familienunternehmen geführt, wie dort Entscheidungen getroffen und Strategien umgesetzt werden, erheblich von anonymen Kapitalgesellschaften: Familiäre Spannungen und Emotionen, persönliche Stärken und Schwächen haben – positiv wie negativ – einen größeren Einfluss auf das Ge69 Familienunternehmen sind zweifelsfrei vor allem in der Gruppe kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) anzutreffen. Siehe Pierenkemper: Einleitung. Zwar ließen sich quantitative Merkmale wie Beschäftigtenzahl, Bilanzsumme oder Umsatz gut operationalisieren, für die Einordnung als Familienunternehmen reichen sie aber – ebenso wie die Rechtsform (Familienunternehmen existieren in allen gängigen Gesellschaftsformen des deutschen Handelsgesetzbuchs) – nicht aus. 70 Zu dieser wichtigen Unterscheidung siehe Casson: Enterprise and Leadership, S. 198. 71 Siehe Simon: Von Generation zu Generation; Simon/Wimmer/Groth: Mehr-GenerationenFamilienunternehmen, S. 27–38. 72 Lubinski: Family Incorporated, S. 3. 73 Siehe weiterführend Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 15–18; Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 26–32.
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schäft. Diese außerökonomischen Rationalitäten spielen jedoch keineswegs eine notwendig dysfunktionale Rolle. Familie und Unternehmen sind nicht primär als Antagonismen zu verstehen, sondern durch ein Gegenseitigkeitsverhältnis miteinander verbunden. Dies zeigt sich z. B. darin, dass das Unternehmen zwar die Versorgung der Gesellschafter und ihrer Familie(n) garantieren soll, im Krisenfall aber, wenn die Verfasstheit des Unternehmens keine adäquaten Problemlösungen zulässt, auch auf die Loyalität und Opferbereitschaft der Unternehmerfamilie hoffen kann. Lubinski plädierte daher in Anlehnung an Sylvia Yanagisako für eine Theorie ökonomischen Handelns, die auch „Faktoren wie Freundschaft, Verwandtschaft und Gender“ einbezieht. In diesem Kontext verspreche das Familienunternehmen interessante Ergebnisse, weil sein Sinn und Zweck „durch den maßgeblichen Einfluss einer Eigentümerfamilie definiert wird“74 – die vermeintlich allein emotional-persönlichen und nicht sachlich-ökonomischen familiären Handlungslogiken und Beziehungen also auf das Unternehmen einwirken. Auch über die These Michael Schäfers – gemäß der sich das Familienunternehmen als Sinnkonstruktion weniger über die dauerhafte Bewahrung der Eigentumsrechte im Familienkreis definiere als vielmehr darüber, „dass seine Leitung in der männlichen Generationenfolge weitergegeben wurde“ – lässt sich diskutieren. Zwar ist Schäfer zuzustimmen, dass die „Kontinuität im Mannesstamm“75, d. h. dynastische Erwägungen eine wichtige Handlungsmaxime für Unternehmerfamilien waren, doch sind nicht nur Beispiele wie die Familie Haniel, die sich seit Generationen explizit auf das Eigentum und die daraus resultierende Verfügungsmacht beschränkt hat,76 ein Beleg dafür, dass sich Familienunternehmen nicht allein über rein formale Kriterien erschließen lassen. Familienunternehmen sind ein hochgradig heterogenes, ökonomisches wie soziales und kulturelles Gebilde. So kann die dauerhafte Verbindung von Familie und Unternehmen auch ohne formale Position in der Unternehmensleitung sinnstiftend wirken und eine Familie in ihrem Sinne die Unternehmenspolitik beeinflussen, z. B. über eine entsprechende Unternehmenskultur.77 Von daher scheint der Ansatzpunkt Lubinskis – nicht zu fragen: „Hat man es bei einem Unternehmen mit einem Familienunternehmen zu tun?“, sondern „Inwiefern bestimmen familiäre Prägung und Gestaltung ein Unternehmen, wie und warum verändert sich dieser Einfluss bzw. diese Verfügungsmacht?“ – für die Darstellung der wechselseitigen Beziehung von Fa-
74 Die letzten beiden Zitate aus Lubinski: Family Incorporated, S. 3. Yanagisako (Producing Culture and Capital, S. 21) plädierte für eine Theorie ökonomischen Handelns, die zwei Seiten berücksichtigt: „the deliberate, calculative pursuit of profit and the fulfillment of other culturally meaningful desires”. 75 Die letzten beiden Zitate aus Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 100, 162. Zur Kritik an Schäfer siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 118. 76 Siehe Obermüller: Hermann Reusch; Gehlen: Die Rheinische Aktiengesellschaft, S. 137. 77 Siehe zu den Formen des Familieneinflusses die so genannte F-PEC Skala, nach der Family influence auf Power, Experience und Culture beruht. Zusammengefasst bei Klein: Familienunternehmen, S. 14 ff.
I.C Theoretisch-methodische Aspekte
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milie und Unternehmen der sinnvollste zu sein.78 Familienunternehmen werden demnach in vorliegender Arbeit als Unternehmen verstanden, in denen eine Familie „verbindlich und sichtbar“79 – über Eigentum, die Mitwirkung in Leitungsund/oder Aufsichtsgremien und/oder die Internalisierung familiärer Werte in das Unternehmen – Verfügungsmacht erreicht und sich generationenübergreifend behauptet. Ein häufig an die Unternehmensgeschichte gerichteter Appell lautet, an Theorien und weit reichenden Fragestellungen orientierte, vergleichende Untersuchungen anzustellen.80 Dieser Forderung kann eine Fallstudie, die vom Wert quellennaher empirischer Detailforschung überzeugt ist, naturgemäß nur bedingt gerecht werden. Doch gerade Einzeluntersuchungen zu Familienunternehmen, speziell der bislang stiefmütterlich behandelten Nahrungs- und Genussmittelindustrie, sind als Voraussetzung für umfassende, auf Vergleichen beruhende Aussagen nach wie vor hilfreich und notwendig. Die Konzentration auf eine Unternehmerfamilie bzw. ein Familienunternehmen bietet ferner den Vorteil, dass sie konkrete, in die Tiefe gehende Erkenntnisse ermöglicht und am Einzelfall die wechselseitige Abhängigkeit von Familie und Unternehmen zeigt. Das Fallbeispiel schärft immer den Blick für Problemlagen, die bei generalisierenden Arbeiten häufig nicht rezipiert werden können. Vor allem lassen sich Formen, Möglichkeiten und Grenzen der Symbiose von Familie und Unternehmen prägnanter durch die Analyse einzelner Entscheidungsvorgänge als durch übergreifende Plausibilitätserwägungen erschließen.81 Diese Überlegungen bedeuten jedoch nicht, dass es sich um eine überwiegend deskriptive Studie handelt, die keine methodischen Prämissen und übergeordneten Fragestellungen verfolgt. Der Untersuchung geht es nicht allein um die – für sich genommen interessante – wechselvolle Lebensgeschichte einer Unternehmerfamilie und ihrer Unternehmung. Die Absicht ist vielmehr, sich im Rahmen einer Kontextualisierung der Ergebnisse einer Erklärung familienunternehmerischen Handelns im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu nähern. Dabei verlangt die Leitfrage nach der Koevolution von Familie und Unternehmen nach einem integrierten Ansatz, denn die Geschichte des Unternehmens ist mit der Genealogie der Eigentümerfamilie eng verwoben.82 Das Selbstverständnis der Familie Stollwerck als Bürger und Unternehmer aufnehmend, wird die wechselseitige Verbindung von Familie und Unternehmen nachfolgend mit Kategorien und Fragestellungen der Bürgertumsforschung und Unternehmensgeschichte analysiert. Aus diesem Zu78 Siehe Lubinski: „Was ich habe, bin ich“, S. 240; dies.: Wo „nachfolgende Generationen schaffende Arbeit verrichten“, S. 153. 79 Sachse: Familienunternehmen, S. 10. 80 Siehe exemplarisch Pfister/Plumpe: Einleitung; Plumpe: Die Unwahrscheinlichkeit des Jubiläums. 81 Die mikrohistorische Perspektive lenkt zudem den Blick auf große, bislang nicht berücksichtigte Quellenbestände. Siehe Habermas: Frauen und Männer des Bürgertums; Groppe: Der Geist des Unternehmertums; Soénius: Wirtschaftsbürgertum. 82 So z. B. der Aufruf Pfisters (Unternehmerverhalten, S. 61), sozialhistorische und unternehmenstheoretische Ansätze zusammenzuführen.
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sammenhang ergeben sich Erkenntnispotenziale, die für die historische Unternehmensforschung bislang kaum genutzt wurden,83 obwohl sich im Verständnis der Zeitgenossen die bürgerlichen Tugenden in Unternehmern, Großkaufleuten und Bankiers am reinsten spiegelten, sie als „Kern“ des Bürgertums, als „Prototyp“84 des Bürgers galten. Ziel ist es, am Beispiel Stollwerck die allgemeine Bürgertumsforschung zu prüfen, zu korrigieren oder zu erweitern. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wird das Stollwerck’sche Beispiel in den „bürgerlichen Wertehimmel“85 des 19. und frühen 20. Jahrhunderts eingeordnet. Unternehmer handeln in einem spezifischen, auf Institutionen begründeten Sinnzusammenhang.86 Heute ist dies der Kontext der Wirtschafts- sowie der rechtlichen und kulturellen Ordnung, der Unternehmensverfassung und der Märkte, auf denen sich ein Unternehmen bewegt. Die zugrunde liegenden Regelwerke sind zumeist in Form von Verträgen, Gesetzen etc. schriftlich festgehalten. Im 19. Jahrhundert war dieses institutionelle Gefüge, waren die Märkte (Arbeits-, Geldund Kapitalmärkte) sowie die Unternehmensorganisation und -verwaltung aber noch kaum ausdifferenziert und zum Teil sehr undurchsichtig.87 Der für unternehmerisches Handeln unabdingbare Austausch musste also zusätzlich an andere Institutionen gekoppelt werden. Als Grundlage diente die Tatsache, dass Unternehmer im 19. Jahrhundert in der Regel auch Bürger waren. Bürgerlichkeit wird dabei nicht als systematische Kategorie verstanden, sondern als „Kultur- und Lebensstil“88, der durch zahlreiche sehr verschiedene Bestimmungsmerkmale gekennzeichnet war und das – ausgehend von sozialstrukturellen Merkmalen – heterogene Bürgertum zusammenhielt.89 Diese Kultur und Lebensführung war durch einen nicht kodifizierten Kanon von Sitten, Normen und Verhaltensregeln bestimmt, der die Wirklichkeitswahrnehmung, die daraus hervorgehende Mentalität 83 In den vergangenen Jahrzehnten dominierte in der Forschung die Darstellung des Unternehmers als Bürger: als Familienvater, gesellschaftlich engagierter Würdenträger, Netzwerker, Vereinsmitglied oder engagierter Politiker. Siehe statt vieler Einzelbelege die Beiträge in Ziegler (Hg.): Großbürger und Unternehmer. 84 Rosenbaum: Formen der Familie, S. 316. 85 Hettling/Hoffmann (Hg.): Der bürgerliche Wertehimmel. 86 Institutionen werden dabei als formelle und informelle Regelwerke verstanden, deren Anreizund Durchsetzungsmechanismen das Verhalten der Akteure beeinflussen und steuern, damit soziale Wechselbeziehungen ordnen und die Unsicherheit menschlicher Beziehungen bzw. menschlichen Verhaltens vermindern. Mit dieser Annahme grenzt sich die neoinstitutionenökonomische Theoriebildung gegen den neoklassischen Ansatz ab, der Faktoren wie Wirtschaftsordnung, rechtlicher Rahmen, Kultur etc. als für das Verstehen wirtschaftlicher Entwicklung randständig betrachtet und Unternehmen auf ihre Produktionsfunktion reduziert. Siehe Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 42–52; Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 7 f. Für weitere Literaturhinweise siehe Gehlen: Paul Silverberg, S. 22 f. 87 Siehe Pfister: Unternehmerverhalten, S. 51. 88 Kaschuba: Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800, S. 10 ff. 89 In der Forschung herrscht Einigkeit, dass „Besitz“ und „Bildung“ grundlegende Kriterien des Bürgertums bilden. Zur „prekäre[n] Einheit des Bürgertums“ siehe Kocka: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft, S. 11–33; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 15 f.; Lepsius: Zur Soziologie des Bürgertums.
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und das Handeln der Akteure prägte. Bürgerlichkeit kann daher „als Fähigkeit zur Teilhabe an einem Diskurs“90 verstanden werden, der die soziale und unternehmerische Praxis nach vernünftigen Grundsätzen zu gestalten suchte. Die Bürger als Teilnehmer an diesem Diskurs verband die besondere Anerkennung von individueller Leistung, eine positive Einstellung zu regelmäßiger, disziplinierter Arbeit sowie eine nüchterne und geregelte, bescheidene Lebensführung. Damit einhergehend lässt sich als verbindendes Element auch der hohe Stellenwert festhalten, der Bildung, Hochkultur und Wissenschaft und dem geselligen Beisammensein in Vereinen und Gesellschaften, aber auch im Familienkreis eingeräumt wurde. Zentrales Kennzeichen bürgerlicher Kultur und Lebensführung war ferner ein besonderes Familienideal als geschützte und von der Arbeitswelt abgegrenzte Sphäre. Die Familie stand für „eine sich selbst begründende, als Selbstzweck begreifende Gemeinschaft“ und wurde – im Unterschied zu den Bereichen Politik und Wirtschaft – „durch emotionale Beziehungen statt durch Zweckhaftigkeit und Konkurrenz“91 getragen. Dieser Wertekanon vermittelte ein Muster bzw. Ideal, aber keine feststehenden Vorschriften für eine bürgerliche Lebensführung und bot somit Raum für individuelle Ausprägungen im Alltag92 – je nach den Anforderungen lebensweltlicher Einflussfaktoren (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur), persönlichen bzw. familiären Erwartungen, Plänen und Ressourcen. Bürgerlichkeit „als gesamtheitliche Lebensform“ stellte also „potentiell eine ganze Reihe von materiellen und immateriellen Institutionen zur Verfügung“93, die unternehmerisches Handeln ordnen konnten. Im Folgenden wird daher untersucht, inwieweit das Phänomen der Bürgerlichkeit speziell zum Verständnis von Familienunternehmen beitragen kann. Zunächst geht es in dieser Studie um die Rolle der (bürgerlichen) Familie bzw. um die Frage, inwieweit die Grundlagen für die (erfolgreiche) Unternehmensgründung und Unternehmertätigkeit der Familie Stollwerck in der familiären Sozialisation94 und vor dem Hintergrund bürgerlicher Werte gelegt wurden. Ein 90 Pfister: Unternehmerverhalten, S. 52. 91 Kocka: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft, S. 27. 92 Bürgerlichkeit schließt seit jeher sowohl „individuelle als auch gesellschaftliche Leitbilder und Zukunftserwartungen“ ein. Die Vorstellung von Bürgertum ist zum einen von der „Bildung des einzelnen zum Bürger“, zum anderen von der „Durchsetzung von Bürgern in der Gesellschaft“ bestimmt. „Die Ausbildung einer je eignen Individualität und das Knüpfen sozialer Bindungen gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig.“ Hettling: Politische Bürgerlichkeit, S. 12. Mit vergleichbaren Argumenten Rauh-Kühne: Zwischen „verantwortlichem Wirkungskreis“ und „häuslichem Glanz“, S. 216 f.; dies: Zur Bürgerlichkeit von Unternehmerfamilien, S. 445 f.; Lesczenski: August Thyssen, S. 13 f. 93 Pfister: Unternehmerverhalten, S. 52. 94 Nach Bourdieu spiegelt sich die Sozialisation in einem bestimmten Herkunftsmilieu in spezifischen, dauerhaften und übertragbaren, nicht hinterfragten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmustern, dem Habitus, dessen Konturen sich vorwiegend in den Jahren der primären und familiären Sozialisation ausbilden. Siehe Bourdieu: Sozialer Sinn, S. 97–121; ders.: Entwurf einer Theorie der Praxis, S. 170–189. Lesczenski (August Thyssen, S. 15) wies freilich darauf hin, dass im Habitus-Konzept weitgehend offen bleibe, wie Wandel und Einschnitte von Lebensläufen angemessen zu beschreiben und individuelle Herausforderungen,
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Fokus liegt auf ihrer bürgerlichen Kultur und Lebensführung, Idealen und ihrer Umsetzung im Alltag, übergeordneten Ordnungs- und Verhaltenskriterien, individuellen Ausprägungen und dem Wandel im Umgang mit diesen Werten im Untersuchungszeitraum. Zu analysieren sind zudem spezifische Ausprägungen und die Entwicklung von Bürgerlichkeit. Wie gingen die einzelnen Familienmitglieder mit Werten wie Arbeit, Familie und Geselligkeit um? Lassen sich im Generationenwechsel Kontinuitäten, Ausdifferenzierungen oder Brüche feststellen?95 Die (bürgerliche) Familie verfügt, wie Michael Schäfer methodisch brauchbar herausgearbeitet hat,96 freilich nicht nur über einen spezifischen „Wertehimmel“, sondern auch über bestimmte Ressourcen bzw. – mit den Termini Pierre Bourdieus – Kapitalarten (oder verschiedene Arten von Macht) sowie die Zeit, diese dem heranwachsenden, zukünftigen Unternehmer zu vermitteln und im Prozess der Unternehmerrekrutierung, Unternehmensgründung und -sicherung zu mobilisieren. Bourdieu differenzierte dabei zwischen den drei Erscheinungsformen ökonomisches Kapital (materielle Vermögenswerte und Eigentumsrechte, die sich direkt in Geldeinheiten ausdrücken lassen), soziales Kapital (die Einbindung in ein Netz von mehr oder weniger gesellschaftlich anerkannten, festen Beziehungen, kurz: die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, innerhalb derer man sich kennt und anerkennt) und kulturelles Kapital. Kulturelles Kapital existiert neben rechtlich anerkannten und garantierten Bildungstiteln (institutionalisiertes Kulturkapital) und kulturellen Gütern wie Büchern, Gemälden oder Musikinstrumenten, deren juristisches Eigentum sich übertragen lässt (objektiviertes Kulturkapital), vor allem in durch die Familie vermittelten Fähigkeiten, Werten und Verhaltensweisen (inkorporiertes Kulturkapital).97 Aufbauend auf dieser Theorie der verschiedenen Kapitalarten entwickelte Bourdieu eine vierte Kategorie: das symbolische Kapital, unter dem die Option verstanden wird, die drei anderen Kapitalarten in machtreleKrisen und Brüche sowie Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik einzuordnen seien. 95 Während der „bürgerliche Wertehimmel“ des 19. Jahrhunderts umfassend erforscht wurde (siehe zur Forschungslage Lundgreen: Einführung; Schulz: Lebenswelt und Kultur), hielt sich für das 20. Jahrhundert lange die These von Bürgertum und Bürgerlichkeit als einer vergangenen gesellschaftlichen Formation bzw. eines überkommenen Lebensstils, die Forschungen zu diesem Themenkomplex für die Zeit nach 1945 überflüssig erscheinen ließ. Im Gegensatz dazu sprach Tenfelde (Stadt und Bürgertum, S. 332) vom „Formwandel“, in dem alte Zurechnungen an Bedeutung verloren und neue relevant wurden, und einer „Verallgemeinerung von Bürgerlichkeit“. Auch die Ergebnisse verschiedener Einzelfallstudien zum Wirtschaftsbürgertum weisen auf eine Kontinuität bürgerlicher Werte und Ideale hin. Siehe exemplarisch die Beiträge in Ziegler (Hg.): Großbürger und Unternehmer; Berghahn/Unger/Ziegler (Hg.): Die deutsche Wirtschaftselite. 96 Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 62–77. 97 Diese lassen sich – im Unterschied zu Eigentumstiteln – nur schwierig übertragen. Die Fähigkeit oder Begabung, die literarische Bedeutung eines Buches zu erfassen, setzt voraus, sich zu bilden. Bildung ist dabei als Prozess der Aneignung und Verinnerlichung zu verstehen, der Zeit kostet. Diese Zeit muss persönlich investiert werden und lässt sich nicht auf eine andere Person übertragen. Um Zeit investieren zu können, darf man freilich keinen ökonomischen Zwängen unterliegen. Siehe Bourdieu: Kapital, S. 49–70.
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vante Werte wie Anerkennung, Einfluss, Legitimation, Prestige etc. umzuwandeln.98 Die in der Unternehmensgeschichte bewährten institutionenökonomischen Ansätze99 helfen schließlich, die wirtschaftsbürgerliche Lebensführung im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit zu analysieren und so die Chancen und Risiken herauszuarbeiten, die sich aus der wechselseitigen Verbindung von Familie und Unternehmen ergeben. Denn Werte und Ressourcen der (bürgerlichen) Familie wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Solidität, Selbständigkeit, Solvenz oder familiärer Zusammenhalt haben zugleich eine ökonomische Dimension. Indem davon ausgegangen wird, dass diese Werte und Ressourcen unternehmerisches Handeln strukturieren können, werden verschiedene Grundannahmen neo-institutionenökonomischer Theoriebildung hervorgehoben: konkret die Modelle Transaktionskosten, Verfügungsrechte und Prinzipal-Agent-Ansatz. Die Neue Institutionenökonomik entwickelte sich in Auseinandersetzung mit der neoklassischen Theorie, die davon ausgeht, dass Märkte vollkommen sind, alle Marktteilnehmer vollständige Informationen über Güter, Preise etc. besitzen, ihren Nutzen kennen und sich vollständig rational verhalten, d. h. sie maximieren entsprechend der Grundlage menschlichen Handelns ihren Nutzen. Der kreative Unternehmer tritt hinter ein „Schattengeschöpf ohne spezifische Funktion“100 zurück, das Input in Output verwandelt, indem es die Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit, Boden und Wissen miteinander kombiniert. Im Unterschied hierzu setzt die Neue Institutionenökonomik nicht bei den Gütern an, sondern bei den mit ihnen verbundenen und mittels Verträgen übertragenen property rights – den Eigentums-, Handlungs- und Verfügungsrechten und den spezifisch gesellschaftlichen Bedingungen und Beschränkungen, unter denen Menschen sich Eigentum aneignen, über es verfügen, es tauschen etc.101 Sie geht ferner davon aus, dass die 98 So erscheint beispielsweise das soziale Kapital der Unternehmerfamilie häufig als Ressource, um Interventionen und Zugeständnisse vom Staat und von den Behörden zu erwirken. Institutionalisiertes kulturelles Kapital lässt sich (wie soziales und ökonomisches Kapital) in Form von Anerkennung als symbolisches Kapital nutzbar machen. Siehe ebenda, S. 70–75. 99 Siehe hierzu exemplarisch die Studien von Lubinski (Familienunternehmen in Westdeutschland) und Hütter (Nachfolge im Familienunternehmen), die auf dem theoretischen Bezugsrahmen der Neuen Institutionenökonomik beruhen. 100 Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 44. Siehe für eine Kritik dieser Vorstellung unternehmerischen Handelns ebenda, S. 42 ff. 101 Diese „Rechte“ müssen nicht gesetzlich fixiert sein, sondern können auch in Form von Konventionen o. ä. bestehen. Der property rights-Ansatz als institutionelle Erklärung, wer über welche Kompetenzen und Güter verfügt, zielte ursprünglich auf allgemeine bzw. gesamtwirtschaftliche Verhältnisse, lässt sich aber auch auf die Verfügungsrechtsstruktur eines Unternehmens anwenden. Das Unternehmen wird dabei nicht auf seine Produktionsfunktion reduziert, sondern ausgehend von unterschiedlichen, oftmals auch abweichenden Interessen einzelner Gruppen und Individuen rücken die Akteure innerhalb des Unternehmens in den Blick, die ihrerseits auch andere Organisationen repräsentieren können. Zudem wird die Entwicklung von Märkten, Technologien und Handlungsspielräumen berücksichtigt. Entscheidungen im Unternehmen werden nicht mehr als Maximierungs-, sondern als Aushandlungsprozesse verstanden, in denen Optimierungsfragen eine Rolle spielen (können). Für einen Überblick über die property rights siehe Windisch: Verfügungsrechte; Richter: Sichtweise und Frage-
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skizzierten Prozesse Transaktionskosten verursachen. Diese fallen sowohl am Markt als auch in Unternehmen an, um Tauschakte vorzubereiten, abzuwickeln und durchzusetzen.102 Übertragen auf die Frage nach der Symbiose von Familie und Unternehmen ermöglicht die Verbindung von property rights-Ansatz und Bourdieu’scher Kapitaltheorie Rückschlüsse darauf, wie die verschiedenen Kapitalarten verwendet werden können, um Verfügungsrechte zu sammeln, geltend zu machen und zu legitimieren.103 Zu hinterfragen ist ferner, welche Bedeutung spezifische Verfügungs- und Handlungsrechte für die Entwicklung eines Unternehmens besitzen (können) und wie sich Handlungsmöglichkeiten und Ziele gegenseitig einschränken. Um die reale Unternehmensstruktur zu erkennen, reicht es jedoch nicht, zweckorientierte, normative Satzungen und Organigramme auszuwerten, sondern es müssen einzelne Entscheidungsprozesse in den Blick genommen werden. Konkret betrifft eine Analyse der property rights z. B. die Diskussionen über die geeignete Unternehmensform, die zum einen dem ökonomischen Ziel des wirtschaftlichen Überlebens und der Gewinnerzielung, zum anderen aber auch dem familiären Ziel, „Herren und Meister“104 des Geschäfts zu bleiben, und damit dem bürgerlichen Ideal der Selbständigkeit entsprechen muss. Ein weiterer Aspekt betrifft die Unternehmernachfolge, in deren Kontext – so Daniel Hütter – die Verfügungs-, Eigentums- und Handlungsrechte neu verteilt werden. Im Zuge des Generationenwechsels werden nicht nur materielle Werte, Positionen und Titel übertragen, sondern auch die daran geknüpften unternehmerischen Rechte. Dieser Prozess ist in der Regel durch formgebundene wie formlose Institutionen bestimmt, die aus der Verbindung von Familie und Unternehmen entstehen und sich mit der Zeit verändern.105 Auch der Transaktionskostenansatz lässt sich mit der Analyse der wechselseitigen Verbindung von Familie und Unternehmen verknüpfen. Dieter Ziegler machte beispielsweise darauf aufmerksam, dass familiäre Beziehungen die stärkste Bindung darstellen, über die Vertrauensnetzwerke geknüpft werden können. Vertrauen bzw. ein kollektives Ethos, der familiäre Zusammenhalt und eine einheitliche Familien- und Unternehmenskultur senken zudem den Informations- und Kontrollaufwand, der z. B. in von Managern geführten Unternehmen unumgänglich ist. Auch Hartmut Berghoff wies darauf hin, dass die Familie die Transaktionskosten reduziere, indem die Aufnahme mehrerer Familienangehöriger in die Geschäftsleitung beispielsweise eine weitere Ausdehnung des Unternehmens er-
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stellungen, S. 574 ff.; Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 90–144. Weiterführend siehe Reckendrees: Der Property Rights-Ansatz; Neumann: Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte. Siehe einführend in das Thema Transaktionskosten Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 53–86; Richter: Sichtweise und Fragestellungen, S. 576–580; Alchian/Demsetz: Production, Information Costs. Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 44 f. Ludwig Stollwerck an Anton Reiche am 18. März 1902, RWWA 208-241-7. Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 44 f.
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mögliche.106 Im Prozess der Unternehmernachfolge kann zudem davon ausgegangen werden, dass die verfügbaren Informationen über Charakter, Qualifikation und Fähigkeiten eines aus der Familie stammenden Nachfolgers ausreichend sind. Im Unterschied zu einem Nichtfamilienunternehmen fallen also keine Kosten für die Information über potenzielle Nachfolger an. Die Familie kann aber auch Transaktionskosten verursachen, indem z. B. große Anstrengungen erforderlich sind, um innerfamiliäre Normen und Werte im Unternehmen durchzusetzen.107 In Anknüpfung an den Transaktionskostenansatz geht die Neue Institutionenökonomik davon aus, dass der Akteur auch auf unvollkommenen Märkten versuche, nutzenmaximierend zu agieren; aufgrund seiner physisch begrenzten Verarbeitungskapazitäten und angesichts der Tatsache, dass der Erwerb von Wissen kosten- und zeitintensiv und – soweit es sich um noch in der Zukunft liegende Entwicklungen handele – schlicht unmöglich sei, könne er aber nicht alle für eine rationale Entscheidung erforderlichen Informationen aufnehmen. Er handele also auf der Grundlage der verfügbaren Informationen nur eingeschränkt rational („bounded rationality“).108 Ferner setzt die Neue Institutionenökonomik voraus, dass individuelles Handeln nicht allein auf der Motivation beruhe, finanzielle Vorteile zu erlangen. Sie berücksichtigt daher auch die von den Akteuren geteilten „Ideologien“ – im Sinne spezifischer Arten von Weltdeutung – oder „mentale Modelle“. Der Akteur lebe nicht für sich allein, sondern im permanenten Austausch mit anderen. Daher seien seine Zielvorstellungen von den ihn umgebenden Menschen, seinem Herkunftsmilieu und Erfahrungshorizont, seinen Wertvorstellungen etc. beeinflusst und nicht starr, sondern veränderlich. Demnach sei materieller Gewinn nicht der alleinige Ausgangspunkt individuellen Handelns, sondern auch das Streben nach Anerkennung, Liebe, Respekt, Selbstverwirklichung, Freiheit, Wissen, Macht etc. spiele eine Rolle.109 Vorliegende Arbeit vertritt die Annahme, dass für Unternehmer primär ökonomische Ergebnisse zählen. Im Kontext der wechselseitigen Verbindung von Familie und Unternehmen dient diese Überlegung aber der Suche nach Entscheidungsparametern, die von der Profitorientierung abweichen. Denn nur im Verhältnis zum ökonomischen Kern kann in einer erweiterten Perspektive plausibel gezeigt werden, dass gerade in Familienunternehmen auch andere Faktoren wie Ideologie, Netzwerke, Unternehmenskultur etc. auf Entscheidungsprozesse ein-
106 Siehe Ziegler: Die wirtschaftsbürgerliche Elite, S. 20; Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 143. 107 Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 45 f. 108 Siehe Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 192 f.; Simon: Models of bounded rationality. Neben der physisch begründbaren „bounded rationality“ geht die Akteurstheorie ferner von einer situativ eingeschränkten Rationalität aus. In gefühlsintensiven Situationen treffe ein Mensch häufig intuitive Entscheidungen, die nicht von dem Gedanken an einen objektiv rationalen Zweck bestimmt, daher weniger effektiv seien und eher an „Durchwursteln“ („muddling through“) denn an vernünftiges Entscheiden erinnern würden. 109 Siehe Dunn: Die Unternehmung als ein soziales System, S. 62–65; Wischermann: Von der „Natur“ zur „Kultur“, S. 26–29; Denzau/North: Shared Mental Models.
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wirken.110 Diese institutionenökonomische Sicht auf den Akteur bedeutet, dass hinterfragt werden muss: Wer verfolgte welche Interessen? Worauf basierten – neben ökonomischen Faktoren – diese Interessen? Mit welchen Mitteln und Strategien wurden sie verfolgt und umgesetzt? Inwiefern waren Entscheidungen familiären oder unternehmerischen Handlungslogiken verhaftet? Welchen Einfluss hatten Emotionen auf den Akteur und seine Entscheidungen? Eine weitere Grundannahme der Neue Institutionenökonomik ist das Argument opportunistischen Verhaltens (Prinzipal-Agent-Problematik). Indem jeder Akteur nur begrenzt informiert sei, könne der Wissensstand zweier Individuen im Hinblick auf ein bestimmtes Geschäft nie gleichmäßig sein. Dieses Ungleichgewicht könne der besser Informierte ausnutzen, um sich auf Kosten des anderen unfaire Vorteile zu verschaffen.111 Der Schwerpunkt der Prinzipal-AgentProblematik liegt auf der Frage, wie unter der Annahme von Informationsasymmetrien Verträge im Sinne eines Kontrollsystems optimal gestaltet werden können, um opportunistisches Verhalten soweit wie möglich zu verringern. Dabei machen die formellen (Strafen, Belohnungen) und informellen (Unternehmenskultur) Sanktionsmittel insgesamt die governance-Struktur des Unternehmens aus.112 Die Bewältigung des Opportunismusproblems bildet den Kern der rechtlichsozialen Organisation des Unternehmens. Das von der Neuen Institutionenökonomik entworfene Modell des unvollständigen Vertrags beinhaltet allerdings, dass Verträge nie alle Eventualitäten berücksichtigen, d. h. Opportunismus und Unsicherheit nie ganz ausgeräumt werden können. Es hat den Zweck, zu erklären, wie die Beziehung zwischen Prinzipal und Agent organisiert bzw. in ein Gleichgewicht gebracht werden kann, so dass Aktivitäten, die nicht Gegenstand des Vertrags sein können, dennoch Teil einer Kooperation, eines Bündels bindender Spielregeln werden und so Unsicherheiten verringern.113
110 Siehe zu dieser Frage die in der Zeitschrift für Unternehmensgeschichte von Pierenkemper, Pohl und Borscheid geführte Diskussion über die Kernprobleme der Unternehmensgeschichte. Pierenkemper: Was kann eine moderne Unternehmensgeschichtsschreibung leisten?; Pohl: Zwischen Weihrauch und Wissenschaft?; Pierenkemper: Sechs Thesen; Borscheid: Der ökonomische Kern. 111 Ein Prinzipal vertraut einem Agenten bestimmte Aufgaben an, deren Durchführung er weder kostenlos noch vollständig überwachen kann. Zudem handelt der Agent unter Umständen in Situationen, die so vielschichtig sind, dass sie in Bezug auf das jeweilige Ziel nicht eindeutig bewertet werden können. Der Agent verfügt somit über einen Handlungsspielraum, in dem er „unter Zuhilfenahme von List“ (Williamson: Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, S. 54) Eigeninteressen verfolgen kann. Einfache und alltägliche Beispiele der PrinzipalAgent-Problematik bieten sich zahlreich. Siehe Arrow: The Economics of Agency, S. 38. 112 Zur bisherigen Anwendung des corporate governance-Konzepts in der Unternehmensgeschichte siehe Erker: „Externalisierungsmaschine“ oder „Lizenznehmer der Gesellschaft“?, S. 620–623; ders.: Corporate Governance; Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland. 113 Zur Prinzipal-Agent-Problematik und dem Modell des unvollständigen Vertrags siehe Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 215–312; Voigt: Institutionenökonomik, S. 102 ff.; Erlei/Leschke/Sauerland: Neue Institutionenökonomik, S. 103–191; Richter: Sichtweise und Fragestellungen, S. 580–586.
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Erfolgreiche Kooperation beruht dabei zum einen auf Vertrauen (verstanden als Verzicht auf Kontrolle),114 vor allem dem Vertrauen darauf, das Verhalten des anderen vorherzusehen. Zum anderen muss die Annahme aufgehoben werden, dass die beteiligten Akteure unterschiedliche Ziele verfolgen. Vor diesem Hintergrund bildet sich in einer Gesellschaft über längere Zeiträume und in formlosen Beschränkungen wie Verhaltensregeln, Ritualen, Sitten, Gebräuchen und Konventionen erfolgreiches kooperatives, nichtopportunistisches, vertrauenswürdiges und routinisiertes Verhalten heraus. Es entsteht eine „gemeinsame Konstruktion von Sinn“, eine „institutionelle Subsinnwelt“115. Übertragen auf den Betrieb oder die Familie „die wie alle menschlichen Gemeinschaften und Organisationen über historisch gewachsene Regelsysteme, spezifische Werte- und Normengefüge sowie gemeinsame Wahrnehmungs- und Handlungsmuster“116 verfügen, bedeutet dies, dass sich eine Unternehmens- bzw. Familienkultur herausbildet, die für alle beteiligten Akteure die „selbstverständliche Wirklichkeit“ bildet, „in der sie handeln und in die sie verändernd eingreifen“117. Unternehmens- bzw. Familienkultur ist also zu verstehen als gemeinsames Wissen der Akteure über Werte, Symbole, Kommunikationsakte, -rituale, -praktiken und -strategien, das zum einen nicht hinterfragt wird und zum anderen dazu dient, die Ziele von Prinzipal und Agent in Einklang zu bringen, d. h. Vertrauen auszubilden und dadurch opportunistisches Verhalten und Verhaltensunsicherheiten zu minimieren. Das Besondere am Familienunternehmen ist, dass hier eine Kultur entwickelt wird, die sowohl in der Familie als auch im Betrieb gültig ist und akzeptiert wird.118 Eine Variante, in der familien- und unternehmensinterne Spielregeln in Einklang gebracht werden können, ist der Paternalismus, dessen kohäsions- und harmoniestiftende Wirkung darauf beruht, dass familiäre Strukturen und Werte auf 114 Zum Thema „Vertrauen als Schlüsselkategorie wirtschaftlichen Handelns“ (Fiedler: Vertrauen ist gut, S. 576) siehe Hillen (Hg.): „Mit Gott“; Fiedler: Vertrauen ist gut; Berghoff: Vertrauen als ökonomische Schlüsselvariable; Sell: Vertrauen; Frevert (Hg.): Vertrauen. 115 Nieberding/Wischermann: Unternehmensgeschichte, S. 42. 116 Berghoff: Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, S. 173. 117 Nieberding/Wischermann: Unternehmensgeschichte, S. 42. Das Maß der Identifikation mit dieser „selbstverständlichen Wirklichkeit“ hängt von verschiedenen Faktoren ab, u. a. von der Position, die ein Mitarbeiter im Unternehmen hat, von den „aus der Primärsozialisation stammenden Relevanzstrukturen“ (ebenda, S. 43), in die dieses Wissen implementiert wird, sowie von der Intensität und Kontinuität, mit der die Regeln und Normen der Unternehmenswirklichkeit gesichert und bekräftigt werden. 118 Eine stabile und einheitliche Familien- und Unternehmenskultur ist natürlich nicht gleichbedeutend mit unternehmerischem Erfolg. Vertrauensgenese kann zwar – sofern die Ziele von Prinzipal und Agent weitgehend übereinstimmen – kostengünstiger sein als Kontrolle, aber auch sie verursacht Kosten. Denn es hängt auch von den im Unternehmen wirkenden Machtkonstellationen ab, ob sich eine Unternehmenskultur durchsetzt und positiv geltend macht. Sind z. B. Eigentumsrechte weit gestreut und hat dadurch die Unternehmensleitung eine starke Position, verfügt sie über einen gewissen Handlungsspielraum, um auf Kosten der Eigentümer individuelle Interessen zu verfolgen – es sei denn, die Unternehmensleitung fühlt sich den Eigentümern verpflichtet und ordnet die eigenen Ziele denen ihrer Prinzipalen unter. Siehe ebenda.
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das Unternehmen übertragen werden. Als Regelsystem, das gleichermaßen für die Familie wie für die Angestellten gilt, wirkt die Unternehmenskultur im Familienunternehmen an verschiedenen Stellen, z. B. in der Unternehmernachfolge, im Verhältnis von Eigentümern und Beschäftigten und in der öffentlichen Darstellung des Unternehmens. Die betriebliche Sozialpolitik bildet sinngemäß den „Ausfluss des Agierens des Unternehmens als Familie“119. Einem paternalistischen Führungskonzept verpflichtet, übernahmen Unternehmer und ihre Familien zudem durch klassische Instrumente betrieblicher Sozialpolitik (z. B. durch den Bau von Werkswohnungen oder die Einrichtung von Betriebskranken- und Unterstützungskassen) soziale Verantwortung für die Arbeitnehmer und deren Familien. Darüber hinaus stilisierten sie sich durch symbolische Akte und Gesten, wie die Einladung des Personals zu Familienfesten, als fürsorgliche Unternehmer. Dieses Konzept war nicht nur unternehmensintern erfolgreich und identitätsstiftend, sondern führte auch dazu, dass Unternehmer und ihre Familien durch Stiftungen, Spenden etc. „lange und wesentlich früher als die staatliche Politik zu einem Fixpunkt in der Wahrnehmung der ortsansässigen Bevölkerung“120 wurden. Zudem beeinflussten und beeinflussen Familienunternehmen durch ihre auf Langfristigkeit und Kontinuität angelegten Wachstumsstrategien und ihren Führungsstil oft ganze Branchen: Beispielsweise waren die im 19. und frühen 20. Jahrhundert in der deutschen Schokoladenindustrie tonangebenden Großfirmen allesamt Familienunternehmen.121 Neuere Untersuchungen wiesen zudem darauf 119 Erker: „Externalisierungsmaschine” oder „Lizenznehmer der Gesellschaft“?, S. 623. 120 Hilger: „Under Reconstruction“, S. 16. 121 Die Unternehmen Stollwerck (Köln), Hartwig & Vogel (Dresden) und Sarotti (Berlin) befanden sich mehrheitlich im Eigentum der Gründerfamilien und die entscheidenden Positionen im Unternehmen waren mit Familienmitgliedern besetzt. Zu Hartwig & Vogel und Sarotti gibt es keine detaillierten Darstellungen der Unternehmensgeschichte. Zu Hartwig & Vogel existiert nicht einmal eine Festschrift, so dass kaum Details über die Geschichte dieser Firma bekannt sind. Der Aufsatz von Heidrun Wozel ist weitgehend ikonografisch und motivgeschichtlich ausgerichtet. Siehe Wozel: Schokoladenreklamen. Zu Sarotti siehe Genest: Sechzig Jahre Sarotti; Gudermann: Der Sarotti-Mohr. Kleinere Studien zur regionalen Entwicklung der deutschen Kakao- und Schokoladenindustrie beziehen sich vor allem auf die heutigen Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt. Siehe Graack: Die Dresdner Schokoladenindustrie; Greiert: Die Dresdner Schokoladen-Industrie; Starke: Dampfchocolade; Chiapparino: Die Schokoladenindustrie. Dass die Geschichte der deutschen Schokoladenindustrie und einzelner Unternehmen dieser Branche insgesamt schlecht erforscht ist und es vor allem an einer fundierten Überblicksdarstellung mangelt, ist kein Zufall, sondern die Konsequenz einer sozial- und wirtschaftshistorischen Forschung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie auf Unternehmer und Unternehmen anderer Branchen – primär die „leading sectors“ Montan-, Textil-, Elektro- und Chemische Industrie – konzentrierte. Studien zur kapitalschwächeren und strategisch weniger bedeutenden Nahrungs- und Genussmittelindustrie haben Seltenheitswert. Erst in jüngerer Zeit nähern sich Wirtschaftshistoriker verstärkt auch diesem Wirtschaftszweig. Siehe Ellerbrock: Geschichte der deutschen Nahrungs- und Genußmittelindustrie; Rossfeld: Schweizer Schokolade; ders.: Vom Hoffnungsträger zum Politskandal. Von den älteren Studien sind erwähnenswert Kirmse: Kakao- und SchokoladeIndustrie; Kynast: Die deutsche Kakao- und Schokolade-Industrie; Stollwerck: Der Kakao und die Schokoladenindustrie.
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hin, dass das Grundmuster einer generationenübergreifenden Tradition auch markt- und absatzstrategische Grundsatzentscheidungen beeinflusst. So nutzen Familienunternehmen spezifisch ausgeprägte Werbestrategien, die die enge Verbindung von Unternehmerfamilie und Produkt, die Tradition des Unternehmens sowie ethische Werte und Moralvorstellungen der Unternehmer betonen und so auf die Kunden vertrauensbildend und damit absatzsichernd wirken.122 Die Bedeutung von Werten und einer gemeinsamen Sinnkonstruktion lässt sich auch auf soziale Netzwerke übertragen: Als personelle Beziehungsgeflechte zwischen relativ autonomen Individuen bzw. korporativen Akteuren bündeln sie in erster Linie Ressourcen, Informationen und Macht. Sie verfügen zudem über spezifische Möglichkeiten, Mitglieder zu disziplinieren und zu belohnen, etwa indem sie sie aus dem Netzwerk ausschließen oder ihnen in Form von Anerkennung symbolisches Kapital zukommen lassen. Wie andere formelle und informelle Institutionen bilden bzw. nutzen soziale Netzwerke aber auch gegenseitige Begünstigung und Werte wie Vertrauen als Voraussetzung für Kooperation. Netzwerke erzeugen dadurch Berechenbarkeit und Sicherheit und senken die Gefahr opportunistischen Verhaltens. Auch die Kosten, Informationen zu beschaffen und einzuordnen sowie Verträge zu überwachen und durchzusetzen, sinken, da aufwendige Recherchen und Kontrollen entfallen.123 Netzwerke treten in unterschiedlichen Ausprägungen auf. Sie können einen verwandtschaftlichen, ethnischen oder konfessionellen Hintergrund haben, lokaler, regionaler oder zentraler Art, dauerhaft oder temporär, zahlenmäßig groß oder klein sein – je nach den Aufgaben, die einem Netzwerk zugewiesen und den Erwartungen, die mit ihm verbunden werden. Im Hinblick auf die Frage nach der wechselseitigen Verbindung von Familie und Unternehmen rücken insbesondere Netzwerke in den Blick, die auf Vertrauen basieren und in denen der Unternehmerfamilie eine wichtige Funktion zukommt, um ökonomische Interaktionsbarrieren zu überwinden. Zum einen kann die Aufnahme mehrerer Familienangehöriger in die Unternehmensleitung eine weitere Expansion des Unternehmens ermöglichen, indem Tochterfirmen gegründet, diese jeweils der Leitung eines Familienmitglieds anvertraut und so internationale Verbindungen aufgebaut werden. In der frühen Industrialisierung waren – angesichts noch wenig entwickelter Finanzmärkte – zudem Kredite und Bürgschaften von Verwandten, Aussteuern und Erbschaften für die Unternehmensfinanzierung von großer Bedeutung.124 Auch gezielte Heiratsstrategien erwiesen sich für strategische ökonomische Allianzen als ungemein wichtig.125 Der Unterfütterung und Stabilisierung ökonomischer Beziehungen dienten und dienen zum anderen auch 122 Siehe exemplarisch Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 209–229. 123 Siehe Fiedler: Netzwerke des Vertrauens; Fiedler/Lorentz: Kontinuitäten in den Netzwerkbeziehungen; Grossekettler: Macht, Strategie und Wettbewerb; Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 172–184. 124 Siehe Pierenkemper: Zur Finanzierung von industriellen Unternehmensgründungen. 125 Siehe hierzu Rauh-Kühne (Zwischen „verantwortlichem Wirkungskreis“ und „häuslichem Glanz“), die die Wahl der Heiratspartner am Beispiel der verschwägerten Familien Reusch (Schwerindustrie) und Hübbe (Bankwesen) über fünf Generationen untersuchte.
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I. Einleitung
die spezifischen Werte- und Normengefüge des (Wirtschafts-)Bürgertums. Denn (wirtschafts-)bürgerliches Verhalten ist letztlich nichts anderes als eine Erscheinungsform sozialer Interaktion, ein Netzwerk, das dazu beitragen kann, Ungewissheit zu verringern, unterschiedliche Interessen zu koordinieren und berechenbarer zu machen. Kenntnis, Akzeptanz und Anwendung dieser Normen, Werte und Umgangsformen bilden die Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu dieser spezifischen gesellschaftlichen Gruppe.126 Wie der Familien- und Unternehmenskultur liegen Netzwerken ebenfalls nicht nur Vertrauensbeziehungen, sondern auch Machtverhältnisse zugrunde. Letztere können ausgenutzt werden, um einseitige Interessen zu maximieren und einigen Akteuren Vorrechte zu verschaffen, weil sie z. B. besser und umfangreicher informiert sind oder a priori als faktisch überlegen erscheinen. Zudem stößt man immer wieder auf Fälle von Regelverletzungen und Opportunismus, also Vertrauensmissbrauch in Netzwerken. In Familien geht es z. B. nicht immer harmonisch zu, so dass – insbesondere in Familienunternehmen – die Vorteile wechselseitiger Beziehungen schnell in Nachteile umkippen können.127 I.D VORGEHENSWEISE Für die Studie wurde der Zeitraum von 1839 bis 1932 gewählt, in dem drei Generationen der Familie Stollwerck wirkten. Die Anfangs- und Endjahre des Untersuchungszeitraums sind freilich keine scharfen Zäsuren. 1839 dient als Anfangsdatum, da in diesem Jahr Franz Stollwerck (1815–1876) in Köln eine Mürbebäckerei gründete und damit den Grundstein für das spätere Weltunternehmen legte. Da seine Ausbildung und Sozialisation in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts fallen, rückt auch dieser Zeitraum teilweise ins Blickfeld. Das Enddatum 1932 markiert das Jahr, in dem die letzten Mitglieder der Familie Stollwerck aus der Leitung des Unternehmens ausschieden. Die Umbrüche der folgenden Jahre werden thematisch nicht behandelt, einzelne Vorgänge aber einbezogen, sofern sie für das Verständnis der Symbiose von Familie und Unternehmen relevant sind. Entlang der leitenden Fragestellungen gliedert sich die Arbeit systematisch in zwei Hauptteile: „Die Unternehmerfamilie“ und „Das Familienunternehmen“. Zwar sind beide in
126 Siehe vor allem Hartman (Kontinuität oder Wandel?, S. 87–92), der im Hinblick auf die in der familiären Sozialisation zu vermittelnden Grundlagen zwischen dem gehobenen Bürgertum und den anderen Klassen und Schichten „feine Unterschiede“ hinsichtlich Souveränität, Allgemeinbildung, Optimismus und unternehmerischem Denken erkannte. Fehlende Grundlagen ließen sich im späteren Leben nicht mehr beheben. 127 Siehe Fiedler: Netzwerke des Vertrauens; Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 180–183.
I.D Vorgehensweise
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der Realität nicht scharf getrennt, sondern stehen in einem komplexen Wechselverhältnis, doch wird durch die Zweiteilung diese Komplexität aufgelöst und dadurch analytisch fassbar gemacht. Erst so wird es möglich, die Symbiose aus Familie und Unternehmen, die Grenz- und Überschneidungszonen und die Wechselwirkungen zwischen beiden Bereichen so genau wie möglich zu bestimmen. Aus darstellungspraktischen Gründen wird im ersten Teil zunächst der familienhistorische Hintergrund analysiert, vor dem dann das Familienunternehmen einzuordnen ist. Die Unternehmerfamilie bildet einen besonderen Typus, denn aus der grundlegenden Aufgabe der Sicherung und Weitergabe des Familienunternehmens in der Generationenfolge entstehen spezifische familiale Struktur- und Beziehungsmuster: vom Eltern-Kind-Verhältnis und der Beziehung zwischen älteren und jüngeren Geschwistern über die Bedeutung des Familienverbands (als Institution und Netzwerk) bis zu Heiratsstrategien und Erbregelungen. Der erste Teil der Untersuchung behandelt dementsprechend die Familie als Ort der Erziehung und als Ursprung und Vermittlungsinstanz eines bürgerlichen Kultur- und Lebensstils bzw. ökonomischer, sozialer und kultureller Ressourcen. Heuristischer Ausgangspunkt sind dabei zunächst die Rahmenbedingungen: Nach einem Überblick über die historische Entwicklung des Unternehmens Stollwerck (Kapitel II), rekonstruiert Kapitel III.A.1 die Jahre der Sozialisation sowie der schulischen und beruflichen Ausbildung der Familienmitglieder. Kapitel III.A.2 fragt nach der Familiengründung, nach Heiratskreisen, dem Alter der Ehepartner, der Art ihrer Beziehung sowie nach der Familiengröße. Daran anknüpfend geht es in Kapitel III.A.3 um den Lebensstandard der Familie, ihre ökonomischen Möglichkeiten und etwaige Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Es wird nach der generellen Haltung zu Geld und dem Stellenwert der Sparsamkeit im familiären Kontext gefragt und in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf Standort und Gestalt der Wohnstätten geworfen. Hieraus lassen sich nicht nur Rückschlüsse auf die materielle Situation, sondern auch auf das bürgerliche Selbstverständnis und die bürgerliche Lebensweise ziehen. Kapitel III.B thematisiert die „Innenansichten“ der Familie: Es gilt, das Ideal des Familiensinns der Realität, den erkennbaren Dissonanzen gegenüberzustellen. Im Mittelpunkt von Kapitel III.C steht schließlich die Bürgerfamilie Stollwerck in der Öffentlichkeit. Analysiert werden die Bedeutung von Kirche und Religion sowie politische Grundüberzeugungen. Kapitel IV fragt explizit danach, wie diese materiellen und immateriellen (bürgerlichen) Institutionen unternehmerisches Handeln strukturierten. Zunächst werden die Voraussetzungen, Intentionen und Sachzwänge bei der Gestaltung eines generationenübergreifenden Unternehmens im Zusammenhang mit der Übertragung von Verfügungsrechten untersucht. Kurz: Es geht um die vertraglichen Beziehungen zwischen Unternehmen und Familie im Kontext der Unternehmernachfolge (Kapitel IV.A). Ferner liegt das Augenmerk auf den typischerweise in diesem Prozess auftretenden Auseinandersetzungen und den Strategien, mit denen solche Krisen und Dissonanzen bewältigt wurden bzw. werden sollten, sowie auf der Frage, welche Bedeutung die Weitergabe des Unternehmens in der Generationenfolge für die Unternehmerfamilie hatte. Kapitel IV.B.1 beschäftigt
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I. Einleitung
sich am Beispiel der Werbestrategien mit der Frage, inwiefern familiale und betriebswirtschaftlich-unternehmerische Rationalitäten im Hinblick auf die ökonomische Entwicklung des Unternehmens vorteilhaft ineinandergriffen oder einander widersprachen und sich negativ auf unternehmerische Handlungsspielräume und das Wachstum der Firma auswirkten. Wie schließlich familiale sowie bürgerliche Werte und Strategien über eine spezifische Unternehmenskultur in das Unternehmen internalisiert wurden und welche Auswirkungen dies auf die Verfasstheit und Funktionsweise des Unternehmens hatte – diesen Aspekten widmet sich Kapitel IV.B.2. In Kapitel V werden abschließend die Vor- und Nachteile der Symbiose von Familie und Unternehmen sowie die Besonderheiten und Wandlungen zusammengefasst, die dieses Verhältnis im Laufe des Untersuchungszeitraums durchlief. Auf Grund der unterschiedlichen Dichte der Überlieferung kann nicht jedes Thema der beiden Hauptteile gleichermaßen, nicht jede der drei StollwerckGenerationen gleichgewichtig behandelt werden. So wird die Studie in ihren einzelnen Kapiteln die chronologische Analyse immer wieder fallstudienartig verdichten und exemplifizieren und sich auf diese Weise auch narrativ dem Leben einzelner Mitglieder der Familie Stollwerck nähern. I.E QUELLEN Mit den genannten Kategorien und Forschungsfragen soll die Vielfalt der Ereignisketten, Prozesse und Vorstellungswelten in der Verbindung von Familie und Unternehmen fass- und darstellbar gemacht werden. Dabei setzt die skizzierte Vorgehensweise eine dichte Quellenlage voraus. Tatsächlich ist diese für die Familie Stollwerck und ihr Unternehmen so reichhaltig und vielschichtig, dass man von einem Glücksfall für die Forschung sprechen kann. Der in der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) überlieferte Bestand zur Stollwerck AG umfasst neben Geschäftsunterlagen auch wichtige Quellen zur Familie sowie Ego-Dokumente und Selbstzeugnisse. Nach dem Verkauf der Stollwerck AG an die Schweizer Barry Callebaut-Gruppe im April 2002 hatte zunächst die Imhoff-Stiftung128 das Archiv als Eigentümerin übernommen, übergab es aber im März 2003 dem RWWA als Depositum. Soweit erkennbar, ist dieses Archiv das größte und am besten erhaltene aller deutschen Schokoladenfirmen. Trotz einiger Lücken enthält es mehr als 10.000 Faszikel zu zahlreichen Themen: der Familie Stollwerck, dem Geschäftsgang, der Entwicklung der Produktion, den Fabrikgebäuden und Maschinen, der Beteiligung an Ausstellungen, den betrieblichen Sozialeinrichtungen und den Aktivitäten der Stollwercks im Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten. Ferner existiert eine große Sammlung von Werbematerial, Verpackungen und Katalogen. 128 Die Imhoff-Stiftung wurde 2001 vom Inhaber der Stollwerck AG, Hans Imhoff, der 95 Prozent der Aktien hielt, zur Förderung Kölner Projekte in Kunst, Kultur und Wissenschaft gegründet.
I.E Quellen
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Der Bestand umfasst den Zeitraum von 1839 bis 2004, allerdings mit erheblichen Unterschieden in Art und Dichte der Überlieferung. Bis 1932 existiert sowohl aus der Provenienz der Familie als auch der Hauptfirma und der Tochterunternehmen im In- und Ausland viel Schriftmaterial. Insbesondere Ludwig Stollwerck, von 1883 bis 1922 Mitglied der Geschäftsleitung, war ein unermüdlicher Briefeschreiber und reflektierte situativ sein Verhalten, seine Ängste, Erfahrungen und Erwartungen.129 Seine Korrespondenz ist zwar umfangreich erhalten, jedoch bei weitem nicht vollständig, da seine Nachfahren einen Großteil vernichteten.130 Hinzu treten Testamente, Nachlassregelungen, amtliche Zeugnisse (z. B. Grundstücksangelegenheiten, Kommerzienratspatente, Schulzeugnisse) sowie im öffentlichen Rahmen entstandene Dokumente wie Zeitungsartikel und Unterlagen bzgl. Mitgliedschaften in Verbänden und Vereinen. Insbesondere die Tätigkeit der Gebrüder Stollwerck im Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten ist gut dokumentiert. Insgesamt jedoch sind Quellen, die Aufschluss über das private Leben der Familie geben, gegenüber geschäftlicher Korrespondenz in der Minderzahl. Dies mag auf die erwähnte Vernichtung von Schriftgut bzw. darauf zurückzuführen sein, dass viele Unternehmer nicht gern im Blickfeld stehen und insbesondere die Privatsphäre ihrer Familie vor den Medien wie der Wissenschaft schützen wollen. Für die Unternehmensgeschichte traditionell wichtige Quellen, die über die Entwicklung des Unternehmens, den unternehmerischen Alltag und die Bedingungen und Strategien unternehmerischen Handelns informieren, sind in Form von Hauptbüchern, Bilanzen, Gesellschaftsverträgen und Geschäftsbriefen für den Untersuchungszeitraum umfassend, in Form von Protokollen der Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen hingegen nur lückenhaft überliefert. Nach dem Ausscheiden der Familie Stollwerck aus dem Vorstand des Unternehmens 1932 veränderte sich die Art der Überlieferung stark. Für die Zeit seit Anfang der 1930er Jahre existieren vor allem formale Aktenstücke wie Geschäfts- und Prüfungsberichte, Protokolle, Rundschreiben etc. Zugleich befinden sich im Bestand eine Sammlung von 2.067 Fotos und Zeichnungen sowie etwa 2.501 Ausstellungsstücke. Über die Archivalien hinaus enthält der Bestand eine Bibliothek und unpublizierte Typoskripte zur Unternehmensgeschichte und zur Geschichte der Schokolade, die in Bibliotheken zum Teil nur noch schwierig oder gar nicht mehr zu finden sind. Vervollständigt wurde dieses Material von mehreren Seiten. Eingesehen wurde vor allem die Überlieferung zu Stollwerck im Bestand des Historischen Archivs der Deutschen Bank (HADB) in Frankfurt a. M. Die Akten stammen überwiegend aus der Provenienz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins, mit dem 129 Aus einem Brief Ludwig Stollwercks geht hervor, dass er regelmäßig Tagebuch führte. Siehe Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 26. November 1908, RWWA 208-302-7. Tagebücher sind jedoch weder im Unternehmensarchiv noch in der Familie überliefert. 130 So schrieb Ludwigs Sohn Fritz 1928 an seine Tante Therese: „Was einen früheren Brief des verstorbenen Vaters anbelangt […], bedaure ich, dass ich mich nicht erinnere, den Brief je gesehen zu haben und viele Briefe von Vater haben wir nicht mehr zur Verfügung; dieselben sind seinerzeit alle vernichtet worden.“ Fritz Stollwerck an Therese Stollwerck am 10. März 1928, RWWA 208-49-5.
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Einleitung
die Gebrüder Stollwerck seit etwa 1888131 Geschäftsbeziehungen pflegten, bzw. der Deutschen Bank Filiale Köln und der Berliner Zentrale der Deutschen Bank. Mit Hilfe dieser Überlieferung lassen sich die Beziehungen des Familienunternehmens Stollwerck zu den Banken resp. die Finanzierung des Unternehmens vergleichsweise gut rekonstruieren. Gleiches gilt für die Akten im Hausarchiv des Bankhauses Sal. Oppenheim jr. & Cie. (HBO) in Köln. Die Unterlagen über die Geschäftsbeziehungen des Bankhauses mit der Gebrüder Stollwerck AG ab 1902132 sind zwar nicht sonderlich umfangreich, enthalten aber etliche Informationen über Emissionskonsortien für das Unternehmen und dokumentieren die Begleitung von Kapitalerhöhungen etc. durch das Bankhaus. Diese Quellenbestände wurden ergänzt durch die Überlieferung aus öffentlichen Archiven und durch Gespräche mit Angehörigen der Familie Stollwerck – allerdings nicht im Sinne systematisch betriebener „Oral History“. Die Gespräche dienten vor allem dazu, durch persönliche Erinnerungen bzw. die über Generationen weitergetragene mündliche Überlieferung den atmosphärischen Hintergrund der Familiengeschichte an bestimmten Punkten aufzuhellen und weitere private Unterlagen ausfindig und zugänglich zu machen. Auskünfte aus diesen Gesprächen wurden – sofern sie als Quelleninformation verwandt wurden – kenntlich gemacht. Die Familie Stollwerck stellte für diese Untersuchung ferner zum einen das im Eigentum von Franz Ingo Stollwerck (geb. 1939), einem Ur-Enkel Heinrich Stollwercks, befindliche Buch „Kriegs-Erinnerungen 1914–1915 von Mitgliedern der Familie Stollwerck“133 zur Verfügung, das Ludwig Stollwerck für seinen Bruder Carl (1859–1932)134 Mitte 1915 zusammenstellte. Die weit über 100 Briefe enthalten nicht nur Informationen über das Kriegsgeschehen, sondern erlauben wichtige Rückschlüsse auf die Vertrauensverhältnisse innerhalb der Familie, die Religiosität verschiedener Familienmitglieder sowie ihre politischen Standpunkte. Da die Familie generell wenig Wert auf Publizität legte, insbesondere was Familieninterna betraf, existieren – mit Ausnahme der Biographie von Sophia Sulkowska-Stollwerck über ihren Vater Heinrich Stollwerck – keinerlei persönliche Erinnerungen. Diese Briefe bilden daher eine wichtige, die Überlieferung im RWWA ergänzende Quelle. Zum anderen ermöglichte die Familie die Auswertung der Fotokopie eines handschriftlichen Manuskripts mit dem Titel „Aus der Kinderstube“, die sich im Eigentum von Gisela Maria Nottebrock (geb. 1945), einer Ur-Enkelin Ludwig Stollwercks, befindet. Das zwischen 1892 und 1894 entstandene Manuskript gibt ein anschauliches und detailliertes Bild des Familien131 Soweit reichen die ältesten überlieferten Akten des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins zur Gebrüder Stollwerck AG zurück. Siehe HADB K02/0398. 132 Freilich bestanden selbige bereits deutlich länger. Wann genau die Geschäftsbeziehungen aufgenommen wurden, lässt sich jedoch anhand der Quellen nicht sicher belegen. In einem Brief des Bankhauses Oppenheim an die Gebrüder Stollwerck vom 4. März 1902 (HBO KKons/728, Bd. 1) ist lediglich von einer „langjährigen, angenehmen Geschäftsverbindung“ die Rede. 133 Kriegs-Erinnerungen 1914–1915 von Mitgliedern der Familie Stollwerck. 134 In den Quellen findet sich – vor allem in Schriftstücken des 20. Jahrhunderts – auch die Schreibweise „Karl“. In vorliegender Arbeit wird einheitlich die Schreibart „Carl“ verwendet.
I.E Quellen
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lebens und der Kindererziehung im Hause Ludwig Stollwerck. Die ebenfalls im Familieneigentum befindlichen Aufzeichnungen von Franz Stollwercks gleichnamigem Urenkel über den Werdegang der im Familienunternehmen tätigen Nachfahren der zweiten und dritten Generation ermöglichen einen wichtigen Einblick in die innerfamiliären Beziehungen und offenbaren Sympathien und Antipathien.135 Das Manuskript befindet sich im Eigentum von Arno Stollwerck (geb. 1942), einem Enkel des Verfassers Franz Stollwerck (II) (1877–1955). Mit der Einverständniserklärung der Familie war es zudem möglich, die im Archiv des Amtsgerichts Köln überlieferten Testamente von Ludwig und Maria Stollwerck sowie von Peter Joseph (1842–1906) und Agnes Stollwerck (1851–1918), geb. Heimerdinger, einzusehen. Das Testament von Heinrich Stollwerck ist im Landesarchiv Nordrhein Westfalen, die letztwillige Verfügung Carl Stollwercks im Archiv des Amtsgerichts Bad Aibling überliefert. Eine Lücke konnte freilich auch die familieninterne Überlieferung nicht schließen: Weder im RWWA noch in der Familie Stollwerck selbst ist – mit Ausnahme weniger und kaum aussagekräftiger Briefe – umfassendes Schriftgut der Stollwerck’schen Frauen überliefert. Es ist daher nicht möglich, die Rolle der Frauen in der Familie, etwa im Hinblick auf das ihnen eigene oder von ihnen akkumulierte soziale Kapital, angemessen zu thematisieren sowie kritisch zu diskutieren und einzuordnen. Ferner wurden gedruckte Quellen verwendet, die sich direkt oder indirekt mit der Geschichte des Familienunternehmens und/oder der Unternehmerfamilie Stollwerck befassen. Zu den wichtigsten Quellen zählen die Kölner Presse und der „Gordian“, die 1895 erstmals veröffentlichte „Zeitschrift für die Cacao-, Chocoladen- und Zuckerwaren-Industrie der Welt und für alle verwandten Erwerbszweige“.136 Ein weiteres wichtiges Periodikum – insbesondere für die Einordnung der Verbandsaktivitäten der Gebrüder Stollwerck und ihre Bemühungen, die Schokoladenqualität zu verbessern – sind die „Vertraulichen Mitteilungen des Verbandes deutscher Schokolade-Fabrikanten e. V.“137 Zeitungen, Pläne und Berichte zu den ab Mitte des 19. Jahrhunderts schnell an Bedeutung gewinnenden nationalen und internationalen Ausstellungen, die es den Unternehmen ermöglichten, ihre Produkte überregional und massenwirksam bekannt zu machen, erlauben ebenso wie die überlieferten Annoncen, Sammelbilder und diversen anderen Reklame-Gegenstände wichtige Rückschlüsse auf die Inszenierung des Familienun135 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 136 In der zweimal im Monat erscheinenden Zeitschrift finden sich neben thematisch sehr verschiedenen Artikeln kurze, z. T. aus anderen Zeitungen und Zeitschriften übernommene Nachrichten und Darstellungen, Handelskammerberichte und ausführliche Statistiken zur Entwicklung der Kakaopreise, der Rohstoffimporte, der Exporte und der Schokoladenindustrie in einzelnen Ländern sowie die Bilanzen verschiedener Unternehmen. 137 Der Verband gab keine Zeitschrift heraus, sondern seit 1880 die nur für Mitglieder bestimmte „Correspondenz des Verbandes deutscher Chocolade-Fabrikanten“, ab 1891 „Mitteilungen des Verbandes“ und ab 1906 „Vertrauliche Mitteilungen des Verbandes deutscher Schokolade-Fabrikanten e. V.“. 1920 wurden die Mitteilungen von der seit 1911 in Dresden erscheinenden „Kazett. Kakao- und Zuckerwaren-Industrie“ als Fachblatt des 1919 gegründeten Reichsbunds der Deutschen Süßwaren-Industrie und der darin vereinigten Industrie abgelöst.
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Einleitung
ternehmens und seiner Produkte in der Öffentlichkeit. Von Bedeutung ist zudem die seit 1926 erschienene Hauszeitschrift „Stollwerck Post“, die in erster Linie eine Quelle für die Darstellung und Überhöhung der Familie Stollwerck und der leitenden Mitarbeiter des Unternehmens bildet. Die genannten Archivalien und gedruckten Quellen, die einen authentischen Einblick in die wechselseitige Beziehung von Familie und Unternehmen erlauben, haben den Vorteil, unterschiedliche Perspektiven zu eröffnen. Sie zeigen das Denken und die Interaktionsprozesse einzelner Familienmitglieder, die Entwicklung des Unternehmens sowie die Bedingungen und Strategien unternehmerischen Handelns und ermöglichen darüber hinaus, verschiedene „stakeholder“ sowie die relevanten lebensweltlichen Einflussfaktoren – Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – über den gesamten Untersuchungszeitraum einzubeziehen. Die Verhaltensweisen und Institutionen, Denkmuster und Interaktionsprozesse, symbolischen Formen und Bedeutungen, kurz: das Bedingungsgefüge, das so beschreibbar wird, eröffnet einen Zugang zu familienunternehmerischem Handeln im 19. und frühen 20. Jahrhundert.
II. DIE UNTERNEHMENSENTWICKLUNG: EIN ÜBERBLICK Bevor die Geschichte von Unternehmerfamilie und Familienunternehmen im Einzelnen dargelegt wird, ist es zur Orientierung hilfreich, vorab die rote Linie der Unternehmensentwicklung herauszuarbeiten. Das Familienunternehmen Stollwerck entwickelte sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert von einer kleinen Zuckerbäckerei zum Weltkonzern, der um 1900 mit Fabriken in Köln, Berlin, Pressburg, London, Stamford und Wien sowie der Deutschen Automatengesellschaft (DAG)1 als Tochterfirma auf mehreren Säulen ruhte und „über 2500“2 Beschäftigte hatte. Die Ursprünge zur Herstellung von Süßwaren legte der Unternehmensgründer Franz Stollwerck, der 1839 in der Kölner Blindgasse Nr. 37 (heute: Cäcilienstraße) eine Mürbebäckerei gründete.3 Bereits 1840 zeigte er eine Geschäftserweiterung und ein größeres Sortiment an und drei Jahre später benannte er seine Mürbebäckerei in „Conditorei und Bonbon-Fabrik“4 um. Neben Gebäck stellte Franz Stollwerck mit seinen Brustbonbons als Heilmittel gegen Erkältung einen Spezialartikel her, der aus dem üblichen Angebot eines Zuckerbäckers herausstach5 und Stollwerck dazu verhalf, vom regionalen Nischenanbieter, der lediglich Backwaren herstellte, zum überregionalen Unternehmer aufzusteigen, der seine Süßwaren bereits fünf Jahre nach Unternehmensgründung in 44 Verkaufsstellen in ganz Europa vertrieb.6 1845 eröffnete er zudem in der nördlichen Kölner Altstadt (Kattenbug Nr. 12) eine Filiale – laut Bruno Kuske „wohl die erste, die in dem Zweige und vielleicht auch sonst im Kölner Wirtschaftsleben aufkam“7.
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Zur Deutschen Automatengesellschaft (DAG) siehe ausführlich Kapitel IV.A.2, vor allem FN 370, und Kapitel IV.B.1. Briefkopf der Gebrüder Stollwerck AG von 1907, RWWA 208-381-4. Siehe Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 300 vom 27. Oktober 1839. Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung vom 9. Juli 1843, RWWA 208-8292. Die Bezeichnung diente vor allem der Werbung für seine Produkte, denn wenngleich er einzelne Arbeitsgänge mechanisierte, kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht von maschineller Fabrikation sprechen. Siehe auch Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 47 vom 16. Februar 1840; Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 198 vom 16. Juli 1848. Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.B.1. Bis 1864 stieg die Zahl auf 900 Verkaufsstellen. Siehe Skizze zur Unternehmensgeschichte, vermutlich 1920, RWWA 208-249-6. Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 7. Epple (Das Unternehmen Stollwerck, S. 58) interpretierte die Gründung der Filiale als „Ausdruck und Motor eines Homogenisierungsprozesses“, als Leitmotiv des sich zunehmend überregional orientierenden und einheitlich präsentierenden lokalen Betriebs.
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II. Die Unternehmensentwicklung: ein Überblick
Seit Anfang der 1840er Jahre lassen sich zudem erste Ansätze einer – wenn auch nicht durchweg erfolgreichen8 – vertikalen Integration nachweisen. Neben der Konditorei widmete sich Stollwerck der Gastronomie, betrieb Cafés, Gastwirtschaften und Theaterunternehmen, in denen er seine Erzeugnisse anbot. Im Dezember 1843 eröffnete er eine „Wirthschaft“ und Ende Januar 1844 eine „Kaffeestube.9 Sein bekanntestes Etablissement war das im Dezember 1847 in der Schildergasse Nr. 49 gegründete „Café Royal“, dem er zunächst einen Ball- und Konzertsaal, einen „Damen-Salon“10 und schließlich 1848 ein Vaudeville-Theater angliederte. Letzteres avancierte laut der zeitgenössischen Presse „zum Hauptgesellschaftsort der jungen Welt Cölns“, mit dem Stollwerck „gute, ja glänzende Geschäfte“11 machte (siehe Abb. 1). 1855 ließ Franz Stollwerck in der südlichen Kölner Altstadt am Ende der Rheinpromenade (Bayenstraße 29–31) einen weiteren Theater-, Konzert- und Ballsaal errichten, die so genannte „Königshalle“ (siehe Abb. 2) – das damals größte Kölner Ausflugslokal. Nur wenige Monate nach der Eröffnung im Juni 1856 stürzte jedoch aufgrund von Baumängeln die Bühne ein, die unter hohem finanziellem Aufwand wieder aufgebaut wurde.12 Stollwerck hielt zwar noch einige Jahre an seinem gastronomischen Engagement fest, konzentrierte sich jedoch ab Ende der 1850er Jahre wieder ausschließlich auf die Herstellung von Konditorerzeugnissen und Brustbonbons und produzierte nun zusätzlich Schokolade.13
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Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.A.3. Siehe Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung vom 9. Dezember 1843, RWWA 208-829-2. Anzeigen von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 339 vom 5. Dezember 1847 und Nr. 341 vom 7. Dezember 1847. Siehe auch o. A.: Das Stollwerck’sche VaudevilleTheater, S. 376. Ebenda. Das Wort Vaudeville bezeichnete im Französischen seit dem 15. Jahrhundert populäre Lieder, seit etwa 1640 Lieder in den Stegreifstücken der italienischen Komödianten in Paris, später auch die Stücke selbst. Zwischen 1700 und 1750 war das Vaudeville die Hauptform des französischen Singspiels und wurde insbesondere als Satire und Zeitkritik auf dem Pariser Jahrmarktstheater gepflegt. Die Vaudeville-Komödie hatte ihre Glanzzeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Seit 1865 stand Vaudeville in den USA für eine Gattung sowie eine Institution des unterhaltenden Musiktheaters mit Akrobatik, Tanz und Zirkusnummern. Siehe ausführlich Matthes: Vaudeville Siehe Joest: Stollwerck, S. 20–24; Buck/Vogelsang: Theater, S. 179 f. Siehe Bayer: Kölner Theatererinnerungen.
II. Die Unternehmensentwicklung: ein Überblick
Abb. 1: Das Stollwerck’sche VaudevilleTheater, o. D (o. A.: Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater, S. 376)
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Abb. 2: Franz Stollwercks Königshalle, 1865 (Joest: Stollwerck, S. 21)
Zu diesem Zeitpunkt begann auch der Aufstieg der Firma Stollwerck zu einem weltweit agierenden Unternehmen – eine Entwicklung, die maßgeblich von den fünf Söhnen Franz Stollwercks – Albert Nikolaus (I) (1840–1883), Peter Joseph, Heinrich, Ludwig und Carl – vorangetrieben wurde, die seit Ende der 1850er Jahre sukzessive im väterlichen Unternehmen tätig wurden. Stollwerck bereitete seine Nachkommen gezielt auf die Unternehmensnachfolge vor. Sowohl im väterlichen Betrieb als auch im Rahmen auswärtiger Volontariate wurden sie in technischen und kaufmännischen Aufgaben ausgebildet. Unter ihrem Einfluss stieg der Umsatz der Stollwerck’schen Unternehmung kontinuierlich an: von 5.995 Talern im Geschäftsjahr 1859 auf 14.735 Taler 1863.14 1864 ließ Franz Stollwerck auf Anraten seiner drei ältesten Söhne in der Hohe Straße 9 eine neue, dampf- und maschinenbetriebene Fabrik errichten, die großes Aufsehen erregte und den Umsatz bis 1868 auf 212.472 Taler steigen ließ.15 Die geschäftliche Einbindung der Nachfolger bildete demnach nicht nur eine Zäsur in der Unternehmensgeschichte, sondern drückte sich auch sinnbildlich in einem Ortswechsel und dem Bau einer modernen Fabrik aus. Die gemeinsame Geschäftstätigkeit von Vater und Söhnen blieb freilich nicht ohne Spannungen. Zwar wies Franz Stollwerck seinen Nachkommen partiell geschäftsführende Kompetenzen zu und nahm Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich 1869 auch offiziell in das nunmehr als Franz Stollwerck & Söhne firmierende Unternehmen auf, im Grundsatz aber war der Gesellschaftsvertrag nicht von partnerschaftlichem Denken gekennzeichnet, sondern festigte die geschäftliche und private Vorrangstellung des Vaters, der in patriarchalischer Manier Arbeitsweise, Lebensplanung und -gestaltung seiner designierten Nachfolger bestimmen 14 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 513. 15 Siehe ebenda. Ausführlich zu der neuen Fabrik siehe Kapitel IV.B.1.
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II. Die Unternehmensentwicklung: ein Überblick
wollte. Die aus dieser Situation entstandene Spannung von Kontrolle und Autorität, individueller Freiheit und Anpassung an die väterlichen Erwartungen führte seit Ende der 1860er Jahre zu einem scharfen Vater-Sohn-Konflikt, der nicht nur das Familienleben beeinträchtigte, sondern auch den Übergang des väterlichen Unternehmens auf die nächste Generation zu einem konfliktreichen Prozess werden ließ.16 In der Folge trat 1870 zunächst Albert Nikolaus (I) aus dem Familienunternehmen aus und eröffnete in der Kölner Südstadt einen eigenen Zuckerhandel. Ein Jahr später kehrten auch seine beiden jüngeren Brüder Peter Joseph und Heinrich dem Vater den Rücken und beendeten die geschäftliche Zusammenarbeit. Unmittelbar nach Auflösung der Firma Franz Stollwerck & Söhne gründeten die drei Brüder im Januar 1872 ein eigenes Unternehmen, die Offene Handelsgesellschaft Gebrüder Stollwerck. Ihr ebenfalls 1872 in Betrieb genommener Fabrikneubau wurde in den folgenden Jahren in mehreren Etappen erweitert – es entstand Stollwercks „süße Insel“17, die zunächst von Ferkulum-, Cornelius-, Annostraße und Severinsmühlengasse eingegrenzt, seit den 1880er Jahren aber immer weiter Richtung Rhein ausgedehnt wurde. Relativ schnell fassten die Brüder auch in der Hohe Straße Fuß, wo sie das Haus Nr. 166 kauften, das angrenzende Gebäude 164 mieteten und einen Verkaufsladen einrichteten.18 Nach dem Tod des Vaters 1876 führten Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich die beiden Stollwerck’schen Unternehmen wieder zusammen und nahmen 1882 und 1884 auch ihre jüngeren Brüder Ludwig und Carl in die Firma auf. Durch die Verbilligung der Hauptrohstoffe Kakao und Zucker wurde Schokolade Ende des 19. Jahrhunderts auch für breite Bevölkerungskreise erschwinglich und wandelte sich vom Luxus- zum Massenartikel. Die Gebrüder Stollwerck konzentrierten sich in der Folge darauf, die Wachstumschancen auf dem Süßwarenmarkt systematisch auszunutzen. Neben der Herstellung der bereits als Markenprodukt etablierten Brustbonbons, produzierten sie nun vornehmlich Schokolade, investierten wie bereits Franz Stollwerck umfassend in die Qualitätssicherung der Produkte, die Weiterentwicklung der Produktionstechnik und innovative Absatz16 Siehe ausführlich Kapitel III.B.2 und IV.A.1. 17 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 41. 1877 beschrieb die Kölnische Zeitung den Umfang der Stollwerck’schen Fabrik wie folgt: „Das Fabrik-Etablissement der Firma Gebr. Stollwerck ist ein fünfstöckiges Gebäude mit einer Front von annähernd 700 Fuß, ein vollständiges Straßenkarree bildend. […] Die Fabrik besitzt eine eigene Maschinenbau-Anstalt […], ferner eine Dampfschreinerei und -Klempnerei […]. Eine eigene Druckerei mit Schnellund Handpressen drucken die erforderlichen Etiketten und Formulare.“ Das Unternehmen hatte demnach bereits 1877 den Charakter eines Gesamtbetriebs. Zitiert nach Pohle: Probleme, S. 5. 18 Das neugotische Verwaltungsgebäude der Firma Stollwerck mit zwei auffälligen, an Kirchtürme erinnernden Ecktürmen wurde in Köln „Kamelle-Dom“ genannt. Das Kölner Severinsviertel war bis 1974 Hauptsitz der Stollwerck-Fabriken und der Unternehmensverwaltung. Dann verkaufte der neue Eigentümer Hans Imhoff das Betriebsgrundstück und die sanierungsbedürftigen Gebäude und verlegte Fabriken und Verwaltung in den rechtsrheinischen Stadtteil Porz. Siehe Jacobi: Der Schokoladenkönig, S. 163–176; Joest: Auf der Schokoladenseite, S. 112–118.
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und Reklamestrategien wie den 1887 eingeführten Verkauf von Schokolade über Automaten.19 Der Umsatz ihres Unternehmens steigerte sich zwischen 1879/80 und 1900 um das Sechsfache, die durchschnittliche jährliche Zunahme in diesem Zeitraum betrug 10,4 Prozent. Zwischen 1886 und 1894 lag das Umsatzwachstum im Mittel sogar bei 14,4 Prozent – eine Entwicklung, die vor allem auf die Aufnahme des automatischen Vertriebs sowie die verstärkten Absatz- und Exportbemühungen zurückzuführen ist.20 Das Betriebskapital der Stollwerck’schen Unternehmung stieg ebenfalls: zwischen 1883 und 1890 von 1.759.567 Mark auf 3.688.414 Mark. 1891 betrug es 4.051.597 Mark (siehe Abb. 3). 5.000.000 4.000.000 3.000.000 2.000.000 1.000.000 0 1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
1891
Abb. 3: Betriebskapital der Offenen Handelsgesellschaft Gebrüder Stollwerck 1883-1891 (in M)21
Die erfolgreiche Teilnahme an den Welt- und Gewerbeausstellungen ebnete den Gebrüdern Stollwerck ebenso wie die zahlreichen Ernennungen zu Hoflieferanten seit 1873 zudem den Weg, die bereits vom Vater erschlossenen überregionalen Absatzgebiete weiter auszubauen. Gezielt nutzten sie die strategische Bedeutung eines internationalen Filialsystems, das nicht nur die schnellere Akquisition von Aufträgen ermöglichte, sondern auch dazu beitrug, dass diese rasch erledigt und abgerechnet werden konnten. In Wien, Breslau, Frankfurt a. M. und Berlin wurden Vertriebs- und Verkaufsstellen für die in Köln produzierte Ware eingerichtet und sukzessive Reisende für die einzelnen Städte eingestellt,22 die die Stoll19 Mit der Betonung von Qualität auf der einen und der Investition in technische Neuerungen auf der anderen Seite gelang Stollwerck der Spagat zwischen Tradition und Innovation, Erfahrung und wissenschaftlichem Fortschritt. Dieser Aspekt wird systematisch in Kapitel IV.B.1 vertieft. 20 Siehe Pohle: Probleme, S. 11 f. 21 Zusammengestellt anhand: Handschriftliche Aufstellung über das Betriebskapital in den Jahren 1883–1887, o. J., HADB K02/0298; Bilanz der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 30. Juni 1888, HADB K02/0298; Handschriftliche Aufstellung über das Betriebskapital in den Jahren 1889 bis 1891, HADB K02/0298. 22 Siehe Briefkopf der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 21. September 1875, RWWA 208-224-4, auf dem die Niederlassungen des Unternehmens aufgeführt wurden. Laut Pohle (Probleme, S.
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werck’schen Produkte einem breiteren Publikum bekannt machten. In Berlin waren die Geschäfte freilich aufgrund der im Raum Dresden ansässigen alten Schokoladenindustrie zunächst „nicht auffallend stark“23. Erst 1889 baute Stollwerck den Standort in der Hauptstadt des Deutschen Reichs weiter aus und gründete dort 1900 schließlich die zweite deutsche Fabrik.24 1890 erhielt London einen Stollwerck-Laden. Als die Einfuhrzölle für verschiedene Fertigwaren stark anstiegen erschien es den Gebrüdern Stollwerck sinnvoller, die Süßwaren für den britischen Markt auch in London zu produzieren. 1903 gründeten sie daher die Tochterfirma Stollwerck Brothers Ltd.25 Auch Österreich-Ungarn hatte seit Mitte der 1890er Jahre die Fabrikatzölle auf Süßwaren stark erhöht, so dass die Gebrüder Stollwerck bereits 1896 in Pressburg (Bratislava) eine eigene Fabrik errichtet und die Tochterfirma Kommanditgesellschaft Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck gegründet hatten; 1911 kam eine weitere Fabrik in Wien hinzu.26 Auch die Geschäftsbeziehungen in die USA, die bereits Franz Stollwerck über seinen nach Amerika emigrierten Schwager Franz Theodor Herx (geb. 1813) aufgebaut hatte, wurden seit Ende der 1860er Jahre intensiviert.27 1884 ernannten die Gebrüder Stollwerck einen General-Vertreter für Nordamerika, der nicht nur Stollwerck’sche Süßwaren, sondern auch Automaten und Maschinen vertrieb. Drei Jahre später gründeten sie mit den nach Amerika ausgewanderten Bremer Kaufleuten August Schilling,28 Georg und Johann (später John) Volkmann die
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24 25 26 27
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9) wurden in dieser Zeit auch in Amsterdam und Brüssel Zweiggeschäfte eingerichtet. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 289 f. Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 436. Neben den Brennpunkten im Rheinland (Gebrüder Stollwerck), in Hamburg (Reichardt) und Berlin (Sarotti) lag ein wichtiges Produktionszentrum der deutschen Schokoladenindustrie im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert im Königreich Sachsen und in der preußischen Provinz Sachsen. Neben relativ großen Firmen wie Hartwig & Vogel in Dresden und Joh. Gottl. Hauswaldt in Magdeburg konzentrierten sich dort zahlreiche kleine und mittelgroße Unternehmen. Siehe Chiapparino: Die Schokoladenindustrie; Greiert: Die Dresdner Schokoladen-Industrie; Graack: Die Dresdner Schokoladenindustrie. Siehe Gebrüder Stollwerck an die Bergisch-Märkische Bank am 27. Dezember 1899, HADB K15/0113; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 437–441. Siehe ausführlich zum England-Geschäft Kapitel IV.B.2. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 336–364. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 109–112; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 314–336. Franz Theodor Herx vertrieb seit 1869 Stollwerck’sche Produkte. Aus dem anfänglich kleinen Vertrieb entwickelte sich die von einem seiner Söhne betriebene Firma Herx, Dr. Franke & Co. Confections and Chocolate Specialities. Agency for Stollwerck’s Chocolates, Cocoas and Slot Machines, die auch nach Errichtung einer eigenen Stollwerck-Fabrik weiterbestand. Siehe Franz Theodor Herx an Franz Stollwerck & Söhne am 23. Februar 1869, RWWA 208249-4; Meleghy: Die Vermittlerrolle der Banken, S. 217. Die Beziehungen zu Schilling rekurrieren laut Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 458) auf die Bremer Tee-Einkäufe der Gebrüder Stollwerck und ihre frühen Interessen am automatischen Verkauf in den 1880er Jahren. Sie wollten sich in Nordamerika insbesondere auf die großen Exporterfahrungen von Schilling stützen.
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Firma Schilling, Stollwerck & Co. Anders als in Deutschland erzielte der automatische Vertrieb in Amerika zunächst zunächst nicht die erhofften Gewinne, das Unternehmen arbeitete mit Verlust. Die aus der Heimat gelieferten SchokoladeAutomaten hatten erhebliche technische Mängel. Anfang der 1890er Jahre wurde die Firma Schilling, Stollwerck & Co. liquidiert und das Geschäft seit 1894 unter der Firma Volkmann, Stollwerck & Co. fortgesetzt.29 Die von Volkmann konstruierten neuen Schokolade-Automaten erwiesen sich als deutlich lukrativer.30 Das Amerika-Geschäft litt allerdings unter den hohen amerikanischen Zöllen auf Halb- und Fertigprodukte, so dass die Gebrüder Stollwerck Ende der 1890er Jahre beschlossen, auch „in Amerika zur Fabrikation überzugehen“31. Der Erfolg der Stollwerck’schen Expansionsbestrebungen im Ausland spiegelt sich darin, dass der ausländische Absatz 1900 bereits rund 20 Prozent des Gesamtabsatzes umfasste, 1891 hatte dieser Wert bei etwa acht Prozent gelegen (siehe Abb. 4); die wichtigsten ausländischen Absatzgebiete waren England und Nordamerika.32 120 100 80 Ausland
60
Inland
40 20 0 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900
Abb. 4: Geographische Verteilung des Absatzes der Gebrüder Stollwerck OHG 1891–1900 (in %)
Mit der raschen Expansion des Unternehmens stieg auch die Zahl der Beschäftigten kontinuierlich an. Im Dezember 1871 beschäftigten die Gebrüder Stollwerck lediglich neun Angestellte, die vor allem für die Buchhaltung, den Einkauf, die Bearbeitung von Aufträgen und die Erledigung der Korrespondenz zuständig waren.33 1905 arbeiteten 180 kaufmännische Angestellte für Stollwerck, darunter 29 Siehe Vertrag zwischen der Firma Gebrüder Stollwerck und John H. Volkmann vom 9. Februar/2. März 1894, RWWA 208-122-6. 30 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 458; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 366 ff.; Ludwig Stollwerck: Entwicklung des New-Yorker Geschäftes 1887–1906, 1906, RWWA 208-212-3. 31 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. Juli 1900, RWWA 208-159-2. Siehe ausführlich zum Amerika-Geschäft Kapitel IV.A.2. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 364–399. 32 Siehe Pohle: Probleme, S. 36 f. 33 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 560.
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115 Männer und 65 Frauen.34 Wie die Zahl der kaufmännischen Angestellten stieg seit den 1870er Jahren auch die Anzahl der Arbeiter kontinuierlich an. Hatte Franz Stollwerck Anfang der 1860er Jahre etwa 20 bis 30 Arbeiter beschäftigt, waren es 1876 bereits rund 150. Das Unternehmen seiner Söhne zählte im zweiten Geschäftsjahr 1873 schon 169 Arbeiter, 1876, nachdem die Brüder den größten Teil der Belegschaft ihres Vaters übernommen hatten, standen ca. 325 Arbeiter auf ihrer Lohnliste, 1880 waren es etwa 450 (siehe Abb. 5) – das entsprach rund 20 Prozent der Beschäftigten der deutschen Schokoladenindustrie.35 1887 waren allein in der Kölner Fabrik 715 Arbeiter beschäftigt, 1895 wurde bereits die Zahl von 1.513 erreicht.36 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0
Abb. 5: Arbeiterbestand in der Kölner Stollwerck-Fabrik 1887–190237
1907 warb das Unternehmen im Briefkopf mit „über 2500“38 Beschäftigten, darunter 140 kaufmännische Angestellte, 700 Arbeiter und 1.660 Arbeiterinnen bzw. 34 Siehe Kurze Chronik über Haupt-Kontor der Firma Gebr. Stollwerck 1871–1896, o. J., RWWA 208-249-5; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 560 ff. Siehe auch Ludwig Stollwerck: Büro, Herbst 1896, RWWA 208-272-3; o. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein, S. 112. Seit den 1870er Jahren kam zudem mit der Eröffnung der Filialen weiteres kaufmännisches Personal hinzu, das nicht nur den Verkauf leitete, sondern auch die Buchhaltung der Zweigniederlassungen verantwortete. Eine besondere Rolle spielten in diesem Zusammenhang die „Ladenfräuleins“, die die Gebrüder Stollwerck seit den 1880er Jahren nicht nur als Verkäuferinnen, sondern z. T. auch als Geschäftsführerinnen der Filialen einsetzten – so in Köln, Berlin und Wien. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 571 f.; Ludwig Stollwerck an Adele Höner am 8. März 1906, RWWA 208-208-4; Adele Höner an Ludwig Stollwerck am 14. März 1906, RWWA 208-208-4; Personal-Aufstellung des Berliner Stollwerck-Ladens vom 14. März 1906, RWWA 208-208-4. 35 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 577. 36 Siehe Pohle: Probleme, S. 12. 37 Eigene Berechnung anhand der Zahlen bei ebenda, S. 75. 38 Briefkopf der Gebrüder Stollwerck AG von 1907, RWWA 208-381-4. Damit lag Stollwerck hinter den englischen Konkurrenten Rowntree, Cadbury und Fry, aber weit über der 1907 für
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„Mädchen“39 (siehe Abb. 6), wie sie im Sprachgebrauch des Unternehmens hießen.40 Mit ihrem „durch seine Grösse überragende[n] Werk“41 gehörten die Gebrüder Stollwerck damit zu den größten Arbeitgebern in Köln.42 1908 beschäftigte die Firma mit den Arbeitern und Angestellten der Zweigfabriken rund 4.500 Personen. Bei Kriegsausbruch 1914 waren allein in den beiden deutschen Fabriken in Köln und Berlin etwa 3.200 Arbeiter tätig, von denen in den ersten Wochen 600 eingezogen wurden. Im Oktober 1915 waren noch 515 männliche und 1.815 weibliche Kräfte eingestellt, Ende August 1916 im ganzen 1.650, im Dezember 1.100 Beschäftigte. Diese Zahl schmolz bis zum Frühjahr 1919 auf 600 zusammen. Im Januar 1920 hatte Köln aber wieder 1.000 Arbeiter; im April 1921 1.500. 1926 gab die Firma insgesamt 8.000 Beschäftigte an, 1929 6.500.43 Vergleicht man das Beschäftigtenwachstum bei Stollwerck mit der deutschen Kakao- und Schokoladenindustrie insgesamt, zeigt sich folgendes Bild: Die deutsche Schokoladenindustrie war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch primär handwerklich geprägt, das Kapitalaufkommen war eher gering. Die Zahl der Unternehmen lag 1884 bei etwa 125, die durchschnittliche Arbeiterzahl pro Betrieb bei ca. 30. Nur rund 25 Prozent der Betriebe beschäftigten mehr als 50 Arbeiter. 1895 zählte die deutsche Schokoladenindustrie bei 130 Unternehmen 31 Kleinbetriebe mit ein bis fünf Personen, nur drei Firmen, darunter Stollwerck, beschäftigten mehr als 500 Personen.44 Die Gesamtzahl der in der Schokoladenindustrie Beschäftigten lag 1895 bei 8.747, d. h. allein in Köln beschäftigte Stollwerck 17,3 Prozent der in der Schokoladenindustrie tätigen Personen.45 Da die Arbeit in der Schokoladenindustrie schon Anfang des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen keinen bedeutenden Kraftaufwand erforderte und „die Last des ‚Einarbeitens‘ […] bei diesen mechanischen [...] Arbeiten nicht so groß“46 war, konnte die meiste Arbeit von Frauen verrichtet werden, deren Lohnniveau zudem niedriger
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die deutsche Kakao- und Schokoladenindustrie errechneten durchschnittlichen Betriebsgröße von 96,4 Beschäftigten pro Betrieb. Rowntree beschäftigte 1907 3.620, Cadbury 4.485 Personen, Fry 1908 5.000 Personen. Siehe Fitzgerald: Rowntree, S. 223. An die Stollwerck-Mädchen erinnert seit 1990 eine von dem Künstler Sepp Hürten (geb. 1928) geschaffene Bronzestatue auf dem Kölner Kirchplatz vor St. Severin. 1904 geriet Stollwerck in das Visier der sozialdemokratischen Presse, die kritisierte, dass das Unternehmen seine Arbeiterinnen zu schlecht bezahle. Siehe Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 294 ff. Siehe o. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein, S. 115. Freudenfeld: Die Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie, S. 114. 1907 arbeiteten in der Kölner Nahrungs- und Genussmittelindustrie 10.804 Beschäftigte. Stollwerck beschäftigte demnach 23 Prozent der in dieser Sparte Tätigen. Siehe Henning: Die Stadterweiterung, S. 291. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 578. Siehe Fincke: 50 Jahre Chemikertätigkeit, S. 6. Siehe Stollwerck: Der Kakao und die Schokoladenindustrie, S. 83. Johannes Rogge an Ludwig Stollwerck am 15. April 1904, RWWA 208-208-1.
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war. Im Durchschnitt der Jahre 1887 bis 1902 beschäftigte Stollwerck 62,2 Prozent weibliche und 37,8 Prozent männliche Arbeiter.47 Dass die Gebrüder Stollwerck innerhalb weniger Jahre an die Spitze der deutschen Schokoladenfabrikanten gelangten, ist maßgeblich das Verdienst Ludwig Stollwercks, der nicht nur ein Gespür für technische Neuerungen hatte, sondern vor allem mit seinem kaufmännischen und strategischen Geschick zur Weiterentwicklung des Familienunternehmens beitrug. Er war es auch, der um 1900 die Umwandlung der Offenen Handelsgesellschaft in eine Aktiengesellschaft anregte und schließlich auch gegen seine zunächst skeptischen älteren Brüder durchsetzte.48 Zwei Entwicklungen hatten die Änderung der Unternehmensform notwendig gemacht. Zum einen konnten die Gebrüder Stollwerck die kontinuierliche Vergrößerung ihres Unternehmens nicht mehr allein aus den thesaurierten Gewinnen finanzieren und waren zunehmend auf Kapital von außen angewiesen. Zum anderen hatte die Mehrzahl ihrer neun männlichen und zum Teil schon im Unternehmen tätigen Nachkommen – Gustav (1872–1951), Walter (1880–1945), Richard (1888–1954), Albert Nikolaus (II) (1872–1929), Heinrich Victor (1876–1919), Franz (II) (1877–1955), Fritz (1884–1959), Paul (1886–1940) und Karl Maria (1896–1958) – ein Alter erreicht, das nach einer dezidierten Nachfolgeregelung verlangte.49 Im Sinne ihres erklärten Zieles, dass sich alle Söhne „ebenfalls möglichst dem gemeinschaftlichen Unternehmen widmen“50, bereiteten die Gebrüder Stollwerck ihre Sprösslinge gezielt auf die Unternehmensführung vor. Ihre Erziehung und Ausbildung orientierte sich an den Anforderungen eines industrialisierten, d. h. arbeitsteiligen Betriebs und der Überlegung, durch eine möglichst umfassende Einbindung der Familienmitglieder die Expansion des Familienunternehmens voranzutreiben. Handlungsleitend waren dabei die bürgerlichen Tugenden Qualifikation und Leistung, Engagement und Pflichtbewusstsein, Disziplin und Selbstkontrolle, die idealiter den Ausschlag im Nachfolgeprozess geben sollten, realiter freilich dem Faktor Familienzugehörigkeit nachgeordnet wurden. Die schließlich 1902 gegründete Gebrüder Stollwerck AG hatte ein Grundkapital von 14 Millionen Mark, aufgeteilt in 9.000 Stamm- und 5.000 Vorzugsaktien. Erstere hielt allein die Familie Stollwerck, letztere wurden bis auf 500 Stück, die ebenfalls von der Familie übernommen wurden, verkauft und sicherten dem Unternehmen liquide Mittel in Höhe von 4,5 Millionen Mark, die für die Neuinvestitionen und die Bezahlung von Krediten zur Verfügung standen. An der Um47 In der gesamten deutschen Kakao- und Schokoladenindustrie waren gemäß der Gewerbezählungen von 1882 und 1895 im ersten Stichjahr rund 54,8 Prozent der Beschäftigten Männer, 45,2 Prozent Frauen. Im zweiten Stichjahr hatte sich der Anteil der Männer auf 50,2 verringert, der Anteil der Frauen auf 49,8 Prozent erhöht. Pohle: Probleme, S. 78. 48 Siehe Laute: Ludwig Stollwerck. Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2 und IV.A.3. 49 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-4641. 50 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 15. April 1893, Artikel neun, RWWA 208376-2.
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wandlung in eine Aktiengesellschaft waren maßgeblich die Bank für Handel und Industrie in Berlin und ihr Direktor Bernhard Dernburg (1865–1937) sowie der A. Schaaffhausen’sche Bankverein beteiligt. Die rechtlichen Regelungen fixierten die Gebrüder Stollwerck in zwei Privat-Verträgen, die u. a. den Verkauf von Aktien reglementierten und die Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat festlegten. Alle Bestimmungen dienten dabei im Kern nur einem Ziel: den bestimmenden Einfluss der Familie im Unternehmen für die Zukunft zu sichern.51 2.000.000 1.800.000 1.600.000 1.400.000 1.200.000 1.000.000 800.000 600.000 400.000 200.000 0 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 Abb. 6: Reingewinn der Gebrüder Stollwerck AG 1902–1912 (in M)52
In den folgenden Jahren stieg der Reingewinn der Gebrüder Stollwerck AG kontinuierlich an: von 1.203.684 Mark 1902 auf 1.691.379 1913 (siehe Abb. 6). Der Erste Weltkrieg änderte zunächst nichts am geschäftlichen Aufschwung des Unternehmens. Insbesondere der gute Geschäftsverlauf der amerikanischen Tochterfirma und die enorme Nachfrage der Armee nach Kakao und Schokolade brachten Stollwerck 1915 mit 2,1 Millionen Mark den höchsten Reingewinn der Firmengeschichte.53 In den folgenden Kriegsjahren musste die Produktion aufgrund des Rohstoffmangels, insbesondere des Mangels an Rohkakao und Zucker, freilich immer weiter eingeschränkt werden.54 Auch für die Unternehmensleitung der Gebrüder Stollwerck AG und die Übergabe der Führungsverantwortung an die nachfolgende Generation hatte der Krieg Folgen. Neben Carl Stollwerck wurden mit Gustav, Franz (II) und Fritz auch die bereits in den Vorstand aufgestiegenen Ver51 Siehe Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig, Carl und Gustav Stollwerck, Juli 1902, RWWA 208-242-1; Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig und Carl Stollwerck, o. D., RWWW 208-464-1; Gesellschaftsvertrag der Gebrüder Stollwerck AG vom 6. Juli 1902, RWWA 208-395-5; Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1. 52 Die Darstellung beruht auf den Geschäftsberichten der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1902 bis 1913, RWWA 208-388-3. 53 Siehe den Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1915, RWWA 208-388-3. 54 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.3.
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treter der dritten Stollwerck-Generation zum Militär einberufen. Der Tod Heinrich Stollwercks 1915 bedeutete zudem einen weiteren einschneidenden Verlust, der kompensiert werden musste. Um auch während des Kriegs effiziente Entscheidungsstrukturen zu gewährleisten und für den Fall vorzusorgen, dass nicht alle Söhne unversehrt aus dem Krieg heimkehrten, beriefen die Gebrüder Stollwerck daher 1916 erstmals in der Geschichte des Unternehmens familienfremde Manager in den Vorstand.55 Nach Kriegsende hatte Stollwerck wie alle anderen deutschen und europäischen Schokoladenfabrikanten zunächst Probleme, an die für die Produktion erforderlichen Rohstoffe zu gelangen. Diese waren zum einen kaum verfügbar, zum anderen waren die Rohstoffpreise stark gestiegen.56 Die größte Herausforderung bildete freilich der Verlust der amerikanischen Tochterfirma, die nach dem Kriegseintritt der USA beschlagnahmt, staatlicher Verwaltung unterstellt und 1918 versteigert worden war. Stollwerck bemühte sich in der Folgezeit nachdrücklich, eine Rückerstattung des amerikanischen Vermögens zu erreichen, das fest eingeplant war, um einen Großteil der Auslandsschulden zurückzuzahlen, die das Unternehmen für den Einkauf von Rohkakao im Krieg angehäuft hatte.57 Da die US-Regierung das beschlagnahmte deutsche Vermögen freilich bis zur Unterzeichnung eines Friedensvertrags als Pfand behielt, musste sich Stollwerck die erforderlichen liquiden Mittel 1921 über eine Kapitalerhöhung beschaffen. Zwar behielt die Familie Stollwerck den bestimmenden Einfluss im Unternehmen, doch beseitigte die Kapitalaufstockung nur die drängendsten finanziellen Sorgen. Durch die im gleichen Jahr ausgegebenen Teilschuldverschreibungen, eine weitere Kapitalerhöhung 1922/23 und die Währungsumstellung 1924 büßte das Familienunternehmen immer mehr von seiner ursprünglichen finanziellen Unabhängigkeit ein.58 Verschärft wurde die krisenhafte Nachkriegszeit durch den Tod Ludwig Stollwercks 1922, der die Entwicklung und Leitung des Familienunternehmens seit seinem Einstieg in die Firma 1882 maßgeblich geprägt hatte.59 Weder Carl als letzter der fünf Gebrüder Stollwerck60 noch seine Neffen erwiesen sich in der Folge als geeignet, das Familienunternehmen erfolgreich weiterzuführen. Neben den spezifischen Herausforderungen der politisch, ökonomisch und gesellschaftlich schwierigen Weimarer Jahre sowie nun offenbar werdenden unterbliebenen Mo55 Siehe Ludwig Stollwerck an Gustav Stollwerck am 19. Juni 1916, RWWA 208-253-5. 56 O. A.: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 10. Februar 1921, RWWA 208-242-5. 57 Siehe Ludwig Stollwerck: Erklärung im Namen der Verwaltung vom 8. September 1921, RWWA 208-242-6. 58 Siehe Ludwig Stollwerck an die Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG am 11. August 1921, RWWA 208-242-6; Emil Schniewind/Carl Kausen: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung der Gebrüder Stollwerck AG vom 9. Januar 1923, RWWA 208-145-9. 59 Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 120–136, 188–197, 224–229; Laute: Ludwig Stollwerck; Spantig: Kunst und Konsum; Loiperdinger: Film & Schokolade; Ginzel: Gründer der „süßen“ Industrie. 60 Albert Nikolaus (I) war bereits 1883, Peter Joseph Stollwerck 1906 gestorben.
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dernisierungs- und Rationalisierungsinvestitionen in den Vorkriegsjahren hatten sie durch strategische Fehlentscheidungen einen nicht geringen Anteil daran, dass das Unternehmen Ende der 1920er Jahre in eine wirtschaftliche Schieflage geriet.61 Der Reingewinn der Stollwerck AG ging von 1.340.983 RM im Geschäftsjahr 1924/25 auf 890.221 RM fünf Jahre später zurück.62 Statt die erwirtschafteten Gewinne zu reinvestieren und die ökonomische Basis des Unternehmens zu stärken, schüttete die Stollwerck AG auf ihre Veranlassung zwischen 1925/26 und 1928/29 konstant neun Prozent Dividende aus und stand finanziell „unter chronischem Druck“63. Die nur unzureichend vorbereitete und durchgeführte Übernahme des ebenfalls angeschlagenen Hamburger Reichardt-Konzerns 1930 führte im Geschäftsjahr 1930/31 zu einem Verlust von 3.396.411 RM,64 den die Bankenvertreter im Aufsichtsrat der Stollwerck AG schließlich zum Anlass nahmen, für das Unternehmen ein umfassendes Sanierungskonzept zu erarbeiten, das im Kern den Rückzug der Familie Stollwerck aus der Führungsverantwortung vorsah.65 Die Entwicklung des Unternehmens in der Phase, die sich an den Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studie anschließt, ist rasch erzählt: Das 1931 besiegelte Ausscheiden der Familie aus der Leitung der Gebrüder Stollwerck AG führte nicht zum vollständigen Scheitern des Unternehmens. Vielmehr bedeutete dieser Schritt lediglich eine Zäsur in der Unternehmensgeschichte, um die wirtschaftliche Situation der Firma zu verbessern, die Organisationsstruktur zu erneuern und das Unternehmen an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Im „Dritten Reich“ wurde die Stollwerck AG ideologisch vereinnahmt und 1937 als nationalsozialistischer Musterbetrieb „ausgezeichnet“. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs musste das Unternehmen die Produktion auf Grund von Zwangsbewirtschaftung und Rohstoffknappheit kontinuierlich einschränken und schließlich ganz einstellen; zudem wurden große Teile der Produktionsanlagen beschädigt. Erst 1949 wurden in Köln wieder Kakao und Schokolade produziert. Zwar schloss die Stollwerck AG in der Wirtschaftswunderzeit wieder zu den führenden Schokoladenherstellern auf, doch waren die Jahre seit der Aufhebung der Preisbindung für Markenschokolade 1964 primär von Verlusten in Millionenhöhe und strategischen Fehlern in allen Unternehmensbereichen gekennzeichnet. 1970 wurde das Unternehmen von der Zeitschrift Capital zum „Versager des Jahres“ gekürt. 1972 übernahm der Schokoladenfabrikant Hans Imhoff die angeschlagene Stollwerck AG und baute sie in den folgenden Jahren mit einem straffen Sanierungskonzept, klarer Markenpolitik, einem überschaubaren Sortiment und der sukzessiven Über61 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2 und IV.A.3. 62 Siehe Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1924/25 und 1929/30, RWWA 208-290-6. 63 Heinrich Trimborn an Carl Stollwerck am 25. Februar 1925, RWWA 208-43-5. Im Geschäftsjahr 1927/28 zahlte die Stollwerck AG zudem fünf Prozent Sonderdividende auf das Grundkapitel. Siehe Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1927/28, RWWA 208-290-6. 64 Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1930/31, RWWA 208388-4. 65 Siehe Feldman: Thunder from Arosa; siehe auch Kapitel IV.A.3.
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II. Die Unternehmensentwicklung: ein Überblick
nahme von Konkurrenten zu einem der führenden europäischen Schokoladenkonzerne aus. Auf dem Höhepunkt seines unternehmerischen Erfolgs angekommen, veräußerte Imhoff 2002 seine Unternehmensanteile an der Stollwerck AG an den Schweizer Schokoladenkonzern Barry Callebaut – es war ihm nicht gelungen, für eine Nachfolge zu sorgen. Seit Oktober 2011 gehört Stollwerck zur belgischen Unternehmensgruppe Baronie.66
66 Siehe Kronenberg: Werbestrategien; Kronenberg/Gehlen: Der „Versager des Jahres“; Joest: Stollwerck, S. 133–170.
III. DIE UNTERNEHMERFAMILIE STOLLWERCK III.A ÄUßERE RAHMENBEDINGUNGEN DER BÜRGERFAMILIE III.A.1 „Vom gewöhnlichsten Lehrling an selbst heraufarbeiten“ – Sozialisation, Erziehung, Schul- und Ausbildungswege Niemand wird als Unternehmer geboren. Vielmehr ist es ein langer, von komplexen Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsprozessen geprägter Weg in ein Unternehmerleben. Im handwerklich-gewerblichen Milieu des 19. Jahrhunderts waren diese Lebensabschnitte ebenso wie im merkantil-industriellen Bürgertum primär darauf ausgerichtet, dass zumindest ein Sohn die Nachfolge des Vaters antrat. Jede Generation hatte im wirtschaftsbürgerlichen Selbstbild die moralische und ökonomische Pflicht, das väterliche Geschäft weiterzuführen, das Familienvermögen zu sichern bzw. idealiter zu mehren und zu gegebener Zeit an die nachfolgende Generation zu übertragen. Durch die praxisnahe Ausbildung im Familienunternehmen sollten die Söhne profunde Kenntnisse der Geschäfts- und Produktionsabläufe erhalten und konkret auf eine Identifikation mit dem Familienunternehmen und die familiäre Tradition verpflichtet werden. Das Familienunternehmen sollte ihnen als Lebenswelt und der individuellen Selbstverwirklichung übergeordneter Wert nahe gebracht werden. Damit jeder einzelne der ihm zugedachten Funktion gerecht werden konnte, richtete die Familie die Sozialisationsinstanzen und Sozialmilieus so aus, dass die Nachfolger auf ihr zukünftiges Leben und ihre Aufgaben vorbereitet, ihnen die erforderlichen Kenntnisse, Werte und Normen vermittelt und sie auch psychisch-mental derart gestärkt wurden, dass sie den Leistungs- und Verhaltensanforderungen von Familie, Gesellschaft und Arbeitswelt gerecht werden konnten.1
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Groppe (Der Geist des Unternehmertums, S. 2) kritisierte zu Recht, dass dieser Prozess bislang weder in der Erziehungs- noch in der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder den Wirtschaftswissenschaften hinreichend beachtet wurde. Siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 172, 175; dies.: Succession in Multi-Generational Family Firms; Yanagisako: Producing Culture and Capital, S. 180 ff.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Sozialisation, Erziehung und Ausbildung Franz Stollwercks Franz Stollwerck wurde am 5. Juni 1815 als erster Sohn von Nicolaus (1787– 1851) und Christina Stollwerck (1784–1837), geb. Bodem, in Köln geboren.2 Die Familie lebte im alten Textilviertel der südlichen Altstadt, in der Löhrgasse Nr. 53 (heute: Agrippastraße)3, die Kinder wuchsen in einem familiären Umfeld heran, das vom Zeitgeist der Restauration und der beginnenden Industrialisierung geprägt war. Nicolaus Stollwerck und dessen Vater gehörten als Wollspinner einem in Köln seit Jahrhunderten bedeutenden Kleingewerbe an, das in Heimarbeit für die Woll- und Garnhändler der Stadt tätig war; die Vorfahren von Christina Stollwerck waren Brauer.4 Die steigende Nachfrage nach Garn und die Tatsache, dass die Produktion der Spinner(ei) mit der Nachfrage der Weber nicht Schritt halten konnte, führten seit Mitte des 18. Jahrhunderts zu Garnmangel. Durch die Erfindung mechanischer Spinnmaschinen wurden in der Folge die Arbeitsproduktivität gesteigert und der Garnmangel behoben. Die wachsende Produktion erforderte es, die bislang überwiegend dezentrale Produktion durch das Heimgewerbe zunehmend räumlich zu konzentrieren. Diese Entwicklung vollzog sich allerdings auf Kosten der in Heimarbeit tätigen Wollspinner.5 Auch Nicolaus Stollwerck musste sich von der Wollspinnerei abwenden. In der Folge gelang ihm zwar eine (erfolgreiche) Umorientierung, er musste jedoch langfristig seine Selbständigkeit aufgeben. Nachdem er sich zunächst als Kleinkrämer für Gewürze und zwischenzeitlich wieder als Wollengarn-Zwirner betätigt hatte, arbeitete er schließlich als Marktaufseher für die Stadt Köln.6 Diese Tätigkeit war für das städtische Leben durchaus von öffentlicher Bedeutung und lässt darauf schließen, dass Nicolaus Stollwerck in Köln eine gewisse Reputation genoss. Darüber hinaus dürfte er über ein 2
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Franz Stollwercks Eltern heirateten erst am 23. März 1816; er wurde demnach unehelich geboren. Siehe Heiratsurkunde von Nicolaus Stollwerck und Christina Bodem. Auszug aus den Civilstandes-Registern der Stadt Köln vom 12. Januar 1884, RWWA 208-249-5. In der Geburtsurkunde ihres Sohnes wurde Christina Bodem jedoch schon als „Ehefrau“ bezeichnet. Geburtsurkunde von Franz Stollwerck. Auszug aus den Geburts-Urkunden-Registern der Stadt Köln vom 12. Januar 1884, RWWA 298-249-5. Die Löhrgasse zählte zu den Armenvierteln der Stadt. Siehe Pohl: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 63. Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 1) beschrieb die Stollwercks als „urwüchsige Altkölner“. Siehe ebenda, S. 3; Geburtsurkunde von Franz Stollwerck. Auszug aus den GeburtsUrkunden-Registern der Stadt Köln vom 12. Januar 1884, RWWA 298-249-5. Siehe Pohl: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 45 ff. Siehe Adress-Buch oder Verzeichniss der Einwohner der Stadt Cöln für die Jahre 1822, 1828 und 1835. Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 1) verwies auf eine Tätigkeit Stollwercks als „städtischer Beamter im Kaufhaus Gürzenich“, die vermutlich mit der im Adressbuch genannten Beschäftigung als Marktaufseher übereinstimmt. Siehe übereinstimmend Sander: Gedenkbuch, S. 275; Joest: Stollwerck, S. 8. Epple (Das Unternehmen Stollwerck, S. 52) schrieb Nicolaus Stollwerck einen „Kramhandel“ zu. Die Ausführungen SulkowskaStollwercks (Heinrich Stollwerck, S. 4), nach denen Nicolaus Stollwerck eine Getreidemühle mit Bäckerei betrieben habe, lassen sich nicht belegen. Zur Tätigkeit Kölner Marktaufseher und der Bedeutung der Märkte für das Finanzwesen der Stadt siehe Bieger: Das Finanzwesen, S. 55 f., 78 ff., 124 f., 153 f.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Einkommen verfügt haben, das es ihm erlaubte, seine Familie ohne große Mühe zu ernähren. Manches spricht demnach im Fall Stollwerck für die These Jürgen Kockas, „daß gerade Handwerkerfamilien im Umbruch oder gar in der Krise zwar viele Absteiger aber auch Unternehmer hervorgebracht haben“7. Auch abseits der Familie Stollwerck und dem Kleingewerbe der Wollspinner wurde die beginnende Industrialisierung in Köln sichtbar. Die zügige Entfaltung der Industrie prägte seit den 1830er Jahren sukzessive das Stadtbild und aus dem ortsansässigen Handwerk entwickelten sich zahlreiche industrielle Fertigungsbetriebe. Sowohl die Drahtseilfabrikation und Kabelherstellung als auch die Schokoladenproduktion, die Textilindustrie, das Tabakgewerbe, die Herstellung von Kölnisch Wasser und Tapeten hatten ihren Ursprung im etablierten, nichtzünftigen Großgewerbe. Mit der Gummiindustrie, dem Motorenbau etc. siedelten sich nun auch neue Industrien in der Stadt an. Die Jahre der familiären Sozialisation Franz Stollwercks fielen also in die Zeit der aufgehobenen oder durchlöcherten Zunftordnungen, der allmählichen Durchsetzung kapitalistischer Prinzipien auch in der Produktion und des zunehmenden Pauperismus, der jedoch nicht zwingend ein städtisches Phänomen war. Ob und inwiefern seine Erziehung noch hergebrachten Mustern folgte und traditionellen Prinzipien wie standesgemäßer Ehrbarkeit und „Nahrung“ verhaftet war, lässt sich heute nicht mehr beantworten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Familie in seinem Kindheits- und frühen Jugendalter den größten Erziehungseinfluss ausübte. Für Familien des gewerblichen Kleinbürgertums konstatiert die Forschung zudem für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts noch eine enge Verknüpfung von Haushalt und Betrieb, so dass angenommen werden kann, dass die Erziehung der Kinder im Kontext von Produktion und Verkauf erfolgte. Den Nachkommen wurden schon früh die Bedeutung von Pflichterfüllung, Ordnung und Pünktlichkeit sowie die Hochschätzung selbständiger Arbeit eingeprägt – im traditionellen Kontext ehrbaren Nahrungserwerbs oder als Mittel, Konkurrenz abzuwehren und sich in wirtschaftlichen Notsituationen behaupten zu können.8 Die schulische Ausbildung Franz Stollwercks beschränkte sich wohl auf den Besuch einer städtischen Elementarschule.9 Das Bildungswesen der späteren Staaten des Deutschen Reiches war Anfang des 19. Jahrhunderts noch gering institutionalisiert, regelmäßiger Schulbesuch noch nicht selbstverständlich. Es mangelte nicht nur an Schuleinrichtungen, sondern auch am Willen und der Möglichkeit breiter Bevölkerungsschichten, diese in Anspruch zu nehmen, denn der Besuch einer Schule hing von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab. Viele konnten das Schulgeld nicht aufbringen. Erst seit den 1820er Jahren differenzierte sich das Schulwesen aus und kontinuierlicher Unterricht setzte sich langsam durch.10 Franz 7 8 9
Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 104. Siehe ebenda, S. 105. Siehe Wiesenthal: Franz Stollwerck. Inhaltlich konzentrierten sich die Volksschulen auf die elementaren Fächer Sprachlehre, Mathematik und Religion; Geographie und Naturkunde standen nur vereinzelt auf dem Lehrplan. 10 Siehe: Bieger: Das Finanzwesen, S. 81. Erst 1888 gab es für Volksschulen die Schulgeldfreiheit. Siehe Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 399. Zur Institutionalisie-
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Stollwercks Einstieg in das Berufsleben vollzog sich über eine Handwerkslehre. Bei dem Kölner Konditor Hermann Joseph Kreuer, Breite Straße Nr. 30, erlernte er das Zuckerbäckerhandwerk,11 das eine lange Tradition besaß und im 19. Jahrhundert große Bedeutung für die Entwicklung der Schokoladenindustrie hatte. Neben Stollwerck gingen vor allem viele Schweizer Schokoladenfirmen aus ehemaligen Zuckerbäckereien hervor, z. B. das Unternehmen Suchard.12 Der Beruf des Zuckerbäckers umfasste bis ins 19. Jahrhundert eine Reihe von Tätigkeiten, die heute, im Zeitalter der industriellen Lebensmittelproduktion, eigenständige Berufe sind, z. B. die Kaffeerösterei, die Herstellung von Schokolade, Speiseeis und Pasteten, die Branntweindestillation, die Konditorei und Konfiserie.13 Die Lehrzeit dauerte in der Regel drei bis fünf Jahre;14 an sie schlossen sich die Erlangung des Gesellenstatus und eine meist vierjährige Wanderschaft als klassische Phase beruflicher Sozialisation, handwerklicher Verfeinerung und Weiterbildung an. Franz Stollwerck wechselte in diesen Jahren mehrfach den Arbeitsort – die überlieferten Quellen nennen übereinstimmend die für das Zuckerbäckerhandwerk bedeutenden Gewerbezentren Süddeutschlands, die Schweiz und Frankreich als Stationen seiner Wanderschaft; er selbst warb 1840 in einer Anzeige allerdings nur damit, dass er „in mehreren Städten Deutschlands gearbeitet habe“15. Er sammelte so berufliche Erfahrungen, Ideen und Anregungen, lernte andere Städte und Länder kennen, erweiterte seine Sprach- und praktischen Fachkenntnisse, lernte den Umgang mit technischen Innovationen und maschinellen Fertigungsmethoden seiner Branche16 und knüpfte überregionale Kontakte, die für Gründung und Ausbau des eigenen Unternehmens wichtig und hilfreich wurden.17
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rung des Schulwesens in Köln siehe Kahl: Das Schulwesen; Gothein: Die Stadt Cöln, S. 203– 215; Mergel: Zwischen Klasse und Konfession, S. 50–55; van Eyll: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 242. Franz Stollwerck bezeichnete sich zunächst als „Bäckermeister“, dann als „Conditor“. Anzeigen von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 47 vom 16. Februar 1840 und Nr. 327 vom 23. November 1847. Zum Bäckerhandwerk in Köln siehe Sinz: Brot für Köln; Bäcker-Innung Köln (Hg.): Festschrift. Die Schweizer Zuckerbäckerei hatte in ganz Europa einen so guten Ruf, dass seit Anfang des 19. Jahrhunderts für Konditoren die Bezeichnung „Schweizer“ weit verbreitet war. Siehe Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 55. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts unterschied man zwischen den verschiedenen Branchen. Siehe Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 54 ff., 226; Bühler: Bündner im Russischen Reich, S. 209. Die Rekonstruktion der Lebenswege deutscher Zuckerbäcker stellt bislang ein Desiderat der Forschung dar. Für die Schweiz liegen hingegen Studien vor, die allgemeine Rückschlüsse auf dieses Berufsbild erlauben. Siehe Bühler: Bündner im Russischen Reich; Kaiser: Fast ein Volk von Zuckerbäckern?; ders.: Die „Bündnerindustrie“. Siehe ferner Lenger: Sozialgeschichte, S. 31. Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 47 vom 16. Februar 1840. Siehe auch Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 2; Schumacher: Auslandsreisen, S. 54, 75; Wiesenthal: Franz Stollwerck; Schievelkamp: Aus der Geschichte des Hauses Stollwerck. In den 1830/40er Jahren produzierten zunächst französische Schokoladenfabrikanten, wenig später die britischen Firmen Cadbury und Joseph S. Fry & Sons Schokoladentafeln. Hinzu kam die aus Frankreich stammende Innovation des Melangeur, einer Maschine zur Kakaover-
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Der erlernte Beruf garantierte Franz Stollwerck natürlich nicht den Erfolg als Unternehmer, doch entsprach seine soziale Herkunft jenem familiären Umfeld, von dem aus ein Aufstieg in die Unternehmerschaft nicht unüblich war. Zwar stammten 54 Prozent der zwischen 1800 und 1870 aktiven Unternehmer aus Unternehmerfamilien, doch 24 Prozent rekrutierten sich aus dem Kleingewerbe, also aus Handwerker- und Einzelhändlerfamilien; bis 1933 sank dieser Anteil auf 16 Prozent.18 Der aus dem Handwerks- und Technikerberuf kommende Unternehmer erlangte im Wesentlichen nur dort Geltung, wo die Leitung der Unternehmung neben der kaufmännischen auch eine hohe technisch-handwerkliche Qualifikation erforderte. Eine Bestandsaufnahme für das Rheinland und Westfalen zeigt, dass zwischen 1790 und 1870 253 von 300 Unternehmern von Vorfahren abstammten, die einem gewerblichen Beruf (Handwerk, Verlag oder Industrie) nachgegangen oder im Handel tätig gewesen waren.19 Schäfers Auswertung kollektivbiographischer Daten zur sozialen Herkunft der sächsischen Unternehmer ergab, dass etwa 40 Prozent der Gründer von 1873 und früher etablierten Firmen aus Handwerkerund Kleinhändlerfamilien stammten und nur rund ein Viertel aus dem Wirtschaftsbürgertum. Nach der Reichsgründung drehte sich diese Relation auch in Sachsen allmählich um, die deutschen Unternehmer rekrutierten sich nun vorwiegend aus einem weitgehend geschlossenen Milieu.20 In Westfalen etwa stammten zwischen 1860 und 1909 rund 80 Prozent der westfälischen Großunternehmer aller Branchen aus der eigenen sozialen Gruppe.21 Diese im Zeitverlauf zunehmende Selbstrekrutierungsrate und das geringe Maß an intergenerationaler sozialer Mobilität lassen sich nicht nur für den rheinisch-westfälischen Wirtschaftsraum, sondern auch für zahlreiche andere Industrieregionen nachweisen. Dies ist zum einen auf den hohen Prozentsatz von Unternehmenserben sowie darauf zurückzuführen, dass in vielen Branchen die Anforderungen an Bildung und Gründungskapital stiegen. Zum anderen spielte aber auch die Sozialisation eine zunehmend wichtige Rolle. Unternehmer entschieden sich in der Regel für einen Nachfolger, der über einen ähnlichen Habitus verfügte, d. h. der aufgrund seiner
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arbeitung. In der Schweiz hatten François-Louis Cailler (1796–1852) und Philippe Suchard (1797–1884) bereits 1819 bzw. 1826 mit der Schokoladenherstellung begonnen. Beide hatten wie Franz Stollwerck das Zuckerbäckerhandwerk erlernt. Siehe Menninger: Genuss im kulturellen Wandel, S. 367. Einen vergleichbaren Start ins Berufsleben absolvierte der Württemberger Unternehmer Ernst Staengel (1827–1915). Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 47. Siehe Kaelble: Soziale Mobilität, S. 104. Siehe Beau: Das Leistungswissen, S. 12–18, 70 f. Diese Ergebnisse dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Herkunftsprofil von Unternehmensgründern in einigen Branchen vom Grundmuster abwich, etwa in der Chemieindustrie oder im Buchhandel, wo höhere Anforderungen an das formale Bildungsniveau bestanden und ein gewisses Interesse an Bildung erforderlich war. Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 38 f., 228. Siehe Henning: Soziale Verflechtungen, S. 4 f.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
seit der frühesten Kindheit verinnerlichten Verhaltensstandards und Werte in der Lage war, sich im wirtschaftsbürgerlichen Milieu zu verorten und zu bewegen.22 Wann Franz Stollwerck seine Gesellen- und Wanderjahre begann und beendete, nach Köln zurückkehrte und den Meisterbrief erwarb, lässt sich heute nicht mehr ermitteln. Gesicherte Aussagen sind erst wieder für das Jahr 1839 möglich, als er sich in der zweiten Jahreshälfte im Stadtviertel seiner Familie als Bäckermeister niederließ. Über Höhe und Herkunft des ökonomischen Kapitals, das er zur Gründung der Mürbebäckerei einsetzte, erlauben die überlieferten Quellen keine Aussage.23 Als hilfreich erwies sich für ihn jedoch zweifellos die Tatsache, dass seine Familie seit drei Generationen in Köln ansässig war. Kuske verwies darauf, dass sein Vater Nicolaus als Marktaufseher „im Kreise der Kaufleute und der Bevölkerung der innersten Stadt als ‚Niclos‘ sehr populär und beliebt“24 gewesen sei – demnach eingebunden war in ein Beziehungs-, Kontakt- und Wissensnetzwerk gegenseitigen Kennens und Anerkennens, das sein Sohn für die eigene Unternehmung nutzbar machen konnte. Auch Franz Stollwercks Frau Anna Sophia (1819–1888), geb. Müller, die er am 3. Juli 1839 heiratete, entstammte einem angesehenen Kreis Kölner Familien.25 Franz Stollwerck fing demnach keineswegs mit nichts an, sondern begann in gesicherten Verhältnissen. Sozialisation, Erziehung und Ausbildung der Generation Gebrüder Stollwerck Parallel zum Aufbau und zur Etablierung seines Geschäfts gründete er eine Familie. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern war über Jahrhunderte hinweg in der Regel unsentimental, streng und distanziert gewesen. Die Dauer der Kindheit beschränkte sich auf die Säuglings- und Kleinkindphase, nach der die Kinder wie selbstverständlich in die Erwachsenenwelt integriert wurden. Zudem verließen insbesondere die Söhne früh, meist mit 14 Jahren, das Elternhaus, um eine Lehre zu beginnen.26 Erst als sich die Einheit von Haus und Betrieb auflöste, trennten sich auch Erwachsenen- und Kinderwelt. Den einzelnen Familienmitgliedern wurden Bereiche individueller Privatheit zugestanden – auch den Kindern, die eigene „Kinderstuben“27 erhielten. Seit dem späten 18. Jahrhundert verbreitete sich zudem die Vorstellung von der Kindheit als eigener Erlebnis- und Gefühlswelt. Diese Entdeckung der Kindheit spiegelte sich im Aufschwung der Spielzeugindustrie, in kindgerechter Literatur und spezifischen Kleidern für Kinder und 22 Siehe z. B. Schumann: Herkunft und gesellschaftliche Stellung; Kaelble: Berliner Unternehmer, S. 30–54. 23 Siehe zur Beschaffung des Gründungs- und Betriebskapitals frühindustrieller Unternehmer Petzina/Feldenkirchen: Unternehmensfinanzierung. 24 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 1. 25 Siehe hierzu Kapitel III.A.2. 26 Siehe Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 114–117; Ariès: Geschichte der Kindheit, S. 209 f.; Weber-Kellermann: Die Kindheit, S. 18 f. 27 Weber-Kellermann: Die Kinderstube. Siehe auch Peikert: Zur Geschichte der Kindheit, S. 121 f.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Jugendliche.28 Auch die Eltern-Kind-Beziehung veränderte sich: Mehr und mehr wurden die Kinder zum Objekt von Zuwendung, Vergnügen und Entspannung; das bürgerliche Familienleben, das sich fern der Produktionssphäre abspielte, organisierte sich um die Kinder herum, die Eltern widmeten ihnen zunehmend mehr Zeit. In der Regel wurden ein inniges Familienleben und ein liebevoller, sorgsamer Umgang miteinander gepflegt. Die Rolle der Väter in bürgerlichen Familien war freilich ambivalent: Neben dem gütigen, warmherzigen und duldsamen Vater29 zeichnete die Forschung bislang vor allem das Bild des patriarchalischen Familienoberhaupts, das den Zusammenhang der Familie durch seine starke, mitunter autokratische Persönlichkeit sicherte und über Ausbildung und Zukunft der Söhne und Töchter bestimmte.30 Mit dieser Ausdehnung der Kindheit gingen zum einen eine längere Abhängigkeit von den Eltern, zum anderen eine stärkere Einflussnahme der Familie auf die Kinder und ihre Entwicklung einher. Zur „normative[n] Brücke zwischen Kinderwelt und Erwachsenenwelt“31 wurde das zunehmende Gefühl elterlicher Verantwortung für Erziehung, Schule und Berufsausbildung. Denn zum wesentlichen Selbstverständnis des Bürgertums im 19. Jahrhundert gehörte das Bewusstsein, sich seine gesellschaftliche Position und materielle Unabhängigkeit durch die eigene wirtschaftliche oder intellektuelle Leistung weitgehend selbst erarbeiten zu müssen. Dieses Vertrauen auf die eigene Leistungsfähigkeit bildete zugleich die Basis des für die bürgerliche Mentalität grundlegenden Individualismus. Ausgehend von einem „pädagogischen Optimismus“32 war es das Kernziel bürgerlicher Erziehung, dafür zu sorgen, dass die Kinder den Wert der Leistung und die damit einhergehenden Tugenden wie Fleiß, (Selbst-)Disziplin, Pflichterfüllung, ökonomische Zeiteinteilung, Willenskraft, Ordnung und Geduld akzeptierten, verinnerlichten und sich entsprechend ihrer Fähigkeiten und der Hoffnungen der Eltern entwickelten. An die Stelle des Lehrverhältnisses trat dabei zunehmend die Schule als Mittel der Erziehung, d. h. die Kinder waren nicht mehr überwiegend mit Erwachsenen, sondern mit Gleichaltrigen zusammen.33 Franz Stollwerck spielte im Alltag seiner Kinder nur eine Nebenrolle – das Richtmaß seines Lebens war der Beruf, hinter dem das Familienleben zurückstand. Für die vielfältigen Aufgaben – vom Ein- und Verkauf über die Produktion und Buchhaltung bis hin zur Organisation seines Vaudeville-Theaters, das er 1848 gegründet hatte34 – standen ihm nur wenige Mitarbeiter zur Seite.35 Die Organisa28 Siehe Ariès: Geschichte der Kindheit, S. 92–174; Weber-Kellermann: Die Kindheit, S. 57– 66, 76–85, 112–137, 192–230. 29 Zu diesem Ergebnis kam z. B. Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 55–67. 30 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 151–166; Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 120. 31 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 193. 32 Ebenda, S. 11. 33 Siehe ebenda. 34 Siehe Heyden: Das Kölner Theaterwesen, S. 188. 35 Überliefert ist die temporäre Unterstützung durch seinen Bruder Johann (1821–1878) sowie die Ehemänner seiner beiden Schwestern, Franz Theodor Herx und Heinrich Hermann Krause
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
tionsstrukturen der Stollwerck’schen Unternehmung waren noch wenig ausdifferenziert, so dass Stollwerck viele Arbeiten persönlich übernahm. Es ist davon auszugehen, dass er tagsüber mindestens zehn bis zwölf Stunden tätig war. Im Hinblick auf den Aufbau einer Eltern-Kind-Beziehung, emotionale Zuwendung und die Vermittlung von Werten nahm er damit hinter seiner Ehefrau nur eine periphere Position ein; wichtige Entscheidungen über die Ausbildung und Zukunftsperspektive seiner Kinder hingegen wird er allein getroffen haben.36 Während die Kinder kleinbürgerlicher und bäuerlicher Familien um 1850 noch sehr häufig „Ihr“ und „Sie“ sagten, zeigten sich Franz Stollwerck und seine Frau liberaler; sie wurden von ihren Kindern mit intimeren Formen (Du, Mama und Papa) angeredet – ein Anzeichen für die geringere Distanz zwischen Eltern und Kindern.37 Heinrich Stollwercks Tochter erwähnte zudem in den Erinnerungen an ihren Vater ein enges Verhältnis zu seiner Großmutter väterlicherseits, die nur wenige Straßen entfernt lebte.38 Zu der jüngsten Schwester Franz Stollwercks, Maria Sybilla (geb. 1831), und deren Ehemann Franz Theodor Herx, der zunächst als Buchhalter bzw. Geschäftsführer für Stollwerck gearbeitet hatte und dann mit seiner Familie nach Hamburg und schließlich 1853 nach Amerika ausgewandert war und dort Stollwerck’sche Produkte vertrieb, baute zumindest ihr ältester Neffe Albert Nikolaus (I) ein enges Verhältnis auf.39 Es ist davon auszugehen, dass die Kinder Franz Stollwercks – ungebunden von den starren Konventionen des Adels, an die die Sprösslinge dieses Standes bereits früh gewöhnt wurden, und unabhängig von den Erwerbszwängen der Arbeiterkinder – bis zum Beginn der Schulzeit über viel Freizeit verfügten. Zwar erscheint Heinrich Stollwerck auf Bildern aus seiner Kinderzeit nicht als spielendes Kind, sondern als „kleiner Erwachsener“, der dem Betrachter ernst entgegen
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(geb. 1819), die für Stollwerck als Buchhalter/Geschäftsführer arbeiteten. Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 547 f.) verwies zudem für die 1840/50er Jahre auf einen Reisenden. Siehe auch Bayer: Kölner Theatererinnerungen, S. 5. Hinweise auf Kindermädchen und Erzieherinnen sind nicht überliefert, es ist allerdings wahrscheinlich, dass Franz Stollwerck Personal beschäftigte. Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 14) erwähnte einen „Gesinde-Schlafraum“ im Haus Schildergasse Nr. 49, führte aber nicht aus, ob die Bediensteten zum Privathaushalt oder den geschäftlichen Unternehmungen Stollwercks gehörten. Siehe z. B. Peter Joseph Stollwerck an Franz Stollwerck am 21. Februar 1869, RWWA 208249-4 („Lieber Papa“) und Ludwig Stollwerck an Anna Sophia Stollwerck und seine Brüder am 16. Januar 1876, RWWA 208-874-7 („Liebe Mama und Brüder“). Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 4, 7. Nach dem Tod seiner ersten Frau Christina 1837 heiratete Nicolaus Stollwerck 1838 erneut, Maria Franziska Meyer, geb. Schüssel (1780–nach 1851). Es war im 19. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches und in Bürgerfamilien üblich, dass die verschiedenen Generationen einer Familie regelmäßig zusammenkamen. Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 270–275. Siehe Maria Sybilla Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 5. August 1869, RWWA 208272-10; Franz Theodor Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 10. Mai 1869 und am 15. Oktober 1869, RWWA 208-272-10. Die Familie Herx lebte in Williamsburg, im USBundesstaat Virginia. Das Auswanderungsjahr ergibt sich aus einem Brief von Franz Theodor Herx an Franz Stollwerck am 1. Januar 1869, RWWA 208-252-3.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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blickt (siehe Abb. 7 und 8), doch ist überliefert, dass er sich die Zeit am liebsten mit seinen Spielzeugen vertrieb.40
Abb. 7: Heinrich Stollwerck, 1851 (SulkowskaStollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 9)
Abb. 8: Heinrich Stollwerck, 1858 (SulkowskaStollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 9)
Spielsachen in größerer Anzahl konnten sich nur wohlhabende Familien leisten. Die Familie Stollwerck hatte also offensichtlich die finanziellen Möglichkeiten, den alters- und geschlechtsspezifischen Ansprüchen ihrer Kinder Rechnung zu tragen und ihnen eine eigene Erlebniswelt zuzugestehen. Neben traditionellem Spielzeug in Form von Schaukelpferden, Holz- und Zinnfiguren besaßen die Stollwerck’schen Söhne schon früh „moderne“ Spielsachen „mit mechanischen Gangwerken“41, die sie mit dem technischen Fortschritt vertraut machten. Neben dem alltäglichen Zeitvertreib wurden Kinder großbürgerlicher Familien in der Regel früh mit kulturellen Angeboten vertraut gemacht. Es zählte zum bürgerlichen Selbstverständnis und -bewusstsein, das Interesse der Kinder an Literatur und Musik zu fördern und sie Kunstausstellungen, Theateraufführungen, Opern und Konzerte besuchen zu lassen, denn „Können und Kennerschaft brachte Gleichgesinnte zusammen und homogenisierte so die Verkehrskreise“42. So ließ
40 Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 4. Zum Spielen und zu Spielzeugen der Bürgerkinder siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 198–203, 223 f.; WeberKellermann: Die Kindheit, S. 192–230. 41 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 4. Heinrich interessierte sich Zeit seines Lebens für die Technik und erfand z. B. einen mehrfachen Walzenstuhl zum Zerreiben dickflüssiger Massen. 1880 erhielt er das Patent auf diese Erfindung. Siehe die Patenturkunde vom 1. Februar 1880, RWWA 208-362-3. 42 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 135. Siehe auch Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 183–186.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Franz Stollwerck seine Söhne Peter Joseph und Ludwig in „Musiklehre“43 unterrichten; vermutlich erlernten sie das Klavierspiel, denn ein Klavier gehörte zur Einrichtung des Stollwerck’schen Haushalts. Laut Gunilla Budde stand das Klavier wie kein anderes Instrument für die Gesellschaftsformation „Bürgertum“: Als Individualinstrument unterstrich es zum einen das Eintreten des Bürgertums für Eigenständigkeit, zum anderen eignete es sich in seiner Doppelfunktion als Musikinstrument und Möbelstück dazu, Besuchern den erreichten Status und die „Kultur“ der Bewohner zu demonstrieren.44 Auch Heinrich Stollwerck interessierte sich für Musik und „pflegte eifrigst die Sangeskunst, angeregt durch häufige Besuche der damaligen Weltopern-Aufführungen in Paris“45; es ist zudem überliefert, dass er bereits als Kind gerne las. Franz Stollwerck achtete freilich auch darauf, dass neben die häusliche und kulturelle Erziehung schnell der Lernalltag in einer Schule und schließlich die fachliche Ausbildung traten. Insbesondere seine Söhne wuchsen nicht mehr allein durch traditionsgeleitetes Verhalten, Mithandeln und Nachahmen auf, sondern ihr Leben wurde schon früh von der Schule, methodischem Lernen, Abstraktion und Reflexion geprägt. Gemäß seiner eigenen Einschätzung ermöglichte Franz Stollwerck ihnen eine „ausgedehnte Schulbildung u. Erziehung“46. Als für seine drei ältesten Söhne die Schulzeit begann, befand sich das deutsche Bildungssystem inmitten einer Phase zunehmender Institutionalisierung, Ausdifferenzierung und Verstaatlichung. Eine wichtige Neuerung war der Aufbau eines Realschulwesens (Höhere Bürgerschulen) für Jungen – als zweiter Bildungsweg neben den klassischen humanistischen Gymnasien, die aber ihre „Leitfunktion als ‚normsetzender Typ‘ im höheren Schulwesen“47 behielten. Der Lehrplan konzentrierte sich hier nicht auf die klassischen Sprachen, sondern im Mittelpunkt standen die neuen Fremdsprachen Französisch und Englisch, Geschichte, Geographie, Mathematik und die Naturwissenschaften. Die Absolventen erwarben mit ihrem Zeugnis die Qualifikation für eine Laufbahn im Post- oder höheren Dienst der Forstverwaltung bzw. für das Studium an der Königlichen Bauakademie oder der Bergakademie sowie das Recht auf den einjährigen Militärdienst – also die Verkürzung des Militärdiensts und damit die Beschleunigung des beruflichen Werdegangs.48 Von der 43 Privates Haushaltungs- und Empfangsbuch von Franz Stollwerck, 1867 bis 1870, RWWA 208-365-1. Hier ist für den Januar 1868 eine „Clavier Reparatur“ in Höhe von 14 Talern aufgeführt. 44 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 137 f. 45 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 4, 8. 46 Franz Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 9. März 1871, RWWA 208-875-2. 47 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 407. Zu den verschiedenen Formen von Realschulen siehe Exner-Seemann: Das Realschulwesen, S. 35–38; Müller/Zymek: Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, S. 42–46; Jeismann: Das höhere Knabenschulwesen, S. 161 ff. 48 Die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen Militärdienst erlangte man auch, wenn man auf dem Gymnasium erfolgreich die Sekunda absolviert hatte, nach der die meisten Wirtschaftsbürger die Schule verließen. Siehe hierzu sowie zu der Frage, welchen Schulen das Recht zukam, Berechtigungsscheine zum Einjährig-Freiwilligen-Militärdienst auszustellen, John: Das Reserveoffizierkorps, S. 54 f.; Müller/Zymek: Datenhandbuch zur deutschen Bildungsge-
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Überzeugung getragen, dass neben die auf Antike und Christentum gegründete gelehrte Bildung – also neben alte Sprachen, Mathematik, Religion, Literatur, Kunst, Kultur und Musik – eine Realienbildung gestellt werden müsse, trug diese Auffächerung des Schulwesens vor allem den Ausbildungsbedürfnissen des städtischen Bürgertums Rechnung. Der Unterricht in Englisch und Französisch sowie die Vermittlung von kaufmännischem und technischem Grundwissen entsprachen den Plänen, die Handel- und Gewerbetreibende mit der beruflichen Zukunft ihrer Söhne verbanden: Sie sollten dem wirtschaftlichen Leben zugeführt werden.49 Der zweitgeborene Sohn Peter Joseph Stollwerck besuchte ein Hamburger Internat, wo er gute Beurteilungen erzielte.50 Sein Bruder Heinrich war zunächst Schüler eines Pariser Instituts und bereitete sich dann in Köln auf das EinjährigFreiwilligen-Examen vor. Die beiden jüngsten Brüder, Ludwig und Carl, wurden – obwohl auch in Köln mit drei Gymnasien und der 1828 als erste höhere städtische Schule gegründeten Städtischen Realschule erster Ordnung (dem späteren Gymnasium und Realgymnasium in der Kreuzgasse) geeignete Schulen bestanden –, auf das Institut Hofmann geschickt, eine „Erziehungs- und Unterrichtsanstalt“51 für Knaben in St. Goarshausen am Mittelrhein.52 Das 1853 von dem Pädagogen Wilhelm Hofmann gegründete Institut war auf Schüler spezialisiert, die sich dem „Handelsstand“ widmen wollten. Der Lehrplan entsprach weitgehend den Vorgaben für Realschulen – der „Standesschule“53 des Wirtschaftsbürgertums –, wurde jedoch durch Unterricht in Buchführung und Handelskorrespondenz sowie durch praktische Kurse in Chemie ergänzt; die allgemeine Umgangssprache im Unterricht war Französisch.54 Das Institut genoss einen über die Grenzen
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schichte, S. 21–25. Die Privilegierung des Einjährig-Freiwilligen beschränkte sich nicht auf eine verkürzte Dienstzeit, sondern er durfte zudem u. a. den Militärdienst erst nach Abschluss einer – auch längerfristigen Berufsausbildung – antreten, Truppenteil und -standort frei wählen und außerhalb der Kaserne wohnen. Am Ende der Dienstzeit mussten die EinjährigFreiwilligen eine Prüfung zum Unteroffizier ablegen, anschließend wurden sie zur Reserve entlassen. Siehe John: Das Reserveoffizierkorps, S. 60. Zur Entwicklung des Schulwesens im Rheinland siehe Exner-Seemann: Das Realschulwesen; Mergel: Zwischen Klasse und Konfession, S. 50–55, 158–161; Kuhlemann: Die Höheren Bürgerschulen; Apel/Klöcker: Schulwirklichkeit in Rheinpreußen; Padtberg: Bildung und Ausbildung. Speziell für Köln siehe o. A.: Städtisches Gymnasium und Realgymnasium, S. 5–10. Siehe die beiden Schulzeugnisse für Peter Joseph Stollwerck, Schüler der dritten Klasse, 1855/56, RWWA 208-320-8. Köhn: Vom Institut zum Wilhelm-Hofmann-Gymnasium, S. 27. Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 57 f.; Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 26. Oktober 1879, RWWA 208-874-7. Ludwig besuchte das Institut von 1868 bis 1873. Genauere Angaben über die Schulzeit von Ludwig und Carl Stollwerck sowie ihre schulischen Leistungen sind nicht möglich. Nach einem Beschuss des Instituts durch die Amerikaner im März 1945 verbrannte das Archiv der Schule mit allen Unterlagen. Schriftliche Auskunft von Thomas Guckenbiehl, stellvertretender Schulleiter des Wilhelm Hofmann-Gymnasiums, vom 29. April 2010. Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 75. Siehe auch Löther: Familie und Unternehmer, S. 233 f. Siehe Köhn: Vom Institut zum Wilhelm-Hofmann-Gymnasium, S. 31.
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Deutschlands hinausgehenden guten Ruf: 1866 waren 72 Pensionäre im Institut untergebracht, 22 Schüler besuchten als Externe den Unterricht; 1870 waren es bereits 114 Schüler, davon 18 ausländische; 1874 war die Zahl auf 221 Schüler angestiegen.55 Die Verlagerung des Lebensmittelpunktes von der Familie hin zur Internatsgemeinschaft, den Lehrern und zum Schulort bedeutete eine frühe Lösung aus der familiären Geborgenheit, die die Selbständigkeit der Söhne fördern und ihnen überregionale Erfahrungen ermöglichen sollte – den Jungen aber zweifellos auch schwer fiel. Dass Ludwig und Carl für eine gewisse Zeit gemeinsam am selben Ort zur Schule gingen, erleichterte die Zeit in der Fremde und die Lösung vom Elternhaus und förderte die enge Verbindung zwischen den beiden jüngeren Brüdern.56 Im Internat knüpften die Jungen zudem Freundschaften, die die Sehnsucht nach der Familie in den Hintergrund rücken ließen. Einige Kontakte überdauerten die Schulzeit: Ludwig und Carl Stollwerck gehörten 1903 zu den Organisatoren, die die „Vereinigung ehemaliger Schüler des Instituts Hofmann, St. Goarshausen“ gründeten.57 Die Entfernung vom Familienverband, der wichtige kommunikative Kompetenzen und Generationserfahrungen zur Orientierung in einer bürgerlichen Lebenswelt vermittelte, konnte allerdings auch zu Problemen führen, denn die Eltern gaben den direkten Zugriff auf ihre Kinder und damit ihr Erziehungsmonopol auf. Anweisungen und Ermahnungen, aber auch Anerkennung und Zuwendung konnten nur noch per Brief oder indirekt über die Lehrer erfolgen bzw. beschränkten sich auf kurze Besuche und die Ferien, die die Schüler zu Hause verbrachten. Dass sich diese Distanz von der Familie und wechselnde Bezugspersonen nicht immer positiv auf die Kinder auswirkten bzw. von ihnen rückblickend sogar als negativ empfunden wurden, verdeutlicht das Beispiel Carl Stollwercks. Die Hinweise aus einem Brief, den er 1879 an seinen ältesten Bruder Albert Nikolaus (I) schrieb, verdichten sich zugespitzt zu dem Eindruck, dass die Brüder mit Carls Leistung in der Fabrik nicht zufrieden waren und seinen Lebenswandel wie seine Ansichten als unangemessen und unreif betrachteten. Diese Kritik wies Carl auch gar nicht zurück, vielmehr warb er um Verständnis und erklärte seine Unvollkommenheit damit, dass er seine frühe Jugendzeit „meist ganz allein unter fremden Leuten“ gelebt habe, die ihm nicht die erforderliche Aufmerksamkeit und Fürsorge geschenkt hätten. Elterliche Erziehung in Form von „guten Ermahnungen“ des Vaters habe er nur in den Ferien empfangen, und auch deren Wirkung sei nur gering gewesen, da man ihn zu Hause „als Benjamin etwas sehr verwöhnt“58 habe. 55 Siehe ebenda, S. 36, 42, 45, 47. 56 Laut Budde (Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 208, 360 f.) schickten zehn Prozent der von ihr untersuchten deutschen Familien ihre Söhne auf auswärtige Schulen. Zu der engen Verbindung zwischen Ludwig und Carl Stollwerck siehe ausführlich Kapitel III.B.1. 57 Siehe o. A.: 25 Jahre staatliches Wilhelm-Hofmann-Gymnasium, S. 21. 58 Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 26. Oktober 1879, RWWA 208-874-7.
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Ausschlaggebend für Franz Stollwerck, seine Söhne auf das Internat in St. Goarshausen zu schicken, waren nicht allein der kaufmännische Schwerpunkt und die pädagogische Leitlinie Wilhelm Hofmanns – „die Veredelung der ihm anvertrauten Knaben und Jünglinge und die Ausbildung derselben zu festen, auf christliche Grundsätze sich stützenden Charakteren“59. Hohe Investitionen in die Ausbildung der Söhne waren auch Ausdruck einer standesgemäßen Lebensführung. Ferner wird bei der Auswahl des Internats die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass der Schule seit 1869 die Berechtigung zustand, Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu verleihen, die zum Einjährig-Freiwilligen-Militärdienst berechtigten.60 Allerdings war diese Berechtigung oft nur der halbe Schritt auf dem Weg, den Militärdienst zu verkürzen. War bereits die Möglichkeit, die geforderten Bildungsstandards zu erreichen, durch Herkunft und Eigentum minimiert, konnte man die verkürzte Dienstzeit nur dann absolvieren, wenn der Berechtigte selbst bzw. ein Bürge in der Lage war, alle während der Dienstzeit anfallenden Kosten (Verpflegung, Unterbringung, Ausrüstung und Bekleidung) zu tragen. Dieser Unterhaltsnachweis bedeutete eine zusätzliche – für Handwerker und Industriearbeiter unüberbrückbare – Barriere zu einer potenziellen Reserveoffizier-Karriere und führte dazu, dass das Einjährig-Freiwilligen-Examen eine „hohe Anziehungskraft […] als soziales Statussymbol“61 besaß. Die Familie Stollwerck verfügte über den erforderlichen finanziellen Spielraum, denn sowohl Peter Joseph und Heinrich als auch Carl dienten als EinjährigFreiwillige bei den Regimentern Rheinland-Westfalens; Heinrich und Peter absolvierten ihre Dienstzeit bei der Infanterie, ihr jüngster Bruder Carl diente zu Pferd.62 Dieser Wechsel der Waffengattungen lässt sich nicht nur als Ausdruck persönlicher Vorlieben, sondern auch als Anzeichen dafür deuten, dass die Familie Stollwerck in der Zeit, die zwischen dem Dienst Heinrichs 1863/64 und dem Einjährigen-Jahr Carls 1881/82 lag, sowohl ihr Vermögen als auch ihr gesellschaftliches Ansehen vergrößert hatte, denn bei der Kavallerie waren die Privatzulagen auf den Kriegsschulen mehr als doppelt so hoch wie bei der Infanterie. Diese hohen Kosten kamen vor allem dem Adel entgegen, der den berittenen Dienst bevorzugte, um sich gesellschaftlich abzugrenzen – aber auch, weil er einem „ritterlichen Ideal“ folgte und die Ausstattung mit einem Pferd im Bewusstsein der Soldaten höher stand als der reine „Stoppelhopser“63. Gerade der hohe Adelsanteil war jedoch für die bürgerlichen Familien ein wichtiger Reputationsgrund, ihre 59 Köhn: Vom Institut zum Wilhelm-Hofmann-Gymnasium, S. 19. 60 Siehe ebenda, S. 39, 42. 61 Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 110. Siehe auch John: Das Reserveoffizierkorps, S. 56 f. 62 Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 11, 15; Militärpapiere von Peter Joseph Stollwerck, RWWA 208-318-5; Militärpass von Carl Stollwerck, RWWA 208-446-4. Quellen zum wahrscheinlichen, aber nicht nachweisbaren Einjährigen-Jahr von Albert Nikolaus (I) und Ludwig Stollwerck sind nicht überliefert. 63 Obermann: Soldaten, S. 94. Rheinische Unternehmersöhne leisteten seit den 1850er Jahren in steigender Zahl ihren Dienst als Einjährig-Freiwillige bei den vornehmen Reiterregimentern ab. Siehe Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 114.
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Söhne in dieser Waffengattung unterzubringen. Zweifellos war diese Militärdienstzeit in Verbindung mit der Institution des Reserveoffiziers auch eine Quelle für eine positive Einstellung der Gebrüder Stollwerck zum preußisch-deutschen Staat.64 Auch seinen Töchtern ließ Franz Stollwerck eine schulische Ausbildung zuteilwerden. Für Mädchen galt in Preußen seit Anfang des 19. Jahrhunderts – wie für Jungen – eine Unterrichtspflicht nach Vollendung des fünften Lebensjahres. Neben den Volksschulen bestanden verschiedene Formen von Mädchenschulen, so genannte Höhere Töchterschulen, die zunächst von der Kirche oder privaten Initiativen, erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch von den Kommunen getragen wurden.65 Für die jüngste Tochter Therese (1861–1936) zahlte Franz Stollwerck zwischen 1867 und 1870 regelmäßig Schulgeld, ob für eine städtische oder eine private Elementarschule ist nicht überliefert. Anhand der Aufzeichnungen wird jedoch deutlich, dass die Investitionen in die Ausbildung der Söhne deutlich höher waren als die Kosten für die Tochter: Während die Schulgelder für Ludwig und Carl in einzelnen Monaten zwischen 40 und 115 Thaler pro Person betrugen, waren es bei Therese zwischen sechs und 13 Thaler.66 Für Mädchen hatte die Schule nicht den Stellenwert, den sie in der lebensgeschichtlichen Entwicklung der Jungen besaß. Ihre schulische Ausbildung war im Allgemeinen weniger systematisch und anspruchsvoll. Sie diente nicht der Vorbereitung auf eine Berufsausbildung bzw. die Unternehmensnachfolge, sondern es sollten die Grundregeln des Lesens, Schreibens und Rechnens, Sprachen, hauswirtschaftliche Fertigkeiten, handarbeitliche Geschicklichkeit und gesellschaftliche Konventionen (Musizieren, Malen, Tanz) vermittelt werden – kurz: Es handelte sich um eine begrenzte intellektuelle Förderung. Im Anschluss an den Schulbesuch kehrten Bürgertöchter im Alter zwischen 14 und 16 Jahren in der Regel wieder für mehrere Jahre in den Schoß der Familie zurück. Dort begann für sie eine Lebensphase, an deren Ende sie fähig sein sollten, Kinder zu erziehen und einen eigenen Haushalt zu führen.67 Auch im Büro des Vaters halfen sie – vor der Verheiratung und wenn diese ausblieb – mit; so z. B. Franz Stollwercks zweite 64 Siehe auch Kapitel III.C.2. 65 Siehe Müller/Zymek: Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, S. 67, 70; Küpper: Die höheren Mädchenschulen. Nicht alle Mädchen besuchten zunächst eine städtische Volksschule, sondern von Schulbeginn an eine höhere Mädchenschule oder eine Vorschule der Gymnasien. Siehe Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 376. Zwar gingen Privaterziehung und Privatschulen bedeutend zurück, doch in den Städten spielten sie 1864 mit 8,5 Prozent durchaus noch eine Rolle. Siehe Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 463 f. 66 Siehe Privates Haushaltungs- und Empfangsbuch von Franz Stollwerck, 1867 bis 1870, RWWA 208-365-1. Leider sind die Aufzeichnungen uneinheitlich (so werden das Schulgeld und die Kosten für die Unterkunft mal getrennt, mal zusammen aufgeführt, auch werden die Kosten für Ludwig und Carl z. T. einzeln, z. T. für beide gemeinsam vermerkt) und sehr wahrscheinlich auch unregelmäßig und unvollständig, so dass keine verlässlichen Aussagen über die monatliche Höhe des Schulgeldes möglich sind. 67 Siehe Zinnecker: Sozialgeschichte der Mädchenbildung, S. 29–77; Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 335–403; Schlumbohm (Hg.): Kinderstuben, S. 311 f.; Sieder: Sozialgeschichte, S. 138 f.; Frevert: Frauen-Geschichte, S. 37 ff.
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Tochter Elisabeth (1849–1884), die vor ihrer Hochzeit „seit langer Zeit“68 im väterlichen Geschäft tätig gewesen war. Häufig wurden die Mädchen zudem für einige Zeit zu Verwandten geschickt, um in deren Haushalt zu leben und zu lernen, ging man doch davon aus, dass die Erziehung unter ähnlichen Bedingungen, mit gleichen Wertvorstellungen und Zukunftsperspektiven, kurz: „bürgerlich“ erfolgte.69 So nahmen Franz und Anna Sophia 1869 ihre Nichte Maria, eine Tochter von Franzens nach Amerika ausgewanderter Schwester Maria Sybilla, für einige Zeit in Köln auf. Nach den Wünschen ihrer Eltern sollte sie „fremde Leute und Sitten kennen lernen, […] sich in jeder Beziehung nützlich mache[n] u. […] nach ihren Fähigkeiten beschäftigt“ werden sowie die Gelegenheit erhalten, „im Umgang mit gebildeten Menschen sich in ihrer Bildung u. gesellschaftlichem Tact zu vervollkommnen“70. Der Aufenthalt in Köln wirkte für die Nichte zudem auch vermittelnd zwischen den im 19. Jahrhundert noch besonders ausgeprägten Kontrasten zwischen einem Leben in Amerika und einem in Europa. Nach dem Schulbesuch begann für die Gebrüder Stollwerck die systematische Vorbereitung auf die spätere Übernahme des väterlichen Unternehmens. Hatte Franz Stollwerck noch einen eigenständigen Lehrberuf erlernt, orientierte er die Ausbildung seiner Söhne an den konkreten Erfordernissen der Geschäftsführung seines expandierenden und zunehmend arbeitsteilig organisierten Betriebes; eine akademische Ausbildung zog er offensichtlich nicht in Betracht.71 Die unmittelbare Einbindung in das Firmengeschehen diente ferner der wechselseitigen Annäherung zwischen den Angestellten und den designierten Nachfolgern und sollte die Identifikation der Erben mit dem Unternehmen stärken. Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Ludwig wurden vor allem kaufmännisch, Heinrich und Carl primär fabrikatorisch und technisch ausgebildet.72 Das Handwerk der Zuckerwaren- und Schokoladenfabrikation „von der Pike auf“ zu erlernen, ergab insofern Sinn, als zwar auch hier handwerkliche Arbeitsabläufe zunehmend von mechanisierten Produktionsabläufen abgelöst wurden, aber traditionelle Techniken – gerade für die Herstellung qualitativ hochwertiger Süßwaren – noch längere Zeit bedeutend blieben. Zudem verfügte Stollwerck spätestens seit 1872 über eine eigene Konstruktionsabteilung, die nicht nur den Eigenbedarf an Fabrikationstechnik deckte, sondern auch für den Verkauf produzierte.73 Um diesen Unternehmensbereich sachgerecht führen, die Arbeiten der angestellten Meister beurteilen und eine Maschine bedienen zu können, mussten die Unternehmer auch über das entsprechen68 Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 30. Dezember 1875, RWWA 208-301-6. 69 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 262 f.; Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 267. 70 Franz Theodor Herx an Franz Stollwerck am 1. Januar 1869, RWWA 208-252-3; Franz Theodor Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 10. Mai 1869, RWWA 208-272-10. 71 Dies deckt sich mit den Befunden Schäfers für die Nachfolge in sächsischen Unternehmen und Hütters Ergebnissen für die Selektion und Ausbildung der Nachfolger bei Eszet Staengel & Ziller und Freudenberg & Co. KG. Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 232; Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 214 f. Siehe auch Schulz: Die Arbeiter und Angestellten, S. 106–109. 72 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 27. 73 Siehe ebenda, S. 54.
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de technische Wissen und Können verfügen. Es ist zudem denkbar, dass Franz Stollwerck seinen Söhnen mit der praxisnahen Ausbildung auch vermitteln wollte, welche Bedeutung das Handwerk für die Familientradition und speziell für seinen beruflichen Erfolg besaß.74 Dass die Söhne Franz Stollwercks unterschiedliche Ausbildungsstränge absolvierten, lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und vorausschauendes Kalkül vermuten. Erstens stellte er so schon früh die Weichen für eine spätere unternehmerische Funktionsteilung seiner Erben.75 Indem er zweitens seinem Erstgeborenen keinen Vorrang einräumte, sondern alle Söhne gleichermaßen auf die Übernahme unternehmerischer Leitungspositionen vorbereitete, stellte er sein Unternehmen auf eine breitere Basis. Für den Fall, dass der älteste Sohn für die Unternehmensnachfolge ausfiel, standen so vier weitere gut ausgebildete Nachfolger bereit, um das Familienunternehmen zu erhalten. Drittens förderte er durch diese Ausbildungspraxis auch den internen Wettbewerb unter den Nachfolgern und damit ein kontinuierliches Streben nach Verbesserung. Keiner der Brüder wollte hinter den Leistungen der anderen zurückstehen. So gestand sich Carl Stollwerck zwar 1879 ein, dass er nie die „Capacität“ erlangen werde, die sein älterer Bruder Heinrich im Bereich der Fabrikation besitze, weil ihm die dazu erforderliche „seltene Energie“ fehle. Er werde aber „stets streben nie das fünfte Rad am Wagen zu werden“76. Diese systematische Ausbildung von Nachfolgern, die der Vererbung des Unternehmens von einer Generation auf die nächste dient, war und ist eine weit verbreitete soziale Praxis, die von den Beteiligten in der Regel als mehr oder minder vorbestimmt und erstrebenswert erachtet wird.77 Da die Gebrüder Stollwerck die Ausbildung ihrer Söhne später nach ganz ähnlichen Vorgaben und Mustern gestalteten, ist mit gutem Grund davon auszugehen, dass sich ihre Neigungen und Ziele – zumindest im Grundsatz – mit den Plänen und der Erwartungshaltung des Vaters bzw. der älteren Brüder deckten. Für die drei ältesten Brüder sind weder der Zeitpunkt des Beginns noch des Endes der Ausbildungszeit überliefert, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie wie Ludwig und Carl mit etwa 16 Jahren Lehrlinge im väterlichen Unternehmen wurden. Ludwig Stollwerck begann seine Ausbildung 1873, Carl 1876. Nach ei74 Die Rückbesinnung auf handwerkliche Wurzeln lässt sich nicht nur für Stollwerck nachweisen. Lubinski (Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 186 ff.) machte ähnliche Beobachtungen für die Familienunternehmen Bagel, Deckel und Rodenstock, die wie Stollwerck Qualitätsbranchen bedienten und die handwerklichen Ursprünge in ihrer symbolischen Relevanz – nicht zuletzt in der Werbung – nutzten. 75 Diese Arbeitsteilung zwischen Techniker und Kaufmann lässt sich für zahlreiche Unternehmerfamilien nachweisen, die mehrere Söhne hatten, und trug zum Erfolg der Unternehmen bei. Siehe Stremmel: „Treue preußische Herzen“?, S. 50; Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 114. 76 Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 26. Oktober 1879, RWWA 208-847-7. 77 So nahm z. B. in 258 (76,1 Prozent) der 339 von Schäfer erfassten sächsischen Firmen, die als Eigentümerunternehmen gegründet worden waren, mindestens ein Verwandter des Gründers in der folgenden Generation eine leitende Position ein. Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 102.
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genen Angaben absolvierten beide eine dreijährige Lehre in Köln und verließen anschließend ihre Heimatstadt, um ihr Wissen und Können in anderen Unternehmen (der Branche) im In- und Ausland zu vertiefen, fortschrittlichere Technologien, neue Produktionsmethoden und moderne betriebliche Organisationsformen in unmittelbarer Anschauung kennenzulernen.78 Bis zur Reichsgründung wurde – vor allem in exportorientierten Branchen – in der Regel ein Aufenthalt in den großen Seestädten bevorzugt, wo der zukünftige Unternehmer die Vielfalt des Welthandels kennenlernen konnte; geschätzt wurde aber auch Frankreich, das neben der Schweiz auf dem Gebiet der Schokoladenherstellung im 19. Jahrhundert weltweit führend war.79 Die mit diesen – zeitlich meist relativ kurz befristeten und in der Regel unbezahlten – Volontariaten und Praktika einhergehenden Reisen und Besuche bildeten einen wichtigen Baustein in der beruflichen Laufbahn, markierten den Übergang von der Jugend- und Ausbildungszeit zum Berufs- und Erwachsenenleben und prägten die jungen Männer in ihren Anschauungen und ihrem Charakter.80 Heinrich Stollwerck volontierte u. a. in der Hamburger Schokoladen- und Zuckerwarenfabrik Reese & Wichmann;81 Peter Joseph erweiterte seine in der väterlichen Fabrik gewonnenen Kenntnisse durch einen Aufenthalt in der Hansestadt – er besuchte vermutlich die dortige Handelshochschule und arbeitete im Delikatessengeschäft von Johann Georg August Heimerdinger (1818– 1892), dem „schätzbarsten und liebsten Freunde“82 seines Vaters. Wie viele zukünftige Unternehmer war Peter Joseph zudem Anfang der 1860er Jahre vorübergehend als Handlungsreisender für seinen Vater tätig. Ludwig Stollwerck verbrachte 1876 einige Monate sowie 1877 ein „Lehrjahr“83 in London; sein Bruder Carl erwähnte ferner einen Aufenthalt in Würzburg und Gustav Laute verwies auf 78 Carl Stollwerck an seine Brüder am 21. Januar 1880, RWWA 208-874-5. Siehe auch Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1. 79 Siehe Menninger: Genuss im kulturellen Wandel, S. 367 f. 80 Siehe Kaschuba: Deutsche Bürgerlichkeit nach 1800, S. 31; Kocks: Verhaltensweise und geistige Einstellung, S. 21 f.; Schumacher: Auslandsreisen, S. 71, 75; Sieder: Sozialgeschichte, S. 138 f.; Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 117; Pierenkemper: Deutsche Unternehmer, S. 125; Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 49. 81 Siehe o. A.: Biographische Skizze Heinrich Stollwercks, 1911, RWWA 208-244-1; Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 11. 82 Franz Stollwerck an Peter Joseph und Agnes Stollwerck am 12. September 1871, RWWA 208-874-4. Die Familie Heimerdinger hatte 1817 in Hamburg ein Delikatessengeschäft gegründet und vertrieb auch Stollwerck’sche Erzeugnisse. Siehe Briefkopf der Firma in RWWA 208-194-3. Die geschäftlichen Beziehungen der beiden Familien wurden erst 1932 aufgelöst. Siehe Fritz Stollwerck an Emil Heimerdinger am 10. Februar 1932, RWWA 208-50-5. Der von Ludolf Stollwerck mir gegenüber in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009 erwähnte Besuch einer Hamburger Handelsschule ist durchaus möglich, aber nicht belegt. 83 Im Januar 1876 berichtete er seiner Mutter und seinen Brüdern von seiner Fahrt nach London (Ludwig Stollwerck an Anna Sophia Stollwerck und seine Brüder am 16. Januar 1876, RWWA 208-874-7); im März 1876 war er wieder in Köln, um den Nachlass seines verstorbenen Vaters zu regeln. Siehe Sterbeurkunde Franz Stollwercks, Auszug aus den Registern des Standes-Amts zu Köln vom 10. März 1876, RWWA 208-249-5; Vertrag zwischen den Gebrüdern Stollwerck und Elisabeth Stollwerck vom 27. April 1876, RWWA 208-411-7; Ludwig Stollwerck an Joseph Hartl am 1. Januar 1919, 208-420-5.
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eine frühe Tätigkeit in den USA.84 1880 war Ludwig für einige Zeit als Handlungsreisender in Straßburg85 und betreute auf der „Gewerbeausstellung für Rheinland und Westfalen und benachbarte Bezirke“ in Düsseldorf den Stand des Familienunternehmens.86 Carl Stollwerck ging nach dem Ende seiner Lehrzeit auf zweijährige „Weltreisen“87; anhand der erhaltenen Korrespondenz lassen sich aber nur Aufenthalte in Paris und London und der Wunsch Carl Stollwercks belegen, „nach New York zu gehen“88. Der Aufenthalt in fremden Ländern diente nicht nur der kaufmännischen Bildung des Nachwuchses, sondern auch dazu, den Geschäftspartnern die nachfolgende Generation vorzustellen und das vom Vater aufgebaute geschäftliche Netzwerk zu pflegen und zu erhalten.89 Im Rahmen ihrer Hospitanzen waren die Gebrüder Stollwerck in der Regel bei Geschäftspartnern untergebracht: Ludwig z. B. wohnte in London im „fröhlichen Hause“90 Joseph Hartls, der seit Ende der 1860er Jahre Stollwerck’sche Produkte und Kölnisch Wasser vertrieb.91 Hartl nahm Ludwig Stollwerck nicht nur mit auf seine Reisen zu „all the English confectioners for the sale of his knall bon bons and Paris Bonbonieres“92, sondern zwischen den beiden Männern und ihren Familien entwickelte sich eine über das Geschäftliche hinausgehende feste Freundschaft, die ihren Niederschlag in zahlreichen gegenseitigen Besuchen und einem noch 40 Jahre später nachweisbaren Briefkontakt fand. Wehmütig erinnerte sich Ludwig Stollwerck z. B. 1919, als er Hartl vom Tod seiner Frau Maria berichtete: „Mein lieber alter Freund! Nun sind wir ja auch vom gleichen Leid ereilt! Meine herzensgeliebte, unvergessliche Frau […] ist am 10. März nach längerer Krankheit dahingeschieden. [...] Sie wissen nicht nur wie ich an Ihrer lieben Frau gehangen habe, wo ich so oft im Jahre 1877 und später auch zu Gaste war, sondern ich weiss auch, wie Sie meine Frau verehrten, bei welcher Sie, umgekehrt, später bei den geschäftlichen Beziehungen jedes Jahr [...] unser herzlich gern gesehener und verehrter Gast waren. [...] Indem ich Sie bitte, meiner Frau eine 84 Siehe Carl Stollwerck an seine Brüder am 16. Oktober 1879, RWWA 208-874-5; Laute: Ludwig Stollwerck, S. 103. 85 Siehe Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 22. Februar 1880, RWWA 208-874-7. 86 Siehe Ludwig Stollwerck über die Düsseldorfer Ausstellung 1914 vom 1. April 1914, RWWA 208-77-2. 87 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-4641. 88 Carl Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 15. März 1880, RWWA 208-874-5. Siehe die überlieferten Briefe Carl Stollwercks aus Paris und London, RWWA 208-874-5. 89 Siehe Schumacher: Auslandsreisen, S. 64, 69. 90 Ludwig Stollwerck an Joseph Hartl am 1. Januar 1919, RWWA 208-420-5. Diese positive Erfahrung fremder Gastfreundschaft blieb Ludwigs Bruder Carl verwehrt. In Paris musste er sich „stets allein herum […] schlagen“ und bewohnte nur „ein kleines Zimmerchen“. Carl Stollwerck an seine Brüder am 15. März 1880 und am 12. Januar 1880, RWWA 208-874-5. Ob dies darauf zurückzuführen ist, dass keine intensiven geschäftlichen Kontakte zu Pariser Familien bestanden, die Carl hätten aufnehmen können, lässt sich anhand der überlieferten Quellen nicht beantworten. 91 Franz Stollwerck unterhielt spätestens seit 1855 Geschäftsbeziehungen nach England. Siehe A. Goetze an Franz Stollwerck am 31. Mai 1855, RWWA 208-245-5. 92 Ludwig Stollwerck an Henry Heide am 12. Januar 1909, RWWA 208-161-1.
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stets liebe Erinnerung zu erhalten […], bin ich in Wehmut unter altfreundschaftlichen Grüssen Ihr Ludwig Stollwerck“93.
Die späteren Geschäftsfreunde William Hesketh Lever (1851–1925), mit dem er „nach und nach sehr befreundet“94 wurde, und Gilbert Bartholomew (hier blickte er 1901 auf eine über zehnjährige „sehr intim[e]“95 Freundschaft zurück) lernte Ludwig erst Ende der 1880er Jahre kennen.96 Die Anstellung als Volontär in einem fremden Unternehmen war allerdings nicht immer problemlos zu erreichen, denn viele Fabrikanten fürchteten Konkurrenz und unter dem Deckmantel geschäftlicher Beziehungen betriebene Industriespionage. So fand Carl Stollwerck 1879 zunächst „trotz allen Mühen keine Beschäftigung“ und erhielt die Zusage für eine „Stelle in einem größeren Geschäfte“ schließlich nur unter der Bedingung, dass er seine Herkunft verleugne: „Schon Nachmittage ging nun zu Augé hin und erhielt nach einiger Verberredung, (er stieß sich anfangs auch an die Nationalität), eine Stelle im Office. Er nahm mich erst etwas kalt nachher doch recht freundlich auf & sagte mir zum Schluß zu, doch unter der Bedingung daß ich allen Arbeitern gegenüber als ‚Oestreicher‘ ausgeben sollte und mich nur nie verplappern dürfte. Er ließ seinen Contremaitre rufen & stellte mich ihm als Wiener vor, – es ist dieser nämlich ein gr. Deutschhasser, er hat 10 Jahre unter dem Kaiser gedient & war während des ganzen Feldzuges in Pommern gefangen, doch sonst scheint er ein freundlicher Herr von circa 48-50 Jahren.“97
93 Ludwig Stollwerck an Joseph Hartl am 31. März 1919, RWWA 208-420-5. 94 Ludwig Stollwerck an August Schilling am 2. November 1901, RWWA 208-229-4. William Hesketh Lever gründete 1885 mit seinem Bruder James (1809–1897) die Firma Lever Brothers, die zunächst ausschließlich Drogerieartikel, ab 1917 auch Lebensmittel herstellte. Bekannt wurde das Unternehmen mit der Seife „Sunlight Soap“. Lever Brothers verfügte über weitreichende und für das frühe 20. Jahrhundert moderne Sozialleistungen, an denen sich die Gebrüder Stollwerck maßgeblich orientierten (siehe ausführlich Kapitel IV.B.2). 1899 gründete der englische Seifenfabrikant in Rheinau bei Mannheim eine deutsche Tochterfirma, deren Aufsichtsratsvorsitzender Ludwig Stollwerck wurde. Siehe ausführlich zu den Verbindungen mit William Hesketh Lever auch Kapitel III.C.2 und IV.A.2. Siehe ferner Macqueen: The King of Sunlight. 95 Ludwig Stollwerck an Gustav Ladenburg am 12. Dezember 1901, RWWA 208-247-4. Gilbert Bartholomew war Direktor der Liverpooler Firma Bryant & May Ltd., die Wachs- und Sturmzündhölzer herstellte, u. a. für die Stollwerck-Automaten. 1901 fusionierte die Firma mit dem amerikanischen Unternehmen Diamond Match; die deutsche Tochterfirma Diamant, Deutsche Zündholzfabrik wurde von Dresden nach Rheinau bei Mannheim verlegt. Ludwig Stollwerck wurde stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, zog sich aber nach einem Jahr wieder aus dem Gremium zurück. Siehe zu der Verbindung mit der Familie Bartholomew Kapitel III.C.2 und IV.A.2 sowie Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 192 ff.; Manchester: The Diamond Match Company. 96 Während Epple (Das Unternehmen Stollwerck, S. 337) vermutete, dass die Kontakte zu Lever und Bartholomew bereits 1877 entstanden, datierte Ludwig Stollwerck die Bekanntschaft zu Lever auf das Jahr 1889. Siehe Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 1. Januar 1915, RWWA 208-237-6. 97 Carl Stollwerck an seine Brüder am 16. Oktober 1879, RWWA 208-874-5. Auch Franz (II) berichtete eine Generation später davon, dass er seine Volontariate unter fremdem Namen absolviert habe. Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Die Scheu vor Fremden war nicht ungerechtfertigt, galt doch die Besichtigung einer konkurrierenden Fabrik als das Ziel einer „technologischen“ Reise und die künftigen Unternehmer nutzten nur allzu gern das dort erworbene Wissen für die eigene Produktion. Daher war es z. B. in England Ausländern seit 1800 verboten, Fabriken zu besichtigen.98 Dieses Verbot ließ sich jedoch durch Geschäftsbeziehungen und Empfehlungen mitunter leicht umgehen. Auch Albert Nikolaus (I), Heinrich und Peter Joseph baten ihre Londoner Geschäftspartner, Carl ein Empfehlungsschreiben auszustellen, mit dessen Hilfe er 1880 eine Stelle bei der Marmeladenfirma James Keiller & Son fand.99 Auf dieser Stelle, die ihm – so der Bericht an die Brüder – „andauernd recht gut“ gefalle, habe er in den ersten Tagen bereits „tüchtig geschafft und verschiedenes Neue gelernt“; ferner versicherte er ihnen, sobald er sich etwas besser orientiert habe, werde er auch „Näheres über die verschiedenen Ateliers und Productionen mitteilen“100. Die Lehr- und Reisejahre der jungen Wirtschaftsbürger dienten freilich nicht nur geschäftlichen Zielen, sondern auch der Charakterbildung und dem Umgang mit fremden Gesellschaften und Kulturen. Zum Programm gehörte daher auch das gesellige und gesellschaftliche Zusammensein mit Freunden und Bekannten in deren Privathäusern, in Cafés und Ballsälen; ferner eine tour d’horizon in Kunst, Geschichte und Wissenschaft fremder Städte und Länder, die in Museen und Kirchen, in Theater- und Opernaufführungen führte. So bat Ludwig Stollwerck seine Brüder 1876, ihm einen Stadtplan und Reiseführer von London zu schicken, denn er habe von der Stadt „eigentlich noch wenig gesehen“ und sich „meistens in der City bewegt“101; und Carl ließ seine Brüder wissen, dass er in Paris ein „Concerte des deutschen Vereins zum Besten der Schlesier“ besucht habe und vor seiner Abreise „noch eben nach Versailles“102 gehe, da er noch nicht dort gewesen sei. Auch der Dialog mit Fremdem wurde zunehmend gesucht und – damit einhergehend – wurden auch die im geschäftlichen Bereich zunehmend wichtigen Fremdsprachenkenntnisse erweitert. Enttäuscht äußerte sich daher Ludwig Stollwerck 1876, als er auf seiner Reise nach London an einen „Englishmen von rechtem Schrot und Korn“ geriet: „Ich versuchte verschiedenemale, da er auch nach London reiste, ein Gespräch mit ihm anzufangen, da er mir doch etwas über seine native-town hätte erzählen & auch rathen können. Aber es war mit dem Kerl nichts anzufangen, selbst als ich ihm ein Stück Chocolade gab, 98 Siehe Schumacher: Auslandsreisen, S. 78. 99 Siehe Carl Stollwerck an seine Brüder am 14. April 1880, RWWA 208-874-5. Die ursprünglich schottische Firma besaß zudem – in der Form eines Joint Ventures – zusammen mit der Zuckerraffinerie Tangermünde ein Zweigunternehmen in Magdeburg. Siehe Hagen: Deutsche Direktinvestitionen, S. 225. 100 Carl Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 21. Mai 1880, RWWA 208-874-5. Die so gewonnenen Informationen befriedigten in erster Linie die Wissbegierde und brachten nur selten weiterführende technische Informationen. Siehe Schumacher: Auslandsreisen, S. 78 f. 101 Ludwig Stollwerck an Anna Sophia Stollwerck und seine Brüder am 16. Januar 1876, RWWA 208-874-7. 102 Carl Stollwerck an seine Brüder am 12. Januar 1880, RWWA 208-874-5; Carl Stollwerck an einen seiner Brüder, vermutlich Ende März/Anfang April 1880, RWWA 208-874-5.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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wollte er mir nichts, was mir hätte nützlich sein können, verrathen. Ich langweilte mich also entsetzlich.“103
In diesem Kontext erinnern die Auslandsaufenthalte an die adelige Einrichtung der „Grand Tour“, die aber im Bürgertum meist zu einer Art Berufsvorbereitung abgewandelt wurde. Im Anschluss an die Ausbildungsaufenthalte im Ausland kehrten die Gebrüder Stollwerck – wie die meisten designierten Firmenerben – in das väterliche Unternehmen zurück. In dieser Phase der „Kohabitation“104 arbeiteten Vater und Söhne gemeinsam im Unternehmen. Sozialisation, Erziehung und Ausbildung der dritten Stollwerck-Generation Bereits in der Erziehung und Sozialisation der Gebrüder Stollwerck waren Kindheit und Jugend – als Lebensabschnitt eines verlängerten Schulbesuchs, intensiver Ausbildung und Auslandsaufenthalte, durch den zugleich eine Bildungs- und Erfahrungsdifferenz zum Vater entstanden war – voneinander getrennt worden. Auch die Kinder von Franz Stollwerck gestalteten in der Erziehung ihrer Sprösslinge Kindheit und Jugend bzw. Ausbildung als eigenständige Entwicklungsphasen mit besonderen Freiräumen, Rechten, Aufgaben und Erwartungen.105 Die ersten Lebensjahre verbrachten die Kinder in der Familie, wo sie die Verhaltensregeln für das spätere gesellschaftliche Leben erlernten und bürgerliche Wertvorstellungen internalisierten. Sie standen in der Regel unter Aufsicht; erst im Alter von etwa zehn Jahren erhielten sie ein eigenes Kinderzimmer.106 Die Geschenke, die die Kinder zu Geburts- und Namenstagen sowie zu Weihnachten erhielten, zeigen nicht nur, womit sie in ihrer Freizeit spielten, sondern Art und Beschaffenheit des Spielzeugs erlauben zum einen Rückschlüsse auf den finanziellen Spielraum der Familie und spiegeln zum anderen, wie bereits in der Kindheit die geschlechtsspezifische Rollenteilung vermittelt wurde. Die Söhne von Ludwig Stollwerck besaßen u. a. Bilderbücher über Maschinen und sonstige technische Apparate, einen Kaufmannsladen, ein mechanisch betriebenes Glockenspiel und ein Fahrrad. Sie unterschieden sich dabei nicht von anderen Jungen des Bürgertums. Während die Söhne überwiegend Spielsachen erhielten, die mit Aktivität, Technik und dem Kaufmannsstand verbunden waren und sie auf außerhäusliche Verpflichtungen vorbereiteten, widmeten sich die Mädchen neben Handarbeiten vornehmlich ihren Puppen und wurden schon früh mit dem Rollenbild der fürsorglichen Hausfrau und Mutter vertraut gemacht.107 Inwiefern die Eltern z. B. mit einem Kaufmannsladen die beruflichen Wünsche ihrer Söhne in die Bahnen des 103 Ludwig Stollwerck an Anna Sophia Stollwerck und seine Brüder am 16. Januar 1876, RWWA 208-874-7. 104 Den Begriff „Kohabitation“ führte Franz Breuer in die Thematik der Unternehmernachfolge ein. Siehe Breuer: „Kohabitation“. Siehe zudem Kapitel IV.A.1, FN 17. 105 Einen anschaulichen Einblick in die Kindheit der zweiten Generation vermittelt o. A.: Aus der Kinderstube. 106 Siehe ebenda, S. 51, 63, 67. 107 Siehe ebenda, S. 6–11, 54, 74. Siehe auch Held: Familienglück, S. 89–95.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Familienunternehmens lenken wollten, lässt sich nicht belegen. Gesichert ist aber, dass Fritz und Paul früh den Wunsch äußerten, in die Fußstapfen des Vaters treten zu wollen; insbesondere Fritz zeigte „sehr viel Interesse für das Geschäft“ und war „Aug und Ohr“108, wenn sich die Eltern über das Familienunternehmen unterhielten. Neben den rollentypischen Spielsachen förderten die Eltern auch die musischen Fähigkeiten und das kulturelle Interesse der Kinder. Wie ihr Vater lernten Fritz und Paul Klavier, ferner besuchten die Kinder regelmäßig Theateraufführungen.109 Die wichtigste Bezugsperson im Vorschulalter war die Mutter, die für die Erziehung verantwortlich war und den Kindern standesgemäße Normen und Verhaltensweisen vermittelte. In der alltäglichen Versorgung und Beaufsichtigung der Kinder wurde sie von Dienst- und Kindermädchen sowie Erzieherinnen für die gesellschaftliche und schulische Begleitung unterstützt.110 Wie viel Zeit die Mütter in der Familie Stollwerck tatsächlich mit ihren Kindern verbrachten, lässt sich nur fragmentarisch beantworten. Ludwig Stollwercks Ehefrau Maria verbrachte die Mahlzeiten und „den nachmittägigen Kaffeeschmause“111 mit ihren Kindern; das zu Bettbringen, der tägliche Spaziergang und die Pflege bei Kinderkrankheiten oblagen der Kinderfrau; allerdings begleitete Maria ihre Kinder in die Ferien. Zu ihrem Kindermädchen und der Erzieherin hatten die Stollwerck’schen Kinder denn auch ein sehr inniges Verhältnis. Paul wollte sich „sogar später ein großes Haus kaufen und sein Fräulein heiraten“. Ihr erzählte er „seine kleinen Leiden“ und zog sie mit der Bitte „Aber was ich Dir heute erzähle, darfst Du Niemand im Hause wieder sagen“112 oft ins Vertrauen, wenn er sich in der Schule einen Streich erlaubt und eine entsprechende Strafe zu verbüßen hatte. Diese enge Bindung zwischen bürgerlichem Zögling und Kinderfrau oder Erzieherin war im 19. Jahrhundert keineswegs untypisch. Während das Eltern-Kind-Verhältnis häufig von unterdrückten Emotionen, seltenen Körperkontakten und formalisierter Kommunikation geprägt war, gestaltete sich der Kontakt zum Kindermädchen in der Regel vertrauter, herzlicher und spontaner.113 In der Familie Ludwig Stollwerck verstärkte sich die kindliche Zuneigung zu der Erzieherin durch die Tatsache, dass Maria Stollwerck an einer psychischen Erkrankung litt, die mit wiederkehrenden Depressionen einherging. Kur- und Sanatoriumsaufenthalte trennten sie oft für mehrere Wochen von ihren Kindern.114
108 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 33. 109 Siehe ebenda, S. 3, 24, 35, 38. 110 Siehe ebenda, S. 2, 7. Agnes Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 19. Mai 1873, RWWA 208-874-4. Siehe auch Hardach-Pinke: Kinderalltag, S. 171 f. 111 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 32 f. Siehe auch ebenda, S. 53, 59, 61, 67. 112 Ebenda, S. 13. 113 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 297–301. Budde wies aber auch darauf hin, dass sich die Kinder schrittweise aus der emotionalen Bindung an das Kindermädchen lösten und sich der gesellschaftlichen Distanz bewusst wurden. 114 Siehe Gustav Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 20. Juni 1907, RWWA 20855-2; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 28. September 1909, RWWA 208-394-7;
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Die Gebrüder Stollwerck selbst gingen ganz in den Anforderungen auf, die das Familienunternehmen an sie stellte. Sie arbeiteten tagsüber außerhalb der Privatwohnung und waren mitunter mehrere Wochen im Jahr auf Reisen.115 Der Appell, den Heinrich Stollwerck 1873, zu einer Zeit als die drei ältesten Brüder bereits Nachwuchs hatten, an Peter Joseph richtete – man solle „noch einige Jahre mit Glück weiteren Erfolg durch eifrige Arbeit erringen“, um dann um so sorgloser an das denken zu können, „was unserer Erholung, Vergnügen & Gesundheit angenehm sein kann“116 – verdeutlicht, dass die Väter schon realitätsbedingt nur eine periphere Position im Familienleben einnahmen und damit zur Randfigur im Alltag der (früh-)kindlichen Sozialisation und Erziehung wurden.117 Von ihren Frauen wurden sie aber über die wichtigsten Entwicklungen ihrer Kinder informiert. So berichtete Agnes Stollwerck 1873 ihrem Ehemann Peter Joseph über den Erstgeborenen Gustav: „Unser Herz ist entzückend, er hat vorgestern auch den 2ten Zahn bekommen […] und ißt sein Süppchen nach wie vor.“118 Wie sehr die Väter auch von ihren Kindern primär als Berufsmenschen wahrgenommen wurden, zeigt eine Szene aus der Familie Ludwig Stollwerck Mitte der 1890er Jahre: „So klagte einstmals Maria über Zahnschmerzen und sie sollte zum Zahnarzt gehen. Die Frage nun, wer sollte Maria begleiten? Frau Stollwerck meinte, Papa sollte seinen kleinen Vorzug zum Arzte bringen, weil er dergl. Gänge sehr selten thue; und Herr Stollwerck meinte es sollte die Mama mitgehen, weil er so wenig Zeit habe. Maria stand stillschweigend dabei. Nun sollte Maria entscheiden. Ihr Väterlein fragte nun Maria: ‚Wer soll dich begleiten?‘ Die Antwort: ‚Das Mütterlein, du willst ja nichts für dein Kind thun.‘“119
Die retrospektive Ansicht von Ludwigs ältestem Sohn Fritz, der 1925 den frühen Tod seines Vaters beklagte und sich sicher war, dass er noch am Leben sein würde, hätte er sich geschäftlich „ruhiger verhalten“, weist in eine ähnliche Richtung. Auch Heinrichs Tochter Anna Sophia erinnerte sich an ihren Vater als ein „Vor-
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Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 9. März 1910, RWWA 208-71-2. Siehe auch Kapitel III.B.2. So weilte Ludwig Stollwerck z. B. 1900, 1902 und 1903 jeweils mehrere Wochen in Amerika. Sein jüngster Sohn Karl Maria war zu diesem Zeitpunkt gerade drei bzw. sechs Jahre alt. Siehe Ludwig Stollwerck: Bericht über die Verhandlungen mit Albert Nikolaus Stollwerck (II), 1903, RWWA 208-159-4. Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-875-2. Siehe Trepp: Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit, S. 321; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 153 ff.; Schütze: Mutterliebe – Vaterliebe; Augustine: Patricians & Parvenus, S. 91–103. Agnes Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 19. Mai 1873, RWWA 208-874-4. Basierend auf den Idealen eines auf Intimität, Emotionalität und gegenseitige Zuwendung ausgerichteten Ehe- und Familienlebens wurde es seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zu einer neuen bürgerlichen (und insbesondere weiblichen) Verhaltensweise, wichtige Etappen im Leben der Kinder schriftlich festzuhalten, sich mit anderen über ihre Erziehung auszutauschen und schriftliche Ratgeber hinzuzuziehen. Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 171. O. A.: Aus der Kinderstube, S. 42.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
bild nie endender Pflichterfüllung“120. Die Gebrüder Stollwerck waren jedoch nicht so in ihrer Arbeit gefangen, dass sie nicht selbstreflexiv und in gewisser Hinsicht auch selbstinszenierend erkannt hätten, wie sehr sie ihr Leben an einem „kategorische[n] Imperativ der Pflicht“121 ausrichteten. So bedauerte Carl 1912, dass man sich auf Geschäftsreisen nicht einmal etwas Zeit für private Besuche und Vergnügen nehmen, sondern nach Erledigung der Pflicht sofort wieder auf den Rückweg nach Köln machen würde. Die eigenen Kinder wurden erst mit Beginn der Schul- bzw. Ausbildungsjahre zum Objekt verstärkter väterlicher Aufmerksamkeit und Fürsorge. Dabei galt das Interesse überwiegend den Söhnen. Insbesondere ihre Ausbildung und Berufswahl sowie die Entscheidung über eine mögliche Position im Unternehmen fielen in den väterlichen Zuständigkeitsbereich. Sie nahmen Anteil an den schulischen und beruflichen Leistungen ihrer Söhne, unterstützten und motivierten sie, kontrollierten aber auch ihre Fortschritte und ermahnten sie bzw. bauten einen gewissen Erwartungsdruck auf. Die Töchter und ihre persönliche Lebenssituation rückten in der Regel nur bei Krankheiten, Hochzeiten und Geburten in den Vordergrund.122 Wie sehr sich die Väter um die Erziehung und Ausbildung ihrer Söhne bemühten, lässt sich an einem Briefwechsel illustrieren, den Ludwig Stollwerck mit seinem Sohn Paul seit dessen Ausbildungsaufenthalt in der amerikanischen Zweigfabrik des Familienunternehmens führte. So wünschte sich Ludwig regelmäßige Berichte seines Sohnes und zeigte sich enttäuscht, als diese ausblieben: „Ueber Deine Tätigkeit dort giebst Du mir leider immer sehr kurze und unvollständige Nachrichten. Willst Du mir denn nicht glauben, dass ich mit grösstem Interesse Alles verfolge was Deine dortige Tätigkeit angeht? Weshalb willst Du Deinem Vater nicht nur Gelegenheit geben dieses Interesse zu befriedigen sondern Dir eventl. auch Ratschläge weiter zu geben?“123
Die Kritik des Vaters spiegelt nicht nur das Bedürfnis, den Sprössling zu kontrollieren, sondern zweifellos auch den Wunsch, Näheres über den Alltag, die Freuden, Sorgen und Gefühle des Sohnes zu erfahren, ihm der „beste Freund“124 und nicht nur in den richtungsweisenden Momenten seines Lebens gefragt zu sein. Ludwig Stollwerck fühlte sich seinem Sohn emotional verbunden und sah sich in der Pflicht, ihn durch Ratschläge vernünftig zu erziehen. Zugleich deutet dieses 120 Fritz Stollwerck an Alexander Rußbacher am 28. Juli 1925, RWWA 208-53-1; SulkowskaStollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 37. 121 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Juni 1912, RWWA 208-59-2. 122 So schrieb Ludwig Stollwerck 1910 seinem Bruder Carl über eine fünf Wochen andauernde Krankheit seiner Tochter Maria (1889–1922). Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 5. April 1910, RWWA 208-162-4. 1919 berichtete er seinem Freund Theodor Bergmann über seine Tochter Luise (1893–1959) (genannt „Vita“), die zum dritten Mal Mutter geworden sei und ihm das fünfte Enkelkind beschert habe. Siehe Ludwig Stollwerck an Theodor Bergmann am 29. April 1919, RWWA 208-214-4. Zwei Jahre später rückte Luise anlässlich einer erneuten Schwangerschaft wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Sie werde in den nächsten Tagen „das zweite halbe Dutzend neu beginnen“, berichtete Ludwig Stollwerck voller Stolz. Ludwig Stollwerck an August Schilling am 17. Oktober 1921, RWWA 208-168-2. 123 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 10. Juli 1908, RWWA 208-302-7. 124 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Dezember 1908, RWWA 208-211-5.
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Zitat aber auch auf eine gewisse, in der Literatur konstatierte und zu dieser Zeit nicht unübliche Distanz zwischen den Stollwerck’schen Vätern und ihren Kindern hin. Der Gegensatz zwischen dem Ideal eines Familienlebens, das auf zeitintensiver gegenseitiger Zuwendung, Intimität und Emotionalität basierte, auf der einen und dem Anforderungsprofil des am Beruf orientierten Mannes auf der anderen Seite führte dazu, dass die Väter in den ersten anderthalb Lebensjahrzehnten in der Welt ihrer Söhne nur Randfiguren waren. Väter und Kinder wussten häufig nur wenig voneinander und auf beiden Seiten bestanden gewisse Berührungsängste und eine Distanz, die sich auch in späteren Jahren nicht verlor.125 In der Erziehung ihrer Söhne dienten den Gebrüdern Stollwerck – wie schon ihrem Vater – bürgerliche Werte als Richtlinien, die die Kinder nicht nur akzeptieren und internalisieren, sondern auch bewahren, verwirklichen und gestalten sollten. Im Zentrum stand die bestmögliche Ausbildung der Söhne, die vor dem Hintergrund steigender Wissens- und Kompetenzanforderungen und der Ausdifferenzierung beruflicher Tätigkeitsfelder an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert immer wichtiger wurde.126 Die Bildungswege der männlichen StollwerckNachfahren lassen sich bis zum Alter von 16 Jahren weitgehend verallgemeinern: Anfangs wurden die Kinder zu Hause von einer Erzieherin unterrichtet, auf die Elementarbildung in der Volksschule folgte der Besuch einer weiterführenden Bildungseinrichtung, wobei – wie bei ihren Vätern – die Erlangung des für den Einjährig-Freiwilligen Militärdienstes notwendigen Schulabschlusses eine wichtige Rolle spielte, damit die Söhne möglichst früh in das väterliche Geschäft eintreten konnten. Im Unterschied zu ihren Vätern und Onkeln besuchten sie bis zum Examen überwiegend Kölner Realschulen und Gymnasien – Richard und Karl Maria das Realgymnasium in der Kreuzgasse,127 Gustav das 1868 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gymnasium; auch Walter absolvierte ein Gymnasium.128 Paul 125 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 155; Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 173. 126 Die Quellen zur schulischen Ausbildung der Söhne bieten nicht in allen Fällen umfassende Informationen. Überwiegend sind nur kurze biographische Datensammlungen überliefert, ergänzende Informationen konnten vereinzelt aus Briefen herausgefiltert werden; für Albert Nikolaus (II) und Fritz Stollwerck waren den überlieferten Quellen keinerlei Hinweise auf ihre schulische Ausbildung zu entnehmen. 127 Nur Karl Maria Stollwerck verbrachte aus gesundheitlichen Gründen zunächst einige Zeit in einem Schweizer Pensionat, bevor er auf das Kölner Realgymnasium wechselte. Siehe Ludwig Stollwerck an H. Lietz am 23. Dezember 1912, RWWA 208-60-3. Siehe auch Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 133. Das Realgymnasium in der Kreuzgasse ging aus der 1828 gegründeten ersten städtischen höheren Schule hervor. 1859 erhielt die Schule den Charakter einer Realschule erster Ordnung zugesprochen, 1886 wurde sie zum Realgymnasium und schließlich 1895 wurde die Schule zu einer Doppelanstalt, d. h. es wurden ein Gymnasium und ein Realgymnasium mit gemeinsamem Unterbau nebeneinander geführt. Siehe o. A.: Städtisches Gymnasium und Realgymnasium. S. 17, 19, 21. 128 Gustav Stollwerck besuchte von 1878 bis 1880 die Kölner Bezirks-Schule der Antoniter, anschließend das Kaiser Wilhelm-Gymnasium zu Köln. Siehe die in RWWA 208-320-2 überlieferten Zeugnisse; Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-4. Zur Geschichte des Kölner Gymnasiums siehe Rosenboom: Das Kaiser-WilhelmGymnasium; Scharmitzel: Das Staatliche Kaiser-Wilhelm-Gymnasium.
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besuchte zunächst ein Wiesbadener Gymnasium und wechselte dann auf die Schule in der Kreuzgasse.129 Einzig Heinrich Victor und Franz (II) wohnten nach dem Besuch der Vorschule in Köln in einem Pensionat in Oberkassel.130 Der Unterrichtsschwerpunkt auf dem Realgymnasium lag auf den modernen Fremdsprachen und den Naturwissenschaften131 und kam damit den Anforderungen an einen zukünftigen Unternehmer deutlich näher als der Lehrplan auf dem Gymnasium. Denn seit die Gebrüder Stollwerck ihre Geschäfte seit Ende des 19. Jahrhunderts in Europa und nach Übersee ausweiteten, wurde es immer wichtiger, dass die Söhne moderne Fremdsprachen erlernten, die ihnen Auslandsaufenthalte und die internationale Arbeit erleichterten; Englisch und Französisch waren hier die Minimalanforderungen.132 Nachdem sie die angestrebte EinjährigenBerechtigung erlangt hatten, verließen die Stollwerck’schen Söhne die Schule, mit Ausnahme von Walter und Richard, die die Reifeprüfung ablegten.133 Die Angaben zu der pädagogischen Ausbildung der Stollwerck-Söhne werden durch bisherige Forschungen zu den schulischen Bildungswegen deutscher Unternehmenserben bestätigt. Besaßen von den frühindustriellen Gründern viele – so auch Franz Stollwerck – nur einen einfachen Schulabschluss und hatten eine praktische Ausbildung mit handwerklichem Hintergrund absolviert, zwang die technische und organisatorische Entwicklung der Industrie die Unternehmer mehr und mehr dazu, ihre Nachfolger besser auszubilden. Vor diesem Hintergrund erhöhte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Zahl derjenigen Unternehmersöhne, die das Reifezeugnis erwarben und studierten. Hatten die fünf Gebrüder Stollwerck spätestens mit der Berechtigung für den verkürzten Militärdienst die Schule verlassen, machten von ihren neun Nachfolgern bereits zwei das Abitur und nahmen anschließend ein Hochschulstudium auf.134 Für einen erfolgreichen Schulabschluss und die weitere Ausbildung spielten freilich zunehmend auch in der Familie erworbene kulturelle Kompetenzen und Verhaltensstrategien eine wichtige Rolle. Sie verschafften bürgerlichen Sprösslingen einen Startvorsprung gegenüber Gleichaltrigen aus anderen Milieus. Unterschiedlich und vielfältig waren an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Möglichkeiten, die sich angehenden Unternehmenserben für ihre berufliche Aus- und Fortbildung im Anschluss an den Schulbesuch boten. Analog zu dem bereits seit längerem etablierten technischen Ausbildungssystem entwickelte sich vor dem Hintergrund zunehmender Spezialisierung, der Professionalisierung der Buchhaltung und wachsender Exportmärkte gegen Ende des 19. Jahrhunderts 129 Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Haas am 31. Juli 1903, RWWA 208-227-2; Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 11. August 1908, RWWA 208-302-7. 130 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 131 Siehe Lieck/Kelmes: Zur Geschichte des Gymnasiums Kreuzgasse, S. 14. 132 In Ergänzung zu Budde (Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 117), die lediglich die Bedeutung von Fremdsprachen für „künftige Gesellschaftsauftritte“ nennt. 133 Als Beleg für die Reifeprüfung von Walter mag ausreichen, dass er später zum Dr. phil. promoviert wurde. Richard gehörte zum Abiturjahrgang 1907/08 des Realgymnasiums in der Kreuzgasse. Siehe o. A.: Städtisches Gymnasium und Realgymnasium, S. 190. 134 Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 109 f.
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auch ein differenziertes kaufmännisches Bildungssystem. Gewerbe- und Handelsschulen bereiteten die designierten Unternehmensleiter auf ihre künftige Tätigkeit vor. Aber auch traditionelle Formen der Weitergabe von (väterlichem) handwerklichem Rüstzeug und/oder kaufmännischem Wissen spielten weiterhin eine große Rolle.135 Ludwig Stollwerck befürwortete für die Fachausbildung der zur Nachfolge vorgesehenen Söhne ein „sowohl als auch“ und beschrieb es als „die beste Handhabe“136, sie nicht nur praxisnah im Familienunternehmen zu schulen, sondern diese Lehrzeit mit dem Besuch von Vorlesungen auf Handelshochschulen oder Technischen Hochschulen zu verbinden. Dieser geschäftliche Sozialisationsprozess lässt sich am besten für Ludwig Stollwercks ältesten Sohn Fritz rekonstruieren. Der grobe Verlauf seiner fachlichen Ausbildung steht stellvertretend für den Großteil seiner Brüder und Vettern, deren Werdegänge Ähnlichkeiten aufweisen. Seine älteren Cousins Gustav, Albert Nikolaus (II), Heinrich Victor und Franz (II) waren – wie ihre Väter und Onkel in der Vorgängergeneration – mit 16 Jahren als Lehrlinge in die Fabrik eingetreten und hatten zunächst eine dreijährige praxisnahe Ausbildung im Familienunternehmen absolviert, bevor sie ihren Militärdienst ableisteten und ihre fachbezogenen Kenntnisse außerhalb des Familienunternehmens erweiterten.137 Da er längere Zeit erkrankt war und dadurch in der Schule die Versetzung verfehlt hatte, war Fritz bereits 19, als er seine Lehre begann. Nachdem er das Einjährigen-Examen bestanden hatte, wurde er zunächst einige Wochen auf einer Kölner Handelsschule unterrichtet, um ihm „einen allgemeinen Begriff der Kaufmannschaft“138 zu verschaffen und ihn auf die Ausbildung vorzubereiten, die sowohl im kaufmännischen als auch im technischen Bereich erfolgte. Im Unterschied zu seinem Vater, den Onkeln und seinen Vettern absolvierte er allerdings die erste Station seiner Lehre nicht in der Kölner Fabrik, sondern war zunächst gut zwei Jahre als Lehrling in einem Bremer Tabak-Import-Geschäft beschäftigt, wo er in die Abläufe eines Großhandelsunternehmens, das Versicherungs-, Bank- und Kommissionswesen eingeführt wurde.139 Zwar öffneten ihm geschäftliche Kontakte seines Vaters die Tür zu dieser Anstellung,140 eine bevorzugte Behandlung seines Sohnes lehnte Ludwig Stollwerck allerdings ausdrücklich ab. Er solle sich „vom gewöhnlichsten Lehrling an selbst heraufarbeiten“141 – nicht seine Herkunft und der Na135 Siehe Pierenkemper: Arbeitsmarkt und Angestellte, S. 96–119; Scholl: Ingenieure in der Frühindustrialisierung, S. 52–64, 92–101, 128–150. 136 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 9. Mai 1908, RWWA 208-302-7. 137 Siehe Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. März 1905, RWWA 208227-3; Befähigungsnachweis für Albert Nikolaus Stollwerck (II) vom 30. November 1895, RWWA 208-411-9. 138 Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 25. September 1902, RWWA 208-159-4. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. September 1902, RWWA 208-159-4. 139 Siehe Ludwig Stollwerck an Clarence Bartholomew am 2. Oktober 1906, RWWA 208-246-6. 140 Siehe Ludwig Stollwerck an August Schilling am 27. September 1902, RWWA 208-256-6; Ludwig Stollwerck an Herrn Dederich am 7. Oktober 1902, RWWA 208-291-6. 141 Ludwig Stollwerck an August Schilling am 27. September 1902, RWWA 208-256-6.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
me seiner Familie sollten ihm Erfolg und Akzeptanz sichern, sondern Fritz sollte den „unteren Weg“ gehen und lernen, sich anzupassen. Er wurde wie seine Brüder und Cousins dazu angehalten, sich auf Fleiß und die eigene Leistung zu besinnen. Im Anschluss an die Zeit in Bremen setzte er seine Ausbildung im väterlichen Unternehmen fort, wo er zunächst drei Monate in die Fabrikation eingeführt wurde, um sich ein Urteil über die Qualität eines Produkts bilden zu können.142 Daran anschließend arbeitete er ein Vierteljahr im Büro, wo er in das kaufmännische Rechnungswesen eingeführt wurde, denn – so Ludwig Stollwerck – jeder junge Mann müsse „etwas von Soll und Haben, von Gewinn und Verlust wissen […], wenn er einen Geschäftszweig ergreift“ und sich bewusst sein, „dass immer die Unkosten geringer wie der Brutto-Verdienst sein muss“143. Wie in der Vorgängergeneration schlossen sich an die kaufmännische und technische Ausbildung einige Wochen an, in denen sich Fritz als Handlungsreisender praktische Kenntnisse im Verkauf aneignete, bevor er seinen Militärdienst ableistete. Im Anschluss setzte er seine Ausbildung im Ausland fort. Auch hier bestanden entsprechende Netzwerke: Wie bereits seine Vettern Gustav und Heinrich Victor verdankte es Fritz den geschäftlichen und freundschaftlichen Verbindungen seines Vaters zu Gilbert Bartholomew und William Hesketh Lever, dass er in deren Unternehmen in London und Port Sunlight tätig werden, seine kaufmännischen Kenntnisse verbessern und seinen Horizont erweitern konnte.144 Durch Vermittlung seines Onkels Carl konnte er zudem 1909 mehrere Monate geschäftliche Erfahrungen in Paris sammeln.145 Auch Franz (II) profitierte von den geschäftlichen Verbindungen seiner Familie und hospitierte u. a. bei dem Kakao- und Schokoladenhersteller Cadbury in England und dem Süßwarenfabrikanten Henry Heide (1846–1931) in den USA;146 sein älterer Bruder Albert Nikolaus (II) arbeitete u. a. bei den Eisenwerken Gaggenau bzw. Bergmanns Industriewerke GmbH. Die Gebrüder Stollwerck waren an der Badener Unternehmung finanziell beteiligt und bezogen von dort u. a. Emaille-Schilder für die Reklame; Ludwig Stollwerk war zudem mit Theodor Bergmann (1850–1931), dem Inhaber der Eisenwerke, befreundet.147 Umgekehrt gab freilich auch die Familie Stollwerck den Söhnen befreundeter Unternehmerfamilien die Möglichkeit, die Stollwerck’schen Betriebsverhältnisse kennenzulernen – 142 Dabei sollte er keinesfalls umfassend in allen Details des Fabrikwesens ausgebildet werden, sondern ein Verständnis für die Fabrikation entwickeln, „um Kalkulationen anstellen zu können und entsprechend die Offerten der Konkurrenz durch Kalkulationen prüfen und würdigen zu können“. Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 9. Mai 1908, RWWA 208-302-7. 143 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. Februar 1905, RWWA 208205-6. 144 Siehe Ludwig Stollwerck an Clarence Bartholomew am 2. Oktober 1906, RWWA 208-246-6; H. Tillokon an Ludwig Stollwerck am 23. Dezember 1907, RWWA 208-44-4. 145 Siehe Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 1. Dezember 1908, RWWA 208-302-7. 146 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Henry Heide stammte aus dem westfälischen Obermarsberg, wanderte 1866 nach New York aus und gründete dort 1869 die Henry Heide Candy Company. 147 Siehe Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. März 1905, RWWA 208227-3; Ludwig Stollwerck an Carl Scheibler am 11. Februar 1903, RWWA 208-263-5; Echle: Theodor Bergmann.
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so hospitierte u. a. Theodor Bergmanns Sohn Emil im Kölner StollwerckKontor.148 Diese wechselseitigen Arrangements dienten nicht nur der anspruchsvollen und gezielten Schulung potenzieller Nachfolger, sondern förderten auch die generationenübergreifende Verbundenheit und Zusammenarbeit der involvierten Unternehmen. Wie selbstverständlich spielten in der Ausbildung der Söhne auch die Wesenseinheit von Familie und Unternehmen und die zeitweise Zurückstellung persönlicher Ansprüche eine Rolle. Beides wurde ihnen von den Gebrüdern Stollwerck vorgelebt, vor allem aber durch wiederkehrende Narrative eingeprägt. Ludwig Stollwerck beispielsweise reiste im Interesse des Familienunternehmens am Heiligen Abend 1908 nach New York und verbrachte Weihnachten und Neujahr getrennt von seiner Familie, um Verluste im amerikanischen Geschäft zu verhindern, denn „den Schaden werden alle Familienmitglieder an ihrem Leibe verspüren, denn die Dividenden des guten Geschäftes in Cöln werden geschmälert, & wir werden uns alle sehr einschränken müssen“149. Das Wohlergehen der Familie und die Prosperität des Unternehmens wurden den Nachfolgern so als zwei voneinander abhängige Größen vermittelt. Zugleich konstruierten die Gebrüder Stollwerck auf diese Weise freilich auch ein idealisiertes Selbstbild, das sie als Akteure erscheinen ließ, die nicht nur ihre Geschäftsführung, sondern ihre gesamte Lebensgestaltung sinnvoll und zweckmäßig auf den Erhalt des Familienunternehmens ausrichteten. Große Bedeutung maßen die Gebrüder auch einem regelmäßigen und kontinuierlichen Austausch mit ihren im Geschäft tätigen Söhnen und Neffen bei. Der Feierabend sollte dazu genutzt werden, sich außerhalb der Büro- und Fabrikräume über geschäftliche Belange zu unterhalten, um so das Interesse am Unternehmen wach zu halten, die Nachfolger erfolgreich auf ihren Beruf vorzubereiten und ihre kommunikative Kompetenz zu schulen.150 Anspruch und Wirklichkeit klafften jedoch mitunter auseinander. So kritisierte Walter Stollwerck 1906, dass man für die Söhne und fremde Volontäre zwar einen „zweckmässige[n] Lehrgang“ eingerichtet und nur die guten Meister mit der Ausbildung betraut habe, doch würde sich „von oben […] wenig um die Volontäre im einzelnen“151 gekümmert. Bei ihm habe dies zu dem Eindruck geführt, dass die Brüder seines Vaters an ihm und seinem Fortkommen nicht wirklich interessiert seien. Ludwig Stollwercks Sohn Paul hatte nach Abschluss der Untersekunda darauf gedrängt, die Lehrjahre bei seinem älteren Cousin Albert Nikolaus (II) in der amerikanischen Zweigfabrik absolvieren zu dürfen, und war, nachdem er in Köln drei Monate kaufmännisch ausgebildet worden war und im unternehmenseigenen Labor seine chemischen Kenntnisse vertieft hatte, bereits im Alter von 19 Jahren nach Amerika gereist. Auch er be148 Siehe Ludwig Stollwerck an Emil Bergmann am 8. Februar 1905, RWWA 208-214-2. Siehe zu diesem Aspekt auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 181 f. 149 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 17. Januar 1909, RWWA 208-426-1. Zu den Auseinandersetzungen mit Albert Nikolaus Stollwerck (II) siehe ausführlich Kapitel IV.A.2. 150 Siehe Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 2. September 1905, RWWA 208-243-7. 151 Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-4.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
klagte sich, dass Albert Nikolaus (II) kaum Zeit für ihn habe, nur wenig Interesse an seiner Ausbildung zeige und ihn wochenlang die gleiche monotone Arbeit ausführen lasse.152 Das starke Festhalten an einer praxisnahen Ausbildung der Nachfolger ist insofern bemerkenswert, als bereits Ende des 19. Jahrhunderts auch im Wirtschaftsbürgertum die Bedeutung akademischer Bildung für die berufliche Laufbahn und die Herausbildung eines großbürgerlichen Habitus wuchs.153 Ein Universitätsstudium betrachtete Ludwig Stollwerck allerdings noch 1908 für eine unternehmerische Tätigkeit als nicht relevant. Wie seine Brüder Heinrich und Carl lehnte er den Plan seines Neffen Richard ab, vor dem Eintritt in das Familienunternehmen zunächst drei bis vier Jahre Jura zu studieren. Für den Kaufmann sei seiner Ansicht nach die Handelshochschule geschaffen worden, auf der sich Richard die gewünschten juristischen Kenntnisse erwerben könne. Ein Studium bzw. die Entwicklung von Individualität und Autonomie befürworteten die Gebrüder nur für diejenigen Söhne, denen zwar der Eintritt in das Familienunternehmen nicht verwehrt werden sollte, die aber nicht direkt für die Nachfolge vorgesehen waren. So hatte Ludwig Stollwerck für seinen zweiten Sohn Paul ursprünglich das Abitur als Schulabschluss vorgesehen, damit er dann „frei nach seinem eignen Schaffensdrang, nach seiner eignen Lust und Liebe einen Beruf ergreifen könne“. Zwar wäre es ihm „am liebsten“, würde auch sein jüngerer Sprössling in die väterlichen Fußstapfen treten, aber er wolle seinem Jungen „keine Fesseln anlegen“154, ihm vielmehr eine gute wissenschaftliche Ausbildung geben. Paul solle dann selbst wählen, ob er Architekt oder Ingenieur werden, eine Regierungskarriere einschlagen oder ins Familienunternehmen eintreten wolle – also durch Einsicht handeln, sich auf seine Fähigkeiten und Interessen besinnen und lernen, eigene Entscheidungen zu treffen. Ob der Wunsch von Paul, nicht die Reifeprüfung abzulegen, sondern eine Lehre im amerikanischen Zweigunternehmen zu beginnen, auf seine schlechten schulischen Leistungen zurückzuführen ist – so die Begründung von Albert Nikolaus (II) – oder darauf, dass ihn der Cousin dazu überredete, eine praktische Tätigkeit dem Studium vorzuziehen – so die Behauptung von Ludwig –, lässt sich heute nicht mehr zweifelsfrei entscheiden.155 Ludwig Stollwerck gab schließlich „schweren Herzens“156 dem Anliegen seines Sohnes nach und ließ ihn allein nach New York reisen. Die Perspektiven von Ludwig und Albert Nikolaus (II) spiegeln das unterschiedliche Verhältnis zu Paul. Albert Nikolaus (II) selbst hatte kein Abi152 Siehe Paul Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 6. Juli 1908, RWWA 208-302-7; Paul Stollwerck an Theodor Herx am 6. Juli 1908, RWWA 208-302-7. 153 Siehe Kaelble/Spode: Sozialstruktur und Lebensweisen, S. 162 ff. 154 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 4. September 1908, RWWA 208-302-7; Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 9. November 1903, RWWA 208-159-5. 155 Siehe Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 21. August 1908, RWWA 208-302-7; Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 4. September 1908, RWWA 208-302-7. 156 Ebenda.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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tur gemacht, sondern als 16jähriger seine Lehre im Familienunternehmen begonnen. Hätte Paul die Reifeprüfung abgelegt, möglicherweise noch ein Studium abgeschlossen, wäre er damit deutlich höher qualifiziert gewesen als er und hätte bessere Chancen auf strategisch wichtige Positionen im Familienunternehmen gehabt. Indem er den Fokus auf die schlechten schulischen Leistungen des Vetters lenkte und Paul ermunterte, ebenfalls eine Ausbildung zu beginnen, minimierte er die innerfamiliäre Konkurrenz. Ludwig Stollwerck hingegen strebte eine möglichst gute Ausbildung für seinen Sohn und einen hochqualifizierten Nachfolger für die Leitung des Familienunternehmens an. Aus seiner Argumentation spricht daher vor allem der väterliche Protektionismus. Schlechte schulische Leistungen seines Sohnes wollte er gegenüber dem Neffen nicht eingestehen und verlegte sich daher darauf, Albert Nikolausʼ (II) Überredungskünste für die Entscheidung seines Sohnes, nicht studieren zu wollen, verantwortlich zu machen. Auch Peter Joseph Stollwerck äußerte in seinem 1895 verfassten Testament den Wunsch, dass sein Sohn Walter das Abitur machen und Jura studieren solle, um Rechtsanwalt zu werden oder – sofern es die Unternehmensentwicklung zulasse und er Interesse daran habe – wie sein älterer Bruder Gustav als Teilhaber in die Firma einzutreten. Bei der Berufswahl seines jüngsten Sprösslings Richard wünschte er „Neigung und Verlangen gleichmäßig berücksichtigt zu sehen“157. Für das Geschäft solle er nur dann ausgebildet werden, wenn der älteste Sohn Gustav sich nicht verheiraten oder keinen männlichen Nachkommen haben sollte. Ältere Brüder und Cousins zu haben, bedeutete demnach für die jüngsten Nachkommen ein gewisses Maß an Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit über ihre eigene Zukunft. Sie konnten sich gegen das väterliche Unternehmen entscheiden, ohne seinen Fortbestand unmittelbar zu gefährden. Richard setzte diese Freiheit auch in die Tat um und studierte in Straßburg Jura.158 Walter absolvierte, nachdem er zunächst ein halbes Jahr in der Stollwerck’schen Fabrik gearbeitet hatte, ebenfalls ein Hochschulstudium. Er studierte erst an einer technischen Hochschule, wandte sich dann der Nationalökonomie zu und schloss seine akademische Ausbildung schließlich 1907 mit der Promotion zum Dr. phil. ab. In seiner Arbeit setzte er sich quantifizierend mit dem Kakao und der Schokoladenindustrie auseinander.159 Seine Studienwahl orientierte sich dabei – das verdeutlichen der Titel seiner Dissertation und die anfängliche Wahl eines technischen Studiums – durchaus an den Bedürfnissen des Familienunternehmens. Wenngleich Richard und Walter nicht unmittelbar für die Unternehmernachfolge vorge157 Siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. Diese „Richtschnur“ war freilich nicht rechtsgültig. Siehe auch Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-4. 158 Siehe Ludwig Stollwerck an Fritz Stollwerck am 21. März 1917, RWWA 208-217-5; Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 9. Mai 1908, RWWA 208-302-7. 159 Siehe Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-5; Stollwerck: Der Kakao und die Schokoladenindustrie. Der Wahl des Studiengangs stimmte auch sein Vater zu, der die dort vermittelten Kenntnisse für „sehr wichtig“ und „aussichtsreich“ hielt. Peter Joseph Stollwerck an J. W. Hillens am 4. Januar 1904, RWWA 208-216-6.
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sehen waren, fügten sie sich mit ihrer Hochschulausbildung in die erwähnten längerfristigen sozialhistorischen Trends, die den beruflichen Werdegang von Unternehmersöhnen prägten. Abitur und akademische Ausbildung wurden zunehmend aufgewertet und höher eingeschätzt – die handwerkliche bzw. praxisnahe Nachfolgerqualifikation verlor im Vergleich an Bedeutung. Für die gründliche Erziehung sowie die schulische und berufliche Ausbildung, die sie ihren Söhnen zuteilwerden ließen, erwarteten die Eltern eine „Gegenleistung“. So früh wie möglich sollten die Kinder das bürgerliche Leistungsethos akzeptieren, internalisieren und – auf in der Regel geschlechtsspezifischen Gebieten – unter Beweis stellen. Der Wert der Leistung begegnete ihnen zunächst nur abstrakt – in Form von Erzählungen oder kleinen Pflichten im Haushalt sowie in der Person ihrer Väter. Letztere lebten ihnen vor, dass Arbeit und Leistung nicht nur dem materiellen Erwerb, sondern auch individueller Erfüllung dienen konnten und bemühten sich, ihren Kindern Leidenschaft und Leistungsstärke zu vermitteln. Mit konkreten Erwartungen wurde „Leistung“ dann erstmals während der Schulzeit verknüpft, die aus Arbeit und Lernen, Disziplin und Gehorsam bestand.160 Die Hinweise aus den Quellen verdichten sich zusammenfassend zu dem Eindruck, dass zumindest die Söhne von Peter Joseph und Ludwig Stollwerck eher durchschnittliche Schüler waren, bisweilen sogar mit Versetzungsproblemen zu kämpfen hatten. Von Walter ist überliefert, dass ihm z. B. das Erlernen von Fremdsprachen nicht lag, wohingegen ihm die naturwissenschaftlichen Fächer sehr leicht fielen und er – wie sein Bruder Richard ein ausgezeichneter Geräteturner war.161 Gustav, der älteste Sohn von Peter Joseph, war anfangs ein fleißiger Schüler, doch zwischen 1879 und 1884 ließen Ehrgeiz und Aufmerksamkeit nach und seine Leistungen verschlechterten sich kontinuierlich. So wurde er zwar für „fähig“ befunden, in die Quarta aufzusteigen, allerdings nur unter der Bedingung, seine Lücken im Französischen und im Rechnen zu schließen.162 Auch Richard Stollwerck wurden anfangs Fleiß und Aufmerksamkeit bescheinigt. Mit Beginn der Quinta hingegen wurden seine Leistungen überwiegend nur noch mit „genügend“ bewertet; im April 1901 wurde ihm die Auflage gemacht, seine Kenntnisse im Lateinischen zu verbessern, anderenfalls könne er nicht in die Tertia aufsteigen.163 Ludwigs Sohn Paul fiel zu Beginn seiner Schulzeit „das Stillsitzen […] recht schwer […] und manches Mal hat er dafür in der Ecke stehen müssen“, und auch mit seinem älteren Bruder Fritz wollte es in der Schule oft „gar nicht […] gehen“164. Die Eltern ahndeten schlechte Noten mit einem „ernsten Verweis“165 und dem Entzug von Taschengeld. Allerdings wurden den Söhnen für ein tadelloses Verhalten auch Anreize geboten. So wollte Ludwig Stollwerck seinen Sohn Fritz mit auf eine Geschäftsreise 160 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 118. 161 Siehe Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-4; Schulzeugnisse für Richard Stollwerck in RWWA 208-320-2. 162 Siehe die Schulzeugnisse für Gustav Stollwerck in RWWA 208-320-2. 163 Siehe die Schulzeugnisse für Richard Stollwerck in RWWA 208-320-2. 164 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 12, 24. 165 Ebenda, S. 3.
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in die USA nehmen, wenn er ein gutes Zeugnis nach Hause bringe. Diese Reise sollte aber nicht nur eine Belohnung sein, sondern Ludwig Stollwerck verfolgte damit auch das pädagogische Ziel, seinem Sprössling „zu zeigen, wie man im ganzen geschäftlichen Leben […] sich ordentlich anstrengen muss, um später im Leben auch selbst als Mann etwas leisten zu können“166. Umgekehrt drohten auch Sanktionen bei Faulheit und der Missachtung elterlicher Regeln. Ludwig Stollwerck und seine Frau erzogen ihre Kinder streng, bestraften Fehlverhalten und mangelnde Leistungsbereitschaft. So erhielt Fritz am Ende seines zweiten Schuljahres einen „ernsten Verweis und keine drei Mark in die Sparbüchse“167, weil er in Religion nur die Note mangelhaft vorzuweisen hatte. 1894 durfte er die Familie als Strafe für sein schlechtes Zeugnis nicht in die Sommerferien zu den Großeltern in die Eifel begleiten, sondern musste daheim Nachhilfestunden absolvieren; an den Wochenenden jedoch wurde er „begnadigt“ und durfte zu seinen Geschwistern fahren. Mitunter wurde den Söhnen auch angedroht, sie in ein Pensionat zu geben. Körperlich gezüchtigt wurden die Kinder nur dann, wenn mildere Sanktionen wie der Entzug des Spielzeugs oder der Nachspeise und schriftliche Strafarbeiten nicht mehr wirkten.168 Ludwig Stollwerck galt zwar als „strenge[r] Papa“, aber doch als zu „weichherzig“, seine Kinder zu schlagen; auf eine Strafpredigt ließ er in der Regel einen „versöhnenden Kuß“169 folgen. Er verkörperte damit den Typus eines strengen und von den Kindern gefürchteten, zugleich aber doch gütigen und liebenden bürgerlichen Vaters. Sofern die Söhne im Familienunternehmen tätig wurden, sahen sie sich – im täglichen geschäftlichen Umgang – unmittelbar mit dem Leistungsethos der Väter und Onkel und den daran gekoppelten Erwartungen und Komplementärtugenden konfrontiert. Dass diese Wertorientierungen und Verhaltensdispositionen nicht nur papierene Theorien waren, sondern die Lebensweise der Gebrüder Stollwerck entscheidend prägten und an die Söhne weitergegeben werden sollten, veranschaulichen mehrere Quellen: „Bedenke, dass Du selbst strenge Anforderungen an Dich stellen musst, damit Du selbst mit Deinen Leistungen zufrieden bist. Das gibt dann Mut, Selbstvertrauen wie auch die Grundlage für Erfolg! Aus nichts – wird nichts! Also stets Fleiss und Selbstbemeisterung! Stets auch Disziplin!“170
Mit diesen und anderen – häufig wiederholten – Narrativen versuchte Ludwig Stollwerck seinen Sohn Paul mit dem Wert der Arbeit, zweckrationalem Handeln und einer leistungsorientierten Lebensführung vertraut zu machen und ihn auf den Zusammenhang zwischen individueller Lebenspraxis und kaufmännischem Erfolg hinzuweisen.171 Er ermunterte ihn, sein Verhalten, Denken und Handeln durch 166 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. September 1902, RWWA 208159-4. 167 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 3. 168 Siehe ebenda, S. 2 f., 5, 15, 24 f., 50 f. 169 Ebenda, S. 2 ff. 170 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 18. August 1908, RWWA 208-302-7. 171 Siehe Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 67.
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Selbstzwänge zu kanalisieren und zu gestalten, kurz: zu einem erwachsenen Menschen zu werden, der sich durch Selbstbeherrschung auszeichnete und sein Leben nach moralisch-sittlichen Normen und Werten, nach Prinzipien prospektiv ausrichtete, wie sie das bürgerliche Leitbild der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit implizierte. Die Unterdrückung des Müßiggangs, Selbstbändigung und das Streben nach einem strukturierten Tagesablauf galten als elementare Voraussetzungen dafür, vorwärts zu dringen, die Zeit ökonomisch zu nutzen und etwas Zweckmäßiges zu leisten. Besonderen Wert legte Ludwig Stollwerck auf die Tugend der Pünktlichkeit und eine planmäßige Zeiteinteilung als „unwandelbares Prinzip“ in Anfang und Ausführung der Arbeit. Zwar wirke es sich nicht unbedingt negativ auf die praktische und theoretische Ausbildung aus, wenn man sich einmal verspäte oder einen Nachmittag frei nehme, doch stähle der „Kampf mit den Annehmlichkeiten“172, also die Selbstdisziplin, das Pflichtbewusstsein und erhöhe das Vertrauen, das die Familie in einen setze sowie den Respekt, der einem von den familienfremden Mitarbeitern entgegengebracht werde. Als sich Paul darüber beklagte, dass seine Lehrzeit im amerikanischen Zweigwerk des Familienunternehmens nicht zu seiner Zufriedenheit verlaufe und er noch immer „in den Kinderschuhen des Erfolgs“173 stecke, ermahnte Ludwig Stollwerck ihn zudem zu unermüdlicher Betätigung. Er verlangte ungebrochene Energie und Willenskraft und den vollen Einsatz seines Sohnes für das Unternehmen. Ferner erinnerte er ihn daran, dass er keine Ansprüche auf das Geschäft erheben könne, nur weil sein Vater es aufgebaut habe. Er könne lediglich die durch den väterlichen Erfolg geschaffenen günstigen Rahmenbedingungen nutzen, um seine Talente und Fähigkeiten auszubilden. Ansprüche stünden ihm nur dann zu, wenn er „durch Selbstarbeit […], also durch eigne Kraft, Energie und Lust und Liebe“174 etwas erreicht habe. Auch Ludwigs ältester Sohn Fritz sollte sich nach den Wünschen des Vaters durch Engagement, Leistungsfähigkeit, eine ökonomische Zeiteinteilung und Disziplin seine Position und einen möglichen Aufstieg verdienen. Er solle nicht wie ein Volontär behandelt werden, sondern „wie jeder bezahlte Clerk pünktlich seine Zeit einhalten und auch so arbeiten, als wenn er durch Geld bezahlt würde, damit er auf die Weise nach und nach einen verantwortlichen Posten ausfüllt“175. Hinter dieser Besinnung auf die eigenen Kräfte stand letztlich die Vorstellung, dass nicht „geburtsständische“ Privilegien, sondern das eigene Wollen und Können, Selbstkontrolle und -disziplin den Söhnen der Gebrüder Stollwerck geschäftliche Partizipation, materielle Selbständigkeit, Unabhängigkeit und gesellschaftliches Ansehen sichern sollten. Damit standen die 172 Die letzten beiden Zitate aus Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 1. Dezember 1908, RWWA 208-302-7. 173 Paul Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 18. November 1908, RWWA 208-302-7. Bei seinem Onkel Franz Theodor Herx beklagte sich Paul wiederholt über Tage „ohne ein natürliches Plus an Erfahrung und Kenntniß“. Paul Stollwerck an Franz Theodor Herx am 6. Juli 1908, RWWA 208-302-7. Siehe auch Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 402 f. 174 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 1. Dezember 1908, RWWA 208-302-7. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 8. Dezember 1908, RWWA 208-302-7. 175 Ludwig Stollwerck an Clarence Bartholomew am 2. Oktober 1906, RWWA 208-246-6.
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Söhne freilich vor einer ambivalenten Aufgabe. Einerseits sollten sie auf dem vorgegebenen Pfad weitergehen und das Lebenswerk ihrer Väter und Onkel fortsetzen, sich aber andererseits nicht „ins gemachte Nest setzen“, sondern von ihren Vorgängern emanzipieren, autonom über ihr Leben und Schicksal bestimmen und aus eigener Kraft und Leistung etwas schaffen. Die Gebrüder Stollwerck fühlten sich verpflichtet, die Leistung ihrer Nachkommen zu kontrollieren. Sie suchten regelmäßig „von den realen GeschäftsInteressen diktierte“ Gespräche und ließen es an „ernsten, wohlwollenden Ermahnungen“176 nicht fehlen. Sie erwarteten, dass die Söhne und Neffen die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllten177 und sich an die weitgehend hierarchische und am Senioritätsprinzip ausgerichtete Familienordnung hielten. Ludwig Stollwerck schärfte seinem Sohn Paul ein: „Es ist uns ja Allen bekannt, dass Albert viele merkwürdige Ansichten und GeschäftsPrinzipien hat und ich persönlich teile dieselben durchaus nicht. Aber auf der anderen Seite musst du bedenken, dass Du ein Lehrling bist und Albert Dein Meister, dass Du ein Soldat und Albert Dein vorgesetzter Offizier. Wenn der Rittmeister auch diese und jene unangenehmen Anforderungen an die Mannschaft stellt, so hat die Mannschaft dennoch zu gehorchen und in ähnlicher Weise musst Du die Unannehmlichkeiten, welche Prinzipien von Albert einfach mit sich bringen, auch in Kauf nehmen und voll erfüllen. Möge es Dir auch unangenehm sein, Du musst diese Unannehmlichkeiten bekämpfen.“178
Während ihrer Ausbildungszeit hatten die Söhne demnach in einer vertikal abgestuften Rangordnung die übergeordnete Autorität zu akzeptieren und deren Anordnungen als Untergebene auszuführen; Vorschläge durften sie als Jüngere „nur indirekt“179 machen. Allerdings hatten nicht nur die Väter und Onkel, sondern auch die älteren Vettern einen höheren Status und Vorrang. Das Meister-SchülerVerhältnis prägte demnach nicht nur die inter-, sondern auch die intragenerationellen Beziehungen. Diese Konstellation erinnert an die obrigkeitsstaatliche Orientierung des preußischen Militär- und Beamtenstaates und zeigt, dass die Gebrüder Stollwerck eine interne Hierarchisierung und klare Befehlsstrukturen befürworteten, sie sogar als Teil der Erziehungsarbeit verstanden. Doch im Unterschied zu Franz Stollwerck, der im Verhältnis zu seinen Söhnen nach dem Prinzip „l’état c’est moi“ als „Imperialist“180 agiert hatte, war die familiäre Rollenstruktur zwischen der zweiten und dritten Generation nicht durchweg hierarchisch und autori176 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 24. Mai 1910, RWWA 208-71-3. 177 So schloss Ludwig Stollwerck 1908 den Weihnachtsbrief an seinen Sohn Paul mit den Worten: „Mögest Du ferner stets gesund sein und durch strenge Kritik & Selbstzucht mithelfen meine Wünsche, Dich betr. zu erfüllen.“ Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 22. Dezember 1908, RWWA 208-302-7. 178 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 11. August 1908, RWWA 208-302-7. Auch Fritz wurde von seinem Onkel Carl ermahnt, er möge Älteren mehr Respekt entgegenbringen und ihnen gegenüber bescheidener auftreten. Siehe Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Dezember 1908, RWWA 208-211-5. 179 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 29. Juni 1905, RWWA 208-205-7. 180 Franz Theodor Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 15. Oktober 1869, RWWA 208272-10.
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tär. Konflikte wurden nicht immer mit dem Hinweis auf Anweisungen und Gehorsam gelöst, sondern man versuchte es – wohl auch vor dem Hintergrund des scharfen Vater-Sohn-Konflikts in der Vorgängergeneration – durchaus liberal, mit Verständnis, Argumenten und dem Appell an die Vernunft der Kinder. Auf die wiederholte Klage Pauls, dass ihn seine Tätigkeit in der amerikanischen Zweigfabrik nicht zufrieden stelle, schrieb Ludwig Stollwerck: „Ich kann mir denken, lieber Paul, dass es dir oft unangenehm ist, in gewisser beschränkter Weise ein Feld der Tätigkeit zu haben und es Dir angenehmer wäre, durch mehr Abwechslung Deinen Schaffensdrang befriedigt zu sehen. Auf der anderen Seite ist indes Gründlichkeit für unser Geschäft absolut notwendig, auch wenn es uns scheint, dass wir schon alles gründlich verstehen. Du hast nicht nur in Deinem jungen Leben sondern wir Alle auch in unserem späteren Leben derartige Kämpfe mit neuen Wünschen zu bestehen und der wird Meister sein, welcher diese Wünsche unterdrückt und frisch und fröhlich weiter versucht, unter den gegebenen Verhältnissen seine Tätigkeit mit Gründlichkeit einzurichten.“181
Diese Instruktionen wurden in der Regel mit Versicherungen der elterlichen bzw. familialen Liebe und Sorge verbunden. So beteuerte Ludwig Stollwerck seinem Sohn Paul, dass seine Ermahnungen „dem tiefsten Grunde eines für seine Kinder das Beste wünschenden Vaterherzens“182 entspringen würden. Ob hier freilich an die Stelle der (elterlichen) Befehlsgewalt tatsächlich Zuneigung und die Sorge um das Wohlergehen der Nachfolger traten oder es sich um gezielt eingesetzte suggestive Formulierungen handelt, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten. Deutlich wird aber, dass die Appelle ihre Wirkung nicht verfehlten, fühlten sich die Söhne doch verpflichtet, den Eltern keine Sorgen zu bereiten, ihnen vielmehr „nur Erfolge [zu] berichten“183. Die Gebrüder Stollwerck planten nicht nur gezielt die schulische und fachliche Ausbildung ihrer Nachfolger, sondern richteten auch deren Erfahrungswelten und Verkehrskreise bewusst auf die spätere unternehmerische Arbeit aus. Kontakte wurden vornehmlich zu anderen wirtschaftsbürgerlichen Familien gesucht und gepflegt, Freundschaften bewusst initiiert und gefördert.184 Sofern die Söhne ihre Schulzeit in Internaten verbrachten, lebten sie in der Regel mit anderen Sprösslingen aus dem Wirtschaftsbürgertum zusammen. Während der Ausbildung in der Fremde wurden sie dann direkt bei Geschäftsfreunden ihrer Väter oder in deren unmittelbarer Nähe untergebracht, wo sie in einer Atmosphäre lebten, die sich nicht maßgeblich von ihrer Wohnsituation bei den Eltern unterschied.185 Ferner wurden ihnen Kontakte zu den „guten“ und mit den Eltern oder Onkeln bekannten Familien der jeweiligen Stadt vermittelt. So konnten nicht nur nützliche Verbindungen für die spätere unternehmerische Arbeit vermittelt werden, sondern die Sozialisation der Kinder in einem homogenen Sozialmilieu ermöglichte auch eine implizite Kontrolle ihrer Lebensführung. Paul Stollwerck wurde beispielsweise 181 182 183 184 185
Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 11. August 1908, RWWA 208-302-7. Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 22. Dezember 1908, RWWA 208-302-7. Paul Stollwerck an Theodor Herx am 6. Juli 1908, RWWA 208-302-7. Siehe auch Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 317–333. Siehe Gilbert Bartholomew an Ludwig Stollwerck am 24. Oktober 1906, RWWA 208-246-6. Siehe auch Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 133.
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nachdrücklich von seinem Vater aufgefordert, den Kontakt zum ebenfalls in New York weilenden Sohn des zweitgrößten französischen Pariser Schokoladenfabrikanten Potin zu suchen, bei dem bereits Albert Nikolaus (II) seine in Köln erworbenen Kenntnisse vertieft hatte. Von der Erfahrung Potins könne er nicht nur viel lernen, sondern eine Freundschaft mit ihm könne „für die Zukunft […] besonders nützlich“186 sein. Ferner sorgte Ludwig Stollwerck dafür, dass die in Amerika ansässigen Verwandten der Familie Herx Paul beaufsichtigten.187 Die professionelle Sorgfalt und väterliche Sorge, die bei der schulischen und beruflichen Ausbildung der Söhne herrschte, offenbaren die Quellen partiell auch für die Töchter der dritten Generation. Ihre schulische Ausbildung diente freilich – wie schon in der zweiten Generation – primär der Allgemeinbildung und dem Erlernen hauswirtschaftlicher Kenntnisse und gesellschaftlicher Konventionen. Dabei vertraten einige Pädagogen des 19. Jahrhunderts die Meinung, ein Mädchen solle zu Hause lernen, da der Schulbesuch zu stark von der Erziehung zur Hausfrau ablenke.188 An dieser Vorstellung orientierten sich die Gebrüder Stollwerck indes nicht. Peter Joseph Stollwerck schickte seine Töchter Martha (1876–1959) und Clara (1879–1968) – vermutlich auch seine älteste Tochter Helene (1874– 1945) – auf die Höhere Töchterschule in Köln. Für Martha begann die Schulzeit wohl mit ihrem siebten Lebensjahr, Clara besuchte die Schule spätestens seit ihrem achten Lebensjahr; der Zeitpunkt, an dem der Schulbesuch endete, lässt sich nicht belegen.189 Auch die Mädchen wurden also schon früh an ein regelmäßiges Lernen gewöhnt und mit dem Wert von Leistung vertraut gemacht. Der Unterricht verlief strukturiert und differenziert und war durch einen festgelegten Stundenplan mit Fächerprofil organisiert. Die Schulfächer unterschieden sich dabei kaum von denen der Jungen. Die Mädchen wurden in Religion, Deutsch und Schönschreiben unterrichtet und hatten Turn- und Gesangsstunden; mit praktischem Rechnen, Geographie und Naturgeschichte erhielten auch die naturwissenschaftlichen Disziplinen ihren Stellenwert und mit Französisch stand eine Fremdsprache auf dem Stundenplan. Neben diesen regulären Lerninhalten hatten sie zusätzlich Handarbeits- und Turnunterricht.190 Die Schulnoten von Martha und Clara Stollwerck waren im Betragen „recht gut“ bis „sehr gut“, ihre Ordnungsliebe wurde mit „recht gut“ bis „gut“ bewertet; auch im Turnen waren die Noten „gut“. In allen anderen Fächern – einschließlich der Handarbeitsstunden – ließen sie jedoch gute 186 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 1. Dezember 1908, RWWA 208-302-7. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 2. September 1905, RWWA 208243-7. 187 Siehe Ludwig Stollwerck an Theodor und Lizzie Herx am 14. April 1905, RWWA 208-2057. 188 Siehe Kössler: Mädchenkindheiten, S. 19, 61–66. 189 Für Martha sind vier Zeugnisse zwischen 1883 und 1888 überliefert, der Schulbesuch von Clara lässt sich anhand von Zeugnissen gesichert für die Jahre 1887 bis 1890 belegen. Siehe die in RWWA 208-320-4 überlieferten Zeugnisse der Höheren Töchterschule in Köln für Martha und Clara Stollwerck. 190 Siehe ebenda; Ludwig Stollwerck an G. Weidner am 28. August 1906, RWWA 208-222-1. Siehe auch Küpper: Die höheren Mädchenschulen.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Leistungen vermissen. Martha erreichte 1885 das Klassenziel nur unter der Bedingung von Nachhilfe, was ihren Vater dazu veranlasste, das Zeugnis neben seiner Unterschrift mit dem Wunsch zu versehen, „das das nächste […] besser werde“191. Anders als in kleinbürgerlichen Familien, die gut haushalten mussten, um mit ihrem Geld auszukommen und in der Regel primär in die Ausbildung ihrer Söhne investierten, brauchten die Mädchen aus wohlhabenden Familien in der Ausbildung nicht hinter ihren Brüdern zurückstehen. So wurden die Töchter von Ludwig Stollwerck nach der Schulzeit zu Hause privat weiter unterrichtet.192 Auf seinen Wunsch hin sollten sie „einen Begriff der allgemeinen Wirtschaftslehre und des Erwerbslebens erhalten, dann Kenntnisse von Zinsen, Dividenden, Hypotheken, Obligationen, dem Aktienwesen“193. Ferner wollte er ihnen die Möglichkeit geben, die Aktiva und Passiva einer Bilanz im Gewinn- und Verlustkonto zu verstehen und sich Grundkenntnisse in der Vermögensverwaltung anzueignen. Die Vermittlung dieses Basiswissens war jedoch nicht darauf ausgerichtet, die Töchter auf eine berufsqualifizierte Ausbildung oder gar auf eine Tätigkeit im Familienunternehmen vorzubereiten, vielmehr wird es sich um eine Vorkehrungsmaßnahme für Notlagen, etwa den Tod des Ehemanns oder eine potenzielle Einbindung in das Unternehmen, gehandelt haben.194 Die wirtschaftliche Sicherheit und der daraus resultierende gehobene Lebensstil der Familie machten eine Berufsausbildung oder ein Studium der jungen Frauen nicht nur überflüssig, sondern motivierten sie auch nicht, sich gegen die traditionellen Rollenmuster zu wehren. III.A.2 „Ich hätte mir ja gerne einen ‚Erbprinzen‘ […] gewünscht“ – Heirat und Ehe, Familiengründung und Kinderzahl Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts koppelte man in mitteleuropäischen Handwerker- und Bauernfamilien sowie im Adel die Partnerwahl in der Regel an gesellschaftliche Positionen und wirtschaftliche Aspekte, verknüpfte sie nicht mit persönlichen Eigenschaften, sondern mit existenzsichernden Überlegungen. Die mit der Aufklärung und Romantik aufkommenden neuen Vorstellungen von Liebe und Ehe ließen das ökonomische Kalkül im 19. Jahrhundert zunehmend brüchig werden. Vor dem Hintergrund des mit dem bürgerlichen Leben untrennbar ver191 Zeugnis für Martha Stollwerck, V. Klasse, 4. Quartal 1884/85, RWWA 208-320-4. 192 Als geeignete Ausbildungsstätten, um die Zeit bis zur Heirat zu überbrücken und den Lösungsprozess vom Elternhaus einzuüben, galten auch auswärtige Pensionate, die zumeist von Frauen geleitet wurden. Fritz Stollwerck meldete 1931 seine Tochter Margrit auf einem solchen Institut in Wiesbaden an. Siehe Fritz Stollwerck an die Oberin des Instituts St. Maria Wiesbaden am 24. August 1932, RWWA 208-51-1. 193 Ludwig Stollwerck an Herrn Räderscheidt am 6. Mai 1913, RWWA 208-41-8. 194 Margarethe Krupp (1854–1931) z. B. führte nach dem Tod ihres Ehemannes Friedrich Alfred Krupp (1854–1902) treuhänderisch als Konzernleiterin das Unternehmen. Ihre Tochter Bertha (1886–1957) war zwar Alleinerbin des Vaters, aber zum Zeitpunkt seines Ablebens noch minderjährig. Siehe Schaser: Margarethe Krupp; Stremmel: Krupp.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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bundenen Individualismus, einer neuen Innerlichkeit und der Überzeugung von der Entwicklung der Persönlichkeit propagierten insbesondere bildungsbürgerliche Kreise die Liebe als maßgeblichen Faktor für die Heirat. Die Ehe sollte von sachlichen Interessen befreit sein und primär auf individueller, gegenseitiger Zuneigung und Achtung zwischen diesem Mann und dieser Frau beruhen. Die Eheleute waren nicht mehr nur oder überwiegend Rollenträger, sondern individuelle Charaktere. In einer aus Liebe geschlossenen Ehe erkannte man zudem einen wichtigen und gewünschten Unterschied zum adligen Ehebund, der als „künstlich“, von Macht- und Geldinteressen bestimmt galt.195 Untersucht man jedoch Ideale und Realitäten, erscheint die bürgerliche Ehe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vielmehr als ein „Konstrukt des Übergangs“196, in dem alte und neue Strukturelemente eng miteinander verflochten waren. Gesellschaftliche Tradition und materielle Zwänge verhinderten, dass die Leitvorstellungen in der Realität vollständig umgesetzt werden konnten. So war die Ehe nicht nur eine private Verbindung zwischen zwei Menschen, sondern gehörte notwendig zum bürgerlichen Lebensentwurf und gewährleistete letztlich erst die Entwicklung bürgerlicher Identität – die Ehe war die zentrale Institution des sozialen Miteinanders. Ledige Frauen galten – noch stärker als unverheiratete Männer – nicht als vollwertige Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft.197 Die Eheschließung war daher nicht nur für die Frau die einzige Möglichkeit, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen und nicht lebenslang von ihren Verwandten abhängig zu sein. Auch der Mann war auf den Bund fürs Leben angewiesen, wollte er in der Gesellschaft als vollwertig anerkannt werden. Ferner ließen sich die Vorteile einer stattlichen Mitgift und des ererbten oder zukünftigen Vermögens der Ehefrau auch bei einem gesicherten Einkommen nicht von der Hand weisen. Zwar wurden reine Vernunft- und Geschäftsehen in bürgerlichen Kreisen im 19. Jahrhundert seltener, doch überwogen weiterhin standesgemäße, endogame Verbindungen, lag die Praxis „irgendwo zwischen Liebes- und Zweckheirat“198. Der exklusive, festgefügte soziale Rahmen, in dem junge Bürgermänner und frauen verkehrten, bestimmte in der Regel auch die Heiratskreise: Man lernte sich auf Familienfeiern, Bällen, Diners, Bildungsreisen, während eines Kuraufenthalts oder im Umfeld eines Sportclubs kennen.199 Zwar verdankten sich viele Ehen dem 195 Gegen die Fixierung des Adels auf Äußerlichkeiten – starre Formen, Konventionen und Zeremoniell – setzte das Bürgertum eine neue Innerlichkeit bzw. Natürlichkeit. Der einzelne Mensch wurde nicht nach Herkunft, sondern nach seinen inneren Werten und seiner (neuhumanistischen) Bildung bewertet. Siehe Rosenbaum: Formen der Familie, S. 258–267; Habermas: Bürgerliche Kleinfamilie, S. 292. 196 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 26. 197 Von den Kindern Franz Stollwercks blieb keines unverheiratet. In der dritten Generation heirateten nur Albert Nikolaus (II) und Elsa nicht. Sie starb bereits mit 17 Jahren. 198 Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 128. 199 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 31–33; Teuteberg: Westfälische Textilunternehmer, S. 33; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 179–198; Pierenkemper: Deutsche Unternehmer, S. 128 f.; Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 95–105, 186–194; Henning: Soziale Verflechtungen, S. 12–15.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Zufall, eine mehr oder minder bewusst intendierte Lenkung durch die Familie spielte allerdings auch im 19. Jahrhundert mitunter noch eine bedeutende Rolle.200 Dies galt insbesondere für Unternehmerfamilien, die ein treffendes Beispiel für die Diskrepanz zwischen bürgerlichem Ideal und der Realität darstellten. Während die familiäre Abhängigkeit im bildungsbürgerlichen Milieu häufig weniger stark ökonomisch begründet war, bildete die Familie im Wirtschaftsbürgertum nicht nur die zentrale Institution der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch die Ressource des privaten Eigentums und Geschäftsunternehmens. Eine unstandesgemäße oder ökonomisch nachteilige Eheschließung berührte Familien- und Unternehmensinteressen gleichermaßen, konnte diese Grundeinheit schwächen oder sogar zerrütten und die erlangte soziale Stellung gefährden. Heiraten dienten daher im Wirtschafts- und Besitzbürgertum häufig – vor allem über die Mitgift der Frau – dazu, Kapital zu beschaffen, Geschäftsverbindungen auszuweiten, Konkurrenz auszuschalten und Führungskräfte zu rekrutieren. Doch auch wenn Eheschließungen nicht direkt von solchen materiellen Faktoren und sachlichen Überlegungen dominiert wurden, konnte eine „gute Partie“ die Kredit- und Vertrauenswürdigkeit einer Familie stärken, damit die Kapitalbeschaffung erleichtern und verschlossene Türen öffnen.201 Es wäre daher verfehlt, die neue Eheauffassung ausschließlich auf der Gefühlsebene anzusiedeln und von „romantischer“ oder „leidenschaftlicher Liebe“ zu sprechen. Vielmehr hatte man es – im Sinne der Aufklärung – mit einer „vernünftigen Liebe“ zu tun, deren Grundlage ein sicheres materielles Fundament war.202 Heiratsalter und Partnerwahl Franz Stollwercks Franz Stollwerck ordnete nahezu zeitgleich mit der Gründung seiner Mürbebäckerei auch sein privates Leben. Am 3. Juli 1839 heiratete er 24jährig die aus der Stadt Lechenich (20 Kilometer westlich von Köln) stammende Anna Sophia Müller, die kurz vor der Vollendung des 20. Lebensjahres stand. Damit lag das Ehepaar Stollwerck deutlich unter dem mittleren Heiratsalter, das für die Jahre von 1825 bis 1849 für alle Berufsgruppen errechnet wurde. Demnach heirateten Männer durchschnittlich mit 29,4 und Frauen mit 26,9 Jahren. Auch bei vergleichbaren Eheschließungen im Handwerk und Kleingewerbe lassen sich die Stollwercks unterhalb der Norm verorten. Handwerker und Kleingewerbetreibende heirateten zwischen 1825 und 1874 in der Regel erst im Alter von 30,2 Jahren, die Ehefrauen hatten am Tag der Eheschließung das 24. Lebensjahr meist noch nicht vollendet.203 Die Altersdifferenz zwischen den Ehepartnern lässt sich damit erklären, 200 Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 146–152. 201 Siehe Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 109, 114–117, 128. 202 Siehe Sieder: Sozialgeschichte, S. 130–135; Rosenbaum: Formen der Familie, S. 263–267, 285–288; Budde: Bürgerinnen in der Bürgergesellschaft, S. 256; Kuhn: Familienstand: Ledig; Frevert: Frauen-Geschichte, S. 44 f. 203 Siehe von Nell: Die Entwicklung der generativen Strukturen, S. 75; Ehmer: Heiratsverhalten, S. 292.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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dass Männer noch bis ins 20. Jahrhundert in der Regel eine deutlich längere Ausbildung absolvierten als Frauen.204 Franz Stollwerck hatte in den Jahren seiner Wanderschaft Lebenserfahrung und berufliche Kenntnisse gesammelt – mehr als ein kleines materielles Fundament wird er sich in dieser Zeit allerdings nicht erarbeitet haben; auch Hinweise auf größere Ersparnisse oder Erbschaften sind nicht überliefert. Dass er sich im Vergleich mit anderen Männern seiner Generation und Berufsgruppe relativ früh band, mag daher Ausdruck eines gewissen Unabhängigkeitsstrebens gewesen sein, denn mit der Heirat löste man sich auch vom Elternhaus und gründete einen eigenen Hausstand. Die hierfür sowie für die Etablierung einer eigenen Unternehmung notwendigen finanziellen Mittel und sozialen Netzwerke sicherte ihm möglicherweise die Heirat. Seine Braut wurde zwar in Lechenich geboren, entstammte aber einem angesehenen Kreis Kölner Familien. Zu ihren Vorfahren väterlicherseits zählten z. B. Johann Georg Molitor (1656–1727), Kanonikus an St. Gereon und Rektor der Kölner Universität, und dessen Nichte Maria Magdalena Luntz (1690–1763), die 22. Äbtissin des alten Kölner Machabäerklosters (Benediktinerinnen). Molitor stiftete zudem der Machabäerkirche einen neuen Hochaltar zur Aufnahme des Reliquienschreins der sieben machabäischen Brüder und ihrer Mutter Salome, die 1164 mit den Reliquien der heiligen drei Könige nach Köln gebracht worden waren.205 Die Eheschließung mit einer Tochter aus angesehenem Hause wird Franz Stollwerck geholfen haben, Geschäftsverbindungen zu knüpfen und seine Kreditwürdigkeit zu steigern. In entsprechend begüterten Familien war es zudem üblich, der Tochter eine Brautausstattung mitzugeben. Es lässt sich allerdings nicht beantworten, in welcher Form Anna Sophia eine Mitgift in die Ehe einbrachte und damit die Kapitalkraft ihres Ehemannes stärkte.206 Heiratsalter und Partnerwahl der Generation Gebrüder Stollwerck Von den fünf Söhnen Franz Stollwercks, die das Erwachsenenalter erreichten, heirateten Albert Nikolaus (I), Heinrich, Ludwig und Carl mit 24 bzw. 25 Jahren, einzig der zweitgeborene Sohn Peter Joseph schloss erst mit 29 Jahren den Bund fürs Leben;207 ihre Ehefrauen waren zum Zeitpunkt der Hochzeit zwischen 20 und 204 Ob durch einen hohen Altersunterschied die Autorität des Mannes gegenüber der Frau verstärkt wurde oder ein geringer Altersabstand auf eher gleichrangige Beziehungen schließen lässt, kann für die Familie Stollwerck anhand der Quellen nicht geklärt werden. Siehe zu dieser Annahme Rosenbaum: Formen der Familie, S. 288 f. 205 Siehe Berkum: Stollwerck – Müller. 206 Die Familienunternehmensforschung wies zudem darauf hin, dass Kapital, das Frauen in die Unternehmung einbrachten, in der offiziellen Firmengeschichtsschreibung häufig unerwähnt blieb. Siehe Yanagisako: Producing Culture and Capital, S. 56–66; Mulholland: Class, Gender and the Family Business. 207 Mit Ausnahme von Peter Joseph Stollwerck benötigten damit alle Söhne für die Hochzeit die Einwilligung des Vaters, die nach dem Allgemeinen Landrecht (Hattenhauer [Hg.]: Allgemeines Landrecht, S. 352) Voraussetzung für eine gültige Eheschließung war. Auch mit dem
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
22 Jahren alt. Die Gebrüder Stollwerck heirateten damit Frauen, die im jüngeren Alter die Ehe eingingen als ihre Schwestern, die sich erst mit 25 und 26 Jahren vermählten. Aus den wenigen Studien, die das Heiratsalter im Bürgertum untersuchten, lässt sich erkennen, dass die Gebrüder Stollwerck unter dem durchschnittlichen Heiratsalter, ihre Ehefrauen genau im errechneten Mittel und die Töchter von Franz Stollwerck etwas über dem Durchschnitt lagen. Großkaufleute und Unternehmer heirateten zwischen 1825 und 1874 in der Regel im Alter von 31,5, in der Zeit von 1875 bis 1899 mit etwa 28,5 Jahren. Das Heiratsalter der Ehefrauen lag zwischen 1825 und 1874 bei etwa 21,6 Jahren und stieg in der Phase zwischen 1875 und 1899 auf etwa 24,9 Jahre. Bis 1924 stieg das durchschnittliche Heiratsalter weiter an: bei Männern auf 29,4, bei Frauen auf 25,3 Jahre.208 Das im Vergleich niedrigere Heiratsalter der Gebrüder Stollwerck kann damit erklärt werden, dass sie eher als andere wirtschaftsbürgerliche Söhne ihrer Generation festen finanziellen Boden unter den Füßen hatten, da sie früh Teilhaber eines florierenden Unternehmens wurden. Peter Joseph und Carl Stollwerck traten bereits vor ihrer Hochzeit als Mitinhaber in das väterliche bzw. Familienunternehmen ein, d. h. sie brachten ein gesichertes Einkommen in die Ehe. Die prospektive Unternehmensnachfolge beinhaltete zudem die Aussicht auf ein wachsendes Vermögen. Albert Nikolaus (I), Heinrich und Ludwig waren zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung zwar offiziell noch keine Teilhaber, doch reichte es z. B. im Fall von Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 blieb das Einverständnis des Vaters bei Frauen bis zum vollendeten 24., bei Männern bis zum vollendeten 25. Lebensjahr notwendig. Siehe Hubbard: Familiengeschichte, S. 48 f. 208 Siehe von Nell: Die Entwicklung der generativen Strukturen, S. 75. Diese Angaben stimmen weitgehend mit den Ergebnissen von Budde (Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 41) überein, die für ihr Sample zu dem Ergebnis kam, dass nach 1870 weit über die Hälfte der Bürgermänner nach dem 32. Lebensjahr heiratete, während zuvor das Verhältnis derjenigen Ehen, die zwischen dem 21. und 32. Lebensjahr und derjenigen, die später geschlossen wurden, ausgewogen war. Diesen Trend zum höheren Heiratsalter erkannte Budde auch bei den Frauen. Je später eine Frau heiratete, desto geringer war aber auch die Zahl möglicher Schwangerschaften. Das hohe Heiratsalter im Bürgertum wich jedoch von der allgemeinen Entwicklung ab, gemäß der das Heiratsalter bei Frauen und Männern im Laufe des 19. Jahrhunderts kontinuierlich sank: Gingen zwischen 1825 und 1849 Männer im Alter von etwa 29,4 Jahren und Frauen kurz vor Vollendung des 27. Lebensjahres eine Ehe ein, lag das durchschnittliche Heiratsalter bei Männern 1910 bereits bei 27,9 Jahren, Frauen heirateten in der Regel mit 25,3 Jahren. Diese Zahlen werden vor dem Hintergrund verständlich, dass nicht das Bürgertum, sondern die Unterschichten und die unteren Mittelschichten das Gros der Bevölkerung ausmachten. Hier führte u. a. eine deutlich kürzere Schul- und Ausbildungszeit dazu, dass man früh in den Stand der Ehe trat. Bürgerliche Männer hingegen strebten danach, vor der Heirat eine umfassende schulische und fachliche Ausbildung zu absolvieren sowie ihre berufliche und finanzielle Situation zu festigen. Siehe Ehmer: Heiratsverhalten, S. 292. Der Altersunterschied zwischen den Gebrüdern Stollwerck und ihren Ehefrauen betrug bei Albert Nikolaus (I) zwei, bei Heinrich und Ludwig jeweils drei Jahre. Carl war fünf Jahre älter als seine Ehefrau, Peter Joseph sogar neun Jahre – durchschnittlich waren die Stollwerck’schen Männer der zweiten Generation also etwa viereinhalb Jahre älter als ihre Ehefrauen. Diese Altersdifferenz der Ehepartner entsprach in etwa der allgemeinen Entwicklung, nach der im 19. Jahrhundert die Männer in der Regel fünf bis sechs Jahre älter waren als ihre Ehefrauen. Siehe Sieder: Sozialgeschichte der Familie, S. 142; Löther: Familie und Unternehmer, S. 225.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Ludwig aus, dass die älteren Brüder dem zukünftigen Schwiegervater versicherten, dass für Ludwig eine Laufbahn im Familienunternehmen vorgesehen sei, das angehende Ehepaar also „festen Boden“209 unter den Füßen habe. Ferner wollten sich junge Männer des Bürgertums zunächst ausleben, bevor sie sich fest banden und einen eigenen Hausstand gründeten. Carl Stollwerck beispielsweise ließ 1879 seinen ältesten Bruder Albert Nikolaus (I) wissen, dass er zwar eine „besondere Zuneigung“ zu einem Mädchen verspüre, gleichwohl mit knapp 20 Jahren noch „zu jung“ sei, um sich „ernstere Vorstellungen“ zu machen, d. h. an die Heirat als Ziel respektabler bürgerlicher Liebe zu denken. Vielmehr wolle er zunächst „mit ziemlicher Bestimmtheit meiner bisherigen vernebelten Existenz entgegensehen“210. Da die Heirat für Männer in der Regel unmittelbar auf die praktische berufliche Ausbildung folgte, spielten die während dieser Zeit geknüpften sozialen Kontakte bzw. die Bekanntschaften eine wichtige Rolle, die man bei Besuchen in verwandten, bekannten oder geschäftlich verbundenen Familien machte. Dieses Konnubium mit Familien, deren Existenzbasis ebenfalls eine selbständige Tätigkeit in der Wirtschaft war, lässt sich bereits für die Zeit vor 1871 beobachten und prägte sich im Verlauf des Kaiserreichs noch stärker aus.211 Daher nimmt es nicht Wunder, dass sich dieses hohe Maß an Endogamie auch für die Eheschließungen der Gebrüder Stollwerck bestätigen lässt,212 die ferner die gängige Forschungsthese untermauern, dass die Heiratskreise im 17. und 18. Jahrhundert örtlich recht begrenzt waren und sich erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich regional und überregional ausweiteten.213 Albert Nikolaus (I) und Heinrich heirateten 1865 bzw. 1868 die Schwestern Maria Theresia (1843–1882) bzw. Apollonia (1847–1925) Krusius. Nach dem
209 Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 22. Februar 1880, RWWA 208-874-7. 210 Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 26. Oktober 1879, RWWA 208-874-7. Siehe auch Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 40. 211 Siehe Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 114; Löther: Familie, S. 226; Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 95–105, 156, 186–194; Kaelble: Berliner Unternehmer, S. 185; Henning: Soziale Verflechtungen, S. 12–15, 23–27; Pierenkemper: Die westfälischen Schwerindustriellen, S. 45 f. 212 Betrachtet man die Heiraten der Töchter von Franz Stollwerck, so zeigt sich ein anderes Bild: Therese heiratete beispielsweise 1887 den Bergwerksingenieur Richard Franz Fritz Roderbourg, der von 1906 bis 1917 auch dem Aufsichtsrat der Gebrüder Stollwerck AG angehörte, in den er – so Ludwig Stollwerck – „in seiner Eigenschaft als Verwandter, ohne jedes Interesse, aufgenommen wurde“. Ludwig Stollwerck an Emil Heimerdinger am 16. Januar 1913, RWWA 208-60-2. Siehe auch den Ehevertrag zwischen Therese Stollwerck und Richard Franz Fritz Roderbourg vom 10. Februar 1887, RWWA 208-47-9. 213 Siehe Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 115 f. Als Wohnort wählten freilich alle Söhne von Franz Stollwerck Köln; auch die im Unternehmen tätigen Männer der dritten Generation blieben ihrer Heimatstadt lange verbunden. Diese Entscheidung lässt sich mit der Gebundenheit an das Familienunternehmen erklären. Die Töchter und Enkelinnen Franz Stollwercks wiederum zogen alle in die Heimat- oder Wohnorte ihrer Ehemänner. Siehe weiterführend Kapitel III.A.3.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
frühen Tod des Vaters214 hatte deren Großvater seine beiden Enkelinnen – die ältesten von acht Kindern – in die Obhut seines vermögenden kinderlosen Schwagers Joseph Wolff215 gegeben, der in der Kölner Bayenstraße 29 lebte. Von Wolff hatte Franz Stollwerck um 1855 – ebenfalls in der Bayenstraße – ein Grundstück gemietet, wo er seine „Königshalle“ errichten ließ.216 Die zukünftigen Eheleute kannten sich demnach seit dem Kindesalter und hatten sich bereits eine Kommunikationsbasis aufgebaut. Ob darüber hinaus die geschäftlich miteinander verbundenen Familien die Beziehungen der Kinder aktiv förderten, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Auch Peter Joseph Stollwerck verdankte die Bekanntschaft mit seiner Ehefrau Agnes Heimerdinger geschäftlichen Kontakten seines Vaters. Agnes entstammte einer Hamburger Kaufmannsfamilie, die in ihrem Delikatessengeschäft u. a. Stollwerck’sche Produkte vertrieb. Die Familien Stollwerck und Heimerdinger verband zudem eine langjährige Freundschaft, die sich nicht nur horizontal, sondern auch vertikal über die Generationen hinweg nachweisen lässt.217 Wann und wo sich Peter Joseph und Agnes näher kamen, ob es eine reine Liebesehe war oder ihre Familien die Heirat anbahnten, um die zwischen den Familien bestehende Verbindung zu festigen,218 darauf lassen die erhaltenen Quellen nur behutsame Rückschlüsse zu. Wahrscheinlich ist, dass die Zeitspanne, in der Peter Joseph in Hamburg die Handelshochschule besuchte und im Geschäft der Heimerdingers erste berufliche Erfahrungen außerhalb des väterlichen Betriebs sammelte, dem zukünftigen Ehepaar vielfache (zufällige wie arrangierte) Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme und Annäherung bot. Briefe, die Agnes während der Zeit des Brautstandes219 an ihren Verlobten schrieb, lassen zudem den Schluss zu, dass die Verbindung nicht allein auf sozialen oder ökonomischen Erwägungen beruhte, sondern Liebe und Sympathie eine wichtige Rolle spielten. So berichtete Agnes ih214 Peter Krusius hatte auf der Bayenstraße eine Geriß- und Kohlenhandlung betrieben. Siehe Adreßbuch der Stadt Köln für das Jahr 1844. 215 Johann Joseph Wolff wurde in den Kölner Adressbüchern mit der Berufsbezeichnung „Rentner“ geführt. Siehe Adreßbuch der Stadt Köln für das Jahr 1857. 216 Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 15 f.; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 21; Joest: Stollwerck, S. 20–24. 217 Siehe Franz Stollwerck an Peter Joseph und Agnes Stollwerck am 12. September 1871, RWWA 208-874-4; Fritz Stollwerck an Emil Heimerdinger am 10. Februar 1932, RWWA 208-50-5. 218 Franz Stollwerck begrüßte die Wahl seines Sohnes und beglückwünschte ihn, die „liebenswürdige Tochter meines schätzbarsten und liebsten Freunde als Frauchen zu besitzen“. Franz Stollwerck an Peter Joseph und Agnes Stollwerck am 12. September 1871, RWWA 208-8744. 219 Als Brautstand wird die Zeit zwischen Eheversprechen und Eheschließung bezeichnet. Zweijährige Wartezeiten waren keine Seltenheit. Diese Phase verbrachten die Brautleute in der Regel getrennt; der Bräutigam beendete seine Ausbildung und die Braut wurde auf ihre zukünftigen hausfraulichen und gesellschaftlichen Pflichten vorbereitet. Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 37. Für die Familie Stollwerck sind zuverlässige Aussagen nur für Ludwig Stollwerck möglich, der zwischen seiner Verlobung im Februar 1880 und der Hochzeit im Mai 1881 etwa 15 Monate verstreichen ließ. Siehe Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 22. Februar 1880, RWWA 208-874-7.
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rem im Deutsch-Französischen Krieg kämpfenden Verlobten nicht nur über alltägliche Begebenheiten, sondern beschwor wortreich, teils poetisch ihre Gefühle und sehnte einen baldigen Friedensschluss herbei, damit Peter Joseph endlich heimkehren und Hochzeit gefeiert werden könne: „Du glaubst nicht, welche Sehnsucht ich nach Dir habe […], in den beiden letzten Nächten hat mir geträumt, daß Du so ganz unerwartet hergekommen bist, Du kannst Dir meine Freude nicht denken“220. Die offensichtlichen Bedenken Peter Josephs, seine Verlobte könne aufgrund des scharfen Vater-Sohn-Konflikts im Hause Stollwerck vor einer Heirat zurückschrecken, zerstreute Agnes mit der Versicherung: „Aber, mein Peter, weßhalb bist Du denn schon wieder der Meinung, mir könnte bangen, mich in das Wespennest, wie Du sagst, zu wagen. Es ist zwar traurig, daß Papa so gegen Euch handelt und ich beklage es von ganzem Herzen, aber deßhalb fürchte ich mich doch nicht, denn ich will ja doch nur Dich und wenn Du Dich nur mit mir verträgst, so ist es doch für mich die Hauptsache!“221
Die Ehe zwischen Peter Joseph und Agnes beruhte demnach auf gegenseitiger Zuneigung. Freilich lassen sich auch rationale bzw. materielle Motive und Gründe für die Partnerwahl nicht von der Hand weisen. Mit Agnes Heimerdinger heiratete Peter Joseph Stollwerck eine standesgemäße Frau, die wie er aus einer Eigentümerunternehmer-Familie stammte, also aus der gleichen sozialen Schicht mit einem ähnlichen Vermögenshintergrund. Die Ehe mit einer Tochter aus dem Wirtschaftsbürgertum hatte ferner den Vorteil, dass sie in ihrer Kinder- und Jugendzeit vermutlich zum einen schon erfahren hatte, was es hieß, mit einem Unternehmer verheiratet zu sein, zum anderen bot das gleiche Herkunftsmilieu bzw. eine unternehmerisch geprägte Sozialisation eine gewisse Sicherheit, dass man sich über die Erziehung der Söhne zur Unternehmensnachfolge einig war.222 Zudem wurde – im Sinne Bourdieus, der die Heirat als die beste Maßnahme beschrieb, soziale Verbindungen zu institutionalisieren und damit zu stabilisieren – die zwischen den Vätern schon lange bestehende geschäftliche und freundschaftliche Bindung durch die Heirat der Nachkommen intensiviert und zusätzlich abgesichert. Es entstand ein Verwandtschaftsnetz, das bei Bedarf für die Zwecke des Unternehmens instrumentalisiert wurde. So trat nach dem Tod von Peter Joseph Stollwerck 1906 Emil Heimerdinger, ein Bruder von Agnes Stollwerck, in den Aufsichtsrat der Stollwerck AG ein, um die Interessen der Familie zu sichern.223 In diesem Fall ergab sich demnach aus dem akkumulierten Sozialkapital ein unmittelbarer ökonomischer Nutzen, d. h. die verschiedenen Kapitalarten wurden im Sinne Bourdieus strategisch eingesetzt und interessengeleitet verwertet, d. h. konvertiert. Indem man auf ein persönlich bekanntes Aufsichtsratsmitglied aus dem Verwandtennetz zurückgreifen konnte, ersparte man sich mühsame sowie kostspielige, ständig zu erneuernde vertrauensbildende Maßnahmen – es entstanden also keine zusätzli220 Agnes Heimerdinger an Peter Joseph Stollwerck am 22. Februar 1871, RWWA 208-874-4; Agnes Heimerdinger an Peter Joseph Stollwerck am 19. März 1871, RWWA 208-874-4. 221 Agnes Heimerdinger an Peter Joseph Stollwerck am 17. Februar 1871, RWWA 208-874-4. 222 Siehe Groppe: Der Geist des Unternehmertums, S. 531. 223 Siehe Ludwig Stollwerck an Emil Heimerdinger am 16. Januar 1913, RWWA 208-60-2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
chen Transaktionskosten. Grundlage der Zusammenarbeit war vielmehr wechselseitiges Vertrauen, das sich auf anderen Wegen nur schwierig erreichen ließ. Allerdings darf man nicht davon ausgehen, dass sich familiäre Beziehungen immer problemlos für geschäftliche Angelegenheiten nutzen lassen. Die Instrumentalisierung des Verwandtennetzes ist, auch wenn sie häufig erfolgreich verläuft, nicht ohne jedes Risiko. Wo und wie sich Ludwig Stollwerck und seine ebenfalls aus Köln stammende Braut Maria, eine Tochter „aus vermögender Familie Köln’s“224, kennenlernten, ist nicht bekannt. Ihr Vater war der Saffian- und Lederfabrikant Peter Schlagloth.225 Peter Joseph Stollwerck erwähnte zwar in einem Brief an seinen Bruder Albert Nikolaus (I) im Zusammenhang mit den Hochzeitsfeierlichkeiten das Vermittlungsbüro einer Mathilde Kneifer und war sich sicher, dass die Familie „wegen derselben oft in Gesprächen herhalten“226 müsse – weitere Hinweise enthalten die Quellen jedoch nicht. Eine Heiratsannonce wäre jedoch nichts Ungewöhnliches gewesen, erlebte doch diese Form der Partnersuche im Laufe des 19. Jahrhunderts einen enormen Aufschwung,227 für den mehrere Gründe denkbar sind. Zum einen könnte die professionelle Partnervermittlung ein Hinweis darauf sein, dass die herkömmlichen Institutionen der Eheanbahnung im Zuge des mit der Industrialisierung einhergehenden gesellschaftlichen Wandels nicht mehr funktionierten. Vorstellbar ist zum anderen, dass diese Agenturen gezielt „gute Partien“ vermittelten, die sich unternehmerisch nutzen ließen – erfüllten doch zweckmäßige Heiraten in Unternehmerfamilien noch lange Zeit wichtige Funktionen für das Geschäft und den Betrieb.228 Die Verlobung zwischen Ludwig und Maria ist etwa auf Februar 1880 zu datieren; die anschließende Phase des Brautstandes bis zur Hochzeit im Mai 1881 verbrachte das Paar getrennt. Zwei erhaltene Briefe lassen darauf schließen, dass sich Maria einige Zeit in Wien aufhielt, wo sie Französisch lernte – die Sprache, die eine Dame des Bürgertums neben Englisch sprechen sollte. Ihrem Bräutigam versicherte sie, ein „tugendhaftes Leben“ zu führen und betonte mehrmals ihre Sehnsucht nach ihm. Seiner Treue hingegen war sie sich nicht sicher, quälte sie doch die Eifersucht auf mögliche Nebenbuhlerinnen in Köln, die ihrem Verlobten an Karneval „heiße Küßchen […] ins Gesichtchen drü-
224 W. Schimmelpfeng an die Herren Pfeifer und Langen am 26. Oktober 1888, HADB K02/0298. 225 Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1868, 1874 und 1878. 226 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 16. Mai 1881, RWWA 208874-7. In den Quellen und den Kölner Adressbüchern ließen sich keine Hinweise auf das Vermittlungsbüro einer Mathilde Kneifer finden. 227 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 28 f.; Köhler: Wirtschaftsbürger und Unternehmer, S. 134. 228 Da diese Vermittlungsbüros zweifellos mit Diskretion warben, ist die Quellenlage sehr dünn. Dennoch wäre es ein interessantes Forschungsvorhaben, den aufgeworfenen Fragen nachzugehen.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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cken“229. Vollkommen unbegründet war diese Sorge sicher nicht, war es doch üblich, dass sich bürgerliche Männer vor der Ehe die „Hörner abstießen“.230 Von Carls Ehefrau Fanny Therese (1864–1943), geb. Hanau, ist kaum etwas bekannt. Sie wurde in Paris geboren und entstammte einer ursprünglich jüdischen Familie. Eine Schwester ihres Großvaters Nathan Lehmann Hanau (1787–1868), Eva Hanau (1779–1848), hatte 1796 Amschel Mayer von Rothschild (1773– 1855), den ältesten Sohn des Begründers der Rothschild-Dynastie, geheiratet. Aufzeichnungen von Franz Stollwerck (II) deuten darauf hin, dass Albert Nikolaus (I) den Vater von Fanny Hanau, Isaak Nathan Hanau (1819–1895), 1880 bei einem Kuraufenthalt im hessischen Bad Nauheim kennenlernte. Er sah in der vermögenden Familie angeblich einen potenziellen Geldgeber für das Familienunternehmen und fädelte die Eheschließung zwischen Fanny und seinem jüngsten Bruder ein.231 Die Verbindung zwischen Carl und Fanny ist zweifelsfrei innerhalb der gleichen sozialen Schicht zu verorten. Materielle Erwägungen bei der Partnerwahl lassen sich für beide Seiten weder ausschließen noch belegen. Gesichert ist jedoch, dass sich die Familie Stollwerck zum Zeitpunkt der Eheschließung 1885 in einer finanziell gefestigten Situation befand und sich eine reine Liebesheirat leisten konnte; auch die Familie Hanau verfügte über ein großes Vermögen.232 Doch auch wenn die Heirat nicht unmittelbar der Kapitalbeschaffung diente, heiratete Carl Stollwerck mit seiner Ehefrau eine gute Partie, eine „sichtbare finanzielle Garantie, eine private Quelle des Geldes und der Beziehungen“233, die „von Anbeginn an, die Interessen der […] offenen Handelsgesellschaft Gebr. Stollwerck förderte“234. Auf die ökonomische Bedeutung, die eine Eheschließung für die Partner jeweils hatte, sind anhand der Quellen, wie bereits für Franz Stollwerck, kaum Rückschlüsse möglich. Die erhaltenen Eheverträge lassen keine unmittelbar mit der Hochzeit verbundenen finanziellen Zielsetzungen erkennen. Die primäre Funktion dieser notariell beglaubigten Übereinkommen war es, die Ansprüche des überlebenden Partners zu klären.235 Wo die Ehefrau aus ähnlichen wirtschaftli-
229 Maria Schlagloth an Ludwig Stollwerck am 28. Februar 1881, RWWA 208-875-1. Siehe auch Maria Schlagloth an Ludwig Stollwerck am 4. Februar 1881, RWWA 208-875-1. 230 Siehe Carl Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 21. Mai 1880, RWWA 208-874-5. 231 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Franz Stollwerck (II) vermerkte zudem, dass Fanny nicht die leibliche Tochter von Isaak Nathan Hanau war, sondern das Ergebnis einer vorehelichen Affäre ihrer Mutter, Elisabeth Baersch (1838–1926). Isaak Nathan Hanau habe Fanny nach der Hochzeit adoptiert. 232 In einem Brief an den befreundeten Architekten Bruno Schmitz (1858–1916) erwähnte Carl Stollwerck eine „große Erbschaft“ seiner Frau, die „einige Millionen“ umfasse, allerdings in Staatspapieren angelegt sei, so dass sie nicht frei darüber verfügen könnten. Carl Stollwerck an Bruno Schmitz am 12. Juli 1900, RWWA 208-413-3. 233 Gay: Die zarte Leidenschaft, S. 109. 234 Carl Stollwerck an Emil Schniewind am 14. Dezember 1931, HADB P04785. 235 Siehe Ehevertrag zwischen Ludwig Stollwerck und Maria Schlagloth vom 10. Mai 1881, RWWA 208-253-1; Ehevertrag zwischen Therese Stollwerck und Richard Franz Fritz Roderbourg vom 10. Februar 1887, RWWA 208-47-9; Ehevertrag zwischen Peter Joseph Stoll-
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
chen und sozialen Verhältnissen stammte, verstand sich eine angemessene Mitgift praktisch von selbst. Nach Angaben der Familie erhielten die Ehefrauen von Albert Nikolaus (I) und Heinrich, Maria Theresia und Apollonia, jeweils eine Barmitgift in Höhe von 30.000 Mark; ein Privatdetektiv, der für die Firma Pfeifer & Langen Auskünfte über die Gebrüder Stollwerck zusammentrug, taxierte die Mitgift der Schwestern auf zusammen ca. 90.000 Mark.236 Diese Aussteuer verbesserte die Kapitalbasis für das eigene Unternehmen der Gebrüder Stollwerck deutlich, die 1872 im Streit aus der gemeinsamen Unternehmung mit dem Vater ausstiegen.237 Die Eheschließungen bildeten demnach für Albert Nikolaus (I) und Heinrich eine Art Investitionsfonds, den sie für den Aufbau ihres eigenen Unternehmens einsetzten. Auch Peter Josephs Braut Agnes Heimerdinger brachte Vermögen in die Ehe ein, das rund 180.000 Mark umfasst haben soll.238 Peter Schlagloth gab seiner Tochter Maria eine Mitgift in Höhe von 25.000 Mark mit in die Ehe, die mit der späteren elterlichen Erbschaft verrechnet werden sollte. Maria kannte die Summe, die ihre Eltern für sie aufwandten, und akzeptierte sie „bestens und dankbarlichst“239. Auch Carls Braut Fanny wurde eine Dotation mit in die Ehe gegeben; die Höhe ist nicht bekannt.240 Die Aussteuer sollte zum einen die materielle Basis des neuen Haushaltes bilden, zum anderen eine angemessene Ausstattung garantieren. So gehörten häufig auch Möbelstücke, selbst genähte Tischwäsche und Kleider zur Brautausstattung. Therese Stollwerck, die jüngste Schwester der Gebrüder Stollwerck, brachte in ihre Ehe z. B. Mobiliar im Wert von rund 12.500 Mark sowie Barvermögen in Höhe von rund 90.000 Mark ein.241
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werck und Caecilia Agnes Heimerdinger vom 25. August 1871 sowie vom 12. Juni 1900, RWWA 208-273-2. Siehe W. Schimmelpfeng an die Herren Pfeifer und Langen am 26. Oktober 1888, HADB K02/0298. Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 16. Siehe W. Schimmelpfeng an die Herren Pfeifer und Langen am 26. Oktober 1888, HADB K02/0298. Nach dem Tod ihrer Mutter erbte Agnes Stollwerck zudem ein Vermögen von 95.688,76 Mark. Siehe Aufstellung betreffend den Nachlass von Johanna Emilie Wilhelmine Heimerdinger vom 28. Juni 1901, RWWA 208-320-5. Ehevertrag zwischen Ludwig Stollwerck und Maria Schlagloth vom 10. Mai 1881, RWWA 208-253-1. Diese Ausführungen stehen im Gegensatz zu der These von Oepen-Domschky (Kölner Wirtschaftsbürger, S. 89), „dass Ludwig Stollwerck und seine Familie nicht mit einer hinreichenden Mitgift aus dem schwiegerväterlichen Geldbeutel rechnen konnten“. Siehe W. Schimmelpfeng an die Herren Pfeifer und Langen am 26. Oktober 1888, HADB K02/0298. Siehe Ehevertrag zwischen Therese Stollwerck und Richard Franz Fritz Roderbourg vom 10. Februar 1887, RWWA 208-47-9. Das Barvermögen stammte aus der Erbschaft ihres Vaters. Da Franz Stollwerck kein rechtsgültiges Testament hinterlassen hatte, erbten seine Töchter zu gleichen Teilen wie die Söhne. Siehe Vertrag zwischen den Gebrüdern Stollwerck und Elisabeth Stollwerck vom 27. April 1876, RWWA 208-411-7.
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Heiratsalter und Partnerwahl der dritten Stollwerck-Generation Die Söhne der Gebrüder Stollwerck, die zwischen 1899 und 1929 eine Ehe eingingen, waren im Mittel 29,6 Jahre, die Töchter, die zwischen 1888 und 1935 heirateten, durchschnittlich 24,6 Jahre alt. Die männlichen Stollwerck-Nachfahren schlossen damit etwa vier Jahre später als ihre Väter den Bund fürs Leben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie eine deutlich längere und intensivere schulische und fachliche Ausbildung durchliefen.242 Wie in der zweiten stellten auch in der dritten Stollwerck-Generation gegenseitige Zuneigung und Liebe unter den Motiven und Gründen, aus denen die Sprösslinge ihre Ehepartner auswählten, einen wichtigen Faktor dar – aber nicht den allein entscheidenden. Eine standesgemäße Wahl, die dem Ansehen der Familie und des Unternehmens nicht schadete, blieb weiterhin bedeutend – zumindest für die Eltern, von deren Meinung einiges abhing. So waren – nach Einschätzung von Ludwig Stollwerck – „Naturell und Erziehung“ der Braut die Ursache, dass die Liebe seines Sohnes Fritz zu einem „schönen Mädchen“ erlosch und er zu der Erkenntnis gelangte, dass „die Ehe nicht glücklich sein könnte“. Sein Sohn habe sich „zu schnell und zu impulsiv“ für dieses Mädchen entschieden. Die Auflösung der Verlobung sei zwar „unangenehm“, aber rational betrachtet „ein Glück“243. Die Gebrüder Stollwerck nahmen demnach auf die Partnerwahl ihrer Kinder – sicht- oder unsichtbar – gezielt Einfluss und erwarteten zum einen, dass ihre Kinder sie frühzeitig über ihre Pläne informierten und sich zum anderen nicht gegen den erklärten Willen der Familie verlobten, geschweige denn verheirateten. So reagierte Carl Stollwerck in höchstem Maße verärgert auf die Ankündigung seines Neffen Fritz, dass er „von A bis Z Niemandem etwas sagen, sondern mit einer unumstößlichen Thatsache kommen“ würde, sollte er sich verheiraten wollen. In einem Brief an seinen Bruder Ludwig schrieb er, er habe Fritz mit den Worten zurechtgewiesen, dass er ihn „nicht für einen so treulosen, gewissenlosen Sohn [halte], daß er seinem besten Freunde, seinem Vater nicht lange vorher in seine Herzenswege einweihen & sich mit ihm berathen würde“244. Die Eheverbindungen in der dritten Generation lassen ferner erkennen, dass die Nachfahren der Gebrüder Stollwerck hinsichtlich sozialer und geographischer Herkunft deutlich differenzierter heirateten – allerdings innerhalb des durch die Klassenzugehörigkeit und die soziale Stellung vorgegebenen Rahmens. Dies hing damit zusammen, dass die Unterschiede zwischen den bürgerlichen Sozialmilieus zunehmend aufweichten und die Heiratskreise durch vermehrte Reisen, Studienund Bildungsaufenthalte sowie Ferien im Ausland ihre enge regionale bzw. lokale und damit auch soziale Abgeschlossenheit verloren.245 Marion Theresa (1901– 242 Für Heinrich Victor und Richard, den Sohn von Franz Stollwercks jüngster Tochter Therese, ließ sich das Heiratsalter nicht ermitteln. 243 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Gustav Klein am 3. Januar 1913, RWWA 20860-3. 244 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Dezember 1908, RWWA 208-211-5. 245 Siehe Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 115 f.; Zunkel: Der RheinischWestfälische Unternehmer, S. 19 ff.
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1979), eine der beiden Adoptivtöchter von Carl und Fanny Stollwerck, heiratete 1922 den englischen Politiker Frederick Bellenger (1894–1968). Er war von 1935 bis zu seinem Tod Mitglied des britischen Unterhauses, 1945/46 Finanzsekretär im Kriegsministerium und 1946/47 britischer Kriegsminister. Einige der Söhne und Töchter der Gebrüder Stollwerck verbanden sich mit Partnern aus (freiberuflich tätigen) Akademikerfamilien. Heinrichs zweiter Sohn Heinrich Victor heiratete die aus einer belgischen Juristenfamilie stammende Marie Louise Janssens (1876–1950),246 sein jüngerer Bruder Franz (II) die ebenfalls in Belgien geborene Johanna Rommel (1880–1909).247 Die Töchter von Ludwig, Maria und Luise, ehelichten Ärzte. Luise schloss 1914 mit dem in Darmstadt geborenen Leon Beuer (1883–1943) den Bund fürs Leben, ihre ältere Schwester Maria heiratete zwei Jahre später dessen „beste[n] Freund und Studiengenosse[n]“ Ludger Sulzer. Wie sich Luise Stollwerck und Leon Beuer kennenlernten, ist nicht bekannt, Maria Stollwerck und Ludger Sulzer kamen sich näher, als sie das Brautpaar Luise und Leon als „‚Anstandspersonen‘“248 auf einer Reise begleiteten. Bei Kriegsausbruch meldete sich Ludger Sulzer als Kriegsfreiwilliger; 1915 wurde er zum FeldUnterarzt ernannt und in der Folge an der Ostfront eingesetzt. Während seiner Zeit im Feld pflegte er einen intensiven – aber nicht mehr erhaltenen – Briefwechsel mit Maria Stollwerck, mit der er sich am 5. März 1915 verlobte. Am 5. Januar 1916 ging das Paar in einer „Kriegstrauung“ den Bund der Ehe ein. Ludwig Stollwercks Letztgeborener Karl Maria heiratete mit Ursula Baersch (1910–1988) die Tochter eines Cousins von Fanny Stollwerck. Richard, der jüngste Spross aus dem Stamm Peter Joseph, ehelichte die aus einer alten Kölner Familie stammende Marta Günther (1899–1982), die am Kölner Konservatorium Klavier und Gesang studiert hatte. Die ältesten Söhne von Peter Joseph und Ludwig, Gustav und Fritz, nahmen die Töchter wohlhabender Unternehmerfamilien zur Frau. Fritz heiratete 1914 Maria Huberta Cäcilia Bonzel (1891–1958). Sie war die älteste Tochter von Anton Ludwig Wilhelm Bonzel (1863–1921), der in Olpe, wo seine Familie seit Mitte des 17. Jahrhunderts ansässig war, ein Walzwerk und eine RingofenZiegelei betrieb.249 Gustavs Ehefrau Elsa (1880–1976) entstammte der Dürener Familie Schoeller. Ihr Urgroßvater Johann Peter Schoeller (1778–1838) hatte gemeinsam mit seinen Brüdern in Düren und Umgebung mehrere Tuchfabriken ge246 Siehe zu Heinrich Victor Stollwercks Beziehungen nach Belgien und seinem beruflichen Werdegang ausführlich Kapitel IV.A.2. 247 Johanna Stollwerck starb 1909 im Alter von 28 Jahren in New York, wo ihr Mann in der amerikanischen Zweigniederlassung des Familienunternehmens tätig war. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt. Briefe von Carl Stollwerck enthalten lediglich Hinweise auf Johannas „Leidenstage“ und „gesundheitlich wenig sonnige Tage“ sowie die Einschätzung, dass der Tod für sie eine „Erlösung“ gewesen sei. Carl Stollwerck an seine Brüder am 30. September und am 1. Oktober 1909, RWWA 208-394-7. Obwohl Franz (II) erst 32 Jahre alt war, als er Witwer wurde, heiratete er kein zweites Mal. Nach Einschätzung seines Onkels hing er „mit allen Fasern seines Herzens an seiner Johanna“. Carl Stollwerck an seine Brüder am 23. September 1909, RWWA 208-394-7. 248 Die beiden letzten Zitate aus o. A.: Ausführungen zu Ludger Sulzer, seinem Werdegang und seiner Beziehung zu Maria Stollwerck, 1915, RWWA 208-46-3. 249 Siehe Koerner (Hg.): Sauerländisches Geschlechterbuch, S. 32 ff.
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gründet, die „zeitweise eine branchendominante Stellung“250 einnahmen. Elsas Vater August Schoeller (1846–1938) betrieb in Genua eine Großhandlung für Wolle und Häute und lebte seit dem Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg in Baden-Baden. Wo und wie sich Elsa Schoeller und Gustav Stollwerck kennenlernten, ist nicht bekannt.251 Die spärliche Quellenlage lässt lediglich die Aussage zu, dass sich die Familien Stollwerck und Schoeller aus geschäftlichen Zusammenhängen kannten. Konkret bemühte sich Ludwig Stollwerck Anfang der 1890er Jahre, die Familie Schoeller als Kapitaleigner für eine Gesellschaft zu gewinnen, die das Automatengeschäft252 der Stollwerck’schen Unternehmung übernehmen sollte. Er brach die Verhandlungen jedoch ab, weil sie „Forderungen stellte, welche die Unabhängigkeit des Geschäftes beeinträchtigten und uns sozusagen die Kontrolle wegzunehmen in Aussicht stellten“253. Die drei Töchter von Peter Joseph Stollwerck gingen Ehen mit adligen Partnern ein – wie diese Verbindungen allerdings zustande kamen, ob sie möglicherweise im Sinne sozialer Aufstiegsbestrebungen der Familie Stollwerck gezielt angebahnt wurden, darüber erlauben die Quellen keine Aussagen. Die Aufzeichnungen von Franz Stollwerck (II) deuten indes darauf hin, dass alle drei adligen Ehemänner weder vermögend noch beruflich, gesellschaftlich oder politisch engagiert waren, sondern von dem Reichtum ihres Schwiegervaters profitierten.254 Helene schloss mit Karl Eduard Felix von Kuczkowski (1866–1915) den Bund fürs Leben; Martha und Clara heirateten 1901 bzw. 1900 in die deutsch-dänische Politiker- und Diplomatenfamilie von Bernstorff ein, ein ursprünglich in Mecklenburg ansässiges Adelsgeschlecht.255 Die Verbindungen zur Familie von Bernstorff nutzte insbesondere Ludwig Stollwerck. 1916 bemühte er sich – letztlich vergeblich –, über Johann Heinrich Graf von Bernstorff (1862–1939), einen Cousin von Claras und Marthas Ehemännern, kaiserlicher Botschafter in Washington, Weimarer Reichstagsabgeordneter und republikanischer Außenpolitiker, seinem in den USA weilenden Geschäftsfreund Ferdinand Braun (1850–
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Von Saldern: Unternehmerfamilien und ihre Verwandten, S. 27, 29. Siehe Schoeller: Stammblätter, Stammblatt XI. Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2 und IV.B.1. Ludwig Stollwerck: Gründung der Deutschen Automaten Gesellschaft Stollwerck & Co., o. D., RWWA 208-243-7. 254 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 255 Clara heiratete 1900 Arthur Rudolf Adolf Hermann Graf von Bernstorff (1873–1949), Martha 1901 seinen jüngeren Bruder Bechtold Arthur Wilhelm Hermann Graf von Bernstorff (1876– 1954). Siehe von Ehrenkrook (Bearb.): Genealogisches Handbuch des Adels, S. 50. Siehe ferner, auch für weiterführende Literaturhinweise, Conze: Von deutschem Adel. Conze (ebenda, S. 332) verwies darauf, dass adelige Söhne ihrer Familie mit einer bürgerlichen Heirat nützen konnten. Die Mitgift, die die Frau in die Ehe einbrachte, konnte das ökonomische Kapital des Mannes sichern oder vermehren. Indem ferner die Frau den Namen des Mannes annahm und in den Adel aufgenommen wurde, minderte der Mann weder seinen eigenen Stand noch den seiner Familie.
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1918) die Rückreise nach Deutschland zu ermöglichen.256 Der deutsche Physiker befand sich bereits seit längerem aufgrund von Rechtsstreitigkeiten in den USA und war dort von deren Kriegseintritt überrascht worden.257 Auch Walter, der zweite Sohn von Peter Joseph, heiratete mit Ingeborg Freiin von Grote (1886– 1954) 1910 in erster Ehe eine ursprünglich adlige Frau. Das Geschlecht von Grote gehört zum Lüneburger Uradel und ist seit 1162 nachweisbar.258 Wie die Töchter von Peter Joseph verbanden sich auch die beiden ältesten Töchter von Heinrich mit Männern adliger Herkunft. Bertha (1869–1953) mit Carl Maria Peters von Emingerhof (1859–1940), Anna Sophia in zweiter mit Franz Waldemar von Reiche (1880–1934) und in dritter Ehe mit Fürst Stanislaus Sulkowski (1862–1940), der einem polnischen Adelsgeschlecht entstammte, dessen Stammreihe im 17. Jahrhundert beginnt.259 In erster Ehe war Anna Sophia mit dem Gutsbesitzer Josef A. Bollig (1865–1936) verheiratet, der später ihre jüngere Schwester Maria Theresa (1874–1957) heiratete. Die Heirat einer bürgerlichen Unternehmertochter mit einem Adligen war zwar kein Einzelfall, allerdings lassen sich im Heiratsverhalten der Unternehmer bzw. ihrer Töchter im 19. und frühen 20. Jahrhundert insgesamt wenige Anhaltspunkte für eine weit fortgeschrittene, systematische soziale Verflechtung mit der Aristokratie erkennen.260 Die Mitgift, mit der die Gebrüder Stollwerck ihre Töchter ausstatteten, war beträchtlich und spiegelt das gewachsene Privatvermögen der Familie. Peter Joseph Stollwerck gab seinen drei Töchtern eine Aussteuer in Höhe von 30.221, 26.094 bzw. 43.705 Mark mit in die Ehe, zusätzlich erhielten sie jeweils 1.000 Mark für die Hochzeitsreise; nach seinem Tod wurde diese Summe für alle Töchter auf 50.000 Mark aufgerundet.261 Die Mitgift, die die Frau mit in die Ehe brachte, bildete ideell die „Verrechnung gegen die höheren Ausbildungskosten für die Söhne“ sowie eine „Entschädigung […] für die Chancen, welche den Söhnen durch Eintritt in das väterliche Geschäft bei guter Führung und tüchtigen Leistungen geboten“262. Heinrich Stollwerck vermachte seinen drei Töchtern schon vor seinem Tod jeweils 150.000 Mark, die nicht auf ihren Erbteil angerechnet 256 Siehe Johann Heinrich Graf von Bernstorff an Ludwig Stollwerck am 10. Mai 1916, RWWA 208-114-4; Ludwig Stollwerck an Johann Heinrich Graf von Bernstorff am 6. März 1916, RWWA 208-114-4. 257 Ferdinand Braun entwickelte 1898 die Funktelegraphie. Ludwig Stollwerck, der regen Anteil an den „langen Bemühungen“ nahm, „die drahtlose Telegraphie in den practischen Gebrauch überzuführen“, unterstützte ihn in der Folge, seine Erfindung unternehmerisch zu verankern. Ludwig Stollwerck an Franz Joly am 8. September 1898, RWWA 208-262-8. Siehe ausführlich Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 195 f. 258 Siehe von Hueck (Bearb.): Genealogisches Handbuch der Freiherrlichen Häuser, S. 148. 259 Siehe von Ehrenkrook (Bearb.): Genealogisches Handbuch der Fürstlichen Häuser, S. 520. 260 Siehe Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 190; Kaelble: Wie feudal waren die deutschen Unternehmer im Kaiserreich?, S. 151–155; Henning: Soziale Verflechtungen, S. 18 f.; Zunkel: Industriebürgertum, S. 318. 261 Siehe Protokoll über die Sitzung des Familienrates betr. Nachlass von Peter J. Stollwerck vom 18. Februar 1908, RWWA 208-456-5. Warum die Töchter zunächst unterschiedlich hohe Aussteuern erhielten, lässt sich den Quellen nicht entnehmen. 262 Ebenda.
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werden sollten – zur „Ausgleichung“ der seinen Söhnen „anderweitig zugefallenen Vorteile“263. Ludwig Stollwerck gab seinen beiden Töchtern jeweils eine „Heirats-Ausstattung“ in Höhe von 50.000 Mark und behielt sich vor, diese nachträglich auf 100.000 Mark zu erhöhen.264 Die Adoptivtochter von Carl und Fanny Stollwerck, Marion Theresa, wurde „für ihre Heirat vollständig ausgestattet und eingerichtet“265 und sollte laut Vertrag vom 1. Juli 1922 ferner die ersten zehn Ehejahre vierteljährlich 5.000 Mark erhalten. Geschlechtsspezifische Rollenbilder, Eheleben und Sexualität In der vorindustriellen Gesellschaft verbrachten Ehepartner den Großteil des Tages gemeinsam. Zwar vertrat allein der Mann die Familie in der Öffentlichkeit, doch die Frau war ihm eine wichtige Hilfe im familiären Produktionsbetrieb – menschliche Beziehungen und ökonomische Funktionen waren also eng verbunden und dadurch häufig stark versachlicht. Mit der Auflösung der traditionellen Lebensform des „ganzen Hauses“, der Distanzierung der Sphäre des Erwerbs von der des Wohnens, trennten sich die Wege bürgerlicher Paare in der Regel schon am Morgen. Der Mann ging seiner Arbeit außerhalb des Hauses nach, die Frau kümmerte sich um Haushalt und Familie.266 Vor diesem Hintergrund erwuchs im 19. Jahrhundert zunehmend das Bedürfnis nach einer engen Bindung der Ehepartner, gemeinsamen Vorlieben und kultivierter ehelicher Kommunikation.267 Die geistige Gemeinschaft der Eheleute rückte in den Mittelpunkt. Aus diesen normativen Ansprüchen lässt sich freilich kein gleichrangiges Nebeneinander von Mann und Frau im Alltag ableiten. Das bürgerliche Rollenbild ordnete den Mann der Berufswelt, die Frau dem privaten Umfeld und dem Haushalt zu. Diese Differenzierung hatte weitreichende Auswirkungen auf das Verhältnis der Geschlechter. Der Mann nahm die Rolle des Ernährers ein, der sich im Spannungsfeld von Beruf, Politik und Kultur, d. h. in der Öffentlichkeit zu bewähren hatte. Die Frau hingegen verantwortete Haushaltsführung und Kindererziehung, damit der Mann unbelastet seiner Arbeit nachgehen und sich am Abend in einem geordneten und intakten Heim erholen konnte. Als standesgemäße weibliche Beschäftigung außerhalb des häuslichen Rahmens galt lediglich das karitative Engagement – jedoch durfte die Ehefrau nur so viel öffentliche Aufmerksamkeit bzw. Anerkennung auf sich ziehen, dass ihr Ehemann nicht in einem unvorteilhaf263 Ehe- und Erbvertrag zwischen Heinrich Stollwerck und seiner Ehefrau Apollonia vom 28. Januar 1903, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Siehe auch Testament von Heinrich Stollwerck vom 28. August 1901, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. 264 Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. 265 Vertrag zwischen Carl und Fanny Stollwerck und Marion Theresa Bellenger vom 1. Juli 1922, Staatsarchiv München, AG Aibling NR 1932/86. 266 Siehe Weber-Kellermann: Frauenleben, S. 11 f.; Sieder Sozialgeschichte, S. 131 f. 267 Siehe ebenda; Rosenbaum: Formen der Familie, S. 265; Trepp: Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit, S. 284–315.
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ten Licht erschien.268 Diese unterschiedlichen Handlungs- und Wirkungssphären begründeten eine starre Geschlechterordnung. Der Mann hatte in den europäischen Gesellschaften generell einen Statusvorsprung gegenüber der Frau. Durch seine Rolle als Ernährer, Vormund und Repräsentant der bürgerlichen Familie legitimierte er diesen strukturellen Autoritätsanspruch auf neue Weise. Der weibliche Aufgabenbereich hatte zwar hohe Bedeutung für das unbelastete Wirken und die Erholung des Mannes, verblasste aber gegenüber der männlichen Erwerbsarbeit außerhalb des Hauses. Die Frau galt zudem naturgemäß und im Hinblick auf ihre anatomischen Merkmale als passiv, abhängig, emotional sanft und duldsam, der Mann hingegen als aktiv, selbständig, rational, risikofreudig und leistungsbereit. Entsprechend ordnete sich die Frau in der Regel ihrem Mann unter, mied Konflikte und war auf Harmonie und Rücksicht bedacht. Dieses Positionsgefälle galt als Garant einer harmonischen Ehe.269 Die skizzierten normativen Scheidelinien zwischen Frauenraum und Männerbereich lassen sich zwar unschwer in der historischen Realität ausmachen, allerdings gab es sowohl Widerstand gegen die überkommenen Vorstellungen als auch Interaktion und Kooperation – die zugewiesenen weiblichen und männlichen „Platzanweisungen“270 waren also durchaus beweglich. Dies galt allerdings überwiegend für den privaten Raum; von vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, politischen Rechten und dem Zugang zu Bildung blieben bürgerliche Frauen im 19. Jahrhundert weitgehend ausgeschlossen. Dass auch die Familie Stollwerck die Idee gegensätzlicher Geschlechtercharaktere lebte, wurde bereits in der skizzierten geschlechtsspezifischen Ausbildung der Kinder deutlich. Auch die Korrespondenz zwischen Peter Joseph und seiner Frau Agnes während der Zeit des Brautstandes, in der sie versuchten, akzeptable Modi für das spätere Zusammenleben zu finden, lässt sich zunächst dahingehend interpretieren, dass die Frau ihr Leben auf das Wohlbefinden des Mannes auszurichten hatte. Agnes sah ihre Rolle primär darin, für das häusliche Wohlleben von Peter Joseph zu sorgen. So gab es zwischen den beiden die Übereinkunft, dass – nach dem Motto: „Verzieh Dir Deinen Mann, meiner ist noch Bräutigam“ – bis zur Eheschließung Agnes „das Regiment“271 führe. Nach der Hochzeit würde es dann hingegen ihr „eifrigstes Betreiben“ sein, ihrem Mann „das Leben so angenehm wie möglich zu machen“. Diese Vereinbarung gab ihr die Motivation zu einem Neuanfang mit sich selbst, d. h. sie vergegenwärtigte sich ihre charakterlichen Schwächen und wollte sich Mühe geben, ihren „krötigen, bösen Kopf […] in einen biegsamen zu verwandeln“272, um den Hausfrieden nicht zu gefährden. In 268 Siehe Frevert: Frauen-Geschichte, S. 35 f. 269 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 44 f.; Sieder: Sozialgeschichte, S. 132 f.; Budde: Bürgerinnen in der Bürgergesellschaft, S. 249–252; Rosenbaum: Formen der Familie, S. 288–294, 340–347; Hausen: Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“, S. 365–369. 270 Budde: Bürgerinnen in der Bürgergesellschaft, S. 251. Siehe zu Frauen, die im späten 18. Jahrhundert eine „öffentliche Karriere“ vorweisen konnten, Frevert: Frauen-Geschichte, S. 51–62. 271 Agnes Heimerdinger an Peter Joseph Stollwerck am 22. Februar 1871, RWWA 208-874-4. 272 Die letzten Zitate aus Agnes Heimerdinger an Peter Joseph Stollwerck am 17. Februar 1871, RWWA 208-874-4.
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der Realität war Agnes aber – wie ihre Schwägerinnen Maria Theresia und Apollonia – nicht nur für die Haushaltsführung und die Erziehung der Kinder zuständig, sondern half anfangs auch im Geschäft, wo jede der Frauen „nach Möglichkeit ihre Pflicht“273 tun sollte. Auch wollte Peter Joseph keinesfalls, dass Agnes sich ihm „blindlings“274 unterordne, da er die daraus entstehenden Unzuträglichkeiten kenne. Er war lediglich bemüht, seiner Frau ihr aufbrausendes Wesen und ihr mitunter stürmisches Auftreten abzugewöhnen. Das Verhältnis zwischen Peter Joseph und seiner Ehefrau war demzufolge nicht von reiner Über- und Unterordnung geprägt, sondern es lassen sich durchaus Zwischentöne und graduelle Unterschiede erkennen. Trotz der starren Rollenbilder, gesellschaftlichen Erwartungen und Zwängen gab es innerhalb der Ehe Raum zur Ausgestaltung der familiären „Machtverhältnisse“. Peter Joseph mag auch erkannt haben, dass das Herkunftsmilieu seiner Ehefrau eine starre patriarchalische Hierarchisierung der Ehebeziehung erschwert hätte. Agnes entstammte einer angesehenen und wohlhabenden Hamburger Kaufmannsfamilie. Das soziale, kulturelle und ökonomische Kapital, das sie in die Ehe einbrachte, war den Ressourcen ihres Mannes – wenn überhaupt – nur bedingt unterlegen und leistete daher vermutlich eher einer gleichrangigen Beziehung Vorschub.275 Die Verbindung zwischen Ludwig Stollwerck und seiner Ehefrau war weniger von der Frage nach Unterordnung oder Nebeneinander bestimmt, sondern durch eine psychische Erkrankung Marias geprägt, die mit wiederkehrenden Depressionen einherging.276 Es kam daher auch nur selten vor, dass Maria Repräsentationsaufgaben wahrnahm und ihren Mann auf eine geschäftliche Reise begleitete. 1904 nahm sie an einem Besichtigungsprogramm teil, das Ludwig Stollwerck für einen Besuch seines britischen Geschäftsfreundes William Hesketh Lever und dessen Ehefrau zusammengestellt hatte, und 1910 begleitete sie ihren Mann für einige Wochen nach New York, wo sie mit Opernbesuchen, Ausflügen und Banketten ein umfangreiches gesellschaftliches Programm absolvierte.277 Der Aufgabe einer Ehefrau, ein „freundschaftlich-nettes Verhältnis“278 zu den Geschäftspartnern des 273 Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-875-2. Die Antwort auf die Frage, worin genau die zitierte Pflicht bestand, bleiben die Quellen schuldig. 274 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 13. August 1881, RWWA 208847-7. Ob Peter Joseph mit seiner Aussage („Wir haben selbst die Unzuträglichkeiten kennen gelernt die entstehen, wenn die Frau sich dem Mann blindlings unterordnet“) auf die Ehe seiner Eltern anspielte, ist denkbar, lässt sich aber nicht belegen. 275 Siehe zur Ressourcentheorie ehelicher Machtstrukturen Nauck: Individualistische Erklärungsansätze, S. 47–50; Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 213. Um das Thema „Ehepaare im Wirtschaftsbürgertum“ mehr als nur exemplarisch zu behandeln und in der Vielfalt seiner tatsächlichen sozialen Konturen zu erfassen, bedürfte es einer breit angelegten und methodisch reflektierten Analyse, die das relevante, äußerst reichhaltige und heterogene Quellenmaterial systematisch erschließt und auswertet. Eine solche Studie steht noch aus. 276 Siehe ausführlich Kapitel III.B.2. 277 Siehe Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 6. Oktober 1904, RWWA 208-160-1; Ludwig Stollwerck an seine Kinder am 15. Februar 1910, RWWA 208-162-2; Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 23. Februar 1910, RWWA 208-162-2. 278 Ludwig Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 19. Mai 1909, RWWA 208-303-1.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Mannes aufzubauen, kam sie daher nur eingeschränkt nach; für ihre Schwägerinnen lassen sich keine Aussagen treffen. Neben den zahlreichen Kur- und Sanatoriumsaufenthalten seiner Frau führten auch die Geschäftsreisen Ludwig Stollwercks dazu, dass das Ehepaar oft für mehrere Monate getrennt lebte; zudem verbrachte Maria mehrere Wochen im Jahr mit den Kindern auf dem Land, während Ludwig in Köln blieb.279 In der Zeit, die Maria zu Hause ohne ihren Mann verbrachte, fand sie wohl nur in der häuslichen Umgebung oder durch Besuche von Verwandten Ablenkung. In einer ihr eigenen „kindlichen Güte“ und „Gewissenhaftigkeit“280 stellte sie dann allerdings das Wohlbefinden ihrer Gäste häufig über ihre eigene Gesundheit – erneute depressive Phasen waren die Folge. Karitatives Engagement, das für viele Frauen des höheren Bürgertums nahezu obligatorisch war, um zu demonstrieren, dass man Gemeinsinn zeigte und sich nicht nur für das eigene Wohl interessierte, lässt sich für Maria Stollwerck – ebenso wie für ihre Schwägerinnen – nur punktuell nachweisen.281 Ein Nachruf auf Ludwig Stollwerck, in dem seine Gattin als „Frau von tiefer Religiosität und hohem Edelsinn“ verklärt wurde, die, „wo es galt, blutenden menschlichen Herzen zu helfen, […] im Mitraten und Mittaten eine der ersten“ war, ist nur mit Bedacht als Quelle heranzuziehen, da solche Würdigungen von den Nachfahren häufig gezielt in der Presse platziert wurden. Gesichert ist, dass auf Maria Stollwercks Initiative hin anlässlich der Feier ihrer Silberhochzeit 1906 die „Maria-LuisenStiftung“ (benannt nach den beiden Töchtern des Ehepaares) gegründet wurde.282 Auch Fanny Stollwerck rief – allerdings erst testamentarisch – eine Stiftung ins Leben, der sie mit Ausnahme weniger Gegenstands- und Barvermächtnisse ihren gesamten Nachlass zuwandte. Die nach ihr und ihrer im Kindesalter verstorbenen Adoptivtochter Carlita (1901–1911) benannte „Fanny-Carlita-Stiftung“ fördert gemäß den Festlegungen von Fanny Stollwerck bis heute mit jährlich ca. 30.000 Euro die Ausbildung und Auslandsaufenthalte hilfsbedürftiger talentierter Studierender der Akademie der Bildenden Künste München und der Musikhochschule München.283 Ausnahmen bildeten die Kriegsjahre 1914 bis 1918, in denen sich insbesondere die Töchter der Gebrüder Stollwerck gemeinnützig engagierten – in den traditi279 Siehe Ludwig Stollwerck an Gilbert Bartholomew am 27. November 1901, RWWA 208-2474; Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 24. Dezember 1901, RWWA 208-229-5; o. A.: Aus der Kinderstube, S. 61. 280 Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 16. Januar 1902, RWWA 208-117-6; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 6. September 1909, RWWA 208-394-7. Siehe auch Carl Stollwerck an seine Brüder am 28. September 1909, RWWA 208-394-7. 281 Die karitative Zurückhaltung der Stollwerck’schen Ehefrauen war keineswegs zeittypisch. So verwies Trepp (Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit, S. 265–283) darauf, dass zahlreiche verheiratete und wohlsituierte Frauen des Hamburger Bürgertums zwischen 1740 und 1850 gemeinnützig tätig waren. Dabei spielten auch religiöse Motive für viele Frauen eine grundlegende, wenn auch nicht unbedingt vorrangige Rolle. Zu bürgerlichen Frauen und ihrer Bewegung im Kaiserreich siehe Frevert: Frauen-Geschichte, S. 104–128. 282 Siehe ausführlich Kapitel IV.B.2. 283 Schriftliche Auskunft von Hans-Peter Schroth, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultur, vom 25. Januar 2010.
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onellen Bahnen freiwilliger Philanthropie. Ludwigs Tochter Maria beispielsweise kümmerte sich täglich mehrere Stunden um die Versorgung der im Kölner Hauptbahnhof eintreffenden Verwundeten und absolvierte mit ihren Schwestern einen Krankenpflegekurs. Ihr Vater betrachtete ihre „oft harte […] Arbeit“ durchaus sorgenvoll und kritisierte, dass sie sich „etwas zu viel“284 aufopfere. Da ihnen der Einsatz jedoch „eine grosse Befriedigung“285 gab und weder die gesellschaftliche Stellung der Frau noch das traditionelle Bild von Weiblichkeit in Frage stellte, ferner geschlechtsspezifische Handlungsgrenzen nicht überschritten wurden, tolerierte bzw. unterstützte Ludwig Stollwerck ihren Einsatz und erwähnte ihn lobend in den Briefen, die er seinen Söhnen und Neffen an die Front schickte. Zusammenfassend legen die Quellen allerdings die Vermutung nahe, dass die Ehefrauen der Gebrüder Stollwerck zwar keine finanziellen Probleme hatten und sich um die materielle Zukunft ihrer Kinder nicht sorgen mussten – ihre eigene Persönlichkeit konnten sie in ihren Ehen jedoch nicht bzw. zumindest nach außen nicht entfalten. Die strikte Trennung der Lebensbereiche von Mann und Frau und die unterschiedlichen Positionen, die sie innerhalb der Ehe einnahmen, führen zu den Fragen, inwieweit sich die im bürgerlichen Ehe- und Familienleitbild geforderte geistige Gemeinschaft der Ehepartner in der Familie Stollwerck verwirklichte286 und ob sich die Kommunikationsbereiche der Ehepartner auf familiäre Angelegenheiten, wie die Erziehung der Kinder, begrenzten oder sich darüber hinaus gemeinsame Interessen, z. B. in religiösen und kulturellen Fragen, ausmachen lassen. Carl und Fanny Stollwerck verband die Begeisterung für die Kunst; neben der Förderung von Künstlern kümmerten sie sich z. B. gemeinsam um die Gestaltung und Einrichtung ihrer Villa in der Kölner Volksgartenstraße.287 Für Carl und Ludwig Stollwerck lässt sich zudem nachweisen, dass sie auch geschäftliche Angelegenheiten mit ihren Ehefrauen besprachen – darauf deutet z. B. die Ermahnung von Carl hin, Ludwig solle seiner erkrankten Ehefrau „alle Unruhe und Sorge sowohl in ihrer engsten Familie wie auch durch alle geschäftlichen Besuche und Mitteilungen […] ersparen“288. Ob die Frauen in geschäftlichen Fragen allerdings mehr waren als eine Gesprächspartnerin, der die Männer am Abend ihre Sorgen anvertrauten, und das Unternehmen den Eheleuten wirklich als „verbindendes Zentrum“289 diente, ist zu bezweifeln. Als Ratgeberin sah zumindest Lud284 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 17. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 26. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 285 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 5. September 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 286 Siehe Frevert: Frauen-Geschichte, S. 37. 287 Siehe z. B. Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 9. Juli 1900, RWWA 208-413-3; o. A.: Ein Siebzigjähriger. 288 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 9. März 1910, RWWA 208-71-2. Auch Carl sprach mit seiner Ehefrau über das Geschäft. Siehe Fanny Stollwerck an Karl Kimmich im September 1917, HADB P04787. 289 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 34.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
wig Stollwerck seine Frau nicht, vielmehr teilte er die typische männliche Auffassung jener Zeit, dass Frauen das Verständnis für Geldfragen und den immer stärker durchrationalisierten und komplizierten Bereich von Beruf und Geschäft fehle. Testamentarisch verfügte er, seine Frau solle „bei der Vermögensverwaltung […] nichts von Bedeutung ohne Einverständnis ihrer Berater […] tun, namentlich keine Aktien oder Vermögensstücke […] veräussern“, da sie „wie fast alle Frauen über weniger Geschäftserfahrung verfügt“290. Bereits im Gesellschaftsvertrag von 1882 hatten die Gebrüder Stollwerck festgehalten, dass „die Einmischung der Frauen in geschäftliche Angelegenheiten bei Lebzeiten der Theilhaber […] absolut ausgeschlossen“ sei und auch gegenüber den Familien der Ehefrauen „Verschwiegenheit beobachtet werden“291 solle. So lassen die Quellen tatsächlich keine umfassende Identifikation der Stollwerck’schen Frauen mit der Tätigkeit ihrer Ehemänner, geschäftlichen Erfolgen und dem Familienunternehmen erkennen – weder traten sie im karitativen Bereich öffentlichkeitswirksam in Erscheinung noch lässt sich ihre Teilnahme an Feierlichkeiten im Unternehmen (z. B. Jubilarfeiern) nachweisen. Auch die Frage, ob die bei Peter Joseph und Agnes Stollwerck erkennbare Verliebtheit der Verlobungszeit anhielt, lässt sich nicht mit Gewissheit beantworten. Briefe zwischen den Eheleuten sind mit Ausnahme der zitierten Korrespondenz nicht erhalten und in den Schreiben, die unter den männlichen StollwerckAkteuren ausgetauscht wurden, fanden die Ehefrauen und der Ehealltag keine besondere Beachtung.292 Gesichert ist, dass die Gebrüder Stollwerck nach außen die Fassade einer harmonischen Ehe aufrecht erhielten, Scheidungen gab es in der zweiten Generation nicht. In der dritten Generation hingegen wurden bereits fünf Ehen geschieden; sowohl Gustav als auch Walter trennten sich von ihren Ehefrauen, auch ihre Schwester Martha wurde nach etwa zehn Ehejahren geschieden. Anna Sophia, die zweite Tochter von Heinrich Stollwerck, heiratete 1929 nach zwei Scheidungen ein drittes Mal;293 Gustav und Walter gingen ebenfalls ein zweites Mal den Bund der Ehe ein und bekamen jeweils zwei weitere Kinder. Lediglich 290 Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. Siehe auch Rosenbaum: Formen der Familie, S. 345. 291 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, RWWA 208-342-3. 292 Von Saldern (Unternehmerfamilien und ihre Verwandten, S. 33 f.) wies zu Recht darauf hin, dass man daraus nicht schließen könne, die Männer hätten ihre Ehefrauen missachtet. Vielmehr sei diese Form der Korrespondenz Ausdruck der „Spezifika schriftlicher Beziehungskultur unter befreundeten männlichen Familienmitgliedern und Verwandten, die geschäftlich miteinander zu tun hatten“. 293 Siehe von Ehrenkrook (Bearb.): Genealogisches Handbuch des Adels. Gräfliche Häuser A. Band 1, S. 50; von Ehrenkrook (Bearb.): Genealogisches Handbuch der Fürstlichen Häuser. Fürstliche Häuser. Band IV, S. 520. Die Gründe, die zum Ende der Ehen führten, sowie die Scheidungsprozesse und Interessen der jeweiligen Parteien lassen sich nicht zuverlässig nachzeichnen. Lediglich für Gustav Stollwerck ist überliefert, dass es mit seiner Frau zu heftigen Meinungsverschiedenheiten über die Nutzung der Immobilien kam. Siehe Gustav Stollwerck an Carl Stollwerck am 14. November 1925, RWWA 208-43-1.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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für Ludwig Stollwerck und seine Frau erlauben die Quellen auch einen Blick hinter die Ehefassade. Die häufigen und langen Trennungen von Maria setzten Ludwig sehr zu. Als sie ihn 1902 nach der Rückkehr von einer Amerikareise in Bremerhaven empfing, erlebte er „eine Freude des Wiedersehens oder überhaupt eine Freude, wie ich sie selten im Leben gehabt habe“294. Gegenüber Freunden und Verwandten sprach er offen über die Gefühle für seine „heissgeliebte“295 Maria und die Trauer, die er nach ihrem Tod empfand; einem Zeitungsbericht zufolge soll er einen ganzen Raum, „in dem er am liebsten weilte, und seinen Gedanken nachhing“296 mit Erinnerungen an seine Frau ausgeschmückt haben. Auch Maria sehnte sich nach ihrem Mann und führte eine erneute Depression 1908 sogar auf seine lange Abwesenheit zurück, da er sechs statt der geplanten drei Wochen in Amerika gewesen sei.297 Geduld – zweifellos eine Eigenschaft, die einer Unternehmergattin im Verlauf ihrer Ehe nützen konnte – gehörte also nicht zu Marias Stärken. Einen Eindruck, was es hieß, mit einem Unternehmer verheiratet zu sein, hatte sie freilich schon auf ihrer Verlobungsfeier erhalten, die Ludwig Stollwerck aus geschäftlichen Gründen plötzlich verließ.298 Neben der Zuneigung als Fundament einer Lebensgemeinschaft deutet manches darauf hin, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch die sexuelle Beziehung zwischen den Ehepartnern aufgewertet wurde. Erotik und Sinnlichkeit dienten nicht mehr nur der Verführung des Mannes außerhalb der Ehe, sondern die Sexualität wurde emotionalisiert und normativ auf die bürgerliche Ehe eingegrenzt – d. h. durch Fortpflanzung legitimiert. Das Sexualverhalten wurde unauflösbar mit den bürgerlichen Tugenden der Selbstbeherrschung, Mäßigung und Arbeitsamkeit, des Anstands und der Ordnung verbunden. Ähnlich dem bürgerlichen Familienleitbild wurden auch in der Sexualität die Rollenkonzepte von Mann und Frau betont. Die herrschende Norm sprach Frauen, die als Partnerin für den bürgerlichen Mann in Frage kamen, sexuelle Bedürfnisse und Wünsche ab. Bürgerliche Mädchen wurden zum einen zu Keuschheit und Reinheit vor der Ehe, zum anderen zu ehelicher Treue erzogen. Theoretisch richtete sich dieser Anspruch an beide Geschlechter, doch realiter wurde toleriert, dass Männer – im Umgang mit Dienstmädchen, im Bordell etc. – voreheliche Erfahrungen sammelten. Auch Verstöße gegen die eheliche Treue galten gemäß der herrschenden Norm für beide Geschlechter als verwerflich, männliche Seitensprünge wurden jedoch im Unter-
294 Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 1. Dezember 1902, RWWA 208-117-6. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Maria Stollwerck am 21. September 1912, RWWA 208-59-2. 295 Ludwig Stollwerck an Max Kattwinkel am 16. August 1919, RWWA 208-115-1. Nach dem Tod seiner Frau klagte Ludwig: „Ich befinde mich zumeist in recht gedrückter Stimmung und weiss kaum meine Nerven zu beherrschen.“ Ludwig Stollwerck an Theodor Bergmann am 29. April 1919, RWWA 208-214-4. 296 O. A.: Ludwig Stollwerck †. 297 Siehe Ludwig Stollwerck an August Schilling am 5. Dezember 1908, RWWA 208-211-5. 298 Siehe Ludwig Stollwerck an Heinrich Victor Stollwerck am 2. September 1913, RWWA 20859-2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
schied zu weiblichem Ehebruch stillschweigend toleriert.299 Man darf aus der Polarisierung der Geschlechterrollen bzw. der Unterscheidung einer Frauen- und einer Männermoral allerdings nicht ableiten, dass eine Intimsphäre, konkret eine sexuelle Beziehung, die beide Partner zufrieden stellte, in bürgerlichen Ehen die Ausnahme war. Peter Gay hat für den europäisch-amerikanischen Kulturkreis des späten 19. Jahrhunderts überzeugend herausgearbeitet, dass viele bürgerliche Gemeinschaften Mann und Frau gleichermaßen sexuelle Erfüllung brachten.300 In den Quellen finden sich jedoch in der Regel kaum Hinweise auf die bürgerliche Sexualität. Der Bürger des 19. Jahrhunderts war prüde und bewahrte in der Regel „über das delikate Thema der Geschlechtsliebe ein ehernes Schweigen“301. Die Zeugung eines Kindes wurde mit dem Verweis auf den Klapperstorch aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verdrängt – in der Familie Stollwerck war es der Osterhase, der 1893 „auf seinen jährlichen Wanderungen […] zur Freude der ganzen Familie […] ein allerliebstes Geschöpfchen […] absetzte“302. Das Thema Sexualität wurde allerdings nicht nur in alltäglichen Gesprächen und gegenüber den Kindern tabuisiert, sondern galt auch im privaten Liebesbrief als unschicklich und wurde in die „Zone der Diskretion“303 gedrängt. Historiker sind daher auf Zufallsfunde und die seltenen Fälle angewiesen, in denen Folgeerscheinungen von Seitensprüngen, z. B. Geschlechtskrankheiten, thematisiert wurden.304 Reproduktion und Stellenwert der Kinder Die schichtübergreifende Vorstellung, dass auf die Eheschließung möglichst rasch eine Schwangerschaft folgen müsse, war nicht nur im Allgemeinen Landrecht festgeschrieben, das die Geburt und Erziehung von Kindern als den „Hauptzweck“305 der Ehe beschrieb, sondern es entsprach auch dem bürgerlichen Leitbild, eine große Familie zu haben. Im Kontext der Intensivierung und Emotionalisierung der Ehebeziehungen änderte sich aber der Stellenwert der Kinder innerhalb der Familie. Sie waren nicht mehr nur das unvermeidliche Ergebnis sexueller Beziehungen, sondern wurden im bürgerlichen Familienideal und zunehmend auch in der Realität zum individuellen Objekt elterlicher Aufmerksamkeit und Zuwendung. Die bewusste Erziehung und Ausbildung der Kinder, vor allem der Jungen, wurden immer wichtiger. Analog zu dieser Entwicklung lässt sich eine 299 Siehe Rosenbaum: Formen der Familie, S. 350; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 127 f.; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band 1, S. 95–112; Hausen: „…eine Ulme für das schwankende Efeu“, S. 89; Frevert: Frauen-Geschichte, S. 128–134. 300 Siehe Gay: Erziehung der Sinne, S. 147 f. 301 Ebenda, S. 123. Das heißt aber nicht, dass das Thema Sexualität nicht Gegenstand ehelicher Gespräche war. Aufgrund der Fülle erhaltener Korrespondenz kann jedoch davon ausgegangen werden, dass man sich in der Regel nicht schriftlich darüber austauschte. 302 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 43. Siehe auch ebenda, S. 2. 303 Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band 1, S. 95. 304 Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.B.2. 305 Hattenhauer (Hg.): Allgemeines Landrecht, S. 351.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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leichte und langsame Reduktion der Kinderzahl feststellen. Adelheid von Nell ging davon aus, dass Selbständige in Handel und Industrie zwischen 1875 und 1899 durchschnittlich 4,1, bildungsbürgerliche Familien im Mittel 3,0 Kinder hatten. Bis zum Ersten Weltkrieg reduzierte sich diese Zahl auf 2,1 bzw. 2,8 Kinder pro Ehe.306 Je weniger Kinder eine Familie versorgen musste, desto mehr Zeit, Aufmerksamkeit und Geld konnte sie in jedes einzelne Kind investieren – und damit der bürgerlichen Forderung nach Vertrautheit und individueller Erziehung entsprechen. Mit diesem Erklärungsmuster einer an die materielle Situation angepassten Familiengröße korrespondierten eine Reihe weiterer Gründe, Vorstellungen und Einstellungen, die zur Verringerung der Kinderzahl beitrugen. So war das Ideal der bürgerlichen Ehe als geistige Gemeinschaft der Partner nicht mehr mit dem Bild der durch Dauerschwangerschaften beanspruchten Frau in Einklang zu bringen. Die Betreuung und Erziehung der Kinder musste überschau- und schaffbar bleiben. Hinzu kam die im 19. Jahrhundert wachsende Wahrscheinlichkeit, dass ein Säugling aus dem Bürgertum die Kindheit überlebte. Eine verbesserte Pflege und Ernährung, Hygiene und fundiertere medizinische Kenntnisse führten dazu, dass Kinder seltener erkrankten und dass sie Krankheiten überlebten, die in der Vorgängergeneration noch zum Tod geführt hatten. Durch die – bezogen auf die Gesamtpopulation – Verdopplung der Lebenschancen von Kindern konnte der Familienerhalt auch mit wenigen Geburten gesichert werden.307 Auch die höhere Fruchtbarkeit der Unternehmer- im Unterschied zu bildungsbürgerlichen Ehen ist verschiedenen Motiven und Ansichten geschuldet. Zum einen verfügten Unternehmerfamilien in der Regel über einen deutlich größeren materiellen Spielraum als (selbständige) Akademiker. Eine standesgemäße Erziehung und Ausbildung der Kinder wurden entsprechend als weniger belastend empfunden. Zum anderen waren Kinderreichtum und hohe soziale Endogamie in der frühen Industrialisierung die wichtigsten Voraussetzungen für die Beschaffung und Akkumulation von Kapital, den Aufbau von geschäftlichen Netzwerken und die Übertragung des Familienunternehmens an einen Nachfolger. Die Zahl der Kinder erhöhte also nicht nur das innere Reaktionsvermögen der Unternehmerfamilie, sondern auch ihre ökonomische Effektivität. Man darf dabei aber nicht außer Acht lassen, dass eine große Familie auch ein erhöhtes Konfliktpoten306 Siehe von Nell: Die Entwicklung der generativen Strukturen, S. 58. Auf die Angaben von Nells bezogen sich auch Rosenbaum: Formen der Familie, S. 352 und Hausen: „…eine Ulme für das schwankende Efeu“, S. 97 f. Budde (Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 51 f.) bestätigte am Beispiel deutscher und englischer Bürgerfamilien den grundsätzlichen Trend zur Reduzierung der Familiengröße. Sie relativierte jedoch die häufig betonte Schnelligkeit dieses Prozesses und wies darauf hin, dass französische Bürgerfamilien bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts maximal drei Kinder hatten. 307 Siehe Rosenbaum: Formen der Familie, S. 351 f.; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 53 f.; Mitterauer/Sieder: Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 109. Budde (Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 54) fasste zudem den Aspekt ins Auge, dass sich auch die Einstellung der bürgerlichen Frau wandelte und sie in einer Reduktion der Kinderzahl die Möglichkeit sah, sich Freiräume außerhalb ihrer Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zu schaffen.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
zial bedeuten kann.308 Erst mit der Entwicklung der Kapitalgesellschaften, des modernen Gesellschaftsrechts und der Ausdifferenzierung des Geld- und Kreditmarktes traten die familiären Funktionen allmählich hinter alternative Strukturen zurück und Unternehmerfamilien konnten das bürgerliche Familienleitbild adaptieren.309 Betrachtet man die Stollwerck’schen Familienstammbäume, wird auf den ersten Blick – analog zu dem skizzierten Trend – deutlich, dass die Geburtenzahl von der ersten bis zur dritten Generation signifikant abnahm. Anna Sophia Stollwerck brachte in rascher Folge zwischen 1840 und 1861 mindestens elf Kinder zur Welt.310 Im November 1840, rund anderthalb Jahre nach der Hochzeit, wurde der erste Sohn Albert Nikolaus (I) geboren, im März 1842 der zweite Sohn Peter Joseph und bereits 1843 der dritte männliche Nachfahre Heinrich. Drei weitere Kinder, zwei Söhne und eine Tochter, 1845 (Albert Ferdinand), 1847 (Hermann Joseph) und 1852 (Theresia Anna) geboren, starben im Alter von neun Monaten, sieben Monaten und acht Jahren. Die 1847 geborene Tochter Catharina (1847– 1866) verstarb nach vierjähriger Krankheit im Alter von 18 Jahren.311 Zwischen 1849 und 1861 wurden dem Ehepaar Stollwerck noch vier weitere Kinder geboren, die Töchter Elisabeth und Therese 1849 und 1861 sowie die beiden jüngsten Söhne Carl und Ludwig 1857 und 1859.312 Zwischen der ersten und letzten Ge308 Siehe Rosenbaum: Formen der Familie, S. 353 f.; Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 109, 114–117, 128. 309 Die Wertschätzung von Bildung und Ausbildung der Nachkommen setzte sich im Bildungsbürgertum deutlich früher durch als in den Familien der Bourgeoisie. Siehe Rosenbaum: Formen der Familie, S. 353–356; Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 109, 119; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 53 f. 310 Diese rasche Abfolge der Schwangerschaften dürfte ein geschäftliches Engagement an der Seite ihres Ehemannes stark eingeschränkt haben. Zwar ist der von Epple geführte Nachweis, dass Anna Sophia im Namen ihres Ehemannes 1854 eine Rechnung beglich, zweifellos richtig, doch die daraus abgeleitete These, es habe sich um die „Unternehmung eines Paares“ (Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 60) gehandelt, erscheint vor dem Hintergrund der lückenhaften Überlieferung aber etwas hoch gegriffen. In seiner Studie über niederbergische Unternehmer hielt Kocks (Verhaltensweise und geistige Einstellung, S. 17) fest, die Mitarbeit der Ehefrau im Betrieb habe es lediglich im Anfangsstadium des Unternehmens gegeben, so lange sich Betrieb und Wohnung unter einem Dach befanden und die unentgeltliche Arbeitskraft der Ehefrau eine schnellere Kapitalakkumulation ermöglichte. Die Einbindung der Frau in Unternehmensabläufe ist für die erste Phase nach der Gründung eines Geschäfts nichts Ungewöhnliches. Mit zunehmendem Unternehmenswachstum und der damit einhergehenden Bürokratisierung und Spezialisierung der Arbeitsbereiche spielten die Ehefrauen jedoch im Geschäftsablauf keine Rolle mehr. Siehe auch Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 154 ff. 311 Siehe die Todesanzeige für Catharina Stollwerck in RWWA 208-875-1. Zur Entwicklung der Kindersterblichkeit im 19. und 20. Jahrhundert siehe Hubbard: Familiengeschichte, S. 117 f., 120 ff. 312 Der größere Geburtenabstand zwischen den 1849 und 1852 geborenen Töchtern Elisabeth und Therese sowie zwischen Therese und dem 1857 geborenen Ludwig lässt sich möglicherweise damit erklären, dass Franz Stollwerck – nachdem sein Vaudeville-Theater 1849 durch einen Brand zerstört worden war – viele Jahre mit erheblichen Geldproblemen zu kämpfen hatte, die zudem durch die Nachwirkungen der massiven Wirtschaftskrisen zwischen 1845
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burt lagen gut zwei Jahrzehnte. Ihr erstes Kind brachte Anna Sophia Stollwerck mit 21 Jahren, ihr letztes Kind mit knapp 42 Jahren zur Welt – sie hatte also gut 40 Jahre lang unmündige Kinder zu versorgen. Mit ihrer großen Kinderzahl fügte sich das Ehepaar Stollwerck gut in das bekannte Bild frühindustrieller wirtschaftsbürgerlicher Familien. Vergleichbar hohe Kinderzahlen sind für zahlreiche andere Familien des rheinisch-westfälischen Raums nachweisbar.313 Mutterschaft bedeutete freilich nicht nur eine lebenslange aktive Verpflichtung und soziale Anerkennung, sondern Schwangerschaft und Geburt bargen ebenso wie das Wochenbett mit septischen Infektionen und dem damals noch nicht heilbaren Kindbettfieber auch ein hohes gesundheitliches Risiko. Hatte Anna Sophia Stollwerck noch mindestens elf Kinder zur Welt gebracht, von denen acht das Erwachsenenalter erreichten, bekamen die Schwestern und Ehefrauen der Gebrüder Stollwerck zwischen zwei und sieben Kindern. Albert Nikolaus (I) hatte zwei Kinder, Peter Joseph und Heinrich jeweils sechs, Elisabeth drei, Therese ein und Ludwig sieben Kinder.314 Von diesen 25 Kindern starben nur zwei im Kindesalter. Die Kinderzahl der Familie Stollwerck lag in der zweiten Generation im Mittel bei etwa 4,2 Kindern und entsprach damit der durchschnittlichen Kinderzahl in Unternehmerfamilien des ausgehenden 19. Jahrhunderts.315 Die Frauen in der dritten Stollwerck-Generation schenkten im Durchschnitt nur noch 2,6 Kindern das Leben. Von den insgesamt 59 Ur-Enkeln Franz Stollwercks erreichten nur zwei nicht das Erwachsenenalter. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit nahm also im Untersuchungszeitraum kontinuierlich ab.316 Die Frauen wollten und sollten in den ersten Jahren der Ehe möglichst schnell und oft Kinder zur Welt bringen. So wurde denn auch das zweite Kind von Maria Stollwerck noch „sehnlichst“317 erwartet, ob jedoch alle Kinder geplant waren,
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und 1848 verschärft wurden. In Zeiten finanzieller Engpässe konnten ökonomische Überlegungen bei der Kinderplanung demnach durchaus eine Rolle spielen. Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.A.3 und IV.A.1. Zu den Agrar- und Gewerbekrisen zwischen 1845 und 1848 siehe Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 2, S. 641–659. Siehe statt vieler Einzelnachweise Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 119, 127. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Kinder geboren wurden, die das Erwachsenenalter nicht erreichten. So lassen die im Archiv erhaltenen Quellen für Ludwig und Maria Stollwerck lediglich auf fünf Kinder schließen. Es gibt aber Hinweise auf zwei weitere Kinder, die an Keuchhusten starben. Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 2, 8. Auch Franz Stollwerck (II) erwähnte zwei weitere Kinder des Paares. Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Siehe von Nell: Die Entwicklung der generativen Strukturen, S. 58. Vergleicht man die Familiengröße von Albert Nikolaus (I), Elisabeth und Therese mit der ihrer Geschwister, fällt auf, dass sie weniger Kinder hatten. Für Albert Nikolaus (I) lässt sich die Zahl von nur zwei Kindern damit erklären, dass er an einer Geschlechtskrankheit litt und auch seine Frau schwer erkrankt war. Elisabeth Stollwerck verstarb bereits im Alter von 34 Jahren; für Therese Stollwerck lässt sich den Quellen keine Erklärung dafür entnehmen, dass sie nur ein Kind zur Welt brachte. Siehe allgemein zur Entwicklung der Säuglings- und Kindersterblichkeit in bürgerlichen Familien Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 54 f. O. A.: Aus der Kinderstube, S. 2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
muss offen bleiben. Das Alter bei der Geburt des ersten Kindes war abhängig vom Heiratsalter und lag bei den Ehefrauen der Gebrüder Stollwerck vor der Vollendung des 25. Lebensjahres; das letzte Kind gebar Maria Theresia bereits mit 24 und Apollonia mit 30 Jahren, Agnes und Maria Stollwerck bekamen ihr letztes Kind im Alter von 37 Jahren – demnach deutlich früher als die Ehefrau von Franz Stollwerck. Franz Stollwercks Tochter Elisabeth war zum Zeitpunkt der ersten Geburt 27, am Tag der letzten Niederkunft 31 Jahre alt; Angaben für Therese Stollwerck ließen sich nicht ermitteln. In der dritten Generation bekamen die Frauen ihr erstes Kind im Mittel mit 23,9 Jahren, ihr letztes schon im Alter von 29,8 Jahren. Die Zeiten zwischen den Geburten waren in der Regel kurz. In der zweiten Generation war lediglich der letzte Sohn von Peter Joseph und Agnes Stollwerck mit siebeneinhalb Jahren deutlich jünger als das vorletzte Kind, in der dritten Generation brachte Clara, die dritte Tochter von Peter Joseph, zehn Jahre nach ihrem vierten Kind noch einmal einen Sohn zur Welt; beide Kinder können als Nachzügler bezeichnet werden. Die Frauen verbrachten demnach ihre „besten“ Lebensjahre mit Schwangerschaften bzw. im Wochenbett.318 Das im Vergleich mit Anna Sophia Stollwerck relativ frühe Ende der fruchtbaren Phase der Stollwerck’schen Frauen in der zweiten und dritten Generation deutet freilich darauf hin, dass die Ehepaare – trotz katholischer Konfession – weitere Schwangerschaften bewusst verhüteten.319 Aus den kinderreichen Ehen von Peter Joseph und Heinrich gingen jeweils drei Söhne und drei Töchter hervor, Ludwig hatte drei männliche und zwei weibliche Nachkommen, Albert Nikolaus (I) zeugte zwei Mädchen; auch in der dritten Generation wurden ausreichend Jungen geboren, um die Kontinuität im Mannesstamm zu sichern. Im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge, die Vererbung von Familieneigentum und -name spielte die Stammhalterfrage im Wertehaushalt der Gebrüder Stollwerck und ihrer Söhne noch eine große Rolle. Enttäuscht bemerkte z. B. Ludwig Stollwerck, als er 1916 in einem Brief an seinen Freund Theodor Bergmann auf den ersten Nachwuchs im Hause seines ältesten Sohnes Fritz zu sprechen kam: „Ich hätte mir ja gerne einen ‚Erbprinzen‘ für Fritz gewünscht, aber man muss Gott danken, dass es Mutter und Kind so ausserordentlich prächtig geht.“320 Seinen Erstgeborenen nannte er auch dann noch stolz „Kronprinz“321, als dieser längst das Erwachsenenalter erreicht hatte. Wenn sich auch die Vorstellungen darüber, wie viele Kinder als willkommen, angemessen und günstig erachtet wurden, im Zeitverlauf änderten und sich berufs-, konfessions- und geschlechtsspezifisch abweichende Auffassungen und Entwicklungen konstatieren lassen, gehörten Kinder doch traditionell zu einer Ehe 318 Bürgerliche Frauen verbrachten im 19. Jahrhundert rund ein Viertel ihres Lebens mit Schwangerschaften und im Wochenbett. Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 170; Frevert: Frauen-Geschichte, S. 47. 319 Zu Motiven und Methoden der Geburtenbeschränkung in bürgerlichen Familien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 53–58. 320 Ludwig Stollwerck an Theodor Bergmann am 28. Oktober 1916, RWWA 208-214-4. 321 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 26. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
123
dazu. Eine Heirat war im 19. Jahrhundert so selbstverständlich mit der Zeugung von Nachwuchs verbunden, dass Kinderlosigkeit als Entscheidung gar nicht möglich war; von den 1899 und früher in Deutschland geschlossenen Ehen blieben nur 8,4 Prozent kinderlos.322 Gewollte Kinderlosigkeit war nur als religiöse Verpflichtung denkbar, der Sexualität und damit der Gründung einer eigenen Familie zu entsagen. Kinder galten als fester Bestandteil einer Ehe, versprachen – neben aller Belastung – Glück, Vergnügen und Entspannung, sicherten den Fortbestand der Familie und im Wirtschaftsbürgertum damit auch des Familienunternehmens. Für Ludwig Stollwerck bedeuteten vor allem seine Enkelkinder in trüben Momenten „oft Trost und innere ruhige Freude“323. Blieb eine Ehe kinderlos, wirkte sich dies nicht nur negativ auf das Selbstwertgefühl der Partner aus; auch der soziale Druck war enorm. Kinderlosigkeit galt als etwas „Unnatürliches“ und „Abweichendes“, das betroffene Paar wurde bedauert, war aber ebenso häufig auch Gegenstand von Anspielungen, die Leute begegneten ihm mit mehr oder weniger offen geäußerter Geringschätzung. Denn die Zeugung von Kindern galt als Beweis der männlichen Potenz und Leistungsfähigkeit, Kinderlosigkeit hingegen hatte seine Ursache häufig in Unfruchtbarkeit, biologischen Gründen, die in der Gesellschaft entsprechend gewertet wurden; vor allem den Frauen wies man häufig die Schuld für die Kinderlosigkeit einer Ehe zu.324 In der Generation Gebrüder Stollwerck hatten nur Carl und Fanny Stollwerck keine leiblichen Kinder. Bei einer fast 50jährigen Ehedauer ist davon auszugehen, dass biologische Gründe ausschlaggebend waren. Der Wunsch nach Kindern bzw. der soziale Druck, Kinder zu haben, war indes so groß, dass sich das Ehepaar entschloss, zwei Mädchen an Kindesstatt anzunehmen.325 1902 nahmen sie zunächst die am 3. November 1901 in Paris geborene Lucia Helene Elisabeth Carlita Watts, später Carlita genannt, als Pflegekind zu sich;326 der Aufenthaltsort von Carlitas Mutter Helene Watts war unbekannt.327 Auch Fanny Stollwerck wurde in Paris 322 Bis 1913 stieg der Anteil auf 12,3 Prozent. Siehe Nave-Herz/Oßwald: Kinderlose Ehen, S. 375. 323 Ludwig Stollwerck an Frau Carl Ludwig am 1. Februar 1920, RWWA 208-47-2. 324 Siehe Rosenbaum: Formen der Familie, S. 355; Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 227; NaveHerz/Oßwald: Kinderlose Ehen, S. 375 f.; Stauber: Psychosomatik, S. 15; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 83, 200. 325 Zur Bedeutung der Adoption Anfang des 20. Jahrhunderts und den Motiven, das Institut der Adoption ins BGB aufzunehmen, siehe Neukirchen: Die rechtshistorische Entwicklung, S. 84–87. 326 Carlita Stollwerck starb am 27. September 1911 im Alter von neun Jahren im Kölner St. Antonius-Krankenhaus. Die Todesursache ist der Sterbeurkunde nicht zu entnehmen. Siehe Sterbeurkunde für Carlita Stollwerck, ausgestellt am 28. September 1911, Personenstandsarchiv Rheinland, Köln IV, Nr. 840/1911. Gemäß einer am Todestag veröffentlichten Anzeige der Adoptiveltern starb sie „nach langem, schwerem, mit wahrer Engelsgeduld ertragenem Leiden“. Zitiert nach Höschler: Stollwerck-Mausoleum Hohenfried, S. 32. 327 Siehe gerichtliche Bestätigung des Vertrags über die Annahme an Kindesstatt und Erbvertrag zwischen Carl und Fanny Stollwerck und Emil Schniewind in seiner Eigenschaft als Vormund vom 26. November 1908 vom 20. April 1909, Staatsarchiv München, AG Aibling NR 1932/86.
124
III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
geboren – direkte Kontakte des Ehepaars oder der Familie Hanau zu den entsprechenden Adoptionsbehörden sind denk-, aber nicht nachweisbar. 1904 übernahmen Carl und Fanny Stollwerck zudem Pflege und Erziehung der am 14. November 1901 in London geborenen Maud Marion Theresa Georgine Tapp, später Marion Theresa genannt. Ihre Mutter, Kathleen Tapp, war zum Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter ledig, später heiratete sie und trug den Nachnamen Madden. 1909 lebte sie in London.328 Da sowohl Carl Stollwerck als auch seine Brüder im Rahmen ihrer Ausbildung mehrere Monate in London verbracht hatten und die Familie seit den 1850er Jahren geschäftliche und private Verbindungen in London pflegte, ist davon auszugehen, dass die erforderlichen Kontakte zu den Adoptionsbehörden kein Hindernis darstellten. Beide Mädchen standen zunächst unter der Vormundschaft von Emil Schniewind, dem langjährigen Rechtsberater der Familie und des Unternehmens Stollwerck. Am 26. November 1908 schlossen Carl und Fanny Stollwerck mit ihm einen Vertrag über die Annahme der beiden Mädchen an Kindesstatt, der am 20. April 1909 gerichtlich bestätigt wurde.329 Carl und Fanny Stollwerck, zum Zeitpunkt der Adoption 49 und 43 Jahre alt, waren zuvor von der nach Paragraph 1744 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geltenden Regelung befreit worden, die für den das Kind Annehmenden ein Mindestalter von 50 Jahren vorschrieb. Dieser Bestimmung lag die Erwägung zu Grunde, dass fremde Kinder nur anstelle eigener ehelicher Kinder angenommen werden konnten.330 Angaben der Familie folgend nahm das Ehepaar mit Lucie Eugenie Girardin (1897–1973) ein weiteres Pflegekind zu sich; warum sie ihre dritte Pflegetochter nicht ebenfalls adoptierten, ist nicht bekannt.331 328 Siehe ebenda. Ihren Aufenthaltsort hatten Carl und Fanny Stollwerck zunächst als „dauernd unbekannt“ und Emil Schniewind als „niemals bekannt gewesen“ bezeichnet und darum ersucht, von ihrer Einwilligung abzusehen. Siehe Vertrag über die Annahme an Kindesstatt und Erbvertrag zwischen Carl und Fanny Stollwerck und Emil Schniewind in seiner Eigenschaft als Vormund vom 26. November 1908, Staatsarchiv München, AG Aibling NR 1932/86. Wer die Mutter ausfindig machte und ob sie mit der Adoption einverstanden war, ist nicht bekannt. 329 Siehe ebenda. Die gerichtliche Bestätigung des Annahmevertrags war gemäß § 1741 BGB zwingend erforderlich. Siehe Neukirchen: Die rechtshistorische Entwicklung, S. 90 ff. 330 Siehe ebenda, S. 94 f. 331 1914 wurde Lucie in einem Brief von Ludwig Stollwerck erwähnt. Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 26. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. Auch genauere Informationen darüber, wer die „dritten Personen“ (ebenda) waren, von denen Carl und Fanny Stollwerck die Pflege der Mädchen übernahmen, und wie das Adoptionsverfahren genau ablief, lassen sich heute nicht mehr ermitteln. In den Namensregistern der Abteilung Vormundschaftssachen des Amtsgerichts Köln ist zwar der Name Stollwerck verzeichnet, weitere Unterlagen sind allerdings nicht mehr vorhanden. Da die gesetzlichen Bestimmungen für Adoptionsunterlagen eine Aufbewahrungsfrist von 120 Jahren vorschreiben und die Unterlagen der Adoptionssachen Stollwerck demnach noch existieren müssten, ist davon auszugehen, dass es sich um Kriegsverluste handelt. Vom Landesarchiv NRW werden derzeit nur Adoptionen Volljähriger als archivwürdig betrachtet, so dass auch in den dortigen Beständen keine Unterlagen existieren. Schriftliche Auskunft des Amtsgerichts Köln vom 1. Februar 2010; Schriftliche Auskunft von Tobias Crabus, Landesarchiv NRW, vom 14. Januar 2010. Es ist davon auszugehen, dass bei der Durchführung der Adop-
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
125
Eine mögliche Erklärung, warum Carl und Fanny Stollwerck nur Mädchen und keinen Sohn adoptierten, lässt sich hingegen schon ins Auge fassen. Aus den Ehen der älteren Brüder Carl Stollwercks waren bis 1896 neun männliche Nachkommen hervorgegangen – ein wichtiges Ziel der Unternehmerfamilie war damit bereits erreicht: eine für den Erhalt und Ausbau des Familienunternehmens ausreichende Anzahl „gut geratener“ Söhne groß zu ziehen. Bei der Adoption konnten daher die persönlichen Wünsche und Entfaltungsspielräume von Carl und Fanny Stollwerck ein größeres Gewicht erhalten als für den Fall, dass auch die Ehen der Brüder ohne männlichen Nachwuchs geblieben wären. Denkbar, aber mangels entsprechender Studien nicht nachzuweisen, ist auch die Erklärung, dass Mädchen eher als Jungen zur Adoption freigegeben wurden. In der dritten Generation blieben die Ehen der beiden Töchter von Albert Nikolaus (I), einer Tochter von Elisabeth sowie von Paul und Maria, den Kindern Ludwig Stollwercks, kinderlos; Albert Nikolaus (II) blieb sogar Zeit seines Lebens ledig. Auch Maria Theresa, die dritte Tochter von Heinrich Stollwerck, die bei der Eheschließung bereits 42 Jahre alt war, und ihr Mann hatten keine leiblichen Nachkommen.332 Aus dieser im Vergleich zur zweiten Generation deutlich häufigeren Kinderlosigkeit lässt sich freilich nicht ableiten, dass die Nachfahren der Gebrüder Stollwerck der Vererbung des Familiennamens und -eigentums weniger Bedeutung zumaßen. Die Quellen liefern keine Anhaltspunkte, dass die Kinderlosigkeit in einem der Fälle auf einer bewussten Entscheidung gegen Kinder beruhte. Für Paul Stollwerck liegt die Vermutung nahe, dass seine psychische Erkrankung ein Grund dafür war, dass er und seine Frau Ellen (1875–1954), geborene Schöpfwinkel, keine Nachkommen hatten;333 Ludwigs Tochter Maria verstarb bereits sechs Jahre nach der Eheschließung im Alter von nur 33 Jahren.
tionen auch das kommunale Jugendamt beteiligt war. Ob Unterlagen erhalten sind und diese den Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln am 3. März 2009 überstanden haben, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht überprüfen. 332 Maria Theresa heiratete 1917 Josef A. Bollig, den ersten Ehemann ihrer älteren Schwester Sophia. Sie adoptierte auch deren gemeinsame Tochter Martha (1892–1978). 333 Siehe zu Pauls Erkrankung ausführlich Kapitel III.B.2 und IV.A.3.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck Ehefrau
Herkunft der Ehefrau
Datum der Eheschließung
Alter des Mannes
Alter der Frau
Anzahl der Kinder
bürgerlich
3.7.1839
24
19
elf
1. GENERATION Franz
Anna Sophia Müller
2. GENERATION Albert Nikolaus (I)
Maria Theresia Krusius
wirtschaftsbürgerlich
9.9.1865
24
22
zwei
Peter Joseph
Agnes Heimerdinger
wirtschaftsbürgerlich
26.8.1871
29
20
sechs
Heinrich
Apollonia Krusius
wirtschaftsbürgerlich
11.7.1868
24
21
sechs
Ludwig
Maria Schlagloth
wirtschaftsbürgerlich
12.5.1881
24
21
sieben
Carl
Fanny Hanau
wirtschaftsbürgerlich
20.2.1885
25
20
zwei Adoptivkinder, ein Pflegekind
Elsa Schoeller
wirtschaftsbürgerlich
8.4.1899
26
18
drei
Luise Schlayer
-
25.5.1918
46
37
zwei
Ingeborg Freiin von Grote
adlig
5.1.1910
29
23
drei
Julie Noteboom
-
24.8.1924
43
35
zwei
Richard
Marta Günther
bildungsbürgerlich
12.4.1924
36
25
zwei
Albert Nikolaus (II)
-
-
-
-
-
-
Heinrich Victor
Marie Louise Janssens
bildungsbürgerlich
-
-
-
drei
3. GENERATION Gustav
Walter
127
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie Franz (II)
Johanna Rommel
-
14.7.1903
26
22
zwei
Fritz
Cäcilia Bonzel
wirtschaftsbürgerlich
11.11.1914
30
16
drei
Paul
Ellen Schöpfwinkel
-
5.11.1914
28
39
keine Kinder
Karl Maria
Ursula Baersch
-
12.1.1929
32
18
sechs
Abb. 9: Eheschließungen der Stollwerck’schen Männer Ehemann
Herkunft des Ehemannes
Datum der Eheschließung
Alter des Mannes
Alter der Frau
Anzahl der Kinder
2. GENERATION Elisabeth
Anton Wilhelm Fuchs
-
15.6.1876
33
26
drei
Therese
Richard Roderbourg
-
11.2.1887
-
25
eins
Joseph Zehnpfennig
-
27.10.1885
31
19
-
Lazar von Lippa
adlig
31.7.1897
35
31
-
Helene
Karl Eduard Felix von Kuczkowski
-
8.5.1896
29
21
fünf
Martha
Bechtold Arthur Wilhelm Hermann Graf von Bernstorff
adlig
6.12.1901
25
25
zwei
Clara
Arthur Rudolf Adolf Hermann Graf von Bernstorff
adlig
29.9.1900
27
21
fünf
Bertha
Carl Maria Peters von Emmingerhof
adlig
8.5.1888
28
18
zwei
3. GENERATION Maria Theresia
128
III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck Josef Bollig
-
22.5.1890
24
19
eins
Franz Waldemar von Reiche
adlig
15.12.1914
37
47
keine Kinder
Fürst Stanislaus Sulkowski
adlig
30.8.1929
67
59
keine Kinder
Maria Theresa
Josef Bollig
-
10.1.1917
51
42
eine Adoptivtochter
Maria
Dr. Ludger Sulzer
bildungsbürgerlich
5.1.1916
-
26
keine Kinder
Luise
Dr. Leon Beuer
bildungsbürgerlich
16.7.1914
30
21
fünf
Lucie
August Gerhard Andernach
-
28.9.1935
37
39
zwei
Marion Theresa
Frederick Bellenger
bildungsbürgerlich
1.7.1922
27
20
sechs
Anna Sophia
Abb. 10: Eheschließungen der Stollwerck’schen Frauen
III.A.3 „Mit großer Pracht und innerem Luxus als herrschaftliche Besitzung angelegt“ – Finanzkraft und Wohnsituation Ein wichtiges Element der wirtschaftsbürgerlichen Familie, ihrer Familien- und Unternehmenspolitik war seit jeher ihr Vermögen. Geld und andere materielle Güter galten nicht nur als „Zeichen sittlicher Überlegenheit über den Nichtsbesitzenden“334, sondern davon hing auch die soziale Stellung ab, die sich in Lebensführung und -stil, der Brautausstattung der Töchter und der Summe spiegelte, die in die Ausbildung der Söhne investiert bzw. ihnen als Startkapital für die eigene unternehmerische Laufbahn mitgegeben wurde. Ökonomisches Kapital zu besitzen, galt demnach als erstrebenswert – ihre finanziellen Möglichkeiten thematisieren wollten hingegen längst nicht alle Familien. Das Thema Geld wurde in bürgerlichen Kreisen – zumindest nach außen – oft tabuisiert und besonders etwaige Geldnöte wurden, soweit möglich, vor der Öffentlichkeit und den eigenen Kinder verborgen.335 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch die finanzielle Situation der Familie Stollwerck bzw. Umfang und Zusammensetzung ihres Vermögens nur lückenhaft zu rekonstruieren sind. 334 Zunkel: Industriebürgertum, S. 310. 335 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 58.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
129
Kapitalakkumulation Franz Stollwercks Für Franz Stollwerck war es ein mühsamer Weg zu einer finanziell gesicherten Bürgerexistenz. Um sein Unternehmen zu etablieren, nutzte er in der Anfangszeit vor allem die Fertigkeiten und Kenntnisse, die er sich bei seiner Tätigkeit im Ausland angeeignet hatte, und „verarbeitete“ sie in Form von „Wiener Laubweck“, „Berliner Tafelbrödchen“, „Mannheimer Theekuchen“, „Schweizer Mürbweck“ oder „Lütticher Moppen“336. Der Erfolg dieser Backwaren ermöglichte es Stollwerck, seine Gewinne zu reinvestieren und die kleine Mürbebäckerei sukzessive zu erweitern. Nachdem im März 1849 bei einem Brand sein Vaudeville-Theater vollständig zerstört und Teile des Kaffehauses stark beschädigt worden waren, gelang es Franz Stollwerck dennoch nur mit Hilfe von Entschädigungszahlungen der Versicherung und Krediten die Schäden zu reparieren und den Theatersaal – ungleich größer und prächtiger – neu aufzubauen.337 Bereits im Juni 1849 zeigte sich zudem, dass er den Forderungen seiner insgesamt 108 Gläubiger, die sich auf 27.305,25 Taler beliefen, nicht nachkommen konnte.338 Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese Summe allein im zeitlichen Umkreis der Wiederaufbau- und Renovierungsarbeiten aufsummierte. In den Quellen finden sich mehrere Hinweise auf ältere Prozesse, in denen Stollwerck wegen unbezahlter Rechnungen angeklagt war.339 Der Gerichtsvollzieher war im Hause Stollwerck bis Ende der 1850er Jahre eine „sehr häufige Erscheinung“, die aber „nicht tragisch genommen wurde“340. Stollwerck hatte es sich offenbar zur Gewohnheit werden lassen, Einrichtungsgegenstände für sein Geschäft und die Privatwohnung ohne Anzahlung zu erwerben und für diese dann im Grunde als Mieter zu gelten. Friedrich Zunkel wies darauf hin, dass viele frühindustrielle Unternehmer, die dem Handwerks- und Technikerberuf entstammten, in geschäftliche Schwierigkeiten gerieten, weil ihnen profundes kaufmännisches Wissen und häufig auch Kapital zum Ausbau ihrer Unternehmungen fehlten.341 Franz Stollwerck hatte zudem mit beständigen Widerständen gegen sein Vaudeville-Theater und – damit einhergehend – weiteren finanziellen Herausforderungen zu kämpfen. Bereits 1848 hatte die Kölner Regierung sein Gesuch, ein Lustspiel- und Vaudeville-Theater zu eröffnen, zunächst abgewiesen. Sie fürchtete, ein zweites Theater würde dem Kölner Stadttheater wirtschaftlich schaden. Erst nachdem Stollwerck direkt beim Mi336 Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 54 vom 23. Februar 1840. 337 Siehe o. A.: Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater, S. 377. 338 Siehe Gläubigerverzeichnis Franz Stollwercks von 1849, RWWA 208-252-3. 77 Gläubiger stammten aus Köln, andere aus dem übrigen Rheinland, aus Antwerpen, Hamburg, London und Paris. Einem weiteren Gläubigerverzeichnis von 1849 sind abweichende Zahlen zu entnehmen. Demnach schuldete Franz Stollwerck 118 Gläubigern 27.455,21 Taler. Ein Jahr später beliefen sich seine Schulden auf 27.462,19 Taler. Siehe Gläubigerverzeichnis Franz Stollwercks vom 15. Oktober 1850, RWWA 208-252-3. 339 Siehe z. B. die in RWWA 208-222-2 überlieferten Prozessunterlagen aus den Jahren 1841 bis 1848. 340 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 518. 341 Siehe Zunkel: Kölner Unternehmer, S. 213 f.
130
III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
nister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten interveniert hatte, erteilte man ihm eine vorläufige, auf sechs Monate befristete Konzession.342 Die notwendigen Verlängerungen musste er in der Folge mehrfach persönlich in Koblenz und Berlin beantragen.343 Dabei gelang es ihm, dessen Existenz maßgeblich vom wirtschaftlichen Erfolg des Theaters abhing, immer wieder, ausreichend öffentliche Fürsprecher zu mobilisieren. Als der Oberpräsident der Rheinprovinz ihm 1850 eine neue Spielerlaubnis verweigerte, war es beispielsweise eine „von den ‚notabelsten‘ Einwohnern“344 der Stadt unterschriebene Eingabe, die dazu beitrug, dass seine Berechtigung erneuert wurde.345 Trotz allen Zuspruchs warf das Theater aber nicht den erforderlichen Gewinn ab, damit Franz Stollwerck die vertraglich vereinbarten Rückzahlungen an seine Gläubiger leisten konnte. Die wenigen erhaltenen Quellen lassen den Rückschluss zu, dass er offensichtlich falsch kalkulierte, weil er zu wenig Eintritt nahm und zudem bis 1851 kostenlos Getränke verteilte. Wiederholt konnte er seine Schauspielgruppe nicht bezahlen und musste sie auf Tournee schicken.346 Am 1. Oktober 1850 belief sich seine Restschuld noch auf rund 12.235 Taler; zudem hatte er im Zeitraum zwischen dem 1. September 1849 und dem 1. Oktober 1850 neue Kredite in Höhe von mindestens 6.438 Talern aufgenommen.347 1853 verloren die Gläubiger schließlich die Geduld: Franz Stollwerck wurde am 25. Mai 1853 vom Kölner Handelsgericht für bankrott erklärt; in der Folge verlor er auch seine 1845 342 Siehe Heyden: Kölner Theaterwesen, S. 185. 343 Im Stollwerck’schen Theater wurde gespielt vom 25. Oktober 1848 (die Konzession wurde erst zum 1. Dezember erteilt) bis zum 15. März 1849, vom 24. November 1849 bis zum 29. April 1850, vom 26. Mai (die Konzession wurde erst zum 1. Juni erteilt) bis zum 31. Oktober 1850 und vom 24. November 1850 (die Konzession wurde erst zum 1. Dezember erteilt) bis zum 8. Mai 1853 (die Konzession lief bis zum 1. Dezember 1854). In der Zeit vom 24. März bis zum 1. Mai 1849 gab Stollwerck elf Gastspiele im Stadttheater, anschließend gastierte er in Aachen, Düsseldorf, Elberfeld und Krefeld. Siehe: Heyden: Das Kölner Theaterwesen, S. 169, 185 f. 344 Bayer: Kölner Theatererinnerungen, S. 5. 345 Die Leipziger Illustrirte Zeitung schrieb am 31. Mai 1851: „Seit seiner Eröffnung erfreute sich das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater eines stets zunehmenden Besuchs und unter den Besuchern sah man fortwährend die angesehensten Familien der Stadt. Brotneid und jesuitische Intoleranz kabalirten aber heimlich gegen das Unternehmen unter dem Aushängeschilde, nur für ein höheres Kunststreben zu wirken, und man brachte es wirklich dahin, daß Herrn Stollwerck nach Ablauf der vorläufigen Concession dieselbe am 1. Nov. entzogen, ihm, einem lange ansässigen Cölner Bürger bei seinen sicher nicht kleinen Opfern und Lasten, die sein Unternehmen erheischten, eine Hauptquelle seiner bürgerlichen Existenz, und etwa 80 Familien, die größtentheils von dem Vaudeville-Theater lebten, geradezu das Brot genommen wurde und der Schildergasse, in welcher das Theater liegt, die Hauptursache einer belebtern Frequenz, welche hier schon wohltätigen Einfluß auf Eigenthum und Miethe gehabt hat.“ o. A.: Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater, S. 377. 346 Siehe Bayer: Kölner Theatererinnerungen; o. A.: Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater, S. 377. 347 Siehe Verzeichnis der an die Gläubiger zu zahlenden Rest-Beträge vom 1. Oktober 1850, RWWA 208-255-1; Verzeichnis der neuen Creditoren seit dem 1. September 1849 bis zum 1. Oktober 1850, RWWA 208-255-1.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
131
und 1847 erworbenen Häuser Blindgasse Nr. 14 und Schildergasse Nr. 49. Das Kaffeehaus und den Theatersaal betrieb Stollwerck zunächst – im nunmehr gemieteten Haus Schildergasse Nr. 49 – weiter.348 Als er jedoch die Miete nicht mehr aufbringen konnte, stieg er 1857/58 aus den Verträgen aus.349 Franz Stollwerck wurde in verschiedenen älteren Texten als charakterstarker Mann beschrieben, der Wille, Initiative und Disziplin besaß und sich „aus kleinen Anfängen durch eigene Intelligenz und Tatkraft, durch einen wahrhaft kühnen Unternehmungsgeist […] immer höher emporgearbeitet hat“350. Diese Darstellungen eines „self-made-man“, „Machers“ und „Visionärs“, der den Aufstieg aus eigener Kraft bewerkstelligte, verdecken jedoch, dass die unternehmerische Anlaufphase Stollwercks wenig Heroisches an sich hatte. In der Rückschau sieht man vielmehr einen Akteur, der als Folge verfehlter unternehmerischer Diversifikation und Expansion wiederholt um seine Existenz kämpfte und auf die Hilfe anderer angewiesen war. Stollwerck war vor allem ein beharrlicher Unternehmer, der sich durch geschäftliche Rückschläge nicht beirren ließ und sich seine Position in Wirtschaft und Gesellschaft durch individuelle Leistung erarbeitete.351 Das setzt voraus, dass er die dafür erforderlichen Einstellungen und Motivationen besaß. Durch seine Herkunft aus einem kleinbürgerlichen Elternhaus verfügte er über ein gewisses kulturelles Kapital in Form bestimmter, für den Unternehmerberuf zentraler Verhaltensmuster: Disziplin, Arbeitsethos, Motivation und die Hochschätzung wirtschaftlicher Selbständigkeit.352 Bereits sein Vater Nicolaus hatte, als das Wollspinner-Handwerk im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung zunehmend unbedeutend wurde und der Familie nicht mehr das erforderliche Auskommen sicherte, nicht „aufgesteckt“, sondern als Kleinkrämer und Marktaufseher nach neuen Chancen gesucht. Herausforderungen anzunehmen, auf neue Situationen nicht mit starren Verhaltensmustern, sondern flexibel zu reagieren, war für den „schlichten Bürger“ Franz Stollwerck daher nichts Besonderes. Er hatte „bessere Tage“ gesehen, und es wurde zu seiner Hauptantriebskraft, seine Not nicht zu 348 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 17. Das von Kuske genannte Datum lässt sich anhand der überlieferten Quellen nicht verifizieren. 349 Nach einem Brand im Kölner Stadttheater 1859 wurde das Vaudeville-Theater als Interimsbühne ausgebaut und am 18. September 1859 als „Theater in Cöln“ eröffnet. 1863 erfolgte eine Neueröffnung als „Thalia-Theater“, zwischen 1881 und 1885/86 wurde es als „WilhelmTheater“ betrieben. 1888 wurde das Haus schließlich abgerissen. Siehe Buck/Vogelsang: Theater, S. 179. 350 Ebenda. Franz Stollwerck wurde als „echter Rheinländer“ beschrieben, „der mit offenen und hellen Augen in die Welt blickte und was er auf dem Gebiete seines Gewerbes […] erlernte und erspähte, mit klugem Verständnis, mit Thatkraft und rastlosem Fleiss zu verwerten verstand“. o. A.: Die Stollwerck’sche Fabrik. Auch Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 32) beschrieb ihn als Mann, der „gegen alle solche Affären und Nadelstiche des Lebens von jeher ein dickes Fell und eine kölnische Unbekümmertheit“ besaß. 351 Ähnliche Charakterisierungen nahmen Rossfeld (Schweizer Schokolade, S. 227 f.) für Philippe Suchard und Pfiffner (Henri Nestlé, S. 202) für Henri Nestlé (1814–1890) vor, die ebenfalls mit verschiedenen Projekten scheiterten, bevor sie zu erfolgreichen Unternehmern avancierten. 352 Siehe Hettling: Die persönliche Selbständigkeit.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
akzeptieren, sondern unbeirrt am Ausbau seines Unternehmens zu arbeiten und seine „bürgerliche Existenz“353 zu sichern. Präzise Angaben darüber, wie viel Geld Franz Stollwerck in der Aufbau- und Konsolidierungsphase seines Unternehmens für die private Lebenshaltung zur Verfügung hatte, lassen sich nicht ermitteln. Übersichtliche und nachvollziehbar geführte Geschäftsbilanzen, die Anhaltspunkte liefern könnten, liegen erst seit Ende der 1860er Jahre vor, als die Söhne bereits eine führende Rolle im Geschäft spielten. Lediglich für das Geschäftsjahr 1852 ist überliefert, dass Stollwerck einen Überschuss von rund 9.790 Talern erwirtschaftete – nicht bekannt ist aber, wie viel er von dieser Summe für seine privaten Ausgaben aufwandte und welchen Anteil er im Geschäft reinvestierte.354 Die Aufzeichnungen seines Enkels Franz (II) lassen allerdings darauf schließen, dass er einem gewissen Luxus nicht abgeneigt war. So verfügte er z. B. über ein goldenes Service, goldenes Besteck und feinste Kristallgläser sowie einen eleganten, mit Seide ausgelegten Wagen, den er von zwei Schimmeln ziehen ließ. Auch gab er stets ein ungewöhnlich großzügiges Trinkgeld.355 Leisten konnte er sich einen gewissen Aufwand zweifellos, lag sein Geschäftsgewinn doch deutlich über den 800 bis 1.000 Talern, die seit 1850 für einen sparsamen bürgerlichen Lebensstil geschätzt erforderlich waren.356 Generell unterlagen die Familien von Kaufleuten, Unternehmern, Fabrikanten und Bankiers stärkeren Einkommens- und Vermögensschwankungen als z. B. die eines Beamten mit einem festen Jahressalär. Geringere Erlöse im Unternehmen bedeuteten auch Einbußen in der Privateinnahme, Wirtschaftsflauten und -krisen waren deutlicher spürbarer, umgekehrt natürlich auch Phasen der Konsolidierung und des Aufschwungs. In vielen bürgerlichen Haushalten des 19. Jahrhunderts wurden akribisch Haushaltsbücher geführt, in denen neben Vermögensaufstellungen Einnahmen und Ausgaben notiert und zu einer jährlichen Bilanz zusammengezogen wurden. Die genaue Buchführung hatte nicht allein den praktischen Zweck, den Überblick über das Einkommen und die laufenden Kosten zu behalten und gegebenenfalls nach Möglichkeiten zu suchen, das Einkommen zu erhöhen oder an manchen Stellen zu sparen. Das Bedürfnis, Einkünfte und Ausgaben zu erfassen, zeigt auch die bürgerliche Mentalität einer rationalen, sparsamen und gemäßigten Lebensführung. Für die Familie Stollwerck liegt nur ein privates „Haushaltungs- und Empfangsbuch“ vor, das Franz Stollwerck zwischen 1867 und 1870 führte und das exemplarische Rückschlüsse auf die Lebenshaltung und den Lebensstandard der Familie nach der geschäftlichen Konsolidierung Anfang der 1860er Jahre erlaubt.
353 354 355 356
Die letzten beiden Zitate aus o. A.: Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater, S. 376 f. Siehe Bilanz von Franz Stollwerck vom 15. Oktober 1852, RWWA 208-252-3. Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Siehe Engelsing: Sozialgeschichte, S. 35. Diese Summe entsprach dem Vier- und Fünffachen dessen, was ein Arbeiterhaushalt, und ungefähr dem Doppelten dessen, was ein kleinbürgerlicher Haushalt zur Verfügung hatte.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Für den rund dreijährigen Berichtszeitraum ist eine kontinuierliche Steigerung der Ausgaben festzustellen. Wandte Franz Stollwerck 1867 rund 6.626 Taler auf, stiegen die Ausgaben ein Jahr später auf etwa 9.124 Taler und betrugen 1869 circa 9.289 Taler; die monatlichen Ausgaben erhöhten sich von ca. 552 Talern 1867 auf durchschnittlich 774 Taler 1869357 – bei gleichzeitig sinkender Zahl von Familienangehörigen durch Verheiratung. Wöchentlich wurde ein „Haushaltungsgeld“ in Höhe von 15 bis 25 Talern verzeichnet, das freilich nur für einen kleinen Teil der Ausgaben bestimmt war, denn die Kosten für die verschiedenen Lebensmittel führte Stollwerck ebenso separat auf wie die Ausgaben für Kleidung und Schuhe, Schule und Musikunterricht der Kinder. Die Aufwendungen für die verschiedenen Lebensbereiche und Bedürfnisse zeigen, dass Franz Stollwerck sich zwischen 1867 und 1870 von unmittelbaren ökonomischen Zwängen lösen konnte. Er verfügte über ausreichend finanziellen Spielraum, um seinen Söhnen Musikunterricht und eine gute schulische Ausbildung zu ermöglichen. Ferner reichten seine finanziellen Mittel aus, um der Familie – wie in bürgerlichen Haushalten üblich – den Konsum abwechslungsreicher und hochwertiger Nahrungsmittel wie Butter, Milch, Eier, Fleisch, Gewürze und Gemüse zu ermöglichen. Insbesondere die regelmäßigen Ausgaben für den Metzger sind ein Indikator für den bürgerlichen Wohlstand der Familie Stollwerck Ende der 1860er Jahre.358 Für die dritte Stollwerck-Generation war Fleischverzehr Ende des 19. Jahrhunderts bereits alltäglich – die Kinder Ludwig Stollwercks erhielten für die Pause in der Schule „ein Butterbrot mit Fleisch belegt“359. Generell übertraf der alltägliche Speiseplan der Familie selbst die Mahlzeiten, die in weniger begüterten Familien an Feiertagen auf den Tisch kamen: Schokolade und Rosinenbrötchen waren ebenso selbstverständlich wie teures Gemüse, z. B. Spargel.360 Angaben über Umfang und Zusammensetzung des geschäftlichen und privaten Vermögens von Franz Stollwerck lassen sich wie die Ausgabenstruktur nicht als Entwicklung über einen längeren Zeitraum verfolgen, sondern lediglich als Momentaufnahme aus einer Vermögensbilanz gewinnen, die den Stand vom 1. Januar 1876 spiegelt – drei Monate vor seinem Tod. Den größten Posten bildete das Immobilienvermögen im Wert von 628.043,30 Mark, die zweitgrößte Summe machten mit 405.464,83 Mark Warenvorräte, Debitoren, Cassa- und WechselBestände, Maschinen, Utensilien und die Buchdruckerei aus. Hinzu kamen Mobiliareigentum im Wert von 43.071 Mark, Bankguthaben in Höhe von 9.490,80 Mark und eine Lebensversicherung im Wert von 12.000 Mark. Diesem Guthaben von insgesamt 1.098.069,93 Mark standen allerdings Verbindlichkeiten in Höhe von 495.891,79 Mark gegenüber, so dass sich das Reinvermögen auf 602.178,14 357 Berechnet nach den Zusammenstellungen im Privaten Haushaltungs- und Empfangsbuch von Franz Stollwerck, 1867 bis 1870, RWWA 208-365-1. 358 Siehe ebenda. Siehe auch Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band 1, S. 128. Zum Fleischverzehr als Zeichen eines höheren Lebensstandards siehe Wiegelmann: Alltags- und Festspeisen, S. 67; Teuteberg/Wiegelmann: Unsere tägliche Kost, S. 63–73; Siemann: Gesellschaft im Aufbruch, S. 94; Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 92 ff. 359 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 12. 360 Siehe ebenda, S. 13 ff.
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Mark belief.361 Ein rechtsgültiges Testament hinterließ Franz Stollwerck nicht, so dass genauere Rückschlüsse auf sein privates und geschäftliches Vermögen nicht möglich sind. Eine „Letztwillige Verfügung“ trägt zwar seine Unterschrift, aber kein Datum und beinhaltet lediglich die Regelung des geschäftlichen Nachlasses.362 Zusätzlich zum ökonomischen Kapital hinterließ Stollwerck seinen Söhnen geschäftliche und gesellschaftliche Netzwerke, an die die Gebrüder Stollwerck in ihrer unternehmerischen Tätigkeit anknüpfen konnten. Zudem profitierten sie von Ansehen und anerkannter Vertrauenswürdigkeit des Namens Stollwerck. Kapitalakkumulation der Generation Gebrüder Stollwerck Unter den Söhnen Franz Stollwercks verzeichnete die Stollwerck’sche Familienunternehmung dann auch ein enormes Wachstum und entwickelte sich durch vertikale Integrations- und horizontale Diversifikationsprozesse zu einem weltweit agierenden Unternehmen, das sich mehrheitlich im Eigentum der Familie befand.363 Mit dem jährlich steigenden Unternehmensgewinn wuchs auch das private Vermögen der Familienstämme beträchtlich an.364 Verlässliche Angaben über Höhe und Zusammensetzung der jeweiligen Vermögen lassen sich aber wie bei Franz Stollwerck nur als Momentaufnahmen – aus den Nachlassakten der Gerichte und den darin überlieferten Testamenten – gewinnen.365 Eine oder mehrere schriftliche und notariell beglaubigte Verfügungen sind sowohl von Heinrich, Ludwig und Carl als auch von Agnes Stollwerck, der Witwe von Peter Joseph, überliefert. Ihr Ehemann selbst hinterließ kein formell gültiges Testament, dem Angaben über sein Vermögen zu entnehmen wären; er formulierte lediglich einige „Wünsche“, wohlwissend, „dass diese keine gesetzlich zwingende Kraft haben“366. Als seine Ehefrau im November 1918 starb, vermachte sie den gemeinsamen Nachfahren ein geschätztes Vermögen von 1.500.000 Mark.367 Einer auf 1914 361 Siehe Vermögensbilanz von Franz Stollwerck vom 1. Januar 1876, RWWA 208-411-7. 362 Siehe Vertrag zwischen den Gebrüdern Stollwerck und Elisabeth Stollwerck vom 27. April 1876, RWWA 208-411-7; „Letztwillige Verfügung“ von Franz Stollwerck o. D., RWWA 208252-4. 363 Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.A. 364 Die folgenden Ausführungen beziehen sich nur auf Fragen der Vermögenszusammensetzung sowie des Güter- und Erbrechts. Verfügungen über die Unternehmernachfolge bleiben Kapitel IV.A vorbehalten. 365 Anhand des erhaltenen Materials lässt sich nicht rekonstruieren, wie viel Kapital die Gebrüder Stollwerck jeweils bereits besaßen, als sie Teilhaber im väterlichen bzw. brüderlichen Unternehmen wurden. Eine Bewertung des Vermögens bzw. des geschäftlichen Erfolgs ist daher auch für die zweite Generation nur bedingt möglich. 366 Siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. Siehe auch Wilhelm Weisweiler an Agnes Stollwerck am 24. Februar 1908, RWWA 208-456-5. 367 Siehe Vermerk des Amtsgerichts Köln über die Höhe des Nachlasses von Agnes Stollwerck vom 14. Februar 1919, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 132/19. Martin (Jahrbuch, S. 28 f., 37 f.) veröffentlichte von den tatsächlichen Zahlen stark abweichende Vermögensschätzungen:
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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datierten Vermögensaufstellung ist hingegen noch eine Gesamtsumme von rund 2,6 Millionen Mark zu entnehmen. Die Differenz lässt sich zum einen mit einer inflationsbedingten Flucht in Sachwerte, möglicherweise aber auch damit erklären, dass Agnes Stollwerck ihrer Tochter Helene „erhebliche Beträge […] darlehensweise“ zur Verfügung stellte sowie deren „erhebliche Schulden […] berichtigt[e]“368. Das Vermögen ihres Schwagers Heinrich Stollwerck betrug zum Zeitpunkt seines Todes 2.379.313 Mark.369 Ludwig Stollwerck hinterließ seinen Erben ein Gesamtvermögen von 6.631.730 Mark. Diesem Vermögensbestand stand jedoch eine nicht näher definierte „persönliche Schuld“370 in Höhe von 5.000 Pfund gegenüber – umgerechnet zum damaligen Kurs etwa 6.000.000 Mark. Demnach hätte sich nur noch ein Restsaldo von 631.730 Mark ergeben. Da zum Zeitpunkt der Testamentseröffnung noch nicht geklärt war, welcher Teil dieser Valutaschuld letztlich zu Lasten der Erben bleiben würde, wurde der Wert des Nachlasses auf 3.330.000 Mark beziffert – die Höhe, die bei Einreichung des Testaments am 23. Januar 1918 angegeben worden war.371 Als 1932 mit Carl der jüngste der Gebrüder Stollwerck verstarb, standen laut Angaben des Testamentsvollstreckers einem Vermögen von 956.553,13 Reichsmark Verbindlichkeiten in Höhe von 956.985,11 Reichsmark gegenüber. Die Ursachen für diesen „völlige[n] Vermögensschwund“ lassen sich nur noch in Umrissen skizzieren. Carl Stollwerck hatte 1930 ein größeres Paket Stollwerck-Aktien auf Kredit gekauft und daran seine Neffen Franz (II), Gustav und Fritz zu jeweils 20 Prozent und seinen langjährigen engen Mitarbeiter Heinrich Trimborn372 zu zehn Prozent unterbeteiligt. Der Bank gegenüber war er aber allein Eigentümer der Aktien und haftete auch für die gesamte Summe. Spätestens nach seinem Tod stellte sich freilich heraus, dass die Forderungen gegenüber seinen Neffen und Trimborn nahezu „vollständig wertlos“ und „nicht beitreibbar“ waren. Fritz hatte er zudem 1930 einen Betrag in bar, der sich zuzüglich Zinsen am 1. Juli 1931 auf 212.000 Reichsmark belief, und 50.000 Reichsmark in Aktien der Gebrüder Stollwerck AG geliehen. Den Betrag von 200.000 Reichsmark hatte Carl Stollwerck bei der niederländischen Bank de Bary „aus reiner Liberalität“ aufgenommen. Im Gegenzug ließ er sich Forderungen von Fritz gegen eine Kölner Firma,
368 369
370 371 372
Demnach verfügten Heinrich und Ludwig jeweils über ein Vermögen von drei bis vier Millionen Mark, Agnes über ein Vermögen von zwei bis drei Millionen Mark. Testament von Agnes Stollwerck vom 1. August 1916, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 132/19. Siehe auch Vermögenserklärung von Agnes Stollwerck vom 27. Februar 1914, RWWA 208366-8. Siehe Apollonia Stollwerck an das Königliche Amtsgericht Köln am 1. Juni 1915, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. 1903 hatte die Höhe des Nachlasses 2.000.000 Mark betragen. Siehe Ehe- und Erbvertrag zwischen Heinrich Stollwerck und seiner Ehefrau Apollonia vom 28. Januar 1903, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Artur Meynen an das Königliche Amtsgericht Köln am 1. Juni 1922, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. Siehe ebenda. Zu Heinrich Trimborn siehe ausführlich Kapitel IV.A.3.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
die seinem Neffen zustehenden Gehalts- und Tantieme-Bezüge über einen bestimmten Betrag hinaus sowie dessen Lebensversicherungspolicen abtreten. Da Fritz die geliehenen Gelder allerdings nur teilweise dazu nutzte, seine Spekulationsverbindlichkeiten abzudecken, trat sein Onkel seine Ansprüche an die Deutsche Bank ab, „damit diese ihm gegenüber das Engagement durchhielt“373. Dass nicht näher zu beziffernde Vermögen von Carls Ehefrau Fanny Stollwerck blieb von den Verbindlichkeiten ihres Ehemannes unberührt; das Ehepaar hatte am 6. Dezember 1931 Gütertrennung vereinbart.374 Damit sind zunächst die Dimensionen abgesteckt, in denen sich das Vermögen der einzelnen Familienstämme der zweiten Generation bewegte. Die Frage nach der Zusammensetzung des jeweiligen Gesamtvermögens muss hingegen weitgehend offen bleiben. Dem gemeinschaftlichen Testament von Ludwig Stollwerck und seiner Ehefrau ist lediglich zu entnehmen, dass die Stammaktien der Familienaktiengesellschaft Gebrüder Stollwerck den „Hauptbestandteil“375 ihres Vermögens bildeten. Das Vermögen von Agnes Stollwerck setzte sich ebenfalls überwiegend aus Kapitalvermögen zusammen: Dem Grund- und Immobilienvermögen im Wert von etwa 1,1 Millionen standen Wertpapiere in Höhe von rund 2,6 Millionen Mark gegenüber.376 Heinrich und Apollonia Stollwerck benannten als Bestandteile ihres Nachlasses zwar ihr Kölner Grundstück Bayenthalgürtel 2, das dazugehörige Haus, die Stallungen und den Garten sowie Möbel, Gemälde, Porzellan, Leinen, Wertpapiere, Kunst-, Gold- und Silbersachen, Marmor- und Bronzestücke sowie Edelsteine und ein Automobil, jedoch lässt sich weder nachweisen, ob damit alle Posten erfasst wurden, noch welcher Teil des Vermögens auf die Immobilien etc. entfiel.377 Zusammengenommen deuten die Quellen durchaus auf eine Streuung des Vermögens hin; das im Unternehmen gebundene Kapital bildete jedoch den Schwerpunkt. Man mag daraus den Schluss ziehen, dass Wertpapiere – wenn das eigene Unternehmen erst einmal auf einer festen Basis stand – als Vermögensanlage bevorzugt wurden. Sie ließen sich nicht nur leichter an die Erben weitergeben als das Grund- und Immobilienvermögen, sondern warfen auch eine höhere Rendite ab.
373 Die letzten Zitate aus August Adenauer an das Finanzamt Rosenheim am 5. Januar 1933, Staatsarchiv München, AG Aibling NR 1932/86. Siehe zum finanziellen Zusammenbruch von Gustav, Franz (II) und Fritz Stollwerck auch weiter unten und Kapitel IV.A.3. 374 Siehe ebenda. 375 Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. 376 Siehe Vermögenserklärung von Agnes Stollwerck vom 27. Februar 1914, RWWA 208-366-8. 377 Siehe gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Erbrechtliche Reglements der Generation Gebrüder Stollwerck Von zentraler Bedeutung für das Familienunternehmen, die Berufswahl der Söhne und das Schicksal der Witwe waren allerdings nicht nur Höhe und Zusammensetzung des Vermögens, sondern vor allem die Bedingungen der Weitergabe an die Nachkommen.378 Testamente und Verfügungen erleichterten die Regelung des Nachlasses und sicherten den Willen des Verstorbenen, Fortsetzung und Erhalt seines Lebenswerkes in seinem Sinne geregelt zu haben. Neben der meist schon zu Lebzeiten eingeleiteten und im Gesellschaftsvertrag festgelegten (männlichen) Geschäftsnachfolge war die Verteilung von Immobilien, Wertpapieren, Mobiliar, Kunstgegenständen, Schmuck etc. zu regeln. Zwar hielt das Bürgertum für Ehe und Familie das Ideal einer Liebesgemeinschaft hoch, man war aber realistisch genug, um die Aufteilung des Vermögens nach dem Tod eines Ehepartners unter funktionellen Gesichtspunkten zu betrachten. Der Erbverteilung lagen daher meist nicht nur schriftliche und notariell beglaubigte Verfügungen des Erblassers zu Grunde, sondern auch Ehe- bzw. Erbverträge, die die Unternehmer mit ihren Ehefrauen geschlossen hatten. Denn Ehegatten müssen den kraft Gesetzes geltenden Güterstand nicht anerkennen, sondern können dessen Vorgaben entweder modifizieren oder durch einen förmlichen Ehevertrag einen so genannten Wahlgüterstand vereinbaren – mit entsprechenden Konsequenzen für die Regelung des Nachlasses. Vergleichbare Gestaltungsmöglichkeiten gibt es auch für den Erbfall. Durch eine letztwillige Verfügung kann der Erblasser – unabhängig von allen Ansprüchen auf den Pflichtteil – die gesetzliche Erbfolge ändern. Bis zum Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 waren die rechtlichen Vorgaben lokal und regional sehr verschieden, da während des 19. Jahrhunderts mehrere Versuche zur Rechtsvereinheitlichung gescheitert waren.379 In Preußen war der gesetzliche Güterstand die Verwaltungsgemeinschaft. Die Güteranteile der Ehegatten blieben getrennt, das Verwaltungs- und Nutzungsrecht beider Anteile oblag jedoch dem Mann. Lediglich bei Immobilien durfte der Mann nicht uneingeschränkt über das Gut seiner Ehefrau verfügen. Auch das BGB setzte als gesetzlichen Güterstand den der Verwaltung und Nutznießung (Verwaltungsgemeinschaft) ein. Sowohl Peter Joseph als auch Ludwig Stollwerck schlossen mit ihrer Braut vor der Eheschließung einen Vertrag, gemäß dem das in die Ehe eingebrachte Vermögen als Sondergut Eigentum jedes einzelnen blieb, die Vermögenszuwächse während der Ehe hingegen als gemeinsame Errungenschaft auch gemeinsames Eigentum wurden.380 Diese vertraglich vereinbarte Errungenschaftsgemeinschaft stand sinnbildlich für die 378 Siehe exemplarisch für die Erbmodalitäten der Unternehmerfamilien Hardt, von der Heydt, Kersten und Bagel Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 168–205, 263–274, 317–336. 379 Siehe Buchholz: Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauen, S. 671; Dörner: Industrialisierung und Familienrecht, S. 46–53, 101–108. 380 Siehe Ehevertrag zwischen Ludwig Stollwerck und Maria Schlagloth vom 10. Mai 1881, RWWA 208-253-1; Ehevertrag zwischen Peter Joseph Stollwerck und Agnes Heimerdinger vom 25. August 1871, RWWA 208-320-8.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Grundprobleme einer Unternehmerehe. Da Einkommen und Vermögen größeren Schwankungen und Risiken ausgesetzt waren als beispielsweise in einem Beamtenhaushalt, war es erforderlich, zumindest einen Teil des Eigentums besonders abzusichern. Zum einen war auf diese Weise die Versorgung der Witwe sichergestellt, die im Erbfall ihr Sondergut zurück und die Hälfte der Errungenschaft als Eigentum erhielt; ferner konnte der Ehemann weder das von der Frau eingebrachte Vermögen vergeuden noch sie in eine für sie nachteilige Haftungsgemeinschaft führen. Zum anderen behielt der Eigentümerunternehmer den erforderlichen finanziellen Handlungsspielraum, um den Bedürfnissen seines Unternehmens zu entsprechen und diese mit den familiären Versorgungsansprüchen zu vereinbaren. Am 15. Juni 1900 änderten Peter Joseph und Agnes Stollwerck jedoch ihren Ehevertrag und ersetzten die Errungenschaftsgemeinschaft rückwirkend durch die Allgemeine Gütergemeinschaft. Auch Heinrich und Apollonia Stollwerck vereinbarten durch einen Ehevertrag die Allgemeine Gütergemeinschaft, gemäß der das Ehevermögen zusammengefasst wurde und der Ehemann in ehelichen Vermögensbelangen die Entscheidungs- und Verfügungsgewalt besaß.381 Es sind verschiedene Aspekte denkbar, warum sich Peter Joseph und Heinrich Stollwerck für diese Änderung entschieden. Zum einen demonstriert dieser Güterstand den in Eigentümerunternehmerfamilien zumeist stark ausgebildeten und mit der Zeit zunehmenden Gesamtgutgedanken. Zum anderen lässt die güterrechtliche Regelung darauf schließen, dass der Ehemann nicht – wie vielleicht zum Zeitpunkt der Eheschließung befürchtet – dem Bild des spekulative Geschäfte eingehenden Unternehmers entsprach. Denkbar ist auch, dass die Gütergemeinschaft gewählt wurde, weil mit diesem Güterstand überschaubare Vermögensverhältnisse und somit eine verbesserte Kreditfähigkeit verbunden sind. Zudem sicherte die Gütergemeinschaft die Versorgung der Witwe, da ihr beim Tod des Ehemannes die Hälfte des Vermögens zufiel. Die andere Hälfte wurde unter den erbberechtigten Kindern aufgeteilt. Die Gütergemeinschaft begünstigte also den überlebenden Ehepartner gegenüber den Kindern. Indem Peter Joseph Stollwerck ferner die Fortsetzung der Gütergemeinschaft zwischen seiner Frau und den gemeinsamen Kindern bestimmte, sah er Agnes „an erster Stelle geschützt“382. Er lehnte es – im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder Ludwig383 – ab, seine Frau als Alleinerbin einzusetzen, weil sie dann von den gemeinsamen Kindern gezwungen werden könne, ihnen den Pflichtteil auszuzahlen.384 Mit der fortgesetzten Gütergemein381 Siehe Ehevertrag zwischen Peter Joseph und Agnes Stollwerck vom 15. Juni 1900, RWWA 208-273-2; Ehe- und Erbvertrag zwischen Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 29. Januar 1903, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Die Verfügung über Immobilien, langfristige Kapitalanlagen und wertvolle Mobilien der Ehefrau war ohne deren Mitwirkung unwirksam. Siehe Buchholz: Das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauen, S. 674. 382 O. A.: Protokoll über Sitzung des Familienrates betr. Nachlass von Peter Joseph Stollwerck vom 18. Februar 1908, RWWA 208-456-5. 383 Ludwig und Maria Stollwerck setzten sich „gegenseitig einer den anderen zum Alleinerben ein“. Gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. 384 Siehe Wilhelm Weisweiler an Agnes Stollwerck am 24. Februar 1908, RWWA 208-456-5.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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schaft ließ es sich gegebenenfalls bewirken, das Firmenkapital oder größere Teile davon über den Tod des Unternehmers hinaus in einer Hand bzw. in wenigen Händen zu erhalten und Auszahlungen an nicht in die Unternehmensnachfolge tretende Kinder zu verzögern. Neben der Versorgung der Witwe spielte bei der Regelung des Nachlasses das Gerechtigkeitsempfinden der Erblasser eine wichtige Rolle. Auch die Gebrüder Stollwerck setzten ihre Söhne und Töchter zu gleichen Teilen als Erben des Gesamtvermögens ein.385 Entsprechend wurden bei der Berechnung der jeweiligen Anteile bereits erfolgte Zahlungen auf das spätere Erbe zu Grunde gelegt. Fast alle Kinder wohlhabender Familien erhielten in den Jahren vor dem Tod der Eltern finanzielle Unterstützung, die dann mit dem Erbteil verrechnet wurde. Heinrich Stollwerck hatte seinen Töchtern Bertha und Anna Sophia bei ihrer Eheschließung jeweils 100.000 Mark sowie im Laufe der Zeit weitere Geldzuwendungen in Höhe von jeweils 50.000 Mark zugedacht. Seine jüngste Tochter Maria Theresa sollte vor Festlegung der Erbanteile ebenfalls 100.000 Mark erhalten, sofern sie zum Zeitpunkt der Testamentseröffnung noch unverheiratet sein sollte. Die Brautausstattung blieb bei der Berechnung des Erbteils außen vor – als Ausgleich für die Vorteile, die den Söhnen anderweitig zuteil geworden waren. Die weiteren Zuwendungen an die Töchter blieben bis zu einer Höhe von 50.000 Mark ohne Zinsberechnung. Der älteste Sohn Albert Nikolaus (II) hatte vor dem Tod der Eltern bereits 173.960,88 Mark erhalten, sein Bruder Heinrich Victor 295.352,61 Mark und der jüngste Spross Franz (II) 100.000 Mark in Aktien der Gebrüder Stollwerck AG. Von den Kapitalzuwendungen an die Söhne blieben jeweils 100.000 Mark zinsfrei, die darüber hinausgehenden Beträge waren bei der Erbteilung mit fünf Prozent Zins und Zinseszins zu berücksichtigen.386 Auch Peter Joseph und Ludwig Stollwerck wünschten, dass die Aussteuer ihrer Töchter bei der Aufteilung ihrer Nachlässe nicht angerechnet, sondern als „eine im Voraus, unter Befreiung von der Collationspflicht, gemachte Schenkung“ betrachtet werde. Ähnlich sollte mit dem jährlichen Zuschuss von 6.000 Mark verfahren werden, den Peter Joseph Stollwerck seinen Töchtern „zur Bestreitung des Haushaltes“387 zahlte. Von diesem Betrag sollte nur die Hälfte auf das Erbe angerechnet werden. Peter Joseph Stollwerck bezeichnete es in diesem Zusammenhang als seinen 385 Siehe Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 227; Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 85. Die einzige Ausnahme bildeten Carl und Fanny Stollwerck, die ihre Adoptivtöchter vom gesetzlichen Erbteils- und Pflichtteilsrecht ausschlossen und ihnen lediglich einen Betrag von 100.000 Mark zugestanden. Siehe gerichtliche Bestätigung des Vertrags über die Annahme an Kindesstatt und Erbvertrag zwischen Carl und Fanny Stollwerck und Emil Schniewind in seiner Eigenschaft als Vormund vom 26. November 1908 vom 20. April 1909, Staatsarchiv München, AG Aibling NR 1932/86. 386 Siehe gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. 387 Für die letzten Zitate siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. Siehe auch Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. Zur Höhe der Aussteuer der Töchter siehe Kapitel III.A.2.
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„Ehrgeiz“, dafür Sorge zu tragen, dass seine Kinder von den Zinsen ihres jeweiligen Erbteils in einer „gediegenen Häuslichkeit“388 leben können. Das Hauptanliegen der Gebrüder Stollwerck war es indes, einen Großteil des vorhandenen Kapitals an das Unternehmen zu binden, um das angesammelte Vermögen nicht auseinanderzureißen und Kapitaldeckungslücken zu vermeiden. Die jüngste Schwester Therese wurde bei ihrer Hochzeit 1887 vertraglich verpflichtet, ihren im Geschäft der Brüder angelegten Erbteil im Todesfall weder ihrem Ehemann zu vermachen noch die Auszahlung ihres Kapitals zu verlangen.389 Ludwig und Maria Stollwerck äußerten in ihrem Testament den Wunsch, dass ihre Nachfahren die Stammaktien der Familienaktiengesellschaft „nur wenn unvermeidlich verkaufen“390 und ferner durch ihre eigenen letztwilligen Verfügungen dafür Sorge tragen sollen, dass das von den Eltern ererbte Vermögen wieder an die Familie zurückfällt. Peter Joseph Stollwerck ermahnte seine Kinder nachdrücklich, sich mit dem ererbten Vermögen niemals in Spekulationen einzulassen, und konfrontierte seine Ehefrau mit dem Wunsch, eine ihr mütter- oder väterlicherseits zufallende Erbschaft als nicht verantwortliche, mit jährlich fünf Prozent zu verzinsende Anlage in die Stollwerck’sche Unternehmung einzubringen. Die Zinsen sollten ihr vierteljährlich ausgezahlt werden; das eingebrachte Kapital sollte aber „für unvorhergesehene Fälle ganz oder theilweise zu ihrer Verfügung stehen“391. Die detailliertesten Bestimmungen in dieser Hinsicht traf Heinrich Stollwerck. Für den Fall, dass das Kind, welches das Kölner Anwesen übernahm, dieses vor dem 20. Todestag des länger lebenden Elternteils wieder verkaufen würde, wurde es verpflichtet, die Hälfte des erzielten Preises, sofern er 360.000 Mark übersteigen sollte, mit seinen Geschwistern oder deren Nachfahren zu teilen. Die andere Hälfte sollte an die Gebrüder Stollwerck AG fallen, konkret an die von Heinrich Stollwerck initiierte Pensions- und Unterstützungskasse des Unternehmens. Die gleiche Regelung verfügte das Ehepaar für den Fall, dass keiner der Nachfahren bereit sein sollte, die Villa zu übernehmen und dadurch deren Verkauf unmittelbar nach dem Tod des letzten Elternteils notwendig werden würde.392 Die grundsätzliche Gleichbehandlung von Söhnen und Töchtern hieß nicht, dass die Gebrüder Stollwerck nicht beim Zugriff auf einzelne Teile ihres Nachlasses charakteristische geschlechtsspezifische Unterschiede machten. So waren die 388 Siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 389 Siehe Erklärung von Richard Roderbourg und Therese Stollwerck vom 10. Februar 1887, RWWA 208-411-7. 390 Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. Der Wunsch, das Unternehmen solle im Eigentum der Familie verbleiben, findet sich in nicht wenigen Unternehmer-Testamenten. Siehe Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 227 f. 391 Für die letzten Zitate siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 392 Siehe gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01.
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Töchter zum einen nicht in gleicher Weise wie die Söhne als Nachfolger im Unternehmen vorgesehen, zum anderen war es den Erblassern ein wichtiges Anliegen, Grund- und Immobilienvermögen möglichst in die Hände der männlichen Nachfahren zu geben. Die Familienvillen galten nicht nur als Ort des gemeinsamen Wohnens, sondern waren Kern des privaten Lebens und steinernes Zeugnis der familiären Tradition. Damit sie diese Bedeutung nach dem Tod der Eltern nicht verloren, formulierten zumindest Peter Joseph und Heinrich Stollwerck genaue Übernahme- und Nutzungsbedingungen. Die Kölner Villa von Peter Joseph sollte nach dem Tod beider Elternteile auf den ältesten Sohn übergehen, der auch für die Nachfolge im Unternehmen bestimmt war und dem entsprechend eine hohe Anwesenheits- und Repräsentationspflicht am Stammsitz der Firma oblag. Sollte er auf das Wohn- und Eigentumsrecht verzichten, stand das Recht, die Immobilie zu übernehmen, in der Reihenfolge ihrer Geburt zunächst seinen Brüdern zu – erst bei deren Verzicht seinen Schwestern.393 Laut den Kölner Adressbüchern wurde das Kölner Anwesen bis 1930 zunächst vom ältesten Sohn Gustav, schließlich vom jüngsten Sprössling Richard bewohnt.394 Ihren Töchtern Martha und Clara gestanden die Eltern nur für die Übernahme des Sommerwohnsitzes der Familie in Godesberg ein Vorrecht vor ihren Brüdern zu – allerdings nur für den Fall, dass sie unverheiratet blieben. Sollten sie die Villa nicht übernehmen wollen, sollte sie – sofern der älteste Sohn das Kölner Anwesen übernahm – gemäß dem Senioritätsprinzip an einen der zwei anderen Söhne fallen. Eine besondere Bestimmung traf Peter Joseph Stollwerck für sein Sommerhaus auf der Nordseeinsel Borkum, das er als „gemeinschaftliches Besitzthum“ seiner Söhne und Töchter und deren Nachfahren verwaltet wissen wollte. Ein Verkauf sollte nur durch Mehrheitsbeschluss erfolgen können – sofern sich „im Laufe der Zeit Unverträglichkeiten“395 ergeben würden. Tatsächlich befand sich das Borkumer Anwesen noch bis 1956 im Eigentum der Familie.396 Die Erben wurden zudem testamentarisch ermahnt, aus den Immobilien keine Spekulationsobjekte zu machen, sondern den „wirkliche[n] Werth“ der Häuser anzuerkennen; ihre individuell wahrgenommene Bedeutung als „Sammelpunkte der Familie“ sei nicht mit dem materiellen Wert gleichzusetzen. Wie wichtig es Peter Joseph Stollwerck war, seine Immobilien stets im Familieneigentum zu wissen, zeigt ferner der Wunsch, dass einer seiner Brüder – nach der Reihenfolge des Alters – die Villen übernehmen sollte, sofern keines seiner Kinder sein Recht wahrnahm. Wollten auch seine Geschwister die Anwesen nicht übernehmen, sollte ein Familienrat über die Verwertung entscheiden – unter Vorsitz des ältesten Bruders Heinrich, der laut Peter Joseph Stollwerck am besten wisse, „wie zur Erwerbung des vorhandenen
393 Siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 394 Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1918, 1930 und 1931. 395 Für die letzten Zitate siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 396 Information von Ludolf Stollwerck in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Besitzthums gearbeitet worden ist“ und es sich entsprechend zur „Ehrenpflicht“397 machen werde, dasselbe der Familie zu erhalten. Von dem Wunsch beseelt, dass das Kölner Anwesen auch nach ihrem Tod zu „Familienzusammenkünften“ dienen möge, um dadurch „die Familienzusammengehörigkeit zu halten und zu beleben“398, verpflichteten auch Heinrich und Apollonia Stollwerck ihre Erben testamentarisch, sich um die Immobilien zu sorgen und sie in der Familienpolitik zu verankern. Über die Familienvilla und die an sie geknüpften Erinnerungen wurden auf diese Weise die verbindenden und verbindlichen Aspekte der Verwandtschaft beschworen. Hier waren die einzelnen Familienmitglieder auch in einem übertragenen Sinne zu Hause. Sie fühlten sich als Elemente einer größeren Einheit, die eine bestimmte Vergangenheit, einen gemeinsamen Lebensstil sowie politische und gesellschaftliche Grundauffassungen teilte. Dem Wohnsitz der Familie kam demnach nicht nur Bedeutung für Lebensstil, Wohnkultur und ästhetisches Empfinden zu, sondern er stellte das Leben und Wohnen der einzelnen Familienmitglieder in einen generationenübergreifenden Kontext. Das von den Eltern erbaute Haus sollte auch in Zukunft als Zentrum des Familienlebens dienen und die Kinder an das erinnern, was ihre Vorfahren geschaffen hatten und was es zu erhalten galt. Als vermeintlich sichere Gewähr dafür, dass ihre Villa lange im Familieneigentum bleibt, erschien auch Heinrich und Apollonia Stollwerck die Übernahme des Anwesens durch einen der männlichen Nachkommen. Diese Aufgabe trugen sie zunächst ihrem auch zur Nachfolge im Unternehmen vorgesehenen Sohn Franz (II) an; nur für den Fall, dass er sein Vorrecht ablehnte, sollten seine Schwestern – entsprechend dem Senioritätsprinzip – an seine Stelle treten.399 Um die Übernahme des Anwesens zu erleichtern, sollten vor der Teilung der Erbmasse 300.000 Mark bei der Gebrüder Stollwerck AG zurückgestellt werden. Die Zinsen dieser Summe sollte dasjenige Kind, welches die Villa übernehmen wollte, 20 Jahre als Zuschuss für den Unterhalt des Hauses erhalten; nach Ablauf dieser Zeit sollte der Betrag unter den Erben bzw. deren Nachkommen nach Maßgabe der getroffenen Erbfolge aufgeteilt werden.400 Schwierig war auch die Aufteilung des Mobiliarnachlasses zu gleichen Teilen. Während Heinrich und Apollonia Stollwerck in die Übernahme des Kölner Anwesens auch alle in den Gebäuden und auf dem Grundstück befindlichen beweglichen Gegenstände (ausgenommen Wertpapiere, Kunst-, Gold- und Silbersachen, Marmor- und Bronzestücke sowie Edelsteine und Automobil) einschlossen, regelte Peter Joseph Stollwerck diese Frage separat. Kunstgegenstände, Bilder etc. wollte er möglichst gleichmäßig unter seinen überlebenden Nachkommen verteilt 397 Für die letzten Zitate siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 398 Siehe gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. 399 Die beiden erstgeborenen Söhne Albert Nikolaus (II) und Heinrich Victor waren zuvor von der Erbfolge ausgeschlossen und auf den Pflichtteil gesetzt worden. Zu den Gründen, die zu diesem Entschluss geführt hatten, siehe ausführlich Kapitel IV.A.2. 400 Siehe gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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wissen. Jedes der sechs Kinder sollte das Recht haben, „sich sechs Stück oder zusammengehörende Garnitur auszusuchen; dem Alter nach anfangend jeder mal ein Stück resp. Garnitur, dann der folgende ein Stück u.s.w.“401. Die Verrechnung sollte gemäß der Buchführung von Peter Joseph Stollwerck oder einer Wertschätzung zum Anschaffungspreis erfolgen.402 Ein wichtiger Aspekt der testamentarischen Verfügungen waren in der Regel auch regelmäßige oder einmalige Zuwendungen an Verwandte und Angestellte sowie wohltätige und andere, vom Unternehmen unabhängige gemeinnützige Zwecke.403 Die Summe, die gemeindlichen oder kirchlichen Einrichtungen zugedacht wurde, bewegte sich dabei – auch bei mehrfachen Millionären – in der Regel in einer Größenordnung bis 100.000 Mark; eine Ausnahme bildeten jüdische Unternehmer, für die sich bedeutendere Stiftungen nachweisen lassen.404 Die erhaltenen Testamente der Gebrüder Stollwerck sind in dieser Hinsicht eher untypisch. Den Erben wurden keine Verpflichtungen auferlegt, die über die Zwecke der engeren Familie und des Unternehmens hinausgingen. Folgt man hingegen den Ausführungen von Anna Sophia Sulkowska-Stollwerck, bedachte ihr Vater in seinem Testament zumindest die Heilsarmee „in erhöhtem Maße“405 und agierte auch zu Lebzeiten in dem Bewusstsein, als wohlhabender Unternehmer zu besonderen finanziellen Zuwendungen an Wohlfahrtseinrichtungen verpflichtet zu sein – ohne daraus unmittelbar einen persönlichen Gewinn oder einen Vorteil für das Unternehmen zu ziehen. Ob Heinrich Stollwerck und seine Brüder über die erhaltenen Testamente hinaus Verfügungen hinterließen, die die Erinnerungen von Heinrichs Tochter belegen könnten, ist nicht mehr zu ermitteln. Eine Ausnahme bildete lediglich das Testament von Fanny Stollwerck, mit dem sie eine Stiftung zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses ins Leben rief.406 Trotz der detaillierten testamentarischen Bestimmungen hatten die Gebrüder Stollwerck – wie viele andere Bürgerfamilien – kein hinreichendes Vertrauen in die Fähigkeit ihrer Nachkommen, bei Interessenkonflikten einvernehmliche Lösungen zu finden. Dies belegen die in allen überlieferten Testamenten enthaltenen Nichtanfechtungsklauseln, die jedes Klagevorhaben im Ansatz unterdrückten, da die daraus erwachsenden Nachteile vorhersehbar waren. Per „Strafbestimmung“407 schlossen Heinrich und Apollonia Stollwerck diejenigen Hinterbliebenen, welche die Verfügungen der Eltern nicht akzeptieren wollten, von der fortgesetzten Gütergemeinschaft aus und beschränkten sie auf den Pflichtteil. Sollte dieser Fall 401 Siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 402 Ludolf Stollwerck berichtete mir in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009, dass sich noch heute einige Erbstücke seines Großvaters in seinem Eigentum befinden. 403 Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 389; Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 229 f. 404 Siehe ebenda, S. 229. 405 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 42. Siehe auch ebenda, S. 41, 64 f. 406 Siehe Kapitel III.A.2. 407 Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Siehe auch Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 388 f.; Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 117.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
eintreten, hatte sich das jeweilige Kind zudem alle Aufwendungen der Eltern – z. B. zur Eheschließung – sowie alle Schulden, die der Erblasser zu Lebzeiten für den entsprechenden Sprössling beglichen hatte, anrechnen zu lassen. Ähnliche Bestimmungen formulierten auch Peter Joseph Stollwerck sowie Ludwig und seine Ehefrau Maria, die mit der Drohung freilich die „innigst[e]“ Hoffnung verbanden, dass ihre Kinder „zu solchem traurigen Entschlusse nie Veranlassung geben möchten“408. Differenzen und Streitigkeiten sollten gemeinschaftlich beigelegt werden, nötigenfalls unter Hinzuziehung einer Vertrauensperson. Sowohl Peter Joseph als auch Heinrich und Ludwig Stollwerck vertrauten in diesem Zusammenhang auf die vermittelnden Fähigkeiten der überlebenden Brüder und des langjährigen Rechtsberaters der Familie und des Unternehmens, Emil Schniewind.409 Grundsätze bürgerlicher Lebensführung Die skizzierten Eckdaten zum Vermögen der Familie zeigen, dass die Stollwercks über ausreichend ökonomisches Kapital verfügten, um – in einem bestimmten Rahmen – freizügig mit Geld umzugehen. Von den Gebrüdern Stollwerck ist allerdings überliefert, dass sie sich bemühten, ihre Kinder zu einer rationalen Lebensführung zu erziehen, deren wichtigster Grundsatz die Sparsamkeit, der haushälterische Umgang mit materiellen Ressourcen war – eine bürgerliche Tugend, die den Sprösslingen von den Vätern vorgelebt wurde.410 Ungeachtet des beträchtlichen Vermögens sollten so zum einen die Bodenständigkeit der Familie, zum anderen die finanzielle Redlichkeit der Unternehmer demonstriert werden. Dass Fritz, der älteste Sohn von Ludwig Stollwerck, als kleiner Junge „sehr sparsam“ und geschäftstüchtig agierte, indem er aus seinen Ostereiern Profit schlagen und sie in seinem Kinder-Kaufmannsladen zum Verkauf anbieten wollte, blieb den Eltern in positiver Erinnerung.411 Umgekehrt äußerte sich Ludwig Stollwerck „geradezu bestürzt“, als er erfuhr, dass sein jüngerer Sohn Paul während eines Ausbildungsaufenthaltes in den USA innerhalb von sechs Wochen 350 Dollar ausge408 Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. Siehe auch die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 409 Siehe ebenda; Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01; Privates gemeinschaftliches Testament von Ludwig und Maria Stollwerck vom 9. Januar 1918, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 88/1918. Ludwig Stollwerck benannte ferner Justizrat August Adenauer (1872–1952), Heinrich Stollwerck den Kölner Justizrat Wilhelm Weisweiler als Vertrauensperson. 410 Ludolf Stollwerck berichtete mir in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009, sein Vater Richard habe sich an Peter Joseph Stollwerck stets als einen bescheidenen und sparsamen Menschen erinnert, der nicht nur seine Kinder, sondern auch seine Angestellten zur Sparsamkeit anhielt. Siehe zur Tugend der Sparsamkeit auch Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 151. 411 Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 2, 10.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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geben hatte. Diese „enorme Summe“ erschien ihm so unverständlich, dass er einen sofortigen und genauen Rechenschaftsbericht über den Verbleib des Geldes einforderte und seinen Sohn ermahnte: „Du weisst, dass Deine Eltern für Erziehung, kaufmännische oder geschäftliche Ausbildung und für Gesundheit gern alles Mögliche tun, aber man hat dann auch die Pflicht, wenn ein Fall wie der heutige vorliegt, sofort Abrechnung zu geben.“412 Die Ermahnungen verband er mit dem Hinweis auf das Vorbild der Gebrüder Stollwerck, die der Maßstab waren, an dem sich die Jungen messen sollten.413 Die Überzeugung, dass man seine Kinder zu einem haushälterischen Umgang mit Geld erziehen müsse, teilte Ludwig Stollwerck mit seinem englischen Geschäftsfreund Gilbert Bartholomew, der 1906 Ludwigs ältesten Sohn Fritz für einige Zeit in seinem Geschäft ausbildete und zuvor bereits Gustav und Heinrich Victor, die Söhne von Peter Joseph und Heinrich, bei sich aufgenommen hatte. Man solle seinen Kindern gegenüber – so Gilbert Bartholomew – großzügig sein, sie aber gleichzeitig darin bestärken, Geld nicht zu verschwenden, sondern klug damit umzugehen. Es ging demnach im Umgang mit Geld nicht darum, Ausgaben zu unterlassen, sondern Verschwendung zu vermeiden und das Geld überlegt und gezielt einzusetzen. Die Erziehung zur Sparsamkeit diente dabei nicht nur pädagogischen Zielen, sondern sollte die Söhne auch mit geschäftlichem Profitdenken vertraut machen.414 Denn – so Ludwig Stollwerck – gerade auf einer Geschäftsreise müsse man „stets so sparsam als möglich […] wirtschaften“415, da man eine solche Fahrt nicht mit der Garantie antrete, am Ende ein lukratives Geschäft abzuschließen. Vor dem Hintergrund eines möglichen Fehlschlags habe man die Kosten stets so gering wie möglich zu halten. Es entstünde allerdings ein falsches Bild, wenn man aus diesen Zitaten ableiten wollte, das (Wirtschafts-)Bürgertum habe sich in seiner Lebensführung und gestaltung nur an der Tugend der Sparsamkeit bzw. den Erfordernissen des Unternehmens orientiert. Der zweckrationale Umgang mit Geld bzw. auf der Metaebene die methodisch-systematische Lebensführung waren grundlegend für eine Lebensweise, die durch verschiedene Strategien und Rituale sowie im- und explizit geäußerte Formen sozialer Unterscheidung jene Gestalt gewann, die man als „bürgerliche Lebensart“ bezeichnet.416 Denn um zum (Wirtschafts-)Bürgertum gezählt zu werden bzw. sich integriert und akzeptiert fühlen zu können, waren Besitz, ein bestimmtes Einkommen und Vermögen sowie die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder eines freien Berufes zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Basis. (Wirtschafts-)bürgerlich war nur, wer sich auch eine entsprechende sittlich-rationale Lebensweise, einen bestimmten Lebensstil angeeignet hatte, d. h. in der Lage war, die gesellschaftlichen Ausgabe- und Aus412 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 10. Februar 1908, RWWA 208-211-1; Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 25. Februar 1908, RWWA 208-211-1. 413 Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 2. Dezember 1908, RWWA 208-211-5. Siehe auch Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 133 f. 414 Siehe Gilbert Bartholomew an Ludwig Stollwerck am 24. Oktober 1906, RWWA 208-246-6. 415 Ludwig Stollwerck an Otto Volkmann am 13. Juni 1896, RWWA 208-245-7. 416 Siehe hierzu Bourdieu: Zur Soziologie, S. 57–73.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
stattungsnormen zu erfüllen. Diese „standesgemäße“ Lebenshaltung zeigte sich in der Einhaltung äußerer Normen und der Erfüllung von Erwartungen: z. B. der Ausbildung der Söhne, der Kleidung, der Beschäftigung von Dienstpersonal und der obligatorischen Sommerreise. Nicht zuletzt ließ auch der Rahmen, in dem sich das bürgerliche Leben abspielte – die Wohnlage bzw. die Wohnform und der Wohnstil – Rückschlüsse auf die materielle Situation und das bürgerliche Selbstverständnis zu.417 Wohnsitze Franz Stollwercks Eine spezifisch (wirtschafts-)bürgerliche Wohnkultur und -architektur zeichnete sich seit dem 17. Jahrhundert – anfangs allerdings nur vereinzelt – ab. Bis zur Industrialisierung lagen Wohnung und Arbeitsstätte eines Unternehmers in der Regel nah zusammen; Wohnräume, Lager und Kontor eines Kaufmanns befanden sich sogar oft unter einem Dach. Auch Franz Stollwerck betrieb zumindest einen Teil seiner Unternehmungen immer in dem Haus, in dem sich auch die private Wohnung der Familie befand. Dabei richtete er die Lage seiner Wohn- und Wirkungsstätte an den Hauptgeschäftszentren der Stadt aus. Bereits 1842 zog er von der Blindgasse 37 in das Haus Nummer 12 in derselben Straße und damit näher an die Hauptgeschäftsstraße, die Hohe Straße, die bereits im 18. Jahrhundert besondere Bedeutung erlangt hatte. Im Unterschied zu den Torstraßen, in denen sich mit Geschäften für Lebensmittel, Tabak, Kurzwaren etc. das alltägliche wirtschaftliche Leben der Außenbezirke und der breiten Bevölkerung abspielte, waren die Läden in der Hohe Straße und die dort verkehrende Kundschaft exklusiver und ganz städtisch geprägt. Es gab Modegeschäfte, Juweliere, Hutmacher etc.418 Ende der 1840er Jahre zog es Franz Stollwerck dann in die Schildergasse Nr. 49, wo er in deutlich verbesserter Geschäftslage sein „Café Royal“419 eröffnete. Im Zuge der geschilderten finanziellen Schwierigkeiten und der Aufgabe des VaudevilleTheaters verlegte er seinen Wohnsitz Mitte der 1850er Jahre aus dem Zentrum in die südliche Kölner Altstadt, in die Bayenstraße 29, wo er sein großes Theater, Ausflugs- und Tanzlokal, die „Königshalle“, betrieb. Nachdem auch dieses Projekt gescheitert war, zog es ihn 1866 zurück in das Kölner Geschäftszentrum und er verlegte sein Heim in die Hohe Straße 9, wo er bis zu seinem Tod 1876 lebte.420
417 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 67; Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 281; Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 88–92. 418 Siehe Pohl: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 74; van Eyll: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 184. 419 Anzeigen von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 339 vom 5. Dezember 1847 und Nr. 341 vom 7. Dezember 1847. 420 Siehe Adressbücher der Stadt Köln für die Jahre 1854 bis 1876; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 5.
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Städtische Wohnsitze und Lebensstil der Generation Gebrüder Stollwerck Die räumliche Nähe von Wohnsitz und Arbeitsplatz blieb auch für seine Söhne – und damit über die Jahre der Frühindustrialisierung hinaus – kennzeichnend. Sie entsprachen damit einem reichsweiten Trend, nach dem sich im Geschäftsleben stehende Unternehmer vor dem Ersten Weltkrieg nur selten weit abseits der eigenen Firma niederließen.421 Nachdem Franz Stollwerck seinen Wohnsitz in die Hohe Straße verlegt hatte, zog sein ältester Sohn Albert Nikolaus (I) in die Bayenstraße 29. Nach Gründung der Firma Gebrüder Stollwerck 1872 verlegte er sein Domizil in die nördliche Altstadt – in die unweit der Hohe Straße gelegene Brückenstraße 12, wo sich auch ein Magazin des Unternehmens befand. Ein Jahr vor seinem Tod 1883 siedelte er in die Hohe Straße 9A um, wo die Gebrüder im Nachbarhaus ebenfalls ein Warenlager unterhielten. Die Wohnung in der Brückenstraße übernahm Ludwig, der im Jahr zuvor geheiratet hatte. Er lebte dort, bis er 1890 mit seiner Familie in den Sachsenring 32 (siehe Abb. 11) zog – vermutlich waren die wachsenden Raumbedürfnisse der zu diesem Zeitpunkt bereits fünfköpfigen Familie der Anlass für den Wohnungswechsel. Bei diesem Haus handelte es sich um eine freistehende Villa422 mit der Vorderfront direkt an der Straße.423 Als Abschnitt der Ringstraße zählte der Sachsenring zu dem repräsentativen Wohnviertel der Neustadt – hier ließ das begüterte Kölner Bürgertum steinerne Zeugnisse einer neuen, von Industrialisierung und wirtschaftlichem Aufschwung geprägten Zeit errichten. Die Grundstücke auf dem Sachsenring, die seit 1885 verkauft wurden, durften laut Beschluss der Stadtverordnetenversammlung nur mit Häusern bebaut werden, die an mindestens drei Seiten freistanden. Die zur Altstadt gelegenen Bauplätze hatten jedoch nur eine geringe Tiefe, sodass hier vor allem Doppelvillen – u. a. das Haus Sachsenring 32 – errichtet wurden. An der Außenseite des Sachsenringes sowie z. T. auch in der Volksgartenstraße entstanden hingegen herrschaftliche Villen in großzügigen Parkanlagen.424 Heinrich Stollwerck wohnte zunächst wie Albert Nikolaus (I) in der Brückenstraße 12, bevor er 1877, nach der Geburt des sechsten Kindes, in die Corneliusstraße 12425 zog – in dem Straßendreieck Corneliusstraße, Annostraße und Severinsmühlen421 Siehe Kierdorf: Industriellenwohnsitze, S. 19; Lesczenski: August Thyssen, S. 170; Augustine: Patricians & Parvenus, S. 160–172. 422 Weder im zeitgenössischen noch im modernen Sprachgebrauch sind die Begriffe Villa und Wohnhaus klar gegeneinander abgegrenzt, sondern werden, z. T. auch mit Begriffen wie Landhaus und Palais, synonym verwendet. Siehe Maas: Im Hause des Kommerzienrats, S. 15–19. 423 Siehe Architekten- und Ingenieur-Verein für Niederrhein und Westfalen (Hg.): Köln und seine Bauten, S. 689, 697 f. 1894 wurde Ludwig Stollwerck in Greven’s Adressbuch mit der Adresse „Sachsenring 34“ geführt. Hierbei handelt es sich um die alte Nummer 32. Die meisten Straßen der Kölner Neustadt wurden einige Jahre nach ihrer Bebauung umnummeriert. Siehe Kier: Die Kölner Neustadt, S. 14. 424 Siehe ebenda, S. 119. 425 Ab 1892 war Heinrich Stollwerck im Kölner Adressbuch auch unter der Hausnummer 10 verzeichnet. Vermutlich wurde die Wohnung entsprechend vergrößert. Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1891 und 1892.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
gasse befanden sich die Stollwerck’schen Fabriken. Peter Joseph Stollwerck, der zunächst in der Hohe Straße 164, direkt neben dem dortigen Magazingebäude, seinen Wohnsitz hatte, zog nach dem Tod des Vaters 1876 mit seiner Familie in die Hohe Straße 9, wo auch seine Mutter bis zu ihrem Tod 1888 wohnte und wo sich bis 1882 neben einem Warenlager auch das Büro des Unternehmens befand. Carl lebte ebenfalls in fußläufiger Nähe zu Fabrik und Kontor. Nach seiner Heirat 1885 hatte er seinen Wohnsitz zunächst in der Rheinaustraße 2C,426 bevor er elf Jahre später in die am Volksgarten gelegene Kleingedankstraße 18 umzog.427
Abb. 11: Wohnhaus von Ludwig Stollwerck, Sachsenring Nr. 28, 30, 32, um 1890 (Kier: Die Kölner Neustadt, Abb. 424)
Die Wohnsitze der Gebrüder Stollwerck bringen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur die Nähe von Arbeits- und Wohnbereich zum Ausdruck, sondern stehen auch sinnbildlich für die unternehmerische Funktionsteilung bzw. die differenzierte Leitungsstruktur des Unternehmens. Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Ludwig, die den kaufmännischen Bereich verantworteten, lebten in unmittelbarer Nähe der Magazine und des Kontors, Heinrich hingegen, dem die fabrikatorische Leitung der Stollwerck’schen Unternehmung oblag, hatte seinen Wohnsitz auf dem Fabrikgelände. Da das entsprechende Bild- und Planmaterial fehlt, können über Größe,428 Raumaufteilung und Innenausstattung sowie über die konkrete Abgrenzung der Wohnungen zu Magazin, Kontor und Fabrik keine Aussagen gemacht werden. Lediglich von der Wohnung in der Brückenstraße ist überliefert, dass sie in der oberen Etage lag, während sich Warenlager und Geschäftsräume im Souterrain und den unteren Stockwerken befanden – die Trennung der Geschäftssphäre vom privaten Wohnbereich war also gewahrt.429 426 In unmittelbarer Nähe befindet sich heute das Kölner Schokoladenmuseum. 427 Siehe für die Angaben zu den Wohnsitzen Greven’s Adressbuch für die Jahre 1866, 1867, 1872, 1873, 1876, 1877, 1882, 1885, 1888, 1889, 1890, 1895, 1896. 428 Die Etagenwohnung einer bürgerlichen Familie bestand Ende des 19. Jahrhunderts in der Regel aus vier bis zehn Räumen. Siehe von Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 173. 429 Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 2.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Die vorhandenen Geldmittel der Gebrüder Stollwerck dienten demnach in erster Linie für geschäftliche Investitionen und die Erweiterung des Betriebs – private Komfort-, Raum- und Repräsentationswünsche wurden zunächst zurückgestellt. Für die Kinder und Ehefrauen wurde so spürbar, dass Familie und Unternehmen eng miteinander verknüpft waren und das familiäre Zusammenleben dem geschäftlichen Erfolg untergeordnet wurde. Erst Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem die Stollwerck’sche Unternehmung Jahre eines beschleunigten Wachstums erlebt, sich neben dem Geschäftskapital genügend Privatvermögen angesammelt hatte und die materielle Situation einen aufwendigeren Lebensstil und Kapitalakkumulation zugleich erlaubte, waren die Gebrüder Stollwerck bereit, in größerem Umfang in den persönlichen Hausbau zu investieren. Durch den Neubau von repräsentativen Villen drückten sie ihren steigenden wirtschaftlichen Wohlstand, ihr gewachsenes gesellschaftliches Ansehen und die positive unternehmerische Zukunftserwartung symbolisch aus.430 Aus der Perspektive der Unternehmensgeschichte ist denkbar, dass auch die seit Ende der 1880er Jahre projektierte und 1902 umgesetzte Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft, die zunehmende Standardisierung der Betriebs- und Büroabläufe und die Dezentralisierung des Organisationsgefüges431 zwar nicht direkt den Bau der einzelnen Villen, wohl aber den Zeitpunkt der Vergrößerung des privaten Heims und die Entscheidung beeinflussten, eine größere räumliche Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsplatz zu legen. Durch die wachsende Zahl leitender und loyaler Angestellter, die große Teile des Tagesgeschäfts übernahmen, Arbeitsabläufe planten und kontrollierten, mussten die Gebrüder Stollwerck nicht mehr ständig persönlich im Kontor und in der Fabrik anwesend sein. Zudem verlor die Nachbarschaft von Wohnhaus und Unternehmen durch die verbesserten verkehrstechnischen Anbindungen, die Telefonverbindungen etc. zunehmend an Bedeutung. Neben der Repräsentation der Besitzverhältnisse und des sozialen Selbstverständnisses der Bewohner dienten die um die Jahrhundertwende gebauten Villen vor allem einem Familienleben in einer völlig von der Arbeitswelt geschiedenen Sphäre. Das großbürgerliche Wohnhaus als idyllische – menschlich und moralisch integere – Gegenwelt, als Refugium, in dem sich der Unternehmer von den Anforderungen des Berufslebens erholen konnte, war ein gängiger Topos im 19. Jahrhundert und nahm in der bürgerlichen Weltanschauung eine zentrale Stellung ein. Das eigene Heim sollte als privater Rückzugsort und Ruhepol der Kernfamilie dienen. In diesem Kontext diente die Wohnform der Villa dazu, Nachbarschaft 430 Zu anderen führenden Unternehmern im Rheinland und in Westfalen, die lange in bescheidenen Wohnverhältnissen lebten und sich erst spät eine Villa oder ein gediegenes Wohnhaus errichten ließen, siehe Maas: Im Hause des Kommerzienrats, S. 30 f.; Reitmayer: Bourgeoise Lebensführung, S. 64; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 269; Weichel: Bürgerliche Villenkultur, S. 238 ff. 431 Siehe Augustine: Patricians & Parvenus, S. 160. Zum beschleunigten Wachstum des Unternehmens Stollwerck im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, der Organisationsstruktur des Unternehmens und den Veränderungen im Zuge der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft siehe ausführlich Kapitel IV.A.1 und IV.A.2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
und Öffentlichkeit auf Distanz zu halten und das eigene Heim nur zu gesellschaftlichen Anlässen und für bestimmte Personen zu öffnen.432 Da die Gebrüder Stollwerck häufig auf Reisen waren, kann von einem stetigen und ruhigen Zusammenleben der Kernfamilie, wie es das bürgerliche Idealbild suggeriert, jedoch kaum die Rede sein. Zudem lagen die Villen der einzelnen Familienstämme zwar alle außerhalb des Fabrikgeländes und trennten die Familie von der unternehmerischen Wirkungsstätte, sie wahrten aber die Nähe zu den Fabrikanlagen. Die Gebrüder Stollwerck konnten so weiterhin jederzeit persönlich Arbeitsvorgänge kontrollieren und mussten die Verantwortung nicht delegieren. Eine zunehmende Distanz zum Tagesgeschäft ist für die zweite Generation demnach nicht feststellbar. Als erster der Brüder zog 1892 Peter Joseph Stollwerck in seine in der Bayenstraße 65 gelegene Villa (siehe Abb. 12); Kontor und Fabrik im Severinsviertel konnte er von dort bequem fußläufig erreichen.433 Ab 1899 bewohnte auch Ludwig Stollwerck ein repräsentatives Anwesen in der Hardefuststraße, die in unmittelbarer Nähe des Volksgartens und nur wenige Straßen von seinem vorherigen Wohnsitz auf dem Sachsenring entfernt lag. Schräg gegenüber bezog 1902 Carl Stollwerck sein zwischen 1898 und 1901 an der Ecke Hardefust- und Volksgartenstraße errichtetes Anwesen. Die Villen von Ludwig und Carl Stollwerck in der südlichen Kölner Neustadt lagen nur wenige Kilometer von der unternehmerischen Wirkungsstätte entfernt. Als letzter der Brüder löste Heinrich Stollwerck die Einheit von Unternehmen und Privatwohnung auf. Er bezog 1904 sein an der Grenze der Villenvororte Marienburg und Bayenthal gelegenes Haus auf dem Bayenthalgürtel 2 – unweit der Arbeitsstätte im Severinsviertel. Die einzelnen Villen stehen zwar sinnbildlich für den Rückzug in die Kernfamilie; ihre Standorte zeigen aber auch, dass die einzelnen Familienstämme räumlich aufeinander und auf die Fabrikanlagen in der Kölner Südstadt bezogen blieben und einen engen Interaktionszusammenhang aufrecht erhielten. Die städtische Randlage in den Villenvierteln der Kölner Neustadt bzw. in Marienburg und Bayenthal bot nicht nur die Möglichkeit, der drückenden Enge der Altstadt zu entfliehen und repräsentativ zu bauen, sondern hatte auch den sozialhygienischen Reiz, ein Leben in größerer Distanz zum Stadtzentrum mit seinen Industrieabgasen sowie dem ständigen Lärm und Schmutz zu führen, kurz: sich von den unmittelbaren negativen Begleitund Folgeerscheinungen der Hochindustrialisierung abzugrenzen, von denen die Stadtkerne als industrielles Ballungs- und Verkehrszentrum seit Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend geprägt waren.434 Gleichzeitig bildeten die Ringstraßen und die Rheinuferstraße wichtige Verkehrsverbindungen zum Kölner Hauptbahnhof und dem Stadtzentrum – ein Standortfaktor, der es ermöglichte, den Alltag der 432 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 67–80; Weichel: Bürgerliche Villenkultur, S. 247. Über die Art der Geselligkeitsformen, die Besucherstruktur und Dichte der Festlichkeiten in den Häusern der Gebrüder Stollwerck erlaubt die Quellenlage kaum sichere Aussagen. Lediglich die Schilderung von Anna Sophia Sulkowska-Stollwerck über patriotische Feiern in der Bismarckburg ist überliefert. Siehe hierzu Kapitel III.C.2. 433 Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1891 und 1892. 434 Siehe auch Augustine: Patricians & Parvenus, S. 160.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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kurzen Wege beizubehalten, und der Geschäftsreisen sowie den Empfang von Gästen erleichterte. Noch mitten im aktiven Unternehmerleben stehend, konnten und wollten die Gebrüder Stollwerck nicht darauf verzichten, Kontor und Fabrik bequem und schnell zu erreichen.
Abb. 12: Villa von Peter Joseph Stollwerck, Bayenstraße 65, ca. 1905/06 (RWWA 208-F4032)
Die Straßen und Wohngebiete, in denen die Gebrüder Stollwerck ihre Villen errichten ließen, bestätigen zudem die These von Oepen-Domschky, dass es in Köln Viertel und Straßenzüge gab, in denen bevorzugt Wähler der ersten Klasse435 wohnten, zu denen Peter Joseph Stollwerck spätestens seit 1881, seine Brüder Heinrich, Ludwig und Carl spätestens seit 1891 zählten.436 Stammte der Hauptteil der Erste-Klasse-Wähler, zu denen überwiegend selbständige Unternehmer, Kommerzienräte, Bankiers und leitende Angestellte gehörten, bis 1881 aus einem Viertel um den Neumarkt und aus mehreren Straßenzügen in der Altstadt, kurz: aus dem Gebiet der alten Römerstadt, traten mit dem Wandel des Stadtkerns von einem Wohngebiet zu einem Dienstleistungs- und Gewerbezentrum, dem Beginn 435 Die Kölner Kommunalvertretung wurde nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt, d. h. die wahlberechtigten Bürger wurden nach ihrer Steuerleistung in drei Klassen eingeteilt. Auf jede Klasse entfiel ein Drittel der Gesamtsumme der Steuerbeträge. Die wenigen Höchstbesteuerten der ersten Klasse wählten demnach genauso viele Abgeordnete wie die größere Zahl der Wähler in der zweiten und dritten Klasse. 436 Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 49, 392. Oepen-Domschky wählte für ihre Auswertung der Bürgerrollen der Stadt Köln, in denen alle Wähler mit Namen, Anschrift und beruflicher Tätigkeit verzeichnet sind, einen Untersuchungszeitraum im Abstand von zehn Jahren: 1871, 1881, 1891, 1901 und 1911. Aufgrund des Einsturzes des Historischen Archivs der Stadt Köln am 3. März 2009 lässt sich momentan nicht nachprüfen, ab wann die Gebrüder Stollwerck zu den Erste-Klasse-Wählern zählten.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
der Stadterweiterung 1881 und den Eingemeindungen 1888 neue, repräsentative Wohngebiete hinzu. Zu den präferierten Vierteln, die einen wahren Villenbauboom erlebten, zählten nun zum einen die repräsentativen Ringstraßen: KaiserWilhelm-Ring, Hohenzollernring, Hohenstaufenring, Sachsenring und Salierring. Neben Ludwig Stollwerck, der bis 1899 auf dem Sachsenring wohnte, ließen sich hier zahlreiche weitere Wirtschaftsbürger nieder, u. a.: der Samt- und Plüschfabrikant Otto Andreae (1833–1910) (Kaiser-Wilhelm-Ring 21), der Chemieindustrielle Richard Grüneberg (1862–1926) (Sachsenring 6), der Eigentümer der Hanfspinnerei und -seilerei „Felten & Guilleaume“, Arnold von Guilleaume (1868– 1939) (Sachsenring 73), der Bankier Louis Hagen (1855–1923) (Sachsenring 91/93), der Teilhaber der Bleiproduktefabrik W. Leyendecker & Comp. und Sohn des von 1880 bis 1890 amtierenden Handelskammerpräsidenten Wilhelm Leyendecker (1816–1891), Johann Wilhelm Leyendecker (1850–1923)437 (KaiserWilhelm Ring 34), sowie die Zuckerfabrikanten Emil vom Rath (1833–1923) (Kaiser-Wilhelm-Ring 15) und Valentin Pfeifer (1837–1909) (Kaiser-Wilhelm Ring 31).438 Zu einem Wohngebiet des materiell gut situierten Bürgertums entwickelten sich zum anderen seit etwa 1900 auch die Straßen, die nahe der großen Ringstraßen lagen: Kaiser-Friedrich-Ufer, Mozartstraße, Volksgarten- und Hardefuststraße – hier wohnten ab 1899 bzw. 1902 auch Ludwig und Carl Stollwerck. Peter Joseph Stollwerck errichtete seine Villa in der Bayenstraße, die zu den „alten Wohnviertel[n]“439 Kölns zählte, Heinrich Stollwercks Bismarckburg lag auf dem Bayenthalgürtel, neben der Lindenallee und dem Oberländer Ufer die bevorzugte Straße im Vorort Marienburg. Die Gebrüder Stollwerck orientierten sich demnach am Trend des Kölner Wirtschaftsbürgertums, durch die Verlegung des Wohnsitzes an den Stadtrand „unter sich“ zu bleiben, sich von anderen gesellschaftlichen Gruppen auch räumlich abzugrenzen. Freilich verlor dieser Abgrenzungsversuch Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung, da auch immer mehr zu Geld gekommene Kleinbürger sowie die Gewinner der Stadterweiterungsphase nach 1881, Bauunternehmer und Architekten, in die Neustadt und die neuen Vororte zogen.440 Es handelte sich demnach zwar noch um einen geschlossenen bürgerlichen, aber kaum mehr einheitlich großbürgerlichen Raum. Wie die Gestaltung des bürgerlichen Lebensstils in der architektonischen Form der Wohnsitze im Fall Stollwerck konkret aussah, lässt sich für die Kölner Häuser von Heinrich und Carl beispielhaft anhand der Baugeschichte sowie der äußeren und inneren Gestaltung der neuen Wohnsitze nachvollziehen.441 Beide 437 Johann Wilhelm Leyendecker war Kommanditist der 1898 gegründeten Automat GmbH, Berlin, deren Aufsichtsratsvorsitz Ludwig Stollwerck übernahm. Siehe ebenda, S. 127. 438 Siehe für zahlreiche Abbildungen Kier: Die Kölner Neustadt. 439 Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 50. 440 Siehe ebenda, S. 53. 441 Wir sind bei der Analyse ausschließlich auf das erhaltene Bild- und Schriftmaterial angewiesen, da beide Villen heute nicht mehr existieren: Die Erben von Heinrich Stollwerck verkauften den Familiensitz 1917, nur zwei Jahre nach seinem Tod. Der letzte Eigentümer der Villa war der Geheime Regierungsrat Ottmar Strauß (1878–1940), einer der beiden Teilhaber der Eisen- und Stahlhandelsfirma Otto Wolff. 1935 wurde das Anwesen (ohne das Gesindehaus,
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Anwesen entstanden nach Plänen des Berliner Architekten Bruno Schmitz, der mit Ludwig Stollwerck befreundet war und das Vertrauen der Familie genoss.442 Er zählte zwar nicht zur ersten Riege der Architekten des wilhelminischen Deutschland, unbekannt war er indes nicht, hatte er sich doch seit Ende des 19. Jahrhunderts als Erbauer mehrerer Denkmäler Respekt erworben.443 Aufgrund seiner ausdrucksvollen Denkmalbauten, die repräsentativ den historisierenden Monumentalstil der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert spiegelten, erfreute sich Schmitz kaiserlicher Förderung.444 Mit der Wahl ihres Architekten verbanden die Gebrüder Stollwerck demnach nicht nur die Erwartung, er möge in den Bauten ihren sozialen Rang und ihr ökonomisches Kapital angemessen dokumentieren, sondern sie brachten zugleich ihren Patriotismus zum Ausdruck. Insbesondere Heinrich Stollwerck stilisierte seine Villa zu einem Symbol deutsch-nationaler Gesinnung, indem er ihr den Namen „Bismarckburg“ gab und die Hauptfassade zur 1898 bis 1903 am Bayenthalgürtel errichteten Bismarcksäule ausrichten ließ.445 Wie zahlreiche andere Repräsentationsbauten der Jahrhundertwende lassen auch die Villen der Stollwercks unterschiedlichste Stilrichtungen erkennen: klassisch-antike Tempelfronten, Mauerumgrenzungen und Aspekte mittelalterlicher
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das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde) abgerissen; wiederbebaut wurde das Grundstück erst 1958/59; es ist heute aufgeteilt in Bayenthalgürtel 2, Oberländer Ufer 246–250 und Alteburger Str. 387. Siehe Hagspiel: Köln: Marienburg, S. 137. Carl Stollwerck bot seine Villa noch zu Lebzeiten zum Verkauf an. Offensichtlich hatte er jedoch in den Jahren zuvor notwendige Instandsetzungsarbeiten aufgeschoben, so dass das Objekt auf die Interessenten einen „miserablen Eindruck“ machte. Die Villa von Carl Stollwerck wurde 1935 durch die Deutsche Shell AG abgerissen. Heinrich Trimborn an Carl Stollwerck am 22. Dezember 1928, RWWA 208-43-8. Siehe auch Germersheim: Unternehmervillen, S. 178. Siehe Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 23. Juli 1898, RWWA 208-410-6; Ludwig Stollwerck an Bruno Schmitz am 25. September 1903, RWWA 208-256-7. Siehe zur Auswahl des Architekten und dem Verhältnis zwischen Bauherr und Architekt Kierdorf: Industriellenwohnsitze, S. 187–191; Weichel: Bürgerliche Villenkultur, S. 240. Er realisierte das Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica bei Minden, entwickelte das Berg- und Turmdenkmal am Kyffhäuser in Thüringen und das 1897 zum 100. Geburtstag Kaiser Wilhelms I. eingeweihte Sockelmonument mit Reiter und Pfeilarkaden am Deutschen Eck bei Koblenz, ferner lieferte er den Entwurf für das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Bruno Schmitz widmete sich zudem einer Vielzahl anderer Baukörper – u. a. Grabmälern, Land-, Wohn- und Geschäftshäusern (z. B. dem Berliner „Papierhaus“ und, ebenfalls in Berlin, dem „Automatenhaus“), Museumsbauten, Platz- und Stadtplanungen. 1894 wurde er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und Dresden. Für die Gebrüder Stollwerck entwarf er neben zwei Wohnhäusern u. a. das Geschäftshaus auf der Hohe Straße und den Pavillon des Unternehmens für die Gewerbe-Ausstellung in Düsseldorf 1902. Ferner unterstützte er sie bei der künstlerischen Gestaltung der Sammelbilder. Auf seine Entwürfe gehen u. a. auch die Arbeiterhäuser der Firma Lever Brothers in Port Sunlight zurück. Es ist denkbar, dass Ludwig Stollwerck seinem Freund William Hesketh Lever den Kontakt vermittelte. Siehe Schliepmann: Bruno Schmitz, S. 49; zum Thema Sammelbilder siehe Kapitel IV.B.1. Siehe Mai: Schmitz, Bruno Georg. Siehe mangels kritischer wissenschaftlicher Aufarbeitungen die stark affirmative Darstellung von Schliepmann: Bruno Schmitz, S. III–X. Für eine kurze Kritik der Werke von Bruno Schmitz siehe Schumacher: Strömungen, S. 80 f. Siehe ausführlich Kapitel III.C.2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Burgen, Elemente gotischer Sakralarchitektur und Anklänge an Renaissance und Barock. Die in Sandstein erbaute Villa Carl Stollwercks trug den „Charakter reicher Schlossarchitektur mit Anklängen an barocke Formgebung“446 (siehe Abb. 13 und 14).
Abb. 13 und 14: Villa von Carl Stollwerck, Volksgartenstraße 54, o. D. (o. A.: Das Haus des Herrn Generalkonsul Karl Stollwerck, S. 541)
Markantes Merkmal der risalitartig im Bogen vortretenden Hauptfront des Hauses war das große, buntfarbige Fenster der Diele. Auf der rechten Seite der Hauptfassade öffnete sich in drei Arkaden eine große Veranda; eine ähnliche Anlage fand sich auch auf der Gartenseite. An den beiden Schmalseiten des Hauses traten Vorbauten hervor – auf der einen Seite der Wintergarten, nach der Hardefuststraße die Apsis des Musiksaales. Hier war die Straßenfront ebenfalls durch plastischen Zierrat hervorgehoben. Der Garten war verhältnismäßig klein, so dass bei Zeitgenossen der Eindruck entstand, das Gebäude stecke „noch zur Hälfte im Boden“ und müsse „wachsen und sich weiten, um dann auf grössere Massen und Flächen sein Ornament von strotzender Kraftfülle zu verteilen“.447 Die eindrucksvolle Außenarchitektur fand ihr Äquivalent in der großzügigen Raumaufteilung und der luxuriösen Innenausstattung der Villa, die dem gängigen Kanon großbürgerlicher Wohnkultur folgten, wie sie im späteren 19. Jahrhundert üblich war: ein in weißen Marmor gekleideter Vorraum, Glasmosaikfenster, Goldmalereien, kunstvolle Wanddekorationen, geschwungene und reich dekorierte Treppengeländer, verschiedene Marmorkamine und Laternen aus Goldbronze und geschliffenen Gläsern.448
446 Brüning: Villa Stollwerck, S. 149. 447 Ebenda, S. 150. Siehe auch Germersheim: Unternehmervillen, S. 181 f.; Brönner: Die bürgerliche Villa, S. 330. 448 Siehe Brüning: Villa Stollwerck.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Entsprach die üppige Formensprache der Villa Carl Stollwercks ganz dem Ideal des „Wilhelminischen Barock“, wirkte das Anwesen, das sich Heinrich zwischen 1902 und 1904 am Bayenthaler Rheinufer449 bauen ließ, gänzlich anders (siehe Abb. 15 und 16).
Abb. 15 und 16: Villa von Heinrich Stollwerck, Bayenthalgürtel 2, 1905 (Hagspiel: Köln: Marienburg, S. 136, 138)
Zwar zeigen sich in der Raumaufteilung im Inneren des Hauses verwandte Züge, das Wohnhaus Heinrich Stollwercks kann indes nicht als Villa im eigentlichen Sinne des Wortes gelten, sondern war in seiner architektonischen Gestaltung, mit dem mächtigen, sehr hohen Turm, den Giebeln und Zinnen sowie der Verbindung des Fachwerks mit nur gemauerten Fassadenteilen eher einer Burg der Renaissance nachempfunden.450 Nicht nur für die Villa Heinrich Stollwercks wurde dabei die Verbindung eines schlichten, oft massigen Baukörpers mit einem schmalen, häufig mit Holzbauten ausgestatteten Ober- und Dachgeschoss charakteristisch.451 Diese – scheinbar – beliebige Vermischung von Elementen verschiedener 449 Nachdem prachtvolle Anwesen in Köln seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in der Altstadt und entlang der Ringe entstanden waren, kamen Ende des Jahrhunderts neue Gebiete hinzu, in denen sich eine gehobene, z. T. extravagante Wohnbebauung durchsetzte. Namentlich Marienburg entwickelte sich zu einem bevorzugten, in eine große Parklandschaft eingebetteten Villenvorort nach englischem Vorbild. Siehe Hagspiel/Esch: Marienburg, S. 8–15; Hagspiel: Köln: Marienburg, S. XIII–LIV. 450 Siehe o. A.: Das Haus des Herrn Stadtrat Heinrich Stollwerck, S. 586; Hagspiel/Esch: Marienburg, S. 99. 451 Die Fassade der Stollwerck’schen Burg wurde aus Sandstein und Tuff, der Sockel aus Basalt erbaut, der zum Garten zeigende mächtige Giebel hingegen – wie das zur Alteburger Straße gelegene Stall- und Gesindehaus – in Eichenholzfachwerk gestaltet. Siehe auch Hagspiel: Köln: Marienburg, S. 136–139; Brönner: Die bürgerliche Villa, S. 316–324. Da das entsprechende Bild- und Planmaterial fehlt, können über die Innenausstattung des Wohnsitzes von Heinrich Stollwerck keine Aussagen gemacht werden. Lediglich Heinrichs Tochter Anna Sophia zeichnete in den Erinnerungen an ihren Vater ein – allerdings stark verklärendes – Bild
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Stilepochen, kurz: eine fehlende eigenständige und neue Stilrichtung führten zu dem Vorwurf,452 die historistische Villenarchitektur sei qualitativ minderwertig und stehe sinnbildlich für die Orientierungslosigkeit des wilhelminischen Bürgertums. Man wird diesen Bauten jedoch nicht gerecht, wenn man sie lediglich ästhetisch bewertet und nicht hinterfragt, warum bestimmte historische Stilvorlagen nachgeahmt wurden. Einerseits überschätzt man damit ihre künstlerischen Ambitionen, andererseits verkennt man das Bedürfnis der überwiegend wirtschaftsbürgerlichen Bauherren, über den Wohnsitz ihr wachsendes bürgerliches Selbstbewusstsein, ihre Normen und Wertvorstellungen zum Ausdruck zu bringen.453 Auch die Raumdisposition in den Stollwerck’schen Häusern war typisch für Villen, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erbaut wurden (siehe Abb. 17 und 18):
Abb. 17 und 18: Grundrisse der Villa von Heinrich Stollwerck, Erdgeschoss und erstes Obergeschoss (Hagspiel: Köln: Marienburg, S. 137)
Man betrat zunächst ein Vestibül, von dem die Garderoben abzweigten. Von dort gelangte man in die zentrale Diele oder Halle, die mit Kamin und repräsentativem Treppenaufgang einen vornehmen Eindruck hinterließ.454 Im Erdgeschoss befanden sich ferner die der Geselligkeit und Repräsentation gewidmeten Räume, die sich um die Diele oder Halle gruppierten: Damen- und Herrensalons, Billard- und Raucherzimmer, Musikzimmer etc. Charakteristisch war auch ein großzügig angelegter Speisesaal, an den oft ein Wintergarten als Übergang zu Terrassen und Veranden grenzte, über die man in den Garten gelangte – einer der wichtigsten Beaus dem Innern der Bismarckburg. Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 45– 50. 452 Der Vorwurf geht von dem Gedanken aus, dass Originalität das Hauptkriterium künstlerischen Schaffens darstelle und die Rückbesinnung auf vergangene Stile gleichbedeutend sei mit einem Verlust an schöpferischer Kraft. Siehe Beenken: Der Historismus. 453 Siehe Maas: Im Hause des Kommerzienrats, S. 7; Bentmann/Müller: Die Villa als Herrschaftsarchitektur, S. 121–125; Brönner: Die bürgerliche Villa, S. 9–18; Saldern: Rauminszenierungen, S. 41. 454 In der Villa Carl Stollwercks war die Diele sowohl im äußeren Erscheinungsbild als auch in der neubarocken Gestaltung und mit dem der Straße zugewandten, über die ganze Höhe des Hauses reichenden Fenster überdurchschnittlich repräsentativ und luxuriös; sie maß neun mal 14 Meter und war eine der größten ihrer Art. Siehe Brönner: Die bürgerliche Villa, S. 336– 351; Brüning: Villa Stollwerck, S. 150 f.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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standteile großbürgerlicher Wohnkultur im 19. Jahrhundert. Er spiegelte nicht nur die finanziellen Möglichkeiten des Bauherrn, sondern dokumentierte auch den Wunsch des Bürgertums, die Natur als Rückzugsort einzubeziehen.455 Das Raumprogramm wurde im Obergeschoss durch die Schlafzimmer der Familie, Badeund Ankleidezimmer, Boudoir, Frühstücks-, Wohn- und Arbeitszimmer vervollständigt. Fremdenzimmer und die Räume für das Personal waren ebenso wie die Waschräume in der zweiten oder Dachetage untergebracht. Da Küchengerüche zumeist als störend empfunden wurden, befanden sich die Küchen- und Wirtschaftsräume – wie in vielen anderen Bürgerhäusern auch – im Untergeschoss, ebenso der Heiz- und Weinkeller.456 Das umfangreiche Raumprogramm mit seinen Wohn- und Gesellschafts-, Personal- und Wirtschaftsräumen diente der bestmöglichen Versorgung der Familie und dem reibungslosen Ablauf großer Gesellschaften. Die erwähnten Damen- und Herrenzimmer stehen für die im 19. Jahrhundert zunehmende Ausbildung geschlechtsspezifischer Bereiche innerhalb von Villen. In der Regel galten Billard-, Arbeits- und Herrenzimmer als männliche Sphäre, der Salon und das Frühstückszimmer hingegen als Bereiche der Frauen. An die Stelle mehrfachfunktionaler Räume früherer Jahrhunderte, in denen die Familie gemeinsam arbeitete und lebte, traten spezialisierte, funktional differenzierte und intentional ausgestattete Zimmer – architektonischer Ausdruck des wachsenden Bedürfnisses nach Rückzugsmöglichkeiten, nach Privatsphäre und ungestörter Reflexion als Teil jenes bereits erwähnten, das Bürgertum prägenden Prozesses der Individualisierung.457 Berücksichtigt man zudem, dass die Bismarckburg lediglich dem Hausherrn, seiner Ehefrau und der zum Zeitpunkt des Einzugs noch unverheirateten Tochter Maria Theresa Platz bieten musste, so verfügte der Wohnsitz mit seinen fünf Repräsentationsräumen im Unter- und seinen sechs Wohnräumen im Obergeschoss über ausreichend Zimmer. Noch großzügiger gestaltete sich die Villa von Carl und Fanny Stollwerck, die gemeinsam mit ihren drei Adoptiv- bzw. Pflegekindern acht Repräsentationsräume im Unter- und sechs Wohnräume im Obergeschoss bewohnten. Vor dem Hintergrund großbürgerlicher Wohnkultur im Kaiserreich waren die Stollwerck’schen Häuser damit zwar nicht herausragend repräsentativ; doch erfüllten sie die Norm und fügten sich in die gängige Größe Kölner Kaiserzeit-Villen. Die Baukosten für das Anwesen Heinrich Stollwercks beliefen sich auf rund 460.000 Mark; Carl Stollwerck veranschlagte, nachdem er für das ca. 2.400 qm 455 Siehe Maas: Im Hause des Kommerzienrats, S. 28; Augustine: Patricians & Parvenus, S. 161. 456 Siehe o. A.: Das Haus des Herrn Stadtrat Heinrich Stollwerck, S. 586; o. A.: Das Haus des Herrn Generalkonsul Karl Stollwerck, S. 541. Die skizzierte Raumdisposition war in vielerlei Hinsicht identisch mit der Architektur englischer Landhäuser. Siehe Maas: Im Hause des Kommerzienrats, S. 73 ff. Fotografien der Inneneinrichtung von Carl Stollwercks Villa zeigen zudem moderne sanitäre und technische Anlagen, die dem persönlichen Komfort und dazu dienten, das Personal rationeller einzusetzen. Siehe A. Brüning: Villa Stollwerck. 457 Siehe Maas: Im Hause des Kommerzienrats, S. 73 ff. Siehe auch Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 73 f.; Zinn: Entstehung und Wandel; Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 321 f.; Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 156 f., 175–178; Weichel: Bürgerliche Villenkultur, S. 246.
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große Grundstück etwa 240.000 Mark aufgewandt hatte, für den Bau seines Hauses ursprünglich die Summe von 225.000 Mark, die er „nicht überschreiten“ wollte, damit ihn „das ganze Object […] nicht theurer als eine halbe Million zu stehen kommt“458. Während der Bauphase geriet allerdings der Drang, dem gesellschaftlichen Status der Familie Ausdruck zu verleihen, in einen immer stärkeren Gegensatz zu den bürgerlichen Prinzipien der Bescheidenheit und Sparsamkeit, der Anspruchslosigkeit und Selbstbeherrschung. Dem ursprünglichen Ansinnen Carl Stollwercks, „kein übertrieben luxuriöses oder gar protzenhaftes Haus“ zu bauen, sondern „vielmehr ein vornehmes, recht behagliches-trautes Heim“459, standen die tatsächlichen Ansprüche und entstandenen Kosten diametral gegenüber. Der Finanzierungsplan ließ sich nicht einhalten. Allein die Baukosten beliefen sich Mitte 1900 bereits auf über 550.000 Mark.460 Carl Stollwerck hatte seinen finanziellen Spielraum damit nach eigenen Angaben vollständig ausgereizt und bat den Architekten „ebenso dringend wie herzlich […] recht einschneidende Vereinfachungen“ vorzunehmen, um weitere zusätzliche Ausgaben zu vermeiden. Eine große Erbschaft seiner Frau umfasse zwar „einige Millionen“, liege aber in Staatspapieren fest, und aus dem Unternehmen könne er, abgesehen von den Zinsen seiner Geschäftseinlage, „nur einen kleinen limitirten Betrag“461 ziehen. Entsprechend der arbeitsorientierten, ökonomisch-bürgerlichen Denkweise vieler Industrieller sah sich Carl Stollwerck also nicht primär als Nutznießer, sondern als Treuhänder und Verwalter des privaten sowie des im Geschäft angelegten Familienvermögens. Sparsamkeit galt ihm als sittlich gebotene Tugend, die er beim Bau seiner Villa pflegen wollte, indem er nicht mit Geld „protzte“. Bescheidenheit war freilich nicht die prägende Tugend der wilhelminischen Epoche: War es im frühen 19. Jahrhundert noch geradezu verpönt, das erarbeitete Vermögen auch zu genießen und zur Schau zu stellen, hatte sich die Einstellung zu Materialismus und Hedonismus rund 100 Jahre später sichtlich geändert. Eine luxuriöse Lebensweise war nicht mehr verpönt, sondern gehörte nun zu den Konventionen großbürgerlichen Sozialverhaltens. „The international successes of the German economy […] lent a merk of respectability to noveau riche life styles. […] The business elite presented itself to society as an elite, sparing no expense on entertainment, and cultivating an image as grande dame, connoisseur, or ‚man of the world‘. The Business families who did not go along with these changes generally fall into at least one of four categories: they lived in small towns where there was hardly anyone worth influencing; they were social newcomers; they were involved in an economic activity or company in which public relations were unimportant; or there were others in their company who took care of networking.“462
Diesen Bedingungen konnte sich auch Carl Stollwerck auf Dauer nicht entziehen. Die moralische Norm einer am Arbeits- und Leistungsethos orientierten Lebens458 459 460 461
Carl Stollwerck an Bruno Schmitz am 26. Juli 1898, RWWA 208-410-6. Ebenda. Carl Stollwerck an Bruno Schmitz am 19. Juli 1900, RWWA 208-413-3. Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Bruno Schmitz am 12. Juli 1900, RWWA 208-4133. 462 Augustine: Patricians & Parvenus, S. 243 f.
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führung bestimmte zwar sein Bewusstsein, entsprach aber nicht vollumfänglich seinem Handeln und seiner Außendarstellung. So sparte er bei der Innenausstattung seines Hauses auch nur punktuell (z. B. bei der Wanddekoration) und nahm in Kauf, dass sich die Gesamtkosten für den Bau laut Ausführungen in der „Deutschen Bauzeitung“ schließlich auf rund 800.000 Mark summierten, gut 300.000 Mark mehr als ursprünglich geplant.463 Da nur für wenige Wohnsitze anderer Wirtschaftsbürger die Bau- oder Kaufsummen bekannt sind, lassen sich die Investitionen von Heinrich und Carl Stollwerck nur bedingt bewerten. Zudem unterschieden sich die Anwesen in Größe und technischer wie künstlerischer Ausstattung etc. zum Teil erheblich, so dass es dem Vergleich an Präzision mangelt. Folgende Zahlen mögen dennoch eine Orientierung bieten: Louis Hagen, der über ein geschätztes Vermögen von elf bis zwölf Millionen Mark verfügte, investierte 620.000 Mark in den Bau seiner Villa, der Chemieindustrielle Ernst Meyer Leverkus (1863–1942) wandte 800.000 Mark auf, die Villa des Kölner Unternehmers Gustav von Mallinckrodt (1859–1939) hingegen wurde auf nur 220.000 Mark geschätzt.464 Gegen die skizzierten Sparsamkeits-Argumente Carl Stollwercks stellte Bruno Schmitz seine künstlerische Vielseitigkeit, gesellschaftliche Erfahrung und Vertrautheit mit den höchsten Ansprüchen an Geschmack und Komfort: „Würde man sparen müssen, so würde allerdings eine wesentlich einfachere Sache eintreten […]. Ich fasse aber diesen Endpunkt des schönen Speisesaales als eine so vornehme Stelle im Hause auf, als den Effect- gewissermaßen den Concentrationspunkt der Festräumlichkeiten, wo sich die Besucher und Freunde am meisten und am längsten aufhalten […]. […] Hier, lediglich um ein Paar Tausend Mark zu sparen, den ganzen Effect des Saales in Frage zu stellen, halte ich doch nicht für richtig. […] Grade diese letzten Schliffe, diese letzten Effectpunkte anzusetzen, das macht das Bild erst vollständig, während im anderen Falle, trotz der aufgewendeten großen Beträge, sicherlich nur ein powrer Eindruck […] herauskäme. Ich will Dich sicherlich nicht verleiten, unnütze Ausgaben zu machen und übertriebenen Reichtum anzuwenden, aber es scheint doch meine Pflicht zu sein, Dich auf den großen Schaden aufmerksam zu machen, den Du dem Ganzen zufügst, wenn an einzelnen Stellen Halbes und Nüchternes, Schablonenhaftes neben dem großen Reichtum an anderen Stellen besteht.“465
Insbesondere wies er den Vorwurf von sich, er sei mit seinem Kunstsinn über jedes Maß hinaus geschossen und habe seinen Bauherrn „in Gott weiß welche Unkosten“ gestürzt. Vielmehr erkannte er die Ursache für die hohen Kosten in den Ansprüchen seiner Bauherren, die das Gebot der Schlichtheit, Behaglichkeit und Wohnlichkeit zugunsten von äußerem Prunk und luxuriöser, künstlerischer Prachtentfaltung verwarfen: 463 Siehe o. A.: Das Haus des Herrn Generalkonsul Karl Stollwerck, S. 541. Zwar war die Innenarchitektur Bestandteil des Bauauftrags, jedoch fehlen detaillierte Aufstellungen, so dass nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob die genannte Summe alle Kosten enthält. Siehe auch Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 405 f. 464 Siehe Germersheim: Unternehmervillen, S. 77; Weichel: Bürgerliche Villenkultur, S. 245 f.; Reitmayer: Bankiers im Kaiserreich, S. 264 ff. Siehe auch Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 44 f.; Augustine: Patricians & Parvenus, S. 178. 465 Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 7. Juli 1900, RWWA 208-413-3; Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 14. Juli 1900, RWWA 208-413-3.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck „Bekanntlich bist Du und Frau Fanny sehr wählerisch in allen Dingen geworden und immer nur das Schönste und Beste hat Euch zum Schluß gefallen. […] Der Kostenanschlag […] ist, wie Du weißt, auf eine solide, bürgerliche Auffassung basirend. Bekanntlich habt Ihr Euch später zu all diesen anderen Dingen […] entschlossen und zu einer Auffassung bekannt, wie ich Sie für Euch für richtig halte, die aber weit über den Rahmen einer soliden, bürgerlichen Bauausführung hinausgeht und sich zu einer Kunstleistung ersten Ranges gestaltet hat. Wenn Du auch hin und wieder auf die Kostensumme kamst, so konnte es Frau Fanny doch nicht schön genug haben und bekanntlich hat von den Berliner Bauten, die wir damals gemeinsam ansahen, fast kaum etwas Euren Beifall gefunden, mit Ausnahme des Fürst Pleßschen Palais und desjenigen von Saloschin, bei welchem Du mir speciell sagtest, dieser Character sei es, den Ihr wünschtet und den Ihr Euch vorgestellt habt. Beide Bauten sind das Nobelste, was man hier in Deutschland ausführt […].“466
Auch über den Termin der Fertigstellung des Hauses kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Bauherr und Architekt. Carl Stollwerck ging der Innenausbau nicht schnell genug voran; Bruno Schmitz reagierte auf diese Kritik verärgert und warf seinem Auftraggeber vor: „Du mußt einmal Deine kaufmännischen Ideen, meinen Arbeiten gegenüber, bei Seite lassen. Du glaubst immer […] Waren per Termin bestellen zu können, lieferbar am so und so vielten, das ist meinen Arbeiten gegenüber nicht angängig, da sie eben keine Waren sind und ich meine Ideen auch nicht auf Lager liegen habe, sondern sie jedesmal neu schöpfen muß, und sie nur liefern kann, wenn sie wirklich fertig sind.“467
Für Bruno Schmitz standen demnach typische Unternehmereigenschaften wie Rationalität, Führungs- und Willenskraft und die Vorliebe für organisatorischtechnische Perfektion im direkten Widerspruch zu der künstlerisch hochwertigen Einrichtung eines Wohnsitzes und dem Umgang mit einem Architekten, der sich als Künstler und nicht als beratender und ausführender Fachmann verstand. Verzögert wurden der Innenausbau und die künstlerische Gestaltung der Räume allerdings auch durch Carl und Fanny Stollwerck selbst. Das Wohnhaus sollte nicht nur den Ort des familiären Seins bilden, sondern war gleichermaßen individueller Ausdruck der Bewohner und ihrer bürgerlichen Lebensweise – eine Form kultureller Selbstdarstellung. Die Architektur wurde auch mit der Persönlichkeit des Bauherrn in Verbindung gebracht. Daher war es wichtig, einen eigenen Stil zu prägen, der den persönlichen bzw. den Wohlstand und Geschmack der Familie Stollwerck, Standesbewusstsein und kulturelle sowie – allerdings seltener – politische Vorstellungen spiegelte. Entsprechend setzten Carl und Fanny Stollwerck ihren Architekten nicht nur terminlich unter Druck, sondern bestanden auch auf anhaltender persönlicher Mitwirkung und wollten mitunter kleinste Details nach ihren Wünschen geändert sehen.468 Bruno Schmitz empfand diese Vorgaben als
466 Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 9. Juli 1900, RWWA 208-413-3; Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 23. Juli 1900, RWWA 208-413-3. 467 Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 8. Januar 1900, RWWA 208-413-3. 468 Zu Beispielen für Bauherren, die ebenfalls eigenständige Vorstellungen entwickelten und den Architekten in die Rolle des beratenden und umsetzenden Fachmanns verwiesen, siehe Kierdorf: Industriellenwohnsitze, S. 25–28, 75–88; Germersheim: Unternehmervillen, S. 85–89.
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Eingriff in seine künstlerische Freiheit und war nicht gewillt, Kompromisse zwischen seinen Ansprüchen und den Erwartungen des Ehepaares zu schließen: „Wenn Ihr die Meinung habt, daß Entwürfe dieser Bedeutung entstehen, indem ich mir dieses oder jenes ansehe oder in den Büchern rumsuche und dann nach Gefallen etwas auswähle und zusammenstelle, so irrt Ihr Euch und Ihr irrt Euch noch weiter, wenn Ihr die Ansicht habt, daß es überhaupt möglich wäre, wenn Ihr Eurerseits mir zeigt oder sagt, was Euch gefällt und ich dann das meinige, was mir gefällt, damit zusammenwürfe, daraus überhaupt etwas vernünftiges würde. Das ist ein vollständiges Verkennen von künstlerischem Schaffen […]. […] Wenn Ihr der Auffassung seid, daß Ihr selbst bauen könnt und selbst Eure Räume und den BauOrganismus künstlerisch gestalten könnt, indem Ihr in einen Laden geht und kauft, was Euch gefällt oder auf der Ausstellung herumsucht, was Euch gefällt, oder nach Paris geht, um dort zuzusehen, was es dort giebt, so braucht Ihr mich nicht dazu, hättet Ihr mich nicht beauftragen sollen, dann hättet Ihr mir Arbeit gespart, von deren Schwierigkeit und Ausdehnung Ihr gar keine Ahnung habt, und ich möchte darüber auch keine Unklarheit lassen, daß ich an meinen Projecten niemals etwas verschlechtern lassen kann und daß Ihr ein solches Verlangen an mich nicht stellen könnt. Wenn Euch meine Sachen nicht gefallen, so bin ich der Letzte, der Euch überreden will, sie ausführen zu lassen, dann bleibt Euch gar keine andere Wahl, als Euch an Jemand zu wenden, von dem Ihr Besseres hofft.“469
Ein Artikel, der unmittelbar nach Fertigstellung des Hauses 1903 in der „Deutschen Bauzeitung“ erschien, deutet darauf hin, dass es Bruno Schmitz auch beim Bau des Hauses von Heinrich Stollwerck nicht möglich war, „seine künstlerischen Absichten unbeeinflusst durchführen zu können“. Heinrich Stollwerck wurde als Bauherr beschrieben, der „seinem eigenen Geschmacke entsprechende Anordnungen ohne Mitwirkung des Architekten“ durchführen ließ, so dass Bruno Schmitz am Ende die Verantwortung für die innere Gestaltung des Hauses „ausdrücklich“ ablehnte. Zwar äußerte der Autor Verständnis für den Wunsch und das Recht eines Bauherrn, sein Haus nach eigenen Vorstellungen zu gestalten und einzurichten, jedoch dürfe er dann nicht einen Künstler wie Bruno Schmitz beauftragen: „Eine solche Wahl auferlegt ihm doch zweifellos die Pflicht, sich nach vorheriger Verständigung über die grossen Züge einer Anordnung im Einzelnen der besseren künstlerischen Einsicht seines Architekten zu unterwerfen und nicht selbständig etwas zu schaffen, an dem schliesslich beide Teile keine rechte Freude haben. Welcher herrliche Raum hätte z. B. aus der Diele werden können, […], wenn sie der ganzen künstlerischen Sorgfalt des Architekten anvertraut geblieben wäre.“470
Sommer- und Landwohnsitze der Generation Gebrüder Stollwerck Neben den städtischen Wohnhäusern spielten die bereits Ende des 18. Jahrhunderts in Mode gekommenen Sommer- und Landhäuser eine wichtige Rolle für das gehobene bürgerliche Leben. Zum einen kann man diesen Trend als Rückzug aus der Enge der dichtbebauten, ungesunden Städte mit ihren sozialen und räumlichen Problemen, als Wunsch nach Aufenthalten in der Natur interpretieren, die als Grundlage der Erholung galten. So beschrieb Gustav Stollwerck den Sommersitz 469 Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 24. Januar 1900, RWWA 208-413-3. 470 Die letzten Zitate aus o. A.: Das Haus des Herrn Stadtrat Heinrich Stollwerck, S. 586.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
seines Vaters auf Borkum als „beliebten Erholungsorte“471, und Ludwig Stollwerck schwärmte vom eigenen Garten als „Quelle von Erholung und Freude“472. Zum anderen spiegelte sich in den Sommer- und Landsitzen auch die Flucht vor der Berufssphäre. In der zweiten Generation strebte vor allem Peter Joseph Stollwerck danach, sein persönliches Wohlbefinden auf diese Weise zu steigern. 1884 ließ er sich an der Westküste der Nordseeinsel Borkum eine Villa erbauen, die als „Familiensanatorium“473 dienen sollte (siehe Abb. 19). Der nach seiner Ehefrau Agnes (spanisch: Inez) „Villa Ines“ genannte Wohnsitz war das erste Haus, das inmitten der Sanddünen so nah an der See errichtet wurde. Warum sich Peter Joseph für ein Haus auf Borkum entschied, obwohl die Insel Ende des 19. Jahrhunderts für Besucher noch kaum erschlossen und die Anreise von Köln umständlich war und zwei Tage in Anspruch nahm, ist nicht überliefert.474 In den folgenden Jahren engagierte er sich freilich erfolgreich für eine bessere Anbindung der Insel an die Infrastruktur des Festlandes. Die Villa war ein typisches JugendstilBauwerk mit verwinkeltem Dach mit Türmchen, überdachten Wintergärten und Erkern – alles unter Verwendung von viel Holz und Glas – und verfügte als erstes Haus auf Borkum über fließendes Wasser.475
Abb. 19: Peter Joseph Stollwercks „Villa Ines“ auf Borkum, um 1900 (RWWA 208-F4036)
471 Gustav Stollwerck an die Bade-Direktion Borkum am 28. September 1906, RWWA 208-1933. 472 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 25. Mai 1917, RWWA 208-291-5. 473 Siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 474 Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gut besuchte Seebäder an Nord- und Ostsee waren Zoppot, Kolberg, Rügen, Westerland und Norderney. Siehe Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866– 1918. Band 1, S. 177, 179. 475 Siehe o. A.: Peter Joseph Stollwerck.
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Zwei Jahre später erwarb Peter Joseph Stollwerck zum Preis von 140.000 Mark zudem einen Sommerwohnsitz in der Nähe seiner unternehmerischen Wirkungsstätte – die so genannte russische Villa in Godesberg, die er in den folgenden Jahren aufwendig renovieren und ausstatten ließ (siehe Abb. 20).476 Während die Villa auf Borkum aufgrund ihrer Entfernung von Köln primär dem Rückzug vom Alltag und dem Genuss des erreichten Wohlstands diente, erfüllte die Godesberger Villa mit Blick auf das Siebengebirge477 neben dem Ausgleich zum Kölner Alltag auch den Zweck eines Repräsentationsobjekts. In einer Wertschätzung von 1890 wurde die über einen Hektar große Gesamtanlage auf 604.743 Mark geschätzt und als eine der „reizendsten Anlagen des Rheinthales“ beschrieben. Die Gebäude waren „in allen Theilen mit großer Pracht und innerem Luxus als herrschaftliche Besitzung angelegt“478. Die Parkanlage war „unter Aufwendung aller Mittel der Gartenbaukunst auf das prächtigste ausgestattet und gepflegt“479, von Wassergräben durchzogen und mit zahlreichen Springbrunnen, einem Bassin mit Badehaus, einer Grotte, einem Treibhaus und einem Eiskeller versehen, auf dem sich ein Aussichtsturm erhob. Das 390 qm große, zweigeschossige Wohngebäude war „bürgerlich gut ausgebildet“480 und verfügte u. a. über modernste Gas- und Wasserleitungen, eine Treppe aus weißem Marmor sowie eine separate Stiege für das Personal, Korridore aus mächtigen Säulen, Ölmalereien, wertvolle Stoffe und Spiegel an Decken und Wänden, Marmoröfen, Parkettböden, Veranden und Balkone, einen großen Gesellschaftssaal und zahlreiche Wohn-, Gesellschafts- und Wirtschaftsräume sowie allein zehn Fremdenzimmer.
476 Siehe den Kaufvertrag zwischen Alexander Boethlinck und Peter Joseph Stollwerck vom 17. Juli 1886, RWWA 208-375-4. 477 Das Rheintal rund um den Drachenfels bei Königswinter war nicht nur für reiche Leute rheinischer und näher gelegener Großstädte wie Köln und Frankfurt a. M., sondern auch für Bauherren aus anderen Regionen attraktiv. Die Häuser dieser Gegend waren, wenn irgend möglich, auf einen der zentralen Blickpunkte der Landschaft – Drachenfels, Rolandsbogen, die Inseln Grafenwerth und Nonnenwert oder die Godesburg – ausgerichtet. Siehe Brönner: Die bürgerliche Villa, S. 56–59. 478 Die zwei letzten Zitate aus Werth-Taxen der sogenannten russischen Besitzung, gelegen in Godesberg, Eigenthum des Herrn Peter Joseph Stollwerck in Cöln a. Rh., 9. April 1890, RWWA 208-418-8. 1885 wurde der Wert der Anlage mit 370.000 Mark, 1896 mit 500.000 Mark angegeben. Siehe Werth-Taxe der ehemaligen Alexander Boethlinck’schen Besitzung, gelegen in Godesberg, Kreis Bonn, nunmehr Eigenthum des Herrn Peter Joseph Stollwerck in Cöln vom 5. Juni 1885, RWWA 208-418-8; Abschätzung des dem Herrn Peter Joseph Stollwerck zu Köln gehörigen zu Godesberg bei Bonn gelegenen Anwesens vom 14. Februar 1896, RWWA 208-375-6. 479 Ebenda. 480 Werth-Taxen der sogenannten russischen Besitzung, gelegen in Godesberg, Eigenthum des Herrn Peter Joseph Stollwerck in Cöln a. Rh. vom 9. April 1890, RWWA 208-418-8.
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Abb. 20: Peter Joseph Stollwercks Villa in Bad Godesberg, o. D. (RWWA 208-F4040)
Auch die Familie von Ludwig Stollwerck verlebte die Sommermonate, in denen das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Stadt weitgehend ruhte, in ländlicher Idylle. Neben Reisen in Schweizer Gebirgsorte, Besuchen bei der befreundeten Familie Bergmann in Gaggenau, deren „gastliche Villa“ inmitten eines großen Gartens und unweit eines „herrliche[n] Nadelwald[s]“ lag, oder Ausflügen in die rund 60 km entfernte Kur- und Badestadt Hönningen, hielt man sich in Honnef – dem „rheinischen Nizza“ – oder bei Peter Joseph Stollwerck in Godesberg, vor allem aber bei den Eltern von Ludwigs Ehefrau Maria in der Eifel auf. Die Aufenthalte in der in Gemünd481 gelegenen Villa „Marienfels“ wurden mit Spaziergängen ausgefüllt, der Appetit der Kinder „durch die prächtige Eifelerluft“ angeregt und ihre Naturverbundenheit durch „manche schöne Tour in die Umgegend“482 gefördert. Die mit dem Ausbau des Familienunternehmens gestiegenen beruflichen Verpflichtungen schränkten Ludwig Stollwercks Aufenthalte auf dem Land allerdings zunehmend auf wenige Wochen im Jahr bzw. die Wochenenden ein. Meist reiste nur seine Ehefrau mit den Kindern sowie einem Teil des Dienstpersonals in die Eifel, während Ludwig weiterhin in Köln seinen Geschäften nachging und nur für die Sonntage oder einzelne Ferienwochen nachkam – was
481 Gemünd war schon im 19. Jahrhundert Kurort und entwickelte sich unter den Brüdern Reinhard (1792–1848) und Albert Poensgen (1818–1880) zu einem wichtigen Standort der Eisenindustrie. 482 Die letzten Zitate aus o. A.: Aus der Kinderstube, S. 18 f., 27 f., 65. Siehe auch ebenda, S. 32, 36, 49 f., 55, 81; Theodor Bergmann an Ludwig Stollwerck am 28. Juli 1891, RWWA 208212-6. Nizza zählte neben Vevey, Monte Carlo und Cannes sowie Baden-Baden, Wiesbaden, Homburg, Karlsbad, Ems und Kissingen zu den mondänen Kur- und Badeorten im In- und Ausland. Siehe Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 139.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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dank der verbesserten Verkehrswege und vor allem des stetig wachsenden Eisenbahnnetzes möglich wurde.483 Dieser Nimbus des unabkömmlichen Unternehmers war freilich auch ein Stück weit stilisiert, denn Ludwig Stollwerck, dem es nicht möglich war, die ganzen Ferien gemeinsam mit seiner Familie zu verbringen, weilte durchaus einige Wochen im Jahr für „Schwimm-, Sonnen- und Luftbäder“484 in Kurorten – teilweise gemeinsam mit seiner psychisch erkrankten Ehefrau. Auch der jüngste Bruder Carl Stollwerck pflegte den Lebensstil des saisonalen Wohnsitzwechsels. Spätestens 1917 erwarb er den nordwestlich der bayerischen Gemeinde Feldkirchen gelegenen „Giglbergerhof“, den er in den folgenden Jahren zu einem prächtigen Herrschaftshaus, dem Landsitz „Hohenfried“ ausbauen ließ (siehe Abb. 21).485 Carl und Fanny Stollwerck erfüllten sich damit den bereits 1898 geäußerten Wunsch, sich „später in irgend einer verlockenden Gegend unseres Vaterlandes anzusiedeln“486. Warum die Wahl auf den kleinen Ort in Oberbayern fiel, ist nicht überliefert.
Abb. 21: Carl Stollwercks Landsitz „Hohenfried“, 1928 (RWWA 208-F776) 483 Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 64 f.; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band 1, S. 176–181. Laut Greven’s Adressbuch für das Jahr 1903 unterhielt Heinrich Stollwerck eine Sommerwohnung in der Marienburger Straße 19, unweit der Bismarckburg. 484 Ludwig Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 12. August 1915, RWWA 208-40-1. Siehe auch Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 336 f. 485 Im Grundbuch Bad Aibling ist der 11. Januar 1917 eingetragen. Grundbuchänderungen wurden aber damals oft erst Jahre nach dem Kauf vorgenommen, so dass auch ein früherer Erwerb möglich ist. Siehe Hoeschler: Stollwerck-Mausoleum Hohenfried, S. 31. Nach dem Tod von Fanny Stollwerck 1943 beschlagnahmten die Nationalsozialisten den Landsitz und stellten ihn dem Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium und stellvertretenden Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, Albert Ganzenmüller (1905–1996), zur Verfügung, der die Villa zwei Jahre bewohnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Anwesen zunächst der US-Luftwaffe als Offizierskasino, 1952 richtete das Berliner Rote Kreuz dort ein Erholungsheim ein. 1970 ging die Villa in Privateigentum über. Heute beinhaltet das Anwesen mehrere Wohneinheiten. Siehe ebenda, S. 39 f. 486 Bruno Schmitz an Carl Stollwerck am 23. Juli 1898, RWWA 208-410-6; Carl Stollwerck an Bruno Schmitz am 26. Juli 1898, RWWA 208-410-6.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Ein über die Wochenenden und Sommermonate hinausgehender Rückzug der Gebrüder Stollwerck in Villenvororte bzw. auf Land- und Sommerwohnsitze lässt sich erst für die Zeit seit dem Ersten Weltkrieg konstatieren. Die 1906 und 1915 verstorbenen Brüder Peter Joseph und Heinrich hatten zwar einige Wochen im Jahr in ihren Sommerwohnungen gelebt, die überwiegende Zeit aber in ihren Kölner Häusern verbracht. Ludwig hingegen erwarb 1912 eine Villa in der EugenLangen-Straße 27, in der Nähe des Kölner Südparks, die er ab 1914 ständig bewohnte.487 Das Haus in der Hardefuststraße übernahm sein ältester Sohn Fritz, der 1914 geheiratet hatte und in den Vorstand der Stollwerck AG aufgerückt war.488 1918 zog Ludwig Stollwerck in die angrenzende Leyboldstraße 42/44, wo er bis zu seinem Tod 1922 lebte. Er entfernte sich damit zwar räumlich immer weiter vom Unternehmensstandort im Severinsviertel, blieb aber im Unterschied zu seinem jüngeren Bruder noch in der unmittelbaren Umgebung wohnen. Carl trennte Mitte der 1920er Jahre den Erwerbs- endgültig vom Wohnbereich, indem er die meiste Zeit des Jahres auf seinem Landsitz in Bayern lebte.489 Zweifellos lassen sich für die beschriebenen Villen und den saisonalen Wechsel des Wohnsitzes Vorbilder in der Geschichte des Adels finden. Repräsentative Anwesen gehörten bis ins 20. Jahrhundert hinein zum festen Kanon der adligen Lebenswelt, symbolisierten und dokumentierten – trotz des erkennbaren Machtverlustes – das Selbstverständnis als gesellschaftliche Großgruppe.490 Eine Tendenz zur „Feudalisierung“ der Gebrüder Stollwerck im Sinne der Imitation und Adaption des adeligen Lebensstils lässt sich im Bau der prächtigen Villen aber nicht erkennen. Ihre Anwesen, die an die Stelle der Stadtwohnung in direkter Nähe von Fabrik und Kontor traten, waren vielmehr der wohlverdiente Lohn einer von Arbeit und Leistung sowie lange Jahre auch von Bescheidenheit dominierten Lebensführung. Sie standen sinnbildlich für den wirtschaftlichen Erfolg des Familienunternehmens und den größeren finanziellen Spielraum der einzelnen Familienstämme. So gaben die Gebrüder Stollwerck Anfang des 20. Jahrhunderts das frühbürgerliche Ideal einer maßvollen, bescheidenen Lebensführung auf – zugunsten eines leistungsorientierten, standesgemäß-rationalen, keineswegs aber eines freizeitorientierten verschwenderischen Lebensstils, den man dem Adel in bürgerlichen Kreisen attestierte. Selbst im fortgeschrittenen Alter verstanden sie sich unverändert als aktive Unternehmer. Ihre hohe Wertschätzung von Arbeit und Leistung sowie die beschriebene Erziehung der Kinder zur Sparsamkeit und Bescheidenheit legen es nahe, den erhöhten Wohnkomfort primär als Mittel zum 487 Siehe Kaufvertrag zwischen John Wattmann und Ludwig Stollwerck vom 5. Oktober 1912, RWWA 208-376-3. 1918 verkaufte Ludwig Stollwerck das Haus. Siehe Ludwig Stollwerck an die Verwaltung der städtischen Elektrizitätswerke am 10. Juni 1918, RWWA 208-67-4. Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1913 und 1914. 488 Siehe Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1914, RWWA 208-456-7. 489 Siehe die Korrespondenz in RWWA 208-43-5 und RWWA 208-43-6. Zum Dauerwohnen auf dem Land siehe auch Weichel: Bürgerliche Villenkultur, S. 237 f. 490 Siehe weiterführend Reif (Hg.): Adel und Bürgertum; ders.: Adel im 19. und 20. Jahrhundert; Wehler (Hg.): Europäischer Adel; Mosse: Adel und Bürgertum.
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Zweck zu interpretieren. Durch den Bau repräsentativer Villen führte man potenziellen Geschäftspartnern seine wirtschaftliche Potenz und Kreditwürdigkeit vor Augen. Indem man ferner bestimmte äußere Normen einhielt und Erwartungen befriedigte, schützte man auch das Privatleben der Familie. Bei der Anlage und Ausstattung der Häuser legte man daher nicht nur Wert darauf, den gesellschaftlichen Status angemessen zu inszenieren, sondern man berücksichtigte auch praktische Anforderungen persönlicher Bequemlichkeit und allgemeine Überlegungen zum verbesserten sozialen Zusammenleben der Familie, z. B. durch eine stärkere Spezialisierung der Wohnräume. Dass man sich dabei an adligen Vorbildern und erprobten Formen der Organisation und Repräsentation orientierte, ist unbestritten, man steigerte sie aber in Ausdehnung, Architektur und Ambiente nicht über eine kalkulierbare Größe hinaus.491 Vermögensverlust in der dritten Stollwerck-Generation Im Unterschied zu den Gebrüdern Stollwerck ist die Quellenlage zur Wohnsituation und Finanzkraft ihrer Nachkommen spärlich. Bekannt ist, dass die ältesten Söhne der Gebrüder Stollwerck, die im Kölner Mutterhaus des Unternehmens tätig waren, überwiegend nicht selbst bauten, sondern die ausreichend Platz bietenden städtischen Immobilien der Eltern nutzten. Franz Stollwerck (II) bewohnte nach seiner Heirat 1903 zunächst die Wohnung in der Corneliusstraße, bevor er 1912 in die väterliche Villa auf dem Bayenthalgürtel zog. Dieser Umzug wird praktischen Erwägungen geschuldet gewesen sein, da seine Ehefrau Johanna im September 1909 verstorben und Franz (II) mit zwei kleinen Kindern – Adalbert (1904–1960) und Genovefa (1905–1972) – zurückgeblieben war. Nach dem Verkauf der Bismarckburg 1917 siedelte er auf den Sachsenring 66 um; erst nachdem er 1931 aus dem Vorstand der Gebrüder Stollwerck AG ausgeschieden war, verlegte er seinen Wohnsitz nach Rath, an den östlichen Kölner Stadtrand.492 Fritz Stollwerck bewohnte zunächst die väterliche Villa in der Hardefuststraße, bevor er sich 1928 – zumindest räumlich – von dem schwieriger werdenden Firmenalltag in Köln distanzierte und nach Bonn zog.493 Eine Ausnahme bildete Gustav Stollwerck: Nachdem er zunächst eine Mietwohnung in der im Severinsviertel gelegenen Heinrichstraße 48 bewohnt hatte, zog er 1906 in seine neu erbaute Villa in der Vondelstraße 65, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Anwesen von Ludwig und Carl Stollwerck lag. Nach der Scheidung von seiner Ehefrau Elsa im Februar
491 Siehe Kierdorf: Industriellenwohnsitze, S. 197–200; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 333–352; Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 89–92. 492 Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1902, 1903, 1911, 1912, 1917, 1918, 1930 und 1931. 493 Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1927 und 1928; Fritz Stollwerck an W. L. Dunkel am 3. Juli 1931, RWWA 208-50-5.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
1912 bewohnte er allerdings wieder gemeinsam mit seiner Mutter Agnes und seinem jüngsten Bruder Richard die Familienvilla in der Bayenstraße 65.494 Der Wohlstand der Familie Stollwerck hatte zweifellos in der zweiten Generation seinen Höhepunkt erreicht. Zwar erbten die Söhne und Töchter der Gebrüder Stollwerck von ihren Eltern beträchtliche Vermögenswerte, es gelang ihnen in den folgenden Jahren jedoch nicht, im Umgang mit dem ererbten Vermögen die von ihren Vätern vorgelebte bürgerliche Tugend der Sparsamkeit walten zu lassen. Zwar erklärten es die Erben von Peter Joseph Stollwerck nach seinem Tod zu ihrem ausdrücklichen Wunsch, das Stammkapital des Familienunternehmens zu erhalten, doch mussten sie nicht einmal zwei Jahre nach seinem Ableben eingestehen, dass es nach dem Tod des Vaters rasch zu „Unzuträglichkeiten“ gekommen war, u. a. weil die Töchter jährlich einen nicht auf ihren Erbteil anzurechnenden Festbetrag von 3.000 Mark erhielten und weitere Entnahmen aus dem väterlichen Vermögen „ohne Festsetzung einer Grenze zinslos“ vornehmen konnten. Diese Regelung barg die Gefahr, dass eine Tochter durch größere Entnahmen die anderen Nachfahren übervorteilen und die Erhaltung des Stammkapitals gefährden konnte. Zudem sahen die Töchter die Summe von 3.000 Mark als zu niedrig an, um davon eine standesgemäße Lebensführung zu bestreiten. Daher beschlossen die Nachfahren von Peter Joseph 1908 in einer „freundschaftlichen Vereinbarung“ einige Neuregelungen. Die Töchter sollten zukünftig einen jährlichen zinsfreien und nicht anzurechnenden Zuschuss erhalten, der aufgrund der 1907 auf 100 Stammaktien der Gebrüder Stollwerck anfallenden Dividende mit 7.500 Mark angesetzt wurde; ausgezahlt werden sollte aber die tatsächliche jährliche Dividende. Indem die jeweilige jährliche Dividende an die Stelle eines festen Betrags trat, sollte den Kindern „regelmässig“ ihre „Abhängigkeit von dem Wohlergehen der Aktiengesellschaft“ in Erinnerung gebracht und das Interesse am Fortbestand des Familienunternehmens „dauernd erhalten“495 werden. Diese Regelung stellte die Töchter ferner den Söhnen gleich, die mit Vollendung des 30. Lebensjahres 100 Stammaktien der Gebrüder Stollwerck AG zum Nominalwert von 1.000 Mark je Aktie erhielten, die auf ihre spätere Erbschaft angerechnet wurden. Da der jährliche Zuschuss die Ausgaben der Töchter jedoch nicht deckte, sollten sie eine weitere Auszahlung in der gleichen Höhe erhalten. Der Teil der Gesamtauszahlung, welcher die Jahresdividende von 100.000 Mark Aktienkapital überstieg, sollte ihnen jedoch in Zukunft auf den Erbteil angerechnet und von ihnen mit fünf Prozent verzinst werden. Diese Regelung führte allerdings nicht zu dem erhofften Erfolg, eine sinnhafte Beziehung der Nachkommen zum Familienunternehmen zu fördern. Insbesondere die Töchter von Peter Joseph Stollwerck, die ebenso wenig wie ihre Ehemänner 494 Siehe Greven’s Adressbuch für die Jahre 1900, 1904, 1906, 1912 und 1913. Seine geschiedene Frau blieb in dem Anwesen in der Kölner Neustadt wohnen. 495 Die letzten Zitate aus o. A.: Protokoll über Sitzung des Familienrates betr. Nachlass von Peter Joseph Stollwerck vom 18. Februar 1908, RWWA 208-456-5. Sollten die Söhne vor ihrem 30. Geburtstag heiraten, verpflichtete sich Agnes Stollwerck, ihnen bis zum 30. Lebensjahr eine jährliche Vergütung von 5.000 Mark, gedacht als fünfprozentige Verzinsung von 100.000 Mark, aus ihren Einnahmen zu zahlen.
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an der Firmenleitung beteiligt und nicht in direkter Weise in den Nachfolgeprozess einbezogen waren, betrachteten das Familienunternehmen weiter vornehmlich als Einkommensquelle. Helene Stollwerck machte mit ihrem Ehemann Carl Eduard Felix von Kuczkowski „erhebliche Schulden“, die von ihrer Mutter beglichen wurden, und erhielt zudem aufgrund ihres „Mehrverbrauchs […] darlehensweise erhebliche Beträge von dem Gesamtgut“. In ihrem Testament vom 1. August 1916 sah sich Agnes Stollwerck daher zu der Bestimmung veranlasst, dass der Helene nach Verrechnung aller bereits erhaltenen Summen noch zustehende Erbteil nicht ihr, sondern ihren ehelichen Nachkommen zufallen solle, da ihre Tochter „leider nicht in genügender Weise mit Geld umzugehen“ wisse. Der Testamentsvollstrecker sollte für Helene lediglich „das […] Erforderliche aus den Zinsen des in ihrem Interesse anzulegenden Erbteils“496 entnehmen, damit sie davon ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Dass Helene mit dem ihr zugedachten Betrag nicht auskam, belegen zahlreiche Bittbriefe an den Vorstand der Gebrüder Stollwerck AG, Rechnungen für sie zu begleichen und ihr Darlehen zu gewähren.497 Diese Briefe zeigen, wie die Verbundenheit mit dem Familienunternehmen für die dritte Generation eine dezidiert materielle Begründung erhielt und wie sehr die einzelnen Familienmitglieder das Unternehmen als finanzielle „Rückfallinstitution“ ansahen. Auch für die Söhne der Gebrüder Stollwerck lassen die Quellen erkennen, dass sie ihr ererbtes Vermögen eher als Recht denn als Verpflichtung betrachteten, die Ressourcen und den Status ihrer Familie zu wahren. Fritz Stollwerck war „infolge von Börsenspekulationen im Jahre 1930 finanziell zusammengebrochen“; im Januar 1933, nur elf Jahre nach dem Tod seines Vaters, besaß er „keinerlei freies Vermögen“ mehr und war vollkommen „überschuldet“498. Im Januar 1933 beliefen sich seine Schulden auf rund 400.000 Reichsmark, bereits anderthalb Jahre zuvor hatte er seinem Bruder Paul nicht einmal mit 100 Reichsmark aushelfen können, da er selbst „abgebaut“499 sei und sehen müsse, wie er auskomme. Auch seine Vettern Franz (II) und Gustav, die wie Fritz Stollwerck die Nachfolge ihrer Väter als Vorstandsmitglieder der Stollwerck AG angetreten hatten, hatten enorme Verbindlichkeiten. Gustavs Vorhaben, seinem Sohn Kurt (1900–1930) „in Geld […] etwas auf die Finger [zu] sehen“, damit er nicht ein „verschuldeter Leutnant“500 werde, entbehrt vor diesem Hintergrund nicht einer tragischen Ironie, waren doch bereits an ihm die Bemühungen der Familie gescheitert, ihn im Umgang mit materiellen Ressourcen zu einem sparsamen und genügsamen Menschen 496 Die letzten Zitate aus dem Testament von Agnes Stollwerck vom 1. August 1916, Amtsgericht Köln, 22 Reg. IV 132/19. 497 Siehe die in RWWA 208-46-7 überlieferte Korrespondenz von Helene von Kuczkowski mit der Gebrüder Stollwerck AG. Siehe auch Helene von Kuczkowski an Gustav Stollwerck im Juli 1923, RWWA 208-42-4. In diesem Schreiben bat sie ihren Bruder um finanzielle Unterstützung, um eine Operation bezahlen zu können. 498 August Adenauer an das Finanzamt Rosenheim am 5. Januar 1933, Staatsarchiv München, AG Aibling NR 1932/86. 499 Fritz Stollwerck an Paul Stollwerck am 9. September 1931, RWWA 208-51-3. 500 Gustav Stollwerck an Ludwig Meinerzhagen am 4. Januar 1928, RWWA 208-41-3.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
zu erziehen. Auch das Plädoyer, das Franz Stollwerck (II) noch 1909 für die bürgerlichen Tugenden der Bescheidenheit und Sparsamkeit gehalten hatte, mutet vor diesem Hintergrund beinahe grotesk an: „Pflichtbewußtsein, Gewissenhaftigkeit und Eifer ergeben von selbst mit der Zeit auch das Selbstbewußtsein und diese Tugenden müssen unter allen Umständen bei uns jungen Leuten vertreten sein – sie verbinden gleichzeitig auch die Bescheidenheit und Sparsamkeit miteinander. Eines ergiebt das andere und wenn diese Tugenden uns fehlen, muß unser Geschäft auf die Dauer zu Grunde gehen. Deswegen soll man nichts unterlassen diese Tugenden in den jungen Leuten zu wecken oder […] sie unbedingt in sie hinein pflanzen.“501
Die Ursachen für den Vermögensschwund von Franz (II), Fritz und Gustav Stollwerck hängen einerseits eng mit unternehmenspolitischen Fehlentscheidungen zusammen. Sie haben ihre Wurzeln andererseits aber auch in den persönlichen Lebensgewohnheiten der Nachfahren. Während beispielsweise regelmäßige Hobbys und kulturelle Aktivitäten im Leben der Gebrüder Stollwerck keine erkennbare Bedeutung hatten, wandten ihre Söhne für standesgemäße Freizeitbeschäftigungen viel Zeit und Geld auf. Fritz beispielsweise widmete sich im eigenen Revier der Jagd, Gustav dem Reitsport und der Luftschifffahrt.502 Zwar instrumentalisierte er letzteres Hobby auch für die Zwecke des Familienunternehmens, das ein Luftschiff zu Reklamezwecken auf den Namen „Stollwerck“ taufen ließ, doch waren seine „‚Oehms‘ [….] ja auch etwas gegen den Ballonsport“ und erwarteten von ihm, dass er seine Freizeitbeschäftigung hinter den Erfordernissen des Geschäfts zurückstellte. Gustav war jedoch für diese Art von Ermahnungen nicht zugänglich, unterstellte der Familie vielmehr, ihn „sicherlich aus Neid“503 in der Ausübung seines Hobbys beschränken zu wollen. Den Gebrüdern Stollwerck ging es jedoch nicht darum, dass sie ihren Nachfahren kein Vergnügen gönnten. Ihr zentrales Anliegen war es, dass die Söhne und Neffen ihre Lebensführung an den Erfordernissen des Familienunternehmens, am bürgerlichen Arbeits- und Leistungsethos sowie den Tugenden der Bescheidenheit und Mäßigung – sowohl im Hinblick auf den Umgang mit Geld als auch im Benehmen gegenüber ihrer Familie und den Angestellten des Unternehmens – ausrichteten. Insbesondere Fritz wurde für seinen „höchst anmassend[en] und ungeschickt[en]“ Ton wiederholt zurechtgewiesen und aufgefordert, „sich in jeder
501 Franz Stollwerck (II) an Carl Stollwerck am 26. Juni 1909, RWWA 208-363-2. 502 Siehe Rentei- und Forstverwaltung Wildenberg an Fritz Stollwerck am 14. Juni 1930, RWWA 208-50-3; Gustav Stollwerck an A. Lückenhaus jr. am 28. Juni 1907, RWWA 20854-3 sowie verschiedene Rechnungen des Niederrheinischen Vereins für Luftschiffahrt. Sektion Bonn für Übungsfahrten und die Teilnahme an Ballonwettfahrten 1912, RWWA 208121-5. 503 Die letzten beiden Zitate aus Gustav Stollwerck an Herrn Fuld am 18. Januar 1912, RWWA 208-121-3. Auch Gustavs Sohn Kurt begeisterte sich für die Luftfahrt – mit tragischem Ausgang: Im Alter von 30 Jahren verunglückte er bei der Vorführung von Schauflügen in Long Island bei New York tödlich. Siehe die Mitteilung der Familie zum Tod von Gustav Stollwerck vom 20. Juni 1930, RWWA 208-274-1 sowie die in der gleichen Akte überlieferte Berichterstattung der Kölner Presse.
III.A Äußere Rahmenbedingungen der Bürgerfamilie
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Weise mehr [zu] zügeln & Selbstzucht [zu] üben“504. Bei einem Besuch in der Stamforder Fabrik war sogar Walter Stollwerck von dem Auftreten seines Vetters „durchaus unangenehm berühr[t]“ und sah sich wenig später veranlasst, einen nicht überlieferten, aber offensichtlich von Fritz „recht unangenehm, anmaßend, unbescheiden & unhöflich“505 formulierten Brief mit folgenden Worten nach Köln weiterzuleiten: „Wir lehnen es ab auf solchen Brief zu antworten u. senden denselben Ihnen nach Köln zur Begutachtung. Vielleicht sind Sie mit uns der Ansicht, daß sich die hiesige Betriebsleitung derartige Briefe von einem jungen Mann, der gerade die Nase ins hiesige Geschäft gesteckt hat, nicht bieten zu lassen braucht. Wir überlassen es Ihnen vollständig in dieser Sache zu tun was Sie für richtig halten, glauben nur daß es vielleicht das beste wäre Herrn Fritz St. nach Köln zurück zu rufen u. ihn dort erst das im Leben notwendige Taktgefühl einzuimpfen.“506
Dass den Stollwerck’schen Unternehmenserben selbiges fehle, kritisierte auch die linke Kölner Presse 1931 in mehreren Enthüllungsreportagen. In ihrer für die Weltwirtschaftskrise typischen antikapitalistischen Rhetorik wurde kritisiert, die Söhne hätten „das väterliche Erbe vergeudet“ und für „Lustschlösser, Luxusweibchen, Luxusjagden und Festbanketts“ verschwendet, kurz: das Leben der „satten Parvenüs“507 geführt. Die Reportagen machen deutlich, dass die Nachfahren der Gebrüder Stollwerck nicht nur das geerbte ökonomische Kapital verschwendet, sondern auch das soziale Kapital ihrer Väter – den guten Ruf des Namens Stollwerck – beschädigt hatten. Das einstmals gute Zusammenspiel zwischen der Lokalpresse und der Gebrüder Stollwerck AG508 war einem vergifteten Klima gewichen. Mit der ehemals hochangesehenen Unternehmerfamilie wurde schonungslos umgegangen. Entkleidet man die Presseberichte ihrer heftigen Rhetorik und ihres unmittelbaren Bezugs zur Familie Stollwerck, bleibt festzuhalten: Die Nachlässigkeit im Umgang mit den von ihren Vätern erarbeiteten Vermögenswerten sowie dem Arbeits- und Leistungsethos und dem bescheidenen Auftreten ihrer Vorfahren war kein spezifisches Phänomen der Stollwerck’schen Nachfahren, sondern eine gesamtgesellschaftliche Erscheinung des frühen 20. Jahrhunderts. War es für frühin504 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 30. September 1910, RWWA 208-163-1; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Dezember 1908, RWWA 208-211-5. 505 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 30. September 1910, RWWA 208-163-1. 506 Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 16. September 1910, RWWA 208-163-1. 507 Kranzhoff: Aufsichtsrat Gebr. Stollwerck bewilligt Millionen an die Gebrüder Stollwerck; o. A.: Der Untergang der Familie Stollwerck. 508 Siehe exemplarisch Schievelkamp: Aus der Geschichte des Hauses Stollwerck. Der Autor überschlug sich nahezu in seiner Würdigung des Unternehmens, indem er schrieb: „Im altehrwürdigen Köln, nahe der Severinskirche, ragt der in edler Gotik gehaltene Hauptbau der Stollwerckschen Fabrik auf, an den sich, das ausgedehnte Areal füllend, die übrigen Gebäude dieses Riesenetablissements angliedern. Als ein Wahrzeichen der alten Rheinstadt, als ein Markstein deutschen Gewerbefleißes und deutschen Schöpfergeistes grüßt der rote Sandsteinbau den Beschauer, den Weltruf des Namens Stollwerck Freunden und Einheimischen ankündend. Von unentwegter Arbeit und von unendlichem Fleiß, aber auch von kaufmännischem Wagemut und von weitschauender industrieller Politik erzählt die Geschichte dieses Hauses“.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
dustrielle bzw. in der Zeit der Frühindustrialisierung sozialisierte Unternehmer noch selbstverständlich gewesen, das Lebenswerk der Väter weiterzuführen und ihre Lebensführung ganz auf das Wohl des Unternehmens und der Familie auszurichten, änderten sich für die nachwachsenden Generationen die Prioritäten. Die im Vergleich zu ihren Vätern längeren Schul-, Ausbildungs- und Studienzeiten weckten immer häufiger den Wunsch, nicht dem Vorbild des Vaters nachzueifern, sondern eigenständig und selbstbestimmt einen Platz im Leben zu finden, als Individuum und nicht als zum Nachfolger bestimmter Unternehmenserbe wahrgenommen zu werden. Dabei ist wichtig: Indem die meisten Unternehmersöhne von der älteren Generation stattliche Vermögenswerte oder Finanzmittel erbten bzw. schon zu Lebzeiten der Eltern zur Verfügung gestellt bekamen, fühlten sie sich weniger als ihre Väter, die – gemäß ihrer eigenen und für dieses Milieu typischen Selbstdarstellung – ihre Lebensführung auf Leistung und Pflichterfüllung gegründet und das Unternehmen aus kleinen Anfängen zu großen Erfolgen geführt hatten, dem Streben nach ökonomischem Erfolg verpflichtet.509 So betrachtete es Walter Stollwerck als „den grössten Vorteil“, dass er durch die Wohlhabenheit seines Vaters nicht gezwungen sei, sich sofort auf einen speziellen Beruf vorzubereiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern sich die Zeit nehmen könne, für seine „allgemeine Ausbildung als ‚Mensch‘ Sorge zu tragen“510. Er befürwortete in diesem Kontext möglichst vielseitige wissenschaftliche Studien, die man im Einzelnen jedoch nur soweit betreiben solle, dass man in der Lage sei, sie im späteren Leben – wo erforderlich – zu vertiefen. Einzig der älteste Nachfahre der Gebrüder Stollwerck, Albert Nikolaus (II), warnte vor den Folgen, die Kinder schon in jungen Jahren zu stark am Wohlstand der Eltern partizipieren zu lassen. Er bezeichnete es als „übliche[n] Fehler [….], einem jungen Mann, der gesund an Kopf & Leib mit unnötigem Geld zu überschütten“. Die Kinder seien so ganz auf ihre Eltern und nicht auf sich selbst angewiesen und „wenn der Zweck des Arbeitens zur Verdienung seines Unterhaltes genommen“ werde, bleibe nur noch der Antrieb des Lernens und der Bildung. Dies erfordere in seinen Augen „doppelten Mut“511, an dem es den meisten jungen Menschen fehle.
509 Siehe hierzu auch Lesczenski: August Thyssen, S. 133; Augustine: Patricians & Parvenus, S. 134–147. 510 Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-4. 511 Die letzten Zitate aus Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 26. April 1905, RWWA 208-205-7.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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III.B DAS INNENLEBEN DER BÜRGERFAMILIE III.B.1 „Dass die Familie jederzeit zusammenstehʼ in Einigkeit“ – Familiensinn als Fluchtpunkt der Unternehmerfamilie Die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts maß dem Prinzip des Individualismus und den Idealen der Freiheit und Selbstverwirklichung große Bedeutung zu. Zum bürgerlichen Wertekanon gehörten aber auch das Bewusstsein und der Stolz, zu einer Familie zu gehören. Familie wird in diesem Zusammenhang nicht allein als etwas verstanden, was den einzelnen Mitgliedern Pflichten auferlegt und ihnen bestimmte Rollenprofile zuweist. Vielmehr handelt es sich um ein „soziales Konstrukt, das von verschiedenen Akteuren in ihrem gesellschaftlichen Kontext verhandelt und immer wieder verändert wird“512. Indem beispielsweise bestimmte Ehen geschlossen und andere verhindert werden, einzelne verwandtschaftliche Kontakte gepflegt und andere vernachlässigt werden, bestimmt die Familie selbst den Kreis ihrer Mitglieder. Dieses netzwerkartige Familienverständnis ist eine wichtige Voraussetzung mehrgenerationeller Familienunternehmen. Um ihre Funktionen der Sozialisation, Motivation und Qualifikation sowie der Bildung von Kapital und Netzwerken zu erfüllen, ist es erforderlich, dass sich eine Unternehmerfamilie nicht allein über die Anzahl ihrer lebenden Mitglieder definiert, sondern über die „Überzeugung vom Sinn der Familie“513, die sich nicht im individuellen, an die eigene Lebenszeit geknüpften Glück der einzelnen Mitglieder erschöpft, sondern über das persönliche Vorteilsdenken hinausgeht und zeitübergreifend ist – denn nur dann kann die Familie als Motiv und Begründung für Sparsamkeit, Kapitalbildung und -erhalt dienen. Familiensinn impliziert demnach, dass man sich einer verwandten Gruppe von Menschen zugehörig, verpflichtet und emotional verbunden fühlt und bereit ist, dieses Bewusstsein zu pflegen und weiterzugeben. Dabei helfen bestimmte familieninterne Grundsätze, Gewohnheiten und Eigenarten, sich dieser Gemeinschaft nach innen zu vergewissern und ex aequo nach außen als Einheit abzugrenzen. In Unternehmerfamilien, für die die Familie nicht nur zentraler Bezugspunkt des privaten Lebens, sondern „Kernzelle des bürgerlichen Besitzes und des Geschäftsunternehmens“514 ist, generiert sich dieser Familiensinn primär in der Kommunikation über die Koevolution und Koexistenz von Familie und Unternehmen. Konkrete Aussagen, die Aufschluss über das Familienbewusstsein und die Pflege des Familienzusammenhalts geben, sind nur spärlich überliefert.515 Entsprechende Erklärungen finden sich zumeist in Gesellschaftsverträgen und Testamenten – als schriftlicher Ausdruck des Bestrebens, die Firmenleitung in der Generationenfolge weiterzugeben und das Unternehmen dauerhaft im Familieneigen512 513 514 515
Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 119. Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 123. Hobsbawm: Die Blütezeit des Kapitals, S. 291. Siehe auch Bergeron: Familienstruktur. Zu dieser Einschätzung gelangten Löther: Familie und Unternehmer, S. 232; Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 143.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
tum zu erhalten. Reflektierende, diesen Wunsch begründende Ausführungen sind kaum auffindbar und bleiben – so sie denn erfolgten – oft vage. Diese Fokussierung auf die familiäre, männliche Kontinuität in der Unternehmensführung, die Schäfer als „definitorischen Kern“516 des Familienunternehmens beschrieb, ist in erster Linie der skizzierten Quellenlage geschuldet. Sie blendet jedoch – wie Lubinski zu Recht anmerkte – aus, dass auch die – oft weiblichen – „periphere[n]“517 Mitglieder der Unternehmerfamilie, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert zumeist weder an der Firmenleitung beteiligt noch in direkter Weise in den Nachfolgeprozess einbezogen wurden, ein funktionaler Teil der mit dem Unternehmen verbundenen Familie und damit des Sinnstiftungsprozesses waren.518 Um die Frage zu beantworten, was den zeitübergreifenden Familiensinn ausmachte, wie er konstruiert, in der Gegenwart verortet, weitergegeben oder vernachlässigt wurde und mitunter auch verloren ging, ist daher eine erweiterte Perspektive erforderlich, die den Blick nicht nur auf die Unternehmernachfolge, sondern auch auf die „Erzähl- und Erinnerungsformen zwischen Familie und Unternehmen“519 lenkt. Denn der gemeinsame Resonanzboden einer Familie ist nicht per se in den einzelnen Mitgliedern verankert, sondern er erwächst aus der gemeinsamen Kommunikation. In der Weitergabe der eigenen Geschichte, im Gespräch über Erfahrungen, in Erinnerungen an Ereignisse, die jeder aus seiner Perspektive erlebt hat, entwickelt eine Familie eine Konzeption, ein Bild von sich selbst. Da freilich kein fester Kanon von Erinnerungen besteht, sie vielmehr immer wieder neu weitergegeben und verinnerlicht werden müssen, sind neben den kommunikativen Formen auch die Anlässe von Interesse, zu denen Eindrücke und Erinnerungen – meist intuitiv – ausgetauscht, verglichen, einander angenähert und damit am Leben erhalten werden: Geburtstage, Verwandtenbesuche, Familienfeiern und größere Familientreffen. Diesen Austausch der Familie über die Familie beschrieb Maurice Halbwachs 1985 als „Familiengedächtnis“. Er ging davon aus, dass die Erinnerungen an die Vergangenheit nicht nur den familialen Hintergrund bilden, sondern dass sich in ihnen die „allgemeine Haltung der Gruppe“ spiegele, sie „ihre Wesensart, ihre Eigenschaften und Schwächen“ definieren. Richtschnur des familiären Erinnerns sei das Streben der Familie, „ihren Zusammenhalt zu sichern und ihre Kontinuität zu garantieren“520. Die gemeinschaftliche Erinnerung bildet somit den Ausgangspunkt, damit eine gemeinsame familiäre Identität entstehen kann.
516 Ebenda, S. 100. Siehe auch ebenda, S. 143. 517 Ebenda, S. 226. 518 Siehe zu der Erweiterung von Schäfers Ansatz Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 118. Auch die weiblichen Familienmitglieder erfüllen, ohne offiziell im Unternehmen zu agieren, Repräsentations- und Netzwerkfunktionen und stärken die Symbiose zwischen Familie und Unternehmen, indem sie z. B. das Unternehmen über Gespräche, Geschichten und Symbole in den Familienalltag einbeziehen. 519 Ebenda, S. 120. 520 Halbwachs: Das Gedächtnis, S. 209 f., 242.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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Namensgebung Um das Selbstverständnis einer ganzen Gruppe zu bestimmen und ihrem Handeln Orientierung zu geben, benötigt das Familiengedächtnis Übermittlungsakte, die Erinnerung möglich machen, bzw. feste Indikatoren, an die sich die Erinnerung heften kann: z. B. Daten, Feste, Gegenstände, Namen oder Symbole. Ein wichtiger Kristallisationspunkt in dem Bemühen um Familientradition ist die Vererbung des Vornamens vom Vater auf einen Sohn bzw. mehrere Söhne.521 Dieser Brauch zeigt den Wunsch nach einem „Verbunden-Sein im Gleich-Sein“522. Zum einen werden durch die Nachbenennung die Identifizierung mit der Familie und ihrer Geschichte unterstützt sowie das vertikale Familienbewusstsein gestärkt, zum anderen wird den früheren Namensträgern Anerkennung erwiesen. In wirtschaftsbürgerlichen Familien deutet diese Institution familialer Erinnerung ferner darauf hin, dass schon bei der Geburt potenzielle Unternehmensnachfolger bestimmt wurden.523 Bei den von Schäfer untersuchten sächsischen Familienunternehmen und Unternehmerfamilien ließ sich eine solche Intention vor allem dann nachweisen, „wenn das Unternehmen bei der Geburt des Sohnes schon etabliert war, vor allem aber bei Familienunternehmen, deren Leitung schon an eine zweite oder dritte Generation weitergegeben worden war“524. Demnach lässt sich die Vornamenvererbung auch in einen Bezug zum sozialen Aufstieg einer Familie setzen: „Wer für seine Kinder eine andere gesellschaftliche Stellung erhofft als die seiner Eltern und Vorfahren, der gibt ihnen nicht an der Herkunftsfamilie orientierte Namen als Lebensprogramm.“525 Dieser Bedeutungszusammenhang lässt sich auch für die Familie Stollwerck erkennen. Franz Stollwerck gab seinen 1840, 1842 und 1843 geborenen Söhnen noch nicht den eigenen Vornamen; der Erstgeborene Albert Nikolaus (I) trug lediglich an zweiter Stelle den Vornamen seines Großvaters väterlicherseits. Der 1857 geborene Sohn Ludwig Philipp Albert Stollwerck erhielt als dritten Vornamen den Rufnamen seines siebzehn Jahre älteren Bruders. Erst der jüngste Sprössling Carl Franz Josef Maria trug an zweiter Stelle den Namen seines Vaters. Zum Zeitpunkt seiner Geburt 1859 hatte der Vater sein Unternehmen bereits erfolg521 Siehe auch Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 208 f.; Conze: Von deutschem Adel, S. 350 ff.; Schulz: Die Arbeiter und Angestellten, S. 95. 522 Mitterauer: Ahnen und Heilige, S. 425. 523 Die Töchter erhielten deutlich seltener Vornamen ihrer Vorfahrinnen – neben den Nachfolgeregelungen in Testamenten und Gesellschaftsverträgen, in denen wie selbstverständlich nur von den Söhnen die Rede war, ein weiterer Hinweis darauf, dass die Familie eine weibliche Unternehmensnachfolge nicht in Betracht zog. Franz Stollwercks Schwester Hubertine Catharina (geb. 1823) trug an zweiter Stelle den Vornamen ihrer Großmutter väterlicherseits, Catharina Stollwerck (1745–1809), geb. Christ; die zweite Tochter von Albert Nikolaus Stollwerck (I), Anna Barbara (geb. 1868), trug ebenso wie ihre Cousine Anna Sophia, die zweite Tochter von Heinrich Stollwerck, den Vornamen ihrer Großmutter väterlicherseits, Anna Sophia Stollwerck. 524 Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 102. Siehe auch Löther: Familie und Unternehmer, S. 232 f. 525 Mitterauer: Ahnen und Heilige, S. 424.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
reich etabliert und damit begonnen, die ältesten Söhne zu seinen Nachfolgern auszubilden. Deutlich stärker als ihr Vater nährten dann die Gebrüder Stollwerck durch die Namensgebung ihrer Söhne die Erwartung, sie mögen in die Fußstapfen ihrer Väter und Onkel treten. Mit Ausnahme von Richard, dem jüngsten Sohn von Peter Joseph, trugen alle neun Söhne zumindest an zweiter oder dritter Stelle Vornamen ihres Großvaters Franz, ihrer Väter oder Onkel. Dabei orientierte sich die Namensvergabe bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich an der väterlichen Familie; an Vorfahren oder Verwandte der Mutter wurde – wenn überhaupt – erst mit dem zweiten oder dritten Namen erinnert. In dieser spezifischen Ausprägung spiegelt sich einmal mehr das patrilineare Verständnis von Familie und Familienbewusstsein. Die Söhne der Gebrüder Stollwerck vererbten ihre eigenen oder die Namen ihrer Väter und Onkel eine Generation später deutlich seltener an ihre Kinder. Lediglich die beiden Söhne von Gustav, Kurt Gustav und Gustav Felix Peter Joseph (geb. 1919), trugen an erster bzw. zweiter Stelle den Vornamen des Vaters; Walter nannte seinen dritten Sohn Peter Joseph (geb. 1919); Franz (II) ließ seinen Erstgeborenen auf den Namen Adalbert Franz taufen, der wiederum seinen ältesten Sohn Franz Ingo nannte; Fritz gab seinem Sohn Fritz Ludwig (1918– 1943) ebenfalls den eigenen Vornamen. Daraus lässt sich indes nicht pauschal ableiten, dass die dritte Generation der Tradition der Vornamenvererbung im engeren und dem generationenübergreifenden Anspruch im weiteren Sinne eine geringere Bedeutung zumaß und die Weiterführung des Familienunternehmens durch ihre Kinder in Zweifel zog. Man kann auch die Schlussfolgerung ziehen, dass sich die dritte Generation die familiäre und unternehmensgeschichtliche Tradition nicht auf vorgegebenen Pfaden aneignen, sondern individuelle Formen finden wollte. Generationenerzählungen Wie wichtig insbesondere den Gebrüdern Stollwerck das Familienbewusstsein war, zeigt sich ferner darin, dass sie die Familien- und Unternehmensgeschichte bewusst pflegten. Über das genealogische bzw. unternehmenshistorische Interesse vergewisserten sie sich nicht nur der eigenen Herkunft, unternehmerischen Leistung und Dauerhaftigkeit des eigenen Daseins, sondern es diente auch dazu, das von Wieland Sachse hervorgehobene „intentionale Element der Selbsteinschätzung“526, die Verbindung von Familie und Unternehmen narrativ zu konstruieren: Die Gebrüder Stollwerck wollten ihr Unternehmen als generationenübergreifendes Familienunternehmen verstanden wissen und taten alles dafür, dies auch zu kommunizieren. 1917 beispielsweise gaben sie eine kurze Unternehmensgeschichte in Auftrag, von der allerdings nur noch ein unvollständiges Manuskript überliefert ist. Die Erzählstruktur orientierte sich an der „Abfolge einander ablösender Generationen“ – ausgehend von der Person des Gründers, dem Aufbau 526 Sachse: Familienunternehmen, S. 10.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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seines Unternehmens und seiner Familiengründung über seine direkten Nachkommen bis in die Gegenwart. Lubinski hat diese Erzählweise als charakteristische Methode der Erinnerung in Familienunternehmen herausgearbeitet und den treffenden Begriff der „Generationenerzählungen“527 geprägt. Die Firmengeschichte sollte freilich nicht nur vergegenwärtigen, wie im Fall Stollwerck aus einer Mürbebäckerei ein erfolgreicher Großkonzern wurde, sondern sie sollte auch Wegweiser für die Zukunft sein. Im höheren Auftrag der Konsistenz und Sinnhaftigkeit wurden Brüche in der Unternehmensgeschichte und damit einhergehende innerfamiliäre Differenzen in der Darstellung ausgespart; es ging nicht um die lückenlose Wiedergabe wahrer Geschichten, sondern um die aus Sicht der Familie wissenswerten Begebenheiten. Akzentuiert wurde die Tradition des Familienunternehmens – nicht zuletzt mit der Intention, bei den Kunden um Vertrauen und für die Güte der Stollwerck’schen Produkte zu werben.528 So strich Ludwig Stollwerck beispielsweise aus der erwähnten Firmengeschichte all jene Passagen, die die Differenzen zwischen den Gebrüdern und ihrem Vater Franz sowie schließlich die Gründung eines eigenen Unternehmens 1872 betrafen. Die Formulierung „Nach dem Kriege 1866, aus dem sie glücklich heimkehrten, eröffneten die drei ältesten Söhne dann eine neue Fabrik unter der Firma: Gebrüder Stollwerck“ änderte Ludwig Stollwerck in „Nach dem Krieg 1866, aus dem sie glücklich heimkehrten, wurde eine neue Fabrik gebaut“; den Satz „Die neue Fabrik arbeitete mit der Firma der alten Hand in Hand“529 strich er. Auch in einem Beitrag der Hauszeitschrift „Stollwerck Post“ wurden weder die Schwierigkeiten des Nachfolgeprozesses noch die Übergangsperiode, in der Vater und Söhne gemeinsam im Unternehmen tätig waren, thematisiert. Die Franz Stollwerck gewidmeten Ausführungen endeten mit seinem Tod und gingen nahtlos in die Phase über, in der seine Nachkommen „‚narrationsbestimmend‘“530 wurden. Die einzelnen Abschnitte, die jeweils nur einer Generation zugeordnet waren, wurden zu einer ungebrochenen Abfolge zusammengefügt, Übergänge und Rückschritte stillschweigend übergangen. Auch Vergessen und Verschweigen können demnach eine familiale Erinnerungsstrategie sein. Familiengeschichten und -chroniken erlauben nicht nur durch das, was sie überliefern, sondern auch durch Auslassungen Rückschlüsse auf die Werte und das Selbstverständnis einer Familie. Die Familien- und Unternehmensgeschichte wurde auch in mehreren biographischen Skizzen thematisiert, die anlässlich von runden Geburtstagen, Geschäfts527 Die letzten beiden Zitate aus Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 131. Siehe auch ebenda, S. 130–152; Yanagisako: Producing Culture and Capital, S. 39–44. 528 Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.B.1. 529 Handschriftliche Firmengeschichte von T. Resa (vermutlich das Pseudonym von Theresa Grohe) mit Korrekturen von Ludwig Stollwerck, Januar 1917, RWWA 208-251-9. Siehe auch Pohle (Probleme, S. 2), der die Gründung der Firma Gebrüder Stollwerck 1872 nicht als Folge der Differenzen mit dem Vater darstellte, sondern als großzügige Geste Franz Stollwercks, den Söhnen eine eigene Unternehmung zu ermöglichen. Zu den Vorbehalten gegenüber den Ausführungen Pohles siehe Kapitel I.B. 530 Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 150. Siehe auch Gebhardt: „Den Urgroßvater fressen die Pferde…“, S. 93.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
jubiläen und Todestagen verfasst wurden. Über zentrale Ereignisse hinaus lassen sie die bürgerlichen Grundhaltungen und Tugenden der Familie erkennen: Pioniergeist, Arbeitsethos und Bildung. Der Pioniergeist Franz Stollwercks und seiner Söhne erscheint in den Beschreibungen als ein zentraler Indikator für den Erfolg der Familienunternehmung. Angelehnt an das Ideal des Schumpeter’schen Unternehmers531 wurden sie als Männer „mit scharfem Blick“ und „Erfindungsgedanken“532, als „Vorkämpfer in dem Ringen gegen die ausländische […] Konkurrenz“ beschrieben, die „ganz neue eigene Wege“533 gingen, z. B. durch innovative Produkte und Maschinen sowie den Vertrieb ihrer Waren über Automaten.534 Der langfristige Erfolg des Unternehmens wurde zudem in einen direkten Zusammenhang mit dem eigenen Arbeitseifer und Durchhaltevermögen gebracht – bürgerliche Tugenden, die ein festes Element der Selbstdarstellung von Unternehmerfamilien bildeten.535 Anlässlich des 50. Todestages von Franz Stollwerck wurde vor allem sein „arbeitsreiches Leben“536 gewürdigt; Heinrich Stollwerck wurde in einer biographischen Skizze von 1911 als Mann dargestellt, der sich „trotz seines vorgerückten Alters […] mit jugendlicher Kraft“537 für das Familienunternehmen einsetze und eine Würdigung Carl Stollwercks zu seinem 70. Geburtstag hob insbesondere die „unermüdliche Tatkraft“ und „eiserne Energie“538 der zweiten Stollwerck-Generation hervor. Diese Wertschätzung der eigenen Leistung, des 531 Schumpeter (Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 214 f.; ders.: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 101 f., 111, 115 f.) beschrieb den Unternehmer als dynamisches und veränderndes Wirtschaftssubjekt, dessen Funktion die ständige (Neu-)Kombination gegebener ökonomischer Möglichkeiten sei, d. h. die Reformierung oder Revolutionierung der Produktionsstrukturen – sei es durch eine technische Innovation, die Verwendung neuer Rohstoffe, die Erschließung neuer Absatzgebiete oder die Implementation rationellerer Arbeitsabläufe und Unternehmensformen. Neuere Forschungen zur Unternehmer- und Unternehmensgeschichte bestreiten diese Charakterzüge eines Unternehmers nicht, definieren die Unternehmerfunktion aber deutlich weiter und differenzierter und grenzen sie zur Funktion des Managers ab. Während ersterer die strategischen Entscheidungen trifft, d. h. über die Zielsetzungen eines Unternehmens (Art und Höhe betrieblicher Investitionen, Absatzwege, Marktstellung etc.) entscheidet, sind die Aufgaben des Managers stärker auf die unternehmerische Binnenstruktur und darauf gerichtet, die taktischen Entscheidungen zu treffen, um die langfristigen Unternehmensstrategien zu realisieren. Allerdings werden auch diese idealtypischen Funktionsbestimmungen zu Recht kritisiert, da die einer Entscheidung zu Grunde liegenden Strukturen nicht immer hinreichend herausdestilliert und differenziert werden können und somit unternehmerisch-strategisches und managerial-taktisches Handeln nicht immer eindeutig zu definieren sind. Siehe zu Definitionen und Funktionen des Unternehmers, der Kritik an den verschiedenen Ansätzen und weiterführender Literatur Gehlen: Paul Silverberg, S. 22– 41; Reitmayer: Ein integrierter Ansatz; Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 31– 41; Pierenkemper: Unternehmensgeschichte, S. 183–197; Casson: Der Unternehmer; Kocka: Unternehmer, S. 14; Redlich: Der Unternehmer. 532 O. A.: Biographische Skizze Heinrich Stollwercks, 1911, RWWA 208-244-1. 533 O. A.: Generalkonsul Karl Stollwerck. 534 Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.B.1. 535 Siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 139–148. 536 O. A.: Zum 50. Todestag Franz Stollwercks. 537 O. A.: Biographische Skizze Heinrich Stollwercks, 1911, RWWA 208-244-1. 538 O. A.: Generalkonsul Karl Stollwerck.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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Arbeitseifers und der Pflichterfüllung war für das Bürgertum der Garant für die Zugehörigkeit zur Oberschicht – zum einen in Abgrenzung zu den geburtsständischen Privilegien des Adels, der aufgrund des ererbten ökonomischen und sozialen Kapitals idealiter einen freizeitorientierten Lebensstil pflegte, zum anderen im Unterschied zu den Gesellschaftsgruppen, die arbeiten mussten, um zu überleben, und den Wert der eigenen Arbeit damit nicht wie das Bürgertum als etwas Positives und Erfüllendes erlebten.539 Arbeitseifer, Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit sollten auch für die nachfolgenden Generationen zentrale Werte bilden – ihre Stellung im Unternehmen sollte durch Leistung, nicht durch Erbe legitimiert sein. Fleiß und Tatendrang wurden daher im engen Zusammenhang mit dem bürgerlichen Ideal umfassender Bildung und fachlicher Kompetenz thematisiert. So hieß es beispielsweise über Heinrich Stollwerck, er habe bereits im Kindesalter einen enormen „Wissensdrang“540 gezeigt. In der erwähnten biographischen Skizze wurden sowohl die Etappen seiner schulischen und fachlichen Ausbildung als auch seine zahlreichen technischen Erfindungen ausführlich dargestellt – nicht allein mit der Intention, den rastlosen Unternehmer zu skizzieren, sondern um den bürgerlichen Bildungsauftrag zu spiegeln, sich gemäß der eigenen Begabungen und Neigungen zu verwirklichen und zu vervollkommnen. In diesem Kontext wurde aber auch das Streben der Familie hervorgehoben, den Nachkommen eine gute Ausbildung zukommen zu lassen, um ihre zukünftige Verbindung mit dem Unternehmen profitabel zu machen. So hieß es beispielsweise über Franz Stollwerck, er habe den Lerneifer seines Sohnes Heinrich „in entsprechender Weise genährt“541, und an anderer Stelle: Er habe seinen männlichen Nachkommen eine „gründliche fachtechnische Ausbildung“ ermöglicht, sie in die Welt geschickt, „damit sie ihre Kenntnisse vertiefen und Erfahrung sammeln konnten“ und schließlich „in Anerkennung der tatkräftigen Mithülfe zum Aufbau des deutschen Schokolade-Geschäftes“542 als Teilhaber in die Firma aufgenommen. Die Beispiele zeigen, dass bürgerliche Werte in der Familie Stollwerck ein wichtiges Element in der Thematisierung der eigenen Existenz waren. Es fällt indes auf, dass die skizzierten Tugenden nur für die erste und zweite Generation als handlungsleitend beschrieben wurden. Die Enkelgeneration, in Person von Gustav und Franz (II) immerhin seit 1907 Mitglied des Vorstandes der Stollwerck AG, wurde in den generationenübergreifenden Darstellungen nicht erwähnt. Als Erklärung mag die für die dritte Generation festgestellte Wertediskontinuität dienen. Die Söhne der Gebrüder Stollwerck betrachteten es im Unterschied zu ihren Vätern nicht mehr als das Fundament ihres Wertegerüstes, die Koevolution von Familie und Unternehmen fortzuführen, das Erbe zu erhalten, zu mehren und geordnet zu übergeben. Die Ideale Autonomie und Selbstbestimmung gerieten in
539 540 541 542
Siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 141. O. A.: Biographische Skizze Heinrich Stollwercks, 1911, RWWA 208-244-1. Ebenda. Die letzten Zitate aus o. A.: Zum 50. Todestag Franz Stollwercks.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Konflikt mit dem Familiensinn und dem generationenübergreifenden Anspruch ihrer Vorfahren. Innerfamiliäre Kommunikations- und Unterstützungsnetze Neben der Pflege des vertikalen Familienzusammenhalts in einem historischen und zukünftigen Kontext, waren für die Familie und das Unternehmen Stollwerck auch die Beziehungen innerhalb der einzelnen Kernfamilien sowie zwischen den Familienzweigen und den Generationen von besonderer Bedeutung. Um dieses horizontale Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und zu bezeugen, bedurfte es eines regelmäßigen, zwanglosen Austauschs, der Begegnung, des geselligen Beisammenseins und des Kennenlernens neuer Familienmitglieder, die vor allem durch Heirat zur Familie stießen. Franz Stollwerck hatte nur einen relativ kleinen Kreis von „aktiven“ Verwandten.543 Nachdem seine Schwester Maria Sybilla 1853 mit ihrem Ehemann Franz Theodor Herx nach Amerika ausgewandert war, verkehrte er vermutlich kaum noch in verwandtschaftlichen Kreisen – zumindest deutet in den erhaltenen Quellen wenig auf familiäre Beziehungen hin;544 insbesondere die Verbindungen zu der Familie seiner Frau bleiben unklar.545 Der Briefverkehr mit seinem Schwager Franz Theodor Herx, der ab 1869 in Nordamerika Stollwerck’sche Produkte vertrieb, war in erster Linie geschäftlicher Natur – private Angelegenheiten wurden kaum thematisiert.546 Informationen aus der Heimat erhielt die Familie Herx nicht vom „etwas schreibfaul[en]“547 Franz Stollwerck, sondern von nach Europa reisenden Bekannten, die „seit langer Zeit wieder einmal direkte Nachrichten“548 von der Familie mitbrachten. Briefkontakt bestand eher zu den beiden ältesten 543 Tanner (Arbeitsame Patrioten, S. 265) verwies darauf, dass angesehene und reiche Familien in der Regel einen größeren Kreis von aktiven Verwandten haben als soziale Aufsteiger und ärmere Familien. 544 Seinen jüngeren Bruder Johann unterstützte Franz Stollwerck finanziell. Darauf lassen die in seinem privaten Haushaltungs- und Empfangsbuch der Jahre 1867 bis 1870 (RWWA 208365-1) vermerkten Zahlungen an „Bruder Johann“ schließen. Franz Stollwercks Schwester Hubertine Elisabeth (geb. 1820) heiratete 1845 den in Köln geborenen Matthias Honnef; Hubertine Catharina ehelichte 1849 den aus Hersfeld in Kurhessen stammenden Heinrich Hermann Krause. 545 Lediglich in einem Brief von 1880 wird die Familie von Anna Sophia erwähnt: Carl Stollwerck äußerte sich „sehr traurig überrascht“ über den „unerwartete[n] Tod unseres Onkel Müller“ und berichtete seinem Bruder, er habe direkt Beileidsbezeugungen an seine Tante und Vettern geschickt. Carl Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 21. Mai 1880, RWWA 208-874-5. 546 Siehe Franz Theodor Herx an Franz Stollwerck am 1. Januar 1869, RWWA 208-252-3; Franz Theodor Herx an Franz Stollwerck am 23. Februar 1869 und am 25. Februar 1869, RWWA 208-249-4. 547 Franz Theodor Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 17. März 1870, RWWA 208-8747. 548 Franz Theodor Herx an Franz Stollwerck am 1. Januar 1869, RWWA 208-252-3.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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Neffen Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph, die bereits 13 und zwölf Jahre alt waren, als ihre Verwandten auswanderten – sie demnach noch bewusst kennengelernt hatten. Als es seit den 1860er Jahren verstärkt zu Auseinandersetzungen der drei ältesten Brüder mit dem Vater kam, suchte Albert Nikolaus (I) wiederholt Rat bei seiner Tante und seinem Onkel und ließ sich von ihnen versichern, dass der Vater „neben manchen kitzlichen Eigenschaften, doch auch wenn er es nicht immer eingesteht, stolz auf seine Söhne“549 sei. Trotz der großen Distanz, dem seltenen Briefkontakt und der keineswegs uneingeschränkten Harmonie zwischen den Verwandten, war das ursprünglich generierte Vertrauen zwischen den Familien Herx und Stollwerck freilich so groß, dass Franz Theodor und Maria Sybilla ihre Tochter Maria längere Zeit in die „alte Heimat“ schickten und unter die „schützenden Fittiche“550 von Franz Stollwerck und seiner Familie stellten. Im Unterschied zu Franz Stollwerck maßen seine Söhne den verwandtschaftlichen, insbesondere den geschwisterlichen Beziehungen einen hohen Stellenwert zu. Allerdings waren sie nicht nur Geschwister, sondern auch Eigentümer des Familienunternehmens, das sie gemeinsam leiteten. Diese wechselseitige private und geschäftliche Abhängigkeit erforderte ein beträchtliches Maß an Abspracheund Kompromissbereitschaft bzw. die Fähigkeit, persönliche Ansichten und individuelles Geltungsbedürfnis gemeinsamen Interessen unterordnen zu können, denn: „kein Geschäftsmann ist durchaus selbstständig, denn die Direktoren eines grossen Unternehmens sind abhängig von ihrem Aufsichtsrate, der Inhaber eines großen Geschäftes […] ist auch wieder abhängig von den Partnern, mögen dieses nun wie bei uns Brüder sein. Wo wir hinsehen wollen, ob es kaufmännische oder Staats-Beamte sind, überall ist Abhängigkeit und Jedermann muss sich darin fügen und muss sehen, wie er das gemeinschaftliche Ziel eines Unternehmens im Auge hat und wie er es erreicht“551.
Die Gebrüder Stollwerck erinnerten einander immer wieder an dieses Erfordernis, pflegten und verinnerlichten so den brüderlichen Zusammenhalt. Zwar gewähren die Quellen nur punktuelle Einblicke in die Geschwisterbeziehungen, doch wird erkennbar, wie sich Zusammenleben und Zusammenhalt gestalteten, Erfahrungen und Einschätzungen der Brüder variierten, die zwischen gegenseitiger Wertschätzung, Verantwortung, Bevormundung und Missachtung schwankten. Eine entscheidende Rolle für die Binnenbeziehungen der fünf Söhne Franz Stollwercks, die das Erwachsenenalter erreichten, spielte zunächst die bei einer langen Reihe von elf Geschwistern zwangsläufig große Altersdifferenz. Die zwischen 1840 und 1843 geborenen Brüder Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich waren bereits 16, 14 und 13 Jahre alt, als Ludwig Stollwerck im Januar 1857 geboren wurde und noch einmal zwei Jahre älter, als der jüngste Bruder Carl 549 Maria Sybilla Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 5. August 1869, RWWA 208-27210. Siehe auch Franz Theodor Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 10. Mai und 15. Oktober 1869, RWWA 208-272-10. 550 Franz Theodor Herx an Franz Stollwerck am 1. Januar 1869, RWWA 208-252-3. Siehe auch Kapitel III.A.1. 551 Ludwig Stollwerck an Paul Behrens am 1. September 1905, RWWA 208-208-3.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
im November 1859 zur Welt kam. Der große Altersunterschied zwischen den Brüdern steigerte zum einen die Heterogenität der Familie, erforderte zum anderen, dass die Akteure Kommunikationsstrukturen entwickelten, um die in der Altersdifferenz angelegten Konflikte nicht aufkommen zu lassen, und sorgte ferner dafür, dass der Alltag der Brüder nicht durch ständiges Zusammensein bestimmt war. Vielmehr schlossen sich auf der einen Seite die drei ältesten Brüder, auf der anderen Seite ihre jüngeren Geschwister Ludwig und Carl eng zusammen. Beide Gruppen bildeten ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl aus, das auf wechselseitiger Beeinflussung und alltäglicher Unterstützung, auf gleichen Erfahrungen und Erlebnissen, Vorlieben und Abneigungen, Sorgen und Erwartungen basierte.552 Verwiesen sei z. B. auf die Schulzeit, die Ludwig und Carl gemeinsam im Internat St. Goarshausen am Mittelrhein verbrachten, oder auf die Erfahrungen von Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich als Soldaten 1866 und 1870/71. Die drei ältesten Brüder teilten ferner die Konflikte und Sorgen, die sich aus der engen Zusammenarbeit und schließlich dem Bruch mit dem Vater ergaben.553 Erst im Erwachsenenalter, nach dem Tod Franz Stollwercks, kam es zwischen den beiden Brüdergruppen zu engeren Kontakten. Vorher hatten sie einander – wie Carl 19jährig reflektierte – nur wenig zu sagen: „Ich will hierbei vorausschicken, daß gerade wir zwei es sind Nico, die sich ziemlich fremd gegenüberstehen. Bis zu meinem 17. Jahre habe ich leider […] meine Brüder fast garnicht gekannt und in den verflossenen vier Jahren warst Du es, den ich nur selten sah, mit dem ich nur wenig sprach.“554
Die drei älteren Brüder leiteten aus ihrem Altersvorsprung den Anspruch ab, die Verantwortung für die weitere Ausbildung und die zukünftige berufliche Laufbahn von Ludwig und Carl zu übernehmen.555 Heinrich nahm in der Folge Carl in seine Obhut, Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph kümmerten sich um die Ausbildung von Ludwig.556 Zwar sind aus dieser Zeit nur wenige Briefe von Carl und Ludwig an ihre älteren Brüder überliefert, aber der Eindruck dominiert, dass letztere ihren Autoritätsanspruch nachdrücklich vertraten und in Form von Appellen an Vernunft und Fleiß eher elterliche Wunschvorstellungen als brüderliche Ratschläge zum Ausdruck brachten. Dies veranschaulicht ihre Reaktion auf den von Carl geäußerten Wunsch, für einige Zeit nach Amerika zu gehen und dort weitere berufliche Erfahrungen zu sammeln. Sie lehnten den Plan ihres jüngsten Bruders 552 In großen Geschwistergruppen bildeten sich häufig Zweier- oder Dreiergruppen heraus. Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 215 f.; Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 241; Hardach-Pinke: Kinderalltag, S. 58–68. 553 Siehe ausführlich Kapitel III.A.1, III.B.2 und IV.A.1; Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 16 f. 554 Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 26. Oktober 1879, RWWA 208-874-7. 555 Es war in vielen Bürgerfamilien durchaus üblich, dass die älteren Geschwister den Part des Erziehers ihrer jüngeren Brüder und Schwestern übernahmen. Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 259–262; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 215; Klika: Erziehung und Sozialisation, S. 235 f. 556 Siehe Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 26. Oktober 1879, RWWA 208874-7.
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rundweg ab, ohne ihm die Gründe für ihre Entscheidung mitzuteilen. Ob sie auf seine nahezu flehentlich anmutende Bitte „gebt mir doch wenigstens die Gründe an, – ‚Warum nicht‘“557 reagierten, ist ebenso wenig überliefert wie die Antwort auf die Frage, ob Carl Stollwerck die Amerikareise antrat. Seine Versicherung freilich, dass er „in allen Angelegenheiten im Einverständniße mit meiner Mutter und euch Brüdern handeln“558 wolle, legt die Vermutung nahe, dass er nicht gegen den Willen seiner Familie in die Vereinigten Staaten aufbrach. Wie ausgeprägt der Anspruch der älteren Brüder war, erzieherisch auf die jüngeren Geschwister einzuwirken, zeigt ferner die Ermahnung, Carl solle seine Tätigkeit in der Fabrikation sorgfältiger ausüben sowie seine „Leidenschaft des Rauchens“ aufgeben. Mit der Aussage „‚ich fürchte immer noch, daß Einer von uns Brüdern aus der Art schlägt‘“559 setzte Albert Nikolaus (I) seinen Bruder deutlich unter Druck, sich seinen Wünschen zu beugen und für die Mitarbeit im Familienunternehmen als geeignet zu erweisen. Da sowohl Peter Joseph als auch Heinrich zu diesem Zeitpunkt bereits männliche Nachkommen hatten, waren die jüngeren Geschwister für die zukünftige Mitarbeit im Unternehmen theoretisch entbehrlich. Diese potenzielle Ersetzbarkeit eröffnete Ludwig und Carl einerseits die Freiheit, einen anderen Lebensweg zu wählen, andererseits erhöhte sie den Leistungsdruck, den Ansprüchen und Erwartungen der Brüder gerecht zu werden. Dabei musste das Anspruchsdenken der älteren Geschwister nicht unbedingt als Zwang erscheinen, sondern konnte durchaus auch als selbst aufgebürdete Aufgabe interpretiert werden. So deuten die Versicherung von Carl, „stets“ danach zu „streben nie das fünfte Rad am Wagen zu werden“560 und die Beteuerung von Ludwig Stollwerck „immer & stets als zukünftiger Vierter im Bunde meinen Mann im Geschäfte so gut & rührig wie möglich zu stehen“561 durchaus darauf hin, dass die Pläne und Erwartungshaltungen der älteren Brüder im Grundsatz auch ihren eigenen Wünschen entsprachen. Die skizzierte Hierarchie im Geschwistersystem blieb freilich in den folgenden Jahren nicht starr bestehen. Vielmehr variierte sie in verschiedenen Bereichen und wurde in neuartigen Situationen neu ausbalanciert. In den Binnenbeziehungen der Brüder kam es dadurch zeitweise zu erheblichen Unstimmigkeiten.562 Ungeachtet aller Kritik aneinander bestimmten jedoch überwiegend Kooperation und wechselseitige Verbundenheit ihr Verhältnis. Jede Meinungsverschiedenheit wurde zum Anlass genommen, die Zusammengehörigkeit zu beschwören. So appellierte Heinrich Stollwerck im Zuge einer Meinungsverschiedenheit zwischen seiner Ehefrau und der Gattin von Peter Joseph an seinen Bruder: „Doch vor Allem laßt uns einig, froh & zufrieden zusammenhalten & unser gefälliges Familienle557 Carl Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 15. März 1880, RWWA 208-874-5. Siehe auch Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 15. März 1880, RWWA 208-874-7. 558 Ebenda. 559 Carl Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 26. Oktober 1879, RWWA 208-874-7. 560 Ebenda. 561 Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 22. Februar 1880, RWWA 208-874-7. 562 Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.B.2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
ben nur ja nicht außer Acht lassen“563. Das Ideal eines harmonischen Familienlebens durchzog auch die Testamente der Gebrüder Stollwerck: Davon überzeugt, dass der Familienzusammenhalt die entscheidende Grundlage bildete, um das Familienunternehmen zu erhalten und erfolgreich weiterzugeben, erwarteten sie „mit Bestimmtheit“, dass ihre „Kinder und Schwiegerkinder treu zueinander stehen“. Zwar sei es „unabwendbar, daß im Leben ein Kind in bessere pecuniaire oder gesellschaftliche Verhältnisse kommt als das andere“, gleichwohl solle das „weniger gut gestellte Kind niemals Neid oder Mißgunst – beides ist der Anfang der Zwietracht – in seinem Innern aufkommen lassen“564. Bewusst bestätigt und gefestigt wurden verwandtschaftliche Beziehungen auch durch Patenschaften. So rekrutierten sich die Paten der beiden Töchter von Peter Joseph Stollwerck ausnahmslos aus der Verwandtschaft: Bei der ältesten Tochter Helene waren Albert Nikolaus (I) und Emilie Heimerdinger, eine Verwandte der Mutter, die Taufpaten. Die Patenschaft für die jüngere Tochter Clara übernahmen väterlicherseits Heinrich Stollwerck und seine jüngste Schwester Therese, mütterlicherseits Robert Heimerdinger. Ludwig Stollwerck wurde 1915 Taufpate seines ersten Enkelkindes, Ilsemarie Beuer (1915–2000), das seine Tochter Luise (genannt „Vita“) am 19. Juli 1915 in Köln zur Welt gebracht hatte.565 Wie die meisten Männer wurden die Gebrüder Stollwerck im Laufe des 19. Jahrhunderts durch ihren Beruf immer stärker in Anspruch genommen, so dass der außerfamiliale Bereich zunehmend Rhythmus und zeitlichen Ablauf familialer Zusammentreffen und Kontaktpflege bestimmte. Für regelmäßige gegenseitige Besuche, gemeinsame Ausflüge und Ferienaufenthalte sowie Familienfeste blieb nur wenig Zeit. Um dennoch einen kontinuierlichen Austausch – auch außerhalb des Geschäfts – zu gewährleisten und zu verhindern, dass man „ausschließlich […] nur auf den Sonntag“, der Familientreffen gewidmet war, zusammenkam, vereinbarten die Brüder Anfang der 1870er Jahre den Mittwoch als zusätzlichen Tag für ihre „abendlichen Zusammenfinden […] zur […] Aussprechung & Gemüthlichkeit“566. Diese regelmäßigen Treffen schränkten die ohnehin geringe Freizeit der Gebrüder Stollwerck zwar einerseits ein, andererseits erleichterten ihnen diese festen Markierungen im Wochenrhythmus Interaktion und Kommunikation; ferner symbolisierten sie den hohen Stellenwert des brüderlichen Aus563 Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-875-2. Zu den Differenzen zwischen den Ehefrauen siehe ausführlich Kapitel III.B.2. 564 Für die letzten Zitate siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. Siehe auch Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Sie forderten ihre Kinder nachdrücklich auf, „den Frieden in der Familie zu erhalten“. 565 Siehe Auszug aus dem Taufregister der evangelischen Kirchengemeinde Köln, Reg. Nr. 371 1874 und Reg. Nr. 322 1879, RWWA 208-320-8. Auch in der von Soénius (Wirtschaftsbürgertum, S. 421) untersuchten Unternehmerfamilie Scheidt kamen die Paten aus dem engeren Familienkreis. 566 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I), 1873/74, RWWA 208-875-1.
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tauschs und die gegenseitige Verbundenheit. Die Gebrüder Stollwerck hielten auch ihre Söhne und Neffen dazu an, sich abends zusammenzufinden, um „ohne Störung der geschäftlichen Tätigkeit […] Gedanken auszutauschen“567. Auch im alltäglichen unternehmerischen Handeln setzten die Gebrüder Stollwerck auf einen intensiven Austausch und möglichst lückenlose Absprachen, um Unstimmigkeiten und Missverständnisse zu vermeiden. Diese Kommunikationskultur erwarteten sie auf der vertikalen Ebene auch von ihren Mitarbeitern. Verärgert darüber, dass in Pressburg große Summen für Bauten und Maschinen ausgegeben worden waren, ohne diese Investitionen vorher mit der Kölner Unternehmensleitung abzusprechen, erläuterte Ludwig Stollwerck die Entscheidungsstrukturen zwischen den Brüdern: „Hier in Köln verfahren wir doch anders. Wenn mein Bruder Heinrich irgendwie ein Geschäft abgeschlossen hat und sind die Zahlungen vereinbart, dann besprechen wir uns bei jeder Zahlung nochmals, ob sie geleistet werden könnte, wenn es sich um so bedeutende Objecte, wie ein Fabrikbau handelt.“568 Da die Gebrüder Stollwerck häufig mehrere Wochen am Stück auf Geschäftsreisen im Ausland oder in späteren Jahren zu Erholungsaufenthalten in Kurorten weilten, wurden neben regelmäßigen Treffen in privater Atmosphäre und „sehr lange[n] Konferenz[en] über die verschiedensten Geschäftsfragen“569 vor allem Briefe und Karten zum Medium regelmäßiger familiärer Selbstverständigung.570 Die gegenseitige Information über private und berufliche Angelegenheiten und Ereignisse war dabei freilich nicht die einzige Motivation für die Fülle an Korrespondenz. Vielmehr dienten die Mitteilungen auch einfach dazu, das Beziehungsund Bezugssystem über eine längere Trennungszeit aufrechtzuerhalten und den Familienzusammenhang immer wieder neu herzustellen. Inwiefern die Pflege des Familien- und Bekanntschaftsnetzes mit der zunehmenden beruflichen Inanspruchnahme der Männer vor allem in die Verantwortung der Frauen überging bzw. sie generell für die Aufrechterhaltung des Familiensinns eine wichtige Rolle spielten,571 lässt sich für die Familie Stollwerck heute nicht mehr rekonstruieren, da die Korrespondenz der weiblichen Familienmitglieder bis auf wenige, kaum aussagekräftige Ausnahmen nicht erhalten ist. Erkennbar wird jedoch, dass die Männer auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der innerfamiliären Kontaktpflege und der Korrespondenz mit Bekannten und Freunden sehr aktiv waren. Die Briefwechsel waren dabei umso intensiver, je enger die gegenseitige Verbindung war. Eine rege Korrespondenz lässt sich insbesondere zwischen den Brüdern Ludwig und Carl nachweisen, die sich während längerer Abwesenheiten gegenseitig über alle Begebenheiten des Alltags austauschten. Die engen Familienbande zeigten sich zudem in vertraulichen Anreden wie „Mein lieber Ludo“ und Gruß567 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 2. September 1905, RWWA 208243-7. 568 Ludwig Stollwerck an Heinrich Hahn am 7. September 1901, RWWA 208-225-2. 569 Ebenda. 570 Eine umfassende Betrachtung des Briefes als Medium der Alltagskommunikation steht noch aus. Zum Forschungsstand siehe Doetzer: „Aus Menschen werden Briefe“, S. 10–16. 571 Siehe hierzu Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 269; Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 123 f.; Yanagisako: Producing Culture and Capital, S. 182.
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formeln, in denen man den familiären Zusammenhalt bildhaft beschwor (z. B. „mit herzlichem Brudergruße“, „Mit allseitigen herzlichen Grüssen drückt Dir treu und warm die Hand Dein getreuer Schwager“, „empfange Du herzlichen Gruss und Händedruck von Deinem allzeit getreuen Onkel“572). Die Gebrüder Stollwerck pflegten nicht nur untereinander, sondern auch mit ihren Söhnen und Neffen einen regen Briefwechsel, in dem neben familiären immer auch die Rede von geschäftlichen Angelegenheiten war und die Ausbildung und beruflichgeschäftliche Zukunft der Nachkommen thematisiert wurde. Es wurde erwartet, dass die Söhne in regelmäßigen Intervallen nach Hause schrieben und die Eltern über ihren Alltag, besondere Ereignisse, ihre geschäftliche Tätigkeit und ihr Wohlergehen informierten. Ausbleibende Nachrichten seines Sohnes Paul mahnte Ludwig Stollwerck umgehend an: „Heute endlich ein Lebenszeichen von Dir mit dem Datum 28. Januar bezw. 30. Januar! Die letzte Nachricht vorher datirt vom 13. Januar. Du hast es also nicht der Mühe wert gehalten, in dieser Spanne Zeit von über 2 Wochen an uns einmal zu schreiben, obschon Du Zeit genug gehabt hast. Ich habe mich über diesen Punkt schon so viel bei Dir beklagt, dass ich nicht weiss, was ich noch schreiben soll, es sei denn, dass ich recht böse mit Dir würde und das will ich nicht. Ich will es deshalb nicht in Anbetracht der grossen Freude, dass ich gemäss Nachricht von Dir und auch von Herrn Cuppy, wie auch von Frau Kattwinkel vernehme, dass Du wieder Dich der besten Gesundheit erfreust und so überwiegen im Augenblick die Gefühle der Freude diejenigen des Aergers. – Ich gebe mich der Erwartung hin, dass der von Dir avisirte Brief endlich abgeht. Du hast uns bis jetzt nur immer mit kürzeren Briefen bedacht.“573
Auch wenn Ludwig Stollwerck selbst auf Reisen war, wünschte er „mindestens woechentlich einmal zuverlaessig“ über den Geschäftsverlauf informiert zu werden und forderte ferner, entsprechende Briefe oder Postkarten an seine ihn begleitende Ehefrau zu senden und ihr mitzuteilen, „wie es im Hause zugeht“574. Das tägliche Zusammensein innerhalb der einzelnen Stollwerck’schen Kernfamilien beschränkte sich in der Regel auf die gemeinsamen Mahlzeiten. Ludwig Stollwerck speiste mittags mit Frau und Kindern; Frühstück, Nachmittagstee und Abendessen hingegen nahmen seine Frau und die Erzieherin – zumindest unter der Woche – mit den Sprösslingen allein ein.575 Dem familiären Austausch bei Tisch kam eine besondere Bedeutung zu, denn er trug dazu bei, dass die Nachkommen zum einen ein Bild von der Familie, dem Unternehmen und ihrer Rolle innerhalb dieser Verbindung, zum anderen kommunikative Kompetenz entwickelten. Indem sich Ludwig Stollwerck und seine Frau während der Mahlzeiten regelmäßig über das Geschäft unterhielten, das Unternehmen, also gleichsam immer „mit am Tisch saß“, und die Kinder, denen das Sprechen während des Essens nicht erlaubt war, ihre Gespräche verfolgten, wurde der Umgang mit dem Unternehmen für sie alltäglich und selbstverständlich. Sie knüpften eine Verbindung 572 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 22. Juli 1908, RWWA 208-162-6; Ludwig Stollwerck an Agnes Stollwerck am 9. September 1915, RWWA 208-40-1; Carl Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 3. März 1910, RWWA 208-71-2. 573 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 10. Februar 1908, RWWA 208-211-1. 574 Ludwig Stollwerck an seine Kinder am 15. Februar 1910, RWWA 208-162-2. 575 Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 15, 27, 53.
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zum Unternehmen und seinen Akteuren, verinnerlichten Praktiken, Verhaltensstandards und Werte, die sich bei einer späteren Übernahme der unternehmerischen Verantwortung als nützlich erweisen konnten. Die Eltern wiederum konnten sich ein „herzhaftes Lachen“ meist nicht verkneifen, wenn sich die Söhne mit Fragen wie „Papa wie steht es mit London?“576 ungefragt in die Kommunikation der Eltern einbrachten – war es doch das primäre Ziel der Eltern, ihr Interesse am Geschäft zu wecken. Da das Gespräch über das Familienunternehmen demnach zum Alltag der Kinder gehörte, verwundert es nicht, dass sie sich schon früh als Repräsentanten der Familie und des Unternehmens verstanden und sich innerhalb dieser Symbiose verorteten. Schon im Kindesalter entwickelten sie einen gewissen Stolz auf die Familie, das Familienunternehmen und den eigenen Namen, der für die Festigung des Familienbewusstseins große Bedeutung hatte. Dies verdeutlicht eine Episode, die die Erzieherin von Paul Stollwerck festhielt: „Neulich bekam Paul in einem Geschäfte eine Chocoladecigarre geschenkt, da ihm dieselbe nicht besonders schmeckte, so ließ er seine Begleiterin mal abbeißen. Auch ihr schmeckte die Chocolade nicht, auf die Frage ‚Paul wie schmeckt die Chocolade?‘ kam die ausweichende Antwort ‚Ist es eine Stollwercksche?‘. ‚Danach habe ich nicht gefragt, ich wollte nur wissen, wie sie dir schmeckt.‘ ‚Dann sag mir zuerst: Ist sie von Gbr. Stollwerck?‘ […] Diese Schlauheit, er wollte auf alle Fälle seine eigne Firma nicht blamiren. Wenn es eine Stollwercksche Cigarre gewesen wäre, so hätte sie trotzdem vorzüglich geschmeckt.“577
Auch besondere Aktionen und Festtage – gemeinsame Spaziergänge, Ausflüge und Ferienaufenthalte im Familienverband, Besuche bei Verwandten und feierliche Familienfeste wie Weihnachten, Ostern, Geburts- und Namenstage – hatten eine wichtige identitätsstiftende Funktion für die Familie. Sie schuf sich auf diese Weise Gewohnheiten und Rituale des Beisammenseins – einen selbstzweckhaften Kommunikationsraum und die Möglichkeit, den Familienzusammenhalt zu pflegen und zu zelebrieren. In der Familie Ludwig Stollwerck spielten beispielsweise gemeinsame Spaziergänge, die Budde als „genuin bürgerliche Erfindung“578 beschrieb, eine wichtige Rolle. Durch sie suchte man zum einen die Nähe zu den charakteristischen Ausritten und Kutschfahrten des Adels, zum anderen distanzierte man sich von den Unterschichten, denen es nicht oder nur eingeschränkt möglich war, ihre Freizeit selbstbestimmt und im Familienverband zu verbringen. An den Sonntagen und unter der Woche flanierte die Familie in der Regel durch den nahegelegenen Kölner Volksgarten, wo man indes häufig auf Bekannte traf, was dem Spaziergang einen förmlichen und inszenierten Charakter verlieh.579 In den Ferien hingegen wurden unbedarft „fast alle Wege und Stege […] gegangen […], teils […] auf ebener Straße, teils auf steilen Höhen“580. 576 Ebenda, S. 33. Siehe auch ebenda, S. 15. Zu Formen der Unterhaltung bei Tisch siehe Keppler: Tischgespräche, S. 46–114. 577 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 17. Siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 122 f. 578 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 90. 579 Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 38, 68. 580 Ebenda, S. 29, 61.
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Die gemeinsamen Urlaubsreisen – die „Sommerfrischen“ – führten die Familie meist zu Verwandten und Geschäftspartnern des Vaters. Diese – häufig gegenseitigen – Besuche trugen dazu bei, über ein intergeneratives Netzwerk die Verkehrskreise der Familie zu kanalisieren und zu vereinheitlichen. Ferner entwickelte sich so eine emotionale, über die Kernfamilie hinausreichende Verbundenheit, an die in familiären wie unternehmerischen Krisensituationen appelliert werden konnte. Freilich spielte auch hier die familiale Selbstdarstellung eine nicht unwichtige Rolle. Sie drang bis zu den Kindern durch, die ihre Puppen anlässlich solcher Besuche festlich kleideten.581 Unter den Festtagen wurde vor allem Weihnachten „mit seinen Elementen utopischer Verheißung eines besseren Lebens in vollkommener Harmonie, in friedlichem Behagen und gegenseitiger Liebe“582 zum Inbegriff bürgerlicher Familienidylle. Die Gebrüder Stollwerck feierten Weihnachten jeweils in ihren Häusern, „ruhig und freudig“583 zusammen mit den Kindern, später auch mit deren jeweiligen Ehepartnern. Familienmitglieder, die das Fest nicht wie üblich in der Heimat begehen konnten, weil sie wie die Söhne Ludwig Stollwercks z. B. im Ersten Weltkrieg dienten, erhielten stets große Pakete, die Geschenke und Süßigkeiten enthielten und an das heimische Weihnachtsfest erinnern sollten.584 Nach außen unterstrichen viele Familien, so auch die Stollwercks, den besonderen Glanz des bürgerlichen Weihnachtsfestes zusätzlich durch ein ausgeprägtes wohltätiges Engagement gegenüber Vereinen, bedürftigen Bekannten etc. und inszenierten die Feiertage gleichsam als „Kontrastierung zu unterbürgerlichen Schichten“585. Ludwig Stollwerck bezeichnete das Fest in diesem Zusammenhang als „dafür bestimmt […], dass man Andern Freude macht“586. Doch war das Weihnachtsfest nicht immer eine ungetrübte Zeit. Zwar betrachtete Ludwig Stollwerck die Tage zwischen dem Heiligen Abend und Neujahr als Abschnitt, der „der Familie gewidmet“587 war, doch ordnete er auch an Weihnachten persönliche Wünsche der Wesenseinheit von Familie und Unternehmen unter, denn: „Familienfeste sind ja das Schönste was man an Festlichkeiten hienieden haben kann, aber trotzdem bedarf das Geschäft, von dessen Erfolg ein frohes Familienleben abhängt,
581 Siehe ebenda, S. 18. Siehe auch Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 321. 582 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 85. Siehe auch Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 420 f.; Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 271 ff.; Hobsbawm: Die Blütezeit des Kapitals, S. 285; Held: Familienglück, S. 232–235. 583 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck sowie an seine Söhne und Neffen am 30. Dezember 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 584 Siehe Ludwig Stollwerck an Fritz Stollwerck am 22. Dezember 1915, RWWA 208-40-1. 585 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 87. Siehe auch Tanner: Arbeitsame Patrioten, S. 271 f. 586 Ludwig Stollwerck an Fritz Stollwerck am 22. Dezember 1915, RWWA 208-40-1. Siehe auch den Brief des Kölner Domkapitulars Alexander Schnütgen (1843–1918) an Ludwig Stollwerck am 29. Dezember 1917, RWWA 208-35-4. Er bedankte sich in diesem Brief für die „so reiche Weihnachtsgabe“ der Familie Stollwerck. 587 Ludwig Stollwerck an August Schilling am 24. Januar 1908, RWWA 208-159-5. Siehe auch Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 51.
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doch die erste Aufmerksamkeit.“588 1908 beispielsweise verließ er die Familie am Weihnachtsabend, um geschäftliche Angelegenheiten in Amerika zu regeln.589 Anhand zahlreicher weiterer Beispiele ließe sich illustrieren, was hier bereits erkennbar wird: Die Gebrüder Stollwerck waren sich bewusst, dass der geschäftliche Erfolg die Vorbedingung für alles andere war und im Zweifel hinter Idealen wie Familiensinn, Gemeinschaft und Mitmenschlichkeit zurückstehen musste. So besaßen zwar einerseits die Wünsche für ein harmonisches Familienleben und die Gesundheit jedes einzelnen Familienmitgliedes neben dem Streben nach ökonomischem Erfolg einen hohen Stellenwert innerhalb des Stollwerck’schen Wertekanons; beständige Ermahnungen, die eigene Gesundheit nicht zu vernachlässigen und sich zu schonen, verdeutlichen freilich andererseits, dass sich die Gebrüder Stollwerck, wenn sie zwischen Gesundheit und Geschäftserfolg wählen mussten, immer für letzteres entschieden. Ludwig Stollwerck widmete sich auch krank „im Bett liegend“ den Geschäften. Wiederholt wurde er von Carl ermahnt, sich in geschäftlichen Angelegenheiten eine „gewisse ‚Wurschtigkeit‘“590 angedeihen zu lassen. Auch Alexander Rußbacher (1865–1930),591 leitender Angestellter der Gebrüder Stollwerck, fand deutliche Worte, als Ludwig Stollwerck von einer Erholungsreise geschäftliche Briefe schrieb: „Sie sagen selbst, Sie möchten nur gesund werden, um dadurch arbeitsfähig und arbeitsfroh sich Ihrer Familie und auch dem Geschäfte widmen zu können. Sie selbst tun aber gar nichts dazu, dass dieser Zustand eintreten kann; während Sie in einem Sanatorium weilen und die Aerzte Ihnen fort und fort Ruhe und abermals Ruhe anempfehlen, tun Sie nichts dazu, um diese Kur […] zu unterstützen […]. Sie schreiben 8, 10 seitige Briefe an mich, 7 Quartseiten an Herrn Volkmann und werden wahrscheinlich auch noch mit Köln in fortwährendem Briefverkehr sein, ja ist das Ruhe, die Ihnen so sehr anempfohlen wurde? Da wäre es doch besser gewesen, Sie wären in Köln geblieben und hätten dort Ihrem Sekretär die Briefe diktiert; das hätte Sie jedenfalls weniger angestrengt, als wie im Sanatorium – wo Sie eine strenge Kur durchmachen sollen – dieselben handschriftlich zu schreiben!“592
588 Ludwig Stollwerck an Heinrich Victor Stollwerck am 2. September 1913, RWWA 208-59-2. Siehe auch Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 153. 589 Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 17. Januar 1909, RWWA 208-426-1. Zu vergleichbaren Ergebnissen kam auch Gehlen: Paul Silverberg, S. 131 f. 590 Ludwig Stollwerck an Alexander Rußbacher am 7. November 1921, RWWA 208-101-8; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 5. Juli 1916, RWWA 208-219-5. Siehe auch Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 8. Juli 1915, RWWA 208-40-2. 591 Alexander Rußbacher leitete seit etwa 1890 die Stollwerck-Geschäfte in Österreich-Ungarn, nachdem er zuvor bereits im Kölner Stammhaus tätig gewesen war. Er löste Heinrich Karuth und Georg Kraniger ab, die diesen Posten von 1875 bis 1885 innehatten. Nach zehn Jahren kam es aufgrund von Auseinandersetzungen über das richtige Verhalten gegenüber der Unternehmensleitung in Köln, dem Personal und den Kunden, die kaufmännische Qualifikation von Karuth und Kraniger, ihren Lebenswandel und Kompetenzüberschreitungen zur Trennung. Siehe Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 316–319. Rußbacher stand dem österreich-ungarischen Geschäft bis 1929 vor, seit 1907 als Generaldirektor des gesamten Donaukonzerns. Siehe o. A.: Alexander Rußbacher †. 592 Alexander Rußbacher an Ludwig Stollwerck am 31. Juli 1920, RWWA 208-101-5.
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Theodor Bergmann war sich sogar sicher, dass es seinem Freund und Geschäftspartner nicht einmal im Urlaub gelingen würde, täglich nicht mehr als 15 Minuten über das Geschäft zu reden.593 Dass dieser Wertekanon in der dritten Generation zunehmend zerfranste, zeigt das Beispiel Fritz Stollwercks: Obwohl viele leitende Angestellte im Urlaub und die Geschäftsräume nahezu verwaist waren, zog er sich im Sommer 1926 mit der Begründung „die Gesundheit geht schliesslich vor“594 für einige Wochen in ein Sanatorium zurück. Familienzusammenkünfte, vor allem der näheren Verwandten, fanden auch an Geburts- und Namenstagen statt; Familienmitglieder, die an der Feier nicht teilnehmen konnten, bedauerten ihre Abwesenheit zumeist in ausführlichen Glückwunschschreiben.595 Im Unterschied zum Weihnachtsfest, das als Gemeinschaftsfeier des Familienverbands verstanden wurde, gebührte die Aufmerksamkeit an Geburts- und Namenstagen nur dem zu feiernden Familienmitglied, das in der Regel reich beschenkt und in seiner Bedeutung für die Familie gewürdigt wurde. Maria Stollwerck beispielsweise erhielt von ihrer ältesten Tochter zum Namenstag ein „ganz nettes Deckchen“, welches sie „mit viel Freude und Bewunderung“596 in Empfang nahm; zu ähnlichen Anlässen schrieben die Kinder eigenhändig und sorgfältig persönliche Glückwünsche oder lernten Gedichte auswendig, die Ludwig Stollwerck mit dem Phonographen aufnahm und bei mehreren Gelegenheiten erneut vorspielte. Neben den Festen im Jahresablauf gab es unter der Ägide der Gebrüder Stollwerck – wie zunächst in aristokratischen, dann auch in bürgerlichen Kreisen üblich – auch so genannte Familientage, feierliche Treffen im größeren Familienund Verwandtenkreis, für die das Vorbild des Adels Pate stand.597 Exemplarisch für ein solches Treffen ist der Jahreswechsel 1905, den Heinrich Stollwerck in seiner Bismarckburg als „allgemeine[n] Familientag“598 ausrichtete, über dessen Ablauf die Quellen jedoch keine Aussagen erlauben. Besonderen Wert legte die Familie Stollwerck auch auf Jubiläen wie Silberhochzeiten599 und runde Geburtstage. Davon zeugt beispielsweise ein Bericht über die Feierlichkeiten anlässlich des 70. Ehrentages von Heinrich Stollwerck 1913: 593 Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Pathe am 12. Mai 1916, RWWA 208-209-2; Theodor Bergmann an Ludwig Stollwerck am 28. Juli 1891, RWWA 208-212-6. 594 Fritz Stollwerck an Gustav Laute am 23. Juni 1926, RWWA 208-53-2. 595 Siehe z. B. Gustav Stollwerck an Carl Stollwerck am 14. November 1925, RWWA 208-43-1; Gustav Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 20. Juni 1907, RWWA 208-55-2. 596 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 54. Siehe auch ebenda, S. 8, 66, 71, 76 ff. 597 Zahlreiche Unternehmerfamilien des 19. Jahrhunderts pflegten diese Einrichtung. Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 417–421; Rosenbaum: Formen der Familie, S. 367; Löther: Familie und Unternehmer, S. 233; Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 72 f.; Gall: Bürgertum, S. 443. Siehe für das Vorbild des Adels Conze: Von deutschem Adel, S. 355. 598 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 52. 599 Carl und Fanny Stollwerck machten anlässlich ihrer Silberhochzeit eine Reise. Paul Stollwerck reiste zum Ehejubiläum seiner Eltern sogar aus Amerika an. Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 15. Dezember 1908, RWWA 208-211-5; Ludwig Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 9. August 1910, RWWA 208-162-6.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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Am Vormittag nahm der Jubilar zunächst die Glückwünsche seiner Familie und Freunde, der Mitglieder des Aufsichtsrates der Stollwerck AG, der Prokuristen der Firma sowie der Abordnungen von Personal und Arbeiterausschuss entgegen; auch Vertreter des Stollwerck’schen Männerchores „Theobromina“, des Kölner Männergesangsvereins und zahlreicher weiterer Vereine sprachen ihm ihre Gratulationen aus. An den offiziellen Teil schloss sich am Abend eine „imposante Huldigung“600 des gesamten männlichen Personals der Kölner Fabrik an, das einen aus rund 1.000 Personen bestehenden, von zwei Musikkapellen begleiteten Fackelzug organisiert hatte. Es folgte eine Familienfeier in der Bismarckburg, die durch den Männerchor des Unternehmens musikalisch untermalt wurde. Nahezu das Gegenstück zu diesem feierlichen Rahmen bildete die Feier zum 70. Geburtstag von Carl Stollwerck 16 Jahre später. Nachdem 1915 zunächst Heinrich, sieben Jahre später auch Ludwig verstorben war, beging er seinen Ehrentag „zurückgezogen in engstem Familienkreis“601. Dieser Wandel in der Festkultur zeigt, dass die familialen Bindungen, die – wie skizziert – insbesondere zwischen den Gebrüdern Stollwerck sehr stark waren, für die Großfamilie nach deren Tod nur noch schwache integrierende Wirkung besaßen. Carl Stollwerck vermochte es als letzter überlebender Bruder nicht, die Familienbande aufrecht zu erhalten. Sein Neffe Walter deutete dies bereits 1906 mit den Worten an, dass es zwar sein lebhafter Wunsch sei, in das väterliche Unternehmen einzutreten und die Arbeit seiner Vorfahren erfolgreich weiterzuführen, jedoch seien ihm die Brüder seines Vaters bisher „fremd geblieben“602 und er sei keineswegs überzeugt, dass sie an ihm und seinem Studium wirklich interessiert seien. Mit dem Tod von Peter Joseph, Heinrich und Ludwig in den Jahren 1906 bis 1922 schieden zudem die drei Brüder aus dem Unternehmen aus, die eigene Söhne hatten. Obwohl Carl Stollwerck seinen Neffen Paul als „MitSohn“603 betrachten sollte, standen die Beziehungen zwischen den Vettern untereinander sowie dem Onkel und seinen Neffen auf einer deutlich schwächeren autoritären wie emotionalen und damit sinnstiftenden Basis als das Verhältnis zwischen Vater und Söhnen. Nahezu wehmütig erinnerte sich Walter 1924 an seinen Vater und seinen Onkel Ludwig „Unwillkürlich schweifen […] meine Gedanken zurück zu meinem Vater u. meinem Onkel Ludwig deren Leben der finanziellen Führung unseres Familien-Unternehmens gewidmet war. Beide werden im Geiste aus höheren Regionen an der Fortführung ihres Lebenswerkes teilgenommen haben u. ich vermeine ihren inspirierenden Anteil an der realen Schöpfung dieser Goldmark Bilanz deutlich zu verspüren.“604
600 O. A.: Bericht über den 70. Geburtstag von Heinrich Stollwerck, 1913, RWWA 208-60-5. Siehe auch die Schilderung der Feier bei Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 52– 55. 601 O. A.: Ein Siebzigjähriger. 602 Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-4. 603 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 15. Dezember 1908, RWWA 208-211-5. 604 Walter Stollwerck an Heinrich Trimborn am 23. Dezember 1924, RWWA 208-47-5.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Auch Familientreffen und Briefwechsel wurden seit den 1920er Jahren seltener. Dass die Erinnerung an die Vergangenheit zwar weiter gepflegt wurde, die Nachfahren der Gebrüder Stollwerck aber nicht bereit waren, dieses „Erbe“ wirklich anzutreten und den Familienzusammenhalt als für die Zukunft des Unternehmens konstitutiv zu akzeptieren, zeigt ein weiteres Beispiel: 1928 ließ Fritz Stollwerck in der Kölner Kirchengemeinde St. Paul, in der sein Vater Ludwig auch Mitglied des Kirchenvorstandes gewesen war, keine Totenmesse mehr für die verstorbenen Eltern lesen – mit der Begründung, dass er in Muffendorf (heute ein Stadtteil von Bonn im Stadtbezirk Bad Godesberg), sein Bruder Paul in Bonn und seine Schwester Luise in Lindenthal wohne. Statt sich im nur rund 35 Kilometer entfernten Köln zu versammeln, gedachte „jeder für sich selbst des Todestages“605. Ludwig Stollwerck verschwand demnach zwar nicht aus dem Familiengedächtnis, aber seine Kinder gedachten seiner außerhalb des kollektiven familiären Bezugsrahmens, sie stillten ihr Deutungs- und Erinnerungsbedürfnis individuell. Trotz der zunehmend loser gespannten Verbindungsfäden zwischen den einzelnen Familienmitgliedern und dem fortschreitenden Individualisierungs- und Differenzierungsprozess hatten sich freilich Erfahrungen und Erlebnisse aus der Jugendzeit und einschneidende Ereignisse wie der Bau der großen Familienvillen um die Jahrhundertwende nachhaltig ins Familiengedächtnis eingegraben und einen vertrauten, familieninternen Erinnerungs- und Orientierungszusammenhang geschaffen, der – wenn auch nicht gemeinschaftlich, so doch individuell – gehegt wurde. Als Fritz Stollwerck beispielsweise 1931, nachdem man ihn aus dem Vorstand „ausgeschifft“ hatte, sein Büro in der Kölner Unternehmenszentrale räumte, fand er zwischen seinen Unterlagen mehrere Fotos, die ihn zu einem wehmütigen Brief an seinen jüngeren Bruder Paul veranlassten: „Beim Aufräumen fand ich auch das beiliegende Bild von Dir als junger Einjähriger in Berlin und ich denke dabei noch gern an das Frühjahr 1906, als ich Dich von Stuttgart aus in Berlin besucht. Das waren noch schöne Zeiten! Siehst Du, mein lieber Paul, alles kann man einem nehmen, nur nicht die Erinnerungen, und in die muss man in diesen schweren Zeiten recht oft untertauchen, um den Kopf hoch halten zu können.“606
Unter umgekehrten Vorzeichen trug demnach auch das Ende des Familieneinflusses auf die Stollwerck AG zu einer Art negativen Identitätsstiftung bei – fußend auf der Verlusterfahrung und der Erinnerung an die „besseren Zeiten“. Mehrere Familienmitglieder blieben noch bis zum Verkauf des Unternehmens an die Schweizer Barry Callebaut-Gruppe im April 2002 Kleinaktionäre der Stollwerck AG und nahmen regelmäßig an den jährlichen Hauptversammlungen teil. Auch zum 150jährigen Firmenjubiläum, das am 8. Januar 1989 mit einer Aufführung im
605 Fritz Stollwerck an Therese Stollwerck am 10. März 1928, RWWA 208-49-5. 606 Die letzten beiden Zitate aus Fritz Stollwerck an Paul Stollwerck am 9. September 1931, RWWA 208-51-3.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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Kölner Opernhaus begangen wurde, waren Vertreter der Gründerfamilie eingeladen.607 Familientreffen freilich finden erst seit rund 20 Jahren wieder regelmäßig statt. In dem Bemühen, eine vergangene Lebenswelt zumindest teilweise neu aufleben zu lassen, kreisen sie um die Geschichte der Familie, gemeinsame Erinnerungen und die Pflege der Familientradition. Ihre traditions- und damit identitätsstiftende Wirkung gewinnen die Zusammenkünfte bereits durch die Orte, an denen sie stattfinden. Das erste Treffen 1988 initiierte Ludolf Stollwerck (geb. 1929) anlässlich des 100. Geburtstags seines Vaters Richard in Köln. 1994 folgte auf Einladung von Hans Imhoff eine zweite Versammlung im wenige Monate zuvor eröffneten Schokoladenmuseum, das sich unweit der ehemaligen Stollwerck’schen Fabrikanlagen in der Kölner Südstadt befindet. Bereits fünf Jahre später gab es eine dritte Zusammenkunft, die Ludolf gemeinsam mit Arno Stollwerck organisierte, einem Ur-Enkel Heinrich Stollwercks. Anlässlich der 100jährigen Wiederkehr des Familientreffens, das Heinrich 1905 auf seiner Bismarckburg veranstaltet hatte, fand 2005 das vierte Familientreffen statt – in der Villa Sophienhöhe bei Kerpen, rund 40 Kilometer westlich von Köln. Das Anwesen wurde im Jahr 1899 erbaut und von Heinrichs zweitältester Tochter Anna Sophia und ihrem ersten Ehemann Josef A. Bollig bewohnt; sowohl die Zufahrtsstraße als auch die Villa selbst wurden nach Anna Sophia Stollwerck „Sophienhöhe“ benannt.608 Die letzte große Zusammenkunft der Erinnerungsgemeinschaft fand im August 2010 in Wien statt, wo die Gebrüder Stollwerck im Zuge der Weltausstellung 1873 ein „General-Depot“ eingerichtet hatten und wo die Nachfahren von Gustav Stollwerck bis heute leben.609 Ahnengalerie und Familienportraits Neben dem schriftlich und mündlich überlieferten Familiensinn spielten auch Gemälde, Fotografien und Objekte eine wichtige Rolle, die haptisch und symbolisch verdichtet Familientradition, -bewusstsein und -stolz konstituieren, inszenieren und konservieren.610 Nur für den Außenstehenden sind diese Bilder, Familienreliquien oder Erbstücke ein bewegliches und nach Belieben veräußerbares Gut. Für die Familie hatten und haben sie eine besondere Bedeutung: Sie wurden nach bestimmten Erbfolgeregeln von Generation zu Generation weitergegeben. Im Gemälde und später in der Fotografie spiegelte sich zunächst das Bedürfnis, das 607 Informationen von Ludolf Stollwerck in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009. Siehe auch die in RWWA 208-7-2, 208-829-4 und 208-499-13 überlieferten Presseausschnitte zum 150jährigen Firmenjubiläum. 608 Informationen von Franz Ingo Stollwerck in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009. Heute befinden sich in der Villa „Sophienhöhe“, die Ende der 1990er Jahre umfassend renoviert wurde, ein Restaurant und ein Hotel. 609 Information von Ludolf Stollwerck in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009. 610 Siehe exemplarisch für die Familie Krupp Schmidt: Zwischen Repräsentation und Erinnerung; Kleinmann: Nahaufnahmen.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
eigene Dasein im Bilde verewigt zu wissen – Portraits wurden daher häufig schon zu Lebzeiten in Auftrag gegeben. Mit der neuen bürgerlichen Wertschätzung des Individuums wurde es zudem im 19. Jahrhundert üblich, Verstorbene anhand von Fotografien nachportraitieren zu lassen.611 Allerdings sollte das Bildnis nicht nur der privaten Erinnerung an die abgebildete Person dienen, sondern es sollte auch ein Erbe weitergegeben, bürgerliche Fähigkeiten und Werte sollten sichtbar innerhalb der Geschichte verortet werden. Bis heute hängt im Haus von Franz Ingo Stollwerck ein Ölgemälde seines Urgroßvaters Heinrich;612 das Haus von Ludolf Stollwerck zieren zeittypische Portraits seiner Urgroßeltern Franz und Anna Sophia (siehe Abb. 22 und 23).613
Abb. 22 und 23: Ölgemälde von Franz und Anna Sophia Stollwerck, o. D. (Fotografie von Ludolf Stollwerck)
Beide übernahmen die Gemälde im Erbgang als jeweils ältester Sohn – zudem waren sowohl Franz Ingo Stollwercks Vater Adalbert als auch Ludolf Vater Richard614 selbst im Familienunternehmen tätig. Als Einzelportraits sind diese Gemälde zunächst „Ausdruck bürgerlicher Selbstdarstellung“615, Präsenzersatz für die verstorbenen Personen. Berücksichtigt man allerdings, dass nicht nur Heinrich Stollwerck portraitiert wurde, sondern auch entsprechende Ölgemälde seiner 611 Siehe z. B. Ludwig Stollwerck an Helene Schulz am 27. August 1915, RWWA 208-63-6; Gebrüder Stollwerck AG an Helene Schulz am 29. April 1922, RWWA 208-258-6. 612 Eine Datierung und die Benennung des Künstlers sind nicht möglich, da eine Signierung fehlt. Im RWWA ist ein weiteres Ölgemälde des Unternehmers aus dem Jahr 1906 überliefert. Die erhaltene Korrespondenz lässt den Schluss zu, dass dieses Bildnis von der Berliner Malerin Helene Schulz stammt, die auch an der Gestaltung der Stollwerck’schen Sammelbilder mitwirkte. Siehe Ludwig Stollwerck an Helene Schulz am 27. August 1915, RWWA 20863-6; Gebrüder Stollwerck AG an Helene Schulz am 29. April 1922, RWWA 208-258-6. 613 Nach einer schriftlichen Auskunft von Ludolf Stollwerck vom 21. Dezember 2012 sind anhand der Portraits weder eine Datierung noch die Benennung des Künstlers möglich, da eine Signierung fehlt. Die Anfertigung solcher Portraits war in wirtschaftsbürgerlichen Familien Usus. Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 366 ff. 614 Siehe Kapitel IV.A.2 und IV.A.3. 615 Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 153.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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vier Brüder existierten bzw. z. T. noch erhalten sind,616 erlaubt die gemeinsame Betrachtung der Portraits auch Rückschlüsse auf das Selbstverständnis und die Identität der Familie (siehe Abb. 24–26). Die Portraits der Brüder haben nicht nur die gleiche Größe, sind identisch gerahmt und verzichten auf einen interpretierend ausgestalteten Bildhintergrund, sondern die Unternehmer sind auch ähnlich dargestellt. Der Betrachter sieht jeweils nur den Oberkörper; alle fünf tragen ein dunkles Jackett und ein weißes Hemd – Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich jeweils mit einer dunklen Schleife, die eine halbe Generation jüngeren Geschwister Ludwig und Carl mit einer dunklen Krawatte. Während die Blicke von Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph einen unbekannten Punkt fixieren, halten die drei anderen Brüder direkten Blickkontakt zum Betrachter. Der Gesichtsausdruck aller Brüder ist konzentriert, sie erscheinen als rationale, seriöse, selbstbewusste und selbstbeherrschte Persönlichkeiten.617 Zusammengenommen inszenieren die fünf Portraits also einerseits das Individuum, andererseits demonstrieren sie durch die ähnliche Gestaltung die Zusammengehörigkeit der Brüder und den gemeinsamen Erfolg. An symbolischer Bedeutung gewinnen sie im Zusammenhang mit einem weiteren gemalten Ölgemälde ihres Vaters Franz, das sich nicht exakt datieren lässt. Auch der Unternehmensgründer ließ sich im dunklen Jackett, mit weißem Hemd und dunkler Halsschleife malen, sein in die Ferne gerichteter Blick strahlt Gelassenheit und Willensstärke aus. Das Gemälde hatte im Kontor der Firma „seinen Ehrenplatz“618 und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts um die Bilder der Nachfahren zu einer Generationenkette ergänzt.619 Die Gebrüder Stollwerck wollten auf diese Weise einen optischen Akzent setzen, Arbeitern, Angestellten, Geschäftspartnern und Besuchern einen Wegweiser zu den Unternehmerpersönlichkeiten und dem Selbstbild der Familie erschließen. Solche Ahnengalerien sind bis heute in vielen Familienunternehmen üblich – zum einen, um die kontinuierliche und erfolgreiche Koevolution von Familie und Unternehmen zu versinnbildlichen, zum anderen um die Vertrauenswürdigkeit der Unternehmer und die Qualität der hergestellten Produkte aus der Tradition zu begründen und am Markt in Renommee zu transferieren.620
616 Im RWWA sind die Gemälde von Albert Nikolaus (I) und Ludwig Stollwerck sowie ein weiteres Portrait von Heinrich Stollwerck überliefert. Siehe RWWA 208-G214, 208-G215 und 208-G216. Der Verbleib der Gemälde von Peter Joseph und Carl Stollwerck ist nicht bekannt. Kuske (Stollwerck-Geschichte, S. 20) veröffentlichte 1939 Fotografien dieser Gemälde. 617 Dass der Portraitierte den Blick in die Ferne richtete, war – auch später in der professionellen Fotografie – lange Zeit durchaus üblich. Siehe Breymayer: Geordnete Verhältnisse, S. 42. 618 Ludwig Stollwerck an Helene Schulz am 26. März 1906, RWWA 208-381-5. Knoch (Gefühlte Gemeinschaften, S. 295) wies darauf hin, dass ein einzelnes Portrait „sein bindendes Gewicht oft erst im nachhinein“ erhalte, wenn es „im Aufwertungskontext anderer Bilder an emotionalem Wert“ gewinne. 619 1926 und 1939 wurden zudem Fotografien der Gemälde als Collage in der Hauszeitschrift der Stollwerck AG bzw. der Festschrift zum 100jährigen Firmenjubiläum abgedruckt und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 20. 620 Siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 153.
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Abb. 24: Albert Nikolaus Stollwerck (I), ca. 1880 (RWWA 208-F56)
III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Abb. 25: Peter Joseph Stollwerck, ca. 1900 (RWWA 208F60)
Abb. 26: Heinrich Stollwerck, ca. 1910 (RWWA 208-F28)
Neben der Portraitmalerei bediente sich die Familie Stollwerck auch der Portraitund Familienfotografie, um Respektabilität und Erfolg auszudrücken. Indem Fotografien im Zuge technischer Neuerungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts zum einen billiger wurden, zum anderen durch kürzere Belichtungszeiten und bessere Aufnahme- und Abzugtechniken an Qualität gewannen, wurden sie vor allem für das Bürgertum zu einem wichtigen Medium der Selbstdarstellung.621 Die Fotografie bot die Möglichkeit, individuelle Gesichtszüge exakt wiederzugeben, ferner Posen, Requisiten und Arrangements detailgetreu abzubilden. Insbesondere Unternehmerfamilien nutzten Fotografien zur Außendarstellung ihrer dynastischen Kontinuität und Stärke. Franz Stollwerck ließ sich um 1870 gemeinsam mit seiner Ehefrau fotografieren (siehe Abb. 27). Das Bild zeigt ihn sitzend, in der typischen Tagesgarderobe eines viel beschäftigten Unternehmers, der sich nicht stundenlang mit seiner Kleidung beschäftigen konnte. Ein dunkles Jackett kombinierte er mit einer hellen Hose und Weste und einem ebenfalls hellen Hemd. An die anspruchsvollen Halstuchmoden der ersten Jahrhunderthälfte erinnert nur noch eine einfache, vorn selbst gebundene Schleife. Das Haar hatte Franz Stollwerck seitlich gescheitelt, auf die verspielten Locken, die auf dem älteren Ölgemälde noch zu erkennen sind, verzichtete er nun. Als modisches Beiwerk lassen sich neben dem bürgerlichen Hut622 lediglich eine Uhr, die in der Brusttasche aufbewahrt wurde, und eine Uhrkette erkennen. Erstaunlich und für Portraits dieser Zeit untypisch ist, dass Anna Sophia Stollwerck auf dem Bild selbstbewusst neben ihrem Mann steht und nicht wie er sitzt.623 Sie trägt ein helles Straßenkleid. Ihr Körper und mögliche Schmuckstücke bleiben zwar unter einem hochgeschlossenen dunklen Mantel verborgen, jedoch verweisen die verzierte bürgerliche Haube und der Überwurf auf den Wohlstand der Familie. Sie blickt zwar freundlich in die Kamera, doch 621 Siehe Knoch: Gefühlte Gemeinschaften, S. 305; Schambach: Photographie, S. 67 f.; Breymayer: Geordnete Verhältnisse, S. 41; Köhne-Lindenlaub: Private Kunstförderung, S. 58 f. 622 Mit dem Hut ist die Sitte verknüpft, ihn zur Begrüßung abzunehmen. Das verstärkt seine Symbol- und Statusfunktion. 623 Aus dieser Beobachtung auf die eheliche Rollenverteilung bzw. eine starke Position Anna Sophia Stollwercks schließen zu wollen, wäre freilich mangels Quellen reine Spekulation.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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hat sie für die Aufnahme weder ihren Mantel abgelegt noch ihre Tasche abgestellt. Der Gesichtsausdruck ihres Ehemanns wirkt eher streng. Wie Anna Sophia ihre Tasche hat Franz Stollwerck noch seinen Hut in der Hand – man kann sich vorstellen, wie er jeden Moment aufsteht, seinen Hut wieder aufsetzt und zum Tagesgeschäft zurückkehrt. Auch die erhaltenen Einzelportraits seiner Söhne und der im Unternehmen tätigen Enkel sind Inszenierungen unternehmerischer Tatkraft und Entschlossenheit. Insbesondere ein Portrait Peter Joseph Stollwercks – das ihn stehend an einem Pult zeigt, den Blick konzentriert auf Papiere gerichtet – veranschaulicht das ausgeprägte Leistungs- und Arbeitsethos der Familie. Die unprätentiöse Hintergrundgestaltung der Aufnahmen sowie der Verzicht auf jegliche Hinweise von Erfolg und Macht verdeutlichen noch einmal das bürgerliche Leitbild der Stollwerck’schen Unternehmer: Sie wollten sein – nicht scheinen, ihre gesellschaftliche Stellung allein durch die selbstbewusste Haltung nach außen tragen, auf den Betrachter wirken und keine Distanz zu ihm aufbauen. Die über drei Generationen nahezu identische Kleidung und Bartgestaltung der Unternehmer und die Arbeitsamkeit, Dynamik und Willensstärke spiegelnden Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen versinnbildlichen zum einen die intergenerationelle Einheit und demonstrieren zum anderen den Stolz der Unternehmerfamilie auf ihren Erfolg, der auf der Verinnerlichung bürgerlicher Werte beruhte (siehe Abb. 27–34).
Abb. 27: Franz und Anna Sophia Stollwerck, ca. 1870 (RWWA 208F3976)
Abb. 28: Peter Joseph Stollwerck ca. 1900 (RWWA 208-F4010)
Abb. 32: Peter Joseph Stollwerck, ca. 1900 (RWWA 208-F61)
Abb. 29: Heinrich Stollwerck, um 1910 (RWWA 208F3985)
Abb. 30: Ludwig Stollwerck ca. 1910–1919 (RWWA 208F3996)
Abb. 33: Franz Stollwerck (II), ca. 1920 (RWWA 208-F12)
Abb. 31: Carl Stollwerck ca. 1890 (RWWA 208-F30)
Abb. 34: Fritz Stollwerck, ca. 1930 (RWWA 208-F20)
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Vergleicht man die Portraits der Stollwercks mit den Ahnengalerien anderer Unternehmerfamilien, zeigen sich nicht nur Ähnlichkeiten im Hinblick auf künstlerische Umsetzung und Stilrichtungen, sondern es wird deutlich, dass es sich um (zeit)typische Darstellungen von Wirtschaftsbürgern handelt. Die Bilder heben Normen und Werte des unternehmerisch-wirtschaftsbürgerlichen Regelsystems hervor, symbolisieren den unternehmerischen Erfolg.624 Neben den Einzelportraits nahm Ende des 19. Jahrhunderts auch die Zahl der Familienfotografien zu, die den Familienunternehmer im Umfeld seiner Familie zeigten – Verlässlichkeit und Stabilität suggerierten. Für diese Portraitbilder legten die Familienmitglieder nicht nur den Sonntagsstaat an, sondern sie achteten auch auf ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild: Auf dem um 1902 aufgenommenen Portrait der Familie Ludwig Stollwerck (siehe Abb. 35) wirken die Kleider der Mädchen wie Kopien der mütterlichen Robe und die Jungen tragen ähnliche Anzüge wie der Vater. Die Unternehmerfamilie instrumentalisierte die Kleidung demnach nicht nur, um die eigenen finanziellen Möglichkeiten zu demonstrieren und zu zeigen, dass sie die Regeln des bürgerlichen Geschmacks und des Anstands beherrschte und in der Lage war, sich dem jeweils herrschenden Modediktat anzupassen, sondern auch, um sich als Einheit zu präsentieren, den familiären Zusammenhalt deutlich sichtbar nach außen zu spiegeln.625 Nicht selten gehörten auch Requisiten zur Bildausstattung, die auf die lange Tradition der Familie verwiesen. So dient auf dem Portrait der Familie Heinrich Stollwerck (siehe Abb. 36) die Aufschrift auf einer Schiefertafel – „Zum 15jährigen Hochzeitstage. Coeln den 14. Juli 1883“ – nicht nur dazu, das Bild später zeitlich einordnen zu können, sondern sie steht auch symbolisch für die Stabilität der Familie.626 Da zudem der jüngste Sohn Franz (II) die Tafel hält, wird die familiäre Beständigkeit analog zur Vergangenheit sinnbildlich in die Zukunft erweitert. Beide Familienportraits weisen ferner die typischen Requisiten bürgerlichen Wohnens auf: Möbelstücke, Vorhänge, Teppiche und Bücher als Ausdruck der für das Bürgertum essenziellen und der sozialen Distinktion dienenden Bildung.627 Auffallend ist zudem, wie sich die Gebrüder Stollwerck auf Fotografien in großer Nähe zu ihren Kindern präsentierten, Familienglück und Bürgerstolz inszenierten.628 Heinrich Stollwerck hat auf der Aufnahme von 1883 die Arme um seine drei jüngsten Kinder gelegt. Karl Maria Stollwerck stützt sich auf dem um 1902 entstandenen Familienportrait auf das Knie seines Vaters Ludwig, auch seine älteste Schwester Luise sucht den Kontakt zum Vater, indem sie eine Hand auf seine Schulter legt. Carl Stollwerck ließ sich um 1904 allein mit seinen Adoptivtöchtern ablichten: Während Carlita auf seinem Schoß sitzt, hat er um die vor ihm 624 Siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 156; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 366 ff. 625 Siehe zu diesem Gedanken auch Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 311 f. 626 Hochzeitsjubiläen wurden häufig fotografiert, um die wichtige Bürgertugend der ehelichen Treue zu dokumentieren. Siehe Breymayer: Geordnete Verhältnisse, S. 47. 627 Siehe ebenda, S. 43. 628 Siehe Knoch: Gefühlte Gemeinschaften, S. 306.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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stehende Marion Theresa beschützend den Arm gelegt (siehe Abb. 37). Darüber hinaus wurden aber zunehmend auch Aufnahmen gemacht, die nur die Kinder zeigten.629 Sie standen für den Zukunftsoptimismus der Familie, wohingegen die Ahnenreihen das Bewusstsein für die Vergangenheit, die generationelle und dynastische Kontinuität unterstrichen.
Abb. 35: Familie Ludwig Stollwerck, ca. 1902 (RWWA 208-F5208)
Abb. 36: Familie Heinrich Stollwerck, 1883 (RWWA 208-PS396)
Abb. 37: Carl Stollwerck mit Adoptivtöchtern, ca. 1905 (RWWA 208-F32)
Solche Portraits der ganzen Familie oder einzelner Familienangehöriger waren wichtige materielle Symbole für die Zusammengehörigkeit der Familie. Sie dienten nicht nur als „schöne Zierde des Zimmers und für jedes Auge“630, sondern als Erinnerungs- und Orientierungspunkte auch dem Andenken der Vorfahren und der Verdeutlichung des eigenen Platzes im Familienverbund. Indem sie der Vergangenheit und dem Konstrukt Familie Gesicht(er) und Gestalt(en) gaben, sollten sie insbesondere den nachfolgenden Generationen die emotionale Verbundenheit, Familiengeist und Familiengefühl sichtbar machen und das Bewusstsein vermitteln, stets zum Wohl der generationenübergreifenden Gemeinschaft zu handeln. Vor diesem Hintergrund wurde es auch zunehmend üblich, mehrere Abzüge erstellen zu lassen und als Zeichen besonderer Verbundenheit zu verschenken. Gustav Stollwerck beispielsweise erhielt 1926 ein Portrait seines Onkels Carl mit der Widmung: „Seinem l. Neffen Gustav P. Stollwerck in herzl. Gedenken langjährigen gemeinsamen Schaffens […]! Karl Stollwerck“631.
629 Siehe Ludwig Stollwerck an Helene Schulz am 28. Februar 1906, RWWA 208-381 5. Ludwig Stollwerck ließ für 500 Mark ein Portrait seines jüngsten Sohnes Karl Maria anfertigen. 630 Ludwig Stollwerck an Helene Schulz am 14. Januar 1902, RWWA 208-304-5. Familienbildnisse waren ein beliebter Wandschmuck im Bürgertum. Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 76; Lesczenski: August Thyssen, S. 204 f. 631 RWWA 208-F5695. Siehe auch Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 367.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Familienwappen Als Träger und wahrnehmbares Symbol des generationenübergreifenden Zusammenhalts fungierte ferner das Stollwerck’sche Familienwappen (siehe Abb. 38 und 39).
Abb. 38: Stollwerck’sches Familienwappen (Skizze aus dem Eigentum von Franz Ingo Stollwerck)
Abb. 39: Stollwerck’sches Familienwappen auf dem ursprünglichen Grabmal von Heinrich und Peter Joseph Stollwerck (Fotografie von Franz Ingo Stollwerck)
Es zeigt einen schwarzen Schild mit einem Bild, das zum einen als dreigliedrige Krone, zum anderen als Abschnitt einer Stadtmauer interpretiert werden kann. Auf diese Weise entsteht ein doppelter Bezug zur Heimat und der Familie und dem Stammsitz der Familienunternehmung: der Stadt Köln.632 Die drei Kronen sind seit dem 13. Jahrhundert das Hoheitszeichen der Stadt Köln und erinnern an die Heiligen Drei Könige, deren Reliquien 1164 als Geschenk des Kaisers Friedrich I. Barbarossa nach Köln gebracht wurden. Den nach vorn gerichteten Spangenhelm deckt eine dreigliedrige Blätterkrone. Die Helmdecke ist als Helmmantel blattartig ornamental gestaltet. Der Spangenhelm wurde ursprünglich nur zu ritterlichen Kampfspielen getragen, für die vor der Teilnahme der Adelsnachweis erbracht werden musste – in der Heraldik wurde er vor diesem Hintergrund zum Kennzeichen des Adels. Dass er sich im Stollwerck’schen Familienwappen wiederfindet, erklärt sich zum einen aus der Tatsache, dass mehrere Kinder der Gebrüder Stollwerck in adlige Familien einheirateten. Zum anderen erhielten sowohl Peter Joseph und Heinrich als auch Ludwig Stollwerck den Kommerzienratstitel – ein Indikator für die Verbundenheit der Familie zum preußisch-deutschen Herrscherhaus und dem monarchischen Staatssystem.633 Als letztes Element des Familienwappens ist die Kette mit dem Orden zu nennen, die um den Hals des Span-
632 Zum Kölner Stadtwappen siehe Steuer: Das Wappen. 633 Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.C.2.
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genhelms liegt. Mit ihr zeigte die Familie die Zugehörigkeit zu einem Ritterorden bzw. zu anderen geistlichen oder weltlichen Orden an.634 Das Familienwappen wurde u. a. in einen goldenen Ring eingraviert, den Heinrich Stollwerck anfertigen ließ und an seinen Sohn Franz (II) vererbte. Franz (II) war zwar nicht der älteste Sohn, der solche Stücke normalerweise erbte, aber der einzige, der noch im Familienunternehmen tätig war, als sein Vater 1915 starb. Seine älteren Brüder Albert Nikolaus (II) und Heinrich Victor waren nach zum Teil gerichtlich ausgetragenen Auseinandersetzungen mit der Familie enterbt worden.635 Franz Stollwerck (II) vererbte den Ring nach seinem Tod 1955 an seinen ältesten Sohn Adalbert, der ihn 1960 wiederum seinem Erstgeborenen Franz Ingo vermachte. Zum anderen findet sich das Familienwappen auf einer Grabstätte der Familie Heinrich Stollwerck auf dem Kölner Melaten-Friedhof (siehe Abb. 40 und 41), ferner auf den Sarkophagen von Carl, Fanny und Carlita Stollwerck, auf der geschnitzten Kanzel, die das Ehepaar für das Familienmausoleum in Feldkirchen, in der Nähe seines bayerischen Landsitzes, anfertigen ließ, und in abgewandelter Form auf der Villa von Peter Joseph in der Bayenstraße 65 (siehe Abb. 12).
Abb. 40 und 41: Heutige Grabstätte der Familie Heinrich Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof (eigene Fotografie)
Nachweisbar ist zudem eine abgewandelte Form des Familienwappens (siehe Abb. 43), die sich – soweit anhand des erhaltenen Materials erkennbar – nur auf dem Giebel einer heute nicht mehr bestehenden, gemeinsamen Gruft der Familienstämme Peter Joseph und Heinrich Stollwerck auf dem Kölner Melaten634 Die Gebrüder Stollwerck wurden nicht nur vom monarchischen Staat mehrfach durch Titelund Ordensverleihungen ausgezeichnet und so in das politische System eingebunden, sondern gehörten auch geistlichen Orden an. Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.C.1 und III.C.2. 635 Siehe Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 31. Oktober 1908, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01; Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Zu den Gründen, die zur Enterbung der beiden ältesten Söhne führten, siehe ausführlich Kapitel IV.A.2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Friedhof befand.636 Die Schilddarstellung und der nach vorn gerichtete Spangenhelm sind identisch mit dem beschriebenen Wappen, allerdings liegt in dieser Variante keine Kette mit einem Orden um den Hals des Spangenhelms. Helmzier und Helmdecke – wiederum als Helmmantel gestaltet – sind der Blüte und den Blättern des Kakaobaums nachempfunden. Das Wappen stellt demnach nicht nur einen Bezug zum Stammsitz der Familie her, sondern inszeniert auch die Verbindung der Familie mit dem Unternehmen sowie die Identifikation mit den hergestellten Produkten. Familienpokal Die Überzeugung der Familie, dass Erinnerung und Gedächtnis Speicher benötigen, zeigt sich ferner in einem großen goldenen Pokal, dem so genannten Bismarckbecher, den Heinrich Stollwerck 1905 als materielles Symbol und Erinnerung an den Stollwerck’schen Familientag auf der Bismarckburg bei dem renommierten Kölner Goldschmied Gabriel Hermeling (1833–1904) bzw. dessen Geschäftsnachfolger anfertigen ließ (siehe Abb. 42).
Abb. 42: Familienpokal der Stollwercks (Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 53)
Der Pokal ist ringsum mit Achten verziert, verschiedene Details stellen den Bezug zur Familien- und Unternehmensgeschichte her. Der eingravierte Stammbaum des Zweiges von Heinrich Stollwerck demonstrierte den einzelnen Familienangehörigen ihre Einbindung in das Familienganze. Die auf dem Schließdeckel angebrach636 Siehe zu den Grabstätten der Familie Stollwerck ausführlich Kapitel III.C.1.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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te silberne Nachbildung der Bismarckburg spiegelt – ebenso wie die in der Mitte des Pokals befindliche Bismarckfigur – die politische Grundüberzeugung der Familie.637 Diese Miniatur erinnert aber auch daran, dass Heinrich Stollwerck die Bismarckburg in erster Linie als Ort verstand, an dem sich die Familie „besonders an den Familiengedenktagen in gastlicher Weise versammeln“638 sollte. Die Nachbildungen der Kakaobohne inszenieren ebenso wie die Darstellung der Stollwerck’schen Fabrik und des mehrfachen Walzenstuhls zum Zerreiben dickflüssiger Massen, auf den Heinrich Stollwerck 1880 ein Patent erhielt, die Verbindung zwischen Familie und Unternehmen. Schließlich wird auch symbolisch der Bogen zur Stadt Köln geschlagen: durch die nachgebildeten Stadtmauern und -tore sowie Elemente des Kölner Stadtwappens – eine dreiblättrige Krone, Zepter und Schwert. Jedes Familienmitglied erhielt passend zum Pokal einen Silberbecher, auf dem sein Name, Geburtsdatum und -jahr sowie der Schriftzug „Andenken an den Stollwerck’schen Familientag auf der Bismarckburg 30.12.1905“ eingraviert waren. Zusätzlich wurden in den „Familienpokal“639 verschiedene Sprüche eingraviert, die zum friedvollen Zusammenhalten mahnten: „Der Bismarckbecher sei geweiht Dem Andenken grosser Zeit, Als Deutschlands Stämme Bismarcks Geist Zu einem einigen Volk geschweisst. Der Bismarckburg Familienstück Verbürg’ er Stollwercks Zukunftsglück: Dass die Familie jederzeit Zusammensteh’ in Einigkeit“640.
Der Pokal und die zugehörigen Becher sollten demnach nicht nur als Kleinod an das Familientreffen 1905 erinnern, sondern als greifbares Symbol zum einen die Identitätsbildung der Familie unterstützen, zum anderen als Träger des Familiengedächtnisses dienen. Über die Worte „Zukunftsglück“ und „jederzeit“ wurden die Generationen miteinander verbunden und die Nachkommen erhielten den Auftrag, die Einigkeit der Familie, ihre Identität – das inkorporierte Kulturkapital – zu bewahren, um im Umkehrschluss das Familienunternehmen – das objektivierte Kulturkapital – erfolgreich weiterführen zu können. Der Stollwerck’sche Familienpokal befindet sich bis heute im Eigentum von Franz Ingo Stollwerck, einem Urenkel Heinrich Stollwercks, ebenso der Silberbecher, den seine Großmutter Johanna, die Ehefrau von Franz Stollwerck (II), 1905 geschenkt bekam. Indem der Pokal und die Becher in der Familie weitervererbt wurden, wurden sie selbst zum objektivierten Kulturkapital. Ihre Bedeutung erhalten sie, weil über sie gesprochen und auf diese Weise dem Vergessen der Fami637 Zu den politischen Grundüberzeugungen der Familie Stollwerck siehe ausführlich Kapitel III.C.2. 638 Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. 639 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 53. 640 Ebenda.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
lien- und Unternehmensgeschichte präventiv begegnet wird, Vorbesitzer und prägende soziale Beziehungen und Räume der Vergangenheit lebendig bleiben.641 Natürlich prägte auch der zeithistorische Hintergrund des Deutschen Kaiserreichs die Bezeichnung des Familienpokals als „Bismarckbecher“. Diese Benennung war alles andere als zufällig, unterstrich sie doch die in der wirtschaftlichen Oberschicht des Kaiserreichs weit verbreitete Verehrung für den ehemaligen Reichskanzler, der als Symbol der lang ersehnten deutschen Einigung galt. Der „Bismarckbecher“ betonte zum einen die gedankliche Verbindung der Reichseinigung mit der Einheit der Familie, zum anderen die Treue der Familie zum Staat und dessen Institutionen.642 Löst man indes den Familienpokal von seinen zeitgebundenen Bezügen, lässt sich als sein Kern das Streben der Gebrüder Stollwerck festhalten, den Familienzusammenhalt generationenübergreifend zu stärken und das Handeln aller Familienmitglieder an diesem Ziel auszurichten. Dass permanente Einigkeit nicht zu erreichen war, wussten freilich auch die Gebrüder Stollwerck. Wie andere Familien- und Geschlechterverbände institutionalisierten sie daher für jeden Familienstamm eine formale Organisationsstruktur, einen „Familienrat“, der sich aus einem Teil der volljährigen männlichen Familienmitglieder, mit dem ältesten als Vorsitzendem, zusammensetzte und „bei wichtigen Familienangelegenheiten“643 zu Beratungen zusammentrat und bei Streitigkeiten vermittelte. III.B.2 „Das Gefühl für einen Bruder […] auf den Gefrierpunkt sinken könnte“ – Zwietracht und familiäre Krisen statt Harmonie und Gleichmäßigkeit Die Familie ist die konstituierende Bedingung für das Familienunternehmen. Daher besitzt die Sicherung des Familienzusammenhalts für die Unternehmerfamilie höchste Priorität. Konflikte und Streitigkeiten, die mindestens genauso häufig wie eine unzureichende Geschäftspolitik zum Untergang von Familienunternehmen führen, sollen möglichst vermieden werden. Auch über dem Familienleben und der geschäftlichen Zusammenarbeit der Stollwercks stand stets der „sehnlichste Wunsch & stete Wille“, die familiäre „Eintracht durch nichts gestört zu sehen“644. In der Realität hingegen besaß diese familiäre Sinnkonstruktion nicht immer ausreichend Prägekraft, um alle Familienmitglieder zu disziplinieren und auf das gemeinsame Ideal zu verpflichten. Neben dem festen Vorhaben, den harmonischen Zusammenhalt zu festigen und damit auch den Wertvorstellungen bürgerlicher Vordenker zu entsprechen, deren Familienleitbild maßgeblich auf den Grundsät641 Siehe Langbein: Geerbte Dinge, S. 229; Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 128. 642 Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.C.2. 643 Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01 sowie die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208426-2. 644 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I), 1873/74, RWWA 208-875-1.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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zen von Harmonie und Eintracht fußte, spiegeln die Quellen immer wieder Schwierigkeiten und Spannungen, die bei dem Versuch entstanden, dem Familienideal im Familienalltag gerecht zu werden, Anspruch und Wirklichkeit miteinander zu verbinden.645 Denn die familiären Strukturen bildeten nicht nur einen Schutzraum gegen die „feindliche“ Außenwelt, sondern von ihnen ging auch ein hoher Anpassungs- und Erwartungsdruck aus. Leistung und Pflichterfüllung, die Wahrung des Familienfriedens und die Weiterführung der Familientradition wurden nicht nur von den Söhnen, sondern von allen Familienmitgliedern gefordert. Familiäre und zwischenmenschliche Dissonanzen entsprangen daher zumeist unterschiedlichen Erwartungshaltungen, Ansprüchen und Bedürfnissen der einzelnen Familienmitglieder, die ihren individuellen Platz im Familienkollektiv suchten. Indem sie dabei gegen die familienkulturellen Normen verstießen, wurde das familiäre Verhältnis häufig nachhaltig beeinträchtigt. Zudem kollidierten häufig die Erwartungen der Familie mit den Anforderungen des Unternehmens – es entstanden Spannungsbereiche mit multiplen Konfliktthemen. Vater-Sohn-Konflikt zwischen Franz Stollwerck und den Gebrüdern Stollwerck Der Alltag der Familie Stollwerck wurde im Untersuchungszeitraum immer wieder durch Streitigkeiten zwischen Eltern und Kindern, Auseinandersetzungen der Brüder und Vettern sowie Konflikte der Ehefrauen bestimmt. Die seit den 1860er Jahren keimenden Differenzen zwischen Franz Stollwerck und seinen drei ältesten Söhnen entzündeten sich sowohl an persönlichen Eigenschaften als auch an unterschiedlichen unternehmensstrategischen Auffassungen. Die täglichen Konfrontationen des Firmengründers und seiner Nachfolger, der „Kampf“ um Verantwortungen, Kompetenzen und finanzielle Ansprüche führten mit der Zeit zu einem vergifteten Klima zwischen den Generationen. Da Franz Stollwerck seine Söhne auch als Partner im Unternehmen spüren ließ, welchen Rang sie in der Familienhierarchie bekleideten, verbündeten sich die Geschwister und schufen eine „vertrauliche Gegenwelt“646 zu den von ihrem Vater dominierten Sphären Familie und Unternehmen: Sie traten aus der gemeinsamen Firma aus und minimierten auch den privaten Kontakt zum Vater. In der Folge wurde nicht nur die Unternehmernachfolge erheblich beeinträchtigt und zu einem konfliktreichen Prozess, der beinahe gescheitert wäre,647 sondern die Differenzen zwischen Vater und Söhnen zerrütteten auch das Familienleben und den Familienzusammenhalt. Ihre besondere Schärfe erreichten die Konflikte durch das patriarchalische Rollenverständnis Franz Stollwercks, gemäß dem er allein das familiäre „Willenszentrum“648 war. Der autoritäre Umgang mit seinen Kindern flößte ihnen nicht nur Respekt ein, sondern minimierte auch das Maß an Emotionen und Intimität zwi645 646 647 648
Siehe hierzu auch Lesczenski/Wörner: Moritz von Metzler und August Thyssen. Budde: Familienvertrauen, S. 173. Dieser Aspekt wird systematisch in Kapitel IV.A.1 vertieft. Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 120.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
schen Vater und Söhnen. Die Streitigkeiten mit seinen Nachfahren beizulegen, war für ihn nur entlang der für ihn gültigen Muster und der von ihm formulierten Konditionen denkbar. Erst kurz vor seinem Tod zeigte sich Franz Stollwerck milder und wollte eine Aussöhnung mit seinen drei ältesten Söhnen herbeiführen. Allerdings stand ihm auch im hohen Alter sein Stolz im Weg und er bemühte sich nicht persönlich um eine Aussprache, sondern schickte seinen jüngeren Sohn Ludwig vor, dem er das Versprechen abnahm, sein „Möglichstes“ zu tun, um Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich zu besänftigen. In einem Brief legte Ludwig dann auch den Brüdern den „innigsten Wunsch“649 des Vaters ans Herz. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Erfahrung darin, sowohl auf den Vater als auch auf die älteren Brüder beschwichtigend und ausgleichend einzuwirken und nahm eine innerfamiliäre Vermittlerfunktion wahr. Denn während Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich vom Vater verstoßen worden waren, blieben die noch minderjährigen Söhne Ludwig und Carl nicht nur zu Hause wohnen, sondern begannen auch ihre Lehre im väterlichen Betrieb. Auf der einen Seite ergriff Ludwig Partei für den Vater, indem er seine Brüder mahnend darauf hinwies, „dass dieser ganze Aerger sehr viel zu dem sonstigen fortwährenden Unwohlsein“ Franz Stollwercks beitrage und es auch für die übrigen Geschwister „nicht angenehm“ sei, mit den Eltern „in dieser sehr unfreundlichen Stimmung“ unter einem Dach zu leben. Ferner erinnerte er sie daran, dass es trotz aller Differenzen doch ihr Vater sei, dem sie „Erziehung und Namen“ und ihre finanzielle Sicherheit verdankten. Mit den scharfen Auseinandersetzungen würden sie nicht nur den Vater, sondern auch den Namen Stollwerck und damit letztlich sich selbst schädigen – denn schließlich würden sie sich nach dem Tod des Vaters ihren „gebührenden Antheil“ am Geschäft nehmen wollen. Auf der anderen Seite äußerte Ludwig Stollwerck aber auch Kritik am autoritären Verhalten des Vaters, seiner familiären Führung und Kommunikation und zeigte Verständnis für das Verhalten seiner Brüder. Der Vater könne „in vielen Beziehungen ganz anders gegen seine erwachsenen Söhne sein […], welchen er auch sehr viel verdankt“650. Die intergenerationellen Differenzen zwischen Vater und Söhnen evozierten demnach auch intragenerationelle Spannungen. Zwischen den drei ältesten und den zwei jüngeren Brüdern entstand eine „unsichtbare Mauer“, die nicht allein auf den großen Altersunterschied zurückzuführen ist, sondern auch auf die unterschiedlichen Rollen, die die Geschwister in den Jahren einnahmen, in denen die Familienkonflikte ihr Leben prägten. Die drei ältesten Brüder teilten den Verdruss, der sich aus der engen Zusammenarbeit und schließlich dem Bruch mit dem Vater ergab.651 Das Brüderpaar Ludwig und Carl hingegen erlebte diese Konfrontationen überwiegend aus der Perspektive der Eltern; gemeinsam war ihnen die 649 Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 12. Februar 1876, RWWA 208-874-4. 650 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 30. Dezember 1875, RWWA 208-301-6. Gemäß der Aufzeichnungen von Franz Stollwerck (II) kam es kurz vor dem Tod von Franz Stollwerck zu einer Aussöhnung mit seinen Kindern. Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 651 Siehe ausführlich zu den Konflikten zwischen Franz Stollwerck und seinen Söhnen Kapitel IV.A.1.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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Sorge um den guten Ruf des Namens Stollwerck und die Gesundheit des Vaters.652 Konflikte zwischen den Gebrüdern Stollwerck Geprägt von diesen jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Vater erklärten die Gebrüder Stollwerck geschwisterliche Loyalität und Solidarität zwar zur obersten Maxime, doch spiegeln die Quellen deutlich, dass sich die Söhne – anders als die symbolische Überhöhung der Familie vermuten lässt – gar nicht so sehr von ihrem Vater unterschieden. Auch unter den Geschwistern kam es immer wieder zu Zerwürfnissen und Unstimmigkeiten über Kompetenzen und Wertpräferenzen, die teilweise mit erheblicher rhetorischer Schärfe und verletzenden Formulierungen ausgetragen wurden. Um die Bereitschaft, diese Konflikte gemeinsam zu lösen und die Familiensolidarität nicht aus den Augen zu verlieren, wurde in langen Briefwechseln zäh gerungen; auch zwischen den Brüdern war nicht alles selbstverständlich, vieles musste erst verbalisiert und ausgehandelt werden. Standen in den 1870/80er Jahren vor allem wiederkehrende Dissonanzen zwischen den Ehefrauen im Fokus der Auseinandersetzungen, stritten die Gebrüder Stollwerck in den folgenden Jahren meist um die „richtige“ Erziehung der Nachfahren und ihre adäquate Integration in das Familienunternehmen. Anlass für Differenzen bot wiederholt Peter Josephs Ehefrau Agnes, die bei seinen Geschwistern, vor allem bei Therese, Albert Nikolaus (I) und Heinrich, und den Schwägerinnen auf heftige Ablehnung stieß. Agnes Stollwerck unterschied sich von Maria Theresia und Apollonia, den Ehefrauen von Albert Nikolaus (I) und Heinrich, nicht nur durch ihre evangelische Konfession,653 sondern auch durch ihre norddeutsche Mentalität sowie ihre „gänzlich verschieden[e]“ Erziehung, was in der Summe zu einer „entfremdende[n] gegenseitigen Behandlung“654 führte. Die Unstimmigkeiten zwischen den Frauen erstreckten sich von der unterschiedlichen Haushaltsführung über die Einrichtung der Wohnungen bis hin zu Art und Umfang ihrer Mitarbeit im Geschäft der Ehemänner.655 Diese Differenzen blieben natürlich nicht ohne Einfluss auf die Brüder. Es bildete sich eine Front zwischen Albert Nikolaus (I) und Heinrich auf der einen sowie Peter Joseph Stollwerck auf der anderen Seite. Die Brüder nahmen jeweils ihre Ehefrauen in Schutz, beantworteten Vorwürfe überwiegend mit Widerspruch und Gegenvorwürfen. Die Kritik von Albert Nikolaus (I), dass er in den ersten Jahren seiner Ehe 652 Diese Brüderkonstellation zieht sich als roter Faden durch die Familien- und Unternehmensgeschichte – sie wird im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft und die Unternehmernachfolge systematisch vertieft. Siehe Kapitel IV.A. 653 Zu den aus der unterschiedlichen Konfessionszugehörigkeit erwachsenen Konflikten siehe Kapitel III.C.1. 654 Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-875-2. 655 Siehe Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-8752.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
viel Geld in den privaten Konsum, Äußerlichkeiten und Luxus investiert und die Tugend der Sparsamkeit vernachlässigt habe, konterte Peter Joseph mit den Worten: „Als Du Ende der 60er Jahre 2 Umzüge kurz hintereinander machtest klagtest Du mir wiederholt‚ ein Umzug sei eine halbe neue Einrichtung, wir hatten in unseren ersten 3 Jahren drei Umzüge resp. einen Ein- & zwei Umzüge, dabei 2 Kinderkörbe, das allein hätte Dir zufolge gemachter Erfahrung derzeit den Mehrverbrauch […] können. Dass Agnes auf die Wohnung sehr viel giebt und auf Comfort hält ist richtig und kostet ja auch mehr, das liegt an den Hamburger Gewohnheiten & der Erziehung und hat viel Gutes nebenbei; jedenfalls war unsere Wohnung […] gemüthlich und hatte ich an und für sich zu thun A. sich an die Verhältnisse anpassen zu machen und die Abneigung gegen die Wohnung zu überwinden.“656
Auch den Vorwurf des Bruders, er habe ohne Rücksprache mit den Geschwistern in seinem Wohnzimmer Jalousien angebracht und damit Geld für eine „Annehmlichkeit“ aufgewendet, „die sich ja sehr leicht entbehren lässt“, verwarf Peter Joseph, indem er Albert Nikolaus (I) daran erinnerte, dass dieser genauso gehandelt habe. „Aber findest Du es nicht natürlich, daß man sich dabei erinnert, daß Du an dem […] Hause Brückenstraße erst vereinzelte Fenster, dann durchgehende Etagen mit Jalousien versehen ließest ohne ein Wort darüber zu sagen.“657 Auch die Beschwerde seines ältesten Bruders, dass er sich mit Agnes vom Rest der Familie isoliere, ließ Peter Joseph nicht auf sich beruhen. Vielmehr sei es der ältere Bruder – so sein Konter –, der sich distanziere und durch bewusste Kränkungen und Ignoranz dazu beitrage, dass „das Gefühl für einen Bruder […] auf den Gefrierpunkt sinken könnte“658. Heinrich wiederum betonte, dass sich Albert Nikolaus (I) und er „stets [….] bemüht haben, durch aufrichtige Freundschaft, Worte & Handlung Agnes hier in der fremden Stadt daß zu bringen was sie in ihrer Heimatstadt zurückgelassen“. Diese Hinwendung zu Agnes hätte jedoch ihren Ehefrauen „doppelte Veranlassung“ gegeben, „sich in ihrem einmal gefaßten ‚Vorurtheil‘ bestärkt zu fühlen“659 und in der Sorge um das Wohlbefinden der neuen Schwägerin eine Zurücksetzung ihrer Verwandten zu sehen. Was die Partnerwahl des Bruders betraf, blieb insbesondere Albert Nikolaus (I) wenig versöhnlich. Neben dem angeblichen Unwillen von Agnes, sich in die neue Familie zu integrieren, kritisierte er immer wieder den Charakter und die Gewohnheiten seiner Schwägerin und äußerte grundsätzliche Zweifel, ob sie einen guten Einfluss auf Peter Joseph ausübe, über den sie mit ihrem dominanten Auftreten den „Pantoffel“ schwinge. Peter Joseph freilich verteidigte seine Ehefrau gegenüber seinem ältesten Bruder und hielt ihm entgegen, dass Agnes den zitierten Pantoffel „sehr geschickt zu führen“ wisse und er ihn nicht als drückend empfinde. Vielmehr betonte er nachdrücklich, dass seine Frau einen „durchaus edlen Character und durchaus reelle Ansichten und Ziele“ habe und er, wenn er 656 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 25. Juli 1881, RWWA 208874-7. 657 Die letzten Zitate aus ebenda. 658 Peter Joseph Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 13. August 1881, RWWA 208-874-7. 659 Die letzten Zitate aus Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-875-2.
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alle Bekannten und Verwandten durchgehe, niemanden kenne, mit dem Agnes „auf schlechtem oder auch nur nicht freundschaftlichem Fuß stehe“660. In diesen Äußerungen zeigen sich nicht nur die Antipathie, die Albert Nikolaus (I) seiner Schwägerin entgegenbrachte, und die Wertschätzung, die Peter Joseph Stollwerck für seine Ehefrau empfand, sondern es werden auch die unterschiedlichen Frauenbilder der Brüder erkennbar. Während Albert Nikolaus (I) auch im Privaten die Vorrangstellung des Mannes befürwortete, zeigte sich sein jüngerer Bruder liberaler. Auch Heinrich Stollwerck wollte die Position der Frauen nicht auf Unterordnung und ihre Einflusssphäre nicht ausschließlich auf den Haushalt beschränkt wissen und begrüßte die Mitarbeit der Ehefrauen im Geschäft ausdrücklich; doch legte er großen Wert darauf, auf diese Unterstützung „Gott sei Dank nicht […] angewiesen“ zu sein. Er misstraute sowohl seiner eigenen Gattin als auch den Ehefrauen seiner Brüder im Hinblick auf ihre handlungsleitenden Interessen und fürchtete, dass sie den harmonischen Familienbeziehungen, die die Brüder als essenziell betrachteten, um das Familienunternehmen erfolgreich fortzuführen, nicht die erforderliche Bedeutung beimaßen. Er unterstellte ihnen, die Männer gemäß ihrer eigenen egoistischen Beweggründe zu instrumentalisieren und den schlechten Einfluss ihrer Streitigkeiten zwischen die Brüder zu tragen. „Wir haben davon, da bin ich ja weit entfernt zu behaupten, uns bis heute von den Handlungen der Frauen beeinflussen lassen & werden für meine Person auch nimmer dazu kommen lassen“661, fasste er die Situation 1873 zusammen und wies damit die Schuld für die Unstimmigkeiten allein den Ehefrauen zu. Heinrich Stollwerck verkannte damit freilich, dass sich die geschilderten Auseinandersetzungen nicht allein auf seine Schwägerin bzw. die Antipathien zwischen den Ehefrauen zurückführen ließen, sondern ihren Ursprung auch in den höchst divergenten Charakteren und Temperamenten der Brüder hatten. Während Albert Nikolaus (I), Peter Joseph, Heinrich und Carl in ihrem Verhalten und der Vehemenz ihrer Formulierungen eher den mitunter anmaßenden und kompromisslosen Stil ihres Vaters pflegten und vor persönlichen Angriffen nicht zurückscheuten, bemühte sich Ludwig Stollwerck um Ausgleich und Vermittlung und blieb meist sachlich. Er beschrieb sich selbst als „Optimist“, der in allen Menschen das Gute sehe und lieber Unrecht leide als selbst Unrecht zu tun. Zwar war er sich durchaus bewusst, dass er „oft zu viel Werth auf einige gute Eigenschaften & Handlungen“ lege und damit auch schon „Schiffbruch gelitten“ habe, doch konnte er sich mit dem eher pessimistischen Menschenbild seiner Brüder, alle Menschen für „Halluncken“ zu halten, „so lange sie sich nicht als gut erweisen“662, nie anfreunden. Nicht von ungefähr brandeten daher zwischen den Geschwistern – in jeder Konstellation – immer wieder Streitigkeiten auf, die sich zwar meist an ge660 Die letzten Zitate aus Peter Joseph Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 13. August 1881, RWWA 208-874-7. 661 Die letzten Zitate aus Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-875-2. 662 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 11./12. Juni 1910, RWWA 208-162-5.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
schäftlichen Entscheidungen und Vorgängen entzündeten, aber in der Regel eng mit persönlichen Eigenschaften verknüpft waren. Peter Joseph Stollwerck nahm beispielsweise 1881 wiederholte Klagen von Reisenden und Agenten über das Verhalten des ältesten Bruders zum Anlass, Albert Nikolaus (I) vor Augen zu führen, dass er im persönlichen Umgang nicht immer den richtigen Ton treffe, mit seinen „beißenden Witzen“ viele verletze, aber selbst keinerlei Kritik vertrage und sofort beleidigt sei, wenn es ihm jemand „mit gleicher Münze zahlt“663. Er sei „verbissen“ und lasse sich „von Vorurtheilen“664 beherrschen, ein Charakterzug, der nicht nur Angestellte zu Beschwerden veranlasse, sondern auch dazu führe, dass Peter Joseph es selbst oft vermeide, sich mit dem Bruder über Unstimmigkeiten auszusprechen, weil er „zu tief verletzt“ sei und befürchte, sie könnten sich „ernstlich entzweien“665. Auch zwischen Heinrich und Albert Nikolaus (I) kam es zu Differenzen, deren Grund zwar nicht bekannt ist, die aber von Seiten Heinrichs ebenfalls in den Vorwurf mündeten, der Bruder fälle einseitige Urteile und sei nicht bereit, seine „so oft bewiesene Rücksichtslosigkeit“666 einzugestehen. Ein Streit zwischen Ludwig und Peter Joseph Stollwerck entzündete sich 1896 ebenso zunächst an „geschäftliche[n] Fehler[n]“, mündete dann aber in ein tiefgreifendes Zerwürfnis über schlechte Charaktereigenschaften des jeweils anderen. Ludwig warf dem Bruder vor „unwillig & eigensinnig“ zu sein und sich keine Mühe zu geben, Fehler vorurteilsfrei zu prüfen – also genau die Charaktereigenschaften, die Peter Joseph an seinem ältesten Bruder so bitterlich beklagt hatte. Er wiederum beschuldigte Ludwig, „mit Vorbedacht und Absicht“ die übrigen Brüder gegen ihn „aufgehetzt & eingenommen“ zu haben. Ludwig Stollwerck fühlte sich durch die Vorwürfe seines Bruders so gekränkt, dass er – in der ersten Wut – beschloss, „bis auf Weiteres nie mehr ein Fuss in sein Heim zu setzen – auch den Verkehr mit ihm auf den geschäftlichen zu beschränken“667. Ähnliche Vorwürfe dominierten auch eine immer wieder aufkeimende Dissonanz zwischen Ludwig und Carl Stollwerck. In für ihn ungewohnt heftiger Rhetorik forderte Ludwig seinen jüngsten Bruder 1910 auf, seinen Anspruch aufzugeben, „stets allein dominiren zu wollen“. Er habe „stets alle Hochachtung vor fast allen […] Grundsätzen“ Carls gehabt, schätze seine Arbeitskraft, sein gesundes Urteilsvermögen, sein Organisationstalent und seine „vortrefflichen Herzenseigenschaften“. Die Schärfe und Kompromisslosigkeit seiner Standpunkte sowie die 663 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 25. Juli 1881, RWWA 208874-7. 664 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 21. August 1881, RWWA 208874-7. 665 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 25. Juli 1881, RWWA 208874-7. Bei diesen Äußerungen ist zu beachten, dass sie nicht objektiv, sondern durch persönliche Kränkungen und Enttäuschungen einerseits sowie die Verklärung des jeweils eigenen Verhaltens andererseits verzerrt sind. 666 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I), 1873/74, RWWA 208-875-1. 667 Die letzten Zitate aus Notizen Ludwig Stollwercks über eine Auseinandersetzung mit Peter Joseph Stollwerck, 1896, RWWA 208-218-5.
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Eigenschaft des Bruders, nachtragend zu sein und nicht vergessen zu können, beeinträchtige jedoch seine „Freude am Leben“668 so stark, dass er nicht mehr stillhalten könne und Carl vor Augen führen müsse, wie sehr seine Geschwister darunter leiden würden. Die Reaktion Carls auf den Brief seines älteren Bruders zeigt freilich das – auch bei anderen Dissonanzen immer erkennbare – Bestreben, Auseinandersetzungen schnellstmöglich zu entschärfen und den Familienfrieden wiederherzustellen. So ging er auf Ludwigs Kritik nicht näher ein, sondern verwies lediglich darauf, dass er „durch bittere Enttäuschungen hart […] aber auch um so pflichterfüllter geworden“ sei. Er zeigte sich zuversichtlich, dass seine Brüder ihm „mit Rücksicht auf das gr. Familiengeschäfte später nur dankbar“ sein würden. Auch über den harten Vorwurf „stets allein dominiren“ zu wollen, ging er weitgehend hinweg; er bezeichnete ihn lediglich als „neu“ und war sich sicher, dass der Bruder selbigen „nach ruhigem Nachdenken nicht aufrechterhalten“669 werde. Neben der denkbaren Einsicht, dass Ludwig mit seiner Kritik nicht ganz falsch lag, wird vor allem die geschwisterliche Wertschätzung dazu beigetragen haben, dass Carl die entstandenen Wogen rasch wieder glätten wollte. Auch Peter Joseph appellierte 1881 an Albert Nikolaus (I), die ständigen und zermürbenden Diskussionen zu beenden, da man doch wahrlich wichtigeres zu tun habe, als sich „gegenseitig das Leben zu verbittern“670. Die gemeinsame Sinnkonstruktion von Familie, d. h. die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft und dem gemeinsam fortgeführten Lebenswerk des Vaters diente also immer wieder dazu, Spannungen zwischen den Brüdern abzubauen – die Familienraison fungierte gleichsam als harmonisierende und handlungsleitende Maxime. Mehrere Briefe lassen erkennen, dass zwischen den Brüdern trotz der zahlreichen Meinungsverschiedenheiten nie ein dauerhafter Bruch entstand. Problematisch und in ihren Auswirkungen für die Unternehmernachfolge weitaus dramatischer entwickelten sich die Diskussionen der Gebrüder Stollwerck über die Ausbildung und berufliche Zukunft ihrer Söhne im Familienunternehmen. Zahlreiche Konflikte erwuchsen daraus, dass die Brüder die Leistungsfähigkeit und den Charakter ihrer Söhne und Neffen unterschiedlich einschätzten. Ludwig Stollwerck setzte auch im intergenerationellen Dialog auf Vermittlung, Ausgleich, Verständnis und Vernunft und schwor seine Söhne und Neffen auf die Erwartungshaltung der Familie, Status und Vermögen zu wahren, das bürgerliche Arbeits- und Leistungsethos sowie die Anforderungen und Verpflichtungen des Familienunternehmens ein. In seinen Briefen findet sich – abgesehen von dem tiefen Zerwürfnis mit Albert Nikolaus (II) – kaum ein böses Wort über seine Söhne und Neffen, kein offener Zweifel an ihrer Eignung, das Familienunternehmen weiterzuführen.671 Erkannte er einen Mangel an Fleiß, Disziplin, Ehrgeiz und 668 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 11./12. Juni 1910, RWWA 208-162-5. 669 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 24. Juni 1910, RWWA 208-162-5. 670 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 13. August 1881, RWWA 208874-7. 671 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Durchhaltevermögen, reagierte er weder mit Zurechtweisung noch mit Kritik; vielmehr erinnerte er sich an Situationen, die auch für ihn schwierig waren, die er aber mit Blick auf das gemeinsame Ziel – der Familie das Unternehmen in Eigentum und Leitung zu erhalten – gemeistert hatte. Häufig flocht er solche Erinnerungen in Briefe an seine Söhne und Neffen ein, um sie zu ermuntern. Als Heinrich Victor 1913 seine Pflichten in der amerikanischen Zweigfabrik ruhen lassen wollte, um an einer Familienfeier in Köln teilzunehmen und eine Unstimmigkeit mit dem Vater persönlich zu bereinigen, schrieb ihm sein Onkel: „Deinen Vorschlag, jetzt schon nach hier zu kommen, finde ich sehr übereilt und kann es sogar nicht glauben, dass Du den Vorschlag gemacht hast Frau und Kinder mitzubringen. Möchtest Du nicht auch einmal der Tatsache eingedenk sein, dass Dir jetzt ein auszufüllender Posten übertragen ist und Du doch in der Haupt-Saison denselben doch nicht mir nichts dir nichts verlassen darfst. Familienfeste sind ja das Schönste was man an Festlichkeiten hienieden haben kann, aber trotzdem bedarf das Geschäft, von dessen Erfolg ein frohes Familienleben abhängt, doch die erste Aufmerksamkeit. Ich erinnere mich, dass ich als junger Mann bei der Feier meiner geheimen Verlobung, wo die ganze Familie versammelt war, plötzlich um 8 Uhr aufbrechen musste, um mit dem Nachtzuge nach Breslau zu reisen, wo die Defraudation des Geschäftsführers vorlag. Das tat ich gern, da mich die Pflicht rief und so musst Du auch gern an Deine Pflicht denken, die Du doch gern erfüllen wirst.“672
Innerhalb der Familie stieß diese empathische, dialogisch-vermittelnde Art Ludwig Stollwercks auf starke Kritik. Carl Stollwerck sah den Willen des Bruders, um jeden Preis nach innerfamiliärem Frieden zu streben, als Hindernis an, um unternehmerisch rationale Entscheidungen zu treffen. Er setzte nachdrücklich darauf, die Söhne und Neffen in eine „stramme Schule“ zu nehmen, „ohne zu viel Rück- und Nachsichten“673 walten zu lassen – seine Strategie war also weniger durch Dialog als vielmehr dadurch bestimmt, Leistung, Fleiß und Loyalität zu betonen. Krankheiten als Familienkrisen Neben diesen „verschuldeten“ charakterisierten – in Gestalt von Krankheiten, Sterben und Tod – auch „unverschuldete“ Krisen das Stollwerck’sche Familienleben. Abgesehen von harmlosen Erkrankungen wie Grippe, Erkältung etc., die freilich auch Thema der alltäglichen Korrespondenz waren, hatten mehrere Familienmitglieder im untersuchten Zeitraum mit schweren chronischen und akuten Krankheiten zu kämpfen. Zwar ging die Mortalitätsrate in der Bevölkerung seit den 1870er Jahren merklich zurück und die Prävention sowie die medizinischen Heilungsmethoden verbesserten sich sukzessive, doch verliefen nach wie vor viele Erkrankungen, vor allem im Kindes- und jungen Erwachsenenalter, tödlich. Ludwig und Maria Stollwerck verloren in den 1880er Jahren sowohl ihren Erstgeborenen Paul als auch ihren vierten Sohn Karl; beide starben als Kleinkinder an 672 Ludwig Stollwerck an Heinrich Victor Stollwerck am 2. September 1913, RWWA 208-59-2. 673 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 24. Mai 1910, RWWA 208-71-3.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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Keuchhusten. Zwar lag die Quote in wohlhabenden Familien deutlich niedriger, doch bildete die Säuglingssterblichkeit auch im Bürgertum eine hohe und nicht zu kalkulierende Gefahr.674 Neben den Eltern betrauerten auch die Geschwister den Tod ihrer Brüder und hielten die Erinnerung an die „seligen“675 Spielgefährten wach, die zu einem wiederkehrenden Element der Familienerinnerung wurden. Die Familie Stollwerck trauerte um verstorbene Kinder freilich nicht nur im Privaten, sondern machte ihren Verlust auch öffentlich. War es zu Beginn des Untersuchungszeitraums eher ungebräuchlich, den Tod eines Kindes außerhalb des Familienverbands zu thematisieren, wurde es seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend üblich, der Trauer um ein Kind durch schwarze Kleidung, ein feierliches Begräbnis und repräsentatives Grab, das dem eines Erwachsenen in nichts nachstand, Ausdruck zu verleihen. Auch die Bekanntmachungen des Todes verloren ihren knappen und anzeigenden Charakter, wurden ausführlicher und emotionaler.676 So hieß es in der Traueranzeige für die 1866 verstorbene Catharina Stollwerck. „Die Verschiedene […] erreichte das Alter von 18 ½ Jahren, von denen sie fast volle 4 Jahre auf dem Krankenbette zubrachte, und erlag in Folge eines höchst schmerzhaften chronischen Uebels. In ihren heftigen Leiden, die sie mit christlicher Ergebenheit und Geduld ertrug, suchte und fand sie ihren Trost im Herrn […]. In tiefem Schmerze trauern an ihrem Sarge die Eltern, 5 Brüder, 2 Schwestern und 1 Schwägerin.“677
Carl und Fanny Stollwerck betrauerten den Tod ihrer Adoptivtochter Carlita 1911 mit den Worten: „Nach Gottes unerforschlichem Ratschlusse ist unser herziggutes Töchterchen und Schwesterchen Carlita nach langem, schwerem, mit wahrer Engelsgeduld ertragenem Leiden heimgegangen.“678 Bei ihrer Beisetzung in Köln wurde Carlita wie eine Prinzessin aufgebahrt (siehe Abb. 51 und 52) und schließlich 1927 in das eigens für sie errichtete Mausoleum im bayerischen Feldkirchen überführt.679 Nicht nur Kinder, sondern auch mehrere erwachsene Mitglieder der Familie Stollwerck kämpften über Jahre hinweg mit chronischen Krankheiten, die das Familienleben teilweise erheblich beeinträchtigten. Franz Stollwercks (II) Ehefrau erlag 1909 einer nicht näher beschriebenen Krankheit, an der sie „lange Jahre gelitten“680 hatte. Albert Nikolaus Stollwerck (I) erkrankte an Tabes dorsualis (Rückenmarksschwindsucht), die im Rahmen einer Syphilis als quartäres Stadium
674 Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 2, 8. Keuchhusten war eine verbreitete Kinderkrankheit. Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 376; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 54, 108 f. Siehe auch Kapitel III.A.2. 675 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 15. Siehe auch Weber-Kellermann: Die helle und die dunkle Schwelle, S. 57–92. 676 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 109. 677 Todesanzeige für Catharina Stollwerck, 1866, RWWA 208-875-1. 678 Hoeschler: Stollwerck-Mausoleum Hohenfried, S. 32. 679 Siehe ausführlich Kapitel III.C.1. 680 Carl Stollwerck an seine Brüder am 27. September 1909, RWWA 208-394-7.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
vier bis 30 Jahre nach Erstinfektion auftritt.681 Auch seine Ehefrau Maria Theresia litt an einer schweren Krankheit, die sie bereits über ein Jahr vor ihrem Tod ans Bett fesselte und ihren Zustand als „bedenklich“682 erscheinen ließ. Dass es sich wie bei ihrem Mann um Syphilis handelte, ist denkbar, lässt sich allerdings anhand des erhaltenen Materials ebenso wenig belegen wie die Frage, wann und bei wem sich Albert Nikolaus Stollwerck (I) angesteckt hat. Maria Theresia starb 1882 im Alter von 39 Jahren, ihr Ehemann Albert Nikolaus (I) 42jährig ein halbes Jahr später, jedoch nicht unmittelbar an seiner Erkrankung, sondern – so die offizielle Mitteilung seiner Brüder – „an den Folgen eines auf dem Wege nach Jerusalem, kurz vor dem Ziele durch Sturz mit dem Wagen erlittenen Beinbruches“683. Zwar waren Geschlechtskrankheiten im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert weit verbreitet, doch wurden sie ebenso wie finanzielle Engpässe, familiäre Konflikte und „unbürgerliches“ Verhalten möglichst nur innerhalb der Familie thematisiert – nonkonformes Verhalten wurde soweit möglich verschwiegen, um das Erscheinungsbild einer makellosen, unangreifbaren und ehrbaren Bürgerfamilie aufrecht zu erhalten und den „guten Namen“ der Familie und – im wirtschaftsbürgerlichen Milieu – des Unternehmens nicht zu verlieren.684 Die Pflege von Maria Theresia Stollwerck übernahmen daher auch ausschließlich Familienangehörige. Da Albert Nikolaus Stollwerck (I) sich aus nicht bekannten Gründen nicht selbst um seine Frau kümmerte, verbrachte vor allem Heinrich „möglichst jede Nacht“685 bei seiner Schwägerin, um deren Pflegemutter zu entlasten. Offen angesprochen wurde die Erkrankung von Albert Nikolaus (I) erst zu dem Zeitpunkt, als er sich nach dem Tod seiner Frau wiederverheiraten wollte,686 seine zukünftige Gattin und deren Familie allerdings nicht in vollem Umfang über 681 Siehe Peter Joseph und Heinrich Stollwerck an den Kaiserlichen Konsul Herrn Dr. Reiz in Jerusalem am 12. April 1883, RWWA 208-875-1; Heinrich Stollwerck an Johann Letzel am 12. April 1883, RWWA 208-875-1. Auch in der Familie Scheidt erkrankte ein männliches Familienmitglied Ende des 19. Jahrhunderts an Syphilis und verschwieg die Krankheit. Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 400–403. 682 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 28. August 1881, RWWA 208874-7. 683 Mitteilung der Gebrüder Stollwerck zum Tod ihres Bruders Albert Nikolaus Stollwerck (I) vom Mai 1883, RWWA 208-272-10. Der behandelnde Arzt äußerte gegenüber der Braut von Albert Nikolaus (I), Anna Letzel, dass „sein altes Leiden […] gewiß viel dazu beigetragen“ habe, dass Albert Nikolaus (I) an den Folgen des Unfalls gestorben sei. Dr. Landreczki an Anna Letzel am 18. April 1883, RWWA 208-875-1. 684 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 97–111. Siehe auch Kapitel III.A.2. 685 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 28. August 1881, RWWA 208874-7. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 31. August 1881, RWWA 208-874-7. Unabhängig von dem Bestreben, die Erkrankung geheim zu halten, bestanden im ausgehenden 19. Jahrhundert erst wenige Einrichtungen, die die Pflegefunktion hätten übernehmen können. 686 Generell wurden verwitwete Männer früh dazu ermuntert, sich erneut zu verheiraten – zumeist mit der Begründung, den verwaisten Kindern eine neue Mutter zu geben. Frauen hingegen hatten in der Regel eine Trauerzeit von zwei Jahren einzuhalten. Hatten die Männer aber ein gewisses Alter überschritten, erwartete man auch von ihnen keine erneute Eheschließung. Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 107 f.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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seinen Gesundheitszustand aufgeklärt hatte.687 Seine Brüder fürchteten einen Skandal, sollten die Krankheit von Albert Nikolaus (I) und sein unverantwortlicher Umgang damit öffentlich werden. Da die Erkrankung an Tabes dorsualis nach landrechtlichen Bestimmungen eine Eheschließung verbot, traten seine Brüder „aus der seither beobachteten Reserve“688 heraus und informierten die Braut sowie ihren Vater über die Erkrankung von Albert Nikolaus (I) – „zur Wahrung der Ehre der Familie“689. Als sie von dem Arzt, der ihren Bruder auf einer Reise nach Jerusalem begleitete, unterrichtet wurden, dass Albert Nikolaus (I) sich dort fern der Heimat heimlich verheiraten wolle, wandten sie sich ferner direkt an den dortigen kaiserlichen Konsul, der die Trauung vollziehen sollte, um ihn davon abzuhalten, „zur Ausführung eines solchen überstürzten und für unseren Bruder unheilvollen Beginnens“690 beizutragen. Die Formulierung lässt darauf schließen, wie ungern die Gebrüder Stollwerck diese Angelegenheit gegenüber Außenstehenden zur Sprache brachten und wie sie konsequent nur die nötigsten Informationen preisgaben, faktische und emotionale Details vermieden. Durch den Tod von Albert Nikolaus (I) erledigte sich die Frage der Eheschließung schließlich von selbst. Es erstaunt, dass der Leichnam des verstorbenen Bruders nicht nach Köln überführt, sondern in Jerusalem beigesetzt wurde.691 Religiöse Motive lassen sich anhand der Quellen nicht nachweisen; vielmehr sind praktische Erwägungen wahrscheinlich, da ein Leichentransport über eine so lange Strecke mit erheblichem Aufwand verbunden gewesen wäre. Vor allem aber ermöglichte es die Beisetzung im weit entfernten Jerusalem den Gebrüdern Stollwerck, aus dem Tod des Bruders weitgehend ein Nicht-Thema zu machen, das Geheimnis seiner Erkrankung zu wahren und damit den guten Ruf der Familie zu schützen. Ebenso zurückhaltend ging man mit den psychischen Leiden mehrerer Familienmitglieder um, die zeitweise Anlass zur erheblichen Sorge gaben. Im Unterschied zum 18. Jahrhundert, als man physisch wie psychisch unheilbar und chronisch Kranke, Pflegebedürftige und die so genannten „Irren“ gemeinsam mit Bettlern, Prostituierten, Verbrechern etc. in Zuchthäusern unterbrachte, setzte in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ein Umdenken ein. Es wurde nicht 687 Siehe Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 3. April 1883, RWWA 208-875-1. 688 Heinrich Stollwerck an Johann Letzel am 12. April 1883, RWWA 208-875-1. Siehe auch Peter Joseph Stollwerck an Anna Letzel am 26. März 1883, RWWA 208-875-1; Peter Joseph Stollwerck an Johann Letzel am 26. März 1883, RWWA 208-875-1. Siehe auch Hattenhauer (Hg.): Allgemeines Landrecht, S. 353. 689 Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 3. April 1883, RWWA 208875-1. Abgesehen von der Erkrankung Albert Nikolaus Stollwercks (I) billigten seine Brüder die Verbindung zu Anna Letzel auch aus anderen Gründen nicht. Die überlieferte Korrespondenz enthält jedoch nur Andeutungen, aus denen sich die Einwände der Brüder nicht sicher rekonstruieren lassen. Siehe Peter Joseph Stollwerck an Anna Letzel am 4. März 1883, RWWA 208-875-1; Anna Letzel an Peter Joseph Stollwerck am 8. März 1883, RWWA 208875-1. 690 Peter Joseph und Heinrich Stollwerck an den Kaiserlichen Konsul Herrn Dr. Reiz in Jerusalem am 12. April 1883, RWWA 208-875-1. 691 Siehe Dr. Landreczki an Anna Letzel am 18. April 1883, RWWA 208-875-1.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
mehr das Gefährliche psychischer Erkrankungen in den Vordergrund gerückt, sondern das Hauptaugenmerk lag nun darauf, Unheilbare zu pflegen und Verhaltensauffällige – verstanden als Abweichung von den normativen Erwartungen und Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft – zu „heilen“. Spezielle Sanatorien und Pflegeanstalten waren der institutionelle, medizinische Konzepte zu psychischen Erkrankungen der wissenschaftliche Ausdruck dieser Entwicklung.692 Diese Reformen bedeuten freilich nicht, dass betroffene Familien mit dem „Anderssein“ ihrer Angehörigen offen umgingen. Es entsprach dem bürgerlichen Streben, nach außen das Bild einer harmonischen und gesunden, d. h. einer den Verhaltensnormen entsprechenden Familie zu präsentieren, dass psychisch kranke Familienmitglieder bzw. ihr Leiden soweit möglich vor der Öffentlichkeit verborgen wurden. Neben Ludwig Stollwercks Ehefrau Maria litten auch sein Sohn Paul sowie sein Neffe Walter an immer wiederkehrenden Depressionen, verschiedenen Krankheiten und nachlassender Vitalität. Der zeitliche Ursprung, die Ursache und genaue Bezeichnung der Erkrankungen lassen sich anhand des erhaltenen Materials zwar nicht mehr rekonstruieren, doch erlauben die Quellen zumindest vereinzelte Rückschlüsse. Bereits zu Beginn der 1890er Jahre hielt die Erzieherin der Familie Ludwig Stollwerck fest, dass Maria „leider in letzter Zeit immer etwas leidend“693 war und sich mit ihren Kindern häufig in das Landhaus in der Eifel zurückgezogen hatte, um sich zu erholen. In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts finden sich dann in der privaten Korrespondenz in immer kürzeren Abständen Hinweise auf Depressionen, Arztbesuche, Kur- und Sanatoriumsaufenthalte – der Gemütszustand von Maria Stollwerck schwankte beständig zwischen Phasen tiefer Niedergeschlagenheit und extremer Lebhaftigkeit.694 1915 berichtete Ludwig Stollwerck seiner Schwägerin Agnes: „Maria geht es immer noch nicht ganz gut. Nach der schweren Depression ist sie jetzt etwas sehr lebhaft und beabsichtigt zur Nachkur […] nach Spiez für einige Wochen zu gehen.“695 In der Zeit, die Maria zu Hause verbrachte, wurde sie von einer Ordensschwester betreut. Auch bei Walter Stollwerck erkannte die Familie bereits mit Ende zwanzig eine „nervöse Anlage in seiner Gesundheit, […] das richtige Bild einer Depression, einer Gemütsverstimmung“. Wie seine Tante wurde Walter von der Familie in ein Sanatorium geschickt, wo er unter ständiger ärztlicher Aufsicht stand. Die Erfahrung mit Maria Stollwerck hatte die Familie gelehrt, „dass solche Krankheiten schlimmer werden, wenn nicht rechtzeitig etwas zur Stärkung der Nerven ge-
692 Siehe Walter: Psychiatrie und Gesellschaft, S. 39–49; Dörner: Bürger und Irre, S. 20–23, S. 185–306; Kaufmann: Aufklärung. 693 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 53. 694 Siehe Gustav Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 20. Juni 1907, RWWA 20855-2; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 6. September 1909, RWWA 208-394-7; Carl Stollwerck an seine Brüder am 27. September 1909, RWWA 208-394-7. 695 Ludwig Stollwerck an Agnes Stollwerck am 9. September 1915, RWWA 208-40-1. Siehe auch Carl Stollwerck an seine Brüder am 27. September 1909, RWWA 208-394-7.
III.B Das Innenleben der Bürgerfamilie
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tan wird“696. Die ganze Schwere der depressiven Anlage wollten sich die Angehörigen freilich nicht eingestehen; so betonte sein älterer Bruder Gustav, Walter sei „in jeder Weise vollständig normal“, bedürfe nur „einer gründlichen Erholung“697. Bei dieser Erholung spielte der Familienverband eine wichtige Rolle: Schwache bzw. nicht voll leistungsfähige Familienmitglieder wurden – sofern sie gewillt waren, sich in den Dienst des Familienunternehmens zu stellen – nicht fallengelassen, sondern integriert, die Angehörigen nahmen „Sorge und Anteil“698 an der Erkrankung. Walter beispielsweise erhielt nach seiner Rückkehr aus der Heilanstalt einen leitenden Posten in der amerikanischen Zweigfabrik des Familienunternehmens. Diese Tätigkeit brachte ihm zwar zunächst den erhofften „inneren Frieden“, nach dem er „lange gesucht“699 hatte, doch verhinderte sie nicht, dass er sich in den folgenden Jahrzehnten immer wieder in psychologische Behandlung begeben musste.700 Walters jüngerer Vetter Paul war schon als Kleinkind häufig krank und zeigte bereits im Alter von 24 Jahren Anzeichen psychischer Probleme. Die Frage, ob man hier im Hinblick auf die Erkrankung seiner Mutter von einer genetischen Anlage ausgehen kann oder – so die sicherlich nicht wertfreie Einschätzung seines Vaters – die Familienstreitigkeiten um seinen Vetter Albert Nikolaus (II) negative Auswirkungen auf Pauls Gemütszustand hatten,701 ist spekulativer Natur. Gesichert ist, dass Paul während seines Ausbildungsaufenthaltes in Amerika scharfe Auseinandersetzungen zwischen Albert Nikolaus (II) und der Kölner Familie hautnah miterlebte und im zeitlichen Umkreis der Streitigkeiten wiederholt über Antriebslosigkeit und seine sich nur langsam erweiternden Kenntnisse und Fähigkeiten klagte: „Wieder ein resultatloser Tag, ohne ein natürliches Plus an Erfahrung und Kenntniß“702 ließ er im Juli 1908 verlauten; vier Monate später resümierte er seine bisherige Tätigkeit in der amerikanischen Zweigfabrik wie folgt: „Ich sehe meine Möglichkeiten voraus, allerdings im deprimirenden Bewusstsein, noch recht tief in den Kinderschuhen des Erfolgs zu stecken, noch recht wenig Grundlagen zu besitzen, die Stufe für Stufe zu einem endgültigen und dauernd zufriedenstellenden Resultat führen sollen.“703 Ludwig Stollwerck konsultierte in Anbetracht der andauernden Niedergeschlagenheit Pauls rasch einen Arzt, der eine „Depression seines Gemüthes“704 diagnostizierte. Wie bei Maria und Walter 696 Die letzten beiden Zitate aus Gustav Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 20. Juni 1907, RWWA 208-55-2. 697 Gustav Stollwerck an Agnes Stollwerck am 17. August 1907, RWWA 208-55-2. 698 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 25. Februar 1908, RWWA 208-211-1. 699 Walter Stollwerck an Carl Stollwerck am 27. Dezember 1910, RWWA 208-163-3. 700 Siehe Walter Stollwerck an Fritz Stollwerck am 9. November 1928, RWWA 208-49-5. 701 Siehe zu dieser Einschätzung Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 8. Juli 1910, RWWA 208-162-6. 702 Paul Stollwerck an Theodor Herx am 6. Juli 1908, RWWA 208-302-7. Zu den Auseinandersetzungen mit Albert Nikolaus Stollwerck (II) siehe ausführlich Kapitel IV.A.2. 703 Paul Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 18. November 1908, RWWA 208-302-7. 704 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 8. Juli 1910, RWWA 208-162-6. Siehe auch o. A.: Aus der Kinderstube, S. 11 f., 59 ff.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Stollwerck folgten Kur- und Sanatoriumsaufenthalte. Zwar berichtete Paul Stollwerck anschließend von einer „vollständigen Wiederherstellung“705 seiner Gesundheit, doch kann von einer dauerhaften Heilung keine Rede sein. Die Befürchtungen seines Vaters, dass er nach der Rückkehr aus dem warmen Karibikklima einen Rückfall erleiden würde, bestätigten sich. Die Depressionen begleiteten Paul Stollwerck Zeit seines Lebens; 1928 berichtete Fritz, dass es seinem Bruder Paul „sehr sehr schlecht“706 gehe und er seit Monaten in einer Klinik in der Schweiz behandelt werde. III.C DIE BÜRGERFAMILIE IN DER ÖFFENTLICHKEIT III.C.1 „Zu Gottes und unseres Heilandes Ehre in ewiger Dankbarkeit“ – Die Bedeutung von Kirche und Religion Religiosität und Frömmigkeit und das ehrenamtliche Engagement in der Kirchengemeinde spielten für die Familie Stollwerck sowohl in der privaten Lebensführung als auch außerhalb des familiären Rahmens eine wichtige Rolle. Neben dem individuellen Handeln rückt dabei die Frage in den Blick, welche Bedeutung das Wirtschaftsbürgertum generell im 19. und frühen 20. Jahrhundert der Teilnahme am kirchlichen Leben zumaß. Nach den revolutionären Umbrüchen des ausgehenden 18. Jahrhunderts büßten Kirche und Religion als handlungsleitende gesellschaftliche Kategorien an Bedeutung ein. Im Zuge der Säkularisierung verlor die Kirche einen großen Teil ihres Eigentums sowie eine Reihe ihrer Rechte und Zuständigkeiten. Doch auch wenn Kirche und Religion nicht mehr das ganze Leben bestimmten, beeinflussten sie weiterhin wichtige Lebensbereiche, so dass die Forschung heute eher von einer „Teilsäkularisierung religiösen Verhaltens“707 spricht. Denn partiell lässt sich sogar eine Steigerung religiöser Dynamik beobachten: in der zunehmenden konfessionellen Abgrenzung, der Gründung neuer Orden, der Auffächerung des religiösen Vereinswesens, der Betonung individueller Glaubensüberzeugungen708 und in neuen Frömmigkeitsformen.709
705 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 25. Februar 1908, RWWA 208-211-1. 706 Fritz Stollwerck an Walter Stollwerck am 19. Dezember 1928, RWWA 208-49-5. Siehe auch die in RWWA 208-51-3 und 208-49-5 erhaltene Korrespondenz zwischen Fritz Stollwerck und Pauls Ehefrau Ellen. 707 Schieder: Sozialgeschichte der Religion, S. 18. 708 Siehe zur Religionsgeschichte seit dem frühen 19. Jahrhundert Kuhlemann: Bürgertum und Religion; Blaschke/Kuhlemann (Hg.): Religion im Kaiserreich; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 378–399. 709 Auf katholischer Seite wurden vor allem das Wallfahrtswesen und die Heiligenfeste (HerzJesu-Kult, Joseph-Kult etc.) wiederbelebt. Die protestantische Erweckungsbewegung gründete primär auf Missionsfesten und Bibelfreizeiten. Siehe Schieder (Hg.): Volksreligiosität; Nipperdey: Religion im Umbruch, S. 14–21.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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Die Stollwercks – eine (alt-)katholische Familie Im Rheinland überwog während des 19. Jahrhunderts in der Bevölkerung die katholische Konfession.710 In Köln waren 1849 86,2 Prozent der Einwohner katholisch und 12,4 Prozent evangelisch. 1871 zählte die Stadt 84,1 Prozent katholische und 13,4 Prozent evangelische Einwohner. Bis 1910 verloren die Katholiken zwar relativ an Bedeutung, doch waren noch immer 78,4 Prozent der 516.540 Einwohner der Stadt katholisch, 18,6 Prozent gehörten dem Protestantismus an.711 Der Anteil der Katholiken im Kölner Wirtschaftsbürgertum betrug 1879 57 Prozent, bei insgesamt 70 Prozent in den ersten beiden Wählerklassen.712 Unter den bedeutendsten wirtschaftsbürgerlichen Familien der Stadt waren u. a. die Verleger- und Politikerfamilie Bachem, die Fabrikantenfamilie Guilleaume, die Tabakfabrikanten- und Verlegerfamilie Du Mont sowie die Kaufmanns- und Bankiersfamilie Schaaffhausen katholisch. Auch die Familie Stollwerck zählte zur katholischen Majorität in Köln. Bezogen auf das Deutsche Reich gehörte das Bürgertum im 19. und frühen 20. Jahrhundert freilich in seiner großen Mehrheit dem Protestantismus an. Die katholische Konfession war im Bereich der Wirtschaft ein Minderheitenphänomen und vor allem im ländlich-kleinstädtischen Bereich, in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und im Bergbau vertreten; im aufsteigenden tertiären Sektor und in der Verwaltung hatte sie ein vergleichsweise geringes Gewicht.713 Auch in der Unternehmerschaft dominierte die protestantisch-staatskirchliche Ausrichtung. Dolores Augustine ermittelte, dass 60 Prozent der wilhelminischen Wirtschaftselite, deren Konfession bekannt ist, protestantisch waren, nur neun Prozent gehörten der katholischen Kirche an.714 Die Gründe für diese Unterrepräsentation sieht die Forschung zum einen in der „protestantische[n] Prägung der preußischdeutschen Monarchie“, die sich „gegen die katholische Minderheit trotz mancher Angleichung im Grunde bis 1918“715 hielt und ihren sinnfälligen Ausdruck u. a. in der Gründung des Evangelischen Bundes (1886) fand, der die Verbindung von nationalem und protestantischem Gedankengut pflegte und intensivierte. Zum anderen spielten auch die Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Reich 710 Zunkel (Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 29) bezifferte den protestantischen Bevölkerungsanteil in der Rheinprovinz auf 23,7 Prozent, in Westfalen auf 42,89 Prozent. 711 Siehe Becker-Jákli: „Fürchtet Gott, ehret den König“, S. 21. 712 Siehe Mergel: Zwischen Klasse und Konfession, S. 220. 713 Etwa zwei Drittel der Reichsbürger waren Protestanten. Siehe Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 1171. Siehe auch Nipperdey: Religion im Umbruch, S. 38–42. 714 Siehe Augustine: Patricians & Parvenus, S. 32; Nipperdey: Religion im Umbruch, S. 40; Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 165–170. Vor diesem Hintergrund wurden in der Forschung bislang überwiegend der evangelische Glaube der (rheinischen) Unternehmer und die These von Max Weber hervorgehoben, die von einer Wechselwirkung zwischen Protestantismus und unternehmerischem Erfolg ausgeht. Siehe Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 29 f.; Kocka: Unternehmer, S. 36 f.; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866– 1918. Band 1, S. 428–530. 715 Ebenda, S. 450. Siehe auch Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 1171– 1181.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
und der katholischen Kirche um die Neubestimmung des Verhältnisses von traditioneller Kirche und modernem Staat und den kirchlichen Einfluss auf die Gesellschaftspolitik eine wichtige Rolle. Im Rahmen des „Kulturkampfes“ versuchte das protestantisch geprägte Deutsche Reich, namentlich Otto von Bismarck (1815– 1898), das Gewicht der katholischen Kirche auf dem Weg der Gesetzgebung durch eine „mächtige Grundsatzopposition“716 zu minimieren. Dies bestärkte wiederum die katholische Kirche in ihrem Bestreben, den Herausforderungen des Modernisierungsprozesses mit Hilfe von Integralismus und Ultramontanismus zu begegnen und die nationalen Teilkirchen enger an Rom zu binden. Je stärker sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der kapitalistische Produktionsprozess und damit einhergehend Individualität und Liberalismus der bürgerlichen Gesellschaft etablierten, desto lauter wurden auch die Stimmen, die die mit diesem Prozess einhergehenden „sozialen[n] Zerklüftungseffekte“717 anprangerten. Insbesondere das ultramontane, klerikale katholische Milieu kritisierte – mit antimodernem Grundton – die negativen Faktoren der „bürgerlichen Gesellschaft“. Die katholischen Bürger, die häufig auch für liberale Bewegungen und Gesellschaften aktiv waren,718 gerieten unter einen „doppelten Loyalitätsdruck“719, auf den sie unterschiedlich reagierten. Eine Gruppe katholischer Bürger entschied sich für den Liberalismus und gliederte sich in die bürgerliche Gesellschaft ein, ohne dabei dem Katholizismus ganz den Rücken zu kehren; eine andere Fraktion integrierte sich in das katholische Milieu, behielt allerdings wichtige bürgerliche Vorstellungen bei. Darüber hinaus entstanden zwei weitere Gruppen: Während sich die eine ganz dem Liberalismus zuwandte und die katholischen Loyalitätsforderungen und Wertvorstellungen vehement ablehnte, entfernte sich die andere ebenfalls von der katholischen Kirche, verfolgte die Entwicklung aber weitgehend gleichgültig. Manche dieser Bürger hatten nur noch wenig Bezug zur katholischen Kirche, weil sie in das entstehende, primär kleinbürgerliche katholische Milieu nicht mehr integriert worden waren. Hierzu gehörten z. B. ursprünglich katholische Wirtschaftsbürger, die – wie Franz Stollwerck – aus dem Kleinbürgertum stammten, nach 1850 gesellschaftlich aufgestiegen und nicht mehr an ihr ursprüngliches Sozialmilieu gebunden waren.720 Viele Anhänger dieser letzten beiden Gruppen wandten sich von der römisch-katholischen Kirche ab und schlossen sich der alt-katholischen Kirche an. Die alt-katholische Kirche entstand in der ersten Hälfte der 1870er Jahre aus der innerkatholischen Opposition gegen den Jurisdiktionsprimat des Papstes und seine lehramtliche Unfehlbarkeit in Sachen des Glaubens und der Moral.721 Auch 716 717 718 719 720 721
Ebenda, S. 1172. Mergel: Grenzgänger, S. 172. Zur politischen Gesinnung Franz Stollwercks siehe Kapitel III.C.2. Mergel: Grenzgänger S. 173. Siehe ebenda, S. 173–176. Von diesen Punkten abgesehen, entspricht das Bekenntnis der altkatholischen Kirche weitgehend dem katholischen Glauben. Eigene Akzente setzten die altkatholischen Kirchen jedoch bereits im 19. Jahrhundert in Liturgie, Frömmigkeitspraxis und Kirchenordnung: Beispielsweise wurde die Liturgie in der Volkssprache gehalten und die Zölibatsverpflichtung des Kle-
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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Franz Stollwerck wurde altkatholisch722 – ob sich seine Ehefrau ebenfalls dem Alt-Katholizismus anschloss, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Von den Kindern des Paares wandte sich nur der jüngste Sohn Carl723 ebenfalls der altkatholischen Kirche zu, die übrigen Söhne und Töchter blieben römischkatholisch. Die Sezession der Alt-Katholiken war nicht allein Ausdruck des Protestes gegen die ultramontanen Dogmen des Ersten Vatikanischen Konzils (1870), sondern das Ende einer seit etwa 1850 zu verzeichnenden Entwicklung, in deren Verlauf die katholische Kirche die Klerikalisierung vorangetrieben, sich gegen die Individualität und den Liberalismus der bürgerlichen Gesellschaft ausgesprochen, verstärkt vom Protestantismus abgegrenzt und den Gegensatz zwischen Weltkirche und Nationalstaat propagiert hatte. Eine Abspaltung war keineswegs geplant. Die Alt-Katholiken verstanden sich zunächst weiterhin als der katholischen Kirche zugehörig, bestritten ihre Diffamierung als Häretiker und die Legitimität der Exkommunikationen und einstweiligen Amtsenthebungen. Sie bekannten sich innerhalb der katholischen Kirche zu einer provisorischen Gemeinschaft, die weder eine Liberalisierung herbeiführen noch ein Zugeständnis an moderne Auffassungen und säkularisierte und nationale Standpunkte sein, sondern den überlieferten Glauben und die Lebensformen der vorvatikanischen Kirche wieder erwecken wollte. Die Forderung Roms, die neuen Glaubenssätze nicht nur stillschweigend hin-, sondern per Akklamation anzunehmen, und das juristische Regelungsbedürfnis des Staates zwangen die Alt-Katholiken aber, sich schließlich doch als eigene Kirchengemeinschaft aufzufassen.724 Zahlenmäßig war die alt-katholische Bewegung schwach und wurde im Laufe der Zeit zu einer verschwindend kleinen Minorität. Von den vielen Laien, die die Konzilsentscheidung ablehnten, sagten sich nur wenige wirklich von der Gesamtkirche los. Ende der 1870er Jahre gehörten im Reich etwa 70.000 Gläubige den Alt-Katholiken an – vorwiegend im Rheinland, in Westfalen, Baden und Bayern, also Regionen mit hohem katholischen Bevölkerungsanteil. In den 1880er Jahren sank die Zahl stark ab. Der Kölner Alt-Katholizismus z. B. verlor zwischen 1874 und 1908 rund 60 Prozent seiner erwachsenen, selbständigen männlichen Mitglieder.725 Franz Stollwerck befand sich mit seiner Unterstützung der alt-katholischen Bewegung in „guter Gesellschaft“. Das Wirtschaftsbürgertum stellte in Köln zwischen 1874 und 1908 konstant die größte soziale Gruppe innerhalb der 1872 ge-
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rus in Deutschland 1878 aufgehoben. Ein wichtiges Anliegen der altkatholischen Kirche war und ist die Ökumene. Siehe ebenda. Siehe Auflistung der altkatholischen Gemeinde in Köln von 1875/76 über diejenigen Mitglieder, die von der Pfarre St. Peter zur altkatholischen Kirche übertraten. Der heutige Pfarrer der alt-katholischen Gemeinde in Köln, Jürgen Wenge, war so freundlich, mir eine Kopie dieser Liste zu überlassen. Quellen, die Aufschluss über die persönlichen Motive Franz Stollwercks, sich zur alt-katholischen Kirche zu bekennen, sein Kirchenbild und seine religiöse Praxis geben könnten, sind nicht überliefert. Siehe ebenda. Siehe Mergel: Zwischen Klasse und Konfession, S. 284–288. Siehe ebenda, S. 293. 1874 lag die Zahl der erwachsenen, selbständigen Männer der Gemeinde bei 628, 1908 nur noch bei 246.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
gründeten alt-katholischen Gemeinde, die „mit der Zeit eine sehr kleine Gemeinde der industriellen Eliten“726 wurde. Von Beginn an gehörten ihr – folgt man der Eigendarstellung – „Mitglieder der ersten Kreise an, Träger stolzer und bedeutender Namen“727, so der Gummifabrikant Franz Clouth (1838–1910), die Kölnisch-Wasser-Fabrikantenfamilie Farina und der Textilfabrikant Johannes Classen-Kappelmann (1816–1879).728 Gemeinsam war ihnen, wie Mergel überzeugend herausgearbeitet hat, zweierlei: zum einen ein von sozialem Aufstieg geprägter Lebensweg, der sie über das Herkunftsmilieu hinaus mit anderen Denkformen und Wertvorstellungen in Berührung gebracht hatte, zum anderen verband sie der Wille, sich in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren.729 Familiäre Vermittlung von religiösen Werten Wie in deutschen Bürgerfamilien des 19. Jahrhunderts üblich, war die Vermittlung von Glaubensinhalten sowohl in der familiären als auch in der schulischen Erziehung der Kinder und Enkel Franz Stollwercks fest verankert.730 Eine – nach bürgerlichen Maßstäben – gute Erziehung und Ausbildung erschöpfte sich nicht darin, den Kindern die bürgerlichen Werte und Normen zu vermitteln, sondern die Nachfahren sollten auch mit den christlichen Tugenden der Nächstenliebe731 und Frömmigkeit vertraut gemacht werden. Diese Aufgabe kam aufgrund der Nähe zu den Kindern überwiegend der Erzieherin und der Mutter zu. Ludwig Stollwercks Ehefrau Maria wurde zwar als Frau „von tiefer Religiosität und hohem Edelsinn“ beschrieben, deren „reger Geist“ sich vor allem „in dem frommen Verkehr mit Gott“732 entfaltete; allerdings deuten die innerfamilial gepflegten Religionspraktiken kaum auf eine gezielte kirchliche Einbindung der Kinder hin. Vielmehr hatten
726 Ebenda, S. 291. Die Sozialstruktur der alt-katholischen Gemeinde in Bonn wies zwischen 1874 und 1892 eine deutliche Dominanz des Bildungsbürgertums auf, was Mergel (ebenda, S. 289 f.) zu Recht als Hinweis dafür wertete, dass die Sozialstruktur maßgeblich vom örtlichen Milieu und seinen politischen Traditionen abhing. Siehe auch Pursch: Die Alt-Katholische Kirche. 727 Demmel: Die alt-katholische Gemeinde Köln, S. 4. 728 Siehe Mergel: Zwischen Klasse und Konfession, S. 296 f. Aus den alten Industriellenfamilien schloss sich z. B. August Neven DuMont (1832–1896) der alt-katholischen Gemeinde in Köln an. 729 Siehe ebenda, S. 296 ff. Franz Stollwerck machte diese Erfahrung in den Jahren seiner Wanderschaft. Siehe ausführlich Kapitel III.A.1. 730 Siehe allgemein zur religiösen Erziehung der Kinder in katholischen rheinischen Bürgerfamilien im 19. Jahrhundert Mergel: Die subtile Macht der Liebe. Siehe auch Lesczenski: August Thyssen, S. 299. 731 So hatte Ludwig Stollwercks Sohn Paul schon im Kindesalter arme Leute „sehr gerne“, brachte das Almosen am liebsten selbst zur Tür und wählte zu diesem Zwecke immer das größte Stück Brot aus. o. A.: Aus der Kinderstube, S. 6. Siehe auch ebenda, S. 38. 732 O. A.: Ludwig Stollwerck †.
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sie den Charakter von „Traditionssplitter[n]“733, die den Tages- und Wochenablauf der Kinder strukturierten und den Eltern halfen, den bürgerlichen Lebensmaximen wie Ordnung, Leistung, Fleiß, Disziplin und Gehorsam mehr Nachdruck zu verleihen und den elterlichen Patriarchalismus zu stärken. So sollten die Kinder jeden Morgen und Abend gemeinsam vor dem Kreuz in der Kinderstube das Gebet sprechen – ein Anblick, der das Kindermädchen „wirklich erbaut[e]“ – und gingen nicht zu Bett, „ohne nicht vorher auf das Kruzifix deutend, ‚Gute Nacht, lieber Jesus‘ gesagt zu haben“734. Neben den Gebeten lernten die Stollwerck’schen Kinder auch die kirchlichen Gebote. Am Nikolaustag wurde erwartet, dass sie vor der Belohnung mit Süßigkeiten den Eltern das Vater unser, die zehn Gebote und das Glaubensbekenntnis aufsagen konnten.735 Auch in der alltäglichen Kommunikation der Familie Stollwerck spielten der Glaube und das Gebet eine wichtige Rolle. So appellierte Carl an das Gottvertrauen seines Bruders, als Ludwigs Ehefrau 1910 einen schweren depressiven Rückfall erlitt; und Maria Theresia, die Ehefrau von Albert Nikolaus (I), sprach auf dem Krankenbett schon sehr geschwächt „unverständliche Gebete“736. Als Ludwig Stollwercks Sohn Paul im Kindesalter an einer „sehr starke[n] Luftröhrenentzündung“737 erkrankte, erhielt er sogar die letzte Ölung, weil die Ärzte zwischenzeitlich nur noch wenig Hoffnung auf Genesung hatten. Neben der Trostspendung wandte sich die Familie an Gott, um ihm für die Genesung eines nahen Verwandten und eine reiche Kinderschar zu danken. An anderer Stelle wurde die Kraft Gottes angerufen, um der werdenden Mutter eine glückliche Niederkunft zu bescheren,738 und in seinem Testament empfahl Peter Joseph Stollwerck am Schluss seine Lieben „dem Schutze Gottes“739. Gebetet wurde auch in besonderen Krisensituationen, etwa bei Kriegen. So hoffte Ludwig Stollwerck zu Beginn des Ersten Weltkriegs auf Gottes Hilfe, damit „der Herr der Heerscharen Euch alle schützen und Eure Kriegsarbeit siegreich gestalten möge“. Auch Karl Maria, Ludwigs jüngster Sohn, setzte an der Front auf den Beistand Gottes, der dazu beitragen möge, dass er nicht im Kampf falle. Während der langjährigen Streitigkeiten mit Albert Nikolaus (II), dem ältesten Sohn Heinrich Stollwercks, die den Familienverband und das Unternehmen erschütterten, zweifelten die Gebrüder freilich auch manches Mal an der Gerechtigkeit Gottes, der das „teuflische Unrecht“740 733 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 392. Siehe auch Mergel: Zwischen Klasse und Konfession, S. 78 ff. 734 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 68, 53 f. Siehe auch ebenda, S. 6. 735 Siehe ebenda, S. 28. 736 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 28. August 1881, RWWA 208874-7. 737 O. A.: Aus der Kinderstube, S. 59. 738 Siehe z. B. Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 9. März 1910, RWWA 208-71-2; Ludwig Stollwerck an August Schilling am 17. Oktober 1921, RWWA 208-168-2; Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 7. Oktober 1902, RWWA 208-263-4. 739 Siehe die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. 740 Die letzten beiden Zitate aus Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 12. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck; Karl Maria Stollwerck
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zulasse, dass Albert Nikolaus (II) mit seinen Vorstellungen triumphiere. Auch die Auseinandersetzungen mit dem eigenen Vater hatten sie 1871 mit Gott hadern lassen: „Wenn ich wünschen könnte, wäre es dies, daß ‚er‘ seine Greuelthaten schwer büßen müßte, aber seine Frau und Kinder doch verschont blieben und ich meine unser gerechter Gott könnte ‚seine‘ Schlechtigkeit nicht die Kinder büßen lassen – das ist unmöglich – Gott Gott welche Gedanken kommen nicht alle, wenn man die wirklich Lage überdenkt, es ist manchmal zu schrecklich.“741
Zwar distanzierte sich gerade das deutsche Bürgertum im 19. Jahrhundert zunehmend vom religiösen Leben in den Pfarrgemeinden, die kirchlichen Feiern zu Taufe, Hochzeit und Begräbnis behielten aber im Leben der meisten Familien einen hohen Stellenwert. Sie dienten jedoch zunehmend weniger als religiöses Bekenntnis denn als Möglichkeit, sich als familiäre Einheit im festlichen Rahmen zu versammeln und zu präsentieren.742 Wie in anderen wirtschaftsbürgerlichen Familien stachen auch bei den Stollwercks die Feiern zur Beisetzung von Verstorbenen heraus. Das feierliche Begräbnis bekannter Wirtschaftsbürger war Teil des öffentlichen Lebens, die Bekanntmachung der Todesnachricht in der Presse und die Gestaltung der Trauerfeier spiegelten Repräsentationsstreben und Erinnerungskult. Heinrich Stollwerck beispielsweise wurde 1915 zunächst im Salon seiner Villa aufgebahrt, der in eine „Trauerkapelle“ verwandelt worden war. Zur letzten Ruhe geleiteten ihn dann nicht nur die Angehörigen, sondern auch Vertreter kommunaler und staatlicher Behörden, Abordnungen seiner früheren Regimenter mit Fahnen und Kapellen, persönliche und geschäftliche Weggefährten, Kollegen aus Vereinen und Verbänden, Angestellte und Arbeiter aus dem Unternehmen und 500 Sänger des Kölner Männergesangsvereins, der Kölner Liedertafel und des Stollwerck’schen Männerchores Theobromina. Direkt nach dem Tod setzte auch das Gedenken an den Verstorbenen ein: Der Stollwerck’sche Männerchor traf sich jedes Jahr am Todestag Heinrich Stollwercks zum Gesang an der Melaten-Gruft – symbolischer Ausdruck des für ein Familienunternehmen typischen Ideals einer Gemeinschaft von Lebenden und Toten.743 Sein 1922 verstorbener Bruder Ludwig wurde in Nachrufen, die vermutlich von der Familie lanciert wurden, nicht nur als „intelligenter, kluger, weitsichtiger Industrieller“ gerühmt, sondern auch als Mann „edlen Charakters“ und „echt christkatholischer Gesinnung“744. Diese öffentlichkeitswirksame Pflege kirchlicher Rituale und die verklärende Würdigung der Verstorbenen war für das Wirtschaftsbürgertum durchaus typisch; sie wurde zwar zunehmend als „eingebürgerte Sitte“ oder „Gesell-
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an seine Eltern und Geschwister, o. D., Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 2. Juni 1914, RWWA 208-165-3. Peter Joseph Stollwerck an Therese Stollwerck am 14. März 1871, RWWA 208-874-4. Davon zeugen z. B. die Lieder- und Programmhefte der Hochzeiten von Albert Nikolaus (I) und Ludwig Stollwerck. Siehe RWWA 208-272-10 und 208-300-4. Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 62 f. O. A.: Ludwig Stollwerck †.
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schaftsritus“745 begriffen, besaß aber für die Stollwercks zweifellos auch noch Bedeutung als Ausdruck ihres Glaubens und ihrer religiösen Frömmigkeit. Dass die Familie die Teilnahme an Gottesdiensten kaum thematisierte, deutet darauf hin, dass sie die religiöse Besinnung und Einkehr als elementaren Bestandteil ihrer Privatsphäre oder schlicht als Selbstverständlichkeit betrachtete. In einem Brief von der Front berichtete Karl Maria Stollwerck seinen Eltern und Geschwistern zu Beginn des Ersten Weltkriegs, dass er „so oft als möglich in dieser Zeit zum Tische des Herrn“746 gehe. Seine Formulierung lässt auf eine tiefe Religiosität schließen und zeigt, dass der Besuch der Heiligen Messe einer inneren Glaubenshaltung entsprang und im Kontext der Erfahrungen an der Front Trost und Zuflucht bot. Auch das Manuskript „Aus der Kinderstube“ enthält den Hinweis, dass die Familie von Ludwig Stollwerck wöchentlich den Sonntagsgottesdienst besuchte und im Anschluss zusammenblieb, um zu Hause den musikalischen Fortschritten der Söhne am Klavier zu lauschen – der sonntägliche Kirchgang war demnach eine eingespielte Gepflogenheit. Er besaß freilich nicht nur eine religiöse Komponente, sondern hatte auch Bedeutung für das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl.747 Es ist allerdings davon auszugehen, dass es der Rhythmus der Geschäftsreisen den männlichen Familienmitgliedern nicht immer erlaubte, ihren Glaubenspflichten nachzukommen. Ludwig Stollwerck beispielsweise verzichtete wiederholt zugunsten geschäftlicher Termine auf die Teilnahme an kirchlichen und religiösen Festen und offenbarte so einen eher pragmatischen Umgang mit seinem Glauben. 1915 nahm er nicht an der Taufe seines ersten Enkelkindes teil, obwohl er Taufpate von Ilsemarie Beuer war. Zudem nutzte er sein Patengeschenk – 5.000 Mark, die er bei der unternehmenseigenen Sparkasse bis zur Volljährigkeit bzw. Heirat seiner Enkelin anlegte –, um einen unmittelbaren Bezug zwischen dem religiös-lebensbiographischen Ereignis der Taufe und dem Familienunternehmen herzustellen.748 Auch andere Quellen deuten darauf hin, dass sich Ludwig Stollwerck von den üblichen Praktiken katholischer Familien etwas entfernte. Als ihm der Papst für seine Tochter – als Andenken an ihre Rompilgerfahrt – ein Bild des Heiligen Josef zusandte, überwog bei ihm nicht die Freude, sondern die Enttäuschung darüber, dass der Pontifex das Bild nicht persönlich unterzeichnet hatte. Anstelle einer verinnerlichten Frömmigkeit zeigt sich hier eher ein gewisses Interesse an den neuen popularisierten Kultformen der damaligen Zeit, die dem katholischen Milieu als Mittel der Kommunikation, Selbstdarstellung und Identifikation dienten: Wallfahrten, die an Reichweite, Teilnehmerzahl und öffentlicher Bedeutung zunahmen, Papstbilder, romantisierte Mari-
745 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 396, 398. Siehe auch Lesczenski: August Thyssen, S. 300. 746 Karl Maria Stollwerck an seine Eltern und Geschwister, o. D., Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 747 Siehe o. A.: Aus der Kinderstube, S. 52. 748 Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 19. Juli 1915, RWWA 208-46-3. Vergleichbare Beobachtungen machten Soénius (Wirtschaftsbürgertum, S. 625) für die Familie Scheidt und Mergel (Zwischen Klasse und Konfession, S. 77) für das katholische Bürgertum in Köln.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
enverehrung und Herz-Jesu-Kult.749 Eine generelle Vorliebe für religiöse Riten lässt sich für Ludwig Stollwerck indes nicht konstatieren. Zwar entsprang das Rosenkranzgebet für ihn durchaus einer tiefen religiösen Glaubensüberzeugung, doch zeugt seine Kritik an der Kommerzialisierung von Rosenkränzen vor allem vom bürgerlichen Bewusstsein für das Maßvolle: „Ich möchte Sie aber dringend bitten, diesen Gebrauch, Rosenkränze mit einer Einladung zur Unterstützung für den Neubau einer Kirche zu übersenden, fallen zu lassen. Es ist kein Wunder wenn Andersgläubige sich über unsere katholischen Gebräuche aufhalten und selbe ins Lächerliche ziehen, wenn Derartiges geschieht. Man wird unwillkürlich an das 16. Jahrhundert erinnert, wo es hiess: ‚Wenn das Geld im Beutel klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt‘. Macht es nicht auf Andersgläubige den Eindruck, als wenn man die Gnaden, welche der Rosenkranz den gläubigen Katholiken bringt, geradezu gegen ein solches Almosen verkaufen wolle. […] Nehmen Sie mir mein freies Wort nicht übel, aber ich glaube, wenn Sie etwas darüber nachdenken, werden Sie diese Worte nur als im Interesse unseres Glaubens deuten.“750
Generell lässt sich aber erst für die dritte Stollwerck-Generation eine erkennbare Abkehr von den überlieferten religiösen bzw. kirchlichen Gepflogenheiten feststellen. Ein im Vergleich zu den Vorfahren stärker an individuell gestalteter Freizeit orientierter Lebensstil drängte die Religion in den Hintergrund. So verzichteten die Kinder Ludwig Stollwercks bereits sechs Jahre nach seinem Tod darauf, für den Vater am Todestag eine Messe lesen zu lassen.751 Die Bedeutung der Konfession für Freundschaften und Netzwerke Ein wichtiger Aspekt in der bürgerlichen Utopie des 19. Jahrhunderts war Toleranz im Umgang mit den Mitmenschen. In Bezug auf die Religion wurde dieser Wert freilich eher kleingeschrieben; das Verhältnis der verschiedenen Konfessionen war häufig von Gleichgültigkeit, Unverständnis oder Verachtung geprägt.752 Freundschaftskreise waren im 19. Jahrhundert hingegen nicht mehr durchgängig konfessionell einheitlich zusammengesetzt, auch Mischehen wurden zunehmend üblich.753 Franz Stollwerck war genauso wie seine Söhne Albert Nikolaus (I), Heinrich und Ludwig mit einer Katholikin verheiratet. Peter Joseph und Carl Stollwerck hingegen gingen beide Ehen mit vermögenden protestantischen Frauen ein – persönliche Neigungen, aber auch wirtschaftliche Verbindungen und Inte749 Siehe Paul Maria Baumgarten an Ludwig Stollwerck am 14. Mai 1908, RWWA 208-45-3; Ludwig Stollwerck an Paul Maria Baumgarten am 18. Mai 1908, RWWA 208-45-3. Siehe ferner Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 271; Blessing: Reform, Restauration, Rezession, S. 110 f.; Korff: Kulturkampf und Volksfrömmigkeit; Mooser: Katholische Volksreligion. 750 Ludwig Stollwerck an Missionsvikar Michels am 27. Mai 1908, RWWA 208-45-4. 751 Siehe Fritz Stollwerck an Therese Stollwerck am 10. März 1928, RWWA 208-49-5. 752 Siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 381–384. 753 Im katholischen Bayern etwa gingen gut 20 Prozent der katholischen Unternehmer Mischehen ein. Siehe Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 192 f.
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ressen hatten hier einen höheren Stellenwert als konfessionelle Prägungen. Die Vermählung von Peter Joseph und seiner Braut Agnes Heimerdinger erfolgte evangelisch, denn eine konfessionell gemischte Ehe durfte nach kanonischem Recht nur gesegnet werden, wenn beide Ehepartner versprachen, ihre Kinder katholisch zu erziehen, d. h. katholisch taufen zu lassen – die gemeinsamen Kinder des Ehepaares Stollwerck wurden indes evangelisch getauft.754 Carl Stollwerck musste ein solches Versprechen als Mitglied der alt-katholischen Kirche nicht ablegen, da die Alt-Katholiken zum einen „in einem freundnachbarlichen Verhältnisse“755 zum Protestantismus standen, zum anderen Mischehen undogmatischer begegneten als die römisch-katholische Kirche. Zwar schwand bei katholischen Unternehmern im Kaiserreich die Bedeutung der Konfession, da viele von ihnen – so auch die Gebrüder Stollwerck – politisch die Liberalen bevorzugten und damit teilweise in Opposition zur betont katholischen Zentrumspartei standen; innerhalb der Familie wurden Konfessionsunterschiede hingegen durchaus thematisiert. Während Franz Stollwerck dem Protestantismus als Alt-Katholik aufgeschlossen gegenüberstand und die Verbindung zwischen Peter Joseph und seiner Braut Agnes befürwortete, lehnten Albert Nikolaus (I) und seine Schwester Therese die zukünftige Schwägerin aufgrund ihrer Konfession ab. Der Entschluss des Paares, die Kinder evangelisch taufen zu lassen, war schließlich sogar „Hauptveranlassung“ für das angespannte Verhältnis der Stollwerck’schen Frauen sowie wiederkehrende Differenzen zwischen den beiden ältesten Brüdern. Insbesondere Therese sei von diesem Zeitpunkt an „eine ganz andere“756 gewesen und habe ihre Verstimmung auf den Rest der Familie übertragen. Man muss in diesem Zusammenhang aber bedenken, dass sowohl die Hochzeit von Peter Joseph und Agnes 1871 als auch die Taufe des ein Jahr später geborenen Sohnes Gustav in die Hochzeit des Kulturkampfes fielen, der in einigen katholischen Bürgerfamilien die konfessionelle Identität intensivierte.757 Die Kirchenloyalität ging freilich nicht so weit, dass die Mischehe von Peter Joseph zu einer dauerhaften und nach außen erkennbaren Spaltung der Familie geführt hätte – der Familienfriede war das oberste Gebot. Daher übernahmen sowohl Albert Nikolaus (I) als auch Therese Stollwerck 1874 und 1879 – zu einem Zeitpunkt als auch die Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Reich und der katholischen Kir-
754 Siehe die Auszüge aus dem Taufregister der evangelischen Kirchengemeinde Köln, RWWA 208-320-8, RWWA 208-249-5. 1871/72 schlossen in Preußen 6,9 Prozent der Eheschließenden eine Mischehe. Bis 1913 stieg der Anteil im Deutschen Reich auf 8,8, bis 1925 auf 13,8 Prozent – Zeichen der gelockerten Anbindung an die Kirche und der individuelleren Lebensführung. Siehe Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band 1, S. 47. Zur Mischehe und katholischen Kindererziehung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe auch Mergel: Zwischen Klasse und Konfession, S. 82–87. 755 Demmel: Die altkatholische Gemeinde Köln, S. 21. 756 Die letzten beiden Zitate aus Peter Joseph Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 25. Juli 1881, RWWA 208-874-7. Zur religiösen Toleranz im deutschen und englischen Bürgertum siehe Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 381–384. 757 Siehe Nipperdey: Religion im Umbruch, S. 23.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
che abklangen – die Patenschaft für die evangelisch getauften Nichten Helene und Clara.758 Während also Mischehen innerhalb der Familie durchaus auf Kritik und Widerstand stießen, sah man gesellschaftliche und geschäftliche Kontakte mit Angehörigen anderer Konfessionen entspannter. So wurden trotz der Skepsis, die ein Teil der Familie Agnes Stollwerck entgegenbrachte, die geschäftlichen Kontakte mit ihrer Familie intensiviert.759 Die freundschaftlichen und unternehmerischen Beziehungen der Nachfahren Franz Stollwercks ordnen sich, soweit erkennbar, keiner konfessionellen Logik unter; sie verdeutlichen vielmehr die Prämisse, dass Freundschaft und Geschäft einander ergänzen sollten. Zwar war Heinrich Stollwerck mit dem Domkapitular Alexander Schnütgen eng befreundet und sein Bruder Ludwig Stollwerck kam „sehr viel mit dem Klerus zusammen“760, doch ist davon auszugehen, dass die Konfession nur ein Bindeglied, nicht aber den eigentlichen Grundstein für diese Verbindungen bot. Gleiches gilt für die freundschaftlich-unternehmerischen Verbindungen Ludwig Stollwercks zu dem Verleger Franz Xaver Bachem (1857–1936), dem Verlags- und Musikalienhändler Peter Joseph Tonger (1845–1917) und dem Industriellen Theodor Bergmann.761 Insgesamt sind die „Freundes“-Kreise der Gebrüder Stollwerck eher als unverbindlich und überschaubar zu bezeichnen. Die Verbindungen gründeten vor allem auf gemeinsamen Interessen, d. h. dem Kapitaleigentum und der Arbeitgebereigenschaft. Die Erfahrungen als Unternehmer prägten die Verbindungen und wirkten kohäsionsstiftend. Freundschaften erwuchsen demnach weniger aus gemeinsamen Interessen oder Wesensmerkmalen, denn aus geschäftlichen Kontakten und basierten eher auf sachlichem denn auf emotionalem Austausch – Befunde, die nicht erstaunen, gönnten sich doch Eigentümerunternehmer in der Regel wenig Muße und Zeit für Freundschaften.762 Die Familie Stollwerck pflegte auch einzelne Kontakte zu Juden, u. a. zu den Bankiers Louis Hagen und Bernhard Dernburg und zu ihrem Justiziar Emil Schniewind – prägend war hier freilich nicht die gesellschaftliche, sondern die geschäftliche Verbindung. Während sich für die Gebrüder Stollwerck ein tolerantes Verhältnis konstatieren lässt, scheinen in der Generation ihrer Söhne gewisse antisemtische Tendenzen vorhanden gewesen zu sein. Diese Vermutung basiert jedoch weniger auf eindeutigen Quellenaussagen, denn auf der Sympathie für rechtskonservative Parteien und einer Äußerung Franz
758 Siehe die Auszüge aus dem Taufregister der evangelischen Kirchengemeinde Köln, RWWA 208-320-8, RWWA 208-249-5. 759 Siehe Franz Stollwerck an Peter Joseph und Agnes Stollwerck am 12. September 1871, RWWA 208-874-4. 760 Alexander Schnütgen an Ludwig Stollwerck am 29. Dezember 1917, RWWA 208-35-4; Ludwig Stollwerck an Missionsvikar Michels am 27. Mai 1908, RWWA 208-45-4. 761 Siehe zu den Beziehungen Ludwig Stollwercks zu Franz Xaver Bachem und Peter Joseph Tonger Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 302. Zu Theodor Bergmann siehe Echle: Theodor Bergmann. 762 Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Gehlen: Paul Silverberg, S. 130 f.; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 300 ff.
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Stollwercks (II), der den Kontrollverlust über das Familienunternehmen als Ergebnis hinterhältiger jüdischer Machenschaft beschrieb.763 Ehrenamtliches Engagement in der Kirchengemeinde Die außerfamiliale Religionspraxis der Familie war weitgehend durch Zurückhaltung gekennzeichnet; bewusste Kritik an anderen Religionen ist ebenso wenig überliefert wie Einflüsse der Konfession auf die Personalpolitik im Unternehmen oder die Anstellung von Dienstmädchen nachgewiesen werden können. Der unmittelbare Kontakt zu den örtlichen Kirchengemeinden lässt sich nur für Carl und Ludwig Stollwerck aufzeigen. Carl wirkte vor allem als Mäzen der altkatholischen Gemeinde in Köln, der er für die 1906 gebaute Auferstehungskirche die Kanzel stiftete.764 Sein Bruder Ludwig kam nicht nur über Spenden mit kirchlichen Interessen und Institutionen in Berührung, sondern er wurde 1901 auch in den Kirchenvorstand der noch jungen Kölner Pfarrgemeinde St. Paul gewählt – ein Amt, das von vielen Unternehmern als besondere Ehre angesehen wurde.765 In dieser Funktion war er vor allem in die Planungen für den Bau der neuen Pfarrkirche eingebunden – eine Aufgabe, die entsprechende Qualifikation, Erfahrung und Leistung erforderte. Es ist vor diesem Hintergrund durchaus denkbar, dass Ludwig Stollwerck, der durch die zahlreichen Fabriken des Familienunternehmens im In- und Ausland mit der Planung, Finanzierung und Durchführung von Bauprojekten vertraut war, sich nicht selbst für diese Aufgabe bewarb, sondern dass die Pfarrgemeinde gezielt auf ihn zuging. Auf eine durchdachte Auswahl deuten auch die Berufe der übrigen Kirchenvorstandsmitglieder hin, unter denen u. a. ein Ingenieur, ein Restaurateur sowie ein Baumeister und Architekt waren.766 Ludwig Stollwerck interessierte sich insbesondere für den Baustil, die Baufinanzierung und Auftragsvergabe. Eine vom Kölner Erzbischof Hubert Teophil Simar (1835–1902) in Auftrag gegebene und vom Erzdiözesanbaumeister Heinrich Renard (1868–1928) entworfene Skizze im gotischen Stil wollte ihm allerdings „durchaus nicht gefallen“. Er vertrat die Ansicht, dass Köln mit dem gotischen Dom „das wundervollste Gebäude der Welt“ habe und man von kleineren Imitationen absehen solle. Vehement verfocht er die Meinung, man solle beim Bau dieser Kirche „etwas Besonderes leisten“, da die Lage „mitten im prachtvol-
763 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Siehe auch Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 1063–1066; Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band 1, S. 396–413; Ullrich: Die nervöse Grossmacht, S. 383–397. 764 Siehe Demmel: Die altkatholische Gemeinde Köln, S. 4. 765 Die Pfarrei St. Paul war im Zuge der Kölner Stadterweiterung erst im April 1901 gegründet worden. Siehe hierzu Oepen-Domschky: „Der Hochaltar schläft beim Generalvikariat…“. Zu den Kirchenbauplätzen und dem Pfarrsystem in der Kölner Neustadt siehe weiterführend Oepen: Kirchenbauplätze. Siehe auch Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 72. 766 Siehe Oepen-Domschky: „Der Hochaltar schläft beim Generalvikariat…“, S. 126, 136.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
len Kölner Villen-Viertel eine selten glückliche“767 sei. In seine Überlegungen bezog er auch den befreundeten Architekten Bruno Schmitz768 ein. Er bemühte freilich nicht nur seinen kunsthistorischen und architektonischen Sachverstand, sondern versuchte ihn für seinen „Lieblingsgedanken“769 zu gewinnen – den Entwurf für die neue Kirche zu liefern. Der Kölner Erzbischof Antonius Kardinal Fischer (1840–1912) ließ allerdings nur Architekten aus dem Rheinland und Westfalen zum Wettbewerb zu und berief auch nur regionale Fachleute zu Preisrichtern. Zudem genehmigte er nur eine Bausumme in Höhe von 500.000 Mark und koppelte diese Bewilligung an einen gotischen oder romanischen Baustil. Der offizielle Wettbewerb, an dem Bruno Schmitz letztlich nicht teilnahm, wurde 1904 zugunsten des Kölner Architekten Stephan Mattar (1875–1943) entschieden. Ludwig Stollwerck zog sich in der Folge aus den weiteren Planungen zurück – ob er damit seinen Unmut gegenüber der erzbischöflichen Entscheidung bekunden wollte oder andere Gründe eine Rolle spielten, muss unbeantwortet bleiben.770 1906 nutzte er dann jedoch noch einmal seine geschäftlichen Kontakte, um in Kooperation mit dem ebenfalls zur Pfarrgemeinde St. Paul gehörenden Bankier Louis Hagen771 einen Baukredit in Höhe von 500.000 Euro zu beschaffen.772 Ludwig Stollwercks Verdienste um den Kirchenbau brachten ihm vielfache Anerkennung ein. 1909 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kirchenvorstands gewählt und ein Jahr später zum Ritter des Ordens vom heiligen
767 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Bruno Schmitz am 23. Dezember 1901, RWWA 208-304-4. 768 Siehe zu den Verbindungen zwischen Bruno Schmitz und der Familie Stollwerck ausführlich Kapitel III.A.3. 769 Ludwig Stollwerck an Bruno Schmitz am 23. Dezember 1901, RWWA 208-304-4. 770 Oepen-Domschky (Kölner Wirtschaftsbürger, S. 268) führte als möglichen Grund für die Zurückhaltung Ludwig Stollwercks die Tatsache an, dass ein Cousin seiner Frau, Peter Schmitz, Mitinhaber der beauftragten Bauunternehmung Ferdinand Schmitz war. Denkbar ist aber auch eine starke berufliche Inanspruchnahme Ludwig Stollwercks, denn in die Jahre 1904/05 fallen auch die konfliktträchtigen Auseinandersetzungen mit seinem Neffen Albert Nikolaus Stollwerck (II) in den USA. Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.A.2. 771 Louis Hagen, geboren als Louis Heymann Levy entstammte einer jüdischen Bankiersfamilie. Anlässlich seiner Hochzeit mit Anna Emma Hagen (gest. 1929), deren Vater Gottfried Hagen (1829–1900) ein angesehener Kölner Metallhändler und Bleirohrfabrikant war, konvertierte Louis Hagen 1886 zum Katholizismus und nahm 1893 den Familiennamen seiner Frau an. Siehe Kellenbenz: Louis Hagen, S. 140. 772 Siehe Oepen-Domschky: „Der Hochaltar schläft beim Generalvikariat…“, S. 127 f. Louis Hagen und Ludwig Stollwerck verband nicht nur die räumliche Nähe ihrer Wohnsitze, sondern zwischen dem Bankhaus A. Levy, das der Vater von Louis Hagen von 1858 bis 1873 geleitet hatte und dem Louis Hagen seit 1873 angehörte, und dem Unternehmen Stollwerck bestanden auch geschäftliche Kontakte. Franz Stollwerck hatte zur Finanzierung seiner Unternehmung schon in den 1840er Jahren die Verbindung zu Kölner Banken gesucht, darunter zum Bankhaus A. Levy, mit dem die Familie Stollwerck bis zur Jahrhundertwende kontinuierlich zusammenarbeitete. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 519. Ende des 19. Jahrhunderts wurden andere Banken für die Finanzierung der Stollwerck’schen Unternehmung bedeutender. Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.A.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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Grabe ernannt;773 1908 erhielt er zudem eine Audienz beim Papst. Zwar betonte Ludwig Stollwerck, dass sich mit diesem Besuch in Rom ein „Herzenswunsch“ erfülle, doch zeugt das Schreiben weniger von dankbarer Frömmigkeit als vielmehr vom Kalkül des strategisch denkenden Unternehmers, der sein ehrenamtliches Engagement immer auch aus geschäftlicher Perspektive betrachtete. Als Dank für die gewährte Audienz übersandte er dem Papst nicht einfach eine Fotografie der neuen Pfarrkirche St. Paul, sondern nutzte die Gelegenheit, das Lichtbild werbewirksam auf einer Schachtel mit „feineren Fabrikate[n]“774 der Firma Stollwerck anzubringen. Im Kontext der Diskussionen um den Kirchenbau verstand sich Ludwig Stollwerck zwar primär als gläubiges Gemeindemitglied, aber auch als Repräsentant der „Steuerkraft der Gemeinde“. Es ging ihm nicht nur um das selbstlose Engagement für die Kirche, sondern auch um die (bürgerliche) Leitidee, sich als finanzstarkes Gemeindemitglied karitativ zu engagieren – und damit den Erwartungen der Öffentlichkeit zu entsprechen. Einen Brief an Bruno Schmitz, in dem er den Kirchenbau in St. Paul thematisierte, leitete er nicht nur mit dem Satz „Doch jetzt zu etwas Geschäftlichem“ ein, sondern er argumentierte auch ganz als entscheidungsgewohnter liberaler Unternehmer, dass er ein „unangenehmes Gefühl“ habe, wenn der Gemeinde „irgendwie ein Plan von dem erzbischöflichen Stuhl aufoctroyiert würde“. Zugleich gestand er freilich ein, die „üblichen Gepflogenheiten“775 beim Bau einer neuen Kirche nicht zu kennen und offenbarte damit auch, dass das Engagement in einer Kirchengemeinde und der Umgang mit innerkirchlichen Entscheidungsprozessen für ihn neu waren. Familiengräber Im Hinblick auf das eigene Ableben und die Gestaltung ihrer Grabmäler gab sich die Familie Stollwerck wenig zurückhaltend. Wie andere Angehörige der vermögenden Bevölkerungsschichten lehnten sie die Beisetzung in einem schlichten Reihengrab ab. Der kirchenpolitisch gewollte Trend zur einfachen, soziale Unterschiede negierenden Bestattung der Verstorbenen in der Reihenfolge ihres Ablebens, ohne Berücksichtigung ihres gesellschaftlichen Ansehens und ihrer Familienzugehörigkeit entsprach keineswegs dem Wunsch wohlhabender Familien nach standesgemäßer Repräsentation und Demonstration des materiellen Reichtums.776 Wie andere wirtschaftsbürgerliche Familien ließen daher auch die Gebrüder 773 Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 268 f. 774 Die letzten beiden Zitate aus Ludwig Stollwerck an Gaetano Bisletti am 10. April 1908, RWWA 208-45-3. Der Papst ließ Ludwig Stollwerck zum Dank verschiedene Andenken für die neue Kirche übersenden, u. a. eine gestickte Krankenburse. Siehe Paul Maria Baumgarten an Ludwig Stollwerck am 14. Mai 1908, RWWA 208-45-3. 775 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Bruno Schmitz am 23. Dezember 1901, RWWA 208-304-4. 776 Hiervon weichen Lesczenskis (August Thyssen, S. 305) Ergebnisse zu August Thyssen (1842–1926) ab, der sich eine einfache Grabstätte wünschte. Seine Erben hielten freilich ein repräsentatives Grabmal für angebrachter.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Stollwerck Anfang des 20. Jahrhunderts architektonisch aufwendige Familiengräber errichten, die sie für einen langen Zeitraum erwarben und in denen sie die verstorbenen Familienmitglieder beisetzen ließen. Damit zeigt sich auch im Totenkult das traditionsbezogene Selbstverständnis der Familie als Gemeinschaft von Lebenden und Toten. Im Unterschied zum Vorläufer der Familiengräber, dem Erbbegräbnis, das nahezu ausschließlich fürstlichen Kreisen vorbehalten war, konnte seit dem Ende des 18. Jahrhunderts jeder ein solches Familiengrab durch die Zahlung von Geld bzw. Gebühren erwerben. Die Grabmalkunst dieser Familiengräber diente im Unterschied zu Reihengräbern nicht allein dem Zweck, ein Grab zu kennzeichnen, sondern erhob den Anspruch eines Denkmals. Ähnlich wie Ahnengemälde, die Vornamenvererbung und Erzählungen über den Aufstieg der Familie und des Unternehmens boten die Familiengräber eine gute Möglichkeit, den für die Unternehmerfamilie so wichtigen Zusammenhalt der Generationen, die „historische Dauerhaftigkeit“777 zu objektivieren und sowohl über den Tod hinaus als auch für Außenstehende deutlich sichtbar darzustellen. Für die Familie Stollwerck sind drei solcher Familiengräber bekannt: auf dem Kölner Friedhof Melaten die gemeinsame Grabstätte der Familien Peter Joseph und Heinrich Stollwerck und das Grabmal der Familie Ludwig Stollwerck, und das Mausoleum von Carl und Fanny Stollwerck und ihrer Adoptivtochter Carlita im oberbayerischen Feldkirchen. Dass die Stollwercks nicht wie andere großbürgerliche Familien ein gemeinsames Familiengrab erbauen ließen, verwundert nicht, wenn man sich zum einen das enge Verhältnis zwischen den älteren Brüdern, zum anderen den schon zu Lebzeiten der Gebrüder Stollwerck zerfransenden Familienzusammenhalt in Erinnerung ruft. Als erste ließen um 1904 Peter Joseph und Heinrich Stollwerck eine heute nicht mehr erhaltene Grabanlage aus schwarzem Marmor errichten (siehe Abb. 43). Die Pläne stammten von dem Architekten Carl Wilhelm Schleicher (1857– 1938), der auch den ganz ähnlich gehaltenen Grabbau der in der Stahlröhrenindustrie tätigen Unternehmerfamilie Poensgen entwarf, der bis heute auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof steht (siehe Abb. 44).778 In Typologie und Ikonographie 777 Treichel: Erinnerungskult, S. 296. Zu Forschungsarbeiten über bürgerliche Grabstätten siehe Bauer: Von Tod und Bestattung; Treichel: Erinnerungskult; Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 159–168; Rauh-Kühne: Zwischen „verantwortlichem Wirkungskreis“ und „häuslichem Glanz“, S. 244. 778 Siehe Metzmacher: Der Düsseldorfer Nordfriedhof, S. 65 ff. Die Familien Stollwerck und Poensgen waren geschäftlich verbunden. Als die Gebrüder Stollwerck 1895 die Deutsche Automaten Gesellschaft (DAG) gründeten, gehörten u. a. Carl (1838–1921) und Rudolf Poensgen (1826–1895) zu den Kommanditisten. Sie brachten je 50.000 Mark ein. Den Kontakt zur Familie Poensgen hatte deren Verwandter Johann Wilhelm Scheidt (1838–1896) vermittelt. Scheidt selbst hatte Ludwig Stollwerck über seinen Freund August Joly kennengelernt. Er beschrieb ihn als „Persönlichkeit, welche sich durch Unternehmungsgeist und freies aufrichtiges Urteil in geschäftlichen Angelegenheiten auszeichnete“. Ludwig Stollwerck: Gründung der Deutschen Automaten Gesellschaft Stollwerck & Co., o. D., RWWA 208-243-7. Zu August Joly siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 127. Zur Familie Poensgen siehe Wessel: Die Unternehmer der Familie Poensgen; Kelleter: Die Geschichte der Familie Poensgen. Siehe auch Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 591 f.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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verwies das Grabmal der beiden Brüder auf Vorbilder des klassischen Altertums. Diese Imitation antiker Muster war durchaus charakteristisch für großbürgerliche Familiengräber. Die Familie trug so ihren Bildungsstand bzw. ihr Bewusstsein und ihre hohe Wertschätzung für Bildung und die Kunst der Antike nach außen.779 Die Grabanlage verfügte über einen einfachen, symmetrischen Grundriss; den Kern bildete der über ein Stufenpodest zu erreichende Zugang zur Gruft. Er war der Front eines antiken Tempels nachempfunden, auf dessen Fries sich Engelreliefs befanden, die auf der einzigen erhaltenen Fotografie nur undeutlich zu erkennen sind. Auf dem Giebel der Eingangsfront befanden sich zum einen das Familienwappen, zum anderen eine große Engelsfigur mit einer nach unten gerichteten Posaune – Sinnbild für einen Engel des Jüngsten Gerichtes, der die Toten aus dem Schlaf ruft. Rechts und links wurde der Zugang zum Mausoleum von Säulenreihen ionischer Ordnung eingerahmt, die an ihren Enden um 90 Grad nach vorne angewinkelt waren. Vor diesen Kolonnaden befand sich jeweils eine rechteckig eingefasste Rasenfläche. Das auf den Säulen aufliegende Gebälk trug links die Inschrift „Familie Heinr. Stollwerck“, rechts die Inschrift „Familie Pet. Joseph Stollwerck“. Die Namen und Lebensdaten der einzelnen in der Gruft bestatteten Familienmitglieder waren den Blicken der Öffentlichkeit entzogen und lediglich auf Marmorplatten im Inneren der Anlage festgehalten, welche die einzelnen Sargkammern verschlossen.780 Indem die nach außen sichtbare Grabinschrift also lediglich das Familienwappen sowie den Firmen- und Familiennamen bzw. den jeweiligen Familienstamm hervorhob, stand nicht die einzelne Persönlichkeit im Mittelpunkt, sondern die überindividuelle und generationenübergreifende Einheit Familie. Auch die architektonische Komposition der Grabstätte spiegelt diese Grundidee eines Familiengrabs. Die rechts und links verlaufenden Säulenkonstruktionen, im übertragenen Sinne die Familienstämme, trafen an einem Punkt zusammen: der zentralen, prächtigen Pforte zum Mausoleum, die sinnbildlich für die Gesamtfamilie bzw. das Familienunternehmen stand und die Gesamtkonstruktion festigte.
779 Siehe Treichel: Erinnerungskult, S. 297. 780 Diese Information verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Ludolf Stollwerck am 12. März 2009, der die Gruft als Kind mit seinen Eltern besuchte.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Abb. 43: Ursprüngliches Grabmal der Familien Heinrich und Peter Joseph Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof, o. D. (RWWA 208-F289)
Abb. 44: Grabmal der Familie Poensgen auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof, o. D. (Metzmacher: Der Düsseldorfer Nordfriedhof, S. 66)
Im Vergleich mit anderen Grabmälern war die Stollwerck’sche Gruft mit 36 Grabstellen sehr groß.781 Aufgrund ihrer monumentalen Gestaltung war sie zudem weithin sichtbar und lag – auf Repräsentation bedacht – direkt an einem der Hauptwege des Friedhofs. Da solche charakteristischen Grabstätten seit dem 18. Jahrhundert zunehmend entweder im Eingangsbereich oder entlang der zentralen Hauptachsen entstanden, wurden diese Friedhofsareale im Volksmund „Millionenalleen“ oder „Hochmutsalleen“ genannt. Neben der Lage und den skizzierten Ausmaßen der Anlage demonstriert auch die für Bau und Ausstattung aufgewendete Summe den Wunsch, die gesellschaftliche Stellung und den materiellen Reichtum der Familie angemessen zu dokumentieren. Gemäß einer Aufstellung von 1904 beliefen sich die Kosten für das Mausoleum auf mindestens 100.000 Mark.782 Als erstes Familienmitglied wurde 1906 Peter Joseph Stollwerck in der Gruft bestattet; nach Angaben der Familie fanden bis 1944 sieben weitere Familienmitglieder dort ihre letzte Ruhestätte. Die Grabanlage wurde jedoch im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Da sich die Nachfahren die aufwendige Restaurierung ebenso wenig leisten konnten wie den Wiederankauf von 36 Grabstellen, wurden die verstorbenen Mitglieder der Familien Peter Joseph und Heinrich Stollwerck Mitte der 1950er Jahre in einfachere Gräber umgebettet (siehe Abb. 45 und 46).783 781 Das Grab der Unternehmerfamilien Haniel und Oeder umfasst 32 Grabstellen und ist damit eins der größten Grabmale auf dem Düsseldorfer Friedhof. Siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 163. 782 Siehe Wilhelm Schleicher an Peter Joseph Stollwerck am 26. Oktober 1904, RWWA 208456-6 sowie die Kostenaufstellungen in der gleichen Akte. 783 Diese Informationen verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Ludolf Stollwerck am 12. März 2009.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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Während die Nachfahren von Peter Joseph auf den neuen Grabstein Namen und Lebensdaten der Verstorbenen einmeißeln ließen, die Grabstätte demnach gegenüber der ursprünglichen Anlage personalisierten, hielt die Familie von Heinrich an der Idee eines überindividuellen und historisch dauerhaften Familiengrabs als Stätte der Erinnerung an die soziale Gemeinschaft Familie fest. Mit dem Familienwappen und der Inschrift „Familie Stollwerck“ spiegelt die Grabstätte die ungebrochene Wirkungskraft von Familientradition und -bewusstsein.784
Abb. 45: Heutige Grabstätte der Familie Heinrich Stollwerck auf dem Kölner Melaten-Friedhof (eigene Fotografie)
Abb. 46: Heutiges Reihengrab der Familie Peter Joseph Stollwerck auf dem Kölner Melaten-Friedhof (eigene Fotografie)
Rund ein Jahrzehnt nach Peter Joseph und Heinrich ließ auch Ludwig Stollwerck für seinen Familienstamm ein repräsentatives Grabmal auf dem Kölner MelatenFriedhof errichten (siehe Abb. 47). Im Vergleich mit dem Mausoleum seiner Brüder war dieses Grab freilich deutlich schlichter angelegt. Zwar war beiden Grabstätten die Formensprache des Neoklassizismus gemeinsam, doch ist das – bis heute erhaltene – Grabmal der Familie Ludwig Stollwerck zum einen kleiner, zum anderen verzichtete die Familie auf jegliche Form von Reliefs, Ornamenten und figürlichen Darstellungen. Es überwiegt trotz des erkennbaren Selbstdarstellungsbedürfnisses der bürgerliche Instinkt für das Vertretbare, das Vernünftige. Die Grabanlage wurde von dem Kölner Architekten Carl Moritz (1863–1944) in Form eines kleinen Gartentempels angelegt.785 Wie auf dem Mausoleum der Familienstämme Peter Joseph und Heinrich Stollwerck sind auch auf der Grabstätte der Familie Ludwig Stollwerck keine individuellen Informationen über die Verstorbenen angebracht. Die Anlage symbolisiert die Einheit der Familie. Sie befindet 784 Zur „historische[n] Dauerhaftigkeit“ als Merkmal von Einzel- und Familiengräbern siehe Treichel: Erinnerungskult, S. 296. 785 Siehe Abt/Vomm: Der Kölner Friedhof Melaten, S. 119, 217; Abt/Beines: Melaten, S. 104 f. Baupläne der Gruftanlage der Familie Ludwig Stollwerck waren bis zum Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln am 3. März 2009 dort überliefert.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
sich in einem Seitenweg (Flur 73 A) der „Millionenallee“ (Ost-West-Achse) des Melaten-Friedhofs. Die Zugänge zu der Gruft sind heute vermauert, der Zustand ist ruinös. Sie besitzt nur noch einen historischen Wert als Denkmal, denn wie das Mausoleum seiner Brüder blieb die Gruft nicht die endgültige Ruhestätte von Ludwig Stollwerck und seinen Angehörigen. Die Nachkommen konnten Ende der 1950er Jahre die hohen Kosten für den Unterhalt der Anlage nicht mehr tragen. Die Enkelinnen von Ludwig Stollwerck entschieden sich, ihre Vorfahren in ein schlichteres Reihengrab umzubetten (siehe Abb. 48); das ursprüngliche Grabmal ging in das Eigentum der Stadt Köln über.786
Abb. 47: Ursprüngliches Grabmal der Familie Ludwig Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof (eigene Fotografie)
Abb. 48: Heutige Grabstätte der Familie Ludwig Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof (eigene Fotografie)
Auffallend ist, dass sich außer einem christlichen Grabesengel auf dem Grabmal der beiden älteren Brüder und einem schlichten, in Stein gemeißelten Kreuz als Sinnbild für den Erlösungstod Christi auf der Grabstätte der Familie Ludwig Stollwerck auf beiden Familiengräbern keine christlichen Symbole finden. Entsprechend der vorbildgebenden Antike war die Grabmalkunst verhalten und maßvoll. Der Verzicht auf religiöse Symbole sowie darauf, das Phänomen des Todes zu thematisieren, zeigt aber auch die bürgerliche Hochschätzung der eigenen Leistung und das Bedürfnis nach innerweltlicher Sinnstiftung – Kern dieses Sinnstiftungsprozesses war das Familienunternehmen.787 Wie stark es das Leben der Familie prägte und bestimmte und auch über den Verlust des Familieneinflusses 1932 hinaus mit dem Selbstverständnis der Familie verbunden blieb, zeigt sich ferner darin, dass sowohl die Grabanlage der Familie Ludwig Stollwerck als auch
786 Schriftliche Auskunft von Volker Wendeler (Ehemann von Gisela Maria Wendeler, geb. Nottebrock, einer Urenkelin Ludwig Stollwercks) vom 27. Mai 2010. 787 Siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 165. Insbesondere die katholische Kirche stieß sich an den Darstellungen und Formen dieser Grabanlagen, die auf Allegorien christlicher Glaubensinhalte verzichteten. Siehe Zacher: Düsseldorfer Friedhöfe, S. 97.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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das Grab, in das die Familie Heinrich Stollwerck umgebettet wurde, Reliefs der Kakaobaumblüte zieren (siehe Abb. 49 und 50).788
Abb. 49: Reliefs der Kakaobaumblüte auf einer Tür des ursprünglichen Grabmals der Familie Ludwig Stollwerck (eigene Fotografie)
Abb. 50: Reliefs der Kakaobaumblüte auf dem heutigen Grabmal der Familie Heinrich Stollwerck (eigene Fotografie)
Von diesen Manifestationen eines eher säkularen Denkens unterschied sich das Grabmal, das Carl Stollwerck 1927 in der Nähe seines bayerischen Landsitzes in Feldkirchen erbauen ließ deutlich. Die Grabstätten von Peter Joseph, Heinrich und Ludwig dienten einzig dazu, der „ideelle[n] Evidenthaltung der Verstorbenen“789 über den Tod hinaus auch eine sichtbare Gestalt zu geben. Carl Stollwerck hingegen, der sich im Unterschied zu seinen Brüdern mit dem Übertritt zum AltKatholizismus bewusst für eine Religion entschieden hatte, konzipierte das private Grabmal seines Familienstamms von vornherein auch als Gotteshaus. Auf diese Intention weist zum einen das vergoldete Ornament des Christusmonogramms „IHS“790 auf dem Giebel der kleinen Kirche hin. Das Monogramm erscheint in einem Strahlenkranz, der den von Jesus Christus ausgehenden Glanz symbolisiert. Über und unter dem H des Monogramms sind weitere Attribute zu erkennen: ein Kreuz und drei Nägel als Symbole für die Kreuzigung Jesu. Zum anderen ist über dem Portal deutlich sichtbar ein Zitat des auferstandenen Jesus eingemeißelt, das durch seine goldene Farbe zusätzlich betont wird: „Friede sei mit Euch Luc 24 788 In der standesbewussten Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war es durchaus üblich, auf den Grabmälern auch Standes- und Berufszeichen anzubringen. Siehe Zacher: Düsseldorfer Friedhöfe, S. 108. 789 Bauer: Von Tod und Bestattung, S. 3. 790 Das Christusmonogramm geht auf die Transkription der ersten beiden und des letzten Buchstaben des griechischen Namens Jesu zurück: Iota-Eta-Sigma-Omikron-Ypsilon-Sigma. Das I ist das griechische Iota, das H das Eta und das S das Sigma. Die Form IHS ging in das Wappen des Jesuitenordens ein und wurde verschieden gedeutet: als „Jesus, Erlöser der Menschen“ (lat. „Iesus Hominum Salvator“) und „Jesus, Heiland, Seligmacher“.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
V36“. Ferner hängt im Inneren des bis heute erhaltenen Mausoleums eine Tafel, die die Inschrift trägt: „Erbaut 1927 zu Gottes und unseres Heilandes Ehre in ewiger Dankbarkeit. Karl u. Fanny Therese Stollwerck“. Carl und Fanny Stollwerck statteten das im Volksmund „Schokoladenkirche“ genannte Mausoleum zudem reich mit Zeichen christlicher Glaubenshoffnung aus: einer geschnitzten Kanzel, die mit Tafeln der zehn Gebote und der Taube als Symbol des Heiligen Geistes versehen ist, vergoldeten Altarleuchtern und einer Abendmahlgarnitur, die aus der Werkstatt des Kölner Goldschmieds Gabriel Hermeling stammt, der auch den Stollwerck’schen Familienpokal anfertigte. Ferner ließen sie eine geschnitzte Weihnachtskrippe, eine Bronzestatue von Johannes dem Täufer und zwei Fenster mit der Darstellung der Geburt und Kreuzigung Jesu anfertigen. Das Altarkreuz stammt aus dem Privateigentum des Ehepaares und stand bei der Beisetzung von Carlita Stollwerck 1911 in Köln hinter dem Sarg des Mädchens (siehe Abb. 51 und 52). Über den Sarkophagen ließen Carl und Fanny Stollwerck ein Fresko malen, das den auferstandenen Jesus in Jerusalem zeigt. Als Stütze für die Altarbibel diente eine verzierte Holzkiste mit dem Bild von Carlita und der französischen Inschrift „A ma fille. Comme idéal reve tu m’apparus soudain. Vivant ce que vivent les roses l’espace d’un matin. F. Th. St.“ („Meiner Tochter. Wie ein vollkommener Traum erschienst Du mir plötzlich und durchlebst, was den Rosen im Augenblick eines Morgens widerfährt. F. Th. St.“).
Abb. 51 und 52: Aufbahrung von Carlita Stollwerck 1911 (RWWA 208-F5338, 208-F5342)
Am 27. September 1927 wurde das im neoklassizistischen Stil errichtete Mausoleum eingeweiht. Drei Tage zuvor hatte das Ehepaar Stollwerck seine 1911 verstorbene und in Köln beigesetzte Adoptivtochter Carlita nach Hohenfried überfüh-
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ren und im Rahmen einer privaten Trauerfeier erneut beisetzen lassen. Für Carl Stollwerck war das Mausoleum als letzte Ruhestätte seiner so jung verstorbenen Tochter damit weit stärker als die Kölner Familiengräber ein Ort privaten Schmerzes und intimer Trauer. Ob und wie das Ehepaar selbst das Gotteshaus in seine Alltagspraktiken integrierte, muss offen bleiben. 1932 bzw. 1943 wurden Carl und Fanny Stollwerck ebenfalls in dem Mausoleum beigesetzt. Fanny Stollwerck verfügte zudem, dass die von ihr gegründete „Fanny-Carlita-Stiftung“ eine zuverlässige Persönlichkeit zu bestimmen habe, die die Kirche samt Inventar beaufsichtigen solle.791 III.C.2 „Zu Ehren unseres Vaterlandes“ – Politische Grundüberzeugung und öffentliches Engagement Politische Grundüberzeugung und öffentliches Engagement der Stollwercks lassen sich nicht über konkrete Verbindungen zu politischen Parteien, Verbänden und Vereinen erklären, denn es gehörte nicht zu ihren Angewohnheiten, (partei-) politische Präferenzen offensiv zu vertreten, das soziale und kulturelle Engagement nach außen zu kehren. Vielmehr spiegelt sich das Verhältnis der drei Stollwerck-Generationen zu Gesellschaft, Kultur und Politik in den jeweiligen Parallelen von individueller Biographie und gesamtstaatlicher Entwicklung. Zur politischen Gesinnung Franz Stollwercks So lässt sich die politische Haltung Franz Stollwercks nur vor dem Hintergrund der politischen Erfahrungen verstehen, die die Rheinprovinz seit der Französischen Revolution gemacht hatte. In den Jahren der französischen Besetzung wich in der Bevölkerung das kleinstaatliche und ständische Denken den Freiheits- und Gleichheitsideen der Französischen Revolution. Auch in der Familie Stollwerck lässt sich eine gewisse französische Prägung nachweisen, die sich u. a. darin zeigt, dass Franz Stollwerck seine 1847 eröffnete Kaffeestube „Café Royal“ nannte. Diese Bezeichnung ist weniger als Prägung durch seine Wanderjahre zu verstehen, die ihn auch nach Paris geführt hatten, sondern auf seinen Vater Nicolaus zurückführen, der als Kürassier im Dienste Napoleons (1769–1821) gestanden und sich „als kleiner Mann eine Anhänglichkeit an das französische Regime im Rheinland angewöhnt“792 hatte. Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Kaiserreichs schloss er sich dem 1843 gegründeten Kölner Veteranenverein an. Wie andere Veteranenzusammenschlüsse pflegte der Verein das Andenken an den Kaiser und die gemeinsamen militärischen Erlebnisse sowie das gesellige Beisammensein, ferner unterstützte er kranke und notleidende Vereinsmitglieder und kümmerte sich um eine feierliche Beisetzung der Verstorbenen. Zum „Andenken 791 Siehe Hoeschler: Stollwerck-Mausoleum Hohenfried, S. 35 f. 792 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 1. Siehe ferner Sander: Gedenkbuch, S. 275.
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an die unter den Armeen Napoleons, fern von ihrer Heimath, gefallenen Krieger der Stadt Cöln“793 errichteten die heimgekehrten Kameraden auf dem Kölner Melaten-Friedhof ein Denkmal. Dem Kult um die Person Napoleons dienten ferner eingedeutschte Liedtexte populärer französischer Weisen und bildliche Darstellungen in Form von Portraits und Büsten. Auch Franz Stollwerck stellte in seiner Kaffeestube eine lebensgroße Napoleon-Büste auf. Es liegt nahe, dass es diese Büste war, die ihm den Beinamen „Kamelle-Napoleon“794 einbrachte – zumal auch seine Briefköpfe eine Medaille zierte, auf der das Konterfei des Korsen abgebildet war. Auch seine Söhne konfrontierte er mit seiner Vorliebe für Frankreich: Heinrich besuchte ein Pariser Internat und seinen Sohn Ludwig nannte er „Louis“795. Selbiger unterschrieb auch mit der französischen Abwandlung seines Namens und wurde 1882/83 als „Stollwerck, Louis“ im Kölner Adressbuch geführt; erst als er 1883 offiziell in die Firma aufgenommen wurde, ließ er den Eintrag in „Stollwerck, Ludwig“ ändern.796 War das rheinische Bürgertum nach dem Anschluss an Preußen 1815 politisch weitgehend untätig, nutzte Stollwerck die Gestaltung seiner Kaffeestube und Firmenbriefköpfe, um seine Ablehnung der Politik der Restaurationszeit kundzutun. Ab April 1848 rückte die Identifikation mit Frankreich und Napoleon jedoch in den Hintergrund. Zwar zierte die Napoleon-Büste weiterhin das Kaffeehaus, doch führte Stollwerck sein Geschäft nun unter dem Namen „Deutsches Kaffeehaus“. Ob diese Umbenennung unter dem Eindruck der Aufbruchsstimmung im März 1848 erfolgte und als Ausdruck „gewisser leiser Sympathien für die idealistischen Demokraten jener Zeit“797 zu werten ist, muss allerdings bezweifelt werden. Franz Stollwerck war vielmehr ein versierter Kaufmann, der sich am Zeitgeist orientierte. Zwar bezeichnen mehrere Quellen das Stollwerck’sche Kaffeehaus übereinstimmend als „erste Arena der sogenannten Volksmänner“, als „übliche[n] Versammlungsort der Demokraten“, der „einen weitverbreiteten, eigenthümlichen Ruf“ erlangte und „in ganz Deutschland als demokratischer Treffpunkt bekannt“798 war; und der Kölner Polizeidirektor legte Stollwerck zur Last, dass in seinem Kaffeehaus demokratische Gesellschaftsversammlungen abgehalten worden seien und er eine demokratische Gesinnung pflege. Franz Stollwerck allerdings verteidigte sich pragmatisch mit den Worten: „In jenen Tagen beteiligten sich jedoch alle Stände ohne Unterschied an jenen Versammlungen, und konnte ich daher dem an mich gestellten Begehren, meinen Saal zur Abhaltung der793 Ebenda, S. 267. In Frankreich und Belgien hatten sich bereits in den 1820er Jahren Veteranenvereine gebildet, in Deutschland entstanden die ersten Zusammenschlüsse 1834 in Mainz und Kaiserslautern. Siehe auch Theewen: Rheinische Denkmäler, S. 192 ff. 794 Joest: Stollwerck, S. 13. 795 Privates Haushaltungs- und Empfangsbuch von Franz Stollwerck, 1867 bis 1870, RWWA 208-365-1. 796 Siehe exemplarisch Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 22. Februar 1880, RWWA 208874-7. Siehe ferner Greven’s Adreßbuch für die Jahre 1882 bis 1884. 797 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 11. 798 O. A.: Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater, S. 376. Siehe auch Mettele: Bürgertum in Köln, S. 297; Seyppel: Die Demokratische Gesellschaft, S. 72.
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selben einzuräumen, nicht füglich durch eine Verneinung entgegentreten. Solange diese Versammlungen diesen allgemeinen Charakter behielten, habe ich sie in meinem Lokale geduldet; sobald dieselben aber als demokratische Gesellschaft abgehalten werden sollten, verweigerte ich die fernere Einräumung meines Saales.“799
Zutreffender erscheint daher das Urteil des kommissarischen Kölner Oberbürgermeisters Friedrich Wilhelm Graeff (1803–1885), der im März 1850 über Franz Stollwerck urteilte, dass dieser gar keine politische Gesinnung habe, sondern „mit dem Winde“ fahre, „von woher er ihm zu wehen scheint“800. Er habe sein Café nur umbenannt, um daraus geschäftliche Vorteile zu ziehen. Zweifellos sah Franz Stollwerck – für einen Unternehmer nicht ungewöhnlich – Politik primär unter dem Gesichtspunkt persönlicher materieller Interessen und Ziele. Dass er sich von den demokratischen Versammlungen in seinem Kaffeehaus distanzierte, ist kein Beweis dafür, dass er die Forderungen der „Demokratischen Gesellschaft“ nach Volkssouveränität, allgemeinem und direktem Wahlrecht, Versammlungs-, Presse- und Redefreiheit etc.801 tatsächlich ablehnte. In den Jahren der Reaktion, in denen Sozialisten und Demokraten, soweit sie nicht emigriert waren, polizeilich überwacht und verfolgt, Volks- und Arbeitervereine unterdrückt wurden und insgesamt ein „politische[s] Klima des Druckes und der Konformität“802 herrschte, hätte jedoch ein „demokratisches Geständnis“ das Ende seiner Unternehmungen bedeutet. In der Folge dieser Diskussionen um seine politische Haltung betonte Franz Stollwerck daher stärker die Treue zum preußischen Landesherrn, dessen Hoflieferant er seit 1847 war, und brachte über dem Eingang zum Kaffeehaus das preußische Wappen an.803 Inwiefern er sich gezielt mit verfassungs-, national- und wirtschaftspolitischen Fragen auseinandersetzte, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Sein arbeitszentrierter Alltag und die jahrelange Sorge um das Geschäft und seine Existenz standen freilich einem nachhaltigen politischen Engagement, etwa in kommunalpolitischen Ämtern, entgegen. Politische Grundüberzeugungen der Gebrüder Stollwerck Erst in der Generation seiner Söhne erwuchsen aus dem Interesse an einem florierenden Betrieb auch die Beschäftigung mit politischen Problemen und der Einsatz für die Branche und den nationalen Wirtschaftsraum. 1902 beispielsweise zeigte sich Ludwig Stollwerck „außerordentlich unangenehm berührt“ von dem „augenblicklich unerquickliche[n] Verhältnis zwischen England und Deutschland“804, das sich in Parlamentsdebatten und der Berichterstattung der führenden Zeitungen äußere. Seine Sorge galt vor allem dem englischen Geschäft. Stollwerck war nicht nur Aufsichtsratsmitglied des deutsch-englischen Unternehmens Sunlight Seifen799 800 801 802 803 804
Zitiert nach Heyden: Das Kölner Theaterwesen, S. 184. Zitiert nach ebenda. Siehe hierzu ausführlich Seyppel: Die Demokratische Gesellschaft, S. 77–86. Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 675. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 11. Ludwig Stollwerck an Henry Theodor von Böttinger am 17. Januar 1902, RWWA 208-218-7.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
fabrik GmbH,805 sondern die Familie pflegte intensive Geschäftsverbindungen nach England, die sich bis in die 1850er Jahre zurückverfolgen lassen; 1890 hatten die Gebrüder in London ein Geschäft eröffnet und seit der Jahrhundertwende planten sie, aus zollpolitischen Erwägungen eine Fabrik in der britischen Hauptstadt zu gründen.806 Um diese Pläne und das England-Geschäft insgesamt nicht zu gefährden, wandte sich Ludwig Stollwerck mit der Bitte an den deutschenglischen Unternehmer und nationalliberalen Politiker Henry Theodore von Böttinger (1848–1920), seinen Einfluss zu nutzen, um die deutsch-englischen Beziehungen wieder zu verbessern. Böttinger war Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und hatte als Direktor und späterer Aufsichtsratsvorsitzender der Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co. in Elberfeld wie die Gebrüder Stollwerck an den Export zu denken. Die Expansion ihres Unternehmens erforderte es, dass sie sich grundsätzlich mit den wechselseitigen Einflüssen der Sphären Wirtschaft und Politik und der neuen interventionistischen Rolle des Staates auseinandersetzten. Prinzipiell waren sie dabei vom Nutzen des freien Wettbewerbs überzeugt und setzten sich dafür ein, dass staatliche Regelungen „die Liberalität, die Freiheit nicht gar zu sehr beschneiden dürfen“807. Unabhängig von diesem wirtschafts- und ordnungspolitischen Leitgedanken war ihre Einstellung zum Staat freilich durchaus sachlicher Natur. Sofern sie den eigenen unternehmerischen Interessen entsprachen, begrüßten die Gebrüder Stollwerck staatliche Eingriffe durchaus, z. B. hohe Importzölle für ausländische Kakao- und Schokoladenprodukte. Konstitutives Element der politischen Grundüberzeugung war ferner eine positive Einstellung zum Vaterland, monarchischen Beamtenstaat und preußischen Herrscherhaus.808 Die Gebrüder Stollwerck fühlten sich als Patrioten und übten ihre unternehmerische Tätigkeit gemäß dieser Überzeugung „zu Ehren unseres Vaterlandes“ aus. Die weltweite Ausdehnung ihrer Unternehmung entsprang nach ihrem Selbstverständnis nicht nur dem Ansinnen, das eigene Geschäft wettbewerbsfähig zu halten, sondern sollte es der gesamten deutschen Industrie ermöglichen, „in allen Ländern festen Fuß [zu] fassen“809. Diese Verbundenheit mit dem Vaterland und die Überzeugung, als Unternehmer auch der Nation zu dienen, ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal der Gebrüder Stollwerck, sondern Charakteristikum ihrer Generation. Ihr unternehmerischer Erfolg verlief zeitlich parallel zur Gründung und Etablierung des deutschen Nationalstaates und vollzog sich unter preußischer Herrschaft, so dass kein Grund bestand, die politische Ordnung 805 Siehe Kapitel III.A.1, FN 94. Siehe auch Joest: Stollwerck, S. 73–77. 806 Siehe zum Stollwerck’schen England-Geschäft ausführlich Kapitel IV.B.2. 807 Ludwig Stollwerck: Rede auf dem Verbandstag des Verbands deutscher SchokoladeFabrikanten 1912, RWWA 208-219-3. 808 Die Orientierung des deutschen Wirtschaftsbürgertums am Staat und die damit einhergehende bürokratische Prägung stellen im internationalen Vergleich eine Besonderheit dar. In anderen europäischen Ländern war das Verhältnis zwischen Spitzenunternehmern und Staat weit weniger intensiv. Siehe Kocka: Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft, S. 72. 809 Die letzten beiden Zitate aus Urkunde zur Grundsteinlegung der Ausfuhrfabrik vom 23. Februar 1889, RWWA 208-159-1.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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in Frage zu stellen.810 Patriotismus, Nationalismus, Einheit, Stärke und internationale Geltung des Deutschen Reiches umschreiben daher das kollektive Selbstverständnis dieser Altersgruppe. Anlässlich der jährlichen Versammlung des Verbands deutscher SchokoladeFabrikanten hielt Ludwig Stollwerck 1913 eine Rede, in der er die Entwicklung der deutschen Schokoladenindustrie – und damit auch den Aufschwung des Familienunternehmens – in den Kontext der gesamtstaatlichen Entwicklung stellte. „Alles erinnert ja hier in Leipzig an die grosse Zeit die unsere Väter vor 100 Jahren gehabt haben, an die grossen Zeiten aus denen wir heute noch Kraft und Stärke schöpfen, deren Segen wir heute noch mitgeniessen. Damals war Deutschland zerklüftet und geknechtet von Corsen: seine Unabhängigkeit und Freiheit war dahin! Hier in Leipzig war es, als nach vorheriger Verständigung die deutschen Stämme sich wieder zusammenfanden, um den gemeinsamen Feind zu bekämpfen und die Fesseln der Knechtschaft abzuschütteln. Dieser Befreiungszeit vor 100 Jahren folgte etappenweise die weitere Entwicklung Deutschlands. Der Zollverein verband fast alle deutschen Stämme und 1870, als Deutschland von neuem zum Kampfe herausgefordert wurde und erneut ihn siegreich abgewehrt, folgte die politische Wiedergeburt. […] Das 25jährige Regierungs-Jubiläum unseres Friedens-Kaisers fällt in dasselbe Jahr und die Segnungen des Friedens treten so augenscheinlich hervor in der kurzen Zeitspanne. Nie zuvor hat sich ein Land bei zunehmender Bevölkerungszahl so kraftvoll auf allen Gebieten entwickelt wie Deutschland in den 25 Jahren. […] Beim Regierungs-Antritt unseres Kaisers hatte Frankreich eine Einfuhr von 12.737.592 Ko. Kakaobohnen, England eine Einfuhr von 7.203.440 Ko. Kakaobohnen und Deutschland nur 4.300.000 Ko. Kakaobohnen. Heute hat England eine Einfuhr von 28.043.632 Ko., ist also um 290% gestiegen; Frankreich importierte letztes Jahr 26.891.000 Ko. und stieg um 110% in den 25 Jahren, aber Deutschland stieg auf 55.084.600 Ko., also um 1200% und lässt England und Frankreich weit hinter sich.“811
Mit dieser Rede rühmte Ludwig Stollwerck nicht nur die ökonomische Macht des Deutschen Reiches, sie ist zugleich Zeugnis seiner Kaisertreue. So stellte er sowohl die nationale Einheit als auch die lange Friedenszeit und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands als ein Werk der Monarchie dar. Die monarchietreue Haltung und die Würdigung der „beispiellosen Fortschritte, die Deutschlands Handel, Industrie und Landwirtschaft, seine Volksbildung und soziale Fürsorge während der Regierungszeit Seiner Majestät des Kaisers und Königs gemacht haben und die besonders der Friedens-Politik der Kaiserl. Regierung zu verdanken sind“812 veranlasste die Gebrüder Stollwerck 1913 zudem zu zahlreichen Reklameaktionen zu Ehren des Regierungsjubiläums Wilhelms II. Die monarchische Gesinnung beschränkte sich nicht auf den deutschen Kaiser und das preußische Haus, sondern umfasste gleichermaßen andere Höfe, z. B. den britischen, wo die Gebrüder Stollwerck anlässlich einer Konzertreise des Stollwerck’schen Männerchores 1902 vom britischen Königspaar empfangen wurden.813 810 Siehe exemplarisch Lesczenski: August Thyssen, S. 260 f.; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 460–467. 811 Ludwig Stollwerck: Begrüßungsmanuskript für den Verbandstag des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten 1913 in Leipzig, RWWA 208-219-4. 812 Ludwig Stollwerck an Louis Hagen am 11. Oktober 1913, RWWA 208-219-4. 813 Siehe auch Kapitel IV.B.1.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Wie sehr der politische und wirtschaftliche Aufstieg des Deutschen Reiches die politische Identität der Gebrüder Stollwerck bestimmte, zeigt sich auch in der Hochachtung, die die Familie, vor allem der von seiner Tochter als „flammender Bismarckverehrer“814 beschriebene Heinrich Stollwerck, dem Reichskanzler entgegenbrachte. Mit seiner leidenschaftlichen, fast kultartigen Bewunderung für Otto von Bismarck stand Heinrich Stollwerck nicht alleine, sondern in einer Reihe mit einer ganzen Unternehmergeneration, deren erste Lebensjahrzehnte vom Aufstieg der nationalen Bewegung, den Anstrengungen um einen deutschen Nationalstaat und den damit einhergehenden militärischen Auseinandersetzungen geprägt waren.815 Mit seinen älteren Brüdern Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph hatte Heinrich selbst an den Einigungskriegen teilgenommen und durfte für sich in Anspruch nehmen, einen bescheidenen Beitrag zur nationalen Einigung geleistet zu haben. Die Brüder hatten sowohl im Deutsch-Österreichischen Krieg 1866 als auch im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 im Rheinischen Infanterieregiment gedient (siehe Abb. 53).816
814 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 51. 815 Siehe Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 218 f., 229 f.; Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 456–460; Lesczenski: August Thyssen, S. 43 f., 261 f. In der Geschichtswissenschaft werden Ansätze zu einer Generationengeschichte seit einigen Jahren intensiv diskutiert. Zweifellos lässt sich aus dem einheitlichen Lebensalter einer Gruppe von Menschen nicht automatisch auf identische Verhaltensweisen und Wertvorstellungen schließen. Doch ist unbestritten, dass jede Altersgruppe bestimmte Erfahrungen und Prägungen teilt, die einen gemeinsamen Erfahrungsschatz bilden, der aber nicht gleichermaßen genutzt und verarbeitet wird, weil er durch spätere Erfahrungen verändert oder verdrängt wird. Siehe Daniel: Kompendium Kulturgeschichte, S. 330–345; Reulecke (Hg.): Generationalität; Doerry: Übergangsmenschen. 816 Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 15 ff., 19.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
Abb. 53: Heinrich, Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph Stollwerck (v. l.) als Soldaten817, 1868, 1870/71 (Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 17)
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Abb. 54: Heinrich, Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph Stollwerck (v. l.) als Kölner Dreigestirn, 1868 (Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 43)
Beseelt von dem Wunsch, dass sich die nationale Einigung verwirklichen lässt, bejahte seit Ende der 1860er Jahre eine wachsende Zahl von Unternehmern die Bismarck’sche Politik – nicht nur aus patriotischen Gründen, sondern vor dem Hintergrund der schwerfälligen Organisation des Zollvereins und der deutschen Kleinstaaterei spielten auch wirtschaftliche Überlegungen eine wichtige Rolle; zudem eröffnete die liberale preußische Wirtschaftspolitik die Aussicht auf die erhofften wirtschaftlichen Freiheiten.818 Neben der Leistung Bismarcks – vor allem der Schnelligkeit und Konsequenz der nationalstaatlichen Einigung und der geschickten außenpolitischen Verankerung des deutschen Staates neben den übrigen europäischen Großmächten – verehrten viele Unternehmer die kraftvolle und facettenreiche Persönlichkeit des Reichskanzlers, der als unbeugsam, wahrhaftig, hart, aber auch lernfähig, besonnen und friedenssichernd galt.819 Die hohe Wertschätzung für Otto von Bismarck drückte Heinrich Stollwerck auch privat durch eine entsprechende Symbolik aus, indem er seine Kölner Villa „Bismarckburg“ nannte und zu den wichtigsten Mäzenen der Kölner Bismarck-
817 Als Erinnerung an die Militärdienstzeit nutzte man Bilder, die das Prestige der als modisch und kleidsam empfundenen Uniform und die Gruppenzugehörigkeit festhielten. Siehe Breymayer: Geordnete Verhältnisse, S. 49 f. Diese Bilder wurden nicht nur im Album verwahrt oder als Postkarte verschickt, sondern dienten auch als großformatiger Wandschmuck. So wurde auch das Bild, das Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich Stollwerck in Uniform zeigt, in ein dafür vorgesehenes Kulissenfenster eingelegt. Siehe Abb. 53. 818 Siehe Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 218 f. 819 Siehe Hedinger: Bismarck-Denkmäler, S. 285; Hardtwig: Staatsbewußtsein, S. 50 ff.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
säule zählte.820 Das etwa 30 Meter hohe, bis heute erhaltene Denkmal steht in der Tradition der Rolandsäulen und wurde unweit des Rheins zwischen dem Oberländer Ufer und dem Bayenthalgürtel errichtet – nur wenige Schritte von der Bismarckburg entfernt. Im oberen Bereich der Säule befindet sich eine schmiedeeiserne Schale, in der jährlich am 31. März (letztmalig 1939), dem Vorabend von Bismarcks Geburtstag, im Rahmen der offiziellen Bismarckfeier der Stadt das so genannte Bismarckfeuer821 entzündet wurde – über Jahre finanziert von Heinrich Stollwerck.822 Derartige Feiern wurden häufig durch Vereinszusammenkünfte, Familienabende etc. ergänzt. Auch Heinrich Stollwerck lud im Anschluss an die offizielle Gedenkveranstaltung jedes Jahr Gleichgesinnte zu einem Fest in seine mit schwarz-weiß-roten Seidenbändern und Blumenarrangements prachtvoll geschmückte Villa. Bei einem „auserlesen[en] Festessen, mit schweren Weinen und Zigarren“823 wurden als wiederkehrende rituelle Elemente patriotische Reden gehalten und vaterlandsliebende Lieder gesungen. Während die Gebrüder Stollwerck ihre Verbundenheit mit Vaterland und preußischem Machtstaat offensiv vertraten, hielten sie sich mit parteipolitischen Bekenntnissen zurück. Hatte bei vielen katholischen Unternehmern im Kaiserreich die konfessionelle Zugehörigkeit eine zentrale Bedeutung für die politische Grundüberzeugung, lässt sich ein solcher Einfluss für die Stollwercks nicht nachweisen. Ludwig und Heinrich, die beide katholisch waren,824 fühlten sich parteipolitisch nicht dem Zentrum, sondern den Liberalen verbunden – der „‚klassischen‘ Partei des deutschen Wirtschaftsbürgertums“825. Während sich die Zentrumswähler überwiegend aus adligen Großgrundbesitzern, bürgerlichen Honoratioren, Handwerkern, den Kreisen des neuen Mittelstandes und partiell auch aus der katholischen Arbeiterschaft und der Industrie zusammensetzten,826 stammten die Anhänger der Liberalen, speziell der Nationalliberalen, vor allem aus dem Wirt820 Unmittelbar nach dem Tode Bismarcks 1898 hatte die deutsche Studentenschaft einen Aufruf zum Bau so genannter Bismarckfeuersäulen gestartet und zu diesem Zweck einen Wettbewerb ausgeschrieben. In Köln gründete sich, wie in vielen anderen deutschen Städten, ein so genannter Bismarck-Ausschuss, der aus den 320 eingegangenen Entwürfen für Köln die Konzeption des Berliner Architekten Arnold Hartmann (1861–1919) auswählte und in der Folge vor allem darum bemüht war, ausreichend Geld für den Bau zu sammeln. Die Träger der Bismarck-Denkmal-Bewegung agierten in der Regel als Vereine, die sich nach dem erfolgreichen Bau des Denkmals wieder auflösten. Siehe Hedinger: Bismarck-Denkmäler, S. 281 f. 821 Zum Kult des Bismarck-Feuers siehe ebenda, S. 294 f. 822 Siehe Hagspiel: Köln: Marienburg, S. 85 ff. Siehe auch die in RWWA 208-PS3933 bis PS3937 überlieferten Grundrisse, Pläne und Skizzen der Kölner Bismarcksäule. Siehe weiterführend Hedinger: Bismarck-Denkmäler. 823 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 51. Siehe auch Steller: Führende Männer, S. 149. 824 Oepen-Domschky (Kölner Wirtschaftsbürger, S. 247) ordnete Heinrich Stollwerck fälschlicherweise dem evangelischen Bekenntnis zu. 825 Jaeger: Unternehmer, S. 112. Siehe zum „liberalen Milieu“ im Kaiserreich Langewiesche: Liberalismus, S. 128–232. Siehe auch Gall/Langewiesche (Hg.): Liberalismus und Region. 826 Siehe Loth: Katholiken im Kaiserreich, S. 16–25; Lönne: Politischer Katholizismus, S. 151– 154.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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schafts-, aber auch aus dem Bildungsbürgertum. Zwar waren die Wähler auf Reichsebene überwiegend protestantisch und gaben den Nationalliberalen anfangs häufig aus einer anti-katholischen Haltung heraus ihre Stimme, doch wandelte sich die Partei im Kaiserreich immer mehr von einer weltanschaulich orientierten Partei zu einer wirtschaftlichen Interessenvertretung.827 Fritz Stollwerck, der seinem Vater Ludwig in der Unternehmensleitung nachfolgte, sympathisierte in den 1920er Jahren vor allem mit der Nachfolgepartei der Nationalliberalen, der DVP,828 die sich für die Interessen der Großindustrie einsetzte und immer weiter nach rechts schwenkte. Überaus positiv stand er zudem Paul von Hindenburg (1847–1934) gegenüber, der 1925 zum Reichspräsidenten gewählt wurde und wie die Stollwercks persönlich eher der Monarchie zuneigte, d. h. dem parlamentarisch-demokratischen System misstrauisch begegnete.829 Kommerzienratstitel und Orden der Gebrüder Stollwerck Nähe und Affinität der Gebrüder Stollwerck zum monarchischen Beamtenstaat spiegeln sich ferner im Streben nach öffentlicher Anerkennung, staatlichen Titeln und Orden. Diese „Ordens-, vor allem aber die Titelsucht“830 war nicht nur den Beamten des Kaiserreichs eigen, sondern erstreckte sich auch auf große Teile der Bourgeoisie,831 die aus ihrer bürgerlichen Lebensführung, vor allem dem ausgeprägten Arbeits- und Leistungsethos, nicht nur den Anspruch auf wirtschaftliche Anerkennung, sondern auch auf gesellschaftliches Ansehen und politischen Einfluss ableitete. Fabrikanten und Kaufleute strebten dabei in erster Linie nach dem staatlichen Ehrentitel eines königlich-preußischen Kommerzienrats,832 der an verdiente Unternehmer verliehen wurde. 827 Siehe Historisches Archiv der Stadt Köln/Stadtsparkasse Köln (Hg.): Großstadt im Aufbruch, S. 197; Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 225 f.; Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 237–240; Jaeger: Unternehmer, S. 112–123. 828 Siehe Fritz Stollwerck an Alfred Junge am 31. Juli 1925, RWWA 208-52-5. 829 Siehe hierzu auch Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 4, S. 290–293. Siehe ausführlich Kapitel IV.B.2. 830 Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Band 1, S. 395. Siehe auch Augustine: Patricians & Parvenus, S. 35–48. 831 Verwiesen sei auf die nicht unerhebliche Zahl von Unternehmern, die dem preußischen Titelund Ordenssystem skeptisch begegneten und staatliche Auszeichnungen und Ehrentitel mit Verweis auf ihr bürgerliches Selbstverständnis und die Hochschätzung von persönlicher Arbeit und Leistung ablehnten. Siehe Lesczenski: August Thyssen, S. 280–297; Augustine: Patricians & Parvenus, S. 38 ff. 832 Ursprung und Entstehung des Titels liegen in der Wirtschaftsverfassung des Ancien Régime. Ehrbare Kaufmänner, die neben beamteten Mitgliedern als Sachverständige in die seit dem 17. Jahrhundert gegründeten Kommerzkollegien berufen wurden, erhielten den Amtstitel „Kommerzienrat“. Als 1807 in Preußen die alte Kommerzial- von einer modernen staatlichen Wirtschaftsverwaltung abgelöst wurde und an die Stelle des Kommerzkollegiums des absolutistischen Landesfürsten Fach- und Ressortministerien traten, verlor der Titel als Amts- bzw. Funktionsbezeichnung seine Berechtigung. Eine projektierte Gewerbe- und Handelsdeputation, in der erfahrene und fachlich versierte Bürger die Verwaltung mit ihrem Sachverstand un-
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Als erster der Gebrüder Stollwerck wurde dem Senioritätsprinzip entsprechend 1899 Peter Joseph zum Kommerzienrat ernannt; seinem Bruder Heinrich wurde der Titel ebenfalls „schon frühzeitig […] angeboten“833, allerdings nahm er ihn erst nach dem Tod seines älteren Bruders 1906 an.834 1908 wurde schließlich auch Ludwig Stollwerck in Anerkennung seiner unternehmerischen Verdienste mit dem Ehrentitel bedacht.835 Die Gebrüder Stollwerck gehörten damit zur Gesamtzahl von etwa 1.900 Personen – darunter zwei Drittel aller Spitzenindustriellen im Kaiserreich –, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert den Titel des königlich-preußischen Kommerzienrats erhielten.836 Hinweise auf die Motive des preußischen Staates, verdiente Wirtschaftsbürger mit dem Kommerzienratstitel zu ehren, gibt die Ernennungsurkunde Peter Joseph Stollwercks: Der Titel war zum einen staatliche Anerkennung und Belohnung für die erbrachten Leistungen, zum anderen sollte er die Bindung an den Staat und das preußische Herrscherhaus stärken und ein Impuls sein, die unternehmerische Tätigkeit fortzusetzen, in den Ausbau der Betriebe und neue Produktionsmethoden zu investieren und dadurch die Wirtschaftskraft des Deutschen Reiches zu stärken. Den Titelträgern wurde damit im Grunde von Staats wegen eine Vorbildfunktion auferlegt.837 „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden König von Preussen etc. thun kund und fügen hiermit zu wissen, dass wir Allergnädigst geruhet haben, dem Kaufmann Peter Josef Stollwerck zu Köln den Character als Kommerzienrath zu verleihen. Es ist dies in dem Vertrauen geschehen, dass der nunmehrige Komerzienrath Stollwerck Uns und Unserem Königlichen Hause in unverbrüchlicher Treue ergeben bleibe und fortfahren werde, nach Kräften zum Allgemeinen Besten beizutragen, wogegen derselbe sich Unseres Allerhöchsten Schutzes bei den mit seinem gegenwärtigen Character verbundenen Rechten zu erfreuen haben soll.“838
833 834 835 836 837 838
terstützen und an ihr teilhaben sollten, scheiterte im Zuge der restaurativen Tendenzen, die Entscheidungen ausschließlich der Bürokratie vorbehalten wollten. Gleichsam als Kompensation für die verwehrten, konstitutionell garantierten Partizipationsrechte wurden nun herausragende Wirtschaftsbürger staatlich ausgezeichnet und mit dem Kommerzienratstitel ohne Amt geehrt. Der Kommerzienratstitel war eine deutsche Besonderheit. Mit Ausnahme von Österreich-Ungarn, wo der Titel eines Kommerzialrats verliehen wurde, gab es in den europäischen Staaten keine vergleichbare Auszeichnung. Siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 27–42. Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 56. Siehe auch Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 214. Zu den Instanzen, Kriterien und Motiven der Antragstellung und Entscheidung siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 42–50. Siehe Patent als Kommerzienrat für Ludwig Stollwerck vom 19. August 1908, RWWA 208190-1. Zahlen nach Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 25; Kaelble/Spode: Sozialstruktur und Lebensweisen, S. 148; Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 724 f. Siehe zu dieser Einschätzung auch Zunkel: Der Rheinisch-westfälische Unternehmer, S. 106, 116–121; Kaelble: Berliner Unternehmer, S. 272–275; Teuteberg: Westfälische Textilunternehmer, S. 37 f.; Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 42, 83 ff. Patent als Kommerzienrat für Peter Joseph Stollwerck vom 28. August 1899, RWWA 208272-9.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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Die Stollwercks erfüllten zum Zeitpunkt ihrer Auszeichnung zweifellos die formalen Kriterien, die das preußische Ministerium für Handel und Gewerbe für die Verleihung des Titels festgeschrieben hatte.839 Vor allem war eine herausgehobene Stellung in der deutschen Wirtschaft erforderlich, die nicht nur den ökonomischen Erfolg, sondern auch das gesellschaftliche Ansehen der Anwärter demonstrierte. Von Bedeutung waren Beschäftigtenzahl und Umsätze in Millionenhöhe sowie Auslandskontakte, Preise und Auszeichnungen auf (Welt-)Ausstellungen und die Solidität der Firma. Das Stollwerck’sche Familienunternehmen zählte bereits Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur zu den führenden Schokoladenunternehmen im Deutschen Reich, sondern weltweit „zu den besten der Branche“840 und beanspruchte 1912 für sich, „die größte Schokoladen-, Kakao- und Zuckerwaren Firma der Welt“841 zu sein; allein bis in die 1890er Jahre hatten die Gebrüder 67 Ausstellungsmedaillen gewonnen.842 Ein bedeutendes Kriterium für die Titelverleihung war es ferner, wenn sich die Aspiranten durch technische Innovationen um die deutsche Industrie verdient gemacht hatten. Unter den Gebrüdern Stollwerck stach insbesondere Heinrich hervor, der durch zahlreiche Erfindungen die Schokoladenfabrikation weiterentwickelt hatte.843 Auch sein jüngerer Bruder Ludwig interessierte sich für technische Neuerungen. Er hatte nicht nur Max Sielaff (1860–1929), den Erfinder der Verkaufsautomaten, finanziell unterstützt, sondern auch in die Entwicklung der Edisonʼschen „Sprechautomaten“ investiert, den Brüdern Lumière aus Frankreich in Köln die erste Vorführung ihres „Kinematographen“ ermöglicht und die Entwicklung der Wassertelegraphie gefördert.844 Um vom monarchischen Staat ausgezeichnet zu werden, war es ferner erforderlich, dass die Unternehmer einen hervorragenden Ruf besaßen, der sich nicht nur auf ihre (Aus-)Bildung und Intelligenz, sondern auch auf ein solides Geschäftsgebaren erstreckte. Die Gebrüder Stollwerck galten zweifellos als „sehr strebsame und intelligente Geschäftsleute“ mit „seltene[r] Energie und seltene[n] Fähigkeiten“, die „im In- und Auslande eine gediegene kaufmännische Ausbildung“ erhalten hatten und zu deren „Character“ man „allgemein Vertrauen“845 habe. Förderlich für die Dekorierung mit dem Kommerzienratstitel war zudem ein anerkennenswerter Verdienst um das Gemeinwohl, z. B. indem die Aspiranten Ehrenämter auf unterschiedlichen Ebenen übernommen hatten oder sich in wirtschaftlichen Verbänden, Handelskammern etc. engagierten; auch der – die Sozial839 Siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 44–50, 69–83. 840 W. Schimmelpfeng an die Herren Pfeifer und Langen am 26. Oktober 1888, HADB K02/0298. 841 Anzeige der Gebrüder Stollwerck AG in der Kölnischen Zeitung vom 29. Januar 1912, RWWA 208-560-2. 842 Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 78. 843 Siehe die u. a. in RWWA 208-362-3, 208-361-7, 208-361-6, 208-452-12, 208-453-2, 208453-3, 208-204-7, 208-394-3 und 208-362-4 überlieferten Maschinenpatente. 844 Siehe Kurylo: Kölner Pioniere. 845 W. Schimmelpfeng an die Herren Pfeifer und Langen am 26. Oktober 1888, HADB K02/0298.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
demokratie abwehrende – Einsatz für das Wohl der eigenen Arbeiter, etwa in Form von Arbeiterwohnungsbau, Unterstützungskassen und Sonderleistungen, und eine nennenswerte Spendentätigkeit im breiten Spektrum karitativer und kultureller Zwecke spielten eine nicht unbedeutende Rolle.846 Insbesondere für Heinrich Stollwerck ist ein breit gefächertes mäzenatisches Engagement überliefert. Er förderte Techniker, Musiker, Schriftsteller, Maler, Schauspieler und Sportler und unterstützte bedürftige Familien, die unverschuldet in Not geraten waren. Er galt als „besonders volkstümlich“ und beteiligte sich „rege […] an allen örtlichen Vereinigungen und Anstalten, die dem Kölner städtischen Leben eigentümlich waren“847. Gemeinsam mit seinen älteren Brüdern setzte er sich auch für die Brauchtumspflege ein: 1868 bildeten sie das Kölner Dreigestirn.848 (siehe Abb. 54) Genau geprüft wurden ferner die Einkommens- und Besitzverhältnisse der Anwärter auf den Kommerzienratstitel – wichtiger als die Höhe war die sichere Anlage des Vermögens, das seinen Besitzer als soliden und kreditwürdigen Geschäftsmann ausweisen sollte. Auch die politische Grundüberzeugung und die Konfession der Unternehmer blieben nicht ohne Einfluss auf die Auszeichnung – mangelnde Loyalität gegenüber dem monarchischen Beamtenstaat und dem preußischen Herrscherhaus sowie zu stark ausgeprägte liberale und ultramontane Überzeugungen konnten einer Titelverleihung durchaus entgegenstehen.849 Warum letztlich Peter Joseph, Heinrich und Ludwig Stollwerck zum Kommerzienrat ernannt wurden, ihrem Bruder Carl diese Ehre aber versagt blieb, wurde bislang nicht erhellt. Es war jedoch nicht unüblich, dass die Titelverleihung erschwert wurde, wenn bereits ein oder mehrere Teilhaber derselben Firma den Kommerzienratstitel führten.850 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, dass kein Vertreter der dritten Generation mit dem Titel ausgezeichnet wurde.851 Gemäß der Aufzeichnungen seines Neffen Franz (II) litt Carl Stollwerck sehr darunter, dass der Staat seine Brüder als verdiente Wirtschaftsbürger geehrt hatte, ihm 846 Zum kirchlichen Engagement siehe die Ausführungen in Kapitel III.C.1. Die Verdienste um die Arbeiterfürsorge werden in Kapitel IV.B.2 thematisiert. Bei der Titelverleihung berücksichtigte der Staat auch die unternehmerische Sorge um das Wohlergehen der Arbeiter. Siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 84. 847 Steller: Führende Männer, S. 149. 848 Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 41 f. Obwohl die Familie Stollwerck für ihre Arbeiter eine Reihe von sozialen Einrichtungen gründete und durch vielfältige Aktivitäten für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in der Stadt eintrat, blieben städtische Ehrungen aus – im Unterschied z. B. zu August Thyssen, der zahlreiche kommunale Auszeichnungen erhielt. Siehe Lesczenski: August Thyssen, S. 294 f. 849 Seit den 1880er Jahren wurden aber zunehmend auch katholische Unternehmer zu Kommerzienräten ernannt. Siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 105, 119–124. Siehe zu vergleichbaren Kriterien im bayerischen Auszeichnungssystem Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 134–141, 250–272. 850 Siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 46 f., 79. 851 Eine Ausnahme stellt die Familie Scheidt dar, die von der Jahrhundertmitte bis zum Ende des Kaiserreichs in jeder Generation den Kommerzienratstitel verliehen bekam. Siehe Soénius: Wirtschaftsbürgertum, S. 503–515.
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aber kein äußerliches Zeichen seiner Verdienste verlieh. Seine Titel- und Imponiersucht sei so stark gewesen, dass er sich den Titel eines Kaiserlich-Persischen Generalkonsuls gekauft habe.852 Zwar war der unlautere Handel mit Titeln zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Seltenheit,853 doch muss man bei den Erinnerungen Franz Stollwercks (II) berücksichtigen, dass er seinem Onkel keineswegs wohlgesonnen war, als er 1939 seine Erinnerungen niederschrieb. Verbittert, dass die Familie sieben Jahre zuvor aus der Unternehmensleitung gedrängt worden war und die Kontrolle über das Familiengeschäft verloren hatte, gab er seinem Onkel die Schuld an der Entwicklung und zeichnete von ihm das Bild eines unfähigen Unternehmers und charakterschwachen Menschen.854 Neben dem Kommerzienratstitel besaßen die Gebrüder Stollwerck noch weitere Auszeichnungen. Den wichtigsten Rang nahmen der Rote Adler-Orden und der Königlich-Preußische Kronen-Orden ein. Ersterer wurde seit 1792 von König Friedrich Wilhelm II. (1859–1941) als preußischer Hausorden in vier Klassen verliehen, letzterer 1861 von König Wilhelm I. zur Erinnerung an den Krönungstag gestiftet. Geehrt wurden vor allem Persönlichkeiten, die sich durch Treue und Verdienste um König und Staat auszeichneten – wie das Kommerzienratspatent waren die Orden demnach auch ein Instrument der staatlichen Selbstdarstellung und ein Anreizsystem, sich um das öffentliche Wohl verdient zu machen.855 Die Ausgezeichneten erhielten nicht nur das Recht, den verliehenen Orden zu tragen, in Titeln, Wappen etc. zu verwenden, sondern auch Zutritt zur Hofgesellschaft. Heinrich, Ludwig856 und Carl Stollwerck wurden zwischen 1902 und 1913 jeweils mit dem Roten Adler-Orden vierter Klasse geehrt, Carl erhielt zudem 1912 den Königlich-Preußischen Kronen-Orden dritter Klasse.857 Diese Orden wurden in der Regel vor der Ernennung zum Kommerzienrat vergeben bzw. dienten wie im Fall Carl Stollwercks als – freilich keineswegs gleichwertiger – Ersatz für die ausgebliebene Ehrung.858 Eine Auszeichnung, die im Ersten Weltkrieg Vertreter 852 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Für eine Übersicht der zahlreichen, aber keineswegs hochrangigen Auszeichnungen Carl Stollwercks siehe Gebrüder Stollwerck AG an den Verlag der Kölnischen Volkszeitung am 3. April 1914, RWWA 20860-5. 853 Siehe zur öffentlichen Diskussion um den Kommerzienratstitel Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 50–59. 854 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 855 Siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 249–253. 856 Als bekennender Katholik wurde Ludwig Stollwerck zudem in Anerkennung seiner Verdienste beim Bau der Kölner Kirche St. Paul zum Ritter des Ordens vom heiligen Grabe ernannt. Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 269. Siehe auch den Orden in RWWA 208-762-1. 857 Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 56; Militärpass von Carl Stollwerck, RWWA 208-446-4; Urkunde über die Verleihung des Roten Adler-Ordens an Ludwig Stollwerck vom 16. Juni 1913, RWWA 208-273-3. Das Wirtschaftsbürgertum erhielt stets die niedrigsten Stufen dieser Orden, die höheren Ordensklassen waren Offizieren und Beamten vorbehalten, die nach Dienstalter und -rangstufen ausgezeichnet wurden. Siehe Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 106. 858 Siehe Kaudelka-Hanisch: Preußische Kommerzienräte, S. 252 f.
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aller vier Familienstämme erhielten,859 war das Eiserne Kreuz, das 1813 von König Friedrich Wilhelm III. gestiftet und sowohl im deutsch-französischen Krieg als auch im Ersten Weltkrieg erneuert wurde. Kommunalpolitisches Engagement der Gebrüder Stollwerck Ein wichtiger Aspekt bürgerlichen Denkens und Handelns war stets die politische Teilhabe im kommunalen Bereich. Die Vorstellung einer „bürgerlichen Gesellschaft“ beruhte maßgeblich darauf, dass sich die Mitglieder am Gemeinwohl orientierten und aktiv in die Politik, vor allem in die städtische Selbstverwaltung einbrachten.860 Auch die Gebrüder Stollwerck erfüllten die Anforderungen an einen verantwortungsbewussten Bürger und betätigten sich in der Kommunalpolitik ihrer Heimatstadt. Heinrich Stollwerck war siebeneinhalb Jahre Abgeordneter der Nationalliberalen im Kölner Rat. Die Stadtverordneten kamen, nicht nur in Köln, häufig aus alteingesessenen Familien, die untereinander eng, oft verwandtschaftlich miteinander verbunden waren.861 Dies erklärt, warum Stollwercks, die erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Kreis der sozial und wirtschaftlich führenden Kölner Familien aufgestiegen waren, vergleichsweise spät, seit 1902, eine Funktion in der Kommunalpolitik wahrnahmen. Seit den 1880er Jahren hatten sich die Liberalen bemüht, Heinrich Stollwerck als Kandidaten für die Stadtverordnetenwahlen zu gewinnen. Mit Hinweis auf die „Zeitinanspruchnahme der stetig ausserordentlich zunehmenden Entwicklung des eigenen Geschäftes“862 hatte er die Anfragen jedoch wiederholt abgelehnt. Mit dieser Argumentation stand Stollwerck nicht allein, waren doch viele Fabrikanten stark an ihre gerade im ausgehenden 19. Jahrhundert expandierenden Unternehmen gebunden. Politisches Engagement als Ausdruck der Wertschätzung des Stadtverordneten durch die Mitbürger hatte zunächst ebenso nachrangige Bedeu859 Siehe Max Kattwinkel an Ludwig Stollwerck am 15. November 1914; Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 19. Dezember 1914, beide Briefe aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. Ludwig Stollwerck, der nicht im Krieg diente und damit als einziges Mitglied der Geschäftsleitung diese Auszeichnung nicht erhielt, äußerte sich zur Ehrung der Familienmitglieder 1915 wie folgt: „Auch mein Sohn Paul hat jetzt das eiserne Kreuz erhalten und da es meinem Neffen zum Weihnachtsfeste überreicht wurde, so sind jetzt alle Mitglieder der Geschäftsleitung vom Hause Stollwerck, mit meiner alleinigen Ausnahme ‚eisern‘ geschmückt. Muss ich mich da nicht entschliessen, meinen Austritt aus dem Vorstande zu erklären? Jedenfalls bin ich stolz darauf, mich in so tapferer Umgebung zu befinden und ist eigentlich diese Tatsache geeignet, einen kleinen Scherz darauf zu machen, dass die Firma Stollwerck nicht nur gute Schokolade herstellt sondern auch Alle brave und energische Vaterlandsverteidiger sind!“ Ludwig Stollwerck an August Schilling und John Volkmann am 5. Januar 1915, RWWA 208-166-3. 860 Siehe exemplarisch für die Vielzahl an Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex Gall (Hg.): Stadt und Bürgertum; Sarasin: Stadt der Bürger; Schmuhl: Die Herren der Stadt. 861 Siehe Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 235; Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.): Stadtrat – Stadtrecht – Bürgerfreiheit, S. 187 f. 862 O. A.: Biographische Skizze Heinrich Stollwercks, 1911, RWWA 208-244-1.
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tung wie die Möglichkeit, auf kommunaler Ebene Einfluss auf das Schulwesen, baupolizeiliche Verordnungen (z. B. bei der Erweiterung oder Verlagerung von Fabrikanlagen), die Höhe der Gemeindesteuern, den Verkauf von Grundstücken, die Verkehrspolitik etc. zu nehmen. Dies änderte sich allerdings im Zuge des sich beschleunigenden Städtewachstums und der immer weitergehenden Aufgaben, Leistungen und Eingriffsrechte der kommunalen Behörden. Als finanzkräftige und damit durch die Gemeindesteuern vorrangig belastete Bürger waren die Unternehmer besonders von der Ausweitung der städtischen Bürokratie betroffen. Weniger Pflichtbewusstsein und Verantwortung für das Gemeinwesen als vielmehr der Reiz des Informationsvorsprungs in allen Angelegenheiten, die der Stadtrat regelte, und der Drang, die Interessen des eigenen Unternehmens durchzusetzen, standen hinter den verstärkten Bestrebungen zahlreicher Industrieller, einen Sitz in den kommunalen Gremien zu erlangen.863 Auch Heinrich Stollwerck lehnte die Aufforderungen der Liberalen nicht länger ab, als nach dem Tod des Stadtverordneten Johann Wilhelm („Hans“) Leyendecker 1902, mit dem die Gebrüder Stollwerck auch geschäftlich verbunden waren, ein Sitz in der ersten Wählerklasse frei wurde.864 Im April 1902 wurde er einstimmig zum Stadtverordneten gewählt und gehörte dem Kollegium bis November 1909 an865 – er nahm damit als einziger Vertreter der Familie ein politisches Amt wahr. Ambitionen, sich über die kommunale Ebene hinaus politisch zu betätigen, hatten weder er noch andere Familienmitglieder. Dass Heinrich Stollwerck gerade 1902 in das Kölner Stadtparlament einzog, wird kein Zufall gewesen sein, wandelten die Gebrüder doch gerade in diesem Jahr die bisherige Offene Handels- in eine Aktiengesellschaft um – Ausgangspunkt der weiteren Expansion des Unternehmens. Die Nationalliberalen hatten bereits vor 1870 die stärkste Fraktion im Kölner Rat gebildet und blieben bis zum Ersten Weltkrieg die bestimmende Kraft in der Stadtverordnetenversammlung.866 Diese Tatsache erstaunt zunächst, überwog doch der katholische Bevölkerungsanteil in Köln während der Zeit des Kaiserreichs bei Weitem.867 Doch vertrat ein großer Teil der katholischen Einwohner einen anderen politischen Standpunkt als den der Zentrumspartei, die die Wähler primär auf der konfessionellen und nicht auf der sozialen Ebene ansprach. Erlangten die Liberalen seit Mitte der 1870er Jahre weder bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus noch bei den Reichstagswahlen eine Mehrheit, sicherte ihnen das Dreiklassenwahlrecht den politischen Einfluss in der Kölner Stadtver863 Siehe Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 234; Pierenkemper: Die westfälischen Schwerindustriellen, S. 62; Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 155–158; Teuteberg: Westfälische Textilunternehmer, S. 35; Hesselmann: Das Wirtschaftsbürgertum in Bayern, S. 118–125, 205–254. 864 Siehe zu den geschäftlichen Verbindungen zwischen den Gebrüdern Stollwerck und Johann Wilhelm Leyendecker Kapitel III.A.3. 865 Siehe Deres (Hg.): Der Kölner Rat, Nr. 216. 866 Das zeigte sich vor allem im Kulturkampf, als die Stadtverordnetenversammlung es beispielsweise 1873 ablehnte, die Fronleichnamsprozession weiterhin zu bezuschussen. Siehe van Eyll: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 165; Henning: Die Stadterweiterung, S. 341 f. 867 Siehe ausführlich Kapitel III.C.1.
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ordnetenversammlung. Die Wahlberechtigten waren nach den von ihnen in der Gemeinde entrichteten direkten Steuern in drei Gruppen gegliedert. Jede der drei Wählerklassen wählte die gleiche Anzahl von Abgeordneten, so dass die Minderheit der Höchstbesteuerten das gleiche Gewicht hatte wie die große Mehrheit der dritten Klasse. Die Höhe des steuerpflichtigen Mindesteinkommens – als Voraussetzung für das Bürger- und Wahlrecht – konnte jede Stadt selbst bestimmen. Köln hatte mit 400 Talern neben Trier den höchsten Wahlzensus in der Rheinprovinz, so dass bis Anfang der 1890er Jahre nur rund sechs bis 7,6 Prozent der städtischen Bevölkerung das Wahlrecht besaßen. Die erste und zweite Wählerklasse waren dadurch sichere Domänen der liberalen Parteien. Erst im Zuge der Steuerreform von 1891 wurde – nach jahrelangen Diskussionen und erfolglosen Anträgen des Zentrums – der Wahlzensus geändert und der Kreis der Wahlberechtigten auf ca. elf bis 13 Prozent vergrößert. In der Folge verschoben sich die Verhältnisse zwischen den drei Klassen enorm: Den Kampf um die dritte Wählerklasse gewann das Zentrum bereits 1891, in der zweiten Wählerklasse hatte die Partei 1887 zunächst zwei Mandate erringen können; in den folgenden Jahren verdrängte sie auch hier die liberale Mehrheit. Einzig die erste Wählerklasse blieb bis 1913 eine unangefochtene Domäne der Liberalen.868 Die berufliche Zuordnung der Kölner Stadtverordneten lässt sich im Zusammenhang mit der Parteizugehörigkeit betrachten. Die liberalen Abgeordneten vertraten primär das Großbürgertum. Neben Anwälten und Ärzten gehörten zahlreiche namhafte Repräsentanten von Handel, Banken und Industrie dem städtischen Rat an: darunter Johann Maria Farina (1809–1880), Adolf Guilleaume (1843– 1882), Louis Hagen, Gustav von Mallinckrodt, Eugen Pfeifer (1848–1915), Eugen Rautenstrauch (1842–1900) und Julius van der Zypen (1842–1907).869 Die Abgeordneten des Zentrums entstammten vor allem dem gehobenen Mittelstand, partiell auch dem Kleinbürgertum, was auf eine temporäre Zusammenarbeit mit einer Handwerkerpartei zurückzuführen ist; einzelne Vertreter der Arbeiterschaft, die primär aus der katholischen Verbandsarbeit stammten, gehörten erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts dem Kölner Rat an.870 Während die „große Politik“ von Adel, Militär und höherer Beamtenschaft dominiert wurde, zeigt sich in der kommunalen Vertretung ein anderes Bild: Hier hatte das Bürgertum die Oberhand. Gemeinsam mit den Beamten der Verwaltung wirkten die bürgerlichen Honoratioren am Ausbau der städtischen Infrastruktur, des Schulwesens und kulturellen Lebens mit.
868 Siehe Historisches Archiv der Stadt Köln/Stadtsparkasse Köln (Hg.): Großstadt im Aufbruch, S. 194–197; Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.): Stadtrat – Stadtrecht – Bürgerfreiheit, S. 181–187. 869 Zu Unternehmern in Gemeindeparlamenten siehe auch Jaeger: Unternehmer, S. 86 ff. Zahlreiche weitere Großunternehmer engagierten sich als Mitglieder des Stadtrates, z. B. August Thyssen, der dem Mülheimer Gremium zwischen 1894 und 1910 angehörte. Siehe Lesczenski: August Thyssen, S. 263 f. 870 Siehe Historisches Archiv der Stadt Köln/Stadtsparkasse Köln (Hg.): Großstadt im Aufbruch, S. 197
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Heinrich Stollwerck nahm in den sechseinhalb Jahren als Stadtverordneter regelmäßig an den Sitzungen des Kölner Rates teil – nur 15,6 Prozent der Versammlungen fanden ohne ihn statt.871 Allerdings beteiligte er sich in seiner Zeit als Stadtverordneter nur punktuell an der parlamentarischen Debatte, etwa im August 1902 als Planung und Kosten der Ventilations-Kühlanlage im neuen Theater debattiert wurden oder im Januar 1907, als die Errichtung einer Dombauhütte diskutiert wurde.872 Er bemühte sich eher um die Entscheidungsfindung in Kommissionen und informellen Gesprächen im Vorfeld der Sitzungen und brachte sich nur dann in die Diskussionen des Rates ein, wenn technisches Fachwissen gefragt war. Heinrich Stollwerck leitete nicht nur die dem Familienunternehmen angegliederte Maschinenfabrik, sondern hatte sich mit der Konstruktion zahlreicher Maschinen zur Schokoladenproduktion und als „eigentliche[r] Baumeister“873 der Stollwerck’schen Fabriken auch einen Ruf als Techniker erworben. Seine praktischen Fähigkeiten und Interessen sowie die langjährige Erfahrung waren für Fragen der städtischen Infrastruktur sowie der Planung und Ausstattung städtischer Gebäude durchaus von Interesse. So konnte er sich ohne großen Zeitaufwand in seinen Fachgebieten verwandten Bereichen engagieren. Er gehörte der technischen Kommission an, war Mitglied in der Deputation der Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke, dem Kuratorium der städtischen Maschinen- und Fachschulen und der Prüfungskommission für die Lehrlings- und Meisterkurse.874 Dass er der Beschäftigung mit sachlichen Fragen den Vorzug vor der parlamentarischen Debatte gab, war kein Selbstzweck, sondern diente dazu, die Rahmenbedingungen für das eigene Unternehmen zu verbessern. Seit 1908 fehlte Heinrich Stollwerck zunehmend häufiger bei den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung. Hatte er 1907 noch an 89,1 Prozent der Sitzungen teilgenommen, waren es ein Jahr später nur noch 81,8 Prozent, 1909 war er nur noch bei 69,7 Prozent der Versammlungen anwesend. Einen ähnlich niedrigen Wert hatte er nur 1904 erreicht, als er in 27,4 Prozent der Zusammenkünfte fehlte.875 Sowohl die hohe Fehlquote im dritten als auch im letzten Jahr seiner Amtszeit sind auf die Auseinandersetzungen mit seinem ältesten Sohn Albert Nikolaus (II) in den USA zurückzuführen, die 1904 und 1908 ihre Höhepunkte erreichten und mehrwöchige Amerika-Aufenthalte Heinrich Stollwercks erforderten.876 Er zog daher im November 1909 die Konsequenz und bat den Oberbür-
871 Eigene Berechnung anhand der Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung zu Cöln aus den Jahren 1902 bis 1909. 872 Siehe Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung zu Cöln vom Jahre 1902; Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung zu Cöln vom Jahre 1907. 873 O. A.: Biographische Skizze Heinrich Stollwercks, 1911, RWWA 208-244-1. 874 Siehe ebenda. Zu vergleichbaren Ergebnissen kam Oepen-Domschky (Kölner Wirtschaftsbürger, S. 235 ff.) für den Zuckerindustriellen Eugen Langen. Siehe auch Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer, S. 157 f. 875 Eigene Berechnung anhand der Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung zu Cöln aus den Jahren 1904, 1907 bis 1909. 876 Siehe zu dieser Problematik Kapitel III.A.1 und IV.A.2.
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germeister darum, ihn von seinen Pflichten als Stadtverordneter zu entbinden. Als offizielle Begründung führte er an: „Es veranlaßt mich insbesondere zu dieser Bitte der Wunsch, bei meiner geschäftlichen Tätigkeit als Leiter des technischen Betriebes und als Senior meiner Firma angesichts meines vorgeschrittenen Alters von 66 Jahren – die mir freibleibende Zeit mehr als bisher meiner Familie zu widmen; überdies erfordern häufige Besuche unserer ausländischen Fabriken meine längere Abwesenheit – so beispielsweise die jetzige –, was ich mit den übernommenen Verpflichtungen als Stadtverordneter nicht im Einklang halte.“877
Untereinander sprachen die Gebrüder Stollwerck die Gründe für die Amtsniederlegung freilich offen an. Carl Stollwerck machte gegenüber Ludwig das Zerwürfnis mit Albert Nikolaus (II), die Situation in Amerika, kurz: den „Drucke der dortigen Verhältnisse“ für die Entscheidung des Bruders verantwortlich. Dabei sorgte er sich weniger um den Einflussverlust im Kölner Rat, sondern fürchtete, dass „Uebelwollende“ durch den plötzlichen Rückzug „Stoff zu unlauteren Auslegungen“ erhielten und dem Unternehmen durch Gerede schaden könnten. Carl wäre es lieber gewesen, Heinrich hätte die noch zwei Jahre andauernde Amtsperiode zu Ende gebracht und wäre dann regulär aus der Stadtverordnetenversammlung ausgeschieden. Generell aber hielt er es nicht für hinreichend wichtig und lohnend, an der Stadtverwaltung mitzuwirken, denn obwohl er „von verschiedenen Seiten […] dringend gebeten“ wurde, die Nachfolge seines Bruders anzutreten, lehnte er diese Anfragen „ganz selbstverständlich nachdrücklichst und begründet“ ab; seine „ganze Kraft und Tätigkeit“ würde von seinen „geschäftlichen Verpflichtungen absorbiert“878. Dass Carl Stollwerck eine Kandidatur als Stadtverordneter ablehnte, kann verschiedene Ursachen haben. Zum einen mag ihm die Abgeordnetentätigkeit seines Bruders gezeigt haben, dass der Rat angesichts der wachsenden Bedeutung der städtischen Bürokratie an Einfluss verlor. Zum anderen resultierte das Gewicht der Unternehmer auf kommunaler Ebene nicht allein aus der Teilhabe an der kommunalen Selbstverwaltung, sondern hing auch maßgeblich von informellen Einflussmechanismen, Größe und Steuerkraft ihres Unternehmens ab: Allein die wirtschaftliche Macht bedeutete auch politische Macht.879 Auf lokaler Ebene trat nach dem Ende der Stadtverordnetentätigkeit Heinrich Stollwercks vor allem Ludwig in Erscheinung, der sich als Mitglied der Vollversammlung der Kölner Handelskammer darum bemühte, die Interessen des Familienunternehmens zu wahren. Die Kölner Handelskammer galt der preußischen Regierung bis in die 1860er Jahre als ein „stark beachtetes Sprachrohr der Wirt-
877 Verhandlungen der Stadtverordneten-Versammlung zu Cöln aus dem Jahre 1909, S. 409. 878 Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 22. Oktober 1909, RWWA 208-394-7. 879 Schumann (Bayerns Unternehmer, S. 237) wies zu Recht darauf hin, dass der tatsächliche Einfluss der Unternehmer in der Stadt nur in detaillierten Einzeluntersuchungen erhellt werden kann, die neben wahl- und parteiengeschichtlichen Aspekten auch Fragen der Urbanisierungsforschung berücksichtigen.
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schaft“880, das die ökonomische Entwicklung der Stadt und des Umlandes erheblich beeinflusste – separate Zusammenschlüsse von Unternehmern waren zunächst eher selten. Zwischen 1815 und 1870 gehörten nahezu alle führenden Vertreter der Kölner Wirtschaft für einen bestimmten Zeitraum der Vollversammlung an. Die Ziele und Aufgaben des Gremiums wurden jedoch zunehmend dadurch geprägt, dass es nicht nur die Interessen der gewerblichen und industriellen Unternehmen vertrat, sondern auch Hilfsbehörde der Staatsverwaltung war. Eine einseitige und effiziente Vertretung der schon in sich differenzierten Unternehmerinteressen war somit nicht möglich. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden daher vermehrt freie wirtschaftliche Zusammenschlüsse, die als Fach-, kommunale, regionale oder reichsweite Verbände agierten.881 Auch in Köln ließ die Marktsituation für industrielle Produkte seit den 1870er Jahren den Ruf nach einer Vereinigung der größeren Industriebetriebe lauter werden. Auf Initiative des Zuckerfabrikanten Eugen Langen (1833–1895), des Chemieindustriellen Richard Grüneberg und des Hanf- und Drahtseilproduzenten Franz Carl Guilleaume (1834–1887) wurde z. B. am 13. August 1881 der Verein der Industriellen für den Regierungsbezirk Köln gegründet. Schwerpunkt seiner Arbeit waren Service- und Informationsleistungen und die überregionale Interessenvertretung der Kölner Wirtschaft. Wie alle privaten Vereinigungen von Unternehmen diente der Verein auch, wenn nicht sogar in erster Linie, dem unverbindlichen Gespräch und der Kontaktpflege. 1882 hatte er 63, 1906 bereits 280 Mitglieder. Mit Peter Joseph und Carl Stollwerck gehörten gleich zwei Familienmitglieder dem Vorstand an.882 In die Vollversammlung der Kölner Handelskammer hingegen wurde bis 1912 kein Vertreter der Familie Stollwerck gewählt. Zwar setzte sich das Kollegium der Kammer über Jahrzehnte vor allem aus Vertretern des Handelsstands zusammen,883 doch bereits dem ersten Vorstand gehörten auch Fabrikanten und Kaufleute mit industriellen Interessen an. Die Nicht-Mitgliedschaft der Stollwercks an dieses Argument zu knüpfen, würde daher zu kurz greifen. Die Quellen
880 van Eyll: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 238. Siehe zur Bedeutung der Handelskammern in der deutschen Wirtschafts- und Staatsverfassung des 19. Jahrhunderts Fischer: Unternehmerschaft; Kellenbenz/van Eyll: Die Geschichte der unternehmerischen Selbstverwaltung. 881 Siehe Ullmann: Organisierte Interessen; ders.: Interessenverbände; Blaich: Staat und Verbände; Hartmann: Verbände; Nipperdey: Interessenverbände; Varain (Hg.): Interessenverbände. Von den Vereinen, die überregionale Bedeutung erlangten, lässt sich für Stollwerck nur die Mitgliedschaft im Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen von Rheinland und Westfalen („Langnamverein“) nachweisen. Siehe Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen von Rheinland und Westfalen an die Gebrüder Stollwerck AG am 29. September 1913, RWWA 208-219-4. 882 Siehe Steller: Der Verein der Industriellen, S. 3–8. Wann Peter Joseph Stollwerck in den Vorstand gewählt wurde, ist nicht bekannt. Er gehörte dem Gremium bis zu seinem Tod an. Nachfolger wurde sein Bruder Carl, der das Amt bis zu seinem Ableben 1932 ausübte. Siehe Steller: Führende Männer, S. 148 f. Oepen-Domschky (Kölner Wirtschaftsbürger, S. 218 ff.) verwies darauf, dass der Verein finanziell schlecht ausgestattet war und sich die Kölner Industriellen kaum am Vereinsleben beteiligten. 883 Zu vergleichbaren Ergebnissen für Bayern siehe Schumann: Bayerns Unternehmer, S. 241.
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spiegeln vielmehr diffuse Interessenkonflikte, die Carl Stollwerck wie folgt zusammenfasste: „Ich habe an geeigneter Stelle doch nochmals nachdrücklichst Vorstellung dahin erhoben, dass wir es tatsächlich nicht verstehen können, dass nicht schon lange einem unserer Herren ein Handelskammersitz angetragen wurde. Unsere Firma ist die grösste am Platze und es ist doch eigentlich unglaublich, in der Handelskammer nicht vertreten zu sein. Es wurde mir schon vor 2 Jahren zugesagt, dass die erste Stelle, welche in der ersten Klasse frei würde, für Dich bestimmt sei. Nun soll Kommerzienrat Hagen im Frühjahr, um Gottlieb von Langen durchzudrücken und die Opposition des Vereins der Kölner Grossfirmen mundtot zu machen, demselben die nächsten beiden Stellen konzediert haben. Das ist doch eigentlich unglaublich, wie Hagen so über alle Köpfe hinweg disponiert! Auf meinen Einspruch hin scheinen sich nun doch einflussreiche Stimmen zu erheben und war auch noch gestern der Syndikus des Hansabundes bei mir, der sich unserer Auffassung anschloss und sich sogar erbot, dass, wenn der Verein Kölner Grossfirmen die zweite Kandidatur für ein Mitglied unserer Firma nicht abtreten wolle, eine energische Agitation in Deinem Interesse in die Wege geleitet würde. Es soll […] nun nochmals eine gemeinsame Besprechung mit den Geschäftsführern des Vereins der Industriellen, Hansabund und Verein Kölner Grossfirmen stattfinden und ich hoffe zuversichtlich, dass Deine Kandidatur mit derjenigen Oehmes einstimmig aufgestellt wird.“884
Carl Stollwerck auf der einen Seite bemühte sich demnach, seinen Bruder Ludwig als Kandidat für die Kölner Handelskammer „durchzudrücken“. Er berief sich auf Größe und wirtschaftliche Bedeutung der Stollwerck AG und wurde vom Hansabund für Gewerbe, Handel und Industrie unterstützt – einer wirtschaftlichen Interessenvertretung deutscher Kaufleute und Industrieller mit Sitz in Berlin.885 Ein herausgehobenes Engagement der Stollwercks in der Kölner Ortsgruppe des Hansabundes ist jedoch nicht überliefert – die genauen Motive der Vereinigung, eine Kandidatur Ludwig Stollwercks zu unterstützen, lassen sich daher nicht erhellen. Auf der anderen Seite agierte Louis Hagen, der zu den politisch einflussreichsten und am besten vernetzten Unternehmern des frühen 20. Jahrhunderts gehörte.886 Er unterstützte die Interessen des Verbands Kölner Großfirmen und hier speziell die Bewerbung Gottlieb von Langens (1896–1982), ältester Sohn und Unternehmensnachfolger Eugen Langens. Louis Hagen und Gottlieb von Langen verband 884 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 12. Oktober 1912, RWWA 208-447-5. In einem anderen Schreiben sprach Carl Stollwerck davon, dass „Klüngeleien im Gange“ seien, die eine Kandidatur seines Bruders verhindern würden. Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 30. Oktober 1912, RWWA 208-447-5. 885 Der Hansabund wurde im Juni 1909 gegründet, um dem Einfluss des Bundes der Landwirte einen Verband der modernen Wirtschaft entgegenzusetzen. Bereits 1913 besaß der Bund 650 Ortsgruppen mit 200.000 direkten und weiteren 280.000 korporativen Mitgliedern. Die politische Hinwendung zur linken Mitte führte jedoch dazu, dass sich vor allem Industrieverbände abwandten und der Bund an Gewicht verlor. Siehe ausführlich Mielke: Der Hansa-Bund. 886 Louis Hagen nahm zeitweise über 80 Aufsichtsratsmandate wahr. Von 1909 bis 1929 gehörte er dem Kölner Stadtrat an, zunächst für die Liberalen, seit 1921 für das Zentrum. Ende 1915 wurde Hagen Präsident der Kölner Handelskammer. Er behielt dieses Amt bis zu seinem Tod 1932 bei und nutzte es wie kaum ein Präsident zuvor zur Ausweitung seiner öffentlichen Funktionen. Sein Bankhaus arbeitete seit 1910 mit Sal. Oppenheim jr. & Cie. zusammen, seit 1922 in einer Interessengemeinschaft. Hagen wurde Teilhaber bei Oppenheim und blieb Mitinhaber der rechtlich selbständigen Bank Levy. Siehe Kellenbenz: Louis Hagen.
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die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins, dem Hagen seit 1900, Langen zwischen 1914 und 1916 angehörte; Langen führte damit eine Familientradition fort, vor ihm hatten bereits sein Großvater Johann Jakob Langen (1794–1869) und sein Vetter Walther Langen (1857–1912) dem Aufsichtsrat des Bankvereins angehört.887 Der Verband Kölner Großfirmen war im März 1912 von dem Seidenwarenhändler Adolf Oehme (1863–1930) als Reaktion auf die Einführung von Zwangsfortbildungsschulen für minderjährige kaufmännische Lehrlinge gegründet worden. Die Vereinigung wandte sich gegen diese für die Betriebe störende Unterbrechung der Arbeitszeit und hatte im Gründungsjahr 80, drei Jahre später bereits 616 Mitglieder.888 Es liegt nahe, dass der Verband gleich zwei seiner Mitglieder in die Handelskammer entsenden wollte, um seine quantitative Bedeutung zu unterstreichen und sich im Kölner Wirtschaftsleben zu etablieren. Der Einfluss des Verbands reichte indes 1912 noch nicht so weit, die von Louis Hagen in Aussicht gestellten zwei Handelskammersitze für Mitglieder des Verbands auch durchzubringen. Lediglich Adolf Oehme wurde 1913 – wie projektiert – Mitglied im Vorstand der Handelskammer. Als zweites neues Mitglied wurde Ludwig Stollwerck gewählt; er saß zunächst im Gewerbe- und Handelsausschuss, 1915 wechselte er in den Verkehrsausschuss. Damit erfüllte er die Minimalvorgabe, nach der jedes Kammermitglied wenigstens einer von sechs ständigen Kommissionen angehören musste. Nach dem Tod Ludwig Stollwercks 1922 wurde sein Sohn Fritz Mitglied des Gremiums. Nachdem er sich 1931 aus der Unternehmensleitung der Stollwerck AG zurückziehen musste, beendete er allerdings auch die Mitgliedschaft in der Kölner Handelskammer.889 Über das tatsächliche Engagement von Ludwig und Fritz Stollwerck in der Handelskammer sagt die Überlieferung nichts aus. Im Vergleich mit anderen Kölner Wirtschaftsbürgern traten sie in ihrer Funktion kaum in Erscheinung und instrumentalisierten die (in-)formellen Netzwerke und Strukturen, die sich aus der Mitgliedschaft in der Handelskammer ergaben, nicht.890 War die Partizipation an der lokalen (Wirtschafts-)Politik für zahlreiche namhafte Repräsentanten der Kölner Wirtschaft ein selbstverständlicher Teil ihrer Mentalität, agierte die Familie Stollwerck auf lokaler Ebene insgesamt eher zurückhaltend und aus der zweiten Reihe und engagierte sich vor allem für konkrete, ihr Unternehmen unmittelbar betreffende Sachverhalte. So schalteten sich die Gebrüder wiederholt in die Gestaltung der städtischen Infrastruktur, speziell der Verkehrswege ein, die für die Entwicklung des Unternehmens als Standortfaktoren eine hohe Bedeutung hatten. 1908 unterstützten sie beispielsweise eine Rhondorfer Bürgervertretung, die für eine Verlängerung der Straßenbahnverbindung eintrat. Stollwerck hatte ein konkretes Interesse an einer verbesserten Anbindung, da die Arbeiterwohnungen des Unternehmens direkt an der auszubauenden Straßenbahnlinie lagen.891 Auch mit 887 888 889 890 891
Siehe Reitmayer: Bankiers im Kaiserreich, S. 99. Siehe Neuhaus: Die Entwicklung der Stadt Cöln, S. 334 ff. Siehe Kellenbenz/van Eyll: Die Geschichte der unternehmerischen Selbstverwaltung, S. 239. Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 207–232. Siehe Ludwig Stollwerck an Max Wallraf am 13. September 1908, RWWA 208-221-9.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
der Mitgliedschaft im „Verein zur Wahrung der Interessen des südlichen Stadttheils in Köln am Rhein“, wo die Stollwerck’schen Fabriken angesiedelt waren, verfolgten die Gebrüder einen auf das Wohl des Unternehmens bedachten Kurs.892 Dass die Gebrüder Stollwerck über dieses sinnvolle und normkonforme Engagement hinaus auf lokaler Ebene wirtschaftspolitisch nicht aktiv werden mussten, liegt in den strukturellen Erfordernissen des eigenen Unternehmens begründet. Zum einen trat Stollwerck auf dem lokalen Arbeitsmarkt als Monopolnachfrager nach Fachkräften im Bereich der Produktion von Schokolade und Zuckerwaren auf.893 Zum anderen zählte das Unternehmen nicht zu den Industriebetrieben, für die ein Standortwechsel bzw. ein Ausbau an anderen Standorten nicht in Frage kam. Stollwerck war damit nicht direkt von den Produktionsbedingungen des Umfelds abhängig. Zwei Beispiele verdeutlichen dies. 1889 errichtete Stollwerck in Köln eine Ausfuhrfabrik, in der unter strengster Aufsicht zollfrei für den Export fabriziert wurde.894 Damit verschärfte sich in der Folge ein Problem, das den Gebrüdern schon lange bekannt war: Es fehlte in Köln an weiblichen ungelernten Arbeitskräften, das Kölner Stammhaus und die Ausfuhrfabrik gerieten an ihre Leistungsgrenzen. In der deutschen Schokoladenindustrie waren nach den Gewerbezählungen von 1882 und 1895 im ersten Stichjahr 54,8 Prozent der Arbeitskräfte männlich, 45,2 Prozent weiblich; 1895 lagen die Anteile mit 50,2 Prozent männlichen und 49,8 Prozent weiblichen Arbeitern noch näher beieinander. Die Gebrüder Stollwerck beschäftigten im Hauptbetrieb der Süßwarenproduktion zwischen 1887 und 1902 durchschnittlich sogar 79,1 Prozent weibliche Arbeitskräfte.895 Im Unterschied zu Köln bestand in der wachsenden Metropole Berlin kein Mangel an Arbeiterinnen. Daher entschied man sich 1900 dafür, die Fabrik am Stammsitz nicht zu erweitern, sondern in Berlin einen zusätzlichen Produktionsstandort zu eröffnen. Von weiteren Investitionen in das Kölner Werk nahmen die Gebrüder Stollwerck noch aus einem anderen Grund Abstand: Mit Schokolade produzierten sie ein Konsumgut, das weltweit abgesetzt wurde. Die Ausfuhrfabrik konnte jedoch den Wettbewerbsvorteil, den die ausländische Konkurrenz durch ihre Präsenz vor Ort hatte, nicht ausgleichen. So gründeten sie 1896 in Preßburg das erste Tochterunternehmen größeren Stils außerhalb Kölns – die Höhe der Zollersparnisse bezif-
892 Siehe die in RWWA 208-418-5 überlieferten Statuten, Eingaben etc. 893 Laut Freudenfeld (Die Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie, S. 120) gab es neben Stollwerck 1870 und 1880 drei, 1890 fünf und 1900 sechs weitere Schokoladenfabrikanten. 1914 wurden im Kölner Adressbuch 18 Schokoladenfabriken aufgelistet, von denen einige nur im Handel tätig waren. Siehe Henning: Die Stadterweiterung, S. 304. Zu den bekannten Kölner Schokoladenbetrieben, die ihre Produkte auch überregional absetzten, gehörten neben Stollwerck Hevel & Veithen, Aug. Wiese & Sohn und F. W. Gülich. Siehe Freudenfeld: Die Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie, S. 134 f. Siehe auch Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 80 f. 894 Siehe Pohle: Probleme, S. 7 ff.; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 285–289. Siehe Urkunde zur Grundsteinlegung der Ausfuhrfabrik vom 23. Februar 1889, RWWA 208-159-1. 895 Siehe Pohle: Probleme, S. 77 f.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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ferte das Unternehmen 1896 auf rund 91.000 Mark jährlich.896 Das KostenNutzen-Kalkül stand für die Gebrüder Stollwerck demnach stets an erster Stelle. Ein exponiertes kommunalpolitisches Engagement, das einen hohen Zeitaufwand erfordert hätte, war nicht zweckdienlich und wurde folglich nicht angesteuert. Die Gebrüder Stollwerck waren nicht an allgemeinpolitischem Einfluss, sondern primär an den besonderen Problemen ihres Unternehmens und ihrer Branche interessiert. Engagement der Gebrüder Stollwerck auf Branchenebene Die Interessenvertretung der Schokoladenindustrie fand vor allem in den überregionalen Fachverbänden statt.897 Hervorzuheben ist das Engagement der Gebrüder Stollwerck im Branchenverein der deutschen Schokoladenindustrie, dem 1877 gegründeten Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten. Die Verbandsleitung bestand aus einem Zentralausschuss (später Vorstand), der sich zunächst aus drei Mitgliedern (sukzessive auf sieben erweitert) zusammensetzte und von einem Geschäftsführer unterstützt wurde. 1878 wurde Albert Nikolaus Stollwerck (I) in den Zentralausschuss gewählt, nach seinem Tod 1883 folgte ihm sein Bruder Peter Joseph, der von 1897 bis 1906 auch den Vorsitz des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten führte. An seine Arbeit knüpfte vor allem Ludwig Stollwerck an, der 1906 zunächst in den Vorstand und schließlich 1911 zum sechsten Vorsitzenden des Verbands gewählt wurde. Er übte das Amt bis zu seinem Tod 1922 aus und übernahm 1919, nachdem sich der Verband deutscher SchokoladeFabrikanten und die rivalisierende Vereinigung Deutscher Zuckerwaren- und Schokoladenfabrikanten zum Reichsbund der Deutschen Süßwaren-Industrie zusammengeschlossen hatten, auch hier den Vorsitz.898 Die zentrale Rolle im Binnengefüge und der sachlichen Arbeit des Interessenverbands konnten die Gebrüder Stollwerck nur wahrnehmen, weil ihnen die geschäftliche Funktionsteilung und die gute wirtschaftliche Situation ihrer Firma ausreichend zeitliche Ressourcen ließen; die Dominanz des Unternehmens Stollwerck in der deutschen Schokoladenindustrie bildete zudem die Voraussetzung dafür, dass sie den Führungsanspruch im Branchenverband auch durchsetzen konnten.
896 Siehe o. A.: Errichtung einer Chocolade- und Zuckerwaren-Fabrik in Pressburg in Form einer Commandit-Gesellschaft, 1896, RWWA 208-224-3. Siehe ferner Pohle: Probleme, S. 9; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 289–300, 314–336. 897 Pierenkemper (Die westfälischen Schwerindustriellen, S. 62–66) kam für die westfälischen Schwerindustriellen zu vergleichbaren Ergebnissen. 898 Siehe König: Entstehung und Wirkungsweise, S. 183, 201. Die Vereinigung Deutscher Zuckerwaren-Fabrikanten hatte sich 1901 in Leipzig konstituiert und 1905 in Vereinigung Deutscher Zuckerwaren- und Schokoladenfabrikanten umbenannt. Nach Ansicht des Verbands Deutscher Schokolade-Fabrikanten geschah dies auf Initiative einiger kleiner Schokoladenfabrikanten, die Markenpolitik und Verkehrsbedingungen des Dresdner Verbands ablehnten. Siehe ebenda, S. 180.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Nach dem Tod Ludwig Stollwercks trug der Verband mehrfach seinem Sohn Fritz, seit 1914 Vorstandsmitglied der Stollwerck AG, den Verbandsvorsitz an. Fritz Stollwerck freilich „dachte unter gar keinen Umständen daran, jemals den Vorsitz des Verbandes anzunehmen“899 und blieb einfaches Vorstandsmitglied. Angesichts der „vielen Arbeiten, […] verbunden mit vielen Unannehmlichkeiten“, die sowohl sein Vater als auch sein Onkel durch ihre Tätigkeit als Verbandsvorsitzende gehabt hatten, lehnte er es entschieden ab, „für andere […] den Kopf ins Loch zu stecken“. Abgesehen von der Arbeitslast scheute er auch die Zusammenarbeit mit einem Vorstand, der sich nach seiner Ansicht aus „verhältnismässig jungen Leuten“ zusammensetzte, denen es an Erfahrung mangelte und die glaubten „durch Radau alles erzielen zu können“900. Fritz Stollwerck gehörte mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber politischen und verbandlichen Ämtern keineswegs zu einer Minderheit innerhalb der Unternehmerschaft. Ihre Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen nahm seit Ende des 19. Jahrhunderts kontinuierlich ab. Hatte noch etwa ein Drittel der vor 1850 Geborenen politische Ämter bekleidet, sank der Anteil unter den in den 1870er Jahren Geborenen auf etwa zehn Prozent.901 Die Gebrüder Stollwerck und das tagespolitische Geschehen Ambitionen, über die Kommunal- und Verbandspolitik hinaus politische Funktionen wahrzunehmen, hatten weder die Gebrüder Stollwerck noch ihre Nachfolger. Vielmehr setzten sie auch dann, wenn es um den persönlichen Kontakt zu politischen Entscheidungsträgern und die Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Fragen ging, auf Zurückhaltung und traten in der Öffentlichkeit nie mehr als erforderlich hervor. So ist beispielsweise kaum bekannt, dass Ludwig Stollwerck im nationalliberalen Abgeordneten und späteren Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann (1878–1929) seinen wichtigsten politischen Gesprächs- bzw. Korrespondenzpartner fand – ein Austausch privater Natur fand nur am Rande, im Rahmen gängiger höflicher Floskeln statt.902 Stollwerck und Stresemann lernten sich 1901 kennen, als Stresemann Assistent beim Verband deutscher SchokoladeFabrikanten in Dresden wurde. Im Oktober 1904 verließ Stresemann den Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten wieder, um sich ganz dem Verband Sächsi-
899 Fritz Stollwerck an Georg Hauswaldt am 9. März 1928, RWWA 208-49-3. Siehe auch Fritz Stollwerck an Gustav Laute am 20. März 1926, RWWA 208-221-1. 900 Fritz Stollwerck an Georg Hauswaldt am 9. März 1928, RWWA 208-49-3. 901 Siehe Augustine: Patricians & Parvenus, S. 48–51. Köhler/Rossfeld (Bausteine des Misserfolgs, S. 13) verwiesen darauf, dass eine „fehlende Vernetzung“ auch ein Grund für ökonomisches Scheitern sein kann, wenn die stabilisierende Wirkung von Netzwerken in Krisensituationen fehlt. 902 Koszyk (Gustav Stresemann, S. 144 f., 187, 189) und Hirsch (Stresemann, S. 89, 91, 108) erwähnen die Verbindung zwischen Stollwerck und Stresemann nur am Rande, Wright (Gustav Stresemann) und Birkelund (Gustav Stresemann) gar nicht.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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scher Industrieller zu widmen, dessen Geschäftsführer er seit Januar 1904 war.903 In den folgenden Jahren pflegte insbesondere Ludwig Stollwerck die Bekanntschaft und nutzte sie immer wieder für geschäftliche Interessen. Einen „eingehenden Gedankenaustausch“904 pflegte Ludwig Stollwerck ferner mit den Kölner Unternehmern und „politischen Freunden“905 Alfred Neven DuMont (1868–1940) und Franz Xaver Bachem, Bruder des Reichstagsabgeordneten Carl Bachem (1858–1945) – mit ihnen diskutierte er u. a. 1918 die parteipolitische Situation und die Frage einer Regierungsbeteiligung der Nationalliberalen im Kabinett des Prinzen Max von Baden.906 Auch mit dem einflussreichen Hamburger Reeder Albert Ballin (1857–1918)907 tauschte sich Ludwig Stollwerck über aktuelle politische Fragen aus. Diese Kontakte intensivierten sich mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ludwig Stollwerck, der sich bislang kaum ernstlich mit der „großen Politik“ auseinandergesetzt hatte, hauptsächlich Wirtschaftsmensch war und sich selbst als „Nichtpolitiker“908 bezeichnete, entwickelte nun nahezu zwangsläufig ein intensives Interesse an politischen Fragen, der Versorgungslage Deutschlands im Krieg und dem System der Kriegswirtschaft. Während sich andere Unternehmer, etwa August Thyssen,909 bereits vor Kriegsbeginn intensiv mit der europäischen Außenpolitik, den Auseinandersetzungen auf dem Balkan und der Gefahr eines europäischen Flächenbrandes beschäftigt hatten,910 lässt sich ein vergleichbares Interesse für Ludwig Stollwerck nicht nachweisen. Auch im Familienkreis nahm das politische Tagesgeschehen nun einen anderen Stellenwert ein. Hatten politische
903 Siehe o. A.: Abgang des Herrn Dr. Stresemann vom Verband. Anstellung eines neuen Assistenten, in: Mitteilungen des Verbandes deutscher Chocolade-Fabrikanten. 24. Jg., Nr. 15 vom 29. August 1904, RWWA 208-141-8; Starke: Dresden in der Vorkriegszeit, S. 89 f. 904 Telegramm von Ludwig und Carl Stollwerck an Gustav Stresemann am 3. Oktober 1918, RWWA 208-174-8. 905 Ludwig Stollwerck an Gustav Stresemann am 10. Oktober 1918, RWWA 208-174-8. 906 Siehe Telegramm von Ludwig und Carl Stollwerck an Gustav Stresemann am 3. Oktober 1918, RWWA 208-174-8; Gustav Stresemann an Ludwig Stollwerck am 7. Oktober 1918, RWWA 208-174-8. 907 Während Oepen-Domschky (Kölner Wirtschaftsbürger, S. 250 f.) davon ausging, dass Stollwerck und Ballin sich über den Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverband oder die Planungen Ballins zur Zentralen Einkaufsgesellschaft (ZEG) kennenlernten, verwies Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 530) auf das gemeinsame Interesse der beiden Unternehmer an der drahtlosen Telegraphie. Siehe Kurylo: Kölner Pioniere. Siehe auch Ludwig Stollwerck: Ein Rückblick über die bisherige Entwicklung der drahtlosen Telegraphie. System: Prof. Dr. Braun, Direktor des Kaiserl. Physikal. Institutes zu Strassburg i. Els., 1913, RWWA 208-264-1. 908 Ludwig Stollwerck an Alfred Neven DuMont am 16. Oktober 1918, RWWA 208-174-8. Ein weiteres Beispiel für einen Unternehmer, der sich erst mit Beginn des Ersten Weltkriegs für politische Fragen interessierte, ist Robert Bosch. Siehe Jaeger: Unternehmer, S. 239. 909 Siehe Lesczenski: August Thyssen, S. 269 f. 910 Siehe Hildebrand: Deutsche Aussenpolitik, S. 35, 38, 61, 102, 104.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Ereignisse in der privaten Korrespondenz bislang kaum eine Rolle gespielt, führte die kriegerische Eskalation zu einem regen Briefwechsel innerhalb der Familie.911 Nachdem das Deutsche Reich am 1. August 1914 Russland und zwei Tage später Frankreich den Krieg erklärt hatte und am 4. August 1914 auch England in den Krieg eingetreten war, betrachtete Ludwig Stollwerck die sich zuspitzenden außenpolitischen Konflikte zunächst mit Sorge und Unbehagen. Seinem britischen Geschäftsfreund Allen Bartholomew schrieb er: „We Germany are very deeply depressed that old England has declared war to Germany to support Panslawismus in Russia and the French idea of revenge! Germany never expected that this could be possible and if you are just disappointed by a friend the deeper is the feeling of animosity! However I wish not, my dear old friend, to speak about policy. Germany is covered and surrounded by animies, but we hope that an honorable peace may not be so far as we all fear today.“912
Diese von Emotionalität bestimmten Äußerungen werden verständlich, wenn man berücksichtigt, dass die Familie persönlich in den Krieg involviert war. Neben Carl Stollwerck, dessen „Ehre“ es nicht zuließ, „zurückzubleiben, um sich dem Geschäfte zu widmen“913, waren auch Ludwigs Neffen Gustav und Franz (II) sowie seine drei Söhne Fritz, Paul und Karl Maria in den Krieg gezogen. Ludwig blieb mit seinem Bruder Heinrich allein zurück, um das Familienunternehmen zu leiten. Wie die Mehrzahl der deutschen Unternehmer glaubte Ludwig Stollwerck freilich an ein schnelles Ende der militärischen Auseinandersetzungen und – nach den ersten siegreichen Feldzügen – den Erfolg der deutschen Truppen. So blendete er die Sorge um seine Angehörigen und den Unmut über die fortschreitende Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen aus und verwandte seine Energie darauf, vom Krieg geschäftlich zu profitieren.914 911 Eine im Eigentum von Ingo Stollwerck befindliche Briefsammlung aus den ersten fünf Kriegsmonaten ermöglicht einen umfassenden Einblick, wie die Familie den Krieg erlebte und empfand. Die Schilderungen von der Front und aus der Heimat pendeln zwischen traumatischen Erlebnissen, einem ausgeprägten Patriotismus und der Verherrlichung und Bewunderung der militärischen Leistungen. Eine detaillierte Auswertung dieser Briefe hinsichtlich der Frage, wie der Krieg im Wirtschaftsbürgertum wahrgenommen wurde, wäre ein lohnendes Forschungsunterfangen. Siehe zur Briefsammlung auch Kapitel I.E. 912 Ludwig Stollwerck an Allen Bartholomew am 2. Oktober 1914, RWWA 208-420-5. Gegenüber William Hesketh Lever äußerte Ludwig Stollwerck wenige Monate später ebenfalls die Hoffnung auf baldigen Frieden: „May God give in 1915 Peace to us again, in honorable way – may God give then to all Nations a real feeling of peace, a real christian feeling for international sympathy! May God punish all individuals creating hate amongst the nations! May war disappear and only be allowed by God and human statesmen: by competition in commerce and industry! By diligience and in science by sense of enterprise!“ Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 1. Januar 1915, RWWA 208-237-6. 913 Ludwig Stollwerck an Bankdirektor Marks am 8. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. Diese Argumentation sagt auch etwas über Carl Stollwercks unternehmerisches Selbstverständnis aus. Im Unterschied zu seinem Bruder und anderen Unternehmern seiner Zeit, hielt er sich im Unternehmen nicht für unersetzlich. Siehe ausführlich Kapitel IV.A.3. Siehe auch Gehlen: Paul Silverberg, S. 102 f. 914 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.3.
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Die zunehmende Dauer des Kriegs dämpfte die optimistischen Erwartungen auf einen schnellen Sieg freilich rasch. Ludwig Stollwerck freute sich zwar über einzelne Erfolge der Armee915 und hoffte, dass die Siege „kräftig ausgenutzt werden konnte[n], dass der Feind recht grosse Verluste an Gefangenen und an Waffen erlitten hat“916, doch verloren seine immer zahlreicher werdenden Ausführungen zum Krieg und zu politischen Fragen seit 1915 zunehmend an Emotionalität, wurden nüchterner, von strategischen Aspekten und Überlegungen zum diplomatischen und militärischen Vorgehen sowie den wirtschaftspolitischen Auswirkungen des Kriegs bestimmt. Die Korrespondenz mit Stresemann kreiste in der Folge vor allem um die Frage der Kriegsziele und die Annexion bzw. den wirtschaftlichen Anschluss industriell bedeutender, an Deutschland grenzender Länder und Regionen.917 Stollwerck und Stresemann stimmten überein, dass die „Macht der Franzosen und Engländer über Belgien […] definitiv ausgeschaltet werden“918 müsse. Unterschiedlicher Ansicht waren sie allerdings in der innerdeutschen Diskussion um den unbeschränkten U-Boot-Krieg gegen England und den damit verbundenen möglichen Kriegseintritt der USA. Während Stresemann vom Erfolg einer kompromisslosen Kriegsführung überzeugt war,919 schien Ludwig Stollwerck in seinem Urteil weniger sicher. Er gab – wie zahlreiche national gesinnte Unternehmer – England die Hauptschuld am Weltkrieg.920
915 Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 12. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck; Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 26. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 916 Ebenda. 917 Siehe zur Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland exemplarisch Fischer: Griff nach der Weltmacht. 918 Ludwig Stollwerck an Gustav Stresemann am 29. November 1915, RWWA 208-174-6. Siehe auch Gustav Stresemann an Ludwig Stollwerck am 20. Dezember 1915, RWWA 208-174-6. 919 Siehe Ludwig Stollwerck an Gustav Stresemann am 13. April 1917, RWWA 208-174-7. Siehe auch Jaeger: Unternehmer, S. 237. 920 Unabhängig von dieser Auffassung bemühte er sich freilich, die freundschaftlichen Beziehungen zu seinen britischen Geschäftsfreunden während des Kriegs aufrecht zu erhalten. An William Hesketh Lever schrieb er wenige Tage nachdem ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff „Lusitania“ versenkt hatte: „Our long and sincere friendship has been proved by the dreadful war and you as well as myself are so very sorry of all detailed consequences of this war. […] You can be sure that every German pitys the consequences of the loss of the Lusitania […]. Sympathizing with you, my dear Sir William, with the feelings of sorrows about all the consequences of this dreadful war […].“ Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 18. Mai 1915, RWWA 208-237-6. Auch Lever bedauerte die kompromisslose Form der Kriegsführung: „What I Do feel is, the policy of torpedoing the Lusitania and the use of poisoned gases in the trenches is not likely to achieve the end intended, but is likely to prolong the War indefinitely and to produce a spirit between the contesting nations that at the close of the War will always be regretted. […] and I cannot but feel that when this War is over that such acts […] will have been found to have unsuccessful from the point of view of bringing about an earlier victorious termination of the War, and will have unfortunately left a memory, both in the United States and in England, that it will take years to obliterate.“ William Hesketh Lever an Ludwig Stollwerck am 27. Mai 1915, RWWA 208-237-6.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck „Früher wurden Kriege erklärt aus Eitelkeit und Gewinnsucht der Fürsten, dann auch aus Ländergier und Eroberungssucht. Dies ist heute alles nicht der Fall, sondern dieser Krieg dreht sich nur um die wirtschaftliche Frage. Mag auch das Revanche-Gefühl französischer Politiker, der russische Panslawismus mit zum Kriege die Veranlassung gegeben haben, der Hauptfeind ist England, die Hauptursache Englands Neid und Krämergeist.“921
Daher sei es nur legitim, „alle […] zur Verfügung stehenden Waffen gegen England an[zu]wenden“. Das U-Boot betrachtete Ludwig Stollwerck zwar durchaus als „bewährte Waffe“, allerdings bezweifelte er, wie auch Albert Ballin,922 damit die Kriegsentscheidung herbeiführen zu können. Er befürchtete, dass man durch dieses Vorgehen Amerika in den Krieg gegen Deutschland zwingen würde. Ausgehend von den Erfahrungen seiner zahlreichen Geschäftsreisen nach England und Amerika schilderte er seinen Korrespondenzpartnern Amerika als ein Land, das dem Deutschen Reich zwar „militärisch […] nichts anhaben“ könne, aber durch Willenskraft und wirtschaftliche Stärke eine große Gefahr darstelle: „So oft ich drüben war, hatte ich Gelegenheit, die Kraft und die Macht sowie den Reichtum des amerikanischen Volkes zu beobachten; desgleichen aber auch seine Energie in allen seinen Handlungen und dies bestätigen auch die täglich veröffentlichten neuen gewaltigen Export-Zahlen seines Handels und seiner Industrie. So kann ich mir auch vorstellen, wie ein solches, willensstarkes und begabtes Volk die Kraft unserer Feinde moralisch und finanziell zu stärken in der Lage ist und dadurch den Krieg zu unsern Ungunsten verlängern kann.“
Im Fall eines amerikanischen Kriegseintritts räumte Ludwig Stollwerck dem Deutschen Reich keine Chancen auf einen Siegfrieden ein, vielmehr zeichnete er ein düsteres Bild: „Der uns aufgedrungene Verteidigungskampf [wird] wohl zu 70-80% in seinem Ende für uns ungünstig verlaufen […], wenn Amerika offen in die Zahl unserer Feinde eintritt.“923 Er sollte Recht behalten: Der unbeschränkte U-Boot-Krieg, den das Deutsche Reich am 1. Februar 1917 begann, scheiterte nach anfänglichen Erfolgen schnell. Die inhaltliche Stoßrichtung der Befürchtungen Stollwercks ist klar: Als Unternehmer an der Spitze eines auch in Amerika ansässigen Konzerns dachte er nicht primär in nationalstaatlichen Kategorien, sondern in internationalen wirtschaftlichen Zusammenhängen. Ein Krieg gegen die USA bedeutete nach Ansicht Stollwercks nicht nur die militärische Niederlage, sondern gefährdete auch deutsche Firmen in den Vereinigten Staaten. Konkret fürchtete er, dass die amerikanische Tochterfirma Stollwerck Brothers sequestriert und konfisziert werden würde.924 Ludwig Stollwerck legte also auch bei politischen Fragen erkennbar den Maßstab geschäftlicher Prinzipien und wirtschaftlicher Interessen an. So müsse man hinsichtlich eines unbeschränkten U-Boot921 Rede Ludwig Stollwercks anlässlich der Ehrung der Jubilare in der Kölner Fabrik im Dezember 1914, Manuskript aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. Siehe auch Jaeger: Unternehmer, S. 240–247. 922 Siehe ebenda, S. 233 f. 923 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Berthold Körting am 23. September 1916, RWWA 208-174-5. Wie der Kontakt zwischen Stollwerck und dem Hannoveraner Industriellen Körting zustande kam, ist nicht bekannt. 924 Siehe zur 1917 tatsächlich erfolgten Konfiskation weiter unten sowie zu den Auswirkungen auf die Anteilseignerstruktur der Stollwerck AG ausführlich Kapitel IV.A.3.
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Kriegs Vor- und Nachteile aufwiegen, prüfen, wohin sich die Waagschale neige und dann entsprechend der kaufmännischen Devise „Erst wägen, dann wagen!“925 handeln. Diese Neigung zu geschäftsmännisch-nüchternem Denken war kein Alleinstellungsmerkmal Ludwig Stollwercks – Jaeger attestierte sie u. a. auch den Bankiers Max Warburg (1867–1946), Carl Fürstenberg (1850–1933) und Bernhard Dernburg926, die alle „ausgesprochene Männer der Praxis“927 waren. Auch in Ludwig Stollwercks Reaktion auf die Waffenstillstandsbedingungen im Winter 1918 spiegelt sich neben der offensichtlichen Wut und Demütigung vor allem seine Sorge um die künftige Entwicklung des Familienunternehmens vor dem Hintergrund der territorialen Verluste und der Ansprüche der Siegermächte: „Die Feder versagt es, alle die Gefühle zu Papier zu bringen, die uns Deutsche beseeligen! Solche beschämende, schamlose Waffenstillstandsbedingungen hätten wir doch nie erwartet! Als schutz- und wehrlos müssen wir uns an den Friedenstisch setzen und wie werden die Bedingungen sein! […] Die schlimmste Bedingung ist ja der Verlust Elsass-Lothringens und vielleicht auch vieler Kolonien, dann eine Entschädigung von vielleicht 40 Milliarden als Vergütung für den Wiederaufbau Belgiens und Nordfrankreichs. Wir Linksrheinischen müssen bitter empfinden die Besetzung unseres geliebten Rheintales durch den Feind und vielleicht auch Franzosen […]. Wir werden ja ausgepowert.“928
Das Interesse Stollwercks an der Rheinlandfrage ist nur allzu verständlich, denn die Kölner Stammfabrik des Familienunternehmens lag links des Rheins und damit in jener von den Alliierten besetzten Zone, deren Status nach Kriegsende vollkommen offen war. Es war zunächst nicht nur denkbar, dass das Rheinland im Reichsverbund verblieb, sondern auch ein selbständiger Rheinstaat oder die Angliederung des Gebiets an Frankreich wurden diskutiert.929 Zwar blieb das Rheinland gemäß der Bestimmungen des Versailler Vertrags letztlich Teil des Deutschen Reiches, doch die ungewöhnliche Rechtslage eines besetzten Gebietes erschwerte unternehmerische Entscheidungen. Parallel zur Umstellung von der Kriegs- auf die Friedenswirtschaft beeinträchtigten alliierte Verbote, Eingriffe, Beschlagnahmungen etc. den Alltag der Industrie. So unterstellten die Alliierten nahezu die gesamte Infrastruktur ihrer Aufsicht und schränkten den Warenverkehr durch ein dichtes Kontrollnetz stark ein. Indem sie es ferner zuließen, dass über die besetzten Westgebiete (ohne Zollzahlung) Handel betrieben werden konnte („Loch im Westen“), erschwerten sie nicht nur den Wiederaufbau des Geschäfts mit deutschen Produkten, sondern verminderten auch die Zolleinnahmen des 925 Ludwig Stollwerck an Berthold Körting am 23. September 1916, RWWA 208-174-5. 926 In Finanz- und Kredit- sowie den vielen Zweifelsfragen, die das Schicksal des amerikanischen Tochterunternehmens in Kriegs- und Nachkriegszeit betrafen, wandte sich Ludwig Stollwerck regelmäßig an den Kolonialpolitiker und Bankier Bernhard Dernburg. Die angesichts der Kriegsverhältnisse unüberschaubare Vielzahl an Gesetzen und Verordnungen erforderte nahezu zwangsläufig die Beratung durch einen Politiker. Zu der Verbindung zwischen Stollwerck und Dernburg siehe Kapitel IV.A.2. 927 Jaeger: Unternehmer, S. 283. Siehe auch ebenda, S. 284 f. 928 Ludwig Stollwerck an Gustav Stresemann am 14. November 1918, RWWA 208-174-9. 929 Siehe zur Rheinlandpolitik nach dem Ersten Weltkrieg Erdmann: Adenauer in der Rheinlandpolitik; Reimer: Rheinlandfrage.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
Deutschen Reiches und die Devisenkontrollmöglichkeiten. Auch Stollwerck hatte Probleme, erforderliche Rohstoffe in die alliierte Rheinlandzone einzuführen.930 Die Kölner Fabrik konnte nur noch eingeschränkt produzieren, so dass sich das Unternehmen 1921 entschloss, als Ersatz die Berliner Fabrik auszubauen.931 Die Lage im besetzten Rheinland wurde immer hoffnungsloser, die Bewegungsfreiheit weiter eingeschränkt, als Anfang März 1921 französische und belgische Truppen Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort besetzten, um die Reichsregierung zur Annahme der deutschen Gesamtschuld an Reparationen in Höhe von 226 Mrd. Goldmark zu zwingen. Nach deutschen Protesten wurde der Betrag im Londoner Zahlungsplan im April 1921 schließlich auf 132 Mrd. Goldmark festgelegt. Aufgrund von geringen Rückständen in den Holz- und Kohlelieferungen besetzten jedoch am 9. Januar 1923 französische und belgische Truppen das gesamte Ruhrgebiet. Die Reichsregierung reagierte mit dem Aufruf zum passiven Widerstand. Aus sozialen sowie wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen musste der Ruhrkampf jedoch von der Regierung Stresemann am 26. September 1923 abgebrochen werden.932 Die Grenze zwischen dem besetzten Gebiet und dem übrigen Reich wurde während der Dauer der Besetzung zu einer Zoll- und Passgrenze, der Warenverkehr durch Kontrollen noch stärker als bisher beeinträchtigt. Der Bahnverkehr in Richtung Ruhrgebiet war vielfach vollständig unterbrochen. Ein großer Teil der für den Absatz wichtigen Gebiete konnte wegen Verkehrseinschränkungen oder zu hoher Kosten nicht mehr mit Ware versehen werden – Aufträge und Absatzmöglichkeiten brachen in großem Umfang weg.933 Ins unbesetzte Gebiet konnte die Stollwerck AG nur noch eingeschränkt liefern, hinzu traten die Schwierigkeiten, „die bedenklich knapp gewordenen hauptsächlichsten Rohstoffe weiterhin hereinzubekommen“934. Die Menge des verarbeiteten Rohkakaos, die 1921 und 1922 mit 5.003 und 5.418 Tonnen weit über dem Durchschnitt der letzten Friedensjahre gelegen hatte, sank 1923 auf 918 Tonnen.935 Zwar waren die Besetzung von Rheinland und Ruhrgebiet sowie der passive Widerstand für die Stollwerck AG belastend, in die politischen Auseinandersetzungen und Verhandlungen um das Rheinland und die Reparationen brachte sich jedoch kein Familienmitglied konzeptionell ein. Dies erklärt sich zum einen 930 Siehe Ludwig Stollwerck an den Berliner Oberregierungsrat Henrici am 27. Dezember 1918, RWWA 208-217-5; Ludwig Stollwerck an Dr. Wiedemann von der Kölner Handelskammer am 8. Februar 1919, RWWA 208-171-8. 931 Der Ausbau der Fabrik verzögerte sich bis 1923, so dass den Schwierigkeiten des abgeschnittenen Stammhauses nur zum Teil durch eine stärkere Ausnutzung des Berliner Betriebs, der allein das unbesetzte Gebiet versorgte, begegnet werden konnte. Siehe Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1922 und 1923, RWWA 208-388-3. 932 Siehe Kolb: Die Weimarer Republik, S. 46, 51 ff. 933 Siehe Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1922/23, RWWA 208-388-3. 934 Rundschreiben Nr. 12 der Gebrüder Stollwerck AG an die Vertreter des Unternehmens am 13. März 1923, RWWA 208-77-4. 935 Siehe Aufstellung über den Jahresverbrauch an Rohkakao in der Kölner Fabrik 1903–1924, RWWA 208-270-3. Der durchschnittliche Verbrauch der Jahre 1909–1913 hatte bei 3.119 Tonnen gelegen. Siehe ebenda.
III.C Die Bürgerfamilie in der Öffentlichkeit
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aus der gewohnten Distanz zur „großen Politik“, zum anderen stand die Süßwarenindustrie in der Rangliste des Reparationsinteresses der Alliierten weit hinten. Stärker als die innen- und außenpolitische Entwicklung während der Kriegsund Nachkriegszeit beschäftigte Stollwerck die bisher unbekannte enge Verbindung von Staat und Wirtschaft. Behördliche Eingriffe in die Rohstoffbeschaffung und -verteilung, die Produktion und den Arbeitsmarkt wurden mit Kriegsausbruch alltäglich.936 Die Nähe zu Stresemann ermöglichte es Ludwig Stollwerck, in diesem System der Kriegswirtschaft das Detailwissen des Freundes über die Organisation der zuständigen Behörden, politische und administrative Vorgänge in Berlin, neue Gesetzentwürfe und die Vielzahl an wirtschaftlichen Verordnungen und Vorschriften für das eigene Unternehmen zu nutzen.937 In monatelangen Verhandlungen setzte er sich zudem in mehreren Gremien erfolgreich dafür ein, dass die 1907 von den führenden deutschen und schweizerischen Schokoladenunternehmen gegründete Kakao-Einkaufs-Gesellschaft m. b. H. (KEG)938 im März 1916 in eine Kriegs-Kakao GmbH (KKG) umgewandelt wurde, die von der Regierung das
936 Siehe Zunkel: Industrie und Staatssozialismus, S. 17–30; Roth: Staat und Wirtschaft. 937 Nachdem der Bundesrat Ende 1915 angekündigt hatte, die Fabrikation bestimmter Artikel zu verbieten und für alle übrigen Süßigkeiten die Zuckerzuteilung um die Hälfte zu reduzieren, reiste Ludwig Stollwerck z. B. sofort nach Berlin. Dort wurde er zunächst im Handelsministerium vorstellig, später im Kaiserlich-Statistischen Amt, im Reichsamt des Inneren und schließlich im Reichstag bei Gustav Stresemann, von dem er sich Unterstützung erhoffte, um die Fabrikationseinschränkungen abzuwenden. Stresemann hatte während seiner dreijährigen Tätigkeit beim Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten die spezifischen Probleme der deutschen Schokoladenindustrie, die seit den 1890er Jahren mit Zollerhöhungen und der internationalen Konkurrenz kämpfte, kennengelernt. Mehr als das Versprechen, „die Regierung wegen dieser Zuckerfrage zu interpellieren“ (Ludwig Stollwerck an Gustav, Franz (II), Fritz und Paul Stollwerck am 10. Dezember 1915, RWWA 208-219-5), erreichte er aber nicht. Zucker wurde sukzessive rationiert, die Fabrikation eingeschränkt. Siehe Kapitel IV.A.3. 938 Der Umfang der Kakaoernte und damit auch die von Angebot und Nachfrage bestimmten Preise schwankten im 19. Jahrhundert beständig, so dass die Spekulation auf dem Kakaomarkt eine große Rolle spielte. 1904/05 sanken die Preise für Rohkakao infolge hoher Kakaoernten erheblich. Der Preissturz wurde dadurch verschärft, dass Spekulanten BlankoVerkäufe abschlossen, um die Produzenten zu weiteren Preisnachlässen zu zwingen. Als Reaktion schlossen sich mehrere portugiesische Plantagenbesitzer zu einem Kartell zusammen. Das Ergebnis war ein enormer Preisanstieg im Folgejahr – allein im zweiten Halbjahr 1906 stiegen die Rohkakaopreise um 75 bis 80 Prozent. Die akute Gefahr weiterer Spekulationen veranlasste die deutschen Schokoladenfabrikanten, unter Führung von Ludwig Stollwerck, sich in einem Einkaufs-Kartell zusammenzuschließen. Im Februar 1907 gründeten die Vertreter von 31 Firmen, darunter drei Schweizer Unternehmen, die Kakao-Einkaufs-Gesellschaft m. b. H. (KEG). Vorsitzender der KEG wurde bis zu seinem Tod 1922 Ludwig Stollwerck. Durch den engen Zusammenschluss der Schokoladenfabrikanten schuf man ein Gegengewicht zu den Kakaoproduzenten in den Ernteländern. Die KEG übernahm für ihre Mitglieder den An- und Verkauf von Rohkakao und weiteren für die Schokoladenfabrikation notwendigen Materialien. Sie wurde schnell zum größten Rohkakaoeinkäufer Deutschlands. Siehe Greiert: Festschrift, S. 57–60. Siehe zu steigenden Rohstoffpreisen und der Wirtschaftskrise von 1907/08 auch Rossfeld: Vom Hoffnungsträger zum Politskandal, S. 194–199.
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III. Die Unternehmerfamilie Stollwerck
alleinige Recht erhielt, Rohkakao und Halbfabrikate einzuführen.939 Der Einkauf wurde damit zwar staatlicher Aufsicht unterstellt, aber weiterhin in Selbstverantwortung und -verwaltung der Industrie durchgeführt, d. h. die Rohstoffversorgung trug halb staatlichen, halb privatwirtschaftlichen Charakter. Zugleich profitierten die staatlichen Stellen von den etablierten Strukturen des Selbstverwaltungsorgans und der fachlichen Kompetenz der Unternehmer. Ludwig Stollwerck sicherte seinem Unternehmen und dem Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten über den Vorsitz der Kriegsgesellschaft eine strategisch bedeutende Position an der Schnittstelle zwischen Staat und Wirtschaft. Er pflegte die Kontakte zu den Reichs- und kommunalen Behörden, um möglichst umfassend in Überlegungen über notwendige Regelungen und staatliche Eingriffe einbezogen zu werden. Neben dem Vorsitz der KKG war es vor allem sein Engagement in der Frage, wie die Wirtschaftsordnung nach dem Krieg aussehen solle, die eine zunehmende Politisierung Ludwig Stollwercks deutlich werden lässt – u. a. war er Mitglied im Beirat des Reichskommissars für Übergangswirtschaft.940
939 Siehe Ludwig Stollwerck an Gustav, Franz (II), Fritz und Paul Stollwerck am 10. Dezember 1915, RWWA 208-219-5; Kynast: Die deutsche Kakao- und Schokolade-Industrie, S. 91 f. 940 Hatte Ludwig Stollwerck in der Vorkriegszeit staatliche Interventionen im Grundsatz abgelehnt, änderte sich diese Einstellung ab 1914. Er trat nachhaltig dafür ein, auch nach Kriegsende zunächst den zentralen Einkauf beizubehalten, um, erstens, auf dem Weltmarkt möglichst wenige Einkäufer zu haben und, zweitens, die Aufnahme von Krediten zu vermeiden. Siehe Ludwig Stollwerck zum Tagesordnungspunkt „Übergangswirtschaft“ auf dem Verbandstag des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten am 2. März 1918, in: Vertrauliche Mitteilungen des Verbandes deutscher Schokolade-Fabrikanten 38., Jg. Nr. 9 vom 1. Mai 1918, RWWA 208-299-6. Dieser Standpunkt verwundert, geht man allein von Größe und Bedeutung der Stollwerck AG aus. Er erklärt sich indes, wenn man berücksichtigt, dass das Unternehmen seit Kriegsbeginn hohe Kredite im neutralen Ausland aufgenommen hatte, um den Rohstoffbezug zu finanzieren. Siehe ausführlich Kapitel IV.A.3.
IV. DAS FAMILIENUNTERNEHMEN STOLLWERCK IV.A DIE VERFÜGUNGSRECHTSSTRUKTUR IM SPIEGEL DER UNTERNEHMERNACHFOLGE IV.A.1 „Für mich hast Du aufgehört mein Sohn zu sein“ – Generationenübergang im Zeichen familiärer Auseinandersetzungen (etwa 1866 bis 1884) Die Neue Institutionenökonomik basiert auf der Annahme, dass die Freiheit menschlichen und damit auch unternehmerischen Handelns durch Spielregeln und Institutionen bestimmt wird, d. h. innerhalb eines vorgegebenen Entscheidungsrahmens abläuft. Die Handlungsspielräume der Akteure sind demnach eingegrenzt. Bei einer analytischen Betrachtung der wechselseitigen Verbindung von Familie und Unternehmen stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage nach der Eigentums- und Leitungsstruktur1 eines Unternehmens und der Bedeutung der Unternehmensform – beide Aspekte sind nicht nur für die Unternehmensführung, sondern auch für den Einfluss der Familie entscheidend. Ein wichtiger Moment für Familie und Unternehmen ist vor diesem Hintergrund der Prozess der Unternehmernachfolge.2 Hier werden nicht nur Eigentumsverhältnisse und Einkommensstruktur der einzelnen Familienmitglieder, geschäftliche Kompetenz- und Entscheidungsstrukturen, Privilegien und Verpflichtungen neu geregelt, sondern auch innerhalb der Familie verändern sich Machtpositionen und Rollenbilder.3 Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Generationenwech1 2
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Zur Vernachlässigung des Themas Eigentum in der Forschung siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 75–79. In der Familienunternehmensforschung zählt die Nachfolge zu den am umfassendsten behandelten Fragen. Die Mehrdimensionalität dieses Prozesses spiegelt sich in Studien zu Strategien der Kontinuitätssicherung vor der Folie sich wandelnder Rahmenbedingungen, Persönlichkeit, Erwartungen und Beziehungen der beteiligten Personen (zumeist vor dem Hintergrund von Harmonie und Konflikt), Unternehmenskultur und -organisation. Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen; Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 170–224; dies.: Succession in Multi-Generational Family Firms; Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien; Zeumer: Nachfolgefinanzierung; Hillen: Nachfolge ohne Nachfolger. Siehe ferner Caspary: Töchter in der Nachfolge; Gruhler: Unternehmernachfolge; Viehl: Familieninterne Unternehmernachfolge; Habig/Berninghaus: Die Nachfolge im Familienunternehmen ganzheitlich regeln; Wimmer/Gebauer: Nachfolge in Familienunternehmen; Stamm/Schmiade/Kohli: Von Generation zu Generation. Es existiert eine Vielzahl von Definitionen, was genau unter dem Generationenwechsel im Familienunternehmen zu verstehen ist. Vorliegende Arbeit lehnt sich an die Definition von Cadieux (Succession, S. 96) an: „Succession is a complex process spread over four different phases – initiation, integration, joint reign, and withdrawl – during which the roles of the predecessor und successor evolve in an interdependent way with the ultimate goal of ensur-
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
sel in Familienunternehmen mitunter erhebliches Konfliktpotenzial birgt – überlagern und verdichten sich doch hier rational-funktionale, unternehmerische Fragen und familiäre Emotionen und Wünsche. Eine rechtzeitige und detaillierte Planung, wie der Nachfolgeprozess idealiter ablaufen soll, damit nicht nur die Ansprüche des Unternehmens, sondern auch die Bedürfnisse der Familie erfüllt werden, ist daher empfehlenswert. Familienunternehmen stehen aber immer wieder vor der Herausforderung, „Wechselfälle“4 bewältigen zu müssen, denn der Nachfolgeprozess verläuft trotz ausgefeilter Konzeptionen selten reibungslos. Neben einem Mangel an verfügbaren bzw. ausreichend qualifizierten oder verantwortungsbewussten Nachfolgern, können dafür u. a. persönliche Schicksalsschläge, der plötzliche Tod des Firmenchefs oder sein Festhalten an der Führungsverantwortung ursächlich sein. Firma Franz Stollwerck Franz Stollwercks Firma war vor dem offiziellen Eintritt seiner Söhne 1869 eine Einzelunternehmung, Eigentums- und Verfügungsrechte waren bei ihm konzentriert. Seine Familie verfügte nicht über große Kapitalressourcen, so dass eine aktive unternehmerische Verbindung mit Verwandten nicht in Frage kam. Das bedeutet aber nicht, dass Stollwerck sich familiale Loyalitäten nicht zu Nutze machte. Sein Bruder, beide Schwestern und deren Ehemänner arbeiteten zeitweise für ihn.5 Ob sie aus ihrer Tätigkeit auch Forderungen nach einer Teilhaberschaft ableiteten oder Franz Stollwerck für sie unternehmerische Leitungspositionen vorsah, ist nicht bekannt. Auch einen familienfremden, kapitalkräftigen Partner nahm Franz Stollwerck in der Frühphase seiner Unternehmung nicht in die Firma auf. Eine schriftlich fixierte Unternehmensverfassung existierte daher nicht. Das heißt aber nicht, dass Stollwerck keinerlei formgebundenen Institutionen unterlag. Nachdem im März 1849 sein Café und Theater durch einen Brand nahezu vollständig zerstört worden waren, musste er zu bereits bestehenden Krediten weitere Darlehen aufnehmen, um die Schäden zu beheben.6 Da er jedoch den Forderungen seiner Gläubiger schon bald nicht mehr nachkommen konnte, beschnitten
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ing the firm’s survival.“ In dieser Auslegung wird deutlich, dass die Nachfolge im Familienunternehmen zum einem ein Netzwerk mehrdimensionaler Prozesse ist, zum anderen vor allem zwei Gruppen, d. h. Übergeber und Nachfolger, die meist verwandt sind und verschiedenen Generationen angehören, beteiligt und mit diesen Gruppen ferner bestimmte Ansprüche, Erwartungen, kurz: aufeinander abzustimmende Rollenbilder verknüpft sind. Ziel des Generationenwechsels ist es, Unternehmensleitung bzw. -kontrolle und Unternehmensanteile an den Nachfolger zu übertragen. Wie in FN 1 erwähnt, hat sich die Forschung bislang überwiegend mit dem Wechsel in der Unternehmensleitung beschäftigt und die Übertragung von Eigentumsrechten eher vernachlässigt. Siehe zur differenzierten funktionellen Ausbildung der Söhne ausführlich Kapitel III.A.1. Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 129. Siehe Kapitel III.A.1. Siehe Kapitel III.A.3.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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ihm seine Geldgeber im Juli 1849 die Handlungsspielräume im operativen Geschäft. Zwar erließen sie ihm 35 Prozent seiner Schulden – allerdings nur unter der Bedingung, dass er zum einen 20 Prozent seiner Verpflichtungen sofort tilge, zum anderen eine von den Gläubigern zu wählende Kommission7 akzeptiere, die die Stollwerck’schen Geschäfte beaufsichtigen solle und ohne deren Genehmigung er „weder wesentliche bauliche Veränderungen u. Einrichtungen, noch bedeutende Anschaffungen von Mobilar oder irgend zweifelhafte Spekulationen“ vornehmen dürfe, bis die restlichen Verbindlichkeiten zurückgezahlt seien. Ferner sollte „der sich am Schluße eines jeden Jahres ergebende Gewinn […] pro Rata der respectiven Forderungen an die Gläubiger verteilt werden“8, um die verbleibenden 45 Prozent der Schuldsumme abzudecken. Trotz dieses Entgegenkommens seiner Gläubiger gelang es Franz Stollwerck nicht, die Kredite zurückzuzahlen: 1853 wurde er für bankrott erklärt.9 Es lässt sich nicht erhellen, wie Franz Stollwerck diese Situation konkret meisterte. Anfang der 1850er Jahre lernte er jedoch den vermögenden Kölner Rentier Joseph Wolff kennen. Wolff verpachtete ihm nicht nur das Grundstück, auf dem er 1855 die Königshalle errichten ließ, sondern zum einen freundeten sich auch die beiden ältesten Söhne Stollwercks mit Wolffs Pflegetöchtern an, die sie 1865 bzw. 1868 heirateten,10 zum anderen ist davon auszugehen, dass Stollwerck über Wolff Kapital mobilisierte. Die Geschäftsbilanz vom 1. Juli 1866 weist aus, dass Wolffs Witwe Barbara als stille Teilhaberin 20.000 Taler in das Unternehmen von Franz Stollwerck investiert hatte und damit offensichtlich ein Engagement ihres Ehemanns fortsetzte.11 Neben der Witwe Wolff hatte Stollwerck zudem von dem Bankier Leopold Seligmann12 18.500 Taler Kapital erhalten. Auch Albert Nikolaus Stollwerck (I) investierte bereits vor seiner offiziellen Aufnahme in die Firma als stiller Teilhaber in das väterliche Unternehmen – eine im 19. Jahrhundert gängige Form der innerfamiliären Kapitalgewinnung zur Un-
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Die Aufsicht durch die Kommission war für mindestens fünf Jahre vorgesehen. Sofern Franz Stollwerck freilich vor Ablauf dieses Zeitraums seine Schulden beglich, sollte sie außer Kraft treten. Siehe Entwurf für einen Vertrag zwischen Franz Stollwerck und seinen Gläubigern vom 3. Juli 1849, RWWA 208-255-1. Die letzten beiden Zitate aus ebenda. Laut Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 13) wurde dieser Vertrag am 5. Juli 1849 geschlossen. Ihm traten bis zum 15. Oktober 1850 mindestens 55 Gläubiger bei. Siehe Auflistung der beigetretenen Gläubiger vom 15. Oktober 1850, RWWA 208-252-3. Bereits am 20. Juni 1849 hatten fünf Gläubiger Franz Stollwerck 65 Prozent seiner Schulden erlassen, unter der Maßgabe, dass er 20 Prozent der verbleibenden Schulden sofort, fünf Prozent am 1. Mai 1851 und die restlichen zehn Prozent am 1. Mai 1852 zahle. Siehe Vertrag zwischen Franz Stollwerck und seinen Gläubigern vom 20. Juni 1849, RWWA 208-252-3. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 17. Siehe ausführlich Kapitel III.A.2 und III.A.3. Siehe Bilanz von Franz Stollwerck vom 1. Juli 1866, RWWA 208-252-3. Der Name Seligmann findet sich bereits 1852 in einer Auflistung der Immobiliengläubiger Franz Stollwercks. Siehe Bilanz von Franz Stollwerck vom 1. Oktober 1852, RWWA 208252-3.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
ternehmensfinanzierung.13 1866 betrug seine Einlage 7.500 Taler – die Hälfte dieser Summe stammte aus dem Vermögen seiner Ehefrau.14 Die Investition von Albert Nikolaus (I) lässt sich auf den zu dieser Zeit erhöhten Kapitalbedarf des Unternehmens zurückführen, denn nachdem sich Franz Stollwerck Ende der 1850er Jahre wieder ausschließlich der Herstellung von Konditoreierzeugnissen und Brustbonbons verschrieben hatte, hatte er rasch eine neue Fabrik errichten lassen. Stollwerck finanzierte sein Unternehmen aber nicht allein, indem ihm Familie und Freunde Kapital bereitstellten. Schon früh zog er für Investitionen und das operative Geschäft auch Bankkredite heran. Seit den 1840er Jahren arbeitete er mit den Bankhäusern Leopold Seligmann, Sal. Oppenheim15 und A. Levy zusammen, in den 1860er Jahren kamen Geschäftsverbindungen mit dem A. Schaaffhausen’schen Bankverein hinzu. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Bankvereins, Gustav von Mevissen (1815–1899), wohnte in der Sternengasse, unweit des Areals Sternengasse 8, das Franz Stollwerck 1867 erworben hatte, um seine Fabrikations- und Geschäftsräume in der Hohe Straße 9 zu erweitern.16 Firma Franz Stollwerck & Söhne Seit Ende der 1850er Jahre arbeiteten die drei ältesten Söhne Franz Stollwercks im Geschäft mit – Heinrich im Betrieb, Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph in der Buchhaltung und im Vertrieb. Doch erst rund zehn Jahre später erklärte Franz Stollwerck erstmals seine „Bereitwilligkeit“, die Söhne mit zehn Prozent am Unternehmensgewinn zu beteiligen, den er mit 3.000 Talern garantierte. Ferner sicherte er ihnen zu, „mit Neujahr 1869 deren Verhältniß zum Geschäft notariell festzustellen und bis dahin dieselben auch öffentlich durch Vervollständigung der Firma in Franz Stollwerck & Söhne in dieselbe aufzunehmen“17. Kunden und Geschäftspartner informierte er wie folgt über diese am 10. Dezember 1868 notariell beglaubigte Entscheidung: 13 14 15 16
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Siehe Coym: Unternehmensfinanzierung, S. 36 ff.; Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 107–110. Siehe Vertrag zwischen Franz und Albert Nikolaus Stollwerck (I) vom 9. Oktober 1867, RWWA 208-226-7. Siehe zum Bankhaus Oppenheim Treue: Das Schicksal des Bankhauses Sal. Oppenheim jr. & Cie.; Stürmer/Teichmann/Treue: Wägen und Wagen. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 539 f. Die Quellen, auf die sich Kuske in seiner Darstellung bezog, sind nicht erhalten. Zur Geschichte des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins aus der Perspektive eines ehemaligen leitenden Angestellten siehe Hilgermann: Das Werden und Vergehen. Siehe auch Born: Geld und Banken, S. 101 f., 151, 324 f., 459 f. Schriftliche Erklärung Franz Stollwercks vom 2. Juli 1868, RWWA 208-249-4. Für die Phase einer gemeinsamen Unternehmensführung („joint-reign“) gibt es im Deutschen die Begriffe „Doppelregierung“ und „Kohabitation“, die aber, wie Lubinski (Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 207) zu Recht betonte, ein gleichberechtigtes Verhältnis abbilden und daher für das in der Regel hierarchisch strukturierte und von einem großen Altersunterschied geprägte Vater-Sohn-Verhältnis nicht zutreffen. Lubinski (ebenda) schlug daher treffend vor, besser von einer „Zweigenerationenführung“ zu sprechen.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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„Die ausserordentliche Erweiterung, welche meine Brust-Bonbons-, Chocoladen- und Zuckerwaaren-Fabrik in den letzten Jahren erfahren hat, veranlasste mich, meine drei ältesten Söhne: Albert Nicolaus, Peter Joseph und Heinrich als Theilhaber aufzunehmen. Um denselben, da sie seit einer Reihe von Jahren die Arbeit mit mir theilen, einen Beweis meines besonderen Vertrauens zu geben, werden wir das Geschäft unter der Firma Franz Stollwerck & Söhne fortsetzen.“18
Zwar ist die Aufnahme der Söhne als Teilhaber noch kein Generationenwechsel im engeren Sinne, doch änderte sich bereits durch diesen Schritt die Struktur der unternehmerischen Eigentumsrechte. Franz Stollwerck wählte diesen Weg nicht, weil er geschäftsmüde oder nicht mehr arbeitsfähig gewesen wäre, auch ging es ihm nicht vornehmlich um einen Vertrauensbeweis, sondern er verfolgte vor allem ein langfristiges Ziel: die Vorbereitung der vollständigen Übergabe des Unternehmens an seine Söhne, die Ausformung eines Familienunternehmens, das dauerhaft im Eigentum seiner Nachkommen bleiben sollte. Die Aufnahme der Söhne als Gesellschafter war nur die logische Folge des ersten Schritts zur familieninternen Weitergabe des Unternehmens: der systematischen und gezielt auf eine spätere Tätigkeit im Unternehmen hinführenden Erziehung und Ausbildung seiner Söhne. Eine wichtige Rolle bei dieser Entscheidung spielte ferner auch die bereits erwähnte betriebsökonomische Ratio, d. h. der erforderliche Kapitalbedarf. Indem Franz Stollwerck das Eigentum am Unternehmen nicht mehr allein in seiner Hand vereinte, sondern seine Söhne zu Anteilseignern machte, führte er dem Geschäft neues Kapital zu. Während es durchaus Beispiele für Unternehmer gibt, die sich schon zu dem Zeitpunkt aus dem Geschäft zurückzogen,19 an dem ihre Nachfolger in das Unternehmen eintraten, dachte Franz Stollwerck mit 54 Jahren noch keineswegs daran, die Unternehmensleitung kurzfristig aus der Hand zu geben. Er wollte die Söhne unter seine Ägide nur langsam an die unternehmerische Verantwortung heranführen, hielt sich vorläufig noch für unersetzlich.20 Dies wird an mehreren Prinzipien deutlich, die dem Gesellschaftsvertrag zugrunde lagen und in den folgenden Jahren zu erheblichen Problemen führten. In Finanzfragen behielt Franz Stollwerck umfassende Entscheidungsbefugnisse – die Söhne durften über Aufnahme und Vergabe von Krediten über 500 bzw. 100 Taler nicht allein entscheiden (§ 5). Zudem ließ er sich vertraglich zusichern, seine Brustbonbons weiterhin allein unter seinem Namen vertreiben zu dürfen. Seinen Söhnen hingegen untersagte der Ver18
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Anzeige anlässlich der Umbenennung der Firma in Franz Stollwerck & Söhne vom 6. Januar 1869, RWWA 208-829-2. Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich waren zu diesem Zeitpunkt zwischen 26 und 28 Jahre alt und damit im „normalen“ Alter, in das Geschäft des Vaters einzutreten und eine leitende Stellung zu übernehmen. Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 121. Siehe ebenda, S. 125 f. Zum psychologischen Problem des „Loslassens“ der Führungsverantwortung siehe Habig/Berninghaus: Die Nachfolge im Familienunternehmen ganzheitlich regeln, S. 37–43, 76–80. Schäfer (Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 126) wies darauf hin, dass ein Rückzug aus dem Unternehmen vor Vollendung des 70. Lebensjahres gegenüber der Öffentlichkeit mitunter erklärungsbedürftig schien. Siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 192.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
trag, ein anderes Geschäft zu betreiben oder sich an einem anderen Unternehmen zu beteiligen. Sie mussten vielmehr ihre „ganze Thätigkeit dem Geschäfte ausschließlich widmen“ (§§ 4, 8). Auch vom Unternehmensgewinn erhielt Franz Stollwerck mit 70 Prozent den Löwenanteil – seinen Söhnen stand nur jeweils ein Zehntel zu, das sie zudem „stets in der Gesellschafts-Casse als Fonds zu belassen hatten“21. Als Gehalt durften sie in monatlichen Raten über das Jahr verteilt im Ganzen die Summe von 1.500 Talern entnehmen (§§ 9–10). Im Falle von Auseinandersetzungen mit den Söhnen behielt sich Franz Stollwerck ferner das Recht vor, zwei Schlichter zu benennen, während die Brüder gemeinsam nur einen Schiedsrichter wählen durften (§ 12).22 Damit konnte er Meinungsverschiedenheiten im Grunde immer zu seinen Gunsten lösen, während seine Söhne, auch wenn sie sich untereinander einig waren, keine Chance hatten, sich gegen ihren Vater durchzusetzen. Vor dem Hintergrund, dass im Grunde nur Franz Stollwerck die volle unternehmerische Verfügungsgewalt besaß, ist interessant, dass als Gesellschaftsform die Offene Handelsgesellschaft (OHG) und keine Kommanditgesellschaft gewählt wurde. In der OHG haben grundsätzlich alle Gesellschafter das 21
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Die letzten beiden Zitate aus Gesellschaftsvertrag der Firma Franz Stollwerck & Söhne vom 16. Dezember 1868, RWWA 208-342-3. Zu einbehaltenen Gewinnen als zentrale Finanzierungsquelle von Familienunternehmen siehe die Ausführungen weiter unten im Kapitel. Die niedrige Gewinnbeteiligung der Stollwerck-Söhne war kein Einzelfall. Otto Staengel erhielt nach seiner Aufnahme als Teilhaber zunächst 15 Prozent vom Gewinn. Auch hier war der Vater weiter in der Geschäftsleitung tätig. Siehe Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 50. Albert Nikolaus Stollwerck (I) hatte in den Jahren vor Abschluss des Gesellschaftsvertrags neben der Arbeit für den Vater auch eigenständige Geschäfte betrieben. Zwischen 1865 und 1867 führte er laut Kölner Adressbuch in der Hohe Straße 9, wo auch das Geschäft des Vaters ansässig war, die Hauptagentur der englischen Firma Hudson, die Klärmaschinen für Wein, Spirituosen, Essig, Säfte usw. vertrieb. Die Tätigkeit hing demnach eng mit den Unternehmungen des Vaters zusammen, der u. a. Likör herstellte. Albert Nikolaus (I) unterhielt ferner Vertretungen für neu aufkommende Haushaltungsmaschinen. Zudem entwickelte er einen eigenen Zuckerhandel sowie den Vertrieb und die Herstellung von Emser Pastillen, die freilich auch mit dem väterlichen Betrieb zusammenhingen. Während der Dauer der Firma Franz Stollwerck & Söhne ruhte die selbständige Tätigkeit, nach der geschäftlichen Trennung vom Vater nahm Albert Nikolaus (I) sie wieder auf. Siehe Adressbücher der Stadt Köln für die Jahre 1865–1867, 1873–1876; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 28 f. Siehe Gesellschaftsvertrag der Firma Franz Stollwerck & Söhne vom 16. Dezember 1868, RWWA 208-342-3. Gemäß Gesellschaftsvertrag brachte Franz Stollwerck „seine sämmtlichen in der Stadt Cöln gelegenen Immobilien, sowie die in denselben gegenwärtig vorhandenen Maschinen wie das Geschäfts-Inventar“ in die gemeinsame Firma mit den Söhnen ein. Bereits im Januar 1869 modifizierte er diese Bestimmungen jedoch zu seinen Gunsten, indem er festlegen ließ: „Der Comparant Herr Franz Stollwerck überläßt der Societät die Benutzung seiner sämmtlichen in der Stadt Cöln gelegenen Immobilien, insoweit solche bisher zu Geschäftszwecken benutzt wurden, also mit Ausnahme sämmtlicher Wohnräume, wobei noch ausdrücklich bemerkt wird, daß diese sämmtlichen Immobilien vor wie nach alleiniges und ausschließliches Eigenthum des genannten Herrn Franz Stollwerck bleiben. Dagegen bringt Letzterer dem Eigenthum nach in die Societät ein die in jenen gedachten Immobilien gegenwärtig vorhandenen Maschinen und das Geschäfts-Inventar […].“ Änderung des Gesellschaftsvertrags der Firma Franz Stollwerck & Söhne vom 14. Januar 1869, RWWA 208342-3.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Recht auf umfassende geschäftsführende Kompetenzen,23 sofern nicht – wie im Fall Franz Stollwerck & Söhne – im Gesellschaftsvertrag Einschränkungen festgelegt werden.24 Der tatsächliche, eigenständige und eigenverantwortliche Handlungsspielraum, den der Vater seinen Söhnen zugestand, war demnach sehr beschränkt. Indem er sich durch Sicherheitsklauseln zahlreiche Verfügungsrechte vorbehielt, gestand er den Nachkommen keine gleichberechtigte Position, sondern lediglich die Rolle von Juniorpartnern zu. Die paternalistische Führung und der Autoritätsanspruch Franz Stollwercks, die vermutlich in seinen Sozialisationserfahrungen im handwerklichen Milieu des Elternhauses gründeten, waren offensichtlich so groß, dass die Söhne nicht aufbegehrten, sondern der väterlichen Vorrangstellung mit ihrer Unterschrift unter den Vertrag zumindest formell zustimmten. Sie taten dies aber nur – so ihre rückblickende Analyse – „um des lieben Friedens willen“ und in dem vollen Bewusstsein, dass ihre Selbständigkeit „durch allerlei Klauseln“ während der Dauer des Vertrags „unmöglich“25 gemacht werde. Statt also den bereits zu diesem Zeitpunkt aufkeimenden Konflikt mit dem Vater offen auszutragen und auszuräumen, wurde er unterdrückt und entlud sich später in der Phase der gemeinsamen Unternehmensführung. Der eigentlich innerfamiliäre Konflikt wurde damit in das Unternehmen verlagert, was einerseits eine konstruktive Zusammenarbeit und einen planvollen Generationenwechsel verhinderte, andererseits aber auch die sinnstiftende Kraft des Unternehmens zeigt. Im Gesellschaftsvertrag wurde die projektierte familieninterne Nachfolge allerdings mit keinem Wort thematisiert, zeitliche und inhaltliche Planungen für den Nachfolgeprozess blieben außen vor, d. h. Franz Stollwerck ließ sich nicht darauf festlegen, wann seine Söhne die alleinige Entscheidungskompetenz erhalten sollten. Der Kontrakt beinhaltete lediglich eine Klausel, in der definiert wurde, was zu geschehen hatte, sollte einer der Teilhaber sterben (§ 13). So wurden genaue Bedingungen und Fristen formuliert, innerhalb derer die Auszahlung der Erben zu erfolgen hätte. Sollte einer der Gebrüder Stollwerck ledig versterben, bliebe seine Einlage im Geschäft und die Erben erhielten für die Dauer des Gesellschaftsvertrags nichts. Eine zurückbleibende Witwe und die Kinder erhielten vierteljährlich 1.000 Taler; die Ehefrau Franz Stollwercks hingegen bekäme im Falle seines Ablebens alle drei Monate 6.000 Taler.26 Die Bestimmungen dienten im Kern dem Ziel, die überlebenden Gesellschafter beim Tod eines Teilhabers vor etwaigen kurzfristigen Ansprüchen der Erben des Verstorbenen zu schützen, die die Liquidität der Gesellschaft gefährden würden. Getrieben von Ehrgeiz, Expansions- und Modernisierungsdrang waren die drei Brüder aber in der Folge nur bedingt bereit, sich dem Vater unterzuordnen. 23 24 25 26
Im Falle des plötzlichen Todes des Unternehmensleiters hat diese Regelung den Vorteil, dass keine Vakanz entsteht. Siehe HGB §§ 114, 125. Peter Joseph Stollwerck an Franz Stollwerck am 21. Februar 1871, RWWA 208-249-4. Siehe Gesellschaftsvertrag der Firma Franz Stollwerck & Söhne vom 16. Dezember 1868, RWWA 208-342-3.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
So dauerte es nicht lange, bis der Suprematieanspruch und die Erwartungshaltung des Vaters mit dem Wunsch der Söhne nach Anerkennung und gleichberechtigter Teilhabe an der Unternehmensleitung aufeinanderprallten. Die gemeinsame Geschäftsführung von Franz Stollwerck und seinen drei ältesten Nachkommen war von Beginn an geprägt von Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen, die sich im Kern um die konträren Auffassungen über die „richtige“ Unternehmensführung drehten.27 Franz Stollwerck zeigte sich nicht nur wenig bereit, seinen Söhnen Entscheidungskompetenzen zu übertragen und sie angemessen am Unternehmensgewinn zu beteiligen, sondern er lehnte auch ihre Herangehensweise an geschäftliche Angelegenheiten und unternehmerische Fragen nachdrücklich ab. Während er als gelernter Handwerker – avant la lettre – dem Ideal des Schumpeter’schen Unternehmers entsprach und sein Lebenswerk auf Kreativität, Intuition und Risikobereitschaft baute,28 hatten Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich in ihrer umfassenden kaufmännischen und technischen Ausbildung andere Grundlagen für unternehmerischen Erfolg ausgelotet: Rationalität, Planung und Besonnenheit. Ihr vornehmlich im Ausland akkumulierter Bildungs- und Erfahrungshintergrund war nicht das Handwerk, sondern die Unternehmensleitung eines Industriebetriebs mit einer großen Belegschaft. 29 Konkret entzündeten sich diese divergierenden Auffassungen von Vater und Söhnen an der Buchführung des Unternehmens, die wiederholt im Zentrum scharfer Auseinandersetzungen stand. Zwar erkannte Franz Stollwerck die Mühe, die sich seine Söhne mit der Buchführung machten, jedoch verschaffte sie ihm nicht den „gehofften günstigen Eindruck“ und blieb ihm „unverständlich“; nachdrücklich forderte er „das augenblicklich Dunkle zu beiderseitiger Zufriedenheit“30 aufzuklären. Die Brüder hingegen warfen dem Vater vor, nur „unzureichend[e] […] Kenntnisse von einem geregelten reellen Fabrikgeschäfte“ zu haben und seine Kalkulationen auf „aus der Luft gegriffene[n] Zahlen und einer gänzlich irrig aufgestellten Basis“31 aufzubauen. Überzeugt, dass sein paternalistischer Führungsstil der einzig „sinnvolle“ und „richtige“ sei und er in geschäftlichen Fragen das letzte Wort habe, ging Franz Stollwerck aber weder auf die sachbezogenen Vorwürfe seiner Söhne ein noch erwog er, ihnen die Verantwortung für die Finanzen zu übertragen. Einerseits erstaunt diese starre Haltung, wenn man bedenkt, dass Stollwerck bereits in der Frühphase seiner unternehmerischen Selbständigkeit an die Grenzen seiner kaufmännischen Fähigkeiten gestoßen und einer intensiven Kontrolle seiner Gläubiger unterworfen worden war. Andererseits fügt er sich mit dieser Beharrungskraft in das Bild des frühindustriellen Unternehmers, der seine kleine Bäcke27 28 29 30 31
Ähnliche Konflikte bestimmten seit etwa 1900 auch das Verhältnis zwischen August Thyssen und seinem Sohn Fritz. Siehe Lesczenski: August Thyssen, S. 124 ff. Siehe auch Schiffer: Vom Kleinbetrieb zum Weltkonzern, S. 111. Siehe zu ähnlich gelagerten Konflikten im Unternehmen Rodenstock Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 203. Franz Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 9. August 1869, RWWA 208-249-4. Entwurf eines Briefs von Heinrich Stollwerck an Franz Stollwerck am 6. März 1871, RWWA 208-874-3. Siehe auch Kocka: Unternehmer, S. 73–76.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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rei seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr schnell zu einem großen Fabrikunternehmen ausgebaut hatte. Häufig waren die ehemaligen Handwerker mit den neuen Ausmaßen des Geschäfts überfordert, da sie nach wie vor alle Vorgänge persönlich kontrollieren und nicht aus der Hand geben wollten.32 Im Mittelpunkt seiner Arbeit standen für Franz Stollwerck vor allem die Produktion und die handwerkliche Qualität seiner Erzeugnisse. Die kaufmännischen und betriebsorganisatorischen Aspekte des Geschäfts stellte er hingegen hinten an. Inwiefern die kaufmännischen Defizite des Unternehmensgründers dem Geschäft tatsächlich schadeten, lässt sich nur schwierig einschätzen, denn es gelang den Gebrüdern Stollwerck auch mit ihren eingeschränkten Dispositionsmöglichkeiten, den Vater von einzelnen – durchaus fundamentalen – Neuerungen zu überzeugen und den Betrieb arbeitsteilig zu organisieren. So setzten sie durch, dass er ab 1866 in die industrielle Herstellung von Schokolade investierte und unter ihrer Anleitung eine moderne maschinenbetriebene Fabrik einrichtete.33 Man findet damit bei der Familie Stollwerck die auch andernorts beobachtete „Suprematie der zweiten Generation“34. Es waren die Söhne, die das Unternehmen neu positionierten, indem sie die Industrialisierung des väterlichen Betriebs anschoben und neuen Produktionszweigen zum Durchbruch verhalfen. Seitdem sie den Vater im Geschäft unterstützten, stieg der Umsatz kontinuierlich an: von 5.995 Talern 1859 auf 9.250 Taler zwei Jahre später; 1866 hatte sich das Geschäft mit 76.410 Talern bereits verachtfacht, drei Jahre später noch einmal auf 265.503 Taler verdreifacht. Das Verhältnis der schon vorher vom Vater produzierten Brustbonbons zur neuen Produktgruppe der Schokoladen und Zuckerwaren gestaltete sich wie folgt: Der Umsatz der Brustbonbons ging von 79.382 Talern 1867 auf 74.658 Taler zwei Jahre später zurück, das Geschäft mit Schokoladen und Zuckerwaren hingegen florierte: Wurden 1867 55.329 Taler umgesetzt, waren es 1869 bereits 164.344 Taler.35 Zwar lässt sich nicht mehr rekonstruieren, wie einzelne Auseinandersetzungen und Entscheidungsprozesse zwischen Franz Stollwerck und seinen Söhnen tatsächlich abliefen, doch deutet viel darauf hin, dass die Brüder den väterlichen Führungsstil nicht ohne Grund als drückend empfanden. Johann Georg August Heimerdinger konstatierte indirekt die Neigung seines Freundes, die Entscheidungsmacht in seiner Person zu konzentrieren und Verantwortungsbereiche nur partiell an seine Söhne zu delegieren: „Der Alte scheint weder Liebe für seine Söhne zu hegen, noch an deren Strebsamkeit, Fleiß u. Eifer Gefallen zu finden, mit einem Wort: Er weiß sein großes Glück nicht zu schätzen u. nicht zu würdigen.“36 32 33 34 35 36
Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 166–169. 1869 verfügte die Firma bereits über drei Antriebsmaschinen zu zehn, zwölf und acht Pferdestärken. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 174. Stremmel: „Treue preußische Herzen“?, S. 49. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 513 f. Johann Georg August Heimerdinger an Anna Sophia Stollwerck am 21. März 1871, RWWA 208-874-4.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Als erster der Brüder fühlte nur ein Jahr nach Gründung der Firma Franz Stollwerck & Söhne Albert Nikolaus (I) die „Nothwendigkeit die auf uns Brüdern lastenden despotischen Fesseln endlich zu lösen; Du hast keinen Freund, Du willst auch keinen Sohn mehr!“ warf er dem Vater im Februar 1870 vor. Verzweifelt und von dem Wunsch getrieben, die Zusammenarbeit zu beenden, ging er nach eigenen Angaben auf Trennungsvorschläge ein, die Franz Stollwerck „alles gaben“ und ihm „alles raubten“. Enttäuscht und verbittert, dass der Vater sich dennoch nicht zufrieden gab, führte er ihm die für die Brüder unerträgliche Situation vor Augen und zeichnete das Bild einer von tiefen Ressentiments geprägten Vater-Sohn-Beziehung: „Ich und meine Brüder hatten sich Deinem Willen gefügt und sich zu Bedingungen bereit erklärt, wie sie wohl nie schmachvoller von einem Vater gestellt werden können; wir wollten auf jede Frucht zehnjähriger rastloser Arbeit verzichten! Doch Du verlangst noch mehr. Wohlan denn, wenn nur eine solche aussergerichtliche Verständigung mit Dir möglich ist, welche uns zu viel zum Sterben zu wenig zum Leben läßt, so wollen wir darauf verzichten. Gib uns was uns rechtlich zukommt und wir Brüder sind bereit das väterliche Haus auf immer zu verlassen.“37
Zunächst aber versuchten die Kontrahenten noch, einen Ausweg zu finden und die Firma gemeinsam weiterzuführen. Von April 1870 ist der Entwurf eines geänderten Gesellschaftsvertrags überliefert, von dem aber nicht bekannt ist, wer ihn verfasste. Er hätte die Verfügungsrechte der Söhne zwar erweitert, dem Vater aber weiterhin die Vorrangstellung zugestanden. Demnach hätten die Brüder statt 1.500 jährlich 2.000 Taler als Salär aus der Geschäftskasse entnehmen dürfen, Albert Nikolaus (I) hätte Prokura für die Korrespondenz und das Wechselgeschäft bis zu einer Höhe von 300 Talern erhalten. Die „Disposition über die Geschäftsführung“ wäre jedoch weiterhin „ausschließlich“ Franz Stollwerck vorbehalten geblieben. Allerdings hätte er seinen Söhnen mit Wirkung vom 1. Juli 1875 das Geschäft „in seinem ganzen Umfange für alleinige Rechnung“38 übertragen – demnach mittelfristig eine Perspektive auf vollständige unternehmerische Selbständigkeit eröffnet. Einschränkende Klauseln hätten dafür gesorgt, dass die übrigen Geschwister der Firma ihren Erbanteil nicht unmittelbar und in einer Summe hätten entziehen können. Unterschrieben wurde dieser Vertrag jedoch nicht, vielmehr stammt aus dem gleichen Monat ein gegenteiliges Schriftstück mit dem Titel „Vorschläge einer freundschaftlichen Separation“. Hierin war von einer Fortführung der Firma Franz Stollwerck & Söhne keine Rede mehr, sondern es wurde eine „vollständige örtliche und geschäftliche Trennung“ geplant, die allerdings primär den Vater bevorteilte. Franz Stollwerck sollte alle Geschäftsimmobilien zur alleinigen Verwendung behalten, ferner sollten ihm das Brustbonbon-Geschäft und das Detailmagazin zugeschlagen werden. Die Söhne sollten das Zuckerwaren-, Raffina37 38
Die letzten Zitate aus Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Franz Stollwerck am 12. Februar 1870, RWWA 208-249-4. Die letzten Zitate aus dem Entwurf eines neuen Gesellschaftsvertrags der Firma Franz Stollwerck & Söhne vom 20. Februar 1870, RWWA 208-249-4.
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de- und Pastillen-Geschäft übernehmen – gegenseitige Konkurrenz in diesen beiden Bereichen sollte vermieden werden, das Schokoladengeschäft hingegen beiden Parteien erlaubt sein, ebenso die gegenseitige Belieferung mit Rohstoffen und Halbfabrikaten. Die bislang gemeinsam genutzten Maschinen sollten entsprechend der zukünftigen Produktionsschwerpunkte aufgeteilt werden, allerdings wurde dem Vater ein Vorgriffsrecht auf die zur Schokoladenproduktion notwendigen Maschinen zugestanden; Pferde und Wagen sollte ebenfalls Franz Stollwerck erhalten.39 Tatsächlich wurde die geschäftliche Trennung bereits im folgenden Monat vollzogen – freilich unter anderen Vorzeichen: Es schieden nicht – wie im April geplant – alle Söhne aus der gemeinsamen Firma mit dem Vater aus, sondern lediglich Albert Nikolaus (I) wandte der Familienunternehmung den Rücken zu. Der Bruch zwischen ihm und Franz Stollwerck war nicht mehr zu kitten.40 Statt der ihm zustehenden zehn Prozent vom Netto-Gewinn erhielt Albert Nikolaus (I) für seine zwölf Monate als Gesellschafter der Firma Franz Stollwerck & Söhne eine einmalige Abfindung von 3.000 Talern, ferner übertrug ihm der Vater das Pastillen-Geschäft „für seine alleinige Rechnung“. Zwar sollte es auch Franz Stollwerck & Söhnen zukünftig unbenommen bleiben, Pastillen zu fabrizieren, jedoch verpflichteten sie sich, selbige Albert Nikolaus (I) „zum kostenden Preise käuflich zu überlassen“41. Die dafür erforderlichen Maschinen überließ ihm Franz Stollwerck zum Einkaufspreis. Die Gesamtsumme sollte vom festgesetzten Gewinnanteil abgezogen werden. Auf eine Barauszahlung der Restsumme verzichtete Albert Nikolaus (I) zugunsten von Pastillen-Lieferungen im Gegenwert (§ 5). Mit diesem Vertrag stieg er demnach zwar aus der gemeinsamen Unternehmung mit dem Vater aus, geschäftlich blieben sie jedoch zumindest lose verbunden. Warum die jüngeren Brüder ihre Pläne änderten und die Firma unter für sie deutlich schlechteren Bedingungen mit dem Vater fortsetzten, lässt sich anhand der Quellen nicht erhellen. Der angedrohte Ausstieg aus dem Unternehmen hatte ihnen in jedem Fall keine bessere Verhandlungsposition verschafft – im Gegenteil: Laut § 2 des neuen Gesellschaftsvertrags, der zum 1. Juli 1870 in Kraft trat, stand die „Dispositions-Befugniß“ nun allein Franz Stollwerck zu, „in der Art, daß die Vornahme aller Geschäfte und insbesondere auch die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes lediglich von seiner Verfügung und Zustimmung abhängig“42 gemacht wurden. Peter Joseph und Heinrich durften ohne Zustimmung des Vaters nur Geschäfte unter 300 Talern tätigen (§§ 2, 3). Auch auf ihren Gewinnanteil von einem Zehntel mussten sie fortan verzichten. Sie hatten aber weiterhin zu jeweils zehn Prozent für einen möglichen Verlust einzustehen und erhielten eine festgesetzte jährliche Vergütung von 2.000 Talern (§ 4). Ferner wurde ihnen die Pflicht auferlegt, ihre ganze Arbeitskraft allein dem gemeinsamen Geschäft mit dem Va39 40 41 42
Siehe Vorschläge einer freundschaftlichen Separation, April 1870, RWWA 208-249-4. Siehe Abänderung des Gesellschaftsvertrags der Firma Franz Stollwerck & Söhne vom 7. Mai 1870, RWWA 208-249-4. Ebenda. Ebenda.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
ter zu widmen, die direkte und indirekte Beteiligung an anderen Unternehmungen war ihnen verboten (§ 6). Mit der Neufassung des Gesellschaftsvertrags erzielten die Brüder aber auch einen Erfolg. Hatte der Kontrakt von 1869 noch keinerlei Bestimmungen über Zeitpunkt und Formalitäten des väterlichen Rückzugs aus dem Unternehmen enthalten, wurde nun eine konkret datierte Änderung der Rechtsform projektiert. Ab dem 1. Juli 1875 sollte aus der bisherigen OHG die auf sechs Jahre angelegte43 Kommanditgesellschaft Franz Stollwerck & Söhne werden, die zwischen den persönlich haftenden Gesellschaftern Peter Joseph und Heinrich und dem nur noch mit seiner Kapitaleinlage haftenden, von der Unternehmensleitung ausgeschlossenen Kommanditisten, d. h. dauerhaften Miteigentümer Franz Stollwerck unterschied (§ 9). Gemäß Gesellschaftsvertrag sollte sein „ganze[s] Geschäftsvermögen […], selbstredend mit Ausschluß seines Privat-Mobilars und des ihm allein gehörigen Mobilars“44 seine mit fünf Prozent zu verzinsende Einlage in die Kommanditgesellschaft bilden. Ferner ließ sich Franz Stollwerck vertraglich zusichern, zusätzlich zu den Zinsen mit einem Drittel am Reingewinn – freilich auch am Verlust – des Geschäfts beteiligt zu werden und frei über diesen Anteil verfügen zu können (§ 9 d–f). Zwar verpflichtete er sich, seinen Söhnen die ihm allein gehörenden Häuser Hohe Straße 9 (unter Ausschluss seiner Privaträume) und Sternengasse 8 als Geschäfts- und Fabrikationsräume zur Verfügung zu stellen, allerdings suchte er auch hier seinen Vorteil und ließ eine jährliche Miete von 6.500 Talern im Vertrag festschreiben (§ 9 g). Für die Unternehmernachfolge ist vor allem interessant, dass Peter Joseph und Heinrich mit dem Zeitpunkt des väterlichen Rückzugs aus dem Tagesgeschäft gestattet wurde, Albert Nikolaus (I) wieder als Teilhaber in die Gesellschaft aufzunehmen (§ 9 b). Hier zeigt sich, dass Franz Stollwerck sich symbolisch-sinnhaft sehr stark mit seinen Stammhaltern identifizierte. Selbst vor dem Hintergrund der erbitterten Auseinandersetzungen mit seinem ältesten Sohn schloss er seinen Erstgeborenen nicht gänzlich von der Unternehmernachfolge aus – er wollte lediglich in betriebsorganisatorischen Sachfragen nicht mehr täglich mit ihm zusammenarbeiten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum sich sowohl Albert Nikolaus (I) als auch die Pflegemutter seiner Frau, Barbara Wolff, ihr in der Firma Stollwerck angelegtes Kapital nicht auszahlen ließen, sondern im Geschäft des Vaters und der Brüder beließen – jedoch mit der Einschränkung, es jederzeit zurückziehen zu können, sollten Peter Joseph und Heinrich vor dem Stichtag 1. Juli 1875 aus dem Unternehmen ausscheiden (§ 8). Zwar hatten die Gebrüder Stollwerck laut Vertrag auch die Möglichkeit, die Firma nach Ablauf der Kommanditgesellschaft 1881 zu liquidieren und Franz Stollwerck als Kommanditist bzw. dessen Erben in zweijährigen gleichen Raten
43 44
Sofern der Vertrag nicht mindestens sechs Monate vor Ende der Gesellschaft von einem Teilhaber gekündigt wurde, sollte das Kommanditverhältnis drei weitere Jahre fortbestehen. Siehe ebenda. Ebenda.
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abzufinden,45 doch war es das primäre Ziel des Vaters, dass die Söhne, in deren Ausbildung er viel Zeit und Geld investiert hatte, sein Unternehmen dauerhaft weiterführten. Daher enthielt der Vertrag für den Fall des Ablebens Franz Stollwercks mehrere Klauseln, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Sollte Stollwerck vor der Umwandlung der Firma in eine Kommanditgesellschaft versterben, wurde festgelegt, dass Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich das Geschäft ab dem 1. Juli 1875 fortführen und das im Unternehmen befindliche Vermögen des Vaters wie folgt verteilen sollten: Während die Söhne sich verpflichteten, ihrer Mutter eine testamentarisch festgelegte Summe sofort auszuzahlen, konnten die zwei jüngeren Schwestern und Brüder ihren Erbteil nicht in einer Summe, sondern nur in drei gleichen, mit fünf Prozent zu verzinsenden Raten verlangen – den ersten Teilbetrag unmittelbar nach dem Tod des Vaters, den zweiten und dritten im Abstand von jeweils zwei Jahren (§ 10 a–c).46 Auch wenn es nicht explizit formuliert wurde, bedeutete diese Bestimmung eine rein patrilineare Unternehmernachfolge.47 In den Karenzzeiten und der Festlegung von Ratenzahlungen nach bestimmten Fristen spiegelt sich nicht nur das Ziel, zu verhindern, dass die als Kommanditisten eintretenden Erben ihr Kapital allzu schnell aus der Firma herausziehen, sondern damit einhergehend auch der Wunsch, das eigene Lebenswerk über den Tod hinaus zu bewahren, zu wissen, dass es weitergeführt wird und damit einen gewissermaßen transzendenten Sinn erhält. Diesem Anliegen wurden die Ansprüche der erbenden, aber nicht in die Unternehmensleitung eintretenden Kinder bis zu einem gewissen Grad untergeordnet. Indem Franz Stollwerck keinen seiner Söhne bevor- oder benachteiligte, stellte er das Unternehmen zudem auf eine breitere Basis. Für den Fall, dass einer der Söhne für die Nachfolge ausfiel, standen mindestens zwei weitere Stammhalter bereit, um das Familienunternehmen zu erhalten. Zwar wurde der neue Gesellschaftsvertrag zwischen Franz, Peter Joseph und Heinrich Stollwerck mit dem Ziel geschlossen „die im Verlaufe der vergangenen Geschäftszeit entstandenen Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen und dem ferneren Zusammenwirken einen gedeihlichen und friedlichen Charakter zu sichern“48, doch dauerte es nicht lange, bis die Streitigkeiten zwischen Vater und Söhnen wieder aufflammten und die Auseinandersetzungen um Kompetenzen ein bislang nicht gekanntes Ausmaß annahmen. Sowohl Albert Nikolaus (I) als auch Peter Joseph und Heinrich Stollwerck waren mit Ausbruch des DeutschFranzösischen Kriegs zu ihren Regimentern einberufen worden. Albert Nikolaus (I) aber wurde bereits Ende August 1870 aus gesundheitlichen Gründen „aus dem Militär Register für alle Zukunft gestrichen“ und unterstützte fortan seinen Vater 45 46 47 48
Sollte aber einer der Brüder vorzeitig aus der Firma aussteigen, sollten „alle, den Söhnen bezüglich der Geschäfts-Uebertragung am 1. Juli 1875 gemachten Concessionen erlöschen“. Ebenda. Siehe ebenda. Siehe auch Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 158 ff. Abänderung des Gesellschaftsvertrags der Firma Franz Stollwerck & Söhne vom 7. Mai 1870, RWWA 208-249-4.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
wieder im Geschäft. Das Verhältnis zwischen Franz Stollwerck und seinem Erstgeborenen war allerdings noch immer angespannt: „Alsdann habe ich meine sieben Sachen wieder zusammengepackt und bin nach Königswinter […] gefahren, um mir das Bombardement anzusehen, Papa erklärte nämlich noch nichts vergessen zu können, ich müsse wenigstens noch 8 Tage fort aus dem Hause; weit entfernt mich aufdrängen zu wollen, ging ich und wäre vielleicht überhaupt nicht wieder gekommen, wenn ich nicht an das Geschäft gedacht. […] Im Übrigen ist er seit meiner Rückkunft anständig. Leider habe ich ihn noch nicht vermögen können mich zu verlassen, was mir eher die Möglichkeit verschafft hätte, alles einigermaßen in Ordnung zu bringen: da er sich um Maschinenraum wie Fabrik kümmert so kann ich mich nicht der Sache annehmen ohne befürchten zu müssen neuerdings mit ihm zu collidiren.“49
Inwiefern Albert Nikolaus (I) von seinem Vater für die Mithilfe im Geschäft entschädigt wurde, ist nicht bekannt. Er schuf sich jedoch – neben dem Pastillengeschäft – bereits 1870 noch ein weiteres eigenes Standbein, indem er das deutsche Heer mit Lebensmitteln, Petroleum, Kerzen, Zigarren usw. versorgte. Die Waren bezog er vorwiegend aus Belgien und lieferte sie an zahlreiche Heeresstellen in Frankreich. Franz Stollwerck lehnte eine Beteiligung an diesen Geschäften zunächst ab,50 so dass Albert Nikolaus (I) vorwiegend mit Peter Joseph und Heinrich, denen eine solche Beteiligung laut Gesellschaftsvertrag mit dem Vater eigentlich verboten war, einem Stammkunden der Firma, zwei Vettern mütterlicherseits und Peter Josephs zukünftigem Schwager Robert Heimerdinger kooperierte. Vom Herbst 1870 bis in die ersten Monate 1871 beliefen sich die Heereslieferungen auf mindestens 100.000 Taler – mit einem Gewinn von etwa 16.000 Talern.51 Angesichts dieses Erfolgs wollte schließlich auch Franz Stollwerck von den geschäftlichen Fortschritten der Söhne profitieren. Die daraus resultierende Zusammenarbeit führte erneut zu heftigen Auseinandersetzungen. 52 49 50 51
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Die letzten Zitate aus Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Peter Joseph Stollwerck am 2. September 1870, RWWA 208-272-10. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 34. Siehe ebenda, S. 34 f. Die Zahl von Kuske erscheint allerdings aufgrund der allein in RWWA 208-194-3 überlieferten Rechnungen als zu niedrig angesetzt. Die Kriegsgeschäfte sind gut dokumentiert; die Auswertung der dichten Korrespondenz aus den Jahren 1870 bis 1873 wäre zweifellos ein lohnendes Forschungsunterfangen. Siehe die Korrespondenz in RWWA 208-181-4, 208-182-1 bis 6, 208-183-1 bis 2, 208-194-3 bis 6, 208-875-2. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 35. Der Deutsch-Französische Krieg verhalf der deutschen Schokoladenindustrie zu einem enormen Aufschwung, bot er doch die Möglichkeit, die bislang dominierende französische Konkurrenz zu verdrängen. „Bis zum Jahre 1870 hatte Frankreich in allen feineren Schokoladen und Konfekten zweifellos den deutschen Markt beherrscht. Das deutsche Fabrikat kam kaum auf die Tafel der Vornehmen und alle besseren Konditoreien mussten sich wohl oder übel mit französischer Ware versehen, wollten sie nicht ihre reicheren Kunden und mit diesen den Ruf ihres Geschäftes verlieren. Der französische Krieg kam hier der deutschen Industrie zu Hilfe. Die Einfuhr aus Frankreich stockte natürlich und man war auf deutsche Ware angewiesen. Da ging es wie in so vielen Fällen: als man erst den Versuch gemacht hatte, erkannte man, dass das heimische Produkt dem ausländischen ebenbürtig und obendrein billiger sei als dieses. Trotzdem war die Voreingenommenheit für die französische Mode auf diesem Gebiete nicht so leicht dauernd zu überwinden. Sie konnte jeden Augenblick wieder hervorbrechen und die deutsche Industrie
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Grundsätzlich kam Franz Stollwerck die kriegsbedingte Abwesenheit seiner Söhne vom Geschäft durchaus gelegen. So konnte er das Unternehmen wie früher allein nach seinen Vorstellungen führen. Spätestens 1871 erwog er zudem, seinen Namen „allein als Geschäftsfirma“ wiederherzustellen und dies notfalls gerichtlich durchzusetzen, sollten Peter Joseph und Heinrich ihre Zustimmung verweigern. Die Brüder wiesen das Ansinnen des Vaters natürlich „aufs Bestimmteste“ zurück und beschrieben es als mit ihrem „Verbleiben im Geschäft nicht vereinbar“53. Durch den Fronteinsatz waren ihnen jedoch die Hände gebunden. Während Franz Stollwerck seinen Söhnen bei Heimatbesuchen scheinbar wohlgesonnen begegnete,54 nutzte er die Zeit der ungestörten Unternehmensleitung, um die Mitarbeiter gegen seine Söhne auszuspielen und sich die von Heinrich entwickelten Schokoladenrezepte anzueignen. Hinter diesem Ansinnen stand eine Vereinbarung zwischen Vater und Söhnen, die zwar nicht im Gesellschaftsvertrag enthalten ist, aber von Albert Nikolaus (I) schriftlich niedergelegt wurde. Demnach waren Peter Joseph und Heinrich nur bereit, ihren Bruder aus der Firma Franz Stollwerck & Söhne zu entlassen, „falls die bestimmte Vereinbarung getroffen wird, daß bei einer Trennung […] das Immobilar mit dem Brustbonbons-Geschäft dem Vater verbleibt während das seit dem Jahr 1866 gegründete Chocoladenund Zuckerwaaren-Geschäft den beiden Brüdern überlassen wird“55. Da Franz Stollwerck ganz offensichtlich den Plan verfolgte, sich geschäftlich von seinen Söhnen loszusagen, war es aus seiner Perspektive durchaus nachvollziehbar, sich vorher ihr Fachwissen auf dem Gebiet der Schokoladenproduktion anzueignen, die mittlerweile die umsatzstärkste und gewinnbringendste Sparte war. Denn nachdem sich Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich seit 1866 ganz auf Herstellung und Vertrieb von Zuckerwaren, Spirituosen und Schokolade56 konzentriert und von den unternehmerischen Ausflügen ihres Vaters ins Theater- und Gaststättengewerbe abgewandt hatten, war der Umsatz rasant angestiegen – von 33.864 Talern 1865 auf 134.712 Taler zwei Jahre später.57 Im Gubener Wochenblatt hieß es 1868: „Die Firma Franz Stollwerck verdankt die ungeheure Ausdehnung ihres Etablissements nur der Vorzüglichkeit und Reellität ihrer Waaren; die Chocoladen dieses Hauses werden in Fol-
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musste alle Mühe und allen Fleiss aufwenden, um auf der Höhe zu bleiben, die sie unter äusserlich günstigen Umständen erklommen hatte.“ o. A.: Die Stollwerck’sche Fabrik. Siehe auch Pohle: Probleme, S. 6. Die letzten Zitate aus Peter Joseph Stollwerck an Franz Stollwerck am 21. Februar 1871, RWWA 208-249-4. Siehe Peter Joseph Stollwerck an Therese Stollwerck am 14. März 1871, RWWA 208-874-4. Notiz Albert Nikolaus Stollwercks (I) vom 1. Juli 1870, RWWA 208-249-4. Das Sortiment umfasste neben Pralinen und Schokolade auch Kakaopulver, Gebäck, Karamellen, Drops, Dragées, Osterartikel etc. Die Produktpalette bot demnach ein sehr heterogenes und diversifiziertes Bild. Die konditorischen Wurzeln des Vaters wurden weiterhin gepflegt und bedient, aber es ist auch erkennbar, dass die Söhne das unternehmerische Risiko durch Produktvielfalt verringern wollten. Siehe die in RWWA 208-296-1 und 208-150-2 überlieferten ältesten Preislisten der Firma Franz Stollwerck & Söhne aus den Jahren 1869 und 1870. Siehe Joest: Stollwerck, S. 25.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck ge ihrer sorgfältigen Verarbeitung und Zusammenstellung der Rohstoffe als die besten des Zollvereins anerkannt, und werden bald die französischen Fabrikate vollständig von dem deutschen Markte verdrängt haben.“58
Heinrich blieben die Pläne des Vaters natürlich nicht verborgen. Aufgebracht schrieb er nach einem Heimatbesuch an Peter Joseph: „Du weißt wohl das Mutzmacher so plötzlich an den Pocken gestorben. Derselbe hatte die Chocoladenrezepte, dem ich sie als Geheimniß anvertraut & hat jetzt Henn diesen Posten wiederum übernommen & ich ihm denn auch die Rezepte übergeben mit dem Bemerken sie an Niemand zu lassen. Als ich […] in der Fabrik den Rundgang machte sagte mir Henn, daß der Schuster ihm gerade vor 8 Tagen […] die Rezepte abverlangt, daß der Herr Stollwerck sie haben wolle, & hat er dieselben bei wiederholter Forderung erst dem Papa selbst hingebracht. – Seit dieser Zeit ist dann Herr Reinhard zum Geheimsekretair ernannt er geht morgens & Mittags direkt in’s Cabinet & sieht seine ehemaligen Collegen nur mit Herablaßung mehr an. Derselbe soll den ganzen Tag nichts anders thun wie Calculationen der Fabrikate besorgen.“
Den Mitarbeitern hatte Franz Stollwerck die Anweisung gegeben, Anordnungen seiner Söhne nicht zu beachten: „Mein Sohn ist jetzt nicht da überhaupt, ich leite jetzt das Ganze & Sie brauchen sich daran nicht zu stören.“ Heinrich Stollwerck war über das Vorgehen das Vaters empört und entschlossen, ihm zu trotzen. Er zog nicht nur einen Mitarbeiter ins Vertrauen und erläuterte „unter Verschwiegenheit die wahren Absichten“ des Vaters, „das Ganze an sich reißen zu wollen“, sondern offenbarte auch seiner Mutter das hinterhältige Verhalten ihres Mannes und „die richtige Lage“, die sie in seinen Augen „meist durch ihr zustimmen mit provozirt“ habe – vermutlich in der Hoffnung, sie könne als neutrales Bindeglied zwischen Vater und Söhnen wirken. Zwar entschuldigte sich Anna Sophia Stollwerck, von dem Verhalten ihres Mannes nichts gewusst zu haben, und zeigte sich „höchst aufgebracht“59, doch bleibt ihre weitere Rolle in den Auseinandersetzungen im Dunkeln. In Anbetracht der Tatsache, dass sich der Konflikt zwischen Vater und Söhnen über die Rechte an den Schokoladenrezepten massiv zuspitzte, ist allerdings davon auszugehen, dass sie keinen nachhaltigen Einfluss auf ihren Mann hatte. Wie gespannt das Verhältnis zum Vater war, wird auch daran erkennbar, dass Heinrich seinen Ärger nicht mehr verdrängen konnte und Franz Stollwerck unumwunden vorwarf, mit seinem Verhalten das Familiengeschäft und -vermögen zu Grunde zu richten. Zugleich drohte er ihm, seine Rolle als devoter Sohn aufzugeben und dem Vater als eigenständige Persönlichkeit gegenüberzutreten, die ihre Interessen nachdrücklich vertritt und auf ihre Rechte pocht. „Ich bin auf Alles gefaßt. Was Du auch in Deinem Frevel an unserm Geschäft & Familie begehen mögest. – Ich wiederhole es nochmals, Dich an die schwere Verantwortung erinnernd, – wir stehen uns nicht mehr gegenüber mit Rücksichten auf Familienbande, als Vater & Sohn, als Söhne die bis hierher Deinem steten Drängen nach Herrschsucht u. Ueberhebung nachgegeben bei dem Gedanken an den Ruin des Geschäftes & Vermögens. – Nein ich bin zu der 58 59
Ausschnitt eines Berichts der Kölnischen Zeitung im Gubener Wochenblatt vom 11. Januar 1868, RWWA 208-829-2. Die letzten Zitate aus Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 8. März 1871, RWWA 208-875-2.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Ueberzeugung gelangt, daß Du nicht zu befriedigen bist & stehen wir Deinen Schritten als Männer […] gegenüber, gestützt auf unsern Vertrag, woran ich festhalte.“60
Der kompromisslose Autoritätsanspruch Franz Stollwercks hatte für Heinrich demnach nicht nur eine geschäftliche Dimension, sondern auch dazu geführt, dass er das Vertrauen in den Vater verloren hatte. Franz Stollwerck freilich legte auch angesichts solcher Vorwürfe sein autoritäres Selbstverständnis nicht ab. Vielmehr zeigt seine Reaktion auf den Brief des Sohnes das generelle Denkschema eines Eigentümerunternehmers, der zwischen unternehmerischen und familiären Interessen, sachlichen und persönlichen Begründungen nicht differenziert. Er vermisste bei seinen Söhnen den nötigen Respekt vor seinen geschäftlichen Leistungen und Dankbarkeit für die ihnen zuteil gewordene Erziehung und Ausbildung. Sollten seine Nachfahren nicht gemäß seinen Vorgaben im Familienunternehmen arbeiten wollen, mussten sie aus der Firma ausscheiden und damit rechnen, dass er sie auch aus dem Familienverband verstieß.61 „Verlorener Sohn Heinrich […] Nimmer hätte ich geglaubt, daß einer meiner Söhne, welche so ausgedehnte Schulbildung u. Erziehung genossen im Stande wäre, einen solchen Brief, wie Du unter dem 6. D. M. an mich gerichtet hast. Selbst von dem wiederigsten Rheinarbeiter oder Sackträger in Cöln halte ich es nicht für möglich, daß er ein solch über maaßvollen Rohund Gemeinheiten enthaltenen Brief, an seinen Vater schreiben wird. […] Nach dem Inhalte Deines letzten Briefes ist anzunehmen, daß Du es gegen Deine Ehre hältst ferner im Geschäfte Deines Vaters zu sein. – Solltest Du aber dennoch gegen Erwarten mein Haus betreten so kannst Du sicher sein, daß ich Dich ganz analog Deines Briefes mit paßender Derbheit empfangen werde. Für mich hast Du aufgehört mein Sohn zu sein.“62
In Folge dieses Briefwechsels wurden Vater und Söhne zu offenen Rivalen. Es ging nicht mehr um die sachliche Auseinandersetzung, sondern um einen offenen Machtkampf. Permanentes Misstrauen, gegenseitige Beleidigungen, Ressentiments und Rivalitäten waren von nun an an der Tagesordnung. Franz Stollwerck verbot Heinrich mit der Begründung, „daß er durch die Schuld seiner Söhne, denen er leider zu viel getraut, ruinirt werde“63, den Zutritt zur Fabrik und seiner Privatwohnung, wies die Arbeiter an, die an Albert Nikolaus (I) zu liefernden Pastillenschachteln nicht vollständig zu füllen, ließ die Briefe seiner Söhne, in denen sie die Zahlung der ihnen „vertragsmäßig zustehenden Quoten“64 forderten, ungeöffnet zurückgehen und übertrug einem „fremden Schwätzmaul“65 die Verantwor60 61 62 63 64
65
Entwurf eines Briefs von Heinrich Stollwerck an Franz Stollwerck am 6. März 1871, RWWA 208-874-3. Siehe auch Lesczenski/Wörner: Moritz von Metzler und August Thyssen, S. 432. Franz Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 19. März 1871, RWWA 208-875-2. Maria Theresia Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 11. März 1871, RWWA 208-875-2. Siehe auch Therese Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 11. März 1871, RWWA 208-874-4. Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Heinrich Stollwerck am 17. März 1871, RWWA 208-8747. Albert Nikolaus (I) entschloss sich, da das Verhalten des Vaters sein Pastillen-Geschäft „in ganz empfindlicher Weise“ beeinträchtigte, die Pastillen fortan selbst herzustellen und Franz Stollwerck die dafür erforderlichen Utensilien abzufordern. Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Franz Stollwerck am 25. April 1871, RWWA 208-875-1. Peter Joseph Stollwerck an Therese Stollwerck am 14. März 1871, RWWA 208-874-4.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
tung für Büro und Fabrik; auch Vermittlungsversuche der Familie Heimerdinger konnten die Wogen zwischen Vater und Söhnen nicht glätten.66 In erregten Briefwechseln trösteten sich die Brüder mit dem Gedanken, dass „die Zeit der Vergeltung“67 kommen werde. Vom Vater sprachen sie nur noch in der dritten Person: „ihm“, „er“ und „der Alte“ wurden zu Synonymen für Franz Stollwerck, den „bösen Menschen“. Anfangs habe seine „empörende Handlungsweise einen furchtbaren Eindruck“ auf sie gemacht, mittlerweile jedoch seien sie „Alle auf Alles gefaßt“68; Albert Nikolaus (I) sah bereits Mitte März 1871 keine Aussicht mehr, sich mit dem Vater außergerichtlich zu einigen, eine vollständige gerichtliche Liquidation der Firma sei der einzige Ausweg, die geschäftliche Trennung herbeizuführen. Von dem Plan, dass sich Peter Joseph und Heinrich vom Bankier Seligmann ihr im Unternehmen angelegtes Kapital auszahlen lassen sollten, rückten die Brüder allerdings wieder ab, gingen sie doch davon aus, dass der Vater „sofort in der Kölner Zeitung eine Annonce erlassen wird, worin er sagt, daß die Söhne ohne sein Wissen größere Summen erhoben und öffentlich warne“69. Einen Zeitungskrieg mit für beide Seiten nachteiligen Folgen wollten die Brüder unbedingt vermeiden. Es war ihnen ohnehin schon unangenehm, dass die Auseinandersetzungen mit dem Vater inzwischen „stadtbekannt“70 waren und jedes Fabrikmädchen wusste, dass Heinrich „zu bang“71 war, sich über das Verbot des Vaters hinwegzusetzen und wieder in die Fabrik zu gehen. Dort nach dem Rechten zu sehen, wäre allerdings – folgt man Heinrichs Schilderungen – dringend notwendig gewesen, lag doch durch die Abwesenheit der Söhne „fast der ganze Betrieb brach“. Insbesondere die Maschinen, die die Brüder für die Schokoladenproduktion benötigten, wurden vom Vater nur nachlässig gewartet und gepflegt. „Nolden ist schon seit 14 Tagen mit 3 & 4 Mann am murxen, die Walzen Debatist die größten Zahnräder Hermann dito & die mittlere Walze der Stein durchbrochen & großer Melangeur ist nothdürftig wieder fahrbar gemacht, der kleine die Räder entzwei […] gr. Maschine die Regulatorstange mit Schiebersteuerung durch Fahrläßigkeit zertrümmert […]. Hebe total unbrauchbar. Hydraulische Presse versagt auch. Dabei der große Kessel gerissen & in Reparatur. Die beiden Maschinen von ihm in Fabrik & Hof wären auch in einem traurigen Zustande
66 67 68
69 70 71
Siehe Maria Theresia Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 4. März 1871, RWWA 208874-4. Peter Joseph Stollwerck an Therese Stollwerck am 14. März 1871, RWWA 208-874-4. Die letzten Zitate aus Maria Theresia Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 11. März 1871, RWWA 208-875-2; Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Heinrich Stollwerck am 17. März 1871, RWWA 208-874-7. Siehe auch Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Peter Joseph Stollwerck am 16. und 20. März 1871, RWWA 208-874-7. Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Heinrich Stollwerck am 17. März 1871, RWWA 208-8747. Albert Nikolaus Stollwerck (I) an Peter Joseph Stollwerck am 16. März 1871, RWWA 208874-7. Siehe auch Peter Joseph Stollwerck an Therese Stollwerck am 14. März 1871, RWWA 208-874-4. Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph Stollwerck am 11. April 1871, RWWA 208-875-2.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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gewesen u. hatte er dieselben zuerst wieder in Stand gesetzt. Dabei ist bei ‚ihm‘ noch alles in Ordnung.“72
Am 1. Juli 1871 – laut Paragraph 15 des Gesellschaftsvertrags vom 7. Mai 1870 der frühestmögliche Zeitpunkt, vom Kontrakt zurückzutreten – kündigten Peter Joseph und Heinrich schließlich vorzeitig die Zusammenarbeit mit dem Vater auf und schlossen sich mit ihrem älteren Bruder zusammen, der sich seit seinem Ausscheiden in der Corneliusstraße 12 die Firma Dampf-Zucker-Schneide-Glasur- & Poudre-Raffinade aufgebaut hatte, die mit Verbrauchszucker handelte. Die bisherige Stollwerck-Forschung folgte übereinstimmend der Darstellung Kuskes, gemäß der die Firma am 23. Dezember 187173 durch eine Trennungsvereinbarung aufgelöst wurde. Franz Stollwerck übernahm Aktiva und Passiva der Firma Franz Stollwerck & Söhne, behielt Grundstück und Laden und das Recht auf die Produktion der Brustbonbons, deren Vertrieb freilich in die Zuständigkeit der Brüder fiel. Letztere übernahmen zudem das Zuckergeschäft und das so genannte Magazin der Emser Felsen-Quellen: Mineralwasser- und Pastillen-Versandt – alle sonstigen Süßwaren durften beide Parteien herstellen. Franz Stollwerck musste seinen Söhnen die eingebrachten, aber im Gesellschaftsvertrag nicht eigens aufgeführten Kapitalien zurückzahlen und ihnen seinen Betrieb auch weiterhin für etwaige Fabrikationen zur Verfügung stellen. Eigene Niederlassungen durften die Gebrüder Stollwerck aber nur mindestens 500 Schritte vom Vater entfernt einrichten.74 Gründung der Firma Gebrüder Stollwerck Bereits im November 1871 gründeten die Brüder die neue Firma Gebrüder Stollwerck als Offene Handelsgesellschaft, die am 1. Januar 1872 in das Handelsregister eingetragen wurde; Franz Stollwerck firmierte wieder unter seinem Namen. Die Gründungsfinanzierung der Gebrüder Stollwerck bestand vor allem aus Aussteuern und eigenem Kapital. Ihr Betriebskapital betrug 1872 41.000 Taler. Es stammte zum einen aus den Gewinnen von Albert Nikolausʼ (I) Geschäften im Deutsch-Französischen Krieg und den aufgelaufenen Gewinnanteilen der Brüder aus dem Unternehmen mit dem Vater, die sich auf 12.000 Taler summierten und ihnen vom Vater in Maschinen und Waren übertragen wurden. Zum anderen brachten Barbara Wolff, die auch für einen Bankkredit in Höhe von 15.000 Talern bürgte, und die Ehefrau von Albert Nikolaus (I) 4.000 bzw. 7.500 Taler in die Firma ein. Ferner stammten 3.000 Taler aus Albert Nikolaus Stollwercks (I) Magazin der Emser Felsen-Quellen, und Peter Josephs Schwiegervater gewährte 72 73 74
Die letzten Zitate aus Heinrich Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 30. April 1871, RWWA 208-875-2. Dieses Datum findet sich auch in einer Niederschrift des Kölner Gerichtsvollziehers Friedrich Hey vom 19. Juni 1873, RWWA 208-240-3. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 25; Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 58; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 70 ff.; Schiffer: Vom Kleinbetrieb zum Weltkonzern, S. 113.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
ihnen eine fünfprozentige Hypothek zu 5.000 Talern auf das Haus Brückenstraße 12.75 Bereits am 14. Dezember 1871 eröffneten sie ein neues Ladengeschäft in der nördlichen Innenstadt. Dieser Laden, in dem sie teils selbst hergestellte, teils fremde Süßwaren verkauften, war zunächst ihre einzige Einnahmequelle, bevor sie im August 1872 ihren eigenen Fabrikneubau in der Corneliusstraße 12 in Betrieb nahmen und von dem Recht, in der Fabrik des Vaters Zuckerwaren zu produzieren, fortan keinen Gebrauch mehr machen mussten. Der Umsatz des ersten Geschäftsjahres belief sich auf rund 140.000 Taler, wovon Schokoladen- und Zuckerwaren rund ein Drittel ausmachten;76 1873 wurden bereits 284.499 Taler umgesetzt, der Gewinn summierte sich auf 44.834 Taler.77 Dass die Gebrüder Stollwerck in Köln blieben, hing nicht nur mit ihrer Heimatverbundenheit, sondern auch mit ökonomischem Kalkül zusammen. In Köln kannten sie die Produktionsfaktoren, hatten feste Geschäfts- und Familienbeziehungen und verfügten über einen gewissen (politischen) Einfluss.78 So knüpften sie auch an die vom Vater begründeten Verbindungen zu den lokalen Banken an. Neben dem A. Schaaffhausen’schen Bankverein und Sal. Oppenheim wurden für die Finanzierung ihres Unternehmens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vor allem das Kölner Bankhaus J. H. Stein79 und der Bankier Albert Simon bedeutend. Durch die rasche Expansion der Stollwerck’schen Vertretungen und Zweighäuser entwickelten sich aber auch neue Kooperationen, u. a. mit dem Elberfelder Bankhaus von der Heydt-Kersten & Söhne80 und zwei weiteren großen Regionalbanken: der Essener Credit-Anstalt und der Bergisch-Märkischen Bank in Barmen.81
75 76 77
78 79 80
81
Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 518 f. Siehe Pohle: Probleme, S. 5. Siehe Betriebs-Rechnung für das Geschäftsjahr 1873, RWWA 208-252-4. Vom Gewinn entnahmen Albert Nikolaus (I) 1.253 Taler, Peter Joseph 1.410 Taler und Heinrich 1.310 Taler. Der Großteil des Gewinns blieb demnach zur Stärkung der Betriebsmittel im Geschäft. Siehe ebenda. Siehe auch Stremmel: „Treue preußische Herzen“?, S. 48; Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 67, 69. Zum Bankhaus J. H. Stein siehe Eckert: J. H. Stein. Zur Finanzierung der Stollwerck’schen Unternehmung siehe ebenda, S. 151 f. Siehe von der Heydt-Kersten & Söhne an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein am 3. Juni 1891, HADB K02/0298; Kurzrock: 200 Jahre von der Heydt-Kersten & Söhne; Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 225–286. Neben Köln war Elberfeld Ende des 19. Jahrhunderts der bedeutendste Bankplatz Westdeutschlands. Siehe die Bergisch-Märkische Bank an die Gebrüder Stollwerck am 23. Mai 1890, HADB K15/0113. Siehe auch Albert Simon & Co. an die Bergisch-Märkische Bank am 22. Mai 1890, HADB K15/0113. Die Bergisch-Märkische Bank (Aktienkapital 1911: 80 Millionen Mark) und die Essener Creditanstalt (Aktienkapital 1911: 71 Millionen) bewegten sich mit ihrem Kapital in der Nähe von Großbankdimensionen. Die Bergisch-Märkische Bank wurde 1914, die Essener Creditanstalt 1925 in die Deutsche Bank eingegliedert. Siehe Born: Geld und Banken, S. 164 f. Zu den Beziehungen zwischen Stollwerck und den Banken siehe auch Kapitel IV.A.2.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Weitere Konflikte und Versöhnung mit dem Vater Das Verhältnis zum Vater gestaltete sich indes auch nach Auflösung der gemeinsamen Firma alles andere als friedlich. Zwar bestanden die gegenseitigen Geschäftsbeziehungen in kleinem Rahmen fort, doch verstanden die nun zwei Unternehmen Stollwerck sich auch als Konkurrenten. Beide Seiten scheuten nicht davor zurück, sich gegenseitig bei Lieferanten in Misskredit zu bringen. Die Brüder warfen dem Vater vor, sie „ununterbrochen und durch keine Billigung verdienende Mittel im Kreise ihrer Kundschaft“82 schlecht zu machen. Zugleich wirkten aber auch sie darauf hin, dass Franz Stollwerck vom langjährigen Londoner Vertriebspartner Joseph Hartl keine Bonbon-Lieferungen mehr erhielt und ließen sich schriftlich zusichern, dass er ihrem Wunsche nachkomme „ausschließlich in Cöln nur mit Ihnen zu arbeiten“83. Franz Stollwerck ahmte die neu entworfenen Verpackungen der Söhne nach, letztere wiederum orientierten ihr Corporate Design stark am seit Jahrzehnten etablierten Erscheinungsbild der väterlichen Produkte.84 Der Wettstreit spitzte sich 1873 zu, als sich Franz Stollwerck die Fortschrittsmedaille, die die Brüder auf der Wiener Weltausstellung als höchste Anerkennung vor den zahlreichen Konkurrenzfirmen ihrer Branche erhalten hatten, öffentlich zuschrieb. Er berief sich dabei auf die Tatsache, dass auch seine Söhne sowohl in ihrem Geschäft als auch auf der Ausstellung mit Auszeichnungen und Medaillen werben würden, die er errungen hatte. Konkret prangerte er an, dass sie das königlich-preußische Wappen, das ihm als Hoflieferant zustand, die ihm 1860 und 1869 verliehenen silbernen Medaillen der Academie nationale in Paris und die bronzene Medaille der großen Ausstellung in Paris von 1867 verwenden würden.85 Er drohte ihnen, sich über die „vorgenommene Anmaßung“86 zu beschweren und ihren Ausschluss von der Messe zu beantragen. Die Söhne erwiderten auf die Vorwürfe des Vaters, dass er zum einen die Medaille für die 1867 in Paris ausgestellten Zuckerwaren nur erhalten habe, weil „Heinrich Stollwerck die ZuckerwaarenFabrikation in dem Geschäfte seines Vaters neu eingeführt und die in Paris prämirten Waaren hergestellt“87 habe, zum anderen sei das Diplom der Firma Franz Stollwerck & Söhne verliehen worden und ferner stehe es ihnen gemäß Erlass des Kaisers vom 16. März 1872 ebenfalls zu, den kaiserlichen Adler zu verwenden.88 82 83 84 85 86 87 88
Niederschrift des Kölner Gerichtsvollziehers Friedrich Hey vom 19. Juni 1873, RWWA 208240-3. Joseph Hartl an die Gebrüder Stollwerck am 15. Oktober 1872, RWWA 208-245-5. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 36. Siehe Niederschrift des Kölner Gerichtsvollziehers Karl Siebert vom 18. Juni 1873, RWWA 208-240-3. Ebenda. Niederschrift des Kölner Gerichtsvollziehers Friedrich Hey vom 19. Juni 1873, RWWA 208240-3. In Folge der Auszeichnung auf der Wiener Weltausstellung wurden die Gebrüder Stollwerck 1873 zu Hoflieferanten des Kaisers von Österreich ernannt. Ab dem 1. Mai 1874 firmierten sie dann im Handelsregister als „Kaiserlich-Königliche Hof-Chocoladen-Fabrik Gebr. Stollwerck“. 1875 belieferten die Gebrüder Stollwerck bereits 14 Höfe. Siehe Briefkopf der Gebrüder Stollwerck vom 21. September 1875, RWWA 208-224-4.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Zudem ließen sie ihn fragen, ob er es „geschäftlich für vortheilhaft und mit Rücksicht auf die gegenseitige enge Familienverbindung für angemessen“89 halte, seinen Söhnen derartige Hindernisse in den Weg zu legen. Sollte er an seinem Vorhaben festhalten, würden sie alle zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mittel ausschöpfen, um ihr Recht zu wahren. In der Tat scheuten weder Vater noch Söhne vor diesem Schritt zurück: In den folgenden Jahren wurden mehrere Auseinandersetzungen um die Verwendung von Medaillen und Auszeichnungen und die Wortwahl in Werbeanzeigen vor Gericht ausgetragen.90 Erst kurz vor dem Tod Franz Stollwercks am 10. März 1876 versöhnten sich Vater und Söhne.91 Offenbar wollte der schwer kranke Vater nicht sterben, ohne die Konflikte mit seinen drei ältesten Nachkommen beigelegt zu haben. Neben dem Wunsch, der Nachwelt das Bild einer harmonischen und einträchtigen Familie zu hinterlassen, mögen für die Versöhnung auch eine gewisse Altersmilde und die Einsicht eine Rolle gespielt haben, an den jahrelangen Auseinandersetzungen nicht unschuldig gewesen zu sein. Denn bei allen Verletzungen und Vorwürfen waren auch Franz Stollwerck die Fähigkeiten und Vorzüge seiner Söhne bewusst. So tröstete seine Schwester Maria Sybilla 1869 ihren Neffen Albert Nikolaus (I): „Aber haltet Ihr drei nur gut zusammen und laßt als wohl fünfe grade sein, ist es doch der Herr Vater der neben manchen kitzlichen Eigenschaften, doch auch wenn er es sich nicht immer eingesteht, stolz auf seine Söhne ist […].“92 Der zentrale Beweggrund, die Streitigkeiten beizulegen, wird freilich die Absicht gewesen sein, den Söhnen die Fortführung des eigenen Lebenswerks zu übertragen. Unabhängig davon, dass die Zusammenarbeit mit den Nachkommen nicht zu einem intensiven familiären Gemeinschaftsgefühl, sondern zu tiefen Konflikten geführt hatte, bildete das Unternehmen für Franz Stollwerck den gemeinsamen, sinnstiftenden Rahmen, der ihn mit seinen Söhnen verband. Trotz der Zerwürfnisse zog er es nicht in Erwägung, sein Lebenswerk familienfremden Managern anzuvertrauen oder gar zu verkaufen. Vielmehr spiegelt seine – zwar unterzeichnete, aber nicht datierte und damit rechtlich nicht gültige – letztwillige Verfügung, dass der Erhalt des Unternehmens durch seine Nachfahren sein größter Wunsch war. Er erklärte, seinen drei ältesten Söhnen von seinem Vermögen alles zu vermachen, „worüber die Gesetze mir zu verfügen erlauben“. Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich sollten das Geschäft als seine „speziellen Erben und Rechtsnachfolger für ihre alleinige Rechnung betreiben und fortführen“ und die übrigen Erben entsprechend abfinden. Mit einer solchen Klausel konnte der Eigentümerunternehmer erreichen, dass das Geschäftskapital bzw. 89 90 91 92
Niederschrift des Kölner Gerichtsvollziehers Friedrich Hey vom 19. Juni 1873, RWWA 208240-3. Siehe Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 30. Dezember 1875, RWWA 208301-6. Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Zum Hintergrund der Versöhnung siehe auch Kapitel III.B.2. Auch August Thyssen suchte an seinem Lebensabend die Aussöhnung mit den Söhnen. Siehe Lesczenski: August Thyssen, S. 345–363. Maria Sybilla Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 5. August 1869, RWWA 208-27210.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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zumindest größere Teile davon über den eigenen Tod im Unternehmen gebunden lieben. Franz Stollwercks Ehefrau sollte laut seiner Verfügung „lebenslängliche Nutznießung“ an dem Vermögen zustehen, das er seinen Söhnen vermachte, so dass diese sich vorerst mit dem „Eigenthum begnügen“93 mussten. Sollte eines der Kinder seine Verfügung anfechten, sollte sein Erbe auf den gesetzlich bestimmten Pflichtteil reduziert werden. Da diese letztwillige Verfügung jedoch nicht rechtsgültig war, erbten seine sieben Kinder – fünf Söhne und zwei Töchter – sein geschäftliches und privates Vermögen zu gleichen Teilen. Mit ihrer Schwester Elisabeth schlossen Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich bereits rund einen Monat nach dem Tod des Vaters einen Vertrag, mit dem die Schwester ihnen ihren Anteil, der auf 100.000 Reichsmark beziffert wurde, „volleigenthümlich“94 übertrug. 10.000 Reichsmark zahlten die Brüder ihr sofort aus. Die Auszahlung des verbliebenen Anteils wurde folgenden Fristen und Restriktionen unterworfen, um den Kapitalabfluss aus dem Unternehmen so gering wie möglich zu halten: Der Rest von 90.000 Reichsmark sollte jährlich mit fünf Prozent verzinst werden, die entsprechende Summe von 4.500 Reichsmark Elisabeth Stollwerck in vierteljährlichen Raten von 1.125 Reichsmark ausbezahlt werden. Die 90.000 Reichsmark waren für drei Jahre fest im Geschäft angelegt und nicht kündbar. Erst nach Ablauf dieser Frist konnte die Schwester jährlich 5.000 Reichsmark aus dem Geschäft abziehen, nach Ablauf von zehn Jahren schließlich das dann noch verbliebene restliche Kapital in einer Summe. Die Interessen von Elisabeth Stollwerck waren insofern geschützt, als sie das Kapital sofort abziehen konnte, sollten die vierteljährlichen Zahlungen ausbleiben; als Sicherheit, für den Fall, dass ihre Brüder nicht zahlen konnten, benannten letztere zudem die Grundstücke Annostraße 27 und 29 mit allen darauf erbauten Fabrik- und sonstigen Gebäuden sowie den darin befindlichen Maschinen, Apparaten etc. als Pfandobjekt. Den Brüdern wiederum war es unbenommen, Elisabeth jederzeit Kapitalabschlagszahlungen von wenigstens 5.000 Reichsmark zuzüglich der entsprechenden Zinsen zu leisten.95 Entsprechende Verträge mit den jüngeren Geschwistern Ludwig, Carl und Therese waren 1876 nicht erforderlich, da alle drei noch minderjährig waren und Albert Nikolaus (I) für sie die Vormundschaft übernommen hatte.
93
94 95
Die letzten Zitate aus „Letztwillige Verfügung“ von Franz Stollwerck o. D., RWWA 208252-4. Laut Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 36) hatte Franz Stollwerck seine Söhne in einem allerdings nicht vollzogenen Testamentsentwurf von 1873 zunächst enterbt. Der Entwurf konnte nicht aufgefunden werden. Vertrag zwischen Albert Nikolaus (I), Peter Joseph, Heinrich und Elisabeth Stollwerck vom 22. April 1876, RWWA 208-411-7. Siehe ebenda.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Gesellschaftsrechtliche Reglements der Firma Gebrüder Stollwerck Ludwig trat schließlich 1882, vier Tage vor seinem 25. Geburtstag, als Teilhaber in die Firma seiner Brüder ein, die diesen Schritt zum Anlass nahmen, ihre Zusammenarbeit erstmals in Form eines Gesellschaftsvertrags zu regeln.96 Seit ihrem Austritt aus dem väterlichen Geschäft und der Gründung einer eigenen Firma 1872 hatten sie Aufgabenverteilung, Kompetenzen und Gewinnbeteiligung informell festgelegt. Es stellt sich die Frage, warum sie der Eintritt von Ludwig veranlasste, die Struktur der familialen Unternehmensführung vertraglich zu formalisieren, obwohl zwischen den Brüdern auch ohne Vertrag seit Jahren ein „friedliche[s] Zusammenwirken“97 stattgefunden hatte. Eine naheliegende Erklärung bietet der Faktor Vertrauen: Ökonomische Akteure können aufgrund des begrenzten Wissens über die Zukunft nie alle Eventualitäten berücksichtigen, so dass immer Raum für Opportunismus und Unsicherheit bleibt. Um dennoch erfolgreich zu agieren und zu kooperieren, bedarf es eines Bündels bindender Spielregeln, um den Unsicherheitsfaktor zu minimieren. Erfolgreiche Kooperation beruht dabei maßgeblich auf Vertrauen, d. h. dem Verzicht auf Kontrolle. Die Akteure verlassen sich darauf, das Verhalten des anderen vorhersehen zu können und gehen davon aus, homogene Interessen zu verfolgen, so dass Konflikte auf ein Minimum begrenzt werden oder ganz ausbleiben.98 Auf diesem Verständnis gründete auch das Verhältnis der drei ältesten Stollwerck-Brüder. Die scharfen Konflikte mit dem Vater hatten sie zusammengeschweißt und in ihnen den Willen verankert, im Unternehmen harmonisch zusammenzuarbeiten und den Familienfrieden zu wahren. Sie verstanden sich nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Wertegemeinschaft und hielten das Gefüge gemeinsamer Normen und Handlungsmuster offensichtlich für stark genug, über taktischen, strategischen und familiären Diskussionen und Entscheidungen nicht zu zerbrechen. Das familiäre Vertrauen war für sie selbstverständliche Wirklichkeit und bedurfte keines rechtlich abgesicherten Rahmens. Zwar traten zwischen den Brüdern Anfang der 1880er Jahre einige Spannungen auf, doch waren diese weder von Dauer noch beeinflussten sie den unternehmerischen Erfolg. Die Wirksamkeit des familiären bzw. geschwisterlichen Zusammenhalts war stark genug, dass es nicht zum Bruch kam.99 Mit Ludwig hingegen stieß in diesen „Horizont des Fraglosen“100 ein Unsicherheitsfaktor. Zwar brachten die älteren Brüder Ludwig aufgrund seiner Stellung als Bruder ein Mindestmaß an Loyalität und Vertrauen entgegen, doch wussten sie seine Interessen und sein Verhalten offensichtlich nicht zweifelsfrei einzuordnen und vertrauten ihm nicht vorbehaltlos, so 96
Laut Art. 85 des ADHGB war eine schriftliche Form zur Gründung einer OHG nicht vorgeschrieben. 97 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, RWWA 208-342-3. 98 Siehe ausführlich und für weiterführende Literatur zum Thema „Vertrauen“ als ökonomische Schlüsselvariable Kapitel I.C. 99 Siehe ausführlich Kapitel III.B.2. 100 Nieberding/Wischermann: Unternehmensgeschichte, S. 42.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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dass sie sich entschlossen, die Spielregeln ihrer Zusammenarbeit, d. h. die Verteilung der unternehmerischen Verfügungsrechte in einem Vertrag festzuschreiben. Die Entscheidung von Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich wird verständlich, wenn man verschiedene Aspekte bedenkt: Zum einen spielte zweifellos der große Altersunterschied zwischen den Brüdern eine Rolle. Ludwig stand am Anfang seiner beruflichen Karriere, seine Geschwister hingegen arbeiteten 1882 schon rund zwei Jahrzehnte intensiv zusammen, vertrauten auf die Konsistenz ihrer Handlungen und darauf, ihre gegenseitigen Ziele und Präferenzen zuverlässig einschätzen zu können – eine Erfahrung, an der der jüngere Bruder nur partiell und nur von außen teilgehabt hatte. Zum anderen hatte Ludwig die Auseinandersetzungen zwischen Franz Stollwerck und seinen drei ältesten Söhnen, die zwischen letzteren die kohäsions- und vertrauensstiftende Basis evozierten, aus einem anderen Blickwinkel erlebt. Zwar hatte er durchaus Verständnis für das Verhalten seiner älteren Brüder gezeigt, sich aber auch immer bemüht, im Sinne des Vaters zu vermitteln.101 An dieser Stelle beeinflussten demnach unterschiedliche Erfahrungen und Wahrnehmungshorizonte der Brüder die Ausgestaltung der Verfügungsrechte, die ab 1882 nicht mehr auf formlosem geschwisterlichem Vertrauen gründeten, sondern auf formgebundenen Verträgen.102 Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die sie in der Zusammenarbeit mit ihrem Vater gemacht hatten, schrieben die Gebrüder Stollwerck in ihrem Gesellschaftsvertrag von 1882 ein kooperatives Führungsmodell fest, das keinen der Brüder mit besonderen Verfügungsrechten ausstattete oder gar einen von ihnen zum patriarchalen Unternehmer erhob.103 Lediglich Ludwig musste als Jüngster einige Abstriche machen, die freilich seine unternehmerische Handlungsfähigkeit nicht maßgeblich einschränkten. So erhielt er für die ersten sechs Monate seiner Teilhaberschaft bei freier Wohnung ein festgesetztes Salär von 6.000 Mark; erst ab dem 1. Juli 1882, dem Beginn des neuen Geschäftsjahres, wurde er an Gewinn und Verlust beteiligt – allerdings nur zu einem Siebtel, während seine drei älteren Brüder jeweils zwei Siebtel erhielten (§ 3). Als Carl Stollwerck am 6. November 1884, seinem 25. Geburtstag, ebenfalls in die Firma seiner Brüder aufgenommen wurde, erhielt auch er zuerst nur ein monatliches Salär von 1.000 Mark, bevor er mit Beginn des neuen Geschäftsjahres an Gewinn und Verlust beteiligt wurde. Ab dem 1. Juli 1885 erhielten dann Peter Joseph und Heinrich zwei Drittel, Ludwig und Carl ein Drittel des Gewinns.104 101 Siehe ausführlich Kapitel III.B.2. 102 Siehe auch Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 119. 103 Die Brüder durften gleichberechtigt für die Firma zeichnen (§ 1) und verpflichteten sich gleichermaßen, ihre ganze Zeit und Kraft dem Geschäft zu widmen. Beteiligungen an anderen Unternehmen bedurften des gegenseitigen Einverständnisses (§ 5). Siehe Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, RWWA 208-342-3. 104 Siehe Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 6. November 1884, RWWA 208-3423. Der Gesellschaftsvertrag vom 24. Januar 1882 blieb, soweit er nicht mit diesem Vertrag abgeändert wurde, für alle Gesellschafter bindend.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Bei Beratungen zwischen den Brüdern entschied grundsätzlich Stimmenmehrheit, jedoch hatte, um Patt-Situationen zu vermeiden, immer der älteste anwesende Teilhaber die entscheidende Stimme, wenn kein Konsens zustande kam (§ 13). Ludwig und Carl mussten sich damit im Falle von Differenzen immer den älteren Brüdern unterordnen (Senioritätsprinzip).105 Mit dieser Form der Konfliktlösung rekurrierten die Gebrüder Stollwerck – bewusst oder unbewusst – auf traditionelle familiale Loyalitäten, soziale Rangordnungen und Rollenbilder und nutzten sie für geschäftliche Zwecke. Es entstand eine paternalistische Unternehmens- und Familienkultur, eine generationenübergreifende Verbindung zwischen Familie und Unternehmen.106 Wenngleich die Gebrüder Stollwerck von dem Ältestenrecht in unternehmerischen Entscheidungen bis 1910 „nur ein einziges Mal“107 Gebrauch machten, wurde die Position des Ältesten von den Brüdern hoch geachtet, sie galt als „Ehrenamt“108. Von einer „vollkommen gleichberechtigte[n]“ Führungsstruktur und dem „Zwang zu einer konsensualen Einigung“109, wie von Angelika Epple beschrieben, kann daher kaum die Rede sein. Zwar wurde die Abstimmungsklausel in der Entscheidungsfindung zwischen den Brüdern nicht regelmäßig bemüht, doch bestimmten die familialen Hierarchien und Rollenbilder das Selbstverständnis der Brüder und ihrer Nachkommen und prägten auch die Belegschaft. Ludwig und Carl sprachen in ihren privaten Briefen nach dem Tod von Peter Joseph häufig von Heinrich als „Senior“ der Familie und bezeichneten sich im Unterschied zu ihren älteren Brüdern als „Junior-Partner“; Gustav würdigte seinen Onkel Carl 1925 als „Familien- und Geschäfts-Senior“; gegenüber dem Vorstandsmitglied Gustav Laute bezeichnete Ludwig sich auch selbst als „Senior“; Heinrich führte die Position als „Senior meiner Firma“ sogar als (offiziellen) Grund für seinen Rückzug aus der Kölner Stadtverordnetenversammlung an und auch in der Hauszeitschrift des Unternehmens, der „Stollwerck Post“, war 1926 von Carl Stollwerck als „Seniorchef“ die Rede. Selbst die Kommunistische Betriebszelle Stollwerck übernahm die familialen Hierarchien und Rollenbilder und sprach von Carl als „des Hauses Senior“110. Auch innerhalb der
105 Sollte Ludwig vor seinem 40. Lebensjahr freiwillig oder durch Tod aus der Firma ausscheiden, hatten weder er noch seine Frau das Recht auf eine Abfindung. Nur für den Fall, dass aus der Ehe Kinder hervorgingen, konnte seine Witwe von seinen Brüdern verlangen, den Vertrag mit ihr fortzusetzen (§ 12). Siehe ebenda. 106 Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.B.2. 107 Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 1. März 1910, RWWA 208-71-2. Die Quellen liefern keine Anhaltspunkte, um welche Entscheidung es sich handelte. Siehe zum Senioritätsprinzip auch Kapitel III.A.1. 108 Ludwig Stollwerck: Rede bei der Jubilarfeier am 19. Dezember 1915, RWWA 208-217-4. 109 Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 322 f. 110 Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Juni 1914, RWWA 208165-3; Ludwig Stollwerck an Emil Schniewind am 26. Februar 1902, RWWA 208-484-3; Ludwig Stollwerck an Gustav Laute im Dezember 1920, RWWA 208-217-7; Gustav Stollwerck an Carl Stollwerck am 14. November 1925, RWWA 208-43-1; Heinrich Stollwerck an Max Wallraf am 22. Oktober 1909, RWWA 208-394-7; Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh.: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 1;
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
297
Familie spielte das Ältestenrecht eine wichtige Rolle: Heinrich und Apollonia Stollwerck empfahlen ihren Kindern, „bei wichtigen Familien-Angelegenheiten […] unter dem Vorsitz des Ältesten zu gemeinschaftlichen Beratungen zusammenzutreten“111, und Peter Joseph bestimmte testamentarisch, dass der Familienrat immer vom ältesten Bruder geführt werden solle. Im Gesellschaftsvertrag wurde ferner festgelegt, dass die Gewinnanteile der Brüder zuzüglich Zinsen ihrem jeweiligen Kapitalkonto zugeschlagen wurden. Privatentnahmen durften die Summe von 20.000 Reichsmark ohne Einwilligung der übrigen Teilhaber nicht überschreiten. Diese Entnahmebeschränkung diente vor allem dem Ziel, die Eigenkapitalbasis des Familienunternehmens zu stärken.112 Die Entscheidung, einen Teil der Gewinne im Unternehmen zu belassen, ist in Familienunternehmen zweifellos eine sachliche Notwendigkeit, da nur so Abhängigkeit von externen Kapitalgebern unwahrscheinlich wird; sie hängt aber immer auch von den privaten Vermögensverhältnissen der Eigentümer ab. Zwar sind keine Aufstellungen überliefert, die Aufschluss über den Umfang des Privatvermögens der Gebrüder Stollwerck zu dem Zeitpunkt geben, als der Gesellschaftsvertrag geschlossen wurde, allerdings waren 1882 sowohl Albert Nikolaus (I) als auch Peter Joseph, Heinrich und Ludwig bereits verheiratet. Alle vier Ehefrauen hatten eine stattliche Mitgift in die Ehe eingebracht,113 so dass die Brüder materiell weitgehend unabhängig vom Unternehmen agieren und die Gewinne teilweise im Unternehmen belassen konnten. Der geschäftliche Erfolg diente den Unternehmern demnach nicht primär zur individuellen Selbstverwirklichung oder dazu, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, subjektive Interessen und materielle Bedürfnisse zu befriedigen. Erklärtes Ziel war es, das Unternehmen langfristig zu erhalten, um das Kollektiv Familie dauerhaft zu versorgen und ein möglichst großes Erbe an die nächste Generation weiterzugeben. Die Unternehmer arbeiteten demnach nicht allein für die Gegenwart, sondern hatten über ihre eigene Lebenszeit hinaus immer auch Vergangenheit und Zukunft im Blick und gaben ihrer Arbeit so einen „zusätzlichen Sinn“114. Der Einsatz für das Familienunternehmen diente dem Wohl des generationen-
111
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113 114
Kommunistische Betriebszelle Stollwerck: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, Nr. 3 vom Juni 1926, RWWA 208-250-1. Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 31. Oktober 1908, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Diese Bestimmung wurde im geänderten Testament von 1913 ausdifferenziert. Statt der enterbten ältesten Söhne Albert Nikolaus (II) und Heinrich Victor wurde das Ältestenrecht nun dem jüngsten Sohn Franz (II) zugesprochen, der „eventuell“ seine Schwager hinzuziehen konnte. Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Siehe auch die von Peter Joseph Stollwerck am 22. August 1895 verfasste „Richtschnur“, sollte er ohne gültiges Testament versterben, RWWA 208-426-2. Mehrere Autoren betonten das starke Unabhängigkeitsstreben von Familienunternehmen und resümierten, dass finanzielle Unabhängigkeit der Kern ihres unternehmerischen Strebens und Handelns sei. Siehe Zellweger: Investitionsentscheidungen, S. 96 f.; Berthold: Familienunternehmen, S. 63; Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 146 ff. Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.A.2. Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 102.
298
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
übergreifenden Familienverbands. Dieses Streben bildete zugleich Ansporn und Begründung, das Unternehmen auf eine gesunde Liquiditätsbasis zu stellen und einen Großteil des erwirtschafteten Gewinns im Unternehmen zu belassen, statt übermäßiges Privatvermögen zu akkumulieren oder in den privaten Konsum zu investieren. Von den Erben wurde erwartet, dass sie dieses Leistungsethos übernahmen, ebenso loyal und verantwortungsbewusst mit den erwirtschafteten Gewinnen umgingen, sich ausschließlich und mit ganzer Kraft dem Familienunternehmen widmeten und individuelle Interessen zurückstellten.115 Etwa ein Jahr nach Abschluss dieses ersten Gesellschaftsvertrags zwischen den Brüdern starb am 4. April 1883 der älteste Gesellschafter Albert Nikolaus (I) im Alter von nur 42 Jahren.116 Seine Frau war bereits ein halbes Jahr zuvor verschieden, so dass als Erben nur seine beiden 16 und 15 Jahre alten Töchter Maria Theresia (1866–1904) und Anna Barbara zurückblieben. Die Regelungen, die beim Tod eines Gesellschafters in Kraft treten sollten, hatten die Gebrüder Stollwerck im Gesellschaftsvertrag festgelegt. Paragraph sechs befasste sich mit den Auszahlungsmodalitäten des Geschäftsvermögens, das der verstorbenene Gesellschafter hinterlassen hatte und für dessen Festlegung die letzte Bilanz als maßgebend bestimmt wurde. „Um einer bedenklichen Schädigung des Geschäftsfonds vorzubeugen“117, behielten sich die überlebenden Gesellschafter das Recht vor, die Auszahlung an die Erben auf zehn gleiche Jahresraten zu verteilen. Zudem durften die Erben weder die Bücher einsehen noch die letzte Bilanz oder diejenige des Sterbejahres prüfen, nach der sich anteilig der Gewinn des verstorbenen Gesellschafters berechnete. Einen Anspruch, anstelle ihres Vaters Gesellschafter zu werden, hatten die Töchter von Albert Nikolaus (I) demnach nicht. Hätte er freilich eine Ehefrau hinterlassen, wäre diese gemäß Paragraph sieben berechtigt gewesen, für ihren verstorbenen Gatten in die Gesellschaft einzutreten. Das Recht auf Prokura wurde der Witwe aber grundsätzlich ebenso wenig zugestanden wie das Recht, die Gesellschaft zu vertreten. Vielmehr musste sie sich verpflichten, die übrigen Teilhaber für die ihnen entstehenden Mehrarbeiten zu entschädigen und das Gehalt eines von den überlebenden Brüdern allein zu wählenden Stellvertreters zu vergüten. Den ihr nach Auseinandersetzung mit den übrigen Erben zufallenden Geschäftsanteil ihres Mannes hatte sie als Einlage im Geschäft zu belassen. Sollte die Witwe versterben oder erneut heiraten, galt ihre Geschäftsbeteiligung als erloschen, sie oder ihre Erben wurden in diesem Fall gemäß der Bestimmungen in Paragraph sechs abgefunden. Mit diesem Passus gestanden die Gebrüder Stollwerck der Witwe und den Töchtern eines verstorbenen Bruders demnach die Teilhabe am ökonomischen Kapital zu, von der Unternehmensleitung freilich schlossen sie sie aus; zugleich 115 Siehe ebenda, S. 123 f.; Stremmel: „Treue preußische Herzen“?, S. 52. Zur Frage der Gewinnverwendung als Konfliktpotenzial siehe Fabis: Konflikte im Familienunternehmen, S. 78–83. 116 Siehe zu den Umständen seines Todes Kapitel III.B.2. 117 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, Paragraph sechs, RWWA 208-342-3.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
299
sollte auch Leitungsansprüchen neuer Ehepartner vorgebeugt werden.118 Unabhängig von dem formellen Ausschluss weiblicher Familienmitglieder von der Geschäftsführung schrieben die Brüder zudem in Paragraph 13 des Gesellschaftsvertrags fest, dass die „Einmischung der Frauen in geschäftliche Angelegenheiten bei Lebzeiten der Theilhaber […] absolut ausgeschlossen“ sein sollte, auch sollte gegenüber den Familien ihrer Frauen „über diesen Vertrag […] Verschwiegenheit beobachtet werden“119. Die erste Bestimmung erklärt sich vor dem Hintergrund der Dissonanzen zwischen den Ehefrauen der Gebrüder Stollwerck und dem grundsätzlichen Misstrauen, das insbesondere Heinrich den weiblichen Familienmitgliedern entgegenbrachte. Er unterstellte ihnen, vor allem eigennützige Motive zu verfolgen und die individuellen Interessen nicht den Erfordernissen des Familienunternehmens unterzuordnen.120 Die Diskretion gegenüber den Familien der Ehefrauen resultierte vermutlich aus dem Bedürfnis, sich gegen Ansprüche entfernter Familienmitglieder zu schützen, seien sie finanzieller Art oder darauf gerichtet, in den Gesellschafterkreis aufgenommen zu werden und Einfluss auf das Unternehmen zu gewinnen. Während die Gebrüder Stollwerck also ihren Töchtern und Ehefrauen den Eintritt in die Unternehmensleitung ebenso wenig zubilligten wie Einblicke in die Firma, hatten die Söhne durchaus das Recht hierauf. Im Gesellschaftsvertrag legten die Brüder sogar expressis verbis fest, „nur ihre respectiven Söhne in das Geschäft aufzunehmen, um eine friedliche und gemeinsame Arbeit zu sichern“121. Genau genommen war das Recht des Eintritts in die Unternehmensleitung zunächst sogar auf die Söhne der drei ältesten Brüder beschränkt (§ 13). Diese Bestimmung mag ihre Ursache darin haben, dass Ludwig Stollwerck bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags noch keine Kinder hatte. Eine Phase gemeinsamer Geschäftsführung mit den Söhnen wollten die Brüder – vermutlich unter dem Eindruck der krisenhaften Erfahrungen mit dem Vater – zunächst offensichtlich vermeiden. In Paragraph elf legten sie fest, dass jeder von ihnen, genauso wie die Witwe eines verstorbenen Gesellschafters, das Recht habe, einen Sohn in die Gesellschaft eintreten zu lassen – allerdings nur „an seiner Stelle“ und nicht zusätzlich. Dem überlebenden ältesten Bruder wurde für diesen Fall die Rolle des Vormunds übertragen, dessen „erste Pflicht“122 es sein sollte, die weitere Erziehung seines Mündels zu überwachen. Die Söhne mussten für den Eintritt in die Gesellschaft das 25. Lebensjahr vollendet haben und behielten das Recht auch für den 118 Siehe auch Zeumer: Nachfolgefinanzierung, S. 203. 119 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, Paragraph 13, RWWA 208-342-3. 120 Siehe ausführlich Kapitel III.B.2 121 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, Paragraph 13, RWWA 208-342-3. Siehe auch Joly: Ende des Familienkapitalismus?, S. 83. 122 Die letzten beiden Zitate aus Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, Paragraph elf, RWWA 208-342-3.
300
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Fall, dass beide Eltern während der Dauer der Gesellschaft versterben sollten (§ 13). Detailliertere Bestimmungen trafen die Gebrüder Stollwerck 1882 (noch) nicht – zwar hatten Peter Joseph und Heinrich zu diesem Zeitpunkt bereits insgesamt fünf Söhne, doch waren die ältesten erst zehn, der jüngste erst zwei Jahre alt. Entscheidungen über ihre berufliche Zukunft waren demnach noch nicht akut. Sollten sie sich freilich entschließen, dem Familienunternehmen dienliche Ausbildungen zu absolvieren, wurde ihnen durch die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags zumindest die Möglichkeit eröffnet, sich in das Geschäft zu integrieren. Trotz der offensichtlichen Probleme und Nachteile, die die Weitergabe der Unternehmensführung von Franz Stollwerck auf seine Söhne mit sich gebracht hatte, bestand also auch unter den Brüdern der Wunsch, das Unternehmen dauerhaft innerhalb der Familie weiterzugeben und den Söhnen früh einen bestimmten Werdegang nahezulegen. IV.A.2 „Herren und Meister unseres Geschäftes bleiben“ – Generationenübergang als unvollendeter Prozess (1885 bis 1914) Die Übernahme des väterlichen Unternehmens verlief im Fall von Franz Stollwerck und seinen Söhnen zwar nicht reibungslos, doch gelang es letztlich, der Familie das Geschäft in Eigentum und Leitung zu erhalten. Der Generationenwechsel im Familienunternehmen kann freilich auch, das haben die geschilderten Konflikte eindrücklich verdeutlicht, in den schleichenden Niedergang eines Unternehmens und der Familientradition münden. Die Familie als sinn- und kontinuitätsstiftende Komponente ist zwar auf der einen Seite die große Stärke von Familienunternehmen, auf der anderen Seite aber bergen die vielschichtigen Sozialbeziehungen zwischen den Anteilseignern emotional aufgeladene Konfliktfelder, die aus den Interessengegensätzen von Familie und Unternehmen erwachsen und den Fortbestand des Geschäfts gefährden können.123 Am Beispiel des Unternehmens Stollwerck, konkret dem Übergang von Eigentum und Führungsverantwortung von der zweiten auf die dritte Generation, lassen sich diese Aspekte gut illustrieren. Gesellschaftsrechtliche Vorbereitung des Nachfolgeprozesses Der zwischen den Gebrüdern Stollwerck 1882 abgeschlossene und durch die Aufnahme Carls als Gesellschafter zwei Jahre später geringfügig modifizierte Gesellschaftsvertrag sah zunächst nur vor, dass die Söhne der drei ältesten Brüder nach Vollendung des 25. Lebensjahres anstelle ihrer Väter als Teilhaber in die Firma aufgenommen werden konnten. Etwaige Kinder von Ludwig und Carl kamen nach diesem Vertrag zur Nachfolge in der dritten Generation nicht in Frage. Anfang der 1890er Jahre stellte sich die Situation jedoch anders dar. Albert Nikolaus 123 Siehe Berthold: Familienunternehmen, S. 33–40.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
301
(I) war bereits verstorben und hatte (lediglich) zwei Töchter hinterlassen, die für die Weitergabe des Unternehmens an die Nachkommen keine Rolle spielten; Carl hatte keine leiblichen Kinder.124 Die übrigen drei Brüder aber konnten mit insgesamt neun männlichen Nachkommen auf eine stattliche Anzahl möglicher Unternehmensnachfolger blicken, die sie entsprechend ausbilden, mit denen sie planen und aus denen sie im Zweifel auswählen konnten. Um die Nachfolge gezielt vorzubereiten und die Unternehmenskontinuität zu sichern, schlossen die Gebrüder Stollwerck am 15. April 1893 einen neuen Gesellschaftsvertrag.125 Wichtige Leitlinien, die bereits dem Kontrakt von 1882 zugrunde gelegen hatten, blieben bestehen. In Streitfällen war weiterhin das Senioritätsprinzip ausschlaggebend (Art. 1). Auch die Beteiligung der Gesellschafter an Gewinn und Verlust spiegelte nach wie vor eine gewisse Vorrangstellung der älteren Brüder. Diejenigen Gesellschafter, die das 40. Lebensjahr überschritten hatten, erhielten einen doppelt so hohen Gewinnanteil wie die Gesellschafter unter 40 Jahren. Für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bedeutet dies, dass sich an der 1884 festgelegten Verteilung zunächst nichts änderte. Peter Joseph und Heinrich waren jeweils mit einem Drittel, Ludwig und Carl mit je einem Sechstel an Gewinn und Verlust beteiligt. Am 28. Januar 1897, dem 40. Geburtstag Ludwig Stollwercks, sollten dann die drei ältesten Brüder jeweils zwei Siebtel, Carl Stollwerck ein Siebtel beziehen. Bis zur Vollendung seines 40. Lebensjahres am 6. November 1899 musste er demnach vorübergehend eine finanzielle Schlechterstellung in Kauf nehmen. Ab diesem Zeitpunkt freilich sollten alle Brüder gleichberechtigt mit einem Viertel an Gewinn und Verlust beteiligt werden (Art. 4). Die normative Bestimmung, nach der alle Gesellschafter verpflichtet waren, ihre „gesammte Arbeitskraft ausschließlich dem gemeinschaftlichen Unternehmen zu widmen und für andere Unternehmungen ohne Einwilligung seiner Mitgesellschafter nicht thätig zu sein“126, wurde in Artikel 14 um die Verpflichtung ergänzt, dass jeder Gesellschafter, der sein Vermögen durch Heirat, Erbschaft etc. steigerte, dieses Kapital bis zur höchsten Kapitalbeteiligung der ihm in der Gewinnbeteiligung gleichstehenden Gesellschafter in das Geschäft einbringen musste. Artikel 15 erweiterte den „Pflichtenkatalog“ um die Bestimmung, dass jeder Gesellschafter und Kommanditist mit seinem Austritt aus der Firma das Recht aufgab, „ein Chokoladen- und Zuckerwaarengeschäft oder eins von beiden mit dem Namen Stollwerck zu errichten oder diesen Namen mit der Firma eines bestehenden oder neu zu gründenden Unternehmens in genannten Bereichen in Verbindung zu bringen“127. Kapitalbeteiligungen an anderen Unternehmungen be124 Siehe ausführlich Kapitel III.A.2. 125 Siehe Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 15. April 1893, RWWA 208-376-2. 126 Ebenda, Artikel drei. Siehe auch Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, Paragraph fünf, RWWA 208-342-3. 127 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 15. April 1893, Artikel 15, RWWA 208376-2. Siehe auch Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Ös-
302
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
durften gemäß Artikel drei weiterhin ebenso des Einverständnisses der übrigen Gesellschafter wie der Abschluss privater Handels- und Börsengeschäfte und die Übernahme von Bürgschaften. Sollte einer der Gesellschafter unter dem Namen der Firma private Verbindlichkeiten eingehen, drohte ihm der fristlose Ausschluss aus der Gesellschaft, ferner musste er für den entstandenen Schaden aufkommen. Auch der Umgang der Anteilseigner mit ihren Gewinnen wurde wie schon 1882 restriktiv gehandhabt, d. h. die Ansprüche des Unternehmens für eine erfolgreiche zukünftige Entwicklung hatten Vorrang vor den persönlichen individuellen und finanziellen Bedürfnissen. Jeder Gesellschafter war berechtigt, über das Jahr verteilt einen Teil seines Gewinns zu entnehmen. Die Entnahme durfte aber die jeweiligen Erträge seines mit fünf Prozent zu verzinsenden Geschäftsguthabens und ein Drittel desjenigen Betrags nicht übersteigen, der im vorherigen Geschäftsjahr für den betreffenden Gesellschafter als Reingewinn erzielt worden war (Art. 5). Die Ertragskraft der Stollwerck’schen Familienunternehmung reichte freilich vor dem Hintergrund der skizzierten Expansion im In- und Ausland nicht aus, um sich allein aus der Thesaurierung der laufenden Gewinne zu finanzieren.128 Die höhere Anlageintensität bzw. das hohe Umlaufvermögen führten dazu, dass es für die Gebrüder Stollwerck immer schwieriger wurde, Mittel in der benötigten Höhe aufzubringen –, denn die Möglichkeit, weitere Einlagen in die Gesellschaft zu tätigen, war an die private Vermögenssituation gebunden. Neben der Eigenfinanzierung gewann daher die Finanzierung durch (kurzfristige) Bankkredite an Bedeutung.129 Im Juli 1900 standen den Gebrüdern Stollwerck Kontokorrent- oder Dispositionskredite sowie Akzeptkredite in Höhe von mindestens 1.350.000 Mark zur Verfügung, die sich auf folgende Banken verteilten: Den höchsten Kredit räumte mit 500.000 Mark das Bankhaus von der Heydt-Kersten & Söhne in Elberfeld ein. Die Essener Credit-Anstalt gewährte ein Darlehen von 225.000 Mark, bei den Kölner Bankhäusern J. H. Stein und Sal. Oppenheim hatte Stollwerck einen Verfügungsrahmen von 225.000 bzw. 300.000 Mark, bei der BergischMärkischen Bank waren es 100.000 Mark. Hinzu kam ein vom A. Schaaffhausen’schen Bankverein gewährter Kredit, den die Gebrüder Stollwerck im Juli 1900 auf 350.000 Mark aufstocken wollten.130 Die Eigenkapitalquote, die 1888 74 Prozent betragen hatte, stieg im Geschäftsjahr 1890/91 auf 81 Prozent und betrug 1902 schließlich 91,1 Prozent (siehe Abb. 55). Diese Entwicklung lässt zweierlei terreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 24. Januar 1882, Paragraph 14, RWWA 208-342-3. 128 Siehe zum Finanzierungsverhalten kleiner und mittlerer Unternehmen Geiseler: Das Finanzierungsverhalten. 129 Albert Simon teilte der Bergisch-Märkischen Bank 1890 auf Anfrage mit, die Firma Gebrüder Stollwerck betreibe „ein Geschäft von riesigem Umfange“ und stehe „mit drei der größten hiesigen Bankhäuser in Verbindung, woraus hervorzugehen scheint, daß sie größere Credite in Anspruch nimmt“. Albert Simon an die Bergisch-Märkische Bank am 22. Mai 1890, HADB K15/0113. Siehe auch Gebrüder Stollwerck an die Bergisch-Märkische Bank am 14. Januar 1891, HADB K15/0113. 130 Siehe Aktennotiz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins vom 23. Juli 1900, HADB K02/0298.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
303
erkennen: Zum einen nutzten die Gebrüder Stollwerck die Aufnahme von Krediten, um die Eigenkapitalaufnahme von außen, d. h. eine Beteiligungsfinanzierung zu umgehen, zum anderen war ihr Unabhängigkeitsstreben stärker als eine mögliche mentalitätsbedingte Ablehnung einer Kreditfinanzierung durch die Banken. Oberstes Ziel war es, über die Kapitalmehrheit den bestimmenden Einfluss auf das Geschäft zu behalten, denn das Dasein als Familienunternehmen zu sichern, bedeutete zugleich, auch das Bestehen der Familie zu wahren. Sich von Dritten abhängig zu machen, hätte auch Einheit und Existenz der Familie gefährdet. Stammkapital (in M)
Verantwortliches Kapital Peter Joseph
1887 1888
1890 1891
1900
Anteil am Stammkapital (in %) 1902
1887 1888
1890 1891
1900
1902
876.005
1.225.502
2.178.275
2.291.182
26,8
30,3
26,7
28,2
1.025.793
1.390.706
2.502.979
2.454.332
31,4
34,3
30,7
30,3
Ludwig
255.383
393.030
1.183.446
1.278.226
7,8
9,7
14,5
15,8
Carl
145.386
272.687
1.339.962
1.359.964
4,5
6,7
16,5
16,8
Zinsen
115.128
Heinrich
Gesamt
3,5
2.417.697
3.281.925
7.204.662
7.383.704
74,0
81,0
88,4
91,1
Nichtverantwortl. Kapital M. Th. Zehnpfennig131
589.751
559.060
470.209
465.787
18,2
13,8
5,8
5,8
Th./R. Roderbourg
86.336
70.089
95.170
173.081
2,7
1,7
1,2
2,1
A. W. Fuchs132
52.363
51.896
50.556
50.156
1,6
1,3
0,6
0,6
Erben Wolff
72.000
48.057
2,2
1,2
J./W. Heimerdinger
40.600
40.600
1,3
1,0
40.000
0,5
A. Krusius133
8.786
8.786
0,1
0,1
W. Krüger134
24.000
24.000
0,3
0,3
A. N. Stollwerck (II)
1.975
0,02
B. Peters
25.000
0,3
A. S. Bollig
25.000
0,3
M. T. Stollwerck
50.000
0,6
157.067
1,9
G. Stollwerck Gesamt
841.051
769.702
947.763
721.810
26,0
19,0
11,6
8,9
3.258.748
4.051.627
8.152.425
8.105514
100
100
100
100
Abb. 55: Kapitaleinlagen der Gebrüder Stollwerck in den Geschäftsjahren 1887/88, 1890/91, 1900 und 1902135
131
132 133 134
Ab 1897 hieß Maria Theresia mit Nachnamen von Lippa. In der Bilanz des Geschäftsjahres 1887/88 wurde vermerkt, dass sie vertragsgemäß pro Jahr nur zehn Prozent ihres Kapitals aus dem Geschäft herausziehen durfte. Siehe Bilanz der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck für das Geschäftsjahr 1887/88, HADB K02/0298. Anton Wilhelm Fuchs war der Witwer der 1884 verstorbenen Elisabeth Stollwerck. Anton Krusius war ein Verwandter von Maria Theresia und Apollonia Stollwerck, geb. Krusus. Wilhelm Krüger war der Leiter des Berliner Zweiggeschäfts.
304
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Wenngleich das Senioritätsprinzip die Verteilung der Kapitalanteile unter den Brüdern weiterhin strukturierte, waren ihre Anteile 1902 doch deutlich ausgewogener verteilt als 14 Jahre zuvor. Modifiziert und differenziert wurden im neuen Gesellschaftsvertrag zum einen die Bestimmungen für den Fall, dass ein Gesellschafter starb, zum anderen die Regelungen zur Unternehmernachfolge. Die Bestimmungen, die im Todesfall eines Gesellschafters in Kraft treten sollten, wurden in Artikel neun wie folgt abgeändert:136 Hatten die Gebrüder Stollwerck 1882 nur der Witwe eines verstorbenen Gesellschafters das Recht zugestanden, an seiner Stelle als Kommanditistin in die Gesellschaft einzutreten, wurde nun beim Tod eines Gesellschafters die Firma mit dessen Erben fortgeführt, d. h. die Erben waren verpflichtet, das geerbte Kapital als Kommanditeinlage in der Gesellschaft zu belassen. Die alleinige Führung und Vertretung der Firma oblag dabei den überlebenden Gesellschaftern; die Erben des verstorbenen Gesellschafters hatten keinerlei Anspruch auf eine Mitwirkung oder Mitsprache in der Geschäftsführung, etwaige Verluste mussten sie aber anteilig tragen.137 Ihre Rechte gegenüber den Gesellschaftern der Firma durften die Kommanditisten nur durch einen gemeinschaftlichen Bevollmächtigten ausüben. Dieser bedurfte, sofern er nicht einer der Kommanditisten oder ein gesetzlicher Vertreter war, der Zustimmung der Gesellschafter. Nach fünf Jahren endete laut Gesellschaftsvertrag das Kommanditverhältnis und die Kommanditisten wurden zu Gläubigern ihres Geschäftsguthabens. Dieses Guthaben wurde ihnen fortan weiterhin mit fünf Prozent jährlich verzinst und in zehn gleichen jährlichen Raten zurückgezahlt. Eine Sonderregelung galt für die Witwe eines verstorbenen Gesellschafters: Ihr stand das Recht zu, in jedem Fall bis 1902 als Kommanditistin im Geschäft zu bleiben – diese Sonderreglung erlosch aber, sollte sie erneut heiraten. Losgelöst von diesen Bestimmungen stand es den Kommanditisten frei, ihre Beteiligung jederzeit ganz oder teilweise zu kündigen. Der gekündigte Teil wurde dann in zehn gleichen Raten zurückgezahlt. Die Bestimmungen von Artikel neun dienten, wie auch im Gesellschaftsvertrag von 1882, dem Ziel, die Liquidität der Firma im Todesfall eines Gesellschafters nicht zu gefährden. Indem der verstorbene Gesellschafter nun allerdings nicht mehr als ausgeschlossen galt und sein im Geschäft gebundenes Kapital nicht mehr automatisch den Erben ausbezahlt, sondern in eine Kommanditeinlage umgewandelt wurde, band man das vorhandene Gesellschaftskapital im Unternehmen. Die Auszahlung der ersten Rate gekündig135 Eigene Berechnungen anhand der Bilanzen der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck für die Geschäftsjahre 1887/88 (HADB K02/0298), 1890/91 (RWWA 208-477-9) und 1900 (RWWA 208-477-5). Die Angaben für 1902 sind entnommen aus Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig und Carl Stollwerck, o. D., RWWW 208-464-1. 136 Siehe Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 15. April 1893, Artikel neun, RWWA 208-376-2. 137 Zwar trat dieser Fall während der Dauer des Gesellschaftsvertrags nicht ein, doch muss bezweifelt werden, ob die Erben den Zwangskautelen widerspruchslos gefolgt wären. Zu den Modalitäten der Gewinnbeteiligung siehe ebenda.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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ter Kommanditeinlagen wurde zudem mit einer Karenzzeit von drei Jahren belegt, so dass der Kapitalentzug im Todesfall nun über einen längeren Zeitraum gestreckt wurde. Die Gebrüder Stollwerck waren demnach 1893 noch stärker als zehn Jahre zuvor darauf bedacht, die Existenz des Unternehmens nicht zu gefährden – war es doch ihr erklärtes Ziel, dass ihre Söhne die Tradition der Familie und das familiäre Erbe fortführen. Während die Söhne von Ludwig und die beiden jüngsten Sprösslinge von Peter Joseph 1893 noch in den Kinderschuhen steckten, hatten Peter Josephs Erstgeborener Gustav und seine Vettern Albert Nikolaus (II), Heinrich Victor und Franz (II) mit ihren 16 bis 21 Jahren bereits ein Alter erreicht, das es erforderte, den rechtlichen Rahmen für den familiären Nachfolge- und Weitergabeprozess abzustecken. Alle vier durchliefen den spezifischen Ausbildungsgang prospektiver Unternehmenserben. Sie hatten die Einjährigen-Berechtigung erworben, lernten im Familiengeschäft und in fremden Unternehmen das Geschäftsfeld ihrer Väter kennen und strebten einen direkten Einstieg in den Familienbetrieb an.138 Gemäß Artikel elf des Gesellschaftsvertrags konnten die Söhne der Gebrüder Stollwerck vor Vollendung des 30. Lebensjahres aber nur als Angestellte mit einem jährlichen Anfangsgehalt von 6.000 Mark im Unternehmen tätig sein.139 Sobald ein Sohn 30 Jahre alt wurde, konnte er als offener Gesellschafter in die Firma eintreten. Jedes Mal, wenn ein Sohn dieses Recht wahrnahm, sollte eine neue Gewinnund Verlustverteilung eintreten, entsprechend der oben geschilderten Maßgabe, dass diejenigen Gesellschafter, die das 40. Lebensjahr überschritten hatten, doppelt so viel Gewinn beziehen sollten wie die Gesellschafter unter 40 Jahren. Von den vertragsmäßigen Altersvorgaben sollte nur dann abgewichen werden, wenn einer oder mehrere Gesellschafter verstarben. In diesem Fall konnte auch ein mindestens 25 Jahre alter Sohn anstelle seines verstorbenen Vaters in die Gesellschaft eintreten. Dieses Recht stand freilich immer nur einem Sohn des Verstorbenen zu. Inwiefern ein so junger Gesellschafter tatsächlich selbständige Handlungsspielräume, d. h. Prokura erhalten sollte, blieb der Einzelfallentscheidung vorbehalten. In jedem Fall wurde ein unter 25jähriger Gesellschafter nur mit einem Viertel des Anteils an Gewinn und Verlust beteiligt, mit dem die über 40 Jahre alten Gesellschafter beteiligt waren, und mit der Hälfte des Anteils, der den Gesellschaftern zwischen 30 und 40 Jahren zustand (Art. 12). Söhne, die an Stelle ihrer verstorbenen Väter in die Gesellschaft eintraten, mussten zudem den Anteil des väterlichen Geschäftsguthabens als Einlage im Geschäft belassen (Art. 13).140
138 Siehe zur Sozialisation, den Erziehungszielen sowie den Schul- und Ausbildungswegen ausführlich Kapitel III.A.1. Siehe auch Boch: Unternehmensnachfolge, S. 164 f. 139 Für jedes weitere Jahr, das die Söhne im Unternehmen angestellt waren, sollten sie 1.200 Mark mehr erhalten. Siehe Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische Hof-Chocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 15. April 1893, Artikel elf, RWWA 208-376-2. 140 Sofern noch Mütter oder Geschwister solcher Söhne Kommanditisten oder Gläubiger der Gesellschaft waren, wurde der Anteil des Sohnes an der Kommanditeinlage bzw. dem Gläubigerguthaben gekürzt. Siehe ebenda, Artikel 13.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Gemäß Artikel zwölf des Kontrakts stand es jedem der Gebrüder Stollwerck frei, einen oder mehrere seiner Söhne im Familienunternehmen anzustellen.141 Die übrigen Gesellschafter mussten der Einstellung zustimmen, allerdings ging man davon aus, dass sie die Einwilligung nur dann verweigerten, „wenn gegen den in Betracht kommenden Sohn in Bezug auf Charakter, Fleiß und Fähigkeit ein begründeter Einwand erhoben werden“142 konnte. Indem den Söhnen eine Anstellung im Unternehmen demnach verwehrt werden konnte, wenn ihre charakterliche Eignung sowie ihre fachliche Qualifikation und Leistung nicht den Anforderungen an einen Unternehmer entsprachen, formulierten die Brüder als handlungsleitendes Ideal der Unternehmernachfolge implizit einen Vorrang des Unternehmens vor familialen Loyalitäten. Ihnen war bewusst, dass unternehmerische Führungspositionen über das familiäre Vertrauen hinaus besondere fachliche und menschliche Kompetenzen erforderten. Realiter freilich, das zeigen die folgenden Ausführungen, beeinflussten familiale Nutzenfunktionen immer wieder das unternehmerische Handeln und die Weitergabe geschäftlicher Verantwortung und Verfügungsrechte. Albert Nikolaus Stollwerck (II) – das schwarze Schaf der Familie Heinrich Stollwercks Erstgeborener Albert Nikolaus (II) beendete im November 1895 „mit gutem Erfolge“143 seine dreijährige Ausbildung im Familienunternehmen, war mit Beginn des Geschäftsjahres 1896 mit 1.900 Mark am nichtverantwortlichen Kapital der Familiengesellschaft beteiligt144 und zunächst in der Kölner Fabrik tätig. Die Zusammenarbeit mit seinem Vater und seinem Onkel Carl, die die Produktion verantworteten, führte jedoch rasch zu Spannungen. Albert Nikolaus (II) wollte selbstbestimmt agieren und seine eigenen betriebsorganisatorischen Ideen umsetzen, die Gebrüder Stollwerck hingegen erwarteten von ihm, ihre Pläne und Strukturen zu akzeptieren und ihrer Kompetenz und Erfahrung den gebührenden Respekt entgegenzubringen.145 Um allerdings einer Eskalation der 141 Das Recht auf eine Anstellung und einen späteren Eintritt in die Gesellschaft hatten auch die Söhne verstorbener Gesellschafter. Siehe ebenda, Artikel zwölf. 142 Ebenda. Eignungsvorbehalte waren und sind für Familienunternehmen nicht ungewöhnlich. Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 141 f.; Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 137. 143 Befähigungsnachweis für Albert Nikolaus Stollwerck (II) vom 30. November 1895, RWWA 208-411-9. 144 Siehe Bilanz der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck für das Geschäftsjahr 1896, RWWA 208-477-9. Im Verlauf des Geschäftsjahres 1897 erhöhte Albert Nikolaus (II) seinen Anteil auf 6.400 Mark, reduzierte ihn aber bereits im folgenden Jahr auf 2.067 Mark, 1899 auf 1.975 Mark. Siehe Bilanzen der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck für die Geschäftsjahre 1897–1899, RWWA 208-477-9. 145 Siehe o. A.: Eine Monographie Alberts, o. J., RWWA 208-71-1. Obwohl diese neunseitige Monographie in der Ich-Form geschrieben ist, ist es unwahrscheinlich, dass Albert Nikolaus
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Konflikte bereits in der Frühphase der intergenerationellen Zusammenarbeit vorzubeugen, lenkten die Gebrüder Stollwerck ein und übertrugen Albert Nikolaus (II) früh weitreichende Handlungsrechte – jedoch nicht in der Kölner Zentrale. Sie schickten ihn nach Pressburg, wo er Bau und Einrichtung der neuen Fabrik beaufsichtigen sollte – eine Aufgabe, die Albert Nikolaus (II) zunächst als „Vergnügen“146 beschrieb. Allerdings trug auch die räumliche Distanz nicht dazu bei, die familiären Spannungen zu verringern. Albert Nikolaus (II) zeigte sich keineswegs bereit, seiner Aufgabe im Familienunternehmen mit dem gleichen Aufwand und dem gleichen Maß an Disziplin und Selbstlosigkeit nachzukommen, wie sein Vater und dessen Brüder. Vielmehr ließ er Ludwig im Juni 1896 wissen, dass eine militärische Übung für ihn einen höheren Stellenwert habe als die Planung des Fabrikbaus: „Heute Morgen erhielt Deinen Brief vom 9. VI. u. soeben den vom 12. VI. In Beantwortung des ersteren teile Dir mit, daß ich in der ersten Woche meiner Übung nicht 5 Minuten Zeit fand mich mit außerdienstlichen Sachen zu befassen, meine Zeit war abgesehen vom Dienst zu sehr mit Studium des Exerzier-Reglements, Schießvorschrift, Felddienst u.s.w. belastet. Was dann weiter den Fabrikbau betrifft, habe ich nach Papa’s Ansicht die Sache eingehend mit ihm besprochen, u. da bei so etwas niemals zwei sich über alle Punkte verständigen können, ganz besonders wo in einzelnen Punkten ich etwas abweichende Anschauungen habe, dazu von Köln abwesend bin, – so halte ich fürs ratsamste, Du verständigst Dich jetzt mit Papa allein über Ausführung. […] Weitere Mitteilungen weißt Du ja interessieren mich sehr. Ich bitte Dich aber auch ebenso dringend nochmals an mich während meiner Übungszeit keine Anfragen oder was immer Schreiben zu richten, worauf Du Antwort in einem gegebenen Zeitraume erwartest. Ich weise später jeden Vorwurf zurück, daß durch meine späte Beantwortung irgend etwas verzögert sei.“147
Diese – hier jedoch zweifellos als Ausrede instrumentalisierte – Hochschätzung militärischer Verpflichtungen ist für die Generation der seit 1870 Geborenen nicht untypisch. Zudem wird sich Albert Nikolaus (II) bewusst gewesen sein, dass er mit diesem Argument in seiner vaterlands- und kaisertreuen Familie auf Verständnis hoffen konnte. Heinrichs Erstgeborener hatte zwar dezidierte Vorstellungen von dem Fabrikbau in Pressburg, war aber weder bereit, sich den Kölner Plänen unterzuordnen, noch mit seinem Vater zu einer für alle akzeptablen Lösung zu gelangen. Statt seine „abweichenden[n] Anschauungen“, die sich inhaltlich nicht genauer fassen lassen, gegebenenfalls zu modifizieren und damit Kompromiss- und Teamfähigkeit zu signalisieren, beharrte er auf seinem Standpunkt und zog sich aus den Gesprächen zurück. Zwar blieb er in Pressburg, koordinierte die Einrichtung der Fabrik und hatte das Vertrauen seiner Familie, den damit einhergehenden (II) den Text selbst verfasst hat. Die handschriftlichen Korrekturen deuten auf Ludwig Stollwerck als Verfasser hin, der diesen Text vermutlich als eine Art Abrechnung mit seinem Neffen geschrieben hat. 146 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 1. Dezember 1895, RWWA 208224-6. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-159-4. 147 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 13. Juni 1896, RWWA 208-880-3.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
„Schwierigkeiten Herr [zu] werden“148, doch blieben die Differenzen bestehen. Albert Nikolaus (II) hatte nicht nur andere Ansichten über die Ausstattung des Betriebs, sondern präferierte auch andere Fabrikationszweige als die Gebrüder Stollwerck. Vor allem aber störte er sich an ihren dirigistischen Eingriffen in die Belange des Pressburger Unternehmens: „In Bezug auf Fabrikationszweige liegen Deine und Eure Ideale anders als wo wir selbige suchen. Erst nachdem wir zeigen, dass wir mit unseren Phantasien keine erfolgreichen Aussichten erzielen, sehn wir Euer Recht ein, dazwischen zu reden […].“149 Hinzu kam, dass auch seine Zusammenarbeit mit Alexander Rußbacher, dem Geschäftsführer des österreich-ungarischen Geschäfts, keineswegs harmonisch verlief.150 Vor diesem Hintergrund wollte Albert Nikolaus (II) Pressburg im Frühjahr 1897 verlassen, wurde jedoch aus unbekannten Gründen „gezwungen“151, diesen Plan aufzugeben. Als er erfuhr, dass auch Rußbacher dem Unternehmen den Rücken kehren wollte, regte sich jedoch in ihm das Verantwortungsgefühl für das Familiengeschäft. Er wollte nicht aus Pressburg abreisen, ohne die Fabrik in guten Händen zu wissen, war aber auch nicht selbstlos genug, so lange zu bleiben, bis ein geeigneter Nachfolger gefunden war. Vielmehr drängte er seinen Onkel Ludwig vehement, Peter Harnisch (gest. 1931)152 nach Pressburg zu beordern, der seit 1876 für die Gebrüder Stollwerck in Köln tätig war und sowohl in der Produktion als auch im Vertrieb, vor allem in England, Erfahrungen gesammelt hatte: „Ich mache Dir jetzt in allem Ernste den Vorschlag den Plan mit irgend einem PhantasieBetriebsleiter fallen zu lassen und […] je eher je besser Harnisch nach hier zu senden, meine Begründung ist folgende: […] Herr Russbacher erscheint mir guter Disponent und Kaufmann, aber schlechter Bureauchef. Herrn Harnisch taxiere ich in letzterem aufs Gegenteil. Ich bin der Ansicht ein ganz geordnetes Geschäftswesen zu leiten, darin zu disponieren, erfordert dann auch weit weniger Dispositionsgabe und Kaufmannstalent. Oder Ordnungssinn verbunden mit Fleiss überwinden viele Schwierigkeiten, die bei dessen Fehlen, trotz allen Talentes und Begabung unüberwindlich sind. […] Sollte wie Du befürchtest Herr Russbacher auf seine Entscheidung vor der Abschiedsstunde zurück kommen, so bist Du doppelt gut dran, da Du einen tüchtigen Bureauchef und ein tüchtigen Disponent hier hast, mit welchen beiden das Geschäft von Köln aus spielend zu leiten ist. Im Falle Du obige Erwägungen Deiner vollen Berücksichtigung baldigst unterziehst, will ich Dir versprechen, Pressburg nicht eher zu verlassen, als bis es ganz auf eigenen Füssen alleine stehen kann, Punkto Fabrikation & Betrieb. […] Dein Neffe“153
Ludwig Stollwerck reagierte verärgert auf die unterschwellig formulierten Bedingungen seines Neffen und notierte am Rand des Briefs: „Wie alt ist der Kna148 Die letzten beiden Zitate aus Gebrüder Stollwerck Köln an Gebrüder Stollwerck Pressburg am 18. Oktober 1897, RWWA 208-224-3. 149 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 29. Mai 1897, RWWA 208-224-3. 150 Siehe Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 18. Oktober 1896, RWWA 208-224-3; Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 14. April 1897. In letzterem Schreiben attestierte er Rußbacher beispielsweise, „wenig Erfahrung im Vertriebe“ zu haben. 151 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 29. Mai 1897, RWWA 208-224-3. 152 Zu Peter Harnisch siehe ausführlich Kapitel IV.A.3. 153 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 29. Mai 1897, RWWA 208-224-3.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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be?“154 Allerdings versäumten er und seine Brüder es, Albert Nikolaus (II) entsprechend zu maßregeln. Obwohl sich sowohl Harnisch als auch Rußbacher bereits im Unternehmen bewährt hatten, sollte ein Familienmitglied die Pressburger Zweigfabrik leiten. Hinter diesem Wunsch stand nicht nur ein grundlegendes Vertrauen in die Fähigkeiten und die „gründliche Ausbildung“155 von Albert Nikolaus (II), sondern auch die Überzeugung, dass er im gleichen Maße wie sein Vater und seine Onkel am Wohlergehen des Unternehmens und damit auch am Erhalt seiner vermögenswerten Beteiligung interessiert sei. Dieser angenommene Interessensgleichklang führte dazu, dass die bisherigen negativen Erfahrungen mit dem Sprössling ausgeblendet und dem Kriterium der Familienzugehörigkeit höheres Gewicht zugemessen wurde als der fachlichen Qualifikation von Rußbacher und Harnisch. Aus dem erhaltenen Briefwechsel geht nicht hervor, zu welchen Konditionen Albert Nikolaus (II) sich letztlich bereit erklärte, in Pressburg zu bleiben. Gesichert ist nur, dass er die ihm übertragene Aufgabe bis März 1898 erfüllte, bevor er der Familie schriftlich mitteilte, künftig anderen Aufgaben nachgehen zu wollen: „Bezugnehmend auf mein ganz ergebenes Schreiben vom 26. I. 98, erlaube ich mir Sie hiermit darauf hinzuweisen, dass von heute binnen 10 Tagen mein Austritt aus Ihrem Pressburger Zweighause erfolgt. Diesseits sind alle Anordnungen dazu getroffen, und wollen Sie nunmehr die Güte haben, mir bekannt zu geben, wer Ihrerseits die hiesige Anlage abnimmt. Ich möchte damit nur das Ersuchen verbinden, es so einzurichten, dass das spätestens am 1./IV. geschieht, da meine Zeit nachdem bereits vergeben ist. Ihren diesbezüglichen Nachrichten sehe ich mit Vergnügen entgegen und begrüsse Sie freundlichst.“156
Die Wortwahl des Schreibens spiegelt deutlich, dass das Verhältnis zwischen Albert Nikolaus (II) und seiner Familie gespannt und weniger von Herzlichkeit, denn von Distanz und Unzufriedenheit geprägt war. Was letztlich der Auslöser für Albert Nikolausʼ (II) Entscheidung war, das Familienunternehmen zu verlassen, ist nicht überliefert. 1908 resümierte er lediglich rückblickend: „Dieses Abhängigkeitsverhältnis, das ich vor 10 Jahren unwiderruflich auflöste, ruft in mir alle Gefühle wach, die mich damals zu dem Schritte zwangen, demzufolge ich alles aufgeben musste, was ich in 27 Jahren als lieb und teuer zu schätzen gewöhnt war.“157
Es zeichnete sich also auch für den zweiten Generationenübergang im Unternehmen Stollwerck bereits früh ab, dass der Nachfolgeprozess von Schwierigkeiten und Spannungen begleitet sein würde. Albert Nikolaus (II) und die Gebrüder Stollwerck hatten wie eine Generation zuvor Franz Stollwerck und seine Söhne unterschiedliche Vorstellungen, wie die Phase gemeinsamen Wirkens im Familienunternehmen gestaltet werden sollte. Trotz der zermürbenden Erfahrungen mit ihrem Vater waren auch Peter Joseph, Heinrich, Ludwig und Carl Stollwerck von 154 Ebenda. 155 Gebrüder Stollwerck Köln an Gebrüder Stollwerck Pressburg am 18. Oktober 1897, RWWA 208-224-3. 156 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an die Gebrüder Stollwerck am 23. März 1898, RWWA 208224-3. 157 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 15. Juli 1908, RWWA 208-162-3.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
einem patriarchalischen Leitbild geprägt. Sie sahen einen Nachfolgeprozess vor, bei dem sich die zukünftigen Unternehmer in der ersten Phase ihrer Tätigkeit im Familiengeschäft den Brüdern unterordnen sollten, bevor ihnen sukzessive weitergehende Verfügungsrechte übertragen wurden. Albert Nikolaus (II) hingegen verfolgte, getrieben von Ehrgeiz und dem Streben nach Unabhängigkeit, einen deutlich schnelleren Zeitplan. Als er erkannte, dass sein Vater und seine Onkel nicht signifikant von ihrem Modell der Unternehmernachfolge abwichen, ging er eigene Wege, so dass das langfristige Ziel, die Sicherung der Kontinuität des Familienunternehmens durch die Weitergabe an die Söhne, bereits Ende des 19. Jahrhunderts einen ersten Riss bekam. Albert Nikolaus (II) verließ die Familie „mit der Absicht, eine Weltreise zu machen“158 und zog auch sein Kapital aus dem Familiengeschäft ab.159 Dass er sich 1899 in Amerika niederließ, die Loyalität zum Familienunternehmen aufgab und eine eigene Schokoladenfabrik, die Puritan Pure Food Company, gründete, die dem Familienunternehmen Konkurrenz machte, erfuhr seine Familie mit deutlicher Zeitverzögerung und nur „indirekt“160. Im Sinne der familialen Strategie, Eigentum und Leitung des Unternehmens an die Söhne weiterzugeben, und von den unternehmerischen Fähigkeiten Alberts überzeugt,161 sahen die Gebrüder Stollwerck über diese Anmaßung jedoch zunächst hinweg und ließen ihn wissen: „Wir hätten es nur für richtiger gehalten, dass Du uns über diese Grundlagen sowie auch unserem dortigen Partner Herrn Volkmann in aufrichtiger Weise Mitteilung gemacht hättest, damit wir nicht durch Dritte von den Tatsachen in teilweise unrichtiger Weise Kenntnis erhielten. Wir übergehen mit diesen Worten die erwähnte Tatsache!“162
Ihre oberste Priorität bestand darin, Albert Nikolaus (II) wieder in das Familienunternehmen zu integrieren, und mündete in den Vorschlag, die Zusammenarbeit vorübergehend wie folgt zu regeln: „Wir sind bereit, […] Dir alle die Maschinen aus unserer Maschinenfabrik leihweise163 zur Verfügung zu stellen, welche nicht nur den heutigen Bedarf unseres dortigen Zweighauses zu 158 Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-1594. 159 Siehe Bilanz der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck für das Geschäftsjahr 1900, RWWA 208-477-5. 160 Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-1594. 161 Noch 1906 lobte Ludwig die Eigenschaften seines Neffen: „wie ich persönlich unter Aufwand von Zeit und Nervenkraft alles Mögliche getan habe, um die von uns allen bewunderte Tatkraft eines Geschäftsmannes wie Albert für die Familie und für das Familiengeschäft zurück zu gewinnen; wie ich persönlich auch immer überzeugt war, dass alle diese Eigentümlichkeiten und Sonderlichkeiten Albert’s doch nur Bagatellen seien im Vergleich zu seinen ausgezeichneten Geschäfts-Eigenschaften.“ Ludwig Stollwerck: Einleitung aus den Jahren 1900–1904, 1906, RWWA 208-160-1. 162 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. Juli 1900, RWWA 208-1592. 163 Im Oktober 1900 schenkte ihm Heinrich, offenbar ohne Rücksprache mit seinen Brüdern, die Maschinen. Siehe Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-159-4.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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leisten im Stande sind, sondern auch den vierfachen davon. Du würdest nach unseren Angaben und für die Rechnung unseres Stammhauses in Köln die Dir von der Vertriebs Gesellschaft: Volkmann, Stollwerck & Co. zukommenden Aufträge ausführen. Das Vertrauen, welches wir zu Herrn Volkmann haben, ist Dir bekannt! […] Ebenso wie wir alle Aufträge von diesem Herrn, welche seinen Erfahrungen als verantwortlicher Leiter der Verkäufe entspringen, ausgeführt haben, ebenso sehr würde es Deine Pflicht sein, alle diese Aufträge gemäss seinen Angaben zur Erledigung zu bringen. […] Dein Gewinnanteil beim Provisorium […] sollte in einem Prozentsatz bestehen […]. […] Wir sind eventl. auch bereit, Dir in runder Summe, ähnlich wie Gustav, ein Gehalt für die Fabrikationsarbeiten zur Ausführung der Aufträge von Volkmann, Stollwerck & Co. zu bewilligen. […] Es ist unser aller Wunsch, dass aus dem Provisorium einer amerikanischen Fabrik und aus diesem provisorischen Verhältnis mit Dir, ein Definitivum entstehen möge, welches nicht nur unserer Kölner Firma, der Vertriebs Gesellschaft Volkmann, Stollwerck & Co. sondern auch Deiner Person immerdar Lust und Liebe an der Arbeit, financiellen Erfolg schafft […].“164
Zwar nahm Albert Nikolaus (II) das Angebot an, dass er die Fabrikation übernehmen und Volkmann, Stollwerck & Co. weiterhin den Vertrieb verantworten sollte, doch offenbarten bereits die nächsten Monate, dass die Kooperation mit ihm erneut unter keinem guten Stern stand. Zum einen diskreditierte er gegenüber seinem Vater und seinen Onkeln kontinuierlich Führungsqualitäten und Reputation von Volkmann,165 zum anderen lehnte er nach wie vor die an ihn gerichtete familiäre Erwartung ab, sich ganz „in den Dienst der gemeinschaftlichen Arbeit“166 zu stellen. So weigerte er sich nachhaltig, einer Vereinbarung zuzustimmen, seine Waren ausschließlich an Volkmann, Stollwerck & Co. zu liefern – vielmehr machte er der amerikanischen Stollwerck-Tochter nachhaltig Konkurrenz; unbequeme Nachfragen aus Köln ließ er gänzlich unbeantwortet.167 Albert Nikolaus (II) zeigte sich nicht einmal im Ansatz gewillt, mit Volkmann und den Gebrüdern Stollwerck zum Wohle des Unternehmens zusammenzuarbeiten. Eine zeitnahe Problemlösung und damit auch eine Kontrolle des Neffen scheiterten immer wieder an der weiten geographischen Entfernung und der auf das Medium Brief beschränkten Kommunikation. In nahezu grotesk anmutender Regelmäßigkeit wiederholten sich in der Folge die Argumente und Forderungen, wurden neue Kompromisse ausgehandelt, die immer nur von kurzer Dauer waren.168 Pläne zur Gründung einer amerikanischen Aktiengesellschaft wollte Albert Nikolaus (II) nur unter der Bedingung unterstützen, dass er zum einen 50 Prozent der Aktien erhalte, die Firma Volkmann, Stollwerck & Co. zum anderen nach fünf Jahren in der neuen Gesellschaft aufgehe, 164 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. Juli 1900, RWWA 208-1592. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-159-4. 165 Siehe die in RWWA 208-117-5, 208-117-6 und 208-118-1 überlieferte Korrespondenz. 166 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 7. Oktober 1902, RWWA 208263-4. 167 Siehe Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-159-4. 168 Siehe Ludwig Stollwerck an August Schilling am 24. Januar 1903, RWWA 208-159-5; Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 17. März, 6. April und 9. November 1903, RWWA 208-159-5.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
John Volkmann aus der Gesellschaft austrete und er die alleinige Verantwortung für Produktion und Vertrieb erhalte. Weitere Mitarbeiter sollten nur mit seinem Einverständnis eingestellt werden können.169 Während Heinrich Stollwerck den Forderungen seines Sohnes keinen Einhalt gebot, wies Ludwig das Geschäftsgebaren des Neffen mit aller Vehemenz zurück: „Da Albert’s Vater leider in den letzten Besprechungen einen ähnlichen Standpunkt einnahm, und die Ansprüche von Albert als berechtigt bezeichnete, obschon ihn Herr Justizrat Schniewind […] ausdrücklich auf die Nichtberechtigung, ja auf das Unrecht seinen anderen Kindern wie anderen Stämmen gegenüber aufmerksam machte: so sah ich mich veranlasst, hiermit schriftlich Dir als Aeltesten der Familie die ganze Sachlage nochmals chronologisch und vollständig objektiv auseinander zu legen […]. Ich erkläre für meine Person, dass ich nie und nimmer mit diesem Gedanken einverstanden bin, – und dadurch nur ein momentaner Frieden in der Familie geschaffen werden kann – der dauerndem Unfrieden und Unzufriedenheit demnächst Platz macht! […] Wo sollte es hin, wenn demnächst ein anderer Sohn z. B. in England eine Fabrik hinter unseren Rücken einrichtet und stellt ähnliche Ansprüche? Welcher Unfrieden soll da entstehen?“170
Vor dem Hintergrund, dass er sich am meisten von allen vier Brüdern für den Aufbau des amerikanischen Geschäfts eingesetzt habe, Albert nie unfreundlich gesinnt gewesen sei, sondern „im Gegenteil stets zum Familienfrieden auch hier zwischen Albert und seinem Vater wie Onkels“ beigetragen habe, forderte Ludwig, dass sein Urteil „doppelt in die Waagschale fallen“ müsse. Zwar berechtige Albert Nikolaus (II) „zu den besten Hoffnungen“, doch habe er noch keine „ Beweise eines praktischen Geschäftsmannes erbracht“, sondern zeige sich vielmehr unwillig, von den Erfahrungen seines Vaters und seiner Onkel zu profitieren. Nachdrücklich verwies Ludwig auf die unbedingte Gleichbehandlung der vier Familienstämme: U
„Seines Vaters Stamm ist 1/4, und da in New York der Volkmann’sche Vertrag vorliegt, mit Anspruch auf die Hälfte des Supergewinnes, – 1/8 – wenn er alle Rechte vom Stamme Heinrich sich erwünscht.“171
Ludwig Stollwerck belastete die Auseinandersetzung mit seinem Neffen stark. Er war persönlich enttäuscht und verfasste mehrere umfassende Konvolute über die „erniedrigend[en]“172 Verhandlungen. Zwar fand Ludwig bei seinen Brüdern Peter Joseph und Carl Zustimmung,173 doch gelang es ihnen letztlich nicht, sich ge169 Siehe Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-159-4. 170 Ebenda. 171 Die letzten Zitate aus ebenda. 172 Ebenda. Siehe auch die in RWWA 208-159-4, 208-122-7 und 208-160-1 überlieferten umfassenden Darlegungen Ludwig Stollwercks zum jeweils aktuellen Stand der Verhandlungen mit Albert Nikolaus (II). 173 „Worauf in aller Welt stützt Albert solche Forderungen? […] Von einem Eingehen auf solche, gelinde gesagt anmassenden Forderungen kann gar keine Rede sein; sie sind angesichts der seitherigen Erfahrungen im geschäftlichen Verkehr mit Albert überhaupt undiskutierbar. Wir könnten seit fünf Jahren eine ausgedehnte Fabrik und ein grosses Geschäft in Amerika haben, hätten wir nicht auf H. und A. soviel Rücksicht genommen; wir hätten sie seit zwei
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IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
gen das Geschäftsgebaren des Neffen zur Wehr zu setzen und seine Bedingungen zurückzuweisen. „Aus Rücksichten des Familien-Friedens und aus Hochachtung für Bruder Heinrich“174 drängten sie nicht auf einen Bruch mit Albert Nikolaus (II), sondern gaben nach: „Wir haben drei Jahre gekämpft, und wie einst (1866) Oesterreich und Preussen sich die Hände nach der Schlacht gereicht, und selbst König Wilhelm vergessen, dass er mit der dem Kaiser Franz Josef vor dem Kriege geschenkten Krupp-Kanone beschossen wurde – so müssen wir auch hier handeln! Wir müssen die Streitaxt begraben, dem zähen Gegner Vertrauen entgegenbringen […].“175
Ludwig arbeitete in der Folge weitere Kompromissvorschläge aus, die Albert Nikolaus (II) entweder konsequent zurückwies oder zunächst annahm, dann aber nicht einhielt.176 Heinrich selbst weigerte sich, das direkte Gespräch mit seinem Sohn zu suchen, verwies auf sein fortgeschrittenes Alter und schickte Ludwig zwischen 1902 und 1905 fünfmal zu Verhandlungen nach Amerika.177 Im Dezember 1902 wandte sich schließlich John Volkmann, der das provisorische Verhältnis mit Albert Nikolaus (II) bereits im Sommer 1901 als „ unhaltbar“ bezeichnet und die Gebrüder Stollwerck gewarnt hatte, dass „die RücksichtU
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Jahren mit Albert, hätte er uns jetzt nicht über zwei Jahre die hinhaltenden Schwierigkeiten gemacht, die sich durch Verhandlungen nunmehr zum gordischen Knoten verwickelten.“ Peter Joseph Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 15. September 1902, RWWA 208-159-4. Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-1594. Ludwig Stollwerck: Heutiger Stand der Angelegenheit in New York, 1902, RWWA 208159-4. Siehe z. B. Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 27. Januar 1904, RWWA 208-160-1; Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 27. April 1904, RWWA 208-1652; Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 23. Januar 1903, RWWA 208-118-1; Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 3. Februar 1904, RWWA 208-123-1. Der letzte Brief wurde nicht abgesandt. Er enthielt harte Vorwürfe Ludwig Stollwercks: „Meine Geduld, Langmüthigkeit & mein ehrliches Streben obiges Ziel zu erreichen, hast Du durch rücksichtslosen Eigensinn und Egoismus beantwortet! Und wie ich während der erwähnten Zeit im offen harten Augenblick immer versöhnlich war, – so bin ich jetzt verbittert! Nicht Hr. Volkmann ist die Ursache weshalb Du nicht mit uns einheitlich arbeiten willst, und nach wie vor an einer merkwürdigen ‚Unabhängigkeit‘ festhältst, sondern Dein krankhaftes egoistisches […], welches nur eigene Interessen, kein Compromiss, & keine kaufmännische Biegsamkeit, – keine Rücksicht auf Familiensinn, keine Rücksicht auf den leider noch immer erkrankten Vater kennt! Du hast Deinem Vater die Erziehung & geschäftliche Ausbildung zu verdanken & Deine Onkeln haben durch die Beziehungen zu Geschäftsfreunden ihre Beute dazu beigetragen […]. Dadurch bist Du allerdings weder abhängig, noch hat damit Deine Selbständigkeit zu thun, aber wohl sind Pflichten wie Rücksicht vorhanden! Diese kennst Du nicht! Vier werthvolle Geschäftsjahre haben wir durch Dich verloren! Ich persönlich sehr viel Zeit […]! Aber das unangenehmste indirekt haben durch Dich einen geschätzten Freund & Partner verloren […]. Dies sind die vorläufigen Folgen Deiner schadenfreudigen Handlungsweise. Ihnen folgt aber für mich das Schlimmste: die grösste Enttäuschung meines geschäftserfahrenen Lebens.“ Ebenda. Siehe Heinrich Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 10. Oktober 1902, RWWA 208-273-2; Peter Joseph Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 15. September 1902, RWWA 208-159-4; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 458 f.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
nahme auf Albert’s Maassnahmen unser Geschäft schädige“178, nahezu verzweifelt an Ludwig: „Albert liegt mir auf dem Magen. [...] Bitte kein Aufschieben bis zum Frühjahr, kein weiteres Quälen, keine langen Telegramme oder Briefe. [...] und verschaffen Sie sich selbst und mir die Gemüthsruhe zu der wir Beide berechtigt sind und die wir Beide, Sie vielleicht noch mehr als ich, gebrauchen. Arrangiren Sie sich mit Albert, wie es Ihnen am Besten erscheint und lassen Sie mich ganz aus den Verhandlungen heraus.“179
Die nur rund zweijährige Zusammenarbeit mit Albert Nikolaus (II) hatte den seit 15 Jahren bewährten Leiter des Stollwerck’schen Amerika-Geschäfts derart zermürbt, dass er bereit war, zugunsten des Familienmitglieds aus dem von ihm mitbegründeten Geschäft auszusteigen. Zwar erkannten die Gebrüder Stollwerck die schwerwiegende „Verzichtleistung auf die Mitarbeiterschaft eines in den schwierigen amerikanischen Verhältnissen gereiften Mannes von lauterem Charakter, unbedingter Zuverlässigkeit und erprobter Geschäftstüchtigkeit“180 und waren sich bewusst, dass „jede Veränderung der heutigen bewährten, auf reichen Erfahrungen aufgebauten Geschäftspolitik Schaden […] mit sich bringen kann“181 , doch stellten sie letztlich das gemeinsame Projekt Familienunternehmen über das Wohl des Geschäfts. Obwohl sich die Zusammenarbeit mit Albert Nikolaus (II) seit seiner Tätigkeit in Pressburg kontinuierlich als Geschichte von Enttäuschungen, gescheiterten Kompromissversuchen und persönlichen Verletzungen fortschrieb, genoss er einen beständigen Vertrauensschutz, der sich in der Folge schädigend auf das amerikanische Unternehmen auswirkte. Zum 1. Dezember 1904 hatte Albert Nikolaus (II) sein Ziel erreicht: John Volkmann schied aus der Gesellschaft Volkmann, Stollwerck & Co. aus,182 die in die Aktiengesellschaft Stollwerck Brothers Limited mit einem Kapital von 300.000 Dollar umgewandelt wurde. Stollwerck Brothers wurden Fabrikation und Geschäftsbetrieb der Automaten, der Verkauf von Stollwerck-Schokolade und Stollwerck-Kakao sowie die Herstellung von Chewing Gum übertragen, wohingegen für die Fabrikation von Schokolade und Kakao die Firma Manufacturing Co. Stollwerck & Co. gegründet wurde, deren Kapital auf zunächst 350.000 Dollar, später 450.000 Dollar festgesetzt wurde.183 178 Ludwig Stollwerck an Peter Joseph Stollwerck am 6./10. September 1902, RWWA 208-1594. 179 John Volkmann an Ludwig Stollwerck am 9. Dezember 1902, RWWA 208-117-6. 180 O. A.: Notizen über die Zusammenarbeit mit Albert Nikolaus (II) und John Volkmann, 1902, RWWA 208-159-4. 181 Ludwig Stollwerck: Heutiger Stand der Angelegenheit in New York, 1902, RWWA 208159-4. 182 Volkmann erhielt seine Kapitaleinlage in Höhe von 465.000 Mark sowie zum 1. Januar 1905 und zum 1. Januar 1909 seinen Anteil des durchschnittlichen Gewinns der vergangenen fünf Jahre ausbezahlt. Letzterer summierte sich inklusive Zinsen auf 115.000 Mark. Siehe Ludwig Stollwerck: Entwicklung des New-Yorker Geschäftes 1887–1906, 1906, RWWA 208212-3. 183 Die Manufacturing Co. Stollwerck & Co. lieferte die Fabrikate an die Vertriebsfirma Stollwerck Brothers, durfte freilich mit den Lieferungen nur so viel verdienen, dass sich mit der
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Der Umsatz des amerikanischen Geschäfts stieg zwar zwischen 1904 und 1906 von 470.511 Dollar auf 644.208 Dollar,184 zur Ruhe kam das Unternehmen dennoch nicht. Die Korrespondenz der folgenden Jahre liest sich wie eine Wiederholung der bisherigen Ereignisse. Die Gebrüder Stollwerck machten Albert Nikolaus (II) Vorhaltungen, weil er sich bei den Planungen für einen modernen Fabrikneubau in der Nähe von New York sowohl zeitlich als auch hinsichtlich der Baukosten verkalkuliert hatte,185 Albert Nikolaus (II) wiederum klagte über die in seinen Augen permanente hierarchische Kontrolle aus Köln, der er sich nicht unterordnen wollte: „Ich habe Dir doch in Cöln mitgeteilt, dass ich keine Lust habe, in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Gebr. Stollwerck-Cöln zu treten, wo ich leider durch die Festlegung zu grossen Kapitals in das hiesige Unternehmen […] hineingekommen bin. […] Was ich meinem Vater zu Liebe tue und aus natürlicher Rücksicht hört auf in dem Augenblicke, als sich Vater zurückzieht als Vorsitzender der Aktiengesellschaft und als Aeltester der Firma, unbekümmert darum, ob Vater inaktiv mit den Geschäftsinteressen verbunden ist.“186
Die Briefe wurden zunehmend von rhetorischer Schärfe und verletzenden Worten dominiert. Bei Ludwig, der nach wie vor die Verhandlungen mit Albert führte, überwog die Enttäuschung über die berufliche und menschliche Entwicklung des Neffen, der 1907, erneut ohne die Familie zu informieren, eine weitere Vertriebsfirma gegründet hatte: die Waterside Cocoa and Supply Co. Albert Nikolaus (II) pochte immer vehementer auf Selbständigkeit, was nahezu grotesk anmutet, wenn man bedenkt, dass die Gebrüder Stollwerck noch immer auf Vertrauen setzten, statt wirksame Kontrollmechanismen zu implementieren. Albert Nikolaus (II) entschied sich schließlich im Juni 1908, nachdem er diesen Schritt mehrfach angedroht hatte, von seinem Onkel Ludwig aber immer wieder an seine „Verantwor-
Verdienstsumme ihr Kapital mit sechs Prozent verzinste. Die Manufacturing Co. Stollwerck & Co. war hingegen wie folgt am Gewinn von Stollwerck Brothers beteiligt: Der erste Gewinnanteil, nach Abschreibung auf das Automaten-Material, diente der sechsprozentigen Verzinsung des Kapitals. Weitere 27.350 Dollar gingen an die Gebrüder Stollwerck AG in Köln, die nächsten 5.000 Dollar flossen an Albert Nikolaus Stollwercks (II) langjährigen Geschäftspartner, den ehemaligen Journalisten Hazlitt Alva Cuppy, der als Gegenleistung darauf verzichtete, jemals für eigene Rechnung Kakao und Schokolade zu produzieren oder zu vertreiben. Der dann verbleibende Rest stand zu einem Drittel der Manufacturing Co. Stollwerck & Co., zu einem Drittel den Geschäftsführern Albert Nikolaus Stollwerck (II) und Cuppy, die dafür auf ein festes Gehalt verzichteten, und zu einem Drittel der Gebrüder Stollwerck AG in Köln zu. Siehe Vertrag zur Gründung der Firma Stollwerck Brothers vom 15. Dezember 1904, RWWA 208-276-8. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 373 f. 184 Siehe Ludwig Stollwerck: Entwicklung des New-Yorker Geschäftes 1887–1906, 1906, RWWA 208-212-3. 185 Siehe ausführlich Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 374 f. 186 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Ludwig Stollwerck am 15. Juli 1908, RWWA 208-123-2.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
tung in Worth Street“187 erinnert worden war, das amerikanische Geschäft zu verlassen.188 Ludwig zeigte sich enttäuscht, dass es ihm trotz „Geduld & Ausdauer“ nicht gelungen war, eine für beide Seiten zufriedenstellende Basis der Zusammenarbeit zu finden: „Schwer, recht schwer wurde es mir! Lässt doch sich nicht leugnen, dass wir einen jungen Mann von seltener Begabung, Tüchtigkeit, unersättlichem Fleiss & Energie von uns haben! – Alles Eigenschaften die den Erfolg erzwingen sollten! Aber die Unart der Unwirtschaftlichkeit ruht unterstützt von Folgen der Ueberarbeitung über seinem rastlosen Fleiss, die Folgen der ‚fixen Idee‘ der ‚absoluten Selbständigkeit‘ beeinträchtigen Lust, Liebe & Enthusiasmus! Und wo diese fehlen: kein praktischer Erfolg!“189
Vor dem skizzierten Hintergrund ist es freilich unwahrscheinlich, dass Ludwig Stollwerck das Ausscheiden seines Neffen tatsächlich bedauerte. Vielmehr musste er sich eingestehen, dass zum einen sein auf Verständigung, Vertrauen und Familienfrieden abzielendes Vorgehen gescheitert war, zum anderen der maßgeblich von ihm angestachelte Ehrgeiz, „auch in Amerika einmal demnächst eine grosse Rolle zu spielen“190. Nach Absprache mit seinen Brüdern versuchte er auch nicht mehr, Albert Nikolaus (II) umzustimmen, sondern signalisierte ihm: „Nachdem sich Dein Ideal einer absoluten Selbständigkeit, welches keiner unserer vier Brüder in Cöln gehabt hat, bei dem hiesigen Unternehmen nicht verwirklichen liess, wünschen wir Deiner künftigen Tätigkeit und Deinen Unternehmungen besten Erfolg! Wir wollen die Vergangenheit mit all ihrer Bitterkeit vergessen und somit in Güte die Trennung vornehmen […].“191
187 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 19. Januar 1908, RWWA 208211-1. 188 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 23. Oktober 1908, RWWA 208211-3. 189 Ludwig Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 19. Oktober 1908, RWWA 208-426-1. Siehe auch Ludwig Stollwerck an August Schilling am 23. Oktober 1908, RWWA 208-211-3. 190 Heinrich Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 25. Juli 1900, RWWA 208-1592. 191 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 23. Oktober 1908, RWWA 208211-3. Heinrich hatte zuvor signalisiert: „Jetzt ist aber genug und als Aeltester der Familie so gut wie als sein Vater, muss ich nunmehr ein entschiedenes Halt zurufen! Nichts darf mehr geflickt werden – entschiedene Operation kann nur helfen. […] Es muss aufhören, dass Albert nur nach seiner Idee arbeiten will und unsere Ratschläge missachtet – immer habe noch die Hoffnung, wenn er in der Erholung über seine Handlungsweise ruhig nachdenkt – sein Gewissen, sein ehrliches Inneres zum sprechen kommen lassen wird und noch ein vernünftiger Mitarbeiter wird! [...] Ist die Rückkehr aber ohne Wendung zum Besseren – dann unbedingte Trennung in Ruhe und Freundschaft vorbereiten – nachdem Albert nicht verstanden hat – das grosse allseitige Vertrauen zu würdigen.“ Heinrich Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 23. Oktober 1908, RWWA 208-211-3.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Zwar willigte Albert Nikolaus (II) rasch in einen Vertrag ein, der die Modalitäten seines Austritts regelte,192 doch mussten die Gebrüder Stollwerck nur wenige Monate später feststellen, dass er im Grunde nicht an einer gütlichen Trennung interessiert war. Bereits nach kurzer Zeit schwebte über der Familie die Gefahr eines Prozesses, der die innerfamiliären Differenzen und das jahrelange Tauziehen um das amerikanische Geschäft öffentlich gemacht und die Reputation Stollwercks geschädigt hätte. Dies wollte die Familie unter allen Umständen verhindern.193 Als es dennoch seit 1909 zu zahlreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen kam,194 versuchte Ludwig immer wieder, eine gütliche Einigung zu erzielen, „um unserem doch jedes Jahr aelter werdenen aeltesten Bruder eine Moeglichkeit zu geben, ohne Beruecksichtigung der Geschaeftslage seinen Sohn als ‚Sohne‘ einmal wiederzusehen“195. Bei seinem Bruder Carl, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte,196 nun aber von Ludwig forderte, endlich einmal Konfliktbereitschaft, Härte und Standfestigkeit zu beweisen, stieß er mit diesem Vorgehen allerdings auf Unverständnis: „Mein lieber Ludwig, diese Deine Auffassungen und Aeusserungen beunruhigen mich ungemein! Ist es Dir denn wirklich ernst gemeint, dass die Alles heilende Zeit diese unglaubliche, niederträchtige und ungeheuerliche Handlungsweise, die dieser unselige ANS197 seit den letzten Jahren nachweislich in folgerichtiger Absicht gegen seine Eltern, gegen Dich und das gesamte Familien-Geschäft geführt hat, bei den nächsten und allen Beteiligten wieder gut gemacht werden könne?! […] Zum Schluss soll wohl dieser ANS noch als Märtyrer in den Himmel gehoben werden und sollen wir ihm wohl noch dankbar ein, dass er uns so glimpflich behandelt und nicht auf weiterem Prozess bestanden hat?! Ich möchte dieser meiner kurzen Ausführung heute ein Weiteres nicht zusetzen. Ich möchte Dich nur dringend warnen, in irgend welchen Familien-Dusel-Gefühlen zu weit zu gehen! Dieser Mensch hat aber auch noch das Dupe demnächst an den Steamer zu kommen, um von Dir Abschied zu nehmen und
192 Zum finanziellen Ausgleich zwischen Albert Nikolaus (II) und den Gebrüdern Stollwerck siehe die in RWWA 208-211-3 überlieferten Vereinbarungen. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 377–388. 193 „Es ist ja zweifelsohne, dass diese Mitteilung, wenn sie in der deutschen Presse herum geht, unserem Kredit nicht vorteilhaft sein kann. In interessierten Kreisen ist es zur Genüge bekannt, dass unsere beiden Kommerzienräte Stollwerck seit nahezu 3 Monaten in New York weilen und da werden nichtgerade wohlwollende Leute Gelegenheit haben, sich manches aus den Fingern zu ziehen […].“ Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 22. Oktober 1909, RWWA 208-394-7. 194 Siehe hierzu ausführlich Epple: Das Unternehmen Stollwerck S. 377–388. 195 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 25. November 1910, RWWA 208-163-2. 196 „Dir war seit Jahren mein Urteil über ANS bekannt. Ich habe alle Entschlüsse in dieser Angelegenheit Dir und Heinrich überlassen und habe nie mit der Wimper Euch gegenüber gezuckt, als der grosse Teil dieser von Euch bewilligten hohen Summen als verloren betrachtet werden musste und nach Deinem schönen, wiederholt angezogenen Briefe vom 7. Oktober fängst Du nunmehr wieder an zu kneifen!“ Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 31. Oktober 1910, RWWA 208-163-2. 197 Insbesondere Carl ging nach 1908 dazu über, den Namen seines Neffen nicht mehr auszuschreiben, sondern als Ausdruck seiner Verbitterung die unpersönliche Abkürzung „ANS“ für Albert Nikolaus Stollwerck zu verwenden.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck Du lässt Dich vielleicht bestimmen aus den sogenannten diplomatischen Rücksichten, den Mann noch gar zu empfangen!“198
Die Auseinandersetzungen zogen sich bis 1914 hin. Erst nach fünf Jahren gelang es Emil Schniewind, einen Vergleich auszuhandeln.199 Albert Nikolaus (II), der von seinen Eltern ein Jahr zuvor auf den gesetzlichen Pflichtteil gesetzt und von der Erbfolge ausgeschlossen worden war,200 reiste daraufhin im Mai 1914 nach Köln und suchte das Gespräch mit seinem Vater, was bei Carl einmal mehr Kritik hervorrief und zu erheblichen Dissonanzen zwischen den Brüdern führte: „Wie ich hier bei meiner Rückkunft erfahren musste, hat ANS gleich am ersten Abend, am Freitag, sein Quartier Oberländer Ufer aufgeschlagen und ist seitdem dort resp. in Winningen und Sophienhöhe und ist auch sogar Heinrich per Auto mit ihm gemeinsam nach Winningen gefahren! Es kommt mir tatsächlich manchmal vor, als lebte man in einem grossen Irrenhause! Das spricht ja Hohn, der zum Himmel schreit, für alle die Schandtaten, die er in den letzten 8 Jahren seinem Vater und uns Allen persönlich und im Geschäfte zugefügt hat! […] Es ist eine unglaubliche Schwäche seines Vaters, sich so von ihm haben umgarnen zu lassen, er, der doch immer sagte: Ja, kann denn der Kerl alles mit uns machen und alle Bedingungen diktieren! Und er ist so unglaublich schwach und nicht in der Lage, seine väterliche Autorität auch nur im geringsten durchzudrücken. […]. Ich fürchte, dass diese erfolgreiche Ausverschämtheit und Frechheit Schule bei der jüngeren Generation machen wird und man weiss ja immer nicht, wie heute oder morgen die Verhältnisse kommen und darum heisst es für uns, mit allen Eventualitäten rechnen. Ich habe bisher und werde auch mit Heinrich kein Wort darüber reden, denn nach dem Geschehenen ekelt mich geradezu die Behandlung dieser Sache von seiner Seite nunmehr an.“201
Albert Nikolaus (II) kehrte nach der Aussöhnung mit Heinrich in die USA zurück, wo er weiter in der Schokoladenindustrie tätig war.202 Nach dem Ersten Weltkrieg reiste er 1921 erneut nach Köln, wo er bei „allen Verwandten und Bekannten so ziemlich die Runde“203 machte; der Familienfrieden – so suggeriert es zumindest
198 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 25. November 1910, RWWA 208-163-2. Siehe auch Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 23. Juli 1910, RWWA 208-162-6. 199 Siehe Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 379 f. Fritz Stollwerck drängte seinen Vater Ludwig vehement, dem Vergleich mit Rücksicht auf seine Gesundheit zuzustimmen. Fritz Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 23. Mai 1914, RWWA 208-165-2. Siehe auch die in RWWA 208-164-2 überlieferten Presseberichte zum Vergleich. 200 Siehe gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. 201 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 27. Mai 1914, RWWA 208-165-2. Siehe auch Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 2., 14. und 16. Juni 1914, RWWA 208-165-3. In allen drei Briefen bekräftigte er seine Empörung. 202 Siehe Hazlitt Alva Cuppy an Ludwig Stollwerck am 5. März 1909, RWWA 208-161-2; Albert Nikolaus Stollwerck (II) an Heinrich Trimborn am 10. Januar 1927, RWWA 208-47-10. Zur Entwicklung des Stollwerck’schen Amerika-Geschäfts nach dem Ausstieg von Albert Nikolaus (II) siehe Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 388–399; Meleghy: Die Vermittlerrolle der Banken, S. 226 f. Zur Finanzierung des Stollwerck’schen Amerika-Geschäfts siehe ebenda, S. 242–252. 203 Albert Nikolaus Stollwerck (II) an John Volkmann am 30. Dezember 1921, RWWA 208-521.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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seine Darstellung – schien nach rund sieben Jahren weitgehend wieder hergestellt. Albert Nikolaus (II) starb im August 1929 im Alter von 58 Jahren in den USA. Heinrich Victor Stollwerck – eine „unerquickliche Geschichte“ Auch im Fall von Heinrich Victor, dem vier Jahre jüngeren Bruder von Albert Nikolaus (II), mussten die Gebrüder Stollwerck schnell feststellen, dass ihrer Praxis, die Sozialisation sowie die schulische und berufliche Ausbildung ihrer Söhne möglichst frühzeitig auf eine Tätigkeit im Familienunternehmen auszurichten, der Erfolg nicht inhärent war. Bereits 1899 schrieb Ludwig Stollwerck seinem Freund Theodor Bergmann, dass sein Neffe „keine Freude an unserem Geschäfte“ habe und sich „an einem anderen Unternehmen beteiligen“ wolle. Die Gebrüder erwogen zunächst, ihm eine Beteiligung an einer Pfälzer Eisengießerei zu vermitteln, in die auch sein Vater Heinrich investieren wollte, um dem Sohn die Basis für ein „gutes Zukunftsgeschäft“204 zu schaffen. Letztlich ließ sich Heinrich Victor aber unter der Firma Stollwerck & Bodewich als Schiffsmakler in Antwerpen nieder – unterstützt von seiner Familie, die anfangs kräftig die Werbetrommel für ihn rührte.205 Die Gebrüder Stollwerck übten – soweit erkennbar – keinen Druck auf Heinrich Victor aus, ihr Lebenswerk fortzuführen, sondern ließen ihm bei der Berufswahl freie Hand und nahmen in Kauf, dass er für die Unternehmensnachfolge ausfiel. Ihr Verhalten erklärt sich vor dem Hintergrund, dass Anfang des 20. Jahrhunderts mit Franz (II), Gustav, Walter, Richard, Fritz, Paul und Karl Maria noch ausreichend potenzielle Nachfolger zur Verfügung standen, die in die Pflicht genommen werden konnten. Obwohl ihm sein Onkel Ludwig rückblickend attestierte, sich „stets durch Fleiss ausgezeichnet“206 zu haben, waren Heinrich Victors Unternehmungen in Belgien nicht von Erfolg gekrönt.207 Am 1. Januar 1908 schuldete er seinen Eltern 238.392 Mark, die sie ihm „teils geliehen, teils zur Bezahlung seiner Schulden
204 Die letzten beiden Zitate aus Ludwig Stollwerck an Theodor Bergmann am 3. August 1899, RWWA 208-290-2. 205 Siehe Ludwig Stollwerck an Theodor Bergmann am 18. August 1900, RWWA 208-213-2. In diesem Schreiben bat Stollwerck seinen Geschäftsfreund, die Firma des Neffen zu unterstützen und seine „Antwerpener Transactionen durch diese Firma gehen“ zu lassen, aber „nur wenn Preise und Bedingungen die gleichen sind, wie Du sie bisheran hattest“. Auch anderen Geschäftspartnern legte Ludwig die Kooperation mit seinem Neffen nahe. Siehe z. B. Ludwig Stollwerck an die Direktion der Diamant Zündholzfabrik am 27. Februar 1902, RWWA 208-247-6. Schäfer (Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 199) wies darauf hin, dass Unternehmerfamilien auch Familienmitglieder, die nicht im Familiengeschäft tätig waren, in der Regel unterstützten, wenn diese sich ein eigenes Unternehmen aufbauten. Zum einen fühlten sie sich für sie verantwortlich, zum anderen pflegten sie auf diese Weise das Bild eines harmonischen, solidarischen und loyalen Familienverbands. 206 Ludwig Stollwerck an August Merckens am 25. Juni 1919, RWWA 208-167-4. 207 Dies geht aus der in RWWA 208-420-1 und 208-417-2 überlieferten Korrespondenz hervor.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
verwendet“208 hatten. Um das Familienunternehmen und das Familienvermögen vor der offensichtlichen kaufmännischen Unfähigkeit ihres Sohnes zu bewahren, lag es für Heinrich und Apollonia Stollwerck nahe, deren Erhalt in ihrem Testament an erste Stelle zu rücken. So sprachen sie Heinrich Victor das Recht ab, die Familienvilla zu übernehmen und bestimmten, dass ihr Sohn nur ihr Vorerbe sein sollte; als Nacherben beriefen sie seine gesetzlichen Erben – allerdings mit Ausnahme seiner Frau.209 Das ihm zufallende Vermögen sollte bis zum Eintritt der Nacherbenschaft von einem Testamentsvollstrecker verwaltet werden, der ihm bzw. den Nacherben – solange sie das 25. Lebensjahr nicht vollendet hatten – lediglich die Erträge des verwalteten Vermögens auszahlen durfte. Nur „gutscheinenden Falles“210 sollte der Testamentsvollstrecker von seinem Recht Gebrauch machen, Heinrich Victor bzw. dessen Abkömmlingen Kapitalzahlungen aus dem Vermögen, aber höchstens bis zur Hälfte desselben, zu leisten. Ganz hatten die Eltern die in ihren Sohn gesetzten Hoffnungen freilich nicht aufgegeben. Sie stellten es dem Testamentsvollstrecker frei, das Vermögen an Heinrich Victor „auszuantworten“, sollte er nach Beratung mit den übrigen Kindern der „gewissenhaften Überzeugung“ sein, „daß […] Heinrich Viktor selbst in der Lage ist, das ihm anverfallene Vermögen gut zu verwalten und zusammenzuhalten, daß ferner […] Heinrich Viktor keine Schulden hat, die das Vermögen in seiner Hand gefährden“211. Dieser Fall trat jedoch nicht ein. Heinrich Victor wanderte, wie zuvor sein älterer Bruder, um 1908 in die USA aus212 – ob dies sein eigener Entschluss war oder er, wie August Merckens, Geschäftsführer des amerikanischen Zweighauses, und sein jüngerer Bruder Franz (II) behaupteten, von Albert Nikolaus (II) „unter verschiedenen Versprechungen verlockt“ wurde, „nach New York ueberzusiedeln“, lässt sich nicht mehr klären. In New York war es jedoch nicht Albert Nikolaus (II), der seinen Bruder auffing, sondern die Familie sorgte dafür, dass er – mehr oder weniger mittellos in Amerika „gestrandet“213 – beruflich wieder Fuß fassen konnte. Er erhielt einen Posten im amerikanischen Zweiggeschäft und doppelt so viel Gehalt wie familienfremde Angestellte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis „Zweifel an seiner Loyalität“ aufkamen und man ihm unterstellte, mit Albert Nikolaus (II), der ja der eigenen Familie Konkurrenz machte, in Verbindung zu 208 Gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 31. Oktober 1908, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. 209 Marie Louise Stollwerck wurde nicht nur von der Nacherbenschaft, sondern auch von der Nutznießung des ihren Kindern zufallenden Vermögens ausgeschlossen. Die Nacherben bzw. der Testamentsvollstrecker wurden lediglich verpflichtet, ihr lebenslänglich eine jährliche Rente von 3.000 Mark zu zahlen. Siehe ebenda. Die Gründe, die Heinrich Stollwerck und seine Frau zu diesen rigiden Bestimmungen gegen ihre Schwiegertochter veranlassten, sind nicht überliefert. 210 Ebenda. 211 Ebenda. 212 Epple (Das Unternehmen Stollwerck, S. 396, FN 394) hingegen ging davon aus, dass Heinrich Victor weiterhin in Antwerpen tätig war, belegte dies aber nicht. 213 Die letzten Zitate aus August Merckens an Ludwig Stollwerck am 25. Oktober 1915, RWWA 208-166-5. Siehe auch Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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stehen. Im Zuge dieser „unerquickliche[n] Geschichte“ erwog die amerikanische Geschäftsleitung, unterstützt von Carl Stollwerck,214 Heinrich Victor samt seiner Familie wieder nach Europa zurückzuschicken und ihm in Deutschland oder Österreich eine Stellung zu übertragen. Dieser Plan wurde aber wieder verworfen, da er „aus gewissen Gruenden“ für die Kölner Familie „nicht sehr angenehm“215 gewesen wäre. Heinrich Stollwerck war offenbar noch nicht bereit, seinem Sohn zu verzeihen, der so hohe Schulden verursacht hatte, dass der Vater dafür aufkommen musste. Ludwig riet seinem Neffen daher: „Ich glaube, ich brauche Dir nicht aufzuführen, dass Dein Vater bei seinem strengen Gerechtigkeitssinn alle Herzensgüte verpaart, aber gleichzeitig glaubt nicht gar zu schnell die Vergangenheit zu vergessen und in Deinem Interesse ferner glaubt daraus zu Deinem Besten für die Zukunft Nutzen zu ziehen. […] Ich will ja nichts Unangenehmes sagen, sondern nur praktisch Dir raten und zwar geht mein Ratschlag voller Wohlwollen dahin, Dich selbst zu bitten, die Vergangenheit noch nicht so schnell zu vergessen, sondern zu versuchen, sie durch weitere Ruhe und Zufriedenheit vergessen zu machen. Deinen Vorschlag, jetzt schon nach hier zu kommen, finde ich sehr übereilt und kann es sogar nicht glauben, dass Du den Vorschlag gemacht hast Frau und Kinder mitzubringen. Möchtest Du nicht auch einmal der Tatsache eingedenk sein, dass Dir jetzt ein auszufüllender Posten übertragen ist und Du doch in der Haupt-Saison denselben doch nicht mir nichts dir nichts verlassen darfst. […] Ich kann Dir nur nochmals dringend raten, weitere Zeit in emsiger Arbeit zu verbringen, um dann Dein Ziel einer Versöhnung zu erreichen […].“216
In der Folge bemühte sich insbesondere August Merckens darum, Heinrich Victor „in eine Lage zu versetzen, seine Zukunft unabhaengig“217 zu gestalten. Er verschaffte ihm eine Anstellung bei der New York Baking Powder Company,218 wo er bald auch seine Kenntnisse der Schokoladenproduktion anwandte und eigene Produkte entwickelte. Die Artikel wurden von der New York Baking Powder Company produziert und über die Empire Speciality Company vertrieben, deren Eigentümer Heinrich Victor war. Spätestens ab 1915 vertrieb er seine Produkte jedoch unter der Firma Victor Chocolate Company, was Ludwig Stollwerck befürchten ließ, Heinrich Victor könne wie Albert Nikolaus (II) die Geschäftsinteressen des Familienunternehmens schädigen. August Merckens beruhigte ihn aber dahingehend, dass Stollwerck zum einen in Amerika lediglich die Konkurrenz von Walter Baker und Hershey219 zu fürchten habe, Heinrich Victor zum anderen 214 „Auch bezüglich Heinrich Victor habe ich meine Ansicht gesagt sofort nach meiner Rückkunft von New-York, dass dieser je eher je besser aus dem New-Yorker Office scheidet. Auch darin ist bisher nicht das Geringste geschehen. Ich möchte also weiter in dieser unseligen Angelegenheit nichts mehr sagen. Ich bin wie gesagt, zu sehr verbittert!“ Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Juni 1914, RWWA 208-165-3. 215 August Merckens an Ludwig Stollwerck am 25. Oktober 1915, RWWA 208-166-5. Siehe auch August Merckens an Ludwig Stollwerck am 24. Juli 1914, RWWA 208-165-4. 216 Ludwig Stollwerck an Heinrich Victor Stollwerck am 2. September 1913, RWWA 208-59-2. 217 August Merckens an Ludwig Stollwerck am 25. Oktober 1915, RWWA 208-166-5. 218 Geschäftsführer der Firma war Merckens und die amerikanische Tochterunternehmung von Stollwerck hielt Anteile an der Firma. Siehe ebenda. 219 Zur Geschichte der Walter Baker Chocolate Company siehe Hallett/Hallett (Hg.): Encyclopedia of Entrepreneurs, S. 20. Zur Geschichte von Hershey siehe D’Antonio: Hershey.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
eher zu den Candy- als zu den Schokoladenfabrikanten zähle und er ferner froh sein solle, dass der Neffe nun ausreichend Geld verdiene, „um uns nicht mehr mit Zahlungen in Anspruch zu nehmen, weshalb wir jetzt aufgehoert haben, ihn mit Geldmitteln zu unterstuetzen“220. Heinrich Victor erwies sich allerdings der Fürsprache von Merckens und des Vertrauens der Kölner Familie als nicht würdig, denn spätestens 1918 brach er das eherne Familiengesetz, kein Schokoladen- oder Zuckerwarengeschäft unter dem Namen Stollwerck zu errichten. Er gründete die Stollwerck Cocoa Company und verlor damit seinen Fürsprecher Merckens. Auf sich allein gestellt, gelangen ihm keine geschäftlichen Erfolge mehr: „While almost every chocolate and cocoa manufacturer has done a prosperous business and made good profits during the last three years, your nephew’s business showed a loss of over $ 100.000 last year, and he was forced into bankrupty by his creditors. […] I assure you that I am very sorry that I have to disillusion you regarding the success of your nephew Heinrich Victor.“221
Auch auf die Erbschaft seiner Eltern konnte er nicht hoffen. Heinrich und Apollonia Stollwerck hatten am 2. Juli 1913 testamentarisch bestimmt, dass der Heinrich Victor zustehende Anteil an ihrem Erbe auf die Hälfte herabgesetzt werden solle, zudem schlossen sie ihn von der Erbfolge aus und verfügten, dass alles, was er schon zu Lebzeiten von ihnen erhalten habe, auf seinen Pflichtteil anzurechnen sei.222 Die genauen Gründe für ihren Entschluss führten sie nicht aus, sondern verwiesen lediglich darauf, dass diese ihren Nachkommen „ausreichend bekannt“223 seien. Ein weiterer geschäftlicher Neuanfang blieb Heinrich Victor dann allerdings versagt – er starb am 16. Februar 1919 42jährig an den Folgen einer Blinddarmoperation. Wie distanziert das Verhältnis zu seiner Familie zu diesem
220 August Merckens an Ludwig Stollwerck am 25. Oktober 1915, RWWA 208-166-5. 221 August Merckens an Ludwig Stollwerck am 5. August 1919, RWWA 208-115-1. 222 Siehe gemeinschaftliches Testament von Heinrich und Apollonia Stollwerck vom 2. Juli 1913, LAV NRW, Bestand JusK 210, IV384/01. Heinrich und Apollonia Stollwerck wollten ihren Sohn indes nicht ganz seinem Schicksal überlassen und formulierten eine so genannte „Fürsorgebestimmung“, die besagte: „Bis zwanzig Jahre lang nach dem Tode des Längstlebenden von uns soll bei der Gebrüder Stollwerck Aktiengesellschaft […] ein Betrag von 100.000 Mark zurückgestellt werden. Die Zinsen (fünf von hundert) sollen nach Weisung des Testamentsvollstreckers zur Jahresunterstützung unseres Sohnes Heinrich oder dessen Abkömmlingen benutzt werden, so dieselben sich dessen bedürftig und würdig erweisen. Anderenfalls werden die Zinsen dem Kapital zugeschlagen. Das Kapital soll zwanzig Jahre nach dem Tode des Längstlebenden von uns unter unsern Kindern beziehungsweise deren Nachkommen nach Maßgabe der oben von uns getroffenen Gemeinschafts- beziehungsweise Erbfolge zur Verteilung gelangen. Es steht jedoch nichts im Wege, daß unsere Erben, nach einhelligem Beschluß, sofern die Empfänger mittlerweile dessen bedürftig und würdig geworden sind, unserem Sohn Heinrich oder dessen Abkömmlingen auch noch nach Ablauf der 20 Jahre Unterstützungen aus den Zinsen gewähren oder vor Ablauf der 20 Jahre ihnen einen Teil des Kapitals zuwenden.“ Ebenda. 223 Ebenda.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Zeitpunkt war, zeigt sich daran, dass die Kölner Familie erst vier Monate später von seinem Tod erfuhr.224 Umwandlung der Gebrüder Stollwerck OHG in eine AG und Wandel der Beteiligungsverhältnisse Während die beiden ältesten Söhne von Heinrich Stollwerck bereits früh eigene berufliche Wege gingen, entwickelten Franz (II) und Gustav zunächst einigen Eifer, das Lebenswerk der Väter fortzuführen und sich verantwortliche Posten im Familienunternehmen zu sichern. Franz (II) war in der Produktion tätig,225 Gustav widmete sich kaufmännischen Aufgaben und brachte mit Beginn des Geschäftsjahres 1900 erstmals eigenes Kapital in die Familienunternehmung ein.226 Hier zeigt sich eine Parallele zum ersten Generationenwechsel: Auch die Gebrüder Stollwerck hatten sich die Geschäftsführung nach diesen Bereichen aufgeteilt. Ob es auch zwischen diesen beiden Vertretern der dritten Generation und ihren Vätern bzw. Onkeln bereits in der Frühphase der Zusammenarbeit zu Auseinandersetzungen und Kompetenzstreitigkeiten kam, ist nicht überliefert. Die Gebrüder Stollwerck setzten aber zumindest so viel Hoffnung in die Tatkraft ihrer „verbliebenen“ Söhne, dass sie das Familiengeschäft immer weiter ausdehnten und sich seit Ende der 1890er Jahre intensiv mit dem Gedanken auseinandersetzten, die Eigentumsstruktur und die Planung der Führungsnachfolge durch die Einbindung externer Investoren institutionell zu verändern. Bereits Ende der 1880er Jahre hatte es erste Überlegungen gegeben, die bestehende OHG in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Der Kölner Stadtverordnete und Mitbegründer der 1904 mit der AEG fusionierten Union-ElektricitätsGesellschaft Johann Hamspohn (1840–1926) trug den Gebrüdern Stollwerck diese Idee als erster an und rühmte die zahlreichen Vorteile, die ihnen aus „der bequemen Teilbarkeit des Kapitals für sie und ihre zahlreichen heranwachsenden Söhne“227 erwachsen würden. Die Bedenken, durch diesen Schritt den Charakter als Familienunternehmen aufzugeben, waren freilich bei den Gebrüdern Stollwerck zu diesem Zeitpunkt noch größer als der Anreiz, mit Hilfe der neuen Rechtsform 224 Siehe Ludwig Stollwerck an August Merckens am 25. Juni 1919, RWWA 208-167-4. 225 Siehe Heinrich Stollwerck an die Vorstandsmitglieder von Stollwerck Brothers Inc. am 16. April 1909, RWWA 208-161-3. 226 Siehe Bilanz der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck für das Geschäftsjahr 1900, RWWA 208-477-5. Gemäß der Bilanz betrug Gustav Stollwercks Einlage im Familienunternehmen 157.066 Mark. 227 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 523. Die Brüder erhielten zahlreiche Anfragen, „ob Sie schon mal daran gedacht haben, Ihr Unternehmen in eine Familien-Gründung zu verwandeln, welche in keiner Weise an der jetzigen Handhabung & Leitung des Geschäftes etwas ändert, hingegen so manche Vorteile bietet“. M. von Kornatzki an die Gebrüder Stollwerck am 9. Februar 1897, RWWA 208-419-5. Es sind weitere Schreiben überliefert, die die Intention verfolgten, die Brüder von den Vorteilen einer Aktiengesellschaft zu überzeugen.
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größere Finanzierungsspielräume ausschöpfen zu können. Sie fürchteten, dass die potenziellen Kapitalgeber lediglich „ein Auge auf die bestens gedeihende Unternehmung geworfen hatten und sich an ihren Gewinnen gern beteiligt haben wollten“228. Das vorhandene Kapital und Immobiliarvermögen erschien ihnen ausreichend, um ihre Expansionspläne umzusetzen: „Wir können uns doch – bezugnehmend auf die frühere Unterhaltung – nicht zu einer Actiengesellschaft entschließen! Das gut aufgebaute Geschäft – wo reichlich Nachkommen vorhanden sind – in fremde Hände übergehen zu lassen ist ein zu schwerer Entschluß! Dies zumal wir für Vergrößerungen Grundstücke genug haben, & für Exportfabriken verhältnismäßig geringes Capital gehört […]!“229
Um die Jahrhundertwende stellte sich die Situation dann jedoch aus mehreren Gründen anders dar. Zum einen überstiegen die Vergrößerung des Unternehmens und die damit einhergehenden finanziellen Anforderungen zunehmend die Kapitalausstattung der vier Brüder. Zum anderen ließen es das 1900 bereits fortgeschrittene Alter der Gebrüder Stollwerck und die durch die Heiraten der zahlreichen Kinder inzwischen stattliche Größe der Familie geboten erscheinen, die angestrebte Weitergabe des Familienunternehmens an die nachfolgende Generation dezidierteren Bestimmungen zu unterwerfen, als sie der Gesellschaftsvertrag von 1893 enthielt. Ferner erschwerte es die unmittelbar nach der Jahrhundertwende auftretende Wirtschaftskrise, die auch den Absatz Stollwerck’scher Fabrikate zurückgehen ließ, den Gebrüdern, Kapital aus eigenen Gewinnen aufzubringen; ihre Beteiligungen an Bergmanns Industriewerke GmbH und der deutschen EdisonGesellschaft brachten zudem Verluste in beträchtlicher Höhe230 – in den Worten Ludwig Stollwercks: „Das Geschäft entwickelte sich immer umfangreicher und erforderte bedeutende Mittel, besonders durch die Zweigunternehmungen in Oesterreich, wie die Ausdehnung des Automaten Geschaeftes, welches im Jahre 1887 aufgenommen wurde. Es erschien nach dem enormen Aufschwung des Geschäftes im Jahre 1899, besonders hervorgerufen durch den Erfolg der Stollwerckbilder Idee, wünschenswert, neue Kapitalien dem Unternehmen zuzuführen, da die Ersparnisse der 4 Teilhaber zu der wünschenswerten Ausdehnung des Geschäftes nicht genügten. Auch erschien es wünschenswert, nachdem die Kinder der älteren Brüder Peter Josef und Heinrich Stollwerck heranwuchsen, Schwiegersöhne vorhanden waren, dass man sorgloser in die Zukunft schauen müsse. Man durfte das bedeutend gewordene Geschäft nicht im Falle eines Todes seiner Mitglieder finanziellen Schwierigkeiten aussetzen. Der alte Vertrag der offenen Handels Gesellschaft genügte nicht für Eventualitäten. Unabhängigkeit von dem Tode eines jeden Mitarbeiters musste von uns für das bedeutend gewordene Unternehmen erstrebt werden. Auch wurde es als nicht gerecht mehr bezeichnet, dass beim Tode eines der Teilhaber dessen Erben nur noch mit Kapitalzins für den Erbteil rechnen sollten, sondern wir waren alle der Meinung, dass sie mit von dem Ergebnis von dem Gewinne des Geschäftes
228 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 523. 229 Ludwig Stollwerck an Carl Ebbinghaus am 13. Dezember 1888, RWWA 208-227-1. 230 Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 524) bezifferte die Verluste bei Bergmann auf eine halbe Million Mark, bei der Deutschen Edison-Gesellschaft auf 400.000 Mark.
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teilnehmen müssen über 5 % Kapitalzins hinaus. Der nächste Weg zu solchem Ziele war selbstverständlich derjenige der Gründung einer Aktiengesellschaft.“231
Während sich Ludwig Stollwerck früh für die Gründung einer Aktiengesellschaft erwärmte, schreckten seine Brüder anfangs vor diesem Schritt zurück und führten zwei für Familienunternehmen typische Kritikpunkte an. Sie fürchteten zum einen, dass durch die Umwandlung „der Familie das gute, selbst aufgebaute Geschäft genommen würde“, und betrachteten es zum anderen als „nicht wünschenswert“232, dem Aktiengesetz nachzukommen und die Bilanzen der Firma zu veröffentlichen. Peter Joseph, Heinrich und Carl präferierten zunächst den Plan, die bisherige OHG in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umzuwandeln,233 ließen sich aber von Ludwig in „längeren Konferenzen“234 von den Nachteilen dieser Rechtsform überzeugen. Man hätte zwar auch auf diesem Weg das Ziel erreicht, dass jeder Gesellschafter nur noch mit dem Teil seines Vermögens haftete, der sich im Geschäft befand. Es wäre aber, so Ludwigs erster Kritikpunkt, schwieriger geworden, fremde Gesellschafter zu finden, denn man hätte nicht mehr in großem Umfang Kapital festgelegt, weil der Verkauf der Anteile in einer GmbH von der Zustimmung aller Gesellschafter abhänge und somit keinen mobilen Besitz darstelle. Auch hätten, so der zweite Einwand, die Banken einer Gesellschaft, in der die einzelnen Gesellschafter nur mit dem gezeichneten Betrag hafteten, vermutlich keine größeren Kredite mehr gewährt. Die Gesellschafter hätten zwar persönlich für die Kredite bürgen können, doch wäre so der Vorteil der beschränkten Haftung eines jeden Gesellschafters wieder hinfällig gewesen.235 Ludwig Stollwerck teilte die Sorge seiner Brüder, durch den Zugang zum Kapitalmarkt den Charakter als Familienunternehmen zu verlieren, doch hatten ihn seine britischen Geschäftsfreunde William Hesketh Lever und Gilbert Bartholomew mit einer Möglichkeit vertraut gemacht, eine Aktiengesellschaft zu gründen,
231 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208464-1. Die zuletzt genannte Intention zielte darauf ab, dass die Erben des verstorbenen Albert Nikolaus (I) nur fünf Prozent ihres Kapitalanteils erhielten. Durch die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft würden sie Aktien erhalten und dementsprechend auch am tatsächlichen Unternehmensgewinn beteiligt werden. Die Brüder dachten in diesem Kontext vermutlich auch an die Absicherung ihrer zahlreichen Töchter und deren Ehechancen. Siehe zu vergleichbaren Intentionen bei anderen Unternehmerfamilien z. B. Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 204 ff. 232 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208464-1. 233 Die Pläne zur Umwandlung in eine GmbH waren schon weit gediehen. Es war geplant, ein Obligationskapital von 2.500.000 bis 3.000.000 Mark aufzunehmen, um die Bankkredite zu reduzieren und dem Unternehmen neues Kapital zuzuführen. Siehe Ludwig Stollwerck: Pläne zur Gründung einer GmbH, 1901, RWWA 208-484-1. 234 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208464-1. 235 Siehe ebenda. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Geheimrat Spemann am 11. Juli 1901, RWWA 208-241-6; Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 13. Juli 1901, RWWA 208-229-3.
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ohne dabei den Einfluss der Familie aufzugeben.236 Ihnen schwebte für Stollwerck das Instrument der Stamm- und Vorzugsaktien vor. Die Vorzugsaktionäre sollten kein Stimmrecht erhalten237 und damit von der Unternehmensführung ausgeschlossen bleiben. Als Kompensation sollte ihnen bei der Gewinnverteilung das Vorrecht auf einen bestimmten Prozentsatz kumulative Dividende (d. h. einschließlich Nachzahlungsanspruch) zustehen. Alle über das gewährte Vorrecht hinausgehenden Gewinne aber sollten den Stammaktionären zufallen, die allein entscheidungsbefugt waren. Sollte auf die Vorzugsaktien keine Dividende gezahlt werden können, mussten die Stammaktionäre auf ihren Anteil verzichten. Ludwig Stollwerck sah zudem vor, die Stammaktien nur an Familienmitglieder auszugeben, damit sie nach wie vor von ihrer „früheren Vorarbeit und fortlaufenden Mitarbeit im Geschäfte“238 profitieren konnten. Das Motiv, eine Aktiengesellschaft auf der Basis von Stamm- und Vorzugsaktien zu gründen, lag primär darin, den Familieneinfluss zu wahren und sich vor Überfremdung zu schützen. Den Gebrüdern Stollwerck war es nicht möglich, das zur Finanzierung notwendiger Investitionen erforderliche Eigenkapital allein aufzubringen. Die Ausgabe von Vorzugsaktien ermöglichte es ihnen zum einen, ihre finanzielle Verantwortung für das Familienunternehmen zu vermindern, da an die Stelle der bisherigen Gläubiger die Vorzugsaktionäre treten sollten, zum anderen behielten sie den bestimmenden Einfluss auf die Unternehmensführung und -politik – Kapital und Leitung wurden entkoppelt. Durch die Vergrößerung des Aktienkapitals sollte es ferner zukünftig leichter sein, die Geschäfte auszudehnen. Ebenso interessant wie die inhaltlich-sachliche Argumentation Ludwig Stollwercks ist die Vehemenz, mit der er die Gründung einer FamilienAktiengesellschaft verfolgte und seine Brüder für diese Idee gewinnen wollte. Dass er und nicht Peter Joseph als Senior des Unternehmens in dieser unternehmensstrategisch zentralen Frage die Führung übernahm,239 zeigt deutlich, dass sich das Macht- und Einflussgefüge im Brüderverband um die Jahrhundertwende verändert hatte. Peter Joseph und Heinrich hatten zwar 1900 jeweils einen fast doppelt so hohen Anteil am verantwortlichen Kapital wie ihre jüngeren Brüder, doch die „Leitung“ der Geschäfte, das beschrieb Ludwig rückblickend zutreffend, hatte er übernommen – war doch sein unternehmerisches Urteilsvermögen „durch die vielen Reisen und Verkehr mit englischen und amerikanischen Geschäftsfreunden besonders erweitert“240. Demnach war auch die Unternehmensorganisation bei ihm angesiedelt. Während die technisch orientierten Brüder Heinrich und 236 Siehe Ludwig Stollwerck an Arthur Junghans am 17. Juli 1919, RWWA 208-249-6. 237 In seltenen Fällen haben auch Vorzugsaktionäre ein Stimmrecht. Siehe Klein: Vorzugsaktien, S. 37–45. Siehe zu stimmrechtslosen Vorzugsaktien auch Brause: Stimmrechtslose Vorzugsaktien. 238 Ludwig Stollwerck: Pläne zur Gründung einer GmbH, 1901, RWWA 208-484-1. 239 Die Arbeit an der Umwandlung der Firma Gebrüder Stollwerck in eine Aktiengesellschaft erforderte von Ludwig Stollwerck über mehrere Monate „volles Nachdenken, volle Concentration aller Gedanken“. Ludwig Stollwerck an Theodor Bergmann am 4. März 1902, RWWA 208-213-4. 240 Ludwig Stollwerck an Arthur Junghans am 17. Juli 1919, RWWA 208-249-6.
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Carl dem geschäftlichen Sachverstand des Bruders vertrauten und sich schnell von den Vorteilen einer Aktiengesellschaft überzeugen ließen, hielt Peter Joseph, wie Ludwig primär kaufmännisch ausgebildet, lange Zeit „ganz energisch“ an der Ansicht fest, dass nur eine GmbH den Zwecken der Familie und des Unternehmens dienen könne. Die Auseinandersetzung der beiden Brüder glich einem „Drama“, das rund anderthalb Jahre andauerte, bis Peter Joseph sich „für die Vorteile dieser Idee […] erwärmen“241 konnte und der neuen Rechtsform zustimmte – hätte er sich verweigert, wäre gemäß des gültigen Gesellschaftsvertrags von 1893 bei Meinungsverschiedenheiten über geschäftliche Angelegenheiten seine Stimme als Senior ausschlaggebend gewesen.242 Als ältester Gesellschafter war es dann auch Peter Joseph Stollwerck, der die Gespräche mit den Banken führte – zunächst mit den Kölner Hausbanken Schaaffhausen, Oppenheim und Stein. Alle drei Institute lehnten die Gründung einer Aktiengesellschaft nach dem System der Stamm- und Vorzugsaktien aber ab. Insbesondere Baron Albert von Oppenheim (1834–1912) hatte Bedenken und verwies darauf, dass man Vorzugsaktien „nur bei notleidenden Aktiengesellschaften“ einführe, „wo infolge von schlechtem Geschäftsgange neues Kapital nur dann eingeschossen würde, wenn es aus dem eventl. Gewinne zuerst seine Zinsen erhielte“243. Die Vorbehalte der Bankiers sind durchaus nachvollziehbar, wenn man zum einen berücksichtigt, dass so genannte Prioritätsaktien, die Vorläufer der Vorzugsaktien, erst im Rahmen der Aktienrechtsnovelle von 1884 erstmals gesetzlich berücksichtigt wurden, und zum anderen bedenkt, dass vor dem Ersten Weltkrieg vor allem sanierungsbedürftige Unternehmen, primär Eisenbahngesellschaften, auf Aktien mit Vorzugsdividende zurückgriffen, um ihre Kapitalausstattung neu zu ordnen. Die Ausgabe von Industrie-Vorzugsaktien erfolgte erst seit der Jahrhundertwende und nur allmählich.244 Ludwig Stollwerck ließ sich aber von der ablehnenden Haltung der Kölner Banken nicht beirren. In den Gesprächen mit Lever und Bartholomew hatte er sich das in Deutschland noch weitgehend unbekannte Modell „so in Fleisch und Blut übergehen lassen“, dass er es als die einzig richtige Möglichkeit betrachtete und beschloss, „alles Mögliche zu tun, um dennoch das Ziel zu erreichen“245. In Anbetracht der Tatsache, dass die Gebrüder Stollwerck vornehmlich in England und den USA expandieren wollten, bemühte er sich zunächst, in diesen Ländern 241 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1. 242 Gesellschaftsvertrag der Firma Königlich-Preußische und Kaiserliche Österreichische HofChocolade Fabricanten Gebrüder Stollwerck vom 15. April 1893, Artikel eins, RWWA 208376-2. 243 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208464-1. Siehe auch Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 13. Juli 1901, RWWA 208-229-3. 244 Siehe Klein: Vorzugsaktien, S. 79 f.; Depenbrock: Zur Entwicklung und Bedeutung der Vorzugsaktien, S. 169–178; Noack: Aktien, S. 520 f. 245 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208464-1.
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Kapitalgeber zu gewinnen, und ließ die Bilanzen der Firma von britischen Experten prüfen.246 Nachdem ihm Lever und der befreundete Unternehmer Robert Baelz247 zugesagt hatten, sich mit einer Millionen Mark bzw. 50.000 bis 100.000 Mark an dem Unternehmen zu beteiligen, und auch Bartholomew „mit seinen reichen Freunden“248 Interesse signalisierte, wurden im engen fachlichen Austausch mit den britischen Geschäftsfreunden nicht nur detaillierte Pläne ausgearbeitet, sondern Ludwig Stollwerck erwog schließlich auch, das Geschäft mit Londoner Banken zu finanzieren.249 Warum diese recht weit gediehenen Pläne, Stollwerck in eine Aktiengesellschaft unter starker englischer und amerikanischer Beteiligung250 umzuwandeln, letztlich nicht umgesetzt wurden, lässt sich nicht zweifelsfrei erhellen. Während Kuske davon ausging, dass John Volkmann, ein „sehr scharf sehender Kaufmann“251, Ludwig Stollwerck von der Idee einer englischen Finanzierung abriet und ihn davon überzeugte, lediglich das ausländische System der Stamm- und Vorzugsaktien zu übernehmen, sprach Stollwerck selbst rückblickend vom „Zufall“, der ihn von seinem ursprünglichen Plan abgebracht habe. In einem Gespräch mit dem befreundeten Privatbankier Albert Simon im Herbst 1901 habe er ihm das Konzept einer Vorzugs-Aktiengesellschaft erläutert und die „scherzhafte Bemerkung“ gemacht, dass die deutschen Banken für „so eine gesunde Sache“252 nicht zu gewinnen seien. Albert Simon indes betrachtete die Idee keineswegs als 246 Geprüft wurden die Bilanzen von der Londoner Auditorfirma Monkhouse, Stoneham & Co. Teilhaber dieser Treuhänderfirma war Allen Bartholomew, der Sohn von Gilbert Bartholomew. Siehe ebenda. 247 Robert Baelz war an der Deutschen Automaten Gesellschaft Stollwerck & Co. beteiligt, Chairman der Londoner Automaten Gesellschaft und mit Ludwig Stollwerck seit Anfang der 1890er Jahre „eng befreundet“. Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 19. April 1901, RWWA 208-229-1. 248 Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 19. April 1901, RWWA 208-229-1. 249 Siehe ebenda; Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 25. April 1901, RWWA 208-229-1; Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 13. Juli 1901, RWWA 208229-3; Ludwig Stollwerck an Robert Baelz am 19. Juni und 8. August 1901, RWWA 208241-6; Ludwig Stollwerck an Emil Schniewind am 29. August 1901, RWWA 208-253-1. Der Austausch beschränkte sich nicht nur auf Briefwechsel, sondern Ludwig Stollwerck reiste auch mehrfach persönlich nach London, um sich mit seinen Geschäftsfreunden zu beraten und von ihrer Erfahrung zu profitieren. Siehe Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 19. April 1901, RWWA 208-229-1. 250 Diese war mit drei Millionen Mark geplant. „We have already made by experts the valuations of all immovables as land and houses, premises, mentioned in the paper; in similar way we will also have the valuations of machines. […] In this way we would come in total on 9 millions of marks. As already told to you we must find friends for a capital of three millions of marks and it would be very agreeable to us to find these friends in England or America, as also 25 % of our manufacturing goes to these two countries.“ Ludwig Stollwerck an Gilbert Bartholomew am 19. April 1901, RWWA 208-230-4. Siehe auch Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 19. April 1901, RWWA 208-229-1. 251 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 528 252 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1.
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so abwegig, wie sie den Kölner Banken erschienen war. In den folgenden privaten Besprechungen äußerte Simon ernsthaftes Interesse, an der Umwandlung der Stollwerck’schen Unternehmung in eine Vorzugs-Aktiengesellschaft mitzuwirken. Ludwig Stollwerck wollte den Verhandlungen freilich keinen „mehr offiziellen Charakter“ geben, ohne Peter Joseph als Senior hinzuzuziehen. Nachdem er zunächst „jeden einzelnen Schritt“ mit seinem jüngeren Bruder Carl, der ihm zum einen emotional näher war, zum anderen aber auch den Vorteilen der neuen Rechtsform aufgeschlossener gegenüberstand als die älteren Geschwister,253 beraten hatte, gelang es Ludwig in einer „längeren Conferenz“254, Peter Joseph davon zu überzeugen, an einer Besprechung mit Albert Simon teilzunehmen. Nach vier weiteren gemeinsamen Treffen machte Simon die Gebrüder Stollwerck schließlich im Januar 1902 mit dem Berliner Bankier Bernhard Dernburg255 bekannt, den er in vertraulichen Gesprächen bereits für die Stollwerck’schen Pläne hatte gewinnen können. Dernburg war nach elfjähriger Tätigkeit als Direktor der 1890 gegründeten Deutschen Treuhandgesellschaft 1901 in den Vorstand der in Berlin ansässigen Darmstädter Bank für Handel und Industrie gewechselt.256 Die 1853 gegründete Bank zählte zwar zu den ältesten deutschen Kreditinstituten,257 hatte aber Ende des 19. Jahrhunderts den Anschluss an die übrigen Großbanken verloren. Während sich etwa die Deutsche und die Dresdner Bank früh ein weitgespanntes Depositenkassen- und Filialsystem aufgebaut hatten, hatte die Darmstädter Bank unter der konservativen Leitung von Johannes Kaempf (1842–1918) weitgehend an ihrer zentralistischen Verwaltung festgehalten. Erst mit der Berufung Dernburgs entschied sich das Institut für eine grundlegende Strukturreform. Unter seiner Leitung weitete die Darmstädter Bank ihren Geschäftsbereich kontinuierlich aus. Neben der Vergrößerung des Filialnetzes leisteten insbesondere Interessen253 Ludwig bezeichnete Carl als „meinen engsten Mitarbeiter“. Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 26. September 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 254 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 25. Januar 1902, RWWA 208-117-6. 255 Dernburg entstammte väterlicherseits einer angesehenen jüdischen Gelehrtenfamilie, sein Vater Friedrich (1833–1911) hatte sich als Publizist und liberaler Politiker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Namen gemacht, seine Mutter war die Tochter einer traditionsreichen protestantischen Pastorenfamilie. Nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre in einer Berliner Kerzenfabrik absolvierte Dernburg eine Bankausbildung bei der Berliner Handels-Gesellschaft. Ab 1887 setzte er seinen Werdegang in Amerika fort, wo er zunächst als Buchhalter bei der American Metal Company, seit 1888 bei dem Bankhaus Ladenburg, Thalmann & Co. arbeitete. 1889 kehrte er nach Deutschland zurück. Siehe Schiefel: Bernhard Dernburg, S. 11–19; Walter: Jüdische Bankiers, S. 89 f. 256 Laut Schiefel (Bernhard Dernburg, S. 9, 185) liegt über Dernburgs Tätigkeit als Bankier keinerlei Archivmaterial mehr vor. 257 Nach dem A. Schaaffhausen’schen Bankverein, der 1848 in eine Aktiengesellschaft umgegründet worden war, war die Darmstädter Bank die zweite deutsche Universalbank auf Aktienbasis. Siehe Born: Geld und Banken, S. 151–155.
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gemeinschaften mit anderen deutschen Instituten, Fusionen, Übernahmen und die Beteiligung an zum Teil „waghalsig und kühn“258 erscheinenden Gründungsgeschäften ihren Beitrag zu der beständig ansteigenden Bilanzsumme. Von größerer Bedeutung waren die – allerdings nicht von Erfolg gekrönten – Engagements bei der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerksgesellschaft und beim HeldburgKalikonzern259 sowie die führende Rolle Dernburgs bei der Umwandlung der Offenen Handelsgesellschaft Gebrüder Stollwerck in eine Aktiengesellschaft. Durch seine langjährige Tätigkeit in Amerika war ihm das von Ludwig Stollwerck favorisierte System einer Vorzugs-Aktiengesellschaft „mit allen seinen Vorteilen“260 vertraut und es schien ihm der richtige Weg zu sein, das zentrale Ziel der Brüder zu erreichen: die Wahrung des Familieneinflusses auf das Geschäft. Während viele Zeitgenossen das „schroffe Wesen“ Dernburgs und seine „recht weitgehende Zwanglosigkeit“ kritisierten und ihn als Menschen von „kraftvoller Faust“ beschrieben, dem das „feine Gefühl in den Fingerspitzen“261 fehle, fällte Ludwig Stollwerck bereits nach wenigen Wochen ein rundweg positives Urteil über Dernburg und die Zusammenarbeit mit ihm: „Ich kann Dir nicht genug versichern, wie glücklich ich über das ganze Arrangement bin und wie entzückt [...] über den charmanten, coulanten und ausserordentlichen, ja eminent tüchtigen und begabten Herrn Dernburg. Der Herr ist Director der Darmstädter Bank und ist erst ca. 42 Jahre alt, aber dennoch ist es ein Muster von gesunden und coulanten, und doch energischen Gedanken. Es ist ein Vergnügen mit demselben zu debattiren und zu operiren. Er war zweimal längere Zeit in unserer Fabrik und schied sehr vergnügt von uns, auch mit der Ueberzeugung, dass er einer guten Sache sein nahezu unbeschränktes Vertrauen geschenkt hat.“262
Dernburg überzeugte freilich nicht nur Ludwig Stollwerck, sondern es gelang ihm auch, die letzten Vorbehalte der älteren Brüder auszuräumen, so dass sie schließlich im März 1902 einstimmig das Angebot der Darmstädter Bank annahmen, die bisherige Offene Handelsgesellschaft in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln.263 Die für ein Geschäft diesen Ausmaßes verhältnismäßig kurze Zeitspanne der Vorbesprechungen und Verhandlungen entsprach dem Naturell Dernburgs, sich „im Zweifel immer für schnelle, überraschende Eingriffe und nicht für eine langsam
258 Schiefel: Bernhard Dernburg, S. 25. Siehe auch ebenda, S. 19–29; Born: Geld und Banken, S. 123 f. 259 Siehe Schiefel: Bernhard Dernburg, S. 25 f. 260 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208464-1. 261 Zitiert nach Schiefel: Bernhard Dernburg, S. 248 f. Die erste Einschätzung stammt von dem Publizisten Otto Jöhlinger, die letztere von Felix Pinner, Wirtschaftsredakteur des Berliner Tageblatts. Siehe für weitere ähnliche Einschätzungen und eine Einordnung dieser Äußerungen ebenda, S. 247–251, 27 f. 262 Ludwig Stollwerck an Georg Büxenstein am 5. März 1902, RWWA 208-241-7. Siehe auch Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 25. und 30. Januar 1902, RWWA 208-117-6. 263 Siehe Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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wachsende Entwicklung“264 zu entscheiden. Auch Ludwig Stollwerck bezeichnete das Vorgehen Dernburgs und sein Engagement für die Stollwerck’sche Idee einer Vorzugs-Aktiengesellschaft als „eine gewisse Art Wagnis“265, war doch eine solche Umwandlung in Deutschland bislang bei keinem Unternehmen vergleichbarer Größe erfolgt. Der weitere Weg bis zur Gründung der Gebrüder Stollwerck AG am 6. Juli 1902266 war aber nicht frei von Hindernissen. Zum einen gehörten Baron Albert von Oppenheim und Geheimrat Johann Heinrich Stein (1832–1911) dem Aufsichtsrat der Darmstädter Bank für Handel und Industrie an und äußerten dort offen „Bedenken über die gesunde Art und Weise der Gründung“. Wie Ludwig Stollwerck wohl nicht ganz zu Unrecht vermutete, machten sie auf diesem Weg ihrem Ärger darüber Luft, dass sie das Geschäft ursprünglich ausgeschlagen hatten und nun das Berliner Institut als leitende Bank mit der großen Kölner Firma zusammenarbeitete. Zum anderen hatten die Gebrüder Stollwerck damit zu kämpfen, dass über ihre „Finanz-Operation Mancherlei erzählt“, ihnen „Wechselreiterei“ vorgeworfen wurde. Dernburg setzte sich jedoch nicht nur gegen die Stimmen von Oppenheim und Stein im Aufsichtsrat durch, sondern sein Vertrauen in die Solidität der Firma Stollwerck wurde auch von den zahlreichen Verleumdungen und dem „Uebelwollen“267 der Kölner Banken nicht erschüttert. Er übertrug dieses Vertrauen letztlich auch auf die übrigen Institute (siehe Abb. 56), und es gelang ihm, neben der Darmstädter Bank die Berliner Handels-Gesellschaft, die Privatbank S. Bleichröder, den Schaaffhausen’schen Bankverein und die Bankhäuser Oppenheim, von der Heydt-Kersten & Söhne, Bernhard Loose und J. H. Stein als Vorzugsaktionäre zu gewinnen. Zur 1856 gegründeten HandelsGesellschaft und insbesondere zu Carl Fürstenberg pflegte Dernburg seit seiner dortigen Bankausbildung eine enge Verbindung.268 Die Kontakte zum Bankhaus 264 Schiefel: Bernhard Dernburg, S. 27. Siehe auch Reitmayer: Bankiers im Kaiserreich, S. 174 f., 223. 265 Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208464-1. 266 Der Eintrag ins Handelsregister erfolgte am 18. Juli 1902. 267 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1. Dem befreundeten Kommerzienrat und Wiesbadener Handelskammerpräsidenten Franz Fehr-Flach (1840–1929) berichtete Ludwig Stollwerck in diesem Zusammenhang: „Dir, lieber Franz, möchte ich im Vertrauen mitteilen, dass leider ‚merkwürdige Freunde‘ doch versucht haben, die ganzen Unterhandlungen, welche so ausserordentlich günstig für uns verlaufen sind, zu stören […].“ Ludwig Stollwerck an die Eheleute Franz Fehr-Flach am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. Franz Fehr-Flach lieferte Stollwerck das für die Verpackung der Süßwaren erforderliche Stanniol. Siehe u. a. die in RWWA 208277-5 überlieferte Korrespondenz. 268 Ludwig Stollwerck mutmaßte rückblickend, dass Dernburg in seinem Ansinnen, die übrigen Banken von der Idee einer Vorzugs-Aktiengesellschaft zu überzeugen, von Carl Fürstenberg von der Berliner Handels-Gesellschaft, den Dernburg aus seiner Zeit bei der HandelsGesellschaft 1884/85 kannte, „warm unterstützt“ wurde. Ludwig Stollwerck an Arthur Junghans am 17. Juli 1919, RWWA 208-249-6. Zur Berliner Handels-Gesellschaft siehe Born: Geld und Banken, S. 157 f., 166 f., 254 ff., 324 f.
332
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Bleichröder gehen auf Dernburgs Vater zurück. Friedrich Dernburg unterhielt eine enge Beziehung zu Gerson von Bleichröder (1822–1893), der Bernhard Dernburg den Weg in die Finanzwelt geebnet hatte.269 Mit dem Bankhaus von der HeydtKersten & Söhne arbeiteten die Gebrüder Stollwerck bereits seit den 1890er Jahren zusammen. Das Bremer Bankhaus Bernhard Loose & Co. war seit Ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich an der Finanzierung des Stollwerck’schen AmerikaGeschäfts beteiligt. Die Kontakte zu dem norddeutschen Kreditinstitut hatten die Amerika-Partner und gebürtigen Bremer John Volkmann und August Schilling vermittelt.270 Der A. Schaaffhausen’sche Bankverein übernahm Vorzugsaktien in Höhe von 1.000.000 Mark, gab aber auf Bitten der Gebrüder Stollwerck jeweils 250.000 Mark als Unterbeteiligung an die Bankhäuser von der Heydt-Kersten & Söhne und Bernhard Loose & Co. ab.271 Gemäß der Erinnerung Ludwig Stollwercks „überfielen“ die anderen Banken Stollwerck nahezu mit Anfragen, nachdem die Firma das Angebot der Darmstädter Bank angenommen hatte. Alle Institute wollten nun einen möglichst großen Anteil der Vorzugsaktien erwerben, so dass „wohl vielleicht das Fünffache Kapital von den Bankiers insgesamt übernommen worden wäre“272. Gegründet wurde die Gebrüder Stollwerck AG mit einem Kapital von 14 Millionen Mark, aufgeteilt in neun Millionen Mark Stammaktien, die mit wechselnden Dividenden verbunden waren, allein von Familienmitgliedern gehalten wurden und auf den Namen273 lauteten, und fünf Millionen Mark Vorzugsaktien, die ein Vorrecht auf sechs Prozent kumulative Dividende hatten (siehe Abb. 56).274 269 Siehe Schiefel: Bernhard Dernburg, S. 13. 270 Nach dem Tod von Bernhard Loose (1836–1902) übernahm die Darmstädter Bank für Handel und Industrie das Bankhaus Loose. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 521. 271 Die Ausgabe weiterer Unterbeteiligungen, u. a. an das Berliner Bankhaus Hardy & Co. und die Westdeutsche Bank in Bonn lehnte der Bankverein ab. Siehe A. Schaaffhausen’scher Bankverein Köln an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein Berlin am 7. Juli 1902, HADB K02/1267; A. Schaaffhausen’scher Bankverein an die Gebrüder Stollwerck am 5. März 1902, HADB K02/1596; Gebrüder Stollwerck an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein am 4. März 1902, HADB K02/1596. 272 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1. An Franz Fehr-Flach schrieb Stollwerck: „Der Wunsch nach Betheiligung von anderen Banken zur Teilnahme an der Emission ist schon eine nennenswerthe und mussten wir heute ungefähr 3 Millionen von befreundeten Banken zurückweisen, da ja nun einmal nicht mehr wie 5 Millionen vorhanden sind, wovon unsere Familie auch eine halbe Million übernommen hat.“ Ludwig Stollwerck an die Eheleute Franz Fehr-Flach am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. 273 Siehe Satzung der Gebrüder Stollwerck AG, 1902, Paragraph sechs, RWWA 208-243-2; Gesellschaftsvertrag der Gebrüder Stollwerck AG vom 6. Juli 1902, Paragraph sechs, RWWA 208-395-5. Der Reingewinn der Gesellschaft war in folgender Reihenfolge zu verwenden: 1) zur Abführung von mindestens fünf Prozent an den gesetzlichen Reservefonds, solange dieser zehn Prozent des Grundkapitals nicht überschritten hatte, 2) zur Nachzahlung der Dividende an die Vorzugsaktionäre, sofern diese in früheren Jahren weniger als sechs Prozent Dividende erhalten hatten, 3) zur Zahlung von sechs Prozent Dividende an die Vorzugsaktionäre, 4) zur Zahlung von sechs Prozent Dividende an die Stammaktionäre, 5) zur Abführung von 100.000 Mark in die für die Vorzugsaktien zu bildende Dividendenergän-
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge Kapital (in M)
Kapitalanteil (in %)
Peter Joseph Stollwerck
2.250.000
16,1
Heinrich Stollwerck
2.250.000
16,1
Ludwig Stollwerck
2.150.000
15,3
Carl Stollwerck
2.150.000
15,3
200.000
1,4
9.000.000275
64,2
1.050.000
7,5
Berliner Handels-Gesellschaft
950.000
6,8
S. Bleichröder
950.000
6,8
A. Schaaffhausen’scher Bankverein
500.000
3,6
Sal. Oppenheim jr. & Co.
300.000
2,1
von der Heydt-Kersten & Söhne
250.000
1,8
Bernhard Loose & Co.
250.000
1,8
250.000
1,8
333
Stammaktionäre
Gustav Stollwerck Gesamt Vorzugsaktionäre Darmstädter Bank
J. H. Stein Gebrüder Stollwerck
500.000276
3,6
Gesamt
5.000.000
35,8
Gesamt
14.000.000
100,0
Abb. 56: Anteilseignerstruktur der Gebrüder Stollwerck AG 1902
zungsreserve, solange dieselbe den Betrag von 1.000.000 Mark noch nicht erreicht hatte, 6) zur Zahlung von 7,5 Prozent Tantieme an den Aufsichtsrat, 7) zur Zahlung einer weiteren Dividende an die Stammaktionäre – nach Abzug der Gratifikation an Angestellte und einer eventuellen Zuweisung an die Pensions- und Unterstützungskasse des Unternehmens. Der Generalversammlung war freilich vorbehalten, den verbleibenden Rest für besondere Abschreibungen oder die Ansammlung eines besonderen Reservefonds zu verwenden. Siehe ebenda, Paragraph 34. 274 Sofern der verteilbare Reingewinn der Gesellschaft nicht ausreichte, um die Dividende von sechs Prozent zu zahlen, war der fehlende Betrag einer zu bildenden Dividendenreserve zu entnehmen. Siehe Satzung der Gebrüder Stollwerck AG, 1902, Paragraph 34, RWWA 208243-2; Gesellschaftsvertrag der Gebrüder Stollwerck AG vom 6. Juli 1902, Paragraphen vier und fünf, RWWA 208-395-5. 275 Von diesen 9.000 Stammaktien wurden 8.000 voll bezahlt, während auf jede der verbleibenden 1.000 Stammaktien mit 250 Mark nur ein Viertel auf jede Aktie eingezahlt wurde und der Rest von 750 Mark auf jede Aktie dann eingezahlt werden sollte, wenn der Aufsichtsrat mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gesellschaft weitere Einzahlungen beschloss. Peter Joseph und Heinrich Stollwerck deckten die von ihnen gezeichneten 1.200 Vorzugsaktien sowie 2.000 Stück Stammaktien voll, 250 Stammaktien dagegen mit einem Viertel. Ludwig und Karl Stollwerck deckten jeweils 1.250 Vorzugsaktien und 1.900 Stammaktien voll und 250 Stammaktien zu einem Viertel. Gustav Stollwerck deckte die von ihm gezeichneten 200 Stammaktien ganz. Siehe ebenda, Paragraph 34. 276 Von den 5.000 Vorzugsaktien übernahm jeder der vier Brüder 1.250. Siehe ebenda.
334
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Durch die Ausgabe der stimmrechtslosen Vorzugsaktien konnten die Gebrüder Stollwerck ihr Grundkapital erhöhen und den Finanzierungsspielraum erweitern, ohne den Einfluss der Familie auf das Geschäft aufzugeben. Die in Abb. 55 dargestellte innerfamiliäre Anteilsstruktur der Brüder an der Offenen Handelsgesellschaft Gebrüder Stollwerck änderte sich freilich. Zwar bestand auch in der neuen Unternehmensform noch immer eine Differenz zwischen der älteren und der jüngeren Brüdergruppe, doch während Peter Joseph und Heinrich am 1. Januar 1902 noch fast doppelt so viele Anteile am Unternehmen hielten wie Ludwig und Carl, war der Unterschied nach Gründung der Aktiengesellschaft nur noch marginal: Rechnet man die 200 Stammaktien von Gustav Stollwerck seinem Vater Peter Joseph zu, hielt der Familienstamm von Peter Joseph 1902 etwas mehr als ein Viertel des Stammaktienkapitals, der Stamm Heinrich hielt genau ein Viertel und die Stämme Ludwig und Carl hatten jeweils 100 Aktien weniger als ein Viertel übernommen. Bei der Umwandlung von der Offenen Handels- in eine Aktiengesellschaft traten die älteren Brüder demnach faktisch Unternehmensanteile an die jüngeren ab, was Ludwig und Carl zu Ausgleichszahlungen verpflichtete, die in einem „Privat-Vertrag“277 geregelt und auf der theoretischen Grundlage von Viertelparität berechnet wurden.278 Denn die Gebrüder Stollwerck waren grundsätzlich bestrebt, die ungleiche Verteilung der Unternehmensanteile zwischen den Familienstämmen perspektivisch aufzuheben und Viertelparität herzustellen. So räumte Peter Joseph seinen beiden jüngsten Brüdern vertraglich das Recht ein, von ihm jeweils 100 Stammaktien der Familienaktiengesellschaft zu erwerben. Von diesem Anrecht mussten Ludwig und Carl allerdings bis spätestens zum 30. Juni 1912 Gebrauch machen.279 Mit der möglichst gleichen Verteilung der Eigentumsanteile verfolgen Unternehmerfamilien zum einen das Ziel, Konflikte, etwa um die Gewinnpolitik der Firma, zu verhindern. Indem zum anderen alle Zweige der Unternehmerfamilie gleichmäßig am Geschäft beteiligt sind und möglichst 277 Siehe Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig und Carl Stollwerck, o. D., RWWW 208-464-1. 278 Die Forderungen und Schulden wurden so abgewickelt, dass jeder der beiden jüngeren Brüder jedem der beiden älteren Brüder einen bestimmten Betrag schuldete. Zunächst erfolgte eine kleinere Bereinigung durch Zahlungen an Heinrich, der von Peter Joseph (und Gustav) 4.743,84 Mark, von Ludwig 2.699,60 Mark und von Carl 962,10 Mark erhielt. Die finanziellen Restansprüche von Peter Joseph und Heinrich an ihre jüngeren Brüder beliefen sich nach diesen Ausgleichszahlungen auf 250.000 bzw. 600.000 Mark. Ludwig hatte an Peter Joseph 134.000 Mark und an Heinrich 331.000 Mark zu zahlen, Carl schuldete Peter Joseph 116.000 Mark und Heinrich 269.000 Mark. Ludwig hatte somit bei seinen beiden älteren Brüdern 465.000 Mark Schulden, Carl 385.000 Mark. Siehe ebenda. 1907 hatte Ludwig seine Schuld an Peter Joseph und Heinrich auf 155.500 Mark reduziert, Carl hatte den beiden ältesten Brüdern fünf Jahre nach der Umwandlung in die Aktiengesellschaft noch 226.000 Mark zu zahlen. Siehe Ludwig Stollwerck: Bericht über die Finanzlage von Gebr. Stollwerck A.-G. und ihr Verhältnis zu den Stamm-Aktionären, 9. Juli 1907, RWWA 208-149-8. 279 Siehe Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig und Carl Stollwerck, o. D., RWWA 208-464-1. Bis 1907 hatten Ludwig und Carl von diesem Recht noch keinen Gebrauch gemacht. Siehe Ludwig Stollwerck: Bericht über die Finanzlage von Gebr. Stollwerck A.-G. und ihr Verhältnis zu den Stamm-Aktionären, 9. Juli 1907, RWWA 208-149-8.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
335
auch eingebunden werden, lassen sich langfristig das Gefühl, nicht vollständig integriert zu sein, und daraus resultierende Entfremdungserscheinungen wenn auch nicht gänzlich abwenden, so doch minimieren.280 Die Vorzugsaktien wurden 1904 von den aufgeführten Banken zum festen Kurs von 104 Prozent übernommen.281 Bis zum Zeitpunkt der Ausgabe aber wurden die Aktien den Gebrüdern Stollwerck lombardmäßig zu 4,5 Prozent beliehen und stellten damit einen festen Kredit der Banken dar.282 Über das garantierte Vorrecht hinaus nahmen die Vorzugsaktien nicht an den Erträgen der Gesellschaft teil; es handelte sich nicht um Schuldverschreibungen, sondern um unkündbare Geschäftsanteile, die von den Inhabern verkauft werden konnten. Die Gebrüder Stollwerck AG erhielt indes das Recht, diese Vorzugsaktien ab dem 1. Januar 1912 jederzeit ganz oder teilweise mit einjähriger Kündigungsfrist und 120 Prozent ihres Nominalbetrags zurückzuzahlen. Für diese Rückzahlung durfte die Dividendenreserve verwendet werden.283 Ludwig Stollwerck war schon zu Beginn
280 Siehe auch Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 91, 97 ff. 281 Siehe Syndikatsbestimmungen betreffend nom. Mk. 4.500.000 Vorzugsaktien der Gebr. Stollwerck Aktiengesellschaft, HBO K-Kons/728, Bd. 1. Die Übernahme der Vorzugsaktien durch die Banken war an Bedingungen geknüpft. Die wichtigste Kondition war, dass die Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1902 und 1903 eine Dividende von wenigstens sechs Prozent auf das gesamte Aktienkapital verteilen musste. Siehe A. Schaaffhausen’scher Bankverein an Bernhard Loose & Co. am 10. März 1902, HADB K02/1596; Protokoll über die Konsortialsitzung betreffend Gebrüder Stollwerck Vorzugsaktien im Gebäude der Bank für Handel und Industrie, 7. Juni 1904, HBO K-Kons/728, Bd. 1. 282 Die Banken gewährten den Gebrüdern Stollwerck auf die fünf Millionen Mark Vorzugsaktien einen Kredit, der bis Juli 1904 durchschnittlich nur 4,5 Prozent kostete, wogegen die Gebrüder Stollwerck bis zur Ausgabe der Vorzugsaktien an die Öffentlichkeit die sechs Prozent Zinsen der Aktien selbst bezogen. Der Extragewinn bezifferte sich laut Ludwig Stollwerck auf 202.500 Mark. Im Frühjahr 1904 übernahmen die Banken die 4,5 Millionen Mark Vorzugsaktien von der Firma zum Kurs von 104 Prozent, zahlten somit 180.000 Mark Aufgeld auf die 4,5 Millionen. Der Gewinn, der beim Verkauf der Aktien an der Börse über den Kurs von 104 Prozent hinaus von den Banken erzielt wurde, ging bis zu 110 Prozent, also zu sechs Prozent an das Bankenkonsortium. Was über 110 Prozent hinaus erzielt wurde, ging je zur Hälfte an die Inhaber der Firma Gebrüder Stollwerck und an das Bankenkonsortium. Dafür hatten die Gebrüder Stollwerck aber alle Unkosten zu bezahlen, die sich auf 367.300 Mark beliefen. Ihnen blieb letztlich ein Überschuss von 40.813 Mark. Als die Vorzugsaktien im Juli 1904 zum Kurs von 115 Prozent an der Berliner und Kölner Börse eingeführt wurden, wurde der Betrag von 4,5 Millionen zehnmal überzeichnet. Siehe Ludwig Stollwerck: Ueber die Entwicklung der Aktien-Gesellschaft, 1906, RWWA 208-464-1; Ludwig Stollwerck an Robert Baelz am 5. Juli 1902, RWWA 208-242-1; Bericht des Bankhauses Oppenheim über die Gründung der Gebrüder Stollwerck AG. o. A.: Gebr. Stollwerck A.G./Gründung (1902), o. D., HBO A XV/232; A. Schaaffhausen’scher Bankverein an die Gebrüder Stollwerck am 19. Juli 1902, HADB K02/1267. Siehe ferner die weitere Korrespondenz, die in dieser Akte zur Umwandlung der Stollwerck’schen Unternehmung in eine Aktiengesellschaft überliefert ist. Siehe auch die Korrespondenz in HADB K02/1596. 283 Siehe Satzung der Gebrüder Stollwerck AG, 1902, Paragraph fünf, RWWA 208-243-2; Gesellschaftsvertrag der Gebrüder Stollwerck AG vom 6. Juli 1902, Paragraph fünf, RWWA 208-395-5.
336
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
der Verhandlungen mit den Berliner Bankiers darauf bedacht, diese Option in der Satzung festzuschreiben und begründete sein Ansinnen wie folgt: „Privat aufkaufen an der Börse können wir solche Actien immer, dazu brauchen wir ja nichts in den Statuten zu sagen und keine Pflichten den Vorzugsactien aufzuerlegen. Aber wollen wir einmal sagen, dass die Stammactionäre – was die Familie Stollwerck hier ist – das Geschäft wieder allein haben wollen, indem sie durch Erbschaft oder das grosse Los in einer Lotterie oder aus sonstigen Ursachen viel Geld haben, dann können sie das ganze Geschäft auf diese Weise zurückerwerben. […] Kurzum es ist ein Mittel, um auf die verschiedenste Weise wieder Herr der Sache zu werden.“284
Der Familie stand demnach zum einen der Gewinn aller Stammaktien zu, zum anderen besaß sie neben den Stamm- auch einen Teil der Vorzugsaktien und hatte damit eine Kapitalmajorität von rund zwei Dritteln, und ferner verfügte sie über die Option, die Vorzugsaktien nach Ablauf von zehn Jahren zurückzuzahlen. Ludwig Stollwerck als spiritus rector des Projekts hatte damit sein zentrales Ziel erreicht: dass die Stollwerck-Brüder „Herren und Meister unseres Geschäftes bleiben und nach wie vor auch die Früchte unserer früheren und späteren Arbeit geniessen“285. Mit dieser Aussage brachte er zugleich das unternehmerische Selbstverständnis der Brüder auf den Punkt. Sie wollten nicht nur über die Unternehmensleitung die Entwicklung des Familiengeschäfts bestimmen, sondern auch über die Stimmrechte Einfluss ausüben. Leitungsstruktur der Gebrüder Stollwerck AG Dass die Gebrüder Stollwerck „nach wie vor die alleinigen Herren der Lage“ waren und „ganz unabhängig in der alten Selbstständigkeit […] wirtschaften“286 konnten, spiegelt sich auch in der Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat. Das Führungsgremium der Gebrüder Stollwerck AG bestand mit Ludwig, Carl und Gustav287 Stollwerck ausschließlich aus Familienmitgliedern – die Familie 284 Ludwig Stollwerck an Robert Baelz am 30. Januar 1902, RWWA 208-253-1. 285 Ludwig Stollwerck an Barthel Roth am 14. März 1902, RWWA 208-241-7. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Anton Reiche am 18. März 1902, RWWA 208-241-7. 286 Ludwig Stollwerck an die Eheleute Franz Fehr-Flach am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. Ludwig Stollwerck jubilierte angesichts dieser Tatsache, die Brüder könnten auch fortan „thun und lassen was wir wollen“. Ebenda. Auch für die leitenden Angestellten sollte sich nichts ändern. Ludwig Stollwerck informierte sie wie folgt: „Wir haben, wie Ihnen früher schon mitgeteilt wurde, die Form einer Actien Gesellschaft mit Vorzugs-Actien gewählt; diese Vorzugs-Actien erhalten maximal nur 6% Dividende und da die Supergewinne der Unternehmungen zu Gunsten der in unserer Familie verbleibenden Stamm-Actien fällt, so wird das Interesse wie der Verkehr zwischen den bisherigen Chefs und deren Beamten Alles im alten Fahrwasser bleiben.“ Protokoll der am 27. März 1902 im Bibliothekszimmer des Stollwerck’schen Erholungshauses stattgefundenen Conferenz, 27. März 1902, RWWA 208-1954. 287 Gustav durfte freilich nur in Gemeinschaft mit einem Prokuristen für die Firma zeichnen. Siehe Gebrüder Stollwerck an die Reichsbankhauptstelle am 18. Juli 1902, RWWA 208-2421.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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füllte damit auch weiterhin die Unternehmerfunktion aus. Der Aufsichtsrat sollte sich aus sieben – fünf von der Familie und zwei von den Banken zu benennenden – Mitgliedern zusammensetzen. Die Anzahl der Bankenvertreter war mit nicht einmal einem Drittel sehr gering und hatte für die Gebrüder Stollwerck den Vorteil, dass sie überwiegend Vertrauenspersonen berufen konnten, die die Interessen der Familie wahrten. Neben Peter Joseph und Heinrich war dies „aus alt bewährter Anhänglichkeit“288 zum einen ihr langjähriger juristischer Berater Emil Schniewind, zum anderen wählten die Brüder Lazar von Lippa (1862–1935), den zweiten Ehemann von Maria Theresia, der ältesten Tochter ihres verstorbenen Bruders Albert Nikolaus (I), in den Aufsichtsrat. Die Besetzung der zwei Bankenposten barg angesichts der Vielzahl der am Konsortium beteiligten Kreditinstitute allerdings ein gewisses Konfliktpotenzial. Insbesondere mit den Kölner Bankhäusern Oppenheim und Stein kam es zu Unstimmigkeiten. Beide Institute hatten es zum einen wie geschildert ursprünglich rundweg abgelehnt, sich an der Umwandlung der Stollwerck’schen Unternehmung in eine Vorzugs-Aktiengesellschaft zu beteiligen, zum anderen hatten sie auch in den Gesprächen mit den dann federführenden Berliner Banken davon Abstand genommen, „mit einem grösseren Betrage in die Reihe der emittierenden Banken und in den Aufsichtsrat zu treten“289. Als es indes Ende Februar 1902 darum ging, den Konsortialvertrag zu schließen und die Aufsichtsratsposten der neuen Gesellschaft zu verteilen, wurde Oppenheim und Stein bewusst, dass ihnen durch die zunächst ablehnende, dann zögerliche Haltung ein lukratives Geschäft entgangen war. Mit der projektierten Übernahme von 300.000 bzw. 250.000 Mark Vorzugsaktien stand man nominell nicht nur hinter den Berliner Kreditinstituten zurück, sondern auch hinter dem ebenfalls in Köln ansässigen Schaaffhausen’schen Bankverein, der in den Verhandlungen mit der Darmstädter Bank schneller als Oppenheim und Stein von seiner ursprünglich passiven Haltung abgerückt war, die Beteiligung am Konsortium zugesagt und sich zudem ein Aufsichtsratsmandat gesichert hatte.290 Dernburg selbst hatte gegenüber dem Bankverein erklärt, dass falls Schaaffhausen dem Bankhaus von der Heydt-Kersten & Söhne eine Unterbeteiligung anbieten werde, „sodass das Consortium selbst diese Firma nicht wegen einer Unterbeteiligung begrüssen müsse, dem Bankverein eine […] Beteiligung in Höhe von 1 Million Mark überlassen werden würde, und dass er dafür eintrete, dass bei der Besetzung des Aufsichtsrats ein Mitglied des 288 Ludwig Stollwerck an die Eheleute Franz Fehr-Flach am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. Siehe auch Gebrüder Stollwerck an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein am 4. März 1902, HADB K02/1596. 289 Gebrüder Stollwerck an Sal. Oppenheim jr. & Co. am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. Siehe auch Gebrüder Stollwerck an J. H. Stein am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. 290 Siehe ebenda. Noch am 24. Februar 1902 hatte der Bankverein eine Beteiligung an der Umwandlung des Stollwerck’schen Unternehmens abgelehnt. Siehe Heinrich Schröder an Peter Joseph Stollwerck am 24. Februar 1902, HADB K02/1596; A. Schaaffhausen’scher Bankverein an die Gebrüder Stollwerck am 27. Juni 1902, HADB K02/0298; A. Schaaffhausen’scher Bankverein Berlin an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein Köln am 27. Februar 1902, HADB K02/1596. Ein Aufsichtsratsposten wurde hier als „erwünscht“ bezeichnet.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck Bankvereins in den Aufsichtsrat gewählt werde, wobei er sich dafür stark machen würde, dass, wenn dies nicht zu erreichen sei, auch kein anderer Kölner Bankier in den Aufsichtsrat kommen dürfe“291.
Um zumindest noch einen strategischen Teilerfolg zu erringen, strebten Oppenheim und Stein nun ebenfalls einen Aufsichtsratsposten bei der Stollwerck AG an, zumal ihnen von der Darmstädter Bank signalisiert worden war, dass „noch für den einen oder anderen der beteiligten Bankfreunde eine Stelle im Aufsichtsrat freigemacht werden könnte“. Oppenheim verfolgte dieses Ziel in der Folge freilich deutlich offensiver bzw. aggressiver als das Bankhaus Stein. Der Schaaffhausen’sche Bankverein bemerkte gegenüber der Berliner Niederlassung noch verhältnismäßig diplomatisch, dass sich Albert von Oppenheim „sehr bemühe, diese Stelle zu erhalten“292. Nachdem der zunächst bei Dernburg vorgebrachte Wunsch, dem Bankhaus ein Mandat im Aufsichtsrat der neuen Gesellschaft zuzuteilen, zurückgewiesen worden war,293 verlegte sich Oppenheim darauf, die Beteiligung am Konsortium an die Bedingung eines Aufsichtsratspostens zu knüpfen, wollte man doch hinter anderen Kölner Banken nicht zurückstehen: „In Verfolg unserer mehrfachen telephonischen Unterhaltungen erklären wir uns bereit, die uns gütigst offerirte Beteiligung von nom. M. 300.000.- Vorzugsaktien im Stollwerck’schen Consortium zu Originalbedingungen anzunehmen, indem wir hieran die Bedingung knüpfen, dass, sofern ein Kölner Bankier in den Aufsichtsrat der neuen Gesellschaft berufen wird, auch ein Mitglied unseres Hauses einen Sitz im Aufsichtsrate erhalten soll. Wir glauben, dass es Ihrem grossen Einflusse unschwer gelingen wird, die vorstehende Bedingung, deren Bedeutung Sie für uns, als Kölner Haus, wohl verstehen werden, bei den Herren Gebr. Stollwerck durchzusetzen. Sollten wider Erwarten Ihre freundlichen Bemühungen nach dieser Richtung, für die wir Ihnen im Voraus verbindlichst danken, fruchtlos bleiben, so würden wir uns zu unserem lebhaften Bedauern veranlasst sehen, von einer Beteiligung an diesem Geschäfte ganz abzusehen.“294
Die dieser Kondition folgenden Verhandlungen lassen sich wegen der wenig umfangreichen Überlieferung nur noch lückenhaft rekonstruieren. Die Quellen deuten aber darauf hin, dass Oppenheim kein Mittel scheute, ein Aufsichtsratsmandat zu erlangen, und folgender Verlauf wahrscheinlich ist, auch wenn er von dem 291 A. Schaaffhausen’scher Bankverein Berlin an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein Köln am 25. Februar 1902, HADB K02/1596. 292 Die letzten Zitate aus ebenda. 293 „In Verfolg Ihrer neuerlichen Mittheilung erklären wir uns bereit dem Stollwerck’schen Uebernahme Consortium mit Mk. 300.000 […] Actien zu Original Bedingungen beizutreten […]. Sollten im Aufsichtsrath Cölner Firmen erbeten sein, so wünschen wir für uns auch eine Aufsichtsrath-Stelle.“ Sal. Oppenheim jr. & Co. an Bernhard Dernburg am 24. Februar 1902, HBO K-Kons/728, Bd. 1. „Die Zusage einer Aufsichtsrathsstelle kann ich leider nicht machen, da die Bank J. H. S. einen & die Berl. H. Ges. & S. Bl. gemeinsam einen 2ten Vertreter zu ernennen haben. […] Ich werde von allen Seiten um Betheiligungen in der Sache auch hier in Cöln gedrängt, muß daher höfl. bitten, mir Ihre Enthscheidung noch heute mittheilen zu wollen.“ Bernhard Dernburg an Sal. Oppenheim jr. & Co. am 24. Februar 1902, HBO K-Kons/728, Bd. 1 294 Sal. Oppenheim jr. & Co. an Bernhard Dernburg am 25. Februar 1902, HBO K-Kons/728, Bd. 1.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Bankhaus im Nachhinein bestritten wurde.295 Emil von Oppenheim (1862–1956) äußerte in Gesprächen mit Bernhard Dernburg und Ludwig Stollwerck, dass das Bankhaus J. H. Stein im Unterschied zu Oppenheim gar kein Interesse daran habe, dem Gremium beizutreten. Die Gebrüder Stollwerck boten Oppenheim daraufhin an, einen achten Aufsichtsratsposten einzurichten.296 Sie zogen diese Offerte jedoch wieder zurück, als nach einem Gespräch mit den Vertretern von J. H. Stein klar wurde, dass die Behauptung von Oppenheim nicht zutraf, Stein im Gegenteil wünschte, „wenn einer uns. hiesigen Banquiers neben dem A. Schaaffhausen Bank-Verein in den Aufsichtsrath käme, – Ihnen doch wohl als unsere erste und langjährigste Bank-Verbindung der Vorzug eingeräumt werden würde“297. Einen weiteren Kölner Bankier im Aufsichtsrat betrachtete das Bankhaus Stein als „Unfreundlichkeit“298. Zwar zögerte Oppenheim die Entscheidung, auch unabhängig von einem Aufsichtsratsmandat Vorzugsaktien der Gebrüder Stollwerck AG zu übernehmen, noch einige Tage hinaus, doch letztlich musste die Beteiligung an dem großen Kölner Unternehmen dem Bankhaus wichtiger erscheinen, als aus gekränkter Eitelkeit das Geschäft einem anderen Kreditinstitut zu überlassen – zumal Dernburg „von allen Seiten um Betheiligungen in der Sache […] gedrängt“299 wurde. Die Besetzung des Aufsichtsrats wurde letztlich auf der Grundlage eines Vertrags zwischen Stollwerck und der Darmstädter Bank geregelt, der sowohl Oppenheim als auch dem Bankhaus Stein zum Nachteil gereichte.300 Die Gebrüder 295 Siehe Sal. Oppenheim jr. & Co. an die Gebrüder Stollwerck am 28. Februar 1902, HBO KKons/728, Bd. 1. 296 Siehe Sal. Oppenheim jr. & Co. an die Darmstädter Bank für Handel und Industrie, o. D., HBO K-Kons/728, Bd. 1; Gebrüder Stollwerck Sal. Oppenheim jr. & Co. am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. 297 Gebrüder Stollwerck an Sal. Oppenheim jr. & Co. am 28. Februar 1902, HBO K-Kons/728, Bd. 1. 298 Gebrüder Stollwerck an Sal. Oppenheim jr. & Co. am 4. März 1902, RWWA 208-241-7. 299 Bernhard Dernburg an Sal. Oppenheim jr. & Co. am 24. Februar 1902, HBO K-Kons/728, Bd. 1. Siehe z. B. die Anfrage der Westfälisch-Lippischen Vereinsbank an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein, ob eine Unterbeteiligung möglich sei. Westfälisch-Lippische Vereinsbank an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein am 4. März 1902, HADB K02/1267. Das Bankhaus Oppenheim begründete die Entscheidung, sich auch ohne Aufsichtsratsmandat an der Gebrüder Stollwerck AG zu beteiligen, wie folgt: „Im Besitze Ihrer geehrten Zuschrift vom heutigen Tage wollen wir in Anbetracht unserer langjährigen, angenehmen Geschäftsverbindung, trotzdem Sie Ihre Zusage uns eine Aufsichtsratsstelle in Ihrer neuen Aktiengesellschaft zu gewähren, zurückziehen, die uns von der Darmstädter Bank angetragene Beteiligung acceptiren. Wir hoffen, dass Sie uns für den uns entgangenen Aufsichtsratsposten durch eine noch lebhaftere Geschäftsverbindung mit uns als bisher entschädigen werden, und nehmen gerne Ihr Anerbieten an, dass unsere Firma die Emission als direkt beteiligte Bank mitzeichne.“ Sal. Oppenheim jr. & Co. an die Gebrüder Stollwerck am 4. März 1902, HBO K-Kons/728, Bd. 1. 300 Möglicherweise ist in dieser Auseinandersetzung auch ein Grund zu suchen, warum Louis Hagen, dessen Bankhaus A. Levy mit Oppenheim zusammenarbeitete, 1912 die Kandidatur Ludwig Stollwercks für die Vollversammlung der Kölner Handelskammer nicht unterstützte. Siehe ausführlich Kapitel III.C.2.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Stollwerck verpflichteten sich, bis zur Übernahme der Vorzugsaktien durch die Banken bzw. bis zum Ende der Übernahmepflicht „zwei von der Bank ihnen bezeichnete Personen in den Aufsichtsrat zu wählen“. Die Bank sicherte Stollwerck aber umgekehrt zu, solange die Banken die Vorzugsaktien nicht übernommen hätten, „nur den Herren Stollwerck genehme Personen zu bezeichnen und auch nach der Uebernahme ihren Einfluss geltend [zu] machen, dass nur den Herren Stollwerck genehme Personen von den Vorzugs-Aktionären in den Aufsichtsrath gewählt werden“. Als genehm galten „ohne Weiteres“301 Vorstandsmitglieder der Darmstädter Bank, des Bankhauses Bleichröder, der Berliner HandelsGesellschaft und des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins – an dieser Präferenz änderte sich bis zum Ende des Untersuchungszeitraums 1932 nichts (siehe Abb. 57).302 Als Vertreter der emittierenden Banken gehörten dem ersten Aufsichtsrat der Gebrüder Stollwerck AG schließlich Bernhard Dernburg, Heinrich Schröder (1845–1912) (A. Schaaffhausen’scher Bankverein) und Albert Simon an. Den Vorsitz des Gremiums übernahm Peter Joseph als Senior der Familie, Heinrich Stollwerck wurde stellvertretender Vorsitzender.303 301 Die letzten Zitate aus Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig und Carl Stollwerck und der Darmstädter Bank für Handel und Industrie vom 22. April 1902, RWWA 208-464-1. 302 Vertreter des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins nahmen 1913 78 Aufsichtsratssitze in 60 Industrieunternehmen wahr, die Berliner Handels-Gesellschaft entsandte 74 Vertreter in die Aufsichtsräte von 56 Gesellschaften und die Darmstädter Bank für Handel und Industrie hatte 63 Mandate, die sich auf 59 Unternehmen verteilten. Siehe Born: Geld und Banken, S. 325. 303 Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft wurde von einer Büro-Reform begleitet, die Ludwig Stollwerck bereits seit 1896 angestrebt hatte. Siehe die Ausführungen Ludwig Stollwercks vom Herbst 1896, RWWA 208-272-3. Er betrachtete es als seine „halbe Lebensaufgabe“, in dem „wenig übersichtlichen Geschäfte“ eine zuverlässige und übersichtliche Organisation zu schaffen. Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 29. Oktober 1904, RWWA 208-160-1. 1902 folgte die lange geplante Neuorganisation, für die Ludwig Stollwerck nicht nur die leitenden Angestellten um Vorschläge gebeten, sondern für die er auch in Amerika und England Anregungen gesammelt hatte. Die Kernziele bestanden darin, alle Verwaltungsarbeiten schneller und zuverlässiger zu erledigen, die Verwaltung straffer und transparenter zu gestalten und so letztlich Kosten zu sparen. Als Prinzip rief Ludwig Stollwerck aus: „Mit allem täglich bei zu sein!“ Ludwig Stollwerck an die Abteilungsvorsteher und Herrn Schafgan am 11. Juli 1904, RWWA 208-272-3. Die Fabrikate wurden in zehn Gruppen eingeteilt, die Verkaufsabteilung wurde in sieben Unterabteilungen untergliedert. Ferner wurden eine Einkaufs-, eine Export und eine Werbeabteilung gebildet. Die Buchhaltung wurde auf das Kartensystem umgestellt, es wurden monatliche Abschlüsse und Quartalsbilanzen erstellt und die Gesamtbilanz sollte fortan innerhalb von vier bis sechs Wochen statt wie bisher innerhalb von fünf bis acht Monaten vorliegen. Seit 1903 wurde die neue Organisation auch auf die Zweighäuser übertragen. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 562 ff.; Ludwig Stollwerck an Paul Mamroth am 16. Januar 1904, RWWA 208-272-3; Ludwig Stollwerck: Geschäftsabwicklung der 7 Abteilungen der Haupt-Centrale Köln, 6. Juli 1903, RWWA 208-484-1. Die Bilanz der Gebrüder Stollwerck fiel durchaus positiv aus. Der ursprünglich skeptische Peter Joseph resümierte, dass die Reform, nachdem man sich eingewöhnt habe, „eine grosse Erleichterung und namentlich eine sehr vereinfachte Uebersicht“ biete. Peter Joseph Stollwerck an Gustav Burbach am 5. Februar 1904, RWWA 208-206-9.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
Aufsichtsratsmitglieder
Zeitraum
Jean Andreae jr. (Darmstädter Bank für Handel und Industrie)
1915–1921
Josef A. Bollig
1915–1928/29
Bernhard Dernburg (Darmstädter Bank für Handel und Industrie)
1902–1905
Wilhelm Farwick (A. Schaaffhausen’scher Bankverein)
1911–1916
Emil Heimerdinger
1913–1930/31
Karl
Kimmich304
(Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft)
341
1929/30–1937/38
Hermann Marks (Darmstädter Bank für Handel und Industrie)
1906–1914
Richard Roderbourg
1906–1917
Emil Schniewind
1902– 1932
Heinrich Schröder (A. Schaaffhausen’scher Bankverein)
1902–1910
Albert Simon (Bankgeschäft Albert Simon & Cie.305)
1902–1906
Georg Solmssen (Disconto-Gesellschaft306)
1917–1931
Gustav Stollwerck
1925/26–1930/31
Heinrich Stollwerck
1902–1914
Peter Joseph Stollwerck
1902–1906
Richard Stollwerck
1931/32–1953
Max Mueller (Geheimer Kommerzienrat, Köln)
1918–1922/23
Lazar von Lippa
1902–1905
Georg von Simson (Darmstädter und Nationalbank307)
1921/22–1937/38
Abb. 57: Aufsichtsratsmitglieder der Gebrüder Stollwerck AG 1902–1932
304 Karl Kimmich war seit 1921 ordentliches Vorstandsmitglied des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins, schied aber im Zuge der Verschmelzung des Bankvereins mit der DiscontoGesellschaft und der Deutschen Bank 1929 aus dem Gremium aus. Das Kreditinstitut übertrug ihm aber weiterhin Sonderaufgaben, so u. a. Ende der 1920er Jahre die Sanierung der Gebrüder Stollwerck AG. Siehe ausführlich Kapitel IV.A.3. 305 Das Bankgeschäft Albert Simon & Cie. ging 1907 im Barmer Bank-Verein auf. Siehe Krause: Der Barmer Bank-Verein, S. 25. 306 Die 1851/56 gegründete Disconto-Gesellschaft übernahm 1914 den A. Schaffhausen’schen Bankverein, der bis 1929 formal selbständig blieb. 1929 fusionierte die DiscontoGesellschaft mit der Deutschen Bank, der Rheinischen Creditbank und dem A. Schaaffhausen’schen Bankverein zur Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft. Siehe Born: Geld und Banken, S. 119, 154 ff., 164–167, 458–461. 307 Die Darmstädter Bank für Handel und Industrie fusionierte 1922 mit der Nationalbank für Deutschland zur Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank). Siehe ebenda, S. 456 ff.
342
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Privatvertragliche Reglements zum Nachfolgeprozess in der Unternehmensführung Um unabhängig von den Vereinbarungen mit den Banken ein einheitliches Handeln der im Unternehmen tätigen Familienmitglieder zu gewährleisten und unternehmerische Fragen möglichst umfassend von familiären Streitigkeiten zu lösen, schlossen die vier Brüder und Gustav Stollwerck zudem einen „Privat-Vertrag“, in dem auch der im Gesellschaftsvertrag ausgesparte Nachfolgeprozess einen rechtlichen Rahmen erhielt. Paragraph eins des Kontrakts regelte zunächst die Aufgabenverteilung der Vertragspartner und die Verteilung ihrer Bezüge. Ludwig, Carl und Gustav bildeten wie beschrieben den Vorstand der Familiengesellschaft, Peter Joseph und Heinrich gehörten dem Aufsichtsrat an, erklärten aber, „nach wie vor ihre ganze Arbeitskraft dem Unternehmen widmen“308 zu wollen. Die Bezüge der fünf Vertragspartner sollten „als ein Ganzes betrachtet“ und unabhängig von der Zugehörigkeit zum Vorstand oder Aufsichtsrat aufgeteilt werden. Dies zeigt noch einmal deutlich, dass die Familie Stollwerck ihr Geschäft als Familienunternehmen verstand, nicht aus der Perspektive der Akteure bzw. der einzelnen Familienstämme, sondern aus der Sicht des Unternehmens als Ganzes dachte. Die Bezüge und damit auch die innerfamiliären Stimmrechte wurden nicht nach dem persönlichen Aufwand der Vorstandsmitglieder festgelegt, sondern festen Regeln unterworfen, um Verteilungskämpfe zu verhindern. Analog zum Gesellschaftsvertrag von 1893 sollten diejenigen, die das 40. Lebensjahr vollendet hatten, doppelt so viel erhalten wie diejenigen, die noch keine 40 Jahre alt waren. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bedeutete dies, dass die vier Brüder jeweils zwei Neuntel erhielten, Gustav Stollwerck stand ein Neuntel zu. Diese Grundsätze sollten gemäß den Paragraphen zwei und drei auch dann gültig bleiben, wenn zum einen weitere Söhne in den Vorstand des Familienunternehmens eintraten,309 zum anderen Ludwig und Carl in den Aufsichtsrat wechselten. Eine Änderung sollte nur dann erfolgen, wenn entweder Peter Joseph oder Heinrich oder beide Brüder aus dem Aufsichtsrat ausschieden. Im ersten Fall sollten die Grundsätze für den ausscheidenden Bruder nicht mehr, für alle übrigen Vertragspartner aber weiterhin gelten.310 Im zweiten Fall waren die Vorstandsmitglieder und eventuell die neuen Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet, nach folgender Maßgabe zu Gunsten der Gesellschaft auf einen Teil dieser Bezüge zu verzichten: Die über 40jährigen sollten nicht mehr als 60.000 Mark, die unter 40jährigen nicht mehr als 30.000 Mark als Gehalt und Tantieme beziehen. Die skizzierten Regelungen geben einen ersten Hinweis darauf, dass den Gebrüdern Stollwerck die Planung der Unternehmernachfolge schwer fiel. Sie defi308 Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig, Carl und Gustav Stollwerck, Juli 1902, RWWA 208-242-1. 309 Ein Sohn konnte nur dann in den Vorstand gewählt werden, wenn er sich vorher dem „Privat-Vertrag“ unterwarf. Siehe ebenda, Paragraph drei. 310 Diese Bestimmung galt auch für den Fall, dass Peter Joseph oder Heinrich zwar im Aufsichtsrat verblieben, ihm aber nicht mehr ihre volle Arbeitskraft widmeten. Siehe ebenda, Paragraph vier.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
343
nierten zwar die Umverteilung der Bezüge für den Fall eines Rückzugs aus der Führungsverantwortung, versäumten es aber wie ihr Vater, einen genauen Zeitpunkt zu definieren, wann sie aus dem Unternehmen ausscheiden wollten. Vielmehr erinnert die Formulierung „aus dem Aufsichtsrate ausscheidet oder zwar noch in demselben bleibt aber thatsächlich seine volle Kraft demselben nicht mehr widmet“311 an die bereits von Franz Stollwerck eine Generation zuvor praktizierte Rückzugsverweigerung. Es deutete sich damit bereits 1902 eine erneute lange Phase gemeinschaftlicher Unternehmensführung von älterer und jüngerer Generation an. Im Idealfall bedeutete dies, dass die Nachfolger langsam an die unternehmerische Verantwortung herangeführt wurden, realiter war freilich zu befürchten, dass auch der zweite Generationenwechsel von ungelösten Rivalitäten und – angesichts der Vielzahl prospektiver Nachfolger – Kompetenzstreitigkeiten geprägt werden würde. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die weiteren privatvertraglichen Bestimmungen zur Unternehmernachfolge zwar programmatischer Natur waren, aber nur wenige konkrete Eckdaten beinhalteten. So legten es die Gebrüder Stollwerck ihren Erben als „ernste Pflicht“ auf, das von den Vorfahren aufgebaute Unternehmen, in das diese „die ganzen Kräfte ihres Lebens“ gesteckt hatten, nicht nur zu bewahren, sondern „in gesunder Weise“ auszubauen und zu modernisieren. Ihre Söhne und Neffen sollten dieses Ziel „in harmonischer Weise“ gemeinsam verfolgen, familiäre Streitigkeiten vermeiden und Meinungsverschiedenheiten durch „ruhige Aussprache“ ausräumen. Ferner sollten ihre Erben „in gewissenhaftester Weise“312 dafür sorgen, dass diejenigen Nachfahren, die in den Vorstand der Familiengesellschaft eintreten wollten und über eine adäquate kaufmännische oder technische Vorbildung verfügten, als Mitglieder berufen wurden. Voraussetzung war freilich, dass es keine charakterlichen Vorbehalte gegen die Betreffenden gab und man davon ausgehen konnte, dass sie sich ebenfalls dem Ideal einer harmonischen Zusammenarbeit verpflichtet fühlten. Grundsätzlich sollte den Nachfahren aber erst nach vollendetem 30. Lebensjahr das Recht zustehen, Vorstandsmitglied zu werden. Zuvor mussten sie zudem mindestens zwei Jahre im Unternehmen gearbeitet haben, Prokura konnte ihnen bereits vom 27. Lebensjahr an erteilt werden. Die Gebrüder Stollwerck orientierten sich mit diesen Vorgaben an dem Konzept einer schrittweisen Unternehmensweitergabe – wie es auch ihr Vater projektiert hatte und das bereits eine Generation zuvor beinahe gescheitert wäre. Die Söhne sollten zunächst eine zielgerichtete Ausbildung durchlaufen, in deren Rahmen die Väter bereits ihre Neigung und Eignung, das Familienunternehmen weiterzuführen, prüfen konnten. Anschließend sollten sie sich im Geschäft bewähren, bevor sie in den Vorstand aufgenommen und am Stammkapital beteiligt werden konnten.313 Entsprechend der charakteristischen Denkmuster von Eigentümerunternehmern verbanden die Gebrüder Stollwerck den Nachfolgeprozess aber nicht nur mit 311 Ebenda. 312 Die letzten Zitate aus ebenda, Paragraph acht. 313 Siehe ebenda.
344
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
der Erwartung, dass die Söhne in die Unternehmensleitung eintraten und das Familiengeschäft weiterführten, sondern auch mit der Weitergabe der Eigentumsrechte an die Nachfahren. Um den Charakter als Familienunternehmen in Leitung und Eigentum zu wahren, formulierten sie daher hinsichtlich des Verkaufs von Aktien weitreichende Restriktionen, die freilich sowohl für die Kontrahenten als auch für ihre Erben nur bis zum 31. Dezember 1922 gültig sein sollten – „vorbehaltlich einer anzustrebenden Verlängerung dieser Vereinbarung“314. Anteile, die veräußert werden sollten, mussten zunächst innerhalb der Familie angeboten werden. Erst wenn – in dieser Reihenfolge – die als Stammaktionäre eingetragenen eigenen Geschwister bzw. nach deren Tod ihre Nachkommen und die Vertragspartner von 1902 bzw. deren Nachkommen das Vorkaufsrecht nicht in Anspruch genommen hatten, durften die Anteile familienfremden Dritten überlassen werden. Diese für Familienunternehmen typischen Bestimmungen sollten zum einen stabile und beständige Eigentumsverhältnisse gewährleisten, zum anderen garantieren, dass finanzielle Interessen oder Notlagen einzelner Gesellschafter nicht zu Lasten des Familienunternehmens gingen.315 Um die Bedeutung solcher formgebundenen Regeln zu stärken, wurde die Maßgabe, die Eigentumsrechte am Unternehmen in Familienhand zu halten, auch an symbolischer Stelle wiederholt: in den Testamenten.316 Der Generationenwechsel in der Unternehmensführung in der Realität Mit diesen Bestimmungen war der rechtliche Rahmen, der idealtypische Fall abgesteckt, in dem sich die Unternehmernachfolge bewegen sollte. Die formalen Vorgaben berücksichtigten freilich primär die Interessen des Unternehmens bzw. waren von dem elementaren Interesse geleitet, die Unternehmenskontinuität zu sichern. Die individuellen Bedürfnisse der Familienmitglieder blieben außen vor. Die Biographien von Albert Nikolaus (II) und Heinrich Victor haben aber bereits gezeigt, dass sich der Generationenwechsel nicht allein familiären Wünschen und rechtlichen Regelungen unterwerfen lässt, sondern immer auch informelle Kategorien und weiche Kriterien, d. h. Sympathie und Antipathie, Fürsorge, Liebe und Loyalität eine Rolle spielen. Auch für die übrigen potenziellen Nachfolger der dritten StollwerckGeneration zeichnen die Quellen ein eindrückliches Bild von Spannungen und Konflikten, die der Generationenwechsel in der Familie und im Unternehmen auslöste. Kern der Auseinandersetzungen war zum einen die Unzufriedenheit der Gebrüder Stollwerck mit der Leistung ihrer Söhne und Neffen, denen der Habitus der Väter, sich ganz in den Dienst des Familiengeschäfts zu stellen, eher fern war. 314 Ebenda, Paragraph sechs. 315 Siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 89 f.; Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 90 f.; Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 151 f. 316 Siehe das einleitende Zitat in Kapitel I.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Zum anderen entzündeten sich an der wichtigen Frage, wer wann welche Position im Unternehmen erhalten sollte, sowohl unter den vier Brüdern als auch unter den Vettern immer wieder emotionale Diskussionen. Nach Gustav, der bereits mit Gründung der Aktiengesellschaft im Alter von 30 Jahren in den Vorstand des Familienunternehmens aufgestiegen war, beriefen die Gebrüder Stollwerck mit Franz (II) fünf Jahre später ein zweites Mitglied der dritten Generation in die Geschäftsleitung – auch Franz (II) hatte zu diesem Zeitpunkt sein 30. Lebensjahr vollendet und damit das Mindestalter für den Vorstandsposten erreicht.317 Im gleichen Zeitraum begannen zudem Ludwigs Söhne Fritz und Paul ihre Ausbildung im Familienunternehmen und Peter Josephs zweiter Sohn Walter strebte nach Abschluss von Studium und Promotion ebenfalls danach, in die Firma einzutreten. Gustav und Fritz standen, auch wenn eine andere berufliche Zukunft für sie nicht grundsätzlich ausgeschlossen gewesen wäre, als Erstgeborene ihres Familienstamms von Kindesbeinen an unter einem großen moralischen Druck, in das Familiengeschäft einzutreten. Auch auf Franz (II) lastete, nachdem seine beiden älteren Brüder sich vom Familienunternehmen abgewandt hatten, die Hoffnung, als Vertreter seines Stamms das Lebenswerk der Gebrüder Stollwerck fortzuführen. Paul und Walter hingegen, für die ihre Väter ursprünglich einen selbstbestimmten Lebensentwurf vorgesehen und sie nicht auf die Rolle des designierten Unternehmers festgelegt hatten, drängten selbst darauf, eine Ausbildung im Familienunternehmen zu absolvieren und in die Firma einzutreten:318 „Mein Vater, der wohl persönlich den Wunsch hatte, dass ich Jura studieren möchte, hat indessen niemals mich in irgend einer Weise zu bestimmen gesucht und ausser Ratschlägen, es ganz meiner Veranlagung und Neigung überlassen, mich dem zuzuwenden, wozu ich mich am befähigsten fühlte. In gleicher Weise hat mein Vater mich direkt niemals zu drängen gesucht, dass ich später in Euer Unternehmen eintreten sollte, vielmehr sagte er hierüber nur, dass, wenn ich wirklich Interesse und Lust zum Geschäft hätte, dass ich dann, falls gegen meine Person nach Gesittung und Bildung keine Bedenken vorlägen, dort sicher geeignete Anstellung und den Bestimmungen entsprechendes Fortkommen würde finden können. So hatte ich mir hiernach folgende Richtschnur für meine Studien gesetzt: Mein lebhafter Wunsch war von jeher der, mal einst in das väterliche Unternehmen einzutreten und mein ganzes Streben darauf gerichtet, mich so auszubilden, dass ich im Stande sei, an der Fortführung des Unternehmens erfolgreich mit zu arbeiten.“319
Gleichwohl wollte sich Walter mit seinem Studium auch in die Lage versetzen, „anderweitig eine Stellung und Lebenslauf finden zu können“320 – sollte ihm die Tätigkeit im Familienunternehmen nicht zusagen oder die Zusammenarbeit nicht 317 Die Quellen liefern keinen Hinweis darauf, dass die Aufnahme der Söhne in den Vorstand symbolisch inszeniert wurde. Siehe zu vergleichbaren Ergebnissen auch Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 232 f. 318 Siehe ausführlich Kapitel III.A.1. 319 Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 27. Mai 1906, RWWA 208-54-4. 320 Ebenda. Vor diesem Hintergrund zog er auch die Ausbildung auf einem humanistischen Gymnasium der auf einem Realgymnasium vor, da der dortige Lehrplan nach jeder Richtung hin anregend wirke.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
funktionieren. Die Vorstellung, die Arbeit seiner Väter und Onkel weiterzuführen, übte auf ihn zwar eine große Anziehungskraft aus, sie war freilich nicht sein einziger Lebensinhalt. Vielmehr war es ihm ein zentrales Anliegen, sein Leben im Zweifel unabhängig vom Familienunternehmen führen zu können. Die beiden jüngsten Sprösslinge der Familie, Peter Josephs Sohn Richard und Ludwigs Nachkomme Karl Maria, hingegen zeigten – im Fall Richards aber nur zunächst – kein Interesse an einer Tätigkeit im Familiengeschäft. Da die Gebrüder Stollwerck davon ausgingen, dass eine ausreichende Anzahl an qualifizierten Söhnen für die Nachfolge im Unternehmen in Frage kam, legten sie Richard und Karl Maria keine Steine in den Weg, Berufe nach ihren eigenen Neigungen und Wünschen zu wählen. Richard, dessen Vater kurz vor seinem 18. Geburtstag verstarb, schlug nach dem Abitur den Ratschlag der Familie „in den Wind […], sich […] als Lehrling zum Studium im Familien-Geschäfte nützlich zu machen und die von ihm gewünschten juristischen Studien sich in der Handels-Hochschule in Köln zu verschaffen. Wahrscheinlich durch Walter beeinflusst“321, zog er ein rechtswissenschaftliches Studium an der Universität vor. Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs bestand er sein Referendar-Examen.322 Karl Maria litt wie seine Mutter und sein Bruder Paul unter einer Nervenschwäche, die sich bei ihm allerdings bereits im Kindesalter offenbarte, so dass er mit 16 Jahren „einige Jahre Schulversäumnis“323 hatte. 1913 meldete er sich als Einjährig-Freiwilliger zum Militärdienst und zog im August 1914 als jüngster Offizier Kölns in den Krieg. Nach Kriegsende absolvierte er eine landwirtschaftliche Ausbildung und ließ sich Anfang der 1920er Jahre in Bayern324 nieder, wo er vom Erbe seines 1922 verstorbenen Vaters ein Gut erwarb, das er bis 1938 bewirtschaftete. Im Zweiten Weltkrieg diente er erneut an der Front, wurde aber wegen Krankheit 1944 entlassen. Kurz vor Kriegsende geriet er für drei Jahre in englische Kriegsgefangenschaft. 1958 starb er 62jährig in München.325 Richard und Karl Maria gingen demnach eigene Wege, Franz (II), Gustav, Walter, Fritz und Paul aber bemühten sich, das Familienunternehmen fortzuführen. Gustav musste sich jedoch, nachdem sein Vater Peter Joseph 1906 verstorben war und seine schützende Hand nicht mehr über den Sohn halten konnte, zunehmend fragen lassen, ob er ausreichend qualifiziert sei, das Familienunternehmen 321 Ludwig Stollwerck an Fritz Stollwerck am 21. März 1917, RWWA 208-217-5. Ludwig Stollwerck erwähnte in diesem Zusammenhang auch, dass sich Richard nach dem Tod von Peter Joseph mit seinen Onkeln „sehr wenig in Berührung gesetzt“ habe und insbesondere Heinrich darüber „oft klagte“. Ebenda. 322 Diese Informationen verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Ludolf Stollwerck am 12. März 2009. 323 Ludwig Stollwerck an H. Lietz (Direktor Schloss Bieberstein bei Fulda) am 23. Dezember 1912, RWWA 208-60-3. 324 1929 heiratete er eine Großnichte seiner ebenfalls in Bayern ansässigen Tante Fanny Stollwerck. Siehe Kapitel III.A.2. 325 Diese Informationen verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Gisela Maria Nottebrock, einer Ur-Enkelin Ludwig Stollwercks, und ihrem Ehemann Volker Wendeler am 12. März 2009.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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zu führen oder ob er die leitende Funktion lediglich seinem sozialen Kapital, insbesondere der Tatsache zu verdanken habe, der Erstgeborene seines Familienstamms zu sein. Insbesondere vor den Augen seines Onkels Carl fand Gustav keine Gnade. Der Jüngste der Gebrüder Stollwerck kritisierte nicht nur, dass sein Neffe morgens nie vor 8.15 Uhr im Kontor sei und die Mittagspause häufig bis 15.00 Uhr ausdehne, sondern attestierte ihm sogar, „außer ein Paar Unterschriften & Sätzen zum Dictate eigentlich den ganzen Tag über nichts Ernstes & Gescheites“326 zu leisten. Die Verärgerung führte zunächst „nur“ dazu, dass Carl mit seinem Neffen 1908 bereits „seit Jahren außer der Tageszeit & einigen geschäftlichen Fragen wohl kaum zehn Worte“327 gesprochen hatte. Zwei Jahre später hingegen drohte er seinen Brüdern im Hinblick auf das geringe geschäftliche Engagement und die notorische Unpünktlichkeit des Neffen indirekt sogar mit dem Ausstieg aus dem Familienunternehmen, sollten nicht Mittel und Wege gefunden werden, die dritte Generation darauf zu verpflichten, die ihr übertragenen Aufgaben gewissenhaft und pflichtbewusst zu erfüllen. „Ich möchte aber heute schon zu Deiner Richtschnur schwarz auf weiß erklären, daß Ihr auf meine fernere Mitarbeit nur dann werdet zählen können, wenn dem von Heinrich & Dir verfaßten Schriftsatze nachdrücklich Rechnung & Geltung verschafft wird. […] Gustav ist und bleibt eine große Null, seine Thätigkeit beschränkt sich vollkommen auf die Druckerei & Unterschriften, - den weitaus größten Theil des Tages beschäftigt er sich mit Privatangelegenheiten und seinen persönlichen Liebhabereien, wegen welcher er sich über Gebühr durch sehr häufige […] Anrufe ablenken läßt. Der beiliegende Briefkopf seines Privatbriefpapieres zeigt Dir das in Etwa. – In Anbetracht des sehr erfreulichen Aufschwunges, den unser GesamtGeschäft im laufenden Jahre genommen hat, ist es […] unsere Pflicht & Schuldigkeit für entsprechende tüchtige Kräfte in der Geschäftsleitung zu sorgen. Mit Rücksicht auf die Söhne darf hier der geeignete Moment & die richtigen Persönlichkeiten nicht verpaßt werden.“328
Der Eindruck Carl Stollwercks verfestigt sich, wenn man auch die Einschätzung von Franz (II) berücksichtigt, der dem Vetter nicht nur eine unterdurchschnittliche Intelligenz attestierte, sondern ebenso wie sein Onkel Faulheit und den Drang, vor allem seinem privaten Vergnügen nachzugehen. Hierbei habe er im Umgang mit Alkohol häufig das erforderliche Maß vermissen lassen. Nicht zuletzt deshalb sei auch seine Ehe gescheitert. Im Geschäft habe er zwar keinen Schaden angerichtet – doch nur deshalb, weil er keinerlei unternehmerische Initiative zeigte und sich mit komplexen Fragen gar nicht erst auseinandersetzte.329 Um die Äußerungen Carl Stollwercks nicht auf ihre heftige Rhetorik zu reduzieren, die wohl vor allem dazu diente, seinen Äußerungen Nachdruck und Gehör zu verschaffen, muss man sich die persönliche Situation des Jüngsten der Gebrüder Stollwerck verdeutlichen. Im Unterschied zu seinen Brüdern hatte Carl keine leiblichen Kinder, sondern zwei Adoptivtöchter, die für die Nachfolge im Familienunternehmen per se nicht in Frage kamen. Carl Stollwerck folgte daher einer anderen Handlungslogik als seine älteren Brüder. Er pochte darauf, dass es für den 326 327 328 329
Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 21. Juli 1908, RWWA 208-162-6. Ebenda. Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 24. Juni 1910, RWWA 208-162-5. Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Generationenwechsel entscheidend sei, sich nicht von „Familien-Duseleien“ beeinflussen zu lassen – es dürfe einzig und allein das reale Geschäftsinteresse zählen, nur dann würden die Söhne und Neffen „wirklich tüchtige, strebsame und gewissenhafte Geschäftsleute“330. Die Unternehmensleitung vor dem Hintergrund familiärer Rücksichtnahme auszuwählen, war für Carl ein Argument, das ihn nicht überzeugte. Er wog rational ab, reflektierte das soziale und kulturelle Kapital seiner Neffen kritisch und fragte besonders danach, wie sich ihre Berufung in den Vorstand auf die Reputation und die weitere Entwicklung der Familie und des Unternehmens auswirken würde. Im Ergebnis führte er seinen Brüdern klar vor Augen, dass die männlichen Nachfahren in seinen Augen keinesfalls alle geeignet seien, das Familienunternehmen weiterzuführen: „Wir müssen mehr reale Geschäftspolitik treiben, keine Familien-Gefühlsduseleien – und Du wirst jedenfalls von mir verstehen, der ich keine Söhne habe, daß ich diese Frage wohl am objektivsten beurteile“331. Vorrang hatte nicht die familiäre Rücksichtnahme, sondern der unternehmerische Erfolg. Für ihn waren daher im Sinne einer unternehmerisch rationalen Zielfunktion auch Manager denkbar, die nicht den Namen Stollwerck trugen bzw. nicht zur Familie gehörten.332 In der Geschäftsleitung sollten Persönlichkeiten vertreten sein, die über die besten Dispositionen verfügten, um Kontinuität und Erfolg des Unternehmens zu sichern. Seine Brüder hingegen verfolgten vor allem das Konzept der dynastischen Fortschreibung der Familie. Nur wer die familiäre Kontinuität gewährleisten konnte, sollte auch zur Leitung des Familienunternehmens legitimiert sein. Peter Joseph, Heinrich und Ludwig Stollwerck wollten die Unternehmensführung ausschließlich auf die nachfolgende Generation übertragen und in diesen Prozess möglichst alle ihre Söhne einbinden, um das Geschäft auf eine breite, zukunftsträchtige Basis zu stellen. Charakterliche Schwächen ihrer Sprösslinge und eine mangelnde Eignung und Neigung, die Geschäfte des Familienunternehmens zu führen, wollten sie sich nicht eingestehen. Ein „schwarzes Schaf“ entsprach nicht ihrem Bild einer generationenübergreifenden erfolgreichen Symbiose zwischen Familie und Unternehmen. Zudem konnte im Grunde keiner der Väter andere Nachfolger als die eigenen Söhne haben wollen. Denn sobald einer auf seinen Sohn (mangels Eignung) verzichtet hätte, wäre dies eine Form von Scheitern gewesen, die auch auf die Position im Unternehmen, in der Familie und vor allem in der Geschwisterhierarchie rückgewirkt hätte. Daher verhallten Carl Stollwercks Appelle, „nur durch die reale Geschäftsbrille und nicht mit Vateraugen“333 auf die Sprösslinge zu blicken und sie im Zweifelsfalle durch geeignete, auch nichtfamiliäre Persönlichkeiten zu ersetzen, weitgehend ungehört – zwischen den Brü330 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 2. Mai 1910, RWWA 208-71-3. 331 Ebenda. 332 Im Unterschied zu anderen Unternehmerfamilien (siehe z. B. Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 105) zogen es die Gebrüder Stollwerck nicht in Erwägung, einen oder mehrere Schwiegersöhne in den Vorstand zu berufen. Die Ehemänner ihrer Töchter brachten auch weder die erforderliche Qualifikation noch ausreichend Kapital mit, um sich am Familienunternehmen zu beteiligen. Siehe ausführlich Kapitel III.A.2. 333 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 30. September 1910, RWWA 208-163-1.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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dern entwickelte sich ein offensichtlicher Zielkonflikt. Im Verhalten von Peter Joseph, Heinrich und Ludwig Stollwerck bestätigt sich damit die in der Einleitung aufgestellte Grundthese, dass für Unternehmer zwar in erster Linie ökonomische Ergebnisse zählen, in der wechselseitigen Verbindung von Familie und Unternehmen aber zusätzliche Entscheidungsparameter bedeutend werden, die von der Profitorientierung abweichen. In das Handeln der Brüder flossen neben dem ökonomischen Kalkül weitere Zielfunktionen wie das Wohlergehen der Söhne etc. ein, die ihre Strategien und Entscheidungen im Hinblick auf die Unternehmernachfolge nicht nur beeinflussten, sondern sogar bestimmten. Diese weichen Kriterien prägten insbesondere das Handeln von Ludwig Stollwerck, der von Carl immer wieder ermahnt wurde, im Umgang mit seinen im Familienunternehmen tätigen Söhnen Fritz und Paul die „Vaterliebe nicht zu sehr sprechen [zu] lassen“334. Während die Quellen für Albert Nikolaus (II), Heinrich Victor und Gustav erst mit Abschluss ihrer Lehre Konflikte mit den Vätern und Onkeln erkennen lassen, wurzeln die Auseinandersetzungen mit bzw. über Fritz und Paul bereits in der Zeit ihrer Ausbildung im Familienunternehmen. So wurde Ludwig Stollwerck mehrfach von Carl, aber auch von seinem Neffen Walter, auf „nicht gerade Allen genehme Angewohnheiten“335 seines Sohnes Fritz sowie charakterliche Schwächen seines Zweitgeborenen Paul hingewiesen, ohne daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Fritz agiere häufig unüberlegt und vorlaut, verfüge nicht über das notwendige Maß an Disziplin und Mäßigung, lasse Älteren gegenüber weder Zurückhaltung noch Bescheidenheit walten und sei nicht mit dem erforderlichen Ernst bei der Sache, kritisierte Carl Stollwerck 1908 den ältesten Sohn seines Bruders. Walter Stollwerck, der mit seinem Vetter in der amerikanischen Zweigfabrik zusammenarbeitete, beschwerte sich zwei Jahre später bei seinem Onkel Heinrich über „die ganze Art“, wie Fritz im Unternehmen auftrete; auch der Ton, den er sich gegenüber seinem Vater Ludwig erlaube, komme „einem unparteiischen Dritten mehr wie sonderbar“ vor. Er vertrat die Ansicht, dass sich die Betriebsleitung ein solches Verhalten von einem jungen Mann nicht bieten zu lassen brauche und sprach die Empfehlung aus, den Vetter wieder nach Köln zu beordern und unter die Fittiche der Familie zu stellen, damit man ihm dort „das im Leben notwendige Taktgefühl“336 einimpfe. Auch Franz (II) kritisierte seinen Cousin rückblickend als überheblichen und wenig charakterfesten Mann von dürftigem Intellekt, der freilich sein geringes unternehmerisches Talent auch selbst erkannt habe.337 Ludwig Stollwerck gestand zwar ein, dass die Ausdrucksweise seines Sohnes mitunter „recht ungehörig“338 sei, nahm Fritz aber grundsätzlich in Schutz, indem 334 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 2. Mai 1910, RWWA 208-71-3. 335 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Dezember 1908, RWWA 208-211-5. Siehe auch Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 2. Mai 1910, RWWA 208-71-3; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 24. Mai 1910, RWWA 208-71-3. 336 Die letzten Zitate aus Walter Stollwerck an Heinrich Stollwerck am 16. September 1910, RWWA 208-163-1. 337 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 338 Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 21. September 1910, RWWA 208-163-1.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
er das Verhalten seines Sprösslings mit der langen Abwesenheit vom Elternhaus entschuldigte. Die fehlende elterliche Aufsicht während der verschiedenen Ausbildungsstationen im In- und Ausland habe „rauhe Seiten gezeitigt“, die nur schwierig wieder abzuschleifen seien. Um von den Schwächen seines Sohnes abzulenken, verlegte er sich vielmehr darauf, das Verhalten seines Neffen Walter zu kritisieren. Ludwig Stollwerck zeigte sich „doppelt verletzt & verbittert“, dass Walter während seines Aufenthaltes in New York nicht das Gespräch mit ihm gesucht und seine Verärgerung über Fritz ausgedrückt habe. Indem er sich hinter Ludwigs Rücken an den Senior der Familie gewandt habe, sei „die Harmonie der Arbeit, die zum Erfolge absolut nöthig ist, geradezu in Frage gestellt“339. Zwar sprach Ludwig Stollwerck es nicht direkt an, doch implizit sah er durch Walters Verhalten neben der harmonischen Zusammenarbeit auch eine weitere wichtige Ressource verletzt: Vertrauen. Die Gebrüder Stollwerck gingen davon aus, dass die Zusammenarbeit mit ihren Söhnen und Neffen sowie die Kooperation der Nachfahren untereinander auf zwei Pfeilern ruhte: dem einheitlichen familiären Ziel, der Familie das Unternehmen generationenübergreifend in Eigentum und Leitung zu erhalten, und dem originären familiären Vertrauen – idealiter als Gegensatz zum Wettbewerb und der Konkurrenz der Arbeits- und Geschäftswelt und als „Ort stabiler Vertrauensbeziehungen“340. Daher vertrauten sie ihren Nachfahren bereits in jungen Jahren verantwortliche Posten in Übersee an, um nicht auf familienfremde Manager zurückgreifen zu müssen. Neben diesem materiellen ist aber vor allem der emotionale Vorteil von Bedeutung, der sich aus der Sinnvermittlung und dem erhöhten Selbstwertgefühl der Nachfahren generieren sollte. Indem die Söhne und Neffen strategische Positionen übernahmen, sollte ihr Selbstbewusstsein gestärkt werden und sie konnten unmittelbar erfahren, was es heißt, zum Projekt „Familienunternehmen“ und einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung beizutragen. Zudem erhofften sich die Gebrüder Stollwerck, dass ihre Sprösslinge eine größere Vertrautheit mit dem Familienunternehmen entwickeln und das familiäre Konzept loyal unterstützen würden. Erstaunlicherweise führte jedoch gerade die starke Fokussierung auf die gemeinsame Sinnkonstruktion zu einem Vertrauensverlust und dazu, dass das gemeinsame Ideal zerfaserte. Unter den Vettern wurde schnell der Vorwurf des Nepotismus laut. Insbesondere Ludwig Stollwerck wurde kritisiert, seine Söhne ungerechtfertigt zu bevorzugen bzw. sie nicht ausreichend zu maßregeln. Er enttäuschte damit seine Neffen, die ebenfalls für die Positionen in Frage kamen, die er seinen Söhnen zugedacht hatte. Durch diese Situation verschärfte sich die oh339 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an seine Brüder am 20. September 1910, RWWA 208-163-1. Carl Stollwerck gab seinem Bruder zwar im Grundsatz Recht, empfand das Fehlverhalten von Fritz aber als deutlich schwerwiegender als den Vertrauensbruch von Walter. Siehe Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 30. September 1910, RWWA 208-163-1. 340 Frevert: Vertrauen – eine historische Spurensuche, S. 48. Siehe zu der Verbindung von Familie und Vertrauen anstelle vieler Einzelhinweise Budde: Familienvertrauen. Da freilich Vertrauensbeziehungen nur durch permanente Aushandlung konstruiert werden, ist auch die Sphäre der Familie nicht frei von Wettbewerb.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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nehin bestehende – natürliche – Rivalität unter den Vettern in bemerkenswertem Ausmaß. Walter fehlte zunehmend das Vertrauen – zum einen in Ludwig persönlich, dass er Fritz für sein Fehlverhalten zur Verantwortung ziehen werde, zum anderen in den Familienverband an sich und das gemeinsame Ziel, die Traditionen und das Lebenswerk der Familie fortzuführen. Um sein offensichtliches Ziel zu erreichen, dass der Vetter Amerika verlassen und nach Köln zurückkehren muss, überging er daher Ludwig und informierte nur seinen Onkel Heinrich, der als Senior der Familie und des Unternehmens das Verhalten von Fritz bewerten und sanktionieren sollte. Ludwig Stollwerck wiederum empfand dieses Verhalten des Neffen als Vertrauensbruch, der es ihm erschwere, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten. Er hatte sich darauf verlassen, dass Walter und Fritz in Amerika zum Wohle des Familienunternehmens einträchtig zusammenarbeiten und dem in sie gesetzten Vertrauen gerecht würden.341 Die gemeinsame familiäre Sinnstiftung schien ihm offensichtlich Grundlage genug, opportunistisches Verhalten auszuschließen – den Gedanken, dass sich einer der Vettern auf Kosten des anderen profilieren wolle und die Nachfahren widerstrebende Interessen verfolgen, ließ er nicht zu. Galt die Kritik an Fritz „nur“ seinem häufig unreflektierten Verhalten, waren die Klagen über Ludwigs Zweitgeborenen Paul weitreichender. Im Kern zielten sie darauf ab, dass Paul in den Jahren, die er in Amerika verbrachte, weniger als fähige Unternehmerpersönlichkeit für Aufmerksamkeit sorgte, denn aufgrund seines ausschweifenden Lebensstils. Franz Stollwerck (II) schickte 1909 ein detailliertes Beschwerde-Konvolut über den jüngeren Vetter an seinen Onkel Carl, in dem er nicht nur Pauls fachliche Leistungen, sondern auch seine persönlichen Eigenschaften heftig kritisierte. „Paul anlangend, so hat er sich ja leider während der zwei Monate seiner Thätigkeit in Köln als ein durchaus unzuverlässiger & interessenloser junger Mann gezeigt. Er ist arbeitsscheu & dünkelhaft – entspricht absolut nicht den Anforderungen welche wir an junge Leute seines Alters stellen und stellen müssen. […] Es sind mir infolge persönlichen Nachforschens inzwischen Sachen von Paul zu Ohren gekommen die er hier in Amerika angefangen hat & die teilweise unter dem Büropersonal nicht unbekannt geblieben sind daß man sich wiederum schämen muß daß so einer den Namen Stollwerck trägt. […] Anstatt seine Pflicht zu tun, zog er mit Frauenzimmern in New York her und machte sich auf Broadway zur bekannten Persönlichkeit. Es wird sogar von zwei Seiten behauptet und Anzeichen deuten darauf hin, daß er sich sogar hat hinreißen lassen eine Einladung einer verheirateten Frau […] zum wiederholten Nachtbesuch angenommen zu haben. Letzteres konnte ich jedoch ohne Aufsehen zu erregen nicht weiter nachforschen. […] Paul hat in jeder Beziehung hier eine sehr schlechte Führung hinterlassen, er ist ein unzuverlässiger, unerzogener, unordentlicher, fauler, dünkelhafter, überspannter und geschäftlich absolut interessenloser Junge, der mit seinen 23 Jahren nichts gelernt hat als Geld ausgeben und kein Pflichtbewußtsein kennt. Dieser Junge gehört zur Erziehung sowohl privat als geschäftlich wenigstens für die nächsten drei Jahre […] in die Fabrik Cöln in eine absolut stramme Zucht, wo er zuerst mal etwas lernen muß und wo es heißt biegen oder brechen.“
341 Für dieses „volle Vertrauen“ hatte sich Walter Stollwerck noch zwei Monate zuvor explizit bedankt. Walter Stollwerck an Carl Stollwerck am 1. Juli 1910, RWWA 208-72-1.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Die Ursache für die Entwicklung seines Cousins zu einer „gescheiterte[n] Existenz“, die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem familiären Ideal einer bürgerlichen Lebensweise und der tatsächlichen Alltagspraxis, sah Franz (II) in der auch von Carl kritisierten Schwäche Ludwig Stollwercks, in der Erziehung seiner Söhne nicht die erforderliche Objektivität und Strenge walten zu lassen. Er finde „leider alles an seinen Jungens schön, prächtig und tüchtig […], wo nichts ist“ und verziehe sie dadurch zu ihrem „vollsten Nachteil“.342 Aus diesen Äußerungen Franz Stollwercks (II) lassen sich wichtige Aspekte destillieren, die für die wiederkehrenden innerfamiliären Dissonanzen eine wichtige Rolle spielten. Die Vehemenz, mit der Heinrich Stollwercks Sohn seinen Vetter Paul kritisierte, zeigt deutlich, dass sich die Nachfahren der Gebrüder Stollwerck nicht primär als Kollektiv verstanden,343 das ein gemeinsames Ziel – die erfolgreiche Weiterführung des Familienunternehmens – verfolgte. Die Geschwister und Vettern waren vor allem Konkurrenten; jeder strebte für sich nach herausragenden Positionen im Unternehmen – im konkreten Fall nach der Leitung der amerikanischen Zweigfabrik. Franz (II) schreckte nicht einmal davor zurück, seinem Vetter nachzuspionieren und seinen Onkel implizit mit den Ergebnissen seiner Nachforschungen zu erpressen. So kündigte er an, „sofort rücksichtslos alles gesammelte Material aufzutischen“344, sollte die Familie Paul innerhalb der nächsten drei Jahre einen verantwortlichen Posten im Unternehmen übertragen. Damit drohte Franz (II) mit einem Szenario, das die Familie am meisten fürchtete: der Presse, die den innerfamiliären Konflikt ausbreiten, und der Öffentlichkeit, die die Auseinandersetzungen als Zuschauer verfolgen würde. Zwar versicherte Franz (II) seinem Onkel Carl, dass ihn bei seinen Recherchen kein anderer Gedanke geleitet habe, als der, das Familiengeschäft zu erhalten, den Familienstamm Ludwig Stollwerck vor Kummer und Schande zu bewahren und Paul vor sich selbst zu schützen, doch handelt es sich bei diesen Beteuerungen eher um die rhetorische Selbstkonstruktion als Vorzeigenachfolger, der seine eigenen Interessen stets den Anforderungen des Familienunternehmens unterordnet. Auch die Tatsache, dass Franz (II) den Brief nur an seinen Onkel Carl und nicht auch an Heinrich und Ludwig richtete, spiegelt seine eigentliche Intention, den Vetter als Konkurrenz auszuschalten. In Carl Stollwerck konnte er sich insofern einen Verbündeten erhoffen, als dieser eben keine eigenen Söhne hatte, den Erziehungsstil seines älteren Bruders ebenfalls heftig kritisierte und wie sein Neffe die Ansicht vertrat, un-
342 Die letzten Zitate aus Franz Stollwerck (II) an Carl Stollwerck am 26. Juni 1909, RWWA 208-363-2. 343 Sie informierten sich nicht einmal über einen Wohnortswechsel. Siehe Fritz Stollwerck an das Münchener Detailgeschäft der Stollwerck AG am 21. Juni 1926, RWWA 208-274-1. Fritz Stollwerck erkundigte sich in diesem Schreiben nach der neuen Adresse seines Bruders Karl Maria, von dem er „längere Zeit nichts mehr gehört“ habe. Seine Briefe an den Bruder kämen mit dem Vermerk zurück, dass der Adressat unbekannt verzogen sei. 344 Franz Stollwerck (II) an Carl Stollwerck am 26. Juni 1909, RWWA 208-363-2.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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geeignete und charakterschwache Nachfolger von der Unternehmensleitung auszuschließen.345 Franz (II) versuchte auf diesem Weg freilich auch bewusst, einen Keil zwischen die Brüder zu treiben. Er nahm ausdrücklich davon Abstand, Ludwig über die Schwächen und Versäumnisse seines Sohnes Paul aufklären zu wollen, stellte es seinem Onkel Carl aber frei, dem Bruder alles „gelinde bei[zu]bringen“346 oder ihm den Brief zu zeigen. Carl Stollwerck, der sich zweifellos in seiner Kritik an den Neffen bestätigt fühlte, gab das Schreiben dann auch seinem Bruder zu lesen. Ludwig Stollwerck jedoch setzte trotz der schwerwiegenden Vorwürfe weiter auf seine Strategie der Konfliktvermeidung und weigerte sich, zu sehen, was er nicht sehen wollte. Er zeigte sich seinem Neffen Franz (II) gegenüber weder wütend über die Kritik an Paul noch dankbar, über die Pflichtvergessenheit seines Sohnes aufgeklärt worden zu sein. Vielmehr spiegelt ein Brief an Franz (II), der „gemäß Gewohnheit Loblieder über den tüchtigen & talentirten“347 Paul enthielt, das scheinbar unumstößliche Vertrauen in seinen Sohn, den er entschieden gegen alle Angriffe verteidigte. Lediglich gegenüber seinem Bruder Carl gab er charakterliche Schwächen seines Sohnes zu, entschuldigte sie aber zugleich auch wieder, indem er sie dem „jugendliche[n] Leichtsinn“ zuschrieb: „Er hat den gr. Fehler seine guten Anlagen durch zu viel Schwärmerei & oft idealistischkünstlerische Art in schädlicher Weise zu beeinflussen. Möchte es nur mit der Jugend zusammenhängen, – & er jetzt als reifender junger Mann diese bösen Schattenseiten abschütteln.“348
Trotz der vehementen innerfamiliären Kritik an ihrem Sachverstand und ihrer unternehmerischen Legitimation verblieben Gustav und Fritz in der Führung des Unternehmens – Fritz wurde 1914 wie seine älteren Vettern sogar in den Vorstand berufen. Auch Paul setzte seine Tätigkeit im Familienunternehmen fort. Er wurde allerdings aus den USA zurück nach Köln beordert, wo er unter der Aufsicht seines Onkels Carl „die Gesamt-Fabrikation in allen Einzelheiten gründlich erlernen“349 sollte. Offenbar entwickelte sich Paul in der strengen Kölner Schule besser als unter der Anleitung und Aufsicht seines Vetters Albert Nikolaus (II), denn wenngleich Carl sein Urteil über den Neffen nicht grundlegend revidierte, wusste er Franz (II) doch nach kurzer Zeit zu berichten: „Auch Deinem strammen Urteil über Paul kann ich nicht widersprechen. Ich habe während meines dortigen Aufenthaltes, nach allem was ich erfahren, gehört und gesehen habe, denselben Eindruck. Er muss aber jetzt gehörig heran und zweifle ich nicht, dass er mit der Zeit ins-
345 Dass er insgeheim auch seinen Onkel Carl verachtete, offenbaren seine 1939 niedergeschriebenen Erinnerungen, in denen er das Bild eines Schaumschlägers zeichnete, der dem Familienunternehmen nur geschadet habe und Zeit seines Lebens unaufrichtig und verlogen gewesen sei. Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Siehe auch Kapitel IV.A.3. 346 Franz Stollwerck (II) an Carl Stollwerck am 26. Juni 1909, RWWA 208-363-2. 347 Franz Stollwerck (II) an Carl Stollwerck am 19. August 1909, RWWA 208-363-2. 348 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 2. Juli 1910, RWWA 208-162-6. 349 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 2. Februar 1909, RWWA 208-161-1.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck besondere nach der von mir und Dir gewünschten Richtung hin weise vorbereitet und brauchbar wird.“350
Welche Kompetenzen den Söhnen in der Phase gemeinsamer Unternehmensführung mit ihren Vätern und Onkeln konkret übertragen wurden, ist nicht überliefert. Auffallend ist aber, dass sich offenbar keiner von ihnen als geeignet erwies, eines der zahlreichen Zweighäuser des Familiengeschäfts erfolgreich zu führen.351 Carl Stollwerck bedauerte diese Tatsache sehr und sorgte sich vor allem um die durch die Auseinandersetzungen mit Albert Nikolaus (II) stark beeinträchtigte amerikanische Niederlassung: „Ich kann doch nicht umhin, Dir zu wiederholen, dass es mir doch oft Sorgen bereitet, wenn ich an die Geschäftsleitung und besonders an die Betriebsleitung denke. […]Wenn man nun weiter berücksichtigt, dass wir gegenwärtig zu 7 hier in Cöln an der Krippe stehen (H.L.C.G.F.W.P.) dabei in unseren auswärtigen grossen Fabriken – London ausgenommen – kein Mitglied unserer Familie tätig ist und dass wir die Leitung unserer grossen FamilienInteressen in New York in den Händen eigentlich sehr wenig geschäftserfahrener Herren wissen, so kommt mir oft der Gedanke, dass doch wohl in Erwägung zu ziehen ist, ob nicht besser Franz mit Familie im Frühjahr für 1-11/2 Jahr nach drüben geht.“352
Zwar wurde Franz (II) im Mai 1909 nach New York abgeordnet und erhielt von seinem Vater und seinem Onkel Ludwig für die dortige Leistung auch „volle Anerkennung“353, doch zwang ihn der plötzliche Tod seiner Ehefrau Johanna im September des gleichen Jahres, die Tätigkeit in den USA nach nur fünf Monaten zu beenden. Carl Stollwerck hätte es gern gesehen, wenn sein Neffe „im Interesse des Geschäftes […] seine nachweislich so erfolgreich begonnene Reorganisation in Stamford auch ganz zum Abschluss“ gebracht hätte, „um dann gegebenenfalls seinem Vetter, dem es ja leider an geschäftlicher Erfahrung noch mangelt, den Betrieb auf festgefügten Unterlagen und sicheren Bahnen zu übergeben“354, doch Franz (II) teilte diese Sichtweise nicht. Er kehrte nach eigenen Worten als gebrochener Mann nach Köln zurück.355 An seiner Stelle wurde Walter, der seine praktische Ausbildung erst im Oktober 1909 beendet hatte, im Mai 1910 in die USA entsandt und von Carl ermuntert, wenn er sich dort drei Jahre bewähre, sei er für die Familie „kein unbeschriebenes Blatt mehr“ und der Onkel der Erste, „der in seinem Interesse sprechen und handeln würde“356. Zwar blieb Walter bis 1913 bei Stollwerck Brothers in New York, doch trat er nach seiner Rückkehr nach Köln im Familienunternehmen nicht mehr 350 Carl Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 12. Juli 1909, RWWA 208-303-1. 351 Dass die Söhne von Unternehmerfamilien an die Spitze von Zweigunternehmen gesetzt werden und sich im räumlichen Abstand zu ihren Vätern beweisen können, war und ist eine durchaus gängige Managementstrategie von Familienunternehmen. Siehe Boch: Unternehmensnachfolge, S. 166. 352 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 19. Januar 1909, RWWA 208-161-1. 353 Carl Stollwerck an seine Brüder am 20. September 1909, RWWA 208-394-7. 354 Carl Stollwerck an seine Brüder am 5. Oktober 1909, RWWA 208-394-7. Siehe auch Carl Stollwerck an seine Brüder am 27. September 1909, RWWA 208-394-7. 355 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 356 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 2. Mai 1910, RWWA 208-71-3.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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in Erscheinung. Franz (II) bedauerte das Ausscheiden seines Vetters sehr. Er beschrieb Walter als intelligenten, aber gesundheitlich beeinträchtigten Mann, mit dem er gerne weiter im väterlichen Unternehmen gearbeitet hätte.357 Peter Josephs zweitältester Sohn war dann während des Ersten Weltkriegs zunächst Offizier an der Front, schließlich Adjutant seines Bruders Gustav im Luftschiffer Bataillon Nr. 3, ab 1917 war er vorübergehend bei Siemens & Halske in Berlin beschäftigt.358 Nach der Scheidung von seiner ersten Frau heiratete er 1924 erneut und arbeitete dann teils auf dem Bauernhof seiner Ehefrau, teils war er arbeitslos.359 Die immer wieder erforderlichen psychologischen Behandlungen, sein fortgeschrittenes Alter und die angespannte wirtschaftliche Situation in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre erschwerten es ihm freilich zunehmend, beruflich Fuß zu fassen. Von der Erbschaft seines Vaters waren 1928 nur noch „Vermögensreste“ übrig, die er aber „unbedingt für die Kinder sicher gestellt“ wissen wollte. Daher wandte er sich hilfesuchend an seinen Vetter Fritz: „Auf der Suche nach einer Tätigkeit, die mir eine, wenn auch bescheidene Existenzmöglichkeit für mich u. meine Familie bietet, stoße ich auf die größten Schwierigkeiten. […] Auf Grund dieser direkten Notlage in der ich mich befinde wende ich mich auch nochmal an Dich mit der Anfrage, ob nicht die Möglichkeit besteht in dem großen Unternehmen unserer Väter mir irgendeine Betätigungs- u. Existenzmöglichkeit zu verschaffen. Selbstverständlich ist hierbei nicht als Sohn an irgend eine leitende Stellung gedacht. Wie ich hörte ist momentan die Verkaufsvertretung in Stuttgart frei geworden und das bringt mich auf den Gedanken ob man mir nicht einen derartigen Vertreterposten anvertrauen könnte […]. Onkel Karl an den ich vor kurzem in ähnl. Sinne schrieb hat mir bis heute garnicht geantwortet. Lieber Fritz, ich sollte meinen, daß bei einigem guten Willen sich doch ein Weg finden ließe, mir mal auf die Beine zu helfen […].“360
Fritz Stollwerck äußerte zwar Verständnis und Mitgefühl für die Situation seines Cousins, bot ihm aber, obwohl er zweifellos dazu in der Lage gewesen wäre, keine Position im Familienunternehmen an. Es sei ihm „beim besten Willen nicht möglich“, Walter in der Stollwerck AG einzusetzen. Zudem betrachtete er es als 357 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 358 Die Tätigkeit bei Siemens & Halske vermittelte ihm Ludwig Stollwerck, der 1901 in den Aufsichtsrat der neu gegründeten Gesellschaft für drahtlose Telegraphie, System Professor Braun und Siemens & Halske mbH eingetreten war und dem Gremium bis 1903 angehörte. Auch die AEG experimentierte zu dieser Zeit an der Entwicklung der Funktelegraphie und war dem System Ferdinand Brauns einen Schritt voraus. 1903 wurden die AEG, Siemens & Halske und die beiden Systeme in der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie mbH (Telefunken) vereinigt. Dem Aufsichtsrat gehörte Ludwig Stollwerck bis zu seinem Tod 1922 an. Siehe Ludwig Stollwerck an Emil Heimerdinger am 31. Juli 1901, RWWA 208-263-3. Zum Interesse Ludwig Stollwercks an der Funktelegraphie siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 195 f., 356. Siehe auch Kapitel III.A.2, FN 257. 359 Diese Informationen verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Ludolf Stollwerck am 12. März 2009. Walter Stollwerck nahm aber weiter Anteil an der Entwicklung des Familienunternehmens, war er doch seit dem Tod seiner Mutter Agnes 1918 auch Stammaktionär. Siehe z. B. Walter Stollwerck an Heinrich Trimborn am 23. Dezember 1924, RWWA 20847-5. 360 Die letzten Zitate aus Walter Stollwerck an Fritz Stollwerck am 9. November 1928, RWWA 208-49-5.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
problematisch, einem Träger des Namens Stollwerck einen Vertreterposten zu übertragen und bezweifelte, dass der Vetter überhaupt die Fähigkeiten besitze, „wirklich verkaufen zu können“361. Von der Familie abgewiesen, baute sich Walter Stollwerck Ende der 1920er Jahre eine neue Existenz auf und vertrat eine Firma, die Holzhäuser baute. Seit Anfang der 1930er Jahre entwickelte er Holzbaracken, die u. a. für den Autobahnbau eingesetzt wurden. 1943 musste er sein Geschäft allerdings aufgeben; nach Kriegsende wurde Walter Stollwerck als Nationalsozialist denunziert und in ein russisches Lager in Schlesien gebracht, wo er am 21. September 1945 starb.362 Losgelöst von diesen Eignungsvorbehalten der designierten Unternehmenserben zeigte das Familiengeschäft nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft aber weiterhin „einen erfreulichen Aufschwung“363. Der Nettogewinn stieg von 1.203.684 Mark 1902 auf 1.691.379 Mark am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die Dividende auf die Stammaktien bewegte sich in diesem Zeitraum zwischen sechs und neun Prozent.364 Die Betriebsmittel wurden freilich durch die Gründung der Hausrenten AG365 und die laufende Vergrößerung der Zweigunternehmen „in
361 Die letzten Zitate aus Fritz Stollwerck an Walter Stollwerck am 19. Dezember 1928, RWWA 208-49-5. Nachdem die Familie 1932 aus dem Vorstand des Unternehmens ausgeschieden war, ersuchte Walter den Vorstand der Stollwerck AG erneut vergeblich, ihn im Unternehmen anzustellen. Siehe Karl Kimmich an Walter Stollwerck am 6. Dezember 1932, HADB P04787. 362 Diese Informationen verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Ludolf Stollwerck am 12. März 2009. 363 Vertraulicher Geschäftsbericht an den Aufsichtsrat 1902, RWWA 208-147-6. Diese Aussage bezog sich sowohl auf das Hauptgeschäft als auch auf die Tochtergesellschaften und die Unternehmen, an denen die Gebrüder Stollwerck AG beteiligt war. 364 Siehe ebenda; Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1914, RWWA 208-388-3. Zur Einordnung: Die Rheinische Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation (RAG) zahlte zwischen 1903 und 1913 durchschnittlich 7,8 Prozent Dividende. Siehe Gehlen: Paul Silverberg, S. 549. 365 Seit den 1880er Jahren betrieben die Gebrüder Stollwerck eine Verkaufsstelle in der Kölner Hohe Straße 164/66. Die hervorragende Lage des Ladens am Wallrafplatz beim Dom bewährte sich, so dass die Brüder diese Verkaufsstelle beständig weiterentwickelten. Ausgehend von Anregungen, die Ludwig Stollwerck bei der Besichtigung von amerikanischen Geschäftshäusern gesammelt hatte, planten sie um 1900 die Errichtung eines modernen Bürohauses, des „Stollwerckhauses“, mit einem prachtvollen Eckladen im Erdgeschoss. Seit 1902 kauften sie daher die ihren Häusern 164/66 benachbarten Grundstücke und Gebäude auf. Für die Verwirklichung ihres Plans gründeten die Gebrüder Stollwerck zudem eine Tochterfirma, die Kölnische Hausrenten AG, mit einem Kapital von 1,2 Millionen Mark, an der sich J. H. Stein, Sal. Oppenheim und der A. Schaaffhausen’sche Bankverein beteiligten. Der Bankverein und die Darmstädter Bank gewährten zudem je rund 450.000 Mark Baukredite. Die Hausrenten AG hatte es in den ersten Jahren nach der 1906 erfolgten Eröffnung des „Stollwerckhauses“ allerdings nicht leicht, da die Räume wegen der hohen Mieten nur langsam besetzt werden konnten. Die hohen Bankschulden tilgte die Firma z. T. über den Verkauf von Vorzugsaktien ihres Pressburger Zweighauses im Jahre 1910. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 512.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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erheblicher Weise in Anspruch genommen“366. Die Verbindlichkeiten der Firma stiegen von 2.534.519 Mark 1902 auf 4.598.374 Mark vier Jahre später. Die in der Kölner Zentrale in den fünf Jahren vorgenommenen Abschreibungen beliefen sich auf 1.203.453 Mark und die Reservestellungen auf 966.523 Mark. Allein die Vergrößerung der Kölner und Berliner Fabrik erforderte dagegen einschließlich erhöhter Warenvorräte, Immobilien und Debitoren 2.378.921 Mark. Der MehrKapitalbedarf der Zweigunternehmen betrug: Pressburg: 215.677 Mark, London: 657.925 Mark, Amerika: 2.665.830 Mark, Hausrenten AG: 770.413 Mark. Insgesamt beliefen sich die Mehrausgaben der Zweigunternehmen damit auf 4.309.845 Mark. Ludwig Stollwerck rechnete zudem für die weitere Vergrößerung der Geschäfte mit zusätzlichen Mehraufwendungen von 5.822.880 Mark.367 Der bei Gründung der Aktiengesellschaft gefasste Plan, die Expansion des Familiengeschäfts aus den nicht ausgezahlten Gewinnanteilen, den jährlichen Abschreibungen und Reservestellungen zu finanzieren, konnte daher nicht umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund wiesen die Vertreter der Banken bereits in einer Aufsichtsratssitzung am 1. Mai 1906 drauf hin, dass das ungünstig werdende Verhältnis der Verbindlichkeiten zu den übrigen Bilanzzahlen eine Kapitalerhöhung „notwendig“ mache. Eine Vergrößerung des Vorzugsaktienkapitals bezeichnete Dernburg zunächst als „schwierig“ und forderte die Gebrüder Stollwerck auf, über eine Aufstockung des Stammkapitals nachzudenken. Sollte die Familie die dafür erforderlichen Mittel nicht aufbringen können, müsse man die Einführung der Stammaktien an der Börse avisieren, um den Kapitalbedarf zu decken. Die Gebrüder Stollwerck lehnten letztere Möglichkeit freilich rundweg ab, wäre doch damit ihrem „steten Streben, die Aktiengesellschaft zu einer FamilienAktiengesellschaft zu machen und zu erhalten, […] ein Ende bereitet, wie auch dem Wunsche, das aufgebaute ganze Geschäfte den Familien allein zu erhalten“368. Sie hielten daher trotz der Bedenken der Banken an ihrem Plan fest, das Betriebskapital durch die Aufstockung des Vorzugsaktienkapitals zu erhöhen – die Unabhängigkeit von Dritten zu wahren, seien es Kreditgeber oder Anteilseigner, genoss für sie höchste Priorität. 1907 beschloss der Aufsichtsrat schließlich, das Vorzugsaktienkapital um zwei Millionen Mark zu erhöhen. Zum einen wurde der von den Stammaktionären noch nicht eingezahlte Betrag von 750.000 Mark einberufen, da vor einer Kapitalerhöhung etwaige noch nicht eingezahlte Beträge des Stammaktienkapitals gemäß Gesetz eingezahlt werden mussten.369 Zum anderen wurden von den 2.000 neuen 366 Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1906, RWWA 208-3883. 367 Siehe Ludwig Stollwerck: Bericht über die Finanzlage von Gebr. Stollwerck A.-G. und ihr Verhältnis zu den Stamm-Aktionären, 9. Juli 1907, RWWA 208-149-8. Die finanzielle Situation und der projektierte Ausbau der einzelnen Zweigunternehmen sind in diesem Bericht detailliert dargelegt. 368 Die letzten Zitate aus ebenda. Heinrich Stollwerck als Senior der Familie betonte daher eindringlich, man müsse nun „gut finanziell disponieren und – besonders sparen“. Ebenda. 369 Da den „vier Stämmen die Mittel fehlten“, um die 750.000 Mark einzuzahlen, trafen sie ein „vorteilhaftes Abkommen“ mit den Bankhäusern J. H. Stein, von der Heydt-Kersten & Söhne
358
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Vorzugsaktien 1.000 Stück dazu verwendet, die Reste der Kommanditbeteiligung bei der Deutschen Automaten Gesellschaft Stollwerck & Co. (DAG)370 in Höhe von nominell 1.020.000 Mark zu übernehmen.371 Die Beteiligung der persönlich haftenden Gesellschafter bei der DAG gehörte bereits der Gebrüder Stollwerck AG. Mit dem Erwerb der Kommanditanteile wurde die Firma Eigentümerin des gesamten Vermögens der DAG. Die Kommanditisten der DAG erklärten sich mit diesem Vorhaben, neue Vorzugsaktien anstatt Barabfindungen entgegenzunehmen, einverstanden.372 Die übrigen 1.000 Vorzugsaktien wurden vom BankenKonsortium übernommen.373 Entsprechend der prozentualen Verteilung von 1902
370
371 372
373
und der Darmstädter Bank, die einen Betrag von 930.000 Mark zum Privatdiskont zur Verfügung stellten. Ludwig Stollwerck: Gedanken zu einer Anregung von Exzellenz Dernburg über finanzielle Umgestaltung unserer Familien-Aktiengesellschaft, 22. Januar 1911, RWWA 208-149-11. Für den Aufbau eines erfolgreichen Großunternehmens reicht es nicht aus, das Geschäft bis zu einer gewissen Größenordnung (Economies of Scale) auszudehnen. Nach Chandler (Scale and Scope, S. 17 f.) ist es ferner wichtig, Transaktionskosten zu minimieren, d. h. jene Kosten, die bei Geschäften auf dem Markt anfallen (vor allem Informations- und Kommunikationskosten). Diese Reduktion von Transaktionskosten kann u. a. durch eine Diversifizierung der Produktion erfolgen, z. B. indem das Unternehmen neue Sparten aufbaut. Seit Beginn der 1880er Jahre unterhielten die Gebrüder Stollwerck Geschäftsverbindungen zu Theodor Bergmanns Metallunternehmen. Siehe Kapitel III.A.1. Bergmann war es auch, der seinen Geschäftsfreund Ludwig Stollwerck auf die Möglichkeit aufmerksam machte, Automaten für den Süßwarenvertrieb zu nutzen, und den Kontakt zu Max Sielaff vermittelte – Ingenieur und wichtigster deutscher Erfinder auf diesem Gebiet. Stollwerck erwarb in der Folge zahlreiche Patente auf Automaten, war aber auch selbst an der Konstruktion, zumeist von Einzelteilen, beteiligt. Seit 1887 vertrieb Stollwerck zunächst Süßigkeiten, schließlich auch Parfums, Zigaretten, Zündhölzer etc. über die Automaten. Das Automatengeschäft entwickelte sich rasch zu einem eigenständigen Geschäftszweig und wurde 1895 auf Betreiben Ludwig Stollwercks vom Kerngeschäft getrennt und in eine neu gegründete Tochterfirma, die Kommanditgesellschaft Deutsche Automaten Gesellschaft Stollwerck & Co. (DAG), überführt. Siehe Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 175–278; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 313–433 sowie Ludwig Stollwerck: Gründung der Deutschen Automaten Gesellschaft Stollwerck & Co., 1906, RWWA 208-243-7. Siehe auch Kapitel IV.B.1. 1909 hätten die Gebrüder Stollwerck von diesem Recht ohnehin Gebrauch machen und sich die erforderlichen Geldmittel über eine Kapitalerhöhung beschaffen müssen. Siehe ebenda. Die Kommanditisten sollten ihre Beteiligungen an der DAG an die Gebrüder Stollwerck AG abtreten und im Gegenzug von einem Konsortium, welches die 1.000.000 Mark Vorzugsaktien gezeichnet und bar eingezahlt hatte, diese Vorzugsaktien erhalten. Siehe Bank für Handel und Industrie an Sal. Oppenheim jr. & Co. am 24. Januar 1907, HBO K-Kons/728, Bd. 1. Die noch drei Jahre laufende Gewinnbeteiligung der Kommanditisten lösten die Gebrüder Stollwerck durch die Verpflichtung ab, bis 1909 jährlich die feste Summe von 60.000 Mark zu zahlen. Diese insgesamt 180.000 Mark wurden in der Bilanz per 1. Dezember 1906 unter den Passiva eingesetzt. Siehe Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1906, RWWA 208-388-3. Die Vorzugsaktien wurden von dem Konsortium zum Kurs von 110 Prozent zuzüglich vier Prozent Stückzinsen übernommen und von demselben den alten Vorzugsaktionären zum Kurs von 115 Prozent zuzüglich vier Prozent Stückzinsen angeboten. Dabei konnte auf je fünf alte Vorzugsaktien eine neue bezogen werden. Siehe Bank für Handel und Industrie an Sal. Oppenheim jr. & Co. am 24. Januar 1907, HBO K-Kons/728, Bd. 1.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
359
war die Darmstädter Bank für Handel und Industrie an diesem Geschäft zunächst mit 21, der A. Schaaffhausen’sche Bankverein mit 20 Prozent beteiligt, die Berliner Handels-Gesellschaft und S. Bleichröder übernahmen jeweils 19 Prozent der neuen Vorzugsaktien, die Bankhäuser S. Oppenheim jr. & Co. und J. H. Stein, Köln sechs bzw. fünf und die Gebrüder Stollwerck zehn Prozent.374 Das voll eingezahlte Grundkapital der Gebrüder Stollwerck AG betrug damit neun Millionen Stamm- und sieben Millionen Vorzugsaktien (siehe Abb. 57). Kapital (in M) 1902
Kapitalanteil (in %)
1907
1902
1907
Stammaktionäre Peter Joseph Stollwerck
2.250.000
2.250.000
16,1
14,1
Heinrich Stollwerck
2.250.000
2.250.000
16,1
14,1
Ludwig Stollwerck
2.150.000
2.150.000
15,3
13,4
Carl Stollwerck
2.150.000
2.150.000
15,3
13,4
Gustav Stollwerck Gesamt
200.000
200.000
1,4
1,2
9.000.000
9.000.000
64,2
56,2
Vorzugsaktionäre Darmstädter Bank f. Handel und Industrie
1.050.000
1.260.000
7,5
7,9
Berliner Handels-Gesellschaft
950.000
1.140.000
6,8
7,1
S. Bleichröder
950.000
1.140.000
6,8
7,1
A. Schaaffhausen’scher Bankverein
500.000
700.000
3,6
4,4
Sal. Oppenheim jr. & Co.
300.000
360.000
2,1
2,2
von der Heydt-Kersten & Söhne
250.000
250.000
1,8
1,6
Bernhard Loose & Co.
250.000
250.000
1,8
1,6
J. H. Stein
250.000
300.000
1,8
1,9
Gebrüder Stollwerck
500.000
600.000375
3,6
3,8
Kommanditisten DAG
1.000.000
6,2
Gesamt
5.000.000
7.000.000
35,8
43,8
Gesamt
14.000.00
16.000.000
100,00
100,0
Abb. 58: Anteilseignerstruktur der Gebrüder Stollwerck AG 1902 und 1907376
374 Später wurde auch den Bankhäusern von der Heydt-Kersten & Söhne und Bernhard Loose & Co. – wie schon 1902 auf Bitten der Gebrüder Stollwerck – eine Unterbeteiligung in Höhe von je 4,5 Prozent abgegeben. Siehe Bank für Handel und Industrie an Sal. Oppenheim jr. & Cie. am 19. März 1907, HBO K-Kons/728, Bd. 1. Aus den überlieferten Schriftstücken ist aber nicht ersichtlich, welches Bankhaus die Unterbeteiligung an die beiden Kreditinstitute abtrat, so dass ihr Anteil bei der Berechnung in Abb. 58 außen vor bleiben muss. 375 1911 verkauften die Gebrüder Stollwerck ihre Vorzugsaktien. Siehe Ludwig Stollwerck: Gedanken zu einer Anregung von Exzellenz Dernburg über finanzielle Umgestaltung unserer Familien-Aktiengesellschaft, 22. Januar 1911, RWWA 208-149-11.
360
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Um „das mühsam und erfolgreich aufgebaute Geschäft den Familien auch für die Zukunft zu erhalten“, legten sich die Gebrüder Stollwerck die Pflicht auf, ihre persönlichen Bezüge aus den ihnen zustehenden Dividenden und Tantiemen in den nächsten fünf Jahren „tunlichst zu beschränken“377, um nicht nur die Schulden zu reduzieren, sondern auch im Stande zu sein, bei erforderlichen Erhöhungen des Stammaktienkapitals die Mittel selbst aufbringen zu können. Tatsächlich planten die Gebrüder Stollwerck, konkret Ludwig, der dies als „mein Projekt“ bezeichnete, bereits 1913 eine erneute Kapitalerhöhung um vier Millionen Mark. Hatte die Aufstockung von 1907 vor allem dazu gedient, den Kapitalbedarf der fünf Tochterunternehmen zu decken und die Kommanditanteile der Deutschen Automaten-Gesellschaft zurückzukaufen, erforderte nun die Ausdehnung des deutschen Fabrikgeschäfts weitere Betriebsmittel.378 William Hesketh Lever, der die Familie bereits bei der Gründung der Aktiengesellschaft 1902 wegweisend unterstützt hatte, riet seinem Freund Ludwig Stollwerck, das von neun auf elf Millionen Mark zu erhöhende Stammaktienkapital in sechs Millionen „gewöhnliche“ Stammaktien und fünf Millionen zehnprozentige Vorzugsaktien zu teilen. Er sei bei seinem Unternehmen genauso verfahren, „um bei den steten Kapitalerhöhungen […] das letzte Wort für sich zu behalten, obschon er die numerische Kontrolle verloren habe“. Die Stammaktien sollten dann diejenigen Familienmitglieder erhalten, die auch im Unternehmen tätig waren. Die neuen zehnprozentigen Vorzugsaktien sollte die Familie dann beispielsweise den Töchtern oder dem jüngsten Bruder Carl aushändigen, falls dieser sich „gänzlich vom Geschäfte zurückziehen sollte“. Inwiefern Carl tatsächlich plante, dem Familiengeschäft den Rücken zu kehren oder ob sich Lever hier lediglich auf die Drohungen bezog, die der jüngste der Gebrüder Stollwerck im Zusammenhang mit der Verärgerung über seinen Neffen Gustav ausgesprochen hatte, lässt sich nicht mehr verifizieren. Ludwig stand dem Vorschlag seines Geschäftsfreundes und -partners freilich ohnehin skeptisch gegenüber, ging er doch davon aus, dass die deutschen Banken auf einen solchen Vorschlag nicht eingehen würden.379 Den Einwand Levers, dass er dies auch zehn Jahre zuvor über die Einführung von Vorzugsaktien gesagt hatte, wies er mit der Aussage zurück: „Ja, damals war auch ein Dernburg vorhan-
376 Die Quoten der einzelnen Banken wurden entsprechend der Einzelinformationen aus folgenden Schriftstücken berechnet: A. Schaaffhausen’scher Bankverein Köln an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein Berlin am 25. Januar 1907, HADB K02/1273; Konsortialbestimmungen betr. Nom. M. 2.000.000 Vorzugsaktien der Gebrüder Stollwerck Aktiengesellschaft vom 22. Februar 1907, HBO K-Kons/728, Bd. 1. 377 Ludwig Stollwerck: Bericht über die Finanzlage von Gebr. Stollwerck A.-G. und ihr Verhältnis zu den Stamm-Aktionären, 9. Juli 1907, RWWA 208-149-8. 378 Der Geschäftsumsatz stieg von 10.130.099 Mark 1902 auf 16.724.621 Mark 1912. Siehe Ludwig Stollwerck: Weitere Gedanken über die finanzielle Reorganisation der FamilienAktiengesellschaft: Gebrueder Stollwerck A.-G., 1. Juni 1913, RWWA 208-149-10. 379 Ludwig Stollwerck plante eine Erhöhung von sieben auf neun Millionen Mark des 6%igen kumulativen Vorzugsaktienkapitals und von neun auf elf Millionen Mark des Stammaktienkapitals, insgesamt also eine Erhöhung von 16 auf 20 Millionen Mark. Siehe ebenda.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
361
den.“380 Zu den neuen Direktoren der Darmstädter Bank pflegte Ludwig kein ähnlich vertrauensvolles Verhältnis wie zu Dernburg, mit dem er auch verbunden blieb, nachdem dieser 1906 in die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes gewechselt war. Die Familien Bernhard Dernburg und Ludwig Stollwerck verbrachten beispielsweise 1910 das Osterfest gemeinsam und 1915 lobte Ludwig ihn als einen „energischen Charakter“, den er „stets hoch achte“ und zu seinen „besten Freunden“381 zähle. Ludwig Stollwerck war sich bewusst, dass er das Familienunternehmen nicht ohne die Ratschläge seiner „engsten Geschäftsfreunde“, zu denen er Dernburg „in allererster Linie“ zählte, führen konnte. Offen bat er Dernburg daher wiederholt – auch in der Frage einer erneuten Kapitalerhöhung – um „Unterstützung besonders in den mannigfach vorkommenden finanziellen Fragen“382. Dernburg ging davon aus, dass das Familienunternehmen weiter wachsen und es der Familie dann schwer fallen würde, das notwendige Kapital zur Vergrößerung der Geschäfte aufzubringen – „es sei denn wiederum durch eine Anleihe, welche aber doch persönlich drückt und welche man seinen Erben nicht hinterlassen möchte“. Zudem müsse man berücksichtigen, dass nicht alle Nachkommen im Geschäft tätig seien und dass die Deszendenten nach dem Tod der Gebrüder Stollwerck sicher „einen Teil der ihnen zufallenden Stammaktien zu verwerten“ wünschten. Er schlug daher vor, das Stammaktienkapital zu vergrößern, die Stammaktien dann an der Börse einzuführen und einen Teil davon zu verkaufen. Ludwig Stollwerck stand dem Gedanken nicht ablehnend, wohl aber vorsichtig gegenüber und betonte, dass es dann „selbstverständlich unsere Hauptaufgabe“ sein müsse, „den Wert derselben ‚so hoch‘ und dennoch ‚so solid‘ als möglich zu gestalten“ und „für jeden der vier Stämme neben einem das Stammaktien-Kapital kontrollierenden Aktienbesitz eine gute Reserve in baren Mitteln zu erhalten“383. Primäres Ziel blieb es demnach, das Familienunternehmen über die Kapitalmehrheit der Stammaktien zu kontrollieren. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte die geplante Kapitalaufstockung freilich ohnehin zunächst.
380 Alle direkten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Bernhard Dernburg am 11. April 1913, RWWA 208-303-1. 381 Ludwig Stollwerck an August Schilling und John Volkmann am 5. Januar 1915, RWWA 208-166-3. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 1. April 1910, RWWA 208-162-4. 382 Ludwig Stollwerck an Bernhard Dernburg am 19. März 1906, RWWA 208-243-7. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Bernhard Dernburg am 11. April 1913, RWWA 208-303-1. 383 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck: Gedanken zu einer Anregung von Exzellenz Dernburg über finanzielle Umgestaltung unserer Familien-Aktiengesellschaft, 22. Januar 1911, RWWA 208-149-11. Ludwig Stollwerck betrachtete den „radikalen Gedanken von Freund Dernburg“ zwar als „sehr vorteilhaft“ für das Familienunternehmen, ging aber davon aus, dass er „schwer durchführbar“ sei und arbeitete einen eigenen, „gelinderen Vorschlag“ aus, der nur die Erhöhung um je eine Millionen Mark vorsah. Ebenda.
362
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
IV.A.3 „Was würde Vater dazu sagen“ – Die schleichende Auflösung des Familienprinzips (1914 bis 1932) Der Erste Weltkrieg und die Folgen für den Generationenwechsel in der Unternehmensführung Der Eintritt Deutschlands in den Ersten Weltkrieg am 1. August 1914 veränderte nicht nur die weltpolitische Lage und die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns, sondern hatte auch maßgeblichen Einfluss auf den Fortgang des zweiten Generationenwechsels im Unternehmen Stollwerck und die Gestaltung der unternehmerischen Verfügungsrechte. Die dem Vorstand angehörenden Familienmitglieder Carl, Gustav, Franz (II) und Fritz wurden wie alle anderen männlichen Nachfahren der dritten Generation zum Militär einberufen.384 Während Gustav und Franz (II) bei Ausbruch des Kriegs bereits seit einigen Jahren in der Geschäftsleitung tätig waren, gehörte Fritz dem Vorstand erst seit 1914 an und hatte somit erst wenige Monate Zeit gehabt, sich in der neuen Aufgabe zurechtzufinden. Auch die weitere Ausbildung und Einarbeitung von Paul wurde jäh unterbrochen, so dass die Unternehmernachfolge ab August 1914 im Grunde auf Eis lag. Zwar ließen sich sowohl Carl als auch seine Neffen regelmäßig über die Entwicklung des Familienunternehmens informieren,385 sprachen Empfehlungen und Ratschläge aus,386 doch war dies nur per Brief möglich. An der tatsächlichen Unternehmenspolitik konnten sie – abgesehen von kurzen Fronturlauben – nicht teilnehmen.
384 Lediglich die in den USA lebenden Brüder bzw. Vettern Albert Nikolaus (II) und Heinrich Victor wurden nicht zu den Waffen gerufen. Gustav gehörte zur Luftschiffer-Abteilung, Franz (II) zum Hanauer Ulanen-Regiment; Fritz zog mit den Württemberger Dragonern ins Feld und Paul erhielt ein Kommando beim Feldartillerie-Regiment Wesel. Siehe Ludwig Stollwerck an Hermann Marks am 8. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. Siehe zum Ersten Weltkrieg auch Kapitel III.C.2. 385 Ludwig Stollwerck verfasste für die im Feld stehenden Familienmitglieder regelmäßig ausführliche Rundbriefe über die Situation im Unternehmen und das Wohlergehen der Familie in der Heimat. Allein für die Zeit von August bis Oktober 1914 sind elf solcher Berichte überliefert. Siehe Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 12., 17. und 26. August 1914, am 5., 11., 19. und 26. September 1914, am 3., 10. 24. und 31. Oktober 1914, Briefe aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. Im Mai 1915 hatte Ludwig Stollwerck bereits 32 Rundbriefe verfasst. Siehe Fritz Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 26. Mai 1915, RWWA 208-166-7. 386 So empfahl Paul, mehr Wert auf die Verpackung zu legen: „Dass wir die Masse der Kriegspackung nicht leisten können, sieht man an der Packung. […] Hildebrand, Wiese sind schöner geordnet, besser stanniolisiert. Auch finde ich Wellkarton für Napolitains nicht geeignet. Plump. Das ganze zu dick. Wenn einmal in Satteltasche geht Packung gern auf. Es macht dann keinen guten Eindruck. […] Vielleicht Sonderpackung für Offiziere […]?“ Paul Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. September 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
363
Lediglich Ludwig und der mit 71 Jahren für den Militärdienst bereits zu alte Heinrich Stollwerck wurden nicht zum Kriegsdienst verpflichtet.387 Da beide Brüder gesundheitlich wohlauf waren und die Verfügungsrechte noch nicht an die nachfolgende Generation übertragen hatten, änderten sich die unternehmensinternen Entscheidungs- und Kompetenzstrukturen durch den Krieg zunächst nicht. Ludwig und Heinrich behielten das seit Jahrzehnten praktizierte arbeitsteilige System bei und arbeiteten „recht harmonisch“388 zusammen. Während sich Ludwig den Bereichen Rohstoffeinkauf, Buchhaltung, Reklame und Vertrieb sowie Personalfragen389 widmete und dafür sorgte, über die Verbandspolitik die Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Erfolg zu schaffen und politische Entscheidungen zu beeinflussen, nahm der Senior der Familie anstelle von Carl „die Leitung der umfangreichen Fabrikbetriebe auf seine Schultern“390 und verantwortete die technische und bauliche Instandhaltung der Fabriken. Die Unternehmensumwelt wandelte sich freilich im Ersten Weltkrieg erheblich. Der Staat griff zunehmend stärker in die Wirtschaft ein und begrenzte die unternehmerische Freiheit vor allem im Im- und Export.391 Bereits mit Kriegsbeginn verbot die deutsche Regierung die Ausfuhr zahlreicher Nahrungsmittel, darunter Kakao und Zucker. Wenige Tage später verhängte die Entente im Zuge ihrer Kriegserklärung eine Wirtschaftsblockade gegen die Mittelmächte. Die direkte Zufuhr von Rohkakao aus den überseeischen Produktionsgebieten war unterbunden, Exportmärkte waren weitgehend verschlossen.392 Die Stollwerck’schen Rohkakaovorräte waren, wie die anderer Fabrikanten, „nicht sehr gross“ und
387 Siehe Ludwig Stollwerck an Hermann Marks am 8. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 388 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 17. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 389 Da viele männliche Arbeiter und Angestellte Kriegsdienst leisten mussten (1915 waren es ca. 600), wurden Personalfragen (u. a. die Rekrutierung weiblicher Ersatzkräfte) zu einem wichtigen Aufgabengebiet. Siehe Ludwig Stollwerck: Vertraulicher Geschäftsbericht für Mitglieder des Aufsichtsrates pro Geschäftsjahr 1915, RWWA 208-148-9. 390 Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1914, RWWA 208-3883. Ludwig zeigte sich über Heinrichs robuste Gesundheit und Leistungsfähigkeit sehr erfreut und berichtete den im Feld stehenden Familienmitgliedern, dass der Senior der Familie bislang „alle Strapazen in der Fabrik, insbesondere auch bei den durch das tägliche Einberufen von Personal entstehenden Aufregungen, gut aushielt“. Es gehe ihm „nach wie vor recht gut“ und es sei „eine Freude zu sehen, wie er in seinem Alter dahinter ist, dass alle Waren gut und zuverlässig fertiggestellt werden“. Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 7. Mai 1915, RWWA 208-273-3; Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 11. September 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 391 Durch den Zusammenschluss in einem Einkaufs-Kartell, der 1907 gegründeten KEG, hatten die Unternehmer der deutschen Kakao- und Schokoladenindustrie diese Freiheit freilich bereits selbst begrenzt, um sich vor den Spekulationen auf dem Kakaomarkt zu schützen. Siehe ausführlich Kapitel III.C.2, FN 937. 392 Siehe Hardach: Erster Weltkrieg, S. 26; Kynast: Die deutsche Kakao- und SchokoladeIndustrie, S. 75.
364
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
reichten, gemessen am durchschnittlichen Friedensbedarf, für „vielleicht […] etwa 1-2 Monate“393. War es vor dem Krieg die größte Sorge der Unternehmer gewesen, ihre Waren an die „kakaosatt[e]“394 Bevölkerung zu verkaufen und sich gegen die Konkurrenz zu behaupten, war der Absatz nun ein untergeordnetes Problem. Zentral war vielmehr die Frage, wie ausreichend Rohkakao importiert werden konnte. Die Kakao- und Schokoladenfabrikanten mussten alternative Mittel und Wege finden, ihren Hauptrohstoff in das Deutsche Reich einzuführen. Dies erforderte aufgrund der bürokratischen Strukturen der Kriegswirtschaft einen hohen Planungs- und Koordinationsaufwand, viel Zeit und Disziplin. Für Ludwig Stollwerck erwiesen sich in diesem Zusammenhang nicht nur seine bürgerlichen Tugenden als äußerst vorteilhaft, sondern er profitierte auch von den im Zuge der weltweiten Expansion des Unternehmens geknüpften Kontakten. Zum einen gelang es ihm, bis Mitte 1915 große Mengen Rohkakao, für die er aber extrem hohe Preise zahlen musste, in der Schweiz und den Niederlanden zu beschaffen.395 „Unsere holländischen Freunde sandten […] Partien von Holland nach [der] Schweiz über Mannheim, – und während des Wasser-Transportes Rotterdam-Mannheim wurde die Ware an eine deutsche Firma von der Schweiz verkauft und letztere gab dem Mannheimer Speditör Auftrag, die Ware an den neuen Käufer in Deutschland zu senden.“396
Zum anderen bat Ludwig Stollwerck wiederholt die amerikanische Tochterfirma um Hilfe.397 Stollwerck Brothers leistete gerade in den ersten beiden Kriegsjahren wichtige Vermittlungsdienste, indem Rohkakao aus den USA in die neutralen 393 Gebrüder Stollwerck AG an die Redaktion der Kolonialwaren-Woche am 20. August 1914, RWWA 208-219-5. Erst Ende Juli 1914 ging Stollwerck angesichts der Kriegsgefahr dazu über, „genügend Vorräte von allen Waren“ anzulegen. Ludwig Stollwerck an Max Kattwinkel am 27. Juli 1914, RWWA 208-165-4. 394 O. A.: Kriegsjahre der Kakaoindustrie, S. 8854. 395 Die Rohkakaoverkäufer in den neutralen Staaten zeigten, nachdem der eigene Bedarf gesichert war, großes Interesse an Verkaufsgeschäften nach Deutschland, da die deutschen Fabrikanten angesichts ihrer Notlage Preise zahlten, die deutlich über dem Friedenswert lagen. Mit dem erzielten Gewinn konnten die Verkäufer in Übersee preiswert neuen Rohkakao einkaufen. Förderlich wirkte sich in diesem Zusammenhang aus, dass die Rohkakaoernte 1914 in fast allen Erzeugungsländern überdurchschnittlich gut ausfiel. Siehe Wiehr: Der deutsche Kakaohandel, S. 69, 77; Kynast: Die deutsche Kakao- und Schokolade-Industrie, S. 75 f. 396 Ludwig Stollwerck an den Berner Großkaufmann Hans Rooschüz am 1. Mai 1915, RWWA 208-63-1. Siehe zu Hans Rooschüz auch Rossfeld: Vom Hoffnungsträger zum Politskandal, S. 207. 397 „Wie wir Ihnen durch Rotterdam depeschirten, müssen Sie Alles tun uns zu helfen eventl. durch Tag- und Nachtbetrieb. Wir haben ja über 10000 Ballen Kakao nicht nur von Ihnen, sondern auch von allen andern möglichen Quellen unterwegs, aber ob wir diese erhalten, ist ja eine zweite Frage. Aus diesen Gründen möchten wir, um unser grosses Personal doch nicht wegen Kakaomangel entlassen zu müssen, auch durch Bezug von Halb-Material mit Ihrer Hülfe uns Arbeitsgelegenheit verschaffen.“ Ludwig Stollwerck an Max Kattwinkel am 20. November 1914, RWWA 208-166-1. Siehe auch Ludwig Stollwerck an August Merckens und Max Kattwinkel am 28. August 1914, RWWA 208-165-5; Ludwig Stollwerck an August Merckens am 14. September 1914, RWWA 208-165-5; Max Kattwinkel an Ludwig Stollwerck am 29. November 1914, RWWA 208-166-1.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Staaten verschifft und von dort in die deutschen Stollwerck-Fabriken transportiert wurde. Im Geschäftsbericht für 1915 hieß es dazu: „Erfreulich ist es, dass wir auch im letzten Jahre durch Vermittlung unseres Stamforder Zweighauses grössere Rohkakao-Partien über Dänemark zu vorteilhaften Preisen einführen konnten, welch’ günstige Einkäufe zu dem guten Bilanzergebnis wesentlich beigetragen haben.“398
In der Tat verzeichnete Stollwerck trotz der Beeinträchtigungen in der Rohstoffversorgung und der weggebrochenen ausländischen Absatzmärkte in den Jahren 1914 und 1915 einen ausgesprochen guten Geschäftsgang. Der Reingewinn der Gesellschaft stieg von 1.691.379 Mark im letzten Friedensjahr auf 1.914.231 Mark 1914 und 2.129.936 Mark ein Jahr später – mithin der höchste nominale Reingewinn seit Gründung der Aktiengesellschaft 1902. Wurden 1913 neun Prozent Dividende auf die Stammaktien ausbezahlt, waren es 1914 zehn, 1915 sogar zwölf Prozent. Auch in den beiden folgenden Kriegsjahren waren die Reingewinne deutlich höher als im Durchschnitt der letzten Friedensjahre. Im Geschäftsjahr 1916 wies die Stollwerck AG einen Reingewinn von 1.971.740 Mark aus, 1917 waren es immerhin noch 1.813.736 Mark.399 Ein Vergleich mit Sarotti, dem bedeutendsten deutschen Konkurrenten von Stollwerck, zeigt, dass es auch der Berliner Firma, blickt man nur auf den ausgewiesenen Reingewinn, deutlich besser erging als in der Vorkriegszeit (siehe Abb. 59). 4.500.000 4.000.000 3.500.000 3.000.000 2.500.000 2.000.000 1.500.000 1.000.000 500.000 0
Sarotti Stollwerck
1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916 1917 Abb. 59: Ausgewiesene Reingewinne der Firmen Sarotti und Stollwerck 1908–1917 (in M)400
398 Ludwig Stollwerck: Vertraulicher Geschäftsbericht für die Mitglieder des Aufsichtsrates pro Geschäftsjahr 1915, RWWA 208-148-9. Siehe auch Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 162. 399 Die Dividende auf die Stammaktien betrug in den Jahren 1916 und 1917 zehn bzw. neun Prozent. Siehe die Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1913 bis 1915, RWWA 208-388-3. 400 Zusammengestellt anhand o. A.: Übersichten zur Entwicklung der Bilanzen von Sarotti und Stollwerck, S. 9755, 9889.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Zurückzuführen ist dieser gute Geschäftsgang maßgeblich401 auf den hohen Bedarf des Militärs, das Kakao und Schokolade bereits Ende des 19. Jahrhunderts als „idealen […] Proviant“402 erkannt hatte, da die Produkte nicht nur einen hohen Nährwert, sondern auch eine handliche Form haben und sich gut transportieren lassen. Unter der Maßgabe „Für unsere Vaterlandsverteidiger ist nur das Beste gut genug“403 richtete Stollwerck daher unmittelbar nach Kriegsbeginn einen Großteil seiner Produktion auf den Bedarf des Militärs aus: Feld-Waffeln, FeldProviant, Feld-Schokolade-Keks etc. wurden speziell „zur Verpflegung unserer
401 Zu berücksichtigen ist ferner, dass es der Stollwerck AG durch die Entwicklung von Surrogaten (z. B. Kakao, in welchem die Kakaosubstanz durch präparierte Kohlehydrate ersetzt wurde, Marmelade, Suppenpulver) und die Konzentration auf wenige, qualitativ hochwertige Produkte gelang, ihr Produktionsprofil erfolgreich umzugestalten und an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Im Geschäftsbericht für 1916 hieß es, die Gesellschaft habe sich „mehr auf die Fabrikation der bessern, guten Verdienst lassenden Erzeugnisse“ verlegt „und die geringeren Waren, an denen als Massenartikel ein verhältnismässig kleiner Fabrikationsverdienst verbleibt“, vernachlässigt. Ludwig Stollwerck: Vertraulicher Geschäftsbericht pro Geschäftsjahr 1916 für die Mitglieder des Aufsichtsrates, 1917, RWWA 208-149-1. Siehe auch Kynast: Die deutsche Kakao- und Schokolade-Industrie, S. 101; Kriegspreisliste der Gebrüder Stollwerck AG, April 1917, RWWA 208-152-6; Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 26. Mai 1916, RWWA 208-171-5; Ludwig Stollwerck an Gustav Laute am 31. Januar 1916, RWWA 208-40-2. Siehe ferner die in RWWA 208-152-6 und 208-298-2 überlieferten Preislisten der Gebrüder Stollwerck AG für die Jahre 1914 bis 1919. Da während der Kriegsjahre vor allem schlechte deutsche Konsum- und Surrogatwaren und qualitativ hochwertige ausländische Erzeugnisse den Schokoladenmarkt prägten, zeugt die Entscheidung für Qualitätsprodukte durchaus von unternehmerischer Weitsicht. Zum einen hob sich Stollwerck damit von der Masse der anderen Fabrikanten ab, die überwiegend billige Konsumschokolade produzierten, zum anderen steuerte das Unternehmen der Entwicklung entgegen, dass ausländische Erzeugnisse die deutschen Produkte vom Markt verdrängten. Denn durch die Produktionseinschränkungen waren die deutschen Schokoladenfabrikanten nicht mehr in der Lage, die Nachfrage, insbesondere der Armee, zu befriedigen. Der Schokoladenkonsum wurde jedoch zunehmend bedeutender, um die Stimmung im Militär zu stabilisieren. Daher vergab der Staat z. B. Aufträge an Schweizer Firmen. Diese lieferten jedoch nur noch gegen Kompensationsobjekte – insbesondere Zucker – nach Deutschland. Kakaoerzeugnisse wurden damit zu Objekten des Tauschhandels. Siehe Rossfeld: Schmuggel, S. 421 ff. 402 Ebenda, S. 412. Siehe auch ebenda, S. 412 ff.; ders.: Vom Frauengetränk zur militärischen Notration, S. 59–64; o. A.: Warum unsere Soldaten so stürmisch nach Schokolade und Zucker verlangen, in: Vertrauliche Mitteilungen des Verbandes deutscher SchokoladeFabrikanten 35 (1914), S. 63, RWWA 208-142-4; Wiehr: Der deutsche Kakaohandel, S. 71. Stollwerck (Der Kakao und die Schokoladenindustrie, S. 2) schrieb 1907: „Und allgemein wird Schokolade und Kakao als Nährmittel verwandt. Das bezeugt auch das Verhalten der deutschen Heeresverwaltung, die sowohl bei größeren Manövern, als auch besonders bei kriegerischen Unternehmungen, wie vor einigen Jahren in Ostasien und jetzt in Afrika Kakao und Schokolade in ausgedehntem Maße zur Verpflegung der Truppen benutzte.“ Siehe auch Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 4. November 1910, RWWA 208-73-1. In diesem Schreiben regte er an, „mit den Militär- und Marine-Behörden speziell mit den VerpflegungsAemtern, Kantinen und dergleichen etwas mehr in Fühlung zu kommen“. 403 Rundschreiben der Gebrüder Stollwerck AG an die Vertreter des Unternehmens im August 1914, RWWA 208-258-5.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Truppen im Quartier und im Lazarett“404 hergestellt. Die Idee schlug „ausserordentlich“ ein, so dass Stollwerck zunächst das gesamte Personal „gut“405 beschäftigen konnte. Mitte des Jahres 1915 verschärfte die Entente allerdings ihre Kriegsblockade, indem sukzessive Ausfuhrverbote für Rohkakao in die neutralen Staaten verhängt wurden.406 Damit fiel für die deutschen Kakao- und Schokoladenfabrikanten auch die Möglichkeit weg, Rohkakao z. B. über die Niederlande oder die Schweiz einzuführen – die Kakaoeinfuhr lag weitgehend lahm.407 Im August 1916 berichtete ein niederländischer Mittelsmann, dass es „vollkommen ausgeschlossen“ sei, „auch nur ein Kilo Kakaopulver aus Holland zu Handelszwecken nach Deutschland auszuführen“408. Bereits Ende 1915 war zudem die Produktion von Schokolade eingeschränkt worden. Die Fabrikanten erhielten nur noch die Hälfte ihrer im Vorjahr verarbeiteten Zuckermenge, im Frühjahr 1916 wurde die Quote schließlich auf 25 Prozent gesenkt, ferner durften viele Artikel nicht mehr produziert werden.409 Auch Rohkakao und Halbfabrikate durften die Kakao- und Schokoladenfabrikanten nur noch im Rahmen einer für sie festgesetzten Menge verarbei404 Sonderpreisliste der Gebrüder Stollwerck AG, Januar 1915, RWWA 208-298-2. 405 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck, seine Söhne und Neffen am 26. August 1914, Brief aus dem Eigentum der Familie Stollwerck. 406 Die Niederlande und die Schweiz beriefen sich zwar auf ihre Neutralität, konnten dem Druck der Entente aber nicht standhalten, da Großbritannien die Zufahrtswege für die lebensnotwendigen Importe kontrollierte. „Holland ist […] bezüglich verschiedener Lebensmittel […] auf die Einfuhr aus Übersee angewiesen. – Diese Einfuhr kann zur Zeit nur mit Einwilligung der englischen Regierung stattfinden […]. – England ist sich wohl bewusst, welche Machtmittel es diesetwegen Holland gegenüber in Anwendung bringen kann und nützt diese Machtmittel in schärfster Weise aus […].“ J. K. R. Holtz an Ludwig Stollwerck am 16. September 1916, RWWA 208-64-2. Siehe auch Wiehr: Der deutsche Kakaohandel, S. 77–84. 407 1914 wurden 520.000 Tonnen Rohkakao ins Deutsche Reich eingeführt, 1915 waren es noch 436.000, ein Jahr später nur noch 110.000 Tonnen. 1917 sank die Einfuhr weiter auf 12.000 Tonnen, 1918 wurde kein Rohkakao eingeführt. Siehe Greiert: Festschrift, S. 158; Wiehr: Der deutsche Kakaohandel, S. 77–81. 408 J. K. R. Holtz an die Kriegs-Kakao-Gesellschaft m. b. H., Hamburg am 16. August 1916, RWWA 208-64-2. Im Geschäftsbericht für 1917 hieß es, „dass fast alle Rohmaterialien, die wir aus dem Süden einzuführen gewöhnt sind, […] vollständig ausscheiden“. Ludwig Stollwerck: Vertraulicher Geschäftsbericht pro Geschäftsjahr 1917 für die Mitglieder des Aufsichtsrates, 1918, RWWA 208-149-2. 409 Siehe Greiert: Festschrift, S. 53 f. Auf dem Zuckermarkt hatte das Exportverbot, das zum einen die vorhandenen Vorräte sichern, zum anderen verhindern sollte, dass die Kriegsgegner weiterhin deutschen Zucker bezogen, zu einem drückenden Überangebot geführt, da das Deutsche Reich bedeutend mehr Zucker produzierte als für den Inlandsverbrauch notwendig war. Vor dem Krieg wurden etwa 40 Prozent der Rohr- und Rübenzuckererzeugung exportiert. England z. B. deckte seinen gesamten Bedarf an Zucker über das Einkaufsgeschäft, zudem stammten zwei Drittel der Importe aus Deutschland und Österreich-Ungarn. Siehe Aereboe: Der Einfluß des Krieges, S. 30; Brukner: Zucker und Zuckerrübe, S. 13–21; Fitzgerald: Rowntree, S. 80 ff. Nachdem aber Anbauflächen eingeschränkt worden waren und die Ernteerträge durch fehlende Arbeitskräfte und Düngemittel zurückgingen, verkehrte sich der anfängliche Zuckerüberfluss in Mangel. Demgegenüber stand die hohe Nachfrage von Bevölkerung, Heer und Industrie.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
ten; ab Dezember 1916 wurden 80 Prozent der vorhandenen Bestände an Rohkakao und Kakaoerzeugnissen zugunsten der Heeresverwaltung beschlagnahmt410 – Entwicklungen, die sich auch auf das Stollwerck’sche Unternehmen negativ auswirkten. Die Produktion ging deutlich zurück, 411 die Anzahl der Arbeiter/innen und Angestellten in Köln und Berlin musste bis Juni 1918 auf 680 gegenüber 3.200 in Friedenszeiten reduziert412 und die Berliner Fabrik im September 1917 aufgrund der „mehr als minderwertig[en] und traurige[en]“413 Beschäftigung vorübergehend stillgelegt werden. Um die Rohstoffbezüge aus den neutralen Staaten finanzieren zu können, nahm die Gebrüder Stollwerck AG während des Ersten Weltkriegs hohe Kredite in diesen Ländern auf.414 Bereits im Dezember 1915 beliefen sich allein die Verbindlichkeiten, für die der A. Schaaffhausen’sche Bankverein bei holländischen und schwedischen Instituten bürgte, auf 500.000 Gulden bzw. 1.400.000 Kronen; die Darmstädter Bank für Handel und Industrie hatte eine Garantie in Höhe von 1.500.000 Kronen übernommen. 415 Zwar warnten die deutschen Banken das Familienunternehmen wiederholt „auf das Dringendste vor Eingehung weiterer Devisen-Engagements“416, doch hatten die Gebrüder Stollwerck bei den Kreditgeschäften „umso weniger Bedenken“, als sie in ihrem Kapitalanteil an der amerikanischen Tochterfirma Stollwerck Brothers „das ausgleichende Moment erblickten“417. Zudem ging Ludwig Stollwerck im Dezember 1915 davon aus, dass der 410 Siehe Greiert: Festschrift, S. 53 f.; Wiehr: Der deutsche Kakaohandel, S. 81–84. 411 Der Jahresverbrauch an Rohkakao in der Kölner Fabrik sank von 3.514.210 kg 1913 auf 285.040 kg 1916. Für die beiden folgenden Jahre liegen keine Angaben vor. Siehe Aufstellung über den Jahresverbrauch von Rohkakao in der Kölner Fabrik vom 28. März 1925, RWWA 208-270-3. Wurden 1915 von Köln aus noch Süßwaren im Wert von rund 27,5 Millionen Mark versandt, waren es 1917 nur noch ca. 9,3 Millionen Mark. Siehe Ludwig Stollwerck: Vertraulicher Geschäftsbericht pro Geschäftsjahr 1917 für die Mitglieder des Aufsichtsrates, 1918, RWWA 208-149-2. 412 Die Anzahl der zum Militärdienst eingezogenen Männer ist in diesen Zahlen enthalten. Siehe o. A.: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 11. Juni 1918, RWWA 208-249-6. 413 Ludwig und Carl Stollwerck an Peter Harnisch am 22. September 1917, RWWA 208-60-1. 414 Die Banken in den neutralen Staaten gewährten die Kredite ausschließlich zur Bezahlung der im entsprechenden Land gekauften Waren. Siehe beispielhaft Amsterdamsche Bank an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein am 26. April 1915, HADB K02/0298. 415 Siehe Aktennotiz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins betr.: Gebrüder Stollwerck A.-G., Cöln vom 8. Dezember 1915, HADB K02/0288. Am 1. März 1916 bürgte der Bankverein bereits für Kredite in Höhe von rund 538.969 Gulden sowie 2.343.444 schwedischen Kronen. Siehe Gebrüder Stollwerck AG an den A. Schaaffhausen’schen Bankverein am 1. März 1916, HADB K02/0288. Siehe auch die in HADB K02/0298 überlieferte Korrespondenz zwischen dem A. Schaaffhausen’schen Bankverein und der Gebrüder Stollwerck AG. 416 Aktennotiz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins betr.: Gebrüder Stollwerck A.-G., Cöln vom 4. Februar 1916, HADB K02/0288. Siehe auch Aktennotiz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins betr.: Gebrüder Stollwerck A.-G., Cöln vom 24. September 1915, HADB K02/0319; Aktennotiz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins betr.: Gebrüder Stollwerck A.-G., Cöln vom 8. Dezember 1915, HADB K02/0288. 417 Ludwig Stollwerck: Erklärung im Namen der Verwaltung vom 8. September 1921, RWWA 208-242-6.
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zu erwartende hohe Gewinn der Aktiengesellschaft ausreichend Spielraum biete, um mindestens 500.000 Mark für mögliche Devisenverluste zurückzustellen. Bedenken des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins, dass diese Summe „vielleicht bei Weitem nicht ausreichen könne und dass dann infolge der Einfuhrschwierigkeiten zu erwartende, möglicherweise eintretende Gewinnrückgänge und die Devisenverluste mit diesen zeitlich zusammenfallen und dadurch eine unangenehme Situation schaffen können“, wies er zurück. Auch „mehrfache Versuche“418 des Bankvereins, ihn dazu zu veranlassen, einen Teil der ausländischen Bankschulden zeitnah zurückzuzahlen, scheiterten. Nach Abschluss des Geschäftsjahres 1917 beliefen sich die in Schweden, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz aufgenommenen Kredite auf rund 16 Millionen Mark zum Stichtagskurs.419 Ludwig Stollwerck verließ sich allerdings darauf, „dass, wenn auch keine schriftlichen Vereinbarungen vorliegen, doch bei fast allen ausländischen Banken die mündliche Zusicherung gegeben wurde, die Schuldsumme erst nach dem Kriege zu normalem Kurse zurückzuzahlen“420. Neben diesen finanziellen Herausforderungen und den Einschränkungen in der Rohstoffversorgung und Produktion hatten die Gebrüder Stollwerck zudem den Tod Heinrichs zu verkraften, der am 9. Mai 1915 an den Folgen eines Arbeitsunfalls starb.421 Unmittelbar nach seinem Ableben kehrte Carl aus dem Feld in das „Rädergewirr des Betriebs“422 zurück und übernahm wieder die Verantwortung für die Fabrikation. Heinrichs Posten als Vorsitzender des Aufsichtsrats, den er nach dem Tod Peter Josephs im Jahr 1906 übernommen hatte, übertrug die Familie an ihren langjährigen Rechtsberater Emil Schniewind. Um die familiäre Majorität im Gremium zu wahren, wurde zudem Josef A. Bollig als neues Mitglied
418 Die letzten beiden Zitate aus Aktennotiz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins betr.: Gebrüder Stollwerck A.-G., Cöln vom 8. Dezember 1915, HADB K02/0288. Siehe auch Aktennotiz des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins betr.: Gebrüder Stollwerck A.-G., Cöln vom 30. September 1915, HADB K02/0319. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte der Bankverein darauf hingewiesen, dass „die fortgesetzten Kreditinanspruchnahmen […] wegen der damit verbundenen Valutaspekulation bei dem grossen Umfang der Geschäfte nicht ohne Gefahr seien […]. Ich wies auch auf einen Passus im Kreditvertrage mit den schwedischen Banken hin, der den Banken das Recht gibt, den Vorschuss jederzeit zurückzufordern ‚wenn die Deckung (in diesem Fall unsere Bürgschaft) nicht mehr dienlich sei oder andere Veranlassung vorliegeʼ; diese Rückforderung […] könne zu einer Zeit geschehen, wo eine Eindeckung derartig hoher Beträge, wenn überhaupt, so doch nur zu wesentlich gesteigerten Kursen möglich sei. Ferner komme hinzu, dass die deutschen Banken sich an der Hergabe ihrer Unterschrift für derartige Bürgschaften im Auslande mit Recht eine gewisse Zurückhaltung auferlegen, damit nicht der Fall eintrete, dass eine Bürgschaft zurückgewiesen werden könnte.“ 419 Siehe Ludwig Stollwerck: Vertraulicher Geschäftsbericht pro Geschäftsjahr 1917 für die Mitglieder des Aufsichtsrates, 1918, RWWA 208-149-2. Zum normalen Kurse hätten die Schuldbeträge laut Geschäftsbericht „nur“ 10.924.856 Mark betragen. 420 Ebenda. 421 Zu den Umständen des Arbeitsunfalls siehe Kapitel IV.B.2. 422 Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 8. September 1915, RWWA 208-63-6.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
berufen; Bollig gehörte zum Familienstamm des Verstorbenen – er war mit Heinrichs zweiter Tochter Anna Sophia verheiratet.423 Konnte die Familie den Ausfall der im Feld stehenden Vorstandsmitglieder Gustav, Franz (II) und Fritz sowie den Tod Heinrichs zunächst gut kompensieren, war das personelle Vakuum mit zunehmender Dauer des Kriegs und den komplexer werdenden Anforderungen der Kriegswirtschaft immer schwieriger auszugleichen. Ludwig, der zweifellos die exponierteste Position unter den Brüdern einnahm, musste wiederholt seine „durch den Krieg ziemlich in Anspruch genommenen Nerven“424 durch Kuraufenthalte stärken. Zwar widersprach es seinem ausgeprägten Arbeits- und Leistungsethos, drei Wochen auszuspannen, doch Carl erinnerte ihn eindringlich, dass er nicht nur an sich denken dürfe, sondern auch das Geschäft im Blick haben müsse und dass es „im gemeinsamen Interesse“ sei, dass Ludwig Wort halte und „eine wirkliche Erholung und Ausspannung“425 zulasse. Bereits zu Heinrichs Lebzeiten hatten die Brüder über die „Idee“ gesprochen, „drei unserer tüchtigsten Beamten als stellvertretende Vorstandsmitglieder zu bestimmen“426, um die Geschäftsleitung der veränderten Unternehmensumwelt anzupassen. Zu neuen Vorstandsmitgliedern wurden die Prokuristen Peter Harnisch, Friedrich Eppler und Heinrich Trimborn ernannt.427 Peter Harnisch war 1876 als Lehrling in die Firma eingetreten und hatte bereits während seiner Ausbildung „durch seinen emsigen Fleiß, sein Geschick und Verständnis die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten“428 auf sich gezogen. Im Anschluss an seine Lehre arbeitete er zunächst im Reklame- und Insertionswesen, bevor er mit Gründung der Ausfuhrfabrik 1889 vor allem mit Zollfragen und dem Kontakt zu den zuständigen Behörden betraut wurde. In den folgenden Jahren wurde ihm die Leitung des gesamten Exportgeschäfts zugewiesen, ferner oblag ihm die Betriebsleitung der Ausfuhrfabrik. Vorübergehend war er zudem Ende der 1890er Jahre und Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Leitung der Fabriken in Pressburg und London betraut und erhielt wie Eppler und Trimborn bei Gründung der Aktiengesellschaft 1902 Prokura. Alle Aufgaben löste er stets „aufs beste“429. Nicht nur die Gebrüder Stollwerck, sondern auch ihre designierten Nachfolger schätzten Har423 Nach der Scheidung von Anna Sophia heiratete er 1917 deren Schwester Maria Theresa. Siehe Kapitel III.A.2. 424 Ludwig Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 12. August 1915, RWWA 208-40-1. 425 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 8. Juli 1915, RWWA 208-40-2. 426 Ludwig Stollwerck an Gustav Stollwerck am 19. Juni 1916, RWWA 208-253-5. 427 Ludwig und Carl Stollwerck hatten alle Prokuristen zu einem Gespräch eingeladen, um denjenigen, die nicht berücksichtigt worden waren (u. a. die langjährigen Mitarbeiter Ludwig Meinerzhagen, Eduard Mannert und August Heise) „die Pille etwas zu versüssen“. Ludwig Stollwerck empfand es als „etwas schwierig, die richtigen Worte zu finden“ und begründete die Auswahl damit, dass man diejenigen Mitarbeiter ausgesucht habe, „die infolge ihrer Tätigkeit und ihres Verkehrs mit den Behörden, wir dafür und für die Interessen des Geschäftes am geeignetsten hielten“. Ebenda. 428 O. A.: Direktor Peter Harnisch, S. 58. 429 Ebenda.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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nisch als tatkräftigen und loyalen Mitarbeiter. So schrieb Fritz Stollwerck anlässlich des Todes von Harnisch 1931 an seinen Vetter Gustav: „Du weisst, was wir in ihm, der nicht nur ein guter Kollege sondern uns auch ein treuer Freund war, verlieren. Des Andenkens aller, die Stollwerck heissen insbesondere, kann er gewiss sein. [...] Deshalb ist uns das plötzliche Ableben dieses vortrefflichen Mannes, der sein Letztes über 55 Jahre unserer Firma gegeben hat, besonders hart.“430
Auch Eppler und Trimborn gehörten dem Unternehmen 1916 bereits seit vielen Jahren an: Eppler war bereits seit 31, Trimborn seit 23 Jahren für die Gebrüder Stollwerck tätig.431 Alle drei waren demnach im Grunde Eigengewächse der Firma und hatten sich über die Jahre unternehmensintern Ansehen erworben. So wollten die Gebrüder Stollwerck ihre Berufung in den erweiterten Vorstand auch ausdrücklich als Anerkennung für ihre „Tüchtigkeit und hervorragenden Verdienste“432 verstanden wissen. Peter Harnisch unterstützte fortan Carl Stollwerck im Betrieb, Friedrich Eppler und Heinrich Trimborn waren den Arbeitsbereichen Ludwig Stollwercks zugeteilt.433 Dem Aufstieg von familienfremden Managern in den Vorstand lagen im Wesentlichen zwei Motive zugrunde. Zwar gingen die Gebrüder Stollwerck, erstens, davon aus, dass die zum Krieg eingezogenen Söhne vollzählig und unversehrt aus dem Feld zurückkehren würden, doch waren auch für die Dauer des Kriegs klare und effiziente Entscheidungsstrukturen unerlässlich. Zweitens dürfte bei der Erweiterung des Vorstands auch die Erwägung eine Rolle gespielt haben, qualifizierte Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, sollten wider Erwarten doch einer oder mehrere potenzielle Nachfolger im Krieg fallen. Die Lösung, den Vorstand formal in ordentliche und stellvertretende Vorstandsmitglieder zu gliedern, bedeutete für die Geschichte der Firma ein Novum. Erstmals wurden familienfremde Mitglieder in die (erweiterte) Unternehmensführung aufgenommen. Da die Familie aber angesichts der Kriegslage und des unkalkulierbaren Schicksals der designierten Firmenerben keinen klaren Fahrplan für die zukünftige Zusammensetzung der Unternehmensleitung hatte, handelte es sich nur um eine partielle Öffnung des Vorstands, denn den drei neuen stellvertretenden Mitgliedern wurden zwar weitreichende Kompetenzen gewährt, doch erhielten sie keine Unternehmensanteile; auch eine Gewinnbeteiligung war zunächst nicht vorgesehen, sondern sie bekamen ein festes Jahresgehalt von 10.000 Mark. Erst nach der Rückkehr von Gustav, Franz (II) und Fritz sollte definitiv über das Verhältnis der familienfremden Manager und der Familienmitglieder entschieden werden.434 Am Status der Gebrüder Stollwerck AG als Familienunternehmen änderte sich daher zunächst nichts – sowohl in Vorstand und Aufsichtsrat als auch in der Eigentümerstruktur dominierte weiterhin die Familie.
430 431 432 433 434
Fritz Stollwerck an Gustav Stollwerck am 17. Juli 1931, RWWA 208-51-3. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 125 f. O. A.: Direktor Peter Harnisch, S. 58. Siehe Geschäftsplan der Gebrüder Stollwerck AG vom 8. Mai 1920, RWWA 208-273-5. Siehe Ludwig Stollwerck an Gustav Stollwerck am 19. Juni 1916, RWWA 208-253-5.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Nach Kriegsende 1918 kehrten alle ins Feld gezogenen Söhne sukzessive in die Heimat zurück. Die Familie Stollwerck hatte im engeren Familienkreis keine Gefallenen zu beklagen, auch war, mit Ausnahme des bereits 1915 entlassenen Richard, keiner der designierten Nachfolger schwer verwundet worden. Peter Josephs jüngster Sohn konnte nach einer Schussverletzung einen Arm nicht mehr bewegen und galt als „kriegsbeschädigt“. In der Familie ging man davon aus, dass er nach seiner Rückkehr aus dem Feld sein Jura-Studium wieder aufnehmen und die noch erforderlichen vier Jahre bis zum Assessor-Examen absolvieren werde. Richard indes äußerte den Wunsch, nun doch ins Familienunternehmen einsteigen zu wollen. Zwar betonte Ludwig, „viel Vertrauen“ in seinen Neffen zu haben, der ein „guter gleichmässiger Charakter“ sei und „verständige und vernünftige“435 Gedanken habe, doch stand er Richards Ansinnen nicht uneingeschränkt positiv gegenüber: „Wir sind im Prinzip ja alle bereit, […] R. Gelegenheit zu geben, durch Tätigkeit für ein Jahr zu sehen, ob er Freude an der Arbeit im Familien-Geschäfte hat und umgekehrt, ob wir der Meinung sind, dass er sich dafür eignet. […] Nun liegen aber die Verhältnisse wie folgt: er ist heute nur Referendar und hat vier Jahre Studium bis zum Assessor nötig, um dann sein Examen zu machen […]. Wenn er den Assessor gemacht hat, dann kann er ohne jeden Schaden für seine Zukunft ein Jahr Urlaub nehmen, um sich bei uns in der gedachten Weise zu betätigen. [...] Wenn er aber heute sich als Referendar ein Jahr Urlaub fragt, dann ist dieses Jahr für ihn verloren. [...] Onkel Carl hat mit einem Juristen diese Frage eingehend besprochen und ich gestern mit Justizrat Schniewind. Der entschiedene Ratschlag beider Herren geht dahin, Richard dringend zu empfehlen, erst den Abschluss durch das Assessor-Examen zu machen und dann erst an das Jahr Urlaub und Betätigung in unserem Familien-Geschäfte zu denken. R. sieht das auch selbst für vollkommen begründet ein […]. Aber nichtsdestoweniger möchte er darauf verzichten und bald bei uns eintreten. Weil er kriegsbeschädigt ist und durch den Krieg viel Zeit verloren hat, erleichtert man ihm den Weg zum Assessor in erheblicher Weise, sodass er angeblich in 1 1/2 Jahr [...] sein Ziel erreichen könnte [...]! Aber R. meint, er hätte solche Vorliebe für den Kaufmannsstand, dass er unbedingt überzeugt sei, uns Befriedigung zu geben und deshalb bat er mich nochmals, doch seine sofortige Einstellung zu befürworten. [...] Persönlich muss ich mich unbedingt einesteils den Ratschlägen von Justizrat Schniewind anschliessen, andererseits aber auch zugeben, dass ein Nachteil entsteht, indem er wieder 1 1/2 bis 2 Jahre älter wird, bevor er das Probejahr antritt und dann vielleicht auch etwas zu viel juristische Gedanken im Köpfchen hat!“436
Ob letztlich Richard ein Einsehen hatte oder die Familie ihm den Eintritt ins Unternehmen verweigerte, kann nicht mehr geklärt werden. Richard schloss sein Jura-Studium ab und übernahm nach einer kurzen Tätigkeit bei dem Hamburger Schifffahrtsunternehmen Halm in den 1920er Jahren die Geschäftsführung der Kölner Niederlassung der Hamburg-Amerika-Linie und deren Generalvertretung für das Rheinland.437 435 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an Fritz Stollwerck am 21. März 1917, RWWA 208-217-5. 436 Ebenda. 437 Diese Informationen verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Ludolf Stollwerck am 12. März 2009. Laut seinem Sohn Ludolf war Richard Stollwerck ein geschätztes Mitglied der Kölner Gesellschaft, 1924 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Kölner Rotary Clubs, dessen Sekretär er viele Jahre war.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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An der bereits vor dem Krieg entwickelten Nachfolgeplanung änderte sich demnach personell nichts, auch das arbeitsteilige System wurde beibehalten. In einem Geschäftsplan vom 8. Mai 1920 wurden nun allerdings erstmals die Aufgabengebiete der designierten Firmenerben sowie der neuen stellvertretenden Vorstandsmitglieder klar umrissen: Die Nachfolgeplanung wurde mit Inhalt gefüllt. Ludwig Stollwerck fungierte nach dem Tod Heinrichs 1915 nun als Senior-Chef und oberster Berater für den Vertrieb, Carl als erster Ansprechpartner für den Betrieb. Als Geschäftsführer wurden ausdrücklich Gustav, Franz (II), Fritz und Paul sowie die Direktoren Eppler, Harnisch und Trimborn genannt. Während Franz (II) und Paul gemeinsam mit Peter Harnisch für den Betrieb verantwortlich zeichneten, leiteten Gustav und Fritz zusammen mit Eppler und Trimborn die VertriebsAbteilung.438 Die bereits seit vielen Jahren im Unternehmen tätigen familienfremden Manager erleichterten den Generationenwechsel freilich nicht unbedingt, denn indem sie der nachfolgenden Generation das Tagesgeschäft weitgehend abnahmen, entwickelte diese nur bedingt das Verantwortungsgefühl und Engagement, das ihre Väter stets ausgezeichnet hatte. Ludwig und Carl zogen sich – zumindest auf dem Papier – aus dem operativen Geschäft zurück und setzten ihre bereits 1913 formulierte, aber durch den Krieg unterbrochene Leitlinie um, „mehr
438 Siehe Geschäftsplan der Gebrüder Stollwerck AG vom 8. Mai 1920, RWWA 208-273-5. Konkret waren die Aufgabengebiete wie folgt aufgeteilt: Franz (II) war für den Einkauf der Hauptrohstoffe, die Fabrikation von Kakao und Schokolade, das Rechnungswesen, die Beamten- und Arbeiterwohnungen und die auswärtigen Fabriken zuständig. Peter Harnisch verantwortete den Einkauf sonstiger für Weiterfabrikation und Verpackung erforderlichen Produkte, die Weiterfabrikation von Kakao und Schokolade sowie deren Abpackung und Versand, das Zollwesen und die Verhandlungen mit Behörden in Betriebs-Angelegenheiten. Ferner war er für die Krankenkasse der Stollwerck AG, das unternehmenseigene Erholungshaus, den Kontakt zum Betriebsrat, das Sägewerk sowie die Kartonnage- und WellpappenAbteilung zuständig. Paul oblagen technische Betriebsangelegenheiten, deren Organisation und die technische Korrespondenz sowie die Nährmittel-Fabrikation. Gemeinschaftlich kümmerten sich die drei Geschäftsführer der Betriebs-Abteilung um Arbeiter-, Lohn- und Personalfragen sowie um Betriebs-Verordnungen. Im Vertrieb zeichnete Gustav für den Export, die Werbung, die Druckerei, den Einkauf von Papier, Farben etc., die Statistik, die Feuer-Versicherung, die Alters- und Unterstützungskasse und Auslandsforderungen, die unternehmenseigene Sparkasse sowie (nach Beratung mit Heinrich Trimborn) für die Erstellung der Bilanz und der Finanzberichte verantwortlich. Fritz war für Angestellten- und Gehaltsfragen, den Kontakt zum Reichsversicherungsamt, den Verkehr mit Behörden, amtliche Verfügungen und die Verkaufsabteilung zuständig, sofern diese Angelegenheiten den Vertrieb betrafen. Ferner kümmerte er sich um Verbandsangelegenheiten und die Transportversicherung und war wie Gustav in die Erstellung der Bilanz und der Finanzberichte eingebunden. Friedrich Eppler oblagen als erstem Büro-Chef die Organisation der Verkaufsabteilungen und der Reisenden, die Buchhaltung, die Verwaltung der Zweighäuser in Berlin, München und Bremen sowie Angestellten- und Gehaltsfragen. Heinrich Trimborn schließlich war für den Kontakt zu den Banken, den Großeinkauf, die Geschäftskasse und den Giroverkehr, die Verwaltung von Inventar und Immobilien, Hypotheken- und Steuerfragen, die Geheimbuchhaltung, das Gesamt-Bilanzwesen und juristische Angelegenheiten verantwortlich. Siehe ebenda.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
und mehr die jüngere Generation auf das Verantwortungsgefühl vor[zu]bereiten“439. Der Erste Weltkrieg und die Folgen für Kapitalakkumulation und Beteiligungsverhältnisse Realiter aber zwangen die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit Ludwig und Carl zu fortwährender unausgesetzter Tätigkeit für das Familiengeschäft, das mit wirtschaftlichen Herausforderungen und Problemen konfrontiert wurde, die einerseits aus der Ausnahmesituation des Ersten Weltkriegs folgten, andererseits auf die interne Organisation zurückzuführen sind. Insbesondere der unternehmerische Sachverstand von Ludwig Stollwerck war unentbehrlich, denn der für Deutschland unglückliche Kriegsausgang hatte für das Familienunternehmen erhebliche Vermögensverluste zur Folge. Zum einen wurde die Londoner Stollwerck-Tochter, die 1916 im Zuge des Trading with the Enemy (Amendment) Acts der Aufsicht des öffentlichen Treuhänders des britischen Handelsministeriums unterstellt worden war, „angeblich für 30.000 £ verkauft“440, zum anderen wurden auch sämtliche Aktien des amerikanischen Fabrikgeschäfts meistbietend versteigert. Wie die britische hatte auch die amerikanische Regierung bereits während des Kriegs in Eigentumswerte und Verwaltung deutscher Unternehmen eingegriffen, um einerseits deutschen Firmen die Geschäftstätigkeit unmöglich zu machen und ihnen den Zugang zu ihrem Auslandsvermögen zu versperren und um sich andererseits mithilfe dieses Kapitals wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.441 Stollwerck Brothers hatte mit den Rohkakaolieferungen gegen den Trading with the Enemy Act verstoßen.442 Dieses am 6. Oktober 1917 verabschiedete US-Gesetz verbietet es Bürgern der Vereinigten Staaten, Geschäfte mit Unternehmen zu machen, die sich im Eigentum von Bürgern eines fremden Staates befinden, der zu den politischen Feinden der USA gehört. Das amerikanische Tochterunternehmen der Stollwerck AG wurde daher beschlagnahmt und am 5. Dezember 1918 zum Verkauf angeboten:443 6.165 Stammaktien und 6.000 Vor439 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 3. September 1913, RWWA 208-59-2. 440 Ludwig Stollwerck an die Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG am 11. August 1921, RWWA 208-242-6. Im Versailler Vertrag erkannte Deutschland die in Großbritannien erfolgten Enteignungen an, etwaige Überschüsse wurden mit den vom Deutschen Reich zu leistenden Reparationen verrechnet. Während in anderen Staaten beschlagnahmtes Vermögen z. T. wieder freigegeben wurde, lässt sich dies für Großbritannien nur in Einzelfällen nachweisen. Die deutschen Firmen mussten ihre Ersatzansprüche bei der deutschen Regierung geltend machen, im Durchschnitt erhielten sie fünf bis zehn Prozent ihrer ursprünglichen Vermögenswerte erstattet. Verlorene Rechte auf Patente und Markennamen erhielten sie nicht zurück. Siehe ausführlich Hagen: Deutsche Direktinvestitionen, S. 44–47. 441 Siehe Kreikamp: Deutsches Vermögen, S. 20. 442 Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 397. 443 Ursprünglich sah der Trading with the Enemy Act vor, Feindesvermögen nur treuhänderisch zu verwalten, nicht aber zu enteignen oder zu konfiszieren. Die ausländischen Werte durften nur dann veräußert werden, wenn nur auf diesem Weg Verluste abgewendet und der Wert
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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zugsaktien; jede Aktie war 100 Dollar wert. Neuer Eigentümer wurde am 21. Dezember 1918 das Bostoner Unternehmen Tourain Chocolate Co., das rund 1,5 Millionen Dollar zahlte.444 Unmittelbar nach Kriegsende wandte sich die Stollwerck AG mit Ersatzansprüchen an die amerikanische Regierung und hoffte „von Monat zu Monat“445 auf die Restitution des verlorenen Vermögens, das fest eingeplant war, um einen Großteil der im Krieg aufgelaufenen Bankschulden in den neutralen Staaten auszugleichen. Etwa die Hälfte der Kredite hatte das Unternehmen bereits zurückgezahlt, dafür aber „fast den ganzen guten Verdienst der letzten Geschäftsjahre“446 aufwenden müssen. Zwar reichten die Geschäftsresultate aus, um auch ohne das amerikanische Guthaben weitere „Gegenwerte zur Rückzahlung der neutralen Bankschulden“447 zu bilden, doch mussten diese für das laufende Geschäft aufgewandt werden, denn die durch die Inflation enorm gestiegenen Löhne, Rohstoffpreise, Transportkosten etc. erforderten bedeutende Betriebsmittel, die aus den erzielten Gewinnen nicht aufgebracht werden konnten. Vorstöße Stollwercks, die Rückzahlung der restlichen Darlehen bis zum Friedensschluss zwischen den USA und dem Deutschen Reich zurückzustellen, lehnten die ausländischen Banken ab. Sie verweigerten dem Unternehmen nicht nur neue und die Verlängerung bestehender Kredite, sondern kündigten auch einen Teil der bestehenden Anleihen, da ihnen die Bürgschaften durch deutsche Banken infolge der unsicheren innenpolitischen Verhältnisse nicht mehr ausreichten.448 Ludwig Stollwerck bat daher seinen britischen Geschäftsfreund Lever, dem Unternehmen einen langfristigen Kredit bei einer englischen Bank zu vermitteln, um die Darlehen in den neutralen Staaten zu stabilisieren. Lever erfüllte diesen „Wunsch“ zu Stollwercks Enttäuschung allerdings nicht, da „die Sicherheit der deutschen Banken […] nach Ansicht seiner Londoner finanziellen Berater nicht genügen“449 würde. Auch bei den deutschen Kreditinstituten stieß das Vorhaben Stollwercks, die bestehenden Kredite weiter zu verlängern und auf eine rasche Rückerstattung des enteigneten amerikanischen Vermögens zu hoffen, auf massive Kritik – sie woll-
444
445 446 447 448 449
erhalten werden konnte. Am 11. März 1918 wurden die Möglichkeiten, ausländisches Vermögen zu liquidieren, indes erheblich ausgeweitet. Siehe Kreikamp: Deutsches Vermögen, S. 21. Siehe Willy Herx an die Gebrüder Stollwerck am 8. Februar 1919, RWWA 208-167-4. Obwohl die Gebrüder Stollwerck überlegt hatten, das amerikanische Geschäft abzustoßen oder einen Teil der Aktien an amerikanische Geschäftspartner zu übertragen, war dies vor Kriegseintritt der USA nicht geschehen. Siehe Ludwig Stollwerck an die leitenden Angestellten der Stollwerck AG am 29. Dezember 1916, RWWA 208-114-5. Ludwig Stollwerck an die Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG am 11. August 1921, RWWA 208-242-6. Ludwig Stollwerck: Aktennotiz zur Rückzahlung der Bankschulden im neutralen Ausland, September 1920, RWWA 208-238-6. Ludwig Stollwerck an die Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG am 11. August 1921, RWWA 208-242-6. Siehe J. K. R. Holtz an Ludwig Stollwerck am 13. Januar 1919, RWWA 208-180-5. Ludwig Stollwerck: Aktennotiz zur Rückzahlung der Bankschulden im neutralen Ausland, September 1920, RWWA 208-238-6.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
ten das Bürgschaftsrisiko gegenüber den ausländischen Banken nicht länger tragen. Georg Solmssen (1869–1957),450 der seit 1917 für die DiscontoGesellschaft451 im Aufsichtsrat der Stollwerck AG saß, warnte Stollwerck bereits 1919 eindringlich „eine Valuta-Politik zu treiben, die ihre Hoffnungen auf eine Wendung der Dinge in absehbarer Zukunft setzt und sich immer wieder bestimmen lässt, die Engagements zu verlängern und dieselben fortdauernd grösser werden zu lassen, weil endlich einmal etwas geschehen müsse, was eine völlige Wendung herbeiführe. Ich für meinen Teil muss jedenfalls unbedingt die Verantwortung dafür ablehnen, dass in dieser Weise verfahren wird und kann nur immer wieder die Bitte wiederholen, sich nicht darauf einzulassen, auf unverbürgte Gerüchte hin […] Entschliessungen zu fassen, welche zur Folge haben, dass beim Nichteintreten der gehegten Hoffnungen Ihr Unternehmen allein den Verlust zu tragen hat. Dieser Verlust ist im Laufe der Zeit immer grösser geworden und wird sich weiter erhöhen, weil bis jetzt keinerlei Anzeichen dafür zu erkennen sind, dass die Valuta sich in absehbarer Zeit bessern wird, im Gegenteil: Die Entwicklung der letzten Zeit lässt vielmehr darauf schliessen, dass eine weitere Verschlechterung zu erwarten ist. Ich möchte Sie daher bitten, davon abzusehen, mich irgendwie in Mutmassungen darüber zu äussern, was die amerikanische und die deutsche Regierung tun werden, da diese Mutmassungen gänzlich gleichgültig sind und es lediglich auf positive Tatsachen ankommt. Was die Amerikaner tun werden, wissen wir nicht. […] Die Direktive für Gebrüder Stollwerck muss sein, Valuta abzudecken, soweit es irgendwie möglich ist und durch die in Gang gebrachte Abdeckung das Vertrauen der Auslands-Gläubiger soweit zu erhalten, dass nicht die ganze Abdeckung sämtlicher Kredite auf einmal verlangt wird. An diesem klaren, durch übereinstimmenden Beschluss aller Beteiligten festgesetzten Weg muss nun aber auch mit aller Energie festgehalten werden.“452
Ludwig Stollwerck räumte freilich erst 1921 resigniert ein, dass seine Hoffnungen „sehr enttäuscht“453 worden seien und die amerikanische Regierung noch immer keinen Frieden mit Deutschland geschlossen, der Kongress lediglich einer Friedensresolution zugestimmt habe. Mit dem A. Schaaffhausen’schen Bankverein und der Darmstädter Bank wurde nun unter Hochdruck nach einer Lösung gesucht, um die noch verbliebenen ausländischen Darlehen zu begleichen. Stollwerck befand sich in diesen Verhandlungen in der Defensive, war man doch darauf angewiesen, dass die Kreditinstitute zum einen ihre Bürgschaften aufrecht erhielten und dem Familienunternehmen zum anderen die erforderlichen Mittel verschafften, um die Kredite in den neutralen Nachbarstaaten abzudecken. Die Banken nutzten diese gute Verhandlungsposition zweifellos aus. Sie boten der Stollwerck AG, erstens, einen Kredit an, um die noch bestehenden Bankschulden von nominal 4,5 Millionen Mark auszugleichen. Zweitens wiesen sie nachdrücklich darauf hin, dass die einzige Alternative zu weiteren Krediten die Erhöhung des Aktienkapitals um zehn Millionen Stammaktien sei. Die Familie, die bislang alle Stammaktien der Gesellschaft hielt, sollte aber nur einen Teil der neuen An-
450 451 452 453
Für eine biographische Annäherung siehe James: Georg Solmssen. Zur Disconto-Gesellschaft siehe Kapitel IV.A.2, FN 306. Georg Solmssen an Ludwig Stollwerck am 4. November 1919, RWWA 208-242-4. Ludwig Stollwerck an die Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG am 11. August 1921, RWWA 208-242-6.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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teile übernehmen.454 Die Banken verfolgten mit diesem Angebot primär das Ziel, das Bürgschaftsrisiko für die Kredite bei ausländischen Banken in den Vorteil zu verwandeln, an den Zinsen zu verdienen, die Stollwerck für das von ihnen gewährte Darlehen zu zahlen hatte. Zudem hatten sie ein ureigenes Interesse daran, dass das Unternehmen handlungsfähig blieb, da es nur dann die bestehenden Bankkredite bedienen konnte. In der Familie wiederum war man sich bewusst, das Angebot der Banken in Anbetracht der Bilanz-455 und Finanzlage des Unternehmens einerseits „doch als günstig bezeichnen“ zu müssen, zumal „die Vorteile der später möglichen Rückgabe des amerikanischen Guthabens der Familie zum grössten Teil erhalten“ blieben. Andererseits stieß man sich an der geplanten Kapitalerhöhung, würde diese doch „den heutigen Goldeswert des Aktienbesitzes verwässern“456 und das primäre familiäre Ziel gefährden, das Carl Stollwerck noch 1916 eindringlich beschworen hatte: „Wie ich Dir schon wiederholt zum Ausdruck brachte, bin auch ich entschieden der Ansicht, unser grosses Familien-Geschäft innerlich so zu stärken, dass es für alle Zukunft durchaus gesichert ist und dass die jüngere Generation aller finanziellen Sorge enthoben und in Ruhe und mit klarem Blick zielbewusst erfolgreich weiter streben kann.“457
Letztlich blieb der Familie allerdings keine andere Möglichkeit, als das Angebot der Banken anzunehmen, wollte sie das Unternehmen nicht in eine finanzielle Schieflage manövrieren. Das Kölner Familienunternehmen stand damit freilich keineswegs allein da. Viele Unternehmen erhöhten in der Inflation ihr Kapital, u. a. die Schweizer Nestlé AG, die Ende 1921 „ihre Kreditlimiten weitgehend ausgeschöpft“458 und mit enormen Betriebsverlusten zu kämpfen hatte, die aus zu teuer eingekauften Rohstoffen und Überkapazitäten im Produktionsapparat resultierten.
454 Siehe o. A.: Angebot des Bank-Vereins, 1921, RWWA 208-242-6. 455 Infolge der durch den Ausgang des Ersten Weltkriegs „entstandenen Ungeklärtheit“ der „vielseitigen ausländischen Interessen“ machte die Gebrüder Stollwerck AG von ihrem Recht Gebrauch, die Rechnungslegung und Abhaltung einer Generalversammlung mit Genehmigung des Handelsministers für das Geschäftsjahr 1918 zunächst aufzuschieben. Im Dezember 1921 legte das Unternehmen schließlich eine gemeinsame Bilanz für die Geschäftsjahre 1918 und 1919 sowie die Ergebnisse für das Jahr 1920 und das erste Halbjahr 1921 vor. Siehe Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1918/1919, 1920 und das erste Halbjahr 1921, RWWA 208-388-3. 456 O. A.: Angebot des Bank-Vereins, 1921, RWWA 208-242-6. An anderer Stelle hieß es, die geplante Kapitalerhöhung würde „sehr in die Rechte und Vermögen der Stammaktionäre eindringen“. o. A.: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 3. Mai 1921, RWWA 208-242-5. 457 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 26. Mai 1916, RWWA 208-171-5. 458 Heer: Nestlé, S. 134. Ähnlich wie in Deutschland war die Lage auf dem Schweizer Kapitalmarkt „denkbar ungünstig“. Ebenda. Die deutschen Banken schränkten ihre Kreditvergabe seit Anfang 1922 massiv ein. Die Restriktionen waren freilich nicht wie 1914 darauf zurückzuführen, dass die nominalen Einlagen bei den Banken schwanden, sondern die Kreditansprüche an die Institute waren enorm gestiegen. Die Unternehmen hatten erkannt, dass Außenstände bei fortschreitender Inflation zu Verlusten, Schulden in inländischer Währung hingegen zu Gewinnen führten. Folglich nutzten sie jede sich bietende Kreditmöglichkeit.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Ein Vertrag zwischen der Gebrüder Stollwerck AG, dem Schaaffhausen’schen Bankverein und der Darmstädter Bank regelte das Bezugsrecht auf die zehn Millionen Mark neue Stammaktien – „in für die Familie vorteilhafter Weise“459 – wie folgt:460 1. Den bisherigen Stammaktionären wurden nominal drei Millionen Mark neue Stammaktien zum Bezug angeboten. Dabei konnten auf 9.000 Mark alte 3.000 Mark neue Stammaktien innerhalb einer bis zum 30. Juni 1922 laufenden Frist übernommen werden. 2. Sofern die bisherigen Stammaktionäre darauf verzichteten, von ihrem – den unter 1) aufgeführten Betrag übersteigenden – gesetzlichen Bezugsrecht Gebrauch zu machen, erhielten sie auf jede alte Aktie eine Vergütung von 111,10 Mark. 3. Die weiteren nominal sieben Millionen Mark neue Stammaktien blieben der Verwertung des Bankenkonsortiums überlassen, das sich vorbehielt, das gesamte Kapital im Herbst 1922 an den Börsen in Berlin und Köln einzuführen. Bevor dies aber erfolgen konnte, musste das Konsortium der Familie Stollwerck, um ihr „die Möglichkeit zu geben, die ausschlaggebende Majorität des Aktienkapitals sich zu erhalten“461, a) vorweg weitere nominal drei Millionen Mark neuer Stammaktien anbieten und b) vier Wochen nach der Börseneinführung weitere nominal eine Millionen Mark neue Stammaktien offerieren.462 Bis Juni 1922 übten sämtliche Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG ihr Bezugsrecht auf nominal drei Millionen Mark neue Stammaktien aus.463 Die weiteren Optionen, die sie als „wertvolle Rechte“ bezeichnete, nahm die Familie allerdings offenbar nicht wahr. Zwar hatte Ludwig Stollwerck alle Stammaktionäre nachdrücklich aufgefordert, es sei „insbesondere nunmehr zu erstreben, […] nicht nur die von den Gründern der Familien-Aktien-Gesellschaft geschaffenen alten Stammaktien in der Familie“ zu halten, „sondern auch die gemäss vertraglichem
459 460 461 462
463
Siehe Holtfrerich: Die deutsche Inflation, S. 68 ff. Siehe auch Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 181–191. Ludwig Stollwerck an die Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG am 11. August 1921, RWWA 208-242-6. Siehe für die folgenden Ausführungen A. Schaaffhausen’scher Bankverein an Sal. Oppenheim jr. & Cie. am 2. August 1921, HBO K-Kons/728 Bd. 1; A. Schaaffhausen’scher Bankverein an den Vorstand der Gebrüder Stollwerck AG am 25. Juli 1921, RWWA 208-242-5. Ebenda. Sollten die alten Stammaktionäre von dieser Option Gebrauch machen, wurde ihnen vom Banken-Konsortium in Aussicht gestellt, die übernommenen Stammaktien in Höhe von 50 Prozent des Kurses zu bevorschussen. Im Gegenzug verpflichtete sich das gesamte Aktionärs-Konsortium, keine alten oder neuen Stammaktien zu veräußern, bevor die Banken nicht ihren Bestand an neuen Stammaktien veräußert hatten. Siehe, auch zu den Fristen, wann diese Verkaufssperre enden sollte, ebenda. Siehe A. Schaaffhausen’scher Bankverein an die Gebrüder Stollwerck AG am 24. Juni 1922, HADB K02/1365.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Optionsrecht zu erwerbenden neuen Aktien“464. Aus einem Aktionärsverzeichnis vom 9. Januar 1923 geht jedoch hervor, dass von den 19 Millionen Mark Stammaktien 12.030.000 Mark, mithin noch 63,3 Prozent des Stammaktienkapitals, Eigentum der Familie waren, 6.970.000 Mark, d. h. 36,7 Prozent hingegen vom A. Schaaffhausen’schen Bankverein gehalten wurden.465 Bedenkt man, dass die Familie das Stammaktienkapital bis 1921 allein in ihren Händen vereint und an familienfremde Gesellschafter nur stimmrechtslose Vorzugsaktien ausgegeben hatte, muss man festhalten, dass sich die Eigentümerstruktur im Zuge der Kapitalerhöhung zwar nicht grundlegend, aber doch einschneidend veränderte. Die Familie Stollwerck blieb Mehrheitsaktionär, musste aber nun deutlich umfassender familienfremde Aktionäre in die Eigentumsstruktur des Unternehmens integrieren und erstmals eine Sperrminorität hinnehmen. Nicht-Familienmitglieder besaßen nun nicht mehr nur stimmrechtslose Vorzugsaktien, die lediglich ein Anrecht auf sechs Prozent kumulative Dividende hatten, sondern stimmberechtigte Stammaktien, die unmittelbar am Gewinn des Familiengeschäfts beteiligt waren. Zwar wurde Stollwerck durch die Kapitalerhöhung 1921 von den drängendsten finanziellen Sorgen befreit, doch reichten die zusätzlichen Mittel nicht aus, um auch den langfristigen Kapitalbedarf zu decken. Daher gab das Unternehmen noch im gleichen Jahr zusätzlich nominal 25 Millionen Mark Teilschuldverschreibungen aus, die von einem Bankenkonsortium zur Einführung an den Börsen in Köln und Berlin übernommen wurden.466 Im Unterschied zur klassischen Kapitalbeschaffung über Bankdarlehen hatte diese Finanzierungsvariante für die Stollwerck AG zwar den Vorteil, dass sie sich von ihren Hausbanken unabhängiger machte, da die Teilschuldverschreibungen nicht von einem Gläubiger gehalten, sondern auf viele Financiers verteilt wurden. Zudem erschloss sie sich so einen weiteren Zugang zum organisierten Kapitalmarkt. Insgesamt freilich büßte das Familienunternehmen immer mehr von seiner ursprünglichen finanziellen Unabhängigkeit ein. Das ureigenste Ziel der Gebrüder Stollwerck, das über Jahrzehnte den Kern ihres unternehmerischen Handelns gebildet hatte, rückte damit immer mehr in den Hintergrund, die Eigentumsrechte der Familie wurden weiter ausgedünnt.467 Die 464 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an die Stammaktionäre der Gebrüder Stollwerck AG am 11. August 1921, RWWA 208-242-6. 465 Siehe Emil Schniewind/Carl Kausen: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung der Gebrüder Stollwerck AG vom 9. Januar 1923, RWWA 208-145-9. 466 Das Konsortium bestand aus dem A. Schaaffhausen’schen Bankverein (44,5 Prozent), der Darmstädter Bank (44,5 Prozent) und den Bankhäusern Sal. Oppenheim Jr. & Cie. (sechs Prozent) und J. H. Stein (fünf Prozent) – Siehe o. A.: 1921. Konsortium nom. M 25.000.000 – 5% Teilschuldverschreibungen der Gebrüder Stollwerck A.G., HBO K-Kons/728, Bd. 1; A. Schaaffhausen’scher Bankverein an den Vorstand der Gebrüder Stollwerck AG am 10. Dezember 1921, HBO K-Kons/728, Bd. 1. Zur Einführung der Teilschuldverschreibungen an der Börse siehe auch den Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1922/23, RWWA 208-388-3. Die Teilschuldverschreibungen wurden ab dem Geschäftsjahr 1927/28 sukzessive zurückgekauft. Siehe die Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1927/28 bis 1930/31, RWWA 208-388-3. 467 Die Generalversammlung der Gebrüder Stollwerck AG beschloss am 22. Dezember 1921, die sieben Millionen Vorzugsaktien bis zum 3. Januar 1923 zurückzuzahlen und damit die
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Anzahl Dritter hingegen, die Informations- und Mitspracherechte erhoben, stieg an. Diesem Prozess leistete eine weitere Kapitalerhöhung Vorschub, die im Geschäftsjahr 1922/23 erfolgte, als das Grundkapital um weitere 28 Millionen Stammaktien und drei Millionen Mark Vorzugsaktien erhöht wurde.468 Die Stammaktien wurden wie die Teilschuldverschreibungen dem Bankenkonsortium überlassen und an der Börse eingeführt; ein Bezugsrecht der bisherigen Aktionäre wurde ausgeschlossen. Auch die neuen Vorzugsaktien wurden ihnen nicht vorab zum Kauf offeriert. Im Unterschied zu den alten hatten die neuen Vorzugsaktien zudem bei Wahlen zum Aufsichtsrat, Satzungsänderungen und der Auflösung der Gesellschaft zwölffaches, in allen anderen Angelegenheiten aber nur einfaches Stimmrecht.469 Die neuen Vorzugsaktien hatten ferner nicht nur ein Anrecht auf sechs Prozent kumulative Dividende, sondern nahmen auch an einem etwaigen weiteren Reingewinn der Gesellschaft teil. Nach der Ausschüttung einer Dividende von zwölf Prozent auf die Stammaktien wurde ein darüber hinausgehender Gewinn gleichmäßig auf die Stamm- und Vorzugsaktien im Verhältnis ihres Nennbetrags verteilt.470 Die neuen Vorzugsaktien wurden komplett vom A. Schaaffhausen’schen Bankverein übernommen, der seine Verfügungsrechte damit weiter ausbaute. Das Kreditinstitut verpflichtete sich, die Vorzugsaktien bis zum 31. Dezember 1927 nicht an der Börse einzuführen, und räumte der Gebrüder Stollwerck AG während der Sperrfrist ein Ankaufsrecht auf den Gesamtbetrag der Vorzugsaktien ein.471 Vor dem Hintergrund der Inflation ist die Kapitalerhöhung als nahezu zwangsläufig zu beschreiben. Sie erfolgte nicht, um Expansionschancen zu nutzen, sondern unter dem Druck der wirtschaftlichen Krise. Indem die neuen Vorzugsaktien freilich nicht an den Börsen eingeführt wurden und das Unternehmen
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Eigenkapitalbasis zu stärken. Siehe Gebrüder Stollwerck AG Köln: Rückzahlung der nom. M. 7.000.000 Vorzugsaktien, 11. Dezember 1922, HADB K02/0716. Siehe ebenda. Sollte die Gebrüder Stollwerck AG eine Interessengemeinschaft mit einer anderen Gesellschaft eingehen, wurde zudem eine Sonderabstimmung der Vorzugsaktionäre erforderlich. Siehe A. Schaaffhausen’scher Bankverein an Sal. Oppenheim Jr. & Cie., o. D., HBO KKons/729, Bd. 1. Siehe zu dieser neuen Art von Vorzugsaktien auch Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 184 ff. Bei Auflösung der Gesellschaft erhielten ferner aus dem nach Tilgung der Schulden verbleibenden Überschuss zunächst die Vorzugsaktien 125 Prozent, dann die Stammaktien 250 Prozent ihres Nennbetrags. Ein darüber hinaus verbleibender Überschuss war gleichmäßig auf beide Aktiengattungen im Verhältnis ihres Nennbetrags zu verteilen. Die Vorzugsaktien konnten jederzeit mit einfacher Mehrheit des in einer Generalversammlung vertretenen Grundkapitals entweder in Stammaktien umgewandelt oder durch Ankauf eingezogen werden. Siehe ebenda; Darmstädter und Nationalbank an den Vorstand der Gebrüder Stollwerck AG am 19. Januar 1923, HBO K-Kons/729, Bd. 1. Das Ankaufsrecht galt auch für Teilbeträge von mindestens 300.000 Mark. Siehe A. Schaaffhausen’scher Bankverein an Sal. Oppenheim Jr. & Cie., o. D., HBO K-Kons/729, Bd. 1; Emil Schniewind/Carl Kausen: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung der Gebrüder Stollwerck AG vom 9. Januar 1923, RWWA 208-145-9.
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ein Rückkaufrecht erhielt, wurden die bisherigen Aktionäre in einem gewissen Umfang geschützt.472 Der Schaaffhausen’sche Bankverein fungierte im Grunde als Treuhänder für die Familie, die die Kapitalerhöhung nicht selbst tragen konnte. Es ist davon auszugehen, dass sich die Familie Stollwerck der Ausnahmesituation bewusst war und nach Ende der Inflation eine Kapitalanpassung anstreben wollte. Im Rahmen der Kapitalerhöhung 1922/23 wurden zudem die bisherigen Namens- in Inhaberaktien umgewandelt,473 die nicht nur schneller übertragbar sind, sondern auch implizieren, dass die Aktionärsstruktur intransparent wird. Die Namensaktien hatten für die Gebrüder Stollwerck bei Gründung der Aktiengesellschaft zum einen den Vorteil gehabt, dass sie nur einen Teil des Stammaktienkapitals einzahlen mussten, zum anderen konnten sie auf diesem Weg sicherstellen, dass sie die Kontrolle über das Geschäft behielten und sich Mehrheitsverhältnisse nicht unbemerkt verschieben konnten.474 Diesem Zweck diente auch der 1902 geschlossene Privat-Vertrag, der den Verkauf von Stamm- und Vorzugsaktien, die von der Familie gehalten wurden, „verschiedene[n] Beschränkungen“ unterwarf. Der Vertrag endete aber am 31. Dezember 1922 und die Familie zeigte keine Ambitionen, den Kontrakt zu erneuern – die „anzustrebende Verlängerung“475 blieb aus. Hatten die Gebrüder Stollwerck seit den 1870er Jahren alle Anstrengungen darauf verwandt, eine Kapitalpolitik zu betreiben, die die Verfügungsrechte der Familie im Unternehmen stärkte, verlor dieses Ziel in den 1920er Jahren zwangsläufig an Bedeutung. Im Zuge der Währungsumstellung 1924 wurde das Aktienkapital der Stollwerck AG in der Goldmarkeröffnungsbilanz auf 16.450.000 Mark Stamm- und 6.000 Mark Vorzugsaktien festgelegt476 – dies entsprach in etwa dem Kapitalniveau vor dem Krieg, d. h. der Unternehmenswert hatte sich durch die beiden Kapitalerhöhungen nicht gesteigert. Für das Familienunternehmen offenbarte sich damit das ganze Ausmaß des Währungsverfalls. Da das Aktienkapital, ohne zu berücksichtigen, wann die Aktien emittiert wurden, zum gleichen Satz umgerechnet wurde, war die Umstellung „für die Familie […] nicht sehr günstig, da sie etwa ¼ des Vermögens einbüsste, während die neuen Aktionäre 5-10faches Geld dadurch gemacht haben“477. Fritz Stollwerck schätzte die Folgen der zweifachen Kapitalerhöhung und der Ausgabe von Teilschuldverschreibungen sogar so einschneidend ein, dass sich nicht nur die Anteile der Familie am Unternehmen stark reduziert hatten, sondern Stollwerck „in der Nachkriegszeit im Vergleich zur 472 Siehe auch Schäfer: Herren im eigenen Haus, S. 160 f.; ders.: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 181–191. 473 Siehe Emil Schniewind/Carl Kausen: Protokoll der ausserordentlichen Generalversammlung der Gebrüder Stollwerck AG vom 9. Januar 1923, RWWA 208-145-9. 474 Siehe Noack: Aktien, S. 527. 475 Die letzten beiden Zitate aus Privat-Vertrag zwischen Peter Joseph, Heinrich, Ludwig, Carl und Gustav Stollwerck, Juli 1902, Paragraph sechs, RWWA 208-242-1. Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2. 476 Siehe Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1923/24, RWWA 208-388-3. 477 Gustav Stollwerck an Heinrich Trimborn am 19. Dezember 1924, RWWA 208-42-4.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Vorkriegszeit dann nicht mehr Familienunternehmen war“478. Diese Feststellung gilt allerdings nicht für die Leitung der Stollwerck AG, denn in Vorstand und Aufsichtsrat dominierten weiterhin Vertreter der Familie. Zwar erhielten die Vorstandsmitglieder nur noch zeitlich befristete Verträge, doch konnte die Bestellung als Vorstandsmitglied nur von dem weiterhin mehrheitlich mit Familienmitgliedern besetzten Aufsichtsrat widerrufen werden.479 Grundsätzlich aber hatten die Stollwercks den Charakter als Familienunternehmen immer über den maßgeblichen Einfluss auf Leitung und Eigentum definiert, der Kapitalmehrheit sogar tendenziell eine höhere Bedeutung zugemessen, indem sie „jedes einzelne Familienmitglied“ veranlassten, „seinen Besitz aus Traditionsgründen und im Interesse der arbeitenden Mitglieder der Familie zu behalten“480. Nach außen wurde trotz der einschneidenden Veränderungen in der Aktionärsstruktur der Eindruck aufrecht erhalten, die Stollwerck AG werde nach wie vor in Eigentum und Leitung von der Familie dominiert – wirken sich doch bestimmte Eigenschaften, die Familienunternehmen zugeschrieben werden, positiv auf ihre Performanz im Wettbewerb aus.481 Nach innen hingegen löste sich das Familienprinzip immer weiter auf. Der Tod Ludwig Stollwercks und die Folgen für die Unternehmensführung Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielschichtig und sowohl im innerfamiliären Bereich zu suchen als auch auf die gesamtwirtschaftliche Situation nach dem Ersten Weltkrieg zurückzuführen. Ein einschneidendes Ereignis für das Familienunternehmen war zweifellos der Tod Ludwig Stollwercks am 12. März 1922. Mit ihm brach zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt die zentrale personelle Säule des Familienunternehmens weg, verstarb der einzige wirkliche Unternehmer, der strategische Kopf der Familie. Zwar ist der Erfolg der Stollwerck’schen Unternehmung das Werk aller Brüder, doch ist Gustav Laute durchaus zuzustimmen, dass Ludwig der „geistige Motor“482 des Geschäfts war. Nicht allein seine unternehmerische Tätigkeit, sondern sein Gespür für neue Geschäftsfelder machte ihn zu einer interessanten Unternehmerpersönlichkeit. Er war nicht nur an der Entwicklung der in den 1880er Jahren erfundenen Verkaufsautomaten 478 Fritz Stollwerck an Ellen Stollwerck am 19. November 1928, RWWA 208-49-5. Die genauen Eigentumsverhältnisse lassen sich mangels Quellen auf der einen und der Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien auf der anderen Seite nicht erhellen. Der Darstellung Fritz Stollwercks widersprechen Presseberichte, nach denen die Kapitalmajorität bis 1931 bei der Familie Stollwerck lag. Siehe o. A.: Stollwerck im Umbau. 479 Carl Stollwerck erhielt einen Vertrag für die Zeit vom 1. Juli 1922 bis zum 30. Juni 1925. Sollte der Vertrag von keiner Seite vor dem 1. Juli 1924 schriftlich gekündigt werden, verlängerte er sich automatisch um ein Jahr. Der Kontrakt konnte aber jederzeit mit halbjährlicher Frist gekündigt werden. Siehe Karl Kimmich an Georg Solmssen am 8. Juni 1931, HADB P04784. 480 Ludwig Stollwerck: Gedanken zu einer Anregung von Exzellenz Dernburg über finanzielle Umgestaltung unserer Familien-Aktiengesellschaft, 22. Januar 1911, RWWA 208-149-11. 481 Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.B.1. 482 Laute: Ludwig Stollwerck, S. 104, 120
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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beteiligt und baute diesen Vertriebszweig in einem Umfang aus, dass Stollwerck im Automatengeschäft große Bedeutung erlangte, sondern pflegte auch maßgeblich die ausländischen Geschäftsverbindungen der Firma Gebrüder Stollwerck. Die Gründung der ausländischen Zweigfabriken in London, Stamford und Pressburg ging ebenso auf seine Initiative zurück wie der Aufbau der Ausfuhrfabrik in Köln. Die stetige Unternehmensexpansion veranlasste ihn zudem um die Jahrhundertwende, seine Brüder von der Umwandlung der Firma in eine Aktiengesellschaft zu überzeugen, und das Unternehmen nach den neusten kaufmännischen Gesichtspunkten umzustrukturieren. Unter der Regie von Ludwig Stollwerck dehnte sich auch die In- und Auslandswerbung des Unternehmens stark aus. Insbesondere die prestigeträchtige Beteiligung an Ausstellungen und die StollwerckSammelbilder, denen er viel Zeit und Sorgfalt widmete, erregten großes Aufsehen. Auch die traditionelle Mitarbeit der Firma im Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten meisterte Ludwig nach dem Tod von Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph allein. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Gründung der KakaoEinkaufs-Gesellschaft 1907 und engagierte sich nachdrücklich in der Kriegswirtschaft.483 Carl Stollwerck hatte diesen unternehmerischen Initiativen und Erfolgen von Ludwig wenig entgegenzusetzen. Sein Metier waren, obwohl er bis zu dessen Tod 1915 auch in diesen Bereichen lieber Heinrich den Vortritt ließ, Fabrikation und Technik, nicht der Einkauf von Rohstoffen, die Buchhaltung, der Vertrieb, die Lobbyarbeit oder gar die Unternehmensfinanzierung. In diesen Fragen hatte er voll und ganz auf die Fähigkeiten von Peter Joseph und Ludwig vertraut. Zu Ludwig pflegte er zudem aufgrund des geringen Altersunterschieds auch eine enge persönliche Bindung.484 Zwar hatte es auch zwischen den vier Brüdern wiederholt Auseinandersetzungen – vor allem über die richtige Unternehmensform und die Praxis der Nachfolgerrekrutierung – gegeben,485 doch war es nie zum Bruch gekommen. Diese brüderliche Loyalität und Solidarität mag auch der Grund sein, warum Carl seine bereits vor dem Ersten Weltkrieg virulenten Gedanken, aus dem Familiengeschäft auszusteigen,486 nicht in die Tat umgesetzt hatte: Er wollte seine Brüder nicht im Stich lassen. Nachdem mit Ludwig auch der letzte seiner Brüder verstorben war, fehlten für Carl indes die zentralen Identifikationsfiguren im Unternehmen, deren symbolisch-sinnhafte Ziele der Unternehmernachfolge er stets mitgetragen hatte. Er hatte selbst keine eigenen Söhne, an die er seine führende Stellung im Unternehmen weitergeben konnte, seinen Neffen stand er kritisch und distanziert gegenüber,487 so dass die familiäre Richtschnur, das Unternehmen über den eigenen Tod hinaus in Eigentum und Leitung zu erhalten, für Carl zunehmend an Prägekraft verlor. 483 Siehe Oepen-Domschky: Kölner Wirtschaftsbürger, S. 120–136, 188–197, 224–229; Laute: Ludwig Stollwerck; Spantig: Kunst und Konsum; Loiperdinger: Film & Schokolade; Ginzel: Gründer der „süßen“ Industrie. 484 Siehe ausführlich Kapitel III.B.1. 485 Siehe ausführlich Kapitel III.B.2 und IV.A.2. 486 Ludwig Stollwerck an Bernhard Dernburg am 11. April 1913, RWWA 208-303-1. 487 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Hinzu kam ein Gefühl der Überforderung. Nach dem Tod von Ludwig trug Carl Stollwerck als Senior der Familie und des Unternehmens eine Verantwortung, der er nicht gewachsen war. Im Kreise seiner Brüder war er gleichberechtigtes Vorstandsmitglied gewesen, während er nach 1922 einem Führungsgremium vorstand, das kein Gefühl paritätischer Verantwortung kannte. Sowohl seine Neffen als auch die familienfremden Vorstandsmitglieder erwarteten von ihm richtungsweisende Entscheidungen in allen Unternehmensbereichen. In der Folge musste er auch die gesamte finanzielle und kaufmännische Leitung des Geschäfts übernehmen – Aufgaben, die seiner primär technischen Ausbildung nicht entsprachen und ihn im Kontext der politisch, ökonomisch und rechtlich unsicheren bzw. instabilen Rahmenbedingungen und begrenzten Entscheidungsspielräume der Nachkriegszeit vor zusätzliche Herausforderungen stellten. Der Stollwerck AG fehlte – es sei einmal mehr angemerkt – nach dem Tod Ludwig Stollwercks der Unternehmer. War das auch von den Nachfahren nachhaltig eingeforderte Arbeits- und Leistungsethos für Carl Stollwerck über Jahrzehnte kein Lippenbekenntnis gewesen, sondern gelebter Alltag, wurde es vor diesem Hintergrund zunehmend zur bloßen Erinnerungsvokabel. Für ihn veränderten sich im Verlauf der 1920er Jahre die selbst definierten Ideale und die tatsächlichen Alltagspraktiken, Anspruch und Wirklichkeit klafften immer weiter auseinander, er war emotional und kognitiv überfordert. 1926 wollte er seinen Posten als Vorstandsvorsitzender der Stollwerck AG sogar niederlegen, wurde aber nach eigener Darstellung vom Aufsichtsrat „unter ehrenden Anerkennungen“ gebeten, das Amt weiter auszuüben. Im Gegenzug wurde ihm genehmigt, seinen Wohnsitz nach Bayern zu verlegen und sich bei der Wahrnehmung seiner geschäftlichen Aufgaben in einem Umfang zu entlasten, „der seinem vorgeschrittenen Alter Rechnung trägt“. Dennoch sollte er weiter den Geschäftsgang und die Zusammenarbeit der Vorstandsmitglieder überwachen und persönlich eingreifen können – „falls solches im Interesse des Geschäftes erforderlich wird“488. Carl Stollwerck distanzierte sich damit nicht nur räumlich, indem er die Hälfte des Jahres auf seinem Landsitz verbrachte,489 sondern auch innerlich vom Firmenalltag. Zwar hielt er täglich Kontakt zum Kölner Stammhaus, doch die Korrespondenz spricht eine deutliche Sprache: Carl Stollwerck trug zunehmend schwer an seiner Verantwortung als Senior-Chef, die ihm die „Nachtruhe recht stört[e]“490. Dass er an seinen Befugnissen und Kontrollrechten dennoch uneingeschränkt festhielt, mag auch mit dem großen Misstrauen gegenüber seinen Neffen zusammenhängen. Er betrachtete sie – dieser Eindruck drängt sich zumindest bei der Quellenlektüre auf – eher als Störfaktoren denn als Stammhalter.491 Bereits zu Lebzeiten seiner Brüder hatte er keinen Hehl 488 Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Emil Schniewind am 10. Dezember 1931, HADB P04785. Ein guter Aufsichtsrat hätte einer solchen Regelung nie zugestimmt. Das Kontrollgremium der Stollwerck AG diente freilich primär dem Schutz der familiären Interessen, als dass es die Geschäftsführung kontrollierte und mit Expertise unterstützte. 489 Siehe o. A.: Der Untergang der Familie Stollwerck. 490 Carl Stollwerck an die Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG am 25. April 1930, RWWA 208-57-3. 491 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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daraus gemacht, dass er erhebliche Zweifel an der Qualifikation und Eignung seiner Neffen hegte, das Familienunternehmen im Sinne ihrer Vorfahren weiterzuführen. Die dritte Generation in der Unternehmensführung Nicht nur bei Carl, auch bei seinem Neffen Paul stärkte der Tod Ludwig Stollwercks keineswegs die Bereitschaft, sich nun mit aller Kraft im Familiengeschäft zu engagieren und die Lücke, die der Vater sowohl als Identifikationsfigur als auch im operativen Geschäft hinterlassen hatte, zu füllen. Da es der Verlust der familiären Kapitalmehrheit „nicht möglich“ machte, „Paul als Vorstand aufzunehmen“492, kehrte Ludwigs zweiter Sohn dem Familienunternehmen den Rücken und machte sich 1924 entgegen aller Konkurrenzklauseln als Schokoladenfabrikant selbständig. Die Firma florierte allerdings keineswegs, denn zum einen führte die Stollwerck AG einen Prozess wegen unlauteren Wettbewerbs gegen die Firma Paul H. Stollwerck493 und zum anderen war Paul auch gesundheitlich nicht in der Lage, das Unternehmen erfolgreich zu führen. Seine bereits in der Jugend festgestellte Anlage zu Depressionen brach wieder durch und führte dazu, dass er pflegebedürftig wurde.494 Da die Gebrüder Stollwerck AG es für „wünschenswert“ hielt, dass „die Firma Paul H. Stollwerck verschwand“, übernahm sie das Geschäft 1930 für 30.000 Reichsmark – eine Entscheidung, die nur unter dem Gesichtspunkt des Nepotismus verständlich erscheint, hatte die Stollwerck AG doch im Grunde keine Verwendung für die erworbenen Maschinen etc. Paul Stollwerck musste sich im Gegenzug verpflichten, seine Firma sofort zu liquidieren „und nie mehr ein Unternehmen in der Branche unter seinem Namen zu errichten oder direkt oder indirekt sich daran zu beteiligen“495. Zwar erhielt Paul von der Stollwerck AG eine jährliche Pension in Höhe von 6.600 Reichsmark zugesprochen, doch reichte diese Summe nicht aus, um die Kosten für Kuraufenthalte und ärztliche Versorgung zu decken. Seine Frau Ellen wandte sich wiederholt an die Familie, insbesondere an Fritz und Carl, und bat um finanzielle Unterstützung.496 Wie 492 Fritz Stollwerck an Ellen Stollwerck am 19. November 1928, RWWA 208-49-5. Siehe zu den Depressionen Paul Stollwercks auch Kapitel III.B.2. 493 Siehe Firma Witte’s Söhne an die Gebrüder Stollwerck AG am 15. Januar 1932, RWWA 208-36-7. Die Stollwerck AG führte den Prozess, der u. a. darauf zielte, der Firma zu untersagen, den Namen Stollwerck zu führen, bis zum Reichsgericht, musste aber letzten Endes eine Niederlage hinnehmen. Siehe Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an den Aufsichtsrat der Gebrüder Stollwerck AG am 24. Oktober 1931, HADB P04785. 494 Siehe Fritz Stollwerck an Walter Stollwerck am 19. Dezember 1928, RWWA 208-49-5. 495 Die letzten Zitate aus Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an den Aufsichtsrat der Gebrüder Stollwerck AG am 24. Oktober 1931, HADB P04785. 496 Auch Heinrichs Tochter Anna Sophia wandte sich seit Mitte der 1920er Jahre wiederholt mit der Bitte an die Stollwerck AG, Versicherungspolicen, Rechnungen etc. für sie zu übernehmen. Siehe die in RWWA 208-41-2 überlieferte Korrespondenz. Auch ihre Cousine Helene konnte für entstandene Arzt- und Krankenhausrechnungen nicht selbst aufkommen und er-
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
schlecht das innerfamiliäre Verhältnis mittlerweile war, lassen die gegenseitigen Anschuldigungen erkennen. Während Ellen Stollwerck „den Enttäuschungen bei Gebr. St.“497 und dem gegen Paul angestrengten Prozess die Schuld an seinem Zustand gab, machte Fritz den übersteigerten Ehrgeiz seiner Schwägerin für die schlechte Verfassung seines Bruders verantwortlich.498 Paul Stollwerck starb am 11. April 1946 im Alter von 60 Jahren in Wiesbaden. Nach dem Rückzug von Paul verblieben mit Gustav, Franz (II) und Fritz nur noch drei Vertreter der dritten Generation in der Geschäftsleitung. Gustav, der 1921 die Leitung der Pressburger Zweigfabrik übernommen hatte,499 wechselte allerdings nach Abschluss des Geschäftsjahres 1924/25 in den Aufsichtsrat. Seinen Posten im Vorstand übernahm Heinrich Trimborn – womit erstmals seit Gründung des Unternehmens ein Familienfremder ordentliches Mitglied der Geschäftsleitung wurde.500 Im Unterschied zu den Gebrüdern Stollwerck fanden Gustav, Franz (II) und Fritz in ihrer unternehmerischen Tätigkeit allerdings weder berufliche Erfüllung noch lag darin für sie eine höhere Sinnstiftung. Dies lässt sich in gewissem Umfang mit dem sprichwörtlich gewordenen BuddenbrookEffekt, der Sozialisation und spezifischen Charaktereigenschaften der dritten Stollwerck-Generation erklären. Diese Begründung allein würde freilich zu kurz greifen. Vielmehr spielten auch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der frühen Weimarer Republik eine zentrale Rolle. Zum einen entfremdeten die vier Kriegsjahre, in denen Gustav, Franz (II) und Fritz nicht im Familienunternehmen tätig waren, die Nachfolger vom Unternehmen und wirkten sich negativ auf ihre unternehmerische Haltung aus. Die Realität des „Fronterlebnisses“ rückte das Ideal generationenübergreifender familiärer Sinnstiftung in den Hintergrund. Zum anderen veränderten der Erste Weltkrieg und die Inflation die Rahmenbedingun-
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suchte ihren Onkel Carl, ihre Außenstände vom Firmenkonto zu begleichen. Siehe die in RWWA 208-46-7 überlieferte Korrespondenz. Ellen Stollwerck an Fritz Stollwerck am 20. November 1928, RWWA 208-49-5. Siehe auch die Briefe von Ellen Stollwerck an Fritz Stollwerck am 9. Mai 1928 und 18. November 1928, RWWA 208-49-5 sowie die in RWWA 208-51-3 überlieferte Korrespondenz. Siehe Fritz Stollwerck an Ellen Stollwerck am 19. November 1928, RWWA 208-49-5. Gustav betrachtete diese Aufgabe mit gemischten Gefühlen: „Im November 1921 wurde ich, wie es hiess, für einige Jahre nach Pressburg versetzt. Ich sollte in gemeinsamer Arbeit mit Herrn Russbacher die durch die politischen Verhältnisse von Wien abgetrennte Pressburger Fabrik weiterleiten, eine Aufgabe, die ich wegen der Vielseitigkeit der Betätigungsmöglichkeit mit Freuden übernahm. Allerdings kostete es einen ziemlichen Entschluss, nachdem ich erst ein Jahr vorher wieder nach Köln zurückgekehrt war, mit der Familie die Heimat zu verlassen und mich in vollkommen fremde Verhältnisse einzuleben. […] Doch wurde mir in Aussicht gestellt, dass mir nach einigen Jahren die Rückkehr ermöglicht werden sollte und das einer der anderen Herren mich ablösen würde.“ Gustav Stollwerck über seine Tätigkeit in Pressburg, November 1932, HADB P04787. Als neues stellvertretendes Mitglied des Gremiums wurde Gustav Laute berufen, der 1902 als Buchhalter in die Firma eingetreten und 1908 zum Geschäftsführer des Berliner Zweighauses ernannt worden war, 1916 hatte er Prokura erhalten. Siehe Kuske: StollwerckGeschichte, S. 126.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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gen unternehmerischen Handelns massiv. Sie stellten alles, auch den Fortbestand des Familienunternehmens, in Frage. Ludwig Stollwerck hatte sich zwischen 1914 und 1918 sukzessive auf die lenkenden und kontrollierenden Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsleben einstellen können. Zudem hatte er sich frühzeitig auf verbandspolitischer Ebene mit der Frage der Wirtschaftsordnung in der Nachkriegszeit, künftigen Kontrollbefugnissen und Eingriffsmöglichkeiten des Staates sowie möglichen organisatorischen Anpassungen des Familienunternehmens, d. h. umfassenden Rationalisierungen, beschäftigt. Als er 1922 starb, war das Familienunternehmen in einer Zeit, in der es umfassende Unternehmerfunktionen nachfragte, mit einem Schlag nahezu führungslos. Gustav, Franz (II) und Fritz kannten die Einschränkungen der Kriegswirtschaft und den gewachsenen Staatseinfluss in der Wirtschaft nicht aus eigener Erfahrung, waren den vielschichtigen, widersprüchlichen und nur bedingt zu kalkulierenden Herausforderungen, der Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion, der Verschlechterung der Weltmarktposition, unterbliebenen Modernisierungs- und Rationalisierungsinvestitionen, unsicheren Kalkulationsgrundlagen und den Problemen der Kreditbeschaffung nicht gewachsen. Hätte ihre skizzierte durchschnittliche Fachkompetenz im Normalfall ausgereicht, das Familienunternehmen zu führen, und ihre charakterliche Eignung keine unmittelbare Gefahr für den Fortbestand des Geschäfts bedeutet, markierten die Kriegs- und Nachkriegsjahre eine Sollbruchstelle, die herausragende Qualifikationen in allen Bereichen, unermüdlichen Einsatz, ein hohes Maß an Loyalitätspflichten und Opferbereitschaft und die Fähigkeit einforderte, sich von etablierten Verhaltensmustern zu lösen. Die dritte Stollwerck-Generation hatte sich aber in der auf Erfolg, Fortschritt und Wachstum fokussierten Gesellschaft der Vorkriegszeit nie mit den nun – sowohl auf wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Ebene – evident werdenden Kategorien der Stagnation und des Verlustes und der Erschütterung fundamentaler Werte auseinandersetzen müssen. Wie ihr Onkel Carl kannten sie aus eigener Erfahrung nur den (relativen) Erfolg des Familiengeschäfts, nicht aber die Defensive. Nach 1918 hingegen mussten sie nicht nur geringe oder ganz ausbleibende Dividenden und Gewinnausschüttungen hinnehmen, die mit der Inflationsrate nicht Schritt hielten und ihre bis dato materiell vollständig abgesicherte Lebensführung gefährdeten, sondern auch den folgenreichen Regimewechsel zum parlamentarischen System, dem sie – wie die Mehrheit des oberen Wirtschaftsbürgertums – mit Skepsis, Unbehagen und Distanz begegneten. Die traditionelle Staatsnähe band die Bourgeoisie keineswegs eng an die Weimarer Republik, vielmehr verschob sich das Kräfteverhältnis zunehmend zu ihren Ungunsten. Durch die wachsende Bedeutung der Freien Gewerkschaften und der Sozialdemokratie lösten sich die „eingespielten zuverlässigen Mechanismen autoritärer Steuerung“501 immer mehr auf. Wehmütig blieb daher nicht nur die Familie Stollwerck auf die ihr Selbstverständnis, ihre Einflussmöglichkeiten und ihr Ansehen zementierende 501 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 4, S. 285. Siehe auch ebenda, S. 290–293, 306–309.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
gesellschaftliche und politische Ordnung des Kaiserreichs fixiert, an deren Rückkehr freilich nicht zu denken war. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass Fritz Stollwerck sich nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend weniger seinen Aufgaben als Mitglied der Geschäftsleitung widmete, sondern sich um seine angeschlagene Gesundheit sorgte.502 1925 gab er bei der bereits maroden503 Brühler Firma Kivernagel GmbH fünf Autos für Reisende in Auftrag und leistete 50.000 Reichsmark Anzahlung in Firmenakzepten. Mitinhaber und Geschäftsführer der Firma war ein Schwager von Fritz Stollwerck. Kurze Zeit später geriet Kivernagel in Zahlungsschwierigkeiten und musste Konkurs anmelden, die Wagen konnten nicht ausgeliefert werden. Zwar wurden „Rücksichten auf Familienbeziehungen“ im Nachhinein ebenso abgestritten wie „Verschleierungsabsichten“, doch setzte Fritz Stollwerck im Vorstand durch, die für die Stollwerck AG eigentlich wertlosen Geschäftsgebäude und das Grundstück von Kivernagel „anzukaufen, um den erlittenen Verlust wieder hereinzubringen“504. Der Plan, das Grundstück direkt weiterzuverkaufen, scheiterte allerdings an der schlechten gesamtwirtschaftlichen Lage, so dass die Gesellschaft auf dem Verlust von rund 120.000 Reichsmark des von Fritz Stollwerck eingefädelten Geschäfts sitzen blieb. Hatten die Gebrüder Stollwerck bereits zu einem Zeitpunkt, als ihre Söhne noch in den Kinderschuhen steckten, im Gesellschaftsvertrag Nachfolgeregelungen festgelegt,505 ist von ihren Nachkommen weder eine Absichtserklärung überliefert, das Unternehmen auch in vierter Generation weiterzuführen, noch enthalten die Quellen Hinweise darauf, dass sie ihre eigenen Kinder früh mit dem Unternehmen vertraut machten. Auch die Loyalitäts- und Solidaritätsbeziehungen, die zwischen den Gebrüdern Stollwerck trotz sachlicher Konflikte ausnehmend stark gewesen waren, nahmen immer mehr ab. Gustav Stollwerck beklagte in den 1920er Jahren wiederholt, dass er kaum Kontakt zu seiner Familie in Köln habe und führte dies auf die hohen Portokosten zurück506 – eine Erklärung, die nahezu lächerlich anmutet, wenn man bedenkt, dass die Stollwercks über beträchtliches Privatvermögen verfügten.507 Vielmehr zeigt sich hier, dass die „kommunikative Selbstthematisierung“508 als Ausgangspunkt und Stabilisator des generationenübergreifenden Familienunternehmens nach der zentralen Zäsur der Unterneh502 Wegen diverser gesundheitlicher Beschwerden zog er sich Ende der 1920er Jahre wiederholt für mehrere Wochen zur Kur zurück. Siehe Fritz Stollwerck an Gustav Laute am 23. Juni 1926, RWWA 208-53-2; Fritz Stollwerck an Carl Pathe am 14. August 1928, RWWA 20853-5. 503 Diese Information verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Gisela Maria Nottebrock, einer Ur-Enkelin Ludwig Stollwercks, und ihrem Ehemann Volker Wendeler am 12. März 2009. 504 Die letzten Zitate aus Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an den Aufsichtsrat der Gebrüder Stollwerck AG am 24. Oktober 1931, HADB P04785. 505 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.1. 506 Siehe Gustav Stollwerck an Heinrich Trimborn am 27. November 1923, RWWA 208-42-4. 507 Siehe Kapitel III.A.3. 508 Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 117.
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mensgeschichte, dem Tod Ludwig Stollwercks, zunehmend nachließ. Der Familienzusammenhalt zerfranste, verlor an Überzeugungskraft und wurde als Sinnstiftungsangebot abgelehnt. Auch die übrigen, von den Vätern stets hochgehaltenen bürgerlichen Tugenden der (Selbst-)Disziplin, Pflichterfüllung und Willenskraft verloren im Zuge der skizzierten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die nachfolgende Generation immer mehr an Bedeutung und Verbindlichkeit.509 Rationalisierungsbestrebungen in der Weimarer Republik Weltkrieg und Inflation hatten (nicht nur) den Stollwercks erhebliche finanzielle Einbußen beschert und die Familie gelehrt, dass das im Kaiserreich aufgebaute wirtschaftsbürgerliche Fundament nicht so sicher war, wie gedacht. Weder war die dritte Generation „aller finanziellen Sorge enthoben“510 noch waren die Zukunftsaussichten durchweg rosig. Der allgemeine Wirtschafts- und Branchenkontext der Nachkriegszeit bedeutete für den Fortbestand des Familienunternehmens durchaus eine Gefährdung. Unter dem Titel „Eine beachtenswerte Betrachtung“ hielt Ludwig Stollwerck in einem internen Strategiepapier Anfang 1919 fest, dass die Kriegsniederlage und die zu erwartenden Reparationsforderungen der Siegermächte den Volkswohlstand außerordentlich schmälern würden. Er hielt es für fraglich, ob die früheren Umsätze von Schokolade, Kakaopulver und Zuckerwaren unter diesen Umständen erreichbar, d. h. ob wirtschaftlicher Erfolg und dessen langfristige Erhaltung gesichert seien.511 Zwar gab die Regierung Mitte 1919 die Einfuhr von Rohkakao und Zucker für die Kakao- und Schokoladenindustrie frei, der Import gestaltete sich jedoch schwierig, da Devisen knapp waren. Zudem wurde die gesamte Einfuhrmenge weiterhin nach einem bestimmten Schlüssel zugeteilt, d. h. jeder Fabrikant erhielt Bezugsscheine für das ihm zustehende Kontingent. Erst im April 1924 wurden sämtliche Auflagen aufgehoben.512 Nachdrücklich wies Ludwig Stollwerck vor diesem Hintergrund darauf hin, „dauernden Nachteilen durch Neuorganisation Rechnung zu tragen“513. Seine Vorschläge lassen sich wie folgt zusammenfassen: Modernisierung veralteter Maschinen und Fabrikationsverfahren,514 Elektrisierung der Betriebe, Konzentration auf Fabrikate 509 Siehe zu diesen Überlegungen auch Plumpe: Einleitende Überlegungen, S. 10. 510 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 26. Mai 1916, RWWA 208-171-5. 511 Siehe Ludwig Stollwerck: Eine beachtenswerte Betrachtung, 31. Januar 1919, RWWA 208149-6. 512 Siehe Greiert: Festschrift, S. 62–75; Kynast: Die deutsche Kakao- und Schokolade-Industrie, S. 137–140. 513 Ludwig Stollwerck: Eine beachtenswerte Betrachtung, 31. Januar 1919, RWWA 208-149-6. 514 Diese Ansicht teilte auch Fritz Stollwerck. Er beschrieb die Kölner Fabrik als „unmodernes Werk“ (Fritz Stollwerck an Ludwig und Carl Stollwerck am 2. September 1919, RWWA 208-171-8), das mit vollständig modernen Fabriken nicht zu vergleichen sei. Technische Mängel würden dazu führen, dass häufig nur eine Tagesleistung von 28.000 Tafeln erbracht werden könne – über die Hälfte weniger als das Produktionsziel. 1921/22 bewilligte der Auf-
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
mit hoher Gewinnspanne, Stilllegung der Berliner Fabrik und Zentralisierung der Fabrikation in Köln.515 Ferner plante er eine Fusion mit den Konkurrenzunternehmen Sarotti und Hildebrand, die er angesichts der finanziellen Situation des Unternehmens und der „späterhin zu erwartenden Schwierigkeiten unserer Industrie“516 für „das Beste“517 hielt. Die 1919 eingeleiteten Verhandlungen scheiterten zwei Jahre später – allerdings nicht allein aufgrund der hohen Bankschulden der Stollwerck AG im neutralen Ausland und der ungeklärten Frage der amerikanischen Vermögenswerte,518 sondern auch daran, dass der traditionelle gute Ruf der Stollwerck-Marken erheblich gelitten hatte.519 Zudem agierte die Familie Stollwerck in der ohnehin labilen Wirtschaftslage äußerst ungeschickt, indem sie wiederholt demonstrativ ihr Misstrauen gegenüber dem parlamentarisch-demokratischen System ausdrückte. Es braucht nicht detailliert ausgeführt werden, dass sich die damit hervorgerufenen Attacken der linken (Arbeiter-)Presse zusätzlich negativ auf das Image der Stollwerck-Produkte auswirkten. Um das angegriffene Renommee der Stollwerck-Marken einerseits nicht weiter zu schädigen, andererseits aber von der – im Kontext der allgemein zurückgehenden Kaufkraft – zunehmenden „Abwanderung der Nachfrage nach billigeren Waren“520 zu profitieren, gründete die Stollwerck AG mit der Merkuria Handelsgesellschaft und der Puro Vertriebsgesellschaft zwei Firmen, unter deren „Deckmantel“521 das Unternehmen fortan auch qualitativ weniger hochwertige Fabrikate verkaufte. Die Strategie ging allerdings nicht auf, denn zum einen fehlte die erforderliche Kaufkraft, zum anderen erschwerte die Massenware den Absatz der Qualitätsprodukte – das Markenartikelgeschäft hatte 1928 nur noch einen Anteil von 35 Prozent am Gesamtumsatz.522 Die Geschäftsleitung führte den mäßigen Geschäftserfolg jedoch ausschließlich auf die zweifellos schlechten exogenen Bedingungen zurück, reflektierte ei-
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sichtsrat der Stollwerck AG rund 3,3 Millionen Mark für neue Maschinen. Siehe o. A.: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 3. Mai 1921, RWWA 208395-7; Beschluss des Aufsichtsrats der Gebrüder Stollwerck AG zur Investition von zwei Millionen Mark in die Milch-Karamell-Fabrikation vom 1. Juli 1922, RWWA 208-172-1. Siehe Ludwig Stollwerck: Eine beachtenswerte Betrachtung, 31. Januar 1919, RWWA 208149-6. Die Berliner Fabrik konnte im Hinblick auf die Einschränkungen im besetzten Gebiet nicht stillgelegt werden. Siehe ausführlich Kapitel III.C.2. O. A.: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 23. September 1919, RWWA 208-254-1. Ludwig Stollwerck an Fritz Stollwerck und Heinrich Trimborn am 12. August 1919, RWWA 208-249-6. Siehe o. A.: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 10. Februar 1921, RWWA 208-242-5. Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.B.2. Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1929/30, RWWA 208388-3. Gustav Laute an die Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG am 18. August 1925, RWWA 208-105-9. Siehe Laute: Stollwerck – Reichardt, S. 27.
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gene Fehler und Versäumnisse, d. h. endogene Entwicklungen nicht und ließ auch außer Acht, dass die Lage anderer großer Unternehmen der deutschen Schokoladenindustrie deutlich besser war. „Sie werden daraus ersehen, daß der Verdienst in Prozenten des Kapitals bei Sarotti zwischen 8,5 % und 8 % und bei Mauxion zwischen 10,7 % und 12,4 % liegt, während wir bei Gebr. Stollwerck im Vorjahr 0,6 % und in diesem Jahr 0,0 % verzeichnen. Der Prozentsatz des Gewinnes gemessen am Umsatz, lag bei Sarotti zwischen 3,6 und 3,4 %, bei Mauxion zwischen 2,3 und 2,7 %, während er bei Stollwerck im Vorjahr 0,27 % betrug und in diesem Jahr auch 0,0 ist.“523
Die Stollwerck’schen Geschäftsberichte der 1920er Jahre überboten sich an inhaltsleeren Erklärungsversuchen. Waren es 1925/26 die „Verschärfung der ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse“, die damit zusammenhängende „Verringerung der Kaufkraft“, hohe Rohstoffpreise und Zollbelastungen, klagte man ein Jahr später über die ungünstige „Preisgestaltung in den hauptsächlich verarbeiteten Rohstoffen“. 1927/28 verursachten die „Verhältnisse in unserer Industrie […] größere Aufwendungen, die durch die Verkaufspreise nicht immer ausgeglichen wurden“, und im folgenden Geschäftsjahr wurden die „allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse“ und die „anhaltende große Kälte des verflossenen Winters“524 für den lediglich befriedigenden Geschäftsgang verantwortlich gemacht. Statt indes die erwirtschafteten Gewinne zu reinvestieren und die Basis des Unternehmens zu stärken, wurden zwischen 1925/26 und 1928/29 konstant neun Prozent 523 Georg Solmssen an Emil Schniewind am 6. Januar 1931. 524 Die Zitate stammen aus den Geschäftsberichten der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1925/26, 1926/27, 1927/28 und 1928/29, RWWA 208-388-3. Zweifellos machte sich die labile Wirtschaftslage verstärkt in der Süßwarenindustrie bemerkbar, die entbehrliche Genussmittel fabrizierte. Hatten 1927 91 Süßwarenfirmen Konkurs angemeldet, waren es 1928 97 und 1929 113 Firmen. Zudem war der finanzielle Status vieler Unternehmen stark überspannt, strategische Ziele und erhebliche Erweiterungsinvestitionen ließen die liquiden Eigenmittel schrumpfen, die durch Fremdkapital aufgestockt werden mussten. In der Folge entzogen sowohl die Banken als auch die Warengläubiger den Firmen ihr Vertrauen. In der Verbandsarbeit spiegelte sich diese Krise in unzufriedenen Mitgliedern, mangelndem Zusammenhalt, Verbandsaustritten und dem häufigen Wechsel der Vorstandsmitglieder. Die Zahl der Mitglieder des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten ging von 183 1925 auf 94 fünf Jahre später zurück. Siehe Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (Hg.): 1877–1977, S. 3–9. Der Gordian (o. A.: Stollwerck – Reichardt II, S. 23) fasste die Situation in den 1920er Jahren wie folgt zusammen: „Zahlreiche kleine und kleinste Neugründungen fanden neben den Großbetrieben scheinbar gute Daseinsmöglichkeiten. Dann kam eine gründliche Auslese; der scharfe Wettbewerb, die hohen Reklamekosten und Absatzschwankungen brachten zahlreiche Unternehmen zur Strecke. Bei der Schokoladenindustrie […] kam der den kleinen Firmen die Finanzierung erschwerende Saisoncharakter […] hinzu. Auch der Süßwarenhandel war übersetzt. Eine besondere Geschäftserschwerung brachten aber die außerordentlich starken Schwankungen der Rohstoffpreise. […] Mit der Verschärfung der Wirtschaftskrise und steigendem Zwang auf weite Bevölkerungsschichten zur Verbrauchseinschränkung vergrößerten sich dann in den letzten Jahren die Absatzsorgen der Schokoladenindustrie mehr und mehr. […] Die Verschlechterung der Geschäftslage, der Kapitalmangel in Deutschland und das Ausdehnungsbedürfnis der ausländischen Süßwarenindustrie haben dieser das Vordringen in Deutschland erleichtert.“
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Dividende ausgeschüttet.525 Der traditionelle Grundsatz, nur mäßige Tantiemen und Dividenden zu zahlen, um die Existenz des Familienunternehmens zu sichern,526 spielte rund 20 Jahre später keine Rolle mehr – oder anders formuliert: Der mögliche Verlust des Familiengeschäfts schien weder für Carl Stollwerck noch für seine Neffen ein Bedrohungsszenario zu sein, dem sie sich mit familienstrategischen kapitalpolitischen Weichenstellungen entgegenstemmen wollten. Übernahme des Reichardt-Konzerns Den einzigen (finanziellen) Lichtblick bildete die Rückerstattung des enteigneten amerikanischen Vermögens. 1928 wurde das in den USA beschlagnahmte Stollwerck-Eigentum nach langen Verhandlungen freigegeben.527 Über Höhe und Verwendung des Guthabens geben die Quellen allerdings widersprüchliche Auskünfte. Laut der für die Öffentlichkeit bestimmten Geschäftsberichte erhielt das Unternehmen den größten Teil des Guthabens an Kapital und Zinsen mit rund 1,3 Millionen Dollar ausbezahlt. Die Zahlung des verbliebenen Rests in Höhe von etwa 350.000 Dollar sollte in Zertifikaten mit längerer Laufzeit erfolgen. Die Aktionäre erhielten eine einmalige Sonderdividende in Höhe von fünf Prozent (752.500 Reichsmark). Nach Abzug dieser Ausschüttung und der entstandenen Auslagen und Kosten für den Rückerwerb der Fabrikmarke in den Vereinigten Staaten, verblieb ein Rest von rund 3,6 Millionen Reichsmark, der für Sonderabschreibungen und Rückstellungen verwandt wurde.528 Gemäß einer internen Aufstellung von Karl Kimmich529 hingegen belief sich die Rückzahlung auf 1.135.000 Dollar und wurde bis 30. Januar 1929 wie folgt eingesetzt: 300.000 Dollar wurden verwendet, um die Schulden der osteuropäischen Stollwerck-Firmen zurückzuzahlen, 320.000 Dollar flossen in die Kreditabdeckung bei Schaaffhausen und der Danat-Bank, 123.000 Dollar wurden für laufende Kredite, 80.000 Dollar zur Einlösung von Automaten-Akzepten verwendet. Die Sonderausschüttung an die Aktionäre belief sich auf lediglich 187.000 Dollar, 125.000 Dollar erhielten Aufsichtsrat, Vorstand und leitende Angestellte als Tantieme.530 Vor dem Hintergrund des unbefriedigenden Geschäftsgangs nahm die Stollwerck AG nach den Fusionsverhandlungen mit Sarotti und Hildebrand zwischen 525 Siehe die Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1925/26 bis 1928/29, RWWA 208-388-3. 526 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2. 527 Siehe zu den Auseinandersetzungen um die Rückführung deutschen Vermögens in den USA exemplarisch und mit weiterführenden Literaturhinweisen Kreikamp: Deutsches Vermögen. 528 Siehe die Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1927/28 und 1928/29, RWWA 208-388-3. Siehe auch die in HADB P04784 überlieferte Korrespondenz zwischen der Gebrüder Stollwerck AG und Georg Solmssen sowie letzterem und Karl Kimmich. Schriftwechsel zur Rückgabe des beschlagnahmten Eigentums in den USA ist zudem überliefert in RWWA 208-69-1, 208-69-4, 208-69-5, 208-49-5. 529 Siehe zu Karl Kimmich Kapitel IV.A.2, FN 304 und ausführlich weiter unten. 530 Siehe Karl Kimmich: Gebrüder Stollwerck A.G., 14. Mai 1929, HADB P04784.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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1919 und 1921 einen zweiten Anlauf, sich mit einer anderen Markenfirma zusammenzuschließen und von deren Image zu profitieren. Hildebrand war freilich weiterhin nicht an einer Kooperation mit dem Kölner Unternehmen interessiert, und erste Gespräche mit dem thüringischen Schokoladenhersteller Mauxion531 setzte Stollwerck nicht fort, weil das Unternehmen zu hoch verschuldet war.532 Im Frühjahr 1930 trat die mit der niederländischen Margarine-Union verbundene Georg Schicht AG533 mit der Anfrage an Stollwerck heran, den einstigen Antipoden,534 das 1892 gegründete Wandsbeker Reichardtwerk,535 sowie die Süßwarenfirmen Johann Gottlieb Hauswaldt (Magdeburg), P. W. Gaedke (Hamburg) und Goldina (Bremen) zu übernehmen. Stollwerck zeigte sofort großes Interesse, machte doch das Markenartikelgeschäft bei Reichardt etwa 97 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Bei den Konzernfirmen Hauswaldt, Gaedke und Goldina lag der Anteil der Qualitätsprodukte am Umsatz bei 72,9 Prozent.536 Ein Zusammenschluss konnte sich für Stollwerck damit gleich in zweifacher Hinsicht positiv auswirken: Zum einen konnte die Produktionsstruktur wieder von der billigen Massenware zu hochwertigen Markenartikeln verschoben, zum anderen die eigene Position innerhalb der Branche gestärkt werden. Gustav Laute, der in die Verhandlungen federführend eingebunden war, fasste die Vorteile für Stollwerck zusammen: „Eine Verbesserung des Stollwerck-Markengeschäftes durch Übernahme der Marken-, Firmen- und Zeichenrechte von Reichardt und den […] angeschlossenen Firmen mußte als wesentlich leichter und billiger erscheinen als eine solche, die durch eine viele Jahre erfordernde teure Reklame für die eigenen Marken hätte erhofft werden können. Es wäre ein Fehler gewesen, diese Gelegenheit zur Erweiterung unseres Markenartikelgeschäftes und Vergrößerung 531 Siehe Schwädke: Die Schokoladen-Fabrikation; Streitberger: Mauxion Saalfeld. 532 Siehe Carl Stollwerck: Niederschrift der Vorgänge: Einleitung und Verlauf der Verhandlungen, die zur Übernahme des Reichardt-Konzerns durch die Gebrüder Stollwerck A.G. führten, September 1930, RWWA 208-143-8. 533 Die Georg Schicht AG übernahm 1926 zunächst die Firmen Gaedke und Hauswaldt, zwei Jahre später ca. 75 Prozent des Kapitals der Reichardt-Werke. 1929 ging die Schicht-Gruppe eine Interessengemeinschaft mit der Margarine-Union ein, die sich ihrerseits noch im gleichen Jahr mit der Firma Lever Brothers Ltd. in der Unilever zusammenschloss. Zu Unilever wiederum gehörte die 1899 von William Hesketh Lever in Mannheim gegründete SunlichtSeifenfabrik AG, deren Aufsichtsratsvorsitzender Carl Stollwerck seit dem Tod seines Bruders Ludwig war. Siehe für einen Überblick ebenda; Bissinger: Die Geschichte der Markenmacher. 534 Als Vorsitzende des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten hatten Peter Joseph und Ludwig Stollwerck eine intensive, teils gerichtlich ausgetragene Auseinandersetzung mit der Firma Reichardt um den richtigen Entölungsgrad von Kakao, die von Reichardt initiierte Werbekampagne zur Unterstützung ihres Standpunktes und unlauteren Wettbewerb. Siehe Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle, S. 98 f. Siehe auch die Überlieferung in RWWA 208-221-5, 208-239-3, 208-239-4, 208-239-6, 208-239-7, 208-240-1, 208-240-2, 208-270-4, 208-270-9, 208-271-1 bis 4, 208-272-7, 208-302-4, 208-321-5, 208-321-7, 208395-3, 208-454-2, 208-464-6 überlieferte Korrespondenz. 535 Zur Geschichte des Reichardtwerks siehe Kakao-Kompagnie Theodor Reichardt GmbH/Herzoglich Schleswig-Holsteinische Kakao-Gesellschaft mbH: Das Reichardtwerk. 536 Siehe Laute: Stollwerck – Reichardt, S. 27.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck des Gesamtumsatzes, die durch Zahlung des Bruchteils eines Prozentes vom Umsatz zu erreichen waren, nicht auszunutzen. Das umsomehr, als feststand, daß die prozentuale Spanne, mit welcher die Reichardt-Firmen bei höheren Kilowerten rechnen konnten, besser war als die Durchschnittsspanne bei Stollwerck. Dabei konnte bei Anschluß des Geschäftes und dessen Eingliederung in die Stollwerck-Erzeugung eine Umsatzsteigerung von etwa 50 % angenommen werden.“537
Nach kurzen Verhandlungen übernahm die Stollwerck AG bereits mit Wirkung vom 1. Juli 1930 den Reichardt-Konzern.538 Der Zusammenschluss sorgte in der Presse für reichlich Wirbel. Der Gordian beschrieb ihn als „ein Ereignis, so seltsam, aber wichtig, dass darüber […] lang und breit berichtet werden soll“539 und trug auf mehreren Seiten die Berichterstattung verschiedener Zeitungen zusammen. Im Kern zielte die Pressekritik darauf ab, dass Stollwerck den Aktionären verheimliche, wie der Übergang genau vollzogen und finanziert werde. In der Tat gab das Unternehmen im Geschäftsbericht 1929/30 kaum konkrete Informationen preis. Es hieß dort lediglich, dass die Herstellung der übernommenen Marken zukünftig unter der „fachmännischen Oberleitung“ von Stollwerck erfolgen solle, der Absatz hingegen von einer „besondere[n] Vertriebsgesellschaft“ organisiert werde. Die Finanzierung der Geschäftsvergrößerung erfolge „zum größten Teil durch einen festen, 20 Jahre laufenden […] Kredit, […] zum kleineren Teil durch Bereitstellung von Bankkrediten“. Für die Überlassung von Geschäftsbetrieben, Kundschaft und Marken habe man an die Vorbesitzer „eine auf 10 Jahre laufende mäßige Umsatzvergütung, ferner für dieselbe Zeit eine geringe, nach der jeweiligen Dividendenhöhe gestaffelte Abgabe vom Reingewinn zu zahlen“540. Reorganisation der Gebrüder Stollwerck AG durch Karl Kimmich Stollwerck geriet 1930 allerdings nicht nur wegen der Reichardt-Übernahme, sondern auch wegen des im Zuge der Weltwirtschaftskrise ausnehmend schlechten Geschäftsergebnisses in die Schlagzeilen. Der Vorstand musste ein im Vergleich
537 Ebenda, S. 27 f. 538 Stollwerck zahlte als Entschädigung ein Viertel vom Umsatz mit Dritten auf die in Deutschland hergestellten Waren, eine Gewinnbeteiligung von 35.000 Reichsmark für jedes Prozent, um das der bilanzmäßige Reingewinn fünf Prozent des Kapitals überstieg, 100.000 Mark für die gesamten Ladengeschäfte und sechs Millionen Reichsmark für die übernommenen Bestände. Letztere Summe wurde von der Schicht-Gruppe in einem 20jährigen Darlehen gestundet, das ab dem 1. Juli 1936 in 15 Jahresraten zu tilgen war. Siehe o. A.: Notizen zum Schicht-Vertrag, o. D., HADB P04821. Zu weiteren Fusionen und Übernahmen in der Süßwarenindustrie siehe o. A.: Stollwerck – Reichardt II, S. 23 f. 539 Ebenda, S. 23. 540 Die letzten Zitate aus Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1929/30, RWWA 208-388-3. Für weitere Details siehe die in HADB P04821 überlieferten Verträge. Siehe auch Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an die Vertreter des Unternehmens am 15. Mai 1930, RWWA 208-78-4.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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zu den Vorjahren „weniger befriedigendes Ergebnis“541 erklären. Der Umsatz ging von 36.364.795 Reichsmark 1928/29 auf 35.144.970 Reichsmark ein Jahr später zurück, die Bankschulden stiegen von rund 1,8 auf ca. 2,1 Millionen Reichsmark.542 Das Unternehmen zahlte zudem nur lediglich fünf Prozent Dividende, verschob die Generalversammlung auf den 30. Dezember 1929, den äußersten gesetzlich zulässigen Termin, und ging mit einem erheblichen Schuldenberg in die Weltwirtschaftskrise.543 Dass die Vorstandsmitglieder mit der kaufmännischen Führung des Unternehmens überfordert waren, hatte Karl Kimmich, Vertreter der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft im Aufsichtsrat, bereits im Frühjahr 1929 vermerkt: „Wie der Finanzstand Ende des Jahres sein wird, konnten die Herren mir auch nicht annähernd sagen, da sie auch nicht wissen, welche Beträge für neue Kakao-Einkäufe ausgegeben werden müssen.“ Den springenden Punkt für die schlechte Rentabilität sah er indes darin, dass die Gesellschaft eine langfristige Vorratswirtschaft mit viel zu teuren Rohkakaobeständen betreibe, zugleich aber zunehmend genötigt sei, die Verkaufspreise zu senken. Die Folge sei eine zu geringe Gewinn-Marge. Im Geschäftsjahr 1928/29 beliefen sich die Rohkakaoeinkäufe auf vier Millionen Reichsmark – eine Summe, die „sehr grosse Verlustgefahren“ berge. Carl Stollwerck teilte die Skepsis von Kimmich nicht, verwies – abermals – auf die schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und betonte, „dass das Geschäft ein durchaus gesundes und daß nach Ueberwindung der […] Schwierigkeiten nicht der geringste Anlass vorhanden sei, pessimistisch über die weitere Entwicklung zu denken“544. So leicht ließen sich die Bedenken der Bankenvertreter im Aufsichtsrat allerdings nicht mehr ausräumen, denn nach Abschluss des Geschäftsjahres 1928/29 schied Josef A. Bollig aus dem Aufsichtsrat aus. Ihm folgte jedoch kein Vertreter der Familie, sondern Karl Kimmich. Erstmals seit 1902 stellte die Familie Stollwerck daher im Kontrollgremium der Gesellschaft nicht mehr die Mehrheit – drei Bankenvertretern standen drei Familienmitglieder gegenüber (siehe Abb. 57), von denen zwei, Emil Heimerdinger und Gustav Stollwerck, ihrer Tätigkeit offenbar nur (noch) Desinteresse entgegenbrachten. Sie erschienen bis 1930 zu keiner Generalversammlung und nahmen auch an den Aufsichtsratssitzungen nicht teil. Im Dezember 1930 sah Emil Schniewind daher sogar davon ab, sie überhaupt zu ei541 Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1929/30, RWWA 208388-3. 542 Siehe o. A.: Vertraulicher Bericht an den Aufsichtsrat über das Geschäftsjahr 1929/30, o. D., HADB P04794. Bereits 1925 hatte Heinrich Trimborn geklagt: „Bezüglich Finanzen, so ist auch während Ihrer Abwesenheit eine Veränderung nicht erfolgt. Wir leiden unter chronischem Druck!“ Heinrich Trimborn an Carl Stollwerck am 25. Februar 1925, RWWA 208-435. 543 Siehe o. A.: Die Gebrüder Stollwerck A.G. 544 Die letzten Zitate aus Karl Kimmich: Gebrüder Stollwerck A.G., 14. Mai 1929, HADB P04784. In einer von Carl Stollwerck verfassten Verwaltungserklärung hieß es: „Aufsichtsrat und Vorstand sind überzeugt, dass es gelingen wird, auf Grund der Beliebtheit der Fabrikate der Firma und der Treue ihres ausgezeichneten Kundenstammes bei einigermassen erträglichen allgemeinen Wirtschaftsverhältnissen wieder erhöhte Erträgnisse zu erzielen.“ Carl Stollwerck: Verwaltungserklärung, 1930, HADB P04785.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
ner Besprechung einzuladen.545 Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Georg Solmssen ging angesichts der schlechten Geschäftslage und der nur geringen Dividende davon aus, dass von den Aktionären eine „recht lebhafte Opposition“ zu erwarten sei. Um entsprechende Fragen beantworten zu können und einen zuverlässigen Überblick über die finanzielle Situation des Unternehmens zu gewinnen, beauftragte er daher Ende 1930 Karl Kimmich, sich „die innere Organisation bei Stollwerck näher anzusehen“546. Erstmals in der Geschichte der Gebrüder Stollwerck AG nahm der Aufsichtsrat damit die ihm zugedachte Kontrolltätigkeit auch tatsächlich aktiv wahr. In den rund 30 Jahren zuvor war die Arbeit des Gremiums mit der Tätigkeit entsprechender unabhängiger Ausschüsse in Publikumsgesellschaften nicht zu vergleichen gewesen. Die Familie Stollwerck hatte es stets verstanden, den Aufsichtsrat – maßgeblich über die Besetzung mit loyalen und unkritischen Familienmitgliedern und Vertrauten – an die spezifischen Bedürfnisse einer Familienaktiengesellschaft anzupassen. Obwohl der Vorstand Kimmich die Arbeit nicht leicht machte, ihm das erforderliche Material vorenthielt und er sich „mit der grössten Mühe die zu seiner Urteilsbildung notwendigen Tatsachen und Ziffern“547 zusammenstellen musste, legte er bereits im Januar 1931 ein vernichtendes, in seiner Klarheit bestechendes Urteil vor. Schonungslos offenbarte er Carl Stollwerck, dass ihn die Zukunft der Gesellschaft „mit ernster Sorge“ erfülle. Stollwerck arbeite „vollkommen unrentabel“ und betreibe eine „gefährliche Schuldenwirtschaft“548. Die entscheidenden Schwachstellen fasste er wie folgt zusammen: Es sei, erstens, nicht länger zu verantworten, dass Stollwerck sieben Produktionsstandorte unterhalte, von denen keiner voll ausgelastet sei. Das Unternehmen müsse endlich den „ernsthafte[n] Wille[n] zu einer Betriebskonzentration“ zeigen. Zweitens müsse Stollwerck erkennen, dass „in Köln der Vertrieb den Betrieb vergewaltigt“. Der Dienst am Kunden sei zweifellos wichtig, die Produktion von ungezählten „‚Kinkerlitzchenʼ“ hingegen gänzlich unrentabel. Zum einen sei daher das Sortiment zu vereinfachen, damit sich das Unternehmen auf Massenaufträge konzentrieren und die angestrebte Rationalisierung in der Fabrik auch zur Geltung bringen könne. Zum anderen müssten die bei gleichbleibendem Umsatz in den letzten fünf Jahren um etwa 700.000 Reichsmark gestiegenen Vertriebskosten „energisch“ abgebaut werden. Das Erfordernis für „schärfste[n] Abbau“ sah Kimmich, drittens, auch beim Ver545 Siehe Emil Schniewind an Georg Solmssen am 22. Dezember 1930, HADB P04784. Siehe auch Gustav Stollwerck an Carl Stollwerck am 14. November 1925, RWWA 208-43-1. 546 Die letzten Zitate aus Georg Solmssen an Emil Schniewind am 8. Dezember 1930, HADB P04784. Eine „eingehende Aussprache“ mit Carl Stollwerck und Heinrich Trimborn hatte ihm nicht die erhoffte Klarheit verschafft. Georg Solmssen an Karl Kimmich am 11. Mai 1929. 547 Georg Solmssen an Heinrich Trimborn am 12. September 1931. 548 Die letzten beiden Zitate aus Karl Kimmich an Carl Stollwerck am 24. Februar 1931, HADB P04784. Siehe auch Karl Kimmich an Gustav Laute am 23. März 1931, HADB P04784. Die Bankverpflichtungen der Gebrüder Stollwerck AG in Deutschland betrugen im März 1931 4.687.600 Reichsmark. Siehe o. A.: Protokoll der Vorstandssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 30. März 1931, HADB P04793.
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packungsmaterial. Als „ungeheuerlich“ bezeichnete er es, dass das Unternehmen Verpackungsmaterial im Wert von über vier Millionen Reichsmark lagere. Viertens sei Stollwerck seiner Ansicht nach bei der Übernahme der Maschinen von Reichardt „allzu large verfahren“. Angesichts der seit Jahren schlecht ausgenutzten Fabriken und der seit 1924 getätigten Neuanschaffungen habe er „ernste Bedenken“, ob man so viele Maschinen unter Aufnahme neuer Schulden hätte zukaufen müssen. Auch für die Stollwerck’sche Reklame hatte Kimmich, fünftens, keine positiven Worte übrig. Gleich eine ganze Reihe von Ausgaben hielt er für „Fehldispositionen“. Auch bei der Buchhaltung beschlich Kimmich, sechstens, ein „unheimliches Gefühl“, da man bei Stollwerck immer erst „viele Monate später“ in der Lage sei, eine Tertialbilanz zu erstellen. Aus diesem Grund habe er einen neuen Betriebsbuchhalter eingestellt, damit das Unternehmen möglichst bald in der Lage sei, Monatsabschlüsse vorzulegen. Siebtens zeige das Stollwerck’sche Auslandsgeschäft auf ganzer Linie verschwindend geringe Umsätze und es grenze an Ressourcenverschwendung, dass sich ein Vorstandsmitglied „persönlich mit diesen Lappalien“549 beschäftige. Kimmich hielt es vor dem Hintergrund all dieser Versäumnisse, achtens, für dringend angebracht, eine Geschäftsordnung für den Vorstand zu erlassen, d. h. dem Unternehmen wieder eine Führungsstruktur zu geben und die einzelnen Funktionen genau zuzuweisen, um einerseits zu vermeiden, dass Verantwortlichkeiten unklar bleiben, und andererseits das richtige Zusammenarbeiten von Betrieb und Vertrieb zu gewährleisten. Ferner beanstandete er in anderem Zusammenhang, dass Stollwerck das Geld aus dem Amerikaguthaben falsch verwendet habe. Statt neue Investitionen zu tätigen, hätte das Unternehmen erst einmal sämtliche Verbindlichkeiten abtragen sollen.550 Auch das Reichardt-Geschäft bewertete Kimmich als Fehler: Hätte er die tatsächlichen Verhältnisse des Unternehmens zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits gekannt, hätte er Stollwerck die Übernahme weder aus Liquiditäts- noch aus Rentabilitätsgründen empfohlen.551 In der Tat hatte Stollwerck bei der Übernahme mehrere Aspekte nur unzureichend bedacht. Zum einen mussten sowohl das Reichardt- als auch das Goldina-Geschäft vollkommen umgestellt werden, so dass zunächst keine Gewinne zu erwarten waren. Zum anderen zeigte sich schnell, dass gegenüber den ursprünglichen Berechnungen größere Investitionen erforderlich waren. Ferner wurden die Übernahmewerte zu teuer bezahlt, z. B. der Rohkakao, der zu 38 Schilling verarbeitet werden musste, als der Kakaopreis nur 23 Schilling
549 Die letzten Zitate aus Karl Kimmich an Carl Stollwerck am 24. Februar 1931, HADB P04784. Siehe auch Karl Kimmich: Ursachen der mangelnden Rentabilität und Vorschläge, o. D., HADB P04794. 550 Nachdem die Familie Stollwerck aus der Unternehmensleitung ausgeschieden war, kritisierte auch die Presse die Verwendung der Entschädigungszahlungen. „Mit größtem Eifer“ habe man „für die Familie gesorgt“ und „alle kaufmännische Sorgfalt ausgeschaltet“, statt auch die Aktionäre zu bedenken. o. A.: Der Untergang der Familie Stollwerck. 551 Siehe Besprechung der Aufsichtsratsmitglieder mit den Vorstandsmitgliedern der Gebrüder Stollwerck AG am 30. Januar 1931, HADB P04794.
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betrug.552 Insgesamt sah Kimmich, sofern man in allen Bereichen richtig bilanziere, eine „sehr grosse Unterbilanz“ voraus, deren Beträge so enorm sein würden, dass er nicht daran glauben könne, „dass diese im nächsten oder in den nächsten Jahren – wenn nichts Unerwartetes eintritt – im regulären Geschäftsvertrieb abverdient werden können“553. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Stollwerck AG, Georg Solmssen, reagierte geschockt auf den Bericht von Kimmich, der ihm „erst die volle Klarheit über die Verhältnisse des Unternehmens verschafft habe“ – die tatsächliche Höhe der Bankschulden sowie die ungenügenden Ergebnisse des Donaukonzerns und des Kölner Hauptgeschäfts seien ihm bislang nicht offen gelegt worden. Dem Vorstand fehle der Überblick über den gesamten Konzern, die Unternehmensleitung sei „mangelhaft“. Im Aufsichtsrat war man sich schnell einig, den Dingen nicht weiter ihren Lauf zu lassen, sondern „erheblichen Wandel“ herbeizuführen, „um schleunigst zu einer Aenderung der Verhältnisse bei der Gesellschaft zu gelangen“554. Karl Kimmich sollte daher zum einen Einblick in alle Bücher, Unterlagen, Korrespondenzen etc. erhalten, zum anderen sollte er fortan beratend an den Vorstandssitzungen der Stollwerck AG teilnehmen. Zwar räumte Kimmich im März 1931 ein, dass in der Geschäftsführung ein „gewisser Umschwung“ ebenso zu erkennen sei wie der „gute Wille“, das Unternehmen zu reorganisieren, doch bezweifelte er, erstens, ob Carl Stollwerck noch die „nötige Spannkraft“ besitze, um die nun vielfach entstehenden Zweifelsfragen richtig zu entscheiden. Zweitens zeigte er sich verwundert, dass aus der Geschäftsführung keine eigenen Reorganisationsvorschläge kämen, sondern man lediglich auf das reagiere, was er beanstande.555 Als „nachteilig“556 mokierte er, drittens, dass sich Heinrich Trimborn mehr seinen und den privaten finanziellen Angelegenheiten der Familie Stollwerck widme denn geschäftlichen Fragen.557
552 Siehe Karl Kimmich: Ausführungen in der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG am 29. Mai 1931, HADB P04794. 553 Karl Kimmich: Ursachen der mangelnden Rentabilität und Vorschläge, o. D., HADB P04794. 554 Die letzten Zitate aus ebenda. Siehe auch Karl Kimmich an Carl Stollwerck am 3. Februar 1931, HADB P04784. 555 Gustav Laute forderte er direkt auf: „Es würde mir ausserordentlich daran liegen, von Ihnen, abgesehen von den Punkten, die ich angeschnitten habe, auch Ihrerseits Anregungen für eine im Sinne einer erhöhten Rentabilität liegenden Verbesserung der Firma zu erhalten. […] Ich wiederhole, dass nach meinem Dafürhalten einschneidende Massnahmen erfolgen müssen, da ich sonst nicht sehe, wie die Gesellschaft in ein anderes Fahrwasser kommen soll. Ich bitte Sie daher, auch den nicht direkt in Ihr Ressort fallenden Fragen Ihre Aufmerksamkeit ebenso zuzuwenden, damit wir möglichst rasch weiterkommen.“ Karl Kimmich an Gustav Laute am 18. März 1931, HADB P04784. Siehe auch Karl Kimmich an Georg Solmssen am 8. April 1931, HADB P04784. 556 Karl Kimmich an Georg Solmssen am 18. März 1931, HADB P04784. 557 Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.A.3.
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Als der Vorstand im April 1931 nicht in der Lage war, eine Tertialbilanz für das bereits seit neun Monaten laufende Geschäftsjahr 1930/31 vorzulegen,558 riss Karl Kimmich endgültig der Geduldsfaden. Angesichts der „Unfähigkeit der Kölner Direktion“ hielt er es für ausgeschlossen, mit dieser Unternehmensleitung eine grundlegende Reorganisation der Stollwerck AG umzusetzen. Nachdrücklich bat er daher zum einen Georg Solmssen, die Verträge der Vorstandsmitglieder der Stollwerck AG anzufordern, da im Führungsgremium der Gesellschaft nach seinem Dafürhalten „unbedingt alsbald eine Aenderung in die Wege geleitet werden“ müsse. Da zum 1. Juli 1932 die Verlängerung mehrerer Kontrakte anstehe, müsse man die Angelegenheit beschleunigen, da eine Kündigung zwingend zwölf Monate vorher erfolgen müsse. Zum anderen informierte er den Vorstand, dass das Unternehmen von den Banken kein weiteres Kapital zu erwarten habe und sich die Kreditinstitute erst dann wieder „liberaler zeigen können, wenn […] bei Stollwerck die Dinge vorwärts gingen und man in der Liquidität und Rentabilität weiter gekommen sei“559. Am 15. Juli 1931 beliefen sich die Bankverpflichtungen der Stollwerck AG allein beim A. Schaaffhausen’schen Bankverein und der Danat-Bank560 auf 4.065.000 Reichsmark – trotz der positiven Erwartungen, die man in das Reichardt-Geschäft gesetzt hatte, 650.000 Reichsmark mehr als drei Monate zuvor. Ferner bestanden beim Donaukonzern Bankschulden in Höhe von 6.635.000 Mark. Zum 1. Juli 1932 musste Stollwerck die Schulden der Firma Goldina an die Schicht-Gruppe in Höhe von 700.000 Reichsmark begleichen.561 Ferner kamen hinzu: Devisenverpflichtungen in Höhe von 4,5 Millionen Reichsmark und ein 20jähriges Darlehen an die Schicht-Gruppe, das sich auf sechs Millionen Reichsmark summierte.562 Obwohl ihnen die erforderlichen einschneidenden Maßnahmen wegen ihrer Wirkung nach außen schwer fielen,563 griffen die Banken nun hart durch und gingen mit der einstmals hoch angesehenen Unternehmerfamilie Stollwerck hart ins Gericht. Eine aus Emil Schniewind, Georg Solmssen und Georg von Simson be558 Siehe Georg Solmssen an den Vorstand der Gebrüder Stollwerck AG am 1. April 1931, HADB P04784. 559 Die letzten Zitate aus Karl Kimmich an Georg Solmssen am 8. April 1931, HADB P04784. Die Merkurbank, die österreichische Filialbank der Danat-Bank, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Teilbetrag des Kredits der Stollwerck AG gekündigt. 560 Die Gebrüder Stollwerck AG geriet damit in den Strudel des Nordwolle-Skandals und der deutschen Bankenkrise. Durch den Konkurs der Norddeutschen Wollkämmerei & Kammgarnspinnerei wurde die Danat-Bank am 13. Juli 1931 zahlungsunfähig. Die Verluste der Nordwolle beliefen sich auf rund 180 bis 240 Millionen Reichsmark. Allein die Danat-Bank verlor 50 Millionen Reichsmark und wurde, nachdem sie zunächst unter Reichstreuhandschaft gestellt worden war, 1932 von der Dresdner Bank übernommen. Siehe Born: Die deutsche Bankenkrise 1931. 561 Siehe o. A.: Notizen zum Schicht-Vertrag, o. D., HADB P04821. 562 Siehe Karl Kimmich: Aufstellung über die Bankverpflichtungen der Gebrüder Stollwerck AG vom 15. Juli 1931, HADB P04784. Siehe auch Aufstellungen über die finanzielle Situation der Stollwerck AG, speziell des Donaukonzerns am 30. Juni 1930, HADB P04794. 563 Siehe Karl Kimmich an Georg Solmssen am 6. Juni 1931, HADB P04784.
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stehende Kommission nahm die deutlichen Worte Kimmichs zum Anlass, die Familie 92 Jahre nach Gründung des Unternehmens von der aktiven Geschäftspolitik auszuschließen. Schniewind bezeichnete sich zwar weiterhin als „alter Familienfreund“564, agierte aber seit 1930 vollkommen im Sinne der Banken – vermutlich wohlwissend, dass er als langjähriger Aufsichtsratsvorsitzender sonst selbst in die Kritik geraten wäre. Gemeinsam mit Solmssen machte er sowohl Carl als auch Franz (II) und Fritz deutlich, dass man ihre auslaufenden Verträge als Vorstandsmitglieder nicht verlängern werde. An Stelle einer Kündigung bot man ihnen freilich die „viel mildere Form“565 einer gegenseitigen Vereinbarung an. Carl Stollwerck erklärte sich „nach anfänglichem Sträuben vollkommen bereit“, auf eine entsprechende Abmachung einzugehen. Solmssen führte dem Senior der Familie Stollwerck nachdrücklich vor Augen, dass er seinen Aufgaben sowohl fachlich als auch – aufgrund seines fortgeschrittenen Alters – körperlich in den letzten zehn Jahren nicht mehr gewachsen gewesen sei und dementsprechend die Verantwortung für die geschäftlichen Misserfolge trage. In einem langen Gespräch vermittelte er ihm – taktisch durchaus geschickt – das Gefühl, dass die Kommission ihn nur „zu seinem eigenen Besten“ berate. Zudem nutzte Solmssen die Freundschaft zwischen Emil Schniewind und der Familie und bat den Juristen: „Ich glaube daher, daß Sie, auch wenn die verständliche Reaktion bei ihm eintreten sollte, daß er sich über die Entwicklung der Dinge sehr unglücklich fühlt, verhältnismäßig leichtes Spiel haben werden, wenn Sie ihm unter Berufung auf Ihre Freundschaft mit der Familie Stollwerck ebenfalls sagen, daß der von uns vorgeschlagene Weg der einzig mögliche sei, um ihm angesichts der Verhältnisse sonst nicht zu vermeidende sehr schwere Stunden zu ersparen.“
Carl Stollwerck erklärte sich schließlich bereit, sich aus Altersgründen spätestens zum 1. September 1931 aus dem Vorstand der Gebrüder Stollwerck AG zurückziehen. Solmssen sagte im Gegenzug zu, sich zu erkundigen, ob die Gesellschaft bereit sei, ihm und seiner Witwe mit Rücksicht auf seine langjährige Tätigkeit eine Pension zu zahlen. Carl Stollwerck knüpfte an die Zusage, sein Vorstandsmandat niederzulegen, allerdings den Wunsch, dass er stattdessen in den Aufsichtsrat der Gesellschaft gewählt werde, um dem Unternehmen seine langjährige Erfahrung „wenn auch in veränderter Form, in Zukunft dienstbar zu machen“. Solmssen erklärte zwar, dass er keine Schwierigkeiten sehe, dieses Anliegen zu erfüllen, und man eventuell eine technische Kommission bilden könne, der Carl Stollwerck dann angehöre. Er wies ihn allerdings darauf hin, dass die Mitgliedschaft im Kontrollgremium „in keiner Weise mit den Vorstandsgeschaeften kollidieren“566 dürfe. Gegenüber Kimmich fand Solmssen indes andere Worte: Dass er Carl Stollwerck einen Posten im Aufsichtsrat nicht direkt abgeschlagen habe, sei lediglich taktisch begründet. Er wolle ihm „doch noch einen Hoffnungsstrahl“567 564 Emil Schniewind an Georg Solmssen am 13. Juni 1931, HADB P04784. 565 Karl Kimmich an Georg Solmssen am 8. Juni 1931, HADB P04784. Siehe auch o. A.: Kommissionsbeschluß vom 25. August 1931, HADB P04794. 566 Die letzten Zitate aus Georg Solmssen an Emil Schniewind am 10. Juni 1931, HADB P04784. 567 Georg Solmssen an Karl Kimmich am 13. Juni 1931, HADB P04784.
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lassen und zu gegebener Zeit erklären, dass man den ihm vorschwebenden Wunsch nicht konzedieren könne. Hatte die Kommission mit Carl Stollwerck das erhoffte leichte Spiel, verliefen die Gespräche mit Franz (II) und Fritz Stollwerck weniger einvernehmlich. Während ihr Onkel anerkannte, dass seine Neffen wie er aus dem Vorstand ausscheiden sollten, wollte Fritz prüfen, ob er eine Vertragsverlängerung rechtlich erzwingen könnte. Solmssen machte daraufhin deutlich: Fritz Stollwerck müsse sich darüber im Klaren sein, dass „seine leichtsinnige persönliche Vermögensführung und die Torheiten, die er im Betriebe begangen habe, zum Anlaß genommen werden würden, ihm in einer Weise zu kündigen, die ihm sehr unangenehm sein würde“568, sollte er versuchen, seinen Posten gegen den Willen der Aufsichtsratskommission zu behalten. Vor dem Hintergrund dieser unverhohlenen Drohung unterzeichneten schließlich auch die jüngeren Stollwercks eine Vereinbarung über die Beendigung ihrer Verträge zum 30. Juni 1932.569 Verbittert schrieb Fritz an seinen jüngeren Bruder Paul: „Ich kann mir denken, dass Du gerne von mir einige Zeilen haben möchtest, um Stellung nehmen zu können zu all dem Schrecklichen, das über die Stollwerck Aktiengesellschaft in den letzten Tagen hereingebrochen ist. Also: Aus dem Vorstand bin ich ausgeschifft. Ich kann Dir nur mündlich die näheren Gründe sagen. Sie liegen natürlich nicht in Unfähigkeit, sondern auf einer anderen Seite. Du hast Recht, was würde Vater dazu sagen.“570
Damit hatte die Kommission zunächst ihr primäres Ziel erreicht: Es waren die notwendigen Fristen eingehalten worden, damit sich die Verträge der Vorstandsmitglieder nicht automatisch verlängerten. Hinter den Kulissen strebten die Bankenvertreter allerdings danach, bereits 1931 einen radikalen Schritt herbeizuführen. „Im Stillen“571 bereitete das Gremium einen Beschluss vor, der beinhaltete, dass Carl Stollwerck bereits zum 30. Juni 1931, seine Neffen zum 31. August 1931 ihre Tätigkeit für den Vorstand der Stollwerck AG einstellen sollten. Sollten sich Franz (II) und Fritz weigern, einer entsprechenden Vereinbarung zuzustimmen, würde der Aufsichtsrat ihre Suspension und Abberufung beschließen.572 Großen Wert legte die Kommission darauf, dass Franz (II) und Fritz Stollwerck innerhalb von fünf Jahren kein Konkurrenzunternehmen gründen, übernehmen oder sich an einem solchen beteiligen durften, da sie „mit ihrem Namen bei einer Konkurrenzgründung der Firma grossen Abbruch tun könnten“. Mehr als den Namen Stollwerck fürchteten die Bankenvertreter freilich nicht – die persönliche Qualifikation der ausscheidenden Vorstandsmitglieder sei „keine grosse Gefahr“573. 568 569 570 571 572 573
Georg Solmssen an Emil Schniewind am 10. Juni 1931, HADB P04784. Siehe Emil Schniewind an Georg Solmssen am 13. Juni 1931, HADB P04784. Fritz Stollwerck an Paul Stollwerck am 9. September 1931, RWWA 208-51-3. Emil Schniewind an Georg Solmssen am 13. Juni 1931, HADB P04784. Siehe Emil Schniewind an Georg Solmssen am 17. August 1931, HADB P04785. Die letzten Zitate aus Karl Kimmich an Georg Solmssen am 1. Juni 1931, HADB P04784. Die Stollwerck AG erklärte sich bereit, den Herren Stollwerck, obwohl die Auflösung der Verträge ja offiziell von ihnen ausging, während der Karenzzeit von fünf Jahren drei Viertel ihres Gehalts sowie die Aufwandsentschädigung zu vergüten, die sie bei Fortdauer des Ver-
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Zwar herrschte im Aufsichtsrat theoretisch eine Patt-Situation zwischen den Vertretern der Banken und Anwälten der Familie, doch nachdem sich Emil Schniewind mit Kimmich, Solmssen und von Simson solidarisiert hatte, hatten die Banken die erforderliche Mehrheit. Sie setzten ihren Plan daher im August 1931 in die Tat um. Die Herren Stollwerck mussten damit vorzeitig aus der Unternehmensführung ausscheiden, ihre Gehälter sollten sie aber bis zum Ablauf der Verträge im Juli 1932 unverändert erhalten. Carl Stollwerck standen noch 38.000 Reichsmark zuzüglich 10.000 Reichsmark garantierte Tantieme zu, seinen Neffen jeweils 30.000 Reichsmark Gehalt, ferner mindestens 6.000 Reichsmark Gewinnanteil.574 Damit die Familie ihr Gesicht wahren und die Angelegenheit „in voller Ruhe und ohne jede Beunruhigung der Oeffentlichkeit“575 vollzogen werden konnte, ließ man nach außen, eingebettet in eine Erläuterung der allgemein schlechten Wirtschaftslage, äußerst diplomatisch verlautbaren: „Herr Generalkonsul Karl Stollwerck, Vorsitzender des Vorstandes, hat im Juni d. Js. den Aufsichtsrat gebeten, ihn wegen vorgerückten Alters nach mehr als 55-jähriger Tätigkeit von seinem Amte zu entbinden. Der Aufsichtsrat glaubte sich diesem Wunsche unter warmer Anerkennung seiner aufopfernden der Firma gewidmeten Pflichttreue nicht entziehen zu sollen, möchte aber die grossen Fachkenntnisse und Erfahrungen des Herrn Karl Stollwerck der Gesellschaft erhalten und beabsichtigt der nächsten Generalversammlung seine Wahl in den Aufsichtsrat vorzuschlagen. Herr Karl Stollwerck ist daher am 30. Juni d. Js. aus dem Vorstand ausgeschieden. Auf Grund freundschaftlicher Vereinbarung scheiden ferner die Herren Franz und Fritz J. Stollwerck aus dem Vorstand aus. Letzterer wird im Konzerninteresse weiterhin tätig sein und seine Arbeitskraft insbesondere für den Verkauf und Aussendienst der Gesellschaft zur Verfügung stellen.“576
An Stelle der Herren Stollwerck wurden Gustav Laute, bislang stellvertretendes Vorstandsmitglied, der langjährige Betriebsdirektor Alfred Junge577 und Carl Auel bestellt. Nachdem die ursprünglichen Pläne Kimmichs, einen „geeigneten Herrn aus dem Markenartikel-Geschäft“ für Stollwerck zu gewinnen, gescheitert waren, hatte er Kontakt zu Carl Auel aufgenommen. Auel hatte von 1903 bis 1906 eine Ausbildung in einem Ölgeschäft absolviert, anschließend war er bis 1914 bei der Seifenfabrik Adem Helbach tätig. Seit 1917 arbeitete er für die Firma Humboldt Deutzmotoren AG. 1923 war er dort zum Prokuristen und kaufmännischen Dis-
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trags bezogen hätten. Siehe Emil Schniewind an Georg Solmssen am 17. August 1931, HADB P04785. Siehe Emil Schniewind an die Mitglieder der Aufsichtsratskommission am 30. November 1931, HADB P04785. Georg Solmssen an Emil Schniewind am 16. Juni 1931, HADB P04784. Aufsichtsrat der Gebrüder Stollwerck AG: Pressenotiz, o. D., HADB P04785. Siehe auch Geschäftsbericht der Gebrüder Stollwerck AG für das Geschäftsjahr 1930/31, RWWA 208388-3. Alfred Junge war am 1. April 1902 in die kaufmännische Abteilung der Stollwerck AG eingetreten, wechselte allerdings schnell in den Betrieb und wurde schon nach anderthalb Jahren als Betriebsassistent nach Pressburg versetzt. Ab 1904 leitete er die Betriebsabteilung der Berliner Fabrik. 1916 wurde ihm der Titel Direktor zuerkannt, 1923 erhielt er Prokura. Von 1931 bis 1936 war er stellvertretendes, von 1936 bis 1938 ordentliches Vorstandsmitglied der Stollwerck AG. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 126.
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ponenten ernannt worden. Laut Kimmich war er ein ausgewiesener Experte für „Sparmassnahmen in der Organisation“. Er beschrieb ihn als „recht geeignete Arbeitskraft […], da er energisch ist und bei dem dort sehr patriarchalisch geführten Betrieb erhebliche Sparmassnahmen wird durchführen können. Angenehm ist auch, dass er das ganze Konzernwesen und die Ueberwachung der vielen Verkaufsstellen sowie ferner das Kalkulationswesen beherrscht.“578
Die bisherigen stellvertretenden Vorstandsmitglieder Peter Harnisch und Friedrich Eppler verstarben im Sommer 1931. Heinrich Trimborn, von 1916 bis 1921/22 stellvertretendes und seitdem ordentliches Vorstandsmitglied, musste aus dem Gremium ausscheiden. Im September 1931 wies Solmssen ihm mehr oder weniger die Hauptschuld dafür zu, dass die finanzielle Lage des Unternehmens völlig unübersichtlich sei. „Herr Generalkonsul Karl Stollwerck verstand von finanziellen Dingen wenig und kümmerte sich mehr um den Fabrikbetrieb, so dass ihm die Schuld für die bisher herrschenden Zustände auf finanziellem Gebiet bei der Gesellschaft nicht zugerechnet werden kann. Die jetzige Lage des Unternehmens ist nicht allein durch die Konjunktur hervorgerufen, sondern eine wesentliche Schuld trägt hieran die Art der bisherigen Geschäftsführung. Insbesondere fühlt sich der Aufsichtsrat dadurch beschwert, dass die von Ihnen aufgestellte, in den jeweiligen Bilanzsitzungen verlesene Berichterstattung, wie sich nunmehr herausstellt, den Stand der Dinge mit einem Optimismus geschildert hat, der den tatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise entsprach. Da nicht anzunehmen ist, dass diese Darstellungen gegen besseres Wissen erfolgt sind, zeigt sich, dass jede Uebersicht über den Stand des Konzerns bei der Zentrale in Köln gefehlt hat. [...] Da Ihre bisherige Führung der Finanzgeschäfte keine Befriedigung gewährt hat, muss darauf bestanden werden, dass Herr Auel den massgeblichen Einfluss auf das finanzielle Dezernat für den gesamten Konzern […] erhält. Der Aufsichtsrat kann die Verantwortung für das Unternehmen nur dann tragen, wenn er weiss, dass die Finanzverwaltung über den jeweiligen Stand der Verhältnisse prompt unterrichtet ist […]. […]; ich halte es aber in Ihrem eigenen Interesse für dringend erforderlich, dass Sie sich keinen Illusionen darüber hingeben, dass auf eine gedeihliche Zusammenarbeit für die Zukunft nur dann zu rechnen ist, wenn Sie sich in vollem Umfange aus freien Stücken in den Arbeitsplan, wie er von Herrn Dr. Kimmich aufgestellt worden ist, einfügen.“579
Zwar versicherte Trimborn, dass er „von bestem Willen beseelt“580 sei, sich allen Anordnungen bereitwillig zu fügen, doch reichten seine Fähigkeiten nach Einschätzung von Karl Kimmich, Georg von Simson und Richard Stollwerck nicht aus, um den entsprechenden Aufgaben gerecht zu werden. Trimborn befände sich in dem „Wahn […], daß er an den Verfehlungen der Vergangenheit schuldlos
578 Die letzten Zitate aus Karl Kimmich an Georg Solmssen am 31. August 1931, HADB P04785. Carl Auel erhielt bei Stollwerck zunächst einen Dreijahresvertrag bis zum 1. Oktober 1934 mit einem Jahresgehalt von 20.000 Reichsmark und einer Aufwandsentschädigung von 4.000 Reichsmark. Siehe Karl Kimmich: Aktennotiz zum Vertrag von Carl Auel vom 9. September 1932, HADB P04813. 579 Georg Solmssen an Heinrich Trimborn am 12. September 1931. 580 Heinrich Trimborn an Georg Solmssen am 20. September 1931, HADB P04785.
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sei“ 581 . Nach langen Verhandlungen willigte Heinrich Trimborn schließlich in seine Pensionierung ein.582 Dem Aufsichtsrat gehörte ab dem Geschäftsjahr 1931/32 neben den bisherigen Mitgliedern Solmssen, Kimmich, Schniewind und von Simson noch Richard Stollwerck an, der anstelle seines Vetters Gustav berufen wurde. Schniewind hatte sich für den jüngsten Sohn von Peter Joseph als Namensträger der Familie Stollwerck im Aufsichtsrat eingesetzt und lobte gegenüber Kimmich die „klare und kluge Auffassung“583 des Juristen. Dieser Meinung schloss sich auch Solmssen an, der Richard als sachverständigen Vertreter beschrieb, wohingegen sein älterer Bruder Sitzungen immer nur als „stumme Person“584 beigewohnt habe. Neben Richard durfte nur noch Franz Stollwercks (II) ältester Sohn Adalbert weiter im Unternehmen arbeiten, weil er ebenfalls nicht dem Vorstand angehört hatte. Nach Abschluss seines Maschinenbaustudiums in München 1928 hatte ihn die Familie zunächst zur weiteren praktischen Ausbildung nach England, Südamerika, Afrika und in die USA geschickt. Seit dem 1. Februar 1930 war er als Angestellter für die Stollwerck AG tätig.585 Mit Gustav Stollwerck ging Georg Solmssen hart ins Gericht und gab die Maßgabe aus, ihn „nur nicht zu sanft anzufassen“586. Zunächst musste Peter Josephs ältester Sohn seinen Posten im Aufsichtsrat räumen. Solmssen bezeichnete es als „unhaltbare[n] Zustand“, dass Gustav Stollwerck als Leiter der Pressburger Zweigfabrik dem Kölner Vorstand unterstellt, zugleich aber als Aufsichtsratsmit581 Georg Solmssen an Emil Schniewind am 2. März 1932. 582 Siehe die in HADB P04813 überlieferte Korrespondenz; Georg Solmssen an Heinrich Trimborn am 10. September 1932, HADB P04813. 583 Emil Schniewind an Karl Kimmich am 9. Dezember 1931, HADB P04785. 584 Georg Solmssen an Emil Schniewind am 2. März 1932. Der Wechsel an der Firmenspitze der Gebrüder Stollwerck AG ging mit einer Herabsetzung des Kapitals auf neun Millionen Reichsmark und einer tief greifenden Reorganisation des Unternehmens einher, die hier allerdings nicht weiter verfolgt wird, weil sie von der Fragestellung der Arbeit, der wechselseitigen Verbindung von Familie und Unternehmen, abweicht. Die im Bestand des Historischen Archivs der Deutschen Bank überlieferten Handakten von Karl Kimmich enthalten aber umfangreiches Material, so dass es ein lohnendes Forschungsunterfangen wäre, dieser Frage im Detail nachzugehen. Siehe in Ansätzen bereits Feldman: Thunder from Arosa. 585 Adalbert Stollwerck erhielt 1931 Prokura und wurde als Betriebsleiter verantwortlich für die gesamte Produktion. 1941 wurde er zum Betriebsdirektor ernannt und sein Aufgabengebiet erweitert. 1943 wurde er zum stellvertretenden Vorstandsmitglied bestellt und erhielt einen Dreijahresvertrag. Nachdem sein Vertrag 1946 nicht verlängert wurde, schied Adalbert Stollwerck zunächst aus dem Unternehmen aus, wurde aber 1948 als Prokurist wiedereingestellt und Abteilungsleiter für die Kakao-, Schokoladen- und Pralinenproduktion. 1950 plante Adalbert, mit seiner Familie in die USA auszuwandern und für die befreundete amerikanische Firma von August Merckens zu arbeiten. Nachdem sein Onkel Richard bei der Geschäftsleitung interveniert hatte, konnte Adalbert Stollwerck überzeugt werden, zu verbesserten Vertragskonditionen bei Stollwerck zu bleiben. In den Vorstand wurde er allerdings nicht wieder aufgenommen. Adalbert Stollwerck starb am 9. März 1960 im Alter von 55 Jahren. Diese Informationen verdanke ich einer schriftlichen Auskunft von Arno Stollwerck vom 16. Februar 2012. 586 Georg Solmssen an Karl Kimmich am 17. September 1931, HADB P04785.
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glied diesem Gremium wiederum vorgeordnet sei. Auch auf seinem Posten im Donaukonzern sei er nicht länger tragbar. Er wisse über die Interna seines Betriebs nicht Bescheid und „alle Liebenswürdigkeit seines Wesens“ könne nicht über seine „vollkommene Unfähigkeit“587 hinwegtäuschen – eine Einschätzung, die bereits Franz (II) und Carl Stollwerck Anfang des 20. Jahrhunderts nahezu wortgleich, aber ohne entsprechende Konsequenzen geäußert hatten. Wie wenig auch Kimmich von ihm hielt, spiegelt sich u. a. darin, dass er statt moderater Worte wie Entlassung oder Vertragsauflösung im Zusammenhang mit Gustav Stollwerck von „Beseitigung“ sprach. Versuche von Richard, der seinen Bruder für einen „guten Kaufmann“588 hielt und im Aufsichtsrat den Antrag stellte, ihm zum einen eine neue Aufgabe zu geben und zum anderen die Pressburger Dienstwohnung zu belassen, scheiterten. Zum 31. Mai 1932 musste er seinen Posten in Pressburg mit folgender (offizieller) Begründung räumen: „Wir haben schon des öfteren Gelegenheit genommen, Sie darauf hinzuweisen, dass wir die Unwirtschaftlichkeit des Pressburger Unternehmens nicht in Einklang zu bringen vermögen mit dem Aufschwung der dortigen Konkurrenz […]. Sie werden es deshalb begreiflich finden, dass wir uns mit dem Gedanken vertraut machen mussten, einen Mann an die Spitze des dortigen Unternehmens zu berufen, dessen Qualifikation in Bezug auf neuzeitliche Organisation und systematische Bearbeitung und Werbung der Kundschaft, durch langjährige Erfahrungen in anderen Unternehmungen in verwaltungs- und verkaufstechnischer Hinsicht uns die Gewähr bietet, das Unternehmen wieder auf die Höhe zu bringen, wo es auf Grund seiner Leistungsfähigkeit und seines guten Rufes stehen müsste.“589
Gustav Stollwerck erhielt zunächst für ein Jahr sein bisheriges Gehalt, ab dem 1. Juni 1933 für sechs Jahre eine stattliche jährliche Pension in Höhe von 12.000 Reichsmark, anschließend eine Altersversorgung von jährlich 10.000 Reichsmark.590 1938 zog er mit seiner Familie nach Wien, wo er am 13. Oktober 1951 starb.591 Die Presse gab sich mit der nüchternen Mitteilung der Stollwerck AG freilich nicht zufrieden. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um den Zusammenbruch eines Traditionsunternehmens handelte und die unternehmerischen Fehlleistungen 587 Georg Solmssen an Emil Schniewind am 2. März 1932. Siehe auch Kapitel IV.A.2. 588 Die letzten beiden Zitate aus Karl Kimmich an Georg Solmssen am 27. August 1932, HADB P04786. Siehe auch o. A.: Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 23. November 1932, HADB P04794. 589 Carl Auel und Gustav Laute an Gustav Stollwerck am 2. Mai 1932, HADB P04814. 590 Siehe Karl Kimmich: Aktennotiz zur Pensionierung von Gustav Stollwerck vom 9. September 1932, HADB P04813. Mit Wirkung vom 1. Februar 1934 wurde die Pension aufgrund der großen Verluste im Donaukonzern um die Hälfte reduziert. Gustav Stollwerck erreichte aber 1935 eine zusätzliche Zahlung in Höhe von jährlich 2.400 Reichsmark. Siehe Gustav Laute an Karl Kimmich am 27. Mai 1935, HADB P04814; Karl Kimmich an die Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG am 3. Juni 1935, HADB P04814; Gustav Laute und Carl Auel an Gustav Stollwerck am 8. Dezember 1932, HADB P04814. 591 Nach dem Krieg war es zu erneuten Auseinandersetzungen zwischen Gustav Stollwerck und der Stollwerck AG um die Auszahlung seiner Pension gekommen. Ein langer Rechtsstreit war die Folge. Information von Ludolf Stollwerck in einem persönlichen Gespräch am 12. März 2009.
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der Familie Stollwerck als Schande empfunden wurden, ging insbesondere die linke Kölner Presse den Ursachen der Firmenmisere detailliert auf den Grund. Die Hauptschuld lastete sie dabei unumwunden Carl Stollwerck und seinen Neffen an und förderte kompromittierende Details zu Tage, die die angesehene Familie in ein fragwürdiges Licht rückten. So habe sich Franz Stollwerck (II) in den letzten Jahren nicht mehr dem Unternehmen gewidmet, sondern „ganz im Banne eines Weibes“ befunden, das ihn nicht nur in „übel beleumundete Gesellschaft“ gezogen, sondern finanziell so ausgebeutet habe, „daß er Haus und Hof aufgeben mußte und auf einem bescheiden möblierten Zimmer in Köln wohnt“592. Fritz Stollwerck sei von der Familie seiner Frau „in ungeheure Schulden getrieben“ worden und stehe heute „vor einem vollen Nichts“. Dass er auf Kosten der Firma das marode Unternehmen seines Schwagers unterstützt habe, wurde ebenso kritisiert wie die Tatsache, dass der Aufsichtsratsvorsitzende und Freund der Familie, Emil Schniewind, „derartige Geschäfte und Verbuchungen ausdrücklich gutgeheißen“ habe. Paul Stollwerck sei ein weiteres Beispiel für das unermüdliche Bestreben der Stollwercks, „das Geld in die Hände der Familie […] zu spielen“. Nachdem er mit seinem Unternehmen gescheitert sei, habe die Stollwerck AG nicht nur für eine „gewaltige Summe“ seine unbrauchbaren Maschinen übernommen, sondern ihm „zur Krönung des ganzen Klüngels“ eine monatliche Rente zugesprochen, so dass er „auf Aktionärskosten ein sorgenloses Dasein“ führen könne. Auch mit Carl Stollwerck rechnete die Presse schonungslos ab. Er habe an der Entwicklung des Unternehmens „den geringsten Anteil“, sei ein „Mann ohne Weitblick“, der sich im Erfolg seiner Brüder gesonnt und so seine „eignen Unzulänglichkeiten“ verdeckt habe. Bei den Verhandlungen zur Reichardt-Übernahme habe er durch „höchst unvorsichtige Verhandlung […] die schwersten Fehler“ gemacht. Von seinem Wohnsitz in Bayern sei er stets erster Klasse und im Schlafwagen nach Köln gereist und habe in einem Appartement im ExcelsiorHotel gewohnt, weil er seine Villa am Volksgarten „aus Steuergründen“ habe verriegeln lassen. Die Reise- und Hotelkosten „gingen alle auf Firmenkosten“. Ferner habe er durch seine Börsenspekulationen nicht nur sich selbst, sondern auch seine Neffen finanziell ruiniert. Die Anklage schloss mit der Feststellung: „Im übrigen war die Firma St. nach Ansicht der Familie St. eine Familien-AktienGesellschaft, darum hatte nach ihrer Ansicht sich alles nach Stollwerckscher Idee zu richten. Ein Stollwerck konnte nicht fehlen und der dümmste Stollwerck war hundertmal klüger als 592 O. A.: Der Untergang der Familie Stollwerck. Wenige Wochen später widmete die Zeitung dem Liebesleben Franz Stollwercks (II) einen weiteren Artikel. Einleitend hieß es: „Wir schicken voraus, daß Franz Stollwerck ein an Seele und Geist durchaus kranker Mann geworden ist. Er ist an seinem Geschick weniger schuld als diejenigen, die ihn zu umgarnen und zu erpressen verstanden. Mit dem Augenblicke, wo Franz Stollwerck nach jahrelangem Zölibat in die Fänge eines Weibsteufels geriet, war bei ihm Sinn und Verstand für seine Handlungen verloren gegangen. Er ist heute an diesen Liebesabenteuern zum armen Manne geworden. Die ihn dazu gemacht haben, sind der Kölner und Düsseldorfer Halbwelt nicht ganz unbekannt.“ Kranzhoff: Franz Stollwerck in den Krallen eines Weibsteufels. Siehe auch o. A.: Neue Lebens-Intimitäten des Schokoladenkönigs F. Stollwerck.
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jeder andere. ‚Ich und der liebe Gottʼ war ein oft von ihnen gebrauchter Spruch, der ihre selbstüberhebende Verherrlichung dartut.“593
Nicht nur der politisch linke – zweifellos nur eine begrenzte Leserschaft ansprechende – SonntagAnzeiger, sondern auch die seriösen Berliner Börsen Berichte fällten ein vernichtendes Urteil: „Die Mitglieder der Familie Stollwerck, die noch immer die Leitung der Gebr. Stollwerck A.G., Köln, die früher ein Familienunternehmen war, innehaben, haben das Vertrauen derjenigen, die Geld in dies Kölner Schokoladenunternehmen investierten, schon mehr als einmal enttäuscht, es aber immer wieder verstanden, über die innere Struktur des Unternehmens einen Schleier zu ziehen, der eine Durchsicht nicht zuließ. […] Mitte 1930 hielt es die Stollwerck-Verwaltung für zweckmäßig, den Goodwill und einen Teil der Betriebseinrichtungen, der unter den Fittichen des Unilever-Schicht-Konzerns nicht mehr recht lebensfähigen Reichardt-Werke und Gaedke A.-G. zu übernehmen und auch mit den Goldina-Werken enge Geschäftsbeziehungen einzugehen. Aber auch über diese Transaktionen, die den Umsatz nach Ansicht der Herren Stollwerck um 50 % erhöhen sollten, erfuhren die außenstehenden Aktionäre nur Allgemeines, keineswegs aber die finanzielle Basis, auf der dieser Zusammenschluß vollzogen wurde. […] Wie ‚glänzendʼ dieses Geschäft aber ist, hat man inzwischen erfahren. Soweit sich bisher übersehen läßt, hat man durch die Reichardt-Transaktion kaum den Rückgang ausgleichen können, der sich im eigentlichen Stollwerck-Geschäft aus den konjunkturellen und den sonstigen vorerwähnten Gründen ergab. […] Inzwischen scheint auch den Verwaltungsbanken ein Licht aufgegangen zu sein […] und jetzt heißt es, daß seitens der Banken […] energische Rationalisierungsmaßnahmen und Reorganisationen der Betriebe gefordert werden. Die Kostspieligkeit von Verwaltung und Betrieb muß also bei Stollwerck schon schlimm sein; denn derartige Forderungen werden im allgemeinen von Verwaltungsbanken erst dann gestellt, wenn sie glauben, daß ihre Kredite gefährdet werden könnten.“594
Carl Stollwerck bezeichnete die Schmähungen der Presse als „unerhört“ und wies jede Schuld von sich: „Nachdem im Jahre 1922 mein Bruder Ludwig Stollwerck abberufen und das Erbe auf mich an erst verantwortlicher Stelle, unter den damaligen schwierigsten Nachkriegs-Verhältnissen überging, habe ich mit ehrlichstem Streben mein ganzes Können dem Interesse der Firma zugewandt. Getreu unsern Prinzipien habe ich mich niemals in Spekulationen irgend welcher Art eingelassen, vielmehr das Errungene wie auch zur Zeit das Vermögen meiner Frau zum grösseren Teile dem Geschäfte zugewiesen.“595
Diese Darstellung erfolgte freilich aus der Perspektive eines Mannes, der von den Bankvertretern zum Rücktritt genötigt wurde und nun versuchte, sein Fehlverhalten abzustreiten. Sowohl im Vorstand als auch im Aufsichtsrat der Stollwerck AG sorgte die negative Presseberichterstattung für reichlich Wirbel. Solmssen konnte nicht verhehlen, dass ihn die Artikel „ausserordentlich betroffen“ machten und er das Gefühl habe, dass die geschilderten Vorgänge, auch wenn man manches als Unwahrheit und Übertreibung abziehen könne, doch einen „wahre[n] Kern“ hätten, „dessen Vorhandensein ein ausserordentlich schlechtes Licht auf den Geist wirft, der in der Geschäftsführung geherrscht hat“. Um den Ruf der Gesellschaft nicht 593 Die letzten Zitate aus o. A.: Der Untergang der Familie Stollwerck. 594 o. A.: Bittere Stollwerck-Schokolade. 595 Carl Stollwerck an Emil Schniewind am 10. Dezember 1931, HADB P04785.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
weiter zu schädigen, müsse man „rücksichtslos“ gegen alle die Personen vorgehen, „die etwa versäumt haben, ihrer dienstlichen Pflicht angesichts solcher Entgleisungen zu genügen“. Es dürfe nicht länger der „Mantel der Liebe“596 über die Vorkommnisse der letzten Jahre gebreitet werden. Nachforschungen ergaben, dass sich allein die Auslagen der Stollwerck AG für Bahnfahrten und Hotelübernachtungen von Carl Stollwerck in den Jahren 1928 bis 1931 auf 16.441 Reichsmark summierten.597 Zudem stellte sich heraus, dass die privaten Eskapaden von Franz (II) dem Vorstand bereits seit Herbst 1927 bekannt gewesen waren. Sein Onkel hatte die Angelegenheit damals allerdings „im Schosse der Familienmitglieder des Vorstandes“ behandelt. Eine zunächst angeordnete Suspension des Neffen hob er wieder auf, nachdem dieser „ehrenwörtlich“ versichert hatte, „jegliche Beziehungen zu der in Frage stehenden Person und Gesellschaft zu lösen“598. Nicht zu Unrecht musste sich Carl Stollwerck daher den Vorwurf des Nepotismus gefallen lassen, wurde seine Legitimität angezweifelt. Er hatte nicht auf Grund sachlicher Kriterien entschieden, sondern einzig familiale Loyalitäten sprechen lassen und seinen Neffen gedeckt, zu dem er seit jeher ein gutes Verhältnis pflegte.599 Die dritte Stollwerck-Generation nach der „Ausschiffung“ aus dem Familienunternehmen Letztlich lieferten die Enthüllungsgeschichten dem Aufsichtsrat einen geeigneten Vorwand, sowohl Carl Stollwerck als auch seinen Neffen die zugestandene Fortzahlung ihrer hohen Bezüge zu verweigern.600 Die Weiterzahlung einer zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgesetzten Pension sollte davon abhängig gemacht wer596 Die letzten Zitate aus Georg Solmssen an Emil Schniewind am 8. Dezember 1931, HADB P04785. Kimmich äußerte sich ähnlich: „Wir müssen, nachdem man jetzt so viele Jahre hindurch immer an die Familie Stollwerck gedacht hat, nunmehr mehr an die Aktionäre denken.“ Karl Kimmich an Emil Schniewind am 14. Dezember 1931, HADB P04813. 597 Siehe o. A. an das Präsidium des Aufsichtsrats der Gebrüder Stollwerck AG am 9. Dezember 1931, HADB P04785. Carl Stollwerck stritt diese Summe ab und erklärte ferner, dass er sowohl Georg Solmssen als auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden von seinen Aufenthalten in dem Kölner Hotel „gebührend Mitteilung“ gemacht habe. Carl Stollwerck an Emil Schniewind am 10. Dezember 1931, HADB P04785. Siehe auch Carl Stollwerck an Emil Schniewind am 14. Dezember 1931, HADB P04785. Schniewind wiederum bestritt „entschieden“, von Carl Stollwerck entsprechend informiert worden zu sein und ihm darüber hinaus genehmigt zu haben, der Gesellschaft die Fahrt- und Hotelkosten zu belasten. Emil Schniewind an Regierungsrat Mojert am 22. Dezember 1931, HADB P04785; Emil Schniewind an Carl Stollwerck am 12. Dezember 1931, HADB P04813. 598 Die letzten Zitate aus o. A. an das Präsidium des Aufsichtsrats der Gebrüder Stollwerck AG am 9. Dezember 1931, HADB P04785. 599 Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.A.2. 600 Siehe Gustav Laute an den Aufsichtsrat der Gebrüder Stollwerck AG am 24. Oktober 1931, HADB P04785; Karl Kimmich an die Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG am 28. Oktober 1931, HADB P04785; Karl Kimmich an Emil Schniewind am 27. November 1931, HADB P04785.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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den, ob die Herren Stollwerck einer Kürzung ihrer Bezüge zustimmten. Im Fall Franz Stollwerck (II) zog man sogar in Erwägung, etwaige Pensionszahlungen an die Bedingung zu knüpfen, dass er Köln verließ.601 Offiziell wurde die Reduktion der Zahlungen freilich damit begründet, dass die Gesellschaft mit dauernden Verlusten arbeite und es gegenüber den Beamten und Pensionären, die Gehaltseinbußen hinnehmen müssten, nicht mehr zu verantworten sei, „diese riesigen Belastungen“602 weiter hinzunehmen. Carl Stollwerck erhielt nun statt 48.000 nur noch 30.000 Reichsmark, die Bezüge seines Neffen Fritz wurden von 36.000 auf 24.000 Reichsmark herabgesetzt und Franz (II) hatte Einbußen in Höhe von 24.000 Reichsmark hinzunehmen. Zudem wurde allen Angestellten untersagt, der Familie Stollwerck irgendwelche Vergünstigungen zu gewähren oder „Gefälligkeitsaufträge“603 für sie auszuführen. Dass Franz Stollwerck (II) deutlich schlechter behandelt wurde, begründete der Aufsichtsrat damit, dass sein Verhalten „so schädigend für die Gesellschaft gewesen ist, dass die in einem hiesigen Winkelblatt erschienenen Artikel von dem Vorstande als nicht vereinbar mit den Interessen der Gesellschaft gehalten werden“604. Ferner war zwischenzeitlich aufgeflogen, dass er im Juli 1931 7.000 Reichsmark privat aus der Geschäftskasse entnommen hatte, um Steuern zu bezahlen. Ihm wurde daher sogar verboten, das Fabrikgelände zu betreten. Zugleich verzichtete die Stollwerck AG mit der Herabsetzung der Bezüge auch auf das Konkurrenzverbot, um Ansprüche der ehemaligen Vorstandsmitglieder über den 1. Juli 1932 hinaus auszuschließen.605 Nachdem die Stollwercks einer Kürzung ihrer Bezüge zugestimmt hatten, bewilligte der Aufsichtsrat Carl Stollwerck im Dezember 1931 eine jährliche Pension in Höhe von 15.000 Reichsmark; im Falle seines Ablebens sollte seine Frau pro Jahr 10.000 Reichsmark erhalten.606 Die Gesellschaft behielt sich freilich vor, 601 Siehe Karl Kimmich: Aktennotiz über eine Besprechung mit Heinrich Trimborn, Gustav Laute und Carl Auel, 28. November 1931, HADB P04785. 602 Karl Kimmich an Emil Schniewind am 27. November 1931, HADB P04785. Zum Gehaltsabbau, der Kürzung der Pensionen und der Entlassung von Beamten im Zuge der Sanierungsmaßnahmen siehe die in HADB P04785 überlieferten Aufstellungen und Briefwechsel. 603 O. A.: Niederschrift über eine Besprechung zwischen dem Ausschuss des Betriebsrats, allen Prokuristen der Gebrüder Stollwerck AG und der Deutschen Automaten-Gesellschaft, Oberingenieur Müller und Inspektor Siepen, 30. November 1931, HADB P04785. 604 Emil Schniewind an die Mitglieder der Aufsichtsratskommission am 30. November 1931, HADB P04785. 605 Siehe ebenda. Siehe auch o. A.: Niederschrift über eine Besprechung zwischen dem Ausschuss des Betriebsrats, allen Prokuristen der Gebrüder Stollwerck AG und der Deutschen Automaten-Gesellschaft, Oberingenieur Müller und Inspektor Siepen, 30. November 1931, HADB P04785; Emil Schniewind an Carl Stollwerck am 12. Dezember 1931, HADB P04813. 606 Nach dem Tod ihres Mannes ersuchte Fanny Stollwerck die Gebrüder Stollwerck AG wiederholt vergeblich um eine Erhöhung der Pension oder Einmalzahlungen. Sie habe „Unterhaltsverpflichtungen moralischer Art gegenüber alten Bediensteten“, hätte ihren gesamten Aktienbesitz verkaufen und ihr Haus der Bank überlassen müssen, um die Schulden ihres Mannes zu begleichen, und „nur einen geringen Betrag von dem einstmalig großen Vermögen gerettet“. o. A.: Aktennotiz zum früheren Konto der Frau Generalkonsul Carl Stollwerck vom 26. Juni 1937, HADB P04814.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
die Zahlungen zu reduzieren, sofern die Entwicklung des Unternehmens weiter rückläufig sein sollte. Zudem wurden Carl Stollwerck die Reisekosten in Höhe von rund 16.000 Reichsmark erlassen, die er der Firma zu Unrecht belastet hatte.607 Franz (II) musste seine bei der Gebrüder Stollwerck AG noch bestehenden Schulden nebst Zinsen nicht zurückzahlen, ferner erhielt er eine als Sicherheit hinterlegte Lebensversicherungspolice zur freien Verfügung zurück. Für seinen persönlichen Lebensunterhalt sollte er nach den Vorschlägen Emil Schniewinds monatlich einen Betrag von 400 Reichsmark zuzüglich sieben Prozent Jahreszinsen erhalten – bis zur Höchstsumme von 15.000 Reichsmark. Auf die Zahlungen hatte er indes keinerlei Rechtsanspruch, die Gesellschaft war berechtigt, sie jederzeit ohne weitere Begründung einzustellen. Höhere Abschläge lehnte Schniewind ausdrücklich ab, da „sonst der Kapitalbetrag bei der pathologischen Veranlagung des Herrn Franz Stollwerck bald aufgebraucht“608 sein und er sich erneut hilfesuchend an die Gesellschaft wenden würde.609 Laut Auskunft der Familie führte Franz Stollwerck (II) nach seinem Ausscheiden aus der Firma ein zurückgezogenes Leben unter bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Er lebte mit seiner geschiedenen Tochter Johanna Maria Genovefa zusammen. Wie sein Onkel Carl und sein Vetter Fritz zeigte er keine Einsicht, sich falsch verhalten oder unternehmerische Fehlentscheidungen getroffen zu haben. Vielmehr war er der Überzeugung, die Familie sei dem „jüdischen Netzwerk“ im Vorstand zum Opfer gefallen. Zwar nannte er in seinen Aufzeichnungen keine Namen, doch ist davon auszugehen, dass Franz Stollwerck (II) damit die Bankiers Georg Solmssen und Georg Simson meinte, die zwar beide zum Protestantismus konvertiert, aber ursprünglich jüdischer Herkunft waren.610 Franz
607 Siehe Karl Kimmich an Emil Schniewind am 17. Dezember 1931, HADB P04785; Georg Solmssen an Emil Schniewind am 2. März 1932; Präsidium des Aufsichtsrats der Gebrüder Stollwerck AG an Carl Stollwerck am 5. März 1932, HADB P04813. Carl Stollwerck hatte zuvor nahezu um eine Pension gebettelt: „Ich habe Ihnen meine Vermögens- und Einkommens-Verhältnisse mitgeteilt und dass ich auf das mir vertraglich zustehende Ruhegehalt ausschließlich angewiesen wäre. In Folge der anhaltenden Aufregungen und Sorgen bin ich im Gemüt und seelisch ganz herunter und möchte ich Sie und die Herren des Aufsichtsrates bitten, meinen noch kurzen Lebensabend, in Würdigung meiner 55jährigen Lebensarbeit auch für meine Frau sicher zu stellen.“ Carl Stollwerck an Emil Schniewind am 14. Dezember 1931, HADB P04785. 608 Karl Kimmich an Georg Solmssen am 5. Januar 1932, HADB P04786. 609 Ab September 1932 wurden diese Bezüge aufgrund eines Versäumnisurteils gegen Franz Stollwerck (II) in einer Höhe von 200 Reichsmark gepfändet. Nachdem sein Sohn Adalbert dem Vorstand mitgeteilt hatte, dass mit weiteren Pfändungen zu rechnen sei, bewegte man Franz Stollwerck (II) zu einer Verzichtserklärung. Damit er freilich „nicht ganz ohne Mittel dastand“ und um Adalbert Stollwerck zu ermöglichen, „seinen Vater entsprechend zu unterstützen“, erhielt dieser fortan eine monatliche Zulage in der gleichen Höhe. o. A.: Niederschrift über die Vorstandssitzung der Gebrüder Stollwerck AG vom 27. September 1932, HADB P04793. 610 Georg Solmssen war 1900 vom Judentum zum Protestantismus konvertiert und hatte seinen Namen von Salomonsohn in Solmssen geändert. Georg von Simson gehörte bereits in dritter Generation dem Protestantismus an. Siehe Walter: Jüdische Bankiers, S. 90 f.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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Stollwerck (II) starb am 6. Juni 1955 im Alter von 78 Jahren in der Nähe von Frankfurt am Main.611 Fritz Stollwerck blieb als einziges der ehemaligen Vorstandsmitglieder im Unternehmen tätig. Er erhielt zunächst einen Posten als Vertreter in Hamburg, später als Leiter des Zweighauses in München.612 Bedenkt man, dass die Familie Stollwerck in der über 90jährigen Geschichte ihres Unternehmens stets frei entscheiden und disponieren konnte, verwundert es nicht, dass er sich mit dieser Degradierung nicht ohne weiteres abfinden wollte. Zwar war er „froh, […] weiter in der Firma mitwirken“613 zu können, doch überschritt er wiederholt seine Kompetenzen und nahm beispielsweise ohne entsprechenden Auftrag, aber im Namen der Stollwerck AG an den Sitzungen des Verbands deutscher SchokoladeFabrikanten teil.614 Um seine zahlreichen Kredite abzusichern, musste er in den 1930er Jahren bei der Deutschen Bank- und Disconto-Gesellschaft eine immer größere Anzahl seiner geerbten Stollwerck-Aktien hinterlegen. Das Kreditinstitut baute dadurch nicht nur seine Verfügungsrechte aus, sondern zwang Fritz Stollwerck nach Auskunft der Familie letztlich auch, das Unternehmen zu verlassen. Ludwigs Erstgeborener starb am 6. Dezember 1959 im Alter von 75 Jahren in Bad Godesberg.615 Neben Fritz war auch Carl Stollwerck darauf bedacht, sich aus seinem patriarchalischen Selbstverständnis heraus eine gewisse Macht- und Prestigeposition im Unternehmen zu sichern – cum grano salis ging es ihm um „Anerkennung und Genugtuung nach aussen“616 und darum, weiterhin von seinen privilegierten Informationsrechten zu profitieren. Nachdrücklich erinnerte er Solmssen an das Versprechen, sich um seine Zuwahl in den Aufsichtsrat zu bemühen.617 Der Tod Carl Stollwercks am 3. Oktober 1932 befreite die Bankenvertreter freilich davon, ihre Zusage auch in die Tat umzusetzen. Richard Stollwerck, der letzte Vertreter der Familie an exponierter Stelle im Unternehmen, hatte zwar aus seiner persönlichen Meinung über die kaufmännischen Fähigkeiten seines Onkels keinen Hehl gemacht, doch ging ihm „das Hinscheiden des letzten der eigentlichen Gründergeneration, das Versinken des letzten Sterns einer erfolgreichen Industriefamilie innerlich recht nahe“. Durch den Tod seines Onkels fühle er sich „vermehrt […] verpflichtet“, das Erbe der Stollwercks „zur 611 Diese Information verdanke ich einer schriftlichen Auskunft von Arno Stollwerck vom 16. Februar 2012. 612 Siehe Emil Schniewind, Georg Solmssen und Georg von Simson: Niederschrift über die Sitzung der Aufsichtsrats-Kommission der Gebrüder Stollwerck AG vom 4. September 1931, HADB P04794; Gustav Laute an Karl Kimmich am 15. Mai 1934, HADB P04814. 613 Fritz Stollwerck an Paul Stollwerck am 15. September 1931, RWWA 208-51-3. 614 Siehe Carl Auel und Gustav Laute an August Goetz am 19. Februar 1932, HADB P04786; Karl Kimmich an Fritz Stollwerck am 20. Februar 1932, HADB P04786. 615 Diese Information verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit Gisela Maria Nottebrock, einer Ur-Enkelin Ludwig Stollwercks, und ihrem Ehemann Volker Wendeler am 12. März 2009. Siehe auch Siehe o. A.: Aktennotiz zu Fritz Stollwerck vom 16. September 1933, HADB P04814. 616 Carl Stollwerck an Emil Schniewind am 10. Juli 1932, HADB P04786. 617 Siehe Carl Stollwerck an Georg Solmssen am 31. Juli 1932, HADB P04786.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
alten Geltung“618 zu bringen und als Repräsentant der Familie Kontinuität und die Rückbesinnung auf alte Erfolge zu demonstrieren. Dieses (neu erwachte) Verantwortungsgefühl Richards, das bis 1932 weder er noch einer seiner Vettern expressis verbis oder durch Tatkraft und Engagement zum Ausdruck gebracht hatte, kam indes zu spät. Das einstige Familienunternehmen war fest in den Händen familienfremder Manager – Bestrebungen Richard Stollwercks, die verbliebenen Aktionäre der Familie Stollwerck „gegenüber der Bankengruppe möglichst gross erscheinen zu lassen“619, wussten Kimmich und Solmssen ebenso zu verhindern wie die Zuwahl weiterer Familienmitglieder in den Aufsichtsrat.Einen erneuten Einfluss der Familie Stollwerck auf die Unternehmensleitung wollten sie für alle Zukunft ausschließen.
618 Die letzten Zitate aus Richard Stollwerck an Georg Solmssen am 10. Oktober 1932, HADB P04787. 619 Karl Kimmich an Georg Solmssen am 5. Dezember 1932, HADB P04787. Am 1. Januar 1933 hielten noch folgende Familienmitglieder Aktien an der Gebrüder Stollwerck AG: Erben Carl Stollwerck: 1.250.000 Reichsmark (beliehen von der DD-Bank), Gustav Stollwerck: 176.400 Reichsmark (beliehen von Prager Banken), Clara von Bernstorff: 200.000 Reichsmark, Martha von Bernstorff: 200.000 Reichsmark, Hella von Kuczkowski: 52.000 Reichsmark, Richard Stollwerck: 245.000 Reichsmark, Erben Heinrich Victor Stollwerck: 158.000 Reichsmark, Ursula Stollwerck: 100.000 Reichsmark. Mit insgesamt 2.381.900 Reichsmark hielt die Familie theoretisch immerhin noch 26,5 Prozent des Grundkapitals von neun Millionen Reichsmark und damit eine Sperrminorität. Siehe o. A.: Stand des FamilienKonsortiums der Gebr. Stollwerck A.G. per 1. Januar 1933, o. D., HADB P04787. Die am 1. März 1930 geschlossene Vereinbarung sah vor, dass Aktien, die verkauft werden sollten, möglichst in der Konsortialbindung verblieben und dass sich die Konsorten über eine einheitliche Ausübung ihres Stimmrechts verständigten. Siehe Konsortialvertrag vom 1. März 1930, HADB P04784. Allerdings lässt sich das Aktienpaket der Erben Carl Stollwerck realiter nicht den Interessen der verbliebenen Familienaktionäre zuordnen, denn die DD-Bank hatte mit August Adenauer, dem Testamentsvollstrecker Carl Stollwercks, eine Vereinbarung getroffen, um ihn nicht „in die Arme der übrigen Familienmitglieder zu treiben“. Karl Kimmich an Georg Solmssen am 5. Dezember 1932, HADB P04787. Der Vertrag sah folgendes vor: 1) Die Bank verpflichtete sich, die von ihr beliehenen nominal 1.778.000 Reichsmark Aktien bis zum Zeitpunkt der Bilanz-Aufsichtsratssitzung für das Geschäftsjahr 1932/33 nicht zu verkaufen und bis zu diesem Termin auch ihre Forderungen nicht geltend zu machen. 2) Nach Ablauf dieses Stillhalteabkommens sollten die Aktien zur Abdeckung der Bankschulden sukzessive verkauft werden. 3) August Adenauer verpflichtete sich, das Aktienpaket bis zum 31. Dezember 1935 insofern zu sperren, als es bis dahin in Verwahrung und Verwaltung der Bank bleiben sollte – auch dann, wenn der Kredit vorher ganz oder teilweise getilgt sein sollte. Das Stimmrecht stand August Adenauer zu. 4) August Adenauer verblieb mit einem Teilbetrag von 1.250.000 Reichsmark im Familienkonsortium. Sollte sich aber ein Widerspruch zwischen den Vereinbarungen mit der Bank und den Interessen des Konsortiums ergeben, verpflichtete er sich, das Konsortium zum erstmöglichen Termin zu kündigen, um den Vertrag mit den Banken zu realisieren. 5) Die DD-Bank erhielt beim Verkauf der Stollwerck-Aktien ein Vorkaufsrecht. Ohne Zustimmung der Bank durfte August Adenauer keine Aktien an Dritte verkaufen. Siehe Vereinbarung zwischen der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft Filiale Köln (DD-Bank) und August Adenauer in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker von Carl Stollwerck vom 13. Dezember 1932, HADB P04787.
IV.A Die Verfügungsrechtsstruktur im Spiegel der Unternehmernachfolge
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„Nachdem die Gebrüder Stollwerck A.G. zur Beseitigung der unter der früheren Verwaltung erlittenen erheblichen Verluste im vergangenen Jahre saniert werden mußte und die Reorganisation unter hervorragender Beteiligung der DD-Bank durchgeführt wurde, hat die Bank ein berechtigtes Interesse daran, dass die von ihr begonnene Politik, vor allem in Personalfragen und bezüglich der Dividendenhöhe, auch künftig fortgesetzt wird. Ziel dieser Politik ist, dass die personelle Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat nur im Interesse des Unternehmens und aus rein sachlichen Gesichtspunkten erfolgt und ferner, dass die Bemessung der Dividende nicht etwa nach einseitigen Interessen von Gross-Aktionären, sondern im Einklang mit den Grundsätzen einer gesunden finanziellen Führung der Gesellschaft erfolgen soll.“620
In der Tat fasste Stollwerck unter der neuen Führung schnell wieder Tritt im Markt. Die Verbindlichkeiten des Unternehmens konnten bereits im Geschäftsjahr 1931/32 um 2,6 Millionen Reichsmark gesenkt werden und die Gesellschaft erzielte nach einem Verlust von 3.396.412 Reichsmark 1930/31 immerhin einen Gewinn von 251.620 Reichsmark, nachdem Abschreibungen von 650.000 Reichsmark vorgenommen worden waren. Stolz berichtete Kimmich, die Bilanz könne nun „auch der öffentlichen Kritik ohne weiteres Stand halten“ und das Unternehmen sei, da man ferner über 1,1 Millionen Reichsmark stille Reserven verfüge, nunmehr „auch innerlich gefestigt“621. Ein Jahr später belief sich der Überschuss bereits auf 498.816 Reichsmark.622 IV.B DAS UNTERNEHMEN IM SPANNUNGSFELD VON MARKT UND FAMILIE IV.B.1 „Durch Qualität zum Erfolg“ – Werbestrategien eines familiär geführten Unternehmens Für Familienunternehmen spielen nicht nur innerfamiliäre Pfadabhängigkeiten, Sinnstiftungsprozesse und Loyalitäten eine Rolle, sondern auch von externer Seite werden bestimmte Ansprüche und Erwartungen an das Geschäft herangetragen. Familienunternehmen stehen einerseits für Tradition, persönlich garantierte Qualität, langfristige Strategie- und Wertorientierung, regionale Verwurzelung und Persönlichkeit. Andererseits wird ihnen häufig eine geringe Innovationskraft nachgesagt, ein starres Festhalten an einmal eingeführten Produkten und Technologien. Diese Assoziationen zu bestätigen bzw. zu widerlegen, ist insbesondere für Unternehmen, die entbehrliche Konsumgüter produzieren, elementar, um das Ansehen und damit die eigene Marke zu stärken.
620 Karl Kimmich: Aktennotiz vom 13. Dezember 1932, HADB P04787. 621 Die letzten Zitate aus Karl Kimmich an Carl Stollwerck am 17. September 1932, HADB P04787. 622 Siehe die Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1930/31 (RWWA 208-290-6), 1931/32 (RWWA 208-388-4) und 1932/33 (RWWA 208-290-6).
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Äußerlich sichtbares Zeichen dieser Bemühungen ist in der Regel eine ausgefeilte Werbestrategie, die wie andere Organisationsstrukturen und Entscheidungswege in Familienunternehmen spezifischen Einflussfaktoren unterliegt und gezielt das positive Image des Familienunternehmens instrumentalisiert. In der Werbung von Familienunternehmen wird nicht nur die Verbindung der Bereiche Produktion und Konsum, Angebot und Nachfrage evident, sondern auch die Verbindung von Familie und Unternehmen, Privatsphäre und Öffentlichkeit besonders deutlich. So festigen Familienmitglieder in der Unternehmensführung den Einfluss der Familie auf das Geschäft und legitimieren gleichsam das öffentliche Bild vom Konstrukt Familienunternehmen. Sie stehen persönlich mit ihrem Namen für das Unternehmen,623 bürgen für die Qualität der meist gleichnamigen Marke und geben ihr damit ein Gesicht. Auf diesem Weg dient nicht allein die Marke, sondern auch der mit ihr verbundene Name der Unternehmerfamilie zum Vertrauensaufbau. Ferner werden häufig spezifische moralische Leitwerte der Unternehmerfamilie wie ein ausgeprägtes Arbeitsethos, Fleiß, Pflicht- und Traditionsbewusstsein, Sparsamkeitund Zuverlässigkeit sowie ein unermüdliches Streben nach Weiterbildung und Verbesserung bewusst in die Werbung integriert (siehe Abb. 60).624 Qualität
Tradition
Regionale Verwurzelung
Innovationskraft
Vertrauen
Abb. 60: Zentrale Elemente der Werbestrategie von Familienunternehmen (eigene Darstellung)
623 Heute nutzen insbesondere Lebensmittelunternehmen die Möglichkeit, dass der Unternehmer selbst in der Werbung auftritt, beispielsweise die Firma Hipp. Claus Hipp (geb. 1938) wirbt persönlich für die Säuglingsnahrung und unterstreicht sein Verantwortungsbewusstsein mit dem Slogan: „Dafür stehe ich mit meinem Namen.“ http://www.hipp.de/ueberhipp/unternehmen/qualitaetsphilosophie/ (zuletzt abgerufen am 19. März 2012). 624 Siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 9, 216; Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 164–167; Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle, S. 97 f.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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Stollwerck’s Brustbonbons und die Bedeutung der Verpackung Bereits bei Franz Stollwerck lassen sich in den Jahren des beruflichen „start up“ erste Hinweise auf die Bedeutung der Werbung und ein in der Geschichte der Unternehmerfamilie und des Familienunternehmens Stollwerck kontinuierlich wiederkehrendes Motiv finden: die Etablierung von Qualitätsstandards625 und der Aufbau von Vertrauen. Zwar war Stollwerck von der hervorragenden Qualität seiner Produkte überzeugt, doch vertraute er nicht auf die vorhandene Nachfrage für nicht lebensnotwendige Produkte wie Back- und Süßwaren und ihre Kanalisierung durch den Handel. Er suchte die direkte Kommunikation mit dem Endverbraucher und machte systematisch auf seine Erzeugnisse aufmerksam. Franz Stollwerck übersprang damit gleichsam die von Blaich definierte Phase der Produktionsorientierung, in der der Unternehmer versuche, ein hochwertiges Produkt möglichst günstig zu verkaufen, ohne dabei verkaufsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. Er vertraue lediglich auf die Güte seiner Waren. Stollwerck orientierte sich von Beginn an am Verkauf als zukunftsträchtige unternehmerische Strategie.626 Sein Medium waren vor allem zeittypische textintensive Anzeigen627 in den lokalen Zeitungen, in denen er regelmäßig seine „wohlschmeckende Waare“ anpries, mit der er sich „das Zutrauen meiner geehrten Gönner erwerben“628 wollte. Unmittelbar nach Gründung seines Unternehmens ging es primär darum, den Bedarf zu wecken. Ausdrücklich betonte er, dass er seine Waren „täglich frisch“ produziere und für deren „besondere Güte und Geschmack“629 mit seinem Namen bürge. Aus seinen Annoncen sprach stets der Stolz auf die handwerkliche Qualität seiner Produkte, die, auch wenn er sie „nicht in einem der brillansten Ladengewölbe“ darbiete, „in Auswahl, Güte und Billigkeit dennoch nicht zurückstehen“630 würden.
625 Zur Entwicklung von Qualität als Wertbegriff siehe Masing u. a. (Hg.): Qualitätsmanagement. 626 Siehe Blaich: Absatzstrategien deutscher Unternehmen, S. 12–22; präzise zusammengefasst bei Rossfeld: Unternehmensgeschichte als Marketinggeschichte, S. 29 ff. 627 Die Annonce der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsentierte sich keineswegs so provokativ, suggestiv und emotionsgeladen, wie man es heute kennt. Form und Inhalt erinnern an herkömmliche Geschäftsanzeigen. Im Mittelpunkt stand die Information über Menge und Aussehen der Ware, Qualität und Preis. Der innovative Charakter eines Produkts wurde bekanntgemacht und erklärt, um den Bedarf zu wecken. Siehe ausführlich Borscheid: Am Anfang war das Wort, S. 27 f. Hierholzer (Nahrung nach Norm, S. 214 f.) wies zudem darauf hin, dass vor allem Nahrungsmittelproduzenten zunächst auf eine dezidiert informative und sachliche Reklame setzten. Gerade im Nahrungsmittelgewerbe waren die Qualitätsunterschiede erheblich, so dass man sich bemühte, ein Bewusstsein für Qualität bzw. Fälschungen zu schaffen. 628 Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 47 vom 16. Februar 1840. 629 Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 54 vom 23. Februar 1840. 630 Anzeige von Franz Stollwerck in der Kölnischen Zeitung Nr. 339 vom 5. Dezember 1841.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Abb. 61: Verpackung der Stollwerck’schen Brustbonbons, o. D. (RWWA 208-699-16)
Ab 1843 konzentrierte sich Franz Stollwerck auf eine Produktspezialität – die Stollwerck’schen Brustbonbons als Heilmittel gegen Erkältung. Der Erfolg dieses Fabrikats beruhte zunächst auf seinem medizinischen Anspruch. Die elementare Sorge der Menschen um ihre Gesundheit veranlasste sie dazu, für so genannte Sanitätswaren viel Geld auszugeben. Stollwerck war keineswegs der einzige Unternehmer, der in dieses Segment vorstieß, doch waren seine Brustbonbons dank einer dreigliedrigen Werbestrategie ausnehmend erfolgreich.631 Zum einen schuf er mit seinem Produkt eine frühe Firmenmarke, die den Namen des Herstellers trug.632 Er stand als Fabrikant mit seinem Namen, seiner Reputation und seiner Firma für die Qualität der Ware, übernahm die Verantwortung für seine Brustbonbons.633 Zum anderen erkannte der Kölner Unternehmer einen wichtigen Aspekt für den Erfolg eines Konsumguts in einer zunehmend schnelllebigen und bewegten Zeit: Die Ware musste unmittelbar gebrauchsfertig und robust verpackt sein, um gut transportiert werden zu können. Statt die Bonbons offen an den Händler abzugeben, der sie abwog und lose verpackte, führte Franz Stollwerck einen eigens für die Brustbonbons kreierten Beutel ein (siehe Abb. 61),634 den er auf der Rückseite
631 Siehe zu den folgenden Ausführungen auch Epple: Das Auge schmeckt Stollwerck, S. 18 ff.; Joest: Stollwerck, S. 11–14. 632 Siehe zu den Entwicklungsstufen des Markenwesens im 19. und 20. Jahrhundert Wadle: Markenschutz für Konsumartikel, S. 654–661. 633 Weitere Beispiele für frühe Fabrikmarken sind z. B. „Farina“ für Kölnisch Wasser und „A. W. Faber“ für Bleistifte. 634 Wie die Zeitungsannonce war auch die Verpackung sehr textintensiv. Zwar nutzte Stollwerck bereits bei den Brustbonbon-Beuteln die suggestive Macht von Bildern, doch lag der Fokus eindeutig darauf, Informationen über das Produkt weiterzugeben. Zur Bedeutung der Verpackung siehe Borscheid: Am Anfang war das Wort, S. 30; Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 304–311; Blaich: Absatzstrategien deutscher Unternehmen, S. 23.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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mit seinem Petschaft und dem Preis635 versah. Er distanzierte sich damit von „anonymen Stapelwaren“636, d. h. er stellte sicher, dass seine Ware nicht mit anderen Produkten vermischt und die im Betrieb hergestellte Qualität auch auf langen Transportwegen unvermindert an die Konsumenten weitergegeben wurde; zudem schützte er die Bonbons auf diese Weise gegen Licht und äußere Einflüsse. Die standardisierte und unverwechselbare Originalverpackung hatte ferner, erstens, einen hohen Wiedererkennungswert, ermöglichte dadurch, zweitens, den Aufbau eines festen Kundenstamms und signalisierte den Konsumenten, drittens, dass sie bei Wiederholungskäufen auf gleichbleibende Güte und einen festen Preis zählen konnten. Sie mussten sich für die notwendigen Informationen über Hersteller, Inhalt, Qualität und Anwendung des Produkts nicht mehr auf die Auskunft des Händlers verlassen, sondern konnten diese direkt der Packung entnehmen.637 Dies war mit Blick auf zwei Aspekte bedeutend: Zum einen machte sich Stollwerck damit unabhängiger von der Gunst der Einzelhändler, denn die Kundenbindung verschob sich von den Verkäufern zu den Fabrikanten und stärkte deren Verhandlungsposition.638 Zum anderen vertrieb Franz Stollwerck seine Waren nicht nur in seinen Kölner Ladengeschäften, seinem Café und Theater, sondern er nahm bereits früh auch überregionale Märkte und das Ausland in den Blick und bediente damit einen großflächigen, weitgehend anonymen Markt. Seine überregionalen Kunden kannten ihn nicht und konnten die Qualität der Produkte nicht unmittelbar beurteilen. 1845 wurden seine Waren bereits von 44 Einzelhändlern in ganz Europa verkauft, bis 1864 stieg die Zahl auf 900.639 635 Die Vermarktung eines Produkts erfolgt mit Hilfe verschiedener Instrumente, die seit den 1960er Jahren in vier Kategorien unterschieden werden: product (z. B. die Qualität der Ware), price (Preisgestaltung), place (Distribution an ausgewählten Orten), promotion (Werbung). Diese vier Komponenten müssen untereinander, auf das entsprechende Produkt, den Markt und die avisierten Ziele abgestimmt, d. h. es muss ein sinnvoller „Marketing-Mix“ entwickelt werden. Siehe für eine konzise Zusammenfassung Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 218–222. Während die Aspekte product, place und promotion ausführlich behandelt werden, wird der Preisgestaltung im Folgenden nicht detailliert nachgegangen. Für die leitende Fragestellung nach der Verbindung von Familie und Unternehmen spielen die Festsetzung der Preise im Unternehmen und die preisliche Abstufung innerhalb des StollwerckSortiments nur eine untergeordnete Rolle. Siehe für eine Fallstudie aus dem Bereich der schweizerischen Schokoladenindustrie Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 318–354. 636 Ebenda, S. 315. 637 Auch der Harmonika-Hersteller Hohner machte sich durch das „Zusammenspiel von Qualität, äußerer Gestaltung und Verpackung buchstäblich einen Namen […], den die Käufer als Gütesiegel eines überlegenen Produkts annahmen“. Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 84. 638 Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass auch die Einzelhändler Druckmittel hatten. Zum einen konnten sie mit Blick auf den begrenzten Platz in ihren Ladengeschäften Produzenten abweisen, zum anderen durch eine sorgfältige Auswahl qualitativ hochwertiger Marken ein Vertrauensverhältnis zu den Konsumenten aufbauen. Siehe Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 315. 639 Siehe o. A.: Skizze zur Unternehmensgeschichte, um 1920, RWWA 208-249-6. Parallel richtete Franz Stollwerck früh bei ausgewählten Händlern Depots ein, d. h. Lager für den regionalen Vertrieb seiner Produkte. Siehe Anzeige von Franz Stollwerck im Wittenberger
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Die Kontaktaufnahme zu den selbständigen, nicht im Unternehmen angestellten, d. h. vor Ort ansässigen Kaufleuten erfolgte auf den nationalen und internationalen Ausstellungen, auch Kontakte aus seinen Wanderjahren halfen Franz Stollwerck, Einzelhändler für den Verkauf seiner Waren zu gewinnen. Die Kontaktpflege betrieb er seit den 1860er Jahren über Reisende,640 die eine persönliche Beziehung zu den Verkäufern aufbauen, Vertrauen generieren sollten. Sie wurden zum einen als Werbeträger verstanden, die vor Ort ein Bild vom Unternehmen vermitteln sollten, zum anderen als Informanten, die die Einzelhändler beraten und kontrollieren, den Markt sondieren, Konkurrenz beobachten und die Veränderung der Konsumgewohnheiten analysieren sollten.641 Auch die Söhne Franz Stollwerks wurden im Rahmen ihrer Ausbildung als Reisende eingesetzt – mit überaus positiver Wirkung auf die Kaufleute, die – so die Erinnerung von Peter Joseph Stollwerck – „sehr erfreut sind, wenn sie solcherart mal von einem Verwandten der Geschäftsinhaber besucht werden“642. Mit seiner Firmenmarke grenzte sich Stollwerck auch von Nachahmern ab, die mit Imitationen von seinem Erfolg profitieren wollten. Zusätzlich instruierte er die Käufer der Brustbonbons: „Da von mehreren Seiten versucht worden ist, durch die äußere Verpackung das Publikum zu täuschen, bitte ich auf die näher angegebene Bezeichnung genau zu achten. Die Umschläge sind in rosarothem Glanzpapier, welche obenan das Königl. Preußische Wappen, in einer Vignette die Worte Stollwerck’sche Brustkaramellen, aus der Bonbon-Fabrik von Franz Stollwerck, Hoflieferant in Köln, a./R. Schildergasse Nro. 49, gesetzlich deponirt, nebst meinem Familiensiegel und dem Stadt Kölnischen Wappen enthalten, darunter befindet sich das obige Attest des Königlichen Geheimen Hofraths und Professor Herrn Dr. Harleß in Bonn und auf der Rückseite unter dem Siegel die Gebrauchs-Anweisung.“643
Stollwerck ruhte sich aber nicht auf seinem Erfolg aus, sondern versicherte den Konsumenten: „Der Beifall, dessen sich meine bisher verfertigten Brust-Caramellen allerwärts, wo sie bekannt geworden, zu erfreuen hatten, und die auffallend schnelle Verbreitung über den größten
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Wochenblatt vom 23. November 1867, RWWA 208-829-2. Siehe auch Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 366 ff. Laut Kuske (Stollwerck-Geschichte, S. 80) waren in den 1860er Jahren fünf Reisende für Stollwerck tätig, bis 1890 stieg die Zahl auf 25 bis 30, bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs auf 90. Zur quantitativen Entwicklung der Reisenden bei Suchard siehe Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 363–372. Siehe zu Handlungsreisenden ausführlich ebenda, S. 363–388. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 250–272. Peter Joseph Stollwerck an Ernest Searle am 13. Oktober 1894, RWWA 208-215-6. Siehe auch Schumacher: Auslandsreisen, S. 64, 69. Anzeige von Franz Stollwerck, 1847, RWWA 208-829-2. Siehe auch Anzeige von Franz Stollwerck vom 21. November 1845, RWWA 208-829-2. Auch das schweizerische Unternehmen Suchard warnte seine Kunden vor gefälschten und nachgeahmten Produkten und verwies auf die spezielle Gestaltung der eigenen Fabrikmarke. Siehe Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 307, 315 f. Spätestens seit Anfang der 1860er Jahre ging Stollwerck dazu über, sämtliche Produkte, nicht nur die Brustbonbons, nur noch in Originalverpackungen zu vertreiben. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 231 ff.
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Theil unseres deutschen Vaterlandes sowohl, als selbst in dem Ausland, ist mir nicht nur sehr schmeichelhaft, sondern auch ein Sporn gewesen, mich der Vervollkommnung derselben möglichst zu befleißigen.“644
Er ließ die Brustbonbons von Wissenschaftlern prüfen und setzte deren „Rathschläge zur Vervollständigung der Wirkung“645 um. Die Zusammenarbeit mit der Forschung, dem Inbegriff von Expertise und Fortschritt, und die Betonung seines unermüdlichen Strebens nach Verbesserung war ein strategischer Schachzug. Stollwerck sprach damit insbesondere die kaufkräftigen bürgerlichen Konsumenten an, die nicht nur die Wissenschaft als objektiv überprüfbares Urteilskriterium schätzten, sondern die auch – nahezu fanatisch – an das Leistungsprinzip glaubten. Der Kontakt zur Wissenschaft verweist auf das dritte Element seiner konsequenten Werbestrategie. Franz Stollwerck erkannte früh, dass sich die Konsumenten fragen würden, warum sie ein Heilmittel gegen Erkältung beim Konditor und nicht beim Apotheker kaufen sollten. Daher betonte er nicht nur die medizinische Wirksamkeit seiner Brustbonbons, sondern ließ sie sich von (vorgeblich)646 glaubhaften Autoritäten attestieren. Seit Beginn seiner Werbeoffensive enthielten die Annoncen für Brustbonbons Kurzgutachten von Medizinern, „deren Namen nicht nur in ihren resp. Wohnorten einen guten Klang haben, sondern deren Ruf auch in weite Ferne gedrungen“647. Angriffen regionaler Apotheker, die sich der unliebsamen Konkurrenz des Konditors entledigen wollten, trotzte er mit Klagen und neuen Gutachten – ebenso wie negativen Presseberichten, in denen das schlechte Preis-Leistungs-Verhältnis der Brustbonbons kritisiert und ihm vorgeworfen wurde, das Produkt bestünde lediglich aus Zucker und unwirksamen Kräutern.648 Medaillen, Auszeichnungen und Briefköpfe als Werbeinstrument Neben medizinischer Expertise nutzte Franz Stollwerck seit Ende der 1840er Jahre zudem ein weiteres zugkräftiges Werbeinstrument: staatlich verliehene und auf Ausstellungen gewonnene Auszeichnungen. 1847 wurde er zum preußischen Hoflieferanten ernannt und 1855 erhielt er auf der Pariser Weltausstellung mit der
644 Anzeige von Franz Stollwerck, 1847, RWWA 208-829-2. 645 Zitiert nach Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 13. 646 Man sollte nicht außer Acht lassen, dass Franz Stollwerck die Experten selbst aussuchte und für die Erstellung dieser Gutachten vermutlich auch gut bezahlte. 647 Zitiert nach Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 13. Siehe für eine Auswahl dieser Kurzgutachten ebenda. 648 Siehe zu der Fehde mit Apothekern und Presse ausführlich Joest: Stollwerck, S. 11–14; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 54–57. Siehe auch Hierholzer (Nahrung nach Norm, S. 215, 222), die hervorhob, dass wissenschaftlich gestützte Reklame häufig eine Reaktion auf den Vorwurf war, unwirksame oder gesundheitsschädliche Produkte zu vertreiben.
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bronzenen Medaille seine erste bedeutende Auszeichnung.649 Franz Stollwerck türmte in der französischen Hauptstadt 105 Flacons Kölnisch Wasser, 60 Flaschen verschiedener Liköre650 und 300 Pakete seiner Brustbonbons zu einer großen Pyramide auf und verband damit den Qualitätsgedanken mit dem Sinn für Effekt und Geschmack.651 Die seit der ersten Weltausstellung 1851 in London in rascher Folge stattfindenden Leistungsschauen erfreuten sich großer Beliebtheit. In der britischen Hauptstadt hatte man über 17.000 Aussteller und mehr als sechs Millionen Besucher verzeichnet.652 Den Fabrikanten nutzten die Ausstellungen, um ihr Unternehmen und ihre Produkte zu inszenieren, die Besucher konnten vergleichen, probieren und sich unmittelbar ein Bild von der neuen Vielfalt der Produktpalette und der ständig steigenden Zahl an Produzenten machen. Im Anschluss an die Ausstellung bewertete eine Fachjury die Güte der präsentierten Produkte und verlieh goldene, silberne und bronzene Medaillen, die als besonderer Ausweis von Qualität galten – und damit eine weitere Instanz zum Vertrauensaufbau zwischen Fabrikant und Konsument bildeten. Zwölf Jahre später gewann Franz Stollwerck in Paris erneut eine Medaille – sowohl für sein „berühmtes Fabrikat“653, die Brustbonbons, als auch für seine Schokoladen, deren Herstellung er sich auf Betreiben seiner Söhne seit 1866 widmete. Der wachsende Ruf der Stollwerck’schen Unternehmung spiegelte sich auch in der Berichterstattung der Presse: „Für seine Dampf-Chocoladen-Brustbonbons und Zuckerwaaren ist dem hiesigen Fabrikanten Franz Stollwerck auch in diesem Jahre die Preis-Medaille zuerkannt worden! Diese Auszeichnung ist um so ehrender, als die Erzeugnisse gleicher Branche aus allen Ländern, darunter von etwa vierzig der bedeutendsten Pariser Häuser, mit einander concurrirten und es die einzige Medaille ist, welche hierfür auf ganz Preußen fällt. Besonders wird die Vielseitigkeit der Fabrikation, wie Sie wohl keines der vertretenen Häuser aufzuweisen hat, so wie die vorzügliche Arbeit und Preiswürdigkeit der ausgestellten Waaren selbst seitens der französischen Concurrenz auf das lobendste anerkannt. Obige Thatsachen dürften wohl geeignet sein, die in Deutschland noch vielseitig wurzelnden Scrupel, daß nur Paris Vorzügliches in Chocoladen und Confituren liefern könne, zu beseitigen, um so mehr, als der Verkauf der Stollwerck’schen Fabrikate in der Ausstellung selbst ein ganz bedeutender ist. Die vor kaum ei649 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 11; Bezirks-Kommission für die Pariser Industrie-Ausstellung an Franz Stollwerck am 17. Januar 1856, RWWA 208-240-3. 650 Franz Stollwerck stellte bereits seit Gründung seiner Mürbebäckerei auch Punschessenzen und Liköre her, die er sowohl für seine Backwaren benötigte als auch später in seinem Café ausschenkte. In den Bereich der Destillation fiel auch die Herstellung von Kölnisch Wasser, die er seit etwa 1850 betrieb. Dies war insofern nicht ungewöhnlich, als zum einen viele Konditoren zusätzlich mit Parfum handelten, zum anderen die Herstellung von Eau de Cologne in Köln allgemein üblich war. In den 1850er Jahren stellten über 40 Betriebe Kölnisch Wasser her – ein lukratives Geschäft, das sich auch Stollwerck nicht entgehen lassen wollte. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 36 f. 651 Siehe Anmeldung Franz Stollwercks zur Pariser Weltausstellung vom 2. November 1854, RWWA 208-240-3. Siehe auch Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 281. 652 Siehe Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen, S. 15–56; Fuchs: Weltausstellungen. Siehe auch Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 390–396; Borscheid: Am Anfang war das Wort, S. 36. 653 Anzeige von Franz Stollwerck im Wittenberger Wochenblatt vom 23. November 1867, RWWA 208-829-2.
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nem Jahre in Betriebe übergebene neue größere Fabrik des Herrn Stollwerck vermag die einlaufenden Anträge nicht zu bewältigen, und steht derselbe im Begriffe, ein größeres Etablissement zu errichten, wozu bereits die neuesten und vorzüglichsten in der Pariser Ausstellung befindlichen Maschinen aquirirt sind.“654
Welche Bedeutung die Unternehmer den Medaillen zumaßen, zeigt sich ferner darin, dass die Verwendung der errungenen Auszeichnungen nach der geschäftlichen Trennung von Franz Stollwerck und seinen Söhnen Gegenstand scharfer Auseinandersetzungen war.655 Die zahlreichen Diplome, Urkunden und Medaillen dienten zwar primär als Ausweis der Produktqualität, wurden von den Unternehmern aber auch zur Selbstdarstellung und -inszenierung genutzt. Als Embleme zierten sie nicht nur Zeitungsannoncen und Verpackungen, sondern schmückten – meist in einer Art Medaillenspiegel – vor allem die Brief- und Rechnungsköpfe der Firmen (siehe Abb. 62). Als unabhängige und übergeordnete Instanz sollten die Auszeichnungen gleichsam Integrität und Solidität der Firma verbürgen. War es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts primär darum gegangen, über eine neue Ware zu informieren, konzentrierten sich die Unternehmer seit den 1850er Jahren zunehmend darauf, bei den Konsumenten den guten Ruf bereits bekannter Produkte und Firmen mit Hilfe von einprägsamen Allegorien und Bildern zu festigen – die Werbung hatte demnach das Ziel, das einmal erworbene Image zu perpetuieren. Neben den Medaillen dienten hierzu insbesondere gezeichnete Fabrikansichten (siehe Abb. 62). Sie machten nicht nur die erreichten Erfolge, Bedeutung und Würde des Geschäfts öffentlich sichtbar, sondern dokumentierten als Sinnbilder der Industrialisierung vor allem den technischen Fortschritt des Unternehmens; rauchende Kamine symbolisierten Betriebsamkeit und Fleiß.656 Franz Stollwerck bildete auf seinem Briefkopf sowohl sein Geschäftshaus in der Hohe Straße als auch sein Fabrikgebäude in der Sternengasse ab. Die hellen Fassaden erinnerten – durchaus typisch für diese Art der Darstellung – an den Stil großbürgerlicher Häuser, versinnbildlichten so Alter, Kontinuität und Solidität des Unternehmens bzw. des Bürger- und Unternehmertums und demonstrierten den Stolz des Unternehmers auf sein Geschäft und die eigene Leistung. Die prosaische Fabrikrealität von Schmutz, Schweiß, Anstrengung und Lärm fehlte in den Ansichten ebenso wie bildhafte Darstellungen von Arbeitsvorgängen und arbeitenden Menschen.657
654 O. A.: Pariser Ausstellung. 655 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.1. 656 Siehe Borscheid: Am Anfang war das Wort, S. 36 f.; Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 427–430. 657 Siehe Weisser: Deutsche Reklame, S. 81. Für Fabrikansichten auf Firmenbriefköpfen des 19. Jahrhunderts siehe die Abbildungen ebenda, S. 82–86. Siehe auch Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 427–430; Stücker: Externe und interne Unternehmenskommunikation, S. 112 ff.
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Abb. 62: Briefkopf der Firma Franz Stollwerck & Söhne, 1869 (RWWA 208-218-5)
Neben den Medaillen und Fabrikansichten integrierte Stollwerck schon früh weitere Bildelemente in den Firmenbriefkopf (siehe Abb. 62). Als typischer Ausdruck eines regional verwurzelten Unternehmens findet sich in zentraler Position die Kölner Stadtansicht mit den wichtigsten Wahrzeichen: „Vater Rhein“, Kölner Dom und Altstadt. Über dem Lokalkolorit thront der „Herr der Lüfte“, der Adler. Er ist nicht nur Zeichen des Hoflieferanten, sondern ebenfalls Hinweis auf den Stammsitz der Stollwerck’schen Unternehmung, denn im alten Kölner Stadtwappen wurden Zepter und Schwert von einem doppelköpfigen Adler gehalten, der jeweils für Kaiser- und Königsmacht stand und den Status als Freie Reichsstadt verkörperte, den Köln de jure 1475 erhalten hatte.658 In ähnliche Richtung weist das Konterfei Napoleons, das gleich zweimal auf dem Briefkopf zu finden ist. Franz Stollwerck betonte hiermit sein Bewusstsein für die Tradition des Rheinlands: Einstmals unter französischer Herrschaft stehend, hatten sich die Stadt und speziell die Familie Stollwerck nur langsam an den preußischen Einfluss gewöhnt.659 Der Kampf um Qualitätsstandards in der Schokoladenindustrie Bei der Werbegestaltung band Franz Stollwerck seit Ende der 1850er Jahre zunehmend Kompetenz und Ideen seiner Söhne ein. Mit ihrem Einstieg in die Firma überzeugten sie den Vater nicht nur davon, sich primär der Schokoladenproduktion zuzuwenden, sondern sie gaben auch der Werbung wichtige Impulse und suchten gezielt nach immer neuen Mitteln und Wegen, das Vertrauen in die Qualität der Stollwerck’schen Produkte zu stärken. Um dabei das Bild eines innovativen und dynamischen Unternehmens zu erzeugen, waren eine gezielte Distribution660 und originelle Werbemaßnahmen unverzichtbar. So konzipierten die Gebrüder 658 Zum Kölner Stadtwappen siehe auch Kapitel III.B.1. 659 Siehe hierzu ausführlich Kapitel III.C.2. 660 Zum Aufbau eines weltweiten Filialsystems siehe Kapitel IV.A.2.
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Stollwerck das Mitte der 1860er Jahre eröffnete neue Geschäftshaus in der Kölner Hohe Straße so, dass der Produktionsprozess, der bislang streng abgeschirmt worden war, um das Rezeptgeheimnis zu wahren, nun von Passanten durch große Schaufenster beobachtet werden konnte. In einer Zeit, in der die Debatten um die Nahrungsmittelqualität beständig intensiver wurden, ging Stollwerck auf die Verbraucher zu, ließ den öffentlichen (Kontroll-)Blick auf Produktionsabläufe, Hygiene- und Qualitätsstandards unaufgefordert zu und erzielte damit einen enormen Werbeeffekt.661 Die Presse berichtete ausführlich über diese Neuerung, die für großes Aufsehen sorgte. „Seit Anfang December hat die Dampf-Chocoladen-, Bonbons-, Dragée-, und ZuckerwaarenFabrik von Franz Stollwerck in Köln ihre neuen Magazine eröffnet, welche an Großartigkeit alles bisher Gesehene übertreffen! Vom frühen Morgen bis zum späten Abende sind die 9 Riesen-Schaufenster von Zuschauern belagert! Die ganze Parterrefront des palastartigen Gebäudes sind in drei Haupträume, das Detail-, das Engros-Lager und den Maschinenraum abgetheilt. Man hat Gelegenheit, in denselben die Süßigkeiten direct aus den Rohproducten durch zahlreiche Hände, welche mit dem Fabriciren, Verwiegen, Emballiren, Verpacken, Herbeischaffen und Expediren der Waaren beschäftigt sind, in den Consum übergehen zu sehen. Das größte Interesse bietet der prächtige Maschinenraum! Eine […] äußerst elegant ausgeführte Dampfmaschine treibt hier 6 Chocoladen-Maschinen wovon sich zwei durch ihre colossalen Dimensionen ganz besonders auszeichnen; dieselben fertigen unter den Augen der Passanten täglich ca. 3000 Pfund Chocoladen, welche, nachdem sie im Souterrain getafelt, auf den umfassenden Galerien von einer Anzahl Mädchen sichtbar in Staniol gehüllt werden.“662
Die Brüder standen freilich vor der Herausforderung, dass seit den 1850er Jahren die Diskussion um die schlechte Nahrungsmittelqualität, die vor allem in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Kreisen geführt wurde, stetig anschwoll. Die an Bedeutung gewinnenden Naturwissenschaften, speziell die sich entwickelnde Ernährungsforschung, waren dank immer neuer Analysemethoden in der Lage, Nahrungsmittelfälschungen präzise nachzuweisen und warfen Nahrungsmittelproduzenten und Händlern öffentlich vor, ihre Waren systematisch zu manipulieren, dies aus Profitgier zu vertuschen und durch das entstehende asymmetrische Informationsverhältnis das Wohlergehen der Konsumenten zu gefährden. Nachhaltig wurden feste Grundsätze für die Zusammensetzung von Lebensmitteln gefordert und die vorhandenen Bestimmungen zur Nahrungsmittelüberwachung als unübersichtlich und nicht hinreichend zurückgewiesen. Bei den Konsumenten, die bislang implizit in die Qualität der Nahrungsmittel und das 661 Epple (Das Unternehmen Stollwerck, S. 63–68) brachte die gläserne Stollwerck-Fabrik zudem mit der aufkommenden „Lust an der Realität“ und der „Autonomisierung des Sehens“ in Verbindung. Gemäß Kuske (Stollwerck-Geschichte, S. 74) gehörten „hochfeine Ladeneinrichtungen und stilvolle Schaufenster-Ausstattung“ von da an zu den zentralen Werbemitteln des Unternehmens. Auch Fritz Stollwerck bezeichnete noch 1926 die Schaufenster Reklame als „die beste Reklame“. Fritz Stollwerck an die Abteilung 1 am 10. November 1926, RWWA 208-109-1. Siehe allgemein zur Schaufensterwerbung Reinhardt: Beten oder Bummeln? 662 Ausschnitt eines Berichts der Kölnischen Zeitung im Gubener Wochenblatt vom 11. Januar 1868, RWWA 208-829-2.
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moralisch-altruistische Verhalten der Fabrikanten und Detaillisten vertraut hatten, löste die Debatte Verunsicherung aus. Hinzu kamen die mit der Industrialisierung einhergehenden Strukturveränderungen. Die Kluft zwischen Produzent und Konsument verbreiterte sich beständig, Massenherstellung und -absatz von Nahrungsund Genussmitteln führten nicht nur zu Sättigungserscheinungen des Marktes und neuen Handelsformen,663 sondern auch die Konkurrenz wuchs kontinuierlich an und erforderte zusätzliche Verkaufsanstrengungen; parallel veränderten sich auch die Bedürfnisse und Ansprüche der Konsumenten, die ihre Kaufentscheidung von zunehmend mehr Faktoren abhängig machten.664 Der Markt wandelte sich von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt, auf dem derjenige Unternehmer reüssierte, der sich am Markt orientierte, d. h. der nicht nur gute Produkte herstellte, sondern kundenorientiert und entlang der gesellschaftlichen Entwicklungen agierte, ein spezifisches Produktimage generierte und seine Waren zu positionieren wusste.665 Von der negativen Wahrnehmung des Nahrungsmittelgewerbes war die deutsche Schokoladenindustrie ganz besonders betroffen. Die Spanne zwischen den Zollsätzen für Rohkakao und Halb- bzw. Fertigfabrikate war im Deutschen Reich sehr gering. Der Zollsatz für die Einfuhr von Kakaobohnen ins Deutsche Reich lag 1873 bei 35 Mark, der für Kakaopulver und Schokolade bei 42 Mark. Unter Berücksichtigung der im Veredelungsprozess von Kakao anfallenden Abfallstoffe von etwa einem Fünftel konnte die ausländische Konkurrenz somit verarbeiteten Kakao billiger einführen, als ein deutscher Unternehmer reine Schokolade ‚ab der rohen Bohneʻ produzieren konnte.666 In der Folge griffen die Fabrikanten zunehmend – allerdings ohne diese zu deklarieren – zu billigen Zusätzen, um ihre Ware zu gleichen Preisen wie ausländische Hersteller verkaufen zu können.667 Rückblickend fasste Ludwig Stollwerck die Lage der deutschen Schokoladenindustrie 1912 wie folgt zusammen:
663 Konkret sind hier die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Waren- und Kaufhäuser sowie die Konsumvereine und Einkaufsgenossenschaften zu nennen. Siehe Briesen: Warenhaus; Kleinschmidt: Konsumgesellschaft, S. 80–85. 664 Siehe Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle, S. 81–85; dies.: Nahrung nach Norm, S. 209 ff.; Blaich: Absatzstrategien deutscher Unternehmen, S. 16 f. 665 Siehe ebenda, S. 22–30; Rossfeld: Unternehmensgeschichte als Marketinggeschichte, S. 30 f. 666 Siehe Greiert: Festschrift, S. 32 ff.; Stollwerck: Der Kakao und die Schokoladenindustrie, S. 72; Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 230 f. Siehe auch Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 176–180. 667 Rohkakao wurde häufig nicht gut gereinigt und verarbeitet, zudem wurden den Fabrikaten zunehmend Kakaoschalen und billige Surrogatstoffe zugesetzt, um das Gewicht, vor allem der Tafelschokoladen, zu erhöhen. Siehe Fincke: 50 Jahre Chemikertätigkeit, S. 7; Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 189–193. Nicht ohne Auswirkung auf die Produktionspolitik war ferner die Tatsache, dass sich Schokolade zunehmend auch in der Arbeiterschaft durchsetzte, die sich qualitativ hochwertige, d. h. reine Produkte allerdings nicht leisten konnte. Billige Surrogatprodukte dienten hier als willkommene Alternative. Siehe ebenda, S. 190 f. Auch in anderen europäischen Ländern, etwa der Schweiz, wurden gefälschte und billige Produkte hergestellt und verkauft. Siehe ebenda, S. 193–198.
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„Wie erbärmlich sah es doch seinerzeit, also vor kaum 36 Jahren mit unserer NahrungsmittelKontrolle, mit dem Nahrungsmittelgesetze aus. Es gab überhaupt keine richtigen Bestimmungen und Polizei und Staatsanwalt traten nur dann in Tätigkeit, wenn irgendwelche Erkrankungen durch Genuss nicht einwandfreier Nahrungsmittel hervorgerufen wurden. Auf hygienische Beschaffenheit wurde noch wenig Wert gelegt, der Begriff ‚Schokolade‘ war unbekannt.“668
Benachteiligt waren in dieser Situation vor allem diejenigen Fabrikanten, die wie Stollwerck Qualitätsware zu hohen Preisen verkauften, denn die Kunden orientierten sich ausschließlich an dem „einzig nachvollziehbaren Verkaufsargument“669 – dem Preis. Um zu verhindern, dass ausländische Unternehmen deutsche Schokolade vollständig vom Markt verdrängten, mussten Mittel und Wege gefunden werden, billige und verfälschte Schokolade gegen hochwertige Produkte abzugrenzen und das Vertrauen der Konsumenten in deutsche Schokolade zurückzugewinnen. Die Gebrüder Stollwerck formulierten daher werbewirksam als oberste Richtlinie: „Der strenge Grundsatz der Firma ist ihre Nahrungs- und Genuß-Mittel nur aus besten, gesunden Rohmaterialien herzustellen und die practische Fabrikeinrichtung sowie die Massenfabrikation ermöglichen trotzdem die Lieferung preiswürdiger Fabrikate.“670 Den Aufbau eines vertrauenswürdigen Images, das Produktqualität und Geschmack zugleich versprach, stützten sie ferner durch die Selbstverpflichtung zu Transparenz und hygienischer Produktion: 1884 richtete Stollwerck als eines der ersten Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie ein eigenes chemisches Labor ein.671 Ein staatlich geprüfter Chemiker sollte garantieren, dass sowohl die verwendeten Rohstoffe als auch die fertigen Produkte kontinuierlich und streng überprüft, „Treu und Glauben“672 im Verkehr mit den Nahrungsmitteln aufrecht erhalten wurden. Zu seinen Aufgaben gehörte zwar auch die Entwicklung neuer Fabrikate und Produktionsverfahren, vor allem aber sollte er praktisch und nicht wissenschaftlich arbeiten und sich folgenden Arbeiten widmen: „[…] die Untersuchung der Rohstoffe, welche zur Herstellung der Schokoladen-, Kakao- und Zuckerwaren dienen, sowie aller Materialien, die zur Verpackung der einzelnen Fabrikate dienen, mit der größten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu erledigen […]. Namentlich soll er 668 Rede Ludwig Stollwercks auf dem 50. Verbandstag des Verbands deutscher SchokoladeFabrikanten im September 1912, RWWA 208-219-3. 669 Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle, S. 86. 670 Gebrüder Stollwerck: Geschichte des Unternehmens, nach 1886, RWWA 208-240-3. 671 Siehe Fincke: 50 Jahre Chemikertätigkeit. Bei der Einrichtung eines eigenen Labors spielte auch der ursprünglich Plan der Gebrüder Stollwerck eine Rolle, Kindermehl und andere diätetische Erzeugnisse herzustellen. Man wollte an die Erfolge, die Henri Nestlé auf diesem Gebiet erzielt hatte, anknüpfen. Siehe ebenda, S. 12; Joest: Stollwerck, S. 35 f. Im Bestand 208 des RWWA sind zahlreiche Korrespondenzakten des Stollwerck’schen Labors überliefert. Siehe exemplarisch für die ersten Jahrzehnte nach Einrichtung des Labors RWWA 208268-5, 208-268-6, 208-270-1, 208-172-2. Siehe zur Etablierung unternehmenseigener Labore auch Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 225–229. Zur Entwicklung der Industrieforschung siehe Marsch: Zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. 672 Fincke: 50 Jahre Chemikertätigkeit, S. 22.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck bestrebt sein, durch fortlaufende Controllirung der Betriebsergebnisse aller Fabrikationszweige, sich eine […] Routine in der Beurteilung der Fabrikate anzueignen, und zwar sowohl durch sachgemäß ausgeführte Analysen als auch durch Vergleiche mit Concurrenzfabrikaten. Sodann liegt Herrn Dr. Dopfer die Beaufsichtigung bei der Herstellung der diätetischen Präparate, der medicinischen und pharmazeutischen Schokoladen- und Kakaomischung, sowie die Verantwortung für die genaue Dosirung der einzelnen Präparate ob.“673
Ferner wurde von ihm erwartet, zwischen den Ansichten amtlicher Lebensmittelkontrolleure und denen der Schokoladenfabrikanten zu vermitteln. Indem die Gebrüder Stollwerck ein unternehmenseigenes Labor etablierten, präsentierten sie sich als forschungsfundierte Industrie und bauten die bereits vom Vater erfolgreich angewandte Strategie aus, die Güte der Waren mit Sachverständigengutachten zu belegen. Sie nutzten auf diese Weise sowohl die Forderung der Ernährungswissenschaften, auf die Expertise von Chemikern zu vertrauen, als auch die verstärkt von naturwissenschaftlichen Gesetzen und Fortschrittsoptimismus geprägte Denkweise gezielt zu ihrem Vorteil. Wissenschaftlich untermauerte Werbung setzte das Unternehmen vor allem bei Produktinnovationen ein, die aus dem Heilmittelbereich stammten oder speziell auf Kinder zugeschnitten waren. Die Zielgruppe war – wie bei den Stollwerck’schen Brustbonbons – primär das Bürgertum, das nicht nur über die entsprechende Kaufkraft verfügte, sondern für das rationale Argumente und wissenschaftliche Expertise ein „quasireligiöses Ansehen“674 genossen. Neben der traditionellen Betonung der hohen Qualität standen daher Schlagworte wie „großer Nährwert“, „therapeutische Wirksamkeit“, „leichte Verdaulichkeit“, „prophylaktisch“ und „günstiger Einfluß auf den Gesamtzustand“675 im Mittelpunkt der Werbung. Ein gegen Brechdurchfall entwickelter Eichel-Kakao erhielt vor diesem Hintergrund ebenso wie das abführend wirkende Präparat Chocolin den Zusatz „Dr. Michaelis“ (siehe Abb. 63). Die Gebrüder Stollwerck stellten damit ihren Firmennamen hinter einer medizinischen Autorität zurück. Zum einen sollte der Name des Mediziners Hugo Michaelis (geb. 1869) die Produkte personalisieren und ihre besondere gesundheitsfördernde Wirkung und Qualität hervorheben, zum anderen beugten die Gebrüder Stollwerck damit Vorbehalten der Konsumenten gegen ein Heilmittel aus einer Süßwarenfabrik vor. Indem sie freilich auf den Verpackungen und Werbeplakaten als „alleinige Fabrikanten“ angepriesen wurden, pflegten sie zugleich auch das Image ihrer Süßwaren. Die Annoncen wurden durch den Satz „So soll damit nicht etwa dies Präparat als das allein seligma-
673 Entwurf zu einem Arbeitsvertrag zwischen der Gebrüder Stollwerck AG und dem Chemiker Otto Dopfer, Mai 1904, RWWA 208-170-5. Siehe auch Fincke: 50 Jahre Chemikertätigkeit, S. 21–27; Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 225 ff. 674 Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 192. 675 Siehe Gebrüder Stollwerck: Informationsbroschüre für „Dr. Michaelisʼ Eichel-Kakao“, 1912, RWWA 208-173-8. Siehe auch Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 221 f.; Menninger: Genuss im kulturellen Wandel, S. 255 f.
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chende hingestellt und angepriesen werden“676 dezidiert sachlich gehalten. Das Unternehmen setzte auf den medizinischen Kontext, druckte in einer Informationsbroschüre (in Auftrag gegebene) Gutachten von Klinken und Ärzten, betonte die heilende Wirkung und besondere Qualität des Produkts, klärte über die Ursachen von Verdauungsstörungen, die chemische Zusammensetzung der Fabrikate, die richtige Anwendung und Dosierung auf und gab Hinweise auf weiterführende wissenschaftliche Literatur.677 Der Erfolg dieser Sortimentslinie zeigt sich nicht nur darin, dass das Unternehmen bereits Ende der 1880er Jahre Eichel-Kakao ins Ausland exportierte, sondern vor allem darin, dass sich die Gebrüder wie bereits ihr Vater vehement gegen Konkurrenten, speziell Apotheker, wehren mussten, die die Stollwerck’schen Präparate imitierten.678 Gestützt wurden die Kampagnen für pharmazeutische Präparate in der Regel durch die Verteilung von Kostproben, die den Bekanntheitsgrad der Fabrikate steigern sollten.679
676 Gebrüder Stollwerck: Informationsbroschüre für „Chocolin. Verdauung förderndes Schokolade Präparat nach Dr. Michaelis“, 1912, RWWA 208-173-8. Siehe auch Gebrüder Stollwerck: Informationsbroschüre für „Dr. Michaelisʼ Eichel-Kakao“, 1912, RWWA 208-173-8. 677 Siehe ebenda. In der Tat beschäftigten sich Mediziner in Fachzeitschriften mit dem neuen Präparat und ebneten damit den Weg für die Stollwerck-Werbung. Siehe die in RWWA 208173-8 überlieferten Aufsätze. 678 Zudem forderten die Apotheker mit der Begründung, Chocolin sei „gemäss den Vorschriften des Reichsgesundheits-Amtes ein Heilmittel“, dass das Produkt nur in Apotheken verkauft werden dürfe. Zudem müsse in „allen Inseraten auf diesen Umstand besonders hingewiesen werden“. Carl Stollwerck an Franz (II) und Ludwig Stollwerck am 30. Januar 1912, RWWA 208-171-4. 679 Siehe die Dankschreiben mehrerer Ärzte und Krankenhäuser, denen Stollwerck 1912 Kostproben von Chocolin zur Verfügung gestellt hatte in RWWA 208-173-8. Siehe hierzu ausführlich Joest: Stollwerck, S. 46 ff. Zu weiteren pharmazeutischen Präparaten der Firma Stollwerck siehe ebenda, S. 48 ff. Ab 1894 wurden pharmazeutische und diätetische Produkte in einer Sonderpreisliste aufgeführt. Siehe Fincke: 50 Jahre Chemikertätigkeit, S. 26. Siehe auch Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 221 f.
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Abb. 63: Anzeigen für Dr. Michaelisʼ Eichel-Kakao und Chocolin, um 1900 (RWWA 208-470-9)
Wissenschaftliche Expertise bildete zweifellos einen wirksamen, aber nicht ausreichenden Mechanismus, um das Vertrauen der Konsumenten in die Qualität der Produkte zu stärken. Der Staat als wichtige vertrauensstiftende Instanz verhielt sich – entsprechend seiner generellen Zurückhaltung in Fragen der Marktregulierung – im Hinblick auf minderwertige Schokoladen eher passiv: Sie wurden im Kontext der Überlegungen zu einem reichseinheitlichen Nahrungsmittelgesetz als nachrangig eingeordnet.680 Da die ausländische Konkurrenz den Handlungsdruck jedoch permanent erhöhte, wurden die deutschen Schokoladenfabrikanten selbst zu aktiven Promotoren, um die ungünstigen Zolltarife zu revidieren, die Branche auf einheitliche Regeln für die Schokoladenfabrikation zu verpflichten und damit 680 Siehe ebenda, S. 231.
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den Markt für deutsche Schokolade zu sichern. Albert Nikolaus Stollwerck (I) brachte bereits 1869 eine entsprechende Eingabe auf den Weg, scheiterte aber am Widerstand einzelner Unternehmer. Erst 1876 kam es – erneut unter der Federführung des ältesten Stollwerck-Bruders681 – zu neuen Gesprächen zwischen den führenden Vertretern der deutschen Schokoladenindustrie, die sich schließlich Anfang 1877 auf die Gründung des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten verständigten.682 Im Kontext der wirtschaftspolitischen Wende zur Schutzzollpolitik erzielte der Verband ab 1885 schrittweise Erfolge in seinen Bestrebungen, den Zollsatz für Fertigprodukte anzuheben und den Rohkakaozoll zu senken.683 Schnellere Erfolge zeitigten die Bemühungen um einheitliche Qualitätsrichtlinien: Nach einem „sehr eingehende[n] und zeitweise sehr erregte[n] Meinungsaustausch“684 einigten sich die Verbandsmitglieder – unter der Maßgabe, Kakaound Schokoladenprodukte seien „Vertrauensartikel“685 – noch 1877 auf eine bindende Liste von Zusatzstoffen, die zukünftig nicht mehr für die Herstellung von Kakao- und Schokoladenprodukten verwendet werden durften.686 1878 machte 681 Das Engagement Albert Nikolaus Stollwercks (I) wurde mehrfach gewürdigt. Nach seinem Tod 1883 hieß es von Verbandsseite: „Der Verblichene war einer von denjenigen Männern, welche vom ersten Momente an, als der Verband begründet wurde, bis zum letzten Augenblicke nicht bloß im sondern auch beim Verbande mit Hand und Herz gestanden sind. Er war es, der selbständig […] den Gedanken zur Gründung eines deutschen ChocoladefabrikantenVerbandes gelegt hatte.“ Correspondenz des Verbandes deutscher Chocoladefabrikanten. Zwanglose Mittheilungen herausgegeben unter Verantwortlichkeit des Geschäftsführers Dr. Landgraf. III. Jahrgang, Nr. 8, Mannheim, den 20. April 1883, RWWA 208-875-1. Siehe auch Rüger: Festschrift, S. 4. 682 Neben dem Unternehmen Stollwerck zählten hierzu vor allem die Firmen E. O. Moser (Stuttgart), Hartwig & Vogel (Dresden), Johann Gottlieb Hauswaldt (Magdeburg), C. C. Petzold & Aulhorn (Dresden), B. Sprengel & Co. (Hannover), Otto Rüger (Dresden), Gebr. Waldbaur (Stuttgart). Siehe Rüger: Festschrift, S. 5. Waren es bei der Gründung 25, zählte der Verband bereits sieben Monate später 45 Mitgliedsfirmen. Bis 1908 wuchs die Zahl auf 100, kurz vor dem Ersten Weltkrieg waren 80 Prozent der deutschen Schokoladenindustrie im Verband zusammengeschlossen. Siehe Kynast: Kakao- und Schokolade-Industrie, S. 51. Zur Mitgliederbewegung und dem organisatorischen Aufbau des Verbands siehe auch König: Entstehung und Wirkungsweise, S. 181–185. 683 Der Rohkakaozoll wurde, nachdem er seit 1870 bei 35 Mark gelegen hatte, 1902 auf 20 Mark herabgesetzt, der Zollsatz für Fertigprodukte hingegen wurde von 42 Mark im Jahr 1870 zunächst auf 60 Mark 1879 und schließlich auf 80 Mark sechs Jahre später erhöht. Siehe ausführlich zu den zollpolitischen Bemühungen des Verbands Rüger: Festschrift, S. 29– 35; Greiert: Festschrift, S. 32–49. 684 Rüger: Festschrift, S. 6. 685 Ebenda, S. 33. 686 Siehe ebenda, S. 13 f. Die Richtlinien zur Produktion von Kakao- und Schokoladenprodukten wurden in den folgenden Jahren kontinuierlich präzisiert und einhergehend mit den Fortschritten der Ernährungswissenschaften aktualisiert. Siehe ebenda, S. 13–21; Greiert: Festschrift, S. 5–14; Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 232 f. Der Verband kooperierte zudem eng mit der Nahrungsmittelchemie und Institutionen der Nahrungsmittelkontrolle. Die Festlegung und Überarbeitung der Richtlinien führte immer wieder zu internen Diskussionen. Damit die festgelegten Standards auch eingehalten wurden, beschloss der Verband 1902, alle Unternehmen, die sich nicht schriftlich bereit erklärten, vollständig auf fremde Fette und Ka-
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der Verband die internen Richtlinien auch für die Konsumenten sichtbar, indem er einen Zwang verfügte, die verwendeten Stoffe zu kennzeichnen, und damit die bestehenden Informationsasymmetrien zwischen Hersteller und Käufer reduzierte. Ferner führte er eine Garantiemarke ein, mit der nicht mehr der Fabrikant selbst, sondern die übergeordnete Verbandsvertretung Reinheit und Qualität des Produktes gewährleistete.687 Die Garantiemarke war an ein Firmenzeichen von Stollwerck, den Reichsadler, angelehnt – ein Signum, das als kaiserliches Wappenbild einerseits mit übergeordneter Autorität in Verbindung gebracht wurde, andererseits das Engagement der Brüder für die Reinheitsbestrebungen des Verbands nach außen unterstrich. Alle Verbandsmitglieder, die die Reinheitsbedingungen anerkannten, waren berechtigt, ihre Produkte mit der Verbandsmarke zu versehen. Die so beworbenen Waren wurden in regelmäßigen Abständen überprüft, Verstöße gegen die Verbandsbestimmungen entsprechend sanktioniert.688 Die Garantiemarke des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten hatte das Ziel, die damit versehenen Produkte einer Gruppe von Unternehmen zuordnen zu können, die sich freiwillig verpflichtet hatten, bestimmte Qualitätsstandards einzuhalten. Sie war demnach mit den Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden Markenartikeln einzelner Firmen vergleichbar, die gleichsam, erstens, auf die Herkunft der Produkte verwiesen, zweitens ihre gleichbleibende Qualität beweisen sollten, drittens zu einem festen Preis verkauft wurden und, viertens, das Ziel verfolgten, ein Produkt bei der unübersichtlichen Vielfalt der Artikel zweifelsfrei einer Firma zuordnen zu können. Die Marken überbrückten damit die im Zuge der Massenproduktion größer gewordene Kluft zwischen Produzent und Konsument, ersetzten den direkten Kontakt, schufen Transparenz und Zuverlässigkeit, d. h. sie erleichterten die Beurteilung der Ware und die Kaufentscheidung689 – kurz: Marken generierten das so wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Hersteller und Abnehmer, indem das bisher anonyme Massenprodukt einen individuellen Charakter erhielt. Die Qualität einer Ware wurde zunehmend weniger getestet und unmittelbar erfahren, sondern mit einer Marke verbanden sich feste, von den Firmen bewusst erzeugte Erwartungen an die gleichbleibende Güte eines Produkts. Die Unternehmen hatten einen hohen Anreiz, dieses Güteversprechen auch zu halten, denn zum einen waren mit einem Markenartikel hohe Investitionen verbunden, zum anderen konnte die Re-
kaoschalen zu verzichten, aus dem Verband auszuschließen. Siehe Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle, S. 87–90. 687 Siehe ausführlich dies.: Nahrung nach Norm, S. 239–242. 688 Siehe Ellerbrock: Lebensmittelqualität vor dem Ersten Weltkrieg, S. 166; Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle, S. 90–95; Rüger: Festschrift, S. 11 f. Auch bei Neuaufnahmen agierte der Verband vorsichtig, um seine Glaubwürdigkeit nicht zu gefährden. So durften gemäß den Statuten nur „moralisch und kaufmännisch unbescholtene“ Schokoladenfabrikanten dem Verband beitreten. Greiert: Festschrift, S. 111. 689 In den Termini der Neuen Institutionenökonomik verringern Marken, wenn auch von den Produzenten gelenkt, Informationsasymmetrien.
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putation einer Firma dauerhaft leiden, sollten die Konsumenten Qualitätsmängel beanstanden und auf andere Marken zurückgreifen.690 Zwar hatten bereits in der Antike Handwerker ihre Waren gekennzeichnet,691 doch ist diese Praxis mit dem modernen Markenartikel, der von ausgeklügelten Werbestrategien begleitet wurde, nicht zu vergleichen.692 An die Stelle der textlastigen Annonce trat mit dem Markenartikel und der sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert beständig weiterentwickelnden Drucktechnik das Bildplakat, die suggestive Werbung. Als neue Ausdrucksformen bestimmten nun Zeichen und Bilder, Schriftzüge, Siegel und Symbole, Farben und Formen die Kommunikation zwischen Hersteller und Käufer: Sie übermittelten die erforderlichen Informationen, ermöglichten Erkennen und Wiedererkennen von Produkten. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang nicht mehr von der Firmen-, sondern von der Fabrikmarke, bei der nicht mehr – wie bei den Stollwerck’schen Brustbonbons – allein der Name des Produzenten im Zentrum steht. Nun dominierten das Produkt und visuelle Appelle die Werbung. Bestimmte Produkte erhielten zudem unverwechselbare und standardisierte Verpackungen, die den Wiedererkennungswert erhöhten.693 Die Gebrüder Stollwerck gelten in der Forschung als Pioniere auf dem Gebiet der Markenartikel.694 Um der Werbung für ihre Produkte den entsprechenden organisatorischen Hintergrund zu geben, richteten sie bereits in den 1890er Jahren eine Werbeabteilung als eigenständiges innerbetriebliches Aufgabenfeld ein.695 Sie standen dabei in einer Reihe mit zahlreichen Markenartikelherstellern, die, mit dem Schwerpunkt nach der Jahrhundertwende, entsprechende Abteilungen in ihren Unternehmen ausbildeten. Wie für einen Großteil der Markenartikelindustrie kennzeichnend, prägte mit Ludwig Stollwerck ein Mitglied der Gründerfamilie die Arbeit der Werbeabteilung, was verdeutlicht, welch hoher Stellenwert der Werbung zugemessen wurde.696 Neben dem formalen Rahmen, d. h. Umfang und Auswahl der Werbemittel und -orte, bestimmte er auch Motive und graphische 690 Siehe Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 217–221; Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 316–319; Conrad: Werbung und Markenartikel, S. 32–46. 691 Siehe auch für weiterführende Literaturhinweise Wadle: Markenschutz für Konsumartikel, S. 652, 654 f. 692 Auch der Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten stützte seine Qualitätsmarke durch intensive Reklame und eine Verankerung seiner Qualitätsstandards in der Öffentlichkeit. Siehe hierzu Hierholzer: Vertrauensbildung durch Selbstkontrolle, S. 93 ff. Ausführlicher dies.: Nahrung nach Norm, S. 235–238. 693 Siehe Wadle: Markenschutz für Konsumartikel, S. 655 f. Die Gebrüder Stollwerck stellten zudem den Detaillisten unentgeltlich und leihweise mit dem Namen Stollwerck versehene Schaukisten und -schränke, Gestelle für Schaufenster und Ladentische zur Verfügung, um die optische Präsenz des Unternehmens im Einzelhandel zu erhöhen. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 231 ff. 694 Siehe zu dieser Einschätzung Hierholzer: Nahrung nach Norm, S. 220; Schlegel-Matthies: Anfänge der modernen Lebens- und Genußmittelwerbung, S. 279. 695 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 292. 696 Siehe Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 26; Blaich: Absatzstrategien deutscher Unternehmen, S. 16 f.
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Aspekte. Der für Stollwerck tätige Maler Emil Doepler d. J. (1855–1922) beschwerte sich in diesem Zusammenhang 1921, dass Ludwig Stollwerck wie eine Behörde auf die Länge der Buchstaben achte und die künstlerische Freiheit lähme.697 Welt- und Gewerbeausstellungen, Hoflieferantentitel Der Vertrauensgenese zwischen Produzent und Konsumen diente auch die Teilnahme an den großen Welt- und Gewerbeausstellungen, auf denen sich die Gebrüder Stollwerck wie bereits ihr Vater dem direkten Vergleich mit der Konkurrenz stellten – wie die Anzahl der errungenen Medaillen beweist: überaus erfolgreich. Zählte die Firma 1877 17 Medaillen, hatte sie 1893 bereits 54, 1916 70 Auszeichnungen errungen.698 Auf der Wiener Weltausstellung 1873 wurden die Stollwerck’schen Schokoladen als „die vorzüglichsten sämmtlich concurrirender Fabrikate“ ausgezeichnet und die „Mannigfaltigkeit“699 der Artikel belohnt; in Philadelphia errang die Firma 1876 als einziger deutscher Aussteller eine Goldmedaille. Welche Bedeutung die Brüder den Auszeichnungen zumaßen, aber auch mit welchem unternehmerischen Selbstbewusstsein sie an Ausstellungen teilnahmen, spiegelt sich in der Verärgerung über die Medaillenvergabe auf der Düsseldorfer Gewerbeausstellung 1902. Stollwerck hatte hinter der Kölner Schokoladenfirma Wiese & Sons und der Emmericher Kakao- und Schokoladenfabrik Neugebauer & Lohmann nur eine silberne Medaille erhalten – eine Zurücksetzung, die die Gebrüder Stollwerck nicht ohne Weiteres hinnehmen wollten, da die Jury ihnen zunächst zugesichert hatte, ihnen eine goldene Medaille zu verleihen. Sie verweigerten die Annahme der silbernen Medaille, bezichtigten den Vorsitzenden des Preisgerichts der Nahrungsmittelgruppe der Bestechlichkeit700 und erläuterten detailliert die für sie negativen Folgen dieser Entscheidung. „Es ist […] zu beachten, dass wenn unsere Firma nicht in Bezug auf Qualität und Preis auf der Höhe wäre, sie nicht die Führung in der Branche in Deutschland haben und nicht […] das ausgedehnteste Export-Geschäft nach allen Weltteilen machen würde. Im Jahre 1873 erhielt unsere Firma auf der Weltausstellung in Wien die Fortschrittsmedaille mit der Begründung ‚Unerreicht in Wohl-Geschmackʼ […]. […] Unsere Firma nimmt unter den 106 versicherungspflichtigen Chocoladen- und Zuckerwaren-Fabriken in Deutschland die erste Stelle ein, Wiese & Sons-Cöln die zwanzigste, Neugebauer & Lohmann-Emmerich die vierundvierzigste. […] Dass das Renommé, dessen sich unsere Firma erfreut, im In- und Auslande einbüssen muss, wenn sie zwei kleinen Firmen, gegen welche nichts gesagt werden soll, die aber nach fachmännischem Urteil nichts Ungewöhnliches geboten haben, hintangestellt wird und die 697 Siehe Emil Doepler an Ludwig Stollwerck am 12. Juni 1921, RWWA 208-68-1. 698 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 286. 699 Deutsche General-Agentur für die Wiener Ausstellung von 1873 an die Gebrüder Stollwerck am 22. August 1873, RWWA 208-240-3. Siehe auch Joest: Stollwerck, S. 56. 700 Siehe Chemikant der Gebrüder Stollwerck AG an Hans Boes am 10. April 1903, RWWA 208-241-2; Ludwig Stollwerck: Gegen Herrn Dr. Loock sind folgende Tatsachen ermittelt worden für deren Richtigkeit Zeugenbeweis beigebracht wird, 14. Januar 1903, RWWA 208223-6.
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Beteiligung an der Ausstellung uns daher grossen geschäftlichen Nachteil bringen würde, bedarf keiner weiteren Ausführung. Eine solche unberechtigte Schädigung kann und darf doch niemals die Folge einer Ausstellung sein, die der Industrie zu dienen bestimmt ist. Wie in Fachkreisen über diese Prämiirung der rheinischen Chocolade-Industrie geurteilt wird, wolle man aus inliegenden Nummern […] des ‚Gordianʼ […] ersehen […]. […] Nicht unterlassen möchten wir dabei, ehrenwörtlich zu versichern, dass wir weder direkt noch indirekt die Redaktion des ‚Gordianʼ zu diesem Artikel inspiriert haben, wie wir überhaupt bisher alle Aufforderungen uns durch die Presse an die Oeffentlichkeit zu wenden, abgelehnt haben. […] Unsere 52 Reisenden in Deutschland haben täglich infolge dieses Jury-Beschlusses unangenehme Erörterungen zu bestehen. […] Wir stellen nach allen diesen Tatsachen, in Wahrung berechtigter Interessen den Antrag: ‚die Zuteilung des unserer Firma ursprünglich zuerkannten Diploms zur goldenen Medaille, eventuell eine erneute Prüfung von im offenen Verkehr gekauften Waren der beteiligten Firmen, herbeiführen zu wollenʼ.“701
Ludwig Stollwerck entschloss sich schließlich sogar, gegen die Vergabe der Auszeichnungen zu klagen, um der Firma doch noch zur goldenen Medaille zu verhelfen,702 denn nichts in seinem geschäftlichen Leben habe ihn und seine Brüder „so alteriert, aufgeregt und geärgert […] wie diese Düsseldorfer Ausstellung“703. Stollwerck erreichte aber auch auf dem Instanzenweg keine Abänderung der Preisgerichtsentscheidung und ließ die Angelegenheit schließlich auf sich beruhen.704 In der Folge zog sich das Unternehmen wegen „Ausstellungsmüdigkeit“705 von den weiterhin zahlreich stattfindenden Leistungsschauen zurück und sagte, obwohl es eine gute Gelegenheit gewesen wäre, die „Düsseldorfer Schande“706 auszugleichen, auch die bereits zugesicherte Teilnahme an der Weltausstellung in St. Louis 1904 ab. Stollwerck präsentierte auf den Ausstellungen nicht nur seine Süßwaren, sondern das Unternehmen nutzte die Messen auch, um sich als angesehenes, leistungskräftiges und international führendes Unternehmen zu inszenieren. So entfalteten die Gebrüder bei ihren Ausstellungsobjekten einen Pomp, der die übrigen deutschen Aussteller vergleichsweise klein und provinziell erscheinen ließ (siehe Abb. 64).707 Auf der Düsseldorfer Kunst- und Gewerbeausstellung 1880 fertigten sie vor den Augen der Besucher Schokolade und präsentierten kunstvolle „süße“ 701 Gebrüder Stollwerck an Carl Lueg am 13. Dezember 1902, RWWA 208-240-7. 702 Siehe Ludwig Stollwerck: Protokoll über die Besuche betr. Medaillenvergabe, 16. Dezember 1902, RWWA 208-223-6; Ludwig Stollwerck an unbekannten Empfänger, Ende 1903, RWWA 208-241-3. 703 Ludwig Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 17. Dezember 1902, RWWA 208-240-7. 704 Siehe Peter Joseph Stollwerck an Carl Lueg am 10. und 11. April 1903, RWWA 208-241-2. 705 Ludwig Stollwerck: Düsseldorfer Ausstellung 1914, 1. April 1914, RWWA 208-77-2. 706 Ludwig Stollwerck: Gedanken zur Nicht-Beteiligung an Ausstellung in St. Louis, 31. Oktober 1903, RWWA 208-241-3. 707 Über den Stollwerck’schen Beitrag zur Brüsseler Weltausstellung 1888 wurde wie folgt berichtet: „Mit Recht schreibt die officielle Berichterstattung über die Brüsseler WeltAusstellung: ‚Das Arrangement der Gebrüder Stollwerck aus Köln bildet den Glanzpunkt der deutschen Abtheilungʼ, was auch vom Könige von Belgien bei der Eröffnung rühmend anerkannt wurde, indem Hochderselbe mit den Worten ‚Das ist aber wirklich großartigʼ dem anwesenden Theilhaber nach der Besichtigung huldvollst die Hand darbot.“ P. F.: Die deutsche Chocolade-Industrie.
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Gebilde: „Vasen mit mächtigen Sträußen aus Tragant- und Glasurzuckerblumen, Palmen von 10 Fuß Höhe u. s. w.“708 Auf der Frankfurter Gewerbeausstellung 1881 ließen sie aus fünf Tonnen Schokolade einen acht Meter hohen und sieben Meter breiten Triumphbogen errichten,709 1893 in Chicago aus 15 Tonnen Schokolade das Niederwalddenkmal, ein Bronzestandbild der „Germania“, nachbilden (siehe Abb. 65 und 66).710 Stollwercks demonstrierten damit nicht nur ihre konditorischen Fähigkeiten, sondern auch unternehmerisches Selbstbewusstsein und unverhohlenen Stolz auf ihre Heimat und die deutsche Nation.
708 O. A.: Die Gewerbe- und Kunst-Ausstellung zu Düsseldorf XVIII. Die Produktion von Schokolade auf den Ausstellungen wiederholten die Gebrüder Stollwerck nach 1880 nicht mehr, weil sie „befürchteten, durch Ausstellung unserer neuen Maschinen, Schokolade fabrizierenden Konkurrenten manche Teile unserer Konstruktionen preiszugeben“. Ludwig Stollwerck: Düsseldorfer Ausstellung 1914, 1. April 1914, RWWA 208-77-2. 709 In der Kölnischen Zeitung hieß es dazu: „Wirklich ein Brandenburger Tor im kleinen, aber noch immer groß genug, um Reiter und Fußgänger, und wenn es sein müßte, sogar einen Wagen durchpassiren zu lassen. […] Der Bau machte den Eindruck, als sei er nach einer architektonischen Zeichnung gemacht, und es ist in der That kaum zu glauben, wie so was in Chocolade hergestellt werden kann. Unser Kaiser belohnte die Arbeit durch die anerkennenden Worte: ‚dies ist ja ein wahrer Triumphbogen deutscher Chocoladen-Industrieʼ und versuchte gleichzeitig die in der Ausstellung fabricirten Chocoladen-Desserts. – Im übrigen sind die weltversüßenden Gebr. Stollwerck – wie ein großer Chocoladenfreund die Firma benannte – bereits von früheren Ausstellungen her so bekannt, daß man kaum etwas Neues darüber sagen kann; wer indes die brillant ausgestattete und zugleich sehr instructive Fabrication zum erstenmale sieht, verweilt gern ein Viertelstündchen davor und freut sich, dass die Firma dafür sorgt, daß für Chocoladen und Süßes das deutsche Geld nicht mehr so viel ins Ausland wandert, wie vor Jahren.“ o. A.: Frankfurter Ausstellung. 710 Der Stand der Firma Stollwerck in Chicago galt als „Besuchsmagnet“. Krutisch: Aus aller Herren Länder, S. 93. Allein für die Teilnahme an der Düsseldorfer Gewerbeausstellung 1902 wandten die Gebrüder Stollwercks mehr als 30.000 Mark auf. Siehe Gebrüder Stollwerck an Carl Lueg am 13. Dezember 1902, RWWA 208-240-7.
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Abb. 64: Ausstellungsstück auf dem Internationalen Wettbewerb in Brüssel, 1888 (RWWA 208-755)
Abb. 65: Entstehungsprozess der Germania-Statue aus Schokolade, 1893 (RWWA 208-F5440)
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Abb. 66: Germania-Statue aus Schokolade auf der Weltausstellung in Chicago, 1893 (RWWA 208-F5866)
Ihre positive Einstellung zum Vaterland, monarchischen Beamtenstaat und preußischen Herrscherhaus711 nutzten die Gebrüder Stollwerck seit 1874 systematisch zu Werbezwecken. Nachdem der österreichische Kaiser ihnen im Herbst 1873 den Hoflieferantentitel verliehen hatte, firmierten sie fortan als „Kaiserl. Königl. HofChocoladen- und Bonbons-Fabrik: Gebrüder Stollwerck“; um 1900 zählten sie schließlich 27 Hofdiplome.712
Abb. 67: Briefkopf der Firma Gebrüder Stollwerck, 1875 (RWWA 208-224-4)
711 Siehe zu diesem konstitutiven Element ihrer politischen Grundüberzeugung ausführlich Kapitel III.C.2. 712 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 282, 289.
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Mit diesen Auszeichnungen wurde nicht nur im Briefkopf geworben (siehe Abb. 67), sondern das Unternehmen versah zudem zu besonderen Ereignissen wie runden Geburtstagen, Jubiläen, Staatsbesuchen etc. ausgewählte Produkte mit Zusätzen wie „Kaiser“, „Prinzessin“, „Fürsten“ etc. (siehe Abb. 68).713 Hatte sich die bisherige Produktdifferenzierung vornehmlich an geschmacklichen Kriterien orientiert, setzte das Unternehmen mit dieser Sortimentsstrategie vor allem auf die Wirkung symbolischer und optischer Variationen. Anlässlich des 25jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Wilhelms II. 1913 unternahmen die Gebrüder Stollwerck besondere Anstrengungen, um dieses Ereignis mit ihrem Unternehmen zu assoziieren und den Verkauf der eigenen Produkte zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der „beispiellosen Fortschritte, die Deutschlands Handel, Industrie und Landwirtschaft, seine Volksbildung und soziale Fürsorge während der Regierungszeit Seiner Majestät des Kaisers und Königs gemacht haben und die besonders der Friedens-Politik der Kaiserl. Regierung zu verdanken sind“714, schalteten sie zum einen reichsweit eine Zeitungsanzeige, in der sie die positive Entwicklung der deutschen Schokoladenindustrie zwischen 1887 und 1912 statistisch abbildeten. Zum anderen ließen die Gebrüder Stollwerck vom Dresdner Kunstmaler Robert Hahn (1883–1940) Portraits des Kaiserpaars sowie von dem bekannten Schlachtenmaler Richard Knötel (1857–1914) vier Bilder der Befreiungskriege anfertigen, die dann reproduziert und „in ungeheuren Quantitäten an die Kundschaft“ (ca. fünf Millionen) verteilt wurden – freilich nicht ohne daraus Profit zu schlagen. Den Verpackungen der Stollwerck’schen Produkte lagen Gutscheine bei, die gesammelt werden mussten; für 50 Gutscheine konnte der Kunde kostenfrei eines der Bilder auswählen. Selbstbewusst hatten die Brüder dem Kaiser zuvor ihre Idee übermittelt und einen durchschlagenden Erfolg erzielt: „Es sei erwähnt, dass sowohl die Originale wie auch die Reproduktionen dem Kaiser selbst zur Prüfung vorgelegen haben und dass der Kaiser so entzückt davon war, dass er 2000 der Reproduktionen für seine eignen Geschenkzwecke bestellt hat.“715 Nicht weniger wirksam waren Geschenke an Monarchen. Anlässlich einer England-Reise des Stollwerck’schen Männerchores „Theobromina“ 1902 etwa überreichten die Gebrüder Stollwerck bei einem Empfang dem englischen Königspaar eine Bonbonnière und berichteten in die Heimat: „König und Königin waren ausserordentlich freundlich und der König sprach in deutscher Sprache auch die Sänger an, anerkannte ihre vorzüglichen Leistungen, freute sich, dass er Gelegenheit gehabt habe sie zu hören und wünschte glückliche Reise. Er frug Karl und mich dann auch noch über die Ausdehnung unserer Fabrik und die Königin nahm mit grossem 713 Siehe auch Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 165–169. 714 Ludwig Stollwerck an Louis Hagen am 11. Oktober 1913, RWWA 208-219-4. Siehe zu Darstellungen des Kaisers in der Werbung Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 416; Kohlrausch: Der Mann mit dem Adlerhelm. 715 Ludwig Stollwerck an August Schilling am 26. September 1913, RWWA 208-241-4. Carl Stollwerck berichtete seinem Bruder, der Kaiser habe wiederholt das Wort „unglaublich“ verwendet und für die Reklameidee sein Einverständnis gegeben. Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 14. Juni 1912, RWWA 208-59-2. Drucke der Gemälde von Robert Hahn sind überliefert in RWWA 208-PS1348 bis PS1349 und 208-PS1347.
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Vergnügen eine grosse Bonbonnière mit Chocolade an und traktierte damit sofort den anwesenden ältesten Sohn vom Prinzen von Wales, Prinz Eduard, also den künftigen König von England. Derselbe verzehrte mit grosser Freude ein Katzenzünglein, also ein nettes Bildchen: der künftige König von England wird direct mit Stollwerck’scher Chocolade ernährt.“716
Abb. 68: Verpackung für Stollwerck Kronprinzen-Schokolade, vor 1918 (RWWA 208-699-14)
Distributionswege Inhaltlich verfolgten die Gebrüder Stollwerck konsequent den bereits vom Vater eingeschlagenen Weg, persönliche Normen mit unternehmerischem Kalkül, den Namen der Familie mit ihren Produkten und der Sprache der Werbebilder zu verbinden und so die Werte Kundenvertrauen und Qualität in den Vordergrund zu stellen. Die dafür instrumentalisierten Distributionswege, Motivwelten und Verpackungsideen717 waren ebenso vielfältig wie systematisch ausgewählt, galt es doch, die Konsumenten gezielt anzusprechen. Der hohe Stellenwert, den das Un716 Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 16. Mai 1902, RWWA 208-222-1. 717 Es gehörte zum Grundsatz der Gebrüder Stollwerck, ihr Verpackungssortiment beständig zu erneuern bzw. zu ergänzen. Dahinter standen zwei Motive: Zum einen bildeten innovative Emballagen einen zusätzlichen Kaufanreiz, zum anderen präsentierte sich Stollwerck mit zeitgenössischen Verpackungen als fortschrittliches Unternehmen, das kurzfristig auf neue Entwicklungen reagierte bzw. ihnen mitunter auch voraus war. Seit 1866 verpackte das Unternehmen seine Produkte in Alben, Etuis, Büsten von Monarchen, Heerführern, Dichtern und Heiligenfiguren, in Herzen, Uhren, Blumenkörben, Tieren, Attrappen von Hausgeräten etc. Hinzu kamen besondere Verpackungen zu den festlichen Anlässen des Jahres. 1870 belief sich die Anzahl verschiedener Verpackungen bereits auf ca. 500. Verwendet wurden nicht nur Pappe und Bleche, sondern auch Textilien und Glas. Die Verpackungen sollten nach dem Verbrauch der Süßwaren zu anderen Zwecken genutzt werden können. Die Entwürfe für Verpackungen und Etiketten stammten häufig von anerkannten Künstlern. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 234–239.
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ternehmen der Produktqualität zumaß, bedeutete, dass Stollwerck bemüht sein musste, die Ware frisch an den Verbraucher abzugeben. Neben der bereits vom Vater begründeten Idee eigener Filialgeschäfte, die seit 1873 sukzessive in ganz Europa entstanden und über die das Unternehmen mit den Konsumenten direkt in Kontakt trat,718 pflegten die Gebrüder Stollwerck vor allem den Vertrieb über den etablierten Fach- und Einzelhandel; anonyme Waren- und Kaufhäuser, Konsumvereine und Einkaufsgenossenschaften gewannen zwar ab den 1880er Jahren an Bedeutung, wurden aber nicht die führenden Abnehmer Stollwerck’scher Produkte. Neben Vertretern, die auf eigene Rechnung arbeiteten, setzten die Brüder vielmehr in den wichtigsten Absatzgebieten auf Provisionsvertreter, ferner finanzierten sie auch selbständige Verkaufsstellen. Wie bereits ihr Vater beschäftigten sie Reisende, die nicht nur bestehende Geschäftskontakte pflegten, sondern auch neue, innovative Vertriebswege erschlossen. So vermittelten sie u. a. die Belieferung von Passagierschiffen und Speisewagen.719 Seit Ende der 1880er Jahre spielte zudem der Automat als Absatzmittel für Süßwaren eine herausragende Rolle. Ursprünglich zur Distribution von Schokoladenproben gedacht, erkannten die Gebrüder Stollwerck rasch die verkaufsfördernde Wirkung dieses Vertriebswegs. Die Automaten standen an belebten Plätzen, in der Nähe von Sehenswürdigkeiten, vor bzw. in Cafés und Gastwirtschaften, in Parks, Zoos etc.; sie wurden entweder von Stollwerck vermietet oder unter der Bedingung verkauft, dass über sie nur Stollwerck-Produkte vertrieben werden durften. Ludwig Stollwerck gelang es zudem, der Firma das alleinige Recht zu sichern, Verkaufsautomaten (zunächst für Fahr- und Bahnsteigkarten) in Bahnhöfen und auf Bahnsteigen aufzustellen. 1891 standen im Deutschen Reich bereits mehr als 10.000 Warenautomaten von Stollwerck, zwei Jahre später waren es rund 15.000.720 Bilder und Symbole in der Stollwerck-Werbung In der Werbung nutzten die Brüder primär zeitgenössische Bilder und Symbole, mit denen sie an Ansichten, Neigungen und Überzeugungen der Adressaten anknüpften. Aufschlussreich sind hier vor allem Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Vergleich zur Werbestrategie des Vaters, erlauben sie doch Rückschlüsse auf die Entwicklung einer Ware, ihre Position im Markt und nachfrageseitige Veränderungen.721 Üblich blieb beispielsweise der Abdruck von Fabrikansichten auf Werbeanzeigen und auf den Brief- und Rechnungsköpfen der Firma. Allerdings wählten die Gebrüder Stollwerck im Vergleich zu ihrem Vater rasch eine gänzlich andere, moderne Perspektive auf die Fabriken. Sie erschienen nun nicht mehr als singuläre palastähnliche Gebäude, sondern im Kontext ihrer Umgebung, d. h. in
718 719 720 721
Siehe ausführlich Kapitel IV.A.2. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 81, 97. Siehe ebenda, S. 87–95. Siehe zum Automatengeschäft auch Kapitel IV.A.2, FN 370. Siehe Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 425 ff.
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der Anbindung an die Märkte.722 Stand in einer Anzeige von 1885 noch der Vertrieb der Produkte mit dem Pferdewagen im Zentrum, erweiterte sich die Perspektive 1891 auf den Absatz per Schiff, bevor nach der Jahrhundertwende der Warentransport mit der Eisenbahn im Vordergrund stand (siehe Abb. 69–71). In den zunehmend weniger aufwendig gestalteten Briefköpfen wurde das geschäftliche Netzwerk schließlich nicht mehr durch Fabrikansichten, sondern über die Auflistung der Fabriken und Filialgeschäfte dokumentiert (siehe Abb. 72).
Abb. 69: Annonce der Firma Gebrüder Stollwerck, 1885 (RWWA 208-561-4)
Abb. 70: Annonce der Firma Gebrüder Stollwerck, 1891 (RWWA 208-561-4)
Abb. 71: Annonce der Firma GebrüderStollwerck, 1912 (RWWA 208-560-7)
Abb. 72: Briefkopf der Firma Gebrüder Stollwerck, 1907 (RWWA 208-208-4)
722 Siehe zu dieser Beobachtung auch ebenda, S. 428 ff.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Auch die Abbildung des Produkts und seines Namens erhielt im ausgehenden 19. Jahrhundert einen neuen Stellenwert. Hatten die Briefköpfe der 1860/70er Jahre nur durch die genaue Bezeichnung des Betriebs als „Dampf-Chocoladen und Zuckerwaaren-Fabrik“ und die Abbildung exotischer Pflanzen (siehe Abb. 73) einen vagen Hinweis auf die Herkunft der Schokolade bzw. des zur Herstellung erforderlichen Hauptrohstoffs enthalten, verzichteten die Gebrüder Stollwerck ab Anfang der 1880er Jahre ganz darauf, den Rohstoff oder das reine Produkt bildlich darzustellen. Stattdessen inszenierten sie die fertig verpackte Ware, erzeugten und festigten auf diese Weise ein Bild von ihrem Produkt, das sich aus vielen Komponenten, u. a. Farbe, Form, Image zusammensetzte. Es ging nicht mehr darum, die Verbraucher ausführlich über Hersteller, Fabrikat und Qualität zu informieren: Die Produkte bzw. Marken sollten für sich sprechen.723
Abb. 73: Briefkopf der Firma Gebrüder Stollwerck, 1872 (RWWA 208-256-1)
Ludwig Stollwerck beschrieb diesen Bedeutungswandel der Werbung 1903 wie folgt: „Die ganze Art der Reklame ist viel feiner geworden und bewegt sich nur in solchen Anpreisungen der eignen Ware, welche kurz gesagt, die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Marke lenken, dann nur ganz schwach die Qualitäten derselben lobt, ohne auf Kosten von Dritten sich selbst herauszustreichen. Dieses ist fast eigentlich die gebräuchlichste und feinste Art der Reklame […].“724
Es reiche nicht mehr aus, damit zu werben, dass man eine eigene Ausfuhrfabrik betreibe, über 2.000 Arbeiter beschäftige, nur ausgesuchte Rohstoffe verarbeite, den Qualitätsgedanken hoch halte und zahlreiche Hofdiplome und Auszeichnungen erhalten habe. Diese Form der Werbung habe sich „überlebt“, es müsse „ein frischer Zug“725 durch die Stollwerck-Annoncen gehen. Der Konsument solle nicht mehr bloß Schokolade kaufen, sondern Stollwerck’sche Schokolade, ein 723 Siehe Schlegel-Matthies: Anfänge der modernen Lebens- und Genußmittelwerbung, S. 295. 724 Ludwig Stollwerck: Ueber Reklame, 26. Januar 1903, RWWA 208-484-1. 725 Ebenda.
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Produkt mit einem charakteristischen Image, das sich unmittelbar von anderen Fabrikaten abhebe. Als Vorbild dienten ihm amerikanische Werbekampagnen, die er bei seinen Aufenthalten in den USA eingehend studiert hatte und die auf der Annahme basierten, dass Aufmerksamkeit eine hohe Werbewirkung zur Folge hat.726 Besonders in Erinnerung geblieben war ihm eine Anzeige für Omega Oil, ein Körperöl: „Die Art der Reklame ist ganz eigenartig. Er liess von einem Künstler ein Bild malen, welches einen Jungen darstellt, wie aus Holz geschnitzt, mit einem Sack unter den Armen. Der Sack enthält Getreide. Er lässt seinen Inhalt aus der runden Öffnung fallen. Gänse schwimmen herbei, um das aus dem Sacke fallende Getreide zu verzehren. […] Dieses Bild, welches aber gar nichts mit Omega Oil oder seiner Nutzanwendung zu tun hat, benutzt er als Ausgangspunkt seiner Reklame. Man sieht das Bild nicht nur auf Bahnhöfen oder auf den Bahnsteigen, in den Eisenbahnwagen und in den electrischen Wagen, sondern auch ganz gross auf Holz mitten im Felde gemalt, dann auf Häusern befestigt und sogar auf vielen Häusern aufgemalt. Fährt man mit der Elevated (Hochbahn) um eine Ecke herum, so erscheint plötzlich unser Knabe und fährt man weiter um die Ecke, so entdeckt man wieder seine Gänse. Die Schlagworte der Reclame sind kurz: ‚Omega Oil beseitigt Schmerzenʼ ein anderes Mal: ‚Omigaeus gegen Rheumatismusʼ ein drittes Mal ‚Gegen Schmerzen der Hautʼ u.s.w. u.s.w. Mit anderen Worten, die ganze Reklame besteht also aus einem Bilde, welches eigentlich gar nichts mit dem Fabrikate selbst, mit dem Omega Oil zu thun hat, sondern nur die Aufmerksamkeit des Publikums auf das Wort ‚Omega Oilʼ hinzulenken geeignet ist.“727
Stollwerck verwendete in der Werbung zunächst mehrere, regelmäßig wiederkehrende Motive. Neben der Tasse – als Sinnbild für Genuss und Verzehr des Produkts (siehe Abb. 74)728 – begegnete, wenn auch nicht mit der gleichen Systematik wie beispielsweise in der Sarotti-Werbung,729 immer wieder der farbige, Kakao servierende Diener (siehe Abb. 75) – ein Motiv, mit dem primär die gehobenen gesellschaftlichen Schichten angesprochen wurden.730 Das Unternehmen verwies damit zum einen auf den fremdartigen Ursprung der Schokolade, zum anderen auf den historischen Kontext, in dem das Produkt in Europa stand, denn die Schokolade hatte ihren Siegeszug als beliebtes Genussmittel an der Spitze der Gesellschaft begonnen. Der Konsum von Schokolade etablierte sich im 17. Jahrhundert zunächst als Luxusgetränk an den europäischen Höfen und innerhalb des Adels, wo man das Heißgetränk ebenso wie Tee und Kaffee von Dienern servie726 Seit den 1890er Jahren gründeten Abgesandte amerikanischer Großunternehmen (z. B. American Tobacco) in Deutschland zunächst Handelsniederlassungen, errichteten dann eigene Fabriken oder kauften deutsche Firmen auf. Den Kern ihrer Geschäftstätigkeit bildete eine erfolgreiche Vertriebsorganisation. In der Folge orientierten sich deutsche Wettbewerber an diesem „Marketing-Transfer“ und richteten ihre Absatzstrategie immer stärker auf Werbung und Kundendienst aus. Siehe Blaich: Absatzstrategien deutscher Unternehmen, S. 22–30. 727 Ludwig Stollwerck: Ueber Reklame, 26. Januar 1903, RWWA 208-484-1. 728 Siehe hierzu, auch für weiterführende Literaturhinweise, Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 430 729 Siehe Gudermann: Der Sarotti-Mohr. 730 Den hohen Prestigewert von Schokolade betonte das Unternehmen auch über eine gemeinsame Werbekampagne mit der Sektkellerei Henkel. Siehe Epple: Wer nicht fühlen kann, muss sehen, S. 88 f.; dies.: Das Unternehmen Stollwerck, S. 156–161. Siehe auch Weisser: Deutsche Reklame, S. 87–94; Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 269.
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ren ließ.731 Der Rekurs auf diese Tradition inszenierte Schokolade als qualitativ hochwertiges Produkt, das nicht nur für Luxus stand, sondern auch „einen Hauch von Exotik in den Alltag brachte“732. Das Bild des exklusiven Konsumartikels wurde durch Gold- und Silberdekorationen auf den Verpackungen zusätzlich gestützt.733
Abb. 74: Anzeige für Stollwerck-Kakao, nach 1903 (RWWA 208-335-2)
Abb. 75: Anzeige aus der Gemeinschaftskampagne der Firmen Stollwerck und Henkell, 1906 (RWWA 208-560-2)
Mehrere Gründe hatten Ende des 19. Jahrhunderts dazu beigetragen, dass Schokolade nicht allein auf ihre Bedeutung als Heilmittel und Luxusprodukt reduziert werden konnte. Die Kakaopflanze wurde nicht mehr nur auf ihrem Heimatkontinent Amerika, sondern global, d. h. in allen von der Pflanze tolerierten feuchtheißen Klimaregionen angebaut. Dadurch steigerte sich die Kakaoernte enorm, so dass in der Folge auch die Preise für Rohkakao erheblich zurückgingen.734 Begleitet wurden diese Entwicklungen von technologischen Innovationen, die sowohl zur Qualitätsverbesserung beitrugen als auch dafür sorgten, dass Schokolade in großen Mengen produziert werden konnte, damit immer weitere Konsumenten731 Laut Menninger (Genuss im kulturellen Wandel, S. 357) hielt sich „Europas höfische Gesellschaft […] sogar Mohren als Servierknaben für das Heißgetränk“ und befriedigte so seine „zeitgenössische Orientbegeisterung“. 732 Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 69. 733 Zur Bedeutung der Farbe bzw. des Wortes Gold in der Genussmittelwerbung siehe unten. 734 Die jährliche Rohkakaoproduktion verdoppelte sich zwischen 1790 und 1815 von 7.000 auf 13.000 Tonnen. 1913 lag sie bei 250.000, 1939 bei 737.000 Tonnen. Durch den Aufschwung der Rohr- und Rübenzuckergewinnung entwickelte sich auch der Zuckermarkt günstig. Siehe Menninger: Genuss im kulturellen Wandel, S. 369 f.
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schichten erreichte und sich um die Wende zum 20. Jahrhundert „auf dem Sprung zum Massenkonsumartikel“735 befand. Vor diesem Hintergrund waren ausgeklügelte Werbestrategien erforderlich, die gezielt die alltägliche Lebenswelt der verschiedenen, vor allem der kaufkräftigen bürgerlichen Zielgruppe in die Werbung integrierten. Eine wichtige Rolle in der Schokoladenwerbung spielte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert das bürgerliche Rollenverständnis, speziell die Stilisierung der Frau in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter.736 Zwar sind von den Gebrüdern Stollwerck keine Aussagen überliefert, welche Strategie hinter der Fokussierung auf dieses Motiv stand; da Nahrungs- und Genussmittel freilich ganz überwiegend von Frauen gekauft wurden, ist davon auszugehen, dass sie als Konsumentengruppe gezielt angesprochen werden sollten. Die Frauen wurden dabei – klischeehaft überzogen – im Kontext ihrer häuslichen Sphäre gezeigt, etwa wie sie als liebevolle Mütter ihren Kindern frischen Kakao zubereiteten oder als „Ausdruck mütterlicher Fürsorge und Liebe“737 Schokolade an ihre Sprösslinge verteilten (siehe Abb. 76 und 77).
Abb. 76: Anzeige für Stollwerck Adler Cacao, nach 1903 (RWWA 208-335-2)
Abb. 77: Anzeige für Stollwerck Gold, nach 1909 (RWWA 208-755)
Abb. 78: Anzeige für Stollwerck Gold, 1911 (RWWA 208-344-4)
735 Ebenda, S. 369. 736 Zur geschlechts- und altersspezifischen Differenzierung des Schokoladenkonsums siehe ausführlich Rossfeld: Vom Frauengetränk zur militärischen Notration; Sandgruber: Das Geschlecht der Esser, S. 392 ff. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 145–150. Die Darstellung von Männern beschränkte sich auf Respektspersonen (z. B. Ärzte), die den Nährwert von Schokolade priesen und Sportler, deren Leistungsfähigkeit auf den hohen Kräftigungswert von Schokolade zurückgeführt wurde. Siehe Schlegel-Matthies: Anfänge der modernen Lebens- und Genußmittelwerbung, S. 297 f.; Rossfeld: Vom Frauengetränk zur militärischen Notration, S. 58 f. 737 Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 438.
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Das Unternehmen verzichtete bewusst darauf, den mühsamen Hausfrauenalltag realistisch darzustellen, und setzte auf „idealistische Wunschbilder“738. Die abgebildeten Frauen wirkten niemals überlastet, stets ausgeglichen, jung, hübsch, adrett gekleidet und frisiert. Die Kinder wurden als fröhlich und wohlerzogen dargestellt, die Beziehung zwischen Mutter und Kind schien stets harmonisch, Probleme lösten sich mit dem Kauf von Kakao und Schokolade im Grunde von selbst. Die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen sparte Stollwerck in seiner Werbung vor dem Ersten Weltkrieg ebenso aus wie die Darstellung der Frau als erotische Verführerin; abseits der häuslichen Sphäre erschien die Frau lediglich als Wohltäterin (siehe Abb. 78). Mit diesen Bildern entsprach die Stollwerck-Werbung um 1900 in hohem Maß dem – auch von der Arbeiterklasse imitierten – bürgerlichen Weltbild, das ganz auf Harmonie ausgerichtet war und gemäß dem die Lebenserfüllung der Frau in der Sorge um den Haushalt, die Kinder und emotionale Geborgenheit bestand.739 Zugleich transportierten die Gebrüder Stollwerck mit dieser motivischen Ausrichtung auch ihre eigenen, bürgerlichen Leitvorstellungen. Wurden Frauen in der Stollwerck-Werbung in der Regel gemeinsam mit ihren Sprösslingen abgebildet, waren Kinder auch allein ein beliebtes Motiv. Die Werbung mit einem „niedliche[n] Mädchenkopf“740 und der Bildunterschrift „Gesundheit und Schönheit hängen von guter Ernährung ab · Gute reine Schokolade und Kakao sind vortreffliche Nahrungsmittel“741 unterstrich den Charakter der Schokolade als gesundes, gehaltvolles und gut verdauliches Getränk. Zudem wurde Frauen durch die Abbildung glücklicher und wohlgenährter Kinder suggeriert, dass das Wohlergehen ihrer Söhne und Töchter davon abhänge, dass sie auf eine gute Ernährung, d. h. den Konsum nahrhafter und wohlschmeckender Schokolade achten. Um die Jahrhundertwende entwickelte Ludwig Stollwerck zudem die Idee, für Stollwerck eine „characteristische Figur“ zu schaffen, die die Verbraucher automatisch mit dem Schokoladenunternehmen in Verbindung bringen sollten. Konkret dachte er dabei an einen Jungen und ein Mädchen: „Diese durch Eigenthümlichkeit, sei es in Schönheit, Kleidung oder sonst sich dem Auge einprägenden Kinderfiguren, sollten nun in der verschiedensten Weise wiederum durch unsere Künstler bei unseren Bilder-Reklamen zur Verwendung gelangen. Unzählig kann dann die Art der Verwendung der Kinder sein. Um immer Interesse zu erregen muss durch Künstlerhand die Idee sich so entwickeln und nach und nach so wiederholt werden, dass das Publikum sich schon von selbst sagt: ‚Ah, wieder die Stollwerck’schen Kinder, in welcher Form werden sie wohl morgen auftreten?ʼ […] Auch kann man sie in verschiedenen anderen Gedanken ausführen lassen, immer ist es vorausgesetzt, dass in irgend einer characteristischen Form das Wort Stollwerck ebenfalls auf dem Bildchen angebracht ist.“742
738 Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 399. 739 Siehe ebenda, S. 397–412; Wagner-Braun: Die Frau in der Konsumgüterwerbung, S. 419– 422; Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 438–441. 740 Ludwig Stollwerck an die Vertreter der Gebrüder Stollwerck AG am 24. April 1907, RWWA 208-381-4. 741 Werbeanzeige der Gebrüder Stollwerck AG, 1907, RWWA 208-345-2. 742 Ludwig Stollwerck: Ueber Reklame, 26. Januar 1903, RWWA 208-484-1. Letztlich wurde dieser Gedanke allerdings nicht weiter verfolgt. Im Kontext der militant-nationalistischen
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Sammelbilder Kinder waren freilich nicht nur ein beliebtes Werbemotiv, sondern wurden seit den 1880er Jahren mit speziellen Produkten und großer Findigkeit auch als Zielgruppe beworben. Seit den 1890er Jahren wurden einzelne, mit dem Produkt Schokolade verbundene Spielartikel produziert, mit denen sich das Unternehmen als technisch innovativ präsentierte, bemüht, kurzfristig auf Neuerungen zu reagieren bzw. ihnen voraus zu sein, um als erster ein Aufsehen erregendes Werbemittel einzusetzen – z. B. eine „Stollwerck-Uhr“, einen „StollwerckMotorenwagen“, einen „Stollwerck-Zeppelin“743 und eine „Automatische Chocolade-Sparkasse“ (siehe Abb. 79), die Kindern den bürgerlichen Wert der Sparsamkeit näher bringen sollte. Der Erfolg dieser pädagogischen Werbeidee war enorm. 1902 wurde der 750.000 Stollwerck’sche Spar-Automat produziert. Ludwig Stollwerck jubilierte: „Ich erwähne dies nur deshalb, weil man sieht, dass ein solches System, wo immer zu einer Maschine Chocolade […] gebraucht wird, eine vorzügliche Idee ist. Es giebt eine melkende Kuh!“744 Die größte Sensation sollte 1903 ein Phonograph sein, der Platten aus Schokolade und Hartgummi mit 300 verschiedenen Melodien abspielen konnte (siehe Abb. 80).745 Ludwig Stollwerck beschrieb ihn als „Reklamemittel […], wie es vielleicht noch nie in unserer Branche da gewesen ist. [...] Ich bin nun durchaus der Meinung, dass wir mit der sprechenden Chocoladeplatte […] ein Reklamemittel allerersten Ranges haben und alle Welt wird von Mund zu Mund von der sprechenden Chocoladetafel sprechen, umsomehr als wir durch geeignete Reklamen schon davon weitere Mitteilungen an das ganze Publikum gelangen lassen.“746
743
744 745 746
Atmosphäre der Jahrhundertwende konzentrierten sich die Gebrüder Stollwerck zunehmend auf typisch deutsche und regionale Symbole und Allegorien, die zum Flaggschiff ihres Unternehmens wurden. Siehe hierzu weiter unten. Die Gebrüder Stollwerck nutzten seit 1912 Luftschiffe als Außenwerbeflächen. Siehe den in RWWA 208-560-2 überlieferten Ausschnitt der Münchener Illustrierten Zeitung, 1912. Unter der Abbildung eines Luftschiffs mit dem Schriftzug „Stollwerck“ war folgender Text zu lesen: „Das Parsevalluftschiff ‚Stollwerck‘, das von der bekannten Schokoladefabrik Gebrüder Stollwerck A. G. in Cöln zu Reklamezwecken über die Reichshauptstadt benutzt wird.“ Während Carl Stollwerck und seine Neffen die Reklame als „zu teuer“ ablehnten und darauf hinwiesen, dass Luftschiffe schon längst keine Sensation mehr seien, hielt Ludwig Stollwerck das Werbemittel für „sehr gut“, da man noch in den „Kinder-Schuhen der Luftschiffahrt“ stecke. Ludwig Stollwerck an Gustav Laute am 16. Juni 1912, RWWA 208-58-6. Siehe allgemein zu den Anfängen der Verkehrswerbung Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 289–307. Zum Engagement von Suchard in der Ballon- und Luftschifffahrt Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 417–420. Aus der Familie begeisterten sich insbesondere Gustav Stollwerck und sein Sohn Kurt für die Luftfahrt. Siehe Kapitel III.A.3. Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 30. Dezember 1902, RWWA 208-169-4. Siehe Patentanmeldung vom 16. Dezember 1902 für ein „Verfahren zur Herstellung von Phonographenvervielfältigungen aus essbarem Material, im Besonderen aus Schokolade“, RWWA 208-169-4. Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 30. Dezember 1902, RWWA 208-169-4.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Drei Jahre später musste er freilich als ernüchterndes Resultat festhalten, dass das Phonographen-Geschäft „geradezu traurig“ verlaufen und er über das Resultat „welches mir persönlich so sehr viel Arbeit, so sehr viel Zeit, von den vielen Kosten ganz abgesehen, gekostet hat“747, enttäuscht sei. Im Unterschied zum SparAutomaten sei der Phonograph nicht selbsterklärend gewesen, Erklärungen und Vorführungen hätten zu viel Zeit in Anspruch genommen und die Eltern nicht zum Kauf animiert. Während Kinder die sprechende Schokolade als „etwas Wundervolles, Geheimnisvolles“ betrachteten, habe sich bei den Eltern zunehmend die Überzeugung durchgesetzt, dass die Sprösslinge „sowieso genug Schokolade“748 haben. Den ursprünglichen Plan, der Werbeidee pädagogischen Wert zu verleihen und Platten herauszubringen, mit deren Hilfe die Kinder das ABC, das Einmaleins oder fremdsprachliche Begriffe lernen sollten, wurde daher nicht weiter verfolgt.749 Ein Grund für die schlechte Resonanz mag auch darin zu suchen sein, dass Schallplatten Anfang des 20. Jahrhunderts zwar durchaus noch etwas Neues, aber nichts Seltenes mehr waren und das allgemeine Interesse daran bereits stark abgeflaut war. Am „Puls der Zeit“ waren die Gebrüder Stollwerck hingegen mit ihrer Idee, Schokoladenverpackungen serienmäßig Bilder in unüberschaubarer thematischer und motivischer Vielfalt beizulegen und eigens dafür vorgesehene Sammelalben zu vertreiben, in denen bestimmte Gesamtserien in einer festen Reihenfolge einsortiert wurden. Dieser Werbeidee ist der für Werbezwecke unschätzbare Vorteil sich periodisch wiederholender Rezeption inhärent. Während etwa Plakate an Litfaßsäulen an ihren Standort gebunden bleiben, sind Sammelalben und -bilder stets griffbereit. So begleiten sie z. B. Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg in die Schule. Bei jedem Blick in das Album rezipieren sie intuitiv auch die dort positionierten Werbezeilen (siehe Abb. 81).750
747 Ludwig Stollwerck an Johannes Rogge am 18. Januar 1905, RWWA 208-170-6. 748 Ludwig Stollwerck an Volkmann, Stollwerck & Co. New York am 12. Juli 1904, RWWA 208-170-5. 749 Siehe Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 30. Dezember 1902, RWWA 208-169-4. 750 Siehe Stollwerck-Sammelalbum „Jungdeutschland“, 1915, RWWA 208-0503. Siehe auch Spantig: Kunst und Konsum, S. 215–228.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
Abb. 79: Anzeige für Stollwerck Spar-Automat und Stollwerck Chocolade-Uhr, um 1900 (RWWA 208-755)
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Abb. 80: Anzeige für Chocolade-Phonograph, 1903 (RWWA 208-755)
Abb. 81: Auszug aus dem Sammelalbum „Jungdeutschland“, 1915 (RWWA 208-0503)
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Bereits in den 1830er Jahren fügten einzelne Schokoladenhersteller ihren Packungen Bilder bei; Stollwerck griff die Idee, durch eine Produktbeigabe einen zusätzlichen Kaufanreiz auszulösen und die Sammelleidenschaft zu wecken, erst in den 1860er Jahren auf. Das Unternehmen ließ auf einzelne Verpackungen Bilder drucken, die man ausschneiden und zu Zusammensetz-, Geduld- und Kartenspielen zusammenfügen konnte. In den 1870er Jahren entstanden erste Bilderserien, z. B. zu „Deutschen Heerführern“, Dichtern, Märchen, Landschaften und Tieren. 1879 gab das Unternehmen ein Album mit Bildern der Hohenzollernfamilie heraus, kurz darauf folgte ein Sammelbuch zur Zoologie.751 Seit den 1890er Jahren gingen die Gebrüder Stollwerck dazu über, die Bilder nicht mehr auf die Schokoladenverpackung zu drucken, sondern den Produkten lose beizulegen – als Multiplikator wirkte hier vor allem der Absatz über die Automaten. Um 1900 wurden jährlich über 50 Millionen Sammelbilder verteilt und rund 100.000 Sammelalben verkauft. Durch die Alben wurde das Sammeln noch eindringlicher und spannender, es entstanden Tauschstellen und bereits 1899 in Leipzig sogar eine Ausstellung für die Sammelbilder.752 Kritiker stießen sich freilich an der durch die Sammelbilder und -alben mehrerer Unternehmen, vor allem der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, ausgelösten Sammelleidenschaft, die Kinder und Jugendliche zum beständigen Konsum von Süßwaren animiere. Gab es vorher im Grunde keinen größeren Anreiz, sein gesamtes Taschengeld in Schokolade zu investieren, lockten nun die bunten Sammelbilder zum Kauf immer neuer Süßwaren. In den Fokus gerieten vor allem die Stollwerck’schen Automaten, die nicht nur rund um die Uhr verfügbar seien, sondern Jugendliche ferner reizen würden, die Technik mit Falschmünzen oder Gewalt zu überlisten, um kostenlos an die Süßwaren und die beigelegten Sammelbilder zu gelangen.753 Ludwig Stollwerck bemühte sich, die Kritik zu entkräften. Er wies auf den Erfolg der Automatenindustrie und die zugrundeliegende enorme Nachfrage hin, stellte dem Verzehr von Süßwaren den weitaus gefährlicheren Konsum von Alkohol gegenüber und betonte, dass jedes Kind gerne sammle, die Stollwerck’schen Bilder die Leidenschaft freilich kanalisieren würden, indem man das Werbemittel „in den Dienst der Erziehung und der Unterhaltung“754 stelle.755 Nicht nur bei den Kakao- und Schokoladenprodukten, sondern auch bei den Werbemitteln setzte Stollwerck auf Qualität, d. h. auf Themen, in denen sich gebildete Bürgerlichkeit spiegelte. Ziel war es, „kunst & geschmackbildend im Volke zu wirken, der Kunst namentlich reiche Anregung & Beschaeftigung zu geben und in der verschiedensten Verbindung, namentlich durch Heranziehung geeigneter literarischer Kraefte in weiten Kreisen frucht- & nutzbringend zu wirken“756. Im 751 752 753 754
Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 250 f. Siehe ebenda, S. 252–255, 260; Spantig: Kunst und Konsum, S. 46–49. Siehe o. A.: Deutschland. Zu der Elternklage über den Automaten. Ludwig Stollwerck an M. Kandt, Volks-Sparverband für Deutschland, 7. Februar 1908, RWWA 208-275-6. 755 Siehe ausführlich Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 209–215. 756 Ludwig Stollwerck: Sammelbilder. Protokoll der Sitzung vom 2. November 1899, RWWA 208-321-2.
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Zeitalter der Erfindungen und der Verkehrsrevolution, der Veranstaltung von Weltausstellungen und der Veröffentlichung von Enzyklopädien sollten die enzyklopädisch angelegten Sammelbilder zur Wissensvermittlung beitragen. Dafür wurde nahezu das gesamte Themenspektrum abgedeckt, das in der zeitgenössischen Rezeption eine Rolle spielte.757 Neben eher einfallslosen Bilderserien zu Jahreszeiten und Tieren, die wohl vornehmlich jüngere Kinder ansprechen sollten, kontrastierten anspruchsvolle Reihen die zukunftsorientierten Themen Technik und Verkehr sowie die Rückbesinnung auf Bräuche, Heimat und die Geschichte. Hier setzte man auf Illustrationen von Regenten europäischer Großmächte, deutschen Komponisten, National-Denkmälern, großen Herrschern, deutschen Volksliedern und Madonnenbildern.758 Diese historisierenden und folklorisierenden Motive hatten zum einen zweifellos eine nationalistische Grundtendenz, zum anderen entsprachen sie dem zeitgenössischen Geschmack und der Sehnsucht nach „kulturelle[r] Rückbesinnung“759, vermittelten Zeitbilder und gestalteten die Vergangenheit. Sie sollten dem noch jungen Werbemittel aber vermutlich auch ein gewisses Prestige verleihen und die feste Verankerung in der deutschen Tradition erkennen lassen. Dem Kunden wurde gleichsam suggeriert, er erwerbe mit den Sammelbildern ein Stück deutscher Geschichte. Zusätzlich rückten die Gebrüder Stollwerck mit der Auswahl der Motive auch ihre eigenen Werte und Normen, die Geschichte ihrer Familie in den Blick. Bilderserien zu Otto von Bismarck demonstrierten ihre Verehrung für den ehemaligen Reichskanzler, Portraits der Kaiserfamilie ihre positive Einstellung zum preußischen Herrscherhaus und Szenen der Befreiungskriege erinnerten an die Tradition ihrer rheinischen Heimat und ihren Großvater, der im Dienste Napoleons gestanden hatte. Die durch offizielle Feierlichkeiten geförderte Besinnung auf historische Ereignisse sollte ferner auf diese Weise mit Stollwerck assoziiert werden und den Absatz Stollwerck’scher Produkte erhöhen. Neben der Auswahl der Inhalte legten die Gebrüder Stollwerck auch auf das760 und künstlerische Niveau ihrer Sammelbilder großen Wert.761 Um ihren Wert als Mittel der Belehrung und Unterhaltung zusätzlich zu steigern, arbeitete 757 Diese Motivvielfalt gilt als typisch für die bis zum Ersten Weltkrieg produzierten Sammelbilder. Siehe Jussen: Liebigs Sammelbilder, S. 136. 758 Siehe das vollständig erhaltene Sammelalbum in RWWA 208-0325 bis 0328. Mit religiös kontextualisierten Bilderserien sicherte sich Stollwerck auch die Unterstützung des Klerus – ein im katholischen Köln durchaus geschickter Schachzug. Siehe Joest: Stollwerck, S. 62; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 214 f. 759 Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 164. Siehe auch Wozel: Schokoladenreklamen, S. 139. 760 Schon 1904 wandte das Unternehmen für die Sammelbilder den gerade erfundenen Dreifarbendruck an. Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 72. Die Qualität der Drucke kontrollierte Ludwig Stollwerck persönlich. Siehe Ludwig Stollwerck an Georg Büxenstein am 16. Mai 1908, RWWA 208-45-3. 761 Die Firma Liebig legte im Unterschied zu Stollwerck keinen Wert auf die künstlerische Qualität ihrer Sammelbilder und gilt in diesem Kontext als „unambitioniert“. Dennoch erzielten auch Liebigs Sammelbilder einen durchschlagenden Erfolg. Bis 1940 erschienen 1.138 Serien. Siehe Jussen: Liebigs Sammelbilder, S. 135.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
das Unternehmen mit bekannten Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern zusammen, die Alben und Bilder gestalteten und die begleitenden Texte schrieben.762 1900 kaufte Ludwig Stollwerck für 120.000 Mark Skizzenbuch und Originalzeichnungen von Adolph von Menzels (1818–1905) Werk über „Die Armee Friedrichs des Großen“, um sie für die Sammelbilder zu verwenden.763 Für die Auswahl von Künstlern, Motiven und „Meisterserien“764 veranstaltete das Unternehmen zudem hoch dotierte Preisausschreiben; dem Gutachtergremium gehörten neben Ludwig Stollwerck die Maler und Illustratoren Emil Doepler d. J., Franz Skarbiner (1849–1910), Woldemar Friedrich (1846–1910), der Architekt Bruno Schmitz und der Verleger und Druckerbeibesitzer Georg Büxenstein (1857–1924) an. Die Stollwerck’schen Bilder wurden dadurch mit der Zeit vom Sammel- zum Künstlersammelbild765 – eine Entwicklung, die zweifellos auch das Prestige der Stollwerck-Produkte erhöhte. Primäres, wenn auch inoffizielles Ziel war jedoch die Verkaufsförderung. Es gehe, so Ludwig Stollwerck, bei der Gestaltung der Sammelbilder in erster Linie darum, „durch dieses Titelblatt des Albums direkt zum Kauf zu animieren, sodass der am Schaufenster vorbeigehende Knabe seine Eltern quält: ‚Das Buch mit dem schönen Bild etc. etc. möchte ich haben.ʼ“766 Eltern sollten demnach – eine beliebte Methode von Unternehmen – durch ihre Kinder zum Kauf gedrängt werden.
762 Hierzu zählten Adolph von Menzel, Richard Knötel, die Maler und Graphiker Max Liebermann (1847–1935), Walther Leistikow (1865–1908), Heinrich Vogeler (1872–1942), Martin Brandenburg (1870–1919) und Otto Eckmann (1865–1902), die Maler und Illustratoren Franz Skarbiner, Josef Sattler (1867–1931), die Maler Oskar Zwintscher (1870–1916) und Franz Stassen (1869–1949), vor allem aber die Jugendstilvertreter Emil Doepler d. J. und Elli Hirsch (1873–1943). Siehe Spantig: Kunst und Konsum, S. 53–214. 763 Nach nicht voll belegten Angaben schenkte Ludwig Stollwerck die Originale 1908 anlässlich seiner Ernennung zum Kommerzienrat Kaiser Wilhelm II. Ob sich die Menzel-Originale noch im Eigentum der Hohenzollern-Erben befinden, ist nicht bekannt. Im Museum von Huis Doorn, wo Wilhelm II. am 4. Juni 1941 starb, befinden sich lediglich Postkarten mit Menzel-Aquarellen, jedoch weder das Skizzenbuch noch die Originale. Siehe Hepner: Ludwig Stollwerck und die Künstler seiner Sammelalben; Joest: Stollwerck, S. 62; ferner eine schriftliche Auskunft von Volker Wendeler (Ehemann von Gisela Maria Wendeler, geb. Nottebrock, einer Urenkelin Ludwig Stollwercks) vom 21. Juli 2010. 764 Ludwig Stollwerck: Sammelbilder. Protokoll der Sitzung vom 2. November 1899, RWWA 208-321-2. 765 Inwieweit die Sammelbilder dabei tatsächlich auch „Medium von Kulturvermittlung“ sein sollten, kulturelle und ästhetische Erziehung wirklich angestrebt wurde und was der eigentliche Auslöser für die Instrumentalisierung von Kunst war, ist ein vielschichtiges Thema und kann an dieser Stelle nicht vertieft werden. Die an der Gestaltung der Sammelbilder beteiligten Personen waren in dieser Hinsicht keineswegs einer Meinung. Siehe Spantig: Kunst und Konsum, S. 23–29. 766 Ludwig Stollwerck an Emil Doepler am 18. Februar 1915, RWWA 208-275-7.
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Stollwerck-Gold: Markenartikel und Produktdesign Bereits um 1900 hatten die Gebrüder Stollwerck allerdings damit zu kämpfen, dass ihr Ruf als Qualitätsproduzent erheblich litt. Zurückzuführen war diese Entwicklung auf das für sich genommen lukrative, für das Image der StollwerckProdukte aber schädliche Automatengeschäft. „Durch die große Streuwirkung, die mit dem Automaten erzielt wurde […] wurde der Name Stollwerck im weitesten Maße bekannt und populär. Populär aber auch im anderen Sinne, zum Nachteil des Waren- bzw. Markengeschäftes. Die Mißgunst, die durch die Automaten in den am Verkauf von Süßwaren beteiligten Händlerkreisen erzeugt wurde, störte den Geschäftsverkehr im Warengeschäft zum Teil empfindlich. […] Die Automaten hatten nicht nur eine Abneigung des Handels gegen unsere Firma, sondern auch eine Voreingenommenheit der Verbraucherschaft gegen die Stollwerck-Erzeugnisse hervorgerufen. Besonders in den ersten Jahres des Aufbaues des Automatengeschäftes sind die […] Automaten ziemlich wahllos, an allen möglichen Stellen und vorzugsweise im Freien […] aufgestellt worden. Hier waren sie […] den Witterungseinflüssen […] ausgesetzt. Dadurch kam die durch die Automaten verkaufte Ware nicht selten stark beschädigt oder sonst unansehnlich und unappetitlich an den ahnungslosen Verbraucher. […] Das mußte sich mit der Zeit nach zwei Seiten hin ungünstig auswirken. Erstens auf das Automatengeschäft selbst, das – je Einwurf berechnet – zurückging, und zweitens auf das Waren- bzw. Markenartikelgeschäft. […] Die Beschaffenheit der beschädigten Automatenware fiel also dem Namen Stollwerck und den unter diesem vertriebenen Marken zur Last; sie schädigte den Qualitätsruf Stollwercks.“767
Um ihr Image wieder aufzupolieren, führten die Gebrüder Stollwerck daher 1909 eine neue Schokoladenmarke ein – Gold-, Silber- und Kupferschokoladen, die sich hinsichtlich des verwendeten Grades besonders aromareicher Kakaosorten unterschieden. Die Qualität Gold768 sollte dabei nicht nur das deutsche Geschäft beflügeln, sondern als „Weltmarke“ auch den globalen, insbesondere den Absatz in Nordamerika ankurbeln. Damit sich die Marke „auch äusserlich dem Publikum so einprägen [konnte], dass man als Stollwerck Gold von vornherein nur die karakteristischen Aufmachungen anerkennt“769, verwandte Stollwerck bei den Verpackungen ausschließlich die einmal eingeführte Farbenzusammenstellung: dunkellila mit breiten Goldrändern. Auch bei der Werbung setzte das Unternehmen auf ein einheitliches Erscheinungsbild. Inspiriert von einer Kampagne des amerikanischen Lebensmittelproduzenten Quaker Oats770 verbanden die Gebrüder 767 Laute: Stollwerck – Reichardt, S. 10 f. 768 Stollwerck war nicht das einzige Schokoladenunternehmen, das seine Produkte unter dem Markennamen „Gold“ vertrieb. 1915 beklagte sich Ludwig Stollwerck über zahlreiche „Imitationen der Konkurrenz“, etwa „Sarotti-Gold“, „Hildebrand-Gold“ und „Tolosa-Gold“. Ludwig Stollwerck an E. Utscher am 28. Juli 1915, RWWA 208-63-6. Rossfeld (Schweizer Schokolade, S. 434 ff.) sprach sogar von einem „‚Goldrausch der Genussmittelbrancheʼ“ und verwies auf so bekannte Marken wie „Marlboro Gold“, „Nescafé Gold“ und die „Haribo Goldbären“. Stollwerck sicherte sich ferner weitere Wortzeichen, die auf Qualität und Luxus zielten, z. B. Excelsior, Riviera, Monte Carlo. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 241. 769 Ludwig Stollwerck an Gustav Laute am 2. Juni 1917, RWWA 208-59-5. 770 1903 schrieb Ludwig Stollwerck: „Als ich eines Tages die Treppen einer Elevated Railway zur Station hinaufschritt, fiel mir eine vorzügliche Reklame von Quaker Oats auf und brachte
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Stollwerck ihre „Weltmarke“ mit dem bildlichen Symbol des Erdballs, das sie bereits 1894 als Warenzeichen angemeldet hatten und das die erfolgreiche weltweite Vermarktung der Stollwerck’schen Produkte inszenieren sollte. Seit der Jahrhundertwende bewarben sie mit dem Globus – allerdings nur auf dem deutschen Markt – bereits ihren „Adler-Kakao“. Der schon unter Franz Stollwerck in der Bildsprache des Hauses verwendete Adler hielt auf großformatigen Annoncen zwei Weltkugeln in seinen Klauen (siehe Abb. 82 und 83). Der „Herr der Lüfte“ fungierte hier nicht mehr als bewegungsloses kaiserliches Wahr- und Hoheitszeichen, als Hinweis auf den Hoflieferantentitel und übergeordnete Autorität auf den Garantiemarken des Verbands deutscher Schokolade-Fabrikanten, sondern erschien nun als aktiver, kraftvoller Greifvogel, als Jäger, der sein Hoheitsgebiet fest im Griff hat. Der Adler war nicht länger Symbol der Macht, sondern er übte Macht aus. Übertragen auf Stollwerck inszenierten Adler und Globus die zunehmende Expansion des Unternehmens, die globale Präsenz Stollwerck’scher Schokolade und den Anspruch, mit den eigenen Produkten die Welt zu beherrschen, die Konkurrenz zu verdrängen und in Schach zu halten.771
Abb. 82: Anzeige für Stollwerck Adler- Kakao, nach 1903 (RWWA 208-561-2)
Abb. 83: Anzeige für Stollwerck Adler-Kakao, nach 1900 (RWWA 208-345-2)
mich auf nachfolgenden Gedanken: Die Weltkugel war auf einem etwa ein Meter breiten und zwei Meter hohen Plakate gut dargestellt und rund am Rande herum schritt am Aequator die bekannte, auch hier in Deutschland vielfach zum Abdruck gebrachte Figur des schottischen Quaker, darüber die Worte: ‚Verbreitet in der ganzen Weltʼ.“ Ludwig Stollwerck: Ueber Reklame, 26. Januar 1903, RWWA 208-484-1. 771 Siehe Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 161–167; dies.: Das Auge schmeckt Stollwerck, S. 24 ff. Wie das Wortzeichen Gold waren auch die Bildzeichen Adler und Globus keine Alleinstellungsmerkmale der Stollwerck-Reklame. Neben dem deutschen Konkurrenten Reichardt warb z. B. auch das Schweizer Unternehmen Suchard mit dem Erdball als Symbol für den internationalen Verkauf seiner Schokolade. Siehe ebenda, S. 24; Rossfeld: Schweizer Schokolade, S. 436.
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Die mit dieser Bildsprache unweigerlich verbundenen nationalistischen und imperialistischen Konnotationen eigneten sich freilich für den weltweiten Vertrieb der Gold-Schokolade nicht. Um auch außerhalb des deutschen Absatzmarktes Erfolg zu haben, musste sich Stollwerck „den Usancen jedes Landes anpassen“772. Das herausfordernde und auf dem deutschen Markt zweifellos effektvolle Symbol des Adlers wurde daher für die Propagierung der Weltmarke nicht eingesetzt. Stattdessen rückten die Brüder nun verstärkt den Namen Stollwerck in den Vordergrund, um ihre Produkte zu vermarkten: „Sie wissen, dass es seit Jahresfrist meine Idee ist, unsere Reklame dahin zu ändern, dass wir grösseren Wert auf das Wort ‚Stollwerckʼ legen. Ich gehe dabei von dem Gedanken aus, dass das Wort: Stollwerck die Producte: Chocolade und Cacao von selbst in sich schliesst. Es hat mir nun schon seit Langem im Geiste der Wunsch vorgeschwebt, eine Annonce zu haben, bei welcher Chocolade bildlich dargestellt ist und das einzige Wort ‚Stollwerckʼ in der Annonce erscheint.“773
Bereits 1903 hatte Emil Doepler zu diesem Zweck „eine neue characteristische Handschrift“ des Namens Stollwerck entworfen, „leserlich aber dennoch etwas modern künstlerisch“774. Der bis heute verwendete Schriftzug, in dem sich mit dem übereinanderliegenden Buchstaben „L“ die zeitgenössischen Formen des Jugendstil spiegeln, setzte sich in den folgenden Jahren als einprägsam und typisch durch.775 In den Werbeanzeigen der Stollwerck AG durchzog er den Globus (siehe Abb. 84) und in den weltweiten Kampagnen für „Stollwerck Gold“ hielt nun nicht mehr der Adler die Weltkugel in seinen Klauen, sondern als wirkungsvolles Motiv dominierte die Gold-Schokolade den Globus (siehe Abb. 85). Ein naheliegendes Gestaltungselement war auch die überdimensional große Darstellung des Stollwerck-Schriftzugs – beispielsweise als Monument der Antike oder als Brücke über den Rhein (siehe Abb. 86 und 87); dieser visuelle Superlativ bildete gleichsam einen Bezug zu der zwischen 1907 und 1911 errichteten Kölner Hohenzollernbrücke.776 Sprachliches Gegenstück dieser bildlichen Inszenierung wurden die Slogans: „Stollwerck ‚Goldʼ beherrscht die Welt“ und „Auf dem ganzen Erdball verbreitet! Marke ‚Goldʼ“ sowie die Selbstbezeichnung des Unternehmens als „Weltgeschäft“777. Allerdings kann man für das frühe 20. Jahrhundert noch nicht von einem Wechselspiel zwischen verbaler und bildlicher Argumentation sprechen, das heutige Werbeanzeigen maßgeblich prägt. Primärer Träger der Werbebotschaft war das Bild, Textzeilen wurden lediglich hinzugefügt und blieben im Hintergrund. Gleichwohl erkannten die Gebrüder Stollwerck schon früh 772 Ludwig Stollwerck an Bernhard Dernburg am 30. November 1903, RWWA 208-227-2. Siehe auch Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 234. 773 Ludwig Stollwerck an Emil Doepler am 4. August 1903, RWWA 208-256-7. 774 Ludwig Stollwerck: Ueber Reklame, 26. Januar 1903, RWWA 208-484-1. 775 Zu zeitgenössischen Kunststilen in der Werbung siehe Weisser: Deutsche Reklame, S. 47 f. 776 Zur Denkmalsmetaphorik und der Antikenrezeption in der Werbung siehe Schwarz: Bildannoncen, S. 127–166. 777 Siehe z. B. Ludwig Stollwerck an Heinrich Hahn am 7. September 1901, RWWA 208-225-2; Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 30. Oktober 1903, RWWA 208-246-4; Ludwig Stollwerck an Bernhard Dernburg am 30. November 1903, RWWA 208-227-2.
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die Bedeutung einprägsamer Slogans. So zeigte sich Carl Stollwerck von dem Schlagwort „Durch Qualität zum Erfolg“ „ganz entzückt“ und ließ prüfen, „ob dafür irgendwie ein indirekter Schutz zu haben ist“778.
Abb. 84: Anzeige für Stollwerck Gold, November 1911 (RWWA 208-755)
Abb. 86: Anzeige für Stollwerck Gold, nach 1909 (RWWA 208-344-4)
Abb. 85: Anzeige für Stollwerck Gold, 1917 (RWWA 208-335-3)
Abb. 87: Anzeige für Stollwerck Gold, nach 1909 (RWWA 208-344-4)
Zur Symbolik der regionalen Verwurzelung des Familienunternehmens Stollwerck Unabhängig von der auf weltumfassende Bedeutung ausgerichteten Bildsprache knüpften die Gebrüder Stollwerck auch immer wieder bei den Kennzeichen der Stadt Köln an und betonten so ihre „enge Verbundenheit mit der Vaterstadt“779. 778 Carl Stollwerck an Franz (II) und Ludwig Stollwerck am 30. Januar 1912, RWWA 208-1714. 779 O. A.: Die Stollwerck-Verkaufsstelle in Köln.
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Alle Verpackungen zierte seit Ende des 19. Jahrhunderts die auch von Doepler entworfene Bildmarke des „Dreikronensterns“ – eine Kombination aus Teilen des Stadtwappens780 und den Symbolen der Heiligen Drei Könige, die nicht nur als Schutzheilige der Stadt Köln, sondern seit jeher auch als Patrone der Reisenden, d. h. der Pilger und Kaufleute gelten. Der „Dreikronenstern“ stand damit zugleich in unmittelbarer Beziehung zum Stollwerck’schen „Weltgeschäft“. Auch der Dom und die Stadtansicht, die Kölner Heinzelmännchen und Gnomen, Burgen, Landschaften, Städte und Denkmäler entlang des Rheins und der Mosel sowie die allegorische Gestalt der Colonia und der Vater Rhein zählten zu den charakteristischen Bildmotiven, die die lokale Verankerung des Unternehmens, seine Herkunft und die Bodenständigkeit der Unternehmerfamilie demonstrieren sollten. Ferner griffen die Gebrüder Stollwerck auf Gestalten aus Richard Wagners Opern, etwa Tannhäuser, und berühmte oder volkstümliche Paare wie Faust und Gretchen, Hermann und Dorothea, Tristan und Isolde zurück und dokumentierten das zeitgenössische Repertoire der Opernhäuser und Theater.781 Sie unterstrichen damit nicht nur ihre Verbundenheit mit dem Vaterland, seiner Kunst und Kultur und ihre eigene gebildete Bürgerlichkeit, sondern knüpften auch an zeitgenössische „bürgerliche Sehnsüchte nach Phantasie und Emotion“782, nach einem temporären Eskapismus an. Zwar waren Arbeitswelt und Leistungsgesellschaft Mittelpunkt des bürgerlichen Lebens und Wertesystems, doch blieb parallel zum Alltag immer auch der Wunsch nach innerer Veredelung und der Flucht in wunderbare und geheimnisvolle Phantasiewelten bestehen. Stollwerck-Werbung im Ersten Weltkrieg Die skizzierte Vielfalt der sprachlichen und bildlichen Ausdrucksformen der Stollwerck-Werbung fand mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ein jähes Ende. Die Gebrüder Stollwerck waren nun primär darauf bedacht, mit Hilfe der Werbung ihre einwandfreie patriotische Gesinnung zu demonstrieren. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass sie wiederholt große Mengen Schokolade an das Militär spendeten,783 sondern spiegelt sich auch in den zwischen 1915 und 1917 erschie780 Im Unterschied zum Kölner Stadtwappen waren die Kronen nicht waagerecht, sondern senkrecht angeordnet. 781 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 240 f. 782 Budde: Blütezeit des Bürgertums, S. 60. 783 Die Gebrüder Stollwerck spendeten allein 1915 rund 50.000kg Schokolade. Siehe o. A.: 50000 Kilo Schokolade für die Soldaten. Ludwig Stollwerck betrachtete diese Schokoladenspenden als „sehr feine“ Reklame: „Wir Kaufleute müssen doch stets versuchen, das Gute mit dem Nützlichen zu verbinden [...]! Wir stiften tatsächlich für über 100.000 M für die Kräftigung unserer Truppen als Ausdruck unserer hohen Anerkennung […] und gleichzeitig machen wir in feiner Weise auf die Nährkraft von Kakao wie auch auf unsere Firma aufmerksam. [...] Wir glauben, dass wir bis Ende des Jahres weit über 300.000 M für derartige Schokolade-Spenden, Unterstützungen an Angehörige unserer im Felde stehenden Angestellten sowie Teuerungszulagen verausgaben werden und ist es alsdann meine Absicht, zu Ende des Jahres eine ähnliche Notiz den Zeitungen zu übergeben.“ Ludwig Stollwerck an Fritz
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nenen Sammelalben „Jungdeutschland“784, „Der Große Krieg“ und „Deutsche Heerführer 1914–1915“, die in unmittelbarem Bezug zum Kriegsgeschehen standen und kaufmännische mit politischen Interessen verbanden. Der stets hoch gehaltene, hehre Anspruch, mit den Sammelbildern pädagogische Ziele zu verfolgen, wurde zu reiner Kriegspropaganda: „Jetzt aber soll das ‚Jungdeutschlandalbum‘ erscheinen. […], es wird zum unbedingten Einsetzen der ganzen Jugendkraft für die Erringung des vollen Sieges anfeuern, wenn die deutsche Jugend sieht, wie die Heldinnen und Helden der Vergangenheit den festen Grund zu Deutschlands Macht und Stärke gelegt und wie die Männer und Frauen der Gegenwart, Allen voran unser Kaiser und sein Haus, diese Gedanken aufgenommen, in die Seele unseres Volkes gepflanzt und zur herrlichen Entfaltung und Blüte gebracht haben.“785
In zahlreichen Werbemitteln wies das Unternehmen zudem ausdrücklich darauf hin, dass die angebotenen Produkte deutschen Ursprungs seien, im Deutschen Reich von deutschen Arbeitern hergestellt würden. Die seit Kriegsbeginn verstärkt propagierte Nationalisierung der Sprache zeigte sich darin, dass man Fremdwörter in Firmenbezeichnungen, Markennamen und der Alltagssprache vermied,786 der Wortlaut „Deutsche Fabrikation“ wurde durch „Deutsche Fertigung“ oder „Deutsche Arbeit“ ersetzt.787 Im Bewusstsein, dass „jetzt und auch nach dem Feldzuge gewissermassen ein Zug auf das Deutsche, auch in der Schrift, durch unser Volk gehen wird“788, verwendete das Unternehmen zudem auf vielen Anzeigen und Plakaten nicht mehr die lateinische Druck-, sondern die deutsche Schreibschrift. Sprachformen und Bilder wurden damit demonstrativ dem Duktus und den Erfahrungen der Zeit angepasst und auf „wenige schlagkräftige und vermeintlich un-
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Stollwerck am 3. November 1915, RWWA 208-40-1. Siehe auch Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 240 ff. Das Album wandte sich in erster Linie an die Jugend, wollte ihr „einen Lebensborn […] öffnen, aus dem sie Geist und Körper festigen und stählen kann für die ihrer wartende Arbeit im Dienste und zum Wohle des Vaterlandes“. Vorwort zum Stollwerck-Sammelalbum „Jungdeutschland“, 1915, RWWA 208-0503. Stollwerck griff mit dem Album die noch junge Geschichte der deutschen Jugendbewegung auf. Seit Ende der 1890er Jahre sammelte sich die Jugend in den Organisationen der Wandervogel-Bewegung, der Pfadfinder, der Jugendwehr und des Jungdeutschlandbundes. Angestrebt wurden ein jugendspezifischer Lebensstil, in dem die negativen Erfahrungen des Großstadtlebens abgestreift werden sollten, und zunehmend gesellschaftliches und politisches Engagement. „Heraus aus den Fesseln der Alltagswelt, der Tändelei und Verzärtelung, hinein in die Natur mit ihrem mächtigen Jugendzauber. So ertönte der Ruf der Jugend. Deutsches Wandern in Wald und Feld, über Berg und Tal in deutschen Landen, deutscher Sang und Klang, deutsches Turnen und deutscher Sport, deutscher Samariterdienst, fanden eine treffliche Stätte in den neuen Jugendorganisationen […].“ Ebenda. So warb Stollwerck mit einer Entwicklung, die man fördern, von der man aber in erster Linie profitieren wollte, denn ein nicht unerheblicher Teil der Süßwaren wurde von Jugendlichen konsumiert. Siehe allgemein Kneip: Wandervogel. Vorwort zum Stollwerck-Sammelalbum „Jungdeutschland“, 1915, RWWA 208-0503. Siehe zu diesen schon vor 1914 präsenten Bestrebungen Rudolph: Kultureller Wandel und Krieg, S. 294 ff. Siehe Ludwig Stollwerck an Hans Weissbach am 18. Juli 1916, RWWA 208-258-5. Georg Büxenstein an Ludwig Stollwerck am 16. Juli 1915, RWWA 208-381-3.
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mißverständliche Begriffe“789 und Motive reduziert: die Wörter „Feld“790 und „Krieg“ und die Abbildung von Soldaten; farblich dominierten die Farben des Deutschen Reichs, schwarz-weiß- rot (siehe Abb. 88).791 Auch die von Rudolph benannte „agrarische Nostalgie“792, mit der die Werbenden das „Feld“, den Kriegsschauplatz als Bereich ursprünglicher Natur illustrierten, spiegelt sich in der Werbung der Stollwerck AG. Auf den Anzeigen waren überwiegend Soldaten zu Fuß oder zu Pferd zu sehen, wie sie in idyllisch verschneiten Wäldern auf Beobachtungsposten Ausschau hielten oder sich mit Stollwerck-Kakao und Schokolade von einem langen „Marsch“ erholten. Waffen waren nur in traditioneller Form von Gewehren und Lanzen abgebildet, das Moderne der Kriegsführung wurde ausgeblendet, die Kriegswirklichkeit idealisiert (siehe Abb. 89). Auch Zusammensetzungen wie „Kriegserfrischungen“ oder „Kriegs-Proviant“ zielten darauf ab, den Begriff „Krieg“ in einen positiven Kontext zu stellen. Mit anhaltender Dauer der militärischen und wirtschaftlichen Auseinandersetzungen standen Verbindungen mit „Krieg-“ für die Verbraucher jedoch verstärkt für die qualitative Anpassung des Produkts an die Rahmenbedingungen und Ersatzwaren minderer Güte – kurz: für die katastrophale Versorgungslage. In dem Maße, in dem das Thema ‚Krieg‘ seine „geheimnisvolle Spannung“793 verlor und auf Werbetreibende wie Adressaten nicht mehr mitreißend wirkte, verloren Begriff und bildlicher Bedeutungszusammenhang an Wirkungsfähigkeit für eine Werbestrategie, die positive Botschaften übermitteln wollte. Seit 1916 wurde in der Werbung immer häufiger die Parole des „Durchhaltens“ angewandt.794
789 Rudolph: Kultureller Wandel und Krieg, S. 285. 790 Der Begriff „Feld“ wurde im deutschen Sprachgebrauch seit dem Mittelalter für den Kriegsschauplatz, die Front verwendet. Im Ersten Weltkrieg prägte er in Verbindungen wie „Feldpost“, „Feld-Waffeln“, „Feld-Proviant“ oder „Feld-Schokolade-Keks“ die Reklameanzeigen der Stollwerck AG. Siehe exemplarisch die Kriegs-Preisliste der Gebrüder Stollwerck AG, Januar 1915, RWWA 208-152-6. 791 Die vor dem Krieg beliebte Darstellung von Frauen reduzierte sich auf die Rolle der Krankenschwester, die verwundete Soldaten mit stärkendem Kakao versorgt. Das Motiv gesunder, Kakao trinkender Kinder wurde in den Kriegsjahren in der Stollwerck-Reklame nicht verwendet. 792 Rudolph: Kultureller Wandel und Krieg, S. 293. Siehe auch Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 422 f.; Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 200. 793 Rudolph: Kultureller Wandel und Krieg, S. 292. 794 Auch Stollwerck band entsprechende Appelle in die Werbung ein: „Es gilt für uns hinter der Linie, auf wirtschaftlichem Gebiete durch weitere zweckmäßige Einteilung zum erfolgreichen Durchhalten beizutragen, wie ja unsere unvergleichlichen Truppen draußen im Feindesland rastlos kämpfend ausharren.“ Kriegs-Preisliste Gebrüder Stollwerck AG, Anfang Februar 1916, RWWA 208-152-6.
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Abb. 88: Titelseite des Sammelalbums „Der Große Krieg“, 1916 (RWWA 208 0505) -
Abb. 89: Anzeige für Stollwerck Gold, 1915 (RWWA 208 560 7) -
Da die deutsche Kakao- und Schokoladenindustrie ab Ende 1916 kaum noch für den zivilen Bedarf produzierte, die Nachfrage nach den knappen und rationierten Gütern aber gleichmäßig hoch blieb,795 war eine planmäßige Werbung zunehmend weniger erforderlich – eine für viele Wirtschaftszweige in politischen und wirtschaftlichen Krisenzeiten charakteristische Entwicklung.796 Lediglich für ihre Marke „Gold“ schalteten die Gebrüder Stollwerck bis Kriegsende weiterhin zahlreiche Annoncen. Mit der für die Produktion von „Gold“-Schokolade notwendigen Menge Rohkakao hätte Stollwerck zweifellos größere Mengen einfacher Sorten herstellen können, die einen geringeren Kakaoanteil und damit eine höhere Verdienstspanne hatten. Die Brüder entschieden sich aber dafür, vornehmlich 795 Siehe hierzu ausführlich Kapitel IV.A.3. 796 Ab Oktober 1917 vertrieb die Stollwerck AG beispielsweise keine Sammelbilder mehr. Man sehe so viel vom Krieg und so viele Illustrationen, dass die Bilder nicht mehr die erhoffte Beachtung fänden, begründete Ludwig Stollwerck die Entscheidung. Ludwig Stollwerck an Emil Doepler am 30. Oktober 1917, RWWA 208-275-7. Zudem ergaben sich sowohl in künstlerischer als auch in produktionstechnischer Hinsicht große Schwierigkeiten. Die Künstler, die Stollwerck für die Gestaltung der Sammelbilder beschäftigte, wurden ebenso wie der Verleger und Drucker Georg Büxenstein zum Wehrdienst einberufen. Da Papier immer knapper wurde, stiegen die Preise – je nach Qualität – zum Teil um 25 Prozent. Die für den Druck erforderlichen Rohmaterialien – Terpentin, Benzin und Farben – waren ebenso wie Blech und Glas, sofern überhaupt, nur in schlechter Qualität erhältlich. In der Folge wurden daher auch keine neuen Dauerplakate aus Glas und Emaille für die Außenwerbung auf Giebeln und Mauern, an Bahnhofsgebäuden, Anzeigen-Uhren, Brücken und Unterführungen hergestellt. Siehe Hans Weissbach an Ludwig Stollwerck am 23. Juli 1915, RWWA 208-381-3; Georg W. Büxenstein an Ludwig Stollwerck am 16. Juli 1915, RWWA 208-3813. Siehe auch Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 183 f., 260–268; Lamberty: Reklame in Deutschland, S. 199–212.
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„Gold“-Schokolade zu produzieren, um auf diese Weise ihren Ruf als Qualitätsfabrikanten zu festigen und ferner zu beweisen, dass man auch unter schwierigen Rahmenbedingungen primär auf die Güte der Produkte und das Wohlergeben der Verbraucher achte. Ferner konnte man auf diese Weise verhindern, dass Schweizer Erzeugnisse, die sich im internationalen Vergleich auch in den Kriegsjahren durch hohe Qualität auszeichneten, deutsche Produkte vom Markt verdrängten. Zu Gute kam ihnen in diesem Kontext auch die Tatsache, dass der Verkauf über Automaten während des Kriegs ruhte und die Stollwerck’schen Marken „wieder mehr zu Ehren kommen“797 konnten. Die zugeteilte Verarbeitungsmenge an Kakao und Zucker wurde allerdings im Verlauf des Kriegs immer weiter eingeschränkt; zudem waren die Rohstoffe häufig von schlechter Qualität, der hohe Standard der Produktion war auf Dauer nicht zu halten. Im September 1916 hatte die Stollwerck AG ihre Vorräte aufgebraucht und musste die Schokoladenproduktion vollständig einstellen.798 Dank großer Lagerbestände, die in kleinen Mengen an den Handel und die eigenen Verkaufsstellen abgegeben wurden, konnte Stollwerck die Tafelschokolade „Gold“ jedoch bis Juli 1917 auf dem Markt halten.799 Stollwerck-Werbung unter Federführung der dritten Generation Der hohe Stellenwert, den das Unternehmen der Marke „Gold“ beimaß, zeigt sich auch darin, dass parallel zum kriegsbedingten Rückgang der Werbetätigkeit die gedankliche Vorbereitung für den Neustart nach Kriegsende begann. Zwar könne man erst später entscheiden, in welchem Umfang man wieder in die Werbung einsteige, doch müsse man schlagfertig sein, um in den maßgeblichen Zeitungen, sobald es zu Waffenstillstandsverhandlungen komme, wieder mit Inseraten für die Marke „Gold“ vertreten zu sein.800 In der Tat stieg das allgemeine Werbeaufkommen bereits unmittelbar nach Kriegsende wieder an – unterbrochen nur durch die Zeit der Revolution im November und Dezember 1918. Das Anzeigenaufkommen in Tageszeitungen lag zwischen Januar 1919 und Februar 1920 bei ca. 61 Prozent der Vorkriegswerte. Bedingt durch die unsichere Wirtschaftslage und die bis 1921 andauernde öffentliche Papierbewirtschaftung wurden die Werbemedien aber insgesamt nur verhalten genutzt; mit dem fortschreitenden Prozess der Geldentwertung sank die Werbung „ins Bodenlose“801. Das Bestreben richtete 797 Gustav Laute an Karl Kimmich am 8. Januar 1932, HADB P04786. Nach Wiederaufnahme des Automatengeschäfts 1924/25 wurde auf den Verpackungen der Name Stollwerck durch den Namen des Tochterunternehmens, Deutsche Automatengesellschaft, ersetzt. Siehe ebenda. 798 Siehe Ludwig Stollwerck an Herrn Schlinkmann am 27. September 1916, RWWA 208-64-3. 799 Siehe detailliert die in RWWA 208-152-6 und 208-298-2 überlieferten Preislisten der Gebrüder Stollwerck AG für die Jahre 1914 bis 1919. 800 Siehe Ludwig Stollwerck an Therese Grohe am 16. August 1917, RWWA 208-118-3; Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch, Friedrich Eppler und Hans Weissbach am 11. Juli 1916, RWWA 208-258-5. 801 Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 187, 197 f., 442.
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sich, auch bei Stollwerck, zunächst darauf, die Umstellung des Sortiments auf Friedensproduktion und -qualität zu bewerben. So verschickte das Unternehmen zahlreiche Proben, um zu „beweisen“, dass es „die Anfertigung guter Schokolade nicht verlernt“802 hatte. Von einer „strukturierten und differenzierten ‚Reklamelandschaft‘“803 kann – wie auch von einer kontinuierlichen Produktion – erst wieder nach der Stabilisierung der Währung im November 1923 gesprochen werden. In deren Folge sanken auch die Preise für Materialien wie Papier und Farbe auf „normales“ Niveau.804 Die Stollwerck-Werbung krankte freilich in den folgenden Jahren daran, dass die von Ludwig Stollwerck noch zu Kriegszeiten angestellten Überlegungen zu Werbemotiven und Werbegestaltung der Nachkriegszeit nach seinem Tod 1922 nicht konsequent umgesetzt wurden. Walter Stollwerck fand rückblickend harte Worte: Die Stollwerck-Werbung der 1920er Jahre sei „unter aller Grenze des Zulässigen“ gewesen. Man habe „nicht die geringste eigene Idee in den ReklameMassnahmen“ gesehen, wohl aber sei zu erkennen gewesen, „wie man die gesunde Reklame-Politik Ludwig St. vollkommen auf den Kopf gestellt hat“805. In der Tat: Die Werbung der 1920er Jahre kam nicht über den Entwicklungsstand der Vorkriegszeit hinaus. Zunächst hatte Stollwerck wie alle Qualitätsproduzenten damit zu kämpfen, dass Markenbewusstsein und Qualitätsstandards im Krieg an Bedeutung verloren hatten und sich durch den allgemeinen Rückgang der Kaufkraft in der Nachkriegszeit die Nachfrage nach hochwertigen und damit in der Regel hochpreisigen Produkten weiter reduzierte. Stollwerck versuchte dennoch, an alte Erfolge anzuknüpfen und sich wieder primär im oberen Qualitäts- und Preissegment zu platzieren: „Der Name Stollwerck bürgt für Qualität […]. […] Wenn ein Unternehmen dazu berufen ist noch führender zu werden, dann Stollwerck! In der Schokolade-Industrie ist Stollwerck ein Begriff von volkswirtschaftlicher Bedeutung. Ein Unternehmen, das nicht nur rein materiell eingestellt ist, sondern sich Ideale und Ziele gesteckt hat, die aus der Vergangenheit hergeleitet und in Zukunft noch stärker ausgeprägt werden sollen. [...] Der Anteil am grossen Verbrauch muss steigen. Wir haben eine Auswahl wie keine zweite Fabrik und diese Auswahl und Leistungsfähigkeit wird von vielen noch verkannt und bleiben dementsprechend unausgenutzt. Hören Sie nicht auf die pessimistischen Einflüsterungen derer, die ihr Heil in Mittelchen suchen. Nicht mit Konsum-Qualitäten, sondern nur mit dem Qualitäts-Niveau setzten wir uns auch weiter durch. Schon zuviele Konsumenten sind von der Schokolade auf andere Genussmittel abgewandert. Dem schieben wir einen starken Riegel vor, denn die Schokoladen-Industrie soll nicht zu Grunde gehen, nur weil andere gewissenlos sind und sich Experimente erlauben, die zum Untergang führen. Die Mehrzahl der Konsumenten wünschte sich von jeher für das schwer verdiente Geld etwas Gutes und dank dieser Einsicht bezw. Er-
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Ludwig Stollwerck an Arthur Duncker am 19. Juli 1919, RWWA 208-171-8. Ilgen/Schindelbeck: Am Anfang war die Litfaßsäule, S. 77. Siehe Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 187, 442. O. A.: Protokoll der Generalversammlung der Gebrüder Stollwerck AG vom 23. November 1932, RWWA 208-146-2.
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kenntnis war und wird es uns vergönnt sein, unsere Liebe am Schaffen auch weiterhin zu pflegen und zu fördern.“806
Erreichen wollte die Geschäftsleitung dieses Ziel, indem man auf traditionell erfolgreiche Werbemittel, konkret die Sammelalben zurückgriff. Ziel war es, bei den Konsumenten „viele schöne Erinnerungen“807 auslösen. Dieser Vorstoß geriet jedoch zum Fiasko und schädigte das Ansehen des Unternehmens zusätzlich: zum einen weil man die Gestaltung der Bilder und Alben halbherzig, d. h. nicht mit dem früheren künstlerischen, technischen und pädagogischen Anspruch verfolgte, zum anderen weil Stollwerck verkannte, dass die Nahrungs- und Genussmittelindustrie längst nicht mehr „Platzhirsch der Sammelbildkultur“808 war. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Zigarettenindustrie massiv in dieses Segment vorgestoßen, hatte nicht nur den Adressatenkreis, sondern auch Motive und Anlage der Sammelalben verändert. Karl Kimmich beschrieb die Stollwerck’schen Sammelbilder 1931 schlicht als „schulmeisterhaft“ und „überflüssig“809 und selbst die eigenen Reisenden zweifelten an ihrer Werbewirkung. Sie mussten wiederholt aufgefordert werden, „aus den […] gebotenen Reklamemitteln die richtige Nutzanwendung zu ziehen“810. Die Betonung der regionalen Verwurzelung des Unternehmens, einst bildlicher Ausdruck der Bodenständigkeit und Tradition der Unternehmerfamilie, verkam mit Ausnahme des beibehaltenen „Dreikronensterns“ zunehmend zur bloßen Erinnerungsvokabel. Innovative Werbeideen wie der Stollwerck’sche Spar-Automat, der um die Jahrhundertwende für Furore gesorgt hatten, lassen sich für die 1920er Jahre, wie bereits im Zitat von Walter Stollwerck angeklungen, nicht nachweisen. Stattdessen hielt man – neben den Sammelbildern – an weiteren veralteten Werbemitteln fest: etwa an Inseraten in Zeitungen und Zeitschriften, statt wie z. B. Oetker und Trumpf stärker in Kino- und Rundfunkwerbung zu investieren, oder an der Eisen- und Straßenbahnwerbung, aus der man sich nur „allmählich“ zurückzog, obwohl man erkannt hatte, dass sich die Verkehrswerbung „mehr und mehr überlebt“811 hatte. Der Mangel an Neuerung und Professionalität in der Werbung spiegelt sich auch in den unternehmensinternen Strukturen. Statt externen Rat in Anspruch zu nehmen und der „reformbedürftig[en]“ Stollwerck-Werbung den erforderlichen Schwung zu verleihen, verharrte die Geschäftsleitung in einer nahezu ohnmächtig 806 Verkaufsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an die Vertreter des Unternehmens am 28. April 1931, RWWA 208-78-5. 807 Fritz Stollwerck an die Vertreter der Gebrüder Stollwerck AG am 13. Februar 1930, RWWA 208-78-4. 808 Jussen: Liebigs Sammelbilder. S. 135. Siehe auch ebenda, S. 136 f. 809 Karl Kimmich an Carl Stollwerck am 24. Februar 1931, HADB P04784; Karl Kimmich an Gustav Laute am 23. März 1931, HADB P04784. 810 Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an die Vertreter des Unternehmens am 19. Juli 1930, RWWA 208-78-4. Siehe auch Gustav Laute an die Firma Gebrüder Stollwerck AG Köln am 15. Oktober 1930, RWWA 208-107-8. 811 Fritz Stollwerck an die Vertreter der Gebrüder Stollwerck AG am 7. April 1926, RWWA 208-77-6. Siehe auch Karl Kimmich: Ursachen der mangelnden Rentabilität und Vorschläge, o. D., HADB P04794.
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anmutenden Starre. Zwar beschäftigte das Unternehmen einen „gut orientierten und vernünftigen Reklamefachmann“812, dieser wurde aber zu Besprechungen der Geschäftsleitung grundsätzlich nicht hinzugezogen, vielmehr agierte Fritz Stollwerck „in ganz dilettantischer Weise mit diesen Fragen“813. Der Stollwerck’sche Werbeleiter beklagte sich 1931 gegenüber Kimmich „in bitterer Weise“, dass „die Werbeabteilung mit dem Geschäftsbetrieb keine Fühlung“ gehabt habe, so dass man in Unkenntnis der Umsatzzahlen weder richtig disponieren noch adäquate Vorschläge machen konnte. Kimmich selbst beschrieb es als „unverantwortlich“, dass ein Mitarbeiter, der monatlich 900 Reichsmark Gehalt bekomme, „in dieser Weise mehr oder minder ausgeschaltet wird“814. Durch die Übernahme des Reichardt-Konzerns 1930 und der ihm angeschlossenen Firmen erhielt das Sortiment zudem einen heterogenen Charakter, der einen Stollwerck-Stil im eigentlichen Sinne nicht mehr erkennen ließ. IV.B.2 „Mit Lust und Liebe“ – Bürgerliche Ideale als Zentrum der Unternehmenskultur Bürgerliche Werte waren für die Familie Stollwerck nicht nur für die Gestaltung ihrer persönlichen Beziehungen, sondern auch für die Unternehmensführung handlungsbestimmend. Mit den Idealvorstellungen, die die Grundlage des familiären Zusammenhalts bildeten, verfolgte die Unternehmerfamilie auch konkrete Legitimationsziele gegenüber ihren Beschäftigten. Innerhalb des fast 100 Jahre umfassenden Untersuchungszeitraums, in dem Stollwerck vom Klein- zum Großbetrieb wuchs, wandelten sich die Arbeitsbeziehungen freilich erheblich. Welche Herausforderungen sich aus dem Unternehmenswachstum für die innerbetriebliche Kommunikation, die Vorbeugung bzw. Lösung von Konflikten sowie die Bedeutung und Anpassung traditioneller Normen, Regeln und Rituale ergaben, lässt sich in Anlehnung an Hartmut Berghoff „am besten mit den Kategorien der Unternehmenskulturforschung analysieren“815. Unternehmenskultur ist als System der inneren Unternehmensführung zu verstehen, das alle Unternehmensangehörigen umfasst, Normen, Werte und Ziele als selbstverständliche und unstrittige Verhaltensregeln umsetzt und so einheitliche Handlungsweisen bzw. ein aufeinander abgestimmtes Handeln ermöglicht.816 Gemeinsamkeit ist hierbei das entscheidende Kriterium. Die Unternehmenskultur wird nicht allein von der Unternehmensführung begründet und getragen, sondern die Beschäftigten haben durch die Akzeptanz der unternehmensbezogenen Normen und Werte gleichermaßen Anteil an ihrer Ausbildung, Vermittlung und Ver812 813 814 815 816
Die letzten Zitate aus Karl Kimmich an Gustav Laute am 3. August 1931, HADB P04786. Karl Kimmich an Georg Solmssen am 8. April 1931, HADB P04784. Die letzten Zitate aus Karl Kimmich an Gustav Laute am 3. August 1931, HADB P04786. Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 112. Siehe Matis: Unternehmenskultur und Geschichte, S. 1047; Hartmann: „…der jeden Morgen mit einem Gruß durch unsere Abteilung kam“, S. 269; Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 147–162.
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festigung und damit an der Grundlage gegenseitigen Vertrauens. „Was wirklich ist in Organisationen, ist daher nicht etwa vom Management vorgegeben, sondern ist das Ergebnis von Interpretations-, Gestaltungs- und Kommunikationsprozessen.“817 Als besonderes Merkmal der Unternehmenskultur von Familienbetrieben gilt der Forschung gemeinhin ein paternalistisch oder patriarchalisch-autoritärer Führungsstil,818 der sich aus mehreren charakteristischen Komponenten zusammensetzt. Wichtigstes Kennzeichen ist der auf den Eigentümer ausgefluchtete, personenbezogene Führungsstil. Bei einem familiären Führungsgremium ist das Senioritätsprinzip maßgebend, d. h. das älteste männliche Familienmitglied verfügt über die höchste Autorität und Entscheidungskompetenz.819 Das Senioritätsprinzip basiert auf dem traditionellen Bild des pater familias. Kennzeichen eines patriarchalischen Führungsmodells ist ferner die disziplinierte Unterordnung der Beschäftigten, der gleichsam als Gegenmodell die Fürsorgepflicht des Unternehmers für seine Arbeiter und Angestellten entspricht.820 Allerdings stehen diese Merkmale im Widerspruch zu den Ausprägungen des Industriekapitalismus, in dem die Arbeitsbeziehungen weitgehend versachlicht und vertraglich festgelegt sind – ohne darüber hinausgehende Verpflichtungen. Die Forschung lehnte den Paternalismus daher lange als „Herrschaftstechnik vormoderner Zeit, als ‚Industriefeudalismus‘ mit vorkapitalistischer Sozialfürsorge“821 ab. Neuere Studien hingegen widersprechen dieser Sichtweise und betonen, dass patriarchalisch implementierte Sozialpolitik schon im 19. Jahrhundert „marktrationaler, differenzierter, pragmatischer und beträchtlich tiefer in der branchenspezifischen allgemeinen Arbeitsmarktund Beschäftigungspolitik verwurzelt“822 war, als lange unterstellt wurde. Paternalistische Instrumentarien lassen sich vor diesem Hintergrund auch in gegenwärtigen Unternehmenskulturen nachweisen. Neben der Sozialisierung und Ausbildung des Nachwuchses gehören hierzu „vor allem Symbole und Mythen, Feste und Zeremonien sowie die gemeinsame Sprache, d. h. Schlüsselbegriffe und Metaphern der betrieblichen Kommunikation als zentrale Medien der Manifestation und Etablierung, Weitergabe und Verstärkung unternehmensspezifischer Leitbilder“823.
817 Matis: Unternehmenskultur und Geschichte, S. 1050. 818 Zur Definition und Verwendung der Begriffe Paternalismus und Patriarchalismus siehe Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 226; Matis: Unternehmenskultur und Geschichte, S. 1032 ff.; Berghoff: Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, S. 167–179. 819 Auch für die Gebrüder Stollwerck war das Senioritätsprinzip maßgebend und im Gesellschaftsvertrag festgelegt. Siehe ausführlich Kapitel III.A.1 und IV.A.1. 820 Siehe Wischermann: Unternehmenskultur, S. 21 f. 821 Ebenda, S. 23. Siehe auch Welskopp: Betriebliche Sozialpolitik, S. 338. 822 Ebenda, S. 374. Siehe auch ebenda, S. 336–349; Petzina/Plumpe: Unternehmensethik – Unternehmenskultur; Schreyögg: Unternehmenskultur. 823 Berghoff: Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, S. 178.
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Innerbetriebliche Kommunikation unter Franz Stollwerck Die innerbetriebliche Kommunikation bei Stollwerck lässt sich für die von Franz Stollwerck geprägte erste Phase der Firmengeschichte nur in Umrissen exemplifizieren. Bekannt ist, dass Stollwerck nahezu zeitgleich seine Bäckerei und eine Familie gründete und die traditionelle Einheit von Haus und Betrieb zeitlebens aufrechterhielt: Bis zu seinem Tod waren Geschäfts- und Privatadresse identisch.824 Inwieweit dabei auch seine Söhne schon im Kindesalter Einblick in die Tätigkeit des Vaters hatten, ihn als „Meister“ und „Vater“ erlebten und in ihre spätere Arbeit hineinwuchsen, lässt sich nicht nachvollziehen. Generell gilt aber, dass Unternehmerkinder um 1850 im Haus und nicht im Betrieb aufwuchsen.825 Dass auch Franz Stollwerck Erwerbsgeschäfte und Familie bzw. privates Heim trennte, zeigt sich darin, dass er sein Haushaltsbuch spätestens seit 1867 getrennt von den Büchern der Firma führte.826 Unterstützt wurde er in der Anfangsphase seiner Unternehmung primär von Familienangehörigen, die er in den 1840/50er Jahren „in Büro, Laden, Küche und anscheinend auch am Buffet“827 beschäftigte. Seine Schwager Heinrich Krause und Franz Theodor Herx arbeiteten als Buchhalter für ihn, von 1851 bis 1858 beschäftigte er zudem den Geschäftsführer Rudolph Wennström.828 Von einem harmonischen Miteinander mit seinen Angestellten lässt sich allerdings nicht sprechen. Stollwerck pflegte das traditionelle Leitbild des Handwerksbetriebs, das er in seinen Ausbildungs- und Wanderjahren kennengelernt und das ihn geprägt hatte: einen ganz auf ihn zugeschnittenen, personenbezogenen Führungsstil, der die disziplinierte Unterordnung seiner Beschäftigten und Verwandten verlangte.829 Franz Theodor Herx erinnerte sich an seinen ehemaligen Chef als eine bestimmende Persönlichkeit, einen Mann, dem es primär darum gehe, seinen Status und seine Autorität zu wahren: „Bei all seinen guten Eigenschaften ist die Herrschsucht u. sein starrer Eigensinn also noch immer vorherrschend u. bleibt er in dieser Beziehung stets Imperialist u. sein Wahlspruch l’etat c’est moi! ganz wie Louis quatorze!“830
Auch Stollwercks Schwester Maria Sybilla äußerte sich kritisch über den Bruder, der schon „immer gern allein der Selbstherrscher“ gewesen sei. Dies wisse sie
824 Siehe Adressbücher der Stadt Köln für die Jahre 1854, 1855, 1866–1876. 825 Siehe Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 118 f. 826 Ein „Haushaltungs- und Privatempfangsbuch“ Franz Stollwercks ist nur für die Jahre 1867 bis 1870 überliefert (RWWA 208-365-1). Aussagen über die (private) Buchführung vor und nach dieser Zeit sind nicht möglich. 827 Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 27 f. Siehe auch ebenda, S. 547. 828 Siehe ebenda, S. 548. 829 Siehe zu den charakteristischen Elementen der Personalführung frühindustrieller Eigentümerunternehmer Kocka: Unternehmer, S. 76–80. 830 Franz Theodor Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 15. Oktober 1869, RWWA 208272-10.
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„am besten aus Selbst-Erfahrung“831. Auch Franz Stollwerck (II) beschrieb seinen Großvater, gemäß der Erzählungen seiner Eltern, als machtbewussten Menschen, der keinen Widerspruch duldete und einige Allüren pflegte, z. B. aß er gern allein an einer prachtvoll gedeckten Tafel.832 Durch diese Angewohnheiten entzog Franz Stollwerck gleichsam einem kohäsionsstiftenden Führungsstil die Grundlage. Er inszenierte sich als Patriarch, dessen gesellschaftlicher Status und Lebensführung sich von der seiner Beschäftigten bzw. Verwandten unterschieden, die sich vergleichbaren Luxus nicht leisten konnten. Ob seine Schwager schließlich aus Verbitterung auf eine weitere Tätigkeit für ihn verzichteten, ist naheliegend, aber nicht verifizierbar. Dass Franz Stollwerck an Kompromissen nicht interessiert war, auch mit seinen Söhnen kein Neben-, sondern ein Gegeneinander pflegte und weder Konflikte noch den geschäftlichen Bruch scheute, hat die Darstellung des ersten Generationenwechsels eindrücklich gezeigt.833 Seine „Pflicht“ zur Sozialfürsorge löste er aber durchaus ein: nicht nur gegenüber seinen Söhnen, indem er ihnen trotz jahrelanger Auseinandersetzungen sein Unternehmen vererbte und damit das familiäre Gemeinschaftsgefühl über gekränkte Eitelkeit stellte, sondern auch gegenüber seinen engsten Mitarbeitern, die nach der geschäftlichen Trennung von Albert Nikolaus (I), Peter Joseph und Heinrich deren Aufgaben übernahmen. In seiner – wenn auch nicht rechtsgültigen – letztwilligen Verfügung legte Franz Stollwerck fest, dass seine sechs „Contor-Gehülfen […] unter allen Umständen noch wenigstens sechs Jahre nach meinem Tode in ihrer bisherigen Stellung und ihrem bisherigen Gehalte ungekündigt beibehalten werden sollen und daß diesen Gehülfen unter allen Umständen mit Rücksicht auf deren bewiesenen Fleiß und gemachte Anstrengungen, auch, wenn sie aus irgend welchen Gründe ihre Beschäftigung auf dem Contor nicht sollten fortsetzen können, darnach für sechs Jahre nach meinem Tode ihr jetziges Salair von meinen vorerwähnten Kindern zur einen Hälfte und von meiner Ehefrau zur andern Hälfte ausbezahlt werden solle“834.
Die Gebrüder Stollwerck und ihre leitenden Angestellten Die Gebrüder Stollwerck hielten nach dem Tod Franz Stollwercks zwar an einem im Grundsatz paternalistischen Führungsstil fest, allerdings nahmen sie in ihrer Unternehmensführung – vermutlich vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit dem Vater – von (erkennbaren) machiavellistischen Komponenten Ab831 Maria Sybilla Herx an Albert Nikolaus Stollwerck (I) am 5. August 1869, RWWA 208-27210. 832 Siehe Franz Stollwerck (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. 833 Siehe Kapitel IV.A.1. 834 „Letztwillige Verfügung“ von Franz Stollwerck o. D., RWWA 208-252-4. Die von Franz Stollwerck bestimmten Gehälter erscheinen für die Zeit auffallend hoch: Sowohl sein Bürochef als auch sein Buchhalter und sein Reisender sollten 1.200 Taler erhalten. Die beiden Fabrikchefs sollten 1.000 bzw. 800 Taler verdienen, der Bonbonkocher 600 Taler. Außer dem später in Königsberg tätigen Reisenden scheinen die Söhne jedoch keinen der genannten Angestellten übernommen zu haben. Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 548.
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stand. In den ersten Jahren der Festigung und langsamen Expansion ihres Unternehmens waren sich die Brüder selbst die „eigenen ersten Mitarbeiter“835, jeder verantwortete das Ressort, das seiner spezifischen Ausbildung, seinen Fähigkeiten und Interessen entsprach. Erst seit Ende der 1870er Jahre übertrugen sie sukzessive, zunächst im Büro und Vertrieb, schließlich auch in der Produktion,836 verantwortliche Aufgaben an erfahrene, mit den Belangen des Unternehmens vertraute Angestellte. Sie hatten die Aufgabe, ihren Einfluss „nicht in Strenge, aber durch Anfachung des Ehrgeizes zum Nutzen des Geschäftes“837 auszuüben und die ihnen unterstellten Beschäftigten „zur erspriesslichen Arbeit zu veranlassen“838. Persönlich traten die Gebrüder Stollwerck gegenüber den unteren Angestellten nicht in Erscheinung.839 Eine längere Unternehmenszugehörigkeit verzeichnete zu diesem Zeitpunkt lediglich der spätere Prokurist Ludwig Meinerzhagen, der 1868 seine Lehre bei Stollwerck begonnen hatte.840 1876 begann Peter Harnisch seine Tätigkeit im Unternehmen, 1879 und 1881 wurden Friedrich Krause und Eduard Mannert eingestellt, 1885 und 1887 Friedrich Eppler und August Heise. Alle fünf wurden mit Gründung der Aktiengesellschaft zu Prokuristen ernannt.841 Mit Ausnahme von Harnisch, der auch Aufgaben in der Produktion übernahm,842 waren die leitenden Angestellten alle im kaufmännischen Bereich tätig und arbeiteten maßgeblich unter der Leitung von Ludwig Stollwerck. Wenngleich die Gebrüder Stollwerck ihre langjährigen Angestellten als „Vertrauensmitarbeiter“843 schätzten, achteten sie doch darauf, dass der Grundgedanke einer Hierarchie zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft eingehalten wurde und sich die Entscheidungsprozesse nicht verselbständigten. So versicherten sie Alexander Rußbacher einerseits, ihm „in herzlichster und freundschaftlichster Weise zugetan“ zu sein, rügten aber andererseits, dass der Geschäftsführer des Donaukonzerns sowohl in geschäftlichen als auch in privaten Korrespondenzen einen „manchmal […] unangenehme[n] Ton“844 an den Tag lege. Nicht selten endeten Briefe der Brüder an ihre Angestellten auch mit Wendungen wie: „aber wir meinen, dass unsere Ansicht hierbei die massgebende ist“845, wurden mögli835 Ebenda. 836 Zu nennen ist hier vor allem die Einstellung eines staatlich geprüften Chemikers. Siehe ausführlich Kapitel IV.B.1. 837 Ludwig Stollwerck an Wilhelm Krüger am 3. September 1901, RWWA 208-207-8. 838 Ludwig Stollwerck an Wilhelm Krüger am 6. September 1901, RWWA 208-207-8. 839 Zu den Kategorien der unteren Angestellten siehe Schulz: Die Arbeiter und Angestellten, S. 173 f. 840 Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte, S. 125. Es ist nicht bekannt, ob Ludwig Meinerzhagen nach der geschäftlichen Trennung von Franz Stollwerck und seinen Söhnen zunächst weiter für den Vater arbeitete oder direkt in das Unternehmen der Gebrüder Stollwerck wechselte. 841 Siehe ebenda, S. 125 f. 842 Siehe ausführlich Kapitel IV.A.3. 843 Ludwig Stollwerck an Gustav Burbach am 7. August 1901, RWWA 208-206-9. Siehe zur Funktion leitender Angestellter Schulz: Die Arbeiter und Angestellten, S. 111 ff. 844 Ludwig Stollwerck an Alexander Rußbacher am 22. Dezember 1920, RWWA 208-101-6. 845 Ludwig Stollwerck an Johannes Rogge am 21. Januar 1905, RWWA 208-208-2.
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che Einwände, auch der eigenen Söhne und Neffen, mit Formulierungen wie: „Ich möchte Dir meine Absicht wie folgt unterbreiten resp. als unumstösslich dartun“846 im Keim erstickt. Der Geschäftsführer des Münchener Detailgeschäfts, Gustav Burbach, wurde 1904 wie folgt zurechtgewiesen: „Ich möchte nun doch Sie, sehr verehrter Herr Burbach bitten, einen solchen Ton in Ihrer Korrespondenz nicht einreissen zu lassen. Wir sind verantwortlich für die Geschäftsführung und wir haben unsere Bestimmungen zu treffen und Sie haben nicht das Recht, solche Bestimmungen in solcher kathegorischen Form zu beantworten.“847
Bei den Bestimmungen, auf die Ludwig Stollwerck rekurrierte, handelte es sich nicht nur um strategische Grundsatzfragen, sondern die Brüder – insbesondere Ludwig – bestimmten auch Detailfragen, die der funktionalen und operativen Ebene zuzuordnen sind und eigentlich im Aufgabenbereich der leitenden Angestellten lagen. So mischte sich Ludwig, obwohl er seinem Reklame-Chef Kompetenz, Urteilskraft, Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit attestierte,848 nicht nur in Fragen ein, die den formalen Rahmen, d. h. Werbeinhalte, Umfang und Auswahl der Werbemedien und -orte betrafen, sondern er entschied auch über die farbliche Gestaltung der Schrift-Einfassungslinien auf einem Werbeplakat.849 Weissbach hatte zudem Anweisung, „über jede einzelne Ausgabe sich genau zu vergewissern“850 und diese dann mit Ludwig Stollwerck zu besprechen. So existierte zwar auf dem Papier eine funktionale Differenzierung, d. h. die Gebrüder delegierten bestimmte Aufgaben an leitende Angestellte, in der Praxis jedoch verhinderte in erster Linie Ludwig durch seine Allgegenwart auf sämtlichen Entscheidungsebenen, dass sich organisatorische Strukturen verfestigten, die auf den dominierenden Unternehmer verzichten und die Fortexistenz des Unternehmens nach seinem Tod – aus organisationstheoretischer Sicht – sichern konnten. Die begrenzte Unternehmensgröße und die Überschaubarkeit des Produktionsprozesses und der kaufmännischen Aufgaben erlaubten es, dass die Kommunikation zwischen den Gebrüdern Stollwerck und ihren leitenden Angestellten in den ersten Jahren nach der Gründung ihres eigenen Unternehmens primär durch das persönliche Gespräch und die direkte Kontrolle bestimmt wurde – beides fand naturgemäß keinen schriftlichen Niederschlag. Lediglich punktuell scheint in den Quellen auf, dass die Brüder das Arbeitsverhältnis ihrer Angestellten nicht rein sachlich betrachteten und nicht auf die zeitlich fixierte, gegen Entgelt zu erbringende Arbeitsleistung reduzierten. Vielmehr erwarteten sie von ihren engsten Mitarbeitern ein Dienstethos, das neben Pflichttreue, Fleiß und Zuverlässigkeit den Anspruch umfasste, dem Unternehmen mit Leib und Seele ergeben zu sein: 846 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 9. November 1903, RWWA 208159-5. 847 Ludwig Stollwerck an Gustav Burbach am 31. Mai 1904, RWWA 208-206-9. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Alfred Junge am 20. Oktober 1913, RWWA 208-58-5; Ludwig Stollwerck an Gustav Laute am 20. Januar 1913, RWWA 208-58-6. 848 Ludwig Stollwerck an Paul Stollwerck am 6. Juli 1912, RWWA 208-59-2. 849 Ludwig Stollwerck an Gustav Laute am 15. Mai 1912, RWWA 208-58-6. 850 Ludwig Stollwerck an Gustav Laute am 20. Januar 1913, RWWA 208-58-6.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck „Wenn man einmal seine Thätigkeit einem Unternehmen widmet, dann muss man dieses Unternehmen als Primus bezeichnen und Alles was diesem nützt, entgegenbringen, und Alles was ihm schaden kann, abwenden. Es könnte nicht helfen zu einer dauernden Zufriedenheit, wenn man, um sich einen besonderen Vorteil zu verschaffen, den Nachteil des Unternehmens herbeiführt.“851
Die Beschäftigten sollten das Unternehmen nicht als „Versorgungs-Anstalt“ betrachten, sondern „durch eine tüchtige fleissige Thätigkeit Erfolge und Erträgnisse für unsere Gesellschaft […] erlangen“852. Ihre Tätigkeit sollte auf dem „bekannten Grundsatze ‚Zum gegenseitigen Nutzen‘“853 beruhen, d. h. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zufriedenstellen. Als unternehmensspezifisches sprachliches Artefakt bildete sich in diesem Zusammenhang die wiederkehrende Sentenz aus, die Arbeit „mit Lust und Liebe“ zu erledigen. Diese Erwartung richteten die Brüder sowohl an ihre Söhne als auch an ihre Beschäftigten. Seinen Neffen Albert Nikolaus (II) konfrontierte Ludwig 1902 mit der Erwartung, dass eine harmonische Zusammenarbeit nur dann möglich sei, wenn er „mit Lust und Liebe“ zugreife und sich „in den Dienst der gemeinschaftlichen Arbeit stelle“854, anderenfalls verleide er der ganzen Familie „die Lust und Liebe […], am amerikanischen Geschäft mitzuwirken“855. Allein „allseitige volle Zufriedenheit“ könne auch „allseitig Lust und Liebe an der Arbeit“856 schaffen. Differenzen mit anderen Familienmitgliedern und Beschäftigten konnten nach Ansicht Ludwig Stollwercks „angesichts des gemeinschaftlichen Zieles doch wohl nur nebensächlicher Natur sein und sollten wahrlich keinen Grund zu einer dauernden Verstimmung bilden“857. Den Anspruch, mit dem die Gebrüder Stollwerck ihre Söhne und Beschäftigten konfrontierten, projizierten sie aber auch auf sich selbst. So engagierte sich Ludwig nicht nur als „der gewöhnliche Geldbeteiligte“ für das Unternehmen seines Freundes Theodor Bergmann, sondern mit „Interesse und Wohlwollen“858. Für sich selbst formulierte er die Maxime,
851 Ludwig Stollwerck an H. Wagner am 12. April 1902, RWWA 208-216-4. 852 Ludwig Stollwerck an Paul Behrens am 10. Mai 1901, RWWA 208-207-8. Jeder Beschäftigte sollte sein „Scherflein zum grossen Geschäfte“ beitragen. Ludwig Stollwerck an Gustav Burbach am 7. August 1901, RWWA 208-206-9. 853 Ludwig Stollwerck an H. Wagner am 12. April 1902, RWWA 208-216-4. 854 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 7. Oktober 1902, RWWA 208263-4. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 17. März 1903, RWWA 208-159-5. 855 Ludwig Stollwerck: Rückblick auf vierjährige Verhandlungen mit Albert, 22. Januar 1904, RWWA 208-160-1. 856 Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 27. Januar 1904, RWWA 208-118-1. 857 Ludwig Stollwerck an Johannes Rogge am 5. Juni 1905, RWWA 208-208-3. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Paul Behrens am 1. September 1905, RWWA 208-208-3. Hier betonte er, dass alle Beschäftigten „am selben Seile ziehen und sich deshalb aus Vernunft und praktischen Gründen stets, wenn auch Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind, miteinander vertragen. Unfrieden, auch in solchen Stellungen, zehrt und Einigkeit macht doppelt stark.“ 858 Ludwig Stollwerck an Theodor Bergmann am 5. Juni 1901, RWWA 208-213-4.
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„dass man nie zu alt zum Lernen ist und dass, wenn man Erfolg im Geschäftsleben haben will, man auch nicht nur mit Lust und Liebe, sondern auch mit Pflichtbewusstsein jeden Vorteil wahrnehmen muss“859.
In dem Maße, in dem der Stollwerck’sche Betrieb seit der zweiten Hälfte der 1870er Jahre wuchs und Zweiggeschäfte in mehreren europäischen Städten gegründet wurden, ließ sich das personalisierte Konzept der Unternehmensführung nicht mehr umsetzen. Zwar bemühten sich die Gebrüder Stollwerck, durch regelmäßige Besuche in den Zweigniederlassungen den persönlichen Umgang mit den Geschäftsführern zu pflegen, doch zum einen nahmen geplante Visiten der Kommunikation ihre Intimität, Spontanität und Unmittelbarkeit, zum anderen ließ die zunehmende Komplexität der Unternehmensführung ihnen immer weniger Raum für die Pflege der persönlichen Kommunikation, die sukzessive durch das Medium Brief ersetzt wurde.860 Da individuelle Arbeitsverträge, in denen die Rechte und Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer schriftlich niedergelegt wurden und aus denen sich bestimmte Erwartungen an unternehmenskonformes Verhalten ablesen lassen, nicht überliefert sind, können explizit formulierte Verpflichtungen nur aus den Briefwechseln zwischen der Unternehmensleitung und den Geschäftsführern der Zweighäuser destilliert werden. Insbesondere in Konfliktfällen, in denen die Angestellten gegen die implizit geltenden Wertvorstellungen und Handlungsnormen verstoßen hatten, nahm die schriftliche Kommunikation ein beachtliches Ausmaß an. Als sich beispielsweise Gustav Burbach weigerte, die 1902 reorganisierte Buchführung entsprechend der Kölner Vorgaben im Münchener Zweiggeschäft umzusetzen, ermahnte ihn Ludwig Stollwerck: „Sie sollten progressiver denken und nicht Worte gebrauchen wie: Sie seien nur unser Angestellter etc. Wir betrachten unsere Geschäftsführer als Mitarbeiter und als solche erwarten wir von denselben nicht nur Dienste eines Durchschnitt-Beamten sondern dass sie in Geist und Erfahrung uns direkt zur Seite stehen. Unsere Reorganisation mag im Anfang etwas mehr Schreibereien bringen! Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass dies nach Einarbeitung nicht mehr der Fall ist. Unsere Reorganisation in den schriftlichen Arbeiten bezweckt, die Angestellten in denkende Köpfe und mechanische Arbeiter zu theilen […]. […] Es ist geradezu traurig, dass Sie mir schreiben, durch die neue Organisation wären Sie im Verkaufe, in der Zeit beengt, wogegen wir damit gerade beabsichtigen, den Geschäftsführer von allen schriftlichen Arbeiten zu entlasten […]. […] Sie können sich denken, wie ich bei solchen Resultaten bedauern muss, dass Sie als Folge der neuen Organisation das Besuchen und Poussieren der Kundschaft als beeinträchtigt hinstellen, also einfach meine ganze Arbeit, an welcher ich seit 5 Jahren arbeite, total auf den Kopf stellen. […] Konservativ soll der Kaufmann in der Gründlichkeit sein aber progressiv sei sein Panier!“861 859 Ludwig Stollwerck an Herrn Schmitt am 19. April 1901, RWWA 208-229-1. 860 Formalisierte Berichtspflichten der Geschäftsführer lassen sich anhand der Quellen nicht nachweisen. 861 Ludwig Stollwerck an Gustav Burbach am 27. Januar 1904, RWWA 208-206-9. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Wilhelm Krüger am 11. April 1903, RWWA 208-207-8. Auch der Berliner Geschäftsführer wurde im Zusammenhang mit der neuen Buchführung ermahnt: „[…] und seien Sie mir nicht zu conservativ, indem Sie glauben, wo es jetzt immer so gut gegangen hat und es auch künftig auf demselben Wege […] weiter gut gehen soll.“
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
An oberster Stelle des Anforderungsprofils stand für die Geschäftsführer der Niederlassungen im In- und Ausland der angemessene Umgang mit den Kunden. Als es Ende der 1870er Jahre zwischen den Gebrüdern Stollwerck und den Wiener Geschäftsführern Heinrich Karuth und Georg Kraniger zu Unstimmigkeiten kam,862 listete ein namentlich nicht zu identifizierender Autor, der das Wiener Geschäft sehr genau beobachtet haben muss, „einige Geschäfts Manieren“ von Heinrich Karuth auf, die „entschieden gegen die stipulirte Geschäfts-Maxime verstoßen“. Diese neunseitigen Ausführungen verdeutlichen, dass bürgerliche Verhaltensnormen bei Stollwerck oberste Priorität genossen, es den Brüdern aber nicht durchweg gelang, unternehmenskonformes Verhalten, vor allem außerhalb des Kölner Stammhauses, auch durchzusetzen. Zu den Verhaltensstandards gehörte z. B., dass die Angestellten sich ansprechend kleiden, in geschlossenen Räumen keinen Hut tragen, Kunden beim Betreten des Geschäfts einen guten Tag wünschen, Geduld mit ihnen haben863 und eine angemessene körperliche Distanz zu ihnen wahren sollten. Keinesfalls sollten die Beschäftigten, etwa durch fortgesetztes Zeitunglesen oder private Tätigkeiten im Geschäft, den Eindruck vermitteln, der Kunde genieße nicht ihre volle Aufmerksamkeit oder es sei keine Arbeit zu verrichten. Auch Bescheidenheit und Zurückhaltung wurden großgeschrieben. Anmaßendes Verhalten, etwa indem sich der Geschäftsführer „als einer der Herren Gebrüder Stollwerck gerirt“, wurde nicht geduldet. Erwartet wurde ferner, dass die Geschäftsführer das Vertrauen in die Solidität der Firma Stollwerck stärkten, d. h. Rechnungen pünktlich bezahlten und nicht die Gewohnheit entwickelten, „wenn Leute mit Rechnungen kommen u. das Geld verlangen, dieselben unter allen Umständen abzubestellen, denselben Chocolade, Marcipan u.s.w. zu schenken, um selbe zu beschwichtigen“864. Ein derartiges Geschäftsgebaren betrachteten die Gebrüder Stollwerck, ebenso wie die „staunenswerte Unhöflichkeit“865 eines Breslauer Lehrlings gegenüber Kunden als außerordentlich geschäftsschädigend. Ausführlich lassen sich die Konflikte, die mit den Geschäftsführern der Zweiggeschäfte entstanden, für das England-Geschäft darstellen, für das ab 1889 E. Lühring verantwortlich war, den die Gebrüder Stollwerck einem Hannoveraner Geschäft abgeworben und in Köln eingearbeitet hatten.866 Sie zeigten sich mit 862 Siehe hierzu ausführlich Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 314–319. 863 Sofern Kunden nach Meinung von Heinrich Karuth zu lange bei der Auswahl verweilten, ging er zu ihnen und sagte: „‚Sie kaufen ohnehin nichts, was halten Sie uns auf, u. nehmen nur den Platz für andere, die kaufen wollen ein.‘“ o. A.: Einige Geschäfts Manieren, in welchen sich Herr Karuth zu bewegen beliebt, die aber entschieden gegen die stipulirte Geschäfts-Maxime verstoßen, o. D., RWWA 208-224-5. 864 Die letzten Zitate aus ebenda. 865 Ludwig Stollwerck an Paul Ostrowski am 7. September 1901, RWWA 208-188-4. 866 Siehe E. Lühring an die Gebrüder Stollwerck am 14. Januar 1889, RWWA 208-245-5. Bereits Franz Stollwerck pflegte in den 1850er Jahren geschäftliche Kontakte nach England. Siehe Kapitel III.A.1. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 336–339. Für vergleichbare Konflikte im Stollwerck’schen Donaukonzern siehe ebenda, S. 314–336; dies.: Gebr. Stollwercks Aufstieg zum Multinational, S. 37–41.
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seiner Tätigkeit im Zuge der Einrichtung und Eröffnung des Ladengeschäfts am Piccadilly Circus 1890 zunächst sehr zufrieden und sprachen ihm ihre „vollste Anerkennung“ aus. Insbesondere lobten sie, dass er sich seinen Pflichten als Geschäftsführer „warm angenommen“ habe und ihre Interessen „mit Fleiss und Energie“ so vertrete, „wie es einer der Unserigen für das eigene Geschäft habe thun können“867. Die Zufriedenheit beruhte jedoch nicht auf Gegenseitigkeit. Das Geschäft lief „nicht so flott, wie man es wünscht“868, was Lühring maßgeblich auf die mangelnde Unterstützung aus Köln zurückführte: „Die größte Mühe habe ich mir gegeben das Geschäft in Schwung zu bringen, keine Anstrengung gescheut & bis in die Nächte hinein gearbeitet & muß ich jetzt, nachdem ich 1 1/2 Jahre der Sache geopfert habe, zur Einsicht kommen, daß ich nicht Ihrerseits so unterstützt wurde, wie ich es erwartet hatte u. in Ihrem Interesse erwarten sollte; sehen Sie sich bitte die Liste der gestern von mir reclamirten Orders an u. die vielen Klagen, die ich Ihnen unterbreiten mußte & die Sie als ‚wohl begründet‘ anerkannt haben u. wenn dann nun noch ein Mißtrauensvotum Ihrerseits folgt; anstatt eine Ermuthigung durch Verbeßerung meiner Position, die mir bis jetzt Zuschuß aus Privatmitteln gekostet hat, so halte ich es für meine Pflicht, Ihnen hiermit, wenn auch mit schwerem Herzen nach all den Sorgen & Arbeit die ich gehabt, meine Demission einzureichen.“869
In einem weiteren Schreiben führte er seine Kritik aus: „Es war abgemacht, daß ich nur Leiter eines Engros Lagers sein sollte, 6 Wochen nach Köln zur Einarbeitung kommen sollte & am 1. Juli das Geschäft in London […] eröffnet werden sollte! Wie ist der Plan zur Ausführung gekommen? Aus Engros Geschäft wurde Engros Detail, aus 6 Wochen Einarbeitung zu halbem Gehalt 6 Monate in Köln & dann noch 3 Monate in London zu halbem Gehalt; habe ich mich je darüber beklagt? Habe ich irgend welche Arbeit, Mühe od. Verdrießlichkeit gescheut? Ich habe die Mehrkosten ohne Murren gezahlt & hätte nichts davon erwähnt sprächen Sie nicht in Ihrem Briefe von den theuren Einarbeitungskosten […].“870
Die Gebrüder Stollwerck wollten die Kündigung ihres Geschäftsführers freilich zunächst nicht akzeptieren und versuchten, ihn mit einer Verdopplung seines Gehalts zum Bleiben zu bewegen.871 Lühring stellte jedoch seine Gesundheit über monetäre Anreize, so dass die Brüder gezwungen waren, sich bereits nach anderthalb Jahren einen neuen Geschäftsführer zu suchen.872 Auf Empfehlung von Lühring übernahm im Januar 1891 mit dem Engländer Ernest Searle ein Einheimischer die Geschäftsführung des Stollwerck’schen Eng867 Gebrüder Stollwerck an E. Lühring am 11. Februar 1890, RWWA 208-245-5. E. Lühring erhielt für seine Tätigkeit als Geschäftsführer ein Jahresgehalt von 250 Pfund – 150 Pfund als Festgehalt und fünf Prozent Tantieme vom Reingewinn mit einer Minimalvergütung von 100 Pfund pro Jahr. E. Lühring an die Gebrüder Stollwerck am 3. März 1890, RWWA 208245-5. 868 Julie Hergert an die Gebrüder Stollwerck am 5. März 1890, RWWA 208-245-5. 869 E. Lühring an die Gebrüder Stollwerck am 4. Oktober 1890, RWWA 208-245-5. 870 E. Lühring an Ludwig Stollwerck am 19. Dezember 1890, RWWA 208-245-5. 871 E. Lühring an Ludwig Stollwerck am 9. Oktober 1890, RWWA 208-245-5. 872 Siehe E. Lühring an Ludwig Stollwerck am 24. November 1890, RWWA 208-245-5. Siehe auch E. Lühring an die Gebrüder Stollwerck am 28. November 1890, RWWA 208-245-5.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
land-Geschäfts.873 Im Unterschied zu den leitenden Angestellten im Stammhaus hatte Searle weder bei Stollwerck gelernt noch war er wie sein Vorgänger zunächst in Köln mit den neuen Aufgaben vertraut gemacht worden. Hinzu kam, dass es sich bei der Kakao- und Schokoladenindustrie für ihn um einen „ganz neuen Handlungs-Bereich“874 handelte. Dieser Umstand verwundert angesichts der Tatsache, dass die Gebrüder Stollwerck normalerweise nur Angestellte in leitende Positionen beriefen, die im Unternehmen verwurzelt waren, d. h. Loyalität, Fleiß und Zuverlässigkeit durch ihre langjährige Betriebszugehörigkeit bewiesen hatten. Die Einstellung Searles lässt sich vor diesem Hintergrund nur damit erklären, dass die Brüder nach der Kündigung Lührings zum einen schnell einen Nachfolger benötigten, zum anderen mit einem Einheimischen vermutlich die Hoffnung verbanden, dem schwächelnden englischen Geschäft auf die Beine helfen zu können. Als bereits nach wenigen Monaten die ersten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gebrüdern Stollwerck und ihrem englischen Geschäftsführer auftraten, mokierte Searle indes genau diese fehlende Vertrautheit mit den Stollwerck’schen Gepflogenheiten und betonte, dass es für ihn besser gewesen wäre, wenn er den „Vortheil eines längeren Aufenthalts in Köln gehabt hätte, um die verschiedenen Details Ihrer Organisation besser zu lernen“875. Die Brüder zeigten sich zunächst nachsichtig und stellten Searle ihren langjährigen Mitarbeiter Peter Harnisch als Berater und Kontrollinstanz zur Seite.876 Harnisch zeigte sich allerdings bereits nach kurzer Zeit wenig optimistisch, auf Dauer eine für beide Seiten zufriedenstellende und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Searle zu erreichen. Er sei „zuviel Engländer als daß er sein vollstes Interesse einer deutschen Firma zuwenden“ könne. Zudem mache er auf ihn den Eindruck, dass er weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft denke, sondern sich lediglich für das interessiere, „was gerade vor ihm liegt“. Harnisch betrachtete diese Eigenschaft als „sehr großen Uebelstand“877, erfordere doch eine unternehmerische Tätigkeit, zukünftige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und ihnen möglichst immer einen Schritt voraus zu sein. Die Gebrüder Stollwerck zogen aus den Vorbehalten Peter Harnischs aber zunächst keine Konsequenzen, sondern beauftragten ihn nur damit, das englische Geschäft regelmäßig zu kontrollieren. Im Juli 1894 legte Harnisch einen elfseitigen Bericht vor, der lediglich die Einrichtung des Kontors und die Lagerung der Waren positiv hervorhob, ansonsten aber detailliert die geschäftlichen Versäumnisse Searles anprangerte und sich gleichsam als Bestätigung der bereits drei Jahre zuvor geäußerten Vorbehalte liest. Das englische Geschäft sei, erstens, personell überbesetzt, Searle widme sich, zweitens, primär nachrangigen Aufgaben wie der 873 874 875 876 877
Siehe Peter Harnisch an die Gebrüder Stollwerck am 25. Mai 1891, RWWA 208-245-6. Ernest Searle an die Gebrüder Stollwerck am 18. Mai 1891, RWWA 208-245-6. Ebenda. Siehe ebenda. Die letzten Zitate aus Peter Harnisch an die Gebrüder Stollwerck am 25. Mai 1891, RWWA 208-245-6. Siehe auch Peter Harnisch an die Gebrüder Stollwerck am 19. Mai 1891, RWWA 208-245-6.
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Zusammenstellung der Waren für den Versand. Zudem halte er sein Personal, drittens, nicht zu „flottere[m] Arbeiten“ an, so dass alles „gar zu langsam“ erledigt würde. Viertens mokierte er, dass die Buchführung zwar ordentlich sei, die englische Kundschaft ihre Rechnungen aber nicht zeitnah begleiche. Searle versäume es nicht nur, regelmäßig Mahnungen zu versenden, sondern auch die Pflege der Kundenkartei lasse zu wünschen übrig. Nachdrückliche Kritik übte Harnisch, fünftens, auch an den Reisenden, die zum einen „nicht einer strengen Kontrolle unterworfen“ seien und zum anderen – wie Searle selbst – vollkommen außer Acht lassen würden, „dass bei Einräumung der weitgehenden Konditionen das Geschäft durchaus keinen Nutzen zieht“ und Nachlässe nur den „wirklichen Grossisten“ gewährt werden dürften. Im Zentrum seines Berichts stand aber, sechstens, der Vorwurf, Searle habe dem langjährigen Vertreter Stollwerck’scher Waren in England, Joseph Hartl, mit dem die Gebrüder Stollwerck auch freundschaftlich verbunden waren,878 Kunden abgeworben und damit „die Wünsche der Firma nicht genau befolgt“879. Hatten die Gebrüder Stollwerck die Kontrolle ihres englischen Geschäftsführers und die direkte Kommunikation bis zu diesem Zeitpunkt primär an Peter Harnisch delegiert, veranlasste sie sein kritischer Bericht, nun selbst einzugreifen. Allerdings dauerte es zweieinhalb Monate, bis Peter Joseph Searle in einem 21 Seiten langen Brief die Grundprinzipien Stollwerck’scher Geschäftstätigkeit – Autorität, Disziplin, Fleiß, Treue, Pflichtgefühl und Sparsamkeit – erläuterte. Diese Maßnahme war in der Ausführlichkeit und Klarheit bis dato offensichtlich versäumt worden. Nachdrücklich wies Peter Joseph Stollwerck zunächst auf den Grundsatz hin, dass die Brüder Geschäftspartnern keine Konkurrenz machten – am wenigsten Joseph Hartl, der Stollwerck seit 25 Jahren verbunden und stets ein „fleissiger und tüchtiger Mitarbeiter“ gewesen sei, sich um die Einführung Stollwerck’scher Fabrikate in England „grosses Verdienst“ erworben und „niemals Unannehmlichkeiten“ bereitet habe. Man habe Searle zu Beginn seiner Tätigkeit in „bündiger Weise“ auf diese Geschäftsbeziehung hingewiesen, so dass man es zunächst nicht für möglich gehalten habe, er könne die Anweisung „nicht stricte“ befolgt haben. Enttäuscht sei man ferner, dass Searle seine Vorbildfunktion als Geschäftsführer nicht ausgefüllt habe: Während der „Lehrreise“ von Gustav Stollwerck nach England habe er es versäumt, den Sohn von Peter Joseph in jeder Beziehung zu unterstützen und seine avisierten „Höflichkeits-Besuch[e]“ bei den Kunden entsprechend vorzubereiten und mit den Reisenden abzustimmen. Vielmehr sei Gustav aufgefallen, dass die Kontrolle der Reisenden durch Searle eine „vollkommen ungenügende“ sei, Buchhaltung und Korrespondenz nicht tagesaktuell erledigt, Ein- und Ausgang von Bestellungen nicht ordentlich dokumentiert würden und das Warenlager nur unzureichend kontrolliert sei. Zudem prangerte Peter Joseph Stollwerck an, dass die Angestellten ihre Arbeitszeit oft unzulässig verkürzen würden und bei Searle und seinen Reisenden offensichtlich die Ansicht vorherrsche, „an Samstagen sei nichts oder nur sehr wenig zu machen“. Statt sich 878 Siehe Kapitel III.A.1. 879 Peter Harnisch: Bericht über die Reise nach London, 31. Juli 1894, RWWA 208-245-6.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
auf Erreichtem auszuruhen, müsse man alle Kräfte aufbieten, an jedem Tag Geschäfte abzuschließen. Missbilligend stellte er zudem fest, dass man in Köln „erheblich billigere“880 Spesen habe und Searle den Reisenden die Kosten für Fahrten und Unterkünfte zu großzügig erstatte. Die Reaktion von Searle auf die massive Kritik aus Köln lässt vermuten, dass er mit klaren Anweisungen besser hätte umgehen können als mit Aufforderungen wie „Sie müssen doch einsehen, lieber Herr Searle, dass Sie sich die Geschäftsführung durch ein solches unsystematisches Arbeiten ausserordentlich erschweren“881, „Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Sie Energie entfalten werden, die verschiedenen Fehler in der ganzen Geschäftsleitung des Londoner Zweighauses zu vermeiden“882 oder mit in Frageform gekleideten Ermahnungen: „Aber lieber Herr Searle, ist es nicht ein grosses Unrecht von Ihnen, dass Sie solche Mitteilungen und solches Ergebnis einer Bilanz nicht sofort nach Fertigstellung uns zukommen lassen?“883 Searle griff die Kritik von Peter Joseph Stollwerck zwar systematisch auf, wies aber ein Fehlverhalten weit von sich. Die strengen Vorwürfe seien „absolut nicht verdient“. Um weitere Differenzen zu vermeiden, versprach er aber: .
„Sie können sich aber darauf absolut verlassen dass wo nach Ihrem Wunschen Reformen in der Arbeit, mit meinem Personal, in der Frage der Abgabe von Sconten & der Art des Incassos zu machen sind, dass ich die gewissenhaft, prompt & mit besten Willen und Energie machen werde.“884
Die Gebrüder Stollwerck gaben sich mit dieser Versicherung (zunächst) zufrieden. Für ihr Verhalten sind verschiedene Erklärungen denkbar: Sie waren entweder konfliktscheu und entscheidungsschwach, d. h. es mangelte ihnen an den Mitteln, „um eine so starke Persönlichkeit wie Ernest Searle in die angemessene Verpflichtung zu nehmen“885, oder schraken aus Sorge um das ohnehin schwächelnde englische Geschäft vor einem erneuten Wechsel des Geschäftsführers zurück. Denkbar ist zudem, dass sie Searle nicht einfach aus seiner Verpflichtung für das Unternehmen entlassen wollten. Analog zum Bild der Familie als lebenslange Gemeinschaft, aus der man auch nicht einfach ausscheiden kann, und dem für Unternehmerfamilien grundlegenden Gedanken der Wesenseinheit von Familie und Unternehmen erwarteten die Brüder von ihren Beschäftigten ungebrochene Loyalität und Disziplin. Peter Joseph Stollwerck hatte Searle im Zuge seiner umfassenden Kritik mehrfach aufgefordert, in den Ausführungen „nicht sofort directe persönliche Vorwüfe“ zu sehen. Zwar erkannte er selbst die Ursache der Missstände, dass nämlich der englische Geschäftsführer „zu plötzlich in das Geschäft gekommen“ 880 Die letzten Zitate aus Peter Joseph Stollwerck an Ernest Searle am 13. Oktober 1894, RWWA 208-245-6. 881 Ebenda. 882 Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 22. Oktober 1894, RWWA 208-245-6. 883 Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 19. September 1904, RWWA 208-246-4. 884 Ernest Searle an die Gebrüder Stollwerck am 20. Oktober 1894, RWWA 208-245-6. 885 Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 344. Siehe auch ebenda, S. 336–355.
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sei, doch verkannte er, dass Searle gerade aufgrund der fehlenden Sozialisation im Kölner Stammhaus die Appelle seines Vorgesetzten nicht verstehen konnte. Die Stollwerck’sche Unternehmenskultur, an die Selbstverpflichtung und Vernunft der Angestellten zu appellieren,886 war Searle fremd –, was offensichtlich sowohl auf kulturelle Differenzen bzw. eine gänzlich andere Managementkultur in England zurückzuführen ist als auch in der Person Searle begründet lag.887 Ludwig Stollwercks britischer Geschäftsfreund Gilbert Bartholomew wies ihn beispielsweise darauf hin, dass er einigermaßen erstaunt sei, dass Ludwig den englischen Geschäftsführer für einen Sonntag zu einem Gespräch nach Köln bestellt habe: „In England Sunday is a day for rest, and those men who work hard for six days out of seven, seem to find the seventh day of rest quite necessary if they are to be fit for their work in the following week; but, I suppose it is different in Germany, and you expect Searle to work as if he were in Germany. For my part, I think he deserves a day’s rest once out of seven days.“888
Zu berücksichtigen sind ferner auf die unterschiedlichen Muttersprachen zurückzuführende Kommunikationsprobleme. Zwar sprach Searle deutsch, doch ist davon auszugehen, dass er die Formulierungen der Gebrüder Stollwerck nicht immer richtig zu gewichten und einzuordnen vermochte und sich die kulturelle Differenz insofern noch verstärkte. Gustav Stollwerck hingegen machte weniger die kulturellen Unterschiede als vielmehr charakterliche Schwächen Ernest Searles für die Missverständnisse verantwortlich. Er sei ein „Blender und ein besonders geschickter Korrespondent“, der „etwaige Nachteile, die unsererseits nicht so zu vermeiden waren, ganz unverhältnismässig aufbauschte“889. Er habe „nie […]
886 Als der Berliner Reisende Paul Behrens es versäumte, Ludwig Stollwerck auf einen Brief zu antworten, wurde er wie folgt gerügt: „Auf diesen Brief habe ich auch keine Antwort erhalten und bezwecke ich hiermit, Sie zu ersuchen, dies nachzuholen, denn ich kann mir nicht denken, dass Sie Wert darauf legen, mich fortwährend unzufrieden zu lassen.“ Ludwig Stollwerck an Paul Behrens am 10. Mai 1901, RWWA 208-207-8. In einem anderen Zusammenhang mahnte Ludwig Stollwerck: „Wenn sie nun solchen wiederholt von uns verlangten Instructionen über die Art der Geschäfts-Abwicklung nicht nachkommen wollen, dann können Sie doch auf der anderen Weise auch von uns nicht verlangen, Ihnen einen so bedeutenden Spesen-Beitrag zur Geschäftsführung zu geben. Wenn wir das thun, dann verlangen wir auch Gegenleistung und zwar nach unseren Erfahrungen und müssen Sie es doch auch dann nicht nur als eine juristische, sondern geradezu als eine moralische Pflicht halten, unseren Vorschriften vollständig nachzukommen.“ Ludwig Stollwerck an Paul Behrens am 27. September 1902, RWWA 208-207-8. 887 Epple (Das Unternehmen Stollwerck, S. 349–353), wies darauf hin, dass das geschäftliche Verhalten Ernest Searles bei britischen Geschäftsfreunden der Gebrüder Stollwerck auf deutlich weniger Kritik und Unverständnis stieß. Siehe zu nationalen Unternehmenskulturen auch Berghoff: Moderne Unternehmensgeschichte, S. 159 f. 888 Gilbert Bartholomew an Ludwig Stollwerck am 9. November 1906, RWWA 208-246-6. Siehe auch Ernest Searle an die Gebrüder Stollwerck am 8. April 1891, RWWA 208-245-6. 889 Gustav Stollwerck an Peter Harnisch am 12. August 1908, RWWA 208-34-4. Searle beklagte vor Gründung einer eigenen Stollwerck-Fabrik in London vor allem die lange Lieferdauer aus Köln. Siehe Carl Stollwerck an Ernest Searle am 28. April 1903, RWWA 208-246-4.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
verstehen können“, warum er bei seinem Vater und seinen Onkeln „einen derartigen Stein im Brett gehabt“ habe.890 In den folgenden Jahren wiederholten sich die Vorwürfe der Gebrüder Stollwerck und die Zurückweisung der Kritik durch Searle in nahezu grotesk anmutender Regelmäßigkeit.891 Die Brüder gaben die Hoffnung offensichtlich nicht auf, Ernest Searle auf ihre unternehmensbezogenen Normen und Werte verpflichten zu können. Neben vereinzelten Zurechtweisungen, seine Kompetenzen nicht zu überschreiten und die Geschäftspolitik umzusetzen, welche sie als „verantwortliche Besitzer“892 beschlossen hätten, appellierten sie nahezu gebetsmühlenartig an ihn, „mit Lust und Liebe“893 ihre Ziele zu verfolgen und sie in ihrer Arbeit zu unterstützen.894 1904 wurde Ernest Searle als familienfremdes Mitglied sogar gemeinsam mit Ludwig, Carl und Gustav Stollwerck sowie Peter Harnisch Direktor der neu gegründeten Tochtergesellschaft Stollwerck Bros., Ltd.895 Erst 1908 schied Searle aus dem Unternehmen aus. Was letztlich zum Bruch führte, muss offen bleiben. Auf Searle folgte zunächst der erst 24jährige Fritz Stollwerck, obwohl Gilbert Bartholomew Ludwig Stollwerck mehrfach nachdrücklich darauf hingewiesen hatte: „Tastes and ideas and requirements vary very much in different Countries, and I tell you again my dear Ludwig, that if you will let Englishmen manage your English business, you will do very much better.“896
890 Gustav Stollwerck an Peter Harnisch am 12. August 1908, RWWA 208-34-4. 891 Siehe exemplarisch Heinrich Victor Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 24. November 1895, RWWA 208-245-7. In diesem Brief berichtete er z. B., dass in allen Räumlichkeiten des Geschäfts ein „kolossaler Schmutz“ herrsche und es ihn sehr unangenehm berührt habe, wenn man „als Sohn und Neffe in das Geschäft seiner Väter kommt und überall eine solche Unordnung findet“. Siehe auch Heinrich Stollwerck an seine Brüder am 17. Mai 1896, RWWA 208-245-7; Heinrich Victor Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 24. und 31. November 1896, RWWA 208-245-7; Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 16. Oktober 1903 und am 30. April 1906, RWWA 208-272-3. 892 Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 26. Oktober 1904, RWWA 208-246-4. Bereits 1903 hatte Ludwig Stollwerck ihn ermahnt, „die Initiative mir allein in Hand zu lassen und nicht in meine Dispositionen einzugreifen“. Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 14. Oktober 1903, RWWA 208-246-4. 893 Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 30. Oktober 1906, RWWA 208-246-4. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 13. April 1905, RWWA 208-246-5. 894 Konkret ging es um die Jahrhundertwende darum, dass Ludwig Stollwerck die neue Kölner Buchhaltung (siehe Kapitel IV.A.2, FN 303) auch auf die Tochtergesellschaften übertragen wollte, um innerhalb des Konzerns zu einem standardisierten Verfahren zu gelangen. Daher müssten „die Vorschriften von Cöln genau eingeführt werden“. Ludwig Stollwerck an Ernest Searle am 16. Oktober 1903, RWWA 208-272-3. Siehe auch Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 347 f. 895 Siehe ebenda, S. 346. 896 Gilbert Bartholomew an Ludwig Stollwerck am 9. November 1906, RWWA 208-246-6.
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Vor dem Hintergrund, dass Fritz mit den Erwartungen der Familie an unternehmenskonformes Verhalten vertraut war, zeigte sich sein Vater Ludwig aber sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben: „Ich bin überzeugt, dass das Verantwortlichkeitsgefühl Deine Handlungen von selbst sichert und nützlich für das Geschäft macht und last not least Deine Dispositionsfähigkeit und Kenntnisse auf das Beste stärkt. Mit diesen herzlichsten Wünschen übermittle ich Dir meine bestimmte Ueberzeugung, dass Du unser dortiges Zweiggeschäft nach besten Kräften erfolgreich während den nächsten Monaten leiten wirst.“897
Fritz Stollwerck blieb jedoch nicht lange in London, sondern wechselte in das ebenfalls kriselnde amerikanische Geschäft. In „Mr. Allman“, wie er in der Korrespondenz genannt wurde, glaubten die Gebrüder Stollwerck kurz darauf „endlich […] einen tüchtigen und gewissenhaften Geschäftsführer gefunden zu haben“ und waren „recht unangenehm und sorgenvoll“ berührt, als auch der neue Filialleiter ihnen nach kurzer Zeit „unter […] nichtigen Vorgaben einfach wieder die ganze Sache vor die Füsse“ warf. Nach den Erfahrungen mit Lühring und Searle hatten sie aber dazu gelernt. Zwar versuchten sie zunächst, auch Allman zu überzeugen, seine Kündigung zurückzuziehen, doch hatten sie eingesehen, dass wenn „einem verantwortlichen Geschäftsführer die Lust und Liebe, die Begeisterung und das Vertrauen zum Geschäfte“ fehle, es besser sei, „je eher je besser von ihm los zu kommen“898. Die Gebrüder Stollwerck hatten es sich nach eigenen Aussagen zum „Prinzip“ gemacht, „Niemanden zur Liebe zu zwingen“899. Mit einer ähnlichen Begründung legten sie 1904 auch ihrem Bremer Filialleiter nahe, sich eine neue Tätigkeit zu suchen: „Oft bekomme ich den Eindruck, dass Sie sich nicht in unsere neuen Organisationen einarbeiten wollen und dass Sie deshalb überhaupt die Lust und Liebe an unserem Geschäfte verloren haben und Ihnen die Stellung, welche Sie inne haben, mit andern Worten keine angenehme ist. […] Solcherart kommen wir in unseren neuen Organisationen nicht vorwärts. Wir wünschen nicht Hemmschuhe in der Person unserer Geschäftsführer zu haben und dann ist es besser, wenn die Herren sich nicht nach unseren verantwortlichen Dispositionen richten wollen, dass sie sich besser nach einem Felde der Tätigkeit umsehen, das ihnen besser behagt. Ich glaube deshalb, dass es am besten ist, dass wir uns trennen und sie sich gelegentlich nach einem anderen Wirkungskreise umsehen.“900
Ihren Berliner Reisenden Paul Behrens901 ermahnten sie: „Wir können Sie nicht zur Liebe zwingen und können Sie auch nicht zur Pflicht zwingen! Es ist Ihr eigner Wille Herr Ihrer Handlungen und Ihres eignen Willens zu sein.“902 897 Ludwig Stollwerck an Fritz Stollwerck am 7. Dezember 1908, RWWA 208-247-1. 898 Die letzten Zitate aus Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 13. Juli 1910, RWWA 20872-1. 899 Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 15. Juli 1910, RWWA 208-72-1. 900 Ludwig Stollwerck an J. Dederich am 20. Januar 1904, RWWA 208-291-6. 901 Das Berliner Stollwerck-Geschäft leitete zunächst Wilhelm Krüger, mit dem die Gebrüder Stollwerck seit 1880 Geschäftsverbindungen pflegten, etwa seit der Jahrhundertwende wurde er von Paul Behrens unterstützt; die Verkaufsstelle führte bis mindestens 1906 Adele Hörner. Siehe Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 289, 292, 296. Paul Behrens war seit 1903 nur noch als Reisender für die Gebrüder Stollwerck tätig, lediglich zwischen 1906 und 1908 lei-
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Als verantwortlichen Manager für das England-Geschäft setzten die Gebrüder Stollwerck nach der Trennung von Allman vorübergehend ihren bewährten und treuen Mitarbeiter Peter Harnisch ein, weil sie sich von ihm versprachen, dass er ihre Geschäftsprinzipien und Wertehierarchie gewissenhaft befolgen werde.903 Da Harnisch, dessen Sohn mittlerweile ebenfalls für die Gebrüder Stollwerck arbeitete,904 aber in Köln nicht dauerhaft entbehrt werden konnte, mussten sie nach einer langfristigen Lösung suchen. Im Zuge der Diskussionen um einen Nachfolger stellte sich erneut die Frage, ob sie einen deutschen oder einen britischen Geschäftsführer wählen sollten. Zwar befürwortete Ludwig Stollwerck prinzipiell „einen deutschen, branchekundigen Leiter, denn von dieser Seite aus verspreche ich mir das was wir wuenschen und was uns Not tut am allerersten“, doch schloss er nicht kategorisch aus, „dass auch im entgegengesetzten Sinne dasselbe erreicht wird“905. Zwar hätten deutsche Manager hervorragende Qualitäten in der Buchführung, Verwaltung und Fabrikorganisation, doch komme es auch darauf an, „den Absatz in die richtigen Bahnen zu lenken“906. Hier reiche es nicht aus, mit Enthusiasmus an die Arbeit zu gehen, sondern man benötige „einen erfahrenen englischen Kaufmann, einen Verkäufer [...], welcher Land und Leute, englische Verhältnisse kennt, um den Verkauf zu fördern“907. Doch obwohl sie von William Hesketh Lever nachdrücklich unterstützt wurden, das England-Geschäft einem Engländer anzuvertrauen, und er ihnen einen seiner Angestellten empfahl, konnten sich weder die Gebrüder Stollwerck noch Peter Harnisch letztlich dazu durchringen, „einen Versuch mit ihm [zu] machen“908. Sie überlegten nun vielmehr, das englische Geschäft, das stets hinter den Erwartungen zurückgeblieben war, zu liquideren. In einer Analyse, was letztlich zum Misserfolg in England geführt hatte, blendete Ludwig Stollwerck Fehler in der Personalpolitik freilich gänzlich aus: „Die erwähnten Hemmnisse bestehen im englischen Nahrungsmittelgesetz, in der HalbFabrikation und anscheinend auch im Animo gegenüber einer deutsch-klingenden Firma. Insbesondere der letzte Punkt hat es nicht möglich gemacht, trotz einwandfreier Fabrikate und pünktlicher Lieferung den Absatz derartig zu steigern, um nicht nur die bestehenden grossen Betriebs- und Fabrikationsspesen – welche höher als in Cöln und in jeder anderen grossen englischen Fabrik sind – sondern auch die ganz ausnahmsweise hohen Vertriebs-Spesen mit
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tete er noch einmal interimsmäßig die Geschäfte. Wilhelm Krüger schied 1903 aus gesundheitlichen Gründen aus. Ihm folgte Johannes Rogge, der bereits 1906 wieder bei Stollwerck ausschied. Sein Nachfolger wurde Gustav Laute. Ludwig Stollwerck an Paul Behrens am 10. Mai 1901, RWWA 208-207-8. Siehe Carl Stollwerck an Ludwig Stollwerck am 19. Juli 1910, RWWA 208-72-1. Siehe Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch am 16. Mai 1913, RWWA 208-247-2. Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch am 2. Mai 1913, RWWA 208-247-2. Die letzten beiden Zitate aus Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch am 6. Mai 1913, RWWA 208-247-2. Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch am 19. Juli 1913, RWWA 208-247-2. Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch am 9. Mai 1913, RWWA 208-247-2. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch am 6. Mai 1913, RWWA 208-247-2; Ludwig Stollwerck an William Hesketh Lever am 8. Mai 1913, RWWA 208-247-2; Carl Stollwerck an Peter Harnisch am 23. Juni 1913, RWWA 208-247-2.
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den bedeutenden Organisations-Kosten unseres Reisende-Personals in Einklang zu bringen. […] Die erwähnten Hemmnisse haben sich nicht beseitigen lassen, denn eine Steigerung des Umsatzes hat ja in den letzten 3 Jahren ebensowenig stattgefunden wie in den letzten 10 Jahren. […] Das praktische Ziel aber, welches Sie selbst in den Worten: ‚money is the measure of success‘ hervorheben, konnte nicht erreicht werden und der Verlust von 140.000 M einschliesslich verlorenen Zinsen war auch dem letzten Geschäftsjahre beschieden.“909
Die Abwicklung des englischen Geschäfts zog sich indes zu lange hin, so dass das britische Tochterunternehmen erst 1916, im Zuge des Trading with the Enemy Amendment Acts, der ausländische Unternehmen britischer Kontrolle unterstellte, liquidiert wurde. Vorsorgemaßnahmen für die Arbeiter und Angestellten Für die Gebrüder Stollwerck war eine „traute gemütliche Häuslichkeit“910 eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Beschäftigten „mit doppelter Lust und Liebe und Schaffungsfreude an die Arbeit“ gehen konnten. Als patriarchalisch geprägte Unternehmer sahen sie es daher als ihre besondere Fürsorgepflicht an, durch betriebliche Wohlfahrtsleistungen zu dieser Voraussetzung beizutragen. Die ethischen, politischen, religiösen sowie volks- und betriebswirtschaftlichen Gründe der Unternehmer, freiwillige Wohlfahrtsleistungen zu implementieren, lassen sich dabei nur schwierig gegeneinander abgrenzen und wurden in der Forschung kontrovers diskutiert und beurteilt. Im Kern stehen sich zwei Auffassungen gegenüber: Während die vornehmlich ältere Unternehmerforschung und Festschriftenliteratur die innovativen Leistungen und altruistischen Motive der Fabrikanten hervorhob, bewertete die Arbeitergeschichtsschreibung die betriebliche Sozialpolitik911 primär als Instrument, die unternehmerische Macht zu sichern und sozialdemokratische Einflüsse zu unterdrücken.912 Die Gebrüder Stollwerck gründeten bereits in den 1870er Jahren Einrichtungen der betrieblichen Sozialpolitik. Es entstanden, wie bei den meisten Unternehmen, zunächst eine Kranken-, eine Pensions- und Unterstützungs- und eine Unfallkasse sowie ein Invaliden- und Hilfsfond, aus dem bei individuellen Notlagen, Todesfällen, Unfällen von Familienangehörigen etc. finanzielle Leistungen gezahlt wurden.913 Die Motive für die Versicherungsmaßnahmen waren vermutlich in erster Linie Nützlichkeitserwägungen geschuldet. Indem die Gebrüder Stoll909 Ludwig Stollwerck an Peter Harnisch am 2. Mai 1914, RWWA 208-420-5 910 Carl Stollwerck an Franz Stollwerck (II) am 19. Mai 1909, RWWA 208-303-1. 911 Für eine Definition des Begriffs betriebliche Sozialpolitik siehe Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 26 f., 36–47; Welskopp: Betriebliche Sozialpolitik, S. 333 ff. 912 Siehe Schulz: Betriebliche Sozialpolitik, S. 147 ff.; Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 41 ff.; Mauch: Betriebliche Sozialleistungen, S. 340–366. 913 Allerdings sind für diese Einrichtungen nahezu keine Quellen überliefert. Siehe Nieberding: Unternehmenskultur, S. 131; Schulz: Betriebliche Sozialpolitik, S. 151; ders.: Die Arbeiter und Angestellten, S. 114 ff., 250–256, 343–351; Mauch: Betriebliche Sozialleistungen, S. 174–250; Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 108–139, 290–303; Pohl (Hg.): Betriebliche Sozialpolitik.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
werck beispielsweise in die Gesundheit bzw. Genesung ihrer Arbeitskräfte investierten, schufen sie die elementare Voraussetzung, um krankheitsbedingte Ausfallkosten möglichst gering zu halten und einen kontinuierlichen Produktionsablauf zu gewährleisten. Zugleich stärkten Krankenversicherung und Unfallkasse sowie der Invaliden- und Hilfsfond bei den Beschäftigten die Arbeitsmoral, waren sie doch gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung privilegiert, die erst durch die staatliche Sozialversicherungsgesetzgebung der 1880er Jahre partiell gegen die gesundheitlichen, materiellen und existenziellen Folgen von Krankheit, Unfall, Alter und Invalidität geschützt wurde.914 Als einzige betriebliche Einrichtung basierte die Mitgliedschaft in der Betriebskrankenkasse auf dem Versicherungsprinzip und der Zwangsmitgliedschaft. Die Beiträge beliefen sich 1913 auf 4,2 Prozent des Durchschnittstagelohns. Davon zahlte die Firma 1,4 Prozent, der Anteil der Beschäftigten betrug 2,8 Prozent und wurde mit dem Beitrag zum Invaliden- und Hilfsfond am Ende der Lohnperiode vom Lohn einbehalten.915 Der Invaliden- und Hilfsfond wurde ebenso wie die Pensions- und Unterstützungskasse ohne Beiträge der Beschäftigten finanziert, zum Teil aus dem Unternehmensgewinn,916 zum Teil aus den gemäß der Arbeitsordnung verhängten Strafgeldern. Der größte Anteil stammte allerdings aus Schenkungen und Stiftungen der Unternehmerfamilie. Peter Joseph Stollwerck beispielsweise stiftete anlässlich der Vermählungen seiner Kinder jeweils 5.000 Mark, seine silberne Hochzeit veranlasste ihn zu einer Schenkung in Höhe von 25.000 Mark; auch die Geburt von Enkelkindern, runde Geburtstage und Todestage waren Anlässe für weitere Zuwendungen.917 Dem Finanzierungsmodell entsprechend hatten die Beschäftigten keinen Anspruch auf Pensions- oder Unterstützungszahlungen, sondern die Verwendung der Gelder wurde „stets nach eigenem Ermessen des Chefs der Firma festgesetzt“918. Die Gebrüder Stollwerck konnten so sicherstellen, dass nur Beschäftigte, die dem Unternehmen loyal verbunden waren und lange Jahre treue Dienste geleistet hatten, von Zuwendungen profitierten.919 914 Siehe zu Intentionen und Leistungen, Grenzen und Zukunftschancen der staatlichen Sozialpolitik die konzise Zusammenfassung bei Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 907–915. 915 Siehe Mannert: Das Lohnwesen, S. 223 f. Siehe vergleichsweise für die Krankenversorgung der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. und der Firma J. M. Voith im Kaiserreich Nieberding: Unternehmenskultur, S. 131–146. 916 Siehe exemplarisch die Geschäftsberichte der Gebrüder Stollwerck AG für die Geschäftsjahre 1902 bis 1913, RWWA 208-388-3. 917 Siehe Protokolle der Sitzungen des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 16. März 1897, 14. April 1899, 14. April 1900, 29. September 1900, 16. Januar 1901, 11. April 1906, RWWA 208-444-6. Siehe auch Nieberding: Unternehmenskultur, S. 147. 918 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 20. Januar 1898, RWWA 208-444-6. 919 Zu den Unterstützungs- und Pensionskassen der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. und der Firma J. M. Voith im Kaiserreich siehe Nieberding: Unternehmenskultur, S. 146– 160. Siehe auch Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 139–162, 303–313.
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Die Belegschaft stand der Pensions- und Unterstützungskasse und dem mit ihr zementierten patriarchalischen Konzept zwar nicht ablehnend, wohl aber skeptisch gegenüber. Die Vorbehalte lagen maßgeblich darin begründet, dass allein die Gebrüder Stollwerck etwaige Unterstützungszahlungen bewilligten oder ablehnten, die Höhe der Leistungen individuell festlegten, die Richtlinien ihrer Entscheidungen aber nicht bekannt gaben und den Beschäftigten keinen Rechtsanspruch auf entsprechende Zuwendungen einräumten. Der leitende Angestellte Eduard Mannert stellte daher bereits 1898 den Antrag, von den Beschäftigten entsprechend der Höhe ihres Einkommens bestimmte Beiträge zur Pensions- und Unterstützungskasse zu erheben und danach spätere Leistungen zu berechnen, d. h. das autokratische Fürsorge- durch das Versicherungsprinzip mit Beitragszwang und Rechtsanspruch auf die Leistungen zu ersetzen. Carl Stollwerck lehnte diesen Vorstoß jedoch mit dem Hinweis ab, „daß dieser Fond dafür nicht eingerichtet“920 und nicht „mit einer obligatorischen Pensionskasse […] in Verbindung gebracht werden“921 könne. Es handele sich um eine „Privatsache“922 der Gebrüder Stollwerck und sei primär dafür gedacht, Beschäftigten „in vorübergehender Notlage“923 zu helfen. Die Gewährung von finanziellen Zuwendungen sollte demnach nicht zu einer Selbstverständlichkeit bzw. einer Pflichtleistung werden, sondern den Charakter eines Geschenks behalten. Zwar sagte er seine Unterstützung zu, wenn sich neben der bestehenden Pensions- und Unterstützungskasse eine zweite konstituiere, die auf dem Beitragsprinzip der Arbeitnehmer beruhe,924 doch nahm eine solche Einrichtung im Untersuchungszeitraum keine greifbare Gestalt an. Die Quellen enthalten zwar wiederholt Hinweise auf entsprechende Planungen,925 doch machte die Unternehmensleitung noch 1926 darauf aufmerksam, dass „die Bewilligung einer Pension an Beschäftigte oder deren Hinterbliebene eine freiwillige“ Einrichtung sei. „Irgendein gesetzlicher Anspruch besteht für die in Frage kommenden nicht.“ Eine bewilligte Pension könne jederzeit zurückgezogen werden und die Unternehmensleitung wolle sich „immer freie Hand behalten“926.
920 Die letzten beiden Zitate aus Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 20. Januar 1898, RWWA 208-444-6. 921 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. April 1904, RWWA 208-444-6. 922 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 25. März 1908, RWWA 208-444-6. 923 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 15. Juli 1898, RWWA 208-444-6. 924 Siehe ebenda; Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 20. Januar 1898, RWWA 208-444-6. 925 Siehe Protokolle der Sitzungen des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 11. April 1906, 25. März 1908, 12. Oktober 1917, RWWA 208-444-6. 926 Die letzten Zitate aus Unternehmensleitung der Gebrüder Stollwerck AG an die Geschäftsführung des Stollwerck’schen Donaukonzerns am 16. März 1916, RWWA 208-91-4.
482 Jahr 1894 1896 1902 1903 1905 1907 1908 1911 1912 1914 1915 1916
IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Kapital in Mark am 31.12.
Summe der Zahlungen in Mark
21.223,39 61.836,00 119.626,21 146.939,42 165.564,43 270.414,32 249.479,19 301.188,45 363.627,37 432.168,53 587.519,58 716.058,65
6.675,50 10.660,95 11.253,90
Abb. 90: Entwicklung der Pensions- und Unterstützungskasse der Stollwerck AG 1894–1916927
Gratifikationen, Prämien und Urlaub Einhergehend mit dem kontinuierlichen Unternehmenswachstum führten die Gebrüder Stollwerck seit den 1880er Jahren weitere Anreizsysteme ein, um den Belegschaftsstamm zu festigen und zu erweitern. Hierzu zählten z. B. Gratifikationen und Prämien, die mit der Länge der Betriebszugehörigkeit stiegen und mit denen man Beschäftigte auszeichnete, „die die Vorschußleistungen der Betriebstreue und des Wohlverhaltens bereits erbracht hatten“928. Männliche Beschäftigte erhielten nach zehnjähriger Tätigkeit als besondere Auszeichnung ein „Diplom“ und eine einmalige Gratifikation von 30 Mark. Nach 15 Jahren erhöhte sich die Prämie auf 40 Mark, nach 20jähriger Betriebszugehörigkeit wurden 60 Mark gezahlt und das 25jährige Dienstjubiläum wurde mit 250 Mark honoriert. Die weiblichen Beschäftigten hingegen erhielten nach drei Jahren ein Sparkassenbuch über zehn Mark, nach fünf Jahren über 20 Mark und nach zehn Jahren über 70 Mark.929 927 Protokolle der Sitzungen des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 11. April 1895, 16. März 1897, 1. Mai 1903, 12. April 1904, 11. April 1906, 25. März 1908, 12. Februar 1909, 5. März 1912, 27. Februar 1913, 21. März 1916, 12. Oktober 1917, RWWA 208-444-6. Für die Zeit nach 1916 sind keine Daten zur Pensions- und Unterstützungskasse überliefert. 928 Welskopp: Betriebliche Sozialpolitik, S. 361. 929 Wie eine Reihe zeitgenössischer Unternehmer richteten auch die Gebrüder Stollwerck eine Betriebssparkasse ein, um unter ihren Beschäftigten die bürgerliche Tugend der Sparsamkeit zu fördern und die Arbeiter und Angestellten zur Eigenvorsorge anzuregen. Mit Ausnahme dreier Sparbücher, aus denen sich keine allgemeinen Aussagen generieren lassen, sind allerdings zur Stollwerck’schen Fabriksparkasse keine Quellen erhalten. Siehe RWWA 208-4661, 208-471-9, 208-366-7. Siehe auch Nieberding: Unternehmenskultur, S. 205–216; Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 203–214; Schulz: „Der konnte freilich ganz anders sparen als ich“; ders.: Fabriksparkassen. Insgesamt hat die Forschung dem Sparwesen – im Gegensatz z. B. zum Werkswohnungsbau – nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Siehe, auch für weiterführende Literaturhinweise, Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 33.
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Die Gebrüder Stollwerck hatten einen großen Stamm langjähriger Beschäftigter, so dass davon auszugehen ist, dass viele der Arbeiter und Angestellten von den Dienstaltersprämien profitierten.930 Allein 1906 verzeichnete das Unternehmen 15 männliche Beschäftigte mit mindestens 25jähriger Dienstzeit, 19 waren bereits 20 Jahre und länger für das Unternehmen tätig, 57 blickten auf ein mindestens 15jähriges Beschäftigungsverhältnis zurück und 90 feierten ihr zehnjähriges Jubiläum. Unter den weiblichen Beschäftigten arbeiteten 1906 drei bereits 25 Jahre für Stollwerck, sechs gehörten dem Unternehmen seit 20 Jahren an, 18 gehörten seit mindestens 15 Jahren zur Firma und 55 wurden für ihre zehnjährige Unternehmenszugehörigkeit ausgezeichnet.931 Wie bei der Pensions- und Unterstützungskasse hatten die Beschäftigten aber auch auf diese Leistungen keinen Rechtsanspruch, sie lagen allein im Ermessen der Gebrüder Stollwerck. In einem engen Zusammenhang mit der Gewährung von Dienstaltersprämien stand auch die Einführung von Urlaubswochen.932 Bereits 1901 hatte Carl Stollwerck signalisiert, dass er einem Antrag „Entgegenkommen bereiten“ wolle, der vorsah, älteren Beschäftigten im Sommer Erholungszeit ohne Lohnverluste zu gewähren. Allerdings schränkte er direkt ein, dass „ganz selbstredend nur diejenigen Beschäftigten hierbei Berücksichtigung finden könnten, die sich einer solchen Vergünstigung nach jeder Richtung hin würdig gezeigt haben“933. 1902 wurde schließlich „versuchsweise“ folgender Modus vereinbart: Zehn Jahre im Unternehmen Beschäftigte sollten fortan ohne Lohneinbuße alle zwei Jahre sieben Tage Urlaub erhalten. Beschäftigte, die 15, 20 und 25 Jahre für Stollwerck tätig waren, erhielten zehn, 14 und 21 Tage Ferien. Carl Stollwerck wies allerdings ausdrücklich darauf hin, dass „die Ferien nur als Erholung zu betrachten seien und daß keiner während dieser Tage anderswo gegen Entgelt Arbeit ausführen dürfe“934. Sieben Jahre später wurde der Sommerurlaub verlängert. Die Vergünstigungen, die nach wie vor nur versuchsweise galten und für die sich die Unternehmensleitung jederzeitigen Widerruf vorbehielt, sollten nun einem größeren Teil der Belegschaft zukommen. Alle Angestellten, die länger als zwölf volle Monate für Stollwerck tätig waren, sollten nun „in den teilweisen Genus eines alljährlichen Wochen-Urlaubs eintreten“935. Er wurde wiederum gestaffelt: eine Woche für Beschäftigte mit ein- bis zweijähriger Tätigkeit unter Zahlung des halben Lohns und eine Woche für Beschäftigte mit zwei- bis 15jähriger Tätigkeit unter U
930 Dienstaltersprämien variierten von Unternehmen zu Unternehmen. Siehe für einen Vergleich mit der Firma J. M. Voith und den Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. Nieberding: Unternehmenskultur, S. 217 ff. Siehe zu Gratifikationen, Zulagen und Vorschüssen bei Felten & Guilleaume Schulz: Die Arbeiter und Angestellten, S. 151–156, 304 ff. 931 Siehe o. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein, S. 115. 932 Siehe Reulecke: Die Entstehung des Erholungsurlaubs. 933 Die letzten beiden Zitate aus Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 6. März 1901, RWWA 208-444-6. 934 Die letzten beiden Zitate aus Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 18. März 1902, RWWA 208-444-6. 935 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. Februar 1909, RWWA 208-444-6.
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Zahlung des vollen Lohns. Eine Sonderregelung galt für Beschäftigte, die mehr als 15 bis 25 Jahre ununterbrochen für die Gebrüder Stollwerck arbeiteten. Sie erhielten ergänzend zu dem alljährlichen Wochenurlaub jedes zweite Jahr eine zusätzliche Woche Ferien, ebenfalls unter Zahlung des vollen Lohns. Beschäftigten mit mehr als 25jähriger Unternehmenszugehörigkeit wurden jährlich drei Wochen Urlaub bei vollem Lohnausgleich gewährt. Die jährliche Urlaubswoche konnte nicht frei gewählt werden, sondern wurde von der Unternehmensleitung festgelegt. Alle diejenigen Beschäftigten, die noch nicht volle zwölf Monate für Stollwerck tätig waren, erhielten für die Betriebseinstellung während dieser sieben Tage keine Vergütung.936 Speise-, Erholungs- und Gesellschaftshaus Den patriarchalischen Grundgedanken ihrer betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen, das Unternehmen „zum Bezugsrahmen für die Lebensumstände der Beschäftigten“937 zu machen, festigten die Gebrüder Stollwerck 1895 durch den Bau eines Speise-, Erholungs- und Gesellschaftshauses in der Annostraße 24 – in unmittelbarer Nähe der Fabrik.938 Die Verwaltung der Einrichtung oblag dem 1895 zu diesem Zweck gegründeten Stollwerck’schen Beamten- und Arbeiterausschuss, der sich aus Vertretern der Arbeiter und Angestellten zusammensetzte, die unternehmerische Autonomie aber keineswegs einengte. Die Ausschussmitglieder wurden teils von der Unternehmensleitung, teils von den Beschäftigten ausgewählt. Sie trugen als äußerlich sichtbares Zeichen ihrer hervorgehobenen Stellung und ihres Dienstes für das Unternehmen und die Gesamtbelegschaft „bei jeder Festlichkeit & beim Tagesdienst eine […] Auszeichnung in Gestalt eines Ordens“939. Carl Stollwerck als Vorsitzender des Gremiums ermahnte die Mitglieder freilich eindringlich, dass es nicht ausreiche, als Vertreter des Beamten- und Arbeiterausschusses erkennbar zu sein, sondern jeder von ihnen müsse auch bereit sein, „tatkräftig einzugreifen“, dies sei eine „Ehrenpflicht“. „Wenn jemand etwa nicht genug Lust verspüre, sein Amt nach dieser Richtung hin
936 Siehe ebenda. Eine eigene Urlaubsregelung gab es für die Reisenden des Unternehmens. Sie erhielten Weihnachten 14 und Ostern acht Tage Urlaub. In der Gewährung von Sommerurlaub zeigte sich Ludwig Stollwerck hingegen „sehr scharf“ und befürwortete ihn „hoechstens alle zwei Jahre“. Ludwig Stollwerck an Heinrich und Carl Stollwerck am 13. Juni 1910, RWWA 208-71-4. 937 Schulz: Betriebliche Sozialpolitik, S. 156. 938 Siehe Protokolle der Sitzungen des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 11. April 1895, 30. Oktober 1895, RWWA 208-444-6; o. A.: Städtische Nachrichten. 939 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 17. Januar 1896, RWWA 208-444-6.
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voll und ganz auszufüllen, so könne er es nur ruhig sagen, es sei alsdann besser, seinen Platz einem anderen Mitbeschäftigten zu überlassen.“940 Der Ausschuss untergliederte sich in fünf Kommissionen, die für gesellige Veranstaltungen, die Speiseanstalt, die Finanzen, literarische Vorträge und die Bibliothek sowie die Badeanstalt zuständig waren; er tagte in unregelmäßigen Abständen, in der Regel aber mehrmals im Jahr.941 Die Ausschusssitzungen folgten einem immer gleichen Muster: Nach einer offiziellen Eröffnung durch den Vorsitzenden arbeiteten die Mitglieder die Tagesordnungspunkte ab, bevor sie zum inoffiziellen Teil übergingen, der ebenfalls festen Regeln unterlag. Carl Stollwerck lud die Vertreter der Arbeiter und Angestellten zu einem „Fässchen Münchener & Abendbrot“ ein, „bei welcher Gelegenheit man sich noch einige Stunden in ungezwungener Weise unterhielt“942. Nach dem gemeinsamen Abendessen nutzte er das gesellige Beisammensein für politische Ausführungen, etwa zur Flottenpolitik des Kaisers. Das Beisammensein endete stets mit einem „‚Hoch‘ auf Sn. Majestät als den Schutzherrn von Industrie, Handel & Gewerbe“943 und betonte die – zweifellos vom Zeitgeist beeinflusste – patriotisch gesinnte Wertehaltung der Unternehmerfamilie und ihre Erwartungshaltung an die Belegschaft. Das Stollwerck’sche Speise-, Erholungs- und Gesellschaftshaus hatte laut Satzung den Zweck, „den Beschäftigten, denen es nicht möglich ist, während der Mittagspause ihre Häuslichkeit aufzusuchen und auch für Verheiratete, die durch vorübergehende Umstände in ihrem Haushalt gestört sind, behagliche Räume zu schaffen, wo sie gegen billiges Entgeld gute, preiswerte Speisen und Getränke erhalten, beziehentlich holen lassen und sich bis zum Wiederbeginn der Arbeit erholen können, sowie allen Beschäftigten eine Heimstätte zu bilden, welche der Belehrung, Unterhaltung und Geselligkeit dienen soll“944.
Die Räumlichkeiten der Einrichtung umfassten einen Speisesaal für das weibliche Personal, zwei Speiseräume für die männlichen Arbeiter, einen Speisesaal für die kaufmännischen Angestellten, ein Sitzungs- und ein Billardzimmer, das zugleich „der gemüthlichen Unterhaltung und kleinen Festen“945 dienen sollte und von allen Beschäftigten genutzt werden konnte, eine Kegelbahn und eine Badean-
940 Die letzten Zitate aus Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. April 1904, RWWA 208-444-6. 941 Siehe o. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein, S. 117. 942 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 16. März 1897, RWWA 208-444-6. 943 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 18. März 1902, RWWA 208-444-6. Siehe auch Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 20. Januar 1898, RWWA 208-4446. 944 Zitiert nach o. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein, S. 116. 945 Ebenda.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
stalt.946 Die Gebrüder Stollwerck hatten zudem ein Schreib- und Lesezimmer mit einer Bücher- und Zeitungssammlung eingerichtet, die den Beschäftigten Gelegenheit geben sollte, sich „durch gute Bücher zu unterhalten und zu belehren“947. Indem die Arbeiter und Angestellten die ausgewählten Bücher lasen, minimierte die Unternehmensleitung zudem den Einfluss sozialdemokratischer Inhalte.948 Das Speise-, Erholungs- und Gesellschaftshaus umfasste ferner einen großen Vortragssaal mit 400 Sitzplätzen, der wie das Schreib- und Lese- und das Billardzimmer nicht im Arbeitsanzug, sondern „nur in ordentlicher sauberer Kleidung“949 betreten werden durfte. Der Saal konnte aus dem Kreise der StollwerckBeschäftigten von jeder sich bildenden Vereinigung genutzt werden – ausgeschlossen waren politische und konfessionelle Vereine und Besprechungen.950 In dieser Einschränkung spiegelt sich die Kehrseite der betrieblichen Wohlfahrtsleistungen – der insbesondere von monarchietreuen Unternehmern gegen politische, d. h. sozialdemokratische Bestrebungen rigoros durchgesetzte „Herr-im-Haus“Standpunkt. Die Gebrüder Stollwerck stifteten für den Saal nicht nur eine große Kaiserbüste als „Hauptschmuck“951, sondern veranstalteten auch regelmäßig Festakte, die ihre positive Einstellung zum Vaterland, monarchischen Beamtenstaat und preußischen Herrscherhaus demonstrierten, den bürgerlichen Wert des Nationalbewusstseins auf die Beschäftigten übertragen und sie gegen die Einflüsse der Arbeiterbewegung immunisieren sollten. Im Januar 1896 beispielsweise fand ein großer Festakt anlässlich der 25jährigen Wiederkehr der deutschen Kaiserproklamation statt. Kernpunkte der musikalisch untermalten Feier waren die Vorführung eines „‚lebenden Bildes‘“952 und eine Festrede von Carl Stollwerck, „der in beredten, zu Herzen gehenden Worten der großen Ereignisse der Jahre 1870/71 gedachte & seine Rede mit den Worten schloß, allezeit festzuhalten an Kaiser & Reich, worauf die Nationalhymne gesungen wurde“953. Unter den Stollwerck’schen Beschäftigten fand die Einrichtung freilich nicht den von der Unternehmensleitung erhofften Anklang. Sukzessive wurden daher seit 1898 Anreize geschaffen, um den schwachen Besuch des Erholungshauses zu steigern: Fremde durften die Räumlichkeiten ohne Gebühr nutzen und für die Badeanstalt wurden vergünstigte Dauerkarten ausgegeben.954 Zudem ermahnte Carl Stollwerck die Mitglieder der literarischen Kommission, „sich mehr [zu] regen“ 946 Siehe Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 30. Oktober 1895, RWWA 208-444-6. Siehe ferner Nieberding: Unternehmenskultur, S. 144 ff.; Mauch: Betriebliche Sozialleistungen. 947 o. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein, S. 116. 948 Siehe ebenda. 949 Zitiert nach ebenda, S. 117. 950 Siehe ebenda, S. 116. 951 Die letzten beiden Zitate aus o. A.: Städtische Nachrichten. 952 Siehe zum Interesse Ludwig Stollwercks an der Erfindung des Kinematographen Loiperdinger: Film & Schokolade; Epple: Das Unternehmen Stollwerck, S. 219–224. 953 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 17. Januar 1896, RWWA 208-444-6. 954 Protokolle der Sitzungen des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 20. Januar 1898, 14. März 1899, RWWA 208-444-6.
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und durch die Veranstaltung von Vorträgen etc. mit dazu beizutragen, dass „die […] Lokalitäten auch gut benutzt würden“955. Allerdings halfen auch diese Maßnahmen und Appelle nicht, die Resonanz unter den Beschäftigten zu steigern. Nachdem man bereits 1901 einen „wesentlichen Rückgang“956 verzeichnet hatte, gingen die Einnahmen 1903 im Vergleich zum Vorjahr um weitere sieben Prozent zurück. Carl Stollwerck zeigte sich enttäuscht und „glaubte, diesen Gegenständen nicht wiederum besondere Worte widmen zu wollen, indem dies ja anscheinend doch unnütz sei, solange nicht unsere Mitbeschäftigten selbst die Einsicht haben würden, die Einrichtung in erweitertem Maße zu berücksichtigen“957. Heftige Kritik richtete er hingegen an die Mitglieder des Beamten- und Arbeiterausschusses, speziell an die Literarische Kommission, die seine Anregungen nicht verinnerlicht habe und über deren Tätigkeit er „sehr wenig befriedigt“958 sei, weil sie nach seinem Verständnis zu wenig Unterhaltungsabende veranstalte. Den größten Anklang unter den Beschäftigten fand noch die Speiseanstalt, wo sie sich zu niedrigen Preisen beköstigen konnten. Werkswohnungsbau Um die Jahrhundertwende, in der Prosperitätsphase ihres Unternehmens, forcierten die Gebrüder Stollwerck auch den Werkswohnungsbau.959 Zwar fehlen Quellen, die Aufschluss über ihre spezifischen Motive und Zielsetzungen geben, doch ist davon auszugehen, dass sie sich nicht grundlegend von zeitgenössischen Unternehmern unterschieden und primär wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund standen. In der Forschung besteht weitgehend Einigkeit, dass der wichtigste Beweggrund darin bestand, die Kosten und Leistungseinbußen verursachende Fluktuation unter den hochqualifizierten Beschäftigten einzuschränken, d. h. die Arbeitsverhältnisse der für das Unternehmen wichtigen Arbeitnehmer zu verstetigen. Ein weiterer Antrieb lag darin, die Arbeiter gesellschaftlich zu integrieren, indem man durch die Miethöhe ihre materielle Situation verbesserte, sie vor spekulativer 955 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. Februar 1909, RWWA 208-444-6. 956 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 18. März 1902, RWWA 208-444-6. 957 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. April 1904, RWWA 208-444-6. Siehe auch Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 25. März 1908, RWWA 208-4446. 958 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 5. März 1912, RWWA 208-444-6. Siehe auch Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 21. März 1916, RWWA 208-4446. 959 Bis 1870 gab es in Köln nur wenige Werkswohnungen. Die ersten Wohnungen für Fabrikarbeiter waren in den 1840/50er Jahren von dem Zuckerfabrikanten Carl Joest (1858–1942), der Kölnischen Maschinenbau-Anstalt und der Waggonfabrik van der Zypen & Charlier errichtet worden. Siehe van Eyll: Wirtschaftsgeschichte Kölns, S. 244.
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Kündigung schützte und damit letztlich die Sprengkraft der Sozialen Frage entschärfte.960 In Köln hatte zudem das zunehmende Bevölkerungswachstum zwischen 1871 und 1900 zu einer gestiegenen Einwohnerdichte geführt. Lebten 1871 990 Menschen auf einem Quadratkilometer, waren es 1905 bereits 2.700. Bevor um 1885 die ersten Häuser in der Neustadt fertiggestellt waren, war der Wohnraum in der Stadt sehr knapp. Erst in den folgenden Jahren nahm die starke Wohnungsnot allmählich ab. Für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg standen – gemessen an der finanziell abgesicherten Nachfrage – ausreichend Wohnungen zur Verfügung, denn zwischen 1905 und 1914 lag der Anteil an leer stehenden Wohnungen durchschnittlich bei rund 3,9 Prozent. Allerdings gehörte dieser Wohnraum überwiegend zur Kategorie der großen Wohnungen, wohingegen ein erheblicher Mangel an Kleinwohnungen bestand.961 Eine im September 1897 vorgenommene Wohnungszählung hatte ergeben, dass von der Gesamtzahl der in Köln vorhandenen Wohnungen 61,9 Prozent Arbeiterwohnungen waren, d. h. auf 1.000 Einwohner entfielen 150,6 Arbeiterwohnungen. Nach der Baustatistik vom 1. Juli 1897 waren hingegen nur 60,5 Prozent der Gesamtwohnungen Arbeiterwohnungen, d. h. auf 1.000 Einwohner kamen 144,3 Arbeiterwohnungen. Im Hinblick auf Angebot und Nachfrage von Arbeiterwohnungen ergab sich folgendes Bild: Insgesamt wurden 1897 2.487 Wohnungen angeboten, davon 337 zu einem Zimmer, 913 zu zwei und 709 zu drei Zimmern. Nachgefragt wurden jedoch 498 Wohnungen zu einem Zimmer, 2.396 Wohnungen zu zwei und 1.506 Wohnungen zu drei Zimmern. Die Nachfrage war demnach doppelt so groß wie das Angebot.962 Insgesamt lag der Anteil der von den Arbeitern primär nachgefragten Ein- und Zweiraumwohnungen an der Wohnungsproduktion 1896 bei 15 Prozent; bis 1914 nahm er auf sieben Prozent ab.963 Vor diesem Hintergrund verstärkten sich seit der Jahrhundertwende sowohl von kommunaler Seite als auch von Seiten privater Bauträger die Bemühungen, den Mangel an kleinen Wohnungen zu mildern. Die städtische Verwaltung etwa ermäßigte beim Bau von Arbeiterwohnungen die Straßenkosten um 50 Prozent, unabhängig davon, ob die Wohnungen von gemeinnützigen Baugesellschaften oder von Arbeitgebern errichtet wurden.964 Letztere gingen seit den 1890er Jahren verstärkt dazu über, Mietwohnungen zu bauen, die größer, billiger und besser 960 Siehe Nieberding: Unternehmenskultur, S. 170; Schulz: Betriebliche Sozialpolitik, S. 148; ders.: Der Wohnungsbau industrieller Arbeitgeber, S. 383; Brander: Wohnungspolitik als Sozialpolitik, S. 154 f., 163–175; Mauch: Betriebliche Sozialleistungen, S. 340–367; Welskopp: Betriebliche Sozialpolitik, S. 352 f., 358 ff. Siehe ferner Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 171–202, 321–330; Kastorff-Viehmann: Wohnungsbau; Niethammer/ Brüggemeier: Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich?; Brander: Wohnungspolitik als Sozialpolitik; Mauch: Betriebliche Sozialleistungen, S. 250–265. 961 Siehe Henning: Die Stadterweiterung, S. 345, 347. Siehe allgemein zu den Wohnverhältnissen im Kaiserreich Brander: Wohnungspolitik als Sozialpolitik, S. 70–126. 962 Siehe o. A.: Vorlage betreffend die Straßenkosten für Arbeiterhäuser. 963 Siehe Henning: Die Stadterweiterung, S. 347. 964 O. A.: Vorlage betreffend die Straßenkosten für Arbeiterhäuser.
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ausgestattet waren als das Angebot auf dem örtlichen Markt. 1898 hatten industrielle Arbeitgeber in Deutschland bereits 140.049 Werkswohnungen errichtet. Demgegenüber standen freilich ca. acht Millionen industrielle Arbeitskräfte, d. h. auf 100 Arbeitnehmer kamen 1,8 Werkswohnungen.965 Die Wohnungen wurden in der Regel als geschlossene Siedlungen in der Nähe der Fabriken errichtet. Die Häuser erinnerten mit ihrer eineinhalb- bis zweigeschossigen Bauweise häufig eher an englische Cottage-Siedlungen denn an die mehrgeschossige Hinterhofbauweise der Großstädte. Vorbildgebend für den rheinisch-westfälischen Raum wurde seit den 1890er Jahren der Krupp’sche Werkswohnungsbau.966 Der Beginn des betrieblichen Wohnungsbaus der Gebrüder Stollwerck fällt in die 1880/90er Jahre, als sie in der Nähe der Fabrik967 für 44 Familien ihres Personals Wohnungen kauften, einrichteten und vermieteten; zudem beteiligten sie sich finanziell an der Baugenossenschaft Köln-Süd und dem von der Gesellschaft für Arbeitervereinswesen mbH für Arbeiter eingerichteten „Anno-Haus“.968 Nach eigenen Aussagen konnten sie daher um die Jahrhundertwende bereits auf „reiche Erfahrungen in Sachen Arbeiter-Wohnungen“ zurückgreifen. Um die materielle und soziale Situation weiterer Arbeiter zu verbessern, erwarben die Gebrüder Stollwerck Ende der 1890er Jahre ein rund 15.000 qm großes Baugrundstück an der Bonner Straße: „Es ist in der 1 ½ stündigen Mittagspause vom Personal noch zu Fuss zu erreichen, worauf wir bei der Auswahl des Terrains Wert legten. Die in der Ausführung begriffene neue Electrische Bahn wird jedoch auch an dem Terrain vorbeifahren.“969 Bis 1905 wurden auf dem Gelände sechs Arbeiterhäuser970 mit 40 Mietwohnungen errichtet.971 965 Siehe Schulz: Der Wohnungsbau industrieller Arbeitgeber, S. 375, 383 f. Der Bau von Arbeiterwohnungen folgte damit unter der Vielzahl betrieblicher Sozialleistungen direkt hinter der betrieblichen Unfallversicherung und den Krankenunterstützungskassen. Siehe ebenda. 966 Siehe ebenda, S. 376. Zur abweichenden Gestaltung von Arbeiterkolonien im oberschlesischen Industriebezirk und in Berlin siehe ebenda, S. 376 f. 967 Eine genaue Lagebestimmung der ersten Werkswohnungen ist anhand der überlieferten Quellen ebenso wenig möglich, wie Aussagen über Größe, Mietpreise und die Nachfrage von Seiten der Beschäftigten getroffen werden können. 968 Schulz (Der Wohnungsbau industrieller Arbeitgeber, S. 373 f.) unterschied zwischen drei Hauptformen betrieblicher Wohnungsbaupolitik: 1) dem Werkswohnungsbau, d. h. ein Unternehmen baut Wohnungen, die in seinem Eigentum verbleiben, vom Unternehmen verwaltet und bewirtschaftet und an die eigenen Beschäftigten vermietet werden; 2) dem werksgeförderten Wohnungsbau, d. h. ein Unternehmen fördert über Kredite, Zinszuschüsse etc. den Eigenheimbau seiner Beschäftigten, die über ihre Wohnungen allein verfügen und sie in der Regel selbst bewohnen; 3) dem Wohnungsbau durch Dritte, d. h. ein Unternehmen beteiligt sich an Wohnungsunternehmen, unterstützt oder finanziert diese. Die von den Wohnungsunternehmen gebauten Wohnungen werden in der Regel an Beschäftigte der beteiligten Unternehmen vermietet. Siehe auch ebenda, S. 377 f.; Brander: Wohnungspolitik als Sozialpolitik, S. 193–229. 969 Die letzten beiden Zitate aus Ludwig Stollwerck an die Direction der Landesbank der Rheinprovinz am 24. November 1900, RWWA 208-222-1. Siehe auch Pohle: Probleme, S. 94. 970 Die Häuser waren in Massivbauweise errichtet, die Dächer mit roten Falzziegeln gedeckt. Die Fronten waren glatt verputzt, die Umfassungen der Fenster und Türen und die Eckpfeiler bestanden aus roten Steinen. Die Erdgeschossfenster waren mit Rollläden versehen. Das
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Die Häuser waren als „Villenbauten“ konzipiert und bestanden aus zwei Gruppen, von der jede Gruppe drei miteinander verbundene Einzelhäuser umfasste (siehe Abb. 91 und 92). Das mittlere Haus jeder Gruppe war jeweils ein Geschoss höher und beherbergte acht Wohnungen, in den beiden seitlichen Häusern waren jeweils sechs Wohnungen untergebracht. In jeder Etage befanden sich zwei vollständig abgeschlossene Dreiraumwohnungen, die aber so konzipiert waren, „dass auch Wohnungen zu zwei Zimmer und zu vier Zimmer ohne Umänderung abgegeben werden können“. Die verkleinerte Wohnung sollte dann im Bedarfsfall an kinderlose Paare vermietet werden. Die Zimmer hatten laut den Gebrüdern Stollwerck „angemessene reichliche Grössen-Verhältnisse“. Zu jeder Wohnung gehörten ferner eine Speisekammer, ein Wandschrank, ein verschließbarer Kellerraum und ein Abort mit Wasserspülvorrichtung, d. h. die Wohnungen lagen auch im Hinblick auf die sanitäre Ausstattung über dem Standard des freien Wohnungsmarktes. Pro Haus gab es ferner zur gemeinsamen Benutzung ein Badezimmer, eine Waschküche und einen Speicher, der als Trockenboden diente. Der Innenausbau wurde als „solid & dauerhaft“ bewertet, entsprechend den „Verhältnissen kleiner Beamten- & Arbeiterfamilien“972. Vor und hinter den Häusern waren Gärten angelegt, die gesamte Anlage war mit Hecken umpflanzt, d. h. sie war räumlich abgeschlossen und garantierte ein gewisses Maß an Privatheit. Die Häuser hatten 1901 einen Wert von zusammen 226.000 Mark.973 Ziel der Gebrüder Stollwerck war es, dass ihre Arbeiter für den Preis, den sie auf dem freien Markt für eine Zweiraumwohnung zahlen mussten, „hier für denselben Preis Wohnungen à drei Räume erhalten sollen, ausserdem in gesunder
links gelegene Eckhaus der ersten Gruppe verfügte über einen Erkervorbau. Die Hauptfront hatte einen Balkonvorbau und einen Giebelaufsatz, während die übrigen Eckhäuser keinen Erker jedoch zwei Balkonvorbauten hatten, die zudem durch eine Holzkonstruktion verziert waren. Siehe Abb. 91 und 92; Ferdinand Schmitz: Wertschaetzung der Besitzungen der Herren Gebr. Stollwerck zu Köln (Bonnerstrasse), 22. Januar 1901, RWWA 208-221-9. 971 Den Kauf einer Wohnung durch Arbeiter lehnte Ludwig Stollwerck mit folgender Begründung ab: „Die Erwerbung der Wohnungen durch die Arbeiter ist wohl sehr ideal, jedoch nur sehr selten durchführbar besonders in grossen Städten, indem selten ein Arbeiter 25-30 Jahre, solange die Amortisation des Kaufpreises dauert, an einer Stelle bleibt. Sie hat auch zwei Seiten, denn eine grosse Arbeiter-Kolonie wird nach dem Sprüchwort: ‚Ein räudiges Schaf verdirbt leicht die Herde‘ auch leicht in ihrer Ruhe beeinträchtigt. Auch legt die Erwerbung des Hauses dem Arbeiter Lasten und Pflichten auf, die ihn mehr oder weniger drücken und ihm die Mussestunden, die er hat und deren er bedürftig ist, rauben mindestens beeinträchtigen. Von Arbeitern erworbene Häuser werden in den seltensten Fällen so gehalten, wie es sein müsste, weil der Arbeiter die zur Instandsetzung erforderlichen Reparaturen scheut, während sie durch eine grössere Verwaltung systematisch und regelmässig vorgenommen werden. Das erziehliche Moment ist nach liberaler Hausordnung bei dieser Einrichtung äusserst nötig.“ Ludwig Stollwerck an die Direction der Landesbank der Rheinprovinz am 24. November 1900, RWWA 208-222-1. 972 Ferdinand Schmitz: Wertschaetzung der Besitzungen der Herren Gebr. Stollwerck zu Köln (Bonnerstrasse), 22. Januar 1901, RWWA 208-221-9. 973 Siehe ebenda.
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Luft mit einem kleinen Gärtchen oder Bleichplatz“974. Die halbmonatlich zu zahlende Miete betrug für die im Erd- und ersten Obergeschoss liegenden Wohnungen 8,75 Mark. Die Wohnungen in den mittleren Häusern, die rund zwölf Prozent mehr Wohnfläche umfassten, kosteten 9,75 Mark. Für die Wohnungen im zweiten Obergeschoss lag die Miete bei 7,50 Mark. Zum Vergleich: In der Stadt gelegene Wohnungen in zumeist älteren Häusern kosteten halbmonatlich 9,75 Mark.975 Die gesamte Kolonie trug den Namen „Heimstätte Frieden“. Die einzelnen Häuser wurden nach 25jährigen Jubilaren des Geschäfts benannt – eine symbolisch verschlüsselte Auszeichnung für treue Beschäftigte und langjähriges unternehmenskonformes Verhalten sowie zugleich eine demonstrative patriarchalische Förderung der Stammbelegschaft.
Abb. 91: Stollwerck’sches Arbeiterwohnhaus, um 1900 (RWWA 208-557-1)
Abb. 92: Stollwerck’sches Arbeiterwohnhaus, um 1900 (RWWA 208-F6870)
Trotz des zu geringen Angebots an freien Kleinwohnungen auf dem Kölner Immobilienmarkt gestaltete sich die Vermietung der Stollwerck’schen Arbeiterwohnungen schwierig. Die Arbeiter und Angestellten bevorzugten es offenbar, private Wohnungen zu mieten. 1904 machte Carl Stollwerck dem Beamten- und Arbeiterausschuss die „sehr betrübende Mitteilung“, dass in der Villenkolonie bereits seit einem Jahr zehn Wohnungen leer stünden. Die Unternehmensleitung habe daher „zur allgemeinen Kenntnis gebracht, dass, wenn nicht bis zum 15. April diese Wohnungen vermietet wären, eine dieser Villen und zwar Villa Bollig an fremde Interessenten vermietet würde“. Die Gebrüder Stollwerck würden diesen Schritt zwar sehr bedauern, er sei aber unabwendbar, „wenn eben die Mitbeschäftigten keine Einsicht und selbst bei dem etwas längeren Weg die doch gewiss gu-
974 Die letzten Zitate aus Ludwig Stollwerck an die Direction der Landesbank der Rheinprovinz am 24. November 1900, RWWA 208-222-1. 975 Siehe Pohle: Probleme, S. 96. Quellen, die über die exakte Größe der Wohnungen, Kriterien der Wohnungsvergabe, die Entwicklung der Mietpreise sowie Kosten und Nutzen der Arbeiterhäuser für das Unternehmen und die Bewohner Aufschluss geben könnten, fehlen.
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ten Wohnungen bei billigen Mieten, vorziehen würden“976. Aus dieser – nahezu trotzig anmutenden – Äußerung spricht das patriarchalische Grundverständnis der Gebrüder Stollwerck. Sie sorgten für ihre Beschäftigten, indem sie u. a. gut ausgestattete werkseigene Wohnungen errichten ließen und zu niedrigen Preisen vermieteten. Als Gegenleistung erwarteten sie aber auch entsprechende Treue, ein hohes Identifikationspotenzial mit dem Unternehmen und die dankbare Annahme dieser betrieblichen Sozialleistungen. Obwohl die Stollwerck’schen Arbeiterwohnungen in der Tat günstiger waren als vergleichbare Objekte auf dem freien Wohnungsmarkt, blieb es nicht bei Anlaufschwierigkeiten. Auch 1908 waren nicht alle Werkswohnungen vermietet und die Unternehmensleitung hatte aufgrund der ablehnenden Haltung der Beschäftigten davon Abstand genommen, wie ursprünglich projektiert, weitere Arbeiterhäuser zu bauen. Noch immer war der lange Weg zwischen der Arbeiterkolonie an der Bonner Straße und der Fabrik in der Südstadt der Hauptgrund977 für die geringe Auslastung der werkseigenen Wohnungen: „Die Bewohner unserer Arbeiterwohnungen ‚Frieden‘ an der Bonnerstrasse haben diesbezüglich schon vor längerer Zeit eine dringende Eingabe eingereicht, dass die elektrische Bahn wenigstens bis zur Marienburgerstrasse verlängert werden möge; unsere Firma hat schon vor Jahren diesen Antrag gestellt. Als wir vor 8 Jahren die 40 Wohnungen unserer Villen-Kolonie eröffneten, stand in ziemlich sicherer Aussicht, dass in 3-4 Jahren, nachdem der Kanalanschluss erfolgt sei, auch die elektrische Bahn verlängert würde. Dies ist jedoch nicht geschehen […]. Während wir gehofft, dass die Nachfrage nach gesunden und guten Räumlichkeiten seitens unseres Personals in reger Weise erfolgen würde, ist dies jedoch nicht der Fall, weil die durch Familienangehörige wünschenswerte Verbindung mit der Stadt so erschwert ist.“978
976 Die letzten Zitate aus Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. April 1904, RWWA 208-444-6. Als Gegenbeispiel sei der betriebliche Wohnungsbau der Leverkusener Farbenfabriken angeführt: Zwischen 1906 und 1912 bemühten sich jährlich 207 bis 271 Beschäftigte um eine Werkswohnung. Das Unternehmen konnte die Nachfrage auch durch eine zweite Arbeiterkolonie nicht befriedigen. Siehe Nieberding: Unternehmenskultur, S. 170. Siehe ausführlich zum betrieblichen Wohnungsbau der Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. und der Firma J. M. Voith ebenda, S. 167–197. Auch bei der Gutehoffnungshütte in Oberhausen konnte der Bedarf an Werkswohnungen kaum gedeckt werden. Siehe Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 192. 977 Siehe Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 1. Mai 1903, RWWA 208-444-6. Denkbar sind weitere Gründe: Zeitgenössische Kritiker des betrieblichen Wohnungsbaus verwiesen darauf, dass Arbeits- und Mietvertrag häufig aneinandergekoppelt waren: Erhielt ein Arbeiter die Kündigung, musste er auch seine Wohnung räumen. Zudem mussten Witwen und ihre Kinder die Wohnung in der Regel verlassen, wenn der verstorbene Ehemann nicht eine bestimmte Anzahl von Jahren für das Unternehmen gearbeitet hatte. Hinzu kam, dass die Verbindung von Arbeits- und Mietvertrag dem Arbeitgeber ein „Disziplinierungsmittel von höchster Effizienz“ (Schulz: Der Wohnungsbau industrieller Arbeitgeber, S. 382) an die Hand gab, um Debatten um Lohnerhöhungen, Arbeitszeiten, Streiks und Werkswechsel einzudämmen. Siehe Nieberding: Unternehmenskultur, S. 179–182; Schulz: Der Wohnungsbau industrieller Arbeitgeber, S. 381 f. 978 Ludwig Stollwerck an das Oberbürgermeisteramt der Stadt Cöln am 13. September 1908, RWWA 208-221-9.
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Maria-Luisen-Stiftung Anne Nieberding führte eine erfolgreiche „Sozialisation der Arbeiter durch und für das Unternehmen“ auch auf die Fähigkeit betrieblich-sozialpolitischer Instrumente zurück, „der betrieblichen Deutungsgemeinschaft im sozialen, vor allem aber im familiären Umfeld Geltung zu verschaffen“979. Vor diesem Hintergrund gründeten Ludwig und Maria Stollwerck anlässlich ihrer Silberhochzeit 1906 die „Maria-Luisen-Stiftung“, die den länger als drei Jahre bei Stollwerck beschäftigten Mädchen und Frauen die Gelegenheit bot, an Kursen (Kochen, Nähen, Bügeln etc.) teilzunehmen, die sie befähigen sollten, mit den ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln einen geordneten Haushalt entlang bürgerlicher Werte und Normen zu führen. Die versäumte Arbeitszeit wurde den Kursteilnehmerinnen im Verhältnis zu ihrem Tagelohn von der Stiftung vergütet.980 Am Ende der Kurse erhielten die Teilnehmerinnen einen Haushaltsratgeber, der neben Kochrezepten u. a. Hinweise zur Säuglingspflege, praktische Ratschläge für den Haushalt sowie Anleitungen für eine ökonomische Zeiteinteilung beinhaltete. Zwar berichtete Ludwig Stollwerck kurz nach der Gründung, die Stiftung habe beim Personal „einen ausserordentlichen, von uns nicht geahnten Beifall gefunden“981, 1909 jedoch hieß es, dass „die Vergünstigungen dieser Stiftung noch zu wenig von dem weiblichen Personal in Anspruch genommen“982 würden. Die Kurse der „Maria-Luisen-Stiftung“ sollten den Frauen aber nicht allein nützliche Fertigkeiten für die Haushaltsführung vermitteln, sondern sie auch mit bürgerlichen Rollenbildern vertraut machen. Im Vorwort des Haushaltsratgebers wurde daher dezidiert die geschlechtsspezifische Trennung der Aufgabenbereiche beschrieben: Der Mann hatte sich an seinem Arbeitsplatz zu bewähren, der private häusliche Raum, das bürgerliche Heim einschließlich der Familie hingegen wurde als Sphäre der Frau betrachtet. „Der Mann verdient mit seiner Arbeit das Geld, die Frau soll es richtig anlegen, sparsam und haushälterisch damit umgehen. Sie soll es verstehen, das eigne Heim durch Sauberkeit, Ordnung und Freundlichkeit behaglich, anmutig und zum liebsten und besten Erholungsort des Mannes zu machen. Sie soll es verstehen, ein schmackhaftes, gesundes und bekömmliches Essen auf den Tisch zu bringen, da von der richtigen Körperpflege die Kraft und Gesundheit des arbeitenden Mannes zum großen Teil abhängt. Diese einfachen Dinge sind von hoher Wichtigkeit, weil sie Friede und Freude im Hause festhalten. Unordnung, Unsauberkeit, schlechtes oder verdorbenes Essen geben Anlaß zu Zank und Streit, bösen Worten und bitteren Tränen, und gar mancher Mann gewöhnte sich das Wirtshausgehen an, weil er daheim nur Ärger, Streit und Unbehagen fand.“983
979 Nieberding: Unternehmenskultur, S. 197. Siehe weiterführend ebenda, S. 197–204. 980 Siehe Ludwig Stollwerck an Georg Büxenstein am 26. April 1906, RWWA 208-222-1. 981 Ludwig Stollwerck an Paula Peill am 21. Mai 1906, RWWA 208-222-1; Ludwig Stollwerck an Herrn Rektor Flemming am 9. November 1906, RWWA 208-222-1. 982 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. Februar 1909, RWWA 208-444-6. Weitere Informationen zur Maria-LuisenStiftung sind nicht überliefert. 983 Im eignen Heim!
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Als „goldene Worte“ wurden den Frauen zudem folgende bürgerliche Sprichworte an die Hand gegeben: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not“ – „Zeit ist Geld“ – „Sag nicht: ‚Heut hab ich keine Lust!‘ Sprich zu dir selbst: ‚Du mußt, du mußt!‘“984. Die Zielsetzung der Stiftung spiegelt damit deutlich die Nützlichkeitserwägungen betrieblicher Sozialleistungen: Die Erziehung zu Sparsamkeit, kluger Geldanlage, Sauberkeit, Ordnung und Freundlichkeit sollte Arbeitsmoral, Gesundheit und Leistung günstig beeinflussen. Zudem sollte ein sorgsam geführter Haushalt die Arbeiter an die Vorteile von Häuslichkeit und Sesshaftigkeit gewöhnen. Nicht nur den weiblichen Stollwerck-Beschäftigten wurden „Goldene Verhaltensregeln“ an die Hand gegeben, sondern auch in der Fabrik, im Kontor und im Erholungshaus waren Sinnsprüche angebracht, die die Belegschaft auf die bürgerlichen Werte Dankbarkeit, Fleiß, Strebsamkeit, Pflichtbewusstsein und Treue sowie einen soliden Lebenswandel verpflichten sollten – beispielsweise: „Du darfst nicht nach bösen Mäulern fragen, tue recht – hör nicht, was andre sagen!“ „Der beste Wille ist der stete Wille.“ „Zu helfen, wo an Hilfe Not, ist hierzuland ein alt Gebot.“ „Das Handwerk soll man ehren, soll’s seine Kinder lehren.“ „Gepfleget sei in Eurer Mitte guter Brauch und gute Sitte.“ „Der Jugend Lob sich mehrt, wenn Sie das Alter ehrt.“ „Einigkeit macht stark.“ „Stillstand ist Rückschritt.“ „Rast ich, so rost ich.“985
Stollwerck’scher Männerchor Als Gegenwelt zur harten und oft konfliktreichen Berufswelt und der weiblich dominierten häuslichen Privatgeselligkeit galt dem Bürger des 19. Jahrhunderts das dichte Geflecht geselliger Vereine, die sich vor allem den über Jahrhunderte primär von Adel und Klerus dominierten Bereichen Kunst, Musik und Theater verschrieben. Stand in bürgerlichen Vereinen die kulturelle Vergemeinschaftung im Mittelpunkt, hatten die seit den 1860er Jahren in ganz Deutschland entstehenden Arbeitervereine primär eine politische Ausrichtung, d. h. sie verfolgten das Ziel, die sozialdemokratische Gesinnung der Arbeiter auszubilden und zu festigen. Im Kontext verkürzter Wochenarbeitszeit und der Gewährung von Urlaubswochen rückten die Arbeitervereine, aber auch die Zusammenschlüsse der Angestellten seit Ende des 19. Jahrhunderts in den Fokus der Unternehmer, die sowohl 984 Ebenda. 985 Zitiert nach Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 31. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 17. März 1903, RWWA 208-222-1. Mit diesem Brief schickte er seinem Neffen eine „Abschrift von sämtlichen Sinnsprüchen, welche in unserem Kontor und teilweise auch in der Fabrik überall angebracht sind“, damit Albert Nikolaus (II) sie auch im amerikanischen Geschäft anbringen konnte.
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die zunehmende Freizeit der Beschäftigten als auch ihre Zusammenschlüsse als potenzielle Bedrohung für den Betriebsfrieden und einen reibungslosen Produktionsablauf empfanden.986 So lehnte beispielsweise Peter Joseph Stollwerck eine durchgehende Bürozeit ab, weil er fürchtete, die Angestellten könnten durch den früheren Feierabend und die längere Freizeit am Nachmittag auf Abwege geraten.987 Wie zahlreiche andere Unternehmer regten daher auch die Gebrüder Stollwerck die Gründung firmeneigener Vereine für Arbeiter und Angestellte an, um einen gewissen Einfluss auf die Freizeitgestaltung ihrer Beschäftigten zu gewinnen, d. h. sich Deutungshoheit zu sichern.988 Der erste und im Untersuchungszeitraum einzige bedeutende Stollwerck’sche Fabrikverein989 war der 1896 gegründete Männergesangsverein „Theobromina“.990 Folgt man der offiziellen Darstellung der Firma, ging die Gründung nicht von der Unternehmensleitung, sondern von den Angestellten aus, die den Gesangsverein „aus eigenem Antrieb“991 ins Leben riefen. Der Vereinsname wurde in Anlehnung an den botanischen Namen der Kakaopflanze (theobroma cacao) gewählt. Die ursprüngliche Intention der Gründungsmitglieder, sich nach dem Namen der Unternehmensleiter zu benennen, lehnten diese mit der Aussage ab: „‚Nennt Euch nach der kleinen Cacaobohne, die uns alle insgesammt erhält!‘“992 Der Verein verfolgte primär zwei Ziele: Die Arbeiter und Angestellten sollten mit der Welt der Kunst vertraut gemacht werden, der Gesang sollte ihren Sinn für die Schönheit der Musik wecken und zum bürgerlichen Ideal innerer Vervollkommnung beitragen und – daraus folgend – die Sprengkraft der Sozialen Frage mildern und soziale Unterschiede, etwa im Hinblick auf die Hierarchien und Berufe innerhalb des Unternehmens, einebnen: „Tief und unversieglich lebt in jedem Menschen, wo ihm das Schicksal auch die Wiege bereitete, der Trieb und die Sehnsucht zur Kunst. Man erziehe das Volk zur Kunst, man erschliesse 986 Siehe Schulz: Lebenswelt und Kultur, S. 10–14; Schildt: Die Arbeiterschaft, S. 14–17, 19– 22; Nieberding: Unternehmenskultur, S. 229 f.; Lüdtke: Arbeitsbeginn, Arbeitspausen, Arbeitsende; Reulecke: „Veredelung der Volkserholung“ und „edle Geselligkeit“. 987 Siehe Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, S. 562. 988 Siehe Nieberding: Unternehmenskultur, S. 229–244; Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 265–270. 989 Die Quellen enthalten zudem Hinweise auf einen Frauen-Club „Harmonia“, zu dem allerdings nur die Information erhalten ist, dass er sich bereits 1896 wieder auflöste, so dass über seine Ausgestaltung und seine Bedeutung für die Unternehmenskultur keine Aussagen möglich sind. Siehe Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 20. Oktober 1896, RWWA 208-444-6. Laut Kuske (Ausführliche Firmengeschichte, S. 583) unterstützten die Gebrüder Stollwerck um die Jahrhundertwende auch die „sportlichen Bestrebungen“ ihrer Beschäftigten. Sie waren beispielsweise Mitglied im Reichsverband Deutscher Firmen-Sport-Vereine. Quellen zu firmeneigenen Sportvereinen bei Stollwerck sind allerdings nicht überliefert. 990 Siehe allgemein zu Werkschören und Werksorchestern Steegmann (Hg.): Musik und Industrie; Dowe: Die Arbeitersängerbewegung. 991 O. A.: Gebrüder Stollwerck in Cöln am Rhein, S. 118. 992 Gebrüder Stollwerck AG: Theobrominas’s Reise nach Port Sunlight – London vom 7.–12. Mai 1902, o. D., RWWA 208-313-2.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck ihm ihre Segnungen und man hat die soziale Frage zum guten Teile gelöst. Aber die Kunst hat neben dieser Befriedigung einer berechtigten und nicht ohne grosse sittliche Gefahren unterdrückten Sehnsucht auch ein anderes Verdienst: sie besitzt eine einigende Kraft, indem sie alle, die ihr dienen, zu einer Gemeinde sammelt, die Unebenheiten des Lebens und der Begabungen ausgleicht; sie erzieht ihre Jünger zu schöner Brüderlichkeit, zu freudigem Zusammenwirken im Dienste der Schönheit. Und so sind in der Theobromina Leiter und Geleitete, die Männer des Bureaus wie der Maschine, selbstständige und angehende Conditoren, Neuangestellte und langjährige Beamte und Arbeiter einträchtig im Dienste des Gesanges vereint.“993
Anlässlich seines fünften Stiftungsfestes 1901 formulierte der Chor die Devise: „Uns eint der Ernst des Arbeitstages, Die gleiche Pflicht, das gleiche Ziel; Zum gleichen Takt des Ruderschlages Strebt vorwärts unsres Schiffes Kiel. Jedwede Kraft, die sich entfaltet, Sie findet Pflege im Verein; Hier, wo die Bruderliebe waltet, Hier heisst es einig, einig sein!“994
Der Stollwerck’sche Männergesangsverein wurde vom langjährigen leitenden Angestellten Peter Harnisch sowie dem rheinischen Männerchorkomponisten und Dirigenten Mathieu Neumann (1867–1928) geleitet; Ehrenvorsitzender war Heinrich Stollwerck. Es gehörte später über Jahre zum festen Bestandteil der Unternehmenskultur, dass die Theobromina-Sänger ihres Ehrenvorsitzenden an seinem Todestag gedachten, an der Gruft auf dem Melaten-Friedhof einen Kranz niederlegten und einige Lieder sangen.995 Um 1902 gehörten dem Chor über 110 Sänger und 140 passive Mitglieder an.996 Das formulierte Vereinsziel suchte man durch gemeinsame Proben und dadurch zu erreichen, dass der Gesangsverein neben Vortragsabenden im Stollwerck’schen Erholungshaus, Auftritten anlässlich der Jubiläumsfeiern und zu Ehren der Unternehmerfamilie997 jährlich mehrere öffentliche Konzerte gab – zumeist für wohltätige Zwecke.998 Bereits um 1902 hatte der Verein rund 14.000 Mark für karitative Einrichtungen ersungen.999
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Ebenda. Ebenda. Siehe Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 41. Siehe Gebrüder Stollwerck AG: Theobrominas’s Reise nach Port Sunlight – London vom 7.– 12. Mai 1902, o. D., RWWA 208-313-2. 997 Der Chor sang u. a. 1904 anlässlich des Einzugs von Heinrich Stollwerck und seiner Familie in die Bismarckburg, 1907 als Neujahrsgruß für Heinrich Stollwerck und seine Ehefrau, 1909 zur Silberhochzeitsfeier von Carl und Fanny Stollwerck. Siehe für die Auswahl der Konzerte RWWA 208-447-8, 208-255-3. 998 Siehe ebenda. 999 Siehe Gebrüder Stollwerck AG: Theobrominas’s Reise nach Port Sunlight – London vom 7.– 12. Mai 1902, o. D., RWWA 208-313-2.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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Hinzu kamen zahlreiche Konzertreisen,1000 unter denen eine generalstabsmäßig organisierte sechstägige England-Reise 1902 hervorstach. Ein Ziel der Reise war es, die Theobromina-Sänger als geordnete, auf Zusammenhalt und Kameradschaft basierende Gruppe zu präsentieren: Alle Mitreisenden trugen daher einheitliche Kleidung. Die gemeinsame Anreise bot zudem Raum für den geselligen Austausch, auch mit den Vorstandsmitgliedern Ludwig und Carl Stollwerck, die den Chor auf der Fahrt begleiteten, und die Stadtrundfahrten in Liverpool und London dienten der kulturellen Bildung der Beschäftigten.1001 Auf Einladung von William Hesketh Lever, der seinen Beschäftigten demonstrieren wollte, was „deutsche Kunst und deutsche Brüderlichkeit vermöchte“1002, sang der Stollwerck’sche Männergesangsverein nicht nur in der großen Halle der Port Sunlight-Werke bei Liverpool vor 3.000 Personen, sondern gab auch ein Wohltätigkeitskonzert in der Londoner Queen’s Hall – vermittelt vom deutschen Botschafter Paul Graf von Wolff-Metternich (1853–1934). Die Veranstaltung, die einen Reingewinn von 8.000 Mark ergab, wurde sowohl in der britischen als auch der deutschen Presse ausführlich gewürdigt und Ludwig Stollwerck jubilierte: „Von London bin ich vorgestern zurückgekehrt und haben Sie auch vielleicht schon durch die Zeitungen vernommen, dass für uns die Sängerfahrt, welche auf Veranlassung des Herrn Lever in Port Sunlight unternommen wurde, einen vollständigen Erfolg hatte. Nicht nur haben wir in Port Sunlight sehr viel Freude an dem Besuche gehabt und daselbst ein erfolgreiches Concert […] gegeben, […] sondern besonders sind die Concerte in London ganz grossartig verlaufen. Ich brauche wohl nicht viel davon zu erzählen, da die beifolgenden Zeitungen […] darüber genug erzählen. Wir bekommen von allen Seiten Zeitungs-Ausschnitte zugesandt und scheint die ganze deutsche Presse in einer günstigen Beurteilung der ganzen Sachlage übereinzustimmen. […] Speciell will ich noch erwähnen, dass thatsächlich das Concert in Queens Hall, mit eine der grössten Concerthallen in London ein ausserordentlich erfolgreiches war. Man überschüttete die Sänger mit Beifallsturm und zum Schlusse wurde stürmisch die ‚Wacht am Rhein‘ verlangt, welche das ganze Haus gemeinsam sang. Das Beste ist jedenfalls bei der Sache, dass thatsächlich ca. 8.000 M. […] übrig geblieben sind, welche an das deutsche Hospital und an den deutschen Wohltätigkeitsverein abgeführt werden. Diese Sache wird dann später auch nochmal besonders in den Zeitungen ausgenutzt.“1003
Der deutsche Botschafter in London war es auch, der den Stollwerck’schen Sängern zu der Ehre verhalf, den König und die Königin von Großbritannien mit „ihren Liedern zu erfreuen“1004. Das Monarchenpaar begegnete den deutschen Gästen „ausserordentlich liebenswürdig“ und zeigte sich von der Darbietung so begeistert, dass Ludwig Stollwerck mit dem Auftritt die Hoffnung verband, 1000 Siehe den Bericht über eine Konzertreise nach Coburg – Friedrichsroda – Wartburg, Juni 1909, RWWA 208-425-2. 1001 Siehe Gebrüder Stollwerck AG: Theobrominas’s Reise nach Port Sunlight – London vom 7.– 12. Mai 1902, o. D., RWWA 208-313-2. 1002 Ebenda. 1003 Ludwig Stollwerck an John Volkmann, 16. Mai 1902, RWWA 208-222-1. Siehe auch Ludwig Stollwerck an Gilbert Bartholomew am 17. April 1902, RWWA 208-248-1. Ausschnitte aus der Presseberichterstattung sind abgedruckt in Gebrüder Stollwerck AG: Theobrominas’s Reise nach Port Sunlight – London vom 7.–12. Mai 1902, o. D., RWWA 208-313-2. 1004 Ebenda.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck „dass indirect dies als hübsche Empfehlung auf unsere Fabrikate zurückwirkt, dass sich jedermann sagen muss, dass wenn eine Firma im Stande ist einen so grossen Gesang-Verein nach England schicken zu können, sie ein grosses Geschäft besitzen muss und gute Fabrikate herstellt“1005.
Wurde die England-Reise des Stollwerck’schen Männerchores nahezu frenetisch gefeiert, stießen die Vortragsabende im Stollwerck’schen Erholungshaus, in dem den Theobromina-Sängern seit 1909 ein eigener Saal zur Verfügung stand,1006 auf weniger Anklang. Wiederholt klagte Peter Harnisch, dass es „recht bedauerlich“ sei, wenn „auf Festlichkeiten, die doch alle im Interesse der Mitbeschäftigten gehalten würden“1007, nicht einmal die Mitglieder des Beamten- und Arbeiterausschusses anwesend seien. Nach dem Tod von Heinrich und Ludwig Stollwerck 1915 und 1922 spielte der Stollwerck’sche Männerchor in der überlieferten Korrespondenz kaum noch eine Rolle. Die Anzahl der aktiven Sänger ging auf 80 zurück, Konzerte fanden immer seltener statt. Hatte der Verein in den ersten sechs Jahren seines Bestehens bereits 14.000 Mark für wohltätige Zwecke ersungen, stieg die Summe zwischen 1902 und 1926 nur um rund 4.000 Mark.1008 Anlässlich des 30jährigen Bestehens schwelgte man vor allem in der Erinnerung an die „guten alten Zeiten“ und die England-Reise 1902 als Höhepunkt der Vereinsgeschichte: „Wer könnte wohl vergessen jene längst vergangenen Stunden, Da hier im Chor das erste Lied erklang? Zwar sind die schönen Zeiten hingeschwunden Und längst verklungen jener erste Liederklang. Doch wer vor Jahren ist dabei gewesen, Hat miterlebt Theobrominas’s Werdegang, In dessen Augen ist noch heut‘ zu lesen: ‚Es bleibt lebendig mir mein Leben lang!‘ Begeisterungsvoll wir schaarten uns zusammen. Das grosse Werk gab sein Bestes her. Ob im Betrieb, Büro und Werkstatt, gleiche Flammen Entzündeten die Herzen mehr und mehr. In voller Jugendfrische dem Gesang ergeben, Fand Herr Harnisch damals sich bereit, Den Chor zu führen und sein ganzes Streben 1005 Die letzten beiden Zitate aus Ludwig Stollwerck an Luise Stollwerck am 15. Mai 1902, RWWA 208-222-1. Auch in Köln wurde dem Männergesangsverein ein stürmischer Empfang bereitet: Auf dem Bahnhof erwarteten über 2.000 Menschen die Theobromina-Sänger „und reihten sich im Marsch nach dem grossen Annohaus, wo ein grosses Bankett im Beisein einer anderen Kapelle stattfand. Dieses dauerte dann bis 1/2 3 Uhr, worauf die Sängerfahrt ihr Ende erreichte.“ Ludwig Stollwerck an John Volkmann am 16. Mai 1902, RWWA 208222-1. 1006 Siehe o. A.: Eröffnung des Theobrominasaals. 1007 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. April 1904, RWWA 208-444-6. Siehe auch Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 12. Februar 1909, RWWA 208444-6. 1008 Siehe o. A.: Stollwerck’scher Männerchor „Theobromina“.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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Galt dem Verein, bis heut, so allezeit. Es stand ‚Theobromina‘ bald auf festen Füssen. Der Chef der Firma schirmend zu uns stand Und schon im nächsten Jahre konnten wir begrüssen Ein stolzes Banner, gereicht aus Gönners Hand! Was uns geeint, das deutsche Lied zu pflegen, Das haben treulich wir die Jahre durchgeführt. Was unter Neumann wir errungen allerwegen, Dafür ihm heut‘ noch unser Dank gebührt. Wohl ausgrüstet konnten wir dann ziehen, Im siebten Jahre unseres Daseins, über’s Meer. Das deutsche Lied fand Anerkennung, unsere Mühen War’n nicht umsonst, wir ernteten Lob und Ehr. [...] Nun ‚Theobromina‘ schreite weiter Hinein ins 26-Jahr Ihm nach, dem treuen, bewährten Leiter, Dass wieder es werde, wie einst es war.“
Stollwerck’sche Festkultur Neben dem im Vergleich zu anderen Unternehmen vergleichsweise gering ausgeprägten Vereinswesen1009 pflegten die Gebrüder Stollwerck mehr oder weniger systematisch eine Festkultur, die das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Beschäftigten, die Verbundenheit mit der Firma und der Unternehmerfamilie stabilisieren, die Harmonie zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten inszenieren und eine „unternehmenseigene Sinnprovinz“1010 schaffen sollte. Es lassen sich im Kern drei Anlässe für Fabrikfeste unterscheiden, die den Arbeitsalltag unterbrachen und von der Belegschaft gemeinsam begangen wurden. Neben Festtagen im Jahresverlauf wurden so genannte Feste des Lebenslaufs gefeiert. Bei letzteren ist zu unterscheiden zwischen Festen, bei denen die Arbeitnehmer im Mittelpunkt standen, d. h. Dienstjubiläen der Beschäftigten, und besonderen Ereignissen innerhalb der Unternehmerfamilie – vor allem runden Geburtstagen, Ehejubiläen und Todesfällen.1011 Auch der Lebenslauf der Firma, konkret das Firmenjubiläum wird häufig zum Anlass für ein großes Fest genommen, um Kontinuität und Tradition des Familienunternehmens und der Unternehmerfamilie zum einen nach außen werbewirksam zu inszenieren und zum anderen nach innen im Sinne der Gemeinschaftsbildung zu instrumentalisieren.1012 Geht man von der Unternehmensgründung durch 1009 Nieberding: Unternehmenskultur, S. S. 229–244. 1010 Ebenda, S. 245. Siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 230– 252; Rudloff: Unternehmenskultur und Sozialpolitik, S. 237 ff. Zu Festen und Feiern als Gegenstand der historischen Forschung siehe Hettling/Nolte (Hg.): Bürgerliche Feste. 1011 Für eine Schilderung der Beisetzung Heinrich Stollwercks siehe Kapitel III.C.1. 1012 Siehe exemplarisch Knabe: Firmenjubiläen; Müller (Hg.): Das historische Jubiläum. Siehe auch Keiderling: „Und ferner müssen wir dankbar sein…“, S. 68–71.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
Franz Stollwerck 1839 aus, begingen die Gebrüder Stollwercks allerdings weder das 50jährige Jubiläum 1889 noch den 75. Ehrentag des Unternehmens 1914. Lassen sich die ausgebliebenen Feierlichkeiten 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erklären, erhellt die Unternehmensgeschichte keinen Grund, warum das 50jährige Bestehen nicht gefeiert wurde. Erst das 100jährige Firmenjubiläum 1939 und das 150jährige Bestehen des Unternehmens 1989 wurden – als die mehrgenerationelle Verbindung von Familie und Firma freilich schon keine Rolle mehr spielte – sowohl intern als auch mit einem öffentlichen Festakt begangen und durch Festschriften sekundiert.1013 Im Jahresverlauf nutzten die Gebrüder Stollwerck vor allem den Silvesterabend und den Neujahrstag, um den Beschäftigten unmittelbar ihren Dank für das im vergangenen Jahr Erreichte sowie gute Wünsche für das neue Jahr auszusprechen und damit gleichsam die soziale Distanz zu verringern.1014 Am 31. Dezember fand nachweislich bis zum Ersten Weltkrieg jährlich eine vom Stollwerck’schen Männerchor gestaltete Silvesterfeier im Stollwerck’schen Erholungshaus statt;1015 am 1. Januar fanden sich alle Beschäftigten in der Kölner Fabrik ein, wo die Gebrüder Stollwerck jedem persönlich die Hand schüttelten.1016 Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Tod von Heinrich und Ludwig Stollwerck verlor diese Institution, über die die Unternehmerfamilie ihre besondere Fürsorge und Nähe zu den Beschäftigten herausstrich, an Bedeutung.1017 Maßgeblich Heinrich Stollwerck war es gewesen, der durch regelmäßige Fabrikrundgänge den direkten Kontakt zu den Arbeitern und die virtuelle Präsenz im Betrieb gepflegt hatte, die für eine patriarchalisch geprägte Unternehmenskultur typisch ist. Dabei inszenierte er sich nicht als kontrollierende Autoritätsperson, sondern als pater familias, der mit seinen Arbeitern in der rheinischen Mundart sprach, was als vertrauensbildende Annäherung und Ausdruck besonderer Verbundenheit gelten kann. Von seiner Tochter ist folgende Episode überliefert: „Um einen Kühlapparat zu reparieren, mußte ein Arbeiter im Innern des Apparates sein, so daß er weder von außen gesehen noch von den Draußenstehenden einer etwas bemerken konnte. Erschien aber Heinrich Stollwerck, so wurde dem Eingeschlossenen ein vereinbartes Stichwort zugerufen. So erschien unerwartet der Chef. Der im Apparat Arbeitende wartete 1013 Siehe Kuske: Stollwerck-Geschichte; Joest: Stollwerck. Siehe auch die in RWWA 208-7184, 208-88-9, 208-89-1 bis 208-89-7, 208-90-1 bis 208-90-4, 208-90-5, überlieferten Glückwünsche zum 100jährigen Bestehen des Unternehmens. Siehe ferner die in RWWA 208-7-2, 208-829-4 und 208-499-13 überlieferten Presseausschnitte zum 150jährigen Firmenjubiläum. 1014 Diesem Ziel diente auch die Tatsache, dass die Söhne der Gebrüder Stollwerck im Verlauf ihrer Ausbildung alle eine Zeitlang im Kontor und in der Fabrik arbeiteten und persönlichen Kontakt zur Stammbelegschaft hatten. Siehe Kapitel III.A.1. 1015 Siehe die Übersichten über die Konzerte des Stollwerck’schen Männerchores in RWWA 208-447-8, 208-255-3. 1016 Siehe Heinrich, Franz (II) und Gustav Stollwerck: Neujahrswünsche an das Personal am 31. Dezember 1908, RWWA 208-217-2. 1017 Stimmungsvolle Weihnachtsfeiern lassen sich für Stollwerck im Unterschied zu anderen Unternehmen nicht nachweisen – angesichts der Tatsache, dass dieses Fest für die Süßwarenindustrie Hauptsaison ist, verwundert der Befund allerdings nicht. Siehe Pohle: Probleme, S. 79–82.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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vergeblich auf das Zeichen von außen, und plötzlich ertönte eine ‚hohle‘ Stimme aus dem Apparat ‚Eß dä Ahl fott?‘, worauf Heinrich Stollwerck in unverfälschtem Kölner Dialekt die prompte Antwort gab ‚Enä, dä Ahl eß noch do!‘“1018
Heinrich Stollwerck verstand zudem den fürsorglichen Aspekt des patriarchalischen Führungsmodells nicht nur als Floskel, sondern nahm ihn als persönliche Verpflichtung ernst: In Not- oder Krankheitsfällen unterstützte er seine Arbeitnehmer auch aus seinem Privatvermögen und überließ langjährigen Vertrauten als Belohnung für ihre Leistung wiederholt seine abonnierten Balkonplätze im Kölner Theater. Als zudem ein Arbeiter im ersten Jahr seiner Tätigkeit bei Stollwerck ein Auge verlor, unterstützte Heinrich Stollwerck die Familie während der langen Genesungszeit wöchentlich mit 20 Mark, seiner so genannten „HeinzelmännchenSpende“.1019 Dass er die soziale und räumliche Distanz zu seinen Arbeitern möglichst gering halten wollte, regelmäßig in der Fabrik präsent und sich auch nicht zu schade war, Maschinen selbst zu warten, spiegelt sich auch in den Umständen seines Todes. Am 7. Mai 1915 hatte er in der Kölner Fabrik einen „ernsthaften Unfall“, an deren Folgen er zwei Tage später starb: „Ingenieur Müller stand oben auf der Bühne und Heinrich auf der eisernen Leiter, etwa mit einem Fuss auf der vierten, dem anderen auf der fünften Sprosse. Nachdem der Dampf angesetzt, wurde auf einmal der innere Mantel des kupfernen Kessels nach innen gedrückt, sodass es eine grosse Beule gab und diese verursachte ein Herausspritzen des kochenden Wassers. Herr Ingenieur Müller […] bekam Brühwunden im Gesicht, aber unerheblicher Art […]. Heinrich erhielt aber das kochende Wasser auf Arm, Hals und teilweise Rücken und muss die vier Sprossen von der Leiter herabgestürzt und dann mit dem Kopf auf eine untenstehende mit Zink beschlagene kleine Bank gefallen sein. Der Kopf erhielt hinten eine Wunde und Heinrich erlitt eine kleine Gehirnerschütterung, die Bewusstlosigkeit herbeiführte.“1020
Unter den festlichen Anlässen innerhalb der Unternehmerfamilie stachen im Untersuchungszeitraum die Silberhochzeitsfeiern von Heinrich und Apollonia 1893, Peter Joseph und Agnes 1896 und der 70. Geburtstag von Heinrich Stollwerck hervor. Heinrich und Apollonia Stollwerck feierten ihr Ehejubiläum in großem Rahmen und luden auch die Belegschaft ein. Als Dank für die Einladung erhielten sie eine „kostbare Mappe“ mit folgendem Festspruch: „Dem hochverehrten Jubelpaar widmet das gesamte Geschäfts-Personal der Firma Gebr. Stollwerck dieses Gedenkblatt als ein Zeichen treuer Anhänglichkeit an die Gefeierten, welche es in seltenem Maße verstanden haben, sich die Liebe und Hochachtung all derer zu er1018 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 33. Siehe auch Gehlen: Paul Silverberg, S. 110; Zeumer: Die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 153. 1019 Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 33. Zu Philanthropismus, humanitären, religiösen und sozialethischen Beweggründen für die Unterstützung der eigenen Beschäftigten siehe Schulz: Betriebliche Sozialpolitik, S. 147 f. Es ist freilich davon auszugehen, dass primär die Kölner Stammbelegschaft in den Genuss dieser Hilfsbereitschaft kam. Mit zunehmender Entfernung vom Stammhaus nahm die Verbundenheit der Gebrüder Stollwerck zu ihren Beschäftigten zweifellos ab. Siehe auch Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 120. 1020 Ludwig Stollwerck an Carl Stollwerck am 7. Mai 1915, RWWA 208-273-3. Siehe auch Sulkowska-Stollwerck: Heinrich Stollwerck, S. 60–63
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck werben, die im Geschäfte thätig sind. Wie wir alle das Bewußtsein haben, welche große Teilnahme das Silber-Brautpaar jederzeit an Allem nimmt, was Jeder von uns, auch außerhalb seiner Berufs-Thätigkeit an Freude und Leid erfährt, so möge es sich ganz und voll bewußt sein, daß wir Alle, die wir an dem heutigen Festtage um es versammelt stehen, niemals vergessen werden, was wir ihm, das – ein Vorbild geordneter Thätigkeit, wahrer Herzensgüte und edelsten Wohlwollens – um alle Mitarbeiter im großen Geschäftsbetriebe das Band des schönsten gemeinsamen Wirkens zu schlingen wußte, zu verdanken haben. So wie heute immerdar! Das walte Gott!“1021
Anlässlich des Hochzeitstags von Peter Joseph, zu diesem Zeitpunkt Senior-Chef der Firma, den das Paar selbst in seinem Ferienhaus auf Borkum verbrachte, lud Carl Stollwerck das gesamte männliche Personal zu einem geselligen Abend in die Säle des Volksgartens ein, „um nun diesen Tag auch hier nicht ohne eine äußere Feier vorübergehen zu lassen“1022 und die symbolische Gemeinschaft von Unternehmen und Familie zu unterstreichen. Nach dem offiziellen Teil, der Reden von Heinrich und Ludwig Stollwerck „auf das Jubelpaar & […] auf die Firma“ sowie drei Ansprachen von leitenden Angestellten umfasste, blieb man, begleitet von Liedvorträgen, bis in den späten Abend „in fröhlicher Unterhaltung zusammen“1023. Auch der 70. Geburtstag des Familienältesten Heinrich Stollwerck wurde 1913 „in gebührender Weise“ und unter Beteiligung der Belegschaft gefeiert,1024 die in einer „kernige[n] Ansprache“ seine Verdienste „um das so umfangreiche Geschäft und um das Wohl des Gesamt-Personals“1025 hervorhob. Den größten Stellenwert maßen die Gebrüder Stollwerck nachweislich der traditionell festlichen Ehrung der ältesten und erfahrensten Beschäftigten bei, die durch ihre 25jährige Unternehmenszugehörigkeit fester Bestandteil der Unternehmenskultur waren und aufgrund des im Unternehmen gepflegten Senioritätsprinzips eine herausgehobene Position hatten.1026 Sie wurden nicht nur für ihre Treue zum Unternehmen ausgezeichnet, sondern auch als Vorbild inszeniert, das die übrigen Beschäftigten mit der Aussicht auf diese Anerkennung zum Verbleib im Unternehmen, zu Pflichtbewusstsein, Fügsamkeit und Disziplin veranlassen sollte. Ferner verfolgte die Unternehmensleitung mit den meist aufwendig gestalteten Festen aber auch das Ziel, „die Gesamt-Arbeiterschaft daran zu erinnern, dass sich die Arbeiterschaft wohl bei uns befindet und dadurch einen gewissen
1021 Zitiert nach ebenda, S. 39, 41. Siehe auch Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 234 f. 1022 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 25. August 1896, RWWA 208-444-6. 1023 Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 26. August 1896, RWWA 208-444-6. 1024 Siehe für eine ausführliche Schilderung der Feierlichkeiten Kapitel III.B.1. 1025 O. A.: Bericht über den 70. Geburtstag von Heinrich Stollwerck, 1913, RWWA 208-60-5. 1026 Siehe auch Nieberding: Unternehmenskultur, S. 250–254; Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 242–246; Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 234 f., 329; Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 260–265, 356 ff. Die Ursprünge von Jubilarfeiern liegen im kirchlichen Bereich, wo die Amtsjubiläen von Priestern gefeiert werden. Siehe Müller: Das historische Jubiläum, S. 47.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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Wall gegen die Bestrebungen der Sozialdemokraten bildet, Unzufriedenheit im Personale zu erzeugen“1027. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Dienstjubiläen „würdig und nach besten Kräften“ in großer Runde im festlich geschmückten Saal des Erholungshauses begangen. Neben der Unternehmensleitung, die als Zeichen der Wertschätzung und Dankbarkeit für geleistete Dienste an der Feier teilnahm, waren auch die Gesamtbelegschaft als Symbol der Kollegialität und des Gemeinschaftsgefühls und Familienangehörige als Brücke zwischen Arbeits- und Privatleben eingeladen. Die Feier vermittelte durch die eingebundenen Personengruppen zweifellos ein Gefühl familiärer Zusammengehörigkeit. Ein eigens gegründetes Festkomitee plante den Ablauf der Veranstaltung, die vom Stollwerck’schen Männerchor und improvisierten Theatergruppen getragen wurde. An der üblichen „Jubelspende“ beteiligte sich nicht nur die Unternehmensleitung, sondern auch die Kollegen waren aufgefordert, „sich […] durch einen bescheidenen Beitrag nach Ihrem eigenen Ermessen, ohne jeglichen Zwang beteiligen zu wollen“1028 und dadurch die Kollegialität und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Der Kölner Lokal-Anzeiger berichtete 1910 über die Feierlichkeiten: „Bei der Firma Gebrüder Stollwerck A.-G. konnte wieder eine Reihe von Jubilaren auf eine 25jährige ununterbrochene Tätigkeit zurückschauen […]. Am Vormittag fand eine intime Feierlichkeit im Festsaal des Erholungshauses statt, bei welcher Gelegenheit der Senior der Firma, Hr. Kommerzienrat Heinrich Stollwerck, in herzlichen Worten der Anerkennung die Glückwünsche der Firma aussprach und jedem der Jubilare einen namhaften Geldbetrag und einige andere Geschenke überreichte. Bei dieser Feier waren die sämtlichen Alt-Jubilare, welche durch die neuen Jubilare auf die stattliche Zahl von 51 angewachsen sind, festlich versammelt. […] Am Abend vereinigten sich die Kollegen der Jubilare in großer Anzahl in den ausgedehnten Sälen des Erholungshauses zu einer gemütlichen würdigen Feier. Die Chefs der Firma richteten anerkennende und aufmunternde Worte an die Jubilare und Versammelten, und der ganze Abend verlief – gewürzt durch zahlreiche Vorträge, bei denen der bekannte Männerchor der Firma, die Theobromina, in bewährter Weise sich wiederum auszeichnete – in reizender gemütvoller Weise, und legte der Verlauf der Feier erneut Zeugnis ab von dem harmonischen Verhältnis, welches von alterher zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Firma Stollwerck vorherrschend ist. Am nächsten Sonntag findet für die weiblichen Beschäftigten der Firma zur Ehrung der beiden diesjährigen weiblichen Jubilare noch ein besonderer Festabend statt.“1029
Nicht nur in der Presse, sondern auch in den Reden der Unternehmensleitung, die einen festen Bestandteil der Feierlichkeiten bildeten, wurden die Jubilare aus der anonymen Masse der Beschäftigten herausgehoben. Heinrich und Ludwig Stollwerck definierten sie 1912 gleichsam als besondere Gruppe innerhalb der Beleg1027 Ludwig Stollwerck an Albert Nikolaus Stollwerck (II) am 14. September 1905, RWWA 208222-1. 1028 Die letzten Zitate aus Ludwig Meinerzhagen an die Belegschaft der Kölner StollwerckZentrale am 1. Juli 1907, RWWA 208-217-2. Siehe auch Protokoll der Sitzung des Beamtenund Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 18. Mai 1907, RWWA 208444-6. 1029 O. A.: Jubilare bei Stollwerck. Siehe auch Auszüge aus dem Programmheft der Jubilarfeier von 1904 in RWWA 208-216-6.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
schaft, die dem Unternehmen herausragende und stabilisierende Dienste erwiesen habe. Ihre Würdigung verbanden sie mit „dem herzlichen Wunsche, dass sie noch lange Jahre ihre treue Kraft dem gemeinsamen Arbeitsfelde widmen möchten und zwar in voller Gesundheit und Zufriedenheit“1030. Zugleich nahmen sie die Jubilare in die Pflicht, den jüngeren Arbeitern und Angestellten als Vorbild zu dienen und sie zu den von der Unternehmensleitung geforderten Werten Treue und Fleiß zu animieren: „Aber ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und Ihnen sagen, dass, da Sie jetzt in den Kreis der Jubilare eingetreten sind, Sie auch die Pflicht auf sich nehmen, zu versuchen, in vielerlei Fragen auf die jüngern Angestellten einen guten Einfluss zu haben, um auch dadurch dem Gesamt-Unternehmen indirekt nützlich zu sein!“1031
In diesem Zusammenhang erinnerte Ludwig Stollwerck 1915 auch an seine verstorbenen Brüder und erhob sie zum Symbol uneingeschränkter Pflichterfüllung und Fürsorge. Ihnen habe stets „das Wohl aller Mitarbeiter am Herzen“ gelegen „und kam dies ja besonders zum Ausdruck, wenn es sich darum handelte, den Gemeinsinn aller Angestellten zu fördern“1032. Indem der Unternehmensleitung durch die in der Festkultur verankerten Ansprachen die Deutungshoheit oblag, trugen die Feste auch dazu bei, die bestehenden patriarchalischen Machtverhältnisse zu festigen. Während des Ersten Weltkriegs verloren die Jubilarfeiern ihren aufwendigen Charakter. Man nahm sowohl von der offiziellen Ehrung der Jubilare als auch von der anschließenden Feier mit Familienangehörigen und dem Gesamtpersonal Abstand. Der übliche Zuschuss der Unternehmensleitung zur großen Feier im Erholungshaus floss während der Kriegsjahre an wohltätige Zwecke.1033 Da es die Unternehmensleitung bei der steigenden Zahl der Jubilare zunehmend als schwierig ansah, „bei Einkäufen von Geschenken […] stets das Richtige zu treffen“, wurden die Präsente 1914 durch einen Geldbetrag in Höhe von 125 Mark abgelöst, der dazu dienen sollte, „sich zur Erinnerung an den Ehrentag einen entsprechenden Gegenstand selbst zu kaufen“1034. Die Jubilare erhielten als symbolisches Geschenk bzw. Erinnerungsobjekt aber weiterhin eine Medaille, die ihnen von einem
1030 Ludwig Stollwerck: Rede bei der Jubilarfeier im September 1912, RWWA 208-217-2. 1031 Ludwig Stollwerck: Rede bei der Jubilarfeier am 19. Dezember 1915, RWWA 208-217-4. Siehe auch Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 243; Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 234. 1032 Ludwig Stollwerck: Rede bei der Jubilarfeier am 19. Dezember 1915, RWWA 208-217-4. 1033 Die Gebrüder Stollwerck bemühten sich aber darum, mit einer eigenen Zeitung die Verbindung zwischen Heimat und Front zu halten. Seit Kriegsbeginn gab die Unternehmensleitung wöchentlich „Stollwercks Feld-Post“ heraus, die sowohl an die nicht eingezogenen Beschäftigten verteilt als auch an die Arbeiter und Angestellten an der Front verschickt wurde. Siehe RWWA 208-41-7, 208-41-4, 208-62-5. Siehe auch Berghoff: Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, S. 197 f. 1034 O. A.: Jubilarfeier 1914, 20. Dezember 1914, RWWA 208-217-3.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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der Gebrüder Stollwerck feierlich angeheftet wurde und ihre Zugehörigkeit zum Unternehmen alltäglich und öffentlich demonstrieren sollte.1035 Auch für die Jubilarfeste muss festgehalten werden, dass sich diese Institution nach dem Tod von Heinrich und Ludwig Stollwerck überlebte. Den Jubilaren kam nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr die einstmals zentrale Rolle als Vorbild und gemeinschaftsstiftender Bestandsteil der Unternehmenskultur zu. 1926 hieß es lediglich, Nebengeschenke seien „schon seit Jahren abgeschafft; ebenso das früher übliche Jubiläumsfest“1036. Zwar erhielten die Jubilare weiterhin Geldgeschenke, doch wurden sie nicht mehr feierlich überreicht, sondern mit dem Lohn ausgezahlt, d. h. dem nüchternen Charakter des „cash nexus“ unterworfen. Diese Form der Ehrung hatte freilich nicht den gleichen symbolischen Wert wie eine persönliche Übergabe durch ein Mitglied der Unternehmensleitung.1037 Der schwindende Stellenwert der Jubiläumsfeiern ist nur ein Beispiel dafür, dass die traditionellen Arbeitsbeziehungen und die Unternehmenskultur in der Weimarer Republik vielfältigen Herausforderungen gegenüberstanden. Lässt sich für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg nicht nachweisen, dass politische Konflikte in die Belegschaft der Stollwerck’schen Fabriken hineingetragen wurden,1038 änderte sich dies in den 1920er Jahren. Ursprung der konfliktgeladenen Atmosphäre der Weimarer Republik waren zum einen die Folgen von Erstem Weltkrieg und Inflation: Die Unternehmer mussten von Kriegs- auf Friedensproduktion umstellen, die heimkehrenden Kriegsteilnehmer wieder in den Betrieb integrieren, den Verlust von ausländischen Fabriken und Tochterunternehmen verkraften, sich an die neue Weltmarktposition, veränderte Märkte und Wettbewerbsbedingungen anpassen und nicht zuletzt handelten sie angesichts der fortschreitenden Geldentwertung auf einer zunehmend instabilen Kalkulationsgrundlage. Zum anderen hatte der politische Systemwechsel traditionelle Mechanismen und Autoritäten erschüttert und neue rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, unter denen Unternehmer und Arbeiter nun agieren mussten: Im Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918 hatten die zentralen deutschen Arbeitgeberverbände den Achtstundentag bei vollem Lohnausgleich, die Interessenvertretung der Arbeiter durch Gewerkschaften und das Tarifvertragssystem anerkannt.1039 Diese Basiskompromisse hatten unter den Arbeitern die Bereitschaft erhöht, sich aktiv und
1035 Siehe zu diesen symbolischen Geschenken als Element der patriarchalischen „gift relationship“, d. h. dem Akt des Schenkens als soziale Interaktion, der allein im Ermessen des Patriarchen liegt, Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 227, 243. Siehe auch Köhle-Hezinger: Treuezeichen. 1036 Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an die Firma Gebrüder Stollwerck AG Wien am 12. Januar 1926, RWWA 208-91-4. 1037 Siehe auch Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 356. 1038 Als mögliche Erklärung lässt sich anführen, dass die Gebrüder Stollwerck über einen großen Stamm alter und nicht organisierter Arbeiter verfügten. 1039 Siehe Gehlen: Paul Silverberg, S. 204–226; Kolb: Die Weimarer Republik, S. 14.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
nachhaltig für ihre Rechte einzusetzen, Streiks und Betriebsstilllegungen zu riskieren.1040 Wie den Unternehmen anderer Branchen schlug vor diesem Hintergrund nun auch Stollwerck unverhohlene Kritik an Lohnkürzungen, dem „Herr-im-Haus“Standpunkt, der Zusammensetzung des Betriebsrats und saisonüblichen Entlassungen entgegen, die dazu benutzt würden, Kommunisten und Gewerkschafter aus der Belegschaft zu drängen und durch „Stahlhelmer“ zu ersetzen.1041 Die Unternehmensleitung stritt freilich ab, bei der Einstellung der Arbeiter auf ihre politische Gesinnung zu achten. Man suche sich lediglich derjenigen Arbeiter „zu entledigen“, die nicht dem „Element“ entstammen, „was die Ruhe im Betriebe bewahren kann“1042. Waren Lohnverhandlungen bis dato immer intern geregelt worden, zumeist unter Beteiligung des Beamten- und Arbeiterausschusses als Mittler zwischen der Belegschaft und der Firmenleitung, wandten sich die Stollwerck’schen Arbeiter nun direkt an die Organisation der Bäcker und Konditoren und suchten den offenen Konflikt – ein Vorgehen, auf das die Unternehmerfamilie gleichermaßen entsetzt wie hilflos reagierte.1043 Carl Stollwerck und seine Neffen verhielten sich in dieser konfliktträchtigen Situation der Weimarer Jahre insgesamt alles andere als geschickt. Ostentativ ließen sie beispielsweise das Kölner Geschäftshaus an der Ecke Wallrafplatz und Hohe Straße, der Hauptverkehrsader der Stadt, beim Besuch Hindenburgs 1926 mit einem schwarz-weiß-rot eingerahmten Bild des Reichspräsidenten schmücken und gaben mit dieser wenig sensiblen Aktion der Arbeiterschaft Anlass für Protest und der linken Presse reichlich Nahrung für eine kritische Berichterstattung. Während deutschnationale Blätter die Beflaggung des Stollwerckhauses feierten und dazu aufriefen „Kauft nur noch Stollwercks Schokolade!“1044, herrschte in Arbeiterkreisen „grösste[r] Unwille“: „Die […] Arbeiter werden in Zukunft Ihre Schokolade wie Pest und Pestilenz meiden. Wir können Ihnen schon jetzt empfehlen, bei Haus Doorn in Holland für den notwendigen Absatz
1040 „Leider ist es diesen wenigen Elementen gelungen, den Betrieb systematisch stillzulegen und das zum Teil neue und unkundige Personal zu verhetzen, wodurch wir, wie Ihnen schon mitgeteilt, zur Stillegung des Betriebes schreiten mussten.“ Siehe Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG an Gustav Laute und Alfred Junge am 10. August 1925, RWWA 208-105-9. Siehe auch Berghoff: Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, S. 199. 1041 Siehe Kommunistische Betriebszelle Stollwerck: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, Nr. 3 vom Juni 1926, RWWA 208-250-1; o. A.: Kölnisches. Die Haussuchungen bei Stollwerck; o. A.: Stollwerck geht mit Schupo gegen Arbeiter vor; o. A.: Schamloses Betrugsmanöver der Firma Stollwerck. Siehe für einen Überblick auch Joest: Stollwerck, S. 130 f. 1042 Gebrüder Stollwerck AG an A. Friedrich & Co., General-Vertreter der Firma Gebr. Stollwerck AG, Köln a. Rh. am 6. Juli 1926, RWWA 208-561-5. 1043 Siehe Protokoll der Sitzung des Beamten- und Arbeiterausschusses der Firma Gebrüder Stollwerck vom 5. Februar 1919, RWWA 208-444-6. 1044 A. Bierbach an Carl Stollwerck am 19. April 1926, RWWA 208-498-22.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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vorsprechen zu wollen. Noch ein paar solche Verhöhnungen, dann können Sie Ihre ganze Fabrikation an den Defraudanten und Holzhacker Wilhelm verkaufen.“1045
Stollwerck indes maß „der Sache keine grosse Bedeutung“ bei und bemühte sich nicht um eine positive Gegendarstellung. Lediglich firmenintern betonte man: „Wir wollten weder die Rechts-, noch die Linksradikalen herausfordern, überhaupt jede politische Richtung von uns fernhalten; wir wollten lediglich die Liebe zum Vaterland zum Ausdruck bringen da man unter den Herren unserer Direktoren überhaupt keine andere Flagge kennt. Eine Firma wie die unsere hat sich selbstverständlich neutral zu halten, was jeder einzelne Herr tut, hat er mit sich selbst zu vereinbaren. Dass der Artikel natürlich aufgebauscht ist, ist klar. Nochmals gesagt, eine Erwiderung halten wir nicht für angebracht, weil dadurch die Sache nur verschärft würde. Viele sagen wieder die Sache wäre eine gute Reklame für uns. Wir wollen auf jeden Fall die ganze Angelegenheit nicht weiter verfolgen, sondern auf sich beruhen lassen und nur hoffen, dass die Sache vergessen wird und uns von keiner Seite irgendwelche Unannehmlichkeiten entstehen, die durch Boykottierung unserer Waren zum Ausdruck kommen.“1046
Vergessen wurde die „Sache“ aber keineswegs, vielmehr verstärkten sich nun die Attacken der linken Presse, in deren Folge Stollwerck’sche Produkte zunehmend als „Hakenkreuz-Schokolade“1047 bezeichnet wurden. Die Kommunistische Betriebszelle Stollwerck dichtete sarkastisch: „In Herrn Stollwercks Hexenküche Braut man süssen Zaubertrank, Presst das Mark aus Menschenknochen, Spitzelarbeit steht zur Hand. Mit ner Feder hinterm Ofen Sitzt des Hauses Senior, Alldiweil er fleissig rechnet, Haut Proleten übers Ohr. Noch vor 50 Jahren reiste er Als Karamellenstump durchs Land, Generalkonsul ist er nun heute, Allen Leuten wohlbekannt. Von den kargen Arbeitsgroschen, Von der Armut bittre Not, Lässt er sich ein Schreibzeug schenken, 1045 Die letzten beiden Zitate aus Unbekannter aus Stettin an den Herrn Direktor der StollwerckSchokoladen-Fabrik am 24. März 1926, RWWA 208-498-22. Siehe auch die zahlreichen Presseberichte in RWWA 208-562-3. 1046 Die letzten beiden Zitate aus Gebrüder Stollwerck AG an Gustav Laute am 31. März 1926, RWWA 208-498-22. Eine Gegendarstellung in der Presse lehnte die Unternehmensleitung mit folgender Begründung ab: „Wir erachten es nicht für richtig, sich der einen oder andern Pressefede anzupassen, denn wir wissen aus Erfahrung, dass jedes Recht und jede Erwiderung doch in anderer Weise ausgeklügelt wird, wodurch man den Dreck nur schlimmer mengt. Wir können und wollen uns nicht mit der Presse einlassen, die sich grundsätzlich nicht auf einen rechtlichen Standpunkt stellen kann.“ Gebrüder Stollwerck AG an A. Friedrich & Co., General-Vertreter der Firma Gebr. Stollwerck AG, Köln a. Rh. am 6. Juli 1926, RWWA 208-561-5. 1047 A. Friedrich & Co., General-Vertreter der Firma Gebr. Stollwerck AG, Köln a. Rh. an die Leitung der Gebr. Stollwerck AG am 2. Juli 1926, RWWA 208-561-5.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck Golden war das Angebot. Mit dem Schreibzeug der Proleten, Schreibt er den Entlassungsbrief, Schwarze Listen lässt er führen, Heimlich lacht er sich dann schief. Dummheit ist ne feine Sache, Karlchen Stollwerck liebt sie sehr, Dreizehnhundert Mark empfing er, Wann, Prolet, gibst Du noch mehr?“1048
Aus der eigentlich firmeninternen Angelegenheit des Dissenses mit der Arbeiterschaft wurde eine öffentliche, als Stollwerck „aus linksstehenden Kreisen“1049 bei der Polizei denunziert wurde, in der Fabrik Waffen zu verstecken. Während das dem Unternehmen wohlgesonnene Kölner Tageblatt die folgende Hausdurchsuchung als „überflüssig“ und „schädlich“ brandmarkte und es für ausgeschlossen hielt, dass sich eine „Firma vom Rufe der Gebr. Stollwerck AG […] an irgendwelchen staatsumstürzlerischen Versuchen auch nur indirekt beteiligen“1050 würde, empörte sich die Rheinische Zeitung: „Im Preußischen Landtag ist eine Anfrage Dr. Heimann Köln (DBP) eingegangen, die auf eine ergebnislos verlaufene Haussuchung nach Waffen in dem Fabrikanwesen der Firma Gebrüder Stollwerck A.-G. in Köln Bezug nimmt. Nachfragen hätten ergeben, daß die Haussuchung eigenmächtig von der Kölner Polizei erfolgt sei, und zwar auf eine Anzeige seitens der kölnischen Kommunistischen Partei. Es wird gefragt, ob das Staatsministerium das ungesetzliche Vorgehen der Kölner Polizei billigt, ob eine Untersuchung eingeleitet ist und welche Vorkehrungen ergriffen werden sollen, um in Zukunft derartige Uebergriffe der Polizei zu verhindern. Ob die Herren Heimann und Genossen sich auch so aufregen würden, wenn es sich um eine Haussuchung bei Arbeitern handeln würde? Wenn auch bei der Firma Stollwerck keine Waffen gefunden wurden: Bei der übernationalistischen Einstellung der Kölner Leitung dieses Unternehmens trauen wir der Firma schon zu, daß sie, die fortwährend Mitglieder des Stahlhelm in ihren Betrieb einstellt, vor der Dummheit nicht zurückschreckt, reaktionäre Putsche zu unterstützen. Die Entrüstung über ‚derartige Uebergriffe‘, die auch in der Kölner und auswärtigen Presse zum Ausdruck kommt, halten wir darum für gemacht und unecht.“1051
Letztlich konnte die Stollwerck’sche Unternehmensleitung allerdings ihr Gesicht wahren, indem es ihr gelang, die Denunzianten ausfindig zu machen, die aus dem Kreis der eigenen Arbeiterschaft stammten und dem Kölner Roten Frontkämpferbund angehörten. Zudem erreichte sie, dass das Verhalten der Kölner Polizei von den übergeordneten Behörden als „äusserst ungeschickt“1052 gerügt wurde. Der Imageschaden, den das Unternehmen erlitten hatte, ließ sich indes nicht aus der Welt schaffen. Auch ist davon auszugehen, dass sich die Unzufriedenheit der Ar1048 Kommunistische Betriebszelle Stollwerck: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, Nr. 3 vom Juni 1926, RWWA 208-250-1. 1049 O. A.: Genasführte Polizeibeamte. 1050 O. A.: Haussuchung bei Gebrüder Stollwerck A.-G. 1051 O. A.: Die Haussuchungen bei Stollwerck. Siehe auch o. A.: Die „Waffensuche“ bei der Firma Stollwerck A.-G. 1052 Artur Meynen an die Geschäftsleitung der Firma Gebr. Stollwerck AG am 24. November 1926.
IV.B Das Unternehmen im Spannungsfeld von Markt und Familie
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beiter nicht legte, sondern der aufgestaute Unwille gegen die Unternehmensleitung sich vielmehr weiter Bahn brach.1053 Werkszeitschrift Um die interne Kommunikation zu verbessern, Hierarchieunterschiede zu überbrücken und die von der Unternehmensleitung präferierten Werte und Normen in der Belegschaft zu implementieren, wurde ab 1926 eine Werkszeitschrift herausgegeben. Vereinzelt bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts, schwerpunktmäßig aber seit der Weimarer Republik setzten Unternehmen dieses Kommunikationsmedium zur „Konstituierung einer Wir-Beziehung“1054 ein. Die Stollwerck AG nahm zwei „Merksteine in der Geschichte des Hauses“1055 – den 50. Todestag des Unternehmensgründers Franz Stollwerck und das im gleichen Jahr begangene 50jährige Geschäftsjubiläum des Seniorchefs Carl Stollwerck – zum Anlass, eine firmeneigene Zeitschrift, die „Stollwerck Post“, zu veröffentlichen, die in zwangloser Folge erscheinen sollte und folgenden Anspruch hatte: „Das Ziel der Zeitschrift soll sein, einmal innerhalb der Stollwerckgruppen als Bindeglied zu dienen und darüber hinaus auch Freunde und Abnehmer unseres Hauses über unsere Firma zu unterrichten. […] In den folgenden Heften denken wir uns den Inhalt so, daß er interessante Abhandlungen und Abbildungen aus unserer Firma und aus den verschiedenen Fabriken auch im Auslande zeigt. Außerdem wären Mitteilungen aus der Schokoladenindustrie, Abhandlungen aus der Kakaochemie, Aufsätze aus der Verkaufspraxis und der Tätigkeit der WerbeAbteilung aufzunehmen. Wir erwägen, ob wir am Schluße dieses Grundstockes noch einen unterhaltenden Teil anfügen. Wir glauben mit der Zeitschrift viele geheime Wünsche erfüllt zu haben. [...] Wir würden es begrüßen, wenn auch die Zweigniederlassungen, Generalagenturen & Vertreter unserer ‚Stollwerck Post‘ reges Interesse entgegenbringen und die Schriftleitung bei der Herausgabe der späteren Hefte unterstützen würden, durch interessante Schilderungen aus ihrem Tätigkeitsbereich.“1056
Die „Stollwerck Post“ berichtete in der Folge ausführlich über die Arbeit einzelner Abteilungen des Unternehmens, die Aktivitäten des Stollwerck’schen Männerchores, die Beiträge der deutschen Schokoladenindustrie zu Messen und Ausstellungen etc.1057 Ferner diente die Werkszeitschrift auch dazu, langjährige Beschäftigte aus der anonymen Masse der Belegschaft herauszuheben. Wie in anderen Kontexten wurden die Jubilare des Unternehmens als mustergültige und treue Arbeitnehmer gepriesen, als Vorbilder einer „gewissenhaften, zielbewußten und 1053 Quellen, die über die weitere Entwicklung Aufschluss geben könnten, sind nicht überliefert. 1054 Nieberding: Unternehmenskultur, S. 265–271. Siehe auch Hilger: Sozialpolitik und Organisation, S. 345–351; Klein: Die deutsche Werkszeitschrift; Neuwert: Wirkungen interner Öffentlichkeitsarbeit; Michel: Von der Fabrikzeitung. 1055 O. A.: Zum Geleit, S. 1. 1056 Gebrüder Stollwerck AG an die Vertreter des Unternehmens am 21. Mai 1926, RWWA 20877-6. 1057 Siehe beispielhaft o. A.: Die rheinische Schokoladenindustrie; o. A.: Stollwerck’scher Männerchor „Theobromina“; o. A.: Aus unserer Werbearbeit; o. A.: Die StollwerckVerkaufsstelle.
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IV. Das Familienunternehmen Stollwerck
erfolgreichen Tätigkeit“1058. In die Werkszeitschrift fanden aber auch zahlreiche Artikel Eingang, die weder das Unternehmen betrafen noch fach- oder branchenzogen waren und entweder der Unterhaltung dienten oder dazu, die politische Einstellung der Belegschaft zu beeinflussen. So kritisierte die Rheinische Zeitung, dass man den Eindruck gewinne, „daß die Schrift in der Hauptsache den gelben und stahlbehelmten Hausfreunden der Firma dient“1059. Auch im Zuge der Reorganisation des Unternehmens zwischen 1930 und 1932 stieß die „Stollwerck Post“ auf vehemente Kritik. Georg Solmssen äußerte „lebhafte Zweifel, ob diese Veröffentlichung irgendwie dazu beitragen kann, den Absatz der Gesellschaft zu steigern“. Zwar leuchte ihm ein, dass der Teil der Werkszeitschrift, der Personalmitteilungen aus dem Unternehmen enthalte, „der Pflege des Zusammenhanges zwischen den Betriebsangehörigen dienlich ist“, doch sei dies der einzige Aspekt, den er als „Aktivum dieser Zeitschrift anzusehen vermag“1060. Weder sei es Aufgabe der Stollwerck AG, sich zahlreichen Unterhaltungsthemen zu widmen, noch würde man damit einen positiven Effekt auf den Absatz erzielen. Bereits Gustav Laute hatte 1926 zu bedenken gegeben, dass die Hauszeitschrift zwar „ein gewisses Bindemittel innerhalb des Stollwerckkonzerns“ darstellen könne, es ihm aber zweifelhaft erscheine, „ob derselben ein grösserer Wert in dieser Beschränkung als Werbemittel beigelegt werden kann“. Um einen solchen zu erreichen, müssten die Beiträge „interessant und fesselnd“ geschrieben sein und die dauernde Aufmerksamkeit der Händler und Konsumenten auf sich ziehen. Zudem dürfte die Werkszeitschrift nicht nur an die Hauptabnehmer und Prämienkunden versandt werden, für die sich eine „Propaganda“ im Grunde erübrige. Größeren Werbewert würde die „Stollwerck Post“ erst dann erlangen, „wenn sie […] nicht nur für die Händlerschaft, sondern auch für die Konsumentenschaft bestimmt, von Zeit zu Zeit auch an besonders kaufkräftige Kreise bestimmter Absatzgebiete verteilt werden könnte“1061. Dass die Geschäftsleitung der Empfehlung von Gustav Laute nicht folgte, verwundert nicht, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Unternehmen zwar fähige Werbefachleute beschäftigte, ihren Sachverstand aber durchweg nicht nutzte.1062
1058 O. A.: Gustav Laute und Alfred Junge, S. 135. 1059 O. A.: Zur Haussuchung bei Stollwerck. 1060 Die letzten Zitate aus Georg Solmssen an Karl Kimmich am 1. April 1931, HADB P 04784. 1061 Die letzten Zitate aus Gustav Laute an die Geschäftsleitung der Gebrüder Stollwerck AG am 23. April 1926, RWWA 208-106-1. 1062 Siehe ausführlich Kapitel IV.B.1.
V. ZUSAMMENFASSUNG: FAMILIE UND UNTERNEHMEN. HANDICAP ODER RESSOURCE? Das Unternehmen Stollwerck befand sich drei Generationen, von 1839 bis 1932, in Familienhand. Innerhalb dieses Zeitraums wurden Familie und Unternehmen mit vielfältigen Einschnitten und Ereignissen konfrontiert, die immer neue Strategien erforderten, um das zentrale Ziel, Eigentum und Leitung dauerhaft innerhalb der Familie weiterzugeben, sowohl unternehmensseitig zu erreichen als auch innerhalb der Familie dafür die erforderlichen Weichen zu stellen. Es galt, die Identifikation der Familie mit dem Unternehmen und den erforderlichen Gestaltungsund Handlungsspielraum für die geschäftliche Entwicklung zu gewährleisten. Die Unternehmerfamilie ist in diesem Kontext als besonderer Familientypus zu betrachten, die sowohl ihre familiäre Organisation und Kommunikation als auch ihr Selbstverständnis an die Tatsache anpasst, dass sie im Unterschied zur „Normalfamilie“ nicht nur auf sich selbst bezogene Angelegenheiten zu gestalten hat, sondern auch die Anforderungen des Unternehmens berücksichtigen muss. Dazu gehört zunächst eine auf das Unternehmen ausgerichtete Sozialisation, Erziehung und Ausbildung (Kapitel III.A.1). Bilanziert man diesen Prozess für die drei Stollwerck-Generationen entlang der in der Einleitung skizzierten Bourdieu’schen Kapitaltheorie, lässt sich eine systematische Verbindung zwischen dem individuellen Handeln der Familie und dem wirtschaftsbürgerlichen Milieu herstellen. Franz Stollwerck entstammte wie viele frühindustrielle Unternehmer einer Familie des gewerblichen Kleinbürgertums, die noch weitgehend durch die enge Verknüpfung von Haushalt und Betrieb gekennzeichnet war. Seine Kinderund Jugendjahre fielen in die Jahrzehnte der wirtschaftsliberalen Reformen der Jahrhundertwende. Viele kleinbürgerliche Familien erlebten diesen Umbruch als Phase der Unsicherheit, Marktabhängigkeit und Veränderbarkeit der Verhältnisse und mussten sich infolge der Durchsetzung kapitalistischer Prinzipien beruflich umorientieren. Die familiale Sozialisation Franz Stollwercks war vor diesem Hintergrund durch eine enge Verbindung von Erziehung und Arbeit geprägt und er wurde früh mit der Hochschätzung von selbständiger Leistung, Ehrgeiz und dem Wert der Pflichterfüllung vertraut gemacht. Insofern ist die familiale Vermittlung von inkorporiertem Kulturkapital als Beitrag zu seiner unternehmerischen Tätigkeit zu werten. Die Erziehung der Kinder und Enkel Franz Stollwercks wurde dann – vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstiegs der Familie – wie selbstverständlich von bürgerlichen Wertvorstellungen und Verhaltensnormen sowie den Leit- und Rollenbildern des bürgerlichen Familienlebens bestimmt. Das Ideal der bewussten Kindererziehung ging mit der Vermittlung von Pflichtbewusstsein, Leistungsbereitschaft, Fleiß, Sorgfalt und Hingabe an die übertragenen Aufgaben einher. Dadurch, dass sich die tägliche Kommunikation
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der Eltern auf das Familienunternehmen konzentrierte und die Kinder schon früh ein Bewusstsein für das zeitintensive unternehmerische Engagement des Vaters entwickelten, sammelten sie implizites und explizites Wissen über das Unternehmen als Grundlage für Erhalt und Ausbau ihres sozialen Status. Indem die Nachfahren sich ferner die bürgerlichen Verhaltensstandards und Werte sowie das Bewusstsein für die untrennbare Einheit von Familie und Unternehmen aneigneten, wurden beide Komponenten zu einem festen Bestandteil ihrer Persönlichkeit und damit zu inkorporiertem Kulturkapital. Diese Übertragung von bürgerlichen Werten und dem Wissen über die Familie-Unternehmen-Verbindung war freilich nicht für alle Nachfahren gleich maßgeblich. Die frühen Lernprozesse wurden in wirtschaftsbürgerlichen Familien primär auf den ältesten Sohn ausgerichtet, nachgeborene Brüder hatten in der Regel größere Handlungs- und Entfaltungsspielräume. Auch in der Familie Stollwerck wurde ihnen zugestanden, andere (akademische) Berufe als die Unternehmensnachfolge zu ergreifen und damit ihr Leben individuell und selbstverantwortlich zu gestalten – aber nur, sofern ihre älteren Brüder für die Nachfolge bereit und geeignet waren. Doch selbst die jüngeren, nicht unmittelbar für die Unternehmensnachfolge vorgesehenen Stollwerck’schen Söhne, die ein Studium absolvierten, richteten sich bei der Wahl ihrer Studienfächer nach einem möglichen zukünftigen Berufsfeld innerhalb des Familienunternehmens. Institutionalisiertes Kulturkapital in Form von anwendbarem Wissen und im späteren Beruf anerkannten Bildungspatenten sowie Sozialkapital, d. h. Kontakte und Netzwerke innerhalb der Branche, erlangten sowohl Franz Stollwerck als auch seine Söhne und Enkel im Rahmen ihrer Ausbildung. Franz Stollwerck erhielt allerdings im Unterschied zu seinen Nachfahren nur eine elementare Schulbildung und absolvierte direkt im Anschluss an die Volksschule eine handwerkliche Lehre als Zuckerbäcker. Seine Familie besaß kein nennenswertes ökonomisches Kapital, um ihm eine weiterführende Bildung zu ermöglichen und unternehmerisches Startkapital zur Verfügung zu stellen, das ihm einen Vorteil gegenüber möglichen Konkurrenten verschafft hätte. Hilfreich war ihm lediglich das feste Beziehungs- und Kontaktnetz, in das seine seit mindestens zwei Generationen in Köln ansässige und anerkannte Familie eingebunden war. Seine unternehmerischen Initiativen sowie die Akkumulation von Erfahrung und Wissen gründeten damit, wie bei vielen Unternehmern der Frühindustrialisierung, primär auf dem Prinzip von trial and error, praktischem Geschick, Kreativität und Durchsetzungsvermögen. Im Unterschied zum Unternehmensgründer war die schulische Ausbildung für die nachfolgenden Generationen ein Lebensabschnitt, der durch den Besuch allgemeinbildender Schulen über die Schulpflicht hinaus bis ins junge Erwachsenenalter reichte. Er wurde vom Vater akribisch geplant und überwacht und zeichnete sich zunehmend durch Professionalisierung und Internationalität aus. Die Familie Stollwerck verfügte zum einen über ausreichend ökonomisches Kapital, um ihren Nachkommen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen, zum anderen spielte der Erwerb anerkannter Bildungspatente eine zunehmend wichtige Rolle. Die Frage nach dem legitimen Nachfolger war zwar in erster Linie eine Frage des sozialen
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Kapitals, also der Familienzugehörigkeit, und des Geschlechts, es wurde aber auch auf eine möglichst optimale Befähigung zur Unternehmensführung geachtet. Während die Mädchen primär eine sorgfältige Ausbildung in hauswirtschaftlichen Fähigkeiten und nur eine gewisse Allgemeinbildung erhielten, wurden die Jungen umfassend auf ihre Aufgabe vorbereitet, die von der Vorgängergeneration angestrebte und erreichte Position der Familie und des Unternehmens vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen zu erhalten, selbständig zu gestalten und als eigene sinnstiftende Lebensform zu verinnerlichen. Im Mittelpunkt stand nicht das bildungsbürgerliche Ansinnen, über die Beschäftigung mit Philologie, Literatur, Kunst und Philosophie zu einer umfassenden Charakterbildung zu gelangen, sondern es ging darum, unternehmerische Schlüsselqualifikationen zu schulen, also kaufmännisches und/oder organisatorisch-technisches Wissen zu vermitteln, um zukünftigen Sachverstand sowohl für die Produktion als auch für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu sichern. An den Schulabgang schloss sich in der Familie Stollwerck die im wirtschaftsbürgerlichen Milieu übliche berufs- und fachbezogene Ausbildung an, die im familieneigenen Betrieb begann und eine Einführung in die Geschäftstätigkeit des Unternehmens und die verschiedenen Bereiche der Produktion umfasste. Für die Ausbildung der Nachfolger war ferner der Transfer des von der Familie akkumulierten sozialen Kapitals von Bedeutung. Über Geschäftsbeziehungen und Familiennetzwerke erhielten die Söhne Hospitanzen in anderen Unternehmen, wo sie zum einen ihre fachbezogene Qualifikation vertiefen, Erfahrungen sammeln, Sprachkenntnisse erwerben und sich bürgerliche Lebensformen und Bildung aneignen konnten. Zum anderen diente die wechselseitige Ausbildung der Nachfolger dazu, bestehende Geschäftsverbindungen zu pflegen und neue aufzubauen. Der früh erfahrene und verinnerlichte Kontakt zum Familienunternehmen half, diese Phasen der Abwesenheit und Distanz von der Familie zu überbrücken. Die Erfahrungen, die die Söhne von Unternehmerfamilien auf diese Weise sammelten, verschafften ihnen eine bessere Ausgangssituation gegenüber anderen Mitgliedern ihrer Generation, die nicht über derartige verwandtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen und Kanäle verfügten, nicht durch Protektion von verschiedenen Seiten begünstigt wurden, sondern sich ausschließlich auf ihre Ausbildung und Leistung stützen konnten und derartige Verbindungen erst aufbauen mussten. Zwar betonte das Wirtschaftsbürgertum stets, die Söhne sollten sich ihre Stellung durch eigene Kraft erarbeiten, sich nicht allein auf ihre Abstammung, familiäre Verbindungen und die Eigentumsrechte ihrer Väter verlassen, sondern beweisen, dass sie über ausreichend kulturelles Kapital verfügten bzw. entsprechend qualifiziert waren, um die Leitung des Unternehmens zu übernehmen. Indem Unternehmerfamilien allerdings ihren Sprösslingen wechselseitig Lehrstellen und Stellen im In- und Ausland vermittelten, relativierten sie die eigene bürgerliche Vorstellung von Rechts- und Chancengleichheit und einer Gesellschaft, in der allein individueller Fleiß über den sozialen Status entschied. Das aufeinander abgestimmte Zusammenwirken von Familie und Unternehmen zeigt sich nicht allein darin, dass die männlichen Nachfahren auf das konkrete Lebensziel der Weiterführung des Familienunternehmens verpflichtet wurden,
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sondern auch in einer an geschäftlichen Interessen ausgerichteten Heirats- und Familienpolitik sowie an spezifischen Reproduktionsstrategien (Kapitel III.A.2). Seit dem frühen 19. Jahrhundert entwickelte sich im Bürgertum ein neues Familienideal, das durch Intimisierung, Privatheit und Emotionalisierung gekennzeichnet war. Ein wichtiges Element dieser Familienstruktur war die Eheschließung, die fest zum bürgerlichen Lebensentwurf gehörte und nach den Idealvorstellungen des Bürgertums aus Liebe oder zumindest aus Neigung geschlossen werden sollte. Das Ideal der Liebesheirat blieb dabei keineswegs auf die normative Ebene beschränkt, sondern wurde Realität. Jedoch konnte eine auf Liebe basierende Beziehung durch bestehende familiäre Bindungen und ökonomische Zwänge erschwert werden. Vor allem für wirtschaftsbürgerliche Familien war die Heirat ein wichtiges Mittel, soziale und geschäftliche Netze zu schaffen bzw. zu stärken sowie ökonomisches Kapital zu mobilisieren und zu konzentrieren – traditionelle sachliche Motive wie die Eigentumserhaltung und -erweiterung spielten also eine wichtige Rolle.1 Die Vorstellung jedoch, dass die Mehrzahl wirtschaftsbürgerlicher Ehen von den Eltern oder Dritten arrangiert wurde, verdeckt, dass Männer und Frauen bei der Partnersuche durchaus gewisse Handlungsspielräume und Wahlmöglichkeiten besaßen. Für die Familie Stollwerck geben die Quellen für die drei betrachteten Generationen keine Anhaltspunkte, dass die Ehen bewusst angebahnt und nur eingegangen wurden, um die Kapitalkraft des Familienunternehmens zu stärken; auch wurden die Schwiegersöhne in keiner Generation als Teilhaber aufgenommen, um Kapital einzuwerben.2 Erkennbar ist freilich die wichtige Rolle des sozialen Kapitals bei der Eheentscheidung. Die zukünftigen Eheleute lernten sich bei Verwandten, Bekannten oder Geschäftspartnern kennen. Franz Stollwerck ehelichte eine Frau aus einem angesehenen Kreis Kölner Familien, seine Söhne heirateten „standesgerecht“, d. h. Frauen, deren Eltern aus dem Wirtschaftsbürgertum stammten. Geographische Herkunft und Stand variierten bei den Eheschließungen der dritten Generation stärker und bestätigen damit die gängige Forschungsmeinung, dass mit der überregionalen Ausdehnung der Märkte und unternehmerischen Aktivitäten auch die Heiratskreise weitläufiger wurden. Die bewusste Einkalkulation sachlich-materieller Faktoren bei der Wahl des Partners oder der Partnerin ist zwar nicht auszuschließen, doch konnte sich die Familie Stollwerck bereits in der zweiten Generation zweifellos Liebesheiraten „leisten“. Allerdings wurde eine Eheschließung innerhalb der Familie abgewogen und erfolgte in Abstimmung mit Eltern oder Geschwistern. Zusammenfassend kam also einer der Festigung und Vergrößerung der wirtschaftlichen bzw. geschäftlichen Basis folgenden Heiratspolitik im Fall Stollwerck eine weitaus geringere Bedeutung zu als in der For1
2
Siehe Gay: Die zarte Leidenschaft, S. 104; Borscheid: Geld und Liebe, S. 121 ff.; Frevert: Frauen-Geschichte, S. 40 ff.; Schraub: Zwischen Salon und Mädchenkammer, S. 8 ff. Differenzierter Hausen: „…eine Ulme für das schwankende Efeu“, S. 92; Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 27 ff. Laut Kocka (Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 109) kam die Verheiratung der Töchter an einen kapitalkräftigen Schwiegersohn, der dann als Teilhaber in das Familienunternehmen eintrat, in der frühen Industrialisierung häufig vor.
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schung gemeinhin für das Wirtschaftsbürgertum im Untersuchungszeitraum angenommen wird.3 Dem widerspricht freilich nicht, dass die Verwandtschaft, die durch die Heiraten entstand, zu einer informellen Institution wurde, auf die man in schwierigen Situationen zurückgriff und die man für geschäftliche Zwecke und den Aufbau von Kontakt- und Informationsnetzwerken nutzte. Wie Franz Stollwerck heirateten auch seine Söhne – verglichen mit dem durchschnittlichen Heiratsalter im Bürgertum im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – verhältnismäßig früh. Lässt sich die frühe Eheschließung des Unternehmensgründers nur behutsam als Ausdruck eines gewissen Unabhängigkeitsstrebens interpretieren, greift für die Gebrüder Stollwerck die Erklärung, dass sie früher als andere Männer ihrer Generation Teilhaber eines etablierten Unternehmens wurden und in gesicherten finanziellen Verhältnissen lebten. Dass die Männer der dritten Generation dann etwa vier Jahre später heirateten als ihre Väter, ist darauf zurückführen, dass sie eine deutlich längere und intensivere schulische und fachliche Ausbildung durchliefen. Obwohl sowohl die Ehefrau von Franz Stollwerck als auch seine Töchter und die Partnerinnen seiner Söhne Ende des 19. Jahrhunderts noch punktuell im Geschäft mithalfen, zeigt sich bei den Stollwercks eine deutliche Tendenz zur Trennung von weiblichem und männlichem Lebensmittelpunkt. Das bürgerliche Rollenbild ordnete dem Mann die Rolle des Ernährers zu, der sich in der Öffentlichkeit, im Spannungsfeld von Beruf, Politik und Kultur bewegte. Die Frau hingegen verantwortete Haushaltsführung und Kindererziehung. Beruf und Karriere entsprachen nicht ihrer Bestimmung als Hausfrau und Mutter. Als standesgemäße weibliche Beschäftigung außerhalb des häuslichen Rahmens galt lediglich das karitative Engagement. Auch der in allen Generationen erkennbare Kindersegen spiegelt das lebendige bürgerliche Familienleitbild. Die ökonomische Unabhängigkeit erlaubte es den Stollwercks, viele Kinder und damit eine (mindestens) ausreichende Anzahl potenzieller Nachfolger zu haben. Neben der auf Liebe gegründeten Ehe stand auch ein inniges Eltern-Kind-Verhältnis im Zentrum des bürgerlichen Familienideals. Kinder sollten in ihrer Individualität wahrgenommen und gefördert werden und die bestmögliche Ausbildung und Erziehung erhalten. Die hierfür notwendige Reduktion der Kinderzahl wird im zeitlichen Verlauf der drei untersuchten Generationen sehr deutlich. Hatten Franz Stollwerck und seine Ehefrau noch mindestens elf Kinder gezeugt, bekamen ihre Töchter und Schwiegertöchter im Mittel nur noch 4,2 Kinder. In der Enkelgeneration reduzierte sich die durchschnittliche Kinderzahl pro Ehepaar auf 2,2 Kinder. In der Frühindustrialisierung spielten Kinder für Unternehmerfamilien eine wichtige Rolle für die Nachfolge im Betrieb, ihre gezielte Verheiratung diente ferner dem Aufbau geschäftlicher Netzwerke. Die abnehmende Kinderzahl im Verlauf der Industrialisierung ist daher neben familieninternen Individualisierungsprozessen auch ein Indikator dafür, dass die ökonomischen Funktionen der Familie von alternativen Möglichkeiten der Nachfolgeregelung und Kapitalbeschaffung abgelöst wurden.4 3 4
Siehe Köhler: Wirtschaftsbürger und Unternehmer, S. 120. Siehe Kocka: Familie, Unternehmer und Kapitalismus, S. 132–135.
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Eine zentrale Herausforderung der Unternehmerfamilie bestand ferner darin, das ökonomische Fundament zu sichern, auf dem sich ihr Leben abspielte (Kapitel III.A.3). Welcher finanzielle und räumliche Rahmen einer bürgerlichen Familie zur Verfügung stand, hatte entscheidenden Einfluss auf ihren sozialen Status. Für Familien des Wirtschaftsbürgertums bildete das ökonomische Kapital dabei die entscheidende Basis ihrer gesellschaftlichen Existenz. Die Beträge, mit denen der Familienhaushalt zu bestreiten war, hingen in hohem Maße vom wirtschaftlichen Erfolg der Familienunternehmung ab. Die Eigentumsrechte am Familienunternehmen und das private mobile und immobile Vermögen boten – gerade in Krisenzeiten – der Familie und jedem einzelnen Familienmitglied einen „materiellen“ Rückhalt. In der Familie Stollwerck brachte das eigene Unternehmen bereits dem Gründer – abgesehen von finanziell schwierigen Jahren in der Konsolidierungs- und Differenzierungsphase seines Geschäfts – ein gesichertes, deutlich über dem Existenzminimum liegendes Einkommen, das es ihm u. a. erlaubte, seine Söhne gut ausbilden zu lassen und Dienstpersonal zu beschäftigen. Als er 1876 starb, hinterließ er seinen Söhnen ein stattliches Vermögen. Die Gebrüder Stollwerck bauten das vom Vater begründete Unternehmen in den folgenden Jahren sukzessive aus – das private Vermögen der einzelnen Familienstämme lag Anfang des 20. Jahrhunderts bereits deutlich über der Millionengrenze. Dennoch pflegten sie zunächst einen genügsamen, am Unternehmen, dem Eigentumserhalt, der Leistung und der Vernunft orientierten Lebensstil – überzeugt, durch ein hohes Maß an persönlichem Einsatz und individueller Leistungsbereitschaft das Geschäft des Vaters zu einem erfolgreichen und beständig expandierenden Unternehmen geformt zu haben. Sie bemühten sich, auch ihre Kinder zu einer rationalen Lebensführung zu erziehen, d. h. zu einem haushälterischen Umgang mit materiellen Ressourcen, genauer Buchführung über alle Einnahmen und Ausgaben und bescheidenem Auftreten. Wie ihr Vater hielten die Gebrüder Stollwerck zunächst an der Verknüpfung von Wohnung und Produktionsstätte fest und lebten in unmittelbarer Nähe zu Kontor und Fabrik. Erst Ende des 19. Jahrhunderts legten sie ihren Wohnsitz in größere, aber immer noch fußläufige Distanz zum Betrieb. Sie fügten sich damit in den reichsweiten Trend, dass im Geschäftsleben stehende Unternehmer nur selten weit abseits der eigenen Firma wohnten; als einziger der Gebrüder ging Carl Stollwerck diesen Schritt – allerdings erst Ende der 1920er Jahre, als er sich nach dem Tod seiner Brüder ganzjährig auf seinem bayerischen Landsitz niederließ. Mit dem wachsenden wirtschaftlichen Erfolg vergrößerten sich freilich die geschäftlichen und sozialen Netzwerke, und die Gebrüder Stollwerck orientierten ihre Lebensführung und -gestaltung verstärkt an den Aufwandsnormen des vermögenden Wirtschaftsbürgertums, d. h. sie ließen repräsentative Stadtvillen für die einzelnen Familienstämme errichten. Dieser Schritt beruhte nicht nur auf dem Wissen, über wachsende materielle Ressourcen zu verfügen, sondern die Gebrüder Stollwerck erlebten – wie andere wirtschaftsbürgerliche Familien – durch den Erfolg ihres Unternehmens auch „einen allseits wahrgenommenen Aufstieg in der
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Sozialhierarchie“5. Vor diesem Hintergrund suchten sie nach Wegen, materielle Möglichkeiten und gesellschaftliche Reputation symbolisch nach außen zu tragen. Große Bedeutung kam hierbei dem standesgemäßen Wohnsitz und seiner Ausgestaltung zu. Sowohl die Standorte der Stollwerck’schen Anwesen in den neu entstehenden Kölner Villengegenden als auch die Raumaufteilung wiesen alle klassischen Merkmale großbürgerlicher Wohnkultur im späten Kaiserreich auf. Die Villen dienten dabei auch dem „Bedürfnis nach sozialräumlicher Abgrenzung“6 des privaten Heims von den Anforderungen der Berufswelt sowie der einzelnen Bewohner von der familiären Hausgemeinschaft. Dieser zunehmend auf Repräsentation und Prachtentfaltung bedachte Lebensstil barg aber auch die Herausforderung, das bürgerliche Ideal der bescheidenen und maßvollen Lebensführung nicht von dem wilhelminischen Bedürfnis nach Vornehmheit und Exklusivität verdrängen zu lassen. Soweit die spärlichen Quellen diese These erlauben, gelang es den Gebrüdern Stollwerck weitgehend, die Mitte zu halten, Arbeit mit Genuss und das Ideal der Sparsamkeit mit den Anforderungen großbürgerlicher Lebensführung zu verbinden. Indem sie mit ihren repräsentativen Wohnsitzen ihren ökonomischen und sozialen Status unterstrichen, ließen sie sich partiell auf den wilhelminischen Zeitgeist der Jahrhundertwende ein. Geprägt von den Sozialisationserfahrungen im 19. Jahrhundert wurden ihre Wertvorstellungen und Grundüberzeugungen jedoch maßgeblich vom Einsatz für das Familienunternehmen bestimmt. In der Arbeit für das Familienunternehmen suchten sie Selbstbestätigung, für das Geschäft boten sie alle Kräfte auf, auf das Familienunternehmen gründeten sie ihr Selbstwertgefühl. Der mit eigener Arbeit erreichte Aufstieg zu einem weltweit agierenden Großunternehmen begründete den Großteil ihres Prestiges und ihrer individuellen Ehre. Die Gebrüder Stollwerck verstanden es, die subjektiven Ansprüche mit dem zentralen Ziel zu harmonisieren, das Familienvermögen zu erhalten und zu vermehren. Diese Mentalität, die das Unternehmen und die Familie als Einheit und den Wohlstand der Familie als eine von Leistung und Pflichterfüllung abhängige Größe verstand und zu schätzen wusste, formulierten sie auch in ihren testamentarischen Bestimmungen, die neben der Versorgung der Witwe vor allem den Anspruch des Eigentümerunternehmers demonstrieren, den Fortgang seines Lebenswerkes in seinem Sinne zu regeln. Im Grundsatz sollte möglichst der älteste Sohn die Nachfolge des Vaters antreten und dafür sorgen, das erarbeitete ökonomische Vermögen zu erhalten und ererbtes Kapital nicht aus dem Geschäft zu entnehmen, um das Familienunternehmen nicht in seinem Bestand zu gefährden. Diesen Geschäftsinteressen stand indes das innerfamiliale Gerechtigkeits- und Loyalitätsempfinden des Erblassers entgegen, die – männlichen wie weiblichen – Nachfahren, die nicht in das Unternehmen eintraten, nicht benachteiligen zu wollen. Um zu verhindern, dass diese Kinder ihren Erbteil aus dem Geschäft abzogen, enthielten die Testamente genaue Regelungen über regelmäßige Einkommen, Auszahlungs- und Verkaufsmodalitäten, um Kapitaldeckungslücken zu verhindern und 5 6
Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3, S. 718. Saldern: Im Hause, zu Hause, S. 156.
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das Unternehmen nicht zu bedrohen, Nichtanfechtungsklauseln sowie Bestimmungen, wie im Konfliktfall zu verfahren sei. Es zeigte sich jedoch rasch, dass es den Nachfahren der Gebrüder Stollwerck nicht gelang, die Ansprüche des Familienunternehmens mit ihren persönlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen und gegen die individuellen Versorgungsansprüche ein gemeinschaftliches Interesse am Erhalt des Familienunternehmens und -vermögens geltend zu machen. Neben persönlichen Schwächen und negativen innerfamiliären Dynamiken büßten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert traditionell unstrittige bürgerliche Leitbilder an Bedeutung ein. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in den Lebensgewohnheiten der bereits im Reichtum groß gewordenen dritten Stollwerck-Generation. Sie entfaltete einen Lebensstil, der zum einen kaum noch den Tugenden der Mäßigung und Sparsamkeit gerecht wurde, zum anderen deutlich weniger an einem strengen Arbeits- und Leistungsethos orientiert war als der ihrer Väter. Das geflügelte Wort aus Goethes Faust „Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“ hatte mit der Lebensführung der dritten Stollwerck-Generation nicht viel gemein. Sie betrachtete das ökonomische Kapital der Familie – trotz der Bemühungen der Eltern, vor allem die Söhne zu fleißigen und leistungswilligen Männern zu erziehen – nicht als Lohn für Arbeit und Pflichterfüllung, sondern als eine wie selbstverständlich zur Verfügung stehende Ressource. Ihr Lebensentwurf wurde nicht von Pflichtergebenheit und der Sorge um das Wohl des Familienunternehmens dominiert, sondern von Autonomie und Selbstbestimmung. Zudem waren die Nachfahren der Gebrüder Stollwerck – als Mitglieder der „fien-de-siècle bourgeoisie“7 der wilhelminischen Epoche – einer primär auf das persönliche Vergnügen fokussierten Lebensgestaltung keineswegs abgeneigt. Ein Großteil ihrer Zeit und ihres Geldes floss in individuelle, zeitintensive und teure Freizeitbeschäftigungen. Sie entzogen sich den testamentarischen Wünschen der Eltern, ihr Leben ganz in den Dienst des Familienunternehmens zu stellen, es gemeinsam weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, den sozialen und ökonomischen Status des Kollektivs zu bewahren und auszubauen. Zwar traten drei Söhne die ihnen zugedachte Aufgabe als Unternehmer an, doch formulierten sie früh einen eigenwilligen Anspruch auf Selbstverwirklichung und vielfältige Interessen fern des Unternehmens; zudem ließen sie wie ihre Geschwister, Vettern und Cousinen im Umgang mit dem ererbten Vermögen das erforderliche Maß vermissen. Auch die zermürbenden politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Brüche und Krisen nach dem Ersten Weltkrieg trugen dazu bei, dass der Doppelfokus auf das Wohl von Familie und Unternehmen an Überzeugungskraft verlor. Die Familie Stollwerck folgte damit nahezu idealtypisch der kulturpessimistischen Sichtweise, dass ein Familienunternehmen naturgemäß kurzlebig und das Scheitern spätestens dem Übergang von der zweiten auf die dritte Generation inhärent sei – getreu der bekannten Alltagsweisheit: „Die erste Generation erbaut’s, die zweite erhält’s, in der dritten zerfällt’s“. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch für die innerfamiliäre Kommunikation der Stollwercks nachweisen, die im Untersuchungszeitraum zwei Aspekte 7
Fear: Organizing Control, S. 72.
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bedienen musste (Kapitel III.B.). Zum einen wurde der Austausch zum Aufbau von Familiensolidarität bzw. Familiensinn instrumentalisiert, der die wechselseitige Verbundenheit der Familienmitglieder bestärkte (Kapitel III.B.1), zum anderen war ein enger Kontakt erforderlich, um Spannungen und Konflikte in gegenseitigem Einvernehmen zu klären und zu regeln (Kapitel III.B.2). Die Unternehmerfamilie ist dabei zunächst – wie jede Familie – ein Name, ein Netzwerk blutsverwandter Menschen, die sich einander emotional verbunden fühlen, ihr Handeln aufeinander abstimmen und sich so gegenseitig beeinflussen. Darüber hinaus aber kennzeichnet sie die Besonderheit, dass sich die wechselseitige Interaktion nicht nur auf die Familie, sondern in hohem Maß auf das Unternehmen bezieht. Das Unternehmen bildet den Mittelpunkt der Familie – als materieller, vor allem aber als symbolischer Wert, den es zu erhalten, zu stärken und von Generation zu Generation zu vererben gilt. Die Unternehmerfamilie will demnach nicht nur Geborgenheit und Harmonie vermitteln, sondern einen Familiensinn ausprägen, um einerseits relevanten und stabilen Einfluss im Familienunternehmen auszuüben und um andererseits ein Lebensmuster für die nachfolgenden Generationen zu entwickeln. Die Stollwercks nutzten mehrere Mittel und soziale Praktiken kommunikativer Natur, um die Verbindung von Familie und Unternehmen zu festigen und in jedem einzelnen Familienmitglied das Gefühl zu verankern, einer überindividuellen Gemeinschaft anzugehören und zu einem generationenübergreifenden Projekt beizutragen. Dies geschah nicht in theoretisch-abstrakter Form, sondern im Rahmen des Familienverbands, der gemeinsamen familiären Welt und Lebensanschauung, „deren Elemente zunehmend nicht mehr gegenwartsbezogen-rational, sondern historisch begründet und vermittelt wurden“8. Eine wichtige soziale Funktion hatte die Namensgebung, die vor allem bei den Jungen traditionellen Vorbildern folgte und zugleich auf die Unternehmensnachfolge und die Fortsetzung der Familientradition hinwies. Die Vornamen stammten in der Regel von Eltern, Großeltern und nahen Verwandten – als Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls und des familialen Traditionsbewusstseins. Die erlebte Geschichte wurde auf diese Weise nachgelebt und generationenübergreifend fortgesetzt. Als Garant für den Bestand des Familienzusammenhalts galt ferner der regelmäßige – persönliche wie briefliche – Kontakt mit den anderen Familienmitgliedern. Auf diese Weise erinnerten die Familienmitglieder einander immer wieder neu an ihre Zugehörigkeit zum Familienverband und die damit verbundenen Erwartungen: Absprache- und Kompromissbereitschaft und die Wahrung familiärer Harmonie. Die alltägliche Verständigung bot Gelegenheit, die Familie und das Unternehmen in die laufende Unterhaltung einzuflechten, die nachfolgende Generation auf diesem Weg in das „Familiengedächtnis“ einzuführen und die Selbstverständlichkeit der gemeinsamen Tradition auf Dauer zu generieren und wirksam zu stützen. Ferner wurde der vertikale und horizontale Zusammenhalt der Familie im Rahmen besonderer, den Alltag durchbrechender familiärer Veranstaltungen gepflegt. Während dies bei den Festen im Jahresverlauf 8
Gall: Bürgertum, S. 399 f.
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„en passant“ erfolgte, dienten Familientage dazu, die längst oder jüngst vergangene Zeit bewusst wiederzubeleben und die soziale Identität der Familie zu stärken. Dabei war es freilich nicht nur wichtig, gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen zu sammeln, sondern die regelmäßigen, ihrem Wesen nach häufig banalen Treffen (z. B. gemeinsame Mahlzeiten) gewannen ihren Wert auch durch Wiederholung, die in diesem Kontext nicht Routine bedeutete, sondern dem Alltag eine Form gab, ihn zum Ritual machte. Um in der nachfolgenden Generation ein Zugehörigkeitsgefühl zur Familie und der Familienunternehmung zu verankern, war es zudem wichtig, ihr eine Vorstellung von der Vergangenheit zu vermitteln, ein Sinnstiftungsangebot zu machen. Daher pflegten die Stollwercks die Weitergabe der eigenen Familien- und Firmengeschichte, die signifikante strukturelle Merkmale aufwies. Identitätsstiftende Aspekte der Vergangenheit wurden lebendig erhalten und wiederholt; die Erinnerung an frühere Generationen und das, was sie aufgebaut hatten, sollte in die Zukunft übersetzt werden. Störende, dem Selbstbild und Selbstkonzept als generationenübergreifende, harmonische Gemeinschaft widersprechende Erinnerungen, Konflikte und Ambivalenzen hingegen wurden verborgen. Die tradierte Familien- und Unternehmensgeschichte war also keineswegs ein getreues Abbild der Vergangenheit, sondern in der Tendenz wurde die Geschichte im Interesse der Gegenwart und Zukunft geschönt. Denn die Thematisierung der eigenen Geschichte hatte nicht nur den Zweck, Erinnerungen und Traditionen zu bewahren und zu verlebendigen, sondern sie diente auch dazu, Werte und Grundhaltungen der Familie, bürgerliche Ideale wie die Bereitschaft zur Arbeit und Ausbildung sowie den Aufstiegswillen weiterzugeben und auf das Unternehmen zu übertragen, die soziale Identität der Familie als Kommunikations- und Interaktionsgemeinschaft sowie die Symbiose zwischen Familie und Unternehmen zu stärken. Mentale Verbindungen zwischen den Generationen wurden ferner über Objekte konstruiert, die die Kontinuität von Familie und Unternehmen betonten: einheitlich gestaltete Unternehmerportraits, Familienwappen, die über die Kakaobaumblüte nicht nur die unternehmerische Tätigkeit in die Darstellung integrierten, sondern über Elemente aus dem Kölner Stadtwappen auch die Herkunft und damit das Traditionsbewusstsein der Familie hervorhoben, ein goldener Ring und ein goldener Pokal mit passenden Bechern als haptische Erinnerung an ein Familientreffen. Diese Objekte fungierten insofern als Träger des Familiengedächtnisses, als sie die Identität und Geschichte der Familie darstellten. Die erhaltenen und von Generation zu Generation vererbten Gemälde beispielsweise sind bis heute Träger symbolischen Kapitals – als Verbindungen zwischen den Generationen und Zeichen der Familientradition. Auch die Familienvillen und die Grabstätten der einzelnen Familienstämme wurden als Zentren familiärer Kommunikation und Gemeinschaft symbolisch überhöht. Wie intensiv das Interesse war, die familiäre Einheit und Identität nach innen zu stärken und nach außen zu demonstrieren, hing freilich immer auch von der Position des Einzelnen in der Familie und im Unternehmen ab. Im Vergleich der Generationen zeigt sich: Das Ideal der generationenübergreifenden Gemeinschaft war vor allem für die Generation der Gebrüder Stollwerck bedeutend. Sie hatten
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erfolgreich an das Lebenswerk ihres Vaters angeknüpft und wünschten sich, dass auch ihre Nachkommen das Familienunternehmen fortführten. In der dritten Generation hingegen wurde man sich untereinander fremd und der Familienverband fiel innerlich immer mehr auseinander. Indem nicht alle Söhne ihren Vätern im Familienunternehmen nachfolgten, entwickelten sich durch die unterschiedlichen Berufe andersgeartete Interessen. Die soziale Bindekraft der Unternehmerfamilie leitete sich nicht mehr von der gemeinsamen Lebensaufgabe her, die Firmenleitung in der Generationenfolge weiterzugeben und der Familie das Unternehmen dauerhaft als Eigentum zu erhalten. Zudem führten Heiraten die Geschwister, Vettern und Cousinen in ganz unterschiedliche Lebenswelten. Prätentiöse Inszenierungen des Familienzusammenhalts, wie sie die Gebrüder Stollwerck gepflegt hatten, lassen sich für ihre Nachfahren nicht nachweisen. Die Zusammenkunft an Feiertagen, die Formulierung und der Austausch gemeinsamer Erinnerungen sowie die bewusste Pflege des familiären Zusammenhalts verloren erkennbar an Bedeutung. Die bewusste Pflege des Familienzusammenhalts bedeutet natürlich keineswegs, dass Unternehmerfamilien bzw. Familienunternehmen „normalen“ Familien bzw. am Markt a priori überlegen sind. Vielmehr stehen sie vor speziellen Herausforderungen, die für Nicht-Unternehmerfamilien und Nicht-Familienunternehmen keine Rolle spielen. Neben der Aufbringung von Eigenkapital und der erfolgreichen Weitergabe des Unternehmens an die nachfolgende Generation gehören hierzu insbesondere spezifische Konfliktpotenziale, die aus dem Zusammenspiel von Familie und Unternehmen erwachsen. Denn trotz der zahlreichen Bemühungen, den Familienverband zu stärken, führten die Stollwercks kein überwiegend harmonisches Familienleben. Während das Unternehmen seit den 1860er Jahren ein beschleunigtes und nahezu kontinuierliches Wachstum verzeichnete, wurde das Familienleben immer wieder von mehr oder minder schwerwiegenden Auseinandersetzungen und Krisen beeinträchtigt. Die Streitigkeiten hatten ihren Ursprung zwar zumeist in Sachfragen, bargen aber auch enormes Konfliktpotenzial im persönlichen und emotionalen Bereich und lagen nicht zuletzt in den hochgradig divergenten Charakteren der einzelnen Familienmitglieder und unterschiedlichen Ansichten über die Art des familiären Zusammenlebens begründet. So entsprang die Vater-Sohn-Rivalität zwischen Franz Stollwerck und seinen drei ältesten Söhnen ursprünglich unterschiedlichen Ansichten über unternehmerische Verantwortungen, Kompetenzen und die Zuteilung von Ressourcen. Stollwerck sah in seiner Rolle als Gründer und Leiter des Unternehmens auf der einen und als Familienoberhaupt auf der anderen Seite seine quasi natürliche Autorität begründet. Seine Söhne behandelte er als Lehrlinge und Angestellte, nicht als gleichberechtigte Partner und reife Unternehmerpersönlichkeiten; die Brüder wiederum rieben sich an dem vom Vater adaptierten Leitbild einer klaren innerfamiliären Hierarchie mit dem dominanten Familienoberhaupt an der Spitze, das familiäre Konflikte autoritär „von oben“ löste und von seinen Kindern und engsten Angehörigen Anerkennung, Loyalität und Gehorsam forderte.
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Zwar lassen sich die jahrelangen Auseinandersetzungen und die Rebellion gegen den Vater in erster Linie mit der familiären Situation der Stollwercks, d. h. der unmittelbaren Zusammenarbeit und Konfrontation der Generationen im Familienunternehmen, begründen, doch diese Diskussion um den innerfamiliären Führungsanspruch war auch ein zeittypisches Phänomen. Das väterliche Selbstverständnis als Familienoberhaupt war im Untersuchungszeitraum keine Seltenheit und führte in vielen wirtschaftsbürgerlichen Familien zu tiefgreifenden Zerwürfnissen zwischen dem Vater und seinen Nachfolgern.9 Denn: Die Kinder waren – wie im Fall Stollwerck – keineswegs immer bereit, den Führungsanspruch des Vaters widerspruchslos zu akzeptieren; vielmehr beriefen sie sich zunehmend auf die Konstanten des bürgerlichen Wertesystems, d. h. sie strebten danach, ihr Leben selbständig und eigenverantwortlich zu gestalten und ihre individuellen Vorstellungen und Ziele durchzusetzen. Zudem wuchs die in den 1840/50er Jahren geborene Generation in einer Zeit heran, in der infolge der mannigfachen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen das traditionelle Zusammenleben und damit einhergehend auch das Verhältnis zu Autoritäten zunehmend hinterfragt wurden. Das patriarchalische Rollenverständnis geriet damit zwar als Ideal in Misskredit, in der Alltagspraxis besaß es aber große Beharrungskraft. Die bisherigen Ergebnisse der Forschung weisen ferner darauf hin, dass diese Konflikte besonders in den Familien eskalierten, in denen die Väter auf der klaren hierarchischen innerfamiliären Machtstruktur beharrten.10 Die aufreibenden und Kräfte zehrenden Konflikte mit dem Vater, die zum Teil mit scharfen Worten und ohne Rücksicht auf persönliche Verletzungen geführt wurden, bedeuteten jedoch nicht, dass die Gebrüder Stollwerck im Umkehrschluss untereinander stets harmonierten. Zwar war innerfamiliärer Friede für sie der entscheidende Hebel, wenn es darum ging, das Familienunternehmen erfolgreich zu führen, doch seit den 1880er Jahren trübten mehrere konfliktträchtige Themen ihr Verhältnis. So entwickelten sich z. B. die Dissonanzen zwischen den Ehefrauen der Gebrüder Stollwerck bzw. die Ablehnung von Peter Josephs Gattin Agnes zu einem ständigen Streitherd. Hoch schlugen die Wellen auch bei den Auseinandersetzungen um die richtige Erziehung der nachwachsenden Generation. Die Meinungen der Brüder prallten mitunter heftig aufeinander und selbst Ludwig Stollwerck, der weitaus stärker als seine Brüder eine gemäßigte, auf Ausgleich bedachte Wortwahl pflegte, fällte aufgrund persönlicher Enttäuschungen mitunter scharfe Urteile. Die dennoch erfolgreiche Zusammenarbeit der Brüder zeigt freilich, dass die Konflikte für sie in der Regel keiner endgültigen Lösung bedurften. Die Bindungskräfte zwischen den Geschwistern waren vielmehr stärker als unterschiedliche Beurteilungen und Ziele und die mitunter verletzenden Ausdrücke. Die Familie blieb weiterhin ein berechenbarer und zuverlässiger Stabilisator des Unternehmens.
9 Siehe exemplarisch Lesczenski: August Thyssen, S. 117–160. 10 Siehe ebenda, S. 149 f.; Rauh-Kühne: Zwischen „verantwortlichem Wirkungskreis“ und „häuslichem Glanz“, S. 237–248.
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Gemeinsames Kennzeichen aller Dissonanzen war, dass man sie innerhalb der Familie austrug und penibel darauf achtete, dass diese Streitigkeiten nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Gleichermaßen verfuhr man auch mit Erkrankungen von Familienmitgliedern. Die Angst vor psychischen, mitunter sogar vererbbaren Krankheiten war ein verbreitetes Phänomen in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und wurde in Zeitschriften ausführlich thematisiert. Wurde eine solche Erkrankung bekannt, konnte das die Heiratskreise einer Familie stark einengen. Um dem bürgerlichen Ensemble bestimmter Normen, Werte, Verhaltens- und Kommunikationsformen zu entsprechen, lebte die Familie Stollwerck daher in einer offensichtlichen Diskrepanz zwischen äußerer Existenz, d. h. dem Bild einer gesunden und harmonischen Familie, und innerem Leben, das von Krankheiten und familiären Konflikten geprägt war. Der Erfolg eines Familienunternehmens hängt zweifellos nicht nur von innerfamiliärer Kommunikation, sondern auch davon ab, dass der Unternehmerfamilie die Integration in das unternehmerische und das (örtliche) gesellschaftliche Milieu gelingt (Kapitel III.C). Der Religion kommt dabei für das Verständnis der gesellschaftlichen Wirklichkeit im 19. Jahrhundert eine entscheidende Bedeutung zu (Kapitel III.C.1). Im Zuge von Aufklärung und Säkularisierung kam es zu einer grundlegenden Revision des traditionellen christlichen Weltbildes und einer zunehmenden politischen und sozialen Emanzipation gesellschaftlicher Gruppen – insbesondere des Bürgertums – vom kirchlichen Leben. Allerdings führten diese Prozesse nicht dazu, dass Kirche und Religion ihre normative Kraft vollständig verloren. Althergebrachte religiöse Denkformen und Grundvorstellungen verblassten nur langsam und die christliche Tradition blieb ein festes Element der bürgerlichen Reflexionskultur. Statt einer unaufhaltsamen Entkirchlichung und Entchristlichung vollzog sich ein Strukturwandel des kirchlichen und religiösen Lebens, der u. a. mit einer zunehmenden Rekonfessionalisierung, individuellen Glaubensformen, der Gründung von Orden und der Ausdifferenzierung eines religiösen Vereinslebens einherging. Diese Ambivalenz zwischen „Relevanzkrise“ und „Renaissance“11 der Religion ist auch in der Familie Stollwerck erkennbar. Einerseits war die Religion ein wichtiges Element der persönlichen Lebensführung, andererseits wurde sie zunehmend zu einer Folie, um die Einheit der Familie zu beschwören und hervorzuheben. Als in Köln ansässige Unternehmerfamilie katholischen Glaubens passten die Stollwercks in das Sozial- bzw. Konfessionsprofil ihrer Heimatstadt, die auch Ende des 19. Jahrhunderts noch eine überwiegend katholische Stadt war. Bezogen auf die Gesamtheit des deutschen Wirtschaftsbürgertums gehörten sie im Untersuchungszeitraum zu den wenigen, die nicht protestantisch-staatskirchlich gesinnt waren. Zwar war Toleranz ein integraler Bestandteil bürgerlicher Wertvorstellungen, das Verhältnis der Konfessionen zueinander war jedoch häufig von Konflikten geprägt. Ehen und Freundschaften wurden bevorzugt innerhalb der eigenen Konfession geschlossen; Abweichungen von der Norm, etwa eine konfessionelle Mischehe, riefen bei den Stollwercks wie in anderen bürgerlichen Familien Un11 Blaschke/Kuhlemann: Religion in Geschichte und Gesellschaft, S. 9.
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verständnis und Streit hervor und führten mitunter sogar zur Ablehnung einzelner Familienmitglieder. Das galt vor allem für das Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten. Im Alltagsleben der Familie Stollwerck hatten Kirche und Religion durchaus ihre Bedeutung, wurden aber nicht zur alltagsbestimmenden Maxime. Das Gebet spielte im Tagesablauf wie in persönlichen und familiären Ausnahmesituationen eine große Rolle. Die Familie besuchte den Sonntagsgottesdienst, engagierte sich in kirchlichen Gremien und widmete den kirchlichen Riten zu Taufe, Eheschließung und Begräbnis eine angemessene Bedeutung, indem sie sie würdig und festlich beging. Diese Komponenten erhielten freilich zunehmend eine eher formale und lebenslaufstrukturierende denn eine religiöse Funktion und wurden vor allem als Möglichkeit genutzt, die Familie zu versammeln und sich in der Öffentlichkeit angemessen zu präsentieren bzw. zu inszenieren. Der pragmatische Umgang mit den ursprünglich religiösen Feiern zeigt sich ferner darin, dass sie sich immer auch an weltlichen Maßstäben messen lassen und gegebenenfalls hinter geschäftlichen Anforderungen, der familiären Sinnstiftung und Loyalität zurückstehen mussten. Auch die Gestaltung der Stollwerck’schen Grabstätten spiegelt die Suche nach einer primär innerweltlichen Sinnstiftung der Familie. Sie dienten – mit der Ausnahme Carl und Fanny Stollwerck – weniger einer religiös-symbolhaften Auseinandersetzung mit dem Tod als vielmehr der „sepulkralen Überhöhung der Familie“12 sowie einer familienidentitätsstiftenden Erinnerung an die verstorbenen Unternehmer und ihre Angehörigen. In der zeitlichen Entwicklung nahm die Rolle der Religion im Familienalltag zudem immer weiter ab. Die Enkel Franz Stollwercks lösten sich im Erwachsenenalter nahezu vollständig von den religiösen Traditionen, die ihre Eltern zumindest noch pragmatisch in das Familienleben integriert hatten – nicht zuletzt das traditionell gemeinsam begangene jährliche Gedenken an die Verstorbenen verlor an Bedeutung. Die innere Loslösung von religiösen Gepflogenheiten bedeutet aber nicht, dass die Familie den Wert der Religion an sich in Frage stellte oder sich formal von der Kirche distanzierte. Vielmehr waren die „sozialmoralischen Religionsgebote“13 wichtig und gewünscht, um die Maximen bürgerlichen Lebens zu erhalten und weiterzugeben. Insbesondere in der Erziehung der Kinder spielten theologisch-moralische Ermahnungen eine wichtige Rolle, erleichterten sie doch die Vermittlung bürgerlicher Werte und Verhaltensmaximen wie Fleiß, Bescheidenheit, Disziplin und Gehorsam. Auch die Einzelbeobachtungen zur politischen Grundüberzeugung und dem öffentlichen Engagement der Stollwercks lassen Züge einer Typologie erkennen (Kapitel III.C.2). Weder Franz Stollwerck noch seine Söhne waren ausgesprochen politisch denkende Unternehmer, hervorstechendes Merkmal war vielmehr die Neigung zu sachlich-praktischem Denken und die realistische Einschätzung der Tatsachen. Franz Stollwerck passte sich in den unruhigen, oft existenzbedrohenden ersten Jahren als Unternehmer den jeweils herrschenden Strömungen an – 12 Rauh-Kühne: Zwischen „verantwortlichem Wirkungskreis“ und „häuslichem Glanz“, S. 244. 13 Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben, S. 392.
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zunächst dem napoleonischen Erinnerungskult, unter dem Eindruck der Aufbruchsstimmung von 1848 den Grundgedanken der Demokraten, denen er seine Kaffeestube zur Verfügung stellte, und schließlich – als preußischer Hoflieferant – der Politik der „Reaktion“, die Ruhe und Ordnung, Besitz und Wohlstand sicherte. Allgemeinpolitische Ziele vertrat er nicht, die eigenen ökonomischen Interessen waren ihm wie den meisten Unternehmern seiner Zeit wichtiger als die „große Politik“. Zwar bestimmte auch in der Generation seiner Söhne vor allem die Optimierung des unternehmerischen Erfolgs die politische Grundüberzeugung, doch waren die Gebrüder Stollwerck und ihre Nachfahren weit stärker vom Wandel Deutschlands vom Agrar- zum Industriestaat, der mit der Reichsgründung einhergehenden Massenpolitisierung und dem Ausbau der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik betroffen. Die Einflussnahme auf Faktoren und Kräfte der Politik erhielt für sie automatisch einen höheren Stellenwert – politische Überlegungen reichten immer häufiger auch über die eigenen Interessen hinaus. Als liberal-privatwirtschaftlich denkende Unternehmer, die wie die meisten Wirtschaftsbürger im Kaiserreich eine „unkritische Staatsverbundenheit“14 pflegten, fühlten sich die Gebrüder Stollwerck den regierungsfreundlichen Nationalliberalen verbunden. Ihre katholische Konfessionszugehörigkeit hatte lediglich nachgeordnete Bedeutung und hinderte insbesondere Heinrich Stollwerck selbst in der Zeit des Kulturkampfes nicht daran, seine Verehrung für Bismarck auszudrücken. Ursächlich für die Bewunderung des Reichskanzlers wie auch für das Selbstverständnis, als Unternehmer in vaterländischen Zusammenhängen zu denken und sich mit der nationalen Geltungspolitik des Reiches zu identifizieren, war die Tatsache, dass der nationale und industrielle Aufschwung Deutschlands mit der Expansion des Stollwerck’schen Familienunternehmens zusammengefallen war. Die enge Verbundenheit der Stollwercks zum monarchischen Staatssystem und die bis in die Weimarer Zeit dominierende promonarchische und preußenfreundliche Einstellung spiegelten sich ferner in den zahlreichen Titeln und Orden, die insbesondere den Gebrüdern als Anerkennung ihrer unternehmerischen Leistung verliehen wurden. Sie hatten wirtschaftlich Herausragendes geleistet, besaßen in der Geschäftswelt einen guten Namen, lebten in gesicherten und soliden Einkommens- und Vermögensverhältnissen, waren politisch loyal und hatten sich anerkennenswert für das Gemeinwohl eingesetzt – kurz: die geehrten Stollwercks entsprachen dem preußischen Muster von einem idealen Kommerzienrat. Die monarchische Gesinnung der Familie Stollwerck ist aber nicht mit einer Feudalisierung gleichzusetzen. Die Gebrüder Stollwerck bejahten in erster Linie eine Staatsform, die es ihnen ermöglichte, ihre unternehmerischen Ziele zu erreichen, und die Lebensweise, Reichtum und die soziale Abgrenzung des Bürgertums gegenüber unteren Gesellschaftsgruppen nicht anzweifelte. Ihre politischen Ansichten waren nicht dogmatisch, sondern standen im Einklang mit dem individuellen Profitdenken.
14 Jaeger: Unternehmer, S. 260.
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Anders als andere Unternehmer ihrer Zeit15 hielten sich die Gebrüder Stollwerck aus der „großen Politik“ heraus und versuchten nicht, durch politische Mandate auf Entscheidungen in Berlin einzuwirken. Sie konzentrierten sich zum einen auf das unmittelbare städtische Umfeld und ihren Betrieb, wo sie nach ihrem Selbstverständnis unabkömmlich waren. Die kommunalen Behörden hatten im Zuge des Städtewachstums zunehmend mehr Aufgaben und Eingriffsrechte erhalten, so dass die im Stadtrat verhandelten Gegenstände die Unternehmer durch die räumliche Nähe in der Regel unmittelbar betrafen und im direkten Zusammenhang mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit standen. Da die Stollwercks als finanzkräftige Bürger in besonderem Maße von den städtischen Umlagen betroffen waren und ein Interesse daran hatten, standortpolitische und infrastrukturelle Entscheidungen zu steuern, war es naheliegend, sich um einen entsprechenden Sitz in der Kölner Stadtverordnetenversammlung zu bemühen. Heinrich Stollwerck engagierte sich temporär als Abgeordneter im Kölner Rat und hier primär für praktische, weniger für dezidiert politische Angelegenheiten der Stadt. Zum anderen vertraten die Stollwercks ihre Interessen in der Kölner Handelskammer. Die Zusammensetzung der Mitglieder war freilich zu heterogen, als dass diese Institution die spezifischen Interessen der Unternehmer vertreten konnte. Bedeutender war daher die Interessenartikulation im Kreis der übrigen Schokoladenfabrikanten. Zum wichtigsten Aktionszentrum der Gebrüder Stollwerck wurde der Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten, in dem Albert Nikolaus (I), Peter Joseph, Ludwig und Fritz Stollwerck jeweils leitende Funktionen hatten und über Jahrzehnte zu den führenden Akteuren zählten. Aus den vielfältigen Kontakten, die sie in diesem Zusammenhang mit anderen Unternehmern und Politikern, etwa Gustav Stresemann, knüpften, entstanden weniger persönliche als strategische Beziehungen, die ihnen dazu dienten, ihre Interessen durchzusetzen. Auch die Verbandstätigkeit der Gebrüder Stollwerck richtete sich vor allem darauf, günstige Rahmenbedingungen für das eigene Unternehmen zu schaffen, gesamtwirtschaftliche und allgemeinpolitische Fragen spielten nur eine untergeordnete Rolle. Eine Ausnahme bildet der Erste Weltkrieg, der die tagespolitischen Entwicklungen nicht nur zu einem innerfamiliären Thema werden ließ, sondern vor dem Hintergrund der schwierigen Versorgungslage im Krieg und der Umstellung auf ein halb staatliches, halb privatwirtschaftliches System der Kriegswirtschaft insbesondere bei Ludwig Stollwerck für ein kleines Zeitfenster auch das Interesse an der „großen Politik“ entfachte – dominiert freilich von der Sorge um wirtschaftliche Beeinträchtigungen. Die Schuld am Kriegsausbruch sah er allein bei England, das aus Neid auf den deutschen wirtschaftlichen Erfolg die militärische Auseinandersetzung provoziert habe. Besonders aufmerksam verfolgte er daher auch die strategischen Überlegungen eines unbeschränkten U-Boot-Kriegs gegen England, den er aus wirtschaftlichen Sicherheitsinteressen kategorisch ablehnte. Er fürchtete den Kriegseintritt der USA auf Seiten Englands und damit den Verlust der amerikanischen Stollwerck-Tochter. Deutlich zeigt sich in dieser Ar-
15 Siehe ebenda.
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gumentation, dass die Bereiche Wirtschaft und Politik für ihn nicht zu trennen waren. Neben Stadtverordnetenversammlung, Handelskammer und Branchenverband wahrten die Gebrüder Stollwerck ihre Interessen auch in den wichtigen Gremien der lokalen Kölner Unternehmerverbände. Sie bekleideten jedoch keine Spitzenpositionen und strebten diese offensichtlich auch nicht an – es ging ihnen eher um Prestige denn um effektive Gestaltung. Das Dreiklassenwahlrecht und die Stellung an der Spitze eines der größten Kölner Industrieunternehmen sicherten ihnen im Grunde ausreichend Einfluss, so dass es für sie unternehmerisch nicht erforderlich war, aus Machtaspekten in lokale Ämter zu streben. Ihre gesellschaftlichpolitische Bedeutung war somit eher gering, ging doch ihr Engagement nicht über das Maß hinaus, das erforderlich war, um nicht ins gesellschaftliche Abseits zu geraten. In der Generation ihrer Söhne lässt sich – analog zu der Entwicklung, dass das politische Interesse und Engagement der Unternehmer seit Ende des 19. Jahrhunderts insgesamt abnahm – eher eine Rückentwicklung im öffentlichen Engagement feststellen. Die ausgewählte, aber effektive Interessenvertretung der Gebrüder Stollwerck wich einer wachsenden Resignation, in kommunal- und verbandspolitischen Ämtern nichts bewirken zu können. Die dritte Stollwerck-Generation tendierte politisch eher nach rechts, die promonarchische Einstellung ihrer Väter wurde in der Weimarer Republik zum dominierenden, dem Ansehen des Unternehmens wenig zuträglichen und anachronistischen Eckpfeiler ihres politischen Selbstverständnisses. Sie demonstrierten eher dogmatisches, denn pragmatisches Denken und der Nexus zwischen politischer Überzeugung und wirtschaftlichem Profitstreben bröckelte zunehmend. Bei der Betrachtung von Aufstieg und Niedergang des Familienunternehmens Stollwerck spielte auch die gezielte Vermarktung der Produkte eine entscheidende Rolle. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, instrumentalisieren viele familiär geführte Unternehmen für ihre Marketingstrategien die positiv besetzten ethischen Werte und Normvorstellungen der Unternehmerfamilie (Kapitel IV.B.1). An erster Stelle der Stollwerck’schen Werbetektonik standen dabei die Betonung der hohen Qualität der Waren und die Generierung von Vertrauen. Franz Stollwerck teilte die unter zeitgenössischen Unternehmern verbreitete Auffassung nicht, dass sich hochwertige Produkte von selbst durchsetzen und man das Geld für Werbung sinnvoller investieren könne. Vielmehr wies er seit Gründung seiner Bäckerei gezielt auf die Güte seiner Produkte hin, um sich gegen andere Produzenten, Imitationen und gefälschte Produkte abzugrenzen. Indem er ferner kontinuierlich die eigene Seriosität und Kompetenz betonte, rückte er die Konkurrenz in ein schlechtes Licht und legte die Messlatte bzw. die Markteintrittsbarrieren für neue Firmen entsprechend höher. Der informative und häufig von wissenschaftlichen Gutachten sekundierte Charakter seiner Annoncen demonstrierte das bürgerliche Denkmodell, vermittelte Berechenbarkeit und Transparenz. Mit seinen Brustbonbons stieß er zudem in das gewinnbringende Segment der so genannten Sanitätswaren vor. Er zeigte damit nicht nur Profitstreben, sondern suggerierte den Konsumenten, um ihr Wohlbefinden besorgt zu sein, und generierte so das für
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den Absatz seiner Produkte erforderliche Vertrauen. Stollwerck erkannte zudem früh, dass die Beständigkeit von Form und Inhalt Grundbedingung war, Konsumenten langfristig an ein Fabrikat zu binden. Mit den „Stollwerck’schen Brustbonbons“ verknüpfte er das Produkt mit seinem Namen, demonstrierte so zum einen Verlässlichkeit und erreichte zum anderen, dass die Käufer nicht mehr Brustbonbons, sondern die konkrete Marke verlangten. Die Händler waren gezwungen, die begehrten Marken zu führen und vorrätig zu haben. In einer Zeit, in der die Kakao- und Schokoladenbranche noch um Qualitätsstandards rang, warb er zudem mit seinen auf Ausstellungen errungenen Medaillen und Plaketten und den verliehenen Hoflieferantentiteln, die die Güte seiner Ware objektivieren sollten. Seine Söhne knüpften ab den 1870er Jahren an den erfolgreichen Konnex von Produktqualität und Markenerfolg an und machten den Namen „Stollwerck“ zum Synonym für Qualität. Sie agierten dabei auf mehreren Ebenen und engagierten sich, erstens, federführend im Verband deutscher Schokolade-Fabrikanten für brancheneinheitliche Qualitätsstandards. Zweitens setzten sie im eigenen Unternehmen Maßstäbe, die Signalwirkung auf andere Betriebe hatten – etwa indem sie ein eigenes chemisches Labor einrichteten. Drittens stellten sie sich wie ihr Vater auf nationalen und internationalen Leistungsschauen dem Urteil von Publikum und Fachleuten und festigten, viertens, das erfolgreich eingeführte Segment der Heilmittelproduktion. In der Gestaltung der Annoncen vertrauten die Gebrüder Stollwerck – entsprechend der zeitgenössischen Entwicklung – zunehmend auf die Überzeugungskraft bildsprachlicher Argumentation. Die Werbung erfüllte für sie dabei primär eine ökonomische Funktion und zeigte folgerichtig durchgängig ein affirmatives Bild der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Die eingesetzten Bilder illustrierten zeitgenössische Ereignisse, Moden und Vorstellungen des Schönen. Irrationale, erschreckende und anrüchige Motive wurden ausgespart. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert rückten die Gebrüder Stollwerck verstärkt auch die politische Funktion der Werbung in den Vordergrund. Mehrere Motive spiegelten deutlich wilhelminische Politik und die positive Einstellung der Unternehmerfamilie zum Vaterland, monarchischen Beamtenstaat und preußischen Herrscherhaus. Neben sinnbildlich argumentierenden Anzeigen setzten die Gebrüder Stollwerck auch Annoncen ein, die idealtypische Konsumsituationen zeigten. Die Mutter, die ihren Kindern Kakao zubereitete, repräsentierte das bürgerliche Frauenbild, einen „Konsumententypus mit gesellschaftlicher Leitbildfunktion“16. Auf diese Weise konnte sich die bürgerliche Zielgruppe über die Motive in ihrer Lebenswelt wiederfinden. Auch Zitate aus Literatur und Musik, etwa durch die Anlehnung der Werbung an Goethe oder Wagner, sprachen in erster Linie die (bildungs-)bürgerliche Zielgruppe an, die damit nicht nur positive Vorstellungen deutscher Tradition verband, sondern sich als gebildete Autorität angesprochen und in ihrem Status und Wertesystem bestätigt fühlen konnte. 16 Schwarz: Bildannoncen, S. 177.
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Wichtiges Element der Stollwerck’schen Werbung war zudem von Beginn an die bildliche Präsenz der Vaterstadt Köln. Mit wiederkehrenden Motiven, etwa dem Kölner Dom, der Stadtansicht und dem Rhein, machten Franz Stollwerck und später auch seine Söhne ihre regionale Verwurzelung deutlich. Mit dieser Werbestrategie erreichte man zum einen unmittelbar die örtliche Zielgruppe, zum anderen suggerierte man Authentizität und Bodenständigkeit – Werte, die Familienunternehmen häufig in den Vordergrund rücken, um sich von anonymen Aktiengesellschaften abzugrenzen. Nicht unbedeutend ist auch die Überlegung, dass Unternehmen, die fest in einer Region verankert sind und soziale Verantwortung für ihre Heimat übernehmen, auch in schwierigen Situationen (z. B. Entlassungen oder Einsparungsmaßnahmen) mit dem Verständnis der Bevölkerung und der lokalen Medien rechnen können. Um das Vertrauen der Konsumenten in die gute Qualität der Stollwerck’schen Produkte sowie in die Innovationsfähigkeit und Modernität des Unternehmens zu festigen, lotete vor allem Ludwig Stollwerck immer neue Formen der Werbung aus. So waren die Ende der 1890er Jahre eingeführten Sammelbilder und -alben zwar keine Innovation im eigentlichen Sinne, doch in der Art und Weise, wie Stollwerck sie instrumentalisierte, nämlich indem sie die Handschrift bekannter zeitgenössischer Künstler, Wissenschaftler und Literaten trugen, markierten die Bilder eine deutliche Abkehr von der bisherigen visuellen und textlichen Gestaltung der beliebten Produktbeigaben. Die Sammelbilder entwickelten sich zu einem gewinnbringenden Produktionszweig, dessen durchschlagender Erfolg auf zwei weiteren Faktoren beruhte. Zum einen ließen sie sich mit geringem Aufwand produzieren, zum anderen zeigte insbesondere Ludwig Stollwerck ein untrügliches Gespür für den vielfältigen, sich rasch ändernden zeitgenössischen Geschmack und gesellschaftliche Gefühlslagen. So begleitete Stollwerck die entstehende Pfadfinderbewegung ebenso mit Bilderserien wie die technischen Fortschritte in der Luftfahrt und die zunehmende Militarisierung der Bevölkerung. Eine quantitative und qualitative Zäsur in der Stollwerck-Werbung setzte schließlich der Erste Weltkrieg. Die Motivvielfalt der Vorkriegsjahre wurde nivelliert, zahlreiche Werbemittel konnten nicht mehr eingesetzt werden. Ludwig Stollwerck gelang es freilich, die Werbung flexibel auf die veränderte Umwelt einzustellen. Die Herausforderungen der Kriegsjahre beantwortete er mit dem bereits bis dato erfolgreichen Konzept, sich an den Gefühlswelten der Konsumenten zu orientieren. Ferner setzte er alles daran, die etablierte Qualitätsmarke „Gold“ im Handel zu halten, um der Konkurrenz ausländischer Fabrikate entgegenzuwirken. Nach dem Tod Ludwig Stollwercks scheiterten sein Bruder Carl und seine Söhne und Neffen – wie in den Bereichen Leitung, Produktion, Buchhaltung und Rechnungslegung – auch im Vertrieb daran, neuen Herausforderungen gerecht zu werden und historisch gewachsene Pfadabhängigkeiten zu verlassen. Die Geschäftsleitung legte ein nahezu ignorantes Verhalten gegenüber dem kumulierten Wissen jahrzehntelanger erfolgreicher Werbung an den Tag.17 Hatte 17 Auch die Unternehmenskrise 1970/71 war maßgeblich auf unzureichendes Marketing zurückzuführen. Siehe Kronenberg/Gehlen: Der „Versager des Jahres“.
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das Unternehmen stets eine erstaunliche Wendigkeit gezeigt, was neue Werbemittel und aktuelle Motive betraf, orientierte man sich in den krisenhaften 1920er Jahren sinngemäß an einem „Das haben wir schon immer so gemacht!“ Das Unternehmen hielt an überlebten Wahrnehmungsmustern, Erwartungen, Verhaltensnormen und Kommunikationsroutinen fest, ließ Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die sich wandelnden komplexen Rahmenbedingungen der Weimarer Zeit vermissen und verkannte, dass die Konsumenten im Kontext ungewisser Zukunftskonstellationen nach dem Ersten Weltkrieg mit traditionellen Instrumentarien nicht zu halten bzw. zu gewinnen waren. Letztlich untergrub die rückwärtsgewandte Werbestrategie damit ihr eigenes Ziel: die Wahrung von Kontinuität. Ähnlich wie die Werbestrategie und innerfamiliären Strukturen wurde auch die Stollwerck’sche Unternehmenskultur maßgeblich von bürgerlichen und paternalistischen Idealen und Vorstellungen geprägt (Kapitel IV.B.2). Die Familie implementierte mehrere Maßnahmen der Sinnstiftung, um die Beschäftigten dauerhaft an das Unternehmen zu binden, sie mit den Wert- und Normvorstellungen der Unternehmerfamilie vertraut zu machen und zu erreichen, dass sie ihr Handeln an diesen Leitbildern ausrichteten. Die Akzeptanz dieser Werte und Normen und das damit verbundene Wissen dienten als Medium der Integration in die Unternehmenskultur. Die Strukturmerkmale des Patriarchalismus spielten dabei insofern eine Rolle, als der Unternehmerfamilie eine zentrale Bedeutung für die unternehmerische Sinnkonstruktion zukam. Franz Stollwerck setzte das paternalistische Modell nicht bewusst ein, sondern rekurrierte intuitiv auf traditionelle Mentalitäten kleinbetrieblich bzw. handwerklich geprägter Strukturen, in denen sich die Gehilfen dem Meister unterzuordnen hatten. Er erwartete von den Beschäftigten die Akzeptanz seiner Führungsautorität, nahm aber zugleich die Fürsorgeverpflichtung für seine Beschäftigten wahr. Dieses auf den Gründer ausgefluchtete Führungsmodell beschrieb Berghoff als „ursprünglichen Paternalismus“18. Im Unterschied zum Vater wirkte die zweite Generation gezielt auf die Wahrnehmungs- und Verhaltensstrukturierung der Beschäftigten ein. Die Gebrüder Stollwerck wollten die Belegschaft zum einen zu einer loyalen und stabilen Gruppe formen, zum anderen auf die Werte verpflichten, die auch für sie handlungsleitend waren – und damit den Informations- und Kontrollaufwand senken, die Prinzipal-Agent-Problematik entschärfen. Bei den leitenden Angestellten im Kölner Stammhaus und den Geschäftsführern der Zweighäuser kümmerten sie sich weitgehend persönlich um die Festigung der Sinnkonstruktion. Im Großen und Ganzen setzten sie dabei auf gemeinschaftliche Strukturen und Konfliktlösungen, auf ein im Unterschied zu ihrem Vater stärker individualisiertes Verständnis der Arbeitsbeziehungen. Gemäß der patriarchalischen Grundauffassung sollten sich aber auch die leitenden Angestellten und die Geschäftsführer den Entscheidungen der Gebrüder Stollwerck unterordnen, das Hierarchiegefüge und den unternehmerischen Geltungsanspruch akzeptieren. Allerdings wollten sie dieses Ziel nicht erreichen, indem sie Autorität demonstrierten, sondern sie setzten auf unmittelbare 18 Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 112.
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Kommunikation und umfassende Erläuterungen, die die Angestellten von der Richtigkeit ihrer Entscheidungen überzeugen sollten, auf Einsicht, Selbstdisziplin, Selbstkontrolle, Mitdenken, Begeisterung und Interesse für die Arbeit sowie Offenheit für neue Ideen. Als unternehmensspezifisches sprachliches Gebilde prägte sich in diesem Zusammenhang die exzessiv verwendete Aufforderung aus, die Arbeit „mit Lust und Liebe“ zu verrichten. Diese Idee, die Interessen des Unternehmens mit den eigenen Wünschen zu harmonisieren, bildete den zentralen Anker der Unternehmenskultur. Denjenigen Angestellten, die aus Sicht der Unternehmensleitung ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft, Loyalität und Verinnerlichung der geforderten Werte und Normen vermissen ließen, legten die Gebrüder Stollwerck nahe, aus dem Unternehmen auszuscheiden. Konflikte dieser Art lassen sich für die leitenden Angestellten des Kölner Stammhauses im Untersuchungszeitraum nicht nachweisen. Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, dass die Brüder in die oberen Kölner Leitungspositionen ausschließlich Angestellte beriefen, die im Unternehmen fest verwurzelt waren, d. h. Loyalität und Pflichtbewusstsein durch ihre langjährige, oft mit der Ausbildung begonnene Verbundenheit mit dem Unternehmen bewiesen hatten. Im Unterschied zu den leitenden Angestellten im Stammhaus haben die skizzierten Konflikte mit den Geschäftsführern der Zweighäuser freilich gezeigt, dass das Unternehmen Stollwerck kein Ort ungetrübter Interessenharmonie war. Die Auseinandersetzungen lassen sich überwiegend darauf zurückführen, dass die Gebrüder Stollwerck die von ihnen präferierten Werte als selbstverständlich und fraglos voraussetzten und dabei verkannten, dass die Geschäftsführer überwiegend nicht im Kölner Stammhaus sozialisiert worden waren. Zudem entstammten sie mitunter einem anderen kulturellen Hintergrund, sprachen eine andere Sprache und folgten intuitiv anderen Handlungsroutinen. Die Werte und Orientierungsmuster der Gebrüder Stollwerck waren für sie nicht klar und widerspruchsfrei, so dass Verhaltensunsicherheiten, Differenzen und Missverständnisse über die angemessene Handlungsweise im Grunde unvermeidlich waren. Es fehlte an interkulturellem Sachverstand, Austausch und Führungskompetenz. Im Zuge des kontinuierlichen Unternehmenswachstums war es den Gebrüdern Stollwerck zunehmend weniger möglich, über die leitenden Angestellten hinaus zu jedem einzelnen Beschäftigten den persönlichen Kontakt zu pflegen. Um Loyalität und Zuverlässigkeit der Belegschaft zu sichern, d. h. die Unternehmenskultur zu bewahren und zu festigen, setzten sie daher verstärkt auf indirekte und symbolische Kommunikation. In diesem Kontext standen die Institutionalisierung einer Fest- und Freizeitkultur, die das Gemeinschaftserlebnis Unternehmen sowohl in das Privatleben als auch in außeralltägliche Ereignisse transferieren sollte, sowie der Auf- und Ausbau unternehmenseigener Wohlfahrtseinrichtungen, die die patriarchalische Fürsorgepflicht demonstrieren sollten, insgesamt aber kein stringentes Gesamtkonzept erkennen lassen. Ausgangspunkt betrieblicher Sozialleistungen waren primär ökonomische Motive, um langfristig Transaktionskosten zu senken, etwa indem das Unternehmen in die Gesundheit der Belegschaft investierte. Karitative und religiös begründete Motive sind freilich nicht gänzlich von
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der Hand zu weisen, gewährten die Gebrüder Stollwerck ihren Beschäftigten in Notsituationen doch über den gewöhnlichen Umfang hinaus Unterstützung. Symbolcharakter kam u. a. der Pensions- und Unterstützungskasse zu. Ihre finanzielle Basis gründete überwiegend auf Stiftungen der Unternehmerfamilie, die an besondere Anlässe geknüpft waren. Zuwendungen aus dem Fonds lagen allein im Ermessen der Unternehmensleitung, d. h. jede gewährte Pension und Nothilfe festigte zugleich die bestehenden hierarchischen Unterschiede zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft, die persönliche Abhängigkeit der Beschäftigten. Das patriarchalische Führungsmodell war untrennbar an die Gebrüder Stollwerck gebunden. Ein gängiges Anreizsystem, um die Beschäftigten an das Unternehmen zu binden, war ferner die Versorgung mit günstigen und gut ausgestatteten Werkswohnungen, die allerdings den Nachteil hatten, dass sie vergleichsweise weit von den Stollwerck’schen Fabriken in der Kölner Südstadt entfernt lagen. Damit die Beschäftigten „ihre ganze Person auf das Unternehmen ausrichten und betriebstreu, verläßlich, leistungsfreudig, ökonomisch denkend und gegen politische Agitation immun werden“19 konnten, erstreckte Stollwerck das System betrieblicher Sozialpolitik über die skizzierten Maßnahmen hinaus auch in den privaten Lebensbereich der Arbeiter und Angestellten: u. a. durch ein Speise-, Erholungs- und Gesellschaftshaus und eine Stiftung, die für die weiblichen Beschäftigten Haushaltskurse veranstaltete und sie auf die von der Unternehmensleitung präferierten Werte Häuslichkeit, Sparsamkeit, Treue und Pflichtbewusstsein verpflichten sollte. Beide Einrichtungen fanden allerdings in der Belegschaft nur wenig Anklang. Die Arbeiter und Angestellten wollten ihre Freizeit offenbar lieber selbständig gestalten, statt sie im Kontext des Unternehmens und mit Arbeitskollegen zu verbringen. Auch Fabrikvereine, die gemäß der Intention der Unternehmensleitung die enge Sphäre des Unternehmens durchbrechen und die Unternehmenskultur im privaten Umfeld, der Freizeit der Beschäftigten implementieren sollten, waren bei Stollwerck nur gering ausgeprägt. Der einzige im Untersuchungszeitraum nachweisbare Verein von Dauer, der Männerchor „Theobromina“, hatte zwar anfangs viele Mitglieder und wurde – insbesondere im Kontext größerer, den Alltag durchbrechender Konzertreisen – von der Belegschaft gefeiert, allerdings verlor er im Zeitverlauf an Anziehungskraft. Unabhängig von diesen neuen, nur bedingt erfolgreichen Mechanismen unternehmerischer Sinnkonstruktion bemühten sich die Gebrüder Stollwerck, für die Belegschaft nicht zu einem anonymen Leitungsgremium zu werden, sondern weiterhin als Autoritäts- und Identifikationsfiguren präsent zu sein. Heinrich Stollwercks Fabrikrundgänge beispielsweise zeigen die Beharrungskraft des patriarchalischen Modells und lassen sich als Verhaltensweisen beschreiben, die die zunehmende Distanz zwischen Unternehmensführung und Belegschaft „symbolisch negierten“20. Obwohl das Idealbild des volksnahen Unternehmers Heinrich Stollwerck in Festreden häufig übertrieben wurde, lag in der Verklärung ein wahrer Kern. In die gleiche Richtung weist auch das Ritual geselliger Zusammenkünfte 19 Schulz: Betriebliche Sozialpolitik, S. 156 f. 20 Berghoff: Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, S. 114.
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zwischen den Vertretern des Beamten- und Arbeiterausschusses und dem Vorsitzenden Carl Stollwerck, der diesen Brauch auch nutzte, um seine patriotischen Überzeugungen in die Unternehmenskultur zu integrieren, indem er die Unternehmens- bewusst in einen engen Zusammenhang mit der Nationalgeschichte stellte. Regelmäßig pries er die Monarchie bei diesen Treffen als Vorbild für die sozialen Systeme Familie und Unternehmen und führte den Unternehmenserfolg auf die nationale Einigung und die (imperialistische) Politik des Kaisers zurück. Implizit betonte er durch die Anhänglichkeit an den Monarchen auch den Wert der Treue und die Hochschätzung hierarchischer Strukturen und persönlicher Unterordnung unter höhere Interessen. Mit der zunehmenden Dauer der Unternehmensgeschichte stieg die Zahl der Beschäftigten, die den Gebrüdern Stollwerck durch eine lange Betriebszugehörigkeit verbunden waren. Ihre feierliche Ehrung inszenierte den Einzelnen als festen Bestandteil der unternehmerischen Erfolgsbasis, demonstrierte die Wertschätzung seitens der Unternehmensleitung und honorierte gleichsam die Werte Betriebstreue und Loyalität, diente aber vor allem dazu, das Senioritätsprinzip zu festigen. Nur seit vielen Jahren im Unternehmen verwurzelte Mitarbeiter stiegen in Leitungsfunktionen auf, erwarben sich Ansprüche auf Urlaub und Gratifikationen und wurden für ihre Treue und Loyalität feierlich geehrt. Für die Geehrten bildeten die Jubiläumsfeiern und -zuwendungen den Höhepunkt ihres beruflichen Werdegangs – eine zentrale Komponente, um den Verlust des regelmäßigen persönlichen Kontakts im Arbeitsalltag auszugleichen und die wechselseitige Verbundenheit zu demonstrieren und zu festigen. Den Gegenseitigkeitscharakter dieser „gift relationship“21 betonten Geschenke der Belegschaft an die Unternehmerfamilie. Indem die Präsente jeweils persönlich überreicht wurden, wurde zumindest temporär der persönliche Kontakt zwischen Unternehmensleitung und Beschäftigten wieder hergestellt. Trotz der sich wandelnder interner Kommunikationspraktiken sowie Schwächen in der Organisation und Umsetzung betrieblicher Wohlfahrtsleistungen entstand so ein vergleichsweise intaktes Werte- und Normengefüge. Bis 1914 lassen sich vor diesem Hintergrund keine größeren Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nachweisen, Unstimmigkeiten, vornehmlich mit leitenden Angestellten, wurden kontrolliert gelöst. Die Arbeitsbeziehungen gestalteten sich insgesamt eher konfliktarm. Im Zuge des Ersten Weltkriegs, konkret aber nach dem Tod von Heinrich und Ludwig Stollwerck zeigte sich jedoch, dass die Stollwerck’sche Unternehmenskultur nicht von der Mehrheit der Beschäftigten geteilt wurde bzw. nicht tief genug verankert war, um den neuen Herausforderungen standzuhalten. Zwar lässt sich auch hier wie in den anderen Unternehmensbereichen das Unvermögen der neuen Unternehmensleitung anführen, die unternehmerische Sinnkonstruktion an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen, doch war der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel im Zuge von Weltkrieg und Inflation so stark, dass sich traditionelle Verhaltensmuster und Strukturen grundlegend veränderten, Bezugs- und Sicherungssysteme 21 Siehe hierzu Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 227.
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wegbrachen und Konflikte um traditionelle und neu zu verankernde Sinnstiftungen unausweichlich waren. So lässt sich die nachlassende Pflege der Jubilarfeiern primär vor dem Hintergrund erklären, dass in der Weimarer Republik Diskussionen über Arbeitnehmerrechte, Streiks, Entlassungen und steigende Arbeitslosenzahlen zunehmend zu den Alltagserfahrungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zählten. Die Ehrung der Jubilare war im Grunde Sinnbild einer lebenslangen, sicheren Zugehörigkeit zu einem Unternehmen, einer in festen Bahnen verlaufenden Erwerbsbiographie. Die langjährige oder gar lebenslange Betriebszugehörigkeit wurde nun aber zunehmend in Frage gestellt, der ursprüngliche Gedanke einer Gemeinschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern widersprach den Alltagserfahrungen und verlor im Kontext der konfliktträchtigen Weimarer Jahre als Referenzpunkt an Überzeugungskraft. Neben dem politischen Einfluss der Sozialdemokratie auf die Arbeiter machte sich, konkret bei Lohnverhandlungen, die bei Stollwerck bislang intern geregelt worden waren, auch der externe Einfluss der Verbände und Gewerkschaften bemerkbar. Beide Komponenten sorgten dafür, dass zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft eine zunehmende, mitunter auch aggressiv aufgeladene Distanz entstand. Taktisch unkluges Verhalten auf beiden Seiten verhärtete die Fronten zusätzlich und erschwerte eine sinnstiftende bzw. sinnerhaltende Kommunikation. Es kam wiederholt zum offenen Dissens mit der Arbeiterschaft, die aufgrund von (vermeintlich) politisch motivierten Entlassungen das Vertrauen in die Unternehmerfamilie und die von ihr intendierten unternehmerischen Werte und Normen verlor. Der Punkt, an dem das Zusammenwirken von Familie und Unternehmen am verwundbarsten ist und das größte Konfliktpotenzial birgt, ist bekanntlich der Generationenübergang (Kapitel IV.A). Die analytische Zusammenschau der beiden Unternehmensnachfolgen bei Stollwerck zeigt, dass die Übergabe an die nächste Generation in beiden Fällen durchaus gewünscht und intendiert war, aber keineswegs in geordneten Bahnen oder gar idealtypisch verlief. Bilanziert man den ersten Generationenwechsel im Unternehmen Stollwerck, bleibt ein ambivalentes Bild zurück (Kapitel IV.A.1). Zwar gelang es letzten Endes, die Unternehmenskontinuität über den Generationenübergang hinaus zu gewährleisten, doch gestaltete sich der Prozess langwierig und krisenhaft. Damit fällt Stollwerck aber keineswegs aus der Norm, vielmehr zählt die Forschung unverhältnismäßig lange und konfliktreiche Übergabeprozesse zu den „Eigentümlichkeiten“22 von Familienunternehmen. Franz Stollwerck hatte die Übergabe des Unternehmens an seine Söhne zweifellos geplant und organisiert – sie war für ihn wünschenswert und selbstverständlich. Er hatte die prospektiven Firmenerben systematisch für eine spätere unternehmerische Tätigkeit ausbilden lassen und ihre Neigung und Eignung, das Unternehmen weiterzuführen, durch die gemeinsame Arbeit im Geschäft umfassend geprüft. Sein Plan, die Söhne durch eine längere Phase gemeinsamer Unternehmensführung sukzessive an die alleinige unternehmerische Verantwortung heranzuführen, entspricht durchaus dem typischen 22 Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 128.
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Nachfolgeprozess im Familienunternehmen. Ebenso charakteristisch ist es aber, dass sich die perspektivisch abtretenden Unternehmer oft nur schwer mit dem Gedanken vertraut machen können, Führungsverantwortung zu teilen bzw. ganz abzugeben. Daher behalten sie sich, sowohl für die joint-reign-Phase als auch für die Zeit nach ihrem offiziellen Ausscheiden aus der Firma, oft weitreichende Eingriffs- und Kontrollrechte vor – so auch Franz Stollwerck. Durch den 1869 geschlossenen Gesellschaftsvertrag der Firma Franz Stollwerck & Söhne wurde die generationenübergreifende Zusammenarbeit zwar in einen rechtlichen Rahmen gegossen und formgebundenen Regeln unterstellt, doch der Kontrakt sicherte in erster Linie dem Vater umfassende Verfügungsrechte. Die Söhne hatten seinen Autoritätsanspruch und seine vertragliche Vorrangstellung zu akzeptieren. Der Einstieg seiner drei ältesten, gut ausgebildeten, selbstbewussten und engagierten Söhne in das Unternehmen weckte in Franz Stollwerck offensichtlich die Angst, seinen Status als Familienoberhaupt und seine unternehmerischen Verfügungs-, Eigentums- und Handlungsrechte zu verlieren. Statt sukzessive Kompetenzen an seine potenziellen Nachfolger abzutreten und mit ihnen eine entscheidungs- und handlungsfähige Einheit zu bilden, kämpfte er – wie viele starke Gründerpersönlichkeiten – vehement um seine Vorrangstellung als Patriarch. Definitive Aussagen, wann und in welcher Form bzw. in welchen Etappen sich der Vater aus dem Unternehmen zurückziehen wollte, enthielt der Vertrag nicht. Er war für die Unternehmernachfolge nur insofern von Bedeutung, als für den Fall, dass Franz Stollwerck oder einer der Söhne sterben sollte, die Ansprüche der etwaigen Erben dem Fortbestand der Firma untergeordnet und die Auszahlung von Erbteilen bestimmten Karenzzeiten und Fristen unterworfen wurden, um die Liquidität der Firma nicht zu gefährden – Bestimmungen, die die Gebrüder Stollwerck später auch in ihre Gesellschaftsverträge aufnahmen, um sich gegen Eingriffe der Erben zu schützen und die Existenz des Unternehmens zu sichern. Die Phase gemeinsamer Unternehmensführung verlief daher keinesfalls harmonisch oder gar idealtypisch. Vielmehr wurde das Unternehmen zum Kriegsschauplatz von teils privaten, teils geschäftlichen Differenzen. Den unterschiedlichen Positionen von Vater und Söhnen im Gefüge von Familie und Unternehmen entsprachen abweichende und mitunter ambivalente Anforderungen, Erwartungen, Ziele und Sinnperspektiven. Suprematieanspruch und Beharrungskraft des Vaters stießen auf Selbständigkeitsstreben und Modernisierungsdrang der Söhne. Franz Stollwerck stand der Herangehensweise seiner Söhne an unternehmerische Fragen skeptisch gegenüber und gewährte ihnen nur wenig Raum, sich zu entfalten und eigene Pläne umzusetzen. Letztlich offenbarte er damit, dass er zum einen den Verlust von Status und Autorität fürchtete, zum anderen Zweifel an der Tatkraft und Fähigkeit seiner Nachfolger hatte und unsicher war, ob er ihnen sein Lebenswerk wirklich anvertrauen konnte und sie es in seinem Sinne weiterführen würden. Diese Konflikte spiegeln die typischen Schwierigkeiten, die in Familienunternehmen auftreten, wenn zwei Generationen gleichzeitig an der Unternehmensführung beteiligt sind. Zum einen stehen Vater und Sohn schon allein auf Grund des
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Altersunterschieds prinzipiell nicht in einem gleichberechtigten, sondern in einem hierarchischen Verhältnis. Zum anderen müssen die Söhne im Kontext der Führungsnachfolge im Unternehmen immer der paradoxen Erwartung von Verpflichtung und Emanzipation entsprechen. Einerseits wird von ihnen erwartet, den vorgezeichneten Lebensweg einzuschlagen, d. h. das Familienunternehmen fortzuführen und sich den Wünschen des Vaters verantwortungsbewusst und loyal unterzuordnen, andererseits sollen sich die Investitionen in ihre Ausbildung auch gelohnt haben, sie sollen unabhängig und selbstbestimmt agieren, sich vom Vater abgrenzen, ihrem eigenen Lebensentwurf folgen und eine autonome, starke Persönlichkeit werden. Nicht selten werden die zur Nachfolge auserkorenen Söhne vor diesem Hintergrund von Versagensängsten geplagt. Freilich ist die Phase des Generationenwechsels nicht nur für die nachfolgenden jüngeren, sondern auch für den abtretenden Unternehmer schwierig. Er soll sein Lebenswerk übergeben und sich zurückziehen und steht damit zugleich vor der Aufgabe, in Familie und Unternehmen eine neue Position zu finden und diese zu definieren. Handelt es sich zudem um den Unternehmensgründer, verstärkt sich die strukturelle Problematik des Generationenwechsels. Zum einen hat die Unternehmerfamilie zum Zeitpunkt der Übergabe von der ersten auf die die zweite Generation noch keine Erfahrungen mit Nachfolgeprozessen gesammelt. Der Senior kann sich demnach nicht in die Rolle seiner Nachfolger hineinversetzen. Zum anderen ist Unternehmensgründern häufig eine narzisstische Persönlichkeit eigen, sie können sich nur schwer vorstellen, dass jemand ihre Aufgabe adäquat erfüllen kann. Ferner haben sie in der Regel eine besonders enge emotionale Bindung an ihr Unternehmen, das sie aufgebaut haben und in guten Händen wissen wollen. Dass sich die intergenerationellen Konflikte im Fall Stollwerck freilich derart zuspitzten, dass der Vater die Söhne sukzessive verstieß und letztere sich nicht nur geschäftlich durch die Gründung eines eigenen Unternehmens vom Vater lossagten, sondern auch privat mit ihm brachen, ist eher die Ausnahme als die Regel des Generationenwechsels im Familienunternehmen. Auch der erbitterte und teilweise vor Gericht ausgefochtene Konkurrenzkampf der dann zwei Kölner Stollwerck-Unternehmen steht ohne Vergleich dar. Doch unabhängig von dem tiefen Zerwürfnis blieb die Unternehmernachfolge für Franz Stollwerck eine Frage familialer Sinnstiftung. Weder kam es für ihn in Frage, das Unternehmen zu verkaufen, noch erwog er, sein Lebenswerk familienfremden Kaufleuten und Ingenieuren anzuvertrauen. Um das Ideal der Kontinuität im Mannesstamm zu erreichen, suchte er kurz vor seinem Tod die Aussöhnung mit seinen Nachkommen und verfügte, dass sie sein Lebenswerk weiterführen sollten. Indem die Gebrüder Stollwerck schließlich trotz einiger Umwege das Unternehmen des Vaters übernahmen und mit ihrem eigenen vereinigten, erhielt die Verbindung zwischen Familie und Unternehmen eine Bedeutung, die vom Einzelunternehmen, in dem Franz Stollwerck Leitung und Eigentum in seiner Person vereinigt hatte, nicht ausgegangen war. Daher lässt sich für Stollwerck erst ab diesem Generationenübergang mit Hindernissen von einem Familienunternehmen im eigentlichen Sinne sprechen: einem auf Dauer angelegten Konnex zwischen Familie und Unternehmen.
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Die drei ältesten Stollwerck-Brüder gründeten ihre Zusammenarbeit zunächst allein auf informelle Übereinkünfte. Das starke geschwisterliche Loyalitätsband erlaubte es ihnen, auf die transaktionskostenintensive Aushandlung und Durchsetzung von Verträgen zu verzichten und allein auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens zusammenzuarbeiten. Erst als sie 1882 ihren Bruder Ludwig, von dem sie nicht nur der große Altersunterschied, sondern damit einhergehend auch unterschiedliche Erfahrungen und Wahrnehmungshorizonte trennten, als Gesellschafter in die Firma aufnahmen, vertrauten sie nicht länger darauf, dass die Erwartungen jedes einzelnen auch ohne Vertrag mit den Interessen des Unternehmens in Einklang zu bringen waren. Sie schlossen daher einen Gesellschaftsvertrag, der vom autoritären Führungsmodell des Vaters Abstand nahm und eine korporative Unternehmensführung fachlich spezialisierter und – abgesehen von partiell umfassenderen Verfügungsrechten für die Älteren – gleichberechtigter Brüder festschrieb. Kern des Kontrakts war eine Sinnkonstruktion, die den Fortbestand des Familienunternehmens an die Verbindung von unternehmerischen Verfügungsund Eigentumsrechten, die bürgerliche Grundüberzeugung einer patrilinealdynastischen Erbfolge und an die Wahrung des Familienfriedens knüpfte. Dass das patriarchalische Verhaltensmuster freilich nicht nur für Franz Stollwerck, der sich in der Rolle des mit viel Autorität ausgestatteten Patriarchen gefallen hatte, sondern auch für seine Söhne durchaus eine Rolle spielte, zeigt sich darin, dass die weiblichen Erben in allen Kontrakten – zunächst implizit, ab 1882 auch explizit – von einer aktiven Teilhaberschaft und der Unternehmensleitung ausgeschlossen wurden. Grundlegend für den Generationenübergang war eine Sinnkonstruktion, gemäß der nur die Söhne das Familienunternehmen weiterführen konnten.23 Neben traditionellen Erbregelungen zeigt sich in dieser Auffassung vor allem die bürgerliche Grundüberzeugung von determinierten geschlechtsspezifischen Handlungs- und Wirkungssphären. Dass die Gebrüder Stollwerck an überlieferten kulturellen Rollenbildern festhielten, spiegelt sich auch in der Tatsache, dass bei Auseinandersetzungen immer die Stimme des ältesten Familienvertreters ausschlaggebend sein sollte. Wie ihr Vater trafen die Gebrüder Stollwerck bereits früh wichtige Vorkehrungen, um ihre Söhne und Neffen systematisch auf die Rolle des Unternehmers vorzubereiten und die dem Generationenwechsel in Familienunternehmen inhärenten Risiken zu minimieren (Kapitel IV.A.2). Die Schul- und Ausbildungswege sowie die Erfahrungsräume der dritten Generation waren darauf ausgerichtet, das Werk der Vorfahren fortzusetzen und unternehmerbürgerliche Werte und Normen zu adaptieren. Das kulturelle Kapital der männlichen Nachkommen ließ demnach Ende des 19. Jahrhunderts durchaus erwarten, dass die Söhne das Familienunternehmen langfristig weiterführten. Da zudem gleich mehrere potenzielle Nachfolger in Frage kamen, war der Generationenwechsel von einem gewissen Druck
23 Geschlechtsspezifische Regelungen zur Unternehmernachfolge waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Regel. Siehe Schäfer: Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 101–161; Hütter: Nachfolge im Familienunternehmen, S. 55.
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befreit.24 Die Gebrüder Stollwerck konnten davon ausgehen, dass sich mindestens einer der neun Söhne für das väterliche Unternehmen entscheiden würde; für die Söhne wiederum war mit der hohen Zahl an Brüdern und Cousins eine größere Freiheit verbunden, sich für eine andere Lebensperspektive zu entscheiden – bedeutete dies im Einzelfall doch keine unmittelbare Gefahr für den Fortbestand des Familienunternehmens. Um das vorhandene Kapital dauerhaft im Unternehmen zu halten, entschlossen sich die Gebrüder Stollwerck 1902 zur Bildung einer Kapitalgesellschaft. Eine wichtige Rolle bei dieser Organisationsreform spielten freilich auch externe Anforderungen, konkret die Tatsache, dass sich Stollwerck immer wieder neue unternehmerische Chancen der Expansion und Diversifikation boten. Um diese Möglichkeiten nutzen zu können, war ein hoher Kapitalbedarf erforderlich, dem die Abneigung gegen hohe Schulden, die Abhängigkeit von externen Geldgebern und die Öffnung gegenüber dem Kapitalmarkt entgegenstanden. Die Unternehmerfamilie geriet in den für Familienunternehmen typischen Zielkonflikt zwischen Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit. Mit Ludwig Stollwerck verfügte die Familie jedoch über eine prägende Persönlichkeit, die sich nicht nur unermüdlich in den Dienst des Familienunternehmens stellte, sondern der die familiäre Vision einer wirtschaftsbürgerlichen Dynastiebildung in seiner Person bündelte und operativ umsetzte. So agierte er als entscheidendes Bindeglied zwischen Familie und Unternehmen, indem er die zunächst skeptischen Brüder von seiner Idee einer familienorientierten Vorzugs-Aktiengesellschaft überzeugte. Mit diesem Modell verfolgten die Gebrüder Stollwerck zum einen den dieser Gesellschaftsform inhärenten betriebsökonomischen Zweck, die Eigenkapitalausstattung zu verbessern, zum anderen aber strebten sie danach, das vorhandene Kapital im Unternehmen zu binden. Es sollte gewährleistet werden, dass nicht wie in der OHG beim Tod eines Gesellschafters das Kapital an die Erben des Verstorbenen ausbezahlt, sondern fortan als Eigentumsanteil vermacht wurde. Sollten die Nachkommen diesen Anteil verkaufen, war die Kapitalbasis des Unternehmens nicht mehr direkt beeinträchtigt. Allerdings waren die Gebrüder Stollwerck, gemäß ihrer Intention, der Familie das Unternehmen in Eigentum und Leitung zu erhalten, bestrebt, einen Verkauf der Stimmrechte an familienfremde Aktionäre durch innerfamiliäre Vorkaufsrechte und vertragliche Bindungen zu verhindern. Ferner beinhalteten die Eigentumsrechte der Stammaktionäre erhebliche Verfügungsrechte, die der Vorzugsaktionäre aber kaum. Stattdessen erhielten letztere (lediglich) eine gesicherte Vermögensanlage ohne weitere formelle Verfügungsrechte. Diese Zielsetzung implizierte auf der einen Seite, dass die Gebrüder Stollwerck dafür sorgen mussten, dass das Familiengeschäft nicht stagnierte oder sich 24 Dies sieht in der Regel anders aus, wenn es in der Familie nur einen Sohn gibt, der das Werk des Vaters weiterführen und die Kontinuität des Familienunternehmens sichern kann. Verwiesen sei hier exemplarisch auf den scharfen Vater-Sohn-Konflikt zwischen Alfred Krupp (1812–1887) und seinem einzigen Sohn Friedrich Alfred, der qua Geburt zum Nachfolger determiniert war. Siehe Gall: Krupp, S. 238–252.
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zurückentwickelte, auf der anderen Seite erlegten sie sich damit im Hinblick auf die Finanzierung auch Schranken auf. So konnten Kapitalbeteiligungen Dritter nur bis zu einem gewissen Grad zugelassen werden, um die Unabhängigkeit der Familie zu gewährleisten. Die internationale Expansion des Unternehmens brachte aber in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einen erhöhten Kapitalbedarf mit sich, für den die bestehenden Finanzierungsquellen nicht ausreichten. Indem die Gebrüder Stollwerck das Vorzugsaktienkapital aufstockten, verringerten sich zwar ihre Eigentums-, nicht aber ihre Verfügungsrechte. Die Grundlagen ihrer gemeinsamen und der zukünftigen Tätigkeit ihrer Nachfolger legten die Gebrüder Stollwerck in Privat-Verträgen fest. Trotz der proaktiven Regelungen verlief der Nachfolgeprozess aber keineswegs in den vorgesehenen Bahnen. Insbesondere Ludwig, Peter Joseph und Heinrich Stollwerck, die alle eigene Söhne hatten, machten entscheidende Fehler. Wie ihr Vater hielten sie an umfassenden strategischen und operativen Kompetenzen, an ihrem symbolischen Kapital, fest und verzichteten für den Generationenwechsel auf einen verbindlichen Zeitplan; lediglich der jüngste Bruder Carl signalisierte frühzeitig seinen Rückzugswillen. Für die Vertreter der dritten Generation war es daher keine einfache Aufgabe, in die Fußstapfen ihrer Väter und Onkel zu treten. Bis 1914 wurden zwar drei Söhne in die Unternehmensspitze aufgenommen – die eigentliche Führung der Geschäfte oblag aber weiterhin eindeutig den Gebrüdern Stollwerck. Sie hielten sich nach wie vor täglich im Unternehmen auf und trafen sowohl im operativen Geschäft als auch im strategischen, d. h. langfristig wirksamen Bereich die zentralen Entscheidungen. Indem sie ihren designierten Nachfolgern kaum Kompetenzen einräumten, untergruben sie nicht nur ihre Legitimation, sondern leisteten auch ihrer Entfremdung vom Familienunternehmen Vorschub. Sie hatten de facto kaum Entfaltungsmöglichkeiten, waren Unternehmer ohne Autorität – Unzufriedenheit und Resignation waren unvermeidbar. Hatten sich die Gebrüder Stollwerck noch an der kontinuierlichen Dominanz des Vaters abgearbeitet, strebte die dritte Generation nicht danach, sich von der patriarchalischen Autorität der Väter und Onkel zu emanzipieren. Die Söhne hatten zwar mit Ausnahme von Richard und Karl Maria alle eine Ausbildung erhalten, die sie gezielt auf die Rolle des Unternehmers vorbereitete, im Unterschied zu den Gebrüdern Stollwerck verstanden sie das Unternehmen aber nicht als Mittelpunkt und zentrales Element ihres Lebens – Unternehmen und Lebenssinn, bürgerlicher Wertekanon und eigener Lebensweg waren für sie nicht identisch, auch war es für sie nicht selbstverständlich, ihre individuellen Wünsche hinter dem Wohl von Familie und Unternehmen zurückzustellen. Während sich die Gebrüder Stollwerck dem Familienunternehmen verpflichtet fühlten und ihre unermüdliche Tätigkeit als höhere Aufgabe verstanden, die durch den generationenübergreifenden Anspruch einen gleichsam über den Tod hinausgehenden Sinn erhielt, waren die Werte Arbeit und Leistung für die dritte Generation nicht derart symbolisch aufgeladen. Vielmehr manifestiert sich in ihnen zum einen die vielfach beobachtete Problematik der dritten Generation, die eine wachsende emotionale Distanz zum Unternehmen entwickelte. Die Söhne traten mit ihrem Engagement im Fami-
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lienunternehmen zwar den in der Sozialisation angelegten Familienauftrag an, erhielten als Lohn Positionen in der Unternehmensführung, ein gesichertes Auskommen und den Dank der Familie, doch erfüllten sie damit eher die familiäre Pflicht, als dass die Tätigkeit ihren eigenen Wünschen entsprach – das Familienunternehmen war ihnen eher eine ungeliebte Bürde. Ihre unternehmerischen Verfügungsrechte verstanden sie in erster Linie als Anrechte, nicht als Verpflichtungen. Zum anderen zeigt sich in der dritten Stollwerck-Generation der vielfach beobachtete schleichende Niedergang des Bürgertums als prägende Sozialformation. Zwar begegneten die Gebrüder Stollwerck ihren Söhne und Neffen mit viel Empathie und bemühten sich, ihnen die Verantwortung für die Unternehmenstradition in Gesprächen und durch das eigene Vorbild zu vermitteln, doch wirkte sich gerade die verständnisvolle und oft nachsichtige Haltung langfristig negativ auf den Generationenwechsel aus. Entscheidend für eine erfolgreiche Unternehmernachfolge ist es, dass bei der Beurteilung und Auswahl von Familienmitgliedern für Führungspositionen nicht aufgrund von Nepotismus oder der Liebe zu den eigenen Söhnen Fehlurteile getroffen werden. Statt freilich die Eignung und Neigung der potenziellen Nachfolger ex ante sorgsam zu prüfen und im Zweifel die entsprechende Konsequenz zu ziehen und einen Sohn von der Unternehmernachfolge auszuschließen, stellten zumindest Peter Joseph, Heinrich und Ludwig Stollwerck den Faktor Herkunft vor den Faktor Kompetenz. Statt also gemäß betriebswirtschaftlicher Logik und ökonomischer Nutzenfunktionen zu handeln und nur die fachlich und charakterlich geeigneten Söhne in die Unternehmensleitung aufzunehmen, waren sie bestrebt, möglichst alle Söhne im Familiengeschäft zu platzieren und so das auf Generationen angelegte Ziel zu erreichen, die Tradition des Unternehmens fortzuführen und sowohl Eigentum als auch Leitung des Familiengeschäfts an die Stammhalter zu übertragen. Sie sahen teils bewusst, teils unbewusst über charakterliche Schwächen und die mitunter mangelhafte fachliche Kompetenz ihrer Söhne großzügig hinweg. Der schriftlich niedergelegte Anspruch, den Aufstieg in den Vorstand nicht an das soziale, sondern an das kulturelle Kapital zu knüpfen, hatte für sie nur ideellen Wert; ihr Handeln war nicht am Wohl der Familie, sondern an der persönlichen Nachfolge orientiert. Zudem nahmen sie in Kauf, dass ihre dynastischen Vorstellungen zu Konflikten mit ihrem jüngeren Bruder Carl führten, der eine antagonistische Handlungslogik verfolgte. Er warnte wiederholt davor, dass der Nepotismus seiner Geschwister eine Gefahr für den Fortbestand des Familienunternehmens darstelle, und schlug vor, die Unternehmensnachfolge vom sozialen Kapital zu lösen und im Zweifel, sollte das kulturelle Kapital der eigenen Nachfolger nicht ausreichen, auf besser qualifizierte Familienfremde zurückzugreifen. Carl Stollwerck, der keine leiblichen Kinder hatte, war vor allem an einer (kurzfristigen) Steigerung des Unternehmenswertes und damit auch seines persönlichen finanziellen Nutzens interessiert; er beobachtete die fachliche und menschliche Entwicklung seiner Neffen kritisch und lehnte Protektion aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen strikt ab.
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Diese unterschiedlichen Ziele führten nahezu unausweichlich zu Diskussionen über das richtige Maß an Strenge und Objektivität im Umgang mit den Stammhaltern. Der Konflikt wurde insofern problematisch bzw. wie eine Generation zuvor die Streitigkeiten zwischen Franz Stollwerck und seinen Söhnen von der sachlichen auf die emotionale Ebene transferiert, als jeder der Brüder seine individuelle Überzeugung als persönliches Anliegen vertrat. Es entstand eine Kontroverse, die sich nicht für alle Seiten zufriedenstellend lösen ließ und weitgehend unterdrückt wurde, indem sich Carl trotz Vorbehalten der Aufnahme seiner Neffen in den Vorstand beugte. Neben der geschwisterlichen Wertschätzung und dem Credo, stets den innerfamiliären Frieden zu wahren, erkannte er, dass seine Brüder im Unterschied zu ihm durch die Teilhaberschaft am Unternehmen nicht nur über ökonomisches Kapital, sondern mit ihren Söhnen auch über soziales Kapital verfügten und damit die direkte Generationenfolge sichern konnten. Dies hatte offenbar einen höheren Stellenwert als eine dem Interesse des Unternehmens dienende Auswahl der potenziellen Nachfolger. Eine zweifellos transaktionskostenintensive Neuregelung der Nachfolge und die Auswahl allein nach der fachlichen Qualifikation kam für sie nicht in Frage. Diese ungelösten Konflikte zwischen den Brüdern übertrugen sich zudem auch auf die Kinder und wurden zu einem Quellgebiet für Rivalitäten und übersteigertes Geltungsbewusstsein. Denn: In der deutlich weitläufigeren dritten Generation fehlten innerfamiliäre Bindungskräfte, Vertrauen und Solidarität – Werte, die zwischen den Gebrüdern Stollwerck – ungeachtet aller Auseinandersetzungen – immer bestanden hatten. Die Vettern verstanden sich nicht wie ihre Väter und Onkel primär als Gemeinschaft, sondern als Rivalen um verantwortungsvolle Positionen und die Anerkennung der Familie. Zwischen ihnen existierte kein Vertrauensraum, in dem sie Missverständnisse, Dissonanzen und Meinungsverschiedenheiten austragen konnten. Konflikte, etwa über die Übernahme von Positionen, wurden nicht sachlich gelöst, sondern aus jeder Form von (gefühlter) Ungleichheit entwickelten sich Frustration, Neid und Unterlegenheitsgefühle. Der „Gegner“ ließ sich dabei nicht immer eindeutig ausmachen. Hatten die Gebrüder Stollwerck einen gemeinsamen Feind gehabt, ihren Vater, hatte die dritte Generation mit Vätern, Onkeln, Brüdern und Vettern diffuse „Gegner“ und Kooperationspartner gleichermaßen. Neben dieser primären Konfliktursache spielte auch die kommunikative Diskrepanz zwischen den Vettern eine wichtige Rolle. Zahlreiche Dissonanzen erwuchsen aus der Tatsache, dass die Nachfahren der Gebrüder Stollwerck weniger mit-, sondern vor allem übereinander sprachen und im Umgang miteinander häufig den erforderlichen Respekt vermissen ließen. Konflikte und Missverständnisse wurden nicht direkt geklärt, sondern – wenn überhaupt – indirekt über Dritte. Die Cousins spionierten einander aus und schwärzten sich gegenseitig an, sobald sich einer von ihnen jenseits der familiären Ordnung und seines Verantwortungsbereichs bewegte. Es entwickelte sich eine weitgehende „NichtBeziehung“, der es an der für Familienunternehmen essentiellen Ressource Vertrauen mangelte und die immer neue Spannungen und Konflikte evozierte. Die geringe Bereitschaft, Konflikte zu lösen und den Familienzusammenhalt zu wahren, spiegelt deutlich, dass die Denk- und Handlungsmuster und der Wer-
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tekanon der zweiten und dritten Generation nicht deckungsgleich waren. Die wichtigsten Orientierungspunkte der Gebrüder Stollwerck waren die bürgerlichen Ideale Arbeit und Familie, die sie (weitgehend) harmonisch miteinander verbanden, um die Existenz von Unternehmen und Familie zu sichern. Die Lebensführung der dritten Generation hingegen zeichnete sich nicht maßgeblich durch Leistung und das Bemühen um Loyalität und Eintracht aus, sondern war von Spannungen und Konflikten geprägt. Die bürgerlichen Verhaltensformen und Wertehierarchien der Väter modifizierten sich zunehmend. Diese Diskrepanz führte in der Folge dazu, dass auch der zweite Nachfolgeprozess im Unternehmen Stollwerck nicht idealiter verlief, sondern sich neben den abgesteckten rechtlichen und familiären Koordinaten bewegte. Ungeachtet aller Differenzen zeigte das Familienunternehmen bis 1914 einen kontinuierlichen Aufschwung, der in der Ausnahmesituation der Kriegs- und Inflationsjahre jäh endete und die ohnehin geschwächte Verbindung zwischen Familie und Unternehmen zusätzlich beeinträchtigte (Kapitel IV.A.3). Zum einen hatte sich Stollwerck während des Kriegs im neutralen Ausland hoch verschuldet, um auf die tiefgreifende Umgestaltung der Beschaffungs- und Absatzmärkte reagieren und die verbleibenden unternehmerischen Handlungsspielräume konsequent nutzen zu können. Zum anderen verlor das Unternehmen durch die Beschlagnahmungen der Alliierten sowohl in England als auch in den USA erhebliche Vermögenswerte und musste innerhalb weniger Jahre hohe Summen externen Kapitals aufnehmen, um kredit- und wettbewerbsfähig zu bleiben. Die familiären Eigentums- und damit einhergehend auch die unternehmerischen Verfügungsrechte wurden sukzessive verwässert, das externe Kapital wirkte als „Trennfaktor zwischen Familie und Unternehmen“25. Ferner spielten auch betriebswirtschaftliche und betriebsorganisatorische Mängel eine wichtige Rolle für den schleichenden Niedergang des Familienunternehmens nach dem Ersten Weltkrieg. Ludwig Stollwerck hatte es stets verstanden, Neuerungen im kaufmännischen Bereich, in der Unternehmensorganisation und im Vertrieb zeitnah zu adaptieren. Im technischen Aufgabenfeld und im Betrieb hingegen hatten es seine Brüder Heinrich und Carl bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts versäumt, mit den neuesten Entwicklungen Schritt zu halten. Diese Defizite wurden indes erst nach dem Tod Heinrich Stollwercks 1915 sukzessive offenbar. Sie überraschen zunächst, wenn man erstens bedenkt, wie aufgeschlossen die Gebrüder Stollwerck technischen Neuerungen gegenüberstanden, und zweitens berücksichtigt, dass das Unternehmen seit 1872 über eine eigene Konstruktionsabteilung verfügte, die nicht nur den Eigenbedarf an Fabrikationstechnik deckte, sondern auch Spezialaggregate für den Verkauf produzierte. Gleichwohl lässt sich aus letzterem Aspekt auch eine mögliche Erklärung ableiten. Indem das Tempo des Technologietransfers im 20. Jahrhundert weiter zunahm und vermehrt Spezial-Maschinenfabriken entstanden, deren Entwicklungs- und Leistungsfähigkeit bedeutend höher lagen als die Möglichkeiten der Stollwerk’schen Bauanstalt, überlebte sich das Eigenbauprinzip. Angesichts der Tatsache, dass Stollwerck 25 Lubinski: Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 286.
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Ende des 19. Jahrhunderts durchaus eine Vorreiterrolle in der Technik der Schokoladenproduktion zugeschrieben wurde, sollte man aber vorsichtig sein, dem Familienunternehmen per se zu unterstellen, es habe ihm an der Fähigkeit gemangelt, technische und organisatorische Neuerungen aufzunehmen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Brüder aus zwei Gründen überlastet waren und den Modernisierungsbedarf nicht mehr überblicken konnten: zum einen angesichts des schnellen Unternehmenswachstums, zum anderen angesichts der Tatsache, dass sie Routineaufgaben nur ungern delegierten. Als tiefgreifende Zäsur der Familiengeschichte erwies sich zudem der Tod der Integrationsfigur Ludwig Stollwerck. Sein Verlust schwächte nicht nur den Familienzusammenhalt, sondern auch die Unternehmensführung nachhaltig. Weder Carl Stollwerck noch seine Neffen besaßen seine Kompetenz und seinen Willen, die sich beständig verändernden finanziellen und organisatorischen Herausforderungen zu bewältigen. Sie scheiterten damit zum einen an sich selbst, zum anderen an den dysfunktionalen Auswirkungen der skizzierten inter- und intragenerationellen Konflikte, die keineswegs zeituntypisch waren und die dazu führten, dass die Identifikation mit dem Unternehmen schwand und das einstmals primäre Ziel des Erhalts und Überlebens des Familiengeschäfts sich in Desinteresse verwandelte. Sinnbildlich zeigt sich dies daran, dass Carl Stollwerck und seine Neffen nach Ablauf des 1902 geschlossenen Privat-Vertrags keine vertragsrechtlichen Bestimmungen mehr trafen, die die Übertragung der Eigentumsrechte komplexen Bestimmungen unterwarfen und verhindern sollten, dass Unternehmensanteile an familienfremde Aktionäre weitergegeben wurden. Das unternehmerische Handeln hatte nunmehr nur noch eine kurz- bis mittelfristige, keine generationenübergreifende Perspektive mehr. Carl Stollwerck, der die familialen Nachfolgestrategien seiner Brüder aus Loyalitätsgründen stets mitgetragen hatte, nutzte nach dem Tod des letzten Bruders 1922 zudem die Gelegenheit, beruflich kürzer zu treten und sich stärker seinen privaten Interessen zu widmen, ohne freilich seine persönliche Machtposition im Unternehmen aufzugeben. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die Faktoren für Erfolg oder Misserfolg eines Familienunternehmens nicht allein innerhalb der Familie zu suchen sind, sondern dass auch makrohistorische Zäsuren oft eine entscheidende Rolle spielen. Stollwerck geriet ausgerechnet in den politisch, ökonomisch und gesellschaftlich schwierigen Weimarer Jahren in eine Krise. Carl Stollwerck und seinen Neffen, die fest im Obrigkeitsstaat des Kaiserreichs verankert waren, war die instabile Unternehmensumwelt vollkommen fremd und überforderte sie dadurch. Der politische Umbruch und das neue demokratische System konfrontierten sie mit Zukunftsängsten, der Sorge vor einem Niedergang des Familienunternehmens und dem Verlust materieller Sicherheit – Aspekten, die in ihrem bis dahin erfolgsverwöhnten Leben keine Rolle gespielt hatten. Hatte die Familie, um ihre Eigentums- und Kontrollinteressen zu wahren, über Jahrzehnte darauf geachtet, selbst in Phasen der Unternehmensexpansion nur im begrenzten Umfang fremdes Kapital aufzunehmen, konnte dieser Grundsatz angesichts der fortschreitenden Geldentwertung nicht mehr aufrecht erhalten werden. Um das Unternehmen kredit- und wettbewerbsfähig zu halten, sah sich die
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Familie veranlasst, innerhalb von zwei Jahren gleich zwei Kapitalerhöhungen durchzuführen, in deren Folge die Banken umfangreiche Aktienpakete übernahmen. Weltkrieg und Inflation sorgten ferner dafür, dass sich auch in der Schokoladenindustrie der Konzentrationsprozess verstärkte. 1930 kaufte die geschäftlich angeschlagene Gebrüder Stollwerck AG den ebenfalls nicht florierenden Hamburger Reichardt-Konzern. Die damit einhergehenden finanziellen und organisatorischen Herausforderungen waren freilich für das Kölner Unternehmen nicht zu bewältigen. Zum einen gelang es nicht, die kaufmännischen und technischen Systeme der verschiedenen Firmen erfolgreich zusammenzuführen, zum anderen konnten die enormen Lagerbestände nur unter großen Schwierigkeiten abgesetzt werden. Stollwerck geriet in Folge dieser Übernahme immer stärker in eine wirtschaftliche Schieflage. Als die skizzierten Versäumnisse der 1920er Jahre schließlich offenbar wurden, gelang es der Familie nicht mehr, die Bankenvertreter, die auch im Aufsichtsrat Fuß gefasst, die Unternehmensentwicklung lange aber nur passiv beobachtet hatten, zu besänftigen. Überzeugt, dass allein die Familie die Wurzel der unternehmerischen Fehlentscheidungen der vorangegangenen Jahre war, trieben die Kreditinstitute unter Federführung der Deutschen Bank ein Sanierungskonzept voran, das das primäre Ziel verfolgte, die Verbindung zwischen der Familie und dem Unternehmen Stollwerck aufzulösen. Treibende Kraft der Bemühungen, die innere Organisation der Stollwerck AG zu durchleuchten und zu reorganisieren, wurde der von Georg Solmssen beauftragte Bankier Karl Kimmich. Schonungslos deckte er die unternehmerischen Versäumnisse des familiär dominierten Vorstands auf und drängte darauf, dass sich die Familie aus der aktiven unternehmerischen Tätigkeit zurückziehen musste. Rund 90 Jahre nach der Gründung des Unternehmens wurde die direkte Verbindung zwischen Familie und Unternehmen beendet. Die Unternehmensführung ging an familienfremde Manager über. Das Fallbeispiel Stollwerck verifiziert damit auf den ersten Blick die auch von Feldman bestätigte26 Auffassung Chandlers, nach der die Expansion eines ursprünglich kleinen Familienbetriebs zu einem Großunternehmen die Verbindung zwischen Familie und Unternehmen zwangsläufig verändert. Zum einen überforderten die Kapitalbedürfnisse des Unternehmens bereits kurz nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft die finanziellen Ressourcen der Familie, so dass die Gebrüder Stollwerck zunehmend auf fremdes Kapital zurückgreifen und ihren Eigentumsanteil verringern mussten. Zum anderen standen nicht mehr ausreichend geeignete und engagierte Familienmitglieder zur Verfügung, um die Geschäftsleitung in den Händen der Unternehmerfamilie zu halten. Die Eigentümerfamilie konnte den mit dem Unternehmenswachstum einhergehenden steigenden Anforderungen an die Geschäftsführung nicht mehr gerecht werden, so dass sie sich schließlich von der Leitung ihrer Firma zurückziehen musste und keinen Einfluss mehr auf strategische unternehmerische Entscheidungen hatte.
26 Siehe Feldman: Thunder from Arosa.
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Man sollte aber vorsichtig sein, die Entwicklung bei Stollwerck als zwangsläufig zu beschreiben. Die spezifische Verbindung einer Familie mit einem Unternehmen ist immer das Ergebnis einer einmaligen historischen Entwicklung, eines spezifischen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontextes. Konkret: Die Familie Stollwerck hat es über 80 Jahre verstanden, die Vorteile und Ressourcen, die sich aus der Verbindung von Familie und Unternehmen ergaben, zu nutzen, etwaige Dysfunktionalitäten zu kompensieren bzw. in eine win-win-Situation umzumünzen. Dass sie im Zuge von Weltkrieg, Inflation, relativer Stabilisierung und Weltwirtschaftskrise sukzessive Verfügungsrechte einbüßte und schließlich die Kontrolle über ihr und die Eigentumsrechte an ihrem Unternehmen verlor, ist nicht allein auf die zweifellos evidenten unternehmerischen Schwächen Carl Stollwercks und seiner Neffen und interne Managementprobleme zurückzuführen, die den „Weg in die Handlungsunfähigkeit“27 (mit) ebneten, sondern auch darauf, dass es der Stollwerck AG in einer Phase an Führung mangelte, in der sie kaum mehr zu führen war. Unternehmer können nur dann strategisch erfolgreich handeln, wenn sie zum einen die Voraussetzungen ihrer Entscheidungen antizipieren, zum anderen die möglichen Folgen beurteilen können. Grundvoraussetzung hierfür sind stabile Rahmenbedingungen. Der Zeitraum zwischen 1914 und 1932 hingegen war primär durch externe Schocks, Unsicherheit und Instabilität gekennzeichnet, durch gesellschaftliche politische, rechtliche und wirtschaftliche Regulierungen und Veränderungen, steigende Rohstoff- und zurückgehende Verkaufspreise, einen harten Konkurrenzkampf im Inland und Exportschwierigkeiten. Die Weltwirtschaftskrise verstärkte diese strukturellen Widrigkeiten. In dem Maße, in dem vor diesem Hintergrund, erstens, der Identitätserhalt der Familie in den Hintergrund rückte, sich die einzelnen Familienmitglieder, zweitens, nicht mehr auf ein gemeinsames Ziel disziplinieren und verpflichten ließen, d. h. keine Gruppenidentität und keine Kommunikationsbasis mehr besaßen, und, drittens, die über Jahrzehnte stabilisierend auf das unternehmerische Selbstverständnis und Selbstbewusstsein wirkenden bürgerlichen Wertvorstellungen an Orientierungskraft einbüßten, ging auch die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens verloren, wurden die Eigentümlichkeiten der Unternehmerfamilie zum Handicap.
27 Köhler/Rossfeld: Bausteine des Misserfolgs, S. 18.
ANHANG ABBILDUNGSVERZEICHNIS S. 47, Abb. 1 S. 47, Abb. 2 S. 49, Abb. 3 S. 51, Abb. 4 S. 52, Abb. 5 S. 55, Abb. 6 S. 67, Abb. 7 S. 67, Abb. 8 S. 126, Abb. 9 S. 127, Abb. 10 S. 148, Abb. 11 S. 151, Abb. 12 S. 154, Abb. 13 S. 154, Abb. 14 S. 155, Abb. 15 S. 155, Abb. 16 S. 156, Abb. 17 S. 156, Abb. 18 S. 162, Abb. 19 S. 164, Abb. 20 S. 165, Abb. 21 S. 194, Abb. 22 S. 194, Abb. 23 S. 196, Abb. 24 S. 196, Abb. 25 S. 196, Abb. 26 S. 197, Abb. 27 S. 197, Abb. 28 S. 197, Abb. 29 S. 197, Abb. 30 S. 197, Abb. 31 S. 197, Abb. 32 S. 197, Abb. 33 S. 197, Abb. 34 S. 199, Abb. 35 S. 199, Abb. 36 S. 199, Abb. 37 S. 200, Abb. 38
Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater, o. D. Franz Stollwercks Königshalle, 1865 Betriebskapital der Offenen Handelsgesellschaft Gebrüder Stollwerck 1883– 1891 (in M) Geographische Verteilung des Absatzes der Offenen Handelsgesellschaft Gebrüder Stollwerck 1891–1900 (in %) Arbeiterbestand in der Kölner Stollwerck-Fabrik 1887–1902 Reingewinn der Gebrüder Stollwerck AG 1902–1912 (in M) Heinrich Stollwerck, 1851 Heinrich Stollwerck, 1858 Eheschließungen der Stollwerck’schen Männer Eheschließungen der Stollwerck’schen Frauen Wohnhaus von Ludwig Stollwerck, Sachsenring Nr. 28, 30, 32, um 1890 Villa von Peter Joseph Stollwerck, Bayenstraße 65, ca. 1905/06 Villa von Carl Stollwerck, Volksgartenstraße 54, o. D. Villa von Carl Stollwerck, Volksgartenstraße 54, o. D. Villa von Heinrich Stollwerck, Bayenthalgürtel 2, 1905 Villa von Heinrich Stollwerck, Bayenthalgürtel 2, 1905 Grundrisse der Villa von Heinrich Stollwerck, Erdgeschoss und erstes Obergeschoss Grundrisse der Villa von Heinrich Stollwerck, Erdgeschoss und erstes Obergeschoss Peter Joseph Stollwercks „Villa Ines” auf Borkum, um 1900 Peter Joseph Stollwercks Villa in Bad Godesberg, o. D. Carl Stollwercks Landsitz Hohenfried, 1928 Ölgemälde von Anna Sophia und Franz Stollwerck, o. D. Ölgemälde von Anna Sophia und Franz Stollwerck, o. D. Albert Nikolaus Stollwerck (I), ca. 1880 Peter Joseph Stollwerck, ca. 1900 Heinrich Stollwerck, ca. 1910 Franz und Anna Sophia Stollwerck, ca. 1870 Peter Joseph Stollwerck, ca. 1900 Heinrich Stollwerck, um 1910 Ludwig Stollwerck, ca. 1910–1919 Carl Stollwerck, ca. 1890 Peter Joseph Stollwerck, ca. 1900 Franz Stollwerck (II), ca. 1920 Fritz Stollwerck, ca. 1930 Familie Ludwig Stollwerck, ca. 1902 Familie Heinrich Stollwerck, 1883 Carl Stollwerck mit Adoptivtöchtern, ca. 1905 Stollwerck’sches Familienwappen
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S. 200, Abb. 39 Stollwerck’sches Familienwappen auf dem ursprünglichen Grabmal von Heinrich und Peter Joseph Stollwerck S. 201, Abb. 40 Heutige Grabstätte der Familie Heinrich Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof S. 201, Abb. 41 Heutige Grabstätte der Familie Heinrich Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof S. 202, Abb. 42 Familienpokal der Stollwercks S. 234, Abb. 43 Ursprüngliches Grabmal der Familien Heinrich und Peter Joseph Stollwerck auf dem Kölner Melaten-Friedhof, o. D. S. 234, Abb. 44 Grabmal der Familie Poensgen auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof, o. D. S. 235, Abb. 45 Heutige Grabstätte der Familie Heinrich Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof S. 235, Abb. 46 Heutiges Reihengrab der Familie Peter Joseph Stollwerck auf dem Kölner Melaten-Friedhof S. 236, Abb. 47 Ursprüngliches Grabmal der Familie Ludwig Stollwerck auf dem Kölner Melaten-Friedhof S. 236, Abb. 48 Heutige Grabstätte der Familie Ludwig Stollwerck auf dem Kölner MelatenFriedhof S. 237, Abb. 49 Reliefs der Kakaobaumblüte auf einer Tür des ursprünglichen Grabmals der Familie Ludwig Stollwerck S. 237, Abb. 50 Reliefs der Kakaobaumblüte auf dem heutigen Grabmal der Familie Heinrich Stollwerck S. 238, Abb. 51 Aufbahrung von Carlita Stollwerck, 1911 S. 238, Abb. 52 Aufbahrung von Carlita Stollwerck, 1911 S. 245, Abb. 53 Heinrich, Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph Stollwerck (v. l.) als Soldaten, 1868, 1870/71 S. 245, Abb. 54 Heinrich, Albert Nikolaus (I) und Peter Joseph Stollwerck (v. l.) als Kölner Dreigestirn, 1868 S. 303, Abb. 55 Kapitaleinlagen der Gebrüder Stollwerck in den Geschäftsjahren 1887/88, 1890/91, 1900 und 1902 S. 333, Abb. 56 Anteilseignerstruktur der Gebrüder Stollwerck AG 1902 S. 341, Abb. 57 Aufsichtsratsmitglieder der Gebrüder Stollwerck AG 1902–1932 S. 359, Abb. 58 Anteilseignerstruktur der Gebrüder Stollwerck AG 1902 und 1907 S. 365, Abb. 59 Ausgewiesene Reingewinne der Firmen Sarotti und Stollwerck 1908–1917 (in M) S. 414, Abb. 60 Zentrale Elemente der Marketingstrategie von Familienunternehmen S. 416, Abb. 61 Verpackung der Stollwerck’schen Brustbonbons, o. D. S. 422, Abb. 62 Briefkopf der Firma Franz Stollwerck & Söhne, 1869 S. 428, Abb. 63 Anzeigen für Dr. Michaelisʼ Eichel-Kakao und Chocolin, um 1900 S. 435, Abb. 64 Stollwerck’sches Ausstellungsstück auf dem Internationalen Wettbewerb in Brüssel, 1888 S. 435, Abb. 65 Entstehungsprozess der Germania-Statue aus Schokolade, 1893 S. 435, Abb. 66 Germania-Statue aus Schokolade auf der Weltausstellung in Chicago, 1893 S. 435, Abb. 67 Briefkopf der Firma Gebrüder Stollwerck, 1875 S. 437, Abb. 68 Verpackung für Stollwerck Kronprinzen-Schokolade, vor 1918 S. 439, Abb. 69 Annonce der Firma Gebrüder Stollwerck, 1885 S. 439, Abb. 70 Annonce der Firma Gebrüder Stollwerck, 1891 S. 439, Abb. 71 Annonce der Firma Gebrüder Stollwerck, 1912 S. 439, Abb. 72 Briefkopf der Firma Gebrüder Stollwerck, 1907 S. 440, Abb. 73 Briefkopf der Firma Gebrüder Stollwerck, 1872 S. 442, Abb. 74 Anzeige für Stollwerck-Kakao, nach 1903
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S. 442, Abb. 75 Anzeige aus der Gemeinschaftskampagne der Firmen Stollwerck und Henkell, 1906 S. 443, Abb. 76 Anzeige für Stollwerck Adler Cacao, nach 1903 S. 443, Abb. 77 Anzeige für Stollwerck Gold, nach 1909 S. 443, Abb. 78 Anzeige für Stollwerck Gold, 1911 S. 447, Abb. 79 Anzeige für Stollwerck Spar-Automat und Stollwerck Chocolade-Uhr, um 1900 S. 447, Abb. 80 Anzeige für Chocolade-Phonograph, 1903 S. 447, Abb. 81 Auszug aus dem Sammelalbum „Jungdeutschland“, 1915 S. 452, Abb. 82 Anzeige für Stollwerck Adler-Kakao, nach 1903 S. 452, Abb. 83 Anzeige für Stollwerck Adler-Kakao, nach 1900 S. 454, Abb. 84 Anzeige für Stollwerck Gold, November 1911 S. 454, Abb. 85 Anzeige für Stollwerck Gold, 1917 S. 454, Abb. 86 Anzeige für Stollwerck Gold, nach 1909 S. 454, Abb. 87 Anzeige für Stollwerck Gold, nach 1909 S. 458, Abb. 88 Titelseite des Sammelalbums „Der Große Krieg“, 1916 S. 458, Abb. 89 Anzeige für Stollwerck Gold, 1915 S. 482, Abb. 90 Entwicklung der Pensions- und Unterstützungskasse der Gebrüder Stollwerck AG 1894–1916 S. 491, Abb. 91 Stollwerck’sches Arbeiterwohnhaus, um 1900 S. 491, Abb. 92 Stollwerck’sches Arbeiterwohnhaus, um 1900
Franz (1815-1876) ∞ 1839 Anna Sophia Müller (1819-1888)
Johann (1817-1818)
Anna Maria (1818-1819)
Nicolaus Stollwerck (1787-1851) ∞ 1: 1816 Christina Boden (1784-1837)
Hubertine Elisabeth (geb. 1820)
Johannes (1821-1878)
∞ 2: 1838 Maria Franziska Meyer (geb. 1780)
Tafel 1: Nachfahren von Nicolaus und Christina Stollwerck
STAMMTAFELN
Hubertine Catharina (geb. 1823) ∞ 1849 Hinrich Hermann Krause (geb. 1819)
Gereon (1826-1828)
Carl (1828-1829)
Maria Sybilla (geb. 1831) ∞ 1851 Franz Theodor Herx (geb. 1813)
Stammtafeln
549
Albert Nikolaus (I) (18401883) ∞ 1865 Maria Theresia Krusius (18431882)
Peter Joseph (18421906) ∞ 1871 Agnes Heimerdinger (18511918)
Heinrich (18431915) ∞ 1868 Apollonia Krusius (18471925)
Albert Ferdinand (18451846)
Catharina (18471866)
Hermann Joseph (18481849)
Elisabeth (18491884) ∞ 1876 Anton Wilhelm Fuchs (18421910)
Franz (1815-1876) ∞ 1839 Anna Sophia Müller (1819-1888)
Tafel 2: Nachfahren von Franz und Anna Sophia Stollwerck
Theresia Anna (18521860)
Ludwig Philipp Albert (18571922) ∞ 1881 Maria Schlagloth (18591919)
Carl FranzAnton (18591932) ∞ 1885 Fanny Therese Hanau (18641943)
Therese (18611936) ∞ 1887 Richard Roderbourg
550 Anhang
Maria Theresia (1868-1904) ∞ 1: 1885 Joseph Zehnpfennig (1854-1894) ∞ 2: 1897: Lazar von Lippa (1862-1935)
Albert Nikolaus (I) (1840-1883) ∞ 1865 Maria Theresia Krusius (1843-1882)
Tafel 3: Nachfahren von Albert Nikolaus (I) und Maria Theresia Stollwerck
Anna Barbara (geb. 1868)
Stammtafeln
551
∞ 2: 1918 Luise Schlayer (1881-1951)
Gustav Peter (1872-1951) ∞ 1: 1899 Elsa Schoeller (1880-1976)
Helene (1874-1945) ∞ 1896 Karl Eduard Felix von Kuczkowski (1866-1915)
Martha (1876-1959) ∞ 1901 Bechtold Arthur Wilhelm Graf von Bernstorff (1876-1954)
Clara (1879-1968) ∞ 1900 Arthur Rudolf Adolf Hermann Graf von Bernstorff (1873-1949)
Peter Joseph (1842-1906) ∞ 1871 Agnes Heimerdinger (1851-1918)
Tafel 4: Nachfahren von Peter Joseph und Agnes Stollwerck
∞ 2: 1924 Julie Noteboom (1889-1962)
Walter August Ludwig (1880-1945) ∞ 1: 1910 Ingeborg Freiin von Grote (1886-1954)
Richard (1888-1954) ∞ 1924 Marta Günther (1899-1982)
552 Anhang
Bertha (1869-1953) ∞: 1888 Carl Maria Peters von Emmingerhof (1859-1940)
∞ 3: 1929 Fürst Stanislaus Sulkowski (1862-1940)
∞ 2: 1914 Franz Waldemar von Reiche (1880-1934)
Anna Sophia (1870-1952) ∞ 1: 1890 Josef A. Bollig (1865-1936)
Albert Nikolaus (II) (1872-1929)
Maria Theresa (1874-1957) ∞ 1917 Josef A. Bollig (1865-1936)
Heinrich (1843-1915) ∞ 1868 Apollonia Krusius (1847-1925)
Tafel 5: Nachfahren von Heinrich und Apollonia Stollwerck
Heinrich Victor (1876-1919) ∞ Marie Louise Janssens (1876-1950)
Franz (II) Karl-Anton (1877-1955) ∞ 1903 Johanna Rommel (1880-1909)
Stammtafeln
553
Wilhelm (1877-1916)
Elsa (1879-1896)
Elisabeth (1849-1884) ∞ 1876 Anton Wilhelm Fuchs (1842-1910)
Tafel 6: Nachfahren von Elisabeth Stollwerck und Anton Wilhelm Fuchs
Gottfried (geb. 1881)
554 Anhang
Richard
Therese (1861-1936) ∞ 1887 Richard Roderbourg
Tafel 7: Nachfahren von Therese Stollwerck und Richard Roderbourg
Stammtafeln
555
Friedrich (Fritz) Joseph (1884-1959) ∞ 1914 Caecilie Bonzel (1898-1958)
Paul Heinrich Hubert Joseph (1886-1940) ∞ 1914 Ellen Schöpfwinkel (1875-1954)
Tafel 8: Nachfahren von Ludwig und Maria Stollwerck
Maria (1889-1922) ∞ 1916 Dr. Ludger Sulzer
Ludwig (1857-1922) ∞ 1881 Maria Schlagloth (1859-1919)
Luise (1893-1959) ∞ 1914 Dr. Leon Beuer (1883-1943)
Karl Franz Josef Maria (1896-1958) ∞ 1929 Ursula Baersch (1910-1988)
556 Anhang
Lucie Eugenie Girardin (1897-1973) ∞ 1935 August Gerhard Andernach (1896-1969)
Tafel 9: Nachfahren von Carl und Fanny Stollwerck
Carlita (1902-1911)
Carl Franz Anton (1859-1932) ∞ 1885 Fanny Therese Hanau (1864-1943)
Marion Theresa (1901-1979) ∞ 1922 Frederick Bellenger (1894-1968)
Stammtafeln
557
558
Anhang
QUELLENVERZEICHNIS Verzeichnis der gedruckten Quellen Die benutzten Kurztitel sind im Folgenden kursiv wiedergegeben. Adress-Buch oder Verzeichniss der Einwohner der Stadt Cöln. Cöln 1822, 1828, 1835. Adressbuch der Stadt Köln. Köln 1844, 1854–1876.
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB). Aalen 1973. ND der Ausgabe von 1861. BAYER, JOSEF: Kölner Theatererinnerungen. Franz Stollwerck als Theaterdirektor, in: Kölner Tageblatt Nr. 588 (Abend-Ausgabe) vom 13. Dezember 1932, S. 5 f. BERKUM, H. J.: Stollwerck – Müller, in: Kölnische Zeitung vom 12. April 1926. BRÜNING, A.: Villa Stollwerck. Erbaut von Bruno Schmitz, Architekt in Berlin Charlottenburg, in: Berliner Architekturwelt 5/1903, S. 148–178. Georg Solmssen an Karl Kimmich am 11. Mai 1929, in: Harold James/Martin L. Müller (Hg.): Georg Solmssen – ein deutscher Bankier. Briefe aus einem halben Jahrhundert 1900–1956 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 25). München 2012, S. 262 f. Georg Solmssen an Emil Schniewind am 6. Januar 1931, in: Harold James/Martin L. Müller (Hg.): Georg Solmssen – ein deutscher Bankier. Briefe aus einem halben Jahrhundert 1900–1956 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 25). München 2012, S. 300 ff. Georg Solmssen an Heinrich Trimborn am 12. September 1931, in: Harold James/Martin L. Müller (Hg.): Georg Solmssen – ein deutscher Bankier. Briefe aus einem halben Jahrhundert 1900–1956 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 25). München 2012, S. 316 ff. Georg Solmssen an Emil Schniewind am 2. März 1932, in: Harold James/Martin L. Müller (Hg.): Georg Solmssen – ein deutscher Bankier. Briefe aus einem halben Jahrhundert 1900–1956 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 25). München 2012, S. 322–325. GINZEL, HERMANN: Gründer der „süßen“ Industrie. Zum 100. Geburtstag des Kgl.-Preußischen Kommerzienrats Ludwig Stollwerck, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 19. Januar 1957. Greven’s Adressbuch für Köln, Deutz und Mülheim a. Rh. sowie die Umgebung Köln’s nebst Stadt-Plan. Köln 1866–1868, 1872–1874, 1876–1878, 1882, 1884–1885, 1888–1892, 1894– 1896, 1902–1904, 1906, 1911–1914, 1917–1918, 1927–1928, 1930–1931. HOPT, KLAUS J./MERKT, HANNO/ROTH, MARKUS (BEARB.): Handelsgesetzbuch (HGB) mit GmbH & Co., Handelsklauseln, Bank- und Börsenrecht, Transportrecht (ohne Seerecht). 35. Aufl., München 2012. JAMES, HAROLD/MARTIN L. MÜLLER (HG.): Georg Solmssen – ein deutscher Bankier. Briefe aus einem halben Jahrhundert 1900–1956 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 25). München 2012. KAKAO-KOMPAGNIE THEODOR REICHARDT GMBH/HERZOGLICH SCHLESWIG-HOLSTEINISCHE KAKAO-GESELLSCHAFT MBH: Das Reichardtwerk 1892–1917. Denkschrift anläßlich des 25jährigen Bestehens. Hamburg 1917. KRANZHOFF: Franz Stollwerck in den Krallen eines Weibsteufels, in: Kölner Neue Freie Presse. Der Sonntag-Anzeiger vom 22. bis zum 28. November 1931. KRANZHOFF: Aufsichtsrat Gebr. Stollwerck bewilligt Millionen an die Gebrüder Stollwerck – die Aktionäre zahlen also Schweigegelder für Stollwercks Liebesorgien, in: Kölner Neue Freie Presse. Der Sonntag-Anzeiger vom 29. November bis zum 5. Dezember 1931. KURYLO, FRIEDRICH K.: Kölner Pioniere entwickelten den weltweiten Funkverkehr, in: Kölner Stadt-Anzeiger Nr. 278 vom 30. November 1965 und Nr. 279 vom 1. Dezember 1965. O. A.: Alexander Rußbacher †, in: Saccharum. Zentralblatt für die österr. Schokolade- und Zuckerwaren-Industrie 32 (1930), S. 67 f.
Quellenverzeichnis
559
A.: Aus unserer Werbearbeit von Werbeleiter Ernst Schmidt, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 60–65. O. A.: Bittere Stollwerck-Schokolade. Verlust-Abschluß – Das Reichardt-Problem – Zu teure Verwaltung, in: Berliner Börsen Berichte vom 27. August 1931. O. A.: Die beiden Häuser Stollwerck in Köln am Rhein. Architekt: Prof. Bruno Schmitz in Charlottenburg. I.: Das Haus des Herrn Generalkonsul Karl Stollwerck, in: Deutsche Bauzeitung 37 (1903), Nr. 85 vom 24. Oktober 1903, S. 541 f., 544 f., 551, 553. O. A.: Die beiden Häuser Stollwerck in Köln am Rhein. Architekt: Prof. Bruno Schmitz in Charlottenburg. II.: Das Haus des Herrn Stadtrat Heinrich Stollwerck, in: Deutsche Bauzeitung 37 (1903), Nr. 91 vom 14. November 1903, S. 585 f., 588 f. O. A.: Das Stollwerck’sche Vaudeville-Theater in Cöln, in: Illustrirte Zeitung Nr. 413 (XVI. Band) vom 31. Mai 1851, S. 376 f. O. A.: Der Untergang der Familie Stollwerck, in: Kölner Neue Freie Presse. Der Sonntag-Anzeiger vom 18. bis 24. Oktober 1931. O. A.: Deutschland. Zu der Elternklage über den Automaten, in: Kölnische Zeitung. Zweite Morgenausgabe vom 4. August 1900. O. A.: Die Gebrüder Stollwerck A.G. Aus der Finanzgeschichte einer Patrizierfirma, in: 8 Uhr Abends [o. D.] 1929, RWWA 208-70-1. o. A.: Die Gewerbe- und Kunst-Ausstellung zu Düsseldorf XVIII, in: Elberfelder Zeitung vom 13. September 1880. O. A.: Die Haussuchungen bei Stollwerck, in: Rheinische Zeitung Nr. 145 vom 24. Juni 1926. O. A.: Die rheinische Schokoladenindustrie auf der Jahrtausendausstellung, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 16–19. O. A.: Die Stollwerck’sche Fabrik in Köln a. Rh., in: Tägliche Rundschau [o. D.] 1902, RWWA 208-243-7. o. A.: Die Stollwerck-Verkaufsstelle in Köln, Wallrafplatz, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 3 (1928), S. 114 f. O. A.: Die Waffensuche bei der Firma Stollwerck A.-G., in: Die Wahrheit Nr. 25 vom 16. Juni 1926. O. A.: Direktor Peter Harnisch, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 58. O. A.: Ein Siebzigjähriger. Generalkonsul Karl Stollwerck 70 Jahre alt, in: Unbekannte Zeitung vom 5. November 1929, RWWA 208-560-2. O. A.: Eröffnung des Theobrominasaals am 27. März 1909, in: Kölner Stadtanzeiger vom 29. März 1909. O. A.: Frankfurter Ausstellung, in: Kölnische Zeitung vom 25. August 1881. O. A.: Genasführte Polizeibeamte. Nächtlicher Besuch bei der Stollwerck A.-G. in Köln, in: Der Mittag Nr. 141 vom 19./20. Juni 1926. O. A.: Generalkonsul Karl Stollwerck. Generaldirektor der Gebrüder Stollwerck A.G., in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 7. O. A.: Gustav Laute und Alfred Junge, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 135. O. A.: Haussuchung bei Gebrüder Stollwerck A.-G., in: Kölner Tageblatt Nr. 283 vom 19. Juni 1926. O. A.: Jubilare bei Stollwerck, in: Kölner Lokal-Anzeiger vom 11. September 1910. O. A.: Kölnisches. Die Haussuchungen bei Stollwerck. Eigenartiges Verhalten der Firma – Die Arbeiterschaft gegen die Betriebsleitung – Nur Rechtsradikale werden eingestellt!, in: Rheinische Zeitung vom 26. Juni 1926. O. A.: Kriegsjahre der Kakaoindustrie, in: Gordian. Zeitschrift für die Cacao-, Chocoladen- und Zuckerwaren-Industrie der Welt und für alle verwandten Erwerbszweige 22 (1916), S. 8854– 8857. O. A.: Ludwig Stollwerck †. Nachruf, in: Unbekannte Zeitung [o. D.], RWWA 208-273-6. O.
560
Anhang
A.: Neue Lebens-Intimitäten des Schokoladenkönigs F. Stollwerck. Ein Fingerzeig für den Staatsanwalt, in: Kölner Neue Freie Presse. Der Sonntag-Anzeiger vom 27. Dezember 1931 bis 2. Januar 1932. O. A.: Pariser Ausstellung, in: Oppenheimer Kreisblatt vom 27. Juli 1867. O. A.: Peter Joseph Stollwerck. Förderer des Bades Borkum – zu seinem 100. Geburtstag, in: Borkumer Zeitung und Badezeitung vom 6. Juni 1942. O. A.: Schamloses Betrugsmanöver der Firma Stollwerck, in: Sozialistische Republik vom 30. November 1928. O. A.: Städtische Nachrichten, in: Kölner Tageblatt Nr. 317 vom 16. November 1895. O. A.: Stollwerck geht mit Schupo gegen Arbeiter vor, in: Sozialistische Republik Nr. 148 vom 28. Juni 1926. O. A.: Stollwerck im Umbau. Wo liegt die Majorität?, in: Vossische Zeitung vom 26. Januar 1932. O. A.: Stollwerck – Reichardt II, in: Gordian. Zeitschrift für die Cacao-, Chocoladen- und Zuckerwaren-Industrie der Welt und für alle verwandten Erwerbszweige 36 (1930), S. 23–27. O. A.: Stollwerck’scher Männerchor „Theobromina“, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 26. O. A.: Übersichten zur Entwicklung der Bilanzen von Sarotti und Stollwerck, in: Gordian. Zeitschrift für die Cacao-, Chocoladen- und Zuckerwaren-Industrie der Welt und für alle verwandten Erwerbszweige 24 (1918), S. 9755, 9889. O. A.: Vorlage betreffend die Straßenkosten für Arbeiterhäuser, in: Stadt-Anzeiger zur Kölnischen Zeitung vom 9. November 1900. O. A.: Zum Geleit, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 1. O. A.: Zum 50. Todestag Franz Stollwercks, in: Stollwerck Post. Hauszeitschrift der Gebr. Stollwerck A.G. Köln a. Rh. 1 (1926), S. 2. O. A.: Zur Haussuchung bei Stollwerck, in: Rheinische Zeitung Nr. 167 vom 20. Juli 1926. O. A.: 50000 Kilo Schokolade für die Soldaten, in: Die Presse Nr. 258 vom 3. November 1915. P. F.: Die deutsche Chocolade-Industrie auf dem Brüsseler internationalen Wettbewerb, in: Illustrirte Zeitung Nr. 2371 vom 8. Dezember 1888. SCHIEVELKAMP, MAX: Aus der Geschichte des Hauses Stollwerck, in: Kölnische Volkszeitung vom 1. April 1910. SULKOWSKA-STOLLWERCK, ANNA SOPHIA: Leben und Wirken des Kommerzienrats Heinrich Stollwerck. Gewidmet Deutschlands Jugend. Rondorf-Hochkirchen 1928. WIESENTHAL, HEINRICH: Franz Stollwerck. Ein Erinnerungsblatt, in: Der Nahrungs- und Genußmittelhändler vom 22. Juni 1926. O.
Verzeichnis mündlicher und schriftlicher Auskünfte Persönliches Gespräch mit Barbara und Franz Ingo Stollwerck, Ludolf und Betty Stollwerck, Gisela Maria (geb. Nottebrock, Ur-Enkelin von Ludwig Stollwerck) und ihrem Ehemann Volker Wendeler am 12. März 2009. Schriftliche Auskunft des Amtsgerichts Köln vom 1. Februar 2010. Schriftliche Auskunft von Tobias Crabus, Landesarchiv NRW, vom 14. Januar 2010. Schriftliche Auskunft von Thomas Guckenbiehl, stellvertretender Schulleiter des Wilhelm Hofmann-Gymnasiums, vom 29. April 2010. Schriftliche Auskunft von Hans-Peter Schroth, Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultur, vom 25. Januar 2010. Schriftliche Auskunft von Arno Stollwerck vom 16. Februar 2012. Schriftliche Auskunft von Ludolf Stollwerck vom 21. Dezember 2010. Schriftliche Auskunft von Volker Wendeler vom 27. Mai 2010.
Quellenverzeichnis
561
Schriftliche Auskunft von Volker Wendeler vom 21. Juli 2010.
Verzeichnis der Ungedruckten Quellen Archiv der katholischen Pfarrgemeinde Christi Auferstehung der Alt-Katholiken in Köln Auflistung über diejenigen Mitglieder, die von der Pfarrei St. Peter zur altkatholischen Kirche übertraten, 1875/76
Archiv des Amtsgerichtes Köln 22 Reg. IV 88/1918
Testament der Eheleute Ludwig und Maria Stollwerck 1918–1922
22 Reg. IV 132/19
Testament der Frau Peter Joseph Stollwerck 1916–1942
Hausarchiv des Bankhauses Sal. Oppenheim jr. & Cie., Köln (HBO) K-Kons/728, Bd. 1 A XV/232
Historisches Archiv der Deutschen Bank, Frankfurt a. M. (HADB) K02/0288 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Direktions-Akten, Gebrüder Stollwerck A.G., Köln 1915–1916 K02/0298 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Direktions-Akten, Gebrüder Stollwerck A.G., Köln, Tägliche Aufstellungen (Protokollierter Credit) 1916–1917 K02/0319 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Direktions-Akten, Gebrüder Stollwerck A.G., Köln 1915 K02/0398 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Direktions-Akten, Gebrüder Stollwerck A.G., Köln 1888–1915 K02/0716 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Sekretariat, Gebrüder Stollwerck A.-G., Köln, Rückzahlung der Vorzugsaktien, M 7.000.000.-, Band I 1921–1928 K02/1267 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Sekretariat, Gebrüder Stollwerck A.-G., Köln, Konsortium, Umwandlung Aktienübernahme 1902–1914 K02/1273 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Sekretariat, Gebrüder Stollwerck A.-G., Köln, M 2.000.000.- Vorzugs-Aktien, Kapitalerhöhung 1907 1907–1910 K02/1365 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Sekretariat, Gebrüder Stollwerck A.-G., Köln, Konsortialkonto, Kapitalerhöhung 1921, Bezug junger Stamm-Aktien 1921 K02/1596 A. Schaaffhausen’scher Bankverein, Köln, Sekretariat, Gebrüder Stollwerck A.-G., Köln, Korrespondenzen 1902–1905 K15/0113 Bergisch Märkische Bank Filiale Köln, Kreditakte Gebr. Stollwerck, Schokoladen u. Zuckerwaren Fabrik, Köln 1890–1911 P04784 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Allgemeines, Bd. 1 1929–1931 P04785 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Allgemeines, Bd. 2 1929–1931 P04786 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Allgemeines, Bd. 3 1931–1932 P04787 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Allgemeines, Bd. 4 1932–1933 P04793 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Protokolle der Vorstandssitzungen 1931–1933 P04794 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Aufsichtsratsprotokolle 1930–1933
562
Anhang
P04813 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Personalia, Allgemeines 1929–1933 P04814 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Personalia, Allgemeines 1933–1943 P04821 Gebr. Stollwerck AG, Köln, Handakte Kimmich, Abkommen Schicht 1930–1931
Landesarchiv NRW (LAV NRW)
Bestand JusK 210, IV384/01 Testament der Eheleute Heinrich und Apollonia Stollwerck 1901– 1965
Personenstandsarchiv Rheinland Köln IV, Nr. 840/1911 Sterbeurkunde für Carlita Stollwerck 1911
Quellen aus dem Eigentum der Familie Stollwerck FRANZ STOLLWERCK (II): Stollwerck’s und ihr Werdegang. Frankfurt a. M. 1939. Kriegs-Erinnerungen 1914–1915 von Mitgliedern der Familie Stollwerck. Meinem Bruder Carl zur Erinnerung an die ersten 5 Monate Kriegszeit 1914/15 der Familien-Chronik gewidmet! 30. Juni 1915 Ludwig. (Im Text einzeln als Briefe aus dem Eigentum der Familie Stollwerck aufgeführt) O. A.: Aus der Kinderstube. Handschriftliches Manuskript. o. O. 1892 bis 1894.
Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Köln (RWWA) BRÄUTIGAM, HEINRICH: Ausführliche Firmengeschichte der Gebrüder Stollwerck Aktiengesellschaft. Zeitraum: Anfang 1957 bis Mitte 1962. o. O. 1962. (RW 208-010) Im eignen Heim! Ein Büchlein mit nützlichen Ratschlägen für den jungen Haushalt für die anläßlich ihrer silbernen Hochzeit von Herrn und Frau Ludwig Stollwerck zu Gunsten der weiblichen Angestellten der Firma Gebr. Stollwerck A.-G. errichtete Maria-Luisen-Stiftung. Köln 1906. (RW 208-0605) KUSKE, BRUNO: Ausführliche Firmengeschichte. Nach den Archivunterlagen zusammengestellt 1939/40. Mit Archivergänzungen von Direktor G. Laute vom 21. Januar 1941, vom 29. Oktober 1942, vom 5. Januar 1944. Unveröffentlichtes Manuskript. Köln 1940. (RW 208-09) LAUTE, GUSTAV: Stollwerck – Reichardt: Ein Beitrag zur Stollwerck-Geschichte. Köln 1943. (RW 208-013)
Abt. 208: Stollwerck AG, Schokoladenherstellung, Köln (Laufzeit 1839–2004) 208-7-2 Presseausschnitte zur Firma 1983–1989 208-34-4 Privatkorrespondenz von Gustav Stollwerck (A–J) 1907–1908 208-35-4 Korrespondenz von Ludwig Stollwerck (F–J) 1918 208-36-7 Geschäftskorrespondenz der Stollwerck AG (S–Z) 1931–1932 208-40-1 Schriftwechsel der Familie Stollwerck (A–H) 1915–1918 208-40-2 Schriftwechsel der Familie Stollwerck (I–M) 1915–1918 208-41-2 Schriftwechsel von Sophie von Reiche, geb. Stollwerck mit der Stollwerck AG 1919– 1929 208-41-3 Schriftwechsel des Ehepaars Gustav Stollwerck mit der Stollwerck AG 1916–1920 208-41-4 Schriftwechsel von Fritz Stollwerck 1915–1917 208-41-7 Schriftwechsel von Kurt Stollwerck mit der Stollwerck AG 1917–1919 208-41-8 Privatschriftwechsel von Ludwig Stollwerck (B–W) 1912–1918 208-42-4 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck 1922–1924 208-43-1 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck 1925
Quellenverzeichnis
563
208-43-5 Schriftwechsel von Carl Stollwerck 1925 208-43-6 Schriftwechsel von Carl Stollwerck 1926 208-43-8 Schriftwechsel von Carl Stollwerck 1928–1929 208-44-4 Sunlight GmbH, Mannheim: Schriftwechsel von Mr. Tillotson, Port Sunlight 1907 208-45-3 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck (Diverses A–J) 1908 208-45-4 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck (Diverses K–Z) 1908 208-46-3 Schriftwechsel der Familie Stollwerck (A–Z) 1915 208-46-7 Schriftwechsel von Hella von Kuczkowski mit der Stollwerck AG 1917–1929 208-47-2 Schriftwechsel der Familie Stollwerck 1920 208-47-5 Schriftwechsel von Richard und Walter Stollwerck 1922–1929 208-47-9 Schriftwechsel der Ehepaare Bellenger und Beuer und von Therese Roderbourg, geb. Stollwerck 1925–1929 208-47-10 Schriftwechsel von diversen Mitgliedern der Familie Stollwerck 1925–1929 208-49-3 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck (A–J) 1928 208-49-5 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck (R–Z) 1928 208-50-3 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck (O–Sch) 1929–1930 208-50-5 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck (A–H) 1930–1931 208-51-1 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck (I–O) 1930–1931 208-51-3 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck (St–Z) 1930–1931 208-52-1 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck (I–O) 1930–1931 208-52-5 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck mit Direktoren, Prokuristen und Geschäftsführern (A–P) 1925 208-53-1 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck mit Direktoren, Prokuristen und Geschäftsführern 1925 208-53-2 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck mit Direktoren, Prokuristen und Geschäftsführern (A–Z) 1925 208-53-5 Schriftwechsel von Fritz J. Stollwerck mit Direktoren, Prokuristen und Geschäftsführern (M–Z) 1927–1929 208-54-3 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck (H–L) 1906–1907 208-54-4 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck (M–Z) 1906–1907 208-54-5 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck (A–G) 1906–1907 208-55-2 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck (L–R) 1907 208-57-3 Geschäftskorrespondenz von Carl Stollwerck von seinem Landsitz 1929–1930 208-58-5 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln mit Filialleitern und Geschäftsführern etc. (A– K) 1912–1913 208-58-6 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln mit den Geschäftsführern in Bremen, Berlin und München 1912–1913 208-59-2 Geschäftskorrespondenz der einzelnen Familienmitglieder 1912–1913 208-59-5 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln mit Gustav Laute in Berlin 1917 208-60-1 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln mit Geschäftsführern, Prokuristen etc. 1917 208-60-2 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (A–H) 1912–1913 208-60-3 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (I–Z) 1912–1913 208-60-5 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (F–L) 1913–1914 208-62-5 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (A–G) 1915 208-63-1 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (O–R) 1915 208-63-6 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (Sch–Z) 1915 208-64-2 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (H–N) 1915–1916 208-64-3 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (O–Z) 1916 208-67-4 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (O–St) 1918 208-68-1 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (C–G) 1921–1922 208-69-1 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (St–Z) 1923–1924 208-69-4 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (C–J) 1925–1928
564
Anhang
208-69-5 Schriftwechsel der Konzernleitung Köln (K–S) 1925–1928 208-71-1 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck während seiner Amerikareise mit den Konzernleitungen Köln und Stamford 1910 208-71-2 Schriftwechsel von Ludwig und Franz (II) Stollwerck während ihrer Amerikareise mit der Konzernleitung Köln 1910 208-71-3 Schriftwechsel von Ludwig und Franz (II) Stollwerck während ihrer Amerikareise mit der Konzernleitung Köln 1910 208-71-4 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck während seiner Amerikareise mit der Konzernleitung Köln 1910 208-72-1 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck während seiner Amerikareise mit den Konzernleitungen Köln und Stamford 1910 208-73-1 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck während seiner Amerikareise mit den Konzernleitungen Köln und Stamford 1910 208-77-2 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck 1906–1915 208-77-4 Rundschreiben an die Vertreter der Stollwerck AG Köln 1923 208-77-6 Rundschreiben an die Vertreter der Stollwerck AG Köln 1926 208-78-4 Rundschreiben an die Vertreter und verschiedene Abteilungen der Stollwerck AG Köln 1930 208-78-5 Rundschreiben an die Vertreter und verschiedene Abteilungen der Stollwerck AG Köln 1931 208-88-9 Glückwünsche zum Jubiläum „100 Jahre Stollwerck“ (A–B) ca. 1939–1941 208-89-1 Glückwünsche zum Jubiläum „100 Jahre Stollwerck“ (C–E) ca. 1939–1941 208-89-7 Glückwünsche zum Jubiläum „100 Jahre Stollwerck“ (O–P) ca. 1939–1941 208-90-1 Glückwünsche zum Jubiläum „100 Jahre Stollwerck“ (Q–S) ca. 1939–1941 208-90-4 Glückwünsche zum Jubiläum „100 Jahre Stollwerck“ (W–Z) ca. 1939–1941 208-90-5 Glückwünsche zum Jubiläum „100 Jahre Stollwerck“ an die Zweigfirmen in Berlin und Wien ca. 1939–1941 208-91-4 Donau-Konzern: Schriftwechsel mit der Konzernleitung Köln 1926 208-101-5 Stollwerck AG, Wien: Schriftwechsel von Generaldirektor Alexander Russbacher mit der Konzernleitung Köln 1920 208-101-6 Stollwerck AG, Wien: Schriftwechsel von Generaldirektor Alexander Russbacher mit der Konzernleitung Köln ca. 1920–1921 208-101-8 Stollwerck AG, Wien: Schriftwechsel von Generaldirektor Alexander Russbacher mit der Konzernleitung Köln 1921 208-105-9 Schriftwechsel der Geschäftsleitung des Zweighauses Berlin mit der Konzernleitung Köln 1925 208-106-1 Schriftwechsel der Geschäftsleitung des Zweighauses Berlin mit der Konzernleitung Köln 1926 208-107-8 Schriftwechsel der Geschäftsleitung des Zweighauses Berlin mit der Konzernleitung Köln 1930 208-109-1 Vertrieb 1874–1926 208-114-4 Korrespondenz der Konzernleitung Köln mit dem Zweighaus in Amerika 1916 208-114-5 Korrespondenz der Konzernleitung Köln mit dem Zweighaus in Amerika 1916 208-115-1 Amerika-Korrespondenz der Konzernleitung Köln (K–M) 1919–1920 208-117-5 Amerika-Korrespondenz der Konzernleitung Köln mit John Volkmann 1900–1901 208-117-6 Amerika-Korrespondenz der Konzernleitung Köln mit John Volkmann 1902 208-118-1 Amerika-Korrespondenz der Konzernleitung Köln mit John Volkmann 1903–1904 208-118-3 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck (G–K) 1917 208-121-3 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck zu Luftschiff- und Ballonfahrten (A–F) 1911– 1913, 1996 208-121-5 Schriftwechsel von Gustav Stollwerck zu Luftschiff- und Ballonfahrten (N–Z) 1912– 1913
Quellenverzeichnis
565
208-122-6 Berichte und Verschiedenes zu Albert Nikolaus Stollwerck (II) 1871–1904 208-122-7 Berichte und Verschiedenes zu Albert Nikolaus Stollwerck (II) 1901–1904 208-123-1 Berichte und Verschiedenes zu Albert Nikolaus Stollwerck (II) 1904–1907 208-123-2 Berichte und Verschiedenes zu Albert Nikolaus Stollwerck (II) 1904–1910 208-143-8 Übernahme des Reichardt-Konzerns durch die Stollwerck AG, Köln 1930 208-145-9 Fabrik-Bericht Köln: Inland und Ausfuhr und Berlin 1910 1911 208-146-2 Generalversammlungen und Aufsichtsratssitzungen der Stollwerck AG 1929–1932 208-147-6 Vertraulicher Geschäftsbericht 1902 für den Aufsichtsrat der Stollwerck AG 1903 208-148-9 Vertraulicher Geschäftsbericht 1915 für den Aufsichtsrat der Stollwerck AG 1916 208-149-1 Vertraulicher Geschäftsbericht 1916 für den Aufsichtsrat der Stollwerck AG 1917 208-149-2 Vertraulicher Geschäftsbericht 1917 für den Aufsichtsrat der Stollwerck AG 1918 208-149-6 Betrachtung über das Geschäftsjahr 1919 1919 208-149-8 Finanzbericht der Stollwerck AG 1907 208-149-10 Gedanken über die finanzielle Reorganisation der Stollwerck AG von Ludwig Stollwerck 1913 208-149-11 Gedanken über die finanzielle Reorganisation der Stollwerck AG von Ludwig Stollwerck 1911 208-150-2 Preislisten der Firmen Franz Stollwerck (& Söhne) und Gebrüder Stollwerck 1870– 1874 208-152-6 Preislisten der Stollwerck AG 1914–1918 208-159-1 Amerika-Korrespondenz 1868–1902 208-159-2 Amerika-Korrespondenz 1900 208-159-4 Amerika-Korrespondenz 1902–1903 208-159-5 Amerika-Korrespondenz 1903 208-160-1 Amerika-Korrespondenz 1904, 1906 208-161-1 Amerika-Korrespondenz 1909 208-161-2 Amerika-Korrespondenz 1909 208-161-3 Amerika-Korrespondenz 1909 208-162-2 Amerika-Korrespondenz 1910 208-162-3 Amerika-Korrespondenz 1910 208-162-4 Amerika-Korrespondenz 1910 208-162-5 Amerika-Korrespondenz 1910 208-162-6 Amerika-Korrespondenz 1910 208-163-1 Amerika-Korrespondenz 1910 208-163-2 Amerika-Korrespondenz 1910 208-163-3 Amerika-Korrespondenz 1910 208-164-2 Amerika-Korrespondenz 1914 208-165-2 Amerika-Korrespondenz 1914 208-165-3 Amerika-Korrespondenz 1914 208-165-4 Amerika-Korrespondenz 1914 208-165-5 Amerika-Korrespondenz 1914 208-166-1 Amerika-Korrespondenz 1914 208-166-3 Amerika-Korrespondenz 1915, ca. 1916 208-166-5 Amerika-Korrespondenz 1915 208-166-7 Amerika-Korrespondenz 1914–1916 208-167-4 Amerika-Korrespondenz ca. 1919 208-168-2 Amerika-Korrespondenz 1921 208-169-4 Korrespondenz zur Fabrikation ca. 1902 208-170-5 Korrespondenz zur Fabrikation und zu Patentfragen 1904 208-170-6 Korrespondenz zur Fabrikation 1905 208-171-4 Korrespondenz zur Fabrikation 1912–1915 208-171-5 Allgemeine Korrespondenz zur Fabrikation 1921–1966
566
Anhang
208-171-8 Allgemeine Korrespondenz zur Fabrikation 1919 208-172-1 Allgemeine Korrespondenz zur Fabrikation 1921–1966 208-172-2 Fabrikation extrazarter Schokolade ca. 1900 208-173-8 Pharmazeutische Fabrikation 1911–1914 208-174-5 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck zum U-Boot-Krieg 1916 208-174-6 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck zum Krieg 1915–1916 208-174-7 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck zum U-Boot-Krieg 1917 208-174-8 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck zum Krieg 1918 208-174-9 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck zu Krieg und Politik 1900, 1918 208-180-5 Rohstoffbezug 1919 208-181-4 Kriegsgeschäfte 1870–1871 208-182-1 Kriegsgeschäfte 1870–1871 208-182-2 Kriegsgeschäfte 1870–1871 208-182-3 Kriegsgeschäfte: Korrespondenz von Albert Nikolaus Stollwerck (I) 1871–1872 208-182-4 Kriegsgeschäfte ca. 1871 208-182-5 Kriegsgeschäfte 1871–1873 208-183-1 Kriegsgeschäfte 1871 208-183-2 Kriegsgeschäfte 1872–1873 208-183-6 Rechnungen und Quittungen für die Neubauten Hohe Straße 9, Köln 1865–1870 208-184-6 Haus- und Grundstücksangelegenheiten 1855–1871 208-188-4 Zweighaus Breslau 1901–1906 208-190-1 Verschiedene Stollwerck-Patente 1886–1908 208-193-3 Grundbesitz innerhalb und außerhalb Kölns 1901–1942 208-194-3 Rechnungen der Kriegsgeschäfte der Firma Franz Stollwerck & Söhne 1870–1871 208-194-4 Warentransportscheine im Kriegsgeschäft 1870–1872 208-194-5 Kriegsgeschäfte 1870–1872 208-194-6 Kriegsgeschäfte 1870–1872, 1914 208-195-4 Geschäftsleitung der Firma Stollwerck 1870–1912 208-204-7 Bescheinigungen über die Erneuerungen des Patents eines Kakaorösters 1884–1896 208-205-6 Amerika-Korrespondenz 1905 208-205-7 Amerika-Korrespondenz 1905 208-206-9 Zweighaus München 1891–1904 208-207-8 Zweighaus Berlin 1901–1903 208-208-1 Zweighaus Berlin 1904 208-208-2 Zweighaus Berlin 1905 208-208-3 Zweighaus Berlin 1905 208-208-4 Zweighaus Berlin 1906–1907 208-209-2 Zweighaus Berlin 1911–1917 208-211-1 Amerika-Korrespondenz 1908 208-211-3 Amerika-Korrespondenz 1908 208-211-5 Amerika-Korrespondenz 1908 208-212-3 Amerika-Korrespondenz 1906 208-212-6 Bergmann & Eisenwerke Gaggenau 1891 208-213-2 Bergmanns Industriewerke, Gaggenau 1900 208-213-4 Bergmanns Industriewerke, Gaggenau 1901 208-214-2 Bergmanns Industriewerke, Gaggenau 1905 208-214-4 Bergmanns Industriewerke, Gaggenau 1908–1920 208-215-6 Personalien 1893–1896 208-216-4 Personalien 1902 208-216-6 Personalien 1904 208-217-2 Personalien 1907–1912 208-217-3 Personalien 1913–1914
Quellenverzeichnis 208-217-4 Personalien 1915–1916 208-217-5 Personalien 1917–1918 208-217-7 Personalien 1920 208-218-5 Verbands- und allgemeine Wirtschaftspolitik und Aktienbeteiligungen 1896–1900 208-218-7 Verbands- und allgemeine Wirtschaftspolitik 1902–1905 208-219-3 Verbands- und allgemeine Wirtschaftspolitik 1909–1912 208-219-4 Verbands- und allgemeine Wirtschaftspolitik 1913 208-219-5 Verbands- und allgemeine Wirtschaftspolitik 1914–1916 208-221-1 Verbands- und allgemeine Wirtschaftspolitik 1926 208-221-5 Unlauterer Wettbewerb ca. 1906–1931 208-221-9 Arbeiterwohnungswesen 1899–1913 208-222-1 Soziales 1874–1965 208-222-2 Prozesse 1841–1848 208-223-6 Prozesse 1884–1903 208-224-3 Donaukonzern: Gründung der Zweigniederlassung Pressburg 1895–1898 208-224-4 Donaukonzern: Gründung der Zweigniederlassung Wien 1872–1875 208-224-5 Donaukonzern: Wien ca. 1875–1887 208-224-6 Donaukonzern: Wien 1888–1895 208-225-2 Donau-Konzern: Pressburg 1901–1902 208-226-7 Finanzierungen 1854–1875 208-227-1 Finanzierungen 1876–1902 208-227-2 Finanzierungen 1903–1904 208-227-3 Finanzierungen 1905–1906 208-229-1 Beteiligung an der Sunlight Seifenfabrik AG, Mannheim 1901 208-229-3 Beteiligung an der Sunlight Seifenfabrik AG, Mannheim 1901 208-229-4 Beteiligung an der Sunlight Seifenfabrik AG, Mannheim 1901 208-229-5 Beteiligung an der Sunlight Seifenfabrik AG, Mannheim 1901 208-230-4 Beteiligung an der Sunlight Seifenfabrik AG, Mannheim 1902 208-237-6 Beteiligung an der Sunlight Seifenfabrik AG, Mannheim 1915 208-238-6 Beteiligung an der Sunlight Seifenfabrik AG, Mannheim 1920 208-239-3 Unlauterer Wettbewerb 1877–1898 208-239-4 Unlauterer Wettbewerb ca. 1900 208-239-6 Wettbewerb 1901–1902 208-239-7 Wettbewerb 1903 208-240-1 Wettbewerb 1904 208-240-2 Wettbewerb 1905 208-240-3 Ausstellungen 1854–1877 208-240-7 Ausstellungen 1902 208-241-1 Ausstellungen 1903 208-241-2 Ausstellungen 1903 208-241-3 Ausstellungen 1903 208-241-4 Ausstellungen 1904–1914 208-241-6 Aktiengesellschaften 1865–1901 208-241-7 Umwandlung der Firma Stollwerck in eine Aktiengesellschaft 1902 208-242-1 Umwandlung der Firma Stollwerck in eine Aktiengesellschaft 1902 208-242-4 Aktiengesellschaft 1919–1921 208-242-5 Aktiengesellschaft 1921 208-242-6 Aktiengesellschaft 1921 208-243-2 Satzungen der Stollwerck AG 1902–1938 208-243-7 Firmengeschichte: Innere Verhältnisse der Firma 1895–1909 208-244-1 Firmengeschichte: Innere Verhältnisse der Firma 1910–1913 208-245-5 Korrespondenz mit England 1855–1890
567
568
Anhang
206-245-6 Korrespondenz mit England 1891–1894 208-245-7 Korrespondenz mit England 1892–1897 208-246-2 Korrespondenz mit England 1901 208-246-4 Korrespondenz mit England 1903–1904 208-246-5 Korrespondenz mit England 1905 208-246-6 Korrespondenz mit England 1906 208-247-1 Korrespondenz mit England 1907–1913 208-247-2 Korrespondenz mit England 1913 208-247-4 Beteiligung an der Diamant Deutsche Zündholzfabrik AG, Rheinau 1899–1901, 1931 208-247-6 Beteiligung an der Diamant Deutsche Zündholzfabrik AG, Rheinau 1902 208-248-1 Beteiligung an der Diamant Deutsche Zündholzfabrik AG, Rheinau 1902 208-249-4 Firmengeschichte: Innere Verhältnisse der Firma 1839–1874, 1938 208-249-5 Firmengeschichte: Innere Verhältnisse der Firma 1875–1899, 1943 208-249-6 Firmengeschichte: Innere Verhältnisse der Firma 1915–1925 208-249-7 Firmengeschichte: Innere Verhältnisse der Firma 1926 208-250-1 Waffensuche in der Stollwerck-Fabrik 1926 208-250-8 Die ersten Anfänge und Unternehmungen von Franz Stollwerck o. D. 208-251-1 Das Fabrikationsprogramm ab ca. 1839 o. D. 208-251-2 Rohstoffe und Technik ab 1839 o. D. 208-251-3 Die Stellung der Firma o. D. 208-251-4 Der Vertrieb ab 1839 o. D. 208-251-5 Die Zweighäuser ab ca. 1840 o. D. 208-251-6 Die persönlichen Kräfte ab ca. 1871 o. D. 208-251-7 Die Automatie ab ca. 1880 o. D. 208-251-8 Allgemeine Betriebs- und Unternehmensentwicklung 1939, 1960 208-251-9 Zusammenfassungen etc. zur Firmengeschichte 1900–1962 208-252-3 Betriebskosten-, Gewinn- und Umsatzberechnungen 1849–1869 208-252-4 Betriebskosten-, Gewinn- und Umsatzberechnungen 1870–1873 208-253-1 Betriebskosten-, Gewinn- und Umsatzberechnungen 1878–1902 208-253-5 Betriebskosten-, Gewinn- und Umsatzberechnungen 1913–1916 208-254-1 Betriebskosten-, Gewinn- und Umsatzberechnungen 1917–1922 208-255-1 Geschäftsberichte zum 15. Okt 1850 und 1852 1850, 1852 208-255-3 Konzerte, Pokale etc. des Stollwerck Männerchors Theobromina 1902–1941 208-256-6 Reklame 1902 208-256-7 Reklame 1903 208-258-5 Reklame, Ausstattung und Verpackung 1914–1919 208-258-6 Reklame, Ausstattung und Verpackung ca. 1920–1927 208-262-8 Beteiligungen an Gesellschaften für drahtlose Telegrafie 1898 208-263-3 Beteiligungen an Gesellschaften für drahtlose Telegrafie 1901 208-263-4 Beteiligung an der Gesellschaft für drahtlose Telegrafie GmbH, Berlin 1902–1903 208-263-5 Beteiligung an der Gesellschaft für drahtlose Telegrafie GmbH, Berlin 1903 208-264-1 Beteiligung an der Gesellschaft für drahtlose Telegrafie GmbH, Berlin 1903 208-265-5 Beteiligung an der Gesellschaft für drahtlose Telegrafie GmbH, Berlin 1919–1921, 1940, 1965 208-268-5 Kakao- und Schokoladeanalysen 1877–1914 208-268-6 Analysen des Laboratoriums 1877–1916 208-270-1 Lebensmittelchemie 1882–1906 208-270-3 Statistiken zu Fabrikation und Rohstoffverbrauch ab 1880 ca. 1925 208-270-4 Streitsache Reichardt 1910 208-270-9 Streitsache Reichardt 1905 208-271-1 Streitsache Reichardt 1906 208-271-2 Streitsache Reichardt 1907
Quellenverzeichnis
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208-271-3 Begriffs- und Werbestreitigkeiten zur Schokolade 1909–1911 208-271-4 Streitsache Reichardt 1911–1912 208-272-3 Büroangelegenheiten 1872–1931 208-272-7 Streitsache Reichardt 1912–1913 208-272-9 Schriftwechsel von Peter Joseph Stollwerck 1895–1901, 1956 208-272-10 Schriftwechsel von Albert Nikolaus Stollwerck (I) 1847, 1865–1883 208-273-2 Schriftwechsel der Familie Stollwerck 1900–1909 208-273-3 Schriftwechsel der Familie Stollwerck 1912–1915 208-273-5 Schriftwechsel der Familie Stollwerck 1918–1921 208-274-1 Erwähnung der Stollwerck AG in verschiedenen Druckwerken 1926–1948 208-275-6 Sammelbilder-Korrespondenz 1901–1912 208-275-7 Korrespondenz zu Sammelbildern und Beteiligung an Deutscher Verlag GmbH, Berlin 1913–1918, 1990 208-276-8 Gründungsakten von Stollwerck Brothers, New York 1902–1905 208-277-5 Automatie 1894 208-290-2 Korrespondenz mit Theodor Bergmann, Bergmanns Industriewerke, Gaggenau 1899– 1900 208-290-6 Geschäftsberichte der Stollwerck AG, Köln 1922–1938 208-291-5 Rohstoffbezug 1911–1917 208-291-6 Zweighaus Bremen 1891–1907 208-296-1 Preisliste der Firma Stollwerck 1869 208-298-2 Preislisten der Stollwerck AG 1914–1919 208-299-6 Mitteilungen des Verbandes deutscher Schokolade-Fabrikanten, Dresden 1918 208-300-4 Echo- und Phonographie ca. 1892–1918 208-301-6 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck 1875–1895 208-302-4 Streitsache Reichardt 1904–1905 208-302-7 Schriftwechsel 1908 208-303-1 Schriftwechsel 1909 208-304-4 Korrespondenz zu Bildern und Alben 1901 208-304-5 Korrespondenz zu Bildern und Alben 1902 208-306-7 Notizen von Dr. Bruno Kuske für die Festschrift vor 1939 208-306-8 Notizen von Dr. Bruno Kuske für die Festschrift vor 1939 208-307-1 Notizen von Dr. Bruno Kuske für die Festschrift vor 1939 208-307-2 Notizen von Dr. Bruno Kuske für die Festschrift vor 1939 208-307-3 Notizen von Dr. Bruno Kuske für die Festschrift vor 1939 208-307-4 Notizen von Dr. Bruno Kuske für die Festschrift vor 1939 208-307-5 Notizen von Dr. Bruno Kuske für die Festschrift vor 1939 208-313-2 Stollwerck’scher Männerchor Theobromina 1896–1940 208-318-5 Militärpapiere von Gustav und Peter Joseph Stollwerck 1866–1900 208-320-2 Schulzeugnisse von Gustav Stollwerck 1879–1884 208-320-4 Privatpapiere von Martha und Clara Stollwerck 1884–1895 208-320-5 Unterlagen der Familie Heimerdinger 1866–1901 208-320-8 Unterlagen von Peter Joseph Stollwerck 1855–1906 208-321-2 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck 1906–1907 208-321-5 Streitsache Reichardt 1907–1908 208-321-7 Streitsache Reichardt 1905 208-335-2 Reklame ca. 1890–1979 208-335-3 Reklame 1914–1932 208-342-3 Gesellschaftsverträge 1868–1900 208-344-4 Reklame ca. 1906–1935 208-345-2 Reklame 1900–1986 208-361-6 Patenturkunden 1882–1886
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208-361-7 Patenturkunden ca. 1880–1885 208-362-3 Patenturkunde für mehrfachen Walzenstuhl 1880 208-362-4 Patenturkunden ca. 1885–1886 208-363-2 Korrespondenz während der Amerikareise von Franz (II), Heinrich und Ludwig Stollwerck nach Stamford 1909 208-365-1 Haushaltungs- und Privatempfangsbuch 1867–1870 208-366-7 Sparbuch der Angestellten-Sparkasse der Stollwerck AG o. D. 208-366-8 Steuern und Erbangelegenheiten der Witwe von Peter Joseph Stollwerck 1914–1931 208-375-4 Haus- und Grundstücksangelegenheiten von Peter Joseph Stollwerck und der Firma Stollwerck 1880–1889 208-375-6 Haus- und Grundstücksangelegenheiten von Peter Joseph Stollwerck 1895–1900 208-376-2 Notarielle Urkunden 1891–1911 208-376-3 Grundstück und Villa Eugen Langenstraße, Rondorf 1903–1914 208-381-3 Korrespondenz zu Bildern, Alben und anderen Reklamemitteln 1915–1921, 1929 208-381-4 Korrespondenz zu Bildern, Alben und anderen Reklamemitteln 1906–1914, nach 1960 208-381-5 Korrespondenz zu Bildern und Alben 1906 208-388-3 Geschäftsberichte der Stollwerck AG für die Jahre 1902 bis 1929 1902–1929 208-388-4 Geschäftsberichte der Stollwerck AG für die Jahre 1929/30 bis 1940/41 1930–1941 208-394-3 Patente 1885–1886 208-394-7 Amerika-Korrespondenz 1909 208-395-3 Streitsache Reichardt 1899–1912 208-395-5 Gesellschaftsverträge 1902–1911 208-395-7 Aufsichtsrat 1921–1926, 1946 208-410-1 Besitztitel der Firma Stollwerck für Hohe Straße 3 und 9, Sternengasse 8, Köln und Steuer für weitere Immobilien 1864–1904 208-410-6 Grundstücks- und Bauangelegenheiten Volksgarten- und Hardefuststraße 1895–1899 208-411-7 Vertrag der Erben von Franz Stollwerck 1876–1887 208-411-9 Gründung der Kommanditgesellschaft Stollwerck, Pressburg 1895–1899 208-413-3 Korrespondenz von Carl Stollwerck zum Bau seiner Villa in Köln 1900 208-417-2 Geschäfte von Heinrich Victor Stollwerck mit Holland 1903–1908 208-418-5 Verein zur Wahrung der Interessen des südlichen Stadtteils von Köln 1886–1909 208-418-8 Villa von Peter Joseph Stollwerck, Bad Godesberg 1885–1895 208-419-5 Umwandlung in eine Aktienkompanie 1886–1902 208-420-1 Prozesse 1901–1907 208-420-5 Korrespondenz mit England (A–Z) 1913–1921 208-425-2 Stollwerck’scher Männerchor Theobromina ca. 1895–1919 208-426-1 Amerikakorrespondenz während der Reise von Ludwig Stollwerck 1908–1909 208-426-2 Zollgesetzgebung in Amerika 1898–1899 208-444-6 Protokollbuch des Beamten- und Arbeiterausschusses der Stollwerck AG ca. 1895– 1919 208-446-4 Urkunden von Carl und Fanny Stollwerck 1881–1918 208-447-5 Korrespondenz von Ludwig und Fritz Stollwerck auf ihrer Amerikareise 1912 208-447-8 Konzertprogramme des Stollwerck’schen Männerchors Theobromina 1920–1939 208-452-12 Patenturkunden 1884–1885 208-453-2 Patenturkunden 1884–1887 208-453-3 Patenturkunden 1884–1886 208-454-2 Streitsache Reichardt 1905 208-456-5 Nachlass von Peter Joseph Stollwerck 1908–1912 208-456-6 Familiengrabmal von Peter Joseph Stollwerck 1904–1910 208-456-7 Geschäftsberichte der Stollwerck AG 1902 bis 1916 1903–1917 208-464-1 Gründungspapiere der Aktiengesellschaft 1902 208-464-6 Streitsache Reichardt 1905
Quellenverzeichnis
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208-466-1 Kontobuch für Lena Brandes 1864–1878 208-470-9 Stollwerck-Reklame der pharmazeutischen Abteilung um 1900 208-471-9 Sparbücher der Werkssparkasse 1914–1937 208-477-5 Bilanz per 31. Dez. 1900 1901 208-477-9 Bilanzen zum 31. Dez. 1891–1897 1892–1898 208-484-1 Schriftwechsel von Ludwig Stollwerck 1900–1903 208-484-3 Gründung der Aktiengesellschaft 1900–1903 208-498-22 Schmücken des Verwaltungsgebäudes zum Einzug Hindenburgs 1926 208-499-13 Pressespiegel zum 150jährigen Jubiläum der Firma Stollwerck 1989 208-557-1 Bau der Arbeiterwohnhäuser und eines Fabrikgebäudeteils 1889–1900 208-560-2 Zeitungsartikel 1841–1968 208-560-7 Stollwerck Werbeanzeigen für Gold-Schokoladen ca. 1911–1930 208-561-1 Stollwerck Werbeanzeigen für Bonbons oder Schokolade ca. 1883–1924 208-561-2 Stollwerck Werbeanzeigen ca. 1890–1930 208-561-4 Stollwerck Werbeanzeigen ca. 1878–1932 208-561-5 Zeitungsausschnitte zu Stollwerck 1926 208-562-2 Zeitungsausschnitte zu Stollwerck und Schokolade 1870–1929 208-562-3 Schwarz-Weiß-Rote Beflaggung anlässlich des Befreiungstages 1926 208-699-14 Stollwerck Schokoladenetiketten mit gekrönten Häuptern vor 1918 208-699-16 Dragees und Bonbons o. D. 208-718-4 100 Jahre Stollwerck 1939 208-755 Werbeanzeigen und Zeitungsbeilagen von Stollwerck und Konkurrenzfirmen ca. 1848– 1986 208-762-1 Graborden Commandeur des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem o. D. 208-829-2 Reklameanzeigen von Franz Stollwerck (& Söhne) 1848–1876 208-829-4 Stollwerck-Jubiläum/Geschichte der Firma ca. 1963–1989 208-874-3 Bauakten für Umbau Hohe Straße 9 und Neubau eines Fabrikgebäudes 1865–1895 208-874-4 Privat-Schriftwechsel von Peter Joseph Stollwerck 1860–1903 208-874-5 Privat-Schriftwechsel von Carl Stollwerck 1879–1881 208-874-7 Privat-Schriftwechsel von Albert Nikolaus Stollwerck (I) 1870–1881 208-875-1 Privat-Schriftwechsel der Familie Stollwerck 1858–1899 208-875-2 Privat-Schriftwechsel von Heinrich Stollwerck 1869–1873 208-880-3 Schriftwechsel: Diverses 1871–1901 208-0325 Stollwerck Sammelalbum Nr. 2 1898 208-0326 Stollwerck Sammelalbum Nr. 2 1898 208-0327 Stollwerck Sammelalbum Nr. 2 1898 208-0328 Stollwerck Sammelalbum Nr. 2 1898 208-0503 Stollwerck Sammelalbum Nr. 15 „Jungdeutschland“ ca. 1915 208-0505 Stollwerck Sammelalbum Nr. 16 „Der Große Krieg“ ca. 1916 208-F12 Portrait von Franz Stollwerck (II) um 1900 208-F20 Portrait von Fritz Stollwerck ca. 1930 208-F28 Gemälde von Heinrich Stollwerck 1910–1919 208-F30 Portrait von Carl Stollwerck ca. 1890 208-F32 Carl Stollwerck mit seinen Adoptivtöchtern Carlita und Marion Theresa ca. 1900 208-F56 Gemälde von Albert Nikolaus Stollwerck (I) ca. 1880 208-F60 Gemälde von Peter Joseph Stollwerck ca. 1900 208-F61 Portrait von Peter Joseph Stollwerck ca. 1900 208-F289 Grabmal der Familien Heinrich und Peter Joseph Stollwerck vor 1945 208-F776 Carl Stollwercks Landsitz „Hohenfried“ 1928 208-F3976 Portrait von Franz und Anna Sophia Stollwerck ca. 1870 208-F3985 Portrait von Heinrich Stollwerck um 1910 208-F3996 Portrait von Ludwig Stollwerck 1910–1919
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Anhang
208-F4010 Portrait von Peter Joseph Stollwerck ca. 1900 208-F4032 Villa von Peter Joseph Stollwerck in der Bayenstraße 65 ca. 1905–1906 208-F4036 „Villa Ines“ von Peter Joseph Stollwerck auf Borkum um 1900 208-F4040 Villa von Peter Joseph Stollwerck in Bad Godesberg o. D. 208-F5208 Portrait der Familie Ludwig Stollwerck um 1902 208-F5338 Aufbahrung von Carlita Stollwerck 1911 208-F5342 Aufbahrung von Carlita Stollwerck 1911 208-F5440 Entstehungsprozess der Germania-Statue 1893 208-F5695 Portrait von Carl Stollwerck 1926 208-F5866 Germania-Schokoladentempel 1893 208-F6870 Arbeiterwohnhäuser der Firma Stollwerck 1900 208-G214 Portrait von Albert Nikolaus Stollwerck (I) 1906 208-G215 Portrait von Ludwig Stollwerck 1906 208-G216 Portrait von Heinrich Stollwerck ca. 1906 208-PS396 Portrait der Familie Heinrich Stollwerck 1883 208-PS1347 Portrait von Kaiserin Victoria o. D. 208-PS1348 Portrait von Kaiser Wilhelm II. o. D. 208-PS1349 Portrait von Kaiser Wilhelm II. o. D. 208-PS3933 Rolands- und Bismarcksäule o. D. 208-PS3934 Rolands- und Bismarcksäule o. D. 208-PS3935 Rolands- und Bismarcksäule o. D. 208-PS3936 Rolands- und Bismarcksäule o. D. 208-PS3937 Rolands- und Bismarcksäule o. D.
Staatsarchiv München
AG Aibling NR 1932/86 Testament des Herrn Carl Stollwerck 1932–1938
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Register
601
PERSONENREGISTER Folgende Namen der männlichen Mitglieder der Familie Stollwerck sowie die Schlagworte „Stollwerck (Familie)“ und „Gebrüder Stollwerck“ wurden aufgrund der Vielzahl an Nennungen im Text nicht in das Personenregister aufgenommen: Franz Stollwerck, Albert Nikolaus Stollwerck (I), Peter Joseph Stollwerck, Heinrich Stollwerck, Ludwig Stollwerck, Carl Stollwerck, Gustav Stollwerck, Walter Stollwerck, Richard Stollwerck, Albert Nikolaus Stollwerck (II), Heinrich Victor Stollwerck, Franz Stollwerck (II), Fritz Stollwerck, Paul Stollwerck, Karl Maria Stollwerck. Adenauer, August 144, 412 Allman, [Vorname unbekannt, T. J.] 477 f. Andernach, August Gerhard 128, 557 Andreae, Jean jr. 341 Andreae, Otto 152 Auel, Carl 402 f. Bachem (Familie) 219 Bachem, Carl 263 Bachem, Franz Xaver 228, 263 Baelz, Robert 328 Baersch, Elisabeth 105 Ballin, Albert 263, 266 Bartholomew, Allen 264, 328 Bartholomew, Gilbert 77, 145, 327 f., 475 f. Behrens, Paul 475, 477 Bellenger, Frederick 108, 128, 557 Bergmann (Familie) 164 Bergmann, Emil 87 Bergmann, Theodor 86 f., 122, 190, 228, 319, 358, 468 Bernstorff, Arthur Rudolf Adolf Hermann Graf von 109, 127, 552 Bernstorff, Bechtold Arthur Wilhelm Hermann Graf von 109, 127, 552 Bernstorff, Johann Heinrich Graf von 109 Beuer, Ilsemarie 184, 225 Beuer, Leon 108, 556 Bismarck, Otto von 220, 244 ff., 449, 525 Bleichröder, Gerson von 332 Bollig, Josef A. 110, 125, 128, 193, 341, 369 f., 395, 553 Bonzel, Anton Ludwig Wilhelm 104 Böttinger, Henry Theodore von 242 Bourdieu, Pierre 23, 29 f., 32, 103 Brandenburg, Martin 450 Braun, Ferdinand 109 f., 355 Büxenstein, Georg 450, 458 Burbach, Gustav 467, 469 Cailler, François-Louis 63
Chandler, Alfred D. 13 f., 16–19, 23, 358, 544 Classen-Kappelmann, Johannes 222 Clouth, Franz 222 Cuppy, Hazlitt Alva 186, 315 Dernburg, Bernhard 55, 228, 267, 329–332, 337–341, 357, 360 f. Dernburg, Friedrich 329, 332 Doepler, Emil d. J. 432, 450, 453, 455, 458 Eckmann, Otto 450 Eppler, Friedrich 370 f., 373, 403, 466 Farina (Familie) 222 Farina, Johann Maria 254 Farwick, Wilhelm 341 Fehr-Flach, Franz 331 f. Fischer, Antonius Kardinal 230 Friedrich, Woldemar 450 Fuchs, Anton Wilhelm 127, 303, 550, 554 Fürstenberg, Carl 267, 331 Ganzenmüller, Albert 165 Graeff, Friedrich Wilhelm 241 Grüneberg, Richard 152, 257 Guilleaume (Familie) 219 Guilleaume, Adolf 254 Guilleaume, Arnold von 152 Guilleaume, Franz Carl 257 Hagen, Anna Emma 230 Hagen, Gottfried 230 Hagen, Louis 152, 159, 228, 230, 254, 258 f., 339 Hahn, Robert 436 Hamspohn, Johann 323 Hanau (Familie) 105, 124 Hanau, Eva 105 Hanau, Isaak Nathan 105 Hanau, Nathan Lehmann 105 Haniel (Familie) 26, 234 Harnisch, Peter 308 f., 370 f., 373, 403, 466, 472 f., 476, 478, 496, 498 Hartl, Joseph 76, 291, 473
602
Anhang
Hartmann, Arnold 246 Heide, Henry 86 Heimerdinger (Familie) 75, 102 f., 288 Heimerdinger, Emil 103, 341, 395 Heimerdinger, Emilie 184 Heimerdinger, Johann Georg August 75, 279, 303 Heimerdinger, Johanna Emilie Wilhelmine 106, 303 Heimerdinger, Robert 184, 284 Heise, August 370, 466 Hermeling, Gabriel 202, 238 Herx (Familie) 66, 95 Herx, Franz Theodor 50, 65 f., 92, 180 f., 464, 549 Herx, Maria 73, 181 Herx, Maria Sybilla (geb. Stollwerck) 66, 73, 180 f., 292, 464 f., 549 Hindenburg, Paul von 247, 506 Hipp, Claus 414 Hirsch, Elli 450 Hofmann, Wilhelm 69 ff. Honnef, Matthias 180 Hörner, Adele 477 Hübbe (Familie) 37 Hürten, Sepp 53 Imhoff, Hans 13, 40, 48, 57 f., 193 Joest, Carl 487 Joly, August 232 Junge, Alfred 402 Kaempf, Johannes 329 Karuth, Heinrich 189, 470 Kimmich, Karl 341, 392, 394–405, 408, 412 f., 461 f., 544 Kneifer, Mathilde 104 Knötel, Richard 436, 450 Kocka, Jürgen 16, 19 f., 23, 61 Körting, Berthold 266 Kraniger, Georg 189, 470 Krause, Friedrich 466 Krause, Heinrich Hermann 65 f., 180, 464, 549 Kreuer, Hermann Joseph 62 Krüger, Wilhelm 303, 469, 477 f. Krupp (Familie) 193 Krupp, Alfred 538 Krupp, Bertha 96 Krupp, Friedrich Alfred 96, 538 Krupp, Margarethe 96 Krusius, Anton 303 Krusius, Peter 102
Kuczkowski, Karl Eduard Felix von 109, 127, 169, 552 Langen, Eugen 166, 255, 257 ff. Langen, Gottlieb von 258 f. Langen, Johann Jakob 259 Langen, Walther 259 Laute, Gustav 12 f., 75, 296, 382, 386, 393 f., 398, 402, 478, 510 Leistikow, Walther 450 Letzel, Anna 214 f. Lever, James 77 Lever, William Hesketh 77, 86, 113, 153, 264 f., 325–328, 360, 375, 393, 478, 497 Leverkus, Ernst Meyer 159 Leyendecker, Johann Wilhelm 152, 253 Leyendecker, Wilhelm 152 Liebermann, Max 450 Lippa, Lazar von 127, 337, 341, 551 Loose, Bernhard 332 Lühring, E. 470 ff., 477 Lumière, Auguste und Louis 249 Luntz, Maria Magdalena 99 Mallinckrodt, Gustav von 159, 254 Mannert, Eduard 370, 466, 481 Marks, Hermann 341 Mattar, Stephan 230 Meinerzhagen, Ludwig 370, 466 Menzel, Adolf von 450 Merckens, August 320 ff., 404 Mevissen, Gustav von 274 Meyer, Maria Franziska (geb. Schüssel) 66, 549 Michaelis, Hugo 426 Molitor, Johann Georg 99 Moritz, Carl 235 Mueller, Max 341 Napoleon 239 f., 422, 449, 525 Neumann, Mathieu 496, 499 Neven DuMont, Alfred 263 Neven DuMont, August 222 Nottebrock, Gisela Maria 43, 236, 388, 411 Oehme, Adolf 258 f. Oetker (Familie) 18, 461 Oppenheim, Albert von 327, 331, 338 Oppenheim, Emil 339 Peters von Emingerhof, Carl Maria 110, 127, 553 Pfeifer, Eugen 254 Pfeifer, Valentin 152 Poensgen (Familie) 232 Poensgen, Albert 164
Register Poensgen, Carl 232 Poensgen, Reinhard 164 Poensgen, Rudolf 232 Rath, Emil vom 152 Rautenstrauch, Eugen 254 Reiche, Franz Waldemar von 110, 128, 553 Renard, Heinrich 229 Reusch (Familie) 37 Roderbourg, Richard Franz Fritz 101, 127, 303, 341, 550, 555 Rogge, Johannes 478 Rothschild, Amschel Mayer von 105 Rußbacher, Alexander 189, 308 f., 466 Sattler, Josef 450 Schaaffhausen (Familie) 219 Scheidt (Familie) 184, 214, 225, 250 Scheidt, Johann Wilhelm 232 Schilling, August 50 f., 332 Schlagloth, Peter 106 Schleicher, Carl Wilhelm 232 Schmitz, Bruno 105, 153, 158–161, 230 f., 450 Schmitz, Peter 230 Schniewind, Emil 124, 144, 228, 312, 318, 337, 341, 369, 372, 395, 399–402, 404, 406, 408, 410 Schnütgen, Alexander 188, 228 Schoeller (Familie) 108 f. Schoeller, August 109 Schoeller, Johann Peter 108 f. Schröder, Heinrich 340 f. Schulz, Helene 194 Searle, Ernest 471–477 Seligmann, Leopold 273 f., 288 Sielaff, Max 249, 358 Simar, Erzbischof Hubert Theophil 229 Simon, Albert 290, 302, 328 f., 340 f. Simson, Georg von 341, 399–404, 410 f. Skarbiner, Franz 450 Solmssen, Georg 341, 376, 396, 398–405, 407 f., 410 ff., 510, 544 Staengel, Ernst 63 Staengel, Otto 276 Stassen, Franz 450 Stein, Johann Heinrich 331 Stollwerck, Adalbert 167, 176, 194, 201, 404, 410 Stollwerck, Agnes (geb. Heimerdinger) 43, 81, 102 f., 106, 112 ff., 116, 122, 126, 134 ff., 138, 162, 168 f., 207 ff., 216, 227 f., 355, 501, 522, 550, 552 Stollwerck, Albert Ferdinand 120, 550
603
Stollwerck, Anna Barbara 175, 298, 551 Stollwerck, Anna Sophia (geb. Müller) 64, 73, 98 f., 120 ff., 126, 180, 194, 196 f., 286, 549 f. Stollwerck, Anna Sophia 13, 81, 110, 116, 125, 128, 139, 143, 150, 175, 193, 303, 370 f., 385, 553 Stollwerck, Apollonia (geb. Krusius) 101 f., 106, 113 f., 122, 126, 136, 138, 142 f., 207, 297, 303, 320, 322, 501 f., 550, 553 Stollwerck, Arno 43, 193, 404, 411 Stollwerck, Bertha 110, 127, 139, 303, 553 Stollwerck, Catharina (geb. Christ) 175 Stollwerck, Catharina 120, 213, 550 Stollwerck, Christina (geb. Bodem) 60, 66, 549 Stollwerck, Clara 95 f., 109, 122, 127, 141, 184, 228, 412, 552 Stollwerck, Elisabeth 72 f., 120 ff., 125, 127, 293, 303, 550, 554 Stollwerck, Ellen (geb. Schöpfwinkel) 125, 127, 385 f., 556 Stollwerck, Elsa (geb. Schoeller) 108 f., 126, 167, 552 Stollwerck, Elsa 97, 554 Stollwerck, Fanny Therese (geb. Hanau) 105 f., 108, 111, 114 f., 123–126, 136, 139, 143, 157 f., 160 f., 165, 190, 201, 213, 232, 237 ff., 346, 409, 496, 524, 550, 557 Stollwerck, Franz Ingo 42, 176, 193 f., 200 f., 203, 264 Stollwerck, Helene 95, 109, 127, 135, 169, 184, 228, 385 f., 552 Stollwerck, Hermann Joseph 120, 550 Stollwerck, Hubertine Catharina 175, 549 Stollwerck, Hubertine Elisabeth 180, 549 Stollwerck, Ingeborg (geb. Freiin von Grote) 110, 126, 552 Stollwerck, Johann(es) 65, 180, 549 Stollwerck, Johanna (geb. Rommel) 108, 127, 167, 203, 354, 553 Stollwerck, Johanna Maria Genovefa 167, 410 Stollwerck, Julie (geb. Noteboom) 126, 552 Stollwerck, Kurt 169 f., 176, 445 Stollwerck, Lucia Helene Elisabeth Carlita (geb. Watts) 114, 123 f., 198, 201, 213, 232, 238 f. Stollwerck, Lucie Eugenie Girardin 124, 128, 557 Stollwerck, Ludolf 75, 141, 143 f., 193 f., 233 f., 346, 355 f., 372, 405 Stollwerck, Luise (geb. Schlayer) 126, 552
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Anhang
Stollwerck, Luise 82, 108, 114, 128, 184, 192, 198 f., 556 Stollwerck, Margrit 96 Stollwerck, Maria (geb. Schlagloth) 9, 43, 76, 80, 104 ff., 113 f., 117, 121 f., 126, 138, 140, 144, 164, 190, 212, 216 f., 222, 493, 550, 556 Stollwerck, Maria 81 f., 108, 115, 125, 128, 190, 556 Stollwerck, Maria Franziska (geb. Schüssel, verw. Meyer) 66, 549 Stollwerck, Maria Huberta Cäcilia (geb. Bonzel) 108, Stollwerck, Maria Theresa 110, 125, 128, 139, 157, 303, 370, 553 Stollwerck, Maria Theresia (geb. Krusius) 101, 106, 113 f., 122, 126, 207, 214, 223, 303, 550 f. Stollwerck, Maria Theresia 127, 298, 303, 337, 551 Stollwerck, Marie Louise (geb. Janssens) 108, 126, 320, 553 Stollwerck, Marta (geb. Günther) 108, 126, 552 Stollwerck, Martha (geb. 1876) 95 f., 109, 116, 127, 141, 412, 552 Stollwerck, Martha (geb. 1892) 125 Stollwerck, Maud Marion Theresa Georgine (geb. Tapp) 107 f., 111, 124, 128, 198 f., 557 Stollwerck, Nicolaus 60 f., 64, 66, 131, 239, 549
Stollwerck, Peter Joseph (geb. 1919) 176 Stollwerck, Therese 72, 101, 106 f., 120 ff., 127, 140, 184, 207, 227 f., 293, 550, 555 Stollwerck, Theresia Anna 120, 550 Stollwerck, Ursula (geb. Baersch) 108, 127, 412, 556 Strauß, Otmar 152 Stresemann, Gustav 262 f., 265, 268 f., 526 Suchard, Philippe 63, 131 Sulkowski, Fürst Stanislaus 110, 128, 553 Sulzer, Ludger 108, 128, 556 Tapp (später Madden), Kathleen 124 Thyssen, August 231, 250, 254, 263, 278, 292 Tonger, Peter Joseph 228 Trimborn, Heinrich 135, 370 f., 373, 386, 395 f., 398, 403 f. Vogeler, Heinrich 450 Volkmann, Georg 50 f. Volkmann, Johann/John 50 f., 189, 310–314, 328, 332 Warburg, Max 267 Watts, Helene 123 Weisweiler, Wilhelm 144 Wendeler, Volker 236, 346, 388, 411, 762 Wennström, Rudolph 464 Wilhelm II. 251, 450 Wolff, Barbara 273, 282, 289 Wolff, Joseph 102, 273 Wolff-Metternich, Paul Graf von 497 Zehnpfennig, Joseph 127, 551 Zwintscher, Oskar 450 Zypen, Julius van der 254
Das Interesse an Familienunternehmen (und ihrer Persistenz) hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. Tanja Junggeburth analysiert am Beispiel des Kölner Familienunternehmens Stollwerck die komplexe Symbiose aus familialen und ökonomischen Handlungslogiken sowie die Chancen und Risiken, die sich aus der Verschränkung von Unternehmen und Familie ergeben können. Die Autorin verbindet dabei methodisch neuere Bürgertumsforschung und Unternehmensgeschichte. Sie untersucht, inwiefern spezifisches ökonomisches, soziales, kulturelles und
symbolisches Kapital Wettbewerbsvorteile des Familienunternehmens gegenüber anonymen Kapitalgesellschaften bewirkten und zu welchem Grade über die drei hier untersuchten Generationen hinweg sowohl interne, familienbezogene Fehlentwicklungen als auch externe Krisen zum Ende des Familieneinflusses bei Stollwerck führten. Die Darstellung identifiziert somit durch die Verbindung sozialer und ökonomischer Handlungslogiken Vor- und Nachteile des Unternehmenstypus „Familienunternehmen“.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-10458-6
9
7 83 5 1 5 1 04586