Arbeitsrecht in Familienunternehmen: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen [1 ed.] 9783428554195, 9783428154197

Arbeitsrecht in Familienunternehmen ist ein bislang unerforschtes Gebiet. Die vorliegende Studie untersucht die Möglichk

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German Pages 287 Year 2018

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Arbeitsrecht in Familienunternehmen: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen [1 ed.]
 9783428554195, 9783428154197

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 489

Arbeitsrecht in Familienunternehmen Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen

Von

Denise Peter

Duncker & Humblot · Berlin

DENISE PETER

Arbeitsrecht in Familienunternehmen

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 489

Arbeitsrecht in Familienunternehmen Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen

Von

Denise Peter

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-15419-7 (Print) ISBN 978-3-428-55419-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-85419-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Einleitendes Kapitel

Einführung in die Thematik  17

§ 1 Familienunternehmen und wissenschaftliche Forschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 § 2 Familienunternehmen und Arbeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 A. Arbeitsrechtliche Relevanz von Familienunternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen – ein Problemaufriss  . . . . . . . 28 I.

Das Unternehmen als Zuordnungsobjekt von Rechtssätzen im Arbeits­recht  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Die arbeitsrechtliche Interessenlage im Familienunternehmen als Ausgangspunkt eines Sonderarbeitsrechtes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Erstes Kapitel

Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe  44

§ 3 Der Begriff des Familienunternehmens  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 A. Zum Erkenntnisstand über den Begriff des Familienunternehmens in der Fachsprache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I.

Der Begriff des Familienunternehmens in der nicht-juristischen Fach­ sprache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Das Grundmodell des Familienunternehmens als Ausgangspunkt  . 48 2. Die verschiedenen Merkmale für die Bestimmung des Familien­ unternehmensbegriffs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 a) Strukturelle Definitionsmerkmale  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Eigentumsstruktur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 bb) Leitungs- und Kontrollstruktur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Partizipative bzw. funktionsbezogene Definitionsmerkmale  . 59 c) Prozessuale Definitionsmerkmale  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 d) Subjektive Definitionsmerkmale  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Sonstige Definitionsansätze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Der Begriff des Familienunternehmens in der Rechtswissenschaft  . . . 65 1. Gesetzliche Grundlagen für die Begriffsbildung – eine Betrachtung verwandter Begriffe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Die Familiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG)  .. . . 68

Inhaltsverzeichnis

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b) Der Familienbetrieb (§ 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG)  . . . . . . . . . . . . . 73 2. Der Begriff des Familienunternehmens in der Judikatur  . . . . . . . . . . . 75 3. Der Begriff des Familienunternehmens im Schrifttum  .. . . . . . . . . . . . 78 4. Die Definitionsempfehlung einer Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 III. Zusammenfassende, bewertende Betrachtung zum Erkenntnisstand über den Begriff des Familienunternehmens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 B. Zum Begriff des Familienunternehmens im Arbeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I.

Notwendigkeit und Grenzen einer eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffsbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Die klassifikatorische Begriffsbildung in Abgrenzung zur typologischen Methode und deren Anwendung auf den Familienunternehmensbegriff  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Das Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts –  Erarbeitung eines eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Unternehmensbegriff und weitergehende Abgrenzung zum Betrieb  97 2. Begriff des beherrschenden Familieneinflusses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Die Familie als Einflussträger  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Familienbegriff und Konsequenzen für die Zuordnung bestimmter Sachverhalte zum Begriff des Familien­ unternehmens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Die Familie als Unternehmensträger  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen als Gegenstand der Einflussnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Begriff des beherrschenden Einflusses  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Gesetzliche Anhaltspunkte zur Konturierung des beherr­ schenden Einflusses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 bb) Konkretisierung des beherrschenden Einflusses  . . . . . . . . . . 114 (1) Der leitende Wertungsgesichtspunkt des beherr­schenden Einflusses  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (a) Die Durchsetzung der „Familieninteressen“ in der Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens als leitender Wertungsgesichtspunkt  . 116 (b) Die „Familieninteressen“  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (2) Die typischen Merkmale des beherrschenden Einflusses  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 (a) Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung  . . . . . . . . . 122 (b) Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht  . 125 (c) Kontrollmacht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (d) Mitwirkung von Familienmitgliedern im Unternehmen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (e) Faktische Einflussfaktoren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (f) Fortführungswille .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

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(g) Sonderrechte zugunsten der Unternehmer­familie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (h) Sonderpflichten von Familienmitgliedern  . . . . . 136 (i) Unternehmenskultur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (j) Weitere typische Merkmale  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (3) Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (4) Vermutung des beherrschenden Einflusses  . . . . . . . . . 141 (a) Widerlegliche Vermutung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (b) Vermutungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 § 4 Der Begriff des Sonderarbeitsrechts  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 A. Sonderarbeitsrecht im engeren Sinne  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 B. Sonderarbeitsrecht im weiteren Sinne  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I.

Typologie der Anknüpfungspunkte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Generalklauseln .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. Normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe und Generalklauseln als sonderarbeitsrechtliche Umsetzungsinstrumente  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

§ 5 Der Bedeutungsgehalt und die Konkretisierung der Ideeeines Sonderarbeits­rechts für Familienunternehmen – Zusammenführung der beiden Begriffe  . . . . . . 152 Zweites Kapitel

Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen  153

§ 6 Die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmenin der öffentlichen und der wissenschaftlichen Diskussion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 A. Das paternalistische Modell  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 B. Das kooperative Modell  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 C. Rechtspolitische Forderungen aufgrund der Modellvorstellungen und deren Bewertung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 § 7 Methode zur Ermittlung der relevanten Rechtstatsachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 § 8 Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungenim Einzelnen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A. Paternalistische Unternehmenskultur  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 B. Präferenz zur Selbstrekrutierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 C. Durchschnittlich geringere Vergütung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 D. Hohe objektive und subjektive Arbeitsplatzsicherheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 E. Informelle Leitungsstrukturen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 F. Hohe Anzahl von mitarbeitenden Familienangehörigen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Inhaltsverzeichnis

8

G. Geringere Streikrate und geringerer gewerkschaftlicher Organisationsgrad  172 H. Weniger unternehmerische und betriebliche Mitbestimmung  . . . . . . . . . . . . . 173 I. Geringerer Anteil an Leih- und Zeitarbeitnehmern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 J. Höhere Ausbildungsquote  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 K. Angestrebte Fortführung des Unternehmens als Familienunternehmen  . . . 176 § 9 Bewertung der gefundenen Rechtstatsachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Drittes Kapitel

Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen  180

§ 10 Legitimität und Grenzen von Sonderarbeitsrechten im Allgemeinen  . . . . . . . . . . . . 181 § 11 Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen im Speziellen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 A. Die Methode der Konkretisierung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln als Ausgangspunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 I.

Die herkömmlichen Methoden zur Konkretisierung normativunbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln  . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Konkretisierung durch Fallgruppen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung außerhalb von Fall­ gruppen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Die inhaltlichen Vorgaben der Einzelfallentscheidung  . . . . . . . 189 aa) Innerrechtliche Bewertungsmaßstäbe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Außerrechtliche Bewertungsmaßstäbe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Eigenwertung des Rechtsanwenders  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Das Verfahren der Einzelfallentscheidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Limitationen der herkömmlichen Konkretisierungsmethoden und weiteres Vorgehen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Vorgaben als Wegweiser für die Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunter­ nehmen   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I.

Einfachgesetzliche Vorgaben und leitbildorientierte Rechts­anwendung  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Einfachgesetzliche Vorgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Leitbildorientierte Rechtsanwendung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Verfassungsrechtliche Vorgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Der objektive Gehalt der Grundrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Reichweite des objektiven Grundrechtsgehaltes  . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Umfang und Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungs­ wirkung des objektiven Grundrechtsgehalts auf die normativunbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln  .. . . . . . . 210 2. Grundrechtliche Schutzgehalte im Einzelnen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Inhaltsverzeichnis

9

a) Schutz der Unternehmerfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG  . . . . . 215 aa) Grundsätzliches zum Schutzgehalt  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Abgestufter Grundrechtsschutz nach dem Grad des personalen Grundzuges  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Grundsätzliches zum Schutzgehalt  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 bb) Die Verstärkungswirkung des Art. 6 Abs. 1 GG  . . . . . . . . . . 222 c) Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG  . . . . . . . 226 III. Zusammenfassende Betrachtung zur Berücksichtigungsfähigkeit spezifischer Familieninteressen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 C. Berücksichtigungszwang oder bloße Berücksichtigungsmöglichkeit spezifischer Familieninteressen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 D. Fazit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Viertes Kapitel

Die Ausgestaltung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen  230

§ 12 Sozialauswahl ( § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 § 13 Treuwidrige Kündigung (§ 242 BGB)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 § 14 Sozialwidrigkeit der verhaltensbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG)  .. 232 § 15 Auflösungsantrag des Arbeitgebers (§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG)  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 § 16 Übliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 § 17 Rücksichtnahme-, Treue- bzw. Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 und § 242 BGB)  .. 235 Abschließendes Kapitel

Fazit und Ausblick  236

Thesen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Sachwortregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Das Drei-Kreis-Modell des Familienunternehmens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Abb. 2 Die wesentlichen Einflusskanäle der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

a. A. andere[r] Auffassung a. a. O. am angeführten/angegebenen Ort ABl. L Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft; Reihe Rechtsvorschriften Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AEJ American Economic Journal: Macroeconomics a. F. alte Fassung AG Die Aktiengesellschaft: Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen, für deutsches, europäisches und internationales Unternehmens- und Kapitalmarktrecht AktG Aktiengesetz Anh. Anhang Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung AöR Archiv des öffentlichen Rechts AP Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) ArbG Arbeitsgericht Art. Artikel ASLwApFG Gesetz zur Förderung der agrarstrukturellen und agrarsozialen Anpassung der Landwirtschaft der DDR an die soziale Marktwirtschaft – För­ dergesetz Aufl. Auflage AuR Arbeit und Recht (Zeitschrift) BAG Bundesarbeitsgericht BB Betriebs-Berater: Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft BBL Betriebswirtschaftliche Blätter: Fachzeitschrift für Unternehmensführung in der Sparkassen-Finanzgruppe Bd. Band BDI Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. BeckRS Beck-Rechtsprechung; elektronische Entscheidungsdatenbank in beck-online Beil. Beilage BesatzSchG Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden Beschl. Beschluss BetrVG Betriebsverfassungsgesetz BFG Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz BFuP Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis BGB Bürgerliches Gesetzbuch

12

Abkürzungsverzeichnis

BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bl. Blatt BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales BMWFJ Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend BT-Drucks. Bundestags-Drucksache BuW Betrieb und Wirtschaft: Zeitschrift für Rechnungswesen, Steuern-, Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht im Betrieb BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise ca. circa CWF Community, Work & Family (Zeitschrift) DB Der Betrieb: Betriebswirtschaft, Steuerrecht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht (Zeitschrift) Der Staat Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselbe DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift DÖV Die Öffentliche Verwaltung: Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft DRiG Deutsches Richtergesetz DrittelbG Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz) Drucks. Drucksache DStR Deutsches Steuerrecht: Zeitschrift für Praxis und Wissenschaft des gesamten Steuerrechts DStR-Beih Deutsches Steuerrecht – Beihefter DVBl Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) DWS-Institut Deutsches wissenschaftliches Institut der Steuerberater e. V. DZWIR Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht EBLR European Business Law Review EBRG Gesetz über Europäische Betriebsräte – Europäische Betriebsräte-Gesetz EconBiz Virtual Library for Economics and Business Studies EE The Entrepreneurial Executive (Zeitschrift) EID Economic and Industrial Democracy (Zeitschrift) EIMS Enterprise and Innovation Management Studies (Zeitschrift) Einl. Einleitung EJFBS Electronic Journal of Family Business Studies EJLE European Journal of Law and Economics endg. endgültig

Abkürzungsverzeichnis

13

ErbStB Der Erbschafts-Steuer-Berater (Zeitschrift) ErbStG Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz ERD Entrepreneurship & Regional Development (Zeitschrift) ET&P Entrepreneurship Theory and Practice (Zeitschrift) etc. et cetera EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift E&RD Entrepreneurship & Regional Development (Zeitschrift) E&S Enterprise & Society: The International Journal of Business History f. folgende [Seite] FamR Familienrecht ff. folgende [Seiten] FBR Family Business Review FG Festgabe Fn. Fußnote FS Festschrift FuS Zeitschrift für Familienunternehmen und Stiftungen GAKG Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz/Geschichte und Gesellschaft: Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbHR Die GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GMH Gewerkschaftliche Monatshefte GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) GS Gedächtnisschrift GVG Gerichtsverfassungsgesetz GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HAG Heimarbeitsgesetz HGB Handelsgesetzbuch Hrsg. Herausgeber hrsg. v. herausgegeben von IAS International Accounting Standard IEMJ International Entrepreneurship and Management Journal IFERA International Family Enterprise Research Academy IfM Institut für Mittelstandsforschung Bonn IJEBR International Journal of Entrepreneurial Behavior & Research IJFS International Journal of Financial Studies IJHRM The International Journal of Human Resource Management IndBez Industrielle Beziehungen: Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management IRZ Zeitschrift für internationale Rechnungslegung

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Abkürzungsverzeichnis

ISBJ International Small Business Journal i. V. m. in Verbindung mit JABR Journal of Applied Business Research JArbSchG Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend (Jugendarbeitsschutzgesetz) JBV Journal of Business Venturing JEBO Journal of Economic Behavior & Organization JEEA Journal of the European Economic Association JEIT Journal of European Industrial Training JEV Journal für Erbrecht und Vermögensnachfolge JFBM Journal of Family Business Management JFBS Journal of Family Business Strategy JMO Journal of Management & Organization JMS Journal of Management Studies JOB Journal of Organizational Behavior JOBE Journal of Business Ethics JSBM Journal of Small Business Management Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JuS Juristische Schulung; Zeitschrift für Studium und praktische Ausbildung JZ Juristenzeitung Kammerbeschl. Kammerbeschluss Kap. Kapitel KG Kommanditgesellschaft KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien KJ Kritische Justiz: Vierteljahresschrift für Recht und Politik KMU kleine und mittlere Unternehmen KOM Kommission der Europäischen Gemeinschaften KommJur Kommunaljurist; Rechtsberater für Gemeinden, Landkreise, Gemeindeverbände und kommunale Wirtschaftsunternehmen (Zeitschrift) KSchG Kündigungsschutzgesetz LAG Gesetz über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz); Landesarbeitsgericht lit. littera (lateinisch Buchstabe) LG Landgericht MIT Ministry of Trade and Industry MitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) MPIfG Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung m. w. N. mit weiteren Nachweisen NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nr. Nummer NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungs-Report Strafrecht n. v. nicht veröffentlicht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

Abkürzungsverzeichnis

NZA

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Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht; Zweiwochenschrift für die betriebliche Praxis NZA-RR Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZJER New Zealand Journal of Employment Relations NZR Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht NZZ Neue Zürcher Zeitung o. Ä. oder Ähnliche[s] OBHDP Organizational Behavior and Human Decision Processes (Zeitschrift) OD Organizational Dynamics (Zeitschrift) OHG offene Handelsgesellschaft OLG Oberlandesgericht PwC PricewaterhouseCoopers R Rückseite RdA Recht der Arbeit: Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts RepG Gesetz zur Abgeltung von Reparations-, Restitutions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden (Reparationsschädengesetz) RGBl. Reichsgesetzblatt Rn. Randnummer(n) RNotZ Rheinische Notar-Zeitschrift RW Rechtswissenschaft: Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung S. Seite(n); Satz SEBG Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz) SGB III Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung s. l. sine loco (lateinisch ohne Ortsangabe) SO Strategic Organization (Zeitschrift) sog. sogenannt; sogenanntes SR Soziales Recht; wissenschaftliche Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht SSRN Social Science Research Network StBW Steuerberater Woche; Informationsdienst für die steuerliche Beratungspraxis (Zeitschrift) StuW Steuer und Wirtschaft: Zeitschrift für die gesamten Steuerwissenschaften TzBfG Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge u. a. und andere; unter anderen; unter anderem Übers. d. Übersetzung durch U. Pa. J. Bus. L. University of Pennsylvania Journal of Business Law Urt. Urteil u. v. a. und viele[s] andere v. von; vom VergabeR Vergaberecht: Zeitschrift für das gesamte Vergaberecht vgl. vergleiche

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Abkürzungsverzeichnis

VIZ Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Vorbem. Vorbemerkung WES Work Employment & Society (Zeitschrift) WiSt Wirtschaftswissenschaftliches Studium; Zeitschrift für Studium und Forschung WMLR William and Mary Law Review WpHG Gesetz über den Wertpapierhandel WRP Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) WSI Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut ZCG Zeitschrift für Corporate Governance: Leitung und Überwachung in der Unternehmens- und Prüfungspraxis ZEV Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge ZfA Zeitschrift für Arbeitsrecht ZfB Zeitschrift für Betriebswirtschaft zfbf Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung ZfKE Zeitschrift für KMU und Entrepreneurship zfo Zeitschrift Führung + Organisation ZG Zeitschrift für Gesetzgebung; Vierteljahresschrift für staatliche, kommunale und europäische Rechtssetzung ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStV Zeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen ZUG Zeitschrift für Unternehmensgeschichte

Einleitendes Kapitel

Einführung in die Thematik Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

Arbeitsrecht in Familienunternehmen existiert in der deutschen Arbeitsrechtswissenschaft als einheitliches rechtliches Problem nicht. Nur vereinzelt finden sich Publikationen, die Familienunternehmen und das Recht der Arbeitsbeziehungen in Verbindung bringen.1 Eine umfassende Darstellung steht noch aus. Damit fristet das Arbeitsrecht in Familienunternehmen ein ähnliches Schicksal wie das „Arbeitsrecht im Kleinunternehmen“2 oder das „Arbeitsrecht im Konzern“3 vor rund dreißig Jahren. Wurden beide Problemkreise aus damaliger Sicht weitestgehend als eine „terra incognita“4 betrachtet, sind diese heute nahezu umfassend aufgearbeitet5. Ob auch das Arbeitsrecht in Familienunternehmen einen solchen Verlauf nehmen wird, kann sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Dies 1  Loritz, in: FS Adomeit, S. 415 ff.; Möschel, ZRP 2011, 116 ff.; Otto/Walk, BB 2010, 373 ff.; Bauer, Das Direktionsrecht des Arbeitgebers und familiäre Verbundenheit, 2015. Auch im internationalen Vergleich sind Publikationen zu Familienunternehmen und Arbeitsbeziehungen im Allgemeinen selten. Zu nennen sind insbesondere Bach/Serrano-Ve­ larde, Employment policies in family managed firms, 2010; Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837 ff.; Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, 2010; Belot/ Waxin, Family ownership and labor relationships, 2012; Bennedsen/Huang/Wagner/Zeume, Family firms and labor market regulation, S. 1 ff.; Dale/Shepherd/Woods, NZJR 2008, 55 ff.; Dawson, JFBS 2012, 3 ff.; Gutiérrez-Broncano/Rubio-Andrés/Jiménez Estévez, in: Machado/Melo (Hrsg.), Effective human resources management, S. 96 ff.; Mueller/Philippon, Family firms, paternalism, and labor relations, 2006; dies., AEJ 2011, 218 ff.; Ransburg/Sage-Hayward/Schuman, Human resources in the family business, 2016; Siebert/ Peng/Maimaiti, HRM practices and performance of family-run workplaces, 2011; Sieger/ Halter, Ein Teil der Familie – oder nicht?, NZZ 2011, Sonderbeilage Karriere und Weiterbildung, S. 1 f.; Sraer/Thesmar, JEEA 2007, 709 ff.; Ward/Mendoza, in: Lopata/Figert (Hrsg.), Current research on occupations and professions, S. 167 ff. 2 Vgl. Ramm, AuR 1991, 257: „Für die deutsche Arbeitsrechtswissenschaft scheint das hier zu behandelnde Problem nicht zu existieren“; ähnlich Hessert, Arbeitsrecht im Kleinunternehmen, S. 1. 3  Lutter, ZGR 1987, 324 (338 f.): „Für das Arbeitsrecht […] ist der Konzern ein weitgehend ungelöstes Problem“. 4  Wiedemann/Strohn, Anm. zu BAG, Urt. v. 18. 10. 1976 – 3 AZR 576/75, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 796; Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 118; Lyon꞊Caen, RdA 1984, 285 (297). 5 Vgl. nur die Monographien von Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, 1983; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, 1989; Vogt, Arbeitsrecht im Konzern, 2014 und Hessert, Arbeitsrecht im Kleinunternehmen, 2003.

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

hängt vor allem davon ab, dass in Familienunternehmen überhaupt tatsächliche Besonderheiten bestehen, die eine spezielle Behandlung auf diesem Rechtsgebiet erforderlich machen. Gerade in dieser grundlegenden Frage besteht Forschungsbedarf. Ein Blick auf das weite Feld der Familienunternehmensforschung, in dem immer neue Gebiete erschlossen werden, zeigt, dass es an der Zeit ist, diese Organisationsform auch im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht näher zu beleuchten. Die bisherige Zurückhaltung der deutschen Arbeitsrechtswissenschaft im Hinblick auf die vorliegende Thematik erscheint nicht gerechtfertigt. Aus diesem Grund soll zunächst ein umfassender Überblick zu der wissenschaftlichen Forschung über Familienunternehmen im Allgemeinen gegeben werden, bevor der Fokus speziell auf das Arbeitsrecht gelegt wird.

§ 1  Familienunternehmen und wissenschaftliche Forschung Familienunternehmen – grob charakterisiert als Unternehmen, auf die eine Familie beherrschenden Einfluss ausübt – sind die am weitesten verbreitete Organisationsform6. Es gibt sie in den unterschiedlichsten Rechtsformen, Branchen und Größenordnungen.7 Vom traditionellen kleinen Familienunternehmen, in dem die gesamte Familie mitarbeitet, bis zum multinationalen Großkonzern sind sie vertreten. Es handelt sich also nicht zwangsläufig um kleine und mittlere Unternehmen (sog. KMUs), mit denen sie häufig gleichgesetzt werden, auch wenn die Mehrzahl aller Familienunternehmen Klein- bzw. Mittelunternehmen sind.8 Denn im Großunternehmen kann eine Familie ebenfalls beherrschenden Einfluss ausüben.9 Aufgrund dieser großen Spannweite sind ca. 70 bis 95 Prozent

6  Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837; Chirico/Nordqvist, ISBJ 2010, 487; Chrisman/Steier/Chua, ET&P 2006, 719 (720); Handler, FBR 1989, 257; Schulze/Gedajlovic, JMS 2010, 191; Zachary, JFBM 2011, 26 (27). 7  Poutziouris/Smyrnios/Klein, in: Poutziouris/Smyrnios/Klein (Hrsg.), Handbook of research on family business, S. 1. 8  Craig/Moores, FBR 2010, 170 (171); European Commission, Final report of the expert group, S. 4; IFERA, FBR 2003, 235 (236); Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 50; Picot, in: Picot (Hrsg.), Handbuch für Familien- und Mittelstands­ unternehmen, S. 1 (4); Werner, Die Familiengesellschaft, S. 11; vgl. ferner Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/5800, S. 58. Nach Haunschild/Wallau/Boerger/Macke/ Hauser, Die größten Familienunternehmen in Deutschland, S. 11 sind nur rund 0,1 Prozent aller Unternehmen große Familienunternehmen, entsprechend gering ist der Anteil der Großunternehmen an den Familienunternehmen. 9 Vgl. Reuter, ZGR 1991, 467 (477); Lange, in: v. Schlippe/Rüsen/Groth (Hrsg.), Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens, S. 243 (247 f.); ders., in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 15 (16).

§ 1  Familienunternehmen und wissenschaftliche Forschung

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aller deutschen Unternehmen Familienunternehmen,10 je nachdem, ob ein enges oder weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt bzw. welche Erhebungsmethode verwendet wird. Vergleichbare Zahlen finden sich in anderen Ländern.11 Familienunternehmen gelten wegen der damit verbundenen, enormen wirtschaftlichen Bedeutung allgemeinhin als das „Rückgrat der Wirtschaft“12. Dadurch steigt auch das Interesse, welches ihnen in der Forschungslandschaft im Allgemeinen zugemessen wird. Die Familienunternehmensforschung, d. h. die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Organisationsform Familienunternehmen, geht zurück auf die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts13. Breiten Anklang fand sie jedoch erst in den achtziger Jahren, als das Bewusstsein um die bedeutende volkswirtschaftliche Rolle dieser Unternehmen stieg.14 Die Familienunternehmensforschung ist damit ein relativ junges Wissenschaftsgebiet. Insbesondere in Deutschland befindet sie sich noch in ihren Anfängen, weshalb die Forscher hier größtenteils auf Publikationen des angloamerikanischen Sprachraumes angewiesen sind15. Immer wieder wird deshalb der Ruf nach mehr gezielter familienunternehmensbezogener Forschung laut,16 und tatsächlich geraten Familienunternehmen national, wie auch international zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Die

10  Haunschild/Wallau/Hauser/Wolter, Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, S. VIII; Haunschild/Wolter, Volkswirtschaftliche Bedeutung von Familien- und Frauenunternehmen, S. 13; v. Schlippe/Buberti/Groth/Plate, in: Rüsen/v. Schlippe/Groth (Hrsg.), Familienunternehmen: Exploration einer Unternehmensform, S. 1 (6). 11  Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 2. 12  Rogowski, in: FS Kirchhoff, S. 391; v. Schlippe/Buberti/Groth/Plate, in: Rüsen/ v. Schlippe/Groth (Hrsg.), Familienunternehmen: Exploration einer Unternehmensform, S. 1 (6). Kritisch Hennerkes, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 35. 13  Conant, Exploring leadership style, organizational culture, and financial perform­ ance in family firms, S. 5; Hofmann, Family mindset, S. 18. Nach Bird/Welsch/Astrachan/ Pistrui, FBR 2002, 337 (338) ist der Beginn der Familienunternehmensforschung als eigenständiges wissenschaftliches Fach erst in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts anzusiedeln. Als Ursprung eines Wissenschaftsgebietes sei nicht bereits das erste Aufkommen von wissenschaftlicher Forschung zu sehen. 14  Hofmann, Family mindset, S. 18. 15  Klein, Familienunternehmen, S. XI. Zum Vergleich der Entwicklung familienunternehmensspezifischer Publikationen im deutschsprachigen Raum und solchen des anglo­ amerikanischen siehe weiterführend Klein, Family business research in German publications, S. 1 ff. 16  Beispielsweise durch die Europäische Union: European Commission, Final report of the expert group, S. 5; Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 4; ähnlich Astrachan, JFBS 2010, 6.

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

Zahl und Vielfalt familienunternehmensspezifischer Publikationen steigt stetig17 und mit dieser die Mannigfaltigkeit der Forschungsgebiete, wie den Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie und der Psychologie, aber auch der Rechtswissenschaft18. Die Familienunternehmensforschung wird jedoch (nicht ganz unumstritten) als eigenständiges wissenschaftliches Feld betrachtet und nicht lediglich als ein Teilbereich der soeben genannten Wissenschaften.19 Obwohl das akademische Interesse an der Familienunternehmensforschung insgesamt kontinuierlich wächst, hält diese in die Rechtswissenschaft im Vergleich zu anderen Untersuchungsgebieten noch immer langsam Einzug. Mit der Häufigkeit und praktischen Relevanz von Familienunternehmen konnte die Aufarbeitung der damit einhergehenden Rechtsfragen nicht in allen juristischen Disziplinen Schritt halten. Der Familienunternehmensbegriff fand zwar bereits Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts Eingang in das rechtswissenschaftliche Schrifttum 20 und rund zwanzig Jahre später in die Judikatur21. Es existieren bisher aber wenige juristische Monografien, die sich nicht lediglich auf einzelne Facetten dieser Organisationsform konzentrieren. Häufig wird auch nur die Familiengesellschaft als besondere Unterform des Familienunternehmens in den Blick genommen 22 oder das Familienunternehmen in seiner traditionellen Form verstanden, mithin als Kleinbetrieb in dem ausschließlich Familienangehörige arbeiten. Breite Aufmerksamkeit finden Familienunternehmen lediglich im Gesellschafts- und Erbrecht im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge,23 aber auch im Steuerrecht im Hinblick auf die Gewährung monetärer Vorteile. In anderen Gebieten, wie zum Beispiel dem Arbeitsrecht, bestehen noch 17  Einen ausführlichen Überblick zu den Wachstumsraten geben Stewart/Miner, JFBS 2011, 3 (3 f.). 18  Eine Übersicht der Wissenschaftsgebiete, die einen Beitrag zur Familienunternehmensforschung liefern, findet sich bei Wortman, FBR 1994, 3 (4), wobei die Rechtswissenschaft zum damaligen Zeitpunkt an vierter Stelle eingeordnet wird. 19  Bird/Welsch/Astrachan/Pistrui, FBR 2002, 337 ff.; ähnlich Hollander/Elman, FBR 1988, 145; Klein, ZfB-Special Issue 2/2009, 63 (65). Zur Kritik Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 26. 20  Spohr, Die Familiengesellschaft, 1932; Steuler, Organe und Geschäftsführung bei der Familien-G.m.b.H., 1933; Hengstmann, Die Familiengesellschaft, 1935. 21 Vgl. BGH, Urt. v. 30.  11. 1951 – II ZR 109/51, BGHZ 4, 108 ff.; BGH, Urt. v. 12. 11. 1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35 ff.; BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952. 22 Zum Begriff der Familiengesellschaft und dessen Verwendung siehe ausführlich Erstes Kapitel § 3 A. II. 1. a). 23 Bei der Unternehmensnachfolge handelt es sich um einen der meist erforschten Bereiche innerhalb der Familienunternehmensforschung, vgl. Stamm/Schmiade/Kohli, in: Hilger/Soénius (Hrsg.), Familienunternehmen im Rheinland, S. 177 (178); Klein, FBR 2000, 157; Zahra/Sharma, FBR 2004, 331 (333 f.). Die erhöhte Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit dem Gesellschafts- und Erbrecht verwundert kaum, da beide Rechts-

§ 1  Familienunternehmen und wissenschaftliche Forschung

21

große Forschungslücken. Abgemildert wird das bestehende Forschungsdefizit jedoch in einigen Bereichen dadurch, dass Familienunternehmen – ohne die genaue Begriffsbestimmung vorwegzunehmen – grundsätzlich ein Unterfall der sog. personalistisch strukturierten Gesellschaften24 sind,25 also Gesellschaften mit begrenztem Gesellschafterkreis und beschränkter Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile. Eine Aufarbeitung familienunternehmensrelevanter Rechtsfragen ist deshalb auch in diesem Bereich (zumindest ansatzweise) zu finden. In den nächsten Jahren wird sich die eingangs beschriebene Entwicklung der Expansion des Forschungsgebietes sicherlich forcieren und der Grad des akademischen Interesses an Familienunternehmen speziell in der Rechtswissenschaft weiterhin steigen. Neue Untersuchungsgebiete auf dem weiten Feld der Familienunternehmensforschung werden hinzukommen, obwohl dieser schon jetzt ein „dramatisches“ Wachstum nachgesagt wird26. Ein Grund für diese Annahme ist, dass unabhängig von dem zu untersuchenden Gebiet Wissenschaftler grundsätzlich darin übereinstimmen, dass der beherrschende Einfluss einer Familie auf das Unternehmen dieses von anderen unterscheidet27. Dies deutet daraufhin, dass sich Besonderheiten auch in bisher unerforschten Bereichen, wie zum Beispiel dem Arbeitsrecht, zeigen werden. Weiterhin hat die Generaldirektion Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission im Rahmen eines Mehrjahresprogrammes eine Untersuchung zu den für Familienunternehmen relevanten Fragestellungen durchführen lassen 28 und eine Sachverständigengruppe im Bereich der Familienunternehmen, bestehend aus Vertretern aller Mitgliedstaaten der Union, eingesetzt29. Letztere hat in ihrem Abschlussbericht aus dem Jahre 2009 empfohlen, auf nationaler Ebene die für Familienunternehmen bedeutsamen As-

gebiete gemeinsam den grundlegenden institutionellen Rahmen bilden, in welchem Familienunternehmen operieren, vgl. Colli/Fernández Pérez/Rose, E&S 2003, S. 28 (34 ff.). 24  Auch „closely held corporation“ oder „close corporation“ genannt, vgl. Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, S. 203. Daneben wird häufig der Begriff „personenbezogenes Unternehmen“ verwandt. 25 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 118; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, S. 203; Otte, Personalistische Aktiengesellschaft, S. 5; speziell für die Familiengesellschaft: Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 15. Für das angloamerikanische Recht: Goldberg, JABR 2007, 7; Osi, U. Pa. J. Bus. L. 2009, 181 (182); ähnlich Rojo, Family businesses, S. 5 „family businesses share all general characteristics of closely held businesses“. 26  Nordqvist/Hall/Melin, JMO 2009, 294; Yu/Lumpkin/Sorenson/Brigham, FBR 2012, 33. 27  Chua/Chrisman/Steier, ET&P 2003, 331; Fiegener, JMS 2010, 296; v. Buch, The relationship of family influence, S. 20. 28  Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, 2008. 29  European Commission, Final report of the expert group, 2009.

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

pekte in zukünftige politische Vorhaben mit einzubeziehen.30 Ein ähnlicher Appell wurde bereits 2008 im „Small Business Act“ für Europa formuliert.31 Zudem forderten die Sachverständigen mehr gezielte familienunternehmensspezifische Forschung.32 Wenn auch diese Vorgaben rechtlich nicht verbindlich sind,33 hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Familienunternehmen doch durch die umfangreiche Untersuchung auf europäischer Ebene zumindest politisch gesehen an Berechtigung gewonnen, was diese letztendlich gleichermaßen in der Rechtswissenschaft vorantreiben wird. Auch die Forschung zu den eingangs erwähnten Kleinunternehmen erhielt, nachdem sie durch die Europäische Kommission thematisiert wurde, eine gewisse Vertiefung.34 Gerade im Arbeitsrecht, welches neben dem Steuer- und Gesellschaftsrecht die Möglichkeit bietet, durch Beachtung der Besonderheiten von Familienunternehmen deren wirtschaftliche Potenziale optimal zu nutzen, deutet sich ein vermehrtes akademisches Interesse an. Dies zeigt sich schon daran, dass die wenigen Publikationen zum Thema Familienunternehmen und Arbeitsrecht erst in den letzten zehn Jahren entstanden sind.35 Auch bei den Kleinunternehmen stand die wachsende Beachtung in Wissenschaft und Forschung in einem engen Zusammenhang mit deren ökonomischer Relevanz.36 Ein Blick auf die Parallelen zwischen beiden Unternehmensformen 30  European Commission, Final report of the expert group, S. 13. Auf nationaler Ebene wurde wohl auf diese Empfehlung reagiert: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat eine eigene, umfassende Studie zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung von Familienunternehmen in Auftrag gegeben, vgl. Schröder/Westerheide (Hrsg.), Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, 2010. 31  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Vorfahrt für KMU in Europa, Der „Small Business Act“ für Europa, KOM 2008 (394) endg., S. 4: „Ein Umfeld soll entstehen, in dem sich Unternehmer und Unternehmen in Familienbesitz entfalten können […]“. 32  European Commission, Final report of the expert group, S. 5. 33  Der „Small Business Act“ ist kein rechtlich verbindlicher Akt, vgl. Haranian/Vogler, Small Business Act – Think small first, S. 1. Auch die Empfehlungen der Sachverständigengruppe besitzen keine rechtlich relevante Qualität. 34  Beispielsweise thematisierte der 65. Deutsche Juristentag 2004 in Bonn das Thema „Arbeitsrecht zwischen Markt und gesellschaftspolitischen Herausforderungen – Differenzierung nach Unternehmensgröße“, nachdem die Europäische Kommission ihre Empfehlung vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen herausgegeben hat, KOM 2003 (1422) endg. Auch Leyherr, Die Situation von Familienunternehmen in Österreich, S. 5 Fn. 6 schreibt der Europäischen Union einen entscheidenden Einfluss auf die KMU-Forschung zu, besonders durch deren umfangreiche Forschungsförderung. 35  Siehe Einleitendes Kapitel, Fn. 1. 36 Vgl. Junker, Arbeitsrecht zwischen Markt und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, S. B 20.

§ 1  Familienunternehmen und wissenschaftliche Forschung

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deutet dementsprechend an, dass das Arbeitsrecht in Familienunternehmen einen ähnlichen Verlauf nehmen wird wie das „Arbeitsrecht im Kleinunternehmen“, und folglich in den nächsten Jahren sukzessive wissenschaftlich aufgearbeitet werden wird. Die vorliegende Untersuchung möchte hierzu einen ersten umfassenden Beitrag liefern und dem bestehenden Forschungsdefizit entgegenwirken. Sie knüpft damit an die bestehende Entwicklung in der Familienunternehmensforschung an, die immer neue Teilbereiche erschließt. Bevor die Untersuchung jedoch ihren Fokus auf das Arbeitsrecht im Zusammenhang mit den Familienunternehmen legt, soll auf die Schwierigkeiten der Forschung auf diesem Gebiet eingegangen werden, welche zunächst die wissenschaftliche Auseinandersetzung verlangsamten und die einen Erklärungsansatz bieten für die immer noch in einigen Bereichen vorhandenen Forschungsdefizite. Diese Thematik drängt sich angesichts der vergleichsweise geringen Beachtung in der Rechtswissenschaft besonders auf. Gleichzeitig verdeutlichen die nachfolgenden Ausführungen, welchen Herausforderungen die vorliegende Arbeit begegnen muss. Familienunternehmen wurden zunächst lange Zeit mit kleinen und mittleren Unternehmen gleichgesetzt, weil Erstere typischerweise in einer solchen Größenordnung anzutreffen sind. Der Blick auf die Organisationsform Familienunternehmen wurde dadurch weitestgehend verdeckt. Erst relativ spät wurde erkannt, dass diese aufgrund ihrer Größenunabhängigkeit Besonderheiten aufweisen, welche kleine und mittlere Unternehmen nicht in gleichem Maße betreffen.37 Familienunternehmen sind durch den beherrschenden Einfluss einer Familie auf das Unternehmen gekennzeichnet. Die daraus resultierenden Charakteristika werden durch das Größenkriterium nicht hinreichend erfasst.38 Soll diesen genügend Rechnung getragen werden, dürfen Familienunternehmen nicht nur den speziell auf kleine und mittlere Unternehmen zugeschnittenen Regelungen unterliegen.39 Im Hinblick auf das Arbeitsrecht bedeutet dies, dass namentlich die zahlreichen Schwellenwertregelungen, welche die Geltung einzelner Normen oder Normenkomplexe von dem Vorliegen einer bestimmten Arbeitnehmerzahl abhängig machen, nicht (alleine) genügen, um den etwaigen, aus dem beherrschenden Familieneinfluss resultierenden Besonderheiten im Unternehmen Rechnung zu tragen. Diese Sichtweise muss sich im Arbeitsrecht erst durchsetzen, bevor Familienunternehmen, ähnlich wie in anderen Forschungsgebieten, aus dem Schatten der kleinen und mittleren Unternehmen heraustreten können. Aber selbst wenn dies gelingt und ein Fokus dieser Rechtsdisziplin auf die Familienunternehmen gelegt 37 

Im Ergebnis auch Craig/Moores, FBR 2010, 170 (171). auch Lange, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 15 (16); vgl. ferner Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/5800, S. 58. 39 Ähnlich Craig/Moores, FBR 2010, S. 170 (171). 38 So

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

wird, steht die Forschung vor denselben Herausforderungen, wie sie bereits in anderen Bereichen der Familienunternehmensforschung zu bewältigen sind: Die Familienunternehmensforschung zeichnet sich durch eine ausgeprägte interdisziplinäre Identität40 aus, welche der Komplexität41 des Forschungsobjektes Familienunternehmen geschuldet ist. Untersuchungen im Zusammenhang mit dieser Organisationsform stehen vor vielschichtigen Problemen an der Schnittstelle dreier unterschiedlicher (Sub-)Systeme mit jeweils eigener Gesetzmäßigkeit: die Familie, das Unternehmen und das Eigentum42. Die Familienunternehmensforschung kann daher als „Wissenschaft komplexer Systeme“ bzw. „Integrationswissenschaft“43 bezeichnet werden. Um das Phänomen Familienunternehmen ganzheitlich erfassen zu können, muss sowohl auf soziologische und psychologische als auch ökonomische und juristische Aspekte zurückgegriffen werden. Ansätze, Denkweisen und Methoden der verschiedenen Fachrichtungen müssen in einem die Forschungsarbeit fortwährend begleitenden Prozess integriert und miteinander verknüpft werden.44 Dies kann die Arbeit zwar insgesamt ungemein befruchten.45 Es hat aber zum Nachteil, dass der einzelne Wissenschaftler alle für das konkrete Forschungsprojekt relevanten Gebiete beherrschen muss, um die fachspezifischen Diskurse aufeinander beziehen zu können, was mit einem gewissen Risiko behaftet ist46. Für die vorliegende Arbeit, welche die Familien40 Ähnlich Klein, Familienunternehmen, S. 2; Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 21, 26; Wimmer in: v. Schlippe/Rüsen/Groth (Hrsg.), Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens, S. 1 (6). 41  Zur Komplexität des Familienunternehmens ausführlich Klein, ZfB-Special Issue 2/2009, 63 (66 ff.). 42  Zu diesem sog. Drei-Kreis-Modell nach Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 ff. siehe ausführlich S.  27 – 30. 43 Einordnung im Anschluss an die Differenzierung von Fuchs-Kittowski/Wohlgemuth, in: Fischer/Laitko/Parthey (Hrsg.), Interdisziplinarität und Institutionalisierung der Wissenschaft, S. 109, die als explizites Beispiel eines komplexen Objektes den Indus­ triebetrieb anführen. In dem Sinne sieht wohl auch Klein, Familienunternehmen, S. 2 die Familienunternehmensforschung, wenn sie von „Integration verschiedener Disziplinen“ spricht. Zum Begriff der Integrationswissenschaft siehe auch Mülheims/Hummel/Rexrodt/ Peters-Lange/Mockenhaupt, in: FS Fischer, S. 365 (367). 44 Vgl. Bergmann/Jahn/Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 10. 45  Fallone, in: Stewart/Lumpkin/Katz (Hrsg.), Entrepreneurship and family business, S. 315 beschreibt dieses Phänomen für die (angloamerikanische) Rechtswissenschaft: „Much of the best legal scholarship in recent decades has been driven by doctrinal developments and research techniques that originated outside of law schools, in other departments and colleges on the University campus“. 46 Auf dieses Problem hinweisend Klein, Familienunternehmen, S. 2. Pointiert aus Sicht des Juristen formuliert es Heldrich, JuS 1974, 281 (283), jedoch ohne Bezug zur Familienunternehmensforschung: „Es wäre eine Illusion, vom Juristen neben der Beherrschung der eigenen, hochgradig differenzierten Fachdisziplin noch solide Kenntnisse in

§ 1  Familienunternehmen und wissenschaftliche Forschung

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unternehmen aus (arbeits-)rechtswissenschaftlicher Perspektive und Methodik beurteilen will und deren Kernfrage es sein wird, ob in dieser Organisationsform überhaupt tatsächliche Besonderheiten bestehen, die eine spezielle Behandlung im Arbeitsrecht erforderlich machen,47 kann für das Vorliegen bestimmter Charakteristika von Familienunternehmen auf bestehende empirische Untersuchungen und Sichtweisen der Sozialwissenschaften zurückgegriffen werden. Für die Bewertung, ob diese auch (arbeits-)rechtlich relevant sind, ist hingegen alleine die rechtswissenschaftliche Methodik maßgebend. Ein solcher Rückgriff auf andere wissenschaftliche Gebiete ermöglicht erst die konkrete rechtswissenschaftliche Arbeit. Anderseits wird die Forschung zu Familienunternehmen dadurch erschwert, dass bis dato kein einheitlicher disziplinübergreifender Familienunternehmensbegriff existiert.48 Dies ist auch den unterschiedlichen Methoden und Sichtweisen der Wissenschaftler aus den einzelnen Fachrichtungen geschuldet, denn (Fach-)Begriffe sind häufig „Kerne von wissenschaftlichen Theorien“49. Ein erster großer Schwerpunkt der Arbeit muss es daher sein, im Anschluss an die fachgeprägten Begriffe, den der Forschungsarbeit zugrunde liegenden Familienunternehmensbegriff näher zu konturieren, um terminologische Unklarheiten zu beseitigen und die Anschlussfähigkeit der Forschungsergebnisse gewährleisten einer Reihe anderer hochentwickelter Spezialwissenschaften, wie etwa Soziologie, Politologie und Wirtschaftswissenschaften, zu erwarten.“ Vielleicht litt aus diesem Grund die frühe Familienunternehmensforschung an einer einseitigen Sichtweise – aus der Perspektive der originären Disziplin des jeweils forschenden Wissenschaftlers, vgl. Heck/Hoy/ Poutziouris/Steier, JSBM 2008, 317 (318). – Zur weiterführenden Kritik an einem inte­ grativen Forschungsansatz siehe Taekema/van Klink, in: van Klink/Taekema (Hrsg.), Law and method, S. 7 (13, 30). 47 Diese Frage allgemein für eine rechtswissenschaftliche Untersuchung zu Familienunternehmen als relevant haltend Fallone, in: Stewart/Lumpkin/Katz (Hrsg.), Entrepreneurship and family business, S. 315 (315 f.), allerdings für das angloamerikanische Rechtssystem. 48  Astrachan/Klein/Smyrnios, FBR 2002, 45; Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837 (839); Bergfeld/Weber/Kraus, ZfKE 2009, 1 (5); Eckardt/Meinzer/Tallig, Familienunternehmen im norddeutschen Raum, S. 6; Felden/Hack, Management von Familienunternehmen, S. 10; Fleschutz, Die Stiftung als Nachfolgeinstrument für Familienunternehmen, S. 42; Hack, ZfB-Special Issue 2/2009, 1 (5); Harms, IJFS 2014, 280 (281); Hiebl, WiSt 2012, 184; Hilger, in: Hilger/Soénius (Hrsg.), Familienunternehmen im Rheinland, S. 9; Howorth/Rose/Hamilton/Westhead, ISBJ 2010, 437 (438); Kansikas, Working papers on family business research, S. 7; Kraus/Harms, in: Dana (Hrsg.), World of encyclopedia of entrepreneurship, S. 178 (179); Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 8; Plate/Groth/Ackermann/v. Schlippe (Hrsg.), Große deutsche Familienunternehmen, S. 9; Poutziouris/Smyrnios/Klein, in: Poutziouris/Smyrnios/Klein (Hrsg.), Handbook of research on family business, S. 1; Sharma, FBR 2004, 1 (3); Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2443). 49  Bergmann/Jahn/Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 53.

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

zu können50. Dabei müssen vor dem Hintergrund einer (arbeits-)rechtswissenschaftlichen Begriffsbestimmung die konzeptionellen Unterschiede der Rechtsordnungen beachtet werden. Das hat im Hinblick auf die Vielzahl der angloamerikanischen Publikationen besondere Bedeutung. Es könnten an dieser Stelle zahlreiche weitere Herausforderungen der Familienunternehmensforschung angeführt werden. Der vorstehende Überblick erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollte lediglich offenlegen, welche Hürden die Familienunternehmensforschung unter besonderem Bezug auf die vorliegende Arbeit zu nehmen hat. Fakt ist, dass nach rund vierzig Jahren intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung noch immer große Forschungslücken existieren, auch aus den eben genannten Gründen. Im Hinblick auf das Arbeitsrecht wird im Folgenden versucht, diese zu schließen.

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht Angesichts der Häufigkeit von Familienunternehmen und der breiten Resonanz in den unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten verwundert es, dass diese Organisationsform in der Arbeitsrechtswissenschaft kaum Berücksichtigung findet. Es erscheint fragwürdig, den Forschungsbereich Arbeitsrecht in Familienunternehmen weiterhin zu vernachlässigen. Im Folgenden soll daher eine Verbindung zwischen dem Arbeitsrecht und den Familienunternehmen hergestellt und diese näher in den Blick genommen werden. Dabei wird zunächst die große arbeitsrechtliche Relevanz der Familienunternehmen in Deutschland aufgezeigt, um sich anschließend der Problematik eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen zu widmen.

A.  Arbeitsrechtliche Relevanz von Familienunternehmen Familienunternehmen besitzen als Arbeitgeber eine zentrale Rolle für die Beschäftigung von Arbeitnehmern in Deutschland und der Europäischen Union. Nach einer Studie im Auftrag der Europäischen Kommission sind in Deutschland über die Hälfte aller Arbeitnehmer in Familienunternehmen beschäftigt, das entspricht rund 13,4 Millionen Beschäftigten.51 Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass Familienunternehmen auch in der Europäischen Union, mit Ausnahme von Frankreich und den Niederlanden, beschäftigungsintensiver sind als

50 Vgl. Bergmann/Jahn/Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 56. 51  IfM, Overview of family business relevant issues. Country fiche Germany, S. 3.

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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andere Unternehmensformen.52 Das liegt vor allem daran, dass Familienunternehmen grundsätzlich in traditionellen Sektoren vorherrschend sind, in denen der Mensch noch nicht in dem Maße durch moderne Technologien verdrängt bzw. ersetzt wurde, wie in anderen Bereichen.53 Familienunternehmen gelten zudem als besonders innovativ in der Schaffung neuer und als Garant für die Erhaltung alter Arbeitsplätze.54 Insofern ist die arbeitsrechtliche Relevanz von Familienunternehmen nicht hoch genug einzuschätzen. Wer sich mit dem Thema Arbeitsrecht in Familienunternehmen beschäftigt, betrachtet jedenfalls rechtstatsächlich die Mehrheit der Unternehmen und eine nicht unerhebliche Anzahl von Arbeitnehmern. Ein Sonderarbeitsrecht für diese Organisationsform hätte Breitenwirkung. Besonders wegen des hohen Beschäftigungsbedarfes in Familienunternehmen wird es in der Regel mehr zu besetzende Stellen, als Familienmitglieder geben. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer in Familienunternehmen sind daher keine Mitglieder der Unternehmerfamilie; Schätzungen gehen sogar von einem Anteil der Nichtfamilienmitglieder von über 80 Prozent aller Beschäftigten aus.55 Daraus wird deutlich, dass es bei dem Thema „Arbeitsrecht in Familienunternehmen“ und der diesem untergeordneten Frage nach der Legitimität und den Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen nicht um das Problem der Arbeitsverhältnisse zwischen Familienangehörigen und den damit verbundenen arbeitsrechtlichen Besonderheiten geht.56 Was stattdessen Kernthematik der vorliegenden Arbeit ist, soll der folgende Problemaufriss näher beleuchten.

52  IFERA, FBR 2003, 235 (236); MTI, Family entrepreneurship, S. 25. Nach einer empirischen Erhebung von Scherer/Blanc/Kormann/Groth/Wimmer, Familienunternehmen, Kap. 1 Rn. 30 stieg die Gesamtzahl der Beschäftigten in reinen Familienunternehmen in den Jahren 1991 bis 2006 um über 50 Prozent, während im gleichen Zeitraum bei Börsengesellschaften kein nennenswerter Zuwachs zu verzeichnen war. 53 Vgl. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 50. 54 Vgl. Haunschild/Wallau/Hauser/Wolter, Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, S. IX. 55 Vgl. Carmon/Miller/Raile/Roers, JFBS 2010, 210, deren Schätzung auf einer Studie über amerikanische Familienunternehmen der Mass Mutual Financial Group, American Family Business Survey, 2007 beruht, sowie Mitchell/Morse/Sharma, JBV 2003, 533 (534 f.), deren Schätzung sich auf eine Studie über kanadische Familienunternehmen von Deloitte & Touch, Are Canadian family businesses an endangered species?, S. 1 ff., stützt. Für Deutschland liegen – soweit ersichtlich – keine Daten vor. 56  Diese Thematik war bereits Gegenstand zahlreicher juristischer Abhandlungen, vgl. nur Böhme, Arbeitsverhältnisse zwischen Familienangehörigen, 1968; Fenn, Die Mitarbeit in den Diensten Familienangehöriger, 1970.

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

B.  Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen – ein Problemaufriss Der Begriff des Familienunternehmens ist dem deutschen kodifizierten Arbeitsrecht fremd.57 So verwundert es kaum, dass diese Organisationsform in der deutschen Arbeitsrechtswissenschaft weitestgehend unbeachtet bleibt. Abgesehen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG58 und § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG59, die den Begriff der „Familiengesellschaft“ bzw. des „Familienbetriebes“ verwenden, erwähnen arbeitsrechtliche Gesetze das „Familienunternehmen“ oder verwandte Begriffe nicht. Ebenso ist umstritten, ob es überhaupt besondere arbeitsrechtliche Regelungen für bestimmte Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen oder – im Hinblick auf Familienunternehmen – für spezielle Organisationsformen geben kann. Die Problematik um solche sog. Sonderarbeitsrechte spiegelt sich in der plakativen Formulierung Reuters „An den Sonderarbeitsrechten scheiden sich die arbeitsrechtlichen Geister“60 gut wider. Dementsprechend problematisch erscheint auch ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen. I.  Das Unternehmen als Zuordnungsobjekt von Rechtssätzen im Arbeitsrecht Ein Grund für die im Arbeitsrecht angebrachte Skepsis gegenüber einem Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen und damit gegenüber einer Differenzierung zwischen Unternehmen verschiedener Organisationsformen ist, dass der Anknüpfungspunkt zahlreicher arbeitsrechtlicher Regelungen und insofern Zuordnungsobjekt von Rechtssätzen im Arbeitsrecht das Unternehmen oder der

57  Auch in sonstigen Normen wird der Familienunternehmensbegriff nicht erwähnt, eine Ausnahme bildet lediglich der „Erlaß des Führers über das Familienunternehmen der Firma Fried. Krupp“ („Lex Krupp“) vom 12. 11. 1943, RGBl. I 1943, S. 655 f. Ebenso werden verwandte Begriffe selten verwendet, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1d GAKG; § 1 Abs. 1 Nr. 2 ASLwApFG sowie die außer Kraft gesetzten §§ 16 Abs. 3 BFG; 46 RepG; 24 Nr. 2, 254 Abs. 1 S. 2 LAG und 26 Nr. 3, 27 Nr. 2 BesatzSchG. 58  Die Unternehmensmitbestimmung ist zwar zwischen dem Arbeits- und dem Gesellschaftsrecht angesiedelt, sodass § 1 DrittelbG auch als gesellschaftsrechtliche Norm angesehen werden kann, allerdings handelt es sich eher um eine solche des Arbeitsrechts, vgl. BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 251 R zur Vorgängernorm § 76 Abs. 6 BetrVG 1952. 59  In § 14 Abs. 3 Nr. 1 JArbSchG a. F. befand sich bis zu dessen Außerkraftsetzung eine weitere Regelung im Jugendarbeitsschutzgesetz, die auf den Begriff des „Familienbetriebs“ zurückgriff. 60  Reuter, in: FS Kissel, S. 941 (964); ähnlich wohl auch Ramm, AuR 1991, 289 (295): „Es läßt sich […] die provozierende Frage stellen, ob es […] nicht sogar verschiedene Arbeitsrechte gibt“.

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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Betrieb ist61. Der Arbeitsrechtsgesetzgeber knüpft an diese organisatorischen Einheiten grundsätzlich dieselben Rechtsfolgen, unabhängig davon, ob sie familiär bzw. sonst personalistisch62 geprägt oder anonym63 sind. Auf die Personen, die hinter diesen Einheiten stehen, ihre persönlichen Verhältnisse und ihre persönliche Beziehung zum Unternehmen, kommt es grundsätzlich nicht an. Vielmehr sind das Unternehmen und die an dieses geknüpften Rechtsfolgen losgelöst von den dahinterstehenden Personen zu beurteilen. An die Charakterisierung eines Unternehmens als Familienunternehmen arbeitsrechtliche Besonderheiten zu knüpfen und damit der familiären Komponente eine (arbeits-)rechtliche Qualität zukommen zu lassen, mutet dementsprechend schon deshalb seltsam an, weil es dadurch die Personen, die in ihrer familiären Verbundenheit hinter dem Unternehmen stehen, entscheidend sein lässt.64 Dem Familienunternehmen im Arbeitsrecht besondere Beachtung zu schenken, steht mithin auf den ersten Blick in einem Widerspruch zu dem bestehenden arbeitsrechtlichen Regelungssystem. II.  Die arbeitsrechtliche Interessenlage im Familienunternehmen als Ausgangspunkt eines Sonderarbeitsrechtes Die historische Entwicklung des modernen Arbeitsrechts scheint zunächst zu bestätigen, dass der Gesetzgeber bei dessen Schaffung einen bestimmten Unternehmenstyp vor Augen hatte, von dem die Familienunternehmen nicht erfasst sein sollten, und an dem die arbeitsrechtlichen Regelungen ansetzen. Das moderne Arbeitsrecht entstand im Wesentlichen als Reaktion auf die sozialen Missstände während der Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts.65 Primäres Ziel war es, den einzelnen Arbeitnehmer als potenziell unterlegene Vertragspartei vor dem übermächtigen Arbeitgeber durch rechtlich verbindliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen und unter Berücksichtigung der konkreten Interessenlage zu schützen.66 Zwar existierte bereits zuvor ein solches Abhängig61 

Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 27; Waas, ZRP 2004, 142. Der Begriff der personalistisch geprägten Unternehmen bezieht sich auf die erwähnten personalistisch strukturierten Gesellschaften, in denen ein begrenzter Gesellschafterkreis und eine beschränkte Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile vorherrschen, sodass das Unternehmen von einigen wenigen Personen geprägt wird. 63  Hierunter fallen besonders Publikumsgesellschaften bzw. Gesellschaften im Streubesitz. 64  In ähnlicher Weise argumentiert das Bundesarbeitsgericht zur Charakterisierung einer Aktiengesellschaft als Familiengesellschaft, siehe BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 251 R. 65 So Seifert, RdA 2004, 200; ähnlich Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 7; Mestitz, NZR 1980, 47; MünchArbR/Richardi, § 2 Rn. 5; a. A. Mayer-Maly, Ausgewählte Schriften zum Arbeitsrecht, S. 61. 66 ArbR-BGB/Schliemann, § 611 Rn. 17. 62 

Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

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keitsverhältnis, allerdings stand durch das verbreitete Aufkommen von großen Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung auf Arbeitgeberseite nunmehr nicht eine natürliche Person oder Personengesamtheit, sondern eine abstrakte juristische Person.67 Dadurch wurden die Arbeitgeberfunktionen nicht mehr unmittelbar durch die Arbeitsvertragspartei selbst wahrgenommen, sondern durch die Betriebsleitung.68 Das bestehende Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers war mithin nicht mehr durch eine persönliche Beziehung zum Arbeitgeber abgemildert.69 Die großen Gesellschaften wiesen ferner grundsätzlich keine familiären Strukturen auf, da sich solche nur schwer mit dem Unternehmen des modernen Industriekapitalismus vereinbaren ließen.70 Zum einen forderte die Größe der Gesellschaften mehr Investitionen und Finanzmittel, welche oftmals nur durch die Beteiligung von familienfremden Kapitalgebern an dem Unternehmen erzielt werden konnten.71 Zum anderen war kein Familienverband groß genug, um ausreichend ausgebildetes Personal für die Leitung einer Gesellschaft solchen Umfanges zu stellen.72 Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund hatte der damalige Arbeitsrechtsgesetzgeber hauptsächlich das anonyme Großunternehmen73 als Normalunternehmen74 im Blick, wenn auch die Intention bestand, grundsätzlich alle Unternehmen bzw. Arbeitgeber ohne Rücksicht auf deren Organisationsform zu erfassen75. Regelungen, deren Bezugspunkt das Unternehmen ist, waren mithin

67 

Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 36. Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 36; MünchArbR/ Richardi, § 2 Rn. 7 69 MünchArbR/Richardi, § 2 Rn. 7; sich dem anschließend Seelig, Arbeitsrecht als volkswirtschaftliches und sozialpolitisches Gestaltungsinstrument, S. 60; ähnlich Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 36. 70 Vgl. Kocka, ZUG 1979, 99 ff.; Sachse, ZUG 1991, 9 (11). Die Bedeutung der Familienunternehmen ging daher im Zuge der Industrialisierung sukzessive zurück. 71 Vgl. Colli, The history of family business, S. 7, speziell für die Industriegesellschaften der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Situation ist aber grundsätzlich mit derjenigen in Deutschland vergleichbar. 72  Chandler, in: Chandler/Daems (Hrsg.), Managerial hierarchies, S. 9 (13); ähnlich Bell, The end of ideology, S. 41. 73 Ähnlich Nagel, in: Nutzinger (Hrsg.), Die Entstehung des Arbeitsrechts in Deutschland, S. 183 (189); Ramm, ZfA 1978, 361 (365); Reichold, NZA 1999, 561 (564); Seifert, RdA 2004, 200; Fischer, Die Stiftung 2014, 27 (33). 74 Vgl. Nagel, in: Nutzinger (Hrsg.), Die Entstehung des Arbeitsrechts in Deutschland, S. 183 (189) für das Mitbestimmungsrecht; ähnlich Seifert, RdA 2004, 200, der zwar nicht vom „Normalunternehmen“ spricht, allerdings einen „primäre[n] Bezugspunkt“ des Arbeitsrechts ausmacht und Reichold, NZA 1999, 561, der ein „Leitbild“ der Betriebsverfassung kennzeichnet. Neuerdings auch Fischer, Die Stiftung 2014, 27 (33). 75 Vgl. Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 54. 68 Vgl.

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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speziell auf diesen Unternehmenstypus zugeschnitten.76 Dafür spricht auch, dass die staatliche Intervention zunächst nur punktuell auf die Bereiche beschränkt war, in denen sich die Industrialisierungsfolgen vordringlich offenbarten.77 Das Normalunternehmen dient in räumlich-gegenständlicher Hinsicht als normatives Leitbild78 des Arbeitsrechts auf das der Rechtsstoff hin projiziert wird,79 vergleichbar mit dem Normalarbeitsverhältnis in sachlicher Hinsicht80. Dies belegt auch ein Umkehrschluss aus den seit jeher81 bestehenden zahlreichen Sonderregelungen für kleine und mittlere Unternehmen,82 die eine Ausnahme zu dem Grundsatz des Großunternehmens als Normalunternehmen statuieren. Ferner 76 

So wohl auch Seifert, RdA 2004, 200. Simitis, in: Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, S. 73 (88). 78 Siehe zu normativen Typen als Bezugspunkte von gesetzlichen Wertungen ins­ truktiv Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 80 – 88, der diese begrifflich nicht von den Leitbildern unterscheidet; allgemein zu Leitbildern als Erkenntnismittel im Recht Braun, Leitbilder im Recht, 2015; Baer, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 223 (232 ff.), die begrifflich zwischen Leitbildern und Typen differenzieren. 79 Vgl. Volkmann in: Britz/Volkmann, Tarifautonomie in Deutschland und Europa, S. 14. Teilweise wird der Ort der Arbeitsleistung in den Begriff des Normalarbeitsverhältnisses mit einbezogen. Nach Mückenberger, GMH 1989, 211 sei das Normalarbeitsverhältnis ein „dauerhaftes kontinuierliches qualifiziertes Vollzeitarbeitsverhältnis im größeren Betrieb“ [Hervorhebung nicht im Original]; ähnlich Däubler, AuR 1988, 302 (303), nach dem der Betrieb eine bestimmte Mindestgröße aufweisen müsse. Richtigerweise kann das Normalarbeitsverhältnis dagegen nur den Leistungsort erfassen, mithin den geografischen Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Leistungshandlung zu erbringen hat. Nicht erfasst wird der räumlich-gegenständliche Bereich, einschließlich der Art und Beschaffenheit des Unternehmens. 80  Mückenberger, GMH 1989, 211; Schulze Buschoff, Vom Normalarbeitsverhältnis zur Flexibilisierung, S. 2; Däubler, AuR 1988, 302; siehe auch Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 14 f. m. w. N. Freilich unterscheiden sich das Leitbild des Normalarbeitsverhältnisses und das des Normalunternehmens dahin gehend, dass ersteres als gesetzgeberisch erstrebens- und erhaltenswertes Ideal fungiert, während letzterem in Bezug auf die dort vorzufindenden und regulierungsbedürftigen Arbeitsbedingungen eine eher negative Bedeutung zukommt. 81  Bereits mit § 134a der Reichsgewerbeordnung vom 1. 6. 1891 gab es erstmals eine arbeitsrechtliche Regelung speziell für Unternehmen einer gewissen Größe, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem die Industrialisierung noch voranschritt, siehe RGBl. I 1891, S. 261 (278 f.). 82  Fischer, Die Stiftung 2014, 27 (34). Eine abschließende Aufzählung dieser Normen ist hier nicht möglich. Deren Kennzeichen sind die zahlreichen Schwellenwerte, welche sich durch eine Vielzahl von Gesetzen ziehen. Eine ausführliche Übersicht zu den Schwellenwerten im Arbeitsrecht findet sich bei Junker/Dietrich, NZA 2003, 1057 (1062 ff.). Zu beachten ist, dass nicht alle Schwellenwerte an das Unternehmen, sondern auch an den Betrieb bzw. Arbeitgeber anknüpfen, vgl. Seifert, RdA 2004, 200 (204) mit Beispielen in Fn.  41 – 43. 77 

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

dokumentiert dies scheinbar die Tatsache, dass – soweit ersichtlich – bis zur Normierung der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG83 und 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG84 keine Regelungen existierten, welche den hinter dem Unternehmen stehenden Personen, allen voran einer Familie, rechtliche Bedeutung zumaßen. Die Familienunternehmen konnte der Arbeitsrechtsgesetzgeber auch nicht im Blick haben und von dem Normalunternehmen differenzieren. Selbst wenn das moderne Arbeitsrecht als Reaktion auf die sozialen Missstände in der Industrialisierung angesehen und damit dessen Beginn relativ spät am Ende des 19. Jahrhunderts angesetzt wird,85 gab es eine begriffliche Unterscheidung zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen erst in den dreißiger bzw. vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts,86 also weit nachdem die ersten (modernen) arbeitsrechtlichen Regelungen kodifiziert wurden. Ab diesem Zeitpunkt offenbarte sich der Gegensatz zwischen beiden Organisationsformen durch das Aufkommen von Publikumsgesellschaften im Streubesitz verstärkt,87 sodass nun eine Differenzierung für notwendig erachtet wurde. Entsprechend kann bei Rechtssätzen, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind und an das Unternehmen anknüpfen, ohne Rücksicht darauf, ob dieses familiär bzw. sonst personalistisch geprägt ist, ein Wille des Gesetzgebers gegen eine Differenzierung zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen im Arbeitsrecht nicht angeführt werden. Gegenteiliges lässt sich auch nicht aus der Tatsache schließen, dass der Gesetzgeber seit diesem Zeitpunkt keine, das gesamte Arbeitsrecht umspannenden weiteren Regelungen zu Familienunternehmen oder verwandten Begriffen getroffen hat. Denn das Arbeitsrecht in Familienunternehmen ist ein weitgehend unbekanntes und unerforschtes Gebiet.88 Zudem können im Arbeitsrecht aus dem Fehlen legislativen Handelns nur in geringem Maße Rückschlüsse gezogen werden, da es sich um 83 § 1 DrittelbG einschließlich der Verwendung des Begriffs der „Familiengesellschaft“ geht zurück auf § 76 BetrVG 1952. 84  Der Begriff des „Familienbetriebes“ wurde 1997 in § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG durch die Richtlinie 94/33/EG des Rates vom 22. Juni 1994 über den Jugendarbeitsschutz eingefügt. 85 So Seifert, RdA 2004, 200; ähnlich Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 7; Mestitz, NZR 1980, 47; MünchArbR/Richardi, § 2 Rn. 5; a. A. Mayer-Maly, Ausgewählte Schriften zum Arbeitsrecht, S. 61. Zur Diskussion um den Beginn des Arbeitsrechts siehe auch Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis, S. 27 ff. m. w. N. 86  Felden/Pfannenschwarz, Unternehmensnachfolge, S. 2; Felden/Zumholz, Managementlehre für Familienunternehmen, S. 6 f.; Felden, BBL 2011, 521; Felden/Hack, Management von Familienunternehmen, S. 8; wohl auch Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 28 ff.; v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 1. 87  In diesem Sinne wohl Colli, The history of family business, S. 7. 88  Ähnliche Argumentation Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 118 für das Konzernarbeitsrecht.

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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eine durch gesetzgeberische Zurückhaltung geprägte Disziplin handelt.89 Damit ist die Nichtberücksichtigung von Familienunternehmen in den meisten arbeitsrechtlichen Gesetzen grundsätzlich nicht als ein sog. beredtes bzw. qualifiziertes Schweigen anzusehen. Diese Feststellung macht jedoch eine genaue Prüfung der jeweiligen Einzelnorm nicht entbehrlich.90 Im Regelfall wird es gleichwohl an einer gesetzgeberischen Interessenbewertung im Hinblick auf ein (spezielles) Arbeitsrecht in Familienunternehmen mangeln. Auf die vom normalen Arbeitsrecht abweichende, besondere Interessenlage im Familienunternehmen und deren gesetzgeberische Bewertung kommt es allerdings bei der Frage nach einem Sonderarbeitsrecht entscheidend an.91 Das Arbeitsrecht dient, wie andere Rechtsgebiete auch, dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen, in der Regel der des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers.92 In jeder Norm und jedem Normenkomplex kommt folglich eine gesetzgeberische Wertung dieser Interessen zum Ausdruck. Soll mithin von bestimmten Regelungen abgewichen werden, macht dies das Vorliegen einer divergierenden Interessenbewertung notwendig. Dabei dient der gesetzgeberische Normalfall als Orientierung und Vergleichsmaßstab für die Bewertung der jeweiligen Abweichung.93 Ähnlich wie sich in sachlicher Hinsicht alle Abweichungen bezüglich ihrer Bewertung am Normalarbeitsverhältnis orientieren müssen,94 ist dies in räumlich-gegenständlicher Hinsicht das Normalunternehmen. Auch hinter den Sonderregelungen für kleine und Tendenzunternehmen stand letztendlich der Gedanke, dass über das typische soziale Spannungsverhältnis im Normalunternehmen hinaus besondere Interessen zu berücksichtigen sind. Typischerweise ist lediglich das Interesse des Arbeitgebers an der Rentabilität des Unternehmens mit dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes zum Ausgleich zu bringen.95 Bei

89 

Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 118 für das Konzernarbeitsrecht. gesetzgeberische Interessenbewertung muss am Wortlaut der konkreten Norm und ihrer systematischen Stellung im Gesetz ermittelt werden, vgl. Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 559. 91 Ähnlich Reuter, in: FS Kissel 1994, S. 941 für das Sonderarbeitsrecht im Presseunternehmen. 92  Zöllner, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des zweiundfünfzigsten Deutschen Juristentages, S. M 223; sich diesem anschließend Junker, Arbeitsrecht zwischen Markt und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, S. B 33. Allgemein zu den Interessen als Grundlage aller Rechtsnormen Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten, S. 23 ff. 93 Vgl. Wank, RdA 2010, 193 (194) in Bezug auf das Normalarbeitsverhältnis. Zur Schwierigkeit der Bestimmung des Normalfalls, um diesen mit den Besonderheiten in Konzernunternehmen zu vergleichen, siehe Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 45 f. 94 Vgl. Wank, RdA 2010, 193 (194). 95 Vgl. Reuter, in: FS Kissel, S. 941; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 178. 90  Die

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

den Tendenzunternehmen96, also solchen Arbeitgebern, die unmittelbar einem, über die Art. 2, 9, 12 und 14 GG hinausgehenden, grundrechtlich geschützten Zweck dienen, sind zusätzlich die spezifischen Interessen an der Ausübung dieser tendenzbezogenen Tätigkeit zu berücksichtigen.97 Bei den Kleinunternehmen ist hingegen die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte, besondere Interessenlage des Arbeitgebers zu beachten, welche aus der persönlichen Zusammenarbeit, der geringeren Finanzausstattung und der begrenzten Verwaltungskapazität des Unternehmens resultiert.98 Der Arbeitsrechtsgesetzgeber hat mit der Berücksichtigung dieser vom Normalunternehmen divergierenden Interessenlage in Form von speziellen Regelungen99 anerkannt, dass nicht alle Unternehmen – entgegen seiner ursprünglichen Intention – gleichbehandelt werden können und Sonderregelungen zum Zwecke sachgerechter Rechtsanwendung vorgenommen werden müssen.100 Zugleich hat er damit richtungsweisend klargestellt, dass es Sonderarbeitsrechte für spezielle Organisationsformen geben kann. Aus diesem Grund gilt die eingangs erwähnte Kritik der Arbeitsrechtswissenschaft an den Sonderarbeitsrechten überwiegend nur denjenigen, die über bereits bestehende gesetzliche oder richterrechtlich anerkannte Sonderregelungen hinausgehen.101 Speziell das Sonderarbeitsrecht der Tendenzorganisationen ist heute allgemein anerkannt.102

96  Hierzu zählen beispielsweise Unternehmen, die sich auf die Rundfunk- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) oder die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) berufen können, wie Rundfunksender, Verlage, Theater, Universitäten u. v. a. 97  Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 182; sehr anschaulich zur Interessenabwägung bei den Rundfunkanstalten ders., RdA 1982, 363 (369 f.). 98  BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1998 – 1 BvL 15/87, AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969, Bl. 1175; BAG, Urt. v. 28. 10. 2010 – 2 AZR 392/08, ZIP 2011, 241 (243). Beide Entscheidungen betreffen zwar nur den Kleinbetrieb und nicht das Kleinunternehmen, allerdings handelt es sich bei diesen, soweit es um die Arbeitsorganisation geht, nicht um verschiedene organisatorische Einheiten. Sie sind vielmehr identisch, wenn das Unternehmen keine dezentralisierte Organisation hat, vgl. MünchArbR/Richardi, § 22 Rn. 11. Erfasst wird daher von beiden Entscheidungen auch das Kleinunternehmen, wenn dieses mit dem Kleinbetrieb identisch ist. 99  Für die Kleinunternehmen sei noch einmal auf die Schwellenwertregelungen verwiesen, die an das Unternehmen anknüpfen. Für die Tendenzunternehmen gibt es Sonderregelungen in § 118 Abs. 1 BetrVG, § 1 Abs. 4 S. 1 MitbestG und § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 DrittelbG. 100  So auch Fischer, Die Stiftung 2014, 27 (34). 101  In dem Sinne Däubler, Das Arbeitsrecht, Rn. 1697: „Alles, was darüber hinausgeht, was sich nicht mit der wirtschaftlichen Situation der Branche und der Art der Arbeit erklären lässt, verdient allerdings Skepsis: Solche Differenzierungen bedürfen der besonderen Rechtfertigung“ [Hervorhebung im Original]. 102  Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 182; MünchArbR-II/Rüthers, § 201 Rn. 12; ders., DB 1982, 1869 (1873); vgl. auch MünchArbR/Richardi, § 21 Rn. 9.

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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Eine genauere Betrachtung des Differenzierungsgrundes zwischen den einzelnen Unternehmensformen zeigt, dass maßgeblich der veränderten Interessenlage auf Arbeitgeberseite Rechnung getragen wird. Hinter der Unterscheidung zwischen den Organisationsformen verbirgt sich damit eine solche nach verschiedenen Arbeitgebertypen.103 Schon für den Begriff des Unternehmens ist bedeutend, wer als Arbeitgeber bzw. Unternehmer auftritt.104 Denn das Unternehmen ist die Organisations- und Wirkungseinheit des Unternehmers, durch die eine unternehmerische Zweckbestimmung verwirklicht wird.105 Gehören zu der Arbeitsorganisation des Unternehmens auch Arbeitnehmer, ist der Unternehmerbegriff mit demjenigen des Arbeitgebers deckungsgleich.106 Für den Unternehmensbegriff ist somit die Identität des Arbeitgebers und mithin des Unternehmensträgers konstitutiv.107 Seine unternehmerische Zwecksetzung bzw. seine Planungen und Entscheidungen bestimmen das Unternehmen. Die organisatorische Einheit ist lediglich „Hilfsmittel“ zur Erfüllung dieser Zwecke.108 Dient die vom Unternehmensträger angestrebte Zielsetzung beispielsweise wissenschaftlichen und damit geistig-ideellen Zwecken, sind die speziellen Interessen an der nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Tendenz mit zu berücksichtigen und es greifen die besonderen Regelungen109 für diesen Bereich ein.110 Ähnlich verhält es sich, wenn der Arbeitgeber beschließt, nur wenige Arbeitnehmer zu beschäftigen und die orga-

103  Konkret für die Unterscheidung zwischen Klein-, Mittel- und Großunternehmen: Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 55 f.; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 179; ähnlich MünchArbR/Richardi, § 22 Rn. 63; Loritz, in: FS Adomeit, S. 415 (418). 104 MünchArbR/Richardi, § 22 Rn. 20. 105  Grobys, NJW-Spezial 2006, 129; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 240; Staudinger/Richardi/Fischinger, § 611 Rn. 264; MünchArbR/Richardi, § 22 Rn. 20. 106 MünchArbR/Richardi, § 21 Rn. 4 f. 107 Speziell für den Unternehmensbegriff in der Betriebsverfassung: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 1 Rn. 53. Ähnlich Rittner, Unternehmerfreiheit und Unternehmensrecht, S. 171: „In der Tat läßt sich das Unternehmen allein von seinem Träger, dem Unternehmer her begreifen. Der Unternehmensträger ist das Subjekt, die maßgebliche Willenseinheit, deren permanente Aktivität erst das Unternehmen ermöglicht“ [Hervorhebung im Original]. 108  Peifer, Individualität im Zivilrecht, S. 464, 493. 109 Für Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen bestehen Sonderregelungen für die Zulässigkeit einer Befristung im Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz). Ferner existieren mit § 118 BetrVG und § 1 Abs. 4 MitbestG Sonderregelungen für Tendenzunternehmen und Religionsgemeinschaften in der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung. 110  Siehe auch BAG, Beschl. v. 27. 8. 1968 – 1 ABR 4/67, AP Nr. 11 zu § 81 BetrVG, Bl. 203 R.

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

nisatorische Einheit generell auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen; dann finden grundsätzlich die Sonderregelungen für Kleinunternehmen Anwendung. Fraglich ist nun, ob auch in Familienunternehmen bestimmte Zwecke, Planungen oder Entscheidungen verfolgt werden, mit denen eine unterschiedliche Bewertung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen einhergeht. Zu beachten ist dabei, dass nach deutschem Recht Unternehmensträger und damit Arbeitgeber grundsätzlich nur der Einzelunternehmer, die Personen- (GbR, OHG, KG) und Kapitalgesellschaften (AG, KGaA, GmbH) sowie die Genossenschaften sein können.111 Wird zudem der Auffassung gefolgt, dass das Gewerbe eines Einzelunternehmers (Einzelkaufmann und sonstige Gewerbetreibende, die mangels Handelsgewerbe bzw. Eintragung keine Kaufleute sind) kein Familienunternehmen sein kann,112 bleibt als Person, auf die für die Zweckverfolgung abgestellt wird, nur die rechtsfähige Gesellschaft113. Diese soll als überindividuelle Wirkungseinheit und kraft ihrer verliehenen Rechtsfähigkeit einen eigenen Zweck verwirklichen, der sich von den individuellen Zwecken der Gesellschafter unterscheidet.114 Die Ziel- und Zwecksetzung der rechtsfähigen Gesellschaft, ihre Entscheidungen und Planungen sind damit nicht notwendig identisch mit denjenigen der Familie bzw. ihrer einzelnen Mitglieder, welche hinter dem Unternehmen stehen, sei es durch das Innehaben der Gesellschafterstellung oder durch die Mitwirkung in dessen Organen. Allerdings ist die rechtsfähige Gesellschaft als rein juristisches Konstrukt sowohl von ihren Organen und rechtsgeschäftlichen Vertretern als auch von ihren Gesellschaftern, die nicht in solchen tätig sind, abhängig.115 Sie prägen das Unternehmen durch ihre angestrebte Zweckverwirklichung, ihre Pläne und Entscheidungen.116 Nicht selten dient der „Mantel“ der rechtsfähigen Gesellschaft nur als „Haftungsabschirmung“ für die hinter dem Unternehmen stehenden natürlichen Personen.117 So ist es möglich, dass auch eine Familie und deren Mitglieder 111 Siehe ausführlich Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, S. 230 ff.; Schmidt, Handelsrecht, § 4 Rn. 1 – 33. 112  MTI, Family entrepreneurship, S. 37. Die bereits erwähnte Studie im Auftrag der Europäischen Kommission ergab, dass jedenfalls in mehr als der Hälfte aller untersuchten Länder eine ähnliche Auffassung herrscht und diese Aktivitäten aus dem Familienunternehmensbegriff ausgeschlossen sind, vgl. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 36 f. 113  Der Begriff erfasst sowohl die juristischen Personen und Gesamthandsgesellschaften als auch die rechtsfähigen Personengesellschaften. 114  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 6 m. w. N. 115  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 12. 116 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 12. 117  Seer, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 97 (111) speziell für die Kapitalgesellschaft. Daneben ist als nicht weniger bedeutender Aspekt die Möglichkeit der Kapitalbeschaffung zu nennen, so auch Sachse, ZUG 1991, 9 (17 f.).

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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durch ihr persönliches unternehmerisches Engagement auf die Gesellschaft und damit das Unternehmen beherrschenden Einfluss ausüben bzw. diesem sein Gepräge geben können. Aber nicht nur tatsächlich, sondern auch (arbeits-)rechtlich ist die rechtsfähige Gesellschaft als Arbeitgeber von den hinter ihr stehenden natürlichen Personen, speziell der Familie, abhängig.118 Beispielsweise gelten nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG der Ehegatte, der Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte ersten Grades, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Arbeitgeber leben, nicht als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes. Insofern wird im Tatbestand auf personale Umstände abgestellt,119 die nur natürliche Personen, nicht aber rechtsfähige Gesellschaften erfüllen können. Soll die Rechtsfolge auch letztere in ihrer Funktion als Arbeitgeber erfassen, um der grundsätzlichen Gleichbehandlung aller Arbeitgeber im Arbeitsrecht120 zu genügen, müssen der rechtsfähigen Gesellschaft die Eigenschaften der hinter ihr stehenden natürlichen Personen zugerechnet werden.121 So reicht es für die Anwendung der Norm aus, wenn etwa das Verwandtschaftsverhältnis zu einem Mitglied des Vertretungsorgans der rechtsfähigen Gesellschaft besteht.122 Dass die rechtliche Abhängigkeit der rechtsfähigen Gesellschaft von den hinter ihr stehenden natürlichen Personen kein Einzelfall ist, zeigt sich auch in anderen Rechtsvorschriften (beispielsweise in § 30 Abs. 1 JArbSchG und § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG).123 Zusammenfassend betrachtet ist die rechtsfähige Gesellschaft als Unternehmensträger bzw. Arbeitgeber damit nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich von den natürlichen Personen, die hinter dem Unternehmen stehen, abhängig. Daher können sich sehr wohl die Entscheidungen, Planungen und Interessen der hinter dem Unternehmen stehenden Familie bzw. ihrer einzelnen Mitglieder auf die Interessenlage der rechtsfähigen Gesellschaft als Arbeitgeber und gegebenenfalls auch der darin beschäftigten Arbeitnehmer auswirken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die einzelnen Interessen, insbesondere diejenigen der Gesellschafter, durch die Or118  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 12 f., ohne speziellen Bezug zum Arbeitsrecht und der Familie. 119  Konkret beruht diese Regelung auf den bei Familienangehörigen „regelmäßig anzunehmenden nahen persönlichen Beziehungen zum Arbeitgeber“, so die Gesetzesbegründung zur Vorgängerreglung § 4 Abs. 2d) BetrVG 1952, BT-Drucks. 1/1546, S. 38; BR-Drucks. 697/50, S. 2. 120  Vgl. hierzu Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 50. 121  Allgemein hierzu Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 13. 122  Überwiegende Auffassung, vgl. nur ArbG Göttingen, Beschl. v. 7. 3. 2007 – 3 BV 14/06, zitiert nach Juris; ArbG Freiburg (Breisgau), Urt. v. 9. 11. 2004 – 4 Ca 98/04, DZWIR 2005, 143 (144); ErfK/Koch, § 5 BetrVG Rn. 16; GK-BetrVG/Raab, § 5 Rn. 129; Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 5 Rn. 182; kritisch LAG Niedersachsen, Beschl. v. 5. 3. 2009 – 5 TaBVGa 19/09, zitiert nach Juris. 123  Daneben kann für das Sozialversicherungsrecht § 134 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a. F. angeführt werden.

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Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

gane der rechtsfähigen Gesellschaft kanalisiert und zu einem Gesamtinteresse konkretisiert werden.124 Der Einfluss der Individualinteressen kann ferner nach der gewählten Unternehmensform und dem jeweils hierfür einschlägigen (zwingenden) Organisationsrecht variieren.125 Im Vergleich zu den Kapitalgesellschaften ist dieser bei den Personengesellschaften grundsätzlich größer.126 Insgesamt ändert dies jedoch nichts an der getroffenen Feststellung, dass sich der Familien­ einfluss grundsätzlich bei jeder rechtsfähigen Gesellschaft auswirken und mit diesem die Notwendigkeit einer unterschiedlichen Bewertung der Arbeitgeberbzw. Arbeitnehmerinteressen einhergehen kann. Bei einem Familienunternehmen übt die Familie beherrschenden Einfluss auf ein Unternehmen aus. Konkreter betrachtet bedeutet dies – ohne die genaue Begriffsbestimmung vorwegzunehmen – dass die Unternehmerfamilie alle Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung in der rechtsfähigen Gesellschaft als Unternehmensträger127 dauerhaft bestimmen kann, um aus dessen Tätigkeit Nutzen zu ziehen.128 Durch diese beherrschende Prägung setzen sich im Un124 Vgl. hierzu ausführlich Rittner, Unternehmerfreiheit und Unternehmensrecht, S. 140 – 144. – Treffend in diesem Zusammenhang Badura, DÖV 1990, 353 (360): „Die in der juristischen Person mit eigenem Rechtswert und besonderer Wirkung verkörperte privatautonome Gestaltung ist Ausdruck individueller Betätigung und Interessenverwirklichung, zugleich aber eine im Gemeininteresse bestehende Institution entwickelten Rechtsverkehrs“. 125  Seer, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 97 (111). 126  Vgl. hierzu ausführlicher die Abstufung bei Rittner, Unternehmerfreiheit und Unternehmensrecht, S. 140 – 144. Der größte Unterschied besteht danach sinngemäß zwischen der OHG und der Publikums-Aktiengesellschaft mit einem breiten Anlegerkreis (Streubesitz). Bei der Aktiengesellschaft sind idealtypisch die Anteilseigner beliebig austauschbar und dienen nur als Kapitalgeber, vgl. Friedewald, Die personalistische Aktiengesellschaft, S. 3; Seer, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 97 (112). Sachse, ZUG 1991, 9 (18) sieht deshalb in der Umwandlung einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft bereits einen „Schritt in Richtung auf die Herauslösung des Unternehmens aus dem Familienzusammenhang“. 127  Der Begriff des Familienunternehmens ist damit in der Regel lediglich eine Kurzbezeichnung für einen Unternehmensträger, der willensmäßig von einer Familie bzw. deren Mitglieder entscheidend geprägt wird, sofern nicht in einem weiteren Schritt explizit auf die organisatorische Einheit Unternehmen Bezug genommen wird. Zur Verwendung des Unternehmensbegriffs als Abkürzung für den Unternehmensträger, vgl. auch Rittner, Unternehmerfreiheit und Unternehmensrecht, S. 306; Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, S. 48. 128  Die Begriffsbestimmung des „beherrschenden Einflusses“ ist Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung zu den gleichlautenden, jedoch ebenfalls nicht legaldefinierten Gesetzesbegriffen in den §§ 290 HGB, 17 AktG, 2 SEBG sowie 6 EBRG entlehnt. Siehe zu § 290 HGB: BT-Drucks. 16/12407, S. 89; Beck Bil-Komm/Grottel/Kreher, § 290 Rn. 25; MünchKommBilR/Senger/Hoehne, § 290 Rn. 28. Zu den §§ 17 AktG, 2 SEBG und 6 EBRG siehe: ArbG Stuttgart, Beschl. v. 29. 4. 2008 – 12 BV 109/07, zitiert nach Juris,

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ternehmen die „Familieninteressen“129 (Fortführung des Unternehmens als Familienunternehmen, Wahrung der spezifischen Familienkultur, Erhaltung und Fortentwicklung des Familienvermögens, nachhaltige Förderung und Unterstützung von Familienangehörigen, etc.) grundsätzlich durch.130 Damit kann es im Arbeitsrecht zu einem über das typische soziale Spannungsverhältnis im Normalunternehmen hinausgehenden Interessengegensatz besonderer Art kommen. Es ist nicht nur das Interesse des Arbeitgebers an der Rentabilität des Unternehmens mit dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes zum Ausgleich zu bringen, sondern daneben sind auf Arbeitgeberseite die spezifischen „Familieninteressen“ zu berücksichtigen131. Ob damit letztendlich eine unterschiedliche Bewertung der Rechtslage einhergeht, kann an dieser Stelle noch nicht abschließend geklärt werden. Dies festzustellen, wird Kern der vorliegenden Arbeit sein und hängt in erster Linie von der konkreten Ausgestaltung der Interessen der Unternehmerfamilie im Einzelfall ab. Die besondere Interessenlage, welche durch die spezifischen „Familieninteressen“ des Arbeitgebers entsteht, fand allerdings bereits in der Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG seinen Ausdruck.132 Dies kann zumindest als Indiz gewertet werden, dass der familiären Komponente im Unternehmen eine (arbeits-) rechtliche Qualität zukommen kann. Auch Loritz ist der Ansicht, dass speziell bei familiengeführten bzw. familienbeherrschten Unternehmen, in denen das Eigentum an den Geschäftsanteilen und die Arbeitgeberfunktionen in der Hand einer Rn. 94; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22. 7. 1993 – 6 U 84/92, AG 1994, 36 (37); MünchGesellR/ Krieger, § 69 Rn. 38 ff. Zu den gesetzlichen Anhaltspunkten zur Konturierung des beherrschenden Einflusses siehe ausführlich Erstes Kapitel § 3 B III. 2. c) aa). 129  Schlömer-Laufen, Die Entstehung von Betriebsräten, S. 4 spricht auch von „familienunternehmensspezifischen Ziele[n]“; Oetker, Stakeholderkonflikte in Familienkonzernen, S. 49 ff. von „familiensysteminduzierte[n] Zielen“. Zur begrifflichen Bestimmung der „Familieninteressen“ kann auf die Literatur und Rechtsprechung zur Familienstiftung zurückgegriffen werden, welche die zumindest überwiegende Widmung im Interesse einer Familie voraussetzt, vgl. Nietzer/Stadie, NJW 2000, 3457 (3458). Vereinzelt finden sich auch empirische Studien zu nicht-finanziellen Zielen und Interessen in Familienunternehmen, siehe Block/Millán/Román/Zhou, ET&P 2015, 183 (186). Zum Begriff der „Familieninteressen“ siehe ausführlich Erstes Kapitel § 3 B III. 2. c) bb) (1) (b). 130  Zur Interessendurchsetzung im Unternehmen aufgrund des „beherrschenden Einflusses“ vgl. auch Beck Bil-Komm/Grottel/Kreher, § 290 Rn. 26. 131  Michalski, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, S. 26 spricht von „der nur bei Familienbetrieben für eine Interessenabwägung zu berücksichtigenden Pflege der Familientradition“. Siehe auch Hennerkes/Hund, in: Goeke (Hrsg.), Praxishandbuch Mittelstandsfinanzierung, S. 255 (256) nach denen „die Interessenlage der Eigentümer im Familienunternehmen […] durch die Langfristigkeit ihres unternehmerischen Tuns, insbesondere durch ihre spezifische ,Familientradition‘ geprägt“ sei; fast mit identischem Wortlaut Hennerkes, Die Familie und ihr Unternehmen, S. 18. 132  So jedenfalls BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 252 zur Vorgängernorm § 76 Abs. 6 BetrVG 1952.

Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

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Familie liegen – also Merkmalen, die Ausdruck des beherrschenden Einflusses im Unternehmen sind – eine andere arbeitsrechtliche Interessenbewertung vorzunehmen ist.133 Darüber hinaus gibt es im Gesellschaftsrecht seit Langem Bestrebungen, sog. personalistisch strukturierte Gesellschaften (typischerweise Familienunternehmen) mit begrenztem Gesellschafterkreis und beschränkter Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile besonders zu behandeln.134 Zwar sind beide Rechtsgebiete grundsätzlich unabhängig voneinander zu beurteilen.135 Allerdings wäre es nicht das erste Mal, dass sich besondere gesellschaftsrechtliche Gestaltungen des Unternehmensträgers auf das Arbeitsrecht auswirken – zu denken ist vornehmlich an das (spezielle) Arbeitsrecht in Konzernunternehmen136. Gerade die wenigen internationalen Publikationen zum Thema Familienunternehmen und Arbeitsrecht untersuchen, welchen Einfluss das Eigentum und/oder die Leitung in der Hand der Familie als begrenztem Gesellschafterkreis, auf die Qualität der Arbeitsbeziehungen im Unternehmen haben.137 Sie stellen damit die besagte Beziehung zwischen Gesellschafts- und Arbeitsrecht her. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint die personalistisch strukturierten Gesellschaften im Arbeitsrecht besonders behandeln zu wollen. Im Mitbestimmungsurteil führt es aus, dass im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG, konkret der „Unternehmerfreiheit“ als Recht zur freien Gründung und Führung von Unternehmen, der „personale Grundzug“ des verfassungsrechtlichen Berufsbegriffs zu beachten sei.138 Dieser ginge in Großunternehmen im Vergleich zu kleinen und mittleren Betrieben fast vollständig verloren, sodass hier der Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers tendenziell weiter sei.139 Zwar nimmt das Gericht insofern eine quantitative Unterscheidung der Unternehmen vor. Allerdings nennt es als Ausnahme den „maßgebenden Anteilseigner […], vor allem wenn dieser […] zugleich 133 Vgl.

Loritz, in: FS Adomeit, S. 415 (422 f.). Friedewald, Die personalistische Aktiengesellschaft, 1991; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Barbasch, Ausgewählte Probleme der „großen Familienkommanditgesellschaft“, S. 307 ff.; Holler, BB 2012, 719 ff.; MünchGesellR/Holler, § 75 Rn. 21 f.; Otte, Personalistische Aktiengesellschaft, 2004; Ulmer, ZIP 2010, 549 ff.; siehe auch die Vorschläge der Unternehmensrechtskommission: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Bericht der Unternehmensrechtskommission, Rn. 985 ff. 135 Siehe zum Verhältnis Arbeits-, Konzerngesellschafts- und Wettbewerbsrecht: Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 47 – 49. 136  Siehe hierzu Henssler, Arbeitsvertrag im Konzern, 1983; Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, 1989; Vogt, Arbeitsrecht im Konzern, 2014. 137  Bach/Serrano-Velarde, Employment policies in family managed firms, 2010; Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, 2010; Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, S. 1 ff.; Mueller/Philippon, AEJ 2011, S. 218 ff. 138  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG, Bl. 906 f. 139  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG, Bl. 906 R. 134 Beispielsweise

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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in der Leitung des Unternehmens tätig ist“140. Die Ausnahme ist mithin durch qualitative Gesichtspunkte bedingt, und zwar nach dem Grad der personalistischen Prägung des Unternehmensträgers, eine Tatsache, die in der Literatur bisher kaum Beachtung gefunden hat141. Bei konsequenter Fortführung dieses Gedankens könnte sich daraus für die personalistisch strukturierten Gesellschaften, speziell für die Familienunternehmen, eine besondere Behandlung im Arbeitsrecht ergeben, ähnlich wie in Unternehmen mit einem maßgebenden Anteilseigner.142 Das ist insofern naheliegend, als die Unternehmerfreiheit sowohl die Organisations- als auch die Dispositionsfreiheit des Unternehmers „über die ihm und seinem Unternehmen zugeordneten Güter und Rechtspositionen“143 umfasst, zu der die arbeitgeberischen Leitungs- und Entscheidungsbefugnisse144 zählen. Insbesondere sind Auswirkungen auf das Kündigungsschutzrecht möglich, in welchem die freie unternehmerische Entscheidung eine maßgebliche Rolle spielt. In diesem Zusammenhang verweist Dieterich auf Zweifel, ob die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts betreffend die Unternehmerfreiheit hinreichend berücksichtigt werden.145 Speziell die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts erschienen vor dem Hintergrund, dass „das Bundesverfassungsgericht keineswegs alle Unternehmen […] gleich behandelt, sondern nach der personalen Betroffenheit des Grundrechtsträgers unterscheidet“, „zu undifferenziert“.146 Ob sich aus den vorstehenden Überlegungen tatsächlich ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen ergeben kann, muss im Zuge der Arbeit eingehend analysiert werden. Trotz zahlreicher Anhaltspunkte dürfen jedoch die eingangs angeführten Bedenken hinsichtlich solcher Sonderarbeitsrechte, welche über bereits bestehende, gesetzlich oder richterrechtlich anerkannte Sonderregelungen hi­nausgehen, nicht vergessen werden. Es ist insbesondere daran zu denken, dass das Arbeitsrecht durch seine tendenzielle Gleichbehandlung aller 140  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG, Bl. 906 R. 141  Beispielsweise lehnt Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 228 zu Recht eine Abstufung der Schutzintensität der Unternehmerfreiheit nach der Unternehmensgröße ab und nennt als maßgebliches Kriterium den „personalen Bezug“. Müller, Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, S. 24 sieht hingegen sowohl das Größenkriterium als auch die personalistische Prägung als maßgebend an. 142 Auch Rittner, Unternehmerfreiheit und Unternehmensrecht, S. 352 und 402 setzt insoweit zumindest die Familiengesellschaften mit denjenigen Unternehmen gleich, hinter denen ein maßgebender Anteilseigner steht. Auch hier ginge der personale Grundbezug nicht verloren. 143  BVerfG, Beschl. v. 3. 12. 1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 (83). 144  Stern, Staatsrecht IV/1, S. 1820; Sterzel, in: FS Stein, S. 215 (223); ähnlich Schwier, Der Schutz der „Unternehmerischen Freiheit“, S. 42. 145  Dieterich, in: FS Nagel, S. 279 (286). 146  Dieterich, in: FS Nagel, S. 279 (286).

Einleitendes Kapitel: Einführung in die Thematik

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Unternehmen faktisch eine Kartellwirkung entfaltet,147 da dessen Bestimmungen für den gesamten Markt gelten. Nur wenn alle Arbeitgeber im Hinblick auf ihre Pflichten und die daraus resultierenden Kosten gleich belastet werden, wirkt das Arbeitsrecht wettbewerbsneutral.148 Diese Wirkung könnte durch Sonderregelungen für bestimmte Organisationsformen, respektive Familienunternehmen, zum Teil durchbrochen werden,149 womit auch zwangsläufig eine Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer einhergehen würde. Andererseits kann das Arbeitsrecht durch eine solche Differenzierung seine Funktion, dem Ausgleich der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zu dienen, besser Rechnung tragen.150 Zwischen diesen beiden Positionen muss sich eine Arbeit zu der Frage nach einem Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen bewegen, will sie sich nicht des Einwands einer einseitigen Privilegierung dieser Organisationsform oder des Statuierens von Abweichungen „um der bloßen Differenzierung willen“151 ausgesetzt sehen. Ziel dieser Untersuchung ist es folglich nicht, Familienunternehmen aufgrund der vorherrschenden spezifischen „Familieninteressen“ gegenüber sonstigen Unternehmen (arbeits-)rechtlich zu bevorzugen, sondern zum Zwecke sachgerechter Rechtsanwendung deren etwaigen tatsächlichen Besonderheiten im Arbeitsrecht Rechnung zu tragen. Diese Spezifika zeichnen sich durch ihren bivalenten Charakter aus, d. h. sie können sowohl positiv als auch negativ wirken.152 Der zusätzliche Faktor Familie im Unternehmen kann daher im Rahmen einer vorzunehmenden, arbeitsrechtlichen Interessenabwägung sowohl zugunsten als auch zulasten des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden und daraus resultierend eine Schlechterstellung oder Privilegierung der Familienunternehmen als Arbeitgeber bewirken.153 Deshalb muss nach der sich anschließenden, ausführlichen 147 

Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 51. Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 51; Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 2. 149  Aus diesem Grund lehnt das Bundesverfassungsgericht beispielsweise Regelungen ab, welche Inhaber- oder Familienbetriebe mittelbar bevorzugen und ihnen damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen würden, vgl. BVerfG, Urt. v. 9. 6. 2004 – 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (32 f.). 150  In dem Sinne wohl auch Loritz, in: FS Adomeit, S. 415 (418 f.). 151 Zu dieser Problematik eingehend Plöger, Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 1. 152  Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (200); siehe auch Rau, in: Rosenstiel/Regnet/Domsch (Hrsg.), Führung von Mitarbeitern, S. 507 (515) sowie Gutiérrez-Broncano/Rubio-Andrés/ Jiménez Estévez, in: Machado/Melo (Hrsg.), Effective human resources management, S. 96 (99). 153 Auch Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (200) beschreiben diese zugleich positive wie negative Wirkung der Besonderheiten in Familienunternehmen für Arbeitnehmer und Unternehmerfamilie; vgl. auch Gutiérrez-Broncano/Rubio-Andrés/Jiménez Estévez, in: Machado/Melo (Hrsg.), Effective human resources management, S. 96 (99 ff.) sowie Sieger, Tharawat Magazine 14/2012, 38 (39) in Bezug auf das Humankapital. 148 

§ 2  Familienunternehmen und Arbeitsrecht

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Bestimmung der Begriffe Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht genau analysiert werden, ob die tatsächlichen Besonderheiten in Familienunternehmen einen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Bewertung der arbeitsrechtlichen Interessenlage in Familienunternehmen bieten und eine Abweichung von den arbeitsrechtlichen Regelungen des Normalunternehmens rechtfertigen.

Erstes Kapitel

Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Sowohl der Begriff des Familienunternehmens als auch derjenige des Sonderarbeitsrechts sind dem deutschen kodifizierten Arbeitsrecht fremd. Es handelt sich nicht um Gesetzesbegriffe, sondern um relativ junge rechtswissenschaftliche Begriffe.154 Der Familienunternehmensbegriff fand erst Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts Eingang in das juristische Schrifttum und rund zwanzig Jahre später in die Judikatur.155 Auch der Sonderarbeitsrechtsbegriff dürfte jedenfalls nicht älter sein als das moderne Arbeitsrecht, welches gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand156. Seit diesen Anfängen hat sich für beide Begriffe noch kein allgemein anerkannter Fachsprachgebrauch herausgebildet. Daher ist es notwendig deren Bedeutungsinhalt, welcher der weiteren Forschungsarbeit zugrunde liegen soll, herauszuarbeiten und terminologische Unklarheiten zu beseitigen. Denn das Problem eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen lässt sich nur erörtern, wenn über die Bedeutung des Untersuchungsgegenstandes Klarheit herrscht.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens Der Begriff des Familienunternehmens findet im Gesetz bislang keine Verwendung. Gleichwohl wird in der Judikatur und vor allem im Schrifttum vermehrt auf diese Organisationsform zurückgegriffen. Als Synonyme werden vielfach die Begriffe Familienunternehmung, Familienbetrieb, Familiengesellschaft (hier weitere Unterteilung in die Familien-KG, Familien-GmbH, etc.) und das familiengeführte, familienbeherrschte oder familienkontrollierte Unternehmen verwendet.157 154  Zur Differenzierung der Rechtsbegriffe nach ihren unterschiedlichen Urhebern, vgl. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 54, 61; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 6. 155  Spohr, Die Familiengesellschaft, 1932; Steuler, Organe und Geschäftsführung bei der Familien-G.m.b.H., 1933; Hengstmann, Die Familiengesellschaft, 1935. 156 So Seifert, RdA 2004, 200; ähnlich Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 7; Mestiz, NZR 1980, 47; MünchArbR/Richardi, § 2 Rn. 5; a. A. Mayer-Maly, Ausgewählte Schriften zum Arbeitsrecht, S. 61. 157  Auch im angloamerikanischen Sprachraum finden sich ähnliche Differenzierungen. Es werden zum Beispiel die Begriffe „family business“, „family enterprise“, „family

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Scheinbar beliebig austauschbar stehen die einzelnen Begriffe oftmals nebeneinander. Tatsächlich handelt es sich um verschiedene Ausprägungen bzw. Teilerscheinungsformen158 des Familienunternehmens. Je nach verwendeter Terminologie wird beispielsweise betont, auf welche Art und Weise der Familieneinfluss auf das Unternehmen ausgeübt wird bzw. ob die Größe oder die jeweilige Gesellschaftsform im Vordergrund der Untersuchung stehen. Teilweise wird auch die besondere Stellung der Familie im Unternehmen hervorgehoben. Dennoch sind diese Begriffe nicht notwendigerweise von gleicher Bedeutung. Die vorherrschende terminologische Vielfalt in der Familienunternehmensforschung steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der noch immer mangelnden Klarheit über die sachlich-gegenständliche Reichweite der von dieser Organisationsform umfassten Unternehmen. Bis heute existiert kein eng umgrenzter, allgemein akzeptierter Begriffsinhalt für das Familienunternehmen.159 Dessen ungeachtet wird der Ausdruck insbesondere in rechtswissenschaftlichen Publikationen und in der Rechtsprechung oftmals als bekannt vorausgesetzt und ohne nähere Erläuterung verwendet.160 Eine ausführliche Begriffsbestimmung ist jedoch in einer Untersuchung wie der vorliegenden, bei der an die tatsächliche Gegebenheit eines Familienunternehmens besondere Rechtsfolgen geknüpft werden sollen, keinesfalls entbehrlich. Der Rechtsbegriff muss schon um der Rechtssicherheit willen hinreichend genau geklärt werden.161 Schließlich entscheidet die Begriffsbildung darüber, welche Unternehmen dieser Organisationsform zugeordnet und damit von einem etwaigen Sonderarbeitsrecht erfasst sein sollen. Ferner ist diese auch im Hinblick auf die in der Familienunternehmensforschung firm“, „family company“, „family-run corporation“ und „family-owned“, „family-governed“ oder „family-controlled business“ verwendet. 158 Das heißt teilweise wird bewusst ein bestimmter Aspekt des Familienunternehmens herausgegriffen, um zu untersuchen, ob sich daraus im jeweiligen Untersuchungsgebiet Besonderheiten ergeben. 159  Astrachan/Klein/Smyrnios, FBR 2002, 45; Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837 (839); Bergfeld/Weber/Kraus, ZfKE 2009, 1 (5); Eckardt/Meinzer/Tallig, Familienunternehmen im norddeutschen Raum, S. 6; Felden/Hack, Management von Familienunternehmen, S. 10; Fleschutz, Die Stiftung als Nachfolgeinstrument für Familienunternehmen, S. 42; Hack, ZfB-Special Issue 2/2009, 1 (5); Harms, IJFS 2014, 280 (281); Hiebl, WiSt 2012, 184; Hilger, in: Hilger/Soénius (Hrsg.), Familienunternehmen im Rheinland, S. 9; Howorth/Rose/Hamilton/Westhead, ISBJ 2010, 437 (438); Kansikas, Working papers on family business research, S. 7; Kraus/Harms, in: Dana (Hrsg.), World of encyclopedia of entrepreneurship, S. 178 (179); Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 8; Plate/Groth/Ackermann/v. Schlippe (Hrsg.), Große deutsche Familienunternehmen, S. 9; Poutziouris/Smyrnios/Klein, in: Poutziouris/Smyrnios/Klein (Hrsg.), Handbook of research on family business, S. 1; Sharma, FBR 2004, 1 (3); Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2443). 160  Vgl. nur Otto/Walk, BB 2010, 373 ff. 161 Vgl. Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 2; Prütting, in: Lange/Windthorst (Hrsg.), Sicherung des Familieneinflusses, S. 35 (37).

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

herrschende ausgeprägte interdisziplinäre Identität162 notwendig. Nicht selten wird es vorkommen, dass die Wissenschaftler der einzelnen Teilbereiche des Forschungsfeldes unterschiedliche Vorverständnisse des Familienunternehmensbegriffs haben.163 Um hier die fachliche Anschlussfähigkeit der Forschungsergebnisse gewährleisten zu können, muss die der Arbeit zugrunde liegende Begriffsverwendung offengelegt werden.164 Im Folgenden soll daher zunächst der Erkenntnisstand über den Familienunternehmensbegriff in den jeweiligen fachlichen Kontexten aufgezeigt werden. Dabei wird ein besonderer Fokus auf das rechtswissenschaftliche Begriffsverständnis gelegt. Anschließend ist zu klären, welcher Bedeutungsinhalt in der vorliegenden Arbeit verwendet wird bzw. ob für das konkrete Forschungsvorhaben die Notwendigkeit besteht, einen eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriff zu entwickeln.165 Auf diesem Wege wird der Arbeitsrechtswissenschaft, als mit dem Problemkreis bisher nur wenig beschäftigter Disziplin, ein thematischer Zugang ermöglicht.166

A.  Zum Erkenntnisstand über den Begriff des Familienunternehmens in der Fachsprache Seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Familienunternehmen gibt es immer wieder Bestrebungen, den Forschungsgegenstand näher zu konturieren. Dennoch ist es bis heute eine der umstrittensten Fragen innerhalb der Familienunternehmensforschung und ihren Teildisziplinen, wie diese Organisationsform exakt zu definieren ist.167 Das verwundert kaum, geht es um die grundlegende Frage nach der Reichweite und den Grenzen des Forschungsfeldes. Einigkeit besteht lediglich darin, dass die Familie beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen ausüben muss.168 Dies ist zwingend notwendig, denn nur wenn 162 

Siehe hierzu bereits Einleitendes Kapitel § 1. Bergmann/Jahn/Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 56. 164 Vgl. Bergmann/Jahn/Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 56. 165 Zur Methodik bei interdisziplinären Forschungsvorhaben siehe Bergmann/Jahn/ Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 56. 166 Hierzu allgemein Bergmann/Jahn/Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 58. 167 Vgl. Colli, in: Stamm/Breitschmid/Kohli (Hrsg.), Doing succession in Europe, S. 29 (30). 168  Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 10; Fabis, Konflikte im Familienunternehmen, S. 2; Fasselt, Nachfolge in Familienunternehmen, S. 4; Habersack, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 19 (20); Harris/Reid/McAdam, IJEBR 2004, 49; Hennerkes, in: Hennerkes/Kirchdörfer (Hrsg.), Unternehmenshandbuch Familiengesellschaften, § 1 Rn. 1; Hennerkes/May, NJW 1988, 163 Vgl.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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sich der Familieneinfluss schon per definitionem auf das Unternehmen entscheidend auswirkt, besteht die Möglichkeit, dass sich dieses von anderen Organisationsformen abhebt.169 Und nur in diesem Fall erlangt die Familienunternehmensforschung insgesamt Berechtigung. Allein der beherrschende Einfluss einer Familie auf das Unternehmen reicht jedoch für eine genaue Begriffsbestimmung nicht aus. Er ist lediglich notwendige, nicht allerdings hinreichende Voraussetzung für das Vorliegen eines Familienunternehmens. Vielmehr muss seitens der Familienunternehmensforschung genau geklärt werden, ab wann von einem solchen Einfluss gesprochen werden kann (quantitative Komponente) bzw. wie dieser konkret beschaffen sein muss (qualitative Komponente), will sie vergleichbare und verlässliche Untersuchungen auf wissenschaftlichem Niveau ermöglichen170. Ausgangspunkt einer Bestimmung des Familienunternehmens als Rechtsbegriff, welcher dieser Forderung gerecht werden soll, ist der Erkenntnisstand in der nicht-juristischen Fachsprache, allen voran der wirtschaftswissenschaftlichen. Die Familienunternehmensforschung ist wirtschaftswissenschaftlich geprägt171 und der 2761; Hommelhoff, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 65 (66); Iliou, Corporate Governance und mittelständische Familienunternehmen, S. 2; J­endritzky, Die korporative Gruppenbildung, S. 42; Klein, Familienunternehmen, S. 17 f.; Koeberle-Schmid, DB 2009, 1249; Lange, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 15 (16); ders., BB 2005, 2585 (2585 f.); Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 18; Lutter, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 25; Maier, in: FS Sigle, S. 51; May, Die Sicherung des Familieneinflusses, S. 1; Mittelsten Scheid, Gedanken zum Familienunternehmen, S. 5; Nötzli Breinlinger, Situative Corporate Governance, S. 19; Peemöller, in: FS Reiss, 721 (722); Pernsteiner, M&A Review 2015, VI; Redlefsen/Witt, ZfB 2006, 7 (8); Rüsen, Krisen und Krisenmanagement in Familienunternehmen, S. 18; Scherer, BB 2010, 323; Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (302); Spelsberg, Die Erfolgsfaktoren familieninterner Unternehmensnachfolgen, S. 6; Sudhoff/ Winkler, Familienunternehmen, § 5 Rn. 1; Simon, Einführung, S. 16; Turner, in: FS Sigle, S. 111 (111 f.); v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 5; Wimmer/Domayer/Oswald/Vater, Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp?, S. 6; Wimmer/Gebauer, zfo 2004, 244 (245). Mit umfasst werden bei dieser Aufstellung auch Publikationen, die einen maßgeblichen Einfluss für ausreichend erachten, da zumindest hinsichtlich des beherrschenden Einflusses insoweit eine Überstimmung besteht. Zur Unterscheidung zwischen maßgeblichen und beherrschenden Einfluss siehe Erstes Kapitel § 3 B. III. 2. c) aa). 169  Zumal nahezu jedes Unternehmen einem gewissen Familieneinfluss unterworfen sein wird, etwa dadurch, dass die Entscheidungen eines Gesellschafters oder einer Führungskraft durch deren Familienangehörige angeregt bzw. geprägt werden, vgl. Chua/ Chrisman/Sharma, ET&P 1999, 19; Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 78. 170 Für Kirchdörfer, FuS 2011, S. 32 sei dies im Allgemeinen der Grund für eine genaue Begriffsbestimmung des Familienunternehmens. 171  Stamm/Schmiade/Kohli, in: Soeffner (Hrsg.), Unsichere Zeiten, S. 1; ähnlich Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 10.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Begriff stammt im Wesentlichen aus dieser (Teil-)Disziplin, sodass deren Erkenntnisstand bei einer juristischen Arbeit mit einbezogen werden muss172. Erst daran anschließend soll untersucht werden, wie der Familienunternehmensbegriff in der Rechtswissenschaft verstanden wird und ob der außerjuristische Begriff größtenteils übernommen werden kann oder die Notwendigkeit besteht, eine eigenständige (arbeits-)rechtliche Begriffsbildung losgelöst vom wirtschaftswissenschaftlichen oder einem anderen fachsprachlichen Verständnis vorzunehmen.173 Diese Vorgehensweise, welche das juristische Begriffsverständnis zunächst ausklammert, mag vor dem Hintergrund der ausgeprägten interdisziplinären Identität der Familienunternehmensforschung als künstliche Dichotomisierung eines einheitlichen Forschungsfeldes erscheinen. Im Laufe der Untersuchung wird sich diese jedoch für die Ermittlung des Rechtsbegriffs Familienunternehmen als nützlich erweisen. I.  Der Begriff des Familienunternehmens in der nicht-juristischen Fachsprache Für den Begriff des Familienunternehmens existieren alleine in Europa rund 90 verschiedene Definitionen.174 Darunter ist eine Vielzahl nicht der Rechtswissenschaft, sondern anderen Fachsprachen zuzuordnen. Daher sollen nicht alle Begriffsverständnisse dargestellt, sondern nur die großen Entwicklungslinien bzw. Grundströmungen in der heutigen Forschungslandschaft aufgezeigt werden. 1.  Das Grundmodell des Familienunternehmens als Ausgangspunkt Generelle Einigkeit besteht in der wissenschaftlichen Forschung, dass eine Definition des Familienunternehmens zumindest die folgenden wesentlichen Be172  Zu dieser Vorgehensweise, allerdings speziell für wirtschaftswissenschaftliche Begriffe, welche sich mit gleichem Wortlaut in Gesetzen wiederfinden: Börner, in: FS Hartmann, S. 77 (85); Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 122. Diese Methode ist auch für die vorliegende Arbeit sinnvoll. Zum einen ist der Erkenntnisstand in der „Vorreiterdisziplin“ Wirtschaftswissenschaft weiter gereift und dementsprechend ertragreicher als eine bloß rechtswissenschaftliche Betrachtung, zum anderen können auch hier Interessen offengelegt werden, die regelungsbedürftig sind und welche die Europäische Kommission in zukünftige politische Vorhaben der Mitgliedstaaten mit einbezogen haben wollte, vgl. zum letzten Aspekt allgemein Börner, in: FS Hartmann, S. 77 (85). 173  Zu diesen beiden Möglichkeiten der juristischen Begriffsbildung bei wirtschaftswissenschaftlichen Begriffen in Gesetzen, vgl. Rinck, in: FS Heymanns Verlag, S. 361; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 122. 174  Die Erhebung erfolgte im Rahmen einer Studie im Auftrag der Europäischen Kommission: Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 2. Untersucht wurde das Begriffsverständnis in 33 Ländern, darunter die zu diesem Zeitpunkt 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union sowie Island, Norwegen, Lichtenstein, Türkei, Kroatien und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Eigentümer

Eigentum 2 4 Familie 1

Familienmitglieder

7 6

5

Führungskräfte & Arbeitnehmer

Unternehmen 3

Abbildung 1: Das Drei-Kreis-Modell des Familienunternehmens175

standteile in sich vereinigen muss:176 Das sind zum einen die Familie und das Unternehmen, in welche sich der Begriff bereits nach seinem Wortlaut aufspalten lässt. Zum anderen wird das Eigentum als bedeutendes Element benannt. Diese Auffassung entspricht dem im Forschungsfeld vorherrschenden Grundmodell eines Familienunternehmens, nach welchem die Organisationsform als Gesamtheit von drei unabhängigen, aber sich überlappenden (Sub-)Systemen verstanden wird177 (vgl. Abbildung 1). Jedes dieser (Sub-)Systeme hat seine eigenen, sehr unterschiedlichen Werte, Gesetzmäßigkeiten und Ziele.178 Während beispielsweise die Familie primär solidarischen und emotionalen Regeln verpflichtet ist, funktioniert das Unternehmen nach ökonomischen und rationalen Maßstäben.179 175

Bei dem sog. Drei-Kreis-Modell nach Tagiuri und Davis180 im Lichte der Systemtheorie handelt es sich um eine Fortentwicklung des dualen Systemansatzes181, welcher lediglich die beiden Elemente Familie und Unternehmen enthielt 175  Drei-Kreis-Modell von Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (200), Darstellung in Anlehnung an: Gersick/Davis/McCollom Hampton/Lansberg, Generation to generation, S. 6. 176 So European Commission, Final report of the expert group, S. 8. 177  Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (200 f.); Gersick/Davis/McCollom Hampton/Lansberg, Generation to generation, S. 5 f.; European Commission, Final report of the expert group, S. 8. 178  Gersick/Davis/McCollom Hampton/Lansberg, Generation to generation, S. 5 f. 179  v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 6; Lubinski, ZUG 2010, 204 (206); ähnlich Hilger, in: Hilger/Soénius (Hrsg.), Familienunternehmen im Rheinland, S. 9 (17); Hofmann, Family mindset, S. 30 f. 180  Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 ff. 181 Sog. Zwei-Kreis-Modell nach Lansberg, OD 1983, 39 (40 ff.).

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

und nun um die wichtige Dimension des Eigentums ergänzt wird. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass Familienunternehmen nur vollständig erfasst und von den Nichtfamilienunternehmen unterschieden werden können, wenn klar zwischen dem Unternehmen bzw. seiner Führung einerseits und dem Eigentum anderseits getrennt wird.182 Die Notwendigkeit einer solchen Unterscheidung wird bei einer Betrachtung der einzelnen Akteure im Familienunternehmen deutlich. In seiner ursprünglichen Form war das Drei-Kreis-Modell auch als Rollenmodell konzipiert worden.183 Demgemäß können die jeweiligen Personen eines Familienunternehmens zugleich allen drei Systemen angehören und entsprechende Rollen einnehmen: Sie können Mitglieder der Unternehmerfamilie sein, Eigentümer, aber auch Arbeitnehmer bzw. Führungskraft184 (dargestellt durch Position 7 der Abbildung). Als Familienangehörige sind sie idealtypisch um die innere Einheit bzw. das Wohlergehen der Familie bemüht, als Eigentümer primär an der Langlebigkeit und Rentabilität des Unternehmens interessiert und als Manager an dessen operativer Leistungsfähigkeit.185 Daneben wird es teilweise einen kleinen Anteil von familienexternen Personen geben, die nur das Eigentum an dem Unternehmen innehaben, aber nicht in diesem arbeiten oder dieses leiten (Position 2 der Abbildung). Ohne die Trennung des Eigentums von dem Unternehmenssystem könnte diese Konstellation nicht erfasst werden. Insgesamt ergeben sich aus dem Grundmodell sieben verschiedene Rollentypen der Einzelakteure,186 dargestellt durch die in Abbildung 1 mit Zahlen gekennzeichneten Positionen. Das Drei-Kreis-Modell verdeutlicht auf anschauliche Weise die im Familienunternehmen vorherrschende Komplexität, welche aus der Überschneidung und wechselseitigen Beeinflussung der unterschiedlichen (Sub-)Systeme resultiert. Während bei den meisten anderen Unternehmen lediglich die organisatorische Einheit an sich (einschließlich der Führungsstruktur) und gegebenenfalls noch das Eigentum in die Betrachtung mit einbezogen werden,187 ist hier zusätzlich die Familie als Komponente zu berücksichtigen. Dadurch können an den Schnittstellen der unterschiedlichen (Sub-)Systeme, beispielsweise die Werte, Gesetzmäßigkeiten und Ziele der Familie auf das Unternehmen übertragen werden.188 Diese Entwicklung wird maßgeblich durch die Einzelakteure im Familienunternehmen geprägt, welche je nach Systemzugehörigkeit von unterschiedlichen In182 So

Gersick/Davis/McCollom Hampton/Lansberg, Generation to generation, S. 5, 30. Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 ff. 184  Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (200 f.). 185  Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (201). 186  Eine Übersicht zu den unterschiedlichen Rollentypen findet sich beispielsweise bei Wiechers, Familienmanagement, S. 23 f. 187  Kenyon-Rouvinez/Ward, Family business, S. 6. 188  Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (202); Lansberg, OD 1983, 39 (40). 183 Vgl.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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teressen geleitet sind189. Aus diesem einzigartigen Zusammenspiel der einzelnen, sich überlappenden (Sub-)Systeme ergeben sich die den Familienunternehmen inhärenten (und bivalenten) Besonderheiten, welche sie von den Nichtfamilienunternehmen unterscheiden.190 Daher müssen sich in einer Definition des Familienunternehmens zumindest die Familie, das Unternehmen (bzw. dessen Führung) und das Eigentum, genauso wie deren wechselseitiger Einfluss in irgendeiner Weise als dessen konstitutive Elemente wiederfinden. Dies ist die zentrale Erkenntnisleistung des Drei-Kreis-Modells und zugleich der Grund, warum es bis heute Ausgangspunkt zahlreicher Begriffsbestimmungen in der nicht-juristischen Fachsprache geblieben ist. Darüber hinaus stützt das Modell die eingangs getroffene Feststellung, dass sich die Entscheidungen, Planungen und Interessen der hinter dem Unternehmen stehenden Familie bzw. deren einzelner Mitglieder auf das Unternehmen auswirken können191 und damit auch die Vermutung, dass die familiäre Komponente im Unternehmen diesem eine andere arbeitsrechtliche Qualität zukommen lassen kann. Sicherlich vereinfacht das Drei-Kreis-Modell die Vorgänge im Familienunternehmen stark und ist teilweise mit Nachteilen behaftet. Zum einen erfasst es beispielsweise Konstellationen nicht, in denen der einzelne Akteur sein Verhalten im Übergang zwischen den unterschiedlichen (Sub-)Systemen nicht an dessen jeweilige Werte, Gesetzmäßigkeiten und Ziele anpasst.192 Zum anderen betrachtet das Modell nur einen bestimmten Zeitpunkt, ist mithin statisch und vernachlässigt, dass die Familie, das Unternehmen und das Eigentum einem ständigen Wandel unterworfen sind.193 Allerdings schmälert dies dessen Aussagekraft als bloßer Ausgangspunkt einer Begriffsbestimmung nicht. Vielmehr wird die große Bedeutung des Drei-Kreis-Modells vor allem in Europa weiterhin steigen. Denn auch die bereits erwähnte, von der Europäischen Kommission eingesetzte Sachverständigengruppe unterstützt dessen Gebrauch bei der Erforschung von Familienunternehmen194.

189 Vgl.

Papesch, Corporate Governance in Familienunternehmen, S. 38. Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (201). 191  Siehe bereits Einleitendes Kapitel § 2 B. II. 192 Vgl. Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 16, 29; zur Kritik am Drei-Kreis-Modell siehe auch Lubinski, a. a. O., S. 16 f. sowie dies., ZUG 2010, 204 (206 f.). 193  MTI, Family entrepreneurship, S. 30. Um den Zeitverlauf zu erfassen, entwickelten Gersick/Davis/McCollom Hampton/Lansberg, Generation to generation, S. 15 ff. das Drei-Kreis-Modell zu einem sog. dreidimensionalen Entwicklungsmodell weiter. 194  European Commission, Final report of the expert group, S. 8. 190 

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

2.  Die verschiedenen Merkmale für die Bestimmung des Familienunternehmensbegriffs Ausgehend von dem soeben beschriebenen Grundmodell des Familienunternehmens existieren in der nicht-juristischen Fachsprache zahlreiche Merkmale, welche für die genaue Begriffsbestimmung herangezogen werden. Die Familie, das Unternehmen (bzw. dessen Führung) und das Eigentum, sowie deren wechselseitiger Einfluss, welche aufgrund dieses Modells als konstitutive Elemente des Familienunternehmens identifiziert wurden, finden sich in den verschiedenen Definitionsmerkmalen wieder. Die wichtigsten bzw. am weitesten verbreiteten Kriterien für die Bestimmung des Familienunternehmensbegriffs werden im Folgenden vorgestellt und systematisiert195. Soweit es sich als notwendig bzw. zweckmäßig erweist, sollen die juristischen Hintergründe der einzelnen Definitionsmerkmale nach deutschem Recht offengelegt und kurz bewertet werden. a)  Strukturelle Definitionsmerkmale Den Ausgangspunkt der meisten Definitionen bilden strukturelle Merkmale,196 welche die organisatorische Gestaltung des Unternehmens im engeren Sinne betreffen. Dazu zählen die Eigentums-, Leitungs- und Kontrollstruktur197. Die Rechtsform gehört zwar grundsätzlich ebenfalls zu den strukturellen Kriterien,198 allerdings definieren sich Familienunternehmen über den beherrschenden Familieneinfluss, weshalb sie keiner bestimmten Rechtsform des Gesellschaftsrechts zugeordnet werden können199. Die Rechtsform eignet sich daher nach allgemeiner Auffassung nicht als Definitionskriterium für Familienunternehmen.200

195  Systematisierung in Anlehnung an: MTI, Family entrepreneurship, S. 34 f.; Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 6 – 10. 196  Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 6 f.; auch innerhalb der Studie im Auftrag der Europäischen Kommission haben sich die strukturellen Merkmale als wichtige Elemente von europäischen Familienunternehmensdefinitionen herausgestellt, vgl. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 17 mit Fn. 7. 197  Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 6 f.; Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 17 Fn. 7. 198  Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 6. 199  Lange, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 15 (16); Oetker, Stakeholderkonflikte in Familienkonzernen, S. 17; vgl. auch Turner, in: FS Sigle, S. 111 (111 f.). Wenn auch Familienunternehmen praktisch in jeder Rechtsform anzutreffen sind, handelt es sich vorwiegend um Personengesellschaften, vgl. Fleischer, NZG 2017, 1201 (1204); Klein, Familienunternehmen, S. 114; Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 6. 200  Einschränkend lediglich Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 6, der die Rechtsform gegebenenfalls als „zusätzliches Definitionskriterium“ heranziehen würde.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Das Eigentum in Familienhand und die Wahrnehmung von Kontroll- bzw. Leitungsfunktionen durch die Familie werden typischerweise als Ausdruck für deren Einfluss auf das Unternehmen 201 angesehen und daher in der nicht-juristischen Fachsprache vielfach als Grundlage verwendet um die Familien- von den Nichtfamilienunternehmen abzugrenzen. Sofern hierbei auf den zentralen Begriff der Familie Bezug genommen wird, ist dieser zumeist gleichbedeutend mit der Kernbzw. Kleinfamilie als Gesamtheit,202 bestehend aus den Eltern und ihren Kindern. Teilweise genügt es, wenn die Eigentums-, Leitungs- und Kontrollstruktur durch ein oder mehrere Familienmitglied(er) dominiert werden.203 Daneben wird ebenfalls die Wahrnehmung von Kontroll- bzw. Leitungsfunktionen durch mehrere Familien als zulässig erachtet204. Weiter geht nur eine Mindermeinung, nach der ein Familienunternehmen auch bei nicht verwandten Personen vorliegen kann, sofern zwischen diesen ein „familienähnlicher Zusammenhalt“205 besteht. Generell gilt die Familie bzw. ihre Zusammensetzung jedoch als vernachlässigte Größe innerhalb der Familienunternehmensforschung.206 aa) Eigentumsstruktur Das Eigentum, welches bereits im Grundmodell des Familienunternehmens einen bedeutenden Stellenwert einnimmt, gilt allgemein als das eindeutigste Bestimmungsmerkmal für Familienunternehmen207. Es wird daher in nahezu allen 201  v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 7; ebenso Astrachan/Klein/Smyrnios, FBR 2002, 45 (48); Klein, Familienunternehmen, S. 15 f., deren F-PEC Skala (konkret die Power-Subskala) sich zur Messung des Familieneinflusses ebenfalls auf diese drei Kriterien stützt. 202  Chua/Chrisman/Sharma, ET&P 1999, 19 (22); Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (200). 203  Boyd, Nachhaltige Unternehmensführung in langlebigen Familienunternehmen, S. 10; Brink, Familienunternehmen und Unternehmensberatung, S. 6; Malinen, EIMS 2001, 195 (197); ähnlich v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 8. 204  Koeberle-Schmid, DB 2009, 1249; Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, in: Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt (Hrsg.), Family Business Governance, S. 24. 205  Leyherr, Die Situation von Familienunternehmen in Österreich, S. 56. 206  Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 82; Astra­chan/Smyrnios/Klein, FBR 2002, 45 (46); Carsrud, ET&P 2006, 855 (856); Dyer, ET&P 2003, 401 ff.; Dyer/Dyer, FBR 2009, 216; Sharma/Melin/Nordqvist, in: Melin/ Nordqvist/Sharma (Hrsg.), SAGE Handbook of family business, S. 1 (7); Rieg/Rau, in: Kellermanns/Hoy (Hrsg.), The Routledge Companion, S. 432; Spranger/Colarelli/Dimotakis/Jacob/Arvey, OBHDP 2012, 151 (152); Sten, EJFBS 2007, 168 (170); Süss-Reyes, in: Lueger/Frank (Hrsg.), Zukunftssicherung für Familienunternehmen, S. 13 (14); Zachary, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 27 (29); siehe auch Kraus/Filser/Götzen/Harms, BFuP 2011, 587 (590). 207  Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 6; v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 8; ähnlich Klein, Familienunternehmen, S. 107.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Definitionen erwähnt208. Das betrifft bemerkenswerterweise auch diejenigen Publikationen, welche die Wirkung des Familieneinflusses auf die Arbeitsbeziehungen in einem Unternehmen untersuchen.209 „Familieneigentum“210 setzt voraus, dass die Familie einen namhaften, in einigen Definitionen nicht näher bestimmten Kapital-211 und/oder Stimmrechtsanteil212 am Unternehmen innehat. Während die Kapitalbeteiligung zur Ausübung der Leitungsmacht im Unternehmen legitimiert213 bzw. die „Chance“ gibt, unternehmerisch tätig zu werden,214 ermöglicht der Stimmrechtsanteil einen Einfluss der Familie auf die Willensbildung des Unternehmens in Form von Gesellschafterbeschlüssen 215. Deshalb wird notwendigerweise auch im nicht-juristischen Schrifttum auf diese Kriterien zurückgegriffen. Da der Stimmrechtsanteil grundsätzlich von der Kapitalbeteiligung des jeweiligen Gesellschafters abhängig ist216 (vgl. für die Kapitalgesellschaften: §§ 12 Abs. 1 S. 1, 134 Abs. 1 S. 1 AktG und 47 Abs. 2 GmbHG; für die Personengesellschaften: es wird vielfach abweichend von den §§ 709 Abs. 2 BGB, 119 Abs. 2 HGB die Vereinbarung getroffen, dass sich der Stimmrechtsanteil nach der jeweiligen Kapitalbeteiligung richtet217), werden beide Definitionsmerkmale hier zusammenbetrachtet. Die Darstellung erfolgt vornehmlich anhand des Kapitalanteils. Für die Stimmrechtsbeteiligung gilt allerdings weitgehend Entsprechendes. Wenngleich in der nicht-juristischen Literatur überwiegend Einigkeit hinsichtlich des Kapital- und/oder Stimmrechtsanteils als konstitutives Merkmal des Familienunternehmens besteht, ist umstritten, ab welcher prozentualen Höhe dieser in Hand der Familie als namhaft angesehen werden kann. Eine Vielzahl von De208 Vgl.

Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 17. Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, 2012. 210  Der Begriff des „Familieneigentums“ wird häufig in der nicht-juristischen Fachsprache verwendet, daher wird auch bei dieser Darstellung darauf zurückgegriffen. Rechtlich gesehen, gibt es allerdings kein „Familieneigentum“. Die Familie ist kein Rechtssubjekt, sondern nur die einzelnen Familienmitglieder als natürliche Personen. Daher können nur diese Eigentum innehaben. So auch Jauernig/Budzikiewicz, Einf. FamR Rn. 2. 211  Klein, Familienunternehmen, S. 106; Malinen, Like father like son, S. 2; Peemöller, ZCG 2006, 81; v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 7; siehe auch Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 17. 212  Peemöller, ZCG 2006, 81; Voigt, Familienunternehmen, S. 24; v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 7. 213  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 59; Klein, Familienunternehmen, S. 129. 214  Rittner, Unternehmerfreiheit und Unternehmensrecht, S. 139. 215  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 60. 216  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 59; ähnlich Niefert/Heger/Licht u. a., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, S. 7. 217  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 61 m. w. N. in Fn. 249. 209 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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finitionen fordert einen Geschäftsanteil von mindestens 50 Prozent.218 Andere lassen eine für die Ausübung von Minderheitsrechten notwendige Mindestbeteiligung am Eigenkapital von über 25 Prozent genügen.219 Vereinzelt werden auch geringere Kapital- und/oder Stimmrechtsanteile zum Ausgangspunkt genommen, beispielsweise in Höhe von 20 Prozent220 oder nur 5 Prozent221. Daneben werden teilweise an nicht-börsennotierte Familienunternehmen höhere Anforderungen gestellt als an börsennotierte.222 Als Grund für diese unterschiedlichen Schwellenwerte kann zum einen angeführt werden, dass in Definitionen neben der Eigentumsstruktur häufig weitere Merkmale existieren, um den beherrschenden Familieneinfluss zu erfassen. Durch deren Vorliegen kann ein kleinerer Kapitalanteil partiell ausgeglichen werden223 und der beherrschende Familieneinfluss auf das Unternehmen gewahrt bleiben. Zum anderen sind sie auf die konzep218  Astrachan/Kolenko, FBR 1994, 251 (254); Becker, in: Böllhoff/Krüger/Berni (Hrsg.), Spitzenleistungen in Familienunternehmen, S. 31 (33); Boyd, Nachhaltige Unternehmensführung in langlebigen Familienunternehmen, S. 10; Koeberle-Schmid, DB 2009, 1249; Werner, Die Familiengesellschaft, S. 18; Westhead, ERD 2006, 127 (132). Donckels/ Fröhlich, FBR 1991, 149 (152) verlangen einen Kapitalanteil von 60 Prozent; Spranger/Colarelli/Dimotakis/Jacob/Arvey, OBHDP 2012, 151 (154) fordern sogar einen Kapitalanteil von 100 Prozent; vgl. auch Schmidt/Rotfuß/Westerheide, in: Schröder/Westerheide (Hrsg.), Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, S. 35 (42). 219  Cravotta, Managementstrukturen in älteren deutschen Familienunternehmen, S. 3, 7, der damit wohl auf die Sperrminorität des § 179 Abs. 2 S. 1 AktG Bezug nimmt. 220  Mueller/Philippon, AEJ 2011, S. 218 (222); Sraer/Thesmar, JEEA 2007, 709 (713). Die Forderung eines Kapitalanteils von 20 Prozent erklärt sich zumindest in Deutschland daraus, dass dieser in Publikumsgesellschaften zumeist für eine gesicherte aktienrechtliche Sperrminorität ausreicht. Zwar fordern die §§ 103 Abs. 1, 179 Abs. 2, 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG einen Stimmrechtsanteil von 25 Prozent, allerdings genügt bei realitätsnaher Zugrundelegung einer Hauptversammlungspräsenz von höchstens 80 Prozent aller Anteilseigner grundsätzlich ein solcher von 20 Prozent, vgl. Heymann/Henssler, § 311 Rn. 16; Staub/Kindler, § 311 Rn. 24. 221  Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, 2012, S. 7; Garcia-Castro/ Casasola Martínez, A fuzzy-set hierarchical classification of family firms, S. 8 bezeichnen den Schwellenwert von 5 Prozent als wichtigen Übergangspunkt vom Nichtfamilienunternehmen zum Familienunternehmen. Zur Begründung führen sie an: „This threshold is often considered to screen relevant shareholders within the ownership of listed companies in many Anglo-saxon countries as this is the maximum percentage of shares that a single bank is allowed to own in these companies. In addition, in some countries (e.g., Spain) this 5 % is also a relevant threshold because it gives the owners who have at least this percentage important tax benefits“. 222  Cravotta, Managementstrukturen in älteren deutschen Familienunternehmen, S. 3, 7; Plate/Groth/Ackermann/v. Schlippe (Hrsg.), Große deutsche Familienunternehmen, S. 9; siehe auch Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 17; Müller, Die Zukunft von Familienunternehmen, S. 37. 223  In diesem Sinne auch Klein, FBR 2000, 157 (158); dies., Familienunternehmen, S. 18; Nötzli Breinlinger, Situative Corporate Governance, S. 19; ähnlich Talaulicar, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 47 (52 f.).

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

tionell unterschiedlichen Rechtsordnungen in den einzelnen Ländern, in denen Familienunternehmen erforscht werden, zurückzuführen. Beispielsweise gibt es verschiedene Schwellenwerte, welche die Ausübung von bestimmten Rechten im Unternehmen ermöglichen. Entsprechend kann die Schwelle zum beherrschenden Einfluss unterschiedlich ausgestaltet sein. Im Schrifttum wird nicht nur für wichtig erachtet, die prozentualen Kapitalanteile im Unternehmen zu betrachten, sondern auch die genaue Zusammensetzung der Eigentumsstruktur.224 Diese kann in Familienunternehmen unterschiedlich ausgestaltet sein und im Laufe der Zeit stark variieren, beispielsweise durch Unternehmensnachfolge, Änderung der Rechtsform oder sonstige gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen 225. Im Wesentlichen lassen sich vier verschiedene Eigentumsstrukturtypen 226 unterteilen: Erstens das Alleineigentum, bei dem die Kapitalanteile ausschließlich in der Hand eines Familienmitgliedes liegen.227 Zweitens das konzentrierte Familieneigentum mit einem zahlenmäßig begrenzten Gesellschafterkreis aus Familienangehörigen, wobei deren Anzahl in einem solchen Maß beschränkt sein muss, dass sich die Gesellschafter persönlich untereinander kennen.228 Drittens das erweiterte Familieneigentum, bei dem der Gesellschafterkreis so groß ist, dass diese persönliche Beziehung nicht mehr besteht (beispielsweise im Falle einer Familiendynastie).229 Viertens das sog. Fremdeigentum, wenn am Unternehmen familienfremde Gesellschafter beteiligt sind.230 Ein Familienunternehmen liegt dann nur vor, wenn die Familie auch hier einen namhaften Kapitalanteil hält.231 224  Cruz Serrano/Habbershon/Nordqvist/Salvato/Zellweger, A conceptual model of transgenerational entrepreneurship, S. 15; Gersick/Davis/McCollom Hampton/Lansberg, Generation to generation, S. 29 ff. 225  Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 78. 226  Differenzierung nach Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, in: Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt (Hrsg.), Family Business Governance, S. 24 (37); ähnlich Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 76 – 78. Gersick/Davis/McCollom Hampton/Lansberg, Generation to generation, S. 31 ff. unterscheiden stattdessen nach den einzelnen Familienmitgliedern, welche die Kapitalanteile innehaben. Nach ihnen lassen sich grundsätzlich drei Eigentumsstrukturtypen unterscheiden: „Controlling Owner“, „Sibling Partnership“ und „Cousin Consortium“. 227  Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, in: Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt (Hrsg.), Family Business Governance, S. 24 (37); ähnlich Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 78, welche das Alleineigentum als „Einzeleigentum“ bezeichnet. 228  Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 77. 229 Vgl. Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, in: Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt (Hrsg.), Family Business Governance, S. 24 (37). 230  Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, in: Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt (Hrsg.), Family Business Governance, S. 24 (37). 231  Koeberle-Schmid/Witt/Fahrion, in: Koeberle-Schmid/Fahrion/Witt (Hrsg.), Family Business Governance, S. 24 (37).

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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bb) Leitungs- und Kontrollstruktur Die Leitungs- und Kontrollstruktur des Unternehmens wird lediglich im Zusammenhang mit dem Eigentum als zusätzliches Kriterium statuiert.232 Es handelt sich daher grundsätzlich nicht um ein strukturelles Merkmal im engeren Sinne.233 Demzufolge muss die Familie über die Beteiligung am Eigenkapital hinaus, entweder in den obersten234 Leitungsorganen des Unternehmens oder den für deren Kontrolle zuständigen Gremien vertreten sein.235 Letzteres liegt insbesondere vor, wenn mindestens ein Familienangehöriger im Aufsichts-, Verwaltungs- oder Beirat vertreten ist.236 Ersteres ist gegeben, wenn mindestens ein Familienangehöriger die Rolle eines Gesellschafters einnimmt; hier folgt die Geschäftsführungs- und damit die Leitungsbefugnis direkt aus der Gesellschafterstellung (§§ 709 ff. BGB, §§ 114 ff., 125 ff., 161 Abs. 2 HGB, § 278 Abs. 2 AktG), oder zum Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglied bestellt wird.237 Hinter der Forderung der Leitungs- und Kontrollstruktur als Merkmal des Familienunternehmens steht der Gedanke, dass das Innehaben eines hohen Kapitalanteils durch die Familie für einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen nicht genügt, wenn keine Einwirkung auf die Geschäftspolitik möglich ist oder tatsächlich nicht erfolgt. Gerade die Leitung als herausgehobener Teilbereich der Geschäftsführung ermöglicht es beispielsweise dem Vorstand in einer Aktiengesellschaft die Unternehmenspolitik und damit den Zweck des Unternehmensträgers zu bestimmen und zu verwirklichen.238 Auf diese Weise wird die Familie über die Leitungsstruktur in die Lage versetzt, aktiv auf die Interessenlage der Gesellschaft einzuwirken. Entsprechendes gilt für die Kontrolle durch den 232 Vgl. Cravotta, Managementstrukturen in älteren deutschen Familienunternehmen, S. 3; Goebel, in: FS Binz, S. 241; v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 8 f.; Werner, Die Familiengesellschaft, S. 19. 233 Ähnlich Redlefsen, Der Ausstieg von Gesellschaftern, S. 7: „es [handelt] sich hierbei um kein eigenständiges Definitionsmerkmal, sondern um einen Faktor, der den definitorischen Kreis zusätzlich zur Beteiligung der Gesellschafterfamilie bestimmt“. 234  Die Leitungsstruktur umfasst grundsätzlich auch die mittleren und unteren Leitungspositionen im Unternehmen, vgl. Becker, in: Böllhoff/Krüger/Berni (Hrsg.), Spitzenleistungen in Familienunternehmen, S. 31 (34). Im nicht-juristischen Schrifttum wird jedoch lediglich auf die obersten Leitungsorgane abgestellt, weil Familienmitglieder in den „nachgeordneten Hierarchieebenen […] nicht in demselben Maße unmittelbar Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen können“, so Klein, Familienunternehmen, S. 130. 235  v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 8; ähnlich Cravotta, Managementstrukturen in älteren deutschen Familienunternehmen, S. 3 i. V. m. S. 6; Eckardt/Meinzer/Tallig, Familienunternehmen im norddeutschen Raum, S. 7. 236 Vgl. Redlefsen/Witt, ZfB 2006, 7 (8). 237  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 65. 238  Kort, in: Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, § 2 Rn. 69 – 72; MünchKommAktG/Spindler, § 76 AktG Rn. 16 f.; MünchGesellR/Wiesner, § 19 Rn. 16 f.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Aufsichtsrat, welche die Überwachung der Zielerreichung beinhaltet.239 Darüber hinaus werden mittels der Wahrnehmung von Leitungs- und Kontrollbefugnissen durch die Familie deren personelle Präsenz im Unternehmen und die Identifikation der Arbeitnehmerschaft mit ihr gestärkt.240 Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass die Wahrnehmung von Leitungs- und Kontrollfunktionen durch die Familie nach dem nicht-juristischen Schrifttum sowohl in einem kumulativen als auch alternativen Verhältnis stehen kann. Die Führung des Unternehmens muss daher nicht ausschließlich einem oder mehreren Mitglied(ern) der Familie obliegen (sog. Inhaberführung), sondern kann ebenfalls durch familienfremde Dritte erfolgen (sog. Fremdgeschäftsführung). Auch die Kombination aus Inhaber- und Fremdgeschäftsführung (sog. Mischgeschäftsführung) ist möglich.241 Eine Fremd- oder Mischgeschäftsführung schließt folglich das Vorliegen eines Familienunternehmens nicht aus, solange die Familie ihre Kontrollfunktionen effektiv wahrnimmt. Die Kapitaleignerseite bestehend aus den Familienmitgliedern setzt sich in diesem Fall grundsätzlich gegenüber der (familienfremden) Unternehmensleitung durch242 und der Familieneinfluss bleibt weiterhin gewahrt. Ähnliches ergibt sich im umgekehrten Verhältnis, wenn familienfremde Personen die Überwachungs- und Kontrollfunktionen wahrnehmen, während die Führung durch Familienmitglieder erfolgt. Obwohl weitestgehend Einigkeit hinsichtlich der spezifischen Leitungs- und Kontrollstruktur als Merkmal des Familienunternehmens besteht,243 sind die Anforderungen an deren genaue Ausgestaltung umstritten. Während sich einige Autoren auf „harte“ Kriterien beziehen und zahlenmäßig exakt angeben, wie viele Familienmitglieder in den Leitungs- und Kontrollorganen vertreten sein müssen, stellen andere auf „weiche“ Kriterien ab und fordern beispielsweise pauschal, dass die Familie das Unternehmen indirekt leiten oder die bedeutenden Entscheidungen treffen muss.244 Ferner werden in wirtschaftswissenschaftlichen 239 

Thamm, Die rechtliche Verfassung des Vorstands der AG, S. 118. Schmidt/Rotfuß/Westerheide, in: Schröder/Westerheide (Hrsg.), Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, S. 35 (42); Niefert/Heger/ Licht u. a., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, S. 7; vgl. auch Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 2/35. 241 Zur Differenzierung der einzelnen Geschäftsführungskonstellationen: Cravotta, Managementstrukturen in älteren deutschen Familienunternehmen, S. 1; ähnlich Wiechers, Familienmanagement, S. 244; Klein/Bell, EJFBS 2007, 19 (20); grundlegend Becker/Henseler/Bielstein/Cöllen/Ebel/Knoll/Krumme, Fremdmanagement in Familienunternehmen, S. 7. 242  v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 11. 243  Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission hat ermittelt, dass ca. drei Viertel der untersuchten Definitionen auf dieses Merkmal abstellen, vgl. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 17. 244 Vgl. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 17 f. mit zahlreichen Beispielen für „weiche“ und „harte“ Kriterien im Schrifttum. 240 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Publikationen, welche speziell den Einfluss der Familienführung auf die Beschäftigungspolitik im Unternehmen untersuchen, geringere Anforderungen an die Leitungsstruktur zum Ausgangspunkt genommen. Hier muss der Vorstandsvorsitzende oder der Geschäftsführer lediglich von der Familie unterstützt werden,245 ohne dass es auf die Wahrnehmung von Kontrollfunktionen durch die Familie ankäme. Teilweise kann es sich dabei auch um eine familienfremde Person handeln.246 b)  Partizipative bzw. funktionsbezogene Definitionsmerkmale Neben den strukturellen Elementen wird häufig eine Mitwirkung von Familienmitgliedern im Unternehmen gefordert, und zwar in der Form einer formellen oder informellen (aktiven) Mitarbeit eines oder mehrerer Familienmitglieder.247 Diese sog. partizipativen 248 bzw. funktionsbezogenen 249 Definitionsmerkmale werden, ähnlich wie die Wahrnehmung von Leitungs- und Kontrollfunktionen durch die Familie, lediglich als zusätzliches Kriterium statuiert. Dabei reichen die Anforderungen, welche an die Mitarbeit gestellt werden, von der bloßen Mitwirkung bis zur Beschäftigung aufgrund eines (Arbeits-)Vertrages.250 Im Umkehrschluss aus den bereits genannten strukturellen Kriterien ergibt sich, dass es um die Mitwirkung in nicht-leitenden Positionen geht251. Während die Familie über ihre Beteiligung innerhalb der Führungsebene die groben Leitlinien der Unternehmenspolitik bestimmen soll, kann sie durch ihr persönliches Engagement auch auf das alltägliche Unternehmensgeschehen Einfluss nehmen 252. Das Ausmaß dieses Einflusses bestimmt sich erheblich nach dem zeitlichen Umfang einer solchen Beschäftigung. Insofern verwundert es, dass ein solcher im Schrifttum größtenteils nicht angegeben wird.253 245 

Bach/Serrano-Velarde, Employment policies in family managed firms, S. 2. Bach/Serrano-Velarde, Employment policies in family managed firms, S. 3. 247  Astrachan/Kolenko, FBR 1994, 251 (254); Beehr/Drexler/Faulkner, JOB 1997, 297 (298); Covin, FBR 1994, 287 (288); Dyer/Handler, ET&P 1994, 71 (75 f.); Lee/Rogoff, FBR 1996, 423 (426); Malinen, Like Father like son, S. 2; siehe auch Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 18, nach denen ungefähr ein Drittel der europäischen Definitionen dieses Merkmal enthält. 248 Vgl. Malinen, Like Father like son, S. 2, der von der sog. „participation dimension“ spricht. 249  MTI, Family entrepreneurship, S. 35. – Diese Definitionsmerkmale können als funktionsbezogen bezeichnet werden. Denn es geht primär um die Funktion, welche ein Familienmitglied in der organisationalen Hierarchie einnimmt. 250 Vgl. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 18. 251  Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 18. 252 Vgl. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 18. 253  Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 18. 246 

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Die Statuierung der partizipativen Definitionsmerkmale als konstitutive Elemente des Familienunternehmens dürften in der nicht-juristischen Fachsprache zum einen dadurch begründet sein, dass die einzelnen Familienmitglieder auf diesem Wege die Chance erhalten, das Unternehmen durch ihre Leistungen, Fähigkeiten und Eigenschaften unmittelbar zu prägen. Die von der Familie auf Leitungsebene getroffenen Entscheidungen können direkt von deren Angehörigen in der organisatorischen Einheit umgesetzt werden. Zum anderen ermöglichen die Familienmitglieder aufgrund ihrer besonderen, familiären Nähesituation im Gegensatz zu den übrigen, familienexternen Mitarbeitern einen direkten Informationsfluss zur restlichen Unternehmerfamilie.254 Sie wird daher in die Lage versetzt, unvermittelt zu reagieren und damit ihren Einfluss schneller und vor allem effektiver wahrzunehmen. Nicht zuletzt wird auch deren personelle Präsenz im Unternehmen gestärkt, ähnlich wie bei der Wahrnehmung von Leitungsund Kontrollbefugnissen durch die Familie. Einen anderen, sehr interessanten Begründungsansatz führt hingegen Malinen an. Er sieht die Notwendigkeit der Beschäftigung von zusätzlichen Familienangehörigen darin, Einzelunternehmer von der Begriffsbestimmung auszuschließen.255 Dabei geht es ihm sichtbar vor allem um Personen, die zwar die Leitungs- und Kontrollfunktionen beherrschend ausüben, allerdings selbst keine Familie besitzen. Denn diese Personengruppe würde bei einem, allein auf strukturellen Definitionsmerkmalen basierenden Familienunternehmensbegriff mit umfasst werden. Auch ein überwiegender Teil des Schrifttums vertritt die Ansicht, dass Einzelunternehmer von einer Definition des Familienunternehmens auszuschließen seien.256 Aus (arbeits-)rechtlicher Perspektive ist anzumerken, dass die partizipativen Merkmale, sofern sie in einer Definition verwendet werden, möglichst weit zu halten sind. Auf diesem Wege lassen sich Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden. Denn im Einzelfall wird es schwierig nachzuweisen sein, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des mitarbeitenden Familienangehörigen als Arbeitnehmer vorliegt oder es sich um eine Mitarbeit im Unternehmen auf familienrechtlicher Grundlage handelt.257 Darüber hinaus kommt bei einem Familienmitglied, welches zugleich Gesellschafter im Familienunternehmen ist, auch eine Mitarbeit auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage in Betracht.258 254 Vgl. Koeberle-Schmid, DB 2009, 1249, 1252, jedoch nicht konkret auf die familiäre Mitarbeit bezogen. 255  Malinen, Like father like son, S. 2. 256  Siehe bereits S. 17 Fn. 112; a. A. Astrachan/Shanker, FBR 2003, 211 (214 f.); European Commission, Final report of the expert group, S. 10; Getz/Carlsen/Morrison, The family business, S. 95, 98. 257  Vgl. hierzu LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 30. 8. 2006 – 3 Sa 156/06, NZA-RR 2007, 9 (11); LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 28. 1. 2002 – 7 Sa 1390/01, DB 2002, 2050. 258  Siehe zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Mitarbeit von Familienangehörigen im Familienunternehmen instruktiv Sudhoff/Schlüter, Familienunternehmen, § 20.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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c)  Prozessuale Definitionsmerkmale Die prozessualen Definitionsmerkmale gelten in der nicht-juristischen Fachsprache als ein sehr wichtiger Aspekt, um die Familien- von den Nichtfamilienunternehmen abzugrenzen 259. Sie beschreiben den durch die Wechselbeziehung der drei (Sub-)Systeme Unternehmen, Familie und Eigentum gekennzeichneten Unternehmensprozess,260 insbesondere die daraus resultierenden Wirkungen. Das sind zum einen die im Unternehmen vorherrschende besondere Familienkultur und die darin gelebten spezifischen Werte. Zum anderen ist dies die „familiness“, welche sich als einzigartiges Bündel von Ressourcen und Fähigkeiten als Ergebnis der Familienbeteiligung im Unternehmen definiert261. Beide Merkmale werden oftmals in den Definitionen näher konturiert. Für das Arbeitsrecht ist beispielsweise dasjenige prozessuale Merkmal relevant, welches auf die besondere Unternehmenskultur abstellt, in der die Qualität der Arbeitsbeziehungen hochgehalten wird und welches eine persönliche Beziehung zwischen Eigentümern, Geschäftsführung und Arbeitnehmern voraussetzt262. In neueren Definitionen des Familienunternehmens wird daneben im umgekehrten Sinne die Wirkung des Unternehmens auf die Familie beschrieben; dieses trage entscheidend zum Vermögen und zur Identität der Familie bei.263 Wenngleich die prozessualen Merkmale im Schrifttum als sehr wichtige Charakteristika von Familienunternehmen eingestuft werden, finden sie sich nur selten in den Definitionen wieder264. Das Vorliegen einer bestimmten Unterneh259 

Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 13 mit Fn. 6. Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 13, jedoch nur unter Bezug auf die beiden Elemente Familie und Unternehmen; ähnlich Boyd, Nachhaltige Unternehmensführung in langlebigen Familienunternehmen, S. 8. 261 Grundlegend Habbershon/Williams, FBR 1999, 1 (11). 262  Beispielsweise bei Otte, Personalistische Aktiengesellschaft, S. 5: „Familienunternehmen definieren sich […] durch eine meist traditionell gewachsene, enge Beziehung zwischen den Eigentümern, dem Unternehmen und dessen Mitarbeitern“; Hinterhuber/ Minrath, BB 1991, 1201 (1202): „Es besteht ein persönliches Verhältnis zwischen Eigentümern/Geschäftsleitung und Mitarbeitern“, allerdings speziell für die mittelständische Familienunternehmung. 263  Ransburg/Sage-Hayward/Schuman, Human resources in the family business, S. 5. 264  Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 13. Zu nennen sind beispielsweise: Chua/Chrisman/Sharma, ET&P 1999, 19 (24): „a company is a family business because it behaves as one“; Cravotta, Managementstrukturen in älteren deutschen Familienunternehmen, S. 3: „Familienunternehmen [müssen] sich auch als solche verhalten“; Eckardt/Meinzer/Tallig, Familienunternehmen im norddeutschen Raum, S. 7: In Familienunternehmen müssen „bestimmte Werte gelebt werden bzw. eine bestimmte Unternehmenskultur herrsch[en]“; Leyherr, Die Situation von Familienunternehmen in Österreich, S. 58: „[…] bei Familienunternehmen herrscht eine besondere Einstellung der Anteilseigner zum Unternehmen“; Wiedemann, in: v. Rosen (Hrsg.), Die börsennotierte 260 Vgl.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

menskultur und die „familiness“ lassen sich im konkreten Einzelfall kaum erfassen bzw. messen 265. Definitionen, die mit prozessualen Kriterien operieren, sind daher in der Praxis kaum umsetzbar. Sie sind vielmehr bereits durch „den progressiven Übergang zu einer verstärkt subjektiven Auffassung des Analyseobjektes [gekennzeichnet]“266. Aus diesem Grund wird an deren Stelle zumeist auf die strukturellen Definitionsmerkmale zurückgegriffen. Die Eigentums-, Leitungsund Kontrollstruktur sind in ihrer Anwendung nicht nur leichter operabel267 und größtenteils objektiv bestimmbar, sondern letztendlich die Basis der Prozess­ elemente. Erst aus dem Zusammenspiel der strukturellen Definitionsmerkmale während des Unternehmensprozesses können die spezielle Familienkultur und die „familiness“ entstehen. Die prozessualen Kriterien sind mithin grundsätzlich von den strukturellen abhängig, genauer gesagt ermöglichen letztere diese erst268. Je mehr Eigentums-, Leitungs- und Kontrollmacht die Familie hat, desto höher sind in der Regel die „familiness“269 und die besondere Familienkultur im Unternehmen. Die prozessualen Elemente lassen sich somit weitestgehend indirekt über die Strukturkriterien bestimmen.270 Eines muss aber deutlich werden: Die strukturellen Definitionsmerkmale sind zwar notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung, um die Prozesselemente zu erfassen.271 In (atypischen) Ausnahmefällen kann es durchaus sein, dass die Familie die Eigentums-, Leitungs- und Kontrollmacht über ein Unternehmen hat und dennoch keine besondere Familienkultur oder „familiness“ in diesem herrscht. Dementsprechend sind die prozessualen Definitionsmerkmale, sofern eine besondere Familienkultur im Unternehmen überhaupt als konstitutives Merkmal des Familienunternehmens begriffen wird, im Ergebnis nicht ganz vernachlässigbar. Familienaktiengesellschaft, S. 31 (33): „die Traditionen der Familie, ihre Grundsätze und Werte [sind] als Leitbild für das unternehmerische Handeln anerkannt und prägend“. 265  Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 13; Niefert/Heger/Licht u. a., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, S. 7; Schmidt/Rotfuß/ Westerheide, in: Schröder/Westerheide (Hrsg.), Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, S. 35 (37). 266  Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 73. Vereinzelt wird die besondere Unternehmenskultur zu den subjektiven Definitionsmerkmalen gezählt, siehe Leyherr, Die Situation von Familienunternehmen in Österreich, S. 58; Schmidt/Rotfuß/Westerheide, in: Schröder/Westerheide (Hrsg.), Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, S. 35 (37). 267  Garcia-Castro/Casasola, JFBS 2011, 15. 268  Chua/Chrisman/Sharma, ET&P 1999, 19 (24); Garcia-Castro/Casasola, JFBS 2011, 15. 269  Nötzli Breinlinger, Situative Corporate Governance, S. 18. 270 Vgl. Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 74. 271  Chua/Chrisman/Sharma, ET&P 1999, 19 (24); Garcia-Castro/Casasola Martínez, A fuzzy-set hierarchical classification of family firms, S. 2.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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d)  Subjektive Definitionsmerkmale Während die prozessualen Kriterien durch den Wandel hin zu einer subjektiven Darstellung des Familienunternehmens gekennzeichnet sind, hat sich dieser bei der Verwendung von subjektiven Definitionsmerkmalen in einer Begriffsbestimmung – je nach deren Verwendungsgrad – grundsätzlich vollzogen. Im nicht-juristischen Schrifttum wird teilweise gänzlich auf den Einsatz von anderen Kriterien verzichtet und allein auf das Vorliegen der subjektiven Merkmale abgestellt. Hierzu gehören beispielsweise Begriffsbestimmungen, die darauf gründen, ob der Inhaber des Unternehmens dieses als Familienunternehmen ansieht.272 Allein von dessen Selbstverständnis hängt es ab, ob der Familienunternehmensbegriff erfüllt ist oder nicht. Daran zeigt sich, dass die subjektiven im Gegensatz zu den strukturellen Definitionsmerkmalen objektiv nicht nachprüfbar sind. Deren Verwendung führt somit zu begrifflicher Unschärfe.273 Wohl aus diesem Grund werden die subjektiven Kriterien zumeist nur in Verbindung mit anderen verwendet,274 womit die begriffliche Trennschärfe jedoch nur teilweise wiederhergestellt werden kann. Als ein weiteres, in der nicht-juristischen Literatur häufig verwendetes Beispiel für die subjektiven Definitionsmerkmale kann der Wille angeführt werden, das Unternehmen in Familieneigentum zu halten 275 oder dieses innerhalb der Familie an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben276. Wenn auch bereits generelle Kritik an den subjektiven Kriterien angeklungen und speziell der potenzielle Fortführungswille „kaum messbar“277 ist, sollte dieses Merkmal im Hinblick auf eine (arbeits-)rechtliche Untersuchung nicht unbeachtet bleiben. Denn die angestrebte Fortführung des Unternehmens als Familienunternehmen ist Ausdruck 272  MTI, Family entrepreneurship, S. 34. Vertreter subjektiver Begriffsbestimmungen sind beispielsweise Astrachan/Kolenko, FBR 1994, 251 (254); Collins, in: Collins u. a. (Hrsg.), The modern family business, S. 3 (10); Gallo/Tàpies/Cappuyns, FBR 2004, 303 (305) sowie Woywode/Keese/Tänzler, ZGR 2012, S. 418 (423). 273  Kritisch auch Ikävalko/Pihkala/Jussila, Psychological ownership, S. 2; Vogler, Die Aufgaben des Beirats im Familienunternehmen, S. 29. 274  Beispielsweise bei Leyherr, Die Situation von Familienunternehmen in Österreich, S. 60; Sonfield/Lussier, IEMJ 2009, 395 (396); Westhead, ERD 2006, 127 (132). 275  Becker, in: Böllhoff/Krüger/Berni (Hrsg.), Spitzenleistungen in Familienunternehmen, S. 31 (33); vgl. auch Bertsch, Die industrielle Familienunternehmung, S. 9 sowie Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 73 m. w. N. in Fn. 262. 276  Weissenberger-Eibl/Spieth, ZCG 2006, 127 (128); Astrachan/Kolenko, FBR 1994, 251 (254); Eckardt/Meinzer/Tallig, Familienunternehmen im norddeutschen Raum, S. 7; Ransburg/Sage-Hayward/Schuman, Human resources in the family business, S. 5; Vallejo, JOBE 2008, 261 (267). 277  Niefert/Heger/Licht u. a., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, S. 7; ähnlich Müller, Die Messung der langfristigen Entwicklung, S. 16.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

der unternehmerischen Freiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und fand bereits innerhalb der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung als solche Berücksichtigung.278 3.  Sonstige Definitionsansätze Zum Abschluss der Nachzeichnung des Erkenntnisstandes über den Familienunternehmensbegriff im nicht-juristischen Schrifttum sollte nicht unerwähnt bleiben, dass auch Definitionsansätze existieren, die weder merkmalsbasierend noch merkmalsgestützt279 sind. Sie entziehen sich somit einer Einordnung in die vorangegangene Systematisierung der Definitionsmerkmale. An dieser Stelle soll nur auf den wohl bekanntesten Definitionsansatz, die sog. F-PEC Skala des Familieneinflusses von Astrachan, Klein und Smyrnios280 eingegangen werden. Sie ist von der Annahme geleitet, dass keine klare Trennlinie zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen existiert.281 Stattdessen gibt es nur Unternehmen mit einem mehr oder weniger an Familieneinfluss, wobei der Grad des Einflusses durch die Skala für jedes beliebige Unternehmen messbar gemacht werden soll282. In die Messung mittels F-PEC Skala werden drei Dimensionen bzw. Subskalen des möglichen Familieneinflusses einbezogen: Macht (Power), Erfahrung (Experience) und Kultur (Culture).283 Die Abkürzung F-PEC steht entsprechend für die Bezeichnung: Family influence through Power, Experience and Culture.284 Innerhalb der einzelnen Subskalen werden wiederum unterschiedliche Kriterien berücksichtigt, welche sich teilweise mit den bereits dargestellten Definitionsmerkmalen überschneiden. Insofern kann zumindest inhaltlich partiell an die vorangegangene Systematisierung angeknüpft werden. Beispielsweise finden innerhalb der Power-Subskala strukturelle Merkmale Beachtung, wie der Kapital- und/oder Stimmrechtsanteil der Familie oder die Anzahl der in den Leitungs- und Kontrollorganen vertretenen Familienmitglieder285. Innerhalb der Culture-Subskala werden ferner prozessuale Merkmale berücksichtigt, wie die Überschneidung von Familien- und Unternehmenswerten.286 Die Experience278 Siehe LAG Hamm, Urt. v. 18. 12. 2008 – 15 Sa 838/08, zitiert nach Juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4. 7. 2006 – 2 Sa 342/06, zitiert nach Juris. 279  Zur begrifflichen Differenzierung der sog. merkmalsorientierten Definitionsansätze in merkmalsgestützte und merkmalsbasierend-operationalisierte, vgl. Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 73 – 78. 280  Astrachan/Klein/Smyrnios, FBR 2002, 45 ff. 281  Klein, Familienunternehmen, S. 14. 282  Klein, Familienunternehmen, S. 14. 283  Klein, Familienunternehmen, S. 14. 284  Astrachan/Klein/Smyrnios, FBR 2002, 45 (47); Klein, Familienunternehmen, S. 14. 285  Astrachan/Klein/Smyrnios, FBR 2002, 45 (48); Klein, Familienunternehmen, S. 15. 286  Astrachan/Klein/Smyrnios, FBR 2002, 45 (50 f.); Klein, Familienunternehmen, S. 16.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Subskala stellt hingegen auf den Erfahrungszuwachs über die Generationen hinweg ab.287 Sie beruht auf der Annahme, dass die Unternehmerfamilie mit jeder erfolgreichen Unternehmensnachfolge hinzulernt, die gemeinsame Erfahrung der beiden Systeme Familie und Unternehmen wächst und daraus resultierend der Einfluss der Familie auf das Unternehmen.288 Wenngleich die F-PEC Skala in der heutigen Literatur einen breiten Anklang gefunden hat, weist sie eine entscheidende Schwäche289 auf: Eine klare Grenzziehung zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen ist nicht möglich und ohne diese sind vergleichbare bzw. verlässliche Untersuchungsergebnisse und statistische Erhebungen innerhalb der Familienunternehmensforschung undenkbar290. Ferner wurde bereits darauf hingewiesen, dass schon um der Rechtssicherheit willen eine genaue Begriffsbestimmung notwendig ist, wenn an den Begriff des Familienunternehmens bzw. dessen Tatbestand besondere Rechtsfolgen geknüpft werden sollen.291 Dies schließt insbesondere eine klare Abgrenzung zu dessen kontradiktorischen Begriff – dem Nichtfamilienunternehmen – mit ein. Insofern ist die F-PEC Skala nicht nur für die vorliegende Arbeit, sondern zugleich für die Rechtswissenschaft insgesamt schwerlich nutzbar zu machen. Lediglich innerhalb der Generalklauseln und der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe ist es denkbar, dass der durch die F-PEC Skala messbar gemachte, abgestufte Familieneinfluss Berücksichtigung finden kann, sofern sich dieser tatsächlich als rechtlich relevant erweist. Zwar soll mit diesen Überlegungen der anschließenden Untersuchung über den Erkenntnisstand zum Familienunternehmensbegriff in der Rechtswissenschaft nicht vorgegriffen werden, jedoch wird sich zeigen, dass die F-PEC Skala dort in der Tat keine Relevanz besitzt. Auf welche Begriffsverständnisse hingegen abgestellt wird und ob diese zumindest partiell mit denen in der nicht-juristischen Fachsprache vorherrschenden, merkmalsorientierten Definitionsansätzen kompatibel sind, soll im Folgenden analysiert werden. II.  Der Begriff des Familienunternehmens in der Rechtswissenschaft Der Begriff des Familienunternehmens hat in der Rechtswissenschaft im Vergleich zu anderen Forschungsgebieten kaum eine intensive Aufarbeitung erfahren. Wenn überhaupt im juristischen Schrifttum oder in der Judikatur eine Begriffsbestimmung erfolgt, entbehrt diese in der Regel jeglicher Begrün287 

Klein, Familienunternehmen, S. 15. Klein, Familienunternehmen, S. 15. 289  Zur weiterführenden Kritik an der F-PEC Skala siehe Wiechers, Familienmanagement, S.  42 – 44. 290  Chua/Chrisman/Sharma, ET&P 1999, 19 (20). 291  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3, S. 45. 288 

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

dung, warum jenes Merkmal und nicht ein anderes herangezogen wird. Darin spiegelt sich zum einen das eingangs erwähnte, bisher vergleichsweise geringe akademische Interesse in der rechtswissenschaftlichen Disziplin an dieser Organisationsform wider. Zum anderen liegt dies an der weitverbreiteten Ansicht, Familienunternehmen seien „juristisch im Grunde nicht faßbar“292 bzw. das Unterbreiten einer generellen Definition sei „zu hoch gegriffen und vergebliche Liebesmüh“293. Doch darf bei diesem Gedanken nicht stehen geblieben werden. Ohne eine theoretisch und/oder empirisch fundierte Begriffsbestimmung sind jegliche Versuche die Familienunternehmen in ihrer ganzen Bandbreite zu erfassen, deren gemeinsame Charakteristika und Problemlagen herauszufiltern und daran anknüpfend Lösungsvorschläge mit einer inhaltlich tragfähigen Begründung zu unterbreiten, zum Scheitern verurteilt. Im Folgenden soll daher zunächst der gegenwärtige Stand des Sprachgebrauchs zum Familienunternehmensbegriff in der Rechtswissenschaft dargestellt werden, um sich dem Rechtsbegriff Familienunternehmen anzunähern und diesen sukzessive aufzuarbeiten. Dabei sollen, soweit dies möglich ist, auch diejenigen Gründe offengelegt werden, welche für die jeweilige Begriffsbildung entscheidend waren. Begonnen wird mit einer Analyse gesetzlich normierter, verwandter Begriffe des Familienunternehmens. Anschließend soll der Fachsprachgebrauch in der Judikatur und im Schrifttum dargestellt werden. Zum Abschluss der Nachzeichnung des Erkenntnisstandes in der Rechtswissenschaft wird auf eine aktuelle Entwicklung eingegangen – das steigende Interesse der Europäischen Kommission an den Familienunternehmen und die Begriffsempfehlung der von dieser eingesetzten Sachverständigengruppe. Ein Aspekt, der im Zuge der fortschreitenden Europäisierung des Rechts nicht hoch genug einzuschätzen ist. 1.  Gesetzliche Grundlagen für die Begriffsbildung – eine Betrachtung verwandter Begriffe Der Begriff des Familienunternehmens findet im deutschen Gesetz keine Erwähnung. Dementsprechend existiert keine Legaldefinition, auf die in dieser Untersuchung zurückgegriffen werden könnte. Auch sonst finden sich keine Hin292  Hennerkes/May, DB 1988, 483. Auch Vogel, Die Familienkapitalgesellschaften, S. 4 spricht von „Schwierigkeiten […] dieses Gebilde in rechtliche Schranken zu bringen, d. h. eine Legaldefinition aufzustellen“. Ähnlich Fabis, NZG 2008, 375, der Familienunternehmen als „eine anhand rein juristischer Kriterien nicht abgrenzbare Kategorie“ ansieht, sowie MünchGesellR/Schücking, § 4 Rn. 106, der den Begriff der Familiengesellschaft „als Rechtsbegriff wenig geeignet“ hält, „weil er unscharf“ sei. Löcherbach, Die interessengerechte Nachfolge, S. 33 meint, dass es „kaum gelingen [könne]“ eine einheitliche juristische Definition für den Begriff des Familienunternehmens zu erarbeiten. 293  Quack, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 11.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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weise darauf, welche Bedeutung der Gesetzgeber dem Familienunternehmensbegriff zumessen würde. Lediglich der Landtag von Baden-Württemberg hat sich intensiv mit dieser Organisationsform befasst und am 24. März 1999 eine Enquetekommission mit dem Auftrag eingesetzt, die „Situation und Chancen der mittelständischen Unternehmen, insbesondere der Familienunternehmen, in Baden-Württemberg“ zu untersuchen.294 In ihrem Bericht ging die Enquetekommission auch auf den Familienunternehmensbegriff ein und führte relevante Abgrenzungsmerkmale an. Dazu zählen zum einen der prägende bzw. bestimmende Einfluss der Familie auf die Entwicklung des Unternehmens, zum anderen die Kapitalmehrheit und die Führungsbeteiligung eines oder mehrerer Familienmitglieder, wobei mindestens einer der Kapitalgeber zugleich an der Führung beteiligt sein soll.295 Ferner wird der „generationsübergreifende Anspruch, das Unternehmen als Familieneigentum zu erhalten und die Entwicklung des Unternehmens zu gestalten“,296 genannt. Die Begriffsbestimmung knüpft dementsprechend an strukturelle sowie subjektive Definitionsmerkmale an. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die Studie zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung von Familienunternehmen im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.297 Beide Vorhaben mündeten jedoch nicht in namhafte Regelungen für Familienunternehmen, welche an dieser Stelle analysiert werden könnten. Insofern bleibt nur, sich dem Familienunternehmensbegriff über eine Betrachtung gesetzlich normierter, verwandter Begriffe zu nähern. Dabei soll auf die bereits angesprochenen, arbeitsrechtlichen Regelungen zur Familiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG) und zum Familienbetrieb (§ 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG) eingegangen werden. Die Begriffsverständnisse sind zwar durch den Kontext des jeweiligen Rechtssatzes geprägt und mithin Bestandteil eines bestimmten Regelungsprogrammes,298 allerdings können beide Normen einen ersten Aufschluss über charakteristische Merkmale organisatorischer Einheiten in Familienhand geben. Denn Begriffe haben in der Regel einen eigenen, selbstständigen Begriffskern.299 Darüber hinaus können solche Gründe offengelegt werden, welche zur Berücksichtigung dieser Organisationsform durch den Gesetzgeber geführt haben.

294 Siehe zum Untersuchungsauftrag Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/3901. 295  Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/5800, S. 58. 296  Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/5800, S. 58. 297  Schröder/Westerheide (Hrsg.), Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen, 2010. 298 Siehe Rothfuß, Logik und Wertung, S. 19 f.; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 64 f. 299  Rothfuß, Logik und Wertung, S. 20.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

a)  Die Familiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG) Der Begriff der Familiengesellschaft ist in § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG legal definiert.300 Danach gelten Familiengesellschaften als Gesellschaften, deren Aktionär eine einzelne natürliche Person ist oder deren Aktionäre untereinander im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO verwandt oder verschwägert sind. Angehörige im Sinne von § 15 Abs. 1 AO sind der Ehegatte oder Lebenspartner (Nr. 2), Verwandte oder Verschwägerte gerader Linie (Nr. 3; §§ 1589 Abs. 1 S. 1, 1590 BGB), Geschwister (Nr. 4), Kinder der Geschwister (Nr. 5), Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister und Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner (Nr. 6), Geschwister der Eltern (Nr. 7) und Personen, die durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Eltern und Kind miteinander verbunden sind (Nr. 8). Nicht erforderlich ist, dass alle Aktionäre zugleich untereinander verwandt oder verschwägert sind. Es genügt, wenn jede einzelne Person mit einer anderen verwandt oder verschwägert ist, sodass eine (gedachte) durchgehende Kette von solchen Angehörigenverhältnissen gebildet werden kann, die sämtliche Aktionäre einschließt.301 Die Legaldefinition erfasst damit zum einen die sog. Einpersonengesellschaften, sofern sich der gesamte Aktienbestand in der Hand einer einzelnen natürlichen Person befindet. Zum anderen liegt eine Familiengesellschaft vor, wenn hundert Prozent der Aktienanteile von Personen gehalten werden, die nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO miteinander verwandt oder verschwägert sind. Ferner beinhaltet die Definition Aktiengesellschaften, bei denen der gesamte Aktienbestand einer anderen Gesellschaft gehört, die wiederum ihrerseits die Anforderungen an eine Familiengesellschaft erfüllt302 bzw. Aktiengesellschaften, an denen außer den nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO miteinander verwandten oder verschwägerten Personen eine Gesellschaft beteiligt ist, deren gesamter Aktienbestand ausschließlich Personen mit dem gleichen Verwandtenkreis gehört303. In allen diesen Fällen genügt eine Mehrheitsbeteiligung nicht.304 300 

Die Legaldefinition geht zurück auf § 76 Abs. 6 S. 2 BetrVG 1952.

301 ErfK/Oetker, § 1 DrittelbG Rn. 11; HWK/Seibt, § 1 DrittelbG Rn. 15; MünchKomm­

AktG/Gach, § 1 DrittelbG Rn. 2; Raiser/Veil/Jacobs/Veil, § 1 DrittelbG Rn. 8; UHH/Habersack, § 1 DrittelbG Rn. 19; WKS/Kleinsorge, § 1 DrittelbG Rn. 16. 302  BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952; ErfK/ Oetker, § 1 DrittelbG Rn. 12; HWK/Seibt, § 1 DrittelbG Rn. 16; MünchKommAktG/Gach, § 1 DrittelbG Rn. 4; Raiser/Veil/Jacobs/Veil, § 1 DrittelbG Rn. 8; UHH/Habersack, § 1 DrittelbG Rn. 20. 303 ErfK/Oetker, § 1 DrittelbG Rn. 12; HWK/Seibt, § 1 DrittelbG Rn. 16; UHH/Habersack, § 1 DrittelbG Rn. 20. 304 ErfK/Oetker, § 1 DrittelbG Rn. 10; HWK/Seibt, § 1 DrittelbG Rn. 15; MünchKommAktG/Gach, § 1 DrittelbG Rn. 3; UHH/Habersack, § 1 DrittelbG Rn. 18; WKS/ Kleinsorge, § 1 DrittelbG Rn. 14 a. A. Fiegle, BB 1953, 594.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Daher liegt eine Familiengesellschaft selbst dann nicht vor, wenn die Personen aufgrund ihrer Aktienanteile einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen haben.305 Insofern geht der Begriff der Familiengesellschaft auf der einen Seite weit über die in der nicht-juristischen Literatur bestehenden Anforderungen an ein Familienunternehmen hinaus: Während nach überwiegender Ansicht ein Familienunternehmen bereits vorliegt, wenn die Familie einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen hat,306 verlangt der Familiengesellschaftsbegriff hingegen, dass sämtliche Kapitalanteile in Familienhand liegen. Auf der anderen Seite bleibt die Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG hinter den Anforderungen des Familienunternehmensbegriffs im nicht-juristischen Schrifttum zurück: Während Letzterer neben der Kapitalbeteiligung zumindest noch die Wahrnehmung von Leitungs- und/oder Kontrollfunktionen durch Familienmitglieder verlangt,307 lässt Ersterer allein die (hundertprozentige) Kapitalbeteiligung der Familie genügen und statuiert keine zusätzlichen Definitionskriterien308. Insbesondere die Besetzung der Organe (namentlich Vorstand und Aufsichtsrat) durch Familienmitglieder ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht erforderlich, da bei einem ausschließlichen Familienbesitz familienfremde Personen in solche nur mit dem Willen der Unternehmerfamilie gelangen und Einfluss ausüben können.309 Auf diesem Wege lässt sich der Familiengesellschaftsbegriff rein formal und anhand objektiver Kriterien bestimmen. Bereits bei der Darstellung der strukturellen Definitionsmerkmale wurde darauf hingewiesen, dass die Eigentumsstruktur mit das eindeutigste Bestimmungsmerkmal ist. Insofern verwundert es nicht, wenn im Rahmen des Familiengesellschaftsbegriffs allein darauf zurückgegriffen wird. Schließlich entscheidet das Vorliegen einer Familiengesellschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 2 DrittelbG über den Ausschluss der Unternehmensmitbestimmung. Genauer betrachtet unterfallen der Mitbestimmung nicht Familiengesellschaften in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der Kommanditgesellschaft auf Aktien mit weniger als 500 Arbeitnehmern (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 2 DrittelbG). Dieser Privilegierung der Familiengesellschaften liegt nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts der Gedanke zugrunde, dass die „Geschlossenheit“ der untereinander familiär verbundenen Aktionäre gestört werden könnte, wenn die 305 MünchKommAktG/Gach, § 1 DrittelbG Rn. 3; Spethmann/Schnorr, RdA 1953, 448 (449); a. A. Fiegle, BB 1953, 594. 306  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A, S. 46. 307  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A. I. 2. a) bb), S. 57 ff. 308  In dem Sinne auch WKS/Kleinsorge, § 1 DrittelbG Rn. 14; a. A. wohl Werner, Die Familiengesellschaft, S. 20. Der Begriff der Familiengesellschaft ist in § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG abschließend definiert, vgl. ErfK/Oetker, § 1 DrittelbG Rn. 9; UHH/Habersack, § 1 DrittelbG Rn. 18. 309  BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 252.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht hätten und dadurch „in den Aufsichtsrat und vielleicht auf dem Wege über den Aufsichtsrat auch in den Vorstand familienfremde Personen gelangen“310 würden. Der Familienverband würde infolgedessen „in einen Interessengegensatz besonderer Art zu dem Interesse der Arbeitnehmer auf Beteiligung im Aufsichtsrat geraten“311. Dem Begriff der Familiengesellschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG liege damit die Auffassung zugrunde, dass die juristische Person lediglich ein rein juristisches Konstrukt sei, welche „zwar als ein selbständiger Rechtsträger behandelt [werde], hinter der aber in Wahrheit doch die Mitglieder in ihrer besonderen rechtlichen Verbundenheit [stünden]“312. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, 3, Nr. 2 DrittelbG kann bei konsequenter Fortführung dieses Gedankens als legislativ angeordnete Durchbrechung des der juristischen Person zugrunde liegenden „Trennungsprinzips“313 betrachtet werden: Die juristische Person einerseits und insbesondere ihre Mitglieder andererseits werden behandelt, als bestehe zwischen ihren rechtlichen Sphären keine klare Trennlinie314. Nur auf diesem Wege können die Interessen der hinter der juristischen Person stehenden Gesellschaftergesamtheit, dem Familienverband, im Rahmen von § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, 3, Nr. 2 DrittelbG Berücksichtigung finden. Hinter der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts zur Familiengesellschaft stehen damit dieselben Erwägungen, welche im einleitenden Kapitel zur Berücksichtigung einer etwaigen besonderen Interessenlage der Familienunternehmen im Arbeitsrecht getroffen wurden. Trotz dieser methodischen Parallelen ist der Begriff der Familiengesellschaft nicht unmittelbar für den Rechtsbegriff des Familienunternehmens, speziell im Arbeitsrecht, verwertbar. Während § 1 DrittelbG als zugleich gesellschaftsrechtlich geprägte Norm an die „Unternehmensorganisation in ihrer gesellschaftsrechtlichen Form“315 anknüpft, mithin den Unternehmensträger als Rechtssubjekt (daher ist die Unternehmensmitbestimmung auch rechtsformabhängig), ist im Arbeitsrecht grundsätzlich das Unternehmen Zuordnungsobjekt von Rechtssätzen316. Es wurde jedoch bereits aufgezeigt, dass für den Begriff des Unternehmens im Arbeitsrecht gerade im Hinblick auf seine Objektstellung die Identität des Unternehmensträgers als Rechtssubjekt 310  BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 252. Nach Ansicht von Spethmann/Schnorr, RdA 1953, 448 (449) habe der Gesetzgeber bis zu einer Unternehmensgröße von 499 Arbeitnehmern den Interessen der familiär verbundenen Anteilseigner im Wege der Abwägung den Vorrang gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer eingeräumt. 311  BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 252. 312  BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 251 R. 313  Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 4 I 2 b, S. 198. 314  Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 9 I, S. 218. 315  Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 1 Rn. 6 [Hervorhebung im Original]. 316  Siehe bereits Einleitendes Kapitel § 2 B. I.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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konstitutiv ist und die organisatorische Einheit lediglich als „Hilfsmittel“ zur Erfüllung seiner Zwecke dient.317 Insofern müsste der Begriff der Familiengesellschaft nur in einem weiteren Schritt in seiner Wirkung auf die organisatorische Einheit beschrieben werden, um diesen zumindest mittelbar für denjenigen des Familienunternehmens verwertbar zu machen. Allerdings sind der Übernahme des Familiengesellschaftsbegriffs durch den stark normzweckgeprägten Begriffs­inhalt zusätzliche Grenzen gesetzt. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG und damit auch die gesetzgeberische Begriffsbildung umfassen nur den soeben beschriebenen, eng umgrenzten Anwendungsbereich. Daher wird nach zutreffender Ansicht eine Geltung des (zu engen, weil die Aufnahme von familienfremden Gesellschaftern generell ausschließenden) Familiengesellschaftsbegriffs außerhalb des Drittelbeteiligungsgesetzes abgelehnt.318 Die Legaldefinition kann mithin in der vorliegenden Arbeit nicht übernommen werden. Sie untersucht eine besondere Behandlung der Familienunternehmen im gesamten Arbeitsrecht und verfolgt dementsprechend eine weitergehende Zwecksetzung. Zusammenfassend betrachtet können dennoch zwei zentrale Erkenntnisleistungen aus der Analyse des Familiengesellschaftsbegriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG gezogen werden: Zum einen bestehen mit der verwandtschaftlichen Beziehung der Eigentümer (welche auch über die Kernfamilie hinaus beachtlich ist) und der besonderen Relevanz des Familieneigentums als konstitutive Elemente, wesentliche Schnittpunkte zum nicht-juristischen Familienunternehmensbegriff. Beide können daher als charakteristische Merkmale organisatorischer Einheiten in Familienhand verortet werden. Zum anderen liefert die zum Familiengesellschaftsbegriff ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, einen Erklärungsansatz und zugleich Beleg, wie die Interessen der hinter der juristischen Person stehenden Familie Berücksichtigung finden können. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch Unternehmungen, welche nicht unter die Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG fallen, mit dem Etikett „Familiengesellschaft“ versehen werden. Hierbei wird grundsätzlich eine inhaltliche Erweiterung gegenüber der gesetzlichen Begriffsbestimmung vorgenommen, sodass in einem größeren Umfang Unternehmen da-

317 

Siehe bereits Einleitendes Kapitel § 2 B. II., S. 35. Schneider/Martin, Familienunternehmen und Unternehmertestament, S. 32; Hen­ nerkes/May, DB 1988, 483; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26 III, S. 773; Fasselt, Nachfolge in Familienunternehmen, S. 5; Frank, Die „kleine“ AG als Organisationsform für die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 37; Iliou, Corporate Governance und mittelständische Familienunternehmen, S. 2, jeweils zur Vorgängernorm § 76 Abs. 6 BetrVG 1952; sowie Habersack, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 19 (20); Löcherbach, Die interessengerechte Nachfolge, S. 33; Priester, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 53 (55). 318 

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

von erfasst werden.319 Es lässt sich sogar innerhalb des rechtswissenschaftlichen Schrifttums konstatieren, dass der Terminus der Familiengesellschaft in diesem Sinne gegenüber dem des Familienunternehmens der bevorzugtere ist.320 Dies liegt wohl an der verbreiteten Auffassung, der Begriff des Familienunternehmens sei primär wirtschaftssoziologisch geprägt, während derjenige der Familiengesellschaft ein juristisches Phänomen sei321. Die Familiengesellschaft wird danach als „rechtliche Seite“ bzw. „Ausgestaltung einer Familienunternehmung“322 begriffen. Richtig ist zum einen, dass Familienunternehmen häufig als rechtsfähige Gesellschaften organisiert sind und andere Formen, wie beispielsweise das Gewerbe eines Einzelunternehmers überwiegend vom Terminus ausgenommen werden323. Zum anderen stammt der Familienunternehmensbegriff primär aus der Wirtschaftswissenschaft324. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Begriff zugleich innerhalb der Rechtswissenschaft Verwendung finden kann. Vielmehr wird oft ein und derselbe Terminus in mehreren Fachwissenschaften benutzt und dort je nach deren Zweckrichtung unterschiedlich definiert.325 Dasselbe gilt für verschiedene Teildisziplinen der Rechtswissenschaft.326 Dementsprechend kann der Familienunternehmensbegriff durchaus in der Rechtswissenschaft Verwendung finden. Im Hinblick auf die Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG für Familiengesellschaften und aufgrund der Tatsache, dass der Begriff des Familienunternehmens (noch) nicht rechtlich besetzt ist, wäre es sogar sinnvoller den Terminus des Familienunternehmens zu gebrauchen, um Verwechslungen zu vermeiden. Eine andere Möglichkeit wäre ferner von Familiengesellschaften im 319 Vgl.

Michalski, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, S. 61. In diesem Sinne ebenfalls Jendritzky, Die korporative Gruppenbildung, S. 40 Fn. 19. 321  Schneider/Martin, Familienunternehmen und Unternehmertestament, S. 31; Vogel, Die Familienkapitalgesellschaften, S. 5; Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 10; vgl. auch Gräb, Rechtsformwahl in Familienunternehmungen, S. 19 f.; König, Die mittelgroße Familienunternehmung, S. 25; Kunkel, in: FS Kube, S. 89 (90); v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 10; Watermann, Die Management-Holding, S. 12. 322  Vogel, Die Familienkapitalgesellschaften, S. 5; Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 10; sich diesen anschließend König, Die mittelgroße Familienunternehmung, S. 25. 323  MIT, Family entrepreneurship, S. 37; Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 36 f. – Wie Frank, Die „kleine“ AG als Organisationsform für die Nachfolge in Familienunternehmen, S. 40 zutreffend ausführt, sei die Familiengesellschaft daher „lediglich eine von möglichen Erscheinungsformen eines Familienunternehmens“, jedoch nicht die einzige. Brösztl, in: FS Sigle, S. 3 (5) hält es sogar für unzweckmäßig den Familienunternehmensbegriff nur auf Unternehmen zu erstrecken, die in der Form einer Gesellschaft betrieben werden. Dies würde den Begriff zu stark einengen. 324  Siehe hierzu Erstes Kapitel § 3 A., S. 47 f. 325  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 110. 326  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 113 ff. 320 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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engeren (Familiengesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG) und weiteren Sinne zu sprechen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde speziell vor dem Hintergrund der Familienunternehmensforschung als Integrationswissenschaft327 bewusst die Verwendung des Terminus „Familienunternehmen“ gewählt. b)  Der Familienbetrieb (§ 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG) Der Begriff des Familienbetriebs im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG328 ist im Gegensatz zu demjenigen der Familiengesellschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG nicht legaldefiniert. Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum finden sich selten Hinweise, wie dieser Gesetzesbegriff genau zu bestimmen ist. Sofern jedoch darauf Bezug genommen wird, gilt als Familienbetrieb ein Betrieb, in dem überwiegend Familienmitglieder arbeiten329. Insofern sind für den Begriff partizipative Definitionsmerkmale maßgebend. § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG enthält für den landwirtschaftlichen Familienbetrieb die weitestgehende Ausnahme vom Verbot der Beschäftigung von Kindern.330 Dort können Kinder bis zu drei Stunden täglich beschäftigt werden. Die Ausnahmeregelung geht zurück auf Art. 2 Abs. 2 lit. b der Jugendarbeitsschutzrichtlinie der Europäischen Union331, welche durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes332 vom 24. Februar 1997 in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde. Danach können die Mitgliedstaaten bestimmen, dass die Richtlinie im Rahmen der von ihnen festgesetzten Grenzen und Bedingungen keine Anwendung auf gelegentliche oder kurzfristige Arbeiten in Familienbetrieben findet, sofern diese Arbeiten als für junge Menschen weder schädlich noch gefährlich anzusehen sind. Entsprechend der Richtlinie hätte der Bundesgesetzgeber unter den genannten Voraussetzungen folglich alle und nicht nur die landwirtschaftlichen Familienbetriebe vom Geltungsbereich des Jugendarbeitsschutzgesetzes ausneh327 

Siehe Einleitendes Kapitel § 1, S. 24. vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichtete Arbeitsgruppe hat sich für eine Vereinheitlichung der Höchstarbeitszeiten für Kinder ausgesprochen. Die Privilegierung der landwirtschaftlichen Familienbetriebe und damit der Begriff des Familienbetriebes würden dann aus dem Jugendarbeitsschutzgesetz gestrichen werden. Siehe hierzu BMAS (Hrsg.), Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, S. 35, 41. 329  Anzinger, BB 1998, 1843 (1844); Zmarzlik/Anzinger, JArbSchG, § 5 Rn. 43. Siehe auch Schoden, JArbSchG, § 5 Rn. 25; in der Neuauflage wird jedoch nur noch davon gesprochen, dass die Personensorgeberechtigten ein selbstständiges Unternehmen betreiben müssten, Lakies, JArbSchG, § 1 Rn. 15. 330  Schoden, JArbSchG, § 5 Rn. 24. 331  Richtlinie 94/33/EG des Rates vom 22. Juni 1994 über den Jugendarbeitsschutz, ABl. L 216 vom 20. 8. 1994, S. 12. 332  BGBl. I 1997, 311 ff. 328  Die

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

men können. Die Ausnahme für die Landwirtschaft hat der Gesetzgeber damit begründet, dass hier „gesundheitliche Beeinträchtigungen von […] beschäftigten Kindern in der Vergangenheit nicht beobachtet worden sind“333. Abgesehen davon, dass diese Begründung in der rechtswissenschaftlichen Literatur als „wenig stichhaltig“334 angesehen wird und zwischenzeitlich eine Projektstudie im Auftrag der Europäischen Kommission darauf hingewiesen hat, dass die Arbeit für Jugendliche speziell in landwirtschaftlichen Familienbetrieben nicht ohne Risiko sei,335 herrscht in der Literatur darüber Streit, ob die Ausnahme nur für eigene Kinder der Unternehmerfamilie gilt oder auch für familienfremde.336 Dies ist für die vorliegende Untersuchung, welche nicht die Besonderheiten von Arbeitsverhältnissen zwischen Familienangehörigen untersuchen will, von Bedeutung. Sofern die Ausnahme des § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG auch arbeitende Jugendliche erfasst, die nicht in einer verwandtschaftlichen Beziehung zur Unternehmerfamilie stehen, muss es Sachgründe geben, die zur Berücksichtigung organisatorischer Einheiten in Familienhand geführt haben und nicht in der familienrechtlichen Beziehung der Betroffenen bestehen. Zmarzlik und Anzinger geben als solche Gründe die unterschiedlichen Gegebenheiten in landwirtschaftlichen Familienbetrieben gegenüber sonstigen wirtschaftlichen Einrichtungen an.337 Worin diese konkret bestehen sollen, bleibt allerdings offen. Zu denken wäre besonders an die oft behaupteten, persönlicheren Arbeitsbeziehungen in Familienbetrieben, aufgrund derer „altersspezifische Arbeitszuordnungen stark berücksichtigt“338 würden. Erstens besteht hierfür jedoch kein empirischer Nachweis. Zweitens spräche dies gerade für eine ausnahmslose Berücksichtigung aller Familienbetriebe, wie dies auch in der Jugendarbeitsschutzrichtlinie ursprünglich vorgesehen war, und nicht nur für solche in der Landwirtschaft. Zusammenfassend betrachtet können daher etwaige über die familienrechtliche Beziehung hinausgehende Sachgründe für die Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Familienbetriebe im Rahmen dieser Untersuchung nicht eruiert werden. Es spricht allerdings viel dafür, dass 333 

BT-Drucks. 13/5494, S. 8. Schoden, JArbSchG, § 5 Rn. 26. Auch die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingesetzte Arbeitsgruppe hält die bisherige Differenzierung „angesichts der vielfältigen Belastungen im Rahmen landwirtschaftlicher Tätigkeiten [für] nicht zu rechtfertigen“, BMAS (Hrsg.), Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Jugendarbeitsschutzgesetzes, S. 41. 335  Rodríguez u. a., Study on child labour and protection of young workers in the European Union, S. 66. 336 Für die Erfassung von familienfremden Kindern etwa Schoden, JArbSchG, § 5 Rn. 25; Schlüter, BuW 1997, 229 (230); vgl. auch BMAS (Hrsg.), Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Jugendarbeitsschutzgesetzes, S. 42; dagegen: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 22 Rn. 6. 337  Zmarzlik/Anzinger, JArbSchG, § 5 Rn. 42. 338  Schlick/Bruder/Luczak, Arbeitswissenschaft, S. 119. 334 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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die Regelung des § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG auch die Beschäftigung familienfremder Jugendlicher erfasst und dementsprechend ein Bestehen solcher sachlicher Gründe zwangsläufig geboten wäre. Anderenfalls ließe sich die Sonderstellung der landwirtschaftlichen Familienbetriebe im Hinblick auf Art. 3 GG nicht rechtfertigen. Der Wortlaut der Norm lässt zwar sowohl die Auslegungsmöglichkeit zu, dass nur familienangehörige Kinder von der Ausnahme erfasst sind, als auch darüber hinaus familienfremde. Ein Blick auf die Vorgängerregelung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 JArbSchG a. F., welcher eine Ausnahme für die Beschäftigung von Kindern „durch Personensorgeberechtigte in der Landwirtschaft“ zuließ und damit ausdrücklich auf die verwandtschaftliche Beziehung abstellte, spricht allerdings dafür, dass diese bei der Neuregelung nicht mehr gefordert wird.339 Letztendlich kann diese konkrete Sachfrage dahingestellt bleiben. Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass der Erkenntnisstand zum Begriff des Familienbetriebs im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG und zu den Gründen, die zu seiner Berücksichtigung geführt haben, noch zu fragmentarisch ist, um daraus Rückschlüsse auf den Rechtsbegriff des Familienunternehmens zu ziehen. Lediglich hinsichtlich der partizipativen Definitionsmerkmale können Parallelen zum Familienunternehmensbegriff in der nicht-juristischen Fachsprache festgestellt werden. 2.  Der Begriff des Familienunternehmens in der Judikatur Der Begriff des Familienunternehmens findet in der Judikatur, ähnlich wie in der Gesetzgebung, trotz der Häufigkeit dieser Organisationsform relativ selten Verwendung. Das überrascht zunächst, gelten doch Familienunternehmen aufgrund ihrer Komplexität, insbesondere im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge, als besonders konfliktanfällig340. Eine mangelnde Relevanz kann daher nicht als Grund für deren geringe Beachtung verortet werden. Diese dürfte vielmehr darauf zurückzuführen sein, dass die Beteiligten im Familienunternehmen grundsätzlich eine innerfamiliäre bzw. unternehmensinterne Konfliktlösung dem (zivil-)gerichtlichen Verfahren vorziehen, um eine gütliche und interessenorientierte Einigung zu erreichen.341 Dadurch wird das Vertrauensverhältnis zwischen den Familiengesellschaftern nicht noch mehr belastet und die

339 

So auch Schoden, JArbSchG, § 5 Rn. 25 f. v. Schlippe/Kellermanns, ZfKE 2008, S. 40 (48); Neuvians, Mediation in Familienunternehmen, S. 2. 341 Laut Jansen/Beyerlein, BB 2012, 733 (734) würde den Familienunternehmen „seit Langem […] die Mediation als vorzugswürdiges Streitbeilegungsinstrument gegenüber dem klassischen kontradiktorischen Gerichtsverfahren [empfohlen]“. Darin kann ein weiterer Grund liegen, dass sich Familienunternehmen gegen eine gerichtliche Auseinandersetzung entscheiden. 340 

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Offenlegung von Geschäftsinterna in der Öffentlichkeit vermieden.342 In den Regelungen für das Innenverhältnis von Familienunternehmen finden sich deshalb häufig Schiedsklauseln,343 sodass darauf bezogene Streitigkeiten grundsätzlich nicht vor die ordentlichen Gerichte gelangen. Darüber hinaus hängt das seltene Vorkommen von familienunternehmensspezifischer Judikatur sicherlich damit zusammen, dass die Familienunternehmen zumindest juristisch gesehen, bisher wenig erforscht sind und der Blick der Rechtsprechung auf deren spezifische Probleme noch nicht ausreichend geschärft wurde. Familienunternehmensspezifische Rechtsfragen werden daher nicht als solche wahrgenommen und thematisiert. Letztendlich handelt es sich bei dem Begriff des Familienunternehmens nicht um einen Gesetzesbegriff, dessen Bestimmung durch die Rechtsprechung zwingend geboten wäre344. Unabhängig von dem Grund für die judikatorische Zurückhaltung, liefern zumindest zwei richterliche Entscheidungen Anhaltspunkte für die Bestimmung des Rechtsbegriffs Familienunternehmen: Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe musste sich im Rahmen eines Beschlusses damit auseinandersetzen, wie der Begriff der „mittelständischen Interessen“ im Sinne von § 97 Abs. 3 S. 1 GWB a. F. zu verstehen ist.345 In diesem Zusammenhang ging er auch auf den Begriff des Familienunternehmens ein. Zwar wird letzterer nur am Rande erwähnt und darauf verwiesen, dass keine exakte Abgrenzung vorgenommen wird,346 allerdings liefern die Ausführungen einen ersten Indikator für den Erkenntnisstand zum Familienunternehmensbegriff in der Judikatur. Als Familienunternehmen gelten danach Unternehmen, in denen der Eigentümer zugleich die Leitung und Verantwortung innehat.347 Mit dieser Aussage schließt sich der Senat zwar nicht explizit, jedoch vom Sinngehalt der Begriffsbestimmung, der vom baden-württembergischen Landtag eingesetzten Enquetekommission zum mittelständischen Familienunternehmen an. Ein Vorgehen, das für außergesetzliche fachsprachliche Begriffe innerhalb der Judikatur nicht unüblich ist. Hier wird häufig nicht selbst eine Definition erarbeitet, sondern insbesondere aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum rezi-

342 Vgl.

Kohler, Die moderne Praxis des Schiedsgerichtswesens, S. 79 f. Kohler, Die moderne Praxis des Schiedsgerichtswesens, S. 25. Zu den Vor- und Nachteilen von Schiedsklauseln insbesondere für Familienunternehmen ausführlich Heinrich, NZG 2016, 1406 ff. 344  Hierzu nachdrücklich Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 57: „Es ist nicht ihre Aufgabe [der Rechtsprechung], über den Inhalt von Begriffen zu entscheiden, die keine gesetzlichen Tatbestandsmerkmale sind“. 345  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6. 4. 2011 – 15 Verg 3/11, VergabeR 2011, 722 ff. 346  Siehe OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6. 4. 2011 – 15 Verg 3/11, VergabeR 2011, 722 (727). 347  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6. 4. 2011 – 15 Verg 3/11, VergabeR 2011, 722 (727). 343 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

77

piert.348 Auch die Enquetekommission sah die Abgrenzung speziell zum Großunternehmen darin, dass die „Eigentumsrechte und Führungsverantwortung […] zusammenfallen“349. Die Enquetekommission bleibt allerdings nicht, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe, bei dieser Definition stehen, sondern erläutert, was unter diesem Passus zu verstehen ist: „die Unternehmen werden von selbstständigen Inhabern geführt, die unternehmerisches Risiko selbst tragen und selbst mitarbeiten“350. Wird der Beschluss des Vergabesenats vor diesem Hintergrund betrachtet, ist es für das Vorliegen eines Familienunternehmens in der Rechtsprechung notwendig, dass sich in der Person des Eigentümers sowohl Unternehmerinitiative (hier erlangen vor allem die sog. strukturellen und/oder partizipativen Definitionsmerkmale Relevanz) als auch Unternehmerrisiko vereinen. Vom Familienunternehmensbegriff sind danach solche Personen ausgeschlossen, die zwar an einem Unternehmen kapitalistisch beteiligt sind, allerdings in diesem keine Leitungsfunktionen wahrnehmen. Auffällig ist, dass bei dieser Begriffsbestimmung die Familienkomponente keine Berücksichtigung findet. Es handelt sich folglich eher um die Definition eines inhabergeführten, als die eines Familienunternehmens. Dies liegt jedoch wesentlich darin begründet, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe bei der Begriffsbestimmung im Rahmen des § 97 Abs. 3 S. 1 GWB stets von mittelständischen Erwägungen geleitet war. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum die Definition nicht passgenau auf Familienunternehmen zugeschnitten ist. Sie ist daher für die nachfolgende Untersuchung nur bedingt verwertbar. Eine ähnlich rudimentäre, aber für das Arbeitsrecht sehr relevante Begriffsbestimmung, lässt sich zumindest mittelbar den Ausführungen des Arbeitsgerichts Trier sowie des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz über die Sozialauswahl im Familienunternehmen entnehmen. Beide Gerichte hatten darüber zu entscheiden, ob ein sonstiges berechtigtes betriebliches Bedürfnis im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG a. F., welches der Auswahl eines bestimmten Arbeitnehmers entgegensteht, auch darin begründet sein kann, dass es sich bei dem Betroffenen um ein Familienmitglied und zugleich Gesellschafter eines (reinen) Familienunternehmens handelt.351 Ein reines Familienunternehmen liege danach vor, wenn in einer Gesellschaft sämtliche Gesellschafter miteinander verwandt sind.352 Dem Eigentum als strukturelles Merkmal wird dementsprechend auch hier eine große Bedeutung zugemessen. Insbesondere sahen es die beiden Ge348 Vgl.

Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 57. Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/5800, S. 45. 350  Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/5800, S. 45. 351  Siehe hierzu ArbG Trier, Urt. v. 4. 12. 2001 – 3 Ca 1138/01, n. v., sowie in zweiter Instanz das LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2. 5. 2002 – 4 Sa 25/02, zitiert nach Juris. 352  LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2. 5. 2002 – 4 Sa 25/02, zitiert nach Juris, Rn. 23; ArbG Trier, Urt. v. 4. 12. 2001 – 3 Ca 1138/01, n. v. 349 

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

richte als relevant an, dass die betroffene (und von der Sozialauswahl letztendlich auszuschließende) Gesellschafterin zusammen mit den Gesellschaftsanteilen der anderen Gesellschafter „die Entscheidungen der Gesellschaft und damit des Betriebes maßgeblich […] beeinflussen“ könne.353 Besonders beachtenswert ist, dass das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz lediglich die Anteile der an der Gesellschaft mitarbeitenden, nicht jedoch der sonstigen familienangehörigen Gesellschafter zusammenrechnen will.354 Denn Letztere würden nicht eine solche „erhebliche persönliche Arbeitsleistung in den Betrieb einbring[en]“ wie die zugleich mitarbeitenden Gesellschafter.355 Das Landesarbeitsgericht misst damit den partizipativen Definitionsmerkmalen neben dem Eigentum ebenfalls einen hohen Stellenwert zu. Bei konsequenter Fortführung des Gedankens gäben diese der Gesellschafterstellung eine andere, höhere Qualität. Zusammenfassend betrachtet erweisen sich sowohl die strukturellen Definitionsmerkmale, respektive das Eigentum, als auch die partizipativen gleichsam als für den Familienunternehmensbegriff relevant. Damit zeigen sich erste Parallelen zu den Ergebnissen bei der Betrachtung gesetzlich normierter verwandter Begriffe. Im Folgenden soll der Familienunternehmensbegriff im Schrifttum analysiert werden. Dann kann sich zeigen, ob sich die besagte Relevanz der strukturellen und partizipativen Kriterien auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum widerspiegelt. 3.  Der Begriff des Familienunternehmens im Schrifttum Der Begriff des Familienunternehmens findet im rechtswissenschaftlichen Schrifttum relativ selten Verwendung. Stattdessen wird auf denjenigen der Familiengesellschaft im weiteren Sinne zurückgegriffen356. Dies führt dazu, dass das Gewerbe eines Einzelunternehmers (Einzelkaufmann und sonstige Gewerbetreibende, die mangels Handelsgewerbe bzw. Eintragung keine Kaufleute sind) von vornherein aus der Begriffsbestimmung herausgenommen wird. Nur vereinzelt findet sich die Auffassung, dass auch von Einzelpersonen betriebene Unternehmen vom Familienunternehmensbegriff umfasst werden sollten, speziell wenn ein Beitritt oder die Nachfolge durch Familienangehörige angestrebt wird.357 353  ArbG Trier, Urt. v. 4. 12. 2001 – 3 Ca 1138/01, n. v.; mit leicht abweichendem Wortlaut LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2. 5. 2002 – 4 Sa 25/02, zitiert nach Juris, Rn. 23. 354  LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2. 5. 2002 – 4 Sa 25/02, zitiert nach Juris, Rn. 23. 355  LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2. 5. 2002 – 4 Sa 25/02, zitiert nach Juris, Rn. 23. 356  Siehe hierzu und zum Begriff der Familiengesellschaft im weiteren Sinne, Erstes Kapitel § 3 A. II. 1. a). 357  So beispielsweise Brösztl, in: FS Sigle, S. 3 (5); Kalss/Oelkers, JEV 2007, 20 (22); Schürmann/Körfgen, Familienunternehmen, S. 7; wohl auch Sund/Bjuggren, EJLE 2007, 273 (279 f.); im Ergebnis auch Bettermann/Heneric, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

79

Unabhängig davon, ob die Definition des Familienunternehmens das Gewerbe eines Einzelunternehmers umfasst, existieren im rechtswissenschaftlichen Schrifttum bestimmte Merkmale, die immer wieder zur Begriffsbildung herangezogen werden. Vor allem auf die strukturellen Definitionskriterien, mithin die Eigentums-, Leitungs- und Kontrollstruktur, wird in nahezu jeder Begriffsbestimmung zurückgegriffen. Bei diesen handelt es sich zugleich um Merkmale, welche die gesellschaftsrechtliche Machtstellung eines Gesellschafters innerhalb der Gesellschaft und im Gesellschaftsunternehmen begründen.358 Daher ist es nachvollziehbar, warum diese auch im juristischen Schrifttum verwendet werden, um den beherrschenden Einfluss einer Familie auf das Unternehmen zu erfassen. Denn bei der Bestimmung des Familieneinflusses geht es in vergleichbarer Weise, um die Machtstellung der Familie innerhalb der Gesellschaft und im Gesellschaftsunternehmen. Zudem handelt es sich bei den strukturellen Kriterien um solche, die in rechtlichen Kategorien fass- bzw. messbar sind. Gegenüber dem Erkenntnisstand im nicht-juristischen Schrifttum zeigen sich hinsichtlich der strukturellen Definitionsmerkmale zunächst keine wesentlichen Unterschiede. Auch in der Rechtswissenschaft wird bezüglich der Eigentumsstruktur gefordert, dass die Gesellschafter miteinander familiär verbunden sein müssen359 bzw. das Unternehmenskapital einer oder (jedoch seltener) mehreren Familien gehören muss360. Als Familie wird dabei nicht nur die Kernfamilie angesehen, sondern der Kreis auf sonstige verwandte und verschwägerte Personen erweitert, wobei eine genaue Grenzziehung oft unterbleibt.361 Ein alleiniges Rekurrieren auf den Grad der Verwandtschaft wird allerdings als wenig sachge(Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, S. 849 (862) sowie Bettermann, Finanzierung von Familiengesellschaften, S. 19, 29, beide jedoch ohne genannte Einschränkung. 358 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 58 ff. 359  Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 12 – 15; Habbe/Gieseler, NZG 2016, 1010; Habersack, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 19 (20); Hommelhoff, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 65 (66); Jendritzky, Die korporative Gruppenbildung, S. 38; Lange, in: FS Hennerkes, S. 135 (137); Kautenburger-Behr/Kubak, in: DWS-Institut (Hrsg.), Handbuch Familienunternehmen, Rn. I 1; Turner, in: FS Sigle, S. 111; ähnlich Mittelsten Scheid, Gedanken zum Familienunternehmen, S. 5 nach dem die Gesellschafter lediglich teilweise miteinander familiär verbunden sein müssen. 360  Bettermann, Finanzierung von Familienunternehmen, S. 24, 29; Hennerkes, in: Hennerkes/Kirchdörfer (Hrsg.), Unternehmenshandbuch Familiengesellschaften, § 1 Rn. 1; Kalss/Oelkers, JEV 2007, 20 (21); Krause, BB 2012, 714; Lange, DB 2005, 2585 (2586); Maier, in: FS Sigle, S. 51; Schürmann/Körfgen, Familienunternehmen, S. 7; Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (303); Sudhoff/Winkler, Familienunternehmen, § 5 Rn. 1. 361 Vgl. Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 14; Hommelhoff, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 65 (66); Schürmann/ Körfgen, Familienunternehmen, S. 6 f.; Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (303); Wittek, Die gesellschaftsrechtliche Behandlung der Familien-GmbH, S. 9 f.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

recht empfunden. Vielmehr komme es darauf an, dass die Personen objektiv als Familieneinheit wahrgenommen werden und sie sich auch subjektiv als eine solche begreifen.362 Anderenfalls treten sie wie alle anderen wirtschaftlich tätigen Personen am Markt auf.363 Ebenfalls nicht genau beziffert wird die notwendige prozentuale Höhe des Kapitalanteils der Familie, ab dem ein Unternehmen als Familienunternehmen angesehen werden kann. In der Regel wird lediglich auf die Kapitalmehrheit der Familie abgestellt,364 wobei die Mehrheit der Stimmen dieser gleichsteht365. Bei einem Kapital- bzw. Stimmrechtsanteil der Familie in Höhe von 75 Prozent soll der beherrschende Familieneinfluss allerdings grundsätzlich noch gewahrt bleiben.366 Nach Priester liegt ein Familienunternehmen selbst dann vor, wenn „eine starke familienverbundene Minderheit“ am Unternehmen „beteiligt ist“367. Wann eine solche vorliegt, bleibt jedoch offen. Im Unterschied zum nicht-juristischen Schrifttum wird in der Rechtswissenschaft, namentlich von Sigle, problematisiert, dass der Familieneinfluss über die Eigentumskomponente durch eine mögliche uneinheitliche Stimmenabgabe der einzelnen Familienmitglieder weiter geschmälert werden kann.368 Dies soll sich jedoch grundsätzlich nicht auf die Einordnung eines Unternehmens als Familienunternehmen auswirken.369 Lediglich eine „Kanalisierung der Entscheidungsfindung“ aufgrund von Stimmbindungs- und Konsortialverträgen wird in diesem Fall für notwendig erachtet.370 Überhaupt wird die Sicherung des Familieneinflusses durch Sonderrechte (beispielsweise das Recht auf Mitwirkung in einem Unternehmensgremium sowie Geschäftsführungs-, Mehrstimm- und Vetorechte) bei gleichzeitigem Ausschluss familienfremder Dritter in der Rechtswissen362  Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 14; Wittek, Die gesellschaftsrechtliche Behandlung der Familien-GmbH, S. 10 f.; ähnlich Fries, Familiengesellschaft und Treuepflicht, S. 39; wohl auch Nagel, Familiengesellschaft und elterliche Gewalt, S. 3. Nach a. A. komme es nicht auf die formale Definition der Familie und das Maß der gefühlten verwandtschaftlichen Verbindung an. Entscheidend sei vielmehr, dass sich die Beteiligten in das Familienunternehmen eingebunden fühlten. 363 Vgl. Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 14. 364  Hennerkes, Die Familie und ihr Unternehmen, S. 16; Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 2/34; Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26 III, S. 772; Sudhoff/Winkler, Familienunternehmen, § 5 Rn. 1. 365  Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 2/34; Hommelhoff, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 65 (67) m. w. N. 366  Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (303). 367  Priester, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 53 (55); ähnlich Zöllner, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 62. 368  Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (303 f.). 369  Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (303). 370  Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (303 f.).

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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schaft generell als typisches Merkmal eines Familienunternehmens angesehen.371 Hierzu können auch die sog. Vinkulierungsklauseln gezählt werden, welche die Übertragung von Gesellschaftsanteilen an die Zustimmung der Gesellschaft binden und damit die Kontinuität des Gesellschafterkreises gewährleisten sollen372. Schmidt hat in diesem Zusammenhang den treffenden Begriff des sog. institutionalisierten373 bzw. verfassten374 Familienunternehmens geprägt – das Unternehmen ist durch spezifische Regelungen in der Satzung, dem Gesellschaftsvertrag oder sonstiger Regelwerke bewusst als Familienunternehmen verfasst.375 Leitmotiv der Sicherung des Familieneinflusses durch Sonderrechte ist die Bestandssicherung bzw. die Erhaltung des Unternehmens für die Familie.376 Es steht dadurch in einem engen Zusammenhang mit dem im nicht-juristischen Schrifttum geforderten subjektiven Definitionsmerkmal, wonach die Familie den Willen besitzen muss, das Unternehmen in Familieneigentum zu halten. Dieses wird in der Rechtswissenschaft ebenfalls häufig als konstitutives Merkmal des Familienunternehmens angeführt.377 Beide Kriterien wurden allerdings auch einer 371 Siehe Fasselt, Nachfolge in Familienunternehmen, S. 4; Habersack, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 19 (21); Kautenburger-Behr/ Kubak, in: DWS-Institut (Hrsg.), Handbuch Familienunternehmen, Rn. I 1; Priester, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 53 (55); Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26 III, S. 772 f.; Turner, in: FS Sigle, S. 111 (111 f.); v. Holtzbrinck, in: FS Sigle, 33 (34); vgl. auch Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung, S. 15 ff.; Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 3/21; a. A. Nagel, Familiengesellschaft und elterliche Gewalt, S. 3. 372  Schmidt, GmbHR 2011, 1289. Zur Sicherung des Familieneinflusses durch Vinkulierungsklauseln siehe Hennerkes/Kirchdörfer, in: Hennerkes/Kirchdörfer (Hrsg.), Unternehmenshandbuch Familiengesellschaften, § 3 Rn. 52 – 54 sowie Binz/Mayer, NZG 2012, 201 ff. 373  Schmidt, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 37 (38). 374  Schmidt, JZ 1984, 771 (781). Zum Begriff des verfassten Familienunternehmens siehe auch Reuter, ZGR 1991, 467 (468), Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 1/13, 3/1 ff. sowie Uffmann, ZIP 2015, 2441 (2447). 375  Eine Übersicht zu den unterschiedlichen Regelwerken, durch die ein Unternehmen mittels Vertragsgestaltung zum Familienunternehmen verfasst werden kann, findet sich bei Kalss/Probst, Kathrein Stiftungsletter 2013, S. 14 (17). 376  Fries, Familiengesellschaft und Treuepflicht, S. 41. 377  Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 21 – 23; Wittek, Die gesellschaftsrechtliche Behandlung der Familien-GmbH, S. 14; Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 2/36; ähnlich v. Holtzbrinck, in: FS Sigle, 33, der die „Unternehmenszielsetzung durch eine Familie“ verlangt [Hervorhebung im Original] sowie Fasselt, Nachfolge in Familienunternehmen, S. 4; siehe ferner Sund/Bjuggren, EJLE 2007, 273 (275); Sund/Melin, EBLR 2008, 279. Hierzu zählt auch die Ansicht, dass sich die Familienmitglieder bewusst zu einem Familienunternehmen zusammengeschlossen haben müssten, um dadurch familienfremde Personen vom Unternehmen auszuschließen, vgl. Hennerkes, in: Hennerkes/ Kirchdörfer (Hrsg.), Unternehmenshandbuch Familiengesellschaften, § 1 Rn. 1; Priester,

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

eingehenden Kritik unterzogen. Bezüglich des Erhaltungswillens weist zunächst Bügler darauf hin, dass dieser bei neu gegründeten Unternehmen in der Regel (noch) nicht bestehen werde.378 Fries geht weiter und stellt das Kriterium generell infrage. Durch dieses wären Unternehmen vom Begriff ausgeschlossen, die idealtypisch als Familienunternehmen angesehen würden.379 Bei kleinen und wirtschaftlich schwachen Unternehmen sei vonseiten der Familie kaum zu erwarten, dass diese an die Weitergabe des Unternehmens an nachfolgende Generationen denke, wenn überhaupt bestehe lediglich ein „resignierendes Wunschdenken“.380 Dies ändere allerdings die Qualität des Unternehmens als Familienunternehmen nicht.381 Ein durchschlagendes Argument gegen den Erhaltungswillen als konstitutives Merkmal des Familienunternehmens führt Jendritzky an: Ein Familienunternehmen liege gerade bei einem bestimmenden Einfluss der Familie auf das Unternehmen vor.382 Ein solcher Einfluss könne sich über das Eigentum in Familienhand oder die Wahrnehmung von Leitungsfunktionen durch Familienmitglieder ergeben, jedoch werde dieser durch den mangelnden Willen der Familie das Unternehmen in Familieneigentum zu halten, nicht geschmälert.383 Der Erhaltungswille sei daher für die nähere Konturierung des Familieneinflusses irrelevant und dementsprechend kein Definitionskriterium des Familienunternehmens.384 Folglich können nach dieser Auffassung auch etwaige bestehende Sonderrechte zugunsten von Familienmitgliedern nicht als notwendiges Kriterium für ein Familienunternehmen angeführt werden. Denn diese sind äußerer Ausdruck des inneren Erhaltungswillens der Familie. Sie nehmen allerdings die Funktion eines wichtigen Indizes für das Vorliegen eines Familienunternehmens ein. Erforderlich ist jedoch eine gewisse Dauerhaftigkeit der Kapitalbeteiligung der Familie, welche durch die Forderung einer Institutionalisierung zumindest mittelbar vorausgesetzt wird. Diese ist notwendig, um ein kurzfristiges, investmentbezogenes Engagement der Familie vom Begriff auszuschließen385 und wird daher im Schrifttum teilweise als gesondertes Definitionsmerkmal des Familienunternehmens hervorgehoben.386 in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 53 (55). Nach a. A. sei die Absicht, das Unternehmen an die nachfolgendenden Generationen weiterzugeben nicht erforderlich, Means, WMLR 2013, 1185 (1205) für das US-amerikanische Recht. 378  Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 21. 379  Fries, Familiengesellschaft und Treuepflicht, S. 42. 380  Fries, Familiengesellschaft und Treuepflicht, S. 42. 381 Vgl. Fries, Familiengesellschaft und Treuepflicht, S. 42. 382  Jendritzky, Die korporative Gruppenbildung, S. 44 f. 383  Jendritzky, Die korporative Gruppenbildung, S. 45. 384  Jendritzky, Die korporative Gruppenbildung, S. 45. 385  Talaulicar, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 47 (53).

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Hinsichtlich der übrigen strukturellen Definitionsmerkmale zeigen sich wiederum keine Besonderheiten gegenüber dem nicht-juristischen Schrifttum. Auch in der Rechtswissenschaft wird es betreffend der Leitungs- und Kontrollstruktur als ausreichend erachtet, dass die Mitglieder der Unternehmerfamilie entweder an der Geschäftsführung aktiv beteiligt sind oder diese zumindest kontrollieren.387 Andernfalls würde das Unternehmen speziell unter den Mitarbeitern und in der Öffentlichkeit nicht als Familienunternehmen wahrgenommen.388 386

Auf die sonstigen Definitionsmerkmale, insbesondere die prozessualen und subjektiven, wird in der Rechtswissenschaft vergleichsweise selten zurückgegriffen. Lediglich die Familientradition als Leitlinie der unternehmerischen Betätigung389 und der zuvor problematisierte Wille das Unternehmen in Familieneigentum zu halten, werden als Kriterien genannt. Dies deutete sich bereits bei deren Darstellung im nicht-juristischen Schrifttum an, da es ihnen an der für die Rechtswissenschaft besonders wichtigen, begrifflichen Trennschärfe bzw. Objektivität fehlt.390 Zusammenfassend betrachtet zeigen sich keine großen Unterschiede gegenüber dem nicht-juristischen Schrifttum. Im Detail gibt es allerdings auch keine so klaren Übereinstimmungen, dass eine allgemeingültige Definition herausgefiltert werden könnte. Beispielsweise bestehen Kongruenzen hinsichtlich der Verwendung von strukturellen Kriterien, jedoch sind die genauen Anforderungen, welche an diese gestellt werden, nicht hinreichend klar. Dazu zählen die notwendige Höhe des Kapitalanteils der Familie oder die Anzahl der Familienmitglieder in den Leitungs- und Kontrollorganen des Unternehmens. 4.  Die Definitionsempfehlung einer Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission Zum Abschluss der Nachzeichnung des Erkenntnisstandes in der Rechtswissenschaft soll auf eine aktuelle Entwicklung in der Familienunternehmensforschung eingegangen werden. Wie bereits erwähnt, hat die Generaldirektion Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission eine Sachverständi386 

Talaulicar, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 47 (53); ähnlich Frank, Die „kleine“ AG als Organisationsform für die Nachfolge in Familien­ unternehmen, S. 41, der vom „Kontinuitätsaspekt“ des Familienunternehmens spricht. 387  Bettermann, Finanzierung von Familiengesellschaften, S. 29; Lange, DB 2005, 2585 (2586); ders., in: FS Hennerkes, S. 135 (137); Sudhoff/Winkler, Familienunternehmen, § 5 Rn. 1; Turner, in: FS Sigle, S. 111; in dem Sinne wohl auch Habersack, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 19 (20 f.); siehe auch ­Means, WMLR 2013, 1185 (1205) für das US-amerikanische Recht. 388  Jendritzky, Die korporative Gruppenbildung, S. 44. 389  Hennerkes, Die Familie und ihr Unternehmen, S. 17. 390  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A. I. 2. c) und d).

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

gengruppe im Bereich der Familienunternehmen, bestehend aus Vertretern aller Mitgliedstaaten der Union eingesetzt. Letztere hat auf der Grundlage bestehender Begriffsbestimmungen des Familienunternehmens eine eigene Definition erarbeitet und zugleich empfohlen diese in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu verwenden.391 Danach ist „ein Unternehmen beliebiger Größe […] ein Familienunternehmen, wenn 1) die Entscheidungsgewalt mehrheitlich in der Hand der natürlichen Person(en) liegt, die das Unternehmen gegründet hat/haben, oder der natürlichen Person(en), die das Stammkapital des Unternehmens erworben hat/haben, oder in der Hand deren Ehegatten, Eltern, Kinder oder der direkten Erben der Kinder; 2) die Entscheidungsgewalt mehrheitlich indirekt oder direkt ausgeübt wird; 3) zumindest ein Mitglied der Familie oder der Verwandtschaft formal in die Unternehmensführung eingebunden ist. 4) Börsennotierte Unternehmen gelten als Familienbetrieb, wenn die Person, die das Unternehmen gegründet oder erworben hat (Stammkapital), oder deren Familien oder Nachkommen über 25 % der Rechte zur Beschlussfassung auf der Grundlage ihres Stammkapitals verfügen“.392

Die Definition basiert maßgeblich auf einer von der Finnischen Family Entrepreneurship Working Group im Auftrag des Finnischen Ministeriums für Handel und Industrie erarbeiteten Begriffsbestimmung, welche nur geringfügig abgewandelt wurde.393 Ziel dieser Arbeitsgruppe war es, eine breit angelegte, vielschichtige Familienunternehmensdefinition zu konzipieren, die wie eine Art „Regenschirmbegriff“ alle Bereiche des weiten Feldes der Familienunternehmensforschung überspannt.394 Die Breite dieser Definition und damit diejenige der Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission erlaubt es, die unterschiedlichen Methoden, Sichtweisen und Theorien der einzelnen (Teil-)Disziplinen in denen die Familienunternehmensforschung betrieben wird, unter sich zu versammeln. Zugleich bestehen jedoch das Risiko der begrifflichen Unbestimmtheit und die Möglichkeit, dass der Familienunternehmensbegriff insgesamt zur Leerformel verkommt, wenn diese nicht als abstraktes Leitbild in den einzelnen Wissenschaftszweigen zur Ausbildung neuer, konkreterer Begriffsbildungen führt.

391 

European Commission, Final report of the expert group, S. 9 f. European Commission, Final report of the expert group, S. 10 [Hervorhebung im Original], Übers. d. Europäische Kommission, Abschlussbericht der Sachverständigengruppe, S. 3. 393  Siehe zur finnischen Definition: MTI, Family entrepreneurship, S. 37. 394 Vgl. MTI, Family entrepreneurship, S. 10. 392 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Wegen ihrer umspannenden Konzeption enthält die europäische Familienunternehmensdefinition auch rechtlich relevante Elemente. Allerdings ging es deren Schöpfern aufgrund ihrer stärkeren ökonomischen Fokussierung eher darum eine wirtschaftspolitisch praktikable Definition395 zu finden als eine juristische. Dies wird dadurch belegt, dass die Begriffsbestimmung vorrangig als Ausgangspunkt zur Ermittlung der Industriestruktur und der wirtschaftlichen Bedeutung von Familienunternehmen dienen sollte. Erst in einem zweiten Schritt war sie zur Ausrichtung der Industriepolitik sowie als Grundlage für eine entsprechende Gesetzgebung gedacht.396 Aus rechtlicher Perspektive kann die Definitionsempfehlung der Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission daher lediglich als außerrechtliche Leitlinie für die Herausbildung einer konkret rechtswissenschaftlichen Begriffsbestimmung dienen. Dies gilt schon deshalb, weil die Definitionsempfehlung rechtlich nicht verbindlich ist. Die Leitlinienfunktion darf jedoch nicht unterschätzt werden. Gerade wenn vonseiten der Europäischen Union eine spezielle Behandlung der Familienunternehmen in den einzelnen Mitgliedstaaten angestrebt wird, ist eine gewisse einheitliche Ausrichtung der auf Gemeinschafts- und mitgliedstaatlicher Ebene verwendeten Definitionen erforderlich. So können Inkohärenzen vermieden und die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen vermindert werden. Dementsprechend sind dieselben Gesichtspunkte zu berücksichtigen, welche bereits zur Empfehlung der Kommission betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen geführt haben.397 Als inhaltliche Vorgaben der Leitlinie können fünf konstitutive Elemente des Familienunternehmens verortet werden, nach denen eine weitere Konkretisierung bzw. materielle Ausdifferenzierung des Begriffs zu erfolgen hat: Das sind auf der einen Seite die Größenunabhängigkeit, die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Eigentümern des Unternehmens und die tatsächliche Ausübung der Entscheidungsgewalt über das Unternehmen durch diese bzw. die formale Einbindung eines Familienmitgliedes in die Unternehmensführung. Auf der anderen Seite ist dies die Notwendigkeit zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten Unternehmen bei der Begriffsbestimmung zu differenzieren. Hier zeigen sich wiederum Parallelen zum Familienunternehmensbegriff im nicht-juristischen Schrifttum. Ihre Leitlinienfunktion in Bezug auf die fünf Elemente kann die Definition der Sachverständigengruppe jedoch nur erfüllen, 395  Tatsächlich basiert beispielsweise die wirtschaftspolitische Debatte in Österreich auf dieser Definition, siehe BMWFJ (Hrsg.), Mittelstandsbericht 2012, S. 70. 396  Siehe für die europäische Definition: European Commission, Final report of the expert group, S. 9; für die finnische Definition: MTI, Family entrepreneurship, S. 9, 33. 397  Vgl. Empfehlung der Europäischen Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen herausgegeben hat, KOM 2003 (1422) endg., L 124/36.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

wenn sie durch die Europäische Kommission in einem rechtlich verbindlichen Akt zur Geltung gebracht wird. Nichtsdestotrotz können die bestehenden Tendenzen, eine einheitliche Definition des Familienunternehmens zu schaffen und deren politische sowie wissenschaftliche Erwünschtheit, nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich eine Begriffsbildung letztendlich an der konkret zu untersuchenden Forschungsfrage orientieren muss398. Die einschlägigen Definitionsmerkmale müssen jeweils „neu ausgewählt, bewertet und gewichtet werden“.399 Daher ist es innerhalb der vorliegenden Untersuchung, die der Frage nach der Legitimität und den Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen nachgeht, notwendig zu analysieren, welche Definitionsmerkmale konkret und in welcher Form von der Definitionsempfehlung der Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission, aber auch aus dem nicht-juristischen Schrifttum und speziell der Rechtswissenschaft übernommen werden können bzw. ob nicht andere Kriterien für die Begriffsbildung im Arbeitsrecht heranzuziehen sind. Damit stellt sich die zentrale Frage, wie der Begriff des Familienunternehmens im Arbeitsrecht zu bestimmen ist. Dieser wird nach einer kurzen zusammenfassenden Betrachtung der bisherigen Ergebnisse zum Erkenntnisstand über den Familienunternehmensbegriff nachgegangen. III.  Zusammenfassende, bewertende Betrachtung zum Erkenntnisstand über den Begriff des Familienunternehmens Weder in der Rechtswissenschaft noch in der sonstigen Fachsprache besteht ein durchgängig akzeptierter Begriffsinhalt des Familienunternehmens. Nur vereinzelt existieren Merkmale, die gebietsübergreifend, speziell rechtsgebietsübergreifend, Verwendung finden, und somit als Basis einer allgemeinen, einheitlichen Familienunternehmensdefinition dienen können. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist, dass eine Familie beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen ausüben muss, damit dieses als Familienunternehmen angesehen werden kann. Zudem muss eine Definition die drei wesentlichen Elemente Familie, Unternehmen und Eigentum in sich vereinen. Übereinstimmend wird daher zur Konkretisierung des beherrschenden Einflusses der Familie auf das Unternehmen das strukturelle Merkmal Eigentum herangezogen. Danach muss die Familie einen namhaften Kapital- und/oder Stimmrechtsanteil am Unternehmen innehaben. Darin erschöpft sich jedoch der größte gemeinsame Nenner zwischen den einzelnen Untersuchungsgebieten der Familienunternehmensforschung in puncto Begriffsbestimmung, auf dessen Grundlage eine potenzielle gebietsübergreifende Familienunternehmensdefinition geschaffen werden könnte. Daneben existieren 398 

So auch Felden/Hack, Management von Familienunternehmen, S. 15. Hack, ZfB-Special Issue 2/2009, 1 (5); Felden/Hack, Management von Familienunternehmen, S. 15. 399 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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in der Rechts- und der sonstigen Fachwissenschaft zwar starke Kongruenzen hinsichtlich der sonstigen strukturellen, sowie der partizipativen als auch subjektiven Definitionsmerkmale, allerdings sind diese nicht unumstritten gültig. Insgesamt bliebe damit ein nur an den bestehenden Übereinstimmungen ausgerichteter Familienunternehmensbegriff zu vage und wäre wenig operabel. Dessen ungeachtet bietet es sich an, die offengelegten gebietsübergreifenden Kongruenzen quasi in einem Basisbegriff zusammenzuführen, der anschließend in den einzelnen Untersuchungsgebieten weiter ausgestaltet und konkretisiert werden muss. Anders als die Definitionsempfehlung der Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission, welche auf die Schaffung einer einheitlichen (europäischen) Begriffsbestimmung des Familienunternehmens abzielt und die primär wirtschaftspolitisch ausgerichtet ist, handelte es sich hierbei um einen echten Konsens zwischen den einzelnen Untersuchungsgebieten. Dieser könnte dann jeweils an den unterschiedlichen Theorien der Disziplinen und ihren konkret zu untersuchenden Forschungsfragen ausgerichtet werden sowie speziell auf die Rechtswissenschaft bezogen, an dem Sinn und Zweck der einschlägigen Normen. Auf diesem Wege können spezifisch rechtliche Merkmale in der Begriffsbildung zur Geltung gebracht werden, wie beispielsweise die Indizwirkung von Sonderrechten zur Sicherung des Familieneinflusses. Hier erweist sich auch die dichotome Untersuchung des Erkenntnisstandes zum Familienunternehmensbegriff in der Fachsprache als nützlich. Denn in deren zweitem Teil wurde ausführlich herausgearbeitet, welche Definitionskriterien die Gesetzgebung, die Judikatur und das rechtswissenschaftliche Schrifttum für rechtlich relevant halten. Dieses Vorgehen, welches ausgehend vom Basisbegriff zur Herausbildung vielfältiger, disziplinspezifischer Familienunternehmensdefinitionen führt, erscheint schon deshalb zweckmäßig, weil sich während der Untersuchung des Familienunternehmensbegriffs in der Fachsprache immer mehr herauskristallisiert hat, dass es kaum gelingen wird, einen einheitlichen Familienunternehmensbegriff zu schaffen, der über alle Gebiete hinweg und damit auch in der Rechtswissenschaft und ihren unterschiedlichen Teildisziplinen gleichmäßig Anwendung finden kann. Es ist sachgerechter eine Differenzierung nach den jeweiligen Forschungsfeldern und ihren konkreten Fragen vorzunehmen. Daher wird im Folgenden von der Schaffung eines gebietsübergreifenden Familienunternehmensbegriffes abgesehen und der Fokus speziell auf denjenigen im Sinne des Arbeitsrechts gelegt.

B.  Zum Begriff des Familienunternehmens im Arbeitsrecht Bisher wurden in der Jurisprudenz keine Versuche unternommen, den Begriff des Familienunternehmens im Arbeitsrecht zu bestimmen. Es wird juristisches Neuland betreten. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und den Grenzen einer eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffsbildung. Vielleicht,

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

so könnte argumentiert werden, bedarf es keiner arbeitsrechtsspezifischen Familienunternehmensdefinition, weshalb die Wissenschaftler bis dato von deren Schaffung abgesehen haben. Nun ist die Familienunternehmensforschung zum einen eine relativ junge Wissenschaftsdisziplin, sodass bereits aus diesem Grund keine Auseinandersetzung stattgefunden haben könnte. Zum anderen wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein an den konkreten Forschungsfragen ausgerichteter Familienunternehmensbegriff im Regelfall sachgerechter ist als ein einheitlicher, gebietsübergreifender. Dies deutet die Relevanz einer eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffsbildung an. Gleichwohl soll dieser Gedanke noch einmal aufgegriffen und weiter vertieft werden, um letzte bestehende Zweifel auszuräumen. Insbesondere muss auf die Möglichkeit eingegangen werden, den Familienunternehmensbegriff einer anderen Fachwissenschaft zu übernehmen. I.  Notwendigkeit und Grenzen einer eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffsbildung (Fach-)Begriffe sind häufig „Kerne von wissenschaftlichen Theorien“.400 Darauf wurde im einleitenden Kapitel hingewiesen. In nahezu jeder Begriffsbildung kommen die unterschiedlichen Sichtweisen und spezifischen Methoden der jeweiligen Fachwissenschaft zum Ausdruck. Denn auch bei der Begriffsbildung müssen die fachspezifischen Charakteristika berücksichtigt werden.401 Derselbe Untersuchungsgegenstand kann entsprechend unter besonderen Gesichtspunkten betrachtet und in den einzelnen Fachwissenschaften unterschiedlich bestimmt werden.402 Im Vordergrund steht dabei die jeweilige Zwecksetzung der Einzelwissenschaft.403 Während beispielsweise die Wirtschaftswissenschaft in erster Linie versucht die ökonomischen Zusammenhänge im Familienunternehmen zu klären sowie Aussagen über die Wirkungen bestimmter Entscheidungsprozesse zu treffen; ist es vornehmliches Ziel der Jurisprudenz als „Normwissenschaft“, den Sinn- und Wertgehalt von Normen des geschriebenen (sowie des ungeschriebenen) Rechts zu erfassen und zu verwirklichen404. Im Falle des Arbeitsrechts all jener Regelungen, welche sich „auf die in abhängiger, weisungsgebundener Tätigkeit geleistete Arbeit beziehen“405. Aufgrund dieser divergierenden Er400  Bergmann/Jahn/Knobloch/Krohn/Pohl/Schramm, Methoden transdisziplinärer Forschung, S. 53. 401  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 79. 402  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 440; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 110. 403  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 440; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 110. 404  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 195; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 296. 405  Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 3.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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kenntnisziele muss der Bedeutungsinhalt des Familienunternehmens in der Wirtschaftswissenschaft nicht notwendigerweise mit demjenigen in der Jurisprudenz übereinstimmen. Entsprechendes gilt für den Sinngehalt des Familienunternehmens in anderen Fachwissenschaften und sogar zwischen den einzelnen Rechtsgebieten406. Ferner kann das Erkenntnisinteresse einer konkreten Untersuchung von dem allgemeinen fachwissenschaftlichen abweichen. Daher muss im Einzelfall genau analysiert werden, ob der Zweck des jeweiligen Forschungsprojektes mit den Erkenntniszielen anderer, fachfremder Untersuchungen im Hinblick auf die Begriffsbildung übereinstimmt.407 Ist dies nicht der Fall, besteht die Notwendigkeit einer eigenständigen Begriffsbildung. In der vorliegenden Untersuchung geht es um die Erforschung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen. Konkret soll analysiert werden, ob aufgrund des beherrschenden Familieneinflusses auf das Unternehmen andere, besondere arbeitsrechtliche Beurteilungsmaßstäbe für diese Organisationsform anzulegen sind. Bereits vereinzelt existieren fachfremde Forschungsprojekte, die ebenfalls Familienunternehmen und die Arbeitsbeziehungen miteinander in Verbindung bringen.408 Deren Erkenntnisinteresse unterscheidet sich jedoch maßgeblich von demjenigen der vorliegenden Arbeit. Ziel dieser vorwiegend wirtschaftswissenschaftlichen Publikationen ist aufzuzeigen, ob es in Familienunternehmen zur Herausbildung distinktiver Arbeitsbeziehungen kommt, welche sich positiv auf den Geschäftsverlauf, einschließlich des Geschäftsergebnisses auswirken.409 Im Vordergrund stehen damit allein wirtschaftliche Zusammenhänge; rechtlich relevante Aspekte finden wenn überhaupt nur am Rande Berücksichtigung. Sofern besondere Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen ausgemacht werden, erfolgen keine Rückschlüsse auf rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten. Das abweichende Erkenntnisinteresse in der Wirtschaftswissenschaft wirkt sich notwendigerweise auf die Begriffsbildung aus: Während es hier genügt einzelne Aspekte des Familienunternehmens herauszugreifen, die sich auf die Arbeitsbeziehungen und zugleich den Geschäftsverlauf auswirken können (zum Beispiel das „Familieneigentum“),410 verlangt eine Untersuchung zu einem Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen einen umfassenderen Blick auf das Un406 

Siehe ausführlich Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 113 – 118. Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 122. 408  Für Nachweise siehe Einleitendes Kapitel, Fn. 1. 409  Siebert/Peng/Maimaiti, HRM practices and performance of family-run work­ places, S. 2; Dawson, JFBS 2012, 3; ähnlich Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 1 ff., die einen Zusammenhang zwischen sicheren Arbeitsbeziehungen und niedrigerem Gehalt herstellen. 410  Aus diesem Grund beziehen sich bisherige wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen vermehrt auf Teilerscheinungsformen des Familienunternehmens, wie beispielsweise familiengeführte Unternehmen oder solche in Familieneigentum. 407 Vgl.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

tersuchungsobjekt. Es müssen alle Aspekte des Familienunternehmens aufgegriffen werden, die zum gegenwärtigen Erkenntnisstand eine besondere Behandlung dieser Organisationsform im Arbeitsrecht rechtfertigen könnten. Die Definition ist entsprechend weit zu fassen. Ein wirtschaftswissenschaftlicher Familienunternehmensbegriff würde der arbeitsrechtlichen Zwecksetzung nicht gerecht werden. Es besteht mithin die Notwendigkeit einer eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffsbildung. Das schließt die Übernahme einer Familienunternehmensdefinition aus einer anderen Fachwissenschaft ebenso aus, wie die Schaffung einer einheitlichen, disziplinübergreifenden Begriffsbildung. Grenzen sind einer eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffsbildung insoweit gezogen, als Familienunternehmen im Hinblick auf ihre Arbeitsbeziehungen bisher nicht hinreichend untersucht worden sind. Um alle relevanten Einzelgesichtspunkte zu erfassen, die eine besondere Behandlung dieser Organisationsform im Arbeitsrecht rechtfertigen könnten, muss der Untersuchungsgegenstand so weit gefasst werden, dass auch bisher unbekannte bzw. unentdeckte Aspekte später mit aufgenommen werden können und der Zugang zu diesen nicht von vornherein versperrt wird. Arrow hat diesen Gedanken im Zusammenhang mit dem Institutionenbegriff wie folgt treffend formuliert: „Da die Forschung auf diesem Gebiet noch in ihren Anfängen steckt, ist ein Zuviel an Genauigkeit zu vermeiden“411. Entsprechend muss auch bei dem Familienunternehmensbegriff ein Weniger an Exaktheit zwangsläufig hingenommen werden.412 Der Begriffsbildung ist eine weitere Grenze gezogen. In Bezug auf das Arbeitsrecht ist diese (zunächst) nur regelungsübergreifend möglich. Eine von vornherein auf einzelne Normen oder Normenkomplexe bezogene Betrachtung würde die Probleme bei der Abgrenzung zum Nichtfamilienunternehmen vervielfachen und damit zusätzliche Unklarheit über die jeweils geltenden rechtlichen Folgen schaffen. Erst wenn sich die Forschung zu Familienunternehmen und ihren Arbeitsbeziehungen verfestigt hat, kann in einem zweiten Schritt eine Feinabstimmung der Begriffsbildung vorgenommen werden.

411  Arrow, Essays in the theory of risk-bearing, S. 224, Übers. d. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 7. 412  Skeptisch, ob diese Aussage auch für (rechts-)wissenschaftliche Untersuchungen vertretbar sei Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 96, dies jedoch im Ergebnis offenlassend.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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II.  Die klassifikatorische Begriffsbildung in Abgrenzung zur typologischen Methode und deren Anwendung auf den Familienunternehmensbegriff Bevor mit der Bestimmung des Familienunternehmensbegriffs im Arbeitsrecht begonnen werden kann, ist als Vorfrage notwendigerweise zu klären,413 ob dieser exakt definiert oder bloß typologisch beschrieben werden muss. Sofern diese Problematik in der rechtswissenschaftlichen Literatur überhaupt aufgeworfen wird, halten einige Autoren die Erfassung des Familienunternehmens als Typus für sachgerechter.414 Der Typusbegriff steht im Gegensatz zum sog. Klassenbegriff im engeren Sinne. Seine Besonderheiten offenbaren sich erst vollständig bei einer inhaltlichen Kontrastierung beider sprachlicher Ausdrücke.415 Klassenbegriffe haben in der Wissenschaft den Zweck, einen bestimmten Bereich in verschiedene Kategorien zu unterteilen,416 auch in der Jurisprudenz werden die meisten Begriffe klassifikatorisch gebildet417. Den Typusbegriffen werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch überwiegend nicht alle Klassenbegriffe gegenübergestellt, sondern nur ein eng umgrenzter Bereich.418 Bei diesen sog. Klassenbegriffen im engeren Sinne sind die einzelnen Merkmale derart kumulativ miteinander verknüpft, dass sie „nur dann und immer dann“ Anwendung finden, wenn sämtliche Einzelmerkmale der (konjunktiven) Definition voll verwirklicht sind.419 Sie sollen sich daher durch ihre Geschlossenheit sowie Unbeweglichkeit auszeichnen und die eindeutige Zuordnung eines Sachverhaltes 413  Treffend in diesem Zusammenhang Herschel, FG Kunze, S. 225: „die beste Methode verbürgt noch nicht eine richtige Erkenntnis, aber sie sichert und kontrolliert den zum Ziele führenden Weg, dessen sich der Wissenschaftler oft bereits ,in seinem dunklen Drange’ bewußt ist. Deshalb gehört es zum wissenschaftlichen Denken als Vorfrage, sich auf die anzuwendende Methode zu besinnen […]“. 414  Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 11; Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 2/24 f.; Kautenburger-Behr/Kubak, in: DWS-Institut (Hrsg.), Handbuch Familienunternehmen, Rn. I 1; Pyschny, Die Kombination, S. 7; Ulmer, ZIP 2010, 549 (552); Vogel, Die Familienkapitalgesellschaften, S. 9. 415  Pahlke, DStR-Beih 2011, 66 (67); Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, Rn. 617; Schenke, Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 160; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 123, 126. 416  Kuhlen, Typuskonzeptionen in der Rechtstheorie, S. 34. 417  Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 47. 418 Ausdrücklich darauf hinweisend Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 544; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 126. 419  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 544; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 216; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 126. – Daneben existieren Klassenbegriffe, bei denen die Merkmale alternativ verbunden sind (sog. disjunktive Definition). Siehe hierzu Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 55 ff.; Rüthers/ Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 932; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 126, 130.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

zu der durch sie benannten Kategorie im Wege der Subsumtion ermöglichen,420 ohne dass hierbei grundsätzlich Raum für subjektive Wertungen bliebe421. Dabei wird jedoch verkannt, dass auch die Subsumtion immer ein Wertungsakt ist. Denn das „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“422 erfordert eine reziproke Bewertung des „Normativen im Hinblick auf das Faktische und des Faktischen im Hinblick auf das Normative“423. Typusbegriffe lassen sich hingegen nach der klassischen Typuskonzeption nicht exakt definieren, sondern lediglich ausgehend vom Normalfall durch eine Reihe von Merkmalen beschreiben.424 Es müssen nicht alle den Typus kennzeichnenden Merkmale vorliegen. Vielmehr können einige als typisch angesehene Merkmale verzichtbar sein, sowie weitere hinzukommen.425 Signifikantes Charakteristikum der Typusbegriffe ist, dass ihre einzelnen Merkmale zumindest partiell variabel und graduierbar sind,426 indem sie „mehr oder weniger“ vorliegen können427. Der Typusbegriff kann daher im Anschluss an Leenen treffend als „elastisches Merkmalsgefüge“428 beschrieben werden. Hieraus ergibt sich auch der bedeutendste Unterschied zum sog. Klassenbegriff im engeren Sinne: Während letzterer durch seine geschlossene Merkmalskette der Subsumtion zugänglich ist, besteht diese Möglichkeit bei dem Typusbegriff nicht, ihm werden lediglich bestimmte Sachverhalte zugeordnet.429 Praktisch läuft die typologische Methode daher auf eine wertende Betrachtung des Gesamtbildes aller den Typus kennzeichnenden Merkmale hinaus.430 420  Herschel, FG Kunze, S. 225 (234); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 216; Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, S. 47 f. 421  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 226; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 45. 422  Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 15. 423  Pavčnik, Rechtstheorie 2008, 557. Im Ergebnis auch Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 3; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 31. Siehe zu den Wertungen bei der Subsumtion ausführlich Rothfuß, Logik und Wertung, S. 98 ff. 424  BVerfG, Beschl. v. 20. 5. 1996 – 1 BvR 21/96, NZA 1996, 1063; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 92; Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, S. 50. 425  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 544; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 20. 5. 1996 – 1 BvR 21/96, NZA 1996, 1063. 426  Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 242; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 35; ähnlich BVerfG, Beschl. v. 20. 5. 1996 – 1 BvR 21/96, NZA 1996, 1063. 427  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 126 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 221. 428  Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 34. 429  Herschel, FG Kunze, S. 225 (234); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 226; Schenke, Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 160; siehe auch Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 135, der dies jedoch später kritisch „als bloßes Benennungsproblem“ ansieht, ders., Die juristische Begriffsbildung, S. 131.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Der Typusbegriff wurde in der Literatur einer eingehenden Kritik unterzogen.431 Hauptanknüpfungspunkt ist die fehlende Vorklärung des leitenden Wertungsgesichtspunktes, unter dem die konstitutiven Merkmale des Typus sowie deren Verknüpfung miteinander festgelegt werden. Wenn weder feststehe, welche konkreten Merkmale zwingend anwendbar oder verzichtbar seien, noch vorgegeben ist, welches Gewicht den einzelnen Merkmalen im Verhältnis zueinander beigemessen werde, sei das Ergebnis der Auslegung des Typusbegriffs in das Belieben des Rechtsanwenders gestellt432. „Nicht der Typus, also der vom Rechtsanwender typisierte Lebenssachverhalt, sondern der Interpret bestimmt die Merkmale sowohl der Fallgruppe als auch ihrer rechtlichen Beurteilung“.433 Der Typusbegriff werde so zum Scheinargument, zum Instrument verdeckter Rechtsfortbildung.434 430

Trotz dieser durchgreifenden Kritik findet die typologische Methode sowohl im rechtswissenschaftlichen Schrifttum als auch in der Rechtsprechung zahlreiche Verwendung.435 Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsfigur des Typus als grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich und sinnvoll eingestuft.436 Im Arbeitsrecht wird beispielsweise der zentrale Begriff des „Arbeitnehmers“437, aber auch der des „Tendenzbetriebes“,438 als Typus charakterisiert. Bei genauerer Betrachtung der kritischen Argumente fällt zudem auf, dass sich diese im Regelfall nicht gegen den Typusbegriff als solchen richten, sondern

430 

Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 465; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 35, 183; Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rn. 147; Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 311; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 20. 5. 1996 – 1 BvR 21/96, NZA 1996, 1063. 431  Die Diskussion um den Typusbegriff soll hier nicht abschließend wiedergegeben werden. Es wird auf weiterführende Literatur verwiesen; eine prägnante Darstellung der Argumente findet sich beispielsweise bei Kokert, Der Begriff des Typus bei Karl Larenz, S.  275 – 278. 432 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 933; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 128. 433  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 933. 434  Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 310; Rüthers, NZA Beil. 3/2011, 100 (104); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 933. 435  Selbst schärfste Kritiker des Typusbegriffs lehnen seine Anwendung nicht gänzlich ab, vgl. etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 934: „Die Begriffe Typus und Typenreihe sind in einer auf Rationalität bedachten Rechtsmethode nur als Darstellungs- und Ordnungsbegriffe verwendbar“. 436  BVerfG, Beschl. v. 20. 5. 1996 – 1 BvR 21/96, NZA 1996, 1063. 437  Siehe hierzu BAG v. 23. 4. 1980 – 5 AZR 426/79, AP Nr. 34 zu § 611 BGB Abhängigkeit; Herschel, FG Kunze, 225 (237). Kritisch Brammsen, RdA 2010, 267 (269); ErfK/ Preis, § 611 BGB Rn. 53 – 62; MünchArbR/Richardi, § 16 Rn. 22 f. 438  Siehe hierzu Herschel, FG Kunze, S. 225 (238).

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

gegen methodische Schwächen seiner Konzeption,439 welche zu unbedachter und missbräuchlicher Verwendung führen können. Dies ist unter anderem dadurch bedingt, dass sich in der Rechtswissenschaft die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Begriffsbildung mit rein konjunktiven Merkmalen lediglich ein „Begriffsideal“ ist, welches sich nicht immer erreichen lässt440 bzw. nicht immer sachgerecht ist441. Es besteht vielmehr die Notwendigkeit, auch komplexere, sich wandelnde Objekte begrifflich zu erfassen.442 Während dies mit dem Typus und seinem „elastischen Merkmalsgefüge“ relativ einfach gelingt,443 muss der starre und unveränderliche Klassenbegriff im engeren Sinne entweder von vornherein weiter bzw. „inhaltsärmer“444 gefasst oder später im Wege der Analogie bzw. teleologischen Reduktion korrigiert werden445. Der Typusbegriff ermöglicht insofern für den Rechtsanwender flexiblere Lösungsmöglichkeiten446. Zwar ist heute anerkannt, dass Klassenbegriffe auch durch disjunktive Verknüpfung der Merkmale gebildet werden können,447 wodurch sich der Unterschied zwischen Typus- und Klassenbegriff verringert, welcher durch die Gegenüberstellung einer ganz bestimmten Kategorie von Klassenbegriffen (den Klassenbegriffen im engeren Sinne) in der Rechtswissenschaft erst künstlich vergrößert wurde,448 allerdings kann hierdurch nicht dieselbe Flexibilität wie bei den Typusbegriffen gewährleistet werden. Sicherlich wird die größere Flexibilität der typologischen Methode durch ein geringeres Maß an Rechtssicherheit erkauft.449 Die Zuordnung eines Sachverhaltes zu einem Typusbegriff kann nie dieselbe Trennschärfe wie die Subsumtion unter einen Klassenbegriff erreichen.450 Daher sollte die typologische Methode 439  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 546 sieht darin den „stärkste[n] Einwand gegen die ,klassische Typuskonzeption‘“. 440  Puppe, in: GS Kaufmann, S. 15 (33 f.); ähnlich Herschel, FG Kunze, S. 225 (231). 441  Zu den Nachteilen konjunktiver Definitionen Puppe, in: GS Kaufmann, S. 15 (21 f.). 442 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 29. 443  Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 242; Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 29. 444  Puppe, in: GS Kaufmann, S. 15 (21). 445  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 223; Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 29. 446  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 304. 447  Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 55; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 184, 932; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 130. 448  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 545 spricht von „theoretische[r] Übertreibung eines Gegensatzes zwischen Begriff ieS und Typus“. Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 58 sieht im Typusbegriff lediglich eine „Weiterentwicklung der disjunktiven Begriffsbestimmung“. 449  A. A. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 304. 450  Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, Rn. 312.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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strikt nur dann angewendet werden, wenn die klassifikatorische Begriffsbildung versagt.451 Nur in diesem Fall ist es gerechtfertigt, vom „Begriffsideal“ abzuweichen. Zudem kann der mangelnden Rechtssicherheit begegnet werden, indem der leitende Wertungsgesichtspunkt bei der typologischen Methode von vornherein offengelegt und genau festgesetzt wird, welche Einzelmerkmale zur Bestimmung des Typus heranzuziehen sind und welche Gewichtung sie zueinander haben.452 Hinsichtlich der Bestimmung des Familienunternehmensbegriffs ist trotz der aufgezeigten Bedenken, in zweierlei Hinsicht die Anwendung der typologischen Methode geboten: Ausgehend von dem herausgearbeiteten Basisbegriff des Familienunternehmens ist erforderlich, dass die Familie beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen ausübt. Während sich der Unterbegriff des „Unternehmens“ relativ eindeutig bestimmen lässt und unter diesen subsumiert werden kann, ist dies bei dem „beherrschenden Familieneinfluss“ nicht gewährleistet. Dieser kann im Gegenteil mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Auch die Einflusskanäle der Familie können variieren und diesem eine andere Qualität geben. Es handelt sich daher um einen normativ-unbestimmten Rechtsbegriff453, der sich durch die Abstufbarkeit seiner Merkmale sowie eine besondere Art der Merkmalskombination (Gewichtung der einzelnen Merkmale zueinander) auszeichnet. Dies ist genau diejenige Konstellation, welche die typologische Methode zu beschreiben und zu erfassen versucht.454 Ein anderer Aspekt, der für die Anwendung der typologischen Methode spricht, liegt in der bisher geringen Erforschung der Familienunternehmen in der Rechtswissenschaft begründet. Die Begriffsbildung muss grundsätzlich alle Aspekte berücksichtigen, die eine besondere Behandlung dieser Organisationsform im Arbeitsrecht rechtfertigen könnten.455 Grundlage kann dabei nur der bisherige Erkenntnisstand sein. Gerade in den Anfangsjahren eines neuen Wissenschaftsgebietes werden jedoch fortwährend neue Erkenntnisse hinzukommen, womit notwendigerweise das Bedürfnis nach einer Anpassung des ursprünglich gefundenen Begriffes steigen wird. Hier ermöglicht die typologische Methode, auch bislang unberücksichtigte Kriterien in den Typus mit ein451 

So ausdrücklich Herschel, FG Kunze, S. 225 (231). den einzelnen Schritten der Abwägung bei Typenmerkmalen siehe Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 149 ff. 453 Zum Begriff des normativ-unbestimmten Rechtsbegriffes ausführlich Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 25 ff. 454 Siehe Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 126, 130 ff.; ähnlich Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 223 und Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 11, die den Einsatz der typologischen Methode als am notwendigsten bzw. geeignetsten ansehen. 455  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 B. I. 452  Zu

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

zubeziehen,456 solange sie sich nur unter seinem konstituierenden Wertungsgesichtspunkt als relevant erweisen. Der klassifikatorische Begriff wäre hingegen ständigen Korrekturen unterworfen bzw. müsste neu gebildet werden. Die typologische Methode ist daher die „adäquate Denkform für eine von noch nicht abgeklärten Wertungen geleitete ,tastende’ Tatbestandsbildung“ als „Grundlage neuer begrifflicher Fixierungen“.457 Aus diesem Grund wird hier die Anwendung der typologischen Methode bei der Bestimmung des Familienunternehmens als sachgerecht erachtet. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Begriff des Familienunternehmens auch klassifikatorische Elemente enthalten kann. Vielmehr greifen typologische Methode und klassifikatorische Begriffsbildung häufig ineinander.458 Das liegt schon darin begründet, dass der Klassenbegriff bei genauer Betrachtung als Oberbegriff des Typus anzusehen ist.459 Denn auch bei diesem steht am Ende die Frage, ob der konkrete Sachverhalt dem Typus zugeordnet werden kann oder nicht und damit einer bestimmten Klasse angehört. Weiterhin ist es möglich, dass der Typus- zum fest konturierten Klassenbegriff erwachsen kann; er ist häufig bloße Vorstufe zum klassifikatorischen Begriff.460 Dies bedeutet für die Erarbeitung eines eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffes, dass sowohl auf die typologische als auch die klassifikatorische Methode zurückgegriffen wird. Letztere bleibt auch hier das „Begriffsideal“, während die typologische Begriffsbildung zum Zuge kommt, wenn die klassifikatorische versagt, konkret bei der Bestimmung des Unterbegriffes „beherrschender Familieneinfluss“. III.  Das Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts –  Erarbeitung eines eigenständigen arbeitsrechtlichen Begriffes Ausgangspunkt der Bildung eines arbeitsrechtsspezifischen Familienunternehmensbegriffs ist der in der vorangegangenen Untersuchung eingeführte Basisbegriff, nach dem eine Familie beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen 456  Wachter, Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person, S. 117 f.; Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 26. 457  Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 79; ähnlich Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 28. Wachter, Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person, S. 118 sieht daher in Anschluss an Tomandl, Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages, S. 6 die Verwendung der typologischen Methode in bisher unerforschten Bereichen als vorzugswürdig an. 458 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 25. 459  Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 244; Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 130 f.; ders., Arbeitnehmer und Selbständige, S. 25; a. A. Wachter, Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person, S. 128 – 131. 460  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 223; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 78 m. w. N. auf S. 63; Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 28; ähnlich Pahlke, DStR-Beih 2011, 66 (68) mit Beispiel.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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ausüben muss. Diese noch sehr vage Definition soll nachfolgend im Hinblick auf das Arbeitsrecht konkretisiert werden. Angesetzt wird dabei an ihren einzelnen Merkmalen (Unterbegriffen), die wiederum einer näheren Erläuterung bedürfen. Das sind zum einen das „Unternehmen“, zum anderen der normativ-unbestimmte Rechtsbegriff des „beherrschenden Familieneinflusses“. Begonnen wird mit dem Unternehmen als dem nächsthöheren Gattungsbegriff (Genus proximum). Anschließend wird der Begriff des beherrschenden Familieneinflusses auf das Unternehmen als spezifische Besonderheit (Differentia specifica) erörtert, welche das Familienunternehmen (Definiendum) von den sonstigen Unternehmen unterscheidet. Dieses Vorgehen entspricht der sog. Genus-Differentia-Methode, wonach der zu definierende Begriff dem nächsthöheren Gattungsbegriff untergeordnet und von den sonstigen umfassten Arten durch die Angabe eines oder auch mehrerer besonderer Merkmale unterschieden wird.461 Diese durch Aristoteles geprägte Definitionslehre besitzt heute noch als grundlegendes Modell der Begriffsbildung Gültigkeit.462 Es kann jedoch lediglich als besagter Ausgangspunkt der Begriffsbildung dienen, da es auf die Entwicklung eines Klassenbegriffs zugeschnitten ist und folglich bei der Bestimmung des beherrschenden Familien­ einflusses durch typologische Elemente abgewandelt werden muss. 1.  Unternehmensbegriff und weitergehende Abgrenzung zum Betrieb Eine einheitliche Begriffsbestimmung des Unternehmens existiert in der deutschen Rechtswissenschaft nicht.463 Vielmehr ist der Begriffsinhalt kontextabhängig und je nach Sinn und Zweck des einschlägigen Rechtssatzes zu bestimmen.464 Daher gibt es eine Vielzahl disziplin- und regelungsspezifischer Unternehmensdefinitionen. Durch den Oberbegriff des Familienunternehmens, welcher in der vorliegenden Untersuchung der Erforschung eines Sonderarbeitsrechts dient, ist jedoch vorgegeben, dass das Unternehmen als dessen Unterbegriff nicht alle Unternehmen umfassen kann, sondern nur solche im Sinne des Arbeitsrechts.465 Aus 461 Hinter der sog. genus-differentia-Methode steht die klassische Definitionsregel „Definitio fit per genus proximum et differentiam specificam“, siehe hierzu Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 51 – 53; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 197; Gast, Juristische Rhetorik, Rn. 879. 462  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 51 f. 463  BAG, Urt. v. 5. 3. 1987, AP Nr. 30 zu § 15 KSchG 1969, Bl. 907 f.; BAG, Beschl. v. 5. 12. 1975 – 1 ABR 8/74, AP Nr. 1 zu § 47 BetrVG 1972, Bl. 216 R; ArbR-BGB/Schliemann, § 611 Rn. 359; Haase, NZA Beil. 3/1988, 11; MünchKommBGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 23; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 17 Rn. 9; Schmidt, Handelsrecht, § 3 Rn. 1. 464  BAG, Beschl. v. 5. 12. 1975 – 1 ABR 8/74, AP Nr. 1 zu § 47 BetrVG 1972, Bl. 216 R; Haase, NZA Beil. 3/1988, 11; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 17 Rn. 9; MünchKommBGB/ Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 23; Schmidt, Handelsrecht, § 3 Rn. 1. 465 Vgl.  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 134, nach dem die Unterbegriffe dem Zweck des Oberbegriffs gerecht werden müssten.

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Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

diesem Grund wurde im einleitenden Kapitel ausschließlich auf diese Bezug genommen. Im Arbeitsrecht existiert ebenfalls kein allgemeingültiger Unternehmensbegriff.466 Nach überwiegender Auffassung wird das Unternehmen jedoch als organisatorische Einheit betrachtet, innerhalb derer der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln einen wirtschaftlichen oder ideellen Zweck verwirklicht, der hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes steht.467 Diese Basisdefinition ist anschließend im Hinblick auf den jeweiligen Normzweck zu konkretisieren bzw. zu modifizieren, was zur Ausbildung spezieller Unternehmensbegriffe führt.468 Aufgrund der arbeitsrechtsübergreifenden Zielsetzung der vorliegenden Arbeit setzt diese jedoch nur an der Basisdefinition an. Ausgehend von der Basisdefinition nimmt das Unternehmen lediglich eine Objektstellung ein. Rechtssubjekt und damit Träger aller Rechte und Pflichten des Unternehmens ist hingegen der Unternehmer (= Unternehmensträger).469 Nur dieser und nicht das Unternehmen selbst kann daher Arbeitgeber, d. h. Vertragspartner des Arbeitnehmers, sein.470 Der Unternehmensträger gestaltet die organisatorische Einheit nach eigenen Vorstellungen. Seine unternehmerische Zwecksetzung bzw. seine Planungen und Entscheidungen bestimmen das Unternehmen.471 Damit ergibt sich bereits aus der Unternehmensdefinition, dass der Unternehmer Einflussträger im Unternehmen ist. Sofern die Familie nicht selbst Unternehmensträger sein kann, muss der beherrschende Familieneinfluss dementsprechend auf den Unternehmensträger und somit zumindest mittelbar auf das Unternehmen ausgeübt werden, damit ein Familienunternehmen vorliegen kann. In anderen Forschungsgebieten der Familienunternehmensforschung wird der Differenzierung zwischen Unternehmensträger und Unternehmen nicht hinreichend Rechnung getragen. Sie ist im Regelfall auch entbehrlich, wenn wie in der gesellschaftsrechtlich geprägten Norm des § 1 DrittelbG sogleich an die „Un466 

Haase, NZA Beil. 3/1988, 11; MünchArbR/Berkowsky, § 112 Rn. 21. § 611 BGB Rn. 196; Grobys, NJW-Spezial 2006, 129; MünchKomm­ BGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 23; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 97; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 611 Rn. 240; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 17 Rn. 9; MünchArbR/Richardi, § 22 Rn. 20; grundlegend Jacobi, in: FS Leipziger Juristenfakultät, S. 1 (20). Kritisch zum Unternehmensbegriff der herrschenden Lehre Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 171 ff. 468  Haase, NZA Beil. 3/1988, 11 (12). 469  Schmidt, Handelsrecht, § 3 Rn. 44. 470  Schmidt, Handelsrecht, § 3 Rn. 40; siehe auch MünchKommBGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 23. 471  Vgl. bereits Einleitendes Kapitel § 2 B. II. 467 ErfK/Preis,

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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ternehmensorganisation in ihrer gesellschaftsrechtlichen Form“472 angeknüpft wird, mithin den Unternehmensträger als Rechtssubjekt, und nicht an das Unternehmen als Rechtsobjekt. Gleiches gilt für arbeitsrechtliche Normen, die nicht an das Unternehmen, sondern den Arbeitgeber und damit Unternehmensträger anknüpfen. Zudem ist bei Kleinunternehmen der Grad der Verselbstständigung des Unternehmens vom Unternehmensträger äußerst gering.473 Auch hier hat die Differenzierung letztendlich kaum Auswirkungen. Aus der Stellung des Unternehmers als Einflussträger ergibt sich zugleich für die Unternehmensdefinition als Bestandteil des Familienunternehmensbegriffs eine Einschränkung, die nicht nur im Arbeitsrecht, sondern auch in anderen Forschungsgebieten zu beachten ist. Es darf sich bei dem Unternehmen, auf das ein beherrschender Familieneinfluss ausgeübt wird, nicht um ein Konzernunternehmen handeln (Ausnahme: Familienkonzern474), auf welches ein anderer Unternehmensträger (die Konzernobergesellschaft) unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss ausübt. Dabei ist für das Arbeitsrecht relevant, dass „für die personal- und sozialpolitischen Entscheidungen nicht mehr das eingegliederte Unternehmen, sondern die Konzernspitze als Repräsentant des Gesamtkonzerns Entscheidungsträger ist“475. In diesem Falle ist der Unternehmensträger und damit Arbeitgeber des Konzernunternehmens in seinen Entscheidungen nicht frei, insbesondere was die Ausübung von Arbeitgeberfunktionen anbetrifft. Der beherrschende Familieneinfluss und damit auch die Familieninteressen können sich in diesem Fall nicht durchsetzen. Vielmehr orientieren sich die Unternehmensträger- bzw. Arbeitgeberinteressen ausschließlich an der Konzernpolitik.476 Eine Ausnahme ist lediglich in Erwägung zu ziehen, wenn erhebliche und andauernde Beschränkungen die Rechtsausübung der Konzernspitze beeinträchtigen.477 Folglich bezeichnet das Unternehmen im Rahmen dieser Untersuchung eine organisatorische Einheit ohne Konzernbezug (Ausnahme: Familienkonzern), innerhalb derer ein (unabhängiger) Unternehmensträger allein oder in Ge472 

Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, § 1 Rn. 6 [Hervorhebung im Original]. Schmidt, Handelsrecht, § 3 Rn. 14. 474  Der Begriff des Familienkonzerns bezeichnet in der vorliegenden Untersuchung eine Unternehmensgruppe, deren Gesellschaften unter einheitlicher Leitung einer Konzernobergesellschaft stehen, auf die eine Familie beherrschenden Einfluss ausübt. Siehe zum Begriff des Familienkonzerns auch Oetker, Stakeholderkonflikte in Familienkonzernen, S. 20. 475  Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 33 für das Konzernarbeitsrecht. Dieser Gesichtspunkt lässt sich jedoch ohne Weiteres auf die Familienunternehmen übertragen. 476  Henssler, Der Arbeitsvertrag im Konzern, S. 21. 477  Hier ist eine sinngemäße Anwendung der Regelung des § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB in Bezug auf die personal- und sozialpolitischen Entscheidungen in Betracht zu ziehen. 473 Vgl.

100 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

meinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln einen wirtschaftlichen oder ideellen Zweck verwirklicht, der hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes steht. Auch wenn der Unternehmensbegriff damit feststeht, muss an dieser Stelle noch auf die Frage eingegangen werden, ob es nicht sinnvoller ist, an den Betrieb statt an das Unternehmen anzuknüpfen und dementsprechend einen Familienbetriebsbegriff zu bilden. Gerade im Schrifttum wird bemängelt, dass bestehende gesetzliche Differenzierungen sowie rechtspolitische Vorschläge oftmals willkürlich bzw. „planwidrig“ an den Betrieb oder das Unternehmen anknüpfen.478 Ein Betrieb ist die organisatorische Einheit innerhalb derer der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt.479 Der Betrieb grenzt sich dementsprechend allein durch die unterschiedliche Zweckverfolgung vom weiter gefassten Unternehmensbegriff ab.480 Seinem Wesen nach kann der Betrieb daher nicht wie das Unternehmen wirtschaftlichen oder ideellen Zwecken dienen, da dies „über seinen Wirkungsbereich hinausginge“.481 Solche Zwecke bzw. Interessen können vielmehr nur innerhalb des Unternehmens verfolgt werden.482 Das Unternehmen hat die Aufgabe, „die in dem Betrieb gewonnenen Arbeitsergebnisse in entsprechende höhere Werte zu verwandeln und von ihnen den entsprechenden Gebrauch zu machen“.483 Die im Familienunternehmen vom Arbeitgeber verfolgten spezifischen Zwecke bzw. die spezifischen „Familieninteressen“ können daher – wie auch immer sie im Einzelfall konkret ausgestaltet sein mögen – nicht innerhalb des Betriebes verfolgt werden, sondern nur im Unternehmen. Je nachdem, ob aufgrund des beherrschenden Familieneinflusses der Zweck des Unternehmensträgers als Arbeitgeber beispielsweise darin besteht, das Unternehmen zugunsten der nachfolgenden Generationen fortzuführen und damit den wirtschaftlichen Zusammenhalt der 478  Junker, Arbeitsrecht zwischen Markt und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, S. B 20; ähnlich Preis, RdA 2000, 257 ff. mit konkreten Beispielen. 479  Ständige Rechtsprechung, BAG, Urt. v. 31. 5. 2007 – 2 AZR 276/06, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Bl. 650 R f.; BAG, Beschl. v. 14. 9. 1988 – 7 ABR 10/87, AP Nr. 9 zu § 1 BetrVG 1972, Bl. 707 R; BAG, Beschl. v. 29. 1. 1987 – 6 ABR 23/85, AP Nr. 6 zu § 1 BetrVG 1972, Bl. 743; BAG, Beschl. v. 7. 8. 1986 – 6 ABR 57/85, AP Nr. 5 zu § 1 BetrVG 1972, Bl. 737; BAG, Beschl. v. 3. 12. 1954, AP Nr. 1 zu § 88 BetrVG, Bl. 73; grundlegend Jacobi, in: FS Leipziger Juristenfakultät, S. 1 (9); sowie Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, S. 93. 480  Vgl. BAG, Urt. v. 31. 5. 2007 – 2 AZR 276/06, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Bl. 651; BAG, Beschl. v. 24. 2. 1976 – 1 ABR 62/75, AP Nr. 2 zu § 4 BetrVG 1972, Bl. 453; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 17 Rn. 3. 481  BAG, Beschl. v. 13. 7. 1955 – 1 ABR 20/54, AP Nr. 1 zu § 81 BetrVG, Bl. 402. 482  BAG, Beschl. v. 13. 7. 1955 – 1 ABR 20/54, AP Nr. 1 zu § 81 BetrVG, Bl. 402. 483  BAG, Beschl. v. 13. 7. 1955 – 1 ABR 20/54, AP Nr. 1 zu § 81 BetrVG, Bl. 402.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Familie zu fördern oder das Unternehmen im Sinne der Gründerfamilie zu leiten, verfolgt dieser entweder wirtschaftliche oder ideelle Zwecke. Dementsprechend ist das Unternehmen mit dem soeben herausgearbeiteten Begriffsinhalt für die vorliegende Untersuchung der korrekte Anknüpfungspunkt. Gegen dieses Ergebnis kann auch nicht eingewendet werden, dass ein Betrieb gerade dann vorliegt, wenn die maßgeblichen Arbeitgeberfunktionen im sozialen (§§ 87 ff. BetrVG) und personellen (§§ 92 ff. BetrVG) Bereich auf die Leitung dieser organisatorischen Einheit übertragen worden sind484 und damit ein beherrschender Familieneinfluss auf das Unternehmen keine Auswirkungen auf die personal- und sozialpolitischen Entscheidungen hätte, da diese vielmehr im Betrieb und nicht im Unternehmen getroffen würden. Denn die „Delegation“485 von Arbeitgeberfunktionen auf die untergeordnete Betriebsleitung entzieht der Unternehmensführung nicht ihre Einflussmöglichkeiten.486 Letztere bleibt weiterhin Inhaber der einzelnen „delegierten“ Arbeitgeberbefugnisse, die lediglich im Zuge der lokalen bzw. vertikalen Arbeitsteilung487 im (Groß-)Unternehmen durch Repräsentanten (Vertreter oder Erfüllungsgehilfen) wahrgenommen werden.488 Die Träger der innerbetrieblichen Leitungsmacht unterliegen ihrerseits dem Einfluss und den Weisungen der übergeordneten Unternehmensleitung,489 welche sich damit bei der Ausübung der Arbeitgeberfunktionen durchsetzen kann. Die Ausübung der Leitungsmacht bzw. des Direktionsrechts durch die Betriebsleitung dient damit letztendlich der Durchsetzung der von der Unternehmensspitze verfolgten Zwecke und Interessen,490 im Falle eines Familienunternehmens der spezifischen Familieninteressen. 2.  Begriff des beherrschenden Familieneinflusses Der beherrschende Familieneinfluss ist das zentrale Element des Familienunternehmensbegriffs und zugleich Anknüpfungspunkt eines möglichen familienunternehmensspezifischen Arbeitsrechts. Er grenzt das Familien- von den Nichtfamilienunternehmen und damit dem gesetzgeberischen Normalfall ab. Der Begriffsbestimmung kommt damit besondere Bedeutung zu. 484 

BAG, Beschl. v. 23. 9. 1982 – 6 ABR 42/81, AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972, Bl. 981 R. wird hier ausdrücklich nicht als rechtstechnischer Begriff verwendet (vgl. hierzu Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 174 ff.). 486  Wüllner, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung, S. 52. 487 Siehe zu diesen beiden Formen der „innerorganisatorische[n] Auffächerung der Leitungsmacht“ Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 128 f. 488 Vgl. Wüllner, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung, S. 52; siehe zudem Gast, Arbeitsvertrag und Direktion, S. 51. 489  Wüllner, Aufgespaltene Arbeitgeberstellung, S. 52; vgl. auch Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 129. 490  Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 17. 485  Delegation

102 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

a)  Die Familie als Einflussträger Die Familie muss Einflussträger in der organisatorischen Einheit Unternehmen sein. Es ist daher zunächst zu klären, welchen Personenkreis der für das Familienunternehmen essenzielle Familienbegriff umfasst, der bereits aufgrund des Drei-Kreis-Modells als konstitutives Element des Familienunternehmens identifiziert und bisher noch nicht ausführlich erörtert wurde. Erst daran anknüpfend können Rückschlüsse auf die Familie als Einflussträger im Unternehmen gezogen werden. aa) Familienbegriff und Konsequenzen für die Zuordnung bestimmter Sachverhalte zum Begriff des Familienunternehmens Eine einheitliche Begriffsbestimmung der Familie existiert in der deutschen Rechtswissenschaft ebenso wenig wie für das Unternehmen.491 Der Begriffsinhalt ist kontextabhängig und je nach Sinn und Zweck des einschlägigen Rechtssatzes unterschiedlich zu bestimmen.492 Daher gibt es eine Vielzahl von disziplinund regelungsspezifischen Definitionen der Familie. Durch den Oberbegriff des Familienunternehmens als Anknüpfungspunkt eines Sonderarbeitsrechts ist für den Familienbegriff jedoch ebenfalls vorgegeben, dass er nur die Familie im arbeitsrechtlichen Sinne umfasst. Demzufolge kann weder auf den verfassungsrechtlichen Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 GG,493 noch auf den des Zivilrechts zurückgegriffen werden. Eine vertiefende Thematisierung dieser Begriffsbestimmungen soll daher an dieser Stelle unterbleiben. Problematisch ist, dass im Arbeitsrecht ebenfalls kein einheitlicher Familienbegriff existiert. Lediglich in einigen Regelungen wird auf die Familie oder verwandte Begriffe, wie den des Familienangehörigen Bezug genommen.494 Zu nennen sind beispielsweise § 2 HAG, der in seinem Absatz 5 den Begriff des Familienangehörigen legaldefiniert oder § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG, der bestimmte familiär verbundene Personen vom Arbeitnehmerbegriff ausnimmt. Die den Normen zugrunde liegenden Begriffsverständnisse sind als Bestandteil eines bestimmten Regelungsprogrammes jedoch vom Kontext des jeweiligen Rechtssatzes geprägt und können folglich nicht ohne Weiteres auf den Familienbegriff als Komponente des Familienunternehmens übertragen werden. 491 Vgl. Idel, Der Familienbegriff, S. 1; Kleinmann/Josenhans, BB 2003, 1341; MünchKommBGB/Koch, Einl. FamR Rn. 33. 492  Idel, Der Familienbegriff, S. 1; MünchKommBGB/Koch, Einl. FamR Rn. 33. 493  Siehe zum verfassungsrechtlichen Familienbegriff Drittes Kapitel § 11 B. II. 2. b) aa), S. 221 f. 494  Eine Übersicht zu den Familienbegriffen im Arbeitsrecht findet sich bei v. Detten, Der Schutz der Familie und das Arbeitsrecht, S. 23 – 29.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Gerade aus der Tatsache, dass die Familie integraler Bestandteil des zu bestimmenden Familienunternehmensbegriffs ist, ergibt sich allerdings die Notwendigkeit diese zweckgebunden in Bezug auf das Unternehmen zu definieren. Der Familienbegriff kann entsprechend nicht losgelöst von demjenigen des Unternehmens bestimmt werden. Daraus folgen zwei wichtige Konsequenzen: Zum einen muss sich der Familienbegriff auf die unternehmerisch aktive Familie beziehen; diese gilt es näher zu konturieren.495 Zum anderen kann die Kern- bzw. Kleinfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und Kind, entgegen der im nicht-juristischen Schrifttum verbreiteten Auffassung, nicht allein der korrekte Anknüpfungspunkt für den Familienbegriff sein. Er muss weiter gefasst werden.496 Andernfalls hätte dies zur (inadäquaten) Konsequenz, dass mit jeder Generation eine neue Familie gegründet würde497 und dementsprechend zumindest begrifflich ein „neues“, anderes Familienunternehmen vorläge. Wird beispielsweise ein Unternehmen vom Gründer sowie dessen Sohn betrieben und scheidet erster aufgrund von Tod oder Krankheit aus dem Unternehmen aus und führt zudem der Sohn mit seinen eigenen Kindern das Unternehmen fort, lägen zwei voneinander zu unterscheidende Familienunternehmen vor. Denn der Unternehmensgründer und sein Sohn bilden zusammen eine andere (Kern-)Familie als der Sohn mit seinen Kindern. Dieses Ergebnis wäre jedoch realitätsfern, da es sich in beiden Fällen um ein und dieselbe organisatorische Einheit handelte. Lediglich der Gesellschafterbestand bzw. die Unternehmensleitung sind Änderungen unterworfen. Weiterhin entspräche ein solches Resultat grundsätzlich nicht dem gesetzlichen Regelfall. Mit Ausnahme für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts gilt der Grundsatz „Fortsetzung bei Ausscheiden“.498 Das Ausscheiden eines Gesellschafters oder ein personeller Wechsel in der Unternehmensleitung haben daher im Regelfall keinen Einfluss auf den Fortbestand des Unternehmensträgers und damit eng verbunden auf die organisatorische Einheit Unternehmen. Folglich muss der Familienbegriff 495  Wann eine Familie unternehmerisch aktiv ist und Einfluss auf das Unternehmen ausüben kann, lässt sich nicht immer leicht beantworten, siehe Sten, EJFBS 2007, 168 (172 ff.). Dies ist jedoch keine Frage des Familienbegriffs, sondern eine solche der Einflussfaktoren auf das Unternehmen. Sie soll daher an späterer Stelle erörtert werden. Siehe Erstes Kapitel § 3 B III. 2. c) bb) (2). 496  So im Ergebnis auch Bertsch, Die industrielle Familienunternehmung, S. 7; Ebert, Der Familieneinfluss auf ein Unternehmen, S. 29 f.; Klein, Familienunternehmen, S. 58; Mühlebach, Familyness als Wettbewerbsvorteil, S. 9; Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 84; Schürmann/Körfgen, Familienunternehmen, S. 7; Spelsberg, Die Erfolgsfaktoren familieninterner Unternehmensnachfolgen, S. 7; v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 4; Wimmer/Domayer/Oswald/Vater, Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp?, S. 196. 497  Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 84. 498  Schörnig, ZEV 2002, 343 (343 f.). Siehe für die OHG ausdrücklich § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB; sowie für die KG §§ 131 Abs. 3 Nr. 1, 162 Abs. 2 HGB und § 177 HGB; für die Kapitalgesellschaften ergibt sich dies bereits aus ihrer Stellung als juristische Person.

104 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

entsprechend weit gefasst werden, um einer künstlichen Zersplitterung des Familienunternehmensbegriffs entgegenzuwirken. Aus diesem Grund gibt es im Schrifttum Tendenzen dynastisch-institutionelle Aspekte zur Bestimmung der unternehmerisch aktiven Familie heranzuziehen.499 Vom Familienbegriff wären dann alle Personen umfasst, die ihre Zusammengehörigkeit auf die Abstammung einer genau bestimmbaren Kernfamilie zurückführen.500 Diese Erweiterung würde nicht nur der Notwendigkeit einer generationsübergreifenden Begriffsbildung Rechnung tragen, sondern ermöglichte zugleich eine Bestimmung nach rein objektiven Maßstäben. Letzteres entspräche auch den gängigen Definitionen der Familie oder verwandter Begriffe im Arbeitsrecht, denen die Heranziehung von subjektiven Elementen grundsätzlich fremd ist.501 Auch der Familienbegriff, welcher der vorwiegend arbeitsrechtlichen Norm des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG zur Bestimmung der Familiengesellschaft zugrunde liegt, weist keine Restriktion des Personenkreises auf Angehörige einer Kernfamilie auf. Er umfasst alle Personen, die untereinander im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO verwandt oder verschwägert sind, sodass eine (gedachte) durchgehende Kette von solchen Angehörigenverhältnissen gebildet werden kann.502 Freilich ist diese Definition vom Kontext des jeweiligen Rechtssatzes geprägt und kann daher nicht unmittelbar auf den Familienbegriff als Bestandteil des Familienunternehmens übertragen werden. Sie deutet jedoch auf die Intention des Gesetzgebers hin, den Begriff der Familie zur Bestimmung organisatorischer Einheiten in Familienhand grundsätzlich weit zu fassen. Zusammenfassend betrachtet sprechen daher viele Gründe für eine Heranziehung dynastisch-institutioneller Aspekte zur Bestimmung der unternehmerisch aktiven Familie, ähnlich wie dies bereits im Schrifttum vertreten wird. Für das Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts ist kein sachlicher Grund ersichtlich hiervon abzuweichen und den Personenkreis auf Angehörige einer Kernfamilie zu beschränken. Da die Definition des § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG bei genauer Betrachtung dynastisch-institutionelle Aspekte enthält und zudem arbeitsrechtlich geprägt ist, bietet es sich an, diese für den Familienbegriff als Bestandteil des Familienunternehmens fruchtbar zu machen. Sie berücksichtigt lediglich den Bezug zu ei499  Ittrich, Psychologische Faktoren, S. 7 f.; Klein, Familienunternehmen, S. 58, 68; Mühlebach, Familyness als Wettbewerbsvorteil, S. 9 f.; Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 84. 500  Klein, Familienunternehmen, S. 58, 68 ff.; Mühlebach, Familyness als Wettbewerbsvorteil, S. 9. 501  Vgl. hierzu nur die Begriffsbestimmungen der §§ 2 Abs. 5 HAG, 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG sowie des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG, die weitestgehend auf den Verwandtschaftsgrad oder ähnliche objektive Kriterien abstellen. 502  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A. II. 1. a).

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

105

ner genau bestimmbaren Ursprungs- bzw. Kernfamilie nicht, welcher zusätzlich hergestellt werden soll. Dies macht es in der Praxis leichter, die Unternehmerfamilie konkret zu benennen. Weiterhin bietet die Übernahme der Definition aus § 1 DrittelbG den Vorteil, dass sie genau bestimmt, wann eine Abstammung vorliegt, was unter den Vertretern dynastisch-institutioneller Aspekte im Schrifttum offenbleibt. Zur Unternehmerfamilie zählen folglich diejenigen Personen, die aktiv an dem Unternehmen beteiligt sind, indem sie Einfluss auf dieses ausüben (können) und mit einer anderen, ebenfalls aktiv am Unternehmen beteiligten Person, im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO verwandt oder verschwägert sind, sodass eine (gedachte) durchgehende Kette von solchen Angehörigenverhältnissen gebildet werden kann, die sich zugleich auf eine genau bestimmbare Kernfamilie zurückführen lässt. Der herausgearbeitete Familienbegriff ist richtungsweisend für die Auflösung bereits angesprochener Problemkreise des Familienunternehmens. Erstens schließt der Begriff – anders als in der Literatur vertreten503 – Personen aus, zwischen denen lediglich ein „familienähnlicher Zusammenhalt“, nicht aber ein Schwäger- oder Verwandtschaftsverhältnis besteht. Anderenfalls würde der Familienunternehmensbegriff derart über seinen natürlichen Wortsinn ausgeweitet, dass er zu einem bloßen Begriff des personalistisch geprägten Unternehmens verkommen würde.504 Zweitens werden Personen, die eine Einmanngesellschaft (Gesellschaft mit einem Mitglied) betreiben sowie Einzelunternehmer (Einzelkaufmann und sonstige Gewerbetreibende, die mangels Handelsgewerbe bzw. Eintragung keine Kaufleute sind) nicht vom Familienunternehmensbegriff erfasst, wenn sie weder verwandtschaftliche noch schwägerschaftliche Beziehungen zu einer anderen aktiv am Unternehmen beteiligten Person unterhalten. Es fehlt insoweit am Vorliegen einer Unternehmerfamilie. Zugleich bedeutet dies, dass sie entgegen der überwiegenden Ansicht im Schrifttum vom Familienunternehmensbegriff erfasst werden, wenn eine solche verwandtschaftliche oder schwägerschaftliche Beziehung zu einer anderen aktiv am Unternehmen beteiligten Person besteht. Eine pauschale Feststellung der Familienunternehmenseigenschaft für die Einmanngesellschaften und Einzelunternehmen verbietet sich daher. Sie ist vielmehr im Einzelfall zu ermitteln. Drittens stellt der Familienbegriff klar, dass ein von zwei oder mehreren Familien geführtes Unternehmen grundsätzlich kein Familienunternehmen darstellt, wenn diese Familien nicht durch ein besagtes durchgehendes familiäres Band miteinander verbunden sind. Eine Ausnahme besteht nur, wenn eine der Familien trotz der Beteiligung der anderen 503 

Leyherr, Die Situation von Familienunternehmen in Österreich, S. 56. auch Rossaro, Zu den Beständigkeitsmerkmalen von Familienunternehmen, S. 82. 504  Kritisch

106 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen ausübt, sodass sich deren Familieninteressen durchsetzen oder wenn „das Nebeneinander der Familien auf gleicher Interessenlage und einem auf Dauer angelegten gemeinsamen Selbstverständnis beruht“505. Auch im letzten Fall setzen sich die Familieninteressen jeder einzelnen Familie durch. Eine wichtige Frage lässt der erarbeitete Familienbegriff allerdings offen, nämlich ob ein Familienunternehmen auch vorliegt, wenn an dem Unternehmen direkt keine Familienmitglieder aktiv unternehmerisch beteiligt sind, sondern der beherrschende Einfluss nur durch einen anderen Familienunternehmensträger vermittelt wird (beispielsweise durch eine Holdinggesellschaft). Zumindest für die Familiengesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG hat das Bundesarbeitsgericht dies bejaht.506 Für das Familienunternehmen, an das grundsätzlich geringere Anforderungen gestellt werden als an den Begriff der Familiengesellschaft,507 besteht kein sachlicher Grund hiervon abzuweichen508. Vielmehr ist es in der Praxis üblich, dass Familienmitglieder ihre Anteile vorzugsweise auf Unternehmensbeteiligungs- und Unternehmensträgerstiftungen509 oder andere Unternehmensträger übertragen, um die Unternehmensnachfolge vorzubereiten oder eine Bündelung der Anteile und Stimmrechte zu bewirken, um deren einheitliche Ausübung zu gewährleisten.510 Letzteres ist namentlich in über mehrere Generationen bestehenden Familienunternehmen wichtig, da es hier oft zu einer breiten Streuung der Anteile innerhalb der Familie kommt. Durch die Übertragung der Anteile auf einen zwischengeschalteten Unternehmensträger soll dementsprechend gerade die Beteiligung der Familie gesichert bzw. erhal505  Schürmann/Körfgen, Familienunternehmen, S. 7; Bettermann/Heneric, in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, S. 849 (863); Bettermann, Finanzierung von Familiengesellschaften, S. 20. 506  BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952 zur Vorgängernorm § 76 Abs. 6 BetrVG 1952. 507  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A. II. 1. a). 508  Im Ergebnis auch Hennerkes, Die Familie und ihr Unternehmen, S. 16 f. nach dem es für das Vorliegen eines Familienunternehmens genüge, wenn die Geschäftsanteile an dem Unternehmen einer Stiftung gehören, auf die eine oder mehrere Familien beherrschenden Einfluss ausüben. 509  Zu diesen Begriffen siehe Hoffmann-Becking, ZHR 178 (2014), 491 (492) m. w. N. 510 Vgl. Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 4/48 ff. – Zu den Vorteilen unternehmensverbundener Familienstiftungen im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge siehe Spiegelberger, ErbStB 2005, 43 (44 ff.); Lehleiter, Die Familienstiftung, S. 155 ff.; Oertzen/Reich, DStR 2017, 1118 ff.; Schiffer/Pruns, BB 2013, 2755 (2756 ff.); Hoffmann-Becking, ZHR 178 (2014), 491 (492 ff.); Werder/Wystrcil, BB 2016, 1558 ff.; instruktiv zur Familienstiftung siehe Kalss, in: FS Delle Karth, S. 499 ff. Zu den Vorteilen der Managementholding zur Sicherung des Familienunternehmens siehe Watermann, Die Management-Holding, S. 140 ff.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

107

ten werden.511 Das Unternehmen soll nach dem Willen der Familie grundsätzlich Familienunternehmen bleiben.512 Bereits aus dem Grund muss diese besondere Form der Unternehmensgestaltung den sonstigen Familienunternehmen ohne zwischengeschalteten Unternehmensträger rechtlich gleichgestellt werden. Entscheidend ist nicht die Unmittelbarkeit der Beteiligung und der Einflussmöglichkeit der Familie, sondern allein das tatsächliche Bestehen einer beherrschenden Einflussmöglichkeit der Familie auf die organisatorische Einheit Unternehmen. bb) Die Familie als Unternehmensträger Die Familie als Gesamtheit von untereinander verwandten oder verschwägerten Personen kann nicht Unternehmensträger bzw. Arbeitgeber sein. Die Familie besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit,513 sondern nur die einzelnen Familienmitglieder als natürliche Personen514. Letztere können als Einzelkaufmann oder Einzelunternehmer selbst Unternehmensträger bzw. Arbeitgeber sein515 und damit unmittelbaren Einfluss im Unternehmen ausüben. Die Familie kann jedoch auf einen von ihr zu unterscheidenden Unternehmensträger einwirken und damit zumindest mittelbar Einflussträger im Unternehmen sein. Als Anteilseigner, Leitungsorgan, Arbeitnehmer oder in sonstiger Funktion vermögen die einzelnen Familienmitglieder in ihrer Gesamtheit im Idealfall die Willens- und Interessenbildung im Unternehmensträger und damit auch im Unternehmen im Sinne ihrer Familieninteressen zu beeinflussen.516 Nehmen die einzelnen Familienmitglieder entsprechend nur als Organ oder als Teil eines Organs (Vorstandsmitglied, Geschäftsführer, o. Ä.) Arbeitgeberfunktionen in einem von der Familie zu unterscheidenden Unternehmensträger wahr, sind sie nicht selbst Arbeitgeber.517 Sie 511  Vgl. die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts zur Familiengesellschaft, BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 252 zur Vorgängernorm § 76 Abs. 6 BetrVG 1952. 512  Vgl. die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts zur Familiengesellschaft, BAG, Beschl. v. 6. 4. 1955 – 1 ABR 25/54, AP Nr. 5 zu § 76 BetrVG 1952, Bl. 252 zur Vorgängernorm § 76 Abs. 6 BetrVG 1952. 513 Jauernig/Budzikiewicz, Einf. FamR Rn. 2; Kleinmann/Josenhans, BB 2003, 1341; siehe auch Wolframm, Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre, S. 102. 514  In dem Sinne auch Wolframm, Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre, S. 102; Kleinmann/Josenhans, BB 2003, 1341.  515 Vgl. Wolframm, Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre, S. 87. 516  Dieser Ansatz, nach dem das Unternehmen lediglich als Hilfsmittel zur Erfüllung der Interessen der auf es einwirkenden Personen oder Personengruppen dient, findet sich in der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre unter dem Stichwort „Instrumentalfunktion der Unternehmung“ wieder; grundlegend Schmidt, Zfbf 1967, 233 ff. 517 Vgl. MünchArbR/Richardi, § 21 Rn. 10; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 59 Rn. 12; Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 16 Rn. 2. Nach einer anderen, vor allem im älteren Schrifttum vertretenen Auffassung wird hingegen zwischen dem abstrakten und

108 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

handeln lediglich für den Unternehmensträger bzw. berechtigen und verpflichten diesen.518 Wenn folglich im Zusammenhang mit Familienunternehmen von einem beherrschenden Einfluss der Familie auf das Unternehmen gesprochen wird, ist im Regelfall nicht der unmittelbare Einfluss der Familie auf die organisatorische Einheit Unternehmen gemeint, sondern derjenige auf den Unternehmensträger (AG, GmbH, KG, etc.) als Arbeitgeber und damit zumindest mittelbar auf das Unternehmen. Es gilt bei der im Folgenden vorzunehmenden Konturierung des beherrschenden Einflusses deshalb vorrangig, diejenigen Einflusskanäle der Familie herauszufiltern, welche unmittelbar auf den Unternehmensträger bestehen und sich mittelbar auf die organisatorische Einheit Unternehmen auswirken. Wichtig ist in diesem Kontext den Gegenstand der Einflussnahme exakt zu bestimmen. Einflussträger und Einflussobjekt bilden den Rahmen für die in Betracht kommenden Einflussmittel. b)  Die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen als Gegenstand der Einflussnahme Der Gegenstand der Einflussnahme ist durch die arbeitsrechtliche Zielsetzung der Untersuchung vorgegeben. Für die Beantwortung der Frage nach der Legitimität und den Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen und damit für den zu erarbeitenden Begriff des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts ist es notwendig, dass sich der Einfluss der Familie inhaltlich auf die personal- und sozialpolitischen Entscheidungen im Unternehmen bezieht. Anderenfalls ist die Familie, insbesondere was die Ausübung der Arbeitgeberfunktionen anbelangt, nicht frei, und familienfremde Interessen könnten sich in der Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens durchsetzen. Besonderheiten auf arbeitsrechtlicher Ebene bedingt durch Familieneinfluss, wären dann nicht zu erwarten. Zwar muss sich somit der Einfluss der Familie grundsätzlich nur punktuell auf einen wichtigen Unternehmensbereich beziehen (die Personal- und Sozialpolitik), jedoch wird dies im Regelfall voraussetzen, dass die Familie einen umfassenden Einfluss auf das Unternehmen besitzt. Denn Entscheidungen anderer Unternehmensbereiche (insbesondere der Finanzpolitik) können Auswirkungen auf die Personal- und Sozialpolitik haben und den Entscheidungsspielraum der Familie einschränken bzw. in besonders extremen Fällen diese vor vollendete Tatsachen stellen.

konkreten Arbeitgeber unterschieden, vgl. Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S.  141 – 143; Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 145. 518 MünchArbR/Richardi, § 21 Rn. 10; Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, Einleitung Rn. 123.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

109

Maßgebliche Entscheidungen im personal- und sozialpolitischen Bereich sind jedenfalls solche, die den sog. Kern der Arbeitgeberfunktionen, einschließlich der Wahrnehmung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts als einem der bedeutsamsten Bestandteile des Arbeitsverhältnisses519 betreffen. Dies sind im Regelfall Entscheidungen mit mitbestimmungsrechtlicher Relevanz, wie die Einstellung, Versetzung und Entlassung von im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern, sowie Maßnahmen zu Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen (vgl. hierzu die §§ 87 ff. für den sozialen und die §§ 92 ff. BetrVG für den personellen Bereich).520 c)  Begriff des beherrschenden Einflusses Der „beherrschende Einfluss“ ist ein normativ-unbestimmter Rechtsbegriff, der sich durch die Abstufbarkeit seiner Merkmale sowie eine besondere Art der Merkmalskombination (Gewichtung der einzelnen Merkmale zueinander) auszeichnet.521 Die Entscheidung über das Vorliegen des beherrschenden Einflusses erfordert daher in der Regel eine einzelfallbezogene Wertung aller in Betracht kommender Umstände im Sinne der typologischen Methode. Hierzu ist der leitende Wertungsgesichtspunkt offenzulegen und genau zu analysieren, welche Merkmale für den Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen konstitutiv und damit bei der Gesamtwürdigung berücksichtigungsfähig sind. Auch die Gewichtung der einzelnen Kriterien zueinander muss dargelegt werden. Dieses strukturierte Vorgehen macht die einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung transparenter.522 Ferner bleibt der Raum für subjektive Wertungen des Rechtsanwenders so gering wie möglich.523 Das kommt nicht nur der Rechtssicherheit zugute, sondern vermeidet unter strikter Anwendung, dass der Typus zum Scheinargument524 und damit zum Instrument verdeckter Rechtsfortbildung wird. Bei diesem Vorgehen kann auf die Ergebnisse aus der Analyse des Begriffsverständnisses im Schrifttum insofern zurückgegriffen werden, als die dort herausgearbeiteten Definitionskriterien einen wesentlichen Anhaltspunkt zum 519 ErfK/Preis,

§ 611 BGB Rn. 233; Tettinger/Wank/Ennuschat/Wank, § 106 Rn. 1. So BAG, Urt. v. 18. 10. 2012 – 6 AZR 86/11, AP Nr. 23 zu § 106 GewO, Bl. 1017 R; BAG, Urt. v. 31. 5. 2007 – 2 AZR 276/06, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, Bl. 651. 521  Siehe hierzu Erstes Kapitel § 3 B. II. 522  Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 104 zur Methode der normativ-strukturierten Interessenabwägung. 523  Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 104 zur Methode der normativ-strukturierten Interessenabwägung. 524  Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 104 zur Methode der normativ-strukturierten Interessenabwägung. 520 

110 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Auffinden der einschlägigen Merkmale des beherrschenden Einflusses liefern. Bei dieser Analyse ging es allerdings um eine möglichst vollständige Erfassung aller für Familienunternehmen bedeutender Aspekte. Deshalb müssen diese unter dem noch näher zu konturierenden leitenden Wertungsgesichtspunkt auf ihre Relevanz im Arbeitsrecht untersucht und bewertet werden. Zuvor soll jedoch aufgezeigt werden, dass bereits gesetzliche Anhaltspunkte bestehen, um den beherrschenden Einfluss auf ein Unternehmen zu konturieren. Diese beziehen sich zwar grundsätzlich nur auf einen eng umgrenzten Anwendungs- und Regelungsbereich, sie sollen allerdings anschließend für den Begriff des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts nutzbar gemacht werden. Dabei gilt es nicht allein weitere einschlägige Gesichtspunkte, sondern auch strukturelle Aspekte der Begriffsbildung herauszufiltern. aa) Gesetzliche Anhaltspunkte zur Konturierung des beherrschenden Einflusses Es existieren zahlreiche gesetzliche Regelungen, welche an den Einfluss auf ein Unternehmen bestimmte Rechtsfolgen knüpfen und zu diesem Zweck den Grad der notwendigen Einflussnahme näher konturieren. Zunächst sei auf die Rechnungslegungsvorschriften des Handelsgesetzbuchs verwiesen, welche abhängig von der jeweiligen Intensität, verschiedene Stufen der Einflussnahme unterscheiden („Stufenkonzept“525). Dabei nehmen sie sowohl auf den Begriff des beherrschenden Einflusses (§ 290 HGB) als auch des maßgeblichen (§ 311 HGB) Bezug. In den meisten anderen Regelungen und Regelungskomplexen wird hingegen nur auf den beherrschenden Einfluss abgestellt und eine einstufige Differenzierung vorgenommen.526 Für die Bestimmung des Familienunternehmensbegriffs ist jedoch die Abgrenzung zum maßgeblichen Einfluss bedeutsam. Denn ein Teil des Schrifttums sieht diesen für das Vorliegen als ausreichend an.527 Die §§ 290, 311 HGB liefern insofern einen ersten gesetzlichen Anhaltspunkt zur Konturierung der Art und Intensität des Einflusses im Familienunternehmen. Daher hatte bereits Hommelhoff angeregt, zur „Beschreibung des notwendigen Einflusses“ im Familienunternehmen auf eine „argumentative Anleihe“ des § 290 Abs. 2 HGB a. F. zurückzugreifen, jedoch vertiefte er diesen Gedanken nicht weiter.528 525 

Küting/Seel/Strauß, IRZ 2011, 175 (175 f.). beispielsweise § 18 AktG. Zu den Gründen siehe Küting/Seel/Strauß, IRZ 2011, 175. 527  Brink, in: Lange/Windthorst (Hrsg.), Sicherung des Familieneinflusses, S. 9 (10); Fabis, Konflikte im Familienunternehmen, S. 2; Goebel, in: FS Binz, S. 241; Harris/Reid/ McAdam, IJEBR 2004, 49; Hennerkes/May, NJW 1988, 2761; Klein, Familienunternehmen, S. 17 f.; Lange, BB 2005, 2585; Peemöller, in: FS Reiss, 721 (722); Sigle, in: FS Sigle, S. 301 (302); Simon, Einführung, S. 16; Turner, in: FS Sigle, S. 111 (111 f.). 528  Hommelhoff, in: Tröger/Wilhelmi (Hrsg.), Rechtsfragen der Familiengesellschaften, S. 65 (67). – In diesem Zusammenhang dürfen zwei weitere Ansätze zur Bestimmung des 526  Siehe

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

111

Die §§ 290, 311 HGB sind Teil des gesetzgeberischen Regelungsprogrammes zur Erstellung eines Konzernabschlusses mit dem Ziel der Information Außenstehender über die wirtschaftliche Lage des Konzerns529. Der Konzernabschluss soll der „beschränkten Aussagekraft des Einzelabschlusses von Rechtsträgern“530 im Unternehmensverbund entgegenwirken und die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Unternehmen darstellen, als wären sie „insgesamt ein einziges“ (§ 297 Abs. 3 HGB). Die Normen beziehen sich folglich nur auf einen eng umgrenzten Regelungsbereich, der von spezifisch „rechnungslegungsrechtlichen Determinanten geprägt“531 ist. Die darin enthaltenen Begriffsbestimmungen sollen jedoch ohne Verwendung ihres teleologischen Kontexts lediglich als Anhaltspunkt zur Konturierung des beherrschenden Einflusses dienen und zusammen mit anderen Normen einen gemeinsamen Begriffskern aufzeigen. Ein beherrschender Einfluss liegt nach den typisierenden Tatbeständen des § 290 Abs. 2 HGB stets vor bei Stimmrechtsmehrheit (Nr. 1), dem Recht zur Bestellung oder Abberufung der Mehrheit des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans, bei gleichzeitiger Gesellschafterstellung (Nr. 2), dem Recht auf Ausübung eines bestimmenden Einflusses kraft Beherrschungsvertrages oder entsprechender Bestimmungen in der Satzung des Unternehmens (Nr. 3) oder mehrheitlicher Übernahme der Chancen und Risiken einer Zweckgesellschaft (Nr. 4). Ein Blick auf § 311 Abs. 1 HGB, der den maßgeblichen Einfluss zwar nicht legaldefiniert, allerdings bei einem Stimmrechtsanteil von mindestens 20 Prozent widerleglich vermutet, zeigt zudem, dass es sich bei dem beherrschenden Einfluss um die stärkere Form der Einflussnahme handelt532. Es besteht eine größere Einflussintensität auf die Entscheidungen im Unternehmen. Denn der beherrschende Einfluss erfordert, dass sich die Interessen des Einflussträgers in allen Entscheidungen des Unternehmens von grundsätzlicher Bedeutung durchsetzen.533 Hingegen genügt Familienunternehmensbegriffs nicht unerwähnt bleiben. So bedienen sich Mroczkowski/ Tanewski, Using Accounting Standards, S. 16 f. und Spelsberg, Die Erfolgsfaktoren familieninterner Unternehmensnachfolgen, S. 7 f. als Ansatz des International Accounting Standards (IAS 27), an dessen Merkmal des beherrschenden Einflusses § 290 HGB anknüpft. Somit sind deren und Hommelhoffs Grundidee, sich zur Festlegung des Familienunternehmensbegriffs rechnungslegungsrechtlicher Vorschriften zu bedienen, zumindest vergleichbar, wenn nicht sogar identisch. 529  Beck Bil-Komm/Grottel/Kreher, § 290 Rn. 1; MünchKommBilR/Senger/Hoehne, § 290 Rn. 2. 530  Koppensteiner, in: FS Hopt, S. 959 (961). 531  Koppensteiner, in: FS Hopt, S. 959 (960). 532  Vgl. Beck Bil-Komm/Winkeljohann/Lewe, § 311 Rn. 15; MünchKommBilR/Senger/Hoehne § 311 Rn. 10; NK-HGB/Elprana/Pfender/Schubert, § 311 Rn. 6; Staub/Kindler, § 311 Rn. 13. 533  So ausdrücklich Staub/Kindler, § 311 Rn. 13; ähnlich Beck Bil-Komm/Grottel/Kreher, § 290 Rn. 26.

112 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

es für den maßgeblichen Einfluss, wenn diese Entscheidungen nicht ohne Mitwirkung bzw. gegen den Willen des Einflussträgers getroffen werden können.534 Für die Bildung des Familienunternehmensbegriffes hat dies zur Konsequenz, dass das Merkmal des beherrschenden in Abgrenzung zu dem maßgeblichen Einfluss zwar nicht im Detail, jedoch im Ansatz bereits rechtlich besetzt ist. Dementsprechend soll diese Differenzierung, welche auch die für ein Sonderarbeitsrecht wichtigen Interessen des Einflussträgers im Unternehmen mit einbezieht, als Ansatzpunkt für die Begriffsbestimmung genommen werden. Eng verknüpft mit der Begriffsbestimmung des beherrschenden und des maßgeblichen Einflusses, offenbart eine Strukturanalyse auch eine bedeutende Gemeinsamkeit beider Regelungen. Sie enthalten jeweils Hilfsnormen, die den Einflusstatbestand spezifizieren535. Dabei handelt es sich um gesetzliche Vermutungen (praesumptio iuris sowie praesumptio iuris et des iure), welche „die Arbeit mit dem Gesetz erleichtern“, indem sie „über Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung hinweg [helfen]“536. Während der beherrschende Einfluss bei Vorliegen einer der typisierenden, aber nicht abschließenden537 Tatbestände des § 290 Abs. 2 HGB unwiderleglich vermutet wird („besteht stets“), statuiert § 311 Abs. 1 S. 2 HGB eine widerlegliche Vermutung des maßgeblichen Einflusses („wird vermutet“). Damit hat der Gesetzgeber der Unsicherheit bei der Zuordnung bestimmter Sachverhalte zu diesen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen Rechnung getragen und deren Nachprüfbarkeit vereinfacht sowie objektiviert.538 Denn bei einer gesetzlichen Vermutung muss lediglich die Vermutungsbasis dargelegt und bewiesen werden, d. h. diejenigen Tatsachen, welche die Vermutung begründen.539 Letztere lassen sich im Regelfall leichter bestimmen als die vermutete Tatsache selbst, welche hingegen nicht bewiesen werden muss540. Auch in anderen Regelungen, welche an den Einfluss auf ein Unternehmen bestimmte Rechtsfolgen knüpfen, wird auf Hilfsnormen in Form von gesetzlichen Vermutungen zurückgegriffen. Beispielsweise vermutet § 17 Abs. 2 AktG die Ab534 Staub/Kindler,

§ 311 Rn. 15. zur Kategorisierung von gesetzlichen Vermutungen Beaucamp/Treder, Methoden, Rn. 58 f.; Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (291); Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 131, 133. 536  Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289 (291). 537 Staub/Kindler, § 290 Rn. 32. 538  Vgl. EBJS/Böcking/Gros/Tonne, § 311 Rn. 11; Heymann/Henssler, § 311 Rn. 16; Staub/Kindler, § 311 Rn. 24. Zum Zweck der widerleglichen Vermutung im Rahmen des Beherrschungstatbestandes von § 17 AktG siehe auch Hüffer/Koch, § 17 Rn. 17. 539  BGH, Urt. v. 9. 10. 2009 – V ZR 178/08, NJW 2010, 363 (364); BeckOK ZPO/Bacher, § 292 Rn. 9; MünchKommZPO/Prütting, § 292 Rn. 5; Musielak/Voit/Huber, § 292 Rn. 4; Saenger/Saenger, § 286 Rn. 62. 540  BeckOK ZPO/Bacher, § 292 Rn. 9; Musielak/Voit/Huber, § 292 ZPO Rn. 4. 535  So

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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hängigkeit eines Unternehmens von einem anderen aufgrund eines beherrschenden Einflusses, wenn eine Mehrheitsbeteiligung vorliegt. Nach § 6 Abs. 2 S. 1 EBRG wird ein beherrschender Einfluss hingegen vermutet, wenn unmittelbar oder mittelbar mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs-, oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellt werden können (Nr. 1), über die Mehrheit der mit den Anteilen an dem Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt werden kann (Nr. 2) oder bei Besitz der Mehrheit des gezeichneten Kapitals (Nr. 3). Sicherlich könnten an dieser Stelle noch weitere Normen angeführt werden. Dies wäre jedoch wenig zielführend. Die Grundtendenz des Gesetzgebers der begrifflichen Unschärfe des Terminus „beherrschender Einfluss“ durch den Einsatz von Hilfsnormen zu begegnen, ist bereits hinreichend sichtbar. Für die Konstruktion des Familienunternehmensbegriffs, welcher im Wesentlichen auf diesem Merkmal aufbaut, ist es daher ebenfalls sinnvoll mit einem Vermutungstatbestand zu arbeiten. Zwar ließe dieser etwaige Zweifel oder Unsicherheiten über das Vorliegen eines Familienunternehmens bestehen. Jedoch ermöglichte es der Vermutungstatbestand, dass dennoch mit dem Begriff bzw. Tatbestand des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts weitergearbeitet werden kann.541 Denn dann bräuchte – bei einer entsprechenden Übertragung der obigen Ausführungen auch auf rechtswissenschaftliche Vermutungen – lediglich die Vermutungsbasis dargelegt und bewiesen werden, nicht jedoch das Vorliegen des beherrschenden Einflusses und damit des Familienunternehmens selbst. Es muss indes darauf geachtet werden, dass die Vermutungsbasis möglichst anhand objektiver Kriterien leicht bestimmbar ist. Einen Anhaltspunkt wie die Vermutungsbasis des beherrschenden Einflusses im Rahmen des Familienunternehmensbegriffes ausgestaltet werden kann, liefern die materiellen Kriterien, an welche die Vermutungswirkung der genannten gesetzlichen Regelungen gebunden ist. Dabei handelt es sich um leicht nachprüfbare Voraussetzungen, die den Rechtsschein für das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses begründen. Bei genauer Betrachtung aller soeben vorgestellten Einflusstatbestände fällt auf, dass diese durchgängig auf die Kapital- und/oder Stimmrechtsmehrheit am Unternehmen als materielles Kriterium Bezug nehmen (vgl. §§ 290 Abs. 2 Nr. 1 HGB, 17 Abs. 2 AktG, 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 3 EBRG). Weiterhin wird nach den §§ 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB, 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EBRG übereinstimmend ein beherrschender Einfluss auf das Unternehmen vermutet, wenn die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgans bestellt werden kann. Es handelt sich wenig überraschend um strukturelle Kriterien (Eigentums-, Leitungs- und Kontrollstruktur), welche bereits aus der Darstellung des Erkenntnisstandes zum Familienunternehmensbegriff in der juristischen und nicht-juristischen Fachsprache bekannt sind und 541  Zu diesem grundsätzlichen Zweck von Vermutungen Musielak, Die Grundlagen der Beweislast, S. 71.

114 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

dort zur Konturierung des beherrschenden Einflusses verwendet wurden. Aufgrund dieser P ­ arallelen, die immer wieder zum Vorschein kommen, bietet es sich an, den Begriff des Familienunternehmens ebenfalls an diese Voraussetzungen zu binden. Zusammenfassend betrachtet liefern die dargestellten Normen und Normenkomplexe mit ihren Vermutungstatbeständen wichtige Anhaltspunkte zur Konturierung des beherrschenden Einflusses im Familienunternehmen. Insbesondere lässt sich unter Verwendung der Definition des maßgeblichen Einflusses aus § 311 Abs. 1 HGB eine Abgrenzung nach unten vergleichsweise gut vornehmen. Zwar kongruieren die Begriffsbestimmungen des beherrschenden Einflusses nicht vollständig, allerdings offenbaren deren Parallelen einen gemeinsamen Begriffskern, dem Sachverhalte sprachlich genau zugeordnet werden können. Mehr war aufgrund der unterschiedlichen teleologischen Kontexte, in welche die Regelungen eingebunden sind, auch nicht zu erwarten. Denn diese stellen durch ihren jeweiligen leitenden Wertungsgesichtspunkt verschiedene Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung des Terminus. Der Begriffshof, also der sprachlich nicht scharf umrissene Bereich des normativ-unbestimmten Rechtsbegriffes,542 ist hingegen für teleologische Sonderwertungen offen, und ihm muss im konkreten Sinnzusammenhang eine genauere Kontur gegeben werden543. Im Folgenden sollen daher ausgehend von dem leitenden Wertungsgesichtspunkt die einzelnen Merkmale des beherrschenden Einflusses als Unterbegriff des Familienunternehmens herausgearbeitet werden. bb) Konkretisierung des beherrschenden Einflusses Welche Merkmale wann und aus welchem Grund bei der Konkretisierung des beherrschenden Einflusses zu berücksichtigen sind und welche nicht, hängt maßgeblich von dem leitenden Wertungsgesichtspunkt ab. Es sind allein solche Umstände für die einzelfallbezogene Gesamtwürdigung zur Entscheidung über das Vorliegen des normativ-unbestimmten Rechtsbegriffes heranzuziehen, die sich mit Blick auf den leitenden Wertungsgesichtspunkt als bedeutsam erweisen.544 Das bedeutet nichts anderes, als dass der Tatbestand des Familienunternehmens und damit auch der Unterbegriff des beherrschenden Einflusses in Bezug auf die542 Zur Unterscheidung zwischen Begriffskern und Begriffshof grundlegend Heck, AcP 112 (1914), 1 (46, 173); sowie Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 118 f.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 193 f.; Jesch, AöR 82 (1957), 163 (172 f.); Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 26 f. 543 Vgl. Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 19: „Der Begriffshof [ist] durch teleologische Auslegung zu ermitteln“. 544  Wachter, Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person, S. 120; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 43, 64; ähnlich Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 25.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

115

jenigen Rechtsfolgen zu konkretisieren ist, welche an ihn geknüpft werden sollen, mithin auf die Wertung, welche ihm zukommen soll545. (1) Der leitende Wertungsgesichtspunkt des beherrschenden Einflusses Der leitende Wertungsgesichtspunkt des beherrschenden Einflusses ergibt sich aus dem Sinnzusammenhang zwischen dem Tatbestand des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts und den Rechtsfolgen, die an diesen geknüpft werden sollen. Gegenüber dem herkömmlichen Anwendungsfall der typologischen Methode – der Konkretisierung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe – ergeben sich insofern Besonderheiten, als für die Rechtsfolge nicht auf die gesetzgeberische Rechtsfolgenanordnung zurückgegriffen werden kann. Bei dem Familienunternehmen handelt es sich um einen rechtswissenschaftlichen, nicht jedoch um einen gesetzlichen Begriff. Insofern ist ein abweichendes Vorgehen geboten. Rechtswissenschaftliche Begriffe die keinen Niederschlag im Gesetz gefunden haben, können allein „am Ideal einer sachgerechten Lösung orientiert sein“.546 Notwendig ist dann nicht nur eine Überprüfung des Tatbestandes, sondern auch der Rechtsfolge.547 Dies erfordert ein ähnliches Vorgehen wie des Gesetzgebers,548 der ausgehend vom „Problemimpuls“ über die Ermittlung der relevanten Fakten einen vorläufigen Regelungsvorschlag entwickelt, die „Normhypothese“ (Methode der „umgekehrte[n] Subsumtion“)549. Auch hier kann der Jurist nicht auf die gesetzgeberische Rechtsfolgenanordnung für das Auffinden des Wertmaßstabes zurückgreifen, da diese in Bezug auf das konkrete Gesetzgebungsvorhaben gerade infrage steht.550 Dem „Problemimpuls“ lässt sich jedoch eine Werttendenz

545  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 221 für das Vorgehen des Gesetzgebers bei der Typenbildung. Es handelt sich hierbei jedoch weder um ein Spezifikum der Typusbegriffe, noch um ein solches der Gesetzesbegriffe, sondern um ein „allgemeines Kennzeichen einer teleologischen Begriffsbildung“, Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 132; ähnlich Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 547; Pahlke, DStR-Beih 2011, 66 (68); differenzierend zwischen teleologischer Begriffsbildung und Typenbildung wohl Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 47. 546  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 89. 547  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 89. 548  Wank, Die juristische Begriffsbildung, S. 89. 549  Vogel, Juristische Methodik, S. 203; sowie Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 641 f.; Schaub, Sponsoring, S. 29; ausführlich Noll, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie II (1972), S. 524 (529 ff.). Freilich ist dieses (idealtypische) Vorgehen nicht statisch. Vielmehr ist es oftmals notwendig, zwischen den einzelnen Stufen der Gesetzgebung hin und her zu wandern und gegebenenfalls frühere Schritte zu korrigieren, siehe auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 631. 550  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 643.

116 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

bzw. Zwecksetzung entnehmen,551 aus der der leitendende Wertungsgesichtspunkt hergeleitet werden kann. Der Problemimpuls gibt vor, inwieweit von den bestehenden Normen abgewichen werden soll und anhand dieser Regelungen und deren Zweck kann wiederum die gefundene Normhypothese auf willkürliche und unsachgemäße Differenzierungen überprüft werden.552 (a) Die Durchsetzung der „Familieninteressen“ in der Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens als leitender Wertungsgesichtspunkt Den Impuls sich mit der Problematik eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen auseinanderzusetzen, gab ein Blick auf das weite Feld der Familienunternehmensforschung, in dem immer neue Gebiete erschlossen werden und in dem die Forscher grundsätzlich darin übereinstimmen, dass der beherrschende Einfluss einer Familie auf das Unternehmen dieses von anderen unterscheidet. Ausgehend hiervon stellte sich die Frage, ob aufgrund des beherrschenden Familieneinflusses auf ein Unternehmen nicht auch Besonderheiten für Familienunternehmen im Arbeitsrecht bestehen, die andere besondere Beurteilungsmaßstäbe als der gesetzgeberische Normalfall erfordern. Ein solches Sonderarbeitsrecht setzt nach den bisherigen Ergebnissen eine vom normalen Arbeitsrecht abweichende Interessenlage voraus, die bei wertender Betrachtung eine besondere Behandlung rechtfertigt. Dies ist in Familienunternehmen nur denkbar, wenn neben den typischerweise im Arbeitsrecht zu berücksichtigenden Interessen des Arbeitgebers an der Rentabilität des Unternehmens und des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes, die spezifischen Familieninteressen zu berücksichtigen sind. Demgemäß müssen sich die Familieninteressen in der Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens durchsetzen bzw. die Familie muss die Möglichkeit besitzen, eine ihren Interessen entsprechende Willensbildung in dem Unternehmen herbeizuführen. Nur in diesem Fall besteht die Möglichkeit, von der arbeitsrechtlichen Rechtsfolgenanordnung für das anonyme Großunternehmen als Normalunternehmen abzuweichen. Wegen dieses Sinnzusammenhangs zwischen hypothetischer Rechtsfolge (Eingreifen eines Sonderarbeitsrechts) und dem Tatbestand des Familienunternehmens muss der Einfluss der Familie im Unternehmen zumindest so groß sein, dass sich die Interessen der Familie im Unternehmen durchsetzen können. Dies hat zur Konsequenz, dass im Tatbestand des Familienunternehmens, respektive dem Unterbegriff des beherrschenden Einflusses, diejenigen Merkmale bei der Bestimmung zu berücksichtigen sind, die sich dazu eignen, der Familie besagte starke Machtposition auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen zu gewähren. Darin besteht der leitende Wertungsgesichtspunkt. 551  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 644; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 139. 552  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 644.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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(b) Die „Familieninteressen“ Der Tatbestand des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts knüpft maßgeblich an die Durchsetzung der „Familieninteressen“ an. Insofern muss auf die Frage eingegangen werden, was unter den Familieninteressen zu verstehen ist bzw. ob es die Familieninteressen überhaupt geben kann. Denn schon die allgemeine Lebenserfahrung zeigt, dass die einzelnen Familienmitglieder nicht immer dieselben Interessen verfolgen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Familienbegriff – wie in der vorliegenden Untersuchung – sehr weit gefasst wird. Je mehr Einzelinteressen von Mitgliedern der Unternehmerfamilie in Einklang gebracht werden müssen, desto unwahrscheinlicher ist deren Übereinstimmung zu einem überindividuellen (Gesamt-)Familieninteresse. Gerade der Gleichlauf der Interessen zwischen den Familienangehörigen im Hinblick auf die unternehmerische Betätigung scheint aber in der Literatur für das Vorliegen eines Familienunternehmens symptomatisch zu sein.553 Denn dort werden unterschiedliche, auseinanderstrebende Interessen der einzelnen Familienmitglieder oder Familienstämme als Gefährdung des Familienunternehmens begriffen.554 Die Familie wird im Hinblick auf ihre unternehmerische Betätigung als durch gleichgerichtete Interessen geschlossene Personengruppe axiomatisch gesetzt. Dem entspricht es, dass zur Begründung eines beherrschenden Einflusses der Familie auf das Unternehmen die Kapitalanteile einzelner Familienmitglieder aufgrund deren bloßer familiärer Verbundenheit zusammengerechnet werden (beispielsweise wird auf die Kapitalmehrheit der Familie abgestellt),555 obwohl die Familie im Regelfall rechtlich nicht als Einheit strukturiert ist. Ähnlich verhält es sich, wenn der besagte Einfluss dadurch 553  Schraml, Finanzierung von Familienunternehmen, S. 88 und Spelsberg, Die Erfolgsfaktoren familieninterner Unternehmensnachfolgen, S. 7 sehen gleichgerichtete Interessen oder Ziele von Familienangehörigen ausdrücklich als Charakteristikum von Familienunternehmen an. Goebel, in: FS Binz, S. 241 (242) spricht von einem Familienunternehmen als Unternehmen, das „einer Familie mit gebündelten Interessen“ zugeordnet sei, lässt aber offen, wie diese Interessenbündelung zustande komme. Lediglich Kalss/ Probst, Kathrein Stiftungsletter 2013, S. 14 (15) problematisieren, dass die Interessen der einzelnen Familienmitglieder zunächst in einer sog. Familienverfassung „zusammengeführt und dauerhaft zusammengehalten“ werden müssen. 554  Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 1/13; Plate/Groth/Ackermann/v. Schlippe (Hrsg.), Große deutsche Familienunternehmen, S. 33; ähnlich Hilti, in: FS Binz, S. 303 (304), der eine „einvernehmliche Willensbildung und grundsätzliche Zielübereinstimmung innerhalb der Familie als Voraussetzung“ der langfristigen Sicherung des Unternehmens als Familienunternehmen ansieht. 555  Nur in wenigen Fällen wird im juristisch sowie nicht-juristischen Schrifttum bei der Feststellung der prozentualen Kapital- und/oder Stimmrechtsanteile der Familie überhaupt offengelegt, dass hierzu die einzelnen Anteile der Familienmitglieder addiert werden, so etwa bei Garcia-Castro/Casasola, JFBS 2011, 15 (18). Zumeist wird die Familie hingegen – sofern auf diese und nicht auf einzelne Familienmitglieder abgestellt wird – indirekt als

118 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

hergestellt wird, dass die Familie neben der Beteiligung am Eigenkapital in den obersten Leitungsorganen vertreten ist. Auch hier werden die Einflussfaktoren der einzelnen Familienmitglieder zu einem Gesamteinfluss der Familie auf das Unternehmen summiert, ohne dass eine mögliche Interessendivergenz überhaupt problematisiert wird. Zwar ist richtig, dass die unternehmerische Betätigung von Mitgliedern einer Familie aufgrund deren familiärer Verbundenheit im Regelfall nicht ein zufälliges Zusammenwirken darstellen wird, sondern gerade zur gemeinsamen Zweck- und Interessenverfolgung im Unternehmen dienen soll. Insofern spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Handeln der einzelnen Familienmitglieder in Bezug auf das Unternehmen zumindest in den wesentlichen Entscheidungen durch gleichgerichtete Interessen bestimmt wird556 und die Familie entsprechend im Unternehmensträger wie eine Einheit auftritt. Jedoch muss dies nicht zwangsläufig sein. Bereits der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass kein Erfahrungssatz bestehe, wonach Familienmitglieder stets gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen verfolgten.557 Auch das Bundesverfassungsgericht hat eine (widerlegliche) Vermutung der Interessenparallelität speziell für Ehegatten beanstandet, wenn infolgedessen deren Anteile zusammengerechnet und sich daraus nachteilige wirtschaftliche Rechtsfolgen ergeben würden.558 Aber auch in der Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass es gleichgerichtete Interessen der einzelnen Familienmitglieder in Bezug auf die unternehmerische Tätigkeit geben kann und damit gemeinsame (Gesamt-)Familieninteressen. Diese können allerdings nicht allein aufgrund der familiären Verbundenheit angenommen und unterstellt werden. Vielmehr müssen nach dem Bundesgerichtshof darüber hinaus besondere Umstände vorliegen, die eine auf Dauer gesicherte, beständige und einheitliche Interessenausübung der Familienmitglieder erwarten lassen.559 Erst wenn die einzelnen Familienmitglieder nach außen hin als Interesseneinheit im Unternehmensträger erscheinen, können auch deren individuelle Einflussfaktoren auf das Unternehmen zusammengerechnet werden. rechtliche Einheit behandelt und unterstellt, dass die Anteile der einzelnen Familienmitglieder addierbar sind. 556 Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass es zwischen den einzelnen Familienmitgliedern typischerweise an Interessengegensätzen mangele, BVerfG, Beschl. v. 7. 11. 1995 – 2 BvR 802/90, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Ehegatten-Arbeitsverhältnis, Bl. 185R. 557 BGH, Urt. v. 5.  12. 2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192 (201); BGH, Urt. v. 16. 2. 1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69 (73); BGH, Urt. v. 28. 4. 1980 – II ZR 254/78, BGHZ 77, 94 (106). 558  BVerfG, Beschl. v. 12. 3. 1985 – 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83, BVerfGE 69, 188 (206 ff.). 559  BGH, Urt. v. 16. 2. 1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69 (73) für den beherrschenden Einfluss im Rahmen des § 17 AktG.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Besondere Umstände können dabei rechtlicher oder tatsächlicher Art sein560 (beispielsweise vertragliche Vereinbarungen zwischen den Familienmitgliedern über eine einheitliche Stimmrechtsausübung wie Konsortial- oder Poolverträge561 oder wenn die Familie bisher stets als Interesseneinheit im Unternehmen aufgetreten ist562). Werden die vorstehenden Maßstäbe der Rechtsprechung zur Bestimmung des Begriffs der „Familieninteressen“ herangezogen, lassen sich diese definieren als die aufgrund besonderer Umstände und nicht lediglich der familiären Verbundenheit feststellbaren und auf Dauer gesicherten gleichgerichtet ausgeübten Interessen (d. h. Belange, Ziele und Bestrebungen)563 der Familienmitglieder in ihrer Gesamtheit.564 An deren Durchsetzung knüpft der Tatbestand des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts an. Da die Definition der Familieninteressen entsprechend auf die äußere Willensausübung und nicht auf die interne Willensbildung abstellt, bedeutet dies für den Begriff des Familienunternehmens, dass er selbst dann erfüllt ist, wenn zwischen den einzelnen Familienmitgliedern interne Meinungsverschiedenheiten auftreten.565 Voraussetzung ist nur, dass die Familie ihren Gesamteinfluss auf das Unternehmen nach außen hin einheitlich ausübt.566 Die Bindung des Familienunternehmensbegriffs im Sinne des Arbeitsrechts an die Durchsetzung der Familieninteressen gleicht damit die bestehenden methodischen Schwächen der bisherigen Definitionen aus. Letztere berücksichtigen nicht, dass ein (summierter) Einfluss der einzelnen Familienmitglieder möglicherweise nicht mehr ausreichen kann, um das Unternehmen zu beherrschen 560  BGH, Urt. v. 16. 2. 1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69 (73); BGH, Beschl. v. 8. 5. 1979 – KVR 1/78, BGHZ 74, 359 (367); BGH, Urt. v. 4. 3. 1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193 (199). 561  BGH, Beschl. v. 8. 5. 1979 – KVR 1/78, BGHZ 74, 359 (366); Hüffer/Koch, § 17 AktG Rn. 15; vgl. auch Hölters/Hirschmann, § 17 AktG Rn. 3. Zu den Stimmbindungsverträgen siehe auch Hölters/Hirschmann, § 133 Rn. 36 ff.; MünchKommBGB/Schäfer, § 717 Rn. 18 ff.; MünchKommHGB/Enzinger, § 119 Rn. 35 ff.; Schnorbus/Ganzer, AG 2016, 565 ff. 562  BGH, Urt. v. 16. 2. 1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69 (73); MünchKommAktG/ Bayer, § 17 AktG Rn. 39; Spindler/Stilz/Schall, § 17 AktG Rn. 32. 563  Für die Zwecke dieser Arbeit ist die gewählte knappe Umschreibung des Interessenbegriffes ausreichend. Weiterführend zum Begriff des Interesses Morgenroth, Interesse als Einflussfaktor, S. 25 ff.; Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten, S. 9 ff. 564  Der Begriff der Familieninteressen von v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 363 ist hingegen zu eng. Danach umfasst der Begriff lediglich diejenigen „Anliegen der Eigentümerfamilie, die primär familiäre Zwecke verfolgen und im Familienunternehmen durchgesetzt werden sollen“. 565  Zu dieser Unterscheidung interner Willensbildung und äußerer Willensausübung: BGH, Urt. v. 4. 3. 1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193 (201). 566  BGH, Urt. v. 4. 3. 1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193 (201 f.) für den beherrschenden Einfluss im Rahmen des § 17 AktG.

120 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

und die Grundlage für das Vorliegen eines Familienunternehmens somit entzogen wäre, wenn sich einzelne Familienmitglieder nicht nur im Einzelfall, sondern dauerhaft abweichend zu den Interessen der eigenen Familie verhalten. Zwar wird es sich regelmäßig um Ausnahmeerscheinungen handeln, jedoch mangelt es den bisherigen Definitionen gerade an einem Korrektiv für solche Einzelfälle. Dieses wird durch die Bindung des Familienunternehmensbegriffs im Sinne des Arbeitsrechts an die Durchsetzung der Familieninteressen geschaffen. Sofern im Folgenden die typischen Merkmale des beherrschenden Einflusses dargestellt werden, welche der Familie als Gesamtheit ihrer individuellen Mitglieder die Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Interessen in der Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens geben, setzen sie immer besondere Umstände voraus, die eine auf Dauer gesicherte, beständige und einheitliche Interessenausübung der Familienmitglieder erwarten lassen. Zuvor soll allerdings kurz darauf eingegangen werden, was in der Praxis typische Familieninteressen im Familienunternehmen sein können. Typische Familieninteressen lassen sich im Anschluss an v. Schultzendorff in vier Kategorien einteilen, entsprechend ihrem jeweiligen Zweck:567 – finanzielle Familieninteressen: Liquiditätssicherung, Maximierung der Ausschüttungsquote zur materiellen Versorgung der Familie, Erhaltung und Fortentwicklung des Familienvermögens, Haftungsabschottung/Begrenzung des Verlustrisikos, Bereitstellung von Arbeitsplätzen/unternehmerischen Entfaltungsmöglichkeiten für Familienmitglieder, hohes zusätzliches Einkommen oder Pensionsansprüche für Familienmitglieder bei Anstellung im Unternehmen; – soziale Familieninteressen: Kündigungen nur in unvermeidbaren Ausnahmefällen, Standorttreue zur Sicherung der Beschäftigung in der Region, faire Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Erhaltung einer stabilen und attraktiven Arbeitsplatzatmosphäre für Arbeitnehmer; – traditionelle Familieninteressen: erfolgreiche Weitergabe des Unternehmens an die nächste Generation, Wahrung der spezifischen Familienkultur im Unternehmen, Aufrechterhaltung langfristiger und vertrauensvoller Kundenbeziehungen, Wahrung der Reputation des Unternehmens und der Familie, Beibehaltung traditionsreicher Produkte, Heimatverbundenheit und regionale Verwurzelung; 567  v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 363. Die Beispiele wurden um weitere ergänzt. Auch könnten einzelne Beispiele partiell in mehrere Kategorien eingeordnet werden. Der Übersichtlichkeit halber wurde darauf jedoch verzichtet.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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– persönliche Familieninteressen: nachhaltige Förderung und Unterstützung von Familienmitgliedern, unmittelbare Einflussnahme auf die Unternehmensführung, Sicherung von Sonderrechten für die Familie oder einzelne Familienmitglieder, Erhalt des Lebenswerkes/Perpetuierung der eigenen Unternehmerideale, familiärer Zusammenhalt oder zumindest Vermeidung von Familienkonflikten auf Unternehmensebene, Vermeidung von Publizität, keine Mitbestimmung im Kern der Unternehmensleitung bzw. geringe Auswirkungen der unternehmerischen Mitbestimmung auf Ebene der Unternehmensleitung. (2) Die typischen Merkmale des beherrschenden Einflusses Im Folgenden werden die typischen Merkmale des beherrschenden Einflusses aufgezählt. Es handelt sich – der Eigenart des Typus entsprechend –568 nicht um eine abschließende Darstellung, sondern eine enumerative Beschreibung der zum gegenwärtigen Erkenntnisstand bekannten und wichtigsten charakteristischen Merkmale des beherrschenden Einflusses. Sofern sich zukünftig weitere Merkmale unter dem leitenden Wertungsgesichtspunkt als relevant erweisen, kann eine Ergänzung der Liste erfolgen. Die Merkmale lassen sich grundsätzlich in zwei Kategorien einordnen: Zum einen solche, die der Familie aufgrund spezifischer Regelungen in der Satzung, dem Gesellschaftsvertrag oder Ähnlichem einen rechtlich abgesicherten Einfluss auf das Unternehmen geben. Zum anderen Merkmale, die der Familie aufgrund sonstiger tatsächlicher Umstände Einfluss auf das Unternehmen gewähren. Den Merkmalen der ersten Kategorie kommt aufgrund ihrer leichteren Bestimmbarkeit die größte Bedeutung zu. Sofern diese bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Familie bereits allein einen beherrschenden Einfluss auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen geben, lässt sich im Anschluss an Schmidt von einem verfassten Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts sprechen.569 Das Unternehmen ist dann bewusst mittels Vertragsgestaltung als Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts verfasst. Nahezu allen typischen Merkmalen des beherrschenden Einflusses der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen ist gemeinsam, dass es sich um solche handelt, die der Familie grundsätzlichen Einfluss auf das Unternehmen im Allgemeinen und die Unternehmenspolitik im Besonderen gewähren. Sie können daher im Regelfall auch für andere Familienunternehmensbegriffe nutzbar gemacht werden und nicht nur für denjenigen im Sinne des Arbeitsrechts. Denn der Einfluss auf die Personal- und Sozialpolitik macht nicht an den Grenzen der einzelnen Rechtsgebiete halt. 568  569 

Siehe hierzu bereits Erstes Kapitel § 3 B. II. Siehe zum Begriff des verfassten Familienunternehmens bereits S. 81 mit Nachweisen.

122 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

(a) Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung Wichtigstes Merkmal des beherrschenden Einflusses der Familie auf das Unternehmen ist deren Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung am Unternehmensträger. Sie zählt zu der Kategorie von Merkmalen, welche der Familie einen rechtlich abgesicherten Einfluss auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen gewähren. Die Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung ist für das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses und damit für den Begriff des Familienunternehmens unverzichtbar. Die Kapitalbeteiligung als Anteilseigentum ist für den beherrschenden Einfluss auf ein Unternehmen bedeutend, weil sie die Basis für die Ausübung der unternehmerischen Leitungsmacht bildet.570 Zudem ist der Stimmrechtsanteil grundsätzlich abhängig von der Kapitalbeteiligung des jeweiligen Gesellschafters.571 Nur ausnahmsweise fallen Kapitalbeteiligungs- und Stimmrechtsquote auseinander, wenn beispielsweise in einer Aktiengesellschaft der Kapitalanteil der Familie auf Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 12 Abs. 1 S. 2, 139 ff. AktG) beruht.572 Die Stimmrechtsbeteiligung erlaubt der Familie wiederum, die Willensbildung im Unternehmen in ihrem Interesse zu beeinflussen.573 Sie ist daher wesentlich für die Durchsetzung der Familieninteressen im Unternehmen und demgemäß für einen beherrschenden Einfluss. Hintergrund ist, dass die Familie durch eine Mehrheitsbeteiligung zumindest mittelbar auf die Besetzung der Unternehmensleitung Einfluss nehmen und dieser ihren Willen aufzwingen kann.574 Denn die wirtschaftlich abhängige Unternehmensleitung wird sich, schon in ihrem Interesse die eigene Tätigkeit in der Gesellschaft weiterhin ausüben zu dürfen, grundsätzlich dem Einfluss konform verhalten.575 Die Familie hat insofern durch eine Mehrheitsbeteiligung nicht nur Einfluss auf die Besetzung der obersten Führungsebene, sondern kann über diese im Regelfall auf die gesamte Personalund Sozialpolitik im Unternehmen einwirken. Denn der Unternehmensleitung (Vorstand, Geschäftsführer o. Ä.) obliegt nicht nur die Planungs- und Organisationsgewalt, sondern sie kann selbst oder durch nachgeordnete Führungskräfte 570 

Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 59. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 59; Niefert/Heger/Licht u. a., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Familienunternehmen, S. 7. 572 Hüffer/Koch, § 16 AktG Rn. 2; MünchKommAktG/Bayer, § 21 WpHG Rn. 18; MünchKommBilR/Senger/Hoehne, § 290 HGB Rn. 71. 573 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 60; MünchKommHGB/Enzinger, § 119 Rn. 13. 574 Hölters/Hirschmann, § 17 AktG Rn. 3; MünchKommAktG/Heider, § 1 AktG Rn. 54; MünchKommAktG/Bayer, § 17 AktG Rn. 26 f. speziell für die Aktiengesellschaft. 575  Huppert, Betriebliches Miteigentum der Arbeitnehmer, S. 27; MünchKomm­ GmbHG/Liebscher, Anh. zu § 13 Rn. 122 speziell für die Aktiengesellschaft; siehe auch ­Immenga/Mestmäcker/Thomas, § 36 GWB Rn. 861. 571 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

123

Arbeitgeberfunktionen gegenüber den Arbeitnehmern im Unternehmen ausüben.576 Insofern begründet das Eigentum bzw. die Kapitalbeteiligung in einem gewissen Maße Macht über die im Unternehmen tätigen Arbeitnehmer.577 Deshalb hat das Eigentum bzw. die Kapitalbeteiligung seit jeher einen bedeutenden Stellenwert im Arbeitsrecht für die Begründung der Arbeitgeberstellung, wenn auch die Unternehmensführung durch die heute vorherrschende „Trennung von Eigentum und Eigentumsverfügung“ im Unternehmen an Rang gewonnen hat.578 Damit die Familie ihre Macht über die Mehrheitsbeteiligung ausüben kann, ist jedoch zusätzlich erforderlich, dass sie diese nicht nur vorübergehend und allein zum Zwecke der Weiterveräußerung besitzt.579 Denn lediglich dann, wenn eine gewisse Beständigkeit der Kapital- und Stimmrechtsmacht existiert, besteht für die Unternehmensleitung auch Veranlassung den Willen und die Interessen der Familie zu beachten.580 Im Regelfall wird folglich eine Mehrheitsbeteiligung der Familie kraft Anteilsmehrheit für das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses erforderlich und ausreichend sein.581 Denn in diesem Fall können grundsätzlich keine Entscheidungen im Unternehmen an der Familie vorbei getroffen werden und sie hat in der Regel Einfluss auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen582. Es müssen folglich nicht sämtliche Kapitalanteile in Familienhand liegen, wie dies beispielsweise bei der Familiengesellschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 DrittelbG erforderlich ist.583 Entsprechend können auch außenstehende Dritte

576  Löwisch, in: Böhm (Hrsg.), Mitbestimmung, S. 131 (134); Mitbestimmung im Unternehmen, Bericht der Sachverständigenkommission zur Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung, BT-Drucks. VI/334, S. 64. Speziell für den Vorstand MünchGesellR/Wiesner, § 19 Rn. 53; für den GmbH-Geschäftsführer BGH, Urt. v. 9. 11. 1967 – II ZR 64/67, NJW 1968, 396. 577 Vgl. Scholz, NVwZ 1982, 337 (339 f.); Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 115. 578  Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 115 f. [Hervorhebung im Original]. Siehe auch Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 46 f. 579  Talaulicar, in: Lange/Leible (Hrsg.), Governance in Familienunternehmen, S. 47 (53). 580 Emmerich/Habersack/Emmerich, § 17 AktG Rn. 13 zum beherrschenden Einfluss im Rahmen des § 17 AktG. 581  Vogler, Die Aufgaben des Beirats im Familienunternehmen, 27 f.; sowie MünchKommAktG/Bayer, § 17 AktG Rn. 25 zum beherrschenden Einfluss im Rahmen des § 17 AktG. – Freilich handelt es sich, wenn die Familie lediglich diese Mindestvoraussetzung erfüllt, um einen „Grenzfall des Familienunternehmens“, wie Oetker, Langfristige Finanzpolitik, S. 70 zutreffend ausführt; ders., Wachstumssicherung von Familienunternehmen, S. 72. Typischerweise wird die Familie neben der Kapitalbeteiligung auch in der Unternehmensführung vertreten sein oder Aufsichtsfunktionen wahrnehmen. 582 Müller/Rödder/Liebscher, § 15 Rn. 19. 583  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A. II. 1. a).

124 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

oder familienfremde Arbeitnehmer Kapitalanteile am Unternehmen halten, ohne dass dies per se einen beherrschenden Einfluss der Familie ausschließt. Eine Kapitalbeteiligung der Familie unterhalb der Mehrheitsschwelle wird hingegen für einen beherrschenden Einfluss nur ausnahmsweise genügen. Jedenfalls muss dann zumindest ein weiterer Einflussfaktor der Familie auf das Unternehmen hinzukommen, um deren Machtdefizit über das Gesellschaftskapital auszugleichen und einen beherrschenden Einfluss zu begründen. Dabei gilt grundsätzlich, je näher die Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung der Schwelle zur Mehrheit kommt, desto eher wird sie im Zusammenspiel mit anderen Einflussfaktoren der Familie einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen gewähren. Entsprechend verbietet sich die Festlegung eines fixen prozentualen Kapital- und Stimmrechtsanteils, ab welchem ein beherrschender Einfluss der Familie auf das Unternehmen anzunehmen wäre, wie dies vorrangig im nicht-juristischen Schrifttum angegeben wurde584. Vielmehr muss im Einzelfall anhand der konkreten Satzungsbestimmungen oder der Regelungen im Gesellschaftsvertrag entschieden werden, welche Beteiligungsquote für einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen erforderlich ist.585 Denn diese können beispielsweise normieren, dass bestimmte oder wesentliche Entscheidungen im Unternehmen an eine qualifizierte Mehrheit, wie die Dreiviertelmehrheit, gebunden sind. So kann selbst eine im Regelfall genügende Beteiligung von über 50 Prozent einen beherrschenden Einfluss der Familie auf das Unternehmen ausschließen, wenn sie nicht an die erforderliche Dreiviertelmehrheit heranreicht. Zwar besteht dann für die Familie die Möglichkeit bestimmte Beschlüsse zu blockieren, jedoch kann sie nicht positiv ihre Interessen durchsetzen. Zuzugeben ist, dass die vorstehenden Überlegungen primär auf Kapitalgesellschaften zugeschnitten sind und sich nicht uneingeschränkt auf Unternehmen anderer Rechtsformen übertragen lassen. Beispielsweise ist bei einer Einmanngesellschaft und einem einzelkaufmännischen Unternehmen – die sowieso nur ausnahmsweise Familienunternehmen sein können –586 eine Mehrheitsbeteiligung grundsätzlich ausgeschlossen (Ausnahme bei stiller Gesellschaft).587 Auch für Personengesellschaften gelten die vorstehenden Überlegungen nicht uneingeschränkt.588 Denn bei Personengesellschaften ist aufgrund des gesetzlich vorgesehenen, aber dispositiven Einstimmigkeitsprinzips (§§ 709 Abs. 1, 711 BGB, 584 

Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A. I. 2. a) aa). So auch Oetker, Stakeholderkonflikte in Familienkonzernen, S. 15. 586  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 B. III. 2. a) aa). 587 Für das einzelkaufmännische Unternehmen: Hüffer/Koch, § 16 Rn. 4; Münch­ GesellR/Krieger, § 69 Rn. 20; MünchKommAktG/Bayer, § 16 AktG Rn. 18. 588  Zu den Begriffen der Kapital- und Stimmrechtsmehrheit und deren Übertragbarkeit auf das Personengesellschaftsrecht siehe ausführlich Schmitt, Schutz der außenstehenden Gesellschafter, S. 26 ff. 585 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

125

§§ 114 Abs. 1, 115 Abs. 1, 119 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB) und der grundsätzlichen Einzelgeschäftsführungsbefugnis mit einer Mehrheitsbeteiligung nicht zwangsläufig ein Einfluss auf die Leitung des Unternehmens verbunden.589 Deshalb kann die bloße Mehrheitsbeteiligung einen beherrschenden Einfluss grundsätzlich nur begründen, wenn der Gesellschaftsvertrag Mehrheitsbeschlüsse entsprechend der Kapitalbeteiligung vorsieht und gegebenenfalls weitere ergänzende Regelungen zwischen den Beteiligten getroffen werden.590 In Personengesellschaften nimmt demzufolge die Gestaltung des Gesellschaftsvertrags für die Begründung des beherrschenden Einflusses einen höheren Stellenwert ein als die bloße Mehrheitsbeteiligung.591 Zumal die Gesellschafter dort aufgrund der weitgehenden Gestaltungsfreiheit im Personengesellschaftsrecht (§§ 109, 163 HGB) auch von der Beteiligungshöhe unabhängige Regelungen treffen können.592 Im Ergebnis bedeutet dies, dass stärker als bisher die Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften bei der Bestimmung des Familienunternehmensbegriffes miteinbezogen werden müssen. Insbesondere die Regelungen im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung müssen in den Blick genommen werden, um das Einflusspotenzial der Familie über die Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung im konkreten Einzelfall beurteilen zu können. (b) Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht Die Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht der Familie im Unternehmen ist ein weiteres typisches Merkmal des beherrschenden Einflusses. Sie bezieht sich auf die Möglichkeit der Familie, ihre Interessen über die Führung des Unternehmens durchzusetzen.593 Während die Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht in Personengesellschaften von ihren geschäftsführenden Gesellschaftern ausgeübt wird (§§ 709 ff. BGB, 114, 125, 161 Abs. 2 HGB), erfolgt sie in den Kapitalgesellschaften durch ihre Organe (zum Beispiel bei der Aktiengesellschaft durch den Vorstand, bei der GmbH durch den Geschäftsführer). Der Unternehmensführung und der daraus resultierenden Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht kommt eine herausgehobene Stellung im Arbeitsrecht zu. Eine ebenso priorisierte Position wird dieser auch für einen beherrschenden Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik zuteil. Denn 589  Schmitt, Schutz der außenstehenden Gesellschafter, S. 37; EBJS/Wertenbruch/Nagel, Anh. zu § 105 HGB Rn. 16. 590 MünchKomm/Bayer, § 17 AktG Rn. 116; Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2012, 143; Schmitt, Schutz der außenstehenden Gesellschafter, S. 37; Emmerich/Habersack/Emmerich, § 17 AktG Rn. 48. 591 Oetker/Lieder, § 105 HGB Rn. 154; ähnlich EBJS/Wertenbruch/Nagel, Anh. zu § 105 HGB Rn. 16. 592 EBJS/Wertenbruch/Nagel, Anh. zu § 105 HGB Rn. 16. 593  Hering/Olbrich, Unternehmensnachfolge, S. 4.

126 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

wie bereits bei dem Merkmal der Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung dargelegt, obliegt der Unternehmensführung zum einen die Planungs- und Organisationsgewalt. Zu dieser zählt nicht nur der wichtige Bereich der Personalplanung, wie zum Beispiel die Personalbeschaffung und -freisetzung,594 sondern auch die Organisation des Unternehmens in die der einzelne Arbeitnehmer eingegliedert ist, einschließlich der Arbeitsplätze, Arbeitsabläufe oder Arbeitsumgebung. Zum anderen kann die Unternehmensführung selbst oder durch nachgeordnete Führungskräfte Arbeitgeberfunktionen gegenüber den Arbeitnehmern im Unternehmen ausüben.595 Zwar bestimmt die Führung als „Träger der obersten Weisungsbefugnis“596 gerade bei großen Unternehmen mit vielen Arbeitnehmern grundsätzlich nur über die Besetzung der oberen Führungspositionen,597 allerdings resultieren daraus vielfältige Folgen auch für den einzelnen Arbeitnehmer. Zum Beispiel wird durch die Unternehmensführung verbindlich über den konkreten Vorgesetzten des Arbeitnehmers entschieden, welcher diesem gegenüber das Direktionsrecht gemäß § 106 GewO ausübt.598 Erst dadurch wird die arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitnehmers konkretisiert und das Arbeitsverhältnis im alltäglichen Unternehmensgeschehen im Einzelfall ausgestaltet. Ferner hat die Unternehmensführung entscheidenden Einfluss darauf, welcher Führungsstil im Unternehmen herrscht599 (beispielsweise in Familienunternehmen vorwiegend paternalistisch oder kooperativ), wodurch auch die Unternehmenskultur entscheidend geprägt werden kann.600 Auf diesem Wege hat die Leitung die Macht, der gesamten Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung nach ihren Vorstellungen ein besonderes Gepräge zu verleihen und ihre Interessen in der Personal- und Sozialpolitik bis zum Arbeitnehmer der untersten Hierarchiestufe durchzusetzen. Nach den vorstehenden Überlegungen gilt, je mehr Familienmitglieder im Verhältnis zu familienfremden Personen in der Unternehmensführung aktiv tätig sind (beispielsweise als geschäftsführender Gesellschafter oder als Vorstandsmitglied), desto eher besteht ein beherrschender Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen und desto eher können sich dort die Familieninteressen durchsetzen. Bereits v. Schultzendorff hat die Bedeutung 594  Hierzu ausführlich Löwisch, in: Drumm u. a. (Hrsg.), Gegenwartsprobleme der betrieblichen Personalplanung, S. 9 ff. 595  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 B. III. 2. c) bb) (2) (a), S. 122 f. 596 MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 59 Rn. 11. 597 Siehe Löwisch, in: Böhm (Hrsg.), Mitbestimmung, S. 131 (132). Konkret für die Aktiengesellschaft: Henze, BB 2000, 209 (210); MünchKommAktG/Spindler, § 76 AktG, Rn. 16. 598  Löwisch, in: Böhm (Hrsg.), Mitbestimmung, S. 131 (132). 599  Löwisch, in: Böhm (Hrsg.), Mitbestimmung, S. 131 (132). 600  Siehe hierzu ausführlich Zweites Kapitel § 6.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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der Besetzung der obersten Führungspositionen im Unternehmen für die Inter­ essendurchsetzung empirisch nachgewiesen. Nach seiner Untersuchung besitzen Familieninteressen im Unternehmen einen deutlich geringeren Stellenwert, wenn die Unternehmensführung ausschließlich mit Fremdmanagern besetzt ist, selbst wenn die Familie die Kapitalanteile im Unternehmen hält.601 Zu beachten ist jedoch, dass die alleinige Besetzung der Unternehmensführung durch Familienmitglieder und die daraus resultierende Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht nicht alleine genügt, um einen beherrschenden Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik zu begründen. Vielmehr ist die bestehende Wechselwirkung zwischen der Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung mit der Unternehmensführung zu beachten. Denn wie bereits bei dem Merkmal der Kapitalund Stimmrechtsbeteiligung ausgeführt, können die Anteilseigner grundsätzlich Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen. Sie ist daher zum gewissen Teil von den Anteilseignern abhängig. Ohne eine gleichzeitige Kapitalbeteiligung wäre die Unternehmensleitung in ihren Entscheidungen nicht frei und ein beherrschender Einfluss auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen wäre nahezu unmöglich. Entsprechend gilt je mehr Kapital- und Stimmrechtsanteile die Familie in ihrer Hand vereint und je mehr Familienmitglieder an der Unternehmensführung beteiligt sind, desto eher besteht ein beherrschender Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik. Eine genaue prozentuale Angabe, ab wann die Schwelle zum beherrschenden Einfluss überschritten ist, verbietet sich auch hier. Vielmehr muss im konkreten Einzelfall anhand der jeweiligen Beteiligungsverhältnisse und der genauen Besetzung der Unternehmensführung entschieden werden, ob schon von einem beherrschenden Einfluss ausgegangen werden kann. Sofern jedoch sämtliche Kapital- und Stimmrechtsanteile sowie die Unternehmensführung in der Hand der Familie vereint sind und insofern eine unmittelbare Verknüpfung zwischen Kapitalbeteiligung und der aus der Unternehmensführung resultierenden Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht besteht, kann ohne Zögern von einem beherrschenden Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen und somit von einem (eigentümergeführten) Familienunternehmen ausgegangen werden. Im Anschluss an Schneider kann hier von einem „idealtypisch[en]“ Familienunternehmen gesprochen werden.602 Aufgrund der Bedeutung der Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht wird diese regelmäßig ein unverzichtbares Merkmal für den beherrschenden Einfluss und damit für das Vorliegen eines Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts sein. Es kann aber im Einzelfall Konstellationen geben, in denen die Familie die Möglichkeit hat, ihr bestehendes Defizit in der Planungs-, Orga601  v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 367, zu beachten ist jedoch dessen abweichende Definition der Familieninteressen. 602  Schneider, in: Kappler/Laske (Hrsg.), Blickwechsel, S. 71.

128 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

nisations- und Leitungsmacht des Unternehmens über das Innehaben von Kon­ trollmacht in gewissem Maße auszugleichen. Insbesondere in größeren Familienunternehmen nimmt die Familie in der Praxis häufig nur die Kontrollfunktionen ein, während die Unternehmensführung ausschließlich mit Fremdmanagern besetzt wird.603 (c) Kontrollmacht Die Kontrollmacht bezieht sich auf die Möglichkeit der Familie die Führung des Unternehmens über ein Gremium zu überwachen oder zu kontrollieren, und auf diesem Wege ihre Interessen durchzusetzen. Sie hat einen geringeren Stellenwert zur Begründung eines beherrschenden Einflusses der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen als die beiden erstgenannten Merkmale. In Abhängigkeit von der Rechtsform des jeweiligen Unternehmens können Kontrollgremien entweder gesetzlich zwingend vorgeschrieben sein (wie zum Beispiel bei der Aktiengesellschaft oder den mitbestimmungspflichtigen Gesellschaften der Aufsichtsrat) oder aufgrund der Satzung oder einer gesellschaftsvertraglichen Regelung freiwillig gebildet werden. Auch ist es möglich, dass obligatorische und fakultative Kontrollgremien nebeneinander im Unternehmen bestehen.604 Fakultative Gremien können der Beirat, Verwaltungsrat oder ein Kontrollausschuss sein, wobei mangels gesetzlicher Regelung die Bezeichnung durch die Parteien grundsätzlich frei gewählt werden kann605. Während bei den obligatorischen Kontrollgremien deren Kompetenzen weitestgehend durch das Gesetz bestimmt werden, hängen diese bei den fakultativen Kontrollgremien von der konkreten Ausgestaltung in der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag ab. Die Kompetenzen können dann von einer bloß beratenden Tätigkeit über die überwachendende bis zu einer unternehmensleitenden Funktion reichen.606 In letzterem Fall nimmt das Kontrollgremium eine hybride Stellung zwischen Unternehmensführung und Unternehmenskontrolle ein. Die Familie kann dann 603  Oetker, Wachstumssicherung von Familienunternehmen, S. 67; ders., Langfristige Finanzpolitik, S. 62; ähnlich Klein, Familienunternehmen, S. 130, nach der die Trennung von Kapitalbeteiligung und Unternehmensführung grundsätzlich erst ab einer bestimmten Größe des Unternehmens relevant wird. 604  Koeberle-Schmid/Groß/Lehmann-Tolkmitt, BB 2011, 899. 605 Vgl. Sigle, NZG 1998, 619 sowie Hinterhuber/Minrath, BB 1991, 1201; Kormann, Beiräte in der Verantwortung, S. 7 und MünchKommGmbHG/Spindler, § 52 Rn. 715 mit Beispielen für weitere Bezeichnungen. Siehe zu den Begrifflichkeiten auch Vogler, Die Aufgaben des Beirats im Familienunternehmen, S. 118 – 120. 606  Hinterhuber/Minrath, BB 1991, 1201; MünchKommGmbHG/Spindler, § 52 Rn. 715 ff., zwar mit Bezug zur GmbH, jedoch beanspruchen die Ausführungen rechtsform­unabhängige Gültigkeit.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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über die Besetzung des Kontrollgremiums zugleich Planungs-, Organisationsund Leitungsmacht erlangen, wodurch dessen zunächst geringere Bedeutung für die Interessendurchsetzung der Familie im Unternehmen an besonderem Wert gewinnt. Die Familie hat es damit als Anteilseigner selbst in der Hand, ob sie über die konkrete Ausgestaltung des fakultativen Kontrollgremiums ihren Einfluss stärkt oder nicht.607 Eine solche weitreichende Gestaltungsfreiheit existiert bei den obligatorischen Kontrollgremien aufgrund der teils zwingenden gesetzlichen Vorgaben nicht. Jedoch besteht beispielsweise beim Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG die Möglichkeit, bestimmte Arten von Geschäften der Unternehmensleitung seiner Zustimmung zu unterstellen. Obligatorische und fakultative Kontrollgremien nehmen als Einflussfaktor der Familie im Unternehmen eine besondere Bedeutung ein, wenn die Unternehmensführung überwiegend mit Fremdmanagern besetzt ist. Die Familie hat dann die Möglichkeit über die Kontrollgremien das Fremdmanagement zu überwachen und auf diesem Wege ihren Einfluss auszuüben. Sie kann so das bestehende Defizit in der Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht über das Innehaben von Kontrollmacht ausgleichen oder zumindest verringern. Das gilt erst recht, wenn die Kompetenzen des Kontrollgremiums umfassend ausgestaltet sind. Der Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen ist freilich dann am größten, wenn die Familie sowohl in der Unternehmensführung als auch in den Kontrollgremien mehrheitlich vertreten ist. In diesem Fall wird sie nicht von familienfremden Personen kontrolliert, sondern überwacht sich sozusagen selbst608. Indessen erweist sich diese Konstellation in der Praxis nicht immer als sinnvoll.609 Denn dadurch wird auf externen Sachverstand und Erfahrungsschatz im Kontrollgremium verzichtet. Zudem können familienfremde Personen eine Mediations- und Katalysatorfunktion in der Familie einnehmen.610 Diese Fakten sind jedoch für die Entscheidung über das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses irrelevant. Mit welcher Gewichtung die Kontrollmacht der Familie in die Gesamtwürdigung über das Vorliegen des beherrschenden Einflusses einzustellen ist, hängt von mehreren Faktoren ab: Erstens von der Kompetenz des Kontrollgremiums, in dem die Familienmitglieder vertreten sind. Je nachdem, ob diesem eine be607 

v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 140. auch Oetker, Langfristige Finanzpolitik, S. 69; Oetker, Wachstumssicherung von Familienunternehmen, S. 71. 609 Vgl. Oetker, Langfristige Finanzpolitik, S. 69; Oetker, Wachstumssicherung von Familienunternehmen, S. 71. – Daher empfiehlt Nr. 3. 2. 1 des Governance Kodexes für Familienunternehmen bei der Zusammensetzung von Aufsichtsratsgremien auch familienunabhängigen Sachverstand im Aufsichtsgremium zu berücksichtigen, um gegebenenfalls „die Qualität und Objektivität seiner Arbeit [zu] verbessern“. 610  Kalss, in: FS Delle Karth, S. 499 (510). 608  So

130 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

ratende, überwachende oder unternehmensleitende Funktion zukommt, variiert die Kontrollmacht. Im ersten Fall ist sie am geringsten, im letzten am größten. Zweitens ist die Kontrollmacht der Familie von der personellen Zusammensetzung des Gremiums abhängig. Je mehr Familienmitglieder in einem Kontrollgremium vertreten sind, desto größer ist der Einfluss über dieses Organ. Von einer Kontrollmacht der Familie im eigentlichen Sinne kann jedoch erst gesprochen werden, wenn sie die Mehrheit der Mitglieder des Organs stellt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass dies im mitbestimmten Aufsichtsrat nach dem Mitbestimmungsgesetz nicht möglich ist. Da sich dort der Aufsichtsrat gemäß § 7 MitbestG zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern zusammensetzen muss. Zum Erhalt der Kontrollmacht ist in diesem Fall wichtig, dass die Familie den Aufsichtsratsvorsitzenden stellt, da dieser in Pattsituationen eine zweite Stimme erhält (§ 29 Abs. 2 S. 1 MitbestG). Dennoch hat ein mitbestimmter Aufsichtsrat gegenüber einem Beirat oder sonstigen Kontrollgremium zur Durchsetzung der Familieninteressen im Unternehmen faktisch eine eher geringe Bedeutung. Dies wurde durch v. Schultzendorff in seiner bereits erwähnten Untersuchung ermittelt.611 (d) Mitwirkung von Familienmitgliedern im Unternehmen Die aktive Mitwirkung von Familienmitgliedern im Unternehmen ist ein weiteres typisches Merkmal des beherrschenden Einflusses unter dem Aspekt der Durchsetzung der Familieninteressen in der Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens. Mitwirkung wird hier im weitesten Sinne verstanden. Sie kann von der inoffiziellen Unterstützung von Familienmitgliedern bei deren Unternehmens­tätigkeit reichen bis zu einer Mitarbeit aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses oder auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage. Erforderlich ist nur, dass sich die aktive Mitwirkung auf die personal- und sozialpolitischen Entscheidungen im Unternehmen bezieht. Erfasst wird jedoch nicht die Tätigkeit in der Unternehmensleitung oder in einem Kontrollorgan. Diese wurden aufgrund ihrer besonderen Bedeutung bereits als eigene typische Merkmale des beherrschenden Einflusses erfasst und dürfen bei der Gesamtwürdigung nicht doppelt gewertet werden. Die Gewichtung der aktiven Mitwirkung von Familienmitgliedern im Vergleich zu den anderen typischen Merkmalen des beherrschenden Einflusses hängt sowohl von der Art der Tätigkeit ab als auch dem zeitlichen Umfang und dem Zeitraum, über den sich die Mitarbeit erstreckt. Je mehr Familienmitglieder aktiv an personal- und sozialpolitischen Entscheidungen im Unternehmen mitwirken und je länger und intensiver ihre Tätigkeit gegenwärtig sowie prognostisch gesehen zukünftig ist, desto eher kann im Zusammenspiel mit anderen Merkmalen ein beherrschender Einfluss angenommen werden. Entscheidend ist 611 

v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 368 f.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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aber vorrangig der Arbeitsbereich des einzelnen Familienmitgliedes. Eine Tätigkeit in der Personalabteilung oder als direkter Vorgesetzter und Weisungsberechtigter gegenüber einer Vielzahl von Arbeitnehmern gewährt den größten Einfluss auf die Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens. Das gilt besonders, wenn das betreffende Familienmitglied Entscheidungen von mitbestimmungsrechtlicher Relevanz, wie Einstellungen, Versetzungen oder Kündigungen, selbstständig treffen kann. Dennoch genügt auch in diesen Fällen die aktive Mitwirkung von Familienmitgliedern im Unternehmen alleine nicht zur Begründung eines beherrschenden Einflusses. Denn die Mitarbeit könnte durch die maßgeblichen Entscheidungsträger auf Leitungs- oder Kontrollebene jederzeit unterbunden werden. Genauso wenig schließt das Fehlen einer aktiven Mitwirkung von Familienmitgliedern im Unternehmen einen beherrschenden Einfluss und somit das Vorliegen eines Familienunternehmens aus. Denn die bereits zuvor genannten Merkmale (Kapitalbeteiligung, Leitungsmacht, etc.) sind zu dessen Begründung ausreichend. Für alle Tätigkeiten von Familienangehörigen im Unternehmen dürfte jedoch – in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße – zu berücksichtigen sein, dass die damit verbundene Einbindung in das alltägliche Unternehmensgeschehen die Präsenz der Familie im Unternehmen sowie die Identifikation der Arbeitnehmer mit der Unternehmerfamilie stärkt. Dies dürfte sich wiederum positiv auf die Durchsetzung des Familieneinflusses im Unternehmen auswirken. (e) Faktische Einflussfaktoren Zusätzlich zu den genannten rechtlich abgesicherten Einflussfaktoren der Familie auf das Unternehmen (Kapitalbeteiligung, Organstellung, etc.) sind faktische Machtpositionen zu berücksichtigen.612 Aufgrund ihrer Fülle können nicht alle denkbaren Konstellationen aufgeführt, sondern nur exemplarisch einige genannt werden: Ein in der Praxis wichtiger Anwendungsfall der sog. faktischen Beherrschungsmöglichkeit sind nachhaltige Präsenzmehrheiten in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft.613 Dabei geht es um die Möglichkeit der Familie, auch ohne Mehrheitsbeteiligung über eine faktische Hauptversammlungsmehrheit beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen auszuüben. Je näher die Stimmrechtsbeteiligung der Familie der Schwelle zur Mehrheit kommt und je mehr andere Gesellschafter neben der Familie existieren (Streubesitz) und je geringer die Präsenz 612  Zur Berücksichtigung faktischer Machtpositionen für den Einfluss auf ein Unternehmen siehe Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 71 – 73; Beck Bil-Komm/Grottel/ Kreher, § 290 Rn. 50 f.; MünchKommHGB/Busse v. Colbe, § 290 Rn. 54 – 59; Spindler/Stilz/Schall, § 17 AktG Rn. 30 ff. Zur Notwendigkeit der Berücksichtigung tatsächlich ausgeübten Einflusses im Familienunternehmen bereits Rau, in: Rosenstiel/Regnet/ Domsch (Hrsg.), Führung von Mitarbeitern, S. 507 (512). 613 MünchKommBilR/Senger/Hoehne, § 290 Rn. 34.

132 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

der familienfremden Anteilseigner in der Hauptversammlung auf Dauer ist, desto eher besteht eine nachhaltige Präsenzmehrheit der Familie.614 In börsennotierten Publikumsgesellschaften mit breitem Streubesitz kann eine Familie folglich mit einer Beteiligung unterhalb der Mehrheitsschwelle in der Regel leichter über eine faktische Hauptversammlungsmehrheit einen beherrschenden Einfluss ausüben als in anderen Unternehmen. Wohl aus diesem Grund werden an börsennotierte Familienunternehmen vom nicht-juristischen Schrifttum sowie der Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission geringere Anforderungen an die erforderliche Kapitalbeteiligung der Familie gestellt.615 Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, ist dies jedoch keine Frage der Kapitalbeteiligung, sondern der faktischen Beherrschungsmöglichkeit. Eine weitere wichtige Konstellation eines faktischen Einflussfaktors liegt vor, wenn sich ein Familienmitglied de facto zum Organ oder Teil eines Organs aufschwingt (Geschäftsführer, Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied, etc.) und dadurch die eigentlichen Organmitglieder – sei es mit oder ohne deren Billigung – aus ihrer Position verdrängt. Der Einfluss kann bis zu einer sog. faktischen Organstellung reichen.616 Faktischen Einfluss kann die Familie zudem erlangen, wenn in den Leitungsund Kontrollgremien des Unternehmens familienfremde Vertrauenspersonen vertreten sind,617 die nicht gegen die Familie stimmen werden, ohne dass hierfür spezielle Stimmbindungsvereinbarungen bestünden. Auch hier hat die Familie faktisch eine höhere Machtposition als ihre Rechtsstellung vermuten lassen würde. Darüber hinaus kann der Familie als wesentlichem Kreditgeber faktische Macht auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen zukommen, wenn eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Unternehmens besteht.618 Das gilt insbesondere, wenn der Kredit sofort fällig gestellt werden kann. Dabei ist für die Beurteilung des beherrschenden Einflusses nicht die Höhe des Kredites entscheidend, sondern allein ob der Familie aufgrund der vertraglichen Beziehung die

614 MünchKommHGB/Busse v. Colbe,

§ 290 Rn. 57, jedoch ohne Bezug zur Beherrschung durch eine Familie. 615  Siehe bereits Erstes Kapitel § 3 A. I. 2. a) aa) und Erstes Kapitel § 3 A. II. 4. 616  Die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der im Gesellschaftsrecht anerkannten Rechtsfigur der „faktischen Organstellung“ sind im Einzelnen umstritten. Darauf soll jedoch nicht näher eingegangen werden, da diese für die Begründung eines beherrschenden Einflusses auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen unerheblich sind. Siehe zur „faktischen Organstellung“ Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 72 f. m. w. N. 617 Ähnlich Rau, in: Rosenstiel/Regnet/Domsch (Hrsg.), Führung von Mitarbeitern, S. 507 (512). 618 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 72.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

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Möglichkeit zukommt, die Personal- und Sozialpolitik des Unternehmens zu bestimmen.619 Auch ein besonderer Wissens- und Erfahrungsvorsprung620 der Familie und die Hoheit über gewerbliche Schutzrechte können eine Abhängigkeit des Unternehmens begründen und der Familie dadurch Einfluss gewähren (beispielsweise durch alleinige Kenntnis der Rezeptur eines Hauptprodukts des Unternehmens). (f) Fortführungswille Der Wille das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben bzw. das Unternehmen im Familieneigentum zu halten, ist kein notwendiges Merkmal des beherrschenden Einflusses und damit des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts. Alleine der Wille auf etwas Einfluss zu nehmen, begründet noch lange nicht die Macht, dies auch tatsächlich zu tun. Vielmehr ergibt sich der beherrschende Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen aus den bereits zuvor genannten Kriterien (Kapitalbeteiligung, Leitungsmacht, etc.). Die Abwesenheit des Fortführungswillens schmälert die einmal über diese Einflussmerkmale begründete Macht der Familie über das Unternehmen nicht.621 Gerade bei neu gegründeten und kleinen wirtschaftlich schwachen Unternehmen, in denen die gesamte Familie mitarbeitet, wird der Fortführungswille (noch) nicht bestehen, sondern allenfalls ein „resignierendes Wunschdenken“.622 Auch endet der beherrschende Einfluss einer Familie auf das Unternehmen nicht, wenn sie lediglich beabsichtigt, die Gesellschaft an familienfremde Dritte oder auf eine familienunabhängige Stiftung zu übertragen.623 Die Statuierung des Fortführungswillens als unverzichtbares Merkmal wäre dementsprechend weder sachgerecht noch wirklichkeitsbezogen, weil auf diesem Wege idealtypische Familienunternehmen vom Begriff ausgeschlossen würden624. Ein vorhandener Fortführungswille dokumentiert jedoch eine besonders enge und auf Dauer angelegte Verknüpfung der Familie mit dem Unternehmen, und zwar unabhängig davon, ob dieser vonseiten der Unternehmerfamilie, der Unternehmensführung oder innerhalb der Belegschaft besteht. Er ist daher ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines beherrschenden Einflusses und damit für das Vorliegen eines Familienunternehmens. Folglich muss er bei der Entscheidung 619  Vgl. Spindler/Stilz/Schall, § 17 AktG Rn. 35 zum Herrschaftsmittel der „wirtschaftlichen Abhängigkeit“ im Rahmen des § 17 AktG. 620 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 72. 621  Jendritzky, Die kooperative Gruppenbildung, S. 45. 622  Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 21; Fries, Familiengesellschaft und Treuepflicht, S. 42. 623  v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 5. 624  Fries, Familiengesellschaft und Treuepflicht, S. 42.

134 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

über das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses mit einbezogen werden. Dies gilt auch, weil aus dem Fortführungswillen Rückschlüsse auf die Beständigkeit anderer Typusmerkmale des beherrschenden Einflusses gezogen werden können. Denn die Beständigkeit der einzelnen Typusmerkmale ist wiederum bei der Gesamtwürdigung über das Vorliegen des beherrschenden Einflusses zu berücksichtigen.625 Beispielsweise kann bei einem vorhandenen Willen der Unternehmerfamilie, das Unternehmen im Familieneigentum zu halten, die Kapitalbeteiligung der Familie stärker zu gewichten sein. Denn der Fortführungswille weist auf die Nachhaltigkeit dieses Einflussmerkmals hin. Es muss jedoch immer im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob ein Fortführungswille vorliegt, von welcher Personengruppe er getragen wird und ob eine etwaige Wechselwirkung mit anderen Kriterien des beherrschenden Einflusses zu berücksichtigen ist. Für den Rechtsanwender wird allerdings regelmäßig schwer zu beurteilen sein, ob ein Fortführungswille vorhanden und mit welcher Gewichtung er zu veranschlagen ist. Es gibt auch kaum Möglichkeiten, diesen subjektiven Einflussfaktor mittelbar über objektive Kriterien handhabbar zu machen. Der Fortführungswille ist allerdings immer dann zu bejahen, wenn in der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag bestimmt wird, dass das Unternehmen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden soll. In diesem Fall ist das Unternehmen ausdrücklich als Familienunternehmen verfasst. Weiterhin ist es möglich, dass die Familie gesonderte schuldrechtliche Vereinbarungen im Gesellschafterkreis getroffen hat, um eine Veräußerung von Kapitalanteilen an familienfremde Personen zu verhindern. Auch in diesem Fall sind die Regelungen äußerer Ausdruck des an sich inneren Fortführungswillens. Sofern der Rechtsanwender im Einzelfall vorstehende Regelungen im Unternehmen auffindet und den Fortführungswillen als Einflussmerkmal in die Gesamtwürdigung über das Vorliegen des beherrschenden Einflusses einstellt, muss er sich darüber im Klaren sein, dass diesem Kriterium nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Vorrangig sind alle bereits zuvor genannten Typusmerkmale des beherrschenden Einflusses, die der Familie die Möglichkeit geben, auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen gestaltend einzuwirken und nicht lediglich dazu dienen, diese zu konservieren. (g) Sonderrechte zugunsten der Unternehmerfamilie Ein weiteres Indiz für das Bestehen eines beherrschenden Einflusses der Familie auf ein Unternehmen sind gesellschaftsvertraglich oder satzungsmäßig eingeräumte Sonderrechte zugunsten der Unternehmerfamilie. Hierzu zählen beispielsweise das Recht der Familie auf die Besetzung der Unternehmensfüh625 

Siehe hierzu näher Erstes Kapitel § 3 B. III 2. c) bb) (3), S. 138 ff.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

135

rung, Vetorechte gegen die Entscheidungen der Geschäftsführung, Benennungsund Bestellungsrechte für Mitglieder eines Aufsichtsorgans, Sonderstimm- und Entnahmerechte, die Unkündbarkeit des Arbeits- oder Anstellungsvertrages von Familienmitgliedern sowie Pensionsansprüche und Mindestausschüttungen zur materiellen Versorgung der Unternehmerfamilie. Auch die bereits genannten Regelungen, die eine Veräußerung von Kapitalanteilen an familienfremde Personen verhindern sollen, fallen darunter (beispielsweise Vorerwerbs- und Vorkaufsrechte von Familienmitgliedern oder bei Unternehmen bestehend aus mehreren Stammfamilien Bevorzugung des Stammes des veräußerungswilligen Gesellschafters). Solche Sonderrechtsstellungen sind ein objektives Anzeichen für einen nicht unerheblichen Einfluss der Familie auf das Unternehmen, den sie zugleich durch die Implementierung besonderer Regelungen zu ihren Gunsten ausübt. Entsprechend ist die Häufung und starke Ausprägung von Sonderrechten für die Unternehmerfamilie ein untrügliches Zeichen für das Vorliegen eines Familienunternehmens. Hinsichtlich der Bedeutung von Sonderrechten für das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen ist einerseits danach zu differenzieren, welchen Inhalt das Recht hat. Es kommt mithin darauf an, welche rechtlichen Befugnisse, der Familie oder ihren einzelnen Mitgliedern aus dem zu ihrem Gunsten bestehendem Recht erwachsen. Rechtliche Befugnisse, die der Familie die Möglichkeit geben, auf die Personalund Sozialpolitik im Unternehmen gestaltend einzuwirken (wie zum Beispiel das Recht zur Besetzung der Unternehmensführung), kommt eine größere Bedeutung zu als solchen, die dies nicht ermöglichen (wie zum Beispiel Pensionsansprüche). Zudem kann das Einflusspotenzial der einzelnen Rechte auf die Personal- und Sozialpolitik variieren.626 Andererseits ist die Gewichtung von Sonderrechten bei der Gesamtwürdigung über das Vorliegen des beherrschenden Einflusses vom Vorverständnis des Sonderrechts abhängig. Wird den gesellschaftsvertraglich oder satzungsmäßig eingeräumten Rechten eine konstitutive Wirkung in dem Sinne zugeschrieben, dass mit ihnen faktisch eine Machtverlagerung zugunsten der Familie im Unternehmen einhergeht, ist deren Bedeutung groß. Werden Sonderrechte hingegen lediglich als Festschreibung von bereits faktisch bestehenden Einflussmöglichkeiten der Familie auf das Unternehmen begriffen, sind sie deklaratorisch und ihre Relevanz ist als eher gering einzuschätzen. Letzteres Verständnis muss bei der Bestimmung des Familienunternehmensbegriffs zugrunde 626  So ist beispielsweise das Einflusspotenzial eines Entsenderechts für einzelne Familienmitglieder, durch das die benannte Person automatisch in die Geschäftsführung berufen wird, höher einzustufen als das eines Benennungsrechts, durch das lediglich ein bestimmtes Familienmitglied für die Geschäftsführung vorgeschlagen und nur bei Vorliegen sachlicher, im Interesse der Gesellschaft liegender Gründe abgelehnt werden kann, hierzu Löcherbach, Die interessengerechte Nachfolge, S. 54.

136 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

gelegt werden, da es um eine Zustandsbeschreibung geht. Zu beurteilen ist, ob zu einem gewissen Zeitpunkt ein beherrschender Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen besteht und damit ein Familienunternehmen vorliegt. Bedeutend sind daher die faktischen Machtverhältnisse zu diesem Zeitpunkt und nicht, wie es im Verlauf zu diesen gekommen ist. Dementsprechend besitzen Sonderrechte zugunsten der Familie zur Begründung eines beherrschenden Einflusses im Unternehmen eine eher untergeordnete Bedeutung. Dafür spricht auch, dass es Situationen geben kann, in denen eine Familie von ihren bestehenden Rechten faktisch keinen Gebrauch macht oder diese Rechte von Dritten unterwandert werden. Gesellschaftsvertraglich oder satzungsmäßig ist dann zwar der Familie ein beherrschender Einfluss eingeräumt, tatsächlich würde sie jedoch von diesem keinen Gebrauch machen (können), sodass in diesem Fall nicht von einem Familienunternehmen gesprochen werden kann. Sonderrechte können jedoch Rückschlüsse auf die Dauerhaftigkeit anderer Einflussfaktoren erlauben und dabei Bedeutung innerhalb der Gesamtwürdigung über das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses erlangen. Beispielsweise kann bei einem bestehenden Recht der Familie die Unternehmensführung zu besetzen, die Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht stärker zu gewichten sein. So bedarf es – freilich neben anderen Faktoren – einer teils langwierigen und aufwendigen Änderung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags, um der Familie gegen ihren Willen die Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht zu entziehen. (h) Sonderpflichten von Familienmitgliedern Gesellschaftsvertraglich oder satzungsmäßig geregelte Sonderpflichten von Familienmitgliedern können, wie die zuvor genannten Sonderrechte, ebenfalls Rückschlüsse auf die Dauerhaftigkeit anderer Einflussfaktoren ermöglichen und insofern Bedeutung innerhalb der Gesamtwürdigung über das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses erlangen. Mit Sonderpflichten sind solche Pflichten gemeint, die nur bestimmte oder alle Familienmitglieder betreffen, nicht aber familienfremde Personen. Dazu gehören beispielsweise Andienungsverpflichtungen627, nach denen ein veräußerungswilliges Familienmitglied den betreffenden Geschäftsanteil vor dessen Abtretung an familienfremde Dritte anderen Familienangehörigen zum Erwerb anbieten muss. Sie perpetuieren entsprechend den bestehenden Kapitalanteil der Familie am Unternehmensträger und damit den bestehenden Einfluss auf das Unternehmen.628 Weiterhin sind dem Begriff der Son627  Was aus Sicht eines des veräußerungswilligen Familiengesellschafters eine Andienungspflicht darstellt, ist aus Sicht der anderen Familienmitglieder ein Vorerwerbsrecht, vgl. MAH GmbH-Recht/Römermann, § 2 Rn. 216. Es ist bei der Gesamtwürdigung über das Vorliegen des beherrschenden Einflusses deshalb darauf zu achten, dass Sonderrechte und Sonderpflichten nicht doppelt veranschlagt werden. 628  Vgl. auch Redlefsen/Witt, ZfB 2006, 7 (13).

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

137

derpflichten die sog. Güterstandsklauseln zuzuordnen. Darunter sind Klauseln zu verstehen, die Angehörige der Unternehmerfamilie dazu verpflichten, einen Ehevertrag abzuschließen, in dem entweder der Güterstand der Gütertrennung vereinbart oder die gesetzlich vorgesehene Zugewinngemeinschaft dahin gehend modifiziert wird, dass die Gesellschaftsbeteiligung vom Zugewinn ausgeschlossen ist.629 Im Fall der Zuwiderhandlung droht das automatische Ausscheiden aus der Gesellschaft oder zumindest die Möglichkeit der übrigen familienangehörigen Anteilseigner die Einziehung des Gesellschaftsanteils zu beschließen.630 Durch die Güterstandsklauseln wird insbesondere verhindert, dass ein Familiengesellschafter im Falle der Scheidung gezwungen ist, seinen Gesellschaftsanteil zur Erfüllung der Zugewinnausgleichsforderung zu veräußern, oder dass sogar zu deren Erfüllung in diesen vollstreckt wird, und damit ein Teil des Unternehmens an familienfremde Personen fällt.631 (i) Unternehmenskultur Die Prägung und Implementierung von Normen und Werten durch die Unternehmerfamilie ist ein weiteres typisches Merkmal des beherrschenden Einflusses der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen. Durch eine spezifische familiengeprägte Unternehmenskultur kann die Familie im Idealfall einen einheitlichen Wertekodex im Unternehmen schaffen und damit den familienfremden Unternehmensangehörigen (leitenden Angestellten, Arbeitnehmern, etc.) einen verbindlichen Handlungsrahmen vorgeben, an dem sie in der unternehmerischen und betrieblichen Praxis ihre Entscheidungen ausrichten und in konkrete Handlungen umsetzen können.632 Durch eine Ausrichtung der Normen und Werte auf die Ziele der Unternehmerfamilie können sich die familiären Interessen in den sozial- und personalpolitischen Entscheidungen des Unternehmens durchsetzen. Dennoch ist die spezifische Unternehmenskultur für das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses von eher untergeordneter Bedeutung. Erstens ist es unter dem leitenden Wertungsgesichtspunkt der Durchsetzung der Familieninteressen im Unternehmen vorrangig entscheidend, dass die Familie selbst imstande ist, ihre Interessen durchzusetzen. Sie darf nicht lediglich auf die Gunst Dritter angewiesen sein, die sich nicht immer an die familiären Normen und Werte im Unternehmen halten müssen. Zweitens wird die Familie die Unterneh629  Brambring, DNotZ 2008, 724; Gassen, RNotZ 2004, 424; Lange, DStR 2013, 2706; MAH GmbH-Recht/Römermann, § 2 Rn. 236; siehe hierzu auch Wenckstern, NJW 2014, 1335 ff. 630  Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1339); Gassen, RNotZ 2004, 424 (442). 631  Hennerkes, NJW 1988, 2761 (2768); Wenckstern, NJW 2014, 1335 (1337 f.), der zudem auf weitere Vorteile der Güterstandsklauseln hinweist. 632  Oetker, Stakeholderkonflikte in Familienkonzernen, S. 49. Siehe hierzu auch v. Andreae, Familienunternehmen und Publikumsgesellschaft, S. 46.

138 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

menskultur in der Regel nur beeinflussen können, wenn sie auch das Eigentum und/oder die Leitungsmacht innehat. Denn die Einführung von Werten in den unternehmerischen und betrieblichen Alltag erfolgt überwiegend auf der Ebene der Unternehmensleitung.633 Vorrangig sind daher die typischen Merkmale Kapitalbeteiligung und Leitungsmacht in die Gesamtwürdigung einzustellen und zu gewichten. Subsidiär ist die Bedeutung der Unternehmenskultur. Sie ist dann umso größer, je höher der Grad ist, mit dem die Familie das Wertesystem bzw. die Unternehmenskultur beeinflussen kann. (j) Weitere typische Merkmale Entsprechend der Natur des Typus können zusätzlich zu den bereits dargestellten Merkmalen weitere bisher unberücksichtigte Kriterien Bedeutung erlangen, solange sie sich nur unter dem leitenden Wertungsgesichtspunkt als relevant erweisen. So sind zukünftig „weichere“ Kriterien, wie etwa die Persönlichkeit des Familienunternehmers oder die Tradition und Identität des Unternehmens, genauer in den Fokus zu nehmen, und auf ihre Relevanz für die Durchsetzung der Familieninteressen im Unternehmen zu untersuchen. Bereits nach v. Schultzendorff sollen diese ebenfalls für die Durchsetzung familiärer Interessen im Unternehmen eine Rolle spielen.634 Für den Familienunternehmensbegriff im Sinne des Arbeitsrechts konnte deren Bedeutung noch nicht abschließend geklärt werden, sodass von einer expliziten Aufführung als typische Merkmale des beherrschenden Einflusses abgesehen wurde. (3) Gesamtwürdigung Die Entscheidung über das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses und damit die Zuordnung eines Unternehmens zum Begriff des Familienunternehmens erfolgt durch eine Gesamtabwägung sämtlicher soeben dargestellter und im konkreten Fall vorliegender Typusmerkmale unter dem leitenden Wertungsgesichtspunkt. Es ist in einer Gesamtschau zu ermitteln, ob die einzelnen Einflussmöglichkeiten der Familie auf das Unternehmen nach ihrer Anzahl und ihrem Gewicht für deren Interessendurchsetzung und damit für die Annahme eines beherrschenden Einflusses ausreichen. Der rechtliche Abwägungsvorgang zur Beurteilung des Vorliegens des beherrschenden Einflusses als Typusbegriff folgt im Wesentlichen derselben Methodik, wie sie durch das Schrifttum bereits in anderen Rechtsbereichen anerkannt ist.635 633 

Köster, Kurskorrekturen, S. 256 f. v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 366. 635  Siehe zur Methode der Abwägung in der praktischen Rechtsanwendung Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 145 ff.; Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten, S. 65 ff.; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 57 ff.; ders., RW 2013, 1 (11 ff.); Vogel, Juristische 634 

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

139

4

2

Familie 1

Kontrollgremium 3

Unternehmensführung 5

6

Führungskräfte & Arbeitnehmer

1 + 2

Aktive Mitwirkung, Kontrolle oder Anweisung über Kapital- und/oder Stimmrechtsbeteiligung

3

Kontrolle

4

Aktive Mitwirkung, Kontrolle sowie Rückhalt und Präsenz

5

Feedback und Information

6

Ausübung von Arbeitgeberfunktionen

Abbildung 2: Die wesentlichen Einflusskanäle der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen636

Zu beachten ist jedoch, dass es sich bei dem beherrschenden Einfluss im Rahmen des Familienunternehmensbegriffs im Sinne des Arbeitsrechts um keinen Gesetzesbegriff handelt, sondern um einen rechtswissenschaftlichen Begriff. Der Abwägungsvorgang ist deshalb etwas „freier“, da insoweit keine normativen Vorgaben des Gesetzgebers zu beachten sind. 636

Es müssen zunächst alle im konkreten Fall für oder gegen einen beherrschenden Einfluss sprechende Merkmale sorgfältig ermittelt und anschließend vollständig in die Abwägung eingestellt werden.637 Sofern hierbei auf Kriterien Methodik, S. 150 ff.; auch Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 103 ff.; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 222 ff. Kritisch Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 295, der die Interessenabwägung als keine Methode ansieht. 636  Darstellung in Anlehnung an: Rinn/Knapp/Binz/Freudenberg, Führung in Familienunternehmen, S. 7. 637  Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 149; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 57; ders., RW 2013, 1 (11); Wachter, Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person, S. 183.

140 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

zurückgegriffen wird, die bisher noch keine Berücksichtigung gefunden haben, muss ausführlich dargelegt werden, warum das konkrete Merkmal zusätzlich als rechtlich relevant herangezogen wird.638 Durch diesen Begründungsvorbehalt können im Idealfall sachfremde Erwägungen und Scheinargumente aufgedeckt und vermieden werden. Im Anschluss muss der Grad bzw. die Intensität jedes einzelnen abwägungsrelevanten Merkmals losgelöst vom konkreten Einzelfall bestimmt werden.639 Es muss genau erläutert werden, welches Gewicht den einzelnen Typusmerkmalen im Verhältnis zueinander zukommt, ob und gegebenenfalls aus welchem Grund ein Kriterium einem anderen gegenüber vorzugswürdig erscheint.640 Dieser Schritt wurde bei der Darstellung der typischen Merkmale des beherrschenden Einflusses bereits vorweggenommen, indem auf die herausragende Bedeutung der Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung sowie der Planungs-, Organisationsund Leitungsmacht im Vergleich zu den sonstigen Kriterien (Unternehmenskultur, Fortführungswille, etc.) hingewiesen wurde. Darüber hinaus muss sodann der präzise Grad angegeben werden, in dem jedes einzelne abwägungsrelevante Typusmerkmal im konkreten Einzelfall ausgeprägt ist.641 Denn sämtliche der dargestellten Typusmerkmale des beherrschenden Einflusses sind abstufbar und können mehr oder weniger ausgeprägt sein. So kann die Familie beispielsweise die Unternehmensführung komplett dominieren, dort nur mit einigen Mitgliedern oder überhaupt nicht vertreten sein. Im Verhältnis zur Gesamtmitgliederzahl der an der Unternehmensführung beteiligten Personen lässt sich sogar der prozentuale Anteil der in der Unternehmensführung involvierten Familienmitglieder berechnen. Ähnlich verhält es sich mit der Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung sowie der Kontrollmacht der Familie. Bei der isolierten Betrachtung der skalenmäßigen Größe der einzelnen Merkmale darf jedoch nicht stehen geblieben werden. Vielmehr sind auch andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wie etwa die Beständigkeit des einzelnen Typusmerkmals (beispielsweise die Dauer des Bestehens einer spezifischen Familienkultur im Unternehmen) oder die „Art, Breite und Tiefe des Wirksamwerdens eines Typusmerkmals“ (beispielsweise kann bei der Leitungsmacht danach unterschieden werden, ob ein Familienmitglied lediglich in der Unternehmensleitung involviert ist oder sogar den Vorsitz im Leitungsorgan einnimmt).642 638  Wachter, Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person, S. 183 f. Auf die Bedeutung dieses Prüfungsschrittes weist Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 222 ff. nachdrücklich hin. 639  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 61; ders., RW 2013, 1 (14); Vogel, Juristische Methodik, S. 154. 640  Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 150. 641  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 61; ders., RW 2013, 1 (15); Vogel, Juristische Methodik, S. 154.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

141

Im letzten Schritt erfolgt die eigentliche Gesamtabwägung der ermittelten und gewichteten Typusmerkmale.643 Dabei werden die einzelnen Typusmerkmale, die für oder gegen das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses sprechen, einander gegenübergestellt und wertend miteinander verglichen, um zu eruieren, welche Kriterien dominieren.644 Hierbei verbietet sich ein rein schematisches Vorgehen. Zum einen ist es bereits nicht möglich, sämtliche denkbaren Merkmalskombinationen abschließend darzustellen. Zum anderen existiert auch keine Konstellation, in der klar prognostiziert werden könnte, welches Kriterium sich bei der Abwägung durchsetzt. Vielmehr muss der wertende Vergleich der einzelnen Typusmerkmale immer eine subjektive Entscheidung des jeweiligen Rechtsanwenders im konkreten Einzelfall bleiben. Die Abwägung im engeren Sinne ist folglich ebenso wie die vorgeschaltete abstrakte und konkrete Gewichtung der einzelnen abwägungsrelevanten Merkmale zwar ein rationales Verfahren,645 das jedoch nicht durch logisch-mathematische Formeln fassbar gemacht werden kann,646 auch wenn einige Autoren diesen Eindruck erwecken wollen647. Dementsprechend muss es an dieser Stelle bei den vorstehenden abstrakten Aussagen zur Bestimmung des beherrschenden Einflusses im Wege der Gesamtwürdigung verbleiben. Tiefer gehende, konkretere Ausführungen würden eine Sicherheit bei der Abwägungsentscheidung des einzelnen Rechtsanwenders suggerieren, die faktisch nicht hergestellt werden kann. Die dargestellten Schritte der vorzunehmenden Gesamtwürdigung bieten aber zumindest ein Grundgerüst, an dem sich der Rechtsanwender im konkreten Einzelfall orientieren, und anhand dessen seine Entscheidung im Nachhinein auch überprüft werden kann. 642

(4) Vermutung des beherrschenden Einflusses Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass die Gesamtwürdigung über das Vorliegen des beherrschenden Einflusses und damit die Zuordnung eines Unternehmens zum Begriff des Familienunternehmens objektiv nicht fassbar gemacht werden kann. Daraus resultierend wird es für den einzelnen Rechtsanwender im Regelfall nicht leicht zu beurteilen sein, ob tatsächlich ein beherrschender Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen vorliegt. Insbesondere die konkrete Gewichtung der abwägungsrelevanten 642 

Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 90 f. Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 150; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 74; Wachter, Wesensmerkmale der arbeitnehmerähnlichen Person, S. 191. 644  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 74; ders., RW 2013, 1 (16), jedoch ohne Bezug zum beherrschenden Einfluss. 645  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 143 ff. 646  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 69 ff.; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 148 ff.; v. Hoyningen-Huene, Die Billigkeit im Arbeitsrecht, S. 123 f. 647 So Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 151 ff. 643 

142 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Typusmerkmale (beispielsweise der Grad der Ausprägung einer spezifischen Unternehmenskultur) sowie die Abwägung im engeren Sinne können im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Hinzu kommt, dass außenstehende Personen in der Regel keine Kenntnis vom Vorhandensein bestimmter Kriterien besitzen werden. Das gilt namentlich für die Unternehmenskultur oder die aktive Mitarbeit von Familienangehörigen. Diese Typusmerkmale werden im Regelfall nur Unternehmensinsidern sowie im Unternehmen beschäftigten Personen bekannt sein. Somit sind mehrere für die Zuordnung eines Unternehmens zur Kategorie der Familienunternehmen notwendige Prüfungsschritte mit Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung verbunden. Das verwundert kaum. Denn bereits von den §§ 290 HGB, 17 AktG und 6 EBRG, die alle mit dem normativ-unbestimmten Begriff des „beherrschenden Einflusses“ operieren, sind ähnliche Probleme bekannt. Deshalb hat der Gesetzgeber auch innerhalb dieser Regelungen mit Hilfsnormen (Vermutungen) gearbeitet, um die Nachprüfbarkeit zu vereinfachen und zu objektivieren. Denn bei einer gesetzlichen Vermutung muss lediglich die Vermutungsbasis dargelegt und bewiesen werden, d. h. diejenigen Tatsachen, welche die Vermutung begründen.648 Aus diesem Grund bietet es sich an, den Familienunternehmensbegriff, der ebenfalls auf den „beherrschenden Einfluss“ aufbaut, an eine ähnliche Vermutung wie bei den gesetzlichen Beherrschungstatbeständen zu knüpfen. In der Rechtswissenschaft gibt es – soweit ersichtlich – keine Aussagen darüber, ob es dogmatisch möglich ist, rechtswissenschaftliche Begriffe mit Vermutungen zu kombinieren, denen die gesetzliche Vermutungswirkung zukommen soll. Sofern aber ein Rechtswissenschaftler praktische Juris­ prudenz betreibt und wie hier der Gesetzgebung (auch) Vorschläge zur Regelung des Familienunternehmensbegriffes im Arbeitsrecht unterbreitet, dürften einem solchen Vorgehen keine stichhaltigen Argumente entgegenstehen. (a) Widerlegliche Vermutung Für den Begriff des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts wird auf eine widerlegliche Vermutung zurückgegriffen. Sie kann im Gegensatz zu den unwiderleglichen Vermutungen, den in der Praxis bestehenden Sonderfällen unter den Familienunternehmen ausreichend Rechnung tragen. Denn sie erlaubt – bei einer Übertragung der Grundsätze zur gesetzlichen auf die rechtswissenschaftliche widerlegliche Vermutung – sowohl gegen die Vermutung als auch die Vermutungsbasis den Beweis des Gegenteils zu führen649. 648  Siehe BGH, Urt. v. 9. 10. 2009 – V ZR 178/08, NJW 2010, 363 (364); BeckOK ZPO/ Bacher, § 292 Rn. 9; MünchKommZPO/Prütting, § 292 Rn. 5; Musielak/Voit/Huber, § 292 Rn. 4; Saenger/Saenger, § 286 Rn. 62. 649  Für die gesetzliche unwiderlegliche Vermutung: MünchKommZPO/Prütting, § 292 Rn. 20; Saenger/Saenger, § 292 Rn. 12.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

143

Die Vermutung findet nur dann Anwendung, wenn überhaupt Zweifel an der vermuteten Tatsache bestehen.650 Sie greift hingegen nicht ein, wenn die Umstände bereits eindeutig einen beherrschenden Einfluss der Familie auf die Personalund Sozialpolitik des Unternehmens ergeben. Die widerlegliche Vermutung hat zur Folge, dass diejenige Partei, welche sich auf den beherrschenden Einfluss als für sie günstige Tatsache beruft, lediglich den Nachweis der Vermutungsbasis erbringen muss, anstatt die vermutete Tatsache selbst darlegen und beweisen zu müssen.651 Steht die Vermutungsbasis danach fest, bewirkt die widerlegliche Vermutung eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zum Nachteil des Vermutungsgegners.652 Dieser kann die Vermutung des beherrschenden Einflusses nur mit dem Beweis des Gegenteils widerlegen.653 Sofern der Arbeitnehmer die beweisbelastete Partei ist und entweder den Beweis des Gegenteils führen oder die Vermutungsbasis darlegen und beweisen muss, wird im Regelfall dem Arbeitgeber als Prozessgegner die sekundäre Darlegungs- und Beweislast obliegen. Denn während der Arbeitnehmer regelmäßig außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs stehen und deshalb keine nähere Kenntnis von den Tatsachen besitzen wird, die den beherrschenden Einfluss begründen, kennt der Arbeitgeber aufgrund seiner Sachnähe alle erforderlichen Tatsachen und kann in zumutbarer Weise zu diesen Angaben machen.654 Insbesondere können der Arbeitgeber oder die für ihn handelnden Personen ohne weiteres substantiierte Ausführungen zur Struktur der Mitarbeiterschaft und deren vertraglichen Vereinbarungen tätigen,655 beispielsweise wie viele Angehörige der Unternehmerfamilie beschäftigt werden bzw. ob und in welchem Unternehmens­ organ sie tätig sind. Der Arbeitnehmer genügt im Falle des Eingreifens der sekundären Darlegungs- und Beweislast zulasten des Arbeitgebers, wenn er die für oder gegen das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses sprechenden Tat650 

Musielak, Die Grundlagen der Beweislast, S. 67. die gesetzliche unwiderlegliche Vermutung vgl. BGH, Urt. v. 9. 10. 2009 – V ZR 178/08, NJW 2010, 363 (364); BeckOK ZPO/Bacher, § 292 Rn. 9; MünchKommZPO/Prütting, § 292 Rn. 5; Musielak/Voit/Huber, § 292 Rn. 4; Saenger/Saenger, § 286 Rn. 62. 652  Für die gesetzliche unwiderlegliche Vermutung: BeckOK ZPO/Bacher, § 292 Rn. 9; MünchKommZPO/Prütting, § 292 Rn. 26; Saenger/Saenger, § 292 Rn. 8. 653 Für die gesetzliche unwiderlegliche Vermutung vgl. BGH, Urt. v. 10. 11. 2004 – VIII ZR 186/03, NJW 2005, 359 (363); BeckOK ZPO/Bacher, § 292 Rn. 10. 654  Zu den Voraussetzungen der sekundären Darlegungs- und Beweislast: BAG, Urt. v. 27. 9. 2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559 (562); BAG, Urt. v. 26. 6. 2008 – 2 AZR 264/07, AP Nr. 42 zu § 23 KSchG 1969, Bl. 653; BeckOK ZPO/Bacher, § 284 Rn. 85; MünchKommZPO/Prütting, § 286 Rn. 103. 655  So bereits BAG, Urt. v. 23. 10. 2008 – 2 AZR 131/07, AP Nr. 43 zu § 23 KSchG 1969, Bl. 1172R; BAG, Urt. v. 26. 6. 2008 – 2 AZR 264/07, AP Nr. 42 zu § 23 KSchG 1969, Bl. 653; BAG, Urt. v. 24. 2. 2005 – 2 AZR 373/03, NZA 2005, 764 (765). 651 Für

144 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

sachen schlüssig darlegt.656 Voraussetzung ist jedoch, dass der Arbeitnehmer alle ihm zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten ausgeschöpft hat (zum Beispiel Nachfrage beim Betriebsrat).657 (b) Vermutungstatbestände Fraglich ist, an welche Vermutungsbasis die rechtswissenschaftliche Vermutung des beherrschenden Einflusses der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik eines Unternehmens gebunden werden soll. Hier bietet sich wieder ein Blick auf die Beherrschungstatbestände der §§ 290 HGB, 17 AktG und 6 EBRG an. Alle drei Normen binden übereinstimmend die Vermutung des beherrschenden Einflusses an das Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung. Auch in der vorliegenden Untersuchung wurde dargelegt, dass eine Mehrheitsbeteiligung der Familie kraft Anteilsmehrheit im Regelfall für das Vorliegen eines beherrschenden Einflusses der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen erforderlich und ausreichend sein wird.658 Zwar gilt dies nicht uneingeschränkt für Personengesellschaften, jedoch können etwaige Besonderheiten im Einzelfall über die Widerlegung der Vermutung ausgeglichen werden. Auch § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EBRG knüpft die Vermutung des beherrschenden Einflusses für alle Unternehmen unabhängig von deren Rechtsform und damit auch für Personengesellschaften an eine Mehrheitsbeteiligung.659 Ein beherrschender Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen ist daher erstens zu vermuten, wenn die Familie über die Mehrheit der Anteile an dem Unternehmen verfügt. Dies ist der erste Vermutungstatbestand. Darüber hinaus knüpfen sowohl § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EBRG als auch § 290 Abs. 2 Nr. 2 HGB die Vermutung des beherrschenden Einflusses an das Recht bzw. die Möglichkeit, die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgans zu bestellen. Analog hierzu wurde für den beherrschenden Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen die besondere Bedeutung der Besetzung der Unternehmensführung mit Familienmitgliedern herausgearbeitet.660 Hingegen hat die Besetzung der Kontrollorgane durch die Familie einen geringeren Stellenwert. Es bietet sich aufgrund der teilweisen Übereinstimmung zumindest an, den ersten Teil der gesetzlichen Beherr656  Vgl. BAG, Urt. v. 23. 10. 2008 – 2 AZR 131/07, AP Nr. 43 zu § 23 KSchG 1969, Bl. 1172R; BAG, Urt. v. 26. 6. 2008 – 2 AZR 264/07, AP Nr. 42 zu § 23 KSchG 1969, Bl. 653. 657  BAG, Urt. v. 27. 9. 2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559 (562). 658  Siehe Erstes Kapitel § 3 B. III. 2. c) bb) (2) (a), S. 122 ff. 659  Blanke/Kunz, in: Düwell, BetrVG, § 6 EBRG Rn. 9; Nagel, in: Nagel/Freis/Kleinsorge, Beteiligung der Arbeitnehmer, § 2 SEBG Rn. 8. 660  Siehe Erstes Kapitel § 3 B. III. 2. c) bb) (2) (b), S. 125 ff.

§ 3  Der Begriff des Familienunternehmens

145

schungstatbestände zu übernehmen. Ein beherrschender Einfluss der Familie auf die Personal- und Sozialpolitik im Unternehmen ist daher zweitens zu vermuten, wenn die Familie mehrheitlich in der Unternehmensführung aktiv tätig ist. Dies ist der zweite Vermutungstatbestand. Weitere typische Merkmale des beherrschenden Einflusses die derart signifikant wären, dass an diese eine Vermutung geknüpft werden könnte, zeigten sich weder bei den gesetzlichen Beherrschungstatbeständen noch bei den in dieser Untersuchung herausgearbeiteten Einflussfaktoren. Daher muss es für den Begriff des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts zunächst bei den beiden herausgearbeiteten Vermutungstatbeständen verbleiben. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich im Zuge weiterer Untersuchungen einzelne typische Merkmale des beherrschenden Einflusses einer Familie auf die personal- und sozialpolitischen Entscheidungen im Unternehmen derart verdichten, dass daraus neue Vermutungstatbestände abgeleitet werden können. In diesem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass die beiden herausgearbeiteten Vermutungstatbestände ihrerseits zwingend an die Voraussetzung gebunden werden müssen, dass besondere Umstände vorliegen, die eine auf Dauer gesicherte, beständige und einheitliche Interessenausübung der Familienmitglieder erwarten lassen. Anderenfalls können sowohl die Kapitalanteile der einzelnen Familienmitglieder als auch die Anzahl der einzelnen Familienmitglieder, die in der Unternehmensführung aktiv tätig sind, nicht zusammengerechnet werden. Zwar wäre es wohl möglich, für den Begriff des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts diese ebenfalls in die Vermutung mit einzubeziehen. Denn es werden nicht an das bloße Tatbestandsmerkmal Familie negative Rechtsfolgen geknüpft, sondern lediglich tatsächlichen Interessenlagen im Familienunternehmen die notwendige Bedeutung zugemessen.661 Jedoch kann auf diesem Wege Einwendungen begegnet werden, dass durch eine solche Vermutung des beherrschenden Einflusses entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts indirekt gleichgerichtete Interessen der Familienmitglieder in Bezug auf die unternehmerische Tätigkeit vermutet würden. 3.  Ergebnis Nachdem sowohl der Unternehmensbegriff als auch der Begriff des beherrschenden Familieneinflusses geklärt ist, kann daraus nun der Begriff des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts abgeleitet werden: Ein Unternehmen ist ein Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts, wenn eine Familie beherrschenden Einfluss auf dessen personal- und sozialpolitische Entscheidungen ausübt. 661 

Zu dieser Unterscheidung bereits: Klein, in: FS Zeidler, S. 773 (787).

146 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

Das Unternehmen ist eine organisatorische Einheit ohne Konzernbezug (Ausnahme: Familienkonzern), innerhalb derer ein (unabhängiger) Unternehmensträger allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln einen wirtschaftlichen oder ideellen Zweck verwirklicht, der hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes steht. Die Familie umfasst alle Personen, die aktiv an dem Unternehmen beteiligt sind, indem sie Einfluss auf dieses ausüben (können) und mit einer anderen, ebenfalls aktiv am Unternehmen beteiligten Person, im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO verwandt oder verschwägert sind, sodass eine (gedachte) durchgehende Kette von solchen Angehörigenverhältnissen gebildet werden kann, die sich zugleich auf eine genau bestimmbare Kernfamilie zurückführen lässt. Ein beherrschender Einfluss liegt vor, wenn sich die Interessen der Familie in allen personal- und sozialpolitischen Entscheidungen des Unternehmens von grundsätzlicher Bedeutung durchsetzen. Er wird vermutet, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine auf Dauer gesicherte, beständige und einheitliche Interessenausübung der Familienmitglieder erwarten lassen und 1)

die Familie über die Mehrheit der Anteile an dem Unternehmen verfügt oder

2)

die Familie mehrheitlich in der Unternehmensführung aktiv tätig ist.

§ 4  Der Begriff des Sonderarbeitsrechts Der Begriff des Sonderarbeitsrechts ist kein allgemein anerkannter Terminus. Gleichzeitig existiert kein feststehender, durchgängig akzeptierter Bedeutungsgehalt. Vielmehr wird dieser oftmals ohne nähere Erläuterung als bekannt vorausgesetzt. Mit dem Prädikat „Sonderarbeitsrecht“ versehen Literatur und Rechtsprechung beispielsweise die speziellen Regelungen für Tendenzorganisationen und Tendenzträger662, kleine und mittlere Unternehmen663 sowie für Handlungsgehilfen (§§ 59 bis 83 HGB)664. Es handelt sich bei dem Sonderarbeitsrechtbegriff um eine bloß schlagwortartige Kennzeichnung besonderer arbeitsrechtlicher Regelungen für bestimmte 662 

Balze/Rebel/Schuck, Outsourcing und arbeitsrechtliche Restrukturierung, Rn. 970; Rüthers, DB 1982, 1869 (1873); Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 182; BAG, Urt. v. 4. 3. 2004 – 8 AZR 328/03, zitiert nach Juris, Rn. 43; Hessisches LAG, Urt. v. 3. 11. 2004 – 6 Sa 405/04, zitiert nach Juris, Rn. 25. Speziell für Presse- bzw. Medienunternehmen: Dörr/Schwartmann, Medienrecht, Rn. 434; MünchArbR-II/Rüthers, § 201 Rn. 1; Plöger Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 1 ff.; Reuter, NJW 1983, 649 (652); ders., in: FS Kissel, S. 941 ff. 663  Seifert, in: Blank (Hrsg.), Arbeitsrecht für Klein- und Mittelbetriebe, S. 11 (14). 664 HK/Ruß, § 59 Rn. 1; MünchArbR/Giesen, § 325 Rn. 1; MünchKommHGB/ v. Hoyningen-Huene, Vorbem. zu § 59 Rn. 9; Roth, RdA 2012, 1 ff.; Wagner, Die Besonderheiten beim Arbeitsverhältnis des Handlungsgehilfen, S. 2.

§ 4  Der Begriff des Sonderarbeitsrechts

147

Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen oder Organisationsformen, welche vom allgemeinen Arbeitsrecht abweichen.665 In der Literatur wird lediglich angedeutet, dass in sonderarbeitsrechtlichen Bereichen andere, von den allgemeinen arbeitsrechtlichen „Prinzipien“ abweichende Grundsätze und Betrachtungsweisen gelten sollen, um bestehenden tatsächlichen Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen Rechnung zu tragen.666 Der Bedeutungsgehalt von Sonderarbeitsrecht spiegelt sich darin nur verkürzt wider. Zum einen wird nicht hinreichend deutlich, dass es sich wie bei allen Sonderrechten um ein „durch gemeinsame Wertungen oder eine besondere Interessenlage geprägtes“667 Recht handelt. Zum anderen sind mehrere Deutungsvarianten des Sonderarbeitsrechtsbegriffs möglich; der Terminus dient nur als Ober- bzw. Sammelbegriff für diese. Sonderarbeitsrecht kann in einem engeren und weiteren Sinne verstanden werden.668

A.  Sonderarbeitsrecht im engeren Sinne Sonderarbeitsrecht im engeren Sinne bedeutet die Schaffung eines bereichsspezifischen Arbeitsrechts in Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen dieses Rechtsgebietes.669 Hierfür muss kein Sondergesetz erlassen werden. Vielmehr bezieht der Begriff auch Sonderregelungen mit ein, die in das bestehende Arbeitsrecht integriert sind. Die formale Ausgliederung besitzt allein keinen Aussagewert für die Charakterisierung von Normen und Normenkomplexen als Sonder(arbeits-)recht.670 Denn genauso wenig wie mit einer äußeren Einheit des Gesetzes notwendigerweise eine innere einhergehen muss,671 ist mit der inhaltlichen Systematisierung eines Rechtsstoffes automatisch eine gesetzgeberische Entscheidung über dessen formale Zusammengehörigkeit in einem Gesetzeswerk verbunden672. Ein Sonderarbeitsrecht im engeren Sinne bedeutete mithin für Familienunternehmen die Schaffung spezieller Regelungen für diese Organisationsform in Abweichung von den für gesetzestypische Unternehmen (anonyme Großunternehmen als Normalunternehmen) geltenden Grundsätzen. Das Sonderarbeitsrecht 665 

Fischer, Die Stiftung 2014, 27 (36). etwa bei Reuter, in: FS Kissel, S. 941; Seifert, in: Blank (Hrsg.), Arbeitsrecht für Klein- und Mittelbetriebe, S. 11 (14 f.); Wagner, Sonderarbeitsrecht für das Bühnenengagement, S. 19. 667  Morgenroth, Interesse als Einflussfaktor, S. 293. 668 Differenzierung im Anschluss an Plöger, Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 3. 669  Plöger, Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 3. 670 So Reymann, Das Sonderprivatrecht, S. 109 f. für das Sonderprivatrecht. 671  A. A. Seifert, RdA 2004, 200. 672  Reymann, Das Sonderprivatrecht, S. 110. 666  So

148 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

im engeren Sinne soll jedoch nicht Untersuchungsgegenstand sein. Das Setzen neuer Regelungen für Familienunternehmen (hier in Form von rechtspolitischen Vorschlägen) muss zurücktreten, wenn bereits innerhalb des bestehenden Arbeitsrechtssystems den Besonderheiten von Familienunternehmen ausreichend Rechnung getragen werden kann, indem es „geeignete Differenzierungsmöglichkeiten zur angemessenen Berücksichtigung der Bedürfnisse der Familien[unternehmen]“673 bereitstellt. Untersuchungsgegenstand soll daher das im Anschluss näher zu konturierende Sonderarbeitsrecht im weiteren Sinne sein; sofern im Folgenden von Sonderarbeitsrecht gesprochen wird, ist dieses im weiteren Sinne zu verstehen.

B.  Sonderarbeitsrecht im weiteren Sinne Sonderarbeitsrecht im weiteren Sinne bezeichnet die Konkretisierung oder Modifizierung der allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen unter Berücksichtigung bestehender tatsächlicher Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen.674 Es betrifft die Frage, ob innerhalb des bestehenden (Arbeits-)Rechtssystems den Besonderheiten bestimmter Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen oder Organisationsformen Rechnung getragen werden kann. Daher handelt es sich nicht um ein Sonderrecht im eigentlichen Sinne.675 Durch den herausgehobenen Status, den diese Konkretisierungen oder Modifizierungen des allgemeinen Arbeitsrechts bestimmten Lebenssachverhalten zukommen lassen, sollen sie dennoch vom Begriff des Sonderarbeitsrechts erfasst sein, freilich im weiteren Sinne. Innerhalb des bestehenden (Arbeits-)Rechtssystems gibt es vielfältige Anknüpfungspunkte für ein Sonderarbeitsrecht. Diese sollen nun herausgearbeitet und in ihrer Funktion als sonderarbeitsrechtliche Umsetzungsinstrumente beschrieben werden. I.  Typologie der Anknüpfungspunkte Als typologische Anknüpfungspunkte eines Sonderarbeitsrechts im weiteren Sinne kommen die sog. differenzierungsoffenen Normen in Betracht. Das sind vorrangig Generalklauseln und Rechtssätze mit normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen,676 welche eine eigene Interessenbewertung des Rechtsanwenders 673 

Holler, BB 2012, 719 (721) für das Gesellschaftsrecht. Plöger, Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 3. 675 Vgl. Holler, BB 2012, 719 (721). 676  Die Generalklauseln werden als vollständiger Rechtssatz angesehen; bei den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen handelt es sich hingegen um Tatbestandsmerkmale, Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 53 f.; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (665); Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 133. 674 

§ 4  Der Begriff des Sonderarbeitsrechts

149

zu deren näherer Inhaltsbestimmung, sog. Konkretisierung,677 voraussetzen. Es handelt sich mithin um Normen, die auch für eine Unterscheidung nach Besonderheiten bestimmter Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen oder Organisationsformen offen sind und damit für eine solche zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen. Sie ermöglichen auf diesem Wege eine abgestufte Geltung arbeitsrechtlicher Regelungen678 und sind damit Basis jeglichen Sonderarbeitsrechts. Anknüpfungspunkt eines Sonderarbeitsrechts können hingegen nicht die sog. differenzierungsresistenten Normen679 sein. Sie lassen dem Rechtsanwender nur die Möglichkeit, der gebotenen Gleichbehandlung zu folgen. Hierzu zählen in erster Linie Normen der Arbeitssicherheit, Gesundheitsvorsorge und Unfallverhütung.680 Sie gehören zum „Kernbereich des Arbeitsrechts“681 und sollen für alle Arbeitnehmer einen gleichmäßigen Standard gewährleisten. Dementsprechend lassen die differenzierungsresistenten Regelungen keine Ausnahmen zu. Wie Stöckli zutreffend ausführt, kann „die Durchlöcherung der Anwendbarkeit solcher Normen […] weder mit Rücksicht auf die besondere wirtschaftliche Situation eines Wirtschaftszweiges noch mit den Besonderheiten eines Familienbetriebs begründet werden“682. Als sonderarbeitsrechtliche Anknüpfungspunkte werden daher im Folgenden lediglich die Generalklauseln sowie die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe als elementare Bestandteile der differenzierungsoffenen Normen vorgestellt.

677  Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 33  – 36; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 72; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (9); Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 20; Weber, AcP 192 (1992), 516; grundlegend Engisch, Die Idee der Konkretisierung, 1968; a. A. wohl Fischer, ZfA 2002, 215 (234), der unter den Begriff der Normkonkretisierung lediglich die Auslegung der Rechtsnormen fasst, während das Ausfüllen von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen unter den Terminus der Normergänzung zu zählen sei; siehe auch Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 4 Nr. 2, S. 12 („Normergänzung“). 678  Seifert, RdA 2004, 200 (205 f.); ähnlich Franzen, in: IfM (Hrsg.), Jahrbuch zur Mittelstandsforschung, S. 101 (117). 679  Waas, ZRP 2004, 142 (143). 680  Stöckli, in: FS Rehbinder, S. 107 (117 f.); ebenso Junker, Arbeitsrecht zwischen Markt und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, S. B 33 Fn. 111. 681  Stöckli, in: FS Rehbinder, S. 107 (117). 682  Stöckli, in: FS Rehbinder, S. 107 (118).

150 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

1.  Normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe Die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe683 setzen als normative Begriffe eine Wertung des Rechtsanwenders im Einzelfall voraus684. Als unbestimmte Begriffe zeichnen sie sich zudem durch ihre Vagheit und Offenheit aus, weshalb sie inhaltlich nicht genau umrissen sind.685 Da mit wenigen Ausnahmen fast jeder Begriff mehr oder weniger präzisierungsbedürftig ist,686 bezieht sich der Terminus nur auf die weiten, besonders unbestimmten Gesetzesbegriffe. Für diese ist charakteristisch, dass sie im Vergleich zu den sonstigen Begriffen einen ungewöhnlich kleinen Begriffskern besitzen, dem Sachverhalte sprachlich genau zugeordnet werden können, während der Begriffshof, also der sprachlich nicht scharf umrissene Bereich, im Verhältnis „ungewöhnlich groß und diffus ist“.687 In dieser Kombination lassen die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe „einen eindeutig bestimmten gesetzlichen Wertmaßstab gerade nicht erkennen“688. Bestenfalls lässt sich ihnen ein Hinweis auf einen solchen entnehmen.689 Der Rechtsanwender ist vom Gesetzgeber, soweit er nicht selbst normative Vorgaben getroffen hat,690 dazu aufgerufen, den Zweck der Norm wertend unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen und der Maßstäbe des Grundgesetzes eigenständig festzulegen.691 Dabei kann und muss er auch das Vorliegen besonderer Interessenlagen beachten.692 Anschließend muss der Rechtsanwender unter den ermittelten Zweck den konkreten Sachverhalt zum normativ-unbestimmten Gesetzesbegriff wertend zuordnen. In dieser Abhängigkeit von der konkretisierenden Wertung 683  Überwiegend wird der Terminus des unbestimmten Rechtsbegriffes verwandt. Der Ausdruck Gesetzesbegriff ist hier jedoch eindeutiger, weil es nur um Begriffe des Gesetzgebers geht und nicht um solche der Rechtswissenschaft. Siehe zu dieser Unterscheidung bereits Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 25 Fn. 3; Bachof, JZ 1955, 97 (98); Jesch, AöR 82 (1957), 163 (167); Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 134. 684  Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 197; Rothfuß, Logik und Wertung, S. 50; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 183. 685  Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 193; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (664). 686  Jesch, AöR 82 (1957), 163 (168); Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 64; Looschelders/Roth, Juristische Methodik, S. 135; Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 26; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 211; Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden, S. 113; Weber, AcP 192 (1992), 516 (522); Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 341 bezeichnet daher den Ausdruck „unbestimmter Rechtsbegriff“ als „Pleonasmus“. 687  Jesch, AöR 82 (1957), 163 (177); Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 27. 688  Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 211 [Hervorhebung im Original]. 689  Nastelski, GRUR 1968, 545 (546). 690 Ascheid/Preis/Schmidt/Preis, Grundlagen H. Rn. 7. 691  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 183. 692  Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten, S. 27.

§ 4  Der Begriff des Sonderarbeitsrechts

151

des Rechtsanwenders und der Möglichkeit der Berücksichtigung von besonderen Interessen besteht der essenzielle Anknüpfungspunkt eines Sonderarbeitsrechts. Beispiele normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe im Arbeitsrecht sind der „wichtige Grund“ (§ 626 Abs. 1 BGB), das „billige Ermessen“ (§ 106 S. 1 GewO), der „sachliche Grund“ (§ 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG), die „übliche Vergütung“ (§ 612 Abs. 2 BGB) und die „dringenden betrieblichen Erfordernisse“, „Gründe in der Person“ sowie „Gründe in dem Verhalten“ (§ 1 Abs. 2 KSchG).693 2.  Generalklauseln Generalklauseln, auch als Blankettnormen oder ausfüllungsbedürftige Rechtssätze bezeichnet,694 liegen vor, wenn normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe den wesentlichen Gehalt des Tatbestandes oder der Rechtsfolgen eines Rechtssatzes ausmachen.695 Sie unterscheiden sich von den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen nur in qualitativer Hinsicht, und zwar nach dem Grad ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit.696 Der Rechtsanwender ist vom Gesetzgeber im Vergleich zu den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen in verstärktem Maße dazu aufgerufen, den Normzweck unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen und der Maßstäbe des Grundgesetzes eigenständig festzulegen und unter diesem den konkreten Sachverhalt zur Generalklausel wertend zuzuordnen. Beispiele für Generalklauseln sind die §§ 138, 242 BGB, welche bereits bei der Entwicklung des speziellen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes im Kleinun-

693  Die §§ 626 BGB, 1 KSchG an sich werden darüber hinaus im Schrifttum teilweise als Generalklauseln eingestuft; siehe hierzu ausführlich Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 100 ff. m. w. N. 694  Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (663); Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 211 f., der auch auf den Begriff „Lücken intra legem“ hinweist; a. A. Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 29 – 35, die zwischen Generalklauseln und Blankettnormen differenziert. 695  Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (666); Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 72; Rothfuß, Logik und Wertung, S. 52; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 211 f., der darüber hinausgehend verlangt, dass der Tatbestand oder die Rechtsfolgen einer Norm nur unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. A. A. Weber, AcP 192 (1992), 516 (524 f.), der unter den Begriff der Generalklausel nur solche Regelungen fasst, denen ein „inhaltlich eindeutig belegbarer Begriffskern nicht mehr zugerechnet werden kann“; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 316; Nastelski, GRUR 1968, 545 (546). Ausführlich zur Diskussion über den Begriff der Generalklausel Auer, Materialisierung, S.  126 – 137. 696  Nastelski, GRUR 1968, 545 (546); Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 33. Kritisch Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden, S. 123.

152 Erstes Kapitel: Familienunternehmen und Sonderarbeitsrecht als Rechtsbegriffe

ternehmen eine wichtige Rolle gespielt haben697 und diese vielleicht auch bei den Familienunternehmen wieder einnehmen könnten. II.  Normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe und Generalklauseln als sonderarbeitsrechtliche Umsetzungsinstrumente Die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln werden aufgrund ihrer Wertausfüllungsbedürftigkeit als „ein Stück offengelassener Gesetzgebung“698 oder „Delegationsnormen“699 bezeichnet. Der Gesetzgeber nimmt den regelungsbedürftigen Interessenausgleich nicht bzw. nicht abschließend selbst vor, sondern überlässt ihn im Einzelfall der Wissenschaft und Rechtsprechung.700 Folglich muss der im Arbeitsrecht grundsätzlich vorzunehmende Ausgleich zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen dort durch eine eigene Wertung des Rechtsanwenders erfolgen, wo der Gesetzgeber normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe und Generalklauseln einsetzt.701 Der Rechtsanwender hat damit die Möglichkeit, eventualiter sogar die Pflicht, die etwaigen tatsächlichen Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen bei der Interessenabwägung zur Konkretisierung der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und der Generalklauseln zu berücksichtigen. Beide Normtypen können auf diesem Wege als sonderarbeitsrechtliche Umsetzungsinstrumente dienen.

§ 5  Der Bedeutungsgehalt und die Konkretisierung der Idee eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen – Zusammenführung der beiden Begriffe Ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen bedeutet nach den zuvor getroffenen Begriffsbestimmungen, dass innerhalb der zivilrechtlichen Generalklauseln und der arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe den tatsächlichen Besonderheiten der Familienunternehmen Rechnung getragen wird. Es geht mithin um die Möglichkeit und die Grenzen der Konkretisierung von Normen im Hinblick auf die Sachbesonderheiten und die spezifische Interessenlage in Familienunternehmen, indem diese bei der grundsätzlich vorzunehmenden Interessenabwägung durch den Rechtsanwender berücksichtigt werden. 697  BAG, Urt. v. 21. 2. 2001 – 2 AZR 15/00, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung, Bl. 1312 ff. Siehe hierzu auch Lettl, NZA-RR 2004, 57 ff. 698  Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58 [Hervorhebung im Original]. 699  Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 4 Nr. 1, S. 11 [Hervorhebung nicht im Original]. 700  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 835 f.; siehe auch Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (671). 701 Vgl. Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 101 für den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriff „sachlicher Grund“.

Zweites Kapitel

Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

Sonderarbeitsrecht dient der Berücksichtigung bestehender tatsächlicher Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen bestimmter Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen oder Organisationsformen. Seine „innere Rechtfertigung“ „steht und fällt“ mit dem Vorliegen charakteristischer Eigenschaften,702 die eine Konkretisierung oder Modifizierung der allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen zugunsten bestimmter Lebenssachverhalte begründen können. Den Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen kommt insofern eine zentrale Bedeutung zu. Im Fokus stehen vor allem diejenigen Besonderheiten, welche für Familienunternehmen im Gegensatz zu den anonymen Großunternehmen als Normalunternehmen im Hinblick auf die arbeitsrechtliche Wertung des Rechtsanwenders als Tatsachenannahmen relevant werden können.703 Die Spezifika müssen dabei von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass sie eine besondere arbeitsrechtliche Behandlung rechtfertigen können.704 Das heißt, sie müssen derart ausgeprägt sein, dass sie eine Abweichung vom anonymen Großunternehmen als normatives Leitbild des Arbeitsrechts rechtfertigen und nicht lediglich als typische Folge der Generalisierung des Gesetzgebers hinzunehmen sind. Es geht insofern um die bestimmende Frage, was den Rechtsanwender künftig dazu bewegen soll, im Arbeitsrecht zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen zu unterscheiden. Auf diese soll im Folgenden eine Antwort gefunden werden.

702 

Seifert, RdA 2004, 200 (201). Dreher, in: Schulin/Dreher (Hrsg.), Sozialrechtliche Rechtstatsachenforschung, S. 21 (22), ohne Bezug zu den Familienunternehmen. 704  Allgemein zu den Anforderungen einer Berücksichtigung der Besonderheiten von Familienunternehmen in der Rechtswissenschaft Fallone, in: Stewart/Lumpkin/Katz (Hrsg.), Entrepreneurship and family business, S. 315: „The study of family enterprises from a legal perspective might begin with an examination of whether the distinctive characteristics of a family enterprise are significant enough and unique enough that those characteristics merit the use of unique legal rules“ [Hervorhebung im Original]. 703 Vgl.

154

Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

§ 6  Die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen in der öffentlichen und der wissenschaftlichen Diskussion Die öffentliche und die wissenschaftliche Debatte über Familienunternehmen sind weitestgehend von verschiedenen Grundannahmen darüber geprägt, wie die Arbeitsbeziehungen in dieser Organisationsform ausgestaltet seien.705 Übereinstimmend wird den Familienunternehmen eine besondere Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern bescheinigt, die sich von anderen Unternehmen signifikant unterscheide. Dieses besondere Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis kann in Anknüpfung an das Drei-Kreis-Modell als Konsequenz der Überlappung der drei (Sub-)Systeme Familie, Unternehmen und Eigentum gesehen werden.706 Wissenschaftler beschreiben die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen aufgrund der Beschäftigung von Angehörigen der Unternehmerfamilie neben familienfremden Arbeitnehmern als besonders komplex und schwierig.707 Eine Problematik, die wegen der fehlenden Familienkomponente in anderen Unternehmen nicht auftreten kann. Als wesentliche Charakteristika von Familienunternehmen, welche die Arbeitsbeziehungen besonders erscheinen lassen, werden daher zum einen die Koexistenz von familien- und nichtfamilienangehörigen Arbeitnehmern verortet, zum anderen der Einfluss der Familie auf das Unternehmen.708 Andererseits wird darauf verwiesen, dass Familienunternehmen keine homogene Gruppe sind.709 Je nach Reichweite und Intensität des Familieneinflusses im 705  So in der jüngeren Diskussion über die Erbschaftssteuerreform, nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung angenommen hat, Familienunternehmen seien „durch eine in personaler Verantwortung liegende Führung geprägt“, verfolgten eine „langfristigere Unternehmensstrategie“, verhielten sich „tendenziell zurückhaltender“ in „Krisensituationen“ und handelten „standort- und arbeitsplatzorientierter“, wodurch sie „Arbeitnehmer regelmäßig länger im Betrieb [hielten]“ als andere Unternehmen, BVerfG, Urt. v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, DStR 2015, 31 (47). 706  Siehe hierzu ausführlich Lansberg, OD 1983, 39 ff.; sowie Beehr/Drexler/Faulkner, JOB 1997, 297 (298); Sieger/Bernhard/Frey, JFBS 2011, 78 (79). Zur Bedeutung des DreiKreis-Modells für das Verständnis der Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen siehe Ransburg/Sage-Hayward/Schuman, Human resources in the family business, S. 22 – 26. 707  Dale/Shepherd/Woods, NZJER 2008, 55 (56); Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837 (838); Ward/Mendoza, in: Lopata/Figert (Hrsg.), Current research on occupations and professions, S. 167 (180); Botero/Litchfield, in: Smyrnios/Poutziouris/Goel (Hrsg.), Handbook of research on family business, 2. Aufl., S. 371 (374); ähnlich Astrachan/Kolenko, FBR 1994, 251 (252); Carmon/Miller/Raile/Roers, JFBS 2010, 210 (211); Mitchell/Morse/ Sharma, JBV 2003, 533 (538); Sieger/Bernhard/Frey, JFBS 2011, 78 (79). 708  Botero/Litchfield, in: Smyrnios/Poutziouris/Goel (Hrsg.), Handbook of research on family business, 2. Aufl., S. 371 (374). 709  Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837 (839); Chua/Chrisman/Steier/Rau, ET&P 2012, 1103 ff.; Eckardt/Meinzer/Tallig, Familienunternehmen im norddeutschen Raum,

§ 6  Die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen

155

Unternehmen können seine möglichen positiven sowie negativen Wirkungen auf die Arbeitsbeziehungen im Familienunternehmen unterschiedlich ausgestaltet sein.710 Aus diesem Grund gehen die Aussagen zu den Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen im Detail auseinander. Sie lassen sich jedoch prinzipiell in zwei grundlegende Beziehungsmodelle einteilen – das paternalistische und das kooperative Modell der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung.711 Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass die im Familienunternehmen vorherrschende Kultur einen entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen hat. Die Kultur ist wiederum wechselseitig abhängig von dem Führungsstil im Unternehmen, der letztendlich einzelne Elemente der spezifischen Familienkultur auf die familienfremden Arbeitnehmer überträgt.712 Der Führungsstil der Unternehmensleitung soll bedingt durch den Familieneinfluss überwiegend paternalistisch oder auch seltener kooperativ ausgeprägt sein. In Wirklichkeit existieren daneben verschiedene Zwischenformen.713 Ebenfalls ist eine Erweiterung der Modelle denkbar714. Diese sollen allerdings im Folgenden vernachlässigt werden, um die in der öffentlichen sowie der wissenschaftlichen Debatte behaupteten Besonderheiten plastischer darstellen zu können. Auch im Hinblick auf eine anschließende rechtliche Würdigung der Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen erscheint eine Beschränkung auf die besagten zwei Modelle sinnvoll, handelt es sich doch um die „konzeptionelle[n] Muster […] mit denen [das Arbeitsrecht] versuchte, den Besonderheiten des Arbeitsvertrages gerecht zu werden“715.

A.  Das paternalistische Modell Das paternalistische Modell liegt den meisten Aussagen zur Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung in Familienunternehmen zugrunde, obwohl es speziell in der öffentlichen Diskussion nur selten als solches benannt wird. Typisches Merkmal S. 6; Melin/Nordqvist, SO 2007, 321 (323); Plate/Groth/Ackermann/v. Schlippe (Hrsg.), Große deutsche Familienunternehmen, S. 8. 710 Vgl. Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837 (840). 711  Unterteilung nach Dale/Shepherd/Woods, NZJER 2008, 55 ff. 712  Zu diesem Wirkungsmechanismus siehe Vallejo, JOBE 2008, 261 (262 f.) unter Bezug auf das funktionelle Wirken von Institutionen nach der Theorie des soziologischen Neoinstitutionalismus. Zur Institutionalisierung des Familienunternehmens siehe auch Melin/Nordqvist, SO 2007, 321 ff. 713 Vgl. Dyer, Cultural change in family firms, S. 22; ders., FBR 1988, 37 (45); Dale/ Shepherd/Woods, NZJER 2008, 55 (56). 714  Hier ist speziell an das „Laisser-faire“ und das „professionelle“ Modell zu denken, siehe hierzu weiterführend Dyer, Cultural change in family firms, S. 22 ff.; ders., FBR 1988, 37 (39 ff.); Sorenson, FBR 2000, 183 ff. 715  Voswinkel, WSI Mitteilungen 2007, 427 (429) mit näherer Erläuterung.

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

der Organisationsform sei danach eine paternalistische oder patriarchalische716 Unternehmenskultur, die den Arbeitsbeziehungen eine besondere Prägung verleihe.717 In der wissenschaftlichen Diskussion spiegelt sich diese Ansicht in der sog. paternalistischen Theorie des Familienunternehmens wider.718 Der Begriff Paternalismus leitet sich ab vom mittellateinischen Wort paternalis (väterlich)719 und bezeichnet in Bezug auf Wirtschaftsorganisationen einen autoritären Führungsstil, welcher der Beziehung eines Vaters zu seinen Kindern nachempfunden ist720. Der Familienunternehmer als höchste Autoritäts- und Entscheidungsinstanz handele danach zugleich fürsorglich und bevormundend gegenüber den Arbeitnehmern als seiner Unternehmensfamilie, deren Wohl für ihn im Vordergrund steht und welches er glaubt, am besten selbst einschätzen zu können.721 Das Verhältnis sei entsprechend durch eine klare Über- und Unterordnung gekennzeichnet.722 Der Familienunternehmer als übergeordnete Autorität führe ausschließlich zum Wohl und zum Schutz der abhängigen Arbeitnehmer.723 Im Bewusstsein dessen akzeptieren diese die Entscheidungen im Sinne von Ge716 Die Begriffe „paternalistisch“ und „patriarchalisch“ besitzen zwar ursprünglich eine unterschiedliche Herkunft und Bedeutung, allerdings werden sie zur Beschreibung der Arbeitsbeziehungen in Unternehmen heute weitestgehend synonym verwandt, hierzu Schlömer/Kay/Backes-Gellner/Rudolph/Wassermann, Mittelstand und Mitbestimmung, S. 242. 717  In dem Sinne auch Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 226; sowie Berghoff, GG 1997, 167 (203) speziell für das 19. Jahrhundert. 718  Siehe hierzu Huse, Boards, governance and value creation, S. 56 f.; Huse/Mussolino, Paternalism and governance in family firms, 2008; Johannisson/Huse, E&RD 2000, 353 ff.; Koiranen, FBR 2003, 241 ff.; Mueller/Philippon, Family firms, paternalism, and labor relations, S. 1 ff.; sowie Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S.  226 – 228; Felden/Menke, in: Böllhoff/Krüger/Berni (Hrsg.), Spitzenleistungen in Familienunternehmen, S. 51 ff. 719  Dudenredaktion (Hrsg.), Duden – Deutsches Universalwörterbuch, Stichwort „Paternalismus“. 720  Calabrò/Mussolino, in: Dossena/Bettinelli (Hrsg.), Entrepreneurship issues, S. 259 (265); Huse/Mussolino, Paternalism and governance in family firms 2008; Koiranen, FBR 2003, 241 (243); Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 226; Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (102); Schlömer/Kay/Backes-Gellner/ Rudolph/Wassermann, Mittelstand und Mitbestimmung, S. 197; ähnlich Gulbrandsen, EID 2009, 592 (594). 721  Schäfer, Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, S. 12; Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 226; Huse/Mussolino, Paternalism and governance in family firms, 2008. 722  Calabrò/Mussolino, in: Dossena/Bettinelli (Hrsg.), Entrepreneurship issues, S. 259 (265); Huse/Mussolino, Paternalism and governance in family firms, 2008; Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (102). 723  Calabrò/Mussolino, in: Dossena/Bettinelli (Hrsg.), Entrepreneurship issues, S. 259 (265).

§ 6  Die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen

157

horsam und vertrauensvoller Unterordnung.724 Die Arbeitnehmer fühlen sich dem Arbeitgeber verpflichtet. Dies äußere sich in einem größeren Vertrauen sowie einer höheren Loyalität und Identifikation.725 Dementsprechend gründe die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung nach der paternalistischen Theorie des Familienunternehmens auf einem sog. psychologischen oder impliziten (Arbeits-)Vertrag, der von reziproken Verhaltens- und Loyalitätserwartungen geprägt sei.726 Typisch für Familienunternehmen sei danach die Gewährung freiwilliger Leistungen, welche die im Arbeitsvertrag vereinbarten Verpflichtungen in besonderem Maße übersteigen, in Erwartung, dass der andere Teil ebenfalls eine vertraglich nicht vereinbarte Handlung vornehme.727 Beispielsweise akzeptieren die Arbeitnehmer eine geringere Vergütung, weil sie glauben, im Gegenzug ein höheres Maß an Arbeitsplatzsicherheit zu erhalten.728 Aber nicht nur darin wird nach der paternalistischen Theorie eine Besonderheit in den Arbeitsbeziehungen der Familienunternehmen gesehen. So soll mit der Konzentration der Autorität auf eine Leitfigur zugleich ein entschiedenes Misstrauen gegenüber Außenstehenden (Nichtfamilienmitgliedern) verbunden sein.729 Dies schließt eine ablehnende Haltung gegenüber der unternehmerischen sowie betrieblichen Mitbestimmung ebenso ein, wie gegenüber der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeitnehmer.730 Letztere wird bereits aus der Rolle des Familienunternehmers als (alleinigem) Interessenverwalter der Arbeitnehmer als entbehrlich angesehen. Die wichtigsten Entscheidungen im Unternehmen sollen demgemäß durch den Familienunternehmer selbst oder seine Familie getroffen werden.731 Eigentum und Führung lägen 724  Calabrò/Mussolino, in: Dossena/Bettinelli (Hrsg.), Entrepreneurship issues, S. 259 (265). 725  Huse/Mussolino, Paternalism and governance in family firms, 2008; zur höheren Loyalität siehe auch Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 121; Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 226. 726 Vgl. Wimmer, in: Schindler/Loth/v. Schlippe (Hrsg.), Systemische Horizonte, S. 221 (225); Mueller/Philippon, Family firms, paternalism, and labor relations, S. 2; Goffee, IJEBR 1996, 36 (39). Instruktiv zu „psychologischen“ oder „impliziten“ Verträgen im Allgemeinen: Wilkens, Management von Arbeitskraftunternehmern, S. 67 ff.; Hecker, Merkmale psychologischer Verträge, S. 18 ff. Speziell zu „psychologischen Verträgen“ in Familienunternehmen siehe Ward/Envick/Langford, EE 2007, 37 ff. 727 Vgl. Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland, S. 227; Mueller/ Philippon, Family firms, paternalism, and labor relations, S. 2 f.; ähnlich Felden/Pfannenschwarz, Unternehmensnachfolge, S. 51. 728  Sraer/Thesmar, JEEA 2007, 709 (711); wohl auch Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 4 f. 729  Dyer, Cultural change in family firms, S. 24; ders., FBR 1988, 37 (39); Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 121. 730  Gulbrandsen, EID 2009, 592 (594 f., 606); siehe auch Berghoff, GG 1997, 167 (203). 731  Dyer, FBR 1988, 37 (39); Gulbrandsen, FBR 2005, 57 (62); Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (103); Pittino/Visintin, in: Smyrnios/Poutziouris/

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

entsprechend in Familienunternehmen zumeist in einer Hand,732 da bei deren Trennung potenziell die Gefahr bestehe, dass Fremdmanager ihre Leitungsmacht gegen die Eigentümer ausüben733. Umgekehrt bedeute dies aber auch, dass der paternalistische Führungsstil in eigentümergeführten Familienunternehmen am ausgeprägtesten sei.734 Die Zentralisierung der Entscheidungsgewalt auf den Familienunternehmer oder einzelne Familienmitglieder soll nach der paternalistischen Theorie des Familienunternehmens sowohl negative als auch positive Wirkungen auf das Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis haben. Einerseits könne sie zu einer Bevorzugung von Familienmitgliedern gegenüber familienfremden Arbeitnehmern führen, ohne Rücksicht auf deren Fähigkeiten, Qualifikationen oder Persönlichkeiten.735 Streit und Missgunst seien die Folge dieses Nepotismus, wenn sich die familienfremden Arbeitnehmer unfair behandelt fühlen.736 Andererseits könne die starke Einbindung der Familie in das alltägliche Unternehmensgeschehen und die damit verbundene mangelnde Delegation auf familienfremde Personen zu einem persönlichen Kontakt mit den Arbeitnehmern,737 flachen Hierarchien,738 direkter und informeller Kommunikation739 sowie zu einer hohen Identifikation der Goel (Hrsg.), Handbook of research on family business, 2. Aufl., S. 406; Tagiuri/Davis, FBR 1996, 199 (201); Ward/Mendoza, in: Lopata/Figert (Hrsg.), Current research on occupations and professions, S. 167 (179). 732  Berthold, Familienunternehmen, S. 45; Gulbrandsen, FBR 2005, 57 (58); ähnlich Harris/Reid/McAdam, IJEBR 2004, 49 sowie dies., IJHRM 2004, 1424 (1425) nach denen Unternehmerfamilien selten Fremdmanagern die Kontrolle des Unternehmens überlassen. 733  Scase/Goffee, The entrepreneurial middle class, S. 157. 734 Siehe Ward/Mendoza, in: Lopata/Figert (Hrsg.), Current research on occupations and professions, S. 167 (178 f.); ähnlich Scase/Goffee, The entrepreneurial middle class, S. 154 für eigentümergeführte Familienunternehmen, in denen die Leitungsmacht bereits partiell auf Fremdmanager übertragen wurde, weil diese durch die Eigentümerunternehmer aufgrund des Umfanges der geschäftlichen Aktivitäten nicht mehr persönlich wahrgenommen werden können. 735  Dyer, Cultural change in family firms, S. 24; ders., FBR 1988, 37 (39); ähnlich Felden/Pfannenschwarz, Unternehmensnachfolge, S. 51; Sieger/Halter, Ein Teil der Familie – oder nicht?, NZZ 2011, Sonderbeilage Karriere und Weiterbildung, S. 1. Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (108) spricht davon, dass der Paternalismus eine Kultur im Familienunternehmen schaffe, die sog. Low Performer toleriere. 736 Hierzu und allgemein zu den Gerechtigkeitsvorstellungen von familienfremden Arbeitnehmern in Familienunternehmen instruktiv Barnett/Kellermanns, ET&P 2006, 837 ff. 737  Harris/Reid/McAdam, IJHRM 2004, 1424 (1427); Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (107). 738  Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 121. 739  Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 121; ähnlich Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (107), die von einer informellen Arbeitsatmosphäre im Familienunternehmen spricht.

§ 6  Die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen

159

Arbeitnehmer mit dem Familienunternehmer und seiner Familie740 führen. Durch die enge Bindung der Familie an das Unternehmen werde dieses als „direkte Erweiterung der Familie“ begriffen,741 was sich in den Ausdrücken „Wir sind alle im Unternehmen eine große Familie“742 oder familienexterne Arbeitnehmer seien ein „Teil der Familie“743 widerspiegelt. Langfristige744 und vergleichsweise konfliktarme Arbeitsbeziehungen745 seien die Folge. Durch die starke personale Prägung des Unternehmens – konkret die Abhängigkeit von der Persönlichkeit des Familienunternehmers – lässt sich der traditionelle paternalistische Führungsstil nach Ansicht vieler oft nicht mehr realisieren, wenn das Unternehmen wächst. Er sei daher ungeeignet für Familienunternehmen einer bestimmten Größe.746 Die Familienunternehmer würden sich dann häufig einer anderen, abgeschwächten Paternalismusform zuwenden.747 Auch der Übergang zum kooperativen Modell der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung ist möglich.

B.  Das kooperative Modell Das kooperative Modell wird häufig neben dem paternalistischen als Grundlage für die Beschreibung der besonderen Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung in Familienunternehmen genommen. Zugleich wird darauf verwiesen, dass dieses

740 

Felden/Pfannenschwarz, Unternehmensnachfolge, S. 51. Ward/Mendoza, in: Lopata/Figert (Hrsg.), Current research on occupations and professions, S. 167 (175). 742  Meyer, Unternehmerfamilie und Familienunternehmen, S. 36. Eine ähnliche Aussage findet sich auch bei Haugh/McKee, CWF 2003, 141 (149): „We are almost like a family in this kind of business“. 743  Sieger/Halter, Ein Teil der Familie – oder nicht?, NZZ 2011, Sonderbeilage Karriere und Weiterbildung, S. 1; ähnlich Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (107). 744  Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, S. 121; Felden/Pfannenschwarz, Unternehmensnachfolge, S. 51; Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (104). 745  Berghoff, GG 1997, 167 (203). 746  Dyer, FBR 1988, 37 (42); Harris/Reid/McAdam, IJEBR 2004, 49 (51); dies., IJHRM 2004, 1424 (1427); Scase/Goffee, The entrepreneurial middle class, S. 153; wohl auch Pittino/Visintin, in: Smyrnios/Poutziouris/Goel (Hrsg.), Handbook of research on family business, 2. Aufl., S. 406 f. 747  Harris/Reid/McAdam, IJEBR 2004, 49 (51) unter Bezug auf Wray, WES 1996, 701 (703). Zu den unterschiedlichen Formen des Paternalismus siehe Schlömer/Kay/ Backes-Gellner/Rudolph/Wassermann, Mittelstand und Mitbestimmung, S. 214 – 219; Wray, WES 1996, 701 (702 ff.); Nebel de Mello, in: Narva (Hrsg.), Family enterprises, S. 101 (104 f.). 741 

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

dort nur äußerst selten präsent sei.748 Es dient entsprechend in erster Linie zur Kontrastierung der nach dem paternalistischen Modell gefundenen Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen von Familienunternehmen. Dessen Spezifika sollen dadurch klarer hervorgehoben werden. Nach dem kooperativen Modell sei die Unternehmenskultur in Familienunternehmen durch eine partnerschaftliche Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern geprägt. Letztere würden weitestgehend als gleichwertige Partner angesehen und in die Entscheidungsprozesse sowie die Führung des Unternehmens einbezogen.749 Die Macht des Familienunternehmers werde weniger betont750 und eine Bevorzugung von Angehörigen der Unternehmerfamilie gegenüber sonstigen Arbeitnehmern gering geschätzt751. Ein klares Über-/ Unterordnungsverhältnis, wie es beim paternalistischen Beziehungsmodell angenommen wird, bestünde mithin nicht. Die Mitwirkung der Arbeitnehmer im Unternehmen könne jedoch unterschiedlich ausgestaltet sein und von der bloßen Nutzung als Informationsquelle bis zur gemeinsamen Entscheidungsfindung oder -delegation reichen.752 Das führe dazu, dass nicht mehr nur der Familienunternehmer alleine für das Wohl und den Schutz der Arbeitnehmer sorge, sondern diese als „mündige“ Unternehmensmitglieder selbst entscheiden können, was ihren Interessen entspricht und bei deren Umsetzung mitwirken. Die kooperative Unternehmenskultur steigere somit die Akzeptanz von Arbeitgeberentscheidungen und die Arbeitnehmerzufriedenheit.753

C.  Rechtspolitische Forderungen aufgrund der Modellvorstellungen und deren Bewertung Aufgrund der im paternalistischen Modell beschriebenen Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen wird in der öffentlichen und der wissenschaftlichen Diskussion rechtspolitisch oftmals ein „höheres Maß an Differenzierung und Flexibilität“ für Familienunternehmen im deutschen Arbeitsrecht gefordert.754 Denn dieses sei nicht auf die spezifischen Bedürfnisse der Familienunternehmen zu-

748  Dyer, Cultural change in family firms, S. 29; ders., FBR 1988, 37 (43); Sorenson, FBR 2000, 183 (185). 749  Dyer, FBR 1988, 37 (43); Sorenson, FBR 2000, 183 (186). 750  Dyer, Cultural change in family firms, S. 30; ders., FBR 1988, 37 (43). 751  Dyer, Cultural change in family firms, S. 30; ders., FBR 1988, 37 (43). 752  Sorenson, FBR 2000, 183 (186). 753  Sorenson, FBR 2000, 183 (186). 754  Heß, Familienunternehmen, S. 23. Siehe auch Müller, Die Zukunft von Familienunternehmen, S. 34, die von der Regierung eine „Überarbeitung des Arbeitsrechts hinsichtlich flexiblerer Lösungen“ fordert.

§ 6  Die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen

161

geschnitten und müsse entsprechend angepasst werden.755 Vorgeschlagen wird überraschenderweise eine Anhebung der Schwellenwerte oder eine Verlängerung der Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes.756 Ersteres käme vor allem kleinen und mittleren, Letzteres allen Unternehmen zugute. Dementsprechend handelt es sich um Maßnahmen, die gerade nicht die Besonderheiten von Familienunternehmen berücksichtigen würden. Problematisch ist des Weiteren, dass für die Grund­annahmen auf denen diese rechtspolitischen Vorschläge beruhen, bisher keine ausreichenden empirischen Belege angeführt wurden. Sie gründen lediglich auf theoretischen Modellvorstellungen sowie den in der öffentlichen Diskussion immer wieder genannten und sich inhaltlich weitestgehend deckenden Aussagen über die Besonderheiten von Familienunternehmen. Sie beziehen jedoch selten die Ergebnisse der Rechtstatsachenforschung mit ein. Als empirisches Fundament dienen stattdessen Erfahrungsberichte von Eigentümern, Mitarbeitern, Führungskräften oder Beratern von Familienunternehmen, mithin Einzelfälle, von denen allgemeingültige Aussagen für die Organisationsform Familienunternehmen abgeleitet werden. Diese Erfahrungsberichte besitzen allerdings nur anekdotische Evidenz – ihnen lässt sich zwar entnehmen, welche Besonderheiten in Familienunternehmen bestehen können. Keinesfalls lässt sich daraus aber herleiten, ob diese Aussagen generalisierbar sind.757 Mangels Repräsentativität können sie daher nur bedingt Ausgangspunkt für die Beurteilung der Notwendigkeit eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen sein,758 wenn auch der Einsatz von anekdotischer Evidenz im arbeitsrechtlichen Diskurs weitverbreitet ist759. Erforderlich sind nach Möglichkeit vielmehr objektive und signifikante Erkenntnisse760 zu den Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen in Form von Ergebnissen der Rechtstatsachenforschung. 755 

Möschel, ZRP 2011, 116 (119 f.); Rieble, impulse 2/2012, S. 70 (72). Möschel, ZRP 2011, 116 (119 f.); für eine Anhebung der Schwellenwerte des Kündigungsschutzgesetzes auch Heß, Familienunternehmen, S. 23. 757  Kritisch auch Beehr/Drexler/Faulkner, JOB 1997, 297 (298) sowie v. Schultzendorff, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 13 f., der von einem „Empiriedefizit“ spricht und Klein/Bell, EJFBS 2007, 19 (21), jedoch mit Bezug auf die empirische Familienunternehmensforschung zu Fremdmanagern. Siehe zur Aussagekraft anekdotischer Evidenz Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193 (193 f.); Schmid, in: Flaker/Schmid (Hrsg.), Von der Idee zur Forschungsarbeit, S. 37; Rosenwasser/ Stephen, Writing analytically, S. 180 f.; Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 56 ff. Nach Schubert, Die rechtliche Steuerung, S. 160 f. Fn. 38 ist das vermehrte Vorkommen von anekdotischer Evidenz in der Literatur Ausdruck eines „(noch) sehr frühen wissenschaftlichen Reifestadium[s]“. Diese Aussage charakterisiert auch das Forschungsfeld der Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen treffend. 758  Ähnlich zur anekdotischen Evidenz als Maßstab für die Beurteilung allgemeiner Normen Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193 (194). 759  Schramm, RdA 2007, 267 (268). 760  Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193 (194). 756 

162

Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

Letztere können einer „Mythenbildung“761 zu den Besonderheiten von Familienunternehmen entgegenwirken.

§ 7  Methode zur Ermittlung der relevanten Rechtstatsachen Die für die Fragestellung relevanten Rechtstatsachen sollen durch eine Analyse bestehender empirischer Untersuchungen der Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften, herausgearbeitet und beschrieben werden. Dabei soll das vorhandene Material systematisch auf Informationen zur tatsächlichen Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen untersucht werden. Eine eigene empirische Untersuchung erfolgt nicht. Zum einen fehlen hierfür die notwendigen sachlichen und personellen Mittel.762 Zum anderen handelt es sich um „keine genuin juristische Aufgabe“.763 Im Vordergrund der Arbeit steht vielmehr die rechtsdogmatische Lösung. Die Ermittlung der relevanten Rechtstatsachen dient nur deren Vorbereitung.764 Eine solche Einbeziehung von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen in die Rechtsdogmatik ist nicht ungewöhnlich. Insbesondere bei der Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln spielen sie eine wichtige Rolle,765 mithin bei den Anknüpfungspunkten eines Sonderarbeitsrechts im weiteren Sinne. Da die Familienunternehmensforschung ein relativ junges Wissenschaftsgebiet ist und speziell empirische Untersuchungen zu den Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen selten sind, muss der Kreis der in die Analyse einzubeziehenden Dokumente weit gefasst werden. Die Arbeit stützt sich daher auch auf ausländische Publikationen, um eine breitere Datenbasis zu erlangen. Streng genommen müsste zwischen diesen Dokumenten und solchen, welche sich auf inländische Familienunternehmen beziehen, differenziert werden. Die konzepti761 

Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193. ist generell ein wesentlicher Grund für die Seltenheit von empirischer Forschung unter Rechtswissenschaftlern, hierzu Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 28. 763  Es handelt sich hierbei um Gründe, wie sie wohl für viele juristische Untersuchungen mit Bezug zur Rechtstatsachenforschung gelten. Dieselben Argumente nennend: Schulin, in: Schulin/Dreher (Hrsg.), Sozialrechtliche Rechtstatsachenforschung, S. 17. 764  Zur vorbereitenden, korrigierenden oder bestätigenden Funktion der Tatsachenfeststellungen für Lösungen der Dogmatik oder des Gesetzgebers siehe Dreher, in: Schulin/ Dreher (Hrsg.), Sozialrechtliche Rechtstatsachenforschung, S. 21 (22). 765 Siehe hierzu Pieger, in: Chiotellis/Fikentscher (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung, S. 127 (135 f.); Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 10 – 18; Röhl, Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung, S. 262 f.; Wulfhorst, in: Schulin/Dreher (Hrsg.), Sozialrechtliche Rechtstatsachenforschung, S. 53 (55 f.); differenzierend Heldrich, AcP 186 (1986), 74 (91 ff.), der zwischen verschiedenen Arten von Generalklauseln unterscheidet. 762  Dies

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen 163

onellen Unterschiede der (Arbeits-)Rechtsordnungen könnten das Ergebnis verfälschen. Denn das nationale Recht (insbesondere das Erb-, Gesellschafts- und Arbeitsrecht) bestimmt maßgeblich den in einem Land vorherrschenden Familienunternehmenstyp766 und beeinflusst damit auch die vorherrschenden Spezifika der Organisationsform. Hinzu kommt, dass es aufgrund der unterschiedlichen Terminologie und dem notwendigen Übersetzungsvorgang zu einer Verzerrung der übermittelten Realität kommen kann. Ein Problem, welches bereits durch die Integration sozialwissenschaftlicher Ergebnisse in eine rechtswissenschaftliche Untersuchung besteht.767 Das Vorgehen bei der Ermittlung der relevanten Rechtstatsachen birgt folglich gewisse Risiken und ist insoweit angreifbar. Dennoch vermag es ohne Zweifel die öffentliche und die lediglich theoretisch fundierte wissenschaftliche Debatte zu den Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen, welche bisher nur von Grundannahmen und damit Vermutungen geleitet war, auf eine erste empirische Basis zu stellen, wenn auch einzelne der ermittelten Rechtstatsachen Korrekturen ausgesetzt sein mögen. Eine systematische Zusammenstellung aller auffindbaren Rechtstatsachen zu den Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen ist bisher einzigartig.

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungenim Einzelnen Im Folgenden werden diejenigen Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen aufgeführt, welche in bereits vorhandenen empirischen Untersuchungen der Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften, auffindbar waren. Dem Begriff der Arbeitsbeziehungen liegt ein weites Verständnis zugrunde. Er umfasst alle wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen sowie politischen Beziehungen zwischen dem Arbeitgeber bzw. seinem Management und den Arbeitnehmern, mithin das Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis in seiner Gesamtheit.768 Dieses weite Begriffsverständnis ist notwendig, um bei der Zusammenführung der einzelnen empirischen Befunde erstmals ein möglichst einheitliches Bild der Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen skizzieren zu können. Aus diesem Grund erfolgt die Darstellung 766  Sharma, FBR 2004, 1 (5); sich dieser anschließend Dale/Shepherd/Woods, NZJR 2008, 55 (58). Zum Einfluss des Erbrechts auf die Familienunternehmen siehe Carney/ Gedajlovic/Strike, ET&P 2014, 1261 ff. Zum Einfluss der Arbeitsmarktregulierung auf Familienunternehmen siehe Bennedsen/Huang/Wagner/Zeume, Family firms and labor market regulation, S. 1 ff. 767 Vgl. Rehbinder, Rechtssoziologie, Rn. 63. 768 Als Synonym wird auch der Begriff der „industriellen Beziehungen“ verwandt. Zum Begriff Jakobi, Konfessionelle Mitbestimmungspolitik, S. 20 ff.; Hirsch-Kreinsen, Wirtschafts- und Industriesoziologie, S. 129 ff.

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

zunächst auch ohne Rücksicht auf die Relevanz der Besonderheiten im Hinblick auf ein Sonderarbeitsrecht. Die rechtliche Bewertung soll an späterer Stelle vorgenommen werden. Weiterhin erhebt die Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dies ist aufgrund der vielfältigen Terminologien, mit denen Wissenschaftler anderer Fachbereiche die Arbeitsbeziehungen beschreiben auch nicht möglich. So ist nicht auszuschließen, dass einschlägige Dokumente schlichtweg übersehen wurden. Diesem Risiko konnte allerdings begegnet werden, indem die Literaturrecherche breit gestreut unter Einbeziehung der fachfremden Terminologien erfolgte und auch entferntere Begriffe mit in die Suche einbezogen wurden, wie zum Beispiel das „Personalmanagement“769 und die „Beschäftigungspolitik“ sowie die teils synonym verwendeten englischen Begriffe „Personell Management“, „Human Resource Management“770 und „Employment Policies“. Auch im Hinblick auf das Familienunternehmen wurde die Suche nach einschlägigen Dokumenten auf dessen verschiedene Ausprägungen sowie Teilerscheinungsformen und damit auf verwandte Begriffe ausgeweitet. Das erschien notwendig, da in der Literatur die Begrifflichkeiten teilweise synonym verwendet werden.771 Zudem kann der Familienunternehmensbegriff im Sinne des Arbeitsrechts als Typus zukünftigen Korrekturen ausgesetzt sein. Um diese nicht von vornherein aus der Datenbasis auszuschließen bzw. die Möglichkeit zu eröffnen, diese durch vorhandene empirische Untersuchungen aufzuspüren, musste die Suche ebenfalls ausgeweitet werden. Nach den auf diesem Wege herausgearbeiteten, vielfältigen Begriffen des Familienunternehmens und der Arbeitsbeziehungen wurden anschließend sämtliche gängigen wirtschaftswissenschaftlichen sowie fachübergreifenden Datenbanken772 auf einschlägige empirische Studien durchsucht.

A.  Paternalistische Unternehmenskultur Die paternalistische Unternehmenskultur wurde in einer Studie zu mehr als 40 amerikanischen Familienunternehmen als die vorherrschende eruiert.773 Die kooperative Unternehmenskultur wurde hingegen relativ selten vorgefunden.774 769  Synonyme

Begriffe sind nach Kebbekus/Haralambie, Personalmanagement in Familienunternehmen, S. 33 das Personalwesen, die Personalwirtschaft und -politik sowie die Personalführung und -verwaltung. Diese wurden ebenfalls in die Suche miteinbezogen. 770  Kritisch zur synonymen Verwendung des „Human Resource Managements“ zu den Begriffen Personalwesen, Personalwirtschaft und Personalmanagement Hülsbeck/Plass/ Pohlmeier, Human Resource Management in Familienunternehmen, S. 5. 771  Siehe hierzu und zu den einzelnen Begriffen Erstes Kapitel § 3, S. 44 ff. 772 Zu nennen sind besonders EBSCO Business Source, EconBiz, Google Scholar, SpringerLink, ScienceDirect, SSRN, WISO. 773  Dyer, Cultural change in family firms, S. 24; ders., FBR 1988, 37 (39). 774  Dyer, Cultural change in family firms, S. 29; ders., FBR 1988, 37 (43).

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen 165

Insofern wird das in der Öffentlichkeit und der theoretisch fundierten Wissenschaft bestehende Meinungsbild durch empirische Ergebnisse gestützt. In der besagten Untersuchung wurde allerdings auch herausgefunden, dass nach einer erfolgreichen Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie in zwei Drittel aller Familienunternehmen mit einem paternalistischen Führungsstil ein kultureller Wechsel zu verzeichnen ist.775 Dieses Ergebnis dürfte vor allem auf die starke Abhängigkeit des Unternehmens von der Persönlichkeit des Familienunternehmers (des „Patriarchen“) zurückzuführen sein, welche eine Führungsnachfolge generell als schwierig erscheinen lässt776. Das Bild vom paternalistischen Familienunternehmen wird durch weitere Studien bestätigt.777 In diesen wurde zwar nicht direkt eine paternalistische Unternehmenskultur in Familienunternehmen untersucht, dennoch zeigen die Ergebnisse das Bestehen paternalistischer Elemente auf. Hervorzuheben sind vor allem zwei Studien: In der ersten, spanischen Studie wurde herausgefunden, dass sich Arbeitnehmer in Familienunternehmen im Vergleich zu solchen in Nichtfamilienunternehmen mit ihrer Organisation mehr verbunden fühlen, ein höheres Engagement bei der Arbeit zeigen, sowie ihr gegenüber loyaler sind.778 Auch besteht ein größeres Vertrauen unter den Arbeitnehmern und die Atmosphäre ist insgesamt vorzugswürdiger (weniger feindselig).779 Im Ergebnis wird daraus ein höherer Grad an Commitment und Harmonie geschlossen.780 Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass diese Besonderheiten von Familienunternehmen mit den Beschreibungen des paternalistischen Modells der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung weitestgehend übereinstimmen. Auch hier wurde ein höheres Commitment in dem Sinne angenommen, dass sich die Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber gegenüber mehr verpflichtet fühlten. Ebenso wurde daraus ein größeres Vertrauen sowie eine höhere Loyalität der Arbeitnehmer gegenüber ihrer Organisation geschlossen. Insofern bestätigt die Untersuchung zumindest, dass in Familienunternehmen eine Kultur mit paternalistischen Elementen herrscht. In der zweiten, breit angelegten Studie unter 1132 kleinen und mittleren Unternehmen in acht europäischen Ländern gelangten die Wissenschaftler zu mehrdeutigen Ergebnissen, welche sie auf eine paternalistisch geprägte Arbeit775 

Dyer, FBR 1988, 37 (46). Ramm, AuR 1991, 289 (297). 777  Donckels/Fröhlich, FBR 1991, 149 (159); PwC u. a., Human capital policies, S. 99; Vallejo, JOBE 2007, 261 (270); siehe auch MPIfG (Hrsg.), Arbeitsbeziehungen in Deutschland, S. 22 f. 778  Vallejo, JOBE 2007, 261 (270). 779  Vallejo, JOBE 2007, 261 (270). 780  Vallejo, JOBE 2007, 261 (270). 776 Hierzu

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

nehmer-Arbeitgeber-Beziehung in Familienunternehmen zurückführten.781 So wird in Familienunternehmen auf der einen Seite auf die Zufriedenheit der Arbeitnehmer erheblicher Wert gelegt.782 Auf der anderen Seite werden die Mitarbeiter weniger in die Entscheidungen des Unternehmens mit einbezogen und seltener am Eigentum beteiligt als in Nichtfamilienunternehmen.783 Ebenso wird auf die Selbstverwirklichung der Arbeitnehmer weniger Wert gelegt.784 In der Tat sind dies genau diejenigen Merkmale, welche dem paternalistischen Modell zugeordnet werden. Auch nach diesem sollen die wichtigsten Entscheidungen im Unternehmen durch den Familienunternehmer oder seine Familie getroffen werden, ohne Einbeziehung der Arbeitnehmer. Ebenfalls soll aus diesem Grund das Eigentum in der Hand der Familie liegen, möglichst ohne Beteiligung der Arbeitnehmer. Paternalismus bedeutet dementsprechend nach der Modellvorstellung zugleich eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit und der Selbstverwirklichung der Arbeitnehmer aufgrund vermeintlicher höherer Kompetenz des Familienunternehmers bzw. seiner Familie.785 Zusammenfassend betrachtet gibt es viele empirische Untersuchungen, die das Vorherrschen einer paternalistischen Unternehmenskultur in Familienunternehmen bestätigen. Es existieren jedoch auch Studien, die von der Kultur in deutschen Familienunternehmen ein anderes Bild zeichnen. So gelangte die AlphaZirkel-Studie auf Grundlage einer Befragung unter 69 Familienunternehmern zu dem Ergebnis, dass der paternalistische Führungsstil in Familienunternehmen fast keine Rolle mehr spielt.786 Entsprechend gelte nach den Autoren dieser Studie die Grundannahme vom paternalistischen Führungsstil als „klar widerlegt“.787 Problematisch ist jedoch, dass dieses Ergebnis allein auf der Selbsteinschätzung der Familienunternehmer beruht. Ob sie mit dem tatsächlichen Führungsstil im Unternehmen übereinstimmt, wurde hingegen nicht untersucht. Da der oft negativ besetzte Paternalismusbegriff in Zusammenhang mit feudalen Strukturen gebracht wird788 und im Hinblick auf Arbeitnehmerzufriedenheit und -commitment als rückschrittlich gilt,789 bestehen Zweifel an der Objektivität der Aussagen 781 

Donckels/Fröhlich, FBR 1991, 149 (159). Donckels/Fröhlich, FBR 1991, 149 (159). 783  Donckels/Fröhlich, FBR 1991, 149 (159). 784  Donckels/Fröhlich, FBR 1991, 149 (159). 785  Zu diesen Merkmalen des paternalistischen Modells siehe Zweites Kapitel § 6 A. 786  AlphaZirkel (Hrsg.), Die Unternehmenskultur im Familienunternehmen, S. 4, 11. 787  AlphaZirkel (Hrsg.), Die Unternehmenskultur im Familienunternehmen, S. 11. 788  Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 358; siehe zur „negative[n] Konnotation“ des Paternalismusbegriffs auch Möller, Paternalismus und Persönlichkeitsrecht, S. 22. 789  Sorenson, FBR 2000, 183 (186, 192). In Bezug auf die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung in Unternehmen wird daher häufig in der Vergangenheitsform über den Paternalismus gesprochen, Wray, WES 1996, 701. 782 

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen 167

der Familienunternehmer und dem Ergebnis der Studie insgesamt. Diese waren womöglich von dem Ziel geleitet, das gute Image von Familienunternehmen und damit der eigenen Gesellschaft nicht zu gefährden. Tatsächlich kam eine empirische Untersuchung aus dem Jahr 2007 zu dem Ergebnis, dass zwar nach der Selbsteinschätzung mittelständischer Unternehmer die paternalistische Unternehmenskultur von der kooperativen abgelöst zu sein scheint.790 Hingegen waren in der Realität weiterhin patriarchalische Führungsmuster vorherrschend.791 Freilich ist diese Studie nicht uneingeschränkt auf Familienunternehmen übertragbar, da sie nicht mit dem Mittelstand gleichzusetzen sind. Bei der Mehrzahl der Familienunternehmen handelt es sich allerdings um solche kleinerer oder mittlerer Größe.792 Umgekehrt befinden sich knapp zwei Drittel aller mittelständischen Unternehmen überwiegend oder vollständig in Familienhand.793 Insofern vermag die Untersuchung zumindest zum Teil die Ergebnisse der AlphaZirkel-Studie zu entkräften. Die AlphaZirkel-Studie kann folglich das Bild vom paternalistischen Familienunternehmen nicht erschüttern, welches aus den zuvor dargestellten Untersuchungen gewonnen wurde. Die paternalistische Unternehmenskultur kann damit als Besonderheit von Familienunternehmen verortet werden.

B.  Präferenz zur Selbstrekrutierung Familienunternehmen besitzen eine gewisse Präferenz zur Selbstrekrutierung. Mittlere Unternehmen mit Familieneinfluss bevorzugen bei der Einstellung eher die Kinder ihrer Mitarbeiter als solche ohne Familieneinfluss.794 Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Form der Selbstrekrutierung mit zunehmendem Einfluss der Familie auf das Unternehmen.795 Dies ergab eine Befragung von 588 Geschäftsführern in Deutschland durch das Institut für Mittelstandsforschung 790  Schlömer/Kay/Backes-Gellner/Rudolph/Wassermann, Mittelstand und Mitbestimmung, S. 198 f. 791  Schlömer/Kay/Backes-Gellner/Rudolph/Wassermann, Mittelstand und Mitbestimmung, S. 198 f. 792  Craig/Moores, FBR 2010, 170 (171); European Commission, Final report of the expert group, S. 4; IFERA, FBR 2003, 235 (236); Mandl u. a., Overview of family business relevant issues, S. 50; Picot, in: Picot (Hrsg.), Handbuch für Familien- und Mittelstands­ unternehmen, S. 1 (4); Werner, Die Familiengesellschaft, S. 11; vgl. ferner Landtag von Baden-Württemberg, Drucks. 12/5800, S. 58. Nach Haunschild/Wallau/Boerger/Macke/ Hauser, Die größten Familienunternehmen in Deutschland, S. 11 sind nur rund 0,1 Prozent aller Unternehmen große Familienunternehmen, entsprechend gering ist der Anteil der Großunternehmen an den Familienunternehmen. 793  Becker/Baltzer/Ulrich, Aktuelle Entwicklungen in der Unternehmensführung, S. 23, 25. 794  Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 (267). 795  Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 (267).

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

Mannheim, welches die Mitarbeiterbindung in Unternehmen mit unterschiedlichem Familieneinfluss untersuchte.796 Erstaunlicherweise zeigten sich sonst keine positiven Effekte des Familieneinflusses auf Maßnahmen der Mitarbeiterbindung, wie beispielsweise die Vergütung von Überstunden, gezielte Frauenförderung oder familienfreundliche Angebote (Betriebskindergarten, flexible Arbeitszeiten).797 Der Familieneinfluss wirkt sich sogar negativ auf die Wahrscheinlichkeit aus, als Mitarbeiter am Unternehmenskapital beteiligt zu werden.798 Die Studie bietet für die genannten Signifikanzen interessante Erklärungsansätze. Die bevorzugte Behandlung von Mitarbeiterkindern sei darauf zurückzuführen, dass die Arbeitnehmer in Unternehmen mit Familieneinfluss nicht nur in dieser Funktion wahrgenommen würden, sondern „in ihrer Person als Ganzes“ einschließlich ihrer Familie.799 Hierin wird nicht zuletzt eine gewisse Verifizierung der Grundannahme gesehen, dass familienfremde Arbeitnehmer als ein Teil der Unternehmerfamilie betrachtet würden.800 Darüber hinaus wird die geringere Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmenskapital auf das Interesse der Unternehmerfamilie zurückgeführt, die Kapitalanteile möglichst allein in ihrer Hand zu halten, um Familienfremden keinen Einfluss auf die Leitung des Unternehmens zu gewähren.801

C.  Durchschnittlich geringere Vergütung Familienunternehmen zahlen durchschnittlich eine geringere Vergütung als Nichtfamilienunternehmen.802 Dies ergab eine langfristig und groß angelegte Studie, in der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberdaten von französischen Unternehmen untersucht wurden.803 Danach sind die Nettostundenlöhne in Familienunternehmen um drei Prozent niedriger als in Nichtfamilienunternehmen.804 Dieser Unterschied in der Vergütung besteht gleichermaßen für Frauen und Männer, Arbeitnehmer unterschiedlicher Bildungsschichten sowie für junge und ältere

796 

Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 ff. Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 (259 ff.). 798  Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 (268). Dies wurde bereits von Donckels/Fröhlich, FBR 1991, 149 (159) empirisch nachgewiesen. 799  Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 (271). 800  Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 (271). 801  Tänzler/Keese/Hauer, in: Meyer (Hrsg.), Personalmanagement, S. 243 (268). 802  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 14 f. 803  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 1 ff. 804  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 2, 14 f. 797 

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen 169

Arbeitnehmer.805 Bei den Geringqualifizierten ist die Gehaltslücke zwischen Arbeitnehmern in Familienunternehmen und solchen in Nichtfamilienunternehmen größer und liegt bei über vier Prozent.806 Ähnliche Ergebnisse lieferten zahlreiche weitere, vom Datenbestand jedoch weniger umfassende Studien.807 Interessanterweise konnte bei einer dieser Untersuchungen eruiert werden, dass dann kein unterschiedliches Vergütungsniveau zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen besteht, wenn das Familienunternehmen professionell, d. h. von Fremdmanagern, geleitet wird.808 Dies wird darauf zurückgeführt, dass Fremdmanager rationale und qualifizierte Führungsprinzipien in das Unternehmen einbringen,809 wie sie auch in Nichtfamilienunternehmen zu finden sind.

D.  Hohe objektive und subjektive Arbeitsplatzsicherheit Familienunternehmen bieten eine höhere objektive und subjektive Arbeitsplatzsicherheit als Nichtfamilienunternehmen.810 Dies ermittelten Forscher, als sie empirisch der Frage nachgingen, warum Arbeitnehmer trotz geringerer Bezahlung in Familienunternehmen bleiben. So ist die Kündigungsrate in Familienunternehmen 15 Prozent niedriger als in Nichtfamilienunternehmen.811 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in (börsengehandelten) Familienunternehmen bereits weniger proaktive Personalabbaupläne existieren812. Gerade in Krisenzeiten, in welchen eine schnelle Reduzierung der Personalkosten wichtig ist, sinkt im Vergleich zu den Nichtfamilienunternehmen die Einstellungsrate mehr und steigt die Kündigungsrate weniger.813 Familienunternehmer erklären Kündigungen nur, 805 

Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 3 f. Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 4. 807  Sraer/Thesmar, JEEA 2007, 709 (726 ff.); Carrasco-Hernandez/Sánchez-Marín, FBR 2007, 215 (224); Siebert/Peng/Maimaiti, HRM practices and performance of family-run workplaces, S. 12. 808  Carrasco-Hernandez/Sánchez-Marín, FBR 2007, 215 (224). 809  Carrasco-Hernandez/Sánchez-Marín, FBR 2007, 215 (226). 810  Dies belegen mehrere Studien, siehe Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 1 ff.; Mietzner/Tyrell, FuS 2012, 108 ff.; vgl. ebenfalls Bjuggren, JEBO 2015, 18 ff. Auch nach Block, FBR 2010, 109 (110) ist in Familienunternehmen, in denen die Familie das Eigentum innehat, die Wahrscheinlichkeit von einem tief greifenden Personalabbau geringer als in Nichtfamilienunternehmen. Interessanterweise gilt dies jedoch nicht für Familienunternehmen, die lediglich von der Familie geleitet werden. Nach einer neueren Studie von Kölling, Family firms and labor demand, S. 3 ff. zeigten sich allerdings keine Unterschiede zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen ab einer Größe von mindestens 20 Beschäftigten. 811  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 4, 21. 812  Mietzner/Tyrell, FuS 2012, 108 (112). 813  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 4. 806 

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

wenn es „absolut unvermeidbar ist“.814 Dies spiegelt sich auch im direkten Vergleich der Beschäftigungszahlen von Nichtfamilienunternehmen und (börsennotierten) Familienunternehmen wider. Familienunternehmen weisen hier eine höhere Beständigkeit auf.815 Nach Mietzner und Tyrell „indiziert“ dies „eine andere Verhaltensweise im Umgang mit Arbeitnehmerbeziehungen“.816 Interessanterweise ist die Arbeitsplatzsicherheit für Geringqualifizierte in Familienunternehmen am höchsten.817 Das ist genau diejenige Personengruppe, für welche die Lohnbenachteiligung im Vergleich zu den Nichtfamilienunternehmen besonders groß war.818 Diese und andere Daten weisen darauf hin, dass mit einer geringeren Bezahlung im Familienunternehmen ein höheres Maß an Arbeitsplatzsicherheit einhergeht.819 Das Ergebnis stimmt insofern mit dem paternalistischen Modell überein, wonach in Familienunternehmen die Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung auf einem psychologischen Vertrag basiert, der von reziproken Verhaltens- und Loyalitätserwartungen geprägt ist. Es ist daher ein weiterer empirischer Beleg für das in der Öffentlichkeit und der theoretisch fundierten Wissenschaft vorherrschende Bild vom paternalistischen Familienunternehmen.

E.  Informelle Leitungsstrukturen Die Arbeitsplätze in Familienunternehmen sind im Vergleich zu denen in Nichtfamilienunternehmen mehr durch informelle Einflussnahme als durch bürokratisch formalisierte Entscheidungsstrukturen geprägt.820 Beispielsweise erfolgt die innerbetriebliche Ausbildung verstärkt informell. Dies haben gleich zwei Studien zu britischen und australischen Unternehmen unabhängig voneinander nachgewiesen.821 In Familienunternehmen nehmen danach weniger Arbeitnehmer an strukturierten Schulungen, Seminaren, Workshops oder anderen

814  Wimmer/Kolbeck/Rüsen/Bauer, Familienunternehmen und die aktuelle Weltwirtschaftskrise, S. 22; ähnlich Frey/Sieger/Zellweger, IO New Management 11/2010, 37 (40): „Personalabbau wird wenn möglich vermieden“. 815  Mietzner/Tyrell, FuS 2012, 108 (111). 816  Mietzner/Tyrell, FuS 2012, 108 (112). 817  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 4. 818  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 4. 819  Bassanini/Breda/Caroli/Rebérioux, Working in family firms, S. 4. 820  Siebert/Peng/Maimaiti, HRM practices and performance of family-run work­ places, S. 12. 821  Siebert/Peng/Maimaiti, HRM practices and performance of family-run workplaces, S. 12; Kotey/Folker, JSBM 2007, 214, letztere haben jedoch nur die Daten von kleinen und mittleren Unternehmen mit und ohne Familieneinfluss verglichen.

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen 171

Ausbildungsprogrammen teil.822 Entsprechend wird ein geringeres Budget für Trainingsmaßnahmen ausgegeben.823 Mit zunehmendem Wachstum des Familienunternehmens steigt jedoch der Bedarf an formellen Praktiken.824

F.  Hohe Anzahl von mitarbeitenden Familienangehörigen In den meisten kleinen und mittleren Familienunternehmen gibt es eine hohe Anzahl von mitarbeitenden Familienangehörigen.825 Die Mehrzahl dieser Unternehmen möchte das gegenwärtige Niveau an mitarbeitenden Familienangehörigen beibehalten.826 Dies ergab eine Studie zu kleinen und mittleren Familienunternehmen in Nordirland.827 Nach einer Untersuchung zu norddeutschen Familienunternehmen sind die meisten Familienangehörigen jedoch nicht als Arbeitnehmer beschäftigt, sondern in der obersten Hierarchieebene tätig (als Geschäftsführer u. ä.).828 Entsprechend kam eine PwC-Studie zu Fremdmanagern in Familienunternehmen zu dem Ergebnis, dass bei fast einem Viertel der Familienunternehmen die oberste Leitungsebene ausschließlich mit Mitgliedern der Unternehmerfamilie besetzt ist.829 Lediglich bei rund 15 Prozent der Familienunternehmen sind nur Fremdmanager in der Geschäftsleitung vertreten.830 Sicherlich steht dieses Ergebnis im Zusammenhang mit der kritischen Grundhaltung von Familienmitgliedern gegenüber Fremdmanagern, welche ebenfalls durch die PwC-Studie festgestellt werden konnte. Danach sieht die Mehrzahl der Familienmitglieder in der Anstellung von familienexternen Leitungspersonen „im Grunde immer eine Notlösung“.831 Fremdmanager gelten zum einen als weniger loyal gegenüber der Unternehmerfamilie.832 Zum anderen wird ihnen eine mangelnde Identifikation mit dem Familienunternehmen unterstellt.833 Entsprechend befürchten die Unternehmerfamilien bei der Anstellung von Fremdmanagern einen langfristigen Identifikationsverlust des Familienunternehmens.834 822 

Kotey/Folker, JSBM 2007, 214 (225). So das Ergebnis einer Studie zu kleinen und mittleren Unternehmen in Nordirland von Reid/Adams, JEIT 2001, 310 (316). 824  Kotey/Folker, JSBM 2007, 214 (232). 825  Reid/Adams, JEIT 2001, 310 (316 f.). 826  Reid/Adams, JEIT 2001, 310 (316 f.). 827  Reid/Adams, JEIT 2001, 310 ff. 828  Eckardt/Meinzer/Tallig, Familienunternehmen im norddeutschen Raum, S. 26. 829  PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 6. 830  PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 6. 831  PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 13. 832  PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 12. 833  PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 12. 834  PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 13. 823 

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

Idealtypisch liegen daher Eigentum und Führung in Familienunternehmen in einer Hand.835 Alle drei Studien untermauern auf vielfältige Weise die Hypothesen des theoretisch begründeten paternalistischen Modells. Sie bestätigen auf Grundlage der Empirie nicht nur die skeptische Grundhaltung der Unternehmerfamilie gegenüber Außenstehenden (Nichtfamilienmitgliedern), sondern sind auch ein Beleg dafür, dass diese die wichtigsten Entscheidungen im Unternehmen selbst treffen und entsprechend neben dem Eigentum zugleich die Führung innehaben will.

G.  Geringere Streikrate und geringerer gewerkschaftlicher Organisationsgrad Arbeitnehmer in Familienunternehmen sind seltener gewerkschaftlich organisiert als solche in Nichtfamilienunternehmen.836 Dies haben gleich mehrere Studien festgestellt, wobei eine länderübergreifend erfolgte. Eine Untersuchung zu norwegischen Familienunternehmen hat jedoch einschränkend darauf hingewiesen, dass sich ein geringerer gewerkschaftlicher Organisationsgrad nur bei eigentümergeführten Familienunternehmen zeigt.837 Werden diese durch familienfremde Personen geführt, bestehen keine Unterschiede zu den Nichtfamilienunternehmen.838 Dies wird als Bestätigung der paternalistischen Theorie des Familienunternehmens gesehen, nach der die Familienunternehmer selbst die Kontrolle über ihr Unternehmen innehaben wollen839 und entsprechend eine ablehnende Haltung gegenüber Außenstehenden und damit auch gegenüber der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeitnehmer einnehmen. Ein Zusammenhang mit dem Lohnniveau sei jedoch ebenfalls nicht auszuschließen.840 Aus dem geringeren gewerkschaftlichen Organisationsgrad ergeben sich weitere Besonderheiten für die eigentümergeführten Familienunternehmen. Zum einen sind diese weniger in Verhandlungen mit den Gewerkschaften über die Arbeits- und Vergütungsbedingungen der Arbeitnehmer involviert.841 Zum anderen 835 

PwC, Fremdmanager in Familienunternehmen, S. 6. Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, S. 11 f.; Gulbrandsen, EID 2009, 592 (609); ders., FBR 2005, 57 (64); Harris/Reid/McAdam, IJHRM 2004, 1424 (1436); dies., IJEBR 2004, 49 (51); Mueller/Philippon, AEJ 2011, S. 218 (222). 837  Gulbrandsen, EID 2009, 592 (609); ähnliches Ergebnis bereits ders., FBR 2005, 57 (64). 838  Gulbrandsen, EID 2009, 592 (609); ähnliches Ergebnis bereits ders., FBR 2005, 57 (64). 839  Gulbrandsen, EID 2009, 592 (604, 609). 840  Gulbrandsen, EID 2009, 592 (609 f.). 841  Gulbrandsen, EID 2009, 592 (610); so auch Harris/Reid/McAdam, IJEBR 2004, 49 (51); dies., IJHRM 2004, 1424 (1430 f.); Reid/Adams, JEIT 2001, 310 (315), jedoch ohne 836 

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen 173

ist auch die Streikrate in eigentümergeführten Familienunternehmen wesentlich geringer.842 Weiterhin senkt der Familieneinfluss im Unternehmen die Streikdauer sowie die Anzahl der Arbeitnehmer, die an einem Arbeitskonflikt beteiligt sind.843 Sofern im Familienunternehmen darüber hinaus ein Familienmitglied die Funktion des CEOs844 ausübt, sind die Arbeitsbeziehungen einvernehmlicher als in sonstigen Unternehmen.845 Auch diese Ergebnisse werden im Zusammenhang mit der sog. paternalistischen Theorie des Familienunternehmens gesehen. Sie weisen darauf hin, dass die Organisationsform ihren Arbeitnehmern formelle und/oder informelle Vorteile bietet, welche deren Zufriedenheit steigern und damit das Verhältnis zum Arbeitgeber insgesamt begünstigen.846

H.  Weniger unternehmerische und betriebliche Mitbestimmung Breit angelegte Untersuchungen zur unternehmerischen und betrieblichen Mitbestimmung in Familienunternehmen existieren nicht. Vereinzelte Studien bestätigen jedoch deren ablehnende Haltung gegenüber der unternehmerischen sowie der betrieblichen Mitbestimmung, wie sie nach der paternalistischen Theorie des Familienunternehmens angenommen wird. Zum einen ist in deutschen Familienunternehmen die Wahrscheinlichkeit geringer, dass ein mitbestimmter Aufsichtsrat besteht als in anderen Unternehmen.847 Es werden vergleichsweise oft Unternehmensspaltungen vorgenommen, um die Mitbestimmung durch die damit einhergehende Verringerung der Arbeitnehmerzahlen zu vermeiden.848 Auch wird von inhabergeführten Familiengesellschaften häufig die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (sog. Societas Europaea – SE) gewählt, um der Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen nach deutschem Recht vorsorglich zu entfliehen bzw. zumindest das gegenwärtige Mitbestimmungs­niveau zu halten

Differenzierung zwischen inhabergeführten und fremd gemanagten Familienunternehmen. 842  Mueller/Philippon, AEJ 2011, S. 218 (222); Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, S. 5. 843  Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, S. 5. 844  Der CEO (Chief Executive Officer) ist in Deutschland vergleichbar mit dem Vorstandsvorsitzenden. Die Bezeichnung CEO hat sich jedoch auch hier bereits zum Teil durchgesetzt. 845  Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, S. 5 f. 846  Belot/Waxin, Family ownership and labor relationships, S. 6, 21. 847  Boneberg, Die Drittelmitbestimmungslücke, S. 11; Höpner/Müllenborn, IndBez 2010, 7 (25); Troch, Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat, S. 18. 848  Höpner/Müllenborn, IndBez 2010, 7 (25).

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

und nicht zu erweitern.849 Zum anderen ist in inhabergeführten Familienunternehmen die betriebliche Mitbestimmung geringer ausgeprägt als in managementgeführten Unternehmen.850 Während 27,3 Prozent aller inhabergeführten Familienunternehmen einen Betriebsrat besitzen, sind es in managementgeführten Unternehmen sogar 43,5 Prozent.851 Dieser Zusammenhang zwischen Geschäftsführung und Verbreitungsgrad von Betriebsräten konnte bereits in weiteren Untersuchungen empirisch bestätigt werden.852 Schlömer-Laufen führte dieses Ergebnis auf die besonders enge Beziehung des Inhabers zu seinem Unternehmen zurück, wenn dieses familiengeführt werde und sich zugleich in Familienbesitz befinde.853 Davon ausgehend vermutete sie weiter, dass zwischen dem Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern eine besondere persönliche Beziehung bestehe.854 Diese führte dazu, dass die Belegschaften in Familienunternehmen aufgrund von Loyalität, Konfliktscheu oder besserer Beteiligungsmöglichkeiten häufiger auf Betriebsratsgründungen verzichteten als solche in Nichtfamilienunternehmen.855 In ihrer empirischen Erhebung konnte Schlömer-Laufen diese These jedoch weder bestätigen noch widerlegen.856 Allerdings konnte sie herausfinden, dass die Inhaberführung die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Arbeitnehmer einen Betriebsrat initiieren.857 In einer Folgeuntersuchung erhielten Schlömer-Laufen/ Kay/Holz allerdings Hinweise darauf, dass das geringere Vorkommen von Betriebsräten in inhabergeführten Familienunternehmen auf deren höheres Bestreben nach Unabhängigkeit zurückzuführen ist.858 Eigentümerunternehmer stünden den Beteiligungsrechten der Betriebsräte daher kritisch gegenüber.859 Wie schon bei dem Vergütungsniveau und dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad zeigen sich Besonderheiten von Familien- gegenüber Nichtfamilienunternehmen nur, wenn die Familie neben dem Eigentum zugleich die Führung innehat. 849  Rosenbohm, IndBez 2013, 8 (31); Hoffmann, AG 2016, R167 (R169). Zu den Vorteilen der SE bzw. der SE & Co. KG für Familienunternehmen siehe auch Haider-Giangreco/ Polte, BB 2014, 2947 ff., Werner, StBW 2010, 668 (669 ff.); Winter/Marx/De Decker, NZA 2016, 334 ff. 850  BDI u. a. (Hrsg.), Das industrielle Familienunternehmen, S. 16. 851  BDI u. a. (Hrsg.), Das industrielle Familienunternehmen, S. 16. 852  Stettes, IW-Trends 3/2008, S. 8 sowie Schlömer-Laufen, Die Entstehung von Betriebsräten, S. 2 f. unter Bezug auf die Daten des IAB-Betriebspanels 2007. Schlömer-­ Laufen/Kay/Holz, Works councils in family businesses, S. 6 bezeichnen die zuvor genannten Studien als verlässlich, da sie auf großen Datenbeständen basieren. 853  Schlömer-Laufen, Die Entstehung von Betriebsräten, S. 4. 854  Schlömer-Laufen, Die Entstehung von Betriebsräten, S. 4. 855  Schlömer-Laufen, Die Entstehung von Betriebsräten, S. 4. 856 Siehe Schlömer-Laufen, Die Entstehung von Betriebsräten, S. 120. 857  Schlömer-Laufen, Die Entstehung von Betriebsräten, S. 120. 858  Schlömer-Laufen/Kay/Holz, Works councils in family businesses, S. 15. 859  Schlömer-Laufen/Kay/Holz, Works councils in family businesses, S. 15.

§ 8  Die Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen 175

I.  Geringerer Anteil an Leih- und Zeitarbeitnehmern Inhabergeführte deutsche Familienunternehmen beschäftigen einen geringeren Anteil an Leih- und Zeitarbeitnehmern als Nichtfamilienunternehmen. Dies hat eine Analyse der ISI-Erhebung ergeben.860 Interessanterweise bestehen solche Unterschiede nicht im Vergleich zwischen fremd gemanagten Familienunternehmen und Nichtfamilienunternehmen, deren Anteil an Zeit- und Leiharbeitnehmern annähernd gleich ist.861 Daraus wurde geschlussfolgert, dass inhabergeführte Familienunternehmen in einem größeren Umfang Stammpersonal bevorzugten als andere Unternehmen.862 Sie setzten mithin auf bewährte und im Regelfall hoch qualifizierte Arbeitnehmer, die auch in Krisenzeiten nur selten entlassen würden.863 Zugleich verzichteten sie damit auf die Möglichkeit, das Personal mithilfe von Leih- und Zeitarbeitnehmern flexibel an die jeweilige Auftragslage anzupassen.864 Relativiert wird dieses Ergebnis allerdings dadurch, dass sich die Unterschiede weitestgehend auf kleine und mittlere Unternehmen beschränken. Bei großen Unternehmen mit über 250 Arbeitnehmern ist die Leihbzw. Zeitarbeiterquote zwischen inhabergeführten Familienunternehmen und sonstigen Unternehmen annähernd gleich.865 Bestätigt wird das vorstehende Ergebnis durch eine breit angelegte Studie zu norwegischen Familienunternehmen aus dem Jahre 2005. Auch hier zeigte sich, dass Nichtfamilienunternehmen gegenüber inhabergeführte Familienunternehmen vermehrt auf eine flexible Arbeitsorganisation mit Leih- und Zeitarbeitnehmern setzen.866 Fremd gemanagte und inhabergeführte Familienunternehmen unterschieden sich allerdings in ihrer Gesamtheit von der Gruppe der Nichtfamilienunternehmen nur hinsichtlich der Verwendung von Zeitarbeitnehmern. Auf diese wurde in den untersuchten Familienunternehmen seltener zurückgegriffen.867 Daraus wurde die wichtige Erkenntnis gezogen, dass nicht allein das Familieneigentum entscheidend sei für die Ausprägung von Besonderheiten in Familienunternehmen, sondern die Einbindung des Eigentümers in das alltägliche Unternehmensgeschehen.868 Dadurch hätte der Eigentümerunternehmer mehr Kontakt zu seinen Arbeitnehmern als ein Fremdmanager und ihnen gegenüber 860 

Kinkel/Lay, Familienunternehmen, S. 5. Kinkel/Lay, Familienunternehmen, S. 5. 862  Kinkel/Lay, Familienunternehmen, S. 5. 863 Zum Begriff der „Stammbelegschaft“ vgl. Kollmann (Hrsg.), Gabler Kompakt-­ Lexikon Unternehmensgründung, S. 28. 864  Kinkel/Lay, Familienunternehmen, S. 5. 865  Kinkel/Lay, Familienunternehmen, S. 5 f. 866  Gulbrandsen, FBR 2005, 57 (69). 867  Gulbrandsen, FBR 2005, 57 (65 – 68). 868  Gulbrandsen, FBR 2005, 57 (69). 861 

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Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

ein stärkeres Gefühl von Verantwortlichkeit und Schutz.869 Aus diesem Grund verzichtete der Eigentümerunternehmer auf die Möglichkeit, das Personal in Krisenzeiten flexibel anzupassen. Auch dieses Ergebnis wird letztendlich als Ausdruck des im Familienunternehmen vorherrschenden Paternalismus gesehen.870 Es ist daher ein weiterer empirischer Beleg für das in der Öffentlichkeit und der theoretisch fundierten Wissenschaft bestehende Bild vom paternalistischen Familienunternehmen.

J.  Höhere Ausbildungsquote Eigentümergeführte Familienunternehmen weisen eine höhere Ausbildungsquote auf als Nichtfamilienunternehmen. Dies ergab die bereits angesprochene Analyse der ISI-Erhebung.871 Ein geteiltes Bild ermittelte hingegen eine frühere Studie des Instituts für Mittelstandsforschung: Danach ist zwar in großen Familienunternehmen die Ausbildungsbereitschaft höher als in vergleichbaren Nichtfamilienunternehmen, allerdings ist das Verhältnis bei kleinen Familienunternehmen gerade umgekehrt.872 In dieser Größenordnung ist die Bereitschaft zur Ausbildung in Nichtfamilienunternehmen höher.873 Auch bei Unternehmen mit einem höheren Familieneinfluss – zu denen eigentümergeführte Familienunternehmen unzweifelhaft gezählt werden können – steigt die Ausbildungsbereitschaft erst dann, wenn sie eine gewisse Größe überschritten haben874.

K.  Angestrebte Fortführung des Unternehmens als Familienunternehmen Als letzte Besonderheit der (eigentümergeführten) Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen sei noch die darin bestehende Intention genannt, das Unternehmen innerhalb der Familie an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. In rund 75 Prozent der Familienunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (sog. DACH-Region) wird eine entsprechende Unternehmensnachfolge beabsichtigt.875 Dabei soll in über der Hälfte der Familienunternehmen sowohl das Eigentum als auch die Leitung an die nächste Generation weitergeben werden.876 869 

Gulbrandsen, FBR 2005, 57 (72). Gulbrandsen, FBR 2005, 57 (72). 871  Kinkel/Lay, Familienunternehmen, S. 6. 872  Keese/Tänzler/Hauer, ZfKE 2010, 197 (219 f.). 873  Keese/Tänzler/Hauer, ZfKE 2010, 197 (219 f.). 874  Keese/Tänzler/Hauer, ZfKE 2010, 197 (220). 875  Müller, Die Zukunft von Familienunternehmen, S. 28. 876  Müller, Die Zukunft von Familienunternehmen, S. 28. 870 

§ 9  Bewertung der gefundenen Rechtstatsachen

177

Hingegen sollen in rund einem Viertel der Unternehmen lediglich die Kapitalanteile familienintern übertragen werden, während die Leitung einem familienfremden Management anvertraut werden soll.877 Auch eine Studie des IfM Bonn kommt zu dem Ergebnis, dass in deutschen Familienunternehmen eine familieninterne Nachfolge bevorzugt wird.878

§ 9  Bewertung der gefundenen Rechtstatsachen Die vorangegangene systematische Analyse der bestehenden empirischen Untersuchungen der Sozialwissenschaften weist daraufhin, dass die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen tatsächlich anders ausgestaltet sind als in sonstigen Unternehmen. Insbesondere die im paternalistischen Modell beschriebenen Besonderheiten der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung in Familienunternehmen, die auch den rechtspolitischen Forderungen nach einer größeren Differenzierung zwischen Familienunternehmen und sonstigen Unternehmen im Arbeitsrecht zugrunde liegen, werden weitestgehend gestützt. Obwohl die analysierten empirischen Untersuchungen auf ganz unterschiedlichen Familienunternehmensbegriffen basieren und in verschiedenen Ländern sowie (Arbeits-)Rechtssystemen durchgeführt wurden, greifen deren Ergebnisse ineinander oder stimmen sogar überein. Teilweise werden einzelne Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen von Familienunternehmen durch mehrere Studien bestätigt. Insofern kann das eingangs angestrebte Ziel, die bisher lediglich theoretisch fundierte wissenschaftliche sowie die öffentliche Debatte auf eine erste empirische Basis zu stellen, als erreicht angesehen werden. Bei einer näheren Betrachtung der Ergebnisse ist zudem auffällig, dass Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen der Familienunternehmen oft nur dann bestehen, wenn die Familie neben den Kapitalanteilen zugleich auch die Führung in dem Unternehmen innehat. So zeigt sich im Vergleich zu den sonstigen Unternehmen vor allem in eigentümergeführten Familienunternehmen ein geringeres Maß an unternehmerischer und betrieblicher Mitbestimmung, sowie damit verbunden ein geringerer gewerkschaftlicher Organisationsgrad. Dies deutet daraufhin, dass sich die Planungs-, Organisations- und Leitungsmacht, im Zuge weiterer empirischer Untersuchungen zu einem generell unverzichtbaren Merkmal für den beherrschenden Einfluss und damit für das Vorliegen eines Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts verdichten könnte. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde sie bereits als im Regelfall unverzichtbares Merkmal verortet. Hier deutet sich die Notwendigkeit einer geringfügigen Korrektur des 877 

Müller, Die Zukunft von Familienunternehmen, S. 28. Moog/Kay/Schlömer-Laufen/Schlepphorst, Unternehmensnachfolgen in Deutschland, S. 5. 878 

178

Zweites Kapitel: Die Besonderheiten von Familienunternehmen

herausgearbeiteten Familienunternehmensbegriffs an. Für ein endgültiges empirisch fundiertes Ergebnis müssen jedoch weitere Studien abgewartet werden. Trotz der vielfältigen Übereinstimmungen der analysierten empirischen Untersuchungen hinsichtlich der Besonderheiten von Familienunternehmen sind diese als Grundlage eines Sonderarbeitsrechts nicht ausreichend. Bereits unter dem Gesichtspunkt, dass ein Sonderarbeitsrecht von dem Bestehen tatsächlicher Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen der Familienunternehmen abhängig ist,879 dürften an die ermittelten Rechtstatsachen erhöhte Anforderungen zu stellen sein. Diesen würde die aus der Analyse der sozialwissenschaftlichen Untersuchungen resultierende empirische Basis jedoch nicht gerecht. Denn als Datengrundlage wurden ausländische Publikationen mit herangezogen, welche aufgrund der konzeptionellen Unterschiede der einzelnen Rechtsordnungen das Analyseergebnis verfälschen können.880 Zudem gehen alle Untersuchungen von unterschiedlichen Familienunternehmensbegriffen aus. Insofern dürfte die empirische Basis bereits aus diesen Gründen nicht hinreichend gesichert sein. Das kann jedoch dahinstehen bleiben, wenn aus einem anderen Aspekt die ermittelten Rechtstatsachen nicht als Grundlage eines Sonderarbeitsrechts für Familien­ unternehmen ausreichen. In der vorliegenden Untersuchung geht es um ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts. Keine der empirischen Untersuchungen stützt sich auf diesen Begriff. Zwar deutet die bisherige Datenlage an, dass sich auch für Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen ergeben werden. Denn obwohl alle empirischen Studien von unterschiedlichen Familienunternehmensbegriffen ausgehen, zeigen sich untersuchungsübergreifend Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen. Davon kann allerdings nicht sicher ausgegangen werden. Es besteht in jedem Fall weiterer Forschungsbedarf, um die gefundenen Besonderheiten der Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen zu verifizieren. Zukünftige Forschungsprojekte sollten daher speziell in Deutschland die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen gezielt und umfassend überprüfen, und zwar unter Verwendung eines einheitlichen Familienunternehmensbegriffes. Dies ist notwendig, um genaue Rückschlüsse auf das Arbeitsrecht ziehen zu können. Als Ausgangspunkt bietet sich der in dieser Untersuchung erarbeitete und speziell auf das Arbeitsrecht ausgerichtete Familienunternehmensbegriff an. Sicherlich ist dieser theoretisch fundierte Begriff in seiner jetzigen Form für empirische Untersuchungen schwer zu operationalisieren.881 Dem kann jedoch begegnet werden, indem den einzelnen typischen Merkmalen und dem Grad 879 

Siehe hierzu Zweites Kapitel, S. 153. Siehe hierzu Zweites Kapitel § 7, S. 162 f. 881 Dies ist ein Problem, das viele theoretisch fundierte Begriffsbestimmungen betrifft; hierzu Müller, Die Messung der langfristigen Entwicklung, S. 19 f. 880 

§ 9  Bewertung der gefundenen Rechtstatsachen

179

ihrer jeweiligen Ausprägung bestimmte Zahlen bzw. Faktoren zugewiesen werden. Hier würde sich etwa eine Orientierung an dem Gewichtungssystem nach der F-PEC Skala anbieten.882 Diese ist in der Familienunternehmensforschung weitverbreitet und hat eine gewisse Ausdifferenzierung erfahren. Wie genau die theoretisch fundierte Begriffsbestimmung des Familienunternehmens im Sinne des Arbeitsrechts für empirische Untersuchungen operationalisiert werden kann, soll jedoch ausdrücklich offen und zukünftigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Im Ergebnis muss daher bereits an dieser Stelle die Frage nach der Möglichkeit eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen klar verneint werden. Diesem sind zurzeit durch die unsichere Datenlage zu den Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen Grenzen gesetzt. Es konnten keine für alle Familienunternehmen geltenden Allgemeintatsachen bei der Analyse der bestehenden sozialwissenschaftlichen Studien herausgefiltert werden. Es gibt zwar typische, vielfach vorkommende Charakteristika von Familienunternehmen, die jedoch nicht zwingend mit jedem Unternehmen dieser Organisationsform verbunden sein müssen. Der Familienunternehmensbegriff als solcher kann daher im Moment (noch) nicht zur Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln herangezogen werden.883 Bei diesem unbefriedigenden Ergebnis soll jedoch nicht stehen geblieben werden. Immerhin konnten im Rahmen dieser Untersuchung Tatsachen ermittelt werden, die bei der Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln im Einzelfall eine Rolle spielen könnten. Zudem besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass zukünftige Untersuchungen diese anhand eines einheitlichen Familienunternehmensbegriffs für alle Familienunternehmen bestätigen werden. Es soll daher im Anschluss der zentralen Fragestellung dieser Arbeit nach der Legitimität und den Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen unter der Voraussetzung nachgegangen werden, dass sich die gefundenen Tatsachen zu den Besonderheiten von Familienunternehmen in zukünftigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen. Es geht mithin zum einen um die Möglichkeit diesen (etwaigen) Sachbesonderheiten von Familienunternehmen im Rahmen der Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln Rechnung zu tragen, zum anderen um die Grenzen, welche dem Rechtsanwender bei diesem Vorgehen gezogen sind.

882 Zum Gewichtungssystem nach der F-PEC Skala grundlegend Astrachan/Klein/ Smyrnios, FBR 2002, 45 ff. 883  Insofern kann dahinstehen bleiben, ob dies methodisch überhaupt möglich wäre. Dagegen Kalss/Probst, Familienunternehmen, Rn. 2/26; vgl. auch BGH, Urt. v. 16. 2. 1981 – II ZR 89/79, BB 1981, 926 (927); für Typusbegriffe im Allgemeinen auch MünchKommGmbHG/Fleischer, Einl. Rn. 39.

Drittes Kapitel

Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Die Legitimität und die Grenzen von Sonderarbeitsrechten im Allgemeinen und für Familienunternehmen im Speziellen sind das Herzstück dieser Arbeit. Allzu oft werden Sonderarbeitsrechte für bestimmte Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen oder Organisationsformen von Rechtswissenschaftlern in Anspruch genommen oder vom Gesetzgeber statuiert, ohne sich mit deren Voraussetzungen auseinanderzusetzen. Im Dritten Reich führte diese bedenkliche Entwicklung zu besonderen arbeitsrechtlichen Regelungen für Polen, Ostarbeiter, Juden und Zigeuner, die danach weitestgehend als rechtlose Sklaven behandelt wurden.884 Heute wird der Sonderarbeitsrechtsbegriff als Modewort benutzt, um finanzielle Mittel für arbeitsrechtliche Projekte einzuwerben. Dementsprechend ist generell Vorsicht geboten, wenn Rechtswissenschaftler mit dem Begriff des Sonderarbeitsrechts operieren. Denn letztendlich ließen sich Besonderheiten für jeden Beschäftigungssektor, jede Berufsgruppe und Organisationsform finden.885 884  Diese allgemeinhin als „Sonderarbeitsrecht“ bezeichneten Verordnungen finden sich gesammelt abgedruckt bei Hueck/Nipperdey/Dietz, Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, S. 949. 885  Bisher wurden außer für die genannten Regelungen für Tendenzorganisationen und Tendenzträger, kleine und mittlere Unternehmen sowie für Handlungsgehilfen Sonderarbeitsrechte für folgende Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen und Organisationsformen in Anspruch genommen: Arbeitnehmer im Bereich des Bühnenengagements (Wagner, Sonderarbeitsrecht für das Bühnenengagement, 2002); befristete Arbeitnehmer und solche in Teilzeit (Bruns, BB 2010, 1151); Beschäftigte von Versicherungsträgern (Richter, Sozialversicherungsrecht, S. 227); Schwerbeschädigte, Heimkehrer und Heimarbeiter (Leydhecker, Das Sonderarbeitsrecht der Schwerbeschädigten, 1953); weibliche Arbeitnehmer (Grüll, Das Sonderarbeitsrecht der weiblichen Arbeitnehmer, 1952); Arbeitnehmer in Transfergesellschaften (Meyer, NZS 2002, 578 (581); Arbeitnehmer im Bereich gefährlicher Technologien und Dienstleistungen (Däubler, SR 2012, 57 ff.), sowie für den drittbezogenen Personaleinsatz (Ulber/Ulber, Einl. Rn. 3); auch für den Energiesektor wird ein Sonderarbeitsrecht in Anspruch genommen, allerdings wird es nicht explizit als solches bezeichnet (Büdenbender, RdA 2015, 16 ff.). Diskutiert, aber im Ergebnis offengelassen, wird ein Sonderarbeitsrecht für Berufssportler (Beckmann, in: FS Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht, S. 1145 ff.) und gemeinnützige Organisationen (Fischer, ZStV 4/2014, I). In der höchstrichtlichen Rechtsprechung findet sich die Bezeichnung „Sonderarbeitsrechtsbeziehung“ sowohl für kirchliche und befristete Arbeitsverträge als auch solche der Tendenzunternehmen, siehe BAG, Urt. v. 4. 3. 2004 – 8 AZR 344/03, zitiert nach Juris, Rn. 55; BAG, Urt. v. 4. 3. 2004 – 8 AZR 328/03, zitiert nach Juris, Rn. 43.

§ 10  Legitimität und Grenzen von Sonderarbeitsrechten im Allgemeinen

181

Dies würde das moderne Arbeitsrecht ad absurdum führen, das ursprünglich als Recht für alle abhängig Beschäftigten und alle Unternehmen bzw. Arbeitgeber gedacht war.886 Zumal berücksichtigt werden muss, dass das Arbeitsrecht selbst ein Sonderrecht zum Privatrecht darstellt (sog. Sonderprivatrecht)887. Darüber hinaus – und das ist der wesentliche Kritikpunkt an den Sonderarbeitsrechten – bewirkt jede Privilegierung einer Organisationsform bzw. eines Arbeitgebers zugleich eine Schlechterstellung der darin tätigen Arbeitnehmer gegenüber anderen Beschäftigten. Jede Sonderrolle einer bestimmten Berufsgruppe führt zu einer entsprechenden Schlechterstellung ihres Arbeitgebers. Dies hat nicht zuletzt Auswirkungen auf die grundsätzlich im Arbeitsrecht bestehende Wettbewerbsneutralität.888 Aus den genannten Gründen sind Sonderarbeitsrechte seit jeher umstritten. Erst in letzter Zeit war das Sonderarbeitsrecht der Kirchen (wieder) in die Kritik geraten.889 Die in der Rechtswissenschaft bestehende kritische Haltung gegenüber den Sonderarbeitsrechten im Allgemeinen wirft die grundlegende Frage auf, ob und unter welchen Voraussetzungen es solche überhaupt geben kann. Darauf soll im Folgenden eine Antwort gefunden werden. Anschließend sollen die Möglichkeit und die Grenzen eines Sonderarbeitsrechts speziell für Familienunternehmen erörtert werden.

§ 10  Legitimität und Grenzen von Sonderarbeitsrechten im Allgemeinen Ausgangspunkt der Legitimitätsproblematik um die sog. Sonderarbeitsrechte sind die verschiedenen Vorverständnisse der Rechtsanwender vom Arbeitsrecht.890

886 Weitergehend Blanke, KJ 2004, 2 (5), der die Ausweitung atypischer Beschäftigungsformen und deren damit einhergehende „Normalisierung“ als beginnenden „Abschied vom Arbeitsrecht“ begreift [Hervorhebung im Original]. 887  LAG Hamm, Urt. v. 1. 4. 2003 – 19 Sa 1901/02, NZA-RR 2003, 401 (404); Bydlinski, System und Prinzipien, S. 415; Reichold, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 5; Westermann, AcP 178 (1978), 150 (159 ff.). 888 Nach Seifert, in: Blank (Hrsg.), Arbeitsrecht für Klein- und Mittelbetriebe, S. 11 (31) ist die Wettbewerbsneutralität nicht nur ein Reflex, sondern eine Funktion des gesetzlichen Arbeitsrechts, an der sich dieses messen lassen müsse. 889 Hierzu Tillmanns, NZA 2013, 178 ff. sowie Kreß, Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht, S. 13. 890  Plöger, Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 3; Reuter, in: FS Kissel, S. 941 (964). Zu den verschiedenen Vorverständnissen im Arbeitsrecht ausführlich Reuter, Die Stellung des Arbeitsrechts, S. 3 ff.

182

Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Nach dem klassischen Verständnis wird das Arbeitsrecht als reines Arbeitnehmerschutzrecht begriffen.891 Es regele den Gegensatz zwischen herrschender Arbeitgeber- („Kapital“) und abhängiger Arbeitnehmerklasse („Arbeit“) und diene allein als soziales Gegengewicht zur besitzenden Klasse.892 Die arbeitsrechtlichen Normen werden entsprechend als bloße „Instrumente des Arbeitnehmerschutzes“ begriffen.893 Auf die Interessen der Arbeitgeberseite kommt es danach nur insoweit an, als deren Verletzung gleichzeitig die Belange der Arbeitnehmer berühren.894 Durch den dualistischen Ansatz, der Arbeitnehmer und Arbeitgeber lediglich als Mitglied einer Klasse und nicht als Individuen mit eigenen Interessen und Zielen begreift, bleibt für Sonderarbeitsrechte jeglicher Art kein Raum. Denn die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer- gegenüber der Arbeitgeberklasse ist nach dem traditionellen Verständnis vom Arbeitsrecht immer gleich,895 unabhängig davon, welchem Beschäftigungssektor, welcher Berufsgruppe oder Organisationsform die einzelnen Arbeitnehmer angehören. Das klassenrechtliche Verständnis konnte sich in der Arbeitsrechtswissenschaft nicht durchsetzen.896 Es gilt durch die historische Entwicklung mittlerweile als überholt. Denn gerade in großen Gesellschaften nimmt nicht mehr nur der Eigentümerarbeitgeber als wirtschaftlicher Machtträger die Arbeitgeberfunktionen wahr, sondern die Betriebsleitung, sodass diese zusätzlich in eine soziale Gegenspielerrolle zum Arbeitnehmer tritt.897 Dadurch wird der rein bipolare Ansatz des traditionellen Arbeitsrechtsverständnisses zumindest aufgeweicht. Moderne Führungsstile setzen zudem nicht nur auf Delegation von Verantwortung, sondern auch auf Beteiligung an der Entscheidungsbildung und ihrer Durchsetzung.898 Unternehmen bieten ihren Arbeitnehmern heute zum Teil Mitarbeiterkapitalbeteiligungen an. Zwar sind diese im Regelfall nur geringfügig, allerdings rücken die Arbeitnehmer auf diesem Wege selbst ein Stück weit in die besitzende Klasse. Letztendlich kommt es angesichts der immer komplexer werdenden Arbeitsprozesse stärker auf selbstständig denkende und frei entscheidende Arbeit891 ArbR-BGB/Schliemann,

§ 611 Rn. 18. § 3 Rn. 25; Plöger, Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 3; vgl. auch Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 115. 893  Plander, in: FS Gnade, S. 79 (85) [Hervorhebung im Original]. 894  Reuter, Die Stellung des Arbeitsrechts, S. 8. 895  Plöger, Sonderarbeitsrechte im Pressebereich, S. 3; vgl. auch Reuter, in: FS Kissel, S. 941 (964). 896  Reuter, Die Stellung des Arbeitsrechts, S. 8. Auch das Bundesarbeitsgericht lehnt heute den klassenrechtlichen Ansatz ab, BAG, Beschl. v. 22. 12. 1980 – 1 ABR 2/79, NJW 1981, 937 (938): „Die Vorstellung der Solidarität aller Arbeitnehmer, unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit und jeder Interessenverschiedenheit, läuft auf eine reine Fiktion hinaus“. 897  Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 112. 898 Vgl. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 112. 892 MünchArbR/Richardi,

§ 10  Legitimität und Grenzen von Sonderarbeitsrechten im Allgemeinen

183

nehmer an.899 Die nach dem klassenrechtlichen Verständnis fingierte generelle Unterlegenheit und Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer wird auch hierdurch zumindest gemildert.900 Daher ist in der Arbeitsrechtswissenschaft heute die Ansicht vorherrschend, dass nicht mehr nur einseitig die Interessen und die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer berücksichtigt werden dürfen, sondern diese in einen gerechten Ausgleich mit den Arbeitgeberinteressen zu bringen sind.901 Weiterhin ist anerkannt, dass daneben die Interessen anderer am Arbeitsleben Beteiligter (wie zum Beispiel des Betriebsrats, der Gewerkschaften, der Arbeitgeberverbände oder der Arbeitssuchenden) sowie der Allgemeinheit berücksichtigt und zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden müssen, sofern sie sich zusätzlich als relevant erweisen.902 Dies gilt gleichermaßen für die verschiedenen Interessen der Arbeitnehmer untereinander.903 Typischerweise wird aber, wie bereits im einleitenden Kapitel beschrieben, lediglich das Interesse des Arbeitgebers an der Rentabilität des Unternehmens mit dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes zum Ausgleich zu bringen sein.904 Ausgehend hiervon hat sich das Arbeitsrecht von einem reinen Arbeitnehmerschutzrecht hin zu einem „Recht des sozialen Interessenausgleichs“ entwickelt.905 Den Ausgleich der unterschiedlichen Interessen hat der Gesetzgeber entweder selbst vorgenommen und seine Wertungen kommen in den einzelnen Normen und Normenkomplexen zum Ausdruck. Oder er hat es durch die Verwendung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln dem einzelnen Rechtsanwender überlassen, den Normzweck unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen und der Maßstäbe des Grundgesetzes eigenständig festzulegen. Unter dem ermittelten Normzweck hat dieser sodann den konkreten Sachverhalt zum normativ-unbestimmten Gesetzesbegriff oder zur Generalklausel wertend zuzuordnen.906 Das heutige Verständnis vom Arbeitsrecht lässt damit sowohl für den Gesetzgeber als auch den Rechtsanwender Raum, bei dem grundsätzlich vorzunehmenden Interessenausgleich den tatsächlichen Besonderheiten bestimmter 899 Vgl.

Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 112. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 113. 901  Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 126; Schaub/Linck, ­A rbR-Hdb, § 1 Rn. 4 f.; Zöllner, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des zweiundfünfzigsten Deutschen Juristentages, S. M 223; sich letzerem anschließend Junker, Arbeitsrecht zwischen Markt und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, S. B 33. 902  Otto, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 2 ff. 903 ArbR-BGB/Schliemann, § 611 Rn. 21; Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405 (414 f.); ders., in: FS Hilger/Stumpf, S. 573 (577) sowie Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 507 f., der hierauf besonders für das Betriebsverfassungsrecht hinweist. 904 Vgl. Reuter, in: FS Kissel, S. 941; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 178. 905  Mehrhoff, Die Veränderung des Arbeitgeberbegriffs, S. 126 [Hervorhebung im Original]. 906  Siehe Erstes Kapitel § 4 B. I 1. und 2. mit Nachweisen. 900 Vgl.

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen und Organisationsformen Rechnung zu tragen. Der Arbeitsrechtsgesetzgeber sowie die Rechtsprechung haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. So schuf der Gesetzgeber spezielle Regelungen für Kleinunternehmen, welche die besondere Interessenlage des Arbeitgebers beachten, die aus der persönlichen Zusammenarbeit, der geringeren Finanzausstattung und der begrenzten Verwaltungskapazität des Unternehmens resultiert.907 Das Bundesverfassungsgericht und das Bundesarbeitsgericht haben beispielsweise die besondere Interessenlage von Tendenzunternehmen, insbesondere innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln, berücksichtigt.908 Das moderne Verständnis vom Arbeitsrecht, welches die arbeitsrechtlichen Normen als Instrumente des sozialen Interessenausgleichs begreift, ist damit sowohl vom Gesetzgeber als auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt. Darüber hinaus ist die Zugrundelegung dieser Auffassung verfassungsrechtlich geboten. Denn bei der Auslegung und Anwendung arbeitsrechtlicher Normen ist der Rechtsanwender verpflichtet, die von der Entscheidung im Einzelfall betroffenen Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen und in einen angemessenen Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz zu bringen.909 Dadurch soll die „wertsetzende Bedeutung“ der Grundrechte auch auf Ebene der Rechtsanwendung aufrechterhalten bleiben.910 Das schließt es aus, dass sich die Interessen der Arbeitnehmer pauschal gegenüber denjenigen der Arbeitgeber, der Allgemeinheit, anderer Arbeitnehmer oder sonstiger Interessenträger durchsetzen.911 Auch aus diesem Grund wurde und wird das moderne Verständnis vom Arbeitsrecht der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt. Anders als nach dem klassenrechtlichen Modell besteht insofern die Möglichkeit der Statuierung von Sonderarbeitsrechten. Diese sind nach dem heutigen Verständnis im Arbeitsrecht selbst angelegt. Entsprechend finden Sonderarbeitsrechte ihre Legitimität und ihre Grenzen im Arbeitsrecht und seiner Methodik. Im Fall des hier relevanten Sonderarbeitsrechts im weiteren Sinne geht es um das grundlegende Problem der Konkretisierung von zivilrechtlichen Generalklauseln und arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen.

907 

Siehe Einleitendes Kapitel § 2 B. II., S. 34. BVerfG, Beschl. v. 4. 6. 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84, NJW 1986, 367 ff.; BVerfG, Beschl. v. 13. 1. 1982 – 1 BvR 848/77, 1 BvR 1047/77, 1 BvR 916/78, 1 BvR 1307/78, 1 BvR 350/79, 1 BvR 475/80, 1 BvR 902/80, 1 BvR 965/80, 1 BvR 1177/80, 1 BvR 1238/80, 1 BvR 1461/80, NJW 1982, 1447 ff.; BAG, Urt. v. 19. 1. 2000 – 5 AZR 644/98, RdA 2000, 360 ff. 909  BVerfG, Beschl. v. 30. 7. 2003 – 1 BvR 792/03, NJW 2003, 2815; vgl. Schaub/Linck, ArbR-Hdb, § 1 Rn. 5. 910  BVerfG, Beschl. v. 23. 11. 2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287). 911  Plander, in: FS Gnade, S. 79 (86). 908 

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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§ 11  Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmenim Speziellen § 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmenim Speziellen

Nach den bisherigen Ergebnissen ist die grundlegende Frage nach der Legitimität und den Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen zugleich eine solche, nach der Möglichkeit der Konkretisierung arbeitsrechtlicher normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und zivilrechtlicher Generalklauseln im Hinblick auf die Berücksichtigung der spezifischen Interessenlage in Familienunternehmen. Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich von der Methode der Normkonkretisierung und deren Anwendung ab. Sie gibt den Rahmen vor, ob es vertretbar oder sogar geboten ist, innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln die spezifischen Familieninteressen zu berücksichtigen und damit eine weitere Ausdifferenzierung des Arbeitsrechts vorzunehmen. Denn die juristische Methode ist es, die den Bereich zulässiger Rechtsanwendung absteckt sowie deren Möglichkeiten und Grenzen aufzeigt. Sie wird daher zum Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen zu der Legitimität und den Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen genommen.

A.  Die Methode der Konkretisierung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln als Ausgangspunkt Die Methode der Konkretisierung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln ist eine der wichtigsten Grundsatzfragen der deutschen Rechtswissenschaft. Dennoch hat sich bis heute kein einheitliches Verfahren herausgebildet.912 Das liegt zum einen darin begründet, dass die einzelnen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln sehr vielfältig ausgestaltet sind und sie dadurch unterschiedliche methodische Problemstellungen aufwerfen. Zum anderen sind die Normen in verschiedene materiellrechtliche Kontexte eingebunden. Dies macht es schwierig, allgemeine, vom konkreten Rechtsmaterial unabhängige Prinzipien zur Konkretisierung herauszuarbeiten, die für alle normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln gleichermaßen Anwendung finden können.913 Wohl aus diesem Grund gab es in der Rechtswissenschaft Überlegungen, dass es keine rechtsgebietsübergreifende, einheitliche Methode der Rechtsanwendung914 und damit auch der Norm912 

Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (663). Schmidt, Konkretisierung von Generalklauseln, S. 113 verneint sogar die Machbarkeit eines solchen Vorhabens. 914 Siehe Reuter, in: FS Hilger/Stumpf, S. 573 ff.; Schlachter, Auslegungsmethoden im Arbeitsrecht, S. 91 f.; Richardi, ZfA 1974, 3 ff.; Wank, Auslegung und Rechtsfortbildung, S. 31 ff. m. w. N auf S. 32. 913 

Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

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konkretisierung geben kann. Heute ist jedoch weitestgehend anerkannt, dass in allen Rechtsbereichen dieselbe Methode gilt, welche lediglich durch besondere Rechtsgrundsätze, eine unterschiedliche Regelungsdichte oder divergierende Normzwecke in einzelnen Gebieten modifiziert wird.915 Auch im Hinblick auf die Normkonkretisierung hat sich diese Sichtweise durchgesetzt. Hier lassen sich im Wesentlichen zwei Methoden unterscheiden, die üblicherweise in allen Rechtsgebieten gleichermaßen zur Präzisierung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln herangezogen werden. Diese sollen im Folgenden dargestellt und anschließend auf ihren Nutzen für das vorliegende Forschungsvorhaben untersucht werden. Daran anknüpfend erfolgt die Erörterung des weiteren Vorgehens. I.  Die herkömmlichen Methoden zur Konkretisierung normativunbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln Die herkömmlichen Methoden der Normkonkretisierung sind zum einen die Konkretisierung durch Fallgruppen, welche primär zur Anwendung gelangt, wenn wie hier arbeitsrechtliche normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe und zivilrechtliche Generalklauseln in Rede stehen, zu denen sich bereits eine reichhaltige Kasuistik herausgebildet hat916. Zum anderen ist dies die Methode der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung außerhalb von Fallgruppen, die heute nur noch Verwendung findet, wenn die Präzisierung mittels Fallgruppen nicht greift. Für beide Methoden hat sich weder eine einheitliche Terminologie, noch Kategorisierung herausgebildet. Entsprechend werden im Schrifttum weitere Ansätze bzw. Untergruppen der Normkonkretisierung vertreten und unterschieden.917 Zudem erfolgt häufig eine getrennte Behandlung der Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen gegenüber der von Generalklauseln.918 Da jedoch beide im Hinblick auf die Rechtsanwendung die gleichen methodischen Anforderungen und Probleme aufwerfen,919 werden sie hier gemeinsam betrachtet. Weiterhin erscheint es für die Zwecke dieser Arbeit ausreichend, die in der Rechtswissenschaft und vor allem der Praxis vorherrschende Methode 915 

Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 604 f.; Rüthers, Die heimliche Revolution, S. 153 f.; siehe auch Wank, RdA 1999, 130. 916 Vgl. Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 (190 ff.). 917  Siehe hierzu Auer, Materialisierung, S. 145 ff.; Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden, S. 157 ff.; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 323 ff. 918  Siehe die Publikationen von Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 ff.; Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, 1978; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 ff.; Teubner, Standards und Direktiven, 1971, die sich alle nur mit der Konkretisierung von Generalklauseln auseinandersetzen. 919  Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 34.

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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der Konkretisierung durch Fallgruppen derjenigen außerhalb der Fallgruppen gegenüberzustellen, ohne etwaige Sonderformen zu berücksichtigen. Denn bereits die herkömmlichen Methoden unterliegen im Hinblick auf das vorliegende Forschungsvorhaben gewissen Limitationen, sodass diese im Ergebnis nur als Ansatzpunkt für eine eigene Methodik dienen können. 1.  Konkretisierung durch Fallgruppen Die Methode der Konkretisierung durch Fallgruppen ist im Schrifttum und der Rechtsprechung nahezu allgemein anerkannt.920 Dabei werden aus fiktiven Anwendungsfällen,921 häufiger jedoch aus konkreten Entscheidungen der Rechtsprechung zu den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln im Wege der Induktion abstrakte Fallgruppen abgeleitet922. Es werden diejenigen Fälle wertend zusammengefasst, die in tatsächlicher Hinsicht ähnlich sind und bei deren Entscheidung im Einzelfall sich übereinstimmend ein zugrunde liegender allgemeiner Rechts- bzw. Leitgedanke zeigt.923 Der Rechtsanwender kann bei jedem neu zu entscheidenden Streitfall auf die Fallgruppen zurückgreifen und durch Abwägung entscheiden, ob dieser in den für die Wertung wesentlichen Charakteristika mit einer der bestehenden Fallgruppen vergleichbar ist, und ihr sowie im Ergebnis auch der Norm zugeordnet werden kann (sog. Fallvergleichung).924 Möglich ist ebenfalls eine Korrektur oder Ausdehnung der Fallgruppe auf die neue Situation.925 Auf Dauer entstehen auf diesem Wege immer komplexere und ausdifferenziertere Fallgruppensysteme, die den jeweiligen nor920  Weber, AcP 192 (1992), 516 (530); Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 112; Hirse, Die Ausweichklausel, S. 271; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 538 Fn. 16. Für die Rechtsprechung siehe etwa BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 29. 5. 2015 – 1 BvR 163/15, zitiert nach Juris. 921  Larenz, in: FS Nikisch, S. 275 (292); Vogel, Juristische Methodik, S. 144 f. Diese Methode der Bildung von fiktiven Anwendungsfällen, die unzweifelhaft unter die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln fallen sollen, wird im Schrifttum zu Recht kritisiert. Zum einen bestehen Zweifel an der Machbarkeit, sämtliche unstreitigen Fälle aufzulisten. Zum anderen ist fraglich, wer es nach dieser Methode bestimmt, ob ein Fall unzweifelhaft erfasst wird und nach welchen Kriterien vorzugehen ist. Siehe hierzu Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 (197); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (673); Lange, Treu und Glauben, S. 93 f. 922  Weber, AcP 192 (1992), 516 (517 f.); Westermann/Bydlinski/Weber, BGB-SchuldR AT, § 4 Rn. 8. 923  Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 101; Vogel, Juristische Methodik, S. 146; Weber, AcP 192 (1992), 516 (527); Westermann/Bydlinski/Weber, BGB-SchuldR AT, § 4 Rn. 8. 924  Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 58; Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 70. 925  Vogel, Juristische Methodik, S. 146; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (674).

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

mativ-unbestimmten Gesetzesbegriff bzw. die Generalklausel inhaltlich näher konkretisieren.926 Die Methode der Konkretisierung durch Fallgruppen wird in der Praxis bevorzugt, weil sie es dem Rechtsanwender durch Systematisierung des vorhandenen Fallmaterials erleichtert, Argumentationsgrundlagen für die Rechtsanwendung im Bereich der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln aufzufinden. Er muss nicht mehr sämtliche zu der jeweiligen Norm ergangenen Entscheidungen nach einschlägigen Begründungsmustern durchsuchen927 oder gar beim bloßen Text der Norm ansetzen, um sich eine eigene Konkretisierung zu erarbeiten928. Richtigerweise darf die Fallgruppenmethode nicht dazu führen, dass nicht mehr auf den Normtext abgestellt wird, sondern an dessen Stelle auf die Fallgruppen als „Ersatztatbestandsmerkmale“929. Denn diese sind lediglich Hilfsmittel zur Begründung, ersetzen diese aber nicht.930 2.  Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung außerhalb von Fallgruppen In Fällen, in denen sich zu einem normativ-unbestimmten Gesetzesbegriff oder einer Generalklausel noch keine Fallgruppen herausgebildet haben, beispielsweise weil der Gesetzgeber die Norm erst neu geschaffen hat, oder in denen die Anerkennung einer bestehenden Fallgruppe aufgrund gewichtiger Gründe evident infrage steht bzw. diese für die Lösung des zu entscheidenden Streitfalles nicht ergiebig ist, erfolgt die Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung.931 Die Ausgestaltung dieses Verfahrens ist im Einzelnen umstritten.932 Es besteht im Schrifttum und der Rechtsprechung jedoch Einigkeit, dass der Rechtsanwender in seiner Entscheidung nicht frei ist, sondern der durch die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln gewährte Raum für eine eigene Wertung aus Gründen der Rechtssicherheit möglichst gering zu halten ist. Dementsprechend wird die Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung an zahlreiche weitere inhaltliche Vorgaben gebunden, welche die Konkretisierungsentschei926 Vgl. Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 323; Westermann/ Bydlinski/Weber, BGB-SchuldR AT, § 4 Rn. 19. 927  Haubelt, Die Konkretisierung von Generalklauseln, S. 102; Ohly, AcP 201 (2001), 1 (39); Westermann/Bydlinski/Weber, BGB-SchuldR AT, § 4 Rn. 8. 928  Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 (192). 929  Weber, AcP 192 (1992), 516 (531 ff.); Ohly, AcP 201 (2001), 1 (40); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (674); Lange, Treu und Glauben, S. 94 f.; Westermann/Bydlinski/Weber, BGB-SchuldR AT, § 4 Rn. 20 ff.; ähnlich Hirtz, GRUR 1986, 110. 930  Hirtz, GRUR 1986, 110 (111). 931  Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 (193); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (675); Lange, Treu und Glauben, S. 93. 932  Siehe zu den unterschiedlichen Ansätzen der Konkretisierung eingehend Auer, Materialisierung, S. 145 ff.

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dung leiten bzw. ihr Schranken setzen sollen. Diese und die für die Einzelfallentscheidung essenzielle Eigenwertung des Rechtsanwenders werden im Folgenden dargestellt, um anschließend das Verfahren näher zu beschreiben. Denn die inhaltlichen Bewertungsmaßstäbe haben letztendlich unmittelbare Wirkung auf die Ausgestaltung des Konkretisierungsverfahrens. a)  Die inhaltlichen Vorgaben der Einzelfallentscheidung Inhaltliche Vorgaben für den Rechtsanwender bei der Einzelfallentscheidung sind sowohl die sog. innerrechtlichen als auch außerrechtliche Bewertungsmaßstäbe.933 Einheitstheorien, welche sich nur auf ein Einzelkriterium stützten, werden heute nicht mehr vertreten.934 Auch die Eigenwertung des Rechtsanwenders gehört zu den inhaltlichen Vorgaben der Einzelfallentscheidung.935 Diese setzt ihr zwar keine Grenzen, leitet sie aber. aa) Innerrechtliche Bewertungsmaßstäbe Bei der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung sind zunächst rechtliche Bewertungsmaßstäbe zu beachten. Dies ergibt sich für den Richter aus der Bindung an „Gesetz und Recht“ gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. den Art. 97 Abs. 1, 92 Hs. 1 GG.936 Darüber hinaus folgt dies aus Art. 1 Abs. 3 GG, der die Rechtsprechung ausdrücklich an die Grundrechte als „unmittelbar geltendes Recht“ bindet, und den Art. 20 Abs. 3 GG insoweit um den allgemeinen Vorrang der Verfassung ergänzt937. Der Bindung an Gesetz und Recht unterliegen auch Rechtsanwender, die der Rechtsprechung konkrete Entscheidungsvorschläge unterbreiten.938 Jedenfalls sind gesetzes- oder verfassungswidrige Empfehlungen für die Rechtsprechung unbeachtlich. Rechtliche Maßstäbe sind zum einen die vom Gesetzesbegriff umfassten formellen Gesetze (d. h. solche, die vom Parlament in den hierfür vorgesehenen 933  Auer, Materialisierung, S. 153 – 156; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 583; ders., Symposion Wieacker, S. 189 (203 f.); Lange, Treu und Glauben, S. 179 – 182; Schillig, Konkretisierungskompetenz und Konkretisierungsmethoden, S. 157 ff.; speziell für die Sittenwidrigkeitsklauseln Sack, WRP 1985, 1 (5 ff.). 934 So Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 (199); Auer, Materialisierung, S. 153. 935  Auer, Materialisierung, S. 152 f.; Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 (203 f.); Lange, Treu und Glauben, S. 182. 936  Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 113; Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 486. Art. 97 Abs. 1 GG hat darüber hinaus eine einfachgesetzliche Ausformung in § 1 GVG und § 25 DRiG erfahren. 937 Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 1. 938  Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 486; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 150.

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Verfahren und Formen verabschiedet wurden) und alle exekutiv geschaffenen Normen mit unmittelbarer Außenwirkung.939 Zum anderen sind dies, die vom Rechtsbegriff beinhalteten ungeschriebenen Regelungen (insbesondere Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze) sowie die verfassungsmäßige Rechtsordnung.940 Letztere beinhaltet vornehmlich die Grundrechte, welche in ihrer objektiv-rechtlichen Ausprägung als Wertordnung verfassungsrechtliche Grundentscheidungen enthalten, die in allen Rechtsbereichen Geltung beanspruchen941 und bei der Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln eine Sonderstellung einnehmen. Schon das Bundesverfassungsgericht hat entsprechend klargestellt, dass bei der Konkretisierung die Grundrechte als „Richtlinien“ verbindlich zu beachten sind.942 Dogmatisch begründet wird diese Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht mit der Schutzpflicht des Staates, welche diesen verpflichtet, Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Güter und Interessen von privater Seite zu verhindern.943 Die Bindung an die einfachgesetzlichen Normen bedeutet nicht Gebundensein an den Gesetzestext als Zeichenfolge, sondern an dessen Bedeutung.944 Das meint die in der jeweiligen Norm getroffene gesetzgeberische Interessenbewertung.945 Diese hat der Rechtsanwender im Zuge des Konkretisierungsvorganges durch Auslegung zu ermitteln,946 konkret durch grammatische, systematische und historische Auslegung947. Die Auslegung bildet daher den Ausgangspunkt der Konkre939 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 Abs. 3 GG Rn. 60  – 62; ähnlich Sachs/Sachs, Art. 20 GG Rn. 107. 940 Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 Abs. 3 GG Rn. 65. 941  BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51, GRUR 1958, 254 (255); BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, BB 1994, 16 (20); BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 22. 3. 2004 – 1 BvR 2248/01, NJW 2004, 2008 (2009). 942  BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, DNotZ 1994, 523 (526). 943  Heute überwiegende Ansicht, Canaris, JuS 1989, 161 (163); ders., AcP 184 (1984), 201 (225); Hermes, NJW 1990, 1764 (1765); MünchKommBGB/Schubert, § 242 Rn. 57; Aussem, Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte, S. 14; Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 64; Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (300); siehe auch Nicolin, Die Berufsfreiheit von Gesellschaften, S. 19 ff.; v. Wickede, Sonderkündigungsschutz, S. 143. 944  BVerfG, Beschl. v. 19. 6. 1973 – 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72, NJW 1973, 1491 (1494); Ebsen, Gesetzesbindung, S. 34; Fischer, ZfA 2002, 215 (221); ders., Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 487; siehe auch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 145. 945  Fischer, ZfA 2002, 215 (221); ders., Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 488; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 720; auch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 145, 150. 946  BVerfG, Beschl. v. 19. 6. 1973 – 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72, NJW 1973, 1491 (1494); Ebsen, Gesetzesbindung, S. 34. 947  Die teleologische Auslegung ist nur bei der Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale Auslegungsmittel; bei den Gesetzen ist die Ermittlung des Sinn und Zweckes hinge-

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tisierung durch Einzelfallentscheidung.948 Im Bereich der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln wird jedoch die grammatische und historische Auslegung meistens unergiebig sein.949 Denn die konkretisierungsbedürftigen Normen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass der Gesetzgeber den regelungsbedürftigen Interessenausgleich nicht bzw. nicht abschließend selbst vorgenommen, sondern ihn im Einzelfall Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen hat.950 Demgemäß gibt es im Regelfall keine detaillierte Zweckvorstellung des jeweiligen Normurhebers, die ermittelt werden könnte. Auch ist der Wortlaut entsprechend weit gefasst. Aufschluss können eher entferntere, sachlich in Betracht kommende einfachgesetzliche Normen geben, die im Wege der systematischen Auslegung herangezogen werden.951 An dieser Stelle erlangen auch die Grundrechte Bedeutung, die im Wege der systematischen Auslegung ihre Wirkkraft als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen auf das einfache Recht entfalten.952 Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele einfachgesetzliche Regelungen „konkretisiertes Verfassungsrecht“ sind, wie beispielsweise das Kündigungsschutzrecht.953 Das heißt der Arbeitsrechtsgesetzgeber hat dort den Ausgleich der verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder gen Ziel der Auslegung. Dies wird im Schrifttum zur Normkonkretisierung nicht hinreichend deutlich herausgearbeitet. Zur Beschränkung der Gesetzesauslegung auf diese drei Auslegungsmittel Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730a; sich diesen anschließend Gröschner, RW 2016, 1 (9 f.); siehe auch Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 144. 948  Hirtz, GRUR 1986, 110 (111); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (675). 949  Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (670 ff.); Schmalz, Methodenlehre, Rn. 341. Siehe auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 583 und Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 147, Letzterer insoweit nur für die Wortlautauslegung. 950  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 835 f.; Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (671). 951  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 583; ähnlich Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 136 – 139; kritisch hingegen Hirse, Die Ausweichklausel, S. 263. 952  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 759. Häufig wird im Schrifttum auch der Begriff der „verfassungsorientierten Auslegung“ verwendet, der weitestgehend als Unterfall der verfassungskonformen Auslegung betrachtet wird, siehe etwa Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 448; Simon, EuGRZ 1974, 85 (87); Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, S. 178 – 183; Höpfner, NZA 2011, 893 (898); Wank, RdA 2012, 361 (362). Instruktiv zum Begriff der verfassungsorientierte Auslegung Wendt, in: FS Würtenberger, S. 123 ff. Der Terminus der verfassungsorientierten Auslegung ist jedoch entbehrlich, da es sich in der Sache um eine systematische Auslegung handelt und der Begriff mehr für „Verwirrung“ sorgt, als er Nutzen stiftet; kritisch Canaris, in: FS Kramer, S. 141 ff., insbesondere S. 154. 953  Preis, NZA 1997, 1256 (1257); LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 28. 3. 2011 – 5 Sa 376/10, zitiert nach Juris, Rn. 77; siehe auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 82. Zum Begriff „konkretisiertes Verfassungsrecht“ näher Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 37 – 39. Zur unterschiedlichen Terminologie der Ausgestaltung von Grundrechten im einfachen Gesetz Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 14 f.

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

sonstiger am Arbeitsleben Beteiligter auf Ebene des einfachen Gesetzesrechts im Rahmen des ihm durch die Verfassung gegebenen Gestaltungsspielraumes vorgezeichnet.954 Auf diese gesetzgeberische Interessenbewertung muss vorrangig zurückgegriffen werden.955 Die objektiven Grundrechtsgehalte bilden nur den „äußeren Rahmen“ für die Konkretisierungsentscheidung auf Grundlage des einfachen Rechts.956 Jedoch erlangen die Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Ausprägung bei der Konkretisierungsentscheidung eine umso stärkere Bedeutung, je weniger der Ausgleich der unterschiedlichen Interessen durch den Gesetzgeber vorgezeichnet wurde.957 Auch dort, wo sich durch Auslegung eine gesetzgeberische Interessenbewertung nicht ermitteln lässt und der Interessenausgleich durch den Rechtsanwender selbst vorgenommen werden muss, ist aufgrund des „Gebots gesetzesnaher Rechtsfindung bzw. Rechtsfortbildung“ die Konkretisierung möglichst aus einfachem Gesetzes- oder Verfassungsrecht herzuleiten.958 Der Rechtsanwender darf „nur in dem zur Rechtsverwirklichung unerlässlichen Maße“ vom geschriebenen Gesetz abweichen.959 Den rechtlichen Bewertungsmaßstäben kommt damit bei der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung eine überragende Bedeutung zu. bb) Außerrechtliche Bewertungsmaßstäbe Neben den sog. innerrechtlichen finden auch außerrechtliche Bewertungskriterien bei der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung Berücksichtigung. Dazu zählen moralische und sozialethische Normen.960 Die Notwendigkeit außerrechtliche Maßstäbe zu berücksichtigen, folgt bereits aus der Tatsache, dass die Verwendung von konkretisierungsbedürftigen 954 Vgl. Preis, NZA 1997, 1256 (1258). Das konkretisierte Verfassungsrecht ist letztendlich ein Resultat davon, dass die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten durch den Staat primär über den Erlass von Gesetzen und erst sekundär durch den Rechtsanwender erfolgen muss, siehe Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 23; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 77, 238; Hermes, NJW 1990, 1764 (1768); Höfling, Vertragsfreiheit, S. 54; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 191 Rn. 219; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 223 ff. 955  Zum grundsätzlichen Vorrang der einfachgesetzlichen vor den verfassungsrechtlichen Wertungen bei der Konkretisierungsentscheidung ausführlich Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 175 ff.; siehe auch Aussem, Die Ausstrahlungswirkung, S. 186; v. Wickede, Sonderkündigungsschutz, S. 150. 956  Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 202. 957  Preis, NZA 1997, 1256 (1258). 958  Fischer, ZfA 2002, 215 (234); ders., Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 493 f. 959  Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 493. 960  Auer, Materialisierung, S. 146.

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Normen weitestgehend überflüssig wäre, wenn der Rechtsanwender durch sie sowieso nur die vom Gesetz- oder Verfassungsgeber vorgezeichneten Wertungen zur Geltung bringen soll.961 Darüber hinaus ergibt sich die Erforderlichkeit der Beachtung außerrechtlicher Maßstäbe unmittelbar aus dem Wortlaut einiger konkretisierungsbedürftiger Normen, vornehmlich der Generalklauseln. So verweisen § 138 Abs. 1 und § 826 BGB auf die „guten Sitten“, was die Berücksichtigung der „herrschenden Rechts- und Sozialmoral“ verlangt.962 Ähnlich beziehen sich die §§ 242 und 157 BGB auf „Treu und Glauben“ und fordern damit die Beachtung außerrechtlicher sozialer Gebote und ethischer Grundsätze.963 Dementsprechend lässt sich grundsätzlich durch grammatische Auslegung ermitteln, dass bei der Konkretisierung außerrechtliche Maßstäbe zu berücksichtigen sind. Aber auch dort, wo sich die Heranziehung außerrechtlicher Bewertungskriterien nicht bereits unmittelbar aus dem Wortlaut ergibt, lässt sie sich im Regelfall entweder durch die übrigen Auslegungsmethoden ermitteln oder sie ist jedenfalls im Rahmen des Konkretisierungsspielraums des Rechtsanwenders möglich. Das gilt namentlich für die grundsätzlich bei jeder Entscheidung durch den Rechtsanwender vorzunehmende Folgenprognose,964 d. h. die Frage, welche voraussichtlichen realen Auswirkungen die zur Auswahl stehenden Konkretisierungsvarianten haben werden965. Diese stützt sich maßgeblich auf außerrechtliche Kriterien.966 Zur Ermittlung der in der Gesellschaft herrschenden moralischen und sozial­ ethischen Normen kann grundsätzlich auf sozialwissenschaftliche Erkenntnisse 961 

Auer, Materialisierung, S. 152. BGH, Urt. v. 12. 3. 1981 – III ZR 92/79, NJW 1981, 1206 (1207); Auer, Materialisierung, S. 146; BeckOK BGB/Wendtland, § 138 Rn. 16; NK-BGB/Dörner, § 138 Rn. 1; Soergel/Hefermehl, § 138 Rn. 2; Staudinger/Sack/Fischinger, § 138 Rn. 19; a. A. Annuß, in: FS Bauer, S. 19 (26), der die Bestimmung der „guten Sitten“ durch die herrschende Rechtsund Sozialmoral nur unter der Voraussetzung zulassen will, dass diese allein „normativ determiniert ist“ und keine empirische Untersuchung voraussetzt. 963 MünchKommBGB/Schubert, § 242 Rn. 11; Staudinger/Looschelders, § 242 Rn. 143; Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung, S. 10. 964  Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (27 ff.); Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, S. 54 f. 965  Zum Begriff der Folgenorientierung bzw. -prognose: Coles, Folgenorientierung im richterlichen Entscheidungsprozeß, S. 5 ff.; Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, S. 2 f.; Feller, Folgenerwägungen und Rechtsanwendung, S. 4; Stoffels, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 77 (81). 966  Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (19); Hopt, JZ 1975, 341 (346) und Seiter, in: FS Baur, S. 573 (581). Die Zulässigkeit folgenorientierter Rechtsanwendung ist umstritten, wird aber mehrheitlich bejaht, siehe hierzu näher Karpen, a. a. O., S. 29. Instruktiv zur Heranziehung von Kenntnissen der empirischen Sozialwissenschaften bei der Folgenorientierung Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, S. 132 ff. 962 

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

zurückgegriffen werden.967 Das gilt namentlich für Verhaltensregelungen wie die „guten Sitten“ (§§ 138 Abs. 1, 826 BGB), „Treu und Glauben“ (§ 242 BGB), die „Verkehrssitte“ (§§ 151, 157, 242 BGB)968 oder die „im Handelsverkehre geltenden Gewohnheiten und Gebräuche“ (§ 346 HGB)969. Aber auch für die Wertungsfragen, ob ein „wichtiger Grund“ vorliegt (§§ 314, 626 Abs. 1 BGB),970 eine Pflichtverletzung als „unerheblich“ angesehen werden kann971 oder welche Höhe die „übliche Vergütung“ hat (§ 612 Abs. 2 BGB)972, wird die Heranziehung der Rechtstatsachenforschung zur Objektivierung der Rechtsanwendung vertreten. Die außerrechtlichen Bewertungsmaßstäbe sind eng mit den innerrechtlichen verknüpft. Viele rechtsethische Werte und Prinzipien sind zugleich in der Rechtsordnung, insbesondere der Verfassung, verankert.973 Den außerrechtlichen Kriterien kommt damit im Vergleich zu den innerrechtlichen eine geringere Bedeutung zu.974 Zudem ist heute anerkannt, dass nur solche moralischen und sozialethischen Normen bei der Konkretisierung berücksichtigt werden dürfen, die im Einklang mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung stehen.975 Außerrechtliche Bewertungsmaßstäbe unterliegen entsprechend einer „Richtigkeitskontrolle“ durch den Rechtsanwender.976 Dies schränkt die Bedeutung der außerrechtlichen Kriterien weiter ein. cc) Eigenwertung des Rechtsanwenders Bei den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln besteht im Grundsatz auch nach Ausschöpfung sämtlicher inner- und außerrecht967  Pieger, in: Chiotellis/Fikentscher (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung, S. 127 (135 f.); Wulfhorst, in: Schulin/Dreher (Hrsg.), Sozialrechtliche Rechtstatsachenforschung, S. 53 (55 f.); siehe auch Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 88; kritisch Hergen­ röder, Zivilprozessuale Grundlagen, S. 361 f. 968  Pieger, in: Chiotellis/Fikentscher (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung, S. 127 (135); Benda/Kreuzer, JZ 1972, 497 (498); differenzierend Heldrich, AcP 186 (1986), 74 (91 ff.), der die Heranziehung der empirischen Sozialwissenschaften im Bereich der „Verkehrssitte“ bejaht, bei den „guten Sitten“ jedoch einen Rückgriff ablehnt. 969  Hopt, JZ 1975, 341 (344) Heldrich, AcP 186 (1986), 74 (92); Eidenmüller, JZ 1999, 53 (57); Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 34; Karpen, in: Rieble/Junker (Hrsg.), Folgenabschätzung im Arbeitsrecht, S. 13 (19); Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, S. 134. 970  Pieger, in: Chiotellis/Fikentscher (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung, S. 127 (136). 971  Hamann, Evidenzbasierte Jurisprudenz, S. 35. 972  Kilian, NZA 2016, 513 ff. 973  Auer, Materialisierung, S. 150; BeckOK BGB/Wendtland, § 138 Rn. 17; Staudinger/ Looschelder/Olzen, § 242 Rn. 143. 974  Auer, Materialisierung, S. 150. 975  BeckOK BGB/Wendtland, § 138 Rn. 18; Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 32; Teubner, Standards und Direktiven, S. 91. 976  Teubner, Standards und Direktiven, S. 90 ff; Heldrich, AcP 186 (1986), 74 (95 f.).

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licher Bewertungsmaßstäbe kein eindeutiges Ergebnis, ob der zu entscheidende Fall diesen Normen zuzuordnen ist. Das gilt namentlich in Fällen, in denen sich mehrere inner- und/oder außerrechtliche Kriterien kontradiktorisch gegenüberstehen. Denn nur in seltenen Fällen werden sich konfligierende Interessen und Rechtsgüter gegenüberstehen, bei denen eines generellen Vorrang genießt.977 Den verbleibenden Spielraum (sog. „Konkretisierungsspielraum“978 oder „Beurteilungsspielraum“979) hat der Rechtsanwender durch eine eigene Wertung auszufüllen.980 Da letztendlich jede Rechtsanwendung eine eigene Wertung des Rechtsanwenders voraussetzt,981 unterscheidet sich diese im Bereich der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln nur dahin gehend, dass hier der Raum für die Eigenwertung besonders groß ist. Er hängt grundsätzlich davon ab, wie viele inner- und außerrechtliche Vorgaben bestehen. Der Eigenwertung des Rechtsanwenders kommt aber im Regelfall neben den innerrechtlichen Bewertungsmaßstäben eine herausgehobene Stellung zu. b)  Das Verfahren der Einzelfallentscheidung Das Verfahren der Einzelfallentscheidung wird weitestgehend durch die innerund außerrechtlichen Bewertungsmaßstäbe vorgegeben. So „zwingt“ die Gesetzesbindung zunächst zur Auslegung der betroffenen Normen mit dem Ziel der Ermittlung der gesetzgeberischen Interessenbewertung.982 Diese wird in der Regel unergiebig sein, da der Gesetzgeber es bei den konkretisierungsbedürftigen Normen dem Rechtsanwender überlassen hat, den Normzweck unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen und der Maßstäbe des Grundgesetzes eigenständig festzulegen.983 Jedoch lässt sich grundsätzlich durch Auslegung ermitteln, welche inner- und außerrechtlichen Bewertungsmaßstäbe für eine eigene Interessenabwägung des Rechtsanwenders heranzuziehen sind. Die Auslegung bildet daher den Ausgangspunkt der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung.984 977  Feuerborn, Sachliche Gründe im Arbeitsrecht, S. 101 f. für den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriff des „sachlichen Grundes“. 978  Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 73; Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm, S. 143 ff.; Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 161 f. 979  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 293 ff. 980  Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 583; Annuß, in: FS Bauer, S. 19 (24). 981  Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 129; Westerhoff, Methodische Wertung, S. 48; Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung, S. 14 f. 982  Die Gesetzesbindung zwingt nicht nur zur Auslegung, sondern auch zu einer bestimmten Auslegungsmethode, Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 489; anders hingegen BVerfG, Beschl. v. 30. 3. 1993 – 1 BvR 1045/89 u. a., NJW 1993, 2861 (2863): „Eine bestimmte Auslegungsmethode […] schreibt die Verfassung nicht vor“. 983  Siehe hierzu bereits Drittes Kapitel § 11 A. I. 2. a) aa), S. 191. 984  Hirtz, GRUR 1986, 110 (111); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (675).

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Ergibt die Auslegung, dass mehrere unter Umständen widerstreitende innerrechtliche und außerrechtliche Kriterien zu berücksichtigen sind, bei denen keines generellen Vorrang beansprucht, hat der Rechtsanwender den verbleibenden Spielraum durch eine eigene Wertung auszufüllen.985 Diese vollzieht sich nach überwiegender Ansicht im Schrifttum strukturell durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen und Rechtsgüter im konkreten Einzelfall.986 Der Abwägungsmethodik kommt jedoch größtenteils bloße Orientierungsfunktion zu; keinesfalls lässt sich mit ihr die Entscheidung des Rechtsanwenders determinieren. Denn die Abwägung ist zwar ein rationales Verfahren,987 allerdings kann sie nicht durch logisch-mathematische Formeln fassbar gemacht werden988. Für den Rechtsanwender besteht auf jeder ihrer Anwendungsstufen Raum für eine (subjektive) Eigenwertung. Auch aus diesem Grund wird versucht, die Konkretisierungsentscheidung an weitere Orientierungspunkte zu binden,989 die hier jedoch mangels Relevanz für die vorliegende Arbeit keiner weiteren Erörterung bedürfen. Die Abwägungsentscheidung des Rechtsanwenders vollzieht sich bei der Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln nach den gleichen Grundsätzen, wie sie in anderen Rechtsbereichen anerkannt sind990 und bereits im Rahmen des Familienunternehmensbegriffs dargestellt wurden991. Danach sind zunächst, die ermittelten, im konkreten Fall einschlägigen (inner-)rechtlichen und/oder außerrechtlichen Kriterien vollständig in die Abwägung einzustellen.992 Anschließend ist nicht nur der Grad bzw. die Intensität jedes einzelnen abwägungsrelevanten Merkmals losgelöst vom konkreten Einzelfall zu bestimmen, sondern auch der präzise Grad, in der jedes einzelne abwägungsrelevante Bewertungskriterium im konkreten Einzelfall zum 985 

Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 583. Fischer, ZfA 2002, 215 (234); weitergehend Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten, S. 43; Sack, WRP 1985, 1 (3) und Riehm, RW 2013, 1 (11), welche die Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung generell mit der Methode der Interessenabwägung gleichsetzen und dementsprechend schon die Ermittlung der Bewertungskriterien in die Abwägungsmethodik miteinbeziehen. In der Sache führt dies jedoch zu keinen anderen Konkretisierungsergebnissen. 987  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 143 ff. 988  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 69 ff.; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 148 ff. 989  Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 162 nennt hier das Gebot „kontinuierlicher, system-, sach- und gleichgerechter Rechtsbildung“, das „Gebot der Normenzugänglichkeit und Normverständlichkeit“ und das „Gebot rationaler Begründung und Argumentation“. 990  Riehm, RW 2013, 1 (11). 991  Siehe hierzu Erstes Kapitel § 3 B. III. 2 c) bb) (3), S. 138 ff. 992  Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 149; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 57; ders., RW 2013, 1 (11). 986 

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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Ausdruck kommt.993 Im letzten Schritt erfolgt die eigentliche Interessen- und Güterabwägung.994 Dabei werden die einzelnen (inner-)rechtlichen und außerrechtlichen Kriterien einander gegenübergestellt und wertend miteinander verglichen, um zu eruieren, welche Kriterien überwiegen.995 Je nach Ausgang der Abwägungsentscheidung ist der zu beurteilende Fall von dem normativ-unbestimmten Gesetzesbegriff bzw. der Generalklausel umfasst oder nicht. Die Wertung bzw. Abwägung des Rechtsanwenders bildet damit den Abschluss der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung. II.  Limitationen der herkömmlichen Konkretisierungsmethoden und weiteres Vorgehen Sowohl die Methode der Konkretisierung durch Fallgruppen als auch die Methode der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung außerhalb von Fallgruppen unterliegen im Hinblick auf das konkrete Forschungsvorhaben gewissen Limitationen und können daher nicht bzw. nicht ohne Weiteres in der vorliegenden Arbeit Anwendung finden. Die Fallgruppenmethode ist unabhängig von der bestehenden allgemeinen Kritik996 für die Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen ungeeignet. Zwar existieren zum Teil Entscheidungen, die Besonderheiten von Familienunternehmen im Bereich der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln berücksichtigen.997 Allerdings liegen diesen nur eng umgrenzte Einzelfälle zugrunde, bei denen sich noch kein übereinstimmender allgemeiner Rechts- bzw. Leitgedanke gezeigt hat. Entsprechend hat sich noch keine anerkannte Fallgruppe für Familienunternehmen im Arbeitsrecht herausgebildet, auf die im Rahmen dieser Arbeit zurückgegriffen werden könnte. Auch von der Möglichkeit, durch Bildung fiktiver Anwendungsfälle im Wege der Induktion eine neue Fallgruppe „Familienunternehmen“ für die arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und zivilrechtlichen Generalklauseln zu schaffen, soll abgesehen werden. Denn die Fallgruppenmethode hält bereits keine geeigneten Kriterien für deren Herleitung bereit. Sie lässt insbesondere offen, wann ein vom Rechtsanwender zu bildender, fiktiver Anwendungsfall zweifelsfrei unter eine Norm zu fassen ist.998 993  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 61; ders., RW 2013, 1 (14 f.); Vogel, Juristische Methodik, S. 154. 994  Hubmann, Wertung und Abwägung, S. 150; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 74. 995  Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 74; ders., RW 2013, 1 (16). 996  Siehe zur Kritik an der Fallgruppenmethode Weber, AcP 192 (1992), 516 (535 ff.). 997  Diese sind weitgehend im Vierten Kapitel dieser Arbeit eingearbeitet. 998  Kritisch zu solchen „unzweifelhaften Fällen“ ebenfalls Bydlinski, Symposion Wieacker, S. 189 (197); Kamanabrou, AcP 202 (2002), 662 (673).

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Auch die Methode der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung außerhalb von Fallgruppen lässt sich nicht uneingeschränkt für die Beurteilung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen fruchtbar machen. Die Methode ist auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten. Ausgehend von diesem wird ein allgemeiner Rechts- bzw. Leitgedanke herausgearbeitet, der zur Konkretisierung eines normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffes oder einer Generalklausel dient. Hingegen setzt das vorliegende Forschungsvorhaben zur Beurteilung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen an einer höheren bzw. abstrakteren Ebene an. Es nimmt eine Vielzahl von präzisierungsbedürftigen Normen losgelöst vom konkreten Einzelfall in den Blick und versucht norm­ übergreifend Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen, die Besonderheiten von Familienunternehmen zu berücksichtigen. Dadurch soll erst der Blick von Wissenschaft und Rechtsprechung auf die Familienunternehmen im konkreten Einzelfall geschärft werden. Anders als bei der Methode der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung steht mithin der konkrete Einzelfall nicht am Anfang der Überlegungen, sondern an deren Ende. Dies hat auch zur Konsequenz, dass die Abwägung der beteiligten Interessen und Rechtsgüter, die für die Methode der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung essenziell ist, nicht antizipiert werden kann. Im Ergebnis lässt sich zwar weder das Verfahren der Konkretisierung durch Fallgruppen, noch das durch Einzelfallentscheidung außerhalb von Fallgruppen auf das vorliegende Forschungsvorhaben übertragen. Allerdings zeigt die Methode der Konkretisierung durch Einzelfallentscheidung allgemeine inhaltliche Vorgaben auf, nach denen sich der Interessenausgleich innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln in der Rechtswissenschaft zu richten hat. Insbesondere die innerrechtlichen Bewertungsmaßstäbe, d. h. das einfache Gesetzes- und Verfassungsrecht, stellen Vorgaben dar, die bei jeder Rechtsanwendung zu beachten sind. Dementsprechend zeigen diese auch Möglichkeiten und Grenzen auf, wie sich der im Arbeitsrecht vorzunehmende Ausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebers und derjenigen der Arbeitnehmer bzw. sonstiger Interessenträger innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln zu vollziehen hat. Die innerrechtlichen Bewertungsmaßstäbe können somit darüber Aufschluss geben, ob die spezifischen Familieninteressen für den Rechtsanwender im Einzelfall zu berücksichtigen sind. Sie weisen damit den Weg für die Legitimität und die Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen. Auch für die außerrechtlichen Kriterien gilt nichts anderes. Sie sind jedoch mehr als die innerrechtlichen Maßstäbe von der Ausgestaltung der jeweiligen konkretisierungsbedürftigen Norm abhängig. Diese muss grundsätzlich in ihrem Wortlaut auf moralische und sozialethische Normen Bezug nehmen, damit sie berücksichtigt werden können. Sofern danach auch generelle Rechtstatsachen, die Familienunternehmen betreffen,

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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zu beachten sind, kann bereits auf die Darlegungen im zweiten Kapitel dieser Arbeit zurückgegriffen werden. Einer weitergehenden Erörterung bedürfen sie nicht. Zumal die außerrechtlichen Kriterien im Einklang mit den einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben stehen müssen und insoweit einer „Richtigkeitskontrolle“ unterliegen.999 Moralische und sozialethische Normen an sich können daher im Regelfall keine Sonderstellung der Familienunternehmen im Arbeitsrecht begründen. Die nachfolgende Darstellung konzentriert sich entsprechend auf die innerrechtlichen Bewertungsmaßstäbe als Wegweiser eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen. Zunächst soll jedoch klargestellt werden, dass die generellen Rechtstatsachen, d. h. (verallgemeinerungsfähige) Tatsachen, welche die Familienunternehmen in ihrer Gesamtheit betreffen, von den Einzeltatsachen, d. h. den konkreten bzw. individuellen Sachbesonderheiten des einzelnen Familienunternehmens strikt zu trennen sind.1000 Während den generellen Rechtstatsachen eine eher untergeordnete Bedeutung für ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen zukommt, sind die Einzeltatsachen für dieses essenziell. Ihre rechtliche Relevanz wird anhand derjenigen einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben bewertet, die im Folgenden dargestellt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die konkreten Sachbesonderheiten letztendlich alle Unternehmen dieser Organisationsform betreffen und in diesem Sinne zugleich generelle Rechtstatsachen sind. Allerdings kann auch nur dann sinnvoll von einem Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen gesprochen werden, wenn die Einzeltatsachen nicht nur einzelne, sondern zugleich eine Vielzahl von Familienunternehmen betreffen und entsprechend bei der Konkretisierung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln eine Generalisierung bzw. Typisierung von gleich gelagerten Fällen vorgenommen werden kann. In diesem Fall erlangen die Einzeltatsachen „generellen Charakter“1001 und es dürfte eine gewisse Schnittmenge zwischen allgemeinen Rechtstatsachen und Einzeltatsachen zu verzeichnen sein. Dementsprechend sind die im zweiten Kapitel dieser Arbeit ermittelten Besonderheiten von Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen – die generelle Rechtstatsachen darstellen – nicht überflüssig. Zudem dienten diese dazu, überhaupt erst einen Überblick zu den möglichen Besonderheiten dieser Organisationsform zu erhalten und damit zugleich den Blick im Einzelfall auf mögliche Sachbesonderheiten des konkreten Familienunternehmens zu schärfen.

999 

Teubner, Standards und Direktiven, S. 90 ff; Heldrich, AcP 186 (1986), 74 (95 f.). zur begrifflichen Unterscheidung zwischen „generellen Rechtstatsachen“ und „Einzeltatsachen“: Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts, S. 6 f.; Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen, S. 349 f. 1001  Lames, Rechtsfortbildung als Prozesszweck, S. 55. 1000  Siehe

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

B.  Einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Vorgaben als Wegweiser für die Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen Nach den vorstehenden Überlegungen sind die einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben Wegweiser für die Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen. Letzteres setzt das Bestehen rechtlicher Vorgaben voraus, die es dem Rechtsanwender ermöglichen oder sogar gebieten, in arbeitsrechtlichen Fällen mit Familienunternehmensbezug bei der Normkonkretisierung die spezifischen Familieninteressen zu berücksichtigen. Aufgrund des generalisierenden Ansatzes, der sämtliche arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln losgelöst vom konkreten Einzelfall in den Blick nimmt, können im Folgenden nur allgemeine Aussagen hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit konkreter Familieninteressen aufgrund einfachgesetzlicher und verfassungsrechtlicher Vorgaben getroffen werden. Der vollständige Regelungsgehalt solcher Vorgaben offenbart sich häufig erst bei deren Anwendung auf konkrete Fälle. Die Ausbildung und Ausgestaltung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen obliegt letztendlich dem Rechtsanwender bei der Konkretisierung im Einzelfall, also vornehmlich dem Richter. Es können dementsprechend nur erste Denkanstöße gegeben werden, die spezifischen Familieninteressen bei der Normkonkretisierung in Zukunft näher in den Blick zu nehmen. Konkretisierung ist und bleibt ein Prozess, der „sich nicht in einem Akt der Erkenntnis erschöpft“1002 oder „in einem Wurf“1003 vorgenommen werden kann, sondern der sich teils langwierig, über mehrere Jahre vollzieht. Dementsprechend sind die nachstehenden Erwägungen keinesfalls abschließend und es bleibt die Entwicklung der nächsten Jahre abzuwarten. I.  Einfachgesetzliche Vorgaben und leitbildorientierte Rechtsanwendung Zunächst soll auf mögliche einfachgesetzliche Normen eingegangen werden, die dem Rechtsanwender Vorgaben im Hinblick auf ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen liefern können. In diesem Zusammenhang ist ein kurzer Exkurs zur leitbildorientierten Rechtsanwendung notwendig, die in letzter Zeit (wieder) vermehrt im Schrifttum aufgegriffen wird.

1002  Ossenbühl, in: Schröder/Löwer/Di Fabio/v. Danwitz (Hrsg.), Freiheit, Verantwortung, Kompetenz, S. 331 (335). 1003  Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 72.

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1.  Einfachgesetzliche Vorgaben Einfachgesetzliche Normen, die Anhaltspunkte geben, ob der Gesetzgeber die Familienunternehmen im Arbeitsrecht besonders behandeln wollte und die im Wege der systematischen Auslegung zur Konkretisierung der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln herangezogen werden könnten, ließen sich im Rahmen dieser Arbeit nicht ermitteln. Insbesondere § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG und § 5 Abs. 3 JArbSchG als die einzigen arbeitsrechtlichen Normen, die mit der „Familiengesellschaft“ und dem „Familienbetrieb“ verwandte Begriffe des Familienunternehmens verwenden, geben keinen Hinweis auf die gesetzgeberische Interessenbewertung im Hinblick auf ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen. Bereits bei der Darstellung des Familienbetriebsbegriffs gemäß § 5 Abs. 3 S. 3 JArbSchG wurde aufgezeigt, dass sich nicht hinreichend ermitteln lässt, welcher konkrete Zweck den Gesetzgeber zu der Regelung veranlasst hat.1004 Auch die Herausnahme von Familienaktiengesellschaften bis zu einer Größe von 499 Arbeitnehmern aus der unternehmerischen Mitbestimmung, wie sie zu Zeiten des § 76 Abs. 6 S. 1 BetrVG 1952 existierte, wird in der heutigen Nachfolgeregelung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 DrittelbG in ähnlicher Form nur noch für Altgesellschaften aufrechterhalten. Nunmehr sind alle neu eingetragenen Aktiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern von der Unternehmensmitbestimmung ausgenommen. Die Privilegierung für Alt-Familienaktiengesellschaften existiert nach den Gesetzgebungsmaterialien heute nur noch, weil diese es im Gegensatz zu anderen Altgesellschaften nicht „gelernt [hätten], mit der Mitbestimmung umzugehen“.1005 Sofern für den Gesetzgeber zu einem früheren Zeitpunkt Gründe existierten, die Familiengesellschaften im Arbeitsrecht besonders zu behandeln, sind diese jedenfalls nach der Gesetzesnovellierung nicht mehr aktuell. Weitere Normen, denen sich Vorgaben im Hinblick auf ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen entnehmen ließen, konnten nicht ermittelt werden. Allerdings ist aufgrund des abstrakten Ansatzes und der nahezu unüberschaubaren Fülle an einfachgesetzlichen Normen nicht ausgeschlossen, dass solche schlichtweg übersehen wurden und sich zu einem späteren Zeitpunkt weitere einfachgesetzliche Vorgaben zeigen. 2.  Leitbildorientierte Rechtsanwendung Bei dem Befund, dass gegenwärtig keine einfachgesetzlichen Vorgaben existieren, die es dem Rechtsanwender ermöglichen, die spezifischen Familieninteressen zu berücksichtigen, soll nicht stehen geblieben werden. Vielmehr muss noch einmal das Leitbild des Arbeitsrechts aufgegriffen werden, welches sich 1004  1005 

Siehe Erstes Kapitel § 3 A. II. 1. b), S. 73 ff. BT-Drucks. 12/7848, S. 10.

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

am anonymen Großunternehmen als Normalunternehmen orientiert. Denn in der neueren Literatur finden sich (wieder) vermehrt Tendenzen, die Rechtsanwendung der einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Normen an den, der Regelung zugrunde liegenden Leitbildern auszurichten.1006 Und so könnte – quasi im Wege einer „systematischen Gesamtschau“ aller arbeitsrechtlichen Normen – argumentiert werden, dass diese an das anonyme Großunternehmen anknüpfen, von dem die Familienunternehmen nicht erfasst sein sollten. Dies würde für eine Sonderstellung der Familienunternehmen sprechen. Das ist jedoch abzulehnen. Leitbilder zeichnen sich durch ihren „zwingend offenen Charakter“ aus.1007 Das heißt, der ihnen zugrunde liegende Rechtsstoff wird auf dieses hin projiziert, weil dort die Regulierung am Notwendigsten erscheint; er ist auf dieses jedoch nicht notwendigerweise begrenzt. So ist es auch beim Leitbild des Normalunternehmens. Dieses war im Arbeitsrecht für den Gesetzgeber zwar handlungsleitend, dennoch sollten von den Regelungen alle Unternehmen bzw. Arbeitgeber erfasst und hinsichtlich der Arbeitsbedingungen reguliert werden.1008 Deshalb hat das Leitbild keinen Niederschlag im Wortlaut des Gesetzes gefunden und die arbeitsrechtlichen Regelungen knüpfen nur an das „Unternehmen“ bzw. den „Betrieb“ an. Zudem führte die Argumentation mit einem solchen Leitbild, das auch nach Anwendung der (weiteren) gängigen Auslegungsmethoden nicht im Gesetz verortet werden kann und zugleich in seiner Bedeutung offen ist, zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Denn letztendlich wäre es der Rechtsanwender selbst, der dessen Bedeutungsgehalt festlegen würde und die Rechtsanwendung damit in eine bestimmte Richtung lenken könnte.1009 Das Leitbild würde auf diese Weise leicht zu einer „leerformelhafte[n] Begründungsfigur“, mit der das einfache Gesetzesrecht „im Gewand seiner scheinbaren Auslegung und Anwendung fort1006  Bücker, IndBez 2016, 187 (191); Volkmann, AöR 134 (2009), 157 ff.; hierzu auch Braun, Leitbilder im Recht, S. 126 ff. Bereits früher gab es in der Literatur ähnliche Überlegungen. Dabei sollte auf die, dem Gesetz zugrunde liegenden Typen bzw. Modellvorstellungen im Rahmen der teleologischen Auslegung zurückgegriffen werden, siehe näher Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, S. 51; kritisch Leenen, Typus und Rechtsfindung, S. 88; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 135 – 137. Leitbilder und Typen sind zwar in ihrem Bedeutungsgehalt nicht identisch, beide Auffassungen werfen dennoch methodisch weitestgehend die gleichen Problem- und Fragestellungen auf. Zur begrifflichen Unterscheidung von Typen und Leitbildern Baer, in: Schmidt-Aßmann/ Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 223 (228 ff.); Braun, Leitbilder im Recht, S. 32 ff. 1007  Baer, in: Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, S. 223 (232); ähnlich spricht Bücker, IndBez 2016, 187 (191) von „Deutungsoffenheit“ der Leitbilder. 1008  Siehe hierzu bereits S. 30 ff. 1009  Ähnliche Kritik übt Braun, Leitbilder im Recht, S. 134 f.: „Dem Gesetz wird etwas entnommen, was zuvor in es hineingelegt wurde, das Leitbild wird vom Aus- zum Einlegungsmittel.“

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gebildet wird“ und damit zu einem Topos verdeckter Rechtsfortbildung1010. Eine leitbildorientierte Rechtsanwendung – wie auch immer sie konkret ausgestaltet sein mag – ist damit im Ergebnis abzulehnen. Sie kann nichts zu einem etwaigen Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen beitragen. Im Ergebnis kann sich mangels aufgefundener einfachgesetzlicher Vorgaben ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen nur auf verfassungsrechtliche Vorgaben stützen. Diese sollen im Folgenden näher erörtert werden. II.  Verfassungsrechtliche Vorgaben Den verfassungsrechtlichen Vorgaben kommt im Hinblick auf ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen besondere Bedeutung zu. Bereits bei den gesetzlich bzw. richterrechtlich anerkannten Sonderarbeitsrechten für Tendenz- und Kleinunternehmen standen grundrechtliche Erwägungen im Vordergrund.1011 Daher ist es naheliegend, dass auch ein Sonderarbeitsrecht für Familienunternehmen aus der Verfassung entwickelt werden kann. Für Familienunternehmen existieren keine ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Regelungen, wie sie beispielsweise zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung für den Mittelstand existierten (Art. 164 WRV) oder heute noch in einzelnen Landesverfassungen in Deutschland als Programmsätze enthalten sind1012. Dementsprechend kann lediglich auf die Grundrechte zurückgegriffen werden. Dabei ist zu beachten, dass die Grundrechte innerhalb der arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und zivilrechtlichen Generalklauseln nur in ihrer objektiven Ausprägung als „Wertordnung“ Geltung beanspruchen.1013 Denn betroffen ist hier unmittelbar nicht die subjektive Seite der Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion gegenüber ungerechtfertigten Eingriffen des Staates in verfassungsrechtlich geschützte Güter und Interessen des Bürgers, sondern es geht um den Schutz durch den Staat vor grundrechtlichen Gefährdungen und Schädigungen, die von privater Seite ausgehen.1014 In diesem mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis trifft die Schutzpflicht den Staat gleichzeitig gegenüber 1010  Zu dieser Begriffsbestimmung des Topos verdeckter Rechtsfortbildung Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, S. 127. 1011  Siehe Einleitendes Kapitel § 2 B. II. 1012 Siehe Art. 153 Bayerische Verfassung, Art. 40 Abs. 1 Bremische Verfassung, Art. 43 Abs. 1 Hessische Verfassung, Art. 28 Nordrhein-westfälische Verfassung, Art. 54 Abs. 1 Saarländische Verfassung. 1013 Allgemein für privatrechtliche Normen BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1998 – 1 BvL 15/87, NZA 1998, 470 (471); BAG, Urt. v. 12. 11. 1998 – 2 AZR 459/97, NZA 1999, 590 (593); Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 65; Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (301). 1014  Ein ausführlicher Überblick zu diesen beiden Grundrechtsfunktionen findet sich bei Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 191 Rn. 1 ff.

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

allen beteiligten Grundrechtsträgern. Beispielsweise hat der Staat im Kündigungsschutzrecht nach Art. 12 Abs. 1 GG einerseits den Arbeitnehmer vor dem grundlosen Verlust seines Arbeitsplatzes und andererseits den Arbeitgeber vor einer unangemessenen arbeitsvertraglichen Bindung zu schützen.1015 Gleichwohl ist die subjektive Seite der Grundrechte für den Rechtsanwender bei der Konkretisierung nicht unbeachtlich. Denn die „Übererfüllung“ des objektiven Schutzgehaltes der Grundrechte durch den, das Gesetzesrecht konkretisierenden Richter, zugunsten des einen ist zugleich als Verletzung der Schutzpflicht und ungerechtfertigter Eingriff in die grundrechtlich gegenläufig geschützte Freiheit des anderen zu werten oder zumindest als ein solcher zu behandeln.1016 Ebenso ist mit dem Unterschreiten eines gewissen Mindestmaßes an Schutz nicht nur die Schutzpflicht verletzt, sondern es liegt zugleich ein ungerechtfertigter Eingriff des Rechtsanwenders in das Abwehrrecht vor.1017 Das bedeutet, dass außerhalb des vom sog. Über- und Untermaßverbot begrenzten Bereiches1018 die Grundrechte als Abwehrrechte relevant werden; nämlich dann, wenn der Rechtsanwender seinen Spielraum beim Ausgleich der unterschiedlichen objektiven Schutzrechte der beteiligten Arbeitsrechtssubjekte überschreitet und ein Eingriff nicht nur potenziell1019 von privater, sondern (auch) von staatlicher Seite ausgeht1020. Innerhalb 1015  Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 654; auch v. Münch/Kunig/Kämmerer, Art. 12 GG Rn. 2 geht davon aus, dass die Schutzpflicht im Grundsatz sowohl gegenüber dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber besteht. 1016 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 89; Isensee, Symposion Salzwedel, S. 3 (8); Weißflog, Abfindungsansprüche, S. 415. 1017 Vgl. Isensee, Symposion Salzwedel, S. 3 (7 f.). 1018  Übermaß- und Untermaßverbot stecken nach herrschender Meinung den äußeren Rahmen zwischen den beiden Grundrechtspositionen ab, siehe etwa Calliess, in: Merten/ Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 44 Rn. 33; Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 (122); Weißflog, Abfindungsansprüche, S. 415 – 417; Wank, RdA 1999, 130 (136). Zur Kritik grundlegend Hain, DVBl 1993, 982 ff., der insbesondere der Auffassung ist, dass eine Rechtspflicht nicht über- oder mindestens erfüllt werden könne. 1019  Ob tatsächlich ein Eingriff von privater Seite vorliegt, ergibt das Ergebnis der Abwägung, Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 191 Rn. 193. 1020  Zuvor liegt kein den Abwehrgehalt der Grundrechte auslösendes Verhalten des Staates vor, sondern nur ein (möglicher) Übergriff des Privaten. Denn der Gesetzgeber ist durch den Erlass von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln seiner Schutzpflicht nachgekommen und sorgt durch die Gewährleistung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens dafür, dass der Einzelne diese auch durchsetzen kann. Erst in dem Moment, wo der Richter bei dem vorzunehmenden Interessenausgleich zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte nicht beachtet oder die Intensität und die Reichweite des objektiven Gehalts der Grundrechte verkennt und zulasten eines eigentlich zu Schützenden entscheidet, liegt mit dem Urteil ein eingriffsrelevantes Verhalten vor, das dem Staat zuzurechnen ist. Ähnlich kritisch Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (286 ff.), der in einer zivilgerichtlichen Entscheidung jedoch selbst dann keinen Eingriff erblicken will, wenn diese den „Störer“ gewähren lässt und dem Betroffe-

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des begrenzten Gebiets findet nur ein Ausgleich der objektiven Grundrechtsgehalte der beteiligten Arbeitsrechtssubjekte durch den Rechtsanwender statt, wobei dieser freilich immer die äußeren Grenzen mitbedenken muss. Im Schrifttum wird kontrovers diskutiert, welchen Bedeutungsgehalt die objektive Seite der Grundrechte hat und in welchem Umfang und in welcher Intensität die Grundrechte ihre Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung auf die konkretisierungsbedürftigen Normen entfalten.1021 Es stellen sich insbesondere Abgrenzungsfragen zur subjektiven Seite der Grundrechte. Deswegen bedarf es zunächst einiger grundsätzlicher Ausführungen zum objektiven Gehalt der Grundrechte, bevor auf einzelne verfassungsrechtliche Vorgaben näher eingegangen werden kann. 1.  Der objektive Gehalt der Grundrechte Für den objektiven Gehalt der Grundrechte hat sich noch keine einheitliche Terminologie herausgebildet.1022 Alleine in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wird eine Vielzahl von Begriffen, wie „objektive Wertordnung“1023, „Wertsystem“1024, „objektivrechtliche Wertentscheidungen“1025, „objektive Grundsatznormen“1026, „objektive Grundentscheidungen“1027, „objektive Prinzipien“1028, „Leitnorm[en]“1029 oder „Richtlinien“1030 synonym verwendet. Darin spiegelt sich die bis heute herrschende Unklarheit über den Bedeutungsgehalt der objektiven Seite der Grundrechte sowie den Umfang und die Intensität ihrer Ausstrahlungsnen seinen Schutz versagt, sondern nur eine Verletzung der Schutzpflicht annimmt; a. A. v. Wickede, Sonderkündigungsschutz, S. 202, 257; Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 (122); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 205 f., nach denen jedes schützende Tätigwerden der hoheitlichen Gewalt einen Eingriff darstellt und die Abwehrfunktion der Grundrechte einschlägig ist. Freilich mag es auch Ausnahmekonstellationen geben, in denen aufseiten eines Beteiligten keine Schutzpflicht einschlägig ist, wie z. B. bei Körperverletzungen, ähnlich Dietlein, ZG 1995, 131 (135). Im Arbeitsrecht, wo auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in der Regel zumindest die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG einschlägig ist, dürften diese jedoch kaum relevant werden und daher zu vernachlässigen sein. 1021  Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 175; Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 25 ff. 1022  Jarass, AöR 110 (1985), 363 (367 ff.); Alexy, Der Staat 1990, 49 (51); Sachs/Sachs, Vor. Art. 1 GG Rn. 31. 1023  BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51, GRUR 1958, 254 (255). 1024  BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/51, GRUR 1958, 254 (255). 1025  BVerfG, Beschl. v. 8. 8. 1978 – 2 BvL 8/77, NJW 1979, 359 (363). 1026  BVerfG, Beschl. v. 24. 3. 2016 – 1 BvR 2012/13, KommJur 2016, 279 (280). 1027  BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 (1470). 1028  BVerfG, Beschl. v. 4. 4. 2006 – 1 BvR 518/02, NJW 2006, 1939 (1945). 1029  BVerfG, Beschl. v. 4. 5. 1971 – 1 BvR 636/68, NJW 1971, 1509 (1510). 1030  BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89, DNotZ 1994, 523 (526).

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

und Gestaltungswirkung auf die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln wider. Beide Problemkreise sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. a)  Reichweite des objektiven Grundrechtsgehaltes Für den objektiven Grundrechtsgehalt ist jedenfalls geklärt, dass sich dieser in seiner Wirkung vom subjektiven dadurch unterscheidet, dass er dem Rechtsanwender zwar eine rechtliche Verpflichtung auferlegt, auf die sich der Einzelne jedoch nicht berufen bzw. diese nicht gerichtlich durchsetzen kann.1031 Objektive Grundrechtsgehalte zeichnen sich entsprechend dadurch aus, dass die darin enthaltenen Bindungen abstrakt bzw. unabhängig von einem anderen Rechtssubjekt bzw. Grundrechtsträger sind.1032 Darüber hinaus sind die Bindungen auch abstrakt von dem Adressaten des Rechts und den Modalitäten des Gegenstandes des Rechts.1033 Nur so lässt sich erklären, dass die Grundrechte ihre Ausstrahlungsund Gestaltungswirkung auf die gesamte übrige Rechtsordnung entfalten. Die vorstehende Abgrenzung greift jedoch zu kurz1034 und gibt keinen Aufschluss über die materiell-rechtliche Reichweite des objektiven Grundrechtsgehalts, insbesondere im Vergleich zur subjektiven Seite. Letzteres ist bedeutend, weil sich für den objektiven Grundrechtsgehalt im Gegensatz zu dem subjektiven in seiner originären Funktion als Abwehrrecht des Bürgers gegenüber dem Staat noch kein reichhaltiger Fundus an Rechtsprechung und Literatur herausgebildet hat, auf den zurückgegriffen werden könnte. Stimmen beide Grundrechtsinhalte weitgehend überein, könnten die dortigen Erwägungen nutzbar gemacht werden. Es lassen sich nach Böckenförde grundsätzlich drei Möglichkeiten unterscheiden, wie das Verhältnis zwischen objektivem und subjektivem Grundrechtsgehalt ausgestaltet sein kann:1035 Erstens kann dem objektiven Grundrechtsgehalt eine von dem subjektiven unabhängige und verselbstständigte Bedeutung zukommen. 1031  Alexy, Der Staat 1990, 49 (53); Cremer, in: GS Jeand’Heur, S. 59 (62); ders., Freiheitsgrundrechte, S. 191; Müller, Der Staat 1990, 33 (37 f.). 1032  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 478; ders., Der Staat 1990, 49 (53). 1033  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 479; ders., Der Staat 1990, 49 (57). Sehr anschaulich ist auch das Beispiel, was Alexy anführt: So wird aus dem Abwehrrecht des Bürgers X gegenüber dem Staat, Eingriffe in seine Meinungsäußerungen zu unterlassen, der objektive Grundrechtsgehalt das einfache „Gesolltsein der Meinungsfreiheit“. 1034  Dreier, Jura 1994, 505 (509) bezeichnet die Abgrenzung als „Selbstverständlichkeit“ und „Banalität“. Darüber hinaus gibt es Ansätze zur (Re-)Subjektivierung objektiver Grundrechtsgehalte, was die dargelegten Unterschiede ebenfalls verkürzt, siehe Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 414; Aussem, Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte, S. 46 ff.; Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 28; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 237 ff.; Stern/Becker/Stern, Einl. Rn. 82 ff. jeweils mit m. w. N. 1035  Böckenförde, Der Staat 1990, 1 (17 ff.).

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Zweitens kann der objektive Grundrechtsgehalt derart an den subjektiven anknüpfen, dass seine Gewährleistungsinhalte „verobjektiviert“ werden. Drittens kann dem objektiven Grundrechtsgehalt lediglich eine Unterstützungsfunktion zum primär abwehrrechtlichen Charakter zukommen, mit der Folge, dass Ersterer sich weitestgehend aus dem subjektiven herleitet bzw. von diesem abhängig ist. Die besseren Argumente dürften dafür sprechen, dass der objektive Grundrechtsgehalt – zumindest bei der untersuchungsgegenständlichen Konkretisierung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln – mit dem subjektiven nahezu deckungsgleich ist.1036 Nur in besonderen Ausnahmefällen kann der objektive Grundrechtsgehalt gegenüber seiner Bedeutung als Abwehrrecht zurückbleiben. Dieses Ergebnis stützt sich im Wesentlichen darauf, dass es sich bei beiden Grundrechtsgehalten letztlich um Inhalte derselben Verfassungsnorm handelt.1037 Denn die objektiven Grundrechtsgehalte werden unmittelbar aus der im Grundsatz primären Bedeutung der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat hergeleitet.1038 Ihnen kommt die Funktion zu, die Grundrechte in ihrem Abwehrgehalt zu stärken.1039 Diese liefen leer, wenn die durch die Verfassung gewährleisteten Güter und Interessen nicht auch gegen Gefährdungen, die von privater Seite ausgehen, geschützt würden.1040 Demgemäß lassen sich die objektiven Grundrechtsgehalte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „nicht von [ihrem] eigentlichen Kern lösen“.1041 Wenn es sich aber bei dem objektiven und dem subjektiven Grundrechtsgehalt um Inhalte derselben Verfassungsnorm handelt, welche beiderseits durch Anwendung der gängigen Auslegungsmethoden ermittelt werden, ist nicht einsichtig, wie diese zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen sollen.1042 Jedenfalls werden hier1036 Für eine Identität von objektiven und subjektiven Grundrechtsgehalten auch Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 175 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 62. Eine höchstrichterliche Entscheidung dieser Grundsatzfrage steht noch aus, allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss klargestellt, dass der objektive Grundrechtsgehalt jedenfalls nicht weiter reichen kann als der subjektive, BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 6. 2. 2004 – 1 BvR 1948/00, VIZ 2004, 220 (221). 1037  So auch Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 176; Böckenförde, Der Staat 1990, 1 (17); ähnlich Stern, Staatsrecht III/2, S. 73. 1038  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (702); Stern, Staatsrecht III/2, S. 73. 1039  BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257; BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (702). Siehe zu den Ausnahmen vom Grundsatz der primären Bedeutung der Grundrechte als Abwehrrechte Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 46 f. 1040  Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 191 Rn. 232. 1041  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (702). 1042 Vgl. Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 176.

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für keine geeigneten methodischen Konzepte zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus spricht auch die unmittelbare Bindung des Richters an die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 97 Abs. 1, 92 Hs. 1 GG für eine grundsätzliche Deckungsgleichheit der beiden Grundrechtsgehalte.1043 Denn es macht keinen Unterschied, ob der Richter aktiv in die Grundrechte des Bürgers eingreift, auf dessen Unterlassen der Bürger einen Abwehranspruch aus der subjektiven Seite der Grundrechte hat1044. Oder ob er bei der Auslegung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln seiner „sich aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergebenden Schutzpflicht […]“1045 gegen Gefahren, die von Privaten ausgehen, nicht nachkommt. Das gilt umso mehr, als auch das Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass der Richter bei einem Verstoß gegen den objektiven Grundrechtsgehalt bei der Auslegung normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln durch seine Entscheidung zugleich unmittelbar das Grundrecht verletzt, „auf dessen Beachtung auch durch die rechtsprechende Gewalt der Bürger einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat“.1046 Dies verdeutlicht, dass das Eingriffsverbot in die Grundrechte des Bürgers mit der korrespondierenden Unterlassungspflicht des Staates und die Schutzpflicht mit dem korrespondierenden grundrechtsverwirklichenden Handlungsgebot an den Staat1047 letztendlich dieselbe, durch die Grundrechte geschützte materielle Freiheit betreffen,1048 obwohl sie als Handlungsgebot und Unterlassungspflicht unterschiedliche Schutzrichtungen aufweisen. Gleichwohl wird im Schrifttum vertreten, dass aus dem Unterschied zwischen Handlungsgebot und Unterlassungspflicht ein geringeres Schutzniveau des objektiven Grundrechtsgehalts folgt. So vertritt Canaris die Auffassung, dass die Konstellation des Unterlassens im Verfassungsrecht, ähnlich wie in anderen Rechtsgebieten, eine Rechtspflicht zum Handeln voraussetze, sodass aufgrund des höheren Argumentationsaufwandes der Schutzinhalt herabgesetzt sei.1049 Dies 1043  A. A. Dreier, Jura 1994, 505 (510) nach dem die Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht zwar Resultat der Grundrechtsbindung der Rechtsprechung sei, dieses aber nichts über die Intensität und Reichweite des objektiven Grundrechtsgehaltes aussage. 1044  Grzeszick, Rechte und Ansprüche, S. 359. 1045  BVerfG, Beschl. v. 6. 5. 1997 – 1 BvR 409/90, NJW 1997, 1769 (1770). 1046  BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 – 1 BvR 400/57, NJW 1958, 257 (258). 1047  Siehe bereits zu dieser Differenzierung zwischen Schutzpflicht und Abwehrrecht nach Handlung und Unterlassung Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415 f.; Canaris, JuS 1989, 161 (163); ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 43; Dreier, Jura 1994, 505 (512); Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 63; vgl. auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 34 f.; Aussem, Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte, S. 35. 1048  Calliess, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 44 Rn. 18; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 191 Rn. 1. 1049  Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 43 – 45.

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ist jedoch abzulehnen. Denn die Grundrechte begründen aufgrund ihrer überragenden Bedeutung unmittelbar Handlungspflichten des Staates zum Schutz des Einzelnen.1050 Dem Verfassungstext lässt sich das Erfordernis einer Rechtspflicht zum Handeln nicht entnehmen. Zudem würde das Statuieren einer Rechtspflicht zum Handeln im Bereich der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln dem Ziel der Verfassung einen effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten, zuwiderlaufen. Denn wäre die Schwelle zur Handlungspflicht noch nicht überschritten, hätte dies zur Konsequenz, dass die Grundrechte bei der Konkretisierungsentscheidung gänzlich außer Betracht bleiben müssten. Ein geringeres Schutzniveau des objektiven Grundrechtsgehalts kann sich auch nicht aus der Behauptung ergeben, dieser sei im Gegensatz zum Abwehrrecht in seiner Zielsetzung unbestimmt.1051 Zwar ist richtig, dass die Schutzpflicht ihrem Inhalt und ihrer Zielsetzung nach grundsätzlich nicht eine bestimmte Handlung bzw. ein bestimmtes Schutzmittel gebietet und dem Staat insoweit ein weiter Einschätzung-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt.1052 Allerdings unterscheidet sich der objektive Grundrechtsgehalt darin nicht maßgeblich von den Abwehrrechten. Denn diese fordern in ähnlicher Weise nicht nur das Unterlassen eines konkreten Beeinträchtigungsmittels, sondern jeglicher in die Grundrechte in ungerechtfertigter Weise eingreifender Handlungen.1053 Darüber hinaus ist die Frage nach dem Umfang des Schutzbereiches rechtslogisch derjenigen, nach den zu dessen Schutz einzusetzenden Mittel vorgelagert.1054 Ist der objektive Schutzbereich schon nicht eröffnet, bedarf es keiner weiteren Erörterungen nach geeigneten Handlungen zu dessen Bewahrung. Der objektive Grundrechtsgehalt weicht auch nicht vom subjektiven dahin gehend ab, dass er in seiner materiell-rechtlichen Reichweite unabhängig von der Grundrechtsberechtigung bzw. vom jeweiligen persönlichen Schutzbereich des Abwehrrechts wäre.1055 Das heißt, bei deutschen Grundrechten entfaltet auch der 1050 

Annuß, Betriebsbedingte Kündigung, S. 12 f. auch Annuß, Betriebsbedingte Kündigung, S. 13; Hager, JZ 1994, 373 (381); a. A. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 43 f. 1052 Ständige Rechtsprechung BVerfG, Beschl. v. 26. 7. 2016 – 1 BvL 8/15, BeckRS 2016, 50313, Rn. 70; BVerfG, Beschl. v. 6. 5. 1997 – 1 BvR 409/90, NJW 1997, 1769 (1770). 1053  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 421. 1054 Vgl. Diehn, Rückkehrzusagen beim Betriebsübergang, S. 100; Hager, JZ 1994, 373 (381); Annuß, Betriebsbedingte Kündigung, S. 13. 1055  Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 118; Stern, Staatsrecht III/2, S. 73, der die Grundrechtsberechtigung in personeller Hinsicht als „äußersten Rahmen“ der objektiven Grundrechtsgehalte ansieht; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 191 Rn. 222; ähnlich Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 27, der jedoch Ausnahmen für „Vor- und Nachwirkungen“ zulässt, wenn dies „im Interesse effektiven Schutzes der Grundrechtssubstanz geboten“ erscheint; a. A. Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S.  179 – 181. 1051  So

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objektive Grundrechtsgehalt seinen Schutz nur gegenüber Deutschen. Finden die Grundrechte nach Art. 19 Abs. 3 GG ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen Anwendung, gilt dies für den objektiven und den subjektiven Grundrechtsgehalt gleichermaßen. Zwar ist der objektive Grundrechtsgehalt in seiner Wirkung als objektives Recht bzw. Prinzip abstrakt von dem Grundrechtsträger sowie den Adressaten und den Modalitäten des Gegenstandes des Rechts.1056 Allerdings kann er inhaltlich nicht weiter reichen als das Grundrecht in seiner Abwehrfunktion. Anderenfalls besteht die Möglichkeit, dass zwingende Vorgaben der Verfassung unterlaufen werden.1057 Zudem ergibt sich dies aus der Funktion des objektiven Grundrechtsgehalts, die Grundrechte in ihrem Abwehrgehalt zu stärken.1058 Wenn das Abwehrrecht die betreffende Person schon nicht schützt, gibt es auch für den objektiven Grundrechtsgehalt keinen Schutz zu verstärken. Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass objektiver und subjektiver Grundrechtsgehalt im Grundsatz deckungsgleich sind. Es kann mithin für die Darstellung der einzelnen verfassungsrechtlichen Vorgaben auch auf die Rechtsprechung und Literatur zu den Grundrechten als Abwehrrechte zurückgegriffen werden. Nur in besonderen Ausnahmefällen ist denkbar, dass beide Grundrechtsgehalte voneinander abweichen. Als Beispiel seien Vor- und Nachwirkungskonstellationen genannt, bei denen entweder noch kein Grundrechtsträger vorliegt (Stichwort: Schutz von Embryonen) oder ein solcher nicht mehr existiert (Stichwort: postmortales Persönlichkeitsrecht), bei denen aber für einen umfassenden Schutz der objektive Grundrechtsgehalt dennoch gelten und auf diese Fälle ausgeweitet werden muss.1059 Die Fallgruppen dürften jedoch in dem hier interessierenden Bereich des Arbeitsrechts kaum relevant werden; eine weitere Ausführung soll daher unterbleiben. b)  Umfang und Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung des objektiven Grundrechtsgehalts auf die normativunbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln Bis heute fehlt es an einem verlässlichen Maßstab, den Umfang und die Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung des objektiven Grundrechtsgehalts auf die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln zu bestimmen.1060 Beides hängt maßgeblich von zwei verschiedenen Faktoren ab: zum einen, ob es sich bei dem betroffenen Arbeitsrechtsgebiet um sog. konkretisiertes Verfassungsrecht handelt. Zum anderen davon, wie viele miteinander kol1056 

Siehe hierzu Drittes Kapitel § 11 B. II. 1. Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, S. 179. 1058  Siehe hierzu auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 477 f. 1059 Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 27. 1060 Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 65. 1057 

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lidierende Grundrechtspositionen der betroffenen Arbeitsrechtssubjekte durch den Rechtsanwender zum Ausgleich zu bringen sind. Im Bereich des sog. konkretisierten Verfassungsrechts, wo der Arbeitsrechtsgesetzgeber den Ausgleich der verfassungsrechtlich geschützten Interessen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder sonstiger am Arbeitsleben Beteiligter auf Ebene des einfachen Gesetzes vorgezeichnet hat, darf dessen Entscheidung nicht durch die Konkretisierung des Rechtsanwenders unterlaufen bzw. korrigiert werden.1061 Das gilt jedenfalls solange, wie sich der Gesetzgeber selbst an den von den Grundrechten vorgegebenen Gestaltungsrahmen gehalten hat.1062 Auf dem Gebiet des konkretisierten Verfassungsrechts ist somit der Umfang und die Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung des objektiven Grundrechtsgehalts über den sich ohnehin schon im einfachen Gesetz niedergeschlagenen grundrechtlichen Einfluss im Regelfall geringer als in anderen Bereichen. Darüber hinaus hängen der Umfang und die Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung des objektiven Grundrechtsgehalts maßgeblich davon ab, wie viele miteinander kollidierende Grundrechtspositionen der gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Arbeitsrechtssubjekte durch den Rechtsanwender zum Ausgleich zu bringen sind. Es handelt sich mithin um ein „Kollisionsproblem“.1063 Die Rechtsfigur der Schutzpflicht, mit der die Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht begründet wird, hält keine Lösung für dieses Problem bereit.1064 Sie steckt nur die äußeren Grenzen der Kollisionsentscheidung ab; enthält aber keine Vorgaben für den Ausgleich innerhalb dieses Rahmens.1065 Sowohl im Schrifttum als auch in der Rechtsprechung ist jedoch – unabhängig von der dogmatischen Herleitung – anerkannt, dass der Rechtsanwender die widerstreitenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung erfassen und in einen angemessenen Ausgleich im Sinne praktischer Konkordanz zu bringen hat, sodass der Grundrechtsschutz für alle Betroffenen möglichst weitgehend wirksam wird.1066 1061 Vgl. Aussem, Die Ausstrahlungswirkung, S. 186; Preis, NZA 1997, 1256 (1258); Ascheid/Preis/Schmidt/Preis, Grundlagen A. Rn. 24. 1062  Aber auch dort darf der Rechtsanwender nicht gegen den Wortlaut und den eindeutigen Willen des Gesetzgebers die Norm verfassungskonform auslegen, BVerfG, Beschl. v. 30. 6. 1964 – 1 BvL 16 – 25/62, NJW 1964, 1563 (1564). Aussem, Die Ausstrahlungswirkung, S. 186; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 55 und Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 764 verweisen zu Recht auf die Möglichkeit der Vorlage beim Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG, wenn es um nachkonstitutionelles Recht geht. 1063  Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 480; ebenfalls Aussem, Die Ausstrahlungswirkung, S. 6. 1064  Wank, RdA 1999, 130 (136). 1065  Wank, RdA 1999, 130 (136). 1066  BVerfG, Urt. v. 31. 5. 2016 – 1 BvR 1585/13, NJW 2016, 2247 (2248); BVerfG, Beschl. v. 22. 10. 2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387 (1393); BVerfG, Beschl. v. 30. 7. 2003 – 1 BvR 792/03, NJW 2003, 2815; Canaris, JuS 1989, 161 (163).

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Handlungsleitend ist für den Rechtsanwender mithin die Optimierung des Grundrechtsschutzes im Privatrecht.1067 Dazu hat der Rechtsanwender die widerstreitenden Grundrechtspositionen im Einzelfall umfassend gegeneinander abzuwägen.1068 Es gelten die allgemeinen Abwägungsgrundsätze, wie sie auch in anderen Rechtsbereichen Anwendung finden.1069 Eine Abwägung zwischen den einzelnen Grundrechtspositionen losgelöst vom konkreten Einzelfall ist nicht möglich, da es keine abstrakte Rangordnung von objektiven Schutzgehalten gibt1070. Bei der Abwägungsentscheidung steht dem Rechtsanwender ein Einschätzungs- und Wertungsspielraum zu,1071 welcher von der Erfassung der relevanten Tatsachen über die Gewichtung und Bestimmung der Schutzbedürftigkeit der kollidierenden Rechtsgüter bis hin zur Entscheidungsfolgenprognose reicht1072. Der Entscheidungsspielraum wird nur durch das Unter- und das Übermaßverbot begrenzt,1073 welche auf Kontrollebene festlegen, wann noch von einem angemessenen Ausgleich der Grundrechtspositionen im Sinne praktischer Konkordanz gesprochen werden kann1074. Wann diese Grenzen überschritten sind, lässt sich nicht einheitlich beantworten.1075 Dies muss vielmehr im konkreten Einzelfall festgelegt werden und orientiert sich an der Art des betroffenen Rechtsguts, der Intensität der konkreten Bedrohung, dem quantitativen Ausmaß der Gefahr sowie der Möglich1067 

Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (290); Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 205. BVerfG, Urt. v. 31. 5. 2016 – 1 BvR 1585/13, NJW 2016, 2247 (2248); BVerfG, Beschl. v. 30. 7. 2003 – 1 BvR 792/03, NJW 2003, 2815; Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (290); auch Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 204, jedoch in Bezug auf den Gesetzgeber. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen bedarf es keiner einfallbezogenen Abwägung, hierzu Canaris, JuS 1989, 161 (164). 1069  Siehe hierzu ausführlicher Erstes Kapitel § 3 B. III. 2. c) bb) (3). Wank, RdA 1999, 130 (138) fordert die Entwicklung einer „Verfassungsrechtsdogmatik der privatrechtlichen Abwägung“. 1070  Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 206; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/ Bethge, BVerfGG, § 90 Rn. 311; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 86 f.; BVerfG, Beschl. v. 1. 3. 1978 – 1 BvR 333/75, 1 BvR 174/71, 1 BvR 178/71, 1 BvR 191/71, NJW 1978, 1621 (1622); a. A. Canaris, JuS 1989, 161 (164). 1071  Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, S. 117; siehe auch BVerfG, Urt. v. 10. 1. 1995 – 1 BvF 1/90, 1 BvR 342/90, 1 BvR 348/90, NJW 1995, 2339 (2341); Canaris, JuS 1989, 161 (163), jeweils für den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, dieser gilt aber ohne Weiteres auch für die Rechtsprechung. 1072  Hain, DVBl 1993, 982 (984); BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1998 – 1 BvL 15 – 87, NJW 1998, 1475 (1476), jeweils für den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers; die Grundsätze sind jedoch ohne Weiteres auf den Gestaltungsspielraum der Rechtsprechung übertragbar. 1073  Dieterich, in: FS Schaub, S. 117 (122); Wank, RdA 1999, 130 (136); für den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 218; Weißflog, Abfindungsansprüche, S.  415 – 417. 1074  Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 77. 1075  Oldiges, in: FS Friauf, S. 281 (306); Canaris, AcP 184 (1984), 201 (228). 1068 

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keit des Betroffenen zum Selbstschutz.1076 Sofern danach der Umfang des objektiven Grundrechtsgehalts im konkreten Einzelfall feststeht, entfaltet er innerhalb der Konkretisierungsentscheidung seine Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung auf die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln bei der (systematischen) Auslegung.1077 Bei mehreren Konkretisierungsmöglichkeiten des einfachen Gesetzesrechts ist – nach Ausschöpfung der anderen Auslegungsmethoden –1078 diejenige zu bevorzugen, welche die kollidierenden Grundrechte der beteiligten Arbeitsrechtssubjekte möglichst weitgehend im Sinne praktischer Konkordanz zum Ausgleich bringt und damit den Schutzaufträgen der Verfassung am umfassendsten gerecht wird.1079 Im Ergebnis hängen der Umfang und die Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung des objektiven Grundrechtsgehalts vom konkreten Einzelfall ab; sie lassen sich nicht abstrakt bestimmen. Das bedeutet einmal mehr, dass dem Vorhaben, die Möglichkeit eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen zu untersuchen, Grenzen gesetzt sind. Auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben werden keine abschließende Beurteilung dieser Problematik erlauben. Sofern im Folgenden die grundrechtlichen Vorgaben für arbeitsrechtliche Fälle mit Familienunternehmensbezug im Einzelnen dargestellt werden, handelt es sich lediglich um allgemeine Ausführungen zur Reichweite des objektiven Schutzgehalts der Grundrechte. Die Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung den dieser auf die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln entfaltet, kann hingegen nicht bestimmt werden. 2.  Grundrechtliche Schutzgehalte im Einzelnen Für Familienunternehmen gelten zunächst dieselben grundrechtlichen Schutzgehalte wie für jeden anderen Arbeitgeber. Zu nennen ist besonders die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG, die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG und die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG als sog. Auffanggrundrecht. Der Umfang und die Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung, den diese Schutzgehalte 1076 

Canaris, AcP 184 (1984), 201 (228); ders., JuS 1989, 161 (163). Hierzu bereits Drittes Kapitel § 11 A. I. 2. a) aa). 1078 Ascheid/Preis/Schmidt-IV/Kiel, § 1 KSchG Rn. 452. Anderenfalls könnte der vom Arbeitsrechtsgesetzgeber vorentschiedene Ausgleich der grundrechtlichen Positionen unterlaufen werden. 1079 BVerfG, Urt. v. 31. 5. 2016 – 1 BvR 1585/13, NJW 2016, 2247 (2250); BVerfG, Beschl. v. 30. 3. 1993 – 1 BvR 1045/89 u. a., NJW 1993, 2861 (2863); BVerfG, Beschl. v. 23. 10. 1958 – 1 BvL 45/56, NJW 1958, 2059 (2061). Der Ausgleich der kollidierenden Grundrechte im Wege praktischer Konkordanz ist nicht nur Aufgabe des Gesetzgebers, sondern auch des Richters, Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 654, Fn. 165; siehe auch Manssen, Staatsrecht II, Rn. 63 – 66. 1077 

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

über die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln entfalten, bestimmt sich maßgeblich in ihrer Wechselwirkung zu den Grundrechten der Arbeitnehmer, insbesondere deren Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, deren Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG sowie subsidiär deren allgemeiner Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG. Zwischen diesen kollidierenden objektiven Schutzgehalten der Grundrechte des Arbeitgebers und denen der Arbeitnehmer ist im Arbeitsrecht im Regelfall ein Ausgleich herbeizuführen; welcher aus den bereits genannten Gründen nicht antizipiert werden kann. Darüber hinaus sind für das Untersuchungsziel eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen verfassungsrechtliche Gewährleistungen, die auf alle Arbeitgeber gleichermaßen Anwendung finden, ohne Belang und sollen außer Betracht bleiben. Es gilt diejenigen grundrechtlichen Schutzgehalte herauszufiltern, die speziell für Familienunternehmen relevant werden und diese von anderen Arbeitgebern unterscheiden (könnten). Auf diese soll sich die vorliegende Darstellung konzentrieren. Als besonderer grundrechtlicher Schutzgehalt für Familienunternehmen kommt zunächst ein Grundrecht in Betracht, das gegenwärtig auf alle Unternehmen bzw. Arbeitgeber gleichermaßen Anwendung findet und lediglich mit zunehmender Größe des Unternehmens an Schutzintensität verliert – die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.1080 Bereits im einleitenden Kapitel wurde ­darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Anwendung dieses Grundrechts vorrangig eine quantitative, größenabhängige Unterscheidung vornimmt, allerdings als Ausnahme mit dem „maßgebenden Anteilseigner“ qualitative Gesichtspunkte heranzieht, und zwar nach dem Grad der personalistischen Prägung des Unternehmensträgers.1081 Insoweit könnten sich auch Besonderheiten für die personalistisch strukturierten Gesellschaften, speziell die Familienunternehmen, ergeben. Diese These soll auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Als weiterer besonderer grundrechtlicher Schutzgehalt, den es zu untersuchen gilt, kommt Art. 6 Abs. 1 GG in Betracht, der die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt. Es drängt sich die Frage auf, ob sich daraus auch ein spezieller Schutz für die Familienunternehmen ergeben könnte. Schließlich soll auf den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG eingegangen werden. Möglicherweise gebietet dieser eine Differenzierung der Familienunternehmen gegenüber den Nichtfamilienunternehmen.

1080  Art. 12 Abs. 1 GG ist insbesondere nicht auf kleine und mittlere Unternehmen zu beschränken, so BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (707 f.); Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 170 Rn. 87; Papier, DVBl 1984, 801 (806). 1081  Siehe Einleitendes Kapitel § 2 B. II., S. 40 f.

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a)  Schutz der Unternehmerfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG Art. 12 Abs. 1 GG ist die „zentrale Grundsatznorm“ für das Arbeits- und Wirtschaftsleben.1082 Besonderheiten in diesem Bereich hätten breite Auswirkungen auf das Arbeitsrecht. Daher sollen zunächst grundsätzliche Ausführungen zum Schutzgehalt der „Unternehmerfreiheit“1083 als Ausprägung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG getätigt werden, bevor auf eine (mögliche) Differenzierung hinsichtlich ihrer Schutzintensität eingegangen wird. aa) Grundsätzliches zum Schutzgehalt Die Unternehmerfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht zur freien Gründung und Führung von Unternehmen.1084 Sie umfasst sowohl die Organisations- als auch die Dispositionsfreiheit des Unternehmers „über die ihm und seinem Unternehmen zugeordneten Güter und Rechtspositionen“1085, zu der auch die arbeitgeberischen Leitungs- und Entscheidungsbefugnisse1086 zählen. Die Unternehmerfreiheit schützt damit die gesamte Personalpolitik,1087 einschließlich der Personalplanung, von der Auswahl und Einstellung des einzelnen Arbeitnehmers,1088 über den Abschluss und die inhaltliche Gestaltung von Arbeits- und Aufhebungsverträgen1089. Geschützt ist insbesondere das Interesse des Arbeitgebers in seinem Unternehmen ausschließlich Arbeitnehmer zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen, sowie deren Anzahl auf das von ihm vorgesehene Maß zu beschränken und so zu bestimmen, welche Größenordnung sein Unternehmen haben soll.1090 Entsprechend werden durch die Unternehmerfreiheit 1082 

Hergenröder, ZfA 2002, 355 (358). Terminologie ist nicht einheitlich, häufig wird auch der Begriff der „Unternehmensfreiheit“ verwendet. Siehe zu diesen unterschiedlichen Begrifflichkeiten Rüfner, DVBl 1976, 689. 1084  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (708). Nur vereinzelt wird im Schrifttum vertreten, dass aus Art. 12 Abs. 1 GG keine Schutzpflichten erwachsen, hierzu v. Wickede, Sonderkündigungsschutz, S. 288 ff. mit Nachweisen. 1085  BVerfG, Beschl. v. 3. 12. 1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 (83); Weißflog, Abfindungsansprüche, S. 440. 1086  Stern, Staatsrecht IV/1, S. 1820; Sterzel, in: FS Stein, S. 215 (223); ähnlich Schwier, Der Schutz der „Unternehmerischen Freiheit“, S. 42. 1087  Ossenbühl, AöR 115 (1990), 1 (18). 1088  Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 135; Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 633. 1089  Weißflog, Abfindungsansprüche, S. 440; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 12 GG Rn. 79; BAG, Urt. v. 30. 9. 1993 – 7 AZR 268/93, NJW 1994, 1021 (1022). 1090  BVerfG, Beschl. v. 30. 7. 2003 – 1 BvR 792/03, NJW 2003, 2815; BVerfG, Beschl. v. 27. 1. 1998 – 1 BvL 15 – 87, NJW 1998, 1475 (1476); v. Wickede, Sonderkündigungsschutz, 1083  Die

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

die Kündigungsentscheidungen des Arbeitgebers maßgeblich geschützt.1091 Das gilt sowohl für Kündigungen aus betriebsbedingten als auch aus personen- und verhaltensbedingten Gründen.1092 Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts werden von der Unternehmerfreiheit zum einen dann geschützt, wenn sie diese als Einzelunternehmer (Einzelkaufmann oder sonstige Gewerbetreibende, die mangels Handelsgewerbe bzw. Eintragung keine Kaufleute sind) wahrnehmen. Dann steht der Schutz dem Einzelunternehmer als natürlicher Person zu. Zum anderen kann sich die Familie entschlossen haben, sich zum Zwecke der Verfolgung ihrer beruflichen und unternehmerischen Ziele kollektiv zu einer Personen- (GbR, OHG, KG), Kapital­ gesellschaft (AG, KGaA, GmbH) oder Genossenschaft zusammenzuschließen; dann steht die Unternehmerfreiheit dem Familienunternehmen als juristischer Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG zu.1093 Im letzten Fall setzt die Anwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 GG voraus, dass die Erwerbstätigkeit „ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise von einer juristischen wie von einer natürlichen Person ausgeübt werden kann“.1094 Denn der objektive Grundrechtsgehalt ist in seiner materiell-rechtlichen Reichweite abhängig von der Grundrechtsberechtigung.1095 In dem Erfordernis der wesensmäßigen Anwendbarkeit liegt auch die Grundlage für eine Differenzierung der Schutzintensität des Art. 12 Abs. 1 GG, was im Folgenden näher dargestellt werden soll. bb) Abgestufter Grundrechtsschutz nach dem Grad des personalen Grundzuges Die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, und damit die Unternehmerfreiheit weisen – wie alle Grundrechte –1096 einen individualrechtlich-personalen Bezug S. 272; Weißflog, Abfindungsansprüche, S. 440. 1091  Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, § 1 Rn. 794; Bengsch, Der verfassungsrechtlich geforderte Mindestkündigungsschutz, S. 631 f.; Papier, RdA 2000, 1 (4); Preis, NZA 1997, 1256 (1257); Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 135; v. Wickede, Sonderkündigungsschutz, S. 272; Weißflog, Abfindungsansprüche, S. 440. 1092 Vgl. Hromadka, ZfA 2002, 383 (390). 1093  Müller, Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, S. 22; siehe auch Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 170 Rn. 87. Der Begriff der „inländische[n] juristischen Person“ im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG ist weit zu verstehen, sodass hiervon nicht nur die (inländischen) juristischen Personen des Privatrechts, sondern auch nicht- oder teilrechtsfähige Personenvereinigungen des Privatrechts umfasst sind, Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 19 GG Rn. 17 ff., Art. 12 Rn. 13; v. Münch/Kunig/Krebs, Art. 19 GG Rn. 33. 1094  BVerfG, Beschl. v. 18. 1. 2002 – 1 BvR 2284/95, NJW 2002, 1485; BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (708); BVerfG, Urt. v. 4. 4. 1967 – 1 BvR 84/65, NJW 1967, 974 (975); Baumann, BB 1997, 2281 (2288). 1095  Siehe bereits Drittes Kapitel § 11 B. II. 1. a). 1096  Horn, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, § 41 Rn. 13; Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 502 f.; Leibholz/Rinck, Art. 19 GG Rn. 91.

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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auf:1097 Sie werden vorrangig im Interesse des einzelnen Menschen gewährleistet.1098 Die Berufsfreiheit und mit ihr die Unternehmerfreiheit dienen dem Schutz der personalen Entfaltung des arbeitenden Menschen in der Gesellschaft sowie der Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage.1099 Sie konkretisieren damit das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG auf dem Gebiet der „individuellen Leistung und Existenzerhaltung“.1100 Der individualrechtlich-personale Bezug ist unzweifelhaft gegeben, wenn die Unternehmerfreiheit von einer natürlichen Person wahrgenommen wird; mithin bei den Familienunternehmen von einem Einzelunternehmer. Problematisch ist der personale Bezug jedoch dann, wenn die Unternehmerfreiheit von einem Familienunternehmen als juristischer Person wahrgenommen wird, und eben nicht von einem einzelnen Menschen. In diesem Fall ist die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG auf die juristische Person nur dann gerechtfertigt, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der hinter ihr stehenden natürlichen Personen ist.1101 Das gilt „besonders wenn der ,Durchgriff’ auf die hinter de[r] juristischen Person[ ] stehenden Menschen dies als sinnvoll oder erforderlich erscheinen läßt“.1102 In diesem Sinne ist auch der Passus in Art. 19 Abs. 3 GG zu verstehen, wonach die Grundrechte „ihrem Wesen nach“ auf die juristischen Personen Anwendung finden. Der personale Bezug ist bei den juristischen Personen nicht in gleichem Maße ausgeprägt.1103 Vielmehr variiert er nach den Einflussmöglichkeiten des Einzelnen auf die Entscheidungsfindung innerhalb des Unternehmensträgers und der damit korrespondierenden Möglichkeit seine Grundrechte mittels der juristischen Person wahrzunehmen. Maßgeblich sind besonders die Rechtsform und die Binnenstruktur des Unternehmensträgers sowie die Größe des Zusammenschlusses.1104 1097  Für die Unternehmerfreiheit grundlegend BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (707); auch Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 12 GG Rn. 2. 1098  BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411 (1412); Leibholz/ Rinck, Art. 19 GG Rn. 91; Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 205 f. 1099  BVerfG, Beschl. v. 7. 2. 1990 – 1 BvR 26/84, NJW 1990, 1469 (1470). 1100  BVerfG, Beschl. v. 13. 2. 2007 – 1 BvR 910/05, NJW 2007, 2098; BVerfG, Beschl. v. 20. 3. 2001 – 1 BvR 491/96; Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 39; Papier, DVBl 1984, 801 (806). 1101  BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411 (1412); BVerfG, Beschl. v. 14. 4. 1987 – 1 BvR 775/84, NVwZ 1987, 879 (880). 1102 BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1967 – 1 BvR 578/63, NJW 1967, 1411 (1412); ähnlich ­BVerfG, Beschl. v. 14. 4. 1987 – 1 BvR 775/84, NVwZ 1987, 879 (880). Zur Kritik an dieser sog. Durchgriffsthese v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber, Art. 19 GG Rn. 213 ff. 1103  Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 229. 1104  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 505; Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 230 ff.; kritisch zur Abstufung des Grundrechtsschutzes nach der jeweiligen Ge-

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Im Übrigen kann auf diejenigen Kriterien verwiesen werden, welche der Familie einen beherrschenden Einfluss auf den Unternehmensträger gewähren und bereits im Rahmen des Familienunternehmensbegriffes im Sinne des Arbeitsrechts dargestellt wurden.1105 Denn hierbei handelt es sich um Kriterien, die generell Einfluss auf ein Unternehmen gewähren. Der personale Bezug ist umso größer, je weniger die juristische Person gegenüber den hinter ihr stehenden Personen verselbstständigt ist1106 und je mehr der einzelne Gesellschafter seine Grundrechte mittels der juristischen Person wahrnehmen kann1107. Bei einer Einpersonengesellschaft, in der sich Eigentum und Leitung in der Hand einer natürlichen Person vereinigen, ist das personale Substrat am größten; während es bei Publikumsgesellschaften im Streubesitz am geringsten anzusehen sein wird. Die Erstreckung des Grundrechtsschutzes der Unternehmerfreiheit auf die juristischen Personen ist insofern differenziert zu betrachten. Sie erfordert eine Abstufung der Intensität des Grundrechtsschutzes nach dem Grad des personalen Grundzuges.1108 Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht im Mitbestimmungsurteil erkannt, allerdings nahm es in unzutreffender Weise maßgeblich eine quantitative Differenzierung nach der Unternehmensgröße vor (die sich nach der Beschäftigtenanzahl richtet).1109 So sei nach dem Gericht bei den Klein- und Mittelbetrieben der personale Bezug der Unternehmerfreiheit voll verwirklicht, während er im Großunternehmen fast ganz verloren ginge.1110 Nur für einen „maßgebenden Anteilseigner“ seien Ausnahmen zulässig, insbesondere „wenn dieser, wie bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung […] zugleich in der Leitung des Unternehmens tätig“ sei.1111 Einzig bei dieser Ausnahme wird mit der Kapitalbeteiligung und der Leitungsmacht auf qualitative Kriterien abgestellt. Zwar ist richtig, dass der personale Bezug mit zunehmender Unternehmensgröße in der Regel abnehmen wird. Denn diese erfordert regelmäßig zusätzliche Kapitalgeber und Leitungspersonen, die ebenfalls ihre Interessen im Unternehmensträger durchsetzen wollen, sodass sich der Einfluss der einzelnen Person stetig verringern wird. Insofern besteht eine gewisse Korrelation zwischen der Unternehmensgröße und dem persellschafterstruktur und Rechtsform Hecker, Marktoptimierende Wirtschaftsaufsicht, S. 185. 1105  Siehe hierzu Erstes Kapitel § 3 B. III. 2 c) bb) (2). 1106  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 505. 1107 Vgl. Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 232. 1108  Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 39; Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 229. 1109  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (708); kritisch auch Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 228. 1110  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (708). 1111  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (708).

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sonalen Charakter des Unternehmensträgers. Allerdings muss dies nicht zwangsläufig sein. Gerade in personalistisch strukturierten Gesellschaften, die einen begrenzten Gesellschafterkreis und eine beschränkte Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile aufweisen, ist der Einfluss des Einzelnen unabhängig von der Unternehmensgröße besonders hoch. Dementsprechend wird im Schrifttum auch die Auffassung vertreten, dass zwischen dem Grundrechtsschutz von Einzelpersonen, personenbezogenen und nicht personenbezogenen Unternehmen differenziert werden müsse.1112 Eine rein größenorientierte Differenzierung ist jedenfalls aus den genannten Gründen abzulehnen. Vielmehr bietet es sich zugunsten der Einzelfallgerechtigkeit an, den personalen Grundzug unabhängig von einer starren Kategorisierung in bestimmte Unternehmensklassen und -größen zu bestimmen, und zwar anhand der Ausprägung des Einflusses der Einzelpersonen auf den Unternehmensträger im konkreten Fall. Diese lässt sich mittels einer Wertung der vorhandenen Einflusskriterien bestimmen und mit ihr die Ausprägung des personalen Grundzuges im Einzelfall.1113 Letztere legt die Schutzintensität der Unternehmerfreiheit maßgeblich fest, welche sich im Wesentlichen auf den Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers auswirkt.1114 Konkret vergrößert sich die Regelungsbefugnis zulasten des einzelnen Unternehmens mit der Abnahme des personalen Grundzuges;1115 bei der Abwägung ist den kollidierenden Grundrechtspositionen anderer am Arbeitsleben Beteiligter eher der Vorrang zu geben1116. Wenn der Gesetzgeber selbst keine Regelung getroffen hat, sondern diese durch den Rechtsanwender im konkreten Einzelfall vorgenommen wird, betrifft die Abstufung der Schutzintensität den Umfang und die Intensität der Ausstrahlungs- und Gestaltungswirkung des objektiven Grundrechtsgehalts der Unternehmerfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auf die normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln. Konkret ist sie Vorgabe für den Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen: Danach ist der Unternehmerfreiheit umso eher der Vorrang gegenüber den Grundrechtspositionen anderer am Arbeitsleben Beteiligter zu geben, je mehr der personale Grundzug im Unternehmensträger ausgeprägt ist.

1112 

Raiser, JZ 1979, 489 (491 f.). Im Ergebnis auch v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber, Art. 19 GG Rn. 223 – 225. 1114  BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (708). 1115  Das Bundesverfassungsgericht zieht diese Rechtsfolge nicht in letzter Konsequenz, sondern stellt lediglich fest, dass der personale Bezug „für den Umfang der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers von Bedeutung“ ist, BVerfG, Urt. v. 1. 3. 1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78, 1 BvL 21/78, NJW 1979, 699 (708); in ähnlicher Weise versteht jedoch auch Raiser, JZ 1979, 489 (492) diesen Passus. 1116 Auch Badura, DÖV 1990, 353 (359) zieht den Schluss, dass sich die Abstufung der Schutzintensität im Rahmen der Abwägungsentscheidung auswirkt. 1113 

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Familienunternehmen weisen überwiegend einen begrenzten Gesellschafterkreis und eine beschränkte Übertragbarkeit der Gesellschaftsanteile auf und sind somit grundsätzlich ein Unterfall der personalistisch strukturierten Gesellschaften,1117 weshalb der personale Bezug bei ihnen in der Regel besonders stark ausgeprägt sein wird. Nur im Ausnahmefall einer großen und weitverzweigten Unternehmerfamilie kann auch der Gesellschafterkreis besonders groß und der Einfluss des Einzelnen auf die Entscheidungsfindung innerhalb des Unternehmensträgers erheblich vermindert sein und damit korrespondierend die Möglichkeit seine Grundrechte mittels der juristischen Person wahrzunehmen. Letztendlich ist dies eine Frage des Einzelfalles. Praktische Auswirkungen hat der gesteigerte personale Grundzug in Familienunternehmen nur im Bereich der großen Familienunternehmen. Denn bisher stuft die Rechtsprechung die Unternehmerfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG nur für Großunternehmen ab, sodass sich der höhere personale Grundzug von kleinen und mittleren Familienunternehmen gegenüber Nichtfamilienunternehmen gleicher Größe nicht auswirkt. Für große Familienunternehmen bedeutet der höhere personale Bezug jedoch, dass deren Unternehmerfreiheit gegenüber den Grundrechtspositionen anderer am Arbeitsleben Beteiligter eher der Vorzug zu geben ist als in anderen Großunternehmen, die diese höhere Schutzintensität nicht aufweisen. Zukünftig sollte entgegen der bisherigen Rechtsprechung eine Differenzierung der Unternehmerfreiheit allein anhand der Ausprägung des Einflusses der Einzelperson auf den Unternehmensträger im konkreten Einzelfall vorgenommen werden. Dies würde letztlich auch eine stärkere Differenzierung zwischen den personalistisch geprägten Familienunternehmen und den Nichtfamilienunternehmen ermöglichen. b)  Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG Die Heranziehung des Schutzgehaltes von Art. 6 Abs. 1 GG für Familienunternehmen ist auf den ersten Blick ambivalent: Auf der einen Seite drängt sie sich auf; schließlich geht es um den Schutz der Familie. Auf der anderen Seite erscheint sie zugleich abwegig, denn das Familienunternehmen ist rechtlich strikt von der hinter ihm stehenden Familie zu trennen. Träger des Grundrechts von Art. 6 Abs. 1 GG sind nur die einzelnen Familienmitglieder als natürliche Personen.1118 Insofern findet die Norm zwar Anwendung auf Familienunternehmen, 1117 Vgl. Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 118; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, S. 203; Otte, Personalistische Aktiengesellschaft, S. 5; speziell für die Familiengesellschaft: Bügler, Die Behandlung der Familiengesellschaft, S. 15. Für das angloamerikanische Recht: Goldberg, JABR 2007, 7; Osi, U. Pa. J. Bus. L. 2009, 181 (182); ähnlich Rojo, Family businesses, S. 5 „family businesses share all general characteristics of closely held businesses“.

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die von Einzelunternehmern betrieben werden.1119 Auf den Großteil der Familienunternehmen in Form einer juristischen Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG findet Art. 6 Abs. 1 GG seinem Wesen nach jedoch keine Anwendung,1120 sodass diese nicht seinen Schutz genießen. Denn der objektive Grundrechtsgehalt ist in seiner materiell-rechtlichen Reichweite abhängig von der Grundrechtsberechtigung.1121 1118

Wie Art. 6 Abs. 1 GG auch für Familienunternehmen in Form einer juristischen Person Bedeutung erlangen und die Grundrechtsnorm damit Relevanz für alle arbeitsrechtlichen Fälle mit Familienunternehmensbezug besitzen kann, soll im Folgenden erörtert werden. Zunächst erfolgen jedoch einige grundsätzliche Ausführungen zum objektiven Schutzgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG. aa) Grundsätzliches zum Schutzgehalt Art. 6 Abs. 1 GG enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine wertentscheidende Grundsatznorm, die den Schutz und die Förderung der Familie durch die staatliche Ordnung im Bereich des gesamten, die Familie betreffenden Bereichs des privaten und öffentlichen Rechts gebietet.1122 Der staatliche Schutz besteht auch gegenüber Maßnahmen von privaten Dritten (z. B. Arbeitnehmern), welche die Familie beeinträchtigen.1123 Der Schutz umfasst insbesondere die Förderung des wirtschaftlichen Zusammenhalts der Familie,1124 auch innerhalb der Generationenfolge1125. Der verfassungsrechtliche Familienbegriff ist nicht mit dem arbeitsrechtlichen identisch, der dem Familienunternehmensbegriff im Sinne des Arbeitsrechts zu1118  BVerfG, Urt. v. 24. 1. 1962 – 1 BvL 32/57, NJW 1962, 437; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 6 GG Rn. 12; Hömig/Wolff/Antoni, Art. 6 GG Rn. 4; v. Mangoldt/Klein/Starck/Robbers, Art. 6 GG Rn. 27. 1119  Vgl. BVerfG, Urt. v. 24. 1. 1962 – 1 BvL 32/57, NJW 1962, 437 (438). 1120  Vgl. Sachs/Sachs, Art. 19 GG Rn. 68; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Hofmann, Art. 19 GG Rn. 25; v. Mangoldt/Klein/Starck/Robbers, Art. 6 GG Rn. 27. 1121  Siehe hierzu bereits Drittes Kapitel § 11 B. II. 1. a). 1122  BVerfG, Beschl. v. 5. 6. 2013 – 2 BvR 586/13, NVwZ 2013, 1207 (1208); B ­ VerfG, Beschl. v. 28. 2. 2013 – 2 BvR 612/12, NStZ-RR 2013, 225 (226); BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 1957 – 1 BvL 4/54, NJW 1957, 417 (418). 1123 Epping/Hillgruber/Uhle, Art. 6 GG Rn. 33. 1124  BVerfG, Beschl. v. 26. 3. 2014 – 1 BvR 1133/12, NZS 2014, 414 (416); BVerfG, Beschl. v. 30. 11. 1982 – 1 BvR 818/81, NJW 1983, 511 (512); BVerfG, Beschl. v. 18. 3. 1970 – 1 BvR 498/66, NJW 1970, 1176; BVerfG, Urt. v. 24. 1. 1962 – 1 BvR 845/58, NJW 1962, 435 (437); Maunz/Dürig/Badura, Art. 6 GG Rn. 62; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/ Hofmann, Art. 6 GG Rn. 14. 1125 Maunz/Dürig/Badura, Art. 6 GG Rn. 62; zum generationsübergreifenden Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG siehe auch BVerfG, Beschl. v. 24. 6. 2014 – 1 BvR 2926/13, NJW 2014, 2853 (2854).

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

grunde liegt. Insbesondere ist der verfassungsrechtliche Familienbegriff nicht auf die unternehmerisch aktive Familie begrenzt. Seit der Aufgabe des engen Familienbegriffs durch das Bundesverfassungsgericht ist der Familienbegriff im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG jedoch ähnlich weit gefasst.1126 Er umfasst nicht nur die Kleinfamilie bestehend aus Eltern und ihren Kindern, sondern auch Beziehungen zwischen nahen Verwandten, insbesondere Großeltern und ihrem Enkelkind.1127 Darüber hinaus beinhaltet der Begriff familiäre Bindungen über mehrere Generationen hinweg zwischen Mitgliedern einer Großfamilie.1128 Aufgrund der Weite des verfassungsrechtlichen Familienbegriffes dürfte dieser im Regelfall denjenigen der Unternehmerfamilie mit umfassen, sodass der hinter dem Familienunternehmen stehenden Familie grundsätzlich der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG zukommen wird. Dies bedarf aber in jedem Fall der Prüfung des konkreten Einzelfalles. Den objektiven Grundrechtsgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG hat nicht nur der Gesetzgeber beim Erlass von Regelungen zu berücksichtigen. Auch der Rechtsanwender muss bei seinen Entscheidungen die familiären Bindungen entsprechend ihrem Gewicht in seinen Erwägungen zur Geltung bringen und diese bei der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts, insbesondere im Bereich der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln, beachten.1129 Das einfache Recht darf nicht in einer Weise angewendet und ausgelegt werden, „die geeignet ist, den Bestand der Familie zu beeinträchtigen“.1130 bb) Die Verstärkungswirkung des Art. 6 Abs. 1 GG Nach den vorstehenden Überlegungen schützt der objektive Grundrechtsgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG zwar im Grundsatz die hinter dem Familienunternehmen stehenden Familienmitglieder in ihrer Gesamtheit, nicht jedoch das Familienunternehmen selbst, wenn es nicht von einem Einzelunternehmer betrieben wird, sondern eine juristische Person im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG ist. Das hat zur Konsequenz, dass beispielsweise in arbeitsrechtlichen Fällen, in denen das Familienunternehmen als Arbeitgeber einem familienfremden Arbeitnehmer kündigt, um dessen Arbeitsplatz für ein Mitglied der Unternehmerfamilie zur späteren Weiterführung des Unternehmens in Familienhand freizumachen, 1126 

Hierzu näher Uhle, NVwZ 2015, 272 ff. BVerfG, Beschl. v. 24. 6. 2014 – 1 BvR 2926/13, NJW 2014, 2853 (2854). 1128  BVerfG, Beschl. v. 24. 6. 2014 – 1 BvR 2926/13, NJW 2014, 2853 (2854). 1129 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. 6. 2013 – 2 BvR 586/13, NVwZ 2013, 1207 (1208); ­BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 1957 – 1 BvL 4/54, NJW 1957, 417 (418); Leibholz/Rinck, Art. 6 GG Rn. 11; v. Mangoldt/Klein/Starck/Huber, Art. 19 GG Rn. 26. 1130  BAG, Urt. v. 5. 12. 2002 – 2 AZR 549/01, NZA 2003, 791 (794); ArbG Halberstadt, Urt. v. 28. 9. 2004 – 5 Ca 675/04, BeckRS 2004, 30803247. 1127 

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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Art. 6 Abs. 1 GG neben Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen der für die Entscheidung relevanten arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe zwar für Einzelunternehmer zu beachten ist.1131 Denn die Weiterführung des Unternehmens in Familienhand ist von Art. 6 Abs. 1 GG umfasst, der den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie schützen will. Jedoch fände die Grundrechtsnorm für Familienunternehmen als juristische Personen im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG keine Anwendung. Hier ist lediglich – wie grundsätzlich in allen arbeitsrechtlichen Fällen mit Familienunternehmensbezug – die Unternehmerfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG als objektives Schutzrecht für die Familienunternehmen einschlägig. Dennoch darf in solchen arbeitsrechtlichen Fällen, in denen neben der Unternehmerfreiheit des Familienunternehmens als juristischer Person gleichzeitig der Schutz der (Unternehmer-)Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG potenziell beeinträchtigt ist, dieses Grundrecht nicht unberücksichtigt bleiben. Anderenfalls würde der grundrechtliche (Mindest-)Schutz der Familie leerlaufen. Das gilt umso mehr als häufig nur die Möglichkeit der „Haftungsabschirmung“ durch die juristische Person darüber entscheidet, ob das Familienunternehmen von einem Familienmitglied als Einzelunternehmen geführt wird oder durch eine juristische Person.1132 Die Beachtung von Art. 6 Abs. 1 GG bei Familienunternehmen als Einzelunternehmen und die Nichtberücksichtigung bei Familienunternehmen als juristischen Personen im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG führte so zu einem Wertungswiderspruch. Es stellt sich die Frage, wie dieser Wertungswiderspruch aufzulösen ist. Insbesondere gilt es zu klären, ob und gegebenenfalls wie bei der im Arbeitsrecht grundsätzlich vorzunehmenden Abwägung zwischen den objektiven Schutzgehalten der Grundrechte des Arbeitgebers und denen des Arbeitnehmers auch diejenigen Dritter berücksichtigt werden können. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass auch im Bereich der Grundrechte als Abwehrrechte Konstellationen bekannt sind, bei denen durch ein und denselben Eingriff verschiedene Grundrechtsträger, mithin auch Drittbetroffene, in ihren Grundrechten beeinträchtigt werden (sog. horizontale Kumulation von 1131  Freilich ist die kumulative Anwendung des Art. 6 Abs. 1 neben Art. 12 Abs. 1 GG innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln nicht ganz unproblematisch. Dies erfordert eine Übertragung der vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen und in der neueren Literatur anerkannten Rechtsfigur der Verstärkungswirkung der Grundrechte bei sog. additiven bzw. kumulativen Grundrechtseingriffen. Zumindest das Bundesverfassungsgericht wendet die Verstärkungswirkung auch bei dem objektiven Gehalt der Grundrechte innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe an; als grundlegendes Beispiel sei die Caroline von Monaco-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts genannt, BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1999 – 1 BvR 653/96, NJW 2000, 1021 ff. Eingehend zur Verstärkungswirkung der Grundrechte Spielmann, JuS 2004, 371 ff.; ders., Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 173 ff.; Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, 2015; siehe auch Hofmann, JURA 2008, 667 (670 ff.). 1132  Seer, in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg.), Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 97 (111) speziell für die Kapitalgesellschaft.

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Grundrechtseingriffen1133). Es handelt sich um ein weitverbreitetes, aber überraschend „wenig beachtetes Phänomen“.1134 Von denjenigen Rechtswissenschaftlern, die sich dieses Problemkreises annehmen, wird überwiegend vertreten, dass die Grundrechte Dritter mit in die Abwägung einbezogen werden können, sodass diese das Schutzinteresse des Einzelnen inhaltlich verstärken.1135 Der Grad der Verstärkungswirkung bestimmt sich in einer „Zusammenschau“ aller betroffenen Grundrechte.1136 In ähnlicher Weise bezieht auch das Bundesverfassungsgericht grundrechtliche Positionen Drittbetroffener in die Abwägung ein.1137 Dahinter steht zum einen die Erwägung, dass die Beeinträchtigung grundrechtlicher Positionen von mehreren Grundrechtsträgern im Verbund in ihrer Schutzintensität „stärker“ wirken als jede einzelne Position für sich genommen.1138 Zum anderen die Ansicht, dass die überkommene Grundrechtsdogmatik nicht mehr tragfähig ist, welche Grundrechtskonstellationen, in denen mehrere Grundrechtsträger betroffen sind, in „eindimensionale und bipolare Verhältnisse“ aufteilt.1139 Denn dies führte bei streng dogmatischer Anwendung zur Außerachtlassung geschützter Grundrechtspositionen.1140 So könne die Abwägung zu Ergebnissen gelangen, die zwar nicht für den Einzelnen, jedoch für die Gesamtheit der betroffenen Grundrechtsträger mehr Nachteile als Vorteile bringen.1141 Diese für die Grundrechte als Abwehrrechte geltenden Erwägungen lassen sich auf die Abwägung der objektiven Grundrechtsgehalte innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln übertragen. Die Übertragung ist auch notwendig, denn die Rechtsfigur der Schutzpflicht, mit der die Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht begründet wird, hält keine Lösung für dieses Problem bereit. Sie steckt nur den äußeren Rahmen für die Abwägungsentscheidung ab, enthält aber keine Vorgaben für den darin stattfindenden Ausgleich zwischen den einzelnen 1133 

Zum Begriff Klement, AöR 134 (2009), 35 (45). Klement, AöR 134 (2009), 35 (40) [Hervorhebung im Original]. 1135  Klement, AöR 134 (2009), 35 (51); Borowski, Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 443; siehe auch Hofmann, Abwägung im Recht, S. 413, 479. 1136  Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 582; ähnlich Klement, AöR 134 (2009), 35 (51). 1137  Ein kurzer Überblick findet sich bei Hofmann, Abwägung im Recht, S. 411. 1138  Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 174 für den Abwägungsverbund bei der Grundrechtskonkurrenz. Das Argument lässt sich jedoch auf den hier vorliegenden Fall übertragen. 1139 Eingehend zur Kritik an der überkommenen Grundrechtsdogmatik Aulehner, Grundrechte und Gesetzgebung, S. 386 ff. 1140  Hofmann, Abwägung im Recht, S. 479; vgl. Aulehner, Grundrechte und Gesetzgebung, S. 386 f., der jedoch darauf hinweist, dass die nach der überkommenen Grundrechtsdogmatik eigentlich unbeachtlichen Grundrechtspositionen dennoch häufig „stillschweigend mitberücksichtigt werden“, sodass sich dieses im Ergebnis häufig nicht auswirkt. 1141  Hoffmann, Abwägung im Recht, S. 413. 1134 

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Grundrechtspositionen.1142 Insofern bietet es sich an, auf die neuere Grundrechtsdogmatik zurückzugreifen. Das gilt umso mehr als wesentliche Bedenken, die gegen die Einbeziehung der Grundrechte Dritter in die Abwägungsentscheidung im Bereich der Abwehrrechte vorgebracht werden, für den objektiven Grundrechtsgehalt nicht tragen. So wird argumentiert, dass den Dritten durch die Berücksichtigung ihrer Grundrechte möglicherweise ein Schutz gegen ihren Willen aufgedrängt würde, obwohl in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung der Einzelne über die Ausübung und Verteidigung seiner Freiheit selbst bestimmen können solle.1143 Für den objektiven Grundrechtsgehalt ginge dieses Argument ins Leere, da er sich als objektives Recht bzw. Prinzip von den Abwehrrechten darin unterscheidet, dass dem Rechtsanwender nur eine rechtliche Verpflichtung auferlegt wird, auf die sich der Einzelne im Grundsatz nicht berufen kann.1144 Im Ergebnis ist damit die Rechtsfigur der horizontalen Kumulation von Grundrechtseingriffen auf die Rechtsanwendung innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln ohne Weiteres übertragbar. Bei der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung können folglich Drittgrundrechte Berücksichtigung finden, indem sie bei einer „Zusammenschau“ das primär einschlägige Grundrecht des Betroffenen in seiner Schutzintensität inhaltlich verstärken. Für arbeitsrechtliche Fälle mit Familienunternehmensbezug bietet die Rechtsfigur der horizontalen Kumulation von Grundrechtseingriffen im Bereich der konkretisierungsbedürftigen Normen den Vorteil, dass auch für Familienunternehmen als juristische Personen Art. 6 Abs. 1 GG (mittelbar) Anwendung finden kann. Konkret wird die bei grundsätzlich allen arbeitsrechtlichen Fällen primär einschlägige Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers (des Familienunternehmens) nach Art. 12 Abs. 1 GG mit dem Schutz der (Unternehmer-)Familie als Drittbetroffene nach Art. 6 Abs. 1 GG verstärkt, wenn deren objektiver Schutzgehalt zusätzlich betroffen ist. Mit dieser Lösung kann auch dem Wertungswiderspruch begegnet werden, dass sich ein Familienunternehmen als Einzelunternehmer unmittelbar auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen kann, während dies bei einem solchen als juristischer Person nicht der Fall ist. Unabhängig von deren rechtlicher Ausgestaltung kann folglich für Familienunternehmen Art. 6 Abs. 1 GG als zusätzlicher aber unselbstständiger1145 Belang in die Abwägung eingestellt werden. 1142 

Wank, RdA 1999, 130 (136). Kube, DVBl 2005, 721 (725). 1144  Alexy, Der Staat 1990, 49 (53); Cremer, in: GS Jeand’Heur, S. 59 (62); ders., Freiheitsgrundrechte, S. 191; Müller, Der Staat 1990, 33 (37 f.). 1145  Art. 6 Abs. 1 GG ist in arbeitsrechtlichen Fällen nur als unselbstständiger Belang in die Abwägung einzustellen, da er lediglich verstärkende Wirkung auf Art. 12 Abs. 1 GG hat. Abgewogen wird (vorbehaltlich sonstiger einschlägiger Grundrechte) lediglich die Unternehmerfreiheit des Familienunternehmens nach Art. 12 Abs. 1 GG mit der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers nach Art. 12 Abs. 1 GG. 1143 

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Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

Familienunternehmen genießen dadurch im Grundsatz eine höhere Schutzintensität. Die Abwägungsentscheidung wird daher eher zu ihren Gunsten ausgehen als für Nichtfamilienunternehmen in vergleichbaren Situationen. Letztendlich ist dies jedoch eine Wertungsfrage im konkreten Einzelfall. Dort muss insbesondere sorgfältig geprüft werden, ob die „Zusammenschau“ der Grundrechte überhaupt Anlass für eine Verstärkungswirkung gibt. Weiterhin gilt es zu beachten, dass die Schutzintensität des Art. 6 Abs. 1 GG mit abnehmender verwandtschaftlicher Nähe der Familienmitglieder zueinander geringer wird;1146 was sich in vergleichbarerweise auf die Verstärkungswirkung auswirkt. c)  Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.1147 Insofern könnte es naheliegen, zwischen Familienunternehmen und Nichtfamilienunternehmen innerhalb der arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und zivilrechtlichen Generalklauseln zu differenzieren, sofern sich die im zweiten Kapitel aufgefundenen tatsächlichen Besonderheiten der Familienunternehmen in zukünftigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen bestätigen. Art. 3 Abs. 1 GG findet im Privatrecht jedoch nach überwiegender Ansicht entweder keine Anwendung1148 oder entfaltet seine Ausstrahlungswirkung auf dieses nur, wenn zwischen den Vertragspartnern ein soziales Machtverhältnis ähnlich der Staat-Bürger-Beziehung besteht und eine Zwangslage des Einzelnen eintritt1149. Dies wird im Wesentlichen auf den Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG gestützt, nach dem alle Menschen „vor dem Gesetz“ gleich sind. Er beziehe damit ausdrücklich nicht das Handeln Privater mit in seinen Anwendungsbereich ein.1150 Weiterhin würde durch eine Ausweitung des Art. 3 Abs. 1 GG auf das Privatrecht die Privatautonomie beeinträchtigt bzw. zumindest gefährdet.1151 Im Rahmen dieser Untersuchung kann dahinstehen, ob dieser überwiegenden Auffassung zu folgen ist oder mit der Mindermeinung eine Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 GG 1146  BVerfG,

Beschl. v. 24. 6. 2014 – 1 BvR 2926/13, NJW 2014, 2853 (2855); Epping/ Hillgruber/Uhle, Art. 6 GG Rn. 14; v. Mangoldt/Klein/Starck/Robbers, Art. 6 GG Rn. 89; vgl. auch Dreier/Brosius-Gersdorf, Art. 6 GG Rn. 112. 1147  BVerfG, Beschl. v. 15. 7. 1998 – 1 BvR 1554/89, 1 BvR 963/94, 1 BvR 964/94, AP Nr. 26 zu § 18 BetrAVG, Bl. 750 (755 R); Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 3 GG Rn. 8. 1148  Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 84; v. Münch/ Kunig/Boysen Art. 3 GG Rn. 50. 1149 Dreier/Heun, Art. 3 GG Rn. 70; Epping/Hillgruber/Kischel, Art. 3 GG Rn. 93; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 3 GG Rn. 12 f.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Krieger, Art. 3 GG Rn. 13; Stern/Becker/Englisch, Art. 3 GG Rn. 120 f. 1150  Burkiczak, RdA 2007, 17 (21) m. w. N. 1151  Jung, Der Unternehmergesellschafter, S. 262.

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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hergeleitet werden kann1152. Denn eine Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf das Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis im Familienunternehmen hätte für diese Organisationsform nur zur Folge, dass sie als Arbeitgeber gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer vor einer ungerechten, gleichheitswidrigen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses im Vergleich zu Nichtfamilienunternehmen geschützt würde. Dies betrifft zum einen nur Konstellationen, in denen der einzelne Arbeitnehmer zugleich Arbeitsverträge mit Familien- und Nichtfamilienunternehmen abgeschlossen hat. Zum anderen setzt dies eine entsprechende Verhandlungsmacht des Arbeitnehmers voraus, die er im Regelfall nicht besitzen wird. Folglich hätte die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG auf das Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis für eine Differenzierung zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen kaum praktische Relevanz und ist dementsprechend zu vernachlässigen. Jedenfalls trägt sie nichts zu einem Sonderarbeitsrecht für sämtliche Familienunternehmen bei. III.  Zusammenfassende Betrachtung zur Berücksichtigungsfähigkeit spezifischer Familieninteressen Zusammenfassend betrachtet bestehen gegenwärtig zwar keine einfachgesetzlichen, aber mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Vorgaben, die es dem Rechtsanwender ermöglichen, die spezifischen Familieninteressen bei der Normkonkretisierung zu berücksichtigen und somit in arbeitsrechtlichen Fällen zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen zu differenzieren. Familienunternehmen genießen im Regelfall hinsichtlich beider verfassungsrechtlicher Gewährleistungen eine höhere Schutzintensität. So ermöglicht Art. 12 Abs. 1 GG einen abgestuften Grundrechtsschutz nach dem personalen Grundzug, wodurch der Unternehmerfreiheit personalistisch geprägter Arbeitgeber – wie im Regelfall den Familienunternehmen – im Rahmen des Ausgleichs der widerstreitenden Güter und Interessen innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln umso eher der Vorrang gegenüber den Grundrechtspositionen anderer am Arbeitsleben Beteiligter zu gegeben ist, je mehr der personale Grundzug ausgeprägt ist. Art. 6 Abs. 1 GG stellt zudem die Familienunternehmen als Einzelunternehmer unter seinen besonderen Schutz. Zugleich bewirkt er bei den Familienunternehmen als juristischen Personen im Rahmen der Abwägungsentscheidung innerhalb der normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und Generalklauseln eine Verstärkungswirkung der primär in arbeitsrechtlichen Fällen einschlägigen Unternehmerfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG. Dies hat wiederum zur Konsequenz, dass bei dem dort vorzunehmenden Güter- und Interessenausgleich den Interessen der Familienunterneh1152  So wohl ErfK/Schmidt, Einl. Rn. 41; Temming, Altersdiskriminierung, S. 88 – 94; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 75.

Drittes Kapitel: Legitimität und Grenzen eines Sonderarbeitsrechts

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men gegenüber denjenigen anderer am Arbeitsleben Beteiligter eher der Vorrang zu geben ist. Spezifische Familieninteressen, denen nach Art. 6 Abs. 1 GG ein besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zukommt und die entsprechend vom Rechtsanwender im Einzelfall bei der Anwendung von arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln berücksichtigt werden können, sind insbesondere finanzielle Familieninteressen (wie die Maximierung der Ausschüttungsquote zur materiellen Versorgung der Familie sowie die Erhaltung und Fortentwicklung des Familienvermögens) und traditionelle Familieninteressen (wie die erfolgreiche Weitergabe des Unternehmens an die nächste Generation). Denn diese Interessen betreffen den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie, der vom Schutzgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst ist. Nach Art. 12 Abs. 1 GG ist zudem das spezifische Familieninteresse, das Unternehmen als Familienunternehmen fortzuführen, geschützt und für den Rechtsanwender berücksichtigungsfähig. Denn Art. 12 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit des Unternehmers, das Unternehmen nach seinem Belieben zu organisieren und über dieses zu disponieren.

C.  Berücksichtigungszwang oder bloße Berücksichtigungsmöglichkeit spezifischer Familieninteressen Fraglich ist, ob der Rechtsanwender die grundgesetzlich geschützten Familieninteressen im Rahmen des Interessenausgleichs innerhalb der arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und zivilrechtlichen Generalklauseln nicht nur berücksichtigen darf, sondern auch berücksichtigen muss. Dies kann nicht pauschal beantwortet werden. Es hängt vielmehr davon ab, ob die Berücksichtigung der spezifischen Familieninteressen im konkreten Fall unerlässlich, d. h. unbedingt notwendig ist, um einen ausreichenden grundrechtlichen Schutz der Familienunternehmen zu gewährleisten. Nur dann muss der Rechtsanwender zugunsten der Familienunternehmen innerhalb der arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und zivilrechtlichen Generalklauseln schützend tätig werden und eine insoweit inhaltlich gebundene Konkretisierung vornehmen. Anderenfalls würde nicht nur die Schutzpflicht verletzt, sondern es läge zugleich ein ungerechtfertigter Eingriff des Rechtsanwenders in das Abwehrrecht des betroffenen Familienunternehmens vor.1153 Solange sich jedoch der Rechtsanwender bei dem im Arbeitsrecht grundsätzlich vorzunehmenden Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Gütern und Interessen der Arbeitnehmer und der Familienunternehmen als Arbeitgeber innerhalb des vom sog. Über- und Untermaßverbots begrenzten Bereiches hält, besteht kein Berücksichtigungszwang, sondern eine bloße Berücksichtigungsmöglichkeit der 1153 

Hierzu bereits Drittes Kapitel § 11 B. II.

§ 11  Legitimität und Grenzen für Familienunternehmen

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spezifischen Familieninteressen. Der Rechtsanwender hat dementsprechend innerhalb dieses Bereiches einen gewissen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Berücksichtigung der familienunternehmensspezifischen Besonderheiten und damit auch bezüglich einer Differenzierung zwischen den Familien- und den Nichtfamilienunternehmen im Arbeitsrecht.

D.  Fazit Abschließend lässt sich festhalten, dass die Herausbildung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen bereits nach dem geltenden Recht möglich und legitim ist. Anknüpfungspunkt sind die arbeitsrechtlichen Rechtssätze mit normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen sowie die zivilrechtlichen Generalklauseln. Bei deren Konkretisierung kann der Rechtsanwender, insbesondere der Richter, im Einzelfall die spezifische Interessenlage der Familienunternehmen berücksichtigen und so eine Differenzierung gegenüber den Nichtfamilienunternehmen vornehmen. Insbesondere die objektiven Grundrechtsgehalte der Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG, welche bei der systematischen Auslegung im Rahmen der Normkonkretisierung im Einzelfall zu berücksichtigen sind, liefern hierfür die notwendigen inhaltlichen Vorgaben, da die Familienunternehmen hinsichtlich beider verfassungsrechtlicher Gewährleistungen im Regelfall eine höhere Schutzintensität als andere, nicht personalistisch geprägte Unternehmen aufweisen. Solange jedoch ein gewisser Mindestschutz der Familienunternehmen nicht unterschritten wird, muss der Rechtsanwender die spezifischen Familieninteressen nicht berücksichtigen und insoweit auch keine Differenzierung zwischen den Familien- und den Nichtfamilienunternehmen vornehmen. Vielmehr bleibt es ihm überlassen, ob er den bestehenden Gestaltungsspielraum entsprechend ausfüllt. Die Herausbildung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen hängt damit de lege lata maßgeblich von den jeweiligen Rechtsanwendern im Einzelfall ab. Erst wenn eine Vielzahl von ihnen die Besonderheiten der Familienunternehmen im Einzelfall berücksichtigt, kann sich ein Sonderarbeitsrecht für diese Organisationsform ausprägen. Das Entstehen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen setzt damit voraus, dass Wissenschaft und Rechtsprechung anders als bisher die bestehenden Gestaltungsspielräume zugunsten der Familienunternehmen erkennen und entsprechend nutzen.

Viertes Kapitel

Die Ausgestaltung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen Viertes Kapitel: Die Ausgestaltung eines Sonderarbeitsrechts

Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass die Herausbildung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen de lege lata möglich ist, Schrifttum und Rechtsprechung die bestehenden Gestaltungsspielräume allerdings nicht hinreichend erkennen und nutzen. Aus diesem Grund soll ein kurzer Überblick gegeben werden, in welchen Bereichen sich die Berücksichtigung der spezifischen Familieninteressen durch den Rechtsanwender in Zukunft auswirken kann. Zu nennen ist zuvorderst das Kündigungsschutzrecht. Hier gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte für ein Sonderarbeitsrecht. Denn das Kündigungsschutzrecht ist auf die Verwendung von normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und Generalklauseln besonders angewiesen, um die vielschichtigen betrieblichen und persönlichen Verhältnisse aller möglichen Einzelfälle in ihrer Gänze zu erfassen.1154 Die folgende Darstellung, welche anhand ausgewählter normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und Generalklauseln erfolgt, konzentriert sich daher im Wesentlichen auf diesen Bereich. Sie ist keinesfalls abschließend und soll allenfalls Impulse für die weitergehende Forschung und Rechtsanwendung geben.

§ 12  Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG) Auswirkungen sind zunächst im Bereich der Sozialauswahl zu erwarten. Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sind Arbeitnehmer nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung im „berechtigten betrieblichen Interesse“ liegt. Dabei müssen die vom Arbeitgeber angeführten betrieblichen Interessen an der Herausnahme des sozial stärkeren mit den Bestandsschutzinteressen des sozial schwächeren Arbeitnehmers abgewogen werden.1155 Das Interesse des Arbeitgebers kann zwar nicht allein aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehung zum Arbeitnehmer überwiegen, denn dabei handelt es sich um einen rein außerbetrieb-

1154  Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, S. 251. 1155 KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn. 628; Thüsing/Laux/Lembke/Thüsing, § 1 KSchG Rn. 886; BAG, Urt. v. 5. 6. 2008 – 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120 (1122); BAG, Urt. v. 12. 4. 2002 – 2 AZR 706/00, NZA 2003, 42 (43).

§ 13  Treuwidrige Kündigung (§ 242 BGB)

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lichen und damit nicht zu beachtenden Umstand.1156 Allerdings können bereits nach vereinzelter Literaturansicht die aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehung bestehende persönliche Vertrauensbeziehung1157, die zeitgleiche Mitgesellschafterstellung1158 oder die Intention, dass Unternehmen an den familienangehörigen Arbeitnehmer weiterzugeben bzw. diesen an Aufgaben in der Geschäftsleitung heranzuführen, Umstände sein, die zum Überwiegen der Arbeitgeberinteressen führen können.1159 Es wird jedoch auch bei Vertretern der letztgenannten Ansicht nicht hinreichend beachtet, dass die Weiterführung des Unternehmens in Familienhand für den Arbeitgeber von Art. 6 Abs. 1 GG besonders verfassungsrechtlich geschützt ist – nämlich für den Einzelunternehmer direkt und für die juristischen Personen über die Verstärkungswirkung der Grundrechte.1160 Denn die Grundrechtsnorm umfasst auch den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie.1161 Dem Umstand kommt damit ein weit größeres Gewicht zu als im Schrifttum dargestellt. Ihm wird daher im Regelfall der Vorrang gegenüber den Bestandsschutzinteressen des sozial schwächeren Arbeitnehmers einzuräumen sein. Freilich bedarf dies der genauen Untersuchung des jeweiligen Einzelfalles.

§ 13  Treuwidrige Kündigung (§ 242 BGB) Der verfassungsrechtliche Schutz des spezifischen Familieninteresses, das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben und entsprechend einen weniger schutzbedürftigen familienangehörigen Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, wirkt sich auch im Rahmen der Generalklausel des § 242 BGB aus. Die Kündigung eines sozial schwächeren Arbeitnehmers kann aus dem genannten Grund nicht gegen Treu und Glauben verstoßen und als treuwidrig angesehen werden. Dies hat bereits das LAG Hamm entschieden,1162 jedoch ohne den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz zu erkennen bzw. auf diesen besonders hinzuweisen. In zukünftigen Fällen sollte dem spezifischen Familieninteresse, 1156 KR/Griebeling/Rachor,

§ 1 KSchG Rn. 630. § 1 KSchG Rn. 673; Bauer, Sonderbeilage NZA, 38

1157 Ascheid/Preis/Schmidt/Kiel,

(42).

1158  ArbG Trier, Urt. v. 4. 12. 2001 – 3 Ca 1138/01, n. v.; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4. 12. 2001 – 4 Sa 25/02, zitiert nach Juris. 1159 Ascheid/Preis/Schmidt/Kiel, § 1 KSchG Rn. 673. 1160  Hierzu ausführlicher Drittes Kapitel § 11 B. II. 2. b) aa) und bb). 1161  BVerfG, Beschl. v. 26. 3. 2014 – 1 BvR 1133/12, NZS 2014, 414 (416); BVerfG, Beschl. v. 30. 11. 1982 – 1 BvR 818/81, NJW 1983, 511 (512); BVerfG, Beschl. v. 18. 3. 1970 – 1 BvR 498/66, NJW 1970, 1176; BVerfG, Urt. v. 24. 1. 1962 – 1 BvR 845/58, NJW 1962, 435 (437); Maunz/Dürig/Badura, Art. 6 GG Rn. 62; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/ Hofmann, Art. 6 GG Rn. 14. 1162  LAG Hamm, Urt. v. 18. 12. 2008 – 15 Sa 838/08, zitiert nach Juris.

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Viertes Kapitel: Die Ausgestaltung eines Sonderarbeitsrechts

das Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben und einen weniger schutzbedürftigen familienangehörigen Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen, die notwendige Beachtung geschenkt und als maßgeblicher Wertungsgesichtspunkt explizit benannt werden.

§ 14  Sozialwidrigkeit der verhaltensbedingten Kündigung  (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG) Weitere, wenn auch marginale Besonderheiten für Familienunternehmen sind bei der Sozialwidrigkeit der verhaltensbedingten Kündigung zu erwarten. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist eine Kündigung „sozial ungerechtfertigt“, wenn sie nicht durch „Gründe, die […] in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, […] bedingt ist“. Der (rechts-)technische Begriff der Sozialwidrigkeit1163 wird entsprechend durch den normativ-unbestimmten Gesetzesbegriff der verhaltensbedingten Gründe näher erläutert. Letztere werden wiederum nach der Rechtsprechung und der Literatur neben weiteren Kriterien durch das Prognoseprinzip konkretisiert.1164 Mit einem vertragswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers muss auch in der Zukunft zu rechnen sein.1165 Daraus wird geschlossen, dass eine verhaltensbedingte Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung voraussetzt.1166 Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in Bezug auf Familienunternehmen bereits im Jahr 2009 entschieden, dass zwar trotz der familiären Beziehungen die arbeitsrechtlichen Maßstäbe für verhaltensbedingte Kündigungen angewandt werden müssen und dementsprechend für diese Organisationsform keine Ausnahme zulässig ist.1167 Allerdings sei im Familienunternehmen aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen damit zu rechnen, dass es „Rücksichtsnahmen gegeben hat, die in einem normalen Arbeitsverhältnis nicht üblich sind“, sodass eine Abmahnung vor dem Ausspruch der Kündigung „um so notwendiger“ sei.1168 Da die Abmahnung im Grundsatz bei allen verhaltensbedingten Kündigungen und mithin bei allen Unternehmen unabhängig von deren familiärer Prägung notwendige Voraussetzung ist, werden sich aus dieser Rechtsprechung für die Familienunternehmen nur in eng begrenzten Einzelfällen Besonderheiten ergeben. Dies wird etwa dann 1163  BAG, Urt. v. 20. 1. 1961 – 2 AZR 495/59, NJW 1961, 940 (941); Ascheid/Preis/ Schmidt/Vossen, § 1 KSchG Rn. 61; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 62; MünchKommBGB/ Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 68. Die Sozialwidrigkeit ist nach den Vertretern dieser Ansicht kein unmittelbar anwendbarer normativ-unbestimmter Gesetzesbegriff. 1164  MAH ArbR/Ulrich, § 43 Rn. 85; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 322 ff. 1165  MAH ArbR/Ulrich, § 43 Rn. 87. 1166  Vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/Vossen, § 1 KSchG Rn. 343. 1167  LAG Hamm, Urt. v. 20. 8. 2009 – 16 Sa 1644/08, zitiert nach Juris. 1168  LAG Hamm, Urt. v. 20. 8. 2009 – 16 Sa 1644/08, zitiert nach Juris, Rn. 42.

§ 15  Auflösungsantrag des Arbeitgebers (§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG)

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anzunehmen sein, wenn eine Abmahnung an sich nicht erforderlich wäre, es einer solchen ausnahmsweise aufgrund der erhöhten Anforderungen im Familienunternehmen aber dennoch bedarf. Freilich muss auch hier wieder in jedem Einzelfall überprüft werden, ob tatsächlich im Vorfeld Rücksichtnahmen vorlagen, die zu solchen erhöhten Anforderungen führen. In zukünftigen Fällen sollte zudem untersucht werden, ob nicht auch zu Arbeitnehmern, die nicht in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu dem Eigentümer bzw. Organmitgliedern des Familienunternehmens stehen, solche besonderen Rücksichtnahmen vorliegen, welche das LAG Hamm in Familienunternehmen verortet. Denn die vorhandenen empirischen Untersuchungen der Sozialwissenschaften deuten darauf hin, dass Familienunternehmen im Bereich der Kündigung besondere Rücksichtnahmen allen Arbeitnehmern gegenüber walten lassen, indem sie Entlassungen nur vornehmen, wenn dies „absolut unvermeidbar ist“.1169

§ 15  Auflösungsantrag des Arbeitgebers (§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG) In einem engen Zusammenhang mit der Kündigung steht auch der Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG, der funktional betrachtet, neben dem kündigungsrechtlichen Instrumentarium eine zusätzliche Möglichkeit bietet, sich vom Arbeitsvertrag zu lösen1170. Der Auflösungsantrag ist begründet, „wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen“. Auch dieser normativ-unbestimmte Gesetzesbegriff erfordert eine Abwägung des Rechtsanwenders im konkreten Einzelfall.1171 Als berücksichtigungsfähig werden dabei nur solche Umstände angesehen, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitgeber, die Wertung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, seiner Leistungen oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben betreffen.1172 Das LAG Köln hat bereits im Jahr 2011 entschieden, dass in Unternehmen, die besonders durch die Unternehmerfamilie geprägt sind und in denen der Familienunternehmer „ständig im Betrieb des Unternehmens präsent [ist], so dass es nahezu alltäglich zu Begegnungen zwischen ihm und den Mitarbeitern des Unternehmens kommt“, der „grundsätzlich an den Arbeitgeber zu stellende Anspruch, die persönlichen Beziehungen von der arbeitsvertraglich-geschäftli1169  Wimmer/Kolbeck/Rüsen/Bauer, Familienunternehmen und die aktuelle Weltwirtschaftskrise, S. 22; ähnlich Frey/Sieger/Zellweger, IO New Management 11/2010, 37 (40): „Personalabbau wird wenn möglich vermieden“. Siehe hierzu bereits S. 169 f. 1170 Ascheid/Preis/Schmidt/Biebl, § 9 KschG Rn. 53; KR/Spilger, § 9 KSchG Rn. 64. 1171  BeckOK ArbR/Pleßner, § 9 KSchG Rn. 75; KR/Spilger, § 9 KSchG Rn. 61. 1172  BeckOK ArbR/Pleßner, § 9 KSchG Rn. 73; BAG, Urt. v. 14. 10. 1954 – 2 AZR 34/53, NJW 1955, 156 (156 f.) zu § 7 KSchG a. F.

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Viertes Kapitel: Die Ausgestaltung eines Sonderarbeitsrechts

chen Ebene zu trennen und Störungen im persönlichen Bereich nicht sofort auf die arbeitsvertraglichen Beziehungen durchschlagen zu lassen, zu relativieren“ sei.1173 Bei konsequenter Fortführung dieser Rechtsprechung dürften Gründe im Sinne von § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen, in Familienunternehmen eher anzunehmen sein als in nicht familiär geprägten Unternehmen. Dementsprechend wäre einem Auflösungsantrag des Familienunternehmers als Arbeitgeber eher stattzugeben. Freilich bedarf dies wieder einer genauen Prüfung des jeweiligen Einzelfalles.

§ 16  Übliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) Auch der normativ-unbestimmte Gesetzesbegriff der „übliche[n] Vergütung“ nach § 612 Abs. 2 BGB könnte zukünftig Ansatzpunkt eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen werden. Nach der Auslegungsregelung des § 612 Abs. 2 BGB ist bei einem Arbeitsvertrag, bei dem zwar eine Vergütung (ausdrücklich oder zumindest stillschweigend) vereinbart wurde, jedoch deren Höhe nicht feststeht, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Üblich ist eine Vergütung nach heutiger Rechtsprechungs- und Literaturansicht, wenn sie im gleichen oder ähnlichen Gewerbe bzw. Beruf an dem betreffenden Ort für eine entsprechende Tätigkeit gezahlt zu werden pflegt, wobei die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind.1174 Eine Differenzierung nach unterschiedlichen Organisationsformen findet – soweit ersichtlich – nicht statt. Da die analysierten empirischen Untersuchungen der Sozialwissenschaften darauf hindeuten, dass in Familienunternehmen eine durchschnittlich geringere Vergütung gezahlt wird als in Nichtfamilienunternehmen,1175 sollte erwogen werden, für die übliche Vergütung nur auf Unternehmen gleicher Organisationsform als Vergleichsmaßstab zurückzugreifen. Zur Ermittlung der üblichen Vergütung in einem konkreten Fall mit Familienunternehmensbezug wäre dann auf die Bezahlung in einem Familienunternehmen gleichen oder ähnlichen Gewerbes abzustellen. Auf den ersten Blick spricht nichts gegen eine solche Konkretisierung des normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffes der „übliche[n] Vergütung“. Zukünftig müssen aber nicht nur die empirischen Grundlagen einer solchen Konkretisierung genauer verifiziert, sondern es muss auch untersucht werden, ob dieser nicht der Wille des historischen Gesetzgebers oder sonstige beachtenswerte Gründe entgegenstehen würden. Freilich wird selbst bei Legitimität 1173 

LAG Köln, Urt. v. 15. 12. 2011 – 7 Sa 558/11, zitiert nach Juris, Rn. 47 f. BAG, Urt. v. 20. 4. 2011 – 5 AZR 171/10, NZA 2011, (1174); BeckOK ArbR/Joussen, § 612 BGB Rn. 33; ErfK/Preis, § 612 BGB Rn. 37; Jauernig/Mansel, § 612 BGB Rn. 6; MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 612 BGB Rn. 29. 1175  Hierzu näher Zweites Kapitel § 8 C. 1174 

§ 17  Rücksichtnahme-, Treue- bzw. Nebenpflichten

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einer solchen Konkretisierung deren Reichweite beschränkt sein. Denn der Anwendungsbereich der Norm wird in der Praxis vergleichsweise gering ausfallen; er betrifft nur Fälle, in denen die Arbeitsvertragsparteien keine Höhe der Vergütung vereinbart haben. Nichtsdestotrotz darf auch eine solche Besonderheit für Familienunternehmen bei einem umfassenden Blick nicht vernachlässigt werden.

§ 17  Rücksichtnahme-, Treue- bzw. Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 und § 242 BGB) Weitere Besonderheiten für Familienunternehmen sind im Bereich der sog. Rücksichtnahme-, Treue- bzw. Nebenpflichten1176 zu erwarten. Rücksichtnahmepflichten werden maßgeblich auf den Inhalt des Arbeitsvertrages, die generalklauselartige Vorschrift des § 241 Abs. 2 BGB, die mehrere normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe enthält, sowie auf die Generalklausel des § 242 BGB gestützt.1177 Rücksichtnahmepflichten sind anerkanntermaßen desto stärker und umfassender, je wesentlicher das Vertrauen für das jeweilige Arbeitsverhältnis ist1178. In Familienunternehmen zeichnet sich auf Grundlage der bestehenden empirischen Untersuchungen der Sozialwissenschaften eine Bestätigung des paternalistischen Modells der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehung ab, wonach die Arbeitnehmer ein größeres Vertrauen und eine höhere Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber besitzen.1179 Bei deren Bestätigung wären entsprechend stärkere und umfassendere Treuepflichten in Familien- gegenüber Nichtfamilienunternehmen anzunehmen, was letztendlich Auswirkungen auf vielfältige Bereiche der arbeitsvertraglichen Beziehungen hätte. So kann etwa ein Verstoß gegen eine Rücksichtnahmepflicht einen wichtigen Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB bilden und eine verhaltensbedingte Kündigung oder Abmahnung rechtfertigen.1180 In Familienunternehmen könnten entsprechend bei einer engen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und einem intensiveren Vertrauensverhältnis, wie sie die vorhandenen sozialwissenschaftlichen Studien andeuten, eher als in anderen Unternehmen kündigungsrelevante Treuepflichten erwachsen. 1176 Nach

Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 219 sei die Bezeichnung Nebenbzw. Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem veralteten und missverständlichen Begriff der Treupflichten vorzugswürdig. 1177 Jauernig/Mansel, § 611 BGB Rn. 23; MAH ArbR/Reinfeld, § 33 Rn. 1, 5; MünchKommBGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 267. 1178  Brox/Rüthers/Henssler, Arbeitsrecht, Rn. 220; Jauernig/Mansel, § 611 BGB Rn. 23; MAH ArbR/Reinfeld, § 33 Rn. 6; siehe auch BAG, Urt. v. 30. 1. 1976 – 2 AZR 518/74, AP Nr. 2 zu § 626 BGB Krankheit. 1179  Hierzu ausführlich Zweites Kapitel § 6 A. und § 8 A. 1180  MAH ArbR/Reinfeld, § 33 Rn. 11; MünchKommBGB/Hergenröder, § 1 KSchG Rn. 267.

Abschließendes Kapitel

Fazit und Ausblick Abschließendes Kapitel: Fazit und Ausblick Abschließendes Kapitel: Fazit und Ausblick Abschließendes Kapitel: Fazit und Ausblick

Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass die bisherige Vernachlässigung des Forschungsbereichs Arbeitsrecht in Familienunternehmen nicht gerechtfertigt ist. Zahlreiche empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass Familienunternehmen tatsächliche Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen aufweisen, die zugleich eine spezielle Behandlung der Organisationsform im Arbeitsrecht erforderlich machen (können). Diese Besonderheiten gilt es in Zukunft, näher in den Blick zu nehmen. Mehr familienunternehmensspezifische Forschung wird benötigt. Das bezieht sich zum einen auf die empirische Aufarbeitung der Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen – hier gilt es besonders, die in dieser Arbeit aufgefundenen Besonderheiten zu verifizieren. Zum anderen betrifft dies die (arbeits-)rechtliche Aufarbeitung der für Familienunternehmen relevanten Rechtsfragen. Die Arbeitsrechtswissenschaft darf nicht den Anschluss an die systematische Erfassung familienunternehmensspezifischer Problematiken verpassen, wie sie in anderen Wissenschaftsbereichen bereits seit Jahren oder gar Jahrzehnten erfolgt. Es ist aber nicht nur die (Arbeitsrechts-)Wissenschaft gefordert, familienunternehmensspezifischen Fragestellungen mehr Beachtung zu schenken, sondern auch die rechtsberatende Praxis. Diese ist zwar im konkreten Rechtsfall nach dem alten römischen Grundsatz „da mihi factum, dabo tibi ius“1181, der noch heute im Arbeitsgerichts- und Zivilprozess Gültigkeit beansprucht, nicht gehalten, dem Gericht gegenüber eine bestimmte Rechtsansicht zu äußern, noch kann sie diesem eine solche aufzwingen.1182 Allerdings kann die rechtsberatende Praxis der Rechtsprechung im Einzelfall Impulse und Empfehlungen geben, welche möglicherweise unmittelbar in konkrete Entscheidungen münden. Sie kann auf das Vorliegen der spezifischen Familieninteressen hinweisen und folglich maßgeblich darauf hinwirken, dass das Gericht bestehende Gestaltungsspielräume zugunsten der Familienunternehmen erkennt und bestenfalls auch nutzt. Der eigentliche Konkretisierungsschritt, der zur Ausbildung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen führen kann, muss jedoch letztlich von den Gerichten 1181  Die Rechtsregel geht zurück auf die Dekretalen 2, 1, 6 (Alexander III.), zitiert nach Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, S. 60. 1182  Schellhammer, Zivilprozess, Rn. 344; LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18. 11. 2009 – 5 Sa 191/09, zitiert nach Juris; ArbG Herford, Urt. v. 1. 4. 2009 – 2 Ca 1502/08, zitiert nach Juris, Rn. 18.

Abschließendes Kapitel: Fazit und Ausblick

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ausgehen. Nur diese können durch eine gleichmäßige Rechtsanwendung in einer Vielzahl von gleich gelagerten Familienunternehmensfällen ein Sonderarbeitsrecht für diese Organisationsform schaffen. (Arbeits-)Rechtswissenschaft und Praxis können die Konkretisierungsentscheidung der Gerichte nur vorbereiten bzw. unterstützen. Zur Herausbildung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen wird es im Regelfall nur bei einem optimalen Ineinandergreifen von (Arbeitsrechts-)Wissenschaft, rechtsgestaltender und rechtsprechender Praxis kommen. Anderenfalls bleibt nur ein etwaiges regulierendes Eingreifen des Gesetzgebers, der ein echtes Sonderarbeitsrecht im engeren Sinne schaffen kann. Welchen Verlauf die Entwicklung nehmen wird, lässt sich nicht einfach prognostizieren. Denn „Prognosen sind äußerst schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen“.1183

1183  Der Ursprung dieses Zitates ist nicht geklärt; es wird wörtlich oder auch nur sinngemäß gleich mehreren Personen zugeordnet, u. a. Winston Churchill und Mark Twain.

Thesen Thesen Thesen

I.

Das Arbeitsrecht in Familienunternehmen ist ein bisher weitgehend unbeachtetes Teilgebiet der Familienunternehmensforschung. 1. Die Familienunternehmensforschung bezeichnet die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Organisationsform Familienunternehmen. 2. Die Familienunternehmensforschung geht zurück auf die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts; breiten Anklang fand sie jedoch erst in den achtziger Jahren. Seitdem steigt die Anzahl und Vielfalt familienunternehmensspezifischer Forschung kontinuierlich. Die Rechtswissenschaft konnte mit dieser allgemeinen Entwicklung nicht in allen juristischen Disziplinen Schritt halten, wie zum Beispiel dem Arbeitsrecht. 3. Die Familienunternehmensforschung ist eine Integrationswissenschaft. Um das Phänomen Familienunternehmen im Zusammenhang mit dem Arbeitsrecht ganzheitlich erfassen zu können, muss sowohl auf soziologische und psychologische als auch ökonomische und juristische Aspekte zurückgegriffen werden.

II. Bestehende empirische Untersuchungen der Sozialwissenschaften deuten darauf hin, dass die Arbeitsbeziehungen in Familienunternehmen tatsächlich anders ausgestaltet sind als in sonstigen Unternehmen. Es besteht weiterer Forschungsbedarf, um die gefundenen Besonderheiten der Familienunternehmen in den Arbeitsbeziehungen zu verifizieren. III. Es existiert weder für das Familienunternehmen noch für das Sonderarbeitsrecht ein eng umgrenzter, allgemein akzeptierter Begriffsinhalt. 1. Familienunternehmen im Sinne des Arbeitsrechts ist ein Unternehmen, wenn eine Familie beherrschenden Einfluss auf dessen personal- und sozialpolitische Entscheidungen ausübt. a) Das Unternehmen ist eine organisatorische Einheit ohne Konzernbezug (Ausnahme: Familienkonzern), innerhalb derer ein (unabhängiger) Unternehmensträger allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln einen wirtschaftlichen oder ideellen Zweck verwirklicht, der hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes steht. b) Die Familie umfasst alle Personen, die aktiv an dem Unternehmen beteiligt sind, indem sie Einfluss auf dieses ausüben (können) und mit einer anderen, ebenfalls aktiv am Unternehmen beteiligten Per-

Thesen

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son, im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 bis 8, Abs. 2 AO verwandt oder verschwägert sind, sodass eine (gedachte) durchgehende Kette von solchen Angehörigenverhältnissen gebildet werden kann, die sich zugleich auf eine genau bestimmbare Kernfamilie zurückführen lässt. c) Ein beherrschender Einfluss liegt vor, wenn sich die Interessen der Familie in allen personal- und sozialpolitischen Entscheidungen des Unternehmens von grundsätzlicher Bedeutung durchsetzen. Er wird vermutet, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine auf Dauer gesicherte, beständige und einheitliche Interessenausübung der Familienmitglieder erwarten lassen und 1) die Familie über die Mehrheit der Anteile an dem Unternehmen verfügt oder 2) die Familie mehrheitlich in der Unternehmensführung aktiv tätig ist. 2. Der Begriff Sonderarbeitsrecht ist eine bloß schlagwortartige Kennzeichnung besonderer arbeitsrechtlicher Regelungen für bestimmte Beschäftigungssektoren, Berufsgruppen oder Organisationsformen, welche vom allgemeinen Arbeitsrecht abweichen. a) Das Sonderarbeitsrecht im engeren Sinne kennzeichnet die Schaffung eines bereichsspezifischen Arbeitsrechts in Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen dieses Rechtsgebiets. b) Das Sonderarbeitsrecht im weiteren Sinne bezeichnet die Konkretisierung und Modifizierung der allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen unter Berücksichtigung bestehender tatsächlicher Besonderheiten in den Arbeitsbeziehungen. IV. Anknüpfungspunkte des untersuchungsgegenständlichen Sonderarbeitsrechts im weiteren Sinne sind die sog. differenzierungsoffenen Normen, wie Generalklauseln und Rechtssätze mit normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen. Diese setzen eine eigene Interessenbewertung des Rechtsanwenders zu deren näherer Inhaltsbestimmung, sog. Konkretisierung, voraus. V.

Die Frage nach der Legitimität und den Grenzen eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen ist zugleich eine solche, nach der Möglichkeit der Konkretisierung arbeitsrechtlicher normativ-unbestimmter Gesetzesbegriffe und zivilrechtlicher Generalklauseln.

VI. Mit Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG bestehen verfassungsrechtliche Vorgaben, die es dem Rechtsanwender ermöglichen, die spezifischen Familieninteressen bei der Normkonkretisierung zu berücksichtigen und somit in arbeitsrechtlichen Fällen zwischen Familien- und Nichtfamilienunternehmen zu differenzieren. Familienunternehmen genießen im Regelfall hinsichtlich beider verfassungsrechtlicher Gewährleistungen eine höhere Schutzintensität.

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Thesen

1. Spezifische Familieninteressen, denen nach Art. 6 Abs. 1 GG ein besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zukommt und die entsprechend vom Rechtsanwender im Einzelfall bei der Anwendung von arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffen und zivilrechtlichen Generalklauseln berücksichtigt werden können, sind insbesondere finanzielle Familieninteressen (wie die Maximierung der Ausschüttungsquote zur materiellen Versorgung der Familie sowie die Erhaltung und Fortentwicklung des Familienvermögens) und traditionelle Familieninteressen (wie die erfolgreiche Weitergabe des Unternehmens an die nächste Generation). 2. Nach Art. 12 Abs. 1 GG ist das spezifische Familieninteresse, das Unternehmen als Familienunternehmen fortzuführen, geschützt und für den Rechtsanwender berücksichtigungsfähig. VII. Der Rechtsanwender muss die grundrechtlich geschützten Familieninteressen nur dann im Rahmen des Interessenausgleichs innerhalb der arbeitsrechtlichen normativ-unbestimmten Gesetzesbegriffe und zivilrechtlichen Generalklauseln berücksichtigen, wenn dies im konkreten Fall unerlässlich, d. h. unbedingt notwendig ist, um einen ausreichenden Schutz der Familienunternehmen zu gewährleisten. VIII. Die Herausbildung eines Sonderarbeitsrechts für Familienunternehmen hängt de lege lata maßgeblich von den jeweiligen Rechtsanwendern im Einzelfall ab. 1. Die Rechtsanwender nutzen die bereits nach gegenwärtiger Rechtslage bestehenden Spielräume zugunsten der Familienunternehmen nicht. 2. Wissenschaft und Rechtsprechung sollten zukünftig die bestehenden Spielräume zugunsten der Familienunternehmen erkennen und nutzen.

Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis

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Sachwortregister Sachwortregister

Abwägung 

Familienkonzern  99

138 – 141, 195 – 197

Arbeitsplatzsicherheit  169 f.

Familienunternehmen

Arbeitsrecht

– arbeitsrechtliche Relevanz 

– historische Entwicklung 

29 f.

26 f.

– Begriff  44 ff.

– klassenrechtliches Verständnis  182 – 184

– Rechtsform 

– normatives Leitbild 

Familienunternehmensforschung  19 ff.

31

– verfasstes 

52 81

Auflösungsantrag des Arbeitgebers  233 f.

familiness  61 f.

Ausbildungsquote 176

F-PEC Skala  64 f.

Auslegung 

190 ff., 202 f.

Ausstrahlungswirkung der Grundrechte  210 – 213 Begriffsbildung  91 ff. beherrschender Einfluss 

38 f., 109 ff.

Berufsfreiheit  215 ff. Betriebsbegriff 

100 f.

differenzierungsoffene Normen  48 – 51, 154

Drei-Kreis-Modell  Eigentum 

148

53 – 56, 122 – 125

Einmanngesellschaft  Einzelunternehmen  124, 223

105 36, 60, 78 f., 105, 131 – 133

Familienbegriff – arbeitsrechtlicher 

102 ff.

– verfassungsrechtlicher 

221 ff.

Familienbetrieb   73 – 75 Familiengesellschaft  Familieninteressen 

Gebot gesetzesnaher Rechtsfindung 

192

Generalklauseln  65, 148 f., 151 f, 185 ff., 203 ff. genus-differentia-Methode 

97

Gesetzes-/Grundrechtsbindung  208

189 f.,

gewerkschaftlicher Organisationsgrad  172 f. Gleichheitssatz 

226 f.

Grundrechtskumulation  222 ff. impliziter Vertrag  157, 170 Interessenparallelität 

117 f.

Kernfamilie siehe Kleinfamilie

faktische Einflussfaktoren 

Familieneigentum 

Fortführungswille  63, 133 f., 176 f.

54 – 56 68 – 73 39, 117 – 121

Klassenbegriff 

91 ff.

Kleinfamilie  53, 222 Kleinunternehmen  1, 22 f., 34 – 36 konkretisiertes Verfassungsrecht  211 Konkretisierung 

191 f.,

148 f., 185 ff.

Kontrollmacht/Kontrollstruktur  52 f., 57 – 59, 128 Kündigung 

169 f., 216, 231 – 233

Sachwortregister

286

Leiharbeitnehmer 

Sonderprivatrecht 

175 f.

Leitbild des Arbeitsrechts

Sozialauswahl  230 f.

31

Leitungsmacht/Leitungsstruktur  57 – 59, 101, 125 – 128, 170  f.

181

52 f.,

Sozialwidrigkeit  232 f. Stimmrechtsanteil 

54 – 56, 122 – 125

Streikrate  172 f.

Mitbestimmung  173 f. Mitbestimmungsurteil  40 f., 218

Tendenzunternehmen  33 – 35

Normalarbeitsverhältnis 

Treuepflicht  235

Normalunternehmen 

31

30

Typusbegriff 

91 – 94

Normativ-unbestimmte Gesetzesbegriffe  65, 148 f., 185 ff., 203 ff.

Übermaßverbot  204, 212

objektiver Grundrechtsgehalt 205 ff.

Untermaßverbot 

Paternalismus  155 ff.

Unternehmensbegriff 

personaler Grundzug  40 f., 216 ff. personalistisch strukturierte Gesellschaft  21, 29, 40 psychologischer Vertrag 

157, 170

Rechtsanwendung – folgenorientierte  193 – leitbildorientierte  Rechtstatsachen  Schutzpflicht 

201 – 203

162 ff., 198 f.

190, 203 ff.

Selbstrekrutierung 

167 f.

Small Business Act  22 Sonderarbeitsrecht – Begriff 

146 – 152

– Ausgestaltung 

230 – 235

umgekehrte Subsumtion  115 204, 212 97 – 101

Unternehmenskultur  154  ff., 164 – 167

61 f., 137 f.,

Unternehmensträger  107 f.

35 f., 38, 40, 98 f.,

Unternehmerfreiheit  40 f., 64, 215 – 220 Vergütung  168 f., 234 f. Vermutung – der Interessenparallelität 

118

– des beherrschenden Einflusses  141 – 145 – gesetzliche 

112 ff.

Verstärkungswirkung der Grundrechte  222 ff. Zeitarbeitnehmer 

175 f.