Familienunternehmen führen - Komplexität managen: Mentale Modelle und praktische Lösungen 9783666403224, 9783525403228, 9783647403229


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Familienunternehmen führen - Komplexität managen: Mentale Modelle und praktische Lösungen
 9783666403224, 9783525403228, 9783647403229

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403228 — ISBN E-Book: 9783647403229

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Alberto Gimeno / Gemma Baulenas / Joan Coma-Cros

Familienunternehmen führen – Komplexität managen Mentale Modelle und praktische Lösungen

Mit einem Vorwort von Arist von Schlippe Mit 69 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403228 — ISBN E-Book: 9783647403229

© Alberto Gimeno, Gemma Baulenas, Joan Coma-Cros (2009). Modelos de empresa familiar. Soluciones prácticas para la familia empresaria. Barcelona: Ediciones Deusto.

Aus dem Spanischen von Deborah Althausen Redaktion: Sandra Englisch, Dr. Christine Erdmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40322-8

© 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, G¨ottingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch¨utzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen F¨allen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile d¨urfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages o¨ ffentlich zug¨anglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fu¨ r Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: PTP-Berlin Protago TEX-Production GmbH, Berlin (www.ptp-berlin.eu) Druck und Bindung: A Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403228 — ISBN E-Book: 9783647403229

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe von Arist von Schlippe

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Vorwort von Ivan Lansberg

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Danksagung

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Einleitung

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2

Geschichte der Familienunternehmensführung Erster Ansatz: »Problemfall« Familienunternehmen Zweiter Ansatz: Die Nachfolgeplanung . . . . . . . Dritter Ansatz: Die Familienverfassung . . . . . . . Vierter Ansatz: Governance . . . . . . . . . . . . . . Fünfter Ansatz: Kommunikation in der Familie . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Formel zur Führung von Familienunternehmen Strukturelle Führung von Familienunternehmen . . . . . . . . Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stabilität (strukturelles Risiko) . . . . . . . . . . . . . . . Komplexität der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte der Unternehmerfamilie . . . . . . . . . . . . Familienkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebenszyklus der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktion der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Identität der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familienstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexitätsindikatoren der Unternehmerfamilie . . . . Komplexität des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexitätswachstum und Komplexitätsniveau . . . . . Komplexitätsindikatoren des Unternehmens . . . . . . . Auswirkungen der Komplexität auf das Familienunternehmen

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525403228 — ISBN E-Book: 9783647403229

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Inhalt

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Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . Differenzierung von Familie und Unternehmen Managementmethoden . . . . . . . . . . . . . . Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

4

Modelle von Familienunternehmen Das Modell Kapitän . . . . . . . . . . . . . . . . Das Modell Patriarch . . . . . . . . . . . . . . . Das Modell Familienteam . . . . . . . . . . . . . Das Modell Professionelle Familie . . . . . . . . Das Modell Körperschaft . . . . . . . . . . . . . Das Modell Familieninvestitionsgruppe (FIG) . Vergleichende Analyse der Modelle . . . . . . . Mentale Modelle und Struktur: Der Einfluss des auf das Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Modelle Kapitän und Patriarch (personenbezogene Modelle) . . . . . . . . Das Modell Familienteam . . . . . . . . . Das Modell Professionelle Familie . . . . . Das Modell Körperschaft . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denkens . . . . . .

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Das Führen von Familienunternehmen Problemdefinition: Mentales Modell versus Strukturmodell . . . Was bedeutet es, ein Familienunternehmen zu führen? . . . . . Unternehmensführung im Modell Kapitän . . . . . . . . . . . . Professionelle Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . Nachfolgeplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensführung im Modell Patriarch . . . . . . . . . . . Vorbereitung auf den Modellwechsel . . . . . . . . . . . . Strukturveränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensführung im Modell Familienteam . . . . . . . . . Komplexitätsverringerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wachstumsoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensführung im Modell Professionelle Familie . . . . Entwicklung zum Modell Körperschaft . . . . . . . . . . . Komplexitätsverringerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verkauf und Gründung einer Familieninvestitionsgruppe

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Inhalt

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Unternehmensführung im Modell Körperschaft . . . . . . . . . Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familiengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmergeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familienrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensführung im Modell Familieninvestitionsgruppe . Förderung des familiären Zusammenhalts . . . . . . . . . Entwicklung von geeigneten Strukturen (»Family Office«) Umgang mit familiärer Beteiligung . . . . . . . . . . . . . Unternehmerische Aktivitäten und Dienstleistungen für die Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemischte Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dreieck zur Führung von Familienunternehmen . . . . . . . . . 5

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Schlussbemerkungen

Anhang: Strukturdetails Institutionen und ihre Funktionsweise . . . . . . . . . . Funktionsweise und Aufgaben des Familienrats . . . . . Funktionsweise und Aufgaben des Verwaltungsrats . . . Funktionsweise und Aufgaben des Lenkungsausschusses Arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . Anforderungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . Professionalisierung der Managementmethoden . . . . . Deliberate Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . Dezentrale Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsstrukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . Diversity Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systematische Festlegung von Regeln . . . . . . . . . . . Unternehmerische Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . Proaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fähigkeit, Dilemmata zu lösen . . . . . . . . . Lernfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« . . . . . . . Nachfolgeplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort zur deutschen Ausgabe

Mit Komplexität umgehen – Gedanken zur Führung von Familienunternehmen Das Buch von Alberto Gimeno, Gemma Baulenas und Joan Coma-Cros spiegelt eine mehrjährige Erfahrung wider. Das Autorenteam ist hochkarätig aus den Bereichen Wirtschaftswissenschaft und Familientherapie besetzt, eine Kombination, die aus meiner Sicht optimal ermöglicht, ein Verständnis für Familienunternehmen zu erarbeiten und daraus Hilfestellungen für die vielen möglichen Probleme abzuleiten, vor denen Vertreter dieser Unternehmensform stehen. Ins Zentrum ihres Konzeptes stellen die Autoren den Begriff »Komplexität«. In diesem Vorwort möchte ich von ihm ausgehend eine kleine Einführung in die Situation von Familienunternehmen vornehmen.

Ressource und Belastung – die Doppelgesichtigkeit von Familienunternehmen Familienunternehmen sind eine faszinierende Form von Organisation. Es ist für jemanden, der nicht mit Familienunternehmen zu tun hat, kaum zu ermessen, was es bedeutet, wenn man Mitglied in zwei Sozialsystemen zugleich ist, die zum einen sehr eng miteinander verbunden sind, zum anderen das eigene Leben so nachhaltig betreffen, wie es bei »Familie« und »Unternehmen« der Fall ist. Beide Systeme sind von ihrer Funktionslogik ausgesprochen unterschiedlich. Dadurch ergeben sich für die Mitglieder dieses »Doppelverbundsystems« vielfache Möglichkeiten, in Dilemmata zu geraten, sich in Situationen wiederzufinden, aus denen es keinen Ausweg gibt, ohne dass jemand sich – als Mitglied der Familie oder als Mitglied des Unternehmens – gekränkt fühlt, verletzt, beleidigt oder missverstanden. Die Details dieser Unterschiedlichkeiten und die sich daraus ergebenden potentiellen Paradoxien wurden vielfach beschrieben, all diese Gedanken sollen hier nicht noch einmal wiederholt werden (z. B. Wimmer, 2009; Wimmer et al., 2005; Simon et al., 2005, von Schlippe et al., 2008). Eine Familie setzt sich mit dem Besitz eines Unternehmens »Zumutungen aus [. . . ], die nicht ohne weiteres zu bewältigen sind« (Klett, 2007, S. 22). Doch

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Arist von Schlippe

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wenn diese Zumutungen gut bewältigt werden, erwächst daraus ein besonderes Potential. Viele Unternehmensfamilien beschreiben ihr Unternehmen als eine Chance, als Familie über Generationen miteinander engagiert zu sein, wie dies anderen Familien nicht ohne Weiteres möglich ist. Und umgekehrt gilt dies auch. Ein Unternehmen, das die »Familiness« der Eigentümerfamilie, also das Ressourcenbündel, das die Familie potentiell für das Unternehmen bereitstellt, voll nutzen kann, verzeichnet enorme Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen (Habbershon u. Williams, 1999). Doch es gibt eine andere Seite, die »dunkle Seite« sozusagen. In manchen Familienunternehmensfamilien kann sich das Miteinander der beiden Sozialsysteme schwierig und quälend gestalten. Die Ressourcen stehen dem Unternehmen nicht zur Verfügung, im Gegenteil, das Unternehmen leidet darunter, dass Familienkonflikte ungefiltert auf das Unternehmen »überschwappen«, die Familienmitglieder bekämpfen einander, und es kann geschehen, dass der Blick für jegliches Maß verlorengeht, dass »Familienkriege« geführt werden (Gordon u. Nicholson, 2008), die einer Logik folgen, nach der sogar die eigene Zerstörung (zumindest des eigenen Besitzstandes) in Kauf genommen wird, nur um dem anderen zu schaden. Der Übergang von einem dieser beiden Zustände – »Familie ist Ressource« oder »Familie ist Belastung« – in den anderen ist dabei gar nicht so einfach zu erkennen. Es ist zum einen erstaunlich, wie vielen Familien es gelingt, die vielen möglichen psychologischen Klippen, die die komplexe Konstellation von Familien- und Unternehmenssystem mit sich bringt, zu umschiffen. Qualitäten wie Vertrauen, Liebe, Loyalität oder auch hohe Einsatzbereitschaft, verbunden mit der Erfahrung von oder zumindest der Hoffnung auf Anerkennung und Wertschätzung, können Familie und Unternehmen durch schwierige Zeiten hindurch gut und stabil tragen. Das geht oft genug lange gut, manchmal kann ein gewonnener Konsens in vertrautem Zusammenspiel der Akteure über Generationen gewahrt bleiben. Doch – und das ist eine wesentliche »Message« dieses Buches – wenn man sich des »strukturellen Risikos«, mit dem dieser Konsens möglicherweise einhergeht, nicht bewusst ist, dann kann es gefährlich werden. Manchmal kann es ein dramatisches Ereignis sein – wenn etwa ein geschäftsführender Inhaber plötzlich stirbt, ohne Regelungen für die nächste Generation bedacht zu haben. Manchmal geht aber bei den Akteuren auch die Hoffnung langsam und schleichend verloren, jemals anerkannt zu werden, jemals eine – aus eigener Sicht – angemessene Position zu erlangen; dann genügt eine Kleinigkeit, die das Fass zum Überlaufen bringt. Manchmal zeigen sich auch erst nach langer Zeit problematische Grundannahmen, mit denen das Unternehmen geführt wurde, wie etwa die Idee, dass jedes Familienmitglied durch die

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Firma gut zu versorgen sei, eine Logik von »Family first«, die sich eine Familie in Zeiten stabiler Marktumgebungen leisten konnte, die jedoch angesichts verschärfter Wettbewerbsbedingungen dramatisch sein kann – nicht immer trifft die Notwendigkeit von Kürzung und Beschneidung auf das Verständnis »verwöhnter« Familienmitglieder. Wie und warum auch immer, es kann dazu kommen, dass der Prozess von freundlicher und engagierter Gegenseitigkeit in das Gegenteil umschlägt. Wenig trifft und verletzt Menschen so stark wie das Gefühl, verraten zu werden. Enttäuschte Liebe, nicht anerkannte Loyalität oder vorenthaltene Anerkennung für oft Jahre von Aufopferung und Durchhalten sind mächtige »Motoren« für negative Emotionen. Wenn dieser Motor erst einmal angesprungen ist, wenn die positive Gegenseitigkeit erst einmal verlorengegangen ist, ist es oft schwer, manchmal auch unmöglich, die Prozesse wieder umzukehren. Mit tief sitzenden Kränkungen, mit großer Wut aufeinander sitzen die Mitglieder der Eignerfamilie einander gegenüber, es ist kaum ein Wort zu sprechen, ohne dass das Gegenüber aufbraust, »richtigstellt«, zum Gegenangriff übergeht usw. Man holt sich »Hilfstruppen« – Anwälte, Berater – und öffnet damit die Tür zu weiteren Eskalationsstufen. Nicht umsonst wird davon ausgegangen, dass die Familie für das Unternehmen entweder eine ganz besondere Ressource oder eine ganz besonders starke Belastung darstellt. Liebe und Enttäuschung wirken wie »Vergrößerungsgläser«, im Guten wie im Schlechten. Entscheidend ist die Frage nach der »Familienkultur«, also danach, in welchem Maße es der Familie gelingt, eine angemessene Balance zwischen den Bedürfnissen der Familie und den Erfordernissen des Unternehmens herzustellen und zu bewahren: »family culture might be a first-order determinant of economic outcomes« (Bertrand u. Schoar, 2006).

Komplexität Wenn man von diesen Erkenntnissen und Überlegungen ausgeht, ist es mehr als verständlich, dass Betroffene, Unternehmer oder Familiengesellschafter genauso wie professionell im Unternehmen tätige Personen oder Berater darüber nachdenken, wie die Verbindung von Familie und Unternehmen möglichst optimal gestaltet werden kann. Der Schlüsselbegriff dabei ist: »Komplexität«. Systeme unterscheiden sich hinsichtlich des Grades ihrer Komplexität. Ein Pantoffeltierchen, eine Amöbe, eine Ameise oder ein Elefant sind Lebewesen sehr unterschiedlicher Komplexität. Mit steigender Komplexität wird es schwe-

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rer, die Reaktion des Lebewesens auf eine Irritation, einen Reiz abzuschätzen. Der Philosoph Gregory Bateson verdeutlichte dies einmal an dem Beispiel eines Trittes, der gegen einen Stein geht: Wenn die Trittkraft, das Gewicht des Steines, die Beschaffenheit des Bodens und der Umstände (Wind usw.) bekannt sind, ist die Strecke, die der Stein zurücklegt, determiniert. Völlig anders ist dies, wenn derselbe Tritt einem Hund gilt. Hier sind es nicht schwerpunktmäßig die physikalischen Determinanten, die die Strecke bestimmen, die dieser Hund zurücklegt, vielmehr sind es die Lernerfahrungen des Hundes, die bei dem einen Hund einen eingezogenen Schwanz, beim anderen einen Gegenangriff bedingen. Der Hund reagiert als komplexes Lebewesen aufgrund seiner Erfahrungen, also aufgrund der internen Verknüpfungen, die sich im Laufe der Zeit in seinem Hirn entwickelt haben. Auch soziale Systeme lassen sich hinsichtlich ihrer Komplexität unterscheiden. Ein Großunternehmen mit 1.200 Mitarbeiter/-innen ist im Blick auf die dort ablaufenden Prozesse sicher komplexer als ein von einer Kleinfamilie geführtes Caf e´ . Komplexität kann man hier als die Zahl und Qualität der internen Querverbindungen definieren. Wenn in einem sozialen System viele solcher kommunikativer Querverbindungen zu beobachten sind, die zudem in sich sehr vielfältig sind, also etwa angespannt, durch häufige Auseinandersetzungen und Missverständnisse gekennzeichnet, von offenen und heimlichen Bündnissen und Koalitionen gekennzeichnet usw. sind, dann können sich Irritationen und Störungen in viele Verästelungen hinein fortsetzen: Man redet bei vielen Gelegenheiten, an unterschiedlichen Orten und in vielen Kombinationen über »die Sache«, ärgert sich, regt sich auf, stachelt einander an, schmiedet Pläne, kurz: Man kommuniziert, vielfältig, aufgeregt und unübersichtlich. So wächst die Möglichkeit, dass sich unvorhersehbare Prozesse ergeben, dass das System als Ganzes ins »Rotieren« gerät und damit krisenanfälliger wird. Ein Anstieg an Komplexität in Familienunternehmen ergibt sich einfach dadurch, dass Unternehmen und Familie wachsen. Sie wachsen parallel – und manchmal schneller, als man merkt. Wachstum allein steigert bereits die Komplexität: Es sind mehr Akteure zu bedenken, eine viel größere Anzahl von Prozessen, die gleichzeitig ablaufen, schon allein die Zahl der Kommunikationen steigt exponentiell und mit ihnen die Möglichkeit für Missverständnisse, »Querschüsse« und kommunikative Komplikationen. Es kommt hinzu, dass die Systeme Familie und Unternehmen (oft wird auch der Gesellschafterkreis als drittes bedeutsames System angesehen) mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten wachsen. «Families grow faster than businesses« (Gersick et al., 1997, S. 183). Es mag wohl auch die Umkehrung gelten, manchmal wachsen die Unternehmen schneller – in beiden Fällen steigt die Komplexität durch die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten. Es ist jeweils in Rechnung zu

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Vorwort zur deutschen Ausgabe

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ziehen, dass das schnellere Wachstum des einen Systems immer zugleich das andere mit irritiert und in Bewegung bringt. Die Unternehmensform Familienunternehmen, das wurde eingangs kurz skizziert, ist nun mit einer ganz besonderen Qualität von Komplexität konfrontiert, die sich aus der engen Verbindung, der »strukturellen Koppelung« der Systeme »Familie« und »Unternehmen« ergibt. Die Möglichkeit für Missverständnisse und Kränkungen sind schon allein dadurch erhöht, dass die Betreffenden nie genau wissen, in welchem der beiden Systeme sie sich »psychologisch« gerade befinden, also als wer sie gerade angesprochen werden, wer sie jeweils für den anderen »sind«. Plastisch zeigt dies das Beispiel der Nachfolgerin, der der Vater im Aufsichtsrat die Brille mit den Worten reicht: »Mach mal eben sauber!« Eine solche Interaktion wäre zwischen Chef und Mitarbeiterin in der Regel nicht denkbar. Dadurch, dass beide zugleich als Vater und Tochter agieren, kann es häufiger solche Momente geben, in denen die Wahrscheinlichkeit für konflikthafte Anschlussinteraktionen steigt. Da die Familienmitglieder das Familienunternehmen auch nicht so leicht verlassen können wie ein externer Mitarbeiter (Familienmitgliedschaft ist nicht einfach »kündbar«), steht eine wichtige Variante der Konfliktlösung nicht zur Verfügung. So steigert sich die Konfliktspannung potentiell noch, die Familie gleicht dann einem »Popcorntopf«, es knallt und rumort, doch es gibt keinen Ausweg, der »Deckel« ist zu.

Unbewusster Umgang mit Komplexität Mit der sich ergebenden Komplexität kann nun auf verschiedene Weise umgegangen werden. Wenn Harvey und Evans (1994) ins Zentrum der Vermeidung von Familienunternehmenskonflikten die Aufforderung »Consciousness raising« setzen, so sprechen sie damit die Problematik an, dass ein unbewusster Umgang mit den sich aus der beschriebenen Komplexität heraus ergebenden Konflikten sehr gefährlich sein kann – und zugleich, dass es keine einfachen »Rezepte« gibt, aus ihnen herauszukommen. Im Folgenden soll aus der Unterscheidung »unbewusst – bewusst« heraus überlegt werden, welche Möglichkeiten es gibt, mit Komplexität umzugehen. Menschliches Erleben geht immer von der »psychologischen Realität« des eigenen Bezugspunktes aus (Bruner, 1997), das ist gar nicht anders möglich: Man erlebt sich als Zentrum des eigenen Lebens, das, was man erlebt, »geschieht« um einen herum. Im Laufe der Zeit entwickelt ein Mensch ein Konzept, eine »Geschichte« über das, was da geschieht – meist erfindet er/sie nicht

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allein, sondern im Verbund mit anderen, wenn er/sie nicht schon in eine bestehende Geschichte hineingeboren wird. Diese Geschichten haben eine Eigenschaft: Sie tendieren dazu, die eigene Position als »gerechtfertigt« zu beschreiben. Das eigene Handeln gilt als »richtig«, während im Konfliktfall das des anderen als »falsch« und »unfair« beschrieben und entsprechend erlebt wird (Bruner, 1997). Diese Form der Wirklichkeitsbeschreibung kann etwa in einem Konflikt mit dem Bruder, der zugleich Mitinhaber des Geschäftes ist, dazu führen, dass dieser als »die eigentliche Ursache« des Problems gesehen wird: Er hat die Schuld, es liegt an ihm. Die Psychologie spricht hier auch von dem sogenannten »fundamentalen Wahrnehmungsfehler«. Dieser besteht darin, dass das jeweils eigene Verhalten nur als »Reaktion« gewertet (und erklärt) wird, während das des anderen jeweils als Ausdruck seines »schlechten Charakters« oder »bösen Willens« beschrieben wird. Man fühlt sich »gezwungen«, auf die »bösen« Handlungen des anderen entsprechend hart zu reagieren: »Er hat es sich selbst zuzuschreiben!« Da der andere sich das Geschehen meist genau spiegelverkehrt beschreibt, liegt hier ein Schlüssel zur Selbstorganisation eines Konflikts: Jeder eskaliert mit gutem Gewissen, weil er sich ja nur gegen den anderen »wehrt« (von Schlippe u. Kellermanns, 2009). Gerade die Fähigkeit, sich in die Position des Anderen hineinzuversetzen, geht schnell verloren, wenn man in einem belastenden Beziehungskonflikt steckt. Die beeinträchtigte Fähigkeit zur Perspektivenübernahme geht einher mit einer zunehmenden Einengung der Wahrnehmung bis hin zur Dämonisierung des anderen (Omer et al., 2007): »Schwarz-Weiß-Schemata« unterteilen die Konfliktumwelt in »gut« oder »böse«, »für mich« oder »gegen mich«. Ein zweiter gut bekannter sozialpsychologischer Mechanismus verschärft in diesem Zusammenhang das Konfliktgeschehen weiter, wenn Komplexität nicht mit Bewusstheit »balanciert« wird. Es ist der »feindselige« Wahrnehmungsfehler (s. Omer et al., 2007). In einem Zustand von Misstrauen und Verhärtung werden selbst harmlose oder neutrale Verhaltensweisen des Gegenübers negativ umgedeutet. Dieser Mechanismus verhindert dann, dass positive Gesten wie etwa freundlich gemeinte Versöhnungsgesten im Konfliktgeschehen erfolgreich sind. Sie werden als besonders perfide »getarnte« Feindseligkeit abgewertet – so chronifizieren sich Konflikte, wenn sie unbewusst ausgetragen werden, nahezu perfekt: Der fundamentale Wahrnehmungsfehler führt beide Seiten in die Eskalation hinein, der feindselige verhindert den Ausweg (von Schlippe u. Kellermanns, 2009).

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Vorwort zur deutschen Ausgabe

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Ein bewusster Umgang mit Komplexität Die geschilderten Mechanismen gehören wohl zu unserem Erbe aus der Menschheitsgeschichte, jedenfalls sind sie weltweit zu beobachten und offenbar nicht abhängig von der jeweiligen Kultur, in der man aufgewachsen ist. In mittelmäßig oder gering komplex strukturierten Umwelten, in denen es zugleich immer um die Existenz ging, waren sie wohl überlebenswichtig: Man brauchte eine schnelle Orientierung darüber, wer »der Feind« war – allein schon inne zu halten oder sich gar in die Position des anderen einzufühlen, war lebensgefährlich. Heutzutage leben wir in einer Umwelt mit einer um ein Vielfaches höherer Komplexität und Vernetztheit, in der zugleich unser physisches Überleben in der Regel nicht in Frage steht. Es ist eine von uns selbst geschaffene Komplexität, mit der wir nur umgehen können, wenn wir uns ihrer bewusst werden – dies gilt im Großen, für globale Zusammenhänge, wie im Kleinen, in der Familie und den mit ihnen verbundenen Sozialsystemen. Für Familienunternehmen bedeutet Bewusstheit, immer wieder die Komplexität der Konstellation zu reflektieren. Familie und Unternehmen, beide Systeme sind herausgefordert, sich im Kontext des jeweils anderen Systems wahrzunehmen und die mit der Verbindung verknüpften Schwierigkeiten und Fallstricke zunehmend besser zu verstehen. Gerade im Konfliktfall bedeutet Bewusstheit, dass man reflektiert, dass der oder die andere, so wie man selbst, im Kontext der komplexen Konstellation »Familienunternehmen« steckt und sich darin vielleicht wie in einem Irrgarten verfangen hat. Die Herausforderung besteht darin, den Anderen nicht primär als Gegner zu sehen, sondern als Mitbetroffenen, mit dem gemeinsam man herausgefordert ist, eine komplexe Problematik zu lösen.

Familienstrategie und Familienmanagement Doch die Erfahrung zeigt wie schon gesagt: Wenn Konflikte erst einmal ausgebrochen sind, ist es enorm schwierig, die eskalierende Eigendynamik wieder herunterzuregulieren. Kommunikationen laufen »geeicht« ab, nach immer wieder gleichen Schrittfolgen, Hormone und Emotionen tun das ihre dazu, den Kreislauf in Gang zu halten. So besteht die spezifische Führungsaufgabe von Familienunternehmen darin, neben die Unternehmensstrategie auch eine Familienstrategie zu stellen. Es sollte konsequent nach Wegen gesucht werden, wie die beiden Systeme voreinander bzw. wie die handelnden Personen vor Eskalation geschützt werden.

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Ein Lösungsweg, auf den dieses Buch besonders verweist, liegt in der Entwicklung von Strukturen. Komplexität braucht Strukturen, ohne Strukturen sind die Akteure der Komplexität ausgeliefert. Strukturen, Regeln sind Antworten, die auf Fragen gefunden werden, die sich vielleicht in der Gegenwart gerade noch gar nicht stellen, die aber in Zukunft brisant werden könnten. Strukturentwicklung ist keine einsame Führungsentscheidung. Sie setzt Bewusstheit im Gesellschafterkreis voraus und erfolgt auf der Basis einer gemeinsam getragenen Familienstrategie als Ergebnis einer gemeinsamen Willensbildung. Je weniger belastet und konfliktreich die Beziehungen in der Eigentümerfamilie sind, desto leichter wird es möglich sein, sich auf kritische Eckpunkte zu einigen, die einer Regelung durch Strukturen bedürfen, wie etwa: • ob und in welcher Form das Unternehmen dauerhaft als Familienunternehmen bestehen bleiben soll; • wer eigentlich als zur Familie gehörig definiert werden soll und wer nicht; • welches die für die Familie zentralen Werte sind und welche Ziele für das Unternehmen sich daraus ableiten; • wie die Rolle von Familienmitgliedern im operativen Geschäft aussehen soll; • unter welchen Bedingungen die operative Nachfolge im Unternehmen angetreten wird, wer darüber entscheidet und wie mit Interessenkonflikten umzugehen ist; • wie mit Gesellschafteranteilen umzugehen ist (Wie wird man Gesellschafter, wie kommt man wieder heraus?); • ob Gesellschafteranteile in einer Hand konzentriert werden sollen, in Geschwisterstämmen weitergegeben werden oder ob eine Großfamilienregelung mit vielen Gesellschaftern gewählt wird; • wie die Verwendung betrieblicher Gewinne gehandhabt wird (Ausschüttungsregeln); • welche Gremien eingerichtet werden, wie sie besetzt sein sollen und welche Kompetenzen man ihnen zuspricht; • welche Kommunikationsregeln nach innen und nach außen als verbindlich gelten sollen; • wie interne Konflikte zu handhaben sind, wenn sie auftreten (z. B. frühzeitige Bekanntgabe von Uneinigkeit, Schritte, die intern zu gehen sind, statt vorschnell eine juristische Regulierung anzustreben – etwa die Einbeziehung interner Schlichter oder Mediatoren usw.); • vermögensstrategische Überlegungen usw. All diese Regelungen sollten mit der Möglichkeit versehen sein, sie mit einer substanziellen Mehrheit der Stimmen in der Familie auch vorzeitig zu verändern, so dass die gefundenen Regeln ein Halt gebendes Gerüst darstellen,

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Vorwort zur deutschen Ausgabe

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aber kein »Korsett«, in das man sich zwingen muss. Familienunternehmen sind in ihren Organisationsformen, ihren Gesellschafterstrukturen, ihren Beziehungskonstellationen und in den verschiedenen Entwicklungsstadien des jeweiligen Unternehmens so einzigartig, dass die Familienstrategie nicht einen Katalog »richtiger« Governance-Maßnahmen vorschreiben kann und darf. Vielmehr geht es darum, Themen zu benennen, über die sich die Familie einig werden sollte. Es sind jeweils Schnittpunkte, die im Konfliktfall den Bestand des Unternehmens und der Familie gefährden könnten. Eine Lösung sollte dafür gefunden werden, welche jeweils gewählt wird, kann nicht vorgeschrieben werden. Doch diese Themen nicht zu behandeln, sie zu ignorieren oder zu hoffen, dass sie sich »irgendwie« von selbst lösen werden, kann explizit als Fehler in der Führung eines Familienunternehmens angesehen werden, zumindest wenn es einen gewissen Grad an Komplexität erreicht hat. Gerade in problemlosen Zeiten hört man die Frage: »Wieso, es ist doch alles in Ordnung!«, »Es läuft doch!« oder auch: »Wir sollten der nachfolgenden Generation nicht alles vorschreiben, die müssen selbst ihren Weg finden, das mussten wir doch auch!« Doch genau hier liegt das »strukturelle Risiko«, das dieses Buch thematisiert. Die Entwicklung von familienstrategischen Strukturen ist die beste »Versicherung« für ein langfristig stabiles Unternehmen. Diese Strukturen müssen natürlich von Generation zu Generation wandelbar sein, sie garantieren auch nicht, dass es keine Konflikte mehr gibt, aber es kann helfen, sie frühzeitig vorwegzunehmen, sie zu reflektieren und sich damit auf sie vorzubereiten. Keiner würde sagen, dass eine Lebensversicherung unnötig sei, weil man ja noch lebe und bislang noch »alles gut gegangen« sei. Wenn Komplexität durch Struktur ausbalanciert wird, dann haben die Vertreter der jeweiligen Generation das ihnen Mögliche dafür getan, dass • die Familie dem Unternehmen dauerhaft als Ressource zur Verfügung steht und damit • nicht durch familieninterne Spannungen, die aufs Unternehmen durchschlagen, zu einer Belastung wird, und • die Identifikation der Familienmitglieder mit dem Unternehmen gewahrt bleibt. Prof. Dr. Arist von Schlippe Lehrstuhl für Führung und Dynamik von Familienunternehmen an der Wirtschaftsfakultät der Universität Witten/Herdecke

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Arist von Schlippe

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Literatur Bertrand, M., Schoar, A. (2006). The Role of Family in Family Firms. Journal of Economic Perspectives, 20 (2), 73–96. Gersick, K. E., Davis, J. A., Hampton, M. M., Lansberg, I. (1997). Generation to generation: Life cycles of the family business. Boston, MA: Harvard Business School Press Gordon, G., Nicholson, N. (2008). Family wars. Classic conflicts in family business and how to deal with them. London u. Philadelphia: Kogan Page. Habbershon, T. G., Williams, M. L. (1999). A Resource-Based Framework for Assessing the Strategic Advantages of Family Firms. Family Business Review, 12 (1), 1–25. Harvey, M., Evans, R. E. (1994). Family business and multiple levels of conflict. Family Business Review, 7(4), 331–348. Klett, D. (2007). Familien qua Unternehmen: wie sich Großfamilien an den Zumutungen eines Betriebs stärken können. Kontext, 38 (1), 6–25. Omer, H., Alon, N., Schlippe, A. von (2007). Feindbilder. Psychologie der Dämonisierung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schlippe, A. von, Kellermanns, F. (2009). Emotionale Konflikte in Familienunternehmen. In Schlippe, A. von, Rüsen, T., Groth, T. (Hrsg.), Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens (S. 173–202). Lohmar: Eul. Schlippe, A. von, Rüsen, T., Groth, T. (Hrsg.) (2009). Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens. Lohmar: Eul. Simon, F. B., Wimmer, R., Groth, T. (2005). Mehr-Generationen-Familienunternehmen. Erfolgsgeheimnisse von Oetker, Haniel, Merck u. a. Heidelberg: Carl-AuerSysteme. Wimmer, R. (2009). Familienunternehmen. In Schlippe, A. von, Rüsen, T., Groth, T. (Hg.), Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens (S. 1–16). Lohmar: Eul. Wimmer, R., Domayer, E., Oswald, M., Vater, G. (2005). Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp? (2. Aufl.). Wiesbaden: Gabler.

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Vorwort

Der amerikanische Soziologe W. I. Thomas prägte Anfang des letzten Jahrhunderts folgenden Ausspruch: »Wenn die Menschen Situationen als wirklich definieren, so sind auch ihre Folgen wirklich.« (»If men define situations as real, they are real in their consequences.«) Diese fundamentale Beobachtung zu menschlichem Verhalten, die heute als Thomas-Theorem bezeichnet wird, wurde zu einem Grundpfeiler der zeitgenössischen Soziologie. Der Gedanke, dass unsere Wahrnehmung der Welt unsere mentalen Modelle bestimmt, und dass diese ihrerseits den Umgang mit unserem Umfeld und die Struktur der Institutionen, die wir schaffen, beeinflussen, ist nicht neu. Tatsächlich hat er, wie alle bedeutenden Gedanken, eine lange Geschichte. Schon in den Anfängen der westlichen Kultur stellte ihn Platon in seinem Höhlengleichnis dar. Die Konstruktivisten in der Philosophie und Psychologie traten in seine Fußstapfen. Unter ihnen ragen Größen wie Jos´e Ortega y Gasset, John Dewey, Herbert Spencer und Sigmund Freud hervor. Das Buch folgt dieser geistigen Tradition und leistet nicht nur einen außergewöhnlichen Beitrag zur Forschung, sondern auch zur Praxis von Familienunternehmen. Alberto Gimeno, Gemma Baulenas und Joan Coma-Cros leiten ihre Konzepte aus eine streng empirischen Untersuchungen ab, womit sich die Worte Kurt Lewins, des Vaters der Sozialpsychologie, wieder einmal als wahr erweisen: »Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie« (»There’s nothing so useful as a good theory«). Die Autoren haben mehr als 1200 spanischen Unternehmen analysiert und bestimmen im Ergebnis sechs Grundformen von Familienunternehmen (Kapitän, Patriarch, Familienteam, Professionelle Familie, Körperschaft und Familieninvestitionsgruppe). Jede einzelne dieser Grundformen beschreibt die strukturelle Gestaltung von Familienunternehmen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und ihre dazugehörigen Komplexitäts-, Effektivitäts- und Risikoparameter. Die Grundannahme ist, dass etwas, das bei einem Familienunternehmensmodell problemlos funktioniert, bei einem anderen zum Scheitern beitragen kann. Des Weiteren stellen diese sechs Grundformen nicht nur eine nützliche Typologie dar, die dazu dient, Familienunternehmen zu unterscheiden, sie beschreibt auch typbezogene mentale Modelle der Geschäftsführung.

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Komplexität ist als verbindender Parameter vieler verschiedener familienund unternehmensspezifischer Aspekte, welche die Anpassungsfähigkeit von Familienunternehmen bestimmen, von großer konzeptioneller Nützlichkeit. Komplexität als gemeinsamer Nenner ermöglicht es, Vergleiche innerhalb des breiten Spektrums von Familienunternehmen anzustellen. Des Weiteren stellt Komplexität ein Bindeglied zu schon bestehenden Organisationsmodellen dar. Folgt man den Autoren, kann man Komplexität nur managen, wenn man entsprechende Strukturen zu ihrer Handhabung entwickelt. Sind Strukturen nicht dazu geeignet, effizient auf das Komplexitätsniveau von Familie und Unternehmen zu reagieren, steigt das strukturelle Risiko. Das hier vorgestellte Modell verfügt zweifelsohne über eine für Familienunternehmensforscher sehr attraktive konzeptionelle Eleganz. Wie alle nützlichen Modelle erfüllt dieses eine heuristische Funktion, regt zu neuen Fragen an und damit auch zu neuen Forschungsansätzen wie etwa diesen: • Welche Faktoren beeinflussen die mentalen Modelle einer Geschäftsführung? • Welche Bedingungen ermöglichen Veränderungen der mentalen Modelle einer Geschäftsführung? • Was geschieht, wenn es innerhalb der Geschäftsführung einer Unternehmerfamilie widersprüchliche mentale Modelle zum zukünftigen Aufbau des Unternehmens gibt? • Welche Bedingungen erleichtern bzw. erschweren strukturelle Veränderung? • Inwieweit wirken sich strukturelle Risiken auf die Weiterführung des Familienunternehmens aus? • Ab wann ist ein System durch strukturelle Risiken zu stark gefährdet? Weiterhin macht diese Schwerpunktsetzung deutlich, wie anpassungsfähig Familienunternehmen sind. Die Kontrolle über das Vermögen räumt den Unternehmerfamilien einen großen Handlungsspielraum bei der Strukturgestaltung der Unternehmensführung und der Corporate Governance ein. Tatsächlich stützt diese Forschungsarbeit den Gedanken, dass die Geschäftsführung von Familienunternehmen Organisationsstrukturen fördert, die ihren mentalen Modellen entsprechen. Sie tut dies ohne externen Einfluss, im Gegensatz zu börsennotierten Unternehmen, die durch Gesetze reguliert werden. Die Formbarkeit des Familienunternehmens ist wettbewerbsfördernd, da sie den Unternehmern die notwendige Flexibilität verleiht, um kreative organisatorische Lösungen zu finden, die auf die jeweiligen firmen- und familienspezifischen Probleme zugeschnitten sind. Trotzdem stellt diese Plastizität auch ein hohes Risiko dar, da es nicht unendlich viele praktikable Lösungen für jedes Unternehmens jeder Familie in jeder Situation gibt. Deshalb hängt effizi-

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Vorwort

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ente Unternehmensführung von der Fähigkeit des richtigen Umgangs mit dem strukturellen Risiko ab. Dazu muss das Komplexitätsniveau der Familie und des Unternehmens identifiziert werden, um ihm mit den geeigneten strukturellen Veränderungen entgegenzuwirken. Voraussetzung dafür ist eine Geschäftsführung, die zu Selbstkritik fähig ist, die dem bisherigen mentalen Modell geschuldete Fehlannahmen und -entwicklungen rechtzeitig erkennt und den nötigen Mut aufbringt, unter gewissen Umständen ihr mentales Modell zu ändern. Nur so kann die nötige Anpassungsfähigkeit für eine Weiterführung des Unternehmens über mehrere Generationen erreicht werden. Die Praxis hat gezeigt, dass es Geschäftsführungen schwer fällt, ihr jeweiliges mentales Modell zu erkennen und zu beschreiben. Vor allem fällt es schwer zu konstatieren, wie sich mentale Modelle auf die Fähigkeit auswirken, Familienund Unternehmenssituationen richtig einzuschätzen, wenn ein neues Komplexitätsniveau erreicht ist. Dieser Umstand wird von meinem Kollegen Daniel Gilbert, renommierter Psychologe aus Havard, mit »Präsentismus« bezeichnet, also der kognitiven Schwierigkeit, uns vorzustellen, wie unsere persönliche, familiäre und unternehmerische Situation in der Zukunft aussehen wird. Im Grunde schränkt uns die gegenwartsbezogene Perspektive ein, weil sie Teil unseres mentalen Modells ist. Situationen, die wir erleben, und das mentale Modell, nach dem wir sie bewältigen, sind unmittelbar miteinander verknüpft. Deshalb können wir nur zeitverzögert angemessen auf Veränderungen reagieren. Um die Weiterführung des Familienunternehmens zu gewährleisten, muss diese Verknüpfung entkoppelt und aus dem Bezugsrahmen genommen werden, mit dem wir unsere gegenwärtige Situation deuten. Das von Gimeno und Kollegen vorgestellte Modell gibt einer Geschäftsführung eine Reihe von nützlichen Werkzeugen in die Hand, einen Ausweg aus dem Gedankengefängnis der eigenen Modelle zu finden. Dieses Buch bietet in erster Linie eine Zusammenschau von Maßnahmen zur (Weiter-)Führung von Familienunternehmen. Die Autoren erweitern die Perspektiven von Geschäftsführungen. Die erwähnten sechs Grundstrukturen stellen einen potenziellen Handlungsspielraum dar. Sie ähneln sehr den »Unternehmerträumen«, die ich selbst beschrieben habe. Darüber hinaus werden von den Autoren nicht nur Ziele beschrieben, sondern auch Wege, diese zu erreichen. Diese Herangehensweise bezieht sich auf die Ausgangslage eines Unternehmers und vermittelt ihm eine Vorstellung von den Aufgaben, die mit dem Versuch verbunden sind, das Strukturmodell dem Komplexitätsniveau anzupassen, das durch den Generationswechsel entsteht. Somit wird die Wachsamkeit der Geschäftsführung unterstützt und ihre Planungsfähigkeit geschult. Letztlich entsteht durch diese Herangehensweise eine Basis für den Dialog und eine gemeinsame Lesart der Gegenwart und Zukunftsmöglichkeiten in

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Ivan Lansberg

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Unternehmerfamilien. Das heißt, das Modell unterstützt das Schmieden eines, wie ich es genannt habe, »gemeinsamen Traums«, der auf den Änderungsprozess konzentriert ist und die Zusammenarbeit der Gesellschafter erleichtert. Durch die Einführung eines logischen Schemas kann sich die Geschäftsführung mit einer bestimmten Grundform identifizieren und dabei feststellen, dass ihr mentales Modell verbreitet und unter bestimmten Umständen sogar geeignet ist. Diese Erkenntnis eröffnet die Möglichkeit, die Notwendigkeit einer Veränderung nicht allein reaktiv zu verstehen und die gegenwärtige und zukünftige Unternehmenslage neutraler zu analysieren. Entsprechend muss man sich nicht mehr rechtfertigen. Es geht nicht darum, Geschäftsführungen Inkompetenz zu unterstellen, sondern ihr mentales Modell – das für den bisherigen Werdegang sehr nützlich war – an gegenwärtige und zukünftige Umstände anzupassen. Die Autoren räumen ein, dass es nicht einfach ist, ein mentales Modell abzulegen. Dementsprechende Maßnahmen werden immer Widerstand hervorrufen. Mit dieser Arbeit wird ein Rahmen geschaffen, der es einer Geschäftsführung in der Praxis erlaubt, ihr Gesicht zu wahren, wenn ein Änderungsprozess durchgeführt werden soll. Seit mehr als zwanzig Jahren ist Spanien Wegbereiter in der Förderung von Familienunternehmen. Die Gründung von Institutionen wie dem »Instituto de la Empresa Familiar« (Institut für Familienunternehmen), die Förderung von Lehrstühlen in diesem Fach an vielen Universitäten, die Forschungsförderung an renommierten Institutionen wie der spanischen Business School »ESADE« und das fortwährende Bewusstsein von Familienunternehmern für die Notwendigkeit eines lebenslangen Weiterbildungsprozesses hat ein Klima geschaffen, das exzellenzfördernd ist. Diese Arbeit ist Ergebnis dieses Engagements. Ich kann nur noch den Erfolg meiner Kollegen feiern, sie ermutigen, mit der Arbeit fortzufahren, und ihnen für diesen großartigen Beitrag auf unserem Gebiet danken. Ivan Lansberg, Ph.D Lansberg, Gersick and Associates Kellogg School of Management

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Danksagung

Dieses Buch ist dem Einsatz und der Zusammenarbeit vieler Personen und Institutionen zu verdanken, die mit außerordentlichern Großzügigkeit, ihrem Wissens, ihren Erfahrungen und materieller Unterstützung zu seiner Entstehung beigetragen haben. Wir sehen durchaus, dass wir einen Beitrag leisten, der den Anspruch hat, für die Entwicklung von Familienunternehmen relevant zu sein und der sich gleichzeitig auf die Vorarbeiten vieler anderer stützt. Die Entstehung dieses Buches kann nur im Zusammenhang mit der spanischen Business School »ESADE« verstanden werden, einer Institution, die Kreativität, Akribie und die Unterscheidung von Wissen und Meinung fördert. »ESADE« lädt zu fundierter Forschung ein, repräsentiert eine Kultur des Austauschs von Wissen und Erfahrungen und bietet viele weitere Möglichkeiten. Wir sind sehr vielen Menschen von »ESADE« zu Dank verpflichtet, auch wenn es nicht möglich ist, alle namentlich zu nennen. Eine Person hat maßgeblich zu diesem Buch beigetragen: Professor Adolf Vilanova. Innerhalb Europas gilt er als Pionier der Familienunternehmensforschung. Er hat mit dem Vier-Ebenen-Modell eine beeindruckende Konzeption zur Führung von Familienunternehmen entwickelt, diese aber wegen seines hohen Anspruchs nie veröffentlicht. So war seine Konzeption nur uns Autoren zugänglich, die wir die Ehre und das Glück hatten, zu seinen Schülern und Bewunderern zu zählen. So gesehen stehen wir mit diesem Buch in Adolf Vilanovas Schuld. Eine entscheidende Rolle spielte die Abteilung für Unternehmenspolitik (»Departamento de Política de Empresa«), und insbesondere ihr langjähriger Direktor Marcel Planellas. Seine Anforderungen, seine Unterstützung und Motivation, zuweilen sehr deutlich und sichtbar, zuweilen subtil, aber sachdienlich, haben uns bei der Vollendung dieses Buches geholfen. In den Diskussionsrunden mit den Kollegen des von ihm organisierten Forschungsseminars der Abteilung für Unternehmenspolitik1 erhielten wir kritische Fragen und Anregungen zu unserem Buchprojekt. Wir möchten ebenso Xavier

1 Auch wenn die Liste noch länger wird, möchten wir nicht darauf verzichten, jedem einzelnen Teil-

nehmer des Seminars für die Beiträge zu danken, die uns halfen, dieses Buch zu entwickeln: Luisa Alemany, Ernesto Amorós, Eugenia Bieto, Agustí Canals, Xavier Gimbert, Tamyko Isa, Laura Lamolla, Carlos Losada, Javier Nieto, Eusebi Nomen, Pedro Parada, Manel Peiró, Marcel Planellas, Diego Torres, Lourdes Urriolagoitia.

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Danksagung

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Mendoza für seine Arbeit als Koautor einiger wissenschaftlicher Texte danken, die Grundlage dieses Buches sind. Montse Oll´e, Direktorin der Abteilung für Unternehmenspolitik, und Eugenia Bieto, Direktorin des Instituts für Unternehmensinitiativen (»Instituto de Iniciativa Empresarial«), boten die gesamte Zeit über ihre Unterstützung an. Auch Carlos Losada hat uns maßgeblich bei unserem Forschungsschwerpunkt unterstützt. Neben Adolf Vilanova haben vier weitere »ESADE«-Professoren wichtige Spuren in diesem Buch hinterlassen: Eduard Bonet, Jaume Filella, Maria´ Corbí und Willem Saris. Dieses Buch atmet den Konstruktionismus, den wir von Bonet lernten, die Feinheiten im Verstehen von Führungsprozessen, die uns Filella näher brachte, die Bedeutung ideologischer Konstruktionen, die uns Corbí vermittelte, und die Kraft der quantitativen Analyse, die uns Saris lehrte. Auch Joan Sureda und Joan Manel Batista haben eine maßgebliche Rolle für dieses Projekt gespielt. Wie oft haben uns die beiden aus Sackgassen befreit. Auch María Jos´e Parada war eine unschätzbare Hilfe, als es darum ging, an den Kapiteln zu feilen und diese aufeinander abzustimmen. Wir danken Joaquín Uriach für Diskussionen und Bereitstellung seines Erfahrungsschatzes. Wir danken unseren Freunden von der Universität ORT Uruguay für die Einladung, in ihrem Lehrplan eine Veranstaltung zur Führung von Familienunternehmen anbieten zu können. Ebenso danken wir dem großen Gastón Labadie für seine Hinweise, einen Sinn in den vielen Teilergebnissen zu erkennen, die wir mit der Zeit erzielten, Marcel Mordezki für die langen Gespräche und die methodische Unterstützung, die uns Anahir Benelli von Beginn an zukommen ließ. Ein anderer wichtiger Beitrag zu diesem Buch ist die Unterstützung, die wir besonders von Fernando Casado und Jesus ´ Casado vom Institut für Familienunternehmen (»Instituto de la Empresa Familiar«) bekommen haben. Wir danken Fernando Casado, dass er auf uns als eine Gruppe gesetzt hat, die eine so ganz andere Herangehensweise an die Führung von Familienunternehmen vorgeschlagen hat, und das Vertrauen, das er mit der Förderung des Projekts »FBK-Diagnostic« in uns gesetzt hat, das Grundlage für dieses Buch war. Die stete Unterstützung von Jesus ´ Casado bewirkte, dass das Projekt zur Selbstdiagnose für Familienunternehmen von den lokalen Verbänden des Instituts für Familienunternehmen (»Asociaciones Territoriales del Instituto de la Empresa Familiar«) angenommen wurde, wofür er uns durch ganz Spanien begleitete. Dieses Projekt, »Radiografía de la Empresa Familiar Espa˜nola«, ist ein Meilenstein der konzeptionellen Entwicklung dieses Buches. Wir danken den

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Danksagung

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lokalen Verbänden und ihren Direktoren für ihre Unterstützung, besonders Vicen¸c Bosch, Marilena Jover, Eduardo Estevez, Antonio Hern´andez und Mario Carranza. Dieses Projekt, das ein Schlüssel für die Entwicklung dieses Buches war, wurde möglich durch die Förderung der spanischen Bank BBVA. Sie beschränkte sich nicht nur auf die Vergabe einer bedeutenden finanziellen Unterstützung, sondern regte auch viele ihrer Kunden zur Teilnahme an, was wesentlich zum Erfolg dieses Projekt beitrug. Da hinter Institutionen Menschen stehen, hätte die BBVA dieses Projekt nicht ohne den begeisterten Zuspruch von Pedro Fontana unterstützt. Dieses Buch wäre nie entstanden, wenn wir drei Autoren uns nicht im Rahmen des »Family Business Knowledge« (FBK) begegnet wären, einem Beratungsprojekt für Familienunternehmen, das uns vor einigen Jahren zusammen brachte. Die Möglichkeit, das bestehende Wissen im Bereich von Familienunternehmen als Modell zu entwickeln und ein Expertensystem zu etablieren, das in der Lage ist, nützliche Lösungen vorzuschlagen, war eine Zukunftsvision, die uns hierher geführt hat. Ricardo Zamora, Anna Mitjans und Josep Closas haben entscheidend dazu beigetragen, aus dem konzeptionellen Ansatz ein Expertensystem zu entwickeln. Unser Dank gilt auch Lita Guilló, die immer hinter all dem steht, was wir tun. Dieses Buch ist auch Ergebnis ihrer hervorragenden Arbeit. Unsere Kunden waren eine außergewöhnliche Quelle der Erkenntnis. Jeder Fall, in den wir involviert waren, hat uns geholfen, uns zu verbessern, und die Situationen, mit denen sich Familienunternehmen auseinander zu setzen haben, besser zu verstehen. Sie waren entscheidend, um die komplexen Phänomene nachzuvollziehen, zu deren Verständnis und richtigem Umgang wir mit diesem Buch beitragen möchten. Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die an Familienunternehmen interessiert ist, war ebenfalls von großer Bedeutung. Die Kongresse und Versammlungen des »Family Firm Institute« (FFI), »Family Business Network« (FBN), »International Family Enterprise Research Academy« (IFERA), »European Institute for Advanced Studies in Management« (EIASM) und die »Family Enterprise Research Conference« (FERC) haben es uns ermöglicht, über Jahre hinweg unsere Gedanken mit Kollegen und Unternehmerfamilien zu diskutieren, was unsere Arbeit bedeutend bereichert hat. Nur so konnten wir geballtes Wissen über Familienunternehmen sammeln und verdichten. Von allem sind wir Ivan Lansberg und Peter Davis zu Dank verpflichtet. Sie haben eine Sicht auf Familienunternehmen geprägt, der wir uns angeschlossen haben. Besonders die Ermutigung Ivan Lansbergs, Herangehensweisen ins Auge zu fassen, die von der vorherrschenden Doktrin abwei-

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Danksagung

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chen, hat sehr viel dazu beigetragen, dass wir nicht zwischenzeitlich den Mut verloren. Unsere Arbeit beruht auf den fundamentalen Erkenntnissen einer Reihe von wissenschaftliche Vorreitern: Bateson, Gell-Mann, Herbert Simon, Kuhn, Lakoff, Ludewig, Luhman, Minuchin, Ortega y Gasset, Prigogine, Wagensberg und Watzlawick. Wir möchten auch Joan Amat danken, der uns stets ermutigte, zu publizieren, und der uns zu wesentlichen Änderungen am Manuskript bewegt hat, als wir bereits dachten, es sei vollendet. Zum Abschluss möchten wir unseren Partnerinnen und Partnern danken, Marcela, Carlos und Marysun ´ sowie Lorenzo, Claudia, Victoria und Helena für ihre Ermutigungen und beachtliche Geduld. Wir danken ihnen allen.

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Einleitung

Was bietet Ihnen dieses Buch? Mit diesem Buch möchten wir dazu beitragen, besser geführte und stabilere Familienunternehmen zu etablieren. Deshalb ist die Lektüre unserer Meinung nach empfehlenswert für jeden, der Teil eines Familienunternehmens ist, der Vorstandsmitglied eines Familienunternehmens ist, der Beratungsfunktionen innehat, der auf diesem Gebiet forscht oder den dieses Thema einfach so interessiert. Das Buch stützt sich auf eine zwanzigjährige Arbeit in diesem Bereich. Wir haben Publikationen zu diesem Thema ausgewertet, wir hatten Kontakt zu Experten und Unternehmerfamilien aus aller Welt. Unser Ziel war es zu erarbeiten, wie man die Besonderheiten von Familienunternehmen besser verstehen kann und welche Herangehensweisen den optimalen Umgang mit den Beziehungen zwischen Familie und Unternehmen ermöglichen. Wir hatten immer zwei Teilziele vor Augen: dass die Unternehmerfamilie mit sich und den familiären Beziehungen zufrieden ist, und dass der Erfolg des Unternehmens zufriedenstellend ist. Wie wir in unseren Arbeiten nachgewiesen haben, begünstigen sich beide Ziele gegenseitig. Sobald die Unternehmerfamilien verstehen, woran sie arbeiten müssen, setzen sie dies meist effektiv in die Tat um. Für die Familie ist es wichtig, »sich ihrer selbst bewusst zu werden« und ihre Situation als Familienunternehmen treffend zu bestimmen. Dieses Buch stützt sich auf die beachtlichen Datenmengen, die wir aus dem Expertensystem »FBK-Diagnostic« des Beratungsprojekts »Family Bussiness Knowledge« gewonnen haben. Wir hatten die Gelegenheit, mit detaillierten Informationen zu 1.200 spanischen Familienunternehmen zu arbeiten. Dieser Umstand ermöglichte es uns, unsere Hypothesen zu überprüfen, und zwang uns, unsere Herangehensweisen neu zu überdenken, um Widersprüche einbeziehen zu können. Dieses Buch hat einen anderen Schwerpunkt als jedes andere Buch, das es bisher über Familienunternehmen gibt. Das Buch will verdeutlichen, wann und warum es wichtig ist, die einzelnen Kriterien zur Führung von Familienunternehmen, die in den letzten dreißig Jahren entwickelt wurden, anzuwenden. Unser Hauptschwerpunkt liegt darin, Geschäftsführungen und Unternehmerfamilien ein Instrument an die Hand zu geben, mit dem Sie feststellen können, wo sie sich befinden und wie beziehungsweise wohin sie sich entwickeln möchten.

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Einleitung

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In Kapitel 1 stellen wir die Geschichte der Familienunternehmensführung im Kontext der allgemeinen Managementlehre vor. Wir gehen kurz auf Vorteile und Nachteile ein, die die verschiedenen Ansätze unserer Meinung nach mit sich bringen. In Kapitel 2 geht es um die Formel zur Führung von Familienunternehmen. Diese Formel betont die Einzigartigkeit jedes Familienunternehmens. Der genaue Blick auf das Komplexitätsprofil eines Familienunternehmens ist ein nützlicher und praktischer Weg, die bestehenden Unterschiede zu verstehen und festzulegen, welche Art der Unternehmensführung jeweils angemessen ist. In diesem Kapitel stellen wir auch eine Möglichkeit vor, Beziehungsstrukturen zwischen Familie und Unternehmen zu erkennen, welche aus vielen miteinander verbundenen Aspekten bestehen, die den »hard facts« und den »soft facts« zugeordnet werden können. In Kapitel 3 führen wir Modelle von Familienunternehmen ein. Wir ordnen Familienunternehmen verschiedenen Typen zu und beschreiben die Eigenschaften der genannten Modelle in ihrer Gesamtheit. In Kapitel 4 beschreiben wir die Folgen, die sich aus den unterschiedlichen Unternehmensmodellen für die Unternehmensführung ergeben. Deutlich wird, dass jedes Modell ganz eigene Herausforderungen mit sich bringt. Der Grund für viele, trotz guter Absicht entstandenen Niederlagen wird erkennbar. Im Anhang des Buches haben wir detaillierte Erläuterungen zur Familienunternehmensführung zusammengestellt. Wir empfehlen den Anhang als Nachschlagewerk und als Hilfestellung für die Familien, die Ordnung in Familien- und Unternehmensstrukturen bringen möchten. Letztlich hoffen wir, dass dieses Buch dem Leser von Nutzen sein wird und dass es dazu beiträgt, das Netz der Familienunternehmen, die weltweit das Fundament der Wirtschaft bilden, zu stärken. Das Familienunternehmen ist die beste Unternehmensorganisationsform, wenn es in der Lage ist, den Willen und die Kräfte vieler zu vereinen, wenn es in der Lage ist, aus dem Erfolg des Einzelnen den Erfolg vieler werden zu lassen, wenn es in der Lage ist, seine Vergangenheit anzunehmen, indem es aus ihr Zukunft schafft.

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Geschichte der Familienunternehmensführung

In diesem Kapitel stellen wir zum besseren Verständnis unserer Herangehensweise die Meilensteine der kurzen Geschichte der Familienunternehmensführung vor. Die Geschichte der Führung von Familienunternehmen beginnt im 19. Jahrhundert. In der westlichen Welt bringt die Industrielle Revolution große Veränderungen mit sich. Durch das Zusammenspiel von Technisierung und soziopolitischen Veränderungen entsteht eine neue Form wirtschaftlicher Organisation: das moderne Unternehmen. Javier Nieto2 gibt die Entwicklung der Managementlehre gekonnt wieder, indem er sich zunächst auf die Organisation von Arbeit und Produktion konzentriert (Henry Fayol) und sich dann auf personenbezogenes Management (Frederick Herzberg), Verwaltung (Herbert Simon), Unternehmens- und Organisationsprinzipien (Alfred Chandler) sowie Strategieentwicklung (Kenneth Andrews) bezieht. Obwohl von Deutschland bedeutende Anstöße zu konzeptuellen Neuerungen im Management3 ausgingen, hat sich die Managementlehre vorrangig in den USA entwickelt. Dort wurde 1881 dank einer Spende des Industriellen und Philanthropen Joseph Wharton4 die erste Wirtschaftshochschule der Welt gegründet5 . Die Mehrzahl der großen nordamerikanischen Unternehmensgruppen ging zunehmend in Streubesitz über, entsprechend dem üblichen Mechanismus, Mittel für die Expansion durch den Gang an die Börse zu beschaffen. Die innovativsten Unternehmen waren dabei die, die sich am besten entwickelten. Auf sie konzentrierte sich die Managementlehre.

2 Nieto, J. (2006). Estructura, estrategia y conocimiento. Una lectura histórica de la política de gestión.

Unveröffentlichte Doktorarbeit. 3 Die Thyssen-Gruppe war im 19. Jahrhundert Vorreiterin im Management, indem sie das Prinzip der

vertikalen Integration, Kontrollsysteme sowieeine multidivisionale Struktur etc. einführte. DieseNeuerungen wurden oft nordamerikanischen Unternehmen zugeschrieben. Vgl. Fear, J. R. (2005). August Thyssen and the construction of german corporate management. Cambridge, MA: Harvard University Press. 4 Gründer der zu jener Zeit zweiterfolgreichsten Eisen verarbeitenden Unternehmensgruppe Nordamerikas, der Bethlehem Steel Company. 5 »The Wharton School« an der University of Pennsylvania.

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1 Geschichte der Familienunternehmensführung

Außerdem ist es bei börsennotierten Unternehmen leichter, an Informationen zu gelangen. Forscher sind dementsprechend geneigt, Vorzeigeunternehmen zu untersuchen, zu denen man den einfachsten Zugang hat. Es ist auch kein Geheimnis, dass Spitzenunternehmen in diesem Bereich derartige Studien gefördert haben, um ihre eigenen Managementmethoden zu analysieren. So haben die großen nordamerikanischen börsennotierten Unternehmen das Spielfeld der Managementlehre abgesteckt. Die untersuchten Bereiche umfassen: Motivationsmanagement (IBM), Organisationsstrukturen (General Motors), Unternehmensstrategien (General Electric), Vertrieb (Sears), Marketing (Procter & Gamble) und Finanzmanagement (JP Morgan). Die Unternehmen wurden überwiegend abhängig von ihrer Größe untersucht. Es entstanden viele Theorien zur Führung von Großunternehmen, Familienunternehmen wurden lediglich als Sonderfälle einer untergeordneten Entwicklungsstufe erwähnt. Der Zusammenhang von Unternehmen und Eigentum wurde nur bei börsennotierten Unternehmen untersucht, in denen sich die Beziehung zwischen Anteilseignern und Unternehmensführung stark gefestigt hat. Alle anderen Unternehmen wurden als »nicht börsennotierte« Unternehmen betrachtet und nicht weiter analysiert. Sie galten als »unterentwickelte Unternehmen«, die sich selbstverständlich zu börsennotierten entwickeln sollten. Erst 1976 erläuterten die beiden Harvard-Professoren Louis Barnes und Simon Herson in einem Artikel in der »Harvard Business Review«, dass das Familienunternehmen nicht als Unterstufe des börsennotierten Unternehmens zu gelten habe, sondern dass es eine in sich stabile Form einer wettbewerbsfähigen Organisation sei. Schon damals erkannten sie die Nachfolge als Hauptproblem. Die Autoren äußern sich folgendermaßen6: »[In a study published in 1972, Philip] Burch notes that contrary to what one might expect, the rather pervasive family control exercised is, for the most part, very direct and enduring. It is exercised through significant stock ownership [. . . ].« »Our studies, however, suggest that the healthiest transitions are those old-versusyoung struggles in which both the family managers and the business change patterns. For this to happen, ›the old man‹ must face the decision of helping the company live even though he must die. If he can do this, the management of transition can begin. In effect, a successful family transition can mean a new beginning for the company.« »For the company to grow it is essential to remove the reins from the old man’s hands. [. . . ] when the management moves from one generation to the next, the transition is 6 Barnes, L. B., Herson, S. A. (1976). Transferring Power in the Family Business. Harvard Business

Review, 54 (4), 105.

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often far from orderly. In addition, as the company develops, there is a need for a management style that goes beyond survival thinking, and entrepreneurs tend not to be reorganizers.«

Einige Jahre später traten auch in den USA erste Experten für Familienunternehmen in Erscheinung. Leon Danco erstellte ein Seminarprogramm für Familienunternehmer und publizierte die ersten beiden Bücher über Familienunternehmen7 und Peter Davis gründete 1980 den ersten Studiengang für Familienunternehmen in Wharton. Sein Artikel8 ist nicht nur der erste, der die Besonderheiten von Familienunternehmen unter die Lupe nimmt, er ist immer noch aktuell und eine lohnende Lektüre für jeden, der sich intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen will. In den letzten dreißig Jahren hat sich dieses Fachgebiet konzeptionell und in der praktischen Umsetzung stark entwickelt. Wir unterscheiden fünf grundlegende Ansätze in der Familienunternehmensführung. Bei jedem von ihnen liegt der Schwerpunkt auf anderen Aspekten und Methoden im Management. Auf jeder Entwicklungsstufe gibt es Neuerungen, die Mängel der vorangegangenen Entwicklungsstufen ausräumen.

Ansätze der Familienunternehmensführung »Problemfall« Familienunternehmen Nachfolgeplanung Familienverfassung Governance Kommunikation in der Familie Abbildung 1: Managementansätze in Familienunternehmen

7 Danco, L. (1975). Beyond survival: a business owner’s guide for success. Cleveland: The Center for

family business. Danco, L. (1983). Inside the family business. Cleveland: The Center for family business. 8 Davis, P., Stern, D. (1980). Adaptation, survival, and growth of the family business: An Integrated

Systems Perspective. Human Relations, 34 (4), 207–224.

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1 Geschichte der Familienunternehmensführung

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Erster Ansatz: »Problemfall« Familienunternehmen Hierbei handelt es sich um die Phase der »Entdeckung« des Familienunternehmens. Die Experten stellen fest, dass es zahlreiche Familienunternehmen und mit ihnen verbundene Schwierigkeiten gibt. Peter Davis betrachtet das Familienunternehmen in seinem bereichernden Artikel systemisch. Familie und Unternehmen sind zwei verschiedene Systeme, die, wenn sie aufeinandertreffen, sich gegenseitig erheblich beeinflussen.

Familie

Unternehmen

Abbildung 2: Zwei Systeme – Familie und Unternehmen

In dieser ersten Phase werden Situationen in Familienunternehmen genauer untersucht. Hierbei wird der Schwerpunkt auf Beziehungsstrukturen gelegt, die vom System Familie in das System Unternehmen getragen werden und Verwirrung stiften. In dem Zusammenhang werden unter anderem Schwierigkeiten bei der Nachfolge, innerfamiliäre Konflikte, Vetternwirtschaft und Konflikte mit eingeheirateten Familienmitgliedern beschrieben. Dies entspricht der unvermeidlichen Unordnung, die entsteht, wenn zwei verschiedene Systeme aufeinandertreffen.9 Die gegenseitige Durchdringung beider Systeme zeigt Abbildung 3. 9 In der modernen Gesellschaft koexistieren zahlreiche unterschiedliche soziale Systeme (politische

Parteien, Sportvereine, Nachbarschaftsvereine, Ausbildungsstätten, Religionsgemeinschaften, ethnische Gruppen in der Diaspora, Berufsgruppen, Verwaltungsstrukturen, Familien, Unternehmen etc.). Jeder Mensch gehört verschiedenen sozialen Systemen an, ohne dass Unordnung entsteht, da ihm klar ist, wann er sich in welchem System befindet. Das heißt, ein Mann kann Parteivorsitzender sein, aber wenn er in die Schule seiner Kinder geht, gehört er dem sozialen System als Vater und nicht als Parteivorsitzender an. Deshalb wird er sich anders verhalten. Er wird nicht auf die Idee kommen, den anderen Vorschriften zu machen, wie er es innerhalb seiner Partei täte. Das Problem an der gegenseitigen Durchdringung von zwei Systemen – vgl. Kepner, E. (1983). The family and the firm: A co-evolutionary perspective. Organizational Dynamics, 12 (1), 57–70 – ist, das jedes im anderen Unordnung hervorruft, da es manchmal nicht eindeutig ist, wann man sich in einem und wann in dem anderen System befindet. Im eben genannten Beispiel hieße das, ein Vater könnte als Parteivorsitzender auf dem Schulhof Plakate kleben und der Schuldirektor könnte die Eltern von Mitschülern, die auch Parteimitglieder sind, rufen, um dem Vorsitzenden Einhalt zu gebieten. Diese Vermischung von Rollen stiftet zweifelsohne Verwirrung und Unordnung.

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Erster Ansatz: »Problemfall« Familienunternehmen

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ion unfähigkeit Du hoher Lebens itte Generhat ngs lu standard bist nicdr ht wie Za Wer wird der Geschäftsführer? a ... d e in Va Konflikt ter gute Löhne Pap , Verwirrung mangelndes Eng a hr me ht nic n agement J kan Ich D e in Bruder arb Konzerne Vetternwirtschaft eitet wen iger Niemand kann den Gründer ersetzen schlechte Fü Schließung hrung konservativaus Konkurs t ! eit Ich gehe hleute zählen nich en ich gerinn n m Str Die c a s F c h V G le Schwä uten ge chtes e tze hen weg Man nu nung rkau agem Sie Unord f ent

Abbildung 3: Unordnung in den Systemen Familie und Unternehmen

In diesen Anfangsjahren publizierte der Havard-Professor Renato Tagiuri zusammen mit seinem jungen Assistenten John Davis10 eine universitätsinterne Studie11 über die Ambivalenz, die Familienunternehmen durch die Vermischung der Bereiche Familie und Unternehmen verursachen (s. Abb. 4).

Eigentümer

Geschäftsführung und Angestellte

Familienmitglieder

Abbildung 4: Drei-Kreis-Modell (vgl. Tagiuri u. Davis, 1982)

Die Autoren arbeiteten heraus, dass innerhalb des Familienunternehmens verschiedene Interessengemeinschaften entstehen, die sich jeweils durch die Koexistenz von Rollen und die gleichzeitige Übernahme verschiedener Rollen auszeichnen. Definiert werden diese Rollen über die Familienzugehörigkeit, 10 John Davis hat zurzeit die Professur für Familienunternehmen an der Havard University inne. 11 Tagiuri, R., Davis, J. A. (1996). Bivalent attributes of the family firm. Family Business Review, 9 (2),

199–208. Dieser Artikel wurde ursprünglich 1982 als Studie der Harvard Business School veröffentlicht.

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1 Geschichte der Familienunternehmensführung

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den Eigentümerstatus und den Status der jeweiligen Person im Unternehmen. Dieses Modell ist als »Drei-Kreis-Modell« sehr bekannt geworden. Diese Annäherung war für das Verständnis der Problematik von Familienunternehmen sehr hilfreich, galt es doch auf Fragen, die durch Interessenkonflikte, Doppel- oder Dreifachbesetzung von Rollen entstanden, und die damit verbundenen Verwirrungen und Schwierigkeiten allgemeingültige Antworten zu geben. Später fügten John Davis und andere unter der Leitung von Kevin Gersick12 Entwicklungsstufen in dieses Modell ein. Diese Autoren entwickelten ein dreidimensionales Lebenszyklusmodell, das den zeitlichen Verlauf einbezieht. Dieses Modell trägt maßgeblich zum Verständnis der Existenz unterschiedlicher Entwicklungsstufen eines Familienunternehmens innerhalb der drei Dimensionen bei (s. Abb. 5). Unternehmensachse

Reife Wachstum

Gründung

Unternehmerfamilie

Eintritt der neuen Generation

Generationenpartnerschaft

Übergabephase

Familienachse Eignerunternehmen Geschwisterunternehmen/ verbundene Unternehmen Vetternkonsortium

Eigentumsachse Abbildung 5: Dreidimensionales Lebenszyklusmodell (vgl. Gersick, Davis, Hampton u. Lansberg, 1997) 12 Gersick, K. E., Davis, J. A., Hampton, M. M., Lansberg, I. (1997). Empresas Familiares: Generación a Generación. M´exico: McGraw-Hill.

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Zweiter Ansatz: Die Nachfolgeplanung

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Die Schwierigkeit dieses Modells liegt darin, dass sich die Eigentumsachse und die Familienachse auf dieselbe Realität beziehen. Die Eigentumsachse steht für den Verwandtschaftsgrad (Gründer, Brüder, Cousins) und die Familienachse für Abschnitte des Lebenszyklus der Gründergeneration. Entsprechend ist die Familienachse die Erweiterung eines Teils der Eigentumsachse.13 Die Beiträge dieser Zeit sind von Bedeutung, da sie viele Situationen, die so nur in Familienunternehmen vorkommen, erklären und zum Verständnis der Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, beitragen. Sie zeigen außerdem Lösungen für diese Probleme auf.

Zweiter Ansatz: Die Nachfolgeplanung Der bereits zitierte Artikel von Barnes und Simon gab 1976 den Anstoß für das Forschungsgebiet Familienunternehmen, sich besonders der Nachfolge in Familienunternehmen zu widmen. Die Frage der Nachfolge wurde als Hauptproblem für die Weiterführung von Familienunternehmen erkannt. Eine immer wieder vorgebrachte Feststellung auf Konferenzen zum Thema Familienunternehmen lautete, dass 70 % von ihnen die Übergangsphase von der ersten zur zweiten Generation nicht überstehen und nur 15 % die dritte Generation erreichen. Diese häufig uneindeutig wiedergegebene Angabe stützt sich auf eine Studie, die John Ward mit Handwerksunternehmen in Familienbesitz aus Illinois durchführte, um festzustellen, wie hoch der Anteil von Familienunternehmen an der Gesamtzahl aller Unternehmen ist, wenn man auf die Generationenfolge seit der Unternehmensgründung abstellt.14 Seitdem wurde diese Angabe unendlich wiederholt, als ob sie auf die gesamte Weltbevölkerung extrapolierbar wäre. Die auf populärwissenschaftlichen Konferenzen konstruierte Kausalität, 70 % der Unternehmen würden beim Übergang von der ersten zur zweiten Generation verschwinden, weil sie aus Familienmitgliedern bestehen, und wiederum die Hälfte von ihnen beim Übergang von der zweiten zur dritten Generation, ist ein Trugschluss, da einige Studien für Unternehmen, die keine Familienunternehmen sind, eine ähnliche Sterblichkeitsrate aufzeigen. Demzufolge ist eine Kausalität zwischen

13 Eine empirische Studie zu Familienunternehmen aus der Region Madrid, die von einem der Autoren

dieses Buches durchgeführt wurde, bestätigt dies (Gimeno, 2005). 14 Ward, J. (1988). Keeping the family business healthy. San Francisco: Jossey-Bass.

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1 Geschichte der Familienunternehmensführung

dem hypothetischen Verschwinden von 70 % der Familienunternehmen und der Nachfolgeproblematik schwer zu stützen. Trotzdem ist das Thema der Nachfolge sehr wichtig. Sowohl Expertenmeinungen als auch praktische Erfahrungen von allen, die mit Familienunternehmen zutun haben, besagen, dass im Zeitraum der Nachfolge eine Reihe von problematischen Situationen auftauchen, die durch Nachfolgeplanung vermeidbar gewesen wären. Dieser Ansatz hat sich für viele Familienunternehmen als hilfreich erwiesen. Die Ansätze, die die Bedeutung der Nachfolgeplanung hervorheben, gehen davon aus, dass es sich primär um einen schwierigen Prozess für die zu ersetzende Person handelt, besonders dann, wenn es sich um den Unternehmensgründer handelt, für den das Unternehmen den Lebensinhalt darstellt. Die Ansätze der Managementlehre, die sich auf die Nachfolgeplanung konzentrieren, sind hauptsächlich für die Vermögensnachfolge relevant, gehen aber kaum auf Aspekte der Unternehmensführung ein. Die Nachfolgeplanung als Hauptthema des Familienunternehmens zu behandeln, birgt hauptsächlich drei große Schwierigkeiten: • Eine Nachfolge geschieht nicht über Nacht. Sie ist ein sehr langer Prozess. Die scheidende Generation verbringt beruflich 58 %15, also mehr als die Hälfte der Zeit, in der sie das Unternehmen führt, mit der Folgegeneration im selben Unternehmen. Entsprechend waren die Untersuchungsergebnisse, die sich auf die »punktuelle Nachfolge« bezogen haben, nur bedingt hilfreich. • Ein anderer Aspekt, der sich als Herangehensweise an die Nachfolgeplanung oft als nicht sehr nützlich herausstellte, war die Konzentration auf eine »Modellwiederholung«16 im dem Sinne, den leitenden Geschäftsführers durch eine Person (oder mehrere) zu ersetzen, die den Merkmalen des Scheidenden entsprechen sollte. In Wirklichkeit führt eine solche Duplizierung nur sehr selten zu einer erfolgreichen Nachfolge, für gewöhnlich gibt es in Familienunternehmen einen Modellwechsel. • Die dritte Schwierigkeit besteht in der langfristigen Planung. Versucht man dies, wie es dieser Ansatz impliziert, trifft man Entscheidungen, die im Vorfeld für die Unternehmensführung der nächsten Generation von Relevanz sind. Ein solches Vorgehen beinhaltet eine Planung für einen Zeitraum von fünfzehn bis zwanzig Jahren, was für die Unternehmensführung der nächsten Generation bedeutet, für die folgenden dreißig Jahre gebunden zu sein.

15 FBK-Database (2007). 16 Siehe Abschnitt »Unternehmensführung im Modell Patriarch« (S. 113).

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Dritter Ansatz: Die Familienverfassung

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Eine so langfristige Personalplanung für die Unternehmensführung ist utopisch. Worin die Schwierigkeiten der Nachfolgeplanung bestehen, erschließt sich, wenn man sie retrospektiv untersucht und eine Problemanalyse durchführt, um Gründe für ein Scheitern oder Gelingen zu finden. Es ist einfach, daraus Vorsorgemechanismen zu entwickeln.

Dritter Ansatz: Die Familienverfassung Familienverfassungen werden seit langem aufgesetzt und sind immer noch sehr gebräuchlich. Unternehmensführung wurde lange mit der Erstellung derartiger Richtlinien verbunden. Die Familienverfassung17 ist ein Regelsystem, das die Beziehungsstrukturen zwischen Unternehmen und Familie zu ordnen versucht. Die erste Generation bestimmt ihre eigenen Spielregeln. Für die Folgegenerationen ist es jedoch viel schwieriger, Regeln für alle Beteiligten des »Beziehungsspiels« festzulegen. Der Unternehmensgründer bestimmt durch seine Sicht der Dinge die Regeln. Wer aber legt die Regeln in den Folgegenerationen fest? Denn weder Geschwister noch Cousins haben durch ihre gleichberechtigte Stellung die Macht noch sind sie legitimiert, derartige Entscheidungen allein zu treffen. Viele Experten haben angemerkt, dass auf diese Weise große Unklarheiten im Familienunternehmen entstehen können. Die organisatorische Antwort darauf war, dass die Unternehmerfamilie gemeinsam Regeln festlegen sollte, die klarstellen, wie sie ihre Beziehung zum Unternehmen gestaltet. Sie sollte eine Familienverfassung erstellen. Die Familienverfassung ist also ein Regelwerk, das die Beziehung zwischen Familie und Unternehmen bestimmt. Die ersten derartigen Schriftstücke stammen aus dem 19. Jahrhundert und wurden von bedeutenden japanischen Unternehmerfamilien (Sumitomo, Mitsui)18 aufgesetzt. Weltweit ist Spanien das Land, in dem die Familienverfassung als Managementinstrument am gebräuchlichsten ist. In ihm werden Regeln erarbeitet, die hauptsächlich Eigentumsfragen (wer hat welchen Anspruch auf Eigentum), finanzielle Fragen (wer hat Anspruch auf welches Einkommen: Lohn, Dividenden oder andere Einkünfte des Unternehmens), arbeitstechnische Fragen 17 Im Englischen benutzt man den Begriff »family constitution«. Im Deutschen ist auch der Begriff

»Familiencharta« gebräuchlich. 18 Morikawa, H., Kobayashi, K. (1986). Development of Managerial Enterprise. Tokio: University of

Tokyo Press . Das Familienprotokoll von Sumitomo stammt aus dem Jahr 1891, das von Mitsui aus dem Jahr 1900.

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1 Geschichte der Familienunternehmensführung

(Arbeitsbedingungen, Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens), Fragen zur Nachfolge (Vermögensnachfolge, Nachfolge in der Geschäftsführung) behandeln und die klären, wie ein Ein- und Ausstieg ins Unternehmen zu gestalten ist. Für gewöhnlich vermitteln Familienverfassungen ebenfalls die Werte der Familie. In Spanien unterscheidet man drei Arten von Familienverfassungen19: • Vermögensorientierte Familienverfassungen: Der Schwerpunkt liegt aufeigentumsbezogenen Rechten und Pflichten und weniger auf Fragen des Managements. Die Nachfolgeproblematik wird kaum beachtet. • Zukunftsorientierte Familienverfassungen: Der Schwerpunkt liegt auf Eigentums- und Nachfolgefragen, Managementfragen werden hingegen kaum beachtet. • Managementorientierte Familienverfassungen: Der Schwerpunkt liegt auf der Professionalisierung des Managements. Eigentumsbezogene Rechten und Pflichten werden hier wiederum kaum beachtet. Diese Regelwerke sollen vor allem den Einstieg von Familienmitgliedern mit einem weniger geeigneten Kompetenzprofil ins Unternehmen begrenzen. Die Familienverfassung ist für die Führung von Familienunternehmen sehr hilfreich und leistet zwei große Beiträge: Zum einen wird die Bedeutung des Generationswechsels wiederentdeckt, da das Regelwerk Instrument für diesen ist. Zum anderen ist die Familienverfassung ein Instrument für Dialog und Verständigung. Durch die Erstellung eines derartigen Regelwerks beginnt die Familie sich über Themen, die die Unternehmerfamilie betreffen, zu verständigen. Oft werden Themen behandelt, die nie zuvor angeschnitten wurden. Ebenso wie die bereits genannten Ansätze ist auch die Familienverfassung als einziges Instrument der Unternehmensführung nicht ausreichend. Unserer Meinung nach bringt dieser Ansatz vier große Schwierigkeiten mit sich. • Die Hauptschwierigkeit besteht häufig im mangelnden Bewusstsein für die Prozesse, die ablaufen, wenn innerhalb einer Gruppe Regeln neu bestimmt werden.Viele Familienverfassungen bestehen aus sozial erwünschten Regeln, die aber nicht unbedingt von der Unternehmerfamilie verinnerlicht wurden. Aus den Richtlinien geht häufig hervor, welche Entwicklung eine Familie in den nächsten Jahren nehmen möchte. 19 Gimeno, A., Baulenas, G. (2007). Contenido y tipos de protocolo en la empresa familiar espa˜ nola. In J. M. Amat, J. F. Corona (Eds.), El protocolo familiar. Barcelona: Deusto.

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Vierter Ansatz: Governance

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• Eine zweite Schwierigkeit der Familienverfassung als Managementmethode liegt darin, dass sie häufig zur Kontrolle der Folgegeneration instrumentalisiert wird, indem man Regeln vorschreibt. Die Regeln aus der Familienverfassung werden meistens, bis auf rechtswirksame Bestimmungen, in der Praxis nicht umgesetzt. • Die dritte Schwierigkeit der Familienverfassung als einzigem Instrument besteht darin, dass sie das Familienunternehmen zu sehr einschränkt. Komplexere Familienverfassungen zielen häufig darauf ab, möglichst viele Situationen vorwegzunehmen. Dies erfordert eine besonders große Detailgenauigkeit, wodurch die Familienverfassung letztlich zu einem unflexiblen Instrument wird. • Mit der Familienverfassung werden häufig Regeln für andere festgelegt und weniger für sich selbst. Deshalb werden Themen, die wirklich angesprochen werden sollten, häufig gemieden, da sie mit den gegenwärtigen Hauptakteuren des Familienunternehmens zu tun haben. Vielmehr konzentriert man sich beispielsweise darauf, wie der Einstieg der nächsten Generation in das Unternehmen bewerkstelligt werden soll oder wie welche prestigeträchtigen Abschlüsse dafür nötig sind.

Vierter Ansatz: Governance Der Governance-Ansatz konzentriert sich vor allem auf die verschiedenen Entscheidungsorgane und -bereiche des Familienunternehmens. Grundsätzlich werden drei Bereiche unterschieden: der Eigentumsbereich, vertreten durch den Familienrat, der Bereich der Corporate Governance, vertreten durch den Verwaltungsrat, und der Managementbereich, vertreten durch die Geschäftsführung und den Lenkungsausschuss. Schon früh wird ein Verwaltungsrat in das Familienunternehmen integriert, hauptsächlich nach dem Modell börsennotierter Familienunternehmen. John Ward, eine bereits erwähnte Koryphäe in diesem Forschungsbereich, unterstrich 1988 die Bedeutung dieses Organs in »Keeping the Family Business Healthy«.20 Ein Jahr später widmet er diesem Thema ein ganzes Buch.21 Zum Familienrat wurde viel weniger geforscht. Auch wenn sich die Experten über seine Bedeutung einig sind, ist seine Rolle nicht genau definiert. Selbst 20 Ward, J. (1988). Keeping the family business healthy. San Francisco: Jossey-Bass. 21 Ward, J. (1991). Creating Effective Boards for Private Enterprises: Meeting the Challenges of Conti-

nuity and Competition. San Francisco: Jossey-Bass.

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1 Geschichte der Familienunternehmensführung

ausführlichere Werke, wie das von Neubauer und Lank22 , geben ungenaue Aufgabenbeschreibungen, wie »die Familie regieren« und »eine positive Auswirkung auf die Beziehung zwischen Familie und Unternehmen haben« sollte. Der große Beitrag dieses Ansatzes liegt in seiner Dynamik. Er entfernt sich von der Reglementierung und einem starren System und schafft verschiedene Entscheidungsebenen, die unterschiedliche Themen behandeln.23 Die Einführung dieser Organe ermöglicht bedeutende Veränderungen im Familienunternehmen und überwindet einige Hauptschwierigkeiten der genannten Ansätze. Demnach ist es nicht nötig, detailgenau zu planen, da durch kompetente Organe jederzeit angemessene Entscheidungen gefällt werden können. Durch den Familienrat wird eine der Hauptschwierigkeiten der Familienverfassung überwunden, die darin besteht, dass die Familie Regeln erstellt, die zwar sozial erwünscht, aber letztlich nicht konstruktiv sind. Die Organe ermöglichen die praktische Umsetzung familiärer Vereinbarungen, die von der Familie nicht durchgesetzt werden können.24 Der Governance-Ansatz bringt durch seine besondere Konzentration auf die Organe trotzdem auch Schwierigkeiten mit sich. • Diskrepanz zwischen Existenz und Funktionalität eines Organs: Die Existenz eines Organs, zum Beispiel des Verwaltungsrats, ist nicht gleichzusetzen mit seiner Funktionalität, das heißt, ob und inwiefern es tatsächlich steuernd innerhalb des Unternehmens tätig wird. Viele Familienunternehmen haben einen Verwaltungsrat, der aber nur begrenzt wirksam werden kann.25 • Hauptversammlung: Die Aufgabenfelder der Hauptversammlung und des Familienrats sind nicht klar voneinander abgegrenzt. Daher werden die Organe in der Praxis zwar eingerichtet, ihre Beziehung untereinander bleibt hingegen unklar. Dies führt zum Verlust der Vorteile, die durch die Einrichtung der Organe entstehen sollten.

Fünfter Ansatz: Kommunikation in der Familie Auch kommunikative Aspekte und Beziehungsstrukturen sind ein wichtiger Forschungsgegenstand im Bereich der Familienunternehmensführung. Dem 22 Neubauer, F., Lank, A. G. (1998). Family Business. Hampshire: Palgrave Macmillan. 23 Dieser Punkt wird im Abschnitt »Institutionalisierung« vertieft (S. 69). 24 Dieser Punkt wird im Abschnitt »Institutionalisierung« vertieft (S. 69). 25 Genügen soll das Beispiel, dass 24 % der Verwaltungsräte in spanischen Familienunternehmen nicht

mit der Buchführung der von ihnen verwalteten Unternehmen vertraut sind. Das heißt, sie erfüllen die gesetzliche Funktion (und übernehmen persönlich Verantwortung), sind aber nicht genügend informiert, um eine steuernde Funktion einzunehmen (FBK-Database, 2007).

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Zusammenfassung

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»Family Firm Institute« (FFI)26 zufolge – eine 1988 in Boston gegründete internationale Organisation mit den bedeutendsten Familienunternehmensberatern weltweit – sollten familiäre Beziehungsstrukturen auf jeden Fall berücksichtigt werden, wenn man über Führung in Familienunternehmen spricht. Kommunikative Aspekte spielten in diesem Rahmen bald ebenfalls eine Rolle, als nach US-amerikanischem Vorbild Psychologen und vor allem Familientherapeuten zur Familienunternehmensberatung hinzugezogen wurden. Für die Vertreter dieses Ansatzes sind offene, klare und effiziente Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern Grundlage für einen reibungslosen Ablauf des Unternehmens. In diesem Zusammenhang wird mit einem gruppendynamischen Ansatz gearbeitet, der eine Einigung über Wünsche, Erwartungen und Meinungen ermöglichen soll. Dieses Vorgehen bedeutet ebenfalls einen Gewinn für die Familienunternehmensführung. Diese auf die Familiendynamik abzielenden Beratungen, die in der Regel von entsprechenden Beratern organisiert werden, bieten die Möglichkeit, wesentliche Themen zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern oder unter Cousins zu erörtern. Die Grenzen dieses Ansatzes liegen darin, dass Kommunikation als Mittel und nicht als Ziel verstanden werden sollte. Der familiendynamische Ansatz liefert ein gutes Instrument für den Ausbau der Kommunikation, bietet aber keine Klarheit hinsichtlich der Tauglichkeit der Ergebnisse der einzelnen Kommunikationsprozesse. So können Einigungen zustande kommen, die ausschließlich im Interesse der Familie und nicht im Interesse des Unternehmens sind, die also, obwohl kurzfristig für alle Familienmitglieder zufriedenstellend, dem Unternehmen langfristig nicht nutzen.

Zusammenfassung Alle Forschungsrichtungen zur Führung von Familienunternehmen haben neue Erkenntnisse geliefert und bieten praktikable Ansätze: zur Problem- und Situationsbeschreibung, Nachfolgeplanung, Erstellung einer Familienverfassung, Etablierung von Organen bis hin zur Entwicklung der innerfamiliären Kommunikation. Doch sie weisen aus zwei Gründen wesentliche Lücken auf. Diese dargestellten Antworten auf die Bedürfnisse des Managements von Familienunternehmen sind geeignet, aber unvollständig, wie wir im letzten Abschnitt dargelegt haben. 26 www.ffi.org.

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1 Geschichte der Familienunternehmensführung

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Die zweite Schwierigkeit liegt darin zu erkennen, wie ein Familienunternehmen richtig geführt wird. Wann wird die Nachfolge sinnvollerweise geplant? Wann ist eine Familienverfassung als Instrument geeignet? Welches Governance-System ist angebracht? Mit dem Bestreben, alle bereits gewonnenen Erkenntnisse zur Führung von Familienunternehmen zusammenzufassen und die bekannten Probleme zu umgehen, haben wir ein langwieriges Forschungsprojekt ins Leben gerufen. Daraus hat sich zweierlei ergeben: a) eine Formel zur Führung von Familienunternehmen und b) eine Typologie von Familienunternehmen.

Managementbereich

Hauptvorteile

Hauptnachteile

»Problemfall« Familienunternehmen

Bewusstwerden über die Art der Probleme

beschreibt Situationen, aber keine Managementmethode

Nachfolgeplanung

betont die Relevanz, sich mit der Nachfolge zu beschäftigen

Schwierigkeit, unzählige zukünftige Probleme vorauszusehen

Familienverfassung

legt Regeln für das Familienunternehmen fest

Tendenz, »Wünsche« zur Entwicklung der Familie zu äußern

Möglichkeit, ein dynamisches Familienunternehmen zu gründen

Augenmerk nicht auf Funktionalität der Organe

ermöglicht Konfliktlösung

Kommunikation wird Ziel statt Mittel

Governance

Kommunikation in der Familie

Abbildung 6: Zusammenfassung der Managementansätze

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2

Formel zur Führung von Familienunternehmen

In diesem Kapitel beschreiben wir einige fundamentale Bausteine unseres Ansatzes, die in einer Formel zur Unternehmensführung zusammengefasst werden. Diese Formel macht deutlich, warum sich Familienunternehmen voneinander unterscheiden und welchen Wandel sie mit der Zeit durchlaufen. Erläutert wird, wie man Beziehungen zwischen Familie und Unternehmen im konkreten Fall gestaltet und beurteilt, bis zu welchem Punkt bestimmte Strukturen geeignet sind. In diesem Kapitel (einschließlich Anhang) stellen wir Variablen vor, die von der Familie gezielt beeinflusst werden können.

Strukturelle Führung von Familienunternehmen Der Grundgedanke der Formel zur Familienunternehmensführung besteht darin, das Familienunternehmen auf Situationen vorzubereiten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten. Auf diesem Niveau zu planen, ist um Einiges einfacher, als alle Einzelheiten der Unternehmensplanung im Voraus berücksichtigen zu wollen.27 Detailgenaue Lösungen für jedes mittel- bis langfristig eventuell auftauchende Problem, für jede Situation und für jeden Familienunternehmenstyp finden sich also leider in diesem Buch nicht. Dass es unmöglich ist, derartige Lösungen anzubieten, zeigt uns unsere dreißigjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Familienunternehmensführung.28 Die Formel beschreibt, wie Unternehmen und Familie mit der Zeit immer komplexer werden, da in beiden Systemen immer mehr unvorhersagbare Vor-

27 Beispielsweise ist es unmöglich, einem jungen Paar, das kurz vor der Familiengründung steht,

alle Unannehmlichkeiten vorherzusagen, denen es begegnen wird. Es ist hingegen einfach zu sagen, dass sie im Hinblick auf einen gemeinsamen Lebensstil eine Anpassungsphase durchlaufen werden, dass die Durchschnittsdauer einer Ehe bei 13,8 Jahren liegt (//www.ipfe.org/Informe Evolucion Familia Europa 2006 Espanol.pdf), weshalb die Möglichkeit einer Scheidung in Betracht gezogen werden muss, und dass sie, falls sie ein Kind bekommen sollten, eine Lernphase als Eltern durchlaufen usw. 28 Die Chaosforschung beschreibt klar die Gründe, die eine so genaue Vorhersagbarkeit unmöglich machen. Wir empfehlen die Lektüre von Prigogine, I. (1997). Las Leyes del Caos. Barcelona: Crítica Grijalbo Mondadori.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

kommnisse zu erwarten sind. Diese Vorkommnisse sind im Voraus nicht zu bestimmen, sie sind aber die Folge wachsender Komplexität. Wer kann heute voraussagen, dass eine alleinstehende Nichte später den Wunsch haben wird, ihre Aktien zu verkaufen, weil ihr zukünftiger Ehemann ein Geschäft eröffnen möchte? Und wie kann man wissen, dass sich einer der Aktionärsbrüder gegen die Familie auflehnt, weil man seinem Sohn, der heute noch im Grundschulalter ist, später nicht erlauben wird, im Familienbetrieb zu arbeiten? Solche Situationen sind nicht vorhersagbar. Man kann aber mit Sicherheit sagen, dass sie in einer komplexen Familie (z. B. eine zweite Generation aus vier Geschwistern, die mit einer dritten Generation aus zehn Neffen und Nichten, zum Teil verheiratet und mit Kindern, zusammenlebt) eher vorkommen als in einer weniger komplexen (z. B. einem Paar mit zwei kleinen Kindern). Diese Betrachtungsweise der Beziehungen zwischen Familie und Unternehmen ist anders als üblich. Nur weil heute in einer wachsenden Familie keine Probleme auftauchen, bedeutet es selbstverständlich nicht, dass es auch in Zukunft keine geben wird. Es sollte nicht der unmögliche Versuch unternommen werden, spätere Ereignisse vorauszusagen. Vielmehr müssen die Beziehungen zwischen Unternehmen und Familie so gestärkt werden, dass man auf kommende Ereignisse vorbereitet ist und flexibel reagieren kann. Die Formel stützt sich auf einen aufstrebenden fachübergreifenden Ansatz der Natur- und Geisteswissenschaften: die Komplexitätstheorie. Ihr haben wir drei bedeutende Konzepte entnommen: Komplexität, Struktur und Stabilität (strukturelles Risiko).29

Komplexität Die Realität von Familienunternehmen ist nicht dichotom (aus zwei Möglichkeiten bestehend: schwarz – weiß, gut – schlecht, geeignet – ungeeignet), sie ist unscharf, es gibt Abstufungen (Grautöne). In dem Modell werden die Variablen für verschiedene Entwicklungsstadien beschrieben, entsprechend der Einordnung auf einer vielstufigen Skala. Nicht alle Familienunternehmen müssen gleich geführt werden. Das Management kann je nach Unternehmen ganz anders aussehen. Die Familienunternehmen unterscheiden sich hinsichtlich des Komplexitätsgrades der Familie und des Komplexitätsgrades des Unternehmens. Beide

29 Diese Konzepte werden in Kapitel 3 ausführlich erläutert.

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Strukturelle Führung von Familienunternehmen

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Komplexität der Familie

bestimmen die Art der Probleme, die auf das Familienunternehmen zukommen. Die in Abbildung 7 aufgeführten vier Beispiele beziehen sich auf Familienunternehmen, aber selbstverständlich muss der Umgang mit den Beziehungen zwischen Familie und Unternehmen in jedem der Fälle anders sein.

sehr hoch

hoch

mittel

gering

sehr gering sehr gering

gering

mittel

hoch

sehr hoch

Komplexität des Unternehmens Bsp.: Multinationaler Nahrungsmittelkonzern in der vierten Generation mit 60 Familienmitgliedern Bsp.: Von einer Gruppe von Cousins und Cousinen geführtes Immobilienbüro Bsp.: Weltweit tätiges Chemieunternehmen, das vier Geschwistern gehört Bsp.: Ehepaar, das ein Restaurant führt

Abbildung 7: Komplexitätsprofile

Struktur Ordnungsinstrumente für Familienunternehmen finden sich in folgenden fünf Bereichen: • Bildung von Institutionen, • Differenzierung von Familie und Unternehmen, • Ausbau der Managementmethoden, • Ausbau der Kommunikationsebene, • Nachfolgeplanung.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

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Bei den genannten Punkten handelt es sich um verschiedene operative Führungsvariablen, also solche, mit denen die Familie direkt die Strukturentwicklung fördern kann. Diese Variablen werden in Abbildung 8 dargestellt.

Strukturentwicklung

Institutionalisierung

existierende Institutionen Funktionalität des Familienrats Funktionalität des Verwaltungsrats Funktionalität des Lenkungsausschusses

Trennung von Familie und Unternehmen

Managementpraxis

Professionalisierung arbeitsplatzbezogene der Methoden Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen InformationsAnerkennung strukturierung des Eigentums

Kommunikation

Nachfolge

Kommunikation und Diversity Management

unternehmerische Kompetenz

Festlegung von Regeln

Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« Nachfolgeplanung

Anforderungsmanagement

Abbildung 8: Strukturebenen

Stabilität (strukturelles Risiko) Hat ein Familienunternehmen stabile Strukturen aufgebaut, kann es unterschiedlichen Anforderungen adäquat begegnen. Entsprechend sollte das Entwicklungsniveau des Familienunternehmens (Struktur) dem Komplexitätsniveau der Familie und des Unternehmens angemessen sein. Das strukturelle Risiko eines Familienunternehmens steigt, je geringer seine Struktur in Bezug auf sein Komplexitätsniveau entwickelt ist. Je größer die Diskrepanz, desto größer die Schwierigkeit für das Familienunternehmen, mit den Gegebenheiten, auf die es zwangsläufig trifft, umzugehen. Das bringt entsprechende Risiken mit sich. Wir sind nicht der Meinung, dass Familienunternehmen immer über eine ausgefeilte Beziehungsstruktur von Familie und Unternehmen verfügen müssen, sondern dass sich diese Beziehungen in dem Maße weiterentwickeln, in dem Familie und Unternehmen komplexer werden. Dementsprechend verfügen die Unternehmen aus Abbildung 7 über unterschiedliche Strukturen. Die Beziehungsstruktur von Familie und Unternehmen verändert sich, je nachdem, ob es sich um ein Ehepaar mit einem Restaurant handelt oder um einen Nahrungsmittelkonzern, der 60 Cousins und Cousinen gehört.

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Strukturelle Führung von Familienunternehmen

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Es geht nicht um den Einsatz aufwändiger Lösungsstrategien, sondern um die Umsetzung des geeigneten Strukturniveaus, damit das Familienunternehmen nicht übermäßig dem Risiko unvorhergesehener Ereignisse ausgesetzt ist und durch diese destabilisiert wird. Destabilisierung meint eine unkontrollierbare Kettenreaktion mit unabsehbaren Folgen, etwa ein familiäres Zerwürfnis, das die Insolvenz oder den Verkauf des Unternehmens zum Ergebnis hat. Das Familienunternehmen braucht Strukturen, die sowohl dem Komplexitätsniveau der Familie als auch dem des Unternehmens angepasst sind. Eine geringe Ausdifferenzierung der Struktur in Verbindung mit einer hohen Komplexität ergibt demnach ein hohes strukturelles Risiko. Dies wird in der folgenden Formel beschrieben (s. Abb. 9).

Komplexität der Familie

+

Komplexität des Unternehmens

-

Strukturentwicklung

strukturelles Risiko

Abbildung 9: Formel zur Führung von Familienunternehmen

Ziel ist es, das strukturelle Risiko des Familienunternehmens zu verringern. Das strukturelle Risiko beschreibt, wie bereits gesagt, eine unvorhergesehene Kettenreaktion schwer kontrollierbarer Ereignisse. So kann in einem Unternehmen, in dem zwei Brüder alleinige Teilhaber sind, ein Streit mit beliebiger Ursache, zum Beispiel die Ernennung eines Familienmitglieds zum Produktionsleiter, eine kontinuierliche Entfremdung mit sich bringen und mit dem Verkauf des Unternehmens an einen ausländischen Konzern enden. Die Verringerung des strukturellen Risikos in einem Familienunternehmen, kann auf drei verschiedenen Wegen passieren: • Verringerung der Komplexität der Familie: Im genannten Beispiel kann einer der Brüder dem anderen 50 % des Unternehmens abkaufen. Die Komplexität der Familie nimmt so ab, was wiederum dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit unvorhersehbarer Ereignisse sinkt. Das Majorat in Kastilien und der »hereu«30 in Katalonien haben den gleichen Zweck: Sie sollen die Komplexität der Familie verringern. • Verringerung der Komplexität des Unternehmens: Denkbar ist in diesem Zusammenhang der Verkauf des Unternehmens und die Gründung einer 30 Ältestenrecht in Katalonien: Das mittelalterliche Privatrecht Kataloniens sicherte dem Erstgeborenen

(»hereu«: Erbe) den gesamten Familienbesitz zu.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

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Investmentgesellschaft oder die Aufteilung des Unternehmens unter die Familienmitglieder.31 • Entwicklung einer klaren Beziehungsstruktur zwischen Familie und Unternehmen: Es werden Mechanismen zur Regelung von familienbedingten Einflüssen installiert, zum Beispiel ein Verwaltungsrat mit familienexternen Mitgliedern oder indem ein leitender Geschäftsführer ernannt wird, der kein Familienmitglied ist. Im Sinne der Formel zur Führung von Familienunternehmen möchten wir betonen, dass die Beziehungsstruktur zwischen Familien und Unternehmen aktiv gestaltet werden muss, um das strukturelle Risiko zu verringern, so wie dies auch im Verkaufs- und im Produktionsbereich geschieht. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass zwangsläufig Unvorhergesehenes eine schwer kontrollierbare Kettenreaktion auslöst, bei der man nicht weiß, wie sie enden wird.

Komplexität der Familie Bezugnehmend auf die bereits eingeführte Formel gehen wir zunächst auf die erste Komponente, »Komplexität der Familie«, ein.

Komplexität C o m p l e j id a d dder e l Familie a F a m il i a

+

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

-

Strukturentwicklung

strukturelles Risiko

Abbildung 10: Formel zur Führung von Familienunternehmen – Komplexität der Familie

Geschichte der Unternehmerfamilie Viele Unternehmerfamilien beginnen mit kleinen Betrieben oder Geschäften. Die Organisation umschließt die Großfamilie, die aus dem Familienoberhaupt, seiner Frau, den Geschwistern, den Kindern und deren Ehepartnern, den 31 Das Aufteilen des Unternehmens unter verschiedenen Familienmitgliedern zur Komplexitätsverringerung ist in der Regel nicht zu empfehlen, da dies den Verlust der Synergie und somit eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit zur Folge haben kann. So entstehen sehr kleine Unternehmen.

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Komplexität der Familie

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Enkeln etc. besteht. Für den Zusammenhalt der Gruppe sorgen die gemeinsame Arbeit, die daraus folgende gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit und der stete Kontakt zwischen den Familienmitgliedern:32 »Das Familienunternehmen oder der Bauernhof vereinigte einst an ein und demselben Ort zwei unterschiedliche Tätigkeitsformen. Der Händler wohnte in der Regel mit Frau und Kindern im hinteren Teil des Ladens [. . . ]; einzig die Wohlhabenden besaßen eine Wohnung über dem Geschäft. [. . . ] Die Undifferenziertheit des Raums bedingte die der Zeit. Fanden die Kunden die Ladentür verschlossen, so klopften sie an das Fenster der Küche, wo die Familie beim Essen saß, und wurden sogleich bedient. [. . . ] Die Undifferenziertheit des Raums wurde jetzt als Versklavung der Zeit erlebt. Der Anspruch auf Privatsphäre machte die alte Überschneidung sichtbar: Um für das private Leben Zeit zu erübrigen, in der man vor den Kunden sicher war, musste man den Raum teilen, Geschäft und Wohnung voneinander trennen.« »Das zeigt sich auch am Beispiel der freien Berufe, obwohl Notare, Gerichtsvollzieher, Rechtsanwälte und vor allem Ärzte eifersüchtig über ihre Freiheit und Unabhängigkeit wachten. [Mit der Zeit ergab es sich,] [. . . ] dass die Ärzte nicht mehr neben ihrer Praxis, die Juristen nicht mehr neben ihrer Kanzlei wohnen.« »Die Fabrik des 19. und noch des frühen 20. Jahrhunderts war nicht planvoll angelegt. Die Arbeitsstätten dort waren nach den verfügbaren Räumlichkeiten angeordnet und gehorchten nicht der Logik der Produktionsabläufe. [. . . ] Die Reorganisation von Industrieanlagen nach rationalen Kriterien war ein Projekt des ganzen 20. Jahrhunderts. Sie beschleunigte sich jeweils in der Phase des Wiederaufbaus im Anschluss an die beiden Weltkriege, doch trugen auch die Ausbreitung des Taylorismus und wissenschaftliche Methoden der Arbeitsplanung zu dieser Entwicklung bei. [. . . ] Der Raum der Arbeit spezialisierte sich [. . . ]. Die Kontrolle der Unternehmensleitung über Raum und Zeit verschärfte sich [. . . ]. Man arbeitet nicht mehr dort, wo man lebt; man lebt nicht mehr dort, wo man arbeitet.«

Die wirtschaftliche Unabhängigkeit jeder Kernfamilie und der Kauf eigener Wohnungen ermöglichen die Umgestaltung des Familienmodells: Die Großfamilie wird in viele Kernfamilien unterteilt. Diese gesellschaftliche Entwicklung hat die Familie verändert und allmählich eine räumliche und zeitliche Trennung zwischen Berufs- und Privatleben geschaffen. Daraus folgen eine erhöhte gesellschaftliche Komplexität und eine verringerte Komplexität der Familie, da die Kernfamilien lediglich aus den Eltern und ihren Kindern bestehen. Die Unternehmerfamilie hingegen bewahrt Beziehungsstrukturen der Großfamilie durch die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Unternehmensgründer oder der Geschäftsführung und den häufigen Kontakten der Familienmit32 Ari`es, P., Duby, G. (1994). Geschichte des Privaten Lebens. Band 5 (S. 31–40). Frankfurt a. M.: S. Fischer.

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glieder untereinander. Wenn das Einkommen der Familienmitglieder vom Unternehmensgründer oder der Geschäftsführung bestimmt wird, entsteht eine Abhängigkeitssituation, die dem patriarchalischen Modell entspricht. Das Bestehen des Unternehmens und der damit verbundene Kontakt durch die gemeinsame Arbeit fördert Bindungen der Familienmitglieder untereinander, die in anderen Familien nicht vorkommen. Tatsächlich halten Unternehmerfamilien in dritter, vierter und fünfter Generation Kontakt zu Cousins und Cousinen zweiten und dritten Grades, was bei Familien, die keine Unternehmerfamilien sind, selten vorkommt. Die Dynamik innerhalb der Familie entwickelt eine zunehmende Komplexität durch das Wachstum der Familie und den Ausbau der Beziehungen untereinander, entsprechend steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens unerwarteter Ereignisse. Der Komplexitätsgrad der Familie wird durch die wechselseitige Abhängigkeit auf das Unternehmen übertragen.

Familienkonstellation Die Begriffe »Familie« (im Sinne der Kernfamilie) und »Verwandtschaft« (im Sinne des Clans) werden häufig nicht deutlich voneinander getrennt. Obwohl es verschiedene Bezeichnungen zur Bestimmung des näheren oder entfernteren Verwandtschaftsgrads gibt (Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Großeltern, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen, Schwager, Schwägerinnen, Nichten, Neffen etc.), sind diese in Bezug auf die Familienzugehörigkeit nicht zwangsläufig aussagekräftig. Wenn ein Kind seine Familie zeichnet, kann es zunächst den Hund auf dem Blatt platzieren und dessen Namen darunter schreiben und vielleicht lässt es eines seiner Geschwister aus oder vergisst den Vater oder sogar sich selbst. Bedeutet das, dass der Hund für das Kind zur Familie gehört? Wahrscheinlich ist es so, obwohl es weiß, dass sein Vater und all seine Geschwister ebenso dazugehören. Diese spontane Zuordnung ist keine Eigenheit von Kindern. Wir Erwachsene können ebenfalls sagen: »Er gehört nicht zu meiner Familie. Er ist der Bruder meiner Frau.« Solche Äußerungen deuten auf unscharfe Grenzen der Familienzugehörigkeit hin. Während für diese Person der Schwager kein Familienmitglied ist, wäre er es für andere schon. Für die Familienkonstellation gibt es objektive und subjektive Kriterien. Es gibt die formale Zuordnung nach Verwandtschaftsgrad und die persönliche nach emotionaler Bindung: nach dem Empfinden von Nähe und Entfernung,

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Komplexität der Familie

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gemeinsamer Erlebnisse, der Zuneigung in Bezug auf andere Familienmitglieder. Entsprechend kann die formale Familienkonstellation mittels eines Genogramms dargestellt werden. Das Genogramm zeigt den Stammbaum über drei oder vier Generationen mit den jeweiligen Abstammung für die Großfamilie oder die Kernfamilie (vgl. Abb. 11, weibliche Familienmitglieder werden mit einem Kreis, männliche mit einem Quadrat gekennzeichnet). Mittels eines Genogramms kann auch die Familiengeschichte illustriert werden. Ignacio 1997

Ignacio 66

Julio 35

Cristina 60

Carlos 33

Alfonso 63

Pedro 25

Eli 2004

Luis 59

Marta 57

Marta 32

Quique 29

Elena 51

Eli 1998

Laura 23

Carlos 20

Pablo 53

Clara 18

Abbildung 11: Genogramm

Lebenszyklus der Familie Die Zeit, die den Mitgliedern jeder Familie zur Verfügung steht, unterliegt dem Einfluss biologischer Prozesse. Geburt, Erwachsenwerden und Altern – diese natürliche Entwicklung durchläuft jeder. Deshalb werden die verschiedenen Lebensabschnitte der Familie unter dem Konzept des Lebenszyklus einer Generation erfasst.

Funktion der Familie Die Familie erfüllt zwei wichtige Funktionen: Versorgung und Sozialisation.33 Die erstgenannte besteht darin, die Familienmitglieder zu schützen und für 33 Zur Vertiefung empfehlen wir die Lektüre folgender Bücher: Linares, J. L. (1996). Identidad y Nar-

rativa. Barcelona: Paidós Terapia Familiar. Minuchin, S. (1979). Familias y terapia familiar. Barcelona: Gedisa. Deutsch: Minuchin, S. (1997). Familie und Familientherapie (10. Aufl.). Freiburg i. Br.: Lambertus. Reiss, D. (1981). The Family’s Construction of Reality. Cambridge, MA: Harvard University Press.

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ihre physische und emotionale Entwicklung zu sorgen, wobei die zweite die Vermittlung von Werten, Regeln und die Zuweisung eines Platzes in der Gesellschaft beinhaltet. In den westlichen Kulturen übernimmt diese Aufgaben meist die Kernfamilie. Die Beteiligung der Großfamilie daran ist je nach Gesellschaftsform unterschiedlich.

Identität der Familie Kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede wirken sich auf die Organisation und die Aufgaben der Familie aus, je nachdem, ob und inwiefern beispielsweise zwischen Kern- und Großfamilie unterscheiden wird, ob es geschlechterspezifische Aufgaben gibt, ob Privatsphäre und öffentlicher Raum streng voneinander getrennt werden oder nicht. Einzelne Personen, Gruppen und Gesellschaften verhalten sich sehr unterschiedlich. Doch was das Hauptziel der Familie betrifft, das Bedürfnis, das fragile und vorwärts gerichtete Wachstum des Menschen in der Familie zu schützen, waren sich alle Kulturen zu allen Zeiten einig. Die Familie vermittelt Identität sowie Sicherheit und beruht auf Gleichheit. • Identität: Die Familienmitglieder verkörpern ein in sich geschlossenes System. Das Recht auf Zugehörigkeit wird durch die Geburt in eine Familie, Adoption oder Partnerschaft verliehen. Die Familienzugehörigkeit ist dauerhaft. Jeder ist Mitglied seiner Familie und wird es immer bleiben. Jeder Mensch ist Teil seiner Familie, unabhängig davon, wie nah sich die Einzelnen stehen. Sie ist seine urtümliche Bezugsgröße. Auch wenn die Familienangehörigkeit dauerhaft ist, ändern sich die Aufgaben während des Entwicklungsprozesses von der Abhängigkeit zur Eigenständigkeit. Im Laufe des Lebens werden verschiedene Rollen innerhalb der Familie eingenommen, zunächst die abhängige Rolle als Sohn oder Tochter und später die verantwortungsträchtige als Vater oder Mutter, zuerst als Teil der Geschwistergruppe innerhalb einer gemeinsamen Familie und später auf einem unabhängigen Lebensweg. • Sicherheit: Gefühle prägen die bestehenden innerfamilialen Beziehungen. Die Familienmitglieder sind stark an die Familie gebunden. Unwiderrufliche Bindungen auf der Grundlage von Liebe und Fürsorge bilden ein komplexes Netz aus Empfindungen, Gefühlen und Reaktionen, das nur schwer rational analysiert werden kann. Der Wert der Familie besteht darin, Teil von ihr zu sein. Jedes Familienmitglied hat seinen eigenen Platz, der ein Stück der persönlichen Identität

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Komplexität der Familie

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ausmacht. Der Schwerpunkt liegt nicht auf Fähigkeiten oder Erfolgen des Einzelnen, sondern darauf, Teil der Familie zu sein. Jedes Familienmitglied hat von Geburt an ein Recht auf Zugehörigkeit. • Gleichheit 34: Die Verteilung von Ressourcen beruht auf Gleichheit. Die Familie teilt, was sie besitzt, und verteilt nach Kriterien der Gleichheit oder Bedürftigkeit. Schon Kinder beziehen sich auf die Gleichheit von Familienmitgliedern. Geschwister zum Beispiel möchten gleich behandelt werden. Wenn ein Kind mit 18 ein Auto bekommt, werden die anderen das Gefühl haben, ebenfalls Anspruch auf ein Auto zu haben, sobald sie dieses Alter erreichen. Dieses Kriterium gilt nicht, wenn es um die Unterstützung von Schwächeren oder Bedürftigen geht. Etwa bei einem behinderten Kind wird es in der Familie akzeptiert, dass dieses Kind mehr Unterstützung erfährt als andere, da es bedürftiger ist. In Familien folgt eine Generation der nächsten. Identität erwächst aus dem Bewusstsein, Mitglied der Familien zu sein, die Geschichte eines gemeinsamen Stammbaums zu teilen. Für die Unternehmerfamilie kommt das Unternehmen als identitätsstiftendes Merkmal hinzu.

Familienstruktur Struktur beschreibt die Gesamtheit der Handlungen und Beziehungen innerhalb einer Gruppe. Die Familienstruktur umfasst kulturelle Aspekte, Hierarchien, Normen, Regeln und Rollen. Das heißt, in jeder Familie wissen alle darüber Bescheid, was für gewöhnlich auf welche Weise getan wird, was man sagt, was man verschweigt, was erlaubt und was verboten ist, was normal und was außergewöhnlich ist, wer welche Aufgaben hat, wer über welche Themen bestimmt, was gut und was schlecht ist usw. Familienstrukturen sind dynamisch und entwickeln sich im Laufe der Zeit. Eine Familie mit kleinen Kindern hat eine andere Struktur als eine Familie, deren Kinder schon unabhängig sind und ihre eigenen Familien haben. Im ersten Fall dreht sich alles um die Versorgung und Betreuung der Kinder, im zweiten Fall hingegen besteht die familiäre Funktion auch in regelmäßigen Treffen, gemeinsamen Feiern oder der Bereitschaft, gelegentlich die Eltern zu ersetzen und auf die Enkel aufzupassen. Der Verlust eines Familienmitglieds 34 Basierend auf Lansberg, I. (1983). Managing human resources in family firms, the problem of

institutional overlap. Organizational Dynamics, 12 (1), 39–46.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

oder das Hinzukommen eines neuen bringt Veränderungen für die gesamte Gruppe mit sich. Familieninterne Strukturen sind ebenfalls immer Grundlage für Hierarchiebildung, Machtverteilung, Beschlussfassung und Kontrollmechanismen für das Funktionen der Familie. Die Strukturen befinden sich in einem stetigen Adaptionsprozess, der in der gesamten Familie für kontinuierlichen Wandel sorgt. Grenzen, Normen, Anforderungen der Eltern an ihre kleinen oder jugendlichen Kinder verändern sich, wenn diese ihr Studium abgeschlossen haben und ein Leben als Erwachsene beginnen. Zur innerfamiliären Struktur gehört außerdem eine gemeinsame Kultur, die durch Glauben, Werte, Erfahrungen und Erlebnisse geschaffen wird. Die umfassende und vielschichtige Familienkultur wird von einer Generation auf die nächste übertragen und drückt sich in ganz spezifischen Denk- und Verhaltensweisen der Familienmitglieder, wie zum Beispiel im Ausdruck von Gefühlen und Empfindungen, aus. Familienkultur beinhaltet ein System von Normen und Regeln, die von den Familienmitgliedern verinnerlicht werden. Normen definieren die Pflichten der Familienmitglieder innerhalb und außerhalb des familiären Kontextes. Derartige Konzepte verändern sich mit der Entwicklung der Familie und lassen erkennen, wie flexibel die Familie ist, Normen an die erforderliche Situation in jeder Phase des familiären Lebenszyklus anzupassen. Normen beziehungsweise Vorstellungen von Pflichten der Familie können explizit oder implizit sein. Explizit sind allgemein bekannte Normen, die erklärt und wiederholt werden und deren Missachtung Konsequenzen nach sich ziehen, die ebenfalls allen Familienmitgliedern bekannt sind. Beispiele für explizite Normen sind: »Zu Hause gibt es punkt neun Uhr Abendessen«, »Die Kinder müssen ihre Zimmer aufräumen«. Normalerweise ist die Anzahl der Normen innerhalb einer Familie begrenzt. Die meisten Normen in der Familie werden nicht explizit diskutiert und vereinbart. Sie entstehen implizit und beeinflussen Beziehungen und Vorgehensweisen innerhalb der Familie. Hierzu gehört beispielsweise, wie mit Ärger umgegangen wird oder Entscheidungen getroffen werden. In vielen Bereichen tauchen implizite Normen auf. Man denke nur an die Ursachen von Ärger, Wutausbrüche, Beschuldigungen und Vorwürfe: Ist es legitim, diese Gefühle auszudrücken? Inwiefern wird etwa ein Wutausbruch akzeptiert? Darf man schreien? Darf man in sein Zimmer gehen und die Tür zuschlagen? Dürfen das alle oder nur bestimmte Familienmitglieder? Was wird als Beleidigung empfunden? Unendlich viele Verhaltensweisen markieren klare Toleranzgrenzen jeder einzelnen Familie.

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Komplexität der Familie

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Beschlussfassungen sind ein weiteres Beispiel für die große Anzahl impliziter Normen, auch wenn dies in einigen Familien durch explizite Normen geregelt ist, zum Beispiel bei Fragen wie: Wo wird das Wochenende verbracht? Wie wird der Geburtstag gefeiert? In anderen Familien obliegt die Beschlussfassung den Eltern und ist nicht anfechtbar (explizite Regelung). In wieder anderen Familien werden Beschlüsse implizit geregelt und es bleibt unklar, wer letztlich entscheidet. Jedes Familienmitglied hat die Verhaltensregeln seiner Familie verinnerlicht und weiß, wie man üblicherweise bei sich zu Hause vorgeht. Dies nützt aber wenig in der Interaktion mit anderen Familien, selbst wenn diese ähnliche Merkmale und Konstellationen aufweisen. Familien bilden interne Strukturen mit dem Ziel, Ordnung und Stabilität zu schaffen. Auch wenn diese Strukturen in allen Familien ähnliche Funktionen haben, sind sie bei jeder unterschiedlich und spiegeln ihre eigenes Weltbild, ihre Werte und die Art, sich an die Umgebung anzupassen, wider. Die dynamische Familienstruktur ermöglicht eine Anpassung an die Veränderungen in der Gesellschaft und erhält gleichzeitig ihre Stabilität und Identität.

Komplexitätsindikatoren der Unternehmerfamilie Die Komplexität der Familie und die Komplexität des Unternehmens sind zwei von drei Komponenten, anhand derer wir bestimmen, ob die Stabilität des Unternehmens gefährdet ist. Zunächst werden die Variablen der Definition für die Bestimmung des Komplexitätsniveaus der Familie genannt. Das Komplexitätsniveau einer Familie ist abhängig von folgenden Faktoren (Abb. 12):

Anzahl der Familienmitglieder unterschiedliche Lebensphasen Anzahl der Familienzweige oder Familien, die Einfluss nehmen unterschiedliche Rollen unterschiedliche Lebenserfahrungen Interessenunterschiede Abbildung 12: Komplexitätsindikatoren der Familie

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Anzahl der Familienmitglieder Eine Familie mit zehn Familienmitgliedern ist komplexer als eine mit fünf. Eine hohe Anzahl Beteiligter bedingt eine höhere Anzahl unterschiedlicher Meinungen, Beziehungen und Ressourcen. Deshalb gilt: je mehr Familienmitglieder, desto höher das Komplexitätsniveau, das heißt, desto höher die Wahrscheinlichkeit für ein differenziertes Geflecht von Handlungs- und Meinungsmustern (Abb. 13).

Abbildung 13: Komplexitätsanstieg in der Familie

In einer zwanzigköpfigen Familie ist mit zahlreichen Differenzen zu rechnen, beispielsweise mit Altersunterschieden, Interessenunterschieden oder unterschiedlichen Lebenslagen. Es ist wahrscheinlich, dass sich Interessengemeinschaften aufgrund des Alters oder etwa von Freizeitbedürfnissen bilden, und ebenfalls sehr wahrscheinlich, dass es zu Meinungsverschiedenheiten mit einem Familienmitglied oder zwischen Gruppen in der Familie kommt, als wenn die Familie deutlich kleiner wäre. Um den familiären Zusammenhalt trotz größerer Unterschiede zu gewährleisten, bedarf es einer großen Bandbreite vermittelnder und kommunikationsfördernder Maßnahmen. Unterschiedliche Lebensphasen Die verschiedenen Lebensstadien, in denen sich die einzelnen Familienmitglieder befinden, beeinflussen die Komplexität der Familie. Der Beitrag einer Person zum Komplexitätsniveau steigt mit fortschreitendem Alter. So trägt ein junger Mensch zu Beginn seiner Berufslaufbahn weniger zur Komplexität bei, als wenn er verheiratet wäre und Kinder hätte. Sein Bedarf an Zeit und finanziellen Mitteln steigt mit Gründung einer eigenen Familie – und damit steigen auch seine Ansprüche an das Unternehmen.

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Komplexität der Familie

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In dem Moment, in dem seine Kinder selbst ins Berufsleben einsteigen, erreicht derjenige das nächste Komplexitätsniveau, da die Möglichkeit besteht, dass seine Kinder ebenfalls im Unternehmen arbeiten. Wenn der Betreffende schließlich in Rente geht, steigt das Komplexitätsniveau erneut, da zum Beispiel testamentarische Fragen, die Frage nach der Bedeutung des Betreffenden für die Unternehmensgeschichte oder Fragen in Bezug auf die eigene Sinnsuche auftauchen. Dass sich die Familienmitglieder jeweils in unterschiedlichen Lebensabschnitten befinden, erhöht das Komplexitätsniveau ebenfalls. Beispielsweise birgt der Umstand, dass eine Kernfamilie 5-jährige Kinder hat und eine andere 25-jährige Kinder, unterschiedliche Bedürfnisse und ein unter Umständen erschwertes Verständnis für die anderen, da die Realität der Lebensumstände jeweils anders empfunden wird. Anzahl der Familienzweige oder Familien, die Einfluss nehmen Das Komplexitätsniveau einer Unternehmerfamilie, die aus Eltern und ihren Kindern besteht, unterscheidet sich von einer, die sich aus Cousins zweiten Grades zusammensetzt, welche zwar einen gemeinsamen Stammbaum vorweisen, aber aus verschiedenen Familienzweigen kommen. Es ist anzunehmen, dass jeder Familienzweig über eigene Charakteristika verfügt, die auf individuellen Erfahrungen der Kernfamilie beruhen. Das Komplexitätsniveau steigt mit der Beteiligung unterschiedlicher Familienzweige, da jeder Zweig zunächst sich selbst und erst dann der Großfamilie gegenüber loyal ist. Jeder Familienzweig wird seine eigenen Interessen vor die allgemeinen Interessen stellen. Im Falle verschiedener Familien wird dieses Phänomen verstärkt. Die Loyalität zur eigenen Familie wird viel stärker sein als dem gemeinsamen Projekt gegenüber. Wenn außerdem unterschiedliche Familienzweige beteiligt sind, steigt das Komplexitätsniveau umso mehr. Unterschiedliche Rollen im Unternehmen und in der Familie, die zeitgleich vorhanden sind Das Komplexitätsniveau steigt, je mehr Rollen in der Familie vertreten sind. Wenn nur die Rollen von Eltern und Kinder besetzt sind, ist das Komplexitätsniveau weniger ausgeprägt, als wenn es auch Onkel, Neffen, Cousins ersten und zweiten Grades gibt. Eine Geschwisterbeziehung unterscheidet sich von der Beziehung unter Cousins ersten oder zweiten Grades. Entsprechend wird das Komplexitätsniveau bei fünf Cousins höher sein als bei fünf Geschwistern.

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Hinzu kommt, dass jemand verschiedene Rollen gleichzeitig innehaben kann, also gleichzeitig Vater, Bruder, Ehemann, Onkel und Cousin ist. Die Beziehungen, die er in jeder dieser Rolle zu den anderen Familienmitgliedern unterhält, unterscheiden sich voneinander. Unterschiedliche Lebenserfahrungen Die Komplexität der Familie wird auch durch die Gesamtheit an Lebenserfahrung geprägt. Jeder Einzelne geht einen bestimmten Lebensweg, der sein Wesen, Denken und Handeln prägt. Die Gesamtheit der Lebensgeschichten trägt ebenfalls zum Komplexitätsniveau bei. Unser Verständnis der Realität basiert auf früheren Erfahrungen. Je mehr sich die Lebenserfahrung der Familienmitglieder voneinander unterscheidet, desto höher ist das Komplexitätsniveau, da die Realität des Familienunternehmens entsprechend unterschiedlich empfunden wird. Das Komplexitätsniveau differenziert sich weiter durch Unterschiede bei der Wahl der Ausbildung (etwa ob jemand Betriebswirtschaftslehre oder Medizin studiert), der beruflichen Position (z. B. Verwalter, Pianist oder Lehrer) oder etwa aufgrund von Auslandsaufenthalten. Die Lebenserfahrung ist mit der persönlichen und beruflichen Entfaltung, mit Freundschaften, Interessen und Erlebnissen jedes Einzelnen verbunden. Ein stereotypisches Beispiel wären drei Brüder: Einer ist eher »traditionell und konservativen Werten zugeneigt«, der Zweite zeigt sich als »systemkritisch« und der Dritte ist als »metrosexuell und narzisstisch« zu charakterisieren. Wenn es diese Unterschiede zwischen den dreien nicht gäbe, wäre das Komplexitätsniveau ihrer Familie geringer. Interessenunterschiede Wir beziehen uns auf die Interessenunterschiede, die das Verhältnis jedes einzelnen Familienmitglieds zum Unternehmen betreffen. Kriterien sind in diesem Zusammenhang zum Beispiel wirtschaftlicher Gewinn, Prestige, berufliche Sicherheit, Macht, persönliche Entfaltung, zukünftige Rechte. Die Größe der Familie erzeugt eine große Bandbreite an unterschiedlichen Interessen der einzelnen Familienmitglieder. Interessenunterschiede bewirken eine erhöhte innerfamiliäre Komplexität und erfordern einen expliziten Umgang mit diesen Unterschieden.

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Die unternehmensspezifischen Interessen der einzelnen Familienmitglieder lassen sich in drei Hauptkategorien einteilen35: eine schützende, eine unternehmerische und eine wirtschaftliche Ausrichtung. • Schützende Ausrichtung: Deren Vertreter versuchen vorrangig, direkte und grundlegende familiäre Bedürfnisse zu berücksichtigen, wie Einkommen für den Unterhalt der Familie und eine finanziell unabhängige berufliche Verwirklichung, den Wunsch nach einer repräsentativen Stellung in der Gesellschaft und Beschäftigung, die Stärkung des Selbstbewusstsein. Vertreter dieser Ausrichtung schätzen das Unternehmen als Institution, die Arbeit schafft und für das Einkommen der Familie sorgt. Das Unternehmen wird den familiären Interessen untergeordnet. Diese Ausrichtung ist häufig bei Kleinunternehmen anzutreffen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich in diesem Zusammenhang große Unternehmen entwickeln, da das höchste Ziel Stabilität ist, die den Bedürfnissen des Unternehmers und seiner Familie entspricht. Für Vertreter dieser Ausrichtung muss das Unternehmen berufliche Entfaltung und die angemessene Versorgung der Familie gewährleisten. • Unternehmerische Ausrichtung: Vertreter dieser Ausrichtung möchten das Unternehmen vorantreiben und ihre Führungsposition ausbauen. Diese Ausrichtung herrscht bei Unternehmern vor, die sich ihrem Werk verschreiben. Ziel ist es, Gewinn durch Wachstum und Erweiterung zu erwirtschaften. Die Generation, die Gewinn erwirtschaftet, wird eher als Mittel zum Zweck gesehen denn als Ziel an sich. Dafür ist die Unternehmerfamilie bereit, sowohl Privateigentum zu opfern als auch anderweitige Investitionen zu tätigen. Die großen Familienunternehmen haben sich innerhalb dieser Ausrichtung entwickelt. Es gibt aber auch viele kleine Familienunternehmen, die trotz ihrer Größe der so charakterisierten unternehmerischen Ausrichtung zuzuordnen sind. Für Vertreter dieser Ausrichtung stellt das Unternehmen eine Plattform für die Entwicklung eigener Träume und Visionen dar. Ihr Interesse besteht nicht nur darin, dass das Unternehmen von ihnen angestrebte Projekte verwirklicht, sondern dass sie dabei eine führende Rolle übernehmen können. Das Unternehmen ist »sein Projekt« und der Unternehmer möchte es »auf seine Art und Weise« angehen. Das Interesse gilt der Unternehmensführung und der Investition in Wachstum, nicht der Rückerstattung der Investition.

35 Gimeno, A., Labadie, G., Saris, W. Mendoza, X. (2006). Internal factors of family business perfor-

mance: an integrated theoretical model. In P. Poutziouris, K. Smyrnios, S. Klein, Handbook of Research on Family Businesses (S. 149–164). Cheltenham: Edward Elgar Publishing.

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• Wirtschaftliche Ausrichtung: Für Vertreter dieser Ausrichtung ist das Familienunternehmen Teil ihres Eigentums und muss daher in Bezug auf Rentabilität, Liquidität und Risiko optimiert werden. Deshalb ist es besonders wichtig, dass das Unternehmen gut geführt wird. Vertreter dieser Ausrichtung legen weniger Wert darauf, das Unternehmen selbst zu führen, als auf gute Unternehmensführung, die sich im Zuwachs ihres Vermögens widerspiegelt. Letztlich sind Vertreter dieser Ausrichtung daran interessiert, dass sich das Familienunternehmen besser rentiert als andere Investitionen. Ausrichtung

Interessenschwerpunkt

schützend

Arbeit und Lohn

unternehmerisch

Machtausübung und Projektentwicklung

wirtschaftlich

Rentabilität

Abbildung 14: Mögliche Interessenlagen

• Mischformen der vorherrschenden Ausrichtungen: Das Erkennen der Ausrichtungen ermöglicht ein Verständnis von der Interessenvielfalt in Familienunternehmen. Die beschriebenen Ausrichtungen sind idealtypische Kategorien36 , das heißt, sie sind entweder in reiner Form, in Abstufungen oder aber (was häufiger der Fall ist) in Kombination zu finden. Eine häufige Mischform ist die schützende und unternehmerische Ausrichtung: »Ich möchte mein unternehmerisches Projekt vorantreiben und meine Kinder schützen, indem ich sie mit mir arbeiten lasse.« Oder eine Kombination aus unternehmerischer und wirtschaftlicher Ausrichtung: »Ich möchte mein Projekt vorantreiben, möchte aber, dass es ähnliche Gewinne abwirft wie alternative Investitionsmöglichkeiten.«37 Es geht nicht darum zu zeigen, dass eine Ausrichtung besser ist als eine andere, auch wenn sie verschiedene Folgen haben. Die Ausrichtungen hängen von den Prioritäten ihrer Vertreter ab. 36 Lakoff, G. (1987). Women, Fire, and Dangerous Things. Chicago: The University of Chicago Press. 37 Eine Kombination aus schützender und wirtschaftlicher Ausrichtung ist unwahrscheinlich, da die

Priorität der erstgenannten auf der Arbeit liegt und die der zweiten darauf, dass für einen gearbeitet wird. Beide können mit dem Unternehmen Gewinne verzeichnen, nur müssen sie für den Ersten hinreichend sein, um angemessen leben zu können, und der Zweite möchte, dass sie höher sind als alternative Investitionen, obwohl sein Interesse auch der Kontrolle des Risikos und der Liquidität gilt.

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Komplexität der Familie

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Die Gesamtheit der Interessen in der Unternehmerfamilie wirkt sich auf ihre Komplexität aus. Wenn alle Familienmitglieder Vertreter der schützenden Ausrichtung sind, wird der Schwerpunkt darauf gelegt, wer im Unternehmen arbeitet und wer nicht, wie viel jeder Einzelne verdient und ob es einen Platz für jeden gibt. Wenn alle Familienmitglieder Vertreter der unternehmerischen Ausrichtung sind, wird der Schwerpunkt darauf gelegt, wer das Unternehmen führt, welches Projekt ausgebaut werden soll und wer mitentscheidet. Für einen Vertreter der unternehmerischen Ausrichtung ist die Zusammenarbeit mit Familienmitgliedern unproblematisch, solange er die Entscheidungsgewalt innehat. Wenn alle Familienmitglieder Vertreter der wirtschaftlichen Ausrichtung sind, wird der Schwerpunkt auf das Vermögen gelegt: Wer hat Recht auf welche Teilhabe? Ist die Rentabilität zufriedenstellend? Ab wann reichen die Dividenden beziehungsweise die Liquidität der Teilhabe, um die Gruppe zu verlassen? Wenn einige Familienmitglieder der schützenden Ausrichtung und andere der unternehmerischen Ausrichtung angehören, wird sich die Komplexität auf Investition und Risiko beziehen. Vertreter der unternehmerischen Ausrichtung werden in neue Projekte investieren wollen, worauf die der schützenden Ausrichtung das Risiko sehen, alles bereits Erreichte zu verlieren. Wenn einige Familienmitglieder der unternehmerischen und andere der wirtschaftlichen Ausrichtung angehören, wird der Schwerpunkt beispielsweise auf Fragen gelegt, ob das Familienunternehmen genügend Gewinne verzeichnet, ob das Familienunternehmen zu viele Risiken birgt, ob es besser wäre, in andere Projekte zu investieren, gemeinsam zu investieren oder jeder für sich und ab wann weniger investiert und mehr Dividenden verteilt werden sollten. Die bestehenden Ausrichtungen müssen erkannt werden, um die Komplexität der Unternehmerfamilie verstehen zu können (Abb. 15).

schützende Ausrichtung

wirtschaftliche Ausrichtung

unternehmerische Ausrichtung

Abbildung 15: Sich überlagernde Interessen der Eigentümer

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

Komplexität des Unternehmens Komplexitätswachstum und Komplexitätsniveau Das Komplexitätskonzept kann auch auf das Unternehmen angewandt werden. Das Komplexitätsniveau eines Unternehmens steigt, je mehr operative Einheiten (z. B. Teams, Abteilungen oder Arbeitsgruppen) und Beziehungsstrukturen vorhanden sind und je mehr diese mit externen Kooperationspartnern verbunden sind. Die Geschichte von Unternehmen überhaupt ist die wachsender Komplexität. Aus vorindustriellen Handwerksbetrieben geringer Komplexität entstanden große Fabriken, die mit Hilfe von Dampfmaschinen arbeiteten. Die Komplexität wuchs erneut spürbar, als der Elektromotor dezentralisiertes Arbeiten in den Fabriken ermöglichte, in denen verschiedene Motoren die einzelnen Maschinen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit antrieben. Auch durch Verbesserungen im Kommunikationsbereich wuchs die Komplexität, nicht nur in Bezug auf Informationsvermittlung, sondern auch hinsichtlich der personellen Mobilität und dem Gütertransport. Die zunächst lokalen Märkte wurden immer weiträumiger, was zu einer wachsenden Anzahl an Beziehungen zu verschiedenen Kunden, Märkten, Zulieferern und Konkurrenten führte. Die Schwerpunktverlagerung von der Nachfrage zum Angebot innerhalb bestimmter Märkte trug ebenfalls zur wachsenden Komplexität der Unternehmen bei. Das Gewicht lag dabei nicht nur auf der Produktion. Da die Produktivität höher als die Kaufkraft war, musste besser und preisgünstiger produziert werden. Später rückten neben der Produktion und dem Verkauf Technologieentwicklung, Design, Innovation und zusätzliche Dienstleistungen in den Vordergrund. In den letzten Jahren ist die Komplexität der Unternehmen durch neue Anforderungen weiter gestiegen. Wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt, Digitalisierung, Telekommunikation, Marktliberalisierung und der Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte haben immer komplexere Unternehmen mit der Fähigkeit hervorgebracht, bestmöglich auf ihr Umfeld zu reagieren. Unternehmen werden von Veränderungen in ihrem Wirtschaftszweig und immer öfter auch von Veränderungen in anderen Wirtschaftszweigen beeinflusst. Es entstehen Unternehmen, die in weniger als zwanzig Jahren eine führende Rolle in der Welt einnehmen. Gleichzeitig zerfallen große stabile Unter-

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Komplexität des Unternehmens

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nehmen.38 Globaler Marktzugang ist kein Privileg großer Unternehmen mehr sondern auch für lokale Kleinunternehmen möglich. Wertketten zerreißen.Viele Produzenten stellen selbst nichts mehr her, erbitterte Konkurrenten arbeiten zusammen, immaterielle Aspekte beherrschen die Werterfassung, und junge Menschen, die das Teenageralter gerade hinter sich gelassen haben, gründen millionenschwere Unternehmen. Die Finanzwirtschaft erfährt eine wachsende Bedeutung und wird weniger durch Daten als durch emotions- und intuitionsgesteuerte Erwartungen bestimmt. Ländern, Regionen und Unternehmen sind einer immer schnelleren Veränderung in der Bewertung ausgesetzt. Ein Land kann weltweit als Beispiel für wirtschaftliche Entwicklung gelten und wenig später das Gegenteil darstellen39 , eine Firma kann als Vorzeigeunternehmen bewundert werden40 und kurz darauf verschwinden, und das Gleiche kann Unternehmern passieren.41 Letztendlich geht es um die wachsende Komplexität von Unternehmen. Unabhängig von der allgemeinen Tendenz zum Komplexitätswachstum gibt es bedeutende Unterschiede im Komplexitätsniveau der einzelnen Familienunternehmen. Durch die Komplexität des Unternehmens werden Handlungsspielraum und Anforderungsrahmen der Familie abgesteckt.

Komplexität C o m p l e j id a d dder e l Familie a F a m il i a

++

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

--

Strukturentwicklung

strukturelles Risiko

Abbildung 16: Formel zur Führung von Familienunternehmen – Komplexität des Unternehmens

38 Wer erinnert sich heute noch an Unternehmen wie »Digital« oder »Galerías Preciados«, wohingegen heute führende Unternehmen wie »Dell« oder »Mercadona« vor dreißig Jahren praktisch nicht existierten. 39 Erst galt Mexiko mit Salinas de Gortari (1988–1994) weltweit als ein Musterbeispiel und später sorgte die Tequila-Krise für einen Absturz. Auch Argentinien galt als beispielhaft, als 1985 der Austral an den Dollar gekoppelt wurde, und wenig später fiel das Land einer Wirtschaftskrise zum Opfer. Island und Griechenland sind prominente Beispiele aus den Jahren 2009 und 2010. 40 Die meisten als exzellent bezeichneten Unternehmen in dem berühmten Buch »Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann« von Peters und Waterman (1983) durchlebten in den darauf folgenden Jahren große Schwierigkeiten. 41 Mario Conde (Banesto), Jeffrey Skilling (Enron), Calisto Tanzi (Parmalat), Lee Jueun (Hyundai) und Bernard Madoff (Madoff Investment Securities) sind nur einige der »gefallenen Idole« der letzten Jahre.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

Komplexitätsindikatoren des Unternehmens Die Komplexität eines Unternehmens kann anhand verschiedener Merkmale identifiziert werden, wie zum Beispiel: • Größe: Dieser Punkt bedarf kaum einer Erläuterung. Ein Unternehmen mit 1000 Angestellten weist ein höheres Komplexitätsniveau auf als eines mit 20. Die Koordinations-, Gehalts-, Aufstiegs- und Ausbildungssysteme sind sehr verschieden. Größere Unternehmen sind internen und externen Veränderungen eher ausgesetzt. Wir könnten uns statt auf die Mitarbeiterzahl im Prinzip auch auf den Umsatz beziehen. • Anzahl der Standorte: Ein Unternehmen mit vielen Standorten ist komplexer als eines, das nur einen Standort hat wie zum Beispiel ein kleiner Montagebetrieb. Durch die räumliche Distanz der Standorte können vermehrt Konfliktsituationen auftauchen. • Produktvielfalt: Selbstverständlich gilt, dass umso häufiger Konfliktsituationen zu bewältigen sind, je breiter das Produktangebot und je fortgeschrittener die Technologie des Unternehmens ist. Ein spezialisiertes Unternehmen (z. B. Piaggio) ist weniger komplex als ein Unternehmen mit breit gefächertem Angebot (z. B. Honda). • Internationalisierungsgrad: Ein Unternehmen, das auf internationaler Ebene arbeitet, ist komplexer als eines, das nur lokal tätig ist. In einer internationalen Firma wird es mehr Konfliktsituationen beispielsweise in Bezug auf Kultur, Sprache, Gesetzgebung, Währung oder unterschiedliche Arbeitszeiten geben. • Integrationsniveau der Wertschöpfungskette: Ein Unternehmen, das eine Vielzahl an Tätigkeiten in der Wertkette durchführt, wie Rohstoffgewinnung, Herstellung, Design, Verkauf, ist komplexer als ein Unternehmen mit einem kleineren Tätigkeitsfeld. Vor diesem Hintergrund weist beispielsweise das als »groß« wahrgenommene Sportartikelunternehmen Nike vermutlich einen geringeren Komplexitätsgrad auf als der »kleinere« Modehersteller Zara42 . Deutlich mehr Konfliktsituationen entstehen unter anderem durch die schwierigere Koordination der Tätigkeiten, vielfältigere Interessen innerhalb der Geschäftsführung, Konkurrenten auf verschiedenen Ebenen der Wertschöpfungskette, Qualitäts- und Prioritätenunterschiede. • Kenntnisstand und technologisches Niveau des Unternehmens: Ein wissensorientiertes Unternehmen (wie z. B. eine Spezialklinik) ist komplexer als ein Unternehmen mit einem durch Wiederholung und Routine gekennzeich42 Die Unternehmensgruppe heißt Inditex, wir nennen aber der Einfachheit halber ihren bekannteren Namen.

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Auswirkungen der Komplexität auf das Familienunternehmen

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neten Tagesgeschäft (wie z. B. eine Tankstelle). Dementsprechend verfügen Ärzte über mehr Eigenständigkeit und Kontrolle über ihre Arbeit als ein Tankwart, dessen Tätigkeitsfeld streng definiert ist. • Die Typologie des Wirtschaftszweigs, in dem das Unternehmen tätig ist, beeinflusst ebenfalls das Komplexitätsniveau. Ein Unternehmen aus einem Bereich, der stark von technologischen Veränderungen beeinflusst wird (Telefónica), ist komplexer als ein Unternehmen, das etwa im Bereich des Nahrungsmittelvertriebs arbeitet (Eroski). Größe Anzahl der Standorte Produktvielfalt Internationalisierungsgrad Integrationsniveau der Wertschöpfungskette Kenntnisstand Typologie des Wirtschaftszweigs Abbildung 17: Indikatoren für Komplexität des Unternehmens

Auswirkungen der Komplexität auf das Familienunternehmen Die Komplexität der Familie und die Komplexität des Unternehmens gestalten das Komplexitätsprofil des Familienunternehmens. Es kann mit Hilfe der genannten Variablen bestimmt werden. Abbildung 18 zeigt das Komplexitätsprofil spanischer Familienunternehmen nach Angaben der FBK-Database (2007).43 So wird ein Verständnis für die Verschiedenheit des Komplexitätsprofils von Familienunternehmen möglich. Wir können nicht vorhersagen, was auf jedes einzelne Unternehmen zukommt, aber wir können die Situation, in der es sich befindet, näher bestimmen. Wie bereits erwähnt, treten in einem Familienunternehmen mit einer komplexeren Familie mehr Unterschiede zwischen Familienmitgliedern auf, unter 43 Die Family-Business-Knowledge-Datenbank (FBK-Database, 2007) wurde im Zeitraum 2000 bis

2007 erstellt. Die anonymen Angaben der Familienunternehmer wurden in das Expertensystem FBKDiagnostic aufgenommen. Das bedeutendste Projekt war die Untersuchung spanischer Familienunternehmen, »Radiografía de la Empresa Familiar Espa˜nola« im Zeitraum 2005–2006, die von der spanischen Business School ESADE und FBK in Zusammenarbeit mit dem »Instituto de la Empresa Familiar« (IEF) und der spanischen Bank BBVA durchgeführt wurde. Das Projekt wurde mit einer Studie zu 1237 spanischen Familienunternehmen abgeschlossen. Nähere Informationen finden sich auf der spanischen Website www.fbkonline.com/es/eventos/index.html.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

Abbildung 18: Komplexitätsprofil (FBK-Database, 2007)

anderem in Bezug auf ihre Kompetenzprofile, ihre Bedürfnisse, ihre Lebensgeschichte und die Wertvorstellungen der Kernfamilien. Eine höhere Komplexität der Familie beinhaltet größere Unterschiede zwischen den Familienmitgliedern. Entsprechend kann eine komplexere Familie mehr Unruhe in das Unternehmen tragen. Wenn zum Beispiel Familie möchte, dass die Geschäftsführung aus Familienmitgliedern besteht, es aber nur zwei Geschwister im geeigneten Alter gibt, wird man überlegen, wie sie sich untereinander abstimmen, um das Unternehmen erfolgreich weiterzuführen. Man wird bestrebt sein, ihren Zusammenhalt durch die berufliche Zusammenarbeit nicht zu gefährden, sondern zu stärken. Es ist riskant zu glauben, dass dies automatisch geschieht. Stattdessen müssen Mechanismen geschaffen werden, die Zusammenhalt und Koordination an Stelle von Rivalität und Konkurrenz fördern. Das heißt, die Struktur muss an eine komplexitätsarme Situation angepasst werden. Wenn die oben genannte Beispielfamilie komplexer wäre und es zum Beispiel sechs Cousins statt zwei Brüdern gäbe, wären die Unterschiede zwischen ihnen vermutlich größer. Mit Sicherheit wird es einen geben, der ein kompetenter Geschäftsführer ist, und einen, der es nicht ist. Einige werden sich mehr für das Unternehmen interessieren als andere. Einige werden sich in einer misslicheren finanziellen Lage befinden als andere. Es wird verschiedene Bündnisse geben, einige werden sich näher stehen als andere. Das bedeutet nicht, dass es zu Unstimmigkeiten kommen muss, nur ist das Verhältnis zu einigen besser als zu anderen.

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Auswirkungen der Komplexität auf das Familienunternehmen

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Wenn alle zur Geschäftsführung gehören möchten, werden in dem Unternehmen wahrscheinlich Probleme entstehen, da sich sechs Geschäftsführer, die aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit ausgewählt wurden, nur schwer koordinieren können. Deshalb werden sie sich gezwungen sehen, zu bestimmen, wer im Unternehmen tätig ist und wer nicht, was leicht zu Auseinandersetzungen führen kann. Es werden Fragen auftauchen wie: Wer arbeitet und wer nicht? Welches Gehalt steht dem Direktor zu? Was geschieht mit denen, die nicht arbeiten? Die Liste der Fragen, mit denen sich diese Familie auseinandersetzen müsste, ließe sich leicht erweitern. Wenn wir hingegen von 20 Cousins zweiten Grades sprächen, stünden noch mehr Fragen im Raum. Es könnte leicht der Gedanke aufkommen, dass sich jeder für seinen Familienzweig einsetzen muss. Ihre finanzielle Lage wäre sicher ganz unterschiedlich. Mit Sicherheit wird man sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie viele Dividenden ausgeschüttet werden sollten. Es wird Verfechter für bedeutende Ausschüttungen geben und andere, die es vorziehen, erneut zu investieren. Unterschiede in den vorherrschenden unternehmerischen Ausrichtungen werden deutlich sichtbar. Möglicherweise gibt es Menschen, die mit der Unternehmensführung unzufrieden sind und die die Geschäftsführung gern ersetzen würden. Diese Meinungen werden eventuell von der Geschäftsführung als Aggressionen unzufriedener Familienmitglieder empfunden. Einige Familienmitglieder könnten ihre Aktien verkaufen wollen. Das heißt, dass die Eigentumsfrage und die Ansprüche an die Geschäftsführung an Bedeutung gewinnen. All diese Fragen, die mit der wachsenden Komplexität der Familie im Zusammenhang stehen, fördern eine Dynamik, die der Familie Energie raubt und dem Zusammenhalt entgegenwirkt. Diese Dynamik hat sowohl negative Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Familie als auch auf die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens. Negative Auswirkungen sind nicht unvermeidlich. Sie können durch Strukturentwicklung aufgefangen werden. Sie schlagen sich allerdings nieder, wenn die Familie keine geeigneten Beziehungsstrukturen zwischen Familie und Unternehmen etabliert, um die Komplexität zu kanalisieren und der Unordnung, die von der komplexen Familie ins Unternehmen getragen wird, Grenzen zu setzen.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

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Struktur44 Ein System (Abb. 20) wird als Gesamtheit von miteinander verbundenen Elementen definiert, die sich von ihrer Umwelt abgrenzen, auch wenn sie mit ihr Beziehungen in gegenseitiger Abhängigkeit eingehen. Dieses Konzept wird in der Organisationsforschung angewandt, die sich auf soziale Systeme bezieht.

Komplexität C o m p l e j id a d dder e l Familie a F a m il i a

+

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

-

Strukturentwicklung

strukturelles Risiko

Abbildung 19: Formel zur Führung von Familienunternehmen – Strukturentwicklung

Alle sozialen Systeme sind lebendig und dementsprechend dynamisch. Sie verfügen über ein breites Spektrum an möglichen Verhaltensweisen, welche nichtsdestotrotz ein hohes Maß an Ordnung und Sicherheit verzeichnen.

Abbildung 20: Darstellung eines Systems

Diese relative Stabilität ist auf die Fähigkeit zur Selbstorganisation der Lebewesen zurückzuführen. Das spontane Auftreten geordneter Strukturen in offenen Systemen ist in der Natur weit verbreitet. Unsere Herangehensweise beruht auf der Definition von Struktur als innere Fähigkeit zur Selbstorganisation. Jede Struktur bezieht sich auf einen Kontext (Verhalten erhält seinen Sinn durch Ort und Situation, in der es auftritt), Regeln (explizite/implizite situationsgebundene Bestimmungen zu dem, was wo getan werden darf und was nicht), Positionen (Hierarchien zwischen den 44 Im Anhang wird ausführlicher auf die Struktur und die darin enthaltenen unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten eingegangen (S. 147).

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Struktur

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Beteiligten), Rollen (Funktionen, die von Personen in bestimmten Positionen ausgeübt werden) sowie Informationsfluss und -quellen. Die Struktur eines Familienunternehmens besteht nach unserer Definition aus fünf Kategorien, wie in Abbildung 21 zu erkennen ist.

Institutionalisierung

Inwiefern werden Entscheidungen kontextbezogen oder durch einzelne Organe getroffen?

Trennung von Familie und Unternehmen

Inwiefern werden Angestellte als Fachleute und Aktionäre als Eigentümer behandelt?

Managementpraxis

Wie wird das Unternehmen geführt?

Kommunikation

Wie wird mit persönlichen Beziehungen umgegangen?

Nachfolge

Ist das Unternehmen ohne die gegenwärtigen Führungskräfte lebensfähig?

Abbildung 21: Strukturmanagment in Familienunternehmen

Jede dieser qualitativ unterschiedlichen Kategorien beinhaltet andere Managementbereiche. Auf die Kategorien (z. B. Kommunikation oder Nachfolge) selbst kann nicht direkt Einfluss genommen werden, sehr wohl jedoch auf die darunter subsumierten Managementbereiche, die in den nächsten Kapiteln erläutert werden.

Institutionalisierung Ab einer bestimmten Unternehmens- sowie Familiengröße ist das Beziehungsgeflecht zwischen Familie und Unternehmen nicht mehr so leicht durchschauund handhabbar wie in inhabergeführten kleinen Unternehmen. Daher sind in einem solchen Fall die Einrichtung verschiedener Entscheidungsgremien sowie klarer Verhaltensregeln zur Beziehungsgestaltung nötig. Die Kategorie Institutionalisierung beschäftigt sich mit folgenden Entscheidungsgremien, so vorhanden, und der Festlegung ihres Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs: • Familienrat, • Verwaltungsrat, • Lenkungsausschuss, • Familienverfassung.

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

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C o m p l e j id a d Komplexität dder e l Familie a F a m il i a

Institutionalisierung

+

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

Trennung von Familie und Unternehmen

existierende Institutionen

arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen

Funktionalität des Familienrats

Anerkennung des Eigentums

Funktionalität des Verwaltungsrats

Anforderungsmanagement

-

Strukturentwicklung

strukturelles Risiko

Managementpraxis

Kommunikation

Nachfolge

Professionalisierung der Methoden

Kommunikation und Diversity Management

unternehmerische Kompetenz

Informationsstrukturierung

Festlegung von Regeln

Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« Nachfolgeplanung

Funktionalität des Lenkungsausschusses

Abbildung 22: Ebenen des Strukturmanagements – Institutionalisierung

Die Institutionalisierung der Verwaltung des Familienunternehmens bringt die Notwendigkeit mit sich, Maßnahmen in vier Managementbereichen zu entwickeln und fortlaufend anzupassen: • existierende Institutionen, • Funktionalität des Familienrats, • Funktionalität des Verwaltungsrats, • Funktionalität des Lenkungsausschusses. Existierende Institutionen45 Wie viele Institutionen es gibt, hängt davon ab, welche Organe und formale Regeln zur Regulierung der Beziehungen geschaffen werden. Demnach bedeutet ein hoher Institutionalisierungsgrad, dass Entscheidungsorgane für die Unternehmerfamilie (Familienrat) sowie Gremien für die Verwaltung des Unternehmens (Verwaltungsrat) und die professionelle Leitung (Lenkungsausschuss) vorhanden sind und außerdem formale Regeln (Familienverfassung) existieren.

45 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Institutionen und ihre Funktionsweise« (S. 147).

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Struktur

71 Consejo Familienrat de Familia

Consejo Verwaltungsrat de Administraci ón

Comité Lenkungsausschuss de Direcci ón

Eigentumsbereich

Governance-Bereich

Managementbereich

Abbildung 23: Institutionalisierung

Funktionalität des Familienrats46 Wir unterscheiden zwischen dem Organ und seiner Funktion. Für das System ist das Organ nur dann von Bedeutung, wenn es, neben seiner bloßen Existenz, auch seine Funktion erfüllt. Die Funktionalität des Familienrats wird also daran bemessen, inwiefern er seinen Aufgaben nachkommt. Der Familienrat hat fünf Hauptaufgaben: • Autorität ausüben, das bedeutet für den Familienrat: – Festlegung der Autoritätsgrenzen, – Bestimmung der Organe und ihrer Vertreter, – Erstellung von Kriterien für die Verteilung von Verantwortlichkeiten und Vergütung innerhalb des Unternehmens, – Bestimmung der Einnahmen der Eigentümerfamilie (Dividenden), – Aushandlung eines »Managementauftrags« mit dem Verwaltungsrat, – Umgang mit unerwarteten Ereignissen. • Sozialisieren: Eine Person in einem System zu sozialisieren bedeutet, sie an Werten, Kultur, Verhaltensweisen und -regeln teilhaben zu lassen. Unter Sozialisation der Unternehmerfamilie versteht man unter anderem die Vermittlung von Werten, Risikobereitschaft, Verhaltensregeln zur verantwortungsbewussten Autoritätsausübung sowie Ausbildung und Information. • Repräsentieren und Status vermitteln und wahren: Teil des Familienrats zu sein, ist ebenfalls eine Art, Teil des Familienunternehmens zu sein. Der Familienrat muss die Familie als Institution in ihrem gesellschaftlichen Umfeld vertreten. • Zusammenhalt und Entwicklung des Unternehmergeistes fördern: Der familiäre Zusammenhalt in einem Familienunternehmen muss durch ein gemeinsames Projekt entstehen, das das Interesse der Einzelnen weckt. Dieser Zusammenhalt muss auf Austausch, Unternehmergeist und Gestaltungswillen aufbauen. 46 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Funktionsweise und Aufgaben des

Familienrats« (S. 149).

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

• Grenzen und Regeln bestimmen: Der Familienrat hat außerdem die Aufgabe, dem familiären Eingriff in das Unternehmen Grenzen zu setzen. Eine Form dieser Begrenzung ist die Erstellung von Familienverfassungen. Funktionalität des Verwaltungsrats47 Die Hauptaufgabe des Verwaltungsrats ist die Etablierung eines Steuer- und Regelsystems für das Unternehmen im Sinne des »Managementauftrags« des Familienrats. Seine spezifischen Aufgaben sind: • Unterstützung des leitenden Geschäftsführers: Der Verwaltungsrat unterstützt strategische Entscheidungen in Bezug auf die Umsetzbarkeit sowie Angemessenheit des Zeitpunkts und wirkt darauf ein, dass sie vom Unternehmen angenommen werden. • Kontrolle des leitenden Geschäftsführers: Im Rahmen dieser Kontrollfunktion wird die Leitung und Geschäftsführung des Unternehmens überwacht und von ihr Rechenschaft eingefordert. Dies betrifft Aspekte wie strategische Entscheidungen, Evaluierung der Geschäftsführung, Kontrolle über Finanzen, Gehälter, Buchhaltung. • Entwicklung, Pflege und Kontrolle distinkter Ressourcen und Kernkompetenzen: Der Verwaltungsrat fördert Entwicklung, Gewinnung, Gebrauch, Nutzung und Schutz distinktiver Ressourcen und Kompetenzen, damit sie nicht von anderen Unternehmen übernommen oder imitiert werden. • Nachfolge gewährleisten: Durch entsprechende Maßnahmen soll die Abhängigkeit des Lenkungsausschusses vom leitenden Geschäftsführer minimiert werden, damit dieser zu gegebener Zeit seine Position so problemlos wie möglich verlassen kann. • Der Familie Grenzen setzen: Der Verwaltungsrat gestaltet die formalen Beziehungen zwischen Geschäftsführung und Familie, damit die Familie nicht mit der ihr eigenen Logik und gemäß ihrer eigenen Bewertungskriterien in die Unternehmensführung eingreift. Funktionalität des Lenkungsausschusses48 Der Lenkungsausschuss ist ein Organ des Unternehmens, dessen exekutive Reichweite von seiner grundsätzlichen Gestaltung und damit auch Machtausstattung abhängt. Wir unterscheiden drei Arten:

47 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Funktionsweise und Aufgaben des Verwaltungsrats« (S. 155). 48 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Funktionsweise und Aufgaben des Lenkungsausschusses« (S. 163).

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Struktur

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• Informierender Lenkungsausschuss: Ein Informationsaustausch unter den Komiteemitgliedern findet statt, der leitende Geschäftsführer entscheidet jedoch. • Beratender Lenkungsausschuss: Die Mitglieder des Komitees analysieren und bewerten Fragestellungen und Informationen gemeinsam. Sie unterbreiten dem leitenden Geschäftsführer gegebenenfalls Entscheidungsvorschläge. • Beschlussfassender Lenkungsausschuss: Der Geschäftsführer trifft die wichtigsten Entscheidungen gemeinsam mit dem Lenkungsausschuss. Der Lenkungsausschuss greift direkt in den Organisationsablauf ein, was zentralistisch und intuitiv handelnde Geschäftsführer dazu bewegt, zusätzliche Analysen in ihrem Entscheidungsfindungsprozess zu berücksichtigen. Die Geschäftsführung muss in diesem Modell über ihre Absichten informieren und ihre Führungskompetenz innerhalb der Organisation immer wieder unter Beweis stellen.

Differenzierung von Familie und Unternehmen Die Differenzierung von Familie und Unternehmen bezieht sich auf die Fähigkeit der Familienmitglieder, Rechte, Pflichten und Verhaltensweisen ihren gegenwärtigen Rollen und dem gegebenen Kontext anzupassen und diese klar voneinander abzugrenzen. Die Differenzierung zwischen Familie und Unternehmen findet ihren Niederschlag in drei Managementbereichen, die definiert und bei Bedarf geändert und angepasst werden müssen: • arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen, • Anerkennung des Eigentums, • Anforderungsmanagement. Arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen49 Die arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen bezieht sich auf den Einfluss von Familienzugehörigkeit oder beruflicher Kompetenz auf die Besetzung von Führungspositionen im Unternehmen. Je bedeutender familiäre Kriterien für die Tätigkeit der Familie im Unternehmen sind, desto unklarer ist die Abgrenzung.

49 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Arbeitsplatzbezogene Abgrenzug

zwischen Familie und Unternehmen« (S. 166).

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Komplexität C o m p l e j id a d dder e l Familie a F a m il i a

Institutionalisierung

existierende Institutionen Funktionalität des Familienrats Funktionalität des Verwaltungsrats Funktionalität des Lenkungsausschusses

+

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

Trennung von Familie und Unternehmen arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen Anerkennung des Eigentums

-

Strukturentwicklung

Managementpraxis

strukturelles Risiko

Kommunikation

Nachfolge

Professionalisierung der Methoden

Kommunikation und Diversity Management

unternehmerische Kompetenz

Informationsstrukturierung

Festlegung von Regeln

Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« Nachfolgeplanung

Anforderungsmanagement

Abbildung 24: Ebenen des Strukturmanagements – Trennung von Familie und Unternehmen

Dies wird anhand von Aufnahmekriterien für Führungspositionen, bestehenden Hierarchien sowie Vergütungskriterien und Aufstiegsmöglichkeiten für Familienmitglieder, die in der Exekutive tätig sind, deutlich. Anerkennung des Eigentums50 Die Anerkennung des Eigentums ist damit verbunden, inwiefern den Eigentümern als höchster Entscheidungsinstanz des Unternehmens Rechte zugestanden werden. Im Familienunternehmen werden Eigentum und Unternehmensführung häufig gleichgesetzt. Entsprechend wird die Rolle der Eigentümer und damit ihre Rechte oft nicht anerkannt. Dies sind in der Regel drei Rechte: • Recht auf Information über die Entwicklung des Unternehmens (Recht auf Information), • Recht auf Mitbestimmung bei Fragen, die das Eigentum betreffen könnten (Recht auf Mitbestimmung), • Recht auf Dividenden und Verfügbarkeit liquider Mittel aus dem bestehenden Vermögen des Eigentümers (finanzielle Rechte). Die notwendige Angleichung der Bedürfnisse hinsichtlich Eigentum und Unternehmensführung sollte in eine Kompromisslösung für Anteilseigner und 50 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Anerkennung des Eigentums« (S. 170).

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Struktur

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das Unternehmen münden dabei jedoch den Anteilseignern ihre Rechte nicht absprechen. Anforderungsmanagement 51 Bei der Thematisierung von Anforderungen steht die Frage im Mittelpunkt, ob das Bekleiden einer Position für ein Familienmitglied nur das Recht zur Ausübung von Macht oder auch eine gewisse Leistungsanforderung beinhaltet. Die Unternehmensgründer werden vom äußeren Umfeld des Unternehmens gefordert (Konkurrenten, Kunden etc.), aber weder durch eine interne Hierarchie noch durch andere Eigentümer. Doch sie stellen hohe Ansprüche an sich selbst, was das Unternehmen, über eigene Bequemlichkeitsansprüche hinaus, vorantreibt. Es geht nicht darum, einzelne Familienmitglieder nach ihrem Ehrgeiz zu beurteilen, sondern darum, inwiefern die Organisation als solche Anforderungen an die Personen stellt, die für Familienmitglieder arbeiten, unabhängig von ihrer Familienzugehörigkeit. Das Anforderungsmanagement steht in Zusammenhang mit dem Auftrag der Familie an die Unternehmenshierarchie und die Struktur der Institution, von den Familienmitgliedern eine ihrer Position entsprechende Leistung einzufordern.

Managementmethoden

Komplexität C o m p l e j id a d dder e l Familie a F a m il i a

+

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

-

Strukturentwicklung

Institutionalisierung

Trennung von Familie und Unternehmen

Managementpraxis

existierende Institutionen

arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen

Professionalisierung der Methoden

Anerkennung des Eigentums

Informationsstrukturierung

Funktionalität des Familienrats Funktionalität des Verwaltungsrats

strukturelles Risiko

Kommunikation

Nachfolge

Kommunikation und Diversity Management

unternehmerische Kompetenz

Festlegung von Regeln

Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« Nachfolgeplanung

Anforderungsmanagement

Funktionalität des Lenkungsausschusses

Abbildung 25: Ebenen des Strukturmanagements – Managementpraxis 51 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Anforderungsmanagement« (S. 172).

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

Ein Familienunternehmen ist für gewöhnlich sehr abhängig von der Gründerfigur oder einem dominanten Familienmitglied. Diese haben in der Regel einen ungewöhnlichen Führungsstil, was nicht bedeutet, dass er unangemessen wäre. Häufig ist das Ergebnis von Erfolg gekrönt. Die negative Seite ist, dass die Unternehmensführung sehr auf das Kompetenzprofil einer bestimmten Person zugeschnitten ist. Wenn diese Person leistungsschwächer wird, ist die Unternehmensführung ebenfalls betroffen. Je komplexer das Familienunternehmen wird, desto mehr muss die Unternehmensführung hinsichtlich einer Nutzung der gesamten Vitalität und unternehmerischen Impulse verändert werden, die Führungskriterien hingegen sollten allen zugänglich sein, nicht nur dem Unternehmensgründer. Dies beinhaltet den Ausbau zweier fundamentaler Ebenen: • Professionalisierung der Managementmethoden, • Informationsstrukturierung. Die erste Ebene bezieht sich auf die Anwendung üblicher und erprobter Managementmethoden, wie sie zum Beispiel im Rahmen von MBA-Programmen vermittelt werden. Die zweite Ebene bezieht sich auf das Erarbeiten von Systemen und Arbeitsweisen, die verhindern, dass nur oder hauptsächlich der Unternehmensgründer informiert ist. Professionalisierung der Managementmethoden52 Diese Ebene bezieht sich auf die Anwendung kontrastiver Managementmethoden. Wirkungsvolles, erprobtes, praktisches Wissen kann auf diverse Bereiche angewandt werden, sei es bei der Entwicklung klarer Strategien, der Koordinierung von Arbeitsgruppen, der Organisation interner Prozesse, dem Ausbau finanzwirtschaftlicher Kontrollmechanismen und -methoden sowie der Erstellung von Informations- und Qualitätssystemen. Mit dem Ausbau dieser Ebene werden intuitiv analytische Prozesse zur Beschlussfassung angestrebt und nach Möglichkeit quantitativ gestützt. Professionalisierung schließt die Schaffung von Managementstrukturen ein, die eine dezentrale, doch der allgemeinen Unternehmensstrategie verpflichtete Beschlussfassung ermöglicht, ohne dass die leitende Geschäftsführung an Einfluss verliert.

52 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Professionalisierung der Managementmethoden« (S. 175).

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Struktur

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Informationsstrukturierung 53 Innerhalb dieser Ebene beziehen wir uns auf kodifizierte Informationen (Dateneinheiten) sowie Sinn und Ordnung, nach der sie genutzt werden können (Information). Informationen und die Art ihrer Vermittlung müssen für alle Bereiche strukturiert werden, um nutzbar zu sein. Dies umfasst Wirtschafts- und Finanzinformationen, Leistungsindikatoren für das Management, Arbeitsprotokolle, Beschreibung und Definition von Ablaufprozessen, Patente, technische Dokumentationen, Marktforschung und Systeme zur Leistungsevaluierung.

Kommunikation

Komplexität C o m p l e j id a d dder e l Familie a F a m il i a

+

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

-

Strukturentwicklung

Institutionalisierung

Trennung von Familie und Unternehmen

Managementpraxis

existierende Institutionen

arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen

Professionalisierung der Methoden

Funktionalität des Familienrats Funktionalität des Verwaltungsrats

Anerkennung des Eigentums

Informationsstrukturierung

strukturelles Risiko

Kommunikation

Kommunikation und Diversity Management Festlegung von Regeln

Nachfolge

unternehmerische Kompetenz Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« Nachfolgeplanung

Anforderungsmanagement

Funktionalität des Lenkungsausschusses

Abbildung 26: Ebenen des Strukturmanagements – Kommunikation

Kommunikation ist eine durch Sprache und Gedanken gelenkte Handlung. Wir alle denken und sprechen, aber wir finden nicht immer einen Weg, uns unmissverständlich auszudrücken, und wir wissen es nicht zu schätzen, wenn wir richtig verstanden werden. Es gibt kaum eine spanische Redewendung, die so zu hinterfragen wäre wie: »hablando se entiende la gente« (»Durch das Sprechen verstehen sich die Menschen«). Menschen verstehen sich durch das Sprechen, aber sie missverstehen sich auch. Gute Kommunikation sollte darin bestehen, mit allen Beteiligten über alles sprechen zu können und dabei die eigene Meinung so kundzutun, dass sich 53 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Informationsstrukturierung«

(S. 177).

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

die Gesprächspartner durch sie nicht angegriffen fühlen. Dies erreichen solche Menschen besonders gut, die über kommunikative Fähigkeiten verfügen und ein Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen entwickelt haben. In Familien, die einen klaren, sachlichen und schnörkellosen Kommunikationsstil in Bezug auf das Familienunternehmen pflegen, herrscht in der Regel ein Klima des Vertrauens. Das Vertrauen ermöglicht eine offene Darlegung von Meinungsverschiedenheiten, eine gemeinsame Suche nach Lösungsansätzen und folglich eine Einigung. Die beiden Managementbereiche, die zur Verbesserung der Kommunikation ausgebaut werden müssen, sind: • Diversity Management, • systematische Festlegung von Regeln. Diversity Management 54 Innerhalb dieser Ebene geht es um das »Management von Unterschieden« innerhalb der Gruppe der Familienmitglieder, das Zusammenhalt in Bezug auf ein Projekt schaffen soll. Gemeint ist der konstruktive Umgang mit unterschiedlichen Interessen, Kompetenzprofilen und Rollen. Das richtige Diversity Management beinhaltet sowohl die Anerkennung von Gemeinsamkeiten, zum Beispiel Geschwisterkind oder Mitglied einer Unternehmerfamilie zu sein, als auch von Unterschieden hinsichtlich Charaktereigenschaften, der Zugehörigkeit zu einer Kernfamilie, Diskussionsbeiträgen und der Gestaltung von Beziehung nach außen, das heißt außerhalb der Familie. Mit dem Anstieg des Komplexitätsniveaus bei Familie und Unternehmen müssen die Fähigkeiten für das Diversity Management ausgebaut werden. Gegenteiliges würde Risiken fördern, so wie es auch bei den anderen Strukturebenen der Fall ist. Systematische Festlegung von Regeln55 Soziales Verhalten wird immer durch implizite oder explizite Regeln bestimmt. Dasselbe gilt auch für das Familienunternehmen. Ein System in einer Gesellschaft verfügt Regeln, die das Verhalten seiner Mitglieder bestimmen. So kann eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h (Norm) bestehen, sie wird aber erst zur Regel, wenn sie von den Fahrern als Verhaltensrichtlinie angenommen wird. 54 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Diversity Management« (S. 179). 55 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Systematische Festlegung von

Regeln« (S. 182).

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Struktur

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Inwieweit Regeln festgelegt werden können, hängt mit der Fähigkeit der Familie zusammen, sich darüber auszutauschen, welche Verhaltensrichtlinien für Familie und Unternehmen im System Familienunternehmen gelten. Dies schließt eine Kommunikation über die Angemessenheit dieser Regeln und wenn nötig deren Änderung ein. Häufig werden Regeln festgelegt (z. B. in einer Familienverfassung), die Wünsche ausdrücken, aber nicht geeignet sind, verhaltenswirksam zu werden. Deshalb sollte die Familie ihre Fähigkeit schulen, Regeln klar zu kommunizieren, denn nur so können diese verändert werden, sobald sie unangemessen sind.

Nachfolge

Komplexität C o m p l e j id a d dder e l Familie a F a m il i a

+

CKomplexität o m plejidad ddes e la Unternehmens Em pres a

-

Strukturentwicklung

strukturelles Risiko

Institutionalisierung

Trennung von Familie und Unternehmen

Managementpraxis

Kommunikation

existierende Institutionen

arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen

Professionalisierung der Methoden

Kommunikation und Diversity Management

Informationsstrukturierung

Festlegung von Regeln

Funktionalität des Familienrats Funktionalität des Verwaltungsrats

Anerkennung des Eigentums Anforderungsmanagement

Nachfolge

unternehmerische Kompetenz Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« Nachfolgeplanung

Funktionalität des Lenkungsausschusses

Abbildung 27: Ebenen des Strukturmanagements – Nachfolge

Die Nachfolge in einem Familienunternehmen ist an das Schaffen von Bedingungen geknüpft, die einem erfolgreichen Unternehmen Kontinuität ermöglichen. Der herkömmliche Ansatz, in dem die Nachfolge des leitenden Geschäftsführers geplant wird, ist von Bedeutung, aber bei weitem nicht ausreichend. Unternehmen müssen über unternehmerische Kompetenz verfügen, das heißt über Fähigkeiten, das Unternehmen um »das Neue« herum zu gestalten. Die nachrückende Generation muss in der Lage sein, ein Unternehmen mit Unternehmergeist zu führen. Je geringer die Abhängigkeit vom »Mann an der Spitze«, also des leitenden Geschäftsführers ist, desto einfacher ist die Nachfolgeplanung. Je höher die

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2 Formel zur Führung von Familienunternehmen

Abhängigkeit ist, desto schwieriger wird es für die Folgegeneration sein, ohne ihn weiterzuarbeiten. Unternehmerische Kompetenz 56 Für die Entwicklung eines Unternehmens benötigt man Vitalität und Unternehmergeist. Eine Unternehmensgründung entspricht dem Auf- und Ausbau eines unternehmerischen Projekts. Das Projekt einer Generation kann nur schwer in der zweiten Generation bestehen. Ein häufiger Irrtum von Familienunternehmen besteht darin zu glauben, dass eine Generation das Projekt der vorhergehenden Generation weiterführen kann und es nur noch effizienter zu gestalten, es sozusagen genauso, nur besser zu machen braucht. Deshalb ist die unternehmerische Kompetenz die Säule, auf die sich die Nachfolge stützen sollte. Unternehmergeist besteht in der Fähigkeit, neue Strategien und Projekte in der Familie zu entwerfen. Das Unternehmen sollte in der Lage sein, den grundlegenden unternehmerischen Geist zu bewahren. Dies bedeutet nicht, dass die Folgegeneration die Geschäfte leiten muss. Das Unternehmen als Ganzes sollte sich aber als unternehmerische Organisation verstehen. Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze«57 Wir beziehen uns mit dem Begriff »Mann an der Spitze« auf die Person mit der höchsten Entscheidungsgewalt innerhalb der Organisation, egal, welchen Titel sie trägt. Die gebräuchlichsten Titel sind CEO, Generaldirektor, Exekutivvorstand oder Geschäftsführer. Durch seine Kenntnisse, Fähigkeiten, Beziehungen und Führungsqualitäten ist der »Mann an der Spitze« eine grundlegende Ressource im Wettbewerb mit anderen Unternehmen. Die Förderung der Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« ist eng mit den genannten Strukturebenen verknüpft, insbesondere mit der Institutionalisierung, der Weiterentwicklung des Managements und der unternehmerischen Fähigkeiten. Die Wichtigkeit und Bedeutung dieser Strukturebene liegt nicht in ihrem Funktionieren, sondern in ihrer Evaluierung, das heißt, die Unternehmerfamilien müssen in der Lage sein, die Abhängigkeit des Unternehmens von

56 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Unternehmerische Kompetenz« (S. 183). 57 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Unabhängigkeit vom ›Mann an der Spitze‹« (S. 187).

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Struktur

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ihrem »Mann an der Spitze« zu beurteilen. Im Falle einer starken Abhängigkeit muss diese reduziert werden. Nachfolgeplanung 58 Bisher haben wir Aspekte in Bezug auf die »Nachfolge in der Geschäftsführung« betrachtet, nun werden wir auf die »Vermögensnachfolge« eingehen. Die Nachfolgeplanung hat eine strategische und eine juristisch-verwaltungstechnische Seite. Aus strategischer Sicht haben Entscheidungen zur Nachfolge eine direkte Auswirkung auf die Komplexität der Familie und müssen daher an dieser Stelle behandelt werden. Bei der juristisch-verwaltungstechnischen Komponente müssen steuerliche und testamentarische Aspekte sowie Vereinbarungen zur Vermögens- und Eigentumsverteilung sowie zu weiteren finanziellen Aspekten beachtet werden.

58 Im Anhang wird ausführlicher auf dieses Thema eingegangen, »Nachfolgeplanung« (S. 188).

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3

Modelle von Familienunternehmen

In diesem Kapitel stellen wir verschiedene Modelle von Familienunternehmen vor. Diese konkrete Typologie hilft, das eigene Familienunternehmen besser einzuschätzen und zu verstehen. Sie ermutigt, über den Einfluss der eigenen Vorstellungen und Erwartungen an das Unternehmen und dessen zukünftige Entwicklung nachzudenken. Die im bereits erwähnten Werk59 betrachteten Familienunternehmen weisen folgende Verteilung auf:

Abbildung 28: Komplexitätsprofil des spanischen Familienunternehmens (eigene Quelle)

Die Abbildung bezieht sich auf die Untersuchung von 1.237 Familienunternehmen und stellt die Unterschiede zwischen ihnen dar. Schwierigkeiten zeigen sich bei der Kategorisierung, das heißt beim Erkennen der Unterschiede und bei der Festlegung, ab wann diese Unterschiede zu signifikanten Distinktionsmerkmalen eines Familienunternehmens werden. 59 Gimeno, A. et al. (2006). Radiografía de la Empresa Familiar Espa˜ nola: Fortalezas y Riesgos. Barce-

lona: ESADE, FBK, IEF, BBVA.

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3 Modelle von Familienunternehmen

Auch wenn wir intuitiv wissen, dass es Unterschiede zwischen Familienunternehmen gibt, muss festgelegt werden, auf Grund welcher Merkmale (in der Forschung Variablen genannt) Unterschiede in Familienunternehmen entstehen. Mit Hilfe der FBK-Database konnten wir diese Familienunternehmen in fünf Kategorien in Bezug auf ihr Komplexitätsniveau und ihren Strukturentwicklungsgrad einteilen. Mit Hilfe einer Clusteranalyse konnten folgende Modelle von Familienunternehmen klar voneinander abgegrenzt werden: • Modell Kapitän, • Modell Patriarch, • Modell Familienteam, • Modell Professionelle Familie, • Modell Körperschaft. Wir haben zudem ein sechstes Modell klar von den vorherigen abgrenzen können, auch wenn wir diesbezüglich nicht über quantitative Daten verfügen: • Familieninvestitionsgruppe. In Abbildung 29 wird gezeigt, dass sich die durchschnittlichen Komplexitätsprofile der fünf Typen deutlich voneinander unterscheiden.

Abbildung 29: Durchschnittskomplexitätsprofil der einzelnen Modelle von Familienunternehmen (eigene Quelle)

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Im Gegensatz dazu unterscheiden sie sich weniger im Strukturentwicklungsgrad, wie Abbildung 30 zeigt. 350

Strukturentwicklung

300 250 200 150 100 50 0

Kapitän

Patriarch

Familienteam Professionelle Körperschaft Familie

Abbildung 30: Strukturentwicklung nach Familienunternehmenstyp (FBK-Database, 2007)

Es ist interessant zu beobachten, dass Familienunternehmen, die sich stark in ihrer Komplexität unterscheiden – wie Kapitän und Patriarch –, eine ähnliche Strukturentwicklung aufweisen. Dasselbe gilt für so unterschiedliche Unternehmenstypen wie Professionelle Familie und Körperschaft. Bei der Analyse einzelner Komponenten der Strukturentwicklung sind durchgängig Gemeinsamkeiten bei den einzelnen Typen zu beobachten.

300 69,1

48,1

200

54,3

55,7

44,6

100

67,6

24,2 48,2

49,6

38,9

80,8

76,6

Nachfolge

25,7

Kommunikation 55,5

53,4

56,8

61,2

63,9

50,9

Trennung von Familie und Unternehmen

43 33,3

0

36,4

10,5

14,2

Kapitän

Patriarch

Managementpraxis

29,7

Institutionalisierung

Familien- ProfessioKörperteam nelle Familie schaft

Abbildung 31: Strukturdetails nach Familienunternehmenstyp (FBK-Database, 2007)

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3 Modelle von Familienunternehmen

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Dadurch wird deutlich, dass die Strukturentwicklung nicht zwangsläufig mit der Komplexität zusammenhängt, sondern dass auch andere Faktoren bestimmen, wie ein Familienunternehmen geführt wird. Zusammenfassend können die fünf genannten Typen wie folgt beschrieben werden: Modell

Merkmal

• Kapitän

KMU vom Unternehmensgründer geführt

• Patriarch

von einer Führungsperson zusammengehaltene Unternehmen und Familien

• Familienteam

Großfamilie mit Kleinunternehmen

• Professionelle Familie

wenige Familienmitglieder leiten professionell ein komplexes Unternehmen

• Körperschaft

weitverzweigte Familie führt komplexes Unternehmen

• Familieninvestition-

Familie mit unterschiedlichen Komplexitätsniveaus investieren zusammen

gruppe

Abbildung 32: Merkmale der Modelle

Das Modell Kapitän Das Modell Kapitän gilt im Grunde für kleine und mittlere Unternehmen. Dabei kann es sich sowohl um ein sehr kleines Unternehmen (ein so genanntes »Mikrounternehmen«) als auch auf ein mittelgroßes Unternehmen handeln. Das Durchschnittsalter der Unternehmen liegt bei 28 Jahren. Wie jedoch die Abbildung zur Verteilung der Lebensdauer zeigt (s. Abb. 33), nimmt die Zahl von Unternehmen ab einer Lebensdauer von mehr als 20 Jahren signifikant ab, und nach 40 Jahren bestehen nur noch wenige Unternehmen dieser Art. Die Komplexität der Familie ist ebenfalls relativ gering. Auf die eine oder andere Weise spiegelt sich die geringe Komplexität des Unternehmens in der geringen Komplexität der Familie wider. Der Unternehmer teilt sich das Eigentum mit anderen Familienmitgliedern, meist mit der Ehepartnerin und später auch mit den Kindern. Daher ist die Anzahl der Anteilseigner mit durchschnittlich 2,6 Personen bei diesem Modell am niedrigsten. Es handelt sich um Gründerunternehmen, das heißt, dass sie von einer Person ins Leben gerufen werden und so lange bestehen, wie diese Person im Vollbesitz ihrer Kräfte ist.

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Das Modell Patriarch

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Abbildung 33: Lebenszyklus des Modells Kapitän (FBK-Database, 2007)60

Das Modell Patriarch Das als patriarchalisch zu bezeichnende Unternehmen hingegen stellt sich ganz anders dar. Das Komplexitätsniveau sowohl der Familie als auch des Unternehmens ist hoch. Das Durchschnittsalter dieses Unternehmens beträgt 41 Jahre, das bedeutet, dass es von einem sehr alten Unternehmensgründer oder von einer relativ jungen Folgegeneration geleitet wird und damit zwei Generationen beteiligt sind. Die relativ lange Existenz bedingt die Komplexität der Familie. Zwei Generationen arbeiten zusammen, auch wenn die Entscheidungsgewalt bei einer einzigen Person liegt, die sowohl das Unternehmen leitet als auch der Familie vorsteht. Die Anteile sind zwischen Familienmitgliedern beider Generationen aufgeteilt. Obwohl die Anzahl der Anteilseigner bei durchschnittlich 5,1 liegt, folgen alle dem führenden Familienmitglied, ohne die mit dem Eigentum verbundenen Rechte einzufordern, die ihnen zustehen. In der Folgegeneration steigt der durchschnittliche Aktionärsanteil um 78 % auf 9,1. 60 Zur Erstellung dieser Kurve wurde die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Familienunterneh-

mensmodelle im Zusammenhang mit dem Alter des Unternehmens in Bezug auf Zeiträume von jeweils zehn Jahren berechnet. So zeigt die Abbildung, dass ungefähr 45 % der untersuchten Unternehmen, die jünger als zehn Jahre sind, zum Modell Kapitän gehören. Die Kurve entspricht der polynomischen Trendlinie zweiten Grades der durchschnittlichen Auftretenshäufigkeit des betreffenden Modells, in diesem Fall Kapitän.

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3 Modelle von Familienunternehmen

Der Strukturentwicklungsgrad ist dem des Modells Kapitän sehr ähnlich, was bedeutet, dass beide Unternehmenstypen ähnlich geführt werden. Erfolg oder Misserfolg des Familienunternehmens hängen hauptsächlich von den Fähigkeiten einer durchsetzungsstarken Person mit einer hohen »managerial discretion«61 ab. Hieraus erklärt sich der Name Kapitän für eine Person, die eine einfache Einheit leitet, und Patriarch für jemanden, der Einfluss auf komplexere soziale Systeme hat. Wie Abbildung 34 zeigt, wird das Modell Patriarch im Laufe der Zeit aufgebaut. Das Vorkommen ist zunächst sehr gering, steigt in den ersten 40 Jahren des Unternehmens stark an und verringert sich dann wieder drastisch.

Abbildung 34: Lebenszyklus des Modells Patriarch (FBK-Database, 2007)

Das heißt, es handelt sich um ein Erfolgsmodell für den Zeitraum einer Generation. In der zweiten Generation sinkt die Häufigkeit auf das Ausgangsniveau ab. Der Komplexitätsunterschied zwischen den Modellen Kapitän und Patriarch gründet vor allem auf zwei Faktoren: Zeit und Ressourcen des Familienoberhaupts. Im Laufe der Zeit steigt die Komplexität der Familie. Nach durchschnittlich 13 Jahren, später als beim Modell Kapitän, erhöht sich die Komplexität der 61 Unter »managerial discretion« versteht man den Entscheidungsspielraum eines Geschäftsführers,

über den er ohne die Autorisierung einer höheren Instanz verfügen kann. Im Modell Kapitän oder Patriarch existiert keine höhere Ebene, da der Institutionalisierungsgrad sehr gering ist und es entweder keine Verwaltungsräte gibt oder sie nicht handlungsfähig sind. Der Begriff wurde von Williamson erstmalig verwendet – Williamson, O. E. (1964). The Economics of Discretionary Behaviour: Managerial Objectives in a Theory of the Firm. New Jersey: Prentice Hall –, als er von der Fähigkeit der Geschäftsführer sprach, sich anderen Vorhaben als dem Erzielen von Gewinnen zu widmen.

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Das Modell Familienteam

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Familie beim Modell Patriarch ebenfalls. Gleichzeitig steigt die Komplexität des Unternehmens, da Wachstum nicht nur Zeit benötigt, sondern vor allem auch vom unternehmerischen Können der führenden Person abhängt. Von Durchschnittswerten ausgehend kann man sagen, dass der Patriarch kompetenter in der Unternehmensführung ist und wachstumsorientierter handelt als der Kapitän.62

Das Modell Familienteam In diesem Familienunternehmenstyp ist ein Umstand zu beobachten, der in keinem anderen Modell zu verzeichnen ist, nämlich dass die Komplexität der Familie höher ist als die Komplexität des Unternehmens. Die Durchschnittsanzahl der Anteilseigner ist mit 6,5 relativ hoch. Die Unordnung, die durch die Komplexität der Familie im Unternehmen verursacht werden kann, ist zunächst begrenzt, da die Aufnahme der Familienmitglieder in das Unternehmen beschränkt ist. Es arbeiten lediglich 36 % der Eigentümer im Unternehmen. Diese Beschränkung entsteht bis zu einem gewissen Punkt spontan, da die geringe Größe des Unternehmens Grund für das geringe Interesse vieler Familienmitglieder ist, die ihre berufliche Entwicklung außerhalb des Unternehmens sehen. Für die Unterscheidung zwischen Eigentum und Unternehmensführung, die diesem Modell innewohnt, ist eine Strukturentwicklung vonnöten, die in diesem Modell soweit wie möglich ausgeschöpft wird. Daher liegt der Strukturentwicklungsgrad zwischen der Modellgruppe Kapitän–Patriarch und der Modellgruppe Professionelle Familie–Körperschaft. Bezüglich der auf eine Person bezogenen Unternehmen (Modellgruppe Kapitän–Patriarch) existiert eine ausgewogenere Machtverteilung (höherer Institutionalisierungsgrad) sowie eine klarere Differenzierung von Familie und Unternehmen, wodurch ein Großteil der Anteilseigner von der Unternehmensführung ferngehalten werden kann. Durch die Komplexität der Familie ist die Kommunikationsebene besser ausgebaut. In der Zukunft wird die Komplexität der Familie weiter ansteigen. In der Folgegeneration wird die durchschnittliche Anzahl an Anteilseignern um 48 % auf 9,5 steigen. Dadurch wird dieses Modell gefährdet, da die gegenwärtige Struk62 Auch externe Faktoren (Wirtschaftszweig, Positionierung in der Wertschöpfungskette etc.) haben einen Einfluss. Da sie außerhalb des Unternehmens angesiedelt sind, werden sie jedoch in dieser Analyse nicht berücksichtigt. Die Familie ist eine unternehmensinterne Bedingung (Eigentümerstruktur), deshalb beziehen sich die Modelle nur auf interne Faktoren.

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3 Modelle von Familienunternehmen

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tur diese Komplexität nur schwer auffangen kann. Eine mögliche Lösung wäre die strukturelle Weiterentwicklung, doch möglicherweise würden dadurch zu viele Ressourcen verbraucht, die es in diesem Modell unter Umständen nicht gibt, wie Zeit der Führungskräfte, finanzielle Ressourcen für Beratung oder dafür zuständige Organe. Daher gibt es für dieses Modell vor allem zwei Möglichkeiten, um das Unternehmen nicht zu stark zu gefährden. Einerseits kann das Wachstum gefördert werden, um die Möglichkeit zu schaffen, die Struktur mit geeigneten Maßen auszubauen. Andererseits kann die Komplexität der Familie verringert werden, indem man die Anzahl der Anteilseigner verringert. In der Kurve des Lebenszyklus dieses Modells (s. Abb. 35) wird gezeigt, dass es sich in den ersten 30 Jahren um ein Modell mit negativem Wachstum handelt, bei dem später ein Stabilisierungsprozess eintritt und das mit einem leichten Wachstum abschließt.

Abbildung 35: Lebenszyklus des Modells Familienteam (FBK-Database, 2007)

Das Modell Professionelle Familie Das Modell Professionelle Familie weist ein Komplexitätsprofil auf, das genau dem Gegenteil des Familienteams entspricht. Die Komplexität des Unternehmens ist deutlich höher als die Komplexität der Familie. Diese Unternehmen haben einen starken Wachstums- und Entwicklungsgrad vorzuweisen und liegen mit dem Durchschnittskomplexitätsniveau des Unternehmens praktisch bei dem des Modells Patriarch.

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Das Modell Professionelle Familie

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Der große Unterschied zum Modell Patriarch liegt in der Unternehmensführung. Die Struktur beider Modelle unterscheidet sich sehr stark voneinander. Wachstum und Entwicklung sind nicht nur auf eine kompetente Führungsperson zurückzuführen, sondern auch auf sehr gut entwickelte Strukturen des Familienunternehmens. Schon in der ersten Generation entschied man sich für ein weniger personenbezogenes Modell. Die Familie wird stark in die Unternehmensführung einbezogen. Dieses Modell weist mit durchschnittlich 3,0 die höchste Anzahl an Familienmitgliedern in Führungspositionen auf. Diese Familienmitglieder verhalten sich allerdings durch die Differenzierung in der Beziehungsstruktur von Familie und Unternehmen professionell. Die Familie ist geschäftsführend. Ihre Hauptaufgabe ist die Führung des Unternehmens, wobei Management und allgemeine Organisationsstruktur weit entwickelt sind. Abbildung 36 zeigt, dass das Vorkommen dieses Unternehmensmodells in den ersten zehn Lebensjahren eines Unternehmens leicht ansteigt, dann über längere Zeit stabil bleibt und später 40 Jahre lang abnimmt.

Abbildung 36: Lebenszyklus des Modells Professionelle Familie (FBK-Database, 2007)

Der geringe Anteil an Unternehmen, die mit diesem Modell beginnen, weist darauf hin, dass es sich nicht um das zweckmäßigste Modell für die Gründungsphase handelt. Im Vergleich mit den anderen Abbildungen ist zu erkennen, dass die Modelle Kapitän und Patriarch für den Beginn geeigneter sein können.

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3 Modelle von Familienunternehmen

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Sowohl Wissenschaftler als auch Berater sollten diesen Umstand bedenken, damit sie Familienunternehmen keine ungeeigneten Strukturen, die hinsichtlich ihres Komplexitätsprofils überdimensioniert sind, empfehlen. Ist die Gründungsphase überstanden, handelt es sich um ein Erfolgsmodell bis zu dem Moment, in dem der Komplexitätsanstieg von Familie und Unternehmen die Entwicklung zum Modell Körperschaft nahelegen.

Das Modell Körperschaft Das Körperschaftsunternehmen ist auf vielen Ebenen am weitesten entwickelt. Es weist das höchste Komplexitätsniveau in Bezug auf Familie und Unternehmen auf und wird mit durchschnittlich 61 Jahren am ältesten. Der Strukturentwicklungsgrad ist ebenfalls der höchste, auch wenn er nur knapp über dem des Modells Professionelle Familie liegt. Ein Beispiel für die hohe Komplexität der Familie sind die durchschnittlich 13 Anteilseigner. Trotzdem oder vielleicht deswegen weist dieses Modell die meisten Zugangsbeschränkungen für Familienmitglieder zur Führungsebene auf. In diesen Familienunternehmen konzentriert sich die Familie eher auf den Eigentumsaspekt als auf den Aspekt der Unternehmensführung. Familienmitglieder sind nur unter bestimmen Umständen auf höchster Führungsebene

Abbildung 37: Lebenszyklus des Modells Körperschaft (FBK-Database, 2007)

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Das Modell Familieninvestitionsgruppe (FIG)

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anzutreffen. Von Familienmitgliedern geleitete Unternehmen können leicht zu Unternehmen mit familienexternen Geschäftsführern werden. Sie werden in diesem Modell ebenfalls berücksichtigt. Der Erfolg, der diesem Modell im Hinblick auf die Dauer beschieden ist, ist nicht zu bestreiten, wie in Abbildung 37 deutlich zu sehen ist. Mit der Zeit wird es zum bestimmenden Modell, entweder dadurch, dass sich die anderen Modelle zu diesem hinentwickeln oder weil die anderen Modelle tendenziell verschwinden. Unserer Meinung nach ist es nicht notwendig, in diesem Zusammenhang konkrete Unternehmen zu nennen. Sicher kann jeder den einzelnen Modellen von Familienunternehmen, die wir beschrieben haben, ohne Weiteres Beispielunternehmen aus seiner Umgebung zuordnen.

Das Modell Familieninvestitionsgruppe (FIG) Dieses Modell wurde von uns ausschließlich auf qualitativer Basis entwickelt, sodass wir keine quantitativen Daten präsentieren können. Dieses Modell ist nur umzusetzen, wenn ein Finanzüberschuss erwirtschaftet wurde. Dieser Überschuss kann von einem laufenden Familienunternehmen, einem verkauften Unternehmen oder vom Eigentum vergangener Generationen stammen. FIG bedeutet, dass die Familie gemeinsam investiert, aber nicht für die Unternehmensführung zuständig ist. Entsprechend unterscheidet sich die Beziehung zwischen der Familie und ihren Investitionen von der zwischen Familie und Familienunternehmen im eigentlichen Sinne wie in den vorherigen Modellen dargestellt Für gewöhnlich entsteht eine FIG, wenn die Familie nicht die in diesem Kapitel beschriebenen Modelle durchlaufen konnte oder wollte und sich entschließt, das Unternehmen zu verkaufen. Daraus ergibt sich ein bedeutender Finanzüberschuss, den die Familie beschließt, gemeinsam zu verwalten. Doch die FIG entstehen nicht nur durch den Verkauf eines Unternehmens, sondern auch in komplexen und erfolgreichen Familienunternehmen, die noch aktiv sind. So erwirtschaften einige Familien mittlerer Komplexität viel mehr, als zur Befriedigung ihrer Konsum- und Investitionsbedürfnisse nötig ist, und sie beschließen, einen Teil dieses Finanzüberschusses umzuleiten und gemeinsame Investitions- und Vermögensaktivitäten zu entwickeln. Häufig verfügen erfolgreiche Unternehmen sowohl über ein operativ tätiges Unternehmen als auch über eine Investmentgesellschaft.

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3 Modelle von Familienunternehmen

Im letztgenannten Fall ginge es um eine Unternehmerfamilie, die sowohl über ein Familienunternehmen, das sie aktiv führt, als auch über eine FIG (Immobilien, Aktiva – also vor allem Anlage- und Umlaufvermögen –, Minderheitsbeteiligungen in anderen Unternehmen etc.) verfügt. Das Modell FIG unterscheidet sich hauptsächlich dadurch von anderen Modellen, dass es vor allem bei Investmentgesellschaften und nicht bei operativ tätigen Unternehmen vorkommt. Der Hauptunterschied in Bezug auf die Auswirkungen, die uns interessieren, ist, dass der Wert des operativen Geschäfts direkt mit der Qualität der Unternehmensführung verknüpft ist, sodass eine gute Unternehmensführung eine starke Wertsteigerung zum Ergebnis hat und eine schlechte Unternehmensführung einen deutlichen Wertverfall. Diese Auswirkung zeigt sich im Übrigen mit der Zeit immer deutlicher. Im Gegensatz dazu sind Wertschwankungen der Investmentgesellschaften eher mit der richtigen Auswahl der Investitionen verknüpft als mit ihrem Einfluss auf die Führung der Unternehmen, in die sie investieren. Ein Extrembeispiel hierzu: Besitzt eine Familie ein Gebäude in zentraler Lage in irgendeiner Stadt, hängt der Wert ihres Eigentums vor allem von externen Faktoren ab, nicht jedoch von ihrer Unternehmensführung. Das Gleiche gilt, wenn man über einen geringen prozentualen Anteil an einem Familienunternehmen verfügt und weder Teil eines Organs ist noch andere finanzieller Investitionen tätigt, da die Wertsteigerung nicht von der Unternehmensführung der FIG abhängt, sondern von der Fähigkeit anderer. In allen zuvor genannten Modellen war es von fundamentaler Bedeutung, dass die Familie unternehmerische Kompetenz und höchst funktionale Institutionen, vor allem Verwaltungsrat und Lenkungsausschuss, vorweisen kann. Bei der FIG hingegen besteht der Beitrag der Familie darin, eine geordnete, ihren Investitionsvorhaben angemessene Unternehmensführung zu ermöglichen. Die FIG dient eher dem Erhalt als der Gestaltung von Neuem. Häufig bieten FIG ihren Geschäftspartnern Dienstleistungen an, wie die Erstellung von Steuererklärungen, Buchführung über einzelne Aktivitäten und Versicherungen.

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Vergleichende Analyse der Modelle

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Vergleichende Analyse der Modelle Wie in Abbildung 38 gezeigt wird, neigt jedes Modell von Familienunternehmen dazu, sich in einem bestimmten Bereich des Komplexitätsprofils zu konzentrieren. 100

80

60

40

20

Kapitän Patriarch Familienteam Professionelle Familie Körperschaft

0 0

20

40

60

80

100

Abbildung 38: Komplexitätsverteilung der fünf Modelle

Vier Modelle gruppieren sich mit nur wenigen Überschneidungen in vier Bereichen: Kapitän, Familienteam, Professionelle Familie, Körperschaft. Von ihnen unterscheidet sich das Modell Patriarch, da es in einem zentralen Bereich liegt, der sich vor allem mit den Modellen Professionelle Familie und Körperschaft überschneidet. Wie in Abbildung 31 mit Hilfe der Strukturentwicklungssäulen gezeigt wird, können die fünf Modelle strukturell in drei Gruppen unterteilt werden. In die erste Gruppe gehören Familienunternehmensmodelle, deren Struktur nur schwach entwickelt ist. Das sind Modelle, bei denen eine konkrete Person Anweisungen gibt (Kapitän, Patriarch). Der zweiten Gruppe mit einer mittleren Strukturentwicklung wird das Modell Familienteam zugeordnet. In die dritte Gruppe gehören die Modelle mit einer ähnlich weiterentwickelten Struktur (Professionelle Familie und Körperschaft), auch wenn beide aus struktureller Sicht unterschiedlich sind, wie Abbildung 30 zeigt. Gemeinsam ist beiden, dass sie eine differenziertere Struktur aufweisen, nur dass in einem Fall das Unternehmen von einer geschäftsführenden Familie geleitet wird und im anderen von einer Eigentümerfamilie.

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3 Modelle von Familienunternehmen

Mentale Modelle und Struktur63: Der Einfluss des Denkens auf das Handeln Die Analyse der einzelnen Modelle von Familienunternehmen wirft die Frage nach den Gründen für ihre Verschiedenheit auf. Einer der Gründe wurde bereits vorgestellt: das Komplexitätsprofil. Aufgrund der Komplexität der Familie und des Unternehmens müssen geeignete Ordnungsstrukturen geschaffen werden. Das kann nun aber nicht die einzige Begründung und in bestimmten Fällen auch nicht die hauptsächliche sein. Wie in Abbildung 39 zu den Komplexitäts-

Abbildung 39: Komplexitätsbereiche der Modelle von Familienunternehmen (eigene Quelle)

bereichen gezeigt wird, können ähnlich komplexe Unternehmen unterschiedlichen Modellen zugeordnet werden. Bei den Modellen Kapitän und Patriarch weichen die Komplexitätsprofile stark voneinander ab, sie verfügen aber über sehr ähnliche Strukturen. 63 Diese Unterscheidung findet sich auch in der Philosophie (Epistemologie), der Soziologie (Konstruktivismus), der Sprachwissenschaft und den Kognitionswissenschaften. Als weiterführende Lektüre empfehlen wir: Ortega y Gasset, J. (1986). Ideas y creencias. Revista de Occidente. Madrid: Alianza Editorial.

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Mentale Modelle und Struktur: Der Einfluss des Denkens auf das Handeln

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Demgegenüber weisen die Modelle Professionelle Familie und Körperschaft sehr ähnliche Strukturen auf, sie zeigen aber verschiedene Komplexitätsprofile, mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Familie in dem einen Modell ihren Schwerpunkt auf die Geschäftsführung legt und in dem anderen auf das Eigentum. Die zweite Begründung neben der Komplexität hängt mit der Wahrnehmung der Umwelt und dem daraus resultierenden Handeln zusammen. Diese Perspektive gründet sich in der Annahme, dass das Verhalten nicht Ergebnis der Umstände ist, sondern sich aus der Interpretation dieser Umstände ergibt. Das heißt, dass das Denken das Handeln beeinflusst. Denken

Handeln

Abbildung 40: Einfluss des Denkens auf das Handeln

Wenn ein Schüler zum Beispiel eine Prüfung nicht besteht, macht es einen großen Unterschied, ob er denkt, dass der Lehrer ihn nicht mag oder dass die anderen Schüler mehr gelernt haben. Wenn er das Nichtbestehen nicht mit seinem »Handeln«, sondern mit dem »Handeln anderer« (Lehrer) in Verbindung bringt, dann wird er nicht daran denken, seines Lernverhalten zu ändern, sondern daran, sein Auftreten dem Lehrer gegenüber zu verändern, damit dieser ihn beim nächsten Mal besser bewertet und ein erneuter Rückschlag vermieden wird. Das bedeutet, dass sein »Handeln« auf die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit ausgerichtet ist, um damit das »Handeln des Lehrers« positiv beeinflussen zu können. Wenn er hingegen sein mangelhaftes Lernverhalten als Ursache für das Nichtbestehen sieht, wird sein »Handeln« auf intensiveres Lernen ausgerichtet sein. Die Art und Weise, wie man an das Unternehmen herangeht, welche Ziele man vor Augen, welche Vorstellungen man von seiner Entwicklung hat, spiegeln sich in den Eigenschaften des Unternehmens wider.

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3 Modelle von Familienunternehmen

Die Modelle Kapitän und Patriarch (personenbezogene Modelle) Beide Familienunternehmensmodelle folgen demselben mentalen Modell, daher werden sie, obwohl es sich um so unterschiedliche Unternehmen handelt, gleich geführt. Dieses mentale Modell stützt sich auf zwei Hauptgedanken: Das Familienunternehmen wird durch eine einzelne Person verkörpert. In diesem mentalen Modell stellt das Unternehmen den verlängerten Arm der Führungsperson dar, die einzig nach eigenem Ermessen handelt. Eigentum und Unternehmensführung sind nicht voneinander zu trennen. In diesem mentalen Modell erhält das Unternehmen seinen Wert durch den Geschäftsführer. Das Eigentum ist relativ nebensächlich. Deshalb müssen die Eigentümer das Unternehmen führen. Eine Trennung von Eigentum und Unternehmensführung ergibt keinen Sinn. In der Umsetzung sieht dieses mentale Modell so aus: Die Struktur ist auf den Patriarchen ausgerichtet. Das dominierende Familienmitglied, in der Regel der Unternehmensgründer, sorgt für Ordnung in Unternehmen und Familie. Die Struktur ist nur so weit entwickelt, wie es der Patriarch oder das dominierende Familienmitglied wünscht. Das Unternehmen hängt stark vom Patriarchen, seinen Eigenschaften, Motivationen und seiner Vitalität ab. Der Vitalitätsverlust des Patriarchen führt zum Vitalitätsverlust des Unternehmens. Der Institutionalisierungsgrad ist sehr niedrig, da ein Organ, das dem Unternehmer in seinem eigenen Unternehmen Vorschriften macht (Verwaltungsrat), keinen Sinn ergäbe. Ein Familienrat ist ebenso wenig sinnvoll. Häufiger begegnet man dem Instrument der Familienverfassung, da es dem Patriarchen die Institutionalisierung »seiner« Normen ermöglicht. Das Verhältnis von Familie und Unternehmen ist auf die Arbeit konzentriert. Themen der Familie sind: Wer arbeitet, wer nicht und welche Vergütung erhält er? Die Eigentumskomponente spielt praktisch keine Rolle. Managementmethoden sind nicht besonders stark ausgeprägt. Das Unternehmen steht auf der unternehmerischen Entwicklungsstufe, die von der hohen »managerial discretion« zugelassen wird. Die Qualität der Unternehmensführung hängt somit von den Ressourcen und Kompetenzen des Unternehmers ab. Die Kommunikation ist in Bezug auf das Diversity Management für gewöhnlich nicht besonders ausgeprägt, da der Unternehmer komplementär64 an die 64 Zu komplementären und symmetrischen Beziehungs- und Kommunikationsformen siehe Abschnitt »Diversity Management« (S. 179).

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Mentale Modelle und Struktur: Der Einfluss des Denkens auf das Handeln

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anderen herantritt. Entsprechend existieren keine Unterschiede, da der Führungsstil des Unternehmers dies verhindert. Die Nachfolge kann juristisch und finanziell mehr oder weniger vorbereitet sein, aber hinsichtlich der Unternehmensführung ist sie durch die starke Abhängigkeit des Unternehmens vom Unternehmer problematisch. Wird dieser älter, überträgt sich seine Schwäche in der Regel auf das Unternehmen. Im Fall des Patriarchen führt die fehlende Struktur dazu, dass das Alter des Unternehmers einen außergewöhnlichen Faktor für das strukturelle Risiko darstellt. In der Nachfolgeplanung wird angestrebt, den Unternehmer durch eines oder mehrere seiner Kinder zu ersetzen, die sich wie eine Person verhalten. Wie bereits erwähnt, kann das Modell Patriarch nicht durch dasselbe Modell ersetzt werden. Das erscheint einem externen Beobachter zwar selbstverständlich, nicht aber dem Patriarchen, da sein Modell ihn daran hindert, andere Modelle in Betracht zu ziehen und sich der Grenzen bewusst zu werden, die seine Schwächung oder sein Tod mit sich bringen.65

Das Modell Familienteam Beispiele für dieses Modell könnten das Geschäft einer Familie – zum Beispiel ein Hotel oder ein Schreibbüro – sein. Dieses mentale Modell stützt sich auf folgende Gedanken: • Das Unternehmen steht im Dienste der Familie. Das Unternehmen ist ein Arbeitsplatz für Familienmitglieder mit dem Ziel, den Familienmitgliedern eine berufliche Stellung und finanzielle Sicherheit zu bieten. • Der »Wert« des Unternehmens besteht darin, in ihm zu arbeiten, daher sind alle dazu eingeladen, dies zu tun. Dies nicht zu tun, bedeutet, kein Interesse an dem Familienunternehmen zu haben und daher auch kein Einkommen durch das Unternehmen zu beziehen. Dadurch, dass das Unternehmen nicht nur von einer Führungsperson abhängt, wie es bei den personenbezogenen Modellen der Fall ist, sondern die gesamte Familie involviert ist, ist der Grad der Institutionalisierung weit entwickelt.

65 In der Geschichte gibt es unzählige Beispiele für das Scheitern von Herrschern, die keine Strukturen

entwickelt haben, aber über ihren Tod hinaus in Erinnerung blieben. Alexander der Große ist wahrscheinlich das bekannteste. Rom ist ein Gegenbeispiel. Dort gab es fähige Machthaber, Konsule und Kaiser, aber auch ausgebaute politische Strukturen (Senat, Rechts- und Kommunikationssystem), die in der Lage waren, dem Reich über lange Zeit Stabilität zu verleihen.

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3 Modelle von Familienunternehmen

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Demgegenüber wird zwischen Familie und Unternehmen genauso wie in den zuvor beschriebenen Modellen kaum differenziert, da das Unternehmen im Dienste der Familie steht. Durch diese fehlende Differenzierung ist die Unternehmensführung weniger professionalisiert und die Struktur der Informations- und Wissensmanagement gering ausgeprägt. In gewisser Weise herrscht das Prinzip »Wir erledigen alles gemeinsam«. Die Kommunikation dagegen funktioniert sehr gut und erreicht nahezu das Niveau der Professionellen Familie und der Körperschaft. Einer der Gründe, weshalb die Familie das Unternehmen noch nicht erstickt hat, ist ihre Fähigkeit zur Kommunikation. Gleichwohl ist die Kommunikation nicht sehr differenziert. Da die Entscheidungsgewalt bei der Familie liegt, bedarf es nur relativ einfacher familiärer Vereinbarungen, auch wenn der geringe Grad der Strukturierung des Unternehmens für die spätere Entwicklung nicht von Vorteil ist. Bei der Nachfolgeplanung ist ein mittleres Entwicklungsniveau zu verzeichnen. Die gute Kommunikationsfähigkeit ermöglicht auch das Behandeln schwieriger Themen. Dadurch, dass die Familie Priorität hat, wird mit Familienmitgliedern, die ersetzt werden sollen, verständnisvoll umgegangen, sodass ihre Ablösung sie nicht mit voller Härte trifft. Zu diesem Merkmal passt auch, dass das Modell »Familienteam« durch einen niedrigen Entwicklungsgrad gekennzeichnet ist und das Unternehmen über eine geringe Regenerierungsfähigkeit verfügt.

Das Modell Professionelle Familie Das Modell Professionelle Familie bricht mit dem Konzept der familiären Gleichheit. Das bedeutet, dass der Umgang der Familienmitglieder untereinander nicht ihrer Familienhierarchie entspricht. Vertreter einer Generation werden nicht unbedingt alle immer gleich behandelt, sondern es werden Unterschiede gemacht. Die Familie erkennt an, dass sich ihre Mitglieder unter anderem im Kompetenzprofil, in ihren Interessen und im Lebensstil unterscheiden. Die Familie akzeptiert Unterschiede, ohne dass einer mehr oder weniger angesehen ist als der andere. Die Vielseitigkeit jeder Person wird anerkannt, sodass die Stärken jedes Einzelnen genutzt werden können. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses mentalen Modells, das im Zusammenhang mit dem vorherigen steht, ist die Differenzierung von Person und Rolle. Das bedeutet, dass niemand per se Direktor ist, sondern die Funktion des Direktors hat. Eine Person kann verschiedene Aufgaben im Familienunter-

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Mentale Modelle und Struktur: Der Einfluss des Denkens auf das Handeln

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nehmen übernehmen, also verschiedene Rollen ausfüllen. So übernimmt ein Familienmitglied je nach Funktion – zum Beispiel Direktor, Verwaltungsratsmitglied oder Familienratsmitglied – jeweils eine andere Rolle. Die Differenzierung von Personen und Rollen geht mit der Abkehr vom Gleichheitsprinzip einher. Die Familienmitglieder können akzeptieren, dass sich das Verhältnis zwischen ihnen je nach Rolle, die sie aktuell einnehmen, ändert.Als Eigentümer können sie sich beispielsweise auf gleicher Ebene begegnen, in der Unternehmensführung hingegen auf hierarchisch unterschiedlichen Ebenen. Innerhalb dieses mentalen Modells hat die Familie die Fähigkeit entwickelt, sich selbst Grenzen zu setzen, da sie sich des größeren Fortschritts bewusst ist, den das Unternehmen auf diese Weise erfahren kann. Diese Grenzen verhindern nicht, dass sich die Familie als geschäftsführende Familie versteht, also als eine Familie, die in der Lage sein sollte, dem Unternehmen einen hoch qualifizierten, professionellen leitenden Geschäftsführer zur Verfügung zu stellen. Die Differenzierung von Familie und Unternehmen ist stark ausgeprägt. Das gilt auch für den Bereich der Arbeit im Unternehmen. Bei der Vergabe von Führungspositionen, Beförderungen und der Vergütung werden Professionalitätskriterien und ein hohes Anforderungsniveau zu Grunde gelegt. Die angewendeten Managementmethoden sind im Modell Professionelle Familie stärker ausgebaut als bei den zuvor dargestellten, sowohl in Bezug auf die tatsächlich eingesetzen Methoden als auch hinsichtlich Informationsvielfalt und Wissensstand hierzu allgemein. Es ist interessant zu beobachten, dass trotz sehr großer Unterschiede zu den Führungsmethoden des Patriarchen das Komplexitätsniveau beider Modelle sehr ähnlich ist. Die Kommunikationsstruktur ist ebenfalls weiter entwickelt als in den bisher beschriebenen Modellen, obwohl die Komplexität der Familie deutlich geringer ist als bei den Modellen Patriarch und Familienteam. Das Modell ermöglicht einen klaren und respektvollen Austausch zwischen den Beteiligten zu allen Themen. Die Nachfolgeplanung ist ebenfalls vorbildlich. Es werden nicht nur die grundlegenden Aspekte der Nachfolge wie Teilhabe, das Testament oder steuerliche Fragen berücksichtigt, sondern auch »weichere« Aspekte wie zum Beispiel die Kompetenzprofile der Familienmitglieder und vorhandene unternehmerische Fähigkeiten.

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3 Modelle von Familienunternehmen

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Das Modell Körperschaft Das Modell Körperschaft ist das einer Eigentümerfamilie in Abgrenzung zum Modell Professionelle Familie, die sich als geschäftsführende Familie betrachtet. Das bedeutet, dass sich die Familie selbst für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich fühlt, ohne dass ein Familienmitglied zwangsläufig leitender Geschäftsführer des Unternehmens sein muss. Der leitende Geschäftsführer versteht sich als »Angestellter«, unabhängig von seiner Familienzugehörigkeit, ist also der- oder diejenige, der von den Eigentümern engagiert wird, um das Unternehmen in die von der Familie gewünschte Richtung zu führen. Die Familie muss also nicht unbedingt das Unternehmen führen, aber sie trägt die Verantwortung für die gute Unternehmensführung. Entsprechend sind die Anforderungen an die Geschäftsführung hoch. In diesem mentalen Modell ist es nicht verwerflich, ein Familienmitglied in der Geschäftsführung zu ersetzen, wenn sein Engagement zu wünschen übrig lässt. Dieses mentale Modell setzt der strukturellen Entwicklung keine Grenzen. Das heißt, eine Familie des Typs Körperschaft kann die Strukturentwicklung soweit wie nötig und möglich voranbringen, ohne dass ihr dabei die Denkweise der Familie im Weg steht. Grenzen liegen in den Fähigkeiten der Familie und sind nicht durch das Modell bedingt. Die Struktur ähnelt der des Modells Professionelle Familie. Der Institutionalisierungsgrad ist dementsprechend hoch. Die Körperschaft ist auf allen Ebenen etwas weiter entwickelt als das Modell Professionelle Familie. Trotz allem ist die Institutionalisierung auf den Ebenen der Geschäftsführung (Lenkungsausschuss) und der Governance (Verwaltungsrat) weiter fortgeschritten als auf der Ebene der Eigentümerfamilie (Familienrat), was bedingt ist durch das geringere Know-how zur Funktionsweise eines solchen Organs. Eine Differenzierung von Familie und Unternehmen findet auf allen Ebenen statt, fällt aber besonders bei der Anerkennung des Eigentums ins Gewicht. Innerhalb dieser Struktur verfügen Eigentümer über höchste Autorität, auch wenn sie einen besser funktionierenden Familienrat bräuchten, um diese Autorität umfassender auszuüben. Managementmethoden und Kommunikationsstruktur sind weit entwickelt, auch wenn der Kommunikationsschwerpunkt eher auf der Festlegung von Regeln als auf dem Diversity Management liegt. Was die Nachfolgeplanung betrifft, zeigt sich das Modell ebenfalls fortgeschrittlich. Nur in Bezug auf die Unternehmerkompetenz ist sie weniger ausgereift als beim Modell Professionelle Familie. Es scheint, als ob die Distanz

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Mentale Modelle und Struktur: Der Einfluss des Denkens auf das Handeln

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der Familie zur Unternehmensführung eine gewisse Schwierigkeit bezüglich der Übertragung des Unternehmergeistes mit sich bringt.

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Das Führen von Familienunternehmen

Dieses Kapitel soll helfen, Klarheit über die zukünftige Strategie des eigenen Familienunternehmens zu gewinnen. Dabei geht es natürlich um die Frage, ob man das Gegenwärtige beibehält oder ein geeigneteres Modell anstrebt. Soll ein Modellwechsel vorgenommen werden, empfehlen wir einen Strategiewechsel.

mentales Modell

Complejidad Komplexität de la Familia der Familie

+

Complejidad Komplexität de la des Empresa Unternehmens

-

Strukturentwicklung

strukturelles Risiko

Abbildung 41: Einfluss des mentalen Modells auf die Struktur

Unserer Formel zufolge liegt das Ziel der Unternehmensführung darin, das strukturelle Risiko so gering wie möglich zu halten. Daran sind Entscheidungen bezüglich der Komplexität der Familie, der Komplexität des Unternehmens und der strukturellen Entwicklung auf allen Ebenen gebunden. Im vorangegangenen Kapitel wurde der Einfluss des jeweiligen mentalen Modells auf die Entwicklung des Familienunternehmens gezeigt. Wichtig ist also, dass sich die Geschäftsführung des Familienunternehmens ihres mentalen Modells bewusst wird.

Problemdefinition: Mentales Modell versus Strukturmodell Die Kenntnis vom Einfluss des mentalen Modells auf die Strukturentwicklung, der in den einzelnen Modellen von Familienunternehmen zu erkennen ist, ist sowohl für die Unternehmerfamilie als auch für ihre professionellen Berater nützlich.

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4 Das Führen von Familienunternehmen

Wenn wir den Gedanken der Hauptschwerpunktsetzung für alle Modelle von Familienunternehmen aufgreifen, können wir zwei verschiedene Aufgaben erkennen: • Strukturentwicklung und/oder • Veränderung des mentalen Modells. So liegt beispielsweise die Aufgabe des Kapitäns darin, das Unternehmensmodell fortzuführen. Dem steht das bestehende mentale Modell auch nicht im Wege, ganz im Gegenteil. Die Denkweise der Familie ist an das Unternehmensmodell gekoppelt. Für die Zukunft ist Struktur wichtig, das heißt die Fähigkeit, eine neue Führungsperson mit dem geeigneten Kompetenzprofil zu finden. Anders ist es beim Modell Patriarch, das nicht wiederholbar ist. Entsprechend muss in der Zukunft ein Modellwandel in Richtung Professionelle Familie oder Körperschaft stattfinden. Ein solcher Wandel ist selbstverständlich nicht nur mit Arbeit auf struktureller Ebene, sondern auch mit gedanklicher Entwicklungsfähigkeit verbunden. Das mentale Modell Patriarch lässt die Strukturentwicklung hin zu einem der beiden genannten Modelle nicht zu. Institutionalisierung, Differenzierung von Familie und Unternehmen, Professionalisierung der Managementmethoden, Ausbau der Kommunikation und der Kontinuität sind nicht mit diesem mentalen Modell vereinbar, das sich auf den Gedanken stützt, eine starke Führungsperson genüge, um das Unternehmen voranzubringen. Strukturentwicklung ist nur möglich, wenn das Projekt für die Familie sinnvoll ist. Wenn das mentale Modell der spanischen Redewendung »der Blick des Besitzers macht das Pferd dicker« entspricht, dann haben nur Bemühungen Erfolg, bei denen der »Blick des Besitzers« geschärft oder er »an das Pferd herangeführt« wird. Entsprechend müsste sich der Patriarch zunächst mental darum bemühen, Person und Rolle zu differenzieren und nicht mehr das Gleichheitsprinzip auf seine Kinder anzuwenden. Sollten diese Aspekte nicht in das mentale Modell der Familie aufgenommen werden, wird jeder Versuch, Strukturen auszubauen, scheitern. Im Fall des Familienteams liegt das Problem vor allem in der Struktur und nicht in der Denkweise. Die Bemühungen sollten darauf ausgerichtet sein, das Komplexitätsniveau der Familie zu verringern, damit am Ende das Unternehmen nicht von einer überdimensionalen Familie erstickt wird. Sollte hingegen eine Komplexitätsreduzierung möglich sein, wäre ein Modellwechsel nicht erforderlich und es würde genügen, eine strukturelle Lösung zu finden.

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Was bedeutet es, ein Familienunternehmen zu führen?

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Sollte die Professionelle Familie ihr Komplexitätsniveau nicht reduzieren, muss sie sich mit der Zeit von einer geschäftsführenden Familie zu einer Eigentümerfamilie entwickeln, also das Modell Körperschaft annehmen. Das zieht Veränderungen im mentalen Modell mit sich, impliziert es doch, dass der leitende Geschäftsführer und die anderen Führungskräfte »Angestellte« der Familie sind. Allein dieser Schritt ist durch die Familie zu vollziehen, um die Struktur bis an die Grenzen der Fähigkeiten der Familienmitglieder und familienexterner Angestellter zu entwickeln. Beim Modell Körperschaft hingegen, das vor allem die Kommunikationsebene ausbauen muss, ist keine Änderung im mentalen Modell erforderlich. Stattdessen müssen Abläufe, operative Prozesse sowie Kommunikationsfähigkeiten und -verhalten verbessert werden.

Was bedeutet es, ein Familienunternehmen zu führen? Ein Familienunternehmen zu führen bedeutet primär, die familialen Beziehungen innerhalb des Unternehmens sowie die Eigentumsstruktur zu gestalten. Bei einem börsennotierten Unternehmen heißt das mit Blick auf die Vermögensund Aktionärsstruktur auch zu informieren, die Medien im Blick zu behalten und den Kontakt zu Analysten und Hauptinvestoren zu pflegen. Nichtsdestotrotz unterscheidet sich der Umgang mit der Beziehungsstruktur zwischen Familie und Unternehmen von allen anderen Ebenen der Unternehmensführung, weil • die Privatsphäre der Beteiligten eine Rolle spielt, • soziale Kompetenzen von Bedeutung sind, • vergleichsweise längere Zeiträume zwischen dem Anstoß von Maßnahmen und Ergebnissen liegen, • Kenntnisse über die Besonderheiten von Familienunternehmen vorhanden sein müssen. Die Beschäftigung mit operativen und strategischen Aufgaben in einem Unternehmen bedeutet üblicherweise, nichts mit Aspekten zu tun zu haben, die sich auf einzelne Personen beziehen, geht es doch um Prozesse, Investitionen, Operationen, Bündnisse, Märkte und Kunden. Im Familienunternehmen hat man es hingegen sehr wohl mit privaten Angelegenheiten Einzelner zu tun, nämlich zum Beispiel mit Vorstellungen über ihre Zukunft, mit ihren Träumen, Erwartungen, Ängsten, Loyalitäten und Kränkungen.

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4 Das Führen von Familienunternehmen

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Für den Umgang mit derart privaten Themen ist eine hohe interpersonelle Kompetenz von Vorteil, um zu erkennen, wann welche Gefühlslagen im Spiel sind. Die Führung von Familienunternehmen impliziert einen steten Entwicklungsprozess in der Beziehungsstruktur von Familie und Unternehmen, erst recht, wenn ein Modellwechsel angestrebt wird. 60

55

Komplexität

50

45

40

35

30

25 10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

mehr als 100

Zeit (Jahre) Komplexität Familie (Durchschnitt FBK-Database) Komplexität Unternehmen (Durchschnitt FBK-Database) Komplexität Familie (Durchschnitt der mentalen Modelle) Komplexität Unternehmen (Durchschnitt der mentalen Modelle)

Abbildung 42: Komplexität Familie-Unternehmen: FBK-Database versus Durchschnitt der mentalen Modelle (eigene Quelle)66

Abbildung 42 zeigt, dass in einem Familienunternehmen tendenziell ein Komplexitätsanstieg zu verzeichnen ist, sowohl in der Familie (weiße Linie) als auch im Unternehmen (schwarze Linie). 66 Die durchgehenden weißen und schwarzen Linien stellen den Komplexitätsanstieg dar, der im Verlauf anhand der FBK-Database zu verzeichnet ist. Es ist zu beobachten, dass die Komplexität deutlich ansteigt. Die gestrichelten Linien stellen den Komplexitätsanstieg in Familie (weiß) und Unternehmen (schwarz) dar, der innerhalb der Modelle zu verzeichnen ist. Sie stellen den Komplexitätsanstieg dar, der zu verzeichnen wäre, wenn die Familienunternehmen ihr Modell nicht ändern würden. Dass der Komplexitätsanstieg in den Familienunternehmen höher ist als der innerhalb der Modelle, bedeutet, dass die Familienunternehmen im Laufe der Zeit ihr Modell verändern. Wenn dieser Modellwechsel nicht stattfände, hätte der Komplexitätsanstieg, den die FBK-Database anzeigt, nicht entstehen können.

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Unternehmensführung im Modell Kapitän

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Abbildung 42 zeigt auch, unter Bezugnahme auf alle Daten der FBKDatabase, dass der Komplexitätsanstieg von Familie und Unternehmen insgesamt jeweils den eines einzelnen Modells übertrifft. Es wird deutlich, dass Familienunternehmen im Laufe ihres Bestehens ihr ursprüngliches Modell zugunsten eines komplexeren Modells aufgeben. Familienunternehmen, die weiter bestehen, ändern mit dem Komplexitätsanstieg ihr mentales Modell und ihre Struktur. Dementsprechend sollte der Komplexitätsanstieg mit der Entwicklung eines geeigneteren Unternehmensmodells einhergehen. Die Führung eines Familienunternehmens kann dabei drei Hauptrichtungen einschlagen: • Strukturentwicklung innerhalb des bestehenden Modells, • Weiterentwicklung zu einem geeigneteren Modell, • Voraussetzungen für das Weiterbestehen des vorhandenen Modells schaffen (Beschränkung der Komplexität auf die Grenzen des Modells). Diese Erkenntnis ermöglicht es uns außerdem, das Scheitern von Familienunternehmen zu erklären, die versuchen, ein ihrem Komplexitätsniveau unangemessenes Modell beizubehalten.

Unternehmensführung im Modell Kapitän Beim Modell Kapitän sollte sich die Führung des Familienunternehmens zunächst nach seinen Haupteigenschaften richten, der geringen Komplexität von Familie und Unternehmen. Die Stabilität des Modells hängt von der Person des Kapitäns ab. Im Modell Kapitän sollten drei Leitlinien beachtet werden: • Aufbau einer professionellen Führung, die auf das Unternehmen abgestimmt ist, • Planung der Nachfolge, • verhindern, dass die Komplexität der Familie zunimmt.

Professionelle Unternehmensführung Professionelle Unternehmensführung ist kein Sperrgebiet für kleine Unternehmen. Man kann klein und professionell sein. In einem Unternehmen nach dem Modell Kapitän professionell zu sein, heißt:

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4 Das Führen von Familienunternehmen

Klare Strategie Ein klarer Strategieplan zeigt, dass das Unternehmen weiß, wie es in den Wettbewerb tritt, welche Merkmale es in den Augen der Kunden attraktiv machen. Es ist nötig, dass das Unternehmen die Augen in Bezug auf einen möglichen Fortschritt auf seinem Gebiet und neue Technologien offen hält. Es muss sich dabei nicht unbedingt um eine explizite oder gar verschriftlichte Strategie handeln. Viele Kapitäne verfügen über klare emergente Strategien67 , das heißt über solche, die nicht ausgesprochen werden, auch wenn sie im Kopf des Unternehmers bestehen. Wirtschaftlich-verwaltungstechnische Ordnung Die verschiedenen Aktivitäten des Unternehmens müssen im angemessenen finanziellen Rahmen stattfinden. Dafür muss es unter anderem eine zuverlässige Buchhaltung geben, es müssen die Produktionskosten berechnet, die Produktmarge und die Zielgruppe eingeschätzt werden. Die wirtschaftlich-verwaltungstechnische Ordnung verursacht keine Kosten, die ein Unternehmen nach dem Modell Kapitän nicht tragen könnte. Tatsächlich sind die Kosten viel höher, wenn es nicht über diese Ordnung verfügt. Die Verwendung von speziell für die Unternehmensführung entwickelter Software und die Qualität und der Umfang der Leistung professionellen Dienstleister in diesem Bereich erleichtern die Arbeit. Konsequentes, regelgeleitetes Vorgehen Professionalisieren bedeutet ebenfalls, sich über Tätigkeiten, die sich ständig wiederholen, Gedanken zu machen und so Routinen zu entwickeln, die Effizienz und Qualität der Arbeit steigern. Entsprechend sind Mitarbeiter des Kapitäns effektiver zu beteiligen. Kassentrennung von Familie und Unternehmen Professionalisierung bedeutet getrennte Kassen, das heißt genau zu wissen, wann Ausgaben von der Familie getragen werden müssen und wann vom Unternehmen. Dasselbe gilt für die Verwendung von Mitteln des Unternehmens. Kassentrennung bedeutet, dass die Familie nur per Gehalt und Dividenden Geld vom Unternehmen erhält.

67 Mintzberg hat sich brilliant zu diesem Thema geäußert. Vgl. Mintzberg, H. (1994). The Rise and Fall of Strategic Planning. New Jersey: Prentice Hall.

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Unternehmensführung im Modell Kapitän

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Nachfolgeplanung Der Kapitän muss sich um die Nachfolge kümmern. Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, muss er einen anderen Kapitän finden, um die Übergabe umsetzen zu können. Die Nachfolge anzutreten, setzt voraus, dass der- oder diejenige sich mit seiner Aufgabe identifiziert und Miteigentümer ist. Nur unter diesen Voraussetzungen kann das Unternehmen vorangebracht werden. Die Nachfolgeregelung in diesem Modell kann auch bedeuten, den Familienbaum im Hinblick auf die Beteiligung am Unternehmen zu beschneiden. Der Kapitän muss die Nachfolgeplanung so gestalten, dass das Unternehmen grundsätzlich unabhängiger von ihm wird. Im Prozess der Nachfolge müssen Personen vorbereitet werden, die über genügend Motivation verfügen, diese Führungsrolle zu übernehmen. Häufig setzen sich Kapitäne zu spät mit diesem Thema auseinander, was die Übergabe erschwert. Das Überleben eines Unternehmens hängt von seiner Entwicklungs- und Anpassungsfähigkeit an neue Situationen und neue Wettbewerbsverhältnisse ab. Kapitänsunternehmen sind sehr stark von ihrer Führungsperson abhängig, weshalb der Nachfolgekandidat auch über umfangreiche unternehmerische Qualitäten verfügen muss. Den Komplexitätsanstieg der Familie verhindern Die Weiterführung des Kapitänsunternehmens hängt vom Erhalt beziehungsweise der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ab. Im Kapitänsunternehmen ist der Kapitän eine der Hauptressourcen für die Wettbewerbsfähigkeit. Er verfügt in der Regel über umfangreiches Wissen, zahlreiche Geschäftsbeziehungen, Führungsqualitäten, Energie und genaue strategische Vorstellungen. Wie in Abbildung 43 zu sehen ist, führt die Stabilisierung des Geschäfts zu einem Komplexitätsanstieg innerhalb des Unternehmens (mehr Absatz, mehr Produkte, mehr Niederlassungen). Das kann mit einem Komplexitätsanstieg der Familie einhergehen. Die erreichte Stabilität des Geschäfts kann die Familie dazu motivieren, die Anzahl der Eigentümer zu erhöhen, wobei ein Teil der potentiellen Nachfolger nur noch die Rolle von Anteilseignern bekleiden wird, ohne zwangsläufig im Unternehmen zu arbeiten. Die Professionalisierung der Unternehmensführung und die Nachfolgeplanung haben positive Auswirkungen auf den Erhalt des Unternehmens, es kann dabei auch eine »zeitverzögerte Rückkopplung« entstehen.68 68 Eine zeitverzögerte Rückkopplung entsteht parallel zur positiven Entwicklung. So führt die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens dazu, dass die Löhne steigen, was sich wiederum negativ

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4 Das Führen von Familienunternehmen

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Eine weitere negative Auswirkung auf die Weiterführung des Unternehmens steht im Zusammenhang mit der Dimension Zeit. Die Zeit bringt eine Veränderung der Komplexität der Familie mit sich. Das Eigentum geht von ein oder zwei Vertretern der ersten Generation an eine höhere Anzahl an Vertretern der zweiten Generation über, ohne dass dabei die Schwächung berücksichtigt wird, die der Komplexitätsanstieg der Familie für das Unternehmen bedeutet. Entsprechend muss es der Kapitän zu verhindern wissen, dass der Lauf der Zeit oder kleine Fortschritte für das Unternehmen die Komplexität der Familie ansteigen lassen. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich das Modell Kapitän in der Unternehmensführung darauf konzentrieren muss, die Managementmethoden zu professionalisieren, die Nachfolge zu planen und zu verhindern, dass die Komplexität der Familie das Unternehmen erstickt.

Unternehmensführung

Nachfolge

+

Zeit

+

+ −

Alter des »Mannes an der Spitze«

+

Ressourcen und Kompetenzen + Konsolidierung des Geschäfts

+

Komplexität des Unternehmens

+

Komplexität der Familie

+

Fähigkeit zur Weiterführung

+ /−

externe Faktoren

Abbildung 43: Faktoren, die sich auf die Weiterführung des Modells Kapitän auswirken69

auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirkt. Vgl. Senge, P. M. (2008). Die fünfte Disziplin: Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. 69 Plus und Minus zeigen an, ob sich die Variable positiv oder negativ auf die andere auswirkt.

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Unternehmensführung im Modell Patriarch

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Unternehmensführung im Modell Patriarch Vorbereitung auf den Modellwechsel Unternehmensführung bedeutet im Modell Patriarch, das Unternehmen auf ein anderes Modell vorzubereiten. Der Patriarch hat die schwierige Aufgabe, sich von seinem Erfolgsmodell zu verabschieden und ein neues zu finden. Das Modell Patriarch ist nur sehr schwer wiederholbar. Der Patriarch ist eine einzigartige Persönlichkeit, die sich im Laufe der Zeit eine Vielzahl persönlicher Ressourcen und Kompetenzen zu eigen gemacht hat. Unternehmensstruktur und Führungsstil divergieren. Die Wiederholung des Modells durch das Ersetzen des alten Oberhaupts durch ein neues schlägt für gewöhnlich aus drei Gründen fehl: Es ist schwierig, einen neuen Patriarchen zu finden, der ähnliche Eigenschaften wie der alte hat. Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, dass dies möglich ist, könnte der neue Patriarch kaum ohne Konflikte mit dem alten auskommen. Zudem wäre das imperiale Gebaren des neuen Patriarchen für den Rest der Familie nur schwer zu ertragen. Entsprechend beinhaltet die Führung des patriarchischen Unternehmens die Aufgabe, den Modellwechsel vorzubereiten. Die größte Schwierigkeit liegt nicht in der Strukturgestaltung, sondern in der Veränderung des mentalen Modells, welches für den Wechsel nötig ist. Unternehmensführung im Modell Patriarch impliziert eine Entwicklung zum Modell Professionelle Familie oder zum Modell Körperschaft. Für die Folgen des notwendigen Wechsels ist es unerheblich, zu welchem der beiden Modelle gewechselt wird, da in beiden Fällen eine bedeutende qualitative Veränderung erforderlich ist: Fällig ist der Wechsel von einem auf eine Person bezogenen Modell zu einem, das interne Organisationsstrukturen in den Mittelpunkt stellt. Wie bereits erwähnt, ähneln sich das Modell Kapitän und das Modell Patriarch sowohl in Bezug auf ihr mentales Modell als auch auf die dahinter stehende Struktur, obwohl sie sich beide hinsichtlich der Komplexität stark voneinander unterscheiden. Der Patriarch erliegt häufig der Versuchung, die Nachfolge im Familienunternehmen wie der Kapitän zu verstehen, indem er das Modell wiederholt. Für den Kapitän ist diese Entscheidung an die Funktion gebunden. Das Ersetzen des Patriarchen durch einen neuen ist für gewöhnlich nicht möglich. Für den Patriarchen ist es empfehlenswert, sein Unternehmen in Richtung des Modells Professionelle Familie oder Körperschaft zu steuern.

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4 Das Führen von Familienunternehmen

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Der Versuchung zu widerstehen, das Modell zu wiederholen, ist für den Patriarchen die erste große Hürde. Es geht darum, das Unternehmen von ihm selbst unabhängiger zu machen. Das bedeutet, dass sich der Patriarch darüber bewusst werden muss, dass sein Modell mit ihm endet. Daher darf die Zukunft nicht von der Frage »Wer wird mich ersetzen?« geleitet werden, sondern von der Frage nach einer Strukturveränderung, durch die eine neue Unternehmensorganisation entstehen kann. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass dies in den meisten Fällen nicht geschieht, und dass Patriarchen häufig fälschlicherweise das Modell wiederholen möchten. Wenn sich der Patriarch dieses Problems bewusst wird, sollte er die Strukturveränderung strategisch angehen. Dabei sollte er einen Prozess anstreben, der so passgenau wie möglich die optimale Entwicklung anstößt, ohne Unordnung entstehen zu lassen, etwa indem das alte Modell endet, bevor das neue gefestigt ist.

Strukturveränderung Strukturveränderungen sind länger währende Prozesse. Ein Modellwechsel braucht seine Zeit, zehn Jahre sind hier ist nichts Ungewöhnliches. Versucht man diese Prozesse zu beschleunigen, so haben sie geringere Erfolgschancen, als wenn man ihnen genügend Zeit einräumen würde. Für den Modellwechsel sollten folgende Leitlinien beachtet werden: • allmähliches Institutionalisieren, • Konsens der Familie zur Trennung von Familie und Unternehmen, • Einbeziehung oder Ausbildung von Fachpersonal auf höchster Führungsebene, • Etablierung einer Generaldirektion und Übergang zum Verwaltungsratsvorstand, • ebenbürtige Behandlung der anderen Anteilseigner (symmetrische Kommunikation)70, • Unternehmungen in der Folgegeneration fördern. Allmähliches Institutionalisieren Der Institutionalisierungsprozess verläuft graduell. Die Institutionalisierung zeichnet sich nicht durch eine hohe Differenzierung der unterschiedlichen 70 Eine symmetrische Beziehung zeichnet sich nach Watzlawick, Beavin und Jackson dadurch aus, dass die Partner sich bemühen, Ungleichheiten untereinander zu minimieren. Mehr dazu im Abschnitt »Diversity Management« im Anhang (S. 179).

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Unternehmensführung im Modell Patriarch

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Governance-Kontexte aus, sondern durch die Qualität ihrer jeweiligen Funktionsweise. Der Patriarch muss drei große Governance-Kontexte schaffen: Familienrat, Verwaltungsrat, Lenkungsausschuss. Allein durch die Entstehung dieser Organe werden Veränderungen in den übrigen Strukturelementen bewirkt. Da der Patriarch nicht zwischen Eigentum und Unternehmensführung unterscheidet, kann ihm der Familienrat dabei behilflich sein. Der Familienrat ist zunächst in zweierlei Hinsicht nützlich. Einerseits ermöglicht er das Aufkommen sozialer Führungsstile71 , die den totalitären Führungsstil des Patriarchen ergänzen. Andererseits erleichtert er den Austausch von Informationen mit der Familie und die Entscheidungsfindung. Das bedeutet, gleichberechtigte Beziehungen72 zu schaffen, die der Patriarch nicht gewohnt ist. Als ersten Schritt zur Entwicklung des Familienrats beginnt der Patriarch, den Informationsfluss zu verbessern und sich über Entscheidungen mit anderen auszutauschen. Auch der Verwaltungsrat sollte eine wichtige Rolle spielen. Bei der Gründung eines Verwaltungsrats darf sich der Patriarch nicht um dessen Funktionalität sorgen, da der Aufwand, den die Gründung mit sich bringt, groß genug ist. Die Gründung des Verwaltungsrats bedeutet für den Patriarchen die Aufgabe seiner absoluten Entscheidungsgewalt. Daher sollte der Patriarch Personen in den Verwaltungsrat aufnehmen, die er respektiert und bei denen er ein gutes Gefühl hat. In der ersten Phase sollte der Verwaltungsrat informieren, seine Entscheidungen und Pläne im Voraus erklären und mit Überlegungen und Kommentaren unterstützend eingreifen. Durch diesen Prozess wird die allmähliche Trennung von Management und Governance erleichtert, die für den Patriarchen bis dahin nicht bestand. Der zweite wichtige Beitrag dieses trotz zunächst geringer Funktionalität wichtigen Organs besteht darin, Prozesse anzuregen, bei denen zum einen die Strategie des Unternehmens allen Interessengruppen systematisch vorgestellt und erläutert wird und zum anderen die angewendeten Managementmethoden kontinuierlich professionalisiert werden. Besteht kein Lenkungsausschuss, sollte ihn der Patriarch ins Leben rufen. Gibt es ein solches Organ bereits, sollte dessen Aufgabenbereich deutlich erweitert werden. 71 Jaume Filella unterscheidet drei Führungsstile: den effektiven, den sozialen und den mentalen, je

nachdem, ob es sich um eine Orientierung an der Problemlösung, Zusammenhalt der Personen oder Zukunftsplanung handelt. Vgl. Filella, J. (2001). Influencia, poder y liderazgo. Documento de investigación. Barcelona: ESADE. 72 Siehe Abschnitt »Diversity Management« im Anhang (S. 179).

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Der Lenkungsausschuss ist das Hauptinstrument zur Entwicklung einer Generaldirektion in seiner Mitte. Patriarchen umgeben sich in der Regel mit Führungskräften, die zwar qualifiziert, aber nicht an Teamarbeit gewöhnt sind, da sie häufig eher dem Patriarchen zuarbeiten als selbstständig zu arbeiten. Der Lenkungsausschuss sollte versuchen, einen leitenden Geschäftsführer unter den Führungspersonen zu bestimmen, welche eventuell mehr auf ihre Aufgaben oder ihren Geschäftsbereich konzentriert sind. Mit einem hoch funktionalen Lenkungsausschuss kann sich der Patriarch in der Zukunft allmählich aus der Generaldirektion zurückziehen oder Exekutivvorstand seiner Unternehmensgruppe werden. In Abbildung 44 wird der Entwicklungsprozess der Institutionenstruktur gezeigt, wenn der Modellwechsel auf Initiative des Patriarchen durchgeführt wird. Ausgangspunkt: Institutionelle Entwicklung des Modells Patriarch

Phase 1: Schaffung von Organen, Entwicklung des Exekutivkomitees

Consejo Familienrat de Familia

Verwaltungsrat

Lenkungsausschuss Comité de Direcci ón

Phase 2: Der Patriarch verlässt den Vorstand

Familienrat Consejo de Familia

Phase 3: Aufgabe des Modells Patriarch

Familienrat Consejo de Familia

Verwaltungsrat

Verwaltungsrat

Lenkungsausschuss

Lenkungsausschuss

Abbildung 44: Institutionelle Entwicklung des Modells Patriarch. Hinweis: Die Größe der Ovale spiegelt die relative Macht (Autorität) der einzelnen Organe wider.

Konsens der Familie zur Trennung von Familie und Unternehmen Der Patriarch sollte einen Gesprächsprozess unter den Familienmitgliedern in Gang setzen, damit sich diese über die Notwendigkeit der Differenzierung von Familie und Unternehmen für eine erfolgreiche Zukunft des Familienunternehmens bewusst werden. Die Familie sollte die Differenzierung auf drei Ebenen vollziehen: Arbeit, Eigentum und Anforderungen. Der Patriarch sollte beginnen, die Verantwortung für die Differenzierung der Familie zu übertragen, auch wenn er sich zunächst das Recht vorbehalten kann, die Entscheidungen der Familie abzulehnen. Damit überträgt der Patriarch die Verantwortung, ihren Mitgliedern Grenzen zu setzen, auf die Familie. Sollte die Familie diese Notwendigkeit nicht sehen, wäre das Unternehmen stark gefährdet. In dem vom Patriarchen in

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Gang gesetzten Änderungsprozess ist er nicht mehr der Garant für die Differenzierung, da sie bereits in der Verantwortung aller liegt. Der Familienrat schafft den Kontext für die Differenzierung. Der Patriarch regt die Familie an, sich vom in der Familie herrschenden Gleichheitsprinzip zu trennen, indem er Leistungskriterien und geeignete Kompetenzprofile als Aufnahmekriterien für die Arbeit und Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen einführt. Das Gleiche sollte für die Vergütung gelten, die sich bei den im Unternehmen beruflich aktiven Familienmitgliedern unterscheiden sollte. Der Patriarch unterstützt den Familienrat dabei, sowohl dem Verwaltungsrat als auch der Geschäftsführung gegenüber Anforderungen zu stellen. So lernen die Familienmitglieder zu fordern und selbst gefordert zu werden, sobald sie Führungspositionen bekleiden. Der Familienrat dient ebenfalls dazu, den Eigentümern ihre Bedeutung und Funktion im System zuzuweisen. Durch Informationsaustausch, die Entstehung von vertikalen Anforderungsprofilen, gleichberechtigte Diskussionen mit Familienmitgliedern und Übergangsrechte werden den Vertretern des Eigentums die Aufgaben und die Verantwortung zugesprochen, die ihnen gemäß dem Modellwechsel zustehen. Einbeziehung oder Ausbildung von Fachpersonal auf höchster Führungsebene und in der Geschäftsführung Es empfiehlt sich für den Patriarchen, die Managementmethoden so zu gestalten, dass sie zunehmend besser ohne ihn funktionieren. Damit möchten wir nicht sagen, dass Patriarchen kein professionelles Personal zur Seite steht, nur dass dieses häufig nicht unabhängig genug handelt. Abbildung 4573 illustriert den auf den Patriarchen konzentrierten Entscheidungsprozess. Der Patriarch beurteilt die Wettbewerbssituation des Unternehmens und fällt Entscheidungen, die später von seinen Mitarbeitern umgesetzt werden sollen. Der Vorteil dieses Systems liegt in seiner Einfachheit und zeitlichen Effizienz. Die Mitarbeiter konzentrieren sich vor allem auf die Umsetzung der Entscheidungen des Patriarchen. Professionalisierung des Unternehmens bedeutet in diesem Fall, dass die Führungskräfte zusätzlich zu ihren Aufgaben auch Entscheidungen treffen. Es ist ein langsamer Prozess, in dem der Patriarch die Situation des Unternehmens jedes Mal erneut gemeinsam mit seinen Mitarbeitern beurteilt, wobei wettbewerbsrelevante Stärken und Schwächen erwogen werden.

73 Dieser Prozess basiert auf Herbert Simons Ansatz der prozeduralen Rationalität. Vgl. Simon, H. A.

(1983). Reason in human affaires. Oxford: Basil Blackwell.

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Ziel

Opciones Möglichkeiten posibles

Patriarch

Ergebnisprognose

Criterio Auswahlkriterium Selecci

Beurteilung

Mitarbeiter

Entscheidung Decisi

Implementaci Umsetzung

Beurteilung

?

Resultado Ergebnis

Abbildung 45: Auf den Patriarchen ausgerichteter Entscheidungsprozess

Abbildung 46 verdeutlicht, wie eine Professionalisierung erreicht wird. Der Patriarch sollte sich also mit seinen Mitarbeitern rege über die Unternehmenssituation austauschen, und zwar sowohl was die externe Wettbewerbsdynamik angeht als auch die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten, um den Mitarbeitern entsprechende Ziele zu setzen, die zu ihrer eigenen Entfaltung und letztlich zur Entfaltung des Unternehmens beitragen.

Beurteilung

Ziel Objetivo

Patriarch

Resultado Ergebnis

Mitarbeiter

Implementación Umsetzung

Opciones Möglichkeiten posibles

Previsi Ergebnisprognose ón Resultados

Criterio Auswahlkriterium Selecci ón

Abbildung 46: Dezentralisierung des Entscheidungsprozesses

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Entscheidung Decisi ón

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Auf diese Art entstehen Systeme, die Führungskräften und ihren Teams das Erlernen von Entscheidungsfindungsprozessen, die Qualitätsevaluierung ihrer Entscheidungen und deren Umsetzung ermöglichen. Dies beinhaltet unter anderem die Einrichtung von Kontrollsystemen, Balanced Scorecards, die Etablierung von Konkurrenzanalysen und die Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses des Markt und des Wettbewerbs. Gründung einer Generaldirektion und Übergang zum Verwaltungsratsvorstand Durch die vollzogene Strukturveränderung sollte es möglich sein, dass der Patriarch einen entscheidenden Schritt vollzieht und die leitende Führungsebene verlässt. Das mit der Zeit entstandene Governance-System sollte über ausreichend stabile Institutionen verfügen, um zu Phase 2, wie in Abbildung 44 dargestellt, überzugehen. Die Kombination eines eingespielten Verwaltungsrats und eines funktionierenden Lenkungsausschusses ermöglicht es dem Patriarchen, die Führungsebene und den Lenkungsausschuss zu verlassen, um sich auf den Verwaltungsrat zu konzentrieren. Dies ist der erste große Schritt, mit dem der Patriarch seine Rolle als zentrale Figur des Unternehmens hinter sich lässt. Ebenbürtige Behandlung der anderen Anteilseigner 74 Die Festigung der Position des Patriarchen als Verwaltungsratsvorstand sollte ihm den nächsten großen Schritt seiner Rollenveränderung ermöglichen: Er begleitet den Familienrat in seine nächste Phase, die der Gleichberechtigung der Familienmitglieder in diesem Gremium. Zu diesem Zeitpunkt gibt der Patriarch seine beherrschende Position im Familienrat auf, um gleichberechtigen Beziehungen Platz zu machen. Sowohl die Familienmitglieder, die juristisch Eigentümer sind, als auch die, die psychologisch in dieser Position sind, sollten parallel damit beginnen, auf Gleichberechtigung untereinander zu achten. Dies ist einer der notwendigen Schritte der nächsten Generationen, um Verantwortung für das Eigentum übernehmen, wie es gegenwärtig bereits teilweise der Fall sein kann, in der Zukunft aber komplett sein wird. Durch seine Rolle als Verwaltungsratsvorstand behält der Patriarch die Kontrolle über das Unternehmen. Doch er hat bereits die Bildung von Strukturen in Gang gesetzt, die dafür sorgen, dass seine in Zukunft schwächere Position und sein Rückzug aus dem operativen Geschäft das Familienunternehmen nicht in eine schwierige Lage bringt.

74 Symmetrische Kommunikation.

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Unternehmungen der Folgegeneration fördern Abgesehen davon, dass dieses Thema das letzte auf der Liste ist, folgt es nicht unmittelbar aus den vorangegangenen Punkten. An dieser Stelle geht die erforderliche Entwicklung über das Unternehmen hinaus und soll die Familie an sich festigen. Der Patriarch sollte sich als Berater und Coach für die Folgegeneration verstehen und ihr das Leben als Welt voller Möglichkeiten näher bringen, die nur auf unternehmerische Energie warten, um ausgeschöpft zu werden. Ein Großteil dieser Verantwortung sollte nicht nur bei dem Patriarchen liegen, sondern bei der ganzen Familie. Familien, die unternehmerisches Verhalten entwickeln, sind Familien mit hohen Ansprüchen an sich selbst, die ihre Mitglieder erfolgsorientiert in einer Atmosphäre des Zusammenhalts erziehen. Die Förderung von Unternehmungen der Folgegeneration erfordert nicht nur einen instrumentellen Ansatz, sondern auch ein entsprechendes familiales Werte- und Normensystem. Entwicklung zu einer Familieninvestitionsgruppe Sollte der Patriarch nicht zu den genannten Veränderungen des mentalen Modells und der grundlegenden Struktur bereit sein oder sich nicht dazu in der Lage fühlen, gibt es unserer Meinung nach nur noch eine vernünftige Möglichkeit, nämlich die Komplexität des Unternehmens zu verringern, indem eine Entwicklung zu dem Modell Familieninvestitionsgruppe (FIG) vorgenommen wird. Die Entwicklung zu einem Modell FIG ist in der Umsetzung leichter zu vollziehen, bedeutet jedoch auch, dass der Patriarch und seine Familie die Führung ihrer Unternehmen aufgeben. Die Entwicklung zu einer FIG bedeutet nicht mehr und nicht weniger als den Verkauf des operativ tätigen Unternehmens, wobei die Familie den Erfolg des Modells Patriarch kapitalisiert und damit die zukünftigen Risiken, die damit einhergehen, vermeidet. Der Verkauf eines Unternehmens ist ein relativ einfacher Prozess, auf den sehr viele Fachleute spezialisiert sind. Im Gegensatz dazu ist der Umgang der Familie mit der hohen Liquidität, die durch den Verkauf entsteht, besonders wichtig. Die Liquidität bringt den Vorteil, dass die Familie frei über ihr weiteres Bestehen als Unternehmergruppe entscheiden kann. Die Familie muss entscheiden, ob sie ihre Wirtschafts- und Investitionsaktivitäten gemeinsam fortführen möchte und als FIG zusammenkommt. Die Vielzahl an Erfahrungen mit Verkaufprozessen, die dem Ende des Modells Patriarch folgen, zeigt, dass die Weiterführung wirtschaftlicher Akti-

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vitäten wesentlich davon abhängt, ob es parallel zum Modell Patriarch bereits ein Modell FIG gibt. Sehr häufig bauen Patriarchen neben ihrem operativen Geschäft ein bedeutendes Vermögen in Form von Immobilien, Teilhabe an börsennotierten und manchmal auch nicht börsennotierten Unternehmen, verschiedensten Fonds oder neuen Unternehmen von Partnern ihres Vertrauens auf. Familia Unternehmerfamilie Empresaria Empresaria

Modelo Modell Emperador Patriarch

operatives EmpresaUnternehmen Operativa

FamilienGrupo de investitionsgruppe Inversión Familiar

Investmentgesellschaft Empresa Patrimonial Patrimonial

Abbildung 47: Gemischtes Modell Patriarch–FIG75

Für gewöhnlich binden Patriarchen diese Aktivitäten in das Modell Patriarch ein. Der Patriarch bestimmt die Richtung und stützt sich im operativen Geschäft zum Teil auf seine Berater. In der Regel sind das der Finanzdirektor, ein Fachanwalt für Wirtschafts- und Vertragsrecht, ein Steuerberater und Vermögensberater der Banken seines Vertrauens oder Fachleute einer Privatbank. In einigen Fällen lagert der Patriarch diese Aktivitäten in das Modell FIG aus. Wenn bereits eine Familieninvestitionsgruppe besteht, erhält sie die Familie meist aufrecht, selbst nach dem Erzielen von Liquidität durch den Verkauf des Unternehmens. Sollte das Modell FIG vorab nicht bestehen, ist es unwahrscheinlich, dass die Familie eine Familieninvestitionsgruppe gründet. Der Zugang zu Liquidität ruft eine Reihe von zentripetalen (also kreisförmige und auf einen Mittelpunkt ausgerichtete) Bewegungen hervor, denen man ohne eine bereits bestehende FIG nur schwer entgegentreten kann. Die Familie wird von einem Gefühl des »Jetzt oder nie« ergriffen, das dafür sorgt, dass diese Gelegenheit nicht ungenutzt bleibt. Das Gefühl von »Jetzt oder nie« speist sich aus dem Umstand, dass die Kombination des Modells Patriarch in operativen Fragen mit dem Modell FIG in Vermögensfragen nur selten vorkommt. Vermögensfragen werden in der Regel ebenfalls innerhalb eines patriarchalischen Modells behandelt. Daher führt der Verkauf der operativen Unternehmensbereiche kaum zu einem Modell FIG, in dem das Vermögen gemeinsam verwaltet wird. Am 75 Die FIG kann auch mit anderen Modellen als mit dem Modell Patriarch zusammen bestehen.

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4 Das Führen von Familienunternehmen

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üblichsten ist in diesem Zusammenhang, die Komplexität zu verringern. Entsprechend wird das Vermögen meistens unter den einzelnen Familienzweigen aufgeteilt und jeweils nach dem Modell FIG verwaltet.

Unternehmensführung im Modell Familienteam Wie bereits im vorherigen Kapitel beschrieben wurde, ist das Modell Familienteam durch den ihm eigenen Komplexitätsanstieg der Familie gefährdet. So besteht ein erhöhtes Risiko, das Unternehmen durch die Familie zu ersticken. Bezüglich der Unternehmensführung in diesem Modell können zwei Richtungen einschlagen werden: Komplexitätsreduzierung der Familie, die eine erfolgreiche Wiederholung dieses Modells ermöglicht, oder die Entwicklung zum Modell Kapitän beziehungsweise das Streben nach Wachstum, um zum Modell Professionelle Familie übergehen zu können. Die wichtigste Aufgabe in der Unternehmensführung des Modells Familienteam ist es, zu realisieren, dass die Entwicklung in eine der beiden Richtungen gehen muss. Anderenfalls kann ein Destabilisierungsprozess in Gang gesetzt werden, der das Risiko einer gravierenden Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit und des Familienzusammenhalts in sich birgt.

Komplexitätsverringerung Die Begrenzung der Komplexität der Familie beinhaltet eine Verringerung der Anzahl an Familienmitgliedern, die Anteilseigner des Unternehmens sind. Dies wird durch den Verkauf des Unternehmenseigentums an einen Familienzweig oder engagierte Familienmitglieder erreicht. In diesem Prozess ist es von Bedeutung, dass Familienmitgliedern, die weniger mit dem Unternehmen verbunden sind, ihre Rechte nicht entzogen und sie als »unengagiert« ausgebootet werden, sondern dass alle Beteiligten die Komplexitätsverringerung für notwendig erachten, um das Unternehmen am Leben zu erhalten. Das Engagement, ein Familienunternehmen voranzubringen, ist genauso legitim wie die Entscheidung, andere unternehmerische oder berufliche Wege zu gehen. Es ist sogar mehr als das. Der Austritt einiger Familienmitglieder als Eigentümer aus dem Unternehmen trägt dazu bei, das zukünftige strukturelle Risiko zu begrenzen.

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Unternehmensführung im Modell Familienteam

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Beim Prozess der Komplexitätsverringerung der Familie ist es besonders wichtig, den Zusammenhalt und die Harmonie in der Familie aufrechtzuerhalten und wenn möglich zu steigern. Des Weiteren sollte die neue Eigentumsstruktur die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens fördern. Es ist von fundamentaler Bedeutung, dass der Verkauf von Unternehmensanteilen zwischen den einzelnen Eigentümern ehrlich und gerecht abläuft.76 Der Schwerpunkt sollte auf der Klarheit und Transparenz des Verhandlungsprozesses liegen und nicht darauf, unbedingt eine vorher geschäftsmäßig festgelegte Vereinbarung zu treffen. Daher müssen alle Familienmitglieder, die über Unternehmensanteile verfügen, am Prozess teilhaben, unabhängig vom Umfang ihrer Beteiligung in der Unternehmensführung. Im Modell Familienteam gibt es einen bedeutenden Anteil an Anteilseignern, die sich nicht aktiv in der Unternehmensführung beteiligen und wenig Beachtung finden. Im Prozess der Komplexitätsverringerung der Familie müssen die Erwartungen, Wünsche und Interessen der einzelnen Mitglieder der Eigentümerfamilie analysiert werden und es muss festgelegt werden, welche Bündnisse oder vorherrschenden Bündnisse bevorzugt werden und welche Kompetenzen die Fähigkeit zur Wertsteigerung des Unternehmens erhalten oder befördern. Der Prozess kann schwierig erscheinen, es ist aber unabdingbar, der grundlegenden Tradition guter Verhandlungen zu folgen und Personen von Problemen zu trennen.77 Das bedeutet, allen Beteiligten mit Respekt zu begegnen, auch wenn es Schwierigkeiten gibt und man unterschiedlicher Meinung ist. So kann es eben sein, dass man seinen Bruder sehr liebt, aber eine andere Vorstellung vom Geschäft hat oder sich nicht wohl dabei fühlt, mit ihm in einem Unternehmen zu arbeiten.

Wachstumsoption Sollte sich die Familie gegen die Senkung oder Beibehaltung des Komplexitätsniveaus der Familie entscheiden, bleibt nur, das Unternehmenswachstum zu fördern. Nur so können Strukturen entwickelt werden, die in der Lage sind, 76 Dieser Vorgang wurde von van der Hayden und Kollegen beschrieben und als »fair process« defi-

niert. Darin haben alle Beteiligten eine legitime Stimme, die angehört wird. Zwischen allen Teilnehmern herrscht Klarheit und Informationsaustausch. Es werden homogene personen- und themenunabhängige Kriterien angewandt. Gibt es neue Informationen oder ändern sich die Umstände, werden Entscheidungen, sofern erforderlich, überdacht. Vgl. van der Heyden, L., Blondel, C., Carlock, R. (2005). Fair Process: Striving for Justice in Family Business. Family Business Review, 18 (1), 1–21. 77 Fisher, R., Ury, W. L. (1981). Getting to Yes: Negotiating Agreement without Giving in. New York: Penguin Group.

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4 Das Führen von Familienunternehmen

die Komplexität der Familie auszugleichen, wozu das Familienteam nicht mehr fähig ist. Die Entwicklung vom Familienteam zur Körperschaft ist keinesfalls einfach. Einerseits sind ein bedeutendes Wachstum und eine starke Komplexitätssteigerung des Unternehmens vonnöten, wie in Abbildung 48 gezeigt wird.

Abbildung 48: Durchschnittskomplexität der Modelle Familienteam und Körperschaft (eigene Quelle)

Andererseits ist die Änderung des mentalen Modells der Familie ebenfalls wichtig, da sie von ihrem Selbstverständnis als »Quelle für qualitativ hochwertige Arbeit für das Unternehmen« zu einem Selbstverständnis als »Eigentümergemeinschaft, die ein bestimmtes Unternehmensprojekt unterstützt, aber hohe ergebnisorientierte Anforderungen stellt«, übergehen muss. Diese Entwicklung ist zwar möglich, aber zweifelsohne aufgrund der ihr inhärenten Schwierigkeiten nicht besonders häufig.

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Unternehmensführung im Modell Professionelle Familie

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Unternehmensführung im Modell Professionelle Familie Das Modell Professionelle Familie ist sehr stabil. Seine Schwäche liegt jedoch im Komplexitätsanstieg der Familie. Der Anteil an Eigentümern in der Geschäftsführung (76 %)78 kann bei steigender Komplexität der Familie nicht gehalten werden. Daher kann sich das Modell Professionelle Familie in zwei Richtungen entwickeln. Entweder wird die Komplexität der Familie verringert oder man entscheidet sich für eine Entwicklung zum Modell Körperschaft. Der Komplexitätsanstieg der Familie im Modell Professionelle Familie erhöht das strukturelle Risiko, wenn die Führung der Unternehmerfamilie auf die Führungskräfte des Unternehmens beschränkt ist. Dadurch entstehen folgende Phänomene: Einerseits entsteht ein starker Druck, im Unternehmen zu arbeiten, und möglicherweise nicht nur in Führungspositionen. Die Familien in diesem Modell sind sich dieses Risikos sehr bewusst und neigen daher zu Zugangsbeschränkungen, häufig mittels einer Familienverfassung. Anforderungen, die häufig gestellt werden, sind ein »Master of Business Administration« (MBA) einer anerkannten Hochschule und Berufserfahrung in einem anderen erfolgreichen Unternehmen oder in einer ähnlichen Position. Natürlich muss eine zu besetzende Stelle vorhanden sein, der Vorzug vor einem familienexternen Fachmann wird einem Familienmitglied nur bei gleicher Qualifizierung gegeben. Auch wenn all diese Beschränkungen gut durchdacht sind, zeigt die Realität, dass sie letztlich schwer umzusetzen sind. Die Entscheidungskriterien sind zu unspezifisch, um zu bestimmen, wer die Führungsspitze des Unternehmens übernimmt, gerade wenn man bedenkt, dass ein Familienmitglied diese Position sehr lange innehaben wird. Die Führung eines Unternehmens mit der typischen Komplexität des Modells Professionelle Familie birgt eine zu große Verantwortung, als dass sie nach derart allgemeinen Kriterien bestimmt werden sollte. Familien, die dieses Modell entwickelt haben, sind in der Regel Familien mit kompetenten Kindern, weshalb es in der Folgegeneration meist mehrere Personen gibt, die sich selbst für geeignet halten. Daher kommt es zu verschiedenen Bündnissen innerhalb der Familie, die jeweils ihre Kandidaten unterstützen. Das hat für gewöhnlich zur Folge, dass ein durchaus kompetentes Familienmitglied in die Geschäftsführung aufsteigt, andere ebenfalls qualifizierte jedoch nicht. Diese sind dann verständlicherweise frustriert. Ihre Nichtbe78 FBK-Database (2007).

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rücksichtigung kann unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass sie die Nachkommen eines nicht durchsetzungsfähigen Familienmitglieds sind, sie keine Chance haben, da die Positionen durch ältere Familienmitglieder besetzt werden, oder sie nicht über genügend Anerkennung oder Unterstützung innerhalb der Familie verfügen. Das potenzielle Risiko besteht also hier im Verlust des Familienzusammenhalts, da es die leitende Führungskraft aus der Familie häufig mit einer mehr oder weniger expliziten familieninternen Opposition zu tun hat. In schwierigen Situationen spielen Unstimmigkeiten, die es in der Vergangenheit eventuell gegeben hat, erneut eine Rolle. Abbildung 49 zeigt, dass das Vorkommen des Modells Familienteam in den ersten 40 Jahren stabil ist und später langsam abnimmt. Die Komplexität der Familie bleibt konstant, was Auswirkungen auf die Unternehmensführung in diesem Modell hat. 80

70

Komplexität

60

50

40

30

20

10

0 10

20

30

40

Lebenszyklus (Frequenz) Complejidad Empresa

50

60

70

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90

100

mehr als 100

Zeit (Jahre)

Complejidad Familia Komplexität Familie Ciclo de Vida (frecuencia Komplexität Unternehmen

Abbildung 49: Durchschnittskomplexität der Modelle Professionelle Familie und Körperschaft (eigene Quelle)

Die Komplexität des Unternehmens stellt sich in den ersten 60 Jahren als steigende Kurve dar, um anschließend in einer ähnlichen Neigung abzufallen. Mit der Anzahl an Anteilseignern als Indikator für die Komplexität der Familie liegt der Durchschnittswert in diesem Modell bei vier Anteilseignern, auch wenn diese Anzahl in der Folgegeneration um 44 % auf 5,7 steigen wird.

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Unternehmensführung im Modell Professionelle Familie

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Die Durchschnittskomplexität der Familie liegt bei 32,1. Sollte sie analog um 44 % steigen, läge sie bei 46,2. Mit diesem Ausmaß an Komplexität wäre dieses Modell deutlich überfordert (siehe weiße Kurve). Eine Möglichkeit für die Unternehmensführung liegt in der Entwicklung zu einem Modell Körperschaft, das die Komplexität der Familie besser auffangen kann. Eine andere Möglichkeit liegt in der Wiederholung des Modells bei reduzierter Komplexität der Familie. Die Kurvenverläufe lassen erkennen, dass dies möglich ist, auch wenn deutlich wird, dass das Auftreten in der Untersuchungspopulation und vor allem die Komplexität des Unternehmens sinken. Sollten eine Entwicklung zum Modell Körperschaft oder die Verringerung der Komplexität der Familie hypothetisch nicht möglich sein, bleibt der Familie nur eine Möglichkeit: der Verkauf des operativen Geschäfts, um sich zu einer Familieninvestitionsgruppe (FIG) zu entwickeln. Zusammenfassend muss die Führung im Modell Professionelle Familie unserer Meinung nach also eine der drei Richtungen einschlagen: • Entwicklung zum Modell Körperschaft, • Begrenzung der Komplexität der Familie und Wiederholung des Modells Professionelle Familie, • Verkauf des operativen Geschäfts und Gründung einer Familieninvestitionsgruppe.

Entwicklung zum Modell Körperschaft Die Entwicklung zu einem Modell Körperschaft bedeutet, die Kurve der Lebenserwartung des Unternehmens zu verändern und von der fallenden des Modells Professionelle Familie zu der deutlich steigenden Kurve des Modells Körperschaft überzugehen (Abb. 50). Damit wird langfristig ein viel stabileres Modell angesteuert, das die Komplexität der Familie auffangen und die Komplexität des Unternehmens steigern kann. Es bedeutet ebenfalls, von einer nach durchschnittlich 65 Jahren stark fallenden Kurve der Komplexität des Unternehmens zu einer leicht fallenden Kurve überzugehen. Diese Entwicklung ermöglicht das problemlose Auffangen des entstehenden Komplexitätsniveaus der Familie (ca. 44 %), zu sehen im Übergang der gestrichelten Linie, die die Komplexität der Familie wiedergibt, zur durchgehenden Linie (Abb. 51). Die Umgestaltung des Modells bringt ein deutlich anderes Verständnis von Familienunternehmen mit sich. Die Familie muss sich von dem Gedanken

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Komplexität

35 30 25 20 15 10 5 0 10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

mehr als 100

Zeit (Jahre)

Lebenszyklus Professionelle Familie Lebenszyklus Körperschaft

Abbildung 50: Lebenszyklus des Modells Professionelle Familie versus Modell Körperschaft (eigene Quelle) 90

80

Komplexität

70

60

50

40

30

20 10

20

30

40

50

60

Komplexität Unternehmen: Körperschaft Komplexität Unternehmen: Professionelle Familie Komplexität Familie: Körperschaft Komplexität Familie: Professionelle Familie

70

80

90

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mehr als 100

Zeit (Jahre)

Abbildung 51: Komplexität des Modells Professionelle Familie versus Modell Körperschaft (eigene Quelle)

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trennen, dass ihr Beitrag zum Unternehmen in ihren Fähigkeiten im Managementbereich, ihrem Engagement und ihren Führungsqualitäten besteht, und den Schwerpunkt darauf legen, eine Eigentümerfamilie zu sein, die geeignete Governance-Strukturen und ein dynamisches, für Führungstalente attraktives Unternehmen schaffen kann. Die Führungskräfte werden von der Familie angestellt, weshalb sich diese nicht darauf konzentriert, das Unternehmen zu leiten, sondern darauf, es zu führen. Dies erfordert eine Veränderung der Denkstruktur der Familie. Die Familie darf sich nicht mehr dafür verantwortlich fühlen, dem Unternehmen qualifizierte Geschäftsführer zu stellen, sondern muss für eine gute Governance ihres Familienunternehmens sorgen. Dies zu erreichen, ist nicht einfach, da das Modell Professionelle Familie das Modell ist, das am meisten Zufriedenheit mit sich bringt. Die Familie fühlt sich kompetent bei der Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten zur Unternehmensführung und beim erfolgreichen Erhalt des Unternehmens. Das führt dazu, dass sich die Familie fragt, weshalb sie etwas ändern sollte, wenn alles gut läuft. Die Entwicklung zum Modell Körperschaft erfordert keine großen Anstrengungen in Bezug auf die Strukturveränderung, da sich die Strukturen der beiden Modelle sehr ähneln, wie im Kapitel »Das Modell Professionelle Familie« beschrieben. Die große Veränderung liegt eben im mentalen Modell: Die Familie darf sich nicht mehr als geschäftsführende Familie verstehen. Die Veränderung des mentalen Modells erfordert Sinnstiftung. Bis zu diesem Zeitpunkt lag der Sinn des Unternehmens in der Unternehmensführung, sodass mit dem Verlust dieses Aufgabenbereiches das Unternehmen seinen Sinn verliert und auf die eine oder andere Weise nicht mehr das Unternehmen »der Familie« ist. Der Modellwechsel kann spontan vonstatten gehen. Sobald sich die durchsetzungsfähigsten Familienmitglieder über die Notwendigkeit des Wechsels im Klaren sind, verläuft er relativ unproblematisch. Das Hauptproblem besteht allerdings darin, dass sich die Familie dessen oft nicht bewusst ist und daher versucht, das Modell in der Folgegeneration zu wiederholen. In diesem Zusammenhang entstehen »dedicated assets«79 einzelner Vertreter der Folgegeneration. Einige von ihnen haben ihr Studium und ihre Berufslaufbahn in der Erwartung gestaltet, dass das Modell bestehen bliebt

79 Mit diesem betriebswirtschaftlichen Begriff werden Investitionen bezeichnet, die mit einer bestimm-

ten Absicht getätigt werden und die bei der Änderung der Absicht unnütz werden. In diesem Fall beziehen wir uns auf Lebensinvestitionen in Form einer Ausbildung oder dem Verzicht auf eine andere Berufslaufbahn mit dem Ziel, eines Tages das eigene Familienunternehmen zu leiten.

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und sie dementsprechend in Zukunft eine Führungsposition im Unternehmen bekleiden. Je nach Entwicklungsstand des Unternehmens kann dieser Prozess sogar so weit fortgeschritten sein, dass es bereits Familienmitglieder der Folgegeneration geben kann, die Führungspositionen im Unternehmen innehaben. Das macht den Änderungsprozess delikater, da in diesem Zusammenhang so wenig Schaden wie möglich entstehen darf. So gibt es also zwei Entwicklungsrichtungen: die Änderung des mentalen Modells oder einen gut vorbereiteten Strukturwechsel, der nicht traumatisierend wirkt. Änderung des mentalen Modells Die Änderung des mentalen Modells entspricht einem Perspektivwechsel, einer veränderter Form, die Dinge, die wir sehen, zu interpretieren. So hat beispielsweise der Sohn eines älteren Ehepaares, das eine Konditorei besaß, seinen Eltern eine folgende Veränderung vorgeschlagen. Da während der Woche immer weniger Menschen Kuchen kauften, obwohl der Verkauf am Wochenende gleich blieb und sogar anstieg, und da das Lokal relativ groß war, schlug er vor, einige Tische und eine Kaffeemaschine anzuschaffen, um während der Woche zur Frühstückszeit und am Nachmittag Kaffee, Tee und Gebäck anzubieten. Die Antwort der Eltern war: »Wir sind Konditoren und keine Kellner.« Dies ist zu interpretieren im Sinne von: »Wenn das Aufstellen einer Kaffeemaschine den Verlust meiner Identität als Konditor bedeutet, werde ich diese Veränderung nicht annehmen können, da sie für mich keinen Sinn ergibt.« Die veränderte Sichtweise, etwas nicht mehr als Fortschritt, sondern als Verlust zu sehen, hängt damit zusammen, welchen »Sinn« jeder Einzelne in dem neuen Projekt sieht. Gestaltung einer verträglichen Strukturveränderung Die Entwicklung des Modells Professionelle Familie zum Modell Körperschaft geschieht nicht in einem Vakuum, sondern es gibt immer eine Ausgangssituation. Je nachdem, an welchem Punkt des Lebenszyklus man sich befindet, verändert sich der Status quo. Am häufigsten kommt es vor, dass eine sehr kompetente und professionelle Senior-Generation das Familienunternehmen führt. Ein Schlüsselmoment in der Unternehmensentwicklung ist die Frage nach der Integration von Vertretern der Folgegeneration in das Geschäft. Für gewöhnlich handelt es sich um Personen mit einem hohen Kompetenzniveau, die auf sie zugeschnittene Positionen bekleiden, da dieses Modell wie beschrieben durch einen hohen Strukturentwicklungsgrad gekennzeichnet ist.

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Unternehmensführung im Modell Professionelle Familie

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Im mentalen Modell Professionelle Familie neigt man zur Wiederholung des Modells in der Annahme, dass sich die qualifizierteren Familienmitglieder im Unternehmen engagieren. Daraus folgt, dass ein Teil der Familienmitglieder weniger einbezogen wird. Die Familie wird kaum bemerken, dass die als »kompetent« ausgewählten Familienmitglieder zusammen kaum den Führungsstil der vorhergehenden Generation beibehalten werden, die mit anderen strukturellen Bedingungen hinsichtlich der Familie und der Verteilung der Kapitalanteile zu tun hatte. Sobald sich die Familie der Wichtigkeit des Modellwechsels bewusst ist, sind folgende Punkte zu beachten: • Alter der beruflich aktiven Familienmitglieder der Generation mit Entscheidungsgewalt im Unternehmen und der Folgegeneration: Das Alter lässt auf die Phase im Lebenszyklus schließen, in der sich eine Person befindet. Das Verhältnis zum Unternehmen ist in jeder Phase des Lebenszyklus anders.80 • Irreversibilitätsniveau im Engagement für das Unternehmen: Inwiefern haben die entsprechenden Familienmitglieder noch berufliche Alternativen? Je mehr berufliche Alternativen außerhalb des Unternehmens für die professionell engagierten Familienmitglieder bestehen, desto einfacher ist der Entwicklungsprozess. • Finanzielle Lage der Beteiligten: Die Entwicklung vom Modell Professionelle Familie zum Modell Körperschaft hat ebenfalls Auswirkungen auf das Einkommen der beruflich aktiven Familienmitglieder im Unternehmen. Es muss darauf geachtet werden, dass der Wechsel so wenig einschneidend wie möglich verläuft. • Sozialer Führungsstil 81 in der Familie: Um eine Veränderung wie den Übergang vom Modell Professionelle Familie zum Modell Körperschaft zu meistern, ist ein hohes Maß an sozialem Führungsstil nötig. Ein Familienmitglied muss die Verantwortung übernehmen, alle anderen in die neue Richtung zu »bewegen«, und dafür sorgen, dass sie individuelle Opfer zum Wohle der Gemeinschaft auf sich nehmen. Ohne sozialen Führungsstil kann der Übergang nicht gelingen.

80 1996 veröffentlichten Davis und Tagiuri eine hervorragende Arbeit, die bereits zitiert wurde (Fußnote

11). Darin wird das firmenbezogene Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, je nach Lebenszyklusphase, in der sich die einen oder anderen befinden, analysiert. 81 Filella (2001), siehe Fußnote 71.

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Komplexitätsverringerung Die Komplexitätsverringerung der Familie in diesem Modell weicht nicht sonderlich vom bereits erwähnten Prozess unter »Unternehmensführung im Modell Familienteam« ab, weshalb wir hier lediglich auf dieses Kapitel verweisen.

Verkauf und Gründung einer Familieninvestitionsgruppe Der Verkauf der operativen Unternehmensbereiche für die Gründung einer FIG mag wie eine Option erscheinen, die vermieden werden muss. Das ist aber nicht der Fall. Die Familie muss es vielmehr vermeiden, sich in Situationen zu begeben, mit denen sie nachher nicht umgehen kann. Daher sollte sich eine Familie, die sich nicht in der Lage glaubt, zum Modell Körperschaft überzugehen oder die Komplexität der Familie zu verringern, für den Verkauf entscheiden, solange er noch gewinnbringend ist. Auch wenn es paradox erscheint, kann der Verkauf die beste Möglichkeit für Kontinuität sein. Sollte hingegen das Modell Professionelle Familie bei erhöhter Komplexität der Familie wiederholt werden, würde das strukturelle Risiko deutlich steigen. Der Verkauf kann einen unkomplizierten Modellwechsel zur FIG ermöglichen. Diese Möglichkeit ist relativ einfach umzusetzen, da für den Verkauf des Unternehmens Fachleute beauftragt werden können. Die Schwierigkeit liegt im Erkennen des Vorteils, den diese Möglichkeit birgt, da die Wiederholung des alten Modells bei steigendem Komplexitätsniveau nahezuliegen scheint.

Unternehmensführung im Modell Körperschaft Das Modell Körperschaft ist von allen Modellen am weitesten entwickelt und ermöglicht einen erfolgreichen Umgang mit den höchsten Komplexitätsniveaus von Unternehmen und Familie. Wir werden nicht ausführlich erklären, inwiefern dieses Modell einen Umgang mit der Komplexität des Unternehmens ermöglicht. Zahlreiche Managementinstrumente, -methoden und -techniken können hier erfolgreich umgesetzt werden. Viele von ihnen wurden von Körperschaftsunternehmen (hier in der geläufigen Bedeutung börsennotierter multinationaler Unter-

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Unternehmensführung im Modell Körperschaft

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nehmen), Wirtschaftshochschulen oder Beratungsunternehmen entwickelt. Es gibt umfangreiche Literatur zum Thema Corporate Governance, Personalführung, Unternehmensstrukturen (nicht zu verwechseln mit den in diesem Buch beschriebenen Beziehungsstrukturen von Familie und Unternehmen), Strategieentwicklung und unternehmensinternen Veränderungen. Solange exzellente Unternehmensführungskenntnisse vorliegen, sind dem Modell bezüglich der Komplexität des Unternehmens keine Grenzen gesetzt. Mit General Electric als Prototyp eines Unternehmens mit hoch entwickelter Unternehmensführung gibt es keine Beschränkungen innerhalb des Modells Körperschaft, das einer ähnlichen Entwicklung im Wege stünde. Im Gegensatz dazu werden wir spezifische Aspekte der Unternehmensführung bezüglich der Komplexität der Familie näher betrachten. Das Modell Körperschaft ermöglicht es, Ordnung in das höchste Komplexitätsniveau der Familie zu bringen. Ein hohes Komplexitätsniveau der Familie verlangt vom Modell Körperschaft Aufmerksamkeit in Bezug auf »soft facts« der Struktur wie: • Kommunikation, • Familiengruppe, • Unternehmergeist, • Familienrat.

Kommunikation Der Komplexitätsanstieg der Familie bedeutet auch einen Zuwachs an Unterschieden, wie im Abschnitt zur Komplexität der Familie erläutert wurde. Der Aufbau funktionierender Strukturen im Kommunikationsbereich ist für die Ordnung innerhalb der familialen Komplexität von fundamentaler Bedeutung. Der Abschnitt »Kommunikation«82 beschreibt ausführlicher, was eine gute Kommunikation ausmacht und wie man sie fördert. Ein Familienunternehmen des Modells Körperschaft sollte darauf besonders achten.

Familiengruppe Familiärer Zusammenhalt besteht aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen. Die Komplexität der Familie, die mit der Zeit wächst, gefährdet diesen Zusammenhalt jedoch. 82 Vgl. S. 77, ergänzt ab S. 179.

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Im Abschnitt »Modell Körperschaft« wurde bereits beschrieben, wie die Komplexität der Familie den Zusammenhalt der Ursprungsfamilie schwächt, genannt wurden prioritäre Loyalitäten zur Kernfamilie, zum eigenen Familienzweig und die Einbeziehung vieler Referenzfamilien83, die von eingeheirateten Familienmitgliedern mitgebracht werden. Durch die Loyalität zu dem Familienzweig, dem man angehört, entsteht eine Dynamik, die das Familienunternehmen schwächt. Prioritäten verändern sich und an die Stelle von Konsensentscheidungen im Hinblick auf die Wertschöpfung des Unternehmens tritt eine Auseinandersetzung um den Status quo der Privilegien des eigenen Familienzweigs. Formulierungen wie »Wir (unser Familienzweig) haben ein Recht auf ein Verwaltungsratsmitglied« sind an der Tagesordnung. Der Gesamtzusammenhalt bröckelt mit der Entstehung eines Familienzweigs allmählich, sodass diese Entwicklung zunächst oft nicht wahrgenommen wird. Wird von »wir« gesprochen, ist es wichtig zu wissen, wer damit gemeint ist. Von dem Moment an, indem »wir« nicht die gesamte Familie sondern nur noch einen einzelnen Familienzweig bezeichnet, steigt das strukturelle Risiko. Eine Aufgabe, der das Modell Körperschaft viel Aufmerksamkeit schenken sollte, ist die Etablierung des gedanklichen Konstrukts »Familiengruppe«, die in einem bestimmten Maß präsent sein sein muss, um Loyalität zur Familie und nicht zu einzelnen Familienzweigen zu fördern. Ebenso langsam wie der Prozess der Schwächung des familiären Zusammenhalts verläuft auch der der Gründung einer »Familiengruppe«, entsprechend sollte ein Bewusstsein für die Unausweichlichkeit der Schwächung und die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen zur Förderung des Zusammenhalts als Familiengruppe über natürliche familiäre Loyalitäten hinaus vorhanden sein. Familien gehen in diesem Modell für gewöhnlich gemeinsamen Aktivitäten nach, welche den Austausch zwischen den Familienmitgliedern und ein Kennenlernen untereinander ermöglichen. Auf dem Plan stehen unternehmensbezogene Veranstaltungen (wie die Besichtigung von verschiedenen Produktionsstätten oder Filialen) und Weiterbildungen. Angeboten werden Kurse, die von den Führungskräften des Unternehmens vorbereitet wurden, von Wirtschaftshochschulen ausgearbeitete Workshops und spezielle Fortbildungsprogramme, die innerhalb der Familiengruppe erstellt wurden. Es gibt Familien, die diese Programme in einem Familienakademie-Konzept institutionalisieren.

83 Mit Referenzfamilien beziehen wir uns auf die Ursprungsfamilie eines eingeheirateten Familienmitglieds.

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Unternehmensführung im Modell Körperschaft

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Der Ausbau des Konzepts Familiengruppe erfordert einen steten Informationsaustausch über die Geschehnisse im Unternehmen, seine momentane Lage, Erfolge und Misserfolge sowie über Herausforderungen, vor denen das Unternehmen steht. Was man nicht kennt, kann man nicht mögen. Deshalb muss die Familie das Unternehmen kennen lernen, damit sie das Wohl des Unternehmens, und damit auch das Wohl der Gemeinschaft, über die Bedürfnisse und Loyalitäten der einzelnen Kernfamilien stellt. Die Familiengruppe zu fördern, ist eine Arbeit, die häufig nicht wertgeschätzt wird, sodass sie einige sehr ehrgeizige Familienmitglieder trotz ihrer wichtigen Funktion als Zeitverschwendung betrachten könnten.

Unternehmergeist Eine der Hauptaufgaben im Modell Körperschaft besteht darin, den Unternehmergeist zu erhalten. In diesem Modell ist die Familie relativ weit von den Tätigkeiten des Unternehmens entfernt. Die erhöhte Komplexität der Familie und der damit verbundene hohe Strukturentwicklungsgrad wirken sich negativ auf das Miterleben und die Freude am Schaffen aus. Entwicklung und Wachstum eines Unternehmens erfordern Innovation, Risikobereitschaft und die Gestaltung von Neuem. Es ist leichter, dahingehend motiviert zu sein und zu andere zu motivieren, wenn Schaffensfreude anerkannt wird und das »Werk« als das eigene betrachtet werden kann. Im Modell Körperschaft sollten verschiedene Beteiligungsformen an Aktivitäten des Familienunternehmens geschaffen werden. Diese Unternehmungen können vom Verwaltungsrat koordiniert werden. Des Weiteren müssen Bedingungen geschaffen werden, um die restlichen Vertreter der Eigentümerfamilie im Familienrat oder der Familienversammlung ebenfalls teilhaben zu lassen. Der Unternehmergeist ist auf die Freude zurückzuführen, Teil einer Familie zu sein, die ein innovatives Unternehmen voranbringen kann. Daher muss eine Familienkultur geschaffen werden, die Unternehmensinnovationen einen Sinn verleiht. In Familien, in denen diese Werte vermittelt werden, gibt es immer Geschichten über großartigen Taten der Familie. Das familiäre Erbe sollte die Freude am Schaffen eher in den Mittelpunkt stellen als die Neuauflage eines bestimmten Geschäftsmodells, eines Produkts oder einer bereits bekannten Technologie. Die Geschichten der Familie sollte die Bedeutung, etwas aufzubauen, betonen. Aufbau bedeutet auch Zerstörung. Eine Familie, die nicht bereit ist, Bestehendes zu opfern, um etwas Neuem Platz zu machen, verliert über kurz oder lang ihren Unternehmergeist.

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Daher ist eine gewisse Kultur der Enthaltsamkeit vonnöten, die erneute Investitionen und das Aufsichnehmen von Schwierigkeiten ermöglicht. Ohne sie wird das Unternehmen im Laufe der Zeit von Verlustangst geleitet. Verlustangst und Freude an der Neuerschaffung sind sehr verschiedene Impulse in einer Organisation. Wenn sich die Familie von Verlustangst leiten lässt, kann das kurzfristig gute Ergebnisse zu Folge haben, mittelfristig führt es jedoch zum Verharren in Bestehendem und zur Lähmung.

Familienrat Der Familienrat ist die Institution, der das Modell Körperschaft besondere Aufmerksamkeit schenken sollte. Alle weiteren Elemente der Governance sind in diesem Modell bereits ausgebaut. Diese Familien haben in Wirtschaftshochschulen, von anderen Körperschaften und von ihren Beratern gelernt, wie diese Strukturen zu entwickeln sind. Die Entwicklung des Familienrats ist etwas Neues, das bisher kaum erforscht wurde und das für das erfolgreiche Voranbringen des Unternehmens von fundamentaler Bedeutung ist. Die drei genannten Aspekte zur Entwicklung dieses Modells – Kommunikation, eine identitätsstiftende Familiengruppe und die Förderung und Vermittlung des Unternehmergeistes – erfordern vom Familienrat eine hohe Funktionsfähigkeit. Auch wenn die Funktionsweise des Familienrats bereits ausführlich beschrieben wurde, sollen hier einige Aspekte, die besonders das Modell Körperschaft betreffen, hervorgehoben werden. Aufgrund der erhöhten Komplexität der Familie muss der Familienrat zu gegebener Zeit in mindestens zwei Instanzen aufgeteilt werden: den Familienrat im engeren Sinn und die Familienversammlung. In 25 % der Unternehmen des Modells Körperschaft ist in der Folgegeneration mit mehr als 20 Anteilseignern zu rechnen. In diesen Fällen ist die Aufteilung besonders wichtig.

Unternehmensführung im Modell Familieninvestitionsgruppe Das Modell FIG ist für jede Komplexitätsform geeignet, sowohl in Bezug auf das Unternehmen als auch auf die Familie. Das Modell eignet sich für erste Vermögensinvestitionen einer Familie genauso wie für den Umgang mit einem

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Unternehmensführung im Modell Familieninvestitionsgruppe

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bereits bestehenden großen Familienvermögen. Der Investor AB84 der schwedischen Familie Wallenberg ist wahrscheinlich eines der bekanntesten Beispiele. Bei der Führung einer Familieninvestitionsgruppe sind folgende Aspekte zu beachten: • Förderung des familiären Zusammenhalts, • Entwicklung von geeigneten Strukturen, • Umgang mit familiärer Beteiligung, • unternehmerische Aktivitäten und Dienstleistungen für die Familie.

Förderung des familiären Zusammenhalts Eine Familieninvestitionsgruppe (FIG) kann problemlos ohne starken Wertverlust geteilt werden. Aktien, Aktiva und bestimmte Immobilien können ohne Schwierigkeiten unter den einzelnen Familienmitgliedern aufgeteilt werden. Eine Unternehmerfamilie in einer FIG zusammenzuhalten, erfordert die eindeutige Entscheidung der Familie, die Vermögensverwaltung oder einen Teil davon zu übernehmen. Dafür muss die Familie davon überzeugt sein, dass das Zusammenbleiben zwei Vorteile hat. Einerseits entstehen Vorteile durch die Größe, die die FIG als potenziellen Investor attraktiv macht; größere Projekte und die Kosten für ein professionelleres und kompetenteres Team können übernommen und eine breitere Palette von Dienstleistungen für die Geschäftspartner angeboten werden. Andererseits muss eine Familienidentität geschaffen werden, die auf dem Gedanken basiert, dass die FIG auch ein Familienunternehmen ist. Es wird nur anders gestaltet. Das ist besonders wichtig für Familien, die ihre operativ tätigen Unternehmen verkaufen und plötzlich über eine hohe Liquidität verfügen. In diesen Fällen muss die Familie entscheiden, ob sie das Vermögen aufteilt und von den einzelnen Familienmitgliedern selbstständig verwalten lässt oder ob die Familie in Form einer FIG gemeinsam dafür verantwortlich ist. In dem nicht seltenen Fall, dass der Verkauf auf den Verlust des familiären Zusammenhalts zurückzuführen ist, ergäbe die Gründung einer FIG keinen Sinn, da der (explizite oder implizite) Grund für den Verkauf das Bedürfnis nach Trennung war. Sollte der Verkauf andere Gründe gehabt haben, seien es strategische oder »unwiderstehliche« Angebote, bietet die Gründung einer FIG eine Alternative,

84 Die schwedische Familie Wallenberg gründete 1916 eine FIG. Gegenwärtig kontrolliert ihr Unter-

nehmen (Investor AB, www.investorab.com) circa 30 % der schwedischen Börse.

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4 Das Führen von Familienunternehmen

die die Familie in Betracht ziehen sollte. Das vorherige Bestehen einer FIG, wie im folgenden Absatz beschrieben, erleichtert die Situation. Die Entscheidung einer Familie, in Form einer FIG zusammenzubleiben und dieses Vermögen für die Folgegeneration zu erhalten, hat eher mit dem familiären Zusammenhalt als dem Skaleneffekt zu tun. Auch wenn dieser Effekt besteht und von Bedeutung ist, hat er nicht genügend Einfluss, um eine Familie mit geringem Zusammenhalt zum Zusammenbleiben zu motivieren. Durch den familiären Zusammenhalt wird eine Familie dazu bewogen, eine Chance im Skaleneffekt zu sehen, der durch das Zusammenbleiben entsteht.

Entwicklung von geeigneten Strukturen (»Family Office«) Die Struktur der FIG hat andere Eigenschaften als die eines operativ tätigen Unternehmens. Die am häufigsten anzutreffende ist die eines sogenannten »family office«. Das Family Office ist die Unternehmensführungseinheit der FIG. Es entstammt den großen industriellen Besitztümern, die Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entstanden (Carnegie85 , Hanna86 ). Obwohl schon so alt, erlebte diese Einrichtung erst in den 1980er Jahren ihren großen Aufschwung, als weltweit immer mehr Familien über ein stark wachsendes Privatvermögen verfügten. Viele Familien hatten Schwierigkeiten mit der Vermögensverwaltung, was dazu führte, dass Einrichtungen geschaffen wurden, die diesem Zweck dienen sollten: die Family Offices. Die FIG-Struktur kann von einem Manager oder Verwalter eines kleinen Vermögens bis hin zu einem perfekt organisierten Family Office wie dem der Familie Pitcairn87 oder einem mächtigen Investor wie dem der Familie Wallenberg stark variieren. Eine der bedeutendsten spanischen FIG ist die Familie March (»Corporación Alba«).88 In der Struktur einer FIG ist die Institutionenebene am wichtigsten. Weniger wichtig sind die anderen Strukturebenen.89 Das Modell selbst ist weniger bedeutend. 85 Andrew Carnegie war Gründer der »Carnegie Steel Company« (später »US Steel«). 86 Mark Hanna (1837–1904) verdiente das Familienvermögen als Unternehmer in der Schiffbau-, Eisen-

und Stahlindustrie. 87 Seit den 1990er Jahren betreibt die Familie Pitcairn ihr Familienbüro und tut dies so erfolgreich, dass sie ihre Multifamily-Office-Dienste jetzt auch Dritten anbietet (www.pitcairn.com). 88 »Corporación Alba« ist die FIG der Familie March. Sie notiert an der Börse und hat sowohl Anteile an Unternehmen mit Streubesitz (ACS, Acerinox) als auch an anderen Familienunternehmen (Prosegur oder Ros Roca). 89 Trennung von Familie und Unternehmen, Managementpraxis, Kommunikation, Nachfolge.

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Unternehmensführung im Modell Familieninvestitionsgruppe

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Die Differenzierung von Familie und Unternehmen ist, wie im nächsten Absatz beschrieben, weniger wichtig, da die Familie dem Familienvermögen weniger Schaden zufügen kann. Eine Professionalisierung ist relativ einfach zu erreichen, da das Management in dieser Art von Unternehmen eine »commodity« ist. Entsprechende Leistungen können zum Beispiel von Investmentbanken, Dienstleistern wie Multifamily Offices oder Family Offices, die anderen Familien ihre Unterstützung anbieten, eingekauft werden. Die Anforderungen an die Unternehmenskommunikation sind gering, da die Familie über ihr Vermögen miteinander verbunden ist, nicht aber über Management und Governance des operativen Geschäfts. Die Nachfolge gestaltet sich ebenfalls einfacher, da sie die Vermögensnachfolge und nicht die Nachfolge in der Geschäftsführung betrifft. Sollte die Nachfolge in der Geschäftsführung betroffen sein, bringt sie dennoch nicht zu viele Probleme mit sich. Einzig auf der Ebene der Institutionalisierung besteht Handlungsbedarf. Der Familienrat muss weiter ausgebaut werden, wenn die Anforderungen dabei auch nicht so streng sind wie in operativen Bereichen des Unternehmens. Der Verwaltungsrat sollte in seiner Funktionsweise der Komplexität der FIG angeglichen werden. Ein externes Ratsmitglied ist von Vorteil. Dabei kann es sich für eine weniger komplexe FIG um einen operativ tätigen Manager handeln, bei komplexeren FIG sind spezialisierte Fachleute zu empfehlen.

Umgang mit familiärer Beteiligung Das Modell FIG ist der Familie gegenüber eher wohlgesonnen als das Modell Professionelle Familie oder das Modell Körperschaft. Familienmitglieder können Positionen in der Geschäftsführung und im Verwaltungsapparat der FIG bekleiden, ohne dass die Existenz der Gruppe gefährdet wird. Die FIG entwickelt sich je nach Kompetenz und Engagement seiner Manager und der Struktur. Diese Faktoren wirken sich, wie bereits erwähnt, positiv auf die Wertschöpfung aus und können dieser nur schwer schaden. Da das Modell an sich der Familie keine Grenzen setzt, muss diese sie selbst festlegen. Eines der Hauptthemen der Familie in einer FIG ist das Maß an familiärer Beteiligung im Unternehmen. Die FIG kann der Familie je nach Größe des Unternehmens Arbeitsplätze und Stellen in der Geschäftsführung bieten. Familienmitglieder können auch Governance-Positionen (in der Verwaltung des Unternehmens) bekleiden. Wie später gezeigt wird, ist ein starker Ausbau des Verwaltungsrats nicht notwendig.

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4 Das Führen von Familienunternehmen

Daher kann er verschiedene Familienmitglieder aufnehmen, ohne den Anforderungen an Verwaltungsräte operativ tätiger Unternehmen gerecht werden zu müssen. Die FIG eignet sich für Familien mit verschiedenen Interessenlagen (konservativ-schützende, ausgewogen-unternehmerische, aber auch risiko- und gewinnorientierte wirtschaftliche Ausrichtung).

Unternehmerische Aktivitäten und Dienstleistungen für die Familie Eine Familieninvestitionsgruppe zu führen, beinhaltet die Entscheidung über und Entwicklung von gezielten unternehmerischen Aktivitäten der FIG und Dienstleistungen (wie bereits im Zusammenhang mit dem Family Office dargestellt) für die Familie und das Ausmaß und den Umfang dieser Dienstleistungen. Die wirtschaftliche Betätigung einer FIG beginnt für gewöhnlich mit dem Immobiliengeschäft. Dabei wird der Immobilienbesitz des Unternehmens geteilt, der in der Regel zu verschiedenen operativen Bereichen gehört. Mit der Zeit werden Immobilieninvestitionen auf Investitionen, die nichts mit dem Kerngeschäft zu tun haben, und später auf Finanzinvestitionen erweitert. Die FIG werden also in der Regel zunächst auf dem Immobilien- und Finanzmarkt aktiv. Sobald die FIG über eine halbwegs etablierte Family-Office-Struktur verfügt, werden für gewöhnlich weitreichendere Aktivitäten wie die Teilhabe an anderen Unternehmen in Betracht gezogen. Wenn es sich um Neugründungen handelt, spricht man von Startkapital, und bei bestehenden Unternehmen, die das Kapital für ihr Wachstum benötigen, spricht man von Förderungskapital. Wenn diese Investitionen und Desinvestitionen systematisch und professionell getätigt werden, handelt es sich um »private-equity«-Aktivitäten.90 Investitionen zur Gründung oder zum Ausbau von Unternehmen nehmen eine besondere Form an, wenn es sich um solche von Familienmitgliedern handelt. In dem Fall unterstützt die FIG unternehmerische Familienmitglieder und ist Teilhaber eines Unternehmens aus der Familie.

90 Der Begriff »private equity« bezeichnet außerbörsliches Beteiligungskapital für börsennotierte

Unternehmen und nichtbörsennotierte Unternehmen, deren Unternehmensführung oder Vermögen nicht ausreicht, vorhandenes Unternehmenspotenzial auszuschöpfen. Ziel ist in der Regel der gewinnbringende Wiederverkauf nach vier oder fünf Jahren. Die Gewinnsteigerung wird durch eine verbesserte Unternehmensführung und eine starke Verschuldung des operativ tätigen Unternehmens erreicht. Unternehmen dieser Art entstanden in den 1980er Jahren als spezialisierte Firmen, die große Fonds verwalteten. Später haben die »family offices« diese Vorgehensweise übernommen.

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Gemischte Modelle

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Die üblichen Family-Office-Dienstleistungen eines können in vier Hauptgruppen eingeteilt werden: • Beratung (Finanzen, Steuer, Recht, Immobilien), • Verwaltung (Versicherungen, Geschäftsleitung, Ankauf), • andere Dienstleistungen (Ankauf, Datenverwaltung, Telekommunikation, Beschaffungs-, Veranstaltungs- und Reisemanagement etc.), • Aus- und Weiterbildung (Seminare, Workshops, Coaching etc.).

Gemischte Modelle Sehr häufig besitzt die Familie nicht nur ein einzelnes Unternehmen, sondern mehrere Unternehmen, die getrennt voneinander oder möglicherweise unter dem Dach einer Holding agieren. In diesen Fällen ist es sehr gut möglich, dass die Familie für die verschiedenen unternehmerischen Aktivitäten unterschiedliche Modelle verwendet. Meistens findet man gemischte Modelle, in denen zwischen Aktivitäten der Wertschöpfung und des Werterhalts unterschieden wird. Ab einer gewissen Komplexität des Unternehmens ist diese Unterscheidung von großem Vorteil. Dann empfiehlt sich die Kombination des Modells FIG mit dem Modell Patriarch, Professionelle Familie oder Körperschaft. Dadurch, dass sich der Aufbau des Familienunternehmens hinsichtlich beider Aktivitäten unterscheidet, können sich beide Unternehmensformen besser entwickeln. Durch die Entwicklung eines Zweiges für den Werterhalt kann die Familie im Bereich der Wertschöpfung mehr Risiken eingehen. Häufig verfügen Familienunternehmen über eine Vielzahl an Aktiva, vor allem Immobilien, die vom operativen Geschäft in Form einer FIG getrennt werden können. Familiengruppe

Patriarch professionelle Familie Körperschaft

operative Unternehmen

Familieninvestitionsgruppe (FIG)

Empresas Patrimoniales

Abbildung 52: Gemischte Modelle

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4 Das Führen von Familienunternehmen

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Dreieck zur Führung von Familienunternehmen In den vorangegangenen Abschnitten wurde aufgezeigt, welche Entwicklungsmöglichkeiten es innerhalb verschiedener Modelle gibt, welche Modelle sich am besten für das jeweils bestehende Komplexitätsniveau eignen und wie Modellwechsel realisiert werden können. Jede der möglichen Entwicklungen erfordert es, den Schwerpunkt auf eine der folgenden Ebenen zu legen: • Änderung des mentalen Modells: Situationen, die eine Änderung im Denken erfordern, um das Modell des Familienunternehmens weiterzuentwickeln (z. B. der Übergang vom Patriarchen zur Professionellen Familie). • Begrenzung der Komplexität der Familie: den Komplexitätsanstieg verhindern oder die Komplexität senken, damit das bestehende Modell wiederholt werden oder ein Modell angenommen werden kann, das eine geringere Komplexität als die bestehende verträgt (z. B. die Wiederholung des Modells Professionelle Familie). • Entwicklung von passenden Strukturen: Wie bereits dargestellt, sollte das bestehende Modell eine Strukturentwicklung zulassen, die der gegenwärtigen Komplexität angemessen ist. Das Dreieck zur Führung von Familienunternehmen skizziert die in diesem Buch dargestellten Erkenntnisse zusammenfassend. Modellwechsel (»mentales Problem«)

Verringerung der Komplexität der Familie (Komplexitätsproblem)

Führung von Familienunternehmen

Strukturentwicklung (Strukturproblem)

Abbildung 53: Dreieck zur Führung von Familienunternehmen

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Schlussbemerkungen

In diesem Buch wurden zunächst die einzelnen Forschungsansätze zu Familienunternehmen vorgestellt. Jeder Ansatz hat einen Beitrag zum besseren Verständnis von Familienunternehmen geleistet. Unser Beitrag besteht in der Konzentration auf die Beziehungsstruktur von Familie und Unternehmen und die Beschreibung des fundamentalen Einflusses dieses Aspekts auf Unternehmen und Familie. Wir haben das Komplexitätskonzept als zentrale Achse ausgewählt, die die Gesamtheit der Interaktionen zwischen Familie und Unternehmen beschreibt. Der Begriff der Komplexität verweist auf viele verschiedene Elemente, die miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen, sodass die Anzahl der potenziellen Verhaltens- und Entwicklungsmöglichkeiten steigt. Der Blick auf das Komplexitätsgeflecht von Familie und Unternehmen zeigt uns Zukunftsperspektiven, die auf Ungewissheit gründen. Wir betrachten die Unternehmerfamilie mit Blick auf das Komplexitätskonzept und schlagen in dem Zusammenhang vor, die Familie in ihrem Wachstumsprozess, der Zunahme der Anzahl der Familienmitglieder zu beobachten und dabei zu akzeptieren, dass jedes neue Familienmitglied seine eigenen Interessen und Ziele verfolgt, anders denkt und empfindet, was das Unternehmen betrifft. Die Gesamtheit aller, unter dem Familienbegriff zusammengefasst, wirkt auf die eine oder andere Weise auf das Unternehmen ein. Dieser Einfluss muss angemessen kanalisiert werden, um keine Unordnung entstehen zu lassen. Daher wird die Einführung von Strukturen empfohlen, die den Einfluss der Familie auf das Unternehmen ordnen und kanalisieren. Ebenso steigt die Komplexität des Unternehmens mit seinem Wachstum, das heißt, es sind immer mehr Einflussfaktoren zu beachten, es laufen immer mehr interdependente Prozesse ab. Ohne Regulierung greift die Unordnung immer mehr um sich. Daher sind neue Strukturen von Bedeutung, die Prozesse regulieren, Funktionsbereiche definieren und Finanzflüsse kanalisieren. So gesehen ist Struktur das zentrale Konzept, die als Gegengewicht zur Ungewissheit verstanden werden kann. Durch die Regulierung und Festlegung von Aufgaben- und Verantwortungsbereichen steigt das Stabilitäts- und Kontrollniveau in den beiden komplexen Systemen Familie und Unternehmen.

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5 Schlussbemerkungen

Struktur ist das Zünglein an der Waage, das das entstehende Risiko ausgleichen kann. Gemeint ist damit, dass proportional zur Komplexität die Anzahl der unkalkulierbaren Vorkommnissen steigt, also solcher Ereignisse, die im Einzelnen nicht vorherzusehen sind, auch wenn wir grundsätzlich wissen, dass sie eintreten können. Der Beschreibung der einzelnen Variablen, die in der Beziehung zwischen Familie und Unternehmen statistisch signifikant sind, wurde viel Platz eingeräumt. Ordnung herzustellen, ist eine Arbeit, die langsam vorangeht, wobei der Einfluss einzelner Bereiche aufeinander beachtet werden muss. Eine detaillierte Beschreibung der Strukturelemente findet sich im Anhang. Und letztlich wurden die Modelle vorgestellt. Sie sind ein Versuch, die Gesamtheit der Elemente, die eine Rolle spielen, zu kategorisieren und zu verstehen. Da es eine Vielzahl an Komplexitätsniveaus sowohl in der Familie als auch im Unternehmen gibt, versuchen wir mittels der Modelle allgemeine Typen zu beschreiben, anhand derer sich die Familienunternehmen vergleichen können. Die Analyse der einzelnen Modelle von Familienunternehmen ermöglicht es uns außerdem, mögliche Zukunftsszenarien zu entwerfen und Vorschläge zu entwickeln, wie der vorhersehbare Komplexitätsanstieg bewältigt werden kann. Zur Typologisierung von Familienunternehmen kommt ein neuer Aspekt, der in der Formel zur Führung von Familienunternehmen nicht enthalten ist. Es geht um mentale Modelle. Ein mentales Modell repräsentiert die Vorstellung jedes Einzelnen von einer bestimmten Realität, seine individuelle Sicht auf die Welt, seinen Werten und Normen. Sprechen wir von Familie oder Unternehmen, dann tun wir das implizit auf der Grundlage unseres mentales Modell. Unser Kommunikationsinteresse besteht darin, anderen unsere diesbezüglichen Ansichten mitzuteilen. Die verschiedenen mentalen Modelle vom Unternehmen, die in einer Familie vorkommen können, sind ernst zu nehmen, da sie schnell zu großen Missverständnissen und Uneinigkeiten führen können. Abschließend fasst die letzte Grafik (Abb. 53) die drei Hauptkonzepte zusammen, die unserer Meinung nach bei der Führung von Familienunternehmen zu beachten sind: • Das Komplexitätsniveau, das entstehen wird oder das wir zulassen, wenn ihm nicht strukturell entgegengewirkt wird, birgt das Risiko, dass das Unternehmen an Stabilität verliert und einen Prozess mit unvorhersagbaren Folgen in Gang gesetzt wird. • Die Strukturentwicklung ermöglicht den Umgang mit allen Elementen, durch die sich die Beziehungsstruktur der immer komplexer werdenden

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Familie und die des komplexer werdenden Unternehmens allmählich aneinander angleichen. • Der Modellwechsel: Das Führen von Familienunternehmen ist kein kontinuierlicher Prozess, sondern muss manchmal in bedeutenden qualitativen Sprüngen vollzogen werden, die von der Familie eine veränderte Denkweise erfordern.

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Anhang: Strukturdetails

Die Beziehungsstrukturen zwischen Familie und Unternehmen stehen in direktem Zusammenhang mit den verschiedenen Managementbereichen im Unternehmen. Veränderungen in diesen Bereichen wirken sich auf die Beziehungsstrukturen aus. Zum besseren Verständnis des Buches haben wir detaillierte Informationen zu den Managementbereichen in diesem Anhang aufgeführt, die inhaltlich tiefer gehen. Hier kann jeder, der daran interessiert ist, erfahren, wie man Beziehungsstrukturen von Familie und Unternehmen in Einklang bringen kann. »FBK-Diagnostic« bietet unter der spanischsprachigen Website www.fbkonline.com die Möglichkeit, Komplexität und Beziehungsstrukturen auf den Einzelfall abgestimmt auszuwerten, und gibt Empfehlungen zur weiteren Vorgehensweise.

Institutionen und ihre Funktionsweise Bei der Betrachtung der Governance von Familienunternehmen wird für gewöhnlich zwischen drei Organen unterschieden: Familienrat, Verwaltungsrat und Lenkungsausschuss. Diese haben unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche: Der Familienrat beschäftigt sich mit der Governance der Unternehmerfamilie, der Verwaltungsrat mit der Governance des Unternehmens, und der Lenkungsausschuss mit dem Management der Unternehmerfamilie und des Unternehmens. Das Familienunternehmen entsteht durch Unternehmensführung. Ein Unternehmer gründet ein Unternehmen und baut es auf. Er ist in der Regel Antrieb und Seele des Unternehmens, leitender Geschäftsführer und Eigentümer. Entscheidungen, die die Beziehungsstruktur von Familie und Unternehmen beeinflussen, werden von den Werten des Unternehmers bestimmt. Dasselbe gilt für Governance und Management des Unternehmens. Für gewöhnlich wird in Unternehmen dieser Art nicht zwischen Eigentum und Unternehmensführung unterschieden. Der Unternehmer trifft die Entschei-

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Anhang: Strukturdetails

dungen mit seinem Lenkungsausschuss, bei Fragen wendet er sich an einen Berater oder eine Person seines Vertrauens. Die Gründung eines Familienrats stellt einen Qualitätsunterschied dar. Durch ihn werden Entscheidungen bezüglich der Unternehmerfamilie nicht nur vom Unternehmer allein getroffen, sondern aufgrund von Gesprächen und eventuell sogar von Übereinkünften aller einflussreichen Familienmitglieder. Dasselbe gilt für den Verwaltungsrat. Durch ihn entsteht eine Differenzierung zwischen Management und Governance. Strategische Entscheidungen und die Verantwortung für eine gute Unternehmensführung liegen nicht mehr allein in den Händen des Unternehmers, sondern eines Organs. Dies bedeutet, dass wichtige Entscheidungen und das Management nicht mehr im Ermessen des leitenden Geschäftsführers liegen, sei es der Unternehmer oder eine andere Person, sondern vom Verwaltungsrat diskutiert und genehmigt werden müssen. Der leitende Geschäftsführer steht dem Rat gegenüber in der Rechtfertigungspflicht für die Konsequenzen dieser Entscheidungen. Die Gründung des Lenkungsausschusses bedeutet ebenfalls eine Veränderung der Institutionsstruktur, auch wenn die Hauptverantwortung für die Unternehmensführung weiterhin beim leitenden Geschäftsführer liegt, der auch Generaldirektor oder erster Vorstand genannt werden kann. Der Lenkungsausschuss ist eine geschäftsführende Gruppe, die unabhängig vom jeweiligen Aufgabenbereich einzelner Mitglieder gemeinsam das Unternehmen leitet. Die Entwicklung spanischer Familienunternehmen in Bezug auf die Institutionenstruktur wird in Abbildung 54 gezeigt. Es ist erkennbar, dass die Strukturentwicklung bei nur 24 % der Unternehmen hoch beziehungsweise sehr hoch ist. Die Bedeutung der Organe liegt in ihrer Gesamtheit und geht über die Funktionalität einzelner Elemente hinaus. Wie Abbildung 55 zeigt, wird die Funktionalität eines Organs durch die Qualität der Abläufe innerhalb der anderen Organe entscheidend geprägt. Die Familienverfassung als Regelwerk ermöglicht einen reibungslosen Ablauf im Familienrat und begrenzt den Einfluss der Familiendynamik auf den Verwaltungsrat. Dieser kann seine Governance-Funktion besser erfüllen, da er unabhängig von konkreten Familienproblemen wirken kann. Wie die Abbildung 55 auch zeigt, wirkt sich eine gute Governance stark auf den Lenkungsausschuss aus. Ein guter Verwaltungsrat fördert besonders die Entwicklung der Geschäftsführung und somit die Funktionalität des Lenkungsausschusses. Der Familienrat begünstigt ein professionelles Verhalten der Geschäftsführung und somit die Funktionalität des Lenkungsausschusses.

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Funktionsweise und Aufgaben des Familienrats

149

40,0%

Prozent

30,0%

20,0%

38,4%

22,7%

10,0%

15,1%

13,8% 10,0%

0,0% sehr gering

gering

durchschnittlich

hoch

sehr hoch

Institutionalisierungsgrad

Abbildung 54: Institutionalisierungsgrad (FBK-Database, 2007) Familienverfassung

0.45

Funktionalität des Familienrats 0.19

0.10

0.30 Funktionalität des Verwaltungsrats 0.48

Funktionalität des Lenkungsausschusses

Abbildung 55: Wirkungszusammenhänge zwischen den verschiedenen GovernanceOrganen (Radiografía de la Empresa Familiar Española, 2006)

Funktionsweise und Aufgaben des Familienrats Je genauer die Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Organe festgelegt werden, desto weiter ist die Institutionalisierung fortgeschritten. Wir sprechen hier von Funktionalität. Ein Familienrat, der formal existiert, sich aber nicht trifft und weder über Informationen noch über Autorität verfügt, ist nicht mit einem Familienrat gleichzusetzen, der seine Funktion tatsächlich ausübt.

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Anhang: Strukturdetails

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Allen Mitgliedern der Unternehmerfamilie sollte ab einem gewissen Alter ein Platz im Unternehmen zustehen. Mit »Platz« meinen wir eine Form der Zugehörigkeit zum Familienunternehmen. Häufig wird Zugehörigkeit durch einen Arbeitsplatz im Unternehmen definiert. Wer nicht arbeitet, gehört nicht dazu. Jeder benötigt einen Platz. Dieser sollte jedoch funktional sein, das heißt eine den Familien- und Unternehmenszielen angemessene Beteiligungsform. Die Mitgliedschaft im Familienrat ist eine hervorragende Form, sich im Familienunternehmen zu engagieren. Der Familienrat hat fünf Hauptaufgaben: Autoritätsausübung, Sozialisation seiner Mitglieder, Förderung von Zusammenhalt und Unternehmergeist, Festlegung von Regeln und Grenzen, repräsentative Funktionen sowie Statusvermittlung und -wahrung. Autorität ausüben Der Familienrat repräsentiert die Eigentümer und somit die höchste Autorität. Er muss Grenzen für sein Handeln festlegen. Das heißt, er bestimmt die Bereiche, in denen er unmittelbare Autorität ausüben möchte, und überträgt dem Verwaltungsrat und dem Lenkungsausschuss die Entscheidungsgewalt für die übrigen Bereiche. Wenn der Familienrat die Grenzen seiner Entscheidungsgewalt zu sehr ausweitet, ist er höchstwahrscheinlich inkompetent. Entscheidungen der Eigentümerfamilie GovernanceEntscheidungen ManagementEntscheidungen

Abbildung 56: Entscheidungshierarchie der Governance-Organe

Dafür bedarf es des expliziten Aufbaus einer Hierarchie, die für gewöhnlich nicht von allein entsteht. Bei Familienunternehmen liegt die Macht in der Regel bei der Geschäftsführung, da diese Ursprung des Unternehmens ist. Das Unternehmen wuchs und entwickelte sich zunächst auf Grund guter Unternehmensführung, nicht durch die Qualität der Autoritätsausübung. Das Gewicht lag also auf der Unternehmensführung und nicht auf der Autorität.

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Funktionsweise und Aufgaben des Familienrats

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Eine Aufgabe des Familienrats ist die Änderung der Machtverhältnisse, indem er den Eigentümern Macht einräumt, sodass sie in der Hierarchie über jeder anderen beschlussfähigen Person und Institution stehen. Dazu muss die Rolle der Eigentümer definiert werden. In der ersten Generation liegt die Macht beim Unternehmensgründer als der Führungsperson des Unternehmens, die das Projekt geplant und vorangetrieben hat. Bei der Übergabe an die zweite Generation legt der Unternehmensgründer wenig Wert auf die Eigentumsfrage, da seine Kinder das Unternehmen auf seinen Wunsch hin übernehmen. Diese Perspektive eignet sich auch die zweite Generation an. Entsprechend liegt die Macht wieder bei den Familienmitgliedern, die das Unternehmen führen, ohne dass sich diese der Autorität der Eigentümer unterordnen, weder denen in leitender noch nichtleitender Funktion. Durch den Familienrat bekommen die Eigentümer Entscheidungsgewalt. Der Familienrat legt unter anderem fest, wie die Machtverteilung unter den Familienmitgliedern aussieht, welche Organe entstehen sollen, wer in ihnen arbeitet, wer unter welchen Bedingungen im Unternehmen tätig ist. Er bestimmt, in welcher Form der Familie Einnahmen des Unternehmens zustehen, das heißt, zu welchen Bedingungen wer welche Löhne ausgezahlt bekommt und welche Dividenden verteilt werden. Der Familienrat ernennt außerdem den Verwaltungsrat. Er legt fest, welche Familienmitglieder und welche familienexternen Führungskräfte und unabhängigen Mitglieder aufgenommen werden. Der Familienrat erteilt dem Verwaltungsrat einen Auftrag. Dies impliziert Ziele, die mit der Unternehmenspolitik dieser Familie zusammenhängen. An diese Ziele muss sich der Verwaltungsrat halten und über diesbezügliche Fortschritte Bericht erstatten. Seinerseits handelt der Verwaltungsrat ebenso in Bezug auf die leitende Geschäftsführung und den Lenkungsausschuss. Er begrenzt seinen eigenen Einflussbereich, erteilt der leitenden Geschäftsführung einen Auftrag und räumt ihm dafür genügend Handlungsspielraum ein. Die Autorität des Familienrats ist letztlich in unvorhergesehenen Situationen gefragt. Der Familienrat ist für die Bewältigung von allen Ereignissen zuständig, auf die man nicht von vornherein vorbereitet ist und die zweifellos eintreffen (z. B. Wachstumsmöglichkeiten, Strategieänderungen, unerwartete besondere Vorkommnisse, Todesfälle, Familienkrisen, Uneinigkeiten). In einigen Fällen findet der Familienrat direkt Lösungen, in anderen nimmt er Lösungsvorschläge des Verwaltungsrats an oder lehnt sie ab.

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Anhang: Strukturdetails

152 Entscheidungen der Eigentümerfamilie Encargo Auftrag

GovernanceEntscheidungen Encargo Auftrag

ManagementEntscheidungen

Abbildung 57: Übertragung der Entscheidungsgewalt auf die Governance-Organe

Sozialisieren Durch den Familienrat wird der Folgegeneration nahegebracht, was es bedeutet, Miteigentümer eines Familienunternehmens zu sein. Der Familienrat sorgt für eine unternehmensbezogene Sozialisation der heranwachsenden, jüngeren Familienmitglieder. Mit seiner Hilfe gehen sie auf Tuchfühlung mit dem Unternehmen, lernen es kennen und schätzen, Verantwortung für Eigentum zu übernehmen, Risiken auf sich zu nehmen, die Verschwiegenheitsvereinbarung zu beachten, also die Themen des Familienrats nicht nach außen zu tragen. Die Jugendlichen lernen den Unterschied kennen zwischen »reich sein« und »Eigentümer eines Unternehmens mit einem bestimmten Wert sein«. Dieser Entwicklungsschritt ist ebenso mit der Vermittlung von Werten und Weltanschauungen verbunden. Die Vermittlung des Unternehmergeistes findet ebenfalls im Familienrat statt, wenn auch nicht allein dort. Dies bedeutet nicht, dass alle Familienmitglieder ein Unternehmensprojekt leiten (möglicherweise nicht einmal eines von ihnen), aber dass es allen Freude bereitet und sie das Verdienst des unternehmerischen Fortschritts anerkennen. Sozialisation hat auch einen Ausbildungscharakter. Die Miteigentümer zu sozialisieren, bedeutet auch, darauf zu achten, dass alle Mitglieder der Aktionärsfamilie über genügend Kenntnisse wertorientierten Handelns in einem Unternehmen, der wesentlichen Managementkonzepte und über ein fundamentales Finanzverständnis verfügen.91 91 In dem Zusammenhang hat eine bekannte belgische Familie eine »Family Academy« gegründet, ein Ausbildungsprogramm für alle Familienmitglieder der Folgegeneration (300) und der gegenwärtigen Generation (50).

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Funktionsweise und Aufgaben des Familienrats

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Repräsentative Aufgaben sowie Statusvermittlung und -wahrung Auch wenn es in Familienunternehmen üblich ist, dass nur zwischen »im Unternehmen aktiv sein« und »nicht im Unternehmen aktiv sein« unterscheiden wird, ist es wichtig, diese Zweiteilung zu erweitern und verschiedene Arten des Engagements im Unternehmen anzuerkennen. Ab einem gewissen Komplexitätsniveau und einer bestimmten Größe ist vorauszusehen, dass nicht alle Familienmitglieder in der Geschäftsführung tätig sein können. Durch seine Komplexität erweitert das Unternehmen seinen Einfluss in der Gesellschaft anderweitig, sei es in den Bereichen Kultur, Bürgerinitiativen, Naturwissenschaft, Sport, Fürsorge, durch Stiftungen oder andere Institutionen, durch Investition der Gewinne in die Förderung von gesellschaftlich wertvollen Initiativen. Die Zugehörigkeit zu einer Unternehmerfamilie kann auch ein Zugang zu Nebenaktivitäten sein, die das Unternehmen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld repräsentieren. Der Familienrat repräsentiert die Familie als Institution in der Gesellschaft. Zusammenhalt und Unternehmergeist fördern Der Zusammenhalt der Familie in einem Familienunternehmen entsteht durch ein gemeinsames Projekt, dessen Umsetzung die Wünsche der Einzelnen vereint. Der Familienrat vermittelt Zugehörigkeitssinn und -stolz. Das Zugehörigkeitsgefühl ist für jeden Menschen von Bedeutung. Zu einer Unternehmerfamilie zu gehören, ist identitätsstiftend und vermittelt einen Status in der Gesellschaft. Wenn eine Familie ihr Unternehmen verkauft und nicht als Familieninvestitionsgruppe weiterarbeitet, verliert sie sehr schnell ihr Ansehen in der Gesellschaft.92 Der durch Identifikation gestiftete Zusammenhalt sollte auf Unternehmergeist und Gründungswillen beruhen. Zusammenhalt entsteht außerdem durch Wissen über das Unternehmen. Man kann nicht lieben, was man nicht kennt. Das bedeutet, dass man über die verschiedenen Aktivitäten, Projekte und Herausforderungen der Familiengruppe informiert sein muss. Ebenso sollte sich zum Beispiel über Wünsche, Interessen, persönliche Umstände und wirtschaftliche Bedürfnisse einzelner Familienmitglieder aus-

92 Dies bedeutet nicht, dass alle Familienmitglieder generell an Ansehen verlieren, es geht hier nur

um das Ansehen, das von der Familienzugehörigkeit herrührt. Selbstverständlich können einzelne Familienmitglieder ihr hohes Ansehen in der Gesellschaft aufrechterhalten.

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Anhang: Strukturdetails

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getauscht werden. Kurz, es muss einen Austausch über Unterschiede im Familienkreis geben. Die Aufgabe, Zusammenhalt herzustellen und am Leben zu halten, beinhaltet auch die Fähigkeit zur Etablierung routinemäßiger Gespräche über Themen, die für die einzelnen Familienmitglieder von Bedeutung sind. Systematische Festlegung von Regeln Der Familienrat hat auch die Funktion, den Einfluss der Familie auf das Unternehmen zu beschränken. Der Familienrat ist der Ort, indem die Familie Grenzen bestimmt, für gewöhnlich unter finanzwirtschaftlichen Aspekten (Löhne, Dividenden), arbeitstechnischen Aspekten (Wer arbeitet unter welchen Bedingungen im Familienunternehmen?) und später auch in delikateren Bereichen wie Machtverteilung, Nachfolgeplanung für die Geschäftsführung und Vermögensnachfolge oder Ziele des Familienunternehmens. Eine Form der impliziten oder expliziten Grenzsetzung des Familienrats ist das Erstellen einer Familienverfassung. Die Familienverfassung ist ein nützliches Instrument, wenn man es, anders als in Spanien bisher häufig anzutreffen, für umsetzbare Ziele verwendet. Autorität ausüben Sozialisieren der Unternehmerfamilie repräsentative Aufgaben/ Statusvermittlung und -erhalt

Funktionen des Familienrats

Zusammenhalt und Unternehmergeist fördern Festlegen von Grenzen und Regeln

Abbildung 58: Funktionen des Familienrats

Wie im Folgenden beschrieben, müssen nicht alle Familienunternehmen über einen höchst funktionalen Familienrat verfügen. Er muss in seiner Funktionalität lediglich dem Ordnungsbedürfnis angepasst sein, das das Komplexitätsniveau der Familie mit sich bringt.

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Funktionsweise und Aufgaben des Verwaltungsrats

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Funktionsweise und Aufgaben des Verwaltungsrats Der Verwaltungsrat ist ein Organ, über das sowohl Familienunternehmen als auch in Unternehmen mit anderen Eigentumsverhältnissen verfügen. Börsennotierte Unternehmen mit Streubesitz, Personengesellschaften mit Risikokapital, Genossenschaften, Kapitalanlagegesellschaften (Versicherungen, Sparkassen), Institutionen und Einrichtungen wie Stiftungen und NGOs sowie öffentliche Unternehmen sollten über einen Verwaltungsrat verfügen. Es gibt keine einhellige Expertenmeinung über den idealen Aufbau und die Anzahl der Mitglieder des Verwaltungsrats eines Familienunternehmens. In diesem Abschnitt werden wir unsere Ansicht dazu darlegen, die auf Kenntnissen aus Literatur, unserer Forschung und eigener Erfahrung beruht. Die Mitgliederzahl des Verwaltungsrats sollte auf drei bis sieben Mitglieder beschränkt sein, je nach Komplexitätsniveau des Unternehmens und der Familie. Der Verwaltungsrat sollte gemischt aufgebaut sein und aus Mitgliedern der Eigentümerfamilie, externen Ratsmitgliedern und eventuell einem Geschäftsführer des Unternehmens bestehen. Wie bereits erwähnt, sollten Familienmitglieder aufgrund ihrer Kompetenz im Verwaltungsrat sitzen. Ausschließlich unter besonderen Umständen (wie ein plötzlichen Todesfall oder eine große räumliche Entfernung zwischen den Familienmitgliedern) und in Fällen stark institutionalisierter GovernanceStrukturen empfiehlt es sich, dass Familienmitglieder die Mehrheit im Verwaltungsrat bilden. Es ist wichtig, dass sich kein Verwaltungsratsmitglied, weder familienintern noch -extern, als Vertreter der Eigentümer, die ihn ernannt haben, versteht und damit das Gefühl hat, in deren Schuld zu stehen. Die Mitglieder des Verwaltungsrates sollten vom Familienrat als Institution anerkannt werden und sich ausschließlich ihrem Amt verpflichtet fühlen. Abbildung 59 zeigt, dass bei einem Großteil der in der FKB-Datenbank erfassten Familienunternehmen der Verwaltungsrat überwiegend aus Familienmitgliedern besteht. Diese »familiarisierten« Verwaltungsräte sind weniger funktional als solche, in die auch familienexterne Mitglieder aufgenommen wurden.93 Der leitende Geschäftsführer sollte im Verwaltungsrat sitzen, entweder als leitendes Verwaltungsratsmitglied oder als leitender Geschäftsführer ohne Beratungsfunktion. In einigen Fällen ist es empfehlenswert, dass eine Führungskraft Mitglied im Verwaltungsrat ist (z. B. der Finanzdirektor), damit der Verwaltungsrat über ausreichend Informationen verfügt. 93 Je nach Aufbau unterscheiden sich die Verwaltungsräte in ihrer Funktionalität signifikant voneinan-

der. Je offener der Verwaltungsrat, desto funktionaler (˛ = 0.001 und F = 7.073).

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Anhang: Strukturdetails

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Aufbau des Verwaltungsrats Familienmitglieder

29%

Familienmitglieder + familieninterne Führungskräfte

12%

59%

Familienmitglieder + familienexterne (und -interne) Führungskräfte

Abbildung 59: Aufbau der Verwaltungsräte (FBK-Database, 2007)

Externe Mitglieder sind ein wichtiger Bestandteil des Verwaltungsrats. Wir empfehlen ihre Anwesenheit aus unterschiedlichen Gründen. Einerseits ermöglicht es die Anwesenheit Externer dem Verwaltungsrat, eine eigene Dynamik zu entwickeln und davon abzusehen, Themen zu behandeln, die im Kompetenzbereich des Familienrats oder dem Lenkungsausschuss liegen. Andererseits bereichern sie mit ihren Qualifikationen den Verwaltungsrat und somit das Unternehmen. Es ist empfehlenswert, das Profil der Verwaltungsratsmitglieder auf die gegenwärtigen Bedürfnisse des Unternehmens abzustimmen. Allgemein gilt es Personen auszuwählen, die bereits in den Bereichen Erfahrung haben, die für die Zukunft des Unternehmens relevant sind. Das heißt, wenn das Unternehmen auf internationaler Ebene expandieren möchte, sollte es ein Ratsmitglied mit einbeziehen, das dies schon erlebt hat. Wenn die Managementmethoden ausgebaut werden sollen, sollte jemand aus einem in dieser Hinsicht professionelleren Unternehmen dazukommen, wenn das Unternehmen seine Produktpalette erweitern möchte, sollte ein Fachmann aus dem Forschungs- und Entwicklungsbereich hinzugezogen werden. Wenn die nächsten Aufgaben besondere Kenntnisse in den Bereichen Börse oder Akquise erfordern, sollte jemand mit Erfahrungen auf diesen Gebieten einbezogen werden. Die Ratsmitglieder sollten über Professionalität und eine starke Persönlichkeit verfügen: Es sollte ihnen jederzeit möglich sein, ihre Meinung frei zu äußern und unbequeme Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie ihre Position im Verwaltungsrat damit gefährden. »Ja-Sager« helfen diesem Gremium nicht. Verwaltungsräte, die allein aus Familienmitgliedern bestehen, kommen in kleinen Unternehmen vor. Mit steigender Komplexität werden zunächst familienexterne Mitarbeiter aus dem Unternehmen hinzugezogen und später auch unabhängige Ratsmitglieder. In jedem Fall sollten Führungskräfte nur begrenzt in den Verwaltungsrat integriert werden, da eine Führungsperson mit beratender Funktion schnell

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Funktionsweise und Aufgaben des Verwaltungsrats

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über dem leitenden Geschäftsführer stehen kann, was zu Differenzen auf der Führungsebene führen kann. Andererseits spricht nichts gegen eine zeitweilige Teilnahme von Führungskräften, um den Verwaltungsrat punktuell zu informieren.

Komplexität des Unternehmens

Komplexität des Unternehmens und Aufbau des Verwaltungsrats 70 65 60 55 50 45 40 Familienmitglieder

Familienmitglieder Familienmitglieder + familienexterne + familieninterne Führungskräfte (und -interne) Führungskräfte

Aufbau des Verwaltungsrats

Abbildung 60: Verhältnis zwischen Komplexität des Unternehmens und Aufbau des Verwaltungsrats

Abbildung 60 zeigt, dass sich mit wachsender Komplexität des Unternehmens die Zusammensetzung der Gruppe der Verwaltungsratsmitglieder ändert. Als Erstes werden familieninterne Mitglieder hinzugezogen und später auch externe. Der Verwaltungsrat in Familienunternehmen weist Gemeinsamkeiten mit dem anderer Unternehmensformen auf, er hat aber auch spezifische Eigenschaften. Der Verwaltungsrat in Familienunternehmen hat fünf Hauptaufgaben, die in Abbildung 62 (S. 163) genannt werden. Unterstützung der Geschäftsführung Eine grundlegende Funktion des Verwaltungsrats ist die Beratung und Unterstützung der Geschäftsführung. Der Verwaltungsrat unterstützt die Geschäftsführung schon durch seine bloße Existenz. Auch wenn es nicht immer wertgeschätzt wird, hat der Verwaltungsrat eine distanziertere Sichtweise auf das Familienunternehmen als die Geschäftsführer. So gesehen fallen ihm unter Umständen Aspekte auf, die die Geschäftsführer nur schwer erkennen können. Der Aphorismus »Man erkennt den Wald vor lauter Bäumen nicht« trifft auf diesen Fall zu. Geschäftsführer tendieren aufgrund der hohen Involviertheit sozusagen dazu, »die Bäume zu sehen«, und haben größere Schwierigkeiten,

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Anhang: Strukturdetails

»den Wald zu erkennen«. Der Verwaltungsrat hingegen hat einen größeren Abstand zum operativen Tagesgeschäft, wodurch er »den Wald leichter erkennen« kann. Eine gute Unternehmensführung beruht auf der Fähigkeit, sowohl »die Bäume als auch den Wald zu erkennen«. Der Verwaltungsrat sollte aus persönlich engagierten und beruflich hoch qualifizierten Mitgliedern bestehen. Inkompetente Verwaltungsratmitglieder können sehr teuer werden. Der Verwaltungsrat sollte den Direktor bei der Festlegung von Strategien, der Teamentwicklung auf Führungskräfteebene, der Evaluierung von Projekten und bei der Risikokontrolle unterstützen. Seine Entscheidungen müssen nicht nur verwaltungstechnisch korrekt sein, sondern auch zum angemessenen Zeitpunkt getroffen werden. Deshalb ist es häufig besser, wenn man, um im Bild zu bleiben, zunächst »den Wald« und dann »die Bäume« sieht. Der Verwaltungsrat kann nur in dem Maße unterstützend eingreifen, in dem er über ausreichende und qualitativ hochwertige Informationen hinsichtlich der Geschehnisse im Unternehmen verfügt. Dafür ist die Haltung des leitenden Geschäftsführers von großer Bedeutung. Wenn der leitende Geschäftsführer den Verwaltungsrat akzeptiert, wertschätzt und bestärkt, kann dieser ihn auch unterstützen. Häufig kann eine entsprechende Haltung des leitenden Geschäftsführers gegenüber dem Verwaltungsrat diesen nahezu erübrigen (siehe »Das Modell Patriarch«, S. 87). Monitoring der Geschäftsführung Eine weitere Hauptaufgabe des Verwaltungsrats ist das Monitoring der Geschäftsführung. Monitoring bedeutet zu überwachen, dass die Geschäftsführung über angemessene Kompetenzen verfügt und das Unternehmen in die vom Familienrat gewünschte Richtung lenkt. Durch das Monitoring wird die sogenannte »managerial discretion«94 , also der Handlungsspielraum des leitenden Geschäftsführers und seines Teams verringert. Dies bedeutet, dass der leitende Geschäftsführer nicht die alleinige Entscheidungsgewalt hat, sondern dass sein Handlungsspielraum klar begrenzt ist. In den Fällen, in denen kein Verwaltungsrat besteht, verfügt der leitende Geschäftsführer über einen weitaus größeren Handlungsspielraum und trägt somit auch mehr Verantwortung. Wenn der leitende Geschäftsführer der einzige Eigentümer des Familienunternehmens ist, kann die »managerial discretion« weitaus größer sein, da sich 94 Hambrick, D. C., Finkelstein, S. (1987). Managerial discretion: A bridge between polar views on organizations. In L. L. Cummings, B. M. Staw (Eds.), Research in Organizational Behaviour. Vol. 9 (S. 369–406). Greenwich: JAI Press.

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Funktionsweise und Aufgaben des Verwaltungsrats

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seine Entscheidungen nur auf sein Eigentum und nicht auf Dritte auswirken. Sollte der leitende Geschäftsführer nur Miteigentümer des Unternehmens sein, was in der Regel ab der zweiten Generation der Fall ist, ist es kaum empfehlenswert, ihm die gesamte Kontrolle und Verantwortung über Management und Governance des Unternehmens zu überlassen – ganz zu schweigen von dem Fall, dass der leitende Geschäftsführer kein Familienmitglied ist. In diesem Fall ist die Kontrollfunktion noch wichtiger, da er nicht aus familiärer Loyalität handeln wird, obwohl der leitende Geschäftsführer selbstverständlich über professionelle Loyalität verfügen muss. Nichtsdestotrotz ist eine Loyalität, die den familiären Bindungen entspringt, größer als eine Loyalität, die auf rein beruflichen Bindungen beruht. Da die Kontrollfunktion auch eine geteilte Verantwortung einschließt, ist sie nicht nur für das Unternehmen und die Interessen der Eigentümer von Vorteil, sondern auch für den leitenden Geschäftsführer selbst. Kontroll- und Beratungsfunktion stehen bis zu einem gewissen Grad im Gegensatz zueinander95, da der Verwaltungsrat den leitenden Geschäftsführer zu besonders relevanten Themen berät, über die er informiert wird und die der leitende Geschäftsführer zur Diskussion stellt. Diese Information wird ebenfalls genutzt, um den leitenden Geschäftsführer zu kontrollieren, was dazu führen kann, dass der leitende Geschäftsführer weniger Information preisgibt. Dadurch entsteht eine ambivalente Situation im Verwaltungsrat, denn je mehr er die Geschäftsführung kontrolliert, desto weniger kann er sie beraten und umgekehrt. Deshalb muss ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Beratungs- und Kontrollfunktion gefunden werden, sodass je nach Situation die eine oder die andere Funktion überwiegen kann. Der Verwaltungsrat eines Familienunternehmens konzentriert sich zunächst auf die Beratungsfunktion und übernimmt im Laufe der Zeit auch Kontrollfunktionen. In der Gründungsphase kann sich der Verwaltungsrat ausschließlich auf die Beratungsfunktion beschränken. Entwicklung von Ressourcen und Kompetenzen Im Bezug auf den Verwaltungsrat wird der Schwerpunkt nur selten auf Ressourcen und Kompetenzen gelegt, doch ist er für uns von fundamentaler Bedeutung. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen richtet sich nach den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen.96 So kann ein Unterneh95 Birgit, R. (2002). Four Essays in Corporate Governance. Proquest Doctoral Dissertations. Chicago:

University of Chicago. 96 Die Ressourcentheorie (»resource-based view«) ist ein strategischer Ansatz, der darauf beruht, dass

sich Unternehmen aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Fähigkeiten vonein-

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Anhang: Strukturdetails

men, das über hoch qualifizierte Führungskräfte verfügt, andere Unternehmen übernehmen, da es in der Lage ist, die neu eingegliederten Unternehmen zu führen. Erfolgreiches Handeln eines Unternehmens zu verstehen, bedeutet ein Verständnis für die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen und Kompetenzen zu entwickeln. In einem Familienunternehmen ist häufig der Unternehmer selbst eine fundamentale Ressource. Oftmals erreicht das Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit durch diese Person, sodass, wenn sie geschwächt wird oder ausscheidet, das Unternehmen unter Umständen einen Ressourcen- und Kompetenzverlust hinnehmen muss. Ressourcen und Fähigkeiten eines Unternehmens werden nur allmählich aufgebaut. Die Nachwirkungen ihres Verlustes sind erst zeitverzögert zu spüren, wodurch er noch schwieriger zu erkennen ist. Eine Aufgabe des Verwaltungsrats ist es, darüber zu wachen, dass das Unternehmen seine Ressourcen und Fähigkeiten ausbaut und diesbezüglich für Nachhaltigkeit sorgt. Dies beinhaltet notwendigerweise, die Abhängigkeit des Unternehmens vom Unternehmensoberhaupt zu verringern. Dabei sollte das Unternehmen jedoch weiterhin von seinen Kompetenzen profitieren. Dabei ist zu beachten, dass das Unternehmen nicht nur von einer Person geleitet werden sollte. Das bedeutet, dass Entscheidungen nicht aufgrund von bloßen Meinungen der Unternehmer getroffen werden, sondern sich auf professionelle Kriterien stützen sollten. Ein Unternehmen von einer einzelnen Person führen zu lassen, bedeutet nicht, dass es schlechter geführt wird, sondern dass die Unternehmensführung von den Fähigkeiten eben jener einzelnen Person abhängt. Je außergewöhnlicher deren Fähigkeiten sind, desto schwieriger wird es, sie zu ersetzen. Die Aufgabe der Entwicklung von Ressourcen und Fähigkeiten beinhaltet außerdem, auf die Entwicklung einer zweiten Führungsebene zu achten, auf die Etablierung einer Geschäftsführung, die auch ohne das Zutun des leitenden Geschäftsführers das Unternehmen voranbringen kann. Auf Ressourcen und Kompetenzen zu achten bedeutet, für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen.

ander unterscheiden (Aktiva, Personen, Beziehungen, Management- und Koordinationssysteme, Commitment, Technologien etc.). Das bedeutet, dass es keine identischen Unternehmen gibt. Daher werden Strategien zur Hebung und Ausschöpfung von Ressourcen entwickelt. Zum Beispiel stellt Honda gute Verbrennungsmotoren her, weshalb das Unternehmen Produkte entwickelt, die gute Motoren benötigen, wie Autos, Motorräder, Motorboote, Rasenmäher, Motorsägen und Elektroaggregate.

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Funktionsweise und Aufgaben des Verwaltungsrats

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Nachfolge in der Geschäftsführung Die Vermögensnachfolge liegt im Aufgabenbereich des Familienrats, für die Nachfolge in der Geschäftsführung ist hingegen der Verwaltungsrat zuständig. Ohne den Verwaltungsrat vollzieht sich die Nachfolge des leitenden Geschäftsführers nach dem »Alles-oder-nichts«-Prinzip, das heißt, der leitende Geschäftsführer wird nach Verlassen seiner einflussreichen Position vom Unternehmensgeschehen ausgeschlossen. Dieser Übergang birgt zwei grundlegende Schwierigkeiten in sich: Zum einen den Verlust einer qualifizierten Arbeitskraft, zum anderen ist der Schnitt meist zu drastisch, um vom Unternehmer problemlos akzeptiert und verkraftet zu werden. Der nahtlose Übergang von der Geschäftsführer zum Vollzeitgolfspieler ist meist sowohl für das Unternehmen als auch für den Unternehmer unvorstellbar. Der Verwaltungsrat wacht darüber, dass die Qualität der Unternehmensführung stets beibehalten wird. Dies bedeutet, dass die verschiedenen Beratungsfunktionen sowie die Kontrolle und Entwicklung von Ressourcen und Fähigkeiten zeitlich flexibel gehandhabt werden. Abbildung 61 beschreibt unterschiedliche Beziehungsstrukturen zwischen Verwaltungsrat und Lenkungsausschuss. Die Größe des Einflusses wird durch die Größe des Ovals dargestellt. Typ A kennzeichnet einen sehr einflussreichen Lenkungsausschuss und einen Verwaltungsrat mit geringem Einfluss. In dem Fall handelt es sich um einen Verwaltungsrat, der vor allem berät. Davon unterscheidet sich Typ B deutlich. Er zeigt einen sehr einflussreichen Verwaltungsrat (zuständig für Beratung, Monitoring, Entwicklung von Ressourcen und Fähig-

A

B

Consejo de Verwaltungsrat Administración

Verwaltungsrat (exekutiv)

Lenkungsausschuss Direcci ón General

Lenkungsausschuss (operativ)

Abbildung 61: Nachfolge im Management und der Governance

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keiten) und einen weniger einflussreichen Lenkungsausschuss (zuständig für das Management, aber nicht für die Governance). Typ A ist für die Gründungszeit des Verwaltungsrats empfehlenswert. Sein Beitrag liegt in seiner bloßen Existenz, seiner Außenperspektive und in seiner Beratungsfähigkeit. Dies sollte vor allem der Fall sein, wenn der leitende Geschäftsführer auch der Unternehmensgründer ist. In dem Fall bedeutet dies für die Nachfolge in der Geschäftsführung, dass der Unternehmensgründer den Lenkungsausschuss verlässt und ausschließlich die Position als Verwaltungsratsvorsitzender innehat. Das bedeutet eine Veränderung der Machtverhältnisse in beiden Organen, indem der Verwaltungsrat durch die stärkere Kontrolle und Entwicklung von Ressourcen und Kompetenzen einflussreicher wird, somit die Geschäftsführung eher mit ausführenden Aufgaben betraut werden kann und daher weniger einflussreich ist. Sollten die zweite oder dritte Generation vor der Nachfolge stehen, gestaltet sich dieser Prozess einfacher und verlangt weniger Plastizität vom Verwaltungsrat. Solange der Verwaltungsrat seinen anderen Aufgaben in angemessener Form nachgeht, wird auch die Nachfolge erleichtert. Der Familie Grenzen setzen Es gehört ebenfalls zu den Aufgaben des Verwaltungsrats, den familiären Einfluss auf das Unternehmen zu begrenzen und zu verhindern, dass sich die Familienlogik gegenüber der Unternehmenslogik durchsetzt. Das bedeutet nicht, dass Familienmitglieder aus dem Verwaltungsrat ausgeschlossen werden, sondern dass ihre Entscheidungen nicht familien-, sondern governanceorientiert sein sollten. Deshalb dürfen Familienmitglieder nur aufgrund ihrer Funktion als kompetente Mitglieder in den Verwaltungsrat aufgenommen werden.97 Die Mitglieder des Verwaltungsrats müssen den gesamten Familienrat repräsentieren und nicht nur einzelne Familienmitglieder, Familienzweige oder Eigentümergruppen. Meinungsverschiedenheiten, die es selbstverständlich immer gibt, müssen im Familienrat geklärt werden, sodass dem Verwaltungsrat ein eindeutiger Auftrag übertragen wird. Er führt den Auftrag des Familienrats aus. Dies ist gewinnbringender für das Unternehmen als Verwaltungsräte, in denen die Interessen der Anteilseigner vertreten werden. Governance als Priorität wird in dem Fall durch Interessen Einzelner in den Hintergrund gedrängt. In diesen Verwaltungsräten, die für börsennotierte Unternehmen mit Streu97 Unter »Kompetenz« verstehen wir die Fähigkeit, angestrebte Ziele zu erreichen. Vgl. McGrath, R. G., MacMillan, I., Venkataraman, S. (1995). Defining and developing competence: a strategic process paradigm. Strategic Management Journal, 1, 251–275. In diesem Fall werden die Ziele vom Familienrat gesteckt.

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Funktionsweise und Aufgaben des Lenkungsausschusses

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besitz typisch sind, kann die Energie, die zur Vertretung der eigenen Interessen gebraucht wird, nicht für eine gute Governance aufgewandt werden. Der Verwaltungsrat muss die gesamte Eigentümerfamilie repräsentieren. Deshalb ist es notwendig, dass der Familienrat den Verwaltungsrat ermächtigt, sich den Bereichen zu widmen, die mit der professionellen Tätigkeit der Familienmitglieder im Unternehmen zusammenhängen. Das beinhaltet alle Aspekte, die mit der Aufnahme von Familienmitgliedern in das Unternehmen, ihrer Vergütung, ihren Aufstiegsmöglichkeiten und wenn nötig ihrem Ausstieg verbunden sind. Des Weiteren sollte der Verwaltungsrat vom Familienrat zum Monitoring des leitenden Geschäftsführers ermächtigt werden. Ein gut funktionierender Verwaltungsrat sollte in der Lage sein, den leitenden Geschäftsführer wenn nötig zu ersetzen. Unterstützung der Geschäftsführung Kontrolle der Geschäftsführung Entwicklung von Ressourcen und Fähigkeitent

Aufgaben des Verwaltungsrats

Nachfolge in der Geschäftsführung überwachen der Familie Grenzen setzen

Abbildung 62: Aufgaben des Verwaltungsrats

Indem die Aufgaben des Verwaltungsrats (Abb. 62) festgelegt werden, kann sein Funktionalitätsgrad bestimmt werden. Wie bereits im Text beschrieben, ist es weder nötig noch empfehlenswert, dass alle Familienunternehmen über einen Verwaltungsrat mit hohem Funktionalitätsgrad verfügen. Dieser muss lediglich den Bedürfnissen des Unternehmens angemessen sein.

Funktionsweise und Aufgaben des Lenkungsausschusses Der Lenkungsausschuss ist das Organ, das die Entscheidungen zur Unternehmensführung trifft. Es kann drei Funktionalitätsstufen aufweisen, je nach Aufgaben und Zuständigkeiten, die ihm vom leitenden Geschäftsführer übertragen werden.

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Die drei Typen des Lenkungsausschusses sind je nach Funktionalitätsgrad: • informierender Ausschuss, • beratender Ausschuss, • beschlussfassender Ausschuss. informierend beratend

beschlussfassend

Abbildung 63: Verschiedene Typen von Lenkungsausschüssen

Diese drei Stufen bauen aufeinander auf. Das heißt, dass der beratende Ausschuss auch informierender Ausschuss ist und der beschlussfassende Ausschuss die beiden anderen Funktionen einschließt. Der informierende Lenkungsausschuss Ein informierender Lenkungsausschuss wird vom leitenden Geschäftsführer genutzt, um Aktivitäten besser zu koordinieren und Beschlüsse umzusetzen. In diesem Ausschuss behält der leitende Geschäftsführer stets die hierarchisch übergeordnete Position. Der Informationsaustausch im Ausschuss dient dazu, die Entscheidungen des leitenden Geschäftsführers für die Komiteemitglieder nachvollziehbar zu gestalten. So entwickeln die Führungskräfte ein besseres Verständnis für ihre Rolle innerhalb der allgemeinen Unternehmensdynamik und werden über ihren konkreten Aufgabenbereich hinaus informiert. Die Dynamik in diesem Ausschuss beruht auf Themen, die der leitende Geschäftsführer vorschlägt, die sich in der Regel auf die Beobachtung von Vorgängen, Bewertung nicht ordnungsgemäßer Abläufe und Verständigung über Vorhaben und Entscheidungen beziehen. Es entsteht ein Austausch über Abweichungen und Schwierigkeiten. Dadurch, dass der leitende Geschäftsführer dieser Koordinierungsaufgabe in der Gruppe nachgeht und sich nicht mit den einzelnen Führungskräften getrennt bespricht, wird die Gruppendynamik positiv beeinflusst, da sie zur Umsetzung der Ziele anregt.Auch entwickeln sich die Führungskräfte von einer

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Funktionsweise und Aufgaben des Lenkungsausschusses

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Führungseinheit zu Geschäftsführern. Dies bereitet den Weg für die Entwicklung zu einem beratenden Lenkungsausschuss, wenn der leitende Geschäftsführer es wünscht. Der beratende Lenkungsausschuss In diesem Lenkungsausschuss werden für das Unternehmen bedeutsame Geschehnisse gemeinsam analysiert. Der leitende Geschäftsführer gibt Richtlinien und Zeitpläne vor und trifft die Entscheidungen. Dennoch werden im Ausschuss nicht nur Informationen ausgetauscht, es werden auch Handlungsmöglichkeiten diskutiert und vorgeschlagen. Letztlich entscheidet jedoch der leitende Geschäftsführer. In einem gut funktionierenden beratenden Lenkungsausschuss herrscht Meinungsfreiheit, das bedeutet, dass man sowohl von der Meinung des leitenden Geschäftsführers als auch von der Meinung der anderen Komiteemitglieder abweichen kann. Dieser Lenkungsausschuss bedarf kompetenterer Mitglieder als der informierende Lenkungsausschuss. Die Führungskräfte müssen in der Lage sein, das Unternehmen aus der Sicht der Geschäftsführung als Einheit zu betrachten. Dieser Ausschuss trägt zu Entscheidungen höherer Qualität und ihrer Umsetzung bei. Des Weiteren stützen sich die Entscheidungen auf ein breiteres Wissen und einen höheren Informiertheitsgrad. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Ausschuss die Begründung für die Entscheidung des leitenden Geschäftsführers nachvollziehen kann und diese daher leichter annimmt und demzufolge auch leichter umsetzt. Die Mitglieder des beratenden Lenkungsausschusses können sich weiterqualifizieren, sie werden durch ihre Rolle als Quasi-Direktoren in der Gruppe geschult. Ebenso werden ihre Fähigkeiten gefördert, sich untereinander und dem leitenden Geschäftsführer gegenüber auf gleicher Ebene zu begegnen und auch wieder in die alte Hierarchie zurückzukehren, sobald sie nicht mehr in diesem Kontext agieren. Der beschlussfassende Lenkungsausschuss Die Hauptaufgabe des beschlussfassenden Lenkungsausschusses besteht darin, die wichtigsten operativen Entscheidungen zu treffen. Wir sprechen daher von einer kollektiven Beschlussfassung. In diesem Fall trifft der Lenkungsausschuss und nicht allein der leitende Geschäftsführer die entscheidenden Beschlüsse zur Unternehmensführung. Das bedeutet nicht, dass der Ausschuss Entscheidungen treffen kann, die der leitende Geschäftsführer ablehnt, aber dass die Entscheidungen im Konsens getroffen werden. Nur in sehr seltenen Fällen

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Anhang: Strukturdetails

trifft der leitende Geschäftsführer Entscheidungen, die zuvor vom Lenkungsausschuss abgelehnt wurden. Daher ist der Lenkungsausschuss das höchste Führungsorgan des Unternehmens, auch wenn der leitende Geschäftsführer die Konsequenzen dieser institutionalisierten Geschäftsführung trägt. Er unterstützt den Ausschuss in der Überzeugung, dass eine Entscheidung von höherer Qualität ist, wenn sie in einer dafür geeigneten Gruppe gefällt wird, zu der er gehört und in der ein Klima der Kooperation herrscht. Der beschlussfassende Lenkungsausschuss beruht auf dem großen Vertrauen des leitenden Geschäftsführers in diese Gruppe und auf ihre hohe Vertrauenswürdigkeit sowohl auf professioneller als auch auf persönlicher Ebene. Der beschlussfassende Lenkungsausschuss stellt hohe Anforderungen an den leitenden Geschäftsführer und verlangt ihm hohe Führungsqualitäten ab. Auf Autorität und Anordnungen kann er nur selten zurückgreifen. Von ihm wird ein hohes Maß an organisatorischer Transparenz verlangt, was in einem Familienunternehmen nicht immer einfach ist. Es genügt schon zu wissen, dass es immer noch Unternehmen gibt, die dem Lenkungsausschuss den Einblick in ihre Erfolgsbilanzen und Finanzen verwehren.98 Außerdem wird vom leitenden Geschäftsführer ein hohes Maß an fachlicher Professionalität, Geschick im Umgang mit anderen, Kompromissbereitschaft und hohe Ansprüche an sich selbst verlangt. Ein beschlussfassender Lenkungsausschuss ist die beste Informationsquelle für zukünftige leitende Geschäftsführer.

Arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen Das Unternehmen und die Familie stellen zwei verschiedene Systeme dar, in denen dieselben Personen unterschiedliche Rollen ausüben. In einem Familienunternehmen kommt es häufig zur Verwechslung von Regeln und ihrer Übernahme von einem System in das andere. Wie es um die Differenzierung zwischen Familie und Unternehmen steht, ist eindeutig an Aspekten wie Aufnahmekriterien für Führungspositionen, bestehende Hierarchien, Vergütungskriterien und Förderung von Familienmitgliedern in Führungspositionen zu erkennen. 98 48 % der spanischen Lenkungsausschüsse in der FBK-Database (2007) kennen die Betriebsergebnisrechnung nicht, obwohl diese Information im Handelsregister und über verschiedene Datenbanken online recherchiert werden kann.

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Arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen

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Es geht hier um den Einfluss, den die Familienzugehörigkeit auf die Vergabe von Führungspositionen im Unternehmen hat. Je größer der Einfluss von familiären Kriterien auf die Vergabe von Arbeitsplätzen ist, desto geringer ist die Differenzierung. In der Einführung haben wir die Familie und das Unternehmen als zwei Systeme mit unterschiedlichen Funktionen vorgestellt. Die Aufgabe der Familie ist es, seine Mitglieder zu unterstützen, während das Unternehmen Gewinne erzielt. Selbstverständlich ist die Vergabe von Arbeitsplätzen, ganz abgesehen von Führungspositionen, eine gute Möglichkeit, die Familie zu versorgen. Die Geschäftsführung »schützt« Familienmitglieder, indem sie ihnen eine angemessene Vergütung und gesellschaftlichen Status bietet. Direktor zu sein, vermittelt Ansehen. Dies trägt zusammen mit der Neigung der Familie zur Gleichberechtigung zu einer »Familien-Invasion« in die Führungspositionen bei. Eine der Theorien mit der gegenwärtig höchsten Gültigkeit, die PrinzipalAgent-Theorie99 , besagt, dass Eigentümer und Geschäftsführer ein und dieselbe Person sein sollte, da so vermieden wird, dass die Geschäftsführer aus Eigeninteresse und nicht für die Eigentümer, deren Interessen sie eigentlich vertreten müssten, arbeiten. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Führungspositionen aufgrund von Führungsqualitäten vergeben werden. Wenn dies nun unter Anwendung familiärer Kriterien geschieht, wird im Ergebnis das Unternehmen geschwächt. In der folgenden Abbildung wird die Tendenz in spanischen Familienunternehmen gezeigt, Führungspositionen ausschließlich durch Familienmitglieder zu besetzen, Löhne der Familienmitglieder nach Familienkriterien und nach dem Prinzip der familiären Gleichberechtigung festzulegen. Ein Beispiel hierfür wäre, dass Vertreter einer Generation den gleichen Lohn erhalten beziehungsweise bei der Lohnerhöhung eines Einzelnen die Löhne der Vertreter derselben Generation mit der Zeit angeglichen werden. Abbildung 64 zeigt einige Indikatoren für den Grad der Differenzierung zwischen Familie und Firma in spanischen Familienunternehmen. Die Differenzierung zwischen Familie und Unternehmen zu erhöhen, bedeutet zwei grundlegende Kriterien einzuführen: einerseits die Fähigkeit, Familienmitglieder mit auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnittenem Kompetenzprofil auszuwählen, andererseits den Bruch mit dem Prinzip der familiären Gleichberechtigung. Häufig wird empfohlen oder sogar in die Familienverfassung aufgenommen, dass der, »der eher in Frage kommt«, der Kompetentere ist. Dies ist die 99 Jensen, M. C., Meckling, W. H. (1976). Theory of the firm: managerial behaviour, agency costs and

ownership structure. Journal of Financial Economics, 3, 305–360.

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Anhang: Strukturdetails

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Indikatoren

Ja

Führungspositionen sind Familienmitgliedern und Familienexternen in gleichem Maße zugänglich.

50 %

Es gelten dieselben Vergütungskriterien bei Familienmitgliedern und Nicht-Familienmitgliedern.

53 %

Familienmitglieder derselben Generation erhalten den gleichen Lohn. (in den Fällen, in denen verschiedene Familienmitglieder im Unternehmen tätig sind)

52 %

Es bestehen Regeln (schriftlich oder mündlich vereinbart) hinsichtlich der Löhne der Familienmitglieder.

28 %

Abbildung 64: Indikatoren der professionellen Differenzierung (FBK-Database, 2007)

falsche Herangehensweise, was die Abgrenzung von Arbeits- und Familienleben betrifft. Wenn man davon ausgeht, dass einige »eher in Frage kommen«, dann kommen andere zwangsläufig »eher nicht in Frage«. Diese Herangehensweise wird von den Familienmitgliedern nicht graduell verstanden – einige Berufsprofile sind für das Unternehmen besser geeignet als andere –, sondern so, dass eben »einige in Frage kommen und andere nicht«. Dieses dichotome Verständnis setzt sich letztlich durch. Häufig bitten uns Unternehmer, ihnen dabei zu helfen herauszufinden, ob ihr Sohn in Frage kommt oder nicht. Wichtig ist, dass verstanden wird, dass nicht unterschieden wird, ob man in Frage kommt oder nicht, sondern dass jeder ein bestimmtes Kompetenzprofil hat. Abhängig davon, inwiefern sich das Kompetenzprofil mit den Bedürfnissen des Unternehmens deckt, sollten eine Aufnahme von Familienmitgliedern in das Unternehmen, die Höhe ihrer Vergütung und Aufstiegsmöglichkeiten beschlossen werden. Der Bruch mit dem Prinzip familiärer Gleichberechtigung100 muss ebenfalls vollzogen werden, um Familie und Unternehmen stärker voneinander abzugrenzen. Das ist nicht einfach, da es sich um eine tief eingeprägte Tendenz in der Familiendynamik handelt. Hierbei ist es wichtig, dass zum Beispiel Geschwister verstehen, dass sie in bestimmten Aspekten gleichberechtigt sind, in anderen Bereichen aber nicht. 100 Das bedeutet, dass die Position in der Familienhierarchie (z. B. die gleiche Generation) der Position

in der Unternehmenshierarchie entspricht. So bleiben einige hierarchische Ebenen bestimmten Generationen vorbehalten. Zum Beispiel werden Führungspositionen in einigen Unternehmen oft nur den erfahrenen »Seniors« zugedacht.

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Arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen

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Jede Person hat ein anderes Kompetenzprofil. Mit dem Bruch des Prinzips familiärer Gleichberechtigung räumt man ein, dass sich Geschwister in ihrem jeweiligen Kompetenzprofil unterscheiden. Diese Erkenntnis bietet eine Verhandlungsgrundlage für den angemessenen Platz jedes Einzelnen. Daher ist es von Bedeutung, keine Konkurrenz aufzubauen, indem man fragt, wer besser ist, sondern danach zu fragen, wer geeigneter ist. Der Prozess der arbeitsplatzbezogenen Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen beinhaltet drei Schritte: • Den Differenzierungsgrad zwischen Familie und Unternehmen bestimmen: Inwiefern legt die Familie den Schwerpunkt auf anspruchsvolle und selektive Kriterien zur Aufnahme in das Unternehmen und inwiefern legt sie ihn auf das Wohl der Familie? Die Schutzfunktion der Familie hängt von ihrem Komplexitätsniveau ab. Je komplexer die Familie ist, desto klarer sollte die Abgrenzung sein. • Das vom Unternehmen benötigte Kompetenzprofil bestimmen: Das ist keine einfache Aufgabe, da bedacht werden muss, welche Herausforderungen die Zukunft für das Unternehmen birgt und in welchem Maße sich die Zeit auf die Kompetenzen der gegenwärtigen Führungskräfte auswirken wird. Hierbei ist es von Bedeutung zu erkennen, dass das Unternehmen in der nächsten Generation andere Kompetenzprofile benötigt, als die gegenwärtigen Führungskräfte aufweisen. Man muss sich von dem Gedanken trennen, dass die zukünftigen Führungskräfte so sehr wie möglich den gegenwärtigen ähneln sollten. • Die Auswahl des Kompetenzprofils bestimmen: Dies ist ein wichtiger Aspekt, da wir es mit sehr subjektiven Themen zu tun haben. Die Selbsteinschätzung jedes Einzelnen hängt stark von seinem Selbstbewusstsein ab. Einige neigen dazu, sich unterzubewerten, andere neigen zum Gegenteil. Die Meinungen des Umfelds weichen in der Regel stark vom Selbstbild ab. Eltern und Ehepartner neigen aus offensichtlichen Gründen dazu, ein sehr positives Bild von ihren Kindern beziehungsweise Partnern zu haben. In besonders wichtigen oder heiklen Fällen können Experten bei der Auswahl zu Rate gezogen werden, die diese Aufgabe mit Hilfe etwa eines AssessmentCenters101 angehen. Ebenso wichtig ist die Frage, wer nach welchen Maßstäben urteilt. Eltern haben Schwierigkeiten, ihre Kinder zu bewerten und ihr Ergebnis zu begrün101 Ein Assessment-Center ist ein Personalauswahlverfahren, bei dem aus einer Gruppe von Bewerbern der- oder diejenigen ermittelt werden sollen, die den Anforderungen für die Besetzung einer offenen Stelle am besten entsprechen.

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Anhang: Strukturdetails

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den. Der Preis, den Eltern in Bezug auf die Beziehung zu ihren Kindern zahlen können, wenn sie eines vorziehen, ist sehr hoch. Daher ist es besser, Bewertungs- und Entscheidungsprozesse zu institutionalisieren. Im Idealfall bestimmt der Familienrat den erwünschten Differenzierungsgrad und der Verwaltungsrat das benötigte Kompetenzprofil. Der Verwaltungsrat übernimmt auch die Bewertung und Auswahl der Familienmitglieder.

Anerkennung des Eigentums Das Familieneigentum ist der Ausweis des Familienunternehmens. Ein Familienunternehmen besteht, wenn die Eigentümer miteinander verwandt sind. Durch die häufige Gleichstellung von Eigentum und Unternehmensführung werden die Rolle der Anteilseigner und damit deren Rechte oft nicht anerkannt. Entsprechend werden Informationen zurückgehalten und es gibt Probleme, über die Eigentumsstrategie mitzuentscheiden, ebenso werden die Vermögensrechte nicht hinreichend anerkannt. Vermögensrechte sind in jedem Unternehmen selbstverständlich, nur in Familienunternehmen nicht ganz so sehr. Selbstverständlich werden diese Rechte im gesetzlichen Rahmen anerkannt. Wir sprechen hier aber davon, inwiefern diese Rechte innerhalb der Familie auch akzeptiert werden. Das Familienunternehmen baut auf Arbeit und Unternehmensführung auf, nicht auf Eigentum. Ein Unternehmer oder eine Unternehmergruppe hat eine Idee, entdeckt eine Möglichkeit und nutzt sie. Das Unternehmen wächst und entwickelt sich aufgrund von Engagement, Einsatz und Risikobereitschaft der Gründer, ebenso wie auf der gemeinsamen Arbeit von Menschen, die etwas geschaffen haben. Daraus entsteht ein Unternehmen mit einem bestimmten Unternehmenswert. Solange die erste Generation im Unternehmen dominiert, haben die Eigentümer für gewöhnlich keine Rechte, da es zu einer Gleichstellung von Eigentum und Unternehmensführung kommt, sodass das Eigentum praktisch nicht besteht. Die Autorität des Unternehmers baut nicht darauf auf, dass er Eigentümer oder Miteigentümer des Unternehmens ist, sondern darauf, dass er der Unternehmensgründer ist, dem alle folgen. Sobald das Unternehmen von den nächsten Generationen übernommen wird, sollte sich die Familie mit der Rolle der Eigentümer beschäftigen. Den Eigentümern Platz einzuräumen, ist ein langsamer Prozess, der nicht immer einfach ist. So wird beispielsweise in vielen Familienunternehmen der Wunsch, ein Familienmitglied zu informieren, das nicht im Unternehmen beschäftigt

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Anerkennung des Eigentums

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ist, als mangelndes Vertrauen betrachtet, und die Frage nach Dividenden als mangelnder Einsatz für das Familienunternehmen. Mit der Anerkennung der Eigentümer wird die Unternehmensführung dem Eigentum untergeordnet, was in anderen Eigentümerstrukturen selbstverständlich ist. Das bedeutet, dass die Geschäftsführung entscheidet, welche Informationen und welche Dividenden den Eigentümern zugestanden werden. Eine geringe Anerkennung des Eigentums führt dazu, dass das Unternehmen zum »Königreich der Geschäftsführung« wird, sodass diese die Macht nur mit den Eigentümern teilt, wenn sie es für vorteilhaft hält. Im Extremfall würde das bedeuten, dass sie das Unternehmen führt, ohne Dividenden auszuschütten. Durch die geringe Anerkennung der Anteilseigner entsteht der Anreiz, beruflich im Unternehmen tätig zu werden, da es die einzige Möglichkeit darstellt, sich am Familienunternehmen zu beteiligen und somit Einnahmen, sozialen Status und Informationen zu erhalten. Dies führt zu Situationen mangelnder Funktionalität: Es wird im Unternehmen gearbeitet, um »den Familienzweig zu vertreten«, oder es gibt Einschränkungen wie etwa »es arbeitet nur einer pro Familienzweig«. Die klare Differenzierung zwischen Familie und Unternehmen sollte mit der Anerkennung des Eigentums einhergehen.102 In dem Maße, in dem die Familie unternehmerische Aufnahmekriterien für die Familienmitglieder erstellt, sollte sie den Einfluss der Geschäftsführung zu Gunsten der Eigentümer einschränken. Je mehr das Recht auf Dividendenausschüttung eingeräumt wird, desto einfacher wird es sein, die Geschäftsführung nach Leistungskriterien zu vergüten. Ein Aspekt, der nicht weiter ausgeführt, aber kurz Erwähnung finden soll, ist die Festlegung der relevanten Art des Eigentums: Hier unterscheidet man rechtliches Eigentum (Vermögensrechte für Anteilseigner und Teilhaber) und »gefühltes«, psychologisches Eigentum (»emotional ownership«, Vermögensrechte für alle, die eine Funktion als Eigentümer ausüben, auch wenn sie es vor dem Gesetz noch nicht sind, weil sie noch nicht geerbt haben, oder es nicht mehr sind, weil sie zu Lebzeiten vererbt haben). Bei einer schwachen Legitimierung des Eigentums gibt es für gewöhnlich eine Vermischung von rechtlichem und psychologischem Eigentum. So kann es vorkommen, dass das Eigentum in den Händen einer Generation in stark fortgeschrittenem Alter liegt und dass ihre Kinder die Vermögensrechte ausüben oder umgekehrt. Sollten psychologisches Eigentum und rechtliches Eigentum nicht übereinstimmen, leidet der Status der Eigentümer darunter. 102 Es gibt eine signifikante Korrelation zwischen beiden Ebenen (r = .237).

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Anforderungsmanagement Der Unternehmensgründer stellt hohe Ansprüche an sich selbst, sonst wäre er kein Unternehmer. Je komplexer Familie und Unternehmen werden, desto weniger genügen Ansprüche, die man an sich selbst stellt. Ein höheres Komplexitätsniveau der Familie weist auf größere Unterschiede bei den Ansprüchen, die jeder an sich selbst stellt, hin, was auf längere Sicht zu Problemen in der Familie und im Unternehmen führt. Das anspruchsvollste Familienmitglied, das im Unternehmen arbeitet, wird genug davon bekommen, die anderen »mitzuziehen«, während andere mit geringeren Ansprüchen an sich selbst die Situation »ausnutzen«. Ebenso gilt: Je komplexer das Unternehmen ist, desto höher müssen die Anforderungen an die Geschäftsführung sein. Daher ist es von Bedeutung, dass sich das Familienunternehmen externen Anforderungen stellt. Ansprüche an sich selbst sind gut, genügen jedoch nicht. Die Geschäftsführung muss den Anforderungen, die an ihre Position geknüpft sind, gerecht werden. Diese Anforderungen sollten von der hierarchisch übergeordneten Person oder dem übergeordneten Governance-Organ gestellt werden. In einem Familienunternehmen kann ein Angestellter (Familienmitglied oder nicht) nur dann Anforderungen an ein angestelltes Familienmitglied stellen, wenn er von der Familie damit beauftragt wurde. Das Gleiche gilt für die Organe. Ein Verwaltungsrat kann nur dann einer Führungskraft aus der Familie gegenüber Anforderungen stellen, wenn er zuvor von der Familie dazu ermächtigt wurde. Daher ist das Anforderungsmanagement zur Strukturierung der Beziehung zwischen Unternehmen und Familie wichtig. Dieses Konzept kann gut anhand eines Beispiels verdeutlicht werden. Häufig bittet ein Unternehmer seinen Sohn, ins Unternehmen einzusteigen, setzt ihn neben eine Führungsperson seines Vertrauens und trägt dieser auf, die gleichen Ansprüche an den Sohn zu stellen wie an jeden anderen Angestellten auch. Wir fragen uns jedoch, bis zu welchem Punkt diese Führungsperson auch tatsächlich Anforderungen an den »Sohn des Eigentümers« stellen kann. In einigen Fällen ist dies wie gegenüber anderen Mitarbeitern auch möglich, in anderen Fällen kann er es nicht tun, ohne dass er seine eigene Position gefährdet. Das Legitimationsniveau der Anforderungen, das vom Familienunternehmen entwickelt wurde, bestimmt also, wie anspruchsvoll die entsprechende Führungsperson dem jungen Familienmitglied gegenüber sein darf. Es geht darum, inwieweit die Familie in ihrer Rolle als Eigentümerin Anforderungen

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Anforderungsmanagement

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stellt und verlangt, dass Familienmitglieder den gleichen Ansprüchen genügen müssen wie andere Personen, die geschäftsführende Rollen innehaben. Im genannten Beispiel kann die Führungsperson nur im Rahmen ihrer Pflichterfüllung Anforderungen an den »Sohn des Eigentümers« stellen, wenn er dazu im Sinne des Anforderungsmanagements von der Familie befugt ist. Ohne Legitimierung kann es passieren, dass derjenige Schwierigkeiten bekommt. Er müsste sich dementsprechend entscheiden, ob er Anforderungen stellt und seine Karriere in Gefahr bringt, die Anforderungen lockert oder aber gute Leistungen seines »Schützlings« selbst vortäuscht. Diese Dynamiken laufen im Verborgenen ab und werden für gewöhnlich bestritten. Eine Familie mit einem gering entwickelten Anforderungsmanagement wird dies nur schwer zugeben.103 Nichtsdestotrotz verfügen familienexterne Angestellten oft über ein ausgesprochenes Feingefühl, das ihnen sagt, bis zu welchem Grad sie professionelle Anforderungen an die Familienmitglieder stellen können und ab wann diese durch ihre Familienzugehörigkeit »geschützt« sind. Ein hoch entwickeltes Anforderungsmanagement ermöglicht den Familienmitgliedern eine optimale berufliche Entwicklung innerhalb des Familienunternehmens. Das Anforderungsmanagement betrifft ebenfalls die höchsten Ebenen des Unternehmens. In den Abbildungen 65, 66 und 67 sind nur drei Indikatoren dafür zu sehen, dass ein Anforderungsmanagement in spanischen Familienunternehmen zurzeit kaum besteht. Man kann sagen, dass spanische Familienunternehmen hohe Anforderungen an sich selbst stellen, aber nur in geringem Maße mit externen Anforderungen konfrontiert werden. Abbildung 65 verdeutlicht, dass in 68 % der Fälle weder die Familie noch der Verwaltungsrat ein formelles evaluierendes Gespräch über die Leistung des leitenden Geschäftsführers geführt haben. Ein Familienunternehmen, das seinen leitenden Geschäftsführer nicht evaluieren kann, ist ein Risikounternehmen. Das Unternehmen läuft, solange er kompetent ist und bleibt. Sollte er hingegen an Kompetenz einbüßen, verfügt das Familienunternehmen über keinen Mechanismus, mit dem es von seinem Geschäftsführer Leistung einfordern kann. Der letzte Beweis für die Güte des Anforderungsmanagements wird erbracht, wenn es darum geht, den leitenden Geschäftsführer, der Familienmitglied ist, zu ersetzen, sollte er über längere Zeit hinweg schlechte Leistungen erbracht

103 Es gibt interessante Beispiele von Familienverfassungen, die den Anschein eines hohen Anforderungsgrads erwecken und die für Familien mit einem gering entwickelten Anforderungsmanagement erstellt wurden. In diesen Fällen wissen die Geschäftsführenden, dass es sich bei dem Schriftstück um eine reine Formsache handelt.

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Ja 32 %

Nein 68 % Abbildung 65: Antwortverteilung zur Frage, ob die Leistung des Geschäftsführers evaluiert wurde

haben. Dieser Schritt ruft nur dann keine bedenkliche Krise hervor, wenn das Anforderungsmanagement stimmt. Abbildung 66 zeigt, dass die Möglichkeit, den leitenden Geschäftsführer nach dauerhaft schlechter Leistung zu ersetzen, kaum besteht.

Abbildung 66: Antwortverteilung zur Frage, ob der Geschäftsführer ersetzt werden würde, wenn er über einen längeren Zeitraum schlechte Leistungen erbringt

Das gilt auch für das Handeln des Verwaltungsrates. Abbildung 67 verdeutlicht, dass es in 63 % der Fälle, in denen es einen Verwaltungsrat gibt, keine formalisierte Kommunikation, zum Beispiel in Form eines Führungsgesprächs, weder innerhalb noch außerhalb des Verwaltungsrats, über die Leistung des Geschäftsführers gegeben hat. Beim Ausbau des Anforderungsmanagements wird sich mit den »soft facts« der Unternehmensstruktur auseinandergesetzt. Damit eine Familie das Anforderungsmanagement weiterentwickeln kann, muss sie sowohl eine Leistungskultur als auch eine gewisse Distanz der Familie zum Unternehmen schaffen. Im Kapitel 3 sind wir auf die Gründe dafür eingegangen, dass dies nur in

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Professionalisierung der Managementmethoden

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einigen Modellen von Familienunternehmen gelingen kann und in anderen nicht. Ja 37 %

Nein 63 % Abbildung 67: Antwortverteilung zur Frage, ob die Leistung des Verwaltungsrats evaluiert wurde (FBK-Database, 2007)

Professionalisierung der Managementmethoden Das Konzept der Professionalisierung erscheint auf den ersten Blick eindeutiger, als es ist. Deshalb werden wir zunächst erklären, was mit Professionalisierung nicht gemeint ist. Für gewöhnlich wird unter Professionalisierung des Familienunternehmens verstanden, dass es einen familienexternen leitenden Geschäftsführer gibt. So verstehen wir in unserem Unternehmensführungsmodell die Professionalisierung nicht. Im Abschnitt »Arbeitsplatzbezogene Abgrenzung zwischen Familie und Unternehmen« wird erklärt, wie Rollen und Regeln beider Systeme voneinander getrennt werden, sodass beispielsweise keinem eine Führungsposition aufgrund von Familienzugehörigkeit zugesprochen wird. Andersherum ist man jedoch auch nicht weniger professionell, nur weil man zur Familie gehört. Die Professionalisierung eines Unternehmens steht in keinem Zusammenhang mit der Herkunft der Führungskräfte, sondern mit einer Disziplin, einer Form der Unternehmensführung, die sich auf bestimmte inhaltliche Aspekte bezieht, die die Entscheidungen professioneller Führungskräfte beeinflusst: Wie gehen sie mit ihren Instrumenten und Möglichkeiten um? Unter dieser Prämisse entstand das Management als professionelle Disziplin.104

104 Squires, G. (2001). Management as a professional discipline. Journal of Management Studies, 38 (4), 473–488.

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Sollte eine Familie ihre Managementmethoden ausbauen wollen, sollte sie zum einen deliberate Strategien entwickeln und zum anderen dezentrale Strukturen schaffen.

Deliberate Strategien Ein weniger professionalisiertes Management beruht in der Regel auf emergenten Strategien105 , das heißt Strategien des Unternehmers, über die er seinen Lenkungsausschuss häufig nicht informieren kann, selbst wenn er wollte, da sie häufig intuitiv sind und nie verschriftlicht wurden. Die profunden Kenntnisse des Unternehmers auf seinem Gebiet und über sein Unternehmen ermöglichen ihm eine klare Sicht auf anliegende Aufgaben und das Ergreifen neuer Möglichkeiten, ohne »vom Weg abzukommen«. Dies könnte eine sehr gute Form der Strategieentwicklung sein, wenn die Entwicklung des Unternehmens nicht von den Fähigkeiten und dem Lebenszyklus des Unternehmers abhinge. Deliberate Strategien zu entwickeln bedeutet, Strategien in Worte zu fassen, das heißt, dass die Geschäftsführung die Strategie des Unternehmens eindeutig bestimmt und kommuniziert. Dadurch können Führungskräfte eigenständig Entscheidungen treffen, die der Implementierung der kommunizierten Strategie dienen, also planvoll handeln. Nur wer die Richtung kennt, die das Unternehmen einschlagen soll, kann sicher Entscheidungen treffen. Ohne eine deliberate Strategie ist die Entscheidungskompetenz der Führungskräfte eingeschränkt, wodurch sie nur Entscheidungen des Unternehmers umsetzen. Sobald dieser geschwächt wird oder verschwindet, verliert die Organisation ihre Beschlussfassungsfähigkeit, da sie aus Personen und Methoden besteht, die zwar in der Ausführung effizient, aber nicht entscheidungsfähig sind. Das typische Argument des Unternehmers, der diese Richtung nicht einschlagen möchte, ist, dass bewusst formulierte Strategien mit dem Verlust von Chancen einhergeht. Das muss nicht passieren, denn »deliberat« bedeutet nicht »starr«. Die deliberate Strategie ermöglicht es dem Unternehmen, Chancen besser zu nutzen, da mehr Personen erkennen können, wann sich dem Unternehmen durch Veränderungen Chancen bieten.

105 Siehe Fußnote 67.

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Informationsstrukturierung

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Dezentrale Strukturen Professionalisierung bedeutet Dezentralisierung der Strukturen. Die Unternehmensführung eines Unternehmensgründers ist auf diesen konzentriert. Er ist der Einzige, der weiß, was zu tun ist, weshalb die Entscheidungen bei ihm liegen. Das Treffen von Entscheidungen ermöglicht ihm Kontrolle über das Unternehmen. Der Unternehmer weiß immer, was getan werden muss, da er entscheidet. Deshalb sollte er eine Struktur zur kompetenten Umsetzung seiner Entscheidungen schaffen. Mit der Schaffung einer dezentralen Struktur ist das Unternehmen in der Lage, geeignete Entscheidungen zu treffen, auszuführen, die Umsetzung zu kontrollieren und Maßnahmen aufeinander abzustimmen. Die Schaffung dezentraler Strukturen ist eine langwierige Aufgabe, die viele Ebenen berührt, zum Beispiel die Kompetenzprofile der Führungskräfte, Führungsstile, Beschlussfassungs- und Abstimmungsprozesse, Anreiz- und Kontrollsysteme, den Informationsfluss und das Leistungsmanagement. Je professioneller die Managementmethoden eines Unternehmens sind, desto stabiler ist es.

Informationsstrukturierung Wie bereits erwähnt, steht Professionalisierung im Zusammenhang mit »explizitem Wissen«, das man vom »impliziten Wissen« unterscheidet.106 Explizites Wissen kann anderen Personen in geordneter Form übermittelt werden. Ein guter Fußballspieler kann ein geschicktes Foul begehen, seine Vorgehensweise aber nicht erklären. Mit anderen Worten, er verfügt über implizites Wissen, das er anderen nicht vermitteln kann. So ergeht es vielen Fachleuten, nicht nur im künstlerischen oder intuitionsbezogenen Bereich, sondern ebenso in dem, der logisch-analytisches Denken erfordert. Implizites Wissen ist natürlich auch in der Musik, bei der Suche nach Pilzen, Wasser oder Öl, in der Medizin und der wissenschaftlichen Forschung zu finden. Zweifellos gilt dies auch für Unternehmen. Aufgrund seiner Geschichte und Erfahrungen verfügt der professionelle Unternehmer über Wissen, das er nicht immer weitergeben kann. Häufig fällt es ihm schwer zu erklären, wie man »ein Foul begeht«. Daher ruht die ganze Last der Organisation auf seinen Schultern. 106 Nonaka, I., Takeuchi H. (1995). The Knowledge-creating company. Oxford: Oxford University Press.

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Anhang: Strukturdetails

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Für den Ausbau der Managementmethoden ist es notwendig, Wissen in eine explizite Form zu bringen, um den Austausch zu erleichtern und es Neueinsteigern zur Verfügung zu stellen. Das betrifft unter anderem die Formalisierung von Prozessen (z. B. ISO-Normen), die Nutzung von Datenbanken, die alle Aktivitäten des Unternehmens erfassen können (z. B. SAP), und die Entwicklung von Mess- und Kontrollsystemen des Management (Balanced Scorecard, Berichtssysteme). Professionalisierung und Managementmethoden sind stark miteinander verbunden, da beide voneinander abhängig sind und gegenseitig zu ihrer Entwicklung beitragen.107 Der Übergang von einer auf die Person des Unternehmers zugeschnittenen Unternehmensführung zu einer personenunabhängigen, stärker strukturorientierten Unternehmensführung bedeutet für das Unternehmen mehr Stabilität, da es so weniger von dem Talent einer Einzelperson abhängt und das Talent eines ganzen Teams genutzt werden kann. Wenn dieser Übergang korrekt durchgeführt wird, gehen die Vorteile der vorherigen unternehmerischen Organisation nicht verloren, das Unternehmen gewinnt vielmehr an Stabilität durch die professionalisierte Unternehmensführung. In der folgenden Abbildung werden die Eigenschaften der unternehmerorientierten, eher zentralistischen und der personenunabhängigen, professionalisierten Unternehmensführung zusammengefasst.

unternehmerorientierte Unternehmensführung

professionalisierte Unternehmensführung

implizites Wissen

zentralisierte Strukturen

explizites Wissen

emergente Strategien

dezentralisierte Strukturen

deliberate Strategien

Abbildung 68: Unternehmerorientierte Unternehmensführung versus professionalisierte Unternehmensführung

107 Es gibt eine sehr starke Korrelation zwischen beiden Ebenen (c = 0.884). Vgl. FBK-Database (2007).

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Diversity Management

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Diversity Management Für ein angemessenes Diversity Management muss verstanden werden, was Kommunikation ist und welche Funktionen sie hat. Jeder menschliche Kommunikationsprozess weist drei Eigenschaften auf: • Er entsteht zwischen mindestens zwei Personen. • Die Interaktion verläuft mit Hilfe von Worten oder Körpersprache. • Er findet in einem bestimmten Kontext statt. Der Kommunikationskontext ist sinnstiftend. Jede Information wird, je nach Ort, konkreter Situation und Beziehung der Kommunikationspartner zueinander, anders bewertet. Der Satz »Hände hoch!« ist ein Befehl. Sinn und Verhalten, welche er hervorruft, weichen stark voneinander ab, je nachdem, ob man ihn hört, während man nachts durch verlassene Straßen läuft, oder ob man sich im Gymnastikunterricht befindet. Wir alle sind darin geschult, Kontexte zu identifizieren und unser Verhalten entsprechend anzupassen. Unser Verhalten ändert sich, je nachdem, ob wir uns in einem Büro, einer Kirche, auf dem Fußballfeld oder zu Hause befinden. Wir sind es gewohnt, uns problemlos von einem Kontext zum nächsten zu bewegen und dabei immer ein dem Ort angemessenes Verhalten an den Tag zu legen. Der Sinn einer Kommunikation ergibt sich aus dem Kontext, in dem sie geführt wird. Es ist gut möglich, dass man mit einem Scherz, den sich ein Arbeitskollege auf einer Party mit einem erlaubt, gut zurechtkommt, wohingegen man denselben Kommentar bei einer dienstlichen Sitzung als inakzeptabel empfindet. Jedem Menschen werden innerhalb seiner Kontexte, sei es in der Familie oder im Unternehmen, unterschiedliche Rollen zugewiesen, je nach Stellung und Funktion, die er innehat. Man übernimmt zum Beispiel die Rolle des Vaters, der Mutter, des Sohns, der Tochter, des Enkels, des Neffen in der Familie und kann gleichzeitig Aktionär, Abteilungsleiter, leitender Geschäftsführer oder Ratsvorsitzender in einem Unternehmen sein: unterschiedliche Rollen mit verschiedenen Funktionen, die von derselben Person verkörpert werden. Im Familienunternehmen liegt die Vorstellung einer Kontextverschiebung zwischen den Bereichen Familie und Arbeit nahe, die trotz ihrer jeweiligen Verschiedenheit eng miteinander verbunden sind. Die Auffassung, dass alle Geschwister ein Recht auf eine ähnliche Position im Familienunternehmen und auf die gleiche Vergütung haben, ist nichts anderes als eine Verschiebung der Regeln aus dem familiären Kontext (alle Geschwister sind gleich) in den Kontext des Unternehmens, in dem jedoch andere Regeln gelten.

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Den Mitgliedern einer Unternehmerfamilie wird viel mehr abverlangt als denen einer Familie, die kein Unternehmen führt. Die doppelte Zugehörigkeit, zu Familie und Unternehmen, setzt die Fähigkeit voraus, sich gleichzeitig in verschiedenen Kontexten zu bewegen: Das ist ein Büro und es gelten die Regeln des Arbeitsbereichs. Jetzt sind wir zu Hause, es gelten die Regeln der Familie und wir verhalten uns wie Eltern und Kinder oder wie Geschwister. Durch Kommunikation über Kommunikation, das heißt Metakommunikation, werden kreative Lösungen für diese Schwierigkeit gefunden. Es wird festgelegt, wann welche Regeln gelten. Der Ausbau der Fähigkeit zur Metakommunikation ist Grundlage für ein erfolgreiches Vereinbaren von Familienleben und gemeinsamer Arbeit. In jeder Kommunikation treten zwei Aspekte gleichzeitig auf: Inhalt und Beziehung. Der Inhalt hängt mit den Gesprächsthemen zusammen und die Beziehung damit, in welchem Verhältnis die Gesprächspartner zueinander stehen. Ein Student kann sich also zum Beispiel ganz unterschiedlich über das gleiche Thema äußern, je nachdem, ob er Kommilitonen gegenüber seinem Ärger über die Bewertung seiner Klausur Luft macht oder ob er ein Gespräch mit seinem Dozenten führt, in dem er um eine erneute Korrektur bittet. Zwischen zwei Personen oder Gruppen können also unabhängig vom Inhalt zwei verschiedene Kommunikationsverhältnisse entstehen. Beziehungen können komplementär oder symmetrisch sein, je nachdem, ob sie auf Unterschiedlichkeit oder auf Gleichheit basieren.108 Komplementär bedeutet meist, dass ein Gesprächspartner dem anderen gegenüber eine übergeordnete Position hat und der andere dementsprechend eine untergeordnete. Das entspricht zum Beispiel dem Verhältnis von Lehrer und Schüler, Chef und Angestellter, Vater und Sohn, Meister und Auszubildender, Beschützer und Beschützter, Trainer und Spieler, Dominierender und Dominierter in jeder Beziehung. Das symmetrische Verhältnis entspricht allen gleichberechtigten Beziehungen wie zum Beispiel zwischen Arbeitskollegen, Freunden, Mitgliedern eines Teams und Geschwistern. Das traditionelle Partnerschaftsmodell beispielsweise basiert auf einem komplementären Verhältnis, der Mann dominiert die Frau. In der heutigen Zeit werden in den meisten Fällen symmetrische Partnerschaften angestrebt, in denen Gleichheit herrscht und keiner glaubt, dem anderen übergeordnet zu sein.

108 Watzlawick, P., Beavin, J., Jackson, D. (2000). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen,

Paradoxien. Bern: Hans Huber.

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Diversity Management

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Abbildung 69: Ungleiches (komplementäres) Verhältnis und gleichberechtigtes (symmetrischen) Verhältnis

Diversity Management im Familienunternehmen bedeutet, dass die Familie lernen muss, keine unverrückbaren Verhältnisse zu schaffen: Eltern sollten sich nicht aus Prinzip immer den Kindern überordnen und Geschwister oder Cousins sollten nicht unter allen Umständen immer gleichberechtigt sein. So lernen alle, dass sie im Kontext »Unternehmen« durchaus ein komplementäres Verhältnis zueinander haben könnten, wenn einer von ihnen den anderen im Organigramm hierarchisch übergeordnet ist. Im Verwaltungs- und Familienrat sollte Gleichberechtigung herrschen, keiner sollte sich dem anderen gegenüber über- oder untergeordnet fühlen, sondern sich als ebenbürtiges Mitglied des Verwaltungsrats wahrnehmen. Sollten Geschwister die Möglichkeit haben, arbeitsbezogen in einem komplementären Verhältnis zueinander zu stehen, können sie Nutzen daraus ziehen. Das Beste für Geschwister sind nicht ihre jeweiligen Gemeinsamkeiten (Geschwister sein), sondern ihre Unterschiede, ihr Kompetenzprofil. Die Rivalität, die durch Gleichheit ausgelöst wird, verhindert es, die Talente jedes Einzelnen zu nutzen. Das Diversity Management bezieht sich nicht nur auf Unterschiede in Bezug auf die Rollenverteilung im Unternehmen und die verschiedenen hierarchischen Ebenen, sondern auch auf die persönlichen Profile und die Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder zur Richtung, die das Unternehmen einschlagen soll. In der Beschreibung der Komplexität der Familie (Kapitel 2) wurde bereits auf die verschiedenen vorherrschenden Interessen, die innerhalb einer großen Familie entstehen, eingegangen. Für einige Mitglieder der Unternehmerfamilie bedeutet das Unternehmen die Sicherheit eines Arbeitsplatzes, für andere eine Chance, ihre unternehmerischen Interessen zu entfalten, für wieder andere eine Möglichkeit, durch ihre Investition finanzielle Gewinne zu erzielen. All diese Interessen sind legitim, stehen aber für unterschiedliche Ziele, die nicht immer miteinander vereinbar sind.

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Wenn keine Klarheit bezüglich der Interessen der einzelnen Familienmitglieder besteht, kann das in der Kommunikation zu Missverständnissen führen. Stellen wir uns ein Gespräch zwischen zwei Geschwistern oder Cousins in Bezug auf irgendeine Investition vor. Für den, der Wachstum anstrebt, ist die Investition von fundamentaler Bedeutung und er hat Gründe, diese zu verteidigen. Sollte ein anderer aber konservativere Interessen vertreten, sei es seinen Arbeitsplatz oder ein bestimmtes Maß an Dividenden zu erhalten, könnte ihm die Investition als ein Stabilitätsrisiko erscheinen und er wird dem Projekt mit großer Skepsis begegnen. Das Risiko besteht nicht in den Unterschieden als solchen, sondern darin, dass diese Unterschiede nicht bemerkt werden. Wenn jeder die Interessen des anderen kennt, wird er versuchen, ihnen entgegenzukommen. Sollten diese Unterschiede hingegen nicht explizit geäußert werden, wird im Gespräch nicht auf sie eingegangen und jeder wird sich darauf konzentrieren, den anderen mit seinen Argumenten zu überzeugen. Für die Kommunikation im Familienunternehmen ist es von Bedeutung, bewusst mit Interessen- und Meinungsunterschieden zwischen den Beteiligten umzugehen, da sonst keine Möglichkeiten für Übereinkünfte und keine Vertrauensgrundlagen geschaffen werden, sondern Diskussionen, Streit und Misstrauen entstehen. Familien, die mit Unterschieden verständnisvoll umgehen, schaffen es, in Bezug auf das Familienunternehmen klar und verständlich zu kommunizieren. Dadurch entsteht Vertrauen, das wiederum ermöglicht, Unstimmigkeiten offen anzusprechen, gemeinsam Lösungen zu suchen und demzufolge auch Einigungen zu erzielen.

Systematische Festlegung von Regeln Jegliches soziale Verhalten und System wird von impliziten oder expliziten Regeln geleitet und somit auch das Familienunternehmen. Die Regeln eines sozialen Systems beinhalten Bestimmungen und Grenzen für das Verhalten aller ihrer Mitglieder. Sie sind nicht mit Normen gleichzusetzen, das heißt mit expliziten Grenzen, die akzeptiert werden müssen. So gilt in Bezug auf die Geschwindigkeitsbegrenzung auf spanischen Autobahnen die Norm von 120 km/h, die Regel hingegen ist, dass kaum jemand langsamer fährt und dass die meisten Fahrzeuge 130 bis 140 km/h fahren, ohne dass es von der Gesellschaft als Regelbruch empfunden wird. Das Familienunternehmen wird, wie jedes andere soziale System, von einer Vielzahl an zumeist impliziten Regeln regiert. Sie bestimmen unter anderem

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Unternehmerische Kompetenz

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die Machtverteilung, den Zugang zu Arbeitsplätzen, die Verteilung von Finanzflüssen und -rechten, Kommunikationsregeln und Herangehensweisen an die Nachfolge. Die größte Schwierigkeit bei der Bestimmung von Regeln, die auf jeden Einzelfall anwendbar sein sollen, ist ihre explizite Darstellung. Je höher die Fähigkeit einer Familie ist, ihre Hauptverhaltensregeln gegenüber dem Unternehmen explizit darzustellen, desto eher kann sie diese modifizieren, um ihr Funktionalitätsniveau weiterhin beizubehalten. Im Familienunternehmen ist es wichtig, Regeln verändern zu können, um sie dem Komplexitätsanstieg anzupassen. Regeln werden aufgrund von Absprache oder einer Krise verändert. Selbstverständlich ist hier die Absprache vorzuziehen. Über Regeln muss gesprochen werden. In vielen Familienunternehmen herrschen Regeln, die nicht explizit dargestellt werden können, weil sie einem allgemeinen Empfinden widersprechen. Die Betroffenen möchten nicht zugeben, dass derartigen Regeln existieren. Regeln wie »Man tut, was der Unternehmensgründer sagt«, »Seine Kinder machen, was sie wollen«, »Keiner darf zu viel von einem Familienmitglied verlangen« werden nur selten von der Familie wahrgenommen. Trotzdem können sie von einem familienexternen Unternehmensmitglied oder einem außenstehenden Beobachter sofort als Unternehmensregeln erkannt werden. Für gewöhnlich werden von Familien, bei denen solche Regeln gelten, sozial erwünschte Normen formuliert, zum Beispiel: »die Familie arbeitet mit«, »die Kinder sind professionell« oder »alle haben ein Recht auf ihre Meinung«. Bei der Erstellung einer Familienverfassung ist es wichtig, nicht nur sozial erwünschte Normen zu formulieren, wie es zu häufig der Fall ist, sondern tatsächlich geltende Regeln aufzuführen und Veränderungen zu vereinbaren, die hinsichtlich des gegenwärtigen oder zukünftigen Komplexitätsniveaus angemessen sein könnten. Unter diesen Umständen ist die Familienverfassung ein geeignetes Instrument zur expliziten Darstellung von Regeln.

Unternehmerische Kompetenz Die Entwicklung von Unternehmen hängt nicht allein von stark institutionalisierten Governance-Strukturen und professionalisierten Managementmethoden ab, sondern auch vom Tatendrang, dem Unternehmergeist und unternehmerischen Kompetenz. Unternehmensgründung bedeutet, ein unternehmerisches Projekt zu entwickeln. Durch Technologie und Wettbewerbsdynamik hervorgerufene Inno-

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vationen sind Grund für eine immer kürzere Lebensdauer von unternehmerischen Projekten. Das Projekt einer Generation ist nur selten in der Folgegeneration lebensfähig. Deshalb kann eine Generation die Wettbewerbsfähigkeit ihres Familienunternehmens nicht durch die Weiterführung des Projekts der Vorgängergeneration sichern. Das bedeutet, dasselbe zu machen, nur besser. Diese Herangehensweise führt zu einer allmählichen Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit eines Familienunternehmens. Sollte es sich um ein stabiles Unternehmen handeln, entwickelt sich die Tendenz zu diesem Verhalten so langsam, dass die Familie häufig nichts davon bemerkt. Für gewöhnlich liegt bei der Nachfolge der Schwerpunkt auf Vermögenssicherung und der Aufteilung des Vermögens. Da diese Aspekte sehr viel Aufmerksamkeit erfahren, wird die Bedeutung der unternehmerischen Kompetenz als Säule, auf die sich die Nachfolge stützen sollte, häufig aus den Augen verloren. Unternehmerische Kompetenz kann sich anhand der Befähigung, eine strategische Neuausrichtung für die Familiengruppe anzuregen oder neue Projekte ins Leben zu rufen, zeigen. In Studien über Gründerunternehmen wird gezeigt, dass sie über einige grundlegende erfolgversprechende Eigenschaften verfügen109, die beim Generationswechsel wenn möglich beibehalten oder gefördert werden sollten.

Proaktivität Proaktivität beschreibt die Fähigkeit, Chancen zu entdecken und zu nutzen. Zeiten großen technologischen Wandels sowie Veränderungen der Märkte und Gewohnheiten bieten eine Vielzahl neuer Möglichkeiten. Diese werden von etablierten Familienunternehmen häufig nicht genutzt, da das Entdecken dieser Chancen, die eventuell damit verbundenen Risiken und die Notwendigkeit eines internen Wandels Hindernisse darstellen. Diese Chancen scheinen immer mehr jenseits der Welt der gestandenen Unternehmen zu liegen. In Unternehmen mit einer hohen Affinität zu Technologien werden die Chancen immer häufiger von jungen Menschen genutzt, die die Initiative ergreifen und denen so große Durchbrüche gelingen können. Häufig lässt sich der Erfolg von Unternehmen sehr junger Menschen (z. B.

109 Baden-Fuller, C., Stopford, J. (1994). Rejuvenating the Mature Business. The Competitive Challenge.

Harvard: Harvard Business School Press.

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Unternehmerische Kompetenz

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Google, Skype, MySpace) mit ihrer ausgeprägten Fähigkeit, Chancen zu nutzen, erklären. Auch wenn diese jungen Menschen über Kompetenzen in diesem Bereich verfügen, beruhen derartige Erfolge auf einer Vielzahl an unternehmerischen Initiativen, die in allen Bereichen und vielen Teilen der Welt entstehen. Es stimmt zwar, dass der Erfolg eines herausragenden Fußballspielers ihm selbst zu verdanken ist, aber er gründet auch auf dem Fakt, dass tausende junge Menschen spielen und eifrig trainieren, um einmal erfolgreich zu werden. Auch aus Quantität entsteht Qualität. Diese Herangehensweise gilt nicht für ein Familienunternehmen, da ihm die quantitative Option nicht zur Verfügung steht. In der Familie wird es einen, mit viel Glück sogar mehrere herausragende Unternehmer geben, aber trotzdem kann man nicht davon ausgehen, dass Qualität aus Quantität entsteht. Hier ist Komplexität von Vorteil. Vorstellungen zu haben, die über die Möglichkeiten hinausgehen, bedeutet nicht, einfältig zu sein. Es ist eher so, dass dadurch in Unternehmen Unmögliches möglich werden kann. Das bedeutet nicht, unrealistisch zu sein. Unternehmerische Organisationen sind bei der Planung ihrer einzelnen Schritte sehr realistisch, aber auch sehr ehrgeizig, wenn es um die Entwicklung von Visionen für das Unternehmen geht.

Teamarbeit Teamarbeit ist ein weiteres Merkmal für unternehmerische Organisationen. Diese stützen sich auf Schaffensfreude, Kreativität und das Engagement verschiedener Gruppen. Im Familienunternehmen bringt zunächst der Unternehmensgründer diese Eigenschaften mit. Dies ist kein Hindernis für die Fähigkeit des Unternehmensgründers, ein Team zu schaffen, das ihm folgt und in der Lage ist, Projekte voranzubringen. Jeder Unternehmensgründer umgibt sich mit Menschen seines Vertrauens. Diese sind jeder für sich genommen nicht unbedingt besonders professionell, doch als Team, zusammen mit dem Gründer, können die Mitglieder eines Teams viel erreichen. Die Folgegeneration muss die Teamarbeit fortsetzen, aber die Motivation für den Zusammenhalt ändern und möglicherweise auch die Mitglieder austauschen. Die Folgegenerationen müssen sich häufig dem praktischen und ethischen Problem stellen, das Gründerteam zu erneuern, gleichzeitig loyal zu sein und die erbrachte Leistung anzuerkennen. Der Übergang von der ersten zur zweiten Generation muss die qualitative Veränderung von einem Team, das auf eine starke Führungsperson konzen-

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triert ist, zu einem Team, bei dem ein gemeinsames Projekt im Mittelpunkt steht, beinhalten. Sollte der zweiten Generation dieser Wechsel gelingen, werden die folgenden Übergangsprozesse in dieser Hinsicht sehr viel einfacher werden.

Die Fähigkeit, Dilemmata zu lösen Durch die Entwicklung von Neuem wird das Familienunternehmen mit widersprüchlichen Situationen konfrontiert. Wie kann man Neues schaffen und gleichzeitig das Alte bewahren? Wie kann man dem Vater Respekt zollen und gleichzeitig die Führung des Unternehmens übernehmen? Wie kann man seine Kinder gleich behandeln und doch dem erfolgreichsten Unternehmer unter ihnen Vorrang geben? Über unternehmerische Kompetenz zu verfügen bedeutet, ein Talent entwickelt zu haben, sich in der Welt der Dilemmata bewegen zu können. Dafür muss man sich vom Absoluten und der dichotomen Denkweise abwenden. Es gibt nicht nur zwei Möglichkeiten: schwarz oder weiß, nützlich oder unnütz, gut oder schlecht. Familien mit unternehmerischer Kompetenz nähern sich der Realität über Grautöne an.110 Dies ermöglicht ihnen eine pragmatische und moderate Herangehensweise bei der Suche nach eigenen geeigneten Wegen je nach Situation und Umstand. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zum »Exzellenzansatz«, der besagt, dass es einen besten Lösungsweg gibt, dem gefolgt werden muss. Ein solch absolutes Denken sollte von Unternehmensfamilien nicht praktiziert werden.

Lernfähigkeit Familienunternehmen der ersten Generation sind sehr lernfähig. Diese Fähigkeit, die den Unternehmensgründern eigen ist, kann auf die gesamte Organisation übertragen werden. In diesen Unternehmen lernt nicht nur der Unternehmensgründer, sondern das komplette Unternehmen. Zum Lernen bedarf es der Veränderungsbereitschaft und Innovationen. Häufig verlieren Familienunternehmen ihre Lernfähigkeit nach der ersten Generation. Wenn sie ihre Lernfähigkeit auf den Unternehmensgründer und 110 Der Fachausdruck für diese Annäherung ist »unscharf« (»fuzzy«). Dieser Begriff wurde von Lofti

Zadeh (1965) geprägt, er ist der Erfinder der Fuzzy-Logik.

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Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze«

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nicht auf die Organisation konzentrieren, verbleibt die Innovationskraft bei der Vorgängergeneration. Für den unternehmerischen Erfolg ist es notwendig, dass das Lernen über Generationen nicht erlahmt, sondern dass jede Folgegeneration einen eigenen Beitrag leisten, Neues ausprobieren kann.

Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze« Sehr häufig sind sich die Familienunternehmen nicht bewusst, dass der »Mann an der Spitze« (der leitende Geschäftsführer) eine maßgebliche Ressource für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens ist. Mit Ressourcen und Kompetenzen als Begrifflichkeiten der Ressourcentheorie111 sind alle Elemente gemeint, die es dem Unternehmen ermöglichen, seine Wettbewerbsstrategien erfolgreich weiterzuentwickeln. Wettbewerbsfähigkeit hängt von den Ressourcen und Kompetenzen ab, die das Unternehmen entwickelt und hervorheben kann. Man unterscheidet materielle Ressourcen (z. B. Produktionsstätten, Patente), immaterielle Ressourcen (z. B. Marke, Vertrauen), Humanressourcen (Fähigkeiten der Unternehmensmitarbeiter) und organisationale Ressourcen (Welche Prozesse, Koordinierungssysteme, Informationsflüsse gibt es?). Die Bedeutung einer Ressource wird erkennbar, wenn sie verschwindet. Denken wir zum Beispiel an die Auflösung von Arthur Andersen auf Grund des Verlusts der Ressourcen Marke, Ruf, Vertrauen. Im Familienunternehmen ist der Unternehmer eine maßgebliche Ressource für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, vom Unternehmensgründer ganz zu schweigen. Deshalb ist das Familienunternehmen stabiler und besser auf die Nachfolge vorbereitet, wenn die Zukunft des Unternehmens weniger von einer Person abhängt. Das bedeutet nicht, dass der »Mann an der Spitze« keine bedeutsame Person sein kann, aber es ist dennoch wichtig, dass das Unternehmen so wenig wie möglich von dieser abhängig ist. Das Ziel, Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze«112 zu erreichen, sollte sich in allen Strukturebenen niederschlagen, die bereits beschrieben wurden,

111 Grant, R. M. (1991). The Resource-Based Theory of competitive advantage: Implications for strategy formulation. California Management Review, 33 (3), 114–136. 112 Wir beschreiben diese Ebene als Unabhängigkeit vom »Mann an der Spitze«, damit eine Weiterentwicklung in diese Richtung positiv konnotiert ist.

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vor allem in der Institutionalisierung, der Professionalisierung der Managementmethoden und dem Ausbau der unternehmerischen Kompetenz.

Nachfolgeplanung Bisher haben wir diesen Aspekt in Bezug auf die Nachfolge in der Geschäftsführung behandelt, nun betrachten wir ihn bezüglich der Vermögensnachfolge. Die Vermögensnachfolge sollte zunächst unter dem Gesichtspunkt der Komplexität der Familie betrachtet werden. Die Anzahl und der Verwandtschaftsgrad der Eigentümer bestimmen die Komplexität der Familie. Deshalb sollten sich sowohl die gegenwärtige als auch die Folgegeneration darüber bewusst sein, dass bei einer Erhöhung des Komplexitätsniveaus der Familie auch die Beziehungsstrukturen zwischen Familie und Unternehmen ausgebaut und den neuen Umständen angepasst werden müssen. Bei der Vermögensnachfolge müssen steuerliche, testamentarische Aspekte, Vereinbarungen zu Eigentumsfragen, der Gesellschafterstruktur sowie zu finanziellen Aspekten beachtet werden. Die Nachfolgeplanung umfasst zwei Hauptaspekte: den strategischen und den rechtlich-administrativen. Die strategische Komponente hängt mit der Entscheidung zusammen, wer aus der Folgegeneration Unternehmensanteile besitzen soll. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Komplexität der Familie. Auch wenn zurzeit die allgemeine Tendenz zu verzeichnen ist, dass alle Kinder die gleichen Aktienanteile bekommen, ist es wichtig, dass die gegenwärtige Generation bei dieser Entscheidung bedenkt, inwiefern sie die Komplexität der Familie beeinflusst und somit die damit verbundene Strukturentwicklung. Ein weiterer fundamentaler Aspekt sind die zukünftigen Vermögensverhältnisse zwischen beiden Generationen. Vermögensnachfolge muss nicht unbedingt als Spende verstanden werden, also als Transaktion ohne finanziellen Gegenwert, sondern man kann planen, eine Entschädigungszahlung vorzunehmen, die, ohne die Lebensfähigkeit des Unternehmens zu gefährden, die scheidende Generation in Zukunft finanziell absichert. Dieser Aspekt ist in Familien mit kleinen oder mittleren Unternehmen, in denen das Vermögen stark auf das Unternehmen konzentriert ist, besonders relevant. Für die rechtlich-administrative Komponente müssen Aspekte zu Steuer, Testament, Ehe- und Gesellschafterverträgen beachtet werden.

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Nachfolgeplanung

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Während wir dieses Buch schrieben, wurde in Spanien die Erbschafts- und Schenkungssteuer in bestimmten Fällen um 95 % gesenkt.113 Jeder Unternehmer sollte sich von einem Steuerberater beraten lassen, um zu sehen, ob er die Voraussetzungen hierfür erfüllt. Nicht zuletzt möchten wir daran erinnern, dass alle Eigentümer ihr Testament gemacht und über die verschiedenen Vereinbarungen zur Anteilsverteilung durch die Familie abgestimmt haben müssen. Die Nachfolge sollte Eigentumsvereinbarungen unter den Erben einschließen, die mit denen vergleichbar sind, die Ehepartner für den Scheidungs- oder Todesfall haben. Diese Vereinbarungen sollten sich ebenfalls in der Verteilung der Unternehmensanteile, die im Statut des Unternehmens verzeichnet ist, widerspiegeln. Die Nachfolgeplanung ist ebenfalls eine Chance für die Familie die Teilhaberstruktur des Unternehmens neu zu überdenken. Ab einem bestimmten Komplexitätsniveau empfiehlt es sich, Strukturen einer Holdinggesellschaft zu schaffen, die die Kontrolle über die Unternehmen der Gruppe erleichtern. In jedem Fall sollte die Nachfolgeplanung von einem auf Rechtsfragen und Finanzen spezialisierten Berater begleitet werden.

113 Wie dies der Gesetzgeber genau gestaltet, sieht in jeder spanischen autonomen Region ein wenig

anders aus.

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Franz Breuer

Vorgänger und Nachfolger Weitergabe in institutionellen und persönlichen Bezügen Ausgangspunkt der aufschlussreichen Überlegungen Franz Breuers ist das Verhältnis von Vorgänger und Nachfolger in der Leitung von Familienunternehmen und dessen spezifische Entwicklungsdynamik. Strukturell ähnliche Züge und Muster finden sich auch in anderen Kontexten und Situationen, in denen es um Wechsel und Übergänge zwischen Personen und Objekten mit Identitätspotenzial geht: bei der Weitergabe »persönlicher Objekte«. Beim Aus- oder Abtritt eines Elements aus einer solchen Person-Objekt-Koppelung entscheiden sich für die Beteiligten existenzielle Fragen der Kontinuität des institutionellen oder interpersonalen Systems, seines Wandels oder seines Untergangs: Was bleibt von mir? Wie sehr bin ich von Vergangenem bestimmt? Kann ich mich eigenständig verwirklichen? Franz Breuer entwickelt erstmals eine umfassende und empirisch fundierte Theorie zu diesem Thema. Durch die Vielfalt der besprochenen Bereiche und Beispiele werden auf tiefgründige und zugleich kurzweilige Weise dem Leser und der Leserin neue Sichtweisen eröffnet – auch über eigene Verwicklungen in Vorgänger-NachfolgerÜbergänge.

Ariane Bentner / Marie Krenzin

Erfolgsfaktor Intuition Systemisches Coaching von Führungskräften Mit einem Beitrag von Molly von Oertzen

In den letzten Jahren wurde Intuition – auch als emotionale Intelligenz bekannt – zunehmend zum Forschungsgegenstand. Verschiedene Studien haben zeigen können, dass Intuition eine zentrale Rolle in Entscheidungssituationen spielen kann, dass es oftmals besser ist, intuitiv auf sein »Bauchgefühl« zu hören, anstatt sich zu lange mit Gedanken zu befassen. Insbesondere für Führungskräfte, die zunehmend komplexe und unübersichtliche Situationen unter großem Druck managen müssen, kann Intuition bei der Planung, Entscheidung und Problemlösung eine wichtiges Handwerkszeug und eine gute Ergänzung zu rational-analytischem Vorgehen sein. Dieses Buch geht der Frage nach, was Intuition wissenschaftlich betrachtet genau ist, wo sie im Coaching nützlich eingesetzt werden kann, wie intuitive Prozesse im Coaching aus Sicht der Klienten verlaufen und welchen Einfluss sie auf den Coachingerfolg haben. Dazu haben die Autorinnen über 40 Führungskräfte zu deren Erfahrungen interviewt und die Ergebnisse ausgewertet. Fallstudien demonstrieren Coaching mit Intuition in der Praxis. Dabei werden auch lösungsorientierte Tools vorgestellt. »Erfolgsfaktor Intuition ist ein leidenschaftlicher und sehr gut recherchierter Appell, professionelles Choaching für den beruflichen Erfolg zu nutzen...« Caro Tille, Coaching-Magazin

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Familienbetrieb – Vorteil oder Hypothek?

Arist von Schlippe / Almute Nischak / Mohammed El Hachimi (Hg.)

Familienunternehmen verstehen Gründer, Gesellschafter und Generationen 2008. 296 Seiten mit 19 Abb. und 5 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-49135-5

In Familienunternehmen sind ganz eigene Dynamiken am Werk, weil sich zwei Systeme – Familie und Firma – überschneiden. Nachfolgefragen, existenzieller Druck oder Strategieplanung und Marktpositionierung haben ein anderes Gewicht als in »normalen« Betrieben. Zahlreiche Fallbeispiele und Werkzeugkästen in Form von Fragen, die im Beratungskontext oder zur Selbstreflexion eingesetzt werden können, ergänzen die Annäherung an diese »Urform aller betrieblichen Aktivitäten« (Jon Baumhauer). »Ein sehr anregendes Buch für Menschen, die in Familienunternehmen Verantwortung tragen! Genauso empfehlenswert ist es für juristische und ökonomische Fachberater, die an ihre Grenzen in Familienunternehmen stoßen und hier ein Bild bekommen, wie Fachkräfte aus dem psychosozialen Bereich hilfreich Veränderungsprozesse in Gang setzen können.« Karin Wisch, systhema »Dieses Fachbuch ist für alle uneingeschränkt empfehlenswert, für die das Thema Familienunternehmen ein Gesprächsthema war, ist oder sein wird.« Organisationsentwicklung

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Systemische Organisationsberatung live

Markus Schwemmle / Bernd Schmid (Hg.)

Systemisch beraten und steuern live Modelle und Best Practices in Organisationen 2009. 213 Seiten mit 48 Abb. und 1 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-40350-1

Systemische Berater schildern hautnah ihre Arbeit in Unternehmen und Organisationen. Sie gewähren dem Leser direkten Einblick in ihre Arbeitsweise und die stattfindenden Prozesse. Das Institut für systemische Beratung in Wiesloch (ISB) ist in den letzten 25 Jahren zu einer Ausbildungsinstitution geworden, die mehrere Beratergenerationen durchlaufen haben. Charakteristisches Merkmal ist die dort vermittelte Lernkultur, die sich in der eingesetzten Didaktik niederschlägt. Das ISB steht für solides professionelles persönliches Lernen. Erstrebenswertes Ziel für systemische Berater ist es, sich mit ihren Perspektiven und Kompetenzen einzufügen in das Konzert aller Verantwortlichen, die gemeinsam ein Unternehmen, eine Organisation und letztlich die Gesellschaft voranbringen; dass sie sich selbst und mit anderen gemeinsam immer wieder reflektieren und neu ansetzen. Die in diesem Band versammelten Autoren schildern konkrete Projekte und Arbeitsprozesse und lassen sich dabei über die Schulter blicken. Die vielfältigen Tätigkeitsgebiete der systemischen Beratung reichen von Aktivitäten in Großkonzernen bis zu Interventionen in Kleinunternehmen.

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