Stimme, Kultur, Identität: Vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA, 1900-1960 [1. Aufl.] 9783839430866

By means of analyses of singers from the genres of vaudeville, gospel, blues, American popular song, musical, jazz, coun

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German Pages 520 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Dank
1. Zur Einführung
2. USA 1900–1960. Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit
3. Was ist populärer Gesang? Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik
Musiktheater
4. »Down in a Great Big Rathskeller«. Vaudeville-Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts
5. »Doin’ What Comes Natur’lly« Stimme, Star, Theaterdramaturgie und das Original Broadway Cast Album
American Popular Song
6. »The Cutest Flapper That You‘ve Ever Seen«. Über die Anfänge des Crooning
7. »For You I Sigh, for You, Dear, Only«. Torch Song im Jazz
8. »Same Old Saturday Night«.Singen in Primetime-Fernsehshows der 1950er Jahre
Afroamerikanische Traditionen
9. »You Better Have Your Ticket in Your Hand«. Predigten und Gospelgesang
10. »Blues Falling Down Like Hail«. Vokaler Ausdruck in drei Spielarten des Blues
Euroamerikanische Traditionen
11. »Sometimes I Live in the Country,Sometimes I Live in Town« Von Folklore zu Folk
12. »It Wasn’t God Who Made Honky Tonk Angels«. Geschlechterrollen und Klassenzugehörigkeit in Country Music, 1927–1963
Rock‘n‘Roll, Soul, Gesangsgruppen
13. »Kiss Me Ting-a-ling-a-ling«. Rock’n’Roll-Gesang bei Little Richard, Chuck Berry und Elvis Presley
14.»Bring It On Home to Me«. Anfänge des Soulgesangs
15. »Sh-Boom«. Die Gesangsgruppen
Nachwort
Anhang
Glossar
Chartsübersicht
Bibliografie
Diskografie
Register
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Stimme, Kultur, Identität: Vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA, 1900-1960 [1. Aufl.]
 9783839430866

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Martin Pfleiderer, Tilo Hähnel, Katrin Horn, Christian Bielefeldt (Hg.) Stimme, Kultur, Identität

texte zur populären musik 8 Herausgegeben von Winfried Pape und Mechthild von Schoenebeck

Martin Pfleiderer, Tilo Hähnel, Katrin Horn, Christian Bielefeldt (Hg.) Stimme, Kultur, Identität. Vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA, 1900-1960

Der Druck des Buches wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Projektförderung »Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (1900-1960)« finanziert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2015 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: William P. Gottlieb, 1946, Library of Congress (Detail) Satz: Benjamin Burkhart, Carsten Wernicke Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3086-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3086-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Dank

7

1. Zur Einführung

9

Martin Pfleiderer

2. USA 1900–1960 Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit

23

Katrin Horn

3. Was ist populärer Gesang? Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

53

Tilo Hähnel

Musiktheater 4. »Down in a Great Big Rathskeller« Vaudeville-Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

75

Tilo Hähnel

5. »Doin’ What Comes Natur’lly« Stimme, Star, Theaterdramaturgie und das Original Broadway Cast Album

111

Nils Grosch

American Popular Song 6. »The Cutest Flapper That You‘ve Ever Seen« Über die Anfänge des Crooning

129

Tilo Hähnel

7. »For You I Sigh, for You, Dear, Only« Torch Song im Jazz

151

Tilo Hähnel

8. »Same Old Saturday Night« Singen in Primetime- Fernsehshows der 1950er Jahre

175

Knut Holtsträter

Afroamerikanische Traditionen 9. »You Better Have Your Ticket in Your Hand« Predigten und Gospelgesang Tilo Hähnel

195

10. » Blues Falling Down Like Hail« Vokaler Ausdruck in drei Spielarten des Blues

233

Tilo Hähnel

Euroamerikanische Traditionen 11. »Sometimes I Live in the Country, Sometimes I Live in Town« Von Folklore zu Folk

271

Katrin Horn

12. » It Wasn’t God Who Made Honky Tonk Angels« Geschlechterrollen und Klassenzugehörigkeit in Country Music, 1927–1963

303

Katrin Horn

Rock‘n‘Roll, Soul, Gesangsgruppen 13. » Kiss Me Ting- a-ling- a-ling« Rock ’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berry und Elvis Presley

335

Christian Bielefeldt

14.»Bring It On Home to Me« Anfänge des Soulgesangs

371

Christian Bielefeldt

15. » Sh- Boom« Die Gesangsgruppen

425

Martin Pfleiderer

Nachwort 453 Martin Pfleiderer

Anhang Glossar

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Chartsübersicht 467 Bibliografie 471 Diskografie 495 Register 505

Dank Dieses Buch präsentiert Ergebnisse des Forschungsprojektes »Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (1900–1960)«. Wir danken Nils Grosch und Knut Holtsträter für ihre Bereitschaft, zwei zusätzliche Beiträge zu verfassen, Tobias Marx für die engagierte Mitarbeit innerhalb der ersten beiden Projektjahre, den studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Inga Langhans, Nicole Haushälter, Ekkehard Knopke und Theresa Rademacher für ihre akribischen Quellenrecherchen, den Reihenherausgebern Mechthild von Schoenebeck und Winfried Pape für das sorgfältige Gegenlesen der einzelnen Kapitel, Benjamin Burkhart, Nicole Haushälter und Carsten Wernicke für die redaktionelle Mitarbeit am Buchmanuskript, allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Forschungsworkshops »Stimme, Kultur, Identität – vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA (1900–1960)« im Juni 2014 für die anregenden Referate und Diskussionen sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die das dreijährige Forschungsprojekt und die Buchpublikation finanziert hat. Weimar, im Februar 2015 Martin Pfleiderer, Tilo Hähnel, Katrin Horn, Christian Bielefeldt

1. Zur Einführung Martin Pfleiderer

Stimmen stehen im Zentrum der populären Musik und ihrer Rezeption. Stimmen faszinieren, sie berühren, ergreifen und bieten den Hörern einen scheinbar unmittelbaren Zugang zur Persönlichkeit und Gefühlswelt der Sängerinnen und Sänger. Trotz dieses hohen Stellenwerts des populären Gesangs wurde der vokale Ausdruck in der Popmusikforschung1 bislang jedoch eher stiefmütterlich behandelt (s. Pfleiderer 2009). Zwar gibt es zahlreiche Studien einerseits zu Songtexten und deren Bedeutungsfacetten, andererseits zu den Images von Gesangsstars. Allerdings werden Songtexte und Images nur selten auf die klanglichen Aspekte der vokalen Gestaltung bezogen. Doch gerade hier, in den musikalischen Gestaltungsmitteln und klanglichen Details des vokalen Ausdrucks, so der Ausgangspunkt der Studien im vorliegenden Buch, liegen vielfältige Möglichkeiten einer Interpretation populärer Musik in den Kontexten ihrer Produktion und Rezeption, die auch Rückschlüsse auf kulturelle und gesellschaftliche Prozesse erlauben. »Populäre Musik« (engl. popular music) wird im Folgenden als ein mehr oder weniger akademischer Sammelbegriff verwendet, der zunächst einmal alles umfasst, was nicht eindeutig der Kunst- oder Volksmusik zuzurechnen ist (Tagg 1982). Der Begriff ist zugleich eng verbunden mit einer spezifischen Sichtweise auf Musik, in der ganz bestimmte Aspekte des Musikschaffens und der Musikrezeption fokussiert werden: die Aufführungen und Inszenierungen von Musik vor dem Hintergrund spezifi   »Popmusikforschung« meint innerhalb dieser Publikation wissenschaftliche For­schung, die im weitesten Sinne auf populäre Musik gerichtet ist; der Ausdruck wird gegenüber der Wortschöpfung »Popularmusikforschung« (eingedeutscht aus ­»popular music research«) bevorzugt.

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scher historischer Rezeptionskontexte. Bei den Prozessen der Produktion, Verbreitung und Rezeption populärer Musik spielen zudem verschiedene Medienverbünde sowie eine Orientierung an Marktmechanismen eine entscheidende Rolle. Forschungsgegenstand der so verstandenen Popmusikforschung sind somit die konkreten Aufführungsereignisse, deren mediale und in der Regel marktorientierte Verbreitung und Rezeption sowie die medienspezifischen (Selbst-)Inszenierungen der Musikerinnen und Sängerinnen, Musiker und Sänger. Diese Sichtweise steht quer zur herkömmlichen Unterscheidung in E- und U-Musik, da sie auch entspre­ chende Aspekte in der Aufführungskultur klassischer Musik, beispielsweise in der Oper oder der Virtuosenkultur des 19. Jahrhunderts, in den Blick zu fassen vermag. Zugleich berücksichtigt diese Sichtweise die enge Verknüpfung der medial vermittelten Inszenierung und Rezeption mit den Aspekten des Klanglichen sowie der ästhetischen Wahrnehmung von Klang, Bild und Text. Denn Musik ist immer auch Gegenstand der ästhetischen Wahrnehmung und wird von Hörerinnen und Hörern nach bestimmten ästhetischen Kriterien, die sich auf klangliche Aspekte richten, jedoch zugleich über die Klangerfahrung hinausweisen, ausgewählt und beurteilt (Appen 2007). Im 20. Jahrhundert hat die Produktion und Verbreitung US-amerikanischer Unterhaltungsmusik regionale Musiktraditionen weltweit beeinflusst, zum Teil sogar verdrängt. Hintergrund dieser Entwicklung ist sicherlich die wachsende wirtschaftliche und politische Macht der USA, die sich seit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg zunehmend als führende Weltmacht etablierten. Eine wichtige Rolle innerhalb dieser Erfolgsgeschichte spielt zugleich die Attraktivität von US-amerikanischen Lebens­ formen und Gebrauchsgütern im 20. Jahrhundert. Die USA stehen für wirtschaftlichen wie sozialen Fortschritt und Demokratie, für das Versprechen von Wohlstand, von politischer Mitbestimmung und kultureller Partizipation breiter Bevölkerungsgruppen und wurden so zu einem Leitbild der nachbürgerlichen Moderne. Indiz für diese umfassende Attraktivität US-amerikanischer Kultur sind die großen Erfolge von Hollywoodfilmen, Unterhaltungsliteratur, Lifestyle und Mode und natürlich der Musik aus den USA. Ein transatlantischer Einfluss US-amerikanischer Unterhaltungsmusik lässt sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg nachweisen und verstärkt sich dann vor allem nach den beiden Weltkriegen. Bezeichnend für die populäre Musik US-amerikanischer Provenienz sind ihr interkultureller Charakter und insbesondere ihr hoher afroamerika-

Zur Einführung

nischer Anteil, der sich in einer anderen instrumentalen und vokalen Expressivität, aber auch in einer neuen Körperlichkeit zeigt, wie sie zunächst in den Tänzen des Ragtime und Jazz zum Ausdruck kommt. Allerdings wird aus einer europäischen Perspektive leicht übersehen, dass sich die USA im 20. Jahrhundert selbst mitten in tief greifenden kulturellen Wandlungsprozessen befanden. Industrialisierung und Urbanisierung veränderten vor allem das Leben in den großen Städten, Vorstellungen von Weiblichkeit, Männlichkeit, Jugendlichkeit und Ethnizität wurden neu verhandelt. Gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die US-amerikanische Bevölkerung von zahlreichen  Veränder­ ungen und Krisen, von Klassengegensätzen und regionalen sowie ethnischen Unterschieden verunsichert und befand sich auf der Suche nach einer eigenen US-amerikanischen Identität. Die einzelnen Kapitel des vorliegenden Buches fragen nach Zusammenhängen zwischen diesen übergreifenden sozialen und kulturellen Veränderungen und dem Wandel von vokalen Ausdrucksmustern, wie sie in den Stimmen der populären Musik hörbar werden. Um die Zusammenhänge zwischen Kultur, Identitätskonstruktionen und vokalem Ausdruck greifbar werden zu lassen, sind zunächst einige theoretische Vorüberlegungen erforderlich; sie liegen den folgenden Studien zugrunde (vgl. auch Frith 1996: 183–225; Hähnel, Marx und Pfleiderer 2014; Pfleiderer 2015).

Ü berlegungen des popul ären

zu einer

G esangs

Theorie

Populärer Gesang ist eingebunden in ein vielschichtiges Geflecht von Bedeutungen und steht in Zusammenhang mit medialen Inszenierungen und imaginierten Identitäten. Zunächst einmal geben die Songtexte jeweils eine Rolle oder Persona (von lat. personare: hindurchtönen) vor, in die eine Sängerin oder ein Sänger mit der Stimme wie in ein vokales Kostüm oder eine vokale Maske ›hineinschlüpfen‹ kann. Umgekehrt kann sich das Publikum zur Songpersona auf differenzierte Weise und in subtilen Prozessen der Identifikation und Imagination in Beziehung setzen (Moore 2012: 184–88). Handelt der Song von Erfahrungen, die die Hörer­ innen oder Hörer selbst gemacht haben, liegt eine Identifikation mit der Songpersona nahe. Handelt der Song von Erfahrungen, die ihnen neu oder fremd sind, so können sie sich in ihrer Imagination in die für sie neu-

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artigen Ausdrucks- und Erfahrungsmöglichkeiten hineinversetzen. Viele Songtexte bieten den Hörerinnen und Hörern zudem einen Anlass, sich mehr oder weniger direkt angesprochen zu fühlen und sich als Gegenüber des Stars zu imaginieren. Ungeachtet einer emotionalen Involvierung mit dem Songgeschehen und der Sängerin oder dem Sänger bleibt es dem Publikum natürlich überlassen, in einer primär ästhetischen Wahrnehmungsweise dem musikalischen und vokalen Geschehen zu folgen und die vokalen Klänge als solche zu genießen. Freilich sind Hörerinnen und H ­ örer nicht nur mit einzelnen Songs konfrontiert, sondern mit Stars und deren Aufführungspersonae, wie sie in verschiedenen Darbietungskontexten (im Konzert, auf Schallplatte, im Radio, im Film und im Fernsehen) erlebt werden können. Diese übergreifende, die einzelnen Darbietungen überdauernde Aufführungspersona löst sich dabei zunehmend von den konkreten Bühnenfiguren oder Aufführungsrollen, wie sie im Kontext eines narrativen Zusammenhangs oder für eine Konzerttournee, eine Schallplattenaufnahme oder einen Video-Clip inszeniert werden. Das Phänomen des Gesangsstars bietet Möglichkeiten, die Dynamik der Beziehung zwischen Sängerinnen oder Sängern und Rezipienten genauer in den Blick zu bekommen. Stars sind Prominente, also öffentliche und durch mannigfaltige Medienauftritte vermittelte Persönlichkeiten, die zudem über eine treue Anhängerschaft, eine Fangemeinde verfügen. Für die Beziehung zwischen dem Star und den Fans sind die Ambivalenzen und die innere Dynamik des Starimages zentral. Nach Silke Borg­ stedt repräsentiert ein Image »[…] die Gesamtheit der Vorstellungs- und Bewertungsinhalte, die als spezifisches Arrangement von Wertemustern, Persönlichkeitseigenschaften und emotionalen Anmutungen mit einem bestimmten Musiker verknüpft sind« (Borgstedt 2008: 135). Die Werte, die durch eine Sängerin oder einen Sänger repräsentiert und prägnant verkörpert werden, bieten den Hörerinnen und Hörern Orientierung und Anlass für eigene Positionierungen (Borgstedt 2008: 151). Die innere Dynamik eines Starimages lässt sich entlang der drei Dimensionen Außergewöhnlichkeit/Individualität vs. Gewöhnlichkeit/Sozialität des Stars, Distanz vs. Nähe zwischen Stars und ihren Fans sowie Fiktion vs. Realität der Starerscheinung beschreiben. Aus dem Image eines Stars lassen sich Rückschlüsse auf die Werte und Deutungsmuster einer historischen Situation ziehen. Stars treten im 20. Jahrhundert in verschiedenen Medien und Medienverbünden in Erscheinung, zunächst auf der Bühne des Clubs oder Musiktheaters, flankiert von der Berichterstattung der Printmedien,

Zur Einführung

dann bei Schallplattenaufnahmen, seit den 1920er Jahren im Radio, später im Film und Fernsehen. Für das Starimage oder die Starpersona spielen drei unterschiedliche Erscheinungsweisen eine Rolle: die medialen Texte, die vom Star und seinem Vermarktungsapparat stammen, also Bühnenshows, Tonaufnahmen, Fotos, Pressetexte, Filmauftritte etc., sodann die öffentliche Berichterstattung über den Star vor allem in den Printmedien (Zeitschriftenartikel, Zeitungskritiken), aber auch im Rundfunk und Fernsehen, sowie schließlich die Erfahrungswelt der Hörerinnen und Hörer, deren Bewertungsweisen und Bedeutungszuschreibungen, wie sie z. B. in Fanzeitschriften, Leserbriefen, aber auch in deren alltäglichen Gesprächen zum Ausdruck kommen. Die in diesen drei Perspektiven (Star – ­Medienberichterstattung – Fans) greifbar werdenden Imagekonstruktionen sind nur selten völlig deckungsgleich. In der Regel lässt sich jedoch ein Imagekern des Stars als Schnittmenge der drei Perspektiven identifizieren (Borgstedt 2008: 138). Teil der Konstruktion des Images einer Sängerin oder eines Sängers ist die Vorstellung einer ›wirklichen‹ Person mit einer ganz bestimmten regionalen, sozialen und ethnischen Herkunft, mit einem Geschlecht und einer individuellen Biografie, mit bestimmten Erfahrungen und Persönlichkeitseigenschaften. Gerade in der Konstruktion dieser ›realen‹ oder ›privaten‹ Person spielt neben dem Körper, dessen Aussehen und physiognomischen Eigenheiten, auch die Stimme eine zentrale Rolle. Denn die Stimme eines Menschen bietet bereits in der alltäglichen Erfahrungswelt Hinweise auf dessen Körper, Herkunft, Biografie und Persönlichkeit. Auch Sängerinnen und Sänger geben sich durch ihre individuelle, persönliche Stimme als körperlich präsente Personen zu erkennen. In Atemgeräuschen, die durch das Mikrofon hörbar werden, in einer rauen oder behauchten Stimmgebung oder im Übergangsbereich zwischen Brust- und Kopfstimme wird jedoch darüber hinaus deutlich, wie eng die Stimme an den menschlichen Körper und dessen Physiologie, dessen äußere Bewegungen und innere Erregungszustände gebunden ist. Viele Stimmen lösen hierdurch auch bei ihren Hörerinnen und Hörern Gefühle aus, sodass mitunter eine imaginierte Beziehung zu den Sängerinnen oder Sängern entsteht, die erotische Momente umfassen kann. Stimmen können auf diese Weise zum Objekt des Genusses und des Begehrens werden. Dabei schafft die Ablösung der Stimme vom realen Körper im Falle von Übertragungs- und Speichermedien wie Radio, Schallplatte und Film einen zusätzlichen Spielraum für die Imagination der Hörerinnen und Hörer.

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Die Stimme ist sowohl Teil des Ausdrucks der Persönlichkeit und Biografie, des Alters und der regionalen und sozialen Herkunft als auch Ausdruck der momentanen körperlichen und emotionalen Befindlichkeiten. Wenn Sängerinnen und Sänger sich und ihre Stimmen präsentieren und für ein Publikum singen, greifen sie allerdings in der Regel auf zahlreiche konventionelle und stilisierte vokale Ausdrucksmittel zurück, die ihre ›privaten‹ Sprechstimmen überlagern. Viele Vokalisten vermögen den vokalen Ausdruck von Stimmungen und Emotionen sehr differenziert zu gestalten. Die Emotionen selbst müssen dabei nicht unbedingt real gefühlt sein, vielmehr werden Gefühle und Gefühlsnuancen mitunter zu fiktiven, überzeichneten oder neuartigen emotionalen Ausdruckskonstellationen zusammengefügt. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass Stimmen weder ausschließlich Textbedeutungen ›transportieren‹ noch ausschließlich auf Kör­per und Gefühle von realen oder fiktiven Personen verweisen. Eine Stim­me ist zugleich ein Musikinstrument. Sie wird mit bestimmten Gesangstechniken geformt und ist in die Prozesse der musikalischen Gestaltung von Melodik, Rhythmik, Harmonik und Klangfarbe eingebunden. Der dezidiert musikalische Charakter des Gesangs zeigt sich unter anderem in Ornamentierungen und Melismen, dem Gleiten zwischen Tonhöhen, dem Spiel mit Vokalklängen oder der differenzierten (mikro-)rhythmischen Gestaltung. Daher kann seine Rezeption auch über die Prozesse der Identifikation und Imagination hinaus zu ästhetischem Genuss führen. Ein quasi ›instrumentaler‹ Einsatz der Stimme orientiert sich oftmals an ästhetischen Kriterien wie Originalität, Vielseitigkeit und Virtuosität und führt bis hin zur gezielten und gekonnten Nachahmung von Musikinstrumenten etwa im Jazzgesang. Aber auch im Backgroundgesang, in dem die Stimmen mitunter zu einem ›überindividuellen‹ und daher unpersönlichen Gruppenklang verschmelzen, sowie im Umgang mit den ›Instrumenten‹ Mikrofon und Aufnahmetechnik äußert sich eine primär klanglich-musikalische Gestaltung. Die Verflechtung der skizzierten Dimensionen des vokalen Ausdrucks muss bei einer Interpretation hinsichtlich der Bedeutungen des populären Gesangs im Kontext kultureller Prozesse berücksichtigt werden. Voraussetzung ist dabei immer eine differenzierte Beschreibung der verschiedenen klanglichen Aspekte des Gesangs einzelner Künstlerinnen und Künstler. Erst wenn vokale Gestaltungsweisen präzise beschrieben werden, lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den voka-

Zur Einführung

len Ausdrucksweisen unterschiedlicher Vokalistinnen und Vokalisten sowie Vokalgenres herausarbeiten. Voraussetzungen für diesen analytischen Zugang sind zunächst Tonaufnahmen, die seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vor allem in Form von unzähligen kommerziellen Plattenveröffentlichungen vorliegen, eine klare und eindeutige Analyseterminologie sowie adäquate Analysewerkzeuge. Wir stützen uns in den folgenden Kapiteln auf die Potenziale sowohl einer präzisen sprachlichen Beschreibung, einer grafischen Darstellung der melodischen und rhythmischen Dimension des Gesangs durch Notenschrift als auch einer Visualisierung von verschiedenen Aspekten des Singens, wie sie heute durch Digitalisierung und Computersoftware möglich geworden ist. Hierdurch lassen sich unter anderem das stufenlose Gleiten zwischen Tonhöhen sowie stimmspezifische Merkmale wie Rauheit und Behauchtheit adäquat und präzise darstellen. In einem zweiten Schritt werden die vokalen Ausdrucksweisen, wie sie sich an bestimmten Gesangsaufnahmen exemplarisch beschreiben lassen, auf mediale Zeugnisse die Sängerinnen und Sänger betreffend und gegebenenfalls deren Starimages bezogen, aus denen wiederum Rückschlüsse auf die historische Rezeptionsweise sowohl des Gesangs als auch der Starimages gezogen werden können. Die Quellen, die im Rahmen der vorliegenden Studien inhaltsanalytisch ausgewertet wurden, umfassen zeitgenössische Rezensionen und Berichte in Zeitschriften und Zeitungen, Film- und Fernsehaufnahmen sowie Biografien und Autobiografien. Ziel ist es, spezifische vokale Ausdrucksweisen im Spannungsfeld von Songs, Aufführungen und Starimages zu beschreiben und diese sodann auf übergreifende kulturelle Stereotype und Identitäten sowie deren historischen Wandel zu beziehen. Erst auf dieser breiten Dokumentenbasis von Gesangsaufnahmen, Textdokumenten, Bildern und Filmen werden die Attraktivität und Bedeutung des populären Gesangs im Kontext kultureller Prozesse in den USA zwischen 1900 und 1960 in ihrer ganzen Tragweite greifbar. Der Untersuchungszeitraum der vorliegenden Studien orientiert sich einerseits an der Quellenlage, denn aus der Zeit vor 1900 sind kaum verwertbare Tondokumente populären Gesangs überliefert. Andererseits differenzieren sich die verschiedenen Genres nach 1960 in einem so hohen Maße, dass eine übergreifende Behandlung nahezu unmöglich wird. Wohlgemerkt verfolgt das Buch trotz dieser zeitlichen Eingrenzung keinen enzyklopädischen Anspruch – der Versuch einer umfassenden

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Darstellung jedweder Ausprägung US-amerikanischer populärer Musik zwischen 1900 und 1960 wäre angesichts der schieren Fülle des Materials von vornherein zum Scheitern verurteilt. So konnten unter anderem die weiten Bereiche der Musiktraditionen von lateinamerikanischen Einwanderergruppen sowie des Gesangs im modernen Jazz nach 1950 nicht untersucht werden. Vielmehr werden anhand von Fallstudien ausgewählter Vokalistinnen und Vokalisten und deren Aufnahmen Einblicke in die Vielfalt vokaler Ausdrucksmittel, in deren historische Veränderungen und deren Wechselverhältnis zu medientechnologischen, ökonomischen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen sowie – last, but not least – in die kulturellen Prozesse von kollektiven Identitätskonstruktionen in den USA zwischen 1900 und 1960 gegeben. Leitfragen sind hierbei die Konstruktionsweisen von Klassen, Ethnien, Geschlecht, Jugendlichkeit sowie regionalen Unterschieden. Konkrete Kriterien für die Auswahl der untersuchten Fallbeispiele sind einerseits die Verbreitung und der Erfolg bestimmter Gesangsstars und deren Aufnahmen in der damaligen Zeit, aber auch nachträgliche Zuschreibungen ihres Stellenwerts innerhalb der Geschichte populärer Musik und ihres Einflusses auf spätere Sängerinnen, Sänger und Genres, andererseits ihr jeweiliges Potenzial für eine prägnante, idealtypische oder prototypische Darstellung bestimmter vokaler Ausdrucksweisen, wichtiger Aufführungs- und Medienformate und der genannten Leitfragen. Die Darstellungen lassen sich zudem auf die mannigfaltigen Entwicklungen im Rock, Soul und Pop nach 1960 beziehen. Eine hierauf bezogene Arbeits­hypothese besagt, dass die Mehrzahl der vokalen Ausdrucksmittel in der populären Musik nach 1960 bereits in den Aufnahmen vor 1960 präsent und greifbar ist. Das vorliegende Buch versteht sich somit zugleich als historiografische Studie, die in methodologischer und musik­ geschichtlicher Hinsicht Voraussetzungen für eine Auseinandersetzung mit dem vokalen Ausdruck in der populären Musik seit den 1960er Jahren zu schaffen v­ ersucht. Eine zweite Arbeitshypothese besagt, dass vokale Gestaltungsmittel und vokale Personalstile vielfach Genregrenzen überschreiten. Die Einteilung des Musikmarktes in Genres ist in erster Linie wirtschaftlich motiviert und kann daher als künstliche Konstruktion des Musikgeschmacks und dessen sozialer Verortung entlang von Klasse, Ethnizität, Region und Geschlecht angesehen werden. De facto spiegelt sich jedoch die soziale und kulturelle Dynamik einer Gesellschaft nicht selten in einem Über-

Zur Einführung

schreiten solcher Genregrenzen – sowohl was musikalische Gestaltungsmittel wie Begleitrhythmik, Harmonik, Melodieführung betrifft, als auch in der Instrumentierung, im Repertoire, bei vokalen Ausdrucksmitteln und Sprechakzenten. Interessant ist daher gerade die Rekonstruktion von Genre übergreifenden Entwicklungslinien.

Ü berblick Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil, der diese Einführung sowie zwei weitere Kapitel umfasst, dient der Hinführung zu den darauf folgenden zwölf Einzelstudien, die sich jeweils auf einen bestimmten Bereich der populären Musik in den USA richten und in fünf thematische Blöcke gegliedert sind. Dabei wurde eine Einteilung nach thematischen Kriterien gegenüber einer streng chronologischen Darstellung bevorzugt. Zudem setzen die Autorinnen und Autoren in ihren Texten durchaus ­unterschiedliche inhaltliche und methodologische Schwerpunkte, wodurch die Bandbreite möglicher Zugänge zum Phänomen Stimme und Gesang in populärer Musik deutlich wird. Katrin Horn zeichnet zunächst die medientechnologischen, kulturellen, sozialen und politischen Prozesse nach, durch welche die Geschichte der populären Kultur in den USA zwischen den 1890er und den 1960er Jahren geprägt wird und in deren Kontext auch die Veränderungen des populären Gesangs interpretiert werden müssen (Kapitel 2). Die Ausführungen sollen insbesondere jenen Leserinnen und Lesern, die mit der Kulturgeschichte der USA nicht oder nur oberflächlich vertraut sind, eine knappe Zusammenfassung jener Entwicklungen geben, die im Hintergrund der folgenden Untersuchungen zum populären Gesang stehen. Im Schlussabschnitt des Kapitels wird zudem diskutiert, wie Musik und Gesang bestimmte gesellschaftliche Gruppen repräsentieren und zur Selbst- beziehungsweise Fremdkonstruktion von deren Identität beitragen ­können­. Tilo Hähnel gibt sodann einen systematischen Überblick über die vo­ ka­len Gestaltungsmittel populärer Musik, die sich von jenen in der als »klas­sisch«, »legitim« beziehungsweise »legitimiert« (engl.: »legit«, von legi­timated) bezeichneten Gesangskunst unterscheiden (Kapitel 3). Gerade­in der zeitgenössischen Diskussion wurde populärer Gesang zunächst ge­rade nicht als »Singen« bezeichnet, sondern mit ursprünglich abwertend

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gemeinten Ausdrücken wie Shouting (Rufen), Crooning (Säuseln) oder Belting (Schmettern) bedacht. Aus einer begriffsgeschichtlichen Reflexion sowie auf der Grundlage neuerer stimmphysiologischer Forschungsergebnisse entwickelt Hähnel Perspektiven einer deskriptiv-analytischen Terminologie der vokalen Gestaltung populärer Musik. Der Hauptteil des Buches beginnt mit zwei Kapiteln zum Gesang im Musiktheater (Vaudeville, Revue, Musical), gefolgt von drei Kapiteln zur Gesangstradition des American Popular Song von den späten 1920er bis zu den 1950er Jahren. Tilo Hähnel legt in seinen Texten zum Vaudeville, zum frühen Crooning und zum Torch Singing im Jazz (Kapitel 4, 6 und 7) Schwerpunkte einerseits auf eine detaillierte Beschreibung und computergestützte Visualisierung von vokalen Ausdrucksmitteln, andererseits auf deren Verortung und Interpretation im Kontext von kulturellen Stereotypen, zu deren Konstruktion und Veränderung Gesangsstars in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beigetragen haben. Bei den untersuchten Stars des Vaudeville und der frühen Broadwayrevuen besteht mitunter ein komplexes Wechselspiel zwischen einer oder mehrerer Songpersonae, der Aufführungspersona und dem übergreifenden Starimage der Sängerin oder des Sängers (Kapitel 4). Hähnel zeigt an den Beispielen von Bert Williams und Al Jolson, wie diese unterschiedlichen Personae mit vokalen Mitteln gestaltet und gegeneinander abgegrenzt werden. Bei Sophie Tucker spielen auch Bezüge auf ihren jüdischen Hintergrund eine Rolle, während Ethel Waters’ Singweise am Übergang zum Jazzgesang steht. Nils Grosch (Kapitel 5) zeigt am Beispiel des Musicals Oklahoma! (1943) und des entsprechenden Broadway-Original-Cast-Albums, wie sich im Laufe der 1940er Jahre aus Broadway-Revuen und frühen Musicals eine neue Form des Musiktheaters entwickelt hat. Während in Revuen und frühen Musicals zunächst noch die Gesangsstars und eine die einzelnen Bühnenrollen übergreifende Starpersona gefeiert wurden, treten die Sängerinnen und Sänger nun hinter ihre Rollenfiguren zurück. Die vokalen Gestaltungsmittel werden ganz und gar in den Dienst der Interpretation der Songpersonae gestellt – eine künstlerische Konzeption, die sich an einer europäischen Ästhetik des Musiktheaters orientiert. Beim Crooning, das in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre im Kontext von Rundfunkübertragungen entstanden ist, stehen dagegen der leise säuselnde Sänger, der Crooner, und dessen Starimage ganz im Zentrum

Zur Einführung

der Aufmerksamkeit. Hähnel zeichnet anhand zahlreicher Beispiele den Wandel des Crooning-Stils und des Crooner-Images von den 1920er bis in die frühen 1940er Jahre hinein nach (Kapitel 6). Frühe Crooner wie Whispering Jack Smith und Rudy Vallée sahen sich aufgrund ihrer angeblichen Verweiblichung und Verweichlichung, die sich für Zeitgenossen gerade auch im Gesang zeigte, mit Anfeindungen konfrontiert. Dagegen entwickelte Bing Crosby unter Verwendung modifizierter vokaler Gestaltungsmittel ein Image des »All American Crooners«, das ab den 1940er Jahren nicht zuletzt durch Frank Sinatra weitergeführt wurde. Im Gegensatz zum Crooning finden sich im Jazzgesang vokale Gestaltungsmittel, die zwar an Vaudeville, Revue und Crooning anknüpfen, jedoch weit stärker die jeweilige künstlerische Individualität und den Personalstil der Sängerin und des Sängers zum Ausdruck bringen. Hähnel zeigt dies exemplarisch anhand einer vergleichenden Analyse von Interpretationen des Songs »Body and Soul« durch Louis Armstrong, Dinah Shore, Billy Eckstine, Sarah Vaughan, Billie Holiday, Anita O’Day und Ella Fitzgerald (Kapitel 7). »Body and Soul« ist ein typischer Torch Song, in dessen Text es um das unterwürfige Festhalten an einer unglücklichen Liebe geht. In den Analysen wird jedoch deutlich, dass die Interpretation des Songtextes bisweilen hinter die typischen Gestaltungsmittel der Personalstile der Jazzsängerinnen und -sänger zurücktritt. Knut Holtsträter untersucht anhand der Gesangsdarbietungen in Primetime-Shows des US-amerikanischen Fernsehens, ob und wie in den 1950er Jahren das neue Medium Fernsehen einerseits die Gesangsdarbietungen, andererseits die dadurch vermittelten Inhalte und Wertorientierungen beeinflusst (Kapitel 8). Dabei richtet er seinen Blick anhand mehrerer Fallbeispiele insbesondere auf die Inszenierung des Singens auf der Studiobühne und dessen Kontinuitäten zur Broadway-Revue sowie auf die Konstruktion von »Liveness« – die, so sein Schluss, für die Fernseh­ zuschauer der damaligen Zeit kein zentrales Bewertungskriterium gewesen ist. Es folgen zwei Kapitel, in denen Tilo Hähnel detailliert die Bandbreite der vokalen Ausdrucksmittel im afroamerikanischen Gesang (Gospel Music, Blues und Rhythm & Blues) darstellt – Ausdrucksmittel, die für Entwicklungen in vielen Genres populärer Musik des 20. Jahrhunderts maßgeblich geworden sind. Zunächst widmet er sich den vokalen Gestaltungsweisen in Aufnahmen des Predigers Reverend Gates sowie der Gospelshouterinnen Arizona Dranes und Mahalia Jackson (Kapitel 9).

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Am Beispiel von Jackson, Rosetta Tharpe, Dinah Washington und Aretha Franklin geht er sodann auf das Phänomen des Crossovers von religiösen Sängerinnen zu weltlichen Songs im Kontext des Rhythm & Blues ein. Hinsichtlich des Blues zeigt Hähnel, wie kulturelle Bilder und Stereotype des Afroamerikaners sowohl die vokale Gestaltung als auch deren Rezeption nachhaltig geprägt haben (Kapitel 10). Am Beispiel der Aufnahmen von Songs des Vaudeville Blues (Ma Rainey, Bessie Smith), des ländlichen Downhome Blues (u. a. Charley Patton, Tommy Johnson, Robert Johnson) und des städtischen Hokum Blues (Tampa Red, Louis Jordan) zeichnet er die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselbeziehungen zwischen der vokalen Gestaltung in diesen drei Bluesgenres nach und weist auf deren Einfluss auf den Rhythm & Blues der 1950er Jahre sowie auf Rock’n’Roll, Soul und Rock hin. Katrin Horn widmet sich in zwei Kapiteln dem Gesang der ländlich konnotierten Musik vorwiegend angelsächsischer Provenienz (Hillbilly, Folk Music und Country Music). In Kapitel 11 zeichnet sie die Geschichte der Begründung einer vermeintlich authentischen US-amerikanischen Volksmusiktradition durch Volksliedforscher wie Cecil James Sharp oder John und Alan Lomax, durch die Aufnahmen von Lead Belly und Woody Guthrie sowie im zweiten Folk Revival der 1950er Jahre (Pete Seeger, Jean Ritchie) nach. Zudem beleuchtet sie den Einfluss von Gesang und Image dieser Sängerinnen und Sänger auf Joan Baez und Bob Dylan. Der Fokus des Kapitels zur Country Music (Kapitel 12) liegt auf der Konstruktion des idealisierten ländlichen Farmers und Arbeiters sowie auf den Rollen und Stereotypen, die Frauen in diesem Kontext zugewiesen werden. Dabei geht es insbesondere um die Kontinuitäten und Wandlungen vokaler Gestaltungsmittel, beispielsweise des Jodelns, von den ersten Country-Stars um 1930 (Carter Family, Jimmie Rodgers) über die croonenden Cowboys (Gene Autry) und jodelnden Outlaws (Roy Acuff), den Honky-Tonk-Star Hank Williams bis hin zu den »Honky Tonk Angels« Kitty Wells und Patsy Cline, die am Beginn des modernen, poporientierten Nashville Sound stehen. Christian Bielefeldt beschreibt sodann am Beispiel des Gesangsstils von Little Richard, Chuck Berry und Elvis Presley zentrale vokale Gestaltungsmittel in schnellen Rock’n’Roll-Songs (Kapitel 13). Obschon bei diesen Sängern individuelle Eigenheiten überwiegen, so werden doch auch übergreifende Charakteristika des Rock’n’Roll-Gesangs greifbar, die vor allem in einer Verknüpfung und Vermischung von afroamerikanischen

Zur Einführung

und euroamerikanischen vokalen Ausdrucksmitteln liegen. Dies steht in enger Verbindung mit neuen Starimages und sich wandelnden kulturellen Stereotypen, worauf Bielefeldt am Schluss des Kapitels eingeht. In Kapitel 14 untersucht Bielefeldt detailliert den Einfluss der Gospel Music, insbesondere von Leadsängern führender Hard-Gospel-Quartette der 1940er und 1950er Jahre (The Blind Boys of Mississippi, The Soul Stirrers), auf die vokalen Ausdrucksmittel von Ray Charles und Sam Cooke sowie auf vom Gospel beeinflusste Songs der Rhythm & Blues-Sängerin LaVern Baker. Die hier hörbar werdende Transformation des Rhythm & Blues-Vokalstils in den Soulgesang der 1960er Jahre verfolgt er bis in die frühen Aufnahmen von Aretha Franklin. Bielefeldt verortet die vokalen Gestaltungsmittel zugleich im Kontext eines vielschichtigen Wandels des Selbstverständnisses der Afroamerikaner um 1960 und ihrer Entwicklung eines sozialen, politischen und kulturellen Selbstbewusstseins, das aus der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung heraus entstanden war. Im letzten Kapitel wird der Fokus des Buches über den Gesang einzelner Sängerinnen und Sänger hinaus auf Praktiken des gemeinsamen Singens in Vokalgruppen erweitert, die im Untersuchungszeitraum in verschiedenen Musikgenres von großer Bedeutung sind. Dabei wird versucht, Entwicklungslinien des mehrstimmigen Gesangs unter anderem im Jazz, Rhythm & Blues und Rock’n’Roll anhand von Aufnahmen der 1920er bis frühen 1960er Jahre nachzuzeichnen. Am Beispiel des Gruppengesangs werden zugleich verschiedene genreübergreifende vokale Gestaltungsweisen in populärer Musik deutlich. Angesichts der vielfältigen Themengebiete, die in den einzelnen Kapiteln des Buches dargestellt und diskutiert werden, ist eine pointierte Zusammenfassung der unzähligen Einzelergebnisse weder möglich noch sinnvoll. Dennoch sollen in einem Nachwort einige Schlaglichter auf die Ergebnisse geworfen werden, wodurch methodische und inhaltliche He­ rausforderungen und Perspektiven der Erforschung von Stimme und Gesang in populärer Musik deutlich werden. Der Anhang des Buches umfasst ein Glossar mit Erläuterungen zu den zentralen im Text verwendeten Fachbegriffen, eine Übersicht über die verschiedenen Chartsformate im Untersuchungszeitraum, das Literaturverzeichnis, diskografische Angaben zu den untersuchten Aufnahmen sowie ein Register, durch welches das Auffinden bestimmter Themen und Fragestellungen anhand von Schlüsselbegriffen, Personen und Songtiteln erleichtert werden soll.

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2. USA 1900–1960 Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit Katrin Horn

1893 feiern sich die USA selbst – beziehungsweise ihre Entdeckung 400 Jahre zuvor durch Christopher Columbus – auf der Columbian Exposi­ tion in Chicago. Sie ist eine der zahlreichen großen Weltausstellungen, die das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert prägen und die vom Fortschrittsglauben, wachsenden internationalen Handel und Kulturaustausch dieser Zeit zeugen. Die sechsmonatige Veranstaltung lockt über 27 Millionen Menschen aus den USA und der ganzen Welt nach Chicago, wo verschiedene Aussteller, allen voran aber die US-amerikanischen, einen Eindruck davon zu vermitteln versuchen, wozu ihre Nation imstande ist. 1893 bedeutet dies hauptsächlich viel künstliche Beleuchtung: Nachts wird die Weltausstellung zum beeindruckenden Lichtermeer sowie Beweis des amerikanischen Erfindergeists und technologischen Fortschritts. So interessant die aufwendig koordinierte Selbstdarstellung in Design und Architektur als »cultural icon for the nation’s hopes and future« (Rydell 1993: 1) ist, so aufschlussreich sind die nicht verhandelten inneren Widersprüche, die sich im Rahmenprogramm widerspiegeln: Während auf der Vergnügungsmeile »The Midway« die Burlesquetänzerin »Little Egypt« dem amerikanischen Publikum den Bauchtanz näherbringt, argumentieren öffentliche Vorträge für die Gleichstellung von Frauen und gegen die Behandlung nicht-weißer Amerikaner als exotisch.1 Der angesehene Historiker Frederick Jackson stellt seine These über »The Significance of the Frontier in American History« vor, in der er den amerikanisierenden   Für eine ausführliche Diskussion der problematischen Darstellung von Gender und Race sowie deren Korrelationen auf der Columbian Exposition siehe Boissea und Markwyn (2010).

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Einfluss des harten – aber friedlichen – Lebens an der Grenze zur Zivilisation darlegt, als zeitgleich William »Buffalo Bill« Cody vor den Toren der Weltausstellung den sprichwörtlichen Wilden Westen inszeniert, inklu­ sive Mythenbildung um angeblich brutale amerikanische Ureinwohner. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verschmelzen diese unterschiedlichen Ansichten über den historischen Westen als charakter- und nationen­bildend durch den demokratisierenden Einfluss des Frontierlebens einerseits und andererseits durch die »Regenerierung durch Gewalt« (»regeneration ­t hrough violence«)2 (Slotkin 1973) zu einem Männlichkeitsideal, dessen nostalgischem Reiz sich auch Präsidenten, wie beispielsweise Theodore Roosevelt, nicht entziehen können. Auf der Weltausstellung, und ganz besonders auf deren Midway, treffen jedoch nicht nur unterschiedliche Wertesysteme aufeinander, sondern auch Verwertungsysteme: Die konsumorientierte Industrie ist noch neu und die Gewinnung von Kunden eines der Hauptziele der Veranstaltung. Um deren Gunst werben neue Haushaltsprodukte wie Aunt Jemima Pfannkuchenmix, Juicy Fruit Kaugummi und Pabst Blue Ribbon Bier, aber auch unterschiedliche Unterhaltungsmedien: Der Song »After the Ball« wird durch die Band von John Philip Sousa auf dem Midway zum Hit und tausende Fans kaufen die Noten von Charles K. Harris als Souvenir. »After the Ball« wird zum ersten Song, dessen Noten sich über eine Million Mal verkaufen. Sein Komponist legt mit dem Umzug seiner Geschäftsräume nach New York einen der Grundsteine der Tin Pan Alley (Suisman 2009: 30). Ebenfalls in Chicago vertreten sind münzbetriebene Phonographen3 – die ersten kommerziell verwendeten musikalischen Abspielgeräte. Damit laufen auf der Weltausstellung zwei wegweisende Entwicklungen in der Musikgeschichte zusammen: Zum einen stellen die Komponist­innen und Komponisten der Tin Pan Alley, hier vertreten durch Charles K. Harris, die Weichen für ein neues Konzept von populärer Musik in den USA, die, so Suisman (2009: 51), nicht dadurch als populär gilt, dass sie ›vom Volk‹ kommt, sondern deren Songs »eigens, bewusst, und hauptsächlich als kommerzielle Produkte« gefertigt wurden (ebd.). Zum an  Der Mythos der Frontier lässt sich nach Slotkin (1992: 352) folgendermaßen zusammenfassen: »Violence is an essential and necessary part of the process through which American society was established and through which its democratic values are defended and enforced«. 3    Die Technik hatte Edison bereits 1877 entwickelt, jedoch ließ die erfolgreiche Vermarktung des Produktes auf sich warten. 2 

USA 1900–1960: Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit

deren ändert der Phonograph ganz grundlegend das Verhältnis zum Ton und damit auch zur Musik: Before Edison’s phonograph, sound was ephemeral: something heard could not be heard again. True, certain sounds – music – could be documented in written scores; but such artifacts merely traced experiences that truly existed only in the moment. […] »Modern« music, then, is in large part the story of sound technology, of its consequences, and of the responses by musicians and listeners. (Brooks 2006: 332)

Am Anfang des 20. Jahrhunderts ändert sich also nicht nur was wir hören, sondern auch wie wir hören – und das rasant. Im Folgenden sollen deswegen die entscheidenden technischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen innerhalb der USA nachgezeichnet werden, die den Hintergrund für die Veränderungen sowohl der Gegenstände und Formen populärer Musik, als auch für den Wandel ihrer Medien und Funktionen bilden, die jedoch den Rahmen der kulturellen Einbettung der einzelnen Analysekapitel überschreiten würden. Zentral sind dabei die Technisierung und Kommerzialisierung des Alltags, welche den Grundstein für zeitgenössische Vorstellungen von populärer Musik bilden, vor allem auch vom Verhältnis populärer Musik und ihrer Sänger und Sängerinnen zu gesellschaftlichen Idealen und Ideologien, zur Verhandlung von Identitäten in Bezug auf Geschlecht, Sexualität, Klasse und Ethnizität innerhalb der US-Kultur. Dazu kommen die ökonomischen Umbrüche, die die Lebenswelt der USA zwischen 1900 und 1960 entscheidend prägen. Zwischen allen Widersprüchen (Jazz-Age-Hedonimus und Jim-Crow-Gesetze; Kriegs­helden und Angestelltenkultur) sowie Fort- und Rückentwicklungen­(Migration vom Land in die Stadt und schließlich die Vorstadt; Wandel­des Frauenbilds von der »New Woman« zur Industriearbeiterin an der »Home Front« und zur Hausfrau verhaftet in der »Feminine Mystique«) bleibt eine Konstante: der Siegeszug der Massenmedien, der entscheidend dazu beiträgt, dass aus Musik populäre Musik und aus Sängerinnen und Sängern Stars werden. Um diese Entwicklung auch theoretisch zu fassen und in Zusammenhang mit vokalem Ausdruck zu setzen, bildet den Schluss des Kapitels eine Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen zu Stars, Stimmen und deren Verbindung zu Identität und Identifikation. Vor dem Hintergrund der Veränderungen in Kommunikationstechniken und sozialen Abgrenzungen wird beleuchtet, wie vokale Gestaltungsmittel sich in dieses Bedeutungsgefüge einord-

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nen und als Kommunikationsträger sowie als Differenzierungsmerkmale begreifen lassen.

Vom N otendruck

zur

Tonaufnahme

Waren »After the Ball« und ähnliche Songs 1893 noch häufig über mehrere Jahre erfolgreich, so zeichnet sich bereits auf der Weltausstellung in St. Louis 1904 ab, dass die Zeitspanne als »active sellers« für die meisten populären Kompositionen nur noch selten über eine Saison oder sogar nur wenige Wochen hinausgeht (Suismann 2009: 88). Erste Versuche mit Radios ersetzen die mit Kopfhörern versehenen Phonographen von 1893, und der Ragtime im Vergnügungsbezirk übertrifft die offiziell im Programm der Weltausstellung aufgeführten klassischen Konzerte bei weitem an Beliebtheit. Schließlich ändert sich auch die Art, wie Musik verbreitet wird. Vor der flächendeckenden Einführung des Radios wird Musik weitgehend über tourende Vaudevillekünstler verbreitet (Suisman 2009: 81). Der rasante Siegeszug des Radios in den 1920er und 1930er Jahren jedoch löst diese Strategie zunehmend ab. Während 1921 der erste Radiosender aufgrund nicht vorhandener Empfangsgeräte kaum Privathaushalte erreicht, steigt die Zahl der Radiostationen bis 1930 auf über 600 (Blanchard 1998: 85). Zu diesem Zeitpunkt verfügt gut jeder dritte US-amerikanische Privathaushalt über ein Radio. 1960 hingegen findet sich in nahezu jedem Haushalt ein Radio – trotz Wirtschaftskrise, Krieg und der zunehmenden Verbreitung und Beliebtheit von Fernsehgeräten, welche sich in enormem Tempo ausbreiten und vom neuen Wohlstand der Mittelschicht zeugen. 85% der amerikanischen Familien leisten sich 1960 ein Fernsehgerät, zehn Jahre zuvor waren es gerade einmal 9% (U.S. Census 1999: 885). Der technische Fortschritt und die damit einhergehende Verbreitung sowohl von Aufnahmen als auch Liveübertragungen von Musik rückt die Stimme immer mehr ins Zentrum. Nicht mehr Kompositionen als Basis für den Verkauf von Notendrucken dominieren die Umsätze der Musikindustrie, sondern die Aufnahmen einzelner Interpretationen von Songs. Dementsprechend übertrumpfen die Alleinstellungsmerkmale von Musikern, Musikerinnen und Bandleadern, allen voran aber Sängern und Sängerinnen zunehmend die Alleinstellungsmerkmale von Songs. Eines der frühesten und bekanntesten Beispiele für diese Entwicklung ist der Tenor Enrico Caruso (1873–1921). Carusos Gesang war 1910 Teil

USA 1900–1960: Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit

der ersten öffentlichen Radioübertragung der USA, einer Aufführung der Metropolitan Opera in New York, und zudem war Caruso der erste Künstler, der über eine Million Exemplare einer Aufnahme verkaufen konnte. Seine Beliebtheit war dabei eng an die neuen Aufnahme- und Verviel­ fältigungstechniken geknüpft: Als Stimme von Victor machte er nicht nur Werbung für einen der führenden Produzenten und den Vertrieb von Phonographen. Vielmehr waren umgekehrt auch alle Werbeanzeigen für Victor gleichzeitig Werbung für seine Person und seine Stimme. 1920 lautete der Werbeslogan der Firma einfach »You hear the real Caruso«. In die gleiche Richtung zielten Slogans wie »The Living Voices of Interna­ tional Celebrities«, durch die Victor ebenfalls anpries, dass durch die neue Technik auch eine neue Sinneserfahrung möglich war: Stars und deren Stimmen live erleben, und das zu Hause und so häufig wie man möchte. Dies führt nicht nur zu einer neuen Präsenz von (vokaler) Musik im Alltagsleben der breiten Öffentlichkeit, sondern auch zu einer Verschiebung des Freizeitverhaltens. Hatte der Verkauf von Noten durch die Verlage der Tin Pan Alley bereits die zunehmende Kommerzialisierung von Musik eingeläutet, führt die Verbreitung elektronischer Aufnahmeverfahren zu einer zusätzlichen Verschiebung von der Produktion zur Konsumption von Musik. Statt Instrumente und Noten werden verstärkt Schallplatten gekauft. Dadurch wird Musik jedoch auch einem breiteren Publikum zugänglich. Schallplatten sind nicht nur günstiger als Opernbesuche oder gar die Anschaffung eines Klaviers. Ihr Gebrauch erfordert im Gegensatz zum eigenen Musizieren auch keine Vorbildung, welche für ökonomisch wie sozial Benachteiligte eine weitere finanzielle Hürde darstellt. Die Präsenz von Musik im Allgemeinen und Gesang im Speziellen ver­ändert sich nicht nur in Privathaushalten, sondern auch in (halb-)öf­ fentlichen Räumen und verändert so grundlegend die Lebenswelt der ame­ rikanischen Bevölkerung. So ist die Erfahrung der Moderne, welche eng verbunden ist mit der Idee von Amerika und Amerikanisierung,4 nicht nur eine der Beschleunigung – wie dies aufgrund der Entwicklung von Zügen, Automobilen, Flugzeugen und schnelleren Kommunikations­ wegen häufig konstatiert wird. Sie ist vielmehr auch eine Erfahrung akus   »[F]or much of the twentieth century America was seen as the embodiment of [the modern], so much so that for some the two became confused to the point that what was often described as Americanization was in truth modernity, whose wave first broke on the American shore« (Bigsby 2006: 8).

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tischer Veränderung und Intensivierung. Wie Douglas Kahn (1999: 9) argumentiert, bringt die Moderne mehr Klänge mit sich. Immer mehr (halb-)öffentliche Räume, wie beispielsweise Kaufhäuser, Bars und Freizeitparks, werden mit (aufgenommener) Hintergrundmusik bespielt. Das Mikrofon ermöglicht nicht nur Musikschaffenden, größere Menschenmassen direkt anzusprechen und so auch neue Öffentlichkeiten und Gemeinschaften zu erzeugen. Zugleich erlaubt die Technik die Privatisierung des Hörerlebnisses durch Wachswalzenphonographen, später durch Schallplattenspieler bis hin zum Autoradio. Privater werden nicht nur die Rahmenbedingungen des Musikabspielens, sondern – gerade in Bezug auf Stimmen – das Verhältnis zwischen Star und Publikum: The microphone’s ability to capture subtleties of vocal timbre and inflection faithfully opened up possibilities of new forms of performance marked by quiet intensity and subtle shadings of inflection, suggestive of intimacy and emotional density. (Smith 2008: 8)

Georgina Born bezeichnet diese neue Qualität von Musik als »dual move­ ment […] both interiorising, in the domestic provenance of early sound media […] and exteriorising, in those media oriented more to engen­dering collective forms of life and work« (Born 2013: 3). Als Konsequenz dieser dualen Ausrichtung durch technische Aufnahme- und Wiedergabeverfahren wird Musik, je nach Kontext, sowohl als gemeinschaftsstiftendes (und damit potenziell aufrührerisches) als auch intimes (und damit verführerisches) Element wahrgenommen. Die Herausbildung spezifischer Zielgruppen – beispielsweise die Wahrnehmung einer gesonderten Jugendkultur – folgt ebenfalls aus den sich neu eröffnenden technischen Möglichkeiten, gemeinsam Musik in selbst gewählten Kontexten hören zu können.

N eue Wege von M usik

der

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Die neuen Zugriffe auf Musik durch Radio und Grammofon respektive Schallplattenspieler haben auch Auswirkungen auf die Produktion und Rezeption von Musik. Einerseits gehen Populärkultur beziehungsweise­Massenmedien mit einem Mindestmaß an Homogenisierung einher:

USA 1900–1960: Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit

Mehr Menschen hören die gleiche Musik, die deshalb auch für mehr Menschen hörbar und interessant sein muss. Andererseits erlauben die neuen Massenmedien auch einem immer größer werdenden Publikum Zugriff auf kulturelle Produkte, die diesem bisher aus sozialen oder geografischen Gründen nicht zugänglich waren. Diese Entwicklung beobachtet bereits 1958 Paul Ackermann, Musikredakteur bei Billboard, in einem Artikel für das Musik- und Musikequipmentmagazin High Fidelity (1951–1989). Unter dem Titel »What Has Happened to Popular Music« wirft er einen Blick auf die musikalische Entwicklung der letzten zehn Jahre und kommt zu dem Schluss, dass nicht nur immer unterschiedlichere Musik den Weg in die Charts findet, sondern dass selbst die Grenzen innerhalb der Charts immer häufiger überschritten werden. Seine zweite wichtige Beobachtung bezieht sich vor allem auf eine Entwicklung seit der Swingära: »As star personalities, vocalists rather than bandleaders were taking the spotlight« (Ackerman 1958: 35). Neben technischen Neuerungen und Genreentwicklungen sind es dann auch diese »star personalities«, mit denen sich der wachsende Magazin- und Zeitschriftenmarkt auseinandersetzt, zu deren erfolg­reichsten Beispielen Billboard und High Fidelity gehören. Dabei spiegelt der Zeitschriftenmarkt die entscheidenden Entwicklungen in der Musikbranche wider. Die frühe amerikanische Musikzeitschrift Etude (1848–1925) veröffent­licht neben Informationen zu historischen Musikstilen unter anderem noch Noten. Billboard (ab 1894) wiederum beginnt nicht als eine auf Musik spezialisierte Publikation, sondern widmet sich allgemein kommerzieller Unterhaltung – von Freizeit­parks bis Vaudeville und später Film und Radio. Die ersten radio- und jukebox-basierten Charts finden sich ab Mitte der 1930er Jahre, gleichzeitig richtet sich Billboard ausschließlich auf Musik aus. Billboard lockt dabei mit einigen Starportraits auch Laien, positioniert sich aber primär als Fachzeitschrift. Die Charts fungieren deswegen hauptsächlich als Orientierung für den Musikmarkt, als »valuable source of bying and programming information for record dealers, disk jockeys and juke box operators«, wie die Sektion »Billboard Backstage« es beschreibt (Gehmann 1953: 2). Eher auf Fans zugeschnittene Zeitschriften bieten hingegen Orientierung zumeist in Form von Umfragen, sowohl unter Expertengruppen als auch ihrer Leserschaft, und Rezensionen. 1934 etabliert sich in Chicago Down Beat, ein Magazin, das sich »Jazz, Blues, and Beyond« widmet, während sich ab Mitte der 1940er Jahre zahlreiche (Fan-)Magazine gründen, die sich speziell mit Country Music (z.B. Country Song Roundup) auseinandersetzen. Unab-

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hängig von der spezifischen Auswertung von Informationen in Listen, Empfehlungen und Verrissen stellt sich so zunehmend die generelle Frage, wer die Diskurshoheit in Bezug auf Musik beziehungsweise unterschiedliche Musikstile hat. Plattenlabels nehmen hier eine besondere Stellung ein. Einerseits steuern sie den Zugriff auf den kommerziellen Markt und melden Verkaufsergebnisse, welche von Billboard und anderen Magazinen in die Charterstellung mit eingerechnet werden. Dadurch beeinflussen sie ganz konkret, was gehört wird. Die Marktführer in den USA sind Columbia, RCA Victor und Decca. Nach dem Zweiten Weltkrieg etablieren sich Capitol, MGM und Mercury als Konkurrenten (Gronow et al. 1999: 99). Andererseits etablieren Plattenlabels, wie kategorisiert wird und damit auch, wie und von wem über unterschiedliche Aufnahmen gesprochen wird. 1921 führt beispielsweise das Plattenlabel Okeh die Verkaufsreihe »Race Records« ein. In Abgrenzung dazu bezeichnen ab Mitte der 1920er Jahre Okeh Records und Columbia einen Teil ihrer im Süden eingespielten Aufnahmen als »Old-Time Music« oder »Hillbilly Records« – eine grundlegende Einteilung, die sich nicht nur in nachfolgenden Verkaufskatalogen anderer Labels, sondern auch in den Charts und damit der öffentlichen Wahrnehmung bis heute niederschlägt (siehe Chartsübersicht im Anhang). Diskjockeys und später Fernsehmoderatorinnen und -moderatoren spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Sie regulieren, was gespielt wird (z. B. Race oder Hillbilly) und dadurch auch, was in die Charts kommt, was wiederum die Verkaufszahlen beeinflusst. Erst Mitte der 1930er Jahre haben afroamerikanische DJs die Gelegenheit, diese zentra­le Kontroll- und Lenkfunktion im nationalen Radio zu übernehmen. Der erste Radiosender unter afroamerikanischer Leitung, WERD in Atlanta, geht 1949 auf Sendung. Insgesamt ist die US-amerikanische Radiolandschaft jedoch mit zunehmender Professionalisierung von einer steigenden Monopolisierung geprägt. 1931 gehören 76 lokale Stationen zu NBC, zu CBS sogar 95. Der Gesamtumsatz der beiden Unternehmen liegt bei 2,3 Millionen US-Dollar. Wie David Suismann (2009: 266) anmerkt, wirkt sich dies auch auf die Situation lokaler Musikschaffender aus, da die Produktion immer weiter zentralisiert wird. Einen Einschnitt in Richtung Demokratisierung stellt der Streit zwischen Radiosendern und Diskjockeys auf der einen Seite und der ältesten US-amerikanischen Verwertungsgesellschaft für Musik, der American Society of Composers, Authors and Publishers (ASCAP, gegr. 1914), auf der anderen dar. Mit

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den sich wandelnden musikalischen Verwertungsmöglichkeiten steigt die Komplexität von Copyrightfragen. ASCAP öffnet einen Weg für Musikschaffende, von Gebühren für das Abspielen und Ausstrahlen ihrer Musik zu profitieren. 1941 ist die Preissteigerung bei den Gebühren allerdings so drastisch, dass verschiedene Radiosender zum Boykott aufrufen und sich zur Konkurrenzgesellschaft Broadcast Music Incorporated (BMI) zusammenschließen. Da die große Mehrheit der aktuell in den Charts vertretenen Songs von ASCAP vertreten wird, müssen sich BMI und die dem Boykott angehörigen Radiosender nach Alternativen umsehen. Dies trägt entscheidend zum Durchbruch von Nischengenres wie Latin, Rhythm & Blues und Country Music bei. Fast zeitgleich nimmt in New York das kommerzielle Fernsehen seinen – wenn auch zunächst bescheidenen – Anfang: NBC kündigt auf der Weltausstellung »New World’s Fair« 1939 sein Fernsehprogramm an. Musik prägt, wie bereits bei der Einführung des Tonfilms, von Anfang an das Angebot. Nach dem Krieg sinken die Preise für Geräte bei gleichzeitig verbesserter Bild- und Tonqualität, während die Bereitschaft von Musikschaffenden, am neuen Medium teilzuhaben, steigt. Wie bei Carusos symbiotischer Beziehung zum Phonographen werden erneut Stars und ihre Stimmen als Verkaufsargument herangezogen und Sendungen mit Musikeinlagen, wie Your Hit Parade (1950–1959), The Steve Allen Show (1956– 1960) oder die Ed Sullivan Show (1948–1971), dominieren das Programm.5 Viele Varietyshows tragen anfänglich den Namen eines Sponsors – darunter Pet Milk TV, The Bell Telephone Hour, The Colgate Comedy Hour oder Texaco Star Theatre. Steigende Produktionskosten führen allerdings dazu, dass die Verbindung eines Formats mit nur einem Produkt zunehmend aufgelöst wird und stattdessen mehrere Firmen einzelne Segmente sponsern. Als neuen Wiedererkennungswert tragen ab den 1950er Jahren diverse Sendungen die Namen ihrer Moderatorinnen und Moderatoren, darunter The Dean Martin Show, The Patti Page Show (später The Patti Page Oldsmobile Show), The Dinah Shore Chevy Show und The Judy Garland Show. Allerdings werden Sängerinnen und Sänger vom neuen Medium ebenso beeinflusst, wie sie wiederum dessen Entwicklung mitgestalten. So wie Phonographen bestimmte Stimmen – deren Stimmfarbe und Ton   Murray Forman (2012) zeichnet in seinem Buch One Night on TV Is Worth Weeks at the Paramount: Popular Music on Early Television die Entwicklungen ausführlich und anschaulich nach.

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höhe – besser wiedergegeben und die Entwicklung der Mikrofontechnik neue Gesangstechniken ermöglicht hatte, beschränkt und ermöglicht das Fernsehen gleichermaßen: Viele Stars nach dem Zweiten Weltkrieg erleben ihren Durchbruch auch und vor allem im Fernsehen, darunter Elvis Presley (1935–1977) und Patsy Cline (1932–1963). Wie Caruso vom Livekünstler und Schallplattenidol zur Radiosensation wurde und Al Jolson (1886–1950) sich neben Plattenverkäufen auch durch Tonfilmauftritte ins öffentliche Bewusstsein brachte, müssen die neuen Stars den Umgang mit mehreren Medien beherrschen. Entertainerqualitäten rücken dadurch noch stärker in den Vordergrund. Dies führt auch zu neuen Ausschlusskriterien. In der Auseinandersetzung mit populärer Musik gilt es deswegen, technische Entwicklungen ebenso wie sich wandelnde Märkte zu berück­ sichtigen. Was zu bestimmten Zeitpunkten gehört wurde und wie viel davon bis heute als relevant eingestuft und erhalten geblieben ist, ist gekop­ pelt an und bedingt durch die vorhandenen Verwertungswege. Populäre Musik ist allerdings nicht nur ein kommerzielles, sondern auch ein soziales Phänomen (Shuker 2007: 22). Verständnis für die Rollen und Veränderungen populärer Musik ist deswegen nur möglich, wenn neben den Neuerungen im Entertainmentsektor auch die politischen und sozialen Entwicklungen, die die USA in den Jahrzehnten bis 1960 durchlaufen, bedacht werden.

Von der J ahrhundertwende zum »A merik anischen J ahrhundert« 1941 verfasst Henry R. Luce für das Life Magazine einen Artikel mit dem Titel »The American Century«. Er beschreibt darin sein Land und dessen Entwicklung seit der Jahrhundertwende als rätselhaft, schwierig und paradox (Luce 1941: 64). Was zunächst nach einer subjektiven Einschätzung klingt, wird gestützt durch die zahlreichen inneren Widersprüche und widersprüchlichen Entwicklungen, die die USA im 20. Jahrhundert prägen: Aus einem stark durch Agrarwirtschaft geprägten Land mit einem Großteil seiner Bevölkerung in ländlichen Gegenden (60% im Jahr 1900) entwickeln sich die USA innerhalb weniger Jahre zu einer urban geprägten Industrienation (U.S. Census 1999: 868). Dabei verschieben sich auch immer wieder Lage und Bedeutung der entstehenden urbanen

USA 1900–1960: Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit

Zentren. Die größten Städte der USA sind um 1900 noch an und in der Nähe der Ostküste konzentriert: New York City gefolgt von Chicago, Philadelphia, St. Louis und Boston. St. Louis verliert im Laufe des Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung, während Detroit vor allem wegen der boomenden Autoindustrie an Größe und Einfluss gewinnt. Die rasanteste Entwicklung macht Los Angeles: Dank ökonomischer, ökologischer und sozialer Umwälzungen wächst seine Bevölkerung von 100 000 im Jahr 1900 innerhalb von 60 Jahren auf über 2,5 Millionen an. Los Angeles wird innerhalb dieser Zeit nicht nur zur größten Stadt westlich des Mississippis, sondern auch zur drittgrößten der USA insgesamt (U.S. Census 1999: 871). Sie steht sinnbildlich für die vermehrte Wahrnehmung der Westküste als prägendes Element der USA. Dabei wandern die Menschen nicht nur innerhalb der USA, sondern auch in die USA ein – und dies vor allem um die Jahrhundertwende. In den ersten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts suchen knapp acht Millionen Menschen, zumeist aus Mitteleuropa, ihr Glück in den USA. Zwar nimmt die Einwanderung sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen bis 1960 stark ab (und zieht erst ab Mitte der 1970er Jahre wieder an), jedoch ist für das Verständnis von Wahrnehmung und Wirkung der Immigration in den USA mehr noch als die Gesamtzahl der Zuwanderung die Herkunft der Einwandernden von Bedeutung. Kommt zwischen 1900 und 1910 ihre Mehrheit aus süd- und mitteleuropäischen Ländern wie Italien und Öster­ reich-Ungarn – welche anders als ihre Vorgängerinnen und Vorgänger aus Deutschland und England bereits mit Vorurteilen zu kämpfen hatten –, wandern bis 1960 zunehmend Menschen aus Süd- und Zentralamerika ein. Die insgesamt 2,5 Millionen Einwanderinnen und Einwanderer der 1950er Jahre kommen fast zu gleichen Teilen aus Europa einerseits und Süd- und Zentralamerika sowie Asien andererseits (U.S. Census 1999: 872). Die Bevölkerungszahl der USA steigt von knapp 80 Millionen zur Jahrhundertwende auf 120 Millionen im Jahr 1930 und bis 1960 auf 180 Millionen an (U.S. Census 1999: 868). Währenddessen wachsen auch die USA als politisches Gebilde: Innerhalb des 20. Jahrhunderts treten fünf Bundesstaaten den USA bei (1907: Oklahoma; 1912: New Mexico und Arizona; 1959: Alaska und Hawaii).6 Während diese Eckdaten zur Bevöl   Einen Sonderfall stellen Außengebiete wie Puerto Rico dar, dessen Bevölkerung 1917 US-amerikanisches Bürgerrecht erhielt, die aber beispielsweise kein Wahlrecht in der Präsidentschaftswahl besitzen.

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kerungsentwicklung noch relativ gut auf die gesamten USA übertragbar sind, betreffen viele andere Entwicklungen unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich stark und werden unterschiedlich erlebt. Wie Christopher Bigsby in seinen Überlegungen zu »What, Then, Is an American?« schreibt: The 1920s constituted the jazz age, except for those who tapped their feet to different rhythms. The 1960s were about drugs and rock and roll, except for the majority for whom they were not. (Bigsby 2006: 1)

Vom Gilded Age zur Progressive Era Diese inneren Widersprüche werden schon in der Namensgebung einzelner Epochen deutlich. Das ausgehende 19. Jahrhundert wird, in den Worten von Mark Twain, bekannt als »The Gilded Age«, das vergol­dete Zeitalter. Der Autor spielt dabei auf den Reichtum der USA an – die wachsende Stahlindustrie, Öl- und Goldfunde tragen entscheidend dazu bei –, der die sozialen Probleme überdeckt, aber nicht mindert. Der wirtschaftliche Aufschwung der USA, der mit der Industrialisierung einhergeht, hat nicht für alle positive Folgen. Arbeiter und Arbeiterinnen und die steigende Zahl der Einwanderer und Einwanderinnen leben in den sogenannten »Tenements«, maroden Mietskasernen, zumeist unterhalb der Armutsgrenze. Im Süden der USA prägen Gewalt und Diskriminierung das Leben der afroamerikanischen Bevölkerung, der das Ende des Bürgerkrieges und die Verabschiedung des 14. Zusatzartikels (»Keiner der Einzelstaaten darf Gesetze erlassen oder durchführen, die die Vorrechte oder Freiheiten von Bürgern der Vereinigten Staaten beschränken«) eigentlich die Gleichberechtigung bringen sollten. 1883 entscheidet der oberste Gerichtshof, dass zwar Staaten, nicht jedoch Privatleute und Unternehmen an die Gleichbehandlung von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern gebunden sind. Zudem führt beispielsweise der Bundesstaat Mississippi Lesetests, Ahnennachweise und Steuern ein, die Afro­amerikaner in ihrem Wahlrecht einschränken, ohne dabei ethnische Zugehörigkeit als explizites Ausschlusskriterium zu nennen. Unter den neuen Jim-Crow-Gesetzen etabliert sich so eine zunehmend segregierte Gesellschaft, in der die Bürgerrechte der ehemaligen Sklavinnen und Sklaven sowie der nächsten, eigentlich bereits frei geborenen Generation immer weiter beschnitten werden. Ein Grund für die spätere Blüte afroamerikanischer Kultur in den

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urbanen Zentren des Nordens und Ostens während der »Harlem Renaissance«, welche auch die Wahrnehmung der 1920er Jahre als »Jazz Age« prägt, ist entsprechend die Flucht entrechteter Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner aus dem Süden im Zuge der »Great Migration«. Das vergoldete Zeitalter endet somit – verstärkt durch die »Panic of 1893«, einem Bankzusammenbruch nach Spekulationen auf Bahnausbau – in einem Jahrzehnt sozialer Ungerechtigkeit und bürgerlichen Unmuts. Dieser wird unter anderem durch die bessere Informationslage der Bevölkerung und der leichteren Organisation von Widerstand dank neuer Kommunikationswege geschürt. »Muckracking«, wie der investigative Journalismus der Zeit auch genannt wird, macht eine breite Öffentlichkeit mit den Missständen in Politik und Wirtschaft vertraut. Jacob Riis beispielsweise veröffentlicht eines der frühesten Beispiele für Fotojournalismus, How the Other Half Lives: Studies Among the Tenements of New York (1890), in dem er die Lebensumstände in den New Yorker Slums anprangert. Ab 1908 dokumentiert Lewis Hines für die National Child Labor Committee (NCLC) die Verbreitung von Kinderarbeit in den USA. 1904 beleuchtet Lincoln Steffens The Shame of the Cities das Problem politischer Korruption. Im gleichen Jahr deckt Ida Tarbell in The History of the Standard Oil Company die Hintergründe von John D. Rockefellers Kartell auf. Die USA belassen es zu diesem Zeitpunkt nicht bei der Berichterstattung und so prägen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges Reformbewegungen das frühe 20. Jahrhundert, die sogenannte »Progressive Era«. Vor allen Dingen das neue politische Engagement von Frauen führt zu zentralen Reformen. Sie übertragen den das 19. Jahrhundert prägenden »Cult of Domesticity«, auch »Cult of True Womanhood« genannt, demzufolge Frauen in ihrer Wirkung auf den Haushalt beschränkt wurden, hier allerdings aufgrund ihrer ›natürlichen‹ Fürsorglichkeit allein verantwortlich für das Wohlbefinden des Haushalts und der Familie waren, auf den öffentlichen Raum. Margaret Sanger beispielsweise, die als Krankenschwester einem typischen ›Frauenberuf‹ nachgeht, setzt mit der Gründung der ersten US-amerikanischen Klinik für Geburtenkon­ trolle in Brooklyn 1916 ein Zeichen für die Aufklärung über Verhütung und schafft politisches Bewusstsein für das Problem der Familienplanung sowie illegaler Abtreibungen. Das »Suffragette Movement« erzielt seinen größten Erfolg 1920 mit der Verabschiedung des 19. Zusatzartikels zur Verfassung, der besagt, dass das Wahlrecht niemandem aufgrund des Geschlechts versagt werden kann. Kurz zuvor erreicht das »Temperance

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Movement«, dass die Verfassung um den 18. Zusatzartikel ergänzt wird. Er verbietet die Einfuhr, den Verkauf und Transport von Alkohol. Die Bewegung hatte seit den 1830er Jahren zunehmend an nationaler Bedeutung gewonnen, da Alkoholsucht immer stärker als negativer Einfluss auf Familien wahrgenommen wurde. Der 18. Zusatzartikel läutet die Epoche der Prohibition ein, die jedoch weniger durch den Verzicht auf Alkohol zu historischer Berühmtheit kommt, sondern durch den An- und Aufstieg des organisierten Verbrechens. Tausende von »Speakeasies«, illegale Kneipen, in denen trotz Verbot Alkohol ausgeschenkt wird und die über Mitgliedschaften versuchen ihre Deckung zu bewahren, entstehen in den großen Städten und machen Schmuggler wie Al Capone nicht nur reich, sondern auch berühmt. 1933 wird der Zusatzartikel wieder außer Kraft gesetzt. Andere Reformbewegungen haben längerfristigen Erfolg. 1909  wird The National Association for the Advancement of Colored People (NAACP),­eine der ältesten und wichtigsten Bürgerrechtsbewegungen der USA, ins Leben gerufen. Ihre Gründung erfolgt als Reaktion auf die »Springfield Race Riots«, die im Jahr zuvor in Illinois mehrere Menschen das Leben gekostet und zu immensen Schäden in den afroamerikanischen Wohngegenden der Stadt geführt hatten. Der Organisation gehören später auch Martin Luther King (1929–1968) und Rosa Parks (1913–2005) an. Anders als zuvor der bekannte Bürgerrechtler Booker T. Washington (1856–1915), setzt die NAACP von Anfang an nicht auf Kompromissbereitschaft in Bezug auf Rassentrennung und Diskriminierung oder langsame Annäherung an die weiße Gesellschaft durch Arbeit und Bildung, wie Washington dies in seiner sogenannten »Atlanta Compromise«-Rede 1895 formuliert hatte. Vielmehr setzt sich die Organisation für die uneingeschränkte und schnellstmögliche Umsetzung und Ausweitung der bereits existierenden Antidiskriminierungsgesetzgebung sowie für den gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Arbeit ein. Zu den Gründungsmitgliedern gehört W. E. B. DuBois (1868–1963), der erste afroamerikanische Absolvent der Harvard University. Er hatte 1903 mit seinem Buch The Souls of Black Folk für Aufsehen gesorgt, zu dessen Aussagen die provokante These zählt: »The problem of the Twentieth Century is the problem of the color-line«. Beinahe zur selben Zeit veröffentlicht Thomas Dixon Jr. The Clansman. An Historical Romance of the Ku Klux Klan (1905), welches die Hintergründe des Ku-Klux-Klans verklärt. Das Buch dient später als Vorlage für D. W. Griffiths cineastisch wegweisendes, jedoch

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rassistisches Epos The Birth of a Nation (1915), in dem Lynchmorde7 zum heroischen Akt stilisiert werden. Bis 1925 erstarkt der Ku Klux Klan wieder auf fünf Millionen Mitglieder. Die nicht nur anhaltende, sondern sogar steigende Problematik des Lynchmordes wird besonders deutlich, als nach dem Ersten Weltkrieg selbst uniformierte Soldaten Opfer rassistisch motivierter Gewalt werden. Im starken Kontrast zu derartigen Ausschreitungen gegen die afroamerikanische Bevölkerung steht die zeitgleiche Aneignung afroamerikanischer Kultur etwa im aufkommenden »Dance Craze«. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte der Cakewalk für Furore gesorgt. Nun macht vor allem das Ehepaar Vernon (1887–1918) und Irene Castle (1893–1969) betont körpernahe Tänze salonfähig, die sich bewusst von viktorianischen Idealen abwenden.8 Sie etablieren unter anderem Tango, One Step (der zu Ragtime getanzt wird) und Foxtrott. Die Anfangsjahre ihrer Karriere sind dabei eng mit dem Bandleader James Reese Europe (1881–1919) verbunden, der zu den wichtigsten afroamerikanischen Musikschaffenden der Zeit zählt. Als Leiter der Militärband The Hellfighters Band tourt James Reese Europe im Ersten Weltkrieg auch durch Frankreich und gehört so zu den Vorbereitern der globalen Verbreitung von Ragtime und frühem Jazz. Mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg wendet sich der Reformglaube und -wille der »Progressive Era« auch nach außen. Entgegen einer historisch durch Isolationsbestrebungen geprägten US-amerikanischen Außenpolitik und inneren Widerständen sowohl durch konservative als auch pazifistische Strömungen entscheiden sich die USA, direkt ins Kriegsgeschehen in Europa einzugreifen. In seiner Rede an den Kongress erklärt Präsident Woodrow Wilson (1856–1924) am 2. April 1917, dass die USA ihre (formale) Neutralität nicht länger aufrechterhalten könne, da »die Welt sicher gemacht werden müsse für Demokratie«. Dies bedeutet an der »Homefront« kurzfristige Rationierungen, Appelle, sich zum Kriegsdienst zu verpflichten und in Staatsanleihen zu investieren, und landesweite Maßnahmen, die öffentliche Meinung positiv zu beeinflussen. In der populären Musik ist dies besonders gut im thematischen Wandel von    Zwischen 1885 und 1900 werden im Süden 2 500 Menschen, zumeist Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner, Opfer von Selbstjustiz (Berkin 2012: 467). 8    Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem »Dance Craze« unter Berücksichtigung des sozialen Wandels – auch und vor allem in Bezug auf die Rolle von Frauen im öffentlichen Raum – siehe Lewis A. Erenberg (2004). 7

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Liedern mit Kriegsbezug nachzuvollziehen, wie etwa »The Colored Soldier Boys of Uncle Sam« (1918) oder »So Long Sammy« (1917), auf dessen Notencover eine junge Frau einer Truppe Soldaten hinterherwinkt, und der beispielsweise die Textzeilen »A Hundred Million Hearts Will Pray / For Our Faithful Sammy Everday« enthält. Während 1915 noch Lieder wie »Don’t Blame the Germans« (1915) komponiert und gekauft werden, schlägt dies bis 1918 um in Songs wie »All Together: ›We’re Out to Beat the Hun‹«. Insgesamt, so Jennifer Wingate (2013: 35), machen 1918 Kriegslieder 70% des Marktes an urheberrechtlich geschützten Noten aus.

Vom Jazz Age zur Great Depression Nach dem Krieg geraten politische Fragen zunächst in den Hintergrund und das kommende, von Wohlstand, Urbanisierung und Hedonismus geprägte Jahrzehnt geht als Roaring Twenties in die Geschichte ein. Der bereits vor dem Krieg begonnene Wandel des Frauenbildes setzt sich fort und entwickelt sich vom Ideal der gebildeten und politisch sowie sozial engagierten New Woman hin zum hedonistischen Flapper. Die steigende Zahl der Frauen mit Schul- und Hochschulabschlüssen sowie (euroamerikanischer) Frauen, die einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, führt zu größerer Selbstständigkeit. Neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung – Tanzlokale, Freizeitparks und Kinos, in denen Frauen und Männer einander begegnen können, ohne Stand und Ruf zu riskieren – und neue Luxus­güter – allen voran Fords Model T, das 1908 bis 1927 als erstes für die breite Bevölkerung erschwingliches Automobil produziert wird – bringen zudem persönliche Freiheiten. Flapper – modisch gekennzeichnet durch Bobfrisuren und knielange, schulterlose und lose Kleider – werden zum Symbol einer Gesellschaft, die sich zunehmend als liberal, urban und konsumorientiert versteht. Elynor Glyns Roman It (1927) etabliert die Idee des »to have it» als »the fortunate possessor must have that strange magnetism which attracts both sexes«. Auf der Leinwand wird das It-Girl von Clara Bow verkörpert (It, 1917, Regie: Clarence G. Badger), die damit zum nationalen Sexsymbol avanciert. Konsum drückt sich in den in vermeintlich liberalen 1920er Jahren immer offensiver durch die Aneignung von Unterhaltungsformen aus anderen Bevölkerungsschichten aus und so bilden sich Trends wie »Slum-

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ming« und »Pansy Craze«.9 Angehörige der weißen Mittelschicht suchen voyeuristische Unterhaltung in afroamerikanischen und schwul-lesbischen Clubs und Tanzlokalen, wo Dragshows und Jazz Abwechslung vom Bekannten bieten sollen. Der Begriff »Jazz« wurde 1917 von einer weißen Band, der Original Dixieland Jazz Band, etabliert (Oliver 2006: 359). Die Bezeichnung »Jazz Age« geht auf den ebenfalls weißen Romanautor F. Scott Fitzgerald zurück und reflektiert, dass die neue, besondere Präsenz von Jazz hauptsächlich der Wahrnehmung der weißen Mittelschicht geschuldet ist. Die Aneignung exotischer Unterhaltungsformen geht dabei so weit, dass sich zunehmend Jazz Clubs gründen, zu denen Afroameri­ kaner und Afroamerikanerinnen nur noch als Musiker und Musikerinnen Zutritt haben. Mit dem Ende der Prohibition 1933 verlieren die illegalen Clubs und Bars in Harlem jedoch ihren Reiz für ein Mittelschichtpublikum, das nun seine Unterhaltung stärker in den neu gegründeten Bars und Clubs in Manhattan sucht: »Jazz began moving downtown«, wie die New York Times es treffend formuliert (Pollack 2013). Das Jazz Age wiederum wird abrupt entzaubert, als der Börsencrash am Black Thursday, dem 24. Oktober 1929, die Nation in ihre bislang schlimmste Wirtschaftskrise stürzt. In der Folge steigt die Arbeitslosenquote Anfang der 1930er Jahre von zuvor 3 auf fast 30% (U.S. Census 1999: 879). Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen und Arbeitsplätzen wandern viele Amerikanerinnen und Amerikaner in größere Städte. Im Mittleren Westen spitzt sich die Lage zusätzlich durch den sogenannten »Dust Bowl« zu. Anhaltende Dürre nach Jahren der Misswirtschaft im Getreideanbau führt dazu, dass große Teile des Mittleren Westens durch Staubstürme auf Jahre unbewohnbar werden. Ähnlich wie der Einfluss der Great Migration auf die Verbreitung afroamerikanischer Musikstile zuvor, speziell Jazz und Blues, führt diese Landflucht längerfristig zur Ausbreitung von bisher eher ländlich konnotierten Musikstilen, allen voran der Country Music, in urbane Gegenden der USA. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 1932 verliert Präsident Herbert Hoover die Wahl ge  Der Begriff Slumming leitet sich von der Bezeichnung »Slum« für verarmte und überbevölkerte Stadtteile ab. In diesem Fall beschreibt er die soziale und geographische Grenzüberschreitung, wenn Mitglieder der euroamerikanischen Mittelschicht Harlem aufsuchen. »Pansy Craze« geht zurück auf beleidigenden Ausdruck »Pansy« für effeminierte Männer. Musikalisches Erbe des »Pansy Craze« sind unter anderem Fats Wallers (1905–1943) »Valentine Stomp« und Count Basies (1904–1984) »Swinging at the Daisy Chain«, die jeweils einem Bordell in Harlem gewidmet sind.

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gen Franklin Delano Roosevelt, der den USA den »New Deal« verspricht. Unter der Prämisse der drei »R« – Relief (kurzfristige Maßnahmen), Recovery (Wiederaufbau) und Reform (langfristige Reformen) – bringt Roosevelt innerhalb kürzester Zeit zahlreiche neue Gesetze auf den Weg. Neben der Reform des Bankensystems, Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Schulspeisungen und anderen Programmen, die der Bevölkerung direkt Erleichterung verschaffen sollen, ruft Roosevelt auch mehrere kulturelle Förderprogramme ins Leben.10 Diese zielen einerseits darauf ab, Kunstschaffenden wieder bezahlte Arbeit zu ermöglichen. Andererseits reflektieren sie die Überzeugung der Regierung, dass der Amerikanische Traum nicht nur aus wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit, sondern auch aus kultureller Teilhabe bestehe (De Hart Mathews 1975: 316). Zum ersten Mal in der Geschichte der USA werden deswegen Kunst und Kultur im großen Stil finanziell von der Regierung unterstützt, darunter ab 1935 im Rahmen des Federal Music Project Musikerinnen und Musiker. Charles McGovern (1998: 37) argumentiert darüber hinaus, dass man – geschürt durch die wirtschaftlichen und sozialen Konflikte während der anhaltenden Wirtschaftskrise – beginnt, nur noch diejenigen als Bürgerinnen und Bürger anzusehen, die auch Konsumentinnen und Konsumenten sind. Ein konsumorientierter Lebensstandard wird somit wahrgenommen als gleichbedeutend mit Demokratie und die Teilhabe an einer solchen »economy of spending and accumulation« als Grundlage dafür, Amerikanerin und Amerikaner zu sein. Dennoch ist in der Zeit des New Deal die Kaufkraft der amerikanischen Bevölkerung enorm eingeschränkt, was sich vor allem im Umsatzeinbruch bei Klavieren, Pia­ nolas und Grammofonen widerspiegelt. Der Erfolg erschwinglicherer Me­dien und Unterhaltungsformen wie Hollywoodmusicals, Radios und Juke­boxen erhält und unterstreicht jedoch den Platz der Musikindustrie im Alltag der USA (Suismann 2009: 81). 1939 findet in New York die Weltausstellung unter dem Motto »The World of Tomorrow« statt. Noch bevor die USA die Folgen der Great Depression wirklich überstanden haben, strahlt die Veranstaltung betont Optimismus aus. Für 75 Cent Eintritt (was für 63% derjenigen, die sich   1935 wird die Behörde Works Progress Administration ins Leben gerufen und zunächst mit einem Budget von fünf Milliarden Dollar ausgestattet. Unter ihrer Leitung werden das Federal Art Project, Federal Music Project, Federal Theatre Project, Federal Writers Project und die Historical Records Survey durchgeführt. 10

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gegen einen Besuch entschieden, dennoch zu teuer war; siehe Susmann 1984: 217) informieren und amüsieren sich im ersten Jahr 25 Millionen Menschen auf der Weltausstellung, die auch und vor allem neue Konsumgüter vorstellt und mit einem freizügigen Vergnügungsviertel für zusätzliche Einnahmen sorgt. Trotz intensiver Bemühungen der Veranstalter, den Krieg außen vor zu lassen, lässt sich der Einfluss des Zweiten Weltkrieges 1940 auch in New York nicht mehr leugnen: Zehn Nationen kehren für die zweite Saison nicht als Aussteller zurück. Ein Jahr später, im Dezember 1941, erfolgt nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor die Kriegserklärung zunächst an Japan, wenige Tage später an Deutschland und Italien, und somit der Kriegseintritt der USA. Obwohl mit Ausnahme von Pearl Harbor keine Kriegshandlungen auf US-amerikanischem Boden stattfinden, verändert der Zweite Weltkrieg die Nation grundlegend. Um die Aufrüstung zu finanzieren, nehmen die USA einen drastischen Anstieg der Staatsverschuldung in Kauf. Ab 1943 schlägt sich dies spürbar in einem wirtschaftlichen Aufschwung, allerdings auch in dem generell unbeliebten Ausbau von »Big Government« nieder. Die wachsende Kriegsindustrie eröffnet der weiblichen und afro­ amerikanischen Bevölkerung – zumindest für kurze Zeit – neue und besser bezahlte Arbeitsplätze (auch wenn »same pay for same work« nur in Ausnahmefällen umgesetzt wird). Amerikanerinnen und Amerikanern mit japanischen Wurzeln hingegen werden die Bürgerrechte entzogen: 1942 werden an der Westküste aus Angst vor Spionage über 100 000 von ihnen in Lagern interniert. Für Militärangehörige organisieren die USA – zumeist segregierte – »Camp Shows«, um die Moral hochzuhalten. Popu­ lärkultur und Unterhaltungsmedien werden als essenzieller Bestandteil der Kriegsanstrengungen und wesentlicher Unterschied zu gegnerischen Armeen propagiert. Wie Sam Lebovic (2013) argumentiert, sind die in den Camp Shows vertretenen Künstlerinnen und Künstler und Musikstile weniger ein Indikator für zeitgenössische Populärkultur. Vielmehr werden Unterhaltungsmedien instrumentalisiert, um eine bewusst unpolitische und idealisierte Version von »Home« und »Home Front« zu transportieren (Lebovic 2013: 265).

Post-War Era Nach dem Krieg scheint das Ideal des Amerikanischen Traums zunächst in greifbare Nähe gerückt. Die G.I. Bill ermöglicht Millionen von Vetera-

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nen durch finanzielle Unterstützung und Bildungsangebote, ihre berufliche und soziale Stellung zu verbessern. In standardisierten Vorstadtsiedlungen erfüllen günstige Häuser mehr Familien als je zuvor den Traum vom eigenen Heim. Die Arbeitslosenquote ist niedrig, staatliche Ausgaben für Verkehrsnetze und Bildungseinrichtungen sind auf hohem Niveau, und der neu gewonnene Reichtum verteilt sich gerechter als je zuvor seit Beginn der Industrialisierung (Hodgson 2006: 37–38). Zudem steigt bis 1960 die Lebenserwartung der euroamerikanischen Bevölkerung durchschnittlich von 48 auf 71 Jahre, die der afroamerikanischen von 33 auf 63 (U.S. Census 1999: 874). Die Zahl der Highschool-Abgängerinnen und -Abgänger erhöht sich zwischen 1940 und 1960 um die Hälfte und das Durchschnittseinkommen von Familien im gleichen Zeitraum um ein Drittel (U.S. Census 1999: 877). Ungeachtet dieser Eckdaten, die von Wachstum und Aufschwung zeugen, erweisen sich die 1950er Jahre jedoch als sozial und politisch gesehen deutlich komplexeres Jahrzehnt. Am 6. August 1945 werfen die USA über Hiroshima die erste Atombombe ab. Sie zwingen damit Japan zur Kapitulation und führen so das Ende des Zweiten Weltkrieges herbei. Gleichzeitig läuten die USA das atomare Zeitalter und den Kalten Krieg ein. Die damit verbundene Angst vor Spionage und Bombenangriffen prägt im Folgenden die Politik ebenso wie den Alltag der USA. Die Regierung (und zahlreiche Privatpersonen) lässt zahlreiche Bunker, sogenannte »Fallout Shelters«, errichten und in Schulen werden regelmäßige »Duck and Cover«-Übungen durchgeführt. Die »Red Scare«, die Angst vor kommunistischer Spionage und Einflussnahme auf Politik und Kultur, verstärkt sich. Ihr bekanntester Vertreter wird schließlich der republikanische Senator Joseph McCarthy, dessen Untersuchungsausschuss und die daraus hervorgehenden Erhebungen zahlreicher Spionageverdächtigungen und -anschuldigungen innerhalb der Regierung namensgebend (»McCarthyism«, »McCarthy-Era«) für die frühen 1950er Jahre werden. Bereits vor dem Einfluss des Senators ist die »Red Scare« jedoch ein wesentlicher Bestandteil politischer Entscheidungsfindung. Das House Committee on Un-American Activities (HUAC), ein Ausschuss im Repräsentantenhaus, untersucht Vorwürfe sowohl gegen Mitglieder der Regierung als auch gegen Größen des Showbusiness. Zwischen 1947 und 1951 werden unter Präsident Harry S. Truman 3 000 Staatsbedienstete entlassen. Darunter ist wegen der erwarteten Erpressungsgefahr durch kommunistische Organisationen ein hoher Anteil (vermeintlich) homosexu-

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eller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Diese staatlich sanktionierte Diskriminierung führt neben den immer häufiger durchgeführten »Vice Raids« (polizeiliche Überfälle auf Bars und Restaurants, die Alkohol an Homosexuelle ausschenken) zur Herausbildung von Organisationen wie den Daughters of Bilitis und Mattachine Society, welche die Frühphase der Bürgerrechtsbewegung der amerikanischen Schwulen und Lesben bilden. In den Fokus der Behörden geraten auf der Suche nach Verbindungen zur kommunistischen Partei auch afroamerikanische Angestellte, die in Bürgerrechtsbewegungen organisiert sind. Gerade im Süden wird die »Red Scare« instrumentalisiert, um deren Arbeit zu behindern. Dennoch kann die NAACP entscheidende Erfolge verbuchen. 1954 ist mit ihrer Unterstützung die Revision des Falles »Brown v. Board of Education« erfolgreich. Der oberste Gerichtshof entscheidet hier, dass die durch die »Separate But Equal«-Doktrin 1896 etablierte segregierte Schulbildung in den USA verfassungswidrig ist. 1955 macht ein spektakulärer Prozess die Notwendigkeit weiterer juristischer Reformen offensichtlich: der rassistisch motivierte Mord am 14-jährigen Emmett Till in Mississippi und der Freispruch für seine geständigen weißen Mörder. Im selben Jahr beginnt Rosa Parks den friedlichen Protest. Parks weigert sich, der segregierten Sitzordnung in öffentlichen Bussen Folge zu leisten und wird dafür vor Gericht gestellt. Mehrere Monate des stadtweiten Boykotts enden 1956 mit dem »Gayle et al. v. Browser«-Beschluss. Das Gericht erklärt die städtische Segregation öffentlicher Verkehrsmittel für verfassungswidrig. Bis Mitte der 1960er Jahre prägen weitere Boykotte, Sit-Ins und andere gewaltfreie Proteste die Bürgerrechtsbewegung. Neue Gesetze und Initiativen werden auf den Weg gebracht. 1963 (zu diesem Zeitpunkt ist bereits John F. Kennedy Dwight D. Eisenhower als Präsident nachgefolgt) nehmen 250 000 Menschen am »March on Washington« teil, an dessen Ende Martin Luther King seine berühmte Rede »I Have a Dream« hält. Die vermeintlich konservativen Nachkriegsjahre stellen somit die entscheidenden Weichen für die zahlreichen Protest- und Reformbewegungen der 1960er und 1970er Jahre. Soziale Umwälzungen prägen die 1950er Jahre allerdings nicht nur in Bezug auf sogenannte Minderheiten. 1956 gibt es in den USA zum ersten Mal mehr Angestellte als Arbeiterinnen und Arbeiter (Berkin 2012: 731), welche wiederum in immer größeren Konzernen arbeiten. Für die euro­ amerikanische Mittelschicht, die sich aus dieser Umverteilung entwickelt, geht der Rückzug in die Vorstädte – eigentlich ein Symbol finanziellen Wohlstands und sozialer Absicherung – häufig mit dem Eindruck von

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Einsamkeit, Isolation und sogar Entfremdung einher (Hodgson 2006: 36). Die Männer dieser Bevölkerungsschicht beschreibt 1956 Sloan Wilson in The Man in the Gray Flannel Suit, der Soziologe David Riesman veröffentlicht The Lonely Crowd (1950) und William H. Whyte wiederum spricht vom Organisation Man (1956). Sie alle thematisieren die neue Konformität und wirtschaftliche Abhängigkeit, die im Widerspruch zum Ideal des »Self-Made Man« ebenso wie im Kontrast zur Lebenserfahrung vieler Veteranen stehen. Gleichzeitig wird in dieser Frühphase des Kalten Krieges, der keine Front hat und deswegen keine Soldaten braucht, die Rolle als Vater und »Breadwinner« zur Bürgerpflicht (Martschukat 2011: par. 13). Auch das weibliche Ideal verkehrt sich in den Nachkriegsjahren ins Gegenteil. Während des Krieges war »Rosie the Riveter«, welche mit hochgekrempeltem Overall für Arbeiterinnen in der Schwerindustrie warb, die zentrale Symbolfigur. Nach dem Krieg und der Rückkehr männlicher Arbeitskräfte werden Frauen hauptsächlich in Servicetätigkeiten gedrängt. Das durchschnittliche Alter bei Eheschließungen sinkt und 1957 erreicht der Babyboom mit 4,3 Millionen Geburten seinen Höhepunkt. Dies geht jedoch nicht mit einem Rückgang des Anteils berufstätiger Frauen einher: Der Anteil der verheirateten Frauen, die außerhalb der Familie einer Arbeit nachgehen, steigt zwischen 1900 und 1960 auf zwölf Millionen um mehr als das Zehnfache (U.S. Census 1999: 879). Gerade in den finanziell gut abgesicherten Vorstädten wird allerdings die Rolle als Hausfrau und Mutter zur Norm. Für diese Frauen der gehobenen Mittelschicht kon­ statiert Betty Friedan 1963 im gleichnamigen Buch die »Feminine Mystique« und meint damit den Irrglauben an ein glückliches Dasein als devote Hausfrau und Mutter, der sich zunehmend zum sozialen Zwang auswächst. Friedan spricht vom »problem that has no name«, wenn sie die Situation dieser Frauen beschreibt, die trotz Ehe, Kindern und materieller Absicherung unzufrieden und frustriert sind. Friedan verweist auch auf die Rolle der Massenmedien, die aus ihrer Sicht die starren Rollenverhältnisse verherrlichen.11 Auf eine ganz andere Funktion von Medien und Technik verweist Keir Keightley (1996), die statt des Inhalts von Medien die Nutzung der immer weiter verbreiteten Hi-Fi-Geräte in den Vordergrund ihrer Untersuchung   Siehe Meyerowitz (1994) für eine kritische Auseinandersetzung mit der Rezeption von Betty Friedans Buch sowie eine alternative Interpretation zeitgenössischer Frauenzeitschriften.

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stellt. Sie beobachtet in den 1950er Jahren eine »Maskulinisierung von Technik«, die sie zum einem in Zusammenhang mit der neuen Technikaffinität vieler Kriegsveteranen in Verbindung setzt, die sie aber auch als Teil eines breiteren Wandels des Status von Hobbys als Individualisierungsmerkmal unter den »Männern in grauem Flanell« sieht. Darüber hinaus wird Hi-Fi zur sozial akzeptablen Rückzugs- und Ausbruchsmöglichkeit, was sich auch in zahlreichen Werbeanzeigen niederschlägt, die die Erfahrung räumlicher Entgrenzung durch den akustischen Eindruck betonen. Diese wird durch das realistische Hörerlebnis einer Konzerthalle (und damit der Positionierung außerhalb der eigenen vier Wände) sowie die Möglichkeit, durch Kopfhörer die Familie auszublenden, erreicht (Keightley 1996: 171). Hi-Fi bedient so nicht nur das Bedürfnis nach handwerklicher Betätigung, wie dies für Hobbys insgesamt der Fall ist, sondern speziell auch das nach Privatsphäre und Autonomie, welches aus dem Druck familiärer Zusammengehörigkeit und dem daraus resultierenden Beklemmungsgefühl erwächst (Keigthley 1996: 153). Noch deutlicher wird das Potenzial von (populärer) Musik zur sozialen Abgrenzung bei Jugendlichen durch ihre Begeisterung für den Rock’n’Roll. Bereits während des Zweiten Weltkrieges war die USA in Sorge über die Entwicklung einer Jugend, die aufgrund des Militärdienstes der Väter vermeintlich dem »Momism« – »the pathology of maternal overprotection« – ausgeliefert sei und zu Weichlingen und Kriminellen heranwachsen würde (Martschukat 2011: par. 7). Trotz der Rückkehr der Kernfamilie ins Zentrum der Gesellschaft bleibt auch in den Nachkriegsjahren die Angst vor jugendlichen Delinquenten bestehen. Musik wird dabei zum zentralen Marker von Jugendlichkeit und damit auch zum Problem. Tragbare Abspielgeräte erlauben es Jugendlichen – wie die Hi-Fi-Geräte ihren Vätern –, Räume für sich zu besetzen, »to control sonic environments […] as groups of youths used amplified sound to mark territories on beaches, parks, and streets« (Brooks 2006: 338). Darüber hinaus wird es durch Autos sowie neue Orte des Konsums – Fastfoodrestaurants, Einkaufszentren, Imbisse – leichter, sich dem Einfluss der Eltern zu entziehen. Neue Räume werden auch dadurch beansprucht, dass eine wachsende Zahl euro­amerikanischer Jugendlicher Musik von afroamerikanischen Künstler­innen und Künstlern oder zumindest mit afroamerikanischen Wurzeln hört und so die Segregation der Entertainmentindustrie infrage stellt. Mit seiner Überschreitung ethnischer Grenzen und der Herausstellung sexueller Aspekte sowohl in Text als auch Gesangs- und

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Tanzstil steht Rock’n’Roll im klaren Widerspruch zur biederen Vorstadt­ idylle. Diese wird auch von anderen Diskursen als Konstrukt und Fassade entlarvt. So erobert Rock’n’Roll die Radios kurz nach dem Erscheinen der beiden Bände des Kinsey-Reports, die die amerikanischen Gemüter dadurch erhitzen, dass Sexual Behavior in the Human Male (1948) und Sex­ ual Behavior in the Human Female (1953) die Häufigkeit von außer- und vorehelichem Sex offenlegen. 1953 bringt Hugh Hefner erstmals den Play­ boy heraus. Von 50 000 verkauften Exemplaren der ersten Ausgabe steigert sich Playboy bis 1960 auf über 1 000 000 pro Heft. 1955 liest Allen Ginsberg, einer der wichtigsten Vertreter der Beatgeneration, zum ersten Mal öffentlich sein Gedicht »Howl«, das wie viele andere Texte dieser literarischen Bewegung offen mit psychischen Krankheiten, Drogenkonsum und Homosexualität umgeht. In den Kinos finden sich neben Kassenschlagern wie dem Musical Oklahoma! (1955, Regie: Fred Zinnemann) oder der Marilyn-Monroe-Komödie How to Marry a Millionaire (1953, Regie: Jean Negulesco) auch Filme, die sich mit den Unsicherheiten und Umbrüchen der Zeit beschäftigen. Darunter ist unter anderem Rebel Without a Cause (1955, Regie: Nicholas Ray), mit dem James Dean zum Idol des missverstandenen Jugend­lichen wird. Der neue Musikstil ist somit bei Weitem nicht die einzige kulturelle ›Anomalie‹ der ausgehenden 1950er Jahre. Das Nebeneinander von konservativen Leitbildern und den immer deutlicher hervortretenden Brüchen schlägt sich auch in den Billboard-Charts nieder: Dort teilen sich 1956 die aufstrebenden Rock’n’Rollsänger Elvis Presley (1935–1977), Little Richard (geb. 1932) und Bill Haley (1925–1981) die vorderen Plätze mit bekannten familienfreundlichen Stars wie Perry Como (1912–2001), Frank Sinatra (1915–1998), Dean Martin (1917–1995), Doris Day (geb. 1922), Kay Starr (geb. 1922) und Patti Page (1927–2013). Gerade vor dem Hintergrund solch gegenläufiger gesellschaftlicher Entwicklungen und widersprüchlicher musikalischer Trends stellt sich die Frage, wie genau populäre Musik als soziales Phänomen zu begreifen ist: Wie ist Musik mit gesellschaftlicher Entwicklung in Verbindung und Beziehung zu setzen, und welche Rolle spielen dabei Stars und ihre Stimmen in Bezug auf die Formung von und Reaktion auf kulturelle Prozesse und Identitätsbildungen?

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(B e -)D eutung

In »The American Century« umreißt Henry R. Luce die Pflicht seines Landes – aus seiner Sicht begründet in sozialem wie technischem Fortschritt –, politische wie militärische Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Er konstatiert dabei den (relativen) Reichtum des amerikanischen Volkes mit den Worten: »At least two-thirds of us are just plain rich compared to all the rest of the human family – rich in food, rich in clothes, rich in entertainment and amusement, rich in leisure, rich« (Luce 1941: 61). Darüber hinaus argumentiert er gegen den zu diesem Zeitpunkt verbreiteten Wunsch nach außenpolitischer Isolierung und verweist stattdessen auf den bereits real existierenden Einfluss der USA auf und in anderen ­Ländern: American jazz, Hollywood movies, American slang, American machines and patented products, are in fact the only things that every community in the world, from Zanzibar to Hamburg, recognizes in common. Blindly, unintentionally, accidentally and really in spite of ourselves, we are already a world power in all the trivial ways – in very human ways. (Luce 1941: 65)

Die Idee, dass zur US-amerikanischen Vormachtstellung »entertainment, amusement and leisure« gehören und dass »American jazz« ein international gemeinschaftsstiftendes Potenzial besitzt, zeigt, wie eng Populärkultur und Nation sowohl in der Selbst- als auch Fremdwahrnehmung verbunden sind. In einer Auseinandersetzung mit der Verbreitung populärer Musik in The New York Times betont ein anonymer Autor bereits 1910, dass die »music of the multitude«, wie er es nennt, immer einen wichtigen Faktor in der sozialen Entwicklung eines Landes darstellt (»How Popular Song« 1910: 61). Auf der Weltausstellung »Century 21« 1962 in Seattle tritt diese Vorstellung deutlich in den Vordergrund und Musik wird auch offiziell zum Politikum. Die USA sehen in der Weltausstellung die Chance, ihren Gegnern im Kalten Krieg den Fortschritt der USA in Technik und Lebensstandard zu präsentieren – Unterhaltungsmedien spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Die Anwesenheit von Stars wie Peggy Lee (1920–2002) und Elvis Presley macht darüber hinaus deutlich, welchen Stellenwert populäre Musik zu diesem Zeitpunkt im US-amerikanischen Bewusstsein hat. Nicht nur deswegen ist die Auseinandersetzung mit Musik von zentraler Bedeutung für eine kulturwissenschaftliche Betrachtung der USA und allem, wofür sie im 20. Jahrhundert steht. Populäre Musik,

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so Simon Frith (2004a: 1), spielt auch eine wichtige Rolle dabei, wie Menschen sich innerhalb einer Gesellschaft positionieren. Für die Bedeutung dieser Musik, so Frith weiter, sind wiederum ihre Stars zentral: The meaning of pop is the meaning of pop stars, performers with bodies and personalities; central to the pleasure of pop is pleasure in a voice sound as body, sound as person. The central pop gesture, the sung note, rests on the same inner/outer tension as performance art: it uses the voice as the most taken-for-granted indication of the person, the guarantor of the coherent subject; and it uses the voice as something artificial, posed, its sound determined by the music. (Frith 2002: 210, Hervorhebung hinzugefügt)

Stimmen kommt also eine zentrale Bedeutung für populäre Musik und ihre Wirkung(sweise) zu. Stimmen sind, anders als andere Instrumente, eng mit dem Körper und der Körperlichkeit von Stars verbunden. Vermeintlich transportieren sie deswegen ein gewisses Maß an Authentizität, welche jedoch als Zu-, nicht als Einschreibung verstanden werden muss (Moore 2002: 210). Dabei kann der Fokus wahlweise auf dem unmittelbaren Kontakt zwischen Star und Publikum, auf der soziokulturellen Verortung – Richard Middleton (1990: 127) spricht hier von »truth to cultural experience« – oder der Wahrnehmung von Integrität im musikalischen Schaffen liegen. Zudem vermittelt beziehungsweise verkörpert die Stimme vermeintlich auch ›natürliche‹ Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen, Geschlechtern, Alters- und Klassezugehörigkeiten. Besonders in Genres, die als eng verbunden mit einer spezifischen ethnischen oder geographischen Gruppe und deren Lebenswirklichkeit verstanden werden, wie zum Beispiel der Blues als Ausdruck afroamerikanischer Erfahrung oder Country Music als Musik der ländlichen Arbeiterklasse des Südens, nimmt das Zusammenspiel von vokalem Ausdruck und der Vermittlung von Zugehörigkeit und der Verortung innerhalb eines sozialen Rahmens eine wichtige Rolle ein. Zur Trägerin von Differenz wird Stimme gerade auch deswegen, da Aufnahmetechniken zur Ablösung der Stimme vom physisch präsenten Körper führen, in den diese Unterschiede vermeintlich sichtbar eingeschrieben sind. Gleichzeitig bedeutet die Einbettung der Stimme in einen technisch reproduzierten und modifizierbaren Kontext jedoch auch, dass Stimme als etwas Künstliches, als ein musikalischer Bestandteil unter vielen eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang sind Friths Ausführungen zur Grenze zwischen stimmlicher und körperlicher beziehungsweise sozi-

USA 1900–1960: Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit

aler Identität hilfreich, um in der Analyse von Singstimmen nicht in simplifizierende, rein affirmative Beschreibungen zu verfallen: A voice is easy to change. As a matter of personal identity it is easier to change, indeed, than one’s face (or one’s body movements). And this is not just a matter of »acting« in the formal sense. People’s voices change over time […] and, more to the point, people’s voices change according to circumstances – at home or in school, in the office or in bed, with friends or strangers. (Frith 2002: 197)

Die Aufgabe einer (kultur-)wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Stimme in populärer Musik muss es also sein, kritisch zu hinterfragen, wie Bedeutungen, Assoziationen und Identitäten im Kontext vokaler Ausdrucksweisen (un)bewusst konstruiert werden. Es geht dementsprechend darum, Stimme als »Geste und Ereignis« zu verstehen (Neumark 2010: 96): »to point to what voices do, how they create and disturb meaning and identity rather than just conveying or expressing it« (ebd., Herv. i. O.). Diese Fragen sind insofern zentral, als David Brackett (1995) in Interpre­ ting Popular Music betont, dass trotz der Vielzahl der an der Produktion von populärer Musik Beteiligten das Publikum in der Regel den oder die (Lead-)Sänger und Sängerin als autorenhafte Instanz wahrnimmt: »The construction of an author for the pop music text […] conflates some combination of singing voice, body image, and biographical details« (Bracket 2000: 2). Aufgrund der Verschmelzung von Körper, Biografie und Stimme rücken jedoch häufig deterministische Zuschreibungen in den Vordergrund, die Stimme (und damit Stars und Musik) als Ausdruck einer sozialen und kulturellen Wirklichkeit verstehen. In den Hintergrund rückt in dieser Perspektivierung die Rolle der Stimme als performative Geste, die grundlegend für die dynamische Wechselwirkung zwischen ­Musi­k(-markt) und Kultur ist, und an der sich kulturelle Stereotype nicht nur ablesen lassen, sondern durch die diese geformt werden. Gerade diese Wechselwirkung steht im Zentrum der Betrachtungen in diesem Buch und lässt sich nachverfolgen von den überspitzten Darstellungen auf den Bühnen des Vaudeville bis hin zu den Überschreitungen und Umschreibungen im Rock’n’Roll. Wie Musik genutzt wird, um soziale Realitäten nicht nur zu spiegeln, sondern zu generieren und zu bestätigen, lässt sich besonders an der Einteilung in Genres und Charts nachverfolgen. So konstatiert Diane Pecknold (2013: 8) in ihrer Auseinandersetzung mit Country Music und eth-

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nischer Zugehörigkeit, dass Musik Ethnizität eher erzeugt als ausdrückt. Musikalische Grenzziehungen führen wiederum zu gesellschaftlichen Konsequenzen: The fiction that divergent musical practices reflect racial difference offered cultural legitimacy to the increasingly strict imposition of Jim Crow segregation. In turn, the social boundaries policed by segregation ensured that black and white musical practice in the South would, in fact, diverge more sharply in both commercial and vernacular arenas. (Pecknold 2013: 3)

Dass sich musikalische und soziale Unterschiede gerade in kommerziellen Kontexten gegenseitig intensivieren, beobachtet auch Christopher Waterman (2000: 180), beispielsweise in Bezug auf den Niedergang der afroamerikanischen String-Band- und Balladentradition in den 1920er Jahren. Diese führt Waterman weniger auf eine organische Verschiebung musikalischer Vorlieben zurück als vielmehr auf die bewusste Auswahl von Feldforscherinnen und Feldforschern sowie von Plattenfirmen, die diese Art der Musik als nicht ausreichend typisch oder authentisch für den Vertrieb auf Race Records erachteten. In seiner Darstellung der Entwicklung von Race und Hillbilly Records wiederum konzentriert sich William G. Roy (2004) eher auf die Vermarktungsseite und beschreibt die segregierten musikalischen Kategorien als Reaktion auf segregierte Märkte. Die Konsequenzen beurteilt er jedoch ähnlich wie Pecknold und Waterman: »What had been marketing categories became musical genres with all the aesthetic judgments and enforcement mechanisms that befit them« (Roy 2004: 277). So entwickeln sich Genres und Charts von kommerziellen und beschreibenden Kategorien hin zu Differenzierungsmechanismen. Diese sind zwar durchlässig für Aneignungen des Marginalisierten, fungieren aber dennoch als Ausschlusskriterien, da nur für soziale Gruppen außerhalb der (gehobenen) euroamerikanischen Mittelklasse explizite musikalische Entsprechungen gefunden werden. Ernest Hakanen (1998: 108) spricht in diesem Zusammenhang von einem »music ghetto«. Frith (2004b: 37) stellt den marginalisierenden Zweck solcher Abgrenzungen durch die Begriffe »›speciality‹ charts« und »›minority‹ musics« heraus und betont: »›Women’s music‹, for example, is interesting not as music which somehow expresses ›women‹, but as music which seeks to define them« (ebd.). Durch die ethnische und anderweitige Markierung des Randständigen wird indirekt auch ein musikalischer wie sozialer Mainstream beziehungsweise eine Norm gebildet, welche als solche allerdings

USA 1900–1960: Populäre Musik im/als Spiegel ihrer Zeit

unmarkiert bleibt (Waterman 2000: 275). Als derartige Norm gesetzt zu sein, die keines deskriptiven Zusatzes bedarf und von der sich das oder die Andere(n) unterscheiden, zeugt von der hegemonialen Stellung der so (nicht) beschriebenen sozialen Schicht, weswegen kulturelle und musikalische Autorität (Hebdige 1979: 15) oder Dominanz (Huber 2013: 11) als zentrale Bestandteile des ansonsten schwer greifbaren Begriffs Main­ stream verstanden werden. Auch wenn so in vielen Fällen musikalische Genres und Kategorisierungen auf Fremdzuschreibungen und Ausgrenzungsmechanismen beruhen, haben sie und die Sängerinnen und Sänger, die sie repräsentieren, dennoch ein hohes Potenzial zur Identitätsstiftung und Schaffung eines Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühls. Dass Musik nicht vorwiegend soziale Realitäten abbildet und ungefiltert reflektiert, steht auch bei diesen Überlegungen im Vordergrund. Stattdessen wird Musik als prägend für die Konstruktion, Verhandlung und Transformation soziokultureller Identitäten verstanden (Born 2000: 31). Für Frith (2004b: 38) produziert »the pleasure of pop music […] a pleasure of identification«: mit der Musik, mit den Sängerinnen und Sängern, und schließlich auch mit anderen, die die gleiche Musik mögen. Als Prozess von Inklusion und Exklusion funktioniert Identifikation aber auch über die Abgrenzung gegenüber Anhängerinnen und Anhängern anderer Genres und Stars (was beispielsweise ein essenzieller Aspekt von Jugendkultur ist). Identifikation und Gemeinschaft sind auf diese Weise eng miteinander verbunden. Zur Verbindung von Musik zu Gemeinschaften wiederum erläutert Georgina Born: Music [has the] capacity to animate imagined communities, aggregating its adherents into virtual collectivities and publics based on musical and other identifications. These are musically imagined communities that […] may reproduce or memorialize extant identity formations, generate purely fantasized identifications, or prefigure emergent identity formations by forging novel social alliances. (Born 2011: 377)

Diese »musically imagined communities« reichen für Born also vom reinen Fantasiekonstrukt bis zu sozial verankerten Gemeinschaften, die ebenso nostalgisch erinnernd wie zukunftsweisend, also sozialen Entwicklungen vorgreifend, sein können. Dieser Aspekt tritt beispielsweise in Protestsongs klar hervor, die in der Folk Music schon Mitte der 1930er Jahre im Rahmen der Gewerkschaftsbewegung und in der Soul Music

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mit Bezug auf die Bürgerrechtsbewegung ab den 1960er Jahren wichtig sind. Die dynamische und wechselseitige Beziehung zwischen Musik und Kontext bringt Frith (2004b: 43) so auf den Punkt: »while music may not represent anything, it clearly communicates«. Sängerinnen und Sänger als primäre Bedeutungsträger im Kontext populärer Musik und Stimmen als ein essenzieller Bestandteil des Starimages nehmen eine zentrale Stelle in diesem Kommunikationsprozess ein. Verständlich wird ihre Rolle in diesem Prozess nur durch angemessene Kontextualisierung und Verortung sowohl innerhalb der populären Musik als auch in soziokulturellen Umständen. Umgekehrt gibt die Stimme allerdings auch Aufschluss über die jeweiligen Kontexte. Dieses Wechselspiel beleuchten die nachfolgenden Kapitel, indem sie die historischen Quellen und Einflüsse vokaler Gestaltung ebenso herausarbeiten wie die zeitgenössische Rezeption und Wirkung. So geben die Analysen Aufschluss darüber, wie vokaler Ausdruck musikalische Genres und das Image von Sängerinnen und Sängern prägt. Gleichzeitig beleuchten sie, wie Stimme und Gesang eingesetzt werden, um kulturelle Verortungen zu betonen, vorzunehmen oder zu hinterfragen, sowie Song-Inhalte zu transportieren oder zu verschleiern.

3. Was ist populärer Gesang? Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik Tilo Hähnel Der Titel dieses Buches verspricht eine Auseinandersetzung mit »vokalem Ausdruck« in populärer Musik und vermeidet den Begriff »Gesang«. In vielen populären Songs wird auch tatsächlich nicht gesungen, sondern gesprochen, wie etwa im Talking Blues (siehe Kapitel 11) und zum Teil im Downhome Blues, in Gospel Music oder beim Crooning. Oftmals gehen die stimmlichen Äußerungen jedoch über das hinaus, was sich herkömmlicherweise mit Singen oder Sprechen beschreiben ließe. So ist in Bezug auf populäre Musik häufig die Rede vom Tear und Hiccup, vom Shouting, Belting, Moaning, Screaming, Growling, Crying oder Hollering – allesamt Ausdrucksmittel, die sich einer klaren Zuordnung zum Singen entziehen. In populärer Musik wird gebrüllt, geschrien, gejammert, genäselt, gesäuselt und geflüstert, manche Stimmen sind heiser, manche dünn und zittrig. Es geht jedoch um mehr, nämlich um die Feststellung, dass das, was wir heute als Gesang in populärer Musik bezeichnen, nicht immer als Gesang akzeptiert worden ist. Vokaler Ausdruck in populärer Musik war – und ist immer noch – Gegenstand ästhetischer Debatten und Kontroversen. Das Crooning zum Ende der 1920er Jahre beispielsweise führte zu regelrechten Streitschriften über die Legitimation einer Gesangsweise, die in den 1950er Jahren so selbstverständlich zum amerikanischen Mann gehörte wie Hut und Hot Dog. Dieses Kapitel knüpft an die These von Jonathan Greenberg (2008: 55 ff.) an, nach der Begriffe, mit denen Gesangsstile in populärer Musik zunächst beschrieben wurden, zugleich dazu gedacht waren, vokalen Ausdruck in populärer Musik vom ›echten‹ Gesang abzugrenzen.

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Mit Shouting, B ­ elting, Crooning et cetera wurde bezeichnet, was nicht als Gesang an­erkannt wurde, aber eben dennoch als vokaler Ausdruck in populärer Musik einer Bezeichnung bedurfte, um diskutiert werden zu können. Da viele dieser Bezeichnungen aus dem US-amerikanischen Sprachraum auch ins Deutsche übernommen wurden, wird auf eine konsequente Übersetzung verzichtet – sie würde mehr verfälschen als nützen. In den nachfolgenden Abschnitten werden einige Techniken des Gesangs in populärer Musik, auf die in diesem Buch immer wieder Bezug genommen wird, in ihren Merkmalen und ihrer Begrifflichkeit eingeführt und kurz erläutert. Am Ende des Kapitels bleibt die Frage, wie wir heute mit der klassischen Gesangsästhetik umgehen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den allgemeingültigen Standard bildete.

S timme

und

K l ang

Der Klang der menschlichen Stimme ist das Resultat eines komplexen Zusammenspiels vieler Elemente, wobei die Atmung als Energiezufuhr fungiert, die Stimmlippen als Klangquelle dienen und schließlich verschie­ dene Resonanzräume – vom Kehlkopf bis zum Schallaustritt an Mund und Nase – den Stimmklang maßgeblich beeinflussen (Richter 2013). Die Stimmlippen produzieren einen obertonreichen Klang. Seine Grundfrequenz entspricht der Schwingungszahl der Stimmlippen pro Sekunde; die Frequenzen der Obertöne stehen in ganzzahligen Verhältnissen zur Grundfrequenz und nehmen mit fortschreitender Zahl an Intensität ab. Über die Spannung der Stimmlippen werden Töne in ihrer Höhe reguliert. Die für die Schwingungsintensität verantwortliche Kraft ist der Luftdruck, der bei der Stimmgebung, der Phonation, von unten gegen die Stimmlippen (Glottis) drückt, sie auseinanderbewegt und somit ihre ­peri­o­­dische Bewegung anregt. Vereinfacht gesagt: Je höher der soge­nannte subglottische Druck, also die Kraft, die auf die Stimmlippen wirkt und sie auseinandersprengt, desto stärker werden die Stimmlippen ausgelenkt und desto höher ist die resultierende Lautstärke. Der Klang der Stimme und ihre Lautstärke werden maßgeblich durch Resonanzräume moduliert. Der Hals-, Mund- und Nasenraum, die Stellung der Zunge, der Lippen, die Öffnung des Kiefers und vieles mehr beeinflussen den Obertonaufbau des Klangs, der von den Stimmlippen lediglich ›bereitgestellt‹ wird. Einzelne Obertöne werden durch den ent-

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

Frequenzen in Hz

Abbildung 3.1: Stellung des ersten (—) und zweiten (- - -) Formanten bei der Erzeugung von Vokalen. 3000 2500 2000 1500 1000 500 i

e

E

æ

a

A

O Vokale

o

u

y

ø

G

standenen Resonanzraum verstärkt, andere gedämpft. Da diese Resonanzen beim Singen spürbar sind, wird häufig auch von einem Stimmsitz gesprochen. So kann eine Stimme vorn, hinten oder oben sitzen. Gemeint ist damit, dass die Resonanzräume in den betreffenden Bereichen des Schädels bis hin zur Stirn und Schulter angesteuert werden. Beim Sprechen wird hauptsächlich die Stellung des Kiefers, der Zunge und die Form der Lippen genutzt. Um beispielsweise den Vokal /o/ zu formen, wird der Resonanzraum so verändert, dass Frequenzen bei 350 Hz und 800 Hz verstärkt und andere gedämpft werden. Für ein /i/ müssen Frequenzen bei 250 Hz und 3 000 Hz verstärkt werden. Die Resonanzspitzen, also die engen Frequenzbereiche, in denen die Energie des Ausgangssignals verstärkt wird, nennt man F o r m a n t e n. Sie sind von Tonhöhe und Lautstärke unabhängig (siehe Abbildung 3.1). Menschliche Stimmen weisen mehrere solcher Formanten auf, wobei die untersten zwei Formanten maßgeblich für die Gestaltung der Vokale verantwortlich sind. Höher liegende Formanten beeinflussen den Klangcharakter unabhängig vom Vokal. Bei einer klassischen Gesangsausbildung1 wird in der Regel versucht, die Resonanzräume so zu gestalten, dass sich der dritte, vierte und fünfte Formant überlappen. Das Resultat ist eine gebündelte Resonanzspitze bei 3 000 Hz, der sogenannte Sängerformant. Die intensive Anhebung der Frequenzen in diesem Bereich trägt zum klassischen Stimmklang bei, der mit einem regelmäßigen Obertonaufbau und einem deutlichen Grundton einhergeht    Der Ausdruck »klassischer Gesang« wird innerhalb einer Gesangsästhetik aus dem 20. Jahrhundert benutzt, die vor allem darauf ausgerichtet war, Kunstmusik des 18. und 19. Jahrhunderts zu interpretieren. Der Heterogenität von Gesangsstilen in der Kunstmusik wird er ebenso wenig gerecht wie alternative verallgemeinernde Begriffe. Er dient vor allem der Abgrenzung gegenüber vokalem Ausdruck in populärer Musik.

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und es darüber hinaus der Stimme erlaubt, auch bei einem lauten Orches­ ter noch Gehör zu finden. Durch eine leichte Senkung des Kehlkopfes – oder das Vermeiden einer Anhebung des Kehlkopfes – bleibt der Abstand zwischen den Stimmlippen und der Mundöffnung maximal. Durch den so entstehenden, längst-möglichen Resonanzraum werden tiefere Frequenzen verstärkt, was zu einem volleren, runderen und warmen Stimmklang beiträgt.

N äseln

und

Twang

Eine der wichtigsten Besonderheiten des Stimmklangs in populärer Musik ist der sogenannte T w a n g (engl. näseln). Als der Volksliedforscher Alan Lomax in seinem Cantometrics-Projekt den Versuch unternahm, alle möglichen stimmlichen Merkmale in Gesangstraditionen der ganzen Welt zu systematisieren und zu katalogisieren, schrieb er zur Charakterisierung der nasalen Stimmgebung: Traditionally, nasal tone has been described as one produced by a speaker with a cleft palate or a bad cold, or as a sound produced when the soft palate drops and the air is forced through the nose. The sound produced is »honky« or »twangy«. […] At any rate, twangy, honky, nasalized tone is a strong characterizer of some singing styles even in the absence of nasal syllables, probably singing is normally louder and more forceful than speaking. When a wide sample of recorded song is examined, the absence of nasalization is also striking. (Lomax et al. 1976)

Twang als scharfer Klang kann demzufolge nasal entstehen, muss es aber nicht. Der »nasal twang« wurde spätestens seit dem 19. Jahrhundert als Problem beschrieben. Entweder wurde er als Sprachfehler diskutiert (Bell 1890) oder als eine Folge falschen und untrainierten Singens (Novello 1859), die es zu behandeln galt. Beim Twang wird durch das Absenken des Gaumensegels mehr Schall in den Nasenraum geleitet. Dabei kann, wenn der Mundraum ›unterversorgt‹ wird, ein nasaler Stimmklang gedämpft, also leise klingen, was dem Singen in der Regel nicht dienlich ist. Dennoch gibt es Sänger, die über einen sehr lauten und scharfen Twang verfügen. Das gezielte Ausnutzen des scharfen Klangs bei einer maximalen Intensität wird von Jo Estill beschrieben, die zwischen »oral twang« und »nasal twang« unterscheidet (Kmucha, Yanagisawa, und Estill 1990).

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

Physi­ologisch gesehen wird für den lauten Twang der Rand des Kehl­ kopfes verengt. So werden zahlreiche Obertöne im Spektrum verstärkt, was zu einem hellen bis scharfen, aber auch lauten Ton beiträgt. Da Twang in der Sprechstimme als ein Merkmal des texanischen Akzents galt und noch immer gilt, wurde Twang oftmals in der Interpretation von Songs mit ländlichem Bezug, wie in der Country Music, eingesetzt.

L autes S ingen Im klassisch trainierten Gesang wird Lautstärke vor allem durch den gezielten Einsatz von Resonanzräumen erreicht. Wird das Potenzial höchstmöglicher Resonanz ausgeschöpft – was nicht nur die Stellung des Kehlkopfes und der Mund- und Nasenhöhlen tangiert, sondern den gesamten Körper und seine Stellung im Raum umfasst –, kann eine Stimme bei moderater Beanspruchung der Stimmlippen weit tragen. Beim Schreien oder lauten Rufen hingegen wird die Lautstärke zu einem Großteil durch einen größeren subglottischen Druck erhöht, wodurch die Stimmlippen stärker beansprucht werden. Gerade in afroamerikanischen Gesangstraditionen wurde das S h o u t i n g zum Stilmerkmal. Sänger und Sängerinnen sangen mit hohem subglottischen Druck und leicht gesenktem Kehlkopf. Zudem blieben sie in einem eng abgesteckten Tonhöhenbereich, der häufig kaum mehr als eine Oktave umfasste und sich häufig auf eine Quinte oder gar Terz oberhalb der Sprechstimmlage konzentrierte (siehe Kapitel 10). Wenn das Shouting zum Personalstil wurde oder Sängerinnen und Sänger häufig in Musikstilen sangen, in denen geshoutet wurde, wurden sie auch als Shouter bezeichnet. Meist traf dies auf Gesangsstars zu, die in afroamerikanischen Stilen sangen, wie die Gospel Shouter Willie Mae Ford Smith und Mahalia Jackson oder Blues Shouter wie Ma Rainey und Big Joe Turner. Shouten war auch eine Besonderheit in den Gottesdiensten der Holiness- und Pentecostal-Kirchen, die starken Zulauf von afroamerikanischen Gläubigen hatten. Auch in afroamerikanischen Baptistenkirchen wurden die lautstarken Einwürfe zum Ritual. In seiner Rezension einer Tanzperformance verweist Langston Hughes auf die befreiende Wirkung des Shouting: »Folks who work hard all week, all year, all their lives and get nowhere, go to church on Sunday and shout – and they feel better« (Hughes 1943). Die in vielen evangelischen Kirchen üblichen lautstarken Zwischenrufe, die vom Klang her schimpfartig gebrüllt werden, jedoch

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auch affirmative Inhalte tragen können, bezeichnet man auch als H o l ­ l­e r i n g. Das Hollering beschränkt sich ebenfalls nicht auf den sakralen Kontext, wird jedoch häufig im Zusammenhang mit afroamerikanischen Gesangstraditionen im Allgemeinen benutzt, so etwa in Werbeanzeigen für Blues-Aufnahmen. Bei hohen Tönen wird ein höherer subglottischer Druck nötig. Dadurch nimmt die Beanspruchung der Stimmlippen weiter zu, weshalb viele Sänger entweder hohe Töne vermeiden oder ihre Strategie wechseln und ein höheres Stimmregister nutzen (Kopfregister oder Falsett, siehe nachfolgende Abschnitte und Abbildung 3.2). Beim B e l t i n g hingegen wird die Resonanzstrategie der Bruststimme und des Modalregisters beibehalten. Von engl. Belt = Gürtel abgeleitet, bedeutet Belting nicht nur laut singen, sondern auch (mit einem Gürtel oder Riemen) verprügeln. Die Übernahme des Begriffs als Ausdruck eines lauten und kraftvollen Rufens kennzeichnet bereits die damit verbundene Kraft und Forcierung der Stimme. Das Nach-Oben-Erweitern der Bruststimme mit sehr hohem subglottischen Druck lässt die Stimme bei übermäßigem Gebrauch ermüden. Der schreiende Klang war in populärer Musik durchaus erwünscht. Belting als Ausdruck intensiv erlebter Emotionen erschließt sich beim Hören unmittelbar. Es gab jedoch eine ganze Reihe von Kritikern. Die wohl prominenteste Kritik des Belting übte Conrad Osborne (1979a/b) mit seiner Polemik »Just Singin’ in the Pain«. Toughness, or »crust«, is signalled by the belt, and [. . .] it can give the impression of considerable pain and anguish of direct, personal sort – we are sure that the singer is truly suffering, and if the voice actually disintegrates under the pressure (think of the older Judy Garland), so much the better. This usage is widespread among female recording artists. Angststimme. (Osborne 1979a: 62, Herv. i. O.)

Osborne sieht im Belting die neue Ästhetik der weiblichen Musical-Stimmen, die er als »Broadway voices« kennzeichnet und mit der ­Sängerin ­Celeste Holm verknüpft. Holm wählte Osborne sicherlich nicht ohne Grund als Beispiel. Denn Holm, die eine klassische Stimmausbildung besaß, gestand laut Osborne (1979a) ein, absichtlich wie untrainiert zu singen, um auf der Bühne einen einfachen Charakter überzeugender ­darstellen zu können (siehe auch Kapitel 5). Am Beispiel männlicher Belter macht Osborne (1979b) seine Sicht auf diese Gesangsart unmissverständlich klar:

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik [W]hat is sometimes justly termed »male belt« for the upper range, and they [most Broadway male singers] clearly demonstrate what it really amounts to: the attempt of any vocal amateur, male or female, to push an unintegrated voice above the break. (Osborne 1979b: 55)

Kritiker des Belting sahen sich stets einer Anzahl von Befürwortern gegenüber, die gerade die Ausdrucksstärke einer Sängerin zu schätzen wussten, die hörbar an die Grenze ihrer stimmlichen Möglichkeiten ging. In der Presse fanden sich bereits in den 1950er Jahren zahlreiche affirmative Rezensionen, in denen Belting zu den herausragenden stimmlichen Merkmalen von Sängerinnen wie Ethel Merman (O’Brian 1953, Watt 1959) und Judy Garland oder Sängern wie Al Jolson (Wilson 1956a) und Elvis Presley (Wilson 1956b) gezählt wird. Al Jolson als »one of the greatest ›belters‹« (Wilson 1956a: 16) zu bezeichnen, wirft jedoch Fragen auf, denn Jolsons Stil ist zweifellos durch hohe stimmliche Intensität und Twang gekennzeichnet, jedoch ist er kein Belter. Die offensichtlich unscharfe Verwendung des Begriffs macht es schwierig, Belting gegenüber anderen Gesangsweisen abzugrenzen. So bezeichnet Belting oft nur ein kraftvolles Singen im Allgemeinen. Als besondere Gesangstechnik gilt es allerdings nur als lautes und hohes Singen unter Beibehalten der Bruststimme. In dieser Hinsicht ist Osbornes Definition – abgesehen von seiner vernichtenden Bewertung dieser Technik – sehr konkret und immer noch gültig. Die Wende zur Salonfähigkeit des Belting vollzieht sich nicht nur mit dem Erfolg von Songs, in denen gebeltet wird beziehungsweise mit dem Musical und den darin enthaltenen Vokalstilen, sondern auch mit dem Einzug als Gesangstechnik in die Gesangspädagogik. Vor allem die Arbeiten von Jo Estill und Johan Sundberg haben hier zu einem Wandel beigetragen. Estills Konzept der Stimmqualitäten umfasst neben der Sprache auch Twang (Colton and Estill 1981) und Belting (Yanagisawa et al. 1989, Sundberg et al. 1991). Beide können nun als legitime Mittel des vokalen Ausdrucks – und das ist das Neue und Wesentliche – erlernt werden. Die Einsicht in die Erlernbarkeit von Twang und Belting steht der Annahme, es handele sich um einen Gesang, der frei von jeglicher Gesangstechnik und jedwedem Vermögen ist, diametral entgegen. Raum für ästhetische Kontroversen gibt es zwar nach wie vor, aber mit der Akzeptanz von Belting und Twang als Mittel des vokalen Ausdrucks wird die Überlegenheit des zuvor als einzig legitim empfundenen klassischen Gesangs aufgehoben.

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L eises S ingen Die Diskussion um das Belting als illegitim lautstarke und hohe Gesangsweise war letztlich eine mildere Variante der Diskussion um das C r o o n i n g drei Jahrzehnte zuvor. Der Erfolg von Radio-Croonern, also Sängern, die ihre Songs mit flüsterleiser Stimme ins Mikrofon und über den Rundfunk sodann in die Wohnzimmer der Hörerinnen hauchten, führte bei der New York Singing Teacher’s Association (NYSTA) zu öffentlichen Polemiken. Nachdem die New York Times im Dezember 1931 noch »Crooners in Spotlight as Year Nears an End« verkündet hatte (O’Brian 1931), erhoffte sich die NYSTA zwei Monate später bereits: »[t]heir style of singing is b ­ eginning to go out of fashion« (»Crooning Comes« 1932). Im Fokus der Kritik des »distorted type of singing« (»Singing Teachers« 1932) standen die »Whiners and Bleaters« (ebd.). Croonten anfangs auch Frauen wie Kate Smith oder Ruth Etting (O’Brian 1931), wurde mit der überragenden Figur von Rudy Vallée der Crooner als verweiblichter Mann zur Zielscheibe der Kritik. Der Wandel hin zum Crooning als anerkannter und selbstverständlicher Vokalstil in populärer Musik vollzog sich erst in den 1940er Jahren mit Bing Crosby und Frank Sinatra (Taubman 1954; Wilson 1957b). Durch sie wurde Crooning salonfähig, wobei sich, wie Kapitel 6 zeigen wird, auch ein gewisser Wandel des Vokalstils beobachten lässt. Frauen, die croonten, wurden aufgrund ihrer Texte als T o r c h S i n g e r berühmt. Sicher auch wegen der hohen Popularität der Torch Songs – und damit indirekt verbunden durch die starke Zunahme an Torch Songs in den Charts – wurden Torch Singer ähnlich verächtlich betrachtet wie Croo­ner. Dennoch hielt der Torch Song, in dem der Liebesschmerz einer Frau und ihre ewige Treue zur obligatorischen Kernaussage wurden, Einzug in den populären Liederkanon und auch in das Repertoire von Jazzsänger­innen wie Billie Holiday und Sarah Vaughan. Eine weitere Form des leisen Singens ist das M o a n i n g (engl. stöhnen, jammern, klagen, seufzen), das ähnlich wie das Hollering und Shouting vor allem mit afroamerikanischen Ausdrucksformen assoziiert wurde. In Werbeanzeigen früher Bluesaufnahmen wurden Sängerinnen und Sänger wegen ihres Moanin’ angepriesen. Dabei wurde die für den Südstaatendialekt charakteristische Elision am Ende des Wortes benutzt, um den Bezug zum afroamerikanischen Ursprung zu konstruieren. Beim Moaning wird im Legato und melismatisch, meist mit geschlossenen Lippen, auf einer absteigenden Tonfolge gesungen oder auch nur gebrummt

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

beziehungsweise gesummt. Damit verbunden werden häufig die Begriffe G r o a n i n g (engl. groan = stöhnen) und C r y i n g, wobei Letzteres nicht auf eine geringe Lautstärke verweist, sondern auf eine brüchige Stimme, die mitunter auch hörbare Registerwechsel beinhaltet.

H eulen , J ammern , J odeln : R egisterwechsel Beim Singen verfügt die menschliche Stimme über verschiedene Techniken, um den Ambitus, also den Tonumfang, zu vergrößern. Vom tiefsten bis zum höchsten Ton gibt es einige Bruchstellen, an denen sich die Strategien der Tonerzeugung, und damit verbunden auch die Klangfarbe der Stimme, ändern. Aufgrund dieser Klangänderungen entstand die Auffassung von verschiedenen R e g i s t e r n. Wenn extrem hohe und tiefe Töne außer Acht gelassen werden, verwenden Sängerinnen und Sänger hauptsächlich zwei Register beim Singen: Während beide in den tieferen Lagen das Modalregister nutzen, können Männer höhere Töne im Falsettregister singen oder mit verschiedenen Techniken (Belting oder Bühnentenor) das Modalregister nach oben ausbauen. Frauen, deren Modalregister ohnehin weiter in die Höhe reicht, können ihre Stimme entweder über die Mittelund Kopfstimme nach oben erweitern oder ebenfalls belten. Aufgrund von historisch geprägten Annahmen über die Singstimme, kulturgeschichtlich bedingten Ausdifferenzierungen von Stimmfächern und physiologischen Betrachtungen des Stimmapparats gibt es kaum eine einheitliche Terminologie oder Systematik der Register. Da bei der physiologischen Betrachtung der Singstimme gerade in den letzten Jahrzehnten neue Untersuchungsmethoden entwickelt wurden, änderten sich einige Annahmen über Register – oder relativierten sich. Abbildung 3.2 fasst den derzeitigen Stand der Register nach Matthias Echternach und Bernhard Richter (2013) zusammen. Fest steht, dass Unterschiede zwischen den Registern bei Männern und Frauen auf anatomischen Unterschieden insbesondere in der Größe und Form des Kehlkopfes beruhen. Unabhängig von Unterschieden im Detail besteht in den Untersuchungen Konsens darüber, dass es prinzipiell zwei ästhetische Prinzipien im Umgang mit Registern gibt: Registerbetonung und Registerausgleich. Der R e g i s t e r a u s g l e i c h hat das Ziel, hörbare Klangfarbenänderungen zu vermeiden. Bei steigender oder fallender Tonhöhe werden die Register, auf die die melodische Bewegung zusteuert, nach und nach eingeblendet.

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Abbildung 3.2: Registereinteilung nach Echternach und Richter (2013). Das Modal­register ist das kräftigste Register. Die Stimmlippen haben dabei die höchste Kontaktfläche. Es wird auch zum allgemeinen Sprechen benutzt. Das Modalregister hat eine natürliche Grenze, die bei Frauen wesentlich höher liegt. Gehen Männer über ihre Grenze hinaus, kippt die Stimme meist ins Falsett um. Dabei schwingen die Stimmlippen mit geringer Intensität und schließen nur flüchtig, da sie beim Falsett weiter auseinander liegen. Dass das so definierte Falsett nur bei Männerstimmen vorkommt, hat anatomische Ursachen. Unter anderem ist dies bedingt durch den stumpferen Winkel des Schildknorpels, dessen Enden weiter auseinander stehen, an denen die Stellknorpel für die Stimmlippen befestigt sind. Die Mechanismen, mit denen Operntenöre das Modalregister bis zum c2, dem hohen c für Männer, ausbauen, sind noch nicht hinreichend verstanden. Es zeigte sich, dass bei der »Bühnenstimme des Tenors« (Echternach und Richter 2013: 140 f.) in diesen Regionen der subglottische Druck steigt und der Anteil der geöffneten Stimmlippen im Verhältnis zu den geschlossenen sinkt. Bei Frauen schließt sich oberhalb des Modalregisters das Mittelregister an. Im Mittelregister gesungene Töne weisen einen geringeren Anteil an Obertönen auf. Auch hier schwingen und schließen die Stimmlippen vollständig, jedoch sinkt die relative Dauer, in der die Stimmlippen im Vergleich zur Öffnungsphase schließen. Dies kehrt sich im Kopfregister um. Die Stimmlippen öffnen kürzer als sie schließen. Der Grundton ist sehr deutlich, die Obertöne werden noch schwächer. Oberhalb des c3, dem hohen c für Frauenstimmen, wird das Pfeifregister vermutet, bei dem angenommen wird, dass die Stimmlippen möglicherweise gar nicht mehr schwingen, sondern versteifen und die Luft wie bei einer Pfeife hindurchströmt.



♂Modalregister



♂»Tenor-Bühnenstimme« ♂Falsettregister

                           8

♀ Modalregister

Strohbassregister

♀ Mittelregister

♀ Pfeifregister

♀ Kopfregister

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

Um dies zu erleichtern, werden durch gezieltes Stimmtraining die Register nach oben und unten ausgebaut. So entstehen möglichst große Bereiche der Überlappung, in denen wahlweise eines der beiden Register hervorgehoben werden kann. Bei der R e g i s t e r b e t o n u n g dagegen werden Klangfarbenunterschiede der Register verstärkt und regelrecht herausgearbeitet. So etwa beim Jodeln, beim Hiccup und beim Tear. Beim J o d e l n wird gezielt im Übergangsbereich zwischen zwei Regis­ tern, dem Modalregister und dem Kopf- beziehungsweise Falsettregister gesungen. Bei wiederholter und »schneller Überschreitung der Registergrenzen [… mit] bestimmten Vokalen« (Richter et al. 2013: 130) werden Klangunterschiede der Register betont, wobei auch verschiedene Resonanzstrategien (Kopf und Brustresonanzen) zum Einsatz kommen. Diese Art des Jodelns entspricht dem ersten von drei Jodeltypen nach Timothy Wise (2010). Der zweite Typus unterscheidet sich vom ersten darin, dass statt Jodelsilben ein Songtext gesungen wird, aber dennoch zwischen den Registern sprunghaft gewechselt wird. Der dritte und letzte Typus ist lediglich durch eine Vorschlagsnote im höheren Register gekennzeichnet, nach der unmittelbar zurück in das Modalregister gesprungen wird. Wichtig für diesen Typus ist der sprunghafte Registerwechsel, der als Übergang deutlich hörbar wird. Beim Hillbillysänger Jimmie Rogers etwa stellt Wise (2010) fest: »The snap into or out of falsetto is clearly audible«. Allerdings stellt sich hierbei die Frage, ob ein einzelner Registerwechsel bereits als Jodeln bezeichnet werden kann. So scheint für den dritten Typus der Begriff des T e a r (= Träne, Riss) besser geeignet zu sein, der sich im Zusammenhang mit der Country Music etablierte (siehe Kapitel 12). In ähnlicher Form ist auch das Ü b e r s c h l a g e n der Stimme ein Relikt eines Registerwechsels, wobei hier am Ende einer Silbe die Stimme in ein höheres Register springt und dann abrupt aufhört. Gerade im Soul und Rock’n’Roll, aber auch in der Country Music setzt die Stimme bisweilen aus, als versage sie, wie es bisweilen beim Weinen oder im Stimmbruch unwillkürlich passiert. Jedoch handelt es sich dabei um ein meist gezieltes W e g b r e c h e n der Stimme, das nur zum Teil mit einem Überschlagen kombiniert wird. In den stimmlosen Pausen kommen zum Teil geräuschhafte und behauchte Klänge zum Tragen. Der deutliche »snap«, wie ihn Wise (2010) beschreibt, ist jedoch nicht immer Bestandteil von Registerwechseln. Gerade in Gospel und Country Music tauchen gelegentliche Falsett- oder Kopfstimmentöne auf, die von der übrigen Melodie, die in der Bruststimme gesungen wird, deutlich abgesetzt sind. Im Blues werden

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Tilo Hähnel

Tabelle 3.1: Gesang mit hohem subglottischen Druck. Shouting klingt sehr rufähnlich. Mit steigender Tonhöhe geht bei Anhebung des Kehlkopfes der Klang in das schreiähnliche Belting über. Bei zunehmender Rauheit wird aus dem tiefen Shouting das grollend bis brüllend klingende Growling, das meist mehrere Subharmonics zwischen aufeinanderfolgenden Obertönen aufweist. Bei sehr hohen und schrill klingenden Screams sind häufig keine Obertöne mehr erkennbar; es überwiegt vielmehr eine geräuschhafte Qualität.

kaum bis keine Rauheit starke Rauheit

normale Lage Kehlkopf eher gesenkt

hohe Lage Kehlkopf angehoben

Shouting Growling

Belting Screaming

solche einzelnen Töne im Falsett häufig auf der Silbe »uh« zwischen Textpassagen eingestreut. Auch in der Country Music finden sich oft einzelne Falsetttöne, die, wenn sie staccato gesungen und über sehr große Intervalle angesprungen werden, dem Klang eines Schluckaufs ähneln. Diese Figur wird daher auch als H i c c u p bezeichnet (siehe Abbildung  12.1 und 13.6). Tabelle 3.2 zeigt eine schematische Übersicht über die verschiedenen Ausdrucksmittel, die mit Registerbetonungen und schnellen ­Registerwechseln spielen. Das C r y i n g dagegen ist kein einzelnes Stilelement, sondern umfasst überbegriffsartig eine Kombination von Tears sowie einem wiederholten Wegbrechen und Überschlagen der Stimme, wie es auch in der menschlichen Stimme beim Weinen und Schluchzen vorkommt. Dabei werden häufig auch schnelle Vibrati auf Abwärtsglissandi gesungen, die in diesem Zusammenhang einen stark klagenden und jammernden Eindruck hervorrufen.

R auheit

und

B ehauchtheit

Neben Registerbetonungen, Schreien und Säuseln spielen auch Heiserkeit und Rauheit eine wichtige Rolle im vokalen Ausdruck in populärer Musik sowie bei der Charakterisierung von Singstimmen. Was landläufig H e i s e r k e i t genannt wird, ist immer eine Mischung aus Rauheit und Behauchtheit und kann in der Regel differenzierter beschrieben werden (Dejonckere et al. 2001). B e h a u c h t h e i t ist das Resultat von nicht ganz geschlossenen Stimmlippen, durch die bei der Phonation hörbar Luft hin-

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

Tabelle 3.2: Formen des Registersprungs. Beim Überschlagen springt die Stimme (unter hohem subglottischen Druck) aus einem unteren Register (Bruststim­ me, »   «) am Ende einer Silbe abrupt nach oben (»↑«) in ein höheres Register (Kopfstimme/Falsett, »⁻«). Beim Wegbrechen ›versagt‹ die Stimme scheinbar und unterbricht teilweise mit einem leisen heiseren Krächzen (Geräusch) oftmals nur für Sekundenbruchteile. Häufig überschlägt sich die Stimme beim Wegbrechen in das höhere Register. Der Tear ist das Gegenteil des Überschlagens: Wie beim Schluchzen beginnt die Stimme im höheren Register und springt abrupt ins tiefere Register(»↓«), in dem die Silbe dann gesungen wird. Der Hiccup ist ein kurzer staccatoartiger Sprung ins höhere Register, jedoch ist der Ton im oberen Register abgesetzt, es findet kein Überschlagen oder Tear statt. Überschlagen

Variante A:

Wegbrechen

Variante A:

Tear

am Anfang:

Hiccup

am Ende:

↑⁻ ↓ ⁻

Variante B:

↑↘

mit Überschlagen:



in der Mitte:



in der Mitte:



durchströmt. Der Grund dafür kann einerseits eine sehr lockere und entspannte Stellung der Stimmlippen sein. Eine auf diese Weise behauchte Stimme wirkt in der Regel sehr intim. Eine zweite mögliche Ursache sind Schäden an den Stimmlippen, wie Knötchen oder Vernarbungen, die den Stimmlippenschluss beeinträchtigen und so zu einem ›rauchigen‹ Stimmklang führen. R a u h e i t kann vielerlei Ursachen haben und entsprechend unterschiedlich klingen. Allgemein gesprochen handelt es sich um Abweichungen im regelmäßigen Aufbau der Teiltöne und um eine geringere Eindeutigkeit von Tonhöhen und Lautstärken. Dabei bezeichnet J i t t e r , das Zittern der Stimme, ein schnelles und unregelmäßiges Fluktuieren der Tonhöhe. Fluktuationen der Lautstärke werden dagegen als S h i m m e r beschrieben. Von weit größerer Bedeutung sind jedoch Rauschanteile und Subharmonics (Omori et al. 1997). Geräusche weisen im Gegensatz zu Klängen einen gleichmäßigen ­Energieanteil über weite Bereiche des Spektrums auf. Der Obertonaufbau ist nicht erkennbar. Bei stark überschlagenden oder wegbrechenden Stimmen finden sich häufig geräuschhafte Klänge an den Snaps, also den hörbaren abrupten Überhangsstellen zwischen den Registern beziehungsweise an den Stellen, an denen die Stimme aussetzt oder scheinbar kurz versagt. Die Begriffe G r o w l s und S c r e a m s bezeichnen sehr raue

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Abbildung 3.3: Ethel Waters, »I Got Rhythm« (1930). Rauheit auf einzelnen Silben zu deren Betonung. Im Spektrogramm sind auf den Silben »old«, »I« und »round« viele zusätzliche Linien zwischen den Obertönen zu erkennen. Sie sind die Folge einer langsamen Amplitudenmodulation, die in der stark vergrößerten Wellendarstellung (die ganze Breite bildet 100 ms ab) leicht zu erkennen ist. Die Schwingung, die die Frequenz der Stimmlippen überlagert, führt zu einem periodischen Muster, das 10 bis 14 Schwingungen umfasst. Wahrscheinlich schwingen weiche Teile oder Knorpelschichten (Taschenfalten oder der Kehldeckel) oberhalb der Stimmlippen mit, um dieses »Growling« zu erzeugen. Der Klang unterscheidet sich stark von einer Stimme mit nur einem oder zwei Subharmonics, die eher als kratzig empfunden wird. Wellenformdarstellung über 100 ms (2:46.0–2:46.1) Der graue Bereich entspricht mit 16 ms =  ungefähr einer Periode der Amplitudenmodulation mit 62.5 Hz.



           

        

Old

Frequenz in Hz

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man trouble

I

                         don’t mindhim

You

won’t

find him

round

         my door

2000 1000 500 250

2:46

2:47

2:48

2:49

2:50

2:51

2:52

2:53

2:54

Zeit in Minuten

Klänge, wobei Growls eher im unteren Tonhöhenbereich und Screams im Bereich des Belting liegen (siehe Tabelle 3.1). Neben den geräuschhaften Klängen treten bei rauen Stimmen am häufigsten sogenannte ­S u b h a r m o n i c s auf. In der Spektralansicht sehen Subharmonics wie zusätzliche Teiltöne aus, die parallel zu den zu erwartenden Obertönen des Tons stehen (siehe Abbildung 3.3). Die physikalische Ursache zu kennen, ist bei der Beschreibung von Rauheit unter Umständen von großer Hilfe: Subharmonics sind das Resultat einer Amplitudenmodulation. Das heißt, dass die Grundschwingung, die von den Stimmlippen ausgeht, von einer zweiten, langsameren Schwingung überlagert wird und deren Auslenkung (Amplitude) moduliert. Je langsamer die Modulationsfrequenz ist, desto näher befinden sich die Subharmonics in einer Spektralansicht an den Obertönen. Langsame Modulationen können von zusätzlichen

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

Abbildung 3.4: Ethel Waters, »I Got Rhythm« (1930). Scatpassage. 









     



ʁɐ ɐ ɐ





    

ʁɐ ɐ ɐ



  



  

                

 



ʏ ʉ



   

ʉ  ɐ ɐ





ʋɐ ɐ

       

ʏ ʉ  ɐ  ʉ ɐʊ

  

ʏ ʉ ɐ ɐ 













































ɨ  ɐ ɐ 



  





ɐ ʏ ʉ  ɐʊ ʋɐʁ



ɐ

ɐ ɐ



   ɐ  ɐ ɐ

ɐ ʊ  ɐ  ɑ ɑ

           

ɐ





  

 

ɐ





ɨ ɨ  ɐ 

 



ʁɐ ɐ ɐ







               





ɐ





  

ɐ

ʁɐ ɐ ɐ







  

ɐ ɐ





ɐ



ɛ ɛ



ɐ

















ɐ

     



ɐ

 



ʏ

 



                                            



                             



ʁɔ

ɘ ɘʋ

ɐ





ʊ ɘ ɘʋ

ɐ

ɐ





ɐ

ʊ ɘ ɘʋ





ɐ

ʊ ɘ ɘʋ

ɐ

ɐ





ʏ ɘ ɘ

ɐ





ɐ

ɐ



ɐ

ɐ

ʊ



ʏ ɘ ɘ

Schwingungen oberhalb der Stimmlippen herrühren, wie etwa den Taschenfalten, dem Kehldeckel oder anderen weichen Gewebeteilen. Handelt es sich jedoch nur um ein oder zwei Subharmonics, kann die Ursache auch an den Stimmlippen selbst liegen. Schließen die Stimmlippen nur bei jeder zweiten oder dritten Schwingung vollständig, entsteht eine übergeordnete Schwingung im Verhältnis 2:1 beziehungsweise 3:1. Das Resultat ist ein meist als ›kratzig‹ empfundener Stimmklang. Jedoch ist eine sichere Diagnose der Ursache für Rauheit allein über das Spektrogramm nicht möglich (vgl. Bergan und Titze 2001; Omori et al. 1997).

N onverbale L aute Stimmlicher Ausdruck in der Musik ist nicht zwangsläufig an einen zu vertonenden Text gebunden, der einen Inhalt transportiert. Das Jodeln auf Jodelsilben ist ein Beispiel für einen Gesang, der zwar einen Bezug zur Melodie hat, aber ansonsten keine Bedeutung in sich trägt. Ebenso können Silben wie »Tralali, tralala« durchaus Bestandteil von Liedtexten sein, haben aber ebenso keine inhaltliche Bedeutung. S c a t g e s a n g beispielsweise lebt vom Spiel mit Silben. Die Vorherrschaft bestimmter Silben oder die Verwendung ausgefallener Kombinationen können dabei wesentliche Merkmale eines Personalstils sein. So verwendete der Crooner Gene Aus-

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Tilo Hähnel

tin häufig die Silben »dududu«, während Ella Fitzgerald neben typischen Scatsilben wie »di« und »dab« immer wieder Silben wie »bui« einstreute. Daneben tauchen in populärer Musik lautmalerische Silben auf, die den Klang von Instrumenten imitieren. Greenberg (2008: 138 ff.) hat sich eingehend mit der Systematik solcher Lautäußerungen im Zusammenhang mit dem Scatgesang beschäftigt. Das daraus abgeleitete Schema in Abbildung 3.5 gibt einen Überblick und Vorschlag zu einer Systematik des Materials für Vokalklänge, die nicht an einen Textinhalt gebunden sind.

E ntwicklungen

und

Wandlungen

Rauheit, Scat und Moans wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit afroamerikanischen Gesangstraditionen verknüpft. Mit dieser ethnischen Grenzziehung rückten diese Vokalstile aus dem Blickfeld der Anhänger der klassischen Gesangstechnik. Innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung wurden sie als Beiträge der eigenen Ethnie zur USamerikanischen Musik verstanden. Als immer mehr euroamerikanische Musikschaffende die als afroamerikanisch geltenden Vokalstile nachahmten, reagierte 1939 der Chicago Defender mit einem kritischen Artikel über den geistigen Diebstahl der Gesangsstile von »Race performers«. Gerade am New Yorker Broadway wurden die Vokalstile mehr und mehr von nicht-afroamerikanischen Stars imitiert – aus afroamerikanischer Sicht gar plagiiert. You will not see an abundance of Race performers on Broadway come this fall but you’ll hear a lot if their (should be) copyrighted styles running the gamut of the famed theatrical street. […] Today there are more radio sing­ ers copying the style of Ella Fitzgerald than ever before. […] They [singers] cannot well copy Louis’ [Armstrong’s] trumpeting but they have his »scat« singing and gone. (»Race’s Style« 1939)

Euroamerikanische Sänger, die nicht scatteten, sich aber anderer Formen des Gesangs von sinnfreien Silben bedienten, wurden dagegen wie zuvor die Crooner von den Anhängern der NYSTA verurteilt: Now they [the Crooners] are driven away by the boys and girls who inter­ sperse the vapid lines of the chorus with a medley of monotonous, meaningless syllables which defy print. These interpolations sound as if the singer

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

Abbildung   3.5: Systematik von vokalen Äußerungen ohne Textinhalt nach Greenberg (2008: 138), die allesamt als Rohmaterial im Scatgesang Verwendung finden. Dabei geht es grundsätzlich um den autonomen Klang der Silben und nicht um ihre Bedeutung. Greenberg unterscheidet zwischen Vokalisen, die aus einer europäischen Tradition der Kunstmusik kommen und Silben, die zwar aus einem bestimmten Sprachkreis entlehnt, aber ihres semantischen Zusammenhangs beraubt sind. So finden sich im amerikanischen Englisch andere Silben als im britischen Englisch oder im Deutschen. Ein Großteil des Spiels mit Silben beruht auf der Imitation von Musikinstrumenten, Maschinen oder Klängen aus der Tierwelt. Für rein spielerische Laute, die die Möglichkeiten der Stimme ausloten, benutzt Greenberg den Begriff des »Phonetic Play«.

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Tilo Hähnel had forgotten the words of the ditty and had to fill in with a tra-la. Some­ times they vary it with a whistled bar or two. (»Crooning Comes« 1932)

In den 1940er Jahren setzte sich allmählich eine Umdeutung der ehemals kritisch aufgenommenen neuen Vokalstile durch. 1940, ein Jahr vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, war es durchaus sinnvoll, die US-amerikanische Bevölkerung zusammenrücken zu lassen. So ist es kein Zufall, dass gerade zu dieser Zeit auch afroamerikanische Gesangstradi­ tionen, Crooning und traditionelle US-amerikanische Lieder als ein eigenes Kulturgut propagiert wurden, welches es zu bewahren und auch zu ehren galt. So heißt es in der New York Times: The songs of our country are as varied as its geography. From Tin Pan Alley and the cotton lands, from the lumber camps of the Northwest and the Georgia chain-gangs, from the railroads and the levees, from the Great Lakes and the coast towns, come songs that belong to the people of America. (Todd and Sonkin 1940: 117)

Im Zuge dessen konnten aus den einst verachteten Croonern ange­sehene American Crooner und aus afroamerikanischen Gesangsstilen amerika­ nisches Kulturgut werden. 1957 bemerkt John Wilson im Jazzgesang sogar eine »relatively unimportance of a well-developed voice« (Wilson 1957a), hinter der sich auch eine Abgrenzung zur europäischen Hochkultur ­versteckt. The voice can be the most rasping growl (Louis Armstrong comes immediately to mind) or the reediest whisper so long as its musical statements are projected and punctuated in knowledgeable jazz terms. A cultivated voice need not be a hindrance (it hasn’t been to Sarah Vaughan), but all too often the process of voice development seems to inhibit whatever jazz instincts a singer may possess. (Wilson 1957a)

Wilsons Beschreibung kehrt den Spieß um, der sich einst gegen die Croo­ n­er richtete. Die ehemals vorherrschende Ästhetik einer »legit«-Stimme, der klassisch ausgebildeten Gesangsstimme, wird im Jazz nicht mehr benötigt. Was Wilson im Jazz beschreibt, kann leicht auf die populäre Musik im Allgemeinen übertragen werden: Erlaubt, geschätzt und gar eingefordert wurde früher oder später alles, was die Botschaft des Songs und das Persönlichkeitsbild des Sängers und der Sängerin zu unterstützen ­vermochte. Dies konnte – mit Wilson gesprochen – nur über einen musi­ kalischen Instinkt erreicht werden, unabhängig von einer institutionell

Zur Terminologie vokaler Gestaltungsmittel in populärer Musik

geprägten und erlernten Gesangstechnik. Spätestens mit der Etablierung von Gesangsschulen und einer institutionalisierten Gesangsausbildung in Jazz und populärer Musik greift auch die Bezeichnung »legit« als legitimierter Gesang zu kurz, um klassisch etablierte Gesangsideale vom Popgesang abzugrenzen. War bisher eine ›reine‹ oder ›klare‹ Stimme das Ideal, so ­ä hnelt der Stimmklang in der populären Musik einerseits dem der Sprech­stimme, andererseits wird aber auch ein großes, nicht zuletzt die Extreme ­suchendes Spektrum an stimmlichen Ausdrucksformen vom Flüstern über das Singen bis zum Schreien ausgelotet, wobei der regelmäßige Obertonaufbau durch zusätzliche Manipulationen gestört wird: Rauheit und Behauchtheit sind gängige Praxis. Vormals als Stimmfehler pathologi­sierte Charakteristika wie Jitter, Shimmer oder Twang wurden für einige Genres Stil prägend und über diesen Weg salonfähig. P ­ arallel zur ›Machtüber­nahme‹ der populären Musik im öffentlichen Diskurs wurden zunehmend die Bezeichnungen für den ehemals dominanten klassischen Gesangsstil problematisch. Die Bezeichnung »klassischer Gesang« erwies sich bei genauerer Betrachtung als unscharf; »Opern­gesang« verengte das Feld auf einen einzigen Anwendungsbereich und meint eigentlich auch nur die Zeit nach 1800. Beide Ausdrücke sind einer ­Gesangsästhetik ver­ pflichtet, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Ausgestaltung europäischer Kunstmusik des 19. Jahrhunderts gegolten hatte. Doch selbst hier genügt ein Blick auf die unterschiedlichen Anforderungen, die Franz Schubert, Hugo Wolff, Richard Wagner, Giuseppe Verdi, Johannes Brahms oder Gus­tav Mahler an Sängerinnen und Sänger stellten, um die ­Schwierigkeiten der ­Definiti­on zu offenbaren. Hinzu kommen unterschiedliche ­akustische Rahmenbedingungen von Opern, Operetten, Oratorien, Messen, sinfonischen Liedern und kammermusikalischen Vokalwerken. Mit dem Aufkommen der historisch informierten Aufführungspraxis (HIP, von »historically informed performance«) sah sich die einst ­vorherrschende ­Gesangsästhetik zudem Kritik aus den e­ igenen Reihen gegenüber: Vermutlich gab es in der Musik schon immer vo­kale Ausdrucksmittel, die wie Rauheit und Schreien dem Klang der Alltagsstimme entlehnt waren ­(Bagby 2002). Von Gesängen, die in Meditati­onen über extreme Zeitspannen hinweg gesungen wurden, ist dagegen a­ nzunehmen, dass sie mit geringer Lautstärke ausgeführt wurden (­ Livljanic 2002). Der inzwischen selbstverständliche Registerausgleich scheint erst im 18. Jahrhundert Verbreitung gefunden zu haben (Parrott  2002). Davor ­w urde möglicherweise der Stimmumfang des Modalregis­ters kaum verlassen

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(Bartels 1989), und wenn, dann wurde nicht mit einem Regis­terausgleich gearbeitet. So setzt sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zunehmend die Erkenntnis durch, dass das Lied im 19. Jahrhundert, geschweige denn im 17. und 18. Jahrhundert, nicht so gesungen wurde, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts für selbstverständlich angenommen und gelehrt wurde. Auch B ­ e l c a n t o – einst hohes Ziel der Gesangs­ausbildung – ist zum Mythos geworden (Wistreich 2002). Am Ende bleibt also eher die Frage »Was ist Gesang in der Kunstmusik«? Diese Frage ist jedoch nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Buches.

Musiktheater

4. »Down in a Great Big Rathskeller« Vaudeville-Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts Tilo Hähnel Vaudeville-Shows waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Theater­ unterhaltung der US-amerikanischen Mittelschicht und Arbeiterklasse. Viele Ensembles waren professionell organisiert und unternahmen Tourneen durch große Teile der USA. Vor allem in Großstädten entstanden Ketten von Vaudeville-Theatern, in denen Ensembles eigens für einzelne Shows zusammengestellt wurden. Präsentiert wurde alles, was das Publikum amüsierte, unterhielt und anzog, wobei sich einzelne Programmnummern lose aneinander reihten – vom Zauberkünstler über die Sängerin bis zum Komödianten. Stand bei einer Nummer der vokale Ausdruck im Zentrum, musste er den akustischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen, das heißt, gesprochene oder gesungene Texte mussten ohne zusätzliche Verstärkung auch in den hinteren Reihen des Publikums gehört und verstanden werden können. Die Sprache im Vaudeville-Theater war daher keine Konversationssprache, sondern eine künstliche und überdeutliche Bühnensprache. Im Gegensatz zum Gesang in der klassisch-romantischen Oper oder im Konzert wurden stimmhafte Konsonanten und Diphthonge sehr deutlich artikuliert. Akzente und Dialekte dienten der Kennzeichnung stereotyper Charaktere, ohne jedoch dabei in Widerspruch zur angestrebten Deutlichkeit zu geraten. Vaudeville-Shows versprachen große Unterhaltung zu moderaten Preisen und können daher als eine der Keimzellen populärer Kultur und populärer Musik angesehen werden. Bevor sie jedoch zu den professionellen Unterhaltungsbetrieben der US-amerikanischen Großstädte um 1900 wurden, waren Vaudeville-Theater Orte des Rassismus und der Fremden-

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feindlichkeit, in denen alle erdenklichen Minderheiten in grotesken Stereotypisierungen vorgeführt wurden. Diese Herkunft hat das Vaudeville nie gänzlich abschütteln können. Auf den folgenden Seiten wird exemplarisch an vier Stars des Vaudeville ein Auflösungs- und Übergangsprozess dargestellt, der sich von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vollzog. Die ersten drei, Bert Williams, Sophie Tucker und Al Jolson gehörten zu einer zweiten Generation von Einwanderern. Sie traten – wenigstens eine Zeit lang – in Blackface auf, mimten also mit schwarz gerußtem Gesicht afroamerikanische Stereotype. Die Afroamerikanerin Ethel Waters bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme und bietet zugleich einen Ausblick auf einen historischen Prozess, infolgedessen das Vaudeville schließlich in andere Formen professioneller populärer Bühnenunterhaltung aufging. Unter dem zunehmenden Einfluss des Broadways entstanden zuerst neuartige Shows im Vaudeville-Stil, die sich dann zu Revuen und Musicals weiterentwickelten. War das Vaudeville, die lose Aneinanderreihung von unterhaltsamen Programmteilen zu einer Show, in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts noch der Höhepunkt zahlreicher Karrieren, wurde es allmählich durch professionelle Revuen wie die Ziegfeld Follies und die Musical Comedy abgelöst (Mordden 1997: 83 ff.). Einst eine große Attraktion, in der von Tiernummern über kurze Schauspielstücke bis hin zu Magie und Akrobatik alles gezeigt wurde, was amüsierte, diente das Vaudeville nun zunehmend als ›Kinderstube‹ für spätere Stars wie etwa die Marx Brothers oder Fred Astaire. Sänger und Sängerinnen stellten die Songpersonae schauspielerisch mit Mitteln der Überzeichnung dar. Dabei etablierte sich ein Vokalstil, der durch ein häufiges Changieren zwischen Singen und Sprechen gekennzeichnet war. Aufgrund der akustischen Rahmenbedingungen bestanden jedoch kaum dynamische Gestaltungsräume. Stimmen mussten laut sein. Auch ließ die Kürze der Nummern zwar pointierte Charaktere, aber kaum Entwicklungen zu. Daher wurden eher scharfe Kontraste und schnelle Gegenüberstellungen mehrerer Personae auf die Bühne gebracht. Die Anforderungen, schauspielerisch mit verschiedenen Bühnenpersonae zu jonglieren, sowie die notwen­dige Deutlichkeit der Aussprache deckte sich mit den Anforderungen, die auch das Musical und der Film an die Vokalisten stellten. Wenn Mordden (1997: 83) das Vaudeville als »nemesis, parasite, and major provider of fresh talent« der Musical Comedy bezeichnet, bringt er damit den Einfluss und Bedeutungswandel des Vaudeville auf den Punkt. Die im Folgenden untersuch-

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

ten Tonaufnahmen stammen zwar allesamt aus den 1910er und 1920er Jahren – also aus der Broadway-Zeit der Sänger und Sängerinnen, diese waren jedoch mit den untersuchten Songs bereits zuvor über einen langen Zeitraum hinweg als Vaudeville-Stars aufgetreten.

R assismus

und

S elbstzensur

Eine Traditionslinie des Vaudeville reicht zurück bis zum Minstrel des 19. Jahrhunderts. Wesentlicher Bestandteil der Blackface Minstrelsy war die Auseinandersetzung mit der afrikanischen und später afroamerikanischen Bevölkerung. Kibler (1999: 112 ff.) zeichnet die wesentlichen Stereo­ type und Charaktere nach, die aus der Tradition der Minstrel-Shows und der Vaudeville-Theater Einzug ins 20.  Jahrhundert hielten. Das gängige Klischee des Afroamerikaners war Jim Crow, der abgehalfterte faule Baumwollpflücker, der es sich auf seiner Plantage gut gehen lässt und den lieben langen Tag entweder döst oder derbe Scherze reißt. Er ist unge­ bildet, lüstern und bisweilen auch ein wenig zurückgeblieben. Manchmal wurde er auch als Sambo bezeichnet. Caroline Moseley, die diese Stereotype in den Songs aus dem US-amerikanischen Bürgerkrieg untersuchte, charakterisiert ihn wie folgt: The happy banjo-plunking plantation darkey is a stereotype familiar to us all. […] Black men and women were consistently presented as comical and absurd. To be black was to be ridiculous. Ludicrous Jim Crow and his ­coarse and ugly Dinah care only for food, drink, and music – not for Civil War’s slave revolts, emancipation, or equality. The happy darkey capers through at least a century of song. (Moseley 1984: 11)

Das weibliche Pendant zu Jim Crow ist – wie Moseley formuliert – die hässliche junge Afroamerikanerin, welche als Dinah das Motiv zahlreicher Songs ist. »›Dinah‹ is as much the wooly-headed wench as ›Sambo‹ is the happy darkey. ›The South Carolina Gentleman‹ chews tobacco, spits, gambles, swears, and cheats« (Moseley 1984: 14). Auch als »Funny Ole Gal« bezeichnet, verweist diese unattraktive und schrille Figur häufig durch Attribute wie lange Arme und übergroße Schuhe auf ihre Masku­ linität: »[D]ecidedly unattractive by wearing mismatched clothes and speaking in a shrill voice. The character’s large arms and legs and often ›oversized‹ shoes drew attention to her underlying masculinity« (Kibler

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1999: 114). Neben ihr steht die Big Mama, die im Haus das Heft in der Hand hält. Meist ist sie als eine übergewichtige Afroamerikanerin mit sehr dunkler Hautfarbe dargestellt, die gutmütig und naiv daherkommt. Mit Jim Crow und dem Funny Ol Gal teilt sie die Vorliebe für ein ausgelassenes Leben, welches den moralischen Standards des zivilisierten Angloamerikaners nicht standhält. Als Frau, die sich dennoch sorgsam um Haus und Kinder – afroamerikanische Kinder wurden häufig als niedliche wilde, dümmliche und ungekämmte Pickaninnies dargestellt – bemüht, taucht dieses Stereotyp auch in Form der eher asexuellen Old Aunty auf. Neben dem Extrem der übergewichtigen Mammy/Aunty existiert auch die verführerische Schönheit vom Lande. Sie weist eine hellere Hautfarbe auf und wird oft als das Plantation Yellow Girl dargestellt – für Kibler eindeutig eine »male performer’s creation« (Kibler 1999: 114). Mit der Migration tausender afroamerikanischer Bewohner des ländlichen Südens in die Großstädte des Nordens entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Klischee des afroamerikanischen Dandy, des Zip Coon. Damit verbunden ist auch das Image des Bad Nigger, der mit Messer oder gar Pistole bewaffnet eine Gefahr für alle darstellt, die ihm zu nahe kommen oder in sein Revier beziehungsweise seinen Stadtteil eindringen (Pickering 2000: 171). Sein weibliches Gegenstück ist nach Kibler (1999: 125) der Charakter der Jezebel, einer afroamerikanischen Femme fatale, die mit ihren sexuellen Reizen und ihrer offensiven Art auch für Euroamerikaner eine verführerische Gefahr darstellt. Viele dieser Charaktere lassen sich bis über das 20. Jahrhundert hinaus nachverfolgen, wie Elaine Richardson (2006) am Beispiel der Jezebel zeigen konnte. Stereotype von Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen waren das Produkt der herrschenden euroamerikanischen Bevölkerung. Songs über Jim Crow und die Big Mama verraten wenig über das Leben der ehemaligen Sklaven und ihrer Nachkommen, aber sie verraten viel über die rassistische Gesellschaft, die sie hervorbrachte (Moseley 1984: 2). Auch nachdem das Vaudeville familientauglicher und moderater wurde, blieben die Stereotype der Afroamerikanerinnen und Afroameri­kaner fester Bestandteil der Shows. Ähnlich wie es Pickering (2000: 171) für Großbritannien konstatiert, übertünchten auch die US-amerikanischen Darstellerinnen und Darsteller mit der schwarze Maske ihre eigene euroamerikanische Identität und legitimierten so das Spiel mit Charakteren, die tun durften, was ihnen selbst nicht ohne weiteres zugestanden wurde.

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts [B]lackface acts and shows afforded a period of license in which sentimental vaporings, half-formed imaginings, and obliquely perceived alternatives to normative compulsions might have been posed, and perhaps not simply for the sake of dismissal. In its time, minstrelsy symbolically catered to and attempted to contain a taste for cultural »difference«. (Pickering 2000: 175)

Die schwarze Maske erfüllt auf der anderen Seite auch eine Befreiungsfunktion für das Publikum, das sich dadurch ungehörigen Darstellungen aussetzen konnte. Zudem übertüncht das Blackface nicht nur den anglo­ amerikanischen Darsteller, sondern hat das Potenzial, ein Verhalten zu legitimieren, das ansonsten auf der Bühne nicht erlaubt wäre. Die Handlung des Films The Jazz Singer (1927, Regie: Alan Crosland) ist geradezu exemplarisch für diese Phase US-amerikanischer Unterhaltungskultur. Der jüdische Einwanderer Jakie Rabinowitz muss, um seinen Wunsch, im Unterhaltungsgeschäft Fuß zu fassen, realisieren zu können, sein Gesicht hinter einer Blackface-Maske verstecken. Dieses Schicksal teilte der Hauptdarsteller Al Jolson mit dem Protagonisten ebenso wie mit Sophie Tucker, auf die noch näher eingegangen wird. Alison Kibler (1999) beschreibt das Vaudeville in den USA im 19. Jahrhundert als Unterschichtentheater, in dem die Low Culture einen Gegenentwurf zum traditionellen Theater der High Class darstellte. Wer es wagte, auf einer Vaudeville-Bühne einen künstlerischen Anspruch zu vertreten, wurde gnadenlos ausgebuht. Dem Vaudeville standen die Opern- und Konzerthäuser der High Class gegenüber, die ein gemischtes Programm anboten, zu dem neben den klassischen und zeitgenössischen Musiktheaterwerken auch populäre Blackface- und Artistiknummern zählten. Diese Offenheit verschwand jedoch kurz nach der Wende zum 20.  Jahrhundert (Kibler 1999: 5). Zum Ende des 19.  Jahrhunderts setzte sich im Vaudeville-Theater eine Professionalisierung durch, im Zuge derer immer größere Ketten an Vaudeville-Theatern und Shows entstanden. Mit dem Streben nach einem größeren Publikum öffnete sich auch das Programm (ebd.). Aus einer Veranstaltung für eine einstmals »all-male audience« wurden in den 1880er Jahren Theaterveranstaltungen für Männer, Frauen und Kinder, die dennoch keinen High-Class Anspruch hatten (Erenberg 1984: 33). Theaterunternehmer, die wie Tony Pastor auf ein erweitertes Publikum setzten, forderten zudem von den Darstellern Zugeständnisse in den Inhalten ein, um das breite Publikum nicht zu verstören:

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Tilo Hähnel Following Pastor’s lead, vaudeville managers such as Keith, Albee, and Proctor refined the acts, the audiences, and theatres in order to attract respectable women into hitherto dangerous male environments. Jeering, drinking, smoking, and soliciting were all but abolished by policing. Managers also clamped down on vulgar stage language and actions, creating a strict system of censorship that outlawed the uttered »hell« and »damn.« Vaudeville managers toned down offensive ethnic humor as part of their attempt to gain a wider audience. By the turn of the century, vaudeville had become an acceptable family entertainment for the middle and working class. (Erenberg 1984: 67)

Die Konsequenz aus der Öffnung des Theaters – die Zensur des Programms durch die Produzenten – stieß durchaus auf Kritik, nicht nur von Männern, sondern auch von den neu hinzugewonnenen Damen: »In the vaudeville audience the masculine gallery often rebelled against the feminization of vaudeville, and women, contrary to manager’s expectations, sometimes joined in the rowdy behavior« (Kibler 1999: 5).

B ert Williams : B l ackface S tar afrik anischen W urzeln

mit

Egbert »Bert« Austin Williams (ca. 1875–1922) wurde in der Karibik in der damaligen britischen Kolonie Antigua geboren (Forbes 2004; »Bert Williams. The African-American Minstrel« 2005; Spinks 1950). Als Kind immigrierte er zuerst nach New York und dann nach Kalifornien, wo er in San Francisco seine Karriere begann. Unter dem Namen »Bert« W ­ illiams gehörte er zum Comedy-Duo Williams and Walker, das ab 1903 am New Yorker Broadway arbeitete. Ab 1910, nach dem vorzeitigen Tod seines Bühnenpartners, trat Williams mit einem Soloprogramm auf und spielte für die wohl bekannteste Revue-Reihe der 1910er Jahre, die Ziegfeld Follies (»Bert Williams. The African-American Minstrel« 2005). Bert Williams gilt als der erste erfolgreiche Broadway-Star mit afrikanischen Wurzeln. Als Blackface-Komödiant parodierte er, wie üblich, den ­»darkey« (B. 1916), der sich an der Figur des Jim Crow orientierte. Dabei bediente er sich der gängigen Stereotype, verfiel jedoch nicht in eine abwertende Darstellung. Da er sowohl beim euro- also auch beim afroamerikanischen Publikum zum Star wurde, gelang ihm offenbar dieser Balanceakt. Williams sorgte außerdem dafür, dass seine Starpersona immer mehr auch die Züge

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

eines ernstzunehmenden Bühnendarstellers trug. Indem er seine Aufführungspersona Darkey als Kunst- und Bühnenfigur deutlich machte, bewahrte er das Gesicht derer, die im segregierten Publikumsraum seinen Vorstellungen nur von oben aus dem »nigger heaven« (Forbes 2004: 609) beiwohnen durften. Camille Forbes (2004) bezeichnet Williams’ Darkey, also seine Bühnenpersona, als Onstage-Charakter. Seine Starpersona, von Forbes als Offstage-Charakter bezeichnet, gestaltete Williams in Abgrenzung zu diesem: Offstage, he distanced himself from the buffoon he played onstage and, in so doing, he exhibited a self that was cultivated, intelligent, and philosophical. […] Caught between satisfying a white audience, which expected stereotypical performances in the racist discourse of minstrelsy, and a black audience, which desired political activism in the discourse of representation, Williams made strategic moves. He strove to satisfy and resist white audiences that expected his dancing »racial feet« (in the words of one white critic) to testify to the truth of the »darky« stereotype. At the same time, he sought to respond to black audiences that expected him to achieve racial feats on behalf of black America. (Forbes 2004: 605)

Menschen mit afrikanischen Wurzeln wurden in den USA Verhaltensweisen und Denkmuster zugeschrieben, die vom angloamerikanischen Selbstverständnis abwichen und als minderwertig galten. Daher lauerte für Williams eine Falle: nämlich die, einen Charakter zu spielen, der ihm aufgrund seiner afrikanischen Wurzeln ohnehin unterstellt wurde, den des naiven und instinktgesteuerten Jim Crow. So ist es geradezu essenziell für Williams, immer wieder darauf hinzuweisen, dass er auf der Bühne keinem Instinkt folgte: I [Bert Williams] try to portray the darkey, the shiftless darkey, to the fullest extent, his fun, his philosophy. … There is nothing about the fellow I work that I don’t know. I have studied him, his joys and sorrows. […] I must study his movements – I have to, he’s not in me – the way he walks, the way he crosses his legs, the way he leans up against a wall, one foot forward. I must imagine an idea and find out the way it would strike him, what he would do and think about it at any particular moment […] and imagine how to ›put it over‹ to the audience. It’s in a monkey to make people ›feel funny‹ because he’s born that way, but it’s not in me. To make people laugh I have to work it out carefully. (zit. n. B. 1916: 19)

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Die Arbeit an seiner Bühnenpersona beschreibt Williams an anderer Stelle so: »I do not believe there is any such thing as innate humor. It has to be developed by hard work and study, just as every other human quality« (Williams 1918). Der Gefahr, Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen vorzuführen, war jedoch nicht allein durch die Distanz zur Bühnenpersona zu entgehen. Dazu bedurfte es Fingerspitzengefühl und der Fähigkeit, zu überzeichnen ohne abzuwerten. A black actor could not be thoroughly respected by the black community if he triumphed onstage by trampling on the deeply-held values of that community. For this reason, Williams had to practice restraint, refraining from »burlesquing the race« in denigrating representations. Although, as previously mentioned, Williams received criticism for leaving black musical theatre, he did continue to gain respect as one who, in the words of Lester Walton, »never degrades his race in his work. He makes Negro mannerisms a telling feature«. (Forbes 2004: 610)

Forbes suggeriert mit ihrer – durchaus wichtigen und im Kern treffenden –­Unterscheidung zwischen Offstage- und Onstage-Person allerdings eine Ausschließlichkeit, die sich bei genauerer Betrachtung nicht aufrecht erhalten lässt. Williams ist auf der Bühne, also onstage, sowohl der Darkey als auch sein intellektueller Schöpfer. Auf den Aufnahmen, die von ihm erhaltenen sind, lassen sich in seinem Vokalstil Hinweise auf die Brechung der tumben Songpersona finden. Williams kreiert seine Bühnenpersonae durch gesprochene Kommentare und eine langsame, ja träge Phrasierung. Jedoch schafft er es, durch Wortwitz, eine gehobene Aussprache und ein überdeutliches Timing der Konsonanten seine Figur aufzubrechen und deren intellektuellen Schöpfer – Williams’ Starimage – durch diese Brechungen hervorscheinen zu lassen (Hähnel 2014). Wie ihm dies im Einzelnen gelang, zeigen die nachfolgenden Blicke auf die Veränderungen in seinem Signature-Song »Nobody«, die er 1913 an seiner 1906er Fassung vornahm. Aber auch die Artikulation und der Wortwitz in »Moonshine« (1919) sowie das komplexe Rollenspiel in »Barbershop Chord« (1910) lassen Williams’ Doppelstrategie erkennen. Williams sang seinen Song »Nobody« bereits in San Francisco (Forbes 2004). Interessant sind daher die Wandlungen und Entwicklungen, die sich zu Beginn seiner Solokarriere in seinem Gesang vollzogen haben. In beiden Fassungen zeigt er sich – wie auch in den meisten seiner anderen Songs – weniger als Sänger denn als Komiker. Seine Intonation ist instabil,

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seine Stimme häufig brüchig und rau. In der Fassung von 1906 rutscht er bisweilen stimmbruchartig ins Falsett (1:24; 2:41, siehe Abbildung 4.1). Sein Stimmklang ist nasal, wobei dieser Höreindruck auch mit der Qualität der Aufnahme zusammenhängen kann, da das aufgezeichnete Frequenzspektrum stark eingeschränkt ist. Williams’ Stimme ist sehr sprechnah, gesanglich am ehesten im Refrain. Abbildung 4.1 zeigt, dass der letzte Takt rhythmisch komplex ist und lange Textsilben nicht auf schwere Zählzeiten fallen. Statt »I’ll ne-ver do no- thing for no-bo-dy« verschiebt Williams die Betonung auf »I’ll ne-ver do not-hing for no-bo-dy«, wobei er »bo[-dy]« auf die letzte Achtel des Taktes platziert. Williams betont Silben, die eigentlich unbetont sein sollten, was ein typisches Stilmittel für den Sänger, aber auch für den Jazz und für die Ausdeutung komischer Texte ist. Humorvoll ist an dieser Stelle auch die dreifache Verneinung. Während die doppelte Verneinung als sprachlicher Code zur Kennzeichnung von Unterschichts- und afroamerikanischen Stereotypen verwendet wird, nimmt Williams dieses Stereotyp auf und übersteigert es. Während die Aufführungsperson, der Darkey, das Klischee also übererfüllt, verrät Williams durch seine Übertreibung, dass er sich der sprachlichen Mittel bewusst ist. Damit zeigt er, dass er als Darsteller des Darkey nicht den stereotypen Vorstellungen entspricht, sondern über ihnen steht. In »Nobody« karikiert Williams einen Afroamerikaner, der niemandem einen Gefallen tut, weil er selbst nie Hilfe erfahren hat. Im Verlaufe der Strophen schildert er verschiedene Begebenheiten, in denen sich der Darkey Hilfe erhofft hätte: als er traurig war und litt (erste Strophe), als ihm im Winter kalt war und er hungerte (zweite Strophe), und als er in einem Eisenbahnwrack klemmte (dritte Strophe 1906 beziehungsweise vierte Strophe 1913). Bis dahin lassen sich die Strophen auf zweierlei Art interpretieren: Einerseits kommen die fehlende Hilfsbereitschaft und die Faulheit der Songpersona nicht aus ihrer Natur, sondern sind die Folge der Umstände. Andererseits lässt der Text genug Spielraum, die Ursachen lediglich als vermeintliche zu lesen, da Williams offen lässt, ob die Songpersona wirklich Hilfe nötig hat. Die Versionen von 1906 und 1913 unterscheiden sich jedoch textlich in einer Strophe. Abgesehen von der veränderten Reihenfolge der Strophen singt Williams 1906: »One time when things was lookin’ bright / I started to whittle on a stick one night / Who cried out, ›Stop now, that’s dynamite‹? / Not a soul!«; dagegen 1913: »When summer comes all cool and clear / And my friend’s seeing me drawing near / Who says, ah, ›Come in, have some beer‹ / Hmm, Nobody!«. ­Williams nutzt

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Abbildung 4.1: Bert Williams, »Nobody« (1906). Oben: Melodie des Refrains, den Williams im Verlauf leicht variiert. Unten: Spektrogramm der Schlusszeile des ersten Refrains mit Sprung ins Falsett auf »l« (1:24,5). Der Falsettsprung ist als kleiner Tonhöhenschritt sichtbar. Jedoch verrät der Abstand der Obertöne (der Abstand der dunkleren horizontalen Linien) den Oktavsprung, da die Obertöne für die Dauer des Oktavsprungs doppelt so weit auseinander liegen. Durch die mechanische Aufnahmetechnik ist nur ein Frequenzbereich von ungefähr 250–2500 Hz (angedeutet durch die gestrichelten Linien) erhalten. Damit konnte der wirkliche Grundton einer Sprechstimmlage nicht aufgezeichnet werden (dieser wird vom Gehör rekonstruiert), jedoch liegen die Vokalformanten der menschlichen Stimme in diesem Bereich, sodass der gesprochene oder gesungene Text verständlich wird. 

4

    44        I

  

ai't e ver de  thi' t

       

1.

     

oh 1

I 2



b dy

2.

          

b dy 

tie

                          

 

S u ti I get se thi' fr se b dy se tie

ne-ver do no thing 3

for no4

I'

3

e ver d  thi' fr  b dy

bo- dy

no 2

1

 tie

time 3

4

4000 Frequenz in Hz

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2000 1000 500 250 100 1:22

1:23

1:24

1:25

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1:27

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1:29

1:30

Zeit in Minuten

die Gelegenheit der Neufassung, die offensichtlich schwächste Strophe der 1906er-Fassung, die eher an Nonsense-Slapstick erinnert und sich von den realistischeren Situationen in den übrigen Strophen unterscheidet, auszutauschen. Allerdings entspricht die neue Strophe eher dem Stereotyp des faulen Schwarzen als dem eines Afroamerikaners, der durch Vernachlässigung resigniert. Die 1913er Version könnte durchaus Williams’ stärkere Hinwendung zum euroamerikanischen Follies-Publikum widerspiegeln. Dennoch finden sich für beide Seiten – die euro- und afroamerikanische – genug Anhaltspunkte, um ihren jeweiligen Standpunkt wiederzufinden und zu festigen.

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Das wohl auffälligste Mittel des vokalen Ausdrucks ist das Glissando am Anfang jedes Zweitaktsegments im Refrain. Williams imitiert ein ­vo­r­aus­gehendes Glissando der Posaune. In der Version von 1906 handelt es sich jeweils um ein Glissando von f zu a. In der Version von 1913 jedoch ändern sich die Glissandi deutlich. Williams tritt hier in einen Dialog beziehungsweise einen Imitationswettbewerb mit der Posaune ein. Abbildung 4.2 zeigt vier verschiedene Glissandi der Posaune, die Williams imitiert. Zu Beginn des ersten Refrains (bei 0:51) handelt es sich um zwei Aufwärtsglissandi statt um eines. Williams ›gähnt‹ auf dem Glissando den Vokal mit weit geöffnetem Mund. Das Gähnen behält er auch bei den nachfolgenden Glissandi bei. Selbst vor einem anscheinend missratenen Posauneneinsatz (bei 2:26) schreckt Williams nicht zurück, steigert durch seine Imitation die Komik weiter und erhöht durch seine Clownerie die Distanz zur Songpersona. In Williams’ »The Moon Shines on the Moonshine« (1919) beschreibt die Song- und Aufführungspersona über vier Strophen (je zwei Doppelstrophen) das Bild einer verlassenen Gegend, in der die verbliebenen Bewohner illegal Schnaps brennen (»Moonshine« ist illegal hergestellter Alkohol). Auch hier zeigt Williams auf mehreren Ebenen, dass der Darkey von seiner Starpersona gespielt wird. Dazu bedient er sich des Wortwitzes – der freilich im Text von Francis DeWitt bereits angelegt ist – und einer gehobenen, klaren Aussprache. Williams verleiht zunächst der in Moll gehaltenen Harmonik mit Wortspielen eine Komik, die durch Fagotteinwürfe und kommentierende Streicherglissandi unterstützt wird. »And the good, old-fashioned Musty / Doesn’t musty anymore […] And how the cob-webs cob, / In the old machinery. […] Oh how the moon shines on / The moonshine, so merrily!«. Selbst der alte Mief ›mieft‹ nicht mehr, die Spinnen weben Spinnweben und es bleibt nur noch der Mond, der auf den Mondschein scheint beziehungsweise auf den »Moonshine«, den selbstgebrannten Schnaps. Der »Moonshine« ist das einzige, was den Einwohnern in der Gegend an Sehenswertem bleibt. An dieser Stelle moduliert das Orchester in die parallele Dur-Tonart. Williams stellt den Text in den Vordergrund, was er durch ein langsames Singtempo, vor allem eine Dehnung von Konsonanten und Diphthongen, das Einfügen deutlicher Pausen und eine kurze Artikulation der Vokale zugunsten der Konsonanten erreicht (Hähnel 2014). Darüber hinaus deutet er den Text mit vokalen Gestaltungsmitteln aus, die die Textaussage verdoppeln, was ebenfalls der Verständlichkeit zugutekommt. Insgesamt behält Williams’ S­ ongpersona die

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Abbildung 4.2: Bert Williams, »Nobody« (1913). Vier Imitationen des sich variierenden Posaunenglissandos. Williams folgt – jeweils ab der gepunkteten vertikalen Linie in der Mitte des dargestellten Zeitabschnitts – der Bewegung der Posaune in Ambitus und Kontur. Selbst bei einem eher nach einem Verspieler klingenden Einsatz imitiert Williams die Stelle mit den Silben »ta-ta-ta-taaah«, wobei er das »aah« sehr rau vorträgt. Aufnahme und Speicherung von 1913 wurden noch rein mechanisch vorgenommen, jedoch ist das abgebildete Frequenzspektrum im Vergleich zur 1906er-Fassung größer. Zwischen den abgebildeten Frequenzen (ca. 150–3 000 Hz, gekennzeichnet durch die gestrichelten Linien) werden auch die Grundfrequenzen ab d abgebildet. Auch oberhalb der Vokalformanten liegende Frequenzen, die für die Wahrnehmung von Konsonanten wichtig sind und zur stimmlichen Individualität beitragen, sind besser erkennbar. Beginn von Williams’ Imitation

Beginn von Williams’ Imitation

Frequenz in Hz

4000 2000 1000 500 250 100 0:50

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Zeit in Minuten

Zeit in Minuten Beginn von Williams’ Imitation

Beginn von Williams’ Imitation

4000 Frequenz in Hz

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2000 1000 500 250 100 2:08

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Zeit in Minuten

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2:27

Zeit in Minuten

Position eines Erzählers bei. Diese Distanz erleichtert ihm ebenfalls, seine wohlartikulierende und intellektuelle Starpersona ins Spiel zu bringen. Deutlicher noch wird Williams’ ausgefeiltes Spiel mit Song- und Bühnenpersonae in »Play That Barbershop Chord« (1910), einem Song, den Williams als erster aufnahm (Abbott 1992). Der Protagonist ist auch hier ein Erzähler, der zu Beginn die Situation schildert: »T’was in a / Great big rathskeller, / Where a swell colored fellow / By the name of Bill Jefferson Lord / Played the piano while he sang a song […] ’Til a kinky-haired lady /

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

They called Chocolate Sadie / Heard him playing that barbershop chord«. Die Verortung in einen Rathskeller verweist auf das damals pulsierende Klein-Deutschland, auf dessen Bedeutung im nachfolgenden Abschnitt eingegangen wird. Der offensichtlich afroamerikanische Musiker und sein Fan, eine Afroamerikanerin, bilden die Akteure des Textes. Sadie ist fasziniert von Jefferson’s Barbershop Chord. Natürlich gibt es keinen »Barbershop Chord«, der ähnlich klar definiert wäre wie etwa der TristanAkkord. Der geradezu mystische Akkord verweist vielmehr auf eine wenig belegbare Praxis der Barbershop-Quartette (oder -Trios), deren mehrstimmiger Gesang aus Gruppenimprovisationen heraus entstanden sein soll. Vor allem in den Südstaaten der USA trafen sich Quartette in öffentlichen oder halböffentlichen Räumen – wie sie Friseurläden, also Barbershops, stellvertretend bezeichnen – und sangen (siehe auch S. 431 f.). Es wird angenommen, dass im Wesentlichen eine enge Stimmführung angestrebt und häufig parallele Terzen gesungen wurden, aber auch Quinten und Quarten vorkamen. Durch die Improvisation wurde aber auch nach ­neuen interessanten Wendungen gesucht, die, wenn sie auftraten, wiederholt und gefestigt wurden. Gerade bei Sängern, die keine Notenkenntnisse besaßen, bestand die Gefahr, dass eine aus der Gruppenimprovisation geborene Wendung, die als besonders gelungen empfunden wurde, nicht mehr reproduzierbar war (Abbott 1992). [A]ll quartettes sang their own self-made harmonies, with their oft-recu­r­ ring ›minors‹, diminished sevenths and other embellishments. This barber shop harmony, although pleasing to the average ear, and not altogether displeasing to the cultivated ear, is nothing more or less than a musical slang. It violates – at times ruthlessly – the exacting rules and properties of music. (Tom the Taddler, in Freeman, 8. Dezember 1900, zit. n. Abbott 1992: 308)

Da insbesondere Mollakkorde, Septakkorde und verminderte Akkorde bevorzugt werden, ist die Zeile »when you start the minor part« in der Tat die entscheidende Stelle. Dort sind Barbershop-Akkorde zu erwarten. Die häufige Betonung der ersten Zählzeit ist eine formale Besonderheit der Komposition. Williams hebt dieses Merkmal hervor, indem er deutliche Akzente setzt und Worte zum Teil sehr lang aushält. Abbildung 4.3 zeigt, wie Williams diesen Effekt noch steigert: Durch Verkürzen des Auftaktes zieht er die erste Note in die Länge. Die zitierte Stelle ist eine Art Wendepunkt von der Einleitung hin zur eigentlichen Story, in der die Protagonistin die Bühne betritt und im Refrain in erster Person spricht. Williams

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Abbildung 4.3: Bert Williams, »Play That Barbershop Chord« (1910). Ausschnitt aus der Vorlage (links) und Williams’ Interpretation (rechts). Williams greift das in der Komposition bereits angelegte lange Aushalten der ersten Note (fünf Achtel) auf.  Vrage

 44              8

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agiert an dieser Stelle sowohl als Erzähler als auch als Protagonistin, indem er die gesungene Erzählung in der ersten Person durch gesprochene Zwischenrufe der Protagonistin unterbricht. Die Person, um die es geht, stört also ihr eigenes Lied. Tabelle 4.1 zeigt eine für diesen Effekt wich­ tige Anlage, nämlich die Betonung der ersten Taktsilbe durch eine längere Tondauer: Im ersten Refrain füllen die Worte »Lord« und »chord« einen ganzen Takt, in dem Williams den Vokal /o/ jeweils sehr lang aushält. Auf diesen langen Vokalen singt Williams Glissandi. Auf »chord« ahmt er mit einem Abwärtsglissando über eine Quarte das ›Quengeln‹ der Protagonistin nach. Die lange Tondauer wirkt umso deutlicher, da sie Williams zu den vorausgehenden kurzen Notenwerten der Auftaktsilben kontrastiert, die er im Staccato verkürzt, wenn er aus »Mister Jefferson« ein »Mist’ Jeff’son« macht. In der ihm üblichen Manier singt Williams aber strenggenommen kein wirkliches Staccato: Er verkürzt zwar die Vokale, lässt aber die Konsonanten /s/, /f/, und /n/ die verbleibende Zeit füllen. Im zweiten Refrain steigert Williams die Quengelei, indem er der Protagonistin hektische Zwischenrufe in den Mund legt. Diese platziert er genau in den Takten, die für »Lord« und »chord« reserviert sind. Dabei schafft er es, ein Abwärtsglissando auf »chord« zu singen und aus diesem unmittelbar den Zwischenruf »Just as favour!« anzusetzen, sodass der Hörer durchaus den Eindruck bekommen könnte, dass Williams über seinen Gesang hinweg spricht. Diese Art des Unterbrechens verwendet auch Al Jolson, auf dessen Vokalstil im weiteren Verlauf noch näher eingegangen wird, in »That Lovin’ Traumerei«. Zusammenfassend lässt sich der Vokalstil von Bert Williams folgendermaßen charakterisieren: Williams spricht in der Regel mehr als dass er singt. Er spricht zumeist langsam und deutlich, wobei er die Konsonanten dehnt und Vokale verkürzt. Das langsame Deklamieren übertreibt er, bis es zum Kennzeichen seines Charakters unabhängig vom jeweiligen Songtext wird. Damit betont Williams seine wohlüberlegte Wortwahl. Mit Wortwitz, präziser Artikulation, langsamem Vortrag und politisch

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Tabelle 4.1: Bert Williams, »Play That Barbershop Chord« (1910). Text der beiden Refrains, aufgeteilt in zehn Zeilen von jeweils zwei Takten Länge. Der Refrain gliedert sich in zwei mal vier Zweitaktgruppen plus zwei weitere Zweitaktgruppen als Schlusskadenz. Mit den letzten beiden Zeilen wird zunächst der Beginn einer weiteren Folge von vier mal zwei Takten suggeriert, die jedoch abrupt in der letzten Zeile ihr Ende finden. So fallen ein retardierendes Moment und die überraschende Auf- und Erlösung unmittelbar zusammen. Williams dehnt viele einsilbige Worte über den ganzen Takt (fettgedruckt). Gesprochene Zwischen- bzw. Ausrufe sind durch Majuskeln hervorgehoben. Unterschiede zwischen dem ersten und zweiten Refrain sind in eckigen Klammern gesetzt, so dass [ erster Refrain / zweiter Refrain ] verdeutlicht sind. Williams unterbricht vor allem im zweiten Refrain die ursprünglich lang ausgehaltenen Töne mit Zwischenrufen. Zweitaktgruppe erster Takt 0

zweiter Takt (meist Auftakt) Mister Jefferson

1

Lord, [ – / OH PLEASE DO! ]

play that barbershop

2

chord, [ – / JUST AS FAVOUR! ]

it’s got that soothing

3

harmony,

it makes an aw-

4

full, awfull, aw-

full hit with me! Play that

5

strain, [ – / OH, WON’T YOU, PLEASE! ]

[ Aw / Mister ], please play it a-

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gain,

cause Mister,

7

when you start the

minor part I

8

feel your fingers trilling and a-

slipping ’round my heart, oh, Mister

9

Lord, [ THAT’S IT / OH SIR! ]

that’s the barbershop

10

chord! [ – / OH, THAT’S IT! HA! ]

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korrekten bis mehrdeutigen Witzen bringt er auch auf der Bühne sein intellektuelles Offstage-Image zum Ausdruck.

E xkurs : jüdische I mmigr anten in K lein -D eutschl and Die professionelle New Yorker Unterhaltungsbranche war nach 1900 in erster Linie durch Immigrantinnen und Immigranten geprägt. Das deutschsprachige Viertel New Yorks war dabei vor allem für die Infrastruktur des Showgeschäfts von Bedeutung. Die aus deutschsprachigen Ländern immigrierten Menschen prägten am Ende des 19. Jahrhunderts das Stadtbild des heutigen East Village und der Lower East Side, in dem eine Reihe deutschsprachiger Theater und Unterhaltungsbetriebe entstanden. Für dieses Viertel etablierte sich – verallgemeinernd auf die Gemeinschaft aller deutschsprachigen Migrantinnen und Migranten aus Europa bezogen – der Name »Klein-Deutschland«. The use of »Klein Deutschland« in the later nineteenth century to refer to the German American community in New York City is somewhat ironic since at that time New York was the third-largest German city (after Berlin and Vienna). […] The term »German« applies to German-speaking immigrants in the United States, or their American descendants. (Koegel 2009: 2)

In Teilen der New Yorker Bowery hörte man mehr Deutsch als Englisch, es gab Turnvereine, Liederkränze, Biergärten, Opernhäuser und Theater, in denen Operetten und Possen gegeben wurden. Zu den großen Theatern zählten das Thalia Theater, das Amberg Theater und das Irving ­Place Thea­ter. Neben den Theatern prägten vor allem die neu entstehenden Cabarets, Roof Gardens und Lobster Palaces das New Yorker Nachtleben, aber auch die zahlreichen Rathskeller, in denen kleine Shows geboten  wurden­. Natürlich waren deutschsprachige Theater nicht die einzigen nichtenglischen Theater, aber sie zählten zu den aktivsten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem durch den Imagewandel Deutschlands im Zuge des Ersten Weltkrieges, schwand die Bedeutung von Klein-Deutschland.

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts Chinese, French, Italian, Yiddish, Spanish, Cuban, and other ethnic theaters flourished at different times in New York City as they did elsewhere in the country. Among these other, non-German traditions, the Yiddish immigrant stage experienced the most substantial activity in New York. It supplanted its German cousin over time, and as German companies vacated their premises, Yiddish troupes moved in. (Koegl 2006: 268)

Zwischen 1880 und 1914 wuchs die Zahl der jüdischen Einwanderer und Einwanderinnen um das Zehnfache auf zweieinhalb Millionen an. Die meisten von ihnen siedelten sich an der Lower East Side Manhattans an und führten das Yiddish Theater in New York ein. Yiddish Theater entstand um 1870 in Russland. Es verband zeitgenössische Musik mit einer zusammenhängenden Handlung und wurde von Beginn an professionell betrieben. Infolge der Repressionen unter Alexander III. flohen ab den 1880er Jahren viele Akteure des Yiddish Theater nach London und emi­grierten von dort aus in die USA. Unter ihnen waren auch der dem ernsteren und klassischen Theater nahestehende Jacob Adler und der eher unterhaltungsorientierte Boris Thomashefsky. Gerade die zusammenhängende Handlung, die Yiddish Theater vom Vaudeville unterscheidet, macht Yiddish Theater für die Vorgeschichte des Musical bedeutsam. In New York erfüllte das Yiddish Theater neben der Synagoge und der Loge eine zentrale soziale Rolle. Vor allem Thomashefskys populäre Ausrichtung des Theaters wurde ein Erfolg unter der wachsenden Zahl jüdischer Flüchtlinge. Im Stadtteil Bowery entstanden viele Theater mit 2 000 und mehr Sitzplätzen, sodass das Areal nach der Jahrhundert­wende auch als »Yiddish Broadway« bezeichnet wurde (Lane 2011: 20 ff.). Das Bedürfnis nach Theater war immens; wöchentlich wurden neue Stücke an verschiedenen Spielstätten auf die Bühne gebracht. Die Blütezeit des ­Yiddish Theater reichte bis zum Ersten Weltkrieg. Zu dieser Zeit hatte sich der Broadway als Zentrum der Shows und Revuen etabliert und zog die Akteure des einstigen Yiddish Theater an. Die erste Generation der Immigrantinnen und Immigranten sprach oftmals kein oder nur unzureichend Englisch. Wenige Schauspieler und Schauspielerinnen schafften es, wie Jacob Adler oder Berta Kalish am Broadway und im Yiddish Theater gleichermaßen zu Stars zu werden. Für die zweite Generation, die mit dem Yiddish Theater in den USA aufwuchs, gab es keine Sprachbarriere mehr. Ihnen stand der Weg zu den nummernreichen Shows der Vaudeville- und Revuetheater am Broadway offen.

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Tilo Hähnel Between seven and fifteen acts might perform on a given night, including jugglers, acrobats, song and dance teams, musicians, solo singers comedy teams, novelty acts, and even the occasional animal act. […] For the second generation of Jewish immigrants, vaudeville offered an opportunity to assimilate into the mainstream. […] It [vaudeville] was the ideal place in which to sing and/or perform comedy, and both music and humor were (and remain) staples of Jewish life and Jewish culture. (Lane 2011: 31)

Da die Bühnenfiguren im Vaudeville üblicherweise überzeichnete Stereotype waren, wurde Selbstironie für die meisten Juden zur Eintrittskarte ins Showgeschäft. Fanny Brice (geb. Fania Borach), Molly Picon (Margaret Pyekoon), Norah Bayes (geb. Lenora Goldberg), Eddie Cantor (geb. Israel Iskowitz), Al Jolson (geb. Asa Yoelson) und viele andere Broadway-Stars waren Kinder jüdischer Immigranten. Während diese ihre Herkunft nicht verbargen, verheimlichten andere, wie die Marx Brothers, ihre jüdische Abstammung. Kinder jüdischer Einwanderer waren auch die Theaterbesitzer Shubert sowie eine Reihe von Komponisten und Textern für Revuen und Tin-Pan-Alley-Songs, wie Oscar Hammerstein, Irving Berlin, Jerome Kern, George und Ira Gershwin, Richard Rodgers, George S. Kaufman, Moss Hart oder Oscar Hammerstein II, Neffe des Theaterbesitzers Oscar Hammerstein I und Cousin von Arthur Hammerstein. Diese Genera­tion war vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Yiddish Theater aufgewachsen und hielt zum Teil auch später noch Kontakt. So lernte Molly Picon Yiddish, um neben ihrer Vaudeville-Karriere auch am Yiddish Theater spielen zu können (Lane 2011: 27 ff.). Andere, wie Sophie Tucker, verweigerten sich dem Angebot, im Yiddish Theater Fuß zu fassen, und richteten ihre Karrieren voll und ganz auf das US-amerikanische Publikum aus.

»S ome of These Days « und »My Yiddishe M omme «– S ophie Tucker Sophie Tucker (1884–1966) betont in ihrer Autobiografie – ganz im Sinne des Ideals einer amerikanischen Self-Made-(Wo-)Man – dass ihr Erfolg im Showgeschäft hauptsächlich das Verdienst langer und harter Arbeit war. Auch wenn aus der Idealvorstellung des Selfmademan nicht der Schluss gezogen werden kann, harte Arbeit sei ein Garant für Erfolg, so ist ­Tucker durchaus ein Beispiel für eine Karriere, die ohne Selbstausbeutung kaum vorstellbar wäre. Geboren auf der Flucht aus Osteuropa, kam Sophie

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Tucker im Alter von drei Jahren in die USA, zog 1906 nach New York und arbeitete seit ihrer Jugend an ihrer Karriere in der Unterhaltungsindus­ trie. Da ihre Körpermaße nicht den Idealvorstellungen von einer schlanken Schönheit entsprachen, witterte Tucker ihre Chance in der Komödie. Mit ihrem osteuropäischen Hintergrund vermarktete sie sich als Red Hot Mama. Im Vaudeville-Geschäft New Yorks waren mehrere Auftritte am Tag – bis zu 20 (Tucker 1945: 38) ­– durchaus üblich. Tuckers Engagements begannen in der Regel am Nachmittag mit mehreren Blackface-Auftritten und gingen bis spät in die Nacht hinein, in der sie ebenfalls mehrfach als Red Hot Mama auf der Bühne stand (Rogin 1992: 446) und mit provokant-komischen Bühnenauftritten das Publikum verwirrte und ­begeisterte­. [S]haking and wiggling motions were already appearing in white enter­ tain­ers’ stage acts, concurrent with the popularity of the animal dances on American dance floors. For example, in the early 1910s Sophie Tucker was shocking audiences with her wiggling performance of a song called the »Angle-Worm Wiggle«. (Bryant 2002: 169)

Dabei nahm sie scheinbar jedes Angebot an, das ihrer Karriere dienlich schien. Das Yiddish Theater zählte jedoch nicht dazu. Alone in New York in 1906, she found work in rathskellers […] where she appeared in blackface and experienced the rigors of the road. Earning good notice, she soon advanced to vaudeville. […] Yet she [Sophie Tucker] rejected an offer by Jacob Adler and Boris Thomashefsky to go onto the Yiddish stage. In her mind, the ethnic theatre remained too close to home and was too much associated with failure and drudgery. (Erenberg 1984: 190)

Tuckers Vokalstil fällt durch das häufige Überschlagen der Stimme und ein schnelles Vibrato sowie durch ihren sprechnahen Stimmklang und ihre von Offbeats gekennzeichnete Rhythmisierung des Songtextes auf. Ihre kräftige Stimme, gepaart mit ihrem kräftigen Körperbau, veran­lasste Ian Whitcomb, Tucker als eine der »Bull voiced matrons« (Whitcomb 1972: 98) zu kennzeichnen. Vor allem durch zwei Titel ist sie in die Geschichte der populären Musik eingegangen: durch ihren Signature-Song »Some of These Days« und ihre Adaption des jüdischen Liedes »My Yiddi­ she Momme«. »Some of These Days« gestaltet Tucker sehr frei und ändert den Text von Aufnahme zu Aufnahme. Charakteristisch ist ihr gezielt eingesetztes

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Abbildung 4.4: Sophie Tucker, »Some of These Days« (1910). ��

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Zeit in Minuten

Wegbrechen der Stimme. Bei näherer Betrachtung ihrer Aufnahme von 1910 (Abbildung 4.4) fällt auf, dass sich ihre Stimme präzise auf metrischen Positionen nach oben überschlägt. Das heißt, dass Tucker das Wegbrechen zur Rhythmisierung einsetzt. Der scharfe Stimmeinsatz kontrastiert die Melodie und mutet geradezu perkussiv an. In den Einspielungen von 1927 und 1928 spricht Tucker die komplette Strophe, während die Musik ihren Vortrag untermalt. Tucker zeigt in den Aufnahmen eine Bühnensprache mit lauten und deutlich artikulierten Konsonanten. Auffällig anders ist ihre Fassung von 1937. Der Titel ist auf den Refrain reduziert, Schreien und Überschlagen nutzt sie nur sehr selten; stattdessen orientiert sich Tucker an den damals noch populären Croonern (siehe Kapitel 6) und singt mit zurückgenommener Stimme. Besonders häufig setzt sie das gezielte Wegbrechen der Stimme am Toneinsatz im klageartigen »My Yiddishe Momme« (1928) ein. Abbildung 4.7 zeigt eine Passage, die neben einem permanenten schnellen Vibrato vor allem durch brüchige Silben auffällt. Gerade in Kombination mit dem Abwärtsglissando wirkt das schnelle Vibrato – nicht selten mit einer Frequenz von über 8 Hz – wehleidig. Die brüchige Vortragsweise, gepaart mit dem geradezu jammernden Abwärtsgleiten, und der Gebrauch einzelner Wechselnoten sind nicht nur typisch für Tuckers Vokalstil. Ein solch klagender Stil verweist auch auf jüdische Gesangstraditionen,1 was ein Vergleich ihres vokalen Ausdrucks mit dem des jüdischen Cantors Josef Rosenblatt in seiner Aufnahme von »A Yiddishe Mame« (1925) zeigt: Das Wegbrechen und Überschlagen der Stimme ist als »Krekhts« wichtiger Bestandteil der jüdischen vokal- und Instrumentalmusik und ausführlich in Lensch (2010: 69 ff.) beschrieben. Für den Hinweis auf den Krekhts danke ich Claudia Miloschewski.

1

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Abbildung 4.5: Sophie Tucker, »That Lovin’ Rag« (1910). Auch wenn Offbeats in der populären Musik um 1910 als Synkopen bezeichnet wurden, handelt es sich nicht im strengen Sinne um Synkopen, da sich weder das notierte noch das gespielte Metrum verschiebt, sondern unverändert weiterläuft. In der Folge­ |♪♩ ♩ ♩♪|♪♩ ♩ ♩♪| würden bei einer ›echten‹ Synkope die Viertelnoten sowie die letzte Achtel des Taktes betont. Für eine komplette Verrückung des Metrums müsste sich die Verschiebung auch in der Begleitung fortsetzen. In der populären Musik um 1910 jedoch erfährt beim »Syncopating« die erste Note des Taktes eine Betonung. Zudem würde die Begleitung weiterhin die Zählzeiten hervorkehren. Derek B. Scott (2008: 149 f.) hat auf diesen Unterschied verwiesen, ohne den Begriff »Syncopating« zu verwenden. Jedoch ist die Bezeichnung »Offbeat« hier eindeutiger, da trotz der Platzierung von Tönen zwischen den Zählzeiten der Höreindruck des Metrums, also der Beats und Zählzeiten, nicht verschoben wird.  Vrage

         

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Auch Rosenblatt singt mit schnellem Vibrato und lässt seine Stimme häufig wegbrechen, sogar noch häufiger als Tucker. Im Unterschied zu Tucker sind Rosenblatts Abwärtsglissandi jedoch vibratolos. In zahlreichen Songs weist Tuckers Gesang das Syncopating auf, welches für diejenige Unterhaltungsmusik der 1910er und 1920er Jahre typisch ist, die mit dem Begriff »Jazz« verknüpft wurde. Dabei handelt es sich strenggenommen um Offbeats, also um Töne, die auf metrisch jeweils leichteren Einheiten – meist zwischen die Zählzeiten – gesungen oder gespielt werden. Abbildung 4.5 zeigt Tuckers Verwendung von Offbeats bei ihrer rhythmischen Ausdeutung von »That Lovin’ Rag« (1910). Typisch ist die Betonung der ersten beiden Achtel mit dem Schwerpunkt auf den ersten, gefolgt von einer akzentuierten vierten oder sechsten Achtel. Abbildung 4.6 enthält zwei Tonhöhenkurven des »That Lovin’ Rag«, die neben der Offbeat-Gestaltung noch zwei weitere Auffälligkeiten von Tuckers Vokalstil deutlich machen: das zeitliche Dehnen von Worten, wie es auch schon in »Some of These Days« zu finden ist, sowie ihre Fähigkeit, sehr rufnah und beinahe gehetzt zu klingen. Indem Tucker die treibende Wirkung von Offbeats und rufähnliche Glissandi miteinander verbindet, wirkt es, als hetze sie dem Metrum hinterher. Der stark treibende Charakter ihrer schnellen Titel, in denen sie zwischen Sprechen, Rufen und Singen wechselt, weist Ähnlichkeiten mit dem Vokalstil Al Jolsons auf.

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Tilo Hähnel

Abbildung 4.6: Sophie Tucker, »That Lovin’ Rag« (1910). Oben: Während der Kadenz gleitet Tucker über die zweite Stufe zur dritten und dann zum Grundton. Im Gegensatz zu typischen Bluesmelodien, bei denen nach dem Aufwärtsglissando zur großen Terz der Grundton über einen Sprung ange­steuert wird, gleitet Tucker – ähnlich wie auch Bert Williams in seinem »Un­lucky Blues« (1920) – deutlich und langsam zurück. Unten: Tucker singt leicht vor dem Beat und endet auf Abwärtsvibrati. Alle Töne sind rufähnlich mit hohem subglottischem Druck gesungen und wirken durch das Abwärtsgleiten geradezu gekeucht. Auffällig sind auch die Offbeats. Das zwischen die Zähl­zeiten platzierte »Come on!« steigert den Eindruck des Gehetzt-Seins und damit des schnellen Tempos. �

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Zeit in Minuten

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1:06 Zeit in Minuten

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Abbildung 4.7: Sophie Tucker, »My Yiddishe Momme« (1928). Vokalstil ist von deutlichem Vibrato und einer brüchigen Stimme gekennzeichnet. Oben: Detailansicht aus der unteren Darstellung. ✶) Abwärtsglissando (rechtssteil) mit Vibrato; †) obere Wechselnote auf einem halben Vibratozyklus; ‡) Wegbrechen der Stimme; §) Abwärtsglissando ohne Vibrato. Vibrato ca. 7,5 Hz und +/- 40 Cent.

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts 97

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Tilo Hähnel

A l J olson Al Jolsons Starpersona steht an der Schnittstelle von Bühnenkultur (Broad­way) und Medienindustrie (Tonfilm, Mikrofonaufnahmen). 1886 im litauischen Srednik mit dem Namen Asa Yoelson als Sohn eines Rabbi geboren, zog er 1890 in die USA. Mit acht Jahren begann er (zusammen mit seinem Bruder) öffentlich zu singen. Jolson sang in Bars, Burlesque und Minstrel-Shows, bis ihn die Theaterproduzenten Sam, Jacob und Lee Shubert entdeckten und er 1911 in seiner ersten Broadway-Show im Winter Garden (La Belle Paree, Musik: Jerome Kern und Frank Tours, Regie: J. C. Huffman und William J. Wilson) auftrat (Pleasants 1974: 54 ff.). Jolson hält durch sein schnelles Sprechtempo und die generell hohe verbale Informationsdichte eine intensive Spannung aufrecht, sei es durch das ununterbrochene Ändern von Vokalklängen oder durch moderationsartige Einwürfe. Er lässt damit keinen Leerlauf zu, seine Song- und Bühnenpersonae sind meist stark überzeichnet. Wenn Jolson spricht, parodiert er einen Sprecher; wenn er singt, parodiert er einen Sänger. Vor allem parodiert er – auch mit Blackface ­– den Startenor, der in alter, also klassisch-europäischer Manier Opern- und Operettenarien von der ­Bühne schmettert. Ein typisches Beispiel seines ›Hochgeschwindigkeits‹-Vokalstils ist »California, Here I Come« (1924). Jolson sang diesen Song, der später als Instrumentaltitel in Cartoons von Warner Bros. Verwendung fand, zuerst 1921 im Shubert-Musical Bombo. Al Jolson nutzt das hohe Tempo und die Dichte des Stückes für eine gehetzt wirkende Interpretation, in der er kurzatmige Phrasen und viele Silben im Staccato singt. Außerdem platziert Jolson die Silben kaum auf der Eins, sondern ›hechelt‹ den Zählzeiten regelrecht hinterher (siehe Abbildung 4.8), indem er insbesondere nach schweren Zählzeiten, vor allem auf der zweiten Achtel des Taktes, seine Textzeilen beginnt. Dies ist zum einen ein deutlicher Unterschied zur vorgezogenen Eins, die auf die letzte Achtel des vorhergehenden Taktes gesetzt wird. Zum anderen unterscheidet Jolson sich damit von der üblichen Offbeat-Gestaltung mit der betonten Eins, wie sie Sophie Tucker, aber auch Bluessängerinnen wie Ma Rainey verwenden. Vor dem zweiten Refrain steigert sich das Tempo, um dann in ein auf halben Noten basierendes Metrum überzugehen. Dadurch wird der Eindruck des Gehetztseins und Nicht-Mehr-Könnens weitergetrieben. Jolson singt nun keuchend auf den schweren Zählzeiten. Typisch sind sein sprechnaher und sehr nasa-

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Abbildung 4.8: Al Jolson, »California, Here I Come« (1924). In der Transkription können die gesprochenen Tonhöhen nur ungefähr angedeutet werden. � = 160 8

Ca li

for nia

I've been blue,

since I've

been a

way from you.

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I can't wait

8

Ca li for nia,

till

I get blow ing,

e ven now

I'm star ting in a

call:

17

here I

come

right back where

I

start ed from,

ler Stimmklang sowie die gleichbleibend hohe Intensität seiner Stimme. Sein Vibrato ist schnell, jedoch nur auf langen Tönen oder langen, meist abwärts gerichteten Glissandi. In »California, Here I Come« verstärkt er damit den Eindruck von Erschöpfung und Gehetztsein, aber auch in anderen Songs ist das Abwärtsglissando mit Vibrato häufig. Jolson nutzt das Glissando nicht nur als musikalisches Mittel, sondern – sogar noch häufiger – als sprachliches Mittel zur Steigerung der Dramatik. Dadurch betont er Silben oder verdeutlicht das Ende gesprochener Sequenzen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist ein zweitaktiges Aufwärtsglissando über eine kleine Sexte auf »call« (Abbildung 4.8), mit dem Jolson zum Refrain überleitet. In diesem Fall handelt es sich um eine spannungerzeugende Lautäußerung eines Entertainers, der die Erwartungshaltung auf den Höhepunkt steigert. Diese Aufwärtsglissandi vor Abschnittsgrenzen finden sich in einigen seiner Songs (so auch am Ende des ersten Refrains in »My Mammy«, Abbildung 4.11). In »That Lovin’ Traumerei« karikiert Jolson den Stil eines Operntenors und dessen Verehrerin gleichermaßen. Auch wenn der Titel langsamer als »California, Here I Come« ist, besitzt Jolsons Interpretation eine hohe Informationsdichte. Er wechselt zwischen verschiedenen Sprecharten und Gesangsstilen, unterbricht aufgeregt seinen eigenen Gesang und singt mit schnellem Vibrato. Selbst bei der Aussprache der Vokale und Vokalverbindungen platziert er auf langen Tönen mehr Vokale, als eigentlich nötig sind. Inhaltlich ist der Song die euroamerikanische Variante von Williams’ »Play That Barbershop Chord«. Auch Jolson spielt, ähnlich wie Williams, einen weiblichen Fan, der sich von einem Pianisten ein Stück wünscht, hier die »Träumerei« aus den Kinderszenen von Robert Schumann. Der Refrain des Titels nimmt das Schumann’sche Charakterstück zum Vorbild und wandelt die Melodiestimme zur Vokalstimme um. Da

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Tilo Hähnel

Tabelle 4.2: Al Jolson, »That Lovin’ Traumerei« (1912). Songtext. Schriftschnitt: gesprochen, halb gesprochen, gesungen, Belcanto-Parodie. Moses Johnson played piano mighty swell, say

Music certainly makes me feel justa like a fool, he

He could play Il Travotore and William Tell

Honey, honey, honey, honey, honey, don’t you move again piano stool

But Moses had to rag to sweetest melody Ragin classic tunes was Moses’ specialty

You know, I’d like to see your fingers gliden on the keys

Moses loved a gal named Phoebe Snow Phoebe she was crazy 'bout his play-in so

please exam right in bar

She sit beside him waitin with her heart a pal-pi-ta-tin

go on, go on, would you, please?

While he startin syn-co-patin soft and low

Now Moses don’t you make your Phoebe plead in vain

Then she’s heave sighs at him, roll up dem eyes at him

Yes, be I’m crazy bout that loving strain

And she’s softly say

You know I heard some white folks saying that Carouso’s voice was swayin But I’d rather hear you playin that refrain Seems like I could float away, most every time you play me that Traumerei

Refrain:

Refrain:

Play that Traumerei for me

Play that Traume. . .

A lovin feelin comes a stealin with that melody

You’re doin it!, Your’re doin’ it! That all!

My lovin darlin honey I could love you till I die

Oh, listen to it! Listen to that ol’ lovly singing!

For when you’re a playin me that lovin Traumerei

A lovin feelin comes a stealin with that melody My lovin darlin honey I could love you till I die For when you’re a playin me that lovin Traumerei

die »Träumerei« eines der bekanntesten Klavierstücke des 19. Jahrhunderts ist, kann davon ausgegangen werden, dass die euroamerikanische Mittelschicht, die zu Jolsons Auftritten in das Winter Garden Theater ging, dieses Stück kannte. Jolson changiert zwischen dem Erzählen über die »Träumerei« und dem Singen der »Träumerei« selbst. Dabei kontrastiert er nicht nur Singen und Sprechen, sondern auch verschiedene Arten des Singens und Sprechens: parodierter Belcanto, moderationshafter Sprechgesang in den Strophen und karikierendes Darstellen der Protagonistin des Songtextes. Jolson arbeitet den Kontrast zwischen Singen und Sprechen durch verschiedene Mittel heraus: Für die Belcanto-Parodie verfärbt er Vokale und vor allem Diphthonge. So singt er »die« als [doi] statt /daɪ/. Jolson erweitert den Diphthong jedoch zum Triphthong und darüber hinaus. Abbildung 4.9 zeigt eine Zeile aus dem letzten Refrain, in dem er aus dem letzten /daɪ/ ein [doɔɐɜ], also eine ›Rundreise‹ durch das Vokaldreieck macht und die häufig zu beobachtende Vokalverfärbung beim klassisch-romantischen Gesang aufs Korn nimmt. Tabelle 4.2 verdeutlicht Jolsons Spiel mit dem Spannungsfeld zwischen Singen und Sprechen: Er beginnt in seiner Art

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Abbildung 4.9: Al Jolson, »That Lovin’ Traumerei« (1912).

Frequenz in Hz

my lovely darling honey I ma lɔ vli dɐ le hane ɔ-ɐ-ɜ-h

could love you coɐ la ʋi-u-ə

till I til a-ɪ

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3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 2:41

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2:47

2:48

Zeit in Minuten

des rhythmischen Gesangs, der eher Sprechgesang ist. Dadurch bleibt der Text inhaltlich verständlich und leitet zum Refrain über. Der erste Refrain ist mit starkem Vibrato gesungen. In der zweiten Strophe setzt Jolson zum eigentlichen clownesken Spiel an und karikiert die Protagonistin, die aufgeregte begeisterte Dame namens Phoebe. Voller Begeisterung unterbricht sie gerade dasjenige, was sie begeistert einfordert. Daraus entwickelt sich ein temporeiches Zwiegespräch – wobei eigentlich nur Phoebe spricht, der Pianist spielt. Auf den verschiedenen Ebenen entsteht dennoch ein Dialog zwischen Gesang und Sprache. Das Ganze kulminiert im zweiten Refrain: »Play that Traumerei« reißt mit dem hektischen Einwurf Phoebes ab. Statt das Stück aus den Kinderszenen jedoch zu karikieren, wird durch Jolsons Interpretation die Karikatur selbst zum Thema. »The Spaniard That Blighted My Life« (1913) ist eine Parodie auf Arien mit Lokalkolorit, in diesem Fall ein im 3/4-Takt gehaltener paso ­doble. Hier zeigt sich nochmals Jolsons Kunst der Übertreibung. Abgesehen von seiner Art, sich generell von der rhythmischen Vorlage zu entfernen und zusätzlichen Text hinzuzufügen, steigert sich Jolson in eine Kadenz hinein (siehe Abbildung 4.10), in der er das Wort »die« auf verschiedenen Ornamenten wiederholt und umspielt. Dabei verzerrt er – wieder – den Diphthong im Wort »die« von /aɪ/ zu [oɪ] und schleift zudem jeden Ton deutlich von unten an. Sein Vibrato und seine Ornamente gehen dabei ineinander über. Der wohl bekannteste Song Jolsons ist »My Mammy«, den er im ersten erfolgreichen Tonfilm in Spielfilmlänge The Jazz Singer (1927) sang. »My Ma­mmy« vereint typische Elemente von Jolsons Gesang: erstens das ›Jammern‹ in Form eines Abwärtsglissandos mit starkem Vibrato; zweitens ausdrucksvoll und schnell gesprochene Texte; drittens das weitest­gehende Vermeiden schwerer Zählzeiten und einfacher Rhythmen. Dadurch er-

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Abbildung 4.10: Al Jolson, »The Spaniard That Blighted My Life« (1913). Kadenz. 

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weckt er den Eindruck, vom Metrum losgelöst zu sein. Dennoch platziert er die Phraseneinsätze nicht beliebig oder frei. Abbildung 4.11 zeigt die beiden Refrains des Songs in einer Transkription. Jolson beginnt auf metrisch schwachen Positionen und vermeidet Töne auf schweren Zeiten. So kann er an anderer Stelle Kontraste schaffen, wie etwa in der marsch­ artigen Passage in den Takten 17–24. Viertens fügt Jolson zusätzlichen Text hinzu und redet sich selbst dazwischen. Jolson bringt in der Wiederholung des Refrains, wie es für ihn typisch ist, wesentlich mehr Silben unter und steigert das Sing- beziehungsweise Sprechtempo. An der Textstelle »I know where the sun shines best« würde man üblicherweise mit musikalischen Mitteln wie etwa Phrasengestaltung, Vibrato oder Timbre auf die gemeinte »Mammy« verweisen. Stattdessen wirft Jolson unmittelbar ein: »It’s on my mammy I’m talking about! Nobody else! My little mammy!« und gestaltet diesen Kommentar zusätzlich mit Ausdruckmitteln, die ­keine musikalischen, sondern sprachliche Mittel sind: eine hohe Laut­stärke und stark variierende Tonhöhe beziehungsweise übertriebene Prosodie. Jolson zeigt in »My Mammy« vor allem den Kontrast zwischen Singen und Sprechen. Sein Gesang ist langsam, während beim Sprechen die Silben schnell aufeinander folgen. Dieser Kontrast wird deutlich, wenn man sieht, dass er in Takt 9 des ersten Refrains allein das Wort »ma-my« singt, im zweiten Refrain an gleicher Stelle jedoch »It’s on my mammy I’m talking a (bout)« unterbringt. Auch in »My Mammy« ist Jolsons Stimmklang sehr nasal und sein Vibrato deutlich, während sein Sprechen gehetzt wirkt und er bisweilen mehr ruft als spricht. Auffällig ist auch das Ende des Songs, bei dem aus »mammy« »ma, mam-my« wird, mit Atempausen zwischen jeder Silbe, womit er das Wort »mammy« durch seine aufgeregte Überbetonung vollends zerreißt. Jolsons Vorliebe für die Figur des Startenors, wie etwa in »The ­Spaniard That Blightened My Life«, »Yes, We Have No Bananas« und »That Lovin’ Traumerei«, zielt auf ein europäisches Stereotyp: eine Figur aus der europäischen Gesellschaft, die zwar auch in den USA noch Kulturhoheit bean-

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Abbildung 4.11: Al Jolson, »My Mammy«. Transkription der Gesangsstimme beider Refrains. Während runde Notenköpfe gesungene Töne darstellen, bezeichnen gekreuzte Köpfe eher gesprochene Stellen. Sie werden mit sehr kurzen Vokalen vorgetragen und sind daher in der Tonhöhe nur annähernd fassbar. Bei gerufenen Silben ist eine Tonhöhendarstellung unmöglich, da es sich um nur kurze Töne handelt, die sehr instabile Tonhöhen aufweisen; sie werden mit diagonalen Notenköpfen angedeutet. 

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103

Tilo Hähnel

Abbildung 4.12: Al Jolson, »My Mammy«. Tonhöhendarstellung des Endes des ersten Refrains. 

  8





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Tonhöhe in Cent

104





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 miles

       

  

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1:00

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1:04

Zeit in Minuten

spruchte, die aber mehr und mehr hinterfragt wurde – gerade durch populäre Kultur und Musik. Dass Jolsons Ruhm zeitgleich mit der Ablösung der Operette durch die Musical Comedy und dem Siegeszug der populären Musik als genuine und emanzipierte amerikanische Kultur – wenigstens vom amerikanischen Selbstverständnis her betrachtet – zusammenfällt, scheint kein Zufall zu sein.

E thel Waters Ethel Waters war eine der berühmten Sängerinnen der 1920er Jahre und das Bindeglied zwischen der ersten Generation von Vaudeville- und Revue-Stars wie Bessie Smith und Ma Rainey und Jazz-Sängerinnen wie Lena Horne und Ella Fitzgerald. Ethel Waters wurde 1896 in Chester, Pennsylvania geboren und nahm ab 1921 Schallplatten auf. Anfangs als »Sweet Mama Stringbean« vermarktet, spielte Waters unter anderem mit Fletcher Henderson, James P. Johnson und Pearl Wright. Hauptsächlich war Waters als Sängerin in Revuen und Musicals berühmt. Später, nachdem sie sich von der Musicalbühne zurückzog, wirkte sie als Filmschauspielerin (Bogle 2011). Waters verfügt über ein breites Repertoire an vokalen Ausdrucksmitteln, die sie flexibel einsetzt. Sie singt gewöhnlich mit einer klaren Stimme und einem kurzen, aber intensiven Vibrato. Ihr Kennzeichen ist der Wechsel von Sprechen und Singen und der übersteigerte Einsatz von vokalen Gestaltungsmitteln, mit denen sie ihren Interpretationen immer auch Humor verleiht. Ihre Glissandi erstrecken sich über weite Intervalle und über große zeitliche Distanzen, wobei vor allem das Abwärtsglis-

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

sando oder die Kombination von Auf- und Abwärtsglissandi häufig sind. Bei Waters finden sich jedoch kaum Glissandi, die mit Vibrati versehen werden. Waters artikuliert Konsonanten langsam und deutlich, wobei ihr auch eine gewisse Breitenspannung anzuhören ist. Durch die Spannung in den Wangen, ähnlich wie beim Lächeln, verstärken sich einige Obertöne im Stimmklang, die auch die Stimme freundlicher erscheinen lassen. Auffällig ist ihr rollendes »r«, das sie gerade in den ersten Aufnahmen punktuell einsetzt. Der Titel »May Be Not at All« (1925) zeigt ihr intensives Vibrato, das häufig mehr als einen Ganzton umfasst. Da ihre Stimme klar und obertonreich klingt und sie kaum einen afroamerikanischen Akzent zeigt, verbindet Waters die Ästhetik eines eher klassisch geprägten klaren Gesangs mit der Ästhetik der auf Textverständlichkeit und Sprechnähe ausgerichteten populären Musik beziehungsweise des Musical. Henry Pleasants beschreibt die Stimme von Waters folgendermaßen: »She could slur and swoop with the best of them. She could even shout and growl and plunge and boom, although she did it rarely, and usually with an implication of gay parody« (Pleasants 1974: 94). Waters kann als Beispiel für den sich auflösenden Vaudeville-Stil angesehen werden: Einerseits beherrscht sie alte Traditionen wie das rollende »r«, die klare Artikulation, die Orien­ tierung an einer klassischen Stimmästhetik und das schauspielerische Element, das in einer sprechnahen Interpretation hörbar wird. Andererseits fällt auf, dass sie sich in ihrem Repertoire vom Blues abwendete und stärker vom Jazz beeinflussen ließ. Donald Bogle (2011) vermutet einen Zusammenhang zwischen ihrer stilistischen Ausrichtung und ihrem Vertrag beim Plattenlabel Columbia, da Columbia zeitgleich die Bluessän­ gerin Bessie Smith unter Vertrag hatte und Konkurrenz im eigenen Hause möglicherweise vermeiden wollte. Durch ihre Vaudeville-Karriere war Waters bereits ein Star, als sie ihre ersten Plattenaufnahmen machte. »Dinah« (1925) ist einer ihrer ersten großen Plattenhits, wobei es sich eigentlich um einen Song handelt, in dem ein Mann über eine Frau singt. Am Beispiel von »Dinah« lassen sich eine ganze Reihe von Waters’ Stimm- und Gesangsmerkmalen zeigen. Ausgedehnte Glissandi, das rollende »r« und der Einsatz von Sprechen vermitteln den Eindruck, dass Waters den Titel nicht nur interpretiert, sondern die Songperson spielt. Sicher ist Waters’ Bühnenvergangenheit mit dafür verantwortlich, dass sie durch das Mittel der Übertreibung ihre Personae als gespielt oder aufgeführt zu kennzeichnen vermag. Waters betont in ihrer Interpretation die Reimwörter durch ein charakteristisches Glissando,

105

Tilo Hähnel

Abbildung 4.13: Ethel Waters, »Dinah« (1925). Durch die trochäische Betonung von »state of Car - o - li - na« bei 0:59 kann die Silbe »state« leicht auf die Vier ›zurechtgehört‹ werden, obwohl das nachfolgende »of« wesentlich näher an der Vier steht. Die Melodie enthält auffällig oft den Terzsprung a1–c2 bzw. c2–a1. Waters verschleift Intervalle mit langgezogenen Glissandi, wobei das Abwärtsglissando eine prominente Rolle einnimmt. Das kurz ansteigende und langsam fallende Glissando wirkt stromlinienförmig. Waters Timing ist relativ frei mit der Tendenz zum Vorziehen der Silben (z. B. »one fi-ner« bei 0:55–0:56). 

 

Tonhöhe in Cent





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Zeit in Minuten 

 



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106









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1:04

1:05

1:06 Zeit in Minuten

1:07

1:08

1:09

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Abbildung 4.14: Ethel Waters, »Guess Who’s in Town« (1928). Transkription der Scat-Passage. 





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bei dem sie die Zieltonhöhe von unten ansteuert und dann sofort wieder nach unten verlässt. Abbildung 4.13 zeigt diese Verläufe im Refrain. Ihr Vi­brato ist verglichen mit dem zeitgenössischer Interpretinnen langsam, aber von größeren Auslenkungen geprägt. Damit verwendet Waters einen moder­neren Vokalstil, der sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts durchsetzen wird und umgeht gleichzeitig akustische Verdeckungseffekte, denen sie sonst ausgeliefert wäre, wenn sie von einem Orchester begleitet wird. Waters’ Nähe zum Jazz zeigt sich nicht allein in ihrer klaren Aussprache und ihrem langsamen Vibrato; sie ist auch eine der ersten Sängerinnen, die nach Louis Armstrongs »Heebie Jeebies« (1926) Scatgesang aufgenommen hat. Ihre Interpretation von »Guess Who’s in Town« (1928) stellt eine heitere Frau vor, die gerade erfahren hat, dass das Objekt ihrer Liebe in der Stadt ist. Das Besondere des Scat-Teils (siehe Abbildung 4.14 und 4.15) ist, dass Waters hier ungewöhnliche Silben verwendet und fast ausschließlich auf Offbeats singt. Eine zweite Besonderheit ist der Einsatz von behauchten Anlauten. Scatsilben beginnen üblicherweise mit Plosiven (p, b, t, d). Plosive sind aufgrund kurzer Attackzeiten geeignet, Silben rhythmisch prägnant zu setzen. Waters jedoch beginnt häufig mit nasalen Lauten (m, n) oder Vokalen. Dadurch werden rhythmische Positionen eher verwischt. Aber gerade die rhythmische Position ist hier entscheidend, platziert Waters doch nahezu sämtliche Noten zwischen den Zählzeiten. Hierbei spielen die nasalen Laute eine wichtige Rolle: Wiederholungen der Silben /ma/, /ɲa/ und /na/ lassen sich über periodische Bewegungen der Lippen oder der Zunge ausführen. Dabei ist eine Offbeat-Platzierung gut

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Tilo Hähnel

Abbildung 4.15: Ethel Waters, »Guess Who’s in Town« (1928). Verteilungen der Silbeneinsätze relativ zur metrischen Position im Takt. Waters setzt die Silben in der Regel genau zwischen die Zählzeiten. Die Abweichungen sind gering, wenn man bedenkt, dass der Abstand der Achtel weniger als 300 Millisekunden beträgt, also unter der mutmaßlichen Schwelle von bewusst kontrollierbaren Einzelimpulsen liegt (Peters 1989). Die zwischen die Viertel gesetzten Achtelnoten sind das Resultat eines periodischen Öffnens und Schließens der Lippen. Fällt dabei die Schlussphase auf die Zählzeiten, so liegt die Öffnungsphase der Lippen, bei der die nasalen Laute zu Vokalen werden, zwischen den Vierteln. 1,58

Anzahl

108

3,54

4,58

3 2 1 0

1

2

3

4

1

Silbeneinsatzzeiten relativ zum Metrum (bei 205 bpm).

möglich, indem die Schließbewegung der Lippen auf den Beats und die Öffnungsbewegung – fast automatisch – zwischen den Beats abläuft. Die wenigen Plosive, die Waters singt, lassen sich auf diese Weise nicht erzeugen. Die Transkription zeigt auch, dass Plosive nicht zwischen, sondern auf die Beats fallen. Während des Titels, aber auch am Ende der Scat-Passage klingt Waters’ Stimme deutlich behaucht. Möglicherweise war dies weniger ein Mittel des vokalen Ausdrucks als das Resultat eines Stimmschadens, da sich Waters 1929 Knötchen von den Stimmbändern entfernen ließ (Pleasants 1974). In »Birmingham Berta« (1929) zeigt sich einmal mehr Waters’ Art, vom Sprechen ins Singen zu überblenden. Wie Abbildung 4.16 verdeutlicht, ist der anfängliche Sprachteil (»I’ll become a cage of apes to you«) durch instabile Tonhöhen gekennzeichnet, die – typisch für Sprache – permanent aufsteigen und abfallen. Die starken Auslenkungen sind für eine Konversationssprache unüblich, nicht jedoch für eine Bühnensprache, in der stimmliche Merkmale, zu denen auch die Prosodie gehört, überzeichnet werden. Geht die Sprache ins Singen über, werden die Silben zunächst an das Metrum der Musik gekoppelt, eine rhythmische Transkription ist nunmehr möglich; auch die Tonhöhen sind klarer auszumachen und stärker miteinander verbunden. Selbst bei kurzen Silben lassen sich Phasen von stabilen Tonhöhen ausmachen. Der Zielton der Zeile und das Ende

Vaudeville- Shows zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Abbildung 4.16: Ethel Waters, »Birmingham Bertha« (1929).

Tonhöhe in Cent

3

3       

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8

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he claims he has the mi - sery but he

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Ba - by.

der Strophen (0:00–0:08; 0:16–0:21 etc.) noch einmal geräuschhafter und e­kstatischer, die Stimmgebung noch näher am Schrei. Und der Gesang besitzt kaum noch stabile Tonhöhen, sondern stellt vielmehr eine Folge akzentuierter Aufwärtsglissandi dar, deren stark treibende rhythmische Energie im Mittelpunkt steht. Gegenüber »Long Tall Sally« wirkt sogar »Tutti Frutti« noch vergleichsweise gepflegt. Dennoch haben Screams und Falsetti auch hier bereits eine andere Funktion als im Gospel-Music-Kontext. So bilden die beiden expo­ niertesten Screams – vor allem der erste ist ein frenetischer Schrei – Intensitätshöhepunkte, die gleichzeitig Formteile markieren: den Übergang ins Saxofonsolo (1:19, ein kurzes Glissando mit gerade noch wahrnehmbarer an- und absteigender Tonhöhe­)­ und des­sen Ende beziehungsweise die Rückkehr des Gesangs (1:34). Der ein­zige­Unterschied zu »Long Tall Sally« besteht darin, dass das Solo dort mit ei­nem Scream eingeleitet (0:47), nicht aber beendet wird. Stattdessen erklingt bei Wiedereinsatz der Singstimme ein raues, geshoutetes »yeah«.Als neues, auffälliges Element in Little Richards Musik, das »Tutti Frutti« ein­f ührt, dürfen die plötzlichen, hohen Falsett-»woo«s gelten, die in 0:38, 1:09, 1:40 und 2:11 jeweils als Oktavsprung zu f2 gebracht und in Klangfar­be­und plötzlich vibratoreicher Tongestaltung deutlich von allen anderen Ge­sang­stönen abgesetzt werden. Falsetttöne dieser Art sind später zum Mar­ken­zeichen seines Gesangs geworden. In »Tutti Frutti« stellen sie ein he­te­ro­genes Element dar, das mehr die Exaltiertheit als die expressive Ein­heit der vokalen Performance betont – im Anschluss an den Falsettgebrauch in der Blues-Tradition (siehe Kapitel 10). In »Long Tall Sally« ist das Falsett zwar nicht weniger auffällig

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

eingesetzt, insgesamt aber stärker in die hochenergetische Gesangsweise integriert und mit Ornamenten sowie ei­nem wilden, stark ausschlagenden Vibrato verbunden (0:10; 0:25; 0:41 etc.). Laut Charles White (2003: 49 ff.) simulierte Richard mit dem »Tutti Frutti«-Anfangs-Shout ursprünglich ein Schlagzeug-Pattern, das in der Aufnahme zugunsten des unbegleiteten vokalen Auftakts weggelassen wurde. Er steht damit für einen instrumentalen Stimmgebrauch, verwandt mit dem Scatgesang im Jazz (siehe Kapitel 3). In den Texten von Little Richards Songs sind onomatopoetische Silbenfolgen oder auch willkürliche Wortkombination wie »tutti frutti, aw rootie« insgesamt die Ausnahme. Der Unterschied zu exzessiv wiederholten, dabei melodisch immer wieder leicht variierten Textbausteinen wie »slippin’ and a-slidin’«, »oh baby, yes baby, woo baby« (»Long Tall Sally«), »oooh – she’s got it, oooh – she’s got it« (»She’s Got It«) und »shake it, baby, shake it« ­(»Whole Lotta Shakin’ Goin’ on«) oder verknappten Reimformeln (»good golly, miss molly«) ist jedoch nicht besonders groß. Durch das hohe Tempo, mit dem diese Textelemente gesungen werden, und auch wegen der zahlreich enthaltenen Alliterationen bewegen sich die Songs semantisch des Öfteren an der Grenze zum Absurden, wie Ian Ellis mit Blick auf »Tutti Frutti« argumentiert: »›Little‹ sense was made, and the sonic speed of the words signified movement, abandon, and craziness – states of mind youth could viscerally feel, if not fully comprehend« (Ellis 2008: 32). Neben der Möglichkeit, sie als Träger von Double-Entendre-Botschaften zu interpretieren, lassen sich diese Texte mit Blick auf das Image Richards als eines Besessenen sowie auf seinen Hang zum Predigertum und seine Bereitschaft zu religiösen Erweckungserfahrungen4 daher auch als musikalisches Spiel mit kindlich wirrer Zungenrede auffassen, »playing with childish glossolalia« (Ellis 2008: 34). Dabei impliziert eine Glossolalie die Zurückdrängung eines kohärenten sprachlichen Sinns gegenüber rhythmisch klanglichen Qualitäten, vor allem aber ein tranceartiges Aus-Sich-Heraustreten beziehungsweise Erleuchtetsein des Sprechers oder Sängers, wie es die Pfingstbewegungskirchen in den USA propagierten (siehe Kapitel 9).

   Penniman war 1958 Augenzeuge eines als leuchtend roter Punkt in den Himmel steigenden russischen Satelliten, interpretierte den Sputnik als himmlisches Zeichen und unterbrach seine Karriere daraufhin auf ihrem Höhepunkt zuguns­ ten theologischer Studien (White 2003: 89).

4

345

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Christian Bielefeldt

Auch das Entgleiten, Wegbrechen und Überschlagen der Stimme ist, sobald es als vokales Steigerungsmittel dient (Expressivität über das körperlich und stimmlich Mögliche hinaus, euphorisch oder ekstatisch), als Indiz für einen Kontrollverlust hörbar, der im Sinne eines ›Versagens‹ der Stimme auf schwer auszudrückende oder auch besser unausgesprochen bleibende Dinge verweist. In diesem Sinne setzt Little Richard beispielsweise in »Lucille« (1957) mehrfach Hiccups ein, die er jeweils an das Wort »Lucille« anhängt. Ein Hiccup ist eine aufgrund des ›kieksenden‹ Effekts so bezeichnete Tongestaltung mit schlagartigem Registerwechsel ins Falsett am Ende des Tons (jedoch ohne ein Überschlagen der Stimme, siehe Kapitel 3). Ähnlich wie das Falsett-»woo« in »Tutti Frutti« rücken die H ­ iccups in »Lucille« gleichsam als Gimmick in den Vordergrund. Die zahlreichen Tears und wegbrechenden Töne in »Tutti Frutti« sind dagegen in erster Linie als Elemente einer Ästhetik permanenter melodischer Variation zu verstehen. Zu den differenzierenden Faktoren gehören dabei vor allem die Ornamente und Glissandi, durch die Little Richard seine Gesangsmelodie immer wieder im Detail verändert, rhythmisch antizipiert, verzögert und melodisch verziert. Zahlreiche Töne der Gesangsstimme – besonders, wenn sie Tonwiederholungen darstellen – sind mit leicht stufenlos steigender (z. B. »wop-bop«; »know just«; »girl«; »al-most drives«; »in-deed«) oder – seltener – sinkender Tonhöhe intoniert (»east«; »daisy«; letztes »boom«). Letzteres fällt in der Regel mit der normalerweise sinkenden Sprechton­ höhe am Satz- oder Versende zusammen (z. B. »crazy«). Auch ein Bending, ein mit schneller Wechselnote nach oben verzierter Ton, findet sich (»love me«). Am auffälligsten sind schnelle und virtuose, abwärts von einem hohen Ton aus nach unten führende Melismen in Refrain und Strophe, die an den akzentuierten, auf den Schlag erscheinenden Spitzenton einer Melodiephrase angehängt sind (siehe Abbildung 13.3). Im ersten Refrain bedient sich Penniman dazu eines pentatonischen Materials, der zweite besteht aus einer Abwärtsfigur mit tief alterierter Q ­ uinte und sowohl Durals auch Moll-Terz. All diese Ornamente haben als verzierte Wiederholung eines zuvor gesungenen Wortes beziehungsweise als melodisch reichere Variante des Anfangsmotivs des Refrains eine bekräftigende, ausdruckssteigernde Funktion. Damit ist die mikromelodische Variation, ein sowohl in der Gospel Music als auch im Rhythm & Blues-Gesang präsentes Stilmittel, ebenfalls den zentralen Merkmalen des Vokalstils von Penniman zuzurechnen.

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

Abbildung 13.3: Little Richard, »Tutti Frutti« (1955). Refrain 1 und 2. Mikrome­ lodische Variation. Die rhythmische Gestalt der Gesangsstimme ist nur annähe­ rungsweise erfasst, die triolische Notation unterschlägt notgedrungen ihr Schwanken zwischen (nahezu) geraden Achtelfolgen und ungleichen, wenn­ gleich nirgendwo auch nur annähernd ternären Figuren. Gut zu sehen ist, dass Penniman die Gesangsmelodie rhythmisch, melodisch und von der Stimmgebung her permanent verändert. Beständig erscheinen nur die auftak­tigen »tutti«-Einsätze – bei veränderlichen Tonhöhen – und bis auf eine Aus­nahme im fünften Takt auch das antizipierte »aw rootie«. Vor allem die unbe­tonten Silben werden immer wieder anders intoniert, unterschiedlich stark verschluckt oder als Hiccup ( ↑ ) gesungen (Takt 3, Refrain 2). Waagerechte Pfeile zeigen antizipierte und verzögerte Einsätze an, ( ) markiert einen brechenden Stimmklang bei Tonanfängen (Tear), ( / ) wegbrechende Töne, also schnelle Registerwechsel nach oben am Ende eines Tons, ( ° ) einen Falsettton.

Refrain 1

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Refrain 2

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aw

roo - tie. Tu - tti fru- tti, aw

roo - tie.

Obwohl textlich bereits für die Specialty-Aufnahme um die oben genannten Obszönitäten entschärft und als Single ein großer Verkaufserfolg, reagierten viele Radiostationen zögerlich auf »Tutti Frutti«. Im November veröffentlicht, erreichte der Song im Januar 1956 dennoch Platz 2 der Rhythm  & Blues-Charts, schaffte den Crossover in die Popcharts (Nr. 17) und auch in die britischen Charts (Nr. 29). Wie zahlreiche Songs von Little Richard, wurde »Tutti Frutti« schon bald nach Erscheinen von mehreren angloamerikanischen Sängern gecovert, darunter vom Balladensänger und White-Cover-Spezialisten Pat Boone (geb. 1934) (­Stuessy

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und Lipscomb 2013: 56). Seine noch im Dezember 1955 veröffentlichte Version ist ein Beispiel für eine Coverversion mit angloamerikanischem Sänger, die zunächst kommerziell erfolgreicher war und das afroamerikanische Original in den Hitparaden überflügelte (Pop-Charts Nr. 12). Hauptunterschiede neben der vom Arrangement her ›braveren‹ Interpretation sind die durchgängig kontrollierte Stimmgebung ohne Screams, ein glatteres Timbre, der weitgehende Verzicht auf melodische Variation und angeschliffene Töne sowie eine viel klarere Aussprache: Während Little Richard insbesondere im Refrain gerne benachbarte Silben miteinander verschmilzt, artikuliert Boone genau und verständlich. Das gilt auch für Elvis Presleys 1956 aufgenommene Version, die sich trotz deutlicher Temposteigerung und einer Transposition um eine Quarte nach unten insgesamt eng am Original orientiert. Anders als bei Little Richard findet sich nur ein (vergleichsweise verhaltener) Scream nach dem Saxofonsolo, und auch das Falsett-»woo« erklingt nur einmal (1:47). Das höhere ­Tempo führt bei Presley zu einer derartigen Beschleunigung der detailgetreu imitierten Ornamente Little Richards, dass diese ein Stück weit (selbst-)parodistisch anmuten (»girl«, 0:19; 0:45; 1:35 und »frutti«, 1:48).

C huck B erry Wie Richard Penniman ist auch der am 18. Oktober 1926 in St. Louis, MO, geborene Chuck Berry im Rhythm & Blues verwurzelt. Berry steht jedoch in erster Linie für die Verbindung des Rhythm & Blues mit Elementen aus der Country Music und gilt als musikalischer Wegbereiter und zentrale Figur des frühen Rock’n’Roll vor allem durch seinen Beitrag zur Entwicklung des für den Rock’n’Roll typischen Gitarrenstils. Mit seinen Texten brachte er die Sehnsucht der jugendlichen Rock’n’Roll-Fans nach Abweichung und Auflehnung wie kaum ein anderer auf den Punkt. Geschickt auf ein Teenager-Publikum zugeschnitten, drehen sich Berrys Texte um Jugendthemen wie Schule, erste Liebe, Autofahren und Rock’n’Roll selbst. Berry war zu Beginn seiner landesweiten Karriere 1955 bereits Familienvater und deutlich älter als sein Publikum. Allerdings hielten ihn seine Fans häufig für jünger (Narváez 1995: 179). Als wichtige Voraussetzung für die zeitgenössische Wirkung des »poet laureate of rock’n’roll« (Cooper 1991: 59) nach 1955 gilt Berrys ethnisch ambivalente Aussprache, die er speziell in Country-Music- und Hillbilly-Songs bewusst einsetzte:

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley When I played Hillbilly songs, I stressed my diction so that it was harder and whiter. All in all it was my intention to hold both the black and the white clientele by voicing the different kinds of songs in their customary tongues. (Berry 1987: 90–91)

Den Zugang zu Radiosendern, die Vorbehalte gegenüber afroamerikanischem Rhythm & Blues pflegten, erleichterte das entscheidend: That he didn’t sound like a black blues singer undeniably helped him get airplay on mid-Fifties radio stations that were looking for any excuse not to program authentic rhythm’n’blues music. (Altman 1990: 5)

Darum, und aufgrund seines Midwestern-Akzents, wurde Berry häufig für einen Angloamerikaner gehalten: »I suppose I was booked in the South many times as a white singer« (Berry: 135–36). Ohne offen Position zu beziehen, enthalten einige von Berrys Songtexten klare Hinweise auf die Situation der afroamerikanischen Minderheit in den USA. Die Zeilen »«Hail! Hail! Rock and Roll / Deliver me from the days of old / The feeling is there, body and soul« in »School Days« (1957) verweisen unüberhörbar auf afroamerikanische Gospel Music und ihre Tradition der spirituellen Verarbeitung von Repression und rassistisch motivierter Ausgrenzung (Altschuler 2003: 65). Berry war in den mittleren 1950er Jahren aber keineswegs nur im Radio erfolgreich, sondern auch ein außerordentlich populärer Live-Act. Dabei fehlte seiner heiteren Bühnenpersona jeder Anflug von Obszönität oder sexueller Provokation. Berry trat elegant im Anzug auf, verband seine Performance mit spielerisch clownesken Zügen, vollführte athletische Tanzbewegungen und wurde für seine komischen Duck-Walk-Einlagen berühmt.5 Berrys frühe Aufnahmen für die in Chicago ansässige Plattenfirma Chess Records belegen eine stilistische und sängerische Vielseitigkeit, die in den folgenden Jahren allmählich verschwand. Neben langsamen Blues-Songs wie »Wee Wee Hours« und von Muddy Waters (1913–1983) inspiriertem, wuchtigem Rhythm & Blues (»No Money Down«) entstanden 1955 auch Country-Music-Songs wie »Berry Pickin’« und »Thirty    Berrys Signature-Tanz bestand in Entengang-artigen Tanzschritten, mit denen er sich über die Bühne bewegte, den eigenen Kopf und zugleich den Hals der Gitarre rhythmisch hebend und senkend: »Bending his knees to bring his body toward the ground and pacing back and forth across the stage, his head butting forwards and back while his guitar pointed out from his body in a position that was phallic but arguably more playful than aggressive« (Waksman 1999: 152).

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Days«, Honky-Tonk-Stücke (»You Can’t Catch Me«) und ein veritabler Cowboy-Song (»Down Bound Train«). In dem im selben Jahr aufgenommenen »Together (We Will Always Be)« und dem Latin-inspirierten »Drifting Heart« (1956) singt Berry über weite Strecken in der Weise der Crooner mit halblauter Stimme, weich und legato nah am Mikrofon. 1957 experimentierte Berry mit einem Proto-Psychedelic-Sound (»Havanna Moon«). Seine erfolgreichsten Songs sind jedoch bis heute schnelle Rock’n’Roll-Nummern wie »Maybellene« (1955), »Roll Over Beethoven« (1956) und »Johnny B. Goode« (1958) – kaum zufällig treten die anderen Stilarten in der Hochkonjunktur des Rock’n’Roll zwischen 1956–58 bei Berry in den H ­ intergrund.

»Maybellene« / »Wee Wee Hours« (1955) Gleich mit der ersten Platte für Chess Records nahm Berry, vermittelt durch den dort ebenfalls unter Vertrag stehenden Rhythm & Blues-Shouter ­Muddy Waters, einen Rock’n’Roll-Klassiker auf, der sich erfolgreich in allen drei Chart-Segmenten platzierte. »Maybellene« (1955) basiert lose auf dem traditionellen Country-Music-Song »Ida Red«, bekannt unter anderem durch Roy Acuff (1939) und die im Film Blazing the Western (Regie: Vernon Keays, 1945) enthaltene Western-Swing-Fassung von Bob Wills & The Texas Playboys. Unter dem Titel »Ida May« gehörte er zu Berrys Repertoire für Auftritte vor ethnisch gemischtem Publikum (Guralnick 1978: 234). Mit durchgängiger Wechselbassbegleitung, betontem Snare-Backbeat und einer durchgehend binären Metrik enthält »Maybellene« typische Country-Music- und Western-Stilelemente; der starke Backbeat ist zugleich ein Bindeglied zum Rockabilly, dessen Sound von Bill Haleys »Rock Around the Clock« (1954) bis Carl Perkins (1932–1998) »Blue Suede Shoes« (1955) wesentlich von scharfen Snare-Akzenten auf der zweiten und vierten Taktzeit geprägt ist. Berrys Songtext kreist allerdings nicht mehr um das von Wills besungene bange Warten des Verschmähten auf seine Geliebte, sondern im schnellen Tempo seiner Gitarren-Riffs um die Autoverfolgungsfahrt als Sinnbild der Jagd nach dem sich im rasenden Cadillac Coup de Ville entziehenden Objekt der Begierde (Cubitt 1984). Vor allem die zweite Strophe, die das Überhitzen des Motors und seine anschließende Abkühlung durch einen unter die Haube gehenden Regen schildert (»I tooted my horn for a passin’ lead / The rain water blowin’ all under my hood / I knew that was doin’ my motor good«), ist erotisch konnotiert.

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

Wie von Produzent Leonard Chess erhofft, wurde »Maybellene« zu Berrys Eintrittskarte insbesondere in die Radio-Pop-Charts. Die ungewöhnliche Mischung aus afroamerikanischem Act, ethnisch nicht eindeutigem Gesang sowie einem Song mit Country-Music-Stilistik war Chess zu Recht vielversprechend erschienen. In »Maybellene« lassen sich Berrys erfolgreicher Stilmix und seine daraus resultierende, zeitgenössische Wahrnehmung als »racially ambiguous voice« (Altman 1990: 5, zit. n. Narvaez 1995: 175) exem­plarisch beobachten. Berry singt dort mit intensiver, insgesamt jedoch weniger lautstarker als unangestrengt federnder Stimme und einem von Subharmonics im Frequenzbereich zwischen 3000–7100 Hz verursachten, kratzigen Timbre, das er mit einem relativ engen, nasalen Stimmsitz verbindet. Diesen kann er zuweilen bis zum Twang, einem typischen Stimmklang in der Country Music, verschärfen – am auffälligsten bei »thing« kurz vor Ende des Refrains. Dominanter ist ein am Twang orientierter, enger Stimmsitz im Honky-Tonk-Song »You Can’t Catch Me« zu hören, während Berry in »Down Bound Train« – von Sujet und Begleitungsstil her ein typischer Cowboy-Song – wiederum mit deutlich offenerem Stimmsitz singt, bei auffällig glattem Timbre, das sich erst gegen Ende des Songs leicht aufraut. Im Blick auf Berrys weitere Karriere stellen beide Songs letztlich Experimente ohne größere Folgen dar. Der kratzig nasale Stimmklang von »Maybellene« – der von plötzlich sehr heiseren Tönen wie dem »can’t« (1:56) im letzten Refrain durchsetzt ist – entwickelte sich dagegen zu seiner vokalen Signatur, die er auch in späteren Hits von »Roll Over Beethoven« (1956) bis »Johnny B. Goode« weitgehend unverändert ließ. Ein Merkmal, das Berrys Nähe zur Country Music und seine Distanz zu vielen Rhythm  & Blues-Sängern nachdrücklich unterstreicht, ist die tatsächlich auffällig deutliche Aussprache. Trotz der schnellen Tonfolgen in den »Maybellene«-Strophen ist der Text überall problemlos verständlich. Das verhindern weder umgangssprachliche Wendungen wie »motorvatin’« noch Wortverkürzungen wie »rollin’«, »passin’« oder auch »doin’«. Der Midwestern-Akzent ist dabei besonders in den engen Vokalen präsent, er macht beispielsweise »cäint« aus »can’t«, »moe« aus »more« oder »höed« aus »heard«, dem hell klingenden »e« und »i«, sowie im überwiegend hart artikulierten »r«. Ein deutlich gerolltes »r« gibt es in der ersten Strophe bei »outrun« (als auffälliges Stilmittel setzt es Berry erst in »School Days« ein). Das Fehlen umfänglicher Ornamente und die vibratolose Gestaltung von Tönen wie im Falle der jeweils auffällig in die Länge gezogenen letzten ­Silbe im Wort »Maybellene« oder dem fol-

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genden, charakteristischerweise in der Tonhöhe leicht steigenden »true« in der zweiten Refrainzeile verweisen ebenfalls auf Country-Music-Stilistik. Am klarsten in dieser verorten lässt sich der Gesang in »Maybellene« aber wohl in rhythmischer Hinsicht. Die Melodie – deren Tonumfang sich wie in »Tutti Frutti« auf eine im Refrain bis zur Sexte erweiterte Quinte beschränkt – ist wie der ganze Song metrisch binär strukturiert. Die melodischen Akzente und betonten Silben fallen nahezu vollständig auf die Hauptschläge (siehe Abbildung 13.4); im Gegensatz zu Little Richard singt Berry an keiner Stelle ungleiche (Swing-)Achtel. Insofern muss es nicht verwundern, dass Berry von Zeitgenossen regelmäßig als Country-Musiker eingestuft wurde und der Blues- und Jazzsänger Jimmy Witherspoon (1923–1997) stellvertretend befand: »Chuck Berry is a country singer« (zit. in Stilwell 2004: 426). Neben der Aussprache und der rhythmischen Gestaltung unterscheidet sich Berrys Vokalstil auch durch die Stimmgebung deutlich von dem Pennimans. Berry ist kein Screamer, und ein energiegeladenes, rufartiges Shouting, die typische Stimmgebung des Rhythm  & Blues, ist in »May­ bellene« nur jeweils zu Beginn des Refrains vorhanden. Die zweite Refrainzeile enthält immerhin einen kleinen, melodisch und dynamisch hervorgehobenen und in der Klangfarbe raueren Shout (»oh Maybellene«). Am Ende wegbrechende Töne, ein wichtiges ausdrucksteigerndes Mittel bei Little Richard, sind bei Berry ebenfalls nur angedeutet. Bei »hot« (0:44), »horn« (0:48) und »hood« (0:51) in der zweiten Strophe und bei »heard« (1:45) in der dritten beginnen die Töne jedoch mit schnellen, wenngleich vergleichsweise unauffälligen Registerwechseln, also angedeuteten Tears. Die letzte Strophe enthält auf »lead« (1:48) den einzigen Ton mit markantem Registerwechsel am Ende (bei »road« in der ersten Strophe findet sich die erste Andeutung davon). Exponierte Falsetttöne oder Hiccups, bei Penniman vokales Markenzeichen, kommen gar nicht vor. Schließlich kann auch von einem instrumentalen Stimmeinsatz bei Berry keine Rede sein. Glossolalien sind ihm ebenso fremd wie Nonsenssilben in seinen Texten. Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten zwischen beiden Sängern, und zwar zum einen hinsichtlich der Intonation. Diesbezüglich verortet sich »Maybellene« klar im Rhythm & Blues. Vibratolos gesungene und klar intonierte Töne wie die genannten Endsilben im Refrain fallen zwar auf, bilden insgesamt aber die Ausnahme: Die meisten Gesangstöne werden vielmehr von Berry hörbar intonatorisch angeschliffen, also mit kleinen

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Abbildung 13.4: Chuck Berry, »Maybellene« (1955). Anfang Strophe. Rhyth­ misch perkussiver Einsatz der Stimme, Töne mit leichten Tears, also mit bre­ chendem Stimmklang am Anfang, sind mit ( ), sprechähnlich gesungene Silben mit ( x ), die prosodische Intonation der Silben am Zeilenende mit gebo­genen Linien nach unten markiert. Berrys Intonation ist an vielen Stellen nur annäherungsweise notierbar, die rhythmische Gestaltung dagegen ohne größere Ungenauigkeiten.

b>œ œ œ œ œ œ œ œ œ >œ œ ™ bœ bœ œ œ œ œ œ œ >œ bœ ¿ ¿ ≈œ & bœR Jû R ‹ The Ca-dil-lac pulled up to hun - dred and four, The Ford got a hot and would' nt do no more.It

bœ œ œ œ œ œ œ œ œ >œ œ ™ bœ & ‹ done a - got clou - dy and star- ted to rain, I 6 bœ œ œ bœ œ œ œ œ œ >œ œ ™ œ & ‹ rain - wa- ter blow-in' all un- der my hood, I 4

b>œ œ œ n>œ bœ œ ¿ ¿ j ¿ ¿ ≈ bœR û too - ted my horn for a pas - sin' lane.

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know I was do - in' my mo - tor good.

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Anfangs- oder Schlussglissandi ausgestaltet. In den Strophen verstärkt sich diese Tendenz bis hin zu einem quasi prosodischen, sprechähnlichen Intonieren am Zeilenende. Hier gestaltet Berry die Melodietöne analog zur absinkenden Sprechmelodie am Ende eines Satzes als schnelle Glissandi abwechselnd nach oben (»hill«; »road«; »five«) und unten (»ville«; »four«; »desire«), greift also zu einem ganz ähnlichen Stilmittel wie Little Richard; die angesprochenen, auffälligen Endsilben in der zweiten Refrainzeile werden im dritten Refrain ebenfalls als Glissando nach oben gezogen (1:00). Ein kurzes Bending findet sich bei »true« im ersten Refrain. Eine andere Gemeinsamkeit ist der Akzent auf einem rhythmisch perkussiven Einsatz der Stimme, den Chuck Berry in den Strophen von »Maybellene« ganz ins Zentrum rückt. Aus der großen Textmenge resultieren hier mit leichten Akzenten versehene Marcatotonfolgen mit syllabischer Textverteilung. Charakteristisch für zahlreiche schnelle Rock’n’Roll-Songs der 1950er Jahre, werden sie hauptsächlich auf Tonwiederholungen gesungen, und zwar überwiegend auf der gleitend zwischen Moll und Dur, also für den Blues typisch intonierten Terz. Eines unter zahllosen Beispielen dafür aus den folgenden Jahren ist Elvis Presleys »Jailhouse Rock« (1957). Melodische Aspekte wie die Expressivität von Intervallschritten spielen in solchen Passagen kaum eine Rolle, die treibende rhythmische Agilität der Stimme steht im Vordergrund. Damit erklären lassen sich auch die in

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»Maybellene« enthaltenen Silbeninterpolationen, eine in der Gospel Music und im Blues verbreitete Technik, bei der die Silbenanzahl eines Wortes durch zusätzlich eingefügte Silben erhöht wird (siehe Kapitel 9). In der ersten Strophe von »Maybellene« bewirkt das »a-rollin’«, in der zweiten das »a-hot« und »a-sittin’« jeweils einen besseren rhythmischen Fluss. Erst im Vokalstil von Elvis Presley und nachfolgend im Rockabilly spielt diese Technik jedoch eine größere Rolle für den Rock’n’Roll.

E lvis P resley Die Familie des jugendlichen Elvis Presley gehörte um 1950 zum sozialen Prekariat, dem sogenannten »poor white trash« (Stuessy und Lipscomb 2013: 35) von Memphis. Das hieß, man teilte den sozialen Außenseiterstatus mit der afroamerikanischen Bevölkerung, war arm wie sie, lebte teil­ weise in direkter Nachbarschaft mit ihr. Und das Interesse an allem, was »Red, Hot and Blue« war – so der Titel einer damals einflussreichen Radio(und teilweise auch TV-)Sendung des DJs Dewey Philips im Sender WHBQ in Memphis –, war groß. Als komische Hillbilly-Figur »Daddy-O« spielte Philips neben aktuellen Chart-Hits auch selten im Mainstream-Radio zu hörenden Rhythm & Blues und zog damit Jugendliche wie Elvis Anfang der 1950er Jahre stark an (Cantor 2005: 135). Und so feierte Presley zwar in der Country Music, der aufstrebenden Musik der ländlichen euroamerikanischen USA, seinen ersten überregionalen Verkaufserfolg (»I’m Left, You’re Right, She’s Gone«, Nr. 5 C&W 1955) – kurz darauf wurde der 20-Jährige der Leserschaft des Billboard-Magazins sogar als »Nr. 1 Up and coming C&W-artist 1955« (Stuessy und Lipscomb 2013: 36) ans Herz gelegt. Affinitäten aber verbanden ihn mindestens ebenso mit dem Rhythm & Blues (wie im Übrigen auch mit dem Southern Gospel euroamerikanischer Herkunft und der populären Musik der Tin-Pan-Alley-Tradition, vgl. Middleton 1992; Wolfe 1992). Schon seine erste Karrierephase, die Jahre 1953–1955 bei Sun Records, belegt das recht genau. Der Gründer und Inhaber dieser, in ihrem Einfluss auf die Früh­geschich­ te von Rockabilly und Rock’n’Roll kaum zu überschätzenden Plattenfirma aus Memphis, TN, Sam Phillips, darf gemeinsam mit seiner Assistentin Marion Keisker als Entdecker des späteren »King of Rock’n’Roll« gelten. Insgesamt fünf Presley-Singles, bekannt als sogenannte »Sun-Sides«, erschienen bei Sun Records, bis die Unterzeichnung eines Vertrags mit RCA Victor im

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November 1955 den Sprung ins weltweite Rampenlicht vorberei­tete. Innerhalb von nur zwölf Monaten spielte Presley für RCA sechs Nummer-einsHits ein. Ein Erfolg, der auch seine öffentliche Wahrnehmung veränderte, und zwar spätestens mit dem kontroversen Auftritt in der Ed Sullivan Show am 9. September 1956 von der gottesfürchtigen »Hillbilly Cat« (Harkins 2004: 101) hin zu einem wesentlich ambivalenteren Image. Ein landesweites Publikum lernte bei dieser Gelegenheit nicht nur Presleys­neuen Song »Hound Dog«, sondern zugleich auch seine anstößigen Hüft­bewegungen kennen, was ihm den Spitznamen »The Pelvis« eintrug. In konservativen Medien allerdings wurde die ethnische Muster durchkreuzende, »not-quite and yet not-white absorption of black style« (Lott 1997: 203) als ungehobelt kritisiert: »a sign of Southernness and hillbilly barbarism, un­acceptable on prime-time TV« (Marling 1996: 106). In ihren Augen hatte sich Presley als Rock’n’Roll-Macho entpuppt, der seine »phallic potency« (Laver 2011: 434) in sittenwid­rige Performances ummünzte. Oder, wie Eddie Condon in der Dezember-Ausgabe des Cosmopolitan 1956 bemerkte: It isn’t enough to say that Elvis is kind to his parents, sends money home, and is the same unspoiled kid he was before all the commotion began. That still isn’t a free ticket to behave like a sex maniac in public. (Condon 1956: o. S.)

Dabei war den anstößigen Tanzbewegungen Presleys, ganz abgesehen von seinem Umgang mit Make-up, Lidschatten und den langen, sorgfältig gegelten Haaren, gleichzeitig eine irritierende »fluidity and performativity of gender« (Jarman-Ivens 2007: 163) eigen, wenn man sie als Anspielung auf die »Bobbysoxer« genannten Bewunderinnen Frank Sinatras (1915–1998) der 1940er Jahre verstand – und damit bereit war, sie als mädchenhaft zu decodieren: Presley reverses the kind of male icon that Sinatra is. He turns Sinatra into a girl – into one of Sinatra’s own fans from the early 1940’s, the bobbysoxers [...] Much as he will revise Sinatra’s music, Elvis revises in his iconography the reaction of Sinatra’s fans to his singing [...] His gyrations are far more girlish than they are racial, as it is customary to believe. They are the gyrations of Sinatra’s followers. The early Elvis was a bobbysoxer. (Meisel 2010: 179)6    Presley übernahm »Hound Dog« in sein Repertoire, nachdem er einem Auftritt der (angloamerikanischen) Band Freddy Bell and the Bellboys zwischen dem 23.

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Jedenfalls bestätigte »Hound Dog« die schlimmsten Vorurteile und Befürchtungen, die das konservative Amerika schon immer gegenüber dem Rock’n’Roll gehegt hatte. Presley, who in »Heartbreak Hotel« had the number one record in the country, and who still saw himself as basically a good, churchgoing boy, was attacked in the media as a sexual exhibitionist with no musical talent. (Fink 2002: 97)

Dem sensationellen Erfolg der Platte schadete das nicht. »Hound Dog« blieb 28 Wochen in den Pop-Charts, davon 11 Wochen als Nummer 1 (ab 5. September 1956) und war der erste Song, der in allen Major Playlists gleichzeitig den ersten Platz erreichte.

»Mystery Train« / »I Forgot to Remember to Forget« (1955) Unter Presleys Sun-Sides ist die am 20. August 1955 erschienene fünfte Single gesangstechnisch und -stilistisch besonders aufschlussreich. Mit den beiden Blue Moon Boys, dem Gitarristen Scotty Moore und dem Bassisten Bill Black sowie zusätzlich dem Drummer Johnny Bernero aufgenommen, avancierte Sun 223 zu seiner bis dahin erfolgreichsten Platte. Stan Keslers und Charlie Feathers Country-Ballade »I Forgot to Remember to Forget« gilt als Presleys Sun-Song mit der stärksten Anlehnung an traditionelle Country Music (Burke und Griffin 2006: 47). 39 Wochen, und damit länger als jede andere Presley-Single jemals, blieb sie in den (Country-Music-) Charts. Entsprechend der Strategie von Phillips, mit Presley-Singles sowohl den Country-Music- als auch den Rhythm & Blues-Markt zu bedienen, enthält Sun 223 auf der B-Seite den Blues-Song »Mystery Train« von Junior (Herman Jr.) Parker & The Blue Flames, einer der frühen Memphis-Blues-Bands von Sun. Die Vorlage wurde 1953 von Phillips selbst produziert. »Mystery Train«, bei Parker ein kontinuierlich beschleunigender (bpm 86– 95) Novelty-Blues-Song mit Zugpfeifenimitationen und heiser geshoutetem April und 6. Mai 1956 in Las Vegas beigewohnt hatte. Er übernahm unter anderem auch deren parodistisch übertriebene Hüftdrehungen und fasste »Hound Dog« zunächst selbst als »multiracial piece of signifyin’ humor, troping off white overreactions to black sexual innuendo« (Fink 2002: 97) auf. Verstanden hat das offenbar kaum jemand, vielmehr deutete man die Karikatur ›weißer‹ (Über-)Reaktionen auf ›schwarze‹ Erotik zur Provokation eines Sex-Maniacs um.

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Rhythm & Blues-Gesang, macht die Auswirkungen der jahrelangen Rezeption afroamerikanischer Musik deutlich, die Elvis offenbar ohne größere Vorbehalte aufsog und für sich verarbeitete.7 »I Forgot to Remember to Forget« schließt zwar in Text, Arrangement (Besetzung, Wechselbassprinzip) und speziell Moores Spieltechnik an Country-Music-Stilistik an, nicht aber in Presleys Gesang. Sein Stimmklang ist weit entfernt von der dort üblichen obertonreichen und nasalen Stimmgebung und klingt offen und entspannt. Presley singt die meisten Passagen im Stil der Crooner mit geringer Lautstärke nah am Mikrofon und mit einem weichen und kehligen, in der Tiefe dunklen Timbre, das anatomisch auf eine tiefe Kehlkopf- und eher geschlossene Mundstellung schließen lässt. Dabei bleibt Presleys Stimmgebung alles andere als einförmig. Momente voller Emphase sind ebenso über den Song verteilt wie introvertiert hingehauchte. Kaum ein Ton ist wie der andere gestaltet. Und zweimal kommt es zu einem kurzen, mit einem kleinen auflachenden »ha!« angesteuerten expressiven Ausrufezeichen (»and ha!-lonely«, 1:08–09 und 2:17–18), dem extrem zarte und leise, im Kopfstimmenregister gesungene Töne folgen. »Mystery Train« dagegen unterstreicht, wie weitgehend und differenziert, nämlich bis in die Modulation von Stimmsitz, Stimmgebung und Timbre hinein der junge Presley auch afroamerikanische Gesangs­ traditionen aufzugreifen und sich anzueignen fähig war. Nach dem Einsatz auf e1 und einer schnellen melodischen Abwärtsfigur kehrt der Gesang hier zum Spitzenton des Songs zurück. Presley gestaltet diesen intensiv, aber eher versunken als lautstark und mit engem, schnellem Kehlkopfvi­brato sowie einem leicht heiseren Timbre, das im folgenden Abschnitt einer offeneren Stimmgebung mit gutturalem Stimmsitz und weicherer, stärker an »I Forgot to Remember to Forget« erinnernder Färbung weicht. Am profiliertesten ist dieser Stimmklangwechsel in der zweiten Strophe zu hören (»never will again«, 0:58–1:00). Die Wandlungsfähigkeit des Stimmklangs und das Spiel mit unterschiedlichen Timbres und Stimmgebungen, die sich hier andeuten, gehören zu den auffälligen Merkmalen von Presleys Vokalstil zu Beginn seiner Karriere – Indiz für den nicht mehr als losen

   Zur Funktion des Zuges als Metapher für das Leben des Geschichten erzählenden ›Bluesman‹ und Sinnbild afroamerikanischer Existenz vgl. May (2012), siehe auch Kapitel 10.

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Anschluss an die Country Music, in der stabile Timbres dominieren.8 In »Blue Moon of Kentucky« (1954) sind in der Strophe die mittleren und tiefen Töne (0:10–0:13) mit weicher, guttural dunkler Färbung gesungen, während der Refrain in einem viel helleren Timbre und zunächst mit am Shouting orientierter Energie startet. Presley nimmt diese jedoch schnell wieder zugunsten einer leichteren Stimmgebung zurück, in die sich mitunter (0:27–0:28; 0:38–0:39) sogar weich gehauchte Crooner-Töne mischen. In »That’s Alright Mama« (1954) und »Milk Cow Blues« (1955) ist Presley mit entspanntem, am Rhythm & Blues orientiertem Shouting zu hören. Wie in »Mystery Train« ist das Timbre dabei vergleichsweise wenig angeraut und unterscheidet sich damit von dem vieler Rhythm & Blues-Sänger der 1950er Jahre.9 Der Stimmklang ist in der Höhe enger und leicht gepresst, in tieferen Lagen offener. »I Love You Because«, »Harbor Lights«, »Tomorrow Night« und »Blue Moon of Kentucky« (alle 1954) sind von der Anlage her Crooner-Balladen, letztere wartet zusätzlich mit kurzen, gesäuselten Vokalisen in sehr hohem Falsett auf (Spitzenton c2). In »Good Rockin’ Tonight« (1954) wechselt Presley ähnlich wie in »Mystery Train« zwischen lautstarken Stellen und dem dunkel kehligen Timbre sowie der zurückgenommenen Stimme von »Blue Moon of Kentucky«. Blickt man auf Presleys weitere Karriere, sind ein weiches, gutturales Timbre und eine offenere Stimmgebung häufig mit emotionaleren Momenten oder Songs verknüpft (Moore 2013: 49); Richard Middleton spricht von einem »deep, resonant chest-tone, designed to sound erotic« (Middleton 1992: 6). In »Baby, Let’s Play House Tonight« (1955) und »Heartbreak Hotel« (1956), seiner ersten RCA-Single, singt Presley die Strophen jeweils konsequent im Shouter-Stil mit rauem Stimmklang, während der Refrain in einem wärmeren und zugleich glatteren Timbre erklingt. »Love Me« (1956) wird ganz von diesem beherrscht. Rockabilly-Stars wie Gene Vincent (1935–1971) und vor allem der ebenfalls bei Sun unter Vertrag stehende Carl Perkins sangen nach 1956 häufig    Vgl. den 1955er-Nummer-eins-Country-Hit »Sixteen Tons« von Tennessee Ernie Ford und seiner gleichnamigen Vorlage von Country-E-Gitarrenpionier Merle Travis (1946), an dem sich Moore in seiner Spielweise orientierte. 9    Trotz des deutlichen Mehr an jugendlicher Unbekümmertheit in Presleys »That’s Alright, Mama« ist nicht nachvollziehbar, warum ein weniger raues Timbre ohne Weiteres gleichzusetzen sein sollte mit dem Verlust an Expressivität, wie Middleton meint. Ihm zufolge verwandelt Presleys Stimme den »blues lament« von Arthur Crudups Original in die Zurschaustellung einer »confident self-presentation« (Middleton 1992: 9). 8

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mit einem sehr ähnlichen Stimmklang, der insofern um 1956 als stilnah gelten darf. Auch Chuck Berry nahm einmal auf Presleys gutturales Timbre Bezug, und zwar in »Too Much Monkey Business« (1956). Nimmt man den Titel als Programm, war das möglicherweise inhaltlich motiviert; jedenfalls ist seine dort hörbare, plötzliche Nähe zum Presley-Sound noch durch den Einsatz eines aufnahmetechnischen Mittels von Sun Records unterstützt: das berühmte Slapback-Echo. Presleys dunkles, kehliges Timbre ist häufig mit einer auch in »Mystery Train« schon gut zu beobachtenden, artikulatorischen Eigenheit verbunden, die zentrale Bedeutung für seinen Vokalstil auch jenseits seiner Rockabilly-Stücke hat. Korrespondierend mit den kurz und trocken angespielten Gitarren-Licks von Moore und Blacks tickendem Slap-Bass singt Elvis die dunkel gefärbten Töne am Zeilenende verkürzt und markiert sie mit einem leichten Akzent. Die daraus resultierende, federnde Artikula­tion bildet eines der auffälligsten Merkmale von Presleys Singweise vorwiegend in Uptempo-Nummern, und zwar weit über seine erste Karrierephase hinaus. Dabei verschärft Presley Attack und Akzentuierung im Vergleich mit Chuck Berrys Marcatoartikulation noch einmal deutlich, sodass hier passender von einem Staccato zu sprechen ist. In »Mystery Train« ist dies gut hörbar in der Textzeile »got my ba-by and gone« (siehe Abbildung 13.5) und an Parallelstellen jeweils am Ende der dritten ­Zeile jeder Strophe – die erste Silbe von »baby« ist dabei am stärksten angeschliffen und mit einem sehr schnellen und weit hochgezogenen Aufwärtsglissando versehen, das den Ton fast zu einem Hiccup macht. Am profiliertesten in den Sun-Aufnahmen findet sich das typische Presley-Staccato wohl im Intro und den Übergangstakten zum Refrain (vor allem ab 1:46) von »Baby, Let’s Play House Tonight« (1955) (siehe Abbildung 13.6). Andere Sun-Aufnahmen mit auffälligen Staccato-Passagen sind der schnelle Country-Music-Song »Just Because« (1954) oder »I’ll Never Let You Go (Little Darlin’)« (1956), das als langsamer Crooner-Song beginnt, jedoch kurz vor Schluss ein schnelleres Tempo anschlägt und gleichzeitig in eine von Staccatoartikulation geprägte Singweise wechselt. Aber auch auf RCA-Aufnahmen trifft man vergleichbare Staccatosalven an, wie im Übrigen auch auf zahlreichen Mid- und Uptempo-Platten anderer Rockabilly-Sänger, weshalb hier von einem stilkennzeichnenden Merkmal, einem Rockabilly-Staccato gesprochen werden kann. Im langsameren »I Forgot to Remember to Forget« dagegen finden sich eher weich akzentuierte Töne mit längeren Diminuendi.

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Presleys Staccato ist ein auffälliges, rhythmische Energie vermittelndes Element seines Vokalstils. Zur Signatur seines Stimmklangs wird es im Verbund mit dem erwähnten »Slapback-Echo«, mit dem Sam Phillips die meisten – nicht, wie häufig behauptet wird, alle – Aufnahmen von Presley bei Sun Records Mitte der 1950er Jahre ausstattete, darunter »Mystery Train«, »Baby, Let’s Play House Tonight«, »Blue Moon of Kentucky«, »Tomorrow Night« und im Übrigen auch die beiden großen Hits von Jerry Lee Lewis, »Great Balls of Fire« und »Whola Lotta Shakin’«. Resultierend aus einer minimalen zeitlichen Verschiebung der beiden parallel verwendeten Aufnahmetonbänder erhalten die betreffenden Aufnahmen einen knapp 200 ms langen, deutlich hörbaren Nachklang (Hodgson 2010: 126). Obwohl als Ganzes der Aufnahme beigegeben, wirkt dieser sich je nach Pegel unterschiedlich auf die Instrumente aus und macht den Stimmklang voller und halliger, die Gitarre prägnanter und den Kontrabass härter sowie dessen Slappings perkussiver (Wicke 2011: 66). Der so erzeugte Sound, den RCA 1956 zunächst für seine Presley-Aufnahmen unter dem Einsatz von Echoräumen nachzubilden versuchte, wurde in »Mystery Train« zusätzlich durch den Effekt des EchoSonic-Gitarrenverstärkers angereichert, den Scotty Moore zur Live-Nachbildung des populären Slapback-Echos bei Konzertauftritten angeschafft hatte und hier erstmals für eine Aufnahme einsetzte (Hodgson 2010: 127). Es wäre allerdings nicht nur im Blick auf »Mystery Train« falsch, den Erfolg des Sun-Sounds auf den technischen Aspekt zu reduzieren. Vielmehr entstand die damals ungewohnte Direktheit und Fülle von »Mystery Train« und anderen Sun-Sides dadurch, dass die Aufnahmebedingungen einschließlich Echoeffekt von den Blue Moon Boys entsprechend musikalisch genutzt wurden. Erst Presleys Vokalstil und Blacks und Moores perkussive Spielfiguren werteten das Sun-Slapback zu einer der relevanten Sound-Vorlagen des Rock’n’Roll auf. Eine weitere Eigenheit Presleys in der Melodiegestaltung ist das Verteilen einer Silbe auf mehrere voneinander abgesetzte Töne. Anatomisch betrachtet handelt es sich dabei um einen kurzen, in der Regel weichen und leicht behauchten Glottisschlag, der den gerade gesungenen Vokal unterbricht. Dieser kurze Glottisschlag, der beide Vokalteile deutlich voneinander trennt, macht den Unterschied zu zweitönigen melismatischen Figuren aus, wie sie in der Gospel Music und im Rhythm & Blues üblich sind. In »Mystery Train« überwiegend auf verschiedene Tonhöhen gesungen (»lo-ong« in der zweiten und dritten Textzeile; »’rou-ound the be-end« am Anfang der zweiten Strophe), integrieren sich solche Töne gut in die

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

allgemeine Staccatotextur und machen daher vor allem textlich (die Semantik von »long« und »bend« wird unterstützt) und musikalisch Sinn (Anpassung der vokalen Artikulierung an die der Begleitinstrumente). Hingegen findet sich ein ähnliches Phänomen in »I Forgot to Remember to Forget« kaum zufällig genau dort (»a-ge-et out of your mind«), wo es als expressives Mittel hörbar wird und als eine Art vorübergehender Kontrollverlust die im Text beschriebene Vergeblichkeit des Versuchs unterstreicht, sich das verehrte »you« aus dem Kopf zu schlagen. Gleiches gilt für die einem Stottern ähnliche Seufzerserie »hea-hea-hea-heartbreaker« in »You’re a Heartbreaker« (1954). Auch Silbeninterpolationen finden sich in »I Forgot to Remember to Forget« (»a-get her«, 0:21; »a-lonely«, 1:08); oder im »make-a me love you« (1:32) von »When It Really Pours« (1955). Das auffälligste Beispiel für Presleys gleichsam stotternde Anwendung der Silbeninterpolationstechnik ist die »stuttering repercussio of ­sustained ­vowels« (Everett 2008: 121) in »Heartbreak Hotel« (1956).10 Auch im Refrain seines Welthits von 1956 singt Presley nicht etwa »Hound Dog«, sondern ausdauernd »Hound Dog-ah«. Das Resultat besteht wie schon im Fall des Rockabilly-Staccatos in der Hervorhebung rhythmischer und klanglicher Aspekte der Songtexte – worin sich Presleys Vokalstil also mit Pennimans und Berrys rhythmisch perkussivem Stimmeinsatz trifft. Eine ähnliche Funktion hat das Abkürzen oder weitgehende Verschlucken mancher Silben, das in »Mystery Train« zum Beispiel am Schluss der zweiten und der dritten Strophe (»she’s mine all, all mine«) hörbar ist. Everett spricht hier treffend von »escape-tones« (Everett 2008: 120). In der Aussprachedeutlichkeit unterscheiden sich die beiden Songs von Sun 223 im Übrigen enorm. Während der Text in »Mystery Train« durch das nuschelnde Verschleifen von Konsonanten, das Ineinanderziehen von Worten (»train-I-ride«) und das dann plötzlich sehr schnelle Aufeinanderfolgen mancher Silben (»coaches long«) an vielen Stellen verwaschen klingt, ist der Text in »I Forgot to Remember to Forget« überall problemlos verständlich. Presley spielt sogar an manchen Stellen mit einer fast übertrieben klaren Aussprache von Anfangskonsonanten. Auch wenn große Teile seines Texts durch eine ­mikrofonnahe   Bekannt und von Presley selbst gelegentlich auch thematisiert worden ist der Umstand, dass er bei schnellerem Sprechtempo leicht ins Stottern kam. Insofern handelt es sich hier zugleich um eine ästhetische Verarbeitung eines angeborenen körperlichen Defizits (vgl. Osborne 2007: 56; Schultz 2005: 151).

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Abbildung 13.5: Elvis Presley, »Mystery Train« (1955). Erste Strophe, Vorlage (A) und Presley-Version (B). Junior Parker platziert die Anfangsfigur so, dass der Schlusston auf den Taktanfang fällt, was durch den antizipierten Beginn von »ride« zugleich verschleiert wird. In der zweiten Zeile erscheinen auch die Schlusstöne leicht antizipiert (Takt 6) beziehungsweise verzögert (Takt 8). Presley dagegen setzt »ride« konsequent auf den Schlag. Auch »coaches«, »well« und »baby« fallen auf schwere Taktzeiten, die Parker bei Wortanfängen durchgehend meidet, erst auf »long« und »train« macht er eine Ausnahme. Unterschiede markieren zudem Parkers stark verschliffene Ausführung der »teen«-Figur, sein viertöniges Melisma auf »train«, Presleys Staccato in den Takten 3, 4 und 10 und die metrische Unregelmäßigkeit seiner Version (6/4Takt). Auffällig vibrierte Töne sind mit Tremblementzeichen angegeben. Punkte und vertikale Keile zeigen leichtes bis mittleres Staccato an, dreieckige Keile stärker akzentuiertes.

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Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

Aufnahme der Stimme gut verständlich sind, steht Junior Parker mit seinem »Mystery Train«-Original dagegen unverkennbar in der Tradition der Blues-Sänger aus den 1920er- und 1930er Jahren mit ihren unklar artikulierten oder sogar nur teilweise geklärten Texten (wie etwa bei Charley Patton, 1891–1934), verschluckt (»bab-y«), murmelt (»comin’«; »down the line«) und dehnt (»bee-end«) Silben und gibt den Anfangskonsonanten eine weich klingende Färbung. Junior Parkers »Mystery Train« wird von einem synkopischen E-Gitarren-Lick, prägnant pochenden Schlagzeugachtelketten und ruhig in circa 85–95 bpm pulsierenden Vierteln im Bass getragen, der nur in Presleys Cover-Version als Rockabilly-Slapbass eingesetzt ist – die pochenden Achtel der Vorlage werden bei Presley zudem qua Slapback-Echo in den Sound integriert. Parkers Gesang ist voller Glissandi und Tonhöhenschwankungen, regelmäßiger Vibrati mit sehr großer Amplitude und komplexer, rhythmisch irregulärer Ornamente. Er fährt die instabil intonierte (kleine) Terz als Zielpunkt jeder Songzeile mit schnellen Abwärtsglissandi von der Oktave aus an, die also den beachtlichen Tonraum einer Sexte überbrücken, sowie häufig mit einem anschließenden minimalen, weniger als einen Halbton umfassenden Aufwärtsgleiten (0:13; 0:44; 1:44). Aber auch zahlreiche andere Töne reichert er mit kleinen Verzierungen an – kaum dass einmal ein Ton mit stabiler Tonhöhe erklingt. Bei Elvis dagegen steht eine stabile Intonation insbesondere der längeren Töne im Vordergrund. Die Verwendung weniger kurzer, zur Zieltonhöhe hinführender Aufwärts- (»Six-teen«, 0:22) und Abwärtsglissandi (»Baby-«, 2:08) sowie andere kleine Tonhöhenschwankungen fallen demgegenüber weniger ins Gewicht. Die großen Abwärtsglissandi zur Terz am Zeilenende fehlen ganz. Umgekehrt ist die treibende, rhythmisch perkussive Agilität Presleys bei Parker überhaupt nicht angelegt. Staccatotöne sucht man bei Parker vergeblich und jegliches Akzentuieren oder Stottern von Silben ist ihm fremd. Und auch die rhythmische Gestaltung selbst ist bei Parker deutlich anders als bei Presley, der sich am stetigen Puls der Begleitung orientiert – bei konstant 119–121 bpm – und neben vielen synkopischen Momenten immer wieder melodische Akzente auch auf den schweren Taktzeiten platziert (siehe Abbildung 13.5). Parker singt ganze Passagen nahezu losgelöst von den ruhigen Vierteln im Bass und den nachschlagenden Gitarrenachteln. Gesangstöne fallen selten genau auf den Schlag oder werden dann wiederum durch einen verlängerten Konsonanten wie bei »long (black train)« (0:29) mit Unschärfe versehen.

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Presleys rhythmische Gestaltung prägt dagegen, was Richard Middleton »Boogification« nennt: As in boogie-woogie, the basic vocal rhythms are triplets, and, again as in boogie-woogie, the off-beat-quaver is often given an unexpected accent. The effect is physical, demanding movement, jerking the body into activity. (Middleton 1992: 5)

Ternäre Metrik und unregelmäßige Offbeat-Akzente sind allerdings im Rhythm & Blues und in der Gospel Music stiltypisch, insofern suggeriert der Begriff »Boogification« eine rhythmische Veränderung, die zumindest bei Presleys White Cover von »That’s Alright, Mama« bis »Hound Dog« schwer möglich ist, da bereits die Originale die genannten Merkmale tragen. Bei »Mystery Train« berührt er insofern einen Punkt, als Presley, Moore und Black die Vorlage stark beschleunigen und insgesamt tatsächlich in eine körperlich agilere, tänzerische Textur und Stimmung versetzen. Eine Ballade wie »I Forgot to Remember to Forget« beschreibt Middletons Begriff dagegen insoweit treffend, als Presleys Umgang mit der Gesangsmelodie dort gerade auch in rhythmischer Hinsicht nichts mehr mit Country-Music-Gesang zu tun hat: Antizipationen und gezielt verzögerte Offbeat-Einsätze dominieren, Töne auf die Taktschwerpunkte fehlen fast vollständig. Das treibend Rhythmische von »Mystery Train« allerdings fehlt der Ballade – das genau getimte, körperlich animierende Alternieren von Offbeat- und Onbeat-Akzenten – und unterscheidet so die beiden Sun-223Songs voneinander. In »Mystery Train« erzeugt Presley diesen treibenden Groove, der zusammen mit dem Rockabilly-Staccato und den beschriebenen artikulatorischen und melodischen Besonderheiten zu einer spürbaren Aufwertung der rhythmischen Energie und der Körperlichkeit des Gesangs führt. Ein Jahr später in »Hound Dog« ist dieser Stil im Uptempo-Rock’n’Roll angekommen und mit einem neuerlich gesteigerten Tempo sowie einem annähernd mit »Tutti Frutti« vergleichbaren Krafteinsatz verbunden (wenn auch nicht mit Pennimans exaltierten stimmlichen Mitteln). Im Vergleich mit Presleys eigenen Platten, auch dem kurz zuvor veröffentlichten Uptempo-Rock’n’Roll-Song »Blue Suede Shoes«, sprengten die Rauheit und Energie des Shoutings in »Hound Dog« jedenfalls die bisherigen Maßstäbe. Allerdings war das nur für jemanden, der Little Richard nie richtig zugehört hatte, ein »sound for which no one was prepared« (Marcus 1991: 37).

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

Abbildung 13.6: Elvis Presley, »Baby Let’s Play House Tonight« (1955). Spektrogramm eines Ausschnitts aus dem Intro. Zu sehen ist Presleys Hiccup am Ende des letzten »baby«. Der Schluckaufcharakter des Hiccup resultiert aus einem zumindest im Vergleich mit dem Jodeln ungewöhnlich großen Sprung vom e1 zum b2 und einem anschließenden, schnellen Aufwärtsglissando, das im Spektrogramm bis zum e2 zu sehen ist (im Höreindruck überwiegt das notierte c #2). Gut sichtbar macht das Spektrogramm auch das auffällige, rhythmisch genau mit dem Songtempo abgeglichene Slapback-Echo, das den Hiccup kurz vor der zweiten Taktzeit abgeschwächt wiederholt. 

   



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Abschließend seien hier zwei vokale Mittel genannt, die in Sun 223 nicht zu finden sind, aber zu Presleys Vokalstil gehören: der Einsatz von Hiccups und Atemgeräuschen. Der Hiccup gilt als wichtiges vokales Mittel im Rockabilly. Robert Palmer spricht sogar vom »Elvis-Hiccup« (Palmer 2009: 16). Der Begriff wird allerdings nicht immer kohärent angewendet, zum Teil dient er auch dazu, eine Silbeninterpolation mit Glottisschlag zu benennen. »Don’t Be Cruel« (1956) ist ein Beispiel dafür. Dort beginnt der Refrain jeweils mit einem »a-don’t«, wobei die hinzugefügte Silbe mit einem kurzen Brechen, also einem schnellen Registerwechsel am Anfang des Tons verbunden ist. Genau genommen liegt damit kein Hiccup vor, sondern ein Tear. Auffällige Hiccups finden sich bei Presley dafür in »Baby, Let’s Play House Tonight«, und zwar zunächst angedeutet (»-by« in 0:04), dann exponiert, lautstark und tatsächlich sehr an Schluckauf erinnernd (0:07), sowie wiederholt in den Refrains anschließend an »back« (0:25; 0:27 etc.), in der zweiten Strophe prononciert nach »me« (0:39). Auch im Nachspiel kommen, immer zwischen drei »baby«s platziert, kleinere Hiccups vor. Sie ergänzen sich mit dem Rockabilly-Staccato, mehreren akzentuierten, beinahe zum Scat erweiterten Silbeninterpolationen, einem kurzen

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Auflachen (2:08) und dem genau zum Achtel-Timing passenden Slap­backEcho zu einer ausgesprochen perkussiven Song-Textur. ­Andere frü­he Beispiele sind in »Money Honey« (0:19), »When It Rains« (0:14), »Too Much« (1:56) und dem Frankie-Lane-Cover »I Believe« zu hören – in letz­terem nähert sich der Hiccup einem expressiv eingesetzten Brechen (0:31; 0:38; 1:39; 1:49), wie es auch in »Love Me« (1:10; 2:20) zu hören ist. Klassische Tears finden sich unter anderem in der Crooner-Ballade »Tell Me Why« (1957). Auch Atemgeräusche setzt Presley ausdruckssteigernd ein, oder aber als weiteres rhythmisches Element. Sie können, vorwiegend in langsameren Stücken, extrem nah am Mikrofon aufgenommen sein, sanft hauchig ausfallen und verführerisch Nähe suggerieren (»Blue Moon«, 1956; »Love Me Tender«, 1956; »Young and Beautiful«, 1957), oder auch in schnelleren Songs hauptsächlich als rhythmisches Element fungieren (»Heartbreak Hotel«, 1956; »Love Me«, 1956; »Old Shep«, 1956; »All Shook Up«, 1957). »I Believe« (1957), ansonsten ein gutes Beispiel für Presleys gutturales Balladentimbre und verschiedene Tears (»come«, 0:31; »I«, 0:38 etc.), enthält ab 1:41 zahlreiche expressive Ausatmer, die vor oder auch nach den Gesangstönen zu hören sind. In »All Shook Up« befindet sich ein rhythmisch präzise auf die dritte Taktzeit gesetzter Stöhnlaut (1:41). Presley praktiziert hier eine Art vokaler Intimität, die auf die Praktiken der Crooner in den 1920er Jahren um Rudy Vallée zurückverweist, diese aber bei Weitem übersteigt. Als Abbild der ethnische Differenz artikulierenden gesellschaftlichen Normen in den 1950er Jahren war diese Art Intimität dem Vokalstil seiner afroamerikanischen Kollegen Little Richard und Chuck Berry fremd – im Gegensatz zur gesellschaftlich sanktionierten, weil rassistischen Vorurteilen entsprungenen Sambo-Foolery.

S tarimages . Z usammenfassung Wie Joe Harrington bemerkt, verkörpern alle frühen Rock’n’Roll-Stars mehr oder weniger »virtual cartoon characters!« (Harrington 2002: 55), spitzen also kulturelle Stereotype von Männlichkeit, Jugendlichkeit und ethnischer Zugehörigkeit zu oder fordern sie heraus. Nimmt man Bühnenpersonae und Images von Penniman, Berry und Presley als an ein Teenagerpublikum adressierte Images, legen die obigen Analysen dabei diverse Anschlüsse zwischen Vokalstilen und Images nahe. Little Richard verkörpert den ausgeflippten und seinsvergessenen, seine Sinnlichkeit

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

ohne jeden Gedanken an ein Morgen auslebenden Exzentriker, in dem zugleich die alte, rassistische Klischees ausnutzende Sambo-Strategie des seine Harmlosigkeit ausstellenden, komisch debilen afroamerikanischen Mannes aktualisiert wird – jedoch in verschärfter und geradezu provokativ offener Form, denn Pennimans androgyne Bühnenpersona ist hinsichtlich ›Crazyness‹ und ungebremster Energie, vor allem aber im Blick auf jegliche herkömmliche Kategorisierung von Gender und Sex eine Herausforderung nicht nur für die weiße Hegemonialkultur. Offen rebellisch – etwa im Anschluss an die Hollywoodschauspieler James Dean oder Marlon Brando – gab sich Sambo Penniman allerdings weder im Image noch im Vokalstil. Auch nur leiseste Anflüge der Annäherung an ein anderes rassistisches Stereotyp, das Bild des »Angry Black Man« (Wingfield 2007) oder »Bad Nigga« (Cashmore 2005: 246), das afroamerikanische Männlichkeit in den Horizont von Gewalt und aggressiver Selbstbehauptung rückt, waren in den 1950er Jahren undenkbar. Auch Pennimans normsprengende Exzessivität wurde Mitte der 1950er Jahre offenbar zugleich als ausreichend unernst wahrgenommen, um sie als ›Nonsens‹ abtun zu können. Zentrale Elemente seines exaltierten Vokalstils können aus dem Gospel-Music- und Rhythm  & Blues-Gesang hergeleitet werden. Kontinuitäten wie die verschliffene Intonation, das plötzliche Wegbrechen der Stimme in expressiven Momenten, der ausdruckssteigernde Einsatz melismatischer Ornamente und der Hang zur mikromelodischen Variation sind neben »Tutti Frutti« auch in später aufgenommenen Songs wie »Long Tall Sally« (1956) oder »Lucille« (1957) nachweisbar. Was den Uptempo-Rock’n’Roll-Gesang Pennimans von diesen abhebt – das durchgehende, ekstatische Shouting und Screaming, der rhythmisch perkussive, teilweise auch instrumentale Einsatz der Stimme, die Arbeit mit extravaganten Falsetttönen –, lässt sich insgesamt als Übernahme der »Sambo-Foolery« in den Vokalstil interpretieren, im Kontext eines jugendlich auftrumpfenden Übermuts und mutwilligen Kontrollverlusts. Chuck Berry steht für einen weniger exzentrischen und zugleich unbeschwerteren Entertainer-Typus, der clowneske, sportliche und zugleich dandyhafte Züge trägt. Sofern Berry auf der Bühne weniger provokativ als unterhaltend agierte und sexuelle Anspielungen weitgehend in die Texte verbannte, schloss er eher an den Zip-Coon-Typus des afroamerikanischen Entertainers an. Der Coon oder, nach dem gleichnamigen, erstmals 1834 veröffentlichten Song, Zip Coon, war eine populäre Bühnenfigur der Blackface Minstrel Comedies des 19. Jahrhunderts, aus der eine Ka-

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rikatur des aufgedrehten, augenrollend quietschvergnügten Black Dandys aus dem urbanen Norden entsprang, »foolish, tended toward exaggerated speech inflections and malapropisms, and walked with a ridiculous strut« (Geist und Nelson 1992: 267). Sie entwickelte sich zu einem der aggressivsten rassistischen Zerrbilder in den USA und als greller, devoter Quatschmacher zu einem kulturellen Stereotyp, dem sich auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum ein afroamerikanischer Musiker und Entertainer entziehen konnte (Bielefeldt 2008: 54–55). Zugeschnitten auf sein Teenager-Publikum, knüpften auch Berrys sportiv elegante Bühnenpersonae und sein komödiantisches Auftreten unverkennbar daran an. In seinen Texten allerdings formulierte Berrys Rock’n’Roll-Coon alles andere als devoten Quatsch, sondern vielmehr Modelle jugendlichen Aufbruchs und Begehrens sowie – wie in »School Days« (1957) – Reflexionen über die Situation der afroamerikanischen Minderheit in den USA. Seine Stimme verweigerte sich bis in Timbre, Intonation und Aussprache den alten, rassistisch getönten euroamerikanischen Vorstellungen von schwarzer Musik. Berrys Gesang zeichnet sich durch ein moderates Shouting und einen der Country Music verwandten, nasalen Stimmklang mit nur wenigen wegbrechenden Tönen aus. Seine Intonation verweist auf die verschliffene Tonhöhengestaltung im Rhythm & Blues, sein rhythmisch perkussiver Stimmeinsatz einschließlich Silbeninterpolationen ist Stil prägend für den Rock’n’Roll. Elemente, aus denen Berry eine »racially ambiguous postmodern persona« (Narváez 1995: 176) formte, die ihm eine euroamerikanische Hörerschaft sicherte und ihn zugleich zum Symbol für die ethnische Diversität des Rock’n’Roll machte. Darin bestand vermutlich Berrys wichtigste Provokation: Dass es in der konservativen, ethnisch segregierten US-amerikanischen Gesellschaft der 1950er Jahre überhaupt so etwas wie ein afroamerikanisches Gegenstück zu Elvis Presley geben konnte – dessen Stimme anfangs ebenfalls als ethnisch ambivalent beziehungsweise ›schwarz‹ wahrgenommenen wurde und der in seiner körperbetonten Performance mit diesem Image spielte. Presley entwickelte seinerseits in den ersten zwölf Monaten seiner Karriere ein kontroverses Image als »young untameable adonis« (Jarman-Ivens 2007: 163) und hypermaskuliner Rock’n’Roll-Macho, als dessen dominante Merkmale eine stark präsente Körperlichkeit, eine latent aggressive Ausstrahlung, zur Schau gestellte Unabhängigkeit und ein demonstrativer Selbstbehauptungswillen gelten dürfen (Bertrand 2004: 66). In den Medien wurde Presley mehrfach mit Strippern verglichen, etwa

Rock’n’Roll- Gesang bei Little Richard, Chuck Berr y und Elvis Presley

nach seinem Auftritt in der The Milton Berle Show am 5. Juni 1956 in der New York Times (Fink 2002: 99). Das Outcast-Image war zugleich Teil seiner Vermarktung durch RCA, wie das Platten-Cover von »Hound Dog / Don’t Be Cruel« belegt. Es zeigt den »King« halb abgewandt, mit zerzauster Tolle und zerknittertem Jackett. Stimmlich entspricht dem allerdings nur ein Aspekt unter mehreren innerhalb eines insgesamt vielseitigen Vokalstils. Neben dem Halbstarken, dem »youth rebel in ›cool‹ suits« (Jarman-Ivens 2007: 167), artikuliert Presley auch andere, differenziertere Seiten von Jugendlichkeit, etwa das Spiel mit dem Absurden bei gleichzeitiger Behauptung von »youthful confidence« (Jeansonne, Sokolovic 2011: 65), wie es auch Jerry Lee Lewis in großartiger Weise praktizierte – »Great Balls of Fire« (1957) gehört gesanglich wohl zum Extravagantesten, das der Rock’n’Roll jemals hervorgebracht hat. Oder das jugendliche Ausprobieren und mutwillige Austesten von Grenzen, das man Middletons Kritik am »hiccoughing effect which is almost absurd« (Middleton 1992: 8) in »Baby, Let’s Play House Tonight« entgegenhalten möchte. Presley spielte immer wieder mit dem Moment des Kontrollverlusts jugendlicher Stimmen – Wayne Wadham hat diesen Aspekt am Beispiel »All Shook Up« schlüssig beschrieben: Here Elvis clips words and phrases, and throws away the ends of lines as though he can’t control his voice. His tone is light, thin, and shaky – in some ways mimicking the sound of a teenager – and he uses almost no vibrato. The vocal conveys insecurity, naiveté, and a quasi-whimpering »help me« feeling. (Wadham 2001: 47)

Und schließlich ist vielleicht nichts so teenagerhaft wie Presleys Humor und die Tatsache, dass er sich immer wieder lustig über sich, die komische Welt und auch über die Musik machte, die er gerade interpretierte. Wie am Anfang von »Milk Cow Blues« (1954), dessen langsame Introduktion mit der Bemerkung »It’s get real, real gone for a change« abgebrochen wird und einem ausgelassenen Uptempo weicht. Oder am Ende von »Mystery Train«, wo im Fade-out ein übermütiger Sprung ins Falsett mit anschließendem Juchzen und Lachen zu hören ist. Bei seinem berühmten Auftritt fünf Jahre später mit »Are You Lonesome Tonight« in Las Vegas (1960) wird der ›Balladensirup‹ des Songs, den er auf Wunsch der Ehefrau seines Managers Tom Parker ins Repertoire aufgenommen hatte, von befreienden, bis heute in ihrer respektlosen Albernheit ansteckenden Lachanfällen aufgemischt.

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14. »Bring It On Home to Me«  Anfänge des Soulgesangs  Christian Bielefeldt

»Soul is the interpretation, not the song; the man, not the music; the feeling, not the title«, fasste der Journalist und Sozialhistoriker Lerone Benn­ ett Jr. (1961: 116) seine Recherchen für einen Artikel über die »Soul of Soul« zusammen, den die Zeitschrift Ebony im Dezember 1961 veröffentlichte. Wer aber hatte dieses Soul-Feeling, und wie entstand es? Bennett machte es selbst Mühe, das exakt zu bestimmen. »Soul – a certain way of feeling, a certain way of expressing oneself, a certain way of being. Ray Charles or Mahalia Jackson singing ›Twinkle, Twinkle, Little Star‹ is soul par excellence« (ebd.). Die beiden großen afroamerikanischen Stars konnten singen, was sie wollten, selbst kleine Gutenachtlieder aus England – sie sangen (oder hatten) Soul, weil bei ihnen der interpretierende Mensch, nicht die interpretierte Musik im Mittelpunkt stand. Was für Bennett den Soul ausmachte, war demnach – ganz im Einklang mit der heutigen Forschung (Ward 1998: 185) – nicht zuletzt eine besondere, die Künstlerpersönlichkeit akzentuierende Aufführungspraxis. Diese lässt sich in der Tat gut von der Musik Ray Charles’ (geb. Ray Charles Robinson, 1930–2004) ausgehend genauer in den Blick nehmen. Charles stand seit seinem Nr. 1 Rhythm & Blues-Hit »I’ve Got a Woman« (1954) für die zunächst kontrovers aufgenommene, schon bald aber außerordentlich populäre Verbindung von Gospel Music und Blues, hatte aber auch einige Jazzaufnahmen veröffentlicht. Unter ihnen findet sich das mit dem Vibrafonisten und Pianisten Milt Jackson eingespielte Album Soul Brothers (1958) – ein anspielungsreicher Titel, der dem interessierten Käufer neben dem Hinweis auf die Seelenverwandtschaft der beiden Musiker, Brüder im Geiste des Soul-Feeling, noch mindestens drei weitere Lesarten anbot: Religiösen Musikfans stellte er eine spirituelle Dimensi-

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on des Albums in Aussicht. Für Jazzkenner zielte er auf eine neuere, an Gospel Music, Blues und insgesamt an die Wurzeln afroamerikanischer Musik anknüpfende Entwicklung des Jazz, an der Charles und Jackson Ende der 1950er Jahre beteiligt waren (Lopes 2002: 252–53; Deveaux und Giddens 2009: 490–93).1 Darüber hinaus aber verband er sich vor allem mit dem Schlagwort des neuen »Black Consciousness«, um das es auch Bennett im Kern ging: »The word ›soul‹ itself has become synonymous with truth, honesty, and yes, even social justice among Negro musicians«, hatte John Tynan (1960: 20), einer der damaligen Herausgeber der Jazzzeitschrift Down Beat, ein Jahr vor Bennetts Ebony-Spurensuche den (de facto bereits weit über die Jazzmusikerszene hinausreichenden) Aufschwung des Wortes Soul für seine Leser zusammengefasst.2 Unter anderem erfreute sich dabei auch die Anrede »Soul Brother« wachsender Beliebtheit. In ihr spiegelte sich das im Wandel begriffene, Solidarität zunehmend mit offensiver Selbstbehauptung verbindende afroamerikanische Selbstverständnis: Soul-Brüder und -Schwestern begegneten sich als Seelenverwandte im Zeichen ethnischer Differenz. Wer sich und andere Soul Brother nannte, versicherte sich seiner »essential Negro­ ness« (Hannerz 2007: 312) als einer ethnozentrisch begründeten Kollektividentität. Dabei war der Soul-Begriff zugleich offen – oder auch, wie es Bennetts Ebony-Artikel nahelegt, diffus – genug, eine vielfältige und in sich durchaus brüchige Kultur zusammenzuführen. Soul verwies gleichermaßen auf spirituelle Vorstellungen, in die afrikanische Vergangenheit zurückreichende religiöse Praktiken und auf den modernen, urbanen Lebensstil, auf afroamerikanisches Essen, Reden, Denken, Sich-Kleiden, Spielen, Musizieren und Tanzen (Ward 1998: 182). Bennett seinerseits pries augenzwinkernd sogenannte in der New Yorker Seventh Avenue erhältliche »Soul food collar greens« an, was allerdings nicht gewähr­leiste, dass jeder, der diese Kohlblätter esse, dann wirklich auch den Soul in sich trage. Soul war in vielen Fällen eine modische Zuschreibung, deren Bezugssystem unklar blieb – und das acht Jahre, bevor Soul Music 1969 den Rhythm  & Blues als Sammelbegriff populärer afroamerikanischer Musikstile in den Billboard-Charts ablöste. Dennoch gab es eine Kernbot   »Soul-Jazz«, die damals gebräuchliche Bezeichnung für diese Entwicklung, hat sich als Stilbegriff nicht durchgesetzt. 2    Milt Jackson wurde z. B. 1958 von Dan Morgenstern in Down Beat ein »intangible ›soul‹« zugeschrieben, »which distinguish Jackson’s playing, (and) can be traced to the early and lasting influence of the church« (27. November 1958: 17). 1

Anfänge des Soulgesangs

schaft. Der Soul signalisierte, dass es um die eigene Geschichte ging, um die Gemeinschaft aller afroamerikanischen Menschen im Horizont ihrer jahrhundertelangen gewaltsamen Unterdrückung und Ausschließung als unterprivilegierte Minderheit. Das machte die Anrede »Soul Brother« zu einem Ritual, mit dem sich – vornehmlich junge, städtische – Afroamerikaner ihre Zusammengehörigkeit bestätigten. Und das machte aus Musik, die an diese Geschichte anschloss, ein gemeinschaftsstiftendes Medium ersten Ranges. Wie Charles Keil Mitte der 1960er Jahre anhand einer Befragung von Musikern sowie Hörerinnen und Hörern der Blues- und Soulmusik-Sendung Hotline im Chicagoer Radiosender WVON dar­legte, wurde der Unterhaltungsaspekt bei Soulkonzerten damals zusehends von quasi-religiösen Gemeinschaftserfahrungen in den Hintergrund gedrängt (Keil 1966: 164 ff.). »Negro audiences, at least, are willing to turn a performance into a quasi-religious experience«, bestätigte John Szwed (2005: 22) im selben Jahr. Die stolze Bekräftigung von Individualität, wie sie die Soulmusiker vor Augen und Ohren führten, erhielt dabei ihren quasi-rituellen Sinn nicht zuletzt im Kontext des erwachenden afroamerikanischen Selbstbewusstseins. This was what soul, like gospel music, black religion, and for that matter the civil rights struggle, was largely about: affirming individual worth within the context of black collective identity and pride. (Ward 1998: 185)

Denn mit seinem selbstbewussten Bezug auf die eigene Kultur und Geschichte wurde der Soul auch zum Korrektiv für die Unterlegenheits- und Ohnmachtsgefühle, die der von Rückschlägen begleitete Kampf des Civil Rights Movement um Integration und gesellschaftliche Teilhabe bei vielen Afroamerikanern wachrief. Nachdem der March on Washington im August 1963 noch einen letzten Höhepunkt des Optimismus markiert h ­ atte, nachhaltig Veränderungen in Richtung einer egalitäreren Gesellschaft bewirken zu können, traten nach den tödlichen Anschlägen auf Medgar Evers (12. Juni 1963), J. F. Kennedy (22. November 1963) und Malcolm X (21. Februar 1965) sowie einer Serie von rassistisch motivierten Atten­ taten Vorstellungen von autonomer Stärke und nationalistische Konzepte wie Black Power, Black Pride und Afrozentrismus in den Vordergrund. Aufgrund ihres offensiven Traditionsbezugs und ihrer Wurzeln in beiden großen Feldern afroamerikanischer Musik bot die Soul Music dazu den passenden kulturellen Ausdruck an:

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Christian Bielefeldt Soul music draws from the older models of spirituals and the blues and, by unifying the sacred-secular dichotomy, has produced a stylistic mode adaptive to the urban Negro situation – a trend toward stability within self-contained ghetto subcultures based on mutual aid and individualism, best captured in the concept of »Black Power«. (Szwed 2005: 34)

Voraussetzung dafür waren Verschiebungen innerhalb der US-amerikanischen Musikkultur, die Mitte der 1950er Jahre zu einer weitreichenden Aufwertung afroamerikanischer Musik geführt hatten. Im Zeichen der allgemeinen Infragestellung ethnischer, kultureller und sexueller Normen und Tabus nach dem Zweiten Weltkrieg vermischten sich ab 1954 auch die segregierten Märkte für ›weiße‹ und ›schwarze‹ Musik (siehe Kapitel 13). Afroamerikanischer Rhythm & Blues zeitigte vor allem zwischen 1955 und 1958 stark wachsende Verkaufszahlen und produzierte dabei ­Symbole afro­amerikanischen Zugangs zur Mainstreamkultur, die eine pluralis­tische Gesellschaft zumindest in Aussicht zu stellen schienen. Sam ­Cookes außerordentliche Popularität lässt sich unter anderem damit erklären, dass er als ein solches Symbol galt. Im Unterschied zu den Rock’n’Roll-Sängern Little Richard und Chuck Berry, die sich einer für Afroamerikaner völlig neuartigen Beliebtheit vor allem bei jungen Euroamerikanerinnen erfreuten, sprach Cooke gleichermaßen auch das afroamerikanische Publikum an. Als die Zeitschrift Billboard im November 1963 (bis Januar 1965) die Führung ethnisch segregierter Musikcharts vorübergehend ganz aufgab, lief sie den Entwicklungen jedoch schon wieder hinterher. Tatsächlich h ­ atte sich der afroamerikanische Musikgeschmack inzwischen diversifiziert und neben dem Black Pop, mit denen unter anderem Cooke und Berry Gordys Motown Records erfolgreich auf den multi­ethnischen Markt für jugendliche Musikfans setzten, eine Vorliebe für eine rauere, nationalistischere Ästhetik entwickelt. Für diese standen in erster Linie die mit Atlantic kooperierenden Plattenfirmen Stax und Volt (mit dem jungen Otis Redding), Atlantic selbst (Solomon Burke) sowie King Records mit dem späteren Godfather of Soul, James Brown. Die Fame-Studios in Muscle Shoals kamen wenig später hinzu (Aretha Franklin, Wilson Pickett). Von Soul Music sprach man dann allerdings Mitte der 1960er Jahre nicht nur in Bezug auf Charles, Redding, Burke oder Cooke, der im Februar 1963 das Album Mr. Soul veröffentlichte und

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seitdem mit diesem Titel auftrat und warb,3 sondern auch auf Motown und bald auf nahezu jede populäre afroamerikanische Musik. Eine entscheidende und zugleich sehr konkrete Rolle innerhalb dieser Entwicklung spielte die Gospel Music. Sie verband die meisten Spielarten des Soul, so unterschiedlich sie auch zwischen Muscle Shoals, New York, Memphis und Detroit klangen, als gemeinsame Bezugsgröße. Sie versprach den unmittelbarsten Anschluss an die afroamerikanische Tradition. Und die meisten Afroamerikaner hatten zu ihr eine persönlich-biografische, »intensely proprietorial« (Ward 1998: 184) Beziehung. Fast alle Stars der Soul Music nahmen in ihrer Kindheit und Jugend an afroamerikanischen Gottesdiensten teil und hatten die Art ihrer Gesänge und deren gemeinschaftsstiftende, potenziell Trance induzierende Wirkung kennengelernt. Nicht wenige begannen ihre Karriere sogar – wie Burke, Cooke, Jackie Wilson oder Aretha Franklin – in der Gospel Music. Dieses Kapitel verfolgt den Einfluss der Gospel Music auf den Soul ausgehend von drei Leadsängern afroamerikanischer Hard-Gospel-Quar­ tette. Angestoßen durch eine stärkere Präsenz in regionalen Radiosendern und den Erfolg kleiner, unabhängiger Plattenfirmen wie Specialty Records erlebten diese Quartette Anfang der 1950er Jahre einen Höhenflug, der den Gesangsstil ihrer Leadsänger weit über die Kirchen hinaus bekannt machte. Anschließend werden ausgewählte Aufnahmen von Ray Charles, LaVern Baker und Sam Cooke – sowie im Ausblick von der 19-jährigen Aretha Franklin – diskutiert, die an diese Entwicklung anknüpfen. Sie markieren dabei zwei Entwicklungslinien innerhalb der Anfänge des Soulgesangs: den Transfer des Gospel-Vokalstils in den afroamerikanischen Rhythm & Blues (Charles, Baker) und seine poporientierte Variante für ein multiethnisches Publikum, die Verschmelzung der Gospel Music mit der Ästhetik der Popular Music Charts (Cooke, Franklin). Neben vielen Gemeinsamkeiten wird damit auch die Vielfalt in den Blick genommen, die den Soul von Beginn an auszeichnete.

   So beispielsweise in einer Anzeige für das Album Night Beat in der Ebony vom Februar 1964 (18). Auch zu Beginn des Albums Live at the Harlem Square Club (1963) wird Cooke dem Publikum als Mr. Soul vorgestellt. James Brown veröffentlichte 1964 das Album Grits & Soul (Smash Records), von Otis Redding erschien 1965 The Great Otis Redding Sings Soul Ballads (Volt).

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1950

In den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich der Hard Gospel zum führenden Stil der afroamerikanischen Gospelquartette und –gruppen in den USA. Im Vergleich mit den Jubilee-Quartetten der 1920er und 1930er Jahre mit ihrem eleganten vierstimmigen A-cappella-Gesang setzten die – meist aus mehr als vier Sängern bestehenden, aber vierstimmig singenden – Formationen auf einen volleren Sound, den man durch den Einbezug von Instrumenten erreichte, sowie auf eine extrovertierte Bühnen-Performance mit choreografischen Elementen. Die Leadsänger spielten dabei eine immer größere Rolle. Sie begannen während der Konzerte die Bühne zu verlassen, auf die Knie zu fallen und inmitten des Publikums zu singen, »producing such an overpowering performance that the audience was reduced to shouting hysteria« (Young 1997: xxvi). Und während sich die anderen Sänger auf wenige Begleitpatterns beschränkten und häufig nicht viel mehr als Background-Gesang beisteuerten, entwickelten die Leadsänger einen emotionalen, an gesanglichen Extremen vom leisen Raunen bis hin zum Schreien und Kreischen orientierten Gesangsstil, der die energiegeladene Atmosphäre in den Pfingstgemeinden und in den Kirchen der Heiligkeitsbewegung (Holiness) effektvoll aufgriff und musikalisch umsetzte. Als weitere Möglichkeit zu ekstatischen Steigerungen trat man zudem immer häufiger mit zwei Leadsängern auf. Diese Entwicklungen lösten eine bis Mitte der 1950er Jahre andauernde Hochkonjunktur der Gospel-Quartette aus, die heute als Golden Age of Gospel gilt. F ­ ührende Quartette waren in Philadelphia (The Dixie Humm­ingbirds um Leadsänger Ira Tucker, The Sensational Nightingales um Julius Cheeks, The Clara Ward Singers) und Chicago zu Hause (The Soul Stirrers mit Rebert H. Harris und The Five Blind Boys of Mississippi um Archie Brownlee).

Rebert H. Harris & The Soul Stirrers Die Soul Stirrers gehörten zu den führenden Quartetten ihrer Zeit, sangen für Franklin D. Roosevelt im Weißen Haus und traten ab 1940 als eine der ersten afroamerikanischen Gospel-Formationen mit einer eigenen, wöchentlichen Radioshow auf (Burford 2010: 357). Vor allem aber konnte man sie quer durch das Land in Kirchen, Gemeindehäusern und auf Revival-Meetings hören. Rebert H. Harris, Mitbegründer und Leadsänger der

Anfänge des Soulgesangs

fünfköpfigen Gruppe, bildet eines der Bindeglieder zwischen dem neuen Stil und dem Jubilee Gospel der 1930er Jahre. Hinsichtlich Lautstärke und Expressivität, besonders aber im Blick auf den Einsatz umfangreicher melismatischer Ornamente gilt er als Stil prägend für den Hard Gospel (Boyer 2000: 200). Einer choreografischen Unterstützung seiner Auftritte konnte er jedoch nichts abgewinnen. Im Gegenteil war er bekannt dafür, seine Songs mit ekstatischer Energie und wütendem Ernst, aber dennoch mit Würde und gesammelter körperlicher Ruhe vorzutragen. »He used to stand right there, flat-footed, and he’d kill the world«, erinnert sich Stirr­ ers-Mitglied S. R. Crain (zit. in Wolff 2011: 73). Damit entspricht Old Man Harris, wie ihn seine Bewunderer nannten, noch dem älteren, mit den Quartetten der 1920er und 1930er Jahre verknüpften Leitbild des »erect, responsible God-fearing churchman« (Wolff 2011: 38), also des aufrechten, gottesfürchtigen Predigers, das der Hard Gospel wenn nicht infrage ­stellte, so doch mit seiner Showelemente einbeziehenden Strategie allmählich aufweichte. Die meisten Stirrers-Songs, die bis zum Ausscheiden von Harris 1950 für Specialty Records entstanden, sind – wie die ihrer Vorbilder, das Golden Gate Quartet – unbegleitet. Gleichzeitig setzten Harris und die Soul Stirrers schon früh auf den Gesang mit zwei Leadsängern. Harris teilte sich viele Songs mit James Medlock und später dessen Nachfolger Paul Foster, und zwar im Sinne eines Steigerungsverlaufs: Meist trugen Medlock oder Foster entspannt und mit moderater Lautstärke eine Melodie in Baritonlage vor, die Harris anschließend expressiv ausgestal­ tete. Der Ambitus reichte dabei von einer mittleren Bariton- bis zur hohen Tenorlage, im häufig eingesetzten Falsett auch weit darüber hinaus (f2 in »Shine on Me«, 1:41–1:43). In Harris’ Vokalstil finden sich viele Elemente des Gospel-Sologesangs wieder, wie er in Kapitel 9 anhand von Arizona Dranes, Mahalia Jackson und Rosetta Tharpe beschrieben wird. Harris singt mit eindringlicher, erhobener Stimme in der Tradition des Predigergesangs, passt den Stimmklang dabei aber jeweils flexibel an die Texte an – innerhalb eines Songs kann sich vor allem der Anteil von Rauheit mehrfach verändern, wobei die Bandbreite von einem heiseren Timbre über glattere, von Kopfstimmenresonanzen geprägte Klänge bis hin zu gleichsam schwebenden, stark vibrierten Falsetttönen fast ohne Geräuschanteil reicht. Registerwechsel behandelt Harris immer wieder als deutlich hörbare, ­ausdruckssteigernde Stimmklangbrüche. Regelmäßig sind vor textlichen Schlüsselworten außerdem Atemgeräusche hörbar, die deren emotionalen Gehalt hervor-

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heben. Gelegentlich führen längere Ornamente dazu, dass Harris auch innerhalb einer Silbe einatmet, also eine Silbeninterpolation vornimmt (eine Silbeninterpolation ist die Hinzufügung einer zusätzlichen Silbe beziehungsweise die Verdopplung einer vorliegenden in zwei aufeinander­ folgende Lauteinheiten, z. B. »ge-et«). Das hervorstechendste Merkmal seines Gesangs ist jedoch ein improvisiert wirkender, immer wieder neue Varianten bildender Umgang mit der Gesangsmelodie. Harris setzt seine – überwiegend von Offbeat-Phrasierung geprägten – Melodien meist kontrapunktisch als Gegenstimme über die homofon singenden Begleitstimmen und reichert sie mit kleinen Verzierungen wie Wechselnoten nach oben oder Vorschlagsnoten an, die sich bei wichtigen Textstellen zu ausgedehnten Ornamenten erweitern können. Häufig streut Harris außerdem einzelne Rufe ein sowie kommentierende Einschübe und bekräftigende Wort- oder Textwiederholungen. Töne vor allem an Phrasenanfängen werden mit Aufwärtsglissandi angeschliffen. All diese Mittel lassen sich gut anhand von »Shine on Me« (1950) konkretisieren. Der in einem flexiblen tempo rubato gehaltene Song wird in der Tradition der Jubilee-Quartette a cappella gesungen und beginnt mit einer 28-sekündigen Einleitung mit Leadgesang in Basslage. Den Rest des Songs gestaltet Harris über den stehenden »ohh«-Akkorden seiner Mitsänger in mittlerer bis sehr hoher Lage (a–f2). Charakteristisch für viele Gospelsongs, ist das Tonmaterial der Gesangsstimme (Dur-)pentatonisch mit zusätzlichem Halbton unterhalb der Terz. Die Moll-Terz erklingt häufig über einem Dur-Akkord, die Dur-Terz wiederum wird regelmäßig mit einem Halbtonschritt über die Moll-Terz erreicht oder per Wechselnote mit ihr verbunden. Terzen mit gleitender Tonhöhe finden sich dagegen bei Harris eher selten. Textlich basiert der Song ab dem Einsatz von Harris auf der dritten Strophe des berühmten Kirchenliedes »Amazing ­Grace«. Harris fügt allerdings verschiedene Ausrufe (»Oh Lord!«) und in der dritten und vierten Zeile auch erläuternde und verstärkende Einschübe ­hinzu (»you know it was my god’s grace«). Ebenfalls typisch für einen Großteil der Gospel Music um 1950, kommt der Song dennoch insgesamt mit wenig Text aus, da viele Worte in der Tradition des umspielenden und verstärkenden »Getting the juice out of the words« stark ausgedehnt und verziert werden (Richardson 2014). Die genannte Texterweiterung (»you know ...«) singt Harris dabei deklamatorisch mit akzentuierten Tonanfängen, wodurch der Gesang dort insgesamt einen sprechnahen Charakter erhält. Ähnlich sind auch die mit decrescendierenden Abwärtsglissandi

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Abbildung 14.1: Rebert H. Harris & The Soul Stirrers, »Shine On Me« (1950). Ausschnitt aus dem zweiten Teil ab 1:27. Takt 2 (»grace«) veranschaulicht das Prinzip des ausdrucksteigernden »Getting the juice out of the words« durch zahlreiche Vorschläge (g #–a). Der letzte Ton des Ornaments beinhaltet einen wegbrechenden Stimmklang am Phrasenende. Das mehrfach bestätigte f in Takt 3, auf das der Texteinschub gesungen wird, erinnert an den Rezitationston einer Predigt. Der Falsettruf in Takt 6 bildet den Spitzenton des Songs; es folgt ein absteigendes Ornament und ein Abwärtssprung auf d1, der mit einem Registerwechsel verbunden ist. Der Falsett-Klang bricht während des Sprungs a1– d1 ab, worauf sich der Zielton mit einem Tear (» «, ein schneller Registerwechsel vom Falsett ins Modalregister am Anfang des Tons mit einem brechenden Effekt) im Modalregister etabliert. Gesungen sind die Ornamente rhythmisch freier als in der Transkription angegeben, zumal das tempo rubato für ein unregelmäßiges Timing sorgt. Der Unterschied zwischen Vorschlagsnoten von unten und Aufwärtsglissandi bei Tonanfängen ist vielfach fließend. Antizipationen von Phrasenanfangstönen finden sich in Takt 5 und 7. Mit Aufwärtsglissandi angeschliffene Töne sind mit dem Zeichen » « markiert, Falsetttöne mit »o«, Töne mit starkem Vibrato mit Tremblementsymbol. C

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Abbildung 14.2: Rebert H. Harris & The Soul Stirrers, »Feel Like My Time Ain’t Long« (1950). Ausschnitt ab 1:40. Arbeit mit Registerunterschieden, Wechselnoten in der Melodie (Takt 3, 10) und angeschliffenen Tonanfängen (Takt 1). Überführung der Ornamente in Viertelketten (Takt 12–14). In Takt 4 beginnt der Gesang mit einem Tear. Einsatz eines starken Vibratos auf längeren Tönen.

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Anfänge des Soulgesangs

in diesem schnellen Tempo akzentuierter zur Geltung. Auffällig ist, dass die Ornamente teilweise an den Grundschlag des Tempos angepasst und entsprechend als regelmäßig pulsierende Viertelketten schematisiert sind.

Archie Brownlee & The Five Blind Boys of Mississippi Zu den populärsten Gospelsängern um 1950 gehörte neben Rebert H. ­Harris auch der Leadsänger der Five Blind Boys of Mississippi, Archie Brownlee (1925–60). Harris gilt als sein Mentor, Brownlee und seine Kollegen waren offenbar 1944 unter anderem deswegen von Mississippi nach Chicago gezogen, um den Kontakt mit Harris intensivieren zu können (Boyer 2000: 200). Die Five Blind Boys nahmen bereits in den 1930er Jahren vier Songs für den Kulturanthropologen Alan Lomax auf; in den 1950er Jahren sang sich Brownlees Formation in die erste Reihe der HardGospel-Quartette. Anders als die Übergangsfigur Harris gehört Brownlee jedoch klar in den Hard-Gospel-Stil. Er praktizierte einen sehr lautstarken und extrovertierten Gesang, bezog Instrumente wie Klavier, Gitarre und Schlagzeug in seine Musik ein und setzte auf einen stärker auf Bewegung hin orientierten Auftrittsstil (Butler 2005: 158). Offenbar konnte sich Brownlee trotz seiner Blindheit mit verblüffender Geschwindigkeit und Energie im Konzertraum bewegen. Bob Darden zitiert einen Zeitzeugen, der Brownlees Auftritte beschreibt: »I seen him ... jump all the way off that balcony, down on the floor – blind! I don’t see how in the world he could do that, people would just fall out of the house« (Darden 2004: 235). Auch Brownlees Gesang galt unter den Gospel-Fans als ungewöhnlich spektakulär, was ihm Titel wie »Hardest singing man in gospel« (Boyer 2000: 199) und »Baddest man on the road« (Heilbut 1975: 47) eintrug. Wie kaum ein anderer integrierte er lautstarke Rufe, Schreie und plötzliche, schrille Falsetttöne in seinen Gesang, »wails, shrieks, screams, strident falsettos, yells, and grunts all into one song« (ebd.). Sein größter kommerzieller Erfolg gelang ihm 1951 mit »Our Father«, einem Song von Wynona Carr, mit dem die Five Blind Boys auch den Crossover in die Rhythm & Blues-Charts schafften (Platz 10, 1951). Der Song ist geprägt von repetitivem Backgroundgesang und unterliegt insgesamt, wie auch jede Strophe für sich, einer sich in Tonlage, Lautstärke und Stimmgebung niederschlagenden Steigerungsdramaturgie. ­Brownlee beginnt mit voller Stimme, einem regelmäßigen, schnellen und engen ­Vibrato, Legatoartikulation und einem zunächst klaren, obertonreichen

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Abbildung 14.3: Archie Brownlee & The Blind Boys of Mississippi, »Our Father« (1951). Transkription des Schlusses mit Steigerung und Beruhigung durch Anhebung (Takt 1–8) und Herunterführung der Tonlage (Takt 9–12). Die zu den beiden Screams hinführenden Töne sind stark crescendierend gesungen (Takt 7, 10). Die Gesangsmelodie enthält zahlreiche Blue Notes, also mit gleitender Tonhöhe versehene Terzen zwischen Moll und Dur, diese sind hier als DurTerz notiert und mit abwärts gerichteten Pfeilen gekennzeichnet. Aber auch annähernd klare, wenn auch teilweise mit steigender Tonhöhe gestaltete Moll-Terzen über Dur-Akkorden (Takt 2, 6, 9, 11) sind vorhanden. Anfangstöne und Töne auf betonten Zeiten (Takt 2, 4, 8, 9, 11) werden mit einem Aufwärtsglissando angesteuert. Melismatische Wendungen wie die als Sekundschritt notierten Figuren auf »been« in Takt 1 oder auf »me« in Takt 4 könnten auch als Glissandotonverbindungen betrachtet werden. Die schnellen Ornamente in Takt 2, 9, 11 und 12 basieren auf der pentatonischen Skala und sind hier rhythmisch nur annäherungsweise wiedergegeben. Die Screams sind mit x-Notenköpfen markiert.

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Timbre, das sich im Verlauf des Songs parallel zu einer zunehmend gepressteren Stimmgebung immer stärker aufraut, bis hin zum Growl, einem von Vibrationen der Taschenfalten bestimmten, rauen Stimmklang (1:37, s. Abbildung 14.3). Die erste Strophe enthält fast geräuschfreien Falsettgesang in größerer Höhe, der ähnlich wie bei Rebert H. Harris oder auch dem Rock’n’Roll-Gesang von Little Richard mit einem Sprung erreicht und klanglich deutlich von der Umgebung abgehoben wird (0:09). Erst im Refrain sowie gegen Ende der zweiten Strophe sind lang ­andauernde Schreie in großer Höhe eingeschaltet. Diese werden, typisch für Brownlee, ebenfalls über große Intervallsprünge, hier jeweils kleine Septimen, erreicht und können als Markenzeichen seines Gesangs gelten ­(Boyer 2000: 200). Viele Töne beginnt Brownlee mit Aufwärtsglissandi, wie beispielsweise den einleitenden »Oh«-Shout; einige Tonverbindungen sind mit Portamenti verziert und Worte und Silben am Zeilenende mit sehr schnellen, melodisch abwärtsgerichteten Ornamenten versehen.

»Professor« Alex Bradford & The Bradford Specials Als ein weiterer Gospelsänger mit größerem Einfluss auf die Entwicklung des Soulgesangs sei abschließend noch »Professor« Alex Bradford (1926–1978) aus Bessemer, Alabama genannt. Wie Harris und Brownlee lebte Bradford nach 1945 in Chicago. 1953 erhielt er einen Vertrag für sich und seine Gospelgruppe bei Specialty Records. Die Bradford Specials bestanden aus zwei Sängern in Tenor- und zwei in Altlage, sangen also untypischerweise ohne Bass. Bradford selbst arbeitete unter anderem auch als Geistlicher, komponierte mehrere Hits für die Gospelsängerin Roberta Martin und nahm mit LaVern Baker ein ganzes Gospelalbum auf (Pre­ cious Memories: Lavern Baker Sings Gospel, Atlantic 1958). Seine Auftritte waren extravagant, »in his flamboyant robes, Bradford is Gospel’s Little Richard, letting it all hang out« (Heilbut 1975: 145). Mitte der 1950er Jahre erhielt Bradford den Spitznamen »Singing Rage of Gospel Age« (Darden 2004: 264). Auch die Choreographie seiner Gruppe sorgte für Furore: His huge, rough voice shook listeners, but what turned America on most was the Bradford Specials choreography. »I’m too close«, Bradford would sing, answered by the resonant tenor of Little Joe Jackson, the group’s spark plug. Then the two men would gracefully swirl off together, while the other Specials would similarly dip in unison. (Heilbut 1975: 154)

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Abbildung 14.4: Alex Bradford & The Bradford Specials, »Too Close to Heaven« (1954). Beginn der 3. Strophe (ab 1:32). Zahlreiche angeschliffene Töne am Phrasenanfang oder auf einzelnen betonten Silben (»close«, Takt 3), schnelle Abwärtsglissandi am Phrasenende (»  «), starkes Vibrato. Bradfords Stil zeichnen viele antizipierte oder verzögerte, hier vereinfacht transkribierte Einsätze aus. Dasselbe gilt für die neben die schweren Taktzeiten platzierten Silben innerhalb der Phrasen. Ausnahmen sind die Onbeat-Akzente bei »too« beziehungsweise »so close« in Takt 1, 4, 6 und 10 sowie »world« in Takt 5. Auch die extrem hohe, plötzliche Falsettfigur in Takt 9 (c3) erscheint auf schwerer Taktzeit. Viele Ornamente, Tonumspielungen, Verzierungen und Wechselnoten von unten. Wie bei Harris und Brownlee ist der Unterschied zwischen Wechselnoten und Glissandoverbindungen fließend. F F7 B¨ C7 F B¨7 * œ™ b* œ œ œ œ œ œ3 * j * 3 * œ œbœjµ œ œ œ œ œ ‰ œbœ nœ œ œ ‰≈ û œ œ œ e Œ ™ Œ ™ ‰ œj œ œ &b J J J Œ Œ™ Œ J :‹; I'm too close

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Der Song »Too Close to Heaven« (1954), aus dem die von Heilbut zitierte Zeile stammt, steht für die Entwicklung des Gospelquartettgesangs in Richtung einer Fokussierung auf einen Solosänger mit Backgroundchor – auf diese Funktion beschränken sich die Bradford Specials hier, während Bradford den überwiegenden Teil des Songs allein bestreitet, begleitet von der elektrischen Hammond-B-3-Orgel, Klavier, Bass, Schlagzeug und Celesta. »Too Close to Heaven« entwickelte sich zu einem Hit mit über einer Million verkauften Singles und machte Bradford landesweit bekannt, Vo­ raussetzung für seine Wirkung als Vorbild unter anderem für Ray Charles – der in ihm, wie Bradford stolz angab, sein Gospelsänger-Ideal sah und sich nicht nur stimmlich, sondern auch im Klavierstil an ihm orientierte: »Ray Charles told me I was his ideal as a gospel singer, and if I ever wanted to send him a song, all I’d have to do is announce my name and he’d give it first preference« (zitiert in Heilbut 1975: 146). Die Vorlage für den Song,

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mit dem Charles seinen Durchbruch feierte, »I’ve Got a Woman«, stammt allerdings entgegen Bradfords Aussage nicht von ihm.

G ospel

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Anders als die Rock’n’Roll-Stars der 1950er Jahre mit ihren auf ein Teenagerpublikum zielenden, jugendlich überdrehten Images, entwickelte Ray Charles Mitte der 1950er Jahre die Starpersona einer überragenden Künstlerpersönlichkeit, gipfelnd in dem Albumtitel Genius of Ray Charles (1959). Andere zeitgenössische Spitznamen wie »Brother Ray«, »The Reverend« und »The High Priest« (Greenfield 2011: 74), die Charles selber bevorzugte, unterstreichen das hohe Identifikationspotenzial des als Kind erblindeten Sängers, Pianisten und Songwriters für sein zunächst vorwiegend afro­amerikanisches Publikum. Offenbar konnte dieses seine Konzerte ganz im Sinne der oben beschriebenen sozialen und psychologischen Funktionen des Soul als säkularisierte Form der Gemeinschaftsbildung und -erfahrung erleben. Es kann angenommen werden, dass viele afroamerikanische Hörer dem aus ärmlichsten Verhältnissen stammenden Charles, der sich selbst als »raw-ass-country« (Hajdu 2009: 82) charakterisierte, in besonderer Weise zugestanden, was Brian Ward als entscheidende Fähigkeiten der Soulsänger beschreibt: Persönlichkeit zu zeigen, die eigene Individualität zu bekräftigen und die eigene Stimme zugleich zu einer exemplarischen zu machen: A unique voice through which they made public private emotions and experiences with which their black audiences closely identified. For the performer, a profound sense of selfhood emerged from the full, forceful and, when appropriate, ecstatic espression of these personal truths or emotions. (Ward 1998: 184)

Das gilt auch für die Karrierephase nach 1960. Obwohl sich Charles damals musikalisch zunehmend an den Popcharts orientierte, nahm man ihn im Sinne von Bennetts Soul-Feeling als Musiker wahr, der Genre und Stile für sich adaptierte, um sie als bereicherndes Element in seinen Personalstil integrieren zu können (Hajdu 2009: 81). In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass das Ausbilden einer persönlichen, unverwechselbaren Stimme eine Schlüsselrolle sowohl in den Äußerungen von Charles selbst spielt, als auch in der einschlägigen biografischen Literatur

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(Charles und Ritz 2004; Lydon 2004). Demnach begann Charles erst Mitte der 1950er Jahre, also nach immerhin acht Jahren Karriere als professioneller Musiker, einen eigenständigen Vokalstil zu entwickeln. Für die Zeit davor ergibt sich das Bild eines Multistilisten, der unterschiedlichste Einflüsse aufsog und sich längere Zeit mit Imitationen seiner Idole, Jazzpianist und -sänger Nat King Cole und Blues-Balladensänger Charles Brown, zufriedengab (Ripani 2006: 85). Ein Beispiel dafür wird in der Analyse von »Hard Times« weiter unten thematisiert. Charles trat als Hillbillypianist auf, begeisterte sich für die Jazzmusiker Artie Shaw und Art Tatum und sang täuschend echt wie Cole oder Brown (DeMain 2004: 19–20), nicht ohne zugleich auch Gospelsänger wie Alex Bradford, Archie Brownlee oder Jess Whitaker, den Leadsänger der Pilgrim Travelers, zu verehren (Boyer 2000: 193; Heilbut 1975: 47, 83–84). Die Entdeckung seiner eigenen Stimme beschreibt Charles im Gespräch mit David Ritz folgendermaßen: Now I’ve been telling you all this time how I loved – and how I imitated – Nat King Cole and Charles Brown. I had been stealing their licks and singing and playing like them for seven years – maybe even longer. Two days didn’t go by without someone saying, »Ray, you sond exactly like Nat Cole.« Or, »Ray, your voice is the spittin’ image of Charles Brown«. At first that delighted me. They were bad cats – those two – and I was proud to be confused with them. But I thought it’d be nice if people began to recognize me, if they’d tell me I sounded like Ray Charles. So I started experimenting with a different voice. Strangely enough, that voice turned out to be mine. I really didn’t have to do anything except be myself. (Charles und Ritz 2004: 127–28, Herv. i. O.)

Die allmähliche Aneignung dieser anderen und zugleich eigenen ­Stimme fällt in die musikalisch innovativste Zeit von Charles’ Karriere zwischen 1952 und 1959. In der Zusammenarbeit mit Atlantic Records und deren Produzent Jerry Wexler, in der Charles über für afroamerikanische Musiker ungewohnt weitreichende Freiheiten verfügte, entstanden entscheidende Anstöße für die weitere Entwicklung des Soul. Hinsichtlich des Gesangs bestanden diese im Wesentlichen in der Integration vokaler Gestaltungsmittel der Gospel Music. Zwar war Charles keineswegs der erste afroamerikanische Sänger, der Elemente des Gospelgesangs in den Rhythm & Blues integrierte (Ripani 2006: 73). Aber es waren Charles und Wexler, die Gospelmelodien erstmals gezielt mit weltlichen Texten und rhythmisch treibendem Rhythm & Blues verbanden und in einer am Jazz

Anfänge des Soulgesangs

Abbildung 14.5: Ray Charles, »I’ve Got a Woman« (1954). Ende der 1. Strophe (ab 0:21). Die Melodie enthält bevorzugt Moll-Terzen über einem Dur-Akkord sowie eine angeschliffene (»way«) und eine mit Vorhalt und Vorschlagsnote von oben und anschließendem Gleiten zwischen Dur und Moll komplex umspielte Terz (Takt 2). Das Wort »need« wird auf zwei Silben erweitert (»neheed«), deren zweite stark behaucht klingt (»+«). Die anderen, kleineren Ornamente befinden sich ausnahmslos am Ende von Phrasen und beenden diese sprechnah mit einem raschen Glissando nach unten. Mit ihm ist jeweils ein deutliches Decrescendo verbunden. Die notierten Zieltöne der Ornamente bei »woman«, »town« und »yeah« werden von Charles jeweils nur annäherungs­ weise intoniert. Viele Anfangstöne von Phrasen sowie auffälligerweise alle Oktavtöne (a1) sind angeschliffen. Beim Spitzenton c#2 wechselt Charles in leises Falsett. Takt 3 (»kind«) beginnt mit einem angedeuteten Tear. Auffällig hinsichtlich der Artikulation ist das plötzliche, markante Staccato bei »she’s good to me«. Den Schluss der Strophe bildet ein Gospel-typischer, bekräftigender Ruf: »oh yeah«.

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nur aus der Hard Gospel Music kannte: mit einer rufartigen, teilweise gepressten Stimmgebung, angeschliffener Intonation, einer Arbeit mit Registerunterschieden einschließlich wegbrechender Töne mit plötzlichem Wechsel ins Falsett; mit Silbeninterpolationen, ausdruckssteigernden Ornamenten und den Text unterbrechenden oder bekräftigenden Rufen (»Oh yeah«, »Yes«, »Oh Lord« usw.) sowie mit ekstatischen Schreien und Passagen mit einer sprechnahen, an der Prosodie orientierten Tonhöhengestaltung.

»Hard Times« und »A Fool for You« Diese Hinwendung zu einem stärker Gospel-inspirierten Vokalstil lässt sich anhand von zwei im April 1955 in Miami aufgenommenen Songs konkretisieren. Neben »This Little Girl of Mine« und einem langsamen, von einer Boogie-Woogie-Bassfigur und Bläser-Riffs bestimmten Ins­ trumentalstück (»A Bit of Soul«) nahmen Charles und seine Band damals auch die beiden Rhythm  & Blues-Stücke »A Fool for You« und »Hard Times« auf. Und interessanterweise beginnt Charles »Hard Times«, das trotz ­neuer Melodie und anderem Text große Ähnlichkeit mit Jerry Leibers und Mike Stollers gleichnamigem, 1951 von Charles Brown aufgenommenem Song aufweist, tatsächlich im Stil von Brown. In beiden Aufnahmen liegt das Tempo bei etwa 60 bpm. Charles’ Gesang ist – trotz eklatanter ­Unterschiede in der Aufnahmequalität – vergleichbar mikrofonnah aufgenommen wie der von Charles Brown. Und wie dieser ist er geprägt von einer zurückhaltenden, teilweise kaum mehr als wispernden Singweise mit weichen, von unten angeschliffenen Tonanfängen, einem warmen, heiseren und stark behauchten Stimmklang, diversen schnellen Wechselnoten und einigen kürzeren Ornamenten. Auch die jeweils in Decrescendi ausklingenden Melismen, die beide mehr verschlucken als singen, sind sich ausgesprochen ähnlich. Im Unterschied zur Vorlage, die den Duktus des Beginns konsequent beibehält, hebt Charles in der zweiten Hälfte des Songs (ab 1:43) allerdings Lautstärke und Rauheit im Sinne einer Gospel-typischen Intensitätssteigerung an, unterstützt durch einen dominanteren Einsatz der Bläsäkularisierte, im Text gleichwohl nur geringfügig veränderte Version des Gospelsongs »This Little Light of Mine«, befürchtete sie Nachteile für ihre eigene erfolgreiche Aufnahme von 1952.

Anfänge des Soulgesangs

Abbildung 14.6: Ray Charles, »Hard Times« (1955). Vergleich zwischen erstem (0:20–0:33) und letztem Refrain (1:58–2:14). Unterschiede bestehen vor allem dynamisch, in der um eine Oktave versetzten Lage und in der Wahl der vokalen Mittel (behauchtes Falsett mit starkem Vibrato bei »hard«, langer, stark gepresster Schrei bei »yeah«, längere und komplexere Ornamente, Tear mit brechendem Tonanfang beim ersten »hard«). Klein gedruckte Noten signalisieren eine murmelnde Singweise mit kaum mehr als angedeuteten Tönen. Im letzten Refrain verlängern sich die Spannungsbögen, er besteht aus anderthalb Phrasen mit Aufschwung zum Spitzenton c2, von dem aus die Melodie über stark ornamentierte Figuren wieder herunter zum Grundton (und darunter) geführt wird. Abgesehen von der einen vergleichbaren Bogen über den gesamten Verlauf schlagenden Dynamik beschränkt sich der erste Refrain dagegen auf kurze Phrasenanläufe, die ab dem dritten Einsatz zudem resignativ mit einem descrescendierenden Abwärtsglissando nahezu ins Unhörbare abfallen. Gemeinsamkeiten beider Refrains liegen in den angeschliffenen oder mit Vorschlagsnoten von unten verbundenen Tönen vor allem am Phrasenbeginn sowie in der Offbeat-Phrasierung, die schwere Taktzeiten fast ausnahmslos vermeidet. Beide enthalten außerdem textliche Einschübe im Sinne einer Bekräftigung und Verstärkung (»oh yeah«, »Lord«, »you know«).



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Abbildung 14.7: Ray Charles, »Hard Times« (1955). Spektrogramm eines Ausschnitts (2:03–2:11) aus dem letzten Refrain mit ausdruckssteigernden Wechseln in Stimmgebung, Register und Timbre. Gut zu sehen ist ganz links das weitgehende Verschwinden der Subharmonics und der höheren Obertöne oberhalb von 1500 Hz beim Wechsel vom mit hoher Rauheit gesungen Modalregister (»you know those hard«) ins helle, allerdings deutlich behauchte Falsett. Die dunkelgrau verwischten Flächen oberhalb der Hauptfrequenz des geschrienen Abwärtsglissandos (»yeah«) erscheinen dort, wo sich das Klangspektrum beim Screaming fast ausschließlich geräuschhaft ausprägt, obwohl die Hauptfrequenz des Schreis gleichzeitig als distinkte Tonhöhe durchaus zu hören ist. Während des Abwärtsglissandos werden dann in dem Maße, in dem Charles wieder mehr singt als schreit, allmählich auch einzelne Obertöne und Subharmonics sichtbar. Entsprechend sind auch die Tonhöhen wieder klarer zu hören. Bei »who knows« ist die Singweise sanft bis murmelnd, das Spektrum weist nahezu keine Subharmonics auf und das Timbre ist demgemäß fast ohne Rauheit. 

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Frequenz in Hz

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6000 3000 1500 750 500 250 2:03

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2:11

Zeit in Minuten

ser. Auch die vokalen Mittel werden vielfältiger und beziehen ein stark behauchtes Falsett ein (2:06; 2:39), einen extrem rauen Stimmklang mit deutlich mitschwingenden Taschenfalten (1:54) sowie gekreischte Rufe (u. a. 2:07; 2:26), die teilweise mit langsamen Abwärtsglissandi verbunden sind (2:42), schnelle, vieltönige Ornamente (u. a. 2:09–2:11; 2:17–2:20) und wegbrechende Töne mit plötzlichem Registerwechsel nach oben ins Falsett. Gegen Schluss hin findet sich auch ein Hiccup, also ein plötzlicher Registerwechsel am Ende des Tons mit nachfolgendem, durch ein schnelles Aufwärtsglissando überbrückten Sprung, hier mit der Oktave als (nur annähernd definiertem) Intervall (2:23).

Anfänge des Soulgesangs

Abbildung 14.8: Ray Charles, »A Fool for You« (1955). Schluss erster (A) und dritter Refrain (B). Steigerungsprinzip mit in B gegenüber A angehobener Lage und Dynamik, größerer Komplexität der Ornamente und ekstatischer Stimmgebung (Schrei). Die angeschliffenen Phrasenanfangstöne und das starke, regelmäßige Vibrato auf längeren Tönen sind kontinuierlich präsent (Aufwärtsglissando am Tonanfang). Stark behauchte Töne und Stellen mit rauer, gepresster Stimme finden sich nur in B. Beispiele für die Arbeit mit einem expressiv brechenden Stimmklang am Tonanfang geben die drei Tears bei »know«, »is« und »yeah«. Der Schrei in B enthält die für Charles typischen, rhythmisch irregulär gesetzten Wechselnoten, die hier je nach Deutlichkeit als Vorschlagsnoten oder eigenständige Töne notiert sind. Melodisch changiert der Schrei zwischen Moll- und Dur-Terz mit Ausweichungen herunter zur Sekunde. Offbeat-Timing dominiert, betont auf schwere Taktzeiten fallen nur »know« in A und »something« in B.

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ff ≥≥ µ ≥ ≥ r ≥3 ≥ µ 3 > B + + +µ 3 - + # œ œ œ œn œ œ œ œ œ œ œ * œ≥œP µ * 3 ≥ b ‰œ* µ J ‰ œ œ œ ™ œ œ3 œ œ œœ œ œ ™ œ œ œ œ œœ œŒ‰ ™ œ œ œ œ b & J J J ‹ So I know is some-thing. Oh Oh Lord yeah I'm a fool for you.

Jerry Wexler und Atlantic-Chef Ahmet Ertegün misstrauten allerdings der Hitfähigkeit des düsteren »Hard Times«, das man erst 1961 auf der LP The Genius Sings the Blues veröffentlichte. »A Fool for You« hielten sie für aussichtsreicher und laut Charles-Biograf Michael Lydon (2004: 121) überhaupt für die beste je bei Atlantic Records produzierte Platte. Und der Erfolg gab ihnen zumindest teilweise Recht. »A Fool for You« erreichte noch im Juni 1955 mit »This Little Girl of Mine« auf der Rückseite Platz 2 in den Rhythm & Blues-Charts, einen Platz hinter »Ain’t That a ­Shame« von Rock’n’Roll-Star Fats Domino, dem überragenden Rhythm & Blues-­Hit des Jahres – dessen Nachfolger dann im Übrigen Chuck Berrys Rock’n’Roll-Klassiker »Maybellene« (1955) war, dem »A Fool for You« ebenfalls hinsichtlich der Verkaufszahlen nur knapp unterlag (siehe Kapitel 13). Wenn Charles selbst, wie viele Rhythm & Blues-Sänger seines Al-

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ters, im Rahmen der weltweiten Begeisterung für Elvis Presley, Bill Haley und ihre afroamerikanischen Kollegen Mitte der 1950er Jahre gelegentlich zum Rock’n’Roll gerechnet wurde (Schwartz 2008: 38), widersprach das allerdings seinem Selbstverständnis: I [Charles] never considered myself part of Rock’n’Roll. I didn’t believe that I was among the forerunner of the music [...]. When I think of the true Rock’n’Roll, cats like Chuck Berry und Little Richard and Bo Diddley come to mind. I think they’re the main men. And here’s a towering difference be­ tween their music and mine. My stuff was more adult. It was more difficult for teenagers to relate to; so much of my music was sad or down. A tune like Little Richard’s »Tutti Frutti« was fun. Less serious. And kids could identify with it a lot easier than my »A Fool For You«. (zit. in Lydon 2004: 132)

Am nächsten kam Charles dem in Kapitel 13 skizzierten Rock’n’Roll-Gesang noch mit den treibenden Marcatotonfolgen und diversen Tears und Hiccups in den Refrains von »Greenbacks«, das ebenfalls von 1955 stammt. »A Fool for You« ist dagegen ein weiteres Beispiel für die Arbeit mit Gospel-typischen Mitteln sowie für deutliche Intensitäts- und Lautstärkesteigerungen im zweiten Teil eines Songs. Die Ballade charakterisiert ein ausdrucksstarkes Nebeneinander verschiedener Stimmgebungen und Stimmklänge und eine Arbeit mit markanten Registerunter­schieden, von leise hingehauchten Crooner-Tönen (»did you ever wake up«) über halb gesprochene Stellen bis hin zu Passagen, die Charles mit voller Bruststimme singt, sowie lautstarken, eindringlichen Schreien von hoher Rauheit. Strukturiert wird der Song durch ein permanentes Alternieren des Gesangs mit patternartig wiederholten Klavierfiguren, ohne dass im engeren Sinn von einem Call And Response gesprochen werden kann, da Stimme und Klavier (sowie ab der dritten Strophe die Bläser-Riffs) melodisch kaum interagieren. Ein vokales Stilmittel, das währenddessen in den Vordergrund tritt, ist die Verzierung längerer Töne mit schnellen Wechselnoten nach oben. Es kann, weil es auch in vielen anderen Songs von Charles ab Mitte der 1950er Jahre vorkommt, als ein charakteristisches Element seines damaligen Personalstils gelten.

»What‘d I Say, Pt. 1 & 2« Gemeinhin gilt »What’d I Say, Pt. 1 & 2« (1959), für Michael Lydon (2004: 188) »a raucous dance number, all sex and sweat«, für Brian Ward

Anfänge des Soulgesangs

(1998: 185) »a raunchy revival meeting with Charles as the preacher«, mit seinem Latin-inspirierten E-Piano-Groove und dem ausufernden Call-And-Response-Schlussteil als einer der einflussreichsten Songs von Charles überhaupt. Jedenfalls war es der Song, mit dem sich dieser ein multiethnisches Massenpublikum erschloss (Platz 6 der Popular Music Charts). Zugleich verschoben die unüberhörbaren sexuellen Konnotati­o­ nen des zweiten Teils die Maßstäbe für das, was im euroamerikanischen US-Radio gerade noch als akzeptabel galt (Greenfield 2011: 132). Von den bisher diskutierten Stücken hebt sich das auf dem 12-taktigen Blues-­ Schema basierende »What’d I Say« vor allem durch den hohen Stellenwert und die neuartige Nutzung des Call-And-Response-Gesangs ab. Im ersten Songteil zeigt Charles nach einem instrumentalen Anfangsteil zunächst ein vokales Repertoire, in dem Ornamente und lautstarke Schreie ausnahmsweise völlig fehlen. Auch merklich wegbrechende Töne oder Tears und Hiccups sind kaum vorhanden und die Melodie kommt ohne Töne in exponiert hoher Lage aus. Nicht verändert ist jedoch die Vielfalt der Stimmgebungen und Timbres, die wiederum von weichem, nah am Mikrofon ausgeführtem Raunen über halb gesprochene Phrasen bis hin zu vollem Bruststimmengesang reichen. Zahlreiche Registerwechsel einschließlich plötzlicher Sprünge ins Falsett sind zu hören sowie raue »Yeah«- und heiser gehauchte, sprechgesangsartige »Hey-hey«-Rufe. Auffällig sind außerdem diverse Töne mit schlagartig sehr hoher Rauheit bis hin zum Growl. Kaum ein Ton ist ohne angeschliffenen Anfang oder Abwärtsglissando am Ende gestaltet. Nach dem Ende dieses Teils (4:21) hört man auf der Studioaufnahme ein längeres Stimmengewirr sowie einen gesprochenen Disput vermutlich mit den Backgroundsängerinnen und der Band, die Charles zum Weitermachen auffordern.5 Was nun folgt, ist ein sich immer weiter aufschaukelndes Wechselspiel, ein »Schnellfeuer-Call-And-Response«, wie es Michael Campbell (2013: 189) genannt hat, zwischen Charles und den Raelettes, seinen Backgroundsängerinnen, das in mehrfacher Hinsicht an die Tradition afroamerikanischer Gottesdienste anknüpft. Call-And-Res   Verbreitet sind zwei unterschiedlich lange Fassungen der 1959er Aufnahme. Meist bekommt man unter Original Recording eine durch Schnitte in den Instrumentalteilen auf 5:08 heruntergekürzte Version offeriert. Die angegebenen Zeitangaben beziehen sich auf die vollständige Version, die 6:42 dauert. Die LiveVersion, aufgenommen beim Newport Jazz Festival 1960, dauert 5:23 und hat ebenfalls einen kürzeren instrumentalen Anfang.

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ponse-Techniken sind über den Wechselgesang zwischen Priester und Gemeindekollektiv in den afroamerikanischen Baptistenkirchen, Pfingstgemeinden und den Kirchen der Heiligkeitsbewegung (Holiness) verankert und essenzieller Bestandteil von deren sakralen Handlungen (Kapitel 9). In der Regel war und ist es dabei der Prediger, der die Gemeinde anruft, bevor diese ihm – möglicherweise spontan und frei, häufig aber auch imitatorisch – antwortet. Auch wenn sie ein für die Aufnahmesituation präpariertes, verkürztes und daher stark verzerrtes Abbild der Gottesdienste darstellen, sprechen Aufnahmen von Predigern wie Reverend Gates dafür, dass es dabei um eine potenziell Trance induzierende, kontinuierliche Steigerung von Ausdrucksstärke und Intensität über die gesamte Predigt hinweg geht, in denen die Anhebung der stimmlichen Lautstärke, der Rauheit und des Verzierungsgrads eine wesentliche Rolle spielen. »What’d I Say, Pt. 2« verdichtet einen solchen Steigerungsprozess auf die gut zwei Minuten, die der zweite Songteil dauert. Der christlich-rituelle Vorgang wird dabei mit dem sexuellen Akt überschrieben: Wie Prediger und Gemeinde, aber zugleich auch wie sich heftig Liebende nehmen Charles und die Rae­ lettes aufeinander Bezug. Charles gibt jeweils wortlose Moans, Rufe oder auch kurze melodische Motive vor, die seine Backgroundsängerinnen anschließend kollektiv nachsingen. Jede der drei Call-And-Response-Phasen ist dabei in sich als exzessive, mit einem lauten Schrei zum Höhepunkt gebrachte Steigerung angelegt, in der die Rufe und Antworten zunächst in einem Abstand von vier, dann von zwei Schlägen und schließlich Schlag auf Schlag erfolgen – bis hin zu Charles abschließendem Schrei, der zugleich zum 12-taktigen, textlich ebenfalls expliziten Blues-Refrain überleitet (»one more time«; »make me feel so good«). Und auch in ihrer Abfolge sind die drei Phasen als Steigerung angelegt. Der zweite Refrain enthält den ersten lang anhaltenden Schrei des Songs (5:15). Die dritte Ruf-undAntwort-Stelle wartet mit erneut erweiterten stimmlichen Mitteln auf, zunächst mit exaltierten, Hiccup-ähnlich wegbrechenden Tönen (5:26), dann mit sehr stark behauchten, mit einem hastigen Atemzug beginnenden Seufzern, die sich wiederum zu einem Schrei hin steigern. Und am Ende des dritten Refrains (»baby it’s alright«) erklingt der lautstärkste, tonal höchste und raueste Schrei des gesamten Songs, dem unmittelbar die letzten beiden Refrains folgen (»shake that thing«; »make me feel alright now«). Die partizipatorische Aufführungspraxis des Soul, in der sich die Kommunikation zwischen Prediger und Gemeinde der afroamerikanischen Gottesdienste abbildet, wird in »What’d I Say, Pt. 2« damit zugleich

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vorausgesetzt (Sänger und Backgroundchor wissen, wie ein Call And Res­ ponse funktioniert) und dargestellt (Charles und die Raelettes führen das Prinzip vor). Wobei die Raelettes nur stellvertretend für den eigentlichen Adressaten der Stelle agieren, das Soul-Publikum – mit dem Charles auf der 1960 veröffentlichten Liveaufnahme dann den Wechselgesang mit all seinen Implikationen praktiziert. »What’d I Say« entfaltete eine starke Wirkung auf die populäre Musik nach 1960 bis hin zur Surf- und Beatmusik (Lydon 2004: 164–65). Quer durch die Stile wurde der Song unter anderem von Elvis Presley (1964), Jimmy Hendrix & Curtis Knight (1965) John Mayall & Eric Clapton (1966) und Johnny Cash & June Carter (1967) gecovert. Neben der elektrisierenden Verbindung säkularer und sakraler Ekstase war die Deutlichkeit des Rekurses auf die afroamerikanische Tradition dafür ohne Zweifel ein wichtiger Grund. Dass E-Piano-Sound, Latin-Groove und Songtext gleichzeitig eine Distanz zur Geschichte der Unterdrückung und zum Typus des ländlichen, mittellosen afroamerikanischen Zuwanderers aus dem Süden aufbauten, mit dem man sich bei älteren Rhythm & Blues-Sängern wie Muddy Waters oder B. B. King noch zu identifizieren gewohnt war, spielte jedoch vermutlich ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle (Keil 1966: 157). Charles selbst verließ kurz nach der Aufnahme Atlantic, um bei ABC Paramount mit einem stärker auf den American Popular Song ausgerichteten Repertoire und Alben wie Modern Times in Country & Western breitere Hörerschichten ansprechen zu können. Die Frühgeschichte des Soulgesangs lässt sich daher ab diesem Zeitpunkt besser anhand der Musik von Sam Cooke nachvollziehen. Cooke war zwischen 1957 und 1960 zu einem der erfolgreichsten Stars der afroamerikanischen populären Musik aufgestiegen und stellt insofern eine vermittelnde Figur dar zwischen den 1950er Jahren und dem Aufschwung des Soul rund um die Queen und spätere First Lady of Soul Aretha Franklin Mitte des folgenden Jahrzehnts. Allerdings spielten weibliche Rhythm & Blues-Stars keineswegs erst mit Franklins Aufstieg zum Superstar eine Rolle innerhalb dieser Geschichte. LaVern Baker aus Chicago liefert dafür ein gutes Beispiel.

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LaVern (Delores) Baker (1929–1997) wird in aller Regel dem Rhythm & Blues der 1950er Jahre zugeordnet, sowie, weniger aus musikalischen Gründen als wegen ihrer Erfolge in den Popular Music Charts zwischen 1955 und 1958, der Jugendkultur des Rock’n’Roll. In der Tat war Baker vielleicht die überstrahlende Diva der Rock’n’Roll-Ära, die ihre Laufbahn 17-jährig noch mit der Aufführungspersona einer in grobe Bauwolle gekleideten Miss Sharecropper begonnen hatte, als ein gängiges Stereotyp afroamerikanischer Weiblichkeit also, die schöne, singende Plantagenarbeiterin. Neben der nur unwesentlich älteren Queen of Rhythm & Blues Ruth Brown (1928–2006) war Baker jedenfalls eine der erfolgreichsten Sängerinnen von Atlantic Records in dieser Zeit. Stärker als Brown erschloss sich Baker dabei auch das euroamerikanische Teenager-Publikum. Das Tweedlee Dee Girl (»The Tweedlee Dee Girl« 1956: 106), wie man Baker Mitte der 1950er Jahre nach ihrem Popchartshit von 1955 nannte, war bekannt für seine überschwängliche, von erotischer Ausstrahlung umwehte – und mittlerweile auch elegant gekleidete – Bühnenpersona (Deffaa 1996: 181),6 trat regelmäßig im Fernsehen auf, spielte in Filmen von Alan Freed mit, ging mit ihm auf Tour und war Teil verschiedener Rock’n’Roll-Packages mit afro- und euroamerikanischen Stars wie Fats Domino, Chuck Berry, Bill Haley und den Everly Brothers.7 Als die Single »Jim Dandy / Tra La La« (1956) für ihr bis dahin bestes Verkaufsergebnis sorgte, erklärte das Cash Box Magazine sie zum Best Female R&B Vocalist 1956 (Gulla 2008: 98). Bakers Repertoire ging jedoch über Rock’n’Roll- und Novelty-Songs hinaus und beinhaltete schon zu Beginn ihrer Atlantic-Zeit auch Gospel-beeinflusste Stücke (»Soul on Fire«, 1953). 1958 nahm sie das    Eine Ahnung von Bakers Bühnenpräsenz vermittelt eine von Deffaa (1996: 181) überlieferte Anekdote: »Even the way that she sometimes innocently yet coyly stuck a finger in her mouth at the conclusion of a song struck some fans as sensual. A tone Brooklyn theater appearance, one Baker fan was so excited by her performance that he jumped onto the stage, screaming, and bit her while she sang. She kept singing – with his teeth locked on her hand.« 7    Baker schätzte ihre vergleichsweise starke TV-Präsenz selbst als maßgeblichen Auslöser für ihren Karrieresprung zwischen 1955 und 1957 ein (Deffaa 1996: 196). Die sogenannten Rock’n’Roll-Packages bestanden in der Regel aus ein bis zwei Haupt- und mehreren Neben-Acts und reisten mit einem Programm von Stadt zu Stadt, zu dem jeder ein in der Länge variierendes Set beisteuerte, mit den Stars als Höhepunkt und Schlussattraktion. 6

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Blues-Album LaVern Baker Sings Bessie Smith (1958) auf. Ein Jahr später setzte sie sich auf der oben erwähnten, mit »Professor« Alex Bradford & His Specials eingespielten LP Precious Lord: LaVern Baker Sings Gospel mit dem anderen Hauptstrom afroamerikanischer Musik auseinan­der. Bradford revanchierte sich mit einer Reihe von Kompositionen für Baker, »[which] may have been the first marriage of gospel and pop sounds in the pre-soul era« (Heilbut 1975: 147). Interessant für den Soulgesang sind vor allem Bakers Atlantic-Aufnahmen vom 3. März 1954, drei um das Thema weiblicher Verlassenheit und unglücklicher Liebe kreisende Balladen, die an den Stil von »Soul on Fire« anschließen. Im Entstehungsjahr von Ray Charles’ »I’ve Got a Woman« (und ein gutes Jahr vor »Hard Times«) charakterisieren »I Can’t Hold Out Any Longer«, »I’m in a Crying Mood« und »I’m Living My Life for You« eine ähnliche Integration vokalstilistischer Elemente der Gospel Music. Alle drei Songs weisen eine ternäre Metrik und ein langsames ­Tempo von 70–72 bpm auf und enthalten – im Mittelteil, vor allem aber am Schluss – intensive Steigerungen von Tonlage und Lautstärke, mit der sich auch die Rauheit von Bakers Timbre erhöht. Wie man vor allem in »I’m in a Crying Mood« gut hören kann, sind diese Steigerungsphasen mit wei­teren Gestaltungsmitteln aus der Gospel Music verbunden: ­Worte werden bestätigend mit größerer Lautstärke und rauerem Stimmklang wiederholt (»I tried hard to fight / I tried«, 1:01–1:06; »Well, well, oh well«, 2:27). Anfangssilben wie das erste »well« und später »hurts« und »please« im Schlussteil beginnen mit langsamen und expressiven, teilweise sehr rauen Aufwärtsglissandi. Wortanfänge und längere Melismen sind häufig mit Silbeninterpolationen verbunden (die Baker allerdings meist nicht durch Glottisschläge erzeugt, sondern durch eingeschobene h’s). Terzen sind überwiegend mit aufwärts gleitender Tonhöhe intoniert. Decrescendo-Melodiewendungen mit Abwärtskontur am Phrasenende ­ gestaltet Baker in Verbindung mit schnellen, mehrtönigen Melismen. Einzelne, herausgehobene Töne, wie das rau ausgesungene »love« ganz am Ende, verziert sie mit mehreren Wechselnoten nach oben. Auch außerhalb dieser herausgehobenen Intensitätsmomente fallen die markanten, rauen Growls in Bakers Gesang auf (wie z. B. in »I Can’t Hold Out Any Longer« bei »hard tried«, 1:02; »tried«, 1:05; »home«, 1:12; »tonight«, 2:24; »well«, 2:48; »love«, 2:52 etc.). Weitere Merkmale sind lange und lautstarke, gestützte und stark vibrierte Töne mit reichem Obertonanteil, ein beschleu-

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nigtes Vibrato mit geringerer Amplitude bei leiseren Tönen in tiefer Lage sowie der Einsatz gesummter Moans. Vor allem »I’m Living My Life for You« enthält zudem mehrere Stimmgebungs- und Timbrewechsel zwischen scharf gebelteten, obertonreichen Tönen und stärker behauchten mit kehligem Stimmsitz und einer plötzlich erhöhten Rauheit. Aber auch die anderen beiden Songs weisen sowohl mit starkem Vibrato gebeltete Passagen als auch leisere Momente auf, in denen Baker ihre Stimme sprechähnlicher einsetzt und nah am Mikrofon singt. Auch die geräuschhafte, teilweise mit deutlich hörbaren Atemzügen verbundene Gestaltung zahlreicher Anfangs-h’s (z. B. von »hold«) ist in allen drei Songs anzutreffen – in »I’m In a Crying Mood« ruft die scharfe Artikulation des »h« am Anfang von Silben oder Worten einen gleichsam fauchenden Effekt hervor. Dabei singt Baker gelegentlich auch ein »h«, wo eigentlich keines wäre und fügt auf diese Weise einen zusätzlichen Konsonanten am Wortanfang (z. B. »h-I’m in a crying mood«) oder seltener auch am Ende eines Wortes hinzu (»memory-h«, 1:35). An mehreren Stellen, besonders oft aber im Wort »crying«, fungiert ein hinzugefügtes »h« als Auslöser für eine einfache oder erweiterte Silbeninterpolation (»day-ay-hay«; »cry-hying«). Dem Höreindruck nach verkürzt Baker bei solchen Stellen auch die Distanz zum Mikrofon, was den Geräuschanteil weiter anhebt, da so auch leise Atemgeräusche und angedeutete Seufzer und Stöhn-­Laute hörbar werden. Schon das erste »heart« ganz zu Beginn des Songs ist in dieser Weise gestaltet. Baker verbindet es mit einem vorgeschalteten, leise gestöhnten und stimmtechnisch betrachtet stark behauchten »ah«, also einer Silbeninterpolation (»my ah-heart«), die dem besungenen Herzschmerz besonderes Gewicht verleiht. Am Ende der ersten Strophe (0:31) ist der Anfang der Titelzeile »H-I‘m in a ...« zusätzlich ausdruckssteigernd mit einer Wechselnote nach unten verknüpft. Da man eine ähnlich akzentuierte Gestaltung vieler h-Laute auch auf vielen anderen Aufnahmen Bakers aus dieser Zeit findet, darf man sie zu den Eigentümlichkeiten ihres Vokalstils um 1955 zählen. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Bakers und Charles’ Gesang ist der Einsatz eines brechenden, sich überschlagenden oder kurz wegbleibenden Stimmklangs, mit dem Momente besonderer Ausdrucksintensität gestaltet werden. Solche Momente gehören, wie oben gezeigt, in Gestalt von Tears, wegbrechenden Tönen und Hiccups zu den zentralen Gestaltungsmitteln beispielsweise von Charles’ »Hard Times«. In den drei genannten Aufnahmen Bakers findet man Vergleichbares zwar seltener,

Anfänge des Soulgesangs

Abbildung 14.9: LaVern Baker, »I’m in a Crying Mood« (1954). Spektrogramm des Ausschnitts »that’s so hopeless, ah so very hopeless« von Bridge 2. Gut zu sehen sind hier der angeschliffene Anfangston (»but«), die Tears bei fast allen folgenden Wortanfängen und das Wegbrechen (»-less«) und Sich-Überschlagen der Stimme am Wortende (»ah«). Der (hier vergleichsweise nur leicht) behauchte Anfang des »ah« schlägt sich in einer verwischten Darstellung des Obertonspektrums nieder. Ausgeprägte Subharmonics, Anzeichen für einen stärker aufgerauten Stimmklang, sind vor allem bei »that’s« und bei »ah« ab der Mitte des Worts vorhanden. 

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   12 8 

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4000 2000 1000 500 250

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Zeit in Minuten

aber in ähnlicher Funktion, nämlich an herausgehobenen Stellen wie im Mittelteil von »I’m in a Crying Mood«, wo sich gleichzeitig Lautstärke, Tonlage und Rauheit deutlich erhöhen. Die Melodie schwingt sich hier zunächst zum Oktavton c2 und zwei Takte später zum b1 auf. Formal ist die zweite Bridge im Vergleich zur viertaktigen ersten Bridge auf acht Takte erweitert (Abbildung 14.9). Anders als in der überwiegend gebelteten ersten Bridge (0:24–0:35) tauchen hier außerdem dicht gedrängt Tears und wegbrechende Töne auf: Das bekräftigende »ah« beginnt mit einem Tear und endet mit einem abrupten, unüberhörbaren Registerwechsel ins hohe Falsett, dessen Zielton unbestimmt bleibt; das folgende »so« fängt erneut mit einem deutlichen Tear an und das »oh« wenige Augenblicke später mit einem stark behauchten »h-oh«. Baker veröffentlichte Anfang der 1950er Jahre eine ganze Reihe von Songs, die in verschiedenen Varianten um das Crying kreisen, darunter »Must I Cry Again« (1952) und »You’ll Be Crying« (1953). Bringt man dies in Verbindung mit dem ekstatischen, lautstarken Gesangsstil der drei 1954er Songs, dürfen diese als – ökonomisch am Ende allerdings weitgehend erfolglose und daher auch wenig massenwirksame – Versuche gelten, sich als ein weiblicher »cry singer« (Keil 1966: 158) im Markt zu positionie-

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ren. Gemeint ist damit ein mit afroamerikanischer Musik und Kultur assoziierter Sängertypus der 1950er Jahre mit einem »extremely emotional, crying style« (Ripani 2006: 88), der überwiegend auf ein gefühlsbetontes Balladenrepertoire, »tearjerker types of songs« (ebd.), setzte. Während eine kraftvolle Shouterin wie Big Mama Thornton für schnelle, tanzbare Rhythm  & Blues-Songs wie »Hound Dog« stand, bestand nach Charles Keil (1966: 158) das zentrale Merkmal des Cry-Singers in seiner Fähigkeit, das Publikum in der Tradition des Predigergesangs mit offensivem Körpereinsatz, lautstarker Stimme und Schilderungen großen Leidens zu Tränen zu rühren: The climactic feature of a typical cry singer’s act comes at the point when he falls on one knee and asks the audience, »Did you evah cry?« or another question about suffering and soul that can be answered with an affirmative shout. (Keil 1966: 1958)

Keil nennt als Beispiel unter anderem James Brown, der sich in seinen ersten Karrierejahren mit Songs wie »Please, Please, Please« (1956) und »Try Me« (1958) in diese Tradition stellte. Cry Singer waren jedoch nicht ausschließlich Afroamerikaner. So wurde der Balladensänger Johnny Ray (1927–90), der um 1950 häufig gemeinsam mit der jungen LaVern Baker auftrat, »The Cry Singer« genannt. Das hatte mit seinem Millionenbestseller »Cry« (1951) zu tun, aber auch mit seinem Vokalstil, in den Ray – dezent – Gospelelemente integrierte. Unter anderem setzte Ray eine lautstarke und teilweise gepresste, expressive Stimmgebung, Ornamente sowie mit schnellen Wechselnoten verzierte Töne ein. Ray bezeichnete Baker mehrfach als prägendes Vorbild für seinen Auftritts- und Gesangsstil (Deffaa 1996: 179). Schon seit Schulzeiten war LaVern Baker auch mit Sam Cooke gut bekannt. Beide verlebten ihre Jugend in Chicago und besuchten die Wendell Phillips High School, nur durch eine Klassenstufe getrennt. Und auch beruflich verband sie einiges: 1960 etwa waren Cooke und Baker zusammen auf Konzerttour mit der Henry Wynn Supersonic Attractions-Show (Guralnick 2005) und auch das 1959er Gospelalbum wollte Baker ursprünglich mit Cooke aufnehmen (angedacht war außerdem die Mitwirkung von Drifters-Leadsänger Clyde McPhatter, siehe ebd.). Mit Cooke gemeinsam hat Baker die Verbindung einer attraktiven, Sinnlichkeit und Erotik ausspielenden Starpersona mit der Sphäre der Spiritualität, die über die Gospelstilistik in ihre Musik Eingang fand. Allerdings entwickelte C ­ ooke sein

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Image unter umgekehrten Vorzeichen, startete seine Karriere als Quartett-Leadsänger im Gospel und nahm erst mit Mitte 20 seine erste weltliche Single auf.

G ospel

und

B l ack P op – S am C ooke

Zur Geschichte von Sam Cooke (1931–1964) gehören verschiedene Facetten, darunter sehr dunkle im Zusammenhang seines nie befriedigend aufgeklärten, gewaltsamen Todes im Dezember 1964. Sein öffentliches Bild ist bis heute von den Fragen geprägt, die dieser hinsichtlich seines Lebenswandels aufwarf.8 Etwas in Vergessenheit geraten ist darüber, dass Cooke zu Beginn seiner Karriere, als er knapp 20-jährig Leadsänger der Soul Stirr­ers und damit Nachfolger des berühmten Rebert H. H ­ arris w urde, noch als Inbegriff des »clean-cut, well-mannered Christian« ­ (Wolff 2011: 77) galt. Cooke war der Sohn eines aus Clarksdale, Mississippi, stammenden, charismatischen Predigers der Heiligkeitsbewegung, der mehrere Kirchen in und um Chicago bediente (und sich ohne das »e« hinter seinem Nachnamen schrieb, das Sam 1957 hinzufügte). Entsprechend wurde er zunächst wahrgenommen. Allerdings war der »sweet-faced son of Reverend Cook with that innocent look and angelic voice« (Guralnick 2005: 43) im Gegensatz zu den anderen, älteren und größtenteils verheirateten Stirrers jung, ungebunden und von ungewöhnlich attraktivem Äußeren.9 Cookes Starpersona umgab sich darum schon bald mit einer sinnlichen Aura, die ihn Mitte der 1950er Jahre, aufgestiegen zu einem der führenden Gospel-Leadsänger der USA, zum »first gospel sex symbol«    Schockiert wurde in der Öffentlichkeit damals zur Kenntnis genommen, dass Cooke am 11. Dezember 1964 von der Besitzerin eines billigen Motels erschossen worden war, in dem er gemeinsam mit einer jungen Frau – die sich später als Prostituierte herausstellte – inkognito ein Zimmer genommen hatte. Das zuständige Gericht erkannte nach kurzer Verhandlung auf Notwehr. Nach Angaben der Schützin hatte Cooke sie tätlich angegriffen. Cookes Begleitung hatte zuvor die Flucht ergriffen und die Polizei alarmiert. Sie gab an, der Sänger habe einen Vergewaltigungsversuch unternommen. Freunde Cookes wiesen zahlreiche Unstimmigkeiten in den Aussagen beider Frauen nach. 9    Tatsächlich war Cooke zu Beginn seiner Karriere als Hard-Gospel-Leadsänger von lauter Herren mittleren Alters umgeben. Seine Erfolge veränderten jedoch nicht nur das Gospelpublikum, sondern mittelfristig auch die Quartette selbst, von denen viele ihrerseits mit jungen Leadsängern zu experimentieren begannen. 8

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Abbildung 14.10: Sam Cooke & The Soul Stirrers, »It Won’t Be Very Long« (1952). Schluss. Sowohl Töne mit hoher Rauheit als auch solche mit starkem Vibrato­ einsatz finden sich überwiegend am Phrasenanfang oder -ende, wobei Rauheit und Vibrato gekoppelt sein können (Takt 3 und 7, hier in Verbindung mit der Songpersona, dem »I« und dem angeredeten »child«). Da beide Elemente auch separat verwendet werden (Takt 1, 2, 4, 5, 7, 9), kann man vermuten, dass die Kopplung in Takt 3 und 7 Text ausdeutende Funktion hat. Aufwärtsglissandi verwendet Cooke bei Phrasenanfangstönen (Takt 1 und 4) und zweimal in Verbindung mit dem Wort »ready« auf den beiden Spitzentönen in Takt 5–6. Das zentrale Motiv des Songtexts, das Sich-Bereitmachen für den Tag des eigenen Todes, wird dadurch gesanglich besonders herausgestrichen. Abwärtsgerichtete Melismen gestaltet Cooke jeweils am Ende auftaktiger Phrasen (Takte 2, 4, 5, 8, 9), wobei nur das lange Schlussmelisma wieder zurück zum Oktavton aufsteigt. Alle anderen Ornamente sind mit teilweise starken Decrescendi verbunden (Takt 2 und 8). Eine auffällige Ausnahme bildet diesbezüglich das eine große Terz überbrückende Aufwärtsglissando auf »race« in Takt 3. Das Tonmaterial der Gesangstimme ist pentatonisch über f.

≥ ≥ ≥ ≥ ≥≥ L ≥≥ * œ ™µ œ ™œ œ œ œœ œœ œœ œ* œ œ œµ œ œ œ * œ œ œ œ ≥œ œœe ™ œ œ œ ee µ œ™ Œ J J Œ™ Œ™ J J J &b J ŒJ ‹ Oh and when I've won this race, I wa-na see my Sa - viour's peace. I'm ge-ttin' rea ≥ ≥ ≥ ≥ ≥ œ œ* œ œ œ œ œ œ µ œ œ ‰ Œ ™ œ≥ œ œ œ œ œ e e œ œ œ œ œ e≥e ≥œ œ œ ™ Œ ™ ™ J b Œ J J J J J & J ‹ - dy, for that day, child, I know it won't be won't be ve - ry long. (Cusic 2002: 215) werden ließ. Vor allem weibliche Teenager begannen sich für Cooke zu interessieren und machten einen kommerziell in neue Dimensionen vorstoßenden Erfolg der Stirrers möglich. Äußerungen Cookes kann man entnehmen, dass nicht nur Harris, sondern auch Archie Brownlee zu den Vorbildern zählte, an denen er sich gesanglich orientierte: »[Brownlee] is the only one who could do that – to move me like that« (zit. in Darden 2004: 235). Seine ersten Aufnahmen mit den Soul Stirrers spiegeln vor allem den Versuch, dem übermächtigen Schatten seines Vorgängers zu entrinnen. Das verwundert nicht, denn Cooke übernahm ein schweres Erbe. Der populäre Harris war als Zuschauermagnet und Stil prägender Sänger kaum zu ersetzen. Nicht nur Stirrers-Mitglied S. R. Crain hielt Harris für den weitaus besseren Sänger (Wolff 2011: 73). Auch Specialty-Records-Inhaber Art Rupe, der die Ver-

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längerung des Stirrers-Vertrags noch mit Harris verhandelt hatte, akzeptierte Cooke nur widerwillig. Und die Reaktionen während der ersten Tourneen fielen zwiespältig aus. Unter anderem lag das vermutlich daran, dass Cookes Stimme die von Harris gewohnte Lautstärke in hohen Lagen nicht, oder nur mit hörbarer Anstrengung erreichte. Viele Songs aus dem Stirrers-Repertoire mussten deshalb nach unten transponiert oder auf Kosten der gewohnten Intensitätssteigerung – also einem, wie oben beschrieben, zentralen Stilmittel der Stirrers-Arrangements – von beiden Leadsängern in mehr oder weniger derselben Lage gesungen werden. Zudem reichte Cooke auch in mittlerer Lage bei Weitem nicht an die Lautstärkeintensität von Harris heran. Das belegen Aufnahmen wie »It Won’t Be Very Long« (1952), auf denen er mit hörbarer Anstrengung darum ringt, die typische Stirrers-Emphase zu reproduzieren. Der Tonumfang umfasst hier eine große Sexte und reicht von c1–a1; wie schon in »Shine on Me« eröffnet Paul Foster den Song, bevor Cooke von 0:39–1:16 übernimmt (der ab 1:51 auch das Ende des Songs gestaltet). Cookes Stimme klingt eng und forciert, die Stimmgebung ist gepresst und das Timbre hell und kratzig mit streckenweise sehr hoher Rauheit sowie einem obertonreichen, metallischen Klang in den Spitzentönen. Weitere Auffälligkeiten sind akzentuierte Einsätze auf einem hohen Melodieton mit anschließender melodischer Abwärtskontur, ein vermutlich improvisiertes Umspielen und Variieren der pentatonischen Gesangsmelodie mit kurzen, abwärtsgerichteten Ornamenten (»I’ve«, »my«, »ready«, »be«) einschließlich eines längeren Melismas am Schluss, eine im Vergleich mit Harris oder Brownlee gut verständliche Aussprache und ein schnelles, regelmäßiges Vibrato auf längeren Tönen. Wegbrechende Töne oder ausdruckssteigernd eingesetzte Registerwechsel – wichtige Stilmittel bei Harris – kommen dagegen nicht vor.10 Cooke singt den Song vielmehr ohne hörbare Registerunterschiede stabil im Modalregister. Auf das von Harris oft eingesetzte Falsett verzichtet er ganz. Ein anderer Song aus derselben Aufnahmesession, »Let Me Go Home« (1952), deutet auf ähnliche Probleme hin. Cooke kompensiert die ­geringere Höhe und Lautstärke seiner Stimme mit forciertem Einsatz. Interessant ist   Eine Ausnahme innerhalb der frühen Aufnahmen bildet diesbezüglich der Song »Peace in the Valley« (1951), in dem Cookes Stimme bei »changed« (1:14) plötzlich wegbricht – also genau an der Stelle, wo im Text der Übergang zwischen irdischem und spirituellem Dasein angesprochen wird (Santoro 1997: 60).

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Abbildung 14.11: Sam Cooke & The Soul Stirrers, Varianten von Cookes SignatureOrnament. A: »Let Me Go Home« (1952), 1:47. B: »Nearer to Thee« (1955), 2:06. C: »Nearer to Thee«, 2:47. D: »He’s So Wonderful« (1956), 1:23. E: »You Send Me« (1957), 1:39. F: »Only Sixteen« (1959), 1:52. G: »Lonesome Road« (1958), 1:29. H: »Ain’t Nobody’s Bizness (If I Do)« (1960), 1:05.

A L œ œ#e œ#œJ œ œ œ œ Œ œj œ j jŒ & Œ œJ œœ J J ‹ I hear themcal - lin' for chil - dren

B œ b œ œ œ œœœ œ œ œ œ œ bœ J &ŒJ JJ ‹ We ought to be a- ble, oh, to sing

C bœ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ œ J œ œj œ bœ œ ™ & J J J J ‹ Oh nea -rer

D bœ œ œ œ œ œ œ œ œ bœ & J J ‹ Wooh! and, oh, I can't help it

F E œ#œœ œ œœ œ œ™ nœ œ œ œ œ ™ & J J & J J œ™ ‹ ‹ Wooh! and oh!

Wooh!

G b œ œ œ ™ bœ ™ œ J œ & J ‹ She's

too young

H œ™# œ œ œ ™ #œ ™#œ ™ J ™ Œ & ‹ Wooh!

das Stück, weil es bei der Textstelle »calling« (1:47–1:48) in Verbindung mit einem Wechsel von einem stark behauchten Kopfstimmenklang ins Modalregister eine melodisch absteigende, melismatische Figur enthält, die an die Viertelkettenmelismen von Harris in »Feel Like My Time Ain’t Long« erinnert. Im Gegensatz zu anderen, mit Wechselnoten, Vorschlägen oder Bendings verzierten oder decrescendierend ans Phrasenende gehängten Ornamenten handelt es sich dabei um ein voll ausgesungenes Melisma aus einfachen Notenwerten. Cooke machte derartige Melismen in den folgenden Jahren zu seinem vokalen Erkennungszeichen, das er in verschiedenen Songs einsetzte. Überwiegend handelt es sich dabei um Vokalisen mit textunabhängigen Silben wie »oh« oder »whoo« (Abbildung 14.11).

»Nearer to Thee« – Cookes Livepraxis Der strapaziert wirkende Stimmklang von Cookes ersten Aufnahmen wich nach etwa zwei Jahren bei den Stirrers einer entspannteren Stimmgebung und einem stärker auf Kopfstimmenresonanzen aufbauenden

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Abbildung 14.12: Sam Cooke & The Soul Stirrers, »The Last Mile of the Way« (1955). Ornamente und Klanggestaltung in der letzten Zeile der dritten Strophe. In Cookes Repertoire findet sich eine Vielzahl an Beispielen für lautstarke Melismen auf den Vokal »I«, den er dann jeweils sehr offen singt (hier als »I‘ve«). Das zweite Ornament, mit dem »mile« hervorgehoben wird, erinnert in Melodiekontur und Rhythmik an die in Abbildung 14.11 dargestellten Figuren, darf also als Variante von Cookes Signature-Ornament gelten. Es enthält eine kurze Falsettstelle (»o«) mit anschließendem, deutlich hörbarem Wechsel zurück ins Modalregister. Einziger Ton mit hoher Rauheit ist »last«, was die sehnsuchtsvolle Hoffnung betont, mit der im Text das Ende (bzw. die letzte Etappe) des Lebensweges bedacht und als letzter Schritt hin zu Gott gedeutet wird.

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of the way, Lord, yes Sir.

Stimmklang mit weniger Rauheit. Cooke griff zudem vermehrt auf die Technik der Silbeninterpolation zurück (z. B. »He’ll Make a Way«, 1954), baute gesummte Moans in die Texte ein (»The Last Mile of the Way«, 1955), verwendete ein langsameres Vibrato und brachte auch das in den frühen Aufnahmen kaum präsente Falsett stärker zur Geltung. Häufig sang er dabei, wie unter anderem beim Crooning der 1920er Jahre üblich, leise und ungestützt nah am Mikrofon und mit sehr langen Attack-Zeiten, also weicher Artikulation (»Any Day«, 1954, 1:43–1:46; 2:17–2:20; »(He’s So) Wonderful«, 1956, Anfang). Die Ornamente sind auf diesen Aufnahmen in der Regel länger und expressiver. Auch Registerwechsel werden an manchen Stellen hörbar. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich Cookes Gesangsstil auf seinen Aufnahmen wesentlich von seiner Praxis in Livesituationen unterschied. Dafür spricht ein Vergleich zwischen der Studioaufnahme von »Nearer to Thee« (1955) und dem Mitschnitt desselben Songs während eines im Shrine Auditorium in Los Angeles durchgeführten Konzerts mit mehreren Specialty-Gospel-Acts im Juli desselben Jahres. »Nearer to Thee« war einer der kommerziell erfolgreichsten Hits der Soul Stirrers mit Sam Cooke. Schon die Studioaufnahme unterstreicht dabei, dass es auch gegenläufige Tendenzen zum neuen, sanfteren Stimmklang von »He’ll Make a Way«, »Any Way« und »Wonderful« gab. Die von Orgel, Klavier

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und einem sparsamen Schlagzeug begleitete Aufnahme – die Cooke seiner inzwischen erlangten Reputation entsprechend als alleiniger Leadsänger bestreitet – schließt im kratzigen, in höherer Lage hellen und obertonreichen Timbre wieder an die frühen Aufnahmen an (wenn auch ohne deren forcierte Diktion).11 Hörbare Registerwechsel und leise Falsettklänge fehlen wiederum vollständig. Stattdessen lebt der Song von einem variantenreichen Call And Response mit dem Ostinato der Begleitstimmen, das Cooke im Verlauf des Songs immer elaborierter gestaltet und mit rhythmisch komplexen, vieltönigen Ornamenten verbindet (Abbildung 14.11, C). Hierdurch nimmt er einen wesentlichen Charakterzug seiner Popular-Song-Aufnahmen späterer Jahre vorweg. Während die Studioversion von »Nearer to Thee« nur drei Minuten lang ist, erstreckt sich die (erst 1975 veröffentlichte) Konzertfassung des Songs über gut achteinhalb Minuten. Nach einem unbegleiteten, lautstarken Shout auf dem ersten Wort »the« ist Letztere als ein einziger großer, von ekstatischen Ausbrüchen und Growls begleiteter Steigerungsverlauf mit zunehmender Lautstärkeintensität und Expressivität angelegt. Neben den von Harris, Brownlee und anderen Hard-Gospel-Shoutern übernommenen Stilmitteln – emphatische Stimmgebung, komplexe Ornamentierung, Einfügung von Rufen und Kommentaren einschließlich ganzer Text­einschübe, Bildung von Melodievarianten im Call And Response mit den Begleitstimmen – belegt die Aufnahme Cookes Fähigkeit zu kraftvollem Gesang, der alles, was die Specialty-Singles in dieser Beziehung enthalten, bei Weitem übertrifft. Nach anfänglich leiser, ungestützter Kopfstimme wechselt Cooke schon bald in ein volltönendes Belting und steigert sich anschließend in minutenlanges Shouting von großer Lautstärkeintensität. Zahlreiche Töne sind dabei mit außergewöhnlich hoher Rauheit gestaltet. Das Shrine-Konzert stellte ein exponiertes Ereignis innerhalb der Gospel Music dar, bei dem die Soul Stirrers auf einige der populärsten zeitgenössischen Formationen trafen, darunter die Pilgrim Travelers, Brother Joe May, die Caravan Singers mit James Cleveland und die Gospel Harmonettes. Dennoch darf man davon ausgehen, dass der Mitschnitt   Möglicherweise hat das mit dem Text zu tun, der eine Gottesdienstsituation mit Prediger und Gemeindegesang imaginiert, in der das alte englische Kirchenlied »Nearer, My God, to Thee« gesungen wird. Auffällig ist jedenfalls, dass sich Cooke hier überraschend nah am Predigerstil von Rebert H. Harris orientiert.

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Abbildung 14.13: Sam Cooke & The Soul Stirrers, »Nearer to Thee« (1955). Spektrogramm des Anfangs der zweiten Strophe, Studioaufnahme (links) und Livemitschnitt (rechts). Gut zu sehen ist die sehr viel stärkere Rauheit der (um einen Ton höher gespielten) Livefassung. In der Studioaufnahme prägen sich am Anfang von »songs« im Bereich von ca. 1–2 kHz vor allem die Obertöne aus, während in der Konzertfassung dort mehrere Subharmonics erscheinen. Im zweiten Takt der Konzertfassung sind diese wiederum fast vollständig durch die schreinahe Stimmgebung ›vernebelt‹. Die Ziffern unter den Noten geben die metrische Position der Achtel im 12/8-Takt an. Beide Bilder stellen je 4 Sekunden dar; zu sehen ist auf beiden der Bereich zwischen 250 Hz–4 kHz. 

  12 8





    

8

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Frequenz in Hz

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2000 1000 500 250

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einen annähernd repräsentativen Eindruck von Cookes Livepraxis aus seiner Stirrers-Zeit vermittelt – die gespielten Stücke stammten aus dem aktuellen Tournee-Repertoire und die Aufführungsform im Shrine dürfte sich nur unwesentlich von anderen Konzerten unterschieden haben (Wolff 2011: 102). Die auffällige Häufung von Growls und Schreien erklärt sich dabei teilweise auch mit der Anwesenheit von Julius Cheeks, bekannt als Leadsänger der Sensational Nightingales und einer der extrovertiertesten Gospel-Shouter der 1950er Jahre (Broughton 1985: 85–87), der damals vorübergehend als zweiter Leadsänger bei den Soul Stirrers aushalf. Cheeks schaltet sich im Verlauf der Aufführung immer wieder mit Texteinschüben, Hollerings und längeren, Cookes Leadgesang teilweise für mehrere Sekunden übertönenden Schreien ein (so erstmals bei 3:30). Und Cooke reagiert darauf, indem er seinerseits Lautstärkeintensität und Rauheit weiter anhebt. Dabei stößt er hörbar an Belastungsgrenzen, schafft es aber immer wieder, zu einem gemäßigten Intensitätsniveau zurückzufinden (das allerdings weiterhin deutlich über dem der Studioaufnahme liegt). Jenseits vokaler Praktiken unterstreicht das Shrine-Konzert im Übrigen sehr schön Cookes Begabung für Livesituationen und den

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gemeinschaftsbildendenden Schulterschluss mit dem Publikum, wie sie sein langjähriger Konzertpartner, der Gitarrist Cliff White, beschrieben hat.12 Man kann dem im Hintergrund langsam ansteigenden Lärmpegel entnehmen, dass C ­ ooke nicht nur einzelne Textzeilen, bekräftigende Rufe und in den Gesang eingeflochtene Kommentare an seine Zuhörerinnen und Zuhörer richtet, sondern auch nonverbal einen engen Dialog mit ihnen führt. Mit Erfolg, denn das Publikum beginnt nach einiger Zeit rhythmisch zu klatschen und reagiert mit Begeisterungsrufen und teilweise schrillen, ekstatischen Schreien. Bei 5:00 kommt es zu einem regelrechten Tumult, den Cheeks und Cooke gemeinsam auslösen, ab 6:22 gehen für 13 Sekunden selbst die frenetischen Schreie von Cheeks nahezu im Lärm des ­Auditoriums unter.

»You Send Me« – Sam Cooke als Popstar Ein Jahr nach dem Shrine-Konzert nahm Cooke seine ersten weltlichen Singles auf. »You Send Me« (1957), der erste unter eigenem Namen veröffentlichte Song, erreichte sofort die Nr. 1 der Rhythm & Blues- und der Popcharts, übrigens als Nachfolger von Elvis Presleys »Jailhouse Rock«, und verkaufte sich über 1,5 Millionen Mal. Cooke- und Little-Richard-Produzent Robert Alexander »Bumps« Blackwell, der ihn schon bei Specialty betreut hatte, zielte mit dem Song auf das multiethnische Teenagerpublikum, das der Rock’n’Roll im Jahr zuvor mit Stars wie Richard, Presley und Chuck Berry überraschend erfolgreich angesprochen hatte. Für Cooke beinhaltete das kein geringes Risiko. Sein Abschied aus der Gospelwelt rief zunächst große Enttäuschung hervor; von einigen Anhängern wurde er danach kritisiert und gelegentlich sogar ausgepfiffen. Als Cooke 1958 bei einem Soul-Stirrers-Konzert in Philadelphia die Bühne betrat und einen Song mitsang, reagierte das Publikum jedoch schon wieder mit Begeisterung (Wolff 2011: 154). Der Gesangsstil von »You Send Me« knüpft in vielen Dingen, vor allem aber in Stimmgebung und -klang eng an den sanften, am Crooning orientierten Vokalstil von »(He’s So) Wonderful« und »Any Way« an. Gospel  Für White spiegelte sich darin Cookes Herkunft aus der afroamerikanischen Kirchentradition: »His act was to go out there and preach a little bit. That was Sam Cooke. Go out there and horse around with people and relax and talk that jive bullshit and preach them a little sermon. That’s what his whole act was: a Baptist preacher’s sermon« (zit. in Wolff 2011: 149). 12

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Abbildung 14.14: Sam Cooke, »You Send Me« (1957). Zwei Durchgänge des Refrains mit der Hauptmelodie im Chor und respondierenden Einwürfen von Cooke. A beginnt 1:21, B folgt 1:41, zur besseren Vergleichbarkeit sind beide Durchgänge hier untereinander notiert. Gut zu sehen ist die melodische Variantenbildung auch bei ähnlichen Figuren, wie beispielsweise zwischen A, Takt 3–4 und B, Takt 1–2 oder den Moans (A und B, jeweils Takt 5–6). Die Pfeile zeigen verzögerte Einsätze an. Beide Durchläufe enthalten (an unterschiedlicher Stelle) eine Variante des Signature-Ornaments (A, Takt 8; B, Takt 3–4). Neben den kleinen, aufwärtsführenden Anfangsglissandi fällt das eine Oktave überbrückende letzte, umfangreiche in A auf (Anfang Takt 8, gleichzeitig Beginn des Signature-Ornaments). Auffällig ist auch die hohe Rauheit der Phrasenanfangstöne in A, Takt 3 und B, Takt 1 – eine Art kurzer vokaler Reminiszenz an das Timbre von »The Last Mile« oder »Nearer to Thee«.

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typische Mittel wie das Offbeat-orientierte Umspielen und kontrapunktische Variieren der Hauptmelodie, die Wiederholung einzelner Worte oder längerer Texteinheiten sowie der Einsatz von Ornamenten, Moans und Silbeninterpolationen sind weiter präsent, einschließlich des Signature-Ornaments (Abbilldung 14.11, E). Davon abgesehen konzentriert sich »You Send Me« auf mikrofonnah aufgenommenen Gesang in mittlerer Tenorlage (Tonumfang e–g1) mit moderater, gelegentlich auch sehr geringer Lautstärke (z. B. bei 2:09). Cookes Stimme weist wenig Rauheit auf und die vorhandenen Melismen sind entweder als kleine, unauffällige Wechsel­noten oder nach dem Muster des Signature-Ornaments gestaltet. Der gleichfalls nah am Mikrofon aufgenommene Backgroundchor – die euroamerikanischen Lee Gotch Singers13 – passt sich dem an. Er besteht aus mehreren stark verschmelzenden, leise croonenden Stimmen mit wenig Vibrato, hellem Kopfstimmenklang und exakter Intonation ohne ­hörbare Glissandi. Die Expressivität ist damit sozusagen ins Intime verschoben – das unterstreicht auch das Nähe vermittelnde, leise s­ eufzende Atemgeräusch bei 2:32, das dort den ersten Tönen des Refrains folgt (»youyou-you-you«). Etwa in der Mitte des Songs ab 1:20, kurz nach dem Ende der ersten Bridge, übernimmt der Backgroundchor gemeinsam mit der Gitarre die Hauptmelodie. Cooke nutzt das für ein Call And Response mit dem Gruppengesang, das bis zum Beginn der zweiten Bridge dauert (1:59). Exemplarisch lässt sich hier Cookes Arbeit mit kontrapunktischen Melodievarianten beobachten, wie sie Cliff White im Rückblick auf die »You Send Me«-Aufnahmesession hervorhebt: »[He] had a great sense of timing [...]. Singing melody and counterpoint at the same time. Carrying a ­couple of melodies at the same time!« (zit. in Wolff 2011: 127). In permanenter Annäherung und Ablösung vom Tempo der Begleitung setzt Cooke ganze Phrasen vor oder hinter die schweren Taktzeiten. Und treffen sich Solound Backgroundgesang einmal, etwa zum gemeinsamen Phrasenbeginn, dann nur, um sogleich wieder auseinanderzudriften. Nach dem überraschenden Erfolg seiner Debütsingle wurde Cooke einige Zeit als smarter Teenagerschwarm und You-Send-Me-Kid in den Lifestyleblättern herumgereicht (Wolff 2011: 150). Dabei verschmolz sein Image als Christ und ehemaliger Gospelstar mit seiner Erscheinung als sexuell attraktiver Loverboy. Oder, in den Worten der Soul- und Jazzsän13   Laut Guralnick (2005: 177) handelt es sich dabei um »L.A.’s number-one pop session group«; vgl. auch Wolff (2011: 206).

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gerin Etta James: »As far as sex appeal went, no one had more. He was the original loverboy. Every woman – me included – had the hots for Sam Cooke. He didn’t go hitting on girls; he didn’t have to – they swamped him« (James 2003: 89). Auf der Promotionstour für »You Send Me« lancierten Cooke und Blackwell zudem gezielt ein ethnisch indifferentes »all-american image« (Way 2014: 2). Was daraus resultierte, hat Elisabeth Way »a nationally visible image of a successful, classy, and handsome black man« genannt, »that was important to change racial perception« (ebd.); ein öffentliches Bild also, das den gewohnten, stereotypen Vorstellungen von afroamerikanischer Männlichkeit in vielem – etwa hinsichtlich der entspannten Zurschaustellung von Selbstbewusstsein und Erfolg – widersprach.14 Ergänzt und erweitert wurde seine Starpersona außerdem durch die ab 1958 in schneller Folge veröffentlichten LPs mit erwachsener, vorwiegend euroamerikanischer Zielgruppe. Ihr Repertoire bestand aus Jazzstandards, Popular Songs und üppig arrangierten Spirituals, von denen man sich bei Keen Records nachhaltigen Erfolg auch jenseits des als kurzlebig eingeschätzten Teenagermarkts erhoffte. Der jugendliche Popstar verwandelte sich dafür in »the dream of tomorrow’s entertainer« (Philadelphia Tribune 1958, zit. in Wolff 2011: 147), trat mit Hut und Frack auf und etablierte gleichzeitig, wie die entsprechenden Plattencover illus­ trieren, eine mit lockerer Freizeitkleidung im Ivy-League-Look assoziierte »loverman-persona« (Borthwick 2004: 5), die auf Cookes erotisch unterfütterte Ausstrahlung setzte. Cookes Gesangsstil allerdings verändert sich auf diesen Alben teilweise bis hin zur Unkenntlichkeit. Der sanfte Croonerstil von »You Send Me« verbindet sich in den meisten Stücken mit einem nunmehr über weite Strecken fast geräuschfreien Timbre. Anders als in den Popsingles verwendet Cooke kaum noch Ornamente, auch das Signature-Ornament kommt nur noch spärlich zum Einsatz. Das Resultat sind Stücke wie »The Bells Of St. Mary’s« oder »Tammy«, beide enthalten auf dem Debütalbum Songs By Sam Cooke (Februar 1958), in denen man streckenweise große Mühe 14   Dessen bedrohliche Kehrseite erlebte Cooke einem Bericht von Solomon ­ urke zu Folge, nachdem Burke gemeinsam mit Cooke 1963 vor einem Konzert B in Shreveport von der örtlichen Polizei in ihrem Hotel überrascht und abgeführt, zum Ablegen der als ›weiß‹ geltenden modischen Kleidung (und damit der in der Sicht der Südstaaten-Staatsmacht provokanten Starpersona) und schließlich nahezu unbekleidet zu einer Privataufführung für alle anwesenden Feuerwehr- und Polizeiangestellten gezwungen wurde (Hirshey 2006: 96; Way 2014: 2).

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hat, Cookes Stimme überhaupt noch wiederzuerkennen. »Tammy« ist eine von Hammond-Orgel, Streichern und Rhythmusgruppe ­begleitete Coverversion des gleichnamigen Nr. 1-Hits der Schauspielerin Debbie Reynolds (Juli 1957) und die in dieser Hinsicht wohl am weitesten gehende Aufnahme. Cookes Stimmklang hellt sich hier auf und weist kaum noch Rauheit auf, ist jedoch teilweise stark behaucht. Unterstützt von viel Hall singt er fast ohne Anteil von Bruststimmenresonanzen, dabei viele Stellen leise und vermutlich mit halb geschlossenem Mund. Die meisten Konsonanten, besonders am Ende von Worten, sind weich artikuliert und teilweise auch behaucht (3:06). Allerdings sind weder Atemgeräusche noch Registerwechsel zu hören. Einer der auffälligsten Unterschiede zu Cookes bisherigem Gesangsstil liegt im zurückgenommenen Einsatz des Vibratos auch bei längeren Tönen. Nur an einzelnen Stellen werden in der ­Lautstärke hervortretende Töne nach vibratolosem Beginn mit einem langsamen Vibrato gestaltet (1:23–1:26; 1:32–1:34; 1:44–1:45; 2:09–2:10; 2:26–2:29 usf.). Bis Cooke gegen Ende plötzlich ein schnelles, regelmäßiges V ­ ibrato hören lässt, das sich eng an der Vibratofrequenz der Hammond-Orgel orientiert. Der Gesang stellt so bei dem als Fermate gestalteten Wort »my« (3:14– 3:16), wo die Orgel vorübergehend aussetzt und die Stimme unbegleitet zurücklässt, einen fast nahtlosen klanglichen Anschluss her. Das einzige Melisma ist ebenfalls auf »my« (1:34–1:36) zu hören.

Cool Pose Ein Grund für solche Brüche liegt zweifellos in Cookes Ringen um ökonomischen Erfolg unter den Bedingungen der 1950er Jahre. Dass afroamerikanische Gospel-Ekstase in den Zeiten rassistisch motivierter Übergriffe auf Minderjährige und Karrieren wie die des späteren Redenschreibers des Gouverneurs von Alabama und zeitweisen Ku-Klux-Klan-Führers Asa Carter keinen Platz im Mainstream hatte, lässt sich gegen die US-Gesellschaft dieser Zeit wenden, kaum aber gegen den vielseitigen Sänger. Zumindest das afroamerikanische Publikum hat das auch weitgehend so verstanden und Cooke als Symbol für die Möglichkeit afroamerikanischer (Selbst-)Behauptung innerhalb der Mainstreamkultur begrüßt. ­Abgesehen davon besteht kein Grund, Stücke wie »You Send Me« nur aufgrund des geringeren Stellenwerts Gospel-typischer Eigenschaften abzuwerten:

Anfänge des Soulgesangs Whether or not you prefer Cooke’s somewhat rawer gospel sound, his pop approach was a statement of value, human and artistic, not a forced compromise that’s somehow degrading [...] His various facets coexisted to create a complex, compelling artist who searched for as many outlets as his undeniably large talent could supply. (Santoro 1997: 63)

Klammert man Club-Alben-Stücke wie »Tammy« aus, enthält Cookes Black Pop zudem immer noch genug Gospelelemente, um sie wie der Amerikanist Reiland Rabaka als »love songs in a gospel style« zu hören, »that often subtly depicted the hardships of African American life and romance as a consequence of segregation, poverty, poor education, and substandard housing« (Rabaka 2013: 163). Einen ergänzenden Erklärungsansatz bietet in diesem Zusammenhang das Konzept der »Cool Pose« (Majors 1992, Griffin und Washington 2008). Als ein – vorwiegend urbanes – afroamerikanisches Konzept männlicher Selbstrealisierung beruht die Cool Pose im Wesentlichen auf Selbstbehauptung, Affektkontrolle und Distanz. Sie lässt sich damit auf die Tradition des europäischen Dandys des 19. Jahrhunderts und dessen Haltung der distanzierten, kühlen Ruhe in jedweder Lage beziehen. Allerdings springen auch die Unterschiede ins Auge, denn als Aristokrat hat es der europäische Dandy nur deswegen nicht nötig, sich über irgendetwas aufzuregen, weil er sich auf seine ökonomischen Ressourcen und stabile gesellschaftliche Stellung zur Not immer verlassen (und so die Kontrolle behalten) kann. In die afroamerikanische Kultur geht der Dandy dagegen in Gestalt des Zip Coon ein, der in den Kapiteln 4 und 13 thematisierten Minstrelsy-Figur, und damit als rassistisch gefärbte Umkehrung der ursprünglichen Konstellation. Denn Zip Coon ist kein ironisch-kühler Dandy europäischen Zuschnitts, sondern das rassistische Zerrbild des sich aufspielenden Afroamerikaners, der sich aus hegemonialkultureller Sicht ständig lächerlich macht, weil er nicht einmal die eigene Inferiorität und Ohnmacht begreift. Im Kontext der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie wird daraus das Stereotyp des grellen, clownesken Entertainers, der zwar am liebsten so sein möchte wie seine euro­ amerikanischen Kollegen, dabei aber voller Gefühlsüberschwang steckt und nicht anders kann, als über die Stränge zu schlagen. Sein Verhalten steht dadurch (aus hegemonialer Sicht) in lächerlichem Verhältnis zur (übertrieben) eleganten Erscheinung. Und schon ist der Afroamerikaner in schwarzem Frack kein Grandseigneur mehr, sondern ein subalterner

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Butler.15 Auch große afroamerikanische Musikstars aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Louis Armstrong oder Cab Calloway mussten ihre Karriere an dieses Stereotyp knüpfen, um überhaupt von einem euroamerikanischen Publikum akzeptiert zu werden. In der Starpersona von Rock’n’Roll-Star Chuck Berry ist es ebenso präsent wie in Cookes Albumpersona des »relaxed supper-club-type entertainer« (Cashmore 1997: 79). Verbunden mit der Cool Pose und dem Aufkommen des Soul erfährt die Figur des Black Dandy jedoch eine Umdeutung und wird sozusagen gegen ihre Erfinder gewendet. Der coole afroamerikanische Dandy der späten 1950er und frühen 1960er Jahre will nicht mehr gefallen, sondern sendet, auch während er sich notgedrungen anpasst, Distanz- und Selbstbehauptungssignale aus, mit denen er die ihm zugeschriebene Inferiorität negiert. Er bleibt entspannt, aber unterwirft sich nicht, zeigt keine Gefühle, aber weiß, was er will. »Being cool involves being relaxed, unruffled, quick-­ witted, reluctant to use aggression, and, most of all, able to follow one’s own path«, formulieren Griffin und Washington (2008: 254) mit Blick auf Miles Davis und John Coltrane (der sich ebenfalls gerne in Ivy-­LeagueKleidung fotografieren ließ). Es besteht kein Zweifel, dass Sam Cooke in diesem Sinne – und trotz des erwähnten, niederschmetternden Misserfolgs 1959 im Copacabana, den er 1963 dann mit positiv rezipierten Auftritten und dem Livealbum Sam Cooke at the Copacabana zurechtrückte – als Ikone der urbanen afroamerikanischen Coolness wahrgenommen wurde, und zwar sowohl hinsichtlich seines Images als auch in Bezug auf seinen Vokalstil. »Cool was indisputably urban, and, in a sense, Sam Cooke was its epitome. Cooke sang like an urbane, soulful crooner, projecting feeling without seeming to sweat« (McEwen 2007: 95). Als Cooke am 3. November 1957 erstmals in der Ed Sullivan TV-Show auftrat, erschien er so »cool and collected« (Wolff 2011: 139), dass ihn nicht einmal der Einsatz der üblichen Abspannmusik mitten in die Performance von »You Send Me« hinein aus der Bahn werfen konnte – ein Ereignis, das heftige Proteste unter Sullivans TV-Zuschauerinnen auslöste und ihn zwang, Cooke am 1. Dezember 1957 ein weiteres Mal einzuladen, diesmal mit zwei Hits in voller Länge. Und auch sonst umgab sich Cooke gern mit Symbolen der Cool Pose, die er ge15   In diesem Sinne beschreibt Stephen Talty den 39-jährigen Sam Cooke anlässlich seines ersten, missglückten Auftritts im hauptsächlich von euroamerikanischem Publikum frequentierten New Yorker Club Copacabana 1959 (Talty 2008: 311).

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legentlich mit den Insignien des (›weißen‹) Stereotyps des Tough Guy verband. Anfang 1958 etwa ließ sich Cooke für das Sepia-Lifestylemagazin in Humphrey-Bogart-Trenchcoat und schwarzem Fedora-Filzhut ablichten: Symbol gleichermaßen des harten Film-Noir-Gangsters der 1940er Jahre wie des patriarchalen euroamerikanischen Geschäftsmannes (Meisel 2010: 180). Gleichzeitig war bekannt, dass Cooke die meisten seiner Songs selbst schrieb und großen Einfluss auf seine Arrangements hatte (wenn auch nicht immer das letzte Wort). 1957 verweigerte er sich der von stereotypen Vorstellungen über ›schwarze‹ Musik geprägten Strategie von Specialty-Inhaber Art Rupe (Ward 1998: 190) und setzte seine musikalischen Ideen gegen dessen Vorbehalte durch, zunächst gemeinsam mit Bumps Blackwell bei Keen Records, später bei RCA ohne ihn. 1959 gründete er gemeinsam mit J. W. Alexander sein eigenes Label SAR und den Verlag Kags Publishing. SAR gilt neben Motown als eine der ersten unabhängigen Plattenfirmen der USA, die vollständig afroamerikanischer Kontrolle unterlag. In dieser Sicht lässt sich Cookes zeitweiser Verzicht auf die Gospelekstase als Cool-Pose-Strategie verstehen, die er unter anderem über stimmliche Affektkontrolle realisierte.

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Im Kontext der allgemeinen Suche nach afroamerikanischer Identität um 1960 lockerte sich Cookes vokale Affektkontrolle jedoch in seinen letzten Lebensjahren wieder. Ein gutes Beispiel dafür ist das Album Good News (1964),16 dessen Repertoire sich etwa zur Hälfte aus Balladen mit Orchesterarrangements – darunter das nach Cookes Tod 1964 zu einer Civil-Rights-Hymne avancierte »A Change Is Gonna Come« – sowie sparsamer mit Rhythmusgruppe und Bläsern besetzten Popsongs zusammensetzt.17 Von »A Change Is Gonna Come« abgesehen, drehen sich die Texte um herausgehobene, jedoch durchweg säkulare Lebenssituationen wie starkes beziehungsweise unglückliches Verliebtsein oder das zeitlose ›Having A Party‹. Allerdings lässt sich der Albumtitel auch als   Vermutlich war das auch biografisch bedingt. Die Aufnahmen für das Album Good News entstanden in den Monaten nach dem Unfalltod seines kleinen Sohnes, von dem sich Cooke nur schwer erholte (Wolff 2011). 17   Mit »Tennessee Waltz« (King/Steward 1946) ist ein (von Patti Page popularisierter) Countrysong vertreten. »The Riddle Song« leitet sich aus der Folklore der Appalachen her und wurde unter anderem 1958 von Pete Seeger aufgenommen. 16

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Abbildung 14.15: Sam Cooke, »Bring It On Home to Me« (1962). Transkription der letzten, kollektiven Steigerung und des Schlusses der Liveversion von 1963 (Sam Cooke At The Copacabana) ab 4:53. Das Call And Response zwischen Sänger und Auditorium beginnt in Takt 3, wobei Cooke jeweils kurze Melismen singt, die das Publikum mit Einzeltönen beantwortet. Ab Takt 5 sind im allgemeinen Begeisterungstaumel kaum noch Einzelereignisse im Publikum auszumachen, Cooke beginnt mit einer Reihe von Wiederholungen des Stücktitels, unterbrochen von zwei rhythmisch präzise gesetzen Lachern (Takt 5) und gesprochenen, rhythmisch frei platzierten Kommentaren. 85 bpm

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eine – afroamerikanischen Kirchgängern geläufige – Übersetzung des Worts »Gospel« lesen, was den Songs von Good News eine quasi sakrale Dimension einschreibt. Cookes Gesang zeichnet eine im Vergleich mit »You Send Me« oder anderen Black-Pop-Produktionen deutlich stärkere Emotionalität aus: Lautstärke und Stimmklang erinnern an manchen Stellen wieder an das raue Timbre und die ekstatische Stimmgebung aus den Stirrers-Zeiten. Auch längere Melismen (vor allem in der Ballade »Falling in Love«) und plötzliche Timbre- und Registerwechsel sind zu hören. Mehrere Songs weisen gegen Ende außerdem gospeltypische Intensitätssteigerungen mit Anhebung von Lautstärke, Rauheit und Stimmlage auf, kombiniert mit verschiedenen Formen eines instrumentalen oder voka-

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len C ­ all-And-Response sowie gebrummten oder gesummten Moans und Kommentaren zum eigentlichen Songtext. Das früheste Beispiel für diese Entwicklung ist der Song »Bring It On Home to Me« (1962). Auch hier geht es um den Verlust einer treulosen Gefährtin, der die Songpersona in den drei letzten Strophen eine Reihe von Versprechungen macht, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Auf der Studioaufnahme ist der Gesang über weite Strecken zweistimmig, neben Cooke ist sein langjähriger Freund und Kollege Lou Rawls zu hören, der ­ehemalige Leadsänger der Pilgrim Travelers. Er kommt vor allem in den Refrains zum Einsatz, die jeweils mit einem Call-And-Response-­ Schlussteil enden, in dem Cooke und Rawls sich kurze, bekräftigende »Yeahs« zuwerfen. Ähnlich wie in der Konzertversion von »What’d I Say« findet dieser Wechselgesang im Livemitschnitt von 1963 (Sam Coo­ ke Live at Harlem Square Club) zwischen Cooke und seinem Publikum statt – eine A ­ ufnahme, die im Übrigen sowohl hinsichtlich Lautstärke und Rauheit des Gesangs als auch der Zuschauerreaktionen ein Intensitätsniveau erreicht, das sich vor dem des Shrine-Konzerts nicht zu verstecken braucht. Wo ­Cooke die Fans zum Mitsingen auffordert, werden Songzeilen wie »buried in my grave« (3:54) lauthals im Chor mitgesungen. Die »Yeah«-Schlüsse am Ende der ersten Refrains übernimmt er allerdings noch selbst. Erst nach einem neuer­lichen Aufruf ans Publikum (»Everybody is with me, Everybody is with me tonight«) folgt ein nunmehr von vielen Konzertbesuchern mitgestalteter Call-And-Response-Teil (ab 4:34), der zwei zusätzliche Durchläufe von Strophe und Refrain umfasst (wobei der Refrain »Bring it to me / Bring your good loving / Bring it on home to me, yeah« jeweils mit Text gesungen wird). Ebenfalls ganz nach dem Muster von »What’d I Say, Pt. 2«, erklingt am Ende jeweils ein mit hoher Rauheit gestalteter Schrei, der als Höhepunkt der beiden Steigerungsphasen (4:42–4:45; 5:05–5:09) zu den Refrainzeilen überleitet. Der Song endet mit mehreren sprechnah intonierten, in der Intensität abnehmenden Wiederholungen des Stück­titels und einem letzten Begeisterungssturm im Publikum.

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Z usammenfassung Soul war ab Ende der 1950er Jahre ein Schlagwort in der US-amerikanischen Gesellschaft, mit dem sich eine Rückbesinnung vieler Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner auf die eigene Herkunft, Religion und Lebensweise verband. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich die Soul Music zu einer Praxis der kollektiven, ethnische Differenz ausagierenden Gemeinschaftserfahrung, in der Musiker und Publikum eine Beziehung ähnlich der zwischen Prediger und Gemeinde in den afroamerikanischen Kirchen eingingen. Die musikalische Verbindung zu dieser Tradition stellten maßgeblich die Leadsänger der Hard-Gospel-Quartette her. Obwohl Rebert H. Harris, Archie Brownlee, Alex Bradford und andere überwiegend innerhalb des kirchlichen Kontexts agierten, wurde ihr Gesangsstil über Rhythm & Blues-Charthits wie »Our Father« oder »Too Close« auch außerhalb des sakralen Raums populär. Mit ihren Screams, Growls und plötzlichen, schrillen Falsettönen stehen Brownlee und Bradford für die mit dem Hard Gospel einhergehende Wandlung des Leadsängertypus vom aufrechten Kirchenmann hin zum rasenden Ekstatiker. Der Transfer des Gospelgesangs in die populäre säkulare Musikkultur verbindet sich mit Ray Charles, dessen Vokalstil nach 1954 verstärkt Hard-Gospel-Elemente integrierte. Zu diesen gehören unter anderem der ausdruckssteigernde Einsatz von Melismen, der Wechsel zwischen einem für entspanntere Momente typischen, leicht heiseren Timbre und einzelnen stark rauen Tönen, das expressive Aussetzen oder Versagen der Stimme und die an vielen Stellen bekräftigend eingeschobenen Rufe. Auch die wandlungsfähige Stimmgebung bis hin zu den unter hohem subglottischem Druck produzierten Schreien von »Hard Times« lässt sich auf die Gospeltradition beziehen – gerade mit ihnen schließt Charles eng an die von ihm verehrten Leadsänger an. Entscheidend für Charles’ außer­ ordentliche Popularität war allerdings, dass man seine Hinwendung zur Gospel Music nicht nur als stilistische Veränderung erlebte, mit der er sich vom Bluesgesang seiner Vorbilder Charles Brown und Nat King Cole emanzipierte, sondern zugleich als Entwicklung einer Stimme, die durchlässig war für den Ausdruck kollektiver afroamerikanischer Erfahrung, »to make his personal history live and breathe through his music, making it available to other blacks as a commentary on their own experiences and as a dramatization of their deepest feelings« (Ward 1998: 185). Zugleich spricht vieles dafür, dass ein Song wie »What’d I Say« vor allem deswegen

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den Nerv des afroamerikanischen Lebensstils Ende der 1950er Jahre traf, weil der Anschluss an die Kirchengesangstradition hier zwar vital und direkt, aber zugleich auch distanzierend erfolgte – in Gestalt einer übermütig lebensbejahenden Feier irdischen Vergnügens, die weltliche und geistliche Ekstase (für manchen unerträglich und schamlos) zusammenführte. Nicht wenige der in diesem Kapitel diskutierten vokalen Ausdrucksmittel lassen sich Stil übergreifend auch im Vaudeville- und Down­homeBlues der 1920er und 1930er Jahre sowie im Hokum und Jump Blues der 1940er Jahre finden. Sowohl die angeschliffene Intonation als auch das improvisierte Umspielen der Hauptmelodie, der Einsatz von hörbaren Registerwechseln und das ausdruckssteigernde Auskosten eines sich überschlagenden oder kurz aussetzenden Stimmklangs gehören keineswegs nur in die Gospel Music (genauso wenig allerdings ausschließlich oder ursprünglich in den Blues). Das Moaning ist ebenso im Downhome Blues zu Hause wie in den Gospelaufnahmen von Mahalia Jackson und im Gesang von Ray Charles. Gleiches gilt für das lautstarke Shouting, das schon Ma Rainey im Vaudeville Blues der 1920er Jahre praktizierte. Die Übergänge zwischen den beiden Hauptsträngen afroamerikanischer ­Gesangstradition sind an vielen Stellen fließend. Dennoch lassen sich auch Unterschiede benennen und Abgrenzungen vornehmen. Charles’ »Hard Times« legt solche sozusagen im Brennglas eines einzigen Songs nahe. Im ersten Teil ein Blues­song im Stil von Charles Brown – der selbst durchaus auch gospeltypische Melismen an Phrasenenden gebrauchte –, sind die plötzliche Anhebung von subglottischem Druck, Lautstärke und Rauheit sowie die Erweiterung der vokalen Mittel auf Growls, Falsetttöne, Rufe, Melismen und plötzliche Registerwechsel mit guten Gründen als ein Säkulares und Sakrales vermengender Sprung in die Gospel Music zu werten. Die Schlusspassagen von LaVern Bakers »I’m Living My Life for You«, »I’m in a Crying Mood« und »I Can’t Hold Out Any Longer« markieren einen ähnlichen Übergang. Auch Baker schließt einerseits eng an das mit dem Vaudeville Blues aufgekommene und in den 1950er Jahren prominent vor allem von Ruth Brown gepflegte und erweiterte Repertoire weiblichen Rhythm  & Blues-Gesangs an. Bakers auffällige Vorliebe für Growls lässt sich ebenso auf die genannten Vorbilder im Hard Gospel wie auf den Personalstil der Empress of Blues Bessie Smith beziehen, in dem diese ebenfalls eine große Rolle spielen. Der Einsatz von Silbeninterpolationen, Wortwiederholungen und Stimmgebungs- und Timbrewechsel, vor allem aber das Auskosten von Steigerungsphasen mit erhöhter Tonla-

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ge, Lautstärke und Rauheit lassen es dennoch sinnvoll erscheinen, auch hier von einer Einbeziehung zentraler Elemente des Gospelgesangs zu sprechen. Überhaupt hat Bakers Vokalstil vieles mit dem von Ray Charles gemeinsam. Eine Ausnahme bilden eigentlich nur die Ausbrüche und wilden Schreie von »Hard Times«, die sich in vergleichbarer Heftigkeit weder in Bakers Rhythm & Blues-Aufnahmen noch in ihrem mit Alex Bradford produzierten Gospelalbum finden lassen – vielleicht ein Indiz für die Grenze zwischen dem, was man Ende der 1950er Jahre bei Atlantic Records einer weiblichen Stimme (bewusst oder nicht) zugestehen wollte, und was einer männlichen. Auch die Umstellungen und Imagewechsel von Sam Cooke sind als Spiegel der wachsenden Möglichkeiten zur Selbstbestimmung und -vermarktung lesbar, die sich afroamerikanischen Musikern damals zu eröffnen begannen. Cooke griff nach seinem Abschied von den Soul ­Stirr­ers 1957 zunächst den vom Rock’n’Roll geprägten Zeitgeist auf, bediente gleichzeitig mit seinen Clubalben den euroamerikanischen Erwachsenenmarkt und reagierte nach 1960 dann auf die Veränderungen im afroamerikanischen Selbstverständnis, indem er seine Wurzeln im Gospelgesang reaktivierte – ein wesentlicher Anstoß für die Entwicklung der Soul Music. Zwar machte ihn der Erfolg dieser Strategien in den Augen mancher Kritiker zum »fake white man« (Talty 2008: 306), der sich der Hegemonialkultur bis zur Selbstverleugnung anpasste – während sich Art Rupe und andere die eigentliche afroamerikanische Musik entlang der alten Stereotype immer noch als rau, sinnlich und ungekünstelt vorstellen wollten. Für die Mehrheit seiner Fans machte er ihn zur Ikone der Cool Pose, als die er den sich gegen alle Widerstände behauptenden Selbstwert des afroamerikanischen Mannes verkörperte. Zwar agierte zumindest der Cooke der Clubalben in der Tat als Sänger mit gebremster Expressivität, der sich zugunsten seiner Marktfähigkeit in seinen vokalen Ausdrucksmitteln zurücknahm (Guralnick 1986: 36). Aber die einfache Gegenüberstellung von (rauem, ausdruckstarkem) Gospel und (glattem, in der Expressivität zurückgefahrenem) Black Pop wird Cookes Musik kaum gerecht. Schon seinem Gospelgesang war eine Tendenz zur sanften Crooner-Stimme eigen. Ebenso wie die Rauheit und gepresste Stimmgebung von »Last Mile of the Way« war der weiche, mikrofonnahe Stimmklang von »(He’s So) Wonderful« das Ergebnis eines über mehrere Jahre entwickelten Personalstils, der für »You Send Me« dann kaum noch verändert werden musste (wenn auch immer noch für »Tammy«).

Anfänge des Soulgesangs

Spannt man den Bogen bis hin zu seinen späten Alben, setzte ­Cooke fast alle der für Charles oder Baker charakteristischen vokalen Ausdrucks­ mittel ein. Als besonders einflussreich auf den späteren Soulgesang dürfen, ohne Jerry Wexler aufs Wort folgen zu müssen,18 seine eingängigen, teil­ weise aber auch außerordentlich virtuosen Melismen gelten. Mit seinem Repertoire und seiner Vorliebe für eine Intimität vermittelnde, ­entspannte, gelegentlich auch ungestützte Stimmgebung steht Cooke insgesamt für eine Pop-orientierte Variante afroamerikanischer populärer Musik, an die in den 1960er Jahren unter anderem Motown anknüpfen (und sich zur alles überragenden Hitfabrik aufschwingen) konnte. Zum weiblichen Superstar des Soul wurde Ende der 1960er Jahre allerdings kein Motown Act, sondern die ab 1967 bei Atlantic unter Vertrag ­stehende Aretha Franklin (geb. 1942), Tochter des namhaften Pastors der New ­Bethel Baptist Church in Detroit, Reverend C. L. Franklin.

A usblick – A retha F r anklin Franklins Anfänge in der Gospel Music sind gut dokumentiert und unter anderem auf dem Mitschnitt eines Konzerts in der Kirche ihres Vaters aus dem Jahr 1956 nachzuvollziehen. Zu den regelmäßig dort auftretenden Künstlern – und privaten Gästen der Familie Franklin – gehörten in dieser Zeit auch die Soul Stirrers um Sam Cooke, den sie als eines ihrer Idole und vokalen Vorbilder verehrte (Dobkin 2004: 78–79). (She had) tremendous respect, love, and admiration for Ray Charles, but she wanted to be Sam Cooke (if she couldn’t have him for herself, that is). Franklin sings like Cooke, with the same heartbreaking, tear-inducing combination of power, pathos, sweetness, and sex. (Dobkin 2004: 80)

1960 unterschrieb Franklin, Cookes Beispiel folgend, einen Vertrag bei einer großen Plattenfirma,19 brachte im Jahr darauf das stilistisch breit gefächerte ABC-Album Aretha mit säkularer Musik heraus und trat in 18   »Sam was the best singer who ever lived, no contest [...] He had control, he could play with his voice like an instrument, his melisma, which was his personal brand – I mean, nobody else could do it – everything about him was perfection« (so Jerry Wexler über Cooke, zit. in Campbell und Brody 2008: 94). 19   »When I saw he went pop, you know, outside church, that’s what made me say, ›I want to sing that stuff, too‹« (Aretha Franklin, zit. in Parrish 2001: 200).

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Abbildung 14.16: Aretha Franklin, »Operation Heartbreak« (1961). Ornamente. A: Refrain 1 (0:55–0:59), B: Refrain 2, C: Schluss-Ornament.

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diesem Zeitraum auch mehrfach gemeinsam mit Cooke auf. Zwar ließ der kommerzielle Durchbruch auf sich warten, bis Franklin zu Atlantic wechselte und innerhalb kürzester Zeit Soulklassiker wie »Respect« (1967, Nr. 1 Pop- und Rhythm & Blues-Charts) »Chain of Fool« (1967), »Since You’ve Been Gone« und »Think« (beide 1968) aufnahm, denen sie in den Jahren danach viele weitere folgen ließ. Vokalstilistisch sind Stücke wie »Operation Heartbreak«, das die 19jährige als Rückseite ihrer ersten interkontinentalen Hitsingle »Rock-a-Bye Your Baby with a Dixie Melody« (1961) veröffentlichte, aber dennoch aufschlussreich. Franklin zeigt hier ein Repertoire, das in vielem vergleichbar ist mit dem von Ray Charles, LaVern Baker und Sam Cooke. Obwohl die ganz große Lautstärkeintensität und die damit verbundene gepresste, Schrei-nahe Stimmgebung fehlt, ist der Song mit großer emotionaler Emphase in der von den Hard-Gospel-Leadsängern bis hin zum Predigergesang eines Reverend Gates zurückreichenden Gospel­shouterTradition gesungen. Zugleich enthält er mehrere leise, zarte Momente, in denen Franklin eher an Sam Cooke anschließt. Zahlreiche Tonanfänge sind mit Aufwärtsglissandi angeschliffen, aber auch längere Töne sind teilweise mit gleitenden Tonhöhen gestaltet. Der Text wird durch Silbeninterpolationen, Vorschlagsnoten, Wortverdoppelungen und eingeschobene, bekräftigende Ausrufe ergänzt. Es gibt mehrere a­ usdruckssteigernde

Anfänge des Soulgesangs

Register- und Timbrewechsel (z. B. vom Belting in einen behauchten, von Kopfstimmenresonanzen bestimmten Klang bei »your love«, 1:43, oder »yeah, yeah«, 2:05). Gesangstöne am Phrasenende, später aber auch innerhalb der Phrasen verziert Franklin mit kleineren Melismen mit melodischer Abwärtskontur. Dichte und Länge dieser Ornamente steigern sich im Laufe des Songs, bis hin zu dem längeren unbegleiteten Melisma, mit dem der Song schließt (Abbildung 14.16). Parallel erhöhen sich auch Tonumfang und Tonlage – der Spitzenton von Strophe und Re­frain verschiebt sich von anfänglich a1 bis zum f#2. Unbetonte Silben bringt Franklin häufig sehr spät und lässt sie nahezu mit den benachbarten Silben verschmelzen, womit sie kaum noch als distinkte Lauteinheit erscheinen (z. B. 0:35, »a-wound«). Die weitgehend gute Textverständlichkeit wird dadurch allerdings kaum beeinträchtigt. Hervorstechende Merkmale sind außerdem die helle und durchdringende, obertonreiche Gestaltung der vielen »I«- und »äi«-Vokale (z. B. »made«, 1:35; »deep«, 1:38; »inside«, 1:39; »I«, 1:56; »give«, 1:57 etc.) sowie die von unten angeschliffenen Shouts in hoher Lage mit anschließender Abwärtskontur der Melodie. Hier geht die rufartige Stimmgebung ins Belting über (1:04) oder wird, wie im letzten Refrain, mit auffälligen Aussetzern des Stimmklangs kombiniert: Dort ist zunächst ein einzelner, in die Silbe »-break« eingebauter Tear (2:12) hörbar, kurz darauf folgen während des lautstärkeintensivsten Shouts (2:28) zwei weitere. Auffällig ist auch Franklins regelmäßiges, starkes Vibrato, das sich gelegentlich erst nach vibratolos gesungenen Tonanfängen einstellt. Einige Phrasenanfangs- und Schlusstöne sind stark behaucht. Das expressive Auskosten des Anfangs-h von »Heartbreak«, die Gestaltung von »Oh!«-Rufen mit behauchtem Anfang (»Hoh!«) und die I­ nterpolation eines zusätzlichen Anfangs-h wie in »h-why« in der dritten Strophe erinnern stark an LaVern Baker. Ein gut hörbares Hauchen am Ende von Silben wie jenes bei »me« und »be« in der ersten Strophe (0:23; 0:33) oder »yeah« in der dritten (1:50) setzt dabei ein bewusstes Spiel mit dem Mikrofon (bzw. eine gezielte Annäherung an dieses) voraus. Die hier eingesetzten Gestaltungsmittel haben Geschichte gemacht und Franklin Ende der 1960er Jahre zur weltweit erfolgreichsten S­ timme des Soul, an der sich nicht nur der weibliche Soulgesang bis heute o ­ rientiert.

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15. » Sh-Boom« Die Gesangsgruppen Martin Pfleiderer

In den USA gab es bereits im 19. Jahrhundert professionelle Gesangsgruppen. So reisten etwa im Rahmen von Minstrelsy und Vaudeville zahlreiche singende Familiengruppen, insbesondere von Immigranten aus Deutschland und Österreich, durchs Land (vgl. Friedman/Gribin 2013: 3–9). Im 20.  Jahrhundert veränderten sich die Traditionen des Gruppengesangs aufgrund der fortschreitenden Professionalisierung und der neuen Medientechnologien, aber auch aufgrund gesamtkultureller Veränderungen. Im Folgenden sollen einige der stilistischen Entwicklungen des populären Gruppengesangs in den USA zwischen 1900 und 1960 dargestellt werden. Die zentrale Fragestellung richtet sich auf die Art und Weise, wie die verschiedenen Gesangsstimmen einer Vokalgruppe zusammenwirken. Diese Gestaltungsweisen, ihr Auftreten in verschiedenen Musikgenres und ihre historischen Veränderungen sollen exemplarisch anhand von einflussreichen Aufnahmen und Vokalgruppen dargestellt werden. Gegenstand sind Vokalgruppen mit einer Besetzung von drei bis sechs Sängerinnen oder Sängern mit oder ohne zusätzliche Instrumental­begleitung, die unter einem gemeinsamen Gruppennamen aufgetreten sind. Vokalensembles, die als Background-Bands für einen Gesangsstar fungieren, werden dagegen nur am Rande thematisiert, ebenso wie größere Vokalensembles und Chöre. Historischer Ausgangspunkt sind Praktiken und Gestaltungsweisen des Gruppengesangs, wie sie in frühen Aufnahmen des Hillbilly beziehungsweise Folk und Country und der afroamerikanischen Musikpraxis sowie aus dem Kontext von Vaudeville und Revuen dokumentiert sind. Eine erste nachhaltige Transformation erlebte der populäre Gruppengesang in den späten 1920er und 1930er Jahren durch das Aufgreifen von Gestaltungsmitteln des Jazz. Neu waren die Nachahmung von Instrumen-

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Martin Pfleiderer

ten, das Arrangieren in vokalen Satzgruppen, die den Bläsersätzen von Jazzensembles nachempfunden sind, und eine zunehmende Orientierung an der immer komplexer werdenden Jazz­harmonik. In den 1930er bis 1950er Jahren wurden im afroamerikanischen Gruppengesang zugleich Gestaltungsprinzipien von Gospelgruppen fortgeführt und transformiert (vgl. Kapitel 14). Ein Kristallisationspunkt der Entwicklung des populären Gruppengesangs war die Musik der jugendlichen Doo-Wop-Gruppen der 1950er und der Girlgroups der frühen 1960er Jahre. Sie können als direkte Vorläufer späterer Pop- und Soul-Gruppen angesehen werden. Viele ihrer Gestaltungsmittel finden sich auch in der Praxis der Background-Vocals nach 1960.

Tr aditionen gemeinsamen S ingens : H illbilly, C all A nd R esponse , C lose -H armony Gemeinsames Singen ist eine weltweit verbreitete, sowohl alltägliche als auch festliche Musikpraxis. Gesungen wird in der Familie und Verwandtschaft, in der religiösen Gemeinde und in der Nachbarschaft, im Kontext von verschiedenen körperlichen Arbeiten, in Ritualen und im Gottesdienst, bei Zeremonien und repräsentativen Anlässen, aber auch in Vereinen und politischen Gruppen wie Gewerkschaften und Parteien (vgl. Klusen 1989: 162–221). Das gemeinsame Singen in der Gruppe bietet eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten. Die Sängerinnen und Sänger können einstimmig (unisono) die Melodie singen beziehungsweise diese durch Oktavierung der jeweiligen Stimmlage anpassen. Eine weitere Möglichkeit ist die harmonische Ausdeutung der Melodie durch ein akkordisches (homofones) Singen, wobei die Melodie nicht unbedingt in der höchsten Stimme liegen muss, sondern auch von einer durch die Lautstärke hervorgehobenen Mittelstimme – oder sogar in der tiefsten Stimme – gesungen werden kann. Dabei beschränkt sich die Harmonisierung vielfach auf Dreiklänge, kann aber durchaus auch komplexere Harmonieerweiterungen (Septimen, Nonen etc.) und eine enge, Dissonanzen beinhaltende Stimmführung mit Sekundintervallen umfassen. Von diesem homofonen Typus lässt sich eine polyfone Singpraxis unterscheiden, bei der einige oder alle Stimmen eigenständige melodische Linien oder rhythmische Patterns singen; die Stimmen überlappen sich hier mit unterschiedlichen Einsatzpunkten oder weichen in ihrer Rhythmisierung voneinander ab. Hierbei kommt

Die Gesangsgruppen

der Haupt- oder Melodiestimme (engl.: Lead) sowie der tiefsten Stimme eine besondere Bedeutung zu. Gegenüber der Leadstimme erhalten die anderen Stimmen oftmals eine begleitende, zum Teil auch ornamentierende Funktion. Die genannten Techniken können innerhalb des Arrangements eines Songs auf unterschiedliche Weise kombiniert werden, sei es, dass eines der genannten Gestaltungsprinzipien vorherrscht oder dass in verschiedenen Abschnitten unterschiedliche Mittel eingesetzt werden; außerdem kann die Funktion von Lead und Begleitung zwischen den verschiedenen Sängerinnen oder Sängern ­wechseln­. Zusätzlich kann der Gruppengesang durch Instrumente (Klavier, Gitarre, eine kleine Band) begleitet werden, die in einzelnen Abschnitten auch in den Vordergrund treten können, etwa während eines Instrumentalsolos. Daneben gibt es auch im professionellen Musiksektor rein vokale Gesangsaufnahmen und -gruppen (sog. A-Cappella-Gruppen). Diese kollektiven Singpraktiken bilden den Ausgangspunkt und das Modell für professionelle Gesangsgruppen in den USA, deren Musik in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch auf Tonträgern aufgenommen und einer größeren Hörerschaft zugänglich gemacht wurde. Nicht nur bei vielen professionellen Familiengesangsgruppen, sondern auch in religiösen Gemeinschaften oder lokalen nachbarschaftlichen Gruppen wurde bereits durch die Namensgebung die Vorstellung unterstrichen, dass sich die Sängerinnen und Sänger persönlich nahestanden – auch wenn sie de facto nicht mehr als ein professionelles Arbeitsverhältnis verband. Gemeinsames Singen, so suggeriert das Image dieser Gesangsgruppen, impliziert menschliche Nähe und Freundschaft – und ist umgekehrt ein Ausdruck gemeinschaftlicher Rückzugsräume wie Verwandtschaft, Freundeskreis und Nachbarschaft. Eine recht einfache Organisation der Stimmen findet sich in den frühen Hillbillyaufnahmen der Carter Family, die ab 1927 zahlreiche Plattenaufnahmen machte (vgl. Kapitel 12). Im Mittelpunkt der Musik des Trios steht der Gesang von Sara Carter, die mit ihrer tiefen Stimme die Melodien jener Songs vorträgt, die zum großen Teil von ihrem Mann Alvin Pleasant »A. P.« Delaney Carter in den Appalachen gesammelt wurden. A. P. Carter verstärkt oftmals unisono die Melodie oder singt eine Basslinie, die sich an den Grundtönen einfacher Harmonien orientiert. Saras Schwägerin und Cousine Maybelle singt in der Regel eine zweite Stimme oberhalb der Melodiestimme, oftmals im Abstand einer Terz, aber auch Quint- und Quartintervalle sind nicht ungewöhnlich; außerdem begleitet Maybelle

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Abbildung 15.1: The Carter Family, »Can the Circle Be Unbroken« (1935). Beginn des ersten Refrains. Maybelle

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die Gruppe mit ihrem markanten Gitarrenspiel. Allerdings singen A. P. und Maybelle Carter in vielen Songs nur während der Refrains. So trägt Sara in »Can the Circle Be Unbroken« (1935) zunächst eine Strophe alleine vor, im Refrain, der auf dieselbe Melodie erklingt, setzen dann Maybelle und A.P. kurz nach Sara ein (vgl. Abbildung 15.1). A.P. singt anfangs unisono mit Sara, ergänzt jedoch im vierten Takt (»Lord by and by«) den Grundton des Begleitakkords (Subdominante Db). Auffällig ist zudem der eingefügte ¾-Takt, der das 4er-Metrum kurz unterbricht – eine innerhalb der Folk Music nicht ungewöhnliche Praxis der heterometrischen Gestaltung (vgl. Rockwell 2011). Die Tonanfänge der drei Stimmen sind oftmals nicht exakt synchronisiert. Zusammen mit der einfachen Harmonik und einer Melodik, die vorwiegend in kleinen Intervallen und innerhalb eines relativ engen Tonhöhenbereichs voranschreitet, sowie dem ebenfalls spontan wirkenden Ergänzen der Hauptmelodie durch die beiden Begleitstimmen entsteht der Gesamteindruck einer informellen, nicht vorab bis ins Einzelne vorarrangierten Mehrstimmigkeit, wie sie in der ländlichen Volksmusik praktiziert wurde: Jeder ist gemäß seiner stimmlichen Möglichkeiten in das

Die Gesangsgruppen

gemeinsame Singen eingebunden und folgt dabei den Regeln einer einfachen Harmonisierung der Melodie mit Akkordgrundtönen und Durchgangstönen im Bass sowie mit verschiedenen konsonanten Intervallen, vorwiegend Terzen, in der zweiten Stimme. Im Gegensatz zur relativen Einfachheit des Gruppengesangs im Hillbilly bieten Aufnahmen von religiösen afroamerikanischen Vokalgruppen aus den 1920er und 1930er Jahren1 ein vielfältiges Bild des Gruppengesangs. So gibt es im afroamerikanischen religiösen Gruppengesang verschiedene Gestaltungsmodelle, die zum Teil innerhalb einer Darbietung kombiniert werden. Zwar finden sich auch akkordisch/homofon gesungene Abschnitte, weit verbreitet ist jedoch eine Aufteilung der Stimmen in Leadstimme und Begleitstimmen, die sich entweder abwechseln oder durch unterschiedliche Melodiepatterns klar voneinander unterschieden sind. Diese Aufteilung folgt dem in der afrikanischen und afroamerikanischen Musik verbreiteten Gestaltungsprinzip des Call And Response, das im religiösen Bereich als vokales Wechselspiel von Prediger und Gemeinde praktiziert wird (vgl. Kapitel 9). Verbreitet ist eine mehrstimmige Begleitung der Melodie mit gehaltenen Akkorden auf »mmmh« oder »uuh«, aber auch betont rhythmische Begleitpatterns sind nicht ungewöhnlich, beispielsweise in der Aufnahme »Motherless Child When Mama’s Gone« der Galilee Singers. Mitunter wechselt die Leadstimme zwischen Modalund Falsettregister. Daneben gibt es Aufnahmen mit exponierter Leadstimme in der Basslage. In manchen afroamerikanischen Gospelgruppen legt sich zudem eine hohe Männerstimme (zumeist im Falsett) über die Leadstimme. Gelegentlich finden sich gesprochene Einleitungsabschnitte, in denen mehr oder weniger gepredigt wird und die an Predigerschallplatten wie die von Reverend Gates (Kapitel 9) anknüpfen. Die Gesangstradition der afroamerikanischen Gospelgruppen bildet ein Reservoir von Gestaltungsprinzipien, die auch für den weltlichen Bereich wichtig und einflussreich wurden (Kapitel 14). Dies zeigte sich seit den 1930er Jahren am großen Erfolg von Gospelgruppen wie dem Golden Gate Quartet (gegründet 1934 in Virginia) oder den Dixie Hummingbirds (gegründet 1928 in South Carolina). Die Verbreitung dieser Musik reichte dabei mitunter über den afroamerikanischen Markt hinaus. Sowohl das Golden Gate Quartet als auch die Dixie Hummingbirds erhielten Verträge 1

  Viele dieser Aufnahmen wurden von Document Records wiederveröffentlicht, vgl. Black Vocal Groups, Vol. 1–7, und Vocal Quartets, Vol. 1–7.

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bei großen Plattenfirmen und waren auch im nationalen Radio präsent; das Golden Gate Quartet erweiterte sein religiöses Repertoire durch einzelne Songs mit weltlichen Texten, so etwa das 1939 aufgenommene und sehr erfolgreiche »My Walking Stick«. Neben Hillbilly und Gospel Music gibt es eine weitere Traditionslinie des Gruppengesangs: das vorwiegend städtische Barbershop Singing (auch: Barbershop Harmony, vgl. Kapitel 4). Im Gesangsstil dieser Gruppen wird eine homofone Stimmführung favorisiert, bei der vier Männerstimmen eng, das heißt innerhalb des Tonraums von einer bis maximal anderthalb Oktaven geführt werden (»close harmony«). Wie Lynn Abbott (1992) darlegt, geht diese Praxis des informellen Gruppengesangs vorwiegend auf afroamerikanische Wurzeln in den 1890er Jahren zurück und wurde erst später von euroamerikanischen Gesangsgruppen aufgegriffen. Während die Arrangements zunächst improvisatorisch erarbeitet wurden, erschienen im frühen 20. Jahrhundert auch Notenarrangements, die von den Gesangsgruppen möglichst präzise reproduziert wurden. Ziel war dabei eine Verschmelzung der Stimmen zu einem geschlossenen, obertonreichen Gruppenklang, was im Kult um den besonderen Klang des sogenannten »barbershop chord« gipfelte. Bereits 1910 wurde der Song »Play That Barbershop Chord« veröffentlicht und von Bert Williams in den Follies of 1910 gesungen und aufgenommen. In der Aufnahme von Billy Murray & the American Quartet wurde der Song im Jahre 1911 zu einem frühen Tonträgererfolg (vgl. Döhl 2009: 67–81, 151–156). Die Geschichte der Barbershop Harmony unterliegt dabei seit den 1930er Jahren generell einer gewissen nostalgischen Mystifizierung, die seit den 1940er Jahren durch die Society for the Preservation and Encouragement of Barber Shop Quartet Singing in America (SPEBSQSA, gegründet 1938) verstärkt wurde. Informationen zu den Wurzeln und zur frühen Geschichte des Barbershop Singing sind daher mit Vorsicht zu behandeln, vermutlich nährt sich diese Gesangspraxis aus verschiedenen ethnischen und stilistischen Quellen (vgl. Averill 2003; Döhl 2009). Gage Averill (2003: 48) beschreibt daher die Entwicklung des Close-Harmony-Gesangs im Barbershop-Stil als eine komplexe Interaktion von afroamerikanischen und euroamerikanischen Formen, Sängern, Ästhetiken, Stilen und Klängen. Zumindest orientieren sich viele Aufnahmen von (männlichen) Vokalensembles, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden, an einer en-

Die Gesangsgruppen

gen und streng homofonen Stimmführung, die allerdings von solistischen Passagen der Leadstimme unterbrochen werden.2

D ie S timme im J azz

als I nstrument

– G ruppengesang

Durch den Ragtime, die »syncopated music« und den Jazz wandelte sich die populäre Musik in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts grundlegend, vor allem in rhythmischer Hinsicht. Dies lässt sich an den Aufnahmen vieler männlicher Gesangsgruppen ablesen, die in dieser Zeit in Revuen am Broadway erfolgreich waren, etwa der Four Harmony Kings, die mit James Reese Europe Aufnahmen machten und in der Broadway-Revue Shuffle Along sangen – der ersten Broadway-Revue mit rein afroamerikanischer Besetzung und unter afroamerikanischer Leitung (Noble Sissle, Eubie Black). Zugleich gab es erste weibliche Gesangsgruppen, so die Duncan Sisters – ­ zwei Vaudeville-Komödiantinnen aus Los Angeles – oder die aus Tennessee stammenden Brox Sisters, die zunächst im Vaudeville, nach 1920 auch am Broadway und später im Film erfolgreich waren. Ein Gestaltungsmittel vieler dieser Gruppen wurde in den 1920er Jahren die vokale Nachahmung von Blasinstrumenten.3 Dadurch wurden eine vokale Klangvielfalt sowie eine Virtuosität und Beweglichkeit zur Schau gestellt, die von einem breiteren Publikum zugleich als reizvolle neuartige Attraktion, als ›novelty‹, wahrgenommen und goutiert wurde. So integrierten die überaus erfolgreichen Revelers in ihr abwechslungsreiches, vierstimmiges Arrangement des Songs »Dinah« (1925) eine Posaunenimitation, die mit kurzen Phrasen und den für den frühen Jazz charakteristischen Glissandi der Posaune die Melodiezeilen kommentiert. In der Mitte des Songs bilden Leadgesang und Posaunenimitation kurze Duopassagen. Das 1926 gegründete Gesangstrio The Rhythm Boys mit Bing Crosby, Harry Barris und Al Rinker kann als erste Gesangsgruppe im Jazz angesehen werden (Kapitel 6). Die Rhythm Boys waren fester Bestandteil des be  Zu den frühen Aufnahmen von euro- und afroamerikanischen Gesangsgruppen vgl. im Überblick Friedman/Gribin (2013: 19–36). 3   Laut Friedman/Gribin (2013: 33) hat das afroamerikanische Excelsior Quartette im Jahre 1922 die erste Aufnahme mit einer vokalen Imitation von Musikinstrumenten aufgenommen. 2

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rühmten Paul Whiteman Orchestra; 1930/31 sangen sie mit dem Gus Arnheim Orchestra. Die Gesangsauftritte der Rhythm Boys sind in der Regel fester Bestandteil der Big-Band-Arrangements – oft in der zweiten Hälfte oder am Schluss der Stücke (vgl. etwa »I’m Coming Virginia«, 1927). Von den Bläsersätzen übernehmen die Rhythm Boys die swingende Artikulation und rhythmische Gestaltung, vielfach unter Verwendung von nichtsprachlichen, jedoch rhythmisch prägnanten Silben. Diese Scatpassagen werden sehr präzise artikuliert und unisono oder im Satz gesungen. Der Ansatz eines Gruppengesangs im Jazz, wie ihn die (euroamerikanischen) Rhythm Boys im Kontext der Big-Band-Musik entwickelt hatten, wurde von den (afroamerikanischen) Mills Brothers weiterentwickelt und in einen Ensemblerahmen übertragen, in dem einzig eine Gitarre die vier Gesangsstimmen begleitet. Die Anfang der 1930er Jahre gegründete Gruppe bestand ursprünglich aus vier Brüdern. Nach dem Tod von John C. Mills stieg 1936 der Vater ein. Die Mills Brothers waren für ihre täuschend echten Nachahmungen von Blasinstrumenten (Trompete, Posaune, Saxofon, Tuba) berühmt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Novelty-Effekte hatten sie zahlreiche Plattenerfolge in den Popular-Music-Charts, vor allem in den Jahren 1931–34, und dann wieder Anfang der 1940er Jahre. Die Bassstimme imitiert dabei häufig den Klang einer Tuba oder ahmt die Linienführung des Basses im Jazz nach (Two-Beat bzw. Walking Bass). Ähnlich wie bei den Revelers finden sich auch zahlreiche Imitationen von Bläsersoli (Posaune, Trompete, Saxofon), zum Teil wird das Bläserspiel mit beweglichen Dämpfern nachgeahmt. Die Arrangements der Mills Brothers kombinieren diese klangliche Nachahmung von Instrumenten mit homofonen Scatchorussen, die sich in Artikulation, Rhythmik und Harmonik an den Close-Harmony-Bläsersätzen der Big Bands orientieren. Beeindruckend ist dabei die präzise rhythmische Artikulation des mehrstimmigen Gruppengesangs sowie die sehr disziplinierte und differenzierte Gestaltung von Dynamik und Klangfarbe, wodurch zusammengenommen eine extrem ›swingende‹ Wirkung erzeugt wird, so beispielsweise in »Some of These Days« (1934) oder »It Don’t Mean a Thing« (1936). Auch bei den Boswell Sisters, einer Gesangsgruppe von drei aus New Orleans stammenden Schwestern, sind homofone Scatchorusse integraler Bestand des Repertoires. Die Boswell Sisters waren jedoch nicht nur in musikalischer Hinsicht richtungsweisend für die Vokalgruppen im Jazz der 1930er und 1940er Jahre (vgl. Becker 1992: 149–62), sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sie bestehende stereotype Unterscheidungen in

Die Gesangsgruppen

›schwarze‹ und ›weiße‹ Musiktraditionen, in Nord- und Südstaatenmentalitäten und in weibliche und männliche Geschlechterrollen infrage stellten beziehungsweise diese neu definierten (vgl. Stras 2007). Anhand ihrer Aufnahme »Heebie Jeebies« (1930) lassen sich eine Reihe von typischen musikalischen Gestaltungsmitteln der Boswell Sisters darstellen.4 Zunächst fällt das abwechslungsreiche Arrangement mit verschiedenen Abschnitten auf, die zum Teil durch Tempowechsel voneinander abgesetzt sind: Die Aufnahme beginnt mit einer 16-taktigen Einleitung, in der parallele Glissandi (über ein Terzintervall hinweg) neben rhythmischen Scatfiguren stehen und die in eine Rubatopassage und eine Fermate mündet. Sodann wechseln dreistimmige, eng gesetzte Vokalsätze und solistische Abschnitte, in denen Connee Boswell in langsamerem Tempo die Melodie singt, einander ab; hinzu kommt ein rhythmisch und harmonisch ungewöhnlicher Gruppen-Scat-Abschnitt gegen Ende des Stückes (vgl. Abbildung 15.2). Hier wie auch in den anderen Close-HarmonyAbschnitten finden sich zahlreiche Sekundintervalle, kurze chromatische Rückungen und eine swingende Rhythmik mit zahlreichen OffbeatAkzenten. Auffällig sind die präzise rhythmische Synchronisierung und der hohe klangliche Verschmelzungsgrad der drei Stimmen – beides wird besonders virtuos etwa dann eingesetzt, wenn die drei Sängerinnen synchron subtile Lautstärke- und Klangveränderungen von Vokalen singen und damit den Dämpfergebrauch von Jazzposaunisten nachahmen. Laurie Stras bringt den weichen, offen resonierenden Stimmklang, der für die Aufnahmen der Boswell Sisters ab 1930 charakteristisch ist, mit der Entwicklung elektrischer Aufnahmeverfahren in Verbindung: The greater intimacy of the microphone allowed the sisters’ natural vocal placement to develop; and though they could sing nasally in the conventional popular white-girl-singer sound, they began to use the tone only for a certain effect, the rest of the time letting their voices resonate more freely in their throats or their chest. (Stras 2007: 224)

Darüber hinaus bevorzugten die drei Schwestern den unteren Bereich ihres Ambitus, der in etwa ihrer Sprechtonhöhe entspricht und sich mit dem   Ich stütze mich im Folgenden auf die Transkription und Analyse von Laurie Stras (2007: 232 ff.); Transkriptionen und Analysen der Aufnahmen von »Roll On, Mississippi, Roll On« (1931) und »The Music Goes ’Round and Around« (1936) finden sich bei Becker (1992: 149–62).

4

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Abbildung 15.2: Ausschnitt aus The Boswell Sisters, »Heebie Jeebies« (1930) (aus: Stras 2007: 233). Die Mittelstimme (Connee Boswell) singt die Melodie.

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Ambitus vieler Sänger überschneidet. Zudem begannen sie, die Melodie nicht in die höchste oder mittlere Stimme, sondern in die tiefste Stimme zu legen (ebd.). Dies führte gemeinsam mit der großen klanglichen Vielfalt und dem Südstaatenakzent der Boswell Sisters dazu, dass die Gruppe allein aufgrund der vokalen Gestaltung (und nicht aufgrund des afroamerikanischen Songmaterials oder des Blackface-Make-up wie noch bei den Duncan Sisters) vielfach als ›schwarz‹ wahrgenommen wurde – was dadurch weiter unterstützt wurde, dass ihre ethnische Zugehörigkeit im Radio nicht anhand des Aussehens zu erkennen war. Gerade diese Qualität – ›weiß‹ zu sein, aber ›schwarz‹ zu klingen – machte die Boswell Sisters zu einem zentralen Act des einflussreichen Produzenten Jack Kapp beim Major-Label Brunswick Records. Kapp nahm ab Mitte 1931 zahlreiche angloamerikanische Jazzsängerinnen und -sänger auf, unter anderem Bing Crosby, die Boswell Sisters und Mildred Bailey. Durch diese Strategie gelang es ihm, das euroamerikanische Publikum für den afroamerikanischen Jazzstil zu begeistern – eine Voraussetzung für die breite Wirkung des Swing als der populären Musik der 1930er Jahre. Dabei betonte Kapp durch seine Repertoireauswahl insbesondere die Süd-

Die Gesangsgruppen

staatenherkunft der Boswell Sisters, durch die sie näher an die afroamerikanischen Ausdrucksweisen heranrückten. Bezeichnenderweise wurde in den 1930er Jahren »Shout, Sister, Shout«, in dessen Titel auf die den Afroamerikanern zugeschriebene Shout-Singweise angespielt wird (vgl. Kapitel 3), zum Erkennungssong der Boswell Sisters. In der Swing-Ära kam es ab Mitte der 1930er Jahre zur Gründung unzähliger Swing-Big-Bands; zugleich entstanden auch zahlreiche Gesangsgruppen, die in der Regel gemeinsam mit den Big Bands auftraten (vgl. die Auflistungen in Becker 1992; Friedman/Gribin 2013). Wie Matthias Becker (1992: 165–70) detailliert beschreibt, kopierten die Gesangsgruppen zumeist die Saxofon- oder Trompetensätze mit einer homofonen und recht engen Stimmführung (vorwiegend in Terzen und Sekunden), dem sogenannten Close-Harmony-Satz, bei dem zudem klangliche Homogenität der Stimmen ein Ziel war. Im close harmony-Stil Anfang der ’40er Jahre war die Tendenz zu erkennen, die vierstimmigen Grundakkorde im Jazz durch Terz und Septime hinreichend zu definieren und die anderen beiden Stimmen mit Farbtönen aus den höheren Optionen der Terzschichtung, respektive deren Alteration zu versehen. Das Tonsatzprinzip und die Orientierung an der klanglichen Homogenität führten zu einem kollektiven Stil, der von zahllosen Arrangeuren für Instrumental- und Vokalensembles mit kleinen Unterschieden schematisch geschrieben wurde. Damit unterschieden sich durchschnittliche Big Bands und zahllose Vokalgruppen im Klang und Stil kaum voneinander. (Becker 1992: 170)

Auch wenn diese Diagnose für das Gros der heute weitgehend vergessenen Vokalensembles des Swing zutreffen mag, gibt es doch zahlreiche Ausnahmen. Insbesondere die harmonischen Neuerungen setzen den Close-Harmony-Gesang im Kontext des Swing von der älteren, nachbarschaftlichen Gesangsweise (Barbershop Harmony) mit ihrer vorherrschenden Dreiklangsharmonik ab. Zwar bleibt der große Einfluss der Mills Brothers und der Boswell Sisters auf den Gruppengesang im Swing zunächst unverkennbar. Seit den späten 1940er Jahren jedoch konzentrierte sich die Weiterentwicklung des Gruppengesangs im Jazz – etwa bei den Four Freshmen oder den Hi-Lo’s – vor allem auf harmonische Finessen, etwa chromatische Akkordrückungen und -vorhalte, Gegenbewegungen der beiden Außenstimmen oder Stimmkreuzungen sowie Wechsel zwischen Unisonoabschnitten und homofonen Sätzen oder zwischen verschiedenen

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Tempi (vgl. Becker 1992: 171-91) – harmonische Neuerungen, die durchaus auch die harmonische Entwicklung des modernen instrumentalen Jazz beeinflusst haben. Eine Sonderentwicklung ist der sogenannte Vocalese-Stil des Gesangstrios Lambert, Hendricks & Ross, in dem Instrumentalsoli von Jazzmusikern und Bläsersätze von Jazz-Big-Bands mit Texten versehen und unisono oder in Close-Harmony-Sätzen nachgesungen werden – mit einer trotz schneller Tempi beeindruckenden Präzision (vgl. Becker 1992: 106–18).

A froamerik anische G esangsgruppen 1940 er und frühen 1950 er J ahre

der

In den 1940er und 1950er Jahren knüpften zahlreiche afroamerikanische Vokalgruppen an die Tradition des Jazzgesangs an, unter anderem die Delta Rhythm Boys, Cats and the Fiddle und The Vagabounds. Verbreitet waren schnelle Tanznummern, nicht selten mit Scatpassagen des Leadsängers oder im Satz. Daneben etablierten sich im Repertoire der Gesangsgruppen zunehmend langsame Tin-Pan-Alley-Songs, für die in der Regel eine strikte Aufteilung zwischen Leadgesang und den Begleitstimmen im Hintergrund gewählt wurde. Ähnlich wie bei den in dieser Zeit ebenfalls erfolgreichen Balladensängern wie Billy Eckstine oder Nat King Cole steht der Leadgesang hier im Vordergrund. Die begleitenden Sänger beschränken sich dagegen auf gehaltene Akkorde, die entweder gesummt oder auf »uuh« gesungen werden. Bei den Vokalgruppen kann allerdings der Leadgesang im Verlauf eines Songs zwischen den verschiedenen Sängern wechseln oder den verschiedenen Sängern werden einzelne Songs oder solistische Songabschnitte zugeteilt. Eine der erfolgreichsten und einflussreichsten Vokalgruppen der 1940er Jahre, deren Repertoire vor allem (aber nicht ausschließlich) aus Songs in getragenem Tempo bestand, waren The Ink Spots. Die Ink Spots wurden Anfang der 1930er Jahre gegründet, doch ihre wichtigste und erfolgreichste Zeit dauerte von 1936, als Bill Kenny (1914–1978) Leadsänger wurde, bis zum Tod des Basses Orville »Hoppy« Jones im Jahre 1944; danach brach die Gruppe nicht zuletzt aufgrund von Rechtsstreitigkeiten allmählich auseinander. Zwischen 1939 und 1944 hatten die Ink Spots insgesamt vierzehn Top-Ten-Hits in den Popular-Music-Charts, darunter vier Nummer-eins-Hits, und gehörten damit zu den erfolgreichsten afroame-

Die Gesangsgruppen

rikanischen Musikgruppen. Charakteristisch für die Ink Spots ist zum einen die klanglich weiche, aber klar artikulierte Stimme von Bill Kenny, dessen Gesang sich in der Höhe durch viele Kopfresonanzen auszeichnet und mit Registerüberblendung ins Falsett bis zum b1 und c2 reicht, so etwa im Schlussabschnitt von »If I Didn’t Care« (1939), dem ersten großen Hit der Ink Spots. Zum anderen beinhalten viele der Ink-Spots-Songs der frühen 1940er Jahre in der Mitte ein gesprochenes Bekenntnis von Hoppy Jones, der in tiefer Lage und mit einem traurig kontemplativen Tonfall den Songtext wiederholt; diese Sprechpassagen, über die sich in der Regel ein hohes Summen von Kenny legt, tragen entscheidend zum nachdenklichintrospektiven Charakter vieler Ink-Spots-Songs bei. Gerade der Kontrast zwischen diesen beiden Stimmen, wie er sich nur innerhalb einer Gesangsgruppe entfalten kann, wurde zur vokalen Signatur der Ink Spots. Die Funktion der anderen Stimmen beschränkt sich vielfach auf ein leises akkordisches Mitsummen. Die Ink Spots und die Mills Brothers waren sehr einflussreich auf den afroamerikanischen Gesang der 1940er und 1950er Jahre. Mit ihren getragenen Vokalarrangements (The Ink Spots, »If I Didn’t Care«, oder The Mills Brothers, »Paper Doll«, das 1943/44 für zwölf Wochen die Popcharts anführte) waren sie nicht nur im afroamerikanischen Musikmarkt, sondern auch beim euroamerikanischen Publikum erfolgreich. Beide Gruppen standen bei dem Platten-Major Decca Records unter Vertrag. Entscheidend für den breiten Erfolg war jedoch nicht nur die Unterstützung der Gruppen durch ihre Plattenfirmen, sondern ihre Präsenz in den Sendungen der nationalen Radionetzwerke sowie im Kino; beide Gruppen traten in zahlreichen Hollywoodfilmen auf. Andere Gesangsgruppen waren dagegen fast ausschließlich bei urbanen afroamerikanischen Hörerinnen und Hörern und vor allem durch ihre Konzertauftritte präsent und erfolgreich. So reisten The Ravens und The Orioles, zwei direkte Vorbilder der jugendlichen Doo-Wop-Gruppen der 1950er Jahre, durch den sogenannten »Chitlin’ Circuit«, einen Verbund der von Afroamerikanern und Afroamerikanerinnen besuchten Clubs und Theatern im Osten und Süden der USA (Runowicz 2010: 37). Diese Bands pflegten ein gemischtes Repertoire aus schnellen Jump-Blues-Songs und langsamen Tin-Pan-Alley-Songs. Der Leadsänger der 1947 in Baltimore gegründeten Orioles, Sonny Til (Earlington Carl Tilghman, 1928–1981), wurde zu einem der ersten jugendlichen afroamerikanischen Stars – und zu einem Sexsymbol, das mit

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Abbildung 15.3: The Ravens, »Count Every Star« (1950). Beginn des Stückes (ohne Instrumentalbegleitung). Falsett

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seinem ganzen Körper die Songs interpretierte (vgl. Runowicz 2010: 38 f.). Mit »It’s Too Soon to Know« (1948) und mit ihrer Version des CountrySongs »Crying in the Chapel« (1953) hatten die Orioles zwei Rhythm & Blues-Charterfolge (jeweils Platz 1) und moderate Erfolge in den PopularMusic-Charts (Platz 13 bzw. 11). The Ravens wurden 1946 in Harlem gegründet; im Mittelpunkt stand der Bass von Jimmy Ricks, der oft auch die Melodiestimme sang. In »Count Every Star« (1950) der Ravens finden sich bereits viele typische Gestaltungsmittel des späteren Doo-Wop. Die Aufnahme beginnt mit der Wiederholung einer in mittlerem Tempo gesungenen zweitaktigen Phrase, in der die Akkordfolge I vi ii V exponiert wird – eine Harmonieverbindung, die für zahlreiche Doo-Wop-Songs charakteristisch wurde. Die Bassstimme singt auf »du« die Grundtöne der vier Akkorde mit kurzen Durchgangstönen; die beiden Harmoniestimmen antworten mit »ba« auf der dritten Triolenachtel, wodurch die Akkordfolge G6, Em, Am, D7 exponiert wird (vgl. Abbildung 15.3). Oberhalb dieser dreistimmigen Textur singt eine Falsettstimme eine Melodielinie, die sowohl vom Rhythmus als auch von der Harmoniebewegung der anderen Stimmen losgelöst erscheint. Solche hohen Falsett-

Die Gesangsgruppen

stimmen wurden bisweilen als »floating tenor« bezeichnet (Goosman 2005: 190). Im fünften Takt setzt sodann die Leadstimme ein, die sich mit einem geraden Melodierhythmus über den triolischen Rahmen legt; allerdings halten nun die Begleitstimmen lange Töne. Im Verlauf des Stückes folgt ein Gitarrensolo und zum Höhepunkt des Stückes ein vierstimmiger Close-Harmony-Satz, aus dem sich schließlich der Bass des Bandleaders Jimmy Ricks als neue Leadstimme herauslöst. Wie an den Beispielen deutlich wird, liegt eine besondere Qualität der Rhythm  & Blues-Gesangsgruppen der 1940er und frühen 1950er Jahre in dem Abwechslungsreichtum der Vokalarrangements. Abschnitte mit verschiedenen Gestaltungsprinzipien waren innerhalb eines Songs ebenso üblich wie ein Wechsel der Leadsänger. So etwa auch bei Billy Ward and his Dominoes, Anfang der 1950er Jahre eine der im afroamerikanischen Markt erfolgreichsten Vokalgruppen. Leadsänger der Dominoes waren unter anderem Clyde McPhatter, Bill Brown und Jackie Wilson; Billy Ward war der Songwriter und Pianist der Band. Im Zentrum des Songs »Sixty Minute Man« (1951), dem einzigen (moderaten) Crossover-Erfolg der Dominoes (R&B 1, Pop 17), steht zum Beispiel der Bassist Bill Brown. Seine Leadstimme dominiert gegenüber Patterns und Einwürfen der Begleitsänger; das Wechselspiel zwischen Lead und Begleitung ist in manchen Passagen im Sinne eines Call And Response eng verzahnt. Der Text beschreibt die sexuelle Attraktivität und Energie des Protagonisten, des »lovin dan’« – ein durchaus typisches Sujet für die Texte von Rhythm & Blues-Songs der 1940er und 1950er Jahre, die hauptsächlich an Erwachsene und weniger an Jugendliche adressiert waren.

D oo -Wop – das vergessene D rittel des R ock ’n ’R oll In den 1950er Jahren entstanden in den Metropolen der USA zahlreiche afroamerikanische Gruppen von vier oder fünf meist jungen Männern (seltener Frauen, vgl. unten), die mit ihrem von Gospel, Jazz und Pop beeinflussten Gruppengesang erst im afroamerikanischen Rhythm & Blues-Markt, ab 1953/54 aber auch zunehmend in den Popular-Music-Charts erfolgreich waren und später zu einem wesentlichen Teil der musikalischen Jugendkultur des Rock’n’Roll wurden. Nach 1960 setzte sich für die

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Musik der jugendlichen Vokalgruppen der Ausdruck »Doo-Wop« durch – aufgrund der Silben der charakteristischen Gesangsbegleitung. Die afroamerikanischen Vokalgruppen der 1950er Jahre waren ein urbanes Phänomen vor allem in den Städten des Nordostens der USA – in New York, Chicago, Detroit, Baltimore, Washington5 – aber auch in Los Angeles. Unter Jugendlichen war es dort weit verbreitet, im Schulhof oder an Straßenecken die Hits des Tages nachzusingen. Viele Vokalgruppen hatten eine starke Verwurzelung in ihren Stadtvierteln und standen untereinander in Konkurrenz. Weitverbreitete Talentwettbewerbe gaben den Amateurgruppen zusätzlichen Anreiz, sich vor Publikum zu präsentieren und aneinander zu messen. Dabei spielten nicht nur der Gesang und die Musik eine Rolle, sondern ebenso ihre modischen Anzüge und ihr Bühnenauftreten. Wichtig für die Jugendlichen und den Zusammenhalt der Gesangsgruppen waren Erfahrungen des gemeinsamen Singens: einerseits des Flows, der gemeinsamen Flusserfahrung beim Singen, andererseits des »blending«, eines Verschmelzens der einzelnen Stimmen zu einem Gruppensound; beides wird in den Interviews mit Doo-Wop-Veteranen betont, die Stuart L. Goosman geführt hat (vgl. Goosman 2005: 186; 196 f.). Dies erinnert an das oben erwähnte Ideal des Barbershop-Singens, allerdings ist die Gestaltung der afroamerikanischen Doo-Wop-Gruppen stilistisch vielgestaltiger. Laut Harold Winley, Sänger der Doo-Wop-Gruppe The Clovers, gehörten insbesondere die Ink Spots und Bill Kenny zu den zentralen Vorbildern der zahlreichen Doo-Wop-Bands um 1950, und zwar nicht nur hinsichtlich des Gesangs, sondern vor allem aufgrund ihres gepflegten und zurückhaltenden Auftretens, das im Gegensatz sowohl zu afroamerikanischen Komikern als auch zum Habitus der Bluessänger stand: The groups that you would hear around on the corner singing were mostly singing Ink Spots. You hear cats going down the street, you know guys that had tenor voices man, in the morning, at night, singing Bill Kenny and doing the hands, like he used to do.6 (Zit. n. Goosman 2005: 5)

  Die Doo-Wop-Szenen in Washington und Baltimore beschreibt ausführlich Goosman (2005: 23–72). 6   Mit »doing the hands« sind die dezenten, aber ausdrucksstarken Handgesten von Kenny gemeint. 5

Die Gesangsgruppen

Neben den direkten Einflüssen der Ink Spots mit Bill Kenny, der Orioles mit Sonny Til und der Ravens bildete auch die Musik der Vokalgruppen des Gospel, Jazz und Rhythm & Blues ein wichtiges Reservoir für die vokale Gestaltung. In ihren Songtexten entfernten sich diese Gruppen jedoch sowohl von der religiösen Aussage der Gospelbands als auch von der Machoattitüde, dem Selbstmitleid oder der Aggressivität vieler Blues­ sänger und ihrer Feindlichkeit gegenüber Frauen. Blues wurde zunehmend als eine Musik der Erwachsenen empfunden, konnotiert mit deren Erfahrungswelt in der rassistischen und auf Rassentrennung pochenden US-Gesellschaft. Eine Festschreibung der Schwarzen auf eine Blues-Ästhetik erfolgte oftmals durch die Weißen, so zum Beispiel die Produzenten von Atlantic Records. De facto war jedoch der Musikgeschmack der Afroamerikaner viel breiter, und laut Brian Ward gab es um 1950 ein starkes Bedürfnis nach sanfteren Tönen im Umgang zwischen den Geschlechtern, das in der Musik und den Texten der Doo-Wop-Gruppen ihren Widerhall fand: What made the pioneer vocal groups of the late 1940s and early 1950s so different from almost anything else within the Rhythm and Blues canon was the fact that they always offered some relief from r&b’s dominant vision of opportunistic, predatory, distrustful and often destructive black sexual politics. Their extraordinary popularity in the 1950s may thus have reflected a growing black need and support for this alternative perspective. (Ward 1998: 80)

Als die Marktvorherrschaft der Plattenfirmen in den späten 1940er Jahren durch die Gründung zahlreicher kleiner unabhängiger Plattenlabels, die oftmals regional beschränkt arbeiteten, ihre Plattenproduktionen also nur in der eigenen Region verkauften, aufgebrochen wurde (vgl. Peterson 1990), waren bei den kleinen Labels Vokalgruppen bisweilen erfolgreicher als Gesangsstars. So wurden etwa bei Atlantic Records in New York – Anfang der 1950er Jahre eines der wichtigsten unabhängigen Labels, das mit Gesangsstars wie Big Joe Turner und Ruth Brown, Ray Charles und Big Mama Thornton gezielt für den afroamerikanischen Plattenmarkt produzierte – die beiden Vokalgruppen The Clovers und The Drifters zu den erfolgreichsten Acts. Die Clovers wurden 1946 an einer High School in Washington D.C. gegründet und hatten zwischen 1952 und 1956 jährlich mehrere Rhythm & Blues-Top-Ten-Hits. Interessanterweise haben die Clovers mit einem Repertoire von Tin-Pan-Alley-Standards begonnen,

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so etwa dem noch bei Rainbow Records veröffentlichten Song »When You Come Back to Me« (1950). Erst nachdem sie 1951 bei Atlantic unter Vertrag genommen wurden, sangen sie ausschließlich Blues-Songs in der konventionellen 12-taktigen Form – deren Texte zum Teil vom Produzenten Ahmet Ertegün geschrieben und vom Hausarrangeur von Atlantic, Jesse Stone, komponiert und arrangiert worden waren (vgl. Goosman 2005: 216 ff.). Die Clovers, die Cardinals und vor allem die Drifters hatten in den 1950er Jahren zwar weit mehr Rhythm & Blues-Hits als die Blues-­ Stars, aber nur selten Crossovererfolge in den Popcharts. Das mag auch daran gelegen haben, dass die Atlantic-Produzenten Jerry Wexler und Jesse Stone nach eigenen Angaben in dieser Zeit nur den afroamerikanischen Markt und nie die euroamerikanischen Jugendlichen als Zielpublikum im Blick hatten und von dieser neuen Käufergruppe selbst überrascht wurden (vgl. Shaw 1978: 87). Einflussreich auf den Rock’n’Roll wurden die Veröffentlichungen der Clovers und Drifters zunächst aufgrund zahlreicher Coverversionen weißer Rock’n’Roll-Sänger, unter anderem von Songs aus der Feder von Jerry Leiber und Mike Stoller. Erst die Coasters hatten 1957– 59 mit ihren auf Teenager zielenden Songtexten breiteren Erfolg sowie ab 1959 die Drifters mit Ben E. King. Ab Mitte der 1950er Jahre häuften sich Crossoverhits von Doo-WopGruppen, also Songs, die anders als die Erfolge der Clovers oder Drifters nicht nur auf den Rhythm & Blues-Markt zielten, sondern von Anbeginn auch den euroamerikanischen Popmarkt im Blick hatten und neben den Rhythm & Blues-Charts auch die Popcharts erreichten: So erlangte 1954 »Sh-Boom« von The Chords, einer Vokalgruppe aus der Bronx, nicht nur Platz 2 der Rhythm & Blues-Charts, sondern stieg in den Popcharts bis auf Platz 5. Im selben Jahr erreichten The Penguins, eine Gruppe von Klassenkameraden in Los Angeles, die vom lokal agierenden Dootone Records produziert wurde, mit »Earth Angel« Platz 1 (R&B) und Platz 8 (Pop) der Billboard-Charts. Der Durchbruch von Doo-Wop kam schließlich 1955 mit einer zweiten Gruppe aus Los Angeles, die damals vom Major Mercury zusammen mit den Penguins unter Vertrag genommen wurde: The Platters mit dem Leadsänger Tony Williams erzielten mit »Only You (and You Alone)« im Juli 1955 in den Rhythm & Blues-­Charts Platz 1, in den Popcharts Platz 5 und mit »The Great Pretender« im November 1955 in beiden Charts den ersten Platz, gefolgt von »My Prayer« (Juni 1956) – einem Song, der bereits 1939 durch Bill Kenny und die Ink Spots populär gemacht worden war – mit der gleichen Platzierung.

Die Gesangsgruppen

Welche musikalischen Kennzeichen hatte der Gesang der Doo-WopGruppen? Doo-Wop beinhaltet zunächst mehrstimmigen Gesang von drei bis fünf Stimmen, bei dem ein möglichst weiter Ambitus – von der Basslage bis zur hohen Tenorlage beziehungsweise zum Falsett – genutzt wird. Zwar gibt es bisweilen auch Passagen mit Close-Harmony-Gesang, diese Passagen werden aber immer seltener. In der Regel steht ein Leadsänger mit der Melodie im Vordergrund, meist eine hohe Männerstimme, die sich gelegentlich im Verlauf des Stückes mit anderen Stimmen und Stimmlagen in der Leadfunktion abwechseln kann. Die begleitenden Sänger singen hierzu vorwiegend Dreiklangharmonien – in der Regel aus bedeutungslosen Silben, die mit den weichen Konsonanten »d«, »w« oder »b« beginnen. Entweder werden Töne gehalten (bei getragenen Songs), oder es werden rhythmische Patterns gesungen. Charakteristisch für Doo-Wop ist sodann eine prägnante tiefe Gesangslinie des Basses, die mit auf bedeutungsleeren Silben gesungenen Tönen die grundlegende harmonische Bewegung zahlreicher Songs ausdeutet. Mit dieser Prominenz des Basses knüpft Doo-Wop an Gestaltungsweisen von Gospel- und Rhythm & BluesGruppen wie den Dixie Hummingbirds oder den Dominoes, aber auch an die Tuba- beziehungsweise Bassimitationen der Mills Brothers an. Bisweilen legt sich eine hohe Männerstimme (oft im Falsett) über die vokale Textur. In den meisten Aufnahmen gibt es eine Instrumentalbegleitung mit Piano, Gitarre oder einer kleinen Band, etwa der Studioband des Plattenstudios – bei Atlantic mit für den Rhythm & Blues der Zeit typischen Saxofon- oder Gitarren-Soli. Alle genannten Gestaltungselemente finden sich bereits im prototypischen Doo-Wop-Song »Count Every Star« (1950) der Ravens (siehe oben). Das Repertoire des Doo-Wop bestand zunächst vorwiegend aus bekannten Tin-Pan-Alley-Songs in der AABA-Form, vor allem aus sentimentalen Balladen. Zunehmend wurden jedoch neue Lieder in diesem Stil komponiert und gesungen, deren Melodik und Harmonik einfacher waren. Im A-Teil setzt sich bei vielen Songs eine formelhafte, zweitaktige Akkordverbindung (I vi ii V oder I vi IV V) durch, die mehrmals wiederholt wird. Allerdings finden sich daneben auch 12-taktige Blues-Formen im Doo-Wop-Repertoire, so bei schnelleren Stücken der Atlantic-RecordsBands The Cardinals, The Drifters und The Clovers. Das Auftreten jugendlicher Gesangsgruppen wurde im Laufe der 1950er Jahre zunehmend professionalisiert. So wurde Cholly Atkins, ein bekannter Stepptänzer, zum Choreografen für The Cadillacs, The Teen-

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agers, The Imperials und The Shirelles (vgl. Runowicz 2010: 53 ff.). Die Choreografien von Atkins, der 1962 auch Auftritte der Supremes einstudierte und schließlich 1964 von Berry Gordy als Choreograf für weitere Motown-Künstler verpflichtet wurde, sorgten für eine ständige koordinierte Bewegung der Sänger auf der Bühne – vor allem bei denen, die gerade eine Singpause hatten – und für aufeinander abgestimmte Gesten, die auf den Songtext ausgerichtet waren und diesen illustrierten. Aufgrund des Erfolges der Ensembles wurden im Laufe der 1950er Jahre unzählige weitere jugendliche Vokalgruppen gegründet, die oft nur einzelne Plattenaufnahmen machten und nur in ihrer Heimatstadt bekannt wurden. Anthony Gribin und Matthew M. Schiff listen in DooWop. The Forgotton Third of Rock ’n Roll mehrere tausend Gruppen auf (Gribin/Schiff 1992: 151–601); zum Teil gibt es mehrere Gruppen mit demselben Namen sowie Gruppen mit zahlreichen Umbesetzungen. Doo-Wop war eine weitverbreitete städtische Musikpraxis, die von Teenagern und jungen Erwachsenen um die 20 semiprofessionell praktiziert wurde; die entsprechenden Plattenveröffentlichungen waren vor allem auf den neuen Markt der Teenagerhörer ausgerichtet. Eine Orientierung an der Erfahrungswelt der Teenager zeigt sich besonders in den Songtexten, in denen in der Regel die jugendliche Romanze, die unschuldige Teenagerliebe zelebriert wird. Grundmotive sind beispielsweise der angebetete Engel, so in »Earth Angel« von The Penguins (1954), und der liebende Narr, etwa in »Why Do Fools Fall in Love« von Frankie Lymon The Teenagers (1955). Das Engelhafte und Verrückt-Vernarrte findet nicht selten einen Widerhall in der gesanglichen Gestaltung, besonders wenn einer der Sänger im Falsett in Regionen des Unwirklichen und Überirdischen zu entschweben scheint. Ausgeprägt ist dies zum Beispiel in dem 1954 aufgenommenen Song »Gloria« der Cadillacs – einer Neufassung des gleichnamigen Songs der Mills Brothers, dessen Tempo verlangsamt und dessen Text stark vereinfacht wurden. Die Strophen beschränken sich auf ein beschwörendes »Gloria, it’s not Marie, it’s Gloria, it’s not Cherrie, Gloria, she’s not in love with me«; in der Bridge wird das unsichere, schüchterne Hoffen ausgedrückt: »well, maybe she‘ll love me, how am I to know, and maybe she’ll want me, but how am I to know«. Earl Carroll, der damals 17-jährige Leadsänger der Cadillacs, zieht seine durchdringende Stimme weit nach oben und springt bei den Mädchennamen ins Falsett (a1 und c2). Nur in wenigen Texten wird auch auf den Lebensalltag der Teenager Bezug genommen, so etwa in The Silhouettes »Get a Job« (vgl. Ward 1998: 85 f.). Vielmehr

Die Gesangsgruppen

kommt in der überwiegenden Zahl der Songs sowohl textlich als auch in der musikalischen Gestaltung die Euphorie und Begeisterung der Teenager zum Ausdruck, die durch die neue, aufregende Erfahrung der (noch unschuldigen) Liebe ausgelöste ›Verrücktheit‹ – so etwa in »Sh-Boom« (1954) von The Chords, in dessen erstaunlich kurzem Text das paradiesische, traumhafte Gefühl der Teenagerliebe gefeiert wird: Life could be a dream (Sh-boom) If I could take you up in paradise up above (Sh-boom) If you would tell me I‘m the only one that you love Life could be a dream, sweetheart.

Manche Doo-Wop-Gruppen bestanden nicht aus Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, sondern hatten Sänger in ihren Reihen, die noch Kinder waren. Frankie Lymon sang 1955 zusammen mit The Teenagers den Hit »Why Do Fools Fall in Love« (1955 aufgenommen, Anfang 1956 in den Charts: R&B 1, Pop 6) im Alter von nur 13 Jahren, seine Bandkollegen waren kaum älter. Thema des euphorischen Songtextes ist wiederum der junge Narr, der sich verliebt. Der besondere Reiz der vokalen Gestaltung entsteht auch hier aus dem Kontrast der von Sherman Garnes gesungenen Basslinie (F# – d# – G # – c #) und der kräftigen, noch nicht mutierten Knabenstimme Lymons, dessen Tonumfang in diesem Stück von a# bis a#1 reicht. An der unteren Grenze seines Tonumfangs, bereits beim mittleren a #, wird Lymons Stimme dünn und wenig tragfähig; vermutlich aus diesem Grund wird sein Gesang hier von seinen Mitsängern – oder aber studiotechnisch durch eine zusätzlich aufgenommene Gesangsspur (Doubling) – unterstützt. Doch auch nach oben ist der Stimmumfang begrenzt. Am Schluss des Chorus (ab 0:46) springt Lymons vom a#1 in ein ungestütztes Falsett, das klanglich dünn und zudem sehr behaucht ist.Mit diesem dünnen verletzlichen Stimmklang singt Lymon mehrere lange Töne (c #2, a #1 und g#1). Von der (prä-)pubertären Verletzlichkeit, die in der Stimme Lymons hörbar wird und die einen besonderen Reiz seines Gesangs ausmacht, ist bei den zahlreichen Fernsehauftritten der Teenagers, unter anderem in Alan Freeds Rock’n’Roll Dance Party und in der Fernsehshow von Frankie Laine, allerdings kaum etwas zu sehen. Lymon ist schlagfertig und witzig – und geht absolut souverän mit der Situation im Fernsehstudio um. In der Folge von Lymons Erfolg suchten die Plattenproduzenten nach weiteren Teeniestars. Fündig wurden sie unter anderem in Little Anthony

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and the Imperials mit Jerome Anthony Gourdine (»Tears at My Pillow«, 1958, Pop 4, R&B 2). Freilich endeten die Karrieren der Teenagerstars oft relativ schnell, umso mehr, als die Plattenlabels mit den Jugendlichen keine längerfristigen Pläne hegten – ganz im Gegenteil: Nicht selten wurden innerhalb der Gruppen von Produzenten personelle Umbesetzungen vorgenommen. Lymons Erfolg ließ in dem Maße nach, in dem sein Kehlkopf wuchs und seine Stimme tiefer wurde. Frankie Lymon widerfuhr schließlich genau das, was er 1957 in seinem Song »I’m Not a Juvenile Delinquent« (ich bin kein jugendlicher Straftäter) noch weit von sich gewiesen hatte: Er wurde drogenabhängig und starb 1968, im Alter von 26 Jahren, an einer Überdosis Heroin. Zwar waren die ersten erfolgreichen Doo-Wop-Gruppen durchweg afroamerikanisch, allerdings rückten – wie generell im Rock’n’Roll (vgl. Kapitel 13) – eindeutig ethnisch konnotierte musikalische Gestaltungsmittel immer mehr in den Hintergrund. Zugleich gab es ein in ethnischer Hinsicht zunehmend gemischtes Publikum – wobei sich die Hörerinnen und Hörer von Radio und Schallplatten oft nicht über die Hautfarbe der Sänger klar waren. So schreibt Michael Bane: »In the South, where I grew up, the key to doo-wops success was its racial anonymity. Since it was not clearly identifiable as ›nigger‹ music, it was acceptable in a time of legal ­segregation« (zit. in Ward 1998: 85). Neben der zunehmend breit gefächerten Hörerschaft entstanden auch erste Gesangsgruppen, in denen afro- und euroamerikanische Sänger gemeinsam sangen, beispielsweise Del Vikings (auch: Dell-Vikings), die 1955 von Mitgliedern der US Airforce gegründet wurden, oder Norman Fox and the Rob-Boys (ab 1957) aus der Bronx. Dennoch gab es auch weiterhin starke Animositäten gegenüber afroamerikanischen Stars – vor allem bei Liveauftritten und im Fernsehen. So wurde unter anderem Nat King Cole das Ziel rassistischer Anfeindungen (vgl. Ward 1998: 95). Zu einem Skandal kam es, als Frankie Lymon 1957 in der TV-Show The Big Beat von Alan Freed mit einem weißen Mädchen aus dem Publikum tanzte. Die erfolgreiche Show wurde kurze Zeit später abgesetzt (Ward 1998: 85). Zugleich wurde die neue Vokalgruppenkultur im Verlauf der 1950er Jahre zunehmend auch von weißen Jugendlichen gepflegt – vor allem von einer anderen marginalisierten ethnischen Gruppe, die Ende der 1950er Jahre in der US-amerikanischen Popmusik insgesamt immer wichtiger wurde: den Amerikanern italienischer Abstammung (Runowicz 2010: 64– 67). Pioniere waren Dion DiMucci (geb. 1939) mit Dion & the Belmonts

Die Gesangsgruppen

(benannt nach der Belmont Avenue in der New Yorker Bronx), die 1958 mit »I Wonder Why« ihren Durchbruch hatten. Das Stück knüpft mit der Basslinie und einer hohen Männerstimme bewusst an die Arrangements von Frankie Lymon & the Teenagers an; allerdings wird die Melodie nun mit der Bruststimme gesungen, während sich eine Falsettstimme in dem Tonhöhenbereich bewegt, der bei den Teenagers durch Lymons Knabenstimme abgedeckt wurde (f1 bis a1).

Vom D oo -Wop zu den G irlgroups der frühen 1960 er J ahre In den professionellen Doo-Wop-Gruppen waren Frauen, wie etwa Zola Taylor bei den Platters, die große Ausnahme. Doo-Wop war zunächst eine Jugendkultur von männlichen Jugendlichen und jungen Männern. Ab Mitte der 1950er Jahre traten jedoch erste weibliche Gruppen auf dem Plattenmarkt in Erscheinung. Denn auch Mädchen und junge Frauen sangen gemeinsam die Doo-Wop-Hits nach – wohl weniger auf der Straße, aber doch auf Schulhöfen und in den Teenagerzimmern zu Hause. Laut Laurie Stras (2010: 41) suchten die Teenager dabei nach einem Ausdruck für ihre persönlichen Erfahrungen als bereits sexuell reife, aber noch minderjährige junge Frauen – eine eigene musikalische Ausdruckswelt, durch die sie sich von ihren Müttern und von ihren kleinen Schwestern gleichermaßen abgrenzen konnten. Dies spiegelt sich vor allem in den Songtexten wider, in denen in der Regel die Erfahrung der ersten Liebe aus der Perspektive der weiblichen Teenager zur Sprache kommt. Doch auch in den Stimmen hinterließ die charakteristische, von körperlichem Wachstum und Identitätssuche geprägte Erfahrungswelt der weiblichen Heranwachsenden ihre Spuren: Of course, the outward signs of the clothes, the hair and the lyrics of this new generation of teen girl singer were vital to establishing her social identity, but she also began to be able to claim her vocal identity, singing in a voice that was in the process of development, with all the technical vulnerability that might entail. (Stras 2010: 41)

Die stimmlichen Unsicherheiten, die durch das Wachstum von Kehlkopf und Vokaltrakt hervorgerufen werden und sich in einem plötzlichen Wegbrechen der Stimme oder einer unsicheren Intonation äußern können,

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zeigen sich vor allem im Übergangsbereich zwischen den Registern. Sie können dadurch verdeckt und umgangen werden, dass die Mädchen vornehmlich im mittleren und tiefen Bereich des Modalregisters singen – wie es ja bereits seit den Boswell Sisters in der populären Musik für Sängerinnen üblich geworden war. Diesen Weg wählten die beiden Leadsängerinnen der Bobbettes, einer Gruppe von fünf Teenagern, die 1957 mit dem Song »Mr. Lee« für mehrere Wochen die Rhythm  & Blues-Charts anführten; die Sängerinnen waren zum Zeitpunkt der Aufnahme bei Atlantic Records zwischen 11 und 15 Jahre alt. Im Songtext geht es um die schwärmerische Liebe der Mädchen zu einem ihrer Lehrer. Die Melodie von Strophen und Refrain wird relativ tief, in einem Bereich zwischen g und e1, gesungen. Auffällig sind zudem kurze Ausbrüche bis zum b♭1, die mit einer rauen Stimmgebung ganz in der Tradition afroamerikanischer Blues-Shouter wie Big Mama Thornton oder Ruth Brown mehr gerufen als gesungen werden. Indem zwei der Mädchen einstimmig die Melodie singen, sollen wohl, wie Stras (2010: 43) vermutet, Intonationsunsicherheiten verdeckt werden. Die Begleitstimmen beschränken sich auf die für DooWop typische Wiederholung kurzer, rhythmisch prägnanter Patterns; auffällig sind zudem zahlreiche kurze Rufe (»ha«). Eine zweite frühe weibliche Doo-Wop-Gruppe waren die Chantels, deren vier Sängerinnen im Jahre 1957, als sie ihren ersten Hit »Maybe« aufnahmen, um die 16 Jahre alt waren. Thema von »Maybe« ist die unglückliche Liebe; die Leadsängerin hofft, ihren Verflossenen wieder – vielleicht, »maybe« – unter Kontrolle (»under command«) zu bringen, wenn sie betet, weint oder die Gelegenheit bekommt, seine Hand zu halten und ihn zu küssen. Anders als die Sängerinnen der Bobbettes singt Arlene Smith, die Leadsängerin der Chantels, den Song im oberen Bereich ihres Brustregisters (zwischen g1 und d2) mit gehobenem Kehlkopf und hoher Intensität, was ihre Singweise in die Nähe des Beltings rückt; in manchen Passagen sind Intonationsunsicherheiten hörbar. Die Begleitstimmen singen in einem vergleichbaren Tonhöhenbereich Akkorde (»ah« und »uh«), über diese Textur legt sich eine weitere, im Kopfregister gesungen Linie, die dem hohen Falsettgesang (»floating tenor«) in manchen Aufnahmen männlicher Doo-Wop-Gruppen nachempfunden ist.7 Was den weiblichen Bands   Eine vergleichbare Anordnung der Stimmen findet sich auch in anderen Aufnahmen der Chantels, unter anderem in »You Are My Sweetheart« (1959), vgl. hierzu Stras (2010: 44 f.).

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Die Gesangsgruppen

allerdings im Vergleich zu den männlichen fehlte, war eine Bassstimme, und somit die für Doo-Wop typische prägnante Basslinie. Die Chantels und die Bobbettes können als direkte Vorläufer der zahlreichen Girlgroups in der ersten Hälfte der 1960er Jahre angesehen werden. Die Hochphase der Girlgroups vom ersten Hit der Shirelles, »Will You Love Me Tomorrow«, im Jahre 1960 (Pop 1, R&B 2) bis Mitte der 1960er Jahre wird oft mit der wachsenden Macht von Songwritern und Produzenten der New Yorker Brill-Building-Verlage in Zusammenhang gebracht (vgl. Covach 2006: 124–27). So produzierte Phil Spector, der seine Karriere in einer Gesangsgruppe begonnen hatte und Anfang der 1960er Jahre durch seine orchestralen »Wall of Sound«-Aufnahmen berühmt wurde, unter anderem Songs mit den Ronettes, einer 1959 gegründeten Girlgroup, oder mit den seit 1961 bestehenden Crystals (Greig 1991: 55 ff.), aber auch mit der Chantels-Sängerin Arlene Smith. Laut Stras (2010: 48 ff.) wird in den Aufnahmen vieler Girlgroups nicht nur in den Songtexten die Perspektive der Mädchen und jungen Frauen artikuliert, sondern darüber hinaus die Unsicherheit und Verwundbarkeit der weiblichen Teenagerstimme ins Zentrum gerückt. Detailliert beschreibt sie dies am Beispiel von Shirley Owens, der Leadsängerin der Shirelles: The way this record [»I Saw a Tear«, 1960] exploited Owen’s teenage vocal vulnerability to its best advantage, rather than disguising it or avoiding problem areas, appears to have been something of a revelation. Using the bridge of a song as the showcase for the emotionally-charged and brittle upper chest voice, double-tracked to take the edge off the fragility and the insecure intonation, rapidly became a teen girl trademark. (Stras 2010: 49)

Auffällig bei den Shirelles und anderen Girlgroups der frühen 1960er Jahre ist zudem, dass neben Gestaltungsprinzipien des Doo-Wop – der Leadgesang wird von den anderen Gruppenmitgliedern durch gehaltene Akkorde beziehungsweise rhythmische Patterns auf Nonsenssilben begleitet – nun in vielen Songs die Melodie einstimmig von allen Gruppenmitgliedern gesungen wird, so zum Beispiel in »Soldier Boy« (1962). Zugleich gibt es oftmals einen fließenden Übergang zwischen der (tiefen) Sprechstimme und der Gesangsstimme, so etwa bei den 1964 gegründeten Shangri-Las. Zu Beginn ihres Songs »Leader of the Pack« (1964) steht ein gesprochener Dialog zwischen zwei der Sängerinnen, wodurch der fließende Übergang zwischen alltäglichem Sprechen und Singen ebenfalls betont wird. Gerade die Shangri-Las können zudem als Beispiel dafür herangezogen werden,

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dass neben der Erfahrung der schmachtenden und häufig unglücklichen ersten Liebe in den Texten von Girlgroups auch selbstbewusstere Töne angeschlagen werden (vgl. Warwick 2007: 121–40). So handelt »Leader of the Pack« von der unglücklichen Liebe der Protagonistin zum Anführer einer Rockergang aus dem ›falschen‹ Teil der Stadt – was als Ausbruch der jungen Frau aus dem Mittelschichtsmilieu der Vorstädte verstanden werden kann. In »I Shot Mr. Lee« (1960) der Bobbettes, einem Remake von »Mr. Lee« (1957) mit einem neuen Text, zeigt sich nicht nur eine gewandelte Perspektive auf die schwärmerische Liebe zum Lehrer, sondern ein subversives beziehungsweise regelrecht kriminelles Potenzial. Der Song beschreibt den Mord am einstigen Lehrer (»I picked up my gun / And I went to his door / Now Mr. Lee / Can tell me no more«) – er wurde von Atlantic Records abgelehnt und auf einem kleineren Label veröffentlicht.

Z usammenfassung

und

A usblick

Gruppengesang in der populären Musik knüpft an eine lange Tradition des gemeinsamen Singens an. Treten mehrere Frauen oder Männer unter einem gemeinsamen Gruppennamen auf, wird zunächst eine mehr oder weniger egalitäre Gruppenerfahrung in Szene gesetzt – und nicht der einzelne, aus der Menge herausragende Gesangsstar. Allerdings lässt sich oft nicht vermeiden, dass sich die Sängerin oder der Sänger der Hauptstimme aus den Stimmen herauslöst. Nicht selten steuert sie oder er eine Solokarriere außerhalb der Gruppe an. Umgekehrt treten häufig Gesangsstars mit einer vokalen Begleitgruppe auf, um ihre Musik von den vokalen Gestaltungsmöglichkeiten des (begleitenden) Gruppengesangs profitieren zu lassen. Dies ist in den 1930er bis 1950er Jahren in zahlreichen Genres der Fall, insbesondere jedoch in jenen Musikstilen, die der afroamerikanischen Gospel Music und ihren Call-And-Response-Strukturen nahe stehen, so etwa bei den Raelettes, einer Gruppe von drei beziehungsweise vier Sängerinnen, die ab Mitte der 1950er Jahre als Background Vocals von Ray Charles sangen. Bereits früh hat sich in der populären Musik der USA ein Repertoire an Gestaltungsprinzipien des Gruppengesangs herausgebildet. Beim homofonen Close-Harmony-Gesang stehen oft Finessen der Stimmführung und Harmonik im Zentrum. Werden dagegen die Stimmen in Leadgesang

Die Gesangsgruppen

und eine vokale Begleitung aufgeteilt, singen (oder summen) die Begleitstimmen entweder länger gehaltene Akkorde oder aber kurze, repetitive und rhythmisch prägnante Patterns. In den verschiedenen Richtungen des populären Gruppengesangs werden diese Gestaltungsweisen immer weiter differenziert und miteinander kombiniert. Sie finden sich sowohl in der Surf Music der frühen 1960er Jahre als auch bei Motown-Gesangsgruppen wie den Supremes, Martha & The Vandellas, den Four Tops oder den Temptations. Insbesondere die Temptations haben in ihrer Musik das Arrangement von Männerstimmen in allen möglichen Stimmlagen (vom Bass bis zum hohen Falsett) und im schnellen Wechsel von Soloabschnitten und Gruppengesang vorangetrieben und perfektioniert. Seither haben die mannigfaltigen Möglichkeiten einer Begleitung mit gehaltenen Tönen oder Akkorden, oder aber der Einsatz verschiedener rhythmischer Patterns, die oft im Wechsel mit den Melodiephrasen des Leadgesangs gesungen werden, zahlreiche neue Ausgestaltungen erfahren. Dies betrifft jedoch nicht nur die afroamerikanisch geprägten Bereiche des Rhythm & Blues, Soul und Pop, sondern auch die Gesangspraktiken im Rock und, in unterschiedlichem Maße, in sich hieraus entwickelnden Musikgenres. Gerade hier ist auch die Tradition der Country und Folk Music wichtig, etwa wenn eine zweite Stimme oberhalb der Leadstimme, nicht selten im Terzabstand, gesungen wird. Allerdings fehlt bei vielen neueren Folkgruppen die ländlich und rustikal wirkende ›Ungeschliffenheit‹ (hinsichtlich Intonation und der Synchronisation von Einsätzen und Gesangsrhythmen) der frühen Hillbilly- und Folkaufnahmen (Kapitel 11). So präsentieren sich bereits die Weavers in ihren erfolgreichen Aufnahmen der frühen 1950er Jahre zwar mit einem volksmusikalischen Liedrepertoire, sie tragen die Lieder jedoch mit ›gepflegter‹ Stimmgebung vor, vorwiegend einstimmig beziehungsweise mit Oktavdopplungen. Die drei Sänger des Kingston Trios, einer der erfolgreichsten Folkvokalgruppen um 1960, singen ihren Hit »Tom Dooley« (1958) in einem differenziert ausgearbeiteten und abwechslungsreichen Vokalarrangement, das sowohl solistische Abschnitte (zu Beginn) und akkordischen Gesang als auch ineinandergreifende Patterns der drei Stimmen umfasst – eine abwechslungsreiche Gestaltung, die wohl auf eine dem Pop der Brill-BuildingVerlage vergleichbare Produktionsweise zurückzuführen ist (vgl. Covach 2006: 118). Im Laufe der 1960er Jahre ging die Dominanz der Vokalgruppen zugunsten des neuen Konzepts der Band, vor allem im Rock, zurück. Instru-

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mentale Fähigkeiten an E-Gitarre, Bass und Schlagzeug wurden wichtiger als vokale Arrangements. Ein koordinierter Gruppengesang blieb aber insbesondere bei der vokalen Begleitung des Leadsängers in den Songs vieler Rockbands konstitutiv. Er wurde allerdings von den Gruppenmitgliedern, die sich primär als Instrumentalisten verstanden, oft eher beiläufig ausgeführt. Dennoch waren – vielleicht vor dem Hintergrund des Konzepts eines Bandkollektivs – ausgewiesene Gesangsgruppen weiterhin eine Alternative gerade zu jenen Gesangsstars, die sich von wechselnden Background-Vocals begleiten ließen. In den 1990er Jahren erlebten weibliche und männliche Teenager-Vokalgruppen eine neue Blütezeit, die an Doo-Wop und die Girlgroups der 1950er und frühen 1960er Jahre ­anknüpfte.

Nachwort Martin Pfleiderer

Die Studien des vorliegenden Buches bündeln Ergebnisse des DFG-Forschungsprojektes »Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (1900–1960)«. Das Projekt, das in den Jahren 2011 bis 2014 in Weimar durchgeführt wurde, reagierte auf Forschungslücken bei der Beschreibung, Analyse und Interpretation von vokalen Ausdrucksformen in populärer Musik. Diese wurden von der Musikforschung lange Zeit überhaupt nicht oder nur unter stark abwertenden Vorzeichen wahrgenommen; erst ab der Jahrtausendwende zeichnet sich eine Öffnung und zunehmendes Interesse gegenüber dem populären Gesang ab (vgl. etwa Potter 1998; 2000). Inner­halb der noch jungen Popmusikforschung wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwar verschiedene Ansätze entwickelt, bei denen neben den Songtexten und der Inszenierung eines Popstars auch die spezifischen vokalen Ausdrucksformen berücksichtigt werden (vgl. Brackett 1995; Frith 1996; Middleton 2000; Moore 2012). Allerdings sind detaillierte und systematische Analysen der vokalen Ausdrucksmittel und Gesangstechniken weiterhin die Ausnahme. Dies ist umso erstaunlicher, als die hohe Anziehungskraft, die Stimmen populärer Musik auf ihre Hörerinnen und Hörer ausüben, außer Frage steht. Zudem wächst im Bereich der Gesangsausbildung die Nachfrage nach einer adäquaten Vermittlung populärer Vokalstile und -techniken. Eine Voraussetzung dieser Vermittlung ist die unvoreingenommene Auseinandersetzung mit und das Verständnis von historisch gewachsenen Gesangsweisen populärer Musik. Darüber hinaus ist die menschliche Stimme in den vergangenen Jahren zum Gegenstand philosophischer und medienwissenschaftlicher Reflexion geworden (Barthes 1972; Kittler, Weigel und Macho 2002; Epping-Jäger und Linz 2003; Felderer 2004; Dolar 2006; Kolesch und Krämer 2006) –

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wobei nur in Ausnahmefällen auf die Gesangsstimme Bezug genommen wird und populärer Gesang in der Regel nicht vorkommt. Vor diesem Hintergrund war es das Ziel des Forschungsprojektes, Forschungslücken hinsichtlich der Beschreibung und Interpretation des populären Gesangs zu schließen. Es sollten adäquate Forschungsansätze, insbesondere neue Analysemethoden entwickelt und diese am Beispiel eines klar abgegrenzten Untersuchungsgegenstands, des populären Gesangs in den USA vor 1960, erprobt und angewandt werden. Doch nicht nur Gesangstechniken und Vokalstile sollten analysiert und charakterisiert werden, sondern darüber hinaus sollte der Bogen zu kulturgeschichtlichen Deutungen geschlagen werden – ganz im Sinne einer Überwindung der Kluft zwischen musik- und kulturwissenschaftlichen Forschungsansätzen, die in der Popmusikforschung in den letzten Jahren vielfach gefordert wurde (Wicke 2003). Anknüpfungspunkte für eine systematische Beschreibung vokaler Gestaltungsweisen wurden zunächst in der Musikethnologie gesucht, insbesondere im Cantometrics-Projekt des US-amerikanischen Musik­ ethnologen Alan Lomax (Lomax 1962, 1968, Lomax et al. 1976). Hiervon ausgehend wurde eine Systematik der vokalen Gestaltungsdimensionen und Ausdrucksmittel entwickelt, die den Analysen des vorliegenden Buches zugrunde liegt. Diese Systematik ist sowohl in die Überlegungen des drittten Kapitels dieses Bandes als auch in die interaktive Software Vocal­ metrics eingeflossen, mit der Klangbeispiele intuitiv verschiedenen vokalen Gestaltungsdimensionen zugeordnet werden können.1 Grundlage der Vokalanalysen waren mehrere Tausend Gesangsaufnahmen, die im Untersuchungszeitraum auf kommerziellen Tonträgern veröffentlicht worden sind. Beim Hören dieser Aufnahmen wurde rasch deutlich, dass manche der vokalen Gestaltungsdimensionen von den Sängerinnen und Sängern in einer überraschenden Vielfalt und Differenziertheit eingesetzt werden. Vielfältig sind bereits die Übergänge zwischen Sprechen, Singen, Rufen und Schreien. Die große Differenziertheit der vokalen Gestaltung zeigt sich beispielsweise darin, dass ein Aufwärts­ gleiten der Tonhöhe auf unterschiedliche Weise ausgeführt wird: nicht   Vocalmetrics 1.0 ist über die Website des Projektes (www.hfm-weimar.de/­ popvoices) frei zugänglich. Eine Weiterentwicklung der Software (Vocalmetrics 1.1) kann dort kostenfrei bezogen und als Rating- und Visualisierungs-Tool für eigene Projekte eingesetzt werden (vgl. Berndt et al. 2014).

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Nachwort

nur als linkssteiles Erhöhen der Tonhöhe, sondern auch als rechtssteiles Glissando, welches insbesondere für die frühen Crooner typisch ist; die sogenannte Blue Note der Bluessänger aus dem Mississippi Delta konnte als ein lineares Gleiten vor allem von der kleinen zur großen Terz identifiziert werden. Vielfältig sind auch die verschiedenen Einsatzweisen einer gezielt rauen Stimmgebung oder des Falsettregisters beziehungsweise der Kopfstimme. Vokale Ausdrucksweisen, so wurde außerdem schnell deutlich, überschreiten vielfach Genregrenzen. So gibt es nicht nur fließende Übergänge zwischen der vokalen Gestaltung im Gospel und im Blues, sondern auch zwischen jener im Rhythm & Blues, Rock’n’Roll und Soul. Vielfach spiegelt sich in den Vokalstilen weniger das musikalische Genre als vielmehr das individuelle vokale Profil der Sängerin oder des Sängers wider, die sich zudem mitunter an Gestaltungsmitteln aus ganz unterschiedlichen ­Gesangstraditionen bedienen. Manche Sängerinnen und Sänger knüpfen am ›Mainstream‹ des populären Gesangs in den USA an, der sich aus dem Crooning und Jazzgesang der 1930er Jahre heraus entwickelt hat, obwohl sie selbst anderen Genrekontexten entstammen: so croont etwa auch der singende Cowboy Gene Autry, und auch die Country-Sängerin Patsy Cline nähert sich in ihrem vokalen Ausdruck nach 1960 dieser Gesangsweise stark an. Trotz der Vielfalt und der individuellen Wandlungen von Gesangsweisen bilden sich allerdings nicht selten individuelle vokale Eigenheiten heraus, die eine Stimme zu einer wiedererkennbaren ›Marke‹ werden lassen. Freilich hängt die Wiedererkennbarkeit von Gesangsstars nicht nur mit ihren Stimmen, sondern mit ihrem gesamten, zunehmend medial geprägten Auftreten, ihrer Aufführungspersona und ihrem Starimage zusammen. Das Image wiederum nimmt Bezug auf kulturelle Werte und Stereotype, die einem historischen Wandel unterliegen. So konnte in den verschiedenen Kapiteln des Buches gezeigt werden, wie sich das Bild des Afroamerikaners und der Afroamerikanerin, wie es in verschiedenen Genres populärer Musik zum Ausdruck kommt, im Laufe des Untersuchungszeitraums kontinuierlich gewandelt hat: vom rassistisch motivierten Bild des tollpatschigen Jim Crow im Vaudeville zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zum selbstbewussten »Cool Cat«, der um 1960 vom frühen Soulstar Sam Cooke verkörpert und für die Zeit der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung richtungsweisend wurde. Ebenfalls an den Images von Gesangsstars ablesbar ist der Wandel der Geschlechter-

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rollen, wie er vor allem im Crooning und Torch Singing, aber auch in der Country Music und im Rock’n’Roll der 1950er Jahre zur Geltung kommt. Die entsprechenden detaillierten Analysen von Vokalgestaltung und Image haben allerdings auch gezeigt, dass sich dieser Wandel oft nicht geradlinig, sondern vielmehr in Schlangenlinien vollzieht und dass Veränderungen im Gesang und im Image nicht immer kongruent zueinander verlaufen. Es bleibt daher unumgänglich, genau hinzuschauen und hinzuhören auf das vielfältige und differenzierte Wechselspiel von Klängen, Texten und Bildern. Weder das Forschungsprojekt noch die vorliegende Publikation erheben den Anspruch, die Geschichte des populären Gesangs in den USA vor 1960 in seiner Gänze erforschen oder darstellen zu können. Vielmehr war es unvermeidlich, Schwerpunkte zu setzen – und Lücken klaffen zu lassen. Was nur ange­deutet werden konnte, sind etwa der zunehmende Stellenwert von Jugendlichen und Jugendlichkeit in der populären Kultur oder der Aufstieg eines neuen kulturellen Konzepts von »Pop«, das um 1960 sichtbar wird, dessen Wurzeln allerdings weiter zurückreichen in die Geschichte von populärer Musik und populärer Kultur. Es ist daher unum­gänglich, die hier begonnenen Studien zum populären Gesang in den USA weiterzuführen, zu differenzieren und auszuweiten – im Hinblick auf weitere Sängerinnen und Sänger, aber auch im Hinblick auf populäre Musikgenres nach 1960 sowie in anderen Ländern. Es bleibt zu hoffen, dass mit den Studien dieses Bandes konzeptionelle und methodologische Grundlagen für diese zukünftigen Untersuchungen von Stimme und Gesang in der populären Musik gelegt worden sind, von denen andere Forscher profitieren können. Ein Ziel des Forschungsprojektes ist jedoch bereits dann erreicht, wenn bei den Leserinnen und Lesern dieses Buches ein umfassenderes Verständnis von und ein unvoreingenommenes Inte­ resse an vokalem Ausdruck in populärer Musik und dessen Wechselbeziehungen zu kulturge­schichtlichen Prozessen angeregt worden ist.

Anhang

Glossar Artikulation Oberbegriff für linguistische und musikalisch-gestalterische Phänomene. Im musikalischen Sinne bezeichnet A. Vorgänge der Tonproduktion und Tongestaltung, vom      Attack über die Tondauer bis hin zur Gestaltung der Verbindungen zwischen Tönen (legato und nonlegato). Im linguistschen Sinne bezeichnet A. Vorgänge der Aussprache von Phonemen. Attack Dauer des Einschwingens eines Tons bis zu seiner stationären Phase. Plosive stimmlose Konsonanten haben wie perkussive Klänge eine sehr kurze Attackzeit. Dagegen ist es möglich, Vokale und stimmhafte nasale Konsonanten sehr lang einschwingen zu lassen. Ballade Zunächst ein mündlich tradierter Song mit stark narrativem Fokus und häufig bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden schottischen oder englischen Wurzeln. Eine Sonderform stellen Broadsides dar, die vor allem im 17. Jahrhundert schriftlich festgehalten wurden und sich aktuellen Ereignissen widmeten. Wichtigster Balladensammler in den USA war Francis Child (1825–1896), dessen Aufzeichnungen bis heute als Grundlage der Katalogisierung von tradierten Balladen fungieren. Traditionelle Balladen zeichnen sich dadurch aus, dass sie entsprechend der lyrischen Vorlage keinen Refrain haben. Zudem treten Sänger oder Sängerin als erzählende, nicht erlebende Instanz in Erscheinung. Ein Wandel hin zur sentimentalen Ballade vollzog sich im späten 19. Jahrhundert und wurde vor allem in    Tin-Pan-Alley-Kompositionen der 1920er bis 1950er Jahre fortgeschrieben. Traditionelle beziehungsweise narrative Balladen wiederum wurden für den Massenmarkt im Zuge der Folk Revivals des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt. Belting Gesangstechnik, bei dem das Modalregister (    Stimmregister) auch bei hohen Tönen beibehalten wird. Dabei lastet sehr viel subglottischer Druck auf den Stimmlippen und der Kehlhopf wird angehoben, was die Töne laut und scharf oder sogar schrill klingen lässt (siehe auch S. 58).   Glissando Bending    Blackface    Minstrel Shows

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Glossar Blue Note Abwärtsalteration eines Skalentones in der Melodiestimme, vor allem der großen Terz und großen Septime, aber auch der Quinte, sowie Tonhöhenbewegungen (z. B. Bendings und lineare      Glissandi) innerhalb kleiner Tonintervalle, insbesondere innerhalb des Intervalls zwischen großer Sekunde und großer Terz, zwischen Tritonus und Quinte sowie zwischen großer Sexte und großer Septime. Dabei kann die Art der Bewegung stilabhängig sein. Crooning Ursprünglich meint C. das leise und mikrofonnahe Säuseln. C. kann jedoch auch allgemein den Gesangsstil von Entertainern wie Frank Sinatra bezeichnen, der durch einen differenzierten Umgang mit dem Mikrofon und einem häufigen Wechsel zwischen Singen und entspanntem, deutlichem Sprechen charakterisiert ist. Crying Sammelbegriff für Ausdrucksweisen mit weinerlichem, jammerndem Klang.   Glissando, eine abwärts gerichtete Melodie ­sowie Häufig umfasst C. ein starkes    Stilelemente, bei denen      Stimmregister kontrastierend eingesetzt werden, so etwa beim      Wegbrechen,      Überschlagen oder      Tear (siehe auch S. 64). Einschwingzeit      Attack Falsett   Stimmregister, bei dem die Randschwingung der Stimmlippen eingesetzt wird. Im Gegensatz zur    Kopfstimme handelt es sich nicht um die Modulation der Resonanzräume, die den Stimmlippen als Klangerzeuger nachgeordnet sind, son­dern um eine Veränderung der Klangerzeugung selbst (siehe auch S. 61 ff.) Formant Verstärkter Frequenzbereich. Formanten sind von den Resonanzräumen abhängig und können durch deren Änderung verschoben werden. Die menschliche Stimme verfügt über mehrere Formanten, wobei die Stellung der beiden untersten Formanten zur Unterscheidung von Vokalen dient. Die höherliegenden Formanten tragen zum Stimmklang bei (siehe auch S. 55). Gleiten    Glissando Glissando Stufenloses Gleiten zwischen Tonstufen am Tonanfang, Tonende oder zwischen zwei benachbarten Tönen. Der Tonhöhenverlauf des Glissandos kann geradlinig (linear) oder bogenförmig (linkssteil oder rechtssteil) sein. Beim Bending führt das Glissando auf eine obere oder untere Tonstufe und wird anschließend zur Ausgangstonhöhe zurückgeführt. Growl Grollender, tiefer und sehr rauer Stimmklang, der mutmaßlich durch das starke Mitschwingen der Taschenfalten und/oder des Kehldeckels hervorgerufen wird.

Glossar Dabei wird die Amplitude der Schwingungen, die von den Stimmlippen ausgeht, moduliert, was in der Regel als zahlreiche Subharmonics im Spektrogramm sicht­bar wird (siehe auch S. 64 ff.). Hiccup Schluckaufähnlicher Tonsprung über ein großes Aufwärtsintervall mit Registerwechsel ins Kopf- beziehungsweise Falsettregister (    Stimmregister). H. wird u. a. in der Country Music und dem Rockabilly eingesetzt. Ähnlich schnelle ­Registerwechsel ins Falsett sind auch in Blues und Gospel Music üblich, hier oft auch am Anfang von Tönen oder in Verbindung mit der Jodeltechnik (    Jodeln). Jodeln Singen bei häufigem Wechsel zwischen Modal- und Kopfregister (bzw. Falsett  Stimmregister). Beim J. werden die Klangunterschiede der beiden Reregister,    gister etwa durch spezielle Jodelsilben betont. Aber auch das Jodeln mit einem Songtext ist möglich. Jitter      Rauheit Leadstimme Diejenige Stimme, die in einem Vokalensemble die Melodie singt. Kehlkopfvibrato    Vibrato Knarren    Stimmlippenknarren Kopfstimme   Stimmsitz, bei dem durch die Körperhaltung Resonanzen des Kopfbereichs verstärkt beziehungsweise Resonanzen des Brustbereichs gedämpft werden. Im Unterschied zum      Falsett handelt es sich also um eine Resonanzstrategie. Die K. wird auch im Modalregister (  Stimmregister) benutzt (siehe auch S. 61–65). Melisma Mehrere miteinander verbundene Töne werden auf einer einzigen Textsilbe ­gesungen. Minstrel Shows Aufführungsformat der Bühnenunterhaltung, das seinen Ursprung im frühen 19. Jahrhundert hat und den Höhepunkt seiner Beliebtheit in der Zeit der sozialen und politischen Umwälzungen nach Ende des Bürgerkriegs (1865) erreicht. Die afroamerikanischen Charaktere der M. wurden größtenteils von Weißen dargestellt, die durch Schminke aus verbranntem Kork (Blackface) und in ausgefallenen Kostümen die rassistischen Stereotypen unterstrichen, auf denen der ­Unterhaltungswert der M. hauptsächlich beruhte. M. waren auch und insbesondere im Norden der USA erfolgreich, wo es keine Sklaverei gab. Neben Auftritten von Komikern waren musikalische Darbietungen fester Bestandteil der Shows.

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Glossar Moaning Stöhnender oder klagender Gesang vor allem in afroamerikanischen Stilrichtungen. M. ist von      Melismen und legato (    Artikulation) geprägt, wobei teilweise kein Songtext gesungen wird, sondern mit geschlossenen Lippen gesummt oder auf einzelnen Vokalen (u, o) gesungen wird. Offbeat Zeitpunkte zwischen den Beats (metrischen Grundschlägen). Töne auf Offbeat-­ Zeiten werden oftmals dadurch akzentuiert, dass der darauffolgende Beat-­ Zeitpunkt ohne Tonereignis bleibt und somit ein Ton vom Beat auf den O. davor vorgezogen erscheint (Synkope). Bei durchgängiger und regelmäßiger Akzentuierung von Offbeats entsteht eine Offbeat-Phrasierung. Phonetischer Akzent Betonung einer Silbe durch eine abweichende Aussprache. Oft zusammen mit   Silbeninterpolation. einer    Rauheit Rauer Stimmklang. Ursache kann ein schnelles unregelmäßiges Tonhöhenzittern (Jitter) oder Lautstärkezittern (Shimmer), aber auch ein unregelmäßiger Stimmlippenschluss oder ein Mitschwingen von Gewebeteilen oberhalb der Stimmlip  Subharmonics im    Spektrogramm pen sein. Beides führt zum Auftreten von    (siehe auch S. 65 ff.). Register    Stimmregister Rezitationston Tonhöhe, die zum Sprechen auf einer konstanten Tonhöhe gewählt wird (z. B. bei Predigten). Rockabilly-Staccato Kurze, voneinander abgesetzte Artikulation mehrerer aufeinanderfolgender Töne. Vokales Stilmittel bei Rockabilly-Sängern wie Elvis Presley, Buddy Holly oder Jerry Lee Lewis. Rubato Loslösen der Melodie oder Sprache vom musikalisch-metrischen Grundgerüst. Dabei können Töne leicht vom Metrum abweichen oder aber völlig unabhängig vom Metrum gesungen werden. Scat Von engl. »to scat« (hasten, wegjagen); Singen mit bedeutungsleeren Silben, vor allem im Jazz (siehe auch S. 67 f.). Screaming Sehr lautstarke und hohe Gesangsweise, die dem      Belting ähnelt, bei der jedoch zusätzlich starke      Rauheit auftritt. Screaming wird in der Regel nur bei einzelnen Tönen eingesetzt.

Glossar Sentimentale Ballade      Ballade Shouting Lautstarker und rufnaher Gesangsstil in mittlerer Stimmlage, typischerweise mit markanten linkssteilen Glissandi am Phrasenanfang (siehe auch S. 57 f.). Shuffle Rhythmus mit durchgängig ungerade (ternär) aufgefassten Achteln (    Swing­ achtel, lang – kurz), zumeist im 4/4-Takt. Dabei werden die Töne auf den Grundschlägen betont, oftmals mit zusätzlichem Schwerpunkt auf jeder zweiten Viertel. Shuffle-Rhythmen werden meist von Rhythmusgitarre und Schlagzeug (kleine Trommel, Becken) gespielt. Spektrogramm In der Klanganalyse die zeitabhängige Darstellung des Klangspektrums einer Aufnahme. In der Regel werden auf der horizontalen Achse die Messzeitpunkte abgetragen, auf der vertikalen Achse die Frequenzbereiche, wobei die spektrale Energie oder Intensität über einen Farb- oder Grauwert angegeben wird (je dunkler, desto intensiver). Silbeninterpolation Künstliche Erhöhung der Silbenzahl eines Worts zum Zwecke einer stärkeren Rhythmisierung des Textes. Dabei werden Silben auseinandergezogen und mit einer zusätzlichen Betonung versehen, z. B. wird aus »some« »so-me«, oder es werden Insertionen vorgenommen, vor allem Vokale eingeschoben (Anaptyxe) oder Silben verdoppelt, z. B. »cry-hy-ing« statt »crying«. Stimmlippenknarren Bei der Tonerzeugung schlagen die Stimmlippen hörbar aufeinander, statt sich in einer gleichmäßigen Bewegung zu öffnen und zu schließen. Da sich das S. klanglich sowohl von der Vollschwingung (Modalregister) als auch vom Falsett unterscheidet, wird es bisweilen als eigenes    Stimmregister (Strohbass, Vocal Fry) bezeichnet. Stimmklang    Timbre Stimmregister Allgemein bezeichnen S. Bereiche des Tonhöhenumfangs der menschlichen Stimme, innerhalb derer der Stimmklang weitestgehend stabil bleibt, während sich der Stimmklang zwischen unterschiedlichen Stimmregistern deutlicher unterscheidet. Jedoch ist es durch Training möglich, diese Klangfarbenunterschiede bewusst anzugleichen und zu überblenden (Registerausgleich oder Registerüberblendung), oder aber zu verstärken (Registerbetonung). Registerbezeichnungen sind historisch gewachsen und stehen mit verschiedenen Annahmen über physiologische Ursachen in Zusammenhang: 1. Einer unterschiedlichen Klangerzeugung; das Schwingverhalten der Stimmlippen ist in verschiedenen S.n unterschiedlich. In weiten Tonhöhenbereichen liegt

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Glossar eine Vollschwingung der Stimmlippen vor (Modalregister). Dagegen schwingen beim    Falsett nur noch die Randbereiche der beiden Stimmlippen und berühren sich dabei kaum. Unterhalb des Modalregisters wird das sog. Strohbassregister aufgeführt, bei dem die Stimmlippen in relativ langsamer Frequenz aufeinanderprallen (  Stimmlippenknarren). 2. Einer Änderung der dominierenden Resonanzräume (Brust und/oder Kopf,    Kopfstimme,    Stimmsitz). Auch innerhalb des Modalregisters kann es ein Umkippen von der Brust- in die Kopfstimme geben, wie es gezielt beim Jodeln genutzt wird. Die komplexen Zusammenhänge sind noch nicht eindeutig beschrieben. So ­w urde bei Frauen kein Falsettregister im Sinne einer Randschwingung gefunden, aber beim Gebrauch der Kopfstimme durchaus eine Veränderung des zeitlichen Verhältnisses zwischen Stimmlippenöffnung und Stimmlippenschluss, so dass es sich bei der Kopfstimme ebenfalls um eine Veränderung der Klangerzeugung handelt (siehe auch S. 61 ff.). Stimmsitz Dominanter Resonanzraum, der bei der vokalen Klangerzeugung genutzt wird. Dies kann entweder der Kopf- oder der Brustbereich sein, aber auch innerhalb des Kopfes können verschiedene Resonanzräume hervortreten, wie etwa der vordere oder hintere Raum der Mundhöhle, die Nasenhöhle oder die Stirnhöhle. Subharmonics Zusätzliche Teiltöne eines Klangs, die zwischen seinen natürlichen Teiltönen (mit einer mehrfachen Frequenz des Grundtons) liegen und in Folge einer Ampli­tudenmodulation des Ausgangssignals auftreten. Sie entstehen im Falle der Stimme, wenn sich die Stimmlippen nicht gleichmäßig schließen oder wenn eine zweite, langsamere Schwingung – etwa der Taschenfalten – die Schwingung der Stimmlippen überlagert und daher moduliert. Das Ergebnis ist ein auffallend rauer Stimmeindruck (    Rauheit). Swingachtel Ungleich (lang – kurz) unterteilte Achtelfolge. Synkope    Offbeat Tear Abruptes Wechseln vom      Falsett oder der Kopfstimme in das Modalregister am Beginn einer Silbe oder einer Phrase. Häufig geht ein geräuschhafter Stimmklang voraus, was den Eindruck des Weinens oder Schluchzens hervorruft. Tin Pan Alley Ursprünglich umgangssprachlicher Name für einen Straßenzug in New York City, in dem sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Notenverlage und Komponisten ansiedelten. Später Oberbegriff für die dort entstehende Industrie

Glossar von Musikverlagen, die die Produktion, den Vertrieb und das Repertoire populärer Musik in den USA bis in die 1950er Jahre hinein dominierten. Timbre Klangfarbe. Die Klangfarbe wird allgemein durch den Obertonaufbau eines Klangs, aber auch die Art der Änderung des Klangspektrums in der Zeit (    Spek  Artikulation flietrogramm) geprägt, weshalb die Grenzen zwischen T. und    ßend sind. Für das Timbre speziell der (Sing-)Stimme, den Stimmklang, sind individuelle physiologische Faktoren und die Stellung des Kehlkopfes konstitutiv, aber auch linguistische und prosodische Varietäten und musikalische Gestaltungsmittel auf der Tonebene wie etwa    Vibrato und    Glissando. Twang Obertonreicher Stimmklang. Beim T. wird der Kehlkopf verengt und mitunter das Gaumensegel gesenkt, um die nasalen Resonanzräume zu nutzen, was zu einem scharfen bis nasalen Stimmklang führt (siehe auch S. 56). Überschlagen   StimmAbrupter Wechsel von der Bruststimme im Modalregister in das höhere    register, wobei häufig ein deutlicher geräuschhafter Bruch hörbar wird; zumeist am Ende einer Silbe oder Phrase. Vibrato Schnelle, periodische Änderung vor allem der Tonhöhe mit einer Auslenkung meist zwischen ± 1–3 Halbtönen und einer Geschwindigkeit von 5–8 Hz, wobei der Bereich zwischen 5,5 Hz und 6,5 Hz als gemäßigt und angenehm empfunden wird. Schnelle Vibrati vor allem ab 8 Hz wirken sehr scharf und ›meckernd‹ (»Meckervibrato«). Vor allem langsame Vibrati werden auch unter Mitwirkung des Zwerchfells produziert, was zusätzlich zur Änderung der Tonhöhe auch zu einer periodischen Änderung der Lautstärke führt (Zwerchfellvibrato); bei einer ausschließlichen Änderung der Tonhöhe wird das Vibrato dagegen vorwiegend im Kehlkopf erzeugt (Kehlkopfvibrato). Vocal Fry    Stimmlippenknarren Wechselbass Schematische Begleitung, bei welcher der Bass zwischen dem Grundton und zumeist der Quinte wechselt; gebräuchlich, vor allem in europäischer Tanz- und Kunstmusik sowie in euroamerikanischen Stilen wie der Folk und Country Music. Wegbrechen Abruptes, meist kurzes Aussetzen der Stimme mit Umschlagen in eine geräuschhafte Stimmqualität. Zwerchfellvibrato    Vibrato

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Chartsübersicht Zusammengestellt von Katrin Horn

B illboard Ab 1894

zunächst The Billboard mit wechselnden Untertiteln (»A Monthly Magazine for Advertisers«, »The World’s Foremost Amusement Weekly«, »The Amusement Industry’s Leading Newsweekly«); 1961–62 Billboard Music Week; ab 1963 Bill­ board: The International Music-Record Newsweekly

1936

»The Ten Best Records for Weeks Ending« (die zehn am häu­ fig­sten verkauften Schallplatten der erfolgreichsten Labels)

1937

»Songs With The Most Radio Plugs«

1942

»Harlem Hit Parade« (»most popular records in Harlem« laut Billboard)

1940

»Best Selling Singles«

1945

»Honor Roll of Hits« ersetzen »Best Selling Singles«

1948

»Best-Selling Folk Records«

1948

»Best-Selling Race Records« ersetzen »Harlem Hit Parade«

1949

»Best Selling Rhythm & Blues Records« ersetzen »Race Records«, »Best Selling Country & Western« ersetzen »Folk Records«

1950

Unterscheidung zwischen Pop, Country  &  Western und Rhythm & Blues in den Single- und Album-Rezensionen und Chart-Beschreibungen

1955

»Top 100« werden eingeführt (»Combined Tabulation of Dea­ler, Disk Jockey and Jukebox Operator replies to The Bill­ board’s weekly popular record Best Seller and Most Played surveys«)

468

Katrin Horn 1956

»Best Selling C&W« ersetzen »Country & Western«

1956

»Best Selling Pop Albums« (umfasst zunächst nur 10 Plätze, heute »Billboard 200«)

1958

»Hot 100« ersetzen »Top 100«

1961

»Middle-Road Singles« (Auswahl von Songs aus den Top 100, die beschrieben werden als »not too far out in either direc­ tion»), später »Easy Listening« und »Adult Con­temporary«

1962

»Yesteryear’s Hits« (Übersicht über die erfolgreichsten Singles vor jeweils fünf und zehn Jahren) werden aufgeteilt in »Pop« und »Rhythm & Blues«

1962

»Hot Country Singles« ersetzen »C&W«

1963

»Top LPs«

1964

»Best Selling Rhythm & Blues Records« werden kurzzeitig aus­gesetzt

1969

»Best Selling Soul Singles« Rhythm & Blues Singles«

ersetzen

»Best

Selling

D own B eat Seit 1939

Untertitel entwickelt sich von »Music News from Coast to Coast», »The Bi-Weekly Music Magazine« zu »Jazz, Blues, and Beyond«

Readers’ Poll 1937 Vocalist 1939

Male Singer / Fem Chirpers

1940

Male Singer / Girl Singer

1944

Male Singer (Not Band) / Girl Singer (Not Band) / Male Singer (With Band) / Girl Singer (With Band)

1957

Male Singer / Female Singer

Critics’ Poll Ab 1953

Male Vocalist / Female Vocalist

Chartsübersicht

M isc . 1946

Music Guild: A Weekly Bulletin veröffentlicht »Hit Record Selection of the Week» mit der Unterteilung in »Hit Parade Possibilities«, »Western Hit Parade Possibilities« und »Har­ lem Hit Parade Possibilities« (Später umbenannt in Music Ven­dor, ab 1964 Record World)

1950

Cash Box unterteilt Rezensionen in Pop, Classical und Jazz Picks; Charts in Top 100 Albums, Top 50 Country, Top 50 in R&B Locations

1951

Time Magazine rezensiert »New Pop Records«

1950er

Hi Fi & Music Review unterscheidet zwischen Classical, Pop­ ular und Jazz

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Diskografie Cline, Patsy (1963). »Heartaches«. Auf: Sentimentally Yours (With Bonus Tracks). Marathon Media 2013. Clooney, Rosemary (1956). »Just One of Those Things«. Aus: The Rosemary Cloo­ ney Show with Vincent Price. In: Free-Classic-TV-Shows.com. Hg. v. Jimbo Berkey. [9. Oktober 2014]. Clovers, The (1954). »Sh-Boom«. Auf: Atlantic Rhythm & Blues 1947–74. Volume 2 (1952–1954). Rhino 1993. Cooke, Sam & The Soul Stirrers (1952). »It Won’t Be Very Long«. Auf: Sam Cooke with the Soul Stirrers. Specialty 1991. Cooke, Sam & The Soul Stirrers (1955). »Nearer to Thee«. Auf: Sam Cooke & The Soul Stirrers. Soulful Gospel. Volume 2. Firefly Entertainment 2008. Cooke, Sam & The Soul Stirrers (1955). »The Last Mile of the Way«. Auf: 1000 Songs – 1955. Süddeutsche Zeitung 2005. Cooke, Sam (1955/publ. 1975). »Nearer to Thee« (live). Auf: The Great 1955 Shrine Concert. Specialty 1993. Cooke, Sam (1956). »You Send Me«. Auf: The Complete Singles 1956–1962. Le Chant Du Monde 2013. Cooke, Sam (1957). »Tammy«. Auf: 8 Classic Albums Plus Bonus Singles. Volume 1. Sam Cooke (1957). Real Gone 2013. Cooke, Sam (1962). »Bring It On Home to Me«. Auf: The Complete Singles 1956– 1962. Le Chant Du Monde 2013. Cooke, Sam (1963). »Bring It On Home to Me« (live). Auf: Sam Cooke Live at Harlem Square Club 1963. RCA 1990. Crosby, Bing (1928). »High Water«. Auf: Paul Whiteman Orchestra. When Day Is Done. Recordings 1924–1934. Conifer 1990. Crosby, Bing (1931). »Dinah«. Auf: Bing Crosby 1926-1932. CBC 2008. Dalhart, Vernon (1924). »The Prisoner’s Song«. Auf: The History of Pop Radio. Volume 11. 1920–1927. History 2000. Dion & The Belmonts (1958). »I Wonder Why«. Auf: The Doo Wop Box. 101 Vocal Group Gems from the Golden Age of Rock’n’Roll. Rhino 1994. Dranes, Arizona (1926). »My Soul Is a Witness for the Lord«. Auf: He Is My Story. The Sanctified Soul of Arizona Dranes. Tompkins Square 2012. Dylan, Bob (1962). »Man of Constant Sorrow«. Auf: Bob Dylan. Sony 2005. Dylan, Bob (1963). »Blowin’ in the Wind«, »Masters of War«, »A Hard Rain’s A-Gonna Fall«. Auf: The Freewheelin’ Bob Dylan. Sony 2004. Eckstine, Billy (1949). »Body and Soul«. Auf: I Ain’t Like That. Documents 2005. Fitzgerald, Ella (1962). »Body and Soul«. Auf: Ella Swings Gently with Nelson. Verve 1997. Five Blind Boys of Mississippi, The (1951). »Our Father«. Auf: Something to Shout About. Volume 2. Precious Memories. Shout 2007. Franklin, Aretha (1956). »Precious Lord«, »Precious Lord (Part 2)«. Auf: Aretha Gospel. MCA 1991.

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498

Stimme, Kultur, Identität Franklin, Aretha (1959). »Maybe I’m a Fool«. Auf: The Great Aretha Franklin. The First 12 Sides. Columbia 1988. Franklin, Aretha (1961). »Maybe I’m a Fool«. Auf: The Great Aretha Franklin. The First 12 Sides. CBS 1990. Franklin, Aretha (1961). »Operation Heartbreak«. Auf: The Great Aretha Franklin. The First Twelve Sides. CBS 1989. Frizzell, Lefty (1950). »If You’ve Got The Money, I’ve Got The Time«. Auf: The History of Country & Western Music. 1950–1951. Membran 2008. Galilee Singers, The. »Motherless Child When Mama’s Gone«. Auf: Black Vocal Groups. Volume 5 (1923–1941). Document 1997. Guthrie, Woody (1940). »Dust Bowl Blues«, »Dust Pneumonia Blues« und »I Ain’t Got No Home in This World Anymore«. Auf: Dust Bowl Ballads. Buddha 2000. Guthrie, Woody (1944). »Muleskinner Blues (1944)«. Auf: Muleskinner Blues. The Asch Recordings. Volume 2. Smithsonian Folkways 1997. Guthrie, Woody (1945). »Mean Talking Blues«. Auf: Hard Travelin’. The Asch Recordings. Volume 3. Smithsonian Folkways 1998. Guthrie, Woody (1951). »This Land Is Your Land«. Auf: This Land Is Your Land. The Asch Recordings. Volume 1. Smithsonian Folkways 1997. Harris, Rebert H. Featuring The Soul Stirrers (1950). »Shine on Me«. Auf: Shine on Me. Specialty 1992. Harris, Rebert H., Featuring The Soul Stirrers (1950). »Feel Like My Time Ain’t Long«. Auf: Shine on Me. Specialty 1992. Holiday, Billie (1957). »Body and Soul«. Auf: Body and Soul. Verve 2002. Hooker, John Lee (1948). »Sally Mae«. Auf: The Story of the Blues. Chapter 5. Music Alliance Membran 2004. Hooker, John Lee (1948). »Wednesday Evening Blues«. Auf: Blues Archive. The Sto­ry­of the Blues. Chapter 5. Music Alliance Membran 2004. Hopkins, Lightnin’ (1947). »Play with Your Poodle«. Auf: Blues Archive. The Story of the Blues. Chapter 16. Music Alliance Membran 2004. Hopkins, Lightnin’ (1948). »Come Back Baby«. Auf: Blues Archive. The Story of the Blues. Chapter 16. Music Alliance Membran 2004. House, Son (1930). »Dry Spell Blues Part I«. Auf: Son House and the Great Blues Singers (1928–1929). Document 1990. Howlin’ Wolf (1952). »Saddle My Pony«. Auf: Howlin’ Wolf 1951–1955. Chess 1991. Ink Spots, The (1939). »If I Didn’t Care«. Auf: The Best of the Ink Spots. Half Moon / Universal 1997. Jackson, Aunt Molly (1931). »Kentucky Miner’s Wife (Ragged Hungry Blues)«. Auf: Little Red Box of Protest Songs. Proper Box 2009. Jackson, Mahalia (1947). »Amazing Grace« und »Move On up a Little Higher (Part 1)«. Auf: How I Got It Over. The Apollo Sessions 1946–1954. Westside 1998.

Diskografie Jackson, Mahalia (1947). »Dig a Little Deeper«. Auf: Complete Mahalia Jackson. Volume 1. 1937–1946. Frémeaux & Associés 1998. Jackson, Mahalia (1947). »There’s Not a Friend Like Jesus«. Auf: Complete Mahalia Jackson. Volume 2. 1947–1950. Frémeaux & Associés 2001. Jefferson, Blind Lemon (1926). »Dry Southern Blues«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 1. 1925 – 1926. Document 1991. Jefferson, Blind Lemon (1927). »Black Snake Moan«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 2. 1927. Document 1991. Johnson, Robert (1936). »Kindhearted Woman Blues« und »They’re Red Hot«. Auf: The Complete Recordings. Columbia 1990. Johnson, Tommy (1928). »Big Road Blues«, »Canned Heat Blues« und »Cool Drink of Water Blues«. Auf: Tommy Johnson 1928–1929. Complete Recorded Works in Chronological Order. Document 2008. Jolson, Al (1912). »That Lovin’ Traumerei«. Auf: Al Jolson. Volume 1. 1911–1914. Naxos 2007. Jolson, Al (1913).»The Spaniard That Blighted My Life«. Auf: Al Jolson. Volume 1. 1911–1914. Naxos 2007. Jolson, Al (1924). »California, Here I Come«. Auf: You Ain’t Heard Nothing Yet. Living Era 1990. Jolson, Al (1927). »My Mammy«. Auf: The Sound of the Movies. The Jazz Singer – Cabin in the Sky. History, ohne Jahr. Jordan, Louis (1946), »Choo-Choo Ch’Boogie« und »Jack, You’re Dead«. Auf: From Swing to Bebop. Jazz in History I. History 2008. Kingston Trio, The (1958). »Tom Dooley«. Auf: Tom Dooley. Revisited Media 2008. Lead Belly (1934). »Mr. Tom Hughes’ Town«. Auf: Leadbelly. Volume 1 (1934– 1935). The Remaining ARC and Library of Congress Recordings. Document 2008. Lead Belly (1940). »I’m on My Last Go-Round«. Auf: Complete Recorded Works. Volume 1. 1939–1947. Document 1994. Lead Belly (1948). »Goodnight, Irene«. Auf: Lead Belly’s Last Sessions. Smithsonian Folkways 1994. Lewis, Jerry und Dean Martin (1953). »O Sole Mio«. Auf: The Comedy Hour with Dean Martin & Jerry Lewis. Volume 1. Fastforward Music 2006. Little Richard (1955). »I’m Just a Lonely Guy (All Alone)« und »Tutti Frutti (Master)«. Auf: The Specialty Sessions. Ace 1989. Little Richard (1956). »Long Tall Sally« und »Lucille«. Auf: The Specialty Sessions. Ace 1989. Lymon, Frankie & The Teenagers (1955). »Why Do Fools Fall in Love«. Auf: The Doo Wop Box. 101 Vocal Group Gems from the Golden Age of Rock’n’Roll. Rhino 1994. Merman, Ethel und Frank Sinatra (2011). Anything Goes. Entertainment One.

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Stimme, Kultur, Identität Mills Brothers, The (1934). »Some of These Days«. Auf: The Mills Brothers 1931– 1941. Giants of Jazz 1992. Mississippi Sheiks, The (1930). »Unhappy Blues«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 2. 12 June 1930 to 24 October 1931. Document 1994. O´Day, Anita (1958). »Body and Soul«. Auf: Anita O’Day Sings the Winners. Archive 2011. Patton, Charley (1929). »Down the Dirt Road Blues«, »Mississippi Boweavil Blues« und »Shake It and Break It (But Don’t Let It Fall Mama)«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 1. Document 2000. Patton, Charley (1929). »Pony Blues«. Auf: Volume 1 (1929). Document 1990. Patton, Charley (1929). »Running Wild Blues«. Auf: Charley Patton. Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 3. Document 2003. Patton, Charley (1934). »34 Blues«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 3. Document 2003. Penguins, The (1954). »Earth Angel (Will You Be Mine)«. Auf: The Doo Wop Box. 101 Vocal Group Gems from the Golden Age of Rock’n’Roll. Rhino 1994. Phillips, Washington (1926). »Denomination Blues«. Auf: Spreading the Word. Early Gospel Recordings. JSP 2004. Presley, Elvis (1955). »Baby, Let’s Play House Tonight«. Auf: Elvis’ Golden Records. BMG 1997. Presley, Elvis (1955). »I Forgot to Remember to Forget« und »Mystery Train«. Auf: The King of Rock ’n’ Roll. The Complete 50’s Masters. BMB / RCA 2005. Presley, Elvis (1956). »Hound Dog« und »Love Me Tender«. Auf: The King of Rock ’n’ Roll. The Complete 50’s Masters. BMB / RCA 2005. Rainey, Ma (1923). »Bad Luck Blues« und »Bo-Weavil Blues«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 1. Document 1998. Rainey, Ma (1924). »Shave ’Em Dry Blues«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 1. Document 1998. Rainey, Ma (1927). »Oh Papa Blues«. Auf: Complete Recorded Works in Chro­ nological Order. Volume 1. Document 1998. Ravens, The (1950). »Count Every Star«. Auf: Street Corner Symphonies. The Com­plete Story of Doo Wop. Volume 2 (1950). Bear Family 2012. Revelers, The (1925). »Dinah«. Auf: Original-Musik aus dem Film Comedian Harmonists. EMI Electrola 1997. Reverend J. M. Gates (1926). »Death Might Be Your Santa Claus« und »Death’s Black Train Is Coming«. Auf: Complete Recorded Works. Volume 3 (1926). Document 2001. Reverend J. M. Gates (1926). »The One Thing I Know«. Auf: Complete Recorded Works. Volume 1 (1926). Document 2000. Reverend J. M. Gates (1941). »Hitler and Hell«. Auf: Complete Recorded Works in Chronological Order. Volume 9. 1934–1941. Document 2001.

Diskografie Ritchie, Jean (1961). »Barbry Ellen«. Auf: British Traditional Ballads in the Southern Mountains. Volume 1. Smithsonian Folkways 2004. Rodgers, Jimmie (1927). »Blue Yodel«. Auf: The Singing Brakeman. Vol. 1. Bear Family 1999. Rodgers, Jimmie (1928). »In The Jailhouse Now«, »Soldier’s Sweetheart«. Auf: The Singing Brakeman. Vol. 1. Bear Family 1999. Rolling Stones, The (1964). »I Just Wanna Make Love to You«. Aus: Dean Martin Presents the Rolling Stones. [9. Oktober 2014]. Seeger, Pete (1957). »John Henry« und »Mary Don’t You Weep«. Auf: American Favorite Ballads. Volumes 1–5. Smithsonian Folkways 2009. Seeger, Pete (1959). »St. Louis Blues«. Auf: American Favorite Ballads. Volumes 1–5. Smithsonian Folkways 2009. Seeger, Pete (1963). »We Shall Overcome«. Auf: We Shall Overcome. The Complete Carnegie Hall Concert. Columbia 1989. Shirelles, The (1960). »Will You Love Me Tomorrow«. Auf: Greatest Hits. Condor 1992. Shirelles, The (1962). »Soldier Boy«. Auf: Greatest Hits. Condor 1992. Shore, Dinah (1941). »Body and Soul«. Auf: The Great Voices of Jazz & Enter­ tainment II. History ohne Jahr. Sinatra, Frank (1941). »This Love of Mine«. Auf: Tommy Dorsey, Frank Sinatra. The Song Is You. The Complete Studio Masters. Volume 3. BMG 1994. Smith, Bessie (1923). »Downhearted Blues« und »Oh Daddy Blues«. Auf: Nothing But the Blues 39. Pulse 1999. Smith, Bessie (1925). »The St. Louis Blues«. Auf: Empress of the Blues. Volume 1. Uni­verse 2006. Smith, Bessie (1933). »Gimme a Pigfoot«. Auf: Empress of the Blues. Volume 3. Universe 2006. Smith, Whispering Jack (1926). »Cecilia«. Auf: »Whispering« Jack Smith. ’S Won­ derful. Prestige Elite 2007. Smith, Whispering Jack (1927). »Me and My Shadow«. Auf: »Whispering« Jack Smith. ’S Wonderful. Prestige Elite 2007. Stern, Bert (1959). Jazz on a Summer’s Day. DVD. Charly 2001. Tampa Red und Georgia Tom (1928). »Tight Like That«. Auf: In Chronological Order. Volume 1. May 1928 to 12 January 1929. Document 2000. Tharpe, Rosetta (1938). »Rock Me« und »That’s All«. Auf: Complete Recorded Works. 1938–1941. Document 1996. Tharpe, Rosetta (1941). »Four or Five Times« und »Rock Me«. Auf: Complete Re­ corded Works. Volume 1., 1938–1941. Document 1996. Tucker, Sophie (1910). »That Lovin’ Rag«. Auf: Origins of the Red Hot Mama (19101922). Archeophone 2009. Tucker, Sophie (1911). »Some of These Days«. Auf: Origins of the Red Hot Mama (1910–1922). Archeophone 2009.

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Stimme, Kultur, Identität Tucker, Sophie (1927). »Some of These Days«. Auf: After You’ve Gone (1927–1928). Jazz Age 2012. Tucker, Sophie (1928). »My Yiddishe Momme«. Auf: Moanin’ Low (1928–1930). Jazz Age 2012. Tucker, Sophie (1937). »Some of These Days«. Auf: Some of These Days (1930– 1937). Jazz Age 2012. Turner, Big Joe (1951). »Chains of Love« und »The Chill Is On«. Auf: The Story of the Blues. Chapter 10. Music Alliance Membran 2004. Turner, Big Joe (1954). »Shake, Rattle and Roll«. Auf: Big Joe Turner’s Greatest Hits. Rhino 1989. Vallée, Rudy (1929). »S’posin’«. Auf: Rudy Vallée and His Connecticut Yankees. 1928–1930. Vintage Vallée. Diamond Cut Productions 2000. Vaughan, Sarah (1953). »Body and Soul«. Auf: The Great Voices of Jazz & Enter­ tainment II. History ohne Jahr. Vaughan, Sarah (1954). »Body and Soul«. Auf: Sarah and Clifford. Jazz Hour 2013. Waller, Fats (1935). »Dinah«. Auf: Fats Waller and His Rhythm »Ain’t Misbehavin’«. 1934–1943. Giants of Jazz 1990. Washington, Dinah (1947). »Am I Asking too Much«. Auf: The Great Vocalists Of Jazz & Entertainment. Dinah Washington. You Can Depend on Me. History 1999. Waters, Ethel (1925). »Dinah«. Auf: The Chronological. Ethel Waters 1925–26. Classics 1997. Waters, Ethel (1925). »Maybe not at all«. Auf: The Chronological. Ethel Waters. 1925–1926. Classics 1992. Waters, Ethel (1928). »Guess Who’s in Town«. Auf: The Chronological. Ethel Waters. 1926–1929. Classics 1994. Waters, Ethel (1929). »Birmingham Berta«. Auf: Complete Jazz Series. 1926–1929. Classics 1993. Waters, Ethel (1930). »I Got Rhythm«. Auf: The Chronological. Ethel Waters. 1929–1931. Classics 1993. Weavers, The (1950). »Goodnight Irene«. Auf: Goodnight Irene. 1949–1953. Bear Family 2000. Weavers, The (1951). »On Top of Old Smokey«. Auf: Goodnight Irene. 1949–1953. Bear Family 2000. West, Hedy (1963). »500 Miles« und »Shady Grove«. Auf: Hedy West Accompanying Herself on the 5-String Banjo. Vanguard 2012. Wells, Kitty (1951). »It Wasn’t God Who Made Honky-Tonk Angels«. Auf: The Queen of Honky Tonk Angels. Four Original Albums. Jasmine 2012. Williams, Bert (1906). »Nobody«. Auf: American Pop. An Audio History. From Minstrel to Mojo. On Record. 1893–1946. Music & Arts 1997. Williams, Bert (1910). »Play That Barbershop Chord«. Auf: The Middle Years. 1910–1918. Archeophone 2002.

Diskografie Williams, Bert (1913). »Nobody«. Auf: The Middle Years. 1910–1918. Archeophone 2002. Williams, Bert (1919). »The Moon Shines on the Moonshine«. Auf: His Final Releases. 1919–1922. Archeophone 2001. Williams, Hank (1947). »Honky Tonkin’«. Auf: Essential Hank Williams.Hillbilly Legend. Union Suqare 2003. Williams, Hank (1949). »Lovesick Blues«. Auf: Essential Hank Williams. Hillbilly Legend. Union Suqare 2003. Williams, Hank (1950). »Long Gone Lonesome Blues«. Auf: Essential Hank Williams. Hillbilly Legend. Union Suqare 2003. Williams, Hank (1953). »Your Cheatin’ Heart«. Auf: Essential Hank Williams. Hillbilly Legend. Union Suqare 2003.

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Register »34 Blues« 255, 256 »500 Miles« 292 A ABC Paramount 395, 421 »A Bit of Soul« 388 »A Boy Named Sue« 285 Abravanel, Maurice 114 »A Change Is Gonna Come« 415 Ackermann, Paul 29 Acuff, Roy 20, 312-314, 316, 318, 322, 350 Adler, Jacob 91 »A Fool for You« 388, 391, 392 »After the Ball« 24, 26 »A Hard Rain’s A-Gonna Fall« 298 »Ain’t Nobody‹s Bizness (If I Do)« 404 »Ain’t That A Shame« 391 Alexander III 91 Alexander, J. W. 415 Allen, Lee 342 Alley Cats, The 279 Almanach Singers, The 284, 287 »All Shook Up« 365, 369 »All Together: ›We’re Out to Beat the Hun‹« 38 »Amazing Grace« 212, 214, 378 American Bandstand 190 American Popular Song 139 »Am I Asking too Much« 227, 228 Anderson, Marian 235 »An die Musik« 121 Annie Get Your Gun 123 »Any Day« 405 Anything Goes 184 »Any Way« 405, 408 Apollo Records 219 »Are You Lonesome Tonight« 369

Armstrong, Louis 19, 107, 145, 150, 151, 155, 156, 163-165, 168, 183, 243 Arnheim, Gus 432 Arnheim Orchestra, The Gus 432 Arnold, Eddy 316, 318 Arthur, Charline 323 Asch, Moses 290 Astaire, Fred 76 Atkins, Chet 325 Atkins, Cholly 443 Atlanta 30 Atlantic Records 337, 374, 383, 386, 391, 395, 396, 420-422, 441-443, 448, 450 Austin, Gene 68, 136, 140, 151 Autry, Gene 20, 314, 455 B Babes in Arms 119 »Baby, Let’s Play House Tonight« 358, 360, 365, 369 »Back in the Saddle Again« 314 »Backstreet Affair« 325 Badger, Clarence G. 38 »Bad Luck Blues« 243, 244 Baez, Joan 20, 273, 279, 289, 290, 292, 294-298, 300 Bailey, Mildred 150, 434 Baker, LaVern 21, 375, 383, 395-400, 419-423 Ballew, Smith 139, 142 Baltimore 438, 440 »Barbara Allen« 292, 293, 295, 296 »Barbershop Chord« 82 »Barbry Ellen« 292, 293 Barnicle, Mary E. 279 Barris, Harry 431 Basie, Count 39 Bayes, Norah 92 Belafonte, Harry 288 Bell, Freddy and the Bellboys 356

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Stimme, Kultur, Identität Belting 18, 53, 58, 59, 61, 66, 116, 117, 123, 124, 167, 168, 182, 229, 230, 331, 332, 380, 398, 399, 422, 423, 64 Benatzky, Ralph 119 Bending 244-246, 248, 266, 404 Bennett, Robert Russel 117 Bennett, Tony 325 Berlin, Irving 92, 123 Bernero, Johnny 356 Berry, Chuck 20, 336-338, 348-351, 353, 359, 361, 366-368, 374, 391, 396, 408, 414 »Berry Pickin’« 350 Bessemer 383 Billy Ward and his Dominoes 439, 443 »Birmingham Bertha« 108, 109 Black, Bill 356, 359, 360, 364 Black, Eubie 431 »Blackie’s Gunman« 308 Black Pop 401, 416, 420 »Black Snake Moan« 257, 261 Blackwell, Robert Alexander 342, 408, 411, 415 Blazing the Western 350 »Blowin’ in the Wind« 298, 299, 300 »Blue Moon« 365 Blue Moon Boys 356, 360 »Blue Moon of Kentucky« 358, 360 Blue Note 455 Blues 19, 20, 29, 39, 48, 57, 58, 60, 64, 105, 139, 146, 148, 168, 195, 205, 210, 211, 220, 227, 229, 230, 231, 233, 234, 236-242, 245, 246, 248, 249, 253, 255, 257-261, 263, 265, 267, 271, 283, 284, 288, 303, 350, 353-356, 363, 371, 372, 386, 387, 393, 394, 397, 419, 440-442, 455 »Blue Suede Shoes« 350, 364 »Blue Yodel« 309 Bobbettes, The 448-450 »Body and Soul« 19, 151-153, 163, 166168 Bolton, Guy 113 Bombo 98 Boogie Woogie 264, 338, 388 Boone, Pat 347 Boston 33 Boswell, Connee 433, 434 Boswell Sisters, The 432-435, 448

Bouchilon, Chris 284 Bow, Clara 38 »Bo Weavil Blues« 244, 245, 260 »Boy Named Sue« 284, 397 Bradford, Alex 383, 384, 386, 418, 420 Bradford, Alex & His Specials 397 Bradford Specials, The 383, 384 Bradley, Owen 325 Brahms, Johannes 71 Brando, Marlon 336, 366 Brecht, Bertolt 114 Brice, Fanny 92 »Bring It On Home to Me« 417 Broonzy, Big Bill 387 Brother Joe May 406 Brown, Bill 439 Brown, Charles 386, 388, 418, 419 Brown, James 374, 400 Brownlee, Archie 376, 381-383, 386, 402, 403, 406, 418 Brown, Nacio Herb 112 Brown, Ruth 396, 419, 441, 448 Brox Sisters, The 431 Brunswick Records 434 Buddy Holly 336 Burke, Solomon 374 »Bury Me Not on the Lone Prairie« 292 C Cadillacs, The 443, 444 »California, Here I Come« 98, 99 Calloway, Cab 414 »Can the Circle Be Unbroken« 305, 307, 428 Cantor, Eddie 92 Capone, Al 36 Capitol 30 Caravan Singers, The 406 Cardinals, The 442, 443 Carroll, Earl 444 Carr, Wynona 381 Carson, John 277 Carter, A. P. 305-307, 427, 428 Carter, Asa 337, 412 Carter, June 395 Carter, Maybelle 294, 297, 305-307, 427, 428 Carter, Sara 305-308, 427, 428

Register Carter Family, The 20, 285, 294, 296, 303-306, 308, 311, 315, 322, 331, 427 Carson, Fiddlin‘ John 277, 306 Caruso, Enrico 26, 31, 32, 118 Cash, Johnny 272, 279, 284, 285, 395 Castle, Irene 37 Castle, Vernon 37 Cats and the Fiddle 436 »Cattle Call« 316 »Cecilia« 132, 135 »Chain of Fool« 422 »Chains of Love« 266 Chantels, The 448, 449 Charell, Erik 119 Charles, Ray 21, 227, 371, 372, 374, 384-393, 395, 398, 418-421, 441, 450 »Cheatin’ Heart« 328 Cheeks, Julius 376, 407, 408 Chess, Leonard 351 Chess Records 349, 350 Chester 104 Chicago 23, 29, 33, 195, 200, 210, 212, 241, 260, 349, 373, 376, 381, 383, 395, 400, 401, 440 Chicago Blues 225 Child, Francis James 274-276 »Choo-Choo Ch’Boogie« 264 Chords, The 442, 445 Christian, William 198 Clapton, Eric 395 Clarksdale 401 Cleveland, James 387, 406 Cline, Patsy 20, 32, 304, 323, 326-328, 330, 332, 455 Clooney, Rosemary 181, 182, 184, 186, 187 Clovers, The 441-443 Coasters, The 442 Coates, Dorothy Love 229 Cody, William 24 »Cold, Cold Heart« 325 Cole, Nat King 386, 418, 436, 446 Collins, Judy 279, 290, 292 Colored Soldier Boys of Uncle Sam, The 38 Coltrane, John 414 Columbia Records 30, 105, 219, 246

Columbo, Russ 136, 140, 144, 151 Columbus, Christopher 23 »Come Back Baby« 258, 261 Como, Perry 46, 181, 182 Cooke, Sam 21, 279, 336, 337, 374, 395, 400, 401, 403-405, 407-415, 417, 420-422, 455 »Cool Drink of Water Blues« 253 »Count Every Star« 438, 443 Country Blues 240 Country Music 20, 29, 31, 39, 48, 49, 57, 63, 139, 181, 190, 220, 273, 288, 296, 297, 303-306, 309, 311-314, 316, 318, 320, 323, 325, 326, 331, 332, 337, 348-350, 352, 354-358, 415, 425, 438, 451, 455, 456 Cowell, Henry 278 Crain, S. R. 377, 402 Crawfowd, Ruth 278 »Crazy Blues« 237, 246 Crooning 18, 19, 53, 60, 70, 113, 115, 129, 130, 135, 136, 140, 142, 148, 149, 157, 314, 316, 392, 405, 408, 455, 456 Crosby, Bing 19, 60, 130, 140, 143-148, 181, 182, 431, 434 Crosland, Alan 79 »Cruel Mother« 279 »Cry« 400 Crying 53, 63, 64 »Crying in the Chapel« 438 Crystals, The 449 D Davis, Jimmie 288 Davis, Marie Johnson 210 Davis, Miles 414 Davis, Skeeter 323 Davis Sisters, The 323 Day, Doris 46, 129 Dean, James 46, 336, 366 Deason, Ellen Muriel 322 »Death Might Be Your Santa Claus« 207-209 »Death’s Black Train Is Coming« 204206 Decca Records 30, 123, 326, 437 Del-Vikings, The 336, 446 Delta Rhythm Boys, The 436

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Stimme, Kultur, Identität »Denomination Blues« 222, 224, 225 Detroit 33, 228, 375, 440 DeWitt, Francis 85 Dietz, Howard 153 »Dig A Little Deeper« 209 DiMucci, Dion 446 »Dinah« 105, 106, 143, 144, 431 Dion & the Belmonts 446 Dixie Hummingbirds, The 376, 429, 443 Dixon, Lee 119 Dixon, Thomas 36 Dixon, Willie 191 »Doin’ What Comes Natur’lly« 123 Domino, Fats 391, 396 »Don’t Be Cruel« 365, 369 »Don’t Blame the Germans« 38 Dootone Records 442 Doo-Wop 336, 426, 437-449, 452 Dorsey, Thomas 195, 200, 210, 212, 216, 260, 267 »Down Bound Train« 350, 351 »Downhearted Blues« 246-248 Downhome Blues 20, 53, 148, 181, 214, 234, 240-242, 245, 248, 251, 253, 255, 256, 259, 267, 268, 283, 297, 419 »Down in the Willow Garden« 279 »Down the Dirt Road Blues« 255, 256 Drake, Alfred 119 Dranes, Arizona 19, 210-213, 377 Drifters, The 400, 441-443 »Drifting Heart« 350 »Dry Southern Blues« 266 »Dry Spell Blues« 255, 257 DuBois, W. E. B. 36 Duncan Sisters, The 431, 434 »Dust Bowl Blues« 284 »Dust Pneunomia Blues« 283, 285 Dylan, Bob 20, 210, 271, 273, 277, 284, 289, 294, 295, 297, 299, 300 E »Earth Angel« 442, 444 Eckstine, Billy 19, 151, 155, 158 Edison, Thomas Alva 25 Ed Sullivan Show 31, 355 Edwards, Cliff 112, 113, 136 Eisenhower, Dwight D. 43

Elliot, Jack 279 »El Rancho Grande« 315 Ertegün, Ahmet 391, 442 Etting, Ruth 60, 151 Europe, James Reese 37, 431 Everly Brothers, The 279, 396 Evers, Medgar 373 »Every Hour« 341 »Ev’rything’s Made for Love« 140 Excelsior Quartette, The 431 F »Faded Love« 331 »Falling in Love« 416 Falsett 58, 61, 62, 64, 65, 253, 254, 265, 267, 341, 342, 344, 346-348, 352, 358, 369, 377, 379, 387-390, 393, 399, 403-406, 419, 437-439, 443445, 447, 448 »Fannin Street« 280 Fats Domino 336, 342 Feather, Charlie 356 »Feel Like My Time Ain’t Long« 380, 404 Fields, Dorothy 123 Fields, Herbert 123 Fisk Jubilee Singers 197, 235 Fitzgerald, Ella 19, 68, 104, 129, 151, 166, 168, 183 Fitzgerald, F. Scott 39 Five Blind Boys of Mississippi, The 376, 381, 382 Folk Music 20, 51, 181, 271, 273, 276, 278, 281, 282, 285-287, 289-291, 294-300, 306, 312, 425, 428, 451 Folk Rock 300 Folkways Records 290 Follies of 1910 430 Ford, Mary 181, 182 Ford Smith, Willie Mae 57, 210 Ford, Tennessee Ernie 358 Foster, Paul 377, 403 »Four or Five Times« 220, 222, 224 Four Freshmen, The 435 Four Harmony Kings, The 431 Four Tops, The 451 Fox, Norman and the Rob-Boys 446 »Frankie and Albert« 279 »Frankie and Johnny« 279

Register Franklin, Aretha 20, 21, 228-230, 374, 375, 395, 421-423 Franklin, C. L. 228, 421 Freed, Alan 396, 445, 446 Freed, Arthur 112 »Freight Train Blues« 313 Friedan, Betty 44 Frizzell, Lefty 316, 318, 319 G Galilee Singers, The 429 Garland, Jim 294 Garland, Judy 59, 182, 184, 187-189 Garnes, Sherman 445 Gates, J. M. 200-211 Gates, Reverend 19, 394, 422, 429 »Gaucho Serenade« 315 »Geordie« 274 Gershwin, George 92, 288 Gershwin, Ira 92, 113, 115, 288 »Get a Job« 444 Gilbert, Ronnie 289, 290 Gillham, Art 131 »Gimme a Pigfoot« 247, 251 Ginsberg, Allen 46 »Girl From North County« 298 Glissando 64, 85, 86, 88, 95, 99, 101, 104-106, 133, 139, 140, 146-148, 150, 151, 156-158, 163, 165, 181, 211, 217, 218, 222, 224, 244, 246248, 250, 255-257, 290, 291, 296, 299, 320, 321, 329, 331, 332, 344, 346, 353, 359, 363, 367, 378, 379, 382-384, 387, 389-391, 393, 397, 402, 422, 431, 433, 455 »Gloria« 444 Glyn, Elynor 38 »Good Golly Miss Molly« 340 »Goodnight, Irene« 271, 272, 280 »Good Rockin’ Tonight« 358 Gordy, Berry 374, 444 Gospel 168 Gospel Harmonettes, The 406 Gospel Music 19, 21, 53, 57, 64, 139, 195, 198, 205, 211, 220, 227, 228, 231, 234, 257, 260, 266-268, 338, 342, 346, 349, 354, 360, 364, 367, 371, 372, 375, 376, 378, 380, 381, 383, 386-388, 397, 400, 401, 405,

406, 408, 410, 412, 418-421, 426, 430, 439, 441, 443, 450, 455 Gourdine, Jerome Anthony 446 Gotch Singers, The Lee 410 Grand Ole Opry 190, 312, 314, 325 »Great Balls of Fire« 360, 369 »Great Speckle Bird« 313 »Greenbacks« 392 Greene, Graham 145 Griffith, D. W. 36 Groaning 61 Growling 53, 64, 66, 247, 249, 329, 383, 393, 397, 406, 407 »Guantanamera« 288 »Guess Who’s in Town« 107, 108 Guthrie, Woody 20, 272, 277, 279-281, 283-287, 289, 290, 292, 297, 299 Gypsy 124 H Haley, Bill 46, 335, 337, 350, 392, 396 »Hallelujah I Love Her So« 387 Hammerstein, Arthur 92 Hammerstein, Oscar 92, 111, 118 Hammerstein, Oscar II 92 Handy, W. C. 205, 237, 242, 246, 250, 288 Hank Williams 317 Hanshaw, Annette 151 »Harbor Lights« 358 Hard Gospel 21, 375, 377, 381, 388, 401, 406, 418, 419, 422 »Hard Times« 386, 388, 389, 391, 397, 418-420 Harlem 39, 438 Harris, Charles K. 24 Harris, Rebert H. 376, 378-381, 383, 401, 403, 404, 406, 418 Hart, Lorenz 119 Hart, Moss 92, 113 »Havanna Moon« 350 Hawkins, Coleman 152, 243 Hays, Will H. 176 »Heartaches« 330 »Heartbreak Hotel« 358, 361, 365 »Heebie Jeebies« 107, 433, 434 Hefner, Hugh 46 Hellerman, Fred 289 Hellfighters Band, The 37

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Stimme, Kultur, Identität »He’ll Make a Way« 405 Hemingway, Ernest 145 Henderson, Fletcher 104, 243 »He’s So Wonderful« 404, 405, 408, 420 »He Will Do for You« 328 Hiccup 53, 63, 65, 64, 315, 316, 318, 324, 330, 346, 347, 352, 364, 365, 367, 390, 392-394 »High Water« 146, 147 Hillbilly 20, 30, 63, 303, 316, 349, 354, 355, 386, 425, 426, 427, 429, 430, 451 Hillbilly Records 30, 50 Hi-Lo’s , The 187, 435 Hines, Lewis 35 Hines Band, The Earl 159 »Hitler and Hell« 202, 203 Hokum Blues 20, 242, 245, 260, 419 Hokum Boys 260 Holiday, Billie 19, 60, 150, 151, 163, 165, 168, 155 Hollering 53, 58, 60, 407 Holman, Libby 151, 153 Holm, Celeste 58, 116, 119, 121, 122, 124 Honky Tonk 20, 317, 318, 321, 323, 327, 329, 331, 350, 351 »Honky Tonkin’« 319 »Honky Tonk Merry Go Around« 330 Hooker, John Lee 257, 258, 261 Hootenanny 290, 300 Hoover, Herbert 39 Hopkins, Lightnin’ 258, 261, 263 Horne, Lena 104, 279 Hotline 373 »Hound Dog« 355, 356, 361, 364, 369, 400 Howlin’ Wolf (Chester Arthur Burnett) 256, 257, 259, 267 How to Marry a Millionaire 46 Huffman, J. C. 98 »Hurrah for Roosevelt« 277 Hurst, Madame Lula Mae 210 I »I Ain’t Got No Home« 283 »I Am a Union Woman« 278 »I Believe« 365

»I Can’t Hold Out Any Longer« 397, 419 I Can’t Hold Out Any Longer« 397 »I Can’t Say No« 121 »I Cried for You« 148 »Ida May« 350 »Ida Red« 350 »I Didn’t Hear Nobody Pray« 312 »I Fall To Pieces« 326 »If I Didn’t Care« 437 »I Forgot More Than You’ll Ever Know« 323 »I Forgot to Remember to Forget« 357, 359, 361, 364 »If You’ve Got the Money, I’ve Got the Time« 316 »I Got a Woman« 227 »I Got Rhythm« 66, 67 »I Got the Blues« 237 »I Hang My Head and Cry« 315 »I Just Wanna Make Love to You« 191 »I’ll Never Let You Go (Little Darlin’)« 359 »I Love You Because« 358 »Imagine That« 327 »I’m Coming Virginia« 432 »I’m In a Crying Mood« 397-399, 419 »I’m Just a Lonely Guy (All Alone)« 340, 342 »I’m Left, You’re Right, She’s Gone« 354 »I’m Living My Life for You« 397, 398, 419 »I’m Not a Juvenile Delinquent« 446 Imperials, The 444 »I’m on My Last Go-Round« 280 »I’m So Lonesome I Could Cry« 319 »I’m Thinking Tonight of my Blue Eyes« 307 Im weißen Rössl 119 In Old Monterey 316 Integrated Book Musical 111, 116-118 »In the Jailhouse Now« 309, 310 Ink Spots, The 436, 437, 440, 441, 442 »I Shot Mr. Lee« 450 »It Don’t Mean a Thing« 432 »It Happened in Monterey« 316 »It’s Only Make Believe« 272 »It’s Too Soon To Know« 438

Register »It Wasn’t God Who Made Honky Tonk Angels« 304, 322, 323 »It Won’t Be Very Long« 402, 403 »I’ve Got a Woman« 385, 371, 387, 397 »I Want to Be a Cowboy’s Sweetheart« 323 »I Wonder Why« 447 J Jackson, Aunt Molly 277-279 Jackson, Frederick 23 Jackson, Mahalia 19, 57, 209, 212-220, 371, 377, 419 Jackson, Milt 371, 372 Jackson, Wanda 323 »Jack, You’re Dead« 264, 265 »Jailhouse Rock« 353, 408 James, Etta 411 James, Joni 325 Jazz 11, 16, 18, 19, 29, 37, 39, 70, 71, 95, 104, 105, 107, 148, 151, 152, 168, 220, 221, 227, 228, 241, 345, 371, 372, 386, 410, 411, 425, 431, 432, 434-436, 439, 441, 455 Jazz on a Summer’s Day 164 »Jealous Hearted Me« 308 Jefferson, Blind Lemon 257, 261, 266, 267 »Jim Dandy« 396 Jitter 65, 71 Jodeln 20, 63, 67, 253, 308, 313, 318, 324 »John Henry« 291 John Lee Hooker 267 »Johnny B. Goode« 350, 351 Johnson, James P. 104 Johnson, Robert 20, 242, 254, 267, 268 Johnson, Tommy 20, 242-254 »Jole Bron« 313 Jolson, Al 18, 32, 59, 76, 79, 88, 92, 95, 98-104, 109 Jones, Orville Hoppy 436, 437 Jordan, Louis 20, 242, 264, 267 Jubilee Gospel 377 Jump Blues 242, 245, 260, 264, 338, 419, 437 Junior Parker & The Blue Flames 356 »Just One of Those Things« 186

K Kalish, Berta 91 Kapp, Jack 434 Kaufman, George S. 92 »Kaw-Liga« 320 Kaye, Danny 114, 115 Keays, Vernon 350 Keen Records 411, 415 Keisker, Marion 354 Kellow, Brian 124 Kennedy, John F. 43, 373 Kenny, Bill 436, 437, 440-442 »Kentucky Miner’s Wife« 278, 279 Kern, Jerome 92, 98 Kerr, Anita Singers 326 Kesler, Stan 356 Kinderszenen 99, 101 »Kindhearted Woman Blues« 254 King, B. B. 395 King, Ben E. 442 King, Martin Luther 36 King Records 374 Kingston Trio, The 272, 279, 290, 299, 451 »Kitty Waltz« 322 Kopfstimme 64, 65 L La Belle Paree 98 Lady be Good! 113 Lady in the Dark 113, 114 Laine, Frankie 445 Lambert, Hendricks & Ross 436 »Last Mile of the Way« 420 Las Vegas 369 Latin 31, 350 Lawrence, Gertrude 114, 115 Lead Belly (Hudson »Huddie« William Ledbetter) 20, 271, 275, 277, 279281, 292 »Leader of the Pack« 449, 450 Lee, Peggy 47, 129, 181, 182 Leiber, Jerry 388, 442 Lemon, Louise 210 Lerner, Alan Jay 118 »Let Me Go Home« 403, 404 »Let the Teardrops Fall« 330 Lewis, Jerry Lee 185, 336, 337, 360, 369 Lieberson, Goddard 125

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Stimme, Kultur, Identität »Lily of the West« 279 Little Anthony and the Imperials 445 »Little Egypt« 23 Little Jack Little (John Leonard) 131 Little Richard (Richard Penniman) 20, 46, 336-348, 352, 353, 361, 364, 366, 374, 383, 408 Loewe, Frederick 118 Lomax, Alan 20, 56, 271, 275, 294, 381, 454 Lomax, John A. 20, 274, 275 London 91 »Lonesome Road« 404 »Long Tall Sally« 343, 344, 345, 367 »Lord Randall« 298 Los Angeles 405, 431, 440, 442 »Love Me« 358, 365 »Love Me Tender« 365 »Lovesick Blues« 320, 328-330 »Lucille« 346, 367 LuPone, Patty 124 Lymon, Frankie 445, 446 Lymon, Frankie and the Teenagers 447 Lynn, Loretta 326 M Maddox, Rose 323 Maddox Brothers and Rose, The 323 Maggio, Antonio 237 Mahler, Gustav 71 Malcolm X 373 »Mama« 358 »Mammy« 101, 102 Manhattan 39 »Man of Constant Sorrow« 298 Marquand, John P. 145 Martha & the Vandellas 451 Martin, Dean 46, 181, 182, 185, 191 Martin, Roberta 383 Martin, Sally 200 Marx Brothers, The 76, 92 »Mary, Don’t You Weep« 290 »Masters of War« 298, 299 Mayall, John 395 »Maybe« 448 »May Be I’m a Fool« 230, 231 »Maybellene« 350-352, 391 »Maybe not at all« 105, 249 McCarthy, Joseph 42

McPhatter, Clyde 400, 439 »Me and My Shadow« 134, 137 »Mean Talking Blues« 285 Medlock, James 377 Meet Me in Saint Louis 188 Melisma 14, 164, 167, 182, 212, 214, 228, 229, 231, 261, 266, 268, 280, 289, 293, 377, 380, 382, 388, 397, 403, 404, 410, 412, 418-423 melismatisch 61, 201, 213, 229, 310, 331, 341, 346, 360, 367 Memphis 354, 375 Memphis-Blues 357 Mercury Records 30, 442 Merman, Ethel 59, 123, 184 MGM 30 »Milk Cow Blues« 358, 369 Millinder, Lucky 221, 222 Millinder, Lucky & His Orchestra 221 Mills, John C. 432 Mills Brothers, The 432, 435, 437, 443, 444 »Mind Your Own Business« 321 Minelli, Vincente 188 Minstrelsy 77, 79, 81, 98, 226, 265, 284, 368, 413, 425 »Mississippi Bowevil Blues« 258 Mississippi Delta Blues 255 Mississippi Sheiks 255 Mitchell, Joni 271, 292 Moan 229, 230 Moaning 53, 61, 67, 68, 241, 257, 258, 261, 264, 280, 394, 398, 405, 409, 410, 416, 417 »Mommy for a Day« 324 »Money Honey« 365 Montana, Patsy 323 »Moonshine« 82 Moore, Scotty 356-358, 360, 364 »Motherless Child When Mamas Gone« 429 Motown Records 374, 415, 421, 444, 451 »Move It on Over« 321 »Move on up a Little Higher« 213, 215, 216 »Mr. Lee« 448, 450 Mr. Soul 374 Muddy Waters 191, 350, 395

Register »Muleskinner Blues« 284 Murray, Billy & the American Quartet 430 Musical 18, 40, 46, 58, 59, 76, 91, 98, 104, 105, 110, 111, 115-120, 176, 177, 180, 181, 184, 185, 187, 190, 191, 242 Musical Comedy 76, 111, 112, 113, 118, 119 »Must I Cry Again« 399 »My Blue Heaven« 140 My Fair Lady 118 »My Mammy« 103, 104 »My Prayer« 442 »My Son Calls Another Man Daddy« 324 »My Soul Is a Witness for the Lord« 210-213 »Mystery Train« 356-361, 363, 364, 369 »My Walking Stick« 430 »My Yiddishe Momme« 93, 97 N Nashville 20 National Barn Dance 314 »Nearer to Thee« 404-407, 409 Negulesco, Jean 46 New Orleans 341, 432 Newton, John 212 New York 31, 33, 35, 40, 80, 90-92, 275, 279, 280, 286, 372, 375, 440, 441, 447 »Nobody« 82-84, 86 »No Money Down« 350 »No More Auction Block« 298 »Nottamun Town« 298 Novelty-Blues 357 O O’Day, Anita 19, 151, 164-167, 183 »Oh Daddy Blues« 247, 248, 252 »Oh Papa Blues« 248, 252 Okeh Records 30, 276 Oklahoma 46 Oklahoma! 18, 111, 116, 118, 119, 121123 »Old Shep« 365

Old-Time-Music 30 »Oleanna« 288 »Only Sixteen« 404 »Only You (and You Alone)« 442 »On Top of Old Smokey« 287, 291 »Operation Heartbreak« 422 Original Dixieland Jass Band 39 The Orioles 437, 441 Ornament 146 Ornamentierung 14 »O Sole Mio« 185 Oswald, Bashful Brother 313 »Our Father« 381, 382, 418 Owens, Shirley 449 P Page, Patti 46, 181, 182, 325 Palmer, Earl 342 »Papa Blues« 247 »Paper Doll« 437 Parker, Junior 356, 363 Parker, Tom 370 Parks, Rosa 36, 43 Parton, Dolly 326 Pastor, Tony 79 Patton, Charley 20, 236, 242, 255, 256, 258, 259, 260, 267, 283, 363 »Paying for That Backstreet Affair« 325 »Peace in the Valley« 403 Peach, Georgia 210 Peer, Ralph 276, 304, 305, 308 Penguins, The 442, 444 People’s Songs 290 Perkins, Carl 350, 359 Peter, Paul and Mary 279, 290, 294, 300 Pet Milk Grand Ole Opry 327 Pet Milk TV 31 Philadelphia 33, 376, 408 Philips, Dewey 354 Phillips, Sam 354, 356, 360 Phillips, Washington 210, 211, 222-225 Pickett, Wilson 374 Picon, Molly 92 Pierce, Webb 325 Pilgrim Travelers, The 386, 406, 417 Platters, The 336, 442, 447

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Stimme, Kultur, Identität »Play That Barbershop Chord« 86, 88, 430 »Play with Your Poodle« 263, 264 »Please, Please, Please« 400 »Pony Blues« 256 »Poor Miner’s Farewell« 278 Pop 16, 130, 226, 289, 356, 408, 411, 421, 426, 439, 451 »Precious Jewel« 313 »Precious Lord« 229, 231 »Precious Lord (Part II)« 229 Presley, Elvis 20, 32, 46, 47, 59, 150, 177, 331, 335, 336, 338, 348, 353355, 356-361, 363-366, 368, 369, 392, 408 Price, Vincent 186 R Race 30, 50 Race Records 30, 50, 225, 226, 240 Raelettes, The 393, 395, 450 Ragtime 11, 26, 37, 237, 431 Rainbow Records 442 Rainey, Ma (Gertrude Rainey) 20, 57, 98, 104, 237, 238, 241, 242, 244248, 252, 308, 419 Rainey, William 242 »Ramona« 142 Rap 205 Ravens, The 437, 438, 441, 443 Rawls, Lou 417 Ray, Johnny 400 Ray, Nicholas 46 Rebel Without a Cause 46 RCA Victor 30, 114, 125, 341, 355, 359, 360, 369, 415 Redding, Otis 374 »Red, Hot and Blue« 354 Reisner, Charles 112 Revelers, The 431, 432 Revue 18, 19, 76, 80, 91, 92, 104, 109, 111, 112, 118, 176, 177, 242, 425, 431 Reynolds, Debbie 412 Rhythm & Blues 19-21, 168, 196, 205, 221, 225-227, 234, 263, 265, 266, 336-338, 342, 346, 347-352, 354, 356, 358, 360, 364, 366, 367, 372, 374, 375, 380, 381, 386, 388, 391,

395, 396, 400, 408, 418, 419, 422, 438, 439, 441-443, 448, 451, 455 Rhythm Boys, The 143, 431, 432 Ricks, Jimmy 438, 439 Riesman, David 44 Riis, Jacob 35 Rinker, Al 143, 431 Ritchie, Jean 20, 276, 291, 293, 294, 296, 298 Roberts, Joan 119 Robinson, Earl 278 Rock 16, 20, 451 Rockabilly 332, 336, 350, 354, 359, 361, 364, 365 »Rock-a-Bye Your Baby with a Dixie Melody« 422 »Rock Around the Clock« 350 Rockefeller, John D. 35 »Rock Me« 221-223 Rock’n’Roll 20, 21, 45, 46, 49, 63, 196, 211, 220, 225, 234, 241, 253, 260, 263-268, 272, 332, 335-338, 343, 348, 350, 354, 356, 360, 364, 366369, 374, 383, 385, 391, 396, 408, 414, 420, 440, 442, 455, 456 Rock’n’Roll Dance Party 445 Rodgers, Jimmie 20, 279, 288, 303, 304, 308, 309, 311, 314, 332 Rodgers, Richard 92, 111, 118, 119, 121 Rogers, Jimmie 63 »Roll On, Mississippi, Roll On« 433 »Roll Over Beethoven« 350, 351 Rolling Stones, The 190 Ronettes, The 449 Rooftop Singers, The 300 Roosevelt, Franklin D. 40, 376 Roosevelt, Theodore 24, 315 Rupe, Art 402, 415, 420 Rural Blues 240 S »Saddle My Pony« 256, 259 »Saga of Jenny« 115 Sallie and Roberta Martin 210 »Sally Mae« 258 Sam Cooke 402 Sandburg, Carl 275, 276 San Francisco 82, 183 Sanger, Margaret 35

Register SAR 415 »Scarborough Fair« 298 Scat 67-70, 164, 107, 108, 163, 166-168, 345, 365, »School Days« 349, 351, 368 Schubert, Franz 71, 121 Scream 341, 344, 348 Screaming 53, 66, 341, 342, 367, 382, 390, 418 Seeger, Charles 276, 278 Seeger, Pete 20, 276-279, 281, 284, 286, 287, 289-291, 294, 297, 299, 300, 415 »See It Now« 183 Sell, Hildegarde 114, 115 Sensational Nightingales, The 376, 407 »Shady Grove« 292 »Shake, Rattle and Roll« 337 Shangri-Las, The 449 Sharp, Cecil James 20, 274-276 »Shave ’Em Dry Blues« 245 Shaw, Artie 386 »Sh-Boom« 442, 445 Shepard, Jean 304, 327 Shepard, Thomas Z. 125 Shephard, Jean 328 »She’s Got It« 345 Shimmer 65, 71 »Shine on Me« 377-380, 403 Shirelles, The 444, 449 Shore, Dinah 19, 151, 157, 162, 164 Shout 341, 342, 345 Shouting 18, 53, 57, 60, 64, 156, 158, 148, 196, 247, 250, 259, 263, 266268, 341-343, 352, 358, 364, 367, 368, 383, 406, 419 »Shout, Sister, Shout« 435 Shubert, Jacob 98 Shubert, Lee 98 Shubert, Sam 98 Shuffle Along 431 Siegmeister, Elie 278 Silhouettes, The 444 Simenon, Georges 145 Sinatra, Frank 46, 60, 129, 149, 177, 182, 184, 272, 355 »Since You’ve Been Gone« 422 »Singin’ in the Rain« 112

»Single Girl, Married Girl« 307, 308 Sissle, Noble 431 »Sixty Minute Man« 439 Smash Records 375 Smith, Arlene 448, 449 Smith, Bessie 20, 104, 105, 241, 246249, 250-252, 256, 257, 266, 268, 288, 419 Smith, Clara 249 Smith, Whispering Jack 130, 132, 135, 137, 138, 140 Smith, Kate 60 Smith, Mamie 237, 246 Smith, Whispering Jack 19, 130-132, 135, 137, 138, 140 Smoky Mountain Boys and Girls, The 312 »Soft-Rock« 130 »Soldier Boy« 449 »Soldier’s Sweetheart« 311 »So Long Sammy« 38 »Some of These Days« 93-95, 432 »Song to Woody« 298 Son House (Eddie James House) 236, 255, 257 Soul 20, 63, 426, 455 Soul Brothers 371 Soul Music 16, 51, 196, 228-230, 267, 268, 371-374, 383, 385, 386, 394, 410, 418, 420-423, 451 »Soul on Fire« 396, 397 Soul Stirrers, The 21, 376, 379, 380, 401, 402, 404-408, 420 Sousa, John Philip 24 Southern Gospel 354 »South of the Border« 315, 316 Specialty Records 340, 342, 347, 375, 377, 383, 402, 405, 406, 408, 415 Spector, Phil 449 Speir, Henry C. 236 Spiritual 411 »S’posin« 139 Springfield, Dusty 272 Stafford, Jo 328 Stanley, Douglas 137 Starr, Kay 46, 328 Stax Records 374 »Steel Guitar Blues« 313 Steffens, Lincoln 35

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Stimme, Kultur, Identität Stern, Bert 164 St. Louis 26, 33, 348 »St. Louis Blues« 246, 250, 288, 289 Stoller, Mike 388, 442 Stone, Jesse 442 »Stop, Look and Listen« 330 »Strange« 331 »Summertime« 288 Sun Records 354, 356-360 Supremes, The 444, 451 Surf Music 451 Swing 29, 350, 435 syllabisch 353 T Talking Blues 53, 284, 285, 298 »Talking New York« 284, 298 »Talkin Union« 284 »Tammy« 411, 413, 420 Tampa Red (Hudson Whittaker) 20, 241, 242, 260, 263, 267 Tarbell, Ida 35 Tatum, Art 386 Taylor, Zola 447 »T.B. Blues« 288 Tear 53, 63-65, 309, 310, 313, 315, 318320, 324, 328, 330-332, 346, 347, 353, 365, 379, 380, 387, 389, 391393, 398, 399, 423 »Tears at My Pillow« 446 Teenagers, The 443-445 »Tell Me Why« 365 Temptations, The 451 »Tennessee Waltz« 325, 415 Texaco Star Theatre 31 Texas Blues 240 Tharpe, Rosetta 20, 220-225, 377 »That Lovin’ Rag« 95, 96 »That Lovin’ Traumerei« 100-102 »That’s All« 222, 224, 225 »That’s Alright Mama« 358, 364 »That Wonderful Someone« 328 »The Bells Of St. Mary’s« 411 The Bell Telephone Hour 31 The Big Beat 446 The Birth of a Nation 37 Blind Boys of Mississippi, The 21 The Bob Hope Show 184 »The Bourgeois Blues« 279

»The Chill Is On« 266 The Colgate Comedy Hour 185 The Dinah Shore Chevy Show 31 »The Great Pretender« 442 »The Great Speckled Bird« 322 The Hollywood Palace Show 191 The Hollywood Revue of 1929 112 The Jazz Singer 79, 101 The Judy Garland Show 31, 187, 188 »The Last Mile« 409 »The Last Mile of the Way« 405 »The Little Old Log Cabin In The Lane« 306 The Lonely Crowd 44 »The Lonesome Road« 140 The Man in the Gray Flannel Suit 44 The Milton Berle Show 369 »The Moon Shines on the Moonshine« 85 »The Music Goes ’Round and Around« 433 »The One Thing I Know« 201 The Patti Page Oldsmobile Show 31 The Patti Page Show 31 »The Prodigal Son« 313 »There’s Not a Friend Like Jesus« 218 »The Riddle Song« 415 The Rosemary Clooney Show 186, 188 »The Spaniard That Blighted my Life« 101 »The Spaniard That Blighted My Life« 102 »The Spaniard That Blightened My Life« 102 The Steve Allen Show 31 The Time of Your Life 119 »The Trolley Song« 187 »The Wreck of John B« 288 »Think« 422 »Thirty Days« 350 »This Land Is Your Land« 285 »This Little Girl of Mine« 387, 388, 391 »This Love Of Mine« 147 Thomashefsky, Boris 91 Thompson, Fred 113 Thompson, Hank 322 Thornton, Big Mama 400, 441, 448 »Tight Like That« 260, 264, 266 Till, Emmett 43

Register Til, Sonny 438, 441 Tin Pan Alley 24, 27, 70, 92, 148, 228, 237, 242, 244, 246, 288, 303, 320, 326, 328, 332, 436, 437, 441, 443 »Together (We Will Always Be)« 350 »Tom Dooley« 272, 279, 451 »Tomorrow Night« 358, 360 »Too Close« 418 »Too Close to Heaven« 384 »Too Much« 365 »Too Much Monkey Business« 359 Torch Singing 18, 456 Torch Song 19, 60, 151, 152, 157, 161, 163, 168 Tormé, Mel 183, 187, 188 Tours, Frank 98 »To Whom It May Concern« 139, 142 »Tra La La« 396 Travis, Merle 358 Tremolo 137 Truman, Harry S. 42, 183 »Try Me« 400 Tubb, Ernest 318 Tucker, Ira 376 Tucker, Sophie 18, 76, 92, 94-98, 109 Turner, Big Joe (Joseph Vernon Turner) 57, 266, 267, 337, 441 »Turn the Cards Slowly« 330 »Tutti Frutti« 340, 344-347, 352, 364, 367 Twain, Mark 34 Twang 56, 59, 71, 168, 220, 222, 225, 264, 292, 296, 316, 328, 351 Twitty, Conway 272 »Two Whoops and A Holler« 327 »Tzena, Tzena, Tzena« 288 U »Unhappy Blues« 255 »Unlucky Blues« 96 Upsetters, The 339 V Vagabounds, The 436 Vallée, Rudy 19, 60, 130, 136-140, 143, 144, 149, 151, 366 Vallée, Rudy and His Connecticut Yankees 138 Vanguard Records 292

Vaudeville 18, 19, 26, 29, 49, 75-80, 9193, 104, 105, 109, 111, 118, 157, 176181, 237, 238, 241-243, 267, 284, 425, 431, 455 Vaudeville Blues 20, 167, 168, 234, 240242, 244, 248, 255-267, 268, 419 Vaughan, Sarah 19, 60, 129, 150, 151, 155, 159-161, 168 »Vaya con dios« 315 Verdi, Giuseppe 71 Vibrato 64, 99, 101, 102, 104, 107, 109, 133, 134, 136, 137, 140, 143, 146, 157, 162, 166, 167, 181, 182, 211, 212, 217, 220, 222, 244, 247, 250, 252, 267, 280, 289, 290, 291, 293, 296, 299, 314, 320, 321, 324, 328, 329, 331, 332, 341, 342, 344, 345, 352, 363, 379, 380, 381, 384, 389, 391, 397, 398, 402, 403, 405, 412, 423 Victor Records 27, 118, 304 Vincent, Gene 359 Vocalese 436 Vokalise 69, 164, 358 Volt Records 374, 375 W »Wabash Cannon Ball« 313 Wagner, Richard 71 »Walking After Midnight« 326, 328 »Walk Right in« 300 Waller, Fats 39 Ward, Billy 439 Ward, Clara 387 Ward Singers, The Clara 376 Washington 440 Washington, Booker T. 36 Washington D.C. 441 Washington, Dinah 20, 227, 228 Waters, Ethel 18, 66, 67, 76, 104, 106109, 249 Waugh, Evelyn 145 Weavers, The 272, 280, 287-291, 451 »Wednesday Evening Blues« 258, 261 »Wee Wee Hours« 350 Weill, Kurt 113, 115 Wells, Kitty 20, 304, 308, 322-324, 326, 328, 331 »We Shall Overcome« 291

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Stimme, Kultur, Identität West, Hedy 292 Wexler, Jerry 337, 386, 387, 420, 421, 442 »What’d I Say« 392-395, 417, 418 »When It Rains« 365 »When It Really Pours« 361 »When the World’s on Fire« 285 »When You Come Back to Me« 442 »Where Have All the Flowers Gone« 290 Whitaker, Hudson 260 Whitaker, Jess 386 »White Christmas« 145 White, Cliff 408, 410 White Horse Inn 119 White, Josh 287 Whiteman, Paul 143, 432 »Whole Lotta Shakin’ Goin’ on« 345, 360 »Why Do Fools Fall in Love« 444, 445 Whyte, William H. 44 »Why There’s a Tear in My Eye« 308 »Wild Wide of Life« 322 »Wildwood Flower« 296, 305, 308 Williams, Bert 18, 76, 80, 82-88, 109, 238, 430 Williams, Hank 20, 304, 309, 318-324, 328, 329 Williams, Tony 442 Wills, Bob 331 Wills, Bob & The Texas Playboys 350 »Will You Love Me Tomorrow« 449 Wilson, Jackie 336, 375, 439 Wilson, Sloan 44 Wilson, William J. 98 Wilson, Woodrow 37 »Wimoweh« 288 Winley, Harold 440 Witherspoon, Jimmy 352 »With God on Our Side« 294 Wolff, Hugo 71 »Wonderful« 405 »Wreck on the Highway« 312, 313 Wright, Billy 338 Wright, Pearl 104 Wynn, Henry 400

Y »Yes We Have No Bananas« 102 »You Are My Sunshine« 288 »You Are My Sweetheart« 448 »You Can’t Catch Me« 350, 351 »You’ll Be Crying« 399 »Young and Beautiful« 365 Young, Dave 228 »Your Cheatin’ Heart« 319, 320, 325, 328 »You’re a Heartbreaker« 361 Your Hit Parade 31 »You Send Me« 408-412, 414-416, 420 Z Ziegfeld Follies 76, 80 Zinnemann, Fred 46

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