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German Pages 271 [272] Year 1976
STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR
Band 45
Herausgegeben von Wilfried Barner, Richard Brinkmann, Friedrich Sengle und Klaus Ziegler
Friedrich Strack
Ästhetik und Freiheit Hölderlins Idee von Schönheit, Sittlichkeit und Geschichte in der Frühzeit
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1976
CIP-KuTztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Strack, Friedrich Ästhetik und Freiheit : Hölderlins Idee von Schönheit, Sittlichkeit u. Geschichte in d. Frühzeit. - 1. Aufl. - Tübingen : Niemeyer, 1976. (Studien zur deutschen Literatur ; Bd. 45) ISBN 3-484-18040-4
ISBN
3-484-18040-4
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1976 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany.
Vorbemerkung
Die vorliegende Arbeit ist die veränderte Fassung meiner Dissertation:
Hölderlins früher Schönheitsbegriff. - Die Verbindung von Ästhetik und Moral in der Auseinandersetzung mit Schiller, Kant und Plato. - Sie wurde im Wintersemester 1970/71 von der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen. Professor Dieter Henrich hat die Arbeit in einem Seminar über Hölderlins philosophische Fragmente angeregt. Seine späteren Übungen zu Kants Ethik und zur Ästhetik sind meiner eigenen Fragestellung sehr zugute gekommen. Auch wenn die Grundthese dieser Untersuchung mit Henrichs Hölderlin-Studien letztlich nicht mehr zu vereinbaren ist, verdanke ich diesen entscheidende Impulse. Dafür - und für seine kritische Prüfung habe ich Professor Henrich herzlich zu danken. Danken möchte ich auch Professor Herbert Anton, der mir in Gesprächen und Seminaren viele Anregungen gab und der die Arbeit mitbetreute. Nicht zuletzt gilt mein Dank den Professoren Arthur Henkel und Peter Michelsen, die mir den bedächtigen Umgang mit Texten als Aufgabe deutlich gemacht haben. Professor Walter Müller-Seidel, der die Veröffentlichung der Arbeit gefördert hat, danke ich ebenfalls. Heidelberg, Dezember 1975
Friedrich Strack
Inhaltsverzeichnis
EINLEITUNG
1
1 . K A P I T E L : EXPOSITION DER FRAGESTELLUNG
9
I. »Ästhetisches Urteil« und »moralisches Gefühl« - Die Voraussetzungen des Mottos der »Hymne an die Schönheit« (1,152)
9
Interpretationsprobleme - Das ästhetische Urteil in Kants »Kritik der Urteilskraft« - Das moralische Gefühl als Grundlage des ästhetischen Urteils bei Hölderlin - Die »Verwandtschaft« von ästhetischem Urteil und moralischem Gefühl bei Kant - Das moralische Gefühl als Wirkung des moralischen Gesetzes bei Kant - Folgerungen für Ästhetik und Moral bei Hölderlin II. »Von der Schönheit als Symbol der Sittlichkeit« - Zum § 59 der Kritik der Urteilskraft Rezeptionsprobleme - Kants Begriff des »Symbols« - Kants »symbolische« Verknüpfung von Schönheit und Sittlichkeit - Schillers Folgerungen und die Folgen 2 . K A P I T E L : » D A S M O R G E N T O R DES S C H Ö N E N «
-
Zu
22
SCHILLERS
ÄSTHETISCHEN PRINZIPIEN
27
I. Schein der Freiheit und Freiheit in der Erscheinung Die Bedeutung von Schillers Schönheitstheorie für Hölderlins Ästhetik - Schillers BegrifTsakrobatik - Die Grundlage der Übertragung moralischer Prinzipien in die Ästhetik
27
II. Anmut als Ausdruck einer »schönen Seele« Schillers schöne Sittlichkeit - Das Aufbauprinzip von »Anmut und Würde« - Die »Temperamentstugend«
32
III. Die »architektonische Schönheit« als Naturschönheit Ihre ausschließliche Naturbestimmtheit - Ihre Vernunftabhängigkeit - Der komplexe Begriff der »Vernunftidee« - Schillers ästhetische Prinzipien - Folgerungen für Hölderlin
35
3 . K A P I T E L : D A S G E S E T Z DER F R E I H E I T -
HÖLDERLINS VERSUCH
EINER G R U N D L E G U N G DER Ä S T H E T I K IN W A L T E R S H A U S E N
43
I. »Über das Gesetz der Freiheit« (Text nach STA IV, 2 1 1 - 1 2 )
43
II. Analyse des Fragments 1. Vorbemerkungen zur Forschungslage und zum systematischen Ort des Fragments (44) 2. Einbildungskraft im »Gesetz der Freiheit« (48) 3. Produktive und reproduktive Einbildungskraft bei Kant (52) 4. Die ästhetisch produktive Einbildungskraft bei Kant (52) 5. Einbildungskraft und Phantasie im »Gesetz der Freiheit« und den frühen Dokumenten (73) 6. Der Begriff des Begehrungsvermögens im »Gesetz der Freiheit« und bei Kant (80) 7. Die Bedeutung von »Anmut und Würde« für das »Gesetz der Freiheit« (86) 8. Schillers Matthisson-Rezension und das »Gesetz der Freiheit« (93) 9. Der letzte Absatz des Fragments und seine Bedeutung für dessen Anfang (101)
44
4 . K A P I T E L : H Ö L D E R L I N S K A N T - K O N T R O V E R S E IN W A L T E R S H A U S E N . .
107
I.
Die ästhetischen Ideen bei Kant und Hölderlin Die Abgrenzung von ästhetischer Idee und Vernunftidee in der Urteilskraft - Ambivalenzen in Kants Erläuterungen - Hölderlins teleologische Konzeption der ästhetischen Idee
107
II. Probleme in Kants Erklärung des Kunstschönen Die notwendige Voraussetzung eines Begriffs - Die Naturschönheit als ästhetische Idee - Die Lust am Na'tur- und am Kunstschönen - Geist als Prinzip ästhetischer Ideen - Die Problematik von Kants Genielehre
112
III. Hölderlins Umwandlung der Kantischen Geschmackslehre in eine Produktionsästhetik Das Prinzip der Gestaltung - Das Vermögen des Geistes IV. Hölderlins »Vereinfachung« von Kants Lehre des Schönen und Erhabenen Kants Verbindung des Erhabenen mit dem Moralischen: a) terminologische Parallelität in der Behandlung des Erhabenen und Kunstschönen; b) Unstimmigkeiten in Kants moralischer Deutung des Erhabenen; c) Folgerungen für sein Verhältnis zur Kunst Hölderlins »Korrektur«: a) Die Verbindung von Erhabenem, Kunstschönem und Naturschönem; b) Probleme der »Vielseitigkeit« einer neuen Lehre vom Schönen und Erhabenen VIII
118
122
5 . K A P I T E L : D I E B E D E U T U N G DES PLATONISCHEN P H A I D R O S FÜR H Ö L DERLINS FRÜHE SCHÖNHEITSLEHRE
128
I. Die Platonisch-Kantische Wechselbeziehung Die Ideen des Schönen und des Guten bei Plato - Hölderlins Aufsatzplan als »Kommentar« zum Phaidros - Hölderlins transzendental-philosophische Interessen am Phaidros - Die doppelte Perspektive in der Platonisch-Kantischen Beziehung
128
II. Piatos Phaidros und die ästhetischen Ideen Der »Widerruf« des Sokrates - Vier Arten des »Wahnsinns« Der Lobpreis des Eros - Die metaphysische Kraft des Schönen und die der ästhetischen Ideen - Der Vorschein des Guten - Der heilsgeschichtliche Ort des Schönen
134
III. Rückblick auf Hölderlins Kantisch-Platonische Beschäftigungen und auf das Motto der »Hymne an die Schönheit«. . Das Moralische Gefühl - Die »Auslegungsgabe« - Die »figürliche« Sprache der Natur - »Kunstlose Zweckmäßigkeit« als Stil des Naturschönen
141
6 . K A P I T E L : D I E M A C H T DER N E M E S I S UND DAS PROBLEM DER S T R A F E IN HÖLDERLINS FRÜHEM D E N K E N
I. »Über den Begriff der Straffe« (Text nach STA IV, 214 - 15) II. Analyse des Fragments 1. Der Stellenwert des Fragments in Hölderlins Denken (148): a) Seine Beurteilung in der Forschung; b) Der kulturhistorische Hintergrund; c) Der Argumentationsgang 2. Die Quellen für Hölderlins Argumentationsweise (157): a) Der Abschnitt über die Strafwürdigkeit in Kants Kritik der praktischen Vernunft (§ 8); b) Die Glückseligkeitsprinzipien; c) FichtisierendeAusbruchsversuche;d)Erkenntnisgrund und Realgrund; e) Die »Voraussetzung« des sittlichen Prinzips; 0 D e r Zusammenhang mit Kants Schrift »Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte«; g) Hölderlins Erziehungsprinzipien; h) Der Grund des .Abfalls und der Strafe; i) Das Ziel des Geschichtsverlaufs 3. Der Begriff der Strafe und der Platonische Phaidros (174): a) Nemesis und Adrasteia; b) Das Gesetz der Adrasteia; c) Der heilsgeschichtliche Mythos und die exzentrische Bahn 7 . K A P I T E L : D I E EXZENTRISCHE B A H N
I. Ihre theoretische Grundlegung Die Forschungslage - Hölderlins Begründung der exzentrischen Bahn: a) Im Vorwort des Thalia-Fragments; b) Im Vorwort der vor-
147
147 148
179
179
IX
letzten Fassung des Hyperion; c) Die »Zurechtweisung«; d) Die »Exzentrizität« - Quellen für Hölderlins Begründung der exzentrischen Bahn: a) Kants »Allgemeine Naturgeschichte«; b) Kants »Idee zu einer allgemeinen Geschichte«; c) Karl Philipp Moritz' »Bestimmung der Tatkraft«; d) Piatos »Phaidros« II. Hyperions »exzentrischer« Weg (Analyse des ThaliaFragments) Die Struktur des Fragments: a) Die »Umkehr« zu Beginn des Romans und das Ixion-Motiv; b) Reflexion und Progression Hyperions - Die Doppelperspektive des Thalia-Fragments - Das Vergangenheitsgeschehen: a) Hyperions »Irrungen«; b) Melites »Zurechtweisung«; c) Die Homer-Feier und das Prinzip der »Umkehr«; d) Hyperions unbewußte Neugeburt; e) Der Sinn der Rom-Reise Hyperions; f) Die Koinzidenz von Vergangenheit und Gegenwart Das Gegenwartsgeschehen: a) Die Entwicklung Hyperions auf der Heimreise; b) Die Symbolik der Heimreise; c) Die Unterdrückung des Gegenwartsberichts; d) Die mythologische Symbolik im letzten Brief - Der Anspruch des Thalia-Fragments: a) Zusammenfassung der Strukturmerkmale; b) Der Kontext des Thalia-Fragments; c) Das Problem der Loyola-Sentenz; d) Der Abschluß von Hölderlins kantianisierender Periode 8 . K A P I T E L : H Ö L D E R L I N S A B K E H R VOM KANTISCHEN R I G O R I S M U S
-
D A S Z I E L DER » G O L D E N E N M I T T E «
I. Die neue Grundlegung der Jenaer Hyperion-Fragmente . . . Die »Umbildung der Materialien«: a) Der Einfluß von Fichtes praktischer Wechselbestimmung; b) Die Bedeutung der »Ästhetischen Briefe« Schillers - Die »Hilfe der Natur«: a) Die Bereitschaft zur Rezeptivität; b) Die natürliche Schönheit - Die Modifikation der exzentrischen Bahn: a) Der Widerstreit der Kräfte; b) Ihre »Krümmung« - Der neue Liebesbegriff: a) Die Bedeutung des Platonischen »Symposion«; b) Die Namensänderung der Frauengestalt Die »Irrungen der Liebe« - Die »Selbstkritik« zu Beginn der Jenaer Fragmente - Das Vorbild der »Hören« II. Hölderlins Rivalität mit Schiller in Waltershausen und seine »Umkehr« in Jena Das Problem der Bewertung des Thalia-Fragments: a) Hölderlins »Besorgnisse«; b) Schillers Resonanz - Der Wille zur Übertretung Schillers in Waltershausen - Schillers Wirkung in Jena - Die Frankfurter Perspektive Literaturverzeichnis
X
197
221
221
236
245
Einleitung
Wer sich heute mit Hölderlin und der Hölderlin-Forschung auseinandersetzt, muß ernüchtert feststellen: die Fülle der Literatur ist erdrükkend, ihre Methodik verwirrend und ihr Anspruch beängstigend. Bei ungebrochener Faszinationskraft Hölderlins bleibt das Spektrum der wissenschaftlichen Ausbeute unübersichtlich; es zeigt eine Skala von Resultaten ohne gemeinsamen Nenner. Zum einen werden präzise Analysen häufig durch die plakative Leuchtkraft verfremdeter Hölderlinbilder verdeckt; zum andern bleiben subtile Einzelstudien ohne Resonanz, weil sie spezialisiertes Fachwissen voraussetzen; darüberhinaus verstellen nicht selten modische Fachtermini wichtige Sachfragen. Solche Voraussetzungen fördern Trivialisierungen. Ihnen zu begegnen, ist eine der heikelsten Aufgaben gegenwärtiger Hölderlin-Forschung. Doch steigert die zunehmende Differenzierung nur deren Hermetik und erschwert eine Integration der Einzelergebnisse. Mit raschen Verallgemeinerungen aber ist dem komplizierten Entwicklungsgang Hölderlins noch weniger gedient. - In diesem Zwiespalt hat die Hölderlin-Forschung keine Wahl: sie bleibt vorerst auf mikroskopische Kleinarbeit angewiesen. Wurde Hölderlins Dichtung erst zu Beginn dieses Jahrhunderts >entdeckt< - aber in der Folge national strapaziert, so kamen wesentliche Forschungsimpulse nach dem zweiten Weltkrieg von philosophischer Seite: die Analyse der poetologischen Schriften Hölderlins versprach neue und sachliche Aufschlüsse auch über seine Dichtung. Obgleich auf diesem Wege eigentümliche Baugesetze seiner Poesie entdeckt wurden, sind die Resultate der Erforschung des gesetzlichen Kalküls< hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Sie haben aber Begründungsprobleme aufgeworfen, die dazu auffordern, die verwickelten Abhängigkeitsverhältnisse von Hölderlins philosophischem Bildungsgang gründlicher zu durchleuchten. Indessen hat die politisch engagierte Deutung Hölderlins in den letzten Jahren das Feld der Forschung für sich in Anspruch genommen. Sie kam gerade noch früh genug, um dem Dichter zum 200. Geburtstag die Jakobinermütze überzustreifen. Deren Gewebe jedoch war mit zu vie1
len Maschen durchsetzt, als daß es sich lohnte, sie noch einmal aufzunehmen. Auch Peter Weiss' Hölderlinbild bedürfte in diesem Zusammenhang einer Revision, wäre ihm nicht durch den >Kunstcharakter< vom Autor das Siegel der Immunität verliehen. So hat die Forschung ein Privileg zu achten, das dem aufklärenden Anspruch seines Verwalters nicht gerade förderlich ist. Trotz provozierender Impulse läßt die sozialkritische Deutung Hölderlins keine nachhaltige Wirkung erwarten. Sein politisches Engagement bleibt zwar unbestritten; aber es ist nur im Rahmen einer umfassenden »Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten« (Brief 132) zu begreifen. Dieses Faktum fordert eine neue Auseinandersetzung mit Hölderlins philosophischen Grundlagen. Sie lassen erkennen, daß die >Revolution< der Kantischen Philosophie Hölderlin stärker geprägt hat als alle »politischen Verhältnisse und Mißverhältnisse« (Brief 229). Ging Ludwig Strauß noch von der toposhaften Vorstellung aus, der sensible Dichter sei unfähig, nüchtern zu philosophieren, so ist diese Ansicht zumindest für Hölderlin widerlegt. Wenn er die Philosophie als »Tyrannin« fürchtete (Brief 117), so nicht aus Verachtung, sondern weil er sich ihrem »Zwang« (ebd.) nicht entziehen konnte. »Philosophie mußt Du studieren«, so schreibt er dem Bruder 1796, »und wenn Du nicht mehr Geld hättest, als nöthig ist, um eine Lampe und Öl zu kaufen, und nicht mehr Zeit, als von Mitternacht bis zum Hahnenschrei. Das ist es, was ich in jedem Falle wiederhole...' (Brief 126). So wird man Hölderlins Nachtbeschäftigung nachgehen müssen, wenn man seiner Dichtung auf den Grund kommen will. Bisher hat es sich nicht als förderlich erwiesen, die poetologischen Spättexte, die auch die gedanklich umfassendsten sind, zum Ausgangspunkt der Analyse zu nehmen. Damit konnte Hölderlins Denken weder in seiner systematischen Geschlossenheit, noch in seiner folgerichtigen Genese angemessen rekonstruiert werden. Die Aufklärung vieler terminologischer Schwierigkeiten und Gedankensprünge blieb verwehrt, weil man die Quellen mißachtete, auf die sich die späteren Texte vielfach beziehen. So liegt es nahe, von bescheideneren Versuchen Hölderlins, von seinen Entwürfen >Über das Gesetz der Freiheit< und >Über den Begriff der StrafeGesetz der Freiheit kann sogar als Versuch gelten, die (im romantischen Sinne) »moderne« Kunst apriorisch zu begründen. Das ist um so bemerkenswerter, als Schillers Schrift >Über naive und sentimentalische Dichtung< sowie Friedrich Schlegels >StudiumDas Höchsteo »Suchst du das Höchste, das Größte? / Die Pflanze kann es dich lehren. / Was sie willenlos ist, / sei Du es wollend
- d a s ist's!« -
Den Strom pietistisch-empfindsamen Seelenüberschwanges, der ihn trägt und bestimmt, versucht Hölderlin mit Kantischen Bausteinen einzudämmen, - eine der paradoxesten Konstruktionen, die die Literaturund Philosophiegeschichte hervorgebracht haben. 3
So wird es begreiflich, daß Hölderlin in Waltershausen, ohne seine Naturbegeisterung verleugnen zu müssen, Kants rigoristischem Vernunftideal - im Gegensatz zu Schiller - huldigen konnte, auch wenn er es in den ästhetischen Gedankenhorizont transponierte; das >Gesetz der Freiheit wird ihm zur maßgebenden Regel des moralischen Handelns und der poetischen Synthesis, weil vernünftiges Wollen und selbstbewußte Aktivität zu dieser Zeit für ihn ein- und dasselbe sind. Die Forderung nach Autonomie, die aus Kants Moral abgeleitet, aber unter einem forcierten Aufklärungsanspruch ins Gegenteil verkehrt wurde, bedingte eine Inflation der Selbstbestimmung, die auch die Ästhetik erfaßte und im Gewand moralischer Pflichterfüllung erscheinen ließ. So wird im Zuge dieser freieren Handhabung ethischer Prinzipien durch Kants Nachfolger, bei der die englische »moral-sense«-Tradition in der Vermittlung durch Hemsterhuis eine wichtige Rolle spielte, dessen Moralphilosophie zu einer umfassenden Produktionstheorie umgestaltet. Der Terminus »moralisch« gilt dabei - weit über Hölderlin hinaus - als Chiffre für die Selbsttätigkeit des Geistes unter Zweckbegriffen überhaupt und kennzeichnet die neuentdeckte Produktivkraft der Vernunft, die von Rousseau proklamiert und von Kant gesetzlich bestimmt worden war. Sie hätte ohne weiteres mit dem Instrumentarium der Urteilskraft beschrieben werden können; da dort aber die Autonomie nicht gesichert war und Kant selbst mysteriöse Andeutungen über die Vereinigung der menschlichen Grundkräfte im »Innern des Gemütes« gemacht hatte, wurde seine Moral zum Steinbruch einer neuen, außerordentlich wirkungsträchtigen Theorie. Man glaubte, seinen formalen Begründungszusammenhängen zu genügen, transponierte sie aber unter dem Anspruch »reiner Vernünftigkeit« ins Technisch-Praktische, das Kant mit Nachdruck vom Moralisch-Praktischen zu unterscheiden sich bemühte (Urteilskraft, Einleitung Xllff). Ehe diese teminologischen Schwierigkeiten, die sich bei der inadäquaten Übertragung Kantischer Moralbegriffe auf die Ästhetik ergaben, nicht geklärt sind, bleibt jeder Versuch einer Ableitung frühromantischer Kunstanschauung aus der Ethik ohne Fundament. Die Versuche Friedrich Schlegels, eine »neue Moral zu stiften«, oder die »magische« Tätigkeit des Dichters bei Novalis, die er auch als »Moralisieren« verstand, sind deshalb nur Modifikationen ein- und desselben Anspruchs der Vernunft, ihre Autonomie zu gewinnen und ihre Aktivität unter eine Gesetzmäßigkeit zu stellen, von der man vermeintlich annahm, daß die Kantische Moral sie bereitstellte. Dieser Adaptionsprozeß, der mit der Fixierung der Regeln der produktiven Einbildungskraft zusammenfällt, ist an Hölderlins >Gesetz der Freiheit< unmittelbar 4
zu verfolgen; deshalb wird das Fragment zu einem der wichtigsten und frühesten Dokumente - nicht nur in der Geschichte der Übertragung ethischer Prinzipien auf die Ästhetik - sondern auch der Begründung des konstruktivistischen Geistes überhaupt: An seinen Explikationsversuchen ist der Umschlag von der Nachahmungskunst zur Produktionskunst ebenso zu begreifen, wie die Wende zum technologischen Denken, das am Morgen seiner Inthronisierung um so leichteres Spiel hatte, als es sich auf die Zeugenschaft der Moral berufen konnte. Hölderlins Fragment markiert unter diesen Voraussetzungen gleichsam das Nadelöhr, durch das die ethisphe Freiheit der praktischen Vernunft sich zwängen mußte, um in der nachkantischen Periode als autonome, aber diktatorische Freiheit ihre Forderungen anzumelden. So kann der erste Teil dieser Arbeit (einschließlich Kap. 3) gelesen werden als ein Beitrag zur Deutung des produktiven Mißverständnisses der Kantischen Moral, das für die Kunst, ebenso wie für die Ethik, außerordentliche Folgen hatte. Kants »Schlußstein« der Philosophie, die Freiheit (KpV, Vorrede), wurde im Zuge dieser Umschichtung als Stein der Weisen gepriesen; aber unter dem Gesichtspunkt der Kantischen Moral ermangelten die Weisen dem Stein. Sie veräußerten eine Substanz, deren soziable Potenzen bis heute ungenutzt blieben. Auch Adornos scharfsinnige Kritik in »Negative Dialektik« bleibt - da sie letztlich Freiheit mit Selbstbewußtsein identifiziert - blind für die gemeinschaftsbildende Kraft der Kantischen Ethik. Schiller nimmt im Zuge der Übertragung Kantischer Moralprinzipien auf die Ästhetik eine Schlüsselstellung ein. Deshalb ist seine Theorie, soweit sie für Hölderlins Waltershäuser Gedankengänge eine Rolle spielt, nicht zu umgehen. So werden nach der Exposition der Arbeitshypothese am Kantmotto (das Hölderlin der zweiten Fassung seiner >Hymne an die Schönheit< voranstellt) und am § 59 der >Kritik der Urteilskraft (»Die Schönheit als Symbol der Sittlichkeit«) die Grundlinien von Schillers Schönheitskonzeption unter Kantischem Einfluß zuerst behandelt: Nur die Kalliasbriefe und >Anmut und Würde< kommen hier in Betracht, da die ä s t h e t i schen Briefe< nach Hölderlins Aufenthalt in Waltershausen veröffentlicht sind und damit erst in einer neuen Entwicklungsphase für Hölderlin Bedeutung gewinnen. Neben der theoretischen Vorbereitung sollte für die hier vorgelegte Darstellung der Schillerschen Schönheitslehre Hölderlins Beurteilungsstandpunkt ausschlaggebend sein. Er kannte die Diskussion, die Schiller mit Kant über den Begriff einer >schönen Sittlichkeit< führte und hat sie in seinen eigenen ästhetisch-moralischen Reflexionen berücksichtigt 5
Im Brief an Neuffer vom 10. Oktober 1794 kündigt er eine Kritik und Überbietung Schillers an; allein aus diesem Grund kann auf die Wiedergabe von Schillers Kunstanschauung nicht verzichtet werden: Sie gewährt indirekt Aufschluß über Hölderlins eigene ästhetische Theorie. Dabei genügt es nicht, eine Unschlüssigkeit in Schillers »Ausdrucks«Lehre zu konstatieren; sie ist vielmehr an der Disproportion zu ihren Vorlagen zu messen. Beachtet man die Quellen, die Hölderlin im >Gesetz der Freiheit heranzieht, so wird es wahrscheinlich, daß das Fragment als ein Vorentwurf oder als ein Bruchstück des Aufsatzes über die ästhetischen Ideen< zu gelten hat, den er in dem erwähnten Brief an Neuffer ankündigt. Da dieser Aufsatz ein »Kommentar« zum Platonischen >Phaidros< werden sollte, läßt sich über die Brücke des Neuffer-Briefes Hölderlins Interesse an Plato im Zusammenhang seiner Kantstudien einsichtig machen. Auch hier ist das einseitige Urteil zu revidieren, Hölderlin habe mit platonischen Argumenten versucht, seine kantische Phase zu überwinden. Er hält nach wie vor am rigoristischen Anspruch fest, glaubt ihm allerdings durch die sinnlich-erotische Kraft der Philosophie Piatos eine adäquate Antriebsstruktur geben zu können. Er harmonisiert damit beide, so daß Kants selbstbewußte Tatkraft und die platonische Begeisterung durch den Eros in Einklang stehen. Dieser eigentümliche Brückenschlag zwischen antiker und moderner Philosophie kündigt eine erste Wechselwirkung griechischen und hesperischen Geistes in Hölderlins Denken an, die als sein Beitrag zur >Querelle des anciens et des modernes< gewertet werden darf. Inwieweit Hölderlin den platonischen Theoremen gerecht wird, kann hier nicht in gleicher Weise verfolgt werden wie in bezug auf Kant. Doch wären wahrscheinlich - bedingt durch die platonisierende Tradition, die Hölderlin vertraut war - ähnlich gravierende Modifikationen festzustellen, wie sie bei der Rezeption der Kantischen Lehre zutage treten. Hölderlins Beziehung zu Rousseau ist in mehreren Einzelstudien erfaßt. Da Kant selbst Rousseau verehrte und als Lehrer anerkannte, sind dessen Prinzipien in Hölderlins Kantstudien aufgehoben. Sie bedürfen hier keiner ausdrücklichen Untersuchung. Kant, Schiller und Plato bilden somit die tragenden Pfeiler, auf denen Hölderlin in Waltershausen sein ästhetisches Gebäude errichtet. Über den Neuffer-Brief sind sie miteinander verstrebt, so daß dieser - neben dem >Gesetz der Freiheit - zu einem der wichtigsten Dokumente für Hölderlins frühen Schönheitsbegriff werden kann. 6
Daß die Abhandlung >Über den Begriff der Strafe< in engem Zusammenhang mit Hölderlins Waltershäuser Gedankenexperimenten gesehen werden muß, soll der zweite Teil der Arbeit erweisen. Dieser Entwurf komplettiert die Fragestellung im >Gesetz der Freiheit insofern, als hier die Möglichkeit der Erkenntnis des Sittengesetzes, das - wie angedeutet - beim frühen Hölderlin sowohl für das Handeln als auch für die Kunst Geltung beansprucht, zur zentralen Frage wird. Die Lösung dieses Problems allerdings mußte nach Kants Erörterungen in der »Kritik der praktischen Vernunft< und in der »Metaphysik der Sitten< fragwürdig bleiben; um so mehr läßt sich gerade hier noch einmal Hölderlins einseitiges Interesse an Kants Sittenlehre herausstellen: Es fordert eine Synthese mit Kants Geschichtsentwürfen, die Hölderlins eschatologisches Denken weitgehend bestimmen. Überraschenderweise ergibt sich dabei auch eine neue theoretische Grundlegung der viel diskutierten »exzentrischen BahnHyperion< macht deutlich, daß Hölderlins Denken mit seinem Dichten bereits zu dieser Zeit enger verflochten ist, als man infolge der wenigen Belege bisher wahrnehmen konnte. Ein Blick auf die Jenaer Hyperion-Fragmente zeigt weiterhin, daß Hölderlins frühe kantische Entwicklungsphase in Waltershausen ihren Abschluß findet. Die neuen Hyperion-Entwürfe beruhen nicht mehr auf den gleichen Voraussetzungen wie das Thalia-Fragment und müssen deshalb von diesem deutlich abgesetzt werden. Unter Schillers und Fichtes Einfluß - nicht gegen ihn - entwickelt Hölderlin in Jena einen neuen Schönheitsbegriff, der sich in den Hyperion-Fragmenten niederschlägt. Fichtes Begriff des »absoluten Ich« ist dafür weniger maßgebend, als derjenige der »Wechselbestimmung«, der freilich unter Schillers Vermittlung eine neue Form annimmt. Seine Impulse wirken weiter bis in Hölderlins Frankfurter Zeit und bedingen die mehrfache Umarbeitung des >HyperionHymne an die Schönheit< gar nicht als versuchte Anlehnung o d e r als flüchtiges Mißverständnis, sondern vielmehr als polemische Replik Kant g e g e n ü b e r zu lesen. Sie ist ein Wink für die spezifische Weise der Kantrezeption, die sich unter der Leitung des »Kantischen enrage« Diez - wie ihn Leutwein nennt - im Tübinger Stift auszubreiten begann. 3 So lohnt es sich hier, einen Blick auf Schillers eigene ästhetischen Prinzipien zu werfen, sofern sie eben dieses Problem der Verbindung von Ästhetik und Moral betreffen. D o c h sind unseren Ausführungen G r e n z e n gesetzt: Zum einen repräsentiert >Anmut und Würde< eine relativ späte Stufe in Schillers ästhetischer Theorienbildung, so daß seine Begriffsentwicklungen und Begriffsableitungen hier nicht so leicht zu verfolgen sind wie in den f r ü h e r e n Entwürfen, besonders den sog. >KalliasbriefenKalliasbriefen< den >Schein d e r F r e i h e i t zu einer »Freiheit in d e r Erscheinung« modelt und damit scheinbar Kants sittliche Freiheit in eine organische verwandelt, so d a ß j e n e r Begriff zugleich d e m Bereich der N a t u r zugewiesen wird, wirkt wie ein Meisterstück sophistischer Verdrehungskunst. 6 Hier liegt der eigentliche Schlüssel zu Schillers Kantumdeutungen. 3
4 5
6
Vgl. L 112, Henrich/Döderlein, S. 277f. Leider sind zur Kantrezeption der Tübinger Stiftsgenossen bis heute keine exakten Angaben zu machen. - Vgl. Anmerkung 3, Kap. 1. Dazu gibt es viele, sich gegenseitig widersprechende Analysen. Zu Schillers »Philosophischer Rhetorik« vgl. L 167, Meyer, S. 337f. und weiterhin zur Rhetorik als künstlerischem Gestaltungsmittel bei Schiller: L 171, Michelsen, S. 149f. Was Käte Hamburger, L 95, an einigen früheren Analysen zur Schillerschen Begründung des Schönen kritisiert, daß sie nur beschreibend und Schillers Gedankengang kommentierend verführen, gilt auch von einer neuen, zwar gründlichen, aber ohne Einbeziehung der Kantischen Moral geschriebenen Arbeit über Schillers >Darstellung der Freiheit (vgl. L 115, Heuer). Der Autor versucht, Schillers halsbrecherische Explikation einer »Freiheit in der Erscheinung« aufgrund des Schillerschen Aussonderungsverfahrens der »Hauptformen der Vernunft« zu rechtfertigen, ohne den von Kant geliehenen Begriff
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Schiller fällt es nicht schwer, unter solchen Prämissen in den ä s t h e tischen Briefen< das Reich des »schönen Scheins« zu errichten, das ungeachtet der Konsistenz seiner Theorie - den doppelten Bezug zur Sinnen- und Vernunftwelt wahrt und so zum »Mittler« schlechthin beider, bei Kant unverbundenen Sphären werden darf. Den zweifachen Gebrauch von Freiheit in der Kantischen Lehre nützt Schiller dabei rigoros aus: Die sittliche Freiheit der Vernunft und die ästhetische Freiheit im Spiel der Erkenntniskräfte sind jedoch nicht aufeinander beziehbar. 7 Schiller führt sie zusammen, indem er an der Freiheit der Einbildungskraft festhält und ihre geregelte Ordnung als vernünftige Selbstbestimmung - d. h. hier: als autonome, sittliche Gesetzlichkeit, die mit >Nicht-von-außen-Bestimmtsein< umschrieben wird (III, 244), deutet. Damit ändert sich an der Kantischen Erklärung des Schönen im Grunde wenig - außer der Terminologie: Die vernünftige Regel des Verstandes im freien Spiel der Einbildungskraft erscheint nun als >moralische< Ordnung, als »geliehene« Freiheit.8 Wahrscheinlich wurde Schiller zu diesem terminologischen Mißgriff durch das Moment der Selbsterfahrung im Schönen angeregt. Er spürte etwas von der geistigen Aktivität und spontanen Selbsttätigkeit im ästhetischen Akt, die begrifflich nicht zu fassen waren. Da Kant für diese Art der Selbsterfahrung und Vergegenständlichung menschlicher Vernunft im Schönen keine besondere Theorie bereitgestellt hatte (obgleich sie in der Erklärung des ästhetischen Urteils enthalten war), wandte sich Schiller zu Kants Moral, von der er meinte, daß deren Ausführungen zur freien Selbstbestimmung diese Probleme erläuterten. 9 >Freiheit< wird ihm so zu einem »metaphysischen Grundgefühl der Person«. 10 Der Begriff nimmt eine Vielfalt von Schattierungen an, die der moralischen Freiheit auf seinen Inhalt hin zu befragen. Er wird in der Schillerschen Leerformel als »Ausschließung jedes äußern Bestimmungsgrundes« hingenommen. (Vgl. S. 83ff.). - Heuer geht es freilich mehr um Schillers eigenen ästhetischen Ansatz als um dessen Mißverständnis der Kantischen Moral; dennoch ist dieses für die Beurteilung seiner Ästhetik unerläßlich. Klaus L. Berghahn (L 25, S. 21) kommentiert zu Recht Schillers Theorem der >Freiheit in der Erscheinung< mit den Worten: »Man mag die Definition originell finden, aber sie ist keinesfalls . . . das Ergebnis einer stichhaltigen Deduktion nach Kantischer Manier« 7 Vgl. L 105, Henrich, S. 540ff.; ebenso L 95, Hamburger, S. 102. ® Vgl. Kalliasbriefe, ed. Jonas III, S. 244: Die praktische Vernunft »leyht dem Gegenstande . . . ein Vermögen, sich selbst zu bestimmen, einen Willen, und betrachtet ihn alsdann unter der Form dieses seines Willens...«. 9 Vgl. L 105, Henrich, S. 539.- Schiller versuche, »die im Kantischen System nicht einbezogene Vergegenständiichung der Subjektivität mit Hilfe der Begriffe von Kants Subjektivitätstheorie zu erfassen.« 10 L 239, Spranger, S. 27. - Die Vielschichtigkeit des Freiheitsbegriffes erläutert
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den Gesamtbereich menschlicher Intellektualität abdecken, sofern diese als aktive Selbstgestaltung bewußt wahrgenommen werden kann. In solcher Umdeutung des Bezugsfeldes liegt der entscheidende Irrtum von Schillers Rezeption der Kantischen Moral: Er begreift sie von der ästhetischen Erfahrung her. Die anthropologische Einheit des Menschen ist ihm wichtiger als die logische Stringenz des Kantischen Systems. Deshalb können auch seine nachkantischen Schriften bruchlos an seine frühesten Abhandlungen anknüpfen und deren Ansatz weiterführen.11 Käte Hamburger hat die »wechselseitige Metabasis eis alio genos« als Grundfigur in Schillers ästhetischen Denkversuchen nachgewiesen.12 Schillers emphatische Forderung der harmonischen Ganzheit des Menschen in seinen Gemütsvermögen - eine Forderung, die bereits die Kräfte- und Arbeitsteilung der Moderne spiegelt - ist ihre Voraussetzung. Sie erlaubt ihm nicht, Vernunft und Freiheit unabhängig von sinnlicher Erfahrung zu denken, wie es Kants moralische Gesetzgebung fordert, die »reine Energie« im Akt der Selbstbestimmung bedeutet.13 Man muß sie nicht asketisch erzwingen und sich ihr >knechtisch< unterordnen, - wie Schiller meinte - man kann sich ihr gar nicht entziehen, selbst wenn man wider sie handelt; denn Freiheit ist eine Formkraft der Maxime, sie fordert nicht auf, Gesetze zu erfüllen14 - sie ist Gesetz für den Willen und kündigt sich auch dann als Möglichkeit an, wenn die
11
Spranger folgendermaßen: »>Freiheit< ist das g r o ß e Stichwort der Epoche. Es nimmt eine Fülle v o n Tönungen an, s o mannigfache, wie zwischen dem Taumel der französischen Revolution und der Sternennähe von Kants Ethik nur denkbar sind.« In der Tat ist die Vielschichtigkeit dieses Begriffes allein bei Schiller kaum abzutragen. Vgl. dazu auch: L 242, Staiger, S. 67ff. - Schiller ist an der Verwässerung und Trivialisierung des Freiheitsbegriffes in der Moderne nicht schuldlos. Bereits in d e m frühen Mannheimer Vortrag v o n 1784, >Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken< (später änderte Schiller bezeichnenderweise diesen Titel in: >Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachten), wird »ästhetischer Sinn« oder »Gefühl für das S c h ö n e « gefordert, um die »beiden widersprechenden Enden«, den »Zustand des Tieres« und den der »freieren Arbeiten des Verstandes« zu versöhnen, um »die harte Spannung zu sanfter Harmonie« herabzustimmen und den » w e c h s e l w e i s e n Überg a n g des einen Zustandes in den andern« zu erleichtern ( N A 20, S. 91). - V o n hier zu den ä s t h e t i s c h e n Briefem ist kein allzu großer Sprung.
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L 95, Hamburger, bes. S. lOOff. » L 105, Henrich, S. 541. 14 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, A 19: » D i e Ethik gibt nicht Gesetze für die Handlungen (denn das tut das jus), sondern nur für die Maximen der Handlungen.« 31
Ausführung der Handlung nicht dem Gesetz entspricht.15 Man könnte sie heute - populär gesprochen - als »soziales Gewissem begreifen, weil sie die Forderung nach Allgemeinheit der Willenshandlung enthält, die ihrerseits durchaus ihre subjektive und persönliche Grundlage in der Maxime findet. Die Freiheit aber, die Schiller meint, ist der transparente Widerschein einer geordneten empirischen Mannigfaltigkeit. Nur an der geregelten Fülle einer sinnlichen Anschauung erschließt sich ihm das Intelligible, und ohne sie ist für ihn Geistiges tot und leer, » b l o ß e « Vernunft, die im Begriff erstarrt. Damit steht Schiller auf dem Boden der Kantischen Ästhetik, - die Teleologie eingeschlossen - auch wenn er sich auf dessen Moral beruft. Eine »sinnlich objektive« Schönheitstheorie, mit der er Kants »subjektiv rationale« glaubte übertrumpfen zu können, hat Schiller weder in den Kalliasbriefen noch in >Anmut und Würde< vorgelegt.
II. Anmut als Ausdruck einer »schönen Seele« Unter diesen Voraussetzungen ist gegenüber Schillers Versuch, die Kantische Moral zu modifizieren, Vorsicht oder gar Mißtrauen angebracht. W e r das moralische Gesetz als ein Gesetz der Vernunft begreift, das sich an der Einheit der Zwecke orientiert, ist kaum kompetent, eine Alternative zur >reinen< Vernunftbestimmung anzubieten, selbst wenn diese nicht allen Ansprüchen genügte. Und so widersprechen sich auch Schillers Aussagen, die das sinnliche Moment in der sittlichen Bestimmung betreffen: Zum einen behauptet er, mit dem »Rigoristen der Moral« in bezug auf die Wülensbestimmung »vollkommen einstimmig zu seyn« und nur » i m Felde der Erscheinungen und bey der wirklichen Ausübung der Sittenpflicht« den »Ansprüchen der Sinnlichkeit« genügen zu wollen ( N A 20, 283);16 zum andern aber beschränkt er die Neigungsmomente keineswegs auf den »sinnlichen Ausdruck... in der 15 16
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Vgl. KpV § 6, Anmerkung, A 52-54. Was Kant übrigens gar nicht entgegensteht, wie dessen Replik in einer Anmerkung der >ReIigionsschrift< beweist (A 10): »Wird aber auf die anmutigen Folgen gesehen, welche die Tugend, wenn sie überall Eingang fände, in der Welt verbreiten würde, so zieht alsdann die moralisch-gerichtete Vernunft die Sinnlichkeit (durch die Einbildungskraft) mit ins Spiel. Nur nach bezwungenen Ungeheuern wird Hercules Musaget, vor welcher Arbeit jene gute Schwestern (die Grazien) zurück beben. Diese Begleiterinnen der Venus Urania sind Buhlschwestern im Gefolge der Venus Dione, sobald sie sich ins Geschäft der Pflichtbestimmung einmischen und die Triebfedern dazu hergeben wollen.«
Grazie«, da er den Willen bei »sympathetischen Bewegungen«, die für die Anmut ausschlaggebend sind, »sich nach moralischen Empfindungeni« bestimmen läßt (NA 20,266). Damit fließen Elemente der >moralsensemoralischen Handlung< in den >Kalliasbriefen< heran, in denen er schreibt, die praktische Vernunft verbinde »Vorstellungen mit dem Willen zur Handlung« (III, 241) und ihre»Form«sei »unmittelbare Verbindung des Willens mit Vorstellungen der Vernunft« (III, 244), so ist offensichtlich, daß hier eine Bestimmung des Willens nach äußeren Bestimmungsgründen, nach >Zweckenmoralische Gesetz< nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit denkt, und nur deswegen kann er es in die Ästhetik übertragen. So mutet Schillers Attacke Kant gegenüber an wie ein Ritt gegen Windmühlen: er bestürmt eine Attrappe. Er kann kaum das Recht für sich beanspruchen, das »Maximum der Charaktervollkommenheit« (III, 264) in der »schönen Seele« vorgestellt zu haben, selbst wenn er nach Kants Klarstellung in der Anmerkung zur >Religionsschrift< (A 10), die Schiller sogar als >Zurechtweisung< akzeptiert,19 auf seiner »schönen Sittlichkeit« beharrt. 20 Sie beweist nur, wie eingewurzelt die ästhetische Konstruktion der Vernunft nach Zweckkriterien als vermeintlich moralischen - bei ihm gewesen sein muß. Deshalb verwundert es nicht einmal, wenn die »sinnliche Natur« als »mitwirkende Partey« »das ganze Feuer ihrer Gefühle zu einem Triumph hergeben« soll, »der über sie selbst gefeyert wird« (NA 20, 286); in dieser Formulierung schlägt sich nieder, daß die Zusammenstimmung der Einbildungskraft (»sinnliche Natur«) njit dem Vermögen des Verstandes von einem ästhetischen, erhabenen oder teleologischen Gefühl begleitet ist, aber keiner >moralischen< Bestimmung unterliegt. - Auch in der philosophischen Diskussion scheint es ratsam, Schillers Abhandlung weniger unter mora/theoretischen als unter ästhetischen Gesichtspunkten zu beachten, selbst wenn er scheinbar zu einer Handlungs- und Willenstheorie Stellung nimmt. 17 18
15 20
Shaftesbury war bereits Vorbild für Schillers Philosophische Briefen Vgl. Kant, KpV § 2 und bes. § 3. - Die gleiche Konzeption der Willensbestimmung liegt auch >Anmut und Würde< zugrunde; vgl. NA 20, S. 266. Vgl. Brief an Kant v o m 13. Juni 1794, ed. Jonas Bd 3, S. 455. Vgl. Brief an Ferdinand Huber v o m 19. Februar 1795, ed. Jonas Bd 4, S. 125ff. und die Horenabhandlung von 1796: >Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sittenmetaphorische< Weise aus dem >beweglichen< Gürtel der Göttin abgeleitet wird.21 Die »architektonische Schönheit« ist - trotz der irritierenden Bezeichnung - als »Schönheit des Baus« in der Gestalt Aphrodites naturhaft gegeben. »Anmut« dagegen ist eine Schönheit, »die nicht von Natur geschenkt, sondern von dem Subjekte selbst hervorgebracht wird« (NA 20, 255). An die Erörterung beider Abschnitte schließt sich der relativ isolierte Teil über »Würde« an, den Schiller als »Ausdruck einer erhabenen Gesinnung« erläutert (NA 20, 289). Mit diesem Gliederungsprinzip übernimmt Schiller das traditionelle ästhetische Schema vom Naturschönen - Kunstschönen und Erhabenen, auch wenn von >Kunst< im eigentlichen Sinne kaum die Rede ist. Doch klärt diese Gliederung auch den unverständlichen Bruch zwischen dem >AnmutWürdeschöne Seele< paradoxerweise erst da als solche, wo sie nicht mehr als >schöne Seele< erscheinen kann. Spätestens hier erweist sich Schillers Konzeption der >Anmut< als eine Fiktion, denn ihr behaupteter » Ausdruck « ist keineswegs ein sicheres Indiz für die moralische Vollkommenheit des Menschen; er könnte ebensogut der »Temperamentstugend« zugehören. Schillers »moralische« Schönheitslehre der Anmut, als eine »von dem Subjekt selbst hervorgebrachte« Schönheit (NA 20, 255), ist ebenso brüchig wie die >Naturschönheit< in den Kalliasbriefen, die als »Freiheit in der Erscheinung« aus einem bloßen Schein von Freiheit abgeleitet worden war. So bleibt zu überprüfen, ob wenigstens die >Naturschönheit< in >Anmut und WürdeGrenzlinie< zwischen Ästhetik und Moral aufzuheben beansprucht, entscheidend - wie aus dem zitierten Neufferbrief zu schließen war.
III. Die »architektonische Schönheit« als Naturschönheit Die »architektonische Schönheit« ist - im Unterschied zur Anmut, »welche sich nach Freyheitsbedingungen richtet« und dem »Einfluß eines empfindenden Geistes ihren Ursprung verdankt« (NA 20, 255) - nach Schiller durch die »bloße Natur« hervorgebracht und »nach dem Gesetz der Nothwendigkeit« gebildet (ebd.). »Diese Venus steigt schon ganz vollendet aus dem Schaume des Meeres empor« (ebd.). Damit knüpft Schiller an seine Objektivitätsforderung in den Kalliasbriefen an, die hier für die Naturschönheit des menschlichen Baus bekräftigt werden soll. Er betont sie so oft und so nachdrücklich, daß man an seiner eigenen Überzeugung zweifelt: Die »Schönheit des Baues« soll »nicht bloß durch Naturkräfte ausgeführt«, sondern auch »nur allein durch Naturkräfte bestimmt« sein (NA, 20, 258 u. 256). Sie hat ihre Auszeichnung ausschließlich »der Natur und dem Glück« zu verdanken; »der Natur, welche die Anlage dazu hergab und selbst entwickelte; dem Glück, welches das Bildungsgeschäft der Natur vor jeder Einwirkung feindlicher Kräfte beschützte«!(NA 20,256).23
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nunft Hilfe gesucht werden. Die gesunde und schöne Natur braucht... keine Moral, kein Naturrecht, keine politische Metaphysik; Sie hätten ebensogut auch hinzusetzen können, sie braucht keine Gottheit, keine Unsterblichkeit, um sich zu stützen und zu halten...« (ed. Jonas, Bd 5, S. 27). Vorausdeutend sei bemerkt, daß dieser Begriff des >Glücks< in Hölderlins »Gesetz der Freiheit« modifiziert aufgenommen wird.
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Da die »technische Vollkommenheit« eines Gegenstandes - ebenso wie die »architektonische Schönheit« - unter dem »Gesetz der N o t wendigkeit« steht, müssen beide in ihrer spezifischen Eigenart unterschieden werden. Die erste - so führt Schiller aus - betreffe »das System der Zwecke selbst«, »so wie sie sich untereinander zu einem obersten Endzweck vereinigen« (NA 20,256); die zweite hingegen sei »bloß eine Eigenschaft der Darstellung dieser Zwecke, so wie sie sich dem anschauenden Vermögen in der Erscheinung offenbaren« (ebd.). Bei der Schönheit werde »weder der materielle Werth dieser Zwecke, noch die formale Kunstmäßigkeit ihrer Verbindung« in Betracht gezogen; »das anschauende Vermögen« halte sich »einzig nur an die Art des Erscheinens ohne auf die logische Beschaffenheit seines Objekts die geringste Rücksicht zu nehmen«. Zwar sei diese Art der Schönheit durch den »Begriff«, der dem menschlichen Bau zugrunde liege, und durch die »Zwecke«, »welche die Natur mit ihm beabsichtigt«, bedingt, aber sie bedeute »nichts anders als ein schöner Vortrag der Zwecke«, und das »ästhetische Urteil« isoliere sie (die Schönheit) »völlig von diesen Zwecken, und nichts, als was der Erscheinung unmittelbar und eigentümlich« angehöre, werde in die Vorstellung der Schönheit aufgenommen (NA 20,256/57). - Deshalb ist auch der »Sinn« - später nennt Schiller das »sinnliche Erkenntnisvermögen« (NA 20,259) - der einzig kompetente Richter über die Schönheit des Baus. Über die Art und Weise, wie jene über diese richten, gibt Schiller keine Auskunft. Damit stehen wir vor dem gleichen Problem wie in den Kalliasbriefen: Die Schönheit wird so »objektiv«, daß sie in keiner Theorie mehr sinnvoll beschreibbar erscheint. Und dennoch ist nach der vorliegenden Skizzierung nicht zu leugnen, daß Schiller sich einzig an dem Prinzip der Zweckmäßigkeit orientiert, das Kant in der Urteilskraft bereits erläutert hatte, dessen subjektiven Grund Schiller aber ignorierte. Während er jedoch in den Kalliasbriefen die >geliehene< praktische Freiheit nach und nach in die Freiheit der organischen Entfaltung des Naturobjekts überführt - und seitdem der Natur auch »Geist« zugeschrieben werden kann - verfährt er in >Anmut und Würde< umgekehrt: Die »objektive« Isolation der Schönheit wird aufgehoben, Schiller bindet sie überraschenderweise sekundär an die Vernunft zurück: Zwar scheine ihr (der Schönheit) »nichts mehr übrig zu bleiben, wodurch sie der Gegenstand eines vernünftigen Wohlgefallens seyn könnte. Nichts desto weniger ist es ebenso ausgemacht, daß das Schöne der Vernunft gefällt, als es entschieden ist, daß es auf keiner solchen Eigenschaft des Objekts beruht, die nur durch Vernunft zu entdecken wäre«. (NA 20,259)
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Dieser letzte Satz enthält eine spezifisch Schillersche Logik: Ihm müßte die Behauptung vorausgehen, daß die Vernunft allein Richter über die Schönheit sei. Das gerade Gegenteil war aber nach seinen Ausführungen der Fall, das »sinnliche Erkenntnißvermögen« sollte ausschließlich über die Schönheit entscheiden. Jetzt wird der Vernunft wie selbstverständlich ein Recht eingeräumt, und das »nur« der Sinnlichkeit verwandelt sich in ein »nicht nur« der Vernunft, wobei dem Sinn höchstens ein Mitspracherecht erteilt wird. Der Satz paßt schlecht in Schillers Argumentation. Er ist aber wiederum ein Symptom für seine Verteidigungsstellung Kant gegenüber, vor dem er seinen »objektiven Schönheitsbegriff« zu behaupten sucht. Um die besondere Weise der Verbindung von Schönheit und Vernunft zu rechtfertigen, unterscheidet Schiller im Fortgang von >Anmut und Würde« »zweyerley Arten«, »wodurch Erscheinungen Objekte der Vernunft werden und Ideen ausdrücken können«: Einerseits ziehe »die Vernunft diese Ideen aus den Erscheinungen« heraus; zum andern aber könne sie solche »auch in dieselben hineinlegen« (NA 20,259). In b e y d e n F ä l l e n w i r d die Erscheinung
einem
Vernunftbegriff
adäquat
seyn,
nur mit dem Unterschied: daß in dem ersten Fall die Vernunft ihn schon objektiv darin findet, und ihn gleichsam von dem Gegenstand nur empfängt..., daß sie hingegen in dem zweyten Fall das, was unabhängig von ihrem Begriff in der Erscheinung gegeben ist, selbstthätig zu einem Ausdruck desselben macht und also etwas bloß sinnliches übersinnlich behandelt. (NA 20,259/60)
Wo die Vernunft ihre »objektiv notwendigen« Ideen aus dem Gegenstand »herauszieht«, handle es sich um Vollkommenheit; wo sie ihre »höchstens subjektiv notwendigen« Ideen in jene »hineinlegt«, dagegen um Schönheit. Damit bezieht Schiller in der Beurteilung des Schönen letzten Endes doch den subjektiven Standpunkt, obgleich er nach wie vor versichert, »in Ansehung des Gegenstandes selbst« sei es »zufällig..., ob die Vernunft mit der Vorstellung desselben eine ihrer Ideen verbindet«; »für das vorstellende Subjekt« scheint es ihm dennoch »notwendig« (NA 20,260ff), und der Widerspruch löst sich deshalb nur in der Ausflucht: Was für eine Idee das nun sei, die die Vernunft in das Schöne hineinträgt, und durch welche objektive Eigenschaft der schöne Gegenstand fähig sei, dieser Idee zum Symbol zu dienen - dies ist eine viel zu wichtige Frage, um hier bloß im Vorbeigehen beantwortet zu werden, und deren Erörterung ich also auf eine Analytik des Schönen verspare. ( N A 20,261)
Schiller ist sie schuldig geblieben. Dafür aber kehrt er zum Ausgangspunkt der >K.alliasbriefe< zurück und erklärt die »architektonische 37
Schönheit« zum »sinnlichen Ausdruck eines Vernunftbegriffes« (NA 20,261), w o m i t ihr wiederum moralische Freiheit >verliehen< wird. D i e verführerische Formulierung des § 59 der Kritik der Urteilskraft, der »Schönheit als Symbol der Sittlichkeit« erläutert, dient Schiller zur Grundlage, w i e die Formulierungen zeigen. Während Schönheit dort aber lediglich nach der Art der »symbolischen« Verknüpfung als analog zur Sittlichkeit gedacht werden sollte, macht Schiller - ähnlich wie Hölderlin im M o t t o der >Hymne an die Schönheit< - mit ihrer Verbindung kurzen Prozeß: Er interpretiert den schönen G e g e n s t a n d - nicht einmal, wie es Kants >Symbol< entsprechen würde - als »indirekte«, sondern sogar als »adäquate« Darstellung eines » Vernunftbegriffes«, auch w e n n es die Vernunft selbst ist, die ihre »Idee« »selbstthätig« in die Erscheinung »hineinlegt«: diese Idee und das ihr korrespondierende sinnliche Merkmal an dem Objekte müssen miteinander in einem solchen Verhältnis stehen, daß die Vernunft durch ihre eigenen unveränderlichen Gesetze zu dieser Handlung genötigt wird. (NA 20,260/61). S o werden »Anschauungen zu Ideen (ge)adelt und selbst die Sinnenwelt g e w i s s e r m a ß e n in ein Reich der Freiheit verwandelt« (ebd.) »Ästhetische Ideen« sind deshalb für Schiller sinnliche Anschauungen der»Vernunftideen« und - w e n n auch nur durch die »Gunst« des G e s c h m a c k s - »moralisch« strukturiert. Es sei nur angemerkt, daß die von Kant subtil unterschiedenen intelligiblen Seinsarten v o n >BegriffIdealmoralischer< und ä s t h e t i s c h e Idee< bei Schiller von dem scheinbar neutralen Terminus »Vernunftbegriff« aufgesogen werden, den Kant nur für »Ideen« verwendet. 2 4 Im Sammelbecken der >Idee< fließen sie ineins und unterstrei24
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Eine exakte Differenzierung würde hier zu weit führen. Nur soviel sei bemerkt: Schiller unterscheidet nicht zwischen >regulativen< Ideen, die der Verstandeserkenntnis systematische Einheit geben (vgl. KrV, Β 670ff. und Β 699), >moralischen< Ideen, die als die reinsten Vernunftbegriffe zum Richtmaß der Vollkommenheit einer Handlung dienen (vgl. KrV, Β 597ff.) und ästhetischen IdeenIdee< eingeschmolzen. Er ist so weit gefaßt, daß er das Übersinnliche schlechthin unter sich begreift und soviel wie geformter Geist im Gegensatz zu bloßer Sinnlichkeit bedeutet. Wo ein solches, sehr heterogenes Intelligibles sich im Sinnlichen offenbart, ist für Schiller Schönheit vorhanden. - Sie meint den »sinnlichen Ausdruck eines Vernunftbegriffes«, den er auch als »Symbol« einer
chen so Schillers unbekümmerte Verfahrensweise in bezug auf den menschlichen Intellektualbereich. Auch daraus lassen sich für seine »moralische* Schönheitskonzeption Folgerungen ziehen, die unsere Ergebnisse bestätigen: Während nach Kant die Vernunft im sittlichen Verhalten eine Kraft entwickelt, die alle sinnlichen Einflüsse - seien es Widerstände oder Verführungselemente - zurückweisen kann, sind Sinnlichkeit und Vernunft nach Schiller im Sittlichen nicht nur vereinbar, sondern sie ergänzen sich gegenseitig. Während weiterhin moralischen Prinzipien in Verbindung mit Vorstellungen der Einbildungskraft jede Grundlage entzogen ist, besteht darin für Schiller gerade deren erhabene Funktion, die sie zur Schönheit adelt. Überall, wo sich geistige Strukturen im Sinnlichen offenbaren - so kann man zusammenfassend sagen - ist nach Schiller das >moralische< Vermögen des Menschen am Werk. »Vernunftideen« liegen da vor, wo sich ein Mannigfaltiges der Einbildungskraft zu einer geistigen Einheit zusammenfügt, d. h. aber letzlich: wo »Zweckmäßigkeit« (im Kantischen Sinne) wahrnehmbar wird. Nach Kant wäre in diesem Falle lediglich von gewissen Produktionsleistungen der Einbildungskraft zu sprechen, die den theoretischen Erfahrungsgesetzen analog sind.25 Man könnte diese Gebilde - um sie von >Ideen< und >Begriffen< zu unterscheiden - mit einem Ausdruck Biemels»Darstellungsbegriffe« nennen.26 Sie wären die eigentlichen Produkte der Kunst. An ihnen wird das Produktionsverfahren des menschlichen Geistes, seine synthetisierende Leistungskraft - aber nur in seiner »technischen« Funktion - anschaulich »Idee« begreift ( N A 20, S. 261), d. h. als indirekte Darstellung des - in Schillers Sinne sehr weit gefaßten - >moralischen< V e r m ö g e n s des Menschen. Die Problematik dieser Konzeption w ä r e nur in einer ausführlichen Einzeluntersuchung und im Hinblick auf Kants Unterscheidungen zu lösen. A u c h der Streit um die >UrpflanzeNaturforschenden Gesellschaft* in Jena z w i s c h e n Schiller und G o e t h e erhob, spiegelt e t w a s v o n dem Mißverständnis in Schillers Begriff der >IdeeUrpflanze< verwies, g e a n t w o r t e t haben: » D a s ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.« - Kant hätte Schiller nur antworten können: Das ist auch keine Idee (im eigentlichen Sinne v o n >VernunftbegriffZweckMoralisch-Praktischen< für sich in Anspruch nehmen, das »auf dem Übersinnlichen« beruht, »welches der Freiheitsbegriff allein durch formale Gesetze kennbar macht« (ebd. S. XV). Allerdings - das muß hier einschränkend bemerkt werden - ließen sich nach Kant Schillers ästhetische Bestimmung nicht einmal als >technisch-praktisch< klassifizieren, weil sie gar nicht praktisch werden, d. h. keine Handlungen hervorbringen. Sie fänden ausschließlich im Bereich der reflektierenden Urteilskraft< mit ihrem eigenen Prinzip der Zweckmäßigkeit einen angemessenen Ort, denn der Begriff der »Zweckmäßigkeit der Natur« ist von der »praktischen Zweckmäßigkeit (der menschlichen Kunst oder auch der Sitten) ganz unterschieden, ob er zwar nach einer Analogie mit derselben gedacht wird« (Abschn. IV, S. XXVIII). Schiller, Die Künstler. ΝΑ 1,202,34-35.
Periode formulierte, ohne - gut aufklärerisch - die theoretische von der praktischen Erkenntnis zu unterscheiden: das Reich der Sittlichkeit jedoch, das er später mit Kantischen Mitteln - aber doch Kant entgegen - für die Kunst zu gewinnen hofft, ist dem Schönen verschlossen. Es sei denn, man wagte sich in das dunkle Labyrinth, dessen Tiefen nach Kant nicht auszuloten sind. Aber auch dann müßte die Sittlichkeit den Ariadnefaden reichen, wie Kant im § 42 der Urteilskraft ausführt. Wir fassen im Hinblick auf Hölderlin zusammen: In seiner Abhandlung >Über Anmut und WürdeGrenzlinie< zwischen Ästhetik und Moral zu überschreiten: Zum einen sollte sich die »schöne Seele« »im Affekt in eine erhabene verwandeln« und sich dadurch von der »Temperamentstugend« unterscheiden (NA 20,293). Sie bestätigte damit grundsätzlich den Übergang vom Schönen zum Sittlichen. - Zum andern war die »Anmut« als eine »von dem Subjekt selbst hervorgebrachte« Schönheit, die dem »Einfluß eines empfindenden Geistes ihren Ursprung verdankt« (NA 20,255), ihrerseits schon >moralisch< strukturiert, insofern ihre leichten, geschmeidigen, und harmonischen Züge »Ausdruck« von »Freyheitsbedingungen« sein sollten. Darüberhinaus entwickelte Schiller die »architektonische Schönheit« - obwohl er behauptete, sie verdanke ihre Auszeichnung allein »der Natur und dem Glück« (NA 20,256) - letzten Endes dennoch als »sinnlichen Ausdruck eines Vernunftbegriffes«, der »subjektiv notwendig« erschien (NA 20,261). - Über die Schönheit der Kunst und über die Leistung des Künstlers äußert sich Schiller in >Anmut und Würde< noch nicht, oder höchstens anmerkungsweise. 3 0 So versucht er jeweils auf andere Art die Schönheit in eine Verbindung zu bringen zum moralischen Vermögen und zur praktischen Vernunft des Menschen, aber weder die >geliehene< Freiheit der frühen Entwürfe, noch die Gespaltenheit der »architektonischen Schönheit«, noch die »schöne Seele« können diese Verbindung überzeugend dartun.
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Vgl. den schon zitierten Brief an Neuffer, Nr. 88: Hölderlins »Aufsaz über die ästhetischen Ideen« sollte »eine Analyse des Schönen und Erhabenen enthalten, nach welcher die Kantische vereinfacht... wird, wie es schon Schiller
zum Theil in s. Schrift über Anmuth und Würde gethan
hat...«.
Vgl. NA 20, S. 275, Fußnote; dazu S. 46ff. dieser Arbeit.
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Ein weiteres Moment ist zu beachten: Schillers doppelte Orientierung am Freiheitsbegriff der Kantischen Moral und am Freiheitsbegriff der Kantischen Ästhetik nötigt ihn, Konzessionen in bezug auf die >reine< Vernunftbestimmung des Schönen zu machen. So gehen trotz der behaupteten >moralischen< Abhängigkeit die Elemente des »freien Spiels der Einbildungskraft« in seinen Schönheitsbegriff ein, sei es als freie organische Entfaltung oder als gefällige, anmutige Bewegung. Damit sind einige Gesichtspunkte genannt, die sowohl die Überschreitung der >Kantischen Grenzlinie< als auch die Zaghaftigkeit oder Inkonsequenz Schillers bei diesem Unternehmen markieren. So bleibt zu fragen, in welcher Weise Hölderlin - in kritischer Stellungnahme zu Kant und zu Schiller - das in >Anmut und Würde< vorgegebene Modell zu modifizieren bzw. zu überbieten gedachte. Hölderlins schriftliche Hinweise sind fragmentarisch und zerstreut, geben aber dennoch sichere Anhaltspunkte für seine eigene Verknüpfung von Ästhetik und Moral. Am wichtigsten erscheint dabei der frühe Entwurf, den Zinkernagel »Über das Gesez der Freiheit« überschrieben hat.
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3. Kapitel: Das Gesetz der Freiheit - Hölderlins Versuch einer Grundlegung der Ästhetik in Waltershausen
I. »Über das Gesez der Freiheit« (Text nach StA IV, 211-212)
Es giebt einen Naturzustand der Einbildungskraft, der mit jener Anarchie der Vorstellungen, die der Verstand organisirte, zwar die Gesezlosigkeit gemein hat, aber in Rüksicht auf das Gesez, durch das er geordnet werden soll, von jenem wol unterschieden werden muß. Ich meine unter diesem Naturzustande der Einbildungskraft, unter dieser Gesezlosigkeit die moralische, unter diesem Geseze, das Gesez der Freiheit. Dort wird die Einbildungskraft an und für sich, hier in Verbindung mit dem Begehrungsvermögen betrachtet. In jener Anarchie der Vorstellungen wo die Einbildungskraft theoretisch betrachtet wird, war zwar eine Einheit des Mannigfaltigen, Ordnung der Warnemungen möglich, aber zufällig. In diesem Naturzustande der Phantasie, wo sie in Verbindung mit dem Begehrungsvermögen betrachtet wird, ist zwar moralische Gesezmäsigkeit möglich, aber zufällig. Es giebt eine Seite des empirischen Begehrungsvermögens, die Analogie dessen, was Natur heißt, die am auffallendsten ist, wo das notwendige mit der Freiheit, das Bedingte mit dem Unbedingten, das Sinnliche mit dem Heiligen sich zu verbrüdern scheint, eine natürliche Unschuld, mein möchte sagen eine Moralität des Instinkts, und die ihm gleichgestimmte Phantasie ist himmlisch. Aber dieser Naturzustand hängt als ein solcher auch von Naturursachen ab.
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Es ist ein bloses Glük, so gestimmt zu sein. Wäre das Gesez der Freiheit nicht, unter welchem das Begehrungsvermögen zusamt der Phantasie stände, so würde es niemals einen vesten Zustand geben, der demjenigen gliche, der so eben angedeutet worden ist, wenigstens würde es nicht von uns abhängen, ihn vestzuhalten. Sein Gegenteil würde eben so stattfinden, ohne daß wir es hindern könnten. Das Gesez der Freiheit aber gebietet, one alle Rüksicht auf die Hülfe der Natur. Die Natur mag zu Ausübung desselben förderlich sein, oder nicht, es gebietet. Vielmer sezt es einen Widerstand in der Natur voraus, sonst würde es nicht gebieten. Das erstemal, daß das Gesez der Freiheit sich an uns äußert, erscheint es strafend. Der Anfang all' unsrer Tugend geschieht vom Bösen. Die Moralität kann also niemals der Natur anvertraut werden. Denn wenn die Moralität auch nicht aufhörte Moralität zu sein, so bald die Bestimmungsgründe in der Natur und nicht in der Freiheit liegen, so wäre doch die Legalität, die durch blose Natur hervorgebracht werden könnte, ein ser unsicheres, nach Zeit und Umständen wandelbares Ding. So wie die Naturursachen anders bestimmt würden, würde diese Legalität II. Analyse des Fragments 1) Vorbemerkungen Beim ersten Anblick mag es abwegig erscheinen, den vorliegenden Text in seinen wenigen und scheinbar diffusen Gedankensplittern als einen ästhetischen Entwurf oder gar als systematischen Ansatz zu einer Schönheitstheorie, möglicherweise zu dem angekündigten Aufsatz über die ästhetischen IdeenSchönheit< auf. So hat man auch lange Zeit gezögert, von hier eine Brücke zu Hölderlins Kunstproblematik zu schlagen. Böhm vermutete - den Eingangspassagen entsprechend - eine »parallele« Behandlung von theoretischer und praktischer Vernunft. 1 Strauß glaubte demgegenüber einen Vorrang der prak-
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Vgl. L 47, Böhm I, S. 161 und seinen früheren Aufsatz, L 46. S.384.
tischen Vernunft in Hölderlins Text feststellen zu können, - ein Vorrang, der sich allerdings nur unter ganz bestimmten Prämissen bestätigt.2 Es lag nahe, den Entwurf im Zusammenhang der von Hölderlin bezeugten intensiven Kantstudien zu beurteilen. Wegen der begrifflichen Unstimmigkeiten, die sich im Hinblick auf Kant ergaben, wurde das Blatt jedoch als relativ bedeutungslos eingestuft. Es erschien wie eine unausgegorene Aneignung, die höchstens als willkommener Beleg für Hölderlins Mißverhältnis zu Kant und zur Philosophie überhaupt dienen konnte. So blieb auch der wichtige Hinweis Maria Cornelissens, den »Naturzustand der Einbildungskraft« und den »vesten Zustand«, der »von uns« abhängt (Z 24-30) - sofern beide unter dem >Gesetz der Freiheiu stehen - mit den »zwei Ideale(n) unseres Daseyns« in der HyperionVorrede des Thalia-Fragments (III, 163) in Verbindung zu bringen, völlig unbeachtet. 3 Er hätte Anlaß sein können, die Bedeutung des »Gesetzes der Freiheit« für Hölderlins dichterisches Schaffen wenigstens zu erwägen. Immerhin wurden beide Texte etwa gleichzeitig konzipiert, so daß - bei ähnlichen Konstellationen - eine Verknüpfung naheliegt. Sollte sie sich bestätigen und bewähren, so erhielte man einen Wink zur Interpretation der Struktur des »Zustand(s) der höchsten Einfalt«, der »durch die bloße Organisation der Natur« (III, 163) bedingt ist: Da unter ihr »dasselbe statt finde(t)« wie unter der »Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind« (ebd.), diese aber unter dem >Gesetz der FreiheitHymne an die Schönheit bereits nahe gelegt wurde, so daß eventuell die frühen dichterischen und theoretischen Bemü-
2
L 243, Strauß, S. 709. L 66, Cornelissen, S. 13ff. - Cornelissen berücksichtigt j e d o c h nicht, d a ß der • »Naturzustand der Einbildungskraft« (Z. 2) mit dem »Naturzustand«, der als »Analogie dessen was Natur heißt« (Ζ. 19) begriffen wird, nicht identisch ist. 4 Zur Reglementierung der Zitierweise werden da, w o vom G e s e t z als G e s e t z gesprochen wird, einfache Anführungszeichen (>Gesetz der FreiheitHyperion< unter einem einheitlichen Gesichtspunkt erörtert werden könnten. Zudem müßten sich aus einer Verknüpfung des »Gesetzes der Freiheit« mit der Vorrede des Thalia-Fragments notwendige Folgerungen für die Konstruktion der scheinbar nicht zu fixierenden >exzentrischen Bahn< Hölderlins ziehen lassen. Diese Bezugsmöglichkeiten geben dem abgebrochenen theoretischen Entwurf einen besonderen Stellenwert und erfordern seine ausführliche Analyse. In der Tat ist es die eigenartige Sonderstellung der Moral, die das »Gesetz der Freiheit« als moraltheoretisch gemeinten Entwurf verdächtig macht: Hölderlin behauptet eine »moralische« Ordnungsmöglichkeit der Einbildungskraft unter dem >Gesetz der Freiheit, wobei sich die so strukturierte Einbildungskraft im Laufe der Abhandlung als das dichterische Vermögen der »Phantasie« herausstellt (Z. 28). Im Kontext der Willensbestimmungen aber ist es bei Kant kaum möglich, von einer Organisation der Einbildungskraft zu sprechen. Sofern Vorstellungen den Willen bestimmen, sind sie Neigungen und als solche wirken sie unmittelbar und unterstehen keiner weiteren Reglementierung. Es ist sinnlos, sich eine Mannigfaltigkeit von Neigungen zu denken, die organisiert werden müßte, um als Willensbestimmung in Betracht kommen zu können. Dieses Sonderprivileg »moralischer« Aktivität im Bereich der Einbildungskraft, das an Schillers >geliehene< Freiheit in den Kalliasbriefen erinnert, veranlaßte Dieter Henrich, im Zusammenhang des »Gesetzes der Freiheit« erstmals Hölderlins Kunstproblematik aufzuwerfen: Hölderlin versuche, »durch eine analoge Unterscheidung zweier Gestalten der Phantasie« »Schillers Unterscheidung zwischen schöner Seele und sittlichem Naturtalent« zu ergänzen. »Hölderlin hoffte offenbar, auf diese Weise einen philosophischen Begriff von der Subjektivität des Künstlers und (über) den Ursprung der Kunst in einer zur Natur gewordenen Sittlichkeit zu finden.«5 Daran knüpft Hannelore Hegel an, die Hölderlins Bemühungen im »Gesetz der Freiheit« als Versuch deutet, die »Wahrheit« der Kunst auf die »Möglichkeit sittlichen Handelns aus Freiheit« zu gründen.6 Hölderlin wolle damit nicht »die Kunst als Lehrmeisterin oder als Beförderin der Sittlichkeit des Menschen« (ebd.) begreifen (wie etwa Schiller); auch ein bloßer Appell an den Künstler, moralisch relevante Produkte 5 6
46
L 109, Henrich, S. 80-81. L 97, Hannelore Hegel, S. 31-32.
hervorzubringen, kann nicht gemeint sein. Dazu bedürfte es nicht des aufwendigen philosophischen Apparates. So müssen wir fragen, auf welche Weise und in welchem Sinne Hölderlin die Verbindung von Einbildungskraft und Moralität im »Gesetz der Freiheit« zu leisten vermochte. - Wie Schiller hat er die Aufgabe im Hinblick auf Kant in Angriff genommen. Aber ebenso wie jener entfernt er sich weit von dem Vorbild, weil Kant in seiner Ästhetik keine zufriedenstellende Auskunft über die Produktionsweise des Künstlers und dessen Produkte, die »ästhetischen Ideen«, gegeben hatte. Daran aber war Hölderlin als Dichter in erster Linie gelegen. Auch Schiller bot Hölderlin in diesem Punkt keine bedeutende Unterstützung. Er hatte in >Anmut und Würde< lediglich in einer Anmerkung das Genie »in seinem Ursprünge wie in seinen Wirkungen mit der architektonischen Schönheit« verglichen: »Wie diese«, so sei »auch jenes ein bloßes Naturerzeugniß«; »und nach der verkehrten D e n k a r t d e r M e n s c h e n , die, was nach
keiner
Vorschrift
nachzuahmen
und
durch kein Verdienst zu erringen ist, gerade am höchsten schätzen, wird die Schönheit mehr als der Reiz, das Genie mehr als erworbene Kraft des Geistes bewundert. Beyde Günstlinge der Natur werden bey allen ihren Unarten . . . als ein gewisser Geburtsadel, als eine höhere Kaste betrachtet, weil ihre Vorzüge von Naiurbedingungen abhängig sind und daher über alle Wahl hinausliegen.«
(NA 20,275)
Damit knüpft Schiller an die §§ 46ff der Kritik der Urteilskraft an, in denen Kant das Genie als die »angeborene Gemütsanlage (ingenium)« entwickelt, »durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt«. Und wie dieser fordert, daß das Genie sich in seiner üppigen, naturwüchsigen Entfaltung der Einbildungskraft einschränken und disziplinieren müsse, wenn schöne Kunst entstehen solle - (»denn aller Reichtum (der Einbildungskraft) bringt in ihrer gesetzlosen Freiheit nichts als Unsinn hervor«, § 50, 202-03) - so behauptet Schiller im folgenden seiner Anmerkung von >Anmut und Würdec Aber wie es der architektonischen Schönheit ergeht, wenn sie nicht rechtzeitig Sorge trägt, sich an der Grazie eine Stütze und eine Stellvertreterinn heranzuziehen, ebenso ergeht es auch dem Genie, wenn es sich durch Grundsätze, Geschmack und Wissenschaft zu stärken verabsäumt. War seine ganze A u s s t a t t u n g e i n e lebhafte
und blühende
Einbildungskraft
so m a g e s bey
Zeiten darauf denken, sich dieses zweydeutigen Geschenks durch den einzigen Gebrauch zu versichern, wodurch Naturgaben Besitzungen des Geistes werden können; dadurch, meyne ich, daß es der Materie Form ertheilt-, denn der Geist kann nichts, als was Form ist, sein eigen nennen. Durch keine verhältnismäßige Kraft der Vernunft beherrscht, wird die wildaufgeschossene
47
üppige
Naturkraft 7
über die Freyheit
des Verstandes
hinauswachsen
und sie
eben so erstiken, wie bey der architektonischen Schönheit die Masse endlich die Form unterdrückt.
Diese Nebenbemerkung in >Anmut und Würde< ist einer von mehreren Schlüsseln zum Verständnis des »Gesetzes der Freiheit«: Wie Kant »Geschmack« und »Urteilskraft« vom G e n i e fordert, um seine üppige Einbildungskraft »dem Verstände anzupassen« (203), verlangt Schiller - vom Produktionsstandpunkt aus - Formung der Materie und »Freiheit des Verstandes«, um das Genie zu disziplinieren.- Hölderlin glaubte eben diese Formkraft im >Gesetz der Freiheit< wahrzunehmen, so daß er Schillers schulmeisternde Seitenhiebe parieren konnte; denn dieser meinte weiterhin in >Anmut und W ü r d e c Besonders an denjenigen »Dichtergenien«, »die früher berühmt werden, als sie mündig sind«, mache man oft die Erfahrung, daß sie nach »kurze(m) Frühling« nur »schwammigte und oft verkrüppelte Geburten, die ein mißgeleiteter Bildungstrieb erzeugte«, hervorzubringen vermöchten. »Gerade da, wo man erwarten« könne, daß »der bildende Geist in der Anschauung Ideen« niederlege, seien sie, »wie jedes andre Naturprodukt, der Materie anheim gefallen, und die vielversprechenden Meteore erscheinen als ganz gewöhnliche Lichter.« (NA 20, 276)
Hyperion, »der Wandler in der Höhe«, sollte kein »Meteor« werden, und so war es Hölderlins erste Aufgabe, »die poetisierende Einbildungskraft« - wie Schiller sich weiterhin ausdrückt - nicht zu dem »Stoff« zurücksinken zu lassen, »aus dem sie sich losgewickelt hatte«. Über die Schwierigkeiten, mit denen er - sowohl im Hinblick auf Kant, als auch auf Schiller - beim Versuch einer gesetzlichen Bestimmung des dichterischen Vermögens konfrontiert wurde, mag fürs erste eine Untersuchung der Einbildungskraft in Hölderlins Entwurf und in Kants Kritik Aufschluß geben:
7
48
Man denke hier an Hölderlins »Naturzustand der Einbildungskraft« im »Gesetz der Freiheit« (Z. 2).
2) Einbildungskraft im » G e s e t z der Freiheit« Zu Beginn des Fragments unterscheidet Hölderlin einen »Naturzustand der Einbildungskraft« von der »Anarchie der Vorstellungen«, die man eigentlich als zwei Naturzustände der Einbildungskraft fassen könnte, wie sich aus den Zeilen 10 und 12 ergibt. 8 U m Verwirrungen zu vermeiden - zumal zwei weitere >Naturzustände< angeführt w e r d e n (Z 15 und 24), die mit den beiden ersten nicht ohne weiteres identisch sind - sprechen wir von zwei Urzuständen der Einbildungskraft, von denen der eine Hölderlins »Naturzustand«, der andere die »Anarchie der Vorstellungen« meint. Diese zwei Urzustände scheinen sich zwar zu gleichen, insofern beide gesetzlos sind, müssen aber dennoch auseinandergehalten werden, weil Hölderlin sie unter jeweils verschiedene Ordnungsfunktionen stellt: Die »Anarchie der Vorstellungen« soll durch den »Verstand« organisiert w e r d e n (Z 3),9 der »Naturzustand« durch das » G e s e z der Freiheit« (Z 8/9). Jene Gesetzlosigkeit denkt Hölderlin als eine »theoretische«, diese als eine »moralische« (Z 8). Die zweifache Behandlungsmöglichkeit der Einbildungskraft entwickelt Hölderlin somit im Hinblick auf Kants Unterscheidung von 8
Es heißt Z. 10: »Dort (in der Anarchie der Vorstellungen) wird die Einbildungskraft an und für sich . . . betrachtet«; und Z. 12 ausdrücklich: »In jener Anarchie der Vorstellungen, wo die Einbildungskraft theoretisch betrachtet wird...«. - Demnach ist »Einbildungskraft« nicht nur auf »Naturzustand«, sondern auch auf »Anarchie der Vorstellungen« zu beziehen. 9 Man könnte meinen, daß der Relativsatz in der zweiten Zeile nicht auf »Anarchie der Vorstellungen«, sondern lediglich auf »Vorstellungen« zu beziehen sei; und das würde auch von Kant her gesehen einen vernünftigen Sinn ergeben, insofern es gerade die Vorstellungen sind, die der Verstand organisiert (nicht etwa bloß eine ungeregelte Fülle empirischer Wahrnehmungen). - Hölderlin scheint die eigentliche Funktion des Verstandes aber anders zu denken. Auch erfordert die parallele Behandlung beider Urzustände der Einbildungskraft die Beziehung des Relativsatzes auf »Anarchie der Vorstellungen«. Vgl. bes. Z. 12, wo die »theoretische« Behandlung, also die durch den Verstand (Z. 2), ausdrücklich auf »Anarchie der Vorstellungen« bezogen ist. - Immerhin wäre noch zu erwägen, ob Hölderlin vielleicht dem Verstand eine Doppelfunktion zuschreibt, so daß er einerseits die Vorstellungen, andererseits aber auch die Anarchie der Vorstellungen organisieren könnte. Das würde auch nicht zu einem Widerspruch in Z. 12-14 führen: denn dann könnte der Verstand in seiner theoretischen Behandlung der Einbildungskraft zunächst »Einheit desMannigfaltigen« bewirken (Z. 13) und darüberhinaus »Ordnung der Wahrnemungen« ermöglichen (Z. 14). Das Komma zu Ende der Z. 13, das eine Erläuterung des einen durch das andere suggeriert, steht nicht im Text, sondern ist eine Konjektur Beissners (vgl. STA IV, 733,3). Man könnte es sich auch durch ein >und< ersetzt denken. - Aber dann entstehen doch noch weitere Schwierigkeiten, die eine mögliche Kantgemäßheit nicht retten. - Vgl. das Folgende. 49
theoretischer und praktischer Vernunft, ohne ihr allerdings zu entsprechen, wie im folgenden näher zu zeigen ist. Sie paßt sich vielmehr den Differenzen an, die Schiller im zweiten der Kalliasbriefe vom 8. Febr. 1793 zwischen theoretischer und praktischer Vernunft hervorhebt, wenn er sagt: »Die Vernunft verbindet entweder Vorstellung mit Vorstellung zur Erkenntnis (theoretische Vernunft) oder sie verbindet Vorstellungen mit dem Willen zur Handlung (praktische Vernunft).« Allerdings ist bei Hölderlin die »moralische« Organisation der Einbildungskraft nicht unmittelbar auf Handlungen bezogen. Bemerkenswert ist an Hölderlins vorläufiger Explikation weiterhin, daß er für die theoretische Ordnung der »Anarchie der Vorstellungen« zwar das Vermögen (den Verstand) angibt, nicht aber das >Gesetzmoralische< Organisation der Einbildungskraft mit dem »Begehrungsvermögen« glaubt angeben zu können.10 Solche Unsicherheiten sind symptomatisch, und sie deuten nur auf die Komplikationen, die sich ergeben mußten, als Hölderlin Kants Begrifflichkeit in seinen ersten theoretischen Entwurf übernahm, aber vollkommen umfunktionierte. Wesentlichster Unterschied bei Hölderlins Einführung zweier Urzustände der Einbildungskraft ist Kant gegenüber, daß es dort eine »moralische« Organisation der Einbildungskraft unter einem - wie auch immer zu bestimmenden - >Gesetz der Freiheit nicht gibt. Die Moral hat es nach Kant ausschließlich mit Willensbestimmungen zu tun. Sie gibt die Gesetze für das menschliche Handeln, nicht aber für das Vorstellen; sie kann diese Gesetze deswegen geben, weil Freiheit sich durch das moralische Gesetz im Praktischen als ein »Faktum« erweist,11 wogegen 10
11
50
Für das >anund für sich< in Z. 10 gibt Beissner 2 Varianten: (1) [an und] für sich allein; (2) >an und< unterpunktiert; >allein< gestrichen. Vgl. KpV, § 7, A 54ff. Dazu L 103, Henrich, S. 36. - Zur Problematik vgl. weiterhin: L 92, Habermas, S. 244 zum Begriff des >Vernunftinteresses< und S. 247ff. zur Freiheit des Willens.
sie in der Theorie ein »problematischer« Begriff bleiben muß. So finden wir zwar auch in Kants Moralphilosophie ein >Gesetz der Freiheit, oder besser: ein »Gesetz der Kausalität aus Freiheit« (KpV A 32), das aber immer nur auf den Willen und das Begehrungsvermögen, niemals auf die Einbildungskraft gerichtet oder bezogen sein kann. Hölderlins Übertragung muß deshalb ihrerseits problematisch bleiben. Die Einbildungskraft findet nach Kant ihren angemessenen Platz im Rahmen theoretischer Erkenntnis, wo Kant ihr - seinem transzendentalen Denken gemäß - eine von der Tradition abweichende Stellung einräumt: »Die Synthesis überhaupt ist,..., die bloße Wirkung der Einbildungskraft«, sagt Kant (KrV Β 103) und versteht unter »Synthesis«: »die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen«. Drei wesentliche Momente unterscheidet Kant im Erkenntnisprozeß: Das erste, was zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a priori gegeben sein muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ist das zweite, gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, welcher dieser reinen Synthesis Einheit geben, und lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte zum Erkenntnisse eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem Verstände. (B 104)
Mit einer solchen Funktion der Einbildungskraft im theoretischen Erkenntnisprozeß müßte derjenige Urzustand der Einbildungskraft bei Hölderlin verglichen werden, der »theoretisch«, durch den »Verstand«, organisiert werden soll. Ein Unterschied sticht jedoch sogleich hervor: bei Hölderlin ist die Einbildungskraft organisieröar, bei Kant organisiert, oder besser: synthetisiert sie selbst, sie bewirkt »die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun...«; sie ist also produktiv und selbsttätig, wogegen sie bei Hölderlin lediglich passiv und reproduktiv zu sein scheint und vorausgesetzt werden muß, damit eine »Einheit des Mannigfaltigen, Ordnung der Warnehmungen« durch den Verstand geleistet werden kann.12 So scheint nach obigem Zitat die Einbildungskraft bei Kant bereits diejenige Vereinigung des Mannigfaltigen der Sinnlichkeit zu leisten, die nach Hölderlin der Verstand zu bewirken hätte; oder umgekehrt: Hölderlin hat die Funktion, die nach Kant der Einbildungskraft zukommt, die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Synthesis, ähnlich wie Schiller in den Kalliasbriefen (vgl. III, 241) - dem Verstand übertragen und die Einbildungskraft mit dem Mannigfaltigen der Sinn12
Vgl. dazu Anmerkung 9 dieses Kapitels.
51
lichkeit identifiziert, worauf besonders der Terminus »Anarchie der Vorstellungen« hinweist. Von einer »Anarchie der Sinnlichkeit« hatte Schiller in >Anmut und Würde< gesprochen für den Fall, daß die »Natur« ihren Produkten keine »Form« erteile (NA 20,288). Darauf könnte sich Hölderlin beziehen. Er setzte so eine Mannigfaltigkeit der Einbildungskraft, der >Form< zu erteilen wäre, als gegeben voraus, während nach einer Fußnote der 1. Auflage der KrV (A 120) »die Einbildungskraft ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst« ausmacht. Man habe eine solche Funktion der Einbildungskraft bisher deshalb verkannt, fährt Kant an gleicher Stelle fort, weil man dieses Vermögen teils nur auf Reproduktion einschränkte, teils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns nicht allein Eindrücke, sondern setzten solche auch sogar zusammen, und brächten Bilder der Gegenstände zuwege, wozu ohne Zweifel außer der Empfänglichkeit der Eindrücke, noch etwas mehr, nämlich eine Funktion der Synthesis derselben erfordert (werde).
Hat Hölderlin die Einbildungskraft in ihrem Urzustand lediglich als reproduktiv gedacht, d. h. so, daß sie die »Bilder der Gegenstände«, die sie von den Sinnen empfängt, bereitzustellen hat, um sie entweder dem Verstand zur Vereinheitlichung und Systematisierung zu übergeben, oder durch das Gesetz der Freiheit organisieren zu lassen? Sie spielte in diesem Falle - der Tradition gemäß - ausschließlich die Rolle eines Vorstellungslieferanten, und wäre rezeptiv wie alle Anschauung (vgl KrV Β 277), wogegen sie nach Kant »eine Ausübung der Spontaneität« ist, »welche bestimmend, und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist« (Β 151/52).13 Um diese Frage zu klären, müssen wir Kants neuartige Unterscheidung von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft näher untersuchen, zumal sie für Hölderlins Unterscheidung einer theoretischen und einer praktischen Ordnungsmöglichkeit den Ausschlag gegeben haben könnte, wie Böhm bereits vermutete.14 Wir beziehen uns dabei auf Kants Ausführungen in der 1. Auflage der KrV, in der diese Differenzierung klarer hervortritt als in der 2. Auflage von 1787.15
13
14 15
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Zwar gehört nach Kant die Einbildungskraft »der subjektiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit« (B 151), ihrer Funktion nach aber ist sie von dieser gänzlich unterschieden. L 46, Böhm, S. 385. Zu den schwierigen Differenzen zwischen 1. und 2. Aufl. vgl. L 100, Heidemann, S. 3ff.
3) Produktive und reproduktive Einbildungskraft bei Kant In der KrV (A 120ff) legt Kant eine Deduktion der Erkenntnis vor, indem er »den notwendigen Zusammenhang des Verstandes mit den Erscheinungen vermittelst der Kategorien«, wie er sagt, »von unten auf«, »nämlich dem Empirischen«, entwickelt. Sowohl als produktivem wie auch als reproduktivem Vermögen wird der Einbildungskraft in diesem Zusammenhang ein entsprechender Platz zugewiesen: Wie in der 2. Auflage (B 103) wird die Einbildungskraft - zunächst noch nicht differenziert - als »tätiges Vermögen der Synthesis« des Mannigfaltigen eingeführt, das jede Erscheinung enthält: Gäbe es dieses Vermögen der Synthesis nicht, so würden die »verschiedenen Wahrnehmungen«, die zu einer Erscheinung gehören, nur »zerstreut und einzeln« im Gemüt angetroffen werden, und Erkenntnis wäre von vornherein ausgeschlossen. Diese Handlung der Synthesis durch die Einbildungskraft heißt Apprehension und wird »unmittelbar an den Wahrnehmungen« ausgeübt. Sie ist nötig, damit die Einbildungskraft »das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild bringen« kann. Allerdings ist die bloße Apprehension allein nach Kant noch nicht fähig, ein Bild und »Zusammenhang der Eindrücke« hervorzubringen, dazu bedarf es eines »subjektiven Grundes«, »eine Wahrnehmung, von welcher das Gemüt zu einer anderen übergegangen, zu den nachfolgenden herüberzurufen; und so ganze Reihen derselben darzustellen«. Diesen subjektiven Grund der Reihenbildung von Wahrnehmungen nennt Kant das » reproduktive Vermögen der Einbildungskraft«. Die Reproduktion durch die empirische Einbildungskraft muß aber ihrerseits unter einer Ordnungsfunktion stehen, wenn nicht nur »regellose Haufen« von Vorstellungen entspringen sollen. Diesen »subjektiven und empirischen Grund der Reproduktion nach Regeln« nennt Kant »die Assoziation der Vorstellungen«. So ist die »Synthesis« der reproduktiven Einbildungskraft »lediglich empirischen Gesetzen, nämlich denen der Assoziation unterworfen« (B 152). Davon muß die Einbildungskraft in ihrer Spontaneität als »ein Vermögen einer Synthesis a priori« unterschieden werden. Denn hätte die »Einheit der Assoziation nicht auch einen objektiven G r u n d . . . so würde es auch etwas ganz Zufälliges sein, daß sich Erscheinungen in einen Zusammenhang der menschlichen Erkenntnisse schickten«. Wir könnten zwar ein Vermögen besitzen, »Wahrnehmungen zu assoziieren«, es bliebe aber »an sich ganz unbestimmt und zufällig, ob sie auch assoziabel wären« und sie gehörten nicht notwendig »zu einem Bewußtsein meiner selbst«. Diesen objektiven Grund aller Assoziation der Erschei53
nungen in der reproduktiven Einbildungskraft nennt Kant die »Affinität«, die auf dem Grundsatz der Einheit der Apperzeption beruht. Zu dieser aber würden die Erscheinungen »ohne synthetische Verknüpfung« keineswegs zusammenstimmen, so daß die Einbildungskraft objektiv auch als ein »Vermögen einer Synthesis a priori« zu gelten hat, und Kant nennt sie deshalb » p r o d u k t i v « . Sofern sie in Ansehung alles Mannigfaltigen der Erscheinung nichts weiter, als die notwendige Einheit in der Synthesis derselben zu ihrer Absicht hat, kann diese die transzendentale Funktion der Einbildungskraft genannt werden (A 123). So ist nach Kant allein durch die transzendentale Funktion der produktiven Einbildungskraft »die Affinität der Erscheinungen, mit ihr die Assoziation und durch diese endlich die Reproduktion nach Gesetzen, folglich die Erfahrung selbst möglich« und ohne sie würden »gar keine Begriffe von Gegenständen in eine Erfahrung zusammenfließen«. 16 Wir müssen fragen, ob Kants Unterscheidung von produktiver Einbildungskraft (als einem Vermögen der Synthesis a priori) und reproduktiver Einbildungskraft (als einem empirischen Vermögen der Synthesis nach Gesetzen der Assoziation) mit Hölderlins zweifacher Organisierbarkeit der Einbildungskraft in Beziehung gebracht werden kann, zumal im »Gesetz der Freiheit« einige Formulierungen auftauchen, die auf die eben zitierten Abschnitte der >Kritik der reinen Vernunft< zurückweisen: Darauf deutet zum einen der Terminus der »Anarchie der Vorstellungen«, den Hölderlin zwar aus Schillers Begriff der »Anarchie d e r Sinnlichkeit« umzubilden scheint, der sich aber auch auf Kants sinnliche Mannigfaltigkeit (vgl. Β 103), die selbst noch nicht unter Bedingungen der Synthesis steht, beziehen könnte. Allerdings scheint Hölder16
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Vgl. zusammenfassend: Anthropologie § 25, Β69: »Die Einbildungskraft..., als ein Vermögen der Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes, ist entweder produktiv, d. i. ein Vermögen der ursprünglichen Darstellung des letzteren ..., welche also vor der Erfahrung vorhergeht; oder reproduktiv, der abgeleiteten ..., welche eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüt zurückbringt.« Wichtig für eine genauere Bestimmung des Vermögens der Einbildungskraft bei Kant wäre auch die Unterscheidung von Schema und Bild (vgl. KrV, Β 179). Selbst wenn Schema wie Bild Produkte der Einbildungskraft sind, dürfen beide nicht verwechselt werden. »Das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (also der Figuren im Räume) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen und an sich demselben nicht völlig kongruieren.« (KrV, Β 181) - Vgl. dazu L 31, Biemel, S. 109ff.).
lin die Vorstellungen dieser Anarchie selbst bereits als >synthetisiert< vorauszusetzen, wenn er Z. 14 sagt, die theoretische Organisation gehe auf »Ordnung der Warnemungen«. Nach Kant vollzieht sich die Synthesis des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft »unmittelbar an den Wahrnehmungen« selbst (A 120), so daß Hölderlin, wenn er Kants Begriff der Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungen im Auge hätte - was hier nicht klar zu entscheiden ist -, bereits fehl ginge. Ganz unmöglich aber wird es, Hölderlins >theoretische< Organisation der »Anarchie der Vorstellungen« unter Gesetzen der produktiven Einbildungskraft zu begreifen, wenn er Z. 13/14 die »Einheit des Mannigfaltigen« und die »Ordnung derWarnemungen« als »möglich, aber zufällig« erklärt. Da nach Kant die produktive Einbildungskraft ein »Vermögen einer Synthesis a priori« ist (A 123), steht ihre theoretische Leistung unter Gesetzen der Notwendigkeit. So ist die Voraussetzung einer produktiven Einbildungskraft in dem Prozeß, den Hölderlin als die >theoretische< Organisation'der »Anarchie der Vorstellungen« bezeichnet und der am ehesten mit Kants theoretischer Synthesis hätte verglichen werden müssen, ausgeschlossen. Sein Versuch der Erklärung des theoretischen Prozesses der Erkenntnis läßt sich mit Kants Deduktion nicht in Einklang bringen; er gleicht Schillers empirischem Ansatz, der das Verfahren der theoretischen Vernunft sehr vage als eine Synthesis von »Vorstellung mit Vorstellung zur Erkenntnis« (111,241) beschreibt. Die Einbildungskraft bleibt bei Hölderlin ein Vermögen, das ein Arsenal von Vorstellungen bzw. Bildern liefert, nach deren Möglichkeit nicht weiter gefragt wird; sie sind als synthetisierte vorauszusetzen. Hölderlin problematisiert nicht den letzten Grund der Einheit des Mannigfaltigen und steht damit Kants transzendental-theoretischer Philosophie ebenso fremd gegenüber wie Schiller.17 »Des Verstandes ganzes Geschäft«, so heißt es noch im >Hyperion< an entscheidender Stelle (III, 83), sei »Nothwerk«. »Vor dem Unsinn, vor dem Unrecht« schütze er, »indem er ordnet«. So taucht hier die gleiche Vokabel auf wie im »Gesetz der Freiheit« (Z. 14). Und ein Bild ergänzt Hölderlins Vorstellung von der bloßen Tätigkeit des Verstandes (III, 83): Verstand ist ohne Geistesschönheit, wie ein dienstbarer Geselle, der den Zaun aus grobem Holze zimmert, wie ihm vorgezeichnet ist, und die gezimmerten Pfähle an einander nagelt, für den Garten, den der Meister bauen will.
17
Vgl. L 105, Henrich, S. 533.
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Damit ist deutlich, daß Hölderlin der bloßen Verstandestätigkeit keine besondere Bedeutung beimißt. Der Verstand grenzt ab, ordnet, leistet Hilfsdienste. »Aus blosem Verstände kömmt keine Philosophie, denn Philosophie ist mehr, denn die beschränkte Erkenntniß des Vorhandnen«, läßt Hölderlin Hyperion an gleicher Stelle sagen. Sofern er sich aber mit »Geistesschönheit« verbindet, erhält der Verstand eine außerordentlich bedeutsame Funktion, wie verschiedene Dokumente Hölderlins aus den Jahren 1795 bis 97 beweisen. 18 Der Verstand erreicht dabei eine Dimension, die ihn den anderen G r u n d k r ä f t e n >Vernunft< und >Einbildungskraft< nicht mehr unterordnen muß. Mit der Reflexion der Verstandestätigkeit, sofern sie auf »Geistesschönheit« bezogen bleibt, findet Hölderlins Vermögenstheorie in den Jahren 1796/97 sogar einen gewissen Abschluß. 19 U m die Vernunft als das » Begründende « und den Verstand als das »Begreifende« interpretieren zu können (VI, 208,14f), bedurfte es allerdings mehrerer Wandlungsprozesse im Denken Hölderlins, die von seinem Waltershäuser Standpunkt aus noch nicht zu beschreiben sind.20 Dafür aber genießt hier die Moralphilosophie einen entschiedenen Vorrang, der im »Gesetz der Freiheit« durchgängig gewahrt ist. Wahrscheinlich ist er auch die Ursache für den zweimaligen G e b r a u c h des Präteritums im Zusammenhang der theoretischen Organisation der »Anarchie«: Z. 3 heißt es: die »Anarchie der Vorstellungen, die der Verstand organisirte«; Z. 12/13: »In jener Anarchie der Vorstellungen, wo die Einbildungskraft theoretisch betrachtet wird, war zwar eine Einheit des Mannigfaltigen . . . möglich«. Sei es, d a ß die theoretische Organisation hier lediglich als unwichtig bei Seite geschoben wird, oder aber, daß sie als Voraussetzung der >moralischen< Organisation gedacht werden sollte - worauf der >Gesellendienst< des Verstandes im >Hyperion< noch hinweisen könnte - in beiden Fällen drückt die überraschende präteri" Das beginnt mit »Hermokrates an Cephalus« (STA IV, 213), w o der Verstand zum ersten Mal in gewisser Weise herausgehoben wird und läßt sich weiterhin verfolgen über den Brief an Niethammer vom 24. Februar 1796 (Nr. 117), den Brief an den Bruder vom 2. Juni (?) 1796 (Nr. 121), den Brief an Schiller vom August 1797 (?) (Nr. 144) und zeigt sich besonders zu Beginn des >Religionsfragments< (STA IV, 275ff.). 19 Vgl. zu diesem Problem L 242a, Strack, S. 144ff. 20 L 195, Raabe, S. 263 bestätigt Hölderlins spätere Anerkennung der Verstandesleistung, auch wenn er andererseits Hölderlins »polares Wesen« dem »ruhigen Verstandesmenschen« gegenüber akzentuiert. - Etwas zugespitzt kann man behaupten, daß Hölderlins späte Dichtung ohne seine bestimmte Theorie der Verstandesleistung nicht zu denken ist. Auch die sogenannte »Vaterländische Umkehr« findet darin ihren Grund.
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tale Form in bezug auf die theoretische Organisation die Priorität des Moralischen aus. So drängt sich die Vermutung auf, daß Hölderlin die Einbildungskraft als >produktives< Vermögen zu kostbar war, um sie im theoretischen Bereich aufzuzehren. Er glaubt ihr einen würdigeren Bereich, den moralischen, anweisen zu können. Nur in diesem soll über die »zufällige« Ordnung der Wahrnehmungen hinaus eine >notwendige< Organisation der Einbildungskraft in einem »vesten Zustand«, der »von uns« abhängt (Z. 29-30), möglich sein. Dem theoretischen Bereich bleibt so nur die >reproduktive< Einbildungskraft vorbehalten, von der Kant ebenfalls sagt, daß sie denkbar wäre ohne die Wirkung der Einheit der Apperzeption, dann aber höchstens »ganz unbestimmt und zufällig« Wahrnehmungen assoziierte (KrV, A 122). Dieses >zufällig< könnte Hölderlin Z. 14 gemeint haben, anders bliebe die Vokabel im Zusammenhang der theoretischen Organisation der Einbildungskraft unverständlich. Es erhärtet sich die Annahme, daß Hölderlin in der theoretischen »Ordnung der Anarchie der Vorstellungen« lediglich Kants Begriff der reproduktiven Einbildungskraft aufzunehmen gedachte, - auch wenn er ihm nicht gerecht wird -, wogegen er den der produktiven, der nach der ersten Auflage der >Kritik der reinen Vernunft< die Quintessenz der theoretischen Synthesis ausmachte, in neuer Bestimmung für die »moralische« Ordnung des Naturzustandes der Einbildungskraft hoffte fruchtbar machen zu können. 4) Die ästhetisch produktive Einbildungskraft Selbst eine solch außerordentliche Veränderung scheint Hölderlin nicht ohne einen Blick auf Kant und nicht ohne sich dort in gewisser Weise abzusichern, vorgenommen zu haben; denn auch bei Kant erhält die Einbildungskraft »als produktives Erkenntnisvermögen« neben ihrer transzendentalen Leistung, »notwendige Einheit in die Synthesis« der Erscheinungen zu bringen (A 123), eine zusätzliche Funktion. Darauf deutet bereits die angeführte Stelle in der KrV A 123:»... sofern sie (die produktive Einbildungskraft) in Ansehung alles Mannigfaltigen der Erscheinungen nichts weiter als die notwendige Einheit in der Synthesis derselben zu ihrer Absicht hat...«, könne sie die »transzendentale Funktion der Einbildungskraft« genannt werden. Man fragt sich, was produktive Einbildungskraft darüberhinaus beabsichtigen oder leisten könnte? Und darauf gibt Kant selbst in dem Kapitel der >Kritik der Urteilskraft< eine Antwort, das von den » Vermögen des Gemüts, welche das Genie ausmachen«, handelt (§ 49,192-93): 57
Die Einbildungskraft (als produktives Erkenntnisvermögen) ist nämlich sehr mächtig in Schaffung gleichsam einer andern Natur, aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche gibt. Wir unterhalten uns mit ihr, wo uns die Erfahrung zu alltäglich vorkommt; bilden diese auch wohl um: zwar noch immer nach analogischen Gesetzen, aber doch auch nach Prinzipien, die höher hinauf in der Vernunft liegen (und die uns eben sowohl natürlich sind, als die, nach welchen der Verstand die empirische Natur auffaßt); wobei wir unsere Freiheit vom Gesetze der Assoziation (welches dem empirischen Gebrauche jenes Vermögen anhängt) fühlen, nach welchem uns von der Natur zwar Stoff geliehen, dieser aber von uns zu etwas ganz anderem, nämlich dem, was die Natur übertrifft, verarbeitet werden kann.
Hier treffen wir auf eine weitere Schlüsselstelle zur Erläuterung des »Gesetzes der Freiheit«. Hölderlins »kantisch-ästhetischen Beschäftigungen«, die in der Waltershäuser Zeit mehrfach bezeugt sind,21 lassen erwarten, daß die ästhetisch produktive Einbildungskraft, die Kant hier skizziert, ihn mehr interessierte als deren transzendental-theoretische Funktion. Außerdem werden im Kontext dieses Paragraphen die »ästhetischen Ideen« abgehandelt, zu denen Hölderlin einen Aufsatz schreiben wollte. Im Hinblick darauf und im Zusammenhang der spezifischen Organisation der Einbildungskraft im ästhetischen Verfahren, das Hölderlin im »Gesetz der Freiheit« als »moralisches« qualifiziert, gewinnen Kants Ausführungen in § 49 ihre besondere Bedeutung: Doch ist zu beachten, daß Hölderlin - auch unter Berücksichtigung dieser Stelle der Urteilskraft - weit über Kant hinausgeht; denn auch hier ist nicht von »moralischer« Organisierbarkeit der Einbildungskraft unter einem >Gesez der Freiheit die Rede. Kant weist vielmehr auf eine Leistung der produktiven Einbildungskraft, die zu deren transzendentaler Funktion noch hinzutreten kann, da nämlich, »wo uns die Erfahrung zu alltäglich vorkommt«. Sie ist fähig, eine zweite »Natur« hervorzubringen, »aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche gibt«. Diese Leistung der produktiven Einbildungskraft nennt Kant auch ihre dichtende Funktion. So liegt es nahe, Hölderlins »Naturzustand der Einbildungskraft« mit dem zu vergleichen, was Kant den »Stoff« nennt, den uns die »wirkliche« Natur liefert und den die im zweiten Grade produktive Einbildungskraft verarbeitet. Dieser »Stoff« ist ebensowenig ein bloß sinnlich Mannigfaltiges, wie es Hölderlins »Vorstellungen« sind. Er meint bereits von der transzendentalen Einbildungskraft synthetisierte Vorstellungen oder Anschauungen, die nun nach »analogischen Gesetzen« zu neuen Einheiten verschmolzen werden. Kant nennt sie im folgenden »Ideen«: »einerseits darum, weil sie 21
58
Vgl. Briefe Nr. 83,84 und bes. 88.
zu etwas über die Erfahrungsgrenze hinaus Liegendem wenigstens streben, und so einer Darstellung der Vernunftbegriffe (der intellektuellen Ideen) nahe zu k o m m e n suchen, w e l c h e s ihnen den Anschein einer objektiven Realität gibt; andrerseits, und zwar hauptsächlich, weil ihnen, als inneren Anschauungen, kein Begriff völlig adäquat sein kann« (193-94).
Diese »ästhetischen Ideen«, die als »Vorstellung(en) der Einbildungskraft« »viel zu denken veranlass(en)«, ohne daß ihnen »doch irgendein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff adäquat sein « könnte, unterscheiden sich von den »Vernunftideen«, »welche umgekehrt Begriff(e)« sind, denen »keine Anschauung (Vorstellung der Einbildungskraft) adäquat sein kann« (193). Damit hat Kant die Grenze zwischen Ästhetik und Moral am Beispiel der Produktion ästhetischer und intellektueller Ideen wiederum klar gezogen. »Analogisch« heißen die Gesetze der Einbildungskraft, die >dichtend< eine »andere Natur« hervorbringen, nur deshalb, weil sie den Erfahrungsgesetzen des Verstandes entsprechen, ohne daß sie allerdings, wie jene, zu empirischen Begriffen führen würden.22 So ist die Spontaneität, die hier wirksam wird, keine Spontaneität der reinen Vernunft, sondern eine des Verstandes, der ebenso wie im bloß empirischen Erkenntnisakt, seine Wahrnehmungen unter Regeln zu bringen und in einem Bewußtsein zu vereinigen sucht, ohne daß ihm das freilich gelänge, wie es dem Prinzip der Zweckmäßigkeit, das Kant für die Urteilskraft aufgestellt hatte, entspricht. Die Spontaneität der reinen Vernunft, wie sie im Moralischen nach Kant Geltung beansprucht, ist demgegenüber in ihren Vernunftbegriffen, den intellektuellen Ideen, von Sinnlichkeit ganz unabhängig.23 Deshalb haben die »analogischen Gesetze« - auch wenn sie »höher hinauf in der Vernunft liegen« (193) als die bloßen Verstandesgesetze nichts zu tun mit moralischer Gesetzgebung, als welche Hölderlin sie begreifen müßte, wenn er die Organisation der Einbildungskraft unter dem >Gesetz der Freiheit< in seinem Entwurf damit vergliche.24 Auch die »Freiheit vom Gesetze der Assoziation«, welches »dem empirischenGebrauche«der Einbildungskraft anhängt (ebd.), erlaubt nicht, 22
23
24
Vgl. zu d i e s e m Problem der »analogischen G e s e t z e « auch Urteilskraft, Einleitung, Abschnitt IV: » V o n der Urteilskraft, als einem a priori g e s e t z g e b e n d e n Vermögen«, S. XXVff. Vgl. ergänzend: L 100, Heidemann, S. 29 und Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 108. Vgl. L 31, Biemel, S. 77: » D a s Überschreiten der Erfahrung ist im strengen Sinne d e s Wortes nur ein Überschreiten der vom Verstand g e ö f f n e t e n Dimension der Erfahrung und nicht der Erfahrung schlechthin.«
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eine solche Folgerung zu ziehen; sie ist die gleiche Freiheit der Einbildungskraft, wie sie in der Analyse des Geschmacksurteils bereits zu finden war, die Schiller allerdings mit der moralischen Freiheit, als Freiheit von aller sinnlichen Affizierung, auf verblüffende - wenn auch nicht sehr angemessene - Weise glaubte in Einklang bringen zu können.25 So stehen wir weiterhin vor dem Rätsel, was Hölderlin mit der »moralischen« Organisation des »Naturzustandes der Einbildungskraft« gemeint haben könnte. Unbefriedigend muß eine Erklärung bleiben, die sich mit der Feststellung begnügt, Hölderlin habe gar keine präzise Auskunft über die ästhetischen Gestaltungsprinzipien geben, sondern diese nur einem umfassenden sittlichen Bewußtsein eingliedern wollen. Damit würde die parallele Anordnung von theoretischer und moralischer Organisation, die eine unmittelbare Abhängigkeit der Einbildungskraft von dem entsprechenden Vermögen (Verstand oder Vernunft) voraussetzt, ignoriert. Auch spricht Hölderlins Formulierung, der »Naturzustand« werde »durch« das Gesetz organisiert (Z. 45), ebenso für eine unmittelbare Abhängigkeit der Einbildungskraft vom ordnenden Gesetz, wie die Behauptung, das Begehrungsvermögen »zusamt« der Phantasie stünden unter ihm (Z. 27-28). Ein innerer Zusammenhang, eine direkte Einwirkung des >Gesetzes der Freiheit auf die Einbildungskraft ist deshalb nicht zu bezweifeln. Nur bleibt nach wie vor unklar, wie Hölderlin sie gedacht haben könnte. Möglich wäre die Erklärung, er habe, dem Kantischen Begriff des Genies entsprechend, dessen freie Assoziationen (als solche ließe sich ungezügelte ästhetisch produktive Einbildungskraft deuten) einem sittlichen Ordnungsprinzip unterstellen wollen. Wie Kant von dem Genie forderte, es müsse »Geschmack« haben, wenn es »schöne« Kunst hervorbringen wolle (§ 50), so hätte Hölderlin von der üppigen Entfaltung der Einbildungskraft gefordert, sie habe sich dem rigiden Zwang des Freiheitsgesetzes unterzuordnen. Unbefriedigend an dieser Erklärung der moralischen Organisation der Einbildungskraft ist schließlich, daß völlig unklar bleiben müßte, wie etwa der ästhetisch produktiven Einbildungskraft eine Art kategorischer Imperativ aufgesetzt werden könnte. Auch würde im wesentlichen an Kantischen Prinzipien der Ästhetik festgehalten, während Hölderlin doch im Brief an Neuffer ankündigte, Kants >Grenzlinie< nach Schillerschem Vorbild zu überschreiten. Man muß deshalb annehmen, daß im »Gesetz der Freiheit« eine solche 25
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Vgl. S. 30f. dieser Arbeit.
>Grenzüberschreitung< im angekündigten Sinne vorliegt, anders sind die begrifflichen Unstimmigkeiten in diesem Fragment kaum zu erklären. Weitläufige Deutungsversuche, die eine - wie auch immer geartete Abhängigkeit der Ästhetik von Sittlichkeit in dem Fragment glauben konstruieren und rechtfertigen zu können, ohne daß der angemessene Status der Moral aufgegeben werden müßte, scheinen in die Irre zu führen. Nur dann hätte die Behauptung einer Umdeutung des Moralbegriffes in dem Fragment als voreilig zu gelten, wenn Hölderlin nicht früher schon im Motto der »Hymne an die Schönheit« eine Probe seiner Kantauslegung gegeben hätte: Wie Schiller begreift er die Kantische Moralphilosophie von der ästhetischen Welterfahrung her und gesteht dieser einen Produktivitätscharakter zu, von dem Kant die moralischvernünftige Spontaneität strikt unterscheidet. Bereits in den späteren Tübinger Hymnen hatte Hölderlin die Freiheit und ihr Gesetz in ähnlichem Sinne gefaßt wie im Fragment: Mein Gesez, es tödtet zartes Leben, Kühnen Muth, und bunte Freude nicht,...« (1,158,33-34)
so hatte er die personifizierte Freiheit sprechen lassen, nachdem sie sich schon Taumelnd in des alten Chaos Woogen (I, 157, 25)
»der Freiheit Königin« nannte (ebd. v. 28). Das »Gesez der Freiheit«, so sagt Beissner, erscheine hier als »(Kantisches) Sittengesetz und als die das Weltall ordnende Macht« (1,460,310·- Es werden im folgenden viele Beispiele für diese Erweiterung und Umdeutung des Kantischen Sittengesetzes durch Hölderlin gegeben. Auch Fichte, dessen Freiheitspathos und dessen Erweiterungen der Kantischen Lehre Hölderlin zu dieser Zeit bereits bekannt waren, mußte ihn dabei bestärken. 26 Selbst die Natur, sofern sie harmonische Stimmigkeit zeigt, kann unter solchen Bedingungen für Hölderlin zum Sinnbild >moralischer< Vernünftigkeit werden. In ihr findet »dasselbe« statt wie in der »Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind« (III, 163). D. h. die erste 26
Am 11. August 1794 schrieb Charlotte v. Kalb an Johann Pohrt: »Ferner bitte ich Sie, mir die gedruckten Aufsätze, die Fichte wöchentlich herausgiebt, zu senden.« - Bereits am 1. September bedankt sie sich für die erhaltenen Schriften (vgl. STA VII, 2, S. 9). - G e w i ß hat sie die »Aufsätze« nicht ohne Zutun Hölderlins angefordert, der im Brief Nr. 94 an Hegel Fichtes »spekulative Blätter« erwähnt (STA VI, 155,39).
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(harmonisch geschenkte) Natur muß in einer zweiten (ebenso strukturierten) nach dem >Gesetz der Freiheit wiedergewonnen werden. Die »Einbildungskraft als produktives Erkenntnisvermögen« kann diese Arbeit nach Hölderlin leisten, weil sie - kantisch gesprochen - »sehr mächtig (ist) in Schaffung . . . einer andern Natur, aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche gibt«(Urteilskraftl93). Die ästhetisch produktive Einbildungskraft ist für Hölderlin ein ursprünglich schöpferisches Vermögen, in dem sich die sittlichen Grundkräfte des Menschen - sofern sie intellektuelle Spontaneität meinen - ebenso äußern, wie sie nach Kant in der Moral wirksam sind. Das scheint die Übertragung ihrer Grundsätze zu rechtfertigen. Nur bedeutet >Vernünftigkeit< in diesem Falle nicht mehr Kraft der Selbstbestimmung als Selbstdisziplinierung und Zurückweisung sinnlicher Ansprüche, sondern Ordnung sinnlicher Mannigfaltigkeit zu zweckmäßiger Einheit. So ist die >moralische< Organisation der Einbildungskraft unter dem >Gesetz der Freiheit nach Hölderlin als die unmittelbare ästhetische Synthesis nach zweckmäßig-teleologischen Prinzipien zu verstehen, entsprechend Schillers Forderung in >Anmut und WürdeAnmut und Würde< eine Verknüpfung von Ästhetik und Moral nur für die architektonische Schönheit und die Anmut durchführte, fordert sie Hölderlin darüberhinaus auch für die dichterische Phantasie.27 Aus diesem Grund erweiterte er bereits die ursprünglich siebenstrophige >Hymne an die Schönheit< in der zweiten Bearbeitung um weitere sieben Strophen: Nicht nur die Natur (wie in der ersten Fassung) sollte dem >moralischen< Prinzip, das sich im gleichfalls neu hinzugefügten Motto ankündigt, angeglichen werden; die »Götterstimme« der Schönheit »mahnt« jetzt Nachzubilden, jede süße Stelle meiner Paradiese, Jede Weltenharmonie (1,155,11 Of).
Der Dichter bittet die Schönheit, die er an der Natur zuerst erfuhr, ihren »Adel dem Gesänge« zu leihen (1,154,64). Da dieser »Adel« - wie das Motto beweist - im »moralischen Gefühl« wahrgenommen wird, ist an27
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Vgl. L 109, Henrich, S.80.
zunehmen, daß das >Gesetz des Dichters< hier bereits das der Freiheit sein sollte, wie es die zur gleichen Zeit geschriebene zweite Bearbeitung der >Hymne an die Freiheit bestätigt (vgl. 1,158,330- Deshalb ist auch das »Gesez« der älteren Hymne (1,140,49: »Kek erhub sich des Gesezes Ruthe/ Nachzubilden, was die Liebe schuf;«), sowie das in der >Hymne an die Muse< (1,136,57f: »Öde stehn und dürre die Gefilde/ Wo die Blüthen das Gesez erzwingt;«) mit diesem neu erkannten >Gesetz der Freiheit, wie es in den beiden Zweitfassungen der Schönheits- und Freiheitshymne erkennbar wird, nicht identisch. Es ist das »äußere Gesetz des Zwanges, der das zarte Leben töten muß« (Beissner, 1,461,lf) und meint das Tyrannengesetz oder auch das »Gesetz der Schwere«, dem die »entgötterte Natur« »knechtisch« diene - wie es Schiller zuvor in seinem Gedicht »Die Götter Griechenlands« ausgesprochen hatte
(1,194,167ο.28
Man darf annehmen, daß die Neufassung der Tübinger Hymnen den Umschlagspunkt zur Anerkennung des >Gesetzes der Freiheit als des moralischen und ästhetischen Gesetzes bei Hölderlin markiert. Hyperion sollte beide Prinzipien repräsentieren. Somit scheint Hölderlin seine dichterischen Grundlagen bereits im Zusammenhang und als Folge der gemeinsamen Tübinger Kantrezeption gefunden zu haben, 29 auch wenn er sich erst in Waltershausen - in 28
Vgl. dazu Hölderlins 2. Fassung der >Hymne an die Freiheit, STA 1,159,61 f.: »Einer, Einer nur ist abgefallen, 1st gezeichnet mit der Hölle Schmach; Stark genug, die schönste Bahn zu wallen, Kriecht der Mensch am trägen Joche nach.« Da hier aber bereits das neue >Gesetz der Freiheit gefunden ist, das »zartes Leben, kühnen Muth, und bunte Freude nicht« tötet (STA 1,158,34f.), kann es im folgenden heißen (STA 1,160,89f.): »Was zum Raube sich die Zeit erkohren, Morgen steht's in neuer Blüthe da; Aus Zerstörung wird der Lenz gebohren, Aus den Fluthen stieg Urania; Wenn ihr Haupt die blaichen Sterne neigen, Strait Hyperion im Heldenlauf Modert, Knechte! freie Tage steigen Lächelnd über euern Gräbern auf.« 29 Es mag hier dahingestellt bleiben, o b diese Ausweitung der Kantischen Moral, •die Hölderlin, Schelling und Hegel gleichermaßen kennzeichnet, als ein bewußtes Hinausgehen über Kant in gemeinsamer Verteidigung seines Geistes gegenüber der Tübinger Orthodoxie zu deuten ist (vgl. dazu: L 112, Henrich/Döderlein, S. 277ff.). Hölderlin reflektiert nirgendwo die Differenz zwischen Kants Moral und seiner eigenen Auslegung dieser Lehre, so daß man bei ihm zumindest auf ein >produktives Mißverständnis< schließen muß.
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Auseinandersetzung mit der Kantischen Ästhetik - bemüht, sie theoretisch zu fundieren. Er überträgt dabei sein altes Moralverständnis, das man der schlechten Editionslage wegen bisher nur über Umwege erschließen kann, auf seine neue ästhetische Lektüre und ist so - mit Schiller - imstande, über die Kantische Grenzlinie hinauszugehen. Die künstlerische Gestaltung soll nach »moralischen« Grundsätzen geleistet werden; das darf jetzt heißen: Sie verfährt nach Prinzipien ästhetisch-teleologischer Zweckmäßigkeit und sprengt somit den Rahmen der >Urteilskraft< gar nicht, auch wenn sie in einem anspruchsvolleren Kleid hervortritt.30 Demnach absorbiert die Kunst irrtümlicherweise den Pflichtanspruch und die Würde der Moral und verleiht sich selbst einen Rang, den sie nie zuvor beanspruchen konnte. Kant hatte die Prinzipien der künstlerischen Phantasie keiner ausführlichen Erwähnung gewürdigt, weil ihm dabei die Möglichkeit des Überschwanges und der Phantasterei zu sehr vor Augen schwebte. Gerade dies war ein Scandalon für seine ästhetischen Jünger, die in der produktiven Einbildungskraft das Vermögen schöpferischer Spontaneität und damit auch >moralischer< Aktivität schlechthin erblickten.31 Sie 30
D i e s e r G e b r a u c h d e r W o r t e >moralisch< u n d >sittlich< b ü r g e r t sich s e h r r a s c h ein und b e s t i m m t im weiten M a ß e d i e Begrifflichkeit d e r r o m a n t i s c h e n Kunsta u f f a s s u n g . G a n z ähnlich wie Hölderlin b e t r a c h t e t a u c h Novalis - allerdings e r s t im A n s c h l u ß an Fichte - s o w o h l das ä s t h e t i s c h e P r o d u z i e r e n , als a u c h das n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e F o r s c h e n in A b h ä n g i g k e i t v o n >moralischen< Prinzipien o d e r >sittlichen< G e s e t z e n : Vgl. S c h r i f t e n Bd II, S. 266, Abt. II, N r . 555 »Alle E r k e n n t n i ß soll M o r a l i t ä t b e w i r k e n - d e r m o r a l i s c h e Trieb, d e r T r i e b n a c h F r e y h e i t die E r k e n n t n i ß v e r a n l a s s e n ^ F r e y seyn ist die T e n d e n z d e s Ich - das Vermögen frey zu seyn ist die productive Imagination - Harmonie ist d i e Bedingung ihrer Thätigkeit - d e s Schwebens, z w i s c h e n E n t g e g e n g e s e t z ten. S c h r i f t e n Bd I, S. 90 sagt N o v a l i s w e i t e r h i n : » W e r also z u r Kenntnis der Natur g e l a n g e n will, übe seinen sittlichen Sinn, h a n d l e und bilde d e m e d l e n K e r n e seines I n n e r n g e m ä ß , und w i e v o n selbst wird die N a t u r sich v o r ihm ö f f n e n . Sittliches H a n d e l n ist j e n e r g r o ß e und einzige Versuch, in w e l c h e m alle Rätsel d e r m a n n i g f a l t i g s t e n E r s c h e i n u n g e n sich lösen.« - A u c h hier wird d i e m o r a l i s c h e T ä t i g k e i t mit d e r p r o d u k t i v e n Leistung d e r Einbildungskraft in eins g e s e t z t , d. h. a b e r zugleich: mit Prinzipien d e r t e l e o l o g i s c h e n Z w e c k m ä ß i g k e i t identifiziert, denn a n d e r s w ä r e k a u m zu e r k l ä r e n , d a ß sich die » R ä t s e l d e r mannigfaltigsten E r s c h e i n u n g e n « und s o g a r die P r o b l e m e d e r N a t u r w i s s e n s c h a f t d u r c h »sittliches H a n d e l n « sollen a u f l ö s e n lassen. ( N a t u r w i s s e n s c h a f t ist hier noch im G o e t h i s c h e n Sinne d e r N a t u r b e t r a c h t u n g zu verstehen).
31
Selbst G o e h t e sieht sich g e n ö t i g t , die U n t e r o r d n u n g d e r >Phantasie< in d e r >Urteilskraft< als einen » H a u p t m a n g e l « d e r K a n t i s c h e n L e h r e zu r ü g e n . Er s c h r e i b t in e i n e m k u r z e n A b r i ß an M a r i a P a u l o w n a a m 3. J a n u a r 1817 (veröffentl. v o n Suphan, G o e t h e - J b . 1918): » H i e r w e r d e n als H a u p t k r ä f t e u n s e r e s V o r s t e l l u n g s v e r m ö g e n s Sinnlichkeit, V e r s t a n d und V e r n u n f t a u f g e f ü h r t , die Phantasie aber vergessen, w o d u r c h
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verkannten freilich, was Kant in der >Anthropologie< später präzisierend vermerkte: Die Einbildungskraft i s t . . . entweder dichtend (produktiv), oder bloß zurückrufend (reproduktiv). Die produktive aber ist dennoch darum eben nicht schöpferisch, nämlich nicht vermögend, eine Sinnenvorstellung, die vorher unserem Sinnesvermögen nie gegeben war, hervorzubringen, sondern man kann den Stoff zu derselben
immer nachweisen.
- ( A n t h r o p o l o g i e , § 25, Β 69)
Ursprünglich »schöpferisch« aber wäre eine Einbildungskraft im Sinne Kants, die Anschauungen spontan, ohne daß ihr durch Rezeptivität etwas gegeben werden müßte, hervorbringen könnte. Sie wäre >intellektuelle Anschauungi. So verwundert es nicht, daß aus Hölderlins Perspektive dieser Begriff wenig später zum Zentralbegriff seiner Ästhetik eine unheilbare Lücke entstand. Die Phantasie ist die vierte Hauptkraft unseres geistigen Wesens, sie supplirt die Sinnlichkeit, unter der Form des Gedächtnisses, sie legt dem Verstand die Welt-Anschauung vor, unter der Form d e r E r f a h r u n g , sie bildet oder findet Gestalten
zu den Vernunftideen
und be-
lebt also die sämmtliche Menschheit, welche ohne sie in öde Untüchtigkeit versinken müßte. Wenn nun die Phantasie ihren drei Geschwisterkräften solche Dienste leistet, so wird sie dagegen durch diese lieben Verwandten erst ins Reich der Wahrheit und Wirklichkeit eingeführt. Die Sinnlichkeit reicht ihr rein umschriebene, gewisse Gestalten, d e r Verstand regelt ihre producktive Kraft u n d die Vernunft g i e b t ihr die Völlige Sicherheit, d a ß sie nicht mit
Traumbildern spiele, sondern auf Ideen gegründet sey. Wiederholen wir das Gesagte in mehr als einem Bezug! Der sogenannte Menschenverstand ruht auf der Sinnlichkeit; wie der reine Verstand auf sich selbst und seinen Gesetzen. Die Vernunft erhebt sich über ihn ohne sich von ihm loszureißen. Die Phantasie schwebt über der Sinnlichkeit und wird von ihr angezogen; sobald sie aber oberwärts die Vernunft gewahr wird, so schließt sie sich fest an diese höchste Leiterin. Und so sehen wir denn den Kreis unserer Zustände durchaus abgeschlossen und demohngeachtet unendlich, weil immer ein Vermögen des andern bedarf und eins dem andern nachhelfen muß.« In der Tat bleibt bei Kant die Einbildungskraft in gewissem Maße ein Stiefkind, weil sie nach seinen Voraussetzungen die Vernunft in mancher Hinsicht verseucht: Unter ihrer Beihilfe, sagt Kant im >Mutmaßlichen Anfang der Menschengeschichte< (A 6/7), sei die Vernunft fähig, Begierden zu »erkünsteln«, welche anfangs den Namen »Lüsternheit« bekämen, »wodurch aber nach und nach ein ganzer Schwärm entbehrlicher, ja sogar naturwidriger Neigungen, unter der Benennung der Üppigkeit, ausgeheckt« würden. - Solche Warnungen fruchteten in der Folgezeit freilich wenig. Neben Schiller, Hölderlin, Fichte und den Romantikern hat auch Wilhelm von Humboldt der produktiven Einbildungskraft eine unvergleichliche Stellung eingeräumt. Müller-Vollmer meint sogar, er sei der erste gewesen, der das »Prinzip der totalen Herrschaft der dichterischen Einbildungskraft« aufstellte (vgl. L 184, Müller-Vollmer, S. 109).
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werden kann.32 Er bestätigt aufs neue, daß Hölderlin in der ästhetischen Produktivität das grundlegende Element schöpferischer Spontaneität erblickte. Höchste Spontaneität glaubte Kant demgegenüber allein der Vernunft im Praktischen zubilligen zu können: Indem hier die »Maxime«, als subjektive Willensbestimmung und eigentlicher Lebensantrieb (nach dem Prinzip der Glückseligkeit), dem kategorischen Imperativ unterstellt wird, bestätigt die Vernunft, daß sie imstande ist, von allen äußeren Affizierungen sich frei zu halten. Die faktische Handlung nach dieser >reinen< Willensbestimmung durch das moralische Gesetz beweist auch dessen Möglichkeit und damit zugleich die Freiheit des Menschen. Sie meint keine intellektuelle Omnipotenz, sondern drückt ein Moment der Entsagung aus: In der Selbstbestimmung zeigt sich die Selbstbeherrschung des Menschen, aber keine Herrschaft der Vernunft über die Welt. Als vernunftbegabtes Wesen ist er vielmehr in der Lage, seine subjektiven Lüste und Interessen so zu korrigieren, daß sie mit einem »allgemeinen« Willen vereinbar sein können. Darin liegt keine grundsätzliche Negation der Sinnlichkeit und des eigenen Lebensantriebes, wie es Schiller in rigider Weise dem Kantischen Rigorismus vorwarf; der Lebensimpuls der Maxime kann und muß sogar gewahrt werden, weil das moralische Gesetz ein Gesetz »für die Maximen der Handlungen« ist,33 nicht für die Handlungen selbst. Es schreibt nicht vor, dieses oder jenes zu tun, sondern fordert auf, das, was man ohnehin tun möchte (was in der Maxime gefaßt ist), auf den Nenner der Allgemeinheit zu bringen oder gegebenenfalls zu unterlassen. Zwar ist nicht ausgeschlossen, daß Irrtümer und Verfehlungen möglich sind, doch leidet darunter nicht die Möglichkeit der Moral. Ihre Realisierung erfordert eben deswegen einen unendlichen Progress. 32
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Vgl. >Urtheil und Seynintellektuale Anschauung< über Schellings >Schrift vom Ich< aus Spinozas >amor dei intellectualis< scheint plausibel. Doch beachtet Neubauer nicht, daß die Herausarbeitung als ästhetischer Terminus einzig Hölderlins Leistung ist und mit Schellings Gebrauch nicht übereinkommt. >Intellektuale Anschauung< bezieht sich bei Schelling wie bei Fichte (der im übrigen das Wort nur in der -e- Schreibweise verwendet) auf Einheit, und zwar auf die Einheit des Ich. Für Hölderlin aber bedeutet sie Einigkeit (als harmonische Übereinstimmung von Subjekt und Objekt). Vgl. Metaphysik der Sitten, A 19.
Man kann nicht leugnen, daß diese Art intellektueller Selbstbestimmung, die keinen Machtanspruch stellt, einen Akt der Spontaneität voraussetzt, der mit der Spontaneität des Verstandes oder auch der Kombinationskraft der dichterischen Einbildung nicht zu vergleichen ist. »Eben deshalb, weil im Denken eine Forderung der Verwirklichung und eine reale Entgegensetzung gegen Realität gar nicht gelegen ist, darf seine Spontaneität nicht mit der Freiheit des Willens verwechselt werden, >Neigungen einschränken und überwältigen zu könnenGrundlegung zur Metaphysik der Sitten< dazu ausgeführt (BA 108 f.): Nun findet der Mensch in sich wirklich ein Vermögen, dadurch er sich von allen andern Dingen, ja von sich selbst, so fern er durch Gegenstände affiziert wird, unterscheidet, und das ist die Vernunft. Diese, als reine Selbsttätigkeit, ist sogar darin noch über den Verstand erhoben: daß, obleich dieser auch Selbsttätigkeit ist, und nicht, wie der Sinn, bloß Vorstellungen enthält, die nur entspringen, wenn man von Dingen affiziert (mithin leidend) ist, er dennoch aus seiner Tätigkeit keine andere Begriffe hervorbringen kann, als die, so bloß dazu dienen, um die sinnlichen Vorstellungen unter Regeln zu bringen und sie dadurch in einem Bewußtsein zu vereinigen, ohne welchen Gebrauch der Sinnlichkeit er gar nichts denken würde, da hingegen die Vernunft unter dem Namen der Ideen eine so reine Spontaneität zeigt, daß er dadurch weit über alles, was ihm Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht, und ihr vornehmstes Geschäfte darin beweiset, Sinnenwelt und Verstandeswelt von einander zu unterscheiden, dadurch aber dem Verstände selbst seine Schranken vorzuzeichnen.
Wie viele seiner Mitstreiter hat Hölderlin die hier getroffenen Unterscheidungen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht wahrhaben wollen. Weil er sich νοη der ästhetischen Erfahrung den Weg zur Kantischen Moral bahnte, wird ihm >reine< Vernünftigkeit unter dem sittlichen Gesetz, die nach Kant »nicht so schwer (zu leisten ist), daß nicht der gemeinste und ungeübteste Verstand selbst ohne Weltklugheit damit umzugehen wüßte« (KpV 64), zu einer Forderung nach Vernunfteinheit, die ästhetisch, d. h. nach Prinzipien harmonischer Zusammenstimmung des Sinnlich-Mannigfaltigen (und damit nach Gesetzen der Zweckmäßigkeit), zu bewerkstelligen ist.35 34 35
Vgl. L 107, Henrich, S.370. Zum Unterschied des Teleologischen und des Moralisch-Praktischen vgl. Kant, Grundlegung BA 81 (Anmerkung): »Die Teleologie erwägt die Natur als ein Reich der Zwecke, die Moral ein mögliches Reich der Zwecke als ein Reich der Natur. Dort ist das Reich der Zwecke eine theoretische Idee, zur Erklärung dessen, was da ist. Hier ist es eine praktische Idee, um das, was nicht da ist, aber durch unser Tun und Lassen wirklich werden kann, und zwar eben dieser Idee gemäß, zu Stande zu bringen.«
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Zwar finden auch nach Kant die »Bestimmungen einer praktischen Vernunft« statt in Beziehung auf die Sinnlichkeit, und sie sind deswegen auch den Kategorien des Verstandes gemäß, »aber nicht in der Absicht eines theoretischen Gebrauchs desselben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) Anschauung unter ein Bewußtsein a priori zu bringen, sondern nur, um das Mannigfaltige der Begehrungen der Einheit des Bewußtseins einer im moralischen Gesetz gebietenden praktischen Vernunft, oder eines reinen Willens a priori zu unterwerfen« (KpV, A 115). Was Kant als a priorische Regel der Willensbestimmung fordert, deutet Hölderlin als Regel der Einheit des ästhetischen Bildes.36 Das >heilige Gesetz der Einheit< in den Jenaer Hyperion-Entwürfen, dem die »widerstrebende Materie« zu »unterwerfen« ist (III, 188/90), repräsentiert noch die Forderung des >Gesetzes der Freiheit< im Waltershäuser Fragment, auch wenn diese Stelle im Hinblick auf Fichtes Identitätsgesetz konzipiert ist, dem Hölderlins Freiheitsgesetz ohnehin näher steht als dem Kantischen Sittengesetz. - Die Unabhängigkeit von allen sinnlichen Bedingungen der Anschauung, die die Reinheit der moralischen Bestimmung des Willens ausmacht und die erweist, daß Vernunft für sich allein praktisch sein kann, ist gerade in der sogenannten reinen Vernunftbestimmung des ästhetischen Verfahrens bei Hölderlin nicht gewahrt.37 Man könnte dieses eigenartige Verhältnis von ästhetischem und moralischem Gesetz bei Hölderlin nach dem §49 der Urteilskraft auch umgekehrt bestimmen: Da Hölderlin die »analogischen Gesetze«, die 36
Bei der Entwicklung des »schönen Scheins«, des eigentlichen Kriteriums des ästhetischen Seins, im 26. der ä s t h e t i s c h e n Briefe< sagt Schiller: Nichts dürfe hier d e m M e n s c h e n heilig sein als sein » e i g e n e s G e s e t z « , und damit ist ebenfalls ein besonderes G e s e t z der Freiheit gemeint, das d e m Hölderlinschen sehr ähnelt. Schiller sagt: »Mit ungebundener Freiheit kann er, w a s die Natur trennte, zusammenfügen, sobald er es nur irgend zusammendenken kann, und trennen, was die Natur verknüpfte, sobald er es nur in seinem Verstände absondern kann.« ( N A Bd 20,401,9f.). Hier wird e b e n s o deutlich wie bei Hölderlin, daß dieses >Gesetz der F r e i h e i t eine Chiffre für die Einheitsfunktion des Bewußtseins und die synthetische Verstandesleistung ist und folglich mit Kants· Moral nichts zu tun hat, auch wenn sie im Hintergrund steht.
37
Vgl. KpV, A 116: » . . . da es in allen Vorschriften der reinen praktischen Vernunft nur um die Willensbestimmung, nicht um die Naturbedingungen (des praktischen Vermögens) der Ausführung seiner Absicht zu tun ist«, werden »die praktischen Begriffe a priori in Beziehung auf das o b e r s t e Prinzip der Freiheit sogleich Erkenntnisse« und dürfen »nicht auf A n s c h a u u n g e n warten, um Bedeutung zu bekommen, und zwar aus diesem merkwürdigen Grunde, weil sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich beziehen (die Willensgesinnung) selbst hervorbringen, w e l c h e s gar nicht die S a c h e der theoretischen Begriffe ist.«
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im G r u n d e G e s e t z e der theoretisch verfahrenden Vernunft sind, sofern sie eine z w e c k m ä ß i g e Organisation der Einbildungskraft bewirken, mit d e m >Gesetz der F r e i h e i t in eins zu s e t z e n scheint, wird das »moralische Gesetz< für ihn zum Prinzip einer g e f o r d e r t e n und ästhetisch zu leistenden Einheit d e s Bewußtseins, der z w a r die begriffliche Grundlage entz o g e n ist, die aber in der Reflexion der o r d n e n d e n Kraft der Einbildung zu einer Lebenssteigerung führt, die Hölderlin als »moralisches Gefühk, als Ausdruck der höchsten Bestimmung des M e n s c h e n glaubt deuten zu können. Harmonische Ordnung der Verhältnisse o d e r » Z w e c k m ä ß i g k e i t (im Sinne der Urteilskraft) soll sein - das ist Hölderlins Imperativ, und der entsprechende »Zustand« ist - des Bewußtseins der Selbsttätigkeit w e g e n - dann auch »moralisch« und »gut«. S o kann das ästhetische Gefühl zur »Götterlust« werden, j e n e H a r m o n i e zu vollbringen. D. h.: ästhetische Lust qualifiziert sich als ein » B e g e h r e n « - w i e bereits die Tübinger Hymnen b e w e i s e n - und als Antrieb, der praktische Konsequenzen fordert, o b g l e i c h auch in diesem Falle Kant z w i s c h e n der Z w e c k m ä ß i g k e i t der reflektierenden Urteilskraft und der praktischen Z w e c k m ä ß i g k e i t eine scharfe G r e n z e g e z o g e n hatte. 38 - Unter d e m ver38
Vgl. Urtkr., Einleitung, Abschnitt IV. S. XXVIII: »Die Zweckmäßigkeit der Natur ist also ein besonderer Begriff a priori, der lediglich in der reflektierenden Urteilskraft seinen Ursprung hat. Denn den Naturprodukten kann man so etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke, nicht beilegen, sondern diesen Begriff nur brauchen, um über sie in Ansehung der Verknüpfung der Erscheinungen in ihr, die nach empirischen Gesetzen gegeben ist, zu reflektieren. Auch ist dieser Begriff von der praktischen Zweckmäßigkeit (der menschlichen Kunst oder auch der Sitten) ganz unterschieden, ob er zwar nach einer Analogie mit derselben gedacht wird.« Bereits Karl Philipp Moritz hatte in der »Bildenden Nachahmung des Schönem eine Verbindung von Schönheit und » Thatkraft« behauptet, die Hölderlin gemäßer ist als Kants Unterscheidung in der »Urteilskräfte S. 74 (ed. Schrimpf) heißt es: »Der Sinn aber für das höchste Schöne in dem harmonischen Bau des Ganzen, das die vorstellende Kraft des Menschen nicht umfaßt, liegt unmittelbar in der Thatkraft selbst, die nicht eher ruhen kann, bis sie das, was in ihr schlummert, wenigstens irgend einer der vorstellenden Kräfte genähert hat. - Sie greift daher in der Dinge Zusammenhang, und was sie faßt, will sie der Natur selbst ähnlich, zu einem eigenmächtig für sich bestehenden Ganzen bilden. - Die Realität der Dinge, deren Wesen und Wirklichkeit eben in ihrer Einzelnheit besteht, widerstrebt ihr lange, bis sie das innre Wesen, in die Erscheinung aufgelöst, sich zu eigen macht, und eine eigne Welt sich schafft, worin gar nichts Einzelnes mehr statt findet, sondern jedes Ding in seiner Art ein für sich bestehendes Ganze ist.« Da K. Ph. Moritz im Hause Kalb verkehrte, ist es wahrscheinlich, daß Hölderlin mit dessen Schriften vertraut war, die seinen eigenen ästhetischen Anschauungen sehr entgegen kommen. Dafür gibt es viele Beweise. Man vergleiche nur die Abhandlung »Leben und Wirksamkeit, Bestimmung der Thatkraft« (aus den »Fragmenten aus dem Tagebuch eines Geistersehers< von 1787) in ihrer Bedeutung für das »HyperionfragmentWurzel< der Vernunft freilegen zu können, die sich bei Kant in den Tiefen des menschlichen Gemüts verlor. 39 Hölderlin nannte sein poetisches Gesetz - obgleich er es einer »moralischen« Ordnungsfunktion unterstellte »Gesetz der Freiheit. Das deutet darauf hin, daß er nach einer grundlegenderen Dimension suchte, aus der die Produkte des Verstandes, der Vernunft und der Einbildungskraft gemeinsam abzuleiten waren. Bekanntlich übernahm Fichtes Grundsatz vom absoluten Ich, der ein Unbedingtes im menschlichen Bewußtsein postulierte, bald diese Rolle. Niethammer, ein ehemaliger Stiftsschüler und Freund Hölderlins, hatte 1793 ebenfalls einen »Versuch einer Ableitung des moralischen Gesetzes aus der Form der reinen Vernunft« vorgelegt. 40 Darin heißt es im § 9 (S. 49): »Ein formaler praktischer Grundsatz, den die Vernunft vor aller Erfahrung unabhängig bloß aus sich selbst schöpft, kann nichts anders enthalten, als die Form der Vernunft, das Gesetz ihrer ursprüng39 40
70
Vgl. zu d e m P r o b l e m der »gerneinsamen W u r z e l e L 104, Henrich, S. 28ff. In: Philosophisches Journal für Moralität, Religion und M e n s c h e n w o h l , hrsg. v o n C a r l Christian E r h a r d S c h m i d und F r i e d r i c h W i l h e l m Daniel Snell, G i e ß e n 1793, Heft V.
liehen Einrichtung, welche in nichts anderem besteht als im Hervorbringen der absoluten Einheit.«
ι
»Absolute Einheit« oder »völlige Übereinstimmung mit sich selbst« waren die Formeln, die aus Kants »bloßer F o r m einer allgemeinen Gesetzgebung« für das praktische Handeln ( K p V § 4, A 4 8 / 4 9 ) herausdestilliert wurden. 41 Man meinte damit »im kantischen Geiste« über Kant hinauszugehen. >FreiheitGut< konnte jetzt alles heißen, was der Identität des Ich und der selbstentworfenen Forderung der Vernunft nicht widersprach, so daß bereits Schelling behauptet: »Die Revolution im Menschen (muß) vom Bewußtsein seines Wesens ausgehen, er muß theoretisch gut sein, um es praktisch zu werden.«M Der kantische Buchstabe hatte so schließlich doch den Sieg über dessen Geist davongetragen und dem zweckorientierten Denken ein unbegrenztes Feld der Produktion eröffnet, in dem intellektuelle Spontaneität als vermeintliche Freiheit um so leichteres Spiel hatte, als sie im Gewand vernünftiger Moralität auftreten konnte. Hölderlin geriet mit seinen Freunden in den Taumel der Vernunftbegeisterung. Staatlicher Despotismus, überstrenge Zucht im Tübinger Stift und vor allem orthodoxe Bibellehre mochten ihre Ursachen sein. So fand Kants Wahlspruch der Aufklärung, »sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«,45 ein lebhafteres Echo, als er sich selbst wünschen konnte. Seine Moral wurde zersetzt, was 43
44 45
72
Ebbinghaus hat diesen völlig haltlosen Vorwurf zurückgewiesen. Vgl. L 73, Ebbinghaus, S. 80ff.: »Die Moral des kategorischen Imperativs als die Moral des korrekten preußischen Beamten, dem seine Befehlshaber Götter und Untergötter sind, und der die Genüsse des Lebens als saure Trauben verachtet - das ist eine von den Karikaturen, in die eine soziologisch desorientierte Betrachtung das größte Ereignis auf dem Ffelde der abendländischen Moralphilosophie seit Piaton verzerrt hat« (S. 81). Vgl. Schelling, Werke I, S. 81 (ed. Schröter). Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, 1783, A 481.
auch in Hölderlins »Gesetz der Freiheit« wahrzunehmen ist. Doch erkannte er früher als seine Tübinger Freunde den gewaltigen und gewalttätigen Machtanspruch, der in seine Version des moralischen Gesetzes Eingang gefunden hatte, so daß er die rigoristische Formel: Das Gesez der Freiheit aber gebietet, one alle Rüksicht Natur (IV, 212, 3f),
auf die Hülfe
der
die Hölderlins frühe philosophischästhetische Position seit den Tübinger Hymnen zusammenfaßt, bereits in Jena ersetzt durch die neue: »Wenn dir als Schönheit entgegenkömmt, was du als Wahrheit in dir trägst, so nehm' es dankbar auf, denn du bedarfst der Hülfe der Natur« (III, 202, 32). Damit war Hölderlin der erste unter den Tübinger Freunden, der Kants Selbstbewußtseinsphilosophie durch ein Vereinigungsdenken ersetzte. 46 Doch ist zu beachten, daß sein Waltershäuser Denken noch unter dem Prinzip der Einheit des Bewußtseins konzipiert und noch vollständig von dem Kantischen Freiheitspathos beherrscht ist. Dieser Freiheitsbegeisterung wegen sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, Hölderlin sei ein radikaler Jakobiner gewesen und seine Dichtungen seien aus politischen Motiven zu begreifen. 47 Der Religionszwang drückte die Stiftsschüler mehr als der politische, weshalb sie die revolutionären Religionsschriften Kants und Fichtes, die >Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft< und Fichtes >Kritik aller OffenbarungVom Jüngling zum ManneHyperion< gewinnen, die leider nicht überliefert ist. Wir erfahren über sie jedoch weiterhin im Brief Nr. 60 an Neuffen Dieses Fragment scheint mer ein Gemengsei zufälliger Launen, als die überdachte Entwiklung eines vestgefaßten Karakters, weil ich die Motive zu den Ideen u. Empfindungen noch im Dunkeln lasse, u. diß darum, weil ich mer das Geschmaksvermögen durch ein Gemälde von Ideen und Empfindungen (zu ästhetischem Genüsse), als den Verstand durch regelmäßige psychologische Entwiklung beschäftigen wolte. (StA, VI, 87)
Die späteren Ausführungen lassen deutlich die durchgemachte »moralische« Kantschule erkennen. Während Hölderlin zwar schon zur Zeit des ersten Briefes an Neuffer die Notwendigkeit einer strengeren Fassung seines Romans wahrnahm, dafür aber Argumente einer psychologischen Handlungsführung heranzieht, wird die Neufassung später mit dem »Übergang in das Wesen des Mannes« begründet und das heißt für Hölderlin - wie sich aus der in Briefen dieser Zeit oft wiederkehrenden Wendung ergibt, die er selbst von Kant borgte ι49" mit einer deutlich »moralischen« Forderung. - Das »Reich der Phantasie« soll hinübergeführt werden in das »Reich der Wahrheit« und »Freiheit«. So deutet der Brief, der wenig früher als die Abhandlung »Über das Gesetz der Freiheit«entstand, eben dieselbe ästhetische Forderung an, die hier theoretisch zu leisten versucht wird: nämlich die Organisation der Phantasie unter einem strengeren Prinzip, das dem »Wesen des Mannes« und der »Vernunft« angemessener zu sein schien, wie das Fragment erkennen läßt. Schärfer noch ist die Phantasie als Vermögen der Einbildungskraft unter sogenannter »moralischer« Gesetzlichkeit zu fassen, wenn man eine Stelle aus >Hyperions Jugend< zugrunde legt, in der es heißt: Wenn dem Geistigen in dir die Phantasie ein Zeichen erschafft, und goldne Wolken den Äther des Gedankenreichs umziehn, bestürme nicht die freudigen Gestalten! Wenn dir als Schönheit entgegenkömmt, was du als Wahrheit in dir trägst, so nehm' es dankbar auf, denn du bedarfst der Hülfe der Natur. (StA III, 202)
Die Phantasie erschafft »Zeichen« für das »Geistige« in uns und diese Zeichen sind »freudige Gestalten«, Schönheiten, die uns sinnlich entgegenkommen, wie sich aus dem Nachsatz ergibt.50 Diese Stelle aus >Hy50
Zwar ist zu dieser Zeit die Phantasie in ihrer absoluten Eigenmächtigkeit als dichterisches Produktionsvermögen bereits relativiert. Das widerspricht jedoch nicht ihrer geforderten »moralischen« Organisation, die auch hier als Schönheit gefaßt wird. 77
perions Jugend< allein würde über die Weise der Organisierung durch die Phantasie und so auch über die Struktur der Schönheit wenig aussagen, könnte man nicht die Parallelstelle aus der früheren metrischen Fassung des >Hyperion< mitheranziehen. Dort sagt Hölderlin (StA III, 195): Und wenn dem Göttlichen in dir ein Zeichen Der gute Sinn erschafft, und goldne Wolken Den Aether des Gedankenreichs umziehn, Bestürme nicht die freudigen Gestalten! Denn du bedarfst der Stärkung der Natur.
Die Veränderung vom »Göttlichen« zum»Geistigen« bedarf hier keiner weiteren Erwähnung; ein Wechsel beider Begriffe findet sich häufig bei Hölderlin, und er bietet uns damit eine Hilfe, in welchem Sinne das »Göttliche« in seinem Werk gedeutet werden muß. Wesentlich für unseren Zusammenhang ist aber die Transponierung des »guten Sinnes« der früheren Fassung in »Phantasie« der späteren. Vor allem das Adjektiv >gut< ist hier von Bedeutung, das bei Hölderlin noch - wie früher deutlich werden konnte - das ganze Gewicht moralischen Verhaltens - zwar nicht im Kantischen Sinne, aber doch nach dessen Anspruch aufnimmt, dem folglich auch noch nichts von dem verwässerten Qualitätsbegriff des modernen Sprachgebrauchs anhaftet. >Gut< bedeutet nach dem Kantischen Formalismus zwar nicht die hervorstechende Qualität eines Gegenstandes; denn in diesem Falle würde die G ü t e an ein »Objekt (Materie) des Begehrungsvermögens« (KpV, A 38) gekoppelt und der Grund, es zu begehren, wäre empirisch und somit nicht rein moralisch. >Gut< ist deshalb nur der »einer bestimmten Form zugehörige Inhalt«, »der nicht aus der Form allein, sondern dadurch gewonnen wird, daß man einen vorgegebenen Inhalt dieser Form entsprechend faßt«. 51 Die Maxime muß verallgemeinert werden, wenn das Sittengesetz - und damit der Anspruch der Güte - erfüllt sein soll. Da Hölderlin das formalistische Moralprinzip auf die Organisation der Einbildungskraft überträgt, ist >gut< für ihn - zumindest in der frühen Zeit - dasjenige, was unter dem >Gesetz der Freiheit organisiert ist, d. h.: was als sinnliche Mannigfaltigkeit - und darauf deuten die »goldnen Wolken«, die »den Äther des Gedankenreichs umziehn« - zu einer harmonischen Synthesis, die eine lebendige, vielgestaltige, geistige Einheit ausmacht, zusammenstimmt. 5 2 In diesem Sinne sind wohl auch zwei Äu51 52
78
Vgl. L 107, Henrich, S.363. Nach Hölderlins Abkehr vom Kantischen Rigorismus, die bereits 1795 einsetzt, mußte diese Bestimmung der >Güte< eine gewisse Modifikation erfahren, so daß ihr Charakter nicht mehr von dem Zwang des Gesetzes bestimmt ist.
ß e r u n g e n H ö l d e r l i n s zu i n t e r p r e t i e r e n , die an d e r s e l b e n S t e l l e in d e r m e t r i s c h e n F a s s u n g d e s >Hyperion< v o r k o m m e n w i e o b i g e s Z i t a t : » D a s beste W o r t v e r w i r r t d e n M e n s c h e n o f t « (III, 197) u n d : d e r M e n s c h falle » s e i n Gutes a n im M i s v e r s t a n d e « (ebd.). >Güte< bleibt bei Hölderlin s t r e n g auf die >moralisch H y p e r i o n s Jugend< d a f ü r einsetzt, hat - wie v o m Charakteristischer Weise spricht Hölderlin dann vom >Guten< in der Superlativform: »Es ist das beste, frei und froh zu seyn«, so heißt es in >Hyperions Jugend< (STA III, 205,10). - In dieser Erweiterung der früheren Formel spricht sich die neue Anerkennung der »Hülfe der Natur« aus, die im Freiheitsfragment noch negiert wird (vgl. S T A IV, 212,3f.). 53 Vgl. auch das ältere Bruchstück des Gedichtes >Diotima< (STA 1,213,44). Dort ist gleichfalls der »gute Geist«, der sich entfernt hat, auf »Deutung« zu beziehen (ebd. Z. 54): Er wäre in der Lage, die >gute Deutung< zu leisten. - Der >feste Buchstab< hat andererseits den >guten Geist< in sich aufgenommen und ermöglicht so zu gegebener Zeit wieder eine >gute Deutunggute< Organisation hat allerdings wenig zu tun mit politischen Motiven, mit denen Bertaux sowohl den Begriff >gutFreiheit< öfter in Verbindung zu bringen sucht und schließlich sogar »des Guten K r a f t « und » G o t t « (letzte Strophe der Rheinhymne) als Chiffren politischer Freiheit deutet (L 27, Bertaux, S. 25). - Daß es Bertaux in diesem Falle seiner politischen Auslegung der Rheinhymne sogar als »Vorteil« anrechnet, »bis jetzt die einzige zu sein« (ebd. S. 26), entbehrt nicht der Ironie. Die etymologischen und scheinetymologischen Ableitungen verschiedener Begriffe, die bei Hölderlin häufig zu finden sind (vgl. ζ. B. »Urtheil« aus »UrTheilung«, STA IV, 215,5), wirken in bezug auf das Verhältnis von » G o t t « und » G ü t e « nicht sehr ergiebig (vgl. L 263, Zuberbühler, S.219). Gewiß ist Gott voller Güte und die Güte göttlich, doch gewinnt mit dieser Erläuterung die klare Bestimmtheit d e s Begriffes bei Hölderlin keine Konturen. Etwas von dem moralischen Grundhabitus des Begriffes >gut< bei Hölderlin ist selbst noch in den spröden Altersversen » D a s G u t e « enthalten (STA VII, 1,481): »Wenn Inneres sich bewährt, ist Gutes zu erkennen, Es ist zu würdigen, von Menschen zu benennen, Ist anwendbar, wie sehr die Menschen widerstreben, Es ist zu achten, nüzzt und ist nöthig in dem Leben.« 53,1 Dies hat auch Friedrich K o p p ( L 137) verkannt, obgleich er mit Recht den Produktivitätsgedanken in Hölderlins Schönheitstheorie herausstellt. Die gesellschaftspraAtocAe Wirksamkeit des Schönen wird in dieser Arbeit jedoch überbetont. 79
> G e s e t z d e r F r e i h e i f c h e r e i n s e h b a r w i r d - als s i n n l i c h - g e i s t i g e s V e r m ö g e n d e r E i n b i l d u n g s k r a f t d i e s e s F o r m p r i n z i p b e r e i t s in s i c h a u f g e n o m men.54 W ä h r e n d s o m i t i m z i t i e r t e n B r i e f a n N e u f f e r d i e P h a n t a s i e n o c h als identisch mit d e m » N a t u r z u s t a n d « g e s e h e n w e r d e n könnte, a b e r bereits der höheren F o r d e r u n g der » W a h r h e i t und Freiheit« unterstellt wird; w ä h r e n d im » G e s e t z d e r F r e i h e i t « d a n n diese O r d n u n g d e r Einbildungskraft oder Phantasie unter »moralischer« Gesetzlichkeit
herauspräpa-
r i e r t w i r d , s e t z t H ö l d e r l i n sie i m e r s t e n D r i t t e l d e s J a h r e s 1 7 9 5 s c h o n als » m o r a l i s c h « organisiertes V e r m ö g e n voraus und versteht dieses - wie n a c h § 4 9 d e r U r t e i l s k r a f t u n d S c h i l l e r s B e m e r k u n g e n in > A n m u t u n d W ü r d e < a n g e n o m m e n w e r d e n d a r f - als d i c h t e r i s c h e s V e r m ö g e n
des
G e n i e s . 5 5 D e r » g u t e S i n n « , d e r a u c h d e r g ö t t l i c h e S i n n ist, w e l c h e r s i c h in d e n O r d n u n g e n d e r N a t u r o f f e n b a r t , w i r d d u r c h d a s
»moralische«
( s c h ö p f e r i s c h - t ä t i g e ) V e r m ö g e n d e s D i c h t e r - P r i e s t e r s e r f a ß t u n d im L i e de
54
weitergereicht.56
Damit
bereiten
die
frühen
ästhetischen
Ge-
U m die B e d e u t u n g und den Ursprung des » g u t e n Sinnes« bei Hölderlin exakt e r zu b e s t i m m e n , m ü ß t e man den Begriff des >bon-sens< u n t e r s u c h e n , der in d e r f r a n z ö s i s c h e n Ästhetik des 17. und 18. Jahrhunderts e i n e b e d e u t e n d e R o l l e spielt. (Vgl. L 136, K n a b e , 107ff.). - In D e u t s c h l a n d findet sich der Begriff des >bon-sens< bei Mendelssohn, den Hölderlin durch den S p i n o z a - S t r e i t und über seinen L e h r e r C o n z gekannt haben dürfte (vgl. L 4 7 , B ö h m I, S. 77). - Vermittelst »bon-sens, Empfindung und G e s c h m a c k « , sagt M e n d e l s s o h n in seiner Abhandlung ü b e r V e r w a n d t s c h a f t d e s S c h ö n e n und G u t e m , ed. B r a s c h II, S. 287, k ö n n t e n wir » o h n e deutliche S c h l ü s s e das W a h r e , G u t e und S c h ö n e g l e i c h s a m fühlen.« M e n d e l s s o h n versteht d e n >bon-sens< als eine Art »sittliche Empfindung«. D i e Vernunft müssen »allezeit der bon-sens und die sittliche Empfindung leiten« (ed. Brasch II, S. 288). »In A n s e h u n g des bon-sens ist man völlig überzeugt, d a ß sich die U r t h e i l e desselben in r i c h t i g e Vernunftschlüsse auflösen lassen; bon-sens ist e i n e geübt e Vernunft. V e r n u n f t und bon-sens wirken n a c h ähnlichen R e g e l n ; j e n e langsamer, so d a ß wir die Verbindung der Mittelbegriffe w a h r n e h m e n ; dieser so schnell, d a ß wir von der g a n z e n F o l g e der B e g r i f f e nichts behalten als A n f a n g und Ende.« Hölderlins >moralisch-ästhetische< B e s t i m m u n g e n h a b e n zu s o l c h e n Äußerungen eine g r ö ß e r e Affinität als zur K a n t i s c h e n L e h r e , die allerdings den B e g r i f f s a p p a r a t bereitstellt. - A u c h der e r w e i t e r t e B e d e u t u n g s b e r e i c h von >moral< im e n g l i s c h e n S p r a c h r a u m dürfte das M i ß v e r s t ä n d n i s und die Umgestaltung der K a n t i s c h e n L e h r e begünstigt haben. D o r t spricht man heute n o c h von >moraI siences< und versteht darunter g a n z a l l g e m e i n den B e r e i c h d e r G e i s t e s w i s s e n s c h a f t e n , nicht nur die Teildisziplin d e r M o r a l .
55
Freilich wird a u c h späterhin die >Phantasie< nicht g e n e r e l l als >moralisch< organisiert b e t r a c h t e t . D i e B e d e u t u n g s k o m p o n e n t e der >Ausschweifung< taucht i m m e r w i e d e r auf (vgl. ζ. B. S T A III, 195, 197 und S T A 1,214,69).
56
Vgl. >Wie wenn a m F e i e r t a g e . . .Einbildungskraft< und >Phantasie< zeigt auch der Begriff des >Begehrungsvermögens< im »Gesetz der Freiheit« erhebliche Bedeutungsschwankungen und terminologische Schwierigkeiten: Z. 10/11 wird die »moralisch« organisierte Einbildungskraft so eingeführt, als sei sie mit dem Begehrungsvermögen verbunden; auch nach Z. 15/16 bleibt noch das Dichtungsvermögen der Phantasie in seinem »Naturzustand« mit dem Begehrungsvermögen »in Verbindung«. Das aber ändert sich im folgenden Absatz: Z. 18 ist von »einer Seite des empirischen Begehrungsvermögens«die Rede, die auch »Moralität des Instinkts« (22) genannt wird; »die ihm (diesem Begehrungsvermögen) gleichgestimmte Phantasie ist himmlisch«; d. h. Begehrungsvermögen und Phantasie werden nun nicht mehr in kausaler Verknüpfung behandelt, sondern als zwei gleichartige Vermögen nebeneinander gestellt, was sich dann vor allem aus den Zeilen 27 und 28 ergibt, nach denen das »Begehrungsvermögen zusamt der Phantasie« dem >Gesetz der Freih e i t unterstehen. So verselbständigt sich die Phantasie nicht nur der Einbildungskraft gegenüber - wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde - sondern auch in bezug auf das Begehrungsvermögen. Die zunächst angenommene Verbindung des »Naturzustandes« mit dem Begehrungsvermögen ist dadurch zu erklären, daß Hölderlin in diesem Falle die Einbildungskraft als eine »moralisch« zu strukturierende voraussetzt. W o »moralische« Organisation vorliegt, da muß auch das Begehrungsvermögen als eine Triebfeder des Willens mit im Spiel sein, gleich ob dabei der Wille zu Handlungen oder die Vorstellungen zu »ästhetischen Ideen« (im Sinne Hölderlins) bestimmt werden. Seinem erweiterten Moralbegriff g e m ä ß hat Hölderlin das Begehrungsvermögen nicht ausschließlich als Triebfeder des praktischen Willens, sondern auch als Antrieb seiner spezifisch ästhetischen Bestrebungen verstanden, die er ebenso nachdrücklich fordert wie Kant das moralische Tun. Deshalb ist auch die »Unnahbarkeit der Urania in ihrer Urgestalt« - im Gegensatz zu Schillers >KünstlerHymne an die SchönheitKritik der praktischen Vernunft< als Vermögen eines Wesens, »durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein« (KpV, A 17, Anmerkung). Legt man diese Definition dem Hölderlinschen Begriff zugrunde, so wird einsehbar, welch überschwenglichen Anspruch er mit seinen frühen künstlerischen Versuchen und ästhetischen Reflexionen stellte: Die ästhetischen Forderungen waren ihm ebenso wirklichkeitsnah wie die praktischen Bestimmungen, sie waren selbst praktisch, wie sich bereits zeigte, so daß nach der »Hymne an die Schönheit« nicht nur Urania in der »Urgestalt« zu schauen ist (StA I, 152,150, sondern das Hyperion-Fragment mit dem hybriden Anspruch schließen kann: Es muß heraus, das große Geheimniß, das mir das Leben giebt oder den Tod (StA III, 184).59
Paul Requadt hat die Realitätsunmittelbarkeit der dichterischen Welterfahrung des frühen Hölderlin unter anderen Gesichtspunkten herausgestellt.60 Die Verbindung von ästhetischem Zustand (>moralische< Organisation der Einbildungskraft) und Begehrungsvermögen im >Gesetz der Freiheit ist ihr theoretisches Äquivalent, so daß die geschaute >Idee< durch dieses Vermögen ihre belebende Kraft erfahren kann. In diesem Sinne konnte Hölderlin bereits in seinem Tübinger Magisterspezimen über Salomon und Hesiod bemerken (IV, 183): W i r n e n n e n n i c h t s schön
Begehrungs-Vermögen 58
59
60
82
und erhaben,
wirkt
...
Der
was nicht Dichter
auf unser Empfindungsw i l l . . . auf das
und
Empfindungs-
Dies hat bereits Annemarie Christiansen (L 65) bemerkt. Vgl. bes. S. 55f: Die Stellung der Dichtkunst sei in den frühen Hymnen nicht ganz deutlich, aber sie meine nicht nur »Ziel«, sondern auch »Weg, Mittel«. »Sie soll die Menschen zu Taten aufrufen und befeuern.« Schillers Gedicht >Der Jüngling zu Sais< ist gerade gegen diesen hybriden Anspruch gerichtet. L 201, Requadt, S. 265: »so schwer es heute begreiflich ist, daß für den frühen Hölderlin die in der Dichtung gestaltete Idee an Realität die frische Welterfahrung übertrifft, so führt doch die Analyse der Melitefigur zu diesem Ergebnis.« Friedrich Kopp unterstreicht demgegenüber mehr die Realitätswirksamkeit und Wirklichkeitsbezogenheit der ästhetischen Erfahrungen Hölderlins (vgl. L 137).
und Begehrungs-Vermögen und Erhabenheit
zum
wirken,
oder welches
einerlei
ist, er hat
Schönheit
Zwek.
Während nach Kant die Urteilskraft »in Ansehung der Gegenstände eines... reinen Wohlgefallens« sich selbst das Gesetz gibt, »so wie die Vernunft es in Ansehung des Begehrungsvermögens tut« (Urteilskraft 258-59), fallen bei Hölderlin die entsprechenden Gefühlszustände zusammen, so daß »Geist, in ästhetischer Bedeutung«, als das »belebende Prinzip im Gemüte«(Urteilskraft 192) - er ist auch das produktive Vermögen »ästhetischer Ideen« (Anthropologie BA 195) - und »moralisches Gefühl« als emotionale Wirkung der reinen Vernunftbestimmung identifiziert werden und einerseits als >Begehrungsvermögen< (in theoretischen Entwürfen), andererseits als >GötterlustLiebe< oder >Begeisterung< (in poetischen Gebilden) ihren Ausdruck finden.61 Im Motto der Schönheitshymne hatte Hölderlin diese Vereinheitlichung bereits durchgeführt; so können jetzt die Verse des Feiertags-Liedes als eine poetische Erläuterung zur Organisation des »Naturzustandes der Einbildungskraft« unter dem >Gesetz der Freiheit< in seiner Verbindung mit dem »Begehrungsvermögen« herangezogen werden: Nachdem der Zustand des Schlafes und der Abgestorbenheit der Seele überwunden ist, nachdem die »Natur« von neuem mit »Waffenklang« erwacht - in diesem Wort liegt der fordernde Anspruch, den Hölderlin mit dem >Gesetz der Freiheit verbindet - kann es weiterhin heißen: Und hoch v o m A e t h e r bis zum A b g h j n d nieder N a c h vestem
Geseze,
w i e einst, aus heiligem
Chaos
gezeugt.
Fühlt neu die Begeisterung sich, D i e Allerschaffende wieder (II, 118,24f). 62 61
62
Zum Problem des »Geistes, in ästhetischer Bedeutung« vgl. Urtkr. § 4 9 und Anthropol. § 6 8 : »B: V o m Kunstgeschmack«, BA 194/95;zwar sind >reines W o h l g e f a l l e n als Prinzip des Geschmacks und die Belebung durch die ä s t h e tischen Ideen< nicht ganz identisch; d e n n o c h aber soll >Geist< entsprechende »Muster« für den G e s c h m a c k liefern (vgl. Anthropol. ebd.). Wahrscheinlich nimmt Hölderlins Begriff des >Begehrungsvermögens< auch Voraussetzungen Reinholds auf, der in seinem >Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermögens< v o n 1789 das Begehren als ein Vermögen kennzeichnet, »durch den Trieb zur Erzeugung einer Vorstellung bestimmt« zu werden. - (Über die Verbindung Charlottens v. Kalb mit Reinhold mußten Hölderlin dessen Schriften bekannt sein. - Vgl. S T A VII, 2, L D 136, S. 9,17; Hölderlin erwähnt Reinhold auch im Brief Nr. 117 an Niethammer). Vgl. auch Hegels Erläuterungen zur » B e g e i s t e r u n g « , Ästh. I, S. 281 (ed. Bassenge): » D i e wahre B e g e i s t e r u n g . . . entzündet sich an irgendeinem bestimmten Inhalt, den die Phantasie, um ihn künstlerisch auszudrücken, ergreift, und ist der Zustand
dieses
tätigen
Ausgestaltens
selbst
- s o w o h l im s u b j e k t i v e n
Inneren als auch in der objektiven Ausführung des Kunstwerks.«
83
Hölderlin knüpft mit seiner Vereinheitlichung von ästhetischer und moralischer Lust (in der Begeisterung oder im Begehrungsvermögen) an die lange Tradition der platonisierenden Kunstauffassungen an, die er teils durch eigene Plato-Lektüre, teils über die Schriften Herders und Hemsterhuis' erworben hatte.63 Diese Quellen bestimmen seinen eigenen Begriff des Begehrungsvermögens mehr als die Kantischen Texte, die seinem Entwurf über das »Gesetz der Freiheit« zugrunde liegen. Mit der Einführung des »empirischen« Begehrungsvermögens jedoch, mit der auch dessen Absonderung von der Einbildungskraft bzw. Phantasie einsetzt, knüpft Hölderlin wieder enger an die >Kritik der praktischen Vernunft< an. Kant hatte dort (A 4Iff) der Tradition folgend, aber mit neuer inhaltlicher Bestimmung, ein »oberes« und ein »unteres« Begehrungsvermögen unterschieden, von denen das letztere auch »empirisches« heißen kann. Während Wolff das »untere Begehrungsvermögen« dem triebhaften Verlangen ohne Unterscheidung von groben und feinen Trieben zuordnete, das »obereBegehrungsvermögen«aber mit dem vernünftigen Wollen in Verbindung brachte, trifft Kant seine Unterscheidung danach, ob der Bestimmungsgrund des Willens materialer oder formaler Art ist: Alle materiale praktische Regeln setzen den Bestimmungsgrund des Willens im unteren Begehrungsvermögen, und, gäbe es gar keine bloß formale Gesetze desselben, die den Willen hinreichend bestimmeten, so würde auch kein oberes Begehrungsvermögen eingeräumt werden können.
Material ist der Bestimmungsgrund, wenn die »Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache« (KpV, A 40) Veranlassung gibt, diese Sache 63
84
Zur Platon-Rezeption vgl. S. 128ff. dieser Arbeit. - In Hemsterhuis' fingiertem Brief »Über das Verlangen«, der in Herders Abhandlung >Liebe und Selbstheit< seine Fortsetzung und Kritik findet, werden das Streben und Verlangen als Kräfte entwickelt, sich mit dem begehrten Gegenstand zu vereinigen (vgl. ed. Hilß, Bd. I, S. 51): »Demnach ist der absolute Zweck der verlangenden Seele, ihre Wesenheit mit der Wesenheit des ersehnten Gegenstandes auf die innigste und vollkommenste Art zu vereinigen.« Ebd. S. 60: Ein »Mittel des Strebens nach einer Wesensvereinigung« bestehe darin, »daß man den begehrten Gegenstand sich gleichartig zu machen sucht, von mehr Seiten empfindbarer, d. h., daß man die Möglichkeit der Vereinigung, nach der unsere Seele verlangt, mehrt.« S. 69/70 heißt es weiterhin, daß die Seele »eine fortwährende Annäherung« begehre, und Hemsterhuis führt schließlich das Bild der »Hyperbel mit ihrer Asymptote« zur Demonstration für die »Natur der Begierden« an. Eben dies Bild greift Hölderlin dann in >Hermokrates an Cephalus< auf, um den unendlichen Progreß für das Wissen und Handeln zu erläutern (STA IV, 213).
wirklich zu machen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Lust durch einen bereits vorgegebenen Gegenstand bewirkt ist, oder ob dieser Gegenstand (als Zweck) selbst erst hervorgebracht werden muß. In beiden Fällen - auch im letzteren, wo es sich sogar um Vernunftvorstellungen (Ideen) handeln könnte (KpV, A 43) - ist nach Kant das »untere (empirische) Begehrungsvermögen« Triebfeder des Willens, weil seine Bestimmung lediglich auf die »Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subjekt von der Wirklichkeit des Gegenstandes erwartet« gegründet ist (KpV, A 41) und auf dem Prinzip der »Selbstliebe« und »eigenen Glückseligkeit« beruht. Dieses Prinzip, »so viel Verstand und Vernunft bei ihm auch gebraucht werden mag, würde doch für den Willen keine andere Bestimmungsgründe, als die dem unteren Begehrungsvermögen angemessen sind, in sich fassen ...«(KpV, A 45) Somit können alle lusterwekkenden Momente, gleich welcher Art, nach Kant den Anspruch des moralischen Antriebs nicht erfüllen und gehören dem empirischen Begehrungsvermögen zu, weil hier die Lust zur Verwirklichung des Objekts vorher geht, während sie unter den Bestimmungen des >oberen< Begehrungsvermögens aus der reinen Willensbestimmung folgt (Urteilskraft, Einl. XXIV-XXV). Diese allein ist das erörterte »moralische Gefühl«. Ein »oberes Begehrungsvermögen« ist deshalb nach Kant nur dann denkbar, wenn »reine Vernunft« für sich allein praktisch sein kann; d. h., wenn sie »ohne Voraussetzung irgendeines Gefühls, mithin ohne Vorstellung des Angenehmen oder Unangenehmen, als der Materie des Begehrungsvermögens, die jederzeit eine empirische Bestimmung der Prinzipien ist, durch die bloße Form der praktischen Regel den Willen bestimmen« kann (KpV, A 45). Alsdann allein ist Vernunft nur, so fern sie für sich selbst den Willen bestimmt (nicht im Dienste der Neigung ist), ein wahres oberes Begehrungsvermögen, dem das pathologisch bestimmbare untergeordnet i s t . . . , so daß beide »spezifisch« unterschieden sind (ebd.).
Auf Grund dieser Unterscheidungen ist anzunehmen, daß Hölderlin in denjenigen Fällen, in denen er die Einbildungskraft und Phantasie unter dem >Gesetz der Freiheit begreift (Z. 10/11, 15/16, 27/28), das entsprechende Begehrungsvermögen als >reines< bzw. >oberes< denkt, auch wenn er es nicht näher als solches klassifiziert. Es bedarf hier keiner näheren Erörterung, daß es mit dem Kantischen dennoch nicht übereinkommen kann, weil Hölderlins »moralische« Bestimmungen unter dem >Gesetz der Freiheit< immer schon an »äußeren Bestimmungsgründen« (selbst wenn es höhere Zwecke sein sollten) orientiert sind. 85
Das » empirische « Begehrungsvermögen scheint er demgegenüber mit dem »unteren« Begehrungsvermögen in der KpV zu vergleichen, obwohl es mehr im Sinne der Wolffischen Aufklärungsphilosophie als triebhaftes Verlangen, das durch äußere, sinnliche Reize geweckt wird, begriffen werden könnte. Darauf deutet die Feststellung, daß es »eine Seite« dieses Vermögens gebe, eine »Analogie dessen, was Natur heißt« (Ζ. 19), die auch als »natürliche Unschuld« bzw. »Moralität des Instinkts« (Z. 22) verstanden werden soll. Diese »Analogie« zur »Natur« wäre gleichsam die große Ausnahme, »ein bloses Glük« (Z. 26), bei dem das empirisch-sinnliche Begehren zufälligerweise mit dem »Heiligen«, d. h. mit der Stimmung, die der Ordnung unter dem >Gesetz der Freiheit entspricht, »sich zu verbrüdern scheint« (Z. 21) und sich damit als >reines< Begehren, wie es oben implizit mitgedacht wurde, qualifiziert. So zeigt sich an den Begriffen >Einbildungskraft< und >Begehrungsvermögen< jeweils ein ähnlicher Befund: Indem Hölderlin ihren Inhalt und Stellenwert variiert, wird die Tendenz der Abhandlung sichtbar, die »Phantasie« zu isolieren. Zunächst wird sie von der Einbildungskraft, dann auch von dem Begehrungsvermögen abgetrennt und ihm gleichgeordnet. Dem praktischen Tun, für welches das »empirische Begehrungsvermögen« hier als Triebfeder einsteht und welches »moralisch« organisierbar ist (»zufällig« in Analogie zur »Natur« oder notwendig durch den Eingriff des Menschen), soll das ästhetische Produzieren gleichrangig und unter gleichen Gesetzen an die Seite gestellt werden. Das »Gesetz der Freiheit soll für das »Begehrungsvermögen zusamt der Phantasie« gelten. Auch Hölderlins Argumentationsstrategie ist in diesem Zusammenhang und im Hinblick auf seine Kantüberbietung der Beachtung wert: Zunächst verbindet er mit der ästhetisch organisierten Einbildungskraft ein Begehren; anschließend mit einem >zufällig< reinen Begehren, das seinerseits erst aus dem empirisch-sinnlichen abgesondert werden muß, eine »gleichgestimmte Phantasie«, die »himmlisch«, d. h. dem göttlichen >Gesetz der Freiheit gemäß ist. Gleichsam in einem Klammerverfahren versucht er - jeweils von einer anderen Seite her - ästhetisches und moralisches Begehren zusammenzudrängen und als eines zu begreifen. Damit liefert er aufs neue ein Indiz für die geplante Überschreitung der Kantischen Grenze. Mit der Kennzeichnung eines natürlichen, »moralisch« qualifizierten Begehrungsvermögens als »Analogie« zur »Natur« nähert sich Hölderlin wiederum Schiller. Dessen sinnlich vorfindliche Moralstrukturen gaben Anlaß, das Zwittergebilde des empirisch-moralischen Begehrungsvermögens im >Gesetz der Freiheit zu rechtfertigen. 64 Einige Details in 64
86
Bei Schiller selbst allerdings ist das B e g e h r u n g s v e r m ö g e n ausschließlich sinnlich bestimmt (vgl. >Anmut und WürdeAnmut und Würde< zurückweisen, unterstützen die Vermutung, daß Schillers >sinnliche Moral< Hölderlin bei der Abfassung des Textes vor Augen stand. 7) Die Bedeutung von >Anmut und Würde< für das »Gesetz der Freiheit« Die »Analogie dessen, was Natur heißt« (Z. 19), die Hölderlin als »eine Seite« des »empirischen Begehrungsvermögens« kennzeichnet (Z. 18), deutet unmittelbar auf >Anmut und Würdeschöner Seele< wahrnehmen zu können.65 Hannelore Hegel hat ihm darin überraschenderweise zugestimmt, obgleich bereits Henrich in eine etwas andere Richtung wies.66 Zwar strebte auch Schiller mit der >schönen Seele< eine Verbindung des Sinnlichen mit dem Sittlichen und des Notwendigen mit der Freiheit an, doch ist diese nicht als instinktive Moralität zu begreifen. Mit ähnlichen Vokabeln wie Hölderlin behauptet er sogar, die >schöne Seele< übe der »Menschheit peinlichste Pflichten aus«, als ob »bloß der Instinkt aus ihr handelte« ( N A 20,287); doch erfolgen solche Handlungen hier immer in Abhängigkeit von der Vernunft und dem Willen und haben deshalb als notwendige moralische Äußerungen zu gelten. Die >schöne Seele< hat die »Neigung in Pflicht« genommen und »der Sinnlichkeit das Steuer nur anvertraut« ( N A 20, 294). Nach Hölderlin ist demgegenüber die »Moralität des Instinkts« ein »Naturzustand«, der »als ein solcher auch von Naturursachen« abhängt (Z. 24-25). Es ist ein »bloses Glük, so gestimmt zu sein« (Z. 26), und dieses Glück ist kein reines, unbedingtes und dauerhaftes Glück - wie es das Wort »himmlisch« nahe legen könnte, sondern es ist mit Zufälligkeit behaftet. Der Begriff der >schönen Seele< läßt sich deshalb kaum auf Hölderlins »natürliche Unschuld« beziehen. 65
66
L 47 Böhm I, S. 161: »Deutlich entspricht die >Seite des empirischen BegehrungsvermögensAnalogie dessen, was Natur heißtschöner SeeleAnmut und Würdepoetischen Individualität i s t . . . im >Naturzustand der Phantasie< zu suchen, der der >Moralität des Instinktsschönen Seele< bei Schiller, >gleichgestimmt< ist.« Henrich dagegen weist für diesen Zustand auf Schiller »sittliches Naturtalent«, d. h. auf die »Temperamentstugend« (vgl. L 109, S. 80).
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Eher der »architektonischen Schönheit« könnte Hölderlins »Moralität des Instinkts« angenähert werden, denn Schiller sagt von ihren »Vorzügen«, sie seien »bloß der Natur und dem Glück« zu verdanken; »der Natur, welche die Anlage dazu hergab, und selbst entwickelte; dem Glück - welches das Bildungsgeschäft der Natur von jeder Einwirkung feindlicher Kräfte beschützte« (NA 20, 256). - Trotz dieser Naturbestimmtheit bringt Schiller die »architektonische Schönheit« - wie früher gezeigt wurde - in ein Abhängigkeitsverhältnis zur (moralischen) Vernunft, indem er diese eine »Idee« in die »Erscheinung«»hineinlegen« läßt, so daß sie (die Vernunft) »das, was unabhängig von ihrem Begriff in der Erscheinung gegeben ist, selbstthätig zu einem Ausdruck derselben macht, und also etwas bloß sinnliches übersinnlich behandelt« (NA 20,259/60). Damit ist die architektonische Schönheit< ebenfalls zufällig moralisch< qualifiziert wie Hölderlins »natürliche Unschuld«. Nach Struktur und Wortlaut wäre es also denkbar, daß Hölderlin die »Analogie dessen, was Natur heißt« im Hinblick auf diese >glückliche< Übereinstimmung von Erscheinung und Idee, von Natur und deren übersinnlichen Behandlung in >Anmut und Würde< konzipiert haben könnte. So würde er gemeinsam mit Schiller Kant entgegentreten, wie er es Neuffer angekündigt hatte. Zu fragen bliebe dann allerdings, in welchem Sinne er dabei Schiller zugleich übertreffen wollte. Darauf können neben dem »Gesetz der Freiheit« auch die Jenaer Hyperion-Fragmente eine Antwort geben, in denen die » Verwandschaft« zwischen »der ewig wechselnden Natur« und »dem Unsterblichen in uns« erläutert wird; denn eben diese »Verwandschaft« steht im »Gesetz der Freiheit« als »Analogie dessen, was Natur heißt« zur Diskussion. In der metrischen Fassung des >Hyperion< sagt Hölderlin (III, 193, 103f.): Ich weis, es ist Bedürfnis, was uns dringt, Der ewig wechselnden Natur Verwandschaft Mit dem Unsterblichen in uns zu geben. Doch diß Bedürfnis giebt das Recht uns auch. Auch ist mir nicht verborgen, daß wir da, Wo uns die schönen Formen der Natur Die Gegenwart des Göttlichen verkünden, Mit unsrem Geiste nur die Welt beseelen. Doch, lieber Fremdling, sage mir, was ist, Das nicht durch uns so wäre, wie es ist? D i e s e S ä t z e m ü s s e n nicht - w i e R y a n m e i n t e 6 7 - auf H ö l d e r l i n s Fichte67
88
Vgl. L 213, Ryan, S.36ff.
Rezeption zurückgeführt werden, sie schließen vielmehr an seine Waltershäuser Auseinandersetzung mit Schiller an, die durch die persönliche Begegnung in Jena v o n neuem herausgefordert wird. Eine zeitbedingte Subjektivierung von Hölderlins Schönheitskonzeption infolge des Fichteschen Einflusses scheidet somit aus. Schon die Wiederaufnahme der Formulierungen, die Hölderlin im Kantmotto der Schönheitshymne gebrauchte (»die schönen Formen der Natur«), weisen auf einen älteren Konflikt zurück: Für Hölderlin bestand bereits vor der Jenaer Zeit und vor seiner unmittelbaren Beg e g n u n g mit Fichte kein Zweifel daran, daß da, » w o uns die schönen Formen der Natur/ Die G e g e n w a r t des Göttlichen verkünden«, wir selbst »Mit unsrem G e i s t e . . . die Welt beseelen«, und zwar aufgrund der Ordnungsfunktion, die dem >Gesetz der Freiheit g e m ä ß ist. D e s s e n (>moralischbloßen Glücks< am Werk, weshalb im Fragment »himmlische Phantasie« und »strafende Freiheit« gar nicht auseinanderklaffen. 68 Nur gibt sich Hölderlin mit der »natürlichen Unschuld«, einem gleichsam geschenkten »Glük«, hier noch nicht zufrieden. Er fordert darüberhinaus einen entsprechenden »vesten Zustand« (Z. 29), der »von uns« abhängt (Z. 30) und der demjenigen >gleicht< (Z. 29), der in der >himmlischen< Phantasie (als Naturzustand) angedeutet wurde. 69 D. h. aber nichts anderes, als daß wir in beiden Fällen »Mit 68 69
Vgl. demgegenüber Hannelore Hegels Erläuterungen, L 97, S. 32ff. Auch wenn diese Perspektive eines »vesten Zustands« im Fragment selbst nicht mehr ausgeführt wird, so ist diese doch, der ganzen Anlage nach, der Zielpunkt des Entwurfs und die notwendige Ergänzung zu dem bloß >zufälligen< Naturgeschenk der Schönheit, in dem das »Sinnliche mit dem Heiligen sich zu verbrüdern scheint« (Z. 21). Die Vorrede des Hyperionfragments fordert diesen »vesten Zustand« ebenso wie das >SchicksalsgedichtThalia< veröffentlicht wurde (vgl. bes. die Schlußstrophen STA 1,186,73f.). Vgl. auch die wichtigen Ausführungen von L 66, Cornelissen, S. 13f.: »Zwar bezieht sich der ausgeführte Teil des Aufsatzes nur auf die Darstellung des ersten Zustandes, der durch die bloße Organisation der Natur hervorgebracht worden ist, es geht aber aus der Akzentsetzung im Vorhandenen hervor, daß eine solche Gegenüberstellung geplant war. Denn weil dieser >Naturzustand der Einbildungskraft als solcher >auch von Naturursachen< abhängt, reines Geschenk der Natur und einer Einwirkung und Mitwirkung des Menschen entzogen ist, darum muß der Mensch nach einem >vesten Zustand< fragen. Die Schönheit des ersten Zustands wird zwar von Hölderlin gesehen und dargestellt, aber er betont zugleich, daß aus der Zufälligkeit solcher Naturgegebenheit die Notwendigkeit eines zweiten Zustandes sich herleitet, der, weil der Mensch durch sein Wirken und Streben ihn hervorbringt, auch herstellbar 89
u n s r e m G e i s t e . . . die W e l t b e s e e l e n « , so d a ß die S c h ö n h e i t - als N a t u r o d e r K u n s t s c h ö n h e i t - auf d a s >Gesetz d e r F r e i h e i t sich g r ü n d e t . D e m g e g e n ü b e r h a t t e Schiller die N a t u r s c h ö n h e i t in >Anmut und Würde< »allein durch Naturkräfte bestimmt« ( N A 20, 2 5 6 ) d e n k e n wollen. V o n d i e s e m Relikt seines » o b j e k t i v e n « S c h ö n h e i t s b e g r i f f e s distanz i e r t sich s o m i t Hölderlin b e r e i t s im » G e s e t z d e r F r e i h e i t « und d a n n mit N a c h d r u c k a u c h in den J e n a e r H y p e r i o n - F r a g m e n t e n , o b g l e i c h e r zu d i e s e r Z e i t die » H ü l f e d e r N a t u r « nicht m e h r v e r s c h m ä h t , die e r im » G e s e t z d e r F r e i h e i t « n o c h z u r ü c k w e i s t ( Z . 3 3 / 3 4 ) . - Mit d e r A b s a g e a n Schillers >objektiven< S c h ö n h e i t s b e g r i f f und mit d e r I m p e r a t i v i s c h e n F o r d e r u n g e i n e r g e s e t z l i c h zu p r o d u z i e r e n d e n S c h ö n h e i t halten wir ein drittes M o m e n t in Hölderlins B e m ü h u n g e n fest, Schiller z u g l e i c h mit K a n t zu ü b e r b i e t e n . 7 0 Hölderlins » M o r a l i t ä t d e s Instinkts« findet a b e r ist. D e r zweite Zustand ist nicht seiner größeren Vollkommenheit wegen vorzuziehen, ja, er ist, der Darstellung Hölderlins nach, gar nicht vollkommener, sondern er ist deshalb vorzuziehen und mit aller Bemühung zu erstreben, weil der Mensch erst dadurch zum Menschen in des Wortes eigentlicher Bedeutung wird, daß er, was er durch die Gegebenheiten seiner Natur allein darzustellen imstande ist, mit Freiheit zu verwirklichen lernt. Er muß es lernen, in einem Erkenntnisakt rückgewandt die Vollkommenheit des ersten Zustandes einzusehen und zugleich zu streben, ihn aus eigenen Kräften wieder herzustellen. Jener hohe Zustand, in dem die Natur den Menschen aus ihren Händen entläßt, erweist sich als unbeständig, denn die kleinste Störung bedeutet die Aufhebung der vollkommenen Harmonie, und der Mensch weiß kein Mittel, daS, was er als reines Geschenk empfangen hatte, wenn es einmal verloren ist, von sich aus wieder herzustellen. Hier zeigt also Hölderlin, daß es im Wesen der naturgegebenen Vollkommenheit liegt, ihre Aufhebung als Forderung ihr zuzugesellen, damit das von der Natur in reiner Vollkommenheit Geschenkte im neuen, vom Gesetz der Freiheit geordneten Lebensvollzug durch die Organisation, die der Mensch sich selbst zu geben imstande ist, hergestellt werden kann.« 70
Es ist wahrscheinlich, daß Hölderlins Erläuterungen im Absatz Z. 18f. auch im Horizont des Abschnittes V der Einleitung der Urtkr. zu sehen sind, in dem Kant das »Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit der Natur« als ein »transzendentales Prinzip der Urteilskraft« entwickelt. Dort heißt es S. X X X I V f . : »Dieser transzendentale Begriff einer Zweckmäßigkeit der Natur ist nun weder ein Naturbegriff, noch ein Freiheitsbegriff, weil er gar nichts dem Objekte (der Natur) beilegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjektives Prinzip (Maxime) der Urteilskraft; daher wir auch, gleich als ob es ein glücklicher unsre Absicht begünstigender Zufall wäre, e r f r e u e t . . . werden, wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Gesetzen antreffen: ob wir gleich notwendig annehmen mußten, es sei eine solche Einheit, ohne daß wir sie doch einzusehen und zu beweisen vermochten.« Es liegt nahe, daß Hölderlin diese Zweckmäßigkeit der Natur - entgegen Kant - durch den Freiheitsbegriff erklären und den glücklichen Zufalk der Naturschönheit dem notwendigem Prinzip der Freiheit unterstellen wollte.
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noch ein weiteres Vorbild in >Anmut und Würdeschöne Seeleschönen Seele< die Sinnlichkeit unter der Leitung der Vernunft steht. Deshalb ist es wahrscheinlicher, daß Hölderlins »natürliche Unschuld« bzw. »Moralität des Instinkts« auch auf Schillers »Temperamentstugend« Bezug nimmt. Dennoch hat der Begriff der »schönen Seele< im Rahmen von Hölderlins Erwägungen eine gewisse Rolle gespielt. Darauf deuten die eigentümlichen Übertragungen, die Hölderlin mit Schillers Moralbegriffen vornimmt: Der »Moralität des Instinkts« soll eine »gleichgestimmte Phantasie« entsprechen (Z. 22/23); d. h. dem >zufälligen< moralischen Handeln wird ein Äquivalent in der Phantasie erteilt. Hölderlin aber genügt eine solch >zufällig< »moralisch« strukturierte Phantasie noch nicht, wie bereits deutlich wurde. Er sucht deshalb einen »vesten Zustand« zu konstruieren, der »von uns abhängen« soll (Z. 30/31). Eben diese >notwendige< »moralisch« strukturierte Phantasie wäre eine Analogie zu Schillers >schöner SeeleAnmut und Würde< klarer erfassen: Nicht eine Überwindung von Kants rigoristischer Forderung wie sie Schiller im Bereich der Moral zu leisten suchte und wie man sie nach Hölderlins Brief an Neuffer zunächst erwarten könnte, liegt Hölderlin im Sinn; dagegen sprechen allein diejenigen Passagen im »Gesetz der Freiheit«, die den Forderungscharakter des Gesetzes aufs schärfste unterstreichen. 72 Hölderlin nimmt Schillers Denkstrukturen auf, um ihnen analoge Begriffe im Felde der Einbildungskraft an die Seite zu stellen. Was für die Seite der moralischen Handlungen Gültigkeit hat, soll auch im Felde der Ästhetik gelten. Das Vorhaben, die Ästhetik unter Gesetze der Moral zu stellen, bewog ihn, auf Schillersche Termini zurückzugreifen, ohne ihnen allerdings mehr Gewicht beizumessen, als ihnen für die Entwicklung seiner ästhetischen Produktionsregeln zukam. Schillers »objektiven« Schönheitsbegriff kann er dabei ebenso wenig billigen, wie seine Scheu vor der absoluten Forderung des Gesetzes, die vor >Urania< zurückschreckt. Nach Hölderlins ästhetischem Anspruch der Tübinger und Waltershäuser Zeit muß deren Schleier fallen, ebenso wie der Knabe im letzten Brief des Hyperion-Fragments den Schleier, den die Mutter zum Schutze über ihn breitet, wegzieht. So stellt Hölderlin die poetische Gestaltung unter einen Sollensanspruch, den sie bei Schiller nicht hatte: Zwar verbindet auch er in den Kalliasbriefen wie in >Anmut und Würde< Ästhetik und Moral; aber deren Verhältnis bleibt stets vage, so sehr, daß Schiller im Brief vom 18. Februar 1793 an Körner sogar schreiben konnte: »ich bin so weit entfernt, die Schönheit aus der Sittlichkeit abzuleiten, daß ich sie vielmehr damit beinahe unverträglich h a l t e . . . « In den Kalliasbriefen soll die Schönheit lediglich dem »Scheine« nach unter »geliehenen« Gesetzen der Moral stehen; im ersten Teil von >Anmut und Würde< hat die »architektonische Schönheit« »bloß der Natur und dem Glück« ihren Reiz zu verdanken (NA 20, 256), und es ist »in Ansehung des sinnlichen Objektes ganz und gar zufällig«, »ob es eine Vernunft gibt, die mit der Vorstellung desselben eine ihrer Ideen verbindet...« (NA 20, 260). 72
92
Auf Hölderlins Anerkennung des strengen Kantischen Sittengebots im Gegensatz zu Schiller hat Hildebrandt hingewiesen, auch wenn er die Differenzen in der jeweiligen gesetzlichen Bestimmung übergeht. Vgl. L 116, S. 51/52: »Die naheliegende Vermutung, daß Hölderlin, als Dichter und Liebender, von Kants strengem Pflichtgebot abgestoßen wurde, ist ganz verfehlt: gerade dies ist die Gesinnung, in der beide verwandt sind. Das unbedingte Pflichtgebot, . . . , ist das Rückgrat des heroischen Pathos, in dieser Lehre stimmen Piaton, Kant, Hölderlin überein.«
Hölderlin verfährt radikaler und realisiert damit im »Gesetz der Freiheit« in gewisser Weise, was er im Brief an Neuffer angekündigt hatte: Er geht in doppeltem Sinne einen Schritt weiter über die »Kantischen Gränzlinie« als es Schiller in >Anmut und Würde< gewagt hatte: Zum einen faßt er die Schönheit entschiedener unter >moralischen< Gesetzen; zum andern dehnt er Schillers >sinnliche< Moralbegriffe auf das Feld der dichterischen Einbildungskraft aus.73 So steht die Abhandlung »Über das Gesez der Freiheit« in engem Zusammenhang mit dem im Neuffer-Brief angekündigten Aufsatz über die »ästhetischen Ideen«. Möglicherweise ist sie sogar ein Bruchstück dieses Aufsatzes. Der Einfluß, den Schillers Matthisson-Rezension auf das »Gesetz der Freiheit« genommen hat, läßt diese Vermutung sogar wahrscheinlich werden. 8) Schillers Matthisson-Rezension und das »Gesetz der Freiheit« Am 7. Sept. 1794 schrieb Schiller an G o e t h e : vielleicht interessiert Sie eine Rezension von mir über Matthissons Gedichte in der A.L.Z., die in dieser Woche wird ausgegeben werden. Bey der Anarchie, welche noch immer in der poetischen Critik herrscht und bey dem gänzlichen Mangel objectiver Geschmacksgesetze befindet sich der Kunstrichter immer in großer Verlegenheit, wenn er seine Behauptungen durch Gründe unterstützen will, denn kein Gesetzbuch ist da, worauf er sich berufen könnte.74 Nach dieser Äußerung muß die Matthisson-Rezension um den 10. September in der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung erschienen sein. Es ist anzunehmen, daß Hölderlin sie bereits kannte, als er am 10. Okt. den Brief an Neuffer schrieb. Das verwundert deshalb, weil Hölderlin hier >Anmut und Würde< kritisiert, sich zugleich aber auf Schillers MatthissonRezension stützt, die er indessen verschweigt. Nicht nur die gute Verbindung Schillers zum Hause von Kalb spricht für Hölderlins Kenntnis 73
74
Auch Fichte beschäftigte bereits das Problem >sinnlicher< Moralstrukturen. In § 2 der zweiten Aufl. der >Kritik aller Offenbarung< (1,1,152) stellt er als »erstes Postulat der an sinnliche Wesen sich richtenden practischen Vernunft« auf: »daß stets diejenige Erscheinung erfolge, welche, wenn der Trieb legitim durch das Sittengesetz bestimmt, und für die Welt der Erscheinungen gesetzgebend gewesen wäre, hätte erfolgen müssen.« Auf Grund dieses Postulates könne man über die »drückende Schwierigkeit« hinwegkommen, »wie es nemlich möglich sey, das Sittengesetz, welches an sich nur auf die Willensform moralischer Wesen« anwendbar sei, auch »auf Erscheinungen in der Sinnenwelt zu beziehen ...«. Im gleichen Zusammenhang spricht Fichte auch schon von einer »Gesetzmäßigkeit der sinnlichen Neigung«. Jonas, Bd 4, S. 8/9ff. Nr. 738. 93
der Abhandlung, vor allem sind es zwei Indizien im Neuffer-Brief selbst: Zum einen erwähnt Hölderlin die Umarbeitung seines Gedichtes »An den Genius der Jugend«, aus dem »Der Gott der Jugend« wird. Beissner hat darauf hingewiesen, daß Hölderlin in der Neufassung ein Metrum Matthissons aufnimmt; es wäre ein großer Zufall, wenn er sich unabhängig von Schillers Rezension gerade zu dieser Zeit an Matthisson orientiert hätte. 75 Zum andern aber - und das ist für den Plan des Aufsatzes und für das »Gesetz der Freiheit« entscheidender - sprich Schiller hier von »ästhetischen Ideen«. Dieser Spur ist nachzugehen, wenn man die Intentionen, die Hölderlin mit seinem Aufsatz verfolgte, begreifen will. Der theoretische Teil, der der Beurteilung der Gedichte Matthissons vorangeht, läßt sich deuten als eine Art »Gesetzbuch« des Geschmacks, dessen Mangel Schiller im Brief an Goethe beklagt. Hölderlin gewinnt daraus die Kriterien für ein >Gesetzbuch des GeniesGott d e r Jugend< a u f g e n o m m e n (vgl. NA 22,282,9). - Vgl. auch Böhms B e m e r k u n g e n zu Hölderlins A u f n a h m e der Matthisson-Rezension, in: L 46, S. 349f.
76
Böhm (L 47) allerdings ist der Auffassung, d a ß Schillers Rezension Hölderlin »vollends« »irre« g e m a c h t habe (146). Hölderlin habe es als »unvollkommen empfinden« müssen, »daß Schiller d a s Ästhetische gegen K a n t nur innerhalb des Kantischen Rahmens« verteidige, »aber Kants scheinbaren Abfall von d e r metaphysischen Idee des Schönen m i t m a c h e « (145). In der Matthisson-Rezension fasse dann Schiller »die ästhetische Idee nur sprachphilosophisch im Sinne Kants« (146). Es ist schwer auszumachen, was Böhm mit dieser Aussage meint. Sie bedarf in j e d e m Falle einer Revision.
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versetzen ( . . . ) so ergeben sich daraus zweierlei Forderungen, denen kein Dichter, der diesen Namen verdienen will, sich entziehen kann. Er muß fürs erste unsre Einbildungskraft frei spielen und selbst handeln lassen, und zweitens muß er nichtsdestoweniger seiner Wirkung gewiß sein und bestimmte Empfindungen erregen. Diese Forderungen scheinen einander anfänglich ganz widersprechend zu sein; denn nach der ersten müßte unsere Einbildungskraft herrschen und keinem andern als ihrem eigenen Gesetz gehorchen; nach dem andern müßte sie dienen und dem Gesetz des Dichters gehorchen. (NA 22, 267) D e r D i c h t e r b e h e b e »diesen W i d e r s p r u c h « d a d u r c h , so heißt es weiter, » d a ß er u n s e r e r Einbildungskraft k e i n e n a n d e r e n G a n g v o r s c h r e i b t , als d e n sie in ihrer vollen Freiheit und n a c h ihren e i g e n e n G e s e t z e n neh-
men müßte, daß er seinen Zweck durch Natur erreicht und die äußere N o t w e n d i g k e i t in eine innere
v e r w a n d e l t « . S o w ü r d e n schließlich beide
Forderungen in einer »höchsten Freiheit«, die die »höchste Bestimmtheit«
einschließt, m i t e i n a n d e r vereint.
A u c h hier ist somit von p r o d u k t i v e r Einbildungskraft und von Freiheit die Rede, die mit e i n e m » G e s e t z d e s Dichters«, d a s » N o t w e n d i g k e i t « und »Bestimmtheit« fordert, in Einklang g e b r a c h t w e r d e n müssen, w e n n » s c h ö n e « - nicht nur » a n g e n e h m e « - K u n s t e n t s t e h e n soll. D o c h ist die Freiheit, die d e r Einbildungskraft z u k o m m e n muß, nicht die gleic h e wie in Hölderlins A b h a n d l u n g . Schiller hält sich an seinen alten Begriff d e r » F r e i h e i t in d e r Erscheinung«, d e r z w a r so k o n s t r u i e r t w a r , als sei ihm die sittliche ( = v e r n ü n f t i g e ) Freiheit ü b e r t r a g e n w o r d e n , d e r a b e r d o c h als Nicht-von-außen-Bestimmtsein, als freie E n t f a l t u n g d e r Einbildungskraft u n d N a t u r w ü c h s i g keit i n t e r p r e t i e r t w e r d e n m u ß t e . D e u t l i c h e r als f r ü h e r wird j e t z t a b e r die » ä u ß e r e Freiheit« d u r c h eine » i n n e r e N o t w e n d i g k e i t « e r g ä n z t , in d e r m a n v o n d e m n e u e n Standp u n k t aus die v o r h e r so b e z e i c h n e t e » m o r a l i s c h e Freiheit« und »sittliche Bestimmtheit« e r k e n n t , die hier d u r c h das » G e s e t z d e s D i c h t e r s « zu leisten sind. S o e r h ä r t e t sich die A n n a h m e , d a ß Schiller K a n t s ästhetis c h e n und sittlichen Freiheitsbegriff m i t e i n a n d e r v e r b i n d e n und zu ein e r » h ö c h s t e n Freiheit« v e r e i n i g e n wollte, wie es a u c h d e r 26. d e r >Briefe ü b e r die ä s t h e t i s c h e Erziehung< nahelegt. 7 7 77
Dennoch besteht in der Matthisson-Rezension ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem früheren Ästhetik-Entwurf. Während Schiller früher von seiner »objektiven« Schönheitstheorie aus zu keinem einheitlichen Schönheitsbegriff kommen konnte, so, daß dieser einmal ganz auf die Sinne, dann aber doch wieder auf eine anfällige Verbindung von Sinnlichkeit und Vernunft gegründet wurde, bietet er jetzt, von einem Produktionsstandpunkt aus, eine widerspruchsfreie Theorie des Schönheitsphänomens. - Der Mangel einer sol95
A u c h in der Matthisson-Rezension wird die »innere Notwendigkeit«, die der Dichter v e r m ö g e »seines« G e s e t z e s dem schönen Kunstprodukt gibt, unter »moralischen« Regeln gedacht. Das geht vor allem aus dem folgenden Teil hervor, in dem Schiller ausführt, daß »die unbeseelte Natur« e n t w e d e r durch »Darstellung v o n Empfindungen« oder durch »Darstellung von Ideen« zum »Symbol der menschlichen (Natur)« werden könne ( N A 22,271). Nur die zweite Möglichkeit ist hier interessant. Schiller sagt darüber: (Aber) die landschaftliche Natur kann ... dadurch in den Kreis der Menschheit gezogen werden, daß man sie zu einem Ausdruck von Ideen macht. Wir meinen hier aber keineswegs diejenige Erweckung von Ideen, die von dem Zufall der Assoziation abhängig ist,... sondern diejenige, die nach Gesetzen der symbolisierenden Einbildungskraft notwendig erfolgt. In thätigen und zum Gefühl ihrer moralischen Würde erwachten Gemütern sieht die Vernunft dem Spiele der Einbildungskraft niemals müßig zu; unaufhörlich ist sie bestrebt, dieses zufällige Spiel mit ihrem eigenen Verfahren übereinstimmend zu machen. Bietet sich ihr nun unter diesen Erscheinungen eine dar, welche nach ihren eigenen (praktischen) Regeln behandelt werden kann, so ist ihr diese Erscheinung ein Sinnbild ihrer eigenen Handlungen; der tote Buchstabe der Natur wird zu einer lebendigen Geistersprache, und das äußere und innre Auge lesen dieselbe Schrift der Erscheinungen auf ganz verschiedene Weise. Jene liebliche Harmonie der Gestalten, der Töne und des Lichts, die den ästhetischen Sinn entzücket, befriedigt jetzt zugleich den moralischen. Dieser Abschnitt enthält den entscheidenden Schlüssel zum Verständnis des » G e s e t z e s der Freiheit«. Die gleichen terminologischen Schwierigkeiten und begrifflichen Differenzen, die Hölderlins Abhandlung kennzeichnen, sind hier vorgeprägt. S o versteht Schiller die ästhetische Synthesis der produktiven Einbildungskraft, die nach dem § 49 der Kritik der Urteilskraft durch »analogische G e s e t z e « des Verstandes geleistet wird unter »praktischen Regeln« der Vernunft. 78 Eben diese Übertragung liegt auch d e m » G e s e t z der Freiheit« zugrunde.
78
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chen Unterscheidung von Produktions- und Rezeptionsstandpunkt in der Betrachtung des Schönen ist auch die Ursache für die vielen Widersprüche in der Beurteilung der Kantischen Genie-Ästhetik. Er spielt bei den Differenzen zwischen Schiller und Hölderlin eine erhebliche Rolle: Hölderlin konnte die Ambivalenz im Begriff des Schönen gerade deswegen vermeiden, weil er konsequent einen Produktionsstandpunkt in seiner Beurteilung einnahm. Wahrscheinlich hat sich Schiller in der Matthisson-Rezension ebenfalls auf den § 49 der Kritik der Urteilskraft gestützt. Die Begriffe >Assoziation< und >Idee< in seinem Kontext deuten auf diese Quelle, auch wenn Schiller bei der Anwendung der Begriffe wieder andere Wege geht.
Darüberhinaus kennzeichnet Schiller die Resultate der dichterischen Synthesis als »Ideen«, die ihrer »moralischen« Konstitution wegen wie in >Anmut und Würde< - als Vernunftbegriffe gemeint, aber mit den Kantischen nicht identisch sind. Wenig später nennt Schillej: sie ausdrücklich »ästhetische Ideen« (NA 22, 273,37), so daß sich die frühere Vermutung bestätigt, Schiller deute diese als dichterische Demonstrationen der Vernunftideen. - Es ist unverkennbar, daß das ästhetische Verfahren, das Hölderlin im »Gesetz der Freiheit« skizziert, nichts anderes als »ästhetische Ideen« in dem von Schiller vorgezeichneten Sinn hätte zum Ziel haben können. Da der Text abbricht, erhalten wir darüber keine Auskunft. Doch läßt sich mit Hilfe von Schillers Konzept die Gedankenrichtung Hölderlins reproduzieren. Wichtig an Schillers theoretischem Entwurf zu Beginn der Matthisson-Rezension wird vor allem seine Unterscheidung zweier Weisen der »Erweckung von Ideen«: die eine hänge von »dem Zufall der Assoziation« ab; die andere erfolge nach »Gesetzen der symbolisierenden Einbildungskraft notwendig«. Hinter diesen beiden Möglichkeiten sind jene zwei Strukturen zu erkennen, von denen Hölderlin die eine als >himmlische Phantasie< (Z. 23) begreift, die andere aber als >notwendigen< Zustarjd, der »von uns« abhängt, fordert. Das »Gesetz des Dichters«, das nach Schiller den Kunstprodukten »Bestimmtheit« verleiht, ist nach Hölderlin das >Gesetz der FreiheitAnmut und Würde< (der >schönen Seele< und der >TemperamentstugendGesetz der Freiheit, und dieses »gebietet«, sich nicht auf das Zufallsgeschenk der Natur zu verlassen. So radikalisiert Hölderlin Schillers Schönheitstheorie auch da, wo dieser seinen Rezeptionsstandpunkt in der Beschreibung des Schönen aufgibt und eine Produktionsästhetik entwirft, wie sie Hölderlin unter der Perspektive des >Gesetzes der Freiheit anstrebte. In der strikten Abweisung des freien und unkontrollierten Spiels der Einbildungskraft liegt ein viertes wesentliches Moment der Differenz zwischen Hölderlins und Schillers Konzeption der Schönheit. 80 Die Negierung des Sp/e/elementes bleibt auch fernerhin hervorstechendes Merkmal von Hölderlins Kunst und Kunstreflexion. Noch 1799 resümiert er in einem Brief an den Bruder (Nr. 172) das Wesen der Kunst (VI, 305f.):
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läßt, ist eine unendliche Größe« (ebd., S. 273). - Hier scheint Isers >Leerstellentheorie< bereits vorweggenommen (vgl. W. Iser, Die Appellstruktur der Texte, Konstanz 1971). Zu dem Problem der »freien« Einbildungskraft und ihrer poetischen Reglementierung äußert sich Schiller im 27. der >Ästhetischen Briefe< in einer Fußnote: »Die mehresten Spiele, welche im gemeinen Leben im Gange sind, beruhen entweder ganz und gar auf diesem Gefühle der freien Ideenfolge oder entlehnen doch ihren größten Reiz von derselben. So wenig es aber auch an sich selbst für eine höhere Natur beweist, und so gerne sich gerade die schlaffesten Seelen diesem freien Bilderstrome zu überlassen pflegen, so ist doch eben diese Unabhängigkeit der Phantasie von äußern Eindrücken wenigstens die negative Bedingung ihres schöpferischen Vermögens. Nur indem sie sich von der Wirklichkeit losreißt, erhebt sich die bildende Kraft zum Ideale, und ehe die Imagination in ihrer produktiven Qualität nach eignen Gesetzen handeln kann, muß sie sich schon bei ihrem reproduktiven Verfahren von fremden Gesetzen frei gemacht haben. Freilich ist von der bloßen Gesetzlosigkeit zu einer selbständigen inneren Gesetzgebung noch ein sehr großer Schritt zu tun, und eine ganz neue Kraft, das Vermögen der Ideen, muß hier ins Spiel gemischt werden - aber diese Kraft kann sich nunmehr auch mit mehrerer Leichtigkeit entwickeln, da die Sinne ihr nicht entgegenwirken und das Unbestimmte wenigstens negativ an das Unendliche grenzt.« Der »freie Bilderstrom« in diesen Ausführungen, der »von fremden Gesetzen frei« ist, würde Kants unterhaltenden »Phantasien« entsprechen (Urteilskraft 172-73). Die Produktivkraft der Imagination, die in der Matthisson-Rezension unter den »Gesetzen der symbolisierenden Einbildungskraft« erläutert wird, entspricht Kants >zweiter Stufe< der produktiven Einbildungskraft unter dem Prinzip des Geistes (Urteilskraft 192-93) und Hölderlins Organisation unter dem >Gesetz der Freiheiu, die bei ihm auch für die unwillkürlichen »äußeren Eindrücke«, sofern sie schön sind, Gültigkeit beansprucht.
Man hat schon so viel gesagt über den Einfluß der schönen Künste auf die Bildung der Menschen, aber es kam immer heraus, als w ä r ' es keinem Ernst damit, und das war natürlich, denn sie d a c h t e n nicht, was die Kunst, und besonders die Poesie, ihrer Natur nach, ist. M a n hielt sich blos an ihre anspruchslose Außenseite, die freilich von ihrem W e s e n unzertrennlich ist, aber nichts weniger, als den ganzen K a r a k t e r derselben ausmacht; m a n nahm sie für Spiel, weil sie in der bescheidenen Gestalt des Spiels erscheint, und so k o n n t e sich auch vernünftiger weise keine a n d e r e Wirkung von ihr ergeben, als die des Spiels, nemlich Zerstreuung, beinahe das g e r a d e Gegentheil von dem, was sie wirket, wo sie in ihrer wahren N a t u r v o r h a n d e n ist. Denn alsdann sammelt sich der Mensch bei ihr, und sie giebt ihm Ruhe, nicht die leere, sondern die lebendige Ruhe, w o alle K r ä f t e regsam sind, und nur wegen ihrer innigen H a r m o n i e nicht als thätig erkannt w e r d e n . Sie nähert die Menschen, und bringt sie zusammen, nicht wie das Spiel, w o sie nur d a d u r c h vereiniget sind, d a ß j e d e r sich vergißt und die lebendige Eigentümlichkeit von keinem zum Vorschein kömmt.
Diese hohe, ehrfurchtsvolle Einschätzung der Kunst, die durchgängig zu verfolgen ist und jeder flüchtigen, Ideenassoziation entsagt, findet auch in der Widmung, Franz Wilhelm Jung in den ersten Band des >Hyperion< Niederschlag:
bei Hölderlin spielerischen die Hölderlin schrieb, ihren
Klopstok - Die Dichter, die nur spielen,/ Die wissen nicht, w e r sie und w e r die Leser sind/ Der r e c h t e Leser ist kein K i n d / Er will sein männlich Herz viel lieber f ü h l e n / Als spielen. (III, 575).
Schiller hatte demgegenüber weit weniger Skrupel, die Dichtung auch als Spiel zu begreifen, obgleich er ihr - nicht anders als Hölderlin - kein geringeres Geschäft, als das der Bildung der Menschheit anvertrauen wollte. Die angeführten Vergleichspunkte zwischen Schillers MatthissonRezension und dem »Gesetz der Freiheit« reichen aus, um Hölderlins frühesten philosophisch-ästhetischen Versuch als ein Bruchstück oder einen Entwurf jenes Aufsatzes über die »ästhetischen Ideen« erkennen zu lassen, von dem man in der Forschung annahm, er sei verloren gegangen oder nie geschrieben worden. 81 Beide Texte ringen um ästhetische Prinzipien, um ein »Gesetzbuch des Geschmacks« bzw. des Genies, dessen Aufgabe darin bestünde, »nach Gesetzen der symbolisierenden Einbildungskraft« »ästhetische Ideen« zu produzieren. Schiller nennt diese ausdrücklich als Resultate " Böhm sagt (L 46, S. 345): »Dieser Aufsatz d ü r f t e nie zur A u s f ü h r u n g gekommen sein«; ergänzt aber zugleich: » D a s s c h l i e ß t . . . nicht aus, d a ß sein Inhalt zu Ende g e d a c h t w o r d e n ist.«
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des dichterischen Verfahrens; bei Hölderlin erhalten wir über die Produkte der sogenannten »moralischen« Operationen der Einbildungskraft keine Auskunft mehr, da der Text am unteren Rand des Blattes abbricht, also wahrscheinlich weiter ausgeführt war. Doch ist auch so aufgrund der Anlage des Fragments zu schließen, daß deren Resultate ebenfalls zu »ästhetischen Ideen« hätten führen müssen. Die schrittweise Isolierung der Phantasie, sowie die Tendenz, für sie einen »vesten Zustand« herauszupräparieren - entsprechend der Absonderung der himmlischen Phantasie< aus der >Moralität des Instinkts< - macht die »ästhetischen Ideen« als Zielpunkt der Abhandlung wahrscheinlich. Deshalb müssen wir anhand des »Gesetzes der Freiheit« weiterhin zu klären versuchen, inwiefern Hölderlins Konzeption der »ästhetischen Ideen« als ein »Kommentar über den Phädrus des Plato« und als eine >Vereinfachung< der Kantischen Lehre vom Schönen und Erhabenen hätte gelten können (Brief Nr. 88, VI, 137,89f.). Im Hinblick auf die Bedeutung, die Schillers Matthisson-Rezension und seine Schrift >Über Anmut und Würdeästhetischer Imperative den er dem Kantisch-moralischen nachbildet, aber in eine Gesetzesforderung zur harmonischen Ordnung der Einbildungskraft umgestaltet. 82 Mit diesem Versuch liefert Hölderlin einen eigenen - wenn auch fragmentarischen - Ansatz zur Bestimmung der modernen, idealisierenden Dichtart, deren Prinzipien wenig später Schiller, Schlegel und Humboldt ausführlicher zu begründen versuchten. 83 Das kryptische Fragment Hölderlins hat - abgesehen von dem Originalitätsanspruch - diesen Programmen gegenüber den Vorzug, daß es zugleich die Quellen kenntlich macht, die den Argumentationen seiner Nachfolger ebenso zugrunde liegen, wie seinen eigenen. Ohne die Kantische Moralphilosophie mit ihrem Anspruch auf Freiheit und Selbsttätigkeit - vermittelt " Die gleiche parallele Konzeption v o n moralischem und ästhetischem Produktionsakt liegt auch Fichtes Aufsatz » Ü b e r Geist und Buchstab in der Philosophie« zugrunde. - Hier ist zu lesen, daß e b e n s o w i e der praktischen Bestimmung »eine Vorstellung zu G r u n d e « liege, »die selbst ihrem G e h a l t e nach durch absolute Selbsttätigkeit e n t w o r f e n « sei, auch der ästhetischen Bestimmung »eine auf gleiche Weise entworfene Vorstellung zum Grunde« liege. Fichte gibt hier auch exakte Beschreibungen, wie diese >Vorstellungen< zustande kommen. (Vgl. Akad. Ausg. Bd. VIII, 280). »3 Vgl. zu diesem Problem: L 184, Müller-Vollmer, S. 34ff.
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durch Fichte - hätten weder die traditionellen Nachahmungstheorien verabschiedet, noch die Autonomie der modernen Dichtkunst postuliert werden können. Hölderlin leistet mit einem solchen Ansatz zugleich seinen ersten Beitrag zur »Querelles des Anciens et des Modernes«, die mit der Neubestimmung der »sentimentalischen« oder »progressiven« Dichtart auch in Deutschland weiter ausgetragen wurde. 84 Auch sein späteres Reflektieren über Kunst und Dichtung kann im Horizont dieser Auseinandersetzung interpretiert werden, deren unvermittelter Widerstreit bei Hölderlin in einer komplementären Ergänzung des Antiken und Modernen aufgehoben wird. Am klarsten finden wir seine Stellungnahme zur >Querelle< im »Gesichtspunct aus dem wir das Altertum anzusehen haben« (IV, 221 f.) sowie dem berühmten Böhlendorff-Brief vom 4. Dez. 1801 (Nr. 236) ausgeprägt. Das »Gesetz der Freiheit« aber stellt zum ersten Mal einen Versuch dar, sich dieser Problematik zu bemächtigen. So kann die >Analogie dessen was Natur heißthimmlische Phantasie< sogar verstanden werden als eine Anspielung auf die ursprüngliche, naive oder klassische Dichtung, der eine neue entgegenzustellen ist, die unserem selbsttätigen Vermögen der Produktion entspringt und deshalb »von uns abhängen« soll (Z. 30). 9) Der letzte Absatz des Fragments und seine Bedeutung für dessen Anfang Auch wenn die letzten überlieferten Sätze des Fragments (Zn 33-44 = StA IV, 212,3-14) ausschließlich von Moral zu handeln scheinen, darf Hölderlins Ausgangspunkt nicht außer Acht bleiben, der eine >doppelte< Moral - im besonderen Sinne - festlegte. Was hier gesagt wird, hat ebenso vom praktischen Handeln wie vom ästhetischen Bilden zu gelten; oder genauer: Entsprechend dem Aussonderungsverfahren, das Hölderlin beim »empirischen Begehrungsvermögen« anwendete, sollte hier ein »vester Zustand« für die Phantasie aus der rigoristischen Handlungsbestimmung herausgelöst werden. Noch einmal wird Schillers »sinnliche Moralität< erwogen und nicht abgewiesen, denn Hölderlin läßt auch da den Anspruch der Moralität gelten, wo die »Bestimmungsgründe in der Natur und nicht in der Freiheit liegen« (Zn 40-41). - Mit großer Sicherheit sind diese Zeilen aber auch im Hinblick auf Kant geschrieben, der in der >Kritik der praktischen Vernunft< A 126-28 Willensbe84
Vgl. zu diesem Problemkomplex und seiner Aufnahme in Deutschland: L 130, Jauß.
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Stimmungen erwähnt, die dem moralischen Gesetz »zwar gemäß« sind, a b e r nur »vermittelst eines Gefühls« erfolgen. Kant gesteht solchen Handlungen jedoch keine Moralität, dafür aber » L e g a l i t ä t « zu, weil sie »nicht um des Gesetzes willen« geschehen. So taucht hier das Wort auf, das Hölderlin Z. 41/42 gebraucht. 8 5 Wiederum genügt ihm die >bloße< »Legalität« nicht, weil sie »ein ser unsicheres, nach Zeit und Umständen wandelbares Ding« (Zn 42-43) wäre. Damit schlägt er sich abermals m e h r auf die Seite Kants als auf die Schillers. Der »Widerstand in der Natur« (Zn 35-36) muß in beiden Bereichen gebrochen werden, wenn das Gesetz die ihm gebührende Achtung erfahren, wenn Sittlichkeit und Schönheit Erfüllung finden sollen. 86 Die Strenge des Gesetzes wird somit zum Maß für die ästhetische Forderung, und seine Verfehlung interpretiert Hölderlin als Schuld und Strafe: »Das erstemal, daß das G e s e z der Freiheit sich an uns äußert, erscheint es strafend. Der Anfang all' unsrer Tugend geschieht vom Bösen« (Zn 36-38). - So besteht die Aufforderung, nach der ersten Erfahrung der Strafe das Gesetz mit Bewußtsein zu ergreifen und ihm gemäß zu handeln und zu bilden. Auch nach den Jenaer Hyperion-Fragmenten entstanden Bewußtsein, Dürftigkeit, Liebe und Schönheit in dem Augenblick gemeinsam, »als unser ursprünglich unendliches Wesen zum erstenmale leidend ward und die freie volle Kraft die ersten Schranken e m p f a n d . . . « (III, 192). Trotz differierender philosophischer Grundbestimmungen gilt auch hier - wie im »Gesetz der Freiheit« - die Voraussetzung, daß die Erfahrung und das Bewußtsein des Leidens, als Übertretung des Gesetzes, 85
86
Kant ergänzt in einer Anmerkung zu solchen >legalen< Handlungen (ebd.): »Man kann von jeder gesetzmäßigen Handlung, die doch nicht um des Gesetzes willen geschehen ist, sagen: sie sei bloß dem Buchstaben, aber nicht dem Geiste (der Gesinnung) nach moralisch gut.« Goethes Urteil zu Kants Rigorismus mag hier als Ergänzung nachgetragen werden. Er äußert am 22. April 1818 im Gespräch mit Kanzler Müller: »Die Moral war gegen Ende des letzten Jahrhunderts schlaff und knechtisch geworden, als man sie dem schwankenden Kalkül einer bloßen Glückseligkeitstheorie unterwerfen wollte. Kant faßte sie zuerst in ihrer übersinnlichen Bedeutung auf, und wie überstreng er sie auch in seinem kategorischen Imperativ ausprägen wollte, so hat er doch das unsterbliche Verdienst, uns von jener Weichlichkeit, in die wir versunken waren, zurückgebracht zu haben.« Vgl. auch Hölderlins späteres Urteil über Kants Moral, das von einem veränderten Standpunkt aus sowohl Kritik als auch Lob enthält (Brief an den Bruder vom 1. Januar 1799, Nr. 172, STA VI, 327): »Kant ist der Moses unserer Nation, der sie aus der ägyptischen Erschlaffung in die freie, einsame Wüste seiner Spekulation führt, und der das energische Gesetz vom heiligen Berge bringt.«
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uns die Kraft geben, den >himmlischen< Zustand selbsttätig wiederherzustellen. » D e r >Vorschein< des S c h ö n e n scheint der menschlich-endlic h e n Erfahrung vorbehalten.« 8 7 W o die Leistung der Einstimmung zum G e s e t z , die uns nur in der Kindheit v o n der Natur geschenkt ist, nicht mit Bewußtsein und infolge des Bewußtseins erbracht wird, gibt e s für Hölderlin w e d e r Sittlichkeit n o c h Schönheit, d. h.: keine selige Harmonie der Kräfte. Ernst Müller hat darauf hingewiesen, daß die Quelle obigen Zitats aus d e m » G e s e t z der Freiheit«, w o n a c h d e s s e n Befolgung an das Bewußtsein der Strafe gebunden ist, in Kants Abhandlung »Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte« v o n 1787 zu finden ist. 88 D o r t heißt es (A 14): Ehe die Vernunft erwachte, war noch kein Gebot oder Verbot, und also noch keine Übertretung; als sie aber ihr Geschäft anfing, und, schwach wie sie ist, mit der Tierheit und deren ganzen Stärke ins Gemenge kam, so mußten Übel, und, was ärger ist, bei kultivierterer Vernunft Laster entspringen, die dem Stande der Unwissenheit, mithin der Unschuld, ganz fremd w a r e n . . . Der erste S c h r i t t . . . aus diesem Stande war auf der sittlichen Seite ein Fall; auf der physischen Seite waren eine Menge nie gekannter Übel des Lebens die Folge dieses Falles, mithin Strafe. Die Geschichte der Natur fängt also vom Guten an, denn sie ist das Werk Gottes; die Geschichte der Freiheit vom Bösen, denn sie ist Menschenwerk. M ö g l i c h e r w e i s e hat bei Hölderlins wortnaher A u f n a h m e Kantischer G e d a n k e n im » G e s e t z der Freiheit« Schiller wiederum als Vermittler gewirkt, denn er hatte s c h o n in der Thalia-Schrift von 1790: » E t w a s über die erste M e n s c h e n g e s e l l s c h a f t nach d e m Leitfaden der m o s a i s c h e n Urkunde« Kants Ausführungen und Erläuterungen zur biblischen G e nesis a u f g e n o m m e n und weitergeführt. 8 9 87
L 86, Gadamer, S.461. » L 180. Müller. S. 119. "· In Anlehnung an Kant lautet die entsprechende Passage bei Schiller (NA 17, S. 399): »Sobald seine (des Menschen) Vernunft ihre ersten Kräfte nur geprüft hatte, verstieß ihn die Natur aus ihren pflegenden Armen, oder richtiger gesagt, er selbst, von einem Triebe gereitzt, den er selbst noch nicht kannte, und unwissend, was er in diesem Augenblicke großes that, er selbst riß ab von dem leitenden Bande, und mit seiner noch schwachen Vernunft, von dem Instinkte nur von ferne begleitet, warf er sich in das wilde Spiel des Lebens, machte er sich auf den gefährlichen Weg zur moralischen Freiheit. Wenn wir also jene Stimme Gottes in Eden, die ihm den Baum der Erkenntniß verbot, in eine Stimme seines Instinktes verwandeln, der ihn von diesem Baume zurückzog, so ist sein vermeintlicher Ungehorsam gegen jenes göttliche Gebot nichts anders als - ein Abfall von seinem Instinkte - also, erste Aeußerung seiner Selbstthätigkeit, erstes Wagestück seiner Vernunft, erster Anfang seines mo103
Entscheidend aber ist, daß Hölderlin unter diesen Anleitungen den Moralkomplex - und damit auch die Schönheitsproblematik - seinen religionsphilosophischen Studien eingliedern konnte. Schönheit und Sittlichkeit stehen bei ihm in einem heilsgeschichtlichen Kontext, der durch seine Plato-Interessen unterstrichen wird. So eröffnet die unscheinbare Kantanspielung in unserem Text eine zusätzliche und weitreichende Perspektive zur Interpretation seiner philosophisch-abstrakten Einleitungspassagen: Zögerte man anfangs mit der Unterscheidung des >Naturzustandes der Einbildungskraft und der >Anarchie der Vorstellungen zugleich einen Qualitäts- und Wertmaßstab zu verbinden, so wird er unter der Kantischen Abhängigkeit zur Gewißheit. >Naturzustandanarchisch< zerstückelten modernen Erfahrung verstellt ist. »Tout est bien, sortant des mains de L'Auteur des choses, tout degenere entre les mains de l'homme«, so hatte Rousseau zu Beginn des >Emile< geklagt und seiner Kulturkritik in der Preisschrift von 1749, die auch in Deutschland starken Nachhall fand, Ausdruck verliehen. Unter Berücksichtigung der Abhandlung Kants, die eine aufklärerische Erläuterung von 1. Mose, Kap. 2-6 enthält, wird jedoch sichtbar, daß Hölderlin über Rousseaus bloße Kuhurverneinung hinausgeht: Durch die G ü t e des >NaturzustandesHyperion< verarbeitet. - Vgl. auch das G e d i c h t >Das S c h i c k s a a k 90
Vgl. die Preisschrift auf die Frage der Akademie von Dijon: »Ob die Erneuerung der Wissenschaften und Künste zum Verderb oder zur Hebung der Sittlichkeit gewirkt haben?« - D i e s e Schrift v o n Rousseau fand in Deutschland g r o ß e Beachtung und wurde s o w o h l von Kant in »Mutmaßlicher A n f a n g der M e n s c h e n g e s c h i c h t e « zitiert, als auch v o n Fichte in den »Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten« scharf kritisiert. Vgl. 5. Vorlesung. - Es ist anzunehmen, daß Hölderlin diese Kritik Fichtes, die den n o t w e n d i g e n
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ne der Kan tischen Abhandlung als Auftrag, die dem Menschen übergebene Welt tätig zu gestalten, »bis vollkommene Kunst wieder Natur wird: als welches das letzte Ziel der sittlichen Bestimmung der Menschengattung ist.« (A 18)91 Das >Gesetz der Freiheit ist so gleichsam der Pflug, um das irdische Feld zu bebauen und den Garten Eden vorzubereiten. Dazu leistet nach Hölderlin die Kunst ebensoviel wie die Moral und die Wissenschaft, wenn nicht sogar mehr.92 So findet das scheinbar belanglose Blatt über das »Gesetz der Freiheit« einen zentralen Platz in Hölderlins eschatologischem Denken. Auch wenn er den rigoristischen Standpunkt der unbedingten Forderung, die allein auf die Kraft des Menschen pocht, sehr bald aufgibt, bestimmen die ästhetischen, die philosophischen und die religionskritischen Elemente, die er in Tübingen und Waltershausen erworben hatte, weiterhin Hölderlins dichterische und praktische Prinzipien. Wir fassen die Resultate der Untersuchung über das »Gesetz der Freiheit« zusammen: 1) Hölderlins Fragment ist weniger eine Abhandlung über Moral als ein ästhetischer Entwurf. 2) Die theoretische Synthesis, zu deren Beschreibung Hölderlin zunächst ansetzt, spielt nur eine untergeordnete Rolle und wird ähnlich wie bei Schiller - nur vorläufig erfaßt. Hölderlins geringes Interesse an Kants transzendental-theoretischer Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis wird sichtbar.
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Fortschritt der menschlichen Kultur ebenso betont wie Kants Abhandlung und die auch mit dem Forderungscharakter des >Gesetzes der Freiheit vollkommen übereinstimmt, bereits aus den »Aufsätzen« kannte, die Charlotte von Kalb am 11. August 1794 von Johann Pohrt angefordert hatte. Vgl. den entsprechenden Abschnitt in Schillers Abhandlung (NA 17, S. 399):
»Er sollte den Stand der Unschuld, den er jetzt verlohr, wieder aufsuchen
lernen durch seine Vernunft, und als ein freier vernünftiger Geist dahin zurück kommen, wovon er als Pflanze und als eine Kreatur des Instinkts ausge-
gangen war; aus einem Paradies der Unwissenheit und Knechtschaft sollte er sich, wär es auch nach späten Jahrtausenden zu einem Paradies der Erkenntniß und der Freiheit hinaufarbeiten, einem solchen nehmlich, wo er dem mo92
ralischen Gesetze in seiner Brust eben so unwandelbar gehorchen würde, als er anfangs dem Instinkte gedient hatte...«
Eine Anerkennung sowohl als eine Kritik der Rousseauschen Entwicklungsprinzipien, die die hier dargelegten Voraussetzungen für das »Gesetz der Freiheit« bestätigen, findet sich in Hölderlins Brief an Ebel vom 2. September 1795 (Nr. 103). - Vgl. dazu L 66, Cornelissen, S. 14f. - Möglicherweise ist die negative Bewertung des Verstandes zu Beginn des Fragments ebenfalls ein Rousseau-Relikt.
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3)
Hölderlin bemüht sich, die Einbildungskraft unter Gesetzen der Moral als das dichterische Vermögen der Phantasie herauszuarbeiten. 4) Kants Moralbegriffe, auf die sich Hölderlin stützt, unterliegen dabei einer entscheidenden Wandlung, die durch >moral-sensesinnliche< Moralbegriffe dienen dazu, analoge Strukturen im Felde der Phantasie zu postulieren. Dabei wird die Moral gleichsam zur Gattung erhoben, während das praktische Handeln und das ästhetische Bilden unter einem Gesetz, dem >Gesetz der Freiheit^ gleichberechtigt nebeneinander stehen. 7) Hölderlins Ziel ist die a priorische Grundlegung der Kunst unter dem Prinzip der Freiheit in einer rigoristischen Ästhetik. Der Anspruch des Gesetzes gilt zum einen für die Schönheiten der Natur und zum andern als Gebot für den Künstler, »ästhetische Ideen« zu produzieren. 8) Hölderlins ästhetischer Rigorismus fordert keine Eliminierung der Sinnlichkeit, sondern die zweckmäßige Reglementierung der Einbildungskraft. Damit zugleich wird der Spielcharakter des Schönen, den Schiller mit Kant behauptet hatte, aus der Ästhetik verbannt. - Während Schiller meinte, Kants rigoristische Moral durch eine >schöne Sittlichkeit< mildern und modifizieren zu müssen, hält Hölderlin - trotz der Schillerschen Umwandlungstendenzen - an dem Kantischen Forderungscharakter fest. 9) Obgleich Hölderlin gemeinsam mit Schiller die Kantische >Grenzlinie< zwischen Ästhetik und Moral überschreitet, unterscheidet er sich in der ästhetischen Konzeption von seinem Vorbild a) durch die Eliminierung des Spielelements, b) durch die Strenge der Unbedingtheitsforderung und c) durch die Absage an dessen >ObjektivitätsPendantzu einem gegebenen Begriffe Ideen aufzufinden (198). Es
sind aber nicht eigentlich Vernunftideen, sonst wäre ja die Vernunft das Organ für die Kunst und die Kunst ließe sich auf Vernunftideen reduzieren. Sie haben mit den Vernunftideen nur das gemeinsam, daß sie die Erfahrungsgrenze überschreiten, weshalb das begriffliche Verstehen sie nicht einholen kann und doch ständig nach ihnen ausholt.«
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Vgl. a. Biemel S. 78: »Die entscheidende Einsicht Kants besteht also darin, daß es eine Möglichkeit gibt, die Erfahrung zu übersteigen, ohne hierbei von der Sinnlichkeit abzusehen. Der Überstieg wird von einem der Sinnlichkeit zugewandten Vermögen vollzogen. Darin besteht der paradoxe Grundzug der ästhetischen Idee. Es handelt sich bei ihr um eine sinnliche Darstellung dessen, was gar nicht in der Erfahrung sinnlich erfahrbar ist.« Schillers Vokabular in der >Matthisson-Rezension< zur Erläuterung der ästhetischen Ideen< weist eindeutig auf diese beiden Abschnitte aus der Urtkr. Vgl. N A 22,273: » . . . denn eben darin liegt das Anziehende solcher ästhetischen Ideen, daß wir in den Inhalt derselben wie in eine grundlose Tiefe blicken. Der wirkliche und ausdrückliche Gehalt, den der Dichter hineinlegt, bleibt stets
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Hölderlin ist ihm mit Einschränkungen gefolgt, obgleich Kant im folgenden der Urteilskraft keinen Zweifel daran ließ, daß Vernunftideen und ästhetische Ideen nicht aufeinander beziehbar sind; er kennzeichnet deren Vermögen schließlich als »eigentlich nur ein Talent der Einbildungskraft« (194) und präzisiert seine Unterscheidung beider Arten von Ideen in § 57 (239): Ideen in der allgemeinsten Bedeutung sind nach einem gewissen (subjektiven oder objektiven) Prinzip, auf einen Gegenstand bezogene Vorstellungen, sofern sie doch nie eine Erkenntnis desselbsn werden können. Sie sind entweder nach einem bloß subjektiven vermögen
untereinander
Anschauung bezogen:
Prinzip der Übereinstimmung
der
Erkenntnis-
(der Einbildungskraft und des Verstandes) auf eine
und heißen alsdann ästhetische •, oder nach einem ob-
jektiven Prinzip auf einen Begriff bezogen, können aber doch nie eine Erkenntnis des Gegenstandes abgeben: und heißen Vernunftbegriffe.
Die ästhetischen Ideen< Kants als »Vorstellung(en) der Einbildungskraft, die viel zu denken« veranlassen, ohne daß ihnen »ein bestimmter Gedanke« adäquat wäre, werden somit abgeleitet von der Erläuterung des Geschmacksurteils und dessen Grundlage, dem freien Spiel der Erkenntniskräfte. Ihre Stoffülle ist zurückzuführen auf die freie Entfaltung der Einbildungskraft, ihre Belebung auf deren zweckmäßige Einstimmung zum Verstand, und ihre Begriffslosigkeit meint nicht die Unerreichbarkeit der Vernunftideen in der Realität, sondern die Nichtfixiertheit der Verstandestätigkeit im ästhetischen Spiel. So wird die Schönheit der Kunst, die in den ästhetischen Ideen ihren Ausdruck findet, den Bedingungen des Naturschönen angepaßt und auf Kants frühere Deutung des freien Spiels der Erkenntniskräfte eingeschränkt, eine Erklärung, die dem Phänomen der Kunst kaum gerecht zu werden vermag. Die Zwangsjacke des Geschmacksurteils - so große Bewegungsfreiheit sie der Einbildungskraft auch erlaubt - ist dem Kunstschönen nicht angemessen: » D i e Anerkennung der Kunst scheint von der Grundlegung der Ästhetik im >reinen Geschmacksurteik aus unmöglich«, sagt Gadamer, »es sei denn, daß der Maßstab des Geschmacks zu einer bloßen Vorbedingung herabgesetzt wird.« 3
3
eine endliche, der mögliche Gehalt, den er uns hineinzulegen überläßt, ist eine unendliche Größe.« Die »grundlose T i e f e « verweist auf Kants »Stoffülle«, die keine begriffliche Zusammenfassung erlaubt. Unmittelbar vorher wird das entsprechende dichterische Verfahren » S y m bolik der Einbildungskraft« genannt ( N A 22,273). L 86, Gadamer, S. 42. - Gadamers Zusatz allerdings, man könne »die Einfüh-
109
Eine solche >Herabsetzung< ist am Beispiel der ästhetischen Ideen in der Urteilskraft nicht durchgeführt, obgleich Kant andererseits die weiterreichende Beziehung zum »Vermögen intellektueller Ideen« (der Vernunft) (194) nie ganz abbricht. Gelegentlich stehen beide Momente, das des Spiels und das der Versinnlichung von Vernunftbegriffen nebeneinander, wie etwa in jener Definition, in der von den »ästhetischen Attributen«, den »Nebenvorstellungen der Einbildungskraft« eines gegebenen Begriffes, gesagt wird, sie »geben eine ästhetische Idee, die jener Vernunftidee statt logischer Darstellung dient, eigentlich aber um das Gemüt zu beleben, indem sie ihm die Aussicht in ein unabsehliches Feld verwandter Vorstellungen eröffnet« (195).4 Auf Grund dieser Ambivalenzen wird es verständlich, wenn Hölderlin seine Kantkritik gerade an der Gelenkstelle der ästhetischen Ideen ansetzt. Vor allem das freie Spiel der Erkenntniskräfte, das die Wirkung der ästhetischen Ideen auf ein interesseloses Wohlgefallen herabstimmte - was der Natur gegenüber noch angehen mochte -, konnte seiner >moralischen< Gesetzlichkeit der Einbildungskraft im Fragment nicht gerecht werden. Die ästhetischen Ideen erforderten eine strengere Fürung des Begriffs des Genies in den späteren Partien der >Kritik der Urteilskraft< in diesem Sinne verstehen«, kann ich nicht zustimmen. -
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Für die Auffassung der Kunst vom Spiel der Erkenntniskräfte und vom Geschmacksurteil her mag auch eine frühe Reflexion Kants als Beispiel dienen, die nach Menzer(L 165, S. 57) spätestens 1769 niedergeschrieben ist, die aber auch später bei Kant ihre Gültigkeit nicht einbüßt. - Menzer meint sogar, daß Kant »den Gedanken vom Spiel der Erkenntniskräfte zuerst an der Dichtkunst gefaßt« habe (S. 113). Die Reflexion Nr. 618 lautet: »Dichtkunst ist ein künstliches Spiel der Gedanken . . . Dazu gehört, daß alle Gemüthskräfte in ein Harmonisch Spiel versetzt werden. Folglich müssen sie sich und der Vernunft nicht hinderlich, obzwar auch nicht beförderlich sein. Das Spiel der Bilder, der Ideen, der affecte und Neigungen, endlich der bloßen Eindrücke in der Zeitabteilung, das Tactmäßige (Versart) und Gleichklang ( R e i m ) . . . Vernunft verdirbt das Spiel... Poesie ist das schönste aller Spiele, indem wir alle Gemütskräfte darin versetzen . . . Die Poesie hat weder die Empfindungen noch Anschauungen noch Einsichten zum Zweck, sondern alle die Kräfte und Federn im Gemüthe in Spiel zu setzen; ihre Bilder sollen nicht zur Verständlichkeit mehr beitragen, sondern lebhaft bewegen. Sie müssen einen Inhalt haben, weil ohne Verstand keine Ordnung ist und dessen Spiel das meiste Wohlgefallen erregt.« Vgl. auch Biemels Kritik L 31, S. 66ff. und S. 132 und L 224, Schlapp, S. 302. Diese Definition ist für Hölderlin zu beachten: Hinter der Belebung des Gemüts, bei der weitreichende Aussichten< eröffnet werden, ist Hölderlins Interesse für die Ideen, die Belebung des >Begehrungsvermögens< wahrzunehmen; und »Aussicht« - der Begriff findet sich noch in den spätesten Gedichten - bedeutet bei ihm die Eröffnung einer übersinnlichen Perspektive wie sie durch die >moralische< Organisation ermöglicht wird.
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gung, die auf die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zielte. »Geist«, der nach Kant »in ästhetischer Bedeutung« lediglich die zweckmäßige Einstimmung der Kräfte hervorbringen sollte,5 wird so bei Hölderlin zu einer produktiven, bestimmenden Kraft. Seinem neuplatonischen Denken gemäß ist er der »zeugende Logos«, die »innere Form«, die sich das Mannigfaltige der äußeren Wahrnehmungen anbildet und so in der Erscheinung ein Bild der Idee wirkt, die es nachstrebend zu verwirklichen gilt.6 Zwar wirken Kants Erläuterungen zur ästhetischen Idee bis in dichterische Formulierungen Hölderlins hinein - so, wenn ein »zufällig Wörtchen« Diotimas »eine Welt von Gedanken« in Hyperion hervorruft (III, 221,3-4), ein »Wörtchen«, an das seine »ganze Seele sich hieng, um es hundertfach zu deuten ...« (ebd., Z. 23-24) -; darin ist die Unausdeutbarkeit der ästhetischen Ideen Kants festgehalten. Doch gelten für das produktive Vermögen des Dichters Hölderlins strengere Bestimmungen aus dem »Gesetz der Freiheit«, wonach die moralisch-ästhetischen Operationen der Einbildungskraft gleichsam zu Zielvorstellungen führen, die die organisierende Kraft durch das Sinnlich-Mannigfaltige hindurchscheinen lassen, so daß dieses zum »Symbol des Heiligen und Unvergänglichen in uns« werden kann (III, 190,22f.). Mit Hilfe der ästhetischen Ideen wird die Kunst zum Demonstrationsmedium menschlicher Intellektualität, die Hölderlin mit »moralischer Vernunft« ineins setzt. Durch die strengere Fassung der ästhetischen Ideen geht Hölderlin abermals über Schiller hinaus, der in der »grundlosen Tiefe«, die er mit den Produkten der Kunst verbindet, an der Gedankenfülle und der Freiheit der Einbildungskraft der Kantischen Konzeption festzuhalten sucht. »Der wirkliche und ausdrückliche Gehalt, den der Dichter« in die ästhetischen Ideen hineinlege, so führt er in der Matthisson-Rezension aus, bleibe »stets eine endliche, der mögliche Gehalt, den er uns hineinzulegen« überlasse, sei dagegen »eine unendliche Größe.« (NA 22, 273/74). - Aus diesen Bestimmungen ließe sich ein rezeptionsästhetischer Ansatz entwickeln, der die Fülle der Auslegungsmöglichkeiten zu reflektieren hätte; nach Hölderlin aber macht der »wirkliche und ausdrückliche Gehalt«, den der Dichter in die ästhetischen Ideen hineinlegt, selbst schon eine »unendliche Größe« aus, weil in ihm das Vermögen der Vernunft als ein agens wirkt, das nicht auszuschöpfen oder festzulegen ist. 5 6
Vgl. Urtkr. 192 und Anthropol. BA 195. Zu dieser Tradition, die für Hölderlins Denken bestimmender ist als die thetischen Ausführungen Kants, und zum Problem der >inneren Gestaltungskraft< vgl. L 235, Schwinger, S. 78ff.
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II. Probleme in Kants Erklärung des Kunstschönen Um Hölderlins Eingriffe in die Kantische Ästhetik verständlicher zu machen, die in vielem weitreichender und fundierter sind als Schillers Kritik, müssen einige weitere Schwierigkeiten an Kants Erläuterung des Kunstschönen angeführt werden. Sie sind es auch, die Hölderlin veranlaßten, sich der Kantischen Mittel der Moral zu bedienen, obgleich damit den Problemen des Kunstschönen nicht beizukommen war. Doch deutet dieser Mißgriff auf den Mangel einer gesicherten Theorie der ästhetischen Produktion, die erst in der nachfolgenden Periode zu einem vorläufigen Abschluß gebracht werden konnte. 7 Die geringste Schwierigkeit bei der Anpassung des Kunstschönen an das Schema des freien Spiels der Erkenntniskräfte, wie es am Naturschönen entwickelt wurde, merkt Kant selbst an: Dem Kunstprodukt muß immer »zuerst ein Begriff von dem zum Grunde gelegt werden«, »was das Ding sein soll«, während es in der Beurteilung des Naturschönen nicht nötig ist, »die materiale Zweckmäßigkeit (den Zweck) zu kennen«, weil »die bloße Form ohne Kenntnis des Zwecks in der Beurteilung für sich selbst« gefällt (188-89): . . . da die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge, zu einer inneren Bestimmung desselben als Zweck, die Vollkommenheit des Dinges ist,
so wird in der Beurteilung der Kunstschönheit zugleich die Vollkommenheit des Dinges in Anschlag gebracht werden müssen, wornach in der Beurteilung der Naturschönheit (als einer solchen) gar nicht die Frage ist. (ebd.)
Diese notwendige Voraussetzung eines Begriffes oder Zweckes in der Beurteilung des Ku/jsfschönen ist Kant ein Dorn im Auge. Sie gefährdet die Beschreibung des Schönen vom Standpunkt des Reflexionsurteils und birgt eine Gefahr für das freie Spiel der Erkenntniskräfte. So kommentiert Biemel mit Recht (S. 60): Alle Bemühungen Kants ein reines Geschmacksurteil herauszustellen, stoßen plötzlich auf ein merkwürdiges Hindernis - nämlich die Möglichkeit, daß es eine Schönheit gibt, die nicht durch ein reines Geschmacksurteil beurteilt werden kann. Es ist die Schönheit, die nicht ohne ihren Begriff als solche zu gelten vermag, die also einen Begriff voraussetzt und diesem adhäriert.
Die gleiche Voraussetzung, die Kant für die »anhängende Schönheit« in den §§ 16 und 17 der Urteilskraft konstatierte, gilt auch für das Schöne der Kunst": Wer die Schönheit eines Gegenstandes »als anhängende 7 Vgl. zu diesem Problem: L 108, Henrich, und L 110, Henrich. « L 83, Gadamer, S. 33.
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Beschaffenheit betrachtet«, urteilt »nach dem, was er in Gedanken hat«; derjenige aber, der sie als >freie< Schönheit ansieht, richtet »nach dem, was er vor den Sinnen« hat (52); - Kant versucht auch für die Kunst die Gültigkeit des >reinen< Geschmacksurteils zu behaupten, weil dadurch allein der Allgemeinheitsanspruch des Schönen, wie er ihn am Beispiel des Ateiurschönen entwickelt hatte, zu befestigen war (vgl. Urteilskraft 51). Seine Nachfolger aber - allen voran Hölderlin - knüpften das Schöne der Kunst an die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu einem Zweck (der kein moralischer zu sein brauchte) und so an die innere Vollkommenheit des Dinges, die ihre eigentliche Auszeichnung bedeutete. Als erster hatte Schiller in den Kalliasbriefen die Unterordnung der sogenannten »adhärierenden« Schönheit bemängelt: Kant behaupte »etwas sonderbar«, so schrieb er am 25. Januar 1793 an Körner, »daß jede Schönheit, die unter dem Begriff eines Zweckes stehe, keine reine Schönheit sei: daß also eine Arabeske und was ihr ähnlich ist, als Schönheit betrachtet, reiner sei, als die höchste Schönheit des Menschen« (Jonas III, 283). - Damit bereitet Schiller die spätere Kritik der Kantischen Ästhetik vor, die auch Hölderlins Waltershäuser Entwürfe kennzeichnet und bestätigt, daß das »produktive Bilden der Einbildungskraft am reinsten nicht dort« wirkt, »wo sie schlechthin frei ist, wie angesichts der Windungen der Arabeske, sondern dort, wo sie in einem Spielraum lebt, den das Einheitsstreben des Verstandes ihr nicht so sehr als Schranke aufrichtet, wie zur Anregung ihres Spieles vorzeichnet«.9 Einer der Zentralbegriffe der romantischen Kunsttheorie, der Begriff des »Interessanten«, wurde nicht aus Lust am Außergewöhnlichen und Pikanten konzipiert, sondern aus der Notwendigkeit einer Kritik an der Kantischen Ästhetik und ihrer Auszeichnung, dem »interesselosen Wohlgefallen« im reinen Geschmacksurteil. Die >moderne< Poesie kennzeichnet - nach Friedrich Schlegels >Studiuma priori< des Geschmacks zu wahren (vgl. Urtkr. S. 51).
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dividuelles Objekt der idealisierenden Einbildungskraft des dichtenden Subjekts«.10 Die Begriffslosigkeit des ästhetischen Urteils wird damit zugunsten der Orientierung an einem Zweck, des lebhaften Interesses an dem selbstentworfenen Ideal, zurückgenommen. Zwar rückt auch Kant in seiner Erklärung des Kunstschönen nie ganz ab von jener vorausgesetzten Übereinstimmung mit dem Begriff, aber sie soll doch hier, wo der Zweck als vorausliegend angenommen werden muß, überspielt werden, damit es nicht bei einer bloßen Übereinstimmung bleibt: So muß die Einbildungskraft (beim Kunstschönen), da sie »in ästhetischer Absicht frei ist«, »über jene Einstimmung zum Begriff, doch ungesucht, reichhaltigen unentwickelten Stoff für den Verstand, worauf dieser in seinem Begriffe nicht Rücksicht nahm«, zusätzlich
liefern (198).
D. h.: Die Stoffülle, die in der Beurteilung des Naturschönen gar nicht auftaucht, aber ein wesentliches Kennzeichen der ästhetischen Idee ausmacht, ist für Kant nicht zuletzt deshalb unentbehrlich, weil sie den Begriff in einem möglichst üppigen Rankenwerk einspinnt, damit die Einbildungskraft selbst in ihrer Freiheit so ungezwungen wie möglich ihr Spiel treiben kann: Mit einem Worte, die ästhetische Idee ist eine einem gegebenen Begriffe beygesellte Vorstellung der Einbildungskraft, welcher mit einer solchen Mannigfaltigkeit der Teilvorstellungen in dem freien Gebrauche derselben verbunden ist, daß für sie kein Ausdruck, der einen bestimmten Begriff bezeichnet, gefunden werden kann . . . (197-98)
Die anfängliche Voraussetzung, kraft deren der ästhetischen Beurteilung des Kunstschönen ein Begriff zugrunde liegt, wird damit so weit als möglich eingeschränkt zugunsten der alten Definition des Geschmacksurteils, nach der das freie Spiel der Vermögen über die Schönheit entscheidet.11 Hölderlin muß diese Differenz zwischen Natur- und Kunstschönem bei Kant wahrgenommen haben, das zeigt die Vereinheitlichung, die er 10
11
Friedrich Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie, ed. Minor S. 81/82. - Hier wird auch sichtbar, daß der Begriff des > Interessantem in Opposition zum >interesselosen W o h l g e f a l l e n konzipiert ist. Die Stoffülle ist es letztlich auch, die bewirken soll, daß Kunst »als Natur anzusehen« sei (§ 45,180); denn würde sie als Kunst und nicht als Natur angeschaut, so würde der Z w e c k überall am Produkte herausschauen und es könnte kein freies Spiel zwischen Einbildungskraft und Verstand Zustandekommen, und d. h. zugleich: das Kunstprodukt könnte nicht als schön beurteilt werden.
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im »Gesetz der Freiheit« durchführt. Wahrscheinlich hat er aus diesem G r u n d e die »moralische« Struktur, die ihm für das Kunstschöne unbezweifelbar schien, auf das Naturschöne übertragen. Wenn aber bei Kant die Kunstprodukte auf die Bedingung eingeschränkt werden, dem Geschmacksurteil zu genügen, dann müßte andererseits auch die Schönheit der Natur als »ästhetische Idee« gefaßt werden können. In der Tat kennzeichnet Kant sie in § 51 als solche: Man kann überhaupt Schönheit (sie mag Natur- oder Kunstschönheit sein) den Ausdruck ästhetischer Ideen nennen: nur daß in der schönen Kunst diese Idee durch einen Begriff vom Objekt veranlaßt werden muß, in der schönen Natur aber die bloße Reflexion über eine gegebene Anschauung,..., zur Erweckung und Mitteilung der I d e e , . . . , hinreichend ist. (203-04)
Im ersten Teil der Urteilskraft jedoch, wo er die Naturschönheit entwickelt, vermeidet Kant vollkommen von ästhetischen Ideen zu sprechen, und das Merkmal der Stoffülle fehlt ebenso wie das der Belebung der Erkenntniskräfte. Als Resultate des produktiven Aktes der Einbildungskraft bleiben die ästhetischen Ideen mit jenen begriffslosen Wahrnehmungen im Falle des Naturschönen letztlich unvereinbar. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der Parallelisierung von Natur- und Kunstschönem, wenn man die jeweiligen, damit verbundenen Lüste vergleicht: Die Belebung der Gemütskräfte, die Kant auf das »subjektive« Prinzip des »Geistes« zurückführt, diesen »Schwung« (196), in den die Erkenntniskräfte versetzt werden, ein »Spiel, welches sich von sich selbst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt« (191-92), müßte eigentlich der ästhetischen Kontemplation bei der Wahrnehmung des Naturschönen entsprechen, jener »Lust am Schönen«, die »weder eine Lust des Genusses, noch einer gesetzlichen Tätigkeit, auch nicht der vernünftelnden Kontemplation nach Ideen, sondern der bloßen Reflexion« sein soll (154-55).
In § 14 (41) nennt Kant die Lust des reinen Reflexionsurteils sogar ein »trockenes Wohlgefallen«. Offensichtlich ist damit die Lust am Kunstschönen nicht zu vergleichen, weil die Belebung der Erkenntniskräfte, die durch die Teilvorstellungen der »ästhetischen Attribute« entfacht wird, über sich hinausweist, während jene ruhige Kontemplation in der harmonischen Stimmung sich selbst genügt. Hölderlin versucht, diese Unstimmigkeit auszugleichen, indem er das »Begehrungsvermögen«, das die Kräfte auf ein Ziel hin richtet, in den Bereich der Ästhetik hineinzieht, obgleich es als Handlungsantrieb hier kaum eine Berechtigung hatte. 115
Auch wird das Moment des »Geistes« erst im Zusammenhang der ästhetischen Ideen eingeführt. - Man wundert sich eigentlich, daß Kant nicht frei genug war, die belebende Lust am Kunstschönen näher an die Lust des Erhabenen heranzurücken. Diesem Gefühl des Erhabenen gesteht Kant immerhin eine »übersinnliche Bestimmung« und eine »moralische Grundlage« zu, »so dunkel es (dieses Gefühl) auch sein mag« (154-55), während er den »Schwung« der Gemütskräfte beim Kunstschönen auf die Grundlage der gesetzlichen Proportion der Kräfte zurücknimmt (198-99 u. 199-200). So stellt sich immer wieder dieselbe Schwierigkeit ein: Indem Kant die Kunstschönheit den Kategorien des Geschmacksurteils anpaßt, gehen gerade die Momente verloren, die ihr durch das Hervorbringen zugewachsen sind. Er übersieht diese Elemente nicht und erfaßt sie als Phänomene. Dennoch bezieht er sie auf das Schema des >reinen< Geschmacksurteils. Diese Beurteilung des Kunstschönen hat auch für Kants Geniebegriff entsprechende Folgen.12 Er gibt keinerlei Auskunft über Produktionsund Verfahrensweisen des Künstlers, wie Hölderlin sie fordert. - Auch Schiller deutete bereits im Brief an Körner vom 3. Februar 1794 eine vorsichtige Kritik an: In Kants Kritik der Urteilskraft werden darüber (über das Genie) sehr bedeutende Winke gegeben, aber sie sind noch gar nicht befriedigend (Jonas III, 419).13
Im Grunde nimmt Kants Begriff vom Genie lediglich tautologische Bestimmungen auf, die sich bereits aus der Deutung des Kunstschönen vom Standpunkt des Geschmacks ergeben. So ist »Genie«: 1)
Ein Vermögen, das die Vereinigung der Gemütskräfte »(in gewissem Verhältnisse)« ausmacht (197-98). Da die Einbildungskraft »in ästhetischer Absicht« frei ist, »um noch über jene Übereinstimmung zum Begriffe,..., reichhaltigen Stoff für den Verstand, . . . zu liefern, . . . : so besteht das Genie eigentlich in dem glücklichen Verhältnisse, welches keine Wissenschaft lehren und kein Fleiß erlernen kann, zu einem gegebenen
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Schlapp ist merkwürdigerweise entgegengesetzter Auffassung und behauptet, daßKantsGenielehreseineGeschmackslehrebestimme(vgl.L224,S. 387ff.). Zu Kants tiefem Mißtrauen gegenüber der »Genieseuche«: vgl. Schlapp, der eine Fülle von Belegen bringt (S. 320ff.). Ebd. finden sich auch wertvolle Ausführungen zur Problematik des Geniebegriffs bei Kant (bes. S. 332ff.).
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Begriffe Ideen aufzufinden, und andererseits zu diesen den Ausdruck zu treffen, durch den die dadurch bewirkte subjektive Gemütsstimmung, als Begleitung eines Begriffs, anderen mitgeteilt werden kann« (198-99). Kant verliert kein Wort darüber, wie der Ausdruck zu treffen ist, wie der Stoff strukturiert sein muß.14 3) Setzt das Genie »einen bestimmten Begriff von dem Produkt, als Zweck, mithin Verstand, aber auch eine (wenngleich unbestimmte) Vorstellung von dem Stoff, d. i. der Anschauung, zur Darstellung dieses Begriffs, mithin ein Verhältnis der Einbildungskraft zum Verstände« voraus. - Diese Definition steckt bereits in 1) und 2). 4) Zeige sich das Genie »nicht sowohl in der Ausführung des vorgesetzten Zwecks in Darstellung eines bestimmten Begriffes, als vielmehr im Vortrage, oder dem Ausdrucke ästhetischer Ideen,...« und mache folglich »die Einbildungskraft, in ihrer Freiheit von aller Anleitung der Regeln, dennoch als zweckmäßig zur Darstellung des gegebenen Begriffs vorstellig«. - Auch das ist bereits in obigen Definitionen enthalten. 5) Setze die »ungesuchte unabsichtliche subjektive Zweckmäßigkeit in der freien Übereinstimmung der Einbildungskraft zur Gesetzlichkeit des Verstandes eine solche Proportion und Stimmung dieser Vermögen« voraus, »als keine Befolgung von Regeln, . . . bewirken, sondern bloß die Natur des Subjekts« = Genie hervorbringen kann. Auch diese Erklärung bietet nichts Neues.15 Aus diesen Bestimmungen des Genies, das nach Kant seine Leistungskraft nur in der Kunst, nicht aber in der Wissenschaft bewährt, folgert Kant schließlich seine Generaldefinitionen: Genie sei »die musterhafte Originalität der Naturgabe eines Subjekts im freien Gebrauch seiner Erkenntnisvermögen« (200); und schließlich: durch das Genie gebe die Natur der schönen Kunst die Regel (ebd., vgl. a. 242-43). Genie bleibt nach all diesen Erklärungen lediglich ein Deus ex machina, der Geschmacksurteile ermöglichen soll.16 14
15 16
Hölderlins späte Dialektik v o n »treffen« und »sich fassen«, mit deren Hilfe er den griechisch-hesperischen G e g e n s a t z verdeutlicht, könnte auch v o n seiner Auffassung der ä s t h e t i s c h e n Ideen< her erläutert werden. (Vgl. die Anmerkungen zur Antigone, S T A V, 269/70.) Die A r g u m e n t e 3 bis 5 werden S. 199-200 der Urtkr. ausgeführt. Vgl. d e m g e g e n ü b e r die bestimmtere Definition des Genies, die Kant in der Anthropol. zugrunde legt (B 76): » D i e Originalität (nicht die n a c h g e a h m t e Produktion) der Einbildungskraft, wenn sie zu Begriffen zusammenstimmt, heißt G e n i e ; stimmt sie dazu nicht zusammen, Schwärmerei.« 117
S o sehr K a n t die originale R e g e l e r ö f f n u n g durch das G e n i e hervorh e b t , ü b e r die A r t d i e s e r R e g e l u n d ü b e r d a s k a l k u l i e r b a r e V e r f a h r e n d e s K ü n s t l e r s gibt er k e i n e A u s k u n f t . 1 7
III. Hölderlins Umwandlung der Kantischen Geschmackslehre in eine Produktionsästhetik Als K ü n s t l e r u n d P r o d u z i e r e n d e r k o n n t e H ö l d e r l i n mit s o l c h e n Bes t i m m u n g e n k a u m z u f r i e d e n sein. N i c h t wie G e s c h m a c k s u r t e i l e m ö g lich sind, w a r f ü r ihn m a ß g e b e n d , s o n d e r n wie die » A u s d r ü c k e « g e t r o f f e n w e r d e n k ö n n e n , die in s e i n e m S i n n e » ä s t h e t i s c h e I d e e n « e r g e b e n . 1 8 D a r a u f h a t t e K a n t k e i n e A n t w o r t g e g e b e n . » D e r K ü n s t l e r w e i ß nicht, w i e sich in ihm d i e I d e e n d a z u ( z u m P r o d u k t ) h e r b e i f i n d e n . E r h a t es a u c h n i c h t in s e i n e r G e w a l t d e r g l e i c h e n n a c h Belieben o d e r p l a n m ä ß i g auszudenken.«19 H ö l d e r l i n v e r s u c h t mit d e m >Gesetz d e r Freiheit< d a s P r i n z i p anz u g e b e n , n a c h d e m d e r K ü n s t l e r die I d e e n h e r b e i z u r u f e n u n d s o g a r 17
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Dennoch wäre es verfehlt, der bloßen Naturwüchsigkeit wegen irrationalistische >Sturm und Drang-Prinzipien< in Kants Geniebegriff wiederfinden zu wollen. Seine Naturwüchsigkeit ist abermals durch das Geschmacksurteil bedingt. Das Genie kennzeichnet ein Vermögen, sich der Klaviatur der Vorstellungen so zu bedienen, daß das harmonische Spiel von Einbildungskraft und Verstand möglich wird. Weil dabei kein Begriff zugrunde liegt, ist sein Verfahren auch nicht lehrbar. - Dennoch wird bei Kant dieser Begriff vom Genie nicht ganz eindeutig gebraucht: Einerseits ist es eben dieses Vermögen, das die Vorstellungen im harmonischen Spiel produziert; andererseits bringt es nur eine Überfülle von Vorstellungen hervor, die deshalb der Korrektur und Reglementierung durch den Geschmack bedürfen (vgl. Urtkr. § 50 und Anthropol. § 68, BA 194-95). Biemel (L 31, S. 132) sieht von seinem Heidegger nahen Ansatz her den Grund für die Spannungen in Kants Erklärung des Kunstschönen darin, daß er »das Schöne als Gegenstand ansetzt, der zugleich kein Gegenstand ist«. »Kant hat das Gegenstandsein des Gegenstandes in der Kritik der reinen Vernunft durch die Kategorien und die Grundsätze des reinen Verstandes gegründet - Gegenstand ist für ihn Erkenntnisgegenstand. Die dem Erkenntnisgegenstand gemäßen Aussagen sind die logischen Urteile. Nachdem so der Bereich der Erscheinungen als Gegenstände festgelegt wurde, nachdem andererseits durch den Willen auch der Bereich der Freiheit bestimmt war, bleibt für die Kunst und das Schöne eigentlich keine Möglichkeit einer selbständigen Seinsweise im Rahmen der Kantischen Philosophie.« - Die Seinsweise des Kunstseienden habe Kant unbestimmt gelassen. Das hat bereits Veronika Erdmann erkannt, die allerdings Hölderlins spätere kunsttheoretischen Aufsätze zugrunde legt (vgl. L 76, S. 55ff.). Vgl. L 165, Menzer, S. 163/64.
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p l a n m ä ß i g herzustellen hat. D a m i t wird kein R e g e l k o d e x im Sinne e i n e r n o r m a t i v e n Poetik aufgestellt, s o n d e r n ein G r u n d s a t z g e g e b e n , d e r die innere G e s t a l t u n g s k r a f t d e r p r o d u k t i v e n Phantasie zu fassen v e r s u c h t . Die Form d e r Regel ist a n z u g e b e n , die die ä s t h e t i s c h e K o n s t r u k t i o n b e h e r r s c h t . Bei Hölderlin h a t sie die S t r u k t u r d e r » a d h ä r i e r e n d e n « S c h ö n h e i t e n Kants, ist also auf d e n Begriff d e s s e n b e z o g e n , w a s d a s intendierte Ding sein soll. Die Fülle d e r Einbildungskraft hat keine and e r e F u n k t i o n als dieses >DingHoren< a b g e l e h n t hatte. - Er g e h ö r t e zu F i c h t e s V o r l e s u n g e n im W i n t e r s e m e s t e r 1794, d i e H ö l d e r l i n t e i l w e i s e g e h ö r t hat. (Vgl. zu d e n Editionsp r o b l e m e n die e n t s p r e c h e n d e E i n l e i t u n g in der Akad. A u s g . Bd. VIII u n d die B e m e r k u n g e n v o n G ü n t e r S c h u l z , L 232, S. 114ff. z u m S c h i l l e r - F i c h t e - S t r e i t ; hier ist a u c h die E r s t f a s s u n g d e s T e x t e s a b g e d r u c k t ) . In F i c h t e s A b h a n d l u n g h e i ß t e s z u E n d e d e s z w e i t e n Briefes: A n d e r »ruh i g e n und a b s i c h t s l o s e n B e t r a c h t u n g der G e g e n s t ä n d e « e n t w i c k l e sich » o h n e alles u n s e r Zuthun u n s e r ästhetischer Sinn an d e m L e i t f a d e n d e r Wirklichkeit«. A b e r v o n d i e s e r B e t r a c h t u n g , d e r e s » u m ihre Ü b e r e i n s t i m m u n g mit u n s e r e m G e i s t e zu thun ist«, e r h e b e sich bald d i e » dadurch zur Freiheit erzogene Einbildungskraft zur völligen Freiheit« und s t e l l e e i g e n e G e s t a l t e n
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keinerlei Erkenntnisfunktion - h ö c h s t e n s eine »indirekte«, sofern er »subjektiv zur Belebung der Erkenntniskräfte« beiträgt (198) - zugestanden wurde, ist Geist hier das Prinzip, das durch das >Gesetz der F r e i h e i t d e m Mannigfaltigen der Sinnlichkeit lebendige Einheit verleiht. Er entspricht der »inward form« Shaftesburys und dem z e u g e n d e n l o g o s der neuplatonischen Lehre, einer Tradition, die Hölderlin von Tübingen her vertraut war und die er mit Kantischer Philosophie zu vereinbaren suchte. Im G r u n d e sind »Geist« und »Vernunft« beim frühen Hölderlin identisch. D a aber »Geist« die Fülle der A n s c h a u u n g e n nicht ausschließt und das G e w e b e des Sinnlichen nicht zerreißt, genießt er einen unendlichen V o r z u g für den Dichter Hölderlin. D i e »goldne(n) Wolken«, die »den Ä t h e r d e s Gedankenreichs umziehn« (StA III, 195), das Lächeln Diotimas e b e n s o w i e ihr wallendes Haar, eine Reminiszenz an die Ergriffenheit durch den Genius, sind Ausdruck dieses sinnlich-lebendigen Prinzips in »ästhetischer Bedeutung«, w i e Hölderlin es versteht. 2 1 dar, die von der Natur abweichen, nämlich solche, »wie sie gar nicht sind, aber nach der Forderung
jenes Triebes seyn sollten·, u n d dieses freie
Schöpfungs-
vermögen heisst Geist«. - »Der Geschmack beurtheilt das Sichtbare; der Geist erschafft ein Unsichtbares«, hatte Fichte in der ersten Fassung hinzugefügt (Vgl. G. Schulz, L 232, S. 135). Mit diesem Prinzip versucht Fichte die Lücke zwischen Geschmack und Genie in der Kantischen Ästhetik auszugleichen: »Der Geschmack ist die Ergänzung der Liberalität, der Geist die des Geschmackes. Man kann Geschmack haben ohne Geist, nicht aber Geist ohne Geschmack. Durch den Geist wird die an sich in die Grenzen der Natur eingeschlossene Sphäre des Geschmacks erweitert; seine Producte erschaffen ihm durch Kunst neue Gegenstände, und entwickeln ihn weiter...« »Das unendliche, unbeschränkte Ziel unseres Triebes heisst Idee, und inwiefern ein Theil desselben in einem sinnlichen Bilde dargestellt wird, heisst dasselbe Ideal. Der Geist ist demnach ein Vermögen der Ideale.« - Der Geist, so heißt es weiterhin, lasse »die Grenzen der Wirklichkeit hinter sich zurück«, »in seiner eigentümlichen Sphäre« gebe es keine Grenzen. »Der Trieb, dem er überlassen ist, geht ins Unendliche; durch ihn wird er fortgeführt von Aussicht zu Aussicht, und wie er das Ziel erreicht hat eröffnen sich ihm neue F e l d e r . Im reinen
21
ungetrübten
Aether
seines Geburtslandes
g i e b t es k e i n e
anderen Schwingungen als die er selbst durch seinen Fittig erregt.« Oberraschenderweise ist diese leicht zugängliche Quelle, die Hölderlin sogar in einzelnen Formulierungen beeinflußt hat, bisher in der Forschung nicht ausgewertet worden, wahrscheinlich deswegen, weil die Bedeutung Fichtes für Hölderlin lange Zeit zu negativ beurteilt wurde. Aus diesem Grunde der prinzipiellen Identität von Geist und Vernunft unter >moralischen< Prinzipien ist es auch nicht verwunderlich, daß der Wille, (der als Wirkkraft des moralischen Prinzips gelten kann), bei Hölderlin in unmittelbarem Zusammenhang mit Geist zu behandeln ist (vgl. L 195, Raabe, S. 263). - So ist der Wille auch nicht nur auf Selbstformung, sondern auch - aus der
120
Mit der Umwandlung der Rezeptionsästhetik Kants in eine Produktionsästhetik durchstößt Hölderlin auch die Scheidewand zwischen ästhetischer Idee und Vernunftidee und versteht jene, ähnlich wie Schiller, als sinnlichen Ausdruck eines Vernunftbegriffes, als die einer Idee zugeordnete Anschauung. Man darf hier sogar sagen: als die ihr korrespondierende Anschauung, weil es der »Geist« ist, der sie in eigener Tätigkeit wirkt, so daß sie zum Spiegel seiner selbst werden kann. Der '»Hiat zwischen Idee und Erscheinung« wird so im platonisierenden Denken Hölderlins überbrückt. Das Schöne »gehört einer Ordnung des Seins an, die sich als ein in sich Beständiges über das Dahinfluten der Erscheinungen erhebt«.22 Der >alte Mann< im Jenaer Hyperion-Fragment sagt das mit den Worten (III, 190): Oft treten Erscheinungen vor unsre Sinne, wo es uns ist, als wäre das Göttlichste in uns sichtbar geworden, Symbole des Heiligen und Unvergänglichen in uns. Oft offenbart sich im Kleinsten das Gröste. Das Urbild aller Einigkeit, das wir im Geiste bewahren, es scheint uns wieder in den friedlichen Bewegungen unsres Herzens, es stellt sich im Angesichte dieses Kindes dar.
»Das unendliche, unbeschränkte Ziel unseres Triebes« heiße »Idee«, so schrieb Fichte in seiner Abhandlung über >Geist und Buchstabe »Inwiefern ein Theil desselben in einem sinnlichen Bilde dargestellt« werde, heiße es »Ideal«. - So ist >Geist< für Hölderlin nicht nur das Vermögen der ästhetischen Ideen (wie bei Kant, wenn auch in anderem Sinne), sondern mit Fichte auch das der »Ideale«, die das Unendliche unseres Geistes aufscheinen lassen.
22
Kraft des Selbst - auf ästhetische Formung gerichtet, das zeigt die Verbindung des >Begehrungsvermögens< mit dem ästhetischen Produktionsverfahren. Er ist in der Tat die »formende Kraft in der Entwicklung Hölderlins«, als welche Raabe ihn beschreibt (S. 264). Aber sein Wesen besteht nicht »in der Überwindungsstärke gegen das Gefühl«, wie Raabe dann S. 265 voraussetzt; vielmehr gründet er auf dem Gefühl, wie er umgekehrt auch das Gefühl begründet und befestigt. Das Gefühl, so sagt Hölderlin in >ReflexionVereinfachung< von Kants Lehre des Schönen und Erhabenen Die Vereinfachung von Kants Lehre über das Schöne und Erhabene, die Hölderlin im Brief an Neuffer (Nr. 88) ebenfalls erwähnt, läßt sich nach unseren bisherigen Ergebnissen ohne Schwierigkeit erklären: Dem Erhabenen hatte Kant - im Gegensatz zum Natur- und Kunstschönen eine Beziehung zur Moral eingeräumt: Einerseits war das MoralischGute »ästhetisch beurteilt nicht sowohl schön, als vielmehr erhaben« vorzustellen (Urteilskraft, 120-21), andererseits galt ihm auch dasjenige, was an der Natur erhaben erscheint, als ein Ausdruck der übersinnlichen Bestimmung des Menschen: »Erhaben ist, was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüts beweiset, das jeden Maßstab der Sinne übertrifft.« (85-86) Oder: « . . . diejenige Größe eines Naturobjekts, an welcher die Einbildungskraft ihr ganzes Vermögen der Zusammenfassung fruchtlos verwendet«, muß »den Begriff der Natur auf ein übersinnliches Substrat (welches ihr und zugleich unserem Vermögen zu denken zum Grunde liegt) führen, welches über allen Maßstab der Sinne groß ist, und daher nicht sowohl den Gegenstand, als vielmehr die Gemütsstimmung in Schätzung desselben, als erhaben beurteilen läßt.« (94-95)
In der Einleitung der Kritik der Urteilskraft hatte Kant die Unterscheidung des Schönen und Erhabenen auf zwei verschiedene Arten der Zweckmäßigkeit im ästhetischen Urteil gegründet (XLVII): Die Empfänglichkeit einer Lust aus der Reflexion über die Formen der Sachen (der Natur sowohl als der Kunst) bezeichnet aber nicht allein eine Zweckmäßigkeit der Objekte im Verhältnis auf die reflektierende Urteilskraft, ..., sondern auch umgekehrt des Subjekts in Ansehung der Gegenstände ihrer Form, ja selbst ihrer Unform nach, zufolge dem Freiheitsbegriffe·, und dadurch geschieht es: daß das ästhetische Urteil, nicht bloß als Geschmacksurteil, auf das Schöne, sondern auch, als aus einem Geistesgefühl entsprungenes, auf das Erhabene bezogen wird . . .
Von einem belebenden Geistesgefühl hatte Kant aber auch im Zusammenhang der Produktion ästhetischer Ideen gesprochen, bei der die E i n b i l d u n g s k r a f t »dem Vernunft-Vorspiele
in Erreichung
eines
Größten
nacheifert« (194). Eben diese Ausdrucksweisen fügen sich so sehr zu Kants Ausführungen über das »Mathematisch-Erhabene« (§ 25, S. 80ff.), daß man sich wundern muß, weshalb er das Kunstschöne mit dem Naturschönen und nicht mit dem Erhabenen in Einklang zu bringen versuchte. 122
Für Hölderlin konnte diese überraschende Parallelität von Erhabenem und Kunstschönem bei Kant selbst eine Bestätigung seiner Theorie bedeuten, nach der das Kunstschöne bereits als Darstellung der sittlichen Natur des Menschen zu gelten hatte, wie sie sich aus einer Verbindung von ästhetischer Idee und Vernunftidee zwangsläufig ergab. Die Ungereimtheiten, denen sich Kant mit seiner Deutung der ästhetischen Idee aussetzte, ließen sich über diese indirekte Beziehung von Kunstschönem und Erhabenem beseitigen, ebenso mußten die zusätzlichen Schwierigkeiten, in die Kant mit der Erklärung des Erhabenen geriet, Hölderlin zu einer Synthese reizen. Für ihn schien sich damit der Kreis zu schließen: Wenn das Erhabene einerseits auf das sittliche Vermögen des Menschen verwies - was Kant unterstrich - und andererseits in vielen Symptomen mit dem Kunstschönen zusammenstimmte, dann mußte die Vermutung zur Gewißheit werden, daß auch das Kunstschöne Ausdruck der moralischen Bestimmung des Menschen sei und deshalb näher als bei Kant an das Erhabene heranzurücken war. Einige der Analogien zwischen Erhabenem und Kunstschönem, wie sie sich aus der Urteilskraft ergeben, ohne daß Kant sie ausgewertet hätte, und zugleich einige der Schwierigkeiten, die sich einstellten, als Kant das Erhabene dem Sittlichen annäherte, wollen wir anführen: 1)
2)
3)
Während Kant das Schöne (der Natur) als »Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffes« deutet, versteht er das Erhabene als Darstellung eines unbestimmten Vernunftbegriffes (74-76). Damit konnten die ästhetischen Ideen durchaus verglichen werden, denen »als inneren Anschauungen kein Begriff völlig adäquat« zu sein schien und die »einer Darstellung der Vernunftbegriffe (der intellektuellen Ideen) nahe zu kommen« suchten (193-95). Das Schöne der Natur ist nach Kant an »die Form des Gegenstandes« gebunden (74-76); das eigentlich Erhabene aber »kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft«. Das Gemüt verläßt dabei die Sinnlichkeit, um sich mit der »höheren Zweckmäßigkeit« der Ideen zu beschäftigen. (76-78) Auch darin scheinen sich die ästhetischen Ideen besser zum Erhabenen als zum Naturschönen zu fügen, denn sie sind unabhängig von den Formen des Objekts und bringen »das Vermögen intellektueller Ideen (die Vernunft) in Bewegung, mehr nämlich bei Veranlassung einer Vorstellung zu denken . . . als in ihr aufgefaßt und deutlich gemacht werden kann« (195). Das freie Spiel, das sich zur Erklärung des Naturschönen bewährt, scheint der Kennzeichnung des Erhabenen nicht mehr angemes123
sen, obwohl es ebenfalls dem ästhetischen Urteil (und damit auch den Kategorien des >freien SpielsHymne an die Schönheit zu selbstverständlich durchführt, wie es aber infolge seiner Annäherung des Kunstschönen an das Erhabene nicht anders sein konnte. 124
6)
Merkwürdig bleibt im Zusammenhang von Kants Erklärung des Erhabenen auch, daß er kein Erhabenes der Kunst kennt, wie es die Parallelität zum Naturschönen und Kunstschönen doch wohl erfordert hätte.
Man könnte die Zahl der Unstimmigkeiten in Kants Erklärung des Erhabenen, bzw. in dessen Verhältnis zum Kunstschönen vermehren. Wir wollen jedoch weder Vollständigkeit noch Harmonisierung erreichen; gezeigt werden soll lediglich, was Hölderlin meinte, als er im NeufferBrief von einer Vereinfachung der Kantischen Lehre vom Schönen und Erhabenen sprach und aufgrund welcher Fakten sie zu bewerkstelligen war. Damit wird eine weitere Differenz Hölderlins zu Schiller greifbar: Während dieser Kants Unterscheidung von Schönem und Erhabenem schon in der formalen Zweiteilung von »Anmut« und »Würde« folgt und damit sogar seinen mühsam errungenen und Kant entgegengehaltenen Begriff der >schönen Seele< am Ende wieder aufs Spiel setzt, 23 wird diese Differenz für Hölderlin hinfällig. Wo der Widerstand der Natur unter dem Gebot des >Gesetzes der Freiheit gebrochen werden muß, um zur Schönheit zu gelangen - wie es Hölderlins Ansatz entspricht (Z. 35-36 des Fragments) -, da ist die Hauptforderung, unter die Schiller das Erhabene stellte, nämlich die Sinnlichkeit unter die Macht der Vernunft zu bringen, bereits erfüllt. Für Hölderlin war Schönheit mit Anstrengung und harter Arbeit verbunden - wenn sie nicht »zufällig« von der Natur geschenkt wurde - und deshalb ist das Schöne bei ihm zugleich auch erhaben und das Erhabene schön. Beide stehen gleichermaßen unter »moralischen« Gesetzen und intendieren >IdeenVereinfachungschönen Seele< am Ende von >Anmut und Würde< ist kaum anders zu begreifen als durch Schillers Festhalten an Kants Unterscheidung von Schönem und Erhabenem. Hier läßt sich noch eine weitere Gemeinsamkeit, aber zugleich eine Verschiedenheit zwischen Hölderlin und Schiller anmerken: Beide scheinen mit dem Erhabenen, das bei Kant auf das Sittliche verwies, ihre Verbindung von Ästhetik und Moral rechtfertigen zu wollen. Aber während sich Hölderlin - seinem formaleren Denken gemäß - mehr an Kants Mathematisch-Erhabenem orientierte (an dem Größen begriff, der auf das Erkenntnisvermögen bezogen ist), stützt sich Schiller in erster Linie auf das Dynamisch-Erhabene und damit auf den Machtbegriff. - Schiller vollbringt im Rahmen seiner Kantadaption
125
Daß Kant das Kunstschöne nach den Prinzipien des Naturschönen und nicht vielmehr nach denen des Erhabenen zu erklären suchte, muß wohl im Zusammenhang seiner a priorischen Grundlegung des Geschmacksvermögens gesehen werden, bleibt aber unter Berücksichtigung der phänomenalen Befunde eines der Rätsel der Urteilskraft, die seine Nachfolger nicht hinzunehmen gedachten. 25 Es drückt sich darin Kants fragwürdiges Verhältnis zur Kunst überhaupt aus, das G o e t h e am 19.12.1798 Voigt gegenüber in den Worten zusammenfaßt: Genie und Talent sind ihm überall im Wege, die Poeten sind ihm zuwider, und von den übrigen Künsten versteht er Gott sei Dank gar nichts. 26
Man muß es zu Hölderlins Verdiensten rechnen, daß er diese Mängel frühzeitig erkannte und zu überbrücken bemüht war. Das verschaffte ihm in der Kunsttheorie einen Vorsprung, den seine Stiftsgenossen Schelling und Hegel, ebenso wie die Romantiker, erst Jahre später a b zugleichen vermochten. Hölderlin begriff zugleich das Naturschöne unter denselben Bedingungen wie das Kunstschöne und das Erhabene, so daß hier alle drei Bereiche als unter dem >Gesetz der Freiheit< stehend zu interpretieren sind und am ehesten mit Kants Erklärung des Erhabenen übereinkommen, aber auch Elemente der adhärierenden Schönheit und der Teleologie aufnehmen. Daß er diese drei Formen des Ästhetischen dennoch nicht identifiziert, geht aus der Bemerkung im Neuffer-Brief hervor, Kants Lehre werde »von der andern Seite vielseitiger« (VI, 137). Doch läßt sich schwer sagen, in welchem Sinne Hölderlin eine neue Differenzierung anstrebte. Möglicherweise ist hier bereits die Wurzel für seine spätere
25
26
die glänzendste Leistung, indem er auf den Begriff des Dynamisch-Erhabenen seine Tragödientheorie gründet, die er der antiken entgegenstellt. Vgl. dazu: >Über die tragische KunstGeschichte der LiteraturkritikÜber naive und sentimentalische Dichtung< auf Hölderlins Dreigliederung gewirkt. O h n e d e r e n U n t e r s c h e i d u n g von Satire, Elegie und Idylle, mit den e n t s p r e c h e n d e n Unterarten, die in der jeweils » h e r r s c h e n d e n Empfindungsweise« b e g r ü n d e t sind, lassen sich Hölderlins spätere Erläuterungen zum U n t e r s c h i e d d e r Dichtarten< gar nicht verstehen. 127
5. Kapitel: Die Bedeutung des Platonischen >Phaidros< für Hölderlins frühe Schönheitslehre
I. Die platonisch-kantische Wechselbeziehung Neben der »Analyse des Schönen und Erhabnen«, die Hölderlin vorlegen wollte, sollte der Aufsatz über die ästhetischen Ideen »als Kommentar über den Phädrus des Plato gelten«. »Eine Stelle desselben« war Hölderlins »ausdrüklicher Text« (VI, 137). - Wir beschränken uns bei der Untersuchung der Platoeinflüsse auf diese Phaidrosbeziehung, weil sie den einzig konkreten Hinweis auf Hölderlins Platolektüre in Waltershausen enthält und darüberhinaus in enger Verbindung zu seinen >kantischästhetischen Beschäftigungen« steht. Gleichwohl ergeben sich zwischen Hölderlin und Plato so viele Anknüpfungspunkte, daß man von einer Geistesverwandtschaft sprechen kann. Ihr wurden mehrere Untersuchungen gewidmet, so daß sie hier keiner ausführlichen Erörterung bedarf.1 Begründet wird diese Geistesverwandtschaft vor allem durch die Verknüpfung der »Idee des Schönen mit der des Guten«, wobei der »Vorzug des Schönen« offenbar ist:2 Das Schöne unterscheidet sich dadurch von dem schlechthin ungreifbaren Guten, daß es eher zu ergreifen ist. Es hat in seinem eigenen Wesen, Erscheinendes zu sein. In der Suche nach dem Guten zeigt sich das Schöne. Das ist zunächst eine Auszeichnung desselben für die menschliche Seele. Was sich in vollkommener Gestalt zeigt, das zieht das Liebesverlangen auf sich. Das Schöne nimmt unmittelbar für sich ein, während die Leitbilder menschlicher Tugend sonst im trüben Medium der Erscheinungen nur dunkel kenntlich s i n d . . . Das ist beim Schönen anders. Es hat seine eigene Helligkeit, so daß wir hier nicht von entstellten Abbildern verführt werden. Weiterhin zeichnet sich das Schöne gegenüber dem Guten dadurch aus, daß es sich von sich selbst her darstellt, sich in seinem Sein unmittelbar einleuchtend macht. Damit hat es die wichtigste ontologische Funktion, die es 1 2
Vgl. L 47, Böhm I, S. 143ff. L 116, Hildebrandt, S. 53ff. L 109, Henrich, S. 81. Vgl. L 86, Gadamer, S. 455; auch im folgenden beziehe ich mich auf Gadamer, S. 456ff.
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geben kann, nämlich die der Vermittlung zwischen Idee und Erscheinung ... Am Beispiel des Schönen läßt sich daher die Parusie des Eidos . . . einleuchtend m a c h e n . . . >Anwesenheit< gehört auf überzeugende Weise zum Sein des Schönen selbst. Schönheit mag noch so sehr wie der Abglanz von etwas Überirdischem erfahren werden - sie ist doch im Sichtbaren da.3 Schönheit ist »die Erscheinungsweise des Guten überhaupt, des Seienden, w i e es sein soll«, in ihr tritt das »Licht des Geistes, der Nous«, in die Offenbarkeit, 4 - das sind die vorzüglichen Kennzeichen, die Hölderlin mit Plato dem Schönen erteilt und dieses deshalb Kant gegenüber aufwertet. Daraus darf allerdings nicht auf eine Negation oder Ablehnung der Kantischen Lehre bei Hölderlin geschlossen werden. 5 Das Eigentümliche seiner Platorezeption besteht gerade in der Tatsache, daß er sie auf seine Kantstudien bezieht und mit ihnen in Einklang zu bringen versucht, obgleich Kant selbst seine eigene Position Plato gegenüber deutlich markiert und abgegrenzt hatte. 6 Es ist zu beachten, daß Hölderlins Aufsatz über die ästhetischen Ideen als »Kommentar« zum >Phaidros< gedacht war, nicht etwa umgekehrt. Hölderlin wollte ihn auch bei Conz, seinem früheren Lehrer in Tübingen und damit in einer altphilologi3 4 5
6
Vgl. auch L 87, Gadamer, § 14 und L 141, Krüger, S. 235f. L 86, Gadamer, S. 458. Vgl. Hildebrandts Interpretation L 116, S.33ff. und 53; auch L 180, Müller, S. 122 und besonders Böhms problematische Äußerungen L 47, S. 143ff., die Hölderlin zu selbstverständlich eine Kritik Kants mit Hilfe Piatos unterstellen (bes. S. 145): »Wenn er (Hölderlin) zuvor schrieb, daß er sich fast ausschließlich mit >Kant und den Griechen< beschäftigte, so handelt es sich eben um die Kritik Kants durch Plato.« In der KpV unterstreicht Kant die Notwendigkeit einer angemessenen Deduktion der Kategorien und sagt gegenüber Plato: »Denn dadurch allein kann verhütet werden, sie (die Kategorien), wenn man sie im reinen Verstände setzt, mit Plato, für angeboren zu halten, und darauf überschwengliche Anmaßungen mit Theorien des Übersinnlichen, wovon man kein Ende absieht, zu gründen, dadurch aber die Theologie zur Zauberlaterne von Hirngespenstern zu machen;...« (KpV, A 255). Vgl. auch KrV, Β 371, wo Kant auf Piatos >Ideen< eingeht und in einer Anmerkung hervorhebt: »Er dehnte seinen Begriff freilich auch auf spekulative Erkenntnisse aus, wenn sie nur rein und völlig a priori gegeben waren, sogar über die Mathematik, ob diese gleich ihren Gegenstand nirgend anders, als in der möglichen Erfahrung hat. Hierin kann ich ihm nun nicht folgen, so wenig als in der mystischen Deduktion dieser Ideen, oder den Übertreibungen, dadurch er sie gleichsam hypostasierte; wiewohl die hohe Sprache, deren ersieh in diesem Felde bediente, einer milderen und der Natur der Dinge angemessenen Auslegung ganz wohl fähig ist.« Diese kritischen Aspekte Kants können die Problematik von Hölderlins Versuch indirekt beleuchten. 129
sehen Zeitschrift, dem >Attischen Museum< veröffentlichen, nicht in einem philosophischen Journal; d. h.: die »eine Stelle«, die Hölderlins »ausdrücklicher Text« war, sollte nach Kantischen Prinzipien erläutert werden, auch wenn diese eine gewisse Modifikation erfahren mußten. Darin liegt ein provozierend moderner Zug von Hölderlins Platointerpretation: Sie wollte eine Entmythologisierung der Platonischen Bilderwelt im Phaidros vornehmen. Die traditionellen Mythen sollten als Chiffren m o d e r n e r Bewußtseinsphänomene gedeutet werden. Sie wurden so als bildliche Evokationen dessen begriffen, was die neue Philosophie rational entwickelte. Mit Recht sagt deshalb Paul Böckmann: »In dem Augenblick als er (Hölderlin) sich Plato zuwandte, hat er sich von der kritischen Philosophie Kants nicht losgesagt, sondern im Grunde erst angefangen, sich ernsthaft mit ihr zu beschäftigen. Er sucht das neue, pantheistische Lebensverständnis durch den Austausch mit der griechischen Überlieferung lebendig zu erfüllen und durch Aneignung der kritischen Philosophie in seiner geistigen Entschiedenheit zu sichern. Er sieht sich also genötigt, Plato mit Kant zusammen zu denken, nicht aber sie gegeneinander auszuspielen. Durch die Rückwendung auf die Antike soll es gelingen, aus dem überlieferten Offenbarungsglauben herauszutreten und ein lebensimmanentes Weltverständnis so auszulegen, daß die Kraft des Glaubens und der Begeisterung, der Liebe und der Schönheit erhalten bleibt«.7
Ohne diesen komplementären Bezug antiker Mythen und m o d e r n e r Bewußtseinsphilosophie ist weder Hölderlins Griechenbegeisterung, die oft als Flucht, Schwärmerei oder Resignation verkannt wird, noch seine spätere Deutung des Wechselverhältnisses zwischen griechischem und hesperischem Geist angemessen zu begreifen. Mit dieser Deutung Piatos knüpft Hölderlin in Waltershausen an seine Tübinger Studien an. Dort hatte er in seiner Magisterarbeit, »Parallele zwischen Salomons Sprüchwörtern und Hesiods Werken und Tagen«, den Versuch unternommen, gleichartige Grundstrukturen verschiedener Mythen herauszuarbeiten. Auch hier werden die Mythen als eine Art »Personifikazion abstrakter Begriffe« gefaßt (IV, 184,9). Es entsprach ohnehin den Forschungen der jungen Tübinger Stiftler, die alten Mythen, besonders die christlichen, auf eine rationale Grundlage zu stellen, wie es Kant in seiner Abhandlung >Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte< am Beispiel der Genesis demonstriert hatte. Die traditionellen, bildlichen Überlieferungen sollten durch die moderne Philosophie ihre transzendentale Grundlage erhalten. 8 So war es auch um7 8
Vgl. L 43, Böckmann, S. 215ff. Karl Philipp Moritz, der den Mythos als » Weihung des wirklichen Lebens« verstand, wies hier einen ähnlichen Weg. - Vgl. dazu: L 230, Schrimpf, S. 176.
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gekehrt möglich, diese transzendentalen Wahrheiten wieder in neue Mythen, die unserem Denken entsprachen, einzukleiden, was Hölderlin bereits in den Jenaer Hyperion-Fragmenten ansatzweise zu leisten versucht9 und bald darauf im >Systemfragment< programmatisch fordert mit den Worten (IV, 298-99): Z u e r s t w e r d e ich hier von e i n e r I d e e s p r e c h e n , die soviel ich weiß, n o c h in k e i n e s M e n s c h e n Sinn g e k o m m e n ist - wir m ü s s e n eine neue Mythologie haben, diese M y t h o l o g i e a b e r mus im Dienste der Ideen s t e h e n , sie m u ß eine Mythologie der Vernunft w e r d e n .
Dieser Gedanke fand um die Wende des 18. Jahrhunderts vielfältige Aufnahme und erregte die kühne, aber vergebliche Erwartung, durch eine sinnliche Grundlage könne die transzendentale Philosophie breite Schichten des Volks erreichen und eine allseitige Erneuerung der Wirklichkeit herbeiführen.10 Unter solch weitgesteckter Perspektive erhält Hölderlins Phaidrosanalyse ein besonderes Gewicht: Kants ästhetische Ideen, in der spezifi- E b e n s o w i r k t e H e r d e r mit seinen M y t h e n - D e u t u n g e n in dieser Hinsicht b a h n b r e c h e n d . - A u c h Schellings E r k l ä r u n g d e r »ältesten p h i l o s o p h i s c h e n V e r s u c h e « n a h m diese R i c h t u n g ; e r g l a u b t e so d a s » P r i n c i p aller S c h w ä r m e rei« e r l ä u t e r n zu k ö n n e n . M a n h a b e d a s » i n t e l l e k t u a l e S e y n « z w a r gefühlt, a b e r » a u ß e r sich« g e s e t z t und sei so zu e i n e r »bloß historischen E r k l ä r u n g « gek o m m e n , statt v o m >absoluten lch< h e r ein S y s t e m zu e n t w e r f e n . - Vgl. die f r ü h e S c h r i f t : P h i l o s o p h i s c h e Briefe ü b e r D o g m a t i s m u s und Kriticismus (1795), in: S c h r i f t e n v o n 1794-98, S. 201. 9
10
V o r d e r A u f n a h m e d e s p l a t o n i s c h e n L i e b e s m y t h o s z u r E r l ä u t e r u n g transz e n d e n t a l p h i l o s o p h i s c h e r P r o b l e m e im P r o s a e n t w u r f z u r m e t r i s c h e n F a s s u n g d e s >Hyperion< s t e h t d a s b e z e i c h n e n d e W o r t : » L a ß m i c h menschlich sprec h e n « ( S T A III, 192), d. h. hier: bildlich, g e s t a l t h a f t , m y t h o l o g i s c h , d u r c h e i n e n sinnlichen A u s d r u c k das Ü b e r s i n n l i c h e s a g e n d , d a s a n d e r s p h i l o s o p h i s c h ausg e d r ü c k t w e r d e n o d e r v e r s c h w i e g e n b l e i b e n m ü ß t e . - In d e r m e t r i s c h e n Fass u n g gelingt dieses » m e n s c h l i c h e « S p r e c h e n b e r e i t s s e l b s t v e r s t ä n d l i c h e r (vgl. S T A III, 193,120f.)· Z u r Z e i t als Schelling und H e g e l sich b e m ü h e n , » S t o r r s T h e o l o g i e u n d K a n t s Kritik als e x t r e m e G e g e n s ä t z e d a r z u s t e l l e n « (vgl. L 112, H e n r i c h / D ö derlein, S. 278), a r b e i t e t Hölderlin an d e n g l e i c h e n P r o b l e m e n d e r Z e r s t ö r u n g d e s o r t h o d o x e n G l a u b e n s z w a n g e s o d e r a l l g e m e i n e r : d e r >positiven< Fixierung d e r G l a u b e n s w a h r h e i t e n ; a b e r d o c h so, d a ß er b e r e i t s v e r s u c h t , mit Hilfe des ä s t h e t i s c h e n P r o d u k t i o n s a k t e s d e n Ü b e r g a n g v o n d e r Kritik z u r O f f e n b a r u n g g l e i c h s a m v o n innen h e r a u s v e r s t ä n d l i c h zu m a c h e n . D a r i n ist e r Schelling u n d H e g e l v o r a n g e s c h r i t t e n . Vielleicht spielte N i e t h a m m e r , d e n er als »philos o p h i s c h e n M e n t o r « a k z e p t i e r t e , d a b e i e i n e g e w i s s e Rolle, - e r h a t t e sich v o n d e m r a d i k a l e n K a n t i a n i s m u s D i e z i s c h e r P r ä g u n g in J e n a a b g e w a n d t (ebd. 281). Vgl. L 59 B u r g e r , S. Iff. und L 7, A n t o n , S. 277ff.
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sehen Modifikation, die ihnen Hölderlin zuteil werden ließ - eine Modifikation, die ihrerseits aus platonischem Geist erwuchs - sollten die Ausführungen im Phaidros in ein neues Licht setzen, d. h., sie mußten in transzendentalphilosophische Begründungszusammenhänge eingeordnet werden. Aufgrund dieser Tatsache kann es nicht schwerfallen, den Umkreis der einen Stelle abzustecken, die Hölderlin durch die ästhetischen Ideen zu kommentieren gedachte: Es kann sich nur um Piatos Ausführungen über den »göttlichen Wahnsinn« der Liebe im Anblick des Schönen handeln, wie Zinkernagel bereits bemerkte, obgleich er den entsprechenden Abschnitt zu sehr eingrenzte.11 Die unter dem Einfluß des Eros wirksame »Seelenbefiederung« (251 a, b) weist unmittelbar auf Kants Belebung der Gemütskräfte durch die ästhetischen Ideen, die Hölderlin allerdings, in einer >Korrektur< Kants als Begeisterung für das Ideal, platonisch gesprochen: als >Metexis< am höchsten Guten interpretiert und sich damit an den Phaidros anlehnt. So ist eine doppelte Verschlingung in Hölderlins ästhetischen Reflexionen aufzulösen, wenn man seinen kantisch-platonischen Interessen gerecht werden will: Zum einen gab Piatos Verknüpfung des Schönen und Guten den Anlaß, Ästhetik und Moral auch bei Kant aufeinander abzustimmen, die >Grenzlinie< zu überschreiten, zumal Hölderlin in Kants Erklärung Unstimmigkeiten zu entdecken glaubte; dies führte ihn zu der Begründung der Ästhetik auf moralphilosophischer Grundlage, die wir am »Gesetz der Freiheit« untersucht haben. Zum andern aber bot diese Begründung nun ihrerseits die Voraussetzung, Piatos Bilderwelt im Phaidros transzendentalphilosophisch zu interpretieren und damit zu entmythologisieren. - In dieser Doppelbindung liegt keine Zirkelstruktur, so, als ob Hölderlin einmal Kant mit Plato und anschließend Plato mit Kant auslegte; es handelt sich vielmehr um zwei Schritte in einem Begründungsakt zu Hölderlins Schönheitslehre, die Kant zwar platonisch modifiziert, zugleich aber dessen transzendentale Problematik behauptet.12 Kant und Plato wurden dabei gleichermaßen verbogen. 11
12
L 262, Zinkernagel verweist auf Β 255: »Nur Piatons Lobpreisung des Eros kann von Hölderlin hier gemeint sein.« (S. 72). Beissner dagegen schreibt: »Welche Stelle des Phaedros sein ausdrücklicher Text sein sollte, ist nicht auszumachen.« (STA VI, 699,260- Die Stelle liegt im Rahmen des Textes 244a bis 257b; enger gefaßt wohl zwischen 249a und 252c. Kant selbst hatte in der Kritik der teleologischen Urteilskraft den Anstoß gegeben, die »Schwärmerei« Piatos auf teleologische Prinzipien zurückzuführen, was Hölderlin dann aufnimmt und weitertreibt. Vgl. Urtkr. S. 273/74, w o er den »Eifer der alten Geometer« bewundert, die sich an einer »Zweck-
132
D i e K a n t i s c h e M o r a l p h i l o s o p h i e aber, d e r Hölderlin zu e n t s p r e c h e n g l a u b t e , w u r d e d u r c h s e i n e p l a t o n i s c h e B e g e i s t e r u n g z e r s e t z t , w e i l Piat o s B e g r i f f d e s G u t e n , d e r in e i n e r t e l e o l o g i s c h e n S e i n s o r d n u n g f u n d i e r t u n d s o auf e i n e t h e o r e t i s c h e Idee< g e g r ü n d e t w a r , n i c h t s z u r E r k l ä r u n g d e s M o r a l i s c h - G u t e n b e i K a n t b e i t r a g e n k o n n t e . 1 3 S o ist b e i H ö l d e r l i n eine teleologische W e n d u n g der Kantischen Moral zu konstatieren, die a u c h f e r n e r h i n i m I d e a l i s m u s S c h u l e m a c h t e u n d z u r Ü b e r z e u g u n g führte, d a ß » d e r W e g d e r F r e i h e i t « » s i c h n u r in d e r G e s t a l t d e s P a n t h e i s m u s v o l l e n d e n « lasse.14 K a n t s e i n z i g m ö g l i c h e G r u n d l a g e e i n e r sittlichen W e l t o r d n u n g m u ß t e d a b e i n o t w e n d i g in V e r g e s s e n h e i t g e r a t e n . m ä ß i g k e i t in d e m W e s e n d e r D i n g e « b e g e i s t e r t e n , »die sie d o c h völlig a priori in i h r e r N o t w e n d i g k e i t d a r s t e l l e n k o n n t e n « , und d a n n a n f ü g t : »Plato, selbst M e i s t e r in dieser W i s s e n s c h a f t , g e r i e t ü b e r e i n e s o l c h e u r s p r ü n g l i c h e Beschaff e n h e i t d e r Dinge, w e l c h e zu e n t d e c k e n wir alle E r f a h r u n g e n t b e h r e n k ö n n e n , und über das Vermögen des Gemüts, die Harmonie der Wesen aus ihrem übersinnlichen Prinzip schöpfen zu können ... in die Begeisterung, welche ihn über die Erfahrungsbegriffe zu Ideen erhob, d i e ihm nur d u r c h eine intellektuelle Gemeinschaft mit dem Ursprünge aller Wesen erklärlich zu sein schienen. Kein W u n d e r , d a ß e r d e n d e r M e ß k u n s t U n k u n d i g e n aus seiner S c h u l e verwies, i n d e m e r das, w a s A n a x a g o r a s aus E r f a h r u n g s g e g e n s t ä n d e n und i h r e r Z w e c k v e r b i n d u n g Schloß, aus der reinen, dem menschlichen Geiste innerlich beiwohnenden, Anschauung a b z u l e i t e n d a c h t e . D e n n in d e r Notwendigkeit d e s s e n w a s z w e c k m ä ß i g ist, und so b e s c h a f f e n ist, als o b es f ü r u n s e r n G e b r a u c h absichtlich so e i n g e r i c h t e t w ä r e , gleichwohl a b e r d e m Wesen d e r D i n g e u r s p r ü n g l i c h z u z u k o m m e n scheint, o h n e auf u n s e r n G e b r a u c h R ü c k s i c h t zu n e h m e n , Hegt eben der Grund der großen Bewunderung der Natur, nicht sowohl außer uns, als in unserer eigenen Vernunft-, w o b e i es w o h l verzeihlich ist, d a ß diese B e w u n d e r u n g d u r c h M i ß v e r s t a n d n a c h und n a c h bis zur S c h w ä r m e r e i steigen m o c h t e . « - H ö l d e r l i n s P l a t o - E x e g e s e im Hinblick auf K a n t läßt sich so mit K a n t selbst r e c h t f e r t i g e n . - U m g e k e h r t ist a b e r a u c h sein e m p h a t i s c h e r Ausruf in d e r v o r l e t z t e n F a s s u n g z u m >Hyperion< ( S T A 111,237): »heiliger Plato, v e r g i e b ! m a n hat s c h w e r an dir g e s ü n d i g t « - Ausd r u c k seiner A b k e h r v o n K a n t u n d d e m >subjectiven A p r i o r k d e r Teleologie, das H ö l d e r l i n n o c h in d e n J e n a e r >HyperionMetrische Fassung G r u n d l e g u n g z u r M e t a p h y s i k d e r SittenUrteilskraft< als Bindeglied z w i s c h e n d e n b e i d e n a n d e r e n T e i l e n d e r Philosophie ( d e m t h e o r e tischen u n d p r a k t i s c h e n ) zu analysieren. - Vgl. zu d i e s e m P r o b l e m : L 13, Bartuschat, N e u e A r b e i t e n zu K a n t s >Kritik d e r U r t e i l s k r ä f t e 133
II. Piatos Phaidros und die ästhetischen Ideen< Obgleich Hölderlin durch den Platonischen >Phaidros< mannigfach angeregt wurde und dessen Einflüsse noch in seiner späteren Dichtung deutlich hervortreten, 15 ist der entsprechende Absatz, den er zu kommentieren gedachte, infolge des Verweises auf die ästhetischen Ideen o h n e Schwierigkeit herauszufinden: Er erstreckt sich etwa von 249a252c (genauer: 249d-252c) und gehört in den weiteren Rahmen einer Lobeshymne auf Eros (244a-257b), die zugleich einen »Widerruf« des Sokrates darstellt (243b und 257a) für die beiden vorausgehenden Reden, von denen die eine scheinheilig, die andere scheinbar die »Besonnenheit« des kalten Liebhabers vor der Verzückung des stürmischen priesen. Für jene »Schmähungen« will Sokrates dem Eros Abbitte leisten durch den Vortrag einer Rede des Stesichoros, 1 6 die »des Phaidros 15
Die Frage nach der Leistung der Sprache wird zu einem entscheidenden Spätproblem Hölderlins, und ihre Grundproblematik des Verdeckens hatte Plato ebenfalls im >Phaidros< abgehandelt. Vgl. den Mythos des Theutdialektischem Vermittlung der Rede, die der Platonische >Phaidros< fordert (265cff.). Der Vorzug, den Hölderlin der Kunst und der Ästhetik vor anderen Wissenschaften zubilligte, lag eben in diesem Vollzugsmoment der Wahrheit, das Hölderlin einem bloß abstrakt begrifflichen Denken entgegenstellte. 16 Durch den Hinweis, daß die Eros-Rede von Stesichoros stamme, soll ihr Wahrheitsanspruch bekräftigt werden. Vgl. ebd. 243a/b: 'Es gibt aber für die in Dichtungen über die Götter Sündigenden eine alte Reinigung, von welcher Homeros nichts wußte, Stesichoros aber. Denn als er der Augen beraubt ward wegen Schmähung der Helena, blieb ihm nicht wie dem Homeros die Ursache unbekannt, sondern als ein den Musen Vertrauter erkannte er sie und dichtete sogleich sein >Unwahr ist diese Rede^denn nie bestiegst du die zierlichen Schiffe/noch kamst du je zur Feste von TrojaFragment< im Zusammenhang der Erscheinung Melites aufgenommen (STA III, 180): »Ich sah sie staunend an, und schwieg. Mir war, als hätt' ich die Priesterin zu Dodona gehört.« Das sind nur zwei Anspielungen, die die Bedeutung von Piatos >Phaidros< für Hölderlins Thalia-Hyperion unterstreichen. Sie bedürfte einer ausführlichen Untersuchung. Selbst die >etymologischen< Ableitungen, auf die Zuberbühler bei Hölderlin hinweist (L 263, S. 21 Off.), sind im >Phaidros< bereits vorgeprägt. Die >Wahrsagekunst< wird von der >Wahnsagekunst< (244c) und die >Liebe< v o m >Leibe< (238c) hergeleitet.
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Dichtkunst« sich einfinde, »meinend, er könne durch Kunst allein ein Dichter werden, ein solcher« sei »selbst ungeweiht und auch seine, des Verständigen, Dichtung« werde »von der des Wahnsinnigen verdunkelt« (245a). Hier finden wir somit das emphatische Begeisterungsmoment, das Hölderlin von der Dichtung fordert, ihren Bezug auf das »Empfindungsund Begehrungs-Vermögen« (IV, 183), der aus dem »Gesetz der Freiheit« herauszulesen war und mit dem er Kants Ästhetik transformierte. Entscheidend für Hölderlins Urteil über das Schöne wird jedoch die vierte und höchste Art der Platonischen >EingeistungGesetz der Freiheit seine praktische Rechtfertigung erfahren kann. So stellt das Fragment Hölderlins keine Verirrung in rechtstheoretische Spekulationen während seiner philosophischen Lehrjahre dar, sondern es bildet einen wichtigen Baustein im System seiner ästhetisch-moralischen und geschichtsphilosophischen Erwägungen, die ihn zur Zeit seiner Kant- und Platostudien in Waltershausen bestimmen. Fichte, dessen Einfluß und dessen Bedeutung für den Text man wahrnehmen zu können glaubte, hat den Gedankengang des Fragments nicht entscheidend geprägt, obgleich einige 1
Der Entwurfscharakter des Fragments ist in diesem Falle an der schulmäßigen Einführung »(Beweis)« STA IV, 214,6 leicht zu erkennen. - Vgl. Beissner STA IV, 402,12.
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Passagen im Hinblick auf ihn konzipiert sind.2 Deswegen muß aber der Text nicht in Hölderlins Jenaer Zeit verlegt werden; er hatte Fichte bereits in Waltershausen gelesen, wie sein Brief an Hegel vom 26. Januar 1795 bezeugt (StA VI, 155,57ff.), und Charlotte von Kalb hatte sogar schon im August 1794 »die gedruckten Aufsätze, die Fichte wöchentlich herausgiebt« (wohl die »spekulativen Blätter« der »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre«) aus Jena angefordert, 3 sicherlich nicht, ohne daß Hölderlin sie dazu veranlaßt hätte. So sind die fichtisierenden Abschnitte in dem Fragment ohne weiteres von Hölderlins Waltershäuser Standpunkt aus zu begreifen. Der Text fügt sich bruchlos in Hölderlins kantisch-platonische Beschäftigungen - wie sich weiterhin zeigen wird- und legt deshalb eine frühe Datierung nahe. Beissner hat in seinem Kommentar zur Stuttgarter Ausgabe den gemeinsamen »geistigen Habitus« von »Gesetz der Freiheit« und »Begriff der Strafe« angedeutet, aber nicht näher ausgeführt.4 Er schränkt ihn sogar dadurch ein, daß er das Fragment »Hermokrates an Cephalus« beim Abdruck zwischen beide Texte stellt.5 Das erstaunt um so mehr, als Beissner selbst auf handschriftliche Übergangsformen hinweist, die in »Hermokrates an Cephalus« nicht mehr zu finden sind.6 - So ist auch die Handschriftenlage ein Indiz für die behauptete Nähe beider Texte, die zeitlich und inhaltlich zusammengehören und sogar eine systematische Einheit bilden: Neben dem Problem der Rückgewinnung des göttlichen Heils als einem Reich der Vernunft, das Hölderlin platonischkantisch unter dem >Gesetz der Freiheit fordert, wird die Frage nach dem Abfall von der ursprünglichen Gottesgemeinschaft, dem Heraustreten aus dem Stand der Natur - wie man rousseauistisch sagen könnte - Dreh- und Angelpunkt seiner Waltershäuser Überlegungen. In eben diesem Zusammenhang findet der vorliegende Text über die Strafe seinen bestimmten Stellenwert: Er sucht das Problem zu fassen, »wie es überhaupt dazu kommt, daß der erste ideale Zustand verloren« geht,7 2
3 4 5
6 7
Weniger der Abschnitt über >Erkenntnisgrund< und >Realgrund< - w i e Beissner meint (STA IV, 402,15) - w e i s t auf Fichte, als derjenige über die Wechseltätigkeit STA IV, 214,25f. Vgl. STA VII, 2, S. 9, L D 136. S T A IV, 401. Dieses Bruchstück, das mit den beiden andern im »geistigen Habitus« nicht zusammenhängt (vgl. im G e g e n s a t z dazu Beissner STA IV, 401) kann frühestens im Herbst 1795 entstanden sein. D i e Gründe dafür habe ich in L 242a, S. 140f. erläutert. Vgl. ebd. STA IV, 401. Vgl. L 66, Cornelissen, S. 25. - Cornelissen sagt treffend: »Es wurde zwar im Fragment über das G e s e t z der Freiheit die Notwendigkeit einer A u f h e b u n g des ersten Zustandes festgestellt, aber da der g a n z e S e i n s p r o z e ß so offensicht-
149
daß wir uns >losreißen< vom »friedlichen hen kai pan der Welt, um es herzustellen, durch uns selbst« (StA III, 236). Die zentrale Frage der Theodizee, der Ursprung des Bösen und seine mögliche Überwindung, verklammert somit die beiden frühen Versuche über den »Begriff der Strafe« und das »Gesetz der Freiheit«. Gelingt es, diese Beziehung und den gemeinsamen Kontext beider Fragmente darzulegen, so wird auch sichtbar, daß Hölderlins Denken in Waltershausen mit seinem Dichten enger verflochten ist, als man bisher wahrnahm; 8 es zeigt sich sogar, daß die beiden einzigen theoretischen Entwürfe dieser Zeit Hölderlins philosophisch-ästhetisches Programm des >Hyperion< in nuce enthalten. Zu Unrecht sind sie deshalb - ihrer vermeintlichen Abseitigkeit wegen - in der Forschung vernachlässigt worden. Liest man in dem frühen Entwurf (»Über das Gesetz der Freiheit«) die Sätze: Das erstemal, d a ß das G e s e z der Freiheit sich an uns äußert, erscheint es strafend. Der A n f a n g all' unsrer Tugend geschieht v o m Bösen (IV, 1, 212,6-8),
so liegt die inhaltliche Verbindung beider Fragmente auf der Hand. Hölderlin bezieht sich mit diesen Erläuterungen - wie früher ausgeführt wurde 9 - auf Kants Abhandlung >Mutmaßlicher Anfang der MenschengeschichteGesetz der Freiheit als Instrument der Kulturrevolution - bei allem sittlichen Pathos Hölderlins - nur noch bedingt Anwendung finden kann, so daß sein ungebrochener Aufklärungsoptimismus, den er mit seinen Tübinger Freunden teilt, zum ersten Mal eine gewisse Einschränkung erfährt, die seinem eigenen Denken eine neue, selbständige Richtung gibt und seine Vereinigungsphilosophie vorbereitet. Strafe und Leid sind von nun an nicht mehr zu eliminieren und dem selbstbewußten Anspruch des Ich unterzuordnen, sie sind vielmehr zu akzeptieren und zu integrieren. Dies verschafft Hölderlin für einige Zeit einen denkerischen Vorsprung seinen Mitstreitern gegenüber, wobei dem Prinzip des »Widerstreits« und seiner Vereinigung ein Vorrang gebührt.19 Späterhin steht dem (menschlichen) >Gesetz der Freiheit sogar das >eherne Gesetz< der Götter gegenüber, unter das sich der Mensch zu beugen hat,19" so daß Hölderlin in der Ode >Lebenslauf< sagen kann (StA II, 22):
19 19°
Vgl. L 111, Henrich, S. 11 ff. W o l f g a n g Binder hat in einer neueren A r b e i t ( L 37a) einen W a n d e l in der Struktur des G o t t e s b e g r i f f e s bei Hölderlin nachgewiesen; er kann zeigen, » d a ß das S c h w e r g e w i c h t von der Subjektseite allmählich auf die Objektseite hinüberwandert, daß also anfangs der sich orientierende Mensch, am Ende der sich manifestierende G o t t im Vordergund steht« ( L 37a, S. 3). Eben dieser W a n d e l im G o t t e s b e g r i f f hängt mit der Einschränkung der Freiheit und einer stärkeren Betonung des Leids zusammen.
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Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt All uns nieder, das Laid beuget gewaltiger, D o c h es kehret umsonst nicht Unser Bogen, woher er kommt.
Und weiterhin in der letzten Strophe: Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen, D a ß er, kräftig genährt, danken für Alles lern', Und verstehe die Freiheit, Aufzubrechen, wohin er will.
Es ist ganz und gar abwegig, diese Anerkenntnis des Leides, bei gleichzeitiger Rechtfertigung der Freiheit, sowie Hölderlins spätere »Demut« vor einem umfassenden >göttlichen< Gesetz, dessen Anforderungen er selbst nicht immer zu erfüllen vermag, als verhüllenden poetischen Chiliasmus aus politischer Resignation deuten zu wollen.20 2. Die Quelle für Hölderlins Argumentationsweise Wäre das letzte und entscheidende Argument in Hölderlins Beweisgang über den Begriff der Strafe nicht aus dem Fragment selbst zu entnehmen, so gäbe es doch einen Bürgen dafür: »Wie immer, wenn (er sich) nicht leiden kan«, nimmt Hölderlin »Zuflucht« zu Kant (VI, 187,40). Diesmal ist es die >Kritik der praktischen Vernunft^ die ihm Asyl gewähren muß, um die Möglichkeit der Erkenntnis des Gesetzes zu sichern. Dem IV. Lehrsatz der KpV (§ 8), der »die Autonomie des Willens« als »das alleinige Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten« aufstellt (A 58), fügt Kant zwei »Anmerkungen« an, von denen die eine (A 59ff.) >praktische Vorschriften< als »zum praktischen Gesetze« untauglich, die andere (A 61 ff.) das Prinzip der »eigenen Glückseligkeit« als das »gerade Widerspiel« zur Sittlichkeit erläutert. In dieser zweiten Anmerkung findet der Begriff der »Straf würdigkeit« seine angemessene Behandlung (A 66ff.), weil Strafe üblicherweise als Mittel zur Besserung - und eben damit auch als Mittel zur Beförderung der eigenen Glückseligkeit - verstanden wird. Ein solcher Begriff von Strafe aber läuft nach Kant dem Prinzip der Sittlichkeit zuwider, weil die Strafe selbst dann, wenn mit ihr die »gütige Absicht« verbunden sein sollte, die Glückseligkeit des Bestraften zu befördern (A 66),»doch zwar als Strafe, d. i. als bloßes Übel für sich selbst 20
Diese Tendenz herrscht in der vorwiegend sozialgeschichtlich orientierten Hölderlindeutung der letzten Jahre vor. Vgl. besonders L 28, Bertaux, L 1, Abusch, L 173, Mieth, L 193, Pezold und Rez. Bertaux' ebd„ S.213ff. 157
gerechtfertigt sein« muß, »so daß der Gestrafte, wenn es dabei bliebe, und er auch auf keine sich hinter dieser Härte verbergende Gunst hinaussähe, selbst gestehen muß, es sei ihm recht geschehen, und sein Los sei seinem Verhalten vollkommen angemessen«. Strafe muß - wie in Hölderlins Entwurf - aus ihrem »Princip« verstanden werden, wenn sie >rechtmäßig< sein soll, so daß »Gerechtigkeit . . . das Wesentliche (ihres) Begriffs« ausmacht (A 66). Deshalb ist Strafe als ein »physisches Übel (zu betrachten), welches, wenn es auch nicht als natürliche Folge mit dem moralisch-Bösen verbunden wäre, doch als Folge nach Prinzipien einer sittlichen Gesetzgebung verbunden werden müßte«. Strafe muß - wie Hölderlin sagt - »moralisch betrachtet« »in etwas Höherem begründet« sein (IV, 214,15-16). »Wenn nun alles Verbrechen, auch ohne auf die physischen Folgen in Ansehung des Täters zu sehen, für sich strafbar ist«, - so führt Kant weiter aus -, »so wäre es offenbar ungereimt zu sagen: das Verbrechen habe darin eben bestanden, daß er sich eine Strafe zugezogen hat, indem er seiner eigenen Glückseligkeit Abbruch tat (welches nach dem Prinzip der Selbstliebe der eigentliche Begriff alles Verbrechens sein müßte). Die Strafe würde auf diese Art der Grund sein, etwas ein Verbrechen zu nennen, und die Gerechtigkeit müßte vielmehr darin bestehen, alle Bestrafung zu unterlassen und selbst die natürliche zu verhindern; denn alsdenn wäre in der Handlung nichts Böses mehr, weil die Übel, die sonst darauf folgeten, und um deren willen die Handlung allein böse hieß, nunmehre abgehalten wären.«
Die Argumente, die Kant hier vorträgt, um sicherzustellen, daß Strafe nicht nach Prinzipien der Glückseligkeit und des Wohlergehens beurteilt werden darf, daß folglich Strafe zunächst »als bloßes Übel für sich selbst gerechtfertigt« sein müsse, entsprechen denen, die Hölderlin in seinem ersten Beweisschritt aufnimmt und den »Feinden der Principien« entgegenhält. Doch ist die eigentümliche Aufbereitung der Kantischen Argumente in Hölderlins Text nicht zu übersehen: Während Kant die »Autonomie des Willens« als »alleinige(s) Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten« (A 58) von jeglichen Verunreinigungen frei halten will (nichts anderes bezeichnen die beiden »Anmerkungen«), stellt Hölderlin seine geborgten Argumente in einen Gedankenzusammenhang, dessen eigentliches Ziel es ist, die Möglichkeit der Erkenntnis des moralischen Gesetzes zu erweisen. Dies allerdings wäre nach Kant eine müßige Aufgabe, weil wir uns des moralischen Gesetzes »unmittelbar bewußt werden (so bald wir uns Maximen des Willens entwerfen)« (KpV A 53). Es darf als ein »Faktum der Vernunft« gelten, »weil man es nicht aus vorhergehenden Datis der 158
Vernunft, . . . , herausvernünfteln kann, sondern weil es sich für sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner, weder reinen noch empirischen Anschauung gegründet ist,... Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Mißdeutung als gegeben anzusehen, wohl bemerken: daß es kein empirisches, sondern das einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend... ankündigt.« (KpV A 56) Diese inhaltliche Differenz kündigt - trotz analoger Argumente - für Hölderlins Entwurf eine thematische Verschiebung an, die im folgenden näher zu erläutern ist und Hölderlins eigenartige Aufnahme der Kantischen Moralphilosophie, die wir bereits im »Gesetz der Freiheit« wahrnahmen, von einer anderen Seite beleuchtet. Zumindest wird hier bereits sichtbar, daß Hölderlins Fragestellung im »Begriff der Strafe« aus Kants transzendental-philosophischem Gedankengang zur Begründung der Autonomie des Willens ausbricht, und eine mehr anthropologisch-entwicklungsgeschichtliche und erzieherisch-pädagogische Richtung einschlägt. So fehlt in Hölderlins Entwurf auch die Frontstellung Kants gegenüber der Glückseligkeitsmoral nicht ohne Grund; am Motto der >Hymne an die Schönheit und im »Gesetz der Freiheit«wurde bereits sichtbar, daß Hölderlins Moralkonzeption nicht frei ist von solchen Prinzipien, und sie kehren hier wieder. Dieser paradoxe Zug an Hölderlins Kantrezeption, einerseits dessen Prinzipienstrenge voll zu akzeptieren, sie andererseits aber unbeabsichtigt durch >materiale BestimmungsgründeLehrsatz II< der K.pV, § 3, A 40ff.
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Kant mit dem Bewußtsein des moralischen Gesetzes identisch wäre, hier aber überraschenderweise davon abgesetzt und nicht als Sollen, sondern als Widerstand gegen das Wollen wahrgenommen wird, kann bei Hölderlin nur als Erfahrung des Leides (Strafe) interpretiert werden. Somit unterliegt er in diesem Falle dem Kantischen Verdikt, dem »Prinzip der Selbstliebe, oder eigenen Glückseligkeit« (KpV A 40) zu folgen, obgleich er die Strafe vom »Princip« her rechtfertigen will. Diese Ambivalenz seines moralischen Konzepts im »Begriff der Strafe« läßt sich durch eine kurze Abschweifung erläutern: In der >FriedensGrundlegung< sagt, daß er es dem Prinzip der Glückseligkeit zurechne,»weil ein jedes empirisches Interesse durch die Annehmlichkeit, die etwas nur gewährt, es mag nun unmittelbar und ohne Absicht auf Vorteile, oder in Rücksicht auf dieselbe geschehen, einen Beitrag zum Wohlbefinden verspricht«.22 Aber dieses »Gefühl« ist es auch, das Hölderlin die Übertretung des Gesetzes ankündigt, so daß »die Quaal Echo wird«, wie es in der >Chironmoralischen Gefühk bei Kant traditionelle Vorformen aufnimmt, und noch nicht in dem transzendental bestimmten Sinne der KpV zu verstehen ist. (Vgl. dazu das 1. Kapitel dieser Arbeit). Vgl. Brief Nr. 97 an den Bruder vom 13. April 1795, w o Hölderlin das Gebot
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Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, daß die Frage, ob man an der Strafe das Gesetz erkennen könne, zum entscheidenden Problem in Hölderlins Fragment wird, und es überrascht auch nicht, daß er gerade dabei in Schwierigkeiten gerät: Hölderlin erkennt das Kantische Glückseligkeitsverdikt in dem Abschnitt über die Strafwürdigkeit und muß deshalb nach neuen Hilfsmitteln suchen, es zu umgehen. Er möchte nicht »feiner noch, obgleich ebenso unwahr« sein wie jene, die einen »gewissen moralischen besonderen Sinn annehmen, der, und nicht die Vernunft, das moralische Gesetz bestimmete«; so ist es bezeichnend, daß er gerade an dieser entscheidenden Stelle seines Entwurfs einen fichtisierenden Nachtrag vornimmt, der anscheinend dazu beitragen sollte, den Schluß von der Folge auf die Tat zu vermeiden. Darüberhinaus führt er die Unterscheidung von Erkenntnisgrund und Realgrund ein, die in dem entsprechenden Kontext über die Strafe bei Kant nicht zu finden ist, aber dennoch nicht auf Fichte zurückgeht - wie man gelegentlich annahm 24 - sondern einen anderen Begründungszusammenhang der Kantischen Moralphilosophie aufnimmt. In einer Fußnote der Vorrede der KpV (A 5) sagt Kant, daß die Freiheit die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit sei. Denn, wäre nicht das moralische Gesetz in unserer Vernunft eher deutlich gedacht, so würden wir uns niemals berechtigt halten, so etwas, als Freiheit ist ( . . . ) anzunehmen. Wäre aber keine Freiheit, so würde das moralische Gesetz in uns gar nicht anzutreffen sein.
Diese Sätze passen sich der Argumentationsweise - nicht der Gedankenführung - im »Begriff der Strafe« exakt an, und Hölderlin benutzt sie, um - trotz des Kantischen Verdikts - einen Übergang von der Strafe zum moralischen Gesetz finden zu können. Doch verwendet er die Kantischen Begriffe wiederum nur analog: Bei Kant ist das Gesetz Er-
24
der Pflicht als das »heilige unabänderliche Gesez (unseres) Wesens« erläutert, »wie jeder finden (könne), der sein Gewissen, das Gefühl jenes Gesezes, das sich bei einzelnen Handlungen äußert, mit unparteiischem Auge« prüfe. Auf »jenes heilige Gesez unserer Moralität« (das sich demnach im Gefühl ankündigt!) »gründest Du die Beurtheilung Deiner Rechte« (STA VI, 162,21 f.). Vgl. L 180, Müller, S. 127; er verweist auf die Wissenschaftslehre 1,155. Dort ist aber gar nicht von >Realgrund< und >Erkenntnisgrund< die Rede, sondern von >Real-Grund< und >ldeal-Grund< und zwar in einem Zusammenhang der Begründung der Vorstellung, der sich gar nicht in Hölderlins Beweisgang einbringen läßt. So ist der abermalige Rückgriff auf Kantische Mittel (vgl. das Folgende) ein zusätzliches Indiz für eine frühe Datierung des Fragments, das sicherlich noch in Waltershausen geschrieben ist, wo Hölderlins Kantbeschäftigung vielfach bezeugt ist, während sie in Jena merklich zurücktritt.
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kenntnisgrund und die Freiheit Realgrund. Das Gesetz aber bedarf keines weiteren Erkenntnisgrundes, weil es sich unmittelbar im moralischen Bewußtsein ankündigt,25 und zwar »so unüberschreibar«, daß es »selbst für den gemeinsten M e n s c h e n . . . vernehmlich« ist (KpV A 62). Nach Hölderlin bedarf dagegen das Gesetz selbst eines Erkenntnisgrundes, der Strafe, und es gilt seinerseits als Realgrund. An die Stelle des »einzigen Faktum(s) der reinen Vernunft« (KpV A 56) tritt so ein empirisches Faktum, die Strafe, die ihrerseits zum Schlüssel der »Tugend« werden soll, wie das Freiheits-Fragment lehrt (IV, 212,8). Freiheit war so dazu bestimmt, ein handhabbares Instrument, ein Hebel der Kulturrevolution zu werden, dessen man sich nur zu bedienen brauchte, sobald einen die Strafe zur raison gebracht hatte, während sie (die Freiheit) nach Kant »die einzige unter allen Ideen der spekulativen Vernunft (ist), wovon wir die Möglichkeit a priori wissen, ohne sie doch einzusehen, weil sie die Bedingung des moralischen Gesetzes ist, welches wir wissen«. (KpV A 5). So war Hölderlin in der Nachfolge Kants einer der ersten, der (in seiner frühen Periode) - unter Berufung auf Kant - einen Vernunftbegriff zu installieren sich bemühte, der das Pathos der Freiheit aufnahm, der aber von Glückseligkeitsprinzipien nicht zu trennen war und deshalb keine Moral gründen konnte, dafür aber bei einem zweckorientierten (theoretischen) Denken Anleihen machte, die der instrumentellen Vernunft zugute kamen. - Daran, daß selbst der »gemeinste Verstand«, auch ohne Weltklugheit, dem moralischen Gesetz entsprechen kann - Kants Beispiele beweisen das36 - und daß »dem kategorischen Gebote der Sittlichkeit Genüge zu leisten«, nach Kant »in jedes Gewalt (steht) zu aller Zeit« (KpV A 64), läßt sich ermessen, daß Kants Begriff von moralisch-praktischer Vernunft unserem instrumentellen Vernunftbegriff vollkommen entgegensteht und nur aus der Möglichkeit einer Autonomie des Willens begriffen werden kann. Dieser Grund jedoch ist der Moderne unzugänglich geworden. Auch Kant hatte in § 6 der KpV, in dem er die obige Unterscheidung zwischen Erkenntnisgrund und Realgrund ihrem Inhalt nach noch einmal aufgreift und erwägt, »wovon unsere Erkenntnis des unbedingtPraktischen anhebe« (A 52), die Frage gestellt, wie »das Bewußtsein jenes moralischen Gesetzes möglich« sei? Anders aber als Hölderlin im »Begriff der Strafe« gibt er zur Antwort:
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Vgl. dazu die Ausführungen S. 159 dieser Arbeit. Vgl. zum Beispiel KpV, A 54 und A 63.
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»Wir können uns reiner praktischer Gesetze bewußt werden, eben so, wie wir uns reiner theoretischer Grundsätze bewußt sind, indem wir auf die Notwendigkeit, womit sie die Vernunft vorschreibt, und auf Absonderung aller empirischen Bedingungen, dazu uns jene hinweiset, Acht haben.« (A 53)
Kant geht an dieser Stelle über eine bloß formale Bestimmung nicht hinaus, aber es ist deutlich, daß er einen transzendentalen Weg vorschreibt, während Hölderlin den empirischen über die Strafe einschlägt. - So zeigt sich im »Begriff der Strafe« noch klarer als im »Gesetz der Freiheit«, wie unangemessen seiner sinnlichen Poetennatur Kants transzendentale Erörterungen waren, auch wenn er sich ihnen nicht verschließt. 27 Man darf an seine spätere, selbstkritische Bemerkung dem Bruder gegenüber erinnern, dem Hölderlin in bezug auf seine frühe Kant-Rezeption schreibt: Der Geist des Mannes war noch ferne von mir. Das Ganze war mir fremd, wie irgend einem.28
Mit seiner analogen Übertragung der Begriffe Erkenntnisgrund und Realgrund auf das Verhältnis von Strafe und Gesetz im »moralischen Bewußtsein« - bzw. im »Factum« 2 9 - glaubt Hölderlin, Kants Urteilsspruch entgehen zu können, »feiner noch, obgleich eben so unwahr« zu sein wie jene, die er selbst »die Feinde der Principien« nennt. Gleich einem Versatzstück schiebt er diese Unterscheidung aus einem anderen Kantischen Kontext in seinen Argumentationsgang hinein, um schließlich wieder Gründe aus der gleichen Kantischen Beweisführung aufzunehmen, die gegen ihn selbst gerichtet sein könnte. So macht Kant im Fortgang seiner Erörterungen um den Begriff der Strafe auf eine »Täuschung« aufmerksam, die bei denen zugrunde liege, die einen »moralischen besondern Sinn« annehmen. Er sagt: »Um den Lasterhaften als durch das Bewußtsein seiner Vergehungen mit Gemütsunruhe geplagt vorzustellen, müssen sie ihn, der vornehmsten Grundlage seines Charakters nach, schon zum voraus als, wenigstens in einigem Grade, moralisch gut, so wie den, welchen das Bewußtsein pflichtmäßiger Handlun27
28 29
Daß Hölderlin die §§ 6 und 7 der KpV bei der Abfassung des Textes gegenwärtig waren, scheint auch das Vokabular zu beweisen: das Sittengesetz kündige sich »negativ« an, sagt Hölderlin (214,24); bei Kant heißt es: »sein (des Gesetzes?) erster Begriff« sei »negativ« (die Akad.-Ausg. verbessert in »ihr«, der Freiheit erster Begriff, A 53). Auch das Wort »Factum« scheint Hölderlin von A 56 aufzunehmen. Weiterhin hat wohl auch die >Grundlage zur Metaphysik der Sitten< Hölderlin vor Augen gestanden: BA 104 ist von einem entsprechenden »Zirkel« die Rede. Brief Nr. 147 vom 2. November 1797, STA VI, 254,32f. Vgl. Anmerkung 16 in diesem Kapitel.
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gen ergötzt, vorher schon als tugendhaft vorstellen. Also mußte doch der Begriff der Moralität und Pflicht vor aller Rücksicht auf diese Zufriedenheit vorhergehen und kann von dieser gar nicht abgeleitet werden.«
Ferner fügt Kant hinzu, man müsse »das Ansehen des moralischen Gesetzes« und seinen »unmittelbaren Wert« doch »vorher schätzen«, um »den bitteren Verweis, wenn man sich dessen Übertretung vorwerfen kann, zu fühlen.« Deshalb sei es auch unmöglich, die »Zufriedenheit oder Seelenunruhe« »vor der Erkenntnis der Verbindlichkeit« zu fühlen, um sie »zum G r u n d e der letzteren zu machen«. Eben diese Argumente sind es, zu denen Hölderlin in dem nicht mehr vollständig überlieferten Satz ausholt, so daß man Kants Gedanken als Kommentar zu dem intendierten Fortgang des Hölderlinschen Textes wird lesen dürfen. Wegen dieser Schätzung des Gesetzes - >im Voraus< - insofern man sich als bestraft betrachte(t) (StA IV, 215,29-30), nimmt Hölderlin die Unterscheidung von Erkenntnisgrund und Realgrund aus einem andern Kantischen Zusammenhang auf, um so schließlich doch die Gültigkeit des Gesetzes vor der Strafe unanfechtbar zu inthronisieren, so daß Strafe nur insofern Erkenntnisgrund sein soll, als sie auf die Voraussetzung des Gesetzes verweist. Dabei läßt Hölderlin unberücksichtigt, daß Kant an der entsprechenden Stelle lediglich auf eine »Täuschung«, einen Widerspruch in der Argumentationsweise der >Prinzipienfeinde< selbst aufmerksam machen möchte, ohne noch einmal zu wiederholen, »was oben gesagt worden« (KpV A 67), nämlich daß die Ableitung des Gesetzes von seinen empirischen Folgen die Moral im Grunde vernichtet. Auch ist es keineswegs die Strafe, die nach Kant notwendig »die Übertretung eines sittlichen Gesetzes begleitet«, sondern die »StrafWürdigkeit« (KpV A 65), so daß sich allein aus diesem Grunde die Strafe als Erkenntnisinstrument des Gesetzes nicht eignet. Kant will mit seinem »vorher schon« (KpV A 67) lediglich sagen, daß über das Prinzip der Moralität bereits entschieden ist, sofern man sich als bestraft betrachtet und von Gemütsunruhe geplagt wird, während Hölderlin eben dieses Argument zum Anlaß nimmt, die Strafe als Erkenntnisgrund einzuführen. So wird erst an dieser Stelle die Raffinesse der Hölderlinschen Beweisführung faßbar, die Kant gleichsam mit Kantischen Mitteln zu überbieten trachtet. Dennoch läßt die Verrückung der Bausteine im »Begriff der Strafe« erkennen, d a ß die Frageperspektive von der Kantischen abweicht, so daß man Hölderlins Entwurf auch wieder rechtfertigen muß, selbst wenn sein Hantieren mit transzendentalen Versatzstücken bedenklich bleibt. 164
Besonders die letzten Fragen in dem Fragment - »kann ich bestraft werden für die Übertretung eines Gesezes das ich nicht kannte?« (StA IV, 215,27-28) - weist aus dem Begründungszusammenhang in der K p V heraus und deutet - auch ohne den Bezug zum Freiheitsfragment herzustellen - auf die anthropologisch-geschichtliche Fragestellung in Kants >Mutmaßlicher Anfang der MenschengeschichteHyperionKindheit< (im einzelnen und im ganzen der Menschheitsentwicklung) und den Zustand der erwachten Vernunft, in dem das >Gesetz der Freiheit »gebietet«, um eine sittliche Ordnung zu garantieren. Wie es dann aber zum >Übergang< von dem ursprünglichen Zustand zum moralischen kommen kann, steht noch offen. Hier klafft eine >Lücke< oder ein »Abgrund«, 30 der kaum zu überbrücken ist. Eben diese Brücke sucht Hölderlin mit der vorausgehenden Frage zu bauen, o b man »an der Straffe das G e s e z erkennen« könne. Sie wird zum Mittelglied, den Naturstand mit dem Kulturstand zu verbinden. Das Bewußtsein des Leides ist nach Hölderlin Ausdruck dafür, daß das Gesetz sein Recht beansprucht. 31 Durch seine >negative< Ankündigung wird so die Lücke geschlossen, so daß die Erkenntnis des Gesetzes eine progressive Höherentwicklung einleiten kann:
30 31
Vgl. zu diesem Begriff im Hinblick auf Hölderlin: L 71, Doppler, S. 80ff. Auch nach dem Brief vom 13. April 1795 führt das »vom Widerstande bewirkte Leiden zum Bewußtseyn« (STA VI, 164,84).
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D a s e r s t e m a l , d a ß d a s G e s e z d e r F r e i h e i t sich a n uns ä u ß e r t , e r s c h e i n t es s t r a f e n d . D e r A n f a n g all' u n s r e r T u g e n d g e s c h i e h t v o m Bösen. ( S t A IV, 212,6f.)
Da die Schwachheit eines sinnlich-vernünftigen Wesens jedoch eine stetige Progression nicht garantiert, hat »alles Thun des Menschen... am Ende seine Strafe, und nur die Götter und die Kinder trift die Nemesis nicht« (StA III, 139).32 Entsprechend diesem grundlegenden Entwicklungsmodell vollzieht sich nach Hölderlin der »große Übergang aus der Jugend in das Wesen des Mannes« (StA III, 137.68).33 Auch seine Erziehungsprinzipien bestätigen diese, auf die »Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten« (StA VI, 229) zielenden kulturprogrammatischen Bemühungen: Im Brief an Ebel, dem Hölderlin eine pädagogische Rechtfertigung schuldet für die zu vermittelnde Hofmeisterstelle in Frankfurt, schreibt er am 23. Juli 1795 (StA VI, 178): » I c h m u ß d a s Kind aus dem Z u s t a n d e s e i n e s schuldlosen aber eingeschränkten Instinkts aus dem Zustande der Natur heraus auf d e n W e g f ü h r e n , w o es der Kultur entgegenkömmt, ich m u ß s e i n e M e n s c h h e i t , sein h ö h e r e s Bedürf32
33
Vgl. zu d i e s e m Z u s t a n d der K i n d h e i t a u c h >HyperionSeinsvergessenheit< vollzieht. Durch die neugewonnene Einsicht ins Gesetz soll sie umgebogen werden in eine >SeinsandachtHyperion< zu rechtfertigen. Mit dem Versuch, das Gesetz unter seine Verfügungsgewalt zu bringen, um der Geschichte Herr zu werden, erweist sich Hölderlin fast kantischer als Kant. Sein unbändiger Wille zur Sittlichkeit, die ihren Bestimmungsgrund jedoch von außen zu empfangen scheint - und sei es auch nur von der seligen Erwartung eines neuen Friedens 432 - mußte 40
L 155, Löwith, S.60f. Das entspricht wiederum eher Schiller und dessen Ausführungen zum Mutmaßlichen Anfang< in der Thalia 1790. Hölderlins Beziehung zu dieser Schrift hat auch Zinkernagel bereits klar herausgestellt (vgl. L 262, S. 45ff.). 42 »Verbotene Frucht, wie der Lorbeer, aber ist/Am meisten das Vaterland. Die aber kost'/Ein jeder zulezt,« (STA II, 220,6f.). 43 Vgl. auch Urtkr. 393ff. 43,1 Vgl. zu diesem Prinzip: Kant, KpV, § 3, A 40ff. 41
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ebenso herbe Enttäuschungen zur Folge haben. Das Erziehungsdebakel in Waltershausen ist dafür ein geringes Beispiel. Anscheinend »forderte« Hölderlin zu viel von seinem Zögling, nachdem er die Vernunft glaubte erweckt zu haben. 44 Das Übermaß der >Forderungehernen Gesetz der Götter< nicht glaubt entsprochen zu haben. Hölderlins Entsagung führt so weit, daß er sogar die »Trauer« zur Zeit der Götterferne als eine Art hybrider Eigenmächtigkeit einstuft: ... Himmlische nemlich sind Unwillig, wenn einer nicht die Seele schonend sich Zusammengenommen, aber er muß doch; dem Gleich fehlet die Trauer (II, 198,48ff.)
Nicht »Trauer«, sondern »Treue« tut »Noth« (II, 197,14); Treue zu den Göttern, gerade zur Zeit ihrer Ferne. 46 So mutet die späte Aufgabe seiner Identität an wie ein willentlicher Akt der Selbstentäußerung, keineswegs aus politischer Enttäuschung, sondern aus der Anerkennung des gesetzlichen >LeidesGesetz der Freiheit noch kontrastierend gegenüber. Dieses »gebietet, 44 45
46
Vgl. dazu Anmerkung 35 dieses Kapitels. Diese Tatsache spricht sogar noch aus dem Brief Charlottens von Kalb an Schiller nach der Lösung des Hofmeister-Verhältnisses. Vgl. STA VII, 2, LD 147, S. 21,27f. Sie bittet Schiller, Hölderlin behilflich zu sein, um ihn von den Sorgen zu befreien, »die wohl seine Praktische Philosophie vermehren würden, aber nicht die Ruhe seines Lebens.« Der notwendigen menschlichen >Treue< korrespondiert in der Spätzeit die
göttliche >UntreueLücke< im Kulturverlauf durch die menschliche Untreue, den Sündenfall, verursacht wird und durch die Erkenntnis des Gesetzes überbrückt werden soll, scheint die >Lücke im We!tlauf< durch göttliche Untreue geschlossen zu werden, weil
sie uns »das Gedächtniß der Himmlischen« erhält, (vgl. Anmerkungen zum
Oedipus, STA V, 202). - Auch Doppler spricht von einer »doppelten Erscheinungsform des Abgrunds« bei Hölderlin, vgl. L 71, S. 113). 173
o n e alle Rüksicht auf die Hülfe der Natur« ( S t A IV, 212,3f.), d e n Kulturp r o z e ß voranzutreiben. U n d das heißt: »die Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind« ( S t A III, 163), nach b e s t e n Kräften zu befördern. 3. D e r >Begriff der Strafe< und der Platonische >Phaidros< N e b e n d e n vielfältigen Beziehungen zu Kants Schriften, fehlt im Fragm e n t über die Strafe auch d e r z w e i t e Z e u g e Hölderlinschen D e n k e n s im Waltershausen nicht, nämlich Plato. U m diese Verbindung herzustellen, g e n ü g t ein Stichwort: N e m e s i s . A u c h w e n n Hölderlin mit d e m n a c h g e t r a g e n e n ersten Satz d e s Fragm e n t s an Herder anzuknüpfen scheint, der 1786 in seiner Nemesis-Abhandlung den »Begriff« der »Tochter der N a c h t « zu erläutern versuchte und von ihr schrieb: »Ihr furchtbarer N a m e ist nur durch Mißverstand furchtbar geworden«, 4 7 s o motiviert g e r a d e dieser Beitrag die Verbindung zum >PhaidrosHyperions Jugend< erfahren. (Vgl. STA III, 220,29f.). Vgl. ed. Suphan 15, 397 u. 413. Herders Text konnte sogar eine zusätzliche Rechtfertigung für Hölderlins Verbindung von Strafe und Schönheit bieten, wie sie überraschenderweise im Freiheitsfragment sichtbar wurde: Herder erwähnt die Sage von dem Bildhauer Alkamenes, der seine Nemesis mit den Zügen der Aphrodite gestaltete. So sehr wir uns über diese Verwandlung der Nemesisgestalt wundern könnten, meint Herder, weil dadurch »eine nach unsern Begriffen leichtsinnige Göttin zur ernstesten von allen« umgeschaffen werde, - für die Denkart der Griechen sei das keineswegs bedenklich. Außerdem habe es schon eine irdische Venus gegeben, »die unter den Himmlischen Nemesis geworden war«, nämlich Leda, die Mutter der Helena und der Dioskuren (Leda trage im Olymp den Namen der Nemesis). So sei »die Kunstgestalt der Nemesis als einer schönen Göttin gegeben«. »Ihr Ernst mischte sich . . . mit aller liebreizenden Anmuth.« (Herder, ed. Suphan 15,399-403). Nicht unwichtig scheint auch die Tatsache, daß Alkamenes seine Statue aus einem Marmorblock schuf, den die Perser bei ihrem Ansturm auf Griechenland als Trophäe fortschleppen wollten. Nach ihrer Niederlage bei Marathon mußten sie den Block zurücklassen. Herder kommentiert: »Konnte der Künstler aus diesem stolzen Marmor, aus dieser unreifen Trophäe etwas Höheres und Schöneres als die Göttin bilden, die allen stolzen Übermuth, alle kecke Siegesfreude vor dem Siege, ja jedes prahlende Wort, jeden phantastischen Hochmuth hasset.« (ebd. 403.) So geht auch hier - wie bei Hölderlin - aus dem gestraften Übermut die neue schöne Welt hervor.
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So lassen sich nun die Bezugspunkte des >Phaidros< - einerseits zum »Gesetz der Freiheit«, andererseits zum »Begriff der Strafe« - klarer zuordnen: Für die Rückführung zum göttlichen Ursprung, die nach Plato unter der belebenden Wirkung des Irdisch-Schönen zu bewerkstelligen ist, hatte Hölderlin mit Kantischen Mitteln das >Gesetz der Freiheit aufgestellt; das Moment des Abfalls vom Göttlichen aber, das im >Phaidros< unter dem »Gesetz der Adrasteia« veranschaulicht wird (248c), sucht er im »Begriff der Strafe« - wiederum mit Kantischen Mitteln - zu begründen und interpretiert es als Verderbnis der sittlichen Prinzipien. - Kant liefert somit die Philosophie, Plato die poetisch-bildliche Grundlage. Auch hier erläutert Hölderlin beide wechselseitig und nur mit geringen Verschiebungen, die das für ihn entscheidende Moment der Schönheit betreffen, so daß er in der Tat den »Kommentar« zum >PhaidrosSeelenrosse< ordnungsgemäß zu leiten (248c und 247c).50 So gibt der >Phaidros< nun auch einen Grund an für den Verlust der ursprünglichen Vollendung: >Vergessenheit< und >Trägheit< bestätigen das für Hölderlins Frühzeit so entscheidende Moment der Aktivität von seiner Kehrseite; - selbstischer Eigennutz und Rücksichtslosigkeit kommen hinzu51 und - sofern man das Phaethon-Problem mit berücksichtigt, das Hölderlin in den Platonischen Mythos einbezieht - auch Übermut und Selbstherrlichkeit. Ein heilsames Mittel allen diesen Lastern gegenüber scheint Hölderlin mit Plato in der Schönheit wahrgenommen zu haben: Überraschenderweise stellte er seine transzendentalen Erörterungen im »Gesetz der Freiheit« vor einen heilsgeschichtlichen Hintergrund. Mit den ästhetisch-moralischen Bestimmungen führte er sogar den Begriff der Strafe ein. Doch bezog er sich damit nicht auf Plato, 49 50
51
Vgl. Brief Nr. 88, STA VI, 137,90 und Kapitel 5 dieser Arbeit. Vgl. dazu Piatos gleichnishafte Bestimmung des Wesens der Seele, Phaidros 246aff. und seine Ausführungen zur Beschaffenheit der beiden Seelenrosse, 253cff. Die Selbstsucht des bürgerlichen Egoismus, die >l'amour propre< Rousseaus könnte hier ebenfalls erwähnt werden.
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sondern auf Kants Abhandlung Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichtet die ihrerseits den heilsgeschichtlichen Mythos der christlichen Genesis rational zu deuten versucht. Hier übernimmt die Schönheit keine Funktion im Verlauf der Gestaltung der «weiten NaturPhaidros< aber fügt Hölderlin ein in die nach kantischem Muster gedachte Entwicklung der Menschengeschichte.52 So werden unter dem Siegel der Vernunft christlicher und platonischer Sündenfallmythos miteinander verwoben und die Schönheit erhält unter Kantischen Bestimmungen der Moral, deren Leitgedanken Hölderlin übernimmt, ihren einzigartigen Stellenwert im Prozeß der aktiven Wiedererringung des Göttlichen, als einem Reich der Freiheit.53 Unschwer ist hinter diesem Ab- und Aufschwung im heilsgeschichtlichen Prozeß, der für den christlichen Mythos ebenso gilt wie für den platonischen, jener Bildungsgang wahrzunehmen, den Hölderlin im >Hyperion< als »exzentrische Bahn« gekennzeichnet hat. Deshalb lassen sich die beiden Abhandlungen »Über den Begriff der Straffe« und »Über das Gesez der Freiheit« in ihrer komplementären Bezogenheit nicht zuletzt auch deuten als Hölderlins Versuch einer theoretischen Grundlegung der »exzentrischen Bahn«: Im >Begriff der Strafe< sollte die Übertretung des Gesetzes formuliert werden, die Strafe als »physisches Übel« nach sich zieht (KpV A 66); diese Strafe aber führt zugleich zur Erkenntnis des Gesetzes, mit dessen Hilfe eine unendlich fortschreitende, progressive Kulturentwicklung praktisch eingeleitet werden kann.54 52
53
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D a s läßt sich v o n den Jenaer Hyperionfragmenten her belegen: Dort verbindet Hölderlin den Abfall vom göttlichen Ursprung unmittelbar mit der Geburt der Liebe und der Schönheit. Vgl. STA III, 192,11: »Als unser ursprünglich unendliches W e s e n zum erstenmale leidend ward und die freie volle Kraft die ersten Schranken e m p f a n d , . . . , da ward die Liebe. Fragst du, wann das w a r ? Plato sagt: A m T a g e da Aphrodite geboren ward.« ( D a ß diese Jenaer Entwürfe bereits unter Prämissen Fichtischer Philosophie stehen, ist in diesem Falle nicht entscheidend). - Dieses S c h ö n h e i t s m o m e n t ist in d e m heilsgeschichtlichen Entwurf Kants undenkbar. Vgl. L 41, Böckmann, Einleitung S. VIII: »Erst w e n n man einen Zugang findet zu dem, was Hölderlin mit den G ö t t e r n meint, läßt sich Gestalt und Form seiner Dichtung verstehen.« S. 331/32: »Mit letzter Klarheit werden die auf das Jenseits b e z o g e n e n Lehren in das diesseitige Leben hineingewiesen und v o n ihm aus zu deuten gesucht.« In seinem neueren Aufsatz >Sprache und Mythos in Hölderlins Dichtern bekräftigt Böckmann diese Interpretationstendenz (vgl. L 44, S. 9,13/14). Vgl. das G e d i c h t >Das Schicksal^ 8. Str. (STA 1,186,61-64): »Wohl ist Arkadien e n t f l o h e n ^ D e s Lebens beßre Frucht gedeiht/Durch sie, die Mutter der H e r o e n / D i e e h e r n e N o t h w e n d i g k e i t . « - » N o t h w e n d i g k e i t « kann hier geradezu e t y m o l o g i s c h g e l e s e n werden als > Wende der NotGesetz der Freiheit< kann zum Schlüssel werden, die Pforten 55
M a n wird diese > Umkehr^ die m a n die > freie Umkehn n e n n e n könnte, unterscheiden müssen von der s p ä t e r e n , sog. > v a t e r l ä n d i s c h e n Umkehn, die Hölderlin in seinen » A n m e r k u n g e n « zum >Oedipus< und zur >Antigonae< entwikkelt (vgl. S T A V, 202f. und 271 f.). - Auch wenn e r dort die » v a t e r l ä n d i s c h e U m k e h r « eine » U m k e h r aller V o r s t e l l u n g s a r t e n und F o r m e n « nennt ( 2 7 1 , 5 ) und andeutet, d a ß es m e h r e r e A r t e n der v a t e r l ä n d i s c h e n U m k e h n gibt ( 2 7 1 , 1 9 - 2 0 ) - die » k a t e g o r i s c h e « ist wohl eine davon (202,13) - b e d e u t e t d i e s e s p ä t e F o r m e h e r eine U m k e h r im V a t e r l a n d bzw. eine /4Z>kehr von ihm ( v o m » u n t e r g e h e n d e n V a t e r l a n d « spricht Hölderlin in >Das W e r d e n im V e r g e h e n < - S T A IV, 282,2) - , w o g e g e n in d e r frühen Zeit die U m k e h r sich in der Fremde vollzieht und auf das V a t e r l a n d hin erfolgt (vgl. T h a l i a - F r a g m e n t , S T A III, 164). W ä h r e n d bei j e n e r »das g r ä n z e n l o s e E i n e s w e r d e n durch gränzenloses S c h e i d e n sich r e i n i g e t « (V, 2 0 1 , 2 1 - 2 2 ) , führt bei dieser die a b s o l u t e G e t r e n n t h e i t zu einer neuen Einheit (vgl. den Aufschwung der g o t t f e r n e n S e e len im >PhaidrosVergessen< in der >vaterländischen< (V, 202,5 u. 7) und B e w u ß t w e r d e n durch >Erinnerung< (anamesis) in d e r >freien U m k e h n g e g e n ü b e r . - J e n e U m k e h r bedingt die tragische F o r m ; diese b e g r ü n d e t e h e r die heroische. - D o p p l e r L 72, S . 79 weist in einer F u ß n o t e darauf hin, d a ß das W o r t >jezt< bei Hölderlin ein Appellativum ist und » e i n e V e r ä n d e r u n g anzeigt, den A n b r u c h d e s N e u e n « . - Es k a n n für die >freie U m k e h n stehen. V o n diesen beiden U m k e h r e n h e r ist überhaupt erst die zyklische Struktur des Hölderlinschen D e n k e n s zu b e g r e i f e n (sofern man bei K e h r e n n o c h von Zyklen s p r e c h e n kann). In ihr ist Progression m i t g e d a c h t . Zu ähnlichen Ergebnissen unter a n d e r e n V o r a u s s e t z u n g e n k o m m t U v o H ö l s c h e r , L 118, S. 2 1 - 4 3 . - B e i d e - K r e i s b e w e g u n g und P r o g r e s s i o n - sind in der M e t a p h o r i k des Wasserzyklus in Hölderlins D i c h t u n g k o n s e q u e n t d u r c h g e f ü h r t (auch hier handelt es sich j a nicht um einen e i n f a c h e n >KreisStimme des VolksUmkehr< bei Hölderlin vgl. w e i t e r h i n : L 122, H o f und die g e r m a n i s t i s c h e S t a a t s e x a m e n s a r b e i t von G e r h a r d Kurz, L 147, die >Umkehr< als » P r i n z i p « bei Hölderlin b e h a n d e l t (sie wird in a b s e h b a r e r Zeit e r w e i t e r t als Dissertation e r s c h e i n e n ) . A u c h das Prinzip d e r >Revolution< in Hölderlins W e r k ist in d i e s e m umfassenden Z u s a m m e n h a n g zu e r ö r t e r n . Vgl. L 226, J o c h e n S c h m i d t , S. 121 und Ryan, d e r ebenfalls die politischen Zielsetzungen einem » ü b e r g r e i f e n d e n Entw i c k l u n g s p r o z e ß « u n t e r o r d n e t : L 214, S. 171. Ähnlich argumentiert neuerdings auch S c h a r f s c h w e r d t , d e r aufgrund e i n e r e m p i r i s c h e n A n a l y s e d e r B r i e f e Hölderlins zu den g l e i c h e n E r g e b n i s s e n ( e i n e r >Revolution< des » i n n e r e n M e n s c h e n « ) k o m m t : L 222, S. 223.
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des Paradieses wieder zu öffnen, in dem die goldenen Äpfel der Hesperiden am Abend der Zeit keine verbotene Frucht mehr sind.56
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Vgl. den ersten Brief des Thalia-Fragments (STA III, 165): »wohl dem, der sie überstanden hat, diese Feuerprobe des Herzens, der es verstehen gelernt hat, das Seufzen der Kreatur, das Gefühl des verlorenen Paradieses.« Nach diesen Voraussetzungen kann man zweifeln, ob Beissners Korrektur des Anfangs der zweiten >Hymne an die Freiheit, in der er den Indikativ des Neufferschen Druckes nach der Abschrift der Prinzessin Auguste in einen Konjunktiv verwandelt, berechtigt ist (vgl. STA 1,157 und Kommentar S. 461). Der Dichter mag durchaus »an des Orkus Thoren« gestanden haben, sofern er »sein Gesez« verloren hatte, das ihm nun wieder »zartes Leben« gewährt. Auch in der 2. Str. der ersten Fassung dieser Hymne heißt es: »Sint dem Staube mich ihr Arm entrissen« (der Arm der Freiheit). Vgl. auch das Gedicht >Lebenslauf< (STA II, 22): »Herrscht im schiefesten Orkus/Nicht ein Grades, ein Recht noch auch?/Diß erfuhr ich ...« - Vgl. auch die Bedeutung der »Trümmer der Vorzeit« für Hölderlin; dazu L 220, Schadewaldt, S. 716.
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7. Kapitel: Die exzentrische Bahn
I. Ihre theoretische Grundlegung Im Bild der »exzentrischen Bahn«, die »der Mensch im Allgemeinen und Einzelnen . . . durchläuft«, sucht Hölderlin den W e g der menschlichen Bildung zu erfassen. 1 Mit Recht wird in der Forschung dieses Bild ein »Grundmotiv« 2 Hölderlinschen Dichtens und Denkens genannt. D o c h gehen die Vorstellungen darüber, wie es zu deuten sei, weit auseinander. Zinkernagel versteht die »exzentrische Bahn« als eine »Zickzacklinie« stets neuer Versuche, »die verlorene Harmonie der Kindheit wiederzuerringen« (43/44). Sie nähere sich dem »Ideale menschlicher Vollendung«. 3 Hildebrandt sieht in dem angeblich »unscharfen geometrischen Bild« einen »Weg«, der »immer vom Zentrum zur Peripherie« führe, wobei »das Erreichen der Kugelfläche« »in gewissem Sinne wieder für den Besitz der ganzen Kugel« stehe (66). Demgegenüber glaubt Müller, die »bloße Organisation der Natur« und die »Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind« (StA III, 163) als »zwei Brennpunkte einer Ellipse«, die »beide durch dieselbe >exzentrische Bahn< zusammengehalten werden«, (114/15) wahrnehmen zu können. Dieses Modell der elliptischen Bewegung hat Schadewaldt aufgenommen, um den ursprünglich astronomischen Sinn des W o r t e s >exzentrisch< zu stützen (52-54). Hölderlins nachdrückliches Interesse für Astronomie, das durch den Brief vom 28. November 1791 an Neuffer bezeugt ist,4 schien die Verbindung zu rechtfertigen, so daß es auch 1
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Hier und im folgenden liegt die Vorrede des Thalia-Fragments zugrunde (STA III, 163). L 218, Schadewaldt, S. 16; - in der folgenden Zusammenfassung der älteren Forschungslage stütze ich mich ebenfalls auf Schadewaldt, S. 2ff. Vgl. L 262, Zinkernagel, S. 4 3 / 4 4 : »Hölderlins A b s i c h t . . . ist hauptsächlich die, den Leser nachdrücklich daraufhinzuweisen, daß diese Zickzacklinie, deren erste Glieder er zeichnen will, trotz ihrer anscheinenden Planlosigkeit, sich dennoch einem Ziele nähert dem Ideale menschlicher Vollendung.« Zinkernagel betont auch bereits »das charakteristische Streben, durch Steigerung der Kräfte die verlorene Harmonie der Kindheit wiederzuerringen« (S. 43). STA VI, 71,33f.: »ich ärgre mich, daß ich nicht bälder auf die Astronomie ge-
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nahe lag, die »exzentrische Bahn< zu vergleichen mit elliptischen Planetenbahnen, deren verschiedene Beschleunigungen und Entfernungen vom Zentrum geeignet schienen, die »Stimmungsumschwünge« und »wechselnden Zustände« des Gemüts, denen Hölderlin selbst ständig ausgesetzt war, zu beschreiben. So sollte das Bild der >exzentrischen< Planetenbahnen zum Ausdruck von Hölderlins »bipolarem« Wesen dienen, die »ewige Ebb und Flut«, seine »glühende Sonnennähe« und »dunkle Sonnenferne«, seine enthusiastischen Aufschwünge und seine Todessehnsucht (ebd. 4-6). Gegen eine solche Deutung erhob bereits vor Ryan Maria Cornelissen Bedenken: Da ihr Ziel »unerreichbar« scheine (StA III, 163,6), sei die exzentrische Bahn »keineswegs . . . zu verstehen als ein gleichbleibendes Umkreisen eines unerreichbaren Zentrums«. »Sie ist vielmehr ein Vorgang der Vervollkommnung. Das dem unendlichen Streben des Menschen entsprechende Unendliche liegt außerhalb des Menschlichen, aber der Mensch kann sich zu dem emporsteigern, was er als Mensch zu werden fähig ist.«5 - Diese Erläuterungen der exzentrischen Bahn schließen sich an Zinkernagels Deutungen an. So war die exzentrische Bahn als eine »progressive Bewegung des Geistes« (ebd.) aufzufassen. Auch die endgültige Fassung des >Hyperion< hätte das Modell einer zentrischen Bewegung des Menschen auf seinem Bildungsgang widerlegen können, denn dort sagt Hölderlin (III, 17/18): »Warum sind wir ausgenommen vom schönen Kreislauf der Natur? Oder gilt er auch für uns? Ich wollt' es glauben, wenn Eines nicht in uns wäre, das unge-
heure Streben, Alles zu seyn, das, wie der Titan des Aetna, heraufzürnt aus der Tiefe unsers Wesens.«
Ryan machte entsprechende Argumente Schadewaldts Deutung gegenüber geltend (11/12); darüberhinaus, so präzisiert er, ließen sich weder verschiedene »Richtungen«, noch deren »Zurechtweisung«, die nach der Vorrede des Thalia-Fragments mit der Vorstellung der exzentrischen Bahn verknüpft sein können, in einer »astronomisch begründeten Auslegung« »sinnvoll unterbringen« (ebd.). Um so erstaunlicher ist es nach dieser Kritik, daß Ryan selbst - wenn auch in modifizierter Weise - mit dem Bild der Kreisbahn arbeitet, um die exzentrische Bewegung zu erfassen (14/15).® Zentrum ist hier das 5
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rathen bin. Diesen Winter soll's mein angelegentlichstes sein.« L 66, Cornelissen, S. 24. - Die in vielen Punkten über spätere Deutungen hinausgehende Auslegung Cornelissens wird nur dadurch beeinträchtigt, daß sie die exzentrische Bahn zu sehr von Hölderlins - erst in Jena gewonnenemVermittlungsdenken (zwischen Subjekt und Objekt) her entwickelt. Vgl. auch Ryans Ausführungen in L 209, S. 323 u. 325.
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»ursprüngliche >Ideal< der durch die Organisation der Natur gegebenen Harmonie« (12). Von diesem »reiße« sich der Mensch in seinem exzentrischen Streben los, um - vor allem durch die »>Hilfe< der Natur« - von seiner »zentrifugalen Bewegungsrichtung« wieder abgelenkt und auf das Zentrum hin »zurechtgewiesen« zu werden. Dem Moment der Progression im Verlauf der exzentrischen Bahn sucht Ryan dadurch gerecht zu werden, daß er mehrere solcher exzentrischer Strebensakte, die aus eigener »Selbstbezogenheit« erfolgten (16), nacheinander ansetzt, um sie immer wieder der »Zurechtweisung« zu unterwerfen. Durch »Modifizierung der Exzentrizität kraft der Vermittlung durch die schon durchlaufenen Kreisbahnen« (14) soll schließlich eine »Vereinigung der Gegensätze als Endpunkt der exzentrischen Bewegung« erreicht werden (15) - dies sei der »Zustand der höchsten Bildung« -, den Ryan als eine Unterordnung und Aufhebung des Geistes unter die »tragende« und »umfangende« Macht der Natur versteht (15-16 und 32). Mit dieser Deutung der exzentrischen Bahn, als dem vom Zentrum abirrenden Streben des Menschen und seiner späten Reintegration unter die Macht der Natur, 7 entfernt sich Ryan jedoch beträchtlich von der schlichten Konzeption, die Hölderlin im Vorwort des Thalia-Fragments entwirft: Zunächst läßt sich der Fortschritt »von einem Punkte (der mehr oder weniger reinen Einfalt) zum andern (der mehr oder weniger vollendeten Bildung)«, der den Verlauf der exzentrischen Bahn kennzeichnet, nicht durch ein Nacheinander mehrerer exzentrischer Strebensimpulse aus einem Zentrum heraus beschreiben. Überhaupt ist schwer begreiflich, wie die Exzentrizität als »zentrifugale Bewegungsrichtung« (12) soll erfaßt werden können, wenn sie aus einem Punkt heraus erfolgt. Ryans Modell wäre nur dann zu rechtfertigen, wenn man die einzelnen >Exzentrizitäten< auf eine Linie projezierte und als eigenmächtige, selbstverschuldete Abweichungen des strebenden Geistes während des Zeitverlaufs - im Geschichtsprozeß etwa - verstehen wollte. Allerdings bliebe dann unklar, wie die »selige Einigkeit« des Seins, das »friedliche hen kai pan der Welt«, gefaßt werden müßte. Auch wäre die Rückkehr des z u rechtgewiesenem Strebensaktes in ein >ZentrumSein, im einzigen Sinne des Worts< verstanden und auf das Streben des Menschen zurückgeführt, die verlorene Einigkeit durch sich selbst wieder herzustellen. Dieses Motiv wird aber ergänzt durch die >ZurechtweisungNaturersten Natur< in eins und andererseits das Strebensmoment des Menschen negativ bewertet. Hölderlin aber läßt eindeutig wissen, daß das >zweite Ideal< unseres Daseins, das mit dem ursprünglichen nicht identisch ist - (es entspricht ihm nur insofern, als hier ebenfalls »unsre Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsern Kräften, und mit allem, womit wir in Verbindung stehen, . . . , gegenseitig zusammenstimmen« » würden «f - »durch die Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind«, hervorgebracht werden soll (III, 163), während das >erste Ideal< »ohne unser Zuthun« von der Natur geschenkt wird. Es sind somit der Schicksalsverlauf bzw. der W e g der Geschichte und die Leistung des Menschen, die beide >Ideale< trennen, auch wenn sie in der »seeligen Einigkeit« des Seins übereinstimmen. Noch unmißverständlicher spricht Hölderlin in der Vorrede zur vorletzten Fassung, auf die Ryan sich bezieht (III, 236,15ff.): Die seelige Einigkeit, das Seyn, im einzigen Sinne des Worts, ist für uns verloren und wir mußten es verlieren, wenn wir es erstreben, erringen
sollten.
W i r reißen uns los vom friedlichen hen kai pan der Welt, um es herzustellen, durch uns Selbst.
Dieser klaren Akzentuierung der Selbsttätigkeit im Hinblick auf eine neue »Einigkeit« entspricht vollkommen, was Schiller im dritten der >Ästhetischen Briefe< in den Worten zusammenfaßt ( N A 22,313,25f.): So holt er (der Mensch) auf eine künstliche Weise, in seiner Volljährigkeit seine Kindheit nach, bildet sich einen Naturstand in der Idee, der ihm zwar durch keine Erfahrung gegeben ist, aber durch seine nothwendig
Vernunftbestimmung
gesetzt ist, leyht sich in diesem idealischen Stand einen End-
* Man muß hier vielleicht doch präzisieren: denn in der Tat würde der strebende Geist in Erreichung seines Zieles (der Natur) zur Ruhe kommen; aber er könnte dieses Ziel niemals durch die Zügelung seines Tätigkeitstriebes erreichen, sondern allein durch die totale Entfaltung seiner Kräfte. - Vgl. das Folgende im Text. 9 Zu diesem Konjunktiv (STA III, 163,6) vgl. die wichtigen Ausführungen von M . Cornelissen, L 66, S. 15ff.
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zweck, den er in seinem wirklichen Naturstand nicht kannte, und eine Wahl, deren er damals nicht fähig w a r . . .
Zwar sind diese Passagen später veröffentlicht als Hölderlins ThaliaFragment; doch haben sie in Schillers Gedankenentwicklung ihre Geschichte: Sieht man ab von den Philosophischen BriefenMutmaßlichem Anfang< veröffentlicht wurden, so spiegelt bereits Schillers A u f n a h m e jener Kantischen Ausführungen in der Schrift über die >Erste Menschengesellschaft< von 1790 dieselbe Denkstruktur. Wie nach Kants Mutmaßungen sollte hier der Mensch selbst der Schöpfer seiner Glückseligkeit werden, und nur der Antheil, den er daran hätte, sollte den Grad dieser Glückseeligkeit bestimmen. Er sollte den Stand
der Unschuld, den er jetzt verlohr, wieder aufsuchen lernen durch seine Vernunft, und als ein freier vernünftiger Geist dahin zurück kommen, wovon er als Pflanze und als eine Kreatur des Instinkts ausgegangen war; aus einem Paradies der Unwissenheit und Knechtschaft sollte er sich, wär' es auch nach
späten Jahrtausenden zu einem Paradies der Erkenntnis und der Freiheit hinaufarbeiten, einem solchen nehmlich, wo er dem moralischen Gesetze in sei-
ner Brust ebenso unwandelbar gehorchen würde, als er anfangs dem Instinkte gedient hatte.. (NA 17, 399) Man kann diese Verknüpfung zweier zeitlich getrennter Menschheitsideale durch Freiheit - übertragen auf die Entwicklung der Poesie auch in Schillers Matthisson-Rezension wiederfinden, jener Schrift, die Hölderlin als Vorlage diente bei der Abfassung seines Freiheitsfragments. 10 So läßt sich der Zusammenhang dieses Textes mit der ThaliaVorrede des >Hyperion< und der exzentrischen Bahn - ein Zusammenhang, den Maria Cornelissen wahrnahm, 1 1 ohne daß er in der Forschung weiterhin diskutiert worden wäre -, auf eine indirekte Weise bestätigen: D e r »Naturzustand der Einbildungskraft« (sofern er unter der Leitung der »Vernunft« - nicht des »Verstandes« steht, StA IV, 21 l,2f.) und der »Zustand der höchsten Einfalt« (der »bloßen Organisation der Natur«, III, 163,1-4) einerseits entsprechen sich ebenso wie der intendierte »veste Zustand« der Phantasie im »Gesetz der Freiheit« (IV, 211,29) und der »Zustand der höchsten Bildung« im Thalia-Fragment (III, 163,5) andererseits. Beide machen jeweils die G r e n z w e r t e des exzentrischen Verlaufes aus, der für den Bildungsgang und den G a n g der Kunst gleichermaßen gilt, so daß sich auch auf diese Weise das >Gesetz der F r e i h e i t als das des Handelns und der Poesie erweist. 12 Der »Zustand 10 11 12
Vgl. dazu Kapitel 3 dieser Arbeit, S. 93ff. Vgl. L 66, Cornelissen, S. 13ff. Auch späterhin nennt Hölderlin » K u n s t - « und »Bildungstrieb« gemeinsam,
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der höchsten Bildung« darf demnach keineswegs dem »menschlichen Streben« und der »Selbstbezogenheit« entgegengesetzt werden, wie Ryan behauptet; 13 vielmehr ist er gerade das Resultat menschlicher Tätigkeit und Eigenkraft und meint - um Schillers Worte aus der MatthissonRezension zu gebrauchen diejenige Natur ..., mit der der moralische Mensch endigt, nicht diejenige, mit der der physische beginnt (NA 22,276), ebenso wie Kant im >Mutmaßlichen Anfange die Kultur nicht früher als vollendet ansehen wollte, bis vollkommene Kunst wieder Natur wird: als welches das letzte Ziel der sittlichen Bestimmung der Menschengattung ist (A 18).14 Im >Gesetz der Freiheit versucht Hölderlin das Prinzip anzugeben, das einen solchen Bildungsgang ermöglichen und die beiden >Ideale< miteinander verknüpfen soll. Nicht »auf« Freiheit, sondern aus Freiheit drängt deshalb der menschliche Geist zur Bildung und Vollendung. 15 Er ist zum Schlafe nicht herabgekommen, Der reine Geist, der aus dem Aether stammt; Er strahlt heran, er schrökt, wie Meteore, Befreit und bändigt, ohne Ruh' und Sold, Bis, wiederkehrend durch des Himmels Thore, Sein Kämpferwagen im Triumphe rollt. (»An die klugen Rathgeber«, StA 1,223,19f.) Der positiven Bewertung der Selbsttätigkeit gemäß verändert sich auch der Aspekt der »Zurechtweisung« in Hölderlins Thalia-Vorrede (StA III, 163): Während nach Ryans Auslegung der Mensch aus seinen wenn er die Entwicklung der Menschengattung beschreibt. Vgl. bes. den wichtigen Brief an den Bruder vom 6. Juni 1799 (Nr. 179). 13 Ryan ist der Auffassung, das Ziel der menschlichen Bildung bestehe »nicht... in der selbsterrungenen >OrganisationZurechtweisung< des auf die Herstellung einer solchen >Organisation< gerichteten Strebens« (vgl. L 213, S. 32 und vorher S. 12-15). 14 Wenn Schiller schließlich auf die Differenz dieser beiden >Ideale< seine Unterscheidung von >naiver< und >sentimentalischer< Dichtung gründet (1795) und diese Horenschrift als eine Replik auf die >Querelle des Anciens et des Modernes< gelesen werden kann (vgl. L 130, Jauss, S. 67ff.), so folgt daraus, daß auch Hölderlins Konzeption der >exzentrischen Bahn< in diesem Zusammenhang zu interpretieren wäre, wie überhaupt seine gesamten griechisch-hesperischen Spekulationen einen außergewöhnlich fruchtbaren Beitrag zu diesem >Streit< abgäben, der hier vielleicht sogar seine Schlichtung erfährt. 15 Vgl. im Gegensatz dazu L 213, Ryan, S. 15. 184
Exzentrizitäten und Selbstermächtigungen befreit werden muß, um in der »seeligen Einigkeit« der Natur Ruhe zu finden, soll er nach Hölderlin gerade auf die exzentrische Bahn hin >zurechtgewiesen< werden. Wie sollte man anders eine »Bahn« denken, die doch Regelmäßigkeit impliziert und von der Hölderlin sagt: »es ist kein anderer W e g möglich von der Kindheit zur Vollendung« (StA III, 236,13-14). - Die Bahn »scheint sich, nach ihren wesentlichen Richtungen, immer gleich zu seyn« (StA III, 163). Diese »Richtungen« allerdings erweisen sich als Abirrungen von der Bahn oder auch als deren Modifikationen, die einer Korrektur auf das Ziel hin bedürfen. Noch im »Gesichtspunct aus dem wir das Altertum anzusehen haben« nennt Hölderlin es den »einzige(n) Fehler der Menschen, daß ihr Bildungstrieb sich verirrt, eine unwürdige, überhaupt falsche Richtung nimmt, oder doch seine eigentümliche Stelle v e r f e h l t . . . Daß dieses in h o h e m G r a d e weniger geschehe«, w e r d e » d a d u r c h gesichert d a ß wir wissen, wovon, u n d worauf j e n e r Bildungstrieb überhaupt ausgehe, daß wir die wesentlichsten Richtungen kennen, in denen er seinem Ziele entgegengeht, daß uns auch die U m w e g e und Abwege die er nehmen kan, nicht unbekannt s i n d . . . « (StA IV, 221/22). Somit scheint es zwar in der späteren Zeit verschiedene Möglichkeiten zu geben, dem geregelten Bildungsgang gerecht zu werden, im allgemeinen aber ist die Bahn festgelegt und die Abweichungen von ihrem Verlauf bedürfen - wie im Thalia-Fragment - der »Zurechtweisung«. Möglicherweise will das sogar der Singular beim G e b r a u c h dieses Begriffes andeuten: Es gibt viele »Richtungen« und Abweichungen vom Verlauf der Bahn, aber jeweils nur eine »Zurechtweisung«, nämlich die auf die Bahn hin (StA III, 163). Ich war aufgewachsen, wie eine Rebe ohne Stab, und die wilden Ranken breiteten richtungslos über dem Boden sich aus (StA III, 13),
läßt Hölderlin seinen Hyperion noch in der endgültigen Fassung schreiben. Und im Gedicht »An den Aether« heißt es (StA 1,205,37f.): Thöricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe, Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel sie aufwächst, Breiten wir über dem Boden uns aus und suchen und wandern Durch die Zonen der Erd', ο Vater Aether! vergebens, Denn es treibt uns die Lust in deinen Gärten zu wohnen.
Eben dieses wilde Wuchern der Ranken gilt es nach der Frühfassung des >Hyperion< zu beschneiden oder zu korrigieren, und der Stab, an dem sie aufgerichtet werden sollen, ist dort das >Gesetz der Freiheit^ 185
Die heliotropische Tendenz, die Richtung der Rebe auf das Licht hin, wenn sie Frucht tragen soll, ist im Namen Hyperions angelegt. 16 Somit handelt es sich bei der exzentrischen Bahn< Hölderlins nicht um eine Verlaufsform, die durch einzelne Willkürakte des Menschen der Beliebigkeit preisgegeben wäre, - sie wird auch nicht »mehrmals durchlaufen«, wie Ryan voraussetzt 17 sondern sie impliziert eine strenge, ja gesetzliche Ordnung, analog bestimmten Planetenbahnen, die Kepler - nach Kants Anmerkung in seinem Geschichtsentwurf - »auf eine unerwartete Weise bestimmten Gesetzen unterwarf«.18 Schadewaldts astronomische Metaphorik war deshalb nicht ganz ungeeignet, die >exzentrische Bahn< zu erfassen, doch sind es weniger elliptische als kometenhafte Bahnen, die Hölderlin dabei ins Auge faßt, wie noch die endgültige Fassung des >Hyperion< beweist (StA III, 42): Ihr habt den Glauben an alles Große verloren; so müßt, so müßt ihr hin, wenn dieser Glaube nicht wiederkehrt, wie ein Komet aus fremden Himmeln.19 Der Mensch muß demnach >auf die Bahn< gebracht werden. Mit einem Terminus der >Hymne an die Schönheit könnte man genauer sagen: Er soll die »kühne Bahn«, die die Bahn der »Freiheit« ist, finden.20 Kühnheit, Kraft und Mut sind nach Hölderlin Attribute, die den Menschen auf 16 17 19 20
Vgl. auch L 37, Binder, Hölderlins Namenssymbolik. Vgl. L 209, Ryan, S. 321. Vgl. Kants >Idee zu einer allgemeinen Geschichte.. .An die klugen RathgeberDie heilige Bahn< und >KepplerDas Motiv der Lebensbahnfindet< im Gedicht >Das Schiksaal< »die schöne Spur« (StA 1,184,10); und in dem >An Herkules< überschriebenen Gedicht nimmt er das singende Ich »in die Flamme (s)einer Kriege« mit hinaus, »Wie der Adler seine Jungen/... /Auf die kühnen Wanderungen/ In den frohen Aether nimmt« (StA 1,199,9-16). Herkules war es vergönnt, die goldenen Äpfel der Hesperiden zu erringen, wie es dem Menschen zur Aufgabe gestellt ist, um die selbst verschuldete Paradiesesaustreibung rückgängig zu machen; - auch mit dieser komplementären Verknüpfung des Apfelmotivs, als Ausdruck des christlichen Sündenfalls und der antiken Vollendung, schlägt Hölderlin den griechisch-hesperischen Bogen, dessen Spannkraft von der drükkenden Last des »Positiven« der Moderne befreien soll.22 Deshalb zeichnet die exzentrische Bahn nicht nur einen heilsgeschichtlichen Verlauf; ihre Konzeption impliziert auch eine Theorie der Entfremdung und sucht den nach Hölderlin einzig möglichen Weg zu deren Überwindung anzugeben.23 Bisher wurde nicht geklärt, weshalb Hölderlin einen solchen Verlauf des Kulturprozesses >exzentrisch< nennt Dazu hat Bertaux zuletzt einen bedeutenden Hinweis gegeben, indem er - an Schadewaldts Überlegun21
Vgl. L 120, Hötzer, S. 38: »Aus der antiken Gestalt des Befreiers ist bei Hölderlin das Urbild subjektiver Freiheit geworden in dem Augenblick, da der Dichter sich aus dem Zustand der Bindung zur Freiheit emporzuringen anschickt. Herakles verkörpert also letzten Endes Hölderlins Menschenbild, wie auch daraus zu ersehen ist, daß er sein eigenes Dasein sichtbar in Beziehung setzt zu dem des Herakles.« - Hötzer weist in der Behandlung des HeraklesMotivs durch Hölderlin treffend dessen »Drang zur Tat und Ichzentrierung« (S. 41) in der frühen Periode nach. - Herakles war es auch, der den für den Raub des himmlischen Feuers bestraften Prometheus von seinen Qualen befreite. 22 Vgl. dazu Hölderlins späteren Entwurf >Der Gesichtspunct aus dem wir das Altertum anzusehen habenDer Geist des Christentums und sein Schicksak oder >Religion, eine Religion stiftenDe admirabili proportione orbium coelestium ...< von 1596 entsprechende Belege für die >via eccentrica< der Planeten fand.24 Doch ist damit nicht der »Begriff«, sondern nur das Wort, die Bezeichnung gefunden, die Hölderlin gebrauchte, um den Weg der Bildung zu beschreiben. Die >via eccentrica< als »Übergang« von der einen »konzentrischen Bahn« des Saturn (= Natur) in die »andre des Jupiter« ( = Kunst) eignet sich jedoch ebensowenig wie Schadewaldts >elliptisches< und Ryans >zentrifugales< Modell zur Beschreibung der exzentrischen Bahn des Menschen, weil sie in sich selbst einmündet und damit das Moment der Progression, das Hölderlin fordert, außer acht läßt.25 Wahrscheinlich ist auch für den Terminus der exzentrischen Bahn Kant wieder maßgeblicher als Kepler. In seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels< von 1755 findet sich als drittes Hauptstück des zweiten Teils ein Kapitel mit dem Titel: >Von der Exzentrizität der Planetenkreise, und dem Ursprung der Kometen< (A 51). Bemerkenswert ist danach, daß die Kometen dem >Ideal< der Exzentrizität näher kommen als die Planeten (vgl. A 55,56). Kant erwähnt auch, daß die Kometen »zu den Zeiten der Unwissenheit« dazu dienten, »als ungewohnte Schreckbilder, dem Pöbel eingebildete Schicksale zu verkündigen«. Mehrere weitere, metaphorisch verwertbare Anregungen konnte Hölderlin hier erfahren.26 Wichtiger noch als diese Anregungen aus der Allgemeinen Naturgeschichte^ die Hölderlin bei seinen Tübinger Astronomie-Studien si24 25
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Vgl. L 28, Bertaux, S. 157. Möglicherweise hat Hölderlin in der Wahl des Wortes auch eine Anregung durch den schwäbischen Pietismus, bes. über die Lehre Öttingers, erfahren. Dort bedeutet die >excentrica< »der Ursprung aller Trennung, alles Hinausstrebens«, wie U. Gaier, L 88, S. 335 bemerkt hat (vgl. auch S. 36-38). Die Kometen unterscheiden sich von den Planeten dadurch, »daß sie sich nicht... an die Zone des Tierkreis binden, sondern frei in allen Gegenden des Himmels ihre Umläufe anstellen« (A 57). »Mit den Entfernungen von dem Mittelpunkte des Systems« nehme »diese gesetzlose Freiheit der Kometen, in Ansehung ihrer Abweichung, zu«, und verliere sich »in der Tiefe des Himmels in einem gänzlichen Mangel an Um Wendung...« (A 58). - Schließlich deutet Kant auf bestimmte Teilchen, die »exzentrische Läufe« dadurch erhalten, daß sie »einander durchkreuzen, eine der andern Bewegung schwächen, und endlich insgesamt auf den Planeten niederstürzen, von dem sie sich erhoben hatten« (A 78). - Diese Stelle wiederum kann eine unmittelbare Brükke zum >Phaidros< schlagen, wo diejenigen Seelen, die den Göttern nicht folgen können, »einander tretend und stoßend« versuchen, sich gegenseitig »zuvorzukommen« und dabei »verstümmelt werden« und zur Erde stürzen. Vgl. 248a-c.
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cherlich nicht unbeachtet ließ, ist allerdings ein weiterer Kantischer Text, der Hölderlins kultur- und weltgeschichtlichem Interesse besonders entgegenkam: Die » I d e e zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht« von 1784. Kant wurde zur Abfassung dieser Schrift veranlaßt durch eine Bemerkung in der »Gothaischen gelehrten Zeitung«, wonach er den »Endzweck des Menschengeschlechts« in der »Erreichung der vollkommensten Staatsverfassung« erblicke und wünsche, »daß ein philosophischer Geschichtsschreiber es unternehmen möchte, uns in dieser Rücksicht eine Geschichte der Menschheit zu l i e f e r n . . . « Durch diese Nachricht sah Kant sich genötigt, die Perspektive seiner Geschichtstheorie zu erläutern: Ohne auf den metaphysischen Hintergrund der »Freiheit des Willens« näher einzugehen, versucht er die » N a t u r a b s i c h t « als einen »Leitfaden«des »widersinnigen Gange(s) menschlicher D i n g e « zu entwickeln ( A 387) und bemerkt, er wolle es » d e r Natur überlassen, den Mann hervorzubringen, der im Stande ist, sie darnach abzufassen. So brachte sie einen Kepler hervor, der die exzentrischen Bahnen der Planeten auf eine unerwartete Weise bestimmten Gesetzen unterwarf-, und einen Newton, der diese Gesetze aus einer allgemeinen Naturursache erklärte« ( A 388). Sieht man von der Fülle der Anregungen, die Hölderlin durch diese Abhandlung erfahren hat zunächst einmal ab, - vor allem das Gedicht >Das Schiksaak ist ohne die Kantische Vorlage undenkbar, denn hier erhält die » g r o ß e Meisterin, die Noth« (StA 1,184,6) ihre geschichtsphilosophische Rechtfertigung 27 - so liegt es nahe, daß Hölderlin sich als »den M a n n « verstehen wollte, der, analog zu Keplers überraschenden Entdeckungen, auch die exzentrischen Verläufe der menschlichen Tätigkeit »bestimmten G e s e t z e n « zu unterstellen gedachte, 28 - wie sich zeigte, dem >Gesetz der Freiheit, zu dem auch nach Kant die Natur den Menschen gleichsam zwingt (vgl. A 394ff.). U m diese gesetzlich bestimmten Tätigkeiten des Menschen >exzentrisch< nennen zu können, mußte Hölderlin nicht auf astronomische Vorstellungen zurückgreifen. Karl Philipp Moritz war ihm darin Vorbild.29 In dessen » F r a g m e n t e aus dem Tagebuch eines Geistersehers« Vgl. bes. Kants fünften Satz, A 394/95. - Im neunten Satz macht Kant eine Bemerkung zur »terra incognita« im Reich der Geschichte (A408). Diese Fußnote könnte Hölderlin zu seiner Formulierung über die >terra incognita im Reiche der Poesie< (STA VI, 87,61), die auf den frühesten Hyperion-Entwurf bezogen ist, angeregt haben (trotz Neuffers möglicher Vorformulierung). 28 Vgl. Hölderlins Gedicht >KepplerSueviers< überschwenglich hervorhebt und auch Newton erwähnt. - Die mögliche Kantische Anregung spricht nicht gegen die Quelle von Johann Jakob Azel, die Hölderlin benutzt haben mag (vgl. Beissner, STA 1,383,25f.). 29 Daß Hölderlin die Gedankenwelt der Moritzschen Schriften vertraut war, ist
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von 1787 findet sich ein Abschnitt unter der Überschrift: »Leben und Wirksamkeit«mit dem Untertitel: »Bestimmung der Thatkraft«.30 Dieser, der »Thatkraft«, die erst »Interesse« in das Leben bringe und die »innere Vervollkommnung« vorantreibe, ist hier das »excentrische Gleis« zugeschrieben, dem das»gewöhnliche« des »Tagelöhners« entgegenläuft (ed. Schrimpf 52,14f.): Darum erhieltest du ein Übermaß von Kräften, damit Leben und Wirksamkeit befördert werden, indem das Stärkere auf das Schwächere drückt, bis beide wieder im Gleichgewicht sind. Wie das Wasser strebt, in seine Fläche, und die Luft, in ihr Gleichgewicht zu kommen, so wirken die moralischen Kräfte auf einander, und alles geräth in Bewegung und Thätigkeit. Stürme brausen, Ströme stürzen sich von Felsen, durchbrechen Dämme, überschwemmen Städte, und wälzen sich dann ruhig wieder in ihren angewiesenen Ufern hin. Nur der ist unglücklich, der noch nicht in seinem Gleise ist; es sey nun das gewöhnliche oder eccentrische. Der noch hin und her wankt, ob er sich zu der gehorchenden oder befehlenden Parthei schlagen soll, weil niederziehende Trägheit und angebohrne Kraft sich einander das Gleichgewicht halten. Wehe dem, der sein ganzes Leben hindurch zwischen diesen Klippen kreuzt. Immerwährender Sturm ist in der Seele dessen, dem die erstickte Flamme im Busen lodert. Fühlst du ein unüberwindliches Streben nach etwas Großem in dir, so darf ich dir nicht erst sagen, daß du diesem Streben freien Lauf lassen sollst, eben so wenig, wie ich es dem Strome erst verstatten darf, daß er Dämme durchbricht. Moritz läßt keinen Zweifel daran, daß er in der >exzentrischen Kraft< der Tätergestalten den »höchsten Endzweck der Natur« erblickt (53,15),
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allein schon aus den guten Beziehungen zu schließen, die dieser zum Hause Kalb und zu Herder pflegte (vgl. ζ. B. den Brief Caroline Herders an ihren Mann vom 25.12.1788, - wiederabgedruckt bei Schrimpf, S. 345ff.). Es wäre denkbar, daß Hölderlin mit dem »Gesichtspunct aus dem wir das Altertum anzusehen haben«, einen spezifisch Moritzschen Begriff aufnahm, der eine eigene ästhetische Lehre unter dem Prinzip des >Gesichtspunkts< entwickelt hatte, die Hölderlins ästhetischen Vorstellungen sehr nahe kam (vgl. Die Abhandlung >Der letzte Zweck des menschlichen DenkensLeben und Wirksamkeit. - Die metaphorische Gestaltung der Flußläufe, als Sinnbilder der >moralischen Kräfte< des Menschen, könnte Hölderlin von hier übernommen haben. - Zur »schönen Spur« (STA 1,184,10) vgl. bes. Moritzens Schrift über >Die Signatur des Schönen< (1788). Vgl. ed. Schrimpf, S. 50ff.
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selbst auf die Gefahr hin, daß diese ein »ganzes Leben hindurch allein stehen« müssen und »nie in den Zusammenhang der menschlichen Dinge eingreifen können...« (53,11).31 So sind es neben den beiden geschichtsphilosophischen Schriften Kants, dem »Mutmaßlichen Anfang< und der >Idee zu einer allgemeinen Geschichten vor allem auch die anthropologischen Schriften von Herder und Moritz, die Hölderlin das Rüstzeug zur Konzeption der exzentrischen Bahn lieferten, auch wenn sie durch mannigfache Nebenaspekte der Schriften Keplers oder Öttingers angeregt sein mag. Ihre bildliche Grundlage allerdings, die es rechtfertigt, an der astronomischen Metaphorik festzuhalten, scheint wiederum platonisch bestimmt: Das mythische Bild vom Absturz und Wiederaufstieg der Seelen im >Phaidros< liefert für die kosmische und zugleich progressive Bewegung des exzentrischen Verlaufs, seine Höhe und seine Tiefe,32 die sachlichste und anschaulichste Erklärung. Wie Meteore scheinen die schuldigen Seelen auf ihre niederstürzende Schicksalsbahn verwiesen zu werden (StA 111,41/42), um durch die >Dornen zu irrem wie Flüsse und Bäche (StA III, 206,22). Sie »stürmten (sogar) über des Irrsterns Gränzen hinaus« (StA 111,16), wäre ihnen die Umkehr nicht geboten und wären so nicht die »Augenblike der Befreiung (geschenkt), wo das Göttliche den Kerker sprengt, wo die Flamme vom Holze sich löst und siegend emporwallt über der Asche, . . . , wo uns ist, als kehrte der entfesselte Geist, vergessen der Leiden, der Knechtsgestalt, im Triumphe zurük in die Hallen der Sonne« (StA III, 52). Die Götter aber und die »blühenden Sterne«, die »Heiligfreien« (StA II, 8,56) - das sind bei Hölderlin die Helden - bewegen sich auf der >zentrischen< Bahn, auf dem »Rücken des Himmels«, wie es im >Phaidros< heißt, und »schauen, was außerhalb des Himmels ist« (247c).M 31
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Vgl. zum Problem des >Alleinstehens< bei Hölderlin: >Hyperions JugendDie EichenbäumeLeben und Wirksamkeit wäre anzunehmen, daß Hölderlin mit Moritz gegen Schiller Stellung nahm; Moritz hatte zudem Schillers >Räuber< und >Kabale und Liebe< öffentlich als unpoetisch zurückgewiesen (vgl. d. Brief Caroline Herders an ihren Mann vom 19. Januar 1789, ed. Schrimpf S. 399/400). Da Moritz Freimaurerkreisen nahe stand, wäre es denkbar, daß das Wort >exzentrisch< deren Sprachgebrauch entstammt. - Auch Herders >Ideen< könnten für die Konzeption der >exzentrischen Bahn< eine Rolle gespielt haben (bes. das 15. Buch). Diesen Aspekt hat Doppler besonders herausgearbeitet in: L 71, S. 115 u. 117. Die entsprechende >PhaidrosDer FriedenMnemosyneHyperionPhaidros< bezog, zeigt ein Vergleich des Prosaentwurfs mit der metrischen Fassung des Jenaer Hyperion: Im Prosaentwurf hieß es (III, 192): Als unser ursprünglich unendliches W e s e n zum erstenmale leidend ward und die freie volle Kraft die ersten Schranken empfand da wurden wir endlich.
In der metrischen Fassung sagt Hölderlin demgegenüber (III, 193): Als unser G e i s t , . . . / . . . sich aus dem freien Fluge/ Der Himmlischen verlor, und erdwärts sichj V o m A e t h e r n e i g t ' , . . . / . . . da ward/ Die L i e b e . . . A m Tage, da die schöne Welt für uns Begann, begann für uns die Dürftigkeit D e s Lebens und wir tauschten das Bewußtsein Für unsre Reinigkeit und Freiheit ein. -
Während in der Vorfassung die begrifflichen Details noch roh und unvermittelt nebeneinander liegen, ordnet sie Hölderlin später dem mythischen Bild aus dem >Phaidros< unter. Leiden, Strafe, Endlichkeit und Bewußtsein gehen in die Vorstellung des kometenhaften Niedergangs des Geistes ein. Was solchen gefallenen Seelen nach Plato bleibt, ist »Erinnerung« an das »ehedem geschaute Heilige« beim Anblick der hiesigen Schönheit (>Phaidros< 250a und 249aff.). Durch sie wird die Trauer um das verlorene Heil verwandelt in Begeisterung, es neu zu erringen. Die öde Dornenbahn (StA 1,169,84), die die >Not< und das Leid, das den Menschen >beugt< (StA II, 22), bezeichnet, kann sich durch die >Noth-wendigkeitgedeihen< läßt. Der Verlust des »friedlichen hen kai pan« der Natur, des ursprünglichen Ideals der »höchsten Einfalt«, ist, nach tiefem Sturz, durch eigenes Streben unter dem Eindruck der Schönheit, als einem Vorschein der Wahrheit, rückgängig zu machen. So kennzeichnet es die Vorrede des Thalia-Fragments, daß im Zentrum der Skizze der exzentrischen Bahn eine Grabschrift steht: Sie markiert den Umschlagspunkt von geistiger Abgestorbenheit in ein neues Leben, 34
Vgl. auch » G ö t t e r wandelten e i n s t . . . « , S T A 1,274,13f.
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das »über allem« zu finden ist, wie es dann Hyperion auch selbst ausspricht (StA 111,171): »Zernichten möcht' ich die Vergänglichkeit, die über uns lastet, und unsrer heiligen Liebe spottet, und wie ein Lebendigbegrabner sträubt sich mein Geist gegen die FinsterniB, worinn er gefesselt ist.«* So kann die exzentrische Bahn - mit Bertaux' Worten - durchaus als eine Bahn der »Revolution« gekennzeichnet werden, die »den Übergang von dem einen alten zum andern neuen Vaterland« vollzieht. 37 Doch ist sie weder zu reduzieren auf gemüthafte »Stimmungsumschwünge« - obgleich diese dem exzentrischen Dasein zugehören - noch auf eigenmächtige Strebensakte, die der »tragenden Macht« der Natur einzugliedern wären; sie meint - zumindest in ihrer ursprünglichen Konzeption 38 - den eschatologischen Schicksalsweg des Menschen vom 36
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Zur Frage der neuen Auferstehung vgl. L 220, II, Schadewaldt, S. 715, wo auch der christliche Bezug herausgearbeitet wird (1. Kor. 15, »Tod wo ist dein Stachel?«). Zu den weiteren Problemen der Loyola-Sentenz vgl.S. 214ff. dieser Arbeit. Vgl. L 28, Bertaux, S. 158. - In diesem Zusammenhang können auch die wichtigen Erläuterungen Binders eingebracht werden (vgl. L 31a, S. 46ff., bes. S. 70): »Nur was aus seinem ursprünglichen, angeborenen Zustand heraustritt, sich nun aber nicht im Fremden, im ganz Anderen verliert, sondern sich zurückwendet, seinen Ursprung aus der Distanz neu gewinnt und das Eigene >frei gebrauchen lernt, nur das ist im vollen Sinne wirklich und zugleich ein Repräsentant des lebendigen Geistes.« Schadewaldt sowohl als Ryan unterliegen der Gefahr, von zu weit gespannten Strukturvergleichen her die exzentrische Bahn erfassen zu wollen, ohne den unmittelbaren Gedankenumkreis zu berücksichtigen, in dem Hölderlin diesen Begriff entwickelt hat. Es ist wichtig zu beachten, daß er den Begriff zur Zeit seiner Kant- und Platostudien faßte. Es sind keine sicheren Angaben darüber zu machen, ob er dem ursprünglichen Entwurf des Hyperion bereits zugrunde lag, doch wäre es möglich, da der Begriff >Bahn< in den Tübinger Hymnen sehr oft auftaucht und bereits in dem Gedicht >Die heilige Bahn< (STA I, 79) zwei Bahnen unterschieden werden: eben die >heiligePhaidros< vorzustellen als eine abwärts geneigte, hyperbelartige Kurve, die sich im Scheitelpunkt der >Not-Wendigkeitneuen Vaterlandes< aufzugeben, unterwirft Hölderlin die Absolutheitsforderung des Menschen, nach Fichtes Anspruch der praktischen Wechselbestimmung, einer permanenten Selbstkorrektur, deren Vermittlungslinie diese »geschwungnere Bahn« kennzeichnet.40 So erlaubt das »Leid«, das den Menschen »beugt«, nur eine langwierigere, dafür aber auch bescheidenere und sanftere Annäherung an
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vorletzten Hyperion-Fassung aus und kommt s o auch zu anderen Ergebnissen, die vor allem die Vermitteltheit der Extreme betonen. D i e s e Konstruktion wäre v o n Fichtes Wechselbestimmung her und deren Bedeutung für Hölderlin einsichtig zu machen. Vgl. die Ausführungen zur Strafe S. 170ff. dieser Arbeit. Im zweiten Band des endgültigen Hyperion heißt es (STA III, 113): » D a n n spricht wohl Alabanda noch v o n manchem, den die Langeweile des Jahrhunderts peinigt, von so mancher wunderbaren krummen Bahn, die sich das Leben bricht, seitdem sein grader Gang gehemmt ist...« A u c h Hölderlins Brief an die S c h w e s t e r v o m April 1797 (Nr. 138) ist aufschlußreich (STA VI, 241,80): »Es ist nicht übel, w e n n man in der Jugend o b e n hinaus will; aber das reifere Leben neigt sich wieder zum Menschlichen und Stillen.« D i e Metaphern des >Beugens< und >Neigens< finden im Zusammenhang der g e s c h w u n g e n e r e n Bahn< ihren a n g e m e s s e n e n Stellenwert.
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die >zentrische< Bahn der Götter, deren >Auszüge< Hölderlins späte Dichtung vorwiegend bestimmen.41 Hölderlins Waltershäuser Bemühungen um die exzentrische Bahn des Menschen, als dem Weg seiner Bildung und Kultivierung, gliedern sich bruchlos ein in die Reihe der Kulturentwürfe, die sich an Rousseaus berühmter Preisschrift >Discours si le r6tablissement des Sciences et des Arts a contribue ä epurer les moeurs^2 entzündeten und in einer kaum überschaubaren Fülle um die Wende des 18. Jahrhunderts hervorschossen. Für Hölderlin waren diejenigen von Kant, Fichte, Schiller, Herder und Hemsterhuis die wichtigsten. Auch sein Plan einer »Volkserziehung«, den Hölderlin im Brief an Hegel erwähnt,43 darf in diesem Zusammenhang gesehen werden.
II. Hyperions exzentrischer Weg Analyse des Thalia-Fragments Soll die vorgelegte Deutung der exzentrischen Bahn sich bewähren, so muß sie am Thalia-Fragment zu verifizieren sein. Es wäre demnach zu zeigen, daß Hyperion selbst von seinen >Irrungen< und Verwilderungen befreit und auf die >rechte Bahn< gewiesen wird. D. h. zugleich: Er müßte zu sich selbst finden, um den »kühnen« Weg der selbstzuschaffenden Organisation einschlagen zu können. Einige »Richtungen«, »nebst ihrer Zurechtweisung«, wären - wie das Vorwort sagt - als Stadien von Hyperions Exzentrizität nachzuweisen. - Nur die Struktur des Fragments, die dem Programm der >Vorrede< entspricht, aber von den späteren Fassungen entscheidend abweicht, soll im folgenden rekonstruiert werden: Es kennzeichnet diesen frühen Entwurf, daß er mit einer >UmkehrPfadzentrische Bahn< der Götter, die das Ziel des exzentrischen Strebens darstellt. Sie wird ihm deswegen zum Problem, weil die Götter - selbst nach dem heldischen Vollendungsgang - dem Menschen sich zu entziehen scheinen und deshalb ihr »Gedächtnis« gesichert werden muß. - Aus diesem Grund gewinnt später die zyklische Metaphorik (TagNacht, Jahreszeiten) einen gewissen Vorrang. So mußte auch das Problem der >freien Umkehr< im >Ausland< verdrängt werden durch das der vaterländischen Umkehr< (vgl. dazu Anmerkung 55, Kapitel 6).
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Genf 1752. Vgl. Brief Nr. 94 vom 26. Januar 1795, STA VI, 156,77.
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einsetzt. Hyperion befindet sich - aus Rom kommend, wo er »über den Trümmern« der alten Stadt mit seinem hesperischen Briefpartner Bellarmin Freundschaft Schloß (165) - auf der Reise ins »Vaterland«. Er will »nun wieder in (s)ein Jonien zurük« (164), nachdem ihm die erhoffte Erfüllung im >Ausland< versagt blieb. Er fand nur »Wolken, und keine Juno«, »Worte« und »armseelige Mitteldinge von Etwas und Nichts«. Die »Wahrheit« aber, deretwegen er aufgebrochen war, dieses »Eine, das uns Ruhe giebt«, »die Melodie unsers Herzens in den seeligen Tagen der Kindheit«- (nach der Vorrede also jener »Zustand der höchsten Einfalt, wo unsere Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsern Kräften, und mit allem, womit wir in Verbindung stehen . . . gegenseitig zusammenstimmen«) - fand er nicht. 44 So erweckt Hyperion zu Beginn des Romans den Eindruck eines romantischen Wanderers, eines Umgetriebenen, eines Ahasver; doch ist er bereits auf dem Weg zu einem klar bestimmten Ziel, das mit seinem Ausgang identisch ist. Die Anspielung des Ixion-Motives allerdings scheint die Situation des Ausgestoßenen und Verworfenen zu unterstreichen: Wie Tantalus war jener ehedem von den Göttern begnadet und begünstigt; aber seine dreiste Vermessenheit, sich Juno zu nähern, wurde ihm zum Verhängnis. Jupiter sandte ihm eine Wolke in Junos Gestalt, und Ixion zeugte mit ihr die Kentauren, jene »armseeligen Mitteldinge von Etwas und Nichts«, die Hyperion »hass(t), wie den Tod« (164) 45 Sein Absolutheitsdrang, »Alles« besitzen zu wollen, scheint demnach zum Scheitern verurteilt und seine Heimreise wohl vergeblich. Doch täuscht gerade diese Anspielung auf das Ixionschicksal, denn sie ist kaum angemessen zu verstehen, ohne die Kenntnis einer Kantstelle, die 44
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Dieser Begriff von >Wahrheit< liegt auch der >Hymne an die Göttin der Harmonie< zugrunde, die ursprünglich an die Wahrheit gerichtet war (vgl. STA 1,430,21). Er ist ganz auf dem Hintergrund eines pantheistischen Allgefühls konzipiert, und meint die belebende harmonische Einheit der zweckmäßigen Naturanordnung und der damit zusammenstimmenden Lebenskräfte. Unter diesem Gesichtspunkt (obgleich unter weniger aggressivem Anspruch) kann auch die Ode >Chironblinden Sängers< und Centauren gelesen werden. Sein Dasein ist Ausdruck der irrenden Suche (weniger des Lehrens der Menschheit, wie bei Goethe). Vgl. Hölderlins Erläuterungen zum Pindar-Fragment >Das Belebendem STA V, 289ff. Er hat seine »Bestimmung« noch nicht gefunden und wartet auf den >DurchbruchBahn< zu brechen. - Er ist die sich opfernde Zwittergestalt, die durch die Vermittlung des Herakles Prometheus erlöst. - Mit diesen drei Gestalten (Prometheus - Chiron als Centauer - Herakles) ist wiederum der heilsgeschichtliche Verlauf der exzentrischen Bahn< eingefangen. - Weitere wichtige Anmerkungen zu >ChironGrundlegung zur Metaphysik der Sitten< (BA 61), die Hölderlin in Waltershausen gelesen haben muß,46 erwägt Kant wieder einmal die Reinheit der Vernunftbestimmung im sittlichen Handeln und weist alle »Einflüsse zufälliger Gründe« scharf zurück: Wider diese Nachlässigkeit oder gar niedrige Denkungsart, in Aufsuchung des Prinzips unter empirischen Bewegursachen und Gesetzen, kann man auch nicht zu viel und zu oft Warnungen ergehen lassen, indem die menschliche Vernunft in ihrer Ermüdung gern auf diesem Polster ausruht, und in dem Traume süßer Vorspiegelungen (die sie doch statt der Juno eine Wolke umarmen lassen) der Sittlichkeit einen aus Gliedern ganz verschiedener Abstammung zusammengeflickten Bastard unterschiebt, der allem ähnlich sieht, was man daran sehen will, nur der Tugend nicht, für den, der sie einmal in ihrer wahren Gestalt erblickt hat.« Und Kant erläutert weiter in einer Fußnote (A 62): »Die Tugend in ihrer eigentlichen Gestalt erblicken, ist nichts anders, als die Sittlichkeit, von aller Beimischung des Sinnlichen und allem unechten Schmuck des Lohns, oder der Selbstliebe, entkleidet, darzustellen ...«
Trotz der weiten Verbreitung mythologischer Anspielungstechnik im 18. Jahrhundert und Hölderlins hinreichender Belesenheit, darf man annehmen, daß diese eine Stelle der Verwendung des Ixion-Motivs im >Hyperion< zugrunde liegt.47 Sie gibt - zusammen mit der Vorrede - die entscheidende Perspektive, unter der das Fragment zu lesen ist; denn obgleich alle Briefe eine empfindsam-pantheistische Grundstimmung durchzieht, beherrscht paradoxerweise die Strenge der sittlichen Forderung und des moralischen Gesetzes den Gesamtentwurf. Ixions Schicksal steht nicht nur als Ausdruck für romantische Heimatlosigkeit, es meint vielmehr - wie man nach Kant schließen muß - moralische Prinzipienlosigkeit und somit gerechte Strafe für sittliche Fremdbestimmung aus Selbstliebe. Nach Kant ist es kein Vergehen, Juno zu umarmen; im Gegenteil, es ist Gebot. So scheint auch Hyperion nicht seiner kühnen Vermessenheit wegen zu leiden, sondern vielmehr: weil seine Annäherungsversuche mißlangen, weil er »die Tugend« noch nicht »in ihrer eigentlichen Gestalt« wahrzunehmen vermochte. Er ist zwar bereit, »dem Traume süßer Vorspiegelungen«, den >Irren< seiner Jugend zu entsagen, aus denen höchstens »zusammengeflickte Bastarde« entsprangen, aber er hat noch nicht die Kraft, sich ganz davon zu befreien. Sein Ziel jedoch ist klar bestimmt: Mit »Mitteldingen« gibt er sich nicht zufrieden; er will »Urania«, die bei ihm als Inbegriff der Tugend zu gel* Vgl. das Fragment >Über den Begriff der StrafeHarmonia< heißen sollte, gibt seinem irrenden Streben die Richtung, die ihn nach der Umkehr im >Ausland< aufs »Vaterland« verweist. In dem einen Wort zu Beginn des Romans ist so bereits Ausgang und Ziel der exzentrischen Bewegung vorgezeichnet.49 Wie es nach Kant demjenigen, der will, in der Tat auch möglich ist, die Göttin »in ihrer wahren Gestalt« zu schauen, d. h. dem Anspruch der Tugend zu genügen, so ist diese Forderung auch für Hyperion unbedingtes Gebot: Er kann nicht ablassen von seiner »verwegenen Neugier«. Er »kann nicht! (Er) soll nicht!/ Es muß heraus, das große Geheimniß, das (ihm) das Leben giebt oder den Tod« (III, 184) - mit dieser Forderung schließt das Fragment. Dem Kantischen Anspruch gemäß mußte es Hyperions Ziel sein, dem moralischen Gesetz genüge zu tun und ein Reich der schönen Sittlichkeit unter der Leitung der Freiheit zu begründen. So geht Hölderlin auch hier im >Fragment< einen Schritt weiter über die >Kantische Grenzlinien als es Schiller je wagte: Mit diesem überbietet er zwar Kant in der Vereinigung von Schönheit und Sittlichkeit; doch anders als Schiller genügt ihm der Ausdruck einer anmutigen aber unverbindlichen - Grazie nicht. Melites Grazie strahlt Hoheit aus; sie sollte eine gesteigerte >schöne Seele< sein, deren Erhabenheit 48 49
Vgl. STA 1,133,101f. und STA 1,152,1 lf. Bertaux hebt hervor, daß bei Hesiod bereits der >Mutter Erde< das >Land des VatersVaterland< entgegengesetzt ist (vgl. L 28, S. 174/75). Wahrscheinlich spielt diese Bedeutung von >Vaterland< hier eine Rolle. Hyperion will in das Land seines >VatersAethers< zurück, aus dem er ursprünglich kam. - Vgl. auch Novalis, der dem »Äther«, dieser »unsichtbar sichtbaren Materie analog ein »Vermögen in uns« annehmen möchte. Möglicherweise ist für die Deutung des Begriffs >Vaterland< auch der Gegensatz >Sinnenland< wichtig; dieses muß man durchwandern, um ins >Vaterland< zu kommen. - Damit knüpft Hölderlin an Schillers >Künstler< an, (vgl. ΝΑ 1,202,66; 203,77). Bei Hölderlin selbst findet sich der Begriff >Sinnenland< in >Hyperions Jugend< (STA III, 202,25). Vgl. auch Scharfschwerdts Erläuterungen zur >Hymne an die Menschheit, L 221, S. 407 u. 424 und L 88, Gaier, S. 340 (Fußnote), wo der Doppelaspekt des Vaterlandsbegriffes, das ursprünglich Nationelle und die Synthese von Nationellem und Fremdem, erläutert wird. Der Reise Hyperions könnte auch als Motto Johannes 16,28 zugrunde liegen: »Ich bin vom Vater ausgegangen, und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt, und gehe zum Vater«.
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Hyperion zum Leitstern werden konnte. »Ihr Bild ist (ihm) geblieben, mit allem, was ihm verwandt ist« (III, 167), so daß sie ihn auch die Nichtigkeit der Fremde erfahren läßt, die ihn zur Umkehr bewegt. Als Hyperion seinen ersten Brief an Bellarmin schreibt, mit dem der Roman auch einsetzt, hat er die sichere Festigkeit der »Wahrheit« noch nicht gefunden, obgleich er jetzt bereits »manchmal spielen (kann) mit den Geistern vergangener Stunden« (III, 166), deren »Erinnerungen« er in Rom noch meiden mußte (165).50 So wird es verständlich, daß er das, was er nun dem Freund über seine Vergangenheit mitteilen will, in Rom bei der ersten Begegnung noch nicht ausprechen konnte. Hyperion braucht Abstand, er entwickelt sich und findet erst im Verlauf seiner Rückreise zu sich selbst.51 Sein erster Brief ist in Zante geschrieben, der südlichsten der Ionischen Inseln; so hat er noch die ganze hellenische Welt zu durchmessen, bevor er Jonien, sein Vaterland, erreicht. Einzelne Stadien der Reise werden ihm zum Anlaß, seine Vergangenheit in Briefen zu reflektieren, um dem Freund mitzuteilen, wie und wo er damal das »Eine, das uns Ruhe giebt« (III, 164), zu finden hoffte. - In dieser doppelten Geschehensverknüpfung von Gegenwartshandlung und Vergangenheitsbericht findet das frühe >HyperionKanton Schweiz< ist es >ErinnerungAm Quell der Donau< (STA II, 126ff.) bietet noch eine Stütze für die symbolische Deutung des >KithäronGefangen-Sein< im Kleinsten kennzeichnet durchaus eine Seite Hölderlins. Vgl. dazu die Ratschläge, die er seinem Bruder in vielen Briefen erteilt; s. a. Scharfschwerdts Erläuterungen zur kleinbürgerlichen Enge Württembergs und ihre Bedeutung für Hölderlins Denken, L 222, bes. S. 216ff.
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Man müßte es als unerklärlichen Stilbruch deuten, wenn Hölderlin beide Teile des Loyola-Kommentars so geschrieben hätte, wie sie in der >Vorrede< erscheinen. Wohl wußte er um die »gefährliche Seite« des Allbegehrens, wie die >ÜbermutHymne an die Menschheit« (1,146).86 Man kann sich deshalb nicht denken, daß Hölderlin >alles begehrend< und >alles unterjochend< während seiner frühen Periode in einem Atemzug verwendet, zumal das Wort >unterjochen< bei ihm äußerst selten vorkommt 87 und in der substantivischen Form >Joch< nur die Aufforderung enthält, die sklavische Abhängigkeit zu überwinden. Selbst der späte Hyperion bemerkt, man fühle es lieber in sich »wie ein siedend Öl«, als daß man sich gestehe, man »sey für die Geißel und für's Joch geboren« (III, 18). Diejenigen aber, die dem Ruf der Freiheit nicht folgen, nennt er »Tyrannenknechte« (III, 113).88 »Das Leben ist zum Tode nicht erkoren,/ Zum Schlafe nicht 86
Übersetzt lautet das etwa: »In der moralischen Welt sind die Grenzen des Möglichen weniger eng, als wir glauben; erst unsere Schwächen, unsere Laster und unsere Vorurteile verengen sie. Gemeine Seelen glauben nicht an große Männer; erbärmliche Sklaven lachen spöttisch bei dem Wort Freiheit«. 87 Es findet sich im Brief Nr. 62, STA VI, 89,8 bezeichnenderweise im Sinne gewalttätiger Unterdrückung, nicht etwa eines unbändigen Allbegehrens. - Hölderlin erwähnt hierden »furchtbaren Lehrer der Despoten, Machiavell«, dessen Schriften sich»mitdem Problem (beschäftigten), wie ein Volk am leichtesten zu unterdrücken sei.« In ähnlichem Sinne eines kalten Kalküls, der dem inneren Leben und dem erregten Aufschwung entgegengesetzt wird, taucht es noch in dem späteren Brief vom 2. November 1797 (Nr. 147) auf. »Es... besänftiget mich nichts mehr, als ein Tropfen lauterer, unverfälschter Liebe, so wie im Gegentheil die Kälte und geheime Unterjochungssucht der Menschen mich . . . doch immer überspannt und zu unmäßiger Anstrengung und Bewegung meines innern Lebens aufreizt« (STA VI, 253,5f.). " Vgl. auch STA III, 104:»... wer dieses Land durchreist, und noch ein Joch auf seinem Halse duldet, kein Pelopidas wird (Befreier Thebens vom Joche der Spartaner), der ist herzleer, oder ihm fehlt es am Verstände.« Die Belege ließen sich mehren; sie zeigen den Begriff >Joch< niemals in Verbindung mit dem alles begehrenden Aufschwung aus Freiheit. Dieser meint immer Überwindung der Knechtschaft (vgl. auch Brf. Nr. 121, 215
der Gott, der uns entflammt,/ Zum Joch' ist nicht der Herrliche geboren/Der Genius, der aus dem Aether stammt«, - sagt Hölderlin weiterhin im »Jüngling an die klugen Rathgeber« (1,225,17f.), einem Gedicht, das in seiner Kontroverse mit Schiller keine geringe Rolle spielt. Bei diesem stehen >alles begehren< und >alles unterjochen< in keinem Gegensatz, wie Zinkernagel bereits an den Philosophischen Briefen< nachzuweisen suchte, und die Einschränkung auf bescheidenere Sphären bedeutet ihm mehr als ein »Streben nach einem unerreichbaren Ziele«.89 Zwar betonte auch er früher in den Philosophischen Briefem, daß »das volle Maß des Menschen . . . grenzenlos« sei; doch spätestens seit der Schrift >Über Anmut und WürdeHorenHorenunterjochen< entsprechend der Hyperion-Vorrede aufnimmt.90 Um es kurz zu sagen: An dem zweiten Teil der ThaliaVorrede scheint etwas nicht zu stimmen, wie auch immer eine Hölderlin gemäße Wortfolge lauten mag. Vor allem wäre nach der einzig überlieferten Fassung des Thalia-Druckes der »höchste und schönste« Zustand derjenige, »in allem« und nicht »über allem« zu sein; das entspricht aber weder dem zur Sonnenbahn aufstrebenden Hyperion, noch dem Forderungscharakter des >Gesetzes der Freiheit, noch den frühen Hymnen.90" Faktisch >erreichbar< freilich ist dieser höchste Zustand STA VI, 209,50f.). - Hölderlin gebraucht den Begriff >Joch< wie Kant, der ihn in seiner Schrift >Was ist Aufklärung< in der Zusammenfügung »Joch der Unmündigkeit« verwendet und ihn in Gegensatz stellt zum eigenen Gebrauch des Verstandes. " Vgl. Zinkernagel, L 262, S. 48. 90 Vgl. Horen-Einleitung, wo das Wort ebenfalls im Zusammenhang einer Dreierformel auftaucht, wie in der Vorrede des Thalia-Fragments: »Aber jemehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüther in Spannung setzt, einengt und unterjocht...« Auch das Wort >joch< findet sich öfter in den >Ästhetischen BriefenVorrede< durchaus gemäß. 9011 Möglicherweise hat Hölderlin nicht einmal die Loyola-Sentenz in die Vorrede eingebracht. Bis heute jedenfalls konnte nicht nachgewiesen werden, ob er die >Imago primi saeculi Societatis Jesu< (aus der die Sentenz stammt) überhaupt kannte (vgl. Beissner, STA III, 438,4f.). - Schiller aber hat dieses Jesuitische Prachtwerk, das 1640 in Antwerpen veröffentlicht wurde, sicherlich bei
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auch nach Hölderlin nicht; aber als Strebensimpuls liegt er d e n n o c h im M e n s c h e n und hat d e s w e g e n auch als der >höchste und schönste< zu gelten, w i e es das Ende der Freiheits-Hymne sagt, die das >contineri< und das >non coercerk n o c h einmal zusammenfaßt (1,161,121f.): »Lange schon vom engen Haus umschlossen, Schlummre dann im Frieden mein Gebein! Hab' ich doch der Hofnung Kelch genossen, Mich gelabt am holden Dämmerschein! Ha! und dort in wolkenloser Ferne, Winkt auch mir der Freiheit heilig Ziel! Dort, mit euch, ihr königlichen Sterne, Klinge festlicher mein Saitenspiel!« Ein letztes weist auf Schillers redigierende Hand in der Thalia-Vorrede: D i e K o n z e p t i o n d e s » f r e i e n Willens« als einer unabhängigen Entscheidungsinstanz. Bereits in >Anmut und Würde< hatte er sich mit der W a M r e i h e i t d e s Willens auf Reinhold berufen; 9 1 Hölderlin aber hält
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seinen Quellenstudien zum >Abfall der Niederlande< benutzt. Die M e r k würdige Belagerung von A n t w e r p e n erschien 1795 in den >HorenImago primi saeculk, lediglich durch Vermittlung der außerordentlich polemisch gehaltenen Allgemeinen Geschichte der Jesuiten von dem Ursprung ihres Ordens bis auf gegenwärtige Zeiten< (von Peter Philipp Wolf, Bd. 1,1789), in der die Grabschrift vollkommen abgedruckt ist, in die >Vorrede< des Hyperion-Fragments gelangt ist). Sollte die Loyola-Sentenz mit dem entsprechenden Nachsatz tatsächlich von Schiller in die >Vorrede< eingebracht worden sein - wofür vieles spricht - dann läge darin die Pointe seines Urteils über den frühen >Hyperion< und den Freiheitsenthusiasten Hölderlin; denn Schillers vernichtendes Urteil über den Jesuitismus ist bekannt (vgl. die Anekdote >Jesuitenregierung in Paraguay< oder den Abschnitt >Das Inquisitionsgericht< im >Abfall der Niederlande^. Die »alles unterjochende gefährliche Seite des Menschen« in der >Vorrede< erschiene so in einem neuen Licht! - Es bliebe ohnehin recht unverständlich, weshalb Hölderlin gerade auf ein Jesuitenwort hätte zurückgreifen sollen, um die Summe seines Denkens, die >exzentrische BahnAnmut und WürdeRevolution< in Hölderlins Denkungsart war seine Begegnung mit Fichte und Schiller entscheidend. Deren divergierende Philosopheme verstand Hölderlin so miteinander zu vermitteln, daß sie zum Ausgangspunkt seiner ästhetischen Vereinigungsphilosophie werden konnten, die auch sein Frankfurter und Homburger Denken bestimmt. Während Hölderlin von Fichte den Begriff der praktischen Wechselbestimmung aufnahm und immer weiter differenzierte, gewann er Schiller die M/fi/erstellung des Schönen ab, die der Idee der »Ästhetischen Briefe« zugrunde lag und Sinnlichkeit und Vernunft, Stoff- und Formtrieb zur Einheit bringen sollte.2 Die vielfältigen Aspekte dieser Schil1
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Das steht im Widerspruch zu den meisten Hyperion-Deutungen, die das Fragment bereits als »eine Art >Hyperion in nuce< auslegen zu können glauben (vgl. Ryans Anmerkungen, L 213, S. 237/38). - S. 33 allerdings betont Ryan auch die »Wandlung« der Jenaer Zwischenstufen gegenüber dem Waltershäuser Fragment. Vgl. L 34, Binder, S. 10: »Es kann nicht zweifelhaft sein, daß Schillers Ausführungen über den ästhetischen Zustand< im Zentrum der >Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen< Hölderlins Idee des schönen Menschen bestimmt haben.«
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ler-Fichte-Adaption in Jena werden hier nicht mehr untersucht. Sowohl die Steigerung der Vermittlungsrolle des Ästhetischen vom >schönen Scheim bei Schiller zum »Seyn, im einzigen Sinne des Worts« bei Hölderlin (III, 237,4), als auch seine ambivalente Fichte-Rezeption, die in der Forschung vielen Mißverständnissen unterliegt, bedürfen einer ausführlichen und eigenständigen Analyse.3 Keinesfalls wird man sagen können, daß Hölderlin der »Gefahr einer Überfremdung durch den Fichteschen Kritizismus« ausgesetzt war.4 Dessen theoretischen Ansatz zur Begründung der Absolutheit des Ich kritisiert er bereits selbstbewußt in dem genannten Hegel-Brief (VI, 155,39f.); doch beruht diese Kritik noch auf der Vorlage der »spekulativen Blätter« (ebd.), die Fichte als ersten Teil der »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« 1794 bogenweise herausgegeben hatte. Weit wichtiger für Hölderlin wurde aber der dritte Teil der >WissenschaftslehreWechseltätigkeit< in ihrer Bedeutung für die romantische Kunsttheorie näher zu bestimmen. So L 213, Ryan, S.34. Vgl. >Grundlage< 1,281 ff.: » D i e entgegengesetzte
Kraft
ist unabhängig
vom
Ich ihrem Sein und ihrer Bestimmung nach, welche doch das praktische Vermögen des Ich oder sein Trieb nach Realität zu modifizieren strebt; aber sie ist abhängig
v o n s e i n e r idealen
Tätigkeit,
v o n d e m theoretischen
Vermögen
desselben; sie ist für das Ich nur, inwiefern sie durch dasselbe gesetzt wird, u n d a u ß e r d e m ist sie n i c h t für d a s Ich. Nur inwiefern etwas bezogen wird auf das praktische Vermögen des Ich, hat es unabhängige Realität-, i n w i e f e r n e s
auf das theoretische bezogen wird, ist es aufgefaßt in das Ich, enthalten in seiner Sphäre, unterworfen seinen Vorstellungsgesetzen...« In den ersten Monaten des Jahres 1795 unternimmt Hölderlin mehrere Versuche, sich der Fichteschen >Wechselbestimmung< zu bemächtigen (Hegelbrief Nr. 94, Brief an den Bruder Nr. 97 und die Anfänge der HyperionFassungen), - ein Beweis für die Bedeutung gerade dieses praktischen Ansatzes in Hölderlins weiterer Entwicklung. - Dazu kam die Rolle, die die »schaffende Einbildungskraft« in Fichtes Ansatz spielte (vgl. >Grundlage< 1,284ff.) und die Hölderlin - wie später Novalis und Friedrich Schlegel - unter ästhetischen Gesichtspunkten auswertete. Fichtes Aufsatz >Über Geist und Buchstab in der Philosophie^ den Schiller nicht in die >Horen< aufnahm, kann (neben den Ausführungen zur Einbildungskraft in der Wissenschaftslehre) mit seiner Grundlegung des > ästhetischen Sinnesi als die wichtigste Voraussetzung der romantischen Ästhetik gelten. - Vgl. auch die Ausführungen von L 12, Barnouw, S. 26Iff, bes. 27Iff.
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gungsgewalt des Ich unterwirft - wie Fichtes Lehre meist simplifizierend mißdeutet wird - hat Hölderlin begierig aufgenommen und ausgebaut. Er treibt sein Denken in die Richtung einer Vermittlung der Extreme, die seinen Waltershäuser Bemühungen noch nicht entsprach und führt zum »Harmonisch-Entgegengesetzten« hin. So ist es eine doppelte Perspektive der >Wissenschaftslehre< gegenüber, die Hölderlins Fichte-Kritik und seine Fichte-Begeisterung klärt und die zugleich zur »Umbildung« jener philosophischen Voraussetzungen führt, die das Thalia-Fragment begründeten. Weil von diesen ersten, vorläufigen Ansätzen her die zurückliegende Phase schärfere Konturen gewinnt, sollen die auffallendsten Veränderungen der Jenaer Fassungen zum Abschluß herausgestellt werden. Vor allem die ehemals strenge Forderung des Gebotes: »one alle Rüksicht auf die Hülfe der Natur« im »Gesetz der Freiheit« (IV, 212,3-4) findet in den mehrmals variierten, mahnenden Formulierungen der Jenaer Fassungen: »denn du bedarfst der Hülfe der Natur« ein deutliches Gegengewicht. 6 Doch darf auch diese >Hilfe< nicht überschätzt werden, denn die Natur schenkt die Geborgenheit des ursprünglichen Zustands nicht grundsätzlich: wir sollen es rein und heilig bewahren, das Ideal von allem, was erscheint, der Trieb in uns, das Ungebildete nach dem Göttlichen in uns zu bilden, und die widerstrebende Natur dem Geiste, der in uns herrscht, zu unterwerfen, er soll nie auf halbem Wege sich begnügen ... (III, 200,20f.).7 «Z.B. Hyperions Jugend, STA III, 202,33-34; vgl. ebd. S. 199, 201,205 und Metrische Fassung, STA III, 187,191,195. - Wie immer, wenn Hölderlin einen philosophischen Gedanken neu faßt, versucht er auch den der »Hülfe der Natur« in die private Sphäre seiner Briefe hineinzutragen. So schreibt er am 13. April 1795, 113, an den Bruder (STA VI, 162): »Die Güte unserer lieben Mutter beschämt mich so unendlich. Wäre sie auch nicht unsere Mutter, und widerführe diese Güte nicht mir, ich müßte doch ewig mich freuen, daß eine solche Seele auf Erden ist. Ο mein Karl! wie sehr wird unsere Pflicht uns erleichtert! Es müßte kein menschlich Herz in uns seyn, wenn die Theilnahme einer solchen Mutter uns nicht unendlich stärkte in unserem geistigen Wachstum/« - Dem stehen die stereotypen Wendungen: >Vom Jüngling zum Manne reifem in der Waltershäuser Zeit entgegen. 7 Vgl. auch >Hyperions Jugendbloßen< Selbstbestimmung durch Vernunft und deren Abweisung aller sinnlichen Ansprüche in der Waltershäuser Zeit. Wie nach dem 13. der >Ästhetischen Briefe< Schillers den »Stofftrieb« »die Persönlichkeit und den Formtrieb die Empfänglichkeit, oder die Natur, in seinen gehörigen Schranken halten« sollte (NA 20,352,24-26), so wird bei Hölderlin die hartnäckige Einförmigkeit des Geistes, der nur am Ideal orientiert war,8 zum ersten Mal gebrochen und der Rezeptivität dadurch zu ihrem Recht verholfen. In dieser Befreiung der Rezeptivkraft des Menschen läßt sich am allgemeinsten fassen, wie Hölderlin die »Hülfe der Natur« in Jena versteht: Sie meint die »Bereitwilligkeit, womit der Stoff dem Geiste sich hingiebt« (III, 199,19-20), der aber - im Falle seiner Weigerung - auch vom Ich beherrscht werden muß, entsprechend Fichtes Nicht-Ich. Im spezifischeren Sinne bezeichnet »Natur« aber zugleich auch das von außen kommende Geschenk der Schönheit, als » Urbild aller Einigkeit«(III, 201,202,205), das nun als wirklich vorhanden wahrgenommen werden kann, d. h. nicht in Vergangenheit und Zukunft gesucht werden muß wie früher. Schönheit erscheint damit nicht mehr als die unter der Struktur des »Gesetzes der Freiheit gefaßte Einheit des Ideals, dem es sehnend nachzustreben gilt, sondern als Vermittlung der Extreme, als unverlierbare »Einigkeit«, die im »Wissen« und im »Handeln« nur über einen »unendlichen Progress« zu erringen ist.9 • Vgl. L 220, II, Schadewaldt, S. 727ff.: In seiner frühen Zeit sei Hölderlins Sprache die des Preisens und Verkündens, er wisse von den Dingen und Göttern zu sagen, aber nicht die Dinge und G ö t t e r selbst. 9 Vgl. dazu den Brief vom 4. September 1795 an Schiller (Nr. 104), STA VI, 181. - >Natur< ist bei Hölderlin - wie bei Schiller (vgl. L 258, Wilkinson, S. 399) ein schwer zu umschreibender und vieldeutiger Begriff, der sich je nach seiner philosophischen Konzeption verändert. Er kann sowohl die »bloße Organisation der Natur«, als auch den »Zustand der höchsten Bildung< meinen und bedeutet in diesen beiden Fällen so viel wie >Zusammenstimmung< aller »unsre(r) Bedürfnisse mit sich selbst, und mit unsern Kräften, und mit allem, womit wir in Verbindung stehen« (STA III, 1 6 3 ) . - Natur ist hier die schöne Einheit des Mannigfaltigen, die einmal >zufällig< geschenkt, zum andern durch Selbsttätigkeit hervorgebracht ist. Mit der neuen philosophischen Grundlegung um die Wende des Jahres 1794/95 ändert sich der Naturbegriff und gerät ins Schwanken: Er kann einerseits mit Fichtes Nicht-Ich korrespondieren, steht ihm jedenfalls nicht entgegen, wie Beissners Äußerungen anklingen lassen (STA III, 502,24-26): Denn Fichte sagt in der dritten Vorlesung über die Bestimmung des Gelehrten: »Das
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Beide Momente, >Natur< als Nicht-Ich, das bezwungen werden muß, unabhängige Nicht-Ich, als G r u n d d e r Erfahrung, oder die Natur ist mannichfaltig.« Allgemeiner heißt es: »Nicht-Ich« - »so nenne ich alles, was als außer dem Ich befindlich gedacht, was von dem Ich unterschieden und ihm entgegengesetzt wird« (1. Vorlesung). In diesem Sinne sagt Hölderlin, STA III, 204,22f.: »Dein freier Geist verübe sein Recht unüberwindlich am Widerstande der Naturl« - Vgl. auch L 213, Ryan, S. 39: »die Natur wird in ihrer transzendental bestimmten Notwendigkeit nicht als selbständig Seiendes gesehen«. Andererseits aber wird >Natur< bei Hölderlin jetzt auch zum Ausdruck für die »seelige Einigkeit« oder das »friedliche hen kai pan d e r Welt« STA III, 236. Beides sind Bezeichnungen für das Vermitteltsein von Objekt und Subjekt und dessen harmonische Gestimmtheit. Ein solches Ich hat seinen Widerspruch zum Gegensatz des Nicht-Ich ins Reine gebracht, oder, diese harmonische Einheit wird von d e r >NaturDer Mensch< auch als die »Göttermutter«, die »Allesumfassende«, der der Mensch »gleichen« m ö c h t e (STA 1,263,23f.). Vgl. auch Binder (L 36, S. 59/60): Hölderlins Naturbegriff in der Zeit nach den Hyperion-Vorstufen gelte dem »Frieden und der Heilkraft einer Natur, die nur ein anderer Name für das Absolute ist«. Vgl. auch ebd. S. 66. Durch diese Unterscheidungen des Naturbegriffs bei Hölderlin, die weiterhin präzisiert werden könnten, lassen sich die Schwierigkeiten beheben, in die Beissner gerät, wenn er einerseits eine Beeinflussung Hölderlins durch Fichte nicht verkennt (vgl. STA 1,493/94), aber sich doch genötigt sieht, die Kritik an der >Tyrannei< gegenüber der >Natur< zu Anfang aller Jenaer Hyperion-Fragmente als Protest gegen Fichte aufzufassen (vgl. STA III, 502,24-26). Auch Walser, L 252, bringt dessen Naturbegriff in einen Gegensatz zu Fichte und Schiller, obwohl Hölderlin sich auf beide beruft und nur mit ihrer Hilfe zu obigem Vermittlungsbegriff findet. - Vgl. weiterhin die Ausführungen von L 185, Nalewski, der Hölderlins Naturanschauung in ihrem geschichtlichen und mythologischen Bezug ausführlich darstellt, leider aber die philosophische Struktur dieses eigentümlich Hölderlinschen Begriffes nicht entwickelt. Sie hätte zeigen können, daß Hölderlin die historisch-reale Verwurzelung seines Naturbegriffes, die Nalewski vorrangig heraushebt, dennoch in einen übergreifenden, apriorischen und überzeitlichen Zusammenhang einbezogen hat. Auch den Terminus >Hülfe der Natur< scheint Hölderlin von Schiller zu borgen: Schon in den >Künstlern< sagte dieser (ΝΑ I, S. 204,125/26): »Wie konntet ihr des schönen Winks verfehlen/Womit euch die Natur hilfreich entgegenkam?« - und in einer F u ß n o t e der Schrift >Über das Pathetische< heißt es dann (NA Bd. 20, S. 205,34f.): »Eine leidende Person, klagend und weinend vorgestellt, wird daher nur schwach rühren, denn Klagen und Thränen lösen den Schmerz schon im Gebiet der Thierheit auf. Weit stärker ergreift uns der verbissene stumme Schmerz, wo wir bey der Natur keine Hülfe finden, sondern zu etwas, das über alle Natur hinausliegt, unsre Zuflucht nehmen müssen; und eben in dieser Hinweisung auf das Übersinnliche liegt das Pathos und die tragische Kraft.«Vielleicht hat dieser Abschnitt sogar auf das »Gesetz d e r
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und als sinnliches Widerspiel der seligen Einigkeit, finden sich in der Lehre d e s A l t e n in >Hyperions Jugend< zusammengefaßt, - e i n e m Passus, der ein Jahr zuvor ein Fremdkörper in Hölderlins D e n k e n g e w e s e n w ä r e (StA III, 205,1 Of.): Es ist das beste, frei und froh zu seyn; doch ist es auch das schwerste, lieber Fremdling! - In seinen Höhn den Geist emporzuhalten, im stillen Reiche der Unvergänglichkeit, und heiter doch hinab in's wechselnde Leben der Menschen, auch ins eigne Herz zu bliken, und liebend aufzunehmen, was von ferne dem reinen Geiste gleicht, und menschlich auch dem kleinsten die fröliche Verwandtschaft mit dem, was göttlich ist, zu gönnen! Gewaffnet zu stehn vor den feindlichen Bewegungen der Natur, daß ihre Pfeile stumpf vom unverwundbaren Geschmeide fallen, doch ihre friedlichen Erscheinungen mit friedlichem Gemüthe zu empfangen, den düstern Helm vor ihnen abzunehmen, wie Hector, als er sein Knäblein herzte! Des Lebens Nächte mit dem Rosenlichte der Hofnung und des Glaubens zu beleuchten, doch die Hände nicht müßig fromm zu falten! was wahr und edel ist, aus fesselfreier Seele den Dürftigen mitzutheilen, doch nie der eignen Dürftigkeit zu vergessen, dankbar aufzunehmen, was ein reines Wesen giebt und der brüderlichen G a a b e sich zu freuen! Diß ist das Beste! so lehrte mich - ich ehre sie - die Schule meines Lebens. S o wird unter Fichtes und Schillers Einfluß Hölderlins frühere intellektuelle Sprödigkeit, die im » G e s e t z der Freiheit« den »Naturzustand der Phantasie« n o c h als »zufällig« abtat, um ihn einem a n a l o g e n »notwendigen« Prinzip zu unterstellen, v o n einer flexibleren und dynamischeren F o r m der vernünftigen g e s e t z l i c h e n Bestimmung abgelöst, die er dann nie mehr a u f g e g e b e n hat: 10 Nicht mehr die Vernunft allein, son-
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Freiheit« eingewirkt, wie noch mehrere Anklänge aus der Umgebung dieses Textes vermuten lassen (sie ist charakteristisch für Hölderlins Waltershäuser Denkansatz). Vgl. auch Schillers entsprechende Konzeption in >Anmut und Würdeexzentrische Bahn< in ihrer ursprünglichen Form eine gewisse Modifikation erfahren. Mit der Anerkenntnis der >Einschränkung< durch das Nicht-Ich und der Akzeptierung des Leides, das Hölderlin im »Begriff der Strafe« noch zu eliminieren trachtet, wird die »kürzeste Bahn« in die »geschwungnere« überführt. Die aufsteigende Hyperbelkurve verläuft nicht mehr linear; Verfehlungen und graduelle Abstürze müssen einkalkuliert werden, ohne daß deshalb das Ziel, die selbstzuschaffende Organisation, aufgegeben würde, wie die vorstehenden Erläuterungen des >alten Mannes< bezeugen. Doch ist dieses Ziel mühsamer zu erreichen als früher, da immer wieder >Kurskorrekturen< vorzunehmen sind, die nur in ihrer Gesamtheit den Verlauf der »krummen Bahn« bestimmen, »die sich das Leben bricht, seitdem sein grader Gang gehemmt ist« (111,113/14). Waren es früher niederstürzende Flüsse, die auf dem Weg der Irrungen >Vater Ozean< erreichten, um unter dem Strahl des Lichtes wieder zu >Vater Äther< emporzusteigen, so wird die gleiche Rückbewegung 11
Auch Hölderlins Sprachauffassung spiegelt diesen Umbruch vom >Sollen< zur >seeligen Einigkeit, die sprachlich nicht zu >bezwingen< ist: Während er im Juli 1794 an Neuffer schreibt (Nr. 83, STA VI, 125,51f.): »Die Sprache ist Organ unseres Kopfs, unseres Herzens, Zeichen unserer Phantasien, unserer Ideen; uns mus sie gehorchen...«, heißt es später in Frankfurt (Nr. 123, STA VI, 213,2f.): »Die Buchstaben sind für die Freundschaft, wie trübe G e f ä ß e für goldnen Wein. Zur Noth schimmert etwas durch, um ihn vom Wasser zu unterscheiden, aber lieber sieht man ihn doch im kristallnen G l a s e . . . Ich kann jezt nicht schreiben. Ich muß warten, bis ich weniger mich glüklich und jugendlich fühle . . . Könt' ich ans Herz Dich drüken! Das wäre jezt die wahre Sprache für Dich und mich!« 12 Diese Überbietung ist mit der Hyperion-Vorrede der vorletzten Fassung endgültig durchgeführt - Vgl. auch Ryans Ausführungen dazu und ]. Neubauer, L 186, S. 304.
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zum Himmel später durch ein anderes Bild aus dem Wasserzyklus ersetzt, das der »Wechselbestimmung« angepaßt ist: »Des Herzens Wooge schäumte nicht so schön empor, und w ü r d e Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schiksaal, ihr entgegenstände.« (111,41), - sagt Hölderlin jetzt unter deutlichem Bezug auf Fichte. Während sich Hölderlin früher allerdings beim Verlauf der exzentrischen Bahn besonders auf das M o m e n t der >Umkehr< konzentrierte, steht seit Jena das der Vermittelbarkeit der Gegensätze im Vordergrund, weshalb deren Gesamtverlauf nicht so deutlich hervortritt; daß er ihn aber nicht ignoriert, zeigen die >PhaidrosSymposionreine Ich< hin korrigiert werden müssen (2. Vorlesung), - so wird auch bei Hölderlin d e r ursprüngliche, nahezu geradlinige Aufschwung des exzentrischen Strebens gehemmt, um in gemäßigterem Verlauf ihn der »seeligen Einigkeit« anzunähern. Während in Waltershausen »die Lust der goldnen Erndte« nur »im Sonnenbrande ... gedeih'n« kann (»Das Schiksaal«, 1,184,17f.) - dem entspricht die Lichtmetaphorik zu Ende des ThaliaFragments - versengt später der heiße Strahl Jupiters und läßt Leben und Wachstum verdorren. Das in der Jugend so nahe geglaubte Ziel nennt Hyperion in der endgültigen Fassung »die schönste aller Täuschungen, womit die Natur der Schwachheit unsers Wesens aufhilft« (111,11).
Mäßigung wird deshalb zum eigentlichen Element des Menschen, so d a ß er in >Schattengefilden< und auf >HügelnWechselbestimmung< ist weiterhin eine veränderte Konzeption der »Liebe« verbunden, auch wenn sie noch keine dichterische K r a f t gewinnt. 13 Die teils steifen und abstrakten Erörterungen zu Beginn der 13
Vgl. auch L 218, Schadewaldt, S. 10/11. Er läßt die neue Bewertung der Liebe allerdings erst für die endgültige Fassung gelten.
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Jenaer Hyperion-Fragmente lassen ihre Neubewertung jedoch ebenso erkennen wie die Namensänderung der weiblichen Gestalt und die veränderte Disposition des Hyperion-Stoffes: Während Hölderlin vor 1795 sich eher auf die Mania des >Phaidros< beruft, tritt jetzt eine Beziehung zum Eros des >Symposion< in den Vordergrund. Dort war Liebe ein >Sehnen< und >Begehren< oder platonisch: die Kraft der Begeisterung; ein »göttlicher Wahnsinn«, der die menschlichen Verhärtungen löst, und der Seele einen erhabenen Aufschwung ermöglicht. In den Jenaer Fragmenten aber beruft sich Hölderlin in neuer Weise auf den Mythos von Poros und Penia und überträgt ihn auf das Verhältnis von Geist und Stoff (Sinnlichkeit).14 Ihre angeborene Kraft als Vermittlerin zwischen den Gegensätzen kennzeichnet jetzt die Liebe. Sie »vereiniget« den »Widerstreit der Triebe«, »deren keiner entbehrlich ist« (III, 202,15f.). Eros erscheint als der »große Dämon« zwischen dem »Sterblichen und Unsterblichen« (Symposion, 202d).15 Trotz dieser Änderung hat Hölderlin den alten Liebesbegriff und den Phaidrosmythos nicht ganz aufgegeben. »Dem Höchsten und Besten ringt unendlich die Liebe nach, ihr Blik geht aufwärts und das Vollendete ist ihr Ziel...«(III, 202), so heißt es auch jetzt noch. >PhaidrosSymposionzentrischen< Bahn der Götter im >PhaidrosSympo14
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Bereits Mendelssohn hatte im 5. der >Briefe über die Empfindungen (ed. Brasch, II, 30) - in einer Fußnote (II, 81/82) - den Platonischen Liebesmythos philosophisch ausgewertet. Er deutet die Verbindung von Poros und Penia folgendermaßen: »Wenn wir unter der Dürftigkeit das Bestreben unserer Vorstellungskraft und unter dem Überflusse die schöne und vollkommene Mannigfaltigkeit verstehen, so läßt sich gar wohl erklären, wie von ihrer Umarmung die Liebe herkam.« U m Hölderlins Liebesbegriff in seiner Entwicklung exakter bestimmen zu können, müßte man die platonisierenden Erklärungen Shaftesburys, Hemsterhuis' und Herders mit einbeziehen (vgl. L 111, Henrich, S. 12ff.). Ebenso wäre auch die biblisch-christliche Tradition zu berücksichtigen. Zum Platonischen Eros vgl. L 12, Barnouw, S. 256ff.
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sionWechselbestimmungSymposion< versteht sich die Namensänderung d e r weiblichen Gestalt im >Hyperion< von selbst. Diotima wird in anderem Sinne als Melite und mit g r ö ß e r e m R e c h t »Priesterin der Liebe« genannt, geliebte Frauengestalten sind beide ohnehin nicht. 18 Sie ist die » S c h w e s t e r seines Herzens« (III, 225,14), die den >seligen Frieden< verkündigt und so in die Mysterien der Vereinigung alles Getrennten eingeweiht ist, während Melite wie Urania als Leitbild, als »geliebtes Wunder«, das er >anstaunt< (1,157,8), ihm vorzuschweben scheint. 19 Einige der Funktionen, die später dem 16
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le
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In der >Hymne an die Freundschaft hatte Hölderlin bereits einen ähnlichen Eingriff in die Mythenüberlieferung vorgenommen. Dort erscheint die Freundschaft nach seiner eigenen Erfindung als Tochter des Ares und der Aphrodite (vgl. STA 1,163,27-32 und Beissners Erläuterungen STA 1,465). Vgl. L 109, Henrich, S. 82f.: »Mit Schiller sieht Hölderlin in der Liebe die Kraft, welche die beiden Grundtriebe des Menschen miteinander vereinigt. Zugleich aber soll in dem Bereich des einen dieser Triebe, als schöne Natur, das >Urbild aller Einigkeit erscheinen. Ist aber der eigentliche Sinn von Einigkeit die Vereinigung beider Triebe miteinander, so kann man nicht einsehen, wie im >Sinnenlande< allein ein Spiegelbild der Einigkeit erscheinen s o l l , . . . Es könnte wohl sein, daß Hölderlin die Problematik seines Versuches bemerkt hat, ohne ihrer Herr werden zu können.« - Vgl auch L 213, Ryan, S. 39/40. Zum Problem der »Selbst-Entfremdung von der eigenen Produktion der Erscheinung«, das in diesem Widerspruch verborgen liegt, vgl. L 12, Barnouw, S. 255. Requadt, L 201, 255), hat gewarnt, für Melite in der Wirklichkeit ein Vorbild zu suchen. Das »reale weibliche Gegenüber« habe für Hölderlin »kaum Eigenkraft«. - Was Requadt von Hölderlins Welt- und Menschengestaltung sagt, gilt besonders für seine Frauendarstellungen: Er läßt sie »durch den Filter der Idee gehen«. »Wenn dem Dichter ( . . . ) ein Mensch entgegenkommt, der seinem Leitbild zu entsprechen scheint, so ist diese >Realität< wie eine Zugabe, welche die Gültigkeit des Ideals nicht erhöht, aber in dem Überraschungsmoment etwas von einer Epiphanie hat« (255) - Bezeichnend für diese idealisierende Haltung ist Hölderlins Aussage im Brief an Neuffer vom 19. Jan. 1795, in dem er sich zu seiner Tübinger Liebe äußert: »Guter Gott! es waren seelige Tage, da ich, ohne sie zu kennen, mein Ideal in die übertrug.« (STA VI, 153,114f.). Zur Differenz beider Frauengestalten vgl. auch L 8, Aspetsberger, S. 247-48 und 255-56, sowie L 220, II, Schadewaldt, S.712.
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väterlichen Erzieher Adamas zufallen, übernimmt Melite in der ThaliaFassung. Sie muß deshalb frühzeitig in den Lebenskreis Hyperions eingeführt werden, während Diotima mit Recht erst dem reiferen Hyperion begegnet als jener lebendige Widerschein der Vollendung, der ihm die Gewißheit vermittelt, daß die »unendliche Vereinigung« auch wirklich existiert - »als Schönheit«, wie die Vorrede der vorletzten Fassung betont (III, 237,5). - Diese Idee von Liebe und Schönheit hat Hölderlin bereits vor seiner Frankfurter Zeit gefaßt, so daß die Begegnung mit Susette Gontard - in Requadts Sinne- nur wie eine »Zugabe«, eine Epiphanie seines Ideals erscheinen kann, die - teils durch Hölderlin selbst, teils durch die Hölderlin-Forschung - ins Mythische gesteigert wurde.20 Melite erregt in Hyperion einen Kraftimpuls, Diotima bewirkt einen Kräfteausgleich. Mit ihr begeht er keine »Todtenfeier von allem, was einst da war« in der Grotte Homers (III, 178); Diotima verkündigt ihm - im Garten und unter Blumen - ihr Ideal von Geselligkeit und zukünftiger Gemeinschaft (III, 223).21 Viele zusätzliche Strukturveränderungen müßte man anführen, wollte man die Differenzen der Thalia-Fassung zu den Jenaer Fragmenten im einzelnen darstellen. Wir wollen uns auf zwei weitere beschränken, um die Waltershäuser Konzeption in ihrer Eigenständigkeit von den späteren Fassungen abzuheben:
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Die Schriften und Briefe Hemsterhuis' an seine >DiotimaGesetzes der Freiheit, das »gebietet, one alle Rüksicht auf die Hülfe der Natur« (IV, 212,3f.), um zu erkennen, daß hier nicht etwa eine Kritik g e g e n Fichte oder Kant vorgetragen wird - wie in der Forschung meist zu lesen ist 24 - (»ohne die Schuld meiner Schule«, 24
Zinkernagel sieht in den Eingangsabschnitten der Jenaer Fassungen zwar eine 233
fügt der S p r e c h e r hinzu) -, sondern daß diese P a s s a g e Hölderlins Selbstkritik seines Waltershäuser Rigorismus formuliert. Es ist dabei nicht entscheidend, daß dieser Absatz e i n e m Kunstwerk integriert ist, und es spielt auch keine Rolle, o b H y p e r i o n selbst o d e r ein fremder Reisender d i e selbstkritischen S ä t z e vorträgt,· 25 noch der spätere Brief an den Brud e r v o m 2. N o v e m b e r 1797 (Nr. 147) läßt erkennen, daß die Tyrannei g e g e n die Natur und der Kampf mit d e m Vernunftlosen Hölderlins ehemaliger Kantrezeption entsprach, die er nun verwirft. S o s e t z e n die Jenaer Hyperion-Fragmente da an, w o das Thalia-Fragm e n t aufhörte, und sie unterziehen es einer Revision, die Hölderlin nicht zu unrecht bemerken läßt, jener Entwurf g e h ö r e zu den »rohen Massen«, mit deren »Umbildung« er sich beschäftige. - Glaubte er in Waltershausen, »den g r o ß e n Ü b e r g a n g aus der Jugend in das W e s e n des M a n n e s « (VI, 137,68) v o l l z o g e n zu haben, so wird dieser ihm in Jena zum eigentlichen Problem, der auch die N e u f a s s u n g des >Hyperion< n o t w e n d i g macht. Jetzt w e i ß Hyperion, daß nur »der S c h m e r z zum Mann« ihn >schmieden< kann (III, 234,20f.). N o c h in der endgültigen Fassung läßt Hölderlin seinen H e l d e n über seine Vergangenheit berichten (III, 38): »Freilich gieng die neue Lehre mir hart ein, freilich schied ich ungern von dem stolzen Irrtum meiner Jugend - wer reißt auch gerne die Flügel sich aus? aber es mußte ja so seyn!« »Selbstcharakteristik« des (als Wanderer) erscheinenden Dichters, hält es aber für »zwecklos«, »in diesem fingierten Bilde die Züge des echten Hölderlin erkennen und aufweisen zu wollen«. »In nichts« erhebe »es sich über die kümmerlichste Schablone«; Hölderlin beabsichtige nichts anderes, als »in diesem Bilde eines Kantischen Rigoristen die unfreundlichen Züge zu häufen ...« (L 262, S. 79) In ähnlichem Sinne meint Hildebrandt (L 116, S. 70): »Hölderlin erzählt hier nicht seine Geschichte, denn niemals war er natur- und Homer- feindlich und schon das Thalia-Fragment ist vom gleichen Natureinklang getragen wie die spätere Dichtung. Diese Naturfeindschaft ist Fichtes L e h r e . . . « Vgl. auch Beissner, STA III, 502 und Ryan, S. 36ff. 25 Man hat sich in der Forschung darauf versteift, daß diese Worte ein junger Wanderer spricht, der zu einem alten Einsiedler kommt, der seinerseits dann seine eigene Jugendgeschichte erzählt. Nach dieser Version wäre Hyperion der »Einsiedler« und der würde berichten, wie er selbst in seinen frühen Jahren zu einem alten Manne kam (dieser wäre Diotimas Vater) und dort Lebensratschläge empfing. Beissner hat eine solche »Rahmenhandlung« - wie vor ihm Zinkernagel - energisch verfochten (vgl. STA III, 508-509). Ryan hat ihm zugestimmt (L 213, S. 35) und alle späteren Hyperion-Deutungen bauen darauf auf. - Doch scheint diese Konstruktion zu fremdartig, als daB man ihr den Bestand zutrauen könnte, den Ryan ihr verspricht. In dem Aufsatz: Auf der Suche nach dem verlorenen Erzähler - Zu Aufbau, Programm und Stellenwert von Hölderlins Romanfragment >Hyperions Jugend/, Euphorion 69 (1975), habe ich diese These zu widerlegen versucht. 234
Diesen Akt der Selbstverstümmelung, der in der Retrospektive von Hyperion gerechtfertigt wird und der eine Einschränkung desVernunftanspruches bedeutet, vollzieht Hölderlin faktisch beim Übergang von Waltershausen nach Jena. Er findet damit zur Anerkenntnis der Leidenserfahrung und zu jenem neuen Prinzip des antagonistischen Verhältnisses der Kräfte, das Schiller im sechsten der >Ästhetischen Briefe< das »große Instrument der Kultur« nennt (NA 20,326,26-27). Das Opfer an die Grazien und der neue »Sinn« für die »stillen Melodien des Lebens« zu Beginn von >Hyperions Jugend< (III, 199,6-8 u. 22-23) sind ein flüchtiger Reflex des Schillerschen Horen-Programmes. 26 Ordnung und Maß, das schöne Gleichgewicht in der Natur und die Harmonie in der Geisterwelt, sowie die Schönheit als anmutiger Vorschein des seligen Friedens sollten die neuen Prinzipien der Jenaer Hyperion-Fragmente werden, auch wenn sie hier unter Hölderlins philosophischem Engagement dichterisch noch nicht zu bewältigen waren. Schiller gibt Hölderlin damit ein neues Maß; zur Zeit seiner KantStudien aber glaubte er Schiller übertrumpfen zu können.
* »Wohlständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede werden ... der Geist und die Regel dieser Zeitschrift seyn«, schrieb Schiller in der Ankündigung. In den Göttergestalten der Hören, so heißt es weiter, verehrten die Griechen »die welterhaltende Ordnung, aus der alles Gute fließt, und die in dem gleichförmigen Rhytmus des Sonnenlaufs ihr treffendstes Sinnbild findet«. Sie sind die Töchter »des Gesetzes und der Macht«, desjenigen Gesetzes, »das in der Körperwelt über den Wechsel der Jahreszeiten waltet und die Harmonie in der Geisterwelt erhält«. Die Hören seien es gewesen, »welche die neugeborene Venus bey ihrer ersten Erscheinung in Cypern empfingen, sie mit göttlichen Gewanden bekleideten, und so von ihren Händen geschmückt, in den Kreis der Unsterblichen führten«. Durch diese Dichtung werde angedeutet, »daß das Schöne schon in seiner Geburt sich unter Regeln fügen« müsse, »und nur durch Gesetzmäßigkeit würdig« werde, »einen Platz im Olymp, Unsterblichkeit und einen moralischen Werth, zu erhalten«.. »In leichten Tänzen umkreisen diese Göttinnen die Welt, öffnen und schließen den Olymp, und schirren die Sonnenpferde an, das belebende Licht durch die Schöpfung zu versenden.« Auch stehen die Hören »im Gefolge der Huldgöttinnen und im Dienste der Königin des Himmels, weil Anmuth und Ordnung,WohlanständigkeitundWürdeunzertrennlich«seien(NABd. 22,106ff.).
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II. Hölderlins Rivalität mit Schiller in Waltershausen und seine >Umkehr< in Jena D e r Brief an Neuffer vom 10. O k t o b e r 1794 ist eines der wichtigsten D o k u m e n t e für Hölderlins W a l t e r s h ä u s e r Schaffensperiode. Er kann auch als Widerschein von Schillers A n t w o r t s c h r e i b e n nach dem Empfang des Hyperion-Manuskriptes gelesen werden. » D i e fünf ersten Briefe (wirst du) diesen Winter in der Thalia finden«, schreibt Hölderlin d e m Freund. D a m i t gibt er die Z u s a g e weiter, die er von Schiller erhalten hat. Merkwürdig bleibt, daß Hölderlin mit keinem W o r t Schillers Resonanz auf den >Hyperion< erwähnt, obwohl er sich d o c h gewiß in seiner A n t w o r t dazu g e ä u ß e r t haben wird. Dafür a b e r b e r i c h t e t er von Schillers L o b über das G e d i c h t » D a s Schiksaal« (VI, 137,76f.). Ruft man sich Hölderlins eigenes Urteil über dieses G e d i c h t ins G e dächtnis, das er einige M o n a t e früher - ebenfalls in einem Brief an Neuff e r - formulierte, so wird seine unumwundene W e i t e r g a b e des Schillerschen L o b e s um so verwunderlicher. Hölderlin schrieb damals: Mein Gedicht an das Schiksaal wird warscheinlich diesen Sommer in der Thalia erscheinen. Ich kann es jezt schon nimmer leiden. Überhaupt hab' ich jezt nur noch meinen Roman im Auge. (VI, 113,9f.) S o m i t lobte Schiller im Herbst 1794 ein poetisches G e b i l d e Hölderlins, das dieser selbst wenig früher zugunsten des >Hyperion< verwarf. Zieht man in B e t r a c h t , daß Schillers Aufmunterung ohnehin nur unt e r dem Einfluß Charlottens von K a l b zustandekam, die aber dessen Aufmerksamkeit eigentlich auf den Hyperion lenken wollte, so wirkt Hölderlins V e r s c h w e i g e n von Schillers R e s o n a n z doppelt beredt. Frau v o n K a l b s c h r i e b Anfang S e p t e m b e r 1795 an C h a r l o t t e Schiller ( L D 139, VII, 2,12,4ff.): Ersuchen Sie Schiller daß er diesem jungen Mann (Hölderlin) bald auf seinen Brief antworte, - und mit einiger Vorliebe das Bruchstück in die Hand nehme, welches er ihm zusendet. Sein Urteil über diesen Versuch - seines Bildenden Geistes sey gerecht aber auch gütig, er zürne nicht - nicht zweifei; sondern Antheil an Hölderlin besorgnisse, verleideten mich, zu dieser Aeuserung. D a n a c h schien Hölderlin » B e s o r g n i s s e « zu hegen, daß Schiller über den Hyperion >zürnen< könne. - W e l c h e Motivation m o c h t e er dazu haben, und wie mag unter diesen Voraussetzungen Schillers Urteil über das >Fragment< ausgefallen sein? Will man von d e m Schicksalsgedicht h e r eine vorläufige A n t w o r t wagen, so bietet das vorangestellte M o t t o von A e s c h y l o s einen Anhaltspunkt. Es lautet in der Ü b e r t r a g u n g :
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Die das Schicksal bußfällig verehren, sind weise. Bußfälligkeit und Anerkenntnis der »Noth« als Triebfedern zur Erringung der Weisheit aber genügen Hölderlin im >Hyperion< nicht mehr; sie werden verdrängt durch die Freiheit, die aus eigener K r a f t das Höchste zu bilden fordert. >Not< und Bedrängnis galten auch nach Kants >Idee zu einer allgemeinen Geschichte< als >Meisterinnen< der Menschheitsentwicklung (A 395). Weil »aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht i s t , . . . nichts ganz Gerades gezimmert werden« kann (A 397), sollte er durch äußeren Zwang - wie ein Baum im Wald - zum geraden Wuchs gedrängt werden. 27 In einem fortgeschrittenen Stadium aber mußte er fähig sein, sich am Stab des Sittengesetzes selbst aufzurichten, was Hölderlins späterer Forderung entspricht, so daß man am Übergang vom Schicksalsgedicht zum Hyperion den jeweiligen Stand seiner Kantrezeption ablesen kann. Schiller schien diesem kühnen Aufruf zur Freiheit etwas skeptischer zu begegnen, obgleich er sie als Triebfeder der Kultur keineswegs leugnete. Auch er forderte zu Anfang des dritten der >Ästhetischen BriefeHyperion< proklamierte, weil diese nach Schiller bereits das Zeichen menschlicher Selbstentfremdung trug. - Dementsprechend mußte sein Urteil über das Hyperion-Fragment ausfallen, das leider nur indirekt zu erschließen ist. Da Hölderlin aber Schillers Kommentar verschweigt, an dem ihm sonst sehr gelegen war, und lediglich dessen Lob für das Schicksalsgedicht erwähnt, das Hölderlin selbst bereits verworfen hatte, darf man mit einigem Recht an Schillers positiver Aufnahme zweifeln. 28 27
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Sicherlich ist Kants Schrift hier wiederum entscheidender für Hölderlins Aufnahme des Begriffes der »Noth« als der »Übergang der Französischen Revolution von der zweiten in die dritte Periode«, d. h. »zu einer Herrschaftsform, die nicht im Sinne Hölderlins lag«; - so meint Günter Mieth, L 172, S. 516, »den Glauben an eine vom Streben des Menschen unabhängige Macht« bei Hölderlin begründen zu können. Möglicherweise ist sogar das »Fragment«, das Hölderlin Schiller sandte 237
Läßt man diese Meinungsverschiedenheiten gelten, die sich bereits als Hölderlins eigene »Besorgnisse« oder Befürchtungen im Brief von Frau von Kalb niederschlugen (VII, 2,13), so leuchtet es auch ein, wenn er Neuffer gegenüber ankündigt, er wolle den Schiller, der >Anmut und Würde< geschrieben hatte, unter bestimmten Aspekten seiner Kantrezeption überbieten, obgleich er ein halbes Jahr vorher noch betonte, er erinnere sich nicht »etwas gelesen zu haben, wo das beste aus dem Gedankenreiche, und dem Gebiete der Empfindung und Fantasie so in Eines verschmolzen gewesen wäre« (VI, 114f.). - Da sich das »Gesetz der Freiheit« als ein Versuch erweist, jene Ankündigung einer Überbietung Schillers einzulösen, und da sich an diesem Bruchstück zumindest die Tendenz ermessen läßt, die Hölderlin über Schiller hinaustrieb, so wird man die entsprechenden Resultate auch für den >Hyperion< geltend machen dürfen: Nicht in Richtung der >schönen SeeleAnmut und Würde< Kant gegenüber vortrug. Selbst der rasche Abdruck in der >Thalia< zeugt nicht für Schillers besondere Anerkennung oder gar Auszeichnung des Hyperion-Fragments. Schiller war 1794 in Verlegenheit, die letzten Hefte der Thalia zu füllen, die nur mit großer Verzögerung erschienen.30 (STA VI, 137,80), nicht identisch mit dem in der Thalia wiedergegebenen Abschnitt, der ja nach Hölderlins eigener Aussage weiter konzipiert war (vgl. ebd.). Schiller könnte eventuell einen von Hölderlin bereits entworfenen, weiterführenden Teil abgetrennt haben. - Vielleicht schreibt deswegen Hölderlin an Neuffer: »die fünf ersten Briefe« werde er in der Thalia finden und nicht: >das Fragments das er Schiller übersandt hatte (vgl. STA VI, 136,65 und VI, 137,80). - >Die fünf ersten Briefe< wäre dann die Antwort Schillers. - Dieser hätte damit das >Fragment< auf Hyperions Jugendnöte eingeschränkt, was dem Anspruch des Schicksalsgedichtes, das in demselben Thalia-Heft: erschien, obgleich es zunächst »für einen Allmanach bestimmt« war, entsprach. 29 Auch hier deutet das Verschweigen der Mittel gegenüber Neuffer, die Hölderlin teilweise selbst aus Schillers Matthisson-Rezension bezog, auf ein geheimes Rivalitäts- und Spannungsbewußtsein. 30 Vgl. Schillers Brief an Hölderlin, STA VII, 1, S. 40 (Nr. 21). - Heft 5 und Heft 6 des Jahrgangs 1793 erschienen im November 1794 und (wahrscheinlich) Januar 1795.
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Sogar Neuffers Produkte waren ihm dafür willkommen. 31 Seit Mitte des Jahres 1794 war Schiller aber bereits um attraktive Beiträge für die >Horen< bemüht; hätte der >Hyperion< seinem Anspruch genügt, so wäre er gewiß für die neue Zeitschrift aufgespart worden. So aber war der Thalia-Abdruck kaum mehr als eine wohlwollende Gefälligkeit, die Schiller zusätzlich aus eigener Verlegenheit half. Möglicherweise haben gewisse Anklänge des >Hyperion< an Wilhelm Friedrich Meyerns Roman >Dya-Na-SoreJenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung< scharf rezensierte, auch dessen Urteil über den >Hyperion< mitbestimmt. 32 Man wird nicht umhin können, Hölderlins Hyperion-Fragment als eigenwillige Frühstufe von den späteren Fassungen deutlich zu unterscheiden. - Bereits in Waltershausen wollte er den Stoff des >Hyperion< zugunsten eines »andern Plans«, der ihm »beinahe noch mer am Herzen« lag, zurückstellen. Er hätte ihn kaum noch einmal aufgenommen, wäre er »mit dem Ganzen im Reinen« gewesen, wie er Neuffer wissen läßt (VI, 137,71-75). Erst mit der Übersiedlung nach Jena zu Ende des Jahres 1794 nimmt Hölderlin Abstand von seiner »verwegenen Neugier«. Neben Schillers unmittelbarem Einfluß und Fichtes dynamischer Philosophie werden ihn vor allem die unzureichenden Erfahrungen, die er mit seiner Version der Kantischen Moralphilosophie gemacht hatte, und die er im Grunde nie durchschaute, zu seiner >Umkehr< bestimmt haben. In keinem seiner Wirkungsbereiche war es ihm gelungen, die Forderungen einzulösen, die er sich unter dem Kantischen Imperativ gestellt hatte, um so das Absolute gleichsam dingfest zu machen. Mit der pädagogischen Unterweisung seines Zöglings, an dem er seine Morallehre erprobte, 33 hatte Hölderlin Schiffbruch erlitten. Kants 31
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Vgl. Hölderlins Brief an Neuffer vom 19. Januar 1795, Nr. 93, STA VI, 152,87f.: »Ein Stük Deiner Äneide wirst Du in der neuesten Thalia finden.« Vgl. dazu Beissner, STA III, 432/33 und Schillers Kritik von Meyerns Roman (NA Bd. 22,196/97): »Die Fabel «diene einer »reinen und schönen Sittenlehre zur Hülle, die ihr aber oft so gezwungen und oft wieder so lose angepaßt wird, daß sie weniger aufklärt als verdunkelt Nichts beleidigt indessen mehr, als die barbarische Durcheinandermengung des Abstrakten mit dem Symbolischen, oder der Allegorie mit den philosophischen Begriffen«; »in eben dem Augenblick, da uns der Weg zur Wahrheit als eine Wanderung vorgestellt wird, hören wir darüber von dem Wanderer als über eine abstrakte Materie sprechen. Es fällt in die Augen, d a ß es d e m Verfasser überhaupt nur um ein Vehikel für seine Philosophie zu tun war.« - »Zwitter von Abhandlung und Erzählung, der durch eine fast durchaus metrische Prosa womöglich noch ermüdender wird.« - Solche Einwände wären auch dem >Hyperion< gegenüber geltend zu machen. Vgl. Hölderlins Brief an Schiller, Nr. 76, der eine Art Rechenschaftsbericht
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Kernsatz: »Du kannst, denn du sollst!« verfehlte hier seine Wirkung. Die vergeblichen Nachtwachen untergruben Hölderlins Mut und seine Gesundheit. Vielleicht hat auch das zweifelhafte >on dit< um Charlottens Gesellschafterin, Hofrätin Kirms, bei Hölderlins Neuorientierung eine Rolle gespielt; 34 ihre Bekanntschaft könnte ihn zur Einsicht gebracht haben, Naturgegebenheiten nicht zu verleugnen. - Hölderlins schwere seelische Krise ist Ausdruck seiner Umbruchssituation r35 selbst sein Wille zur veränderten Orthographie, den er so rasch in die Tat umsetzte, daß manche Datierungsprobleme heute dadurch lösbar werden, zeigt, daß er einen Neuanfang suchte und auch bewältigte. In Jena findet Hölderlin dann selbst einen bedachtsamen pädagogischen Führer in der Person Schillers, der durch Charlotte von Kalb über dessen persönliche Probleme genau unterrichtet ist. »Sie und Fichte ziehen ihn an!«, schreibt sie an Schiller (VII, 2,20,6f.) und bittet ihn im gleichen Brief, er möge Hölderlin »leichte Arbeiten . . . verschaffen«, um ihn »von Sorgen zu befreien . . . die wohl seine Praktische Philosophie
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über seine pädagogische Tätigkeit darstellt. Dort heißt es (STA VI, lll,5f.): »Meinen Zögling zum Menschen zu bilden, das war und ist mein Zweck. Überzeugt, daß alle Humanität, die nicht mit andern Worten Vernunft heißt, oder auf diese sich genau bezieht, des Namens nicht werth ist, dacht' ich in meinem Zögling nicht frühe genug sein Edelstes entwikeln zu können.« Vgl. L 16, Beck, S.46ff. Vgl. die Briefe Charlottens von Kalb an Schiller. Sie schreibt am 25.10.1794 (LD 141, STA VII, 2,14,9f.): »Hölderlin ist sehr empfindlich; lassen Sie sich also nicht merken, daß ich etwas über diesen Gegenstand Ihnen schrieb, - ich vermuthe H. ist - etwas überspannt - u. so sind auch vielleicht seine Forderungen an das Kind.« Und am 9. Dezember 1794, nach Hölderlins erstem Jena-Besuch (LD 144, STAVII,2,17,5): »Viele Nachrichten melden mir ... die äuserst harte Behandlung welche mein Fritz von seinem Lehrer erdulten muß. - (Lassen Sie Hölderlin ich beschwöre Sie, nicht das mindeste merken daß ich davon unterrichtet bin. -) seine Empfindlichkeit ist gränzen los - und mann meynt würklich das eine Verworrenheit des Verstandes diesem Betragen zu gründe liegt;« Am 14. Januar 1795 heißt es (LD 147, STA VII, 2,20,1 lf.): »Ich that was in meinen Kräften war. - Aber es half nichts - Mismuth langeweile - beynahe Antipatien des Lehrers und Kindes machten dises täglich bösartiger - und wiedriger.« Hölderlin selbst schreibt am 19. Januar 1795 an Neuffer (Nr. 93, STA VI, 150,20f.), er habe angefangen, »auf eine gefährliche Art an (seinem) Kopf zu leiden« und seine »Gesundheit« und sein »Gemüth« seien »hart angegriffen gewesen«. Sogar in einem späteren Brief an Hegel vom 20. Nov. 1796 (Nr. 128, STA VI, 222,35) erinnert sich Hölderlin noch der »Höllengeister, die (er) aus Franken mitnahm...«
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vermehren würden, aber nicht die Ruhe seines Lebens« (ebd. 21,30f.), ein Beweis mehr für Hölderlins frühere Hauptbeschäftigung. Schiller kam dieser Bitte nach und veranlaßte Hölderlin, »Ovids Phaeton in Stanzen« zu übertragen (VI, 169,39f.), worin ein doppelter pädagogischer Wink versteckt lag: zum einen »über die Gefahren eines das Maß übersteigenden Höhenflugs zu reflektieren«, 36 zum andern aber auch poetisches Maß an metrischen Formen zu lernen. Die rhythmische Prosa des >HyperionHyperion< im Zuge dieser Maß-Nahme entstanden. Schiller hatte Hölderlin »aufgemuntert, Beiträge in sein neues Journal, die Hören . . . zu geben« (VI, 155,25f.), und Hölderlin hoffte insgeheim auf einen neuen Abdruck. Doch kannte er auch Schillers strengere Maßstäbe und höhere Ansprüche in dieser Zeitschrift, die er sicherlich einkalkulierte. 38 Erst nachdem Cotta den Verlag übernahm, löst Hölderlin die metrische Fassung wieder auf. Schiller hatte in seiner Empfehlung des Werkes an Cotta geschrieben: Es wäre mir gar lieb, wenn Sie ihn (den Hyperion) in Verlag nehmen wollten. Er hat recht viel genialisches, und ich hoffe auch noch einigen Einfluß darauf zu haben.« (Brief v. 9.5.1795, III, 304).
Offenbar denkt Schiller hier noch an das Thalia-Fragment, wobei das Wort >genialisch< sowohl auf Hölderlins Talent, wie auf die Notwendigkeit seiner Mäßigung deutet. 39 So ist hier wenigstens ein flüchtiger Rex
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So Mommsen, L 177, S. 216. Vgl. auch S. 243, w o Mommsen auf das PhaethonMotiv in >Hyperions Jugend< hinweist (STA III, 204,28f.): »Den stößt des Schiksaals eherner Wagen um, der seinen Rossen nicht mit Muth in die Zügel fällt.« Vgl. Fußnote 32 dieses Kapitels. Vgl. Brief Nr. 93 an Neuffer, STA VI, 152,88f.: »Schillers Journal, die Hören, werden in dieser Art das erste Werk in Deutschland sein«; und den Brief an die Mutter vom 22.2.1795, STA VI, 157,31f.: »Nun kömmt's darauf an, ob mirs gelingt, etwas zu liefern (für die Hören), was taugt, und so würd' ich bis zu Ende des nächsten halben Jahres eine ziemliche Einnahme haben, vieleicht noch früher. Die Arbeit, die ich bisher unter den Händen hatte (die Neufassung des >HyperionGeniehaften< in dieser Zeit den 10. der ästhetischen Briefe< (NA Bd. 20,339,12f.): »Solange Athen und Sparta ihre Unabhängigkeit behaupteten,..., war der Geschmack noch unreif, die Kunst noch in ihrer Kindheit, . . . Zwar hatte die Dichtkunst schon einen erhabenen Flug 241
flex seines kritischen Urteils über die Frühstufe des >Hyperion< wahrzunehmen. Die Jenaer Fassungen beweisen dann, daß Schiller seinen Einfluß sowohl auf die neue Konzeption, als auch auf ihre Formgebung geltend zu machen verstand. Die selbstkritischen Eingangspassagen der Jenaer Fragmente entsprechen ihrem Inhalt nach einer Fußnote im 13. der »Ästhetischen Briefe^ in der Schiller den »nachteiligen Einfluß einer überwiegenden Rationalität auf unsre Erkenntnis und unser Betragen« kritisiert. 40 Das »voreilige Streben nach Harmonie, ehe man die einzelnen Laute beisammen hat«, so faßt er zusammen, »diese gewaltthätige Usurpation der Denkkraft in einem Gebiete, wo sie nicht unbedingt zu gebieten hat, ist der Grund der Unfruchtbarkeit so vieler denkender Köpfe für das BCßte der Wissenschaft, und es ist schwer zu sagen, ob die Sinnlichkeit, welche keine Form annimmt, oder die Vernunft, welche keinen Inhalt abwartet, der Erweiterung unserer Kenntnisse mehr geschadet haben.« (NA 20,350,25-31)
Eben diese »gewaltthätige Usurpation der Denkkraft« sucht Hölderlin in Jena zugunsten eines ausgewogeneren Verhältnisses von Sinnlichkeit und Vernunft einzuschränken. Schiller setzt ihm jetzt seine dichterischen und denkerischen Maßstäbe, und die »Ästhetischen BriefeAn die klugen Rathgeben (STA 1,223) und >Der Jüngling an die klugen Rathgeben (STA 1,225), die sicherlich nicht ohne Spitze gegen Schiller geschrieben sind und die dieser auch prompt zurückweist (vgl. Beissner, STA 1,536f.). - Als Antwort auf die erste Einsendung erhält Hölderlin einen weiteren Ratschlag Schillers, der den früheren, soweit sie erschließbar sind, entspricht (Brief vom 24. November 1796, ed. Jonas, Bd. V, S. 117, NR. 1132): »Nehmen Sie, ich bitte Sie, Ihre ganze Kraft und Ihre ganze Wachsamkeit zusammen, wählen Sie einen glücklichen poetischen Stoff, tragen ihn liebend und sorgfältig pflegend im Herzen, und lassen ihn, in den schönsten Momenten des Daseyns, ruhig der Vollendung zu reifen; fliehen Sie wo möglich die philosophischen Stoffe, sie sind die undankbarsten, und in fruchtlosem Ringen mit denselben, verzehrt sich oft die beste Kraft; bleiben Sie der Sinnenwelt näher, so werden Sie weniger in Gefahr seyn, die Nüchternheit in der Begeisterung zu verlieren, oder in einen gekünstelten Ausdruck zu verirren.« Vgl. zu diesem Problem auch L 161, Mason, S. 81.
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Solche Sicherheit und Festigkeit in eigener Sache hat Hölderlin nach seinem >verlorenen< Waltershäuser Jahr45 in Jena noch nicht besessen. Hier bemühte er sich, Ballast aufzunehmen, um den euphorischen Aufschwung seines Geistes zu dämpfen. Er wollte lernen, »seinen Rossen . . . mit Muth in die Zügel« zu greifen (III, 204,28f.), um Phaetons Schicksal zu entgehen. Der neue Umgang wirkte so jenes »Wunder«, das Hölderlin sich bereits im Frühjahr 1794 von Schillers Nähe versprach (VI, 113,50). Die damit einhergehende Devolution seiner Vorstellungsart< führt auch zu einem neuen Schönheitsbegriff, der hier nicht mehr zu erörtern ist.46 Doch könnte man ihn unter die Obhut eines »Wächters« stellen, so nennt Kant in der >Anthropologie< eine bloße Bezeichnung für einen Begriff,·47 und dieser »Wächter« hieße: »intellektuale Anschauung«,48 Sein Revier abzuschreiten, bedeutet Hölderlins Schönheitsbegriff der Jahre 1795-97 zu bestimmen. Er zielt auf »jene unendliche Vereinigung«, das »Seyn, im einzigen Sinne des Worts«, das weder in der Ferne der Vergangenheit, noch in der Unendlichkeit der Zukunft gesucht werden muß, weil es im Schönen wirklich »vorhanden« ist (III, 237). Es wird geschenkt von der Natur und erscheint in Hölderlins Dichtung in der Gestalt Diotimas: Sie ist das Urbild, nach dem die »Kopie« der Welt geschaffen werden soll (III, 114).
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S o muß er sich Charlotte von Kalb gegenüber geäußert haben; - vgl. LD 147, STA VII, 2,21,19: »H. hält dies Jahr für verlohren.« Auch Günter Mieth konstatiert hier eine entscheidende Wende in Hölderlins Schönheitsbegriff; vgl. L 172, S. 517. Mit Recht sagt Mieth: »Indem ihr (der Schönheit) die Aufhebung von Knechtschaft und Herrschaft vorausgegangen sein muß, wird die Schönheit zum revolutionären Ideal, das der gesamten Menschheit aufgegeben ist.« Vgl. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, § 28 der Ausgabe A, § 35 der Ausgabe B, BA S. 107. Vgl. dazu L 242a, S. 134ff.
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Literaturverzeichnis
Vorbemerkungen zum Zitieren: 1. a) Alle Hölderlin-Texte, - B r i e f e und - D o k u m e n t e werden zitiert nach der G r o ß e n Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe (StA), hrsg. von Friedrich Beißner und Adolf B e c k , Stuttgart 1943ff. R ö m i s c h e Ziffern kennzeichnen die Bandzahl, es folgen Seite und Zeile bzw. V e r s (ζ. B.: S t A 1,100,10). b) Bei den » D o k u m e n t e n « wird nach der römischen Bandziffer zusätzlich der Teilband angegeben und in Klammern die Nummer des Dokuments angeführt: ζ. B.: S t A VII, 1,100,10 ( L D 10). c ) Die Hyperion-Texte werden ausschließlich nach den Seitenangaben der S t A zitiert (die Paginierung der Erstdrucke, die bei Beißner zu finden ist, wird nicht mehr hinzugefügt). d) Die Hölderlin-Jahrbücher werden H.-Jb. abgekürzt. 2.
Für Editionen und Primär-Texte, die häufig vorkommen, werden Abkürzungen eingeführt, die im Literaturverzeichnis in Klammern beigefügt sind.
3. a) Alle Sekundär-Texte werden nach der laufenden Nummer der Bibliographie unter Angabe des N a m e n s und der S e i t e zitiert (ζ. B.: L 20, Beißner, S. 20). b) Bei Zeitschriften-Zitaten werden die üblichen Abkürzungen verwendet. 4.
Die Bibliographie umfaßt nur Titel, die - direkt oder indirekt - die Arbeit beeinflußt haben.
5.
Alle Kursivschreibungen sind Hervorhebungen, die von mir (F. S.) stammen; sie werden im T e x t nicht ausdrücklich als solche gekennzeichnet. - Hervorhebungen in zitierten Texten werden dagegen im Bedarfsfalle vermerkt.
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I. Ausgaben und Texte (Abkürzungen in Klammern) Dalberg, Carl Theodor: Grundsätze der Ästhetik, Erfurt 1791. Fichte, Johann Gottlieb: Gesamtausgabe der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. Reinhard Lauth und Hans Jacob, Stuttgart 1964ff. (Akad.-Ausg.) Fichte, Johann Gottlieb: Werke, hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte, 11 Bde., Berlin 1971 (Fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1845/46 und der nachgelassenen Werke von 1834/35). Fichte, Johann Gottlieb: Leben und literarischer Briefwechsel, hrsg. v. seinem Sohne Immanuel Hermann Fichte, 2. sehr vermehrte und verbesserte Auflage, 2 Bde., Leipzig 1862. - Band 1: Das Leben; Band 2: Actenstücke und literarischer Briefwechsel. (Leben und literar. Briefwechsel). Flatt, Johann Friedrich: Briefe über den moralischen Erkenntnisgrund der Religion überhaupt, und besonders in Beziehung auf die Kantische Philosophie, Tübingen 1789. Goethe, Johann Wolfgang: Werke - Hamburger Ausgabe,. Hamburg 1949ff. (HA). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Ästhetik; - Mit einer Einführung von Georg Lukäcs. Nach der zweiten Ausgabe Heinrich Gustav Hothos, 1842, hrsg. v. Friedrich Bassenge, 2 Bde., Berlin 1955 (ed. Bassenge). Hemsterhuis, Frangois: Philosophische Schriften, hrsg. v. Julius Hilß, 2 Bde., Karlsruhe und Leipzig 1912. (ed. Hilß). Herder, Johann Gottfried: Sämtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan, Berlin 1888ff. (ed. Suphan). Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke, G r o ß e Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe, hrsg. v. Friedrich Beißner, die Briefe und Dokumente von Adolf Beck, Stuttgart 1943ff. (StA). Hölderlin-Handschriften: Katalog der Hölderlin-Handschriften auf Grund der Vorarbeiten von Irene Koschlig-Wiem bearbeitet von J. Autenrieth und A. Kelletat, Stuttgart 1961. Hölderlin-Ausstellung: Katalog der Hölderlin-Ausstellung, Friedrich Hölderlin 1770-1970, Zum 200. Geburtstag, Schiller-Nationalmuseum Marbach 1970. Hölderlin: Eine Chronik in Text und Bild, hrsg. v. A. Beck und Paul Raabe, Schriften der Hölderlin-Gesellschaft, Bd. 6/7, Frankfurt 1970. Hölderlin-Jahrbücher: Hölderlin-Jahrbücher, im Auftrag der Hölderlin-Gesellschaft, begründet von Friedrich Beißner und Paul Kluckhohn, hrsg. v. Wolfgang Binder und A. Kelletat, Tübingen 1944ff. (H.-Jb.). Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke, hrsg. v. Friedrich Roth und Friedrich Koppen; Reprographischer Nachdruck der Ausgabe von 1812, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968. Kant, Immanuel: Werke in 10 Bänden, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, dritter, nochmals überprüfter reprographischer Nachdruck der Ausgabe Darmstadt 1960, Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1968. - Zitiert wird nach
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den ursprünglichen Texten: 1. Auflage = A; 2. Auflage = B; die einzelnen Texte werden folgendermaßen abgekürzt: Kritik der reinen Vernunft Kritik der praktischen Vernunft Kritik der Urteilskraft Die Metaphysik der Sitten Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Anthropologie Anthropologie in pragmatischer Hinsicht Allgem. Nat-Gesch. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels Mutmaßlicher Anfang Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte Idee zur allgem. Gesch. Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht Theor. Prax. Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis KrV KpV Urtkr. Metaphys. d. Sitten Grundlegung Religionsschrift
Maimon, Salomon: Versuch über die Transzendentalphilosophie mit einem Anhang über die symbolische Erkenntnis, Berlin 1790, Fotomechanischer Nachdruck, Darmstadt 1963. Mendelssohn, Moses: Schriften zur Philosophie, Ästhetik und Apologetik, 2 Bde. hrsg. v. M. Brasch, Leipzig 1880. (ed. Brasch). Moritz, Karl Philipp: Schriften zur Ästhetik und Poetik, hrsg. v. H. J. Schrimpf, Tübingen 1962. (ed. Schrimpf). Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten, Lahr 1948 (Götterlehre). Niethammer, Friedrich Immanuel: Versuch einer Ableitung des moralischen Gesetzes aus der Form der reinen Vernunft. In: Philosophisches Journal für Moralität, Religion und Menschenwohl, hrsg. v. Erhard Schmid u. F. W. D. Snell, Glessen 1793ff. (bei G. F. Heyer) Niethammer, Friedrich Immanuel: Über Religion als Wissenschaft, (anonym) 1795. Novalis, Friedrich: Schriften, hrsg. v. P. Kluckhohn und R. Samuel, 2. nach den Handschriften ergänzte, erweiterte und verbesserte Auflage in vier Bänden, Stuttgart 1960/61 (ed. Kluckhohn/Samuel). Novalis, Friedrich: Schriften, hrsg. v. J. Minor, Jena 1907 (ed. Minor). Oetinger, Friedrich Christoph: Sämtliche Schriften zum ersten Mal vollständig gesammelt und unverändert herausgegeben von Karl Chr. Eberh. Ehmann, Stuttgart 1864. Plato: Sämtliche Werke in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher mit der Stephanus-Nummerierung, hrsg. v. W. F. Otto und Ernesto Grassi, Hamburg 1957. Reinhold, Karl Leonhard: Versuch einer neuen Theorie des menschlichen
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Vorstellungsvermögens, Prag und Jena 1789. Reinhold, Karl Leonhard: Briefe über die Kantische Philosophie, Band 1, Leipzig 1790; Band 2, Leipzig 1792. Schelling, Friedrich Wilhelm: Schriften von 1794-1798, reprographischer Nachdruck der Cottaschen Ausgabe von 1856, Darmstadt 1967. Schelling, Friedrich Wilhelm: Briefe und Dokumente Band I (1795-1809), hrsg. v. Horst Fuhrmanns, Bonn 1962. (Schelling, Briefe). Schiller, Friedrich: Schillers Werke. Nationalausgabe im Auftrag des Goetheund Schiller-Archivs und des Schiller-Nationalmuseums begründet von Julius Petersen und Hermann Schneider; weiter hrsg. v. Liselotte Blumenthal und Benno v. Wiese, 1943ff. (NA). Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke. Säkular-Ausgabe in 16 Bänden, hrsg. v. Eduard von der Hellen, Stuttgart und Berlin MDCXL. (Säk.-Ausg.). Schiller, Friedrich: Schillers Briefe, hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Fritz Jonas, Kritische Gesamtausgabe, Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien 1898. (ed. Jonas). Schlegel, Friedrich: Seine prosaischen Jugendschriften (1794-1802), hrsg. v. J. Minor, Wien 1906. (ed. Minor). Shaftesbury: Die Moralisten - Eine philosophische Rhapsodie. Eine Wiedergabe gewisser Unterhaltungen über Natur und Moral. Ausgabe der Philosophischen Bibliothek Band 111 in der Übertragung von Max FrischeisenKöhler, Leipzig 1909. Storr, Gottlob Christian: Neue Apologie der Offenbarung Johannis, Tübingen 1783. Storr, Gottlob Christian: Bemerkungen über Kants philosophische Religionslehre - Aus dem Lateinischen. Nebst einigen Bemerkungen des Übersetzers über den aus Principien der praktischen Vernunft hergeleiteten Überzeugungsgrund von der Möglichkeit und Wirklichkeit einer Offenbarung in Beziehung auf Fichtes Versuch einer Critik aller Offenbarung, Tübingen 1794. Waiblinger, Wilhelm: Friedrich Hölderlins Leben - Dichtung und Wahnsinn, nach der Handschrift hrsg. v. A. Beck, 1951. II. Sekundärliteratur L
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1 Abusch, Alexander: Hölderlins poetischer Traum einer neuen Menschengemeinschaft, Weimarer Beiträge 16, 1970. 2 Adorno, Theodor W.: Parataxis, Noten zur Literatur III, Frankfurt 1965. 3 Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Ges. Schriften Bd. 7, Frankfurt 1970. 4 Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik, Ges. Schriften Bd. 6, Frankfurt 1973. 5 Allemann, Beda: Hölderlin u. Heidegger, 2. Aufl. Zürich 1956.
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6 Altmann, Alexander: Moses Mendelssohns Frühschriften zur Meta-
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physik, Tübingen 1969.
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7 Anton, Herbert: Romantische Deutung griechischer Mythologie. In: Die deutsche Romantik, hrsg. v. Hans Steffen, Göttingen 1967. 8 Aspetsberger, Friedebert: Welteinheit und epische Gestaltung. Hölderlins »Hyperion«, München 1971. 9 Baeumler, Alfred: Kants Kritik der Urteilskraft. Ihre Geschichte und Systematik, Bd. 1, Halle 1923. 10 Baeumler, Alfred: Ästhetik, Darmstadt 1972, (unveränderter reprogr. Nachdruck der Ausgabe von 1934 im Handbuch der Philosophie, Abt. I, Beitrag C). 11 Barnouw, Dagmar: Pathos und Präzision - Zum dichterischen Selbstverständnis bei Friedrich Hölderlin und Stefan George, Etudes Germaniques 27, 1972. 12 Barnouw, Jeffrey: »Der Trieb, bestimmt zu werden«. - Hölderlin, Schiller und Schelling als Antwort auf Fichte, DVJ 46, 1972. 13 Bartuschat, Wolfgang: Neuere Arbeiten zu Kants »Kritik der Urteilskraft«, Philos. Rdsch. 18, 1972. 14 Baum, Manfred: Hölderlins Pindar-Fragment »Das Höchste«, H.-Jb. 13, 1963/64. 15 Beck, Adolf: Hölderlin und das Stift im November 1789. In: Wilhelm Hoffmann zum 50. Geburtstag, Stuttgart 1951, S. 18ff. 16 Beck, Adolf: Die Gesellschafterin Charlottens von Kalb. - Eine Episode im Leben Hölderlins. Versuch der Sammlung und Erklärung archivalischer Dokumente, H.-Jb. 1957, S.46ff. 17 Beck, Adolf: Hölderlin als Republikaner, H.-Jb. 1967/68. 18 Beckermann, Thomas / Canaris, Volker (Hrsg.): Der andere Hölderlin. Materialien zum >Hölderlin