Die Idee einer Altgermanischen Freiheit vor Montesquieu: Fragmente aus der Geschichte politischer Freiheitsbestrebungen in Deutschland, England und Frankreich vom 16.–18. Jahrhundert 9783486751673, 9783486751666


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German Pages 124 [128] Year 1925

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Table of contents :
VORWORT
INHALT
Einleitung
Erster Abschnitt. Grundlagen
Zweiter Abschnitt. Die altdeutsche Freiheitsidee
Dritter Abschnitt. Die altfränkische Freiheitsidee
Vierter Abschnitt. Die angelsächsische und gotische Freiheitsidee in England
Fünfter Abschnitt. Die angelsächsische und germanische Freiheitsidee in Frankreich
Rückblick
PERSONENVERZEICHNIS
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Die Idee einer Altgermanischen Freiheit vor Montesquieu: Fragmente aus der Geschichte politischer Freiheitsbestrebungen in Deutschland, England und Frankreich vom 16.–18. Jahrhundert
 9783486751673, 9783486751666

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ERWIN HÖLZLE

DIE IDEE EINER ALTGERMANISCHEN FREIHEIT VOR MONTESQUIEU FRAGMENTE AUS DER GESCHICHTE POLITISCHER F R E I H E I T S B E S R E B U N G E N IN DEUTSCHLAND, ENGLAND UND FRANKREICH VOM 16.-18. JAHRHUNDERT

MÜNCHEN UND BERLIN 1925 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

B E I H E F T 5 DER H I S T O R I S C H E N

Alle Rechte, einschließlich der Übersetzung, vorbehalten

ZEITSCHRIFT

Meinem Vater zum sechzigsten Geburtstag zu eigen

VORWORT. Wie sehr diese Arbeit Versuch ist, Versuch nur sein kann, das möchte ich beim Abschluß der Schrift besonders betonen. Plan und Auffassung der Aufgabe werden vielleicht durch die Skizzierung der Entstehungsgeschichte der Schrift verdeutlicht werden. Eine gleichzeitige Beschäftigung mit älterer deutscher Verfassungsgeschichte und mit Dahlmann, den mir Erich Mareks dankbarerweise nahe brachte, zeigte mir, wie stark die innenpolitischen Reformpläne im Deutschland des 19. Jahrhunderts mit den Anschauungen über den älteren deutschen Staat verbunden waren. Die Idee der altgermanischen Freiheit hat eine lange Vorgeschichte, zu der mir Friedrich Meinecke die Wege wies. Sie zu erforschen, war Vorbedingung einer Darstellung der Geschichte der Idee im 19. Jahrhundert. Es mußte bis zu den Zeiten des Humanismus zurückgegangen werden; die französische und englische Literatur erforderte besonders eingehende Studien. Es zeigte sich, daß Montesquieu den stärksten Einschnitt in der Entwicklungsgeschichte unserer Idee bot. Mit ihm sollte die gegenwärtige Schrift ihren Abschluß finden. Die Arbeit ist eine erweiterte Doktordissertation, die der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin vorgelegen hat. Von manchen Anregungen, die mir zuteil wurden, habe ich besonders Hedwig Hintze, Alfred Götze, G. P. Gooch und Paul Joachimsen zu danken. Mein Freiburger Lehrer G e o r g v o n B e l o w hat, wie er meinen Arbeiten seit dem Studienbeginn stets freundliche und hilfsbereite Anteilnahme entgegenbrachte, auch diese Schrift mit Interesse und Rat begleitet. Mein Berliner Lehrer F r i e d r i c h M e i n e c k e hat sie unter seinen besonderen Schutz genommen und sie vielfältig und reich gefördert. Die Schrift will ein Bekenntnis sein zu den wissenschaftlichen Lehren und Anschauungen, die ich meinen verehrten Lehrern danke. K o n s t a n z , Pfingsten 1925.

Erwin Hölzle.

INHALT. Ginleitung I. Abschnitt: G r u n d l a g e n . Die nordische Freiheitsidee II. Abschnitt: D i e a l t d e u t s c h e F r e i h e i t s i d e e . Die Humanisten Adel und Bauern Die Reformatoren Die Fürsten und ihre Libertät Juristen und Historiker vor Conring Blick auf die Stammesgeschichte Hugo Grotius Hermann Conring Der Sieg der Libertät und die Epigonen III. Abschnitt: D i e a l t f r ä n k i s c h e F r e i h e i t s i d e e . Franz Hotman und die Zeit der Religionskriege . . . Die Fronde Der Kampf des Adels gegen den Absolutismus Ludwigs XIV. Les soupirs de la France esclave Der Graf Boulainvilliers IV. Abschnitt: D i e a n g e l s ä c h s i s c h e u n d g o t i s c h e F r e i h e i t s i d e e in E n g l a n d . Wissenschaftliche Wegbereiter Die Zeit der puritanischen Revolution. D e r Gedanke einer traditionalen parlamentarischgemäßigten Monarchie Argumenta antinormannica. Independenten, Levellers, Diggers Das birthright des Engländers in der Theorie der puritanischen Revolution John Milton James Harrington

1 5 6 9 11 16 18 24 26 29 31 34 40 47 47 52 54 55 59 60

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VIII

Inhalt. Die Zeiten der Restauration und der glorreichen Revolution; die werdende Parteigeschichtschreibung. William Penn Robert Filmer Argumentum Antinormannicum Robert Brady English Liberties Algernoon Sidney William Temple Daniel Defoe . Bolingbroke

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Der Übergang zur französischen Literatur. James Tyrell

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V. Abschnitt: D i e a n g e l s ä c h s i s c h e u n d g e r m a n i s c h e F r e i h e i t s i d e e in F r a n k r e i c h . Vorläufer: Larrey, Rapin Thoyras und Voltaire . . Montesquieu Rückblick

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Einleitung. Where are the English Liberties, which we boast to have bin left us by our ancestors ? Der Streitruf M i 11 o n s'), die Freiheit der altsächsisch-germanischen Vorfahren als Waffe im Kampf um das Recht der englischen Revolution, das ist nur ein zeitpolitisch bedingter, stürmisch drängender Ausdruck einer Anschauung, die mit dem Beginn der neueren Zeiten bis auf unsere Tage immer wieder in der historisch-politischen Literatur des mittel- und westeuropäischen Kulturkreises vertreten und verfochten wurde. Allen den Worten vom altsächsischen Recht, ob die Engländer des 17. Jahrhunderts oder die M o s e r und D a h l m a n n davon sprachen, von altfränkischer Freiheit, von gotischer Politik oder nordischen Verfassungen, von teutscher Libertät oder deutscher Freiheit, allen diesen verschiedenartigen Wendungen liegt ein gemeinsamer Gedanke zugrunde: daß die politische Freiheit einem Volk oder einer Völkergruppe inhärent sei, — einer Völkergruppe, die wir heute als die germanische bezeichnen —, und daß diese germanische Freiheit althergebracht sei, ja den frühesten Zeiten germanischer Staatsbildung entstamme. Eine Entwicklungsgeschichte dieses altgermanischen Freiheitsgedankens im Sinne der politischen Historie setzt eine mannigfache Begrenzung der zu untersuchenden Gedankengruppe voraus. Die F r e i h e i t wird als politische Freiheit verstanden und hier vornehmlich im verfassungsrechtlichen Sinn als Inbegriff der sogenannten objektiven und subjektiven öffentlichen Rechte. Von der außenpolitischen Freiheit als Unabhängigkeit eines Staates fremden Ländern und Völkern gegenüber wird nur vereinzelt zu sprechen sein. „Die Ideen vom G e r m a n e n t u m " , über die Adolf Rapp in seinem „Deutschen Gedanken" für das 18. und 19. Jahrhundert gehandelt hat, sind allein in ihrem politischen Inhalt heranzuziehen. Was darüber hinaus von germanischem Charakter, germanischer Kultur und Religion gesagt wurde, muß unberücksichtigt bleiben. l

) Eikonoklastes, Works 1698, II, 517. Belh.d. H. Z.5.

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Einleitung.

Fast alle geschichtlichen Verfassungsinstitutionen der europäischen Staaten seit der Urzeit der germanischen Völker haben einmal als Zeugnis germanischer Freiheit gegolten. Für die Geschichte des a 11 germanischen Freiheitsgedankens können die Hinweise auf das spätmittelalterliche ständische Staatsrecht, das für die Schriftsteller des 16. bis 18. Jahrhunderts zudem wenigstens theoretisch noch als positives Recht galt, nur • wenig berücksichtigt werden. Und auch die Einrichtungen des mittelalterlichen Staates im engeren Sinne des Wortes als des fränkischen und feudalen Staates müssen für die Darstellung zurücktreten gegenüber der germanischen Verfassung der Urzeit und der Völkerwanderungszeit. Eine Geschichte des derart begrifflich begrenzten altgermanischen Freiheitsgedankens kann in mehrfacher Hinsicht für die neuere Ideen- und politische Geschichte bedeutsam sein. Wir berühren in ihr eine der Wurzeln des nationalen Gedankens. Politische Ideale werden in dem Staat der Vorfahren wieder gefunden; seine Verfassung sollte „aus dem Volksleben genommen, ja das Volksleben selber" sein1). Der mittelalterliche Gedanke, daß das alte Recht gut sei, verband sich mit der Idee vom angeborenen Recht eines Volkes. Das ewige Wesen der Nation schien sich in ihren urzeitlichen Zuständen zu spiegeln. Und, wie um ein universales Bedürfnis zu stillen, fand sich schon früh der Gedanke der ursprünglichen verfassungspolitischen Wesenseinheit einer großen Völkergruppe. Es hat freilich noch lange gedauert, bis man von Rechts- und Freiheitsbegriffen sprach, „in deren geheimer Metaphysik der Lebenstakt einer Rasse schlage"4). Aber etwas von dem modernen Rassenbewußtsein und seinein Stolz auf die Freiheit der Germanen klingt schon bei den Verfechtern gotischer Freiheit im 17. Jahrhundert an. Die Goten als Zertrümmerer des Römischen Imperiums, dieser geschichtliche Vorgang führt bereits einzelne Denker zu der Ahnung eines welthistorischen Gegensatzes der antiken und germanischen Staatsidee. E s ist das Bedeutsame dieser Bindung politischer Ideen an völkische, rassische und historische Zusammenhänge, daß ein Zeitalter davon sprach, dem bislang fast allgemein ein völliges Vorherrschen naturrechtlichen Denkens zugesprochen wurde. ') D a h l m a n n , Kleine Schriften und Reden, 1886, 41 (Waterloorede 1815). O s w a l d S p e n g l e r , Neubau des Deutschen Reiches, 1924, 52.

Einleitung.

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Erst K u r t W o l z e n d o r f f 1 ) hat neuerdings in umfassender Weise nachgewiesen, wie stark die naturrechtliche Staatstheorie auf dem positivrechtlichen Ständestaatsrecht beruht. Eine Geschichte des altgermanischen Freiheitsgedankens kann zeigen, wie auch hervorragende Vertreter des Naturrechts bewußt an die alte Volksvergangenheit anknüpften, wie im Streit der politischen Ideen geschichtliches Denken und das Bewußtsein der Eigenart und Individualität eines jeden Volkes allmählich wach wird. Das so ganz naturrechtlich klingende „Geburtsrecht" war doch lange für die Engländer ihr von den angelsächsischen Vorfahren überkommenes birthright. Das Naturrecht hat bis ins 18. Jahrhundert den Vertragsgedanken historisch zu begründen versucht. Es hat auch dem Gedanken politischer Freiheit mancherlei Ahnen mit auf den Weg gegeben. Daß diese Ahnen meist in der Geschichte des Volkes, dem der Autor angehörte, gesucht und gefunden wurden, das bedeutet eine zukunftsreiche Verknüpfung der Freiheitsidee mit dem geschichtlich begründeten Nationalgedanken. Es war die Heiligung des Freiheitsglaubens durch die Geschichte der ganzen Vorzeit und, darin können wir das D a h l m a n n sehe Wort ergänzen, durch den ewigen Charakter des angestammten Volkes. Die gegenwärtige Arbeit versucht eine Frühgeschichte des altgermanischen Freiheitsgedankens zu geben. Es bleibt ihr versagt, dem deutschen Freiheitsgedanken, wie er seit den Zeiten M o s e r s bis auf G i e r k e und L a g a r d e in den bedeutendsten Konzeptionen entwickelt wurde, nachzugehen. Auch das wissenschaftliche und politische Gegenwartsproblem des altdeutschen Freiheitsgedankens muß unerörtert bleiben. Es darf nur vermerkt werden, daß es in beiderlei Hinsicht besteht 8 ) und für die vorliegende Arbeit mit ein Anlaß war. ' ) Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt, 1916. ' ) Es sei an die wissenschaftlichen Forschungen von A I p h o n s D o p s c h erinnert. Politisch ist bemerkenswert, daß gegenüber dem Vorwurf einer undeutschen Abkunft der Weimarer Verfassung führende Demokraten wie der ehemalige Staatspräsident von H i e b e r und der Staatspräsident H e l l p a c h sich auf Montesquieus germanische Wälder und allgemein auf die „germanischen Demokratien" berufen zu können glaubten. Frankfurter Zeitung, 10. 8. 1924, 17. u. 18. 3. 1925. l*

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Einleitung.

Die Frühgeschichte der altgermanischen Freiheitsidee findet in M o n t e s q u i e u ihren Abschluß. Eine tiefere Auffassung der Freiheit der Germanen bricht sich durch ihn Bahn. E r (bedeutet auch den Wendepunkt, an dem die Führung in den Ideen von der englisch-französischen Literatur zur deutschen wechselt. Die altererbte Freiheit des angestammten Volkes und die der ganzen Völkergruppe eigene Freiheit sind in den Anschauungen der Zeit so eng miteinander verwoben, daß eine Sonderung unmöglich erscheint. Das politische Leben der Idee wäre wesentlich verkümmert, wenn sie sich allein auf die übernationale Freiheit stützen wollte. Ihre ganze Wucht und Bedeutung erhält sie erst durch die Berufung auf die angestammte Freiheit des Volkes, in dem sie gerade vertreten und verfochten wird. Der Gedanke der Rechtstradition — wie schwer wog er noch in diesen Jahrhunderten! — und die in den modernen Machtkämpfen erstarkende nationale Idee waren dann die Verbündeten unserer Anschauungen. So stand die altgermanische Freiheitsidee im engen Zusammenhang mit den politischen Freiheitskämpfen der Zeit. E s ist nicht nur das Erfordernis der politischen Geschichte, das uns drängt, gerade diese Beziehungen im Auge zu behalten. E s ist auch eine Auswirkung der Natur des Schrifttums, das wir zu betrachten haben. Gerade die fruchtbarsten und wirkungsvollsten Tendenzen in unserem Ideenkreis gingen von der politisch gerichteten Literatur aus. Wohl gab es auch eine große wissenschaftliche Literatur. Sie konnte nur insoweit herangezogen werden, als sie für die Ideenentwicklung und die politischen Strömungen von Bedeutung. war. Denn keine Wissenschaftsgeschichte oder reine Geistesgeschichte soll die Arbeit geben, sie will im wahren Sinn der Historie auch auf diesem wissenschaftlichen Grenzstreifen politische Geschichte sein, insofern sie die politischen Tendenzen in der Entwicklungsgeschichte des altgermanischen Freiheitsgedankens stets im Auge behält. Die Idee einer altgermanischen Freiheit ist vornehmlich als politische Idee gefaßt. So konnte und mußte auch auf entferntere Auswirkungen der Idee in den politischen Bewegungen unserer Zeiten eingegangen werden. Und, wie alles, in die großen politischen Zusammenhänge gestellt, historisches Leben und Bedeutung erhält, so möge auch diese Geschichte der Idee dadurch nur gewinnen.

Erster

Abschnitt

Grundlagen. „Gottes, der Natur und das altfrei frenckisch Recht." Martin Bucer Die ausgebildete Idee einer altgermanischen Freiheit geht von drei ideellen Grundlagen aus. E s ist einmal die allgemeine Idee der politischen Freiheit, überliefert durch antikes und christliches Naturrecht: das Recht Gottes und der Natur. E s :ist aber auch das alte Recht, das dem mittelalterlichen Rechtstraditionalismus als gutes Recht gegolten hatte und das jetzt wieder als solches erschien. Hier ist es das altfreie Recht, die wiederentdeckte Verfassungsfreiheit des alten germanischen Volksstaats und mit ihr verbunden Überlieferungen des mittelalterlichen Widerstands- und des späteren Ständestaatsrechts 1 ). Diese naturrechtlichen und traditionellen Freiheiten finden ihr Bindeglied in der nationalen Idee: die dem Menschen angeborene und die von den Vätern überkommene Freiheit werden zur angestammten: zur inhärenten und zugleich alten Nationalfreiheit. Der W e g zu dieser reifen altgermanischen Freiheitsidee etwa eines M o n t e s q u i e u ist bezeichnet durch einen steten individuell bedingten Kampf der drei Prinzipien. E s hat lange .gedauert, bis sie vereinigt wurden. Und doch erst die Verbindung wenigstens zweier Prinzipien konnte fruchtbar sein für die Entwicklung des altgermanischen Freiheitsgedankens. Politische Freiheitsidee oder Nationalidee allein sind hierfür unfruchtbar. A u c h der verfassungsrechtliche Traditionalismus 1) G e o r g v. B e l o w s Deutschem Staat des Mittelalters, 1914, F r i t z K e r n s Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter, 1915, und K u r t W o l z e n d o r f f s oben erwähntem Buch verdankt die Arbeit wesentliche Anregungen für die Problemstellung.

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Erster Abschnitt.

kann erst dann für unsern Ideenkreis bedeutsam werden, wenn er zurückgeht bis auf den altgermanischen Staat und sich mit der Freiheitsidee verbündet. Die Frühgeschichte des altgermanischen Freiheitsgedankens ist eng geknüpft an die Wiederentdeckung historischer Zeugnisse aus der germanischen Vorzeit und Völkerwanderungszeit. Hier ist es vor allem die Germania des T a c i t u s, die selbst schon den germanischen Staat als freien Staat kennzeichnete. Die Vertreter der verschiedensten Volksfreiheiten beriefen sich auf ihn. Der Einfluß des Tacitus beherrscht bis weit ins 17. Jahrhundert hinein fast völlig die Entwicklung. Vereinzelt nur werden andere alte Darstellungen angeführt: als antikes Zeugnis noch einige Verse L u c a n s 1 ) , dann die Geschichtsschreiber der Völkerwanderungszeit, die jedoch erst nach der Ausgabe durch G r o t i u s in der Historia Gothorum allgemein bekannt werden. Von den durch den Humanismus wiedergefundenen germanischen Volksgesetzen erlangen die angelsächsischen am meisten Bedeutung, allerdings lange Zeit nur für den Gedanken einer besonderen angelsächsischen Freiheit8). Und ebenso werden die anderen germanischen Volksgesetze meist nur als Zeugnis der Freiheit des Volkes, für dessen Recht sie ursprünglich aufgeschrieben sind, zitiert, nicht aber als Zeugnis für eine allen germanischen Völkern gemeinsame Freiheit. Fragen wir, welche Quellen die Idee einer g e m e i n g e r m a n i s c h e n Freiheit gestützt haben, so ist in erster Linie wieder T a c i t u s zu nennen. Er schilderte ja den Zustand der Germanen vor ihrer Trennung und Wanderung in die verschiedenen Länder. Doch worauf fußen die im 17. und 18. Jahrhundert so häufigen Hinweise auf die Freiheit der „nordischen" Völker? Es ist merkwürdig, daß sie fast sämtlich auf eine Quelle zurückgehen, die bereits eine ausgebreitete Theorie der Natur und Eigenart dieser nordischen Völker darbot. J e a n B o d i n hat seiner République ein Kapitel über die Anpassung der Staatsformen an die Ungleichheit der Menschen ») P h a r s a l i a VII. Buch: Libertas ultra Tanaim, Rhenumque recessit Et toties nobis iugulo quaesita negatur, Germanorum Scythicumque bonum. 3 ) Dazu Felix Liebermann, Die Gesetze der Angelsachsen I. Einleitung XLV ff.

Grundlagen.

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und der Natur der Völker beigefügt1). Haben wir bisher ausschließlich historische Zeugnisse gestreift, so berühren wir jetzt eine abseits der Historie liegende Völkerkunde, die auf klimax tologisch-geographischer Grundlage fußt. Und die gipfelt in der Ansicht verschiedener politischer Charaktere der Völker und Völkergruppen. Bodin grenzt die Völker nach ihrer geographischen Lage ab und unterscheidet nördliche, südliche und mittlere Völker2). Diesen großen Völkergruppen sind ganz verschiedene Charaktere eigen. Die Kriegstaten verdankt die Geschichte nach Bodin den Völkern des Nordens. Die Gesetze der Salier, Franken, Angeln, Ripuaren und anderer nordischen Völker sind voll kriegerischen Geistes (778 f.). Während diese Völker durch Gewalt herrschen, regieren die Völker des Südens durch Religion, und ihnen sind die Wissenschaften zu verdanken; regieren die Völker der Mitte durch Gerechtigkeit, und sie haben die großen Reiche der Geschichte durch ihre Politik, ihre Gesetze und Jurisprudenz geschaffen. Frankreich gehört der mittleren Region an; seine Regierung ist geleitet von der natürlichen Klugheit der Völker der Mitte. Die barbarischen und grausamen Völker des Nordens können sich nicht der staatsnotwendigen Herrschaft unterwerfen. Sie lieben die Freiheit und regieren sich durch Volksstaaten oder wenigstens Wahlmonarchien. Das Recht der Königswahl gilt noch heute in den Reichen der nordischen Völker8). Die Schweizer, peuple originaire de Suède, haben teils demokratische, teils aristokratische Verfassungen (756). Bodins weithin wirkende Lehre von den verschiedenen politischen Charakteren der Völker geht aus von den Gedanken eines andern großen Staatsphilosophen. Bereits A r i s t o t e l e s hat die Völker nach drei verschiedenen Regionen eingeteilt4). Die Völker der kalten Zonen und Europas seien mutig und freiheitsliebend, aber nicht künstlerisch und staatsklug, die Völker Asiens zwar kunstbegabt, aber furchtsam und daher geknechtet, unid nur das Volk der Mitte, die Griechen, hielte auch hierin die gute Mitte. Diese Gedanken hat Bodin auf die Völker angewandt, 1 ) 1576. Ich zitiere nach der Ausgabe von 1577 o. O. Das Kapitel steht am Anfang des 5. Buches. Auch der -Methodus ad facilem historiarum cognitionem (1566), V. Kapitel, bringt die Lehre. ! ) République S. 758 f. *) 778. Les peuples de Septentrion ayment mieux les estats populaires ou du moins monarchies electives. *) Politik, -Buch H 7. 1327 b: t à |iiv yàp iv t o t j XPOti tinoij xal t à ntpl "rijv Eùpâmr)v 19-vr) âXt6$epa îiaxsXEt [iSXXov inoXCxtuxa 8è.

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Erster Abschnitt.

die erst nach Aristoteles in die abendländische Geschichte eingetreten sind. Die Grundgedanken sind geblieben. Sie haben in der Fassung Bodins später einmal bedeutsam eingewirkt auf M o n t e s q u i e u , der die Idee aufnahm und zu einer ausgebreiteten Theorie der klimatologischen Bedingtheit der Staatsformen ausbildete1). Aber schon lange vor ihm haben zwei bedeutsame Verfechter des altgermanischen Freiheitsgedankens, H u g o G r o t i u s und R o g e r T w y s d e n , sich auf Bodins Lehre berufen, als sie erneut die Idee einer nordischen Freiheit vertraten. Vor dieser umfassenden Konzeption in ihrer Verbindung mit dem Gedanken einer historischen gemeingermanischen Freiheit ist zuerst die freiheitliche Verfassung der einzelnen germanischen Völker behauptet worden. Diese Gedanken einer altdeutschen, altfränkischen oder angelsächsischen Freiheit haben ihr Eigenleben geführt und sollen auch hier in ihrer gesonderten Entwicklungsgeschichte behandelt werden. Auf dem Grund dieser nationalgeschichtlichen Freiheitsideen entstand dann erst, wesentlich durch sie beeinflußt, der Gedanke einer gemeingermanischen Freiheit. über den Einfluß B o d i n s auf M o n t e s q u i e u William A. Dunning, A History of Political Theories II from Luther to Montesquieu, New York 1905, 418 f und neuerdings Moritz iRitter, Entwicklung der Geschichtswissenschaft, 1919, 221.

Zweiter

Abschnitt

Die altdeutsche Freiheitsidee. Deutschland, die Heimat der Germanen. Das Land und Volk, dem Tacitus' Schilderung einer außer- und innerstaatlichen Freiheit galt. Man sollte meinen, daß nirgends so stark wie in ihm spätere Zeiten die Erinnerung an diese Urzeit pflegten. Daß politische Freiheitsforderungen — und wann verstummen sie je? — ebendort besonders nachdrücklich mit der Berufung auf diese altüberlieferte Freiheit der Vorfahren begründet wurden. Und doch, wenn wir die Zeiten von der Reformation Jbis zur Aufklärung überschauen, wir finden ein Chaos von Meinungen über die altererbte Freiheit ohne Geschlossenheit, ohne große Linie. Vor allem aber, ohne den politischen Hintergrund, der erst diesen Meinungen für uns Interesse und Bedeutung, Leben abgewinnt. Wie war es doch in diesem deutschen Staat der neueren Zeiten? Heftige innerpolitische Kämpfe, ein Ringen um Freiheiten kannte er ebenso wie die andern europäischen Staaten. Dem Reich trotzten die Fürsten und sie kämpften um ihre „teutsche Libertät". In den einzelnen Territorien rangen Fürst und Stände miteinander; denn erst im 17. Jahrhundert beginnt der Sturz der landständischen Macht1). Und die Zeit der Reformation erlebte mehrfach große Volkserhebungen. So fehlte es nicht an Freiheitskämpfen. Wie konnte, das ist die Frage, in den Meinungen der Zeit die Brücke geschlagen werden zu den ältesten Zuständen des Volkes und Landes, deren Kenntnis eben erst durch die Humanisten wieder vermittelt war ? Das Heilige Römische Reich führte sich vom Imperium der alten Römer her. Die Urzeit der Deutschen bis zum fränkischen Reich hatte in der Geschichte des Kaiserreichs keinen ' ) Vgl. Georg von Below, Territorium und Stadt, 2. A., 63 f.

Zweiter Abschnitt.

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Platz. Noch weit ins 18. Jahrhundert hinein finden wir die Lehre der translatio Imperii, der Übertragung des Reiches von Römern und Griechen auf die Deutschen. War doch das Römische Reich nach Daniels Vision das letzte und es konnte nicht untergehen vor dem Ende der Welt. Die Stände des Reiches aber betrachteten sich als Nachfolger der altrömischen Ratsversammlungen. Im 13. Jahrhundert betonen die Kurfürsten, daß sie an die Stelle des römischen Senates getreten seien1). Es ist für uns schon bedeutsamer, wenn dann die Meinung herrschend wurde, Kaiser Otto III. habe die Kurfürsten eingesetzt. Aber auch so war jede Verknüpfung mit den altgermanischen Versammlungen und den fränkischen Maifeldern unterbunden. Die Landstände gar glaubten ihre Freiheiten durch das positive Recht jüngerer Zeiten, durch die Freiheitsbriefe des 15. Jahrhunderts genügend gesichert. Der Idee einer altdeutschen Freiheit in ihrer politischen Zuspitzung stand eine Mauer geschichtlicher Doktrinen und Meinungen entgegen. Vor allem bezeugen dies die Anschauungen vom Reich. Noch konzentrierten sich in ihm die politischen Meinungen und Pläne stärker als in den Ländern. Denn das Reich galt immer noch als der deutsche Staat der Zeit. Konnten sich das erstarkte Nationalgefühl und das Freiheitsbewußtsein mit den historischen Doktrinen abfinden? War diese Berufung auf die unumschränkt herrschenden alten römischen Cäsaren nicht ein Schlag ins Gesicht allen nationalen und freiheitlichen Tendenzen ynd ebenso den Zuständen der Zeit gegenüber ? Die Nation mußte sich dagegen aufbäumen. Und sie tat es nur halb und ungeschlossen. Aufgabe und Größe, Macht und Glanz des alten Kaiserreichs beherrschten die Anschauungen der Zeit. Das Reich war und blieb der Nation das Symbol der Geschichte, in dem sich die politische Aufgabe der Deutschen verkörperte. Dagegen standen nun die Freiheitsbestrebungen. Das fremde römische Recht stärkte in den Meinungen der Zeit die absolutistischen Tendenzen des Kaisers und der Fürsten. Die Verfassung des Reiches und die Freiheit der Religion waren in den Zeiten Karls V. durch den fremden Kaiser schwer gefährdet. Der Kampf dagegen galt um der Freiheit willen. Imperialismus und Freiheit rangen in der Geschichtsanschauung der Nation miteinander. Das macht die Meinungen der Zeit so zwiespältig, so unfolgerichtig, wie sie uns meist ent1

) Ranke, Deutsche Reformationsgeschichte, S. W. 1,36.

Die altdeutsche Freiheitsidee.

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gegentreten. Wir kennen nur Einen, der in langer Lebensarbeit versucht hat, vom nationalfreiheitlichen Standpunkt aus, eine geschlossene Ansicht der deutschen Geschichte zu gewinnen: H e r m a n n C o n r i n g . Alles andere ist ein wirres Durcheinander von Anschauungen und Meinungen, dem Linie und Gestalt zu geben fast nicht möglich ist. Es fehlt die leidenschaftliche Anteilnahme an den politischen Kämpfen, die in Frankreich und England unserem Ideenkreis die Geschlossenheit und Bedeutung gibt. Das alte Lied, die alte (falsche?) Klage des fehlenden politischen Sinnes der Deutschen, sie schwingt stets mit, wenn wir das Schrifttum unseres Ideenkreises befragen. Man mag das im Interesse der wissenschaftlichen Forschung begrüßen. Die Unabhängigkeit und Objektivität der Wissenschaft erscheint dadurch gewährleistet. Doch gerade hier empfinden wir es, wie sehr die Geschichtswissenschaft des Ansporns und der Berührung mit der politischen Gegenwart bedarf. So erst gewinnt sie neue Ideen und neues Leben und erkämpft sich zugleich ihr tieferes Recht zum Dasein in der Nation und zum Wirken auf ihr Wollen. Es ist ¡schwer, die wissenschaftliche Literatur mit dem politischen Schrifttum der Zeit in der Darstellung zu verknüpfen. Und doch muß es um des geschichtlichen Bildes willen geschehen. Unebenheiten und Unvollkommenheiten werden sich stets zeigen. Vielleicht ist der und jener in dem Überblick unbeachtet geblieben, vielleicht der eine oder andere unvollständig dargestellt. Das Gesamtbild, glaube ich, verändert sich dadurch nicht.

Die Humanisten. Es ist eines der bedeutsamsten Verdienste unserer Humanisten, daß sie das Nationalbewußtsein des deutschen Volkes wie keine Bewegung zuvor gestärkt und vertieft haben. Das deutsche Altertum, Taten und Sitten der alten Vorfahren, wurde von ihnen in nationaler Tendenz wieder erweckt; die Nation ward bereichert um den großen Schatz, den die deutsche Vorzeit den Nachfahren geben konnte. Keine wärmeren Verteidiger und Lobredner hat das Heilige Römische Reich wohl jemals gefunden als diese selben Humanisten. Im Kaiserreich verkörperten sich ihre politischen Ideale. Von seinem Glanz und Ruhm zu sprechen, darin erschöpft sich meist die ganze politische Tendenz der Gelehrten.

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Zweiter Abschnitt.

Die alte Doktrin der translatio Imperii beherrscht ihr Geschichtsbild1). Die Einheit des Imperiums der Römer und des Kaiserreiches, sie galt dem Imperialismus der Humanisten als Zeichen deutscher Größe und deutschen Ruhmes. Die Nation war zur höchsten politischen Aufgabe, zur Herrschaft über das römische Weltreich auserkoren8). Gerade aus nationalen Motiven versuchten nun einzelne Humanisten eine Wendung der translatio mit mehr deutscher nationaler Färbung*). A n d r e a s A l t h a m e r lehrte, daß die Deutschen das Römische Reich beherrscht haben, niemals das Reich uns. N a u k l e r spricht vom germanischen Imperium über die Welt. B e a t u s R h e n a n u s kennt keine translatio, sondern nur ein regnum Germanicum. Doch der Versuch, auf den altdeutschen Staaten und dem fränkischen Reich dieses regnum Germanicum verfassungsgeschichtlich aufzubauen, wurde nicht gemacht. So fehlte es an einer Beziehung zwischen den altüberlieferten Freiheiten und der gegenwärtigen Staatsform des Reiches. Die Reichsverfassung wurde als Monarchie gekennzeichnet, und nur zerstreut finden sich Äußerungen über eine Beschränkung derselben. W i m p f e l i n g verlangt Ratseinholung durch den Herrscher, A l t h a m e r und B r a n t betonen das Wahlreich und der K o l m a r e r A n o n y m u s erklärt, daß das Volk den Kaiser mache 4 ). Im Vordergrund stand stets — selbst bei *) Für die einzelnen Humanisten muß ich besonders auf Paul Joachimsen, Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus I, Leipzig 1910, und Joseph Knepper, Der Nationalgedanke und die Kaiseridee bei den elsässischen Humanisten, Freiburg 1898, verweisen. Hier nur wenige Angaben zur Lehre der translatio: W i m p f e l i n g , Epitome rerum Germanicarum (1505), c. 9. S e b a s t i a n Brant, Gedicht Translatio imp. (1498) in Narrenschiff, hrsg. Zarncke, I 2 5 f . J o h a n n e s N a u k 1 e r , Chronik (1516) II, 118 f. A v e n t i n , Bairische Chronik, Sämtliche Werke V, 127 f. 2 ) Wie es einmal A n d r e a s A l t h a m e r aussprach: exinde (sc. Karls d. Gr. kaiserliche Weltherrschaft) Germania magis clarescere coepit. Kommentar zur Germania, zuerst 1529, hier zitiert Ausgabe 1580, 175. ' ) v gl- Joachimsen 96. 140. 185: J o h a n n B ö h m erwähnt in seinem Omnium gentium mores, 1520, das Kaisertum überhaupt nicht. Althamer 175. 4 ) Knepper 130 f. 133. Althamer 212 f. Brant, Narrenschiff, ed. Zarncke, 125. Ebendort 158 ff. die Freiheitstafel, der Freiheit

Die Humanisten.

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dem letzteren — das monarchische Kaisertum. So finden wir bei späteren Humanisten auch eine Stellungnahme gegen die deutsche Libertät, dagegen, wie „der Römisch adler" (durch die Aneignung kaiserlicher Rechte von Seiten der Reichsstände) „berupfet worden"1). Das ist die politische Tendenz der Humanisten. Begreiflich, daß sie mit den Verfassungszuständen der deutschen Urzeit wenig anzufangen wußten. Wohl priesen sie laut die alte Freiheit der Deutschen. Doch es war überwiegend nur die Freiheit gegen die Nachbarn, gegen die Römer, von der die Humanisten erzählten und die sie poetisch ausschmückten. Wenn einmal von der Verfassung der alten Deutschen gesprochen wurde, so war es im wesentlichen eine dürftige Wiederholung dessen, was Tacitus berichtet hatte*). H e i n r i c h B e b e l und H i e r o n y m u s Gebwiler kennen nur die Freiheit nach außen gegenüber den Fremden3). Die meisten derer, die über die altdeutsche Staatsregierung berichten, geben allein die taciteische Verfassung wieder4). Nur A l t h a m e r und B e a t u s R h e n a n u s dringen tiefer. Althamer stellt die germanischen Könige gegen die Tyrannen; er betont den aristokratischen Charakter der Ratsversammlungen, denn, so argumentiert er, die Menge ist wenig klug5)- Beatus aller Völker gewidmet. Nur an einer Stelle klagt er über die bedrohte alte Libertät Deutschlands. ') . S e b a s t i a n M ü n s t e r , vgl. Joachimsen 191; W o l f g a n g L a z i u s , De gentium migrationibus, 1537, hier Basel 1555. 625. *) Ein Blick in die schon ziemlich reiche Fachliteratur bestätigt dies. Die vielen Schriften und Aufsätze, die vom Nationalgedanken der deutschen Humanisten, von ihren Anschauungen über die altdeutsche Geschichte und Tacitus handeln, sind für unsere Fragestellung unergiebig. Das gilt auch für Hans Tiedemann, Tacitus und das Nationalbewußtsein der deutschen Humanisten, Diss. Berlin 1913, der sogar ein Kapitel bringt: „Die Deutschen waren stets frei." Weit mehr bieten Paul Joachimsens Geschichtsauffassung und seine Einleitung zu Der deutsche Staatsgedanke von den Anfängen bis auf Leibnitz und Friedrich d. Gr., München, 1921. 2 ) De laude Germanorum c. 15, Opera 1509, k III; Libertas Germaniae, 1519, Vorrede, c. 1 und 8. 4) N a u k l e r , Chronik, 1516, I, 177. II, 123. I r e n i c u s , Germaniae exegesis, 1518, II, 36. B ö h m 1. III, c. 12. L a z i u s 448. M ü n s t e r , Cosmographie (1543, hier 1544) 157 f. Über Aventin s. unten. •) Germaniakommentar 175. 200. 286. 401 ff.

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setzt die altdeutsche Freiheit in Gegensatz zur Anarchie. Über die bedeutenderen Angelegenheiten würden die Fürsten, über die geringeren das Volk Beschluß fassen. Gerade umgekehrt hatte Tacitus gelehrt 1 Doch Beatus weiß: nam vulgus raro sapit1). Diese gemäßigte Freiheit kam nach der fränkisch-römischen Knechtschaft unter den Sachsenkaisern wieder zum Durchbruch. Es waren Ansätze zu einer selbständigen Auffassung des altdeutschen Staates, dessen Eigenart sich in einer geordneten Herrschaftsgewalt, welche als Freiheit deutschen Charakters galt, erschöpfen sollte. Doch es blieb bei diesen Ansätzen. Auch die neue Geschichtsanschauung des Beatus mit ihrer Kontrastierung des altdeutschen Staates und des späteren deutschen Kaiserreichs gegenüber dem römisch regierten Frankreich erhielt keine Nachfolge. Der Gegensatz zwischen germanischer und rassenfremder Staatsauffassung wird nur selten betont. Von der oft angenommenen Einheit aller Völkerwanderungsstämme als Völkergruppe gelangte ein bedeutender Historiker zu der Ahnung eines solchen Gegensatzes. .Wenn A v e n t i n von den im Mai stattfindenden Reichstagen spricht, von dem König, dem die Teutschen mehr aus Ansehen der guten Worte als der Gewalt gehorchen und dann diese und andere taciteischen Überlieferungen auch in Frankreich und Spanien im Gegensatz zu der verderblichen „babylonischen" Verfassung eingeführt sein läßt, so liegt in dieser Romantik der spätere Gedanke einer dem orientalischen Despotismus entgegengesetzten gemeineuropäischen Freiheit verborgen2). Doch diesen zukunftsreichen Ideen fehlte hier der politische Hintergrund. Wir sahen, wie wenig es den Humanisten bei ihren Geschichtsanschauungen um innenpolitische Reformen freiheitlicher Richtung zu tun war. Nationale und kaiserliche Tendenz leitete sie. Wie aber stellten sie sich zum fremden römischen Recht, das eben seinen Siegeszug in den deutschen Landen begann? Sie traten ihm gespalten und ohne klare, feste Meinung l

) Rerum Germanicarum 11. III, 1531, c. 7. Joachimsen 260 hält die Umkehrung kaum beabsichtigt, aber bezeichnend. Ebendort 134 ff. *) Sämtliche Werke, I, 345 ff. (Chronika vom Ursprung, Herkommen und Taten der alten Deutschen), II, 76 ff. (Bairische. Chronik).

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gegenüber1). Nur einer hat von höherer Warte aus das fremde Recht leidenschaftlich bekämpft: U l r i c h v o n H u t t e n . Man hat zwar mit Grund bemerkt, daß dieser nicht das römische Recht als solches verwerfen will, sondern nur das einheimische Recht mit seinen Vorzügen der Einfachheit und Klarheit gegenüber dem fremden untauglichen wieder zurückverlangt8). Doch in diesem ganzen Kampf drängt der große nationale Gegensatz gegen Rom zu der Leidenschaft, deren Hutten den „Bartolisten" und „Romanisten" gegenüber fähig war. E s ist ein Kampf für das alte überkommene Recht des angestammten Volkes. Hutten spricht nur von den Sachsen, sieht sie aber als Bewahrer und Erhalter alten deutschen Rechts und deutscher Sitte an. Diese Sachsen apud Balthicum mare s ) haben keine Gesetzeskrämer und Advokaten, sie halten sich an ihre guten alten Sitten und kennen keine geschriebenen Gesetze. Kein Staat wird besser regiert, nirgends lebt man sicherer und in den Kriegen sind die Sachsen unbesiegbar. Stets waren sie frei4). E s ist bekannt, wie Hutten Arminius für den Kampf gegen Rom aufrief. So sah er die deutsche Freiheit, wiederum wie die meisten Humanisten, als Unabhängigkeit von fremden Mächten. Der Papst zu Rom, er war in den Jahren der größten schriftstellerischen Blüte Huttens der Hauptfeind. Innenpolitisch bekannte sich Hutten als Imperialist. In seiner Türkenkriegsrede 1518 hat er den Kaiser gegen die fürstliche Libertät in Schutz genommen und ihn als Erhalter deutscher Freiheit gepriesen. Merkwürdig, daß er dann noch das kaiserliche Recht, denn das war doch das römische, bekämpft hat. Das sah er nicht. Es waren die alten Ideen, die ihn beherrschten: Kaiser und Reichsritterschaft geeint gegen die Fürsten. In seiner „Vermanunge an die freien und Reichsstet deutscher Nation" 1522 hat er die Städte zum Bund mit dem Adel und Kaiser gegen die Fürsten, die Deutschland ') Außer Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I, vgl. Joachimsen 297 A. 7 1 a ; Karl Hagen in der Zeitschrift Braga I ( 1 8 3 8 ) , 170 t. Knepper 34 A. 1. *) Stintzing, Zasius, Basel 1857, 99. ') Schriften ed. Böcking I, 179. Nach Strauss, Hutten, I I I 199 sind die Niedersachsen oder Norddeutschen überhaupt gemeint. Hutten rechnet aber auch die Engländer dazu (Schriften I, 3 9 1 ) . *) IV, 382. (Praedones, 1 5 2 0 ) ; 1,179 (Nemo, 1 5 1 8 ) ; IV, 283 ff. (Inspicientes, 1520), IV, 154 (Vadiscus, 1520) I, 3 8 9 ff. (an Kurfürst Friedrich von Sachsen, 11. 9. 1 5 2 0 ) : Semper enim liberi fuerunt Saxones, Semper invicti.

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an den Feind verkauften, aufgerufen (III, 529 ff.). Die alten Germanen hat er dabei, soweit ich sehe, nie ins Feld geführt. Es fehlt doch auch diesem Rufer im Streit um die deutsche Freiheit die verfassungspolitische Linie und Geschlossenheit, die dann in der alten deutschen Vergangenheit — und Hutten kannte sie — das Ebenbild ihrer Wünsche gesehen hätte.

Adel und Bauern Die neue religiöse Lehre der Reformation hat in ihren ersten Jahren der Durchfechtung politischer Ziele des Adels und der Bauern dienen müssen. Wie stark das religiöse Moment dabei im Vordergrund stand, das kann die Frage nach den Auswirkungen unserer Idee in diesen Kreisen bezeugen. Wir gedachten der ritterschaftlichen Tendenzen, die H u t t e n mit seinem Kampf für Kaiser und Reich verband. ^ Wie klein nehmen sich gegen ihn die Schriften H a r t m u t h s v o n K r o n b e r g aus mit ihrer einfachen Religiosität, mit ihrem Mangel aber an irgendwelchem politischen Sinnl Bald findet er die Juristenbücher in scharfem Gegensatz zu Gerechtigkeit und christlicher Liebe, bald fließen ihm die kaiserlichen und gesetzten Rechte aus göttlicher und natürlicher Vernunft1). Seine politische Tendenz erschöpft sich in einem Gemisch ritterschaftlicher Forderungen und der Lehre leidenden Gehorsams gegen den Kaiser. Die Berufung auf das göttliche und natürliche Recht unterdrückt selbst hier alle historischen Reminiszenzen. E b e r l i n v o n G ü n z b u r g steht mitten inne zwischen der ritterschaftlichen und der Bauernbewegung. Im Ersten Bundesgenossen empfiehlt er dem Kaiser den Adel als seine beste Stütze. Der Elfte Bundesgenoß (1521) gibt ein Verfassungsprojekt, das zwischen Bauern und Edelleuten klug vermittelt*). Eine historische Argumentation im Sinne unserer Idee findet sich nirgends9). Das alte kaiserliche Recht und der Juristenstand sollen einem christlichen Rechtszustand weichen. Die b e k a n n t e R e f o r m a t i o n K a i s e r F r i e d r i c h s I I I . aus den Zeiten des Bauernkrieges bekämpft ebenfalls die kaix

) Schriften in Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jahrh., Bd. 154—156, 28. 136. 2 ) Vgl. Radlkofer, Eberlin, Nördlingen 1887, 13 f. 30 ff. Dazu die Schriften, Neudrucke Bd. 139—14. 3 ) Das gilt auch für den bedeutenderen „ K a r s t h a n s " ( 1 5 2 1 ) .

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serlichen weltlichen Rechte, doch wiederum nur zur Aufrichtung der „menschlichen Freiheit christlicher Ordnung". Und ausdrücklich wendet sie sich gegen die alten Freiheiten der Stände, soweit sie gemeinen Nutzen zuwider seien1). Das ist der allgemeine Eindruck, den man von den Erklärungen und Schriften des Bauernkriegs erhält. Die Gegnerschaft gegen das Juristenrecht ist bekannt. Verfassungspolitisch ist die .Betonung des Kaisertums wichtig2). Die deutsche Vergangenheit finden wir nirgends zitiert. E s ist schon viel, wenn T h o m a s M ü n z e r im römischen Recht und seinen Glossen den Verteidiger gottloser Tyrannen sieht. Wenn er dagegen „aus altem guten Brauch" dem Volk die Rechtsprechung wieder geben will und verlangt, daß diesem allgemein die Gewalt übertragen sein soll'). Man mag gegen den Versuch, in Flugschriften und Programmen historische Lehren zu suchen, einwenden, hier dürfe man dergleichen nicht vermuten. Wir werden später sehen, wie sehr dieser Einwand irrt. Es war die tiefe religiöse Erregung, dann auch die wirtschaftlichen Nöte, welche historische und nationale Erwägungen hintansetzten1). Daß diese lebendig werden konnten, wenn alle Erregung und Leidenschaft gedämpft war, das zeigt der Historiker, der trotz seiner Gegnerschaft zum Bauernkrieg und aller seiner Skepsis den Volksbewegungen der Reformationszeit am nächsten stand. S e b a s t i a n F r a n c k hält die Erkenntnis der Geschichte notwendig zur Regierung. Er will bei der Betrachtung der Vergangenheit „den Affekten Urlaub geben", und wer wird diesem feinsinnigen und eigenartigen Schriftsteller nicht zugestehen, daß über seinen Schriften eine Ruhe und Stille der Betrachtung liegt, die allem frei gegenüberzutreten versucht? Die Völker sind ihm alle gleich schlecht vor Gott, und die ') 3. 7. Artikel und 1. Erklärung zum 4. Art. bei Goldast, Reichssatzung, 1609, 166. 167. 170. ') Nachweise bei W. Roscher, Geschichte der Nationalökonomik, 1874, 79 und August Kluckhohn, Bauernparlament und Verfassungsentwürfe, Nachrichten der Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1893, 290. *) Seidemann, Münzer, 1842, 142 f. Hochverursachte Schutzrede in den Neudrucken Bd. 118, 25. Vgl. die feinen Ausführungen Karl Holls, Luther I, 2. A., 435 ff. — Die W i e d e r t ä u f e r , besonders B e r n h a r d R o t m a n n , berufen sich, soweit ich sehe, nur auf die Bibel. *) Vgl. dazu Alfred Götze, Die Artikel der Bauern, Histor. Vierteljahrsschr. 1901, Bd. 4, 25. Belh. d. H . Z. 5.

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Tyrannen wie der H e r r omnes erhalten dieselben verurteilenden Nöten 1 ). So dürfen wir keine ausgesprochene Tendenz suchen; doch unter der B e m ü h u n g objektiv zu bleiben, zeigt sich stets die eigene A u f f a s s u n g und diese ist national und volksfreundlich. F r a n c k schildert die Verfassung der Germanen, wie sie Tacitus berichtet. D a b e i fühlt man heraus, wie ihm die Beschränkung der Fürstengewalt, der Ausgleich durch die Volksversammlungen zusagt: d a ß „der K ö n i g gewalt nit frei ist und volkomen, sondern m u ß alles mit lands stimm, wissen und willen handeln" 2 ). D a s Kaiserreich sieht Franck im Hinweis auf Daniel als greulichstes Tier a n ; der Papst hat es auf d i e Deutschen übertragen 3 ). D a s kann F r a n c k nicht loben. A b e r 'die verfassungspolitischen F o l g e n nimmt er als gegeben hin. W i e d e r u m hemmt die Lehre der translatio die Folgerichtigkeit der altdeutschen Freiheitsidee. D o c h Franck hätte wohl auch bei anderer Erkenntnis nicht den W e g gefunden zu ihrer Durchführung. O b altes Recht, ob neues Recht, vor Gott gilt, das ist seine Grundanschauung, m a g sie auch manchmal durchbrochen werden, nur das göttlicher Vernunft Gemäße. E s ist ein Intermezzo in dem F o r t g a n g unserer Idee, das die Schriften der ritterschaftlichen und populären Bewegungen darstellen, ein hemmendes Intermezzo. D i e altdeutsche Freiheitsidee hat nicht in diesen Kreisen und ihren Bestrebungen, sie hat in der fürstlichen Libertät ihr politisches Korrelat gefunden.

Die Reformatoren. L u t h e r s Auftreten bedeutet für unseren Ideenkreis den A u f t a k t zu einer neuen Auffassung. D e r römische Papst war der Feind und leicht konnte diese Gegnerschaft zur B e k ä m p f u n g alles Römischen führen. D e r Kaiser aber war Römischer Kaiser. E i n politisches Motiv g a b dieser Tendenz, der sich die Reformatoren lange widersträubten, das Übergewicht. D e r Protestantismus, im Kampf mit dem katholischen Kaiser, wandte ') Chronicon Germaniae (1538), Vorrede und S. 66 b. *) Ebendort 6 b. •) Ebendort 74 b. Chronika, Zeitbuch und Geschichtsbibel 1531, hier 1551, 133. Diese Adlervorrede mäßigte Franck seit 1536, vgl. Hermann Oncken, Franck als Historiker, Histor. Zeitschr. 82, 420. Der Wiedertäufer R o t m a n n fand, daß das Reich im Tierreich nicht seines gleichen fände, so greulich sei es.

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sich zur reichsständischen Freiheit. Die fürstliche Libertät war bereits im 15. Jahrhundert das Kampfobjekt, um das Kaiser und Fürsten stritten. Aber jetzt erst erhält sie durch Hereintragung des religiösen Gegensatzes die ganze Wucht und Gewalt, die ihr es möglich machte, den mächtigsten Herrscher der Welt, den sie unfähig gewesen war von der Kaiserwahl auszuschließen, zu besiegen. Und von dieser „teutschen Libertät" aus mit ihrem Gegensatz zu römischer Gewalt und Herrschaft konnten, wie die Dinge damals lagen, allein die Ideen altdeutscher Freiheit politisches Leben gewinnen. E s ist bekannt, daß L u t h e r in den ersten Jahren der Reformation das Kaisertum durchaus nicht antasten wollte. Aus den Flugschriften der Reformationszeit klingt uns dieselbe Kaisertreue oft entgegen. Deutschland, die Herrin der Völker, weil der Römische Kaiser aus ihm hervorgeht; die deutsche Nation, „darinn dann iezt das römisch Reich sein soll" 1 ). Man klagt über die zu große Freiheit der Fürsten und läßt den Teufel diese Freiheiten eingeben, damit kein einig Reich bleibe2). Luther hat das Kaisertum von dem römischen Papst zu .befreien vermeint. Auf eigenen Füßen sollte es stehen, und der Kaiser galt mächtig genug, auch wenn er nicht Inhaber (des alten Römischen Reiches war. In seinem Sendschreiben an den christlichen Adel deutscher Nation hat Luther der überkommenen Lehre der translatio den stärksten Stoß versetzt. Ein Zusatz zur zweiten Auflage verwirft die Übertragung des Reiches durch den Papst 3 ). Das alte Römische Reich, das Daniel vorverkündet habe, sei längst zugrunde gegangen. Die Goten zerstörten es und später die Türken. Der Papst nun hätte zu seinem Nutzen den Titel des alten Reiches übertragen wollen, es entstand jedoch ein neues Römisches Reich. Durch die päpstliche Scheinübertragung aber seien die Deutschen „der aller listigsten tyrannen knecht worden". Und Luther schließt: „Darumb last den deutschenn keyßer recht und frei keyßer seinn." Mächtig und stark und bar der römischen Knechtschaft sollte das deutsche Kaisertum sich erweisen. Wie kam es nun, daß dieser selbe Luther, der dem Feind *) Oskar Schade, Satiren und Pasquillen aus der Reformationszeit, Hannover 1863, II, 312, 52. *) Ebd. II, 53. 89. ') Weimarer Ausgabe 6, 462. — Zu Luthers Lehre der translatio vgl. Tischreden, WA, III, 449 und IV, 160; besonders „Wider das Papsttum zu Rom" (1545), Erlanger Ausg. 26, 224 ff. 2*

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der Reformation, dem Kaiser stets leidenden Gehorsam schuldig zu sein glaubte, in späteren Jahren gegen des Kaisers unumschränkte Macht für die fürstliche Libertät eintrat? E r tat es notgedrungen und nur, weil ihm von einer Seite, die er in diesen Dingen für zuständig hielt, weil ihm von den Juristen die Beschränkung der kaiserlichen Rechte gezeigt wurde. Und schließlich erforderten die politischen Umstände eine andere Einstellung als bisher 1 ). Das Gutachten des unbekannten Juristen 1530 wies nach, daß der Kaiser nicht mehr wie zu Zeiten Christi Herr der Welt sei. E r verpflichte sich jetzt den Fürsten durch Eide. So sei das Kaisertum ähnlich der römischen Republik, ähnlich der Episkopalverfassung mit dem Recht der Domkapitel oder der venezianischen Republik; es sei mehr Aristokratie als Monarchie. Die Fürsten stehen neben dem Kaiser, den sie wählen. Die Untertanen aber wählen ihre Fürsten nicht und haben daher gegen diese kein Widerstandsrecht 2 ). E s ist das erste theoretische Programm der fürstlichen Libertät unserer Zeiten, das Luther zur Änderung seiner Auffassung bestimmte. Daß der Kaiser nicht das Haupt der Christenheit und insofern Herr der Welt sei, hat Luther bereits 1524 betont 5 ). Jetzt aber ändert er seine Auffassung der Reichsverfassung. Die Fürsten haben, so lehrt er, mehr Rechte gegen den Kaiser als die Juden gegen ihre Könige. Denn der Kaiser ist kein Monarch. Die Zeiten Diocletians, da der Kaiser noch allein regierte, sind vorbei. Der Kaiser hat keinen magistratum despoticum, sondern politicum. Die Kurfürsten und Fürsten stehen ihm zur Seite, sie sind politica membra cum Caesare 4 ). Diese Lehre wurde herrschend in den protestantischen Kreisen. M e l a n c h t h o n hat die Einsetzung der Kurfürsten *) Für das einzelne vgl. Karl "Müller, Luthers Äußerungen über das Widerstandsrecht, Sitzungsberichte d. Bair. Ak. d. Wiss., Philos.-hist. Klasse, 1 9 1 5 , 8. Abteilung, und Paul Kalkoff, Luthers Verhältnis zur Reichsverfassung, Histor. Vierteljahrsschr. 18 ( 1 9 1 6 ) , 281. *) Friedrich Hortleder, Handlungen und Ausschreiben von Rechtmäßigkeit des deutschen Krieges, 1645, H> 81 ff. *) Vgl. Friedrich Meinecke, Luther über christliches Gemeinwesen und christlichen Staat, Histor. Zeitschr. 1 2 1 , 15. *) Luthers Tischreden, W A , II, 404 ff. III, 195. IV, 236 ff. 388. V, 288: Germaniae libertas odiosa est monarchis; Briefe, Enders, 12, 8 6 f f . ; Disputationes, hrsg. Drews, 1895, $70.

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sehr gelobt1). E r verglich sie mit den Ephoren ünd wollte sie von Gott eingesetzt wissen. In der Einleitung zu seiner Chronik sah er in den Fürsten die Retter Deutschlands gegenüber den päpstlichen Eingriffen. Doch ebendort ließ er die Deutschen mit der „Ehre geschmückt" sein, die Erbschaft des Römischen Reiches antreten und Wächter Europas sein zu dürfen. Er hielt anders als Luther an der überkommenen Lehre der translatio fest. Sie ist ihm mit Daniels Vision sicher begründet8). Melanchthon wies auch die Deutschen zurecht, wenn sie gegen das römische Recht angingen. Denn dieses habe, von den staatserfahrensten Menschen gebildet, die ehemals barbarischen Deutschen zu einem milderen und menschlicheren Leben geführt3). Der praeceptor Germaniae hat der Fabel Von der Einsetzung des römischen Rechts zu Zeiten Lothars II. die große Autorität gegeben, die erst durch Conring gebrochen ward. Dagegen stand L u t h e r dem römischen Recht fremder gegenüber. Er hat im Sendschreiben an den christlichen Adel sogar Landrecht und Landsitten dem kaiserlichen Recht vorziehen wollen. Doch hat er auch dem römischen Recht oft seine Anerkennung gezollt4). Einmal wendet er sich gegen Sie Härte des sächsischen Gesetzes: Optimum esse, si ius commune et caesareum per totum imperium maneret5). Diese Parteinahme für das römische Recht, auch sie mußte verstummen vor der Gewalt politischer Ereignisse. L u t h e r s und M e l a n c h t h o n s Anschauungen über die Reichsverfassung erwiesen sich folgenreicher als ihr Eintreten für das '),Corpus Reformatorum XII., 712 (Carions Chronik, von Melanchthon gänzlich umgearbeitet 1558 herausgegeben). 2 ) C. R. XII, 901. 1092. XIII, 859 (Danielkommentar 1543). Dagegen hat Z w i n g 1 i das römische Kaiserreich als Fremdherrschaft in Deutschland bezeichnet. E s sei, so'erklärt er, unverständlich, daß ein Volk sich einen Tyrannen aus solcher Entfernung (Rom) hole. Vgl. Cardauns, Lehre vom Widerstandsrecht in Luthertum und Calvinismus, Bonner Diss. >903, 21 f. ') C. R. X V I , 441 (Kommentar zur Politik des Aristoteles). Die Stelle C. R. XVII, 619 („Tacituskommentar", zuerst 1538), wo „summa laus Germanorum" für den Rechtszustand ausgesprochen wird, ist sicher nicht von Melanchthon, da sie erst in der Ausgabe von 1572 erscheint. *) Nachweise bei Stintzing I, 269 ff. und Karl Holl, Luther 8 230- 373*) Tischreden W A , IV, 163 (aus dem Jahr 1538).

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römische Recht. Denn sie trugen die politische Notwendigkeit in sich. Der vom Schmalkaldischen Bund vertriebene Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel hatte seine Feinde am Reichskammergericht verklagt. Die Juristen desselben schöpften ihre Anklage gegen die Schmalkaldener aus dem römischen Recht. Landgraf Philipps von Hessen Ratgeber M a r t i n B u c e r aber verteidigt die Fürsten mit Waffen, die den Juristen fremd waren, und allen hergebrachten Doktrinen ins Gesicht schlugen. Die Gewaltanwendung gegen den Braunschweiger findet ihre Rechtsstütze in „Gottes, der natur und dem alt frei frenkkisch recht", das Gott dem deutschen Volke gegeben und das dieses nur lange vergessen hat. Die Juristen, die selbst Tyrannen sind, berufen sich auf das „römische tyrannische Recht". Doch dieses Recht ist von Kaisern geschaffen, die „Monarchen" waren — denn Monarch ist jetzt dieser deutschen Libertät ein undeutscher Begriff, er steht gleich dem des Tyrannen. Ohne es auszusprechen, hat Bucer hier auf die Widerstandslehre der Schmalkaldener Bezug genommen: das Reich keine Monarchie, keine Herrschaft eines einzelnen, sondern ein beschränktes Kaisertum, in dem die Fürsten Anteil an der Redchsgewalt haben. Die Herrschaft des römischen Rechts, fährt Bucer fort, sei durch die Franken in den deutschen Landen gebrochen worden. Das frei frenckisch Recht wurde das deutsche und es gestattet den freien Fürsten und Ständen, einen Tyrannen wie den Braunschweiger zu verjagen. Der Landgraf findet in seiner Antwort, daß „wir in derselben sach das gotlich und alt recht vor uns haben" 1 ). Martin Bucer ging nicht ausdrücklich auf die deutsche Urzeit ein. Und doch ist diese seine Äußerung die bedeutsamste Gestaltung der altdeutschen Freiheitsidee vor Conring. Die deutsche Libertät fand ihre Stütze in einem Recht, das nicht von Kaisern gemacht war, sondern alter fränkischer Freiheit entsprang. Dieses altfreie Recht wird als Grundlage des Reichs angesehen, im schroffen Gegensatz zu dem römischen Juristenrecht, das die Tyrannei und Monarchie bedeute. Eine !) Die ganze Stelle im Briefwechsel Philipps mit Bucer, hrsg. Max Lenz II, 213 t. 219 (4. und 18. Dez. 1543). Merkwürdigerweise Jiolt dann der Landgraf in derselben Sache 3 Jahre später bei Socinus und Alciatus in Italien Rat (Briefwechsel II, 40$).

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Gesamtansicht der deutschen Verfassungsgeschichte bricht sich hier Bahn, die im Gegensatz steht zu allen früheren Meinungen. Soweit ich sehe, hat keiner der Zeitgenossen Bucers, keiner der Nachfahren diese Ideen weiter verfolgt. Waren sie doch an einer Stelle geäußert, die der Allgemeinheit unzugänglich blieb. Und es war nur ein Blick in eine andere Geschichtsanschauung, ohne historische und juristische Vertiefung. Der Geschichtsschreiber der Reformation, J o h a n n S l e i d a n , den Martin B u c e r selbst unterstützt hat, fällt in die alten Vorstellungen zurück. Die Reden an die Stände des Reichs und an den Kaiser leiten vom alten Römischen Reich das Kaiserreich ab. Die vierte Monarchie ist an die Deutschen gekommen, die nur Gebietsteile der überkommenen Weltherrschaft verloren haben. Sleidan legt in seiner Weltgeschichte, welche die verbreitetste in Deutschland wurde und bis ins 18. Jahrhundert viel gelesen war, diese alte Lehre der translatio im Anschluß an Daniel ausführlich dar 1 ). Und doch hat Sleidan der fürstlichen Libertät eine langgebrauchte Waffe in die Hand gegeben. In seinen Kommentarien (1555) druckt er die angebliche Rede des Erzbischofs von Mainz am Kaiserwahltag 1519 ab. Er hat sie Melanchthons Schiwiegersohn G e o r g S a b i n u s entnommen, der in einer Electio et coronatio Caroli V durch den Mund des Mainzer Erzbischofs Deutschland als Aristocratia principum bezeichnen ließ. Sleidan nun läßt den die Wahl führenden Kurfürsten an die Pflicht mahnen, die Aristokratie des Reiches zu erhalten 8 ). Die Libertät wurde dem höchsten Reichsfürsten in den Mund gelegt. Sie war sanktioniert durch den Spruch der Reformatoren und ihrer Gehilfen. Der Kaiser galt nicht mehr als unumschränkter Herrscher, er war gebunden an Rat und Stimme der Fürsten des Reichs. ' ) Die Reden ( 1 5 4 1 — 4 4 ) in der „Bibliothek des literarischen Vereins zu Stuttgart", Bd. 145, Tübingen 1 8 7 9 , 9 t. 1 3 (wo die-Völkerwanderung als „unwiderbringlicher Abbruch" für das Römische Reich dargestellt wird). 22. 77. 1 3 7 . De quatuor summis imperiis ( 1 5 5 6 ) bei Goldast, polit. Imperialia, 1 6 1 4 , 422. 4 3 5 f. Vgl. auch Günter, Das Mittelalter in der späteren Geschichtsbetrachtung, Hist. Jahrbuch 24, 7. 2 ) Commentarii, 1 5 5 5 , 8. Sabinus bei Goldast, polit. Imp., 1 2 8 . Z u der Entstehungsfrage der Rede Richard Fester, Sleidan, Sabinus, Melanchthon, Histor. Zeitschr. 89, 1 ff. Der Zusammenhang mit dem juristischen Gutachten von 1 530 ist offenbar.

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Die Fürsten und ihre Libertät. Diese Anschauung gewann in den protestantischen Ständen weiterhin politische Bedeutung. Die Libertät konnte ihren Siegeszug beginnen. Der Kaiser will die Monarchie aufrichten, das war der Sturmruf der Zeiten des Schmalkaldener Krieges, das war auch die verfassungspolitische Verteidigung, die Moritz von Sachsen seinem Feldzug gegen den Kaiser gab. Und der König von Frankreich unterstützt ihn darin durch sein Sendschreiben, das den Namen der Freiheit trug1). Wie schwer war es noch den Protestanten 1530 gefallen, sich zum Widerstandsrecht durchzuringen. Theologische und juristische Gutachten mußten erst diesen unpolitischen Fürsten und Städten das Gewissen stärken, ehe sie den politischen Notwendigkeiten Folge leisteten. Eine „Einrede" legte damals 1531 umständlich dar, daß die Fürsten keine römischen Landpfleger seien2). Jetzt wußte man, worum es ging: die Libertät des Reiches, die alten deutschen Freiheiten sollten gestürzt, sie mußten geschützt werden gegen den Kaiser, gegen die „viehische spanische Servitut". Man verteidigte die ständischen Bündnisse, die niemand verbieten könne. Denn „Teutsche Nation ist ein frey Reich, und billich das freyest auff aller Welt, das wird sich in solche Dienstbarkeit ungerne begeben"3). Als der Kaiser 1546 die Schmalkaldener mit Krieg überzog, da war vollends der Bann gebrochen. Man erließ eine Achtserklärung göttlicher Majestät gegen den Kaiser4). Wenn sich gar ein kaiserliches Pamphlet auf die Römersiege über Aufständische berief und hier eine Linie von Aeneas bis zu den Kaisern zog5), dann konnte man mit Recht die alten deutschen Freiheitshelden zu Hilfe rufen. J o h a n n S c h r a d i n bekämpfte in mehreren Streitgedichten den Kaiser, der das Vaterland um die alte Freiheit bringen wolle, zu deren Schutz er doch verpflichtet sei. Er läßt Ariovist, Arx

) Hortleder (1645) H . " 5 - 453- 1286. 1290. 1296. *) Hortleder II, 89. Des sächs. Kurfürsten und des L a n d g r a f e n Philipp Ausschreiben gegen den Braunschweiger 1539, Hortleder I, 954. 4 ) E b d . I I , 122 f. *) Vgl. Oskar Waldeck, Die Publizistik des Schtnalkaldischen Kriegs, Archiv f ü r Reformationsgeschichte 7 (1910), 51 f.

Die Fürsten und ihre Libertät.

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minius, Friedrich Barbarossa und Georg Frundsberg auftreten, die ihm alle das Widerstandsrecht gegen den Kaiser zubilligen. Der Dichter zeigt seinen Helden im Zwiegespräch, wie die gegenwärtige Reichsverfassung anders sei als die der Urzeit: Sieben Kurfürsten wählen den Kaiser, der nicht Halsherr der Deutschen ist. Denn die Fürsten sind seine Beisitzer und teilen das Reichsregiment mit ihm1). Die Freiheit, die die Voreltern durch soviel Blut und Gut sich erhielten, wollten Kurfürst M o r i t z und seine Verbündeten 1552 zurückgewinnen2). Nach dem Vertrag von Chambord, 15. I. 1552, sollte mit Hilfe des französischen Königs „die alte libertet und freiheit unseres geübten Vaterlands der Teutschen natlon acerrime vindiciert und errettet" werden. H e i n r i c h II. von Frankreich bezeichnete sich selbst als vindex libertatis Germaniae 3 ). Doch dieser fremden Einmischung setzte sich das National- und Freiheitsbewußtsein entgegen. Die deutsche Freiheit werde als Deckmäntelein benützt, sagt eine Flugschrift, aus dem die libido dominandi, die Begierde zu herrschen, hervorschaue. Der arme Mann werde dadurch nur um Gut und Blut gebracht 4 ). Doch Moritz von Sachsen erzwang in Passau, daß das Deutsche Reich ein frei Reich sei, wie er in seiner Beschwerde sagte, von Kaiser und Fürsten gemeinsam regiert 5 ). Die fürstliche Libertät hatte sich durchgesetzt. Selbst ein so monarchisch denkender Mann wie M e l c h i o r v o n O s s e , der den Schmalkaldener Krieg seines Herrn, des sächsischen Kurfürsten, verurteilt hatte, forderte den Rat weiser Leute bei der Regierung des Monarchen und wollte der plenitudo potestatis des Kaisers lehnsrechtliche Schranken auferlegt wissen6). D e r kaiserliche Rat L a z a r u s v o n S c h w e n d i hat wohl über die allzugroße Freiheit der Fürsten geklagt und doch darauf ') Hortleder II, 107 ff. 1 1 7 ff. Vgl. auch Joh. Voigt, Pasquille und Spottlieder des 16. Jahrhunderts, Histor. Taschenbuch 9 ( 1 8 3 8 ) , 488 ff. ') Goldast, Politische Reichshändel, Frankfurt 1 6 1 4 , 1 0 6 1 . •) v. Druffel, Briefe und Akten zur Geschichte des 16. Jahrhunderts. Beiträge zur Reichsgeschichte 1 5 4 6 — 5 2 , München 1 8 7 3 . I I I , 3 4 1 . 370. 4 ) Ebd. III, 386. 5 ) Hortleder II, 1 3 1 5 . 1 3 2 0 . *) Schriften, hrsg. Hecker, Sächs. Kommission für Geschichte. Leipzig 1 9 2 2 , 290. 3 3 4 . Osse trat auch für die Rechte der Landschaft gegenüber dem Landesfürsten ein.

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Zweiter Abschnitt.

hingewiesen, daß das kaiserliche Regiment seit je durch den Rat der deutschen Fürsten beschränkt war1). Osse und Schwendi bezeugen aber auch, wie sehr noch die imperialen und monarchischen Ideen neben der ständischen Libertät lebendig waren. Wie konnten, das war auch jetzt nach dem Sieg der Libertät, die für das Reich zu kämpfen vorgab, durchaus Frage, diese Ideen mit der deutschen Freiheit in Einklang gebracht werden? Denn das Reich stand im Mittelpunkt der Reformpläne, war es doch immer noch nach Macht und Ansehen der deutsche Staat der Zeit.

Juristen und Historiker vor Coming. Es war noch ein langer Weg, der zu einer .geschlossenen deutsch-freiheitlich gerichteten Auffassung der Vergangenheit und Gegenwart des Reiches führte. Der Fragenkomplex wurde meist nur von einer Seite angefaßt, und daher fehlte eine klare und geschlossene Antwort. Die Juristen bemächtigten sich der Frage nach der Staatsform des Reiches. B o d i n hatte in der République 1576 unter Berufung auf die Fürstenrevolution des Jahres 1552 das Deutsche Reich als Aristokratie erklärt8). Sein beherrschender Einfluß brachte die hergebrachte Lehre, daß das Reich eine Monarchie sei, ins Schwanken. Denn die neue Meinung konnte sich auf das Programm der fürstlichen Libertät berufen. Es ist für unsem Ideenkreis bemerkenswert, daß die Erschütterung der alten Lehre zugleich mit einer Abwendung von der Doktrin der translatio verbunden war3). H e r m a n n V u l t e j u s zeigte um die Jahrhundertwende, daß mit der Übernahme des Westreiches durch Karl d. Gr. die Staatsform des Römischen Reiches sich geändert habe. Vor Karl sei das Reich monarchisch regiert worden, nach ihm aber wurde ') Bei P. Joachimsen, Der deutsche Staatsgedanke, Anfänge, 122. Dazu der Diskurs (1570) bei der Biographie von Adolf Eiermann, Freiburg 1904, bes. 1 1 $ . *) 1. I. c. 7. I. II. c. 1 u. 6. 1. V. c. 5. Ausgabe von 164t, p. 1 1 2 , 241. 348. 901. ') Auch die translatio hat B o d i n (wie andere Franzosen) geleugnet. Vgl. etwa Methodus ad facilem Historiarum cognitionem c. 7, hier 1607, p. 4 1 3 ff.

Juristen und Historiker vor Conring.

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es eine Aristokratie1). Es war der Versuch, die translatio äußerlich aufrechtzuerhalten: das Reich als solches blieb dasselbe,, die Verfassung nur hatte sich geändert8). Seit der Jahrhundertwende kam auch die Lehre vom mixtus status des Reiches auf3). Monarchische und aristokratische Elemente sollten sich in der Reichsverfassung gemischt vorfinden. Man wollte von der hergebrachten Vorstellung des Reiches als Monarchie nicht ganz abgehen und mußte doch zugleich den mächtigen Reichsständen eine ihrer Bedeutung angemessene Stellung in der Reichsverfassung einräumen. C h r i s t i a n B e s o l d , ein Hauptvertreter dieser Ansicht, zeigte ndn, daß die gemischte Verfassung nicht aus dem römischen Recht, sondern aus den Grundgesetzen des Reiches zu entnehmen sei. Wie die Könige der Germanen nur dem Namen nach Herrscher waren, so war Deutschland stets Feind eines absoluten Imperiums4). Man ging weiter zur Untersuchung einzelner Verfassungsinstitutionen. B e n e d i k t C a r p z o v wies nach, daß die Wahlkapitulationen nicht die altrömische lex regia seien, sondern erst nach der Übertragung des Reiches auf die Deutschen entstanden wären. Denn bis auf Karl d. Gr. hatten die Kaiser eine unbeschränkte Gewalt, bei den alten Germanen aber war diese unmöglich. Germanisch ist die Freiheitsliebe, und die Freiheit ist eng verbunden mit Königs- und Kaiserwahl5). J o h a n n L i m n a e u s verwies das römische öffentliche Recht aus dem Gebiete des deutschen Staatsrechts. Das Deutsche Reich habe eine gemischte Verfassung, das bezeugten schon die alten deutschen Gesetze6). Soweit war man nun, daß man das deutsche Staatsrecht auf Grund der deutschen Gesetze lehrte. Die D o n a u w ö r t h !) Commentarius ad titulos Codicis, Epistola dedicatoria, 1599. Zu dem folgenden Streit vgl. Stintzing II, 462 f. Die Schriften selbst bei Goldast, polit. imp. 623 f. 2 ) Vgl. Eichhorn, Deutsche Rechtsgeschichte IV, 251 ff. über J a k o b L a m p a d i u s (1619). •) Vgl. Otto Gierke, Althusius*, 170. *) Politicorum 11. II, Frankfurt 1618. 1. I. c. 8 § 2, 5, p. 281 f f . 308. Thesanrus practicus, 1629, p. 650. *) Commentarius in legem regiam Germanorum, 1623, hier 1695, c. 13 s. 6; c. 1. s. 1. 6. 8. •) Ius publicum Imperii Romano-Germanici, 1629, hier 1699, 1. I. c. 3, 1; c. 10, 12. 36. 44.

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Zweiter Abschnitt.

s e h e I n f o r m a t i o n wies zur Verteidigung der bedrohten Freiheit der Reichsstadt darauf hin, daß nicht das römische Recht, sondern nur des Reiches altes Herkommen und Verfassung entscheiden dürfe1). Die neue Anschauung griff in die Tageskämpfe über. L i m n a e u s und mancher andere zogen bereits die deutsche Urzeit in ihrer Staatsrechtslehre heran. Doch die Unfolgerichtigkeit der damaligen Zeit zeigt sich offen, wenn wir denselben Limnaeus die translatio, das „Römische" Reich verteidigen sehen8). So sehr man bereit war, die gegenwärtige Verfassung des Reiches aus ihrem deutschen Charakter zu erklären, so fehlte es doch an einer geschlossenen Geschichtsanschauung. Die Folge waren stete Versuche eines Kompromisses. Es ist daher nicht verwunderlich, daß wir tausend Hinweise auf gemäßigt regierte Länder Europas oder, wie man meist sagte, „des christlichen Erdkreises" finden3). Die monarchomachische Literatur hatte dazu die Waffen geliefert. Aber fiel es einem jener Juristen ein, diese freiheitlichen Verfassungen einer Völkergruppe zuzuschreiben, die einst ganz Europa überflutet hatte? Man war zu einer wirklichen Anschauung altdeutscher Freiheit noch nicht gekommen. Wie viel mehr mußte es an einer einfachen Anschauung der gemeingermanischen Freiheit fehlen I Gelehrte historische Einzelforschung sollte erst die politischen Zustände der deutschen und germanischen Frühzeit aufzeigen, ehe eine geschlossene, die deutsche Verfassungsgeschichte umfassende Anschauung sich Bahn brechen konnte. Abgewandt von den Streitfragen über die Staatsform des Reiches, ohne politische Tendenz, stellte der gelehrte Antiquar und Geograph P h i l i p p K l ü w e r dem altdeutschen Staat die Analyse der aristotelischen Verfassungskategorien. Er fand in ihm Monarchien und Demokratien. Die den Germanen eigentümliche Form aber war ihm die libertas atque ex ea nata demoeratia. Er fügt hinzu, daß man wohl von den freien Völkern Deutschlands den Beginn der Demokratie nehmen könne4). *) Informatio 1611 (Verfasser: Sebastian Faber und Ludwig Müller im Dienst des württembergischen Herzogs), 121. ' ) Iiis publ. 1. I, c. 4 und 5. ') V g l . etwa C a r p z o v , Com. c. 1 s. 6, c. 13 s. 6. F r i e d r i e h H o r t l e d e r in einer Rede 1609 bei Goldast, polit. imp. 612. Dazu A l t h u s i u s , Nachweise bei Gierke 33 f. Germania antiqua, 1616, hier zitiert Ausgabe 1663, 2 7 ö f .

Blick auf die Stammesgeschichte.

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C h r i s t o p h L e h m a n n versuchte in seiner Speyrer Chronik ein Bild der altgermanischen Verfassung zu geben, das dem Klüwers ähnelte und zugleich es weiter führte über die ganze deutsche Geschichte hin1). Doch das große geschichtliche Freiheitssystem bot er nicht. C o n r i n g hat ihm später nur die wissenschaftlichen Nachweise entnommen. Ein Dichter, T h e o b a l d H o c k , widmete zu derselben Zeit in seinem Schoenen Blumenfeld der deutschen Urzeit und ihrer Verfassung manche Verse. Und er schließt: Das war in kurtz die Policey, Der alten Deutschen frumb und frey, Da reim mir einer zsamm so gleich Die alte Welt und jetzig Reich2). Blick auf die Stammesgeschichte. Wir sprachen bislang vom Reich, seiner Geschichte und seiner Staatsform. Hier waren die Hauptfragen zu lösen, hier gab es die schwersten politischen Kämpfe. Doch auch in den einzelnen Stämmen des deutschen Volkes konnte die Erinnerung an die uralte Vergangenheit lebendig sein. Die Verteidiger altständischer Freiheiten der Landschaften konnten diese Erinnerung als gute Waffe gebrauchen. Nirgendwo aber hat sie solche politische Bedeutung gehabt, wie in den sich vom Reich ablösenden Gebieten. Es ist nicht möglich, diesen Vorgang in allen Stämmen zu verfolgen, das ist auch nicht der Sinn des Überblicks. Wir wollen nur die Stämme herausgreifen, bei denen die altererbte Freiheit wohl am stärksten im Bewußtsein unserer Zeit lebendig war. Die Eidgenossen, die schon längst vom Reich abgewandt waren und ihre „Freiheit" hatten, fanden diese in den ältesten Zeiten wieder. Es war die Freiheit der Helvetier, deren Nachkommen zu sein sie sich rühmten. Waren diese Helvetier Germanen ? Ä g i d i u s T s c h u d i hielt sie wie alle Gallier dafür. In seiner Schweizerchronik schildert J o h a n n S t u m p f die freiheitlichen Zustände dieser Germanen eingehend und J o s i a s S i m l e r verknüpfte sie mit der gegenwärtigen Regie') 1612, hier 1698, Buch II, c. 2. 39. 42. *) 1601, in Neudrucke dt. Literaturwerke Bd. 157—59, 50 ff. 123 ff. 125 ff.

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Zweiter Abschnitt.

rungsform der Eidgenossen. Merkwürdig ist, daß auch hier der Gedanke der gemischten Verfassung zur Erklärung der eidgenössischen Staatsform dienen muß. Aristokratische und demokrattische Elemente werden in den Schweizer Freistaaten gemischt gefunden. Sie werden zurückgeführt auf das uralte Herkommen der Schweizer1). Die oberdeutschen Stämme waren neben der habsburgischen Hausmacht die stärkste Stütze des Kaisertums. Nur die Schweizer hatten sich abgesondert. In den niederdeutschen Gebieten aber blieb die Anschauung einer uralten Stammesfreiheit allgemein lebendig. Wir hörten U l r i c h v o n H u t t e n der alten sächsischen Freiheit Loblied singen. Es war ein altes Lied, ein Kampflied aus der Zeit des Investiturstreites. Seit den frühesten Zeiten hielten sich damals schon die Sachsen frei8). Das alte Sachsenrecht, das Recht des Sachsenspiegels bildete später eines der stärksten Bollwerke gegen die Rezeption des römischen Rechts3). Von diesem Sachsenrecht ist auch Hutten ausgegangen. Das Land Ditmarschen verlor erst in den neueren Zeiten seine Freiheit, die es aus ältester germanischer Vorzeit sich erhalten hatte. Wir lernen aus der Chronik des Landes von dem Pastor A d o l f N e o c o r u s die Freiheit der Ditmarschen kennen, wie sie seit den frühesten Zeiten bestand und wie sie eben erst ihren Untergang gefunden hatte*). Die Friesen standen eben damals im Kampf um althergebrachte Rechte. U b b o E m m i u s ging bis auf die Urzeit zurück, um in der Institution des Upstalboms als der periodischen Vertreterversammlung der Friesen, die Gesetzgebung und Politik leitete, einen Ausdruck seiner eigenen freiheitlichen Gesinnung wiederzufinden5). Von den Franken rühme man ihre x ) Stumpf, Schweizer Chronik, 1. II. c. 5. 1. IV. c. 29. Simler. Regiment gmeiner löblicher Eydgenossenschaft, hier 1577, 12 f. 22. 158 a. 179 b (gegen römisches Recht). 2) L a m b e r t v o n H e r s f e l d in Script, rer. Germ, in us. schol., 116. 118. Vgl. auch Fritz Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, 1915, 198. ') Georg von Below, Die Ursachen der Reception des römischen Rechts in Deutschland, 87. *) Hrsg. Dahlmann, I, 287. 360. Dazu A l b e r t K r a n z , Saxonia, 1520, 1. V. c. 27. Vgl. auch D i e t r i c h S c h ä f e r , Geschichte Dänemarks V, 14 f. °) Rerum Frisicarum Historiae (zuerst 1595» hier 1605) 61 ff. Vgl. Ludwig Wachler, Geschichte der historischen Forschung, Göt-

Blick auf die Stammesgeschichte.

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Freiheit. Welches Volk aber habe mehr um diesen Hort gekämpft als das friesische? Hier im Friesenland finde man eine durch Blut gesicherte Freiheit1). Das benachbarte Holland hatte wenige Jahre zuvor sich seine Freiheit durch Kampf wieder errungen. Es hatte die aengheboren vryheyt der Einzelnen und die oude vryheyt, das oude herkommen des Volkes erhalten wollen, so sagt es die Niederländische Absagungsurkunde 8 ). Die alte Freiheit des Landes war der Siegespreis der Unabhängigkeit, das hatte besonders W i l h e l m v o n , O r a n i e n stets betont3). Von einem großen Sohn des Landes wurde diese alte Freiheit dann bald bis in die ältesten Zeiten des Landes nachgewiesen4).

Hugo

Grotius.

In einer Frühschrift hat der damalige Generalfiskal Hugo Grotius das Recht seines Vaterlandes und der regierenden Schichten verteidigt5). Es war die Zeit der theologisch-politischen Parteikärnpfe, der Auseinandersetzung zwischen Einheitsstaat und ständischem Bundesstaat, zwischen demokratischer Monarchie und aristokratischer Republik. Der Freund Olden Barneveldens ergriff auch in den historischen Lehren Partei. De antiquitate et statu reipublicae Batavorum ist den Führern der neuerstandenen Generalstaaten gewidmet. Die Schrift will das hohe Alter der gegenwärtigen Verfassung erweisen. Wenn man die Geschichte des Landes betrachtet, schreibt Grotius in der Vorrede, so sieht man seit den ältesten Zeiten die tingen 1812, I, 757 und Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie 413 ff. ') Rer. Fris. Hist. 16 f: sanguine assertam libertatem. ') Ich zitiere nach Kurt Wolzendorff, 280. Dazu ebendort 374. •) Ich muß mich hier mit kurzem Hinweis auf John Motley, Der Abfall der Niederlande, aus dem Engl., Dresden 1861, II., 209. 316. 412 f. III, 66f. 70. 324 passim begnügen. *) Über die niederländische Geschichtsschreibung der Zeit der Befreiungskriege, Wachler I, 703 ff. Die politischen Theorien der niederländischen Revolution schildert J. N. Figgis, From Gerson to Grotius, Cambridge 1907, 191 ff. *) Über die Staatsanschauung Grotius' vgl. die Berliner Diss. von Lotte Barschak, 1925, bei der man leider einen stärkeren Einfluß des durch Wolzendorff aufgeworfenen Fragenkomplexes vermißt.

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Zweiter Abschnitt.

Regierung in den Händen der Vornehmen. Ihre Gewalt war Fundament des Staates, Schutz von Billigkeit und Recht, Zügel der Herrschaft. Durch allen Wechsel von Formen und Namen, durch alle Wirren hindurch ist der Geist des Staates stets derselbe geblieben und soll es bleiben. Seitdem die Bataver sich im Lande niedergelassen haben — ein freies Volk auf freiem unbewohntem Boden — herrscht die Aristokratie1). Die germanischen Stämme kannten nur die Herrschaft mehrerer. Die Könige waren die Ersten unter den Vornehmen, ihre Gewalt hatte Grenzen am Gesetz und an der Macht der andern2). Den höchsten Willen repräsentierte eine Versammlung aus Adel und Volkserwählten; sie war keine allgemeine Volksversammlung, nur eine Vertretung des Volkes durch die Abgeordneten3). Es ist die aristokratisch gefärbte ,altgermanische Verfassung des Tacitus, die G r o t i u s als urbatavische darbietet. Doch einmal geht er über Tacitus hinaus. Er spricht von den vielen Städten der alten Bataver — die holländischen Städte mußten ebenso wie der Adel einen uralten Stammbaum haben (17). G r o t i u s schildert dann die Entwicklung der altbatavischen Verfassung, deren Charakter erst durch die Habsburger verändert worden sei. Doch das neue Holland hat wieder die alte Aristokratie eingeführt (61 ff). Eine Aristokratie, wie sie vom kretischen und jüdischen Staat ab bis zum Deutschen Reich und den meisten nordischen Staaten verwirklicht worden ist. Und doch, trotz des allgemeinen Vorzugs der Aristokratie, diese Freiheit können nicht alle Völker vertragen. Die asiatischen Völkerstämme müssen beherrscht sein, die Griechen aber haben die Könige nicht geduldet. Und die Völker des Nordens, die Seevölker mißachten die Herrschaft der Einzelnen, und wollen die Freiheit4). B o d i n s Lehre — Grotius zitiert ihn — hält ihren ') Ähnlich Parallelem Rerumpublicarum Liber tertius, (1600/2), Haarlem 1801, I, 28, wo die batavische Aristokratie als freiester Staat bezeichnet wird. *) De antiquitate, zuerst 1610, hier Amsterdam 1633, 5 ff. Unter Adel (prifleipes) werden die reges, duces, Gau- und DorfVorsteher verstanden. 3 ) 14 f f . : Omnes dicuntur ipsum concilium, quo ex omni regione omnique ordine homines mittebantur. Die sacrosancta auetoritas der niederländischen Stände ist geheiligt durch das Alter, gefestigt durch das Herkommen, schreibt Grotius in De iure praedae (1604/5), hier 1868, 271. *) 67: populos ad septentrionem vergentes et maritimos maxime, in quibus nos sumus, alienores a singulari imperio, libertate magis affici.

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Hugo Grotius.

Einzug in den Ideenkreis der altgermanischen Freiheit. Und Grotius schließt, daß allen Verfassungsschemen gegenüber die consuetudo, die Überlieferungen der Vorfahren festgehalten werden müssen. Sie bedeuteten ihm und seinem Lande die Freiheit. Die altbatavische Verfassung eine germanische Staatsform, das steht für Grotius fest. Aber wer sind die Völker des Nordens ? Ist das nur ein geographischer Begriff oder sind die Germanen damit gemeint ? Cardinal B e n t i v o g 1 i o hat wenig später den Gedanken des Grotius wiederholt1). Mehr als alle anderen Nationen hätten die Völker des nördlichen Europas, besonders das flandrische Volk, die Freiheitsliebe gezeigt. E s scheint doch, daß bei Bentivoglio und bei Grotius das geographische Moment noch im Vordergrund steht. Die späteren gelehrten Werke des Grotius verschieben diese Einstellung nur wenig. In den Prolegomena zu der Historia Gothorum betrachtet Grotius die Skythen, die Septentrionales als eine den germanischen Völkern übergeordnete Einheit. E r scheidet das Recht der Völker des Nordens, das Einfachheit bezeuge, von dem unklaren römischen Recht. Bei den nordischen Völkern überwiege das Lehnswesen 2 ). Doch gerade von diesem hatte Grotius in seinem Hauptwerke gesagt, daß es den germanischen Völkern eigen, sei und anderswo nicht gefunden werde3). So ist hier doch die Idee einer Einheit der nordischen und germanischen Völker latent vorhanden. Diese Germanen haben fast ganz Europa überflutet, die germanischen Rechtseinrichtungen sind aller Orts eingedrungen und herrschen noch heute4). Der „Vater des Naturrechts" wurde ein Wegbereiter der Idee eines gemeingermanischen Rechts. So wuchs Grotius wie in seiner Staatsanschauung auch in seiner historischen Lehre über sein Heimatland hinaus. Von der Freiheit der Bataver war er ausgegangen, zu der Idee einer gemeingermanischen Freiheit gelangte er. Man hat von seiner Fruhschrift über die alten Bataver gesagt, daß sie fast zwei Jahrhunderte lang die Lehre vom Staatsrecht in den Nieder') Relatione de Fiandra, hier Bruxelles 1632, III, ,7. c., p. 121. *) Amsterdam 1655, 64. *) De iure belli et pacis, 1625, hier Amsterdam 1632, 1. I.e. 3, 2 3> P- 1 53 f-: nexus feudalis. In hoc contractu, qui 'proprius est Germanicarum gentium, neque usquam invenitur nisi ubi Germani sedes posuerunt. *) Ebendort 1. II c. 8 § 1. Sicut olim iura (Graeca, ita tunc (sc. wie Germanicae nationes Europam invaserunt) Germanica instituta passim reeepta sunt, et nunc vigent. Beih. d. H . Z. 5.

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Zweiter Abschnitt.

landen beherrscht habe 1 ). Auch seine Idee eines gemeingermanischen Rechts ist von unermeßlichem Einfluß gewesen; die deutsche und englische Literatur lernten gleicherweise von ihr. W a r sie doch in seinem weltberühmten Hauptwerk vertreten. Ebenso gewann die Frühschrift als Abriß der niederländischen Verfassungsgeschichte in den fremden Ländern Einfluß. Und bereits hier hatte Grotius seine Idee entwickelt. Sie war nicht erst in den Jahren der Verbannung gereift, sie entsprang den politischen Auffassungen der Jugend: Die Ideen der Stammesfreiheit und der gemeingermanischen Freiheit waren Früchte derselben politischen Doktrin.

Hermann Conring. Conring war in Friesland geboren, seine Familie stammte aus den Niederlanden. Wir werden seine niederdeutsche Abstammung nicht vergessen dürfen. Für sein Freiheitsbewußtsein war sie mitbestimmend. Doch Conring ging nicht von der Stammesgeschichte aus. Seit seiner ersten schriftstellerischen Beschäftigung mit unserm Ideenkreis interessiert ihn nur die gemeindeutsche Freiheit. Sie versuchte er in langer Lebensarbeit historisch zu begründen. Der Dichter hatte zu Beginn des Jahrhunderts verzweifelt nach dem Mjanne gerufen, der alte Welt und jetziges Reich zusammenreime. E r war gekommen. Wir haben gesehen, wie mühsam bisher Juristen und Historiker durch den Wust überlieferter Anschauungen sich durcharbeiten mußten, um unsere Idee frei vertreten zu können. Auch Conring hatte unendlich viele Hindernisse zu beseitigen. Aber dies ist ihm erleichtert durch die geniale Konzeption, mit der er die Idee einer deutschen Freiheit erfaßte. Wir erinnern uns des Kampfes L u t h e r s und H u t t e n s gegen das päpstliche Rom. Wie beide in diesem Gegensatz bereits der Ahnung eines gewaltigen rechtlichen und politischen Abgrundes zwischen Rom und Deutschland inne wurden. Von der religiösen Spaltung war ein Schritt zu einer innerpolitischen: das Römische Reich wurde von seinen Trägern, den Deutschen, als fremd empfunden. Nur die Macht der imperialen Ideen mit dem konkreten Hintergrund der kaiserlichen Gewalt hinderte ein ideelles Auseinanderbrechen. ') K. Busken-Huet, Aus Rembrandts Heimat, Leipzig 1886, II, 143-

Hermann Conring.

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Doch die deutsche Libertät gewann aus dieser religiösen Spaltung ihre Hauptstütze. Der Gegensatz zu Rom, ursprünglich nur religiös gemeint, wieviele hat er nicht bestimmt, römischem Wesen auch in staatlichen und rechtlichen Dingen Absage zu leisten ? Wohl war nach dem Schmalkaldener Krieg die fürstliche Libertät interkonfessionell geworden, wohl verblaßte allmählich in der Politik das religiöse Moment. Mächtig war es hier doch noch, mächtiger aber in den Anschauungen der Zeit. Auch Hermann Conring ging von ihm aus. E r befehdete das päpstliche Rom. Und' er gelangte zu einer politischen Deutung des Gegensatzes. E s zeigt die politische Grundrichtung des Mannes, daß er diesen ideenpolitischen Gegensatz zu Rom in schärfster Form erfaßte. E r leugnete bewußt und überall den römischen Einfluß auf deutschen Staat und deutsches Recht. Der Kampf Conrings gegen das römische Recht ist bekannt. Wie er die Fabel von der Einführung des römischen Rechts durch Lothar II., die schon Calixt in Helmstedt bekämpft hatte, zerstörte. Wie er nachwies, daß das römische Recht nirgendwo in Deutschland voll recipiert war. Wie er dem deutschen Recht wieder zu seiner geschichtlichen und nationalen Stellung zu verhelfen suchte. In der Veränderlichkeit der deutschen Gesetze sah er einen Ausdruck deutscher Freiheit. Die deutsche Gesetzgebung sollte eine Vorbedingung der Wiederherstellung dieser deutschen Freiheit erfüllen 1 ). Im selben Jahr, in dem die grundlegende Schrift De origine Juris Germanici erschien, 1543 veröffentlichte Conring auch eine Abhandlung, die jeden römisch-rechtlichen Einfluß auf das öffentliche Recht des Reiches leugnete. De Germanorum Imperio Romano bricht endgültig mit der überkommenen Lehre der translatio. Wir haben gesehen, wie bereits einzelne Juristen und Historiker diese Lehre bekämpft hatten. Conring versucht nun eine konsequente Durchführung dessen, was von seinen Vorläufern schon erkannt war. Eine Anschauung, die bereits in, der Humanistenzeit, auch von M e l a n c h t h o n , geäußert wurde 1 ), fand jetzt bei Conring ihre schärfste Formulierung. Nicht durch den Papst, das hatte schon L u t h e r im Grunde geleugnet, nicht durch das römische Volk, wie man zu Beginn des Jahrhunderts x ) Vgl. Ernst von Möller, Hermann Conring, Hannover 1915, 80. 88. ') Vgl. die Nachweise bei Joh. Georg K u 1 p i s , In Sev. de Monzambano Commentationes 1. I c. 1, §§ 10 f., der selbst c. 6 § 12 das ius victoriae als Grund des deutschen Kaiserreiches erklärt. 3*

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g e g e n die päpstliche Theorie gelehrt hatte, war das Kaisertum auf Karl d. Gr. übertragen. E s war das Recht der W a f f e n , durch das Karl die Kaiserwürde gewann 1 ). D a s alte römische Reich war von den germanischen Stämmen zerstört worden. Ein rechtlicher Anspruch auf dasselbe konnte daher nicht verliehen werden. Nur der N a m e des Römischen Reiches wurde von den Deutschen angenommen, ihr R e i c h aber bleib frei, denn in Italien hat es seinen Ursprung nicht genommen. So ist auch der Titel des Kaisers gegenüber dem des deutschen Königs nebensächlich. Kaiser Maximilian, erklärt Conring, habe sich um die Freiheit Deutschlands verdient gemacht, als er sich rex Germaniae nannte. So war das Reich ein deutsches Reich. Weltherrschaft, Schutz der christlichen Welt, römische A b k u n f t und Verfassung, all das war beiseite geschoben. Die Bahn war frei für den deutschen Nationalstaat. V o n hier aus gewann die F r a g e nach dem deutschen Altertum, nach den Verfassungszuständen vor der Übernahme des römischen Reichsnamens erhöhte Bedeutung. W i e verhielt sich, das war die entscheidende Frage, die Verfassung der Frühzeit zu der jetzigen Reichsverfassung ? Der Niederländer G r o t i u s sah in der Geschichte seines Landes die fast ununterbrochene Tradition der gegenwärtigen Verfassung. D i e alte und die neue Freiheit waren für ihn eins. Wohl sieht auch Conring in dem zeitgenössischen Römischen Reich Deutscher Nation die altgermanische Grundlage 2 ). Aber, d a ß dieser Staat dieselbe Verfassung wie der der Urzeit habe, hat Conring nie behauptet. E r wollte nicht so sehr die Kontinuität der deutschen Verfassung feststellen, als das politische W e s e n der Nation herausschälen. Dieses fand er am reinsten im altdeutschen Staat verwirklicht 3 ). In der herrschenden Verwirrung die Natur und die Einrichtungen des deutschen Staates der Jugend klar zu machen, das war, so erklärt er in der Vorrede zur zweiten A u s g a b e seines Germania-Kommentars, eben der *) Opera, hrsg. Goebel, I, 39: (aus Anlaß der Erwerbung des Langobardenreiches) nullius beneficio, sed suo gladio acquisitum. 58 (Erwerbung Roms und des Patrimoniums Petri). 87. 90. 99. 3 ) Praefatio zur ersten Ausgabe des Commentars der Germania des Tacitus 1635, Opera, V, 268. Praefatio zur zweiten Ausgabe, 1652, V, 273. Brief an Buno, 1663, V, 278. •') Hierzu Opera V, 289.

Hermann Conring.

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Zweck der Schrift, in der er zuerst eingehend die altdeutsche Verfassung schilderte 1 ). Worin sieht Conring, wir nehmen die vorige Frage wieder auf, das Wesen der altdeutschen Verfassung ? W o die Sorge um die Freiheit am größten ist, dort muß von selbst die Form der Demokratie oder des Volksstaates kommen, erklärt er an einer der bedeutendsten Stellen 8 ). Denn diese Verfassungsform zeichnete sich am meisten durch die Freiheit der Bürger aus. Die germanischen Staaten waren ursprünglich Demokratien. Erst fortdauernde Kriege ließen aristokratische Elemente emporkommen, sodaß die simplex forma des Staates nicht mehr gewahrt wurde und eine demokratischaristokratisch gemischte Verfassung an ihre Stelle trat. Da und dort kam noch die monarchische Gewalt dazu. So stellte die Verfassung eine Mischung aus den drei aristotelischen Kategorien dar, in der aber die demokratisch-oligarchischen Elemente durchaus überwogen. Gegenüber allen diesen Verschiebungen war doch die altdeutsche Verfassung der Eigenart und den Sitten des Volkes angepaßt. Auch bei den einzelnen Stämmen finden wir Verschiedenheiten in der Verfassungsform, die der Stammesart entspringen3). Denn in einem freien Volk gestaltet sich das Wesen und die Verschiedenheit der Verfassung gemäß der Sinnesart der Bürger 4 ). Wir übergehen die folgenden Einzelausführungen. Wir wissen, daß für Conring die Freiheit das A und O der altdeutschen Verfassung war; daß deshalb der altdeutsche Staat zuerst Volksstaat war und es trotz dem Eindringen anderer Elemente dem Wesen nach blieb 8 ). Conring hat in späteren Jahren eine Exercitatio Historico-Politica de Republica antiqua veterum Germanorum geschrieben, in der er sich der altdeutschen Verfassung wesentlich kritischer gegenüberstellte 6 ). Die Freiheit der alten Deutschen sei in Zügellosigkeit ausgeartet. Die Germanen, die sich so sehr vor den Fürsten in acht nahmen, hätten sich den Priestern freiwillig unterworfen (I, 20 f.). Ja, der Tadel ') Opera V, 273. ' ) Opera V, 289. 3 ) V, 290, 292. *) Opera V, 289: In populo enim libero reipublicae forma ex ingenio civium differentiam et essentiam suam capit. s ) 1 6 5 4 ; I, 1 ff. 6 ) Andere Stellen Exercitatio de urbibus Germanicis, Opera I, 4 9 1 , und Exercitatio de imperii Germanici Civibus, I, 521.

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Zweiter Abschnitt.

wird von einem Lob des alten römischen und des gegenwärtigen Staates begleitet. Doch auch hier hält Conring an dem freiheitlichen Charakter der altdeutschen Verfassung fest, dessen Ausdruck das Volksregiment gewesen sei. Und niemals habe diese Nation volle Knechtschaft ertragen. Zweierlei ist an diesem altdeutschen Staat Conrings bemerkenswert: die ursprünglich reine Volksgrundlage und die rasche Entwicklung zu einem Staat mit gemischter Verfassung. E s war für Conring eine natürliche Folgerung aus seiner Fragestellung. daß er die beiden Kennzeichen des altdeutschen Staates auch in der späteren deutschen Geschichte zu verfolgen suchte. Schwierig war besonders die Beantwortung der Frage, wieweit das Volk auch in den folgenden Jahrhunderten Anteil an der Regierung hatte. Conring widmete ihr eine besondere Schrift, die Exercitatio de Imperii Germanici civibus (1541). E r geht von der aristotelischen Definition des Bürgers aus. Nur der sei Bürger, der das Recht zur Mitberatung und Mitbestimmung der Staatsangelegenheiten habe. Conring schildert die beiden altdeutschen Versammlungen; Adel und Volk haben sich dort in den Einfluß geteilt. Diese Versammlungen wurden von späteren Jahrhunderten fortgeerbt, denn nur so konnte die Freiheit gewahrt werden. Die erobernden Franken haben dieses Freiheitsrecht vielen unterworfenen Stämmen genommen 1 ). Nur Sachsen und Friesen erhielten sich einige Rechte. Doch unter sich ließen die Franken die Volksversammlung bestehen. Bald aber gewannen dort die Vornehmen gegenüber dem Volk solche Autorität, daß die Anteilnahme desselben nur Schein wurde. Und so blieb es mehrere Jahrhunderte. Unter Konrad II. wird noch von dem Volk gesprochen. Dann aber verstummte das Wort vom Volk in den Versammlungen. Erst im 14. Jahrhundert traten die Städte in den Reichstag ein. E s war unmöglich, demokratische Elemente in der gegenwärtigen Reichsverfassung festzustellen. Conring hat es nie offensichtlich getan, aber er hat mit dem Gedanken, gespielt. Ein berühmter Zeitgenosse, der Conring hochschätzte, bemerkte dies. Als P u f e n d o r f die zeitgenössischen Theorien über die Verfassung des Deutschen Reiches besprach, da hat er zwar Opera I, 522. B e a t u s R h e n a n u s hat dasselbe vernichtende Urteil gegen die Franken gesprochen, was sich aus seinem alemannischen Stammespatriotismus erklärt. War es bei Conring der friesische ?

Hermann Conring.

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betont, daß niemand das Deutsche Reich als eine Demokratie anspreche, aber zugleich auf Conring hingewiesen, der in seiner Theorie der ständischen Bürger einer solchen Auffassung sehr nahe komme 1 ). Die Entwicklung zum Staat mit gemischter Verfassung hat Conring, soweit ich sehe, nie zusammenhängend geschildert. Doch auch hier suchte er die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart. Das Deutsche Reich läßt er durch eine aus Aristokratie und Monarchie gemischte Verfassung regiert sein 2 ). Diese gemischte Verfassung, so betont er besonders in seinen Spätwerken, wurde von den germanischen Völkern in ganz Europa verbreitet' 1 ). Schon im Tacituskommentar 1635 hat er die Rechtsgleichheit unter allen germanischen Völkern festgestellt. Bald findet er, daß zur europäischen Staatenkunde die Kenntnis der altdeutschen Einrichtungen notwendig sei, da die europäischen Staaten durch die Germanen gegründet wurden. 1663 sieht er nun die ratio dieser Staaten entgegengesetzt der der asiatischen Tyrannenreiehi 4 ). Die gemischte Verfassung erkennt er in allen Reichen Europas wieder. Es war kein leidenschaftsloser Gelehrter, der die deutsche Vergangenheit und Gegenwart stets und überall zu verbinden suchte. In seinen Schriften schwingt immer ein Gegenwartsinteresse mit. Die leidenschaftliche Betonung altdeutscher Freiheit, sie ist undenkbar ohne die Liebe zu einer Freiheit, die im deutschen Staat der Gegenwart erfüllt sein soll. Conring ist oftmals für die Libertät der Reichsstände eingetreten. Er hat scharf gegen die Habsburger Stellung genommen und wollte die kaiserliche Macht noch weiter beschränkt wissen. Aber er war, wie man mit Recht betont hat, ein politischer Reisläufer. Um schwedisches Geld pries er die Schweden als Befreier Deutschlands, um französisches Geld trat er für Ludwigs XIV. römische Königswahl ein *). ') Monzambano, De statu Imperii c. V I § 3. ' ) Dissertatio de ratione status ( 1 6 5 1 ) , Opera IV, 580; De finibus Imperii ( 1 6 5 4 ) , I, 269. 3 ) Kommentar zu Scioppius ( 1 6 6 3 ) , III, 6 7 ; Kommentar zu Lampadius ( 1 6 7 1 ) , II, 29. 4 ) V, 267 f. 273. 278.. Englischer Einfluß (besonders H a r r i n g t o n s ) scheint hier vorzuliegen. ' ) Gustav Cohn, Ludwig X I V . als Beschützer der Gelehrten, Histor. Zeitschr. 23, 8; N . Goldschlag, Beiträge zur politischen und publizistischen Tätigkeit Conrings, Göttinger Diss. 1884, 42. 55- In seinem „Gründlichen Bericht von der Landesfürstlichen Erz-

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Zweiter Abschnitt.

Derselbe Mann hat, das ist ein Spiegel jener wirren Zeiten nach dem Dreißigjährigen Krieg, fremden Mächten Dienste geleistet und ist zugleich der genialste Vorkämpfer einer deutschen freiheitlichen Grundlegung des deutschen Staates jener Zeiten geworden.

Der Sieg der Libertät und die Epigonen. Der Dreißigjährige Krieg hatte noch einmal alle Leidenschaften des Kampfes um Form und Verfassung des deutschen Reiches aufgerührt. Der anfängliche Sieg des Kaisers schien die alte Gefahr der Herrschaft einer Monarchie wiederzubringen. Dagegen erwachte wieder die teutsche Libertät und sie erlebte jetzt ihren Höhepunkt. Wieder wie zu Zeiten des Schmalkaldischen Krieges wurde sie durch eine Unzahl von Flugschriften verfochten. Diesmal sollte sie endgültig zum Siege kommen. Eine Streitschrift des Jahres 1631 kämpfte mit stärkster Leidenschaft für die Rechte der „freien" deutschen Fürsten, eine andere sagte es geradeheraus: „Der Leib des römischen Reiches ist der Stände Eigentum und nicht des Kaisers", „pura Aristocratia" 1 ). B o g i s l a v C h e m n i t z hat dieser Auffassung im Hippolithus a Lapide den leidenschaftlichsten, großartigsten und wirksamsten Ausdruck verliehen. Da ist die Freiheit kein Ziel lahmer Wünsche und kein Objekt trockener Deduktionen. Sie gilt gleichsam als Element der deutschen Nation, ohne das zu leben unwürdig und nutzlos ist. Sie ist das altväterliche Kleinod, in ihr sind die Deutschen geboren und erzogen*]. Der Kaiser und sein Stammhaus Habsburg bedrohen die altererbte Freiheit der Deutschen. Diese Feinde müssen vernichtet werden. Was läge näher, als daß dieser Hippolith sich auf die Freiheit der alten Deutschen beriefe ? Doch, er lehnt es ab, die Verfassung der deutschen Frühzeit näher zu schildern. Nur bischöflichen Hoch- und Gerechtigkeit über die Stadt B r e m e n " ( 1 6 5 2 ) glaubt Conring feststellen zu können, daß zu Tacitus' Zeiten die obrigkeitliche Gewalt bei „Herrenstandes P e r s o n e n " gewesen war. Opera I, 8 4 5 . Die Schrift steht im Dienste der landesherrlichen Gewalt Schwedens über Bremen. ! ) Bei Friedrich W e b e r , Histor. Zeitschr. 29, 2 8 4 f. V g l . auch Fritz H ä r t u n g , Deutsche Verfassungsgeschichte 2 , 20. *) V g l . die bei Joachimsen, Deutscher Staatsgedanke I, 1 6 4 ff. abgedruckte Stelle.

Der Sieg der Libertät und die Epigonen

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allgemein betont er für die Zeit vor Lothar II. einen ingens Libertatis amor et generosum eius tuendae Studium. Ihm ist es genug, den aristokratischen Charakter der Reichsverfassung bis ins 10. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Auch kommt es ihm nicht unbedingt auf den deutschen Ursprung der verfochtenen Freiheiten an. Derselbe Gelehrte, der in seinem Werk die Anwendung des römischen Rechts auf das deutsche Staatsrecht bekämpft, er hat selbst den deutschen Reichstag auf den altrömischen Reichsrat aus der Zeit Konstantins zurückgeführt 1 ). Und er stand im Dienste Schwedens. Mit Recht konnte sich dagegen das deutsche Nationalbewußtsein aufbäumen. Die Fremden Schützer der deutschen Freiheit ? Waren sie nicht in ihren eigenen Ländern Knechte ihrer Könige? Das hat man gegen die Libertät eingewandt, man hat ihr vorgeworfen, daß sie dem Feind nur zum Schutz für Länderraub diene2). Wie oft schon — und wie oft noch! — mußte eine angebliche innerdeutsche Freiheit zur außenpolitischen Knechtung der Deutschen Vorwand sein. Doch die Ereignisse waren mächtiger als das deutsche Nationalbewußtsein. Im Artikel 8 des Westfälischen Friedens, in einer völkerrechtlichen Vereinbarung wurde die deutsche Libertät der Fürsten sanktioniert. Nun war der Sieg der Libertät endgültig, nun war sie auch durch den ausländischen Schutz dem deutschen Bewußtsein entfremdet. Und schließlich, wer waren die Sieger? Die Fürsten herrschten unumschränkt in ihren Landen. H i p p o l i t h a L a p i d e sogar ist in seiner Staatsräsonlehre Wegbereiter dieses absoluten Fürstentums gewesen 3 ). Die unumschränkte Herrschaft war jetzt nach dem Westfälischen Frieden die einzige Möglichkeit, eine Notwendigkeit, um die deutschen Lande von den Nachwirkungen des großen zerstörenden Krieges zu befreien. Die Reichsverfassung war erstarrt, sie konnte sich seit dem Friedensschluß nicht mehr weiter entwickeln 4 ). Der politische Sinn unserer Idee war gebrochen durch die Macht der Ereignisse. ') De ratione status in Imperio nostro (erschienen um 1643, hier 1647) Praefatio I und II. Ferner I, c. 4 s. 2, II, c. 3 s. 1, P- 57- 344s ) Bei Weber, Histor. Zeitschr. 29, 291. Hans von ZwiedineckSüdenhorst, Die öffentliche Meinung in Deutschland 1650—1700. 1888, besonders S. 8. 9 1 und passim. •) Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson, 1924, 164. 4 ) Fritz Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte 2 , 95.

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Zweiter Abschnitt.

Niemand kann dies deutlicher bezeugen, als der Jurist, der dem verfassungspolitischen Verfall des Reiches den wirkungsvollsten Ausdruck verlieh. S a m u e l P u f e n d o r f hat Conring den besten Kenner der deutschen Geschichte genannt 1 ). Das, was er über die altdeutsche Verfassung und über die Entstehung des Kaisertums bringt, ist im wesentlichen eine Wiedergabe der Auffassung C o nr i n g s ohne dessen politische Deutung. Die altdeutschen Demokratien haben mit der Verfassung des Reiches nichts zu tun. Den grundlegenden Unterschied zwischen Einst und Jetzt hat Pufendorf selbst betont (c. VI § 4). Er trat den altdeutschen Staaten mit scharfer Kritik gegenüber. Ihnen fehlte sogar das, was die Deutschen seiner Zeit noch hatten, das große staatliche Band des Reiches. Die alten Germanen hatten keinen einheitlichen Staat; die Autonomie und Unabhängigkeit der Einzelstaaten entsprach den Wünschen der Germanen, aber sie war ihrer Selbständigkeit und Freiheit verhängnisvoll. Denn nicht einmal zu einem Bündnis wollten sie sich bereit erklären. Die germanischen Staaten hatten gemäß Pufendorfs Staatslehre wohl reguläre Verfassungen, aber ihnen fehlte die Auswirkung der staatlichen Souveränität, weil kein staatliches Band die viel zu kleinen Gemeinwesen umschloß 2 ). Wir wissen, wie Pufendorf dem inneren Ende des Reiches durch sein Wort vom monströsen Staat den treffendsten Ausdruck verlieh. Er konnte in der Vergangenheit des Reiches wohl die Ursache des Verfalls, nicht aber den Weg zum Neubau sehen. Wie sollte er die deutsche Urzeit und ihre ¡Freiheit loben, in welcher die Spaltung und Uneinigkeit vollendet war, die er für das Reich befürchtete ? Die alten germanischen Staaten ließen sich, das war seine historische Lehre, um ihre Selbständigkeit und Freiheit durch äußere Feinde bringen, weil sie sich gegenseitig nicht unterwerfen wollten. Ähnlich klagt Pufendorf über den Staat der Gegenwart. Die deutsche Freiheit ist vom äußeren Feind bedroht (c. VII § 6). Sie ist nicht ein Gut, ' ) Severinus de Monzambano, D e statu imperii Germanici, 1 6 6 7 . Neudruck von F . Salomon 1 9 1 0 . Übersetzung in den Klassikern der Politik B d . 3 von H . Bresslau. c. II § 1. 2 ) Hierzu F r . Meinecke, Idee der Staatsräson 2 8 1 f. und Bresslau in seiner Einleitung zu der Übersetzung 3 0 *ff. Pufendorf über den altdeutschen Staat c. I. §§ 2 — 4 . 1 2 . 14, c. II, §§ 2. 4. 9, c. I I I § 2, c. I V , § 1. Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche, 1 6 8 2 , I, 3 1 9 . 5 3 1 .

Der Sieg der Libertät und die Epigonen.

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gegen Kaiser und Reich zu verteidigen; außerhalb des Reiches lauern ihre Feinde. So stand Pufendorf auch gegen die Libertät der Stände, die die frühere Monarchie untergraben haben (c. V I I § 8). Und die Monarchie galt ihm als stärkster Schild zum Schutz von Macht und Unabhängigkeit des Staates. Das deutsche Altertum, bei Conring noch Symbol deutscher Freiheit und Größe, jetzt ist es das Spiegelbild der elenden, trostlosen Gegenwart. Die Reform, die Pufendorf vorschlug, konnte und wollte nicht an die deutsche Urzeit anknüpfen. Und schließlich war sie ein halber und unzulänglicher Ratschlag, der den Untergang nicht mehr aufhalten konnte. Die Verfassung der alten Deutschen hatte Pufendorf nicht anders gesehen als C o n r i n g . An ihn hatte er sich angelehnt, als er die altdeutschen Staaten erwähnte. E s ist ein Zeichen der Erstarrung auch in der Forschung über den altdeutschen Staat, wenn wir Juristen und Historiker der folgenden Zeiten fast gänzlich in den Bahnen Conrings wandeln sehen. Conring hatte ein großes Gesamtbild altdeutscher Staatszustände gegeben. Die ihm folgen sind Stückwerksarbeiter oder es sind seine Nachtreter. Da und dort vermögen wir noch eine politische Tendenz zu sehen, die einen neuen Blick auf die altdeutschen Zustände bietet. P u f e n d o r f hat vielleicht mit dem Gedanken gespielt, die spätere Landeshoheit der Reichsstände, die ihm als erste Ursache des Verfalls der Reichsverfassung galt, in der Selbständigkeit der zahllosen altgermanischen Einzelstaaten wiederzufinden. Den Verteidigern der Landeshoheit konnte diese Ähnlichkeit zwischen Einst und Jetzt zur Herführung der Landeshoheit aus ältesten Zeiten dienen. L e i b n i z schrieb den Caesarinus Fürstenerius im Dienste der Landeshoheit, für Botschafter- und Exzellenzentitel landesfürstlicher Gesandten. Und er stützte die landesherrliche Selbständigkeit durch den Hinweis auf die Ausbildung monarchischer Herrschaften mit Erbfolgerecht in der deutschen Frühzeit 1 ). E s war ein kurzer Blick in neue Auffassungen. Doch er war aus kleinen Motiven heraus geschehen. Die folgenden gelehrten Juristen pflegen, darin zeigt sich eine Nachwirkung C o n r i n g s , die deutschrechtlichen Studien; es fehlt aber das verfassungspolitische Ziel, das gegenüber der altdeutschen Verfassung neue Fragen aufwerfen läßt. Man wan*) D e iure suprematus IV, 3, 366.

1678, Opera, ed. Dutens, Genf

1768,

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Zweiter Abschnitt.

delt in den Bahnen Conrings, ergänzt ihn da und dort, neue Erkenntnisse werden so gut wie nicht gebracht 1 ). Und schließlich, hatte nicht der alte biedere J o h a n n J a k o b M o s e r Recht, wenn er die Reichsjuristen vor den „abstrusesten, niemanden etwas nützlichen, sondern zur bloßen Curiosität dienlichen Teutschen Alterthümem" warnte, wenn er es unvernünftig nannte, „altfränkische" Gesetze zur Erklärung der deutschen Staatsverfassung heranzuziehen" ?2). Auch die beginnende Historiographie des 18. Jahrhunderts ist nicht wesentlich über die von Conring aufgestellte Charakterisierung des altdeutschen Staats hinausgegangen. Sie stand noch im Banne der gelehrten Annalistik und hat diese nur durch eingestreute aufgeklärte Phrasen dem Zeitgeschmack anzunähern versucht. Graf H e i n r i c h v o n B ü n a u will die Kenntnis des deutschen Herkommens durch seine deutsche Geschichte verbreiten 3 ). Dieses deutsche Herkommen ist ihm die durch Fürsten und Stände beschränkte Herrschaft des Monarchen. Die alten Deutschen haben ihre Regierungsform nach freiheitlichen Grundsätzen eingerichtet. Das Volk hatte die höchste Gewalt inne; den wenigen Königen war nur ein Schattenkönigtum zugebilligt. Niemand wollte gehorchen. Die Freiheit der alten Deutschen galt Bünau als „ungezäumte Unbändigkeit" 4 ). J o h a n n J a k o b M a s c o v findet bei den alten Deutschen deutlich „die Stufen, nach welchen die Menschen aus der natürlichen Gleichheit in eine bürgerliche Gesellschaft geleitet worden" 5 ). Die Freiheit der alten Deutschen habe der vernünftigen ') V g l . etwa K u l p i s , Conrad Sincerus, Diss. epistolica, 1 6 8 2 , § 7 ; Com. in Sev. de Monzambano 1. I c. 1 § 2. 3 . 7. 1 5 . (wo er gleich P u f e n d o r f die bezeichnende F r a g e aufwirft, ob es noch für Deutschland nützlich sei, die Römische Kaiserkrone beizubehalten); H e i n r i c h C o c c e j i , J u r i s publici prudentia, 1695, c. 6 § 8, c. 7 § 8 : Deutsches Reich ab omni memoria et a prima sua origine mixtum — ex populari, Optimatum, et qui deinde accessit, R e g i o statu. §§ 9 ff., c. 8 §§ 1 3 . 1 5 ; C h r i s t i a n T h o m a s i u s . . Delineatio Historiae iuris Romani, 1 7 0 4 , 2 7 . 2

) Teutsches Staatsrecht, 1 7 3 8 , II, 1 7 1 . 2 4 1 . *) Deutsche Kaiser- und Reichshistorie, 1 7 2 8 , I. B d .

*) I, 5 1 ff- 3 1 6 .

Vorrede.

5 ) Einleitung zu der Geschichte des Römisch-Deutschen Reiches, 1 7 4 7 , 1 1 . Geschichte der Teutschen I, 2 4 6 ff., 507 f. I I , 3 3 5 f. 2 1 9 (über die angelsächsische als altsächsische V e r f a s s u n g ) . — D e n Feudalismus sah M a s c o v — hierin Grotius und der englisch-

Der Sieg der Libertät und die Epigonen.

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Natur entsprochen, das ganze Volk hätte sich ihrer zu erfreuen gehabt. Auch die Rechtsverfassung sei die wohlgearteter Völker gewesen, man finde in ihren Gesetzen nur wenig Politik. Die Notwendigkeit habe diese Gesetze diktiert und die Freiheit habe sie zu Papier gebracht. Mascov kleidet die alten Deutschen nach aufgeklärtem Geschmack. Die politische Leidenschaft hatte gerade die bedeutendsten Wegbereiter des altdeutschen Freiheitsgedankens beherrscht. Sie fehlte jetzt. Die alten Deutschen und ihre stammverwandte Völkergruppe erweckten kulturhistorisches und ethnologisches Interesse. P e t e r v o n L u d e w i g fand, daß die europäischen Gesetze derselben sprachlich verwandten Völkergruppe entsprungen seien1). L e i b n i z' Studien berühren dieselbe Richtung. Er ließ die römische Tyrannei durch eine Völkergruppe ablösen, deren Ursprung bei den altdeutschen Völkerstämmen lag. Die Sprache und Sitten derselben gewannen für ihn besondere Bedeutung 2 ). Es sind zerstreute Gedanken ohne tieferen Zusammenhang. Nur die Richtung einer neuen Wendung der altdeutschen Freiheitsidee ist in ihnen vorgezeichnet. Der entscheidende Anstoß kam von außen. M o n t e s q u i e u s Esprit des Lois hat dem deutschen Schrifttum die Anregung zu tieferer Erfassung der altdeutschen Freiheit gegeben. Allerdings J o h a n n H e u m a n n s von T e u t s c h e n b r u n n Geist der Gesetze der Teutschen ist nur eine gutgemeinte, aber schlecht erfüllte Anwendung der M o n t e s q u i e u sehen Lehren auf den gesondert betrachteten altdeutschen Staat 3 ). Erst H e r d e r und M o s e r haben unter Berufung auf Montesquieu der altdeutschen Freiheitsidee neue Inhalte gegeben. Inhalte, die dann später im 19. Jahrhundert fortwirkten in den politischen Ideen eines D a h l m a n n bis zu denen L a g a r d e s , die dann aber auch ihre rechtsgeschichtliche Fundierung in der Forschung erhielten von R o g g e s französischen Literatur folgend — als germanische Institution an: Geschichte der Teutschen I, 508. II, 3 3 4 und De iure Feudorum,

•753, 12.

!) Gelehrte Anzeigen, 1 7 3 6 , 3 4 0 f f . 3 5 8 : HarmoniaiurisEuropaecum Germanica. 2 ) Annales Imperii occidentis Brunsvicensis, Ges. Werke, hrsg. Pertz I, 1 4 ; Deutsche Schriften, Philosophische Bibliothek, Bd. 1 6 1 , 1 9 1 6 , 36. Dazu Adolf Rapp, Der deutsche Gedanke 1920, 206. 3 ) 1760. Hier 2. Auflage 1 7 7 9 , 7. 9. 12. 64 ff.

Zweiter Abschnitt.

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wilden Germanen bis zu C l e r k e s Versöhnung von Einheit und Freiheit im germanischen Genossenschaftswesen. Hier konnte nicht mehr die Verfassung des alten Reiches ihre hemmende und zugleich den Fortgang der Entwicklung unserer Idee bestimmende Wirkung ausüben. Das war das entscheidende Moment in der Frühgeschichte der Idee, daß sie. wollte sie Leben gewinnen, sich an Form und Zuständen des Heiligen römischen Reiches orientieren mußte. Das Reich war, mochten die kaiserlichen Rechte da und dort eine Erneuerung ihrer einstigen Bedeutung gewinnen, seit dem Westfälischen Frieden innerlich tot. M a s c o v konnte am Ende unserer Epoche resigniert und unpolitisch in dem Kaisertum die Einheit finden, unter welcher die Freiheit der Völker Europas, das den Germanen teuerste Gut, gewahrt blieb 1 ). Noch als das alte Reich in seinem letzten großen Kampfe stand, lebte und wirkte H e r m a n n C o n r i n g . Er hat der altdeutschen Freiheit das größte und bedeutendste Denkmal gesetzt. Wir haben gesehen, wie vor ihm H u g o G r o t i u s i n einer verlorenen Landschaft des Reiches nicht der altdeutschen, sondern der altniederländischen Freiheit einen ähnlich geschlossenen Ausdruck verlieh. Die beiden haben zugleich auch die Idee einer gemeingermanischen Freiheit konzipiert. Der Fortgang dieser Idee war in unseren Jahrhunderten wesentlich bestimmt durch die französische und englische Literatur. Auch dort ging man von den Gedanken einer altangestammten Volksfreiheit aus. Noch stärker als in Deutschland wurden die Gedanken geleitet und gefördert durch die polittischen Kämpfe der Heimat. Die Idee einer gemeingermanischen Freiheit hat in diesen Ländern ihre bedeutendsten Vertreter unserer Zeit gefunden. 1

) Zitiert bei Voigt, Histor: Zeitschr. 15, 352.

Dritter

Abschnitt

Die altfränkische Freiheitsidee. In dem Lande, das seinen Namen von den alten Franken nahm, war das Bewußtsein der Einheit mit diesen Vorfahren stets lebendig. Die nationalgeschichtliche Einheit war die Grundlage einer verfassungsrechtlichen Tradition. Es fehlte nur der Kampf um innenpolitische Freiheiten und seine Leidenschaft, um die Idee einer altfränkischen Freiheit entstehen zu lassen. F r a n z H o t m a n hat als Erster die Verfassung der alten Gallier und der alten Franken in einem geschlossenen System darzustellen unternommen. Und seine Geschichte dieser Verfassung war durchdrungen und durchbebt von heißer politischer Leidenschaft. Vor ihm und nach ihm haben ruhige Zeiten leidenschaftslose gelehrte Werke gebracht, die der Wissenschaftsgeschichte angehören und dort auch ihre Behandlung fanden 1 ), die hier aber übergangen seien. Die Idee einer altfränkischen Freiheit ist während der Religionskriege durch Hotman ein Kampfesruf der Parteien geworden. In späteren politischen Kämpfen wurde sie immer wieder hervorgeholt, dem politischen Zweck entsprechend gewandelt und so als Schlagwort, als Beweis der Parteimeinung in den politisch-literarischen Streit geworfen.

Franz Hotman und die Zeit der Religionskriege. Die großen Traditionalisten des Verfassungsrechts im Frankreich des 16. Jahrhunderts, die S e y s s e l , D u M o u !) Vgl. Augustin Thierry, Récits des Temps Mérovingiens précédés des Considérations sur l'histoire de France, Oeuvres 1851,, IV. Bd. André Lemaire, Lois fondamentales de la Monarchie française d'après les théoriciens de l'ancien régime, Paris 1907, und Robert von Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Erlangen 1855, III. Bd.

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Dritter Abschnitt.

l i n und L' H o s p i t a l sahen im l'ancien coustume eine ständisch beschränkte Monarchie 1 ). C o m m i n e s bezeichnete die Ständeberufung als eine gerechte und heilige Sache. Der gelehrte Geschichtsschreiber des alten Frankreiches, 6 t i e n n e P a s q u i e r , führte das französische Parlament bis in die karolingischen Zeiten zurück2). Die drei Stände sicherten sich nach ihm stets ihre Freiheiten. Die Anschauungen Franz Hotmans waren in vielfacher Hinsicht vorgebildet. Und doch hat sein Werk weit über alle Vorgänger und Nachfolger hinaus einen Erfolg gehabt, den M i c h e 1 e t nur mit dem des C o n t r a t s o c i a l vergleichen wollte3). Es war, fährt Michelet fort, die Identität der barbarischen und der modernen Freiheit, die Verbindung der Rassen und Zeiten, die Wiederherstellung des historischen Bewußtseins Frankreichs, die das Buch seiner und den folgenden Zeiten gab. Nichts veranschaulicht so sehr die Wirkung der Francogallia als die Werke eines Geschichtsschreibers, der dem Juristen Hotman an historischen Kenntnissen weit überlegen war. B e r n a r d d e G i r a r d d u H a i l l a n hatte 1570 in seinen L'estat et succez des Affaires de France das Gesetz der alten Franken, die nach der Freiheit leben wollten, ein Gesetz der rohen Gewalt genannt. Die Freiheit war ihm ein Getränk, die Vernunft der Menschen zu vergiften. Sechs Jahre später, inzwischen war Hotmans Francogallia erschienen, läßt Du Haillan in seiner französischen Geschichte den ersten fränkischen König Pharamund Gesetze geben. Denn die Gesetze entsprächen der der menschlichen Natur eingepflanzten Vernunft und seien der Grund der Freiheit und die Quelle der Billigkeit4). ' ) Lemaire 71 ff. 2 ) Pasquiers Werke: Recherches de la France (I. Bd. 1 5 6 1 . II. 1 5 6 5 ) und Pourparler du Prince. Vgl. Wolzendorff 19. Cardauns, Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes im Luthertum und Calvinismus (Bonner Diss. 1 9 0 3 ) , 61 ff. sieht in Pasquier den Vorläufer Hotmans. Pasquier hat auch die trojanische Abstammung der Franken bekämpft und ihre Ursitze in Friesland gesucht. 3) Michelet L a Ligue et Henri IV, 1887, 29 ff. Nach Paul Méaly, Les Publicistes de la réforme, 1903, 18. *) In andrer Hinsicht hat Lemaire zuerst Du Haillan und Hotman verglichen, 87 ff. 1 0 1 . — Für den Freiheitsbegriff Du Haillans L* Estât (hier «594) 18 a. 1 3 5 6 und Histoire générale des Roys de France (hier 1 6 2 7 ) 1 1 .

Franz Hotman und die Zeit der Religionskriege.

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Die Francogallia, die Du Haillan zur Änderung seiner Anschauungen veranlaßte, war kein naturrechtliches Werk, das durch seine abstrakten Ideen etwa die Ansichten der Zeitgenossen änderte. Nur vereinzelt gibt Hotman allgemein-theoretische Lehrsätze. Kein Urzustand, kein Herrschaftsvertrag wird in der Francogallia geschildert 1 ). Es ist ein historisches Werk, das nur aus der Geschichte beweisen will. Und doch, eine das ganze Buch durchdringende Leidenschaft zur Freiheit hat das Wissen der Geschichte geradeso wie die politischen Ansichten umgewälzt. Die Staatslehre Hotmans') ist durchaus nicht radikaldemokratisch. Für die Stände kämpft das Buch, es will die ständisch beschränkte Wahlmonarchie. Die Institutionen des Deutschen Kaiserreiches in ihren Ländern einzuführen, das war die praktische Tendenz der Monarchomachen, das war auch die Hotmans 3 ). Es ist das Werk eines Landflüchtigen, eines um des Glaubens willen politisch Verfolgten. Die Bartholomäusnacht und ihre Folgen haben es veranlaßt. Aus der ganzen Zeit, aus ihren Umständen heraus ist es zu verstehen 4 ). Hotman war Protestant, Calvinist. Seine politischen Lehren haben Calvin bedeutsam beeinflußt. Weit mehr aber fußt sein Geschichtssystem auf den politischen und sozialen Verhältnissen der Zeit. Die Kämpfe in Frankreich wurden überwiegend vom Adel geführt. Hotmans Buch wollte auf dem beiden Parteien gemeinsamen ständischen Standpunkt die Vormacht des Königtums untergraben. Bis ins einzelne geht die tagespolitisch bestimmte Haltung. Das 25. Kapitel, das erst in der 4. Auflage 1586 hinzugefügt wurde, betonte gegenüber dem bisherigen Eintreten für das Wahlreich die Vorzüge des Erbrechts. Heinrich von N a v a r r a war inzwischen Kronprätendent geworden 5 ). Ob das Buch Pamphlet ist oder Geschichtswerk, wie es sich selbst ausgibt? Jedenfalls, die politische Tendenz hat in der ') Treumann, Die Monarchomachen, Leipzig 1895, 50. 54. ') Dazu Gierke, Althusius 1 , 146 f f . und Albert E l k a n , Die Publizistik der Bartholomäusnacht, 44. ') Hermann Rehm, Geschichte der Staatsrechtwissenschaft 1896, 2 1 6 . — Wolzendorff 1 5 3 stellt das Vorbild des deutschen Reichsrechts f ü r die monarchomachische Stipulation Volk-Gott-HerTscher fest. *) Über Staat und Gesellschaft im Frankreich der Religionskriege vgl. Erich Mareks, Coligny 1 5 9 f f . ') Lemaire 9 1 . B f l b . d. H . Z. 5.

4

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Dritter Abschnitt.

Darstellung H o t m a n s der französischen Verfassungsgeschichte ihre Einheit gegeben. Hotman geht bis auf die vorrömischen, gallischen Zeiten zurück. Die alten freien gallischen Staaten regierte ein Rat der Optimaten 1 ). Die Freiheit wurde durch das Eindringen der Römer verloren, durch eine Periode der Knechtschaft unterbrochen; bis die Germanen über den Rhein kamen. Die Franken, ein germanischer Stamm vom Rhein und nicht von Troja, von dem nur Dichter hier sprechen können, errichteten ein freies Reich (25 ff.). Wohl herrschten Könige, denn ihnen zu gehorchen ist keine Knechtschaft. Doch Schützer und Wächter der Freiheit sollten sie sein. Gibt es irgend eine weisere und dem Staat nützlichere Einrichtung als die der Königswahl ? Und so haben die Franken wie ihre germanischen Vorfahren die Könige gewählt und, wenn diese Tyrannen wurden, abgesetzt (47. 54. 132). Auch die Gallier kannten Königswahl und Königsabsetzung. Doch die fränkische Staatsverfassung ist germanischen Ursprungs ä). Die höchste Gewalt lag bei der Versammlung des Volkes. Drei Stände bildeten die fränkische Volksversammlung: König, Adel und Volk. Gegensätze zwischen Kiönig und Volk kann nur ein dritter Stand, der Adel, ausgleichen (78 f.). Die Klugheit vieler, die allgemeine Verantwortlichkeit, die Schrankensetzung für die Beamten, in ihnen liegt die Weisheit der Institution einer Ständeversammlung begründet. Und nun sieht sich Hotman in der Welt um 8 ). Im alten Gallien, bei den Amphyctionen, ja auf Taprobane, der Insel Ceylon, findet er die Herrschaft der Stände. Der Reichstag des römischen Reiches Deutscher Nation, das Witenagemöt der Angelsachsen, die aragonesischen Cortes mit ihrem Justitia, sie alle sind Glieder einer langen Kette der verschiedensten nationalen Ständeversammlungen. Ihre Freiheit in allen den Staaten, die monarchisch, aber nicht tyrannisch regiert werden, ist ein Teil des Völkerrechts (hanc libertatem partem esse iuris gentium), ebensogut wie die Könige, welche jene sakrosankte Freiheit bedrücken, das Völkerrecht dadurch verletzen und als Tyrannen aus der menschlichen Gesellschaft gestoßen werden (85 f.). ') Francogallia 1573, i. 2. 8. ') 77: non a Gallis, sed a Popularibus suis Germanis eam Reipublicae forman Francos nostros sumpsisse. *) 82: quod institutum (sc. Rempublicam communi omnium ordinum consilio gerendam esse) videmus etiam multis aliis in gentibus observatum fuisse.

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Franz Hotman und die Zeit der Religionskriege.

Die Freiheit, die Hotman bei den alten Galliern und Franken gefunden hatte, wird ihm zur sakrosankten Freiheit des Völkerrechts. Das ist Naturrecht. Und doch wurde Hotman ein Wegbereiter der nationalen Freiheitsideen. Von seinen Beispielen aus der ganzen Welt haben spätere Zeiten gerade die europäisch-germanischen herangezogen 1 ). Besonders die aragonesischen Cortes mit ihrer Widerstandsformel si no, no gegenüber allen monarchischen Übergriffen wurde durch Hotmans Francogallia erst recht bekannt. Und noch jüngst hat man in der aragonesischen Verfassung altdeutsche Rechtsgedanken wiedergefunden 2 ). Hotman selbst hat allerdings davon nicht gesprochen. Die Germanen waren ihm die Deutschen im engeren Sinne des Wortes 3 ). Ihre Freiheit im Sinne einer durch Volksversammlung beschränkten Wahlmonarchie hat er behauptet und bewiesen. E s war die Freiheit der alten Franken. Nicht mit Unrecht hat man sein Eintreten für den deutschen Ursprung der alten Franken, den er entgegen der herrschenden Zeitmeinung vertrat, mit seiner deutschen Abstammung in Zusammenhang gebracht 4 ). Die altfränkische Freiheit, welche er als Streitruf in den Kampf der politischen Meinungen warf, Hotman hat es stets betont, daß sie die Freiheit der Deutschen, der Germanen war. E r hat auch von der Freiheit der alten Gallier gesprochen. Vielleicht, weil er dadurch die Gallomanen unter seinen Zeitgenossen für seine Freiheitsforderungen überzeugen und gewinnen wollte. Vielleicht auch, um seinen politischen Anschauungen einen möglichst hohen Stammbaum zu geben. Die Tradition, die alten Rechte und Freiheiten, das waren ihm Hauptwaffen in seinem Kampf gegen das absolute Königtum. 1) Die ganze monarchomachische Literatur vertrat nun diese historischen Argumentationen. Am bedeutsamsten sind hier D u P l e s s i s M o r n a y s Vindiciae contra tyrannos, 1579, besonders quaest. 3. Hier Hannover 1595, 79 und 109: Ständische Freiheit in den „christlichen" Reichen. Dazu i n . 144. (Aragonien). 157. (ius gentium). Über D u Droit des Magistrats sur leur sujets' ( 1 5 7 4 ) vgl. Cardauns 65 f f . 2) W o l z e n d o r f f 155. 3 ) Nur einmal, soweit ich sehe, im Antitribonianus, einer gegen das römische Recht gerichteten Schrift ( 1 5 6 7 , hier 1704), 189, nennt Hotman die germanisch-fränkischen Gesetze zusammen mit denen der Goten, Vandalen, Langobarden aliorumque nationum septentrionalium. *) Sein Großvater hieß Uthmann und stammte aus Schlesien. Gottlob von Polenz, Geschichte des französischen Calvinismus, Gotha 1857, III, 188.



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Dritter Abschnitt.

„Welcher Wahnsinn, welche Tollheit", das hat gerade ein Königsanhänger Hotman entgegengerufen, die alten Gesetze der Monarchie stürzen zu wollen! Denn das tun die Heuchler, die behaupten, das alte Frankreich sei ein Wahlreich gewesen, regiert mehr durch die Meinung des Volkes, als durch die Autorität des Königs und seines Rates. Woher haben sie das genommen ? Aus den Gesetzen und Sitten der alten Gallier und Germanen, zu den Zeiten, wo sie noch in ihren großen Sümpfen und Wäldern des Nordens waren 1 ). Man lasse diese sonderbaren Erforscher alten Plunders bis zur Sintflut zurückgehen; die alten Gesetze stammen aus anderer Zeit und sie begründen das Recht der Krone. E s ist ein Stück jener unzähligen Literatur, die Hotman hervorgerufen oder beeinflußt hat 2 ). Eine von den Gegenschriften, die sich der ungeheueren Wirkung der Francogallia entgegenzustellen versuchten. Und in dieser Streitschrift wird M o n t e s q u i e u s berühmter Ausspruch von der in den germanischen Wäldern gefundenen Freiheit vorweggenommen, verzerrt allerdings in der Erregung des Kampfes um das Recht des Königs.

Die Fronde. Die politischen Wirren der Fronde 1648—1652 haben Hotmans altfränkische Freiheitsidee im Streit der Parteien wieder aufleben lassen 3 ). Die Beschränkung der Macht des Königs und seiner Minister war das Ziel der Frondisten. Diese Forderung sollte ihre historische Begründung erhalten in dem Nachweis der altfränkischen Verfassung als einer stänSisch beschränkten Monarchie. In diesen Zeiten veröffentlichte der Historiker F r a n ; o i s d e M 6 z e r a y seine Historie de France. E r schilderte eingehend ') „grans marais et forest du North": Louis Le Roy, De l'excellance du gouvernement royal, Paris 1575. Ich zitiere nach Lemaire 108 f. ' ) Cardauns weist den Einfluß auf die protestantischen Monarchomachen nach; Lemaire 102 ff. zeigt, wie die katholische Ligue Hotman die Waffen für ihren Kampf entnahm. M i l t o n beruft sich in der Defensio auf den „sehr gelehrten Juristen" (Works, 1698, III, 37), um die Absetzung von Königen zu rechtfertigen. Ebenso T y r e 11 und viele andere. Leon Meerson Kotowitsch, Die Staatstheorie im Zeitalter der Fronde, Aarau 1913, 87 ff. 107. 112. Lemaire 166 ff.

Die Fronde.

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den Verfassungszustand der alten Franken und, trotz mancher Einschränkungen, sieht er bei ihnen die Freiheit verwirklicht. Kein Volk sei ehrgeiziger auf seine Freiheit gewesen als die Germanen, aus denen die Franken hervorgingen. Mézeray hat sich auch in den Wirren der Fronde als Gegner des Absolutismus und Parteigänger des Parlaments betätigt 1 ). Der unmittelbare Ausdruck der liberalen Tendenzen waren die Flugschriften der Zeit. Und hier begegnet uns wieder die historische Argumentation. Unter den über tausend Pamphleten der Fronde, den sogenannten Mazarinades, beruft sich besonders die anonyme Schrift Les Véritables Maximes du Gouvernement de la France (1652) auf das alte Frankenreich und seine Verfassung®). Das Parlament ist nach ihr ebenso alt wie die Monarchie, ist mit dem Staat geboren (p. 7. 12). Anders als Hotman, dem die Generalstände Nachfolger des fränkischen Maifeldes sind, verknüpften die Véritables Maximes das Parlament mit den fränkischen Reichsversammlungen. Jedermann hatte dort an der Beratung teil, weil die französische Monarchie auf der Freiheit begründet ist. Niemals gab es eine natürliche Verfassung (p. 5). Und so sind auch alle Monarchien außer dem Türkenreich gemäßigte und beschränkte Monarchien. Dem Pamphletisten folgte der Staatstheoretiker der Fronde, C l a u d e J o l y 3 ) . Man hat ihn einen Liberalen genannt. Seine Werke sind bestimmt durch die scharfe Gegnerschaft zum Despotismus, der allen Traditionen des Königsreichs widerspreche. Diese Traditionen verfolgt Claude Joly bis in die gallischen Zeiten. Schon dort gab es Stände, die conventus Gallici. Die Franken setzten diese Versammlung fort 4 ). Ihre Könige unterwarfen die Gallier, die ihnen botmäßig wurden; aber die Franken blieben frei, denn sie hatten ihren Königen zum Sieg ver' ) V g l . etwa Histoire de France avant Clovis, hier 1 7 2 2 , 4 3 . 4 8 f. 5 7 . A b r é g é chronol. de l'Histoire de France, Amsterdam 1 6 8 2 , I, 1 4 . 2 7 6 . 2 7 7 . — Henry Sée, Les ¡.Idées politiques en .France au X V I I e siècle, Paris 1 9 2 3 , 8 9 f. ") Kotowitsch 1 0 7 ff. *) W i c h t i g sind besonders: Recueil de Maximes Véritables et importantes pour l'institution du R o y ( 1 6 5 2 für den jugendlichen L u d w i g X I V . geschrieben, dessen Erzieher Claude J o l y w a r ; hiernach der anonymen A u s g a b e Paris 1 6 6 3 ) und Traité des Restitutions des Grands, hier 1 6 6 5 o. O., anonym. 4 ) Recueil 2 8 8 f f .

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Dritter Abschnitt.

holfen 1 ). B o u l a i n v i l l i e r s hat später auf dieselbe Geschichtsansicht den Gegensatz von Adel und Bürgerstand gegründet. Das lag offenbar Claude Joly fern. Die Franzosen waren ihm die Franken. Die alten Freiheiten des fränkischfranzösischen Volkes galt es wieder herzustellen: das Parlament als Nachfolger der Etats Généraux, den alten Gebrauch der Königswahl. Die Fronde brach zusammen. Nicht zuletzt, weil die Interessen des Adels und des Bürgertums auseinandergingen. Claude Jolys Recueil des Maximes wurde 1653 auf Gerichtsbefehl verbrannt.

Der Kampf des Adels gegen den Absolutismus Ludwigs XIV. L e s s o u p i r s de la F r a n c e

esclave.

Die englische Revolution und besonders die Enthauptung Karls I. hatte bereits auf die Wirren der Fronde und ihre Streitschriftenliteratur eingewirkt 2 ). Als Ludwig XIV. das Edikt von Nantes aufhob, verstärkten dessen Folgen den Konnex zwischen der französischen und englischen Literatur in einem Maße wie vielleicht kein anderes Ereignis. Die Réfugiés in den Niederlanden und später in England haben den Einfluß der englischen Ideen auf die französische Literatur erst zu dem gemacht, was er später war 3 ). Doch darin besteht nicht allein die Bedeutung der politischen Literatur der Réfugiés. Sie haben sich immer wieder mit den politischen Zuständen ihres Heimatlandes beschäftigt, oft mit der Leidenschaft, mit dem Drang nach Rache, deren Landflüchtige und Vertriebene fähig sind. Der Priester ' ) Traité 4 1 . 2 ) Ranke, Englische Geschichte, S . W . 17, 3 0 3 . ; Joseph; Dedieu, Montesquieu et la tradition politique anglaise en France, Paris 1909, 15 f. *) Dedieu 3 6 ff. Ch. Bastide, Anglais et Français du X V I I e s., Paris 1 9 1 2 , 167 ff. — J u r i e u s Lettres Pastorales, bes. I l l e année, 1688, gehören dem politischen Ideenkreis der englischen glorreichen Revolution an. Sie sind überwiegend naturrechtlich gerichtet und geben für die altfränkische Freiheitsideei so gut wie nichts. Vgl. auch Wolzendorff 2 9 3 f f . ; Henry Sée 201 f f ; Gottfried Koçh, Absolutismus und Parlamentarismus, Beiträge zur Geschichte der politischen Ideen und der Regierungspraxis I, Berlin 1892, 86.

Der Graf Boulainvilliers.

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Michel L e v a s s o r war 1675 nach den Niederlanden geflohen und später zum Protestantismus übergetreten. Wenn es richtig ist, was Neuere behaupten '), so war er der Verfasser der Soupirs de la France esclave, qui aspire après la liberté 2 ). Ein einziger Ruf, ein Schrei nach Freiheit sind die Soupirs. Nach der alten Freiheit der Franzosen, die die Franken waren. Denn in deren alten Zeiten gab es keine willkürliche Gewalt. Die Krone war auf Wahl begründet, die Könige waren nur Heerführer. Über alle wichtigeren Angelegenheiten entschieden die Stände, derart, daß das Frankenreich mehr Aristokratie als Monarchie war ; oder wenigstens eine aristokratisch gemäßigte Monarchie wie England blieb. Ehemals war der Adel unabhängig vom König, ja ihm — ausgenommen die Lehenspflicht — gleich. Heute aber sind die Großen des Reiches Sklaven. Noch keine vierhundert Jahre sind es her, wo Frankreich das freieste Land Europas war. Die Rettung von dem Despotismus sehen die Soupirs in der Rückkehr des aristokratischen Systems. Keine Neuerung, nur Wiederherstellung der alten traditionellen Verfassung: retour de notre ancienne liberté I

Der

Graf

Boulainvilliers.

Die Soupirs waren eine Streitschrift, sie bedeuteten schärfsten Kampf dem absoluten Königtum. Herrschend war diese Kampfesstimmung des Adels damals nicht. Von einem größeren einflußreichen Kreis wurden Reformen zu Gunsten der alten Verfassung propagiert. Das Königtum sollte durch Einberufung der E tats Généraux an die alten Verfassungsgrundlagen wieder anknüpfen, von diesen aus die sich mehrenden Beschwerden des Landes durch Abstellung der Mißstände befriedigen. E s war der Kreis um den Herzog von Bourgogne. F é n e l o n , der Erzieher des Herzogs, sah in den Etats Généraux das Heilmittel. Sein Ziel war, die unumschränkte Monarchie durch eine Regierung der conseils und assemblées zu mäßigen. E r forderte die Wiederherstellung der Fundamentalgesetze, eine aristokratische und liberale Konstitution 8 ). Auf seinen Wunsch wurden ) H. Sée, 194. Früher wurde Jurieu als Autor angesehen. ' ) Amsterdam 1689 f. Über altfränkische Freiheit 3. 69. 72. 86. 102. 117 ff. 133 f. 187. 290. *) T h i e r r y , Le Tiers État, Oeuvres V, 216 ff. und dazu IV, 40. Koch 89 f. H. Sée 209 ff. Ad. Wahl, Vorgeschichte der franzöl

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Dritter Abschnitt.

für den Herzog von Bourgogne Berichte sämtlicher Intendanten über die L a g e des Landes eingefordert. Diese Berichte hat der Graf de B o u l a i n v i l l i e r s in seinem État de F r a n c e gesammelt und verwandt zu einer Kritik der herrschenden Zustände 1 ). Viel enger als Fénelon verband sich Boulainvilliers mit den Adelsinteressen. E s war die schärfste Feindschaft gegen den Bureaukratismus, den die königliche Gewalt eingeführt hatte und der ihm als Ruin der alten. Grundlage des Staates galt. Anfänglich glaubte Boulainvilliers noch an die Wirkung der vorgeschlagenen Reformen, später resignierte er und wollte nur die alte g r o ß e Stellung des Adels, der Franken in den Blättern der Geschichte gesichert wissen 2 ). E i n bitterer H a ß beherrscht seine Geschichte der französischen Verfassung 3 ). E r steigerte sich zu der Empfindung eines großen Rassengegensatzes, der geradezu die Geschichte der Nation ausmache 4 ). Boulainvilliers lehnt es ab, die französische Geschichte mit den alten gallischen Staaten beginnen zu lassen. Gründer der französischen Monarchie sind ihm die Franken (Histoire I, 1. 17 f.). E i n e Völkergesellschaft und -allianz deutscher Völker waren sie, seit Urzeiten in Deutschland ansässig. Als sie Gallien eroberten, da nahmen sie den alten Galliern den Schatten von Freiheit, den diese noch unter der Römerherrschaft behalten hatten (Histoire, I, 15. 21 f. Lettres I I I , 137). Nicht die Könige allein eroberten Gallien, ihre Gefolgsmannen hatten den Hauptanteil. Vor und nach der Eroberung waren diese Franken unter sich gleich und frei. Alle waren Genossen; auch der König, den sie als obersten Magistrat wählten ). Nach der Niederlassung in Gallien bildeten die Fransischen Revolution, Tübingen 1905, I, 118. — Über S a i n t — S i m o n , der ebenfalls für die alten Institutionen Frankreichs eintrat, H. Sée 235 ff. ') État de France erschienen erst 1728, geschrieben bereits 1 7 1 0 /21 2 . Koch 157 f. ) Vgl. Koch 160; Thierry, Oeuvres IV, 41. *) Die Histoire de l'ancien gouvernement de la France war ein fast wörtlicher Abdruck der Einleitung zum État de France. Sie erschien La Haye und Amsterdam 1727 „avec XIV Lettres Historiques sur les parlemens ou États Généraux" *) G o b i n e a u hat später in Boulainvilliers einen Vorläufer seiner Anschauungen gesehen. Allerdings wollte er den Theorien Boulainvilliers' über den französischen Adel nicht zustimmen. Bei Ludwig Schemann, Gobineaus Rassenwerk, Stuttgart 1910, 475 ff. *) Histoire I, 25 f f . : Dans l'origine les François étoient tous libres et parfaitement indépendans, soit en général, soit en parti-

Der Graf Boulainvilliers.

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ken den freien Adel. Die Gallier waren nicht Untertanen des Königs, sondern Leibeigene der adeligen Landeseigentümer. Der Adel hatte das Vorrecht des Pairsgerichts und der Allgemeinen Versammlung (Histoire I, 36 ff. 99). Diese fränkische Verfassung wurde von den Königen zeitweise durchbrochen; Karl der Große aber hat sie wiederhergestellt 1 ). Erst die Könige der dritten Race haben nacheinander die Stellung des Adels untergraben. Und so kam es, daß der Adel, der einst allein den Staat ausmachte, seinen Ursprung aus dem Blut der Eroberer Galliens vergessen hatte (II, 38. 62). Die Franken wurden, wir gebrauchen ein Wort Boulainvilliers' für eine andere Epoche, die Eroberung eines der Ihrigen (la conquête d'un de leur compatriotes). Boulainvilliers bezog sich in seiner Geschichtsansicht nicht allein auf die fränkische Geschichte. Über ganz Europa hin fand er aristokratisch gemäßigte Monarchien verbreitet. Die Verfassungen der Königreiche, die auf den Trümmern des römischen Reiches entstanden sind, beschränken die königliche Gewalt durch die Einrichtung von Ständen. H o t m a n s Idee lebt wieder auf. Aber über sie hinaus erkennt Boulainvilliers in diesen Verfassungen den Rechtsgedanken der barbarischen Völker des Nordens und Skythiens wirksam. Er setzt diese Rechtsgedanken in Gegensatz zum orientalischen und altrömischen Despotismus. Und wie er in der Einschränkung der königlichen Gewalt durch Allgemeine Versammlungen die Staatsidee der nordischen Völker erblickt, so im Feudalismus deren soziale Idee 2 ). Boulainvilliers hat damit die nordische Freiheitsidee, wie sie in England ausgebildet worden war, übernommen. Aber im Vordergrund seines Geschichtssystems steht die aus ältester Zeit überlieferte Freiheit der Franken, stehen die Rechte des fränkischen Adels. Und seine Anschauungen verbindet er nur lose mit der Idee einer umfassenden gemeingermanischen Freiheit. Die große Einwirkung dieser Gedanken der englischen Literatur culier. — Ils étoient tous compagnons. — leur Roi, qui étoit que leur Compagnon. Dazu Histoire I, 5 5 . État de France I, 1 3 0 . ' ) Lettres I, 209 ff. I I I , 1 3 8 . D e r liberale K a r l d. Große kehrt spä ter oft in der Literatur wieder, besonders bei dem A b b é M a b 1 y , Observations sur l'histoire de France, hier Kehl 1 7 8 8 , II, 1 2 0 f f . ' ) Histoire I, 3 1 . Lettres I, 2 5 1 f. 2 9 3 . I I I , 62. 1 8 6 (hier ein besonderer Hinweis auf die Germanen und E n g l ä n d e r ) . E t a t de Fraince I, 1 0 3 .

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Dritter Abschnitt.

auf den französischen Kreis versinnbildlicht erst M o n t e s q u i e u . E r verficht die Ansicht eines dem englischen Volk und der nordischen Völkergruppe eigenen Freiheitsgeistes. Nicht, daß er die altfränkische Freiheitsidee überging. Aber sie tritt bei ihm und nach ihm zurück, so stark, daß wir mit Boulainvilliers einen vorläufigen Abschluß des altfränkischen Ideenkreises bilden können. Erst um die Jahrhundertwende haben dann M a b l y , M o n t l o s i e r und andere aus entgegengesetzten politischen Tendenzen heraus die alte Idee in umfassender Weise wieder aufgenommen.

Vierter

Abschnitt

Die angelsächsische und gotische Freiheitsidee in England. Keiner der großen Staaten des Festlandes hat, wir folgen darin R a n k e , die germanischen Ideen in solcher vollen Reinheit entwickeln können als eben Britannien nach der angelsächsischen Eroberung. Die Festsetzung der Normanen bedeutet den einzigen schweren Einbruch fremden Bluts und fremden Wesens. Und doch haben sich die bedeutendsten Institutionen des germanisch-angelsächsischen Staats zuletzt wieder durchgesetzt. Um den germanisch-angelsächsischen oder den normannischen Grundcharakter des englischen Staatswesens ging in den späteren Zeiten der Kampf der Meinungen. Es war zugleich ein Kampf um das nationalgeschichtliche Alter freiheitlicher Staatseinrichtungen. Ob vom Witenagemot der Angelsachsen oder von der normannischen Baronenversammlung der Ursprung des englischen Parlaments abzuleiten sei, galt als bedeutsamer politischer Streitpunkt. Die Frage muß aufgeworfen werden, warum die englische Geschichte im politischen Kampf gerade während des Zeitalters revolutionärer Tendenzen eine solche Rolle gespielt hat. Sicherlich war die damalige Epoche allgemein weit mehr traditional gerichtet als unsere neueren und neuesten Revolutionsepochen. Aber dies erklärt jene Besonderheit nicht ganz. Ein wesentlicher und noch heute wirkender Grundzug des englischen Volkscharakters, der Konservatismus, hat dieses Streben, für politische Institutionen einen möglichst hohen Stammbaum zu finden, bedeutsam angeregt. E r hat zur Folge gehabt, d a ß politische Forderungen, und waren sie auch noch so revolutionär, überwiegend mit irgend einer nationalgeschichtlichen Ahnenschaft begründet wurden. Und dieser Charakterzug verbindet sich mit einem andern Erbstück altniedersächsischen Bauerntums, dem Freiheitssinn 1 ). über den englischen Volkscharakter neuerdings W i l h e l m D i b e l i u s , England, 1923, I, 161 ff.

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Vierter Abschnitt.

Volkscharakter und Geschichte haben mehr als in einem andern Volk die Entwicklung der Idee einer angelsächsischen Freiheit gefördert und damit die Idee einer altgermanischen Freiheit. Denn die Überlieferung des Sachseneinfalles in England war so gut erhalten, daß die Abstammung der Angelsachsen von den alten Germanen im England des 17. Jahrhunderts allgemein anerkannt war. Das Witenagemöt der Angelsachsen konnte in der altgermanischen Volksversammlung bis in die frühesten Zeiten zurückverfolgt werden. Darüber hinaus hat die historisch-politische Literatur Englands den Gedanken der den nordischen Völkern gemeinsamen Verfassungsinstitutionen entwickelt. In dieser Idee wurde von tieferdringenden Schriftstellern die Einheit der sonst meist als einander gegensätzlich empfundenen angelsächsischen, dänischen und normannischen Verfassunginstitutionen Englands gefunden. Die nordische Freiheitsidee konnte hier der englischen Freiheit die historische Harmonie geben.

Wissenschaftliche Wegbereiter. Die Zeiten der Tudors und des ersten Stuart gelten als Epoche der Machtvollkommenheit des englischen Königtums. Das Parlament, das noch im 15. Jahrhundert eine hohe Autorität besessen hatte, es war jetzt gegenüber der königlichen Herrschaft wesentlich beschränkt. Doch selbst im Zeitalter der Elisabeth konnte der Rechtsgelehrte T h o m a s S m i t h die Auffassung vertreten, daß die höchste und absolute Gewalt in England dem Parlament zustehe1). Der antiquarische Gelehrte W i l l i a m C a m d e n erkannte damals in eben diesem Parlament, das auch ihm das corpus totius Angliae repräsentierte, den Rechtsnachfolger des altsächsischen Rates der Weisen2). Wenig später, zu Beginn des 17. Jahrhunderts, führte ein anderer bedeutender Forscher, J o h n S e i d e n , dieses Witenagemöt bis in die taciteischen Zeiten der alten Germanen zurück3). Es !) J u l i u s Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte, 1 9 1 3 , 390. — Smith (f 1 5 7 7 ) schrieb die Respublica Anglorum um 1565, gedruckt ist sie erst 1583. Vgl. die Ausgabe .Cambridge 1906, ed. L. Aiston. — Lange vor Smith hat schon F o r t e s c u e das britische Reich als Volkskönigreich bezeichnet. Über die Regierung Englands (um 1462), übers, von W. Parow, 1897, 19. *) Britannia, 1 5 8 2 , hier Frankfurt 1590, 96. 102. 106. 3 ) Janus Anglorum ( 1 6 1 0 ) , wo Seiden die Identität der angelsächsischen und englischen Gesetze behauptet, Opera, ed. Wil-

Wissenschaftliche Wegbereiter

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waren Gelehrtenmeinungen, denen aber doch eine zukunftsreiche Verknüpfung traditionalen und freiheitlichen Denkens zugrundelag. Bald sollten diese Anschauungen vom politischen Streit berührt werden. Zunächst war es das Bündnis zwischen königlichem Absolutismus und römischem Recht, das die Stellungnahme der Gelehrten forderte. C o w e l l s Interpreter (1607) stützte den Anspruch einer souveränen Gewalt der Krone auf römische Rechtsquellen. Hatte aber nicht schon lange vorher T h o m a s S m i t h festgestellt, daß die englische Verfassung von den römisch-rechtlich orientierten Regierungsformen der anderen Staaten Europas grundverschieden sei 1 ) ? U n d so begründete die Opposition gegen das absolutistische Regime ihr Recht auf die alte Überlieferung des Landes. Allen voran ein gelehrter Jurist, der wie kein anderer das heimische Recht kannte, E d w a r d C o k e . Die Privilegien nach dem Common law dulden keine souveräne Gewalt des K ö n i g s : Sovereign power is no parliamentary word 2 ). Und das Parlament, in dessen Eigenrecht gegenüber der königlichen Prärogative er das Gleichgewicht der altenglischen Verfassung verankert sah, führte er bis auf das angelsächsische Witenagemot zurück 3 ). In den Kämpfen um die Petition of right haben der mehr konservativ gerichtete C o k e und S e i d e n , den man den ersten W h i g genannt hat, Seite an Seite gekämpft 4 ). E s war die Anschauung einer gemäßigten Monarchie, es war das historische Recht, das sie vertraten. Als Gelehrte und Politiker zugleich waren sie Wegbereiter einer traditionellen Begründung der die Zeit erfüllenden Freiheitsideen. kins, 1726, II, 980ff. Dazu Analecton Anglo-Britannicon (1607), Opera, I, 924. Englands Epinomis, Opera III, 12. — Seiden war auch, soweit ich sehe, der Erste, der den F e u d a l i s m u s von den nordischen Völkern, die in den Zeiten des Untergangs des römischen Reiches fast ganz Europa überrannten, ableitete. Titles of Honour ( 1 6 1 4 ) , III, 399. ') De república Anglorum, ed. Aiston, 142. ' ) Vgl Hatschek 372 f. Dazu ebendort 332. 346 ff. 371 f. *) Institutes of the Lawes of England, 1628, hier 1639, 1, 110. IV, 2 f. Zu Cokes politischer Stellung Ranke, S . W . 15, 92. 193 ff. 4 ) Mit ihnen auch der englische Altertumsforscher H e n r y S p e l m a n , dessen Archaeologus (1626) und On the ancient government of England ebenfalls stark auf die Vertreter der angelsächsischen Freiheitsidee eingewirkt haben.

62

Vierter Abschnitt.

Die Zeit der puritanischen Revolution.

Der Gedanke einer traditionellen parlam e n t a r i s c h g e m ä ß i g t e n Monarchie. Als zu Beginn der Revolutionszeit das Lange Parlament eröffnet wurde, saß kein einziger Republikaner in seinen Reihen 1 ). Das Ziel der Parlamentsführer und ihrer Anhänger im Lande ging auf eine Wiederherstellung der von den Vorfahren überkommenen Rechte der Untertanen und des Parlaments durchaus im Rahmen der Monarchie. Der Presbyterianer W i l l i a m P r y n n e , dessen Sovereign power of Parliaments and Kingdoms damals für die Quintessenz politischer Weisheit gehalten wurde, verteidigte scharf das Recht der Widersetzung gegen den König im Kampf um die alten Freiheiten. Und doch hielt er auch in den Zeiten der Republik zum Königtum und seinem altüberlieferten Recht. Die gemäßigte Monarchie war sein und seiner Gesinnungsgenossen politisches Ideal 2 ). Doch nicht nur die Parlamentspartei des beginnenden Bürgerkriegs, auch die Anhänger des Königs beriefen sich auf die altüberkommenen Rechte und Freiheiten. Das Parlament, das anfänglich nur seine Rechte innerhalb der monarchischen Verfassung wiederherstellen wollte, griff in den Augen der Royalisten auf die Gewalt des Monarchen über. Das alte Gleichgewicht der Gewalten, die von den Vorfahren überlieferte gemischte Verfassung mit ihren aristokratischen, demokratischen und monarchischen Bestandteilen schien ihnen gefährdet 3 ). So fanden sich in beiden Parteien viele Stimmen für die gemäßigte Monarchie. Selbst H e n r y P a r k e r , der als einer der Rädikalsten alle Gewalt vom Volke ableitet, sieht doch in der gemischten Verfassung die beste Staatsform. Die Erfahrung und die Weisheit der Vorfahren habe diese eingeführt. In ihr seien die Rechte der Commons, die Beschränkung des Königs, ja das Widerstandsrecht enthalten4). 1 ) Gooch, Political thought in E n g l a n d from Bacon to Halifax, London 1923, 78. 2 ) Gooch ebd. 135 f f . Ders., T h e History of English Democratic Ideas in the i 7 t h Century, Cambridge 1898, 1 1 6 ff. s ) Ranke, S . W . 16, 79. 87. 137. — T h o m a s B a n k e s , Englands absolute monarchie or government of Great Britain, 1642. *) A Political Catechism, London 1643, 1 f- Dazu Hatschek 443.

Die Zeit der puritanischen Revolution.

63

E s war das Bestreben der Streitschriften, die geforderten Institutionen möglichst viel in der Geschichte nachzuweisen. Die Beschränkung des Königs durch die Gesetze fand ein Pamphlet in Aragon, Frankreich und Altengland wieder 1 ). Parlamente, so erklärt eine andere Streitschrift, hatten die alten Römer und heute all the best policed countries of Europe. Und so regierten sich auch die Vorfahren der Engländer, die Sachsen, die Dänen, die Normannen durch Parlamente -). Man suchte und fand in der ausländischen und besonders in der einheimischen Geschichte die Institutionen wieder, die man im politischen Kampf durchsetzen wollte. Die Meinung fand Verbreitung, daß die englische Monarchie der alten angelsächsischen Verfassung entsprechen müsse. Vereinzelt ging man sogar auf die altgermanische Verfassung zurück, um das hohe Alter der parlamentarisch beschränkten Monarchie aufzuzeigen. Den Nachweis dieses Stammbaums der englischen Verfassung hat besonders ein Politiker zu führen versucht, der im Bürgerkrieg vom Parlament wegen royalistischer Gesinnung gefangen gehalten wurde. R o g e r T w y s d e n verfaßte wahrscheinlich in dieser Gefangenschaft seine Certayne Considerations upon the Government of England 3 ). E r war kein Anhänger der Parlamentspartei, trat aber für eine gemäßigte Monarchie ein. Die gemischte Verfassung, in der die monarchische Herrschaft durch demokratische Institutionen gehemmt wird, ist sein politisches Ideal. Denn diese Staatsform vermeide Tyrannei und schlechtes Volksregiment (8). Die angelsächsischen Vorfahren, sagt er, haben eine monarchische Regierungsform gewählt, in der die Commons ein freies Volk blieben. Ihre Verfassung ist die der taciteischen Germanen (13 f., 22 f., 26 f., 33, 119, 121). Der Monarch war beschränkt im alten Deutschland wie im angelsächsischen England; der deutsche Reichstag und das englische Parlament sind beide Nachfolger der altgermanischen Versammlung. Twysden findet auch im übrigen Europa gemischte oder gemäßigte Monarchien. E r zitiert A r i s t o t e l e s , B o d i n und B e n t i v o g l i o , die von den nordischen Nationen ausgesagt ' ) The power of the Laws of a Kingdom over the will of a misled King, Leyden 1 6 4 3 . Harlejan Miscellany, ed. 1 7 4 3 ff., IV, 525. 2 ) J a m e s H o w e l l , The Preminence and Pedigree of Parlament, 1643. Somers Tracts, London 1809 ff, V , 49 t. ' ) Twysden war zuerst scharfer Gegner des königlichen Schiffgeldes, später wandte er sich gegen die Ubergriffe des Parlaments. Die Considerations wurden erst 1849 durch I. M. Kemble veröffent licht. Geschrieben um 1 6 1 2 — 5 0 .

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Vierter Abschnitt.

hätten, diese duldeten keine knechtische Unterwerfung unter ihre Könige (18 f.). Ja, er spricht einmal ganz naturrechtlich vom Recht jedes Untertanen auf eine allgemeine Versammlung des Landes, die Beschützer und Bewahrer der Freiheit der Untertanen sein müsse (118). Das Parlament, das er als Naturrecht fordert und bei allen europäischen Nationen wiederfindet, ist ihm ein Kernstück der angelsächsisch-englischen Verfassung. Auch der tiefe Einbruch der Normannen, deren Herrschaft er einmal als Knechtschaft der Nation bezeichnet, hat in seinen Augen die Beschränkung des Königs durch das Parlament nicht aufgehoben. Von dem schroffen Gegensatz, der von Zeitgenossen in die englische Geschichte durch die These von der normannischen Tyrannei hineingetragen wurde, ist bei Twysden nur wenig zu bemerken. Den Anhängern der Monarchie, und waren sie noch so parlamentarisch gesinnt, konnte auch nichts an der Herausstellung eines Gegensatzes liegen, der von gewaltsamen Übergriffen des Herrschers ausging. Denn noch immer war das historische Recht eine Macht in der Vorstellung der Menschen. Ein Mitglied des Langen Parlaments, N a t h a n a e l B a c o n , sah sich veranlaßt, ein großes Geschichtswerk den aufkommenden antinormannischen Tendenzen entgegenzustellen. Es ist der Versuch eines Parlamentariers, der scharfer Gegner des Absolutismus und der Hierarchie ist, den Nachweis zu führen, daß die ganze englische Geschichte getragen sei von einer freiheitlichen parlamentarischen Verfassung mit monarchischer Spitze1). Semper eadem sagt das Titelblatt, und die einleitenden Worte betonen, daß die Aufklärung über Alter und Gleichförmigkeit der englischen Verfassung den zerrütteten Staatskörper wieder festigen könne. Das Buch, das weder Krone noch Krummstab noch öffentlicher Meinung zuliebe geschrieben sein will, sieht das Heilmittel in der gemäßigten, der gemischten Verfassung. Denn sie ist das einigende Band aller historischen Staatsformen Englands über jeden Zeitenwechsel hinweg. Bacon prüft die englische Geschichte von den Briten, deren Könige nur Lords waren, bis zu den Sachsen. Dänen und Normannen. Die altsächsische Verfassung schildert er mit besonAn Historicall Discourse of the Uniformity of the Government of England, I. Teil (bis Edward III.) London 1647. II. (bis Königin ¿lisabeth), 1651. Nach dem Nat. Biogr. Dict. ist die Verfasserschaft Seidens, von der eine spätere Auflage spricht, völlig Unwahrscheinlich.

Die Zeit der puritanischen Revolution.

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derer Eindringlichkeit. Kroneid und Herrschaf tsvertrag haben dem sächsischen Volk die Rechtsbindung geschaffen, die seine Könige zu Dienern des Staates (servants of State) stempelte (48 f.). In der allgemeinen Versammlung wirkten König, Adel und Freie zusammen; das gemeine Volk aber war ausgeschlossen. Denn es ist ein Naturgesetz, so betont Bacon (60), daß nur weise Männer die Gesetze machen, nicht aber die kopflose Meinung der Menge. Es ist die Furcht des Parlamentariers, der die Folgen einer auch die niederen Klassen erfassenden Volksbewegung in seiner Zeit kennen lernen mußte. So läßt er auch für die angelsächsischen Zeiten nur Adel und Freie als Stände mit staatsbürgerlichen Rechten gelten. Diese Rechte schaffen das „demokratische" Gegengewicht gegen die königliche Gewalt. Es ist eine glückliche Mischung gemäß dem alten gotischen Gesetz, welche Bacon in der Verfassung des Landes wiederfand 1 ). Und diese Verfassung, von den alten Sachsen überkommen, wirkt fort bis auf die neuesten Zeiten. Die englische Verfassungsgeschichte kennt keine normannische Eroberung (115, 155 ff.). Was die Normannenkönige beschworen haben, das hatten die Sachsen- und Dänenkönige ihrem Volke zugesichert, das hat auch der jetzige König in der Grand Remonstrance bekräftigt. Die Einheit der englischen Verfassung, das ist die Lehre Bacons, liegt in der beschränkten Monarchie und in der Macht des Parlaments. Bacon verschließt sich nicht ganz den demokratischen Elementen der altsächsischen Verfassung. Er sieht sie in der unteren Verwaltung und in der Rechtsprechung wirksam, ebendort, wo R u d o l f G n e i s t die Rettung der englischen Freiheit in der Revolutionszeit gegen den absolutistischen Ansturm fand 8 ). Aber dem gesamten Volk Anteil am angelsächsischen Parlament zuzuweisen, konnte Bacon sich nicht entschließen. Auch treten bei ihm wie bei den Zeitgenossen die Verwaltungsinstitutionen gegenüber dem Parlament stark zurück. Denn um Parlament und Monarchie ging vornehmlich der Kampf, ihr Verhältnis in der einheimischen Geschichte zu verfolgen, das war der eigentliche Zweck des Baconschen Buches. Bacon wollte im Sinne der parlamentarischen Partei die stete Gleichförmigkeit der englischen Verfassung in der Form der parlamentarisch-beschränkten Monarchie erweisen. Es war die eigentlich tradix ) 96: Nor can any Nation upon earth shew so much of the ancient Gothique law as this island. l ) Englische Verfassungsgeschichte, 557. Belli, d. H. Z 5 5

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Vierter Abschnitt.

tionale Richtung der englischen Revolutionszeit. Die radikalen und populären Tendenzen der folgenden Jahre knüpfen nicht mehr an eine stete Entwicklung der englischen Geschichte an. Ein großer Bruch mit der Folge jahrhundertelanger Knechtschaft mußte ihnen das Recht geben, frühgeschichtliche Zustände zurückzufordern, die den radikalen Zielen entsprachen.

Argumenta Antinormannica. Independenten. Levellers. Diggers. „[Argumentum Antinormannicum" ist der Titel einer Flugschrift aus dem' Jahre 1682. Die Streitfragen, die sie behandelt und ;mit dem Kopf treffend bezeichnet, haben in den entscheidenden Jahren der puritanischen Revolution ganze Parteimeinungen gebildet und erfüllt. Der König, den man absetzen wollte» galt als Nachkomme der normannischen Eroberer, der Adel, dessen Vorrechte gestrichen werden sollten, war einst die normannische Gefolgsmannenschar, der Klerus mit seinen papistischen Neigungen hatte den Normannen seine bisherige Gewalt der Gewissensbedrückung zu verdanken. Alles, was an die Normannenzeit erinnerte, sollte abgeschafft werden, die vornormannischen angelsächsischen Institutionen wurden zurückgefordert. Die Entwicklung dieser Anschauung in ihrer politischen Tendenz beginnt schon in den ersten Jahren des Bürgerkriegs. Sogar eine Flugschrift des letzten Jahres der parlamentslosen ZJeit 1639, die zeigen will, daß vor der normannischen Eroberung und nachher die Lords und Peers stets in wichtigen Reichsfragen zu Rate gezogen wurden, spricht von dem Schwert des Eroberers, der die Volksfreiheit aus St. Edwards Zeiten unterdrückt • hätte 1 ). H e n r y M a r t e n nannte 1642 das königliche Vetorecht eine normannische Formel, die abgeschafft werden müsse. Der König sollte der Meinung des Parlaments, seines grossen Rates, folgen 8 ). !) Somers Tracts, London 1809 ft. IV, 121 ff. Eine andere Schrift, ebd. IV, 134 f. — Die angeblichen Gesetze Edwards des Bekenners spielen in der historisch-politischen Literatur des 17. Jahrhunderts eine große Rolle; sie bezeichneten die Gesetzesüberlieferungen aus der angelsächsischen Zeit. In Wirklichkeit war Edward der erste König, der normannische Sitten und Gebräuche in England einführte. Dazu W. S. Holdworth, A History of English Law I, 2, der die „Gesetze Edwards des Bekenners" aus der normannischen Zeit (12. Jahrhundert) zusammenfaßt. s ) Ranke, S. W. 16, 138.

Argumenta antinormannica. Independenten, Levellers, Diggers.

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Es waren noch Einzelstimmen in dem herrschenden streng traditionalen Chor der Meinungen. Als aber der Konflikt zwischen Parlament und König immer unlösbarer, als ein dauernder Bruch immer wahrscheinlicher wurde, da kamen diese Einzelstimmen, die den Bruch aus der großen Vergangenheit herleiteten, destomehr zur Geltung 1 ). Ein Schriftsteller konnte jetzt ein ganzes antinormannisches Geschichtssystem aufstellen, dessen Thesen weiteste Verbreitung fanden. J o h n H a r e hat seine bedeutendste Schrift Sankt Edwards Ghost or Antinormanism nach eigener Angabe bereits 1642 geschrieben*). Die Schrift kämpft wider den „Normanism or Francism", der kommt vom gallischen Kontinent. Die Engländer sind ein Glied der teutonischen Nation und stammen aus Deutschland 3 ). Einen alten und berühmten Ursprung, ehrwürdige Eigenschaften einer gross'mütigen und tapferen Natur kann das Muttervolk sein eigen nennen. Die Geschichte ist Beweis. Die Römer wurden von den Germanen besiegt, die dann alle europäischen Länder mit ihren Kolonien füllten. Deutschland ist das Herz Europas. In allen eroberten Ländern hatten diese Germanen die Herrschaft und das Königtum inne, in den meisten bildeten sie auch den Adel, in England aber das ganze Volk. Glückliche Gesetze haben die Angelsachsen mitgebracht. Sie waren so frei als irgend ein Volk Europas. Da kamen die Normannen und eroberten durch List das Land. Wer sind sie? Ein Volk aus Norwegern und Neustriern, das heißt, der Kehricht und Abschaum der teutonischen und gallischen Völker. Wilhelm der Eroberer versprach Erhaltung der Freiheit, er wurde meineidig und Verräter. Das römische Joch war erträglich gegenüber der normannischen Tyrannei, die noch auf ihr Eroberungsrecht pocht. Will ein Engländer es für ungesetzlich halten, wenn das Recht und die verlorene Freiheit zurückgefordert werden? Frieden und Ehre sind erst dann wiederhergestellt, wenn König und Adel ihren Titel von St. Edwards Gesetzen ableiten, wenn diese selbst wieder zur Geltung kommen. Die Nachfahren der Nor1) Eine merkwürdige Schrift aus dem Jahre 1649, The Corruption and deficiency of the Lawes of England, von J o h n W a r r , sieht das Unglück der englischen Verfassung in den vielen Eroberungen, die jedes Mal andersartige Gesetze brachten. 2

) Erschienen London 1647. Harl. Misc., 1743, VIII, 89 ff

s

) Harl. Misc. VIII, 9 1 : we are a Member of the Teutonick Nation and descended out of Germany; a descend so honorable' and happy . . . 5*

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Vierter Abschnitt.

mannen aber mögen sich ihres germanischen Blutes erinnern und allen servilen Gallicismus über Bord werfen. J o h n H a r e hat in zwei späteren Flugschriften') „einen der größten Royalisten Englands", M i c h a e l H u d s o n , zitiert, der in seinem Divine right of government (1647) zugegeben habe, daß die Könige Englands nichts besseres sind als usurping foreigners. Und doch betont Hare, daß diese usurpatorischen Könige nur zu den alten Fundamentalgesetzen zurückkehren sollten, dann könnten sie ihre königlichen Rechte behalten, — allerdings im Rahmen der die Königsgewalt beschränkenden Volksgesetze. Hare hatte einen scharfen Antinormannismus noch nicht mit radikaldemokratischen Zielen verbunden. Aber seine antinormannischen Ideen wurden bald von einer Parteigruppe aufgegriffen, die politisch und sozial eine völlige Umstellung der vorgefundenen Ordnung forderte. Die L e v e 11 e r s waren die eigentliche Volkspartei der englischen Revolution 2 ). Aus einer kleinen Gruppe, die die unteren Volksschichten vertrat, wurden sie durch ihren Einfluß in der Armee eine Zeitlang ein gewichtiger Faktor der englischen Innenpolitik. Ihr Anführer war einer der entschlossensten und fanatischsten Köpfe der Revolutionszeit. J o h n L i l b u r n e hat bereits in jungen Jahren P r y n n e s kirchenpolitische Schriften heimlich verbreitet und wurde von der Sternkammer verurteilt, er hat während des Bürgerkriegs gegen das Haus der Lords geschrieben und das Parlament schickte ihn in den Tower, er hat Cromwell mit den schärfsten Waffen angegriffen und musste dafür lange Gefängnishaft ertragen. Lilburne hat Hares Gedankengänge besonders in seinem Kampf gegen Cromwell verwandt. Eine seiner bekanntesten Schriften beklagt sich über seine Gefängnishaft. Denn er kämpfe nur für die englischen Freiheiten, die durch den Bastard Wilhelm, den großen Türken, mit dem Schwert unterdrückt worden seien 3 ). Lilburne lehnte die Richter als normannische Eindringlinge ab und verlangte vor ein J j Plain E n g l i s h to our wilful Bearers with Normanism, 1 6 4 7 , Harl. Misc. ed. Park 1 8 1 2 , I X , 90 f f . und E n g l a n d s proper a n d only way ( 1 6 4 7 ) , V I , 3 6 ff. 2 ) Gooch, Democratic Ideas 204. V o n der großen Zahl der bei Gooch und besonders in dem Catalogue of the Thomason tracts verzeichneten Flugschriften der Levellers stand mir nur ein kleiner T e i l zur V e r f ü g u n g . *) T h e L e g a l Fundamental' Liberties of the people of E n g l a n d 1 6 4 9 , 48. 6 1 .

Argumenta antinormannica. Independenten, Levellers, Diggers.

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Geschworenengericht gestellt zu werden. E r verdammte das Common Law und bezeichnete selbst die Magna Charta nur als ein bettelhaftes Ding 1 '). H a r e hatte die altfranzösische Sprache der englischen Gesetze gerügt. Lilburne sieht in ihr den Ausdruck der englischen Sklaverei unter einem normannischen Eroberer*). Diese fremdsprachigen Gesetze müßten geändert werden. In anderen Flugschriften der Levellers, die meist von Lilburne inspiriert sind, werden die schlechten Zeiten der Gegenwart mit der tyrannischen normannischen Eroberung verglichen. Die poor natives of E n g l a n d wurden damals betrogen, als das Land unter den normannischen Adel verteilt wurde, sie sollen heute wieder betrogen werden 8 ). Die Levellers versuchten durch die Armee zunächst ihre politischen Ziele durchzusetzen. Lilburne, der Unterarmeeführer war, hatte als Agitator, als Sprecher der Truppen einen großen Einfluß dort gewonnen 4 ). E r hatte mit seinen Anhängern einen Staatsvertrag aufgesetzt, das erste Agreement of the people, und erreicht, d a ß große Teile der Armee von ihren Führern die Durchsetzung des Agreements forderten. Cromwell und Ireton mußten einwilligen, das Agreement im Offiziersrat zu besprechen. In den Debatten dort zwischen I r e t o n und den Vertretern Lilburnes, \V i 1 d m a n und C o w l i n g , ringen die traditional-konstitutionelle und die radikale Richtung miteinander. E s zeigt sich auch hier wieder, d a ß die Radikalen, die Rationalisten der englischen Revolution, wie sie G u i z o t bezeichnet hat, ebenso wie die gemäßigten Traditionalisten mit Hinweisen auf die Nationalgeschichte argumentieren 5 ). W a r x ) E d u a r d Bernstein, Sozialismus und Demokratie in der englischen Revolution, Stuttgart 1 9 0 8 , 1 9 7 . Firth in den Clarke papers I, L X I . 2 ) An Impeachment of H i g h Treason against Cromwell, 1 6 4 9 , 4 8 . 3, | A n outkry of the J o u n g m a n , 1 6 4 9 . — A Glasse of Truth 1 6 4 9 . 4 ) W i e stark in der Armee Lilburnes Kampf gegen die normannischen E r o b e r e r gewirkt hat, zeigt z. B . die 'Declaration of the officers of the garnison of Hull, London 1 6 4 9 , wo über „ o u r N o r man servitude" geklagt und die Sprache ,,of our native .nation" für die Rechtsgesetze verlangt wird. Die normannische Staatsordnung umzustoßen, war, wie Ranke es dargestellt hat ( S . W . 1 7 , 54. 6 9 ) , das Ziel der independistischen Armee. N u r einzelne independistischc Führer, die in ihren Anschauungen mehr der alttraditionalen Richtung angehörten, wandten sich g e g e n diese antinormannischen Tendenzen. •"') Darüber Walther Rothschild, D e r Gedanke einer geschriebenen V e r f a s s u n g in der englischen Revolution, Tübingen 1 9 0 3 , 80 f f .

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Vierter Abschnitt.

Ireton für die alten Gesetze eingetreten, an die man anknüpfen müsse, so verwarf sie Wildman als vom Eroberer eingeführt. Den Worten Cowlings von der normannischen Prärogative konnte Ireton den Hinweis auf die vomormannischen Könige entgegenhalten. In Alfreds Zeiten hatten die Commons alle Macht, antwortete der Radikale. Das königliche Vetorecht und das Haus der Lords seien erst durch die normannischen Eroberer eingeführt worden. Das birthright des Engländers — wir kommen später noch auf die Debatten darüber 1 ¡eingehend zurück —, sahen die Agitatoren in der den Vernunftgesetzen entsprechenden Wiederherstellung der sächsischen Gesetze. Die Bestrebungen, durch Verhandlungen mit den independistischen Armeeführern die radikaldemokratischen Forderungen durchzusetzen, scheiterten. Die Levellers wurden auf die Agitation zurückgewiesen. Eine kleine Gruppe versuchte noch im Frühjahr 1649 wenigstens die sozial wirtschaftlichen Ziele eigenmächtig zu verwirklichen. Die späteren D i g g e r s hatten sich als „wahre Levellers" von Lilburnes Anhängern schon früh abgesondert. Ihr Führer W i n s t a n l e y hatte bereits im Dezember 1648 Flugschriften veröffentlicht, in denen die Beseitigung der normannischen Zerstörer des Landes, der Könige, Adligen und Priester, gefordert wird. Doch dürften nicht die vornormannischen Zustände wiederhergestellt werden, man müsse auf die Zeit vor dem Sündenfall zurückgehen'). Unter Win.Stanley und seinem Gesinnungsgenossen E v e r a r d begann nun eine kleine Schar in der Nähe Londons unbebautes Land umzugraben. Vor General Fairfax geführt, erklärten diese Diggers, sie seien aus der auserwählten jüdischen Rasse,, die durch die normannische Eroberung ebenso um ihre Freiheiten und ihr Land gekommen seien wie einst ihre Vorväter unter den Ägyptern. Sie kämpften gegen die Lords of Mannours, die ihre normannische Tyrannei aufrecht erhielten, als ob die Königsherrschaft noch bestände 2 ). In einer Petition an das Par» Die Verhandlungen waren bereits in den Jahren 1647/48. — Zum /olgenden: Clarke Papers, Camden Society 1891 ff., I, 318. 368. 401 f. !) Bernstein 134 ft. Gooch, Demoer. Id. 213 ff. 2 ) Whitelocke, Memorials of the English Affairs from Charles I to Charles II. London 1862, 384. Clarke Papers II, 2 1 5 ff. — Der Gedanke, daß das englische Volk auserwählt sei, wird nach den Revolutionszeiten oft ausgesprochen. Überhaupt ist der Vergleich der Engländer und Juden seit Seidens gelehrten Versuchen ein fester Bestandteil der englischen Literatur geworden. Milton, Sidney, Defoe und andere ziehen eingehende Vergleiche.

Das birthright des Engländers in derTheorie der puritanischen Revolution. 7 1

lament verzeichneten die Diggers sämtliche „Greueltaten", die Wilhelm der Eroberer eingeführt habe, darunter den Zehnten und die Acjvokaten. Die Normannen waren zum Schlagwort geworden, mit dem jede mißliebige Institution abgetan wurde. Wie wenig historisch-traditionales Bewußtsein hier mehr mitspielte, zeigen die Forderungen der Rückkehr zum Naturzustand. Denn was hieß es anderes, wenn man die paradiesischen Zustände zurückverlangte, wo jeder Eigentum gehabt habe ? Doch charakterisiert es die ganze Epoche, .'daß selbst diese radikalste Gruppe mit ihrer ganz naturrechtlichen Einstellung — Winstanley beschrieb später in seinem Law of Freedom den erstrebten Vernunftstaat-nationalgeschichtliche Schlagworte gebrauchte. W h i t e l o c k e , ein damals einflußreicher Jurist der traditionalistischen Schule Cokes und Seidens und Parteigänger Cromwells, hat noch im November 1650 geglaubt, in t einer großen Rede den normannischen Tendenzen weitester Volkskreise entgegentreten zu müssen. Er zeigt, daß die englischen Gesetze weder durch die Eroberung eingesetzt, noch aus der Normandie übernommen seien. Dieselben Gesetze, die noch jetzt gelten, wären vornormannisch, sie seien our ancient Native Laws. Die Gesetze des Landes seien das Geburtsrecht des Engländers 1 ). Birthright gegen Antinormannismus P Haben nicht auch die antinormannischen Levellers davon gesprochen ? Untersuchen wir, was die Zeit der puritanischen Revolution darunter verstand.

D a s b i r t h r i g h t d e s E n g l ä n d e r s in d e r T h e o r i e der p u r i t a n i s c h e n Revolution. Das birthright hat im Englischen einen doppelten Sinn. Einmal ist es privatrechtlich als durch Geburt erworbenes Recht, Privilegium oder Erbschaft gemeint. Zum andern bedeutet es ein dem Menschen angeborenes, inhärentes Recht, hat also naturrechtlichen Charakter. Der Birthrightgedanke hat die Theorie der englischen Revolution bedeutsam beeinflußt. Seine eigentümliche Verknüpfung positiv-rechtlicher und naturrechtlicher Elemente charakterisiert vielleicht am treffendsten das Staatsdenken der Zeit. Der naturrechtliche Sinn des Wortes ist durch die naheliegende Verbindung der natural rights mit den native Whitelockes Rede abgedruckt in Argumentum antinormannicum, 1682, 114 ff. Ähnlich Whitelockes Memorials from Brutus to James I., ed. William Penn, 1709, 30.

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Vierter Abschnitt.

rigths, dem birthright, wesentlich gestützt worden. Gerade die Zeit der puritanischen Revolution hat diese Entwicklung gefördert, wenn nicht erst begründet. Religiöse Ideen haben mitgewirkt. M a x W e b e r hat bereits auf die Zusammenklänge des Birthrightgedankens mit der calvinistischen Prädestinationslehre hingewiesen 1 ). Der positiv-rechtlichen Bedeutung des Wortes hat das englische Staatsrecht eine gemein-germanische Vorstellung unterlegt. Den Engländern galt das Gesetz als ihr birthright. Das objektive Recht erhielt hier zugleich durch den Dualismus zwischen Herrscher und Volk ein subjektives Moment 2 ). Bereits die altenglischen Gesetze, haben als Subjekte der Freiheiten und Rechte bald die homines in regno nostro bald das regnum selbst genannt. Und auch der Gedanke des Gesetzes als Erbschaft (inheritance) ist in einem Gesetz Heinrichs VI. ausgesprochen 3 ). Das Widerspiel zwischen naturrechtlicher und positiv-rechtlicher Betonung erhält in der politischen Literatur der englischen Revolutionszeit durch die traditionalen und völkischen Bindungen des Birthrightgedankens eine eigene Note. Die a l t e n Gesetze der E n g l ä n d e r sind das birthright. Der Begriff der Fundamentalgesetze wird seit dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts in England vertreten 4 ). Vom Geburtsrecht sprach man bereits im Parlament von 16215). Die Petition of rights betonte selbst, daß die Untertanen ihre Freiheit ererbt haben 6 ). In einer Parlamentsakte vereinigt ausgesprochen wurden fundamenDie protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, .ges. Aufsätze zur Religions-Soziologie, Tübingen 1 9 2 2 , I, 1 2 0 . 2 ) Kurt W o l z e n d o r f f , Staatsrecht und Naturrecht 3 0 1 . Jellinek, Staatslehre 3 , 5 1 8 . 6 2 8 . 3 ) G e o r g Jellinek, E r k l ä r u n g der Menschen- und B ü r g e r rechte 3 , 3 7 f. *) Rothschild, 6 f. Jellinek, Staatslehre 3 , 508 f. s ) G . W . Prothero, Select Statutes 3 , O x f o r d 1 9 0 6 , 3 1 1 f f . D a s Parlament sprach in seinen Erklärungen (9. u. 18. X I I . 1 6 2 1 ) von dem alten und unzweifelhaften Geburtsrecht und E r b s c h a f t der Untertanen E n g l a n d s auf die Parlamentsfreiheiten, wogegen der K ö n i g den „antimonarchischen" Worten die Gnade und das E n t gegenkommen seiner V o r f a h r e n entgegenstellte: „rather a toleration than inheritance." Bereits 1 6 0 4 hatte eine A p o l o g y of the House of Commons die Freiheiten der Gemeinen „ f r o m time immemor a b l e " abgeleitet und als „ r i g h t and due inheritance" bezeichnet. Prothero 2 8 7 . ') S . R . Gardiner, Constitutional Documents ford, 1 8 9 9 , 6 6 f-

1625—1660,

Ox-

Das birthright des Engländers in derTheorie der puritanischen Revolution. 7 3

tal laws und birthright, soweit ich sehe, zuerst in der Grand Remonstrance vom 1. X I I . 1641'). Dort wird das allgemeine Geburtsrecht der Untertanen Englands betont, das einen ordnungsgemäßen Gang der Rechtsprechung verlange. Die Fundamentalgesetze des Reiches, die Freiheiten der Untertanen müßten wieder hergestellt werden. „Die Untertanen haben ein Geburtsrecht auf die Gesetze dieses Königreichs" sagt schon der Richter der King'sbench, R o b e r t B e r k e l e y , im Hampden Prozeß 1638 s ). Und auch die royalistische Seite nimmt das Wort in Verknüpfung mit den Fundamentalgesetzen am Beginn des Bürgerkrieges auf 3 ). Als solche durch Geburt erworbene Rechte werden vereinzelt die alten englischen Gesetze, wie die Magna Charta, besonders bezeichnet. E s finden sich aber auch schon abstrakte Formulierungen dieser Freiheitsrechte. Die Freiheit eines Engländers besteht in drei Teilen, sagt N a t h a n a e l B a c o n , im Eigentumsrecht, in der Gesetzgebung und im Anspruch auf die Judicatory, die Bacon im englischen Sinn als Rechtsprechung und .Verwaltung zugleich auffaßt 4 ). In den Zeiten des Emporkommens der L e v e 11 e r s hat dann der Birthright gedanke in seiner doppelten naturrechtlichen wie positiv-rechtlichen Bedeutung Eingang in die Streitschriftenliteratur gefunden. H e r m a n n W e i n g a r t e n hat die Levellers die erste politische Partei der neueren Geschichte, die sich ausschließlich auf den Boden des natürlichen Rechts gestellt hätte, genannt 5 ). Doch gerade durch den Birthrightgedanken dringen stark positiv-rechtliche und nationalgeschichtliche Elemente in das Naturrecht der Levellers ein. L i 1 b u r n e weist in den Legal Fundamental Liberties auf das von der großen Remonstranz ausgesprochene birthright hin 6 ). Die Erhaltung des angeborenen Rechts; bedeutet ihm Erhaltung der Gesetze. " I am an Englishman, and the Law is my inheritance, and the benefit of the petition of right my birthright", hatte ein Gesinnungsgenosse Lilburnes seinen Richtern entgegengerufen. In der Vorstellung der Levellers waren die Rechte aus den positiven Gesetzen, die sie als ihr Geburtsrecht ansprachen, die Rechte, die die alten Sachsen inne hatten. Ebd. 206. 2 i i . ) Clarke Papers I, LXI. 3 ) Rothschild, 13. *) Historicall Discourse, 135. s ) Die Revolutionskirchen Englands, 1868, 297. ®) 11. 21. 73. — Die Schrift Lilburnes „Englands Birthright" konnte ich nicht erhalten. 2

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Vierter Abschnitt.

Die Freiheiten der Natives of England waren durch Wilhelm den Eroberer geraubt worden1). Besonders in der Armee waren diese Gedanken weit verbreitet. Bezeichnend, wie es eine Flugschrift ausdrückte: The native rights of the army and oll others the free Commons*). So fanden die Anschauungen eines altsächsischen birthright in den Verhandlungen des Offiziersrates starken Widerhall'). Die Erbschaft, die verloren worden war, die Geburtsrechte und Privilegien waren die Freiheiten der vornormannischen Zeit. Doch gerade in der Aussprache über das Agreement of the people wurde der Birthrightgedanke auch naturrechtlich gebraucht. Und es war I r e t o n , der dem Verlangen des .allgemeinen Wahlrechts als Geburtsrechts sämtlicher Einwohner gegenüber das englische Nationalinteresse betonte. Man könnte niemand das englische birthright, frei zu leben, verwehren. Aber das birthright allein gebe noch keinen Grund, Anteil an der Macht zu geben, die über den' Staat disponieren soll. Die ursprüngliche und fundamentale Verfassung des Landes sei, daß nur diejenigen, die durch „local interest", durch Land und Korporation an das Reich gebunden seien, im Staate mitbestimmen könnten. Die öffentlichen objektiven Rechte werden hier vom birthright der beschränkten subjektiven Rechte getrennt. Die Levellers vermeinten aber beides durch das birthright fordern zu können. Sogar das Widerstandsrecht wurde aus ihm abgeleitet. „Kraft des Rechtes, als Engländer geboren zu sein und in Verfolgung der daraus folgenden Pflichten" glaubte H e n r y M a r t e n ein Regiment gegen den König ins Feld führen zu können4). Die Gewissensfreiheit, „die jedes Menschen Geburtsrecht ist", wird ebenso von den Levellers vertreten wie die gesetzgebende Gewalt des Parlaments, die, von den Vorfahren überkommen, zu den native rights des Volkes gehört5). Der Gedanke des birthright hat auch in dem ersten englischen Verfassungsentwurf seinen !) Glasse of Truth, 1649. 2 ) C. H. Firth, Cromwell's Army, London 1902, 356 N. 3. 3 ) Clarke Papers, I, 235. 300 ff. 322 t. 368. *) Clarke Papers II, 56. 6 ) No Papist nor presbyterian, 1649, 1 ff- The Leveller (1659) in Harl. Misc., 1743, IV, 515. Dort eine Aufzählung der grundsätzlichen Ziele der Levellers, die mehr als es im allgemeinen bei den Levellers üblich war, die objektiven öffentlichen Rechte in Vordergrund rückt. — Die D i g g e r s haben ebenfalls den Birthrightge danken in ihren Streitschriften vertreten. Gooch, Polit. Thought 126. Bernstein 136.

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John Milton.

Platz gefunden. Die im Agreement of the people ausgesprochenen englischen Verfassungsgrundlagen werden von dem Schlußartikel als our native rights erklärt und ebendort wird hingewiesen auf die examples of our ancestors, Heren Blut so oft für die Wiedereroberung ihrer Freiheiten geflossen sei 1 ). Die angeborenen Rechte finden, dafür ist das Agreement nur ein verfassungsrechtlicher Ausdruck, in dem Hinweis auf die Vergangenheit des englischen Volkes eine traditionale und völkische Begründung. Naturrecht und historisches Recht, das Recht des Menschen und das Recht des angestammten Volkes spiegeln sich gemeinsam im Gedanken des birth right wieder.

John

Milton.

Sie haben ihre väterlichen Gesetze, die sie befolgen, erklärt Milton von den Engländern. In der Freiheit sind sie geboren und haben sich ihre Gesetze gewählt. Vor allem' verehren sie ein Gesetz, von der Natur selbst gegeben, das Gesetze, Recht und Reich nicht der Willkür der Könige, sondern dem Wohl des Volkes zu dienen verpflichtet 2 ). Das Naturrecht ist Milton das vornehmste Gesetz der englischen Vorfahren. E s ist die angeborene Freiheit, das natural birthright, das auch von den Nachkommen der Angelsachsen in den Kämpfen der Revolution verteidigt wurde'). Das Parlament habe gewußt, sagt Milton ein andermal 4 ), daß das englische "Volk ein freies Volk war und daß die Parlamentsmitglieder die Vertreter der Freiheit seien, nur durch das Gesetz der Natur gebunden. Diesem einen Naturgesetz gegenüber findet er alle Gesetze gebrechlich. Selbst die der Vorfahren seien nicht bindend 5 ). Milton geht weiter, er findet auch bei den andern Völkern freiheitliche Zustände. A u s der ganzen heidnischen und christlichen Geschichte könnte die x)

I. Agreement,

" I , 394-

Gardiner,

History

of

the

Great

Civil

i

war,

*) Defensio pro populo Anglicano, 1650, in Historical, Political and Miscellaneous W o r k s , Amsterdam 1698, III, 7 6 : Habent leges, quas secuti sunt patrias optimas, in liberiate sunt nati, unam prae ceteris colunt antiquissimam a naturam ipsa latam (sc. legem). s ) Eikonoklastes, W o r k s II, 463. Tenure of K i n g s and Magistrals, II, 532. 4 ) T h e ready and easy way to establish a Free Commonwealth, II, 784. ' ) Eikonoklastes (1649) H j 482- 5 ' 7 -

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Vierter Abschnitt.

ursprüngliche Freiheit bewiesen werden 1 ). In allen weisen Nationen wären die gesetzgebende Gewalt und die richterliche Exekution dieser Gewalt getrennt 2 ). Und so spricht er es einmal aus, daß alle Menschen ursprünglich frei waren — als Ebenbilder Gottes 3 ). Es ist die Idee einer allgemeinfen Menschenfreiheit, die hier offenbar kontrastiert mit dem Gedanken einer besonderen altenglischen Freiheit. Und doch hat Milton diese Ideen zusammenklingen lassen. In einer Hymne an die Freiheit der Völker der Welt sieht er die verlorene Freiheit zurückkehren. Vom englischen Volk aus werde der Same der Freiheit ausgestreut 4 ). Die Türken, Juden und Mohren könnten im Genuß des Fleißes ihre Freiheit sehen; die Engländer aber hätten in der Freiheit der Vorfahren ein höheres Recht 5 ). Frei sind für Milton alle Völker, aber das englische Volk ist zur höchsten Freiheit auserwählt. Man brauche nicht in fremden Gesetzen nach freiheitlichen Institutionen zu suchen, wo doch die alten einheimischen Gesetzbücher vorhanden seien (II, 523). Milton hat bereits in den Jahren des Bürgerkrieges sich mit der englischen Geschichte beschäftigt und die vier ersten Bücher seiner englischen Geschichte niedergeschrieben. Doch lange vor der Veröffentlichung derselben (1669) hat er im Streit mit Salmasius die Lehren der englischen Geschichte lind seine politischen Freiheitsideen ins Feld geführt. Der so oft, wenn die Gegner mit traditionalen Argumenten den Kampf gegen die Republik führten, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit gefordert hatte, Milton hat doch selbst die Geschichte seines Volkes in den Dienst seiner politischen Ziele gestellt. Gewiß habe es in Rom schon Parlamente gegeben, lange vor den Anfängen der Sachsen; aber das englische Parlament führe seinen Ursprung-auf die alten Sachsen germanischen Stammes zurück6,). x ) Tenure of K i n g s II, 5 3 1 . Milton will nur auf die deutsche, französische, italienische, aragonesische, englische und schottische Geschichte hinweisen. E s ist die Rüstkammer der monarchomachisehen Literatur, besonders H o t m a n s , den Milton mehrfach zitiert. 2 ) Eikonoklastes II, 4 6 5 . Milton überträgt hier die aus der Anschauung des englischen Staates gewonnene Gewaltentrennung, in der die legislative von der verbundenen exekutiv-richterlichen Gewalt geschieden ist, auf die Verfassungen der nichtenglischen Völker. 3 ) Tenure, I I , 5 3 1 . 4 ) Defensio secunda, I I I , 80. Ähnlich vgl. A l f r e d Stern, Milton und seine Zeit, I I I , 1 1 6 . 6 ) Eikonoklastes II, 5 1 7 . ") Defensio I I I , 59 f f .

James Harrington.

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D a s R e c h t der Könige wäre gar bereits bei den alten Briten beschränkt gewesen. Königswahl und Königsabsetzung, das sei „der fundamentalste und älteste Lehnsbesitz", den ein englischer König „beanspruchen" könne 1 ). D i e Sachsen hätten ihre Könige dem Gesetz völlig unterworfen 51 ). Auch Wilhelm der E r o b e r e r mußte den alten Gesetzen Treu schwören 3 ). Milton sagt einmal am E n d e seiner publizistischen Laufbahn, was er gesagt habe, sei die Sprache der alten guten Sache gewesen 4 ). Ich bin des Alten treuer Knecht, weil es ein G u t e s ist, hat U h 1 a n d später gesungen. Milton galt dies in erhöhtem Maße. D i e Gesetze der Alten waren Vernunftgesetze, und nur deshalb hielt er sie hoch. Unsere Vorfahren haben in Erkenntnis menschlicher Unwissenheit und Schwäche, spricht er in der Defensio ( I I I , 60), gleichsam das Fundament aller Gesetze den Nachfahren überliefern wollen. Und es heißt, daß das göttliche und natürliche R e c h t und Vernunft alle Gesetze bestimmen soll. James

Harrington.

Abseits von dem bisher berührten Ideenkreis steht einsam und g r o ß J a m e s Harrington. E r ist der schärfste Gegner aller Anschauungen, die an die einheimische Geschichte anzuknüpfen versuchen, die, von ihr ausgehend, den Staat im Sinne der kontinuirlichen oder aus der Frühzeit wiederherzustellenden Tradition einrichten wollen. Den idealen Staat findet er in keinem vergangenen Zustand seines Landes, sondern weitab in Venedig. Von einem Venezianer hat er aüch seine historische Grundanschauung vom Gegensatz der ancient prudence und der modern prudence übernommen. M a c h i a v e l l und A r i s t o t e l e s waren seine großen Meister. Die politische T h e o r i e hat er gleichsam und auch tatsächlich aus der Fremde mitgebracht. E r war viele J a h r e in Europa gereist; er hatte sich lange in Venedig aufgehalten. Mit fertigen Anschauungen kam er in sein Heimatland zurück. D e r Bürgerkrieg ließ die englische Republik erstehen. D e r Republikaner Harrington aber fand, daß die Konstitution dieser Republik nicht den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen des Landes entsprach. E r schrieb sein Hauptwerk, um den Protektor Cromwell für eine Änderung der sozialen x

) ) 3 ) *) 2

Tenure II, 537. Dazu History of Britain, I, 22. Eikonoklastes II, 523. Defensio III, 57. 62. Hierzu History I, 120. Ready and easy way, II, 797.

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Vierter Abschnitt.

und politischen Verfassung des Landes zu gewinnen. Mit radikaler Konsequenz hat er aus seiner Ideologie heraus die Technik der Republik und der Besitzverteilung verfochten. Er mag in dieser Konsequenz •— wie in manch anderm — an Max Weber erinnern. Die Kritik Robert von Mahls hat Harringtons pedantisches Festhalten an Einzelheiten und Formalitäten als dürftig gescholten1). E s ist richtig, Harrington hat der politischen Technik den größten Teil seines Werkes gewidmet. Aber aus dieser Technik spricht der Geist der ancient prudence. In ihr sieht Harrington die wahre Idee der Republik, wie er sie in seinem Heimatstaat verwirklicht wissen will. Es ist der Versuch eines radikalen Bruchs mit der Tradition, eines Neuaufbaues des Landes auf bisher fremden Maßstäben. Welchen Zusammenhang konnte ein solches Werk mit den Ideen einer historischen germanischen Freiheit haben? Die Oceana Harringtons, der in seinen politischen Zielen bar jeder historischen traditionalen Einstellung erscheint, wird von einem guten Kenner als eines der frühesten Beispiele historischer Methode im politischen Denken bezeichnet*). Ein Politiker müsse zuerst Historiker sein, lehrte Harrington selbst. Von der historischen Anschauung aus finden sich auch die Beziehungen zu dem Ideenkreis einer altgermanischen Freiheit. Folgen wir Harringtons Gedankengang. Er beginnt seinen Commonwealth of Oceana mit historischen Präliminarien. Zwei Perioden unterscheidet er in der großen Reihe der Staaten. Die ancient prudence der Staatsformen endigt mit dem Untergang der Freiheit Roms durch die Waffen Caesars. Die modern prudence führen die das Römerreich überflutenden Hunnen, Goten, Vandalen, Sachsen und andern Völkerwanderungsstämme in Europa ein8). Was sind ancient prudence und modern prudence? Staat (Government) nach der ancient prudencc ist eine Art bürgerlicher Gesellschaft, von Menschen eingerichtet, unterhalten auf der Grundlage gemeinsamen Rechts 1) Mohl, I, 190 f. 2 ) Gooch, Democratic Ideas 297. s ) Oceana and others Works 3 , ed. John Toland, London 1747. 37 ff. (Oceana), 2375. (Prerogative of popular Government, 1638) — D o n a t o G i a n n o t t i , De República Venetorum in Opere, Pisa 1819, I, 15, hat diese welthistorische Perspektive Harrington eröffnet, der sich selbst auf ihn beruft. G i a n n o t t i sprach nur von zwei „ Z e i t e n " . Von der zweiten (nach Harrington gotischen modern prudence) leitet er ab tutta quella varriazione che ha fatto pigliare al mondo quella faccia, che ancora gli veggiamo a'tempi nostri, e lasciar del tutto quella che al tempo d e ' Romani aveva.

James Harrington.

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und Interesses. E s ist die Herrschaft von Gesetzen, nicht von Menschen, wie schon A r i s t o t e l e s und L i v i u s gesagt haben. Staat nach der modern prudence ist eine Art der Herrschaft, wie ein oder einige wenige Menschen einen Staat oder eine Nation unterwerfen und regieren gemäß seinem oder ihrem privaten Interesse. E s ist die Herrschaft von Menschen und nicht von Gesetzen. Mit diesen beiden Staatsideen (denn Staatsform ist ein hierfür zu begrenzter Begriff) verknüpft Harrington die balance des Grundbesitzes aufs engste 1 ). Ist das Land überwiegend (overbalance) in den Händen Eines, so herrscht absolute Monarchie. Ist es in den Händen des Volkes, so m u ß der Staat Republik sein. Teilen sich aber Adel und Klerus in den überwiegenden Teil des Grundbesitzes, herrscht also „Gothic balance", so ist die Staatsform meist die der gemischten Monarchie, Regierungsform und Grundbesitzverteilung müssen harmonieren. Diese Lehre ist für Harrington nichts weiter als eine Abstraktion aus der Geschichte. Durch sie sucht er hinwiederum die Vergangenheit zu verstehen (Oceana, 61 ff.). Der Verfall des römischen Reiches nimmt seinen Anfang von dem Untergang der balance desselben. Die Goten, die ihren Ursprung von den nördlichen Gebieten Deutschlands oder von Schweden ableiten, haben dem römischen Reich das E n d e bereitet. Das Groundwork or balance of these new Politicians ist das F e u d u m. Harrington gibt eine eingehende Darstellung des Lehnswesens. Fürsten, Barone und Afterlehnsleute werden in ihren Lehnsverhältnissen geschildert. Und Harrington schließt diese Schilderung: This is the Gothic balance, by which all the Kingdoms (this day in Christendom were erected. D a s Deutsche Reich, Frankreich* Spanien, Polen und „Oceana" nennt er besonders. Deutschland, anciently the Seminary of nations, erscheint ihm jetzt an dem Fehler seiner politischen Struktur der Zersplitterung und Interessengegensätze zu leiden 2 ). Spanien interessiert Harrington wegen der scheinbar seinem System widersprechenden Verfassung der alten Goten. Monarchien, erklärte er, beruhen auf den Waffen oder dem Adel. W e n n das Königreich der Goten eine Volksversammlung hatte, so m u ß diese geherrscht haben. Aber nicht König und Volksversammlung machen den gotischen Staat aus, sondern König und Armee. Es war keine Monarchie des Adels, sondern eine der Waffen 8 ). !) Oceana 39 ff. *) Works, Prerogative of Populär Gov., 287. s) Oceana, 53, 72.

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Vierter Abschnitt.

Von allen Staaten der gotischen balance, der modern prudence steht ihm Oceana, sein Heimatstaat England im Vordergrund 1 ). Die Teutonen haben die Form der ehemaligen Monarchie nach England gebracht. Sie haben die Gothic balance, das Feudalsystem in England eingeführt. Earls, Kings Thane und Middle Thane erhielten die overbalance des Landes*). Merkwürdig genug gesteht Harrington den Commons Sitz und Stimme bereits in dem Witenagemôt dieser sächsischen Feudalmonarchie zu. Die Neustrier, die Normannen, als sie das Land unter ihrem König „Turbo" erobern, verschieben die Basis des Reiches. Das Volk verliert seine Bedeutung in der Reichsversammlung; Grund und Boden werden unter wenige Adlige aufgeteilt. In späteren Jahrhunderten aber haben die Könige sich gegen ihren eigenen Adel gewandt und dem Volk die overbalance gegeben. Gleichheit im Güterbesitz erfordert Gleichheit der Gewalt, und da ist eine Monarchie unmöglich. Durch die Besitzverteilung unter Heinrich dem Siebten mußte die Republik kommen. Ihre innere und äußere Struktur wird alle Gothic politic überwinden. Denn diese ist Sprengpulver für den Staat. Was ist aus allen den Staaten gotischer Form geworden ? Die Volksgewalt oder die Königsmacht wurde zerstört3). Harrington ist kein radikaler Demokrat. Seine Republik hat man sogar als gemäßigte Aristokratie bezeichnet*). Aber der Adel, den er in seiner Republik zulassen .will, darf nicht gotisch sein, er darf keine overbalance haben (Oceana 134). Und so verwirft er in allem die gotische Staatsform für die republikanische Verfassung. In einer gesetzlichen Festlegung der Grundbesitzverteilung 5 ) und in einer besonderen Technik des Beamtenwechsels sieht er wesentliche Institutionen der Republik Harringtons republikanischer Staat ist nicht auf Tradition gebaut, er ist und will auch dem Geiste nach in allem dem englischen Staat in seiner historischen Form fremd sein. Die Zeit des Protektorats und der Republik schien seinen Plänen günstig. Und war es doch nicht völlig. Der Republikaner M i 11 o n ! ) Oceana, 64 f f . ) Harrington beruft sich auf S e 1 d e n s Titles of. Honour, der, wie wir wissen, den Feudalismus von den nordischen Völkern ableitete. 3 ) Oceana 1 3 9 . Dazu W o r k s 2 8 7 . *) N a t . B i o g r . Diet. *) Die balance of property will H . nicht auf Geldeigentum übertragen. Dazu Wilhelm Roscher, Z u r Geschichte der englischen Volkswirtschaftslehre im 1 6 . und 1 7 . Jahrhundert 5 3 f. 2

James Harrington.

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lehnte Harringtons „Rotation" als Rad der Fortuna ab1). In der Republik verzichtete man auch nicht ganz auf die Tradition. Der Verfassungsentwurf des Parlaments vom Jahre 1657, der als Act of Government auch Gesetz wurde, betonte das birthright und die Erbschaft des Volkes 2 ). Und eine „Gründliche Beschreibung der Neuen Regimentsverfassung Engellands" vom selben Jahr führte die gepriesene Gewaltenteilung der Republik auf die uralten Freiheiten des Landes zurück 3 ). So war für Harringtons antitraditionale und dem englischen Geist fremde Ideen selbst die Zeit des Protektorats kein völlig freier Wirkungskreis. Seine Reformpläne scheiterten. In ihnen liegt auch nicht seine Bedeutung. Groß ist er in seinem Geschichtssystem. Wir werden an Aristoteles' politische Charakterzeichnungen der nordischen, mittleren und südlichen Völker erinnert und an seinen Nachfolger Bodin. Harrington zeigt den welthistorischen Gegensatz antiker und mittelalterlich-germanischer Staatsidee. Es ist bei ihm kein Gegensatz der Rassen. Es ist ein Gegensatz der Staatsraison. Nicht so sehr um Freiheit, als um gute Regierung und Politik geht es Harrington. E r fand wohl, daß die gemischte Monarchie, die er in der Schilderung der Germania des Tacitus wiederfand 4 ) und die er die gotische Politik nannte, nicht zur vollen Freiheit führte. Wichtiger aber war ihm, daß 'diese gotische Verfassung eine schlechte Regierung zur Folge habe. Er war Feind dem Feudalismus, der Gothic balance, weil sie die Staaten zerstöre. Die Wirkung dieser historischen Ideen Harringtons war groß, fast unermeßlich. Die gemischte Monarchie, der Feudalismus als Form des gotischen Staats, das wurde von nun ab in der englischen Literatur, wir möchten sagen, ein Gemeinplatz. Aber man hat Harrington und die Tendenz seiner Anschauungen totgeschwiegen. Das gotische Feudalsystem fand seine Bewunderer. Die gemischte Monarchie pries man noch mehr als gotische Verfassung. Harrington hatte diese gotischen Systeme in seinem Heimatland endgültig zu vernichten gemeint. Eine wieder monarchische Zeit hat die als gotisch verschrieenen Institutionen der gemischten Monarchie wieder aufgenommen, um ! ) Dazu Hatschek 445 f. Die rotation in office ist der stete Wechsel der Beamten. 2 ) Gardiner, Const. Doc. 2 , 449. 3 ) Aus dem Englischen übersetzt. Ohne Verfasser. Schaffhausen 1657, 7. 47. Dazu Mohl II, 29. .*) Works, The Art of Lawgiving ( 1 6 5 9 ) , 387. Belb. d. H . Z . 5 .

6

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Vierter Abschnitt.

die angebliche Unfreiheit als Freiheit zu preisen 1 ). Harringtons Oceana wollte keine Utopie sein. Aber Harrington erwies sich als Utopist.

Die Zeiten dfcr Restauration und der glorreichen Revolution; die werdende Parteigeschichtsschreibung. John Milton und James Harrington sind die Repräsentanten der englischen Republik für unseren Ideenkreis. Die Restauration vom Jahre 1660 brachte eine Beruhigung der Nation, sie brachte auch einen zeitweisen Stillstand in den Erörterungen über das verfassungspolitische Bild der englischen Vergangenheit. Die parlamentarisch gemäßigte Monarchie, wie sie vor der radikalen Umwälzung bestanden hatte, schien wiederhergestellt, die alte Tradition des englischen Verfassungslebens g e währt. In der Trias König, Ober- und Unterhaus, verkörperte sich, wie früher, die Herrschaftsgewalt des Reiches. Doch bald regte sich wieder die Opposition gegen die Unterdrückung alter Freiheiten. Wir werden sehen, wie W i l l i a m P e n n die Freiheitsrechte der durch die Konventionsakte bedrängten Sekten mit der Berufung auf die altenglischen Freiheiten zu stützen versuchte. Doch nicht diese vereinzelte Opposition ist für die Gesamtentwicklung unserer Ideen bedeutsam. E s war der große politische Kampf zuerst gegen den Absolutismus der letzten Stuarts, dann aber zwischen den werdenden Parteigruppen der Whigs und Tones. Hier entstand eine Parteigeschichtsschreibung, in der die historischen Doktrinen der puritanischen Revolution eine starke Fortwirkung und Ausbildung erhielten'). Die Verfassung der Angelsachsen und die Entstehungszeit des Parlaments, die normannische Eroberung^ und ihre Folgen, das birthright des Engländers, gotische gemischte Monarchie und gotischer Feudalismus, all das hat mithelfen müssen, die Parteimeinungen der Whigs und der Tories zu stützen. Denn die poliTreffend zeigt dies ein Traktat ,,A Discours of the balance or Foundation of Government" aus der Zeit' Karls II. bei Hatschek, Englisches Staatsrecht I, 21 : „Hier wird von konservativer Seite der Harringtonische Gedanke der balance of Lands in eine Balance of Estates gewandelt." ! ) Über die Eigenart dieser Parteigeschichtsschreibung ver weise ich auf Fueter, Historiographie, 174 ff.

Die Zeiten der Restauration und der glorreichen Revolution usw.

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tische Literatur war damals meist auch historisch gerichtet und der Kampf um bestimmte Institutionen wurde ein Kampf um das Alter dieser Institutionen. Die Idee der gotischen oder nordischen Freiheit mußte das universale Bedürfnis dieser historisch-politischen Literatur befriedigen, mußte für die hochgeschätzten nationalen Institutionen eine übernationale Verbreitung nachweisen und doch im Rahmen einer ursprungsverwandten Völkergruppe dem erwachten Rassenstolz gerecht werden. Dabei war die Parteigeschichtschreibung durchaus nicht unwissenschaftlich. Die Wissenschaft gab ihr die Waffen für den parteipolitischen Kampf. Aber in ihm regte sich auch das wissenschaftliche Interesse. Die Wahrheit war keine bloße Dienerin der Meinung mehr, sie kam zu eigener Geltung. Die historisch-politische Literatur gewann ein individuelleres Gepräge. Die verschiedenen historischen Anschauungen und die politischen Tendenzen durchkreuzen sich. Vertreter der beiden vorherrschenden Parteigruppen bemächtigten sich gleicherweise der Idee einer altenglischen Freiheit. Die Anschauungen werden zu einem wechselseitigen Spiel der beiden Gruppen. Aber auch der persönliche Standpunkt des einzelnen Gelehrten oder Politikers kommt oft scharf zum Ausdruck, schärfer als in der vorhergehenden Epoche. Nur wenige große Entwicklungslinien lassen sich feststellen. Die Darstellung muß sich dieser individuelleren Gestaltung unseres Ideenkreises einfügen. Willi am

Penn.

Als G e r v i n u s in seiner Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts die stufenmäßige Fortbildung der germanischen Staatsideen aufzuzeigen unternahm, nannte er M i 11 o n einen Vorverkünder der späteren amerikanischen Grundsätze. Seine politischen Ziele, die in England an einem sechshundertjährigen Bestand gescheitert seien, wären später in Amerika verwirklicht worden (79 f). Die nordamerikanische Verfassung sei dem Instinkt der einfachen Natur oder der Vernunft entsprungen. Kein Altertum, keine Überlieferung, keine Geschichte und Erfahrung hätten sie bestimmt, und doch nennt sie Gervinus eine „rein sächsische Verfassung" (93). Milton hatte das aus der Vernunft geborene Recht bei den alten Angelsachsen wiedergefunden* Sollten die Wegbereiter der „sächsischen" Verfassung Nordamerikas sich nicht mehr dieses Altsachsenrechts entsonnen haben ? 6*

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Vierter Abschnitt.

Einer der führenden Theoretiker der amerikanischen Freiheitsbewegung, der in seiner Hauptschrift überwiegend naturrechtlich argumentiert, J a m e s O t i s , hat sich 1761 in einer Rede vor dem Provinzialkongreß von Massachusetts auf das „alte sächsische Recht", auf den „großen Freiheitsbrief" der Engländer berufen 1 ). Die altsächsische Freiheitsidee war also noqh in den Zeiten der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung lebendig. Wieviel mehr mußten die englischen Kolonisten ein Jahrhundert früher von diesem Altsachsenrecht erfüllt sein I Waren sie doch meist Angehörige der Sekten, die politisch mehr oder minder mit der Partei des alten Sachsenrechts, den L e v e 11 e r s , zusammenhingen 8 ). L lburne und Winstanley waren in ihren späteren Jahren der Sekte der Quäker beigetreten. Die „Partei der Gottseligen und Heiligen" hatte noch in den Jahren des Protektorats gegen „die Fesseln des normannischen Rechts" angekämpft') Vielleicht der beredteste Ausdruck dafür, wie die Anschauungen der amerikanischen Kolonisten den altsächsischen Freiheitsideen der puritanischen Revolution entsprachen, ist W i l l i a m P e n n . Quäker und Gründer einer Kolonie, blieb er doch mit dem Mutterland stets in Berührung. Seine beiden politischen Schriften, in denen er vornehmlich von der Freiheit der alten Sachsen und von den angeborenen Rechten der Engländer spricht, sind aus den politischen Interessen für das Mutterland heraus geschrieben. Doch sie enthalten eine Aufzählung der subjektiven Freiheitsrechte, die später für die amerikanischen Konstitutionen, allerdings in anderer Form und Inhalt, so bedeutsam wurden. Und William Penn führt diese Freiheitsrechte als die von den Sachsen überkommenen angeborenen Grundrechte der Engländer auf. In dem Prozeß, den Penn wegen Verletzung der Konventionsakte 1670 zu führen hatte, suchte er zu erweisen, daß diese Akte nicht nur dem göttlichen Recht, wie seine mitangeklagten Genossen beihauptet hatten, sondern auali der Magna Charta und den gesamten englischen Freiheitsrechten widerstritten 4 ). Es war ein Kampf um ältüberkommene *) Gustav Hägermann, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in den ersten amerikanischen Staatsverfassungen, 1 9 1 0 , 47 f. Otis' Rights of the British Colonies asserted and proved erschienen 1764. 2 ) Weingarten, 240 ff. Gooch, Demokratie Ideas 260 ff. 3 ) Ranke, S. W . 1 7 , 1 3 3 . 4 ) Ernst Bunsen, W . Penn oder die Zustände Englands 1644 bis 1 7 1 8 . Aus dem Englischen (nach der Biographie Dixons). Leipzig 1 8 5 4 , 3 7 ff.

William Penn.

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Freiheiten, den er nun nidht gegen den königlichen Absolutismus, sondern gegen das Parlament und seine Gesetzgebung um subjektiver Rechte willen führen mußte. In seiner Schrift T h e Peoples Ancient and Just Liberties Asserted hat er einen Bericht der Gerichtsverhandlungen gegeben und daran eine Abhandlung über die englischen Freiheitsrechte gefügt 1 ). E s gibt keine Nation, sagt er dort, die mehr Mühe und Sorgfalt für die Erhaltung ihrer Fundamentalgesetze verwandt hat, als die englische. Diese Freiheiten und Privilegien des englischen Volkes sind uralt. Die alten Sachsen, die aus Deutschland kamen, verpflichteten ihre Könige als ihre Genossen durch Eid, die alten Gesetze zu halten. A u c h Wilhelm, so sehr er Eroberer genannt werden mag, wollte doch die Gesetze Edwards befolgen. Im Kampf gegen den absolutistischen König Johann sicherten sich die Barone die Erhaltung der alten Freiheiten. Penn druckt eine Reihe dieser Freiheitszusicherungen ab und er fügt selbst eine Aufzählung der großen Vorrechte der Engländer hinzu. That every Englishman is borne free, das birthright des Engländers auf Freiheit stellt er an die Spitze; und dann folgen die Rechte der Freemen: Schutz vor Verhaftung, Ächtung, Verbannung und Lebensschädigung, und davon soll nur das gesetzliche Urteil der „Pairs (vulgarly Jury)" oder ein Landesgesetz Ausnahmen bestimmen können 2 ). In einer anderen Schrift, Englands Great Interest, nennt Penn drei Rechte den Engländern eigen und inhärent: Property, d. h. Recht und Titel zu unserem eigenen Leben, Freiheiten und Gütern, Legislation als birthright und inheritance und zuletzt Recht und Privileg der Exekutive, besonders Rechtsprechung und Jury8). Es ist bezeichnend und eben aus der besonderen Stellung und Kämpfen Penns zu erklären, daß die Parlamentsrechte gegenüber den Freiheiten zum Schutze der einzelnen zurücktreten. Penn „gründete seine Idee auf philosophischer Abstraktion und Erinnerung an die angelsächsische Vorzeit" 4 ). Seine Freiheitsrechte konstruierte er im Sinne dieser Ideen aus den altüberkommenen Gesetzen seines angestammten Volkes. 1) W o r k s , L o n d o n 1726, I, 7 f f . 18 f f . 2 ) 26 f. D i e Gewissensfreiheit ist in diesen Freiheitsrechten d e r E n g l ä n d e r nicht a u f g e f ü h r t . O f f e n b a r rechnet sie Penn zu deD a l l g e m e i n e n Menschenrechten, während er die englischen Freiheitsrechte den alten Gesetzen entnimmt ( g e g e n W o l z e n d o r f f 298). •) W o r k s , II, 679. — E s sind dieselben drei Grundrechte, die bereits N a t h a n a e l B a c o n a u f f ü h r t e . *) R a n k e , S . W . 1 9 . 9 8 .

Vierter Abschnitt.

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Robert Filmer. William Penns Eintreten für die altüberkommenen Freiheitsrechte blieb vereinzelte Erscheinung. Die Weiterentwicklung unseres Ideenkreises knüpft an die Entstehung der Parteigeschichtschreibung an. Der literarische Kampf in den Zeiten des erneuten Versuches einer absolutistischen Herrschaft leitet sie ein. Merkwürdig ist, daß den Reigen der neuen Werke eine Sahrift eröffnet, die der Entstehungszeit wie ihrem Charakter nach der Epoche der puritanischen Revolution angehört. 1679 wurde die Patriarcha or the natural Power of Kings des bereits 1653 gestorbenen Filmer veröffentlicht. Es ist der Versuch, das Gottesgnadentum der Könige aus der Natur der Mensqhen und der natürlichen Zweckmäßigkeit zu erklären. Eine leidenschaftliche Kampfesschrift, hat die Patriarcha in ihrer utilitaristischen Begründung der Monarchie eine auch dieser Seite des englischen Volkscharakters entgegenkommende Verteidigung der monarchischen Doktrin gegeben. Das absolute Königtum findet eine aus der gegebenen Menschennatur schließende Rechtfertigung, die jedoch durch die Ableitung des Natürlichen vom göttlichen Recht sich im Rahmen des Naturrechts hält1). Was hat diese naturrechtliche und monarchistische Schrift mit den Ideen einer altgermanisdhen Freiheit zu tun? Robert Filmer geht von Adam aus. E r gibt eine vollständige Reihe der englischen Könige der Urzeiten. Bei der Betrachtung der englischen. Geschichte beschäftigt ihn die herrschende Idee einer traditionalen englischen Freiheit. Wie verhält sich diese Freiheit dem Königtum gegenüber, das ist seine Frage. Filmer versichert, er wolle keineswegs die Rechte und Privilegien der englischen Nation bezweifeln. Sein Wunscjh und seine Hoffnung sei die möglichst weitgehende Freiheit, die jedoch — rechtverstanden — bedeute, unter einem Monarchen zu leben. Das sei die Magna Charta des Königreichs 8 ). Doch Filmer begnügt sich nicht mit dieser Wendung der Freiheitsidee. E r anerkennt die Rechte des Parlaments und er sieht seinen Ursprung, die herrschende historische Lehre übernehmend, im angelsächsischen Witenagemöt. J

) Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte 3 7 5 . ) Patriarcha, 2. A. London 1 6 8 5 , 6: M y Desire and hope is, that the people of England may and' ,do enjoy as ample' priviledges as any nation under Heaven; the greatest liberty in the world (if it be duly considered) is for a people to live under a Monarch. It is the Magna Charta of this Kingdom. 2

Argumentum Antlnormannicum.

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Nur seien die Commons, so beweist er durch eingehendere Untersuchungen, in diesem Parlament der Angelsachsen nicht vertreten gewesen. Warum die Anerkennung des Parlaments und seines großen Alters? Filmer gibt selbst die Antwort: the more ancient parliaments, the more they make for the honour of monarchy. Denn in einem wohlgeordneten Parlament anerkenne das Volk die Souveränität des Herrschers, der aus freier Gnade dieses berufe. Eine Natural Liberty of the people bringe die Form des Parlaments nicht zum Ausdruck, denn sonst müsse sich das ganze Volk versammeln können. .Die zwei Häuser sind nicht der oberste Hof des Reiches, sie sind nur Glieder eines Körpers, dessen Haupt und Herrscher der König ist1). So einhält auch diese Anerkennung Jdes Alters und der Bedeutung des Parlaments in Geschichte und Gegenwart ihre monarchistische Tendenz. Die Zeit aber verlangte das Eigenrecht des Parlaments. Dies hat Filmer verneint. Er hat darüber hinaus dem zur vollen Macht aufstrebenden Unterhaus, den Commons, das angelsächsische Alter ihrer Parlamentsrechte bestritten4). A r g u m e n t u m

A n t i n o r m a n n i c u m .

Wir haben die Anschauungen kennen gelernt, die in den Zeiten der puritanischen Revolution das absolute Königtum und alles .Unheil von der normannischen Eroberung ableiteten. Diese aus dem Kampf gegen die königliche Prärogative geborenen Lehren wurden in der Restaurationszeit von Verfechtern des Absolutismus aufgegriffen. Warum sollte man mit dieser normannischen Eroberung nicht das Eroberer r e c h t auf unumschränkte Herrschaft begründen? Monarchistische Schriften l ) 1 2 1 ff. 1 3 1 f. 1 3 7 . Mit dem letzten Satz schließt sich auch diese absolutistische Schrift der Anschauung an, daß der oberste Körper des Reiches — in anderem Ausdruck das Parlament — aus König, Lords und Commons bestände, allerdings mit Betonung der beherrschenden monarchischen Spitze. Diese Anschauung, die schon Coke lehrte, hat 1660 die Restauration mitbegründen geholfen (Ranke, S. W . 1 7 , 293. Hatschek 3 9 1 f). ! ) Bereits ein J a h r nach Erscheinen der Patriarcha hat Wüliam P e t y t den Commons diese Rechte in gelehrter Untersuchung nachzuweisen gesucht. Nach ihm hatten die Freemen or Common^ bereits im angelsächsischen und altbritischen Parlament Sitz und Stimme. Das sei ein allgemeiner „Northern Custom or , L a w " . Ancient Right of the Commons of England, London 1680, bes. Preface I. V I I . 79. 84.

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Vierter Abschnitt.

haben es getan1). Der Widerhall in der gegnerischen Literatur war stark. Fast alle historisch-politischen Schriften beschäftigen sich fortan damit. Das Recht des Königs auf die Eroberung zurückführen, das hieß allen nicht absolutistischen Anschauungen ins Gesicht schlagen. Die Anhänger der gemäßigten Monarchie wie die radikaleren parlamentarisch Gesinnten mußten dieser Lehre entgegentreten. Voran ging in diesem Kampf eine Schrift, die durch ihren Titel den Kampf schlagwortartig bezeichnete. C o o k ' s Argumentum Antinormannicum (1682) will beweisen, daß Wilhelm von der Normandie England nicht eroberte. Das war schon früher (so von N a t h a n a e l B a c o n ) betont worden. Cook untersucht eingehend die überlieferten Urkunden, er vergleicht die Eide der Sachsenkönige und den Eid Wilhelms. Die Gesetze Edwards des Bekenners mußte Wilhelm beschwören und halten. Denn die „Old Saxon Laws" blieben bestehen. Das Parlament behielt gemäß dem Vertrag zwischen Wilhelm und dem Volk seine alten Rechte. Hier wird kein Bruch mehr in der englischen Geschichte konstatiert, wie demokratische Schriften der puritanischen Revolution und jetzt absolutistische Schriften gelehrt hatten'). We were no Norman Slaves, ruft das einführende Gedicht aus und preist sogleich König und Parlament. Es war die herrschende Idee, innerhalb der Monarchie die Rechte des Parlaments zu erweitern oder (nach den Zeitanschauungen richtiger ausgedrückt) zu erhalten. N a t h a n a e l B a c o n s Anschauung von der steten Einförmigkeit .der englischen Verfassung in der Geschichte, die keinen Bruch gelten lassen wollte und die parlamentarischen Rechte ohne Unterbrechung bis in die Urzeit zurückführte, gewann jetzt wieder die Zustimmung der Nation. 1 ) Wer zuerst diese Anschauungen vertrat, konnte ich nicht feststellen. Bei B r a d y wird sie geäußert; seine Schrift erschien aber erst 1684. Vielleicht hat sie schon Hudson 1647 angedeutet. 2 ) Ähnlich wie Cooks Argumentum haben die Schriften und Werke der folgende.i Zeiten meist die normannische Eroberung nicht als Bruch aufgefaßt, sondern die Weiterentwicklung der angelsächsischen Verfassung betont. Eine der wenigen Stellen, in denen J o h n L o c k e s Two Treatises historisch argumentieren, beschäftigt sich mit dem normannischen Erobererrecht. Wenn dies vorhanden wäre (geschichtlich verhielte es sich anders), dann seien doch wenigstens die Normannen frei. Wer aber wollte beweisen, daß einer, der auf Grund behaupteter normannischer Abstammung Freiheit verlange, kein Recht dazu habe? (Deutsche Übersetzung, Wilmanns, Halle 1906, 3 4 1 . )

Robert Brady.

Robert

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Brady.

Ein Anhänger der absoluten Monarchie hat noch einmal gegenüber P e t y t s und C o o k s gelehrten Schriften die historischen Lehren seiner Partei wissenschaftlich zu begründen versucht. In einer besonderen Abhandlung gegen Cooks Argumen-. tum Antinormannicum zeigt der Leibarzt Karl II., wie Wilhelm der Eroberer trotz seines Eides das angelsächsische Land sich völlig unterwarf. Grund und Boden seien von ihm unter seine Dienstleute aufgeteilt worden und die englischen Hauptgesetze, besonders das Feudalgesetz, wären normannischen Ursprungs 1 ). Das Feudalgesetz, brought hither by the Normans, and the great Poenal Laws and Customs then in use were brought out of Germany by both these people, they being Neighbours there (20). Deutschland war also das Ursprungsland der Normannen und der Angelsachsen. Die These ist neu, aber sie paßt doch für die historische Lehre der königlichen Prärogative. Kein Volksgegensatz sollte zwischen den Eroberern und Unterworfenen bestehen ; beide Nationen hatten dieselben Gesetze, und doch konnte sich der Monarch über ihnen auf das Erobererrecht .berufen. In der Antwort auf P e t y t s Werk versuchte Brady mit ebenso gelehrten Waffen zu zeigen, daß die Commons erst seit Heinrich III. im Parlament vertreten seien und vorher kein Mitbestimmungsrecht an der Gesetzgebung gehabt hatten. Wenn Petyt T a c i t u s als Zeugnis für die Volksversammlung anführte, so weist Brady auf die barbarischen Zustände bei den alten Sachsen hin, wo statt des Volkes die Priester geherrscht hätten. Keine Zivilisation, keine Städte und keine Literatur seien damals vorhanden gewesen (Introduction 3). Bei den alten Sachsen in Deutschland Barbarei, bei den späteren Angelsachsen und Normannen aber gute Gesetze, die aus dem gemeinsamen Ursprungsgebiet Deutschlands stammen, wie reimt sich das zusammen? Wir wollen nicht versuchen, innere Gegensätze auszugleichen, die Brady nicht gesehen hat. In dem literarischen Kampf, der um wichtigste politische Rechte geführt wurde, griff man jedes mögliche historische Argument auf, ohne so sehr darauf zu sehen, ob es etwa einem Argument an anderer Stelle widersprach. Brady focht für die königliche Vormachtstellung. Er wandte sich scharf gegen die naturrechtlichen wie die tradi' ) Introduction to the Old English History, London 1684. 1 1 . 241 ff. 262. 270.

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Vierter Abschnitt.

tionalen Freiheitsbegründungen. Volkssouveränität, das sei eine platonische und utopische Verfassung. Die Berufung auf alte Rechte und Privilegien unterminiere den Staat, denn sie suche dem Volk Machtansprüche in die Hand zu legen, die es nie gehabt habe. Man lasse dem Volk seine Freiheiten, die ihm vom König und seinen Vorfahren gegeben wurden, und mache es nicht aufrührerisch; denn alle Freiheit beruht auf Ordnung und Sicherheit (Introduction, Preface). Es ist bezeichnend für die Stimmung der ganzen Zeit, wie auch dieser letzte Verfechter der beherrschenden königlichen Prärogative auf dem Boden der Geschichtschreibung die Verketzerung der Freiheitsbestrebungen mit der Bemerkung einleitet, er achte es als ein großes Glück und Segen für das englische Volk, daß es more Liberty and Freedom than all the people in the World genieße. English

Liberties.

Die englische Freiheit war zur Gemeinanschauung der Nation geworden. Die freiheitlich gerichtete Literatur versuchte nun, die einzelnen auf dieser Freiheit basierenden Rechte herauszustellen. Der Kampf um den Ursprung der englischen Freiheit differenzierte sich ebenso zu einem Streit über das Alter der einzelnen Freiheitsrechte. In der Zeit der puritanischen Revolution waren die Rechte des Parlaments und ihr Ursprung in den Freiheitsbestrebungen vorherrschend gewesen. . Parlamentsrechte und Freiheiten galten fast als identisch. Nur die radikale antiparlamentarische Partei hatte bewußt die subjektiven Freiheitsrechte in den Kampf getragen. Darin folgte ihr jetzt, als die parlamentarischen Rechte mehr gesichert waren, die ganze freiheitlich gesinnte Nation. Die Idee einer Freiheitssphäre der einzelnen wurde verbunden mit der Idee einer parlamentarisch beschränkten Monarchie. Und, wenn auch das naturrechtliche Denken immer mehr Einfluß gewann — das Hervortreten der subjektiven Freiheitsidee zeugt selbst dafür —, so wurden doch diese Ideen auch weiterhin traditional begründet. Der Gedanke des birthright behielt noch überwiegend die Bedeutung des Rechts auf altüberlieferte Privilegien1). Gerade die Zeit der glorreichen Revolution war diesen Anschauungen günstig. Sie wollte die alten Formen erhalten. WilJ ) Anders faßte das birthright J o h n L o c k e auf. Darüber im folgenden.

English Liberties.

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helm von Oranien versprach, die alten Rechte und Freiheiten wiederherzustellen1). Die Act of settlement von 1701 sah in den Gesetzen Englands das birthright des Volkes*). Ein Treatise of Monarchy, der 1689 erschien, knüpfte die Entstehung der subjektiven Freiheit an die Institutionen der Vorfahren. Die alten Sachsen hätten diese aus Deutschland mitgebracht. Sie hätten nur den Boden, nicht aber ihre Gebräuche und ihre Verfassung geändert®). Die einzelnen Freiheitsrechte versuchte eine Schrift zusammenzustellen, die um dieselbe Zeit erstmals erschien und später oft wieder aufgelegt wurde4). English Liberties or the Freeborn subjects Inheritance zeigt die Freiheiten eines Engländers auf Grund der alten Freiheitscharten. Diese Freiheiten seien a Priviledge not to excempt from the Law, but to be freed in Person and Estate, from Arbitrary Violence and Oppression. Vornehmlich bestände dies birthright in Parlament und Jury, denn diese seien die Pfeiler der englischen Freiheit (Proem 4). Die subjektiven Freiheitsrechte wurden von C a r e auf dieselben Institutionen basiert, die schon W i l l i a m P e n n als Grundrechte der Engländer hervorgehoben hätte. Wie Penn sah auch Care im Witenagemöt den Vorläufer des Parlamentes und die Jury suchte er gar bis in die altbritischen und altsächsischen Zeiten zurückzuverfolgen (56, 120). So führte er die ganze Verfassung mit ihren Franchises and Freedoms auf die Zeit der Sachsen zurück, die diese Einrichtungen weise ersonnen hätten (17 ff.). Es war dieselbe Zeit, in der J o h n L o c k e s Two Treatises on Government (1689) erschienen. Locke argumentiert nicht traditionell, mag er auch noch so sehr in den Anschauungen des überlieferten englischen Staatsrechts leben8). Das birthright ist nach ' ) Ranke S. W . ig, 2 1 4 . 2 5 3 . *) Stubbs, Select charters', 5 3 1 . 3 ) Harl. Misc., 2. E d . 1 8 1 0 , VI, 340. The Original of the subjects liberty was by those our forefathers brought out of Germany. Who sets not here the antiquity of our liberties, and frame of Government ? So they were governed in Germany and so here, to this day; for, by transplanting themselves, they changed their soil, not their manners and Government. 4 ) H e n r y C a r e s , English Liberties wurden von einem „ V a terlandsfreund" 1 7 0 0 und später öfters herausgegeben. Hier London 1700. Care war bereits 1688 gestorben. • ) Darüber Wolzendorff 265 ff. 297. 3 0 1 und Gneist,'Englische Verfassungsgeschichte 702.

Vierter Abschnitt.

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ihm Recht jedes Menschen 1 ). Es ist zum wahren subjektiven Recht geworden, während die bisher berührten Ideen von den subjektiven Freiheitsrechten diese immer noch an das alte positive Recht binden und dadurch im Sinne des germanischen Gesetzesterminus der unicuique competens lex, der Einheit subjektiver und objektiver Rechte fassen*). Locke verstand das birthright als ein dem Menschen durch seine Natur zukommendes Recht, das birthright wurde Naturrecht. Der dem Birthrightgedanken bisher beigelegte Sinn eines vom Engländer kraft alten positiven Rechts ererbten Privilegs wurde allmählich zurückgedrängt durch die rein naturrechtliche Auffassung des Gedankens. Das Bewußtsein einer englischen altüberlieferten Freiheit aber blieb weiterhin in der englischen Nation wirksam. Die altangestammte Freiheit blieb die tragende und leitende Idee der englischen Geschichtsschreibung.

Algernoon

Sidney.

In der Anklage gegen Algernoon Sidney nach dem Rye House Plot 1683 wurde auch eine Schrift verwertet, die unveröffentlicht bei Sidney gefunden war und die die Unterordnung des Königs unter das Parlament vertreten hatte. Sidney wurde enthauptet. Die Schrift aber ward 15 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht. Und sie zeigte, wie sehr die königlichen Richter im Sinne des Herrschers recht getan hatten, den Vertreter solcher Anschauungen zu verfolgen. Die Discourses concerning Government sind entstanden in den Jahren der Restauration, sie sind geboren aus der Leidenschaft zur Freiheit und erfüllt von schärfster Gegnerschaft zu den absolutistischen Lehren. Die Freiheiten der Völker kommen von Gott und der Natur, sagt Sidney, nicht von den Königen. Die Menschen haben auf einen Teil ihrer Freiheit verzichtet um ihrer Sicherheit willen. Sie sind nur von selbstgewählten Gesetzen abhängig. Das birthright auf Freiheit ist ein den Menschen inhärentes Recht'). Doch diese naturrechtlichen Gedanken beherrschen nicht das Buch. Wir hören weit mehr von historischer Sanktion als 1

) Vgl. etwa die Stelle der deutschen Übersetzung von Wilmanns, Halle 1906, 348. 2 ) Vgl. Wolzendorff 3 0 1 . 3 ) Sidney gebraucht das birthright überwiegend im naturrechtlichen Sinn, so I, 149. II, 168. 244 der Discourses, Ausg. Edinburgh 1750.

Algernoon Sidney.

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vom Naturgesetz 1 ). R a n k e findet in der historischen Gelehrsamkeit den beherrschenden Zug des Werkes Sidneys'). Um den historischen Nachweis der verfassungsmäßigen Freiheit der Völker ist es diesem zu tun. Die Geschichte der Juden, Griechen, Römer und der neuzeitlichen Staaten Europas muß wie so oft damals als Beispiel der Freiheitslehre dienen. Doch die historische Sanktion ist überwiegend traditionale Sanktion durch die Geschichte des Heimatlandes. Die Freiheit, die Sidney fordert, ist die altenglische Freiheit. Keine Demokratie, sondern die gemischte Verfassung der gemäßigten Monarchie mit demokratischen und vornehmlich aristokratischen Elementen 8 ). Die englische Regierungsform gilt Sidney als die beste Verfassung. Denn sie ist die wahrhaft freie Staatsform. Es ist die angelsächsische Freiheit, die die englische Verfassung und ihre Geschichte bei Sidney bestimmt. Er betonte die Freiheit der alten Briten; aber die Sachsen haben nicht weniger die Freiheit geliebt und verstanden sie besser zu verteidigen. The Liberty was the principle in which they lived, as appears by their words and actions. Als die Normannen nach England kamen, wurden sie wahre Engländer und nicht weniger Verteidiger der Freiheit, als die Sachsen es waren. Sachsen und Normannen wuchsen zu e i n e m Volk zusammen 4 ). Die alten Germanen wie ihre Nachfahren überließen die höchste Gewalt der Allgemeinen Versammlung. Ob diese sich aus den Freien oder nur ihren Vertretern zusammensetzte, ist unwichtig. Denn die ein right inherent in themselves hatten, konnten es auch andern überlassen. Diese Versammlungen hatten dieselbe Gewalt wie die Parlamente der späteren Zeit (II, 246). Wahrscheinlich nahmen die heutigen Commons damals an den Beratungen nicht teil. Denn es ist fraglich, ob die Commons die Hörigen der alten Zeit sind, oder ob sie einstmals zu den Freien gehörten. Waren sie aber frei, so sind sie die wahren Noblemen of England (II, 257). Der ganze aristokratische Grundzug der Staatsanschauung Sidneys kommt in dieser historischen Lehre zum unverbrämten Ausdruck. Auch seine Ansicht von den freien Normannen gehört hierher, sollte doch gerade von ihnen nach ' ) Gooch, Political thought 169. ) S. W. 19, 98. 3 ) Dazu Gottfried Koch, Absolutismus und Parlamentarismus, Berlin 1892, 78 f f . und besonders Alex. Charles Ewald, Life and Times of Algernoon Sidney, II, 367 f f . *) Discourses II, 292, 242 ff. Dagegen hielten sich nach Sidney die Sachsen von den Briten getrennt (I, 289). 2

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Vierter Abschnitt.

der herrschenden Meinung der Adel abstammen. Nach Sidney gibt es keinen besseren Schutz gegen die Übergriffe schlechter Könige als den Adel. Denn er allein hat durch seinen Besitz und Beruf die Macht zum Schutze der Freiheiten. Die,Türken und die östlichen tyrannisch regierten Staaten kennen ihn nicht. Doch in allen Königreichen des Nordens liegt die Regierungsmacht in den Händen der Vornehmen (II, 249, 253). Die Adligen aber waren keine Höflingskaste, sie standen stets mit dem Volk in Berührung. Die Staatsform der nordischen Völker ist nach Sidney eine gemischte Verfassung. Denn trotz seiner aristokratischen Tendenz hält er ein demokratisches Organ im Staate für notwendig. E r läßt die nordischen Reiche von König, Adel und Commons regiert sein (I, 233 f., 421). Das Königtum sei dort ähnlich der Macht des heutigen deutschen Kaisertums beschränkt. Eben diese Bindung des Königtums an eine Versammlung oder Reichstag mache den Kern aller nordischen Verfassungen aus. Sidney beruft sich auf G r o t i u s (I, 428). E r nennt diese Verfassungsart auch Gothick polity und spricht von den gotischen Völkern 1 ). Es ist das Erbe H a r r i n g t o n s , der die gemischte Verfassung als gotische verketzern wollte, dessen Gedanken jetzt Sidney f ü r die geschmähte Staatsform übernahm. Allerdings verstand Sidney den gotischen Adel nicht als Feudaladel, er legte Wert auf den populären freiheitlichen Charakter dieses Adels. Sidneys Aristokratie wollte Volksfreiheit bedeuten. War seine Lehre, wie man behauptet hat, ein radikaldemokratisches System 2 )? Seine historischen Anschauungen jedenfalls zeigen, daß es ihm nur um eine Beschränkung des Königtums zu tun war; aus naturrechtlich-demokratischen Gründen. Aber unter dieser Decke des Systems verbarg sich der Aristokrat. Und so stand seine politische Anschauung durchaus nicht im Gegensatz zu den in der Nation wirkenden Ansichten. Es war die Aristokratie der Whigs, die aus System und historischer Lehre Sidneys sprach. William

Temple.

Der Mann, der die Triple Allianz geschaffen hat, war ein eifriger Historiker. Einer der wahrhaft englischen Charaktere, die praktische Politik und Wissenschaft zugleich zu betätigen i) I, 234. II, 190. 238. *) Vgl. Wolzendorff 269.

William Temple.

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wissen. William Temple hat in seinem Plan einer Neuordnung des englischen Staatsrats in den Regierungsjahren Karls II. vorgeschlagen, daß die weitüberwiegende Mehrheit der in den Staatsrat zu ernennenden Parlamentsmitglieder führende reiche Großgrundbesitzer sein sollten1). Seine Introduction to the History of England versucht den Beweis der beherrschenden Macht des feudalen Grundbesitzes in den gotischen Reichen und besonders im englischen Staat. Es ist nur e i n e Beziehung zwischon Politik und Geschichtsanschauung, vielleicht ließen sich noch mehrere finden. Temples Bedeutung liegt darin, daß er die Ideen H a r r i n g t o n s vom gotischen Feudalismus aufnahm und zu einer großen Apologie des Gotentums mit seinen verschiedenen Rechts- und Staatsinstitutionen gestaltete. Seine Geschichtsanschauung ist anders als die Sidneys, dessen Gotentum nur in einer gemischten Verfassung mit beherrschendem Einschlag einer freiheitlichen, volksverbundenen Aristokratie besteht. DJe Nation sind bei Temple die Grundbesitzer*). In der Introduction spricht er von den Fürsten, which seem the original Government of the world, and deduced from the natural force and right of a paternal dominion3). E r fügt hinzu: such were the Hords among the Goths. Wer sind diese Goten, die Temple als vornehmlichste Begründer dieses kriegerisch-patriarchalisch-feudalen Staatssystems feiert? In den „Runica stories", meint er, könne man finden, wie die asiatischen Skythen unter dem Namen der Geten oder Goten und unter Führung ihres Königs Odin noch zu den Zeiten des Römischen Weltreiches die nordwestlichen Teile Europas eroberten (III, 81, 355 f.). Odin war der erste Gesetzgeber dieser nordischen Völker der Goten. Es ist eine Romantik, die mit politischen Freiheitsideen in keinem Zusammenhang stände, wäre sie nicht eben nur der Anlaß, die großen „gotischen'" Staatsinstitutionen uns vor Augen zu führen. Denn diese gotische Verfassung war der Grund der englischen. Die Sachsen errichteten in dem Land der von ihnen völlig geknechteten Briten einen Staat mit gotischer Regierungsform. Ratgeber des Königs oder Großgrundbesitzer, das sind die 1

) Hatschek, 455 f. Macaulay, Works, London 1866, I, 188 f f . ) Of heroic Virtue, Works, London 1770, I I I , 3 6 7 : since a country composed of the land it contains, they (sc. die Völker der Gothic constitution) esteemed a nation to be so, of such as were, the possessors of it. 3 ) Introduction (zuerst 1695), Works I I I , 73. — Man wird an F i l m e r s väterliche Gewalt als Ursprung der Herrschaft erinnert. 2

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Vierter Abschnitt.

Führer. Das Land wird aufgeteilt, earls, knights und freemen teilen sich in die Beute (III, 95 ff.). Der nordische Schwann der Dänen und Normannen kam, doch no change of laws (III, 101). Die sächsischen Grundgesetze blieben, gehörten die Normannen doch auch zu den Goten. Das Lehnswesen, das andere von den Normannen ableiten, ist ebenso sächsisch, weil es gotisch ist1). Zwei dieser Grundgesetze ragen besonders als gemeingotische Institutionen hervor, Jury und borough law. Die Jury, die zugleich Beweis- und Urteilsjury von zwölf Männern ist, hat .Odin eingerichtet. Sachsen, Dänen und Normanen haben das Institut gehabt, in Schweden findet es sich wie in England noch heute (III, 131 f.). Das borough law ist die Friedensverbürgung der Zehent- und Hundertschaften, die Verpflichtung, Verbrecher anzuzeigen und Bürgschaft für im Bezirk geschehene Verbrechen zu übernehmen. Es ist das weiseste und wirksamste Gesetz zur Erhaltung von Frieden und Sicherheit und die Goten haben es gebracht (III, 133 ff.). Die borough sind auch die Grundlage des Kerns der gotischen Verfassung. Es ist das Recht, auf Grund des Landbesitzes, der mit einem borough verbunden ist, zu den Allgemeinen Versammlungen einen Abgeordneten zu senden. Die Commons sind nur insoweit zugelassen, als sie Besitzer freien Landes sind*). Neben ihnen beraten die Barone in ihrem Rat den König. In dieser Dreiheit, König, Lords und Commons sieht auch Temple den Grundcharakter der gotischen Verfassung (III, 366). Es ist eine Erinnerung an das mixed Government, aber das grundherrliche Element hat die ganze Verfassung durchdrungen. Dieses Reich der Landeigentümer erkennt Temple als den wahren und gerechten Mittelweg zwischen Herrschaft und Freiheit. Was ist es aber anderes als eine historisch deduzierte, dem Feudalaristokraten genehme Staatsform? Die „Lords of Mannours", deren Land die A g r a r k o m m u n i s t e n der puritanischen Revolution hatten enteignen wollen, sie haben hier die Apologie ihres geschichtlichen Rechts erhalten. Der adlige Großgrundbesitz, die ständische und wirtschaftliche Basis der Tories, konnten ihre Macht und das Recht auf sie aus den ältesten Zeiten ableiten. 1) I I I , 137. 363 f., wo Temple die B e g r i f f e Feudum und Baro von der Gothic language ableitet. I, 42 (Essay upon the original and nature of Government, 1672) bezeichnet er die Seigneurie als gotisch. 2 ) I I I , 3 6 6 f . : the possession of land was the original right of elcction or representative among the Commons and cities and boroughs werc possessed of certain tracts of land that belonged or were annexed to them.

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Daniel Defoe.

Daniel

Defoe.

Es war die Zeit der werdenden Tories und Whigs. Die beiden Adelskoterien teilten sich in die Parlamentsherrschaft. Wilhelm III. hatte oft mit dem Parlament zu kämpfen. Auf welche Kräfte sollte er, der Landfremde, sich stützen? Dem Parlament gegenüber, dessen Parteien die Gewalt an sich zu reißen strebten, blieb die Berufung auf das Volk übrig. Daniel Defoe hatte in der glorreichen Revolution für Wilhelm als Freiwilliger gekämpft. Er trat nun als Schriftsteller in dessen Dienste. Es war die Idee des Volkskönigtums, die ihn leitete. Der Genius des Landes verkörpert sich ihm in der beschränkten Monarchie 1 ). Kein Volk könne freier sein als das englische mit seiner monarchischen Staatsform. Defoe kennt die Gewaltenteilung dieser Verfassung. Das Parlament ist ihm — aus alter Tradition — das Bollwerk der Freiheit des Volkes. Aber es ist nicht unfehlbar 3 ). Defoe war überzeugt von der Obergewalt der Wähler über die Gewählten. Die Commons waren ihm nur die Delegierten der Freeholders. Und so verteidigte er auch das Recht der Volkspetitionen gegen das Parlament. Die Volksfreiheit, an die er über das Parlament hinweg appellierte, war die altererbte. Als in den innerpolitischen Kämpfen der Z$it Wilhelm III. als Landesfremder verketzert wurde, da wies Defoa im Trueborn Englishman 1701 nach, daß die englische Nation selbst aus den verschiedensten Völkern gemischt sei und dieser Mischung manchen Vorzug verdanke. So fand er bei allen Stammvölkern Englands, bei den alten Briten, Angelsachsen und Normannen die Freiheit wieder. In allen gotischen Staaten war die Gewalt in den Händen der Allgemeinen Versammlung 3 ). England ist eine gemischte Monarchie, in der die höchste Gewalt zwischen König und Volk geteilt ist (26). Volksfreiheit und Monarchie sind so gegenseitig verbunden. Das entsprach den Interessen Wilhelms III., war doch unter diesem Zeichen die glorreiche Revolution gemacht worden. 1

) Works, London 1 8 4 3 , H I . T h e Original Power of the Collective B o d y of the people of England, 1 7 0 1 , 10. s ) W o r k s I I I , Original Right or the reasonableness of appeals to the public, 1 7 0 4 , 10. 3 ) Advice to the people of Great Britain. Ich folge der allein mir zugänglichen französischen Übersetzung Traité du pouvoir des Rois de la Grande Bretagne, Amsterdam 1 7 1 4 , 4 6 f f . Belh. d. H. Z. 5.

7

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Vierter Abschnitt.

Bolingbroke. Eine gemäßigte Monarchie wie die unsere, sagt Bolingbroke, sichert die Freiheit besser, wenn sie ein wenig mehr als bisher zur Volksseite neigt 1 ). Der Tory für die Volksfreiheit? E s ist der späte Bolingbroke, der ankämpft gegen den Parteikastengeist und keine andere Rettung sieht als in der Stärkung der Freiheit des Volkes. Henry St. John Bolingbroke stellte den Geist der Freiheit gegen den Geist der Faktion. Denn in diesem Faktionsgeist sah er die Parteiherrschaft verewigt, sah er den Geist, der dem gehaßten Walpole die Herrschaft möglich machte. Und alle seine Feindschaft, die unbefriedigte, zur Tatenlosigkeit verdammte politische Leidenschaft in ihm aufspeicherte, konzentrierte er in diesem Kampf gegen Walpole und die Faktionen. Der Geist der Freiheit war es, den er dagegen aufrief: die Freiheit seines angestammten Volkes. Wenn wir freie Männer sind, sagt er, so nur deshalb, weil der Freiheitsgeist in uns nie erloschen ist. Die Freiheit ist ein zartes Pflänzchen, das nur blüht, wenn ihm der Genius des Landes entspricht*). Und der Genius des englischen Landes und Volkes entsprach ihm seit je. Bolingbroke schätzt es als einen hohen Genuß, die Einheit des Geistes, der die englische Freiheit erschuf, stets bewahrte und wiederbrachte, in der englischen Geschichte von den ersten Zeiten an zu verfolgen. E r schildert eingehend die Freiheit der Angelsachsen, die trotz ihrer kirchlichen Unterwerfung unter Rom die alten gotischen Einrichtungen behalten hätten. Der sächsische Staat war stark demokratisch gerichtet, und dieser Charakter erhielt sich auch in den folgenden Umwälzungen3). Die Dänen eroberten die Krone, nicht aber die Freiheit der Sachsen. Die ersten normannischen Könige regierten zwar absolut, doch sie konnten die alte Verfassung nicht zerstören noch den Geist der Freiheit auslöschen. Im Gegenteil, die Normannen wurden von diesem Geist der Freiheit ergriffen. War er doch ihr eigener ursprünglicher Geist. Sie, die der keltischen oder gotischen Extraktion ebenso angehörten, wie das unterworfene Volk, *) Remarks on the History of England 1735, in Works London 1809, II, 118. 2 ) II, 157. 116; Liberty is a tender plant which will not florish unless the genious of the soil be proper for it. s ) II, 159: The principles of the Saxon commonwealth were therefore very democratical; and this principles prevailed through all subsequent changes.

Bolingbroke.

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nahmen ihn wieder auf 1 ). In der Magna Charta siegte der Geist der Freiheit. Auf den Zerstörungen der Normannen und auf dem gutgelegten Grund der angelsächsischen Verfassung wurde ein neuer freiheitlicher B a u aufgeführt, erkauft durch das Blut der Vorfahren und nicht von der Gnade der Könige. T h e British Liberties are original rights (II, 163). Sie wurden erhalten durch den beharrlichen Geist des Volkes. Als Könige und Baronen sich trennten und miteinander stritten, ergriff das Volk die Gelegenheit, und die Commons erhielten ihre alten R e c h t e wieder. Allmählich wuchs ihre Macht so an, d a ß sie der Regierungsform glich, mit der die alten Sachsen Deutschland verlassen hatten. Die großen Angelegenheiten des Staates lagen wie zu T a c i t u s ' Zeiten in den Händen des Volkes. Die gemäßigte Monarchie war wiederhergestellt (II, 2 3 8 f f , 242). Bolingbroke hat in der Dissertation upon parties (1734) die gemischte Verfassung gelobt. E r hat ebendort die römische und die gotische Verfassung verglichen und der letzteren als der gemischten den Vorzug gegeben, weil sie die Freiheiten mehr schütze 4 ). Insofern steht er auf dem alten Boden der Parteigeschichtschreibung. E r hat, wie schon N a t h a n a e l B a c o n , in der zeitgenössischen englischen Verfassung die Wiederbelebung altangelsächsischer Zustände gesehen. Aber er hat nicht von der Gleichförmigkeit der Verfassung in allen historischen Zeiten gesprochen, sondern von der Einheit des Geistes, der diese freiheitliche Konstitution erschuf 3 ). Die angelsächsische Verfassung, welche die Revolution als ihr R e c h t und Privileg zurückgefordert hatte, entsprang bei Bolingbroke dem stets sich erhaltenden Geist der Freiheit, der die ganze englische Geschichte 1

) II, 160: They were originally of Celtick or Gothick extraction, call it which you please, as will as . the people they subdued. They came out of the same northern hive; and therefore they naturally, resumed the spirit of their ancestors, when they came into a country where it prevailed. Das Wort Celtick faßt Bolingbroke im weitesten Sinn ähnlich dem in der Literatur sonst üblichen Scythian. 2 ) Works, 1754, IX, 205. 179. 184 ff. In der Dissertation bringt Bolingbroke auch einen Vergleich der gotischen Verfassung der Spanier, der fränkischen und der englischen Verfassung 184 f f . 197 ff. 207 f f . ' ) Works, 1809, II, 157. If we are freemen, it is because the spirit of liberty has been never quite extinguished among us. — — that uniformity of spirit which created, and has constantly preserved or retrieved the original freedom of the British'.and Saxon constitutions. 7*

Vierter Abschnitt.

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beherrscht. Die Freiheit, die den Angelsachsen durch ihre alten Gesetze angeerbt war, wurde zum originalen Geist, der dem englischen Volk und seiner ursprungsverwandten gotischen und nordischen Völkergruppe immanent war. Das ist die Entwicklung der altgermanischen Freiheitsidee im England der Revolutionsepoche.

Der Ü b e r g a n g zur f r a n z ö s i s c h e n L i t e r a t u r . James

Tyrell.

Einige Jahrzehnte vor Bolingbrokes Schriften erschienen die Werke eines Gelehrten, welcher der französischen Literatur vor M o n t e s q u i e u die Anschauungen der englischen Historiker von der Angelsächsischen und gotischen Freiheit wohl wie kein anderer übermittelt hat. Ein gelehrter Freund J o h n L o c k e s , James Tyrell, hat das mixed Government in sein Geschichtssystem als beherrschende Idee aufgenommen, er hat ihm ein wissenschaftliches Kleid zu geben versucht. Seine Bibliotheca Politica or an Enquiry into the ancient Constitution of the English Government trägt noch einmal alles zusammen, was die werdende Parteigeschichtschreibung über die altenglische Verfassung gelehrt hatte1). Sie steht auf whiggistischem Boden. Tyrell bewundert die Weisheit der alten Germanen und Goten, die die beschränkte Monarchie allen andern Staatsformen vorzogen (Preface VI). In scharfer Polemik wendet er sich gegen F i l m e r s Lehren, den er noch durch eine besondere Gegenschrift Patriarcha non Monarcha (1781) bekämpft hat. Dort setzt er den absoluten Monarchien des Ostens die Republiken oder gemäßigten Königreiche der Griechen nach der alten, und die der modernen Staaten nach der gotischen Form entgegen 2 ). Von dieser gotischen Verfassung einer very great mixture leitet er in seiner Bibliotheca Politica die Staatsform der Angelsachsen ab. Bei diesen herrschte die wahre gemäßigte Monarchie; in den Parlamenten waren die Commons vertreten8). Während in Deutschland nur die Aristokratie, in Schweden Aristokratie und Demokratie herr1

) London 1 7 1 8 . In der Vorrede steht ein Verzeichnis der Streitschriften über die altenglische Verfassung. Tyrell schrieb eine History of England ( 1 6 9 7 ff.), deren III. Bd. eine Abhandlung über die gotische und englische Verfassung enthält. 2 ) 9 5 : Gothick model, eine Reminiszenz an Harrington. ') Bibliotheca 2 1 4 ff. 2 4 1 . 248. 250. 265 ff. Patriarcha non Monarcha 2 2 1 .

Der Übergang zur französischen Literatur. James Tyrell.

101

sehen, hat England eine vollkommen gemischte Staatsform 1 ). Tyrell hat alles gelehrte Rüstzeug für die Geschichtsanschauung seiner Partei verwandt. Seine Bibliotheca bildet das letzte große Werk der Parteigeschichtschreibung in der Epoche der glorreichen Revolution. Er versucht den Streitschriften gegenüber ein abschließendes Urteil zu geben. Das mixed Government galt ihm als die Staatsform, die die ganze Geschichte der gotischen Reiche und besonders die des englischen Heimatstaates beherrscht haben. So sehr diese Idee seine Zeit erfüllte, .das Urteil war zu eng begrenzt. Die folgende Geschichtschreibung hat es mannigfaltig erweitert. Eine Verfassungsgeschichte, die ihrer politischen Tendenz nach Tyrells Richtung zugehört, versuchte zur Rechtfertigung der Thronbesteigung Wilhelms III. und der Hannoveraner die englische Staatsverfassung auf einen förmlichen Urvertrag zwischen König und Volk zurückzuführen. Sie gründete auf diesen Vertrag die englische und gotische Verfassung*). A c h e r l e y s Buch ist neben B o l i n g b r o k e s Schriften das letzte bedeutendere Werk der Epoche vor M o n t e s q u i e u . Es hat noch auf die französische Literatur eingewirkt, welche die englischen Ideen in Frankreich verbreitete 3 ). Doch Montesquieus Anschauungen hat es nicht mehr beeinflußt. Dagegen war es T y r e l l beschieden, durch seine englische Geschichte einem großen französischen Geschichtswerk über England geradezu den Stempel aufzudrücken. Es ist d e L a r r e y s Histoire d' Angleterre. Und auch R a p i n T h o y r a s fußt auf ihm, wenn er auch als selbständiger Forscher vereinzelt zu anderen Ergebnissen kam. So galt Tyrells Werk, das selbst nur eine Epoche der englischen Parteigeschichtschreibung abschloß und die Meinung einer Partei vertrat, für die französische Geschichtschreibung über England als das fertige Urteil der englischen Historiker. !) Bibl. 241. Tyrell beruft sich auf K a r l s I. Antwort zu den 19 Propositions, in der er England als einen Staat mit aristokratischen, demokratischen und monarchischen Elementen bezeichnet habe. 2 ) R o g e r A c h e r l e y s Britannic constitution, 1727, 116. 167. 178. Dazu v. Mohl II, 36 f. 3 ) Josef Dedieu, Montesquieu et la tradition politique anglaise, 50.

Fünfter

Abschnitt.

Die angelsächsische und germanische Freiheitsidee in Frankreich. Die Versuche, aus der alten französischen Geschichte die Berechtigung zu Freiheitsforderungen abzuleiten, waren jedesmal gemacht worden, wenn die französische Nation sich gegen den Absolutismus ihrer Herrscher aufbäumte. Wie die politischen Kämpfe fruchtlos waren, wie das Streben nach innerpolitischer Freiheit trotz mancher guten Anläufe stets doch gegenüber der königlichen Herrschaft ohnmächtig blieb, so stand auch den Anschauungen einer altfränkischen Freiheit eine geschlossene Lehre der französischen Geschichte gegenüber, die alles Heil der Nation von der Macht der Könige ableitete, gelehrt vertreten durch so manche großen Geschichtswerke. War die Nation der alten Versuche müde, war der Eindruck der politischen Umwälzungen jenseits des Kanals so stark, gleichviel, dort suchte man von jetzt ab mehr als in der einheimischen Geschichte das Ebenbild der Freiheit, die man ersehnte. Wir haben bereits von den Beziehungen gehört, die durch die Réfugiés zwischen der englischen und französischen historisch-politischen Literatur des späten 17. Jahrhunderts geknüpft wurden 1 ). Joseph Dedieu hat eingehend diese Beziehungen seit den Zeiten der Aufhebung des Ediktes von 'Nantes erörtert 2 ). Eine große Zahl von Zeitschriften vermittelte die englischen Ideen der französischen Literatur. Englische politische und historische Werke wurden ins Französische übersetzt und durch Franzosen interpretiert. Die englische Geschichte fand in Frankreich so zahlreiche und eingehende Darstellungen wie keine Geschichte eines anderen Volkes. In ihr wurden die politi!) Oben 54. 2 ) Montesquieu et la tradition politique anglaise en France, Paris 1909, 15 ff.

103

Vorläufer.

sehen Ideen, denen man anhing, verwirklicht gefunden. Die angelsächsische Freiheitsidee fand den stärksten Widerhall in der französischen Literatur. Englands Verfassung wurde das Idealbild einer gemäßigten Monarchie. Der französische Absolutismus fand in ihr sein Gegenbild. Und dieser Verfassungstypus wurde als die ursprüngliche Staatsform einer Völkergruppe dargestellt, von der auch das einheimische französische Volk seinen Ursprung genommen haben sollte. Warum konnte, das war die Frage, die auf Aller Zungen lag, diese Verfassung nicht wieder eingeführt werden?

Vo r läufer. Unter den französischen Geschichtswerken über England gewinnt die großangelegte und umfassende Histoire d'Angleterre, d'Ecosse et d'Irlande des Normannen Isaac de L a r r e y besondere Bedeutung 1 ). T y r e 11 s Englische Geschichte hat ihr Pate gestanden. Als erstes großes Geschichtswerk über England hat sie die Lehren der englischen Parteigeschichtschreibung aufgenommen. Allerdings behandelte sie die angelsächsische Geschichte nur kurz und überläßt die Schilderung der altenglischen Verfassung einer gesonderten Abhandlung über den Ursprung des Parlaments. Doch eben dort vertritt sie in vollem Umfang die whiggistische Geschichtsdoktrin. Wir kennen diese und brauchen hier nur zu erwähnen, daß de Larrey auch die Idee einer den gotischen Völkern gemeinsame Verfassung übernimmt und in ihr Freiheit, Königswahl und aristokratisch beschränkte Monarchie verwirklicht sieht2). Ein anderer Historiker hat sich der englischen Geschichte gegenüber selbständiger gestellt. R a p i n, Réfugié in den Niederlanden, benützte seine unfreiwillige Muse zu einem jahrelangen eingehenden Studium der englischen Geschichte. Er griff zu den alten Urkunden und verglich sie mit den Lehren der englischen Parteigeschichtschreibung. Trotz dieser Selbständigkeit weicht er nur wenig von dem Geschichtssystem der englischen Historiker ab. Die englische Geschichte ist auch bei ihm gekennzeichnet durch die Stetigkeit der Verfassung, die von den Angelsachsen und den alten Germanen gebildet wurde. Sie ist eine gesetzlich gemäßigte Monarchie, wie sie die nordischen Völker in Europa eingeführt haben*). Freiheit und königliche Präro1

) ) ') Préface 2

Rotterdam 1 7 0 7 f f . I, A n h a n g 1 6 . 28. Histoire d ' A n g l e t e r r e 9.

(zuerst

1724,

hier

Basel

1740),

I,

104

Fünfter Abschnitt.

gative sind in ihr zu einer Verfassung- vereint, die Glück des Volkes und des Herrschers bedeutet (I, Préface, 10. I, 1). Rapin untersucht die einzelnen Institutionen der angelsächsischen Verfassung (I, 24. 41 ff. 91 f. 139 ff ). E r kommt zu denselben Ergebnissen wie die whiggistischen englischen Historiker. Nur eine Frage läßt er offen, die in der englischen Literatur selbst am stärksten umstritten war. Wohl sagte er, daß es die oberste Maxime der angelsächsischen Verfassung sei, daß keiner einem Gesetz zu gehorchen habe, dem er nicht selbst zugestimmt hätte l ). Und doch stellt er in Frage, ob die Commons im angelsächsischen Parlament vertreten waren. Für die anderen nordischen Völker bestreitet er sogar entschieden eine Vertretung des niederen Volkes in der Allgemeinen Versammlung. Möglich, daß hier eine aristokratische Tendenz die sonst gemäßigt liberale Richtung des Werkes durchbricht. Denn in allen anderen Institutionen ist ihm die angelsächsisch-englische Verfassung das getreue Abbild der ursprünglichen gemein-nordischen Staatsform. Die wesentlichsten Einrichtungen von der Form der gemäßigten Monarchie bis zum Lehnswesen fand er bei den verschiedenen nordischen Völkern wieder*). E s ist eine ruhige, leidenschaftslose Darstellung, die aber durch ihre gelehrte Form auf lange hinaus die Anschauungen über die angelsächsisch-englische Geschichte in Frankreich beherrscht hat. Rapin gibt das Bild wieder, das die englische liberale Parteigeschichtschreibung auf dem Grund ihrer politischen Doktrin der parlamentarisch beschränkten Monarchie gewonnen hatte. Die gemischte Verfassung, wie er sie in der angelsächsisch-englischen Geschichte entwickelt fand, war auch sein politisches Freiheitsideal. Hinter der wissenschaftlichen Form versteckte sich eine Doktrin, gegen die eine Reihe Gegenschriften entstanden. Ein Schüler F i I m e r s versuchte nochmals in einer großen englischen Geschichte dem Einbruch whiggistischer Theorien in das englische Geschichtsbild entgegenzutreten*). Die freiheitlichen Ideen aber überwogen, und nach ihnen mußte auch die Geschichte sich entwickelt haben. Rapins l

) I, 1 4 5 : L a maxime, que personne ne doit être sujet qu'aux Loix auxquelles toute la Nation a donné son consentement, a toujours été regardée en Angleterre comme le fondement de la liberté et la base du gouvernement. ») I, Préface 1 1 . I, 1 3 6 f. 1 4 1 . 1 4 3 . 148- 1 5 0 . Den Ausdruck gotische Völker vermeidet Rapin. s) S a i m o n s Histoire d'Angleterre, 1 7 3 4 . V g l . Dedieu 94.

Vorläufer.

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Werk fand weiteste Verbreitung auf dem ganzen Kontinent und selbst in England. M o n t e s q u i e u verdankt ihm wohl in erster Linie seine Kenntnis und seine Anschauungen über die englische Geschichte. Durch die französische Geschichtschreibung über England wurde die englische Geschichte in Frankreich eingeführt. Das Interesse an ihr war geweckt worden durch die Réfugiés und durch die freiheitlichen politischen Tendenzen, die in der Nation Einfluß gewannen. Eine allgemeine Verbreitung sicherte den englischen Ideen aber erst die populärphilosophische Literatur. V o l t a i r e s Lettres philosophiques (1734) haben nach Condorcets Zeugnis die Franzosen zuerst für die englischen Sitten und Einrichtungen interessiert 1 ). Sie sind keineswegs eine hohe Lobhymne auf die englische Verfassung. Wohl findet Voltaire die englische Balance zwischen König, Adel und Volk freiheitlicher und vernünftiger als die römische Regierungsform'). Doch will er die Parlamentsvergötterung nicht mitmachen. In der Geschichte Englands sieht er nur fortdauernde Sklaverei, die erst in den neueren Zeiten der Freiheit wich (I, 101). Besonders aber spottet Voltaire über die Parlamente der Barbaren der Völkerwanderung, die statt eines Herren nun hundert Tyrannen hatten (I, 102 f.). Die Achtung, die Voltaire allenfalls noch der englischen gemischten Verfassung zollte, sie verstummte gegenüber den gemeingermanischen Institutionen. Voltaire hat wohl der Verbreitung der englischen Ideen in Frankreich wichtige Dienste geleistet, die gemeingermanische Freiheitsidee erhält nur zynische Noten. Und was sind schließlich seine Bemerkungen über die englische Verfassung anderes als geistreiche Reflexe einer flüchtigen Lektüre 3 )? Montesquieu. D e L a r r e y s und R a p i n s Englische Geschichten, V o l t a i r e s Lettres, sie sind nur Bruchstücke aus dem Gefüge der unzähligen Schriften, die das Frankreich des beginnenden !) Nach Dedieu 1 1 4 . 2 ) E d . Gustave Lanson, I, 89. Dort auch: L a Nation Anglaise est la seule de la terre, qui soit parvenue a régler le pouvoir des Rois en leur résistant. ' ) So ist der Vergleich zwischen Rom und England bei B o l i n g b r o k e und anderen englischen Schriftstellern viel feinsinniger durchgeführt als bei Voltaire. Vgl. auch Wahl, Vorgeschichte der französischen Revolution I, 122.

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Fünfter Abschnitt.

18. Jahrhunderts mit den englischen Freiheitsideen in Spiel und Widerspiel erfüllten. Von ihnen ist Montesquieu ausgegangen, als er es unternahm, in der englischen aus dem Geist der Freiheit geborenen Verfassung ein welthistorisches System der Staatsformen und Gesetze gipfeln zu lassen. Wir wissen, daß er sich dagegen wehrte, den gegenwärtigen Engländern die volle Freiheit zuzuschreiben, die er auf 'dem Grund ihrer Gesetze errichtet sah1). In dem 27. Kapitel des XIX. Buches, welches das berühmte Kapitel über die englische Verfassung wesentlich ergänzt, spricht er nur in hypothetischer Form von der Freiheit der Engländer. Es ist hier nicht der Ort, das System der englischen Einrichtungen, das Montesquieu aufzeichnet, wiederzugeben. Nur darauf sei hingewiesen, daß die Dreigewaltenteilung, in der er die englische Freiheit verkörpert sah, auf dem Gedanken einer gemischten Verfassung basiert 2 ). Wir haben diesen Gedanken in der Geschichtsanschauung der englischen Revolutionszeit verfolgt, und selbst die noch unentwikkelte Lehre von der Gewaltentrennung fanden wir vereinzelt in die früheste angelsächsische Geschichte projiziert. Montesquieu gestaltet diese Idee, die er im wesentlichen aus der englischen Literatur übernahm, zu dem großen Bild des englischen Regierungssystems. Die englische Freiheit, von der er ein Idealbild entwarf, galt ihm als Grundidee der historisch gewachsenen Verfassung Englands. Wie er sich sträubte, das wirkliche England zu schildern, so hat er auch das historische Werden der Verfassung, deren Grund er in der Freiheit fand, nur flüchtig berührt. In den Lettres Persanes spricht er von der englischen Geschichte, aus deren unablässiger Zwietracht und Aufruhr die Freiheit hervorgegangen sei3), p i e Engländer hätten, so sagte er nun im Esprit des Lois, zur Förderung der Freiheit alle Zwischengewalten, die ihre Monarchie gestützt haben, weggeräumt. Würden sie diese Freiheit verlieren, dann wären sie das geknechtetste Volk der E r d e (L. II, ch. 4). Die englische Freiheit galt ihm als ein konstitutionelles Regierungssystem, das die Rechte und Privilegien-der Feudalzeit nicht mehr anerkannte; und dessen Idee der vorfeudalen germanischer Urzeit entsprungen war. In den Wäldern Germaniens, so lautet sein berühmter Ausspruch, 1) Esprit des Lois ( 1 7 4 8 ) X I . Buch, 6. Kap., Schluß. 2 ) Julius Hatschek, Englisches Staatsrecht, I, 19 ff. hat die Entwicklung dieser Lehre in der englischen Literatur seit 1660 aufgezeigt. 3 ) 136. Brief: Edition stéréotype, Paris 1 8 1 5 , II, 154.

Montesquieu.

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finde man das schöne System der englischen Verfassung wieder 1 ). D e r Royalist L o u i s L e R o y hatte in den Zeiten der französischen Religionskriege verächtlich von den großen Sümpfen und Wäldern des Nordens gesprochen, in denen sein G e g n e r H o t m a n die alte Freiheit Frankreichs wiedergefunden habe 8 ). Gegen zwei Jahrhunderte später gräbt Montesquieu diesen „alten Plunder" wieder aus. Man m u ß seine Bemerkungen über die germanischen Wälder, von denen er schon in den Considérations gesprochen hatte 3 ), mit seinen Anschauungen über die Naturvölker verknüpfen, um zu verstehen, d a ß hier nicht mehr wie bei H o t m a n die bis in die Frühzeit verfolgte historische Tradition gemeint ist, sondern viel eher der den Naturvölkern angeborene Trieb zur Freiheit. Allerdings — und das ist der Fortschritt Montesquieus über die meisten anderen naturrechtlichen Lehren vom Urzustand — die Verfassung, die ihm als Inkarnation der Freiheit galt, fand er nur bei einer bestimmten Völkergruppe, eben den Germanen, wieder. E s ist interessant, wie Montesquieu in dem Abschnitt über die Naturgesetze von den wilden Menschen in den Wäldern spricht und bemerkt, man habe einen solchen Menschen in Hannover gefunden (I, 2). D e r spöttische V o l t a i r e frägt in seinem Kommentar, warum Montesquieu nicht den Reichstag zu Regensburg in den Wäldern Germaniens gefunden habe, der durch den näheren Sitzungsort doch viel mehr von dem altgermanischen System profitiert haben müßte als das Londoner Parlament. Man m ü ß t e die ganze Lehre Montesquieus von der Reinerhaltung der Völker und ihrer Sitten, von d e n Insel Völkern und manche andere ,,Gesetze" wiederholen, um dem unhistorischen Einwurf Voltaires zu begegnen. Sicherlich hat auch Montesquieu, wie seine englischen Vorgänger, die Verfassungen der meisten europäischen Länder auf die alten Germanen zurückgeführt, nur d a ß er in der englischen die besterhaltene Regierungsform sah. S o hat er ausdrücklich die Institutionen des eigenen Volkes als altgermanische gekennzeichnet. A m Beginn des Schlußabschnittes seines g r o ß e n Werkes, dort, wo er seine A b h a n d l u n g über die !) L. XI, ch. 6 gegen Schluß: Si l'on veut lire l'admirable ouvrage de Tacite sur les moeurs des Gerrrtains, on verra que c'est d'eux que les Anglois ont tiré l'idée de leur gouvernement politique. Ce beau système a été trouvé dans les bois. In anderer Formulierung L. XIX, ch. 27. 2 ) Oben 52. 3 ) Amsterdam 1734, 182.

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Fünfter Abschnitt.

fränkischen Gesetze beginnt, skizziert er die Geschichte und die Wanderungen der Franken und spricht von den Wäldern ihrer Väter (XXVIII, 1). Die national begrenzte Wirksamkeit der fränkischen Gesetze entstamme, so zeigt er wenig später, den Sitten der germanischen Völker. Diese hätten, durch Wälder und Sümpfe voneinander getrennt, zwar ein gemeinsames Vaterland, aber gesonderte Staaten gehabt (la patrie était commune et la république particulière). Der freie Sinn und Geist der alten Germanen habe sich in den verschiedenen Volksrechten besonders ausgewirkt. Das Gesetz der Franken, die als Eroberer das gallische Land unterworfen hätten, ließ es jedem frei, sich dem fränkischen Gesetz zu unterwerfen. Es ist die Stelle, in der Montesquieu zu dem Jahrhunderte alten, bisher überwiegend politisch geführten und gemeinten Streit über den Ursprung der fränkischen Verfassung Stellung nimmt (XXVIII, 2—4). T h i e r r y hat mit Recht bemerkt, daß Montesquieu den politischen Sinn seiner Charakterisierung der Franken als Eroberer aufgebe, wenn er die Gallier durch Annahme der fränkischen Gesetze Staatsbürger des Frankenreiches werden läßt 1 ). Montesquieu leitete aus dieser Vermischung mit den Unterworfenen sogar die Überlegenheit der Franzosen ab 2 ). Doch war er weit entfernt, die beherrschende Stellung der Franken im fränkischen Reich zu bezweifeln. Und er hat scharf gegen die Lehren des Abbé D u b o s Stellung genommen, der die Tradition der römischen Gesetze auch im Frankenreich behauptet hatte und erst im 9. und 10. Jahrhundert durch den Feudalismus aus Gallien ein erobertes Land werden ließ. Der Adel war danach der alleinige Ausbeuter, Krone und Volk rechtmäßige Herren aus den Zeiten der Römer 3 ). Diese Lehre hat Montesquieu zurückgewiesen und, wenn er auch B o u l a i n v i l l i e r s ' Geschichtssystem nicht übernahm, so stand er in seiner Auffassung des fränkischen Staates diesem doch näher als Dubos. Denn für ihn war es feststehend, daß die Franken ihre altgermanischen Gesetze erhielten, als sie das bisher von den Römern unterjochte gallische Land betraten*). Welches waren die Gesetze und Einrichtungen der alten !) Oeuvres IV, 52 ff. ) Pensées et Fragments inédits, Bordeaux 1 9 0 1 , II, 2 5 3 . 3 ) Histoire critique de l'établissement de la Monarchie Françoise dans les Gaules, 1 7 3 4 , hier nouv. éd. 1 7 4 2 , I, 22. 59. 60. I V , 44. 289. 3 7 8 . 4 1 6 ff. Vgl. Thierry, Oeuvres I V , 48 f. *) Considérations 207. Esprit X X X , 19. Remarques sur L'Histoire du Comte de Boulainvilliers in Pensées I, 3 1 8 ff. 2

Montesquieu.

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Germanen, die in allen eroberten Ländern die Grundzüge dieser Verfassung etablierten ? „Unserer V ä t e r " Gesetze zeichneten sich durch ihre Milde aus. Sie waren einfach und handgreiflich, in Strafsachen kannten sie nur Geldbußen. D e r Ursprung der Jury liegt in den Wäldern Germaniens 1 ). W i e die Rechtsgesetze so entsprach die Staatsverfassung d e m Geist der Milde ihrer Gesetze. E s war eine durch die Volksversammlung beschränkte Wahlmonarchie, deren Könige nur die Funktionen eines obersten Magistrats ausübten*). Freiheit ist die Grundidee dieser Verfassung. D e r freiheitliche Sinn war den Germanen als nordischem Volk eigen. E u r o p a s Freiheit entstammt den Gefilden Skandinaviens. Die Völkergruppe des europäischen Nordens hatte freiheitliche Verfassungen und milde Gesetze, deren Charakter aus den Beziehungen zwischen Klima und Gesetz resultierten 3 ). Mit dieser bekannten klimatologischen Fundierung der Völkercharaktere stimmt es allerdings wenig überein, wenn Montesquieu den europäischen und amerikanischen Nordvölkern Freiheit zuschreibt, die asiatischen V ö l k e r des Nordens aber Knechtschaft in die W e l t bringen läßt 4 ). D o c h betonte er stets den allgemeinen, eben klimatisch bedingten Gegensatz der Freiheit der nördlichen zu der Knechtschaft der südlichen Völker 5 ). D i e Institutionen dieser Freiheit hat er allerdings nirgends genannt. W o her sollte er auch von ihnen wissen? Einzig die germanische Verfassung des Tacitus wurde von ihm geschildert; er war versucht, diese auch auf die anderen nordischen Völker zu übertragen. E r spricht einmal davon, man müsse einen gotischen Tacitus haben, eine A b h a n d l u n g D e moribus Gothorum*). D o c h die Goten waren ihm nicht die Nordvölker in ihren heimatlichen nördlichen Regionen. E s waren die Nordvölker nach der Überflutung des Römischen Reiches. U n d der gotische Tacitus hätte kein altgermanisches Volkskönigstum schildern dürfen, er hätte ein Bild einer feudalaristokratischen Monarchie geben ») Esprit VI, 18. XIV, 14. XXVIII, 1. XXX, 18. ') Esprit XVIII, 30. XXXI, 4. Voyages, Bordeaux 1894 f., II, 215. Lettres Persanes 131. Brief, II, 139. 3 ) Esprit XIV, 3. XVIII, 5. Considérations 182. Lettres Persanes 131. Brief, II, 141. Pensées I, 201. — Über Bodin als Vorgänger Montesquieus oben 14. *) Pensées II, 210. 293. 5 ) Pensées II, 210. 212. Esprit XXI, 3. XXIV, 1. •1 Pensées I, 208.

110

Fünfter Abschnitt.

müssen. A l s die Germanen die römischen Provinzen eroberten, s a g t e er einmal, da teilten sie das L a n d untereinander a u f . Nicht mehr wie einst in ihrem Heimatland konnte sich das ganze Volk versammeln, die E r o b e r e r mußten Vertreter entsenden. D a s w a r der U r s p r u n g der gotischen V e r f a s s u n g 1 ) . Aristokratie und Monarchie mischten sich; das niedere V o l k war versklavt. Durch die Freilassungen entstand a b e r bald jenes „ c o n c e r t " von bürgerlicher Freiheit, adligen und geistlichen Vorrechten und monarchischer Gewalt, das die beste g e m ä ß i g t e V e r f a s s u n g darstellt und das in j e d e m Teil E u r o p a s errichtet wurde. D i e Goten haben überall hin die Monarchie und die Freiheit gebracht; l ' E u r o p e 6toit une aristoeratie 2 ). D a s galt Montesquieu nicht als Widerspruch. „ D e r größte französische V o r k ä m p f e r korporativer Zwischenverbände" hat, wie Gierke bemerkte, diese sich nur im Sinne des inkorporierten ständischen Privilegs, eben d e r Aristokratie, vorstellen können und sie als unentbehrlich f ü r die Monarchie erklärt 3 ). D e r gotische K ö n i g war in der Anschauung Montesquieus „durch tausend verschiedene D i n g e " begrenzt. E i n e g r o ß e Zahl von H e r r e n teilte mit ihm die Herrs c h a f t ; ohne ihre Zustimmung in der Nationalversammlung konnte er keinen K r i e g unternehmen, keine Steuer erheben. E s w a r die Feudalmonarchie, die in allem auf dem B o d e n des zerstörten R ö m i s c h e n Reiches errichteten Staaten die Regier u n g s f e r m bildete 4 ). Diesen „ E i c h e n b a u m " der Feudalgesetze schildert Montesquieu eingehend in den beiden letzten Büchern seines W e r k e s 4 ) . E r hat dort den U r s p r u n g des Feudalismus bis in die altgermanische Urzeit'zurückzuverfolgen versucht. D i e Berichte des C ä s a r und des Tacitus bezeugen ihm, daß zwar nicht d a s a u s g e p r ä g t e Lehnswesen, wohl aber sein V o r g ä n g e r , d a s Gefolgswesen, schon bei den alten Germanen zu finden sei 4 ). D i e Patrimonialgerichte gelten Montesquieu als gemeingermanische Institution 7 ). E r will sie nicht a b g e s c h a f f t wissen, !) X X X , 3 : Chez les Germains il y avoit des vassaux, çt non pas des fiefs. 2 ) „Jurisdiction patrimonale": II. 4. X X X , 20. 3 ) Esprit X I , 8 : Quand ils étoient en Germanie, toute la nation pouvoit s'assembler. — Nach der Völkerwanderung geschah die Beratung par des représentants. Voici l'origine du gouvernement Gothique. 4 ) Esprit X V I I I , 5. Pensées I, 138. Gierke, Althusius 261. •) Voyages II, 2 5 1 . Lettres Persanes, 1 3 1 . Brief, II, 1 4 1 . ') Esprit X X X , 1 ff. X X X I , bes. 32.

Montesquieu.

Ill

denn sie seien die Stütze der Monarchie. Das englische Parlament habe die Zwischengewalten beseitigt, aber dafür ein freiheitliches Regierungssystem eingesetzt (11, 4). G e r v i n u s hat übertrieben, wenn er Montesquieu gegen die ausgeartete Lehnsverfassung ankämpfen läßt 1 ). Montesquieu war Aristokrat genug, um den nivellierenden Tendenzen des absoluten Königtums gegenüber die alten seigneuralen Rechte in Schutz zu nehmen. E r hat nur die altgermanische Verfassung, wie sie in der englischen ausgebildet war, als die freiheitlichere Regierungsform vorangestellt. Von der Feindschaft D ' A r g e n s o n s gegen den Feudalismus ist bei ihm nichts zu bemerken'). E r will ihn historisch verstehen. Die feudal beschränkte Monarchie hat Europa beherrscht bis zum Aufkommen des Absolutismus. Es war eine Form der Freiheit, ja eine teilweise Gewaltentrennung s ). Allerdings die volle Freiheit hat diese Verfassung nicht gebracht. Das ist ihr Gegensatz zur englischen wie zur aitgermanischen Regierungsform. D u b o s hatte äußerlich zwischen Nations Germaniques und Nations Gothiques unterschieden 4 ). Montesquieu faßte den Gegensatz historisch. Die gotische Verfassung hatte ihre Wurzeln in der altgermanischen, sie war aber über diese hinaus entwickelt zu einer mehr aristokratischen Form. On ne peut , appeler libre un État aristocratique, sagte er einmal überscharf und gegen eigene Neigungen an einer von ihm nie veröffentlichten Stelle5). Die wahrhaft .freie Verfassung war ihm die altgermanisch-englische. Es war die Staatsform, bei der die Zwischengewalten in einer harmonischen Gewaltenteilung aufgehoben waren. Montesquieu empfand scharf den Gegensatz dieser Freiheit zur antiken Staatsidee. Immer wieder hat er darauf hingewiesen, daß die Antike weder Monarchie noch Adelsvertretung noch gesetzgebende Körperschaft und nicht die Dreigewaltenteilung gekannt hat. In der antiken Demokratie hätte das Volk eine unmittelbare Gewalt gehabt. Es sei der große Vorzug der ! ) Einleitung in die Gesch. des 19. Jahrhunderts 1 3 1 . 2 ) Die Considérations sur le gouvernement ancien et présent de la France des Marquis d'Argenson waren bereits in den vierziger Jahren geschrieben, hier Amsterdam 1764, 1 1 7 ff. D'Argensons Tendenz bezeichnet Paul Janet, Histoire de la Science politique, Paris 1 9 1 3 , 3 1 8 treffend: une administration populaire sous l'autorité royale. *) Lettres Persanes, 1 3 1 . Brief, II, 140. Esprit X I , 6. 4 ) Histoire, I, 1 4 3 . 5 ) Pensées II, 324.

112

Fünfter Abschnitt.

englischen Regierungsform, daß sie dem Mißbrauch der Agitatoren vorgebaut hätte1}. So war für Montesquieu die Verfassung, die er als freiheitliche pries, keine der abstrakten Vernunft entsprungene Idee. Sie galt ihm als historisch gewachsene, aus dem Nationalcharakter einer großen Völkergruppe resultierende Staatsform. Einer Völkergruppe, der er selbst zu entstammen glaubte. Wenn er die Feudalmonarchie, deren Charakter er schon stärkstens vom absoluten Königtum angegriffen sah, durch eine der englischen Verfassung entlehnte Regierungsform abzulösen wünschte, so war ihm das keine revolutionäre Idee, sondern ein Wiederanknüpfen an die Zustände der „Väter". Es war ihm ein Zurückgreifen auf die Frühgeschichte des Volkes über die gegebene historische Verfassung hinweg. Man hat in Montesquieus großem Lob der englischen Verfassung ein Übertragenwollen national bedingter Institutionen auf andere Länder und Völker erkennen wollen. Man hat übersehen, daß diese englische Verfassung Montesquieu als gemeingermanische galt, deren Übertragung auf andere „germanische" Länder für ihn kein Verstoß gegen die Nationalidee war. Die Idee Montesquieus, die englische Verfassung als Prototyp einer germanischen Regierungsform und zugleich als Verkörperung der Freiheit, sie hat, gefördert durch Vermittler wie D e l o l m e , ihre politischen Auswirkungen gehabt in den Kämpfen um Reform und Revolution des französischen Staates. Es ist hier nicht die Aufgabe, den näheren Nachweis zu bringen; es darf nur angedeutet werden, daß auch diese dem realen Leben des französischen Staates scheinbar so fernliegenden Gedanken in den innerstaatlichen Verhältnissen desselben eine bedeutende Rolle spielen sollten. Die Frühgeschichte des altgermanischen Freiheitsgedankens ist mit Montesquieu beendet. E r ist Abschluß und Beginn. Für die französische Literatur bedeutet er den Höhepunkt der Einwirkung englischer Freiheitsideen. Seine Rückwirkung auf England, seine Beeinflussung der Anschauungen über den englischen Staat ist bekannt. In Deutschland hat er M o s e r und H e r d e r stärkstens befruchtet. Durch sie fand die altgermanische Freiheitsidee in ihrem neuen tieferen Sinn bei der deutschen Literatur wieder Eingang. Und diese hat dann der Idee im 19. Jahrhundert eine neue große Gestaltung gegeben wie keine der anderen Länder. ») Lettres Persanes, 1 3 1 . Brief, II. 139. Esprit X I , 8. 9. X I X , 27.

Rückblick Die Ideen einer altgermanischen Freiheit in allgemeine Entwicklungslinien und Normen zu spannen, ist ein Versuch, der in seinen Verallgemeinerungen oft der geschichtlichen Einmaligkeit Abbruch tun wird. Denn in jedem nationalen Literaturkreis haben diese Ideen ihre politisch bedingte Sonderentwicklung gehabt. Das muß im Auge behalten werden. Die Anfänge unserer Ideen, wie sie in den einzelnen Nationen vertreten werden, sind gekennzeichnet durch das Pochen auf das Recht, durch den Hinweis auf die Tradition. Die Entwicklung erst zeitigt historisches Verstehen und nationale Vertiefung. Die altgermanische Freiheitsidee reift zu dem Gedanken eines der Nation und der Völkergruppe"inneliegenden Freiheitsgeistes. Wie B u r k e einmal eine amerikanische Verfassung forderte: „Nicht gegründet auf eure (englischen) Gesetze und Statuten, sondern gegründet auf die Lebensprinzipien der englischen Freiheit" 1 ). Diese Antithese bezeichnet den W e g unseres Gedankens: vom Grund einfacher historisch-positiver Rechte zu den Höhen des Geistes und der Idee nationaler und rassischer Freiheit. Prüfen wir die einzelnen Verfassungsinstitutionen, die dem altgermanischen Freiheitsgedanken zugrunde gelegt wurden, so finden wir mehrere sich kreuzende Entwicklungslinien. Es ist einmal die Hervorkehrung einer einfachen und reinen Staatsform im Sinne der aristotelischen Kategorien. Die Kennzeichnung des germanischen Staats als Aristokratie oder Demokratie steht voran. Es ist besonders aber die Idee der gemischten Staatsform, die, vornehmlich im englischen Kreis, die gebräuchlichste Bezeichnung des altgermanischen Staates wurde. Wiederuni ist die Antike hier Vorbild: A r i s t o t e l e s und P o l y b i u s mußten ihre Gedanken den alten Germanen als besonderes J ) V g l . J o h a n n G u s t a v D r o y s e n , V o r l e s u n g e n über das Z e i t a l t e r der F r e i h e i t s k r i e g e 2 , G o t h a 1886, 1 7 7 .

Beth. d. H . Z. 5.

8

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Fünfter Abschnitt.

Eigentum überlassen 1 ). In der Verfassungsform wurde meist das hauptsächlichste Kennzeichen des altgermanischen Staates gesehen. Man untersuchte ihre einzelnen Institutionen und fand besonders in Volksvertretung und Geschworenengericht die Angelpunkte altgermanischer Freiheit. Nur vereinzelt suchte man das altgermanische Staatswesen und sein soziales Leben als Ganzes zu fassen und zu veranschaulichen. Die wirtschaftlichen und sozialen Kämpfe der englischen Revolutionszeit fanden ihren Widerhall in einer Geschichtsansicht, die im „altsächsischen" Staat gleiche Besitzverteilung und politische Gleichheit verwirklicht sah. E s waren die D i g g e r s und teilweise auch die L e v e l l e r s , die gegen den normannischen „Landraub" ankämpften und den sozialen Frieden der Urzeit wiederhergestellt sehen wollten. Doch diesen radikalen Ideen gehörte damals nicht die herrschende Geschichtsauffassung. Für die weitere Entwicklung unseres Gedankens war die entgegengesetzte Idee eines .altgermanischen Feudalstaates entscheidend. In ihm wurde geradezu die Verwirklichung des germanischen Lebensprinzips gesehen. Mannentreue und Dinglichkeit der Rechte sollten Staat und Gesellschaft der Völkerwanderungszeit errichtet haben. Fragen wir nach dem Sinn, nach dem Geist der altgermanischen Gesetze, so ist es der der Freiheit als Unabhängigkeit von jeglichem Zwang, als ausgleichende Gerechtigkeit und Milde. Der genossenschaftliche Gedanke wird nur ganz vereinzelt den Gesetzen der Germanen unterlegt. Eine Tendenz zu ihm ist nur bei wenigen, so in W i l l i a m T e m p l e s Borough Law, sichtbar. Die „ungezäunte Unbändigkeit" der Germanen H e i n r i c h v o n B ü n a u s ist daher viel eher ein Ausdruck der Anschauungen der Zeit. Doch hat der Gedanke einer gesetzlichen Beschränkung, einer ausgleichenden Gerechtigkeit in der Verfassung dem einer willkürlichen Freiheit Schranken entgegengesetzt. Und er war staatsrechtlich besonders wichtig. Die Rechte der bestehenden und vorwaltenden wie die der aufstrebenden Stände und Gewalten im Staate zu sichern, dieser Gedanke hat der gemischten Verfassung auch im Geschichtsbild der Zeit die W e g e gebahnt. !) W i e Zillig,

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Rückblick.

115

Betrachten wir kurz das Geschichtsbild in dem welthistorischen Rahmen, der ihm von den Vorkämpfern altgermanischer Freiheit angelegt wurde. E s ist zuerst, seit den Tagen des deutschen Humanismus, das römische Recht, gegen das man sich auflehnt. In Deutschland war das Eigenrecht der Nation auf die deutsche Freiheit gegenüber dem römischen Kaisertum die beherrschende Idee. In der Frühgeschichte unseres Gedankens steigert sich dieser römisch-deutsche Gegensatz allmählich bis zu der welthistorisch gefaßten Gegenüberstellung der antiken und germanischen Staatsidee in den Systemen eines G r o t i u s und C o n r i n g , besonders aber eines H a r r i n g t o n und M o n t e s q u i e u . Ihr zur Zeite tritt die prinzipielle und faktische Verschiedenheit der Regierungsform der nordischen Völker zu dem Despotismus der orientalischen und südlichen Völker, vereinzelt zu einer Unterscheidung der verschiedenen rationes imperandi geführt 1 ). Der nationale Kampf gegen Römer, Gallier oder Normannen ist ein Vorbote der späteren Antithesen germanischen und romanischen Geistes, allerdings auf natürlich-vergröberter und historisch beschränkter Basis. W e r waren die Germanen selbst, deren Freiheit die mannigfachsten historischen und nationalen Gegensätze wachrief ? E s ist ein bunter Wirrwarr von Völkerverbindungen und Völkerverwandtschaften, der uns durch die Geschichtsforscher und politischen Denker unserer Zeiten dargeboten wird. Lassen wir die Nachkommen makedonischer Soldaten und manche andere abstrusen Anschauungen beiseite. Im wesentlichen waren doch meist die Völker und Stämme der Völkerwanderung gemeint, wenn man von Germanen, Goten .oder Skythen sprach. Waren das Völkergruppen, deren 'Namen man aus alten Zeugnissen nahm, so bezeichnet der Ausdruck „nordische Völker" mehr. Unter wesentlichem Einfluß des A r i s t o t e l e s und B o d i n wurde dieser Begriff ein Ausdruck der Verbindung geographischer und klimatischer Momente mit den Völkerindividualitäten. Die europäische Freiheit, die in den Anfängen meist ohne völkische oder rassische Betonung ausgesprochen wird, wurde zur nordischen oder gotischen Freiheit. Die altgermanische Freiheit hatte sich in den Urzuständen der einzelnen Nationen gespiegelt. Sie war zur Idee einer der ganzen ursprungsverwandten Völkergruppe angeborenen Freiheit geworden. So im Anschluß an G r o t i u s und wohl auch a n H a r r i n g t o n in der Ausgabe von 1665 der Institutionum Politicarum 11. II, p. 4, des niederländischen Staatsrechtslehrers B o x h o r n. (Frühere Auflagen enthalten diese Bemerkungen nicht.) 8*

116

Fünfter Abschnitt.

Immer wieder wird man sich bei der Betrachtung unserer Ideen fragen, wie sich die moderne Forschung zu den Anschauungen verhält, die in den neueren Zeiten solche Bedeutung für das historische und nationale Bewußtsein, für die politischen Freiheitskämpfe gehabt haben. Wir haben uns jeglicher Kritik an den Anschauungen vom Standpunkt moderner Forschung aus enthalten. Eine solche gehört allenfalls in eine Wissenschaftsgeschichte. Doch darf hier am Schluß angedeutet werden, daß die Frage nach dem Inhalt der germanischen Freiheit auch heute wohl eine ähnliche Antwort erheischt, wie sie die meisten Vertreter unserer Ideen in früheren Zeiten gegeben haben. Wenn man die Geschichte der germanischen Völker mustert, und, um die germanische Freiheit zu erkennen, darf man sich nicht bloß auf die ältesten Zeiten beschränken, dann wird man finden, daß jede einseitige unumschränkte Herrschaft den Germanen fremd und zuwider war, daß sie danach strebten, jedem Volksteil in der Verfassung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, kurz, daß die vom 16. bis 19. Jahrhundert so oft verkündete „gemäßigte Monarchie", die „gemischte Verfassung" germanischem Wesen am meisten entspricht, daß, modern gewendet, die Idee des Rechtsstaats, die jedem Stand seine besondere Aufgabe und sein historisches Recht zuerkennt und gesetzlich verankert, germanisch ist. In freiheitlichen, historischen und nationalen ^Gedanken fanden wir die altgermanische Freiheitsidee verwurzelt. Ihre dogmengeschichtliche Bedeutung versuchten wir im Eingang und hier zu skizzieren. Wir würden der geschichtlichen Einmaligkeit, ihren individuellen Ausprägungen Abbruch tun, ^wollten wir die Frühgeschichte der Idee weiter in.allgemeine Thesen zu fassen versuchen. Historisch bedeutsam ist die jedesmalige besondere Verknüpfung eines Geschichtssystems mit nationalem Bewußtsein und politischer Tendenz. Insofern kann die Geschichte der Idee uns ein kleiner Spiegel .ihrer Zeiten sein. Vielleicht lehrt sie uns aber auch auf ihrem beschränkten Gebiet eine Resignation, ohne die der Historiker nie den wahren Abstand von den Dingen der Geschichte gewinnen kann: wie sehr jedes Geschichtsbild subjektiv verankert ist ¡in den Anschauungen der Zeit und des Volkes, denen man angehört. Und, anders gewendet, kann sie uns, sofern ,wir nur den Willen haben, in der Kraft stärken, dem nationalen und politischen Sinn der Geschichte gerecht zu werden.

PERSONENVERZEICHNIS Acherley 101. Althamer 12 f. Althusius 28. d'Argenson I i i . Aristoteles 7. 63. 77. 113. 115. Aventin 12. 14. Bacon, Nath. 64 ff. 73. 85. 88.99. Bankcs 62. Beatus 12 ff. 38. Bebel, Heinr. 13. Bentivoglio 33. 63. Berkeley, Rob. 73. Besold 27. Bodin 6 ff. 26. 32. 63. 115. Böhm 12 f. Bolingbroke 98 ff. 101. 105. Boulainvilliers 54 ff. 108. Boxhorn 115. Brady 88 ff. Brant 12. Bucer 5. 22 f. v. Bünau 44. 114. Burke 113. Camdeu 60. Care 91. Carpzov 27 f. Chemnitz 40 f. Coke 61. 87. Commines 48. Conring 11. 29. 34 ff. 43. 46. 115. Cook 88 f. Cowell 61. Cowling 69 f. Dahlmann V, 1 ff. 45. Defoe 97. Delolme 112. Dopsch 3. Dubos 108. i n . Eberlin 16.

Emmius 30 f. Everard 70. Faber 28. Fénelon 45. Filmer 86 f. 95. 100. 104. Fortescue 60. Franck 17. Gebwiler 13. Gervinus 83. m . Giannotti 78. Gierke 3. 46. Gneist 65. Gobineau 56. Grotius 6. 8. 31 ff. 36. 46. 94. 115. Du Haillan 48. Harc 67 ff. Harrington 39. 77 ff. 94 f. 115. Heinrich II. v. Frankreich 25. Hellpach 3. Herder 45. 112. Heumann 45. v. Hieber 3. Hock 29. Hortleder 28. L'Hospital 48. Hotman 47 ff. 57. 76. 107. Howell 63. Hudson 68. v. Hutten 15 f. 30. 34. Joly 53 f. Irenicus 13. Ireton 69 f. 74. Jurieu 54. Karl I v. England 101. Klüwer 28. Kranz 30. Kulpis 35 Lagarde 3. 45.

Lambert 30. 1 Philipp v. Hessen 2 Lampadius 27. Polybius 1 1 3 . De Larrey 1 0 1 . 103. Prynne 62. 68. Pufendorf 38. 42 f. Lazius 13. Rankt: 59. Lehmann 29. Leibniz 43. 45. Rapin 1 0 1 . 103 f. Leroy 52. 107. R o g g c 45. Levassor 55. Rotmann 17 f. Sabinus 23. Lilburne 68 f f . 73. Saint-Simon 56. Limnaeus 27 f. Locke 88. 91 f. 100. Salmons 104. Lucanus 6. Schradin 24. v. Schwendi 25 f. v. Ludewig 45. Seiden 60 f. 80. Luther 18 f f . 34. Seyssel 47. Mably 57 f. Marten 66. 74. Sidney 92 ff. Mascov 44 f f . Simler 29 f. Melanchthon 20 f f . 34. Sleidan 23 f. Smith 6c f. Mdzeray 52. Milton 1. 52. 75 f f . 83. Spelman 61. Moser 1. 3. 45. 1 1 2 . Spengler 2. Montesquieu 4. 5. 8. 45. 52. 58. Stumpf 29 f. 1 0 1 . 105 ff 1 1 5 . Tacitus 6. 89. Montlosier 58. Ternple 94 ff. 1 1 4 . Tschudi 29. Moritz v. Sachsen 24 f. Mornay 51. Twysden 8. 63 f. Moser 44. Tyrell 52. 100 f. 10 Du Moulin 48. Uhland 77. Müller 28. Voltaire 105. 107. Münster 1 3 . Vultejus 26. Münzer 17. Warr 67. Naukler 12 f. Whitelocke 7 1 . Neocorus 30. Wildman 69 f. v. Osse 25 f. Wilheln. v. Oranien Otis 84 Wimpfeling 12. Parker 62 Winstanley 70 f. Pasquier 48. Wolzendorff 3. Penn 82 f f . 91. Zwingli 2 1 . Petyt 87. 89.

HISTORISCHE ZEITSCHRIFT B E G R Ü N D E T VON H E I N R I C H V O N H E R A U S G E G E B E N VON F R I E D R I C H

SYBEL MEINECKE

Mitherausgeber sind: Georg v. Below, Otto Hintze, Otto Krauske, Max Lenz, Erich Mareks, Hermann Oncken, Sigmund Riezler. P r o g r a m m : Grundaufgabe der Historischen Zeitschrift ist es, die Geschichtsforschung so zu pflegen, daß sie der strengen Wissenschaft und den großen Bedürfnissen menschlich-universaler Bildung zugleich genügt. Sie läßt nicht bloß die sog. „eigentlichen Historiker" zu Wort kommen, sondern die historisch gerichteten Vertreter aller Geisteswissenschaften überhaupt. Sie setzt ihren Stolz darein, sich unabhängig zu erhalten von dem Einfluß bestimmter Schulen, Parteien und Konfessionen. Sie hat den Ehrgeiz, ein universales geschichtliches Organ zu sein. E r s c h e i n u n g s w e i s e : Die Historische Zeitschrift erscheint jährlich in 2 Bänden zu je 3 Heften. Jedes Heft kostet im Abonnement M. 5.20. Seit 1858 liegen 132 Bände vor. Neue Ausstattung:

Die Ausstattung

der Hefte wurde durch

Wahl eines holzfreien Papieres und durch gefälligere moderne Satzordnung vom 1 3 1 . Band an wesentlich verbessert. Zugleich wurde der Umfang absolut um einen halben Bogen und durch sparsamere Satzanordnung gegenüber den bisherigen Heften um rund 2 0 % vermehrt. Jedes Heft umfaßt jetzt 12 1 /« Bogen, was einem Inhalt von 1 5 Bogen in der früheren Ausstattung entspricht. V o r t e i l e f ü r d i e B e z i e h e r : W i r haben im Anzeigenteil eine Rubrik „Gesuchte und angebotene Bücher" eingerichtet. Es ist somit Gelegenheit gegebeil, gegen einen geringen Betrag eine Ergänzung bzw. Entlastung der Bibliothek innerhalb der Fachgenossen vorzunehmen. Weitere Vorteile bieten die Beihefte. W i r verweisen auf die umstehende Anzeige.

BEIHEFTE DER HISTORISCHEN Z E I T S C H R I F T Z w e c k der Beihefte ist, größere Arbeiten, welche in der Historischen Zeitschrift keine Aufnahme finden können, zu veröffentlichen. Sie erscheinen zwanglos, aber im engsten Anschluß an die-Zeitschrift. Bezieher der Historischen Zeitschrift erhalten die Beihefte bei Bestellung v o r Erscheinen mit 25°/0 n a c h Erscheinen mit 1 5 % Nachlaß von dem für Nichtbezieher der Zeitschrift geltenden Preise. Die Erscheinungstermine, bis zu welchen der erhöhte Nachlaß gilt, werden stets rechtzeitig in der Historischen Zeitschrift bekanntgegeben. Zur Vereinfachung des Nachweises, daß man Bezieher der Zeitschrift ist und somit Anspruch auf den Nachlaß hat, empfiehlt es sich, die Bestellung bei der Buchhandlung aufzugeben, von welcher man die Zeitschrift erhält. *

Bisher erschienen: B e i h e f t 1 : Calvins Staatsanschauung und das konfessionelle Zeitalter. Von Dr. Hans B a r o n .

130 S.

1924.

Brosch. M . 4 . — B e i h e f t 2: Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt. Von Prof. Dr. Ernst T r o e l t s c h . 4. Aufl. 1 1 0 S . 1925. Brosch. M . 3.50 B e i h e f t 3: Englands Stellung zur deutschen Einheit bis 1850. Von Dr. Hans P r e c h t .

1848

192 S. 1925.

Brosch. M . 6 . — B e i h e f t 4 : Der tierische Magnetismus in Preußen vor und nach den Befreiungskriegen. Erman.

Von Dr. Wilhelm

1 3 2 S. 1925. Brosch. M . 5.20

R. OLDENBOURG / MÜNCHEN UND BERLIN