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German Pages 309 Year 2014
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Band 60
Österreichs Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) Eine europäische Privatrechtskodifikation Band I
Entstehung und Entwicklung des ABGB bis 1900 Von
Wilhelm Brauneder
Duncker & Humblot · Berlin
Österreichs Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Band I
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Martin Schermaier, Bonn Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg
Band 60
Österreichs Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) Eine europäische Privatrechtskodifikation Band I
Entstehung und Entwicklung des ABGB bis 1900 Von
Wilhelm Brauneder
Duncker & Humblot · Berlin
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Gewidmet dem Kodifikationsforscher PIO CARONI Emeritus der Universität Bern
Vorwort Die umfassende Beschäftigung des Autors mit dem ABGB verdankt sich einem Anstoß aus gar nicht rechtshistorischer Richtung, nämlich der Einladung von Hans-Joachim Koppitz, einen Beitrag zum ABGB sozusagen als Geschichte eines Buches für das „Gutenberg-Jahrbuch“ zu verfassen; er erschien hier 1987: „Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811“. Ihn nahm auf teils gekürzt, teils erweitert als „Der historische Charakter des österreichischen ABGB und seine Weiterentwicklung 1812–1987“ Gabor Hamza in seine „Studien zum Römischen Recht I“, Budapest 1992. Beide bilden die Ausgangsbasis dieses Buches. Zu ihnen gesellten sich in den folgenden Jahren weitere Abhandlungen zum ABGB, die im Anhang aufgelistet sind. Als 1994 privatrechtsgeschichtliche Beiträge des Verfassers in den Sammelband „Studien II: Entwicklung des Privatrechts“ und abermals 2010 in „Studien IV“ aufgenommen wurden, blieben sie ausgenommen, da einer Gesamtdarstellung vorbehalten. Sie sind nun in den vorliegenden Band eingearbeitet. Dazu wurde freilich sehr vieles ergänzt, manches modifiziert. Die Geschichtswissenschaft spricht gerne vom „langen 19. Jahrhundert“, da es dieses bis zur Zäsur des Kriegsbeginns im Jahre 1914 andauern läßt. Dies trifft ähnlich auch auf die Entwicklung des ABGB zu. In ihr bilden die Teilnovellen von 1914 bis 1916 samt dem Baurechtsgesetz 1912 die entsprechende Zäsur. Die formelle Wendemarke bildet die repräsentative Einhundertjahrfeier des ABGB am Jahrestag seiner Sanktionierung am 1. Juni 1911. Mit ihr schließt dieser Band. Am Zustandekommen des Buches und seiner Grundlagen haben zahlreiche Personen ihren Anteil wie zahlreiche Assistenten und Assistentinnen seit 1987. Viele im Ergebnis nur kurze Sätze und dürre statistische Angaben beruhen auf ihren umfangreichen, oft in Tabellenform gebrachte Aufbereitungen des Quellenmaterials. Die durch mehrmalige Änderungswünsche bedingten aufwendigen Schreibarbeiten besorgte zuletzt Frau Renate Hoffmann, die auch die individuellen Dateien computerverspielter Mitarbeiter erfolgreich zusammenführte. Als anregende kollegiale Gesprächspartner erwiesen sich vor allem Pio Caroni (Bern), Gabor Hamza (Budapest), Barbara Dölemeyer (Frankfurt/Main–Gießen) und Elisabeth Berger (Wien). Ihnen allen sei aufrichtig gedankt, sie haben Anteil an diesem Buch.
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Vorwort
Das Manuskript ist im wesentlichen 2010 abgeschlossen worden. Vor allem im Umfeld des 200-Jahre-Jubiläums des ABGB Erschienenes hat das Bild höchstens durch Details bestätigt. Ilsenburg/Harz – Payerbach/Rax, 2010–2013
Wilhelm Brauneder
Inhaltsverzeichnis Vorgeschichte: Vom Rechtsbuch über das Gesetzbuch zur Kodifikation . . . . . . . . .
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1. Kapitel Die Entstehung A. Allgemeine Bedingungen und Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bis zum Teil-ABGB 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bis zum ABGB 1811 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 24
B. Der institutionelle Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzgebungskommissionen und ähnliche Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bis zum Teil-ABGB 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bis zum ABGB 1811 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 25 27 27 29
C. Der äußere Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der erste Entwurf: „Codex Theresianus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der zweite Entwurf: Entwurf Horten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das erste legislative Ergebnis: Das Erbfolgepatent 1786 . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die erste Kodifikation: Das Teil-ABGB 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die erste vollständige Kodifikation: Das Bürgerliche Gesetzbuch für Galizien 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das ABGB von 1811 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 32 36 37 38
D. Das Gebiet der Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kompilation oder Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festlegung des Kodifikationscharakters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Landes- und Provinzialgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kodifikationsgrundsätze 1753 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die allgemeine Gesetzgebungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Gesetzgebungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51 51 54 57 58 59 59 61 63
40 45
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Inhaltsverzeichnis 4. Die Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einflüsse des Naturrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Naturrechtliche Grundhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Naturrechtliche Grundbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materielles Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einflüsse regional-lokaler Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kommissionen und Personen im Gesetzgebungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorarbeiten und ihre Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Methode der Materialverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einflüsse des Deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Symbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materielle Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einflüsse des Gemeinen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Einflüsse ausländischer Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das ALR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das ALR im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die ALR-Kenntnisse Zeillers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkrete ALR-Einflüsse ab 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) ABGB und ALR im Vergleich bei Zeiller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das ALR als Auslegungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Code Civil im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Code-Civil-Kenntnisse Zeillers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) ABGB und Code Civil im Vergleich bei Zeiller . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konkrete Einflüsse des Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Exkurs: Der Code Civil in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Gesetzbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Einflüsse der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Hauptinhalt: Materielles Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausscheiden des Zivilprozeßrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Rechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zum Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbindungen mit dem Öffentlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 66 66 68 73 76 76 81 84 86 87 88 88 90 92 93 93 96 99 99 99 102 104 106 107 108 108 109 110 110 111 111 112 112 114 117 117 118 118 119
Inhaltsverzeichnis
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5. Ersatz des Kanonischen Rechts: Eherecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 XII. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 F. Nutznießer, Adressaten und Konsumenten des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nutznießer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konsumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 123 124 126
G. Die Verbreitung der Gesetzeskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gehörige Kundmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verpflichtung zur Rechtskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Besondere Erschließung des Gesetzestextes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kodifikation als Rechtslexikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marginalrubriken (Randschriften) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Populäre Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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H. Die Gesetzessprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Lehre von der Gesetzessprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Sprachgestaltung der Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übersetzungen im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deutsch – Latein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Übersetzungen bis zum ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übersetzungen des ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ersten Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „offiziellen“ Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zur Bedeutung der Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Institutionalisierung der Sprachgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144 144 145 149 149 152 153 154 154 156 157 159 160
J.
162 162 163 163 165 165 166 167 167 169 171
Die Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Teil-ABGB 1786 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bürgerliches Gesetzbuch für Galizien 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Versionen „für Westgalizien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Versionen „für Ostgalizien“ und „für Galizien“ . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzessammlungen und Urentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das ABGB 1811 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ersten deutschen Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der authentische „Urtext“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtamtliche Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Das ABGB von 1811
A. Der Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Gesetzbuch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzbuch als Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Provinzialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Bürgerliches“ Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. „Allgemeines“ Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemein – territorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemein – sachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetzbuch für die „deutschen Erbländer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Territoriales Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. „Gleiches“ Gesetzbuch? – Neuständisches Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konservatives Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichheitsvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Code Civil als Kontrast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ungleiches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Neuständische Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. „Fundamentalgesetz“, „Verfassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 172 172 173 174 175 177 177 178 179 179 181 182 183 184 186 189 192 197
B. Das ABGB in der Gesamtrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gemeinsamkeiten im Gesetzgebungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der kodifizierte Teil der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verweisungen im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Legistisch überflüssige Verweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Materielle Öffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verweisung zufolge einer Gesamtmaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verweisung als Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verweisung als Spezifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausnahmen kraft Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das verwiesene Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwiesenes Recht ohne Verweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ständische Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Örtliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Differenzierungen im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 201 203 205 205 207 208 209 210 211 212 212 213 213 213 215 216 216
Inhaltsverzeichnis
13
b) Konkrete Länderunterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verweisungen auf das ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkretes Beispiel: Eigentums- und Gesamtrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . 1. Der Eigentumsbegriff des ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Elemente der konkreten Eigentumsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigentumsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strukturwandel der Eigentumsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkretes Beispiel: Sklavereiverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 218 219 219 221 222 225 226
C. Unmittelbare Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Exegetische Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die italienisch-österreichische Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verknüpfungen mit dem Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vertragspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Literarische Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bildliche Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228 228 230 230 239 240 246 247 250 254
IV.
V.
3. Kapitel Die Entwicklung im 19. Jahrhundert A. Das Geltungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Veränderungen durch Grenzziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Veränderungen durch Verfassungsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausländisches Geltungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 256 256 257
B. Die Ausstrahlungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 C. Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Authentische Interpretationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Novellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Änderungen allein im ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderungen mit anderen Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Änderungen durch Verfassungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nebengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Erscheinungsbild des Bürgerlichen Rechts: ABGB und Nebengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Verhältnis der Nebengesetze zum ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
261 261 265 266 268 269 271 271 274 274 274
14
Inhaltsverzeichnis b) Schaffung von Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Derogationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gründe für Nebengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personell-ständisches Sonderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Veränderliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ersatz einer ABGB-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sachliche Abweichung vom ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Politisch veranlaßte Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtstechnische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275 276 276 276 277 278 279 280 280
D. Einfluß der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 E. Wissenschaftliche Umdeutung: die „Pandektisierung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 F. Rückblick und Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Anhang I. II. III. IV. V.
................................................................. ABGB-Beiträge des Verfassers, die in diesem Band aufgegegangen sind . . Verwiesenes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Art des verwiesenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verordnungen ohne ausdrückliche Verweisung (nach Visini) . . . . . . . . . . . . Örtliche Differenzierungen durch Verweisungen auf politische Vorschriften (nach Winiwarter und Visini) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
289 289 290 293 294 295
Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 A. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
Abkürzungsverzeichnis ABGB-FS GHZ GZ HD HKD Ius Commune JBl Jurist LES LJZ ÖJZ ÖNZ
Pat Pratobevera
RHR SchopfsArchiv
UrE VO WagnersZ
ZBl
ZGR
Festschrift zur Jahrhundertfeier des ABGB I–II, Wien 1911 Grünhuts-Zeitschrift. Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von Carl Samuel Grünhut, Wien 1874–1916 Gerichts-Zeitung, Wien 1919–1931 (Vorgänger: Allgemeine österreichische Gerichtszeitung, Wien 1850–1918) Hofdekret Hofkanzleidekret Ius Commune. Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/Main 1967–2001 Juristische Blätter, Wien 1872 ff. Der Jurist. Eine Zeitschrift vorzüglich für die Praxis des gesammten österreichischen Rechts, Wien 1839–1848 Liechtensteinische Entscheidungssammlung Liechtensteinische Juristenzeitung, Vaduz 1980 ff. Österreichische Juristen-Zeitung, Wien 1946 ff. Österreichische Notariatszeitung, Wien 1949 ff. (Vorgänger: Zeitschrift für Notariat und freiwillige Gerichtsbarkeit in Österreich, Wien 1868–1919) Patent Materialien für Gesetzkunde und Rechtspflege in den Oesterreichischen Erbstaaten I–VIII, hrsg. von Carl Joseph Pratobevera, 1815– 1824 Rechtshistorische Reihe, Frankfurt/Main etc. 1978 ff. Archiv für Civil-Justizpflege, politische und kameralistische Amtsverwaltung in den deutschen, böhmischen, galizischen und ungarischen Provinzen des österreichischen Kaiserstaates I, II (Nbl), hrsg. von Franz Josef Schopf, Wien 1837–1839 Urentwurf des ABGB (vgl.: Ofner, Urentwurf) Verordnung Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamtkeit und politische Gesetzkunde I–II, III (Nbl), hrsg. von Vincenz August Wagner, Wien 1825 ff. Zentralblatt für die juristische Praxis, Wien 1919–1938 (Vorgänger: Österreichisches Zentralblatt für die juristische Praxis, Wien 1883– 1919) Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, hrsg. von Friedrich Carl von Savigny, Berlin 1815–1850
16 ZHR
ZNR ZRG/GA/RA
Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht, Stuttgart 1915 ff. (Vorgänger: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht 1858– 1907) Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte, Wien 1979 ff. Zeitschrift der Savigny Stiftung für Rechtsgeschichte/Germanistische Abt., Romanistische Abt., Weimar 1879 ff.
Vorgeschichte: Vom Rechtsbuch über das Gesetzbuch zur Kodifikation Die Absicht, Recht in Buchform und schon allein damit zu einem bestimmten Zweck festzuhalten, ist eine gesamteuropäische Erscheinung seit dem Mittelalter. Die im 13. Jahrhundert in nahezu ganz Europa entstehenden Rechtsbücher1 verdienen diese nachträgliche Sammelbezeichnung nicht nur wegen ihrer äußeren Form, sondern auch deshalb, weil sie ihren Charakter als „Buch“ oftmals ausdrücklich selbst hervorheben2. Dies gilt beispielsweise für das zentrale deutsche Rechtsbuch dieser Art, den um 1225 entstanden „Sachsenspiegel“. Sein Verfasser, Eike von Repgow, bezeichnete ihn ausdrücklich3 als „min buch“, als „buck“, welches er in deutscher Sprache verfaßt habe, wobei „dit buck“ einen spezifischen Namen haben solle, nämlich „spegel der Sassen“, weil es das Sachsenrecht widerspiegle, um diesem Bekanntheit zu verleihen; dabei könne es durch seinen „dumme sin“ möglich sein, daß „dit buck“ nicht für jeden Fall eine Entscheidung bereit halte; Nutzen bringen solle „dit buck“ den Leuten allgemein, es soll „dit buck“ jedem rechtschaffenen Menschen Auskunft geben, alle Leute sollen „dit buck“ gut nutzen, es diene jedem zum Nachschlagen. Insgesamt also: Der Zweck des „Buches“ liegt in einer möglichst vollständigen Erfassung des Rechts zum Gebrauch aller. Diese weitestgehende Vollständigkeit ist in Hinblick darauf, daß altes Recht überliefert wird, gleichzeitig nahezu Ausschließlichkeit, und zwar auch für die Zukunft, denn Angst ergreift den Verfasser bei dem Gedanken, es könne jemand „dit buck“ durch Zusätze verfälschen. In Fortführung des Sachsenspiegels verstand sich auch der späterhin sogenannte Schwabenspiegel4 als „Buch“. Sein Titel „Kaiserliches Land- und Lehenrechtsbuch“ verhieß ein Kompendium des Land- und Lehenrechts für den Herr1 Allgemein vgl. Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 54 ff.; zu den in der Folge erwähnten deutschen Rechtsbüchern vgl. A. Wolf, Gesetzgebung in Europa 1100–1500. Zur Entstehung der Territorialstaaten, 1996, 101 ff. 2 Zum Begriff „Buch“ u. a. A. Ebenbauer, Buch, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde IV, 2. Aufl. 1981, 34 ff. 3 Das Folgende nach K. A. Eckart, Sachsenspiegel (= MGH I/1), 1973 (ND 1995), Vorreden, Z. 10, 145, 180, 264 f. bzw. Z. 99, 111, 165, 195 bzw. Z. 221. Dazu zusammenfassend H. Lück, Über den Sachsenspiegel. Entstehung, Inhalt und Wirkungen des Rechtsbuches, 1999. 4 Zu ihm allgemein: Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 55 f.; D. Munzel, Rechtsbücher, in: HRG IV, 277 ff.; speziell u. a. wie Fn. 8.
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schaftsbereich des Kaisers, nicht nur für Schwaben. Andere „Bücher“ suchten das Recht kleinerer territorialer Einheiten darzustellen wie beispielsweise im 14. Jahrhundert das Liegnitzer Stadtrechtbuch, das Steiermärkische Landrechtsbuch oder das Wiener Stadtrechtsbuch5. Auch das Recht der Katholischen Kirche wurde ausdrücklich in „Bücher“ gegossen wie 1234 in den „Liber extra“ und 1298 in den „Liber sextus“.6 Recht in Buchform, wenngleich anderer Art, kannte auch das anglosächsische Recht: Seinem Fallrechts-Charakter entsprechend hielten „Year Books“ Gerichtsentscheidungen fest – als Präzedenzfälle gleichfalls zur künftigen Kenntnis7. Der Gedanke, möglichst alles Recht in einem umfassenden Buch festzuhalten, erfuhr eine besondere Stärkung durch das Vorbild des Corpus Iuris Civilis des Kaisers Justinian. Schon ein Teil der Schwabenspiegel-Handschriften stellte eine Beziehung zwischen ihm und der eigenen Buch-Form mit der freilich fälschlichen Feststellung her8: „Alle die recht, die in diesem buch geschriben sten, haben funden [ua . . .] der edel keiser Justinianus“. Diese Kenntnis von der Existenz wie zunehmend auch des Inhalts der Justinianischen Gesetzbücher nahm gegen 1500 zu. So beruft sich etwa der Landrechtstext für Österreich unter der Enns 15269 in seiner „Vorrede“ auf die „Ausweisung des löblichen römischen Kaisers Justinian“; er versteht sich ausdrücklich als ein „Buch“, welches mit „Gesetzen, Artikeln und Ordnungen“ eine „Tafel“ des Landrechts als dessen komplette schriftliche Wiedergabe darstellt10. Insoferne entspricht die frühneuzeitliche „Tafel“ dem hochmittelalterlichen „Spiegel“. Diese waren allerdings Aufzeichnungen des Gewohnheitsrechts gewesen, verfaßt von im Rechte erfahrenen Männern, aber keine Gesetze; es fehlte ihnen der Gesetzesbefehl einer Obrigkeit. Dies änderte sich allmählich. Jetzt sollte das Rechtsbuch mit der Autorität der 5
Editionen: H.-J. Leuchte, Das Liegnitzer Stadtrechtsbuch des Nikolaus Wurm. Hintergrund, Überlieferung und Edition eines schlesischen Rechtsdenkmals, 1990; F. Bischoff, Steiermärkisches Landrecht des Mittelalters, 1875; H. M. Schuster, Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, 1873. 6 Zu diesen K. W. Nörr, Die Entwicklung des Corpus iuris Canonici, in: Coing, Handbuch I, 841 ff. 7 Z. B. Rolls Series, Selden Society, Ames Foundation, John Carylls reports: vgl. J. H. Baker, An introduction to English Legal History, 3. Aufl., 1990, 204 ff.; R. C. van Caenegem, The Birth of the English Common Law, 1988, 88. 8 Nach W. Wackernagel, Das Landrecht des Schwabenspiegels in der ältesten Gestalt, 1840, 325 Nr. 385; z. B. nicht in den Kurzformen Km, Kb, Ks: K. A. Eckart, Schwabenspiegel Kurzform I und II Fassung Km, Kb, Ks (= MGH IV/1, 2), 1974, 43. Vorwort F; ders., Schwabenspiegel Kurzform III Fassung Kt (= MGH IV/3), 1972, 62. 9 Die österreichischen Landrechtstexte des 16. Jahrhunderts, in: Slg. Chorinsky; zu ihnen T. Motloch, Landesordnungen (geschichtlich) und Landhandfesten I, in: Mischler/ Ulbrich, Staatswörterbuch III, 331 ff.; G. Wesener, Zur Bedeutung der Österr. Landesordnungs Entwürfe des 16. und 17. Jahrhunderts für die neuere Privatrechtsgeschichte, in: FS Nikolaus Grass I, 1974, 613 ff.; W. Brauneder, Die staatsrechtliche Bedeutung österreichischer Juristenschriften des 16. Jahrhunderts, in: ders., Studien I, 37 ff. 10 Vgl. Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 437 ff.
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Obrigkeit ausgestattet und überdies systematisch-geschlossen angelegt sein. Schon in der zweiten Fassung des Österreichischen Landrechtsbuchs aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts beginnen die gegenüber der ersten Fassung von etwa 1280 neuen Bestimmungen mit „wir seczen und gepieten“ des Landesfürsten als Gesetzgeber11. Der Landrechtstext für Österreich unter der Enns 1526 enthält den Hinweis, daß ihn der Landesfürst habe verfassen lassen, weil ihm „Gerichte und Recht frei“ zustünden, dh, daß er als Gesetzgeber handeln könne. Freilich tritt es noch weiterhin unter der Bezeichnung „Landrecht“ auf und etikettiert so seinen traditionsgebundenen Inhalt. Der Geltungsgrundlage nach sollte aber an die Stelle des gewohnheitsrechtlich befolgten Rechtsbuches das obrigkeitlich befohlene Gesetzbuch treten. Damit setzt im 16. Jahrhundert jene Entwicklung ein, die unmittelbar zu dem nun meist auch so bezeichneten „Gesetzbuch“ des 18. Jahrhunderts führt. In den konkreten Bezeichnungen spiegeln sich freilich vorerst andere Charakteristika wider12. „Buch“ und „Tafel“ wie in „Landtafel“ oder einfach „Recht“ wie in „Landrecht“ bis hin zum „Allgemeinen Landrecht“ Preussens von 1794 (ALR) betonen den umfassenden oder gar ausschließenden Charakter. Am häufigsten allerdings steht „Ordnung“. Das Wort beschreibt den Aspekt des ordnenden Handelns der Obrigkeit zur Herstellung eines geordneten Gemeinwesens. Der Ausdruck „Buch“ steht dem gegenüber eher für einen autonomen, dem Einfluß der Obrigkeit nahezu entzogenen Teil der Rechtsordnung: Im Obrigkeitsstaat der frühen Neuzeit findet sich „Buch“ daher selten. „Ordnung“ steht in vielerlei Bedeutung wie als „Landesordnung“ bzw. „Stadtordnung“ für besonders umfassende Gesetze, „Polizeyordnung“ für umfangreiche Verwaltungsgesetze, „Malefizordnung“ für das Strafrecht, „Landgerichtsordnung“ bzw. „Stadtgerichtsordnung“ für Prozeßgesetze, „Gerhabschaftsordnung“ für das Vormundschaftsrecht. Derartige „Bücher“, „Rechte“ oder – in der Regel – „Ordnungen“ setzen sich ihrerseits oft aus „Büchern“ und „Ordnungen“ zusammen, die einzelne Sachgebiete regeln und unter Umständen, wie sogleich zu erwähnen ist, als eigene Gesetze in Kraft getreten sind. Kleinere Ordnungen fügen sich also zu größeren Ordnungen bzw. es zerfallen diese in jene. In den habsburgischen Ländern im Gebiet des heutigen Österreich läuft die Entwicklung im Wesentlichen in zwei Entwicklungssträngen ab13. Der eine beginnt in Österreich unter der Enns mit dem schon erwähnten Landrechtstext von 1526, es folgt der von 1573, der das Vorbild für die weiteren von 1595, 1609 (für 11 H. Steinacker, Zur Frage des österreichischen Landrechts, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung XXXIX, 1923, 71. 12 Das Folgende nach Brauneder, Frühneuzeitliche Gesetzgebung: Einzelaktionen oder Wahrung einer Gesamtrechtsordnung?, in: Studien II, 378 f. 13 U. a. wie Fn. 9, Fn. 10 und Fn. 12; Brauneder, Anfänge der Gesetzgebung am Beispiel der Steiermark, in: ders., Studien I, 427 f.; besonders Wesener, Kodifikationen, 205 ff., mit detaillierten Schrifttumsnachweisen.
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Österreich ob der Enns) und 1654 abgibt. Sie alle erhielten jedoch keine landesfürstliche Sanktion, womit der Erlaß eines umfassenden Gesetzbuchs des Landrechts unterblieb. Der letzte Landrechtstext von 1654 hatte ein besonderes Schicksal: Als umfassende „Landesordnung“ sollte er – wie übrigens ähnlich jener von 1595 – aus fünf Teilen bestehen, nämlich I. Gerichtsverfassung und zivilgerichtliches Verfahren, II. Vertragsrecht, III. Testamentsrecht, IV. Gesetzliches Erbrecht, V. Lehenrecht, VI. Landgerichtsordnung. Davon trat letztere 1656 als eigenes Gesetz in Geltung, das Lehenrecht wurde späterhin in zwei Teile zerlegt, in das eigentliche Lehenrecht sowie in das bäuerliche Leiherecht, welches 1697 unter der Bezeichnung „Tractatus de iuribus incorporalibus“ Gesetzeskraft erhielt; das gesetzliche Erbrecht („außer Testament“) wurde schließlich ab 1720 in einzelnen Ländern als eigenes Gesetz erlassen. Mit diesen und anderen Einzelgesetzen war das Konzept eines möglichst umfassenden Gesetzbuches vorerst verlassen, das von Teilordnungen hatte die Oberhand gewonnen. Dies zeigt sich auch im zweiten Entwicklungsstrang, dem Polizeyrecht. Im 16. Jahrhundert traten die großen Reichspolizeyordnungen 1530, 1548 und 1577 in Kraft14 und nach ihrem Vorbild sowie auch zu ihrer Ergänzung und Durchführung weitere umfangreiche Polizeyordnungen (PO) wie z. B. für die niederösterreichischen Länder (NÖ) von 1542 und 155215. Sie setzen sich ganz deutlich aus Teil-Ordnungen zusammen16. So besteht die PO/NÖ 1552 aus der PO/NÖ 1542 und der Handwerksordnung für die niederösterreichischen Länder von 1527. Auch galten ihre Vormundschaftsbestimmungen als eigene „Ordnung“, als „Gerhabschaftsordnung“, und es heben sich weitere Teil-Ordnungen ab: Vor allem bilden die ersten 18 Artikel als Sittlichkeits- und Aufwandsordnung eine Einheit und konnten daher modifiziert 1566 und 1568 als eigene Polizeyordnungen publiziert werden. Eine ähnliche Einheit bilden die nachfolgenden 5 Artikel 14 K. Härter, Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 16. Jahrhundert, in: Ius Commune XX, 1993, 61 ff. 15 Dazu u. a. Brauneder, Gehalt, 473 ff.; ders., Die Policeygesetzgebung in den österreichischen Ländern des 16. Jahrhunderts in: ders., Studien II, 385; J. Pauser, Zur Edition frühneuzeitlicher Normtexte. Das Beispiel der österreichischen Policeyordnungen des 16. Jahrhunderts, in: G. Klingenstein/F. Fellner/H. P. Hye (Hrsg.), Umgang mit Quellen heute. Zur Problematik neuzeitlicher Quelleneditionen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 2003, 45 ff. (= Fontes Rerum Austriacarum, Österreichische Geschichtsquellen, 2. Abt Diplomataria et Acta, 92); ders., Gravamina und Policey: Zum Einfluß ständischer Beschwerden auf die landesfürstliche Gesetzgebungspraxis in den niederösterreichischen Ländern vornehmlich unter Ferdinand I (1521–1564), in: Parliaments, Estates & Representation, Hrsg für die International Commission for the History of Representative & Parliamentary Institutions, London 1997, 13 ff.; ders., „sein ir Majestät jetzo im werkh die polliceyordnung widerumb zu verneuern“. Kaiser Maximilian II (1564–1576) und die Landstände von Österreich unter der Enns im gemeinsamen Ringen um die „gute policey“, in: W. Rosner (Hrsg.), Recht und Gericht in Niederösterreich (= Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 31), 2002. 16 Insb. Brauneder, wie Fn. 12.
Vorgeschichte
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über Maße, Fürkauf sowie Wucher, die Artikel vor der Handwerksordnung bilden eine Dienstbotenordnung. Die PO/NÖ 1552 faßt also mehrere Teil-Ordnungen zusammen. Weitere Teil-Ordnungen sind in umfassenden Einzelgesetzen 17 wie etwa Eheordnung, Weingartenordnung, Bergordnung, Waldordnung, Holzordnung, Müllerordnung, Bäckerordnung, Jägerordnung, Apothekerordnung, Gastwirteordnung, Marktordnung, Infektionsordnung, Defensionsordnung, Mautordnung. Aus dem Gesagten läßt sich zweierlei erkennen: einerseits der Gedanke an ein möglichst umfassendes Gesetzbuch nahezu des gesamten Rechts eines Landes, andererseits ein Denken in bestimmten „Ordnungen“, die jeweils einen Sachkomplex erfassen. Einige dieser engeren Ordnungen wie Vormundschaftsordnung, Handwerksordnung, Sittlichkeits- und Aufwandsordnung, Maß- und Gewichtsordnung sowie Dienstbotenordnung lassen sich mit anderen Bestimmungen zur umfassenden Polizeyordnung zusammenfügen, so zu den Reichspolizeyordnungen oder zur PO/NÖ 1552. Außerhalb der Polizeyordnung verbleiben allerdings Landgerichtsordnung sowie Landrechtsordnung als Prozeßordnungen mit auch materiellrechtlichen Teilen. Die Landgerichtsordnung aber läßt sich wieder mit Landrecht und Lehenrecht zu einer weiteren umfassenden Ordnung, der Landesordnung verbinden. In Tirol18 besteht daher neben der Landesordnung 1573 eine selbständige Polizeyordnung aus demselben Jahr. Anderswo sind sogar diese zur „Landes- und Polizeyordnung“ verbunden wie 1616 in Bayern oder 1658 in der Pfalz19. In diesem ganz umfassenden Sinne zeigt für Kärnten ein mit „Landes-Ordnung“ überschriebenes Konvolut von mehreren Gesetzen, daß diese Bezeichnung sogar für nahezu die Gesamtrechtsordnung des Landes steht, der, wie in diesem Konvolut, zugerechnet werden: Polizey-, Landrechts-, Landgerichts- und Zehentordnung20. In den Reichsterritorien der Habsburgermonarchie war die Gesetzgebung vorerst von der Technik der Einzelgesetzgebung bestimmt. Im Privatrecht beispielsweise trifft dies zu bis zum Teil-ABGB 1786. Noch 1751 wurde eine Kommission zur Revision des Tractatus de iuribus incorporalibus eingesetzt, also nur zwei Jahre vor der Bildung der ersten Kommission zur Ausarbeitung des künftigen Bürgerlichen Gesetzbuches. Drei Jahre vor dem Teil-ABGB war eigens das Eherecht im Ehepatent 1783 und vor allem nur sechs Monate vor jenem die außertestamentarische Erbfolge im Erbfolgepatent 1786 geregelt worden. 17 Vgl. dazu auch W. Kunkel/G. K. Schmelzeisen/H. Thieme (Hrsg.), Polizei- und Landesordnungen II/2, Einzelverordnungen (= Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands II), 1969. 18 Dazu M. P. Schennach, Gesetz und Herrschaft. Die Entstehung des Gesetzgebungsstaates am Beispiel Tirols (= Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte XXVIII), 2010. 19 Vgl. G. K. Schmelzeisen, Polizeiordnungen und Privatrecht (= Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte 3), 1955, 557. 20 Des Ertzhertzogthumbs Khärndten New aufgerichte Landtgerichts ordnung, 1578 (= UB Wien Signatur II 251.050); vgl. auch Brauneder, wie Fn. 13.
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Wie aber die in das 18. Jahrhundert fortdauernden Arbeiten am Landrechtsentwurf 1654 – betitelt „Landesordnung“ – zeigen, ging der Grundgedanke, umfassende Rechtsgebiete, gegliedert nach einem System, in einem einzigen Gesetzbuch festzuhalten, nicht ganz verloren. Auch inhaltliche Substanz blieb gewahrt: Nicht nur die erwähnten Einzelgesetze, sondern auch die wohl am weitesten verbreiteten Landrechtsentwürfe 1573 und 1609 beeinflußten unmittelbar die Vorarbeiten zum ABGB. Die absolutistischen Staatsreformen des 18. Jahrhunderts in Verbindung mit dem Gedankengut von Aufklärung und Naturrecht modifizierten die Idee des umfassenden Gesetzbuches mit neuen Akzenten: Anders als das „Landrecht“ mit seinem traditionellen Inhalt sollte das „Gesetzbuch“ eine neue, logische Konstruktion darstellen. Der autoritativen Geltungsgrundlage und Inhaltsbestimmung korrespondierte ein weiteres Merkmal: Nur das so Festgeschriebene sollte Geltungskraft haben, also keine andere Rechtsquelle – gefordert wurde ein neuer Typ von Gesetzbuch: die Kodifikation. Sie hatte nicht nur umfassend und systematisch ein gesamtes Rechtsgebiet wie etwa das Privatrecht zu regeln, sondern zufolge ihres Ausschließlichkeitsanspruchs mit Ausschlußwirkung. Diese spezifische Bedeutung schlug sich nun meist in der Verwendung des Wortes „Gesetzbuch“ nieder21: So trug der Entwurf zur preußischen Kodifikation die Bezeichnung „Allgemeines Gesetzbuch für die preußischen Staaten“, um den neuartigen Charakter plakativ zu machen; um diesen aber dann doch zu verschleiern, wählte man das konservative Etikett „Landrecht“. Hingegen ist der „Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis“ als alter Typ eines bloß geordneten und in Buchform gebrachten traditionellen Landrechts ohne Ausschlußwirkung zutreffend als „Churbayerisches Landrecht“ bezeichnet: Es beläßt weiterhin ausdrücklich in Geltung „die wohl hergebrachten besondern Freiheiten, sodann . . . jedes Orts löbliche Gewohnheiten, Satzungen und Ordnungen, hiernächst . . . die General-LandStatuten und endlich . . . das gemeine Recht“. Hier liegt eben kein „Gesetzbuch“ als Kodifikation vor, sondern bloß eine Kompilation des „Landrechts“. In dieser noch zwischen Landrechtskompilation und kodifikatorischem „Gesetzbuch“ schwankenden Zeit beginnt die Entstehungsgeschichte des ABGB. Alle seine Vorstufen und schließlich dieses selbst verstehen sich in ihrem Titel als „Gesetzbuch“ wie übrigens auch die Kodifikationen des Strafrechts.
21 Vgl. zu den folgenden Gesetzbüchern Schlosser, Privatrechtsgeschichte, 112 ff., 117 ff., 135 ff. Nur eine Episode bleibt der Umstand, daß eine bloße Sammlung unterschiedlichster Gesetze mit dem Ausdruck „Gesetzbuch“ versehen wurde, etwa das „Theresianische Gesetzbuch“: Theresianisches Gesetzbuch, enthaltend die Gesetze von den Jahren 1740–1780, 1789.
1. Kapitel
Die Entstehung Mit dem ersten Entwurf einer Zivilrechtskodifikation, dem „Codex Theresianus“ von 1766, beginnt jene unmittelbare Entwicklung, die über mehrere Entwürfe und Gesetzbücher, teils durch Zäsuren getrennt, aber immer im Zusammenhang stehend, zum ABGB von 1811 führt. Zwei Abschnitte lassen sich voneinander abheben: Der eine endet mit dem noch unvollständigen „Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch“ von 1786, einem bloßen Teil-ABGB, späterhin „Josefinisches Gesetzbuch“ genannt. Der zweite Entwicklungsabschnitt führt schließlich zum ABGB von 181122.
A. Allgemeine Bedingungen und Umfeld I. Bis zum Teil-ABGB 1786 Die erste Phase der Entstehungsgeschichte des ABGB fällt in die Zeit einer tiefgreifenden Herrschaftsumstrukturierung, nämlich in die Umwandlung der habsburgischen Monarchia Austriaca von einer Monarchischen Union von Ständestaaten in einen modernen absolutistischen Staat der nichtungarischen Länder23. Nachdem die Pragmatische Sanktion von 1713 die Unteilbarkeit dieses Länderkomplexes an sich und vor allem mit einer entsprechenden Thronfolgeordnung fixiert hatte, konzentrierten ab 1745 und insbesondere mit der großen Staatsreform von 1749 verschiedene Behördenreformen die Staatsgewalt beim Monarchen mit seinen Zentralbehörden und organisierten ihre Durchsetzbarkeit gegenüber sämtlichen Untertanen in Mittel- und Unterbehörden. Vor allem die Organisation der mittleren und unteren Verwaltung sowie der Gerichtsbarkeit in Amtssprengeln stellte ein Novum dar, zumal die „Gouvernementsbezirke“ der mittleren Verwaltungsebene die Länder zunehmend ihres bisherigen staatlichen Charakters entkleideten. Sämtliche staatliche Funktionen gingen alsbald auf die neuen Behörden über, so Verwaltung und Gerichtsbarkeit auf Gouvernementsund Zentralbehörden, die Gesetzgebung auf den Monarchen. Damit war dieser in 22 Eine bloß chronologische Darstellung nach der Sekundärliteratur und deren Archivalien: Ch. Neschwara, Über das Schicksal der ältesten Materialien zur Gesetzgebungsgeschichte des österreichischen ABGB, in: R. David/D. Sehnálek/I. Valdhaus (Hrsg.), Dny Práva – 2010 – Days of Law, Brno 2013, 1569 ff. 23 Harrasowsky, Codification, III ff.; Brauneder, Verfassungsgeschichte, 79 ff.; ders., Staat, 142 ff.
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1. Kap.: Die Entstehung
die Lage versetzt, ein für alle seine Länder einheitliches Recht zu erlassen, was auch praktische Erwägungen für die nunmehr einheitlichen Behörden nahezu erzwangen. Behörden- und Rechtsreform stehen in einem Zusammenhang, sie bilden gemeinsam Mittel und Ziel der neuen Staatlichkeit. Sehr deutlich macht dies eine Denkschrift mit dem Titel „Vorschlag, daß eine allgemeine Gerichtsordnung und gleiches Landrecht in allen benachbarten österreichisch-deutschen Erblanden einzuführen seie“, welche „von mir H. an(no) 1753“ 24 erstellt wurde. Sie strebte ihrem Wortlaut nach eine Rechtsvereinheitlichung an, die über das Privatrecht weit hinausgehen sollte. Diese Denkschrift von 1753 begründet die Notwendigkeit der Rechtsvereinheitlichung einmal mit einer einfacheren Behördentätigkeit: Man könne einerseits bei den Unterbehörden „den nämlichen Rath, nämlichen Advokaten, nämlichen Offizianten in allen Erbländern zu seinem Dienst gebrauchen“, andererseits würde so das Höchstgericht, die Oberste Justizstelle, leichter „Mißbräuche tilgen“ und den „Parteien“ helfen können. Einen weiteren Grund gibt die Erleichterung des Wirtschaftsverkehrs zwischen den Ländern in Hinblick auf den Liegenschaftserwerb und auf Kapitalbewegungen ab. Zur Durchführung der Rechtsvereinheitlichung wird vorgeschlagen, „eine autorisierte perpetuierliche Hofkommission“ einzusetzen, welche im Einvernehmen mit den „Länderstellen“ vorgehen solle. Die Denkschrift von 1753 stellt kein Novum dar, sie spricht aus, was zu dieser Zeit als weitverbreitetes Anliegen etwa auch anderer Denkschriften galt und jedenfalls ganz auf der Linie der absolutistischen Reformen – und zwar nicht nur in den habsburgischen Ländern – lag25.
II. Bis zum ABGB 1811 Zum Zeitpunkt des Todes Kaiser Josefs II. 1790 hatten die Reformen aus der bisherigen Monarchischen Union bereits einen modernen Staat mit einer neuen Behördenorganisation und zahlreichen neuen Gesetzen geschaffen, wenngleich nicht aus der gesamten Habsburgermonarchie, da sich die ungarischen Länder und die Niederlande diesem nicht einfügen ließen. So blieb denn dieser engere, als Staat organisierte Bereich in der Habsburgermonarchie ohne Namen, in der Regel wurde er mit „Deutsche Erbländer“ umschrieben, während jene 1804 die Bezeichnung „Kaisertum Österreich erhielt26. Im Bereich des Bürgerlichen 24 Harrasowsky, Codex I, 2, Fn. 3; ders., Codification, 38; allerdings hier datiert mit 1752, daher in der Folge unterschiedliche Jahresangaben: 1752 etwa bei Korkisch, Entstehung, 266 ff.; bei Pfaff/Hofmann, Excurse, 8; 1753 etwa bei A. Luschin von Ebengreuth, Grundriss der österreichischen Reichsgeschichte, 2. Aufl., 1918, 339. I. d. F. wird der offenbar quellenmäßigen Datierung – 1753 – gefolgt. Vgl. auch u. C. I. 25 So auch Korkisch, Entstehung, 267; vgl. über sonstige Denkschriften Harrasowsky, Codification, 40 ff. 26 Brauneder, Kaiserwürde durch Verwaltungsakt: Der österreichische Kaisertitel von 1804, in: Studien IV, 207 ff.
B. Der institutionelle Rahmen
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Rechts hatte Josef II. 1786 mit dem Erbfolgepatent das gesetzliche Erbrecht in den Deutschen Erbländern vereinheitlicht und hiefür mit dem Inkraftsetzen des „Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs“ durch Sanktion von dessen erstem Teil begonnen. Allerdings verhinderte sein Tod die Sanktion des zweiten und dritten Teils, es blieb beim „Teil-ABGB“. Das Fehlen einer vollständigen Zivilrechtskodifikation machte sich nun im Gefüge der Gesamtrechtsordnung besonders bemerkbar. Dies um so mehr, als 1768 die Allgemeine Peinliche Gerichtsordnung ein einheitliches und neues Straf- und Strafprozeßrecht sowie die Allgemeine Gerichtsordnung samt der Allgemeinen Konkursordnung von 1781 ein einheitliches und neues Zivilprozeßrecht gebracht hatten. Außerdem trat im preußischen Staat 1794 das ALR in Kraft und in Frankreich 1804 der Code Civil, der sich nicht nur mit dem expandierenden französischen Staatsgebiet verbreitete, sondern auch durch seine Aufnahme in deutsche und italienische Staaten sowie in Schweizer Kantone. Eine rationelle Rechtsvereinheitlichung stand bald als selbstverständlich nicht mehr zur Debatte, dies freilich auch in Hinblick auf das Teil-ABGB und die Erbfolgeordnung von 1786, die nur mehr der Vervollständigung bedurften. Mit den zuvor erwähnten und auch anderen Gesetzen wie etwa jenen über das bäuerliche Erbrecht27 geriet das Teil-ABGB 1786 in den Sog der Revisionsphase nach dem Tode Kaiser Josefs II. Eine Umarbeitung der Allgemeinen Gerichtsordnung 1781 wurde seit 1796 in mehreren Ländern, vorab in Westgalizien, in Kraft gesetzt; ähnlich trat 1796 erst in Westgalizien und sodann 1803 allgemein ein neues „Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen“ in Geltung. Damit war auch der Weg für ein vollständiges ABGB vorgezeichnet.
B. Der institutionelle Rahmen I. Verfassungsrechtliches Die Entwicklung ist formell von einer einzigen politischen Kraft bestimmt, nämlich dem absoluten Monarchen als dem gemeinsamen Landesfürsten der habsburgischen Länder; es ist dies erst Maria Theresia, ab 1780 Joseph II., ab 1790 Leopold II. und ab 1792 schließlich Franz II. (bzw. I.). Anders als etwa noch an der Gesetzgebung des 16. Jahrhunderts besitzen die Landstände, nunmehr endgültig entmachtet, keinerlei eigenständigen Anteil an der Gesetzgebung mehr. Gesetzgeber ist allein der Monarch, der betont, er habe sich „das Recht, welches Uns als Landesfürsten in juri ferendo et lege statuendo zustehet, vollständig vorbehalten“ 28. Dieses landesfürstliche Gesetzgebungsmonopol haben 27
Brauneder, Erbrecht, 357 ff. Maasburg, Oberste Justizstelle, 200, 401; zum Absolutismus: Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, Fn. 23, Fn. 26; H. Strakosch, Privatrechtskodifikation und Staatsbildung in Österreich (1753–1811) (= Österreich Archiv), 1976. 28
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1. Kap.: Die Entstehung
dann Codex Theresianus (Kundmachungspatent) und Teil-ABGB 1786 (I §§ 1, 2) festgeschrieben. Die Renaissance der Landstände unter der Regierung Kaiser Leopolds II. brachte hierin keine Änderung. Mit diesem Absolutismus unterschieden sich die Deutschen Erbländer samt Galizien deutlich von den ständisch regierten ungarischen Ländern, was mit einen Grund abgab, die Rechtsvereinheitlichung auf erstere zu beschränken. Am Fortgang der Kodifikationsarbeiten waren die einzelnen Monarchen unterschiedlich beteiligt. Maria Theresia nahm stets Anteil und zeigte bei Verzögerungen mehrmals großes Engagement29. Josef II. griff schon als Mitregent 1773 in die Arbeiten ein und dann mehrmals nach 178030. Leopold II. und Franz II. (I.) hingegen zeigten kaum Interesse: Sie31 betonten bloß den Wunsch nach Durchführung der Rechtsvereinheitlichung und begnügten sich, insbesondere sodann Franz II. (I.), mit notwendigen Verfahrensmaßnahmen. Für die Arbeiten am Gesetzeswerk wurden stets eigene, vom Monarchen besetzte, daher landesfürstliche Gesetzgebungskommissionen, ihrer Gattung nach „Hofkommissionen“, eingesetzt (s. sogleich II.). Insgesamt bietet sich in dieser ersten Phase vor dem Teil-ABGB 1786 das Bild typisch absoluter Gesetzgebung formal allein durch den Monarchen und nicht etwa auch der Landstände, der Ausarbeitung und Überprüfung verschiedenen Organen überträgt, wobei es ein besonderes Anliegen ist, Partikulargewalten wenig in Anspruch zu nehmen. So wurden vor allem die Landstände nicht einmal als Auskunftsinstanz beigezogen: Die Erhebung der Rechte der einzelnen Länder sollte ausdrücklich ohne ihre Vermittlung erfolgen. Maria Theresia lehnte den Wunsch der Landstände Böhmens nach Anhörung ausdrücklich als ein „meiner obersten Gewalt zunahe gehende(s) Begehren“ ab32. Verworfen wurden auch die Vorschläge, den Codex Theresianus außerhalb der Deutschen Erbländer einzuführen, um sodann von den Landesregierungen Gutachten einholen zu können, wie der ähnliche, das Gesetzbuch probeweise in irgendeinem Land in Kraft zu setzen33. Auch eine bloße Begutachtung durch die „Länderstellen“, d. h. die neuen monarchischen Mittelbehörden der Gouvernementsbezirke, wurde abgelehnt. Eine Ausnahme bildete das 1772 neu erworbene Ost-Galizien, das später nur Galizien genannte Kronland: Hier gelangten jene Teile der Kodifikationsarbeiten zur Begutachtung durch die neuerrichteten Landstände, die dann als Erbfolgepatent 1786 auch in Galizien in Kraft traten34.
29 1756: Harrasowsky, Codification, 71; ders., Codex I, 6; 1762: ders., Codification, 96 f.; 1772/73: ebda, 129 ff., 135; Harrasowsky, Codex IV, 2 ff.; Voltelini, Codex, 47. 30 Voltelini, Codex, 49; Harrasowsky, Codification, 143 ff.; ders., Codex IV, 6. 31 Harrasowsky, Codification, 154 ff., 159, 161. 32 Ebda, 47; Korkisch, Entstehung, 275. 33 Harrasowsky, Codification, 127, 141. 34 Harrasowsky, Codex IV, 246 ff. in Fn. 1.
B. Der institutionelle Rahmen
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II. Gesetzgebungskommissionen und ähnliche Gremien 1. Bis zum Teil-ABGB 1786 Die erste Kommission35 wurde zum 1. Mai 1753 einberufen und tagte erstmals bereits am 3. Mai. Bei der Zusammensetzung der Kommission nahm man Bedacht auf eine territoriale Streuung. Unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten der Obersten Justizstelle, Otto v. Franckenberg, gehörten der Kommission an: Josef v. Azzoni für Böhmen, Heinrich Hayek v. Waldstätten für Mähren, Josef Ferdinand Holger für Österreich unter und ob der Enns, Ferdinand Josef v. Thinnfeld für Innerösterreich, späterhin noch Franz Anton v. Burmeister für Schlesien sowie Josef Ignaz v. Hormayer für Tirol und Vorderösterreich. Damit erfolgte die Entsendung im wesentlichen nach den damals bestehenden Gouvernementsbezirken und nicht nach einzelnen Ländern wie dies besonders das u. a. aus den Ländern Steiermark, Kärnten und Krain bestehend Innerösterreich erweist. Diese Auswahl zeigt jedenfalls, daß primär nicht das Landesrecht ein Kriterium für die Entsendung abgab, sondern eine Tätigkeit, die auch die Kenntnisse mehrerer Landesrechte verbürgte. Nach dem Tod Franckenbergs wurde der Vorsitz Freiherrn Heinrich Kajetan v. Blümegen übertragen. Als Referent fungierte der schon erwähnte Azzoni. Der Vorsitz Blümegens hatte zur Folge, daß die Kommission von Wien nach dessen Amtssitz Brünn übersiedelte und dort tagte. Diese Gesetzgebungs-Hofkommission nennt Harrasowsky wie selbstverständlich „Kompilationskommission“, nach ihrer Übersiedelung nach Brünn auch „Brünner Kommission“ 36, und zwar letzteres zur Unterscheidung der zweiten, ab 1755 in Wien errichteten Kommission. In der Sekundärliteratur ist, obwohl ihr die Abfassung einer Kodifikation aufgetragen war, die Bezeichnung Kompilationskommission gängig geworden. Sie wurde am 9. Juli 1756 aufgehoben, ein Jahr nach Errichtung einer zweiten Kommission. Diese zweite Kommission setzte Maria Theresia im März 1755 ein, als die Kompilationskommission ihre ersten Ergebnisse vorzulegen begann, und zwar zur Überprüfung dieser Arbeiten. Nach ihrem Tagungsort nennt sie Harrasowsky im Gegensatz zu der in Brünn tagenden Kompilationskommission „Wiener Kommission“ oder nach ihrer speziellen Tägigkeit „Prüfungskommission“ bzw. „Revisionskommission“ 37, wie sie seither auch die Sekundärliteratur. Die Revisionskommission bestand unter dem Vorsitz des Hofrates Anton von Buol aus insgesamt zehn Mitgliedern, wovon sich sechs aus der Obersten Justizstelle und vier
35 Das Folgende grundsätzlich nach Harrasowsky, Codification, 38 ff.; ders., Codex I, 2 ff.; Korkisch, Entstehung, 268 ff.; Wesener, Usus modernus, 1369 ff. mit biografischen Details. 36 Harrasowsky, Codification, 38 ff., 67 ff.; Harrasowsky, Codification, 44; ders., Codex I, 2 Fn. 5. 37 Ebda, 68 ff.; Harrasowsky, Codex I, 5.
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1. Kap.: Die Entstehung
aus der obersten Verwaltungsbehörde, dem „Directorium“, rekrutierten, weiters kam hierzu noch ein Sekretär; sie nahm ihre Tätigkeit am 9. April 1755 auf 38. Die Einsetzung der Revisionskommission wirkte sich auf die Arbeiten der Kompilationskommission ungünstig aus. Diese sah sich einmal in die Lage versetzt, ihren Entwurf durch zahlreiche Stellungnahmen verteidigen zu müssen. Da die Revisionskommission dennoch das bisher von der Kompilationskommission Erarbeitete zum Teil in Frage stellte, konnte sie überdies angesichts dieser Ungewißheit nur schwer die eigenen Arbeiten fortführen. Zufolge des notgedrungen schleppenden Fortganges der Kodifikationsarbeiten empfahlen daher die Vorsitzenden der beiden Kommissionen deren Zusammenlegung. Am 9. Juli 1756 wurde die Kompilationskommission aufgehoben, aber zwei ihrer Mitglieder – Azzoni und Holger – der Revisionskommission zugeteilt39, die nunmehr als einzige Gesetzgebungskommission fungierte. Aus diesem Grund nennt sie die Sekundärliteratur nun meist auch Kompilationskommission: Sie steht aber zur ersten derart benannten Kommission weder in einer personellen noch sonstigen Kontinuität, in solcher vielmehr zur Revisionskommission, die eben personell erweitert und mit einer neuen Funktion bedacht wurde, nämlich der alleinigen Vorbereitung der Gesetzgebung. Aus diesem Grund wird sie hier in der Folge Gesetzgebungskommission genannt. In ihr hatte weiter von Buol den Vorsitz inne, 1760 folgte ihm Michael Johann Graf von Althann; als Referent fungierte nun Azzoni in der neuen Kommission, im November 1760 wurde ihm Hofrat Zencker beigegeben, der nach dem Tode Azzonis, 1761, allein das Referat führte40. Azzoni wahrte somit die Kontinuität der Arbeiten von der Kompilationskommission in die aus der Revisionskommission hervorgegangene Gesetzgebungskommission. Als es 1772 galt, den mittlerweile fertiggestellten Codexentwurf zu überarbeiten, ging der Vorsitz an Franz Wenzel v. Sinzendorf und das Referat an Johann Bernhard v. Horten über41. Nach seinem Tod 1786, knapp vor der Publikation des Teil-ABGB 1786, folgte ihm Franz Georg v. Keeß, der hierzu bereits das Kundmachungspatent entwarf 42. Bemerkenswert ist die Erwei-
38 Ebda; Harrasowsky, Codification, 69. Sie wies folgende Mitglieder auf: Vorsitz Franz Anton von Buol (Direktorium, ÖudE), Johann Franz von Bourguignon (OJSt, Böhmen), Johann Georg von Haan (OJSt, ÖudE), Johann Georg Müller von Mühlensdorff (OJSt, Böhmen), Thomas Ignaz von Pöckh (OJSt, NÖ), Johann Leonhard von Pelser (OJSt, ÖudE), Franz Karl von Frankenbusch (OJSt, Böhmen), Hermann von Kannengießer (Direktorium, Schlesien und Böhmen), Johann Bernhard von Zencker (Direktorium, Böhmen), Karl Cetto von Kronsdorf (Direktorium, Böhmen) sowie als Sekretär Ursini. 39 Harrasowsky, Codification, 72; ders., Codex I, 6. 40 Harrasowsky, Codification, 94, 96. 41 Voltelini, Codex, 46; Harrasowsky, Codification, 130; ders., Codex IV, I Fn. 2. 42 Harrasowsky, Codification, 151; ders., Codex IV, 6 in Fn. 11, 13; zur Bedeutung von Keeß im folgenden Kodifikationsprozeß: J. Koloman Binder/H. Suchomel (Bearb.),
B. Der institutionelle Rahmen
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terung der Gesetzgebungskommission im Jahre 1788 um zwei Räte der ungarisch-siebenbürgischen Hofkanzlei, da nunmehr auch die ihr unterstellten Länder in die Rechtsvereinheitlichung miteinbezogen werden sollten43. Mit der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes beschäftigten sich somit in dieser ersten Phase drei Kommissionen: die Kompilationskommission, als deren Überprüfungsinstanz die Revisionskommission und schließlich diese nach Auflösung der ersteren, zudem verstärkt durch einen Teil ihrer Mitglieder, als einzige Gesetzgebungskommission. Ihr Arbeitsergebnis bildete der Entwurf des Codex Theresianus 1766, sodann dessen Umarbeitung zum Entwurf Horten 1773/74 und schließlich das Erbfolgepatent sowie das Teil-ABGB 1786. Nach Fertigstellung des Textes des Codex Theresianus kam es zur Einbindung der Obersten Justizstelle44 und vor allem des höchsten Beratungsorganes des Monarchen, des Staatsrates, der einen eigenen Ausschuß einsetzte. Nach der Sanktion von 1786 versuchte noch, allerdings vergebens, die Hofkanzlei Änderungen geltend zu machen45. 2. Bis zum ABGB 1811 Kurz nach dem Regierungsantritt hatte sich Leopold II. am 18. März 1790 vom Präsidenten der Gesetzgebungskommission Bericht erstatten lassen46, löste sie aber schon am 2. April 1790 auf und setzte die neue „Hofkommission in Gesetzgebungssachen“ (hier: Gesetzgebungs-Hofkommission) ein. Ihr Aufgabenkreis umfaßte nicht nur die Kodifikation des Zivilrechts, sondern auch die des Strafrechts einschließlich des Strafprozeßrechts, die Zivilprozeßordnung und soZur Lebensgeschichte des Hofrates Franz Georg Edlen von Keeß. Mitteilungen aus dem Archive des k.k. Justizministeriums, in: ABGB-FS I, 363 ff. 43 Harrasowsky, Codification, 152; ders., Codex IV, 5, Fn. 8. – Zusammensetzung 1772: Vorsitz Franz Wenzel von Sinzendorf (OJSt), Johann Leonhard von Pelser (OJSt, ÖudE), Johann Bernhard von Zencker (Hk, Böhmen), Joseph Ferdinand Holger (OJSt, ÖudE), Johann Franz Bourguignon (OJSt, Böhmen), Ferdinand Mana von Goldegg (OJSt, ÖudE); seit 1773: Karl Anton von Martini (OJSt, seit 1774 Hk, ab 1779 wieder OJSt), Franz Anton von Nell (OJSt, Böhmen); seit 1774: Joseph Hyacinth von Froidevo (NÖ Regierung), Anton von Cuni (Hk), Johann Bernhard von Horten (Staatsrat, davor Reichshofrat). – Zusammensetzung 1782: wie 1772, mit folgenden Änderungen: anstelle von Bourguignon kam Franz Wenzel Kager von Stampach (Böhmisches Appellationsgericht), anstelle von Martini kam Franz Georg von Keeß (OJSt, ÖudE), anstelle von Cuni kam Ignaz von Rüstel (ÖudE, Appellationsgericht). – Zusammensetzung 1786: wie 1782, es fehlen aber Franz Wenzel Kager von Stampach, Johann Bernhard von Zencker, Joseph Ferdinand Holger und Johann Bernhard von Horten, neu hinzu kamen Sauer und Heinrich Franz von Rottenhan (Hk, Böhmen). 44 Allgemein vgl. Kocher, Höchstgerichtsbarkeit. 45 Harrasowsky, Codification, 151; ders., Codex IV, 6. 46 Das Folgende nach Harrasowsky, Codification, 152 ff.; ders., Codex IV, 7 ff.; Korkisch, Entstehung, 282 ff.
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1. Kap.: Die Entstehung
gar die Politischen Gesetze, was auf die „Idee eines codificirten einheitlichen Rechtes“ in großem Umfang hinweise47. Sie begann mit ihrer Tätigkeit am 10. April 1790. Ihr präsidierte Karl Anton v. Martini, der vorerst als einziges Kommissionsmitglied die personelle Kontinuität zur aufgehobenen Gesetzgebungskommission herstellte, bis dann von ihr 1792 noch Keeß und Froidevo beigezogen wurden. Als die Kommission 1794 den ersten Teil der künftigen Kodifikation zur Sanktion vorlegte, wiederholte sich ein sowohl von der Kompilationskommission wie von der Gesetzgebungskommission her bekannter Vorgang: Wie zu ersterer die Revisionskommission und zu letzterer der Staatsratsausschuß hinzugetreten waren, kam es am 21. Juli 1794 zur Einsetzung einer Überprüfungskommission unter dem Vorsitz von Josef v. Sonnenfels, und zwar auf Betreiben der obersten politischen Behörde, des Direktoriums48. Ähnlich wie damals schienen auch jetzt die Arbeiten der Gesetzgebungs-Hofkommission zu erlahmen, Martini erwog vorübergehend, sie einzustellen. Da sie aber dann einerseits doch vehement fortgesetzt wurden, andererseits die Überprüfungskommission erst am 30. November 1795 zusammentrat, konnte die Gesetzgebungs-Hofkommission einen fertigen Kodifikationsentwurf vorlegen, während die Überprüfungskommission über Ansätze ihrer Tätigkeit nicht hinausgekommen war. Das Ergebnis der Arbeiten der Gesetzgebungs-Hofkommission bildete der sogenannte Entwurf Martini 1793/94 und das Galizische Bürgerliche Gesetzbuch (GBGB) 1796/97, das gleichzeitig als „Urentwurf“ den weiteren Arbeiten zugrundelag49. Die Gesetzgebungs-Hofkommission machte nun den Vorschlag, die weiteren Arbeiten nicht zwei Kommissionen zu überlassen, nämlich ihr und der Überprüfungskommission, sondern den Entwurf in den Ländern einer Begutachtung zu unterziehen und mit der Endredaktion nur eine Kommission zu beauftragen; dies billigte Leopold II. am 20. November 1796. Erzählenswert ist der Umstand, dass Martini im Februar 1797 auf eigenes Ansuchen aus der Kommission ausschied, was er sowohl mit seiner angegriffenen Gesundheit wie auch damit begründete, er habe bereits sein Bestes geleistet und könne daher zu weiteren Verbesserungen nichts mehr beitragen50. Immerhin hatte er noch die Genugtuung, in diesen Tagen die Vorbereitungen zum Inkraftsetzen „seines“ Entwurfs in Galizien zu sehen. Überprüfungskommission und erste Gesetzgebungs-Hofkommission überließen 1796 ihre Arbeiten einer neugebildeten, also der zweiten GesetzgebungsHofkommission unter dem Präsidium von Heinrich Franz v. Rottenhan, dem 1810 Mathias Wilhelm v. Haan folgte, bei kontinuierlichem Referate Franz v. 47
Pfaff/Hofmann, Commentar, 19. Adler, Gesetzgebung, 109 f.; Pfaff/Hofmann, Excurse, 26 ff. 49 EMart: Harrasowsky, Codex IV, 9 Fn. 21; Abdruck ders., Codex V, 1 ff.; zum GBGB siehe sogleich. 50 Vgl. Adler, Gesetzgebung, 131. 48
B. Der institutionelle Rahmen
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Zeillers51. Die zweite Lesung ihres Entwurfs („Revision“) übertrug die Kommission dann einem Ausschuß, die dritte Lesung („Superrevision“) besorgten nur einige wenige Mitglieder; das Referat führte auch hier stets Zeiller. Das Arbeitsergebnis dieser zweiten Gesetzgebungs-Hofkommission bildet das ABGB 1811. Zunehmend geringeren Einfluß auf die Kodifikationsarbeiten nahm die Oberste Justizstelle; sie dürfte allerdings den Erlaß des GBGB initiiert haben52. Von gleichfalls nur geringer Wirkung blieben die Einmengungen des Directoriums und die des Staatsrates. Im Unterschied zur Entwicklungsphase vor dem Teil-ABGB 1786 waren nun nicht nur Zentralstellen in die Gesetzgebungsarbeiten eingebunden. Auf Anregung der ersten Gesetzgebungs-Hofkommission sollten auch Behörden in den Ländern beigezogen werden. Zu diesem Zwecke erfolgte aufgrund einer kaiserlichen Entschließung vom 15. September 1790 bei den Appellationsgerichten die Einsetzung von speziellen Kommissionen unter Beiziehung von Vertretern der Landstände53. Zu einer Befassung von echten Landesbehörden kam es somit nicht, sondern vielmehr von dezentralisierten staatlichen Kommissionen, wobei diese durch ihre Bindung an die Appellationsgerichte in der Regel nicht bloß für ein Land, sondern für eine Ländergruppe tätig wurden. Hinsichtlich der zweiten Gesetzgebungs-Hofkommission erwog man anfangs eine Zusammensetzung nach Ländergruppen analog den Appellationsgerichts-Kommissionen, ließ aber dann diesen Plan doch fallen, auch den, bei den Gubernien der Gouvernementsbezirke sogenannte „Länderkommissionen“ einzusetzen, die allerdings eben solche der Gouvernementsbezirke und nicht der einzelnen Länder gewesen wären54. Auch wissenschaftlicher Rat sollte diesmal eine Rolle spielen. An den Rechtsfakultäten wurde einzelnen Professoren die Erstellung von Gutachten aufgetragen55, nämlich den Professoren Christoph Hupka in Wien, Franz Joseph Groß und Ferdinand Woldrich in Prag, Josef Johann Peer in Innsbruck, Franz Xaver Jellenz in Freiburg/Breisgau und Balthasar Borzaga in Lemberg. Ablehnung erfuhr abermals eine direkte Einflußnahme der Landstände, obwohl von einigen von ihnen gefordert und obwohl von ihnen zahlreiche Beschwerden bei der ersten Gesetzgebungs-Hofkommission eingelangt waren56. Fallengelassen 51
Harrasowsky, Codification, 163, 165; ders., Codex IV, 10; Ofner, Urentwurf I, 1 ff. G. Kocher, Die Zivilgesetzgebung und die Oberste Justizstelle bis zum ABGB, in: K. Ebert (Hrsg.), Festschrift Hermann Baltl, 1978, 314 f.; Harrasowsky, Codex IV, 11. 53 Harrasowsky, Codification, 154; ders., Codex IV, 9. 54 Harrasowsky, Codification, 163; Ofner, Urentwurf II, 590. 55 Entgegen Harrasowsky, Codification, 156, sowie ders., Codex IV, 9, Fn. 19, nicht den Fakultäten insgesamt: Pfaff/Hofmann, Excurse, 21 f., wo das Gutachten von Prof. Jellenz auszugsweise abgedruckt ist, Teile aller Gutachten auch bei Harrasowsky, Codex V, wie z. B. 194 Fn. 2 (Peer, auch „Beer“), 1 Fn. 1 (Groß), 6 Fn. 3 (Hupka), 13 Fn. 8 (Jellenz), 21 Fn. 15 (Borzaga), 27 Fn. 3 (Woldrich). 56 Harrasowsky, Codex IV, 7 f. 52
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1. Kap.: Die Entstehung
wurde das noch vom Kaiser am 20. November 1796 angeordnete Einholen ausländischer Stellungnahmen vor allem zufolge des Arguments, daß man damit geltendes Recht, nämlich nun das des GBGB, überprüfen lassen würde57. „Von der anfänglich gefaßten Idee, das gelehrte Publicum durch Preise zur Beurtheilung des Entwurfs [Maritini] aufzufordern“, kam man gleichfalls bald ab, besonders Zeiller versprach sich davon gar nichts, da der ausgesetzte „ansehnliche Preis“ für ein Wuchergesetz keinen Erfolg gebracht habe58. Die Hauptlast der Arbeiten in dieser zweiten Phase trugen die beiden Gesetzgebungs-Hofkommissionen mit jeweils einem greifbaren Ergebnis, nämlich dem GBGB nach den Arbeiten der ersten und dem ABGB 1811 nach jenen der zweiten Kommission59. Insgesamt waren an den beiden Kodifikationsabschnitten folgende Hofkommissionen beteiligt gewesen:
C. Der äußere Ablauf I. Der erste Entwurf: „Codex Theresianus“ Den unmittelbaren Anlaß zum Beginn der Kodifikationsarbeiten60 stellte schon nach zeitgenössischer Meinung „eine im Jahre 1752 überreichte Denkschrift eines innerösterreichischen Appellationsrates“ dar. Harrasowsky hatte erst angedeutet, dann schlechthin behauptet, es handle sich hierbei um den oben (S. 24) erwähnten „Vorschlag“ eines anonymen „H.“ aus 1753 und hatte daher dann auch 57
Harrasowsky, Codification, 161; Korkisch, Entstehung, 288 f. Zeiller, Beytrag I, 27 f. Fn. **. 59 Der Teil des Resümees bei Kocher, wie Fn. 52, 322: „Daß die Oberste Justizstelle als Gremium . . . das tragende Element der österreichischen Zivilgesetzgebung in der Zeit des Naturrechts war“, relativiert sich damit und auch aufgrund der Ausführungen bei Kocher selbst. 60 Das Folgende grundsätzlich nach Harrasowsky, Codification, 38 ff.; ders., Codex I, 2 ff.; Korkisch, Entstehung, 268 ff.; Wesener, Usus modernus, 1369 ff. 58
C. Der äußere Ablauf
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die Überreichung der „Denkschrift“ von 1752 in das Jahr 1753 verlegt61, was in der Folge festgeschrieben wurde, wenngleich bei Korkisch mit Skepsis62. Diese ist nur zu berechtigt: Was immer erst 1753 vorgelegt worden wäre, kann den Anstoß zur Privatrechtskodifikation nur unter mehreren Bedingungen abgegeben haben. Einmal müßte diese Denkschrift vor dem ersten offiziellen Schritt zum Beginn der Privatrechtskodifikation am 3. Februar 1753, ja sogar einer davorliegenden „Intention“ Maria Theresias (siehe sogleich), also bloß in längstens einem Monat, dem Jänner 1753, verfaßt, übergeben, studiert und für befolgenswert befunden worden sein, eine beschleunigte Behandlung, welche einer Denkschrift wohl, wenn überhaupt, dergestalt nur dann widerfahren wäre, wenn ihr Verfasser eine bekannte und hochstehende Persönlichkeit gewesen war – was wir aber weder wissen noch anzunehmen ist. So ist doch die ursprüngliche Quellenmitteilung Harrasowskys glaubhaft, daß als auslösendes Moment die schon 1752 überreichte Denkschrift wirkte, die dann mit dem „Vorschlag“ eines gewissen „H.“ von 1753 nicht identisch sein kann, zumal dieser sich ja auch gar nicht speziell auf das Privatrecht bezieht. Freilich könnte dieser „Vorschlag“ einen zusätzlichen Anstoß zur Rechtsvereinheitlichung abgegeben haben, aber auch dies nur unter den vorgenannten Bedingungen. Jedenfalls legte am 3. Februar 1753 der Vizepräsident der Obersten Justizstelle Otto v. Franckenberg einen Entwurf zur Abfassung einer „neuen Gerichtsordnung oder sogenannten Codex Theresianus“ vor, wobei er sich auf eine „allerhöchste kaiserliche“ („a. h. k.“) „Intention“ beruft. Daß diesem „Entwurf “ ein Auftrag Maria Theresias vorausging („Intention“), würde ihre umgehende Billigung des Entwurfs erklären, so daß der Oberste Kanzler Graf Haugwitz bereits am 14. Februar 1753 der Obersten Justizstelle die Einsetzung einer entsprechenden Kommission, der Kompilationskommission, mitteilen konnte. Offenbar gleichzeitig übermittelte er ihr auch eine Instruktion Maria Theresias63, wie der Codex abzufassen sei, in der wir wohl mit ziemlicher Sicherheit nicht ein neues Elaborat, sondern die erwähnte „Intention“ vermuten dürfen. Die Kommission wurde zum 1. Mai 1753 einberufen und tagte erstmals am 3. Mai. Einen Monat nach Beginn der Arbeiten, am 9. Juni 1753, genehmigte die Kompilationskommission den von Azzoni ausgearbeiteten „Entwurf des Codicis Theresiani“, in der Sekundärliteratur als „Hauptübersicht“, „Generalplan“ oder „Gesamtplan“ charakterisiert64. Tatsächlich trifft diese Charakteristik hievon nur 61 Harrasowsky, Codex I, 2: Druckfehler, nachträgliche (stillschweigende) Richtigstellung oder ungewollte Harmonisierung mit dem Datum des „Vorschlags“? 62 Harrasowsky, Codification, 38; Korkisch, Entstehung, 266 ff. 63 Wesener, Usus modernus, 1369. 64 Voller Titel: Entwurf des Codicis Theresiani. Der Röm. kayserlichen Marie Ther(esia) Allgemeines Recht für Dero gesamte deutsche Erblande: AVA, Oberste Justizstelle/Hofcommission, Karton 43. Bei Harrasowsky, Codification, 51 ff., sind lediglich vom Teil „Vorläufiger Inhalt“ die Überschriften abgedruckt (ohne Gerichtsordnung)
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1. Kap.: Die Entstehung
auf den Abschnitt „Kurzer Anblick deren Haupt-Theilen und darin enthaltenen Abhandlungen“ zu. Mit der ihm vorangestellten „Vorbemerkung“ und vor allem dem nachfolgenden Hauptabschnitt „Vorläufiger Inhalt“ – 116 von insgesamt 120 Seiten! – liegt, im Sinne des Titels, mehr, nämlich bereits ein „Vorentwurf “ (so auch hier) vor. Freilich diente er den weiteren Arbeiten grundsätzlich als Hauptübersicht und Generalplan, beispielsweise aber auch als Richtschnur, nach welcher die einzelnen Kommissionsmitglieder das in ihrem territorialen Bereich geltende Recht als weitere Vorarbeit darzustellen hatten. Dieser Arbeit entledigten sie sich insofern, als sie nach dem „Vorentwurf“ tabellarisch die jeweiligen regionalen Rechte darstellten65. Diese Landrechtsdarstellungen sollten zum 1. Oktober 1753 fertiggestellt sein, haben aber erst am 5. November 1753 der Kommission vorgelegen, und zwar nur von Österreich unter und ob der Enns, von Innerösterreich sowie von Mähren, allerdings ergänzt durch ein „Systema Codicis Theresiani combinatum cum titulis iuris communis“, eine Zusammenstellung des Gemeinen und Kanonischen Rechts nach dem „Vorentwurf “ 66. Damit stand für die kommenden Arbeiten aufbereitetes Material zur Verfügung. In dieser Sitzung vom 5. November 1753 beschloß die Kommission auch ein Verfahrenskonzept. Die daraufhin von Azzoni ausgearbeiteten „Grundsätze zur Verfassung des allgemeinen Rechts für gesammte kaiserl. königl. deutsche Erblande . . .“, die sich selbst kurz „Compilationsgrundsätze“ nennen (so auch hier), nahm die Kommission am 21. November 1753 an67. Von Anfang ihrer Arbeiten an kannte die Kommission allerdings die schon erwähnte Instruktion Maria Theresias, die sich deutlich in den Compilationsgrundsätzen wiederfindet. Nach diesen Vorarbeiten begannen am 7. Dezember 1753 die Arbeiten am Gesetzeswerk selbst68, und zwar mit der Einleitung dazu, die jedoch später wegfiel. Als erstes Ergebnis ihrer Arbeit konnte die Kompilationskommission am 5. Oktober 1754 etwa das erste Drittel des ersten von ursprünglich vier Teilen vorlegen. Der Rest dieses ersten Teiles folgte im Februar und Juni 1755; hinzu kamen noch Erläuterungen. Die Vorlage des ersten Arbeitsergebnisses initiierte die Einsetzung der Revisionskommission69. Als diese 1756 nach Auflösung der Kompilationskommis-
– nicht der Text und die Anmerkungen. – „Hauptübersicht“ bei Harrasowsky, Codex I, 3 Fn. 6, 29 Fn. 3, 33 Fn. 1 etc; „Generalplan“ bei ders., Codification, passim; „Gesamtplan“ nach Loschelder, Gerichtsordnung, 32 Fn. 11. 65 Bei Harrasowsky teilweise in die Anmerkungen fragmentarisch aufgenommen (vgl. unten Fn. 263); Wesener, Usus modernus, 1373. 66 Loschelder, Gerichtsordnung, 37 f.; Höslinger, Quellen, 73 Fn. 7, 74 ff.; dazu noch unten S. 94 ff. 67 Abgedruckt bei Harrasowsky, Codification, 65; ders., Codex I, 16 ff.; „Kodifikationsgrundsätze“ auch bei Wellspacher, Naturrecht, 175; zu ihnen unten S. 59 ff. 68 Zum Folgenden Harrasowsky, Codex I, 3; ders., Codification, 65, 66 ff. 69 Zum Folgenden ebda, 72 f., 96 f.; Harrasowsky, Codex I, 6 f.
C. Der äußere Ablauf
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sion die Funktion einer Gesetzgebungskommission übernahm, begann sie 1757 mit der Umarbeitung des von jener fertiggestellten 1. Teiles, die 1758 Maria Theresia vorgelegt wurde. Parallel wurde nun am 2. Teil von Azzoni und am 3. Teil von Zencker gearbeitet. Dieser war 1763 vollendet, worauf Zencker auch den seit dem Tod Azzonis 1760 liegengebliebenen 2. Teil fertigstellte und anschließend die Endredaktion sämtlicher Teile vornahm, so daß der Entwurf samt dem für ein Kundmachungspatent der Kaiserin Ende 1766 übergeben werden konnte. In Abweichung vom ursprünglichen Plan umfaßte der fertiggestellte Codex nicht auch eine Gerichtsordnung, sondern nur das materielle Privatrecht, und damit nur drei statt vier Teile. Fast genau zwei Jahre nach Einsetzung der Kompilationskommission 1753 war somit der 1. Teil des Kodifikationsentwurfs fertiggestellt – eine beträchtliche Leistung, da es sowohl an Vorarbeiten wie an Erfahrungen gänzlich fehlte. Drei weitere Jahre hatte die Umarbeitung in Anspruch genommen, so daß für den 1. Teil fünf Jahre aufgewendet worden waren, schließlich weitere fünf Jahre für den 3. Teil und ebensoviele für den 2. Teil (teils in Parallelarbeit zum 3. Teil) sowie die Endredaktion; insgesamt war der Text des Codex Theresianus 1766 nach dreizehn Jahren fertiggestellt. Als nach diesen langen und aufwendigen Arbeiten in mehreren Kommissionen der Entwurf endlich vorlag, erwartete man eine alsbaldige Sanktion. Dies auch angesichts der Tatsachen70, daß für den Druck des deutschen Textes bereits Verhandlungen geführt, Übersetzungen desselben vorgesehen und begonnen wurden, auch Vorschläge zur Errichtung eigener Lehrkanzeln für den Codex Theresianus an den Universitäten Wien und Prag sowie die Einsetzung von Kommissären zur Überwachung der Gesetzesanwendung zur Erörterung kamen, schließlich die in der Übersetzungsfrage befaßte Oberste Justizstelle die Saktionierung empfahl. Doch wurde nun der Staatsrat eingeschaltet; er erhielt den Entwurf, wie übrigens auch den des Strafgesetzbuches, übermittelt71. Dieser Vorgang versteht sich aus der Struktur des absoluten Staatswesens, wonach der Staatsrat als oberstes Beratungsorgan des Monarchen dessen Entscheidung über den ihm vorgelegten Gesetzesentwurf vorbereitet, und zwar durch seine Überprüfung. Diese nahm nun nicht das ganze Kollegium des Staatsrates vor, sondern es beauftragte ein ehemaliges Mitglied der Kompilationskommission, von Waldstätten, mit der Abgabe eines Gutachtens. Es fiel negativ aus, wurde der Gesetzgebungskommission zur Stellungnahme übermittelt und mit dieser im Mai 1769 dem Staatsrat übergeben. Hier wandten sich vier Mitglieder gegen die Sanktion des Entwurfs in der vorliegenden Form: Er sei zu umfangreich, eher eine Materialsammlung, noch zu sehr dem Römischen Recht verhaftet, überdies, so eine weitergehende Kritik, 70
Harrasowsky, Codification, 122. Vor allem Voltelini, Codex, 39 ff.; sowie Maasburg, Compilationscommission, 209 f.; 213 f., 217 ff. (auch als Separatdruck, 1881); Harrasowsky, Codification, 9 ff. 71
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1. Kap.: Die Entstehung
durch die noch fehlende Gerichtsordnung, ferner den Codex Criminalis sowie das Handels- und Wechselrecht zu ergänzen, schließlich sein Geltungsbereich auch auf Ungarn und Siebenbürgen, die Lombardei und die österreichischen Niederlande auszudehnen; den Voten war weiters ein Kürzungsvorschlag, erarbeitet von dem Staatsratskonzipisten Horten, beigefügt72. Gegen diese negative Kritik erhob sich nur die Stimme eines Staatsratsmitglieds, nämlich die des ehemaligen Vorsitzenden der Kompilationskommission von Blümegen. Der negativ votierenden Mehrheit schloß sich der Hof- und Staatskanzler Kaunitz an73: In seinem ablehnenden Votum vom 14. Oktober 1770 hob er mehrere Mängel hervor, nämlich den zu starken Einfluß des Römischen Rechts, die Vermischung von Lehrbuch und Gesetz im Zusammenhang mit der Weitläufigkeit sowie die angeblich subsidiäre Fortgeltung bisheriger Rechte, womit er allerdings irrte, da eine solche nur für den außerhalb des Kodex liegenden Bereich des öffentlichen Rechts statuiert war. Kaunitz’ Stellungnahme war jedoch ausschlaggebend: Anstatt den Entwurf zu sanktionieren, bestimmte Maria Theresia am 20. Oktober 1770, daß er nach dem im Staatsrat erstellten Kürzungsvorschlag Hortens umzuarbeiten sei, befahl aber am 30. November der Gesetzgebungskommission, sie solle vorerst vor ihrer entsprechenden „Entschließung“ über die ersten drei Teile des Entwurfs die als vierten Teil noch ausstehende Prozeßordnung ausarbeiten74.
II. Der zweite Entwurf: Entwurf Horten Mit dem eben erwähnten Beschluß der Kaiserin von 1770 hatte nicht nur die Arbeit der Gesetzgebungskommission den erwarteten Abschluß, die Sanktion, verfehlt, sondern es trat die Entwicklung des Kodex in eine neue Phase ein. Sie ist dadurch charakterisiert, daß nunmehr, in wechselnden Varianten75, der Staatsrat bzw. ein von ihm Anfang 1772 eigens gebildeter Ausschuß unter dem Vorsitz des Staatsratsmitglieds Karl Friedrich Anton von Hatzfeld und vor allem die Person Hortens die Arbeiten dominierten, während die Gesetzgebungskommission vorerst eine untergeordnete Rolle spielte. Erst gegen etwa Ende 1772 verlagerten sich zur Beschleunigung die Arbeiten schwerpunktmäßig wieder in diese Kommission zurück; am 4. August 1772 hatte ihr nämlich die Kaiserin im Sinne ihrer Entschließung vom 20. Oktober 1770 aufgetragen, nach bestimmten Grundsätzen den weiteren Beratungen die Umarbeitungen des Codex Theresianus durch Horten zugrunde zu legen. Dieser fungierte nun selbst in der Gesetzgebungskommission als Referent; ihre Arbeiten standen unter der Aufsicht des Staatsrats bzw. seines Ausschusses. 72
Maasburg, Compilationscommission, 210 in Fn. 10. Wortlaut ebda, 217 f. (bzw. 10 ff.); vgl. auch Wesener, Usus modernus, 1377. 74 Voltelini, Codex, 42; Maasburg, Compilationscommission, 218. 75 Das Folgende nach: Voltelini, Codex, 43 ff.; Harrasowsky, Codex IV, I ff.; ders., Codification, 126 ff.; vgl. auch Zeiller, I, 8 f. 73
C. Der äußere Ablauf
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In der Tätigkeit Hortens und der befaßten Gremien sind mehrere Arbeitsvorgänge zu unterscheiden, die aber streckenweise parallel verliefen. Vom Jahresbeginn 1771 an erstellte Horten in einer sogenannten „Umarbeitung“ eine kürzere Fassung des Codex Theresianus76 und nahm dann als „Ausarbeitung“ inhaltliche Modifikation vor. 1774 brachen die Arbeiten jedoch ab, denn die an der Gerichtsordnung hatten Vorrang erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war zufolge Hortens „Umarbeitungen“ die kürzere Fassung des Codex Theresianus zur Gänze fertiggestellt und hiervon seitens der Gesetzgebungskommission der erste Teil sowie vom zweiten Teil die Kapitel über Sachen, das Eigentum und das Erbrecht beraten worden: Der „Entwurf Horten“ besteht somit aus diesen durchberatenen und den bloß von Horten entworfenen restlichen Teilen77. Betrachtet man Hortens Kürzung des Codex Theresianus im Jahre 1771 als Neubeginn der Arbeiten, war der Entwurf Horten bei Abbruch der Arbeiten Mitte 1774 in etwa dreieinhalb Jahren fertiggestellt worden.
III. Das erste legislative Ergebnis: Das Erbfolgepatent 1786 Mit dem Regierungsantritt Josefs II. gewann der Aspekt der Rechtsvereinheitlichung wieder stark an Bedeutung, was auch einen Umschwung der Meinungen z. B. in der Obersten Justizstelle mit sich brachte, wohl auch in der Gesetzgebungskommission, zumal diese durch die Aufhebung der hinsichtlich der Gerichtsordnung eingesetzten Überprüfungs-„Deputation“ sogleich 1781 eine Aufwertung erfahren hatte78. Praktische Bedürfnisse drängten nun zum Erlaß von Einzelgesetzen wie dem Ehepatent 1783 (JGS 117) und dem Erbfolgepatent 1786 (JGS 548). Dieses war vor allem für das neuerworbene Ost-Galizien notwendig geworden, wurde aber sogleich auch für „alle deutschen Erbländer“ erlassen, zumal das vorzeitige Inkraftsetzen des Erbrechts aus der Gesamtkodifikation 76 Zum Folgenden ist grundsätzlich festzuhalten, daß die Ausführungen bei Harrasowsky, Codex I–V, sowie ders., Codification, nur mit Mühe in Einklang zu bringen sind; auch Voltelini, Codex, und Korkisch, Entstehung, sind nicht klar. Dies betrifft schon die einzelnen Arbeitsschichten: So ist mit „Umarbeitung“ bei Harrasowsky, Codification, 125 ff., 128 f., 136 ff., die Kürzung des Codex Theresianus durch Horten bezeichnet, ebenso bei Voltelini, Codex, 41 und insb. 43 f. – Korkisch, Entstehung, 276, verwendet für die Reduzierung des Umfangs des Codex Theresianus die Bezeichnung „Gegenentwurf“ sowie „Bearbeitung“. – Mit „Ausarbeitung“ ist hier in der Folge die Durchberatung der Kurzfassung Hortens bezeichnet wie etwa auch bei Voltelini, Codex, 44, 47. Harrasowsky, Codex IV, 3, sowie insb. ders., Codification, verwendet für diese Tätigkeit der Gesetzgebungskommission auch die Bezeichnung „Umarbeitung“, für die vorausgegangene Kürzungstätigkeit Hortens aber „Ausarbeitung“. Andererseits spricht Harrasowsky, Codification, 124, davon, es habe die Gesetzgebungskommission „ein Civilgesetzbuch auszuarbeiten“. 77 Ebda, 140; Harrasowsky, Codex IV, 3 Fn. 4. 78 Ebda, 4 ff.; sowie ders., Codification, 140.
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1. Kap.: Die Entstehung
schon 1759 zur Debatte gestanden hatte79. Während das Ehepatent 1783 als Neuschöpfung außerhalb der Kodifikationsarbeiten entstand, stellt das Erbfolgepatent 1786 einen modifizierten Teil des Entwurfs Horten dar: Es ist somit das erste in Gesetzeskraft erwachsene Ergebnis der Kodifikationsarbeiten80. Die große Neuerung bestand in der Konstruktion des Parentelensystems als Grundlage des gesetzlichen Erbrechts. Nicht nur fand es Aufnahme in die nachfolgenden Kodifikationstexte, sondern diente auch anderswo, noch vor dem ABGB, zum Vorbild. So orientierten sich in Bayern die Bemühungen um eine Revision des Codex Maximilians Bavarieus civilis von 1808 bis 1811 am Erbfolgepatent 178681. In Liechtenstein diente es der vom Landvogt Joseph Schuppler ausgearbeiteten „Erbfolgs- und Verlassenschaftsabhandlungsordnung“ (1809) als Vorbild.82
IV. Die erste Kodifikation: Das Teil-ABGB 1786 Der Erlaß allgemeiner Gesetze über Teilmaterien des Privatrechts 1783 und 1786 erhielt Modellcharakter und forcierte die weitere Entwicklung, zumal Josef II. vom Erbfolgepatent durch dessen „entschiedenen Bruch mit dem geltenden Privatrechte“ angetan war83: Als die Gesetzgebungskommission am 12. Juni 1782 die Arbeit an der Zivilrechtskodifikation wieder aufnahm, schlug sie diesen Weg auch für diese selbst vor, nämlich das Inkraftsetzen der Kodifikation in einzelnen Teilen, wobei abermals die Notwendigkeit einer raschen Gesetzgebung für Ost-Galizien mitbestimmend wurde. Am 10. Oktober 1785 legte sie den ersten Teil des leicht umgearbeiteten Entwurf Horten dem Kaiser vor und unterzog ihn sodann aufgrund einer kaiserlichen Entschließung vom 21. Februar 1786 noch einigen Änderungen; am 31. März 1786 erfolgten die Sanktion und die Anordnung der Publikation. Josef v. Sonnenfels wurde vom Kaiser noch mit einer stilistischen Überarbeitung beauftragt, welche die Hofkanzlei zu inhaltlichen Änderungen verwenden wollte: Gegen diese Intention ordnete jedoch der Kaiser am 1. November 1786 die Kundmachung abermals an. So trat gemäß dem Kundmachungspatent (JGS 591) das Teil-ABGB 1786 am 1. Jänner 1787 in Kraft; erst nachträglich wurde am 2. März 1787 für Ost-Galizien der „Termin zur Wirksamkeit . . . verlängert“ und „dazu der 1. Mai 1787 festgesetzet“ 84, so 79 Harrasowsky, Codex IV, 6; bezgl. Galizien ebda, 247 ff.; 1759: Harrasowsky, Codification, 90 f. 80 Zu seiner Entwicklungsgeschichte grundlegend: Ehrenzweig, Erbfolgeordnung, 17 ff. 81 W. Demel/W. Schubert, Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern von 1811, 1986, LXVI, LXXXIV. 82 Berger, Rezeption, 19. 83 Ehrenzweig, Erbfolgeordnung, 11; das Folgende nach Harrasowsky, Codification, 145, 151; ders., Codex IV, 6; Korkisch, Entstehung, 281. 84 HD 1787 III 2, kundgemacht in Galizien 1787 III 10 (Handbuch X, 300 ff.; ebda, XIII, 379). Es gibt somit kein eigenes KdmPat und schon gar kein eigenes Teil-ABGB
C. Der äußere Ablauf
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daß das Teil-ABGB in Ost-Galizien später Geltung erlangte als in den übrigen Ländern. Mit dem ersten Teil des überarbeiteten Entwurf Horten war aber nicht so wie etwa mit dem Erbfolgepatent ein abgeschlossenes Teilgesetz erlassen, sondern mit dem Inkraftsetzen der gesamten Kodifikation begonnen worden85: Zu Anfang Jänner bzw. Mai 1787 trat bereits ein „Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch“ in Kraft, wenngleich auch hiervon bloß der erste von drei Teilen. Dies stellte nicht nur das Kundmachungspatent klar – in Kraft trat der „zustandegebrachte erste Theil“ –, sondern ergab sich aus den Buchausgaben, die (nicht so die Justizgesetzsammlung), den Gesetzestext mit „Erster Theil“ überschrieben (s. unten S. 163). Über die beiden ausständigen Teile waren noch weitere Verhandlungen zu führen und sie sodann gleichfalls zu sanktionieren. Als nächster Schritt sollte mit der ersten Abteilung des zweiten Teils das gesamte Erbrecht in Kraft gesetzt werden86. 1787 kam es allerdings zur Einstellung der Arbeiten, und zwar wie schon am Entwurf Horten abermals nach der Beratung des Erbrechts87. Ursächlich hiefür dürfte der Arbeitsanfall in der Gesetzgebungskommission gewesen sein, sodann der gewichtige Umstand, daß die Rechtsvereinheitlichung nun auch Ungarn umfassen sollte, überdies war ein Teil des Erbrechts bereits im Erbfolgepatent 1786 geregelt, so daß gerade hier ein Fortführen der Arbeiten als nicht gar so dringlich erscheinen konnte. Eine Ausgabe des Gesetzbuches von 1787 „Nach dem Wiener Exemplar“ betont, anders als dieses, vor seinem Inhaltsverzeichnis mehrere, offenbar als signifikant angesehene Wirkungen: Es hebe den „dermaligen Unterschied der Gesetzgebung“ in den verschiedenen Ländern auf und erkläre alle einschlägigen bisherigen Gesetze für „kraftlos“; es setze damit die „Länder in nähere Verbindung“ und erleichtere zwischen ihnen „Gemeinschaft und Handlung“; schließlich setze es „der menschlichen Freyheit so wenige Schranken als möglich“. Daher, so heißt es abschließend, werden bei „so vielen Vorteilen . . . die baldige Zustandebringung der übrigen Theile der Wunsch eines jeden Patrioten“ sein! Es blieb aber nicht beim zeitweiligen Aufschub, es kam vielmehr zum Abbruch der Kodifikationsarbeiten. Mit dem plötzlichen Tod Josefs II. gerieten sie nämlich in den Sog der Bestrebungen, Maßnahmen des verstorbenen Kaisers für Galizien; aber die Situation entspricht völlig dem Erbfolgepatent von 6 Monaten zuvor. Die Kundmachung erfolgte überdies zT länderweise: Nach dem allgemeinen Pat 1786 XI 1 in Mähren am 23.11., in Böhmen am 25.11. und in Galizien ebenfalls schon am 30.11.1786 (Handbuch X, 301). Die Differenzierung des Inkrafttretens („Wirksamkeit“) war somit nicht von Anfang an geplant. Als Folge vgl. HD 10 III 1789 (JGS 985) bezüglich der Wirksamkeit eines Ehepakts (Pkt. B). 85 Unrichtig daher Eichler, Personenrecht, 230. 86 Harrasowsky, Codification, 151 f. 87 Harrasowsky, Codex IV, 6.
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rückgängig zu machen. So blieb das Teil-ABGB 1786 eben unvollständig, ein Torso. Allerdings wurde es am 22. Februar 1791 (JGS 115) novelliert88, da „die wohlgemeinten Absichten der Gesetzgebung [. . .] in der Ausübung nicht durchaus erreicht, und über einige Puncte [. . .] vielfältige Klagen angebracht worden sind“. Die „Abänderungen“, wie es ausdrücklich hieß, wurden in acht Paragrafe89 aufgenommen, und zwar mit zum Teil erstaunlicher Länge, etwa gegliedert in a) bis e) (§ 3) und sogar a) bis n) (§ 4) bzw. unterteilt in zwei (§ 1) und vier (§§ 6 und 7) Absätze. In der überwiegenden Zahl dieser Paragrafe (§§ 2, 3, 4, 5, 6) werden die entsprechenden Bestimmungen des Teil-ABGB ausdrücklich „aufgehoben“ und durch neue ersetzt, allenfalls einschließlich dazu ergangener „Verordnungen“ (§§ 3, 5, 7) bzw. „Erläuterungen“ (§ 4) oder „Verordnungen“ schlechthin (§ 6). In allen Fällen handelt es sich um Textänderungen, also Novellierungen. So wird die Rückwirkung von Gesetzen (I § 7 Teil-ABGB) inhaltlich im Wesentlichen unverändert auf einen „einfachen Grundsatz“ umformuliert (§ 1), die Bestellung des väterlichen Großvaters und der Mutter als Vormund erleichtert (§ 5), ebenso die Anlegung des Mündelvermögens (§ 6) und die „Rechnungslegung der Väter und Vormünder“ (§ 7), verschärft hingegen die Maßnahmen gegen Verschwender (§ 8). Wesentlich gravierender sind jedoch die Änderungen durch die beiden langen Paragrafen. So verschärft § 3 das Verfahren betreffend die Nichtigkeit einer Ehe oder deren Scheidung im Falle von Nichtkatholiken beträchtlich, nämlich durch Einführung eines Inquisitionsprozesses und eines Verteidigers des Ehebandes (defensor vinculi). Nach § 4 wird die Rechtsstellung des unehelichen Kindes von den ehelichen, anders als im Teil-ABGB, deutlich abgehoben, insbesondere die bisherige Gleichstellung unehelicher und ehelicher Kinder im Erbrecht aufgehoben, so daß nur diese ihren Vater beerben. Auch ergingen zum Teil-ABGB schon in den ersten drei Jahren seiner Geltung fast 40 authentische Interpretationen90. Sie zeigen, welche Materien offenkundig in der Gesetzesanwendung besondere Schwierigkeiten machten. Es waren dies im Wesentlichen jene Materien, die 1791 novelliert wurden.
V. Die erste vollständige Kodifikation: Das Bürgerliche Gesetzbuch für Galizien 1797 Schon die Novellen vom Februar 1791 waren ein Arbeitsergebnis der neuen Gesetzgebungs-Hofkommission gewesen. Ein wesentliches Resulat lieferte sie 88
Harrasowsky, Codification, 153 f.; ders., Codex IV, 8; Korkisch, Entstehung, 285. Die betroffenen §§ des Teil-ABGB sind mit „Absatz“ bezeichnet, einmal mit „acht und achtzigsten Abschnitt“, dieser auch als „§ 88“. 90 S. u. 3. Kap. C. I.: S. 261 ff. 89
C. Der äußere Ablauf
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sodann am 16. Juli 1791 mit einer Neubearbeitung des Teil-ABGB, ein weiteres mit dem „revidierten Entwurf“ zum 1. Teil eines ABGB aufgrund hierzu ergangener kaiserlicher Änderungsanordnungen am 30. April 1792. Dieser Entwurf zu einem abermaligen Teil-ABGB wurde nunmehr den Appellationsgerichts-Kommissionen und einzelnen Professoren der Rechtsfakultäten zur Erstattung von Gutachten übersandt. Nachdem man 1793 zuerst versucht hatte91, diese Stellungnahmen in Form von Zusätzen zu berücksichtigen, erstellte Martini selbst in der zweiten Jahreshälfte einen zweiten Teil-ABGB-Entwurf, der gegen Jahresende 1793 durchberaten und fertiggestellt war; am 3. Mai 1794 lag er dem Kaiser zur Sanktion vor. Mit diesem Entwurf sollte das Teil-ABGB 1786 durch eine neue Teilkodifikation ersetzt werden. Dazu kam es jedoch nicht; die Arbeiten erhielt vielmehr im Juli 1794 die neue Überprüfungskommission zugeleitet, die vor allem das schrittweise Inkrafttreten in Teilen verwarf. Daher setzten Martini und die Gesetzgebungs-Hofkommission die Arbeiten an den beiden restlichen Teile fort und stellten sie wohl schon zu Anfang Herbst 1796 fertig92, den sogenannten Entwurf Martini. In knapp fünf Jahren war somit ein neuer Entwurf zu einer kompletten neuen Zivilrechtskodifikation entstanden. Die Habsburger-Monarchie93 hatte 1772 Ostgalizien und 1775 das Buchenland (Bukowina) erworben, das 1786 mit Ostgalizien vereinigt wurde, so daß es nun ausdrücklich in „Rechtsangelegenheiten mit diesem . . . ganz gleich gehalten und nach gemeinschaftlichen Gesetzen geleitet“ werden sollte: Hier überall galten daher das Erbfolgepatent 1786 und das Teil-ABGB 1786. Als das Buchenland 1790 als eigenes Kronland wieder von Ostgalizien abgetrennt wurde, blieb es bei der bisherigen Situation, da gerade in der „Rechtsverwaltung“ der „Zusammenhang“ aufrechtzuerhalten war. Im Jahre 1795 erfolgte schließlich der Erwerb Westgaliziens. Da die Kodifikationsentwicklung mittlerweile weiter fortgeschritten war, entschied man sich dafür, nicht das bisherige, durch die neuere Entwicklung bereits veraltete Recht auf Westgalizien zu erstrecken, sondern die neuen Texte in Kraft zu setzen. Da aber West- mit Ostgalizien zu einem Kronland vereinigt wurde, ergriff dieser Vorgang dieses insgesamt, also auch den ostgalizischen Landesteil sowie das identisch zu behandelnde Buchenland (Bukowina). So wurden seit 1796 in ganz Galizien samt dem Buchenland die umgearbeitete Gerichtsordnung wie das erneuerte Strafgesetz in Kraft gesetzt. Gleiches geschah im Prinzip nun auch hinsichtlich des Privatrechts, wenngleich offenkundig über91 Das Folgende grundsätzlich nach Harrasowsky, Codification, 156 ff.; ders., Codex IV, 8 ff.; Korkisch, Entstehung, 286 ff. 92 Dies folgt aus der bei Pfaff, Entstehungsgeschichte, 399, wiedergegebenen Bemerkung aus der Gesetzgebungs-Hofkommission vom 13. Oktober 1796, daß bereits der 3. Teil abgedruckt werde; nach Harrasowsky, Codex IV, 10, wäre der Entwurf erst Ende 1796 fertiggestellt gewesen. 93 Das Folgende nach den HD bzw. Pat 1786 XI 1 (Handbuch XI, 925), 1790 VIII 17 (JGS 53), 1790 IX 29 (Sammlung 387).
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hastet, andererseits ein wenig zögerlich. In der Entwicklung der Privatrechtsgesetzgebung stand man, verglichen mit dem in der Habsburger-Monarchie allgemein und damit auch in Ostgalizien und dem Buchenland geltenden Teil-ABGB 1786 bereits auf einer weiteren Stufe der Entwicklung, und zwar mit dem neuen Entwurf Martini. Das94 Überhastete zeigt sich in zum Teil eingestampften Druckausgaben, das Zögerliche im Entscheid des Kundmachungspatents vom 13. Februar 1797 (JGS 337), das Gesetzbuch zum 1. Jänner 1798 nur in Westgalizien in Kraft zu setzen, erst das abermalige Kundmachungspatent vom 18. September 1797 (JGS 373) ordnete das Inkrafttreten auch für Ostgalizien und das Buchenland an, aber gleichfalls zum 1. Jänner 1798. Diese territorial getrennten Anordnungen zeichnen verantworlich dafür, daß, was noch zu erläutern sein wird, erst nur westgalizische Druckausgaben veranstaltet wurden, dann ergänzend eine ostgalizische und schließlich eine gesamtgalizische. Unbeschadet dieser unterschiedlichen Druckausgaben trat mit Jahresbeginn 1798 im gesamten Kronland Galizien sowie im Kronland Buchenland (Bukowina) inhaltlich nur eine Zivilrechtskodifikation in Kraft, also ein Galizisches Bürgerliches Gesetzbuch (GBGB). Das GBGB ersetzte in Ostgalizien und im Buchenland das Teil-ABGB und das Erbfolgepatent 1786 sowie, in den anderen Teilen des Privatrechts, bisheriges Gesetzes- und Gewohnheitsrecht, in Westgalizien allein letzteres. Insgesamt besehen waren in den Kronländern Galizien und Buchenland im Strafrecht samt Strafprozeßrecht, im Zivilprozeßrecht sowie im Privatrecht ab 1796 die neuesten Textvarianten der Kodifikationsarbeiten in Kraft getreten. Westgalizien ging 1809 verloren, das Kronland Galizien beschränkte sich nun auf das ehemalige Ostgalizien. Mit Jahresbeginn 1812 wurde das GBGB in (Ost)Galizien und dem Buchenland vom ABGB abgelöst. Kurioserweise galt also das meist „Westgalizisches Gesetzbuch“ genannte GBGB in Ostgalizien 14 Jahre länger als im – zum Teil – namensgebenden Landesteil! Trotz all dem behielt die Sekundärliteratur die sowohl örtlich wie zeitlich unzutreffende, weil verengende Bezeichnung „Westgalizisches Gesetzbuch“ meist bei95. Das GBGB steht unverdientermaßen im Schatten, wenn nicht überhaupt im völligen Dunkel der Privatrechtsgeschichte. Üblicherweise kennt diese bloß eine Trias naturrechtlicher Kodifikationen, nämlich in chronologischer Reihenfolge ALR, Code Civil und ABGB96. Das GBGB stellt allerdings die erste vollständige Zivilrechtskodifikation dar. Zwar war das ALR schon 1794 in Kraft getreten, 94
Zum Folgenden im Detail u. J. II.: S. 163 ff. Vgl. nach den folgenden Fn. 96 So in der Regel die gängigen Lehrbücher, z. B.: Wesenberg/Wesener, Privatrechtsgeschichte, 158 ff.; F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967 (2. ND 1996), 322 ff.; U. Floßmann, Österreichische Privatrechtsgeschichte, 5. Aufl., 2005, 13 ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, 95 ff. 95
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doch war es keine reine Zivilrechtskodifikation, sondern als „Landrecht“ bewußt mehr, während, was seine Schöpfer auch als Gegensatz zu ihrem ALR bewußt hervorhoben, das „österreichische Gesetzbuch sich einzig auf das bürgerliche Privatrecht beschränke“ 97. Die stiefmütterliche Sicht des GBGB verursachten wohl zwei Umstände. Da ist einmal der auf ein fernes Land eingeschränkte örtliche Geltungsbereich, verstärkt noch durch verbale Verengung in der Bezeichnung „Westgalizisches Gesetzbuch“: Lehrbücher aus unterschiedlichen Zeiten verwenden nur diese Bezeichnung, manche selbst dann, wenn sie von einer Geltung „auch in Ostgalizien“ sprechen98! Dazu tritt noch die Meinung, diese entlegenen Landstriche hätten bloß als Experimentierfeld gedient: Das GBGB sei dort – vorgeblich – nur „probeweise“, „zur Probe“ in Geltung gesetzt worden99. Dies ist ebenso Legende wie die westgalizische Beschränkung. Wie eben erwähnt, war das GBGB nicht das erste in Galizien und im Buchenland in Kraft gesetzte österreichische Recht, vor allem nicht die erste österreichische Privatrechtskodifikation. Zehn Jahre lang hatten hier bereits das Erbfolgepatent und das Teil-ABGB 1786, etwas länger sogar das in dieses inkorporierte Ehepatent 1783 gegolten. Zu keinem Zeitpunkt des Kodifikationsprozesses hatte man dies als eine Geltung auf Probe angesehen. Erfahrungen mit dem Neugeschaffenen lieferten nicht nur diese beiden östlichen Kronländer, sondern der gesamte Geltungsbereich jener Gesetze mit seinen zahlreichen Kronländern. Bis zum Inkrafttreten des GBGB waren ja bereits zahlreiche Stellungnahmen bei der Gesetzgebungshofkommission eingelangt und zufolge ihrer repräsentativen Streuung sicherlich wesentlich wertvoller als eine Probe in nur einem und noch dazu neu erworbenen Kronlandsteil. Warum sollte denn just auch gerade Westgalizien zum Experimentierfeld werden? Warum nicht etwa Böhmen oder die Steiermark? Oder: Man hätte ja bereits Ostgalizien als Experimentierfeld auswerten können – was eben so gar nicht geschah. Gegen die vorgebliche Probe spricht auch, daß sich dafür keinerlei quellenmäßige Anhaltspunkte finden, weder vor dem Inkraftsetzen des GBGB noch nach diesem, nämlich Rückmeldungen über das Bestehen oder Nichtbestehen dieser Probe100. Übrigens gab es zum GBGB um etwa drei Viertel weniger au97
Zitiert nach Korkisch, Enstehung, 289. Wie Fn. 96; weiters u. a. E. Swoboda, Das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I, 2. Aufl., 1944, 8; Ehrenzweig, System I, etwa in den Auflagen von 1905– 1951, 31; F. Gschnitzer, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 2. Aufl., 1992, 16; Koziol/Welser, Grundriss I, 10; auch der Beitrag zum GBGB in HRG V, 1. Aufl., 308 ff., ist unter dem Schlagwort „Westgalizisches Gesetzbuch“ zu finden. 99 W. Ogris, 175 Jahre ABGB. Eine Bilderfolge in fünfzehn „Hauptstücken“, 1986/ 87, 23. Von einer „probeweisen“ Inkraftsetzung sprechen auch Lehrbücher des Bürgerlichen Rechts wie z. B. Gschnitzer, Koziol/Welser, siehe Fn. 98; behutsamer etwa R. Stintzing/E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft III/1, 1898, 522: „gewissermaßen zur Probe“. 100 Vgl. Harrasowsky, Codex IV, 11. 98
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thentische Interpretationen, demnach also weniger Zweifel als zum Teil-ABGB. Und vor allem: Ein probeweises Inkraftsetzen mit der Folge, darüber Gutachten einzuholen, hatte ja mehrmals strikte Ablehnung gefunden101. Tatsächlich wurde das Inkraftsetzen des GBGB ganz anders motiviert. Was Westgalizien anlangt, so waren nach dem westgalizischen Kundmachungspatent die „Unterthanen“ der „Wohlthat so geschwind als möglich theilhaft zu machen“, daß der Einzelne durch das Gesetzbuch im „Genuß seiner Rechte befestiget, (ihm) die Erfüllung seiner Pflichten erleichtert, seine Person und sein Eigenthum gegen ungerechten Anfall geschützt“ werde; nach Zeiller sollte überdies mit dem GBGB dem „durch die vorhergegangenen inneren Unruhen ganz zerrütteten Westgalizien eine mehr geordnete Verfassung“ gegeben werden102, wobei „Verfassung“ nicht als Konstitution zu verstehen ist, sondern als „Verfaßtsein“, als „Ordnung“. Das Herstellen von Rechtssicherheit und Schutz, das eines geordneten Zustandes ist also das Motiv für das Inkraftsetzen, und zwar auf Dauer, nicht bloß zur Probe. Was Ostgalizien anlangt, so hielt das hiefür ergangene Kundmachungspatent fest, daß „die polnischen sogenannten Statuten und Konstitutionen, die bisher in Ost-Galizien Gesetzeskraft hatten, einer ordentlichen Rechtpflege nicht angemessen sind“, so daß „gegenwärtiges bürgerliches Gesetzbuch, welches schon in West-Galizien kundgemacht wurde, auch in Ost-Galizien einzuführen“ sei. Auch hier also gilt als Motiv die bisherige Rechtsunsicherheit, aber weiters auch das der Rechtsvereinheitlichung in West- und Ostgalizien. Von einem Erproben ist nirgends die Rede. Jene Motive meint wohl Zeiller mit der Feststellung, daß der Entwurf Martini in Galizien „aus einem dringenden Bedürfnisse sogleich als Gesetzbuch eingeführt“ wurde103, da er in seinem Bericht über die Kodifikationsarbeiten von 1801 die eben zitierten Motive der Unruhe und Zerrüttung nennt104! Knapp motiviert Zeiller die Sanktion für Westgalizien damit, daß sie „die Umstände forderten“, jene für Ostgalizien mit „der Gleichförmigkeit“ 105. Insgesamt also galt es, einem „staatlichen Bedürfnis“ nachzukommen106. Allerdings scheint es eine Wurzel für das – irrtümlich angenommene – probeweise Inkraftsetzen zu geben. Am 5. März 1796 genehmigte nämlich der Kaiser den Vorschlag des sogenannten „Justizeinrichtungskommissärs“ für Westgalizien, es solle mit den „verbesserten Judizialgesetzen“ „in Westgalizien ein Versuch“
101
Harrasowsky, Codification, 127, 141. Pfaff/Hofmann, Commentar, 22; Ofner, Urentwurf I, 3; dazu noch S. 197 ff. 103 Zeiller, Commentar I, 10 Fn. *. 104 J. Schey (Bearb.), Einleitung, in: H. Klang (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch I/1, 1933, 11 f. 105 Zeiller, Beytrag I, 28, f Fn. *. 106 Adler, Gesetzgebung, 107: Diese 1912 getroffene Feststellung hat die Sekundärliteratur – vgl. Fn. 99 – übersehen. 102
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gemacht werden107. Dieser „Versuch“ bezieht sich aber darauf, daß man versuchen solle, das neu konzipierte Recht in Kraft zu setzen, er ist nicht aber so zu verstehen, als ob Westgalizien sozusagen als Provinzialbühne der Erprobung eines Stückes zu dienen habe, welches, bei entsprechendem Erfolg, sodann auf die Bühne der gesamten Habsburger-Monarchie käme. Außerdem kann der Vorschlag sowie dessen Genehmigung gar nicht das GBGB meinen108: Zu diesem Zeitpunkt wurde der erste Teil des Entwurfs Martini in der sogenannten Überprüfungskommission erst diskutiert, der zweite und dritte Teil waren noch gar nicht fertig! Aus der Sekundärliteratur könnte Schey109 den Irrtum mit seiner Feststellung verstärkt haben, es sollte der Entwurf Martini in Westgalizien „die praktische Probe bestehen“, womit er aber nach all dem bisher Gesagten wohl nur meinte, es habe sich – nachträglich besehen! – dort bewährt, etwa in dem Sinne wie schon das Teil-ABGB 1786 ebenfalls eine praktische Probe in der gesamten Habsburger-Monarchie bestanden hatte, denn es war novelliert, aber nicht aufgehoben werden. Wohl in diesem Sinne und in Hinblick auf seine schon zitierte Begründung des Inkraftsetzens des GBGB ist Zeillers Bemerkung110, das GBGB gewähre „zugleich den Vortheil, daß mittlerweile auch die Praxis zur Vervollkommnung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches benutzt werden konnte“, ein Hinweis auf ein willkommenes Nebenprodukt, nicht aber auf den Hauptzweck einer Probegeltung! Und dies trifft auch auf den eben zitierten Schey zu: „Gleichzeitig aber sollte der Entwurf die praktische Probe bestehen“ – sie war also bestenfalls ein Nebenzweck. Mit Hinweisen auf eine „vorläufige“ Geltung der GBGB wird ein Zeitmoment angesprochen: Das Inkraftsetzen erfolgte auf die Gesamtmonarchie bezogen „vor-läufig“, als Vor-Lauf im Sinne von „vorgezogen“. Was für die (nichtungarische) Habsburgermonarchie insgesamt gedacht war, sollte in Galizien und dem Buchenland bereits jetzt realisiert werden. Sozusagen wenige Meter vor dem Ziel wollte man sich im neu erworbenen Westgalizien nicht mehr mit den damit erworbenen alten Rechten beschäftigen111.
VI. Das ABGB von 1811 Das GBGB bildete gleichzeitig den „Entwurf eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches“, den sogenannten „Urentwurf“: Er und das GBGB sind mit fast identischem Satz und bloß abweichendem Titelblatt 1796 bzw. 1797 im Druck 107
Harrasowsky, Codex IV, 11. Vgl. zum Folgenden Brauneder, Gesetzbuch, 215. 109 Schey, wie Fn. 104, 11. 110 Zeiller, wie Fn. 103. 111 Im geografischen Zusammenhang und der Legende von der „probeweisen Geltung in Westgalizien“ steht die weitere des großen Einflusses des „Landrechts von Tarnow“; dazu u. S. 87 f. 108
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1. Kap.: Die Entstehung
erschienen, beide bei Hraschanzky in Wien. Damit war deutlich vor Augen geführt, daß das in einem Land geltende Gesetzbuch für dieses und die übrigen noch überarbeitet werden sollte. Zu diesem Zweck erfolgte ein Versenden des Entwurfs an die Appellationsgerichts-Kommissionen112. Nach Einlangen ihrer Stellungnahmen begann die mittlerweile neugebildete zweite Gesetzgebungs-Hofkommission113 am 21. Dezember 1801 mit der sogenannten „1. Lesung“, die sie am 22. Dezember 1806 abschloß. Aus eigenem Antrieb nahm nun ein Kommissionsausschuß eine „Revision“ 114 zur Überprüfung der bisherigen Arbeiten vor; sie begann am 4. Mai 1807 und dauerte bis zum 14. Jänner 1808. Mit einem „Vortrag über den Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches“ des Präsidenten Rottenhan und einem weiteren zur „Notwendigkeit eines einheimischen bürgerlichen Gesetzbuches“ des Referenten Zeiller wurden der Entwurf zum Kundmachungspatent und zum Gesetzbuch am 19. Jänner 1808 dem Kaiser vorgelegt. Änderungswünsche des Monarchen aufgrund der Äußerungen des Staatsrates sowie von Mitgliedern der Kommission selbst führten schließlich noch zur „Superrevision“ 115 vom 13. November 1809 bis zum 22. Jänner 1810. Am 7. Juli 1810 erlangte der ABGB-Entwurf die kaiserliche Sanktion, allerdings mit Ausnahme des Hauptstücks über den Darlehensvertrag wegen der mittlerweile durch eine Inflation fragwürdig gewordenen Bestimmungen über die Rückzahlung von Gelddarlehen (§§ 981–984)116. Nach den hierüber geführten weiteren Beratungen vom 13. Dezember 1810 bis zum 22. März 1811 erfolgte die ausstehende Sanktion dieses Hauptstücks am 26. April 1811117. Nunmehr wurde eine Kundmachung zum 1. Juli 1811 erwartet, was mit dem bereits fixierten Inkrafttreten zu Jahresbeginn 1812 und einer vom Kaiser angeordneten vorausgehenden Legisvakanz von mindestens sechs Monaten in Einklang gestanden hätte118. Das Patent, mit welchem vom Kaiser u. a. „beschlossen“ wird, das Gesetzbuch „kund zu machen“ und „zu verordnen“, daß es am 112
Harrasowsky, Codification, 161 ff. Das Folgende grundsätzlich nach Ofner, Urentwurf I, 1 ff.; sowie II, 1 ff.; Korkisch, Entstehung, 289, 292; Harrasowsky, Codification, 163 f. 114 Das Folgende grundsätzlich nach Ofner, Urentwurf II, 327 ff., 463 ff.; Harrasowsky, Codification, 164 f.; Korkisch, Entstehung, 292 f. 115 Das Folgende grundsätzlich nach Ofner, Urentwurf II, 493 ff., 605 f. Fn. 1; Stupecky´, Materialien, 314 f., 322 ff., 331 ff., 338 f.; Korkisch, Entstehung, 293; Harrasowsky, Codification, 165. 116 Ofner, Urentwurf II, 611. – H.-H. Brandt, Der österreichische „Staatsbankrott“ von 1811 – Vorgeschichte und Folgen, in: J. Kloosterhuis/W. Neugebauer, Krise, Reform und Finanzen, 2008, 267 ff.; G. Schöpfer, Der österreichische Staatsbankrott von 1811, in: 250 Jahre Rechnungshof, 2011, 131 ff. 117 Ofner, Urentwurf II, 652. 118 Pfaff/Hofmann, Commentar, 33, 35 aufgrund der Akten. 113
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1. Jänner 1812 „zur Anwendung kommen solle“ (Kundmachungspatent: Absatz 3), trägt jedoch bereits das Datum des 1. Juni 1811, das ausgedruckte Gesetzbuch aber konnte erst am 24. Juni 1811 dem Kaiser übergeben werden119. Wie vorgesehen, lief nun eine knapp mehr als sechsmonatige Legisvakanz, wie angeordnet, trat das ABGB am 1. Jänner 1812 in Kraft. Insgesamt hatten zu Erster Lesung, Revision und Superrevision 175 Sitzungen stattgefunden. Außer diesen regulären Sitzungen und den abermaligen Beratungen des Darlehenshauptstücks fanden weitere über spezielle Fragen statt, beispielsweise bezüglich der Provinzialstatuten hauptsächlich während Revision und Superrevison sowie über den Titel des Gesetzbuches nach der Superrevision120. Pratobevera berichtet, man hatte nach der Superrevision „noch mehrere Monathe nöthig, um den Ausdruck noch in vielen §§ zu berichtigen, wobey Professor Dolliner mit vielem Nutzen mitwirkte“ 121. Vom Beginn der Erste Lesung bis zum Abschluß der abermaligen Beratungen des Darlehenshauptstücks waren neuneinviertel Jahre vergangen. Über genau 5 Jahre zog sich die Ersten Lesung hin; die fast unmittelbar anschließende Revision war nach 8 Monaten beendet, die Superrevision schließlich nach 2 Monaten – in beiden hatte man nicht mehr den gesamten Gesetzestext beraten müssen. Zwischen Revision und Superrevision lag allerdings eine Unterbrechung von fast zwei Jahren (22 Monaten), zwischen dieser und den letzten Beratungen über das Darlehenshauptstück eine solche von fast einem Jahr (11 Monaten). Dazu soll als Erklärung das politische Geschehen in diesen Jahren nicht unerwähnt bleiben. In die Zeit der Ersten Lesung vom Dezember 1801 bis Dezember 1806 fällt 1805 die erste Besetzung Wiens durch Napoleon, sein Sieg bei Austerlitz und der anschließende Friede zu Preßburg, der insbesondere zum Verlust von Tirol, Vorarlberg und Vorderösterreich führt; 1806 erklärt Kaiser Franz das Heilige Römische Reich nach der Gründung des Rheinbundes für erloschen. Während der Revision vom Mai 1807 bis zum Jänner 1808 erfolgt der Zusammenbruch Preußens, Österreich hingegen bleibt von Kriegen verschont. Ganz anders aber vor und während der Superrevision vom November 1809 bis zum Jänner 1810: Napoleon besetzt 1809 zum zweiten Mal Wien und residiert monatelang in Schloß Schönbrunn, wo 119 Somit war zum 1. Juni 1811 der Publikationsvorgang noch keineswegs abgeschlossen: Am 3. Juni erhielt die Gesetzgebungs-Hofkommission die Anfrage, ob der Gesetzestext schon publiziert werden könne, was sie am 6. Juni insofern mit der Mitteilung verneinte, der Gesetzestext sei zwar ausgedruckt, noch nicht aber das Register, doch könne „alles [. . .] bis zum Ende des Monats [= Juni] bereit sein“: Pfaff/Hofmann, Commentar, 35. Soll nun der 24. Juni als Publikationsdatum gelten? Eine rechtliche Bedeutung kann und kommt dieser Frage zufolge des ohnehin festgelegten Tags des Inkrafttretens nicht zu. 120 Ofner, Urentwurf I, Vorrede, 3 sowie ders., Urentwurf II, 586 zählt nur 174 Sitzungen, berichtet aber von einer Schlußsitzung, deren Protokoll nicht erhalten sei; vgl. auch Stupecky´, Materialien, 322. 121 Neschwara, Jurist, 134.
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er einen Frieden diktiert, der Österreich zum Binnenstaat macht. Allerdings heiratet er 1810 die Tochter von Kaiser Franz. Bis zum Inkrafttreten des ABGB waren seit dem Beginn der Kodifikationsarbeiten in der Kompilationskommission im Mai 1753 59 Jahre vergangen: fast genau zwei Generationen; vom Wiederbeginn in der 1. Gesetzgebungs-Hofkommission im April 1790 fast 22 Jahre: knapp eine Generation. Ein außenstehender Beobachter wie Charles Sealsfield/Karl Postl hatte den Eindruck eines kontinuierlichen Ergänzungsprozesses seit dem Teil-ABGB: Kaiser Josef II. habe das „allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“ erlassen, es „wurde bis auf die neueste Zeit fortgeführt und trägt den Namen: Codex Franz des Ersten“ 122. Die Kodifikatoren der letzten Arbeitsphase ernteten nicht die von manchen von ihnen erwartete Anerkennung wie etwa Pratobevera, demzufolge123 wie den „Gliedern der Hofcommission bis auf den hochverdienten Präses von Haan, welchem der Kaiser das Großkreuz des Stephanordens umhing, nur die höchste Zufriedenheit bezeugt wurde. Insbesondere mochte sich Hofrath Zeiller, der freilich schon das Stephans-Ritterkreuz trug, in seinen Erwartungen und gerechten Ansprüchen getäuscht finden; allein Zeiller, obgleich Lehrer und Freund mehrerer Erzherzöge, war so wenig als Sonnenfels dem Kaiser persönlich angenehm“.
D. Das Gebiet der Rechtsvereinheitlichung „Vorentwurf“ wie „Kompilationsgrundsätze“ bezeichneten das Gebiet der angestrebten Rechtsvereinheitlichung mit „deutsche Erblande“, worunter man die Gebiete des Hauses Österreich mit einer Zugehörigkeit zum, wie man damals bereits sagte, „Deutschen Reich“ 124 verstand, das heißt, zum Heiligen Römischen Reich im engeren Sinn ohne Reichsitalien. Außerhalb des Geltungsbereiches sollten somit in der Regel die ungarischen Länder bleiben. Nur aus Mitgliedern der erstgenannten Gebiete setzte sich daher die Kompilations- und dann die Gesetzgebungskommission zusammen, die nur kurzfristig mit zwei ungarischsiebenbürgischen Mitgliedern diesen Rahmen sprengte; jedenfalls wurden nur die Rechte jener Länder erhoben. Der Überschriftssatz des Codex Theresianus umschrieb das Geltungsgebiet mit dem eher seltenen Ausdruck „böhmische und österreichische Erblande“. Erst der Erwerb Ostgaliziens 1772, des Buchenlands (Bukowina) 1775 sowie Westgaliziens 1795 verursachte die Überlegungen, auch diese Gebiete in die Rechtsvereinheitlichung mit einzubeziehen. Solches erfolgte tatsächlich mit dem 122 P. H. Kucher (Hrsg.), C. Sealsfield/K. Postl, Austria as it is: or sketches of continental courts, by an eye-witness = Österreich, wie es ist oder Skizzen von Fürstenhöfen des Kontinents (= Literatur in der Geschichte, Geschichte in der Literatur 28), 1994, 207. 123 Neschwara, Jurist, 135. 124 Vgl. insb. die Josef II. gehaltenen Kronprinzenvorträge: Conrad, Recht, 419.
D. Das Gebiet der Rechtsvereinheitlichung
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Ehepatent 1783, dem Erbfolgepatent 1786 und schließlich vor allem mit dem Teil-ABGB 1786. Trotz dieses nunmehr über die Grenzen des Römisch-deutschen Reiches hinausgehenden Geltungsgebietes änderte sich interessanterweise nichts an der Bezeichnung seiner Umschreibung125. Dies versteht sich daraus, daß die neuerworbenen Gebiete trotz ihrer geografischen Lage etwa weit im Osten wie im Falle des Buchenlandes (Bukowina) nicht den ungarischen Ländern zugeschlagen wurden. Mit anderen Worten: Das Gebiet der Deutschen Erbländer vergrößerte sich über das Römisch-deutsche Reich hinaus, die davon abgeleitete Bezeichnung wurde sozusagen unrichtig bzw. bekam eine neue Bedeutung: Sie stand für den nichtungarischen Teil der Habsburgermonarchie126. In diesem Sinn verwendet der Entwurf Horten „deutsche Erblande“ (I 1 § 2). Diese Bestimmung wurde 1785 zwar aus dem Gesetzestext herausgenommen, da den Geltungsbereich nicht dieser, sondern der Gesetzgeber mit seinem Gesetzesbefehl, also das Kundmachungspatent, festzulegen hätte127. Diesem sozusagen territorial neutralen Gesetzestext scheint der Gedanke, das Gesetzbuch auch in Gebieten außerhalb des Römisch-deutschen Reiches in Kraft zu setzen, wie z. B. in Galizien, zugrunde zu liegen. Tatsächlich fühlte man sich aber zu einer Änderung der formelhaften Umschreibung des Geltungsbereiches nicht bewogen: Erbfolgepatent und Teil-ABGB 1786 sprechen ausdrücklich von der Rechtsvereinheitlichung in den „deutschen Erbländern“ und von ihnen auch im Text128 – beide galten dennoch auch in Galizien: So subsumierte man dieses unter die Umschreibung „deutsche Erbländer“. Dies macht eben deutlich, daß mit der Formel allmählich weniger der Konnex zum Römisch-deutschen Reich, als vielmehr der Gegensatz zu den ungarischen Ländern betont sein sollte. 1788 nahm der Gedanke, die Rechtsvereinheitlichung auch auf die ungarischen Länder zu erstrecken, feste Formen insoferne an, als der Gesetzgebungskommission Räte für diese Gebiete beigegeben wurden; dies blieb jedoch josephinische Episode. Die Erwartung einer Auswirkung der Rechtsvereinheitlichung über den bisherigen Geltungsbereich hinaus erschöpfte sich aber nicht nur darin, diesen eventuell auf andere habsburgische Länder zu erstrecken. Zufolge der Zugehörigkeit der „deutschen Erbländer“ (im ursprünglichen Sinn ohne Galizien) zum Römisch-deutschen Reich und der Innehabung des Kaiseramtes durch deren Landesfürsten sprach Horten die Hoffnung aus, die neue Erbfolgeordnung von 1786 solle allen „Deutschen“ im Reich zugute kommen129. 125
Im Gegensatz zur Annahme bei Harrasowsky, Codex IV, 15 Fn. 3. Zu dieser Terminologie Brauneder, Staat, 128 ff. 127 Harrasowsky, Codex IV, 15 Fn. 3; ders., Codification, 146. 128 ErbfolgePat: Einleitung vor § 1; Teil-ABGB II § 3. 129 Ehrenzweig, Erbfolgeordnung, 12; Horten war übrigens auch in einer Reichsbehörde, nämlich beim Reichshofrat, tätig gewesen (ebda, 9). 126
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1. Kap.: Die Entstehung
Das GBGB trat 1798 in Westgalizien in einem völlig neuen Kronlandsteil in Kraft; in Ostgalizien und in der Bukowina griff es in den Geltungsbereich von Erbfolgepatent und Teil-ABGB 1786 über, die es somit aufhob. Einen Monat nach der Festlegung der Ausdehnung der Geltung des GBGB auch auf Ostgalizien machte der Friede von Campoformido im Oktober 1797 die Gebiete der Republik Venedig, Venetien und Dalmatien, zu einem Teil der Habsburgermonarchie. So stellte sich die Frage, ob dieser nun in die Rechtsvereinheitlichung einzubeziehen sei, was in der 2. Gesetzgebungs-Hofkommission erst 1804 als „sehr wahrscheinlich“ angenommen wurde130, doch kam es schon 1805 zum Verlust dieser Provinzen. In diesem Jahr erwarb das Kaisertum Österreich allerdings Salzburg und Berchtesgaden. Sie waren, wie der Gesetzgebungs-Hofkommission mitgeteilt wurde, „für das neue österreichische Gesetzbuch vorzubereiten“, womit diese auch begann131, doch gingen die beiden Gebiete 1809 wieder verloren. Trotz dieser in Aussicht genommenen Einbeziehung neuer Gebiete in den Geltungsbereich der österreichischen Gesetze wurde deren Erstreckung auf die ungarischen Länder vorerst nicht mehr erwogen. Der örtliche Geltungsbereich aller ABGB-Vorarbeiten, Teil-ABGB sowie Erbfolgepatent 1786 gemeinsam mit dem GBGB 1797, erstreckte sich vom Rhein bis zu Bug und Pruth, vom Inn und Böhmens Elbe bis an die Adria. Die beiden älteren Gesetze von 1786 galten im Streubesitz Vorderösterreich und östlich vom Bodensee in der geschlossenen Ländermasse der Habsburgermonarchie bis Istrien im Süden und Schlesien im Osten, dann das Gesetzbuch von 1797 in Galizien und im Buchenland. Dabei unterschied man offenbar nicht scharf zwischen den einzelnen Gesetzbüchern. Dies zeigt sich besonders darin, daß die Oberste Justizstelle auch schon in nicht-galizischen Rechtsfällen nach dem GBGB als ABGB-Entwurf judizierte132. Mit den Kodifikationen des Straf- und Strafprozeßrechts sowie des Zivilprozeßrechts bestand damit lange vor den französischen Codes in Europa ein großer einheitlicher Rechtsraum. Die Rechtsvereinheitlichung betraf alle nichtungarischen Länder, wobei die Frage ihrer Zugehörigkeit zum Römisch-deutschen Reich keine Rolle spielte, wie dies nach Galizien und Buchenland (Bukowina) auch die Planung für Venetien und Dalmatien zeigt. Als Bezeichnung für den Geltungsbereich wurde am Ausdruck „Deutsche Erbländer“ auch nach dem Ende des Römisch-deutschen Reiches 1806 festgehalten: Wie zuvor der Entwurf Martini die Geltung für alle „deutschen Erbländer des österreichischen Staats“ festsetzte (I 1 § 3), so auch danach der Entwurf zum Kundmachungspatent des ABGB und dann dieses selbst für die „gesamten deut-
130 131 132
Ofner, Urentwurf II, 591. Ebda, 335 ff. Fn. 3. Kocher, Höchstgerichtsbarkeit, 112.
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schen Erbländer“; daß damit das ABGB auch in Galizien zu gelten hatte, bestätigt die ausdrückliche Aufhebung des GBGB133. Diese Umschreibung blieb allerdings nicht unwidersprochen: Schon gegen den Entwurf Martini hatten die Gesetzgebungs-Hofkommission und ähnlich die Überprüfungskommission die Wendung „böhmische und österreichische Erbländer“ setzen wollen, Rottenhan dann gegen den Entwurf des Kundmachungspatents „deutsche und galizische Erblande“ 134: In beiden Fassungen war mit den böhmischen bzw. galizischen Ländern merkwürdigerweise stets nur eine dieser Ländergruppen besonders hervorgehoben. Diese Unsicherheit der Ausdrücke führte nach der Sanktion vom 7. Juli 1810 zu einer eigenen Beratung über den Titel des ABGB, da sie die Wendung „deutsche Erbländer der österreichischen Monarchie mit Einschlusse Galiziens“ angeordnet hatte135. Die 2. Gesetzgebungs-Hofkommission sprach sich jedoch gegen den Galizien betreffenden Zusatz aus, da dieser zahlreichen Gesetzen fremd wäre, vor allem dem Strafgesetz 1803, wo „angenommen war, daß Galizien unter den gesamten deutschen Erbländern begriffen sei“. Der Titel des ABGB schließlich zeigt, daß der Kaiser seinen Vorschlag zurücknahm. Dies geschah am 18. August 1810 mit der Festlegung des bekannten Titels mit dem territorialen Zusatz „deutsche Erbländer“ schlechthin. Venetien bildete zum Zeitpunkt aller dieser Gegenvorschläge keinen Diskussionspunkt, da es noch nicht (Entwurf Martini) bzw. nicht mehr zur Habsburgermonarchie gehörte. Als es dann 1815 mit der Lombardei zum Kaisertum Österreich kam, war der Geltungsbereich des ABGB mit „deutsche Erbländer“ bereits umschrieben und wurde nicht mehr abgeändert; in die italienischen ABGB-Ausgaben fand er allerdings (fast) keinen Eingang.
E. Entwicklungstendenzen I. Kompilation oder Kodifikation 1. Festlegung des Kodifikationscharakters Eine der Grundfragen bestand darin, ob das künftige Gesetzbuch andere Rechtsquellen in Geltung belassen und somit als Kompilation zu diesen nur hinzutreten oder sie alle aufheben und als Kodifikation zur Gänze ihre Stelle einnehmen solle. Die Frage stellte sich vor allem hinsichtlich des Gemeinen Rechts, der bisherigen Landesrechte und der Gewohnheitsrechte; im Zusammenhang damit stand auch das Problem der Interpretation: Sollte die Ausschlußwirkung der Kodifikation auch sie erfassen und damit verbieten? 133 134 135
Ebda, 455; ABGB KdmPat. Harrasowsky, Codex V, 4 Fn. 1; Ofner, Urentwurf II, 456 Fn. 1. Ofner, Urentwurf II, 589.
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1. Kap.: Die Entstehung
Mit der von Maria Theresia am 3. Mai 1753 geäußerten „Absicht der Gleichförmigkeit (der) Gesetze“ 136 war die Frage nicht unbedingt entschieden: Eine Gleichförmigkeit konnte auch das Gemeine Recht herstellen. Aber es war wohl schon mit der „Instruktion“ Maria Theresias vom Jahresbeginn 1753 keine Fortgeltung des Gemeinen Rechts beabsichtigt, denn dieses war nur zu „benützen“, und zwar „so wie auch die Gesetze anderer Staaten“ 137. Mit den Erlässen vom 15. Mai und vom 18. Juni 1753 sah sich die Kompilationskommission dann beauftragt, nach den Regeln des Natur- und Völkerrechts die Landesrechte, nicht aber mit ihnen auch das Gemeine Recht zu verbinden, dieses sollte der Lückenfüllung dienen138. Die Kompilationskommission änderte daher den „Vorentwurf“ ab, der erst vorgeschlagen hatte, die Landesrechte und das Gemeine Recht ausdrücklich außer Kraft zu setzen, so daß nun dieses, nicht auch die Landesrechte, subsidiäre Geltung behalten sollte, allerdings doch nur „nach Eigenschaft der natürlichen Billigkeit“ 139. Eine völlig eindeutige subsidiäre Geltung war damit nicht ausgesprochen, vielmehr dem Gemeinen Recht wohl eine Rolle zugedacht, wie sodann drei Monate darauf in den „Compilationsgrundsätzen“: Hiernach sollten sämtliche Rechtsquellen in den Codex Theresianus eingearbeitet werden, nicht aber fortgelten; das Gemeine Recht war nur wie andere Quellen auch als „Vorrat“ gedacht, dem man natürliche Rechtssätze entnehmen könne. Damit war man zur „Instruktion“ von 1753 zurückgekehrt140. So stand am Beginn der Arbeiten der Grundgedanke, eine Kodifikation zu erarbeiten. Insgesamt verstand man den Auftrag des Gesetzgebers zur Rechtsvereinheitlichung konsequent dahin, ein formell neues (und eben einheitliches) Recht anstelle der bisherigen Rechte schaffen zu müssen. Die für den Codex Theresianus vorgesehene Einleitung sollte daher stets das Außerkrafttreten gerade des Gemeinen Rechts festhalten; das vorgeschlagene Kundmachungspatent stellte dann auch fest, daß „denen gemeinen Rechten“ sowie den diversen Arten an Landesrechten „ausdrücklich derogiert werde“, allerdings mit dem Beisatz „insoferne als in diesem Codice Theresiano ein anderes geordnet wird“ 141: Gemeines Recht sollte also nur punktuell kraft Verweisung fortgelten, keineswegs aber allgemein-subsidiär142. So ver-
136
Harrasowsky, Codification, 48. Text bei Wesener, Usus modernus, 1369. 138 Harrasowsky, Codification, 16 f.; Loschelder, Gerichtsordnung, 34. 139 Zu dieser Frage zeigt sich beispielhaft die oft mangelhafte Darstellung von Harrasowsky. Der zitierte Zusatz ist nur in Codex I, 29 Fn. 3, zum Wort „Subsidiarrecht“ enthalten, nicht aber in ders., Codification, 48; „Subsidiarrecht“ ist wohl nicht quellenmäßig, so daß möglicherweise schon jetzt das Gemeine Recht einen „naturrechtlichen“ Stellenwert erhalten sollte, wie dann drei Monate darauf in den „Compilationsgrundsätzen“. 140 S. u. S. 59 ff. 141 Harrasowsky, Codex I, 29. 142 Dies schon in älteren Gesetzen wie z. B. dem Landrechtsentwurf für Österreich unter den Enns 1526, in: Slg. Chorinsky I, 18; Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 84. 137
E. Entwicklungstendenzen
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stand die Gesetzgebungskommission den Beisatz als Hinweis darauf, daß der Codex Theresianus in toto, da er nämlich insgesamt – „insoferne“ – neues Recht enthalte, den bisherigen Privatrechtsquellen derogiere, nicht aber auf das hiervon unberührte öffentliche Recht zu erstrecken sei143. Daß im Bereich des Privatrechts den genannten Materien zur Gänze derogiert werden sollte, stand im Einklang mit anderen Bestimmungen, wonach „kein anderes als gegenwärtiges Recht (des Codex) . . . hinfüro als ein beständiges allgemeines Recht“ zu beobachten sei; im Fall einer Unklarheit oder Lücke sei beim Gesetzgeber anzufragen oder diese mittels Analogie oder nach Billigkeit zu füllen144. Gerade damit war die alte Regel eindeutig verlassen, daß bei zweifelhaftem oder ungewissem Landesbrauch das Gemeine Recht angewendet werden müsse145. So sollte die von Anfang an verfolgte Absicht, eine Kodifikation zu erstellen, mit dem Codex Theresianus auch realisiert werden. Dies wurde jedoch fast allgemein verkannt, da der erwähnte Beisatz „insoferne“ nicht als Hinweis auf Verweisungen auf Gemeines Recht verstanden wurde, sondern ganz anders. Nach dieser Lesart wurde unterstellt, daß nur dann „derogiert werde“, wenn „ein anderes geordnet wird“, d. h., keine Derogation vorliege, wenn der Codex Theresianus mit bisherigem Recht übereinsteimme146: In diesen Fällen gelte es weiter fort und könne zur Auslegung herangezogen werden! Die im vorigen Absatz angeführten Argumente zum Kodifikationscharakter spielten keine Rolle. Die Abneigung gegen eine bloße Kompilation unter Fortdauer insbesondere des Gemeinen Rechts schlug sich beispielsweise in einer Denkschrift nieder, welche es für lächerlich erklärte, jenes als Subsidiarrecht fortgelten zu lassen, da es doch andere als die hiesigen Verhältnisse betreffe147. Vor allem aber vertrat diese Auffassung auch der Staatsrat, der die übrigen Bestimmungen des Codex Theresianus, welche seinen Kodifikationscharakter eindeutig darlegen, nicht zum richtigen Verständnis des Kundmachungspatentes verwendete, sondern als mit diesem in Widerspruch stehend ansah148. Gegen das Kundmachungspatent lief er nun Sturm, er wollte den vermeintlich verfehlten Kodifikationscharakter unbedingt hergestellt, vor allem das Gemeine Recht und die „vorhinigen Gesetze, welche ohnehin multorum camelorum onus sind“, aufgehoben sehen149. Die – verfehlte – Ansicht, es handle sich beim Codex There143
Harrasowsky, Codex I, 29 Fn. 3. CTh II § I bzw. § V 84. 145 Klassisch B. Walther, Traktat V, 2. Capitel, 2: M. Rintelen (Hrsg.), Bernhard Walthers privatrechtliche Traktate aus dem 16. Jahrhundert (= Quellen zur Geschichte der Rezeption 4), 1937, 62. 146 Daher wohl entnimmt Wesener, Usus modernus, 1379, dieser Stelle eine subsidiäre Fortgeltung des Gemeinen Rechts und der Staturarrechte, die er aber aufgrund anderer Bestimmung des CTh doch verwirft: Sie stehen aber in Übereinstimmung mit dem KdmPat zum CTh: vgl. oben Fn. 144. 147 Harrasowsky, Codification, 127 f. 148 Voltelini, Codex, 55; vgl. Fn. 144. 144
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1. Kap.: Die Entstehung
sianus bloß um eine Kompilation, bestimmte dann sehr wesentlich dessen Ablehnung durch den Staatsrat: Das künftige Gesetzbuch müsse eine Kodifikation sein. Diese Ansicht überstand die abermals gegen die Rechtsvereinheitlichung auftretenden Tendenzen mit ihrer Idee eines subsidiären, nach den Landesrechten geltenden Rechts, so daß über den Entwurf Horten schließlich das Teil-ABGB 1786 Kodifikationscharakter besaß. Sein Kundmachungspatent fixiert diesen durch die Anordnung, daß „sowohl vaterländische, als aufgenommene fremde Gesetze für die künftigen Fälle von nun an aufgehoben und für unwirksam erkläret“ seien. Fortan bildete das Wesen der Kodifikation keinen Diskussionspunkt mehr150. Sie überstand auch ständisch-restaurative Tendenzen nach dem Tod Josefs II. In seinem Vortrag an den neuen Landesfürsten Leopold II. betonte das Kommissionsmitglied Keeß nachhaltig die Notwendigkeit für alle Provinzen „ein einförmiges, gleiches, für alle Einwohner also grundsätzlich ohne Ausnahme geltendes Gesetz“ zu liefern, und zwar auch nach „dem Rechte der Natur, Vernunft und Menschenheit“ 151. Der neue Präsident der neuen Gesetzgebungs-Hofkommission Martini gab sich zwar einige Monate danach etwas elastischer mit dem Bemerken, man werde dort keine Vereinheitlichung anstreben, „wo die Localität und andere eintretende wichtige Ursachen ein Hindernis machen könnten“ 152, doch zeigten gerade seine weiteren Arbeiten, daß er von der Linie der Vereinheitlichung unter Josef II. nicht abging, überdies blieben ja Erbfolgepatent und TeilABGB in Geltung. Dies entsprach auch der Linie des neuen Monarchen, daß „in der Regel in allen deutschen und böhmischen Erbländern nur einerlei Gesetz sein solle“ 153. Der Grundsatz der Gesetzgebungskommission wurde weiter befolgt, das Recht so erschöpfend zu regeln, „daß in Subsidium zu keinem anderen Gesetze, noch auch zum römischen oder canonischen Rechte die Zuflucht genommen“ werden müßte154. Dieser Richtschnur folgten die beiden GesetzgebungsHofkommissionen. Das Kundmachungspatent zum ABGB 1811 stellte daher den Erlaß eines „vollständigen . . . Gesetzbuches“ fest und trägt diesem Umstand dadurch Rechnung, daß es andere Rechtsquellen aufhebt wie insbesondere „das bis jetzt angenommene gemeine Recht“, das Teil-ABGB 1786 sowie das GBGB. 2. Landes- und Provinzialgesetze An lokalen Rechten konnte ein „Allgemeines Gesetzbuch“ bereits begrifflich nicht vorübergehen. Das Teil-ABGB 1786 stellt daher den „allgemeinen Geset149 150 151 152 153 154
Voltelini, Codex, 54 f. Vgl. auch Harrasowsky, Codex IV, 7. Korkisch, Entstehung, 283. Ebda, 284. Harrasowsky, Codification, 154. Harrasowsky, Codex IV, 7.
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zen“ ausdrücklich die lokalen Rechte gegenüber, „welche nur auf ein besonderes Land oder eine eigene Ortschaft gerichtet sind“ (I § 8), erwähnt ferner den „Landesgebrauch“, auch die Gewohnheiten „in einem oder mehreren Ländern“ (I § 11) sowie die „Landesverfassung“ (II § 4). Das GBGB bezog sich gleichfalls auf „Landesgebräuche und Gewohnheiten“ (I § 22) sowie auf „Statuten, oder solche Verordnungen, welche einzelnen Provinzen, Landesbezirken, und Gemeinden gegeben worden sind“ (I § 23): Regionales Recht war also nicht mit dem eines Landes identisch. Es konnte einerseits das von „Gemeinden“ und „Landesbezirken“, andererseits aber auch von „mehreren Ländern“ sein. Das ABGB stellt dann sogar mehrfach Verbindungen zu partikularen Rechten her, zu „Provinzial-Gesetzen“ (§ 1132), zur „Landesverfassung“ (§ 1142), zur „Verfassung jeder Provinz“ (§ 1146). Auch das ursprünglich amtliche ABGB-Register kennt die Begriffe „Landesgesetze“ und „Provinzialgesetze“, verweist jedoch in beiden Fällen auf das Stichwort „Statuten“, scheint somit „Land“ und „Provinz“ gleichzusetzen. Dies erhärtet das Register, welches unter „Landesverfassung“ auch auf § 1146 verweist, wo, wie zitiert, von der „Verfassung jeder Provinz“ die Rede ist. Dem entspricht auch der Gesetzestext, der in § 11 von den „Provinzen und Landesbezirken“ spricht – für die hier etikettierte territoriale Einheit also gleichfalls das Wort „Provinz“ wie auch „Land“, dieses in der Bezeichnung von dessen Teil („Bezirk“), verwendet – und beide in der Marginalrubrik („Provinzial-Statute“) „Provinz“ nennt. Die Gleichsetzung von „Provinz“ und „Land“ entspricht zwar weitestgehend der zeitgenössischen Sprachübung, verwischt jedoch einen erheblichen verfassungsrechtlichen Umstand: „Land“ und „Provinz“ waren durchaus nicht identisch. Zur Zeit der Entstehung und sodann während der Geltung des ABGB vor 1848/49 galten als „Provinzen“ die Gouvernementsbezirke, von denen einige mehrere Länder umfaßten155. Beispielsweise gehörten ab Josef II. folgende „Länder“ zu einem Gouvernementsbezirk, der als (eine) „Provinz“ bezeichnet wurde: Tirol, Vorarlberg und Vorderösterreich oder Steiermark, Kärnten und Krain. Seit 1783 bildeten die Gouvernementsbezirke die staatliche Untergliederung und nicht mehr die Länder. Sie machten sozusagen für den Staat die föderalistische Komponente aus, der sich damit von den Ständen der Länder und der Institution des Landtages fernhalten, dennoch aber Lokales beachten konnte. Als beispielsweise 1848 der Verfassungsausschuß des ersten österreichischen Parlaments einen föderativen Charakter aufweisen sollte, setzte man ihn nach Gouvernementsbezirken zusammen156, nicht nach Ländern. Dies änderte sich erst im Anschluß an die Verfassung 1849, so daß die Zeitgenossen feststellten, im Gegensatz zur bisherigen Situation seien – erst jetzt! – eindeutig unter „Provinz“ in § 1475 ABGB die „Kronländer“ gemäß § 1 Verfas155
Brauneder, Verfassungsgeschichte, 83, 93, 100; ders., Staat, 126 ff. Verhandlungen des österreichischen Reichstages nach der stenographischen Aufnahme I, 1848/49 (ND 1970), 273. 156
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sung 1849 zu verstehen157. Die Terminologie des ABGB – „Land“, „Provinz“ – sowie die verfassungsrechtliche Situation fixieren als regionales Recht somit keineswegs nur das Landesrecht. Die Frage der Geltung der regionalen oder sonstigen örtlichen Statuten spielte nun gerade vom Standpunkt der Kodifikation eine Rolle. Codex Theresianus, Entwurf Horten und schließlich das Teil-ABGB 1786 hatten deren Geltung allgemein, jedoch sehr verklausuliert bejaht158. Damit ist aber für das Privatrecht noch keine Aussage gemacht, denn vom Kodifikationscharakter her wäre die Fortgeltung der Provinzialrechte im Bereich des Privatrechts auszuschließen. Das zitierte Kundmachungspatent zum Teil-ABGB 1786 spricht dies wohl auch aus. Der Entwurf Martini berührte diese Frage nicht, das GBGB legt dann, wie wohl schon das Teil-ABGB 1786, die Aufhebung der lokalen Statute bezüglich der „Privatrechte“ ausdrücklich fest, läßt sie allerdings fortgelten, falls dies „von dem allgemeinen Gesetze ausdrücklich zugestanden worden ist“ (I § 23), also kraft eigener Verweisung. Die beiden Gesetzgebungs-Hofkommissionen schenkten der Frage der Fortgeltung der Provinzialrechte besondere Beachtung, und zwar zufolge der Berichte der Appellationsgerichts-Kommissionen über die Landesrechte159. Abweichend vom GBGB wurde nun eine neue Regelung getroffen: Nicht durch eine Verweisung in der Kodifikation sollten die Provinzialrechte fortgelten, sondern dann, wenn sie „nach der Kundmachung [der Kodifikation] von dem Landesfürsten ausdrücklich bestätiget werden“ (§ 11 ABGB). Zeiller hatte seine Skepsis gegenüber den Provinzialgesetzen im Verhältnis zum „allgemeinen Gesetzbuche“ beispielsweise schon 1806 deutlich formuliert, und zwar ganz im Sinne des § 11 ABGB, und überdies mit dem Zusatz, sie dürften „nicht weiter um sich greifen“ 160. Hiefür war nun ein Katalog sozusagen erhaltungswürdigen Provinzialrechts anzulegen. Zum Zwecke der Erstattung derartiger Vorschläge kam es 1804 zur Einsetzung von Kommissionen bei den Gubernien der Gouvernementsbezirke. Sie fanden aber kaum etwas für erhaltenswert, denn der Katalog erhaltungswürdiger Provinzialrechte war nicht groß, die GesetzgebungsHofkommission beschäftigte sich mit ihm 1809161. Diesen Provinzialrechtsberatungen lagen nicht einmal Stellungnahmen aller Länder vor. Österreich unter und ob der Enns besaßen je eine eigene Kommission, ebenso Böhmen, Galizien, Krain, die Stadt Triest, aber Steiermark und Kärnten waren in der innerösterrei-
157 W. Frühwald, Versuch einer Darstellung der durch die seit dem März 1849 erflossenen organischen Gesetze an den Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches und der allgemeinen Gerichtsordnung geschehenen Änderungen, in: Österreichische Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaften II/1849, 40 f. 158 EHort I 1 § 11 = Teil-ABGB 1 § 8. 159 Vgl. Ofner, Urentwurf I, 25 ff.; ders., Urentwurf II 453 f., 590 ff., 606. 160 Zeiller, Beytrag I, 60 ff. 161 Ofner, Urentwurf II, 595 ff.
E. Entwicklungstendenzen
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chischen Kommission vereinigt, Tirol und Vorarlberg fehlten zufolge ihrer Abtrennung von Österreich seit 1805, aber ebenso Mähren und Schlesien. Eine starke Hälfte der Stellungnahmen bezog sich auf Gewohnheitsrecht, die schwächere Hälfte teilte sich auf in Hinweise zu gesetzlichem Statutarrecht und zu Normenkollisionen. Über zwei Drittel der Hinweise wurden abgelehnt oder für einen Irrtum erklärt, das Restliche fand eine rein legistische Erledigung im ABGB selbst. Die Prüfung der eingelangten Wünsche war zweifellos von einer gegenüber lokalem Sonderrecht ablehnenden, ja feindlichen Haltung maßgebender Mitglieder der Gesetzgebungs-Hofkommission getragen162. So berichtete sie schließlich am 22. Jänner 1810 an den Kaiser: Als „Resultat“ könne festgehalten werden, daß nur ganz wenige derartige Wünsche vorgebracht worden seien und man ihnen durch eine Modifikation im Gesetzestext selbst Rechnung getragen habe; dies mache „alle Provinzialstatute entbehrlich“! Dem trug nach der Publikation, aber noch vor dem Inkrafttreten des ABGB das Hofdekret vom 13. Juli 1811 mit der Erklärung Rechnung163, es habe der Kaiser „keinem besonderem Rechte oder Statuten für die einzelnen Provinzen neben dem a.b.G.B. Statt zu geben befunden“. Damit war, noch vor seinem Inkrafttreten, § 11 ABGB gegenstandslos geworden; Zeiller bezog ihn nun auf die Landrechtsverweisungen im ABGB selbst164, stellte die Bestimmung also mit jener über die Fortgeltung des Gewohnheitsrechts (§ 10 ABGB) auf gleiche Stufe wie dies schon im GBGB (s. sogleich) der Fall gewesen war. 3. Gewohnheitsrecht Was das Gewohnheitsrecht anlangt, so war auch seine Fortgeltung und Neubildung vom Kodifikationsstandpunkt her umstritten: Der Codex Theresianus schloß im wesentlichen Gewohnheitsrecht contra sowie praeter legem aus und ließ es nur dann zu, wenn Gesetze sich auf solches berufen; hierbei blieb auch das Teil-ABGB 1786165. Die Regelung entspricht damit jener über die Fortgeltung von lokalen Rechten. Rigoroser als das Teil-ABGB 1786 schlossen der Entwurf Martini und das GBGB die Geltung von Gewohnheitsrecht aus, nur für die Auslegung von Gesetzen sollte es allenfalls von Bedeutung sein; diese Zulässigkeit entfiel aber in der 1. Lesung – nun wurde ein totales Verbot der Berücksichtigung von Gewohnheitsrecht ausgesprochen, freilich insofern leicht relativiert, als sich der Gesetzestext in einigen wenigen Fällen auf Gewohnheiten berief – diesem Umstand trug dann die „Revision“ durch eine entsprechende Bestim162
Vgl. die Diskussion bei Stupecky´, Materialien, 333. Text bei Pfaff/Hofmann, Commentar, 89 Fn. 42, 230. 164 Zeiller, Commentar I, 84. 165 CTh I I § III 40–42; EHort II § 13 ff. = Teil-ABGB I § 9 ff.; Harrasowsky, Codification, 76 f., 131 f.: Entgegen ebda, 146 bringt der EHort gegenüber CTh II § III 42 keine Änderung; Harrasowsky, Codex I, 41 f. Fn. 13 ff.; ders., IV, 19 Fn. 12. 163
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1. Kap.: Die Entstehung
mung Rechnung: Demnach gilt eine Gewohnheit fort, wenn sich „ein Gesetz darauf beruft“ (§ 10 ABGB)166. 4. Auslegung Im Zusammenhang mit dem Gewohnheitsrecht wurde die Frage der Interpretation behandelt, worin ersichtlich wird, daß diese als eine Art selbständige Rechtsquelle galt167: „Ausdeutung [. . .] durch Gewohnheiten“. Dieser Vorgang hatte die bisherige Rechtssituation mitgeprägt: „Einfach . . .“ sei die „römische Jurisprudenz“ gewesen, es habe sich aber als „fürchterliches Ungeheuer . . . die jurisprudentia romano-canonico-germanico-forensis“ entwickelt168. Maßgeblich waren ferner theoretische Überlegungen wie die, daß das Gesetzgebungsrecht ausschließlich dem Monarchen zustehe und dies eine andere Rechtsbildung, eben durch Auslegung, verbiete. Andererseits wurden Interpretationsregeln doch für notwendig erachtet, da das Gesetz nicht jeden Fall entscheiden und beim Gesetzgeber nicht stets angefragt werden könne. Der Codex Theresianus enthält daher ein Auslegungsverbot, im Zweifel ist beim Gesetzgeber anzufragen, zulässig ist allerdings die Analogie zur Lückenfüllung; auch in dieser Frage trat wie hinsichtlich der Rolle des Gewohnheitsrechtes mit dem Teil-ABGB 1786 keine Änderung ein169, am Auslegungsverbot wurde ganz strikt festgehalten: Sogleich das Kundmachungspatent wies die Richter an, bei einem „Zweifel über den Verstand des Gesetzes“ unbedingt „die höchste Entschließung durch die vorgesetzte Behörde“ einzuholen. Konkret mußte auf diesem Wege „die Belehrung allezeit von dem Landesfürsten gesuchet werden“, nur Analogie war „gestattet“; aber auch eine derartige Entscheidung mußte „jedesmahl dem Landesfürsten angezeiget werden“ – sein Gesetzgebungs- und Entscheidungsmonopol fand hier beredten Ausdruck. Als 1791 das Teil-ABGB eine mehrfache Novellierung erfuhr, kam es auch zu einer Änderung der Auslegungsregel170: Die „Belehrung bey Hofe“ wurde auf „besondere und sehr erhebliche Bedenken“ eingeschränkt und dem Richter als Auslegungsregel aufgetragen, er müsse im Gesetz „auf den zusammenstimmenden Begriff und Sinn . . ., auf gleichförmige darin ausgedrückte Fälle, auf die aus der Verbindung der Gesetze sich darstellenden Grundsätze und Absichten sehen“. Hinfort wurde kein Auslegungsverbot festgeschrieben, vielmehr ab dem Entwurf 166 EMart I 1 § 15; GBGB I § 22; Ofner, Urentwurf I, 29; ebda II, 332. Zur Bedeutung von § 10 ABGB noch u. 2. Kap. A. I. 2.: S. 173. 167 So CTh II 5 V 83; Harrasowsky, Codification, 77; ders., Codex I, 49 in Fn. 29. 168 So Prof Jellenz (Freiburg/Breisgau) in seinem Gutachten zum EMart: Pfaff/Hofmann, Excurse, 21. 169 CTh II § III 81–85, EHort I 1 §§ 31 ff. = Teil-ABGB I §§ 24 ff.; Voltelini, Codex, 58 f. 170 Pat 1791 II 22 (JGS 115) § 2.
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Martini Regeln über Auslegung und Lückenfüllung aufgenommen171. Die Wortfolge der Auslegungsregel im Entwurf Martini hat nahezu unverändert, jedenfalls ohne Änderung des Inhalts, Eingang in das ABGB gefunden (§ 6). Hieß es im Entwurf Martini noch „Auslegung und Anwendung“, so verkürzte das ABGB auf „Anwendung“ als umfassenderen Ausdruck, „Auslegung“ steht nun erklärend in der Marginalrubrik. Auch die Lückenfüllungsregeln des ABGB (§ 7) finden sich im Entwurf Martini, wenngleich noch in umständlicheren Formulierungen. Hier kam es allerdings zu einer inhaltlichen Modifikation. Die Lückenfüllung letzlich nach „allgemeinen und natürlichen Rechtsgrundsätzen“ sind im ABGB auf letztere reduziert: Lückenfüllende Rechtsgrundsätze sollten nur dem Naturrecht entnommen werden172. Auslegungregeln enthielten übrigens nicht nur die Zivilrechtskodifikationen. In Übereinstimmung mit dem Codex Theresianus hatte die Allgemeine Gerichtsordnung 1781 die Richter strikt an den „wahren und allgemeinen Verstande der Worte“ gebunden, Analogie mit einem „entschiedenen Falle“, der „vollkommene Ähnlichkeit hätte“, gestattet, ihn aber ansonsten verpflichtet, den Fall „nach Hof anzuzeigen und die Entschließung darüber einzuholen“ (§ 437); das bedeutete praktisch ein Auslegungsverbot. Dabei blieb auch die Überarbeitung, die Westgalizische Gerichtsordnung 1796, erwähnt aber nicht mehr die Anfrage „nach Hof“ (§ 575).
II. Grundlagen 1. Die Kodifikationsgrundsätze 1753 Aufgrund des „Vorentwurfs“ erörterte die Kompilationskommission die Frage, ob sie ein völlig neues, aus der Vernunft abgeleitetes Recht erarbeiten oder eine Harmonisierung der Landesrechte vornehmen und mit dem Naturrecht bloß deren Lücken füllen solle; sie entschied sich für letzteres – die Harmonisierung der Landesrechte bildete fortan ihre Richtschnur. Es war ihr dies von Maria Theresia in ihrer „Instruktion“ von Jahresbeginn 1753 auch so aufgetragen173. Sie ordnete an174, „daß die Commission bey Abfassung des Codex sich einzig auf das PrivatRecht beschränken, soviel möglich das bereits übliche Recht beybehalten, die verschiedenen Provinzial-Rechte, in so fern es die Verhältnisse gestatteten, in Uebereinstimmung bringen, dabey das gemeine Recht und die besten Ausleger desselben, so wie auch die Gesetze anderer Staaten benützen, und zur Berichti171 EMart I 1 §§ 1 I ff.; GBGB I §§ 18 ff.; ABGB §§ 6 f.; Ofner, Urentwurf I, 22 f.; ders., Urentwurf II, 331 f. 172 Zeiller, Commentar I, 65 ff.; u. a. Schambeck, Rechtsgrundsätze, 482; Wesener, Aequitas, 101. 173 Harrasowsky, Codification, 46 ff., 50, 61. 174 Wesener, Usus modernus, 1369.
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1. Kap.: Die Entstehung
gung und Ergänzung stets auf das allgemeine Recht der Vernunft zurück sehen soll“. Maßgebend für diese Entscheidung war der Gedanke, daß hiermit die Rechtskontinuität in den einzelnen Ländern weitestgehend gewahrt werden könne, und man überdies davon ausging, daß die Abweichungen zwischen den Landesrechten nicht besonders ins Gewicht fielen175. Damit war das heimische Recht zur primären, das Naturrecht zur subsidiären Grundlage erklärt. Schon vom juristischen Umfeld176 her drängte sich dennoch die weitere Frage nach der Verwertung des Gemeinen Rechts auf, zumal beispielsweise der „Vorentwurf“ seinen Inhalt häufig mit Zitaten aus dem Römischen Recht erläutert hatte, die alsbald verfaßten Übersichten zu den einzelnen Landesrechten sich zum Teil gleichfalls auf das Gemeine Recht beriefen und als Ergänzung hierzu eigens das „Systema“ erstellt worden war. Das Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen als Grundlagen zueinander regelten ausdrücklich die „Compilationsgrundsätze“. Sie gehen ganz im Sinne der „Instruktion“ primär von „denen Länderrechten“ aus. Bei einer Kollision sei ihr „Hauptprinzip“ festzustellen, sodann auf dieser Grundlage nach mehreren Regeln (III–IX) eine Vereinheitlichung durchzuführen, letztlich auch dadurch, daß eines von mehreren widersprüchigen Gesetzen gewählt oder an deren Stelle ein neues Gesetz erlassen werde, weil der landesfürstliche Gesetzgebungswille die Rechtsvereinheitlichung verlange (IX). Den Landesgesetzen gleichgestellt ist die vom Landesfürsten bestätigte Gewohnheit (XII f), jede übrige Gewohnheit steht prinzipiell hinter dem Gesetz (auch anderer Länder) zurück (XV); nicht bestätigtes Gewohnheitsrecht ist also nur dann von Belang, wenn es in irgendeinem Land an einem einschlägigen Gesetz fehlt. Vom ansonsten einheitlichen Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht solle in einem Land nur dann abgegangen werden, wenn die Abweichung „tief in die Länderverfassung einschlaget“, wobei der Konnex zwischen der privatrechtlichen Regelung und der Landesverfassung allerdings ein sehr enger sein (XVII), dh einen „unmittelbaren und wesentlichen Einfluß“ auf jene haben muß (XVIII). Schließlich ist noch auf den Gerichtsgebrauch Bedacht zu nehmen; wurde er vom Landesfürsten bestätigt, so wird er einem Gesetz gleichgestellt, ist er dies nicht, aber „durchgängig und universal“, gilt er als Gewohnheitsrecht (XII). Jeder andere Gerichtsgebrauch ist schädlich, zumindest unbeachtlich (XXIV). Fehlt es nun sowohl an Gesetz, Gewohnheit oder Gerichtsgebrauch, ist eine ganz neue Regelung zu treffen, wobei „das Natur- und Völkerrecht, dann die Bedürfnis und Billigkeit zur Richtschnur vorgeschrieben ist“ (XXVI). Eine neue Regelung kann aber auch an die Stelle übereinstimmender Landesrechte treten, 175
Ebda, 47, 49. Hierzu: A. Steinwenter, Der Einfluss des Römischen Rechtes auf die Kodifikation des bürgerlichen Rechtes in Österreich, in: L’Europa e il Diritto Romano. Studi in Memoria di Paolo Koschaker I, 1954, 407 ff. 176
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falls dies Billigkeit und Zweck erfordern, wobei auch hier vom „Natur- und Völkerrecht“ auszugehen ist (II). Eine „nähere Anleitung“ in 11 (von 37!) Punkten erklärt, „wie dem Natur- und Völkerrecht verläßlich nachgegangen . . . werden könne“. Hier wird letztlich „ein ungebundener, von allen Vorurteilen entfernter Vernunftsschluß“ anempfohlen (XXXIV), dann eine Bedachtnahme auf das „Römische Recht“, soweit es der „natürlichen Billigkeit“ entspricht (XXXV), und ebenso auf „auswärtige Ländergesetze“ (XXXVI), schließlich ist auch die Rechtsliteratur heranzuziehen, soferne ihre Aussagen auf „richtigen Vernunftschlüssen“ beruhen (XXXVII). Aus den detaillierten Bestimmungen der „Compilationsgrundsätze“ ergibt sich folgende Reihung der vorgeschlagenen Grundlagen: Gesetz (gleichgestellt die vom Landesfürsten bestätigte Gewohnheit oder ebensolcher Gerichtsgebrauch) – Gewohnheit (gleichgestellt allgemeiner Gerichtsgebrauch) – Naturrecht (von ihm allenfalls erfaßt: Gemeines Recht, ausländische Gesetze, wissenschaftliche Literatur). 2. Die allgemeine Gesetzgebungspraxis Ohne Rücksicht auf die „Compilationsgrundsätze“ gewann in der ersten Kodifikationsphase des Codex Theresianus oft das Erlernt-Erfahrene ausschlaggebende Bedeutung. Dies zeigt beispielhaft die Führung der Referate: Azzoni, von Beruf Adovkat und Hochschulprofessor der praktischen Rechtslehre sowie des Kanonischen und Römischen Rechts, hielt sich stark an das böhmische Landrecht. Sein Nachfolger Zencker, von Beruf Hofrat der Obersten Justizstelle und der böhmisch-österreichischen Hofkanzlei, griff zum Gemeinen Recht177. Von einem äußerst geringen Einfluß blieben ausländische Vorbilder. Die Kompilationskommission kannte offenbar den Entwurf des preußischen Landrechts, berief sich jedenfalls einmal darauf; der Gesetzgebungskommission konnte empfohlen werden, sie solle sich die preußische, dänische und auch sardinische Gesetzgebung zum Vorbild nehmen178. Insgesamt bildete der Codex Theresianus noch eine Sammlung von klar erkennbaren Elementen, in oft wenig glückliche Verbindung gebracht, nämlich von Gemeinem Recht, allenfalls modifiziert, von landrechtlich inspirierten Rechtssätzen, einigen wenigen Neukonstruktionen und seltenen naturrechtlichen Feststellungen von eher theoretischer Bedeutung179. Ein bloß „umfangreiches Kompendium des damals geltenden Usus modernes pandectarum“ ist er jedenfalls nicht180. 177 Harrasowsky, Codification, 61; zur Benutzung von insb. W. A. Lauterbachs Collegium theoretico-practicum ad L pandectarum libros methodo synthetica pertractatum (z. B. 1713, 1723/1726) siehe Saxl, Quelle, 444. 178 Harrasowsky, Codification, 76, 128. 179 U. a. Wellspacher, Naturrecht, 177 f.; zu Neukonstruktionen u. S. 73 f. 180 So B. Huwyler, Der Begriff der Zession in der Gesetzgebung seit dem Vernunftrecht, 1975, 132.
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1. Kap.: Die Entstehung
Erst die weiteren Bearbeitungen bis hin zum Teil-ABGB 1786 glichen zwischen diesen Traditionsmassen aus181, verbanden und reduzierten sie zu einem homogenen Gesetzestext. Der ersten Phase eher eines Aneinanderfügens traditioneller Elemente folgte, was auch das Zusammenschmelzen des Umfangs zeigt, noch vor dem Teil-ABGB 1786 eine mehr rechtstechnische Gestaltung und Formung des angesammelten Materials, ohne sich nunmehr auf die Traditionsmassen um ihrer Tradition willen zu stützen182. Zu Ende ihrer Tätigkeit hatte die Gesetzgebungskommission auf „die dermaligen Gesetze oder gesetzlichen Gewohnheiten nur insoweit Rücksicht (genommen), als sie der Absicht der Gesetzgebung ganz angemessen waren und sich in ihrer Güte empfehlten“, sowie grundsätzlich die „Vermeidung aller Casuisterei“ beobachtet, wobei sich die Gesetzgebung an dem Grundsatz so orientierte, daß sie „dem Rechte der Natur, Vernunft und Menschheit am nächsten komme“ 183. Naturrechtlich inspiriert erscheinen demnach einleitende Bestimmungen des Teil-ABGB 1786, die aber doch eine stark obrigkeitsstaatliche Färbung aufweisen wie etwa: „Unter dem Schutze und nach der Leitung der Landesgesetze genießen alle Unterthanen ohne Ausnahme die vollkommene Freyheit“ 184. Allerdings handelt es sich bei diesen einleitenden Bestimmungen nicht um Privatrecht. In dessen übrigen Materien – vor allem den noch nicht Gesetz gewordenen – dominiert aber sichtbar die gelehrte Tradition und damit das Gemeine Recht in unterschiedlicher Intensität185. Zu den weiteren Arbeiten bis zum ABGB 1811 ist zu bedenken, daß es nun nicht mehr um die Neufassung eines Entwurfs ging, sondern um die Bearbeitung eines solchen. Martini selbst erklärte, daß er Codex Theresianus und Entwurf Horten als Grundlage seiner Arbeiten genommen habe186 wie dann sein so zustande gekommener Entwurf in der Fassung des GBGB den weiteren Arbeiten als Urentwurf zugrundelag. Die hier festgehaltenen, modifizierten und verschmolzenen Grundlagen dienten in ihrer neuen Form und ihrem auch neuen Gehalt den weiteren Arbeiten selbst als neue Grundlagen, die aber primär nicht mehr im Sinne dieser Traditionsstränge, sondern bestimmter Gesetzgebungsprinzipien fortentwickelt werden sollten. So nahm man auf die Landesrechte keine besondere Rücksicht mehr187. Gleichfalls ohne weitere Bedeutung blieb das Ka-
181
Auch Wesener, Usus modernus, 1386. I. von Koschembahr-Lyskowski, Zur Stellung des römischen Rechtes im allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche für das Kaisertum Österreich, in: ABGB-FS I, 209 ff. 183 Harrasowsky, Codex IV, 7. 184 II § 1; vgl. auch I §§ 1, 3, 4. Das Zitierte übrigens das Motto zu H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte II, 1966. 185 Vgl. auch Voltelini, Codex, 82. 186 Harrasowsky, Codex V, 80 in Fn. *. 187 Im Detail sogleich unten IV. 182
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nonische Recht, nachdem das Eherecht im Ehepatent 1783 festgeschrieben worden war. Eine etwas andere Position konnte das Gemeine Recht behaupten. Es diente als Argumentationsarsenal, freilich nicht wegen seiner Autorität oder gar bisherigen subsidiären Geltung, sondern aufgrund der „Reichhaltigkeit des Stoffes“ 188. 3. Die Gesetzgebungslehre Insgesamt zeigt sich in der zweiten Kodifikationsphase sehr klar eine neue, der Tradition kaum mehr verpflichtete Haltung. Dies geht mit auf einen neuen Wissenschaftszweig zurück, die Gesetzgebungslehre, die Prudentia legislatoria, die sich in Hinblick auf Gesetze mit deren Anzahl, Systematik, Abänderung und Sprache befaßt. Um 1800 war wohl noch die Feststellung des Erasmus v. Rotterdam bekannt189, „Tyrann“ sei nicht nur eine Obrigkeit, die ohne Gesetze die Untertanen bedrücke, sondern auch jene, die so viele Gesetze produziere, daß eine Gesetzeskenntnis unmöglich sei und daher die Bürger stets in der Angst lebten, wegen Gesetzesverstöße bestraft zu werden. Schon Josef II. hatte als künftiger Kaiser und Landesfürst in seinem Rechtsunterricht unter anderem gehört, daß Gesetze „kurz, deutlich“ sein müßten190. Um 1770 galt als bekannte Regel: „Die bürgerlichen Gesetze müssen gewiß, einfach, kurz, deutlich und in der Landessprache abgefaßt seyn. Die Gewißheit der Gesetze ist ihre allernothwendigste Eigenschaft“ 191. Knapp vor dem Erfolgepatent und dem Teil-ABGB 1786 war 1785 in 2. Auflage das Buch von Sonnenfels „Über den Geschäftsstil“ und 1794 jenes von Scheidlein zum selben Thema erschienen. Vor allem das erstere gewann Einfluß auf die Sprachgestaltung der Kodifikationsarbeiten (s. u. H.: S. 144 ff.). Allerdings dehnen Sonnenfels und ihm fast wortwörtlich folgend Scheidlein das Sprachliche in einem Punkt zu einer umfassenderen Gesetzgebungslehre aus, und zwar in der Unterscheidung von Gesetzen nach dem Kriterium ihrer Nützlichkeit192. Sonnenfels unterscheidet von den „neuen Gesetzen“ den „Nachtrag zu einem bereits bestehenden Gesetze“, die „Wiederholung“ sowie die „Erneuerung“, wobei es sich bei dieser nicht um eine Novellierung handelt, sondern um ein Gesetz, „worin mehrere, einzelne, über denselben Gegenstand erlassene Verordnungen in eine zusammengezogen werden“, was die synonyme Bezeichnung „Zusammenziehungen“ besser trifft, sich also als bereinigende Wiederverlaut-
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Ofner, Urentwurf II, 489. Principies Christiani, in: O. Herding (Hrsg.), Erasmus von Rotterdam – Opera omnia IV/1, 1974, 195. 190 Conrad, Recht, 244 f. 191 J. H. L. Bergius, Policey- und Cameral-Magazin V, 1770, 275, auch allgemein 273. 192 Vgl. hiezu Sonnenfels, Geschäftsstyl, 257 ff.; Scheidlein, Geschäftsstyl, 316. 189
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barung versteht. Jede dieser Kategorien verlange unter Umständen eine andere Gesetzessprache. Novellierungen hingegen lehnt er grundsätzlich ab193. Bei der ersten Kategorie der neuen Gesetze komme es darauf an, ob sie einen Vorteil einräumen, ob sie begünstigend oder beschwerend wirken. Umsoweniger ein Vorteil oder eine Begünstigung ins Auge springe, desto mehr müsse man hierauf hinweisen. Bei belastenden Gesetzen sei auf die „unvermeidliche Notwendigkeit“ aufmerksam zu machen, manchmal sei es auch „nützlicher“, durch entsprechende Wendungen „den Blick des Volkes gleichsam von dem Gegenstande ab auf eine Nebensache hinzuwenden“. Über den Ersatz von altem durch neues Recht äußerte sich Sonnenfels schon 1771 sehr differenziert194. Es gelte für Einzelgesetze der Satz „Gesetze sind veränderlich, wie die Umstände, auf die sie gegeben worden“, jedoch für ganze Gesetzbücher: „Eine gänzliche Abschaffung eines alten Gesetzbuches, die Einführung eines ganz neuen ist immer etwas sehr Gewagtes“. Die zweite Gesetzeskategorie, die „Nachträge“, erweckten stets einen ungünstigen Eindruck, da man annehmen müsse, das bisherige sei „ein unvollständiges Gesetz“ gewesen. Diesen Eindruck habe man durch entsprechende Formulierungen zu begegnen. Ähnliches gelte für „Wiederholungen“. Bei „Erneuerungen“ („Zusammenziehungen“) bedürfe es auch entsprechender Erläuterungen etwa über die „Wichtigkeit des Gegenstandes“. Die Frage nach der Benützung von Quellen und Material, wie noch ganz vorrangig in den Kompilationsgrundsätzen, hatte nun für die Gesetzestechnik an Bedeutung stark verloren. Wie Zeillers Ausführungen in mehreren Stadien der Kodifikationsentwicklung erweisen, waren für diese eben allein Prinzipien maßgebend, nach welchen das bereitliegende Material nahezu unbeschadet seiner Herkunft zu verwenden war. In diesem Sinn galt etwa hinsichtlich des Gemeinen Rechts, es „in allgemeine Vorschriften aufzufassen, sie vom Wust der Subtilitäten und Widersprüche zu reinigen, nach den geläuterten Grundsätzen der Rechtsphilosophie zu berichtigen, nach den Bedürfnissen der Nationen zu vervollständigen, und in eine systematische Ordnung, nach der einem Gesetzbuche angemessenen Form zu verbinden“ 195. Zeiller hatte diese Grundsätze am Beginn der 1. Lesung 1801 und dann am deutlichsten bei seiner Darstellung zur Revision 1808 festgehalten, sie schließlich in seinen beiden Kommentierungen von 1811/ 13 und von 1816/20 wiederholt196. Im Wesentlichen geht es dabei um die Gesetzessprache (s. u. H.: S. 144 ff.).
193
Sonnenfels, Geschäftsstyl, 409 f. J. von Sonnenfels, Ueber die Liebe des Vaterlandes, 1771, 56 f. 195 Ofner, Urentwurf II, 453. 196 1801: Ofner, Urentwurf I, 1 ff.; 1808: ders., Urentwurf II, 466 ff.; 1811: Zeiller, Commentar I, 23 ff.; 1816: ders., Principien, 25* ff. 194
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4. Die Stellungnahmen Zur Bedeutung der Stellungnahmen insgesamt sei beispielhaft auf jene eingegangen, die der letztlich maßgebenden Ersten Lesung des ABGB-Entwurfs vorlagen. Sie kamen von Gerichten – den Appellationsgerichten und den Landrechten –, von Universitäten, von Länder- bzw. Gouvernmentskommissionen und einigen Landständen. Von den Gerichten äußerten sich am häufigsten das Innerösterreichische Appellationsgericht (AG/IÖ), nämlich von 132 Sitzungen in 87, gefolgt von den Appellationsgerichten für Niederösterreich (AG/NÖ) in 56, ex equo für Oberösterreich (AG/OÖ) und Böhmen (AG/B) in je 47 und sodann für Ostgalizien (AG/OGal) in 36 Sitzungen, während jenes für Mähren und Schlesien (AG/MS) mit 2 Sitzungen das weit abgeschlagene Schlußlicht bildete. Bemerkungen des AG/IÖ finden sich in so gut wie allen Sitzungen mit einer größeren Lücke von der 109. bis zur 121. Sitzung und damit zu den Materien Schadenersatz- und allgemeines Schuldrecht. Jene des AG/NÖ reißen ab der 76. Sitzung so gut wie ab, die des AG/B reichen mit einigen größeren Lücken bis zur 84. Sitzung und treten dann nur mehr vereinzelt auf. Beide Gerichte, besonders das AG/NÖ, beziehen sich damit auf den allgemeinen Teil, das Sachen-, Familien- und Erbrecht sowie Teile des vertraglichen Schuldrechts. Das AG/OGal finden wir öfter von der 28. bis zur 93. Sitzung und so gut wie stets wieder von der 117. Sitzung an erwähnt, also mit Schwerpunkten zu den Materien Sachenrecht, Erbrecht sowie vertragliches Schuldrecht. Ähnlich das AG/OÖ, das regelmäßig mit Lücken ab der 25. Sitzung aufscheint. Das AG/ MS tritt bloß in der 10. und 16. Sitzung in Erscheinung und somit allein zum Eheund Kindschaftsrecht. Von den „Landrecht“ benannten Gerichten für Kärnten, für die Steiermark, für Krain und für Tirol mit je einer, für Österreich ob der Enns und für Görz mit je zwei und für Böhmen mit drei Erwähnungen hebt sich das für Tarnow mit 34 deutlich ab: Es vertritt praktisch Westgalizien, seine Bemerkungen verstreuen sich gleichmäßig über alle Sitzungen und Materien. Von den Universitäten finden wir die zu Wien und zu Prag in so gut wie allen 132 Sitzungen, jene in 110, diese in 80. Dies trifft auch, freilich mit großen Lükken, auf die Universität Freiburg/Breisgau zu, deren 61 Bemerkungen sich besonders auf die 47. bis 105. sowie 113. bis 131. Sitzung konzentrieren und somit auf das Erbrecht und das vertragliche Schuldrecht. Der Schwerpunkt der 32 Erwähnungen der Universität Innsbruck lag in der 26. bis 41. und 81. bis 116. Sitzung bei Sachen- und Schuldrecht. Ein stark unterschiedliches Bild zeigen die Gouvernements- und Länderkommissionen. An der Spitze steht die für Krain (in Laibach) mit Erwähnungen in 18 Sitzungen, knapp gefolgt von jener für Tirol in deren 14. Stark abgeschlagen sind die Kommissionen für Steiermark mit Präsenzen in 8, Niederösterreich in 6 und Westgalizien (in Tarnow) in 4 Sitzungen, kaum nennenswert die für Triest in 2 sowie für Innerösterreich und für Mähren in je einer Sitzung.
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Ähnlich zaghaft haben sich die Landstände geäußert: Weitaus an der Spitze stehen die Tirols mit einer Präsenz in 17 Sitzungen vor jenen Böhmens in bloß 7, Österreichs unter der Enns in 4 und für ob der Enns bzw. Innerösterreich in je einer Sitzung. Insgesamt beschäftigte sich die Kommission in Erster Lesung nahezu gleich oft mit Stellungnahmen der Universitäten in 283 und jenen der Appellationsgerichte in 265 Sitzungen, wesentlich weniger mit solchen der Landgerichte, nämlich in nur 44 Sitzungen, ähnlich mit jenen der Länderkommissionen in 45 Sitzungen und nur ganz wenig mit ständischen Vorschlägen in 33 Sitzungen.
III. Einflüsse des Naturrechts 1. Naturrechtliche Grundhaltung Das Naturrecht steht sogleich am Beginn der Gesetzgebungsarbeiten. Zufolge der Compilationsgrundsätze betrifft es Methode und Inhalt. Es habe die Kommission „das Natürlichste und Billigste aus richtigen Grundsetzen abzufolgern“ (vor I), bei unterschiedlichen Quellen aus den „Hauptprinzipien“ festzustellen, was „unstrittig für den natürlichsten und billigsten Grundsatz zu halten“ sei (II). Naturrechtliches Denken bestimmt schließlich noch zwei Ausnahmefälle: Gewohnheiten sind doch dem Gesetz vorzuziehen, wenn sie „dem Natur- und Völkerrecht und der natürlichen Billigkeit näher beikommen“ als dieses (XV); auch ist ein an sich unbeachtlicher Gerichtsgebrauch maßgebend, wenn er der „Natürlichkeit“ entspricht (XXIV). So dominiert in den Compilationsgrundsätzen das Naturrecht aus zwei Gründen: einmal wegen seiner subsidiären Anwendung, und hier vor allem durch seinen Vorzug gegenüber dem Gemeinen Recht, sowie als methodischer Filter und Maßstab bei der Verwertung des sonstigen Rechts. Damit war für den Codex Theresianus gegenüber dem zeitgenössischen Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis eine modernere Vorgangsweise vorgezeichnet197. Diese naturrechtliche Vorgangsweise beschreibt eine Ausgabe des Teil-ABGB „Nach dem Wiener Exemplar“ aus 1787 in einer Einleitung zum Inhaltsverzeichnis: Das Gesetzbuch führe Regelungen, die „von dem natürlichen Rechte zu sehr abgewichen sind“, auf dieses zurück, „so weit es nur mit den Verhältnissen des Staats vereinbarlich ist“. Später, 1790, hielt Kees ganz in diesem Sinne fest198, oberste Richtschnur war es, „die Gesetzgebung so zu stimmen (sic!), wie sie dem Rechte der Natur, Vernunft und Menschheit am nächsten komme, und dem allgemeinen Wohl, sowie dem Endzwecke entstandener Staaten am richtigsten entspreche“; auf geltende Gesetze und Gewohnheiten war dabei „nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie 197 198
Wesener, Usus modernus, 1387. Korkisch, Entstehung, 283.
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der Absicht der Gesetzgebung ganz angemessen waren und sich ihrer Güte empfehlten“. Dies schlug sich auch in der ab dem Entwurf Martini spürbar höheren Abstraktion der Regelungen nieder und damit auch in einem Abweichen von gemeinrechtlichen Formulierungen199. Da naturrechtlichem Denken gemäß die „natürlichen Gesetze . . . wie mathematische Wahrheiten nach den Regeln der Vernunft aus unleugbaren Grundsätzen hergeleitet“ werden können, demnach „mathematisch gewiß“ und „unveränderlich“ sind200, schlägt sich die Naturrechtslehre grundsätzlich in der Idee der Kodifizierung unveränderlicher Rechtssätze nieder. Diese naturrechtliche Sicht wahrer und damit ewig gültiger Rechtssätze beeinflußte den zeitlichen und den örtlichen Geltungsbereich der Kodifikationen. Man sei an der „Bearbeitung eines für die Dauer von Menschenaltern bestimmten Gesetzbuches“ meinte Rottenhan 1796 in der Überprüfungskommission201. Nahezu in Einklang damit konnte Zeiller 1822, als das ABGB zehn Jahre in Geltung stand, feststellen, es habe „ohne alle Schwierigkeiten . . . auch auf die neu- oder wieder erworbenen Länder ausgedehnt“ werden können202. Dies trifft besonders auf das GBGB zu: Es wurde für ein Geltungsgebiet in Kraft gesetzt, aus dem nachweislich keinerlei Einflüsse auf seinen Inhalt herrührten. Mit anderen Worten: In Galizien sollte nicht-galizisches Recht gelten. Dies deshalb, weil man von der Richtigkeit des Inhalts so überzeugt war, daß man davon ausging, diesen auch in Gebieten in Kraft setzen zu können, die nichts zu ihm beigetragen hatten. Damit freilich steht das GBGB nicht allein. Ganz „am anderen Ende“ der Habsburger-Monarchie geschah nahezu zur gleichen Zeit dasselbe. Hatte man nämlich für die östlichsten Kronländer praktisch den Entwurf Martini in Kraft gesetzt, so stand im Westen der Habsburger-Monarchie ähnliches bevor, wenngleich nicht in einem ihrer Kronländer, sondern in dem der Habsburger-Monarchie angrenzenden und eng verbundenen Fürstentum Liechtenstein. Für dieses Land203 hatte Joseph Schuppler den Entwurf einer Zivilrechtskodifikation erstellt. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um eine Straffung des Entwurfs Martini mittels sprachlicher und inhaltlicher Kürzungen. Das Inkrafttreten dieses wie auch im Falle des GBGB bloß leicht bearbeiteten Entwurfs Martini verhinderten aber nicht spezifische liechtensteinische Verhältnisse, sondern der Umstand, daß man in Liechtenstein dann doch das ABGB übernahm. Sowohl für Galizien und das Buchenland wie für Liechtenstein, später auch für Salzburg und Lombardo-Venetien sowie noch später für Ungarn samt seinen Nebenländern ist eines auffallend: Man sah keinen beziehungsweise im Falle 199 200 201 202 203
Wellspacher, Naturrecht, 183. K. A. Martini, Lehrbegriff des Naturrechts, 1799, 31. Adler, Gesetzgebung, 127. Zeiller, Rechtsfälle, 321. Berger, Zivilrechtsordnung.
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Ungarns nahezu keinen Grund, den ohne Einfluß aus diesen Gebieten erstellten Gesetzestext für diese Länder adaptieren zu müssen! Logisch konstruiertes und daher als richtig angesehenes Recht sollte überall gelten können, in Liechtenstein ebenso wie in Galizien – was tatsächlich dann hier wie dort mit dem ABGB der Fall war. 2. Naturrechtliche Grundbestimmungen Solche finden sich ab dem Codex Thersianus, freilich in höchst unterschiedlicher Weise. In diesem sind die Hinweise spärlich und von geringem Gewicht, trotz der naturrechtlichen Kompilationsgrundsätze. Bemerkenswert ist der Umstand, daß der Vorschlag Azzonis „jus naturale“ zu definieren als „das natürliche Recht, welches den Menschen durch die Vernunft anweiset“, nicht Aufnahme in den Codex fand, sondern es hier primär heißt: „Gott hat das Recht der Natur . . . geordnet“ (I/1/2). Das Naturrecht entspringt also nicht der menschlichen Vernunft, es ist göttlichen Ursprungs, was nochmals betont wird (I/2/3): „Das Recht der Natur ist von Gott dem Menschen eingepflanzt“, wonach erst die Vernunft rangiert, nämlich in dem Zusatz, „auf daß er [der Mensch] durch seine eigene Vernunft geleitet werde“. Sodann gibt es bloß noch einen weiteren Hinweis auf „das Recht der natürlichen Freiheit“, zu dem aber sogleich auf ihre Einschränkungen hingewiesen wird, insbesondere durch „Unterthänigkeit“ und kraft den „besonderen Rechten und Vorzügen der Landleute“ und u. a. auch „der Bürger“ (I/2/1,3). Von den ohnedies knappen Naturrechtserwähnungen im Codex Theresianus fielen die auf das göttliche Naturrecht bezogenen den Kürzungen Hortens zum Opfer. Übrig blieb der Hinweis auf das „Recht der natürlichen Freiheit“ (I/2/1), das schließlich – terminologisch – im Teil-ABGB verschwand, da nun als „vollkommene Freiheit“ formuliert (II/1). Auch der Hinweis des Entwurf Horten, Gewohnheitsrecht müsse „der Vernunft . . . gemäß“ sein (I/1/14), entfiel im TeilABGB. Durch diese Kürzungen steht im Teil-ABGB der Landesfürst als Quelle der Gesetze im Vordergrund: Sie entspringen der ihm „eigenen obersten Gewalt“ (I/2), was sich freilich auch gegen die intermediären Gewalten bezieht wie auf die Kirchen im Eherecht, das ausdrücklich durch die „landesfürstlichen Gesetze“ bestimmt wird (III § 3). Ein deutlicher Umschwung erfolgte mit dem Entwurf Martini. In besonderem Maße geben dessen erste Hauptstücke bzw. dann die des GBGB „die Grundlehren des damaligen Naturrechts wieder“ 204. Sie sprengen sogar den Rahmen des Privatrechts mit allgemeinen Rechtsregeln, Bestimmungen über Zwecke und Ziele des Staates sowie solchen grundrechtsähnlicher Natur. Im GBGB sind die 204 So und zum Folgenden Wellspacher, Naturrecht, 179; Adler, Gesetzgebung, insb. 110 ff., 120.
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beiden ersten Hauptstücke überschrieben „Von den Rechten und Gesetzen überhaupt“ sowie „Von den Rechten der Personen“. Gleich eingangs wird festgehalten, daß der „Staat“ eine „Gesellschaft“ sei und einen bestimmten „Endzweck“ verfolge (§ 6), der als „allgemeine Wohlfahrt des Staates, das ist, die Sicherheit der Personen, des Eigenthumes und aller übrigen Rechte“ definiert wird (§ 7). In „einer bürgerlichen Gesellschaft“, also im Staat, hören die den Menschen „angebornen Rechte“ sowenig auf als „ihre natürlichen Pflichten“, nur „eine gewisse Richtung und Beschränkung“ derselben findet insoferne statt, als sie zur Erreichung des oben angeführten „Endzweckes“ notwendig ist (§ 28). Von den „angebornen Rechten“ werden anschließend die Wichtigsten („vorzüglich“) aufgezählt (§ 29), nämlich „das Recht sein Leben zu erhalten; das Recht die dazu nöthigen Dinge sich zu verschaffen; das Recht seine Leibes- und Geisteskräfte zu veredeln; das Recht sich und das Seinige zu vertheidigen; das Recht seinen guten Leumund zu behaupten, endlich das Recht mit dem, was ihm ganz eigen ist, frey zu schalten und zu walten“. Besonders festgehalten wird hiezu, „diese Naturrechte bleiben unverändert auch im Kreise der bürgerlichen Gesellschaft“ (§ 31). Daß aufgrund der „erworbenen Rechte“ ein „gewisser Abstand unter den Menschen unvermeidlich, ja sogar nothwendig“ sei (§ 32), wird gerade als „das Vorzügliche einer bürgerlichen Gesellschaft“ bezeichnet, denn durch sie werde „der Schwache gegen den Stärkern geschützt, und der Ohnmächtige gegen den Mächtigen vertheidiget“, womit „alle übrigen sowohl angebornen, als erworbenen Rechte sichergestellt“ (§ 33) und durchsetzbar (§ 34) seien. Mit dieser naturrechtlichen Fundierung werden nicht nur Grundpositionen beschrieben, sondern auch konkret-juristische Auslegungsrichtlinien festgesetzt, nach denen die nachfolgenden Regelungen zu interpretieren und anzuwenden sind, da sie sich alle entweder als Ausformung des naturrechtlich fundierten „Endzwecks“ des Staates verstehen oder, soferne sie Einschränkungen der „Rechte“ darstellen, stets als bloß „geringe Beschränkung“ gewichtet werden dürfen. Aus diesen naturrechtlichen Grundpositionen versteht es sich wohl auch, daß man das GBGB mit seinen derart motivierten Regelungen als Mittel ansah, um, wie es das westgalizische Kundmachungspatent nahezu in Verweisung auf die Eingangsbestimmungen des GBGB versprach, Rechtssicherheit und Rechtsschutz zu gewährleisten. Allerdings zeigt sich das GBGB dem Naturrecht zumindest im Ausdruck weniger verbunden als zuvor der Entwurf Martini, der beispielsweise anders als das GBGB nicht bloß von „Rechten“ (§§ 31 f.) sondern „Naturrechten“ (II §§ 6 ff.) sprach. Begreiflicherweise hatte sich gerade angesichts der Französischen Revolution die Überprüfungskommission gegen derartige naturrechtliche Aussagen gewandt. Sie seien205 „für den gemeinen Mann nicht faßlich“ und könnten „zu schiefen Auslegungen Anlaß geben“, wären „jetzt gerade 205 Das Folgende nach Wellspacher, Naturrecht, 180; Korkisch, Entstehung, 287; Adler, Gesetzgebung, 110 ff.
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noch doppelt am unrechten Platze“, nämlich erstens aus den eben genannten Gründen und zweitens weil sie, offenkundig durch diese Eingeständisse, „Furcht zu verraten“ scheinen. Man solle daher „alles Zeug von Menschenrechten, natürlicher und bürgerlicher Freiheit“ weglassen, zumal Derartiges „eher in eine sogenannte Konstitution“ gehöre, jedenfalls nicht in ein bürgerliches Gesetzbuch. Allerdings sprach man sich überwiegend nur für mehr oder weniger einschneidende Modifikationen aus, selbst Sonnenfels votierte nicht für einen gänzlichen Entfall, sondern für einen Ersatz der Formulierungen Martinis durch solche aus seiner Feder, darunter für einen Abschnitt „Von der bürglichen Freiheit“. Soweit wie Martini ging er mit derartigen Erklärungen nicht. Die „unglaublichsten Grausamkeiten und Schandtaten“ der Französischen Revolution hätten nämlich gezeigt, wie das Volk „die ihm unbehutsam angebotenen Sätze von Menschenrechten, von Freiheit und Gleichheit versteht und kommentiert“ 206. Das geschah freilich auch noch später und anderswo: Zum Mißbrauch plakativer Rechteerklärungen wie „menschliche Rechte“ als „natürliche Rechte“ kam es im Zuge des Goldrauschs 1850 in Kalifornien, da unter diesem „Titel“ die Neusiedler, die „Squatters“, Land dem bisherigen Eigentümer entrissen207. Im Ziel derartiger Bestimmungen sah sich Sonnenfels übrigens eins mit Martini „der Welt die glückliche Freiheit und Gleichheit“ zu bringen, nicht aber im dahin führenden Weg208. So genügten auch kleine Korrekturen: Aus „die bürgerliche Freiheit“ im GBGB wurde im Urentwurf „das bürgerliche Verhältnis“ (I § 34) und so versteht es sich denn auch, daß trotz der Kritik die nur leicht modifizierte Fassung Martinis mit dem GBGB Gesetzeskraft erlangen konnte. Mit ihm trat jedenfalls ein früher Grundrechtskatalog in Kraft! In das ABGB ging er freilich nicht ein. Zu den bisherigen politischen Bedenken gesellte sich eine legistische Überlegung. Als nicht zum Privatrecht gehörig und wegen ihres ein Rechtsgebiet übergreifenden Charakters wurden in der Ersten Lesung nahezu alle diese Bestimmung aus dem Urentwurf ausgeschieden209. Damit schwand zwar ein auffälliger Niederschlag des Naturrechts, aber dies berührte nicht den privatrechtlichen Inhalt. Ein kleiner, aber dennoch gewichtiger Rest blieb im ABGB erhalten: Er legt dessen naturrechtliches Grundkonzept ganz deutlich offen. Ausdrücklich auf Natur-(Vernunft-)recht berufen sich lediglich drei Paragraphen des ABGB, nämlich § 7 im Einleitungs-Teil sowie die §§ 16 und 17 zu Beginn des Personenrechts. Mit der „angeborenen Freyheit“ als „Titel“ „frey stehende Sachen . . . in Besitz zu nehmen“, gibt es einen Anklang in § 381. Die §§ 16 und 17 enthalten mit den §§ 18 und 19 das naturrechtliche Grundkon-
206
Ebda, 115. J. P. Zollinger, Johann August Sutter. Der König von Neu-Helvetien. Sein Leben und sein Reich, 2003 (Erstausgabe 1938), 286. 208 Ebda, 128 in Fn. 70. 209 Adler, Gesetzgebung, 144. 207
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zept der Rechtsordnung überhaupt, jedenfalls des ABGB. Deutlich machen dies die Marginalrubriken: „Angeborene Rechte“ zu § 16 sowie „Rechtliche Vermutung derselben“ zu § 17, sodann die weitere Kategorie „Erwerbliche Rechte“ zu § 18 und „Verfolgung der Rechte“ zu § 19. Da die Marginalrubriken von Zeiller stammen, lenken sie den Blick auf dessen naturrechtliche Anschauungen. Ihnen liegt die Unterscheidung in die „angeborenen Rechte“ und in „erwerbliche Rechte“ zugrunde. Jene stehen den Menschen „bloß von Natur als sinnlichvernünftigen Wesen ohne Dazwischenkunft einer rechtlichen Handlung“ zu; diese werden „nach dem Ausspruche der Vernunft erst vermittelst einer rechtlichen Handlung erlangt“ 210. Zu den angeborenen Rechten zählt insbesondere auch das, die „Rechte zu bewahren“, sei es durch „zwanglose (Mittel)“ oder durch „Zwangsmittel“, nämlich die staatlichen Gerichte211. So spiegelt sich in den §§ 16 bis 18 Zeillers Naturrechtslehre exakt wider, was auch seine Kommentierung dieser Paragrafen erweist212. Zeillers Feststellung, der „Mensch denkt sich also nothwendig als ein freythätiges Wesen, als eine Person“ 213, entspricht § 16: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als Person zu betrachten“, wozu § 17 fortfährt: „Was den angeborenen natürlichen Rechten angemessen ist, dieses wird so lange als bestehend angenommen, als die gesetzmäßige Beschränkung dieser Rechte nicht bewiesen wird“, was die Marginalrubrik hiezu als „Rechtliche Vermutung“ versteht. Dies entspricht Zeillers Ansicht im Sinne des jüngeren, relativen Naturrechts, die „natürlichen Rechtswahrheiten“ bedürften „im Staate, um für das bürgerliche Leben brauchbar zu seyn, mannigfaltiger Modificationen, näherer Bestimmungen, Erweiterungen, Einschwächungen, Ergänzungen, Befertigungen usw.“ 214. Eine logische Folge von § 17 ist der dritte, das Naturrecht erwähnende § 7, wonach die Lückenfüllung letztlich „mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natrülichen Rechtsgrundsätzen“ zu erfolgen hat. Gibt es keine Bestimmung, keine „Beschränkung“, dann gilt Naturrecht, es füllt die Lücken des Gesetzbuchs. Dies spiegelt sich wider im Eigentumserwerb durch Zueignung: Er entspringt der „angeborenen Freiheit“ (§ 381) – entsprechend § 16 –, findet aber nicht statt, „wenn durch politische Gesetze eingeschränkt“ (§ 382) – entsprechend § 17. Wir finden übrigens diesen Gedankengang auch im Strafrecht wieder: Fehlt eine „Beschränkung“ der „angeborenen, natürlichen Rechte“, nämlich durch Deliktstatbestände, liegt keine Straftat vor: nullum crimen, nulla poena sine lege. 210 211 212 213 214
Zeiller, Privat-Recht, 1. Aufl., 1802, 48 ff., 65 ff. Ebda, 55, 207 f. Zeiller, Commentar I, 102 ff. Zeiller, Privat-Recht, 2, ähnlich 50. Zeiller, Principien, 169 (28).
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1. Kap.: Die Entstehung
Nur kurz sei im Rahmen dieser Darstellung auf die Grundlagen von Zeillers Naturrecht eingegangen. Mit ziemlichem Nachdruck haben vor allem Ernst Swoboda und Hermann Conrad für Kant plädiert, was in der Folge mehrfach wiederholt wurde215. Beispielsweise ließe sich § 16 über Zeillers „Natürliches PrivatRecht“ auf Kant zurückführen, ebenso sei der „Unterschied zwischen angeborenen und erwerblichen Rechten bei Kant vorgebildet und von Zeiller übernommen worden“ 216. Doch gab es auch Zweifel am dominierenden Einfluß Kants zugunsten eines größeren von Martini217. Die Zweifel am betont starken Einfluß Kants sind nicht unberechtigt. So zitiert Zeiller in seinem „Natürlichen Privat-Recht“ Kant nur äußerst selten, in seinem Abschnitt über die „angeborenen Rechte“ gar nicht, sehr wohl aber Feder, Grotius, Martini, Wolf, Schmid, Ferguson, Jakob, Tittmann, Schmalz, Heydenreich, Kleinschrodt, Harscher v. Almendingen und zweimal Genz218. In seiner Liste naturrechtlicher Titel steht Kants „Methaphysik der Sitten“ samt den Kommentaren dazu von J. S. Beck und H. Stephani neben 32 weiteren Autoren, mit denen er seine „Zuhörer“ „bekannt machen“ werde und hebt aus ihnen „vorzüglich“ Feuerbachs „Critik des natürlichen Rechtes, 1796“ hervor219. Übrigens verhält sich Zeiller zu Kant auch kritisch wie etwa hinsichtlich des Widerrufs der angenommenen Schenkung220. Schließlich ist zu bedenken, daß sich die Inhalte der §§ 16 bis 18 bereits im Entwurf Martini finden und von hier über den Urentwurf in das ABGB eingingen221. Sie stammen also nicht von Zeiller, sondern aus der älteren Textschicht Martinis. Aus der Sicht von Sonnenfels vedankten sich die §§ 16 bis 18 übrigens dem Umstand, daß „ein allgemeiner politischer Kodex bei der großen Menge und Mannigfaltigkeit der Gegenstände noch so bald nicht zu Stande kommen dürfte“ und damit auch nicht die in diesem festzulegenden „allgemeinen Grundsätze über die Rechte und Pflichten der Bürger im Staate“, so daß „wenigstens die allgemeinsten Bestimmungen hierüber“ in das ABGB aufzunehmen seien, und ähn215 E. Swoboda, Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch im Lichte der Lehren Kants, 1926; weiters u. a. Schlosser, Privatrechtsgeschichte, 138; H. Hofmeister, Die Rolle Zeillers bei den Beratungen zum ABGB, in: Selb/Hofmeister, Forschungsband, 107 ff., 125 f. 216 Conrad, Individuum, 24 f. 217 F. Klein-Bruckschwaiger, Karl Anton von Martini in der Zeit des späteren Naturrechts, in: Festschrift Karl Haff, 1950, 120 ff.; G. Lässer, Martinis Rechtsphilosophie und das österreichische Privatrecht, 2008; für Martinis Naturrecht Beiträge von H. Barta, G. Lässer, in: Barta/Pallazer, Martini; ebenso Beiträge von R. Palme und H. Klenner, in: H. Barta/R. Palme/W. Ingenhaeff (Hrsg.), Naturrecht und Privatrechtskodifikation, 1999. – Zur Diskussion mit Belegstellen Wagner, Staatsrecht, 20. 218 Zeiller, Privat-Recht, 48 ff. 219 Ebda, 43 ff. 220 Zeiller, Privat-Recht, 135 f. 221 §§ 16 und 17 = EMart I 2 § 1 = UrE I § 28, § 18 = I 2 § 5 = I § 32.
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lich bemerkte Vizepräsident v. Haan zum ABGB, daß „der sogenannte status naturalis hier nicht so ganz übergangen werden könnte“ 222. Im Sinne der naturrechtlichen Grundaussagen der §§ 16–19 stellt das ABGB insgesamt ein Gesetzbuch des Naturrechts dar, nämlich durch dessen Geltung (§ 16, 17) wie seine „Modificationen“ und auch „Einschränkungen“ (§ 18) in Zeillers Worten. Möglicherweise liegt darin ein Motiv für Zeillers Beschreibung der „Principien“ des ABGB von 1816/1820. Jedenfalls faßt hier Zeiller die Grundaussagen der §§ 16–18 in einem Satz zusammen: „Die Grundeigenschaft, woraus sich alle angeborenen und am Ende auch alle erwerblichen natürlichen oder positiven Privat-Rechte erklären lassen, ist der Charakter der Persönlichkeit, der Charakter eines vernünftigen Wesens“ 223. Gerade die Modifikationen und Einschränkungen werden den Blick auf weitere Einflüsse, insebesondere des Gemeinen Rechts lenken. Daher sind auch die konkreten Hinweise wie u. a. auf „natürliches“, „vernünftiges“ Recht eher selten. In der letzten Kodifikationsphase ab der Ersten Lesung finden wir am häufigsten Hinweise mit der Eigenschaft „natürlich“ zu etwa „Recht“, „Sinn“, „(Rechts-) Grundsätze“ und „Naturrecht“ aber doch nur in 20 von 175 Sitzungen, davon also in gut 11%, davon in 4 Sitzungen mehrmals. Von der „Natur“ der „Sache“, des „Zwecks“ u. ä. war in 9 Sitzungen die Rede, somit in 5%, vom „philosophischen Recht“ in 5 Sitzungen (2,8%) und kaum vom „vernünftigen Recht“ (3 Sitzungen: 1,7%). Alle diese Ausdrucke fielen in 35 von den 175 Sitzungen (20%). Diese 35 Sitzungen verteilen sich ziemlich gleichmäßig auf Sachenrecht, Vertragsrecht und Schadenersatz zu jeweils 18%, das Erbrecht dominiert mit 25%, halb so viele Sitzungen betrafen das Personenrecht, davon abermals die Hälfte Allgemeines. Zum Vergleich: Auf konkrete gesetzliche Bestimmungen wurden in 29 der 175 Sitzungen, also in 16,5% verwiesen, also in weniger als auf Naturrecht. 3. Materielles Naturrecht Naturrechtliche Sicht schlägt sich am Beginn der Kodifikationsentwicklung in der Betrachtung von Ehegatten, Familie, „Haus“ (Familie und Dienstleuten) sowie Staatsbürgern nieder224: Sie alle bilden jeweils eine „Gesellschaft“ – ein allgemeines Gesellschaftsrecht, das etwa auch die (bürgerlichrechtliche) Gesellschaft umfaßt, wird jedoch nicht entwickelt; diese folgt eher dem gemeinrechtlichen Vorbild der societas. Manches erwies sich als wenig glücklich. Das sei an einem Beispiel veranschaulicht, nämlich der Genesis der Bestimmungen über die drei miteinander in Verbindung stehenden Rechtsinstitute Gesellschaft, Gemein222 223 224
Ofner, Urentwurf I, 38. Zeiller, Principien, 34. Zum Folgenden Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 107.
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1. Kap.: Die Entstehung
schaft und eheliche Gütergemeinschaft225: Hiervon folgen die Regeln von Gesellschaft und Gemeinschaft eindeutig dem Gemeinen Recht, und nicht, was bei der Gesellschaft zu erwarten wäre, dem Naturrecht. Für die eheliche Gütergemeinschaft hingegen werden trotz Vorliegens eingefahrener und der Praxis entsprechender Regelungsmuster nicht die Landesrechte zum Ausgangspunkt genommen, sondern wird eine logische Konstruktion geschaffen, welche den Bedürfnissen der Praxis aber nicht entsprechen konnte; aufgrund eines Systematisierungsbedürfnisses wurde überdies dieses Gebilde durch Verweisungen mit dem Gesellschaftsrecht verbunden, was aber dem Inhalt der beiden Normengruppen nicht entsprach. Mit dem Fortfall der Klassifikation der Verträge entfernt man sich bewußt vom Gemeinen Recht zugunsten einer naturrechtlichen Sicht226. Horten nahm in seinen Entwurf weitere naturrechtliche Elemente auf. Dies geschah eher noch zögernd im Schuldrecht, vor allem ist das von ihm eingeführte Parantelensystem227 eine nahezu klassische vernunftrechtliche Konstruktion more geometrico, die erstmals mit dem Erbfolgepatent 1786 Gesetzeskraft erhielt und über Hortens Lehrer Martini auf Joachim Georg Darjes zurückgeht. Insgesamt brachte sodann der Entwurf Martini einen naturrechtlichen Einbruch. Einige seiner Bestimmungen stammen wortwörtlich aus Martinis Naturrechtsdarstellung228 wie zum Vertragsabschluss (I §§ 7, 9, 18 ff. = ABGB §§ 863, 864, 871 ff.). Im Schadenersatzrecht229 trat nun eine spürbare Wende ein zur naturrechtlichen Anschauung einer allgemeinen Schadenersatzpflicht aus Verschulden wie auch, wenngleich ohne nachhaltige Wirkung, dem „Verteidigungsrecht“. Martini folgte offenkundig den Lehren von Thomasius wie auch im Falle des Mitverschuldens Christian Wolff 230. Naturrechtlichten Vorstellungen entspringt auch die erlaubte Notwehr (§ 19), vom GBGB (II § 40) ausdrücklich als „im Naturrechte gegründete Notwehre“ bezeichnet231. Dem Fallenlassen des dominium eminens des Landesfürsten als Berechtigung zur Enteignung und dessen Bindung an eine Entschädigung liegt vor allem mit dem Hinweis auf „das allgemine Beste“ der naturrechtliche contrat social zugrunde232. Erst Zeiller er225
Brauneder, Gesellschaft, 230 ff. im Detail. Vgl. insb. G. Wesener, Von der Lex Rhodia de iactu zum § 1043 ABGB, in: M. Lutter/H. Kollhosser/W. Trusen (Hrsg.), Recht und Wirtschaft in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Johannes Bärmann zum 70. Geburtstag, 1975, 31 f.; ders., Zeillers Lehre „von Verträgen überhaupt“, in: Selb/Hofmeister (Hrsg.), Forschungsband, 248 ff.; zur Systematik auch unten 114 ff. 227 Dazu Wesener, Erbrecht, 955 f. 228 Lehrbegriff des Naturrechts zum Gebrauch der öffentlichen Vorlesungen §§ 452, 453, 458 f.; vgl. Wellspacher, Naturrecht, 182. 229 Ebda, 198 f.; H. Hausmaninger, Roman Tort Law in the Austrian Civil Code of 1811, in: ders. (Hrsg.), Developments in Austrian and Israeli Private Law, 122 f. 230 Speziell dazu H. Hausmaninger, Das Mitverschulden des Verletzten und die Haftung aus der lex Aquilia, in: Gedächtnisschrift H. Hofmeister, 1996, 236 Fn. 6. 231 Wellspacher, Naturrecht, 200. 232 Ebda, 206. 226
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setzte die gemeinrechtliche Sicht der Verarbeitung durch die naturrechtliche Auffassung der Verbindung von Materie und Form und verband sie daher mit der Spezifikation233. Nahezu ein Beispiel zu § 17 ABGB bringt bereits § 26: Es bedürfen „erlaubte Gesellschaften“ in der Regel keiner staatlichen Konzession, da die Erlaubnis sich aus dem Fehlen der Eigenschaft einer „unerlaubten“ Gesellschaft ergibt, die „durch die politischen Gesetze insbesondere verboten werden, oder offenbar der Sicherheit, öffentlichen Ordnung, oder den guten Sitten widerstreiten“ (§ 26). Nicht der Text, sondern Zeillers Marginalrubrik zu § 26 bezeichnet sie als „Moralische Person“. Insgesamt trifft zu, daß „der naturrechtliche Einfluß ständig stärker wurde“, und zwar zu Lasten des Gemeinen Rechts234. Dies geht außer auf genuin naturrechtliche Formen auch auf vom Naturrecht weiterentwickelte Einrichtungen zurück. Im Falle des Publizitätsprinzips ist dies ein tragender Rechtsgedanke des heimisch-deutschen Rechts235. Hier wurzelt auch der Erbvertrag, den aber die Kodifikatoren zugunsten der Testierfreiheit naturrechtlich stark beschränkten, nämlich auf Ehegatten und drei Viertel des Vermögens (§§ 1249 ff.)236. In den Erb- und Versorgungsansprüchen des überlebenden Ehegatten mischen sich die heimischen Rechtstraditionen mit naturrechtlichen Überlegungen237. In anderen Fällen liegt der naturrechtlichen Ausformung Gemeines Recht zugrunde238. Dazu zählt wohl schon im Codex Thresianus der gutgläubige Eigentumserwerb an Fahrnis, der dann allerdings im Entwurf Martini auf wenigere Fälle reduziert wurde239. Der weite Begriff der Sache – „alles was von der Person des Menschen verschieden ist“ (§ 285) – gilt als naturrechtlich, ist jedoch aus dem Gemeinen Recht (res incorporales) weiterentwickelt. In der spezifischen, sich dem Naturrecht bereits annähernden Gestaltung des Usus modernus Pandectarum wurzelt weiters der Rechtsbesitz, die titulus-Lehre und der Aufopferungsanspruch der lex Rhodia de iactu240. Die Begründung der Ehe durch den „Ehevertrag“ (§ 44) entspricht naturrechtlichen Vorstellungen, welchen allerdings das „consensus facit nuptias“ des Kanonischen Rechts vorgebaut hat.
233
Ebda, 206 f. Wesener, Usus modernus, 1386; Wellspacher, Naturrecht, 183. 235 Ebda, 205. 236 G. Wesener, Zur Verflechtung von Usus modernus pandectarum und Naturrechtslehre, in: H. Koziol/P. Rummel (Hrsg.), Im Dienste der Gerechtigkeit, Festschrift für F. Bydlinski, 2002, 491 f.; ders., Naturrechtliche und römisch-gemeinrechtliche Elemente im Vertragsrecht des ABGB, in: ZNR 1984, 113 ff. 237 Wesener, Pflichtteilsrecht, 113 ff. 238 Ebda, 476 ff., 486 ff. mit Detailnachweisen: Wesener, Dogmengeschichte, 473. 239 Ebda, 481 f. 240 Die Rückführung des Parentelensystems auf die justinianische Intestaterbfolge scheint ein wenig weit hergeholt: ebda, 489. 234
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1. Kap.: Die Entstehung
Ein spezifischer naturrechtlicher Einfluß besteht schließlich darin, bestimmte gesetzliche Rechtsfolgen als Vermutungen auf den Willen der Betroffenen zurückzuführen. Das trifft global auf die gesetzliche Erbfolge an sich zu: Sie gilt als vermuteter Wille des Erblassers, der diese Vermutung durch Wahrnehmung der rechtsgeschäftlichen Erbrechtsformen entkräften kann241. Ausdrücklich stellt das ABGB derartige Vermutungen hinsichtlich des Verwaltungs- und Nutzungsrechts des Mannes am Frauenvermögen auf 242 (§§ 1238 f.), ferner hinsichtlich der Betrauung des Kurators auch mit der Aufsicht über die Person (§ 209), des Weiterwirkens der persönlichen Servituten im Zweifel nur gegen die ersten gesetzlichen Erben (§ 529), des Widerrufs eines Legats (§ 724), der Einordnung einer Vorauszahlung im Zweifel als Angeld (§ 908), der Auslegung von Vollmachten (§§ 1029 ff.), der Gefahrtragung beim Bestandvertrag (§ 1106), der Einwilligung in einen angemessenen Lohn beim Dienstleistungsvertrag (§ 1152), der Unterscheidung von Kauf- und Werkvertrag (§ 1158), der Willenserklärungen „Alle für Einen und Einer für Alle“ durch Handelsleute (§ 1203), der Darlehensrückzahlung (§ 1416) sowie der Bedeutung einer vom Befriedigten ausgestellten Quittung (§§ 1426 ff.).
IV. Einflüsse regional-lokaler Rechte Die Kompilationsgrundsätze verwiesen für die künftigen Arbeiten besonders auf die Landesrechte, d. h. die regionalen und lokalen Rechte243. Dazu kommt ganz grundsätzlich das Wesen der Habsburgermonarchie als Monarchische Union von Ständestaaten, die sich ab der Staatsreform von 1749 erst allmählich – gerade auch mit den Rechtsreformen im Bereich des Zivilrechts – in einen Staat umwandelte, wo also regionale bzw. lokale Rechte noch eine Rolle spielten. In welcher Weise wurden sie im Zuge der Kodifikationsentwicklung verwertet, welcher Einfluß kam ihnen zu? 1. Kommissionen und Personen im Gesetzgebungsprozeß Erstens ist danach zu fragen, in welchem Maße die Zusammensetzung der verschiedenen Kommissionen und damit Personen regional-lokale Rechte repräsentierten. In244 der 1753 eingesetzten Kompilationskommission waren durch je241
Zeiller, Commentar II, 383 f. Dazu Brauneder, Ehegüterrecht, 363 ff. 243 Siehe oben, 61 ff. 244 Biographische Hinweise zu den in den folgenden Ammerkungen genannten Personen wurden folgenden Nachschlagewerken entnommen: H. Sturm (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, 1979 ff.; C. von Wurzbach (Hrsg.), Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1865 ff.; W. Kosch, Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik, 1963 ff.; ÖBLex, 1957 ff.; Maasburg, Oberste Justizstelle; Brauneder, Juristen. 242
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weils ein Mitglied die Länder Böhmen, Mähren, später Schlesien und Vorderösterreich, dann gemeinsam die Länder Österreich unter und ob der Enns sowie die Ländergruppe Innerösterreich vertreten. So gab es beispielsweise keine eigenen Ländervertreter für die einzelnen innerösterreichischen Länder Steiermark, Kärnten und Krain, auch Österreich unter und ob der Enns waren nicht durch je einen Vertreter repräsentiert, gar nicht Tirol. In der 1755 zusätzlich gebildeten Revisionskommission245 saßen vier Mitglieder aus Österreich unter und ob der Enns und sechs aus Böhmen, wovon einer Schlesien gleichsam mit vertrat. Als diese Kommission 1756 durch die Auflösung der Kompilationskommission zur einzigen Gesetzgebungskommission avancierte, holte man von der nun aufgelösten Kommission zwei Mitglieder, und zwar gleichfalls einen aus Böhmen und einen aus Österreich unter der Enns. An dieser Aufteilung änderte sich durch die personellen Veränderungen 1772, 1782 und 1786 nichts, selbst seine Reise durch Galizien 1779 bewog Kaiser Joseph II. nicht dazu, aus diesem Land Mitglieder in die Gesetzgebunskommission zu holen246. Ausschließlich Böhmen und Österreich unter der Enns – also nur zwei Länder! – kann man also hier durch Mitglieder vertreten ansehen. So ist für die erste Phase der Kodifikationsgeschichte, bis zum Teil-ABGB 1786, festzustellen: In der Kompilationskommission saßen Vertreter bloß von einigen Ländern, aber auch von Ländergruppen, nämlich in der Regel der Gouvernementsbezirke, so daß manche Länder gar keinen eigenen Vertreter hatten. In den beiden anderen Kommissionen gab die Landes- oder Gouvernementszugehörigkeit überhaupt kein Kriterium ab: Bedacht genommen wurde jetzt vielmehr auf die Herkunft teils aus der Obersten Justizstelle, teils aus der obersten Verwaltungsbehörde, erst dem Direktorium, dann der Böhmisch-österreichischen Hofkanzlei. Nunmehr waren also allein diese Zentralbehörden und überhaupt nicht mehr Länder oder Gouvernementsbezirke präsent. Dies änderte sich 1782 insoferne ein wenig, als an die Stelle von zwei Mitgliedern der Obersten Justizstelle sowie einem der Hofkanzlei Mitglieder von Appellationsgerichten traten, nämlich zwei vom niederösterreichischen Appellationsgericht sowie eines vom böhmischen Appellationsgericht. Aber auch hiemit kam keine Ländervertretung zustande, da der niederösterreichische Appellationsgerichtssprengel mehrere Länder umfaßte, nämlich Österreich unter und ob der Enns sowie ab 1785 Vorderösterreich. Als kurz die Idee, auch Transleithanien in die Rechtsvereinheitlichung miteinzubeziehen, auftrat, kam es zur Beiziehung je eines Mitglieds der ungarischen und der siebenbürgischen Hofkanzlei. Auf den ersten Blick scheint 245
Mitglieder o. Fn. 38. Zur jeweiligen Zusammensetzung o. Fn. 43. – Zu 1772: Harrasowsky, Codification, 130; sowie ders., Codex IV, 1 Fn. 2. – Zu 1782: ebda, 6 Fn. 11. – Zu 1786: ebda, 6 Fn. 13. – Zur Reise Kaiser Josephs II. vgl. P. Baumgart, Joseph II. und Maria Theresia 1765–1790, in: A. Schindling/W. Ziegler, Die Kaiser der Neuzeit 1519–1918, 1990, 258, 262. 246
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1. Kap.: Die Entstehung
es sich um Ländervertreter zu handeln, doch tatsächlich kommen auch sie aus den jeweiligen Zentralbehörden247. Insgesamt ist also für die erste Gesetzgebungsphase bis 1786 festzuhalten, daß eine Berücksichtigung der spezifischen Landesrechte oder Provinzialrechte über eine entsprechende personelle Beschikkung nicht zustandekommen konnte und gar nicht beabsichtigt war. Die 1790 neu eingesetzte erste Gesetzgebungs-Hofkommission weist gleichfalls eine Zusammensetzung nach Zentralbehörden, nämlich Oberste Justizstelle und Hofkanzlei, auf248. Der Herkunft der Mitglieder nach waren nunmehr Österreich, Böhmen, Tirol und – erstmals – Galizien vertreten: bei weitem also nicht alle Länder. Keinerlei Länderpräferenzen läßt auch die Zusammensetzung der 1794 eingesetzten Überprüfungskommission erkennen249: So gut wie sämtliche Mitglieder entstammen der „Politischen Hofstelle“, also abermals einer Zentralbehörde. Eine gewisse Föderalisierung sollte allerdings die Zusammensetzung der zweiten Gesetzgebungs-Hofkommission ab 1796 bestimmen, wenngleich eine Zusammensetzung nur nach Ländergruppen, was man überdies erheblich abschwächte250: Nur neben Oberster Justizstelle und der obersten Verwaltungsbehörde, der „Politischen Hofstelle“, die etwa gleich stark vertreten sein sollten, waren Vertreter der Böhmischen Ländergruppe (Böhmen-Mähren-Schlesien, aber auch Galizien), der Niederösterreichischen Ländergruppe (Österreich unter und ob der Enns, Innerösterreich) sowie der Oberösterreichischen Ländergruppe (Tirol und Vorderösterreich) heranzuziehen. Abermals gab es also keine Vertreter einzelner Länder, nicht einmal der Gouvernementsbezirke, vielmehr treten in etwa die spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Ländergruppen ins Blickfeld, freilich mit der Anfügung von Galizien. In der Zusammensetzung überwog bei weitem die Herkunft aus Österreich unter der Enns, nur ein einziges Mitglied hatte 247 Harrasowsky, Codification, 152; ders., Codex IV, 5 in Fn. 8; I. Beidtel, Geschichte der österreichischen Staatsverwaltung (1740–1848) I, 1968, 336. 248 Harrasowsky, Codification, 152; ders., Codex IV, 7 in Fn. 14. – Die 1. Gesetzgebungs-Hofkommission wies folgende Zusammensetzung auf: Vorsitz Mathias Wilhelm von Haan (OJSt, NÖ), Franz Johann von Bieschin (OJSt, Böhmen), Michael Joseph von Conforti (OJSt, Tir), Joseph von Nikorowicz (OJSt, Galizien). 249 Harrasowsky, Codification, 159; ders., Codex IV, 10 in Fn. 22; vgl. auch oben 29 ff. – Die Zusammensetzung der Überprüfungskommission 1794: Vorsitz Heinrich Franz von Rottenhan, Joseph von Sonnenfels, Joseph von Koller, Johann Franz von Strobl, Johann Joseph von Grohmann; 1795 kamen hinzu: August Zippe, Ferdinand von Fechtig, Leopold von Haan und Franz Xaver von Oswalder (alle Politische Hofstelle). 250 Harrasowsky, Codification, 161, 162 f.; ders., Codex IV, 10 in Fn. 25; vgl. auch oben 29 ff. – Zusammensetzung der 2. Gesetzgebungs-Hofkommission: Vorsitz Maximilian von Cavriani (Oberstburggraf, Böhmen), Mathias Wilhelm von Haan (Oberstlandrichter, NÖ), Franz Georg von Keeß (OJSt, NÖ), Johann Rudolf von Lyro (OJSt, Galizien), Franz Aloys von Zeiller (NÖ Appellationsgericht); aus der Überprüfungskommission wurden übernommen: Koller, Haan, Sonnenfels, Strobl und Zippe (alle Politische Hofstelle).
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auch Erfahrungen aus Galizien. Hiebei blieb es praktisch bis zum Ende der Kodifikationsarbeiten. Noch einmal trat 1809 bei der Beratung über die Provinzialstatuten ein föderalistisches Moment zutage, und zwar in folgender Referatsverteilung251: Galizien, Steiermark-Krain-Görz-Triest, Böhmen, Mähren-Schlesien, Österreich unter und ob der Enns. Aber auch hierin zeigt sich ein Zusammenziehen einzelner Länder, bloß die zwei größten Länder, nämlich Galizien und Böhmen, vertreten eigene Referenten. Das Fehlen der übrigen Länder erklärt sich übrigens damit, daß sie zu diesem Zeitpunkt von Österreich abgetrennt waren wie etwa Tirol und Oberkärnten. So schlägt hier die Gouvernementseinteilung durch, die Existenz einzelner Länder spielt abermals keine Rolle. In den Jahren 1792/1793 wurden bei den einzelnen Appellationsgerichten Kommissionen gebildet, um Gutachten zu dem unter Martinis Leitung entstehenden Entwurf zu erstatten252. So bestand je eine Kommission in Österreich unter der Enns, Österreich ob der Enns, Tirol, Böhmen, Schlesien, Innerösterreich sowie Galizien. Zum Teil setzten sich diese Kommissionen außer aus Vertretern des jeweiligen Appellationsgerichts253 auch aus Ständevertretern254 (Österreich unter und ob der Enns, Tirol, Böhmen, Schlesien, Innerösterreich) sowie Vertretern einiger Städte255, nämlich Linz, Innsbruck, Lemberg, Graz und Prag zusammen. Dazu kamen schließlich Vertreter auch anderer Gerichte aus Tirol, Böhmen, Krain und Galizien256. Die innerösterreichische Kommission bestand überdies aus Unterkommissionen für Krain, Steiermark, Kärnten, Görz, Istrien und Triest257. Eine Kommission für Vorarlberg fehlte, hier war den Ständen sogar die Zulassung zur Tiroler Kommission verwehrt worden258. Für Vorderösterreich und Mähren gab es gleichfalls keine eigenen Kommissionen. Die Kommissionen sollten nur den „besonderen wesentlichen Landesgesetzen“ Aufmerksamkeit schenken und auch andere Kriterien ihren Beobachtungen zugrunde legen. Sie sichteten offenbar bloß das ihnen vorgelegte Material und legten darüber und nicht über Länderrechte der Gesetzgebungskommission Berichte vor. Ihnen kam allerdings insgesamt keine große Bedeutung zu259. Der fertiggestellte Entwurf Mar-
251
Ofner, Urentwurf II, 594. Harrasowsky, Codification, 155 f.; ders., Codex V, 8 f. 253 Harrasowsky, Codex V, 25 (Böhmen), 32 (Innerösterreich), 64 (Tirol); Ofner, Urentwurf I, 468 (NÖ), 354 (OÖ), 297 (Ostgalizien); ders., Urentwurf II, 319 (Böhmen). 254 Harrasowsky, Codex V, 10 (Nieder- und OÖ), 12 (Tir), 5 (Böhmen), 23 (Schlesien), 5 (Krain), 22 (Stmk), 27 (Krnt). 255 Ebda, 66 (Linz), 12, 197 (Innsbruck), 62 (Prag), 23 (Graz), 27 (Lemberg). 256 Ebda, 194 (Tir), 27 (Böhmen), 24 (Krain); Ofner, Urentwurf II, 309 (Tarnow). 257 Harrasowsky, Codex V, 17, 32 (Innerösterreich), 5 (Krain), 3 (Stmk), 24 (Krnt), 25 (Görz), 33 (Istrien), 67 (Triest). 258 Harrasowsky, Codex IV, 9. 259 Harrasowsky, Codification, 162 f., 156 f. 252
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1. Kap.: Die Entstehung
tini wurde 1796 einer ganzen Reihe von Kommissionen vorgelegt260, die teils abermals bei den Appellationsgerichten, teils bei den ihnen unmittelbar untergeordneten Gerichten, den „Landrechten“, eingerichtet wurden. Durch die Zuständigkeit der Appellationsgerichte für meist mehrere Länder sowie jener der „Landrechte“ meist nur für Landesteile, existierte begreiflicherweise abermals kein Gremium, welches sich spezifisch mit dem Recht der einzelnen Länder hätte befassen können. Schließlich kam es 1804 zur Einrichtung von Kommissionen, die das erhaltungswürdige Provinzialrecht der Gesetzgebungskommission vorzulegen hatten261. Sie wurden bei den Gubernien gebildet, also nicht bei Behörden für einzelne Länder, sondern für die Gouvernementsbezirke. Daher langten auch überwiegend Berichte für Ländergruppen ein wie etwa für Innerösterreich ohne Kärnten, für Mähren und Schlesien, für Österreich unter und ab der Enns, für manche Länder gab es gar keine Informationen wie über Kärnten, Tirol und Vorarlberg, was sich wohl aus den napoleonischen Kriegen versteht. Sieht man auf die Ausbildung der einzelnen Mitglieder der Gesetzgebungskommission262, so überwiegt das Studium an der Universität Wien bei weitem mit etwa 50%, gefolgt von Prag mit etwa 35% und einer nahezu gleichmäßigen Aufteilung auf die Universitäten Graz sowie Freiburg/Breisgau, Innsbruck und Lemberg, auch Heidelberg. Da aber an den Universitäten ohnedies heimisches Recht nicht unterrichtet wurde, kann diese Aufteilung lediglich einen Hinweis darüber geben, wo die einzelnen Mitglieder allenfalls außeruniversitär oder außerhalb des Studienplanes Kenntnisse vom Landesrecht erworben haben könnten. Die Berufslaufbahn der meisten Mitglieder verlief aber in den Wiener Zentralstellen, zum Teil auch in Appellationsgerichten, kurzum, kaum je in Behörden, die eine intensive Kenntnis von Landesrechten vermittelten. Somit ist festzuhalten, daß keine Kommission eine echte Länderzusammensetzung aufwies, sondern bestenfalls eine Berücksichtigung der Gouvernementsbezirke. Aber selbst diese Tendenzen sind selten und treten in den Gesetzgebungskommissionen vor der Berücksichtigung der Zentralstellen in den Hintergrund. Auch die einzelnen Kommissionsmitglieder decken nach Herkunft, Ausbildung und Praxis nicht, jedenfalls kaum die einzelnen Provinzial- oder gar Landesrechte ab.
260 Ofner, Urentwurf II, 11; Appellationsgerichte: für Niederösterreich, Innerösterreichisches, Oberösterreich, Böhmen-Mähren-Schlesien, Ostgalizien, das Vorderösterreichische wegen der Kriegswirren entbunden; Landrechte: für Oberösterreich, für Steiermark, für Krain, für Görz, für Triest, in Stanislau, in Tarnow. 261 Ofner, Urentwurf II, 590 ff. 262 Brauneder, Verfassungsgeschichte, 83, 93, 100 f.
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2. Die Vorarbeiten und ihre Materialien Zu Beginn der Kodifikationsarbeiten waren bekanntlich sogenannte „LänderÜbersichten“ anzufertigen. Die dafür berufenen Mitglieder der Kompilationskommission erstellten ihre „Übersichten“ 263 allerdings nicht für einzelne Länder, sondern für Ländergruppen, und zwar für die Böhmische (Böhmen, Mähren und Schlesien), die Oberösterreichische (Tirol mit Vorarlberg und Vorderösterreich) sowie für die Niederösterreichische Ländergruppe (Österreich unter und ob der Enns sowie Innerösterreich). Je ein Mitglied erarbeitete die Übersicht für die Böhmische und für die Oberösterreichische Ländergruppe, während die Niederösterreichische Ländergruppe zwei Referenten betreuten, nämlich einer Österreich unter und ob der Enns, ein weiterer Innerösterreich, dessen Teile ausdrücklich wie folgt aufgeschlüsselt wurden: Steiermark, Kärnten, Krain, Görz, Gradiska, Triest und Fiume, das zwar formell zu Ungarn gehörte, aber von Innerösterreich verwaltet wurde. Diese Beobachtung steht im Einklang mit dem aus den Kommissionszusammensetzungen gefolgerten Ergebnis: Ländergruppen, nicht Länder sind organisatorisch erfaßt. Die von den „Kompilatoren“ am häufigsten verwendeten Quellen264 beschränkten sich einmal auf Gesetzessammlungen wie etwa für die Böhmische Ländergruppe auf Weingartens Codex Ferdinandeo-Leopoldino-Josephino-Carolinum 1720 und für beide Österreich auf den Codex Austriacus, sodann auf in Druck gelegte Gesetze wie etwa für Böhmen die Landesordnung 1627 samt den Novellen 1638 und die Stadtrechte 1573, für Mähren die Landesordnung 1628 samt der Declaratio dubiorum 1638, für die beiden Österreich etwa den Tractatus de iuribus incorporalibus 1697 und die Erbfolgeordnungen. Für Innerösterreich fanden Berücksichtigung die „Landhandveste“ und Gerichtsordnungen sowie die Statute für Görz, für Gradisca und die Constitutiones Ferdinandi 1605 der Küstenstädte, für die Oberösterreichische Ländergruppe die Tiroler Landesordnung 1573. Im Detail zeigen sich große Unterschiede hinsichtlich der Art der herangezogenen Quellen, was übrigens ein kennzeichnendes Bild der jeweiligen Rechtslandschaft bietet. So spielte für Böhmen-Mähren-Schlesien der Gesetzestyp der Landesordnung eine eminente Rolle, eine wesentlich geringer für Innerösterreich (als Landhandveste) und für Tirol-Vorderösterreich, für die beiden Österreich gab es keine, doch ist einmal auf den Landrechtsentwurf 1654 verwiesen. Teilordnungen wie etwa Polizeyordnung, Erbfolgeordnung und Vormunschaftsordnung gaben vor allem für Innerösterreich Auskunft, nur etwa halb so oft für beide Österreich und davon nicht einmal im halben Ausmaß für Böhmen-Mähren-Schlesien, gar nicht für Tirol-Vorderösterreich. Eine besondere Auffälligkeit bietet das Heranziehen von Stadtrechten. Hier steht Innerösterreich zufolge der erwähnten Sta263 Das Folgende nach Harrasowsky, Codex I, 36 ff. in Fn. 3; ders., Codex II, 3 ff. in Fn. 1 f.; ders., Codex III, 4 ff. in Fn. 1. 264 Zum Folgenden insb. Harrasowsky, Codex III, 58 ff. in Fn. 1.
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tuten von Görz, Gradisca, Triest und Fiume mit gut 170 Nennungen an einsamer Spitze, gefolgt allein von Böhmen-Mähren-Schlesien, aber doch nur mit einem Siebentel davon! Über das Recht dieser Ländergruppen informieren weiters in einem hohen Maße Einzelgesetze, im Verhältnis dazu über das der beiden Österreich nur ein gutes, über das Innerösterreichs bloß ein schwaches Viertel und zu Tirol-Vorderösterreich nicht einmal ein Fünftel. Verschwindend gering ist in allen Gebieten gleichermaßen die ausdrückliche Berufung auf Gewohnheitsrecht. Hervorgehoben sei noch, daß sich die einzelenen Ländergruppen durch eine Rangfolge der berufenen Quellen unterscheiden, die Informationen über die regionalen Rechte somit auf unterschiedlichen Grundlagen beruhen. Für BöhmenMähren-Schlesien lautet sie: Einzelgesetze – Landesordnung – Stadtrechte – Teilordnungen; für beide Österreich Teilordnungen – Einzelgesetze; für Innerösterreich Stadtrechte – Teilordnungen; für Tirol und Vorderösterreich Einzelgesetze – Landesordnung. Inhaltlich haben diese Übersichten ihren Schwerpunkt im Personen- und Erbrecht, weniger im Sachenrecht, nur sehr punktuell im Schuldrecht. Zu bestimmten Kapiteln (capita) wurden überhaupt keine Anmerkungen gemacht wie zur Vormundschaft (Kapitel I Nummer 4: so die folgenden Klammerzitate), zu den „dinglichen Rechten überhaupt“ (II 2), zur Eigentumsübergabe (II 4), zur „Erbfolge überhaupt“ (II 10), zur Erbunwürdigkeit (II 19), zu den persönlichen Dienstbarkeiten (II 28), zum allgemeinen Vertragsrecht (III 2), zu den Nominalkontrakten (III 3), zum „Schätzungskontrakt“ (III 9), zu Erbzinsund Zinsverträgen (III 13), zum Versicherungsvertrag (III 16), zu „Unterhändlern, Handlungsvorgesetzten, Schiedsmännern“ (III 18), zu „Handlungen, welche Contracten gleichkommen“ (III 19), zu den „aus natürlicher Billigkeit verbindenen Handlungen“ (III 20) und zur Wandlung von Verbindlichkeiten (III 23). So gut wie keine oder auffallend wenig Anmerkungen stehen zu den Kapiteln über die Vermächtnisse (II 16), zu „Ungültigkeit und Aufhebung des letzten Willens“ (II 18), zur Einwerfung in den Nachlaß (II 23), zum Erbzinsrecht (II 25), zum „Recht (an) der Oberfläche“ (II 26), zu den Grunddienstbarkeiten (II 29), zu „Verbindungen insgemein“ (III 1), zum Gesellschaftsvertrag (III 14) und zu „Aufhebung und Erlöschen von Verbindungen“ (III 24). Sehr punktuell sind die Anmerkungen zum Kauf (III 9), zu den Zinsen (III 17) und zu „Verbrechen“, d. h. Delikten (III 21). Zu anderen Kapiteln gibt es Anmerkungen nur für eine oder zwei Ländergruppen wie nur für Böhmen-Mähren-Schlesien zum gesetzlichen Eigentumserwerb (II 8), nur für die beiden Österreich zu „Verbindungen insgemein“ (III 1) allerdings bloß mit dem Sprichwort „Ein Mann, ein Wort“, für die beiden Österreich sowie Innerösterreich zum Eigentumserwerb durch Aneignung (II 4) und durch Zuwachs (II 5) sowie zu den Pfandrechtsarten (III 7) und von Böhmen-Mähren-Schlesien und Innerösterreich zu den „Dienstbarkeiten überhaupt“ (II 27). Umgekehrt fällt das Fehlen von Notizen zu einer Ländergruppe auf wie in der Regel Tirol mit Vorderösterreich zu Vermächtnissen (II 16), zum Besitz (II 24), zu den Grunddienstbarkeiten (II 29), zum Pfandrecht (II 30), zu
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den Zinsen (III 17). Von der Quellenlage her war keine auch nur annähernd komplette Übersicht zu erlangen, die Quellen enthielten ja an sich nur fragmentarische, punktuelle Regelungen und dies gerade im Privatrecht. Damit war keine flächendeckende Auskunft zu erreichen. Weder sachlich noch territorial kamen somit genügend Informationen zustande, damit keine befriedigende Darstellung der einzelnen Länderrechte. Dies zeigt besonders das Auffüllen von Lücken. Dazu griff vor allem Holger für Österreich unter und ob der Enns auf eine Palette anderer Quellen zurück. Ganz im Gegensatz zu allen anderen Kompilatoren zitierte er auch Rechtsliteratur, und zwar in reichem Maße. Walthers Traktaten, Suttingers Rechtslexikon, Schwarzenthaler und Finsterwalder waren Auskünfte über das heimische Recht zu entnehmen. Aber damit nicht genug. Er verwendete auch Werke von z. B. Carpzow, Stryk, Schilter, Struwe und Gail. Tatsächlich ging Holger über das heimische Recht insoferne hinaus, als er sich ja einmal auf die Rechte des Reiches, Schwedens, Dänemarks, Rußlands, Polens und Englands, auch auf ein spanisches Statut berief. Damit beobachtete er jene Punkte der Kompilationsgrundsätze, die auf „auswärtige Ländergesetze“ (XXXVI) und Rechtsliteratur (XXXVII) hinwiesen, und zwar als Hilfsquellen des Naturrechts. Aber nicht nur dies. Viermal verwies er direkt auf Naturrecht, was ein Unikat blieb. Nur halb so oft bemühte er das Kanonische Recht – das Gemeine Recht hingegen nur unwesentlich weniger als alle anderen Rechtsquellen zusammen, ausgenommen die juristischen Autoren. Holgers gemeinrechtlich-wissenschaftliche Exkurse stehen in Verbindung damit, daß er das „Systema Codicis Theresiani combinatum cum titulis iuris communis“ verfaßte. Es zeigt uns übrigens, welche Materien völlig dem heimischen Recht überlassen bleiben, da es zu ihnen keine Hinweise auf Römisches Recht enthält; es sind deren nur sehr wenige265: „Von Leibgedingen und Wittum-Si[t]z“, „Von den Rechten der Anverwandten untereinander“, „Von Verschwendern“, „Von Obliegenheiten deren, welchen die Obsorg und Pflege aufgetragen ist“, alle Abschnitte über die Leibeigenschaft und über die Dienstleute (hier mit Ausnahme von C 3 21), „Von beweglichen und unbeweglichen Sachen, Gütern und Habschaften“, die eheliche Gütergemeinschaft und der Einkindschaftsvertrag, „Von Rechten, so an den Sachen haften“, merkwürdigerweise der Besitz außer dem Rechtsbesitz, „Von Ansprüchen der Sachen wider die Verjährung“, „Von den Sachen Untergang“, „Von beydertheiliger Erlassung oder Vermischung des Vermögens“. Es wird noch ausführlicher darauf hinzuweisen sein, daß damit noch nichts über den konkreten Einfluß des Römischen bzw. Gemeinen Rechts oder des heimischen Rechts gesagt ist266. In ähnlich starkem Maß wurde aber auch bezüglich Innerösterreichs auf das Gemeine Recht verwiesen, aber etwa halb so oft jeweils für Böhmen-Mähren-Schlesien und für Tirol-Vorderösterreich. Das Kanonische Recht fand hier übrigens keine
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Höslinger, Quellen, 75–80. Siehe sogleich u. S. 88 ff., S. 93 ff.
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Erwähnung, eine ebenso geringe wie für Österreich unter und ob der Enns in Bezug auf Innerösterreich und nur einmal für Böhmen-Mähren-Schlesien. Hiezu gab es übrigens ebenfalls Verweisungen auf ausländisches Recht, nämlich je einmal auf das von Sachsen, Preußen, Frankfurt/Main, also nicht nur auf das böhmischer Nachbarn. Für Innerösterreich findet sich zwar ein Hinweis auf Rechte von Bamberg und Salzburg, die aber beide zufolge ihrer Besitzungen in Innerösterreich nicht als solche auf ausländisches Recht zu verstehen sind. 3. Die Stellungnahmen Die ersten lokal-regionalen Stellungnahmen ergingen zum Entwurf Horten, allerdings noch wenige, sodann in stärkerem Maße zum Entwurf Martini267. Sie kamen vor allem von den Landständen, dann in weit geringerem Maße von diversen Kommissionen, in noch geringerer Zahl von den Gubernien und kaum von Städten und von Gerichten, bei denen ja ohnedies die vorerwähnten Kommissionen eingerichtet waren. Mit Abstand die relativ meisten Vorschläge, jeweils etwa ein Viertel, stammen aus Tirol und aus Böhmen, je ein Achtel steuerten Österreich unter der Enns und Krain bei, je ein schwaches Achtel erbrachten Galizien und die Steiermark, der Rest stammt aus Österreich ob der Enns und Kärnten. Keine Vorschläge kamen somit aus Mähren, Schlesien, Vorderösterreich, Vorarlberg und dem Küstenland mit Görz und Triest. Bemerkenswert ist aber weiters, daß es sich zu beiden Entwürfen insgesamt um nur knapp 40 Stellungnahmen handelt268. Auf Gewohnheitsrecht, lokales Gesetzesrecht oder rechtsgeschäftliche Übung bezieht sich etwa nur die Hälfte, wovon allerdings etwa die Hälfte gar keinen territorialen, sondern einen allgemeinständischen Bezug aufweist. Etwa ein weiteres Viertel der Stellungnahmen betrifft Gemeines und Kanonisches Recht sowie allgemeines Gesetzesrecht. Mit dem zuvor genannten Viertel ständischen Rechts vereinigt sich dieses somit zu groben 50% an Vorschlägen ohne echten territorialen Bezug. Das knappe letzte Viertel der Vorschläge sprach sich schließlich sogar entweder gänzlich oder überwiegend gegen Gewohnheitsrecht aus. Grob gerechnet betraf somit bloß ein Viertel der Vorschläge die Berücksichtigung regional-lokaler Rechte! Mit einer einzigen Ausnahme wurden überdies alle Einwände von der Gesetzgebungskommission abgelehnt. Daß diese Ausnahme just einen Hinweis auf Gemeines Recht betrifft und die entsprechende Empfehlung aus Tirol kam, charakterisiert treffend das geringe Eintreten für lokale Gewohnheiten selbst durch Landesinstanzen269. 267
Harrasowsky, Codex II, 3 ff. in Fn. 1; ders., Codex V, 3 ff. in Fn. 1. Sie verteilen sich wie folgt: Tir 11, Böhmen 8, ÖudE und Krain je 4, Galizien und Stmk je 3, ÖodE 2, Krnt 1; Landstände 20, Kommissionen 8, Gubernien 5, Städte 2, Gericht 1. 269 Es handelt sich um eine Bemerkung zum EMart: Harrasowsky, Codex V, 197 in Fn. 7. 268
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Sehr typisch für eine Stellungnahme, der man wegen ihres vom Zentrum des Kodifikationsgeschehens entfernten Entstehungsortes das Einreten für lokales Recht zusinnen könnte, ist ein Gutachten der Juristenfakultät der Universität Freiburg/Breisgau zum Urentwurf 270. Die überwiegende Mehrheit der Anmerkungen dient jedoch der Stilverbesserung oder der Druckfehlerberichtigung, sodann wird auf Verweisungsfehler aufmerksam gemacht sowie darauf, daß Beispiele als Einschränkungen verstanden werden könnten. Besonders aber fällt der Vorschlag auf, Provinzialismen durch allgemeine Begriffe zu ersetzen. Die überwiegende Zahl der materiellen Änderungsvorschläge läßt keinen lokalen Bezug erkennen: Es solle die Kommorientenvermutung dahingehend modifiziert werden, daß der Stärkere den Schwächeren überlebt habe, nämlich konkret Personen ab Beginn des 12. bis zum Ende des 60. Lebensjahres jüngere und ältere Personen (I § 48/§ 25). Es sei die Erbschaftsgrenze auf die 4. Linie zu beschränken (II § 556/§ 730) – was dann übrigens 1914 durch die 1. Teilnovelle geschah – und dem überlebenden Ehegatten als gesetzlichen Erbteil die Hälfte statt ein Drittel des Nachlaßes zuzumessen (II § 569/§ 757). Es wäre eine deutlichere Scheidung des ungeteilten (quotenlosen) Miteigentum von dem (nach Quoten oder realen Teilen) geteilten Miteigentum wünschenswert (II § 672/§ 361). Bei der ehelichen Gütergemeinschaft müsse die Errungenschaft eigens erfaßt werden (III § 326/§ 1233). Neben diesen fünf größeren allgemeinen betrafen nur zwei Vorschläge vorderösterreichische Besonderheiten, nämlich bezüglich der Belastung von Fideikommißvermögen (II § 429/§§ 1210, 1213) und der Gewährleistung bei Viehmängeln (III § 159/§ 924). Im Zuge der Ersten Lesung von 1801 bis 1806271 gingen dreiunddreißig externe Stellungnahmen ein. Eine schwache Hälfte kam aus Österreich unter und ob der Enns, ein schwaches Viertel aus Tirol, ein schwaches Fünftel aus Böhmen, ein gutes Achtel aus Galizien und ein kaum erwähnenswerter Rest aus Innerösterreich. Auf Mähren, Schlesien, Kärnten, Vorarlberg und Vorderösterreich bezogen sich keine Vorschläge. Ein starkes Drittel der Vorschläge kam von den Landständen, je ein schwaches von den Gerichten sowie von den Provinzialkommissionen samt Rechtsfakultäten. Zeiller hielt daher fest, diese Gremien hätten – überdies natürlich nicht bloß vom lokalen Standpunkt – keine oder nur wenige Bemerkungen beigesteuert272. Eine starke Hälfte wies hin auf Gewohnheitsrecht und rechtsgeschäftliche Übung, überwiegend aber auf Statutarrecht, die schwächere Hälfte betraf bloße Normenkollisionen. Man befand sich also mitten in einer positivrechtlichen Diskussion ziemlich ferne von typischem Landesrecht. 270 C. Schott (Hrsg.), Das Freiburger ABGB-Gutachten. Gutachten der vorderösterreichischen Juristenfakultät Freiburg im Breisgau zum „Entwurf eines allgemein bürgerlichen Gesetzbuches“ (1797) (= Rechts- und Sozialwissenschaftliche Reihe 25), 2000; §-Zitate im Text = § Urentwurf/§ ABGB. 271 Ofner, Urentwurf I, 1 ff.; ders., Urentwurf II, 1 ff. 272 Ofner, Urentwurf I, 11.
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1. Kap.: Die Entstehung
Die Gesetzeslage hatte schon ihre Eigendynamik entwickelt. Einsam steht der Hinweis des ostgalizischen Appellationsgerichtes, eine Regelung verstoße „gegen die Landesverfassung Pohlens und die Gemühthsbeschaffenheit der Einwohner“ 273, freilich ist auch dies erst das dritte Argument nach einem rechtlichen und einem wirtschaftlichen gegen die Regelung des Wiederkaufs. Nahezu je ein Viertel der Einwände wurde abgelehnt, zu den – eventuell fortbestehenden – Provinzialrechten verschoben, fand eine rein legistische Erledigung oder eine inhaltliche Berücksichtigung. Doch täuscht das Verhältnis, denn tatsächlich wurden nur sieben Einwände berücksichtigt; sie betrafen folgende Materien: Sachenrecht (Sachbegriff, natürlicher Zuwachs), Erbrecht (Pflichtteil), Schuldrecht (Erbzinsund Erbpachtvertrag, Verjährung)274. In der Revision von 1807 bis 1808 schließlich gab es nur mehr zwei Stellungnahmen zugunsten provinzialer Gewohnheiten, und zwar von Mitgliedern der Gesetzgebungskommission selbst, beide betrafen eine Frage, nämlich den polnischen Güterstand des Advitalitätsrechts275. Seine Vereinbarung sicherte einseitig einem Ehegatten, meist aber gegenseitig beiden ein Fruchtgenußrecht am Vermögen des verstorbenen zu; noch 1806 war dazu in Hinblick auf das Erbrecht des GBGB eine authentische Interpretation ergangen (JGS 775). Diese Einwände wurden berücksichtigt, das Advitalitätsrecht als eigenes Gütersystem in den Entwurftext aufgenommen. Auch in der Superrevision erfolgten nur mehr zwei Stellungnahmen, nämlich vom Referenten Zeiller zum Ehegesetz für Salzburg und Berchtesgaden, welches dort in der österreichischen Zeit 1806 in Kraft getreten war, aber nicht als lokales Sonderrecht, sondern als vorweggenommene ABGB-Regelung276. 4. Die Methode der Materialverwertung Der mehrfach zu Tage tretende geringe Stellenwert regional-lokaler Rechte (eben 1. bis 3.) geht auf eine theoretisch-praktische Ausgangssituation zurück bzw. steht mit ihr in Einklang. Es sind dies die Kodifikationsgrundsätze. Nach ihnen hatte die Gesetzgebungstätigkeit zwar von den Länderrechten auszugehen. Bei einer Kollision sei jedoch ihr „Hauptprinzip“ festzustellen, um auf dieser Grundlage (und mehreren sehr intensiven Regelungen) eine Vereinheitlichung durchzuführen, wobei sogar nur eines von mehreren widersprüchigen Gesetzen gewählt werden oder an deren Stelle insgesamt ein neues Gesetz treten könne: Eindeutig ist dem Gedanken des Einheitsrechts vor der inhaltlichen Berücksichtigung der Länderrechte der Vorrang eingeräumt. Hinter jeder Art von Gesetz – 273
Ofner, Urentwurf II, 95. Ofner, Urentwurf I, 220, 268, 470; ders., Urentwurf II, 278, 319 f. = schließlich §§ 298, 409, 766, 1135 f., 1140, 1487 ABGB. 275 Ofner, Urentwurf II, 432 ff.: zwei neue Bestimmungen über den Erbvertrag und drei neue Bestimmungen zum Advitalitätsrecht = schließlich §§ 1255–1258 ABGB. 276 Ebda, 505 f.: jeweils zu Ehehindernissen = schließlich §§ 83 und 88 ABGB. 274
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vor allem dem allgemeinen für mehrere Länder – steht die (lokale) Gewohnheit zurück, sie überdies auch hinter dem Gesetz für andere Länder! Auch hier also geht es nicht primär um die Berücksichtigung lokalen Rechts. Nur dann könne vom einheitlichen Gesetz- oder Gewohnheitsrecht abgegangen werden, wenn bestimmte Regelungen in einem Land existieren, die „tief in die Länderverfassung einschlagen“, womit also eine Ausnahme statuiert ist. Die Grundtendenz ist durchwegs die der Rechtsvereinheitlichung. Wie vor allem die weiteren Regeln zeigen, dient das Landesrecht bloß als eine der sehr zahlreich zu berücksichtigenden Materialien wie etwa sogar „auswärtige Ländergesetze“, falls sie der „natürlichen Billigkeit“ entsprechen! Da diese überhaupt der Filter ist, durch welchen alle Materialien zu pressen sind, rückten die regionalen und lokalen Rechte noch weiter in den Hintergrund. So ging es vom Anbeginn der Kodifikationsarbeiten überhaupt nicht darum, Landesrechte um ihrer selbst willen zu verwerten. 5. Folgerungen Eine Rücksichtsnahme auf regional-lokale Rechte hätte nach Zeiller bedeutet, die „reif durchdachten Rechtsprincipien abzuwerthen“, wofür aber „nicht der mindeste Grund vorhanden“ sei277. Beginnend mit den Kompilationsgrundsätzen über die Zusammensetzung der verschiedenen Kommissionen bis hin zu Berichten und Stellungnahmen vermied man die Bedachtnahme auf konkrete lokale Rechte. Der Erwerb neuer Gebiete beeinflußte daher auch den Kodifikationsablauf in keiner Weise, ebenso nicht ein derartiger Verlust. Die einzige Ausnahme bildet der polnische Güterstand des Advitalitätsrechts, von dem man aber annehmen konnte, daß er als Leibgedingeverschreibung auch allgemein von Bedeutung sein könnte. Diese Ablehnung eines Einflusses der Länderrechte entspricht übrigens völlig der Ablehnung einer Fortgeltung lokaler Rechte neben dem ABGB278. Daß das ABGB wie schon seine Vorgänger nicht von – spezifischen – Lokalrechten getragen waren, zeigt überdies die Akzeptanz dieser Gesetze in Gebieten, für die sie ursprünglich gar nicht gedacht gewesen waren wie etwa erst Galizien, sodann Oberitalien und später Ungarn. Einige im Zuge der Ersten Lesung eingelangten Stellungnahmen wurden Ursache für eine – weitere279 – Legendenbildung zum ABGB, nämlich die des Einflusses des „Landrechts von Tarnow“. Doch entpuppt sich dies als doppelte Legende280: Einmal dadurch, daß es sich hiebei überhaupt nicht um materielles 277 278 279
Wie Fn. 160. Siehe oben S. 54 ff. Neben der „probeweisen Geltung des Westgalizischen Gesetzbuchs“: dazu oben
S. 45. 280
Brauneder, 175 Jahre ABGB, 99; Ofner, Urentwurf II, 309.
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1. Kap.: Die Entstehung
Lokalrecht handelt, sondern um das Gericht („Landrecht“) der östlich von Krakau gelegenen Stadt, die ja auch ein (materielles) Stadt- und nicht Landrecht haben müßte, sowie zweitens insoferne, als im Zuge der Ersten Lesung auf die Stellungnahme dieses Gericht in lediglich vierunddreißig von 132 Sitzungen eingegangen wurde und es damit im Schatten vieler anderer Stimmen steht wie etwa des Niederösterreichischen Appellationsgericht, das in 87 Sitzungen Berücksichtigung fand.
V. Einflüsse des Deutschen Rechts 1. Allgemeines „Deutsches Recht“ ist ein ab etwa 1700 gewählter wissenschaftlicher Begriff für ein aus überregionalen, regionalen und lokalen Quellen – etwa dem Sachsenspiegel, Land- und Stadtrechten und Weistümern – sowie Einzelurkunden konstruiertes Rechtssystem analog und im Gegensatz zum „Römischen Recht“ 281. Den Zeitgenossen der Kodifikationsentwicklung boten sich zu seiner Kenntnis mehrere Werke an wie etwa von Johann Gottlieb Heineccius „Elementa iuris Germanici“ (1735/36), von Johann Schilter „Praxis Juris Romani in foro Germanico“ (zuletzt 1773) und besonders von Justus Friedrich Runde „Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts“ (1791). Dennoch erwähnen es weder die Kompilationsgrundsätze oder Zeiller in seinen Stellungnahmen und Vergleichungen zum ABGB, noch nehmen Protokolle darauf Bezug. Etwa in der Ersten Lesung finden sich nur höchst entfernte Hinweise darauf, daß die „deutsche Verfassung“, womit die Rechtsordnung insgesamt gemeint ist, den Erbvertrag kenne, wie auf den „altdeutschen Wahlspruch ,Ein Wort, ein Mann‘“ 282. Das Fehlen von Hinweisen auf das Deutsche Recht mag einmal daraus resultieren, daß mit den Länderrechten der Kompilationsgrundsätze bzw. den Hinweisen auf regional-lokale Rechte ohnedies Grundlagen des heimischen Rechts angesprochen waren. Das Fehlen bei Zeiller erklärt sich wohl daraus, daß er Gesetzbücher zum Vergleich heranzog, zu denen er auch das Corpus Juris Civils zählte und damit das „Römische Recht“, während ein solches für das Deutsche Recht ja nicht existierte. In seinem Fall hätte er auf ein Produkt der Wissenschaft verweisen müssen. Nachweise der Sekundärliteratur über die Verwendung von Werken zum Deutschen Recht sind daher auch selten. Die Ausgestaltung der Zession schon im Codex Theresianus als „Zession mit voller Wirkung“ folge der „deutschrechtlichen Auffassung“, was auf Schilters zitiertes Werk zurückgehe283.
281 282 283
Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 80. Ofner, Urentwurf I, 435, bzw. ebda II, 29. Wesener, Zession, 700 f., 705, 707.
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Auffallend für deutschrechtliche Wurzeln erscheint auch284, daß vorerst „die romanistischen Termini“ Novation, Delegation, Assiguation und Cession im Unterschied etwa zum Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis nicht gebraucht wurden; erst der Entwurf Martini verwendet Delegation und Assignation (III 16 §§ 29 f.). Einflüsse des „Deutschen Rechts“ und die des „Römischen Rechts“ aufzuzeigen entsprach in dieser dichotomischen Terminologie erst der Wissenschaftssituation nach Inkrafttreten des ABGB mit ihrer Trennung in Germanisten und Romanisten. Die erste deutschrechtliche Sicht des ABGB stammt von Rössler285: „Deutsche Rechtsansichten“ und „deutsche Institute“ geben dem ABGB „vornehmlich den Charakter eines deutschen“ Gesetzbuches, er hält aber die Pflege der Rechtsgeschichte gerade wichtig „für jene privatrechtlichen Lehren und Institute“, welche „die Codification nicht berührt“ habe wie u. a. Gesamteigentum und Reallasten. Die „Nachweisung deutschen Rechtes“ im ABGB beginnt um 1850, also noch in der Zeit vor den Quellenpublikationen seiner Entstehungsgeschichte286. Allerdings fällt es angesichts der deutschrechtlichen Einsprengungen in das Ius Romano-Germanicum einerseits und andererseits der zunehmend Vorstufen verarbeitenden Kodifikationsphasen immer schwerer, hier „Deutsches Recht“ und hier „Römisches Recht“ aus dem ABGB herauszufiltern. Das Geteilte Eigentum (§§ 1125 ff.) beispielsweise geht auf die Lehre der gemeinrechtlichen Legisten zurück, ist dem Römischen Recht fremd gewesen und ein typisches Produkt zur Erfassung heimischer Rechtsverhältnisse. Die Definition des Heiratsgutes (§ 1218) wiederholt die des Gemeinen Rechts, ähnlich die der Verwaltung und Nutznießung des Frauenvermögens die des gemeinrechtlichen Parapherums (§ 1238), ihre Ausgestaltung entspricht jedoch der heimischen Vertragspraxis. Dieser Teil des Ehegüterrechts folgt dem Muster eines Vertrages im Sinne des Heiratsgabensystems (Heiratsgut, Widerlage, allenfalls Morgengabe, Witwenversorgung)287. Deutsches Recht, Naturrecht und Gemeines Recht liegen in Gemengelage auch im Erbrecht: Die gesetzliche Erbfolge geht auf das Naturrecht zurück, die rechtsgeschäftliche auf Gemeines Recht, der Erbvertrag ist deutschrechtlichen Ursprungs. Auch das Besitzrecht gilt als deutschrechtlich modifiziertes Gemeines Recht. Schließlich zeigt sich, daß heimische Rechtstraditionen von den Gesetzgebungsprinzipien ablenken konnten: Naturrechtlicher Konstruktion hätte es ent284
Ebda, 706. Rössler, Bedeutung, 7, 19 ff. 286 J. Weiske, Nachweisung deutschen Rechtes im a. b. Gesetzbuch, in: GZ 1852, 313 ff.; seriöser später K. G. Hugelmann, Deutsche Rechtsgedanken im allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, in: GU 1911, 172 f. 287 Brauneder, Spiegel, 401 ff., 406. 285
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1. Kap.: Die Entstehung
sprochen, die beiden Vertragstypen, die dem überlebenden Ehegatten ein Nutzungsrecht gewähren, nämlich Witwengehalt und Advitalitätsrecht (§§ 1242, 1255), zu vereinigen. Jener aber entstammt dem Deutschen Recht, dieses ist polnischen Ursprungs. 2. Symbolik Aus dem tragenden deutschrechlichten Prinzip der Publizität folgt die große Bedeutung der Symbolik. Die Worte „Symbol“ oder „symbolisch“ verwendet das ABGB nicht. Anderes entnimmt man – wie auch in weiteren Fällen – dem amtlichem Register: Es kennt den Ausdruck „symbolische Übergabe“ mit Hinweis auf die §§ 427, 452. Es ist dies allerdings ein Fachausdruck der Rechtssprache in Übersetzung von „traditio symbolica“; meint immerhin einmal Symbole im Sinne „solcher Zeichen“, „woraus jedermann die Verpfändung leicht erfahren kann“ (§ 452). Das ABGB enthält aber weitere Regeln, die sich auf Symbole beziehen. In einer Gruppe an Bestimmungen dient das Symbol zur Kennzeichnung rechtserheblicher Verhältnisse. Es ist dies in erster Linie das Wappen als Kennzeichnung des „Standes“ (§§ 146, 165, 182). So erlangen beispielsweise Kinder „den Namen ihres Vaters, sein Wappen und alle übrigen, nicht bloß persönlichen Rechte seiner Familie und seines Standes“ ( § 146), während hingegen uneheliche Kinder unter anderem „auf den Adel, das Wappen und andere Vorzüge der Eltern“ keinen Anspruch haben (§ 165). Als wichtig erscheint diese Kennzeichnung deshalb, weil der Stand bestimmte Rechtsfolgen hervorruft (§§ 92, 162, 182, 505 f., 658, 670, 673). Beispielsweise erhält die Ehegattin vom Ehegatten unter anderem „die Rechte seines Standes“ (§ 92); der Gebrauchsberechtigte kann sein Recht so ausüben, daß er „den seinem Stande“ etc „angemessenen Nutzen“ zieht (§ 505). Konkret sind es etwa die ausschließlich dem Adel zukommenden Rechte wie „Ehrenvorzüge“, privilegierter Gerichtsstand, Militärbefreiung, Begründung von Familienfideikommissen288. Weiters dienen Symbole der Kennzeichnung von Eigentumsverhältnissen. So sind bei der Teilung von Grundstücken (§ 845) die Grenzen „der Lage [nach] durch Säulen, Grenzsteine oder Pfähle“ zu markieren, wobei diese etwa „Kreuze, Wappen, Zahlen oder andere Zeichen“ aufweisen müssen (ähnlich auch § 854). Als Symbol gilt auch der „Erbzins“, denn er dient „nur zur Anerkennung des Grundeigentums“ (§ 1123), d. h. nicht als Entgelt wie bei der Erbpacht (§ 1122). Weiters kennzeichnen Symbole rechtserhebliche Handlungen. Dazu zählt das Angeld „nur als ein Zeichen der Abschließung oder als eine Sicherstellung für die Erfüllung des Vertrages“; es ist also kein Teil des Entgelts, keine Anzahlung, außer es wird dies eigens vereinbart. Nach Zeiller dient es nur als „Beweis- und Sicherstellungsmittel“ 289. Weiters gehört zu dieser Gruppe die Willenserklärung 288 289
HKD 1838 VI 12: JGS 279/1838, 240 ff. = PGS 77/1838, 230 ff. Zeiller, Commentar III/1, 97.
E. Entwicklungstendenzen
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durch Zeichen. So setzt der „rechtmäßige Besitz eines dinglichen Rechtes auf unbewegliche Sachen“ grundsätzlich „die ordentliche Eintragung“ in öffentliche Bücher voraus (§ 321), ein typisch deutschrechtliches Institut. Doch können jene ausnahmsweise auch „durch Betretung, Verrainung, Einzäunung, Bezeichnung oder Bearbeitung in Besitz genommen“ werden (§ 312). Bei beweglichen Sachen ist der Regelfall die„physische Ergreifung“, allerdings ist der Besitzerwerb ausnahmsweise auch „durch Zeichen“ wie etwa eine „Urkunde“ oder „Werkzeuge“ möglich (§ 427). Gleiches gilt für die Pfandrechtsbegründung (§ 452). Letztwillige Verfügungen können durch Zeichen aufgehoben werden, etwa dadurch, daß der Verfügende „die Unterschrift durchschneidet; sie durchstreicht, oder den ganzen Inhalt auslöscht“ (§ 721). Generell können Willenserklärungen durch „allgemein angenommene Zeichen“ (§ 863) erfolgen, wozu Zeiller290 anführt „z. B. das Kopfnicken oder Kopfschütteln“. Eine besondere Form der Willenserklärung erfolgt durch ein „gewöhnliches Handzeichen“, und zwar „anstatt der Unterschrift“ (§§ 580, 886). Dieses bestehe, so Zeiller291, „gewöhnlich in drey Kreuzzeichen“. Diese Regelung erwies sich in Hinblick auf die Rechtswirklichkeit als notwendig, denn im Geltungsbereich des ABGB gab es Gebiete mit einem Anteil an Analphabeten bis zu 45%292. Gewisse Symbole erklärt das ABGB allerdings für „nicht wesentlich“ wie etwa die Siegelung schriftlicher Verträge (§ 884), die „Trauung“ als kirchliche Zeremonie für die Gültigkeit der Ehe293 und das Angeld als „ein Zeichen der Abschließung“ des Vertrages. Das ABGB unterscheidet hinsichtlich der Art der Symbolik in zwingende und nichtzwingende Symbole. Zwingende Symbole sind die Ausnahme wie vor allem beim Aufgebot, bei der Eheschließung, weiters die Angelobung des Vormunds ausdrücklich „mittels Handschlages“ (§ 205), die Eintragung in öffentliche Bücher, so diese „eingeführt sind“ (z. B. § 321), sowie der Erbzins (§ 1123). Ansonsten setzt das ABGB keine konkreten Symbole zwingend fest. Dies zeigt sich schon in der Diktion, wenn etwa auf „andere Zeichen“ (§ 845), „andere Kennzeichen“ (§ 854), „allgemein angenommene Zeichen“ (§ 863) oder auf ein „gewöhnliches Handzeichen“ (§ 886) hingewiesen wird. Zeiller unterstreicht dies noch dadurch, daß er weitere als im ABGB genannte Zeichen anführt wie z. B. zu § 427 die hier nicht erwähnten „Wappen“, auch die „Zeichen“ in § 452 als solche definiert, „woraus jedermann die Verpfändung leicht erfahren kann“ und bezüglich konkreter Zeichen sogar auf das ALR verweist294! Das „Drei-
290 291 292 293 294
Ebda, 11. Ebda, II/2, 459. Vgl. u. S. 124. Zeiller, Commentar I, zu § 75, 226 ff. Ebda, II, 222 f., 257, 258 in Fn. *.
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1. Kap.: Die Entstehung
kreuzzeichen“ als Unterschriftersatz bezeichnet er als ein „gewöhnlich“ verwendetes Symbol und schließt somit andere nicht aus. Insgesamt ist also das Abhängigmachen einer bestimmten Rechtsfolge von einem bestimmten Symbol die Ausnahme. Das Hauptmotiv für die Verwendung von Symbolen besteht in der, typisch deutschrechtlichen, nachhaltigen Publizität. So ist für den Erwerb der Staatsbürgerschaft in bestimmten Fällen die „persönliche Ansässigkeit“ notwendig (§ 31). Diesen Zweck verfolgt auch das Aufgebot: stets dreifache „Verkündigung der bevorstehenden Ehe“ (§§ 70 ff., § 126 für die „Verkündigung der Judenehen“). Es trifft auch zu auf die „Schließung eines Ehevertrages nach den vom Gesetze erforderlichen Feierlichkeiten“ (Hinweis § 118), wodurch sich die „Wiederverheiratung“ geschiedener (ABGB: „getrennter“) Ehegatten von jener der „Wiedervereinigung“ getrennter (ABGB: „geschiedener“) Ehegatten (§ 110) unterscheidet. Die nachhaltige Publizität ist auch in den schon erwähnten Fällen ein weiterer Grund der Verwendung von Symbolen wie etwa hinsichtlich der Wappen und ähnlicher Zeichen, die ausnahmsweise Besitznahme unbeweglicher und beweglicher Sachen, die Kennzeichnung von Eigentumsrechten an Liegenschaften wie unter anderem durch die Leistung des Erbzinses. Allgemein bietet das ABGB die Möglichkeit seiner Konkretisierung durch Verweisungen295; dies trifft auch auf die Symbolik zu. So nennt beispielsweise § 2 keinerlei Äußerlichkeiten, etwa Symbole, für die Gesetzespublikation. Einer ganzen Reihe an Verordnungen zu § 2 ist allerdings eine entsprechende Symbolik zu entnehmen: eine bestimmte Art des Anschlags, eine bestimmte Art der Drucklegung oder auch eine bestimmte Art des Verlesens. Interessant ist jedoch, daß es keinerlei Verordnungen zu den zitierten Symbolik-Bestimmungen gibt. Etwa sind die „gewöhnlichen Handzeichen“ nicht näher für beispielsweise bestimmte Regionen definiert. Dies bedeutet wohl, daß es Absicht des ABGB war, die mit einer „gebildeten“ Gesellschaft nicht zu vereinbarende, weil in ihr überflüssige Symbolik absterben zu lassen, allerdings im vernunftrechtlichen Wege der Zwanglosigkeit. So wandelt etwa die Regelung des Angelds dieses nicht zwingend in eine Anzahlung um, diese Variante bedarf vielmehr einer ausdrücklichen Vereinbarung (§ 908). 3. Materielle Regelungen Am Deutschen Recht ausgerichtet ist überwiegend das Sachenrecht wie etwa hinsichtlich der Publizität und der Grundbuchführung. Im Zusammenhang damit steht die Ablehnung der stillschweigenden Hypothek (Argument aus § 1245) und der Generalhypthek296. Das typisch deutschrechtliche System der festen Pfand295 296
S. u. 2. Kap. B. III.: S. 205 ff. Dazu und zum Folgenden Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 28 ff., 89 ff.
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stellen allerdings hat nicht Eingang in das ABGB gefunden (§ 469). Dem heimischen Recht entspricht auch, daß das ABGB nicht nur Miteigentum nach Quoten, sondern auch andere Formen zulassen wollte, auch eine Gebäudeteilung gegen den Satz „superficies solo cedit“ 297. Das Erbrecht läßt die deutschrechtliche Kumulation von Berufungsgründen zu gegen die Regel „nemo pro parte testatus, pro parte intestatus decedere potest“. Deutschrechtlichen Ursprungs ist auch der Erbvertrag (§ 602). Mit der Aufnahme der Rente in den Kreis der Servituten (§ 530) ist diese nicht als davon abgehobene eigene Gestaltung wie später als Reallast verstanden, sondern gemäß Usus Modernus Pandectarum als „servitus iuris Germanici“.
VI. Einflüsse des Gemeinen Rechts 1. Allgemeines Nach den Compilationsgrundsätzen kam dem Gemeinen Recht keine primäre, ja nicht einmal eine selbständige Rolle zu, sondern konnte subsidiär „natürliche Billigkeit“ neben anderen Quellen vermitteln298. Das stand ganz im Gegensatz zum ALR, wo es als neu geordnetes Römisches Recht299 Aufnahme finden sollte. Schon die Anmerkungen der Referenten für das Recht der Ländergruppen hatten Hinweise auf das Gemeine Recht enthalten. Wie erwähnt erreichten sie im Bezug auf Österreich unter und ob der Enns und auf Innerösterreich eine jeweils beachtliche Zahl und fehlten auch nicht zu den übrigen Ländergruppen300. Aber in nur einigen wenigen Fällen verwiesen alle Kodifikatoren ausschließlich auf Gemeines Recht wie zum Schenkungskapitel (Kapitel II Nummer 7: so die folgenden Klammerzitate), zum „Recht der Oberfläche“ (II 26) und zum „Befehlkontrakt“ (III 15). In etwas mehr Fällen verwiesen gleichfalls alle auf Gemeines Recht, aber einer oder zwei auch auf heimische Quellen wie zur Enterbung und zur Ungültigkeit von letztwilligen Verfügungen (II 15 bzw. 18), wo für BöhmenMähren-Schlesien noch die Stadtrechte angefügt sind, zur Gebrauchsleihe und zur Hinterlegung (III 5 bzw. 6) mit den Statuten von Triest bzw. Görz und Gradiska, zum Tausch (III 10) mit einer Ergänzung allein für Böhmen-MährenSchlesien, zu den Bestandkontrakten (III 12) mit Ergänzungen für Wien sowie für alle Küstenstädte, zum Gesellschaftsvertrag (III 13) mit zwei Ergänzungen für Österreich unter und ob der Enns. Soferne weiters noch nur Gemeines Recht vermerkt ist, geschah dies nur für eine oder zwei Ländergruppen wie zur Einwerfung (II 23) für Böhmen-Mähren-Schlesien, ebenso dafür und für Innerösterreich 297
Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 129, 142, 232. Siehe oben S. 59 ff., Punkte XXXV, XXXVI. 299 J. Wolff (Hrsg.), Das Preußische Allgemeine Landrecht. Politische, rechtliche und soziale Wechsel- und Fortwirkungen, 1995, 294 ff. 300 Siehe oben S. 83 f. 298
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1. Kap.: Die Entstehung
zu den Grunddienstbarkeiten (II 29), zu den Realkontrakten (III 4) für Tirol-Vorderösterreich, zum Pfandvertrag (III 7) für Österreich unter und ob der Enns, zum Kauf (III 9) für Tirol-Vorarlberg und ebenso wie für Österreich unter und ob der Enns zum Erlöschen von Verbindlichkeiten (III 24). In weiteren Fällen verwiesen nur einer oder zwei der Kompilatoren auf Gemeines Recht ebenfalls gemeinsam mit anderen Quellen wie zum Pflichtteil (II 15), zum Besitz (II 24), zu den Realkontrakten (III 4) und zur Bürgschaft (III 8). Schließlich verwiesen alle oder nahezu alle Kompilatoren sowohl auf Gemeines Recht wie auch auf heimisches Recht zur Nach- und Ersatzerbschaft und zum Trebellianischen Viertel (II 13), zum Kauf (III 9) und zum „Verbrechen“, d. h. rechtswidrige Handlungen, „welche außer einem Vertrag Jemanden aus eignener Schuld oder Gefährde verbinden“ (III 21), alle außer für Tirol-Vorderösterreich (hier nur Gemeines Recht) und zu den „für Verbrechen geachteten Handlungen“, d. h. solche, die aus „Unerfahrenheit oder Nachlässigkeit“ oder von Personen, deren Handeln einem Dritten zugerechnet wird, begangen werden (III 22), alle außer für Böhmen-MährenSchlesien (hier nur heimisches Recht). Die einhellige Verweisung nur auf Gemeines Recht ist also verschwindend gering, stärker diese durch nur ein oder zwei Kompilatoren, während die gemischte Verweisung dominiert – was ganz dem vorherrschenden Jus Romano-Germanicum entsprach. Diese Beobachtung stützt auch der Umstand, daß die Berichte für Österreich unter und ob der Enns sowie für Mähren in ihren Titeln ausdrücklich Bezug nehmen auf das Gemeine Recht301: „Anmerkungen in wie weit das dermalige Landrecht des Erzherzogthum Österreich von dem gemeinen Römischen Rechten abweiche und unterschieden seye?“, „Auszüge der hauptsächlichen Abfällen des Mährischen von dem allgemeinen Römischen Recht“. Anders der Titel der innerösterreichischen Darstellung: „Sammlung deren sonderbaren geschriebenen Gesätzen, dann eingeführten Gewohnheiten und Gerichts- Gebräuchen deren k. k. innerösterreichischen Erblanden Steyr, Kärnthen, Görz, Gradisca, Triest und Fiume“, doch ist gerade hier der Anteil des Gemeinen Rechts nicht unbeträchtlich. Die Darstellung für Österreich unter und ob der Enns und die für Innerösterreich gingen nämlich von einer subsidiären Anwendung des Gemeinen Rechts aus302. Überdies war es nicht Aufgabe der Referenten der Länderrechte, sich mit dem Gemeinen Recht in extenso zu beschäftigen. Wie erwähnt, hatte Holger ein eigenes „Systema Codicis Theresiani combinatum cum titulis iuris communis“ verfaßt303. Dies geschah offenkundig auf eigene Initiative hin und stand sicherlich 301
Höslinger, Quellen, 73; Wesener, Usus modernus, 1373 Fn. 59, 61. Harrasowsky, Codex I, 49; Wesener, Usus modernus, 1378. 303 Voller Titel: „Systema Codicis Theresiani combinatum cum titulis iuris communis, seu conspectus, in quo omnes tituli Institutionum imperialium, Digestorum, Codicis, Novellarum et Juris canonici ad Systema codicis nostri Theresiani eo fine reducti exhibentur ut uno quasi obtutu dispici valeat, quae iurium argumenta ad rubricam quamlibet, tanquam ad sedem suam congruam deducenda veniant“: dieser bei und das Folgende nach Höslinger, Quellen, 72 ff. 302
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im Zusammenhang mit seiner Länderübersicht für Österreich unter der Enns: Sie und das „Systema“ sind mit 20. September 1753 gleich datiert! Jedenfalls steht die Länderübersicht, zum Teil schon nach den eben zitierten Titeln, in der Tradition der Diskordanzliteratur des Usus Modernus Pandectarum304. Dieser Arbeitsmethode lag eine Zusammenstellung gemeinrechtlicher Quellen äußerst nahe. Insgesamt listet Holgers „Systema“ auf immerhin 64 Aktenseiten zum Codex Thersianus einschließlich der damals noch vorgesehenen Gerichtsordnung eine enorme Fülle an Quellenzitaten auf, wovon etwa zwei Drittel auf den späteren Codex Theresianus, also ohne Gerichtsordnung, entfallen. Es waren dies ausschließlich Stellen aus dem Corpus Iuris Civilis, aus den Institutionen, aus den Digesten, aus dem Codex und aus den Novellen. Nur selten finden sich keine römischrechtlichen Quellenzitate wie beispielsweise und verständlich zu „Leibgedingen und Witwen-Sitz“, „Von errichteter Gemeinschaft der Güter“ oder „Von Vereinigung der Kinder und Einkindschaft“, doch eher unverständlich fehlen sie auch zu „Von Verschwendern“, „Von beweglichen und unbeweglichen Sachen“, „Wie der Besitz erworben/erhalten/wiedererlangt werde“. Zweck der Auflistung des „Systema“ war es wohl, was ja sein voller Titel305 andeutet, auf einschlägiges Material zu verweisen, es sollte „als wissenschaftlicher Behelf dienen“ (Höslinger), nicht aber, dieses den Kodifikationsarbeiten vorzuschreiben. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen sind zu sämtlichen Teilen des Codex Theresianus, einschließlich noch des Zivilprozeßrechts, Stellen aus dem Corpus Juris Civilis auch zu Materien zitiert, die vom heimischen Recht zumindest stark beeinflusst waren306 wie zum Ehegüterrecht, hier sogar zur durchaus nichtrömischen „Morgengab“, zu dem etwa vom Polizeyrecht mitbestimmten Vormundschaftsrecht, zu erbrechtlichen Instituten, zum „Erb- oder Zinß-Recht, Zehend“ und zu den mit als Dienstbarkeiten verstandenen Reallasten. Dies läßt vermuten, Holgers Zitate des Römischen Rechts seien als solche des Naturrechts zu verstehen, was den Kompilationsgrundsätzen entsprechen würde. Dies erhärtet folgende Beobachtung: Selbst zur „Einleitung zu dem allgemeinen Erbländer-Recht“ und zur „Erwerbung des Eigentums durch Natur- und Völkerrecht“ finden sich Kodexzitate307. Es ist wohl anzunehmen, daß Holger diese seine Arbeit auch verwertet hat308, nämlich für die gemeinrechtliche Lückenfüllung seiner Länderübersicht wie auch für den von ihm besorgten Kodifikationsteil. Die Kodifikatoren werden wohl ebenfalls von ihr Gebrauch gemacht haben, denn in der Kommissionssitzung vom 5. November 1753 wurde bemerkt, daß sie zur Verfügung stünde, was
304 305 306 307 308
Ebda, 73 Fn. 6. Vgl. Fn. 303. Höslinger, Quellen, 75, 77. Ebda, 74 bzw. 76: C 7 41, C 10 15. Anders, ohne Begründung, Höslinger, Quellen, 72.
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1. Kap.: Die Entstehung
durchaus im Zusammenhang mit Azzonis Hinweis verstanden werden kann, die Kodifikatoren haben sich in den „Anmerkungen“ zu ihren Textvorschlägen auf „dieses oder jenes Länder-Gesetz oder auf bewährte Rechtslehre“ zu beziehen309: Jenen dienten die Länderübersichten und dieser wohl das „Systema“ Holgers. Überwiegend wird angenommen, daß die dem Gemeinen Recht verpflichteten Partien des Codex Theresianus auf ihn zurückzuführen sind310. Anders verhielt sich Azzonis Nachfolger Zencker, denn er benutzte nachweislich Wolfgang Adam Lauterbachs weitverbreitetes Pandektenlehrbuch neben dem von Samuel Stryk bis hin zur übersetzten Vorlage311. An die Stelle des wohl naturrechtlich verstandenen Römischen Rechts trat damit das Gemeine Recht. Auch Horten gibt an, daß er vom Gemeinen Recht ausgegangen sei, es aber dann weitgehend auch verworfen habe312. Und so finden sich in allen Textschichten zahlreiche Stellen, die Übersetzungen aus dem Gemeinen Recht darstellen313. Dieses war doch in ganz besonderer Weise maßgebend geblieben, da eben allgemein bekannt und auch leicht nachschlagbar. Die – unterschiedlichen – Landesrechte wurden eher beiseite gelassen, auch nur selten im Sinne des Naturrechts zu logischen Konstruktionen von Rechtsinstituten gegriffen. Dies vermag die Kompilations- bzw. die Gesetzgebungskommission selbst empfunden haben, rief aber vor allem die Kritik des Staatsrats hervor und führte schließlich zum Auftrag Maria Theresias von 1772, „sich nicht an die römischen Gesetze [zu] binden“ 314. 2. Materielle Regelungen Im Codex Theresianus ist nach übereinstimmender Ansicht vor allem das Schuldrecht teils ein „Ergebnis des späten Usus modernus“, teils ein „Mischprodukt aus dem römischen Recht und den Lehren des Naturrechts“ 315. Dies folgt beispielsweise aus dem „einheitlichen Vertragsbegriff unter gleichzeitiger Beibehaltung herkömmlicher römischer Vertragstypen“ 316, der gemeinrechtlichen 309
Ebda, 73 Fn. 5. Vgl. Wesener, Usus modernus, 1373 f. 311 Saxl, Quelle 28 ff. 312 Ehrenzweig, Erbfolgeordnung, 11. 313 Übersetzungsbeispiele bei L. Pfaff, Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, in: JBl 1883, 256; ebda, 1884, 170; ebda, 1885, 254 f., 274 f.; zum Römischen Recht im CTh allgemein: ebda, 1885, 277 ff.; im EHort: ebda, 1887, 317 ff. 314 Harrasowsky, Codification, 74, 127; Voltelini, Codex, 42, 54 f.; Zitat bei Zeiller, Commentar I, 8. 315 K.-P. Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert (= Beiträge zur neueren Privatrechtsgeschichte 9), 1985, 174; bzw. H. Charmatz, Zur Geschichte und Konstruktion der Vertragstypen im Schuldrecht mit besonderer Berücksichtigung der gemischten Verträge (= Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen 11), 1968 [1937], 26 ff. 316 Nanz, wie Fn. 315; Wesener, Usus modernus, 1383 ff.; ders., Zession, 695 ff. 310
E. Entwicklungstendenzen
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Irrtumslehre und der ebensolchen Behandlung des Scheingeschäftes317. Speziell das gemeinrechtliche Schadenersatzrecht „was faithfully reflected in the Codex Theresianus“ 318 mit den Unterscheidungen in Haftung aus Vertrag und aus Delikt sowie in diese und in Quasidelikte. Horten behielt diese Unterscheidung trotz seiner Kürzungen im Wesentlichen bei. Gemeinrechtlich beeinflußt ist auch das Recht der Servituten im Codex Theresianus, da unter diese mit der Verpflichtung „etwas zu thun“ (II/27/14) auch die Reallasten subsumiert sind, was dem weiten Begriff der „servitus iuris Germanici“ des Usus modernus Pandectarcum entspricht319. Das Erbrecht schließlich des Codex Theresianus bewertet Wesener hinsichtlich des rechtsgeschäftlich bestimmten als „sehr stark romanistisch“, das gesetzliche mache „starke Zugeständnisse an das römisch-gemeine Recht“ 320. Ab dem Entwurf Horten wurde das „römisch-gemeinrechtliche Element kontinuierlich schwächer“ 321. Beispielsweise folgte das gesetzliche Erbrecht nun dem naturrechtilchen Parentelensystem. Die große Reduzierung des direkten gemeinrechtlichen Einflusses kam mit dem Entwurf Martini. Wortwörtliche Übersetzungen aus dem Corpus Iuris Civilis sind nun „schon fast verschwunden“, in der Folge wird Gemeines Recht zum Teil ausdrücklich verworfen322 wie in der Irrtumslehre und besonders im Schadenersatzrecht323. Dies geschah auch durch rezeptionsgeschichtliche Hinweise wie etwa, es hätten „Rechtsphilosophen und Gesetzgelehrte Deutschlands“ die gemeinrechtliche Beschränkung des Eigentums auf körperliche Sachen „nicht angenommen“, „niemals“ die Gründe für die „pupillarische Substitution“ und man habe das Verbot des Erbvertrags „verworfen“ 324. Im ABGB sodann deuten auf Gemeines Recht äußerlich nur noch zwei Ausdrücke deutlich hin: precarium (§ 974) und universitas rerum (§ 302). Beispiele für Gemeines Recht325 lassen sich vielfach dem Schuldrecht entnehmen, auch einzelnen Vorkehrungen des Sachenrechts. Damit war manches nicht mehr zeitgemäß wie die Haftung für fremdes Verschulden (§§ 1314 ff.), was zur Reform mit der III. Teilnovelle führte326.
317
Wesener, Usus modernus, 1384 ff. Hausmaninger, wie Fn. 229, 117; mit Beispielen ebda, 118 ff. 319 Oberflächlich referiert bei Koschembahr-Lyskowski, wie Fn. 182, 284 ff. 320 Wesener, Erbrecht, 954. 321 Wesener, Usus modernus, 1386. 322 Koschembahr-Lyskowski, wie Fn. 182, 244 f. 323 Wesener, Usus modernus, 1384 f.; Hausmaninger, wie Fn. 229, 121 f., 133. 324 Ofner, Urentwurf I, 243, 365, 435. 325 Zu ihm Steinwenter, wie Fn. 176, 417 ff. 326 P. Apathy, Deliktshaftung und Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in: FS Heinz Krejci zum 60. Geburtstag, 2001, 428. 318
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1. Kap.: Die Entstehung
Vom ABGB aus rückblickend vergleicht Hausmaninger den Einfluß des Gemeinen Rechts mit einer Russischen (Matryoshka-)Puppe:327: „Inside Zeiller one would find Martini, then Horten, Zenker and so forth, down to the core of Roman law“: Aber freilich nicht nur dieses allein. Immer mehr war es durch legistische Verarbeitung gleichsam eingeschmolzen worden. So328 hatte der Codex Theresianus noch unterschieden in Quasikontrakte („Handlungen, welche denen Contracten gleichkommen“: III, 19) und in „aus bloßer natürlicher Billigkeit verbindenen Handlungen“ (III, 20) mit etwa der Versionsklage und dem Aufopferungsanspruch („Seewurf“) gemäß der lex Rhodia de iactu329. Den Entwurf Martini ist der Unterschied durch die zusammenfassende Kategorie der „Vermuteten Verträge“ aufgehoben (III 12). Die Vorarbeiten zum ABGB löste sie schließlich auf und ordnete die einzelnen Typen verwandten Hauptstücken zu, etwa die lex Rhodia der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 1043). Typisch für die Abkehr vom Gemeinen Recht als solchem ist auch die Reduzierung der Lückenfüllung vom GBGB noch nach „allgemeinen und natürlichen Rechtsgrundsätzen“ (I § 19) auf die letzteren im ABGB (§ 7). Die Innsbrucker Juristenfakultät begründete ihre entsprechende Anregung damit, der Hinweis auf „allgemeine“ Rechtsgrundsätze könnte zu einem Rückgriff auf das Gemeine als „allgemeines“ Recht verleiten, der Zeiller 1802 die Bemerkung hinzufügte „Das gemeine aber, das ist das römische Recht, soll ja eben durch das neue Gesetzbuch aufgehoben werden“, worauf es zur erwähnten Reduzierung kam330. Dennoch bleiben Spuren und Einflüsse des Gemeinen Rechts unübersehbar331. So wie bei Zeiller waren übrigens die romanistischen Hinweise schwankend. In der Ersten Lesung332 übertrafen die 44 Sitzungen, in denen die Ausdrücke „Römisches Recht/Gesetz(buch, -gebung)“ fielen, jene 22, in denen vom „Gemeinen Recht“ die Rede war um das Doppelte. Vereinzelte Hinweise betrafen „römische Rechtsgelehrte“ allgemein (6.2.1804) oder konkrete Personen wie etwa Justinian (15.3.1802), Gaius und Sempronius (19.5.1806), selten benannten sie Institutionen wie z. B. die Falcidische Quart (8.5.1804). Im Zuge der Ersten Lesung wurde von den 132 Sitzungen in 82 unter den verschiedenartigen Bezeichnungen auf Gemeines Recht verwiesen, aber in fast ebenso vielen, nämlich 81, auf das ALR!
327
Hausmaninger, wie Fn. 229, 133. Zum Folgenden Wesener, Usus modernus, 102 f. 329 Dazu speziell Wesener, Lex Rhodia, 31 ff., hier 46 ff. 330 Ofner, Urentwurf I, 23. 331 Details bei G. Wesener, Zur Bedeutung des Usus modernus pandecatarum für das österreichische ABGB, in: F. Harrer/H. Honsell/P. Mader (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Theo Mayer-Maly, 2011, 574 ff. 332 Nach Ofner, Urentwurf. 328
E. Entwicklungstendenzen
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VII. Einflüsse ausländischer Kodifikationen 1. Das ALR a) Das ALR im Gesetzgebungsverfahren Als das ALR 1794 in Kraft trat war in der Habsburgermonarchie die erste Kodifikationsphase mit dem Erbfolgepatent 1786 und dem Teil-ABGB 1786 bereits abgeschlossen. Allerdings setzte just in diesem Jahr 1794 die zweite Phase mit den Arbeiten am Entwurf Martini ein und als 1803 die zweite Auflage des ALR erschien, befand man sich seit 1801 in der 1. Lesung des ABGB-Entwurfs. Daraus ergibt sich, daß das ALR auf die erste Kodifikationsphase und somit das TeilABGB 1786 keinen Einfluß ausüben konnten. Aber für die zweite Kodifikationsphase war vorerst sein Vorläufer bekannt, nämlich das „Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten“ (AGB) von 1791, das allerdings doch nicht in Kraft trat. Der Einfluß des ALR beschränkte sich somit auf die zweite Kodifikationsphase. Auf sie wirkte es unterschiedlich ein, denn für den Beginn dieser Phase kam es reichlich knapp. Überdies dominierte nun der schon vorhandene eigene Text. Das Stadium einer tastenden Auswahl aus mehreren Quellen – wie zum Teil noch in der ersten Phase – war mit dieser vorbei. So erklärte denn auch Martini im Juli 1795, er habe in Hinblick auf die bisherigen Entwürfe das ALR „blos zur Aushilfe und Ergänzung Desjenigen, was in den vorerwähnten Werken mangelte, angewendet“ 333. Aber selbst diese Aussage reduziert der tatsächliche Gang der Texterstellung erheblich. Lediglich die Neufassung der drei ersten Paragraphen erfolgte durch Martini ausdrücklich „unter Hinweisung auf die Einleitung zum preußischen Gesetzbuche . . ., welche insbesondere auch die Notwendigkeit der Gesetze in einem Staate darzeigen sollen“ 334. Der Sitzung vom Juli 1793, in der diese Äußerung fiel, lag übrigens nicht das ALR, sondern das AGB zugrunde. Nicht erst mit dem ALR 1794 setzte also die Kenntnis der preußischen Kodifikation ein. Signifikant für ihre dennoch geringe Beachtung ist eine Äußerung im Begutachtungsverfahren Ende 1796, nämlich, es gleiche das ALR mehr einem Schulbuch, mache nicht als Gesetz, sondern als „gelehrtes Werk dem Verfasser Ehre“, überdies sei „der preußische Geschmack . . . schon just nicht allemal der beste“ 335. Diese Meinung aus dem österreichischen Breisgau fand also den österreichischen Gesetzgebungsprozeß schon weiter fortgeschritten als den preußischen, nämlich über das Stadium überwiegender Gelehrsamkeit hinaus wie noch zu Zeiten des Codex Theresianus, und hielt es deshalb nicht für notwendig, ihn durch fremde, nämlich preußische Regelungen zu verändern. 333 334 335
Nach Harrasowsky, Codex V, 80 Fn. *. Ebda, 4 in Fn. 1. Ebda, 4 in Fn. 1.
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1. Kap.: Die Entstehung
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für Galizien änderte sich allerdings die Situation abermals, nämlich in der neuen Gesetzgebungskommission mit vor allem Zeiller. Das ALR wurde nun vermehrt herangezogen, aber nicht zur allfälligen und in der Gesetzgebungspraxis offenkundig bislang entbehrlichen Lückenfüllung, sondern als permanenter Maßstab für die Gesetzgebungsarbeiten – dies aber durchaus nicht allein, sondern gemeinsam mit dem „Römischen Recht“ und auch einer weiteren Kodifikation, dem Code Civil. Wie schon erwähnt wurde in der Ersten Lesung in fast ebenso vielen Sitzungen auf das ALR – 81 – wie auf das Gemeine Recht – 82 – Bezug genommen, aber in nur 28 auf den Code Civil336! Die Terminologie337 lautete am häufigsten „Preußisches Gesetzbuch/ Landrecht“, nur halb so oft „Preußisches Gesetz/Recht“. Als Zeiller 1807 seinen „Vortrag zur Einführung in das bürgerliche Gesetzbuch“ hielt338, verglich er dieses durchgehend in fester Reihenfolge mit dem „Römischen Recht“, dem ALR und dem Code Civil, und zwar sowohl in einer grundsätzlichen „Kritik“ sowie in einer „Vergleichung“ zu den einzelnen Teilen des ABGB. In der grundsätzlichen Kritik verhalten sich die Ausführung zum „Römischen Recht“, ALR und zum Code Civil wie 12 : 5 : 8,5. Jene zum ALR sind also die knappsten. In der allgemeinen „Kritik des preußischen Landrechts“ 339 bemängelte Zeiller, daß das ALR neben dem bürgerlichen Recht andere Materien enthalte, vor allem „eine Menge doch immer unvollständiger politischer Kameral- und Finanzvorschriften“. Dies bedeutet doppelte Kritik, nämlich einmal an der Vermischung des bürgerlichen mit dem öffentlichen Recht wie sodann an der Aufnahme stets unvollständig bleibender Vorschriften in eine Kodifikation, wo diese nämlich wegen ihren Veränderungen nichts zu suchen haben. Nun war das ALR eben noch dem älteren Typus der Landesordnung verpflichtet und nicht dem neuen einer Kodifikation des Privatrechts neben anderen wie etwa des Strafrechts. Ein weiterer Kritikpunkt ist ihm die Kasuistik des ALR, dann die mangelnde „Angemessenheit für die vielen ungleichförmigen Provinzen“ der preußischen Monarchie und schließlich auch die Systematik. Diese „Kritik“ folgt jenen Forderungen Zeillers, die er an ein gutes Gesetzbuch stellt und eben im ALR nicht, jedoch im Entwurf zum ABGB verwirklicht sieht. Zeiller war sich natürlich der grundlegenden Unterschiede zwischen dem ABGB-Entwurf und dem ALR sehr wohl bewußt und damit der recht engen Grenzen einer Vergleichsmöglichkeit im allgemeinen. Dazu zählte übrigens weiters, daß im ALR „die Rechtsverhältnisse zwischen den Grundherren und den Unterthanen“ trotz Abschaffung der Leibeigenschaft in „beinahe allen ihren Folgen noch beibehalten“ sind.
336 337 338 339
S. u. S. 108 ff. Nach Ofner, Urentwurf. Hiezu: Ofner, Urentwurf II, 464 ff. Ebda, 478.
E. Entwicklungstendenzen
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In der „Vergleichung mit den Personenrechten“ 340 findet Zeiller, es stimme das ALR sowohl mit dem Teil-ABGB sowie mit dem vorliegenden ABGB-Entwurf „größtenteils überein“. Die Unterschiede im Eherecht erklärt er „wegen Verschiedenheit der protestantischen Grundsätze von den unserigen“. Eine echte Ausnahme vom Gleichklang mit dem ABGB bildeten im ALR „nur die Ehen zur linken Hand“, die das ABGB nicht kennt, während ansonsten beispielsweise „das Rechtsverhältniß zwischen Aeltern und Kindern, dann das Vormundschaftsrecht“ übereinstimmten. So vermutet er denn auch, es lasse „sich nicht verkennen“, daß das Teil-ABGB „bei Abfassung des preußischen (Gesetzbuches) benützt worden sei“ – die österreichische also als Vorbild für die preußische Kodifikation gewirkt habe! Im Sachenrecht des ALR341 sieht Zeiller einen „zu ausführliche(n) Auszug aus dem römischen Rechte“, es weise daher, vielleicht aus Zeitmangel, „noch viele Kleinfügigkeiten, Schulerörterungen und Folgerungen, die deutlich in den Vordersätzen liegen,“ auf. Mit einigen Ausnahmen sei im Erbrecht „fast durchgehends das römische Recht beibehalten worden“. Zu anderen Teilen wie etwa zum Pfandrecht und zum Recht der Dienstbarkeiten, dann auch zum Recht der Familienfideikommisse unterstreicht er die weitgehende Übereinstimmung mit dem ABGB-Entwurf. Zum Schuldrecht342 wiederholt Zeiller das zum Sachenrecht Gesagte. Sodann lobt er den „kritischen Scharfsinn“, mit welchem der „Auszug aus den Römischen Gesetzen“ geschehen sei und meint dazu: „Schon in dieser Hinsicht, noch mehr aber in Rücksicht solcher Rechtsgegenstände, die in dem Justinianischen Rechte ganz vermißt werden, leistete es [das ALR] zur Bearbeitung des vorliegenden [ABGB] Entwurfs treffliche Dienste“. Die grundsätzliche Kritik Zeillers am Sachenrecht des ALR, insbesondere an den „Schulerörterungen“, erinnert an frühere negative Kritiken am Codex Theresianus343. Dies läßt abermals die Grundhaltung erkennen, die österreichische sei der preußischen Kodifikationsentwicklung voraus. Zum Schuldrecht aber gesteht Zeiller offen ein, daß es vorteilhaft sei, dafür das ALR zu konsultieren. Damit stand er nicht allein: ALR-Argumente wurden an sie herangetragen wie beispielsweise von der niederösterreichischen Landeskommission344 sowie vom niederösterreichischen Appellationsgericht345. In der letzten Gesetzgebungskommission beriefen sich auf das ALR der Präsident Haan346, dann Pratobevera347 sowie in, 340 341 342 343 344 345 346 347
Ofner, Urentwurf II, 482. Zum Folgenden ebda, 484. Zum Folgenden ebda, 487. Vgl. oben S. 35 f. Ofner, Urentwurf I, 42, 45 f. Ebda, 56 ff. Ebda, 85 ff. sowie ders., II, 497 f., 609. Ofner, Urentwurf I, 56 ff. sowie ders., Urentwurf II, 554, 557, 565 f.
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1. Kap.: Die Entstehung
mit diesen verglichen, erheblichem Maße Referent Zeiller348. Seine Bemerkung zum Schuldrecht hat er also wahrgemacht. b) Die ALR-Kenntnisse Zeillers Wegen seiner prägenden Rolle im Kodifikationsprozeß interessieren vor allem die ALR-Kenntnisse Zeillers. Sie geben natürlich darüber Aufschluß, wie – qualitativ und quantitativ – Zeiller das ALR kannte und verwertete, sie lassen uns aber auch ahnen, wie das Leserpublikum durch eben diese Beachtung des ALR von diesem durch die Benützung von Zeillers Werken Kenntnis erhalten konnte. In der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Vorbereitung zur neuesten Oesterreichischen Gesetzkunde“ 349 rezensierte Zeiller nicht nur die ALR-Ausgabe von 1804 sowie den Ergänzungs-Anhang zum ALR von 1803350, sondern nahm auch andere Gelegenheiten wahr, um auf das ALR hinzuweisen. So hielt er etwa fest, daß man in Preußen „das Studium des römischen Rechtes noch immer eifrig betreibe“, obwohl es hier „ein einheimisches Civil-Gesetzbuch“ gibt351. Auf das ALR verwies er auch in einer Sammelrezension des Code Civil sowie sich einiger darauf beziehender Werke, und zwar so, daß er Parallelen zum ALR zog wie etwa punktuell zur laesio enormis beim Kauf 352. Auch Rezensionen von preußischen Zeitschriften nahm er zum Anlaß, um auf das ALR hinzuweisen353. Zu einem preußischen Titel etwa vermerkt Zeiller, es sei „das Werk zunächst für preußische Rechtsgelehrte brauchbar“, biete aber „doch auch den Auswärtigen Stoff zum gründlichen Nachdenken über Gegenstände der Gesetzgebung an“ 354 – dies mitten in der Endredaktion des ABGB-Textes! Seine Wertschätzung und auch Beachtung des preußischen Rechts macht übrigens eine Bemerkung zu den „Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den preußischen Staaten“ deutlich: Er nennt diese nämlich eine „unserer schätzbarsten juridischen 348 Ofner, Urentwurf I, 6 f., 19 f., 42, 45, 45 f., 56 ff., 59 f., 120 ff., 152, 166, 167, 224, 231 232 f., 240, 270, 272, 292, 304, 313, 321, 327, 335, 339, 345, 362, 366, 416, 450; ders., Urentwurf II, 27, 36, 37, 40, 54, 56, 59, 75, 83, 88, 89, 116, 164, 182, 187, 213, 214, 228, 241, 246, 261, 270, 276, 303, 323, 334, 353, 361, 448, 537, 568, 609. 349 1806 bis 1809 in 4 Bänden unter dem Titel „Jährlicher Beytrag zur Gesetzkunde und Rechtswissenschaft in den Oesterreichischen Erbstaaten“ sowie in 2. Aufl. 1810/11 in 4 Bänden unter dem oben angeführten Titel erschienen. Die folgenden Ausführungen aufgrund der 2. Aufl. 350 Zeiller, Beytrag IV, 240 ff. 351 Ebda, 39 in Fn. *. 352 Ebda, 252 ff., insb. 255, 267. 353 Zeiller, Beytrag II (1810), 204 ff. (zu den „Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten“ 1808), bes. 208; ebda, 220 f. (zum „Neuen Archiv der Preußischen Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit überhaupt“ 1805). 354 Ebda, 219 ff. (zu den „Materialien zur wissenschaftlichen Erklärung der neuesten allgemeinen Preußischen Landesgesetze“ 1807), bes. 220.
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Zeitschriften“ 355 – „unserer“: Und dies vom österreichischen Standpunkt aus! Übrigens zeigen gerade alle diese Beiträge mit ALR-Äußerungen, daß die österreichische Rechtswissenschaft im Vormärz durchaus nicht von ausländischen Strömungen abgeschlossen war356. In seinem ersten, dem bewußt unvollständigen „Probekommentar“ 357 zum ABGB bemerkt Zeiller sogleich eingangs, es sei die „Kenntnis der fremden, hier erwähnten Gesetzbücher“, darunter auch die „des Preußischen“, einerseits „zur Ergänzung und Erweiterung der Kenntnisse in dem Zivil-Rechte sehr nützlich“, andererseits aber auch wichtig zur Beurteilung von Rechtsgeschäften mit Fremden eben „nach jenen fremden Gesetzen“; die erwähnte „Ergänzung und Erweiterung der Kenntnisse“ wurzle in „derselben Grundfeste, dem römischen Rechte“ 358. Tatsächlich führt Zeiller in diesem „Probekommentar“ so gut wie zu jedem ABGB-Paragraphen die entsprechende ALR-Regelung an, entweder durch einen bloßen Hinweis oder sogar durch eine kurze Inhaltswiedergabe359. Der „Probekommentar“ erfaßt freilich nur die §§ 1 bis 14. Für den vollständigen „Hauptkommentar“ kündigte der „Probekommentar“ übrigens an, er werde auf die Bestimmungen der bisherigen österreichischen Gesetzbücher hinweisen sowie auch Erwähnungen des „Preußischen, Französischen und Bayerischen“ Zivilgesetzbuches enthalten360. Besonders wichtig für Zeillers Kenntnis und wissenschaftliche Verwendung des ALR ist natürlich sein „Hauptkommentar“. Er zeigt überdies, wie sehr Zeiller wohl schon im Kodifikationsprozeß an das ALR gedacht hatte. Sodann ist er jenes Werk, aus dem die Benützer besondere Kenntnisse schöpften, darunter eben auch über das ALR. Hier nennt Zeiller ganz konkrete Quellen361. Als Gesetzestext verweist er auf die ALR-Ausgabe 1803, als Literatur auf Johann Georg Schlossers „Briefe über die Gesetzgebung überhaupt, und den Entwurf des preußischen Gesetzbuches insbesondere“ (Frankfurt 1789) sowie auf dessen Aufsatz in den „Annalen der preußischen Gesetzgebung“ von 1790, sodann auf Christian Ullrich Eggers „Bemerkungen zur Verbesserung der deutschen Gesetzgebung“ (Kopenhagen 1798), E. F. Kleins „System des Preuß. Civil-Rechtes“ (Halle 1801), auf die „Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preußischen Staaten“ (1788 ff.) sowie das „Neue Archiv der Preußischen Gesetzgeb(ung) und Rechtsgelehr(samkeit)“ (1800 ff.). Die beiden letzten Titel beweisen, daß Zeiller zu all den genannten Werken, sie seien ihm aus „eigenem Ge355
Zeiller, Beytrag III, 187 ff. (zum Jahrgang 1808), bes. 188 Pkt. 12, 194 f. Vgl. auch Brauneder, Leseverein, 52 ff., bes. 55 ff. 357 Zeiller, Beytrag IV, 68 ff.; vgl. Zeiller, Principien, 12. 358 Zeiller, Beytrag I, 76. 359 Etwa ebda, 78, 84 Fn. *, 87 f. Fn. *, 96 Fn. *, 155 Fn. *, 123 Fn. *, 128 Fn. *, 132 Fn. *, 134 Fn. *, 135 Fn. *; 138 Fn. *, 140 Fn. *. 360 Ebda, 76. 361 Zeiller, Commentar I, 95 f. in Fn. *****. 356
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1. Kap.: Die Entstehung
brauche . . . vorzüglich bekannt“, wörtlich zu nehmen ist – er hatte sie nämlich, wie erwähnt, rezensiert. c) Konkrete ALR-Einflüsse ab 1800 Entgegen der Einschätzung des ALR nahmen die Kodifikatoren seine „trefflichen Dienste“ doch nur sehr bescheiden in Anspruch. In der ersten bis dritten Lesung362 des ABGB-Entwurfs von 1801 bis 1810 wird in nur 73 Fällen auf das ALR Bezug genommen. Bei rund 1.500 Entwurfs-Paragrafen sind dies davon etwa 5%. Nach Absicht und Wirkung lassen sich fünf Gruppen an ALR-Bezügen bilden. Die erste Gruppe umfaßt ALR-entsprechende Änderungen. Bei 37 der erwähnten 73 Fälle wurden derartige Änderungen bloß beabsichtigt (etwa 50%), tatsächlich erreicht wurden sie in 30 Fällen (etwa 40%). Hierzu einige Beispiele: Die von Zeiller vorgeschlagene Neutextierung der Bestimmungen über die Bestreitung der Ehelichkeit erfolgte ausdrücklich „nach dem Vorbilde des preußischen Rechtes“ 363. Sein Argument, daß sie „auch die preußische Gesetzgebung . . . verstatte“, führte zur Neufassung der Bestimmungen über den Bevollmächtigungsvertrag364. In ähnlicher Weise wurden die Regelungen über die Kompensation von Forderungsrechten auf seine Anregung hin durch die Übernahme von Bestimmungen „aus dem preuß. G. B.“ ergänzt365. Der von ihm angeregte Neutextierung der Bestimmungen über die Rechtsstellung exterritorialer Personen fügte er die Fassung „des preußischen Textes“ bei366. Unter Hinweis darauf, „daß das preußische Gesetz bestimmter“ sei, schlug er eine präzisere Fassung der Rechte und Pflichten des Verwahrers vor367. Zur zweiten Gruppe zählen ALR-entsprechende Neutextierungen ohne inhaltliche Änderung der bisher anders formulierten Regelung. Dazu kam es in drei, höchstens vier Fällen: So wies Zeiller hinsichtlich der Formvorschriften bei der Errichtung letztwilliger Verfügungen zwar darauf hin, daß „in vielen Provinzen Deutschlands“, besonders auch „nach dem preußischen Gesetze“, strengere Bestimmungen bestünden, stimmte aber dennoch nur für eine stilistisch präzisere Fassung (schließlich § 577 ABGB)368. 362 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf eine Analyse der jeweiligen Beratungsprotokolle in Ofner. 363 Vgl. Ofner, Urentwurf II, 353. – Zeillers Antrag wurde mit Modifikationen beschlossen und blieb, von einer geringfügigen stilistischen Änderung im Zuge der 3. Lesung abgesehen, unverändert (schließlich § 159 ABGB). 364 Ebda, 54. – Zeillers Vorschlag blieb unverändert (schließlich § 1021 ABGB). 365 Ebda, 448, 246. – Zeillers Vorschlag blieb unverändert (schließlich § 1442 ABGB). 366 Ebda, 56 ff. – Zeillers Vorschlag blieb unverändert (schließlich § 38 ABGB). 367 Ebda, 59. – Zeillers Vorschlag blieb unverändert (schließlich § 961 ABGB). 368 Vgl. Ofner, Urentwurf I, 345.
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Die dritte Gruppe bilden Änderungen, zu welchen das ALR zwar den Anstoß gab, ohne jedoch dann dessen Regelung zu folgen; dies geschah in neun Fällen: So etwa unterstützte Zeiller einen Vorschlag auf Streichung der ursprünglich vorgesehenen Möglichkeit einer entgeltlichen Bürgschaftsverpflichtung mit dem Hinweis darauf, daß „das preußische Gesetz“ darüber genaue Bestimmungen treffe, daß sie aber „in unseren Staaten“ ein „unbekanntes, wenigstens nicht übliches Geschäft“ sei; er fand es daher „nicht rathsam, davon Erwähnung zu machen“ 369. Ebenso lehnte er eine Anregung ab, die Bestimmung hinsichtlich des Erlasses der Zahlung des Bestandzinses bei Unbrauchbarkeit der Bestandsache abzuändern, da sie „eine Menge besonderer Regelungen, welche in dem preuß. G. B. . . . mehr als 100 Paragraphe einnehmen, überflüssig“ mache370 . Zur vierten Gruppe finden sich jene Fälle, in welchen es trotz eines Hinweises auf das ALR zu keiner Textänderung kam; hieher zählen 18 der 73 Fälle (ca. 25%): So verteidigt Zeiller etwa die Bestimmungen über die Testierfähigkeit damit, daß der Text „des Entwurfs . . . in dieser wichtigen Angelegenheit unstreitig mehr Beruhigung für die Zukunft“ verschaffe als „das preuß. Gesetz“ 371. In ähnlicher Weise trat der Präsident der Gesetzgebungshofkommission Haan einer Anregung entgegen, die Eheungültigkeitsgründe nach dem Vorbild des ALR zu erweitern, da der eigene Entwurf den Intentionen der katholischen Religion folge, „welche in unseren Staaten die herrschende und allgemeinste ist“, während die davon abweichenden Regelungen „in dem G. B. für die preußischen Staaten . . . durch die (protestantische) Staatsreligion gerechtfertigt“ erscheinen372. Die fünfte Gruppe schließlich machen drei Fälle aus, wo der ALR-Hinweis zur Bekräftigung der ABGB-Regelung verwendet wurde: So betonte Zeiller etwa zu den Auslegungsregeln bei der Einsetzung von Nacherben, der „Entwurf verwerfe . . . mit Recht“ die entsprechenden Bestimmungen des ALR, der Text sei auch „angemessener“ und daher beizubehalten373. Zu einer Änderung des Inhalts des ABGB-Entwurfs aufgrund von Erörterungen des ALR im Kodifikationsverlauf kam es bezogen auf die 1502 Paragrafen des ABGB davon in etwa 2,6% (Gruppe 1 und 3), aber nur in etwa 2% zu einer 369 Vgl. Ofner, Urentwurf II, 213. – Auf Zeillers Vorschlag wurden die entsprechenden Bestimmungen aus dem Entwurf gestrichen. 370 Ebda, 236 f. – Auf Zeillers Vorschlag wurde der Text inhaltlich modifiziert und im Zuge der 3. Lesung noch stilistisch verbessert (schließlich § 1104 ABGB). 371 Ofner, Urentwurf I, 339. – Zeillers Vorschlag blieb unverändert (schließlich § 567 ABGB). 372 Ebda, 85 ff. – Da in der Gesetzgebungshofkommission keine einhellige Meinung über eine allfällige Neutextierung zustande kam, blieben die Bestimmungen des Entwurfs unverändert (schließlich § 59 ABGB). 373 Ebda, 362. – Auf Zeillers Vorschlag erfolgt zwar eine präzisere Neutextierung des 1. Satzes, die aber zufolge der kurz darauf beschlossenen Aufhebung der Pupillarsubstitution (ebda, 363 ff.) hinfällig wurde. Der übrige Text blieb unverändert (schließlich § 605 ABGB).
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1. Kap.: Die Entstehung
solchen im Sinne des ALR (Gruppe 1). Gemeinsam mit diesen (Gruppe 1 und 3) und weiteren Fällen (Gruppe 2) führte das ALR zu einer Neutextierung von etwa 3% der ABGB-Praragrafen. Das ALR wurde auch für Gegenargumente verwendet, und zwar sowohl zugunsten der Beibehaltung des Entwurftextes gegen einen Änderungsantrag374, aber auch zugunsten einer anderen als der beantragten Änderung375. Manche Annahmen, das ALR habe das ABGB beeinflußt, beruhen ohne Indiz für eine Vorbildhaftigkeit auf Ähnlichkeiten der Texte, die aber auch anders, etwa durch eine gemeinsame Vorlage, erklärbar sein können.376 d) ABGB und ALR im Vergleich bei Zeiller Zeiller vermerkt in seinem Kommentar 209 ALR-Parallelstellen zu 171 der 1502 ABGB-Paragraphen, also bloß zu gut 11%. Einige dieser 209 Parallelstellen enthalten mehrere ALR-Zitate, insgesamt sind es 217. Davon betreffen 64 Abweichungen (30,3%), 67 Übereinstimmungen (31,7%), bei 86 (40,9%) bleibt dies offen. Die letztgenannte Gruppe versteht sich aus Folgendem: In zahlreichen Fällen begnügte sich Zeiller nämlich einfach mit dem Hinweis auf die ALR-Parallelstelle, so daß Übereinstimmung oder Abweichung für den Leser ohne Nachschlagen im ALR nicht feststellbar sind. Die Dichte der ALR-Zitate ist nicht zu allen ABGB-Teilen gleich. Von der Einleitung hatte Zeiller noch 78% mit ALR-Bemerkungen versehen, vom ersten Teil nur mehr 16%, vom zweiten Teil gar nur 7% und vom dritten Teil knapp 11%. Die Tendenz ist also jedenfalls fallend. Die Übereinstimmungen sind mit schlichten Worten hervorgehoben wie etwa „das Preuß. Gesetz stimmt mit dem unsrigen überein“ (zu § 160), auch mit „Aehnliche Vorschriften enthält das Preuß. L. R.“ (zu § 174). Ebenso sind Abweichungshinweise zum Teil knapp gehalten wie etwa: „Nach dem Preuß. Rechte besteht die zweyte Ehe, wenn auch der Verschollene zurückkehrt“ (zu § 114); „das Preuß. L.R. behielt noch viele zu feine Unterscheidungen bei“ (zu § 309); „das Preuß. Landr. gibt der körperlichen Uebergabe den Vorzug“ (zu § 430); im „Preuß. L. R. . . . hat der erste Käufer das Vorkaufsrecht“ (zu § 1086), was sich
374 Ebda, 292: So wendet Zeiller etwa gegen eine vom innerösterreichischen Appellationsgericht angeregte Änderung der Bestimmungen des Entwurfs über den objektiven Umfang des Pfandrechts ein, auch „das preußische Landrecht erkläre sich für diese Meinung“, der Text sei daher beizubehalten (schließlich § 457 ABGB). 375 Ebda, 321: Hinsichtlich des Erlöschens von Personalservituten stellt Zeiller zu Abänderungsvorschlägen des oberösterreichischen Appellationsgerichts und der Landeskommission Triest einen Gegenantrag für eine Neutextierung „gleich dem preuß. Rechte“ (schließlich § 530 ABGB). 376 Z. B. Hausmaninger, wie Fn. 229, u. a. 125, 127, 131.
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auch zur Kritik steigern kann: „Der Sinn dieser . . . Eintheilung . . . wird übergangen“ (zu § 475). Unterliegt eine Abweichung des ALR allerdings der Kritik, so fallen die Hinweise länger aus: „Die Vorschrift des Preußischen [Gesetzbuches] . . ., daß der Gewinnantheil eines solchen Mitgliedes dem Antheile desjenigen, welcher den mindesten Capitals-Beytrag geleistet hat, und, wenn alle Beyträge gleich groß sind, selben gleichgesetzt werden soll, ist zwar durchgreifender; ob sie aber ein allgemeines, billiges Ebenmaß enthalte, ist eine andere Frage“ (zu § 1194). Auch ohne Kritik finden sich längere Hinweise bei abweichenden ALRBestimmungen: „Das Preuß. Landr. gibt der Vermuthung, daß Personen und Eigentum frey sind, gegen die Vermuthung für die Rechtmäßigkeit des Besitzes das Uebergewicht, macht jedoch in Rücksicht des Verhältnisses unterthäniger Landbewohner gegen ihre Herrschaften eine Ausnahme“ (zu § 334); „Das Preuß. L.R. verordnet, daß, wenn die Parteyen sich über die Bedingungen einer neuen Auflage nicht vereinigen können, die Hälfte des für die erste Auflage gezahlten Honorars zum Maßstabe dienen soll“ (zu § 1167). Eine Reihe anderer ALR-Hinweise drückt nicht einfach Übereinstimmung oder Abweichung aus. Hiezu sind einmal jene zu rechnen, welche – nur ganz selten – das ALR als ABGB-Vorbild nennen: „Nach dem Vorbilde des preußischen Landrechts nennt der Paragraph Rasende und Wahnsinnige diejenigen, welche . . .“ (zu § 21). e) Das ALR als Auslegungshilfe Einige Bemerkungen Zeillers zum ALR lassen besonders aufhorchen wie einmal jene, die darauf hinweisen, es enthalte das ALR „nähere Bestimmungen“ (§§ 1047, 1110), „nähere Anleitung“ (§§ 407, 452), eine „weitläufigere Erklärung“ (zu § 621), eine „ausführliche Erörterung hierüber“ (§ 337). Man ist geneigt anzunehmen, Zeiller lade hiermit ein, die entsprechenden ALR-Parallelstellen zur ABGB-Auslegung heranzuziehen, besonders, wenn das Wort „Anleitung“ Verwendung findet. In einigen Fällen erscheint diese Absicht besonders deutlich ausgedrückt. Eher unausgesprochen zu § 297, in dem das ABGB Beispiele von Zubehör zu unbeweglichen Sachen anführt, während Zeiller zur ALR-Parallele ausdrücklich darauf hinweist, es seien hier „zugleich Beyspiele von PertinenzStücken beweglicher Sachen, z. B. einer Bibliothek, eines Schmuckes, einzelner Tiere“ usw. aufgelistet – was eben im ABGB fehlt und durch Benützung des ALR nachgetragen werden kann. Diese Absicht spricht Zeiller ausdrücklich zu § 1107 (Gefahrtragung durch den Bestandnehmer) mit dem Hinweis aus, es enthalte das ALR „hierüber viele schöne Bestimmungen, welche Rücksicht verdienen“! In diesem Sinn scheint sogar Zeillers Hinweis zu den Scheidungsgründen nichtkatholischer Christen (§ 115), das ALR kenne „außer den in diesem Paragraphen enthaltenen, noch weitere Trennungsursachen“, zur extensiven Auslegung einzuladen. Dann muß aber auch ein schlichter Hinweis wie „Beyspiele hierzu
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1. Kap.: Die Entstehung
findet man in dem Preuß. L.R.“ in diesem Sinn verstanden werden wie zu § 503, der anordnet, es seien die Bestimmungen über die Weiderechts-Servitut „verhältnismäßig auch“ auf andere, namentlich genannte Servituten wie etwa die „des Holzschlages“ anzuwenden. Was man also im ABGB nicht findet, suche man im ALR! Diese nicht singuläre Sicht prägte auch weiterhin die Rechtswissenschaft377. 2. Code Civil a) Der Code Civil im Gesetzgebungsverfahren Als die Arbeiten am Code Civil 1800 begannen, standen seit vierzehn Jahren das Teil-ABGB 1786 und das Erbfolgepatent 1786 sowie seit drei Jahren das Galizische Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft, welches den weiteren Arbeiten zum ABGB als Urentwurf diente. Als sodann der Code Civil 1804 in Kraft trat, befanden sich die Arbeiten zum ABGB bereits im Stadium des Feinschliffes. Anders betrachtet: Bevor die Arbeiten am Code Civil anfingen, galten in der Habsburgermonarchie bereits Teile der Zivilrechtskodifikation – in Galizien und im Buchenland (Bukowina) eine solche zur Gänze. Das Textcorpus des künftigen ABGB hatte sich überdies um 1800 nach nahezu fünzig Jahren Kodifikationsarbeiten soweit gefestigt, daß mögliche ausländische Vorbilder wie insbesondere der Code Civil keinerlei Einfluß mehr nehmen konnten. Er stellte lediglich eine Möglichkeit dar, den österreichischen Zivilkodex mit einem modernen ausländischen Gesetzbuch zu vergleich. Daher konnte der Code Civil im Zuge der ABGB-Vorarbeiten noch später als das ALR Beachtung finden378. Als er am 21. März 1804 in Kraft trat, hatte die Gesetzgebungs-Hofkommission mehr als die Hälfte des ABGB-Entwurfs bereits der Ersten Lesung unterzogen. In diesem Stadium und zehn Jahre nach dem ALR kam der Code Civil als Vorbild praktisch zu spät. In der Ersten Lesung rangierte der Code Civil, wie schon erwähnt, weit hinter jeweils Gemeinem Recht und ALR. Jenes war in 82, dieses in 81 Sitzungen erwähnt worden, der Code Civil jedoch nur in deren 28. Die Rede379 war überwiegend vom „Französischen Gesetzbuch“, vereinzelt hieß es „Französisches Gesetz/Gesetzgebung/Recht/Text“. Größeres Gewicht hingegen räumte Zeiller dem Code Civil 1807 in seinem „Vortrag zur Einführung in das bürgerliche Gesetzbuch“ ein. Bewertet man hier seine Ausführungen zum „Römischen Recht“ mit 100%, erreichen die zum Code Civil davon immerhin fast 85%, die zum ALR jedoch nur 50%! 377
S. u. 2. Kap. C. II. 3.: S. 241 ff. J. M. Rainer, Franz von Zeiller und der Code Civil Napoleons, in: J.-F. Gerkens/ H. Peter/P. Trenk-Hinterberger/R. Vigneron (Hrsg.), Mélanges Fritz Sturm I, 1999, 867 ff.: Im Wesentlichen nur eine bewußt unvollständige Material- und Zitatensammlung aus Ofner und Zeiller; siehe die folgenden Fn. 379 Nach Ofner, Urentwurf. 378
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b) Die Code-Civil-Kenntnisse Zeillers Das Eingehen auf den Code Civil im Gesetzgebungsprozeß geht wohl wesentlich auf Zeiller zurück. Er hatte ihn bereits 1806 in ausführlichen Buchbesprechungen abgehandelt, und zwar aufgrund folgender Titel380: Code civil des Français, contenant la série des loix qui le composent, avec leurs motifs, Paris an XII; Observations du tribunal de cassation/observations des tribunaux d’appel (etc), IX volumes, Paris an X–XII. Im Jahre 1807 konnte er daher das werdende ABGB im Detail mit dem Code Civil wie aber u. a. auch mit dem preußischen Allgemeinen Landrecht in einem entsprechenden Exposé für den Kaiser vergleichen, und zwar aufgrund einer Abhandlung von ihm schon aus 1806381. Daher versprach Zeiller auch in seinem „Probekommentar“ zum ABGB von 1809, er werde in seinem „Hauptkommentar“ nicht nur Hinweise auf Bestimmungen des Teil-ABGB und des Galizischen Gesetzbuches geben, sondern auch auf den Code Civil382. Wie zum ALR konnte er auch zum Code Civil bemerken, dieser sei ihm aus „eigenem Gebrauche . . . vorzüglich bekannt“ und nannte im Zusammenhang damit in seinem Hauptkommentar zwölf französische und deutsche Titel zum Code Civil, nämlich383: Discussions du Code civil dans le Conseil d’état, Paris 1805; I. G. Locré, Esprit du Code Napoléon tiré de la Discussion, Paris 1805; F. Lassault, Ueber das neue Civil-Recht der Franzosen, rücksichtlich auf dessen Abweichungen von dem gemeinen Rechte, und der vorigen Französischen Gesetzgebung, Koblenz 1806; Annalen der Gesetzgebung Napoleons, Koblenz 1808; Einleitung in das Gesetzbuch Napoleons, oder Bemerkungen Deutscher Gelehrter über die neue Französische Gesetzgebung, Düsseldorf 1809; Schmid, Critische Einleitung in das gesammte Recht des Französischen Reiches, Hildburgshausen 1808; Johann Anton Ludwig Seidensticker, Einleitung in den Codex Napoleon, Tübingen 1808; Jacob von Malleville, Commentar über das Gesetzbuch Napoleons, übersetzt mit practischen Erläuterungen von Wilhelm Bianchard, Köln 1808; Carl Salomon Zachariä, Handbuch des Franzöischen CivilRechts, Heidelberg 1808; Franz Schömann, Erläuterung der Civil-Gesetzgebungen Napoleons und Justinians aus sämmtlichen Quellen, Gießen – Wetzlar 1808; B. W. Pfeiffer – F. G. Pfeiffer, Napoleons Gesetzbuch nach seinen Abweichungen von Deutschlands gemeinem Rechte, Göttingen 1808; D. Grolman, Ausführliches Handbuch über den Codex Napoleon, Gießen 1810. Einzelne Hinweise zum Code Civil in seinem Kommentar beweisen, daß er diesen tatsächlich gut kannte384 und Zeitgenossen bescheinigten: „Selbst die Aussprüche des Code
380 381 382 383 384
Beytrag I, 1 ff. Ofner, Urentwurf II, 465 ff. Zeiller, Probekommentar, 68 ff., 76. Zeiller, Commentar I, 95 f. in Fn. *****. In: Ofner, Urentwurf II, 465 ff.; Zeiller, Commentar I, 95 f. in Fn. ****, Fn. *****.
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1. Kap.: Die Entstehung
Nap. wurden geprüft, wie es aus den überall von Herren v. Zeiller im Kommentar angeführten Stellen sich zeigt“ 385. c) ABGB und Code Civil im Vergleich bei Zeiller Von den insgesamt 1502 ABGB-Paragraphen erwähnt Zeiller in seinem Kommentar den Code Civil zu 148 Paragraphen, das sind knappe 10%. Der Code Civil fällt demnach gegenüber dem ALR mit Anmerkungen zu 171 Paragraphen (gute 11%) ein wenig ab. Die Hinweise auf den Code Civil verteilen sich wie auch jene auf das ALR nicht gleichmäßig über alle Teile des ABGB, wobei allerdings die Diskrepanz des Abfalls nicht so deutlich ist wie beim ALR, da die Hinweise auf den Code Civil bereits spärlich beginnen. Zur Einleitung findet er nur bei guten 21% der Paragraphe Erwähnung (ALR 78%), bei 20% des ersten Teils (ALR 16%) sowie bei 11% des zweiten sowie dritten Teils (ALR 7% bzw. 11%). Nun zum Vergleich einiger Details. Mit Zitaten zu 18,2% des Eherecht-Hauptstücks liegt das ALR gleich mit 18,3% des Code Civil. Gleich sind ALR und Code Civil auch zum Vormundschafts-Hauptstück mit 5,2% zitiert, ebenso zur gesetzlichen Erbfolge bei jeweils 14,3% und zur Schenkung bei jeweils 15,8%. Selten ist eine stärkere Bedachtnahme des Code Civil im Verhältnis zum ALR wie etwa zur Einteilung der Sachen, wo 12,5% der ABGB-Paragrafen mit ALRZitaten, aber 20,8% mit Code Civil-Zitaten versehen sind. Der Regelfall ist die größere Bedachtnahme auf das ALR wie etwa im Erbrecht insgesamt mit guten 11% ALR-Hinweisen gegenüber bloß 7,3% Code Civil-Zitaten. Auffallend sind auch zum Kauf 13,5% ALR-Zitate gegenüber 8,1% Code Civil-Stellen, bei den Glücksverträgen steht der ALR-Anteil mit 23% einem solchen des Code Civil mit knappen 4% gegenüber, zur Verwahrung ist der Code Civil überhaupt nicht erwähnt, das ALR zu 7,1% der Bestimmungen, der Code Civil fehlt auch zum Tausch, das ALR ist hier bei 12,5% der Bestimmungen vermerkt. d) Konkrete Einflüsse des Code Civil In der überwiegenden Zahl der Fälle fand man den Code Civil nicht für nachahmenswert. Unter anderem abgelehnt wurde ein Pflichtteilsanspruch der Eltern, die laesio enormis zugunsten des Verkäufers, die Zulässigkeit der allgemeinen Gütergemeinschaft nur unter Ehegatten, die Regelung des Versicherungsvertrags zur Gänze im Seerecht und die „Certiorierung“ von Frauen, d. h. deren ausdrückliche Belehrung bei Mitverpflichtungen386. In wenigen Fällen diente der Code Civil der Bestätigung der ABGB-Regelung wie etwa des Verbots des Verjäh-
385
Vgl. auch Nippel in Hoffer, Schutzgeist, 54 ff. Ofner, Urentwurf I, 465; ebda II, 76 f., 113, 164, 214; vgl. ferner ebda I, 330, 469 f.; ebda II, 36, 182, 22a. 386
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rungsverzichts387. Nur in einer geringen Anzahl, etwa einem Drittel der abgelehnten Regelungen, diente er zum Vorbild wie für das Verbot des Vermächtnisses einer dem Erblasser fremden Sache und für die Gewinnverteilung in einer Gesellschaft388. e) Exkurs: Der Code Civil in Österreich Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß der Code Civil zeitweise in österreichischen Ländern galt389, nämlich von 1812 bis 1814 in Osttirol und Oberkärnten als Teil der zu Frankreich gehörenden „Illyrischen Provinzen“ und damit weiters in Dalmatien, Krain und Istrien mit Triest. So trat am 1. Jänner 1812 im österreichisch gebliebenen Teil Kärntens das ABGB in Kraft, im nunmehr französischen der Code Civil! Dies hatte Folgewirkungen, denn Rechtsverhältnisse, die während dieser Zeit begründet wurden, waren auch nach der Einführung des ABGB in diesen Gebieten nach dem Code Civil zu beurteilen wie beispielsweise Auseinandersetzungen aus einer ehelichen Gütergemeinschaft und Erbschaftsprozesse. 3. Weitere Gesetzbücher Martini kannte auch den Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis und aus seiner Trientiner Heimat das Gesetzbuch seines Freundes Francesco Vigilio Barbacovi für das reichsunmittelbare Fürstbistum Trient390. Aus diesem Codice Barbacoviano übernahm er zwar keine Bestimmung in die Zivilrechtskodifikation, aber eine in die Westgalizische Gerichtsordnung391. Zeiller gab in seinem Vortrag von 1808 an, er habe auch den „Entwurf des russischen Gesetzbuches“ herangezogen, wovon er aber nur wenig mitteilt392: Bekannt sei ihm die „gedruckte Unterlegung des Justizministeriums in Betreff der Organisation der Gesetzkommission“, die u. a. erkennen lasse, daß das „Gesetzbuch“ sechs Teile umfassen solle: „Fundamentalgesetze“, „auf das Civil- und Strafrecht sich beziehende Prinzipien“, die „allgemeinen, das ganze Reich verbindenden Zivilgesetze“, Strafrecht, Prozeßrecht, Spezialgesetze. Gemeint sind offenkundig die Arbeiten, die in der Gesetzgebungskommission des russischen Justizministeriums unter Gustav Andreevicˇ Rozenkampf aufgrund des Ukaz vom 28. Februar 1804 von 1804 bis 1808 er387
Ebda II, 276; vgl. ferner ebda I, 345; ebda II, 324, 303. Ebda I, 397; ebda II, 116; vgl. ferner ebda I, 317; ebda II, 278. 389 Brauneder, Code Civil, 413 ff. – Zur Thematik „Code Civil in Österreich“ bedarf es noch eingehender Untersuchungen, insbesondere zu seiner Anwendung. 390 M. R. di Simone, La Biblioteca di Francesco Vigilio Barbacovi, in: Studi Trentini di Scienze Storiche LXVIII, 1989; dies., Diritto e riforme nel Settecento trentino, in: Storia del Trentino IV, Milano 2011, 213 ff. 391 M. Hebeis, Karl Anton von Martini (1720–1800) (= RHR 153), 1996, 114: § 562, Ehrenurkunde für verdiente Advokaten. 392 Ofner, Urentwurf II, 480. 388
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1. Kap.: Die Entstehung
stellt worden waren: Ihnen diente das ALR als zum Teil stark kopiertes Vorbild393. So hält denn auch Zeiller zum Zivilrecht fest, die Verfasser hätten hauptsählich das preußische Landrecht vor Augen gehabt – dies sei aus den „Rubriken“ zu ersehen: Den Text kannte Zeiller also nicht.
VIII. Einflüsse der Rechtsprechung Nach allgemeiner Behauptung habe auch die praktische Erfahrung im ABGB ihren Niederschlag gefunden394. Zu den Materialien, welche die Gesetzgebungskommissionen hiefür nutzen konnten, gehörten jedenfalls auch die Rechtssprechung der Obersten Justizstelle als Höchstgericht, besonders bei konformen Entscheidungen, die tatsächlich oder augenscheinlich auf Präjudizien beruhten395. Einerseits finden sich in Rechtsfällen der Obersten Justizstelle Wünsche an die Gesetzgebung wie etwa um Aufhebung des Einstandsrechts 1784, andererseits ein Eingehen auf die Rechtsprechung durch die Gesetzgebungskommissionen wie z. B. 1802 zum Irrtum in der Person bei Eheschließung396. Eine Benützung und ein Einfluß von Höchstgerichtsentscheidungen erscheinen jedoch äußerst gering. Im Gegenteil kann eher eine Orientierung der Rechtsprechung konstatiert werden wie zum Verbot der Falcidischen Quart am Urentwurf (II § 479) und insbesondere am BGBG auch für Fälle außerhalb von dessen Geltungsbereich397.
IX. Bezeichnung Die Kernbezeichnung des Gesetzbuches, d. h. sein Titel ohne territoriale Zusätze, erfuhr im Laufe der Entwicklung nur eine einzige Änderung, und dies schon sehr früh. Vorerst stand, und zwar vom Beginn der Kodifikationsarbeiten an, als Titel „Codex Theresianus“ fest. Sein Kundmachungspatent spricht zwar anfänglich mehrmals vom „Gesetzbuch“, gibt diesem aber dann „nach unserem höchsten Namen“ ausdrücklich die Bezeichnung „Codex Theresianus“, wonach von diesem oder dem „Codex“ schlechthin die Rede ist. Einen Sach-Titel führt er jedoch 393 A. N. Makarov, Das Preußische Allgmeine Landrecht und die russischen Kodifikationsarbeiten, in: Festschrift für Max Vasmer zum 70. Geburtstag, 1956, 286 ff.; G. Baranowski, Rußlands Gesetzgebung im Spannungsfeld von Bewahrung und Modernisierung: der Svod zakonov von 1832, in: I. Wolff (Hrsg.), Kultur- und rechtshistorische Wurzeln Europas, 2005, 277 ff. 394 S. Dniestrzanski, Die natürlichen Rechtsgrundsätze (§ 7 ABGB), in: Festschrift zur Jahrhundertfeier des Allg bürgerl. Gesetzbuch II, 1911, 3 ff., hier 9. 395 Kocher, Justizstelle, 107 ff. 396 Ebda, 110 bzw. 112, 72; Ofner, Urentwurf I, 90 f. 397 Kocher, wie Fn. 395, 112.
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nicht, sondern besitzt einen Titelsatz mit dem Kernstück „Codex“: „Der röm. kaiserl. auch zu Hungarn und Böheim königl. Majestät und Erzherzogin zu Oesterreich Maria Theresia Codex, worin fur alle dero köngl. böheimische und österreichische Erblande ein ius privatum certum et universale statuiret wird“ 398. Daß für die gängige Bezeichnung nicht der erste, sondern der zweite Teil des Doppelnamens Maria Theresia gewählt wurde ist bemerkenswert: „Codex Marianus“ galt wohl als unpassend. „Codex Theresianus“ stellt wohl eine gewollte Parallele zu „Codex Justinianus“ dar und betont, daß es sich um ein Gesetzbuch („Codex“) des Herrschers handle. Erst in einem Beisatz folgt die Erklärung, daß hiermit „ein ius privatum certum et universale statuiret wird“. Maßgeblich für die Bezeichnung ist also die Betonung des Herrscherwillens. Dies hatte eine gewisse Tradition. Der Landrechtsentwurf für Österreich unter der Enns 1526 wurde nach Kaiser Ferdinand I. als „Institutum Ferdinandi“ bezeichnet und unter Kaiser Leopold I. entstand der Plan eines „Corpus Iuris Leopoldium“ 399. Derartige Bezeichnungen waren durchaus zeitgemäß: Das erst jüngst von der Habsburgermonarchie an Preußen übergegangene Schlesien hatte einen „Codex Fridericianus“ erhalten und im benachbarten Bayern entstand zur selben Zeit ein „Codex Maximilianeus“ für das Zivilrecht sowie ein zweiter für das Strafrecht400. Die Bezeichnung „Codex“ stand freilich nicht nur für systematische Gesetzbücher. Schon der Titel „Politischer Codex oder wesentliche Darstellung sämtlicher, die k. k. Staaten betreffenden Gesetze und Anordnungen im politischen Fache“ von Ignatz de Luca verwies auf eine Gesetzessammlung: Sie erschien in alphabetischer Anordnung in Wien von 1789 bis 1793 mit zwei gleichfalls alphabetisch gegliederten Nachtragsbänden 1794/95. Der überschriftslose Entwurf Horten hält in seinem zweiten Paragraph fest, daß mit dem „Gesetzbuch“ ein „Allgemeines Zivilrecht“ bzw, in einer Vorstufe, ein „Allgemeines bürgerliches Recht“ 401 eingeführt werden solle. Dieser Paragraph kehrt dann im Kundmachungspatent des Teil-ABGB 1786 mit der Wendung „gleichförmiges allgemeines bürgerliches Recht“ wieder, woraus das Gesetzbuch seinen Namen „Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch“ herleitet. Nunmehr etikettiert der Titel den Inhalt, nicht mehr den Herrscherwillen. Damit war ein richtungsweisender Titel geboren: „Bürgerliches Gesetzbuch“! Der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, daß der Ausdruck „bürgerliches Recht“ die 398 Harrasowsky, Codex I, 25 ff.; ders., Codification, 49, gibt einen anderen Titel an, doch könnte es sich hier um den der Hauptüberschrift handeln: „Mariä Theresiae etc etc Allgemeines Recht für dero gesamte deutsche Erblande [. . .]“. 399 Brauneder, Gesetzgebungsgeschichte, 437 ff.; Wesener, Einflüsse, 53. 400 Vgl. auch Harrasowsky, Codification, 74; zu den übrigen „Codices“ siehe Schlosser, Privatrechtsgeschichte, 96 ff.; H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte II, 1966, 386 ff. 401 EHort I 1 § 2; Harrasowsky, Codex IV, 15, Fn. 3.
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1. Kap.: Die Entstehung
Übersetzung des römischrechtlichen Terminus „im civile“ darstellt. Beispielsweise hieß es schon in der „Vorrede“ zum Landrechtsentwurf für Österreich unter der Enns 1526: „das burgerlich recht genannt wierdet . . . ist disem unserm landßrechten nahent“402. Das Teil-ABGB 1786 wurde in der Folge sowohl in Erlässen und Gesetzen, zuletzt im Kundmachungspatent zum ABGB von 1811 sowie in der Literatur mit seinem Originaltitel bezeichnet403. Erst nach dem „zweiten“ ABGB von 1811 kommt, zur Unterscheidung von diesem, die Bezeichnung „Josefinisches Gesetzbuch“ in Gebrauch. Diese Bezeichnung ist freilich an sich unscharf, denn „Gesetzbücher“ gab es aus der Zeit Josefs II. mehrere wie vor allem das Strafgesetzbuch 1787. Auch verschleiert der Ausdruck die Unvollständigkeit404. Mit der Überschrift zum Teil-ABGB 1786 war die Bezeichnung für künftige Zivilrechtskodifikationen, und zwar über die Grenzen der Habsburgermonarchie hinaus, gefunden und fixiert. Nicht nur bestimmte sie das „Bürgerliche Gesetzbuch für Westgalizien/Ostgalizien/Galizien“ und das ABGB 1811, sondern u. a. dessen Schweizer Nachfolger wie das „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton Aargau“ 1826 und das „Bürgerliche Gesetzbuch des Kantons Luzern“ 1831/39, ferner etwa den Entwurf eines „Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern“ von Karl Leonrod 1834405, das „Bürgerliche Gesetzbuch des Königreich Sachsen“ 1865, das „Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich“.
X. Gliederung Was die Gliederung des Stoffes betrifft, so wird berichtet, es habe sich die Kompilationskommission in der Eröffnungssitzung gegen vorgeschlagene Stoffeinteilungen in Anlehnung an eines der Handbücher des Gemeinen Rechts entschieden406. Was wurde damit abgelehnt? Eine dieser Einteilungen folgte der 50-Bücher-Gliederung der Pandekten, eine andere war die folgende: 1. Buch/Personenrecht, 2. Buch/Sachenrecht und rechtsgeschäftliches Erbrecht, 3. Buch/Intestaterbrecht und Schuldrecht, 4. Buch/Schuldrecht407. Von dieser Einteilung 402
Zit. n. Slg. Chorinsky I, 18. Vgl. u. a. die diversen Erlässe in: Handbuch XIII, 378 ff.; etwa JGS 1789, 985; F. A. Tiller, Sistem der bürgerlichen Rechtslehre, aus dem sammentlichen römischen Rechte, mit Bezug auf die österreichischen Gesetze, sonderlich aber auf das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch I–III, 1787–1789; J. L. von Banniza, Gründliche Anleitung zu dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, Erster (= einziger) Theil, 1787; J. Luksche, Das alte und neue Recht Mährens und Schlesiens [. . .] nach der Ordnung des bürgerlichen Gesetzbuches I, 1818, 144 ff. – KdmPat Abs. 4; vgl. ferner Zeiller, Commentar I, 9. 404 Von einer bewußten Kodifikation nur des Personenrechts geht daher irrig aus Eichler, Personenrecht. 405 Exemplar Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/Main. 406 Harrasowsky, Codification, 45. 403
E. Entwicklungstendenzen
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wich jedoch die „neue“ der Kompilationskommission vorerst nicht wesentlich ab. Man wählte nämlich eine Gliederung in vier Teile, die dann im „Vorentwurf“ nach einer „Einleitung“ mit „Von dem Rechte der Personen“, „Von dem Rechte der Sachen“, „Von dem Rechte der Verbindungen“ (= Verbindlichkeiten, Schuldverhältnisse) sowie „Ordnung gerichtlichen Verfahrens“ wiederkehrt und in weitere „Abhandlungen“ und diese in „Abschnitte“ zerlegt war. Der Codex Theresianus enthielt schließlich nach einem Kundmachungspatent in seinem 1. Teil „Von dem Rechte der Personen“ das Personen- und Familienrecht, dieses unter Einschluß des Ehegüter- und Dienstbotenrechts; der 2. Teil „Von Sachen und dinglichen Rechten“ vereinigte das Sachenrecht und das Erbrecht, dieses als Erwerbungsart des Eigentums verstanden; der 3. Teil „Von persönlichen Verbindungen“ umfaßte schließlich das Schuldrecht. Diese Einteilung behielten auch die Entwürfe Horten und Martini bei, sie lag dem Teil-ABGB 1786 und dem GBGB zugrunde, und zwar stets ohne Bezeichnung der Teile. Ihr folgte auch die Erste Lesung. Bevor diese allerdings mit dem 3. Teil begann, ließ Zeiller in einer allgemeinen Ausführung eine Neueinteilung des Stoffes anklingen, ohne aber diesen umzugruppieren, und zwar mit folgenden Bemerkungen: Eigentlich seien alle „Privatrechte . . . von zweifacher Art: Personenrechte und Sachenrechte“; im Sachenrecht gäbe es die „dinglichen Rechte“ und die „persönlichen Sachenrechte“; im 3. Teil hebe sich als eigene Abteilung jene Gruppe an Hauptstücken hervor, welche die „gemeinschaftlichen Rechte bestimmen“ 408. Ganz im Sinne dieser Ausführungen lag dann der Revision eine Fassung mit neuer Einteilung vor409, und zwar jene, welche schließlich das ABGB gliedert. Es waren jetzt die ersten Paragraphen des Personenrechts als „Einleitung“ zusammengefaßt, dann folgte der hierdurch ein wenig gekürzte Teil I „Von dem Personen-Rechte“, die bisherigen Teile II und III waren zum neuen Teil II „Von dem Sachen-Rechte“ zusammengelegt, die letzten Hauptstücke des ehemals III. Teils bildeten nun einen neuen, eigenen Teil III „Von den gemeinschaftlichen Bestimmungen der Personen- und Sachenrechte“. Der neue Teil II zerfiel nach einer einleitenden Paragraphengruppe „Von Sachen und ihrer rechtlichen Einteilung“ in zwei „Abteilungen“, nämlich „Von den dinglichen Rechten“ und „Von den persönlichen Sachenrechten“.
407 Z. B. J. Brunnemann, Commentarius in quinquaginta libros Pandectarum, 1670; W. A. Lauterbach, Collegii theoretico-practici a Libro primo pandectarum usque ad vigesimum, 1707; ders., Libro vigesimo pandectarum usque ad digestum novum, 1713; ders., Libro trigesimo nono pandectarum usque ad finem (L) et sic ad digestum novum, 1711; J. Schneidewin, In quatuor libros Institutionum juris civilis commentarius, 1677; J. G. Keeß, Commentarius ad D. Justiniani institutionum imperialium IV libros . . ., 1742; der sogenannte „Wiener Heineccius“ = Erklärung der Römischen Institutionen nach dem Leitfaden des Heineccius und dem Geiste der öffentlichen Vorlesungen an der Wiener hohen Schule, 1796. 408 Ofner, Urentwurf II, 1 f. 409 Ebda, 330, 366, 442, 655 f., 692, 754, 805; Harrasowsky, Codification, 39, Fn. 2.
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1. Kap.: Die Entstehung
Dem ABGB liegt somit eine Zweiteilung in „Personenrechte und Sachenrechte“ zugrunde, wie dies Zeiller selbst bemerkt hatte, wobei die beiden gemeinsamen, aber ihnen deswegen immanenten Bestimmungen in einem dritten Teil zusammengefaßt sind. Diese Einteilung versteht sich daraus, daß, so abermals Zeiller410, es „in der Welt der Erscheinung nur zwei Gattungen an Wesen gibt“, „vernünftige . . . Personen“ und „vernunftlose . . . Sachen“. Das konnte freilich auch romanistisch gedeutet werden. So meinte Savigny, diese Einteilung sei eine „den Rechtsgelehrten aus dem Römischen Recht schon geläufige . . . Haupteintheilung in Personenrechte und Sachenrechte“ 411. Das ABGB folgt aber in seiner Einteilung keineswegs dem Institutionen-Schema „personae-res-actiones“, auch nicht in einer Modifikation zufolge der „Einleitung“ und vor allem wegen des ganz anders gestalteten III. Teils, sondern einer naturrechtlichen Überlegung, nämlich der Zweiteilung Personen – Sachen. Es handelt sich um eine orginär naturrechtliche Gliederung und sollte nicht als ein „naturrechtlich modifiziertes Institutionensystem“ verstanden werden412. Die einzelnen Teile besaßen Untergliederungen gemäß nachstehender Skizze. Zufolge der Kürzungen vom Codex Theresianus zum Entwurf Horten konnte die Zwischeneinteilung in „numeri“ entfallen, ab jetzt blieb als Hauptschema eine dreigliedrigen Einteilung bestimmend: „Teil“, „Capitel“ bzw. ab dem Teil-ABGB 1786 „Hauptstück“, Paragraph („§“). Bis einschließlich Entwurf Martini war jeder Teil insoferne selbständig, als sich seine Untereinteilungen nur auf ihn bezogen, und zwar durch die stets neu ansetzende Numerierung: So begann die der Kapitel bzw. Hauptstücke bei jedem „Teil“ neu, die der Paragraphe bei jedem Kapitel – § 1 beispielsweise gab es daher ebensoviele wie Kapitel, ein „1. Kapitel“ in jedem der drei Teile. Dies änderte sich mit dem GBGB: Die Paragraphen waren jetzt pro „Teil“ durchnumeriert, nicht mehr wie bisher pro Hauptstück. Das verlieh jedem Teil ein eigenes Gewicht, jeder erschien als selbständiges Buch eines dreibändigen Werkes. Auch im ABGB blieben die Hauptstücke den Teilen zugeordnet, so daß es bis heute dreimal etwa ein „1. Hauptstück“ kennt. Anders aber als noch im GBGB sind die Teile durch eine über sie fortlaufende Paragraphenzählung verklammert. Eine gewisse Sonderstellung nimmt Teil II ein: Er zerfällt nicht bloß in die zwei erwähnten Abteilungen (mit fortlaufenden Hauptstücken), sondern es steht vor Abteilung I eine Paragraphengruppe ohne Zugehörigkeit zu einem Hauptstück gleichsam als Einleitung zu Teil II; auch die Paragraphen der „Einleitung“ vor Teil I gehören keinem Hauptstück an, das erste „1. Hauptstück“ steht erst in Teil I. Die altmodische Einteilung hebt aber das ABGB sozusagen 410
Zit. nach Ofner, Urentwurf II, 1. H. Akamatsu/J. Rückert (Hrsg.), Friedrich Carl von Savigny: Politik und Neuere Legislation. Materialien zum „Geist der Gesetzgebung“, 2000, 88. 412 In Anschluß an A. B. Schwarz z. B. Steinwenter, wie Fn. 176, 416 f. 411
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mit ihrer modernen durchlaufenden Paragraphenzählung auf, die für das Zitieren einzig maßgebend wurde.
XI. Hauptinhalt: Materielles Zivilrecht 1. Ausscheiden des Zivilprozeßrechts Trotz der weiters nicht spezifizierten Bezeichnung „Codex“ hatte bereits der „Vorentwurf“ nur Privatrechtsmaterien berücksichtigt – allerdings mit zwei Ausnahmen: Die eine bestand darin, daß der Codex mit einer „Ordnung des gerichtlichen Verfahrens“, also einer Zivilprozeßordnung, schließen sollte. Nach zeitgenössischem Verständnis konnte diese allerdings insofern dem Privatrecht zugerechnet werden, da das Verfahrensrecht mit dem jeweiligen materiellen Recht oft als Einheit gesehen wurde wie Zivil- und Zivilprozeßrecht schon in den Landrechtsentwürfen des 16. Jahrhunderts und ebenso materielles Strafrecht und Strafprozeßrecht wie in der zeitgleichen Allgemeinen Peinlichen Gerichtsordnung 1768 (Constitutio Criminalis Theresiana). Sozusagen parallel zu ihr hielt das Kundmachungspatent zum Codex Theresianus fest, daß seinen – noch fehlenden – „4. Theil“ eine Zivilprozeßordnung ausmachen werde. Unter diesem
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1. Kap.: Die Entstehung
Vorzeichen standen dann auch die weiteren Arbeiten an dieser Prozeßordnung, bis sie 1773 doch aus dem Codex Theresianus ausgeschieden wurde und 1781 als eigene Allgemeine Gerichtsordnung in Kraft trat413. Die Aufteilung des materiellen Zivilrechts und des Zivilprozeßrechts auf zwei Gesetzbücher wurde schließlich ohne Diskussion beibehalten. Um diese Beschränkung des Codex Theresianus auf das materielle Zivilrecht zu verdeutlichen, ordnete der Staatsrat 1772 die Bezeichnung „Zivilrecht“ statt „Recht“ für den Inhalt des Gesetzbuches an414. Den ursprünglichen Zusammenhang dokumentiert möglicherweise noch die offizielle Ausgabe der Allgmeinen Gerichtsordnung gedruckt bei Trattner in Wien: Die Schlußvignette zeigt nämlich ein Buch mit der Rückenaufschrift „Bürgerliches Gesetzbuch“. 2. Allgemeine Rechtsregeln Die zweite Ausnahme vom rein privatrechtlichen Inhalt des Gesetzbuchs bestand darin, daß es eingeleitet werden sollte mit Bestimmungen aus dem Bereich der, modern gesprochen, allgemeinen Rechtslehre wie u. a. über Kundmachung, Gesetzeskenntnis, Gewohnheitsrecht und Auslegung415. Dabei blieb es grundsätzlich bis in das ABGB. 3. Abgrenzung zum Öffentlichen Recht Sogleich in der Eröffnungssitzung der Kompilationskommission am 3. Mai 1753 wurde festgelegt, daß das Öffentliche Recht außerhalb des Gesetzbuches zu verbleiben habe416. Allerdings vermochte man sich nicht so leicht davon zu lösen. Naturgemäß bereitete die Abgrenzung Schwierigkeiten. Schon die Compilationsgrundsätze suchten sie daher für den Zweck der Kodifikation zumindest in ihrem Kern zu umschreiben: Demnach zählte zum Öffentlichen Recht jedenfalls „alles dasjenige, was die landesfürstliche Hoheit, und Regalien, das Aerarium, die iura commercialia, fiscalia, außer wo der Fiskus sich des iuris privatorum gebrauchet, und dergleichen anbetrifft“, ferner „die Ordnungen, Vorrechte, Privilegia und Freiheiten deren Stände“ sowie schließlich „was die Bestellung deren Gerichte, die Verwaltung gemeinen Wesens, Handhabung der Gerechtigkeit, Ordnung der Polizei und dergleichen anbelangt“ (Punkt XIX). Die Abgrenzungsschwierigkeiten bildeten nach 1770 zwischen Staatsrat und Gesetzgebungskommission nochmals einen Diskussionspunkt417.
413 414 415 416 417
Loschelder, Gerichtsordnung, 45 ff.; Voltelini, Codex, 43. Voltelini, Codex, 59; sodann EHort I 1 § 2 = Teil-ABGB KdmPat, Abs. 1. Vgl. jeweils oben SS. 54 ff., 57 f., 58 f., unten SS. 129 ff., 173 f. Harrasowsky, Codification, 45, 51 ff., 59. Harrasowsky, Codex I, 29 f., Fn. 3; Voltelini, Codex, 59 f.
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4. Verbindungen mit dem Öffentlichen Recht Für die praktische Arbeit brachte die nicht ganz eindeutige Abgrenzung zum Öffentlichen Recht zahlreiche Probleme: So wurden das Gesinderecht oder zumindest Teile davon von einigen als Öffentliches Recht, von anderen als Privatrecht angesehen. Dies hatte zur Folge, daß es in den Codex Theresianus aufgenommen, im Entwurf Horten nur teilweise geregelt, dann in den Entwurf Martini wieder voll eingebaut und damit vom GBGB erfaßt, vom ABGB aber wieder ausgeschieden wurde. In äußerst vielen Beziehungen war darüber hinaus auf das Öffentliche Recht bis hin zum ABGB 1811 Bedacht zu nehmen wie etwa bezüglich der Gemeinden als „Moralische“ (juristische) Personen, der Anstalten und Stiftungen, grundherrschaftlicher Rechtsverhältnisse im Bereich der Leiheformen und des Geteilten Eigentums, im Erbrecht und an vielen anderen Orten418. Diesem Umstand trugen Verweisungen auf die „politischen Gesetze“, auf die „Landesverfassungen“ und Ähnliches Rechnung wie schließlich in großem Maße noch im ABGB419. Die Verbindungen und Verknüpfungen mit dem Öffentlichen Recht verstehen sich aber insbesondere noch aus folgender Entwicklung. Vor allem der Entwurf Horten und dann das Teil-ABGB 1786 hatten im Zusammenhang mit allgemeinen Rechtsregeln Bestimmungen über Staatszwecke und Staatsziele aufgenommen gehabt, die dann der Entwurf Martini sehr wesentlich ausbaute und die mit dem GBGB Gesetz wurden: Das brachte materielles Verfassungsrecht420. In einem weiteren Sinne konnten alle diese Bestimmungen zwar als notwendige Grundlagen für die nachfolgenden Regelungen verstanden werden, doch bildeten sie für sich genommen eindeutig Verfassungsrecht, mit denen sich auch konkrete staatsrechtliche Vorstellungen verbanden421. Grundrechtsähnliche Aussagen wie der Gleichheitssatz (§ 13 GBGB), der Hinweis auf die Fortdauer der „angeborenen Rechte“ (§§ 28, 31 GBGB) und deren Spezifizierung in das „Recht, sein Leben zu erhalten“, das „Recht, die dazu nöthigen Dinge sich zu verschaffen“ usw. (§ 29 GBGB) sowie die Eigentumsfreiheit (§ 30 GBGB) waren angesichts der Folgen der Französischen Revolution geeignet, Kritik hervorzurufen, wie sie dann insbesondere seitens der Überprüfungskommission erfolgte. Sie eröffneten aber auch Sonnenfels die Möglichkeit, den staatsrechtlichen Teil mittels seiner eigenen Vorstellungen, die er seit langem in einem „Politischen Kodex“ niederzulegen suchte, auszubauen. Die Gesetzgebungs-Hofkommission entschied sich letztlich dann doch dafür, daß sich das Gesetzbuch „lediglich mit dem bürgerlichen Privatrecht“ und nicht auch mit Bestimmungen aus dem „allgemeinen 418
Harrasowsky, Codification, 156 ff.; Voltelini, Codex, 61 ff., 77. Unten S. 205 ff. 420 Brauneder, Verfassungsgeschichte, 85 f.; Strakosch, wie Fn. 28, 77 f. 421 Vgl. z. B. Initiative der Appellations-Gerichtskommission aus Böhmen: Harrasowsky, Codification, 157 f.; ders., Codex V, 3 f., Fn. 1; vgl. oben S. 68 ff. 419
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1. Kap.: Die Entstehung
Staatsrecht“ zu befassen habe422. In diesem Sinne fand auf Antrag Zeillers im Zuge der Ersten Lesung eine Reduktion der einleitenden Bestimmungen statt, da „die Begriffe von Gesellschaft, vom Staate, Staatszwecke und von Gesetzen überhaupt“ in einer Einleitung zu einem speziellen Gesetzbuch nicht am Platze seien423. Mit dem Fortfall dieser staatsrechtlichen Bestimmungen und dem Ausscheiden sonstigen Öffentlichen Rechts durch die erwähnten Verweisungen vor allem auf „politische Gesetze“ entsprach schließlich das ABGB 1811 mehr jedenfalls als seine Vorgänger einem reinen „bürgerlichen“ Gesetzbuch. Mit den allgemeinen Regeln über Gesetzeskenntnis, Kundmachung, Wirkungskreis, vor allem Auslegung und Lückenfüllung (§§ 2 ff., insb. §§ 6 und 7) sowie der Festlegung der Rechtsfähigkeit (§§ 16 ff.) greift es aber weiterhin über das Privatrecht hinaus. Dies erschien mangels derartiger Regelungen an anderem Ort als notwendig. Insgesamt aber war der Inhalt der Kodifikation im Laufe seiner Entwicklung von einer zu großen Einflußnahme des Öffentlichen Rechts verschont geblieben. 5. Ersatz des Kanonischen Rechts: Eherecht Auf andere Weise tangierte noch ein Rechtskreis den Inhalt des Zivilgesetzbuchs, nämlich das Kanonische Recht den Bereich des Eherechts. Nach zeitgenössischer Ansicht zählte dieses nicht zu den „leges Austriacae“ wie etwa sehr wohl das „Ius Civile Romanum . . . sic & (= sicut) in Austria receptum valet“ 424. Die Überlassung weitester Teile des Eherechts an das Kirchenrecht konnte daher den Charakter einer Kodifikation nicht schmälern, wie dies bis hin zum TeilABGB 1786 der Fall war: Nach der Regelung der Verlobung folgte im Codex Theresianus sogleich das Ehegüterrecht (I III §§ I–VI). Auch der Entwurf Horten geht noch von der kirchlichen Ehegesetzgebung und Ehegerichtsbarkeit aus, wenngleich sich hiergegen im Staatsrat Stimmen erhoben hatten425. Die Loslösung des Eherechts vom Kirchenrecht erfolgte aber nicht im Zuge der Kodifikationsarbeiten, sondern mit dem Ehepatent 1783. Dieses fand dann 1785 eine so gut wie wortwörtliche Aufnahme in den bisherigen Text der Zivilrechtskodifikation und bildete schließlich im dritten Hauptstück des Teil-ABGB im wesentlichen die §§ 3 bis 15 bei geringfügiger stilistischer Veränderung wie etwa statt „Ehevertrag“ nun „Eheversprechen“, statt „Sonderung von Tisch und Bett“ nun „Scheidung von Tisch und Bett“. Damit war nun die Kodifikation um einen erheblichen Teil, das persönliche Eherecht, erweitert, dieses aus dem Kirchenrecht herausgenommen und in Anlehnung daran geregelt worden. So enthält erstmals 422 423 424 425
Ebda, sowie Adler, Gesetzgebung, insb. 107 ff., 120. Ofner, Urentwurf I, 14. C. A. Beck, Specimen I. Juris publici Austriaci, 1750, 120 mit 135. Harrasowsky, Codification, 143 f.; Voltelini, Codex, 64 ff.
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im Zuge der Kodifikationsarbeiten das Teil-ABGB 1786 ein komplettes Eherecht.
XII. Umfang Die Arbeiten der Kompilations- und sodann der Gesetzgebungskommission brachten schon quantitativ ein achtunggebietendes Ergebnis. Allein der erste der fertiggestellten drei Teile des Codex Theresianus umfaßte 3 Foliobände im Umfang von 2766 Seiten, wozu in 17 Foliobänden Motive beigesteuert wurden426. Der fertiggestellte Codex Theresianus füllte sodann 8 Foliobände, die für Maria Theresia bestimmte Ausgabe 6 Foliobände; die geplante Druckausgabe bei Trattner in Wien sollte in drei Bänden erfolgen427. Der beachtliche Umfang versteht sich aus der sehr starken Kasuistik, aus den Wiederholungen und aus bloß erläuternden Bestimmungen, welche sodann im Staatsrat das Argument abgaben, das Werk vermische Gesetzbuch mit Lehrbuch428. In der Überarbeitung durch Horten schmolz der Umfang beträchtlich zusammen: In der Ausgabe von Harrasowsky429 umfaßt der Codex Theresianus rund 950 Seiten Text ohne Anmerkungen, der Entwurf Horten jedoch nur etwa 450 Seiten, ist also auf 53% reduziert; gegenüber den 8367 „Nummern“ des Codex Theresianus enthält er 2891 Paragraphen, somit um 65% weniger, wobei vor allem die bloß erläuternden Bestimmungen wegfielen. Das Teil-ABGB 1786 entspricht umfangmäßig dem Teil I des Entwurfs Horten. Eine weitere, sehr wesentliche Reduktion erfolgte durch den Entwurf Martini. Die Ausgabe Harrasowsky erstreckt sich auf rund 170 Textseiten, das sind um 62% weniger als der Entwurf Horten, die Paragraphenzahl ist um 45% auf 1569 Paragraphen zusammengeschmolzen. Die weitere Entwicklung bringt nur mehr mäßige Verringerungen des Umfanges. Gleiche Druckausgaben stehen nun für den Vergleich nicht mehr zur Verfügung. Als Indikatoren bieten sich die etwa gleichbleibenden Hauptstücke und die Paragraphenzahl an. So steigt bei gleicher Anzahl der 44 Hauptstücke die Zahl der Paragraphen vom Entwurf Martini zum GBGB bzw. Urentwurf um 44 (ca. 3%) auf 1613. Zum Revisionsentwurf mit 1478 Paragraphen sinkt deren Zahl um ca. 8% bei einem Fortfall von drei Hauptstücken, das ABGB enthält schließlich noch ein Hauptstück weniger, jedoch mit seinen 1502 Paragraphen um deren 1,5% mehr. Die sinkende Zahl der Hauptstücke bedeutet nur zum geringeren Teil einen Verlust an geregelter Materie. Es entfallen die Dienstbotenordnung ab der Ersten Lesung und die umfassenden Re426
Harrasowsky, Codification, 65; AVA, Oberste Justizstelle/Hofcommission, Karton
43. 427 Harrasowsky, Codex I, 10, Fn. 23; Maasburg, Compilationscommission, 210; sodann u. a. Zeiller, Commentar I, 8. 428 Siehe oben S. 36. 429 Harrasowsky, Codex I–IV.
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1. Kap.: Die Entstehung
gelungen des Erbvertrags ab der Revision. Die sinkende Zahl der Hauptstücke versteht sich vielmehr aus Zusammenlegungen wie z. B. den Einbau des Hauptstücks „Geteiltes Eigentum“ aus dem GBGB bzw. Urentwurf in das Hauptstück „Eigentum“. Dies signalisiert auch die leicht steigende Paragraphenzahl, die aber wieder, wie der Rückgang der Hauptstücke zeigt, eher auf rechtstechnische Änderungen und nicht so sehr auf die Aufnahme neuer Materien zurückzuführen ist, was allerdings durch die späte Aufnahme des Advitalitätsrechts mit vier Paragrafen der Fall war. Die doch sehr erheblichen Kürzungen gehen auf zweierlei zurück. Dazu zählt einmal das Ausscheiden von Regelungen oder ganzen Materien durch den Ersatz von Verweisungen430 wie im Falle der eben erwähnten Dienstbotenordnungen: Das ABGB enthält schließlich nur eine Verweisung auf die „besonderen darüber bestehenden Vorschriften“ (§ 1172). Die zweite Ursache liegt in der Gesetzgebungslehre mit insbesondere ihrer Forderung nach „Kürze“ 431. Beispielsweise schmolzen die Bestimmungen über regionales Recht und Gewohnheitsrecht kontinuierlich zusammen. Die zehn des Entwurfs Horten (I/1 §§ 11–18, § 34) verringerten sich schon im Teil-ABGB auf acht (I §§ 8–14, § 27), das ABGB kommt mit zwei aus (§ 10 f.). Das Textvolumen hatte sich auf unter zehn Prozent verringert. Der einzige Paragraf des ABGB über Priviliegien (§ 13) besaß im Teil-ABGB noch neun Vorläufer (I §§ 15–23), sein Textvolumen betrug davon etwa fünf Prozent. In diesen Fällen ging dies nicht ohne einen Verlust an Detailregelungen ab. Dies unterstützt im Falle der Privilegien die Verweisung auf die „politischen Verordnungen“ (§ 13). Deutlich zeigt sich die Reduzierung beispielsweise auch im Vermächtnis-Abschnitt. Im Codex Theresianus hatte er 480 nummeri (den späteren Paragrafen entsprechend) betragen; durch insbesondere die Streichung von 209 nummeri und die Zusammenfassung von weiteren 186 nummeri enthielt der nachfolgende Entwuf Horten lediglich 80 Paragrafen. Weitere Streichungen und Zusammenfassungen reduzierten sie auf 46 Paragrafen im Entwurf Martini und dabei blieb es auch im ABGB mit 45 Paragrafen. Der Eherechts-Abschnitt umfaßte im Codex Theresianus 320 nummeri; durch Streichungen und Zusammenfassungen schmolzen diese auf 104 Pargrafen im Entwurf Horten zusammen. Im TeilABGB 1786 stieg die Zahl auf 126 Paragrafen, aber dies deswegen, weil nunmehr auch die bisher außerhalb stehenden Regelungen des persönlichen Eherechts aufgenommen wurden. Dennoch enthielt der Entwurf Martini nur mehr 52 Paragrafen432.
430 431 432
Vgl. u. 2. Kap. B. III.: S. 205 ff. S. o. 63 ff. sowie u. 144 ff. Zahlreiche illustrative Beispiele bei Deutsch, Wortwahl.
F. Nutznießer, Adressaten und Konsumenten des Gesetzes
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Zusammenlegungen taten des Guten aber auch zuviel. So wurde433 in der Ersten Lesung nach 1801 das Hauptstück über den „Gesellschaftsvertrag“ spezifisch zu einem solchen über den „Vertrag über die Gemeinschaft der Güter“. Im nächsten Schritt wurde dieses Hauptstück des Schuldrechts mit dem über die Rechtsgemeinschaft des Sachenrechts – systemwidrig – zusammengelegt. Nach vierzehn Tagen war dieser Irrtum erkannt, aber erst nach weiteren vierzehn Tagen rückgängig gemacht. Damit hängt eine weiter unglückliche Legistik zusammen: Bezüglich der allgemeinen Gütergemeinschaft, die als Spezialfall unter Ehegatten galt, ist im Hauptstück über die „Gemeinschaft der Güter“ auf das nachfolgende Ehepakt-Hauptstück verwiesen. Dieses enhält daher nur vier (!) Paragrafe, die als Ergänzung zum voraufgegangenen gedacht waren und sich keineswegs nur auf die allgemeine Gütergemeinschaft beziehen. Eine grobe Schätzung ergibt folgende Entwicklung des Umfangs. Der Entwurf Horten reduzierte den Codex Theresianus um 50%. Diesen Umfang halbierte der Entwurf Martini abermals, so daß das Endergebnis der Kodifikationsentwicklung, das ABGB, umfangmäßig etwa auf ein Viertel der Ausgangssituation zusammengeschmolzen war – ohne nennenswerten inhaltlichen Verlust! Nach Wörtern gerechnet434 sieht das Zusammenschmelzen drastischer aus: Die 500.000 Wörter des Codex Theresianus verringerten sich zum Entwuf Horten auf 250.000, zum GBGB auf 75.000, zum ABGB auf 72.500, d. h. auf 1/7 des Codex Theresianus. So hielt der Oberste Gerichts- und Kassationshof 1853 fest, da das ABGB „die größte Gesetzesökonomie beobachtet“, müsse bei seiner Auslegung immer daran gedacht werden, daß keine „Stelle bedeutungslos sei und übergangen werden könne“ 435.
F. Nutznießer, Adressaten und Konsumenten des Gesetzes I. Nutznießer In den Genuß der Gesetze sollte, so die zeitgenössische etablierte Meinung, ohne Einschränkung jedermann kommen. Schon der „Vorschlag“ zum Erlaß eines allgemeinen Zivil- und Zivilprozeßgesetzbuches betonte im Jahre 1753436, es werde dieses für „die gesamten Untertanen zu allgemeiner Wohlfahrt“ dienen und „besseres Zutrauen zwischen denen Einwohnern deren verschiedenen Ländern“ schaffen. Der Codex Theresianus sprach von seiner allen „Erblanden und Untertanen zugewendeten Wohltat“ 437, verwies ausdrücklich auf die „Landes433
Zum Folgenden Brauneder, Gesellschaft, 233 ff. Die Zahlen nach Deutsch, Wortwahl, 6, 8, 11. 435 J. Schimkowsky (Hrsg.), Die Rechtsgrundsätze der Entscheidungen des k. k. obersten Gerichtshofes zum allg österr. bürgerlichen Gesetzbuche, 1869, 37 (zu § 6). 436 Harrasowsky, Codex I, 14 f. (Beilage 1). 437 Ebda, 29. 434
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1. Kap.: Die Entstehung
inwohner und Unterthanen“ und betonte überdies, daß nicht nur erstere, sondern, „was uns zum meisten am Herzen gelegen“, gerade letztere von den Nachteilen des bisher unterschiedlichen Rechts befreit werden müßten; ein unter anderem „klares, deutliches, verläßliches“ Gesetzbuch sei daher verfaßt worden. Für Zeiller schließlich diente die Zivilgesetzgebung dem „Wohl“ der bürgerlichen Gesellschaft, Gesetze werden schlechthin dem Staat gegeben438. „Weise Gesetze sind der unerschütterliche Grundstein, auf welchem das Gebäude der bürgerlichen Gesellschaft ruht, in dessen Schutze die Menschen sich die Mittel ihrer Existenz sichern, und Musse und Ruhe und Mittel erwerben, auch ihre höhern Kräfte zu entwickeln, und als Menschen glücklich zu seyn“, wie zum ABGB 1814 bemerkt wurde439. Da dem ABGB schließlich bescheinigt wurde, es sei „in einer allgemein faßlichen Sprache geschrieben“, galt es als „für Jedermann zugänglich, und Jedermann ist berechtiget“ sich daraus zu informieren440. Als Nutznießer der Gesetze galt somit jedermann.
II. Adressaten Damit war aber nicht sogleich gesagt, daß auch jedermann – direkter – Adressat des Gesetzes war, was aus zweierlei Hauptgründen gar nicht der Fall sein konnte, nämlich des Bildungsniveaus und der Publikationsmöglichkeiten wegen. Nutznießer und direkte Adressaten des Gesetzbuchs – wie insgesamt aller Normen – waren nicht identisch und konnten es auch nicht sein. Um von einem Gesetzestext direkt angesprochen zu werden, fehlte es zum Teil am Minimalerfordernis entprechender Bildung, konkret an der Fertigkeit des Lesens zufolge des Anteils von Analphabeten in der Bevölkerung. In der Habsburgermonarchie441 betrug er in ländlichen Gegenden bis zu 45% der Bevölkerung. Ohne Zweifel bestand eine starke Diskrepanz zwischen den städtischen Siedlungen und dem ländlichen Bereich. Eine Stichprobe weist aus, daß im Jahre 1794 in einem steirischen Dorf von 126 Bauern fast alle, nämlich 122, noch mit einem Kreuz unterschrieben. 1826 benützten in einer Beschwerdeschrift immerhin noch 12 von 23 Bauern, also die Hälfte, ein Kreuz anstelle der Unterschrift. 438
Zeiller, Grundsätze, 9 ff. Hoffer, Schutzgeist, 10. 440 F. X. Nippel, Handbuch zur Kenntniß der Privatrechte der Unterthanen des österr. Kaiserstaates, und der Art und Weise, wie selbe bewahrt und durchgesetzt werden können, 1827, 1. 441 Zum Folgenden H. Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesens III: Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz, 1984, 287 ff.; H. Engelhardt, „Bildungsbürgertum“ (= Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 43), 1986, 97 ff.; H. U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II, Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49, 1987, 521 f.; R. Engelsing, Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft, 1973, X f., 20. 439
F. Nutznießer, Adressaten und Konsumenten des Gesetzes
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Und so gab es zu Beginn der Kodifikationsarbeiten eine Spezifizierung unter den Adressaten. Zwar war allgemein bestimmt worden, daß an das Gesetzbuch „jedermänniglich gebunden seyn solle“, der Codex Theresianus führte aber zweierlei Gruppen von Adressaten an, nämlich einerseits „Gerichtsstellen, Obrigkeiten, Magistrate, Vasallen“ und andererseits die „Landesinwohneren und Untertanen . . ., was Würden, Standes, Amts und Wesens sie sein“ 442. Dies entspringt einmal einem historischen Rechtsstil, der etwa die Polizeyordnungen des 16. Jahrhunderts443 funktionsbedingt prägte: Wie dort wird im Codex Theresianus den „Obrigkeiten und Magistraten“ aufgetragen, diesen „überall kundzumachen“, „damit sich niemand mit der Unwissenheit dagegen entschuldigen möge“ 444; ferner entfällt auf „denen Gerichten, Obrigkeiten und Magistraten“ natürlich die Anwendung des neuen Gesetzbuches, nach diesem haben „sich sowohl die obere(n) als untere(n) Justiz-Stellen zu betragen“. Darin zeigt sich ein doppelter funktionaler Aspekt, nämlich einmal der, neues Recht vor allem jenen einzuschärfen, die es als Obrigkeiten erstens anzuwenden, aber auch zweitens seine Kenntnis zu verbreiten haben. Der spezifischen Verpflichtung der Obrigkeiten zum Gesetzesvollzug entspricht kurzzeitig die Überlegung zu einer Verengung des Kreises der Normadressaten. Als der Codex Theresianus im Staatsrat beraten wurde, äußerte man hier die Meinung, daß sich nur das materielle Privatrecht an den Untertanen wende, die Gerichtsordnung hingegen an die Richter445: Hier ist die Idee des allgemeinen Normadressaten aufgegeben, was sich auch in einer unterschiedlichen Rechtssprache niederschlagen sollte: das allgemeine Deutsch für das materielle, die Fachsprache Latein zumindest in den Zwischenüberschriften für das formelle Zivilrecht. Ähnlich dachte man übrigens auch in Frankreich. Ein Vorentwurf zum Code Civil bestimmte: Die Gesetze wenden sich „aux autorités chargées“, welche diese auszuführen bzw. anzuwenden haben („de les exécuter où de les appliquer“)446. Ein „doppeltes Gesetzbuch“, „eines für den Richter und Rechtsgelehrten“ und einen sprachlich anders gefaßten „Volkskodex“, schlug Svarez für Preußen vor447. Den einzelnen Untertanen als Adressaten von Gesetzen anzusehen war somit keineswegs selbstverständlich. Derartigen Gedankengängen blieb allerdings ein legistischer Erfolg versagt. Der schon vom Codex Theresianus eingeschlagene Weg ging vielmehr davon aus, daß die Nutznießer des Gesetzes sogleich auch 442
Harrasowsky, Codex I, 27. Brauneder, Gehalt, 473 ff. 444 Harrasowsky, Codex I, 28, 30; Loschelder, Gerichtsordnung, 30 ff. 445 Ofner, Urentwurf II, 314. 446 Schott, Gesetzesadressat, 196. 447 C. G. Svarez, Inwiefern können und müssen Gesetze kurz sein?, erstmals 1788, abgedruckt in: H. Conrad/G. Kleinheyer (Hrsg.), Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (1746–1798), 1960, 627 ff. 629 (= Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfahlen 10); dazu Schott, Gesetzesadressat, 202. 443
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1. Kap.: Die Entstehung
seine Adressaten wären. Sie bildeten allerdings keinen einheitlichen Kreis. In der Sache ergaben sich zwei Gruppen an Adressaten: direkte Adressaten, für die das Gesetz unmittelbar – ohne weiteres Mittel – galt, andererseits indirekte, mittelbare Adressaten, welchen das Gesetz zusätzlich vermittelt werden mußte. Diese Unterscheidung folgt freilich nicht aus einer ausdrücklichen Bestimmung, sondern ergibt sich aus berufs- und bildungsspezifischen Überlegungen sowie aus den Regelungen der entschuldbaren Rechtskenntnis und der „gehörigen“ Kundmachung, zu der die Obrigkeiten bzw. Behörden verpflichtet waren (s. u. S. 129 ff.).
III. Konsumenten Idee und Anordnung zwingender formaler Rechtskenntnis standen in einer eigentümlichen Spannung zum Bewußtsein des tatsächlichen oder jedenfalls tatsächlich möglichen Rechtswissens. Nach Justi „müssen“ Gesetze zwar „jedermann verständlich sein“, doch im selben Satz spezifiziert er dies in „jedermann, der einen natürlichen Verstand hat“ 448. Auch Svarez hat sich „unter Volk nicht den ganz gemeinen Manne gedacht“ 449. Für Thibaut sollten Gesetze dem „mittelmäßigen Kopf“ zugänglich sein: Diese Einschränkung war seit Montesquieu bekannt450. Derartiges haben die Zeitgenossen wohl aus einem ihnen selbstverständlichen, und daher oft unausgesprochenen Grund mitgedacht451, den wir uns heute ins Gedächtnis rufen müssen: insbesondere den erwähnten Anteil der Analphabeten an der Bevölkerung. Als Konsumenten der Gesetze, d. h. die tatsächlichen direkten Verbraucher derselben, hatte schon der Codex Theresianus bei der Anordnung der Legisvakanz vor allem die Obrigkeiten angesehen, späterhin Zeiller aber überhaupt daran gedacht, daß durch die Legisvakanz „die Richter und Rechtsfreunde eine vollständige und gründliche Kenntnis sich erwerben können“ 452. Nicht jedermann, sondern nur den Rechtsberufen diente also eine Legisvakanz! Auch bei der Rechtskenntnis allgemein denkt Zeiller des öfteren vor allem an den „Richter“ und auch an die „öffentlichen Beamten“ 453. Diese Personenkreise erscheinen somit in erster Linie kraft ihrer Rechtsberufe als die Konsumenten der Gesetze. Den Rechtsberufen steht die übrige Bevölkerung gleichsam als die Summe an Normalverbrauchern hintan. Wie auf Grund des Gesetzes „der Richter über 448 J. H. G. von Justi, Die Grundfeste zu der Macht und Glückseligkeit der Staaten oder ausführliche Vorstellung der gesamten Polizeiwissenschaft II, 1760 (ND 1965), 565 f. 449 Wie Fn. 447. 450 Schott, Gesetzesadressat, 204. 451 „Es genügte die ,Jedermanns‘-Formel“, wie Schott, Gesetzesadressat, 199, es formuliert, doch waren wohl hiebei Grenzen mitgedacht. 452 Zeiller, Grundsätze, 23. 453 Ebda, 18; Ofner, Urentwurf II, 468 ff.
F. Nutznießer, Adressaten und Konsumenten des Gesetzes
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Recht und Unrecht urteilen muß“, so soll aus ihm „der Bürger seine Rechtssphäre erkennen“, etwa das, „was er zu leisten oder zu fordern habe“ 454. In dieser Gruppe der allgemeinen Gesetzeskonsumenten gibt es aber Unterschiede. Unreflektiert und daher aufschlußreich sind Hinweise auf den „praktischen Geschäftsmann“ und den „redlichen Bürger“ 455. Interessanter ist die Differenzierung nach Bildung bei Zeiller456: Da ist einmal der „minder gebildete“ Bürger, der durch die Kenntnis des Gesetzes jedenfalls „nicht leicht Gefahr (läuft), in einfachen, häufig vorkommenden Rechtsgeschäften aus Rechtsunwissenheit zu Schaden zu kommen“. Ein weiteres vermag der „Bürger von schlichtem Verstande“, er nämlich kann durch die Gesetzeslektüre „Anleitung in seinen gewöhnlichen Rechtsgeschäften“ finden. Um so mehr ist der „gebildete Bürger“ in der Lage, sich bei „einfachen Rechtsgeschäften über seine Rechte und Verbindlichkeiten aus dem Gesetzbuche“ zu belehren. Dies alles trifft besonders auf den „gebildeteren Bürger“ zu, da man bei ihm „Elementarbegriffe vom Rechte voraussetzen kann“: Für ihn müsse der Gesetzestext freilich „leicht verständlich“ sein. Dies gilt natürlich auch von „dem Rechtsgelehrten“, wobei für den „vollendeten Rechtsgelehrten“ sogar ein Kommentar überflüssig wird. Die Fähigkeit zur tatsächlichen Rechtskenntnis wird somit als von einer Bildungsstufe zur anderen ansteigend angesehen. Im Durchschnitt galt insgesamt: Die Zivilgesetzgebung wendet sich direkt an die „gebildete Nation“ 457, also nicht an die gesamte Bevölkerung, sondern nur einen Teil hievon. Zu diesem einschränkenden Ergebnis führt übrigens auch ein anderer Argumentationsstrang. Er freilich baut nicht auf der – empirisch – faßbaren Bildungssituation, sondern einem Organisationsprinzip auf und wird besonders von Bentham betont. Bei seinem Kodifikationsvorschlag hatte er458 just den gebildeten, selbständigen Bürger mit Herrschaft über andere Personen als Normadressaten im Auge, nämlich den Familienvater, der über das Gesetz seine Kinder belehre. Dieses Bild kehrt in der Habsburgermonarchie bei Scheidlein 1794 wieder459, allerdings so, daß der fürstliche Gesetzgeber als „Vater zu seiner Familie“ spricht; die Vermittlerebene des Hausvaters fehlt, daher muß auch die Sprache gleichsam familiengerecht sein. Unser Augenmerk gilt nun dem „gebildeten Bürger“ 460: Die Ausdrücke wie „gebildeter Bürger“, „gebildete Stände“, „gebildete Nation“, auch „gebildetes 454
Zeiller, Grundsätze, 9. Kitka, Verfahren, 56, 146. 456 Zeiller, Commentar I, XII ff., 25, 35 ff.; Ofner, Urentwurf I, 4; ders., Urentwurf II, 469. 457 Zeiller, Principien, 167; ders., Commentar I, 25, 35 ff. 458 Nach Schott, Gesetzesadressat, 204. 459 Scheidlein, Geschäftsstyl, 5. 460 Vgl. hiezu: O. Dann (Hrsg.), Lesegesellschaften und bürgerliche Emanzipation: ein europäischer Vergleich, 1981; W. Conze/J. Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, I: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Verglei455
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1. Kap.: Die Entstehung
Europa“ 461, bedeuteten dem Zeitgenossen keine einfache Beschreibung, sondern standen für eine Kategorie in der Gesellschaft. Diese mußte oft gar nicht eigens etikettiert werden, die „gebildete“ Eigenschaft war in bestimmten Zusammenhängen gleich mitgedacht. So galten Fichtes „Reden an die Deutsche Nation“ 462 nicht dieser schlechthin, sondern in erster Linie einem Teil hievon, nämlich den „gebildeten Ständen“ Deutschlands, was er in seiner ersten Rede betonte. Auch Svarez463 hat, wie erwähnt, in Hinblick auf das ALR unter „Volk nicht den ganz gemeinen Manne“ verstanden. Für die Kategorie des „gebildeten Bürger“ schrieben zeitgenössische Schriftsteller in Blättern, die sich ausdrücklich an diesen wandten: Goethe und Kleist etwa im „Morgenblatt für gebildete Stände“. Das „Auftreten in der gebildeten Welt“ galt den Zeitgenossen des Vormärz als gleichsam organisiert, nämlich als identisch mit einem „Auftreten im Verein“, vor allem in einem ganz speziellen, dem Leseverein, wie auf Grund der Entwicklung 1839 die „Deutsche Vierteljahresschrift“ in einem speziellen Beitrag „Ueber die Lesevereine in Deutschland“ urteilte. Mit derartigen Lesevereinen war Deutschland, erst das Römisch-Deutsche Reich und sodann der Deutsche Bund, wie mit einem dichten Netz überzogen. Für die „gebildeten Stände“ waren nach ihren Untertiteln die Konversationslexika von Meyer und Brockhaus verfaßt worden. Sie sollten „Konversation“ ermöglichen, das war nicht belangloses Geplauder, sondern ein Auseinandersetzen mit Fachthemen eben zum Zwecke und aufgrund der Bildung. Diese Konversationslexika orientierten ihre Auflage übrigens nach der Anzahl an Lesevereinen, sie waren nahezu für die Konversation in diesen Zirkeln geschrieben. Somit kann die Kategorie „gebildeter Bürger“ fast exakt dahin umschrieben werden, daß es sich bei ihm um jene Schichte der Gesellschaft handelte, die in Lesevereinen organisiert, Konsument der Konversationslexika war und die eine gehobene Allgemeinbildung zu ihrem Zweck gemacht hatte. Der Gesetzeskonsument als Durchschnittsverbraucher entspricht damit einem ganz bestimmten Typus mit einer bestimmten Erwartungshaltung: Dies wußten die Gesetzesredaktoren ganz besonders, da sie der Bildungsschichte von Adel und Bürgertum angehörten, wenngleich als „gebildetere Bürger“ und sogar „vollendete Rechtsgelehrte“; Zeiller war zur Mitgliedschaft in einem von Kaiser Leopold II. geförderten Leseverein vorgeschlagen gewesen464.
chen, 1985; R. Vierhaus, Bürger und Bürgerlichkeit im Zeitalter der Aufklärung, 1981 (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 7); Engelhardt, wie Fn. 441; E. H. Lehmann, Geschichte des Konversationslexikons, 1934; zu speziellen Situationen: M. Raffler, Bürgerliche Lesekultur im Vormärz. Der Leseverein am Joanneum in Graz (1819–1871) (= Rechts- und Sozialwissenschaftliche Schriftenreihe 6), 1993; Brauneder, Leseverein. 461 Z. B. Goethe: J. P. Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 1998, 643 (3.5.1827). 462 R. Eucken (Hrsg.), Fichtes Reden an die Deutsche Nation, 1915, 17. 463 Vgl. oben Fn. 447. 464 Brauneder, Leseverein, 16.
G. Die Verbreitung der Gesetzeskenntnis
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Aber es gab auch so etwas wie die Warnung vor einer vorschnellen „Konsumation“ 465. Es habe sich um 1800 „ein Mittelstand [ausgebildet], der durch Kunstfleiß, Reichthum und Cultur in den Stand gesetzt war, die Höhern und die Niedern von sich abhängig zu machen“. Da nun gilt, wenn „die Gesetze bekannt gemacht sind, so kann sie jeder wissen“, und sie, da „so kurz und deutlich, in der Muttersprache geschrieben, einem jeden verständlich“ sind – wozu bedürfe es da noch eines „Advocaten“? Das aber wird bejaht. Es sei nämlich das Verstehen vor allem eines neuen Gesetzbuches schwierig, erfordere wissenschaftliche Bildung, überdies gäbe es „tausenderley Verhältnisse“, welche unter den Gesetzestext subsumiert werden müßten, und es habe vor allem das „gemeine Volk“ genug zu tun, um sich seinen Unterhalt zu beschaffen, so daß es im Sinne einer Arbeitsteilung nicht zusätzlich noch im Stande sei, „sich auch nur einige Kenntniß der Gesetze zu erwerben“ – „Advocaten“ seien daher weiterhin unabdingbar notwendig! Aber es sollten doch möglichst viele sich mit den Gesetzen vertraut machen. Schließlich werden, so hielt eine Ausgabe des Teil-ABGB „Nach dem Wiener Exemplar“ 1787 in ihrer Einleitung zum Inhaltsverzeichnis fest, die Gesetze „ihrem Volke“ – schlechthin – gegeben und es werde „das Gesetzbuch zu einem Preise“ angeboten, „der auch dem gemeinsten Manne gestattet, [es] sich selber anzuschaffen und [damit] bekannt zu machen“!
G. Die Verbreitung der Gesetzeskenntnis I. Die Ausgangssituation Man „könne den künftigen Bürger nie zu frühe mit den Gesetzen bekannt machen“, daß es keine schlechten Gesetze gäbe, müsse „die erste (Meynung) seyn, die dem heranwachsenden Bürger eingeflößt“ werde, betonte Sonnenfels 1771466. Unter diesem Aspekt kritisierte er übrigens auch den universitären Rechtsunterricht, da man „von griechischen, von römischen, von Gesetzen aller Länder und Völker viel, von den Gesetzen seines Vaterlandes nichts“ höre. Die Obrigkeiten haben also aktiv und spezifiziert den Gesetzesinhalt zu vermitteln. Zufolge der zwingenden Normkenntnis aller Untertanen verlangen die unterschiedlichen Bildungsgrade der Bevölkerung daher nicht nur entsprechende Kundmachungsarten, sondern auch weitere, abermals unterschiedliche Rechtsvermittlungen. Dabei stehen sie vor dem Problem, daß der auch die Mindergebildeten und gar die Analphabeten einschließende Kreis der Normadressaten größer ist als der Kreis der Gesetzeskonsumenten. Diese Tatsachen konnten nicht verborgen bleiben. So war Friedrich dem Großen dieser Umstand bewußt467 und es sollte die ALR-Vor465
Das Folgende bei Hoffer, Schutzgeist, 10 f. Sonnenfels, wie Fn. 194, 67 ff. 467 Vgl. R. Lorenz, Recht – Sprache – Begriff, in: J. Eckert/H. Hattenhauer (Hrsg.), Sprache – Recht – Geschichte (= Motive – Texte – Materialien 58), 1991, 295 f. 466
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1. Kap.: Die Entstehung
stufe eines preußischen „Allgemeinen Gesetzbuches“ von 1791 in ihrem Publikationspatent festschreiben, es wende sich bloß an jene „Einwohner des Staats, dessen natürliche Fähigkeiten durch Erziehung nur einigermaßen ausgebildet sind“ 468. In der Habsburgermonarchie dachte man an eine unterschiedliche Kenntnisvermittlung, es sollte auf den jeweiligen Bildungshorizont Bedacht genommen werden469: Während für den „gebildeteren Bürger“ der Gesetzestext einfach als „leicht verständlich“ eingestuft wird, „sich jeder gebildetere Bürger damit bekanntmachen“ kann, bedarf es für die „untersten“ und auch „unteren Volks-Classen“ weiterer Mittel über die offizielle Kundmachung hinaus wie die Abfassung „populärer Rechtskatechismen“, auch der „zweckmäßigen Anleitung in den Volksschulen“, schließlich „vorzüglich (die) . . . Belehrung von redlichen Rechtsfreunden und Gerichtsvorstehern bey vorkommenden Fällen“. Bereits der „Bürger von schlichtem Verstande“ müsse „in verwickelteren Rechtsfällen“ den Rat von „Rechtsverständigen“ einholen. Dies gilt als befriedigend: Es sei „genug“, daß den Gesetzestext schlechthin der „gebildetere Bürger“ verstehe, denn „in einem so populären Stile . . ., daß auch der Mann von der untersten Klasse ohne Bildung und ohne Vorkenntnisse“ das Gesetz verstehe, brauche dieses nicht abgefaßt sein. Man muß hinzufügen: Dies erschien auch nicht möglich, denn Zeiller setzt für das Gesetzesverständnis nicht einfach Allgemeinbildung voraus, sondern doch die Kenntnis von „Elementar-Rechtsbegriffen“. Mit dieser abgestuften Vermittlung des Gesetzes löst sich wohl der „gordische Knoten“ 470 bildungsunterschiedlicher Normadressaten, den die Zeitgenossen möglicherweise gar nicht geknüpft sahen. Die Überlegungen zur adäquaten Art der Verbreitung der Gesetzeskenntnis dienen letztlich – so wie die unterschiedlichen Kundmachungsarten – der Überwindung der Kluft zwischen der zwingenden Allgemeinheit der Normadressaten und den unterschiedlichen Bildungshorizonten und Bedürfnissen der Normkonsumenten. In der obrigkeitlichen Förderung der Verbreitung der Gesetzestexte trat zusätzlich ein weiterer Aspekt auf, nämlich jener der Wichtigkeit des Gesetzes, eine Überlegung, die nochmals bei der Frage der Übersetzung begegnen wird471. Dem Teil-ABGB 1786 folgte schon am 15. März 1787 eine Verordnung über die Verbreitung von Gesetzespublikationen472: Sie betraf aber bloß „jene Gesetze, (wie) z. B. das Allgemeine Gesetzbuch, welche das Publikum selbst anzukaufen hat“. Wichtige Gesetze wie die Kodifikationen sollte „das Publikum“ also nicht nur kennen, sondern selbst besitzen! Dies förderte diese Verordnung durch die Zulässigkeit von Drucken „dem Original vollkommen gleich“, besorgt „in jedem 468
Schott, Gesetzesadressat, 205. Das Folgende bei Zeiller, Commentar I, 25, 35 ff.; Ofner, Urentwurf I, 4 ff.; ders., Urentwurf II, 468 ff. 470 Schott, Gesetzesadressat, 210. 471 Vgl. unten S. 150 f. 472 Vgl. HD für Böhmen 1787 III 15 (Handbuch XIII, 378 f.). 469
G. Die Verbreitung der Gesetzeskenntnis
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Lande von jenem Buchdrucker allein“, der gewisse Bedingungen erfülle wie etwa die, den „Kaufpreis auf den ersten Bogen“ zu setzen, und zwar unter Einhaltung einer Höchstgrenze. Tatsächlich geben Ausgaben des Teil-ABGB von 1787473 am Titelblatt auch den Preis an: die Prag-Wiener Ausgabe ungebunden 5 Kreuzer, gebunden 12 Kreuzer, teurer die Grazer Ausgabe mit ungebunden 10 Kreuzer, gebunden 16 Kreuzer, wobei im hier benutzen Exemplar die Ziffern ausgekratzt sind, am teuersten die Freiburger Ausgabe auf Druckmediaspapier ungebunden 14 Kreuzer, gebunden 20 Kreuzer, auf Schreibmediaspapier ungebunden gar 21 Kreuzer, gebunden 27 Kreuzer! Zum Vergleich: Gleich nach der Uraufführung von Joseph Haydns Kaiserhymne „Gott erhalte Franz den Kaiser“ am 12. Februar 1797 kostete eine Ausgabe für Klavier 10 Kreuzer, eine weitere kurz darauf 6 Kreuzer474. Mit preiswerten Nachdrucken der offiziellen Ausgabe der Staatsdruckerei sollte also die Rechtskenntnis verbreitet und wohl auch beschleunigt werden. Zufolge der Inflation war der Preis des ABGB erheblich höher. In Prag kostete die tschechische Übersetzung 2 Gulden 21 Kreuzer, die deutsche Ausgabe 3 Gulden 2 Kreuzer475. In diesem spezifischen Bildungsbemühen und vor allem in den mehrfach verwendeten Ausdrücken „gebildeter Bürger“ sowie „gebildete Nation“ tritt uns ein markantes Stück Aufklärung entgegen. Es ist dies die Vorstellung, durch Belehrung Bildung zu verbreiten, um dadurch den Aufstieg in die Klasse des „gebildeten Bürgers“ zu ermöglichen und so zu einer insgesamt „gebildeten Nation“ zu gelangen. Die Situation, „unmittelbare“ Normadressaten seien „der Mittelstand und die Oberschicht“, hingegen die „Unterschichten“ Normadressaten bloß „in einem mittelbaren, entfernteren Sinn“ 476, wollte man möglichst verbessern, sie ist also dynamisch, nicht statisch zu verstehen.
II. Gehörige Kundmachung Die Verpflichtung der Obrigkeiten, Gesetze den Untertanen zur Kenntnis zu bringen und dabei auf deren unterschiedliche Bildung Bedacht zu nehmen, fand ihren Niederschlag in den Regeln über die schließlich sogenannte „gehörige Kundmachung“ (§ 2 ABGB). Der Codex Theresianus sprach von „der öffentlichen Kundmachung in der Hauptstadt eines jedweden Landes“ (I 1 26). Mit ihr war allerdings und begreiflicherweise nicht die Verpflichtung zur Rechtskenntnis verknüpft: Wie sollte man das Gesetz außerhalb der Hauptstadt sogleich kennen? Dem Erwerb der Rechtskenntnis diente die anschließende Legisvakanz von in der Regel zwei Monaten, denn erst nach „Verlauf sothaner bestimmten Zeit“ solle sich niemand mit der 473 474 475 476
Zu ihnen unten J.: S. 162 ff. A. Mayer, Joseph Haydn, 2008, 233. Hlavacˇka, Übersetzungen. Schott, Gesetzesadressat, 210.
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1. Kap.: Die Entstehung
Unwissenheit der Gesetze entschuldigen können (I 1 27): Was in dieser Zeit zu geschehen habe, setzte der Codex Theresianus nicht fest, doch zeigen die voraufgegangenen Erörterungen, daß die Legisvakanz der „Kundmachung im ganzen Lande“ dienen sollte, wobei man sich auf ihre Art nicht festlegte, denn sie gehöre „ad materiam publicam“ – jedenfalls dachte man damit an verschiedene Arten477! Was diese materielle Kundmachung, nämlich das Kundtun anlangt, so ging die Kompilationskommission beispielsweise von folgendem Vorgang aus: Selbst in „weitläufigen Herrschaften“ erfolge „die Kundmachung der Gesetze nur an Einem Orte“, dazu würden die „Richter“, d. h. die Herrschaftsbeamten, zusammengerufen und ihnen das neue Gesetz bekanntgemacht, sodann kehrten diese in ihre Gemeinden zurück, und nun müßte diesen „zusammenberufenen Richtern Zeit gelassen werden“, denn sie haben „ein solches Gesetz ihren Gemeinden weiter kundzumachen“478. Generell galt zwar479: „Die allgemeine und übliche Art der Kundmachung ist der Druck“, doch war damit noch lange nicht alles gesagt, denn der „eigentliche Gang dieses Geschäftes“ war aufwendig: Nach seiner Sanktion war ein Gesetz von der jeweiligen Zentralbehörde („Hofstelle“) an die Gubernien („Länderstelle“) zu übermitteln, von diesen vor allem an die Kreisämter, denen nun eine wichtige Verteilerrolle zukam. Sie hatten nämlich nach einem detailliert festgelegten Vorgang die lokalen Ämter und Herrschaften, eingeteilt in sogenannte Hauptbezirke, mit dem Gesetzestext zu versorgen, der von den Grundherrschaften weiters den einzelnen Ortsgemeinden zuzustellen war. Erst jetzt erreichte er die Untertanen: In größeren Städten allein durch Anschlag an den Kirchentüren, den in den übrigen Orten mündliche Verlautbarungen besonders nach den Gottesdiensten vorherzugehen hatten. Mit dieser Vorlesung trug man dem Analphabetismus Rechnung, der um 1800 selbst noch diese Verlautbarungen erschwerte. Die Gubernien hatten neben den Kreisämtnern weitere Verwaltungsbehörden mit Texten zu versorgen, ebenso die Appellationsgerichte und diese die untergeordneten Justizbehörden, ferner die bischöflichen Ordinariate und diese die Pfarrämter. Teils war den untergeordneten Behörden eine für deren weitere Verteilung entsprechende Anzahl an Texten zu übermitteln oder es hatten diese für die entsprechenden Kopien zu sorgen. Die Kundmachung war also ein mehrstufiger Vorgang mit dem Ziel, den Gesetzesinhalt an die Normadressaten heranzubringen, und zwar in angemessener Art und somit in unterschiedlicher Weise. Daher, aber ohne die dem öffentlichen Bereich zuzuzählenden Kundmachungsarten festzulegen, setzte der Entwurf Horten fest: Gesetze seien „durch die gewöhnlichen Wege kund(zu)machen“, und zwar müsse dies „in 477
Harrasowsky, Codex I, 38, Fn. 7. Harrasowsky, Codex IV, 16, Fn. 4. 479 J. Kropatschek, Oestreichs Staatsverfassung vereinbart mit den zusammengezogenen bestehenden Gesetzen, zum Gebrauche der Staatsbeamten, Advokaten, Oekonomen, Obrigkeiten, Magistraten, Geistlichen, Bürger und Bauern, zum Unterrichte, für angehende Geschäfftesmänner, 1794, II. Abt, II. Hptstk §§ 6 ff., 11 ff., 58, 66. 478
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jedem Lande solchergestalten geschehen, damit das Gesetz schleunigst zu Jedermanns Wissenschaft gelange“, wobei jedes Gesetz bei Fehlen einer entsprechenden Bestimmung „vom Tage der gehörigen Kundmachung unnachsichtlich verbinden“ solle (I 1 § 3). Mit „Kundmachung“ war hier, im Gegensatz zum Codex Theresianus, nicht ein bloßer Formalakt gemeint, sondern das konkrete Kundtun des Gesetzes an die Normadressaten; daher bedurfte es prinzipiell keiner Legisvakanz mehr, während der dieses materielle Kundtun zu erfolgen hatte: „Kundmachung“ bedeutete nun das Ende, nicht den Anfang des Kundtun-Vorganges! Somit war einerseits der Begriff der „gehörigen Kundmachung“ eingeführt, andererseits diese so verstanden, daß sie auf unterschiedliche, zweckgerichtete Weise zu erfolgen habe, damit jedermann raschest die Gesetze kennen könne. Das Teil-ABGB (§§ 2 f.) übernahm in modernisierter Sprache diese Regelungen des Entwurf Horten. Der Freiburger Ausgabe des Teil-ABGB 1786 erschien zufolge der ihr beigesetzten Marginalrubriken zweierlei für wichtig. Der Kundmachungsvorschrift (§ 2) setzte sie bei: „Gesetze sollen schleunigst zu jedermanns Wissenschaft gelangen“; zu § 3 unter anderem: „Die Gesetze verpflichten von dem Zeitpunkt der geschehenen Kundmachung“. Im Zentrum dieser Randbemerkungen steht also die faktische, nicht die formelle Kundmachung, und zwar mit dem Zweck, daß sie die Gesetze jedermann rasch zur Kenntnis bringe. Der Entwurf Martini enthält den selben Gedankengang: Die „öffentliche Kundmachung . . . muß auf eine solche Art geschehen, daß jeder Bürger so schleunig als möglich davon Kenntnis und Wissenschaft erlange“ (I 1 § 4). Das GBGB definiert sodann weiterhin „die gehörige Kundmachung“ (I 1 § 10) als eine solche auf „die gehörige Art“, als den „in einem jeden Lande eingeführten Gebrauche“ (I 1 § 11), und setzt noch hinzu, die „Kundmachung veranstaltet der Gesetzgeber“ (I 1 § 10). Diese Bestimmungen lagen im gleichlautenden Urentwurf den weiteren Beratungen zugrunde: Zu diesen480 machte die Universität Prag den Vorschlag, die Art der Kundmachung doch näher dahin zu definieren, daß sie „durch den Druck, dann auf dem Lande durch Anschlagen und Ablesung, in den größeren Städten aber durch Anschlagung und Einverleibung in die Zeitungsblätter geschehen soll“; ein anderer Vorschlag empfahl, statt „veranstaltet der Gesetzgeber“ zu sagen „bestimmt der Gesetzgeber“. Das hätte diesen der Pflicht zur eigenen Kundmachung enthoben, aber wohl dargelegt, daß ihm die Bestimmung der Art der Kundmachung obliege, diese also unterschiedlich etwa im Sinne der Prager Universität erfolge. Ebenso wußte Zeiller sehr wohl, daß mehrere Arten der Kundmachung in Frage kämen, doch sollten deren Aufzählung wie der Hinweis auf den Gesetzgeber in einem Zivilgesetzbuch als eine „politische, auf alle Arten der Gesetze sich beziehende“ Angelegenheit unterbleiben, die Art der Gesetzeskundmachung sei „ein Geschäft der politischen Verwaltung“ 481. Auch der 480 481
Harrasowsky, Codex IV, 16. Zeiller, Commentar I, 34.
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1. Kap.: Die Entstehung
Kommission war hinsichtlich der „Art der Kundmachung“ bewußt, daß es deren stets mehrere gab482. Übrig blieb schließlich der lapidare Satz des § 2 ABGB. Aber seine „gehörige Kundmachung“ umschloß für den Zeitgenossen selbstverständlich mehrere Möglichkeiten mit dem Zweck, das Gesetz den Normadressaten in unterschiedlicher, ihnen angepaßter Weise zur Kenntnis zu bringen. Dies entsprach der Gesetzeslage: Es waren § 2 ABGB bzw. dessen Vorgänger nicht die einzigen Kundmachungsregeln! Denn ohne ausdrückliche Verweisung ergänzten § 2 eine Reihe von bereits älteren Verwaltungsvorschriften483. Dazu zählt zwar in erster Linie der Druck, vorgeschrieben waren aber auch Anschläge und Verlesungen vor dem Rathaus oder von der Kanzel484. Weiters gab es unterschiedliche Kundmachungsarten485 für größere Städte, für Dörfer mit und für solche ohne einen Pfarrer. In manchen Städten konnte die Kundmachung durch Mitteilung an die Hauseigentümer erfolgen, die sodann die Parteien zu informieren hatten. Außerdem sollte jeder Hauseigentümer ein Register führen, „in welchem der Inhalt des Patentes mit wenigen Worten und das Datum aufgezeichnet, die richtig geschehene Zustellung und Mittheilung aber von allen Inwohnern mit ihrer Unterschrift so bestätigt zu finden seyn muß, damit dieses Register jederzeit auf Verlangen vorgewiesen werden könne“. In den Pfarrdörfern hatte die Kundmachung in Gegenwart des Pfarrers durch den Ortsrichter oder den Schulmeister in der Gemeindestube zu erfolgen. Gab es vor Ort keinen Seelsorger, mußten einige Geschworene der Kundmachung beiwohnen, wenn mögich sollte ein anderer Geistlicher der entsprechenden Pfarre anwesend sein. So boten sich insbesondere Sonn- und Feiertage zur Kundmachung an. Insgesamt erweist sich, daß die „gehörige Kundmachung“ unterschiedlich und sehr speziell sein sollte. Und so hatte es auch Zeiller gesehen: „Die Anheftung oder Ablesung eines vollständigen Gesetzbuches an öffentlichen Orten, oder die Kundmachung durch öffentliche Blätter wäre eine wirkungslose Ziererey. Fruchtbarer ist der Vorschlag, daß man das Publicum zuerst auf die wichtigsten Abänderungen, welche die neue Gesetzgebung getroffen hat, durch öffentliche Nachricht aufmerksam mache; daß man die Jugend und die, in den Rechten gewöhnlich unerfahrenen, Volks=Classen über die Rechtsbestimmungen, welche allen insgesammt, oder einzelnen Classen insbesondere bekannt seyn sollen, durch sanctionirte, faßliche und zweckmäßige Auszüge belehre, und daß man sie in Rücksicht seltener, wichtiger und verwikelter Rechtsfälle an die Obrigkeiten und beglaubigten Rechtsfreunde anweise, die ihnen, um vorsichtig zu handeln, mit ihrem getreuen Rathe beyzustehen schuldig
482
Ofner, Urentwurf I, 16. Visini, Handbuch I, XI f.; Winiwarter, Handbuch I, 22 ff. 484 F. J. Schopf, Die organische Verwaltung der Provinzen Böhmen und die landesverfassungsmäßigen Verhältnisse der Bewohner als Einleitung zur politischen Gesetzkunde, 1847, 182–195; Pfaff/Hofmann, Commentar, 137 Fn. 53. 485 Winiwarter, Handbuch I, 33 f. Vgl. u. 2. Kap. B. III. 7. a). 483
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seyn sollen“ 486. Dies hatte Zeiller bei der Textierung von § 2 mitgedacht: Er allein gab aber über die „gehörige Kundmachung“ keine erschöpfende Auskunft. Die Verpflichtung der Obrigkeiten, den Gesetzesinhalt an den Normadressaten heranzubringen, konnte man § 2 allein nicht entnehmen. Diese Verpflichtung verschob sich aber zusehends hin zu den Normadressaten als deren Verpflichtung zur Kenntnisnahme. Dazu trug wohl die kanppe Formulierung von § 2 ABGB bei. Für Nippel ist es 1827 wegen der verschiedenen obrigkeitlichen Kundmachungsarten schlechthin „jedes Staatsbürgers Pflicht, sich um den Inhalt zu bekümmern“, sei es, sich „durch eigenes Lesen Kenntniß zu verschaffen, oder sich bey Anderen, welche die Zeitung lesen, gehörig zu erkundigen“ 487. Mit 4. März 1849488 wurde das Publikationswesen auf eine völlig neue Stufe gestellt, und zwar mit dem „Reichsgesetz- und Regierungsblatt“ für die Gesamtmonarchie und einem „Landesgesetz- und Regierungsblatt“ für jedes Land. Für die Gesetzeskenntnis sollte es allein damit jedoch keineswegs sein Bewenden haben. Denn es war das Erscheinen der Gesetzblätter sowohl „durch die in Wien erscheinende Regierungs-Zeitung“, also die „Wiener Zeitung“, sowie durch die „Landesregierungszeitungen“, beispielsweise den „Boten für Tirol“, „unverzüglich anzuzeigen“. Aber es mußte nicht nur derart auf die Publikation eines Gesetzes hingewiesen werden, es war auch die Gelegenheit zu schaffen, es kennenzulernen: Die Gemeinden hatten nämlich die Gesetzblätter „durch vierzehn Tage im Gemeindehause zu Jedermanns Einsicht auszulegen“. Der Gedanke, die Kenntnis der Gesetze seitens des Staates an die Normadressaten heranzutragen, blieb also noch aufrecht489. Das Patent vom 4. März 1849 zeigt, wie trotz der knappen Textierung § 2 ABGB verstanden wurde bzw. wie dessen Umfeld aussah. In dieser Reihe stehen auch jene Gesetzbücher, die das ABGB kopierten. So haben die entsprechenden Schweizer Zivilgesetzbücher490 § 2 ABGB in interessanter Weise modifiziert, indem sie die Art der Kundmachung festlegten. Am weitesten ging dabei das Solothurner Zivilgesetzbuch 1841. Erst einmal sollte das Erscheinen von Gesetzen „angezeigt“ werden, und zwar „vor oder nach dem öffentlichen Gottesdienst, und durch Anschlag an den dazu bestimmten Orten“, die Kundmachung selbst hatte „durch den Druck“ zu erfolgen und es mußten die Gesetze „zur Einsicht für die Gemeindebewohner den Ammännern und Friedensrichtern zugestellt werden“ 486 487 488
Zeiller, Beytrag I, 62. Nippel, wie Fn. 440, 2. RGBl. 1849/Einleitung; gemeinsam mit der Verfassung 1849 RGBl. 1849/1 erlas-
sen! 489 Daran änderte eine Modifikation 1850 im Grunde nichts: Der Gedanke war nun sogar anders als im ABGB (§ 2) ausdrücklich ausgesprochen. Auf dieses gab es allerdings keine Hinweise (beispielsweise 61. Beilage-Heft zum RGBl. 1850). 490 Diese zitiert nach zeitgenössischen Ausgaben: Bern 1825, Aargau 1826, Luzern 1840, Solothurn 1841.
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(§ 1). Doppeltes wurde also zur Kundmachung verlangt: Die Information über die bloße Existenz eines neuen Gesetzes und die Vermittlung von dessen Inhalt durch einen Druck, der zur Einsichtnahme aufzulegen war. Die Zivilgesetzbücher für den Kanton Bern 1824 und für den Kanton Luzern 1832 übernahmen diese Regelung wortwörtlich, allerdings ohne die Auflagepflicht zur Einsichtnahme (1. S. bzw. § 2). Abweichend davon hatte das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton Aargau 1826 nur von der „Kundmachung“ der Gesetze schlechthin gesprochen, ordnete aber für sich selbst an, es solle „auf übliche Weise öffentlich kundgemacht, zu diesem Ende besonders gedruckt, den Behörden und Beamten mitgetheilt, so wie auch in der obrigkeitlichen Druckerei für einen . . . bestimmten Preis verkauft werden“ 491. Aargau kannte also eine Kundmachung „auf übliche Weise“, in erster Linie („besonders“), aber nicht ausschließlich, durch Druck, den die Beamten beigestellt erhielten und der ansonsten zu kaufen war. Für die Kantone Bern und Luzern war also einzig die Kundmachung durch Drucklegung vorgeschrieben, während es im Kanton Solothurn auch noch die Möglichkeit der Einsichtnahme gab und im Kanton Aargau zumindest eine andere „übliche Weise“. Damit entsprach man dem ABGB-Umfeld, das dieses aber, anders als seine Schweizer Nachkommen, in der Privatrechtskodifikation verschwieg. Auch der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern von Karl von Leonrod 1834492, der ausdrücklich das ABGB als Vorbild wählte, bestimmte nicht nur die „Art der Kundmachung“ (§ 3), sondern differenzierte: Die Publikation erfolge zwar ausschließlich durch ein „Gesetzblatt“, doch galt ein Gesetz „als gehörig kundgemacht“ erst nach Ablauf einer achttägigen Legisvakanz, und zwar mit unterschiedlichem Beginn: Sie begann „in dem Kreise, wo die Regierung ihren Sitz hat“, sogleich „nach dem Datum des Gesetzblattes“, in den übrigen Kreisen erst ab dem Tage, in dem das Gesetzblatt „in der Hauptstadt des Kreises der ersten königlichen Behörde mitgetheilt worden ist“.
III. Verpflichtung zur Rechtskenntnis Was nun die Verpflichtung zur Rechtskenntnis anlangt, so enthielt der Codex Theresianus493 eine dem späteren § 2 ABGB entsprechende Bestimmung, wonach „Niemandem die vorschützende Unwissenheit .. oder ein vorgeblicher Irrthum in Rechten zu Statten kommen“ sollte (I 1 § 27), setzte aber auch Ausnahmen fest (I 1 § 28). Sie betrafen einen bestimmten Personenkreis, und zwar „besonders“ (also nicht ausschließlich) jene „Personen, die von Unseren Gesetzen begünstigt werden“. Darunter waren etwa Personen unter Vormundschaft verstan-
491
§§ 2, 5; KdmPat § 2. Zitiert nach dem Exemplar am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt/Main. 493 Harrasowsky, Codex I, 39, Fn. 8. 492
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den, weiters ein konkreter Fall, nämlich der eines Vermögensverlustes, der zur Bereicherung eines anderen führt, und schließlich „Umstände“, die allgemein „Entschuldigung und Nachsicht“ verdienen: Hier sollte auf „Ansuchen die außerordentliche Rechtshilfe“ einer restitutio in integrum stattfinden. Dieser Formulierung waren in der Revisionskommission Diskussionen vorausgegangen beispielsweise mit der Erwägung, man habe hinsichtlich der Rechtskenntnis „den Unmündigen, Soldaten, Frauen, Bauern und anderen Rechtsunkundigen eine besondere Hilfe zu gewähren“ 494. Allerdings schienen der Kompilationskommission wegen der zuvor (eben II.) beschriebenen Vorsorge für ein tatsächliches Kundtun Ausnahmen von der Kenntnisverpflichtung entbehrlich. Dennoch wurden sie von Horten beibehalten und sogar weiter gefaßt, denn es gab nun keine personelle Einschränkung mehr und auch das Erfordernis der Bereicherung fiel weg, übrig blieben die „vorwaltenden besonderen Umstände“ (I 1 § 4). Die Gesetzgebungskommission empfahl aber weiterhin die Streichung dieser Ausnahmebestimmung, einzig Horten, ihr Verfasser, trat dafür ein; Josef II. schloß sich seiner Minderheitenmeinung an495. Ab dem Entwurf Martini allerdings gab es keine Ausnahmebestimmung mehr: „Ist ein Gesetz gehörig kundgemacht, so kann Niemanden der Vorwand der Nichtkenntniß zur Entschuldigung dienen“ (I 1 § 6). Das GBGB hielt ebenso fest: „Jedes Mitglied des Staates ist verbunden sich die Gesetze bekannt zu machen“, und fügte auch die Begründung dafür an, nämlich die gehörige Kundmachung (§ 11): Die Verpflichtung stand daher unter der Bedingung der gehörigen Kundmachung, die aber wieder, nach dem oben (II.) Ausgeführten, eine Verpflichtung des Staates zur verschiedenartigen Heranbringung des Gesetzestextes an jedes „Mitglied des Staates“ war. Dann – erst – trat dessen Verpflichtung zur Kenntnisnahme ein. Im Zuge der ABGB-Beratungen496 kam es zur schon erwähnten Straffung des Textes, dem die ausdrückliche Formulierung dieses Zusammenhangs zum Opfer fiel: „Jedermann ist verbunden, sich die ihn, seine Handlungen und Geschäfte betreffenden Gesetze bekannt zu machen“. Mit dieser Textierung war allerdings ein neuer Gedanke eingeführt worden, nämlich, daß man nur bestimmte Gesetze – „die ihn, seine Handlungen und Geschäfte betreffenden“ – kennen müsse. Zeiller aber trat für eine weitere Straffung ein, nämlich nach dem allgemeinen Grundsatz, „alle Motivierungen aus dem Gesetzbuche hinwegzulassen“: Damit entfiel in § 2 der eben zitierte Satz „Jedermann“ habe sich mit den ihn betreffenden Gesetzen „bekannt zu machen“. Aus dem vorgeschlagenen Text wie aber auch aus Zeillers Begründung für die Streichung folgt freilich, daß man das Weggelassene, nämlich die eingeschränkte Kenntnispflicht, bloß als eine der wegzulassenden Motivierungen betrachtete, nicht aber eine
494 Vgl. schon 1792 etwa den Hinweis auf unterschiedliche Kundmachungen in Böhmen und in Niederösterreich: Harrasowsky, Codex V, 6. 495 Harrasowsky, Codex IV, 16, Fn. 4. 496 Ofner, Urentwurf I, 16.
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1. Kap.: Die Entstehung
inhaltliche Änderung vollziehen wollte! So war also zu § 2 ABGB zweierlei mitgedacht: die eingeschränkte Verpflichtung zur Rechtskenntnis und sie nur unter der Bedingung der gehörigen Kundmachung. Zeiller war dies wohl bewußt497: „Die Kundmachung der Gesetze und die Beurtheilung, wie die Gesetze nach ihren verschiedenen Arten, nach Beschaffenheit der Local-Verhältnisse und der übrigen Umstände bekannt gemacht werden sollen, damit sie am sichersten und schnellsten zur Kenntniß aller derjenigen gelangen, welche sie in ihren Verhältnissen zu wissen nöthig haben, ist ein Geschäft der politischen Verwaltung“, so daß erst nach derartiger, passender Kundmachungsart der Satz galt: „Sobald also das Gesetz gehörig kund gemacht worden ist, kann sich niemand mit der Rechtsunwissenheit entschuldigen“ – etwa Analphabeten dann nicht, wenn es ihnen von der Kanzel vorgelesen wurde. In seinem „Zweiten Kommentar“ hielt Zeiller sogar fest: Gesetze seien „verbindlich“ nur für jene, „denen Kenntnis und Befolgung derselben möglich ist“ 498! Hinsichtlich der Unentschuldbarkeit wiederholten die dem ABGB folgenden Zivilgesetzbücher für die Kantone Luzern (§ 4) und Aargau (§ 5) dessen § 2 wortwörtlich, jene für die Kantone Solothurn (§ 3) und Bern (7. S.) in anderer Formulierung: „Die Entschuldigung, daß jemand ein gehörig bekannt gemachtes Gesetz nicht gekannt habe, soll von keinem Gericht beachtet werden“. Bedingung der Unentschuldbarkeit war jedenfalls überall die gehörige Kundmachung, die eine – wie zuvor erläutert – voraufgegangene Bestimmung festlegte, was das Aargauer Zivilgesetzbuch durch einen Verweis darauf betonte. Im bayerischen Entwurf Leonrod gab es zufolge der hier vorgesehenen Legisvakanz unausgesprochen eine Pflicht zur Lektüre des Gesetzblattes, zu der man acht Tage Zeit hatte, und dies nicht ab einem formalen Zeitpunkt, sondern ab der Möglichkeit zur Lektüre: In der Hauptstadt sah man sie sogleich bei Erscheinen des Gesetzblattes, außerhalb aber erst später als gegeben an!
IV. Besondere Erschließung des Gesetzestextes 1. Die Kodifikation als Rechtslexikon Sieht man auf das zentrale zeitgenössische Hilfsmittel zur Aneigung von Bildung, nämlich das Konversationslexikon, fällt sogleich auf, worauf es didaktisch ankam: Gliederung des Stoffes, präzise Sprache, zweckmäßig belehrender Inhalt. Die Erfüllung dieser Kriterien erwartete sich der – vielleicht erst angehende – „gebildete Bürger“ von einem belehrenden Werk wie eben auch dem Gesetz, zumal von einer Kodifikation. Nach Sonnenfels solle im Gesetz „das Gebot als 497 498
Zeiller, Commentar I, 34 f. Zeiller, Principien, 31.
G. Die Verbreitung der Gesetzeskenntnis
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Unterricht eingekleidet sein“, 1782 erhoffte sich Schwabe von dem erwarteten Inkrafttreten des österreichischen Zivilgesetzbuchentwurfs, es könne dann „jeder . . . wissen, wie er seine Handlungen . . ., ohne sich der Gefahr eines Schadens auszusetzen, einzurichten hat“ 499. Für Mittermaier verwirklichte ein Teil der „neuesten Zivilgesetzbücher“ die Absicht, „die Bürger auf eine höhere Stufe heraufzuziehen, und das Gesetz auf die Voraussetzung der edleren Natur der Menschen zu bauen“ 500. Auch Zeiller501 sprach ein Erziehungsmoment insoferne an, als das ABGB zu einem bestimmten juristischen, ja gesellschaftlichen Ziel führen sollte, nämlich das der Streitvermeidung durch die Kenntnis der eigenen wie die der anderen Personen zustehenden Rechte: „Die erste und eigentliche Bestimmung des Gesetzes ist, den Bürger über Recht und Unrecht zu belehren, ihn vorsichtig zu machen, und vor Schaden zu bewahren“ 502. Zu diesem Lehrzweck wurde das Gesetz auch technisch aufbereitet: Nach Zeiller dienten der „Erleichterung der Uebersicht und des Aufsuchens“ Marginalrubriken und Register, Kitka hielt letzteres zumindest für „zweckmäßig“ 503. Beiden Hilfsmitteln galt die Sorge der Gesetzgebungskommission, zum ABGB beauftragten sie Zeiller selbst mit beider Abfassung504. Bei den Marginalrubriken und vor allem im Sachregister fallen lateinische Interpretamenten zu deutschen Ausdrücken auf, was typisch ist für Rechtslexika in den dem ABGB vorangegangenen Jahrzehnten505. Mit vor allem dem Register und weiters den Marginalrubriken sollte das Gesetzbuch auch den Charakter eines Rechtslexikons besitzen506, also gleichsam einen privatrechtlichen Spezial-Brockhaus für den „gebildeten Bürger“ abgeben. Springer meinte 1840 ganz in diesem Sinne, das ABGB stelle „einfache, jedem Gebildeten leicht verständliche Grundsätze auf“ 507.
499 Sonnenfels, Geschäftsstyl, 77; D. Schwabe, Versuch über die ersten Grundlinien des Oesterreichischen Landadelsrechts nebst einem Versuche über die Deutsche Rechtsgeschichte überhaupt, und Oesterreichs insbesondere, dann einer Abhandlung über das oesterreichische Recht und Rechtsgelährheit überhaupt, 1782, 87. 500 M. Mittermaier, Rezensionen von: Entwurf eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs für den Kanton Aargau: Einleitung und erster Theil (1825), in: F. C. K. Schunk (Hrsg.), Jahrbücher der gesammten deutschen juristischen Literatur II, 1826, 1 ff., 4. 501 So etwa in Ofner, Urentwurf I, 4. 502 Zeiller, Beytrag I, 34 f. 503 Ofner, Urentwurf II, 475; Kitka, Verfahren, 149 Fn. 1. 504 L. Pfaff, Zur Entstehungsgeschichte der Marginalrubriken im österreichischen ABGB, 1906, 3 f.; O. Kastner, Zur Gesetzestechnik des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, in: ABGB-FS I, 540 ff. 505 H. Speer, Das Deutsche Rechtswörterbuch, in: Lexicographica 5, 1989, 96 ff. 506 Vgl. allg W. Brandt, Lexikalische Tendenzen in der Gesetzessprache des 18. bis 20. Jahrhunderts, dargestellt am Scheidungsrecht, in: H. H. Munske/P. v. Polenz/ O. Reichmann/R. Hildebrandt (Hrsg.), Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien, 1988, 119 ff., insb. 149. 507 J. Springer, Statistik des österreichischen Kaiserstaates II, 1840, 95.
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1. Kap.: Die Entstehung
2. Marginalrubriken (Randschriften) Ein besonderes Merkmal vor allem von Gesetzen und auch Gesetzessammlungen im 18. und frühen 19. Jahrhundert stellen einzelne Worte, auch Wortgruppen, ja sogar ganze Sätze dar, die neben dem Gesetzestext an den Seitenrand gestellt sind. Sie gliedern nicht nur wie die oft gleichfalls vorhandenen Überschriften den Stoff, sondern erläutern ihn in einer darüber hinausgehenden Weise. Derartige Marginalrubriken kennt beispielsweise die Gesetzessammlung „Codex Austriacus“, wo sie nachträglich zu älteren Gesetzen, etwa dem „Tractatus de juribus incorporalibus“ 1679508, beigesetzt wurden. Dies war auch in der Druckausgabe des TeilABGB aus Freiburg/Breisgau 1787 der Fall. Hier handelt es sich somit um nachträgliche Erläuterungen, während etwa das ABGB sogleich von der ersten offiziellen Druckausgabe an mit Marginalrubriken versehen war. Über Marginalrubriken verfügten aber auch andere Literaturgattungen wie etwa die Kronprinzenvorträge für Josef II., und zwar sowohl über ursprüngliche wie nachträglich beigefügte509. Marginalrubriken steigern den Nachschlagewert von Gesetzestexten. Besonders deutlich wird dies im „Handbuch der k. k. Gesetze“, wo die Marginalrubriken zum Teil sogar den Text mancher Hofdekrete optisch übersteigen. Beispielsweise steht neben „Zur Ersparung der Schreiberei haben die Kreisämter künftig iederzeit die Fassionen über die Kaufmanns- und Kramerbeiträge sammt den Geldern an das k. k. Kammeralzahlamt zugleich abzuführen“ (1784 XII 10)510: „Die Kreisämter haben die Fassionen über die Kaufmanns- und Kramerbeiträge sammt den Geldern an das k. k. Kammerzahlamt zugleich abzuführen“. Im Gegensatz dazu werden anderswo nur Termini technici verwendet wie etwa im erwähnten „Tractatus“ 1679 einfach „Gewöhr“ oder lateinische Ausdrücke wie etwa „legitima salva“ (§ 18). Aber es interessieren vor allem die weitergehenderen Marginalrubriken. Zum Teil sind sie in die Form einer Frage gekleidet, so daß der daneben stehende Gesetzestext die Antwort gibt. Im „Tractatus“ 1679 finden sich beispielsweise folgende Fragen: „Was eine Geistliche Lehenschafft seye“ (1 § 1); „Wer an Nutz und Gewöhr zuschreiben?“ (4 § 10). Dieser Zweck wird weiters durch Feststellungen erreicht wie etwa „Wann wer zugleich an Nutz und Gewöhr geschriben“ (4 § 16). Der Text von Marginalrubriken läuft zum Teil auch, und zwar gegliedert, über mehrere Paragraphen hin: „Wem das Jagen erlaubt,“ (9 § 1) „oder verbotten seye?“ (9 § 2). Diese also bereits traditionelle Technik findet sich auch im ABGB. Es erläutern die Marginalrubriken511 nicht nur einzelne Paragraphen etwa durch Fragen 508
Neben Druckausgaben in: Codex Austriacus I, 1704. Conrad, Recht, 24. 510 Handbuch VII, 930. 511 Zur Frage ihrer Gesetzeskraft G. Schmaranzer, Über die Gesetzeskraft von (Marginal-)Rubriken – unter besonderer Berücksichtung der ABGB-Rubriken, in: JBl 2004, 497 ff. 509
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wie „Wann der Zins zu entrichten sey?“ (zu § 1132), sondern setzen diese in eine sinnvolle Beziehung zueinander durch numerierte Aufzählungen wie etwa der „Rechte und Pflichten des Entlehners“ unter vier Punkten (zu §§ 972, 973, 978, 981) oder eines zu mehreren Paragraphen fortlaufenden Satzes wie beispielsweise zur Erbserklärung „Wirkung der unbedingten“ (zu § 801) „und der bedingten Erklärung“ (zu § 802). Im Ehepakt-Hauptstück (§§ 1217 ff. ABGB) kehrt die Aufzählung der einzelnen Ehepakte in § 1217 – „das Heiratsgut; die Widerlage; Morgengabe; die Gütergemeinschaft; Verwaltung und Nutznießung des eigenen Vermögens“ usw. – in den Marginalrubriken wieder, und zwar in der Reihenfolge der Aufzählung in § 1217 numeriert wie z. B. „1. Heiratsgut“ (bei § 1218) oder „5. Verwaltung und Nutznießung des ursprünglichen und erworbenen Vermögens“ (bei § 1237). Die letztzitierte Marginalrubrik spezifizierte überdies durch ihren gegenüber der Aufzählung in § 1217 ausführlicheren Wortlaut das betreffende Rechtsinstitut – im Wesentlichen das gemeinrechtliche Parafernum – und stuft es durch den Zusammenhang mit § 1217 klar als – „5.“ – Ehepaktstyp ein512. Wie die Abfassung der Marginalrubriken zum ABGB513 zeigt, hat Zeiller, ihr Verfasser, auf sie sehr viel Mühe verwendet. Das Verständlichmachen des Gesetzestextes durch dieses Hilfsmittel galt somit als wichtiges Anliegen. Dies zeigt auch die Gesetzgebungsgeschichte514. Der Codex Theresianus besaß Marginalrubriken im Umfang von einem Fünftel (!) des Gesamttextes515: Sie waren vorerst in Deutsch, sodann in Latein, und zwar „zu desto leichteren Begriff“ – freilich nur für die Fachwelt –, letztlich wieder in Deutsch verfaßt. Auch der Entwurf zur Allgemeinen Gerichtsordnung enthielt lateinische Marginalrubriken wie zusätzlich noch Summarien in deutscher Sprache. 3. Sachregister Das ABGB-Register galt, was der Publikationsvorgang erweist516, ebenso wie der Text als amtlich. Erstellt wurde es nach der Superrevision im Frühjahr 1810 unter Zeillers Aufsicht vom Universitäts-Adjunkten Albert v. Heß, später u. a. Hofrat der Obersten Justizstelle517. Mehr als die Marginalrubriken nehmen die Stichwörter auch auf das Latein als juristische Fachsprache Bedacht, so daß sich das Sachregister zumindest an den 512 Die spätere Auslegung vergaß diesen Zusammenhang und schuf so den gesetzlichen Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft: Brauneder, Ehegüterrecht, 366 f.; ders., Spiegel, 400 f., 405. 513 Loschelder, Gerichtsordnung, 50; Pfaff, wie Fn. 504, 3 f. 514 Ebda; Harrasowsky, Codex I, 7 f.; ders., Codification, 51, 98. 515 Nicht in die Druckausgabe aufgenommen: Harrasowsky, Codex I, 8, Fn. 17. 516 Siehe unten J. III.: S. 167 ff. 517 Neschwara, Jurist, 134, 269.
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1. Kap.: Die Entstehung
„gebildeten Bürger“ wendet. Wie zu Marginalrubriken ist auch zu Sachregistern festzuhalten, daß sie nicht nur einzelnen Gesetzen, zumal den Kodifikationen, sondern auch Gesetzessammlungen wie vor allem der „Justizgesetzsammlung“ beigesetzt wurden: Im Jahrgang 1811 enthält sie etwa mit anderen Stichwörtern die des gesamten ABGB-Sachregisters. Das Sachregister steigert den Nachschlagewert der Gesetze und Gesetzessammlungen, und zwar in lexikalischer Weise: Dies macht die eben erwähnte Verwendung von lateinischen Fachausdrücken deutlich, denn sie fehlen auch in einem Rechtslexikon just mit dem Titel „Allgemeines Teutsches Juristisches Lexicon“ (Thomas Heyme, Leipzig 1738) nicht. Wie bei einem derartigen Lexikon konnte im ABGB-Register über entsprechende Stichwörter deren Erläuterung gefunden werden. So verweisen die dem Gesetzestext fremden lateinischen Wörter in der Regel nicht auf Gesetzesstellen, sondern mit Ausnahme einiger „condictiones“ auf die entsprechenden deutschen Stichwörter. Auch hatte das Register solchen noch lateinische Bezeichnungen nachgesetzt wie z. B. sogar „liberi“ zu „Kinder“. Die Zahl der lateinischen Stichwörter ist mit 115 beträchtlich, zumal es im Gesetzestext ja nur zwei lateinische Ausdrücke gibt: universitas rerum (§ 302), precarium (§ 974). Ein Teil davon galt offenbar als eingedeutscht, da diese wie auch die deutschen Wörter in den ersten amtlichen Ausgaben in Fraktur gedruckt waren wie etwa Absolutorium, Assignation, Collation, Corporationen, Extabulierung, Legitima, Präsentionen, Pupillen, Substitution, Vindication. Weitere 80 lateinische Ausdrücke sind durch lateinische Buchstaben hervorgehoben. Sie verweisen in der Regel auf ein deutsches Stichwort wie von den „echten“ lateinischen Stichwörtern „Activa“ auf „Forderung“ oder „Usucapio“ auf „Verjährung“, aber ebenso längere Ausdrücke wie zum Beispiel „Poena. Legatum poenae nomine relictum“ schlicht auf „Auftrag“ oder „Beneficium cedendarum actionum“ auf „Bürge“. Seltener sind zwei deutsche Entsprechungen wie etwa zu „Beneficum divisionis“ „Bürge: Teilung“, „Jura merae facultatis“ ist erklärt mit „. . . unterliegen nicht der Verjährung“, „Precarium“ – das auch im Text steht (§ 974) – mit „Bittleihen (ohne Bestimmung einer Dauer, kann willkürlich zurück genommen werden)“. Das Register bot in derartigen Fällen nahezu lexikalische Erklärungshilfe. Ähnlich kannte es dem Text unbekannte deutsche Ausdrücke518: Beispielsweise verweist es unter der gängigen Bezeichnung „Leibgedinge“, welche der Gesetzestext nicht kennt, auf das hier „Advitalitätsrecht“ benannte Institut, „Aussteuer“, „Mitgabe“ und „Mitgift“ verweisen alle auf „Heiratsgut“. So dokumentieren die im ursprünglichen ABGB-Register enthaltenen Stichwörter, die der Gesetzestext nicht kennt, ebenfalls dessen lexikalische Erschließung. Darüber hinaus schlägt sich darin auch die Entscheidung für eine einheitliche Rechtssprache nieder: nur mehr Heiratsgut (Gesetzestext), nicht 518 A. von Drasenovich, Gesetzessprache und die Sprache des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, in: ÖNZ 1911, 172 ff.
G. Die Verbreitung der Gesetzeskenntnis
143
auch noch die drei eben erwähnten Synonyme der Vertragspraxis (Register). Schließlich besaß das Register eine inhaltliche Funktion. Dazu sei beispielhaft erwähnt, daß sich die Regelung der ehelichen Gütergemeinschaft durch zusammengehörige Bestimmungen in zwei Hauptstücken besonders durch die Verweisungen im Sachregister erschließen ließ: unter „Gütergemeinschaft“ auf „Gemeinschaft des Eigentumes“ und „Gemeinschaft der Güter“ sowie diese ergänzende Paragrafen im Ehepakt-Hauptstück; mit u. a. dem Rückgang der Bedeutung des Sachregisters ging dieser Zusammenhang verloren. Der sogleich zu erwähnende Wildner verwies beriets 1843 unter „Gütergemeinschaft“ nur mehr auf vier Paragrafen, als Gütergemeinschafts-Bestimmungen galten bald nur mehr die im Ehepakt-Hauptstück, so daß man sie als Bestimmungen einer Gütergemeinschaft auf den Todesfall mißverstand519. Im Jahre 1843 erschien zum ABGB ein „Lexikon“ ganz besonderer Art, nämlich das „Lexikon sämtlicher Worte des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches“ von Ignaz Wildner v. Maithstein520. Titelgemäß beschränkt es sich keineswegs auf juristisch relevante Worte, wir finden u. a. auch Paragrafenangaben zu „bloß“, „einzig“, „Dose“, „gehen“ in vier Bedeutungen, „klein“, „nur“, „zwar“, angeführt wohl von „können“ in 551 Paragrafen (von 1502)! Wildner sah den „Zwck“ seines „Wortlexikons“ in einer „quellenmäßigen Kenntnis“ des ABGB.
V. Populäre Erläuterungen Über alle oder wenigstens einzelne Rechtsbestimmungen wollte Zeiller „die Jugend und die in den Rechten gewöhnlich unerfahrenen Volksklassen belehren“, und zwar „durch sanktionierte, fachliche und zweckmäßige Auszüge“ 521. Inwiefern „es nötig oder gar ratsam sei, Auszüge aus den Gesetzen . . . dem Volke in die Hände zu geben“, war freilich, so etwa Svarez522, umstritten. Eine populäre Darstellung offiziöser Natur existierte schon zum Ehepatent 1783, wobei von zwei Varianten jener aus der Feder von Sonnenfels der Vorzug gegeben wurde, da sie gegenüber der anderen „deutlicher und mehr zur Überzeugung des Publikums von dem Nutzen des Ehepatents geeignet“ sei523. Umsomehr bewogen sowohl das ALR wie das ABGB zur Abfassung von Darstellungen des Gesetzesinhalts in einfacher, nichtjuristischer Art. Ihre Verfasser 519
Brauneder, Gesellschaft, 229 ff. Mit dem weiteren Titelzusatz „mit Angaben aller Paragrafen in welchen dieselben vorkommen“, Wien 1843. 521 Zeiller, Grundsätze, 22. 522 C. G. Svarez, Unterricht für das Volk über die Gesetze, 1793, auszugsweise abgedruckt in: E. Wolf (Hrsg.), Deutsches Rechtsdenken 5, 1948, 6 f. 523 K. H. Osterloh, Joseph von Sonnenfels und die österreichische Reformbewegung im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (= Historische Studien 409), 1970, 180. 520
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1. Kap.: Die Entstehung
waren sogar die maßgeblichen Gesetzesredaktoren: Svarez, obwohl, wie erwähnt, einem solchen Vorhaben gegenüber skeptisch, und Zeiller. Jener wählte bezeichnenderweise den Titel „Unterricht für das Volk über die Gesetze“ (1793). Es wurde schon erwähnt, daß Svarez „unter Volk nicht den ganz gemeinen Mann gedacht“ 524 hat, sondern die Kategorie des „gebildeten Bürgers“. Svarez wählte nicht nur eine andere Diktion als im Gesetz, sondern gewichtete in seiner Auswahl auch nach der Interessenlage „dieser Klasse von Lesern“. Etwas anders geraten ist Zeillers „Abhandlung über die Prinzipien des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches“ (1816–1820)525, was das Wörtchen „Prinzipien“ andeutet. Zeiller geht nämlich häufig von Erklärungen über die Anforderungen des Naturrechts neben jenen des positiven Rechts aus, bedient sich oft einer anderen als der gesetzlichen Sprache etwa mit Ausdrücken wie „Mein und Dein“ zum Eigentum oder nimmt als Beweggründe Argumente aus der „Nationalökonomie“. Damit spricht er seine Leser jedenfalls anders als der Gesetzestext an, es wird ihnen ein nichtjuristischer Weg zum Gesetzesinhalt eröffnet. An weiteren populären Darstellungen des ABGB fehlte es vor allem im Vormärz nicht: Sprachlich interessant ist der Umstand, daß diese doch weitestgehend einfach den Gesetzestext abdruckten, da er offenkundig als klar und auch populär erschien. Dieser positive Befund für die Sprache des ABGB kehrte sich für diese Literaturgattung in das Gegenteil: Da sie bloß den Gesetzestext wiederholte, galt sie Späteren als unwissenschaftlich, als überflüssig (vgl. unten S. 230 ff.).
H. Die Gesetzessprache I. Die Lehre von der Gesetzessprache Über Gesetze wurde der künftige Landesfürst und Kaiser Joseph II. u. a. dahingehend belehrt526, diese dürften „nicht in einer fremden oder wohl gar toten Sprache abgefaßt sein“, da sie in diesem Falle „nur wenige der Untertanen verstehen“. Auch Zeiller ging später hinsichtlich der „Eigenschaften“ eines Gesetzbuches vom „Bürger“, dem es „Gewißheit und Sicherheit“ zu verschaffen hatte, aus. Da weiters mit dem Gesetz „der Wille des Oberen“ den „Untertanen durch Worte“ bekannt gemacht werde, sei der Wortwahl besondere Bedeutung beizumessen: Es müsse „in einer verständlichen Sprache kurz und deutlich abgefaßt“ sein527. Derartige Äußerungen waren keine hingestreuten Bemerkungen, sondern fußten auf der Lehre von der Gesetzessprache528.
524 525 526 527 528
Svarez, wie Fn. 522, 7. Brauneder, Zweiter Kommentar; ders., Person, 168 ff. Conrad, Recht, 244 f. Zeiller, Grundsätze, 9, 36; Ofner, Urentwurf II, 475. Zum Folgenden Deutsch, Wortwahl, 2 ff.
H. Die Gesetzessprache
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Die Lehre von der Gesetzessprache ist einerseits Teil der umfassenden Bemühungen um eine sachgerechte und gleichzeitig allgemein-verständliche Rechtssprache, somit Teil der Lehre vom „Geschäftsstil“, andererseits auch Teil der schon beschriebenen Gesetzgebungslehre (s. o. S. 63 ff.). Vorerst stehen die Ausführungen zur Gesetzessprache noch im Rahmen der Lehre über den Geschäftsstil. Um 1800 urteilte man zu den Werken über den Geschäftsstil in der Habsburgermonarchie529, es hätten hiezu „die Herren von Sonnenfels und Scheidlein mit Meisterhand entworfene und ausgeführte Anleitungen geliefert“, nämlich jener: „Über den Geschäftsstyl“ (vor allem 2. Auflage Wien 1785) sowie von einem anonymen Herausgeber: „Erklärungen über den Geschäftsstyl in den österreichischen Staaten, nach dem Geiste der öffentlichen Vorlesungen des Hrn. Georg Scheidlein“ (Wien 1794). Hinsichtlich der Ausformungen von Gesetzen folgte Scheidlein zum Teil wortwörtlich dem Buch von Sonnenfels. Als allgemeine sprachliche Hilfsmittel galten die Werke zur Sprachlehre von J. Ch. Adelung und S. J. Stosch wie auch Justis „Anweisung zu einer guten deutschen Schreibart“ (Leipzig 1778) neben zahlreichen Wörterbüchern. Vor allem das Buch von Sonnenfels prägte den gesamten hier behandelten Zeitraum, er selbst durch mannigfache Tätigkeiten in der Gesetzgebung diese auf unmittelbare Weise. Dies wird wohl auch deutlich in der Circular-Verordnung vom 23. Januar 1782530, die für öffentliche Schriftstücke unter anderem „die Weitläufigkeit“ verbietet und hiebei Bittschriften von Privatpersonen, Schriftstücke einzelner Beamter, den Amtsverkehr zwischen den Behörden wie auch deren „Befehle und Verordnungen“ reglementiert. Sonnenfels selbst hat in dieser Verordnung den Anfang „einer sorgfältig gereiften Sprache der Gesetze“ und darin wieder ein „Denkmal“ der Regierung für „Welt und Nachkommenschaft“ gesehen.
II. Die Sprachgestaltung der Gesetze Die Sprachgestaltung hatte bereits vor der Circular-Verordnung 1782 in der Gesetzgebung eine Rolle gespielt. Um „Sicherheit und Wohlfahrt“ sowie „Gleichförmigkeit“ durch ein „verlässliches“ und überdies „immerwährendes“ Gesetz herzustellen, verlangte schon der Codex Theresianus „ein klares, deutliches“ Gesetzbuch und behauptete, ein solches zu sein531: Die anschließende Kritik fand, wie erwähnt, just dies nicht gegeben. Tatsächlich konnte mit Gewinn vor allem für die Verständlichkeit ohne Substanzverlust der Stoff des Codex Theresianus bis zum Entwurf Horten um etwa 50% und in weiterer Folge um nochmals 50% bis hin zum ABGB 1811 reduziert werden. Die Vorrede zum Inhaltsverzeichnis einer Ausgabe des Teil-ABGB „Nach dem Wiener Exemplar“ aus 529 530 531
Preuer, Anleitung, 7. JGS 32; Sonnenfels, Geschäftsstyl, 4 f. Korkisch, Entstehung, 266 ff.
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1. Kap.: Die Entstehung
1787 behauptet allgemein, es seien nun „die Gesetze in einer verständlichen Sprache“ gegeben, was es mit auch „dem gemeinsten Manne gestattet“, sich mit ihnen „bekannt zu machen“. Die Textreduzierungen ohne Inhaltsverlust zeigen deutlich ein Ringen um eine präzise Rechtssprache und veranschaulichen vor allem den Erfolg, der hiebei erzielt werden konnte. Ihn verstärkt der Umstand einer bis dahin mangelnden praktischen modernen Gesetzgebungserfahrung wie auch die erst jetzt einsetzende theoretische Behandlung der Rechts- und mit ihr der Gesetzessprache. Neben der rechtsinhaltlichen Entwicklung der Kodifikationen – und sie wohl wesentlich beeinflußend – läuft die Ausbildung der Gesetzgebungstheorie einher. Sie liegt erst noch eingebettet in den „Geschäftsstil“, denn dieser betrifft nach der Definition von Sonnenfels532 jedes „Geschäft“ von Behörden („Stellen“). Sein „Geschäftsstyl“ erschien in erster Auflage 1784, also während der Arbeiten am Teil-ABGB 1786. Die „Erklärungen über den Geschäftsstil“ von Scheidlein wurden 1794 publiziert, zwei Jahre danach, 1796, wurde das GBGB sanktioniert. Eine entscheidende Wendung trat mit Zeiller ein. Im Zuge seiner Arbeiten an der Endredaktion des ABGB entwickelte er 1806/1809 seine eigene Gesetzgebungslehre. Sie wurde nicht nur mehrmals veröffentlicht, sondern fand teilweise Eingang in seinen Kommentar zum ABGB und damit eine auch weiterhin richtungsweisende Verbreitung533. Zeillers Ausführungen zur Gesetzgebungslehre sind also Teil der Kodifikationsarbeiten. Dies gilt ähnlich auch für ein weiteres Werk zur Gesetzgebungslehre, das sich, abgeschlossen 1836, auf die „Zeit, in welcher der Geist zur Revision und zur Abfassung der Gesetzbücher so rege geworden“, bezieht und von dem Mitglied der Hofkommission in Justizgesetzgebungssachen Joseph Kitka verfaßt wurde: Schon seinem Titel „Über das Verfahren bei Abfassung der Gesetzbücher überhaupt, und der Strafgesetzbücher insbesondere“ (Brünn 1838) wie der Erklärung des Autors534 nach betrifft es fast nur die materielle Strafgesetzgebung und enthält kaum Ausführungen zur Gesetzessprache. Eine eigene, von der praktischen Gesetzgebung unabhängige Gesetzgebungslehre gab es übrigens seit dem ABGB nicht mehr! Bei Sonnenfels und Scheidlein muß das die Gesetzessprache Betreffende sowohl den allgemeinen Ausführungen zum Geschäftsstil wie als Besonderheit hiezu jenen über die „gesetzgebende Sprache“ (Sonnenfels), speziell den Ausführungen über „Gesetze“ (Scheidlein) entnommen werden. Während Sonnenfels für diese speziellen Ausführungen wenigstens 38 von insgesamt 424 Seiten, also knappe 9%, aufwendet, sind es bei Scheidlein mit 4 von 319 Seiten wesentlich weniger, nämlich nur 1,25%535.
532 533 534
Sonnenfels, Geschäftsstyl, 4 f. Vgl. o. Fn. 196. Kitka, Verfahren, VII.
H. Die Gesetzessprache
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Insgesamt gelten für die Rechts- und damit auch für die Gesetzessprache folgende Kriterien536: „Sprachrichtigkeit“, „Deutlichkeit“, „Kürze“ sowie „Anstand“, wozu bei Scheidlein noch „Angemessenheit“ und „Einheit“ treten. Hievon gehen in Zeillers Gesetzgebungslehre die „Deutlichkeit“ der „Gegenstände“ in die Erfordernisse der „materiellen Güte“ der Gesetze ein, die „Deutlichkeit“ der „Sprache“ in die „äußere oder formelle Güte“ als „Bestimmung der Begriffe“, hier findet sich auch die „Kürze“ wieder. „Sprachrichtigkeit“ 537 steht bei Sonnenfels im Gegensatz zur „fehlerhaften Sprache“, es ist nach Scheidlein das, „was den Regeln der Sprache gemäß ist“. Eine eigene „Kanzleiterminologie“ erscheint Sonnenfels als durchaus notwendig, nämlich dann, wenn die allgemeine Sprache keine Ausdrücke beizusteuern vermag. Vor allem für Gesetze müssen „immer die eigentümlichsten Wörter gewählet werden“, um Genauigkeit und Richtigkeit „vor allem für die Auslegung“ zu gewinnen. Die „Sprache der Wielande und Lessinge“ habe hier selbst hinter „das Provinzialwort“, das er sonst wegen mangelnder „Deutlichkeit“ ablehnt, zurückzutreten, gewählt werden könne auch beispielsweise „das Gewerbswort bei einer Gewerbsordnung“. Die Konzession von Sonnenfels geht hier sehr weit: Ein Gesetz dürfe selbst einem „unrichtigeren, aber gangbaren Ausdrucke“ den Vorzug geben, doch müsse dem „der richtige eingeklammert an die Seite gestellt“ werden. Damit verknüpft er die Hoffnung, „daß das Volk dadurch nach und nach den letzteren in der Bedeutung des ersteren zu nehmen gewöhnt wird“, wozu er bemerkt: „Diesen Weg schlägt die österreichische Gesetzgebung seit einiger Zeit ein, um auch von dieser Seite etwas zur Sprachverbesserung mitzuwirken“! Dies geschah tatsächlich im ABGB: In § 974 ist dem Ausdruck „unverbindliches Bittleihen“ das offenbar als präziser angesehene Wort „Precarium“ nachgesetzt, in der Marginalrubrik zu § 302 zu „Gesamtsache“ der Terminus „universitas rerum“. In gewisser Weise folgt dieser Regel auch das ABGB-Register mit jenen deutschen und sogar lateinischen Wörtern, die auf andere Ausdrücke des Gesetzestextes verweisen. Somit: Erziehung durch Rechtssprache, ein durchaus aufklärerisches Bemühen. „Deutlichkeit“ 538 steht gerade bei Gesetzen höher im Rang als „Sprachrichtigkeit“: Deren Mißachtung „macht eine Schrift nur ekelhaft: Undeutlichkeit macht sie ekelhaft und zugleich unbrauchbar“. Gefordert werde eine zweifache 535 Sonnenfels, Geschäftsstyl; Scheidlein, Geschäftsstyl, 5 ff.; in seiner „Liebe des Vaterlandes“ (vgl. oben bei Fn. 194) widmet Sonnenfels der Gesetzgebungslehre 21 von 131 Seiten bzw. eines der vierzehn „Hauptstücke“. 536 Vgl. hiezu Sonnenfels, Geschäftsstyl, 5 ff., 387 ff.; Scheidlein, Geschäftsstyl, 9 ff., 317 ff.; Preuer, Anleitung, 21 ff. 537 Vgl. hiezu Sonnenfels, Geschäftsstyl, 6 ff., 395 ff.; Scheidlein, Geschäftsstyl, 9 ff., 317. 538 Vgl. hiezu Sonnenfels, Geschäftsstyl, 25 ff., 395 f.; Scheidlein, Geschäftsstyl, 37 ff., 316; Preuer, Anleitung, 75 ff.
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1. Kap.: Die Entstehung
Deutlichkeit, nämlich die „des Stoffs“ und die „der Sprache“. Erstere verwirkliche sich in der „Ordnung“, also der Systematik als „Beweis von der Topik des Verfassers“. Letztere beträfe vor allem den „Zusammenhange der einzelnen Begriffe“, die „Wahl der Wörter, womit diese Begriffe ausgedrückt werden“. Insgesamt zeigt sich bei diesem Kriterium jedenfalls das enge Naheverhältnis zwischen Sprache und Systematik des Gesetzes. Da zum Ausdruck eines Begriffes die Worte so zu wählen sind, daß „deren Bedeutung die Leser verstehen können“, stellt sich für Sonnenfels hier die Frage nach der Verwendung vor allem des Latein, das er, wie jede Fremdsprache, grundsätzlich ablehnt: Bei Scheidlein bildet dies ein eigenes Kriterium, nämlich das der „Reinigkeit“. Wenn freilich Fremdwörter „durch einen langen Gebrauch geläufig sind und eine bestimmte, allgemein bekannte Bedeutung haben“, dann wertet Sonnenfels diese als „nationalisiert“. Das mag für jene lateinischen Ausdrücke zutreffen, die später im ABGB-Sachregister wie die deutschen in Fraktur gedruckt sind und nicht wie andere lateinische Termini in lateinischer Schrift. Besonders ablehnend verhält sich Sonnenfels gegen die Verwendung der schon erwähnten Provinzialausdrücke in allgemeinen Gesetzen; allerdings sieht er kein Hindernis, Provinzialausdrücke in „Provinzialverordnungen“ aufzunehmen, nicht hingegen in „Aufsätze für einen Staat, der aus mehreren Provinzen zusammengesetzt ist“ wie eben die Habsburgermonarchie. Scheidlein ist hier rigoroser: „Die hochdeutsche Sprache ist allein gut“. Eine „Fortsetzung der Deutlichkeit“ ist bei Scheidlein die eigene Kategorie der „Angemessenheit“: Sie besteht „in der genauesten Übereinstimmung der Ausdrücke sowohl mit der allgemeinen Absicht der Sprache, als auch mit den jedesmaligen besonderen Absichten des Sprechenden oder Schreibenden“. „Kürze“ 539 verlangt die „Vermeidung alles Überflüssigen“, das heißt „desjenigen, was hinwegbleiben kann, ohne daß von Seite des Gegenstandes etwas vermißt, ohne daß die Absicht minder erreicht werde“. Speziell für ein Gesetz bedeutet dies, daß das, „was befohlen, was verboten ist“, nur „in kurzen Sätzen“ vorgetragen werden darf, „die jeder für sich ihren vollendeten Sinn haben“ müssen. Ferner: Kurze Absätze haben „außer dem Vorteile der Verständlichkeit auch noch diesen, daß sie leichter behalten werden“. „Anstand“ 540 bedeutet Berücksichtigung von jenem „Verhältnis“, das zwischen dem Schreibenden und dem Adressaten besteht. Gerade bei Gesetzen solle „das Gebot als Unterricht eingekleidet“ sein und „die Sprache des Fürsten zu seinen Untertanen in die Sprache des Vaters zu seiner Familie umgestaltet“ werden. Derart begründete Befehle würden leichter befolgt. Sonnenfels wendet sich allerdings gegen eine übertriebene „Majestätssprache“, findet aber doch den Ge539 Vgl. hiezu Sonnenfels, Geschäftsstyl, 57 ff., 387 ff.; Scheidlein, Geschäftsstyl, 61 ff., 316; Preuer, Anleitung, 62 ff. 540 Vgl. hiezu Sonnenfels, Geschäftsstyl, 69 ff., 397 f.; Scheidlein, Geschäftsstyl, 69 ff., 317; Preuer, Anleitung, 85 ff.
H. Die Gesetzessprache
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brauch des Wortes „wir“ für vertretbar, denn der Regent „stellt sein ganzes Volk vor, spricht im Namen der Nation“. „Einheit des Stils“ 541 nennt Scheidlein jene der Eigenschaften, die alle anderen „zu einem schönen Ganzen“ verbinde, und zwar „zu einem einzigen Endzwecke“. Dem diene „Plan und Ordnung“. Bei Zeiller kehrt dies in den inhaltlichen Kriterien „Gleichartigkeit“ und „Übereinstimmung“ wieder. Obwohl bei Kitka die Rechtssprache als eigenes Kriterium nicht mehr hervortritt, widmet er breiteren Raum einem Spezialproblem, nämlich dem der Übersetzungen542.
III. Die Übersetzungen 1. Übersetzungen im allgemeinen Wie oben zur Gesetzesprache erwähnt, war Joseph II. auch dahingehend belehrt worden, Gesetze müßten der Untertanen wegen „in der landesüblichen Sprache, nicht in einer fremden oder wohl gar toten Sprache“ publiziert werden, Friedrich der Große ordnete an, „alle Gesetze für unsere Staaten und Unterthanen in ihrer eigenen Sprache“ abzufassen543. In der mehrsprachigen Habsburgermonarchie gewannen derartige grundlegende Aussagen einen spezifischen Sinn: Die Sprachenpolitik der Habsburgermonarchie berücksichtigte sowohl in der Amtssprache, der Unterrichtssprache und damit zusammenhängend bei Anstellungserfordernissen im Staatsdienst die nichtdeutschen Sprachen – freilich meist bei einem Vorrang des Deutschen als allgemeiner Verständigungssprache. Als 1784 die „Einführung des Gebrauches der deutschen Sprache bei allen öffentlichen Aemtern des Königreichs Ungarn“ befohlen wurde544, geschah dies im Hinblick auf die in diesem Teil der Monarchie bestehende, besonders auch Deutsch umfassende Sprachenvielfalt, wovon man eine, nämlich das überall verbreitete Deutsch, zur Amtssprache erhob, weil das bisher offizielle Latein eine tote Sprache war. Daher wurde im selben Jahr allgemein „die deutsche Sprache zu den öffentlichen Vorlesungen“ angeordnet545 und verdrängte die Reste des bisher hiezu üblichen Lateins. Die Einführung der deutschen Sprache 1785 in Galizien546 geschah, damit „die verschiedenen Provinzen . . . durch das Band einer gemeinschaftlichen Sprache unter sich näher vereiniget“ werden. Hatte noch 541 Vgl. hiezu Scheidlein, Geschäftsstyl, 73 f.; Zeiller, Grundsätze, 15 f.; Ofner, Urentwurf I, 7; ders., Urentwurf II, 471 ff. 542 Kitka, Verfahren, 56, 146 ff. 543 Conrad, Recht, 419; Lorenz, wie Fn. 467. 544 VO zu Preßburg aus dem k. Statthaltereirathe 1784 V 18 (Handbuch VII, 931 ff.). 545 VO Wien 1784 VII 12 (Handbuch VI, 402 ff.). 546 A. Fischel, Das österreichische Sprachenrecht. Eine Quellensammlung, 2. Aufl., 1910, XLII Fn. 1, 34, Nr. 59.
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1. Kap.: Die Entstehung
Joseph II. für die italienischen Teile den allmählichen Gebrauch der deutschen Spache befohlen, so wurde dies nach seinem Tode gelockert547. Für die Wechselgerichte in Lemberg sowie Brody ordneten Hofdekrete 1815 bzw. 1819 den Gebrauch der deutschen Sprache an, hingegen ergingen 1816 Anordnungen, daß sowohl in Triest wie in Fiume die Handlungsbücher in englischer Sprache geführt werden durften548. Für die Bewerbung um Rechtsanwaltsstellen in Böhmen galt 1840 die „Kenntnis der böhmischen Sprache“ neben dem Deutschen bereits als eine der „ohnehin erforderlichen Eigenschaften“ und 1842 wurde für Galizien festgehalten, daß Bewerber um Aufnahme und Beförderung an den Kollegialgerichten mit „Kenntnis der moldauischen (wallachischen) Sprache“ bevorzugt werden würden549. Insgesamt ist es also verfehlt, der Sprachenpolitik Germanisierungsmotive zu unterstellen. Vielmehr entsprach es der Logik des aufgeklärten Staates, eine einheitliche Sprache ebenso zu verordnen wie ein einheitliches Recht oder eine einheitliche Währung. Hiefür griff man begreiflicherweise zu der am weitesten verbreiteten Sprache, nämlich Deutsch, die überdies der anderssprachige Normadressat, etwa der tschechische „gebildete Bürger“, ohnedies verstand, auch waren starke Teile des Bürgertums bis weit in die östlichen Provinzen deutschsprachig. Deutsch war überdies zu diesem Zeitpunkt in der Habsburgermonarchie die am weitesten entwickelte Sprache neben dem Italienischen, was gerade im Bereich der Gesetzessprache die Übersetzungsschwierigkeiten vor allem in slawische Sprachen erwiesen. Was die Mehrsprachigkeit von Gesetzen anlangt, so stand diese ganz im Zeichen einer Bedachtnahme auf die Untertanen, was Übersetzungsanweisungen vermerkten550: Die Kundmachung der – in Deutsch verfaßten – Gerichtsordnung für Westgalizien 1796 betonte, daß diese „zur Erleichterung der Untertanen zugleich in lateinischer und in polnischer Sprache ausgegeben“ werde; 1819 wurde verfügt, daß jene Justizverordnungen in Kroatisch kundzumachen seien, deren „Kenntnis dem Volke wesentlich notwendig ist“. Dies allerdings zeigt auch die Grenzen der Mehrsprachigkeit auf: Was nämlich nicht „dem Volke“ als „wesentlich“ zur Kenntnis kommen mußte, erforderte auch keine Übersetzung. Allerdings sind die nach dem Erwerb Westgaliziens 1773 für (auch) diesen Provinzteil erlassenen Patente551 fast durchwegs doppelsprachig ergangen, ganz wenige bloß in lateinischer Sprache, nämlich zwei Patente vom 2. Dezember 1775, oder allein in Deutsch wie das Zollpatent vom 2. Jänner 1778, eines sogar in lateinisch/ 547
Ebda, XL ff. HD 1815 IV 22 (JGS 1146); HD 1819 IX 17 (JGS 1606); HD 1816 II 7 (JGS 1208); HD 1816 VIII 14 (JGS 1276). 549 HD 1840 XI 4 (JGS 474); HD 1842 II 15 (JGS 598). 550 Pat 1796 XII 19 (JGS 329); HD 1819 V 11 (JGS 1559). 551 Sammlung „Polnische Patente“ am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Falkultät der Universität Wien. Vgl. auch M. von Stubenrauch, Handbuch der österreichischen Verwaltungs-Gesetzkunde, 1856, 12. 548
H. Die Gesetzessprache
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deutsch, nämlich die Lex tabularum vom 4. März 1780. Dies trifft sowohl auf kürzere wie auf längere Patente zu. In der Regel ist das „Titelblatt“ in der oberen Hälfte mit dem deutschen, in der unteren Hälte mit dem polnischen Text versehen, anschließend enthält die linke Seite den deutschen, die rechte den polnischen Text. Allein „Avertissements“ oder „Nachrichten“ in einem breiteren Format ordnen die Texte pro Seite in zwei Spalten an, wobei die linke Spalte den deutschen und die rechte den polnischen Text enthält. Selten sind broschürenartige „Nachrichten“, die allein den deutschen Text und auf der jeweiligen Rückseite den polnischen Text enthalten. Die Doppelsprachigkeit war also durchaus auch außerhalb größerer Gesetze üblich. Allerdings war schon 1784552 hinsichtlich einer auch tschechischen Gesetzespublikation allgemein festgehalten worden, es sei irrig, „was nur immer im Lande kundzumachen ist“, habe auch ins „Böhmische“ übersetzt zu werden, denn dies gelte nur für bestimmte, nämlich wichtige Gesetze und überdies solle die „deutsche Sprache . . . allgemein und überall ausgebreitet werden“. Als dann 1787553 bestimmt wurde, daß alle von den Appellationsgerichten erlassenen Verordnungen „auf der einen Seite in der National-, auf der andern Seite in deutscher Sprache“ publiziert werden müßten, bedeutete dies bei weitem keine allgemeine Zweisprachigkeit und schon gar nicht eine gleiche Authentizität aller Gesetzessprachen. Dies zeigt nicht nur der Umstand, daß 1806554 ausdrücklich alle nichtdeutschen Gesetzestexte als „Übersetzung“ galten, sondern vor allem erweisen dies die noch zu erläuterten Regelungen zu den Kodifikationen. Ein anderes Verhältnis mehrsprachiger Gesetzestexte zueinander wurde bloß erwogen. Demnach sollte in bestimmten Provinzen, wo die Übersetzungssprache „die Geschäfts-(Gerichts-)Sprache ist (wie z. B. in den italienischen Provinzen)“ 555, der in ihr abgefaßte Text zum „Urtext“ erklärt werden und nicht der deutsche, also z. B. in Lombardo-Venetien die italienische Fassung – die dann nicht bloß als „Übersetzung“ zu gelten hätte. Dies aber blieb unrealisiert. Grundsätzlich stieß das Übersetzen auf zwei Schwierigkeiten: das Finden eines geeigneten Fachmannes, der nicht nur die entsprechenden Sprachen beherrschen, sondern auch juristische Kenntnisse haben sollte einerseits und andererseits der juristische Wortschatz der Übersetzungssprachen. Spürbar wurden beide Problemkreise sogleich im Umfeld des Codex Theresianus und dauerten bis in die Übersetzungskommission von 1849/50 hinein an556. Zur fachlichen Auswahl der Übersetzer557 gesellten sich auch finanzielle Aspekte: Die ursprünglich für die
552 553 554 555 556 557
Fischel, wie Fn. 546, 32, Nr. 52 und Nr. 53. HD 1787 II 22 (JGS 633). Zum Folgenden Slapnicka, Recht, 64. Kitka, Verfahren, 149. Siehe sogleich u. S. 153 ff. Dazu Hlavacˇka, Übersetzungen, 105 ff.
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1. Kap.: Die Entstehung
Übersetzung des Codex Theresianus ins Tschechische vorgesehenen Fachleute verlangten 6000 fl. bzw. 3000 fl., enthielten aber den Auftrag nicht. Für die sprachlichen Schwierigkeiten legen die mehrfachen Übersetzungen des ABGB ins Polnische, Tschechische und vor allem ins Italienische besonders Zeugnis ab558. 2. Deutsch – Latein Das Latein als juristische Fachsprache ließ sich anfangs nur mühsam umgehen. Schon die „Hauptübersicht“ zum Codex Theresianus enthält lateinische Erklärungen, was man eigens mit einer „kläglichen Gewohnheit an das Latein“ entschuldigte, wogegen man dann einen, so Harrasowsky, „übertriebensten Purismus“ in der Verwendung der deutschen Sprache setzte559. Unter dem Referate Zenckers ließ man jedoch nicht nur wieder lateinische Fachausdrücke einfließen, sondern ersetzte die deutschen Marginalrubriken durch lateinische „zu desto leichterem Begriff“, die allerdings der Staatsrat zu streichen befahl560, freilich nicht so sehr der Sprache wegen, sondern an sich, womit aber der Text doch stark entlatinisiert war. Der Codex Theresianus hatte somit in einem frühen Stadium noch lateinische Randerläuterungen besessen. Beim entlatinisierten Text ohne Marginalrubriken blieb es nun, Horten sah selbst von deutschen, jedoch „römisch klingenden“ Bezeichnungen ab561. Als es spätestens während der Superrevision selbstverständlich geworden war, dem Gesetzestext wieder Marginalrubriken beizugeben562, dachte niemand daran, sie in Latein abzufassen: Man hatte inzwischen ein nüchterneres Verhältnis zum Gemeinen Recht gewonnen. Die zwei lateinischen Ausdrücke, die sich noch im ABGB-Text finden, dienen beide zur Verdeutlichung deutscher Ausdrücke und sind diesen in Klammern beigesetzt: in § 974 der Terminus „Precarium“ dem offenbar erläuterungsbedürftigen Begriff „unverbindliches Bittleihen“ sowie in der Marginalrubrik zu § 302 „universitas rerum“ dem Wort „Gesamtsache“. Ausdrücke wie „Cedent“ bzw. „Cessionar“ für „Übertrager“ bzw. „Übernehmer einer Forderung“, auch „Cessus“ in Klammer neben „Schuldner“ (§ 1395) galten wohl als „eingedeutscht“ 563. Das amtliche ABGB-Register hingegen nahm, wie erwähnt (oben S. 141 ff.), weitaus stärker auf das Latein als juristischer Fachspra558
Siehe sogleich u. S. 153 ff. Harrasowsky, Codification, 51, 98. 560 Ebda 98, 146 (Streichung hier irrig erst für 1775 angenommen); Harrasowsky, Codex I, 7; Voltelini, Codex, 57 f. 561 Ebda, 60; Pfaff, wie Fn. 313, in: JBl 1887, 305 ff. mit Beispielen für deutsche Wortschöpfungen. – Zur Gesetzessprache des ABGB: E. von Künssberg, Der Wortschatz des österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (= Beiträge zum Internationalprivatrecht und zur Privatrechtsvergleichung), 1930. 562 Vgl. Pfaff, wie Fn. 418, 3 f. 563 Deutsch, Wortwahl, 25. 559
H. Die Gesetzessprache
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che bedacht und enthielt eine große Anzahl lateinischer Ausdrücke, die der Gesetzestext nicht kennt. So verwies es unter „Correalität“ auf zehn Paragrafen (§§ 550, 820 f., 891–896, 1203, 1302), die den Ausdruck nicht enthalten, nur zu einem davon (§ 891) die Marginalrubrik. 3. Übersetzungen bis zum ABGB Für Zeiller war es selbstverständlich, „daß das Gesetzbuch in alle, in den Provinzen, für die es bestimmt ist, üblichen Sprachen zu übersetzen“ sei564, was sich schon aus der Entwicklung so ergab. Zu „übersetzen“ war der deutsche Text, der – wie auch bei anderen Gesetzen – als authentisch galt. Vom GBGB galt die deutsche Fassung ausdrücklich als „Urtext“, in das Polnische und in das Lateinische wurde dieser „übersetzt“; das ABGB erklärt den deutschen Text zum „Urtext, wonach die veranstalteten Übersetzungen in (die) verschiedenen Landessprachen“ zu beurteilen sind. Auch die lateinische und polnische Fassung der Gerichtsordnung für Westgalizien galt als „Übersetzung“, als richtungweisend der deutsche Text. Sogleich ab Beginn der Kodifikationsarbeiten bemühte man sich stets um entsprechende Übersetzungen565. Zwischen 1767 und 1771 liefen bereits Arbeiten zur Übersetzung des Codex Theresianus in das Tschechische („Böhmische“) und das Italienische neben den sonstigen Kodifikationsarbeiten einher, eine geplante Übertragung in das Slowenische („Windische“) unterblieb wegen der geringen Verbreitung dieser Sprache. 1773 wurde der inzwischen veränderte deutsche Text abermals in das Tschechische und Italienische übertragen, die Übersetzung in Latein für Galizien hatte bloß vorerst zu unterbleiben566. Die Allgemeine Gerichtsordnung sollte übrigens gleichfalls ins Lateinische, Tschechische und Italienische übertragen werden. Alle diese Übersetzungsbemühungen „raubten sehr viel Zeit und verursachten auch ziemlich bedeutende Auslagen“ 567. Vom Teil-ABGB 1786 konnten sogleich 1787 zwei Übersetzungen in das Tschechische erscheinen, und zwar die eine bei Trattner in Wien: „Práwa wseobecná mèstska. dyl I. [Josefs II. bürgerliches Gesetzbuch, I. Teil – übersetzt von Zlobitzky], W. Widnj, J. F. vroz z Trattneruw, 1787“ und eine weitere bei Schönfeld zu Prag sowie eine in das Italienische; daß gleich 1787 ein „Gebrechen in der italienischen Übersetzung“ behoben wurde, läßt auf eine besondere Sorge um gute Übersetzungen schließen. Dies erhärtet das Strafgesetzbuch 1803, von dem 564
Zeiller, Grundsätze, 22; Ofner, Urentwurf II, 468 f. Harrasowsky, Codification, 123, 126, 135 f.; ders., Codex I, 9; Hlavacˇka, Übersetzungen, 104 ff. 566 Harrasowsky, Codification, 123 („wendische“ = „windische“), 126, 135 f.; ders., Codex I, 9, Fn. 19; ders., Codex IV, 3, Fn. 3. 567 Kitka, Verfahren, 146 Fn. 2. 565
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1. Kap.: Die Entstehung
Übersetzungen ins Tschechische, Polnische, Italienische und Lateinische erschienen568. Von dem zufolge der Bevölkerung Westgaliziens in überwiegend polnischen Gebieten569 geltenden GBGB gab es begreiflicherweise Übersetzungen. Von mehreren deutschen Buchfassungen wurde offenbar nur die letzte der „westgalizischen“ übersetzt, und zwar in Polnisch wie in Latein. Beide Übertragung erschienen sogleich 1797 in Wien bei Hraschanzky: „Ustawy cywilne dla Galicyi zachodniey“ mit der Angabe „W Wiedniu drukiem Jozefa Hraszanskiego, C. K. Niemieckiego, i Polskiego nadwornego Typografa, i Bibliopoli 1797“, sowie „Codex civilis pro Galicia occidentali“ mit der Angabe „Viennae Typis Josephi Hraschanzky, caes. Reg. Aulae Typogr. Bibliop. 1797“. Allerdings gab es auch eine lateinische Fassung der ostgalizischen Ausgabe als Codex Civilis pro Galicia Orientali570. Eine der polnischen Übersetzungen stammt von Michael Stanislaus v. Stojowski aus Krakau, ab 1806 Hofrat der Obersten Justizstelle571. Eine Übertragung in die ruthenische Sprache für den Ostteil Ostgaliziens fand nicht statt. 4. Übersetzungen des ABGB Das ABGB von 1811 löste begreiflicherweise eine Übersetzungswelle aus. Übersetzungen befahl sein Kundmachungspatent, aber ohne Nennung der Sprachen572. a) Die ersten Übersetzungen Schon am 22. Jänner 1810 konnte die Gesetzgebungs-Hofkommission berichten, daß die Übersetzung ins Polnische abgeschlossen sei und die in das Tschechische („Böhmische“) gemeinsam mit der deutschen Fassung werde erscheinen können, was Zeiller 1811 als Faktum bekräftigte573. Tatsächlich erschienen aber 1811 in Wien als erstes zwei Übersetzungen ins Polnische: „Ksiega ustaw cywilnych wszystkim niemieckego dziedzienznym kraiom Monarchyi Austryackiey powszechna, W Wiedniu w c. kr. nad w kraiewy Skarbowey drukarni“ sowie 568
Kitka, Verfahren, 147 Fn. 1. Ostgalizien besaß einen erheblichen Anteil an ruthenischen, d. h. ukrainischen Gebieten. 570 O. Kutateladze/V. Zybar, Codex Civilis pro Galicia Orientali, Moscovia-Odessa 2013, mit ukrainischer Übersetzung. 571 Neschwara, Jurist, 134; Kocher, Justizstelle, 293. 572 Die folgenden Angaben aufgrund der jeweiligen Exemplare oder der angegebenen Literatur. Zu den Übersetzungen allgemein: A. T. Michel, Handbuch des allgemeinen Privatrechtes für das Kaiserthum Österreich I/1, 1856; zu den italienischen Übersetzungen F. Ranieri, Italien, in: Coing, Handbuch III/1, 231; Hinweise auch bei Slapnicka, Recht, 64 ff. 573 Pfaff/Hofmann, Commentar, 32; Stupecky ´ , Materialien, 339; Zeiller, Commentar I, 25. 569
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„Powszechna Ksiega ustaw cywilnych dla Wszystkich Krajow dziedzicznych niemieckich Monarchii austryackiej, Wieden, Z.c.K. drukarni nadworney i rzadowej. 1811“. Hierbei handelt es sich um zwei völlig verschieden gestaltete Texte, beispielsweise weist das Sachregister der letztgenannten gegenüber der ersterwähnten Auflage rund vierzig weitere Stichworte auf. Im Jahr darauf, 1812, kam in Prag die tschechische Übersetzung heraus: „Kniha wsseobecny´ch zákonu˚ méstsky´ch pro wssecky némecké dédic´né zemé Mocnár´stwj Rakauského. W Praze k. dostanj u Kasp. Widtmana“. Sie offenbart mehrfach die Übersetzungsproblematik. Der Titel574 belegt die Schwierigkeit adäquater Terminologie, denn sein erster Teil lautet auf Deutsch „Buch der allgemeinen Stadtgesetze“: Zu „bürgerliches Recht“ war an den Stadtbürger gedacht worden. Der Druck erfolgte durch den Buchhändler Kaspar Widtmann zu Prag, denn die Staatsdruckerei in Wien verfügte nicht über alle tschechischen Buchstaben! Nach der damaligen Sprachentwicklung galt die Übersetzung dennoch als „wertvolle Leistung“ (Hlavacˇka). Gleichfalls 1812 besorgte die erste Übersetzung in das Lateinische in Wien der Rechtsgelehrte Josef Winiwarter: „Codex civilis universalis pro omnibus terris haereditariis germanicis Imperii austriaci ex idiomate germanico in latinum translatus“; sie erschien 1812 in Kommission bei Joseph Geistinger. Wohl gleichfalls 1812 legte der Buchdrucker Peter Eckhard in Czernowitz575 im Format 8 ë eine dreibändige Übersetzung für die Rumänen des Buchenlandes (Bukowina) in deren Nationalsprache auf: „Kartea pravililor pirgaresti pentru toate tarile mostenitoare nemtesi a monarhii austricesti, 3 parti“. Ab 1814 folgten zahlreiche italienische Fassungen. Gerade sie standen unter keinem glücklichen Stern, obwohl das Italienische von allen nichtdeutschen lebenden Sprachen in Bezug auf juristische Termini den ersten Rang einnahm. Schon der Start mißglückte. Eine von Ignaz Rottmann, überwiegend an galizischen (!) Gerichten tätig, geleitete Kommission erstellte in den Worten Pratobeveras „eine unbrauchbare, unjuridische Arbeit“, die „italienischen Hofräthe verstanden wieder den deutschen Text nicht“ 576. Möglicherweise handelt es sich dabei um den „Codice civile universale“, erschienen Venezia 1814, mit dem wörtlich übertragenen, für Österreichisch-Italien nicht glücklichen Zusatz „per tutti gli stati ereditarj tedeschi della Monarchia Austriaca“, abgeschwächt durch die Beifügung „Versione italiana“; hier in Venedig war nämlich Rottmann ab 574
Zum Folgenden Hlavacˇka, Übersetzungen, 107. Nach G. A. Mantzoufas, Die Gründe für die absichtliche Verschweigung der österreichischen Vorlagen des moldauischen Codex Civilis vom Jahre 1817, in: ZRG/GA 82, 1965, 332, ist die rumänische Übersetzung schon 1811 erschienen; glaubhafter erscheint die Angabe bei V.-A. Georgescu/O. Sachelarie, Les Contacts entre le droit moldave et le droit autrichien au début de XIXe siècle, in: Aus Österreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart. FS Ernst C. Hellbling zum 80. Geburtstag, 1971, 161. 576 Neschwara, Jurist, 134; Kocher, Justizstelle, 287. 575
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1. Kap.: Die Entstehung
1814 Präsident des Appellationsgerichts. Das Mißlingen der ersten italienischen Ausgaben bedingte weitere Übersetzungen, von welchen gleich zu reden sein wird, weil sie die weitaus meisten Übersetzungen stellten. Erst nach mehreren Anläufen kam eine einigermaßen befriedigende italienische Übersetzung zustande (unten b)). Insgesamt lagen drei Jahre nach der Fertigstellung des ABGB Übertragungen in die wichtigsten Sprachen seines Geltungsgebietes vor; noch fehlten eine südslawische Fassung insbesondere für Krain und eine ukrainische für das östliche Galizien. Derartigen Übersetzungen stand zum Teil entgegen, daß diese Idiome noch nicht den Rang ausgebildeter Schriftsprachen erreicht hatten und der „gebildete Bürger“ ohnedies dem deutschen bzw. jüdisch-deutschen Bürgertum angehörte oder Deutsch verstand. b) Die „offiziellen“ Übersetzungen Einige der Übersetzungen erhielten ausdrücklich den Rang offizieller Ausgaben im Sinne des Kundmachungspatentes. So erschien zwar schon 1812 die eben erwähnte lateinische Übersetzung Winiwarters, doch galt als offizielle lateinische Übersetzung die gleichfalls von ihm besorgte mit dem abweichenden korrekteren Titel „Codex civilis universalis pro omnibus terris hereditariis germanicis imperii austriaci“, erschienen „Viennae“ 1817. Ebenso wurde auch unter den italienischen Übersetzungen unterschieden. Der erwähnten Ausgabe Venezia 1814 folgte eine zweite Auflage 1815 als „versione non ufficiale stampata“. Als offizielle Übersetzungen gaben sich aus: „Codice civile generale Austriaco. Edizione ufficiale“ (Venezia 1815), sodann ein „Codice civile universale Austriaco. Versione ufficiale colle citazioni delle leggi romane“ (Venezia 1816) und schließlich der „Codice civile generale Austriaco. Edizione seconda e sola ufficiale“ (Milano 1815). Um offenbar der Verwirrung mehrerer, in der Übertragung nicht ganz übereinstimmender „offizieller Versionen“ gegenzusteuern, wurde 1823 die letztgenannte aus Mailand zur „einzig officiellen“ erklärt; zu ihr erfolgte 1847 eine Richtigstellung577. Als Folge der Rechtsvereinheitlichung im gesamten Kaisertum Österreich aufgrund der Verfassung 1849 erschien noch in diesem Jahr in der Hof- und Staatsdruckerei Wien eine amtliche serbische Ausgabe „Sveobstij gradianskij zakonik za sve nemacke naseldne zemlj austrijske monarchie“ in kyrillischer Schrift. Mit der Ausdehnung des Geltungsbereichs des ABGB 1852/53 auf Ungarn und seine ehemaligen Nebenländer als nunmehr selbständige Kronländer kam für Ungarn, Kroatien-Slawonien, Österreichisch-Serbien („serbische Woiwodschaft“) und das Temeser Banat die Anordnung, es werde das ABGB „in amtlicher Handausgabe 577
HKD 1823 X 16 (JGS 1970) bzw. Justiz-HD 1847 III 5 (JGS 1043).
H. Die Gesetzessprache
157
sowohl in der deutschen Sprache, als auch in allen in [diesen] Kronländern üblichen Landessprachen kundgemacht werden“ (RGBl. 246/1852). Es setzte nun eine Welle neuer ABGB-Ausgaben ein. Für alle diese Länder wie weiters auch für Siebenbürgen erschienen vorerst deutsche sowie doppelsprachige Ausgaben, schließlich auch die jeweiligen Übersetzungen allein, und zwar alle in der Hof- und Staatsdruckerei Wien als offizielle Ausgaben mit doppelköpfigem Adler am Titelblatt. Die vorgenannten Länder erhielten als deutsche Ausgabe: „Allgemeines österreichisches bürgerliches Gesetzbuch kundgemacht mit dem Patente vom 29. November 1852 in den Königreichen Ungarn, Croatien und Slavonien, der serbischen Woiwodschaft und dem Temeser Banate, sammt den auf dieses Gesetzbuch sich beziehenden in dem Anhange enthaltenen nachträglichen Verordnungen“; der Titel der Ausgabe für Siebenbürgen variiert bloß im Mittelteil „. . . kundgemacht mit dem Patente vom 29. Mai 1853 in dem Großfürstenthume Siebenbürgen . . .“. An doppelsprachigen Ausgaben erschienen für diese Länder außer Siebenbürgen sowie für dieses je eine ungarisch/deutsche Ausgabe, die folgenden ungarischen Titel aufweisen: „Ausztriai atalanos polgari törvenykönyv kihirdettetett az 1852 november 29. nyiltparancscsal Magyar-, Horvat- es Totorszagban, a Szerbvajdasagban es a temesi bansagban, az ezen törvenykönyvre vonatkozo, a függelekben foglalt utolagos rendeletekkel együtt“ bzw. die Variation für Siebenbürgen: „. . . kihirdettetett az 1853 majus 29. nyiltparancscsal az Erdelyi nagyfejedelemsegben . . .“. Es erging auch eine kroatisch/deutsche Ausgabe, deren kroatischer Titel lautet: „Obci austrianski, gradjanski zakonik proglasen patentom od 29. Studenoga 1852 u kraljevinah Ugarskoj, Hervatskoj i Slavonii, serboskoj Vojwodini i tamiskom Banatu“. Als serbische Ausgabe diente jene aus 1849. Siebenbürgen erhielt 1859/60 noch eine rumänisch-kyrillisch/deutsche Ausgabe „Codicele civile Austriacu universale“. Von den allein fremdsprachigen Ausgaben578 wurde der serbische Vorläufer von 1849 schon genannt; dann folgte eine kroatische Ausgabe 1853 unter demselben Titel wie die eben erwähnte kroatisch/deutsche Ausgabe von 1852 sowie gleichfalls 1853 die erste slowenische: „Obcni derzavljanski zakonik za vse nemske dedne dezele austrijanskega cesarstra“ – alles offizielle Ausgaben aus der Staatsdruckerei in Wien. Erst 1868 erhielten die Ruthenen vornehmlich Galiziens eine Übersetzung in kyrillischer Schrift. c) Weitere Übersetzungen Außer diesen offiziellen nichtdeutschen Ausgaben der Staatsdruckerei Wien erschienen in das Ungarische auch private Übersetzung wie etwa von Rász Vilmos: „Az austriai átalános polgári törvényköyv, minden ama vonatkojó rendele 578
Auch J. Szalma, Serbische und kroatische Übersetzungen des ABGB, im Ersch.
158
1. Kap.: Die Entstehung
tekkel“ (Wien 1854). Kléh István machte in einem Handbuch für Richter und Advokaten „Kézikönyvül Birák és Ügyvéolek Számáne“ die Bestimmungen des ABGB in alphabetischer Reihenfolge bekannt579. Von den zahlreichen späteren Übersetzungen ist eine in das Hebräische erwähnenswert, und zwar besonders auch wegen des Umstandes, daß in der Habsburgermonarchie die Juden nicht als Nationalität, sondern als Konfessionsangehörige anerkannt waren, und das Hebräische somit keine Nationalitätensprache darstellte. Die Übersetzung des Titelblatts lautet: „Das bürgerliche Gesetz übersetzt aus der deutschen Sprache in die hebräische Sprache aus dem bürgerlichen Gesetzbuche des Kaiserthumes Österreich welches in ihrer Sprache genannt wird Österreichisches bürgerliches Gesetzbuch“ 580. Das ABGB wurde auch in andere Sprachen als in die Österreich-Ungarns übersetzt. Bemerkenswert, jedoch wenig bekannt und beachtet ist die „Concordance entre les codes civils étrangers et le Code Napoléon I.“ von Fortuné Antoine de Saint Joseph, erschienen in Paris 1840 und abermals 1856. Von der ersten Auflage gab es auch eine spanische Übersetzung aus dem Jahr 1843. Beide Übersetzungen trugen wesentlich zur Verbreitung der Kenntnisse des ABGB in den romanischen Ländern bei, wenngleich zufolge der Aufsplitterung seines Textes in der Reihenfolge der Artikel des Code Civil nicht en bloc. Diese Kenntnis vermittelte die Übertragung des ABGB in das Französische von Alexandre de Clercq 1836 in Paris: „Code Civil général de l’empire d’Autriche“ und in das Englische von Josef Maximilian Winiwarter, dem Sohn des Übersetzers ins Lateinische: „General civil code for all the german hereditary provinces of the Austrian monarchy“ (Wien 1865 und nochmals 1866). Erst spät erfolgte 1884 in St. Petersburg eine Übersetzung in die russische Sprache: „Obtschec gratschdanskoje ulotschenije Arstrijskoje imperii 1811“. Einen speziellen Zweck verfolgte eine Übertragung 1947 in das Französische (Code Civil Général Autrichien, Vienne 1947) seitens des „Haut Commissariat de la République Française en Au-
579 I. Kléh, Az Ausztiriai Közönséges Polgáritörvény Betürendben (Das Österreichische Bürgerliche Gesetzbuch in alphabetischer Reihenfolge), Pest 1853. 580 Die Übersetzung des Titelblatts lautet vollständig: „Das bürgerliche Gesetz übersetzt aus der deutschen Sprache in die hebräische Sprache aus dem bürgerlichen Gesetzbuche des Kaiserthumes Österreich welches in ihrer Sprache genannt wird Österreichisches bürgerliches Gesetzbuch. Mit einer wörtlichen Erklärung, in der erklärt wird: Personenrecht als Recht des Menschen insofern er Mensch ist, die Gesetze zwischen Menschen und dem Nächsten, die Gesetze in allen Angelegenheiten des Handelns und Kaufens, all das ist wohl erklärt mit allen Ergänzungen und Novellen, und auch die Gesetze des ruhigen Besitzes sowie einer Behinderung des Besitzes (Besitzstörung), die Führung von Streitfällen, die sich aus Mietverträgen ergeben (Streitigkeiten) und auch noch ein Wort mit der Beschäftigung von allgemeinem Inhalt (das summarische Verfahren) von Feierstein, ein Bürger aus Galizien“; unter einem Querstrich steht: „Das Recht der Eingeborenen“ (wohl Einwohner). Im hebräischen Text sind Passagen in Jiddisch (oben kursiv) enthalten. Ein Exemplar besitzt z. B. die Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland in Wien.
H. Die Gesetzessprache
159
triche“, der französischen Besatzungsmacht, vor allem zur Lösung juristischer Probleme durch den Militärgouverneur der französischen Besatzungszone von 1945 bis 1955 in Tirol und Vorarlberg. 2013 erschien eine deutsch-englische Ausgabe (P. Eschig). 5. Zur Bedeutung der Übersetzungen Die Übersetzungen dienten natürlich in erster Linie der Rechtskenntnis der nichtdeutschen Bevölkerung. Dies erweist sehr deutlich das Inkraftsetzen des ABGB in Tirol581. Nach einem vorerst angepeilten unterschiedlichen Geltungsbeginn in Deutsch-Tirol samt Vorarlberg am 1. Dezember 1814 und im „Italienischen Antheile Tirols“ am 1. Jänner 1815 sprach sich das Gubernium in Innsbruck für einen einheitlichen Geltungsbeginn an diesem Tag aus, unabhängig vom „bloßen Zufalle der Sprache“. Das in einer deutschen und in einer italienischen Fassung gedruckte Kundmachungspatent sah dafür aber erst den 1. Juni 1815 vor – wegen des Fehlens einer passenden italienischen Ausgabe! Abermals aus diesem Grund wurde das Inkrafttreten in den zuvor zum Königreich Italien gehörigen Gebieten nochmals verschoben, auf den 1. Oktober 1815. Übrigens hatte Bayern 1807 nach dem Erwerb der ehemals selbständigen geistlichen Territorien Brixen und Trient hier für das Zivil- und Zivilprozeßrecht nicht seine Gesetze in Kraft gesetzt, sondern das Teil-ABGB 1786 und die Allgemeine Gerichtsordnung, da beide in italienischen Fassungen vorlagen582! Über die Bedeutung zur Ermöglichung der Rechtskenntnis hinaus wurden die „offiziellen“ Übertragungen gleichsam als authentische Interpretationen des Gesetzestextes verstanden. Dies bekräftigt der Umstand, daß zu ihnen, wie erwähnt, Richtigstellungen erfolgten. In diesem Sinne wurden sie auch von der zeitgenössischen Wissenschaft als Auslegungshilfe verwendet583: Beispielsweise lieferte 1838 für Dolliner zur „vieren Auslegung“ von § 1475 die „Geschichte der italienischen Übersetzungen“ die Argumente. Darüberhinaus verschafften Übersetzungen die Möglichkeit, im fremdsprachigen Ausland die Kenntnis der österreichischen Gesetzgebung zu verbreiten584: Der Trientiner Jurist Barbacovi besaß nicht nur italienische, sondern auch lateinische Übersetzungen; das Fehlen anderer Übersetzungen galt als Mangel, als Hin-
581
Dazu Schennach, Volk, 270 f. Schennach, Volk, 264. 583 T. Dolliner, Versuch einer 4. Auslegung des streitigen Satzes in § 1475 des Allg b. G. B. über den Einfluß der Abwesenheit auf die ordentliche Ersitzung von 30 Jahren, in: WagnersZ II, 1838, 333 ff.; W. Pappenheim, „Vorgeschützte“ mündliche Verabredungen im § 887 a.b.G.B., in: JBl 1929, 401 ff.; Brauneder, Person, 159 ff., 160, 166 ff., 175 f. 584 di Simone, wie Fn. 390, 78 f., Nr. 69, 70, 71, 72, 78. 582
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1. Kap.: Die Entstehung
dernis für eine Vorbildfunktion des ABGB, wie dies aus Anlaß der Übertragung in das Französische 1836 festgestellt wurde.
IV. Die Institutionalisierung der Sprachgestaltung Im Gegensatz zur Amtssprache der Gerichte und Behörden stellte die Gesetzessprache wesentlich höhere Anforderungen. Für die deutsche Rechts- und damit auch Gesetzessprache gab es an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien in unserem Zeitraum zumindest eine Lehrkanzel585 für „Geschäftsstil“, prominent besetzt mit Sonnenfels, wofür aber auch Scheidlein miternannt war. Ab 1781 mußte Sonnenfels hinsichtlich der Stilisierung von Gesetzestexten vor deren Sanktion „gutächtlich vernommen“ werden: Damit war die Sprachüberwachung der Gesetzgebung institutionalisiert. Die erwähnte Verordnung von 1782586 ordnete Ähnliches auch für die niederösterreichische Regierung an: Hier hatte „ein geschickter Konzipient, der unter anderem besonders die Sprachrichtigkeit sich eigen gemacht hat“, alle allgemeinen Anordnungen auf Sprachfehler und auf Einhaltung einer „kurzen Schreibart“ durchzusehen, um „zu beurteilen, ob der Entwurf des Patentes der Sache und Absicht vollkommen angemessen sei“. Im Jahre 1786 wurde auch der böhmischen Landesregierung ein derartiger Fachmann beigegeben, und zwar ein Prager Kollege von Sonnenfels, der Professor für Polizei- und Kameralwissenschaften Josef Butschek587. Sprachprobleme verursachten sogleich die ersten Übersetzungen der Kodifikationen. So waren etwa die „vielen an die damalige Gesetzgebungscommission nach Wien übersendeten Gesuche um Aufklärung über einzelne Wörter und Sätze des Codex (Theresianus)“ von dessen tschechischem Übersetzer auffallend588. Zahlreiche Schwierigkeiten boten auch die Übersetzungen der Allgemeinen Gerichtsordnung589 und später, wie erwähnt, die des ABGB. Die Bedeutung präziser Übersetzungen zeigt die Tatsache, daß eine ungenaue Übertragung des Strafgesetzes 1803 „zu ganz entgegengesetzten Auslegungen“ führte590. Daher wurde die Übersetzung aus dem Deutschen in andere Sprachen zeitweise institutionalisiert591: Ab 1782 gab es in Mähren, ab 1784 in Böhmen hauptberufliche Gubernialtranslatoren. In Wien bediente man sich für die diversen Übersetzungen zwar bloß einiger weniger Personen, die offenbar nebenberuf-
585 586 587 588 589 590 591
Slapnicka, Recht, 64. JGS 32; Sonnenfels, Geschäftsstyl, 4 f. Wie Fn. 554. Kitka, Verfahren, 148 Fn. 2 offenbar aufgrund der Quellenlage. Loschelder, Gerichtsordnung, 64. Kitka, Verfahren, 148: I § 85 StG. Slapnicka, Recht, 66; Kitka, Verfahren, 148, Fn. 2.
H. Die Gesetzessprache
161
lich tätig waren. Der „böhmische Translator“ des Codex Theresianus saß in Prag592. Eine weitere Institutionsalisierung der Übersetzung aus dem Deutschen verursachte die von der Verfassung 1849 angeordnete Rechtsvereinheitlichung im Gebiete des gesamten österreichischen Staates. Sie führte zur Notwendigkeit zahlreicher Übersetzungen. Das sogleich 1849 eingeführte Reichsgesetzblatt hatte in 10 Ausgaben zu erscheinen und zwar in deutscher, italienischer, magyarischer, böhmischer (und zugleich slowakischer), polnischer, ruthenischer, slowenischer, serbisch-illyrischer Sprache mit kyrillischer wie auch mit lateinischer Schrift sowie in rumänischer Sprache593. Aus diesem Anlaß kam es im Juli 1849 durch das Justizministerium zur Einsetzung einer „Kommission zur Schaffung einer juridisch-politischen Terminologie der slawischen Sprachen“, die erstmals am 1. August 1849 in Wien zusammentrat594. Ihre Arbeit erstreckte sich auf die „fünf in der österreichischen Monarchie literarisch-cultivirten slavischen Dialecte, nämlich für den böhmischen, polnischen, russinischen, slovenischen und illirisch-serbischen“ Dialekt. Dieser gilt zwar „nur als Ein Dialect“, der aber wegen „zweier verschiedener Alphabete . . . in zwei besondere Literaturkreise geschieden ist“. Dennoch wurden für die Arbeiten auch fünf Sektionen geschaffen sowie ein Vorbereitungskommitee. Von den 20 Mitglieder kamen 6 aus der Redaktion des mehrsprachigen Reichsgesetzblatts, 6 waren Wissenschafter, überwiegend Professoren, darunter Franz Miklosˇicˇ, Professor für slawische Philologie in Wien; 3 amtierten bereits als Übersetzer z. B. bei den Gubernien in Prag und Brünn, weiters gab es 3 sonstige Beamte, einen Advokaten und einen Bibliothekar. Das Vorbereitungskommitee hatte die Aufgabe, das zu übersetzende Material an Gesetzen und Gesetzbüchern den Sektionen bereitzustellen. Dies geschah mit den jünsten Gesetzen wie etwa der Reichsverfassung und dem Grundrechtspatent 1849, dem Grundentlastungspatent 1848 und verschiedener anderer Gesetze aus 1848 und 1849, aber auch mit dem Strafgesetz 1803 und dem ABGB. Schon Ende November 1849 waren die Arbeiten abgeschlossen und letztlich entschied das Justizministerium, die Ergebnisse in „Separatausgaben“ zu publizieren, nur die „südslavischen Dialecte“ sollten erst in den „cumulativen und parallelen Gesamtausgaben“ aller Sprachen Aufnahme finden. Die ursprüngliche Idee, eine für alle slawischen Sprachen in Wortstamm und Wortform gleichlautende Rechtsterminologie zu schaffen, war sogleich zu Beginn der Arbeiten fallengelassen worden. Unter dem Gesamttitel „Juridisch-politische Terminologie für die slavischen Sprachen Oesterreichs“ erschien 1850 die „Deutsch-böhmische“, 1851 die 592 593
Slapnicka, Recht, 64. Ebda, 64 ff.; G. Silvestri, Die deutschsprachigen Gesetzblätter Österreichs, 1975,
8 f. 594 Juridisch-politische Terminologie für die slawischen Sprachen Österreichs: Deutsch-böhmische Separat-Ausgabe, 1850, III ff.; ebda: Deutsch-ruthenische SeparatAusgabe, 1851, III ff.
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1. Kap.: Die Entstehung
„Deutsch-ruthenische“ und 1853 die „Deutsch-kroatische, serbische und slovenische Separat-Ausgabe“; die geplante Gesamtausgabe kam nicht mehr zustande, aber die Kommission hatte ihre Aufgabe erfüllt. Das rasche Erscheinen von Übersetzungen des ABGB schon ab 1849 geht auf diese Kommission zurück. Just 1853 wurde auf das mehrsprachige Reichsgesetzblatt zugunsten einer allein authentischen deutschen Fassung verzichtet. „Deutsch-ungarische wissenschaftliche Terminologie“ bot erst das 1858 in Pest erschienene „Német-Magyar Tudományes Müszótár“, das wohl juristisch nicht befriedigte und allgemein auf den Erklärungswert des Latein nicht verzichten konnte.
J. Die Publikationen Nach der Sanktion des Gesetzestextes stellte die Publikation ein wesentliches Element für das Inkrafttreten dar. Publiziert wurde nicht bloß der Gesetzestext, sondern auch das „Kundmachungspatent“, da es die Sanktion aussprach, die dem nachfolgenden Text die Gesetzeskraft verlieh. Die Erstpublikation der Kodifikationen, wie dann auch weitere, erfolgten in der noch gesetzblattlosen Zeit595 in Buchform. Ein Verleger erhielt zur Herausgabe des Gesetzbuches ein spezielles Druckprivileg, die derart privilegierte Ausgabe war damit obrigkeitlich autorisiert. Kennzeichen dafür ist in der Habsburgermonarchie das Hoheitssymbol des Doppeladlers auf dem Titelblatt. Zu einer weiteren, aber erst nachträglichen Publikation kam es durch die Aufnahme des Textes in eine der nicht-staatlichen, aber gleichfalls privilegierten und somit authorisierten Gesetzessammlungen, im Falle der Privatrechtskodifikationen in der Regel in die „Justizgesetzsammlung“ (JGS), zum Teil auch in die „Politische Gesetzsammlung“ (PGS). Die Erstpublikation erfolgte aber stets in der erwähnten Buchform.
I. Das Teil-ABGB 1786 Die erste Ausgabe des Teil-ABGB wurde, so der Vermerk am Titelblatt, „gedruckt bey Johann Thomas Edlen von Trattern, kaiserl. königl. Hofbuchdruckern und Buchhändlern“ noch 1786, also vor dem Inkrafttreten am 1. Jänner 1787, in Wien. Kurz darauf, 1787, erschienen zumindest vier weitere deutsche Ausgaben, die eine „bey Johann Ferdinand Edlen von Schönfeld“ in „Prag und Wien“, die andere in Graz in der ältesten Grazer Druckerei Widmanstätter mit dem Vermerk „gedruckt mit von Widmanstättenschen Schriften“, die dritte in Freiburg/Breisgau „gedruckt bey Johann Andreas Satron, kaiserl. Königl. Regierungs-, Kam595 B. Wunder, Vom Intelligenzblatt zum Gesetzblatt. Zur Zentralisierung inner- und außeradministrativer Normkommunikation in Deutschland (18./19. Jahrhundert), in: Informations- und Kommunikationstechniken der öffentlichen Verwaltung (= JB für europäische Verwaltungsgeschichte 9), 1997, 29 ff.; Th. Simon, Vom materiellen zum formellen Publikationsprinzip, in: ZNR 2008, 201 ff.
J. Die Publikationen
163
mer- und Universitätsbuchdrucker“ und schließlich die vierte „Nach dem Wiener Exemplar“ ohne Verleger und Ortsangabe596. Alle Ausgaben weisen am Titelblatt den doppelköpfigen Adler auf, die beiden aus Wien bzw. Prag-Wien mit der habsburgischen Hauskrone und gespaltenem Brustschild, ebenso die zuletzt genannte allerdings mit rot-weiß-rotem Bindenschild auf der Brust, die Grazer und die Freiburger Ausgaben mit einer herzogshutähnlichen Krone und ebenfalls rotweiß-rotem Bindenschild. Die Freiburger Ausgabe wies gegenüber allen anderen zwei entscheidende Vorteile auf: Marginalrubriken und Sachregister! Gesetzestext und Kundmachungspatent wurden ferner in den Jahrgang 1786 der ersten Auflage der Justizgesetzsammlung (1787) aufgenommen sowie auch in die zweite Auflage von 1816, somit also nach dem Inkrafttreten des ABGB 1811 nochmals gedruckt. Beide Auflagen sind authentische Sammlungen, da mit Druckprivilegien ausgestattet, die erste für die Schönfeldsche Hofbuchdruckerei in Prag, die zweite für die k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien. Sämtliche Buchausgaben zeigen deutlich, daß das Teil-ABGB 1786 ein Torso geblieben ist. Sie vermerken schon plakativ am Titelblatt: „Erster Theil“ bzw. in der tschechischen Übersetzung „dyl I“ – weitere Teile fehlen damit in augenfälliger Weise. Der Gesetzestext selbst enthält diesen „Teil“-Hinweis nochmals, nämlich am entsprechenden Ort vor der Überschrift „Erstes Hauptstück“ bzw. in der Freiburger Ausgabe vor dem Inhaltsverzeichnis. Da dem Text in der Justizgesetzsammlung begreiflicherweise ein Titelblatt fehlt, findet sich hier der Einteilungshinweis „Erster Teil“ nicht, auch nicht vor dem 1. Hauptstück – die Unvollständigkeit sprang damit nicht derart ins Auge wie bei den bloß aus einem „Ersten Teil“ bestehenden Buchausgaben.
II. Bürgerliches Gesetzbuch für Galizien 1797 Von dem in West- und Ostgalizien sowie dem Buchenland (Bukowina) geltenden Bürgerlichen Gesetzbuch sind mehrere – unterschiedliche – Buchausgaben erschienen. Es ist dies ein Indiz für und eben die Folge eines überstürzten Inkrafttretens und nicht das einer planmäßigen probeweisen Geltung. Es handelt sich stets um offizielle, mit dem doppelköpfigen Adler versehene Ausgaben597. 1. Die Versionen „für Westgalizien“ Die erste Ausgabe erschien in zwei Auflagen als „Bürgerliches Gesetzbuch für Westgallizien“ in Wien 1796, „gedruckt bey Joseph Hraschanzky k. k. deutsch596
Exemplar Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt/
Main. 597 Das Folgende im Detail bei Pfaff, Entstehungsgeschichte, 399 ff.; die angeführten Ausgaben wurden überprüft.
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1. Kap.: Die Entstehung
und hebräischen Hofbuchdrucker und Buchhändler“ (so die 2. Auflage). Von der ersten Auflage wurden von den drei Teilen des Gesetzbuches nur die beiden ersteren und einige Bogen des dritten ausgedruckt. Auch existieren von dieser ersten Auflage zwei Textvarianten. Dies dokumentiert eine übereilte und daher fehlerhafte Drucklegung, doch entsprach auch die zweite Variante nicht, vor allem, weil die Gesetzgebungshofkommission nach dem Ausscheiden Martinis598 den Text mittlerweile „mehreren und wichtigeren Abänderungen und Verbesserungen unterzogen“ hatte. Der Druck wurde unterbrochen, das bisher Ausgedruckte war „als Makulatur (zu) behandeln“, doch haben sich Exemplare erhalten. Die Unterschiede der „Makulatur“ und der publizierten Fassung sind nach der Detailuntersuchung von Pfaff im Wesentlichen „ohne Interesse“ 599. Sie zeigen allerdings einige grundsätzliche Tendenzen legistischer Natur auf600. So sind Motive gestrichen wie zur absoluten Nichtigkeit der Eheschließung zwischen Ehebrechern die Bemerkung, sie beeinträchtige die „häusliche Glückseligkeit“ (I § 75), zum Unterhalt für uneheliche Kinder, daß „gewöhnlich der Mann das Weib zur Beiwohnung verleite“ (I § 141). Weiters gestrichen wurden Materien, die zum Strafrecht (I § 297) oder zur Gerichtsordnung (II § 293) zählen, wie auch Hinweise auf Rechte in „Provinzen“ (II § 290), was sich aus der Geltung des GBGB in nur einer „Provinz“ verstehen könnte, aber doch wohl rechtsvereinheitlichenden Hintergrund haben dürfte, da die Reduzierung auf „Lehenrecht“ aus „in jeder Provinz bestehenden Lehenrechte“ (II § 190) mit der Tendenz zu einer „Allgemeinen österreichischen Lehensordnung“ übereinstimmt. Inhaltliche Verbesserungen erfolgten einerseits durch eine Ergänzung um Details wie zur Verlobung (I § 59) und zur Nachricht vom Aufgebot (I § 90), aber auch durch Streichung von Wiederholungen wie zum Erbvertrag (II § 516). Inhaltliche Änderung hingegen brachte die Einbeziehung des „weiblichen Geschlechts“ in den Kreis schutzwürdiger Personen neben etwa Minderjährigen (I §§ 43, 49). Signifikant ist der Ersatz des Ausdruckes „bürgerliche Gesellschaft“ durch „Staat“ (II §§ 3 f.). Die Hauptmasse der Korrekturen betrifft sehr spürbare sprachliche Verbesserungen, auch eine gewisse Modernisierung wie etwa den Ersatz von „Legatarius“ durch „Legatar“. Der Kundmachung lag die so korrigierte zweite als „eigentlich legale Auflage“, wie sie Zeiller in der Gesetzgebungshofkommission nannte, zugrunde. Von ihrer Vorgängerin unterscheidet sich die zweite Auflage im äußeren Erscheinungsbild des Satzspiegels mit beispielsweise der Paragraphierung nun über dem jeweiligen Text statt wie bisher neben diesem, sodann im Umfang mit nun 115 598
Hebeis, wie Fn. 391, 115. Pfaff, Entstehungsgeschichte, 437. 600 In der Folge zitiert das GBGB; danach ist auch der Vergleich bei Pfaff, Entstehungsgeschichte zu finden. 599
J. Die Publikationen
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Seiten im Teil I statt bisher 93 Seiten und 259 Seiten im Teil II statt bisher 196 Seiten, schließlich im Inhalt. Die Paragraphen dieser Auflage weichen in ihrer Abfolge von der vorigen ab, ihre Anzahl ist in Teil I (nun 299 Paragraphen) und Teil II (nun 676 Paragraphen) um je einen Paragraphen vermindert; auch einige Berichtigungen sind erfolgt. Auffallend ist das Erscheinungsjahr „1796“, denn das Kundmachungspatent datiert erst mit 13. Februar 1797, doch war mit dem Druck tatsächlich schon im Herbst 1796 begonnen worden. Diese ersten Druckausgaben der 1. wie der 2. Auflage waren nicht nur mit dem Titel „für Westgallizien“ verfertigt worden, auch die Ortsangaben im Inhalt beziehen sich dort auf „Westgallizien“ (I §§ 9, 14), wo im Entwurf Martini noch „für alle deutschen Erbländer des österreichischen Staats“ (I § 1) bzw. „in den Landen“ (I § 7) steht. Den Übersetzungen ins Polnische lag nur diese „westgalizische“ Fassung zugrunde. Sie wurde auch in das Lateinische übersetzt.
2. Die Versionen „für Ostgalizien“ und „für Galizien“ Gleichfalls bei Hraschanzky wie vorhin angegeben, aber 1797, erschien sodann ein „Bürgerliches Gesetzbuch für Ostgalizien“. Es weicht von den „westgalizischen“ Ausgaben von 1796 zwar nicht im Umfang, jedoch in der Gestaltung des Satzspiegels – beispielsweise Seitenzahl am Rand statt in der Mitte – und zufolge weiterer Berichtigungen etwas im Inhalt ab. Vor allem sind die eben erwähnten Ortsangaben „Westgallizien“ (I §§ 9, 14) durch „Ostgalizien“ ersetzt; auch enthält es statt des westgalizischen das ostgalizische Kundmachungspatent. Auch diese Fassung wurde in das Lateinische übertragen. Völlig identisch mit dieser Ausgabe ist ein „Bürgerliches Gesetzbuch für Galizien“. Hier wurden offenbar vom „ostgalizischen“ Satz nur die Titelblätter ausgetauscht, so daß sich Kundmachungspatent und Text verbal doch nicht auf „Galizien“ schlechthin, sondern auf „Ostgalizien“ beziehen. Schließlich gibt es auch Misch-Ausgaben, nämlich den Text der WestgalizienVersion mit dem Kundmachungspatent für Ostgalizien.
3. Gesetzessammlungen und Urentwurf In beiden Auflagen der Justizgesetzsammlung (1797, 1817) hat allein mit dem „Patent vom 13ten Februar 1797 für Westgalizien“ und den entsprechenden Text die „westgalizische“ Fassung Aufnahme gefunden (JGS 1797/337), für Ostgalizien ist nur das entsprechende Kundmachungspatent abgedruckt (JGS 1797/373). Die beiden Abdrucke in der Justizgesetzsammlung weichen übrigens in Rechtschreibung und Zeichensetzung von der publizierten Buchfassung ab und sogar auch untereinander, was Pfaff auf ein sprachliches „Modernisierungsbedürfnis“
166
1. Kap.: Die Entstehung
zurückführt601. In der Politischen Gesetzsammlung gibt es lediglich einen Hinweis auf die „Einführung eines neuen bürgerlichen Gesetzbuches (in Ost-Galizien)“ (PGS 1797/49). Der galizische Text lag den weiteren ABGB-Beratungen zugrunde. Dafür gab es eine eigene Buchausgabe. Dieser„Entwurf eines allgemein [!] bürgerlichen Gesetzbuches“ ist – abgesehen vom Titelblatt und dem Erscheinungsjahr „1797“ – völlig identisch mit der letzten „westgalizischen“ Buchfassung; sogar dessen für einen Entwurf unnützes Kundmachungspatent ist oftmals vorhanden. Wie in der westgalizischen Ausgabe findet sich im Teil I daher auch am Ende des Bogens A 4 ein falscher Folgeparagraph angegeben (§ 50 statt § 23). Auch der § 396 von Teil II ist wie dort mit § 596 falsch bezeichnet. Allerdings ist die Ortsangabe „Westgallizien“ (I §§ 9, 14) ersetzt durch die allgemeine Wendung „in diesen Ländern“. Derselbe Drucksatz für Gesetzbuch wie für Entwurf hat auch zu „gemischten“ Bindungen geführt wie z. B. Teil I mit Titelblatt „Gesetzbuch“, Teile II und III jeweils mit Titelblatt „Entwurf“. 4. Ergebnis Alle Druckausgaben zusammen lassen klar erkennen, daß es einerseits nicht bloß ein „Westgalizisches Gesetzbuch“, sondern eine gesamtgalizische Privatrechtskodifikation gab, daß aber andererseits die „westgalizische“ Textvariante im Vordergrund stand. Ursprünglich dafür zeichnen neben den Buchausgaben der Umstand, daß allein diese Textvariante in das Polnische übersetzt wurde und vor allem nur sie Eingang in die Justizgesetzsammlung gefunden hat, wo sich übrigens auf guten 210 Seiten stets in Randschrift der Vermerk „für Westgalizien“ einprägt. Zudem blieb es dabei noch in der zweiten Auflage der Justizgesetzsammlung von 1817, mit der ein „Westgalizisches Gesetzbuch“ samt den einprägsamen Randschriften „für Westgalizien“ zu einer Zeit erschien als dieses gar nicht mehr zur Habsburgermonarchie gehörte, sondern nur mehr Ostgalizien, nun schlechthin Galizien genannt! Der gesamtgalizische Geltungsbereich ist übrigens auch der Justizgesetzsammlung zu entnehmen, da sie, wie eben erwähnt, das west- wie ostgalizische Kundmachungspatent enthält. Dies war die zeitgenössische Wahrnehmung. Insgesamt handelte es sich also bloß um einen sozusagen quantitativen „westgalizischen“ Vorrang ohne Bedeutung für den tatsächlichen Geltungsbereich. Und so sprechen daher beispielsweise eine authentische Interpretation zum GBGB aus 1802 (JGS 554) vom „bürgerlichen Gesetzbuch für Galizien“, das Kundmachungspatent des ABGB in seinen Derogationsbestimmungen von dem
601
Pfaff, Entstehungsgeschichte, 411 f.
J. Die Publikationen
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„für Galizien gegebenen Gesetzbuch“ und auch Zeiller schlechthin davon, der Entwurf Martini sei in „Galizien“ in Kraft gesetzt worden602.
III. Das ABGB 1811 1. Die ersten deutschen Ausgaben Mit dem Druck des deutschen Textes603 war aufgrund der entsprechenden Anordnung in der Sanktion vom 7. Juli 1810 begonnen und dieser nach einer Unterbrechung zufolge der neuerlichen Beratungen des Darlehenshauptstückes aufgrund dessen Sanktion vom 26. April 1811 fortgesetzt worden. Am 24. Juni 1811 lag der gedruckte deutsche „Urtext“ vor, und zwar in Buchform: mit dieser Buchausgabe war die offizielle Publikation des ABGB erfolgt604. Das Titelblatt dieser ersten ABGB-Ausgabe im Format 8 ë (13,5 cm 22 cm) lautet „Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie I. Theil“. Sodann folgt das „kleine Wappen“ im Sinne der Titel- und Wappeninstruktion vom 6. August 1806605; darunter findet sich „Wien. Aus der k. k. Hof- und Staatsdruckerey. 1811.“. Jeder der drei Teile erscheint in dieser Ausgabe als selbständiges Buch mit eigener Seitenzählung und eigenem Titelblatt wie das eben beschriebene, jedoch mit der Numerierung „II. Theil.“ bzw. „III. Theil.“. Diese äußerliche Selbständigkeit mindert freilich die durchlaufende Zählung der Paragrafe. Überdies enthält Teil I nach dem Titelblatt nicht nur (unpaginiert) das Kundmachungspatent, sondern auch das (einzige) Inhaltsverzeichnis zu allen drei Teilen. Einen ebenfalls selbständigen Teil bildet schließlich das Register mit der Aufschrift „Alphabetisches Register über den Inhalt der drey Theile des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für die gesammten Deutschen Eränder der Oesterreichischen Monarchie. Nach der Zahl der Paragraphe“ auf dem sonst mit den übrigen Teilen identischen Titelblatt. Das Register besitzt zwar gleichfalls eine eigene Seitenzählung, wenngleich in römischen Ziffern, was den Anhangscharakter zu den drei Teilen des Gesetzbuches unterstreicht. Tatsächlich existieren Bindungen jedes einzelnen Teiles des ABGB als eigenes Buch, so daß es 1814 als „in drey kleinen Bändchen“ gedruckt charakterisiert werden konnte606. Paginiert ist diese erste Ausgabe wie folgt: Teil I: 44 Seiten; Teil II: 239 Seiten; Teil III: 35 Seiten; Register: 173 Seiten. 602
Zeiller, Commentar I, 10 in Fn. *. Zum Folgenden im Detail Pfaff/Hofmann, Commentar, 32 ff., 110 ff. mit insb. den ausführlichen Angaben in den Fußnoten. 604 Irrig ist daher das in modernen Ausgaben anzutreffende Zitat „JGS 946“ als Hinweis auf die Justizgesetzsammlung ähnlich einem solchen auf ein heutiges Gesetzblatt: siehe sogleich unten 2. 605 PGS 27, 1, insb. 10 ff., 28. 606 Heidelbergische Jahrbücher der Literatur 1814, Nr. 7, 104. 603
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1. Kap.: Die Entstehung
1814 erschien, gleichfalls in der Staatsdruckerei, aber ohne Wappenaufdruck, eine kleine Ausgabe im Format 12 ë (12,5 cm 8,8 cm), zwar auch mit eigenen Titelblättern pro Teil und Register, jedoch durchlaufender Paginierung der drei Teile (318 Seiten), aber mit einer eigenen in römischen Ziffern des Kundmachungspatents und des Inhaltsverzeichnisses (XII Seiten) sowie abschließend des Registers (CLXXIII Seiten607): Hier tritt das gesamte Gesetzbuch erstmals als buchmäßige Einheit mit anhangweisem Register in Erscheinung. Diese ersten Ausgaben enthalten Kundmachungspatent, Gesetzestext mit Marginalrubriken und Register. Keine dieser Ausgaben trägt den ausdrücklichen Vermerk „amtliche Ausgabe“ oder einen ähnlichen Hinweis608. In die „Justizgesetzsammlung“ 1811, welche allerdings erst 1812 erschien und in zweiter Auflage 1816, wurde naturgemäß auch ein ABGB-Text aufgenommen (Nr. 946), allerdings – wie hier auch andere Gesetze – ohne Inhaltsverzeichnis und ohne Marginalrubriken, während das Register unverändert in das Gesamtregister zu diesem Band der JGS eingearbeitet ist, und hiervon sogar den überwiegenden Teil ausmacht, wenngleich unterbrochen durch Stichworte, die auf andere Gesetze Bezug nehmen. In der Politischen Gesetzsammlung 1811, die ebenfalls erst 1812 erschien, wurde durch „Verlautbarung“ des Kundmachungspatents das ABGB ohne seinen Text sozusagen angezeigt (Nr. 47). In der offiziellen „privilegierten Wiener-Zeitung“ kam das ABGB nicht zum Abdruck. Das Kundmachungspatent hingegen wurde nahezu eingeschärft, nämlich durch mehrfache Publikation jeweils im „Anhang“ zu Nummer 51 vom 26. Juni 1811 sowie zu den Nummern 55 und 56 vom 10. und 13. Juli 1811. Gleichfalls nur das Kundmachungspatent publizierten weiters der „Österreichische Beobachter“ vom 2. Juli 1811 und die „Vaterländischen Blätter“ am 17. Juli 1811. Die Nummer 51 vom 26. Juni 1811 brachte auf ihrer Titelseite eine Ergänzung zum Finanzpatent 1811, auf das Kundmachungspatent folgt ein „Cirkular“ der niederrösterreichischen Landesregierung betreffend Truppenreduzierungen zufolge des Friedensschlusses von 1809 – man sieht, was damals als wichtig erschien! Das Inkrafttreten des ABGB blieb den Zeitungslesern jedenfalls nicht verborgen. Die Buchausgabe von 1811 wurde unter Beibehaltung der Jahreszahl in den folgenden Jahrzehnten, teils unter Weglassung, teils aber auch mit Aufnahme von 607 Auffallend das Titelblatt „I. Theil“ schon vor Kundmachungspatent und Inhaltsverzeichnis; nicht beschrieben bei Seemann, Drucke. 608 Insofern mißverständlich F. Schwind, Der authentische Text des ABGB, in: ÖJZ 1949, 338, es habe sich „die erste Ausgabe des ABGB von 1811 [. . .] als amtlich bezeichnet“; auch F. Brande, Die Rechtsbereinigung – ein verfassungsimmanentes Gebot, in: G. Winkler/B. Schilcher, Gesetzgebung (= Forschungen aus Staat und Recht 50), 1981, 183 f. Fn. 35 spricht insoferne mißverständlich von „der ,amtlichen Ausgabe von 1811“.
J. Die Publikationen
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Fehlern bei gleichem Satzspiegel in kleinerem Format 8 ë (12 cm 19,5 cm) nachgedruckt. Diese Nachdrucke erschweren zufolge der Jahreszahl 1811 das Erkennen des Erstdruckes. Ein Indiz für diesen ist einmal das größere Format 8 ë, doch kann es beispielsweise beim Binden durch Abschneiden reduziert worden sein. Manche Nachdrucke sind auch daran erkennbar, daß im Gegensatz zur Erstausgabe der Punkt nach der Jahreszahl 1811 fehlt609. Einen sicheren Hinweis auf die Erstausgabe geben § 163 und § 591 ab, die hier, im Gegensatz zu den Nachdrucken, fehlerhaft sind: § 163 lautet in der Erstausgabe noch: „Nicht weniger als sieben, nicht mehr als zehn Monate“ statt „nicht weniger als sechs . . .“; § 591: „Frauenspersonen und Jünglinge unter achzehn Jahren“ statt berichtigt „Jünglinge unter achtzehn Jahren, Frauenspersonen“. 2. Der authentische „Urtext“ Textabweichungen und dann vor allem das Beifügen bzw. Fortlassen der Marginalrubriken bewegen zur Frage nach dem „authentischen“ der deutschen Texte, was auch juristische Relevanz für die Gegenwart besitzt610. Zur Klärung der Frage ist vom zeitgenössischen Verständnis des Inkrafttretens auszugehen611. Dieses setzt allgemein die landesfürstliche bzw. (nach 1804) kaiserlich-österreichische Sanktion und eine entsprechende Publikation voraus. Sie erfolgte bei Kodifikationen wie dem ABGB nicht bloß eingeschränkt für einen bestimmten Personenkreis, sondern gegenüber der Allgemeinheit und daher primär durch eine Veröffentlichung des Gesetzes in Buchform – es sollte sich ja tatsächlich um ein „Gesetzbuch“ handeln. Konkret läßt sich nun zum ABGB feststellen, daß der Kaiser mit allen seinen Sanktionen für das ABGB ohne Darlehenshauptstück, für das Darlehenshauptstück allein und für das Kundmachungspatent stets die Drucklegung als Buch befahl. Fragen nach der Möglichkeit der Kundmachung beantwortete die Gesetzgebungs-Hofkommission mehrmals dahingehend, daß diese vom Fortgang des Druckverfahrens abhänge. Einen wesentlichen Bestandteil dieses Druckverfahrens bildeten die Marginalrubriken und das Register, wobei letzteres den Druckvorgang und damit die Publikation sogar verzögerte. Im Falle des ABGB kam der Kundmachung neben der Sanktion insofern noch besondere Bedeutung zu, als die Sanktionen bis hin zum Kundmachungspatent stets die Ermächtigung zu stilistischen Verfeinerungen enthalten hatten – der Zeitpunkt allein der Sanktion wäre für die Frage der Authentizität des Gesetzestextes daher stets zu früh angesetzt. Erst als das Produkt des Druckverfahrens vorlag und es dem Kaiser am 24. Juni 1811 übergeben wurde, war der wichtige Tatbestand der Publikation erfüllt. Dieses Produkt ist nun, dies läßt sich lückenlos von dem zum 609
Dazu im Detail Seemann, Drucke. Vor allem Schwind, wie Fn. 608, 337 f. 611 Zum Folgenden siehe oben 44 bei Fn. 115: Sanktion und Publikation; Pfaff/Hofmann, Commentar, 33, 35. 610
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1. Kap.: Die Entstehung
Satz gegebenen Manuskript bis zur schließlichen Buchausgabe nachweisen, die zuvor beschriebene Buchausgabe der Staatsdruckerei von 1811. Sie trägt, wie erwähnt, das „kleine Wappen“ – und dies eben als Zeichen einer offiziellen Ausgabe wie etwa auch die Justizgesetzsammlung, die Politische Gesetzsammlung und die Provinzialgesetzsammlungen und ab 1850 das Reichsgesetzblatt oder die amtliche „Wiener Zeitung“. Allerdings kam es in der Folge zu Verbesserungen dieser fehlerhaften authentischen Ausgabe in weiteren gleichfalls authentischen Editionen bis hin zum Abdruck im Jahre 1812 in der Justizgesetzsammlung für 1811. Besonders die eben (vor 2.) zitierten §§ 163 und 591 stellen die typischen Beispiele dar für eine Reihe an Druck- und Redaktionsfehlern612, die sich nicht nur in die erste, sondern auch in weitere Druckausgaben eingeschlichen haben. Gemäß der ursprünglichen Fassung von § 591 wären unter anderem „Frauenspersonen und Jünglinge unter achtzehn Jahren“ von der Zeugenfähigkeit bei letztwilligen Verfügungen ausgeschlossen gewesen. Da „und“ als echte Konjunktion angesehen werden mußte, waren demnach „Frauenspersonen . . . unter achtzehn Jahren“, nicht aber darüber von dieser Zeugenunfähigkeit betroffen; dies widersprach der Absicht des Gesetzgebers, denn es sollte vielmehr keinerlei „Frauensperson“ als Testamentszeuge fungieren können. Im ABGB-Text der JGS 1811 ist daher eine revidierte Fassung des § 591 abgedruckt, wo die entsprechende Passage lautet: „Jünglinge unter achtzehn Jahren, Frauenspersonen“. Ein weiteres Versehen fand sich in § 163. Der Vaterschaftsvermutung wird hier die Beiwohnung in einem Zeitraum von „nicht weniger als sieben, nicht mehr als zehn Monate“ vor der Geburt zugrundegelegt. „Sieben Monate“ ist im JGS-Text zwar noch aufgeführt, in einer Fußnote jedoch auf „sechs Monate“ berichtigt. Der Text der Justizgesetzsammlung zeigt sehr signifikant die schrittweise Verbesserung insofern, als er einerseits von § 591 einfach den berichtigten Wortlaut wiedergibt, andererseits von § 163 noch den unberichtigten, diesen aber mittels einer Fußnote korrigiert – im ersten Fall hatte bereits zuvor eine Berichtigung stattgefunden613, im letzteren jedoch nicht, so daß man hier zur Erläuterung durch eine Fußnote griff wie bei anderen Gesetzen auch614. Die JGS enthält somit einen spätestens 1812 bereinigten ABGB-Text. Dieser ist gleichfalls als authentisch anzusehen, was schon zeitgenössische Auffassung war. Dies zeigt sehr klar das Hofdekret vom 5. April 1822 (JGS 1858), welches die Berichtigung des § 163 als eine solche der bisher „ämtlichen Auflage“ durch die gleichfalls „ämtliche Justiz-Gesetzsammlung“ bezeichnet; auch 1837 etwa galt die JGS als „au612
Vgl. Pfaff/Hofmann, Commentar, 110 f. Fn. 132. Visini, Handbuch I, XXXIX; Pfaff/Hofmann, Commentar, 112 Fn. 141. 614 Z. B. zum Inhalt HD 1808 IV 1 (JGS 838), oft zum Adressatenkreis der VO wie z. B. HkD 1808 XI 24 (JGS 869), HD 1809 IV 29 (JGS 893), Circulare 1811 III 18 (JGS 937). 613
J. Die Publikationen
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thentische Sammlung der Justiz-Gesetze“ und durch sie der bisher fehlerhafte § 591 als „berichtigt“ 615. Den authentischen deutschen „Urtext“ repräsentiert somit die erste Buchausgabe der Staatsdruckerei von 1811 und er umfaßt demnach Kundmachungspatent, Gesetzestext mit Marginalrubriken und Register. Hierzu wurden im Gesetzestext schrittweise Redaktions- und Druckfehler ausgemerzt. Dieser so berichtigte Gesetzestext samt Kundmachungspatent fand dann Aufnahme in die 1812 herausgegebene Justizgesetzsammlung für das Jahr 1811, das Register wurde hier in das Gesamtregister eingearbeitet, die fortgelassenen Marginalrubriken waren weiterhin den bisherigen amtlichen Buchausgaben zu entnehmen616. Diese sind durch das „kleine Wappen“ am Titelblatt als solche gekennzeichnet. 3. Nichtamtliche Ausgaben Nicht zum Kreis der amtlichen Ausgaben gehört die zuvor (unter 1.) erwähnte im Format 12 ë aus 1814. Sie enthält zwar bereits eine Berichtigung der Fehler in § 163 – „sechs“ statt „sieben“ Monate – und in § 591, hier aber durch die gleichsam nichtamtliche Einfügung eines Beistrichs: „. . . Jünglinge, und Frauenspersonen unter achtzehn Jahren . . .“. Beide Korrekturen entsprechen zeitlich, letzte auch textlich nicht jenen der amtlichen Fassungen, scheinen also gleichsam unautorisiert und mit der Beistrichsetzung ja auch unbeholfen erfolgt zu sein. Die Zeitgenossen sprachen von dieser Ausgabe tatsächlich als von einer „nicht legalen Auflage“ 617: Ihr fehlt – bezeichnender- und richtigerweise – das Wappen auf den Titelblättern, was sie als nicht-amtliche Ausgabe kennzeichnet. Dieser Ausgabe ist eine weitere mit 1814 datierte ähnlich618. Auch hier steht das Titelblatt „I. Theil“ bereits vor Kundmachungspatent und Inhaltsverzeichnis, sie weicht aber insbesondere im Umfang mit einem Mehr von 90 Seiten Gesetzestext und 49 Seiten Register erheblich ab. 615
Visini, Handbuch I, LXXXVII f. Strenger ist Schwind, wie Fn. 608, 337 f., welcher im Text eine Art Wiederverlautbarung und „damit eine Berichtigung des Textes der amtlichen Ausgabe von 1811“ sieht, dem in der Wirkung beizupflichten ist, jedoch nur in Bezug auf den Gesetzestext bzw. insofern, als mit dieser „Wiederverlautbarung“ Marginalrubriken und Sachregister nicht beiseite geschoben werden sollten. Mit der hier vertretenen Ansicht löst sich „das Sonderproblem von in der JGS 1811 (1816) nicht enthaltenen Randschriften“, denn es wird mit ihrer Aufnahme in andere Ausgaben nicht „verkompliziert“: So Brande, wie Fn. 608. Nicht korrekt ist die übliche Angabe der JGS 1811/946 als einzige Fundstelle, da hiernach die Marginalrubriken nicht mit abgedruckt werden dürften, wie dies aber richtig geschieht; korrekt wäre wohl „Buchausgabe 1811 in der Fassung JGS 946/ 1811“. 617 M. Schuster, Beiträge zur Hermeneutik des österreichischen Privatrechts, in: WagnersZ II, 1828, 186: Die Ausgabe 1814 ist entgegen Pfaff/Hofmann, Commentar, 112, keine „amtliche“. 618 Sammlung Herbert Schempf, Korntal bei Stuttgart; bei Seemann, Drucke, 90 beschrieben. 616
2. Kapitel
Das ABGB von 1811 A. Der Charakter Wichtige Eigenschaftsmerkmale des ABGB legt bereits sein Titel offen: „Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie“ 619.
I. „Gesetzbuch“ 1. Gesetzbuch als Kodifikation Als „Gesetzbuch“ ist das ABGB nicht ein Gesetz schlechthin, nämlich ein Einzelgesetz wie „Patent“, „Mandat“ oder „Dekret“, die nur Teilrechtsgebiete regeln wie etwa im Bürgerlichen Recht das Ehepatent von 1783 (JGS 117) das „Recht der Eingehung und Beendigung der Ehe“ oder das Erbfolgepatent von 1786 (JGS 548) die „gesetzliche Erbfolge (in das) freyvererbliche Vermögen“. Das Gesetzbuch hingegen geht von einer anderen Regelungsmethode aus. Es erfaßt nicht Teilrechtsgebiete, sondern ein gesamtes Rechtsgebiet wie etwa das Strafrecht oder das Bürgerliche Recht. Den am Recht Interessierten – den Gerichten, den Parteienvertretern, den rechtssuchenden Laien – soll ein Buch in die Hand gegeben sein, das sämtliche Rechtsregeln eines Rechtsgebietes enthält, eine Enzyklopädie desselben darstellt. Diese Form erzeugt die Gewißheit, daß nur die aufgenommenen, nicht auch andere Regeln maßgeblich sind; damit soll die Feststellung des Verhältnisses verschiedener Gesetze zueinander entfallen. Gesetzestechnisch ließ sich dieses Grundprinzip jedoch in dieser Reinheit nicht durchführen. Vielfach treten im ABGB an die Stelle von Regelungen Verweisungen auf andere Gesetze, was noch eigens darzustellen ist620. Diese Ausschlußwirkung verleiht dem Gesetzbuch den Charakter einer Kodifikation, wofür die Zeitgenossen eben den Terminus „Gesetzbuch“ verwendeten: Als „Gesetzbuch“ ist das ABGB Kodifikation621. 619 So Titel z. B. der ersten Ausgabe der k. k. Hof- und Staatsdruckerei Wien 1811, sodann Zeiller in seinem „Commentar“ sowie in „Principien“. Das KdmPat (Abs. 3) spricht vom „Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch für Unsere gesammten Deutschen Erbländer“. 620 Unten B. III.: S. 205 ff. 621 Caroni, Privatrecht, 53 ff.
A. Der Charakter
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Der Kodifikationscharakter bestimmt die Grundstruktur des ABGB und legte die Grundsätze für seine Ausarbeitung fest: Es müsse „ein Gesetzbuch kurz, allgemein faßlich und zugleich vollständig seyn“ und somit „ein tief durchdachtes, aber einfaches . . . System allgemeiner, auf alle Rechtsverhältnisse sich verbreitende, Rechtsregeln“ aufweisen, daher: Ein „consequentes Gesetzbuch ist ein zusammenhängendes Ganzes, eine Kette rechtlicher Wahrheiten, deren eine durch die andere begründet wird“ 622. Ein besonderes Wesensmerkmal bildet also einmal die „Vollständigkeit“: Ihr entsprechend soll das Gesetzbuch „nicht nur keinen Zweig der Rechtsgeschäfte übergehen; es soll auch für jeden Zweig so erschöpfende Vorschriften geben, daß der Rechtsgelehrte jeden möglichen Fall daraus zu entscheiden fähig sey“ – hierbei ist man sich sehr wohl bewußt, daß die „Vollständigkeit eines Gesetzbuches . . . nie durch eine, auch noch so ausgedehnte, ängstliche Casuistik, worin man jeden einzelnen Fall buchstäblich entschieden finden soll“, erreicht werden kann, „wohl aber durch Forschung nach dem Allgemeinen in dem Einzelnen, und durch Vereinfachung der Rechtsvorschriften“ 623. Eine besondere Rolle spielt somit „eine natürliche Ordnung der Gegenstände“ 624, dh die Systematik des Gesetzbuches, die es erleichtern bzw. ermöglichen soll, nicht geregelte Fälle aus dem logischen Zusammenhang der Rechtssätze zu entscheiden. Zufolge dieses Charakters regelt das ABGB das gesamte Bürgerliche Recht nach einem bestimmten System vollständig und daher mit Ausschlußwirkung. In diesem Sinn hebt es ausdrücklich das „angenommene gemeine Recht“ (d. h. Gemeines Recht, soweit es rezipiert wurde) und bisheriges Gesetzesrecht auf, darunter eigens erwähnt das Teil-ABGB 1786 und das GBGB, sowie Gewohnheitsrecht (KdmPat Abs. 4). Letzteres sowie lokale Statuten gelten nur fort, sofern sie ausdrücklich in Geltung belassen werden (§§ 10, 11 ABGB). Komplementär zu diesen Derogationsbestimmungen wird die Fortgeltung bestimmter Materien festgehalten. Es sind dies einerseits ausdrücklich so benannte „besondere“ Vorschriften des Privatrechts, nämlich für „den Militär-Stand“ sowie für „Handels- und Wechselgeschäfte“ (KdmPat Abs. 5). 2. Gewohnheitsrecht „Gewohnheiten“ erzeugen nur dann rechtliche Wirkungen, „wenn sich ein Gesetz darauf beruft“ (§ 10), wenn also auf sie verwiesen wird. Mit anderen Worten: Eine Gewohnheit wird erst durch ein Gesetz zum objektiven Recht, ohne dieses „ist allen übrigen Gewohnheiten die Rechtskraft benommen“ 625. Für einen 622 623 624 625
Zeiller, Commentar I, XIII, XV. Ebda, 21 f. Ofner, Urentwurf II, 470. Zeiller, Commentar I, 80.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
monarchischen Staat – wie also Österreich – begründet dies Zeiller damit, es haben „die Gerichtshöfe . . . eben so wenig, als das Volk, die Macht, Gesetze einzuführen, abzuändern oder aufzuheben“ 626. Verweisungen auf ausdrücklich als „Gewohnheiten“ bezeichnete Regelungen gemäß § 10 kennt das ABGB nicht. Doch darauf kam es offenbar nicht an. Das ursprünglich amtliche von Zeiller verfaßte Register verweist unter „Gewohnheiten“ außer auf § 10 auch auf §§ 389 f. und 501. Die Bekanntmachung beim Fund bestimmt gemäß §§ 389 f. „die an jedem Orte gewöhnliche Art“; gemäß § 501 richtet sich die Triftzeit nach dem „in jeder Feldmarke eingeführten unangefochtenen Gebrauch“. So fällt es auf, dass ein dritter Fall im ABGB-Register keine derartige Erwähnung fand, obwohl das ABGB die gleichen Worte wie in jenen Paragraphen benutzt: Nach § 549 gehört zu den „Lasten der Erbschaft“ auch das nach dem „Gebrauch des Ortes“ angemessene Begräbnis627. Zeiller allerdings führt § 549 zu § 10 an628. Allerdings verwendet er zu den §§ 398 f. und 501 ebenso wie das ABGB nie die Ausdrücke „Gewohnheit“ oder „Gewohnheitsrecht“, sondern „gewöhnliche Art“ (§ 389), „Umstände des Ortes“ (§ 390) bzw. „Gebrauch“ (§ 501), zu § 549 aber nicht einmal diese629. Das hat einen bestimmten Grund: Obwohl § 549 auf den „Gebrauch des Ortes“ verweist, besteht das verwiesene Recht nicht aus Gewohnheitsrecht, sondern aus politischen Vorschriften wie etwa den Begräbnis-(„Stol“-)ordnungen für Niederösterreich 1781 oder speziell für Wien 1782630. Insgesamt jedenfalls sind Verweisungen gemäß § 10 im ABGB höchst gering und finden sich in nur vier der insgesamt 1502 Paragraphen, wobei zwei dieselbe Materie betreffen, so daß das ABGB sich nur bezüglich dreier Institutionen auf Gewohnheiten beruft, aber ohne Verwendung dieses Ausdrucks! Tatsächlich wird es aber nur in zwei Fällen von Gewohnheitsrecht ergänzt, da im dritten (§ 549) Verordnungsrecht existiert. Man kann also feststellen, daß das ABGB, und zwar auch im Spiegel von Zeillers Kommentar, kaum Gewohnheitsrecht neben sich duldet. Eine Berücksichtigung regionaler oder ständischer Besonderheiten durch Verweisungen auf Gewohnheiten erfolgt durch das ABGB praktisch nicht. 3. Provinzialrecht Die Rolle, die für die Erhebung von Gewohnheiten zum gesetzesgleichen Gewohnheitsrecht dem Instrument der Verweisung zugedacht ist, kommt hinsichtlich der Geltung von Provinzialrecht der ausdrücklichen Bestätigung durch den 626 627 628 629 630
Ebda, 79. Vgl. ebda, 80. Ebda. Zeiller II, Commentar 169 ff., 325, 408 f. Handbuch II, 330 ff., 337 ff.; letztere auch für Oberösterreich: siehe ebda, 354.
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Monarchen zu (§ 11): Nur bei Vorliegen einer solchen, also durch einen Akt, welcher der Sanktion im Gesetzgebungsverfahren entspricht, wird Provinzialrecht beibehalten beziehungsweise in Kraft gesetzt. Die Haltung der Kodifikatoren gegenüber dem Provinzialrecht war eine völlig negative631. Zeiller räumte zwar ein, die Provinzialrechte seien zum Teil „gerechter und billiger“ als das allgemein geltende Recht, jedoch „im Allgemeinen verhindern sie die, . . . so wohlthätige, Einförmigkeit“ des Rechts632. Dieser „Einförmigkeit“ wird also der Vorzug gegeben. Nach Zeiller hatte überdies die Behördenpraxis schon „seit langer Zeit die Einförmigkeit des Rechtszustandes zum Augenmerke“ und sie auch das Teil-ABGB 1786 gefördert633; man wird ergänzen können: weiters das Erbfolgepatent 1786 und das GBGB. Nach Einholen entsprechender Auskünfte teilte die Gesetzgebungskommission 1810 dem Kaiser mit, es seien „alle Provinzialstatute entbehrlich“ 634. Daher kommt es denn auch, daß zwar nach der Publikation des ABGB, aber noch vor seinem Inkrafttreten ein Hofdekret vom 13. Juli 1811 generell festhielt, daß keinerlei Provinzialrechte eine Bestätigung erfahren haben. Somit überdauerte im Bereich des Bürgerlichen Rechts keinerlei Provinzialrecht das Inkrafttreten des ABGB aufgrund von § 11, er war praktisch sogleich mit seinem Inkrafttreten gegenstandslos geworden635. Die Rechtsvereinheitlichung in der Habsburgermonarchie war daher eine wesentlich andere als jene in Preußen durch das ALR. Während dieses nach den Provinzialrechten und sogar den dafür eigens geschaffenen Provinzialgesetzbüchern wie für Ost- und Westpreußen nur subsidiär galt, brachte das ABGB die von Zeiller und den übrigen Kodifikatoren bevorzugte „Einförmigkeit“, die unbedingte Rechtseinheit, wie in Frankreich der Code Civil. Dieses Prinzip der unbedingten Rechtseinheit erlitt freilich Ausnahmen durch eine spezifische Öffnung der Kodifikation, nämlich durch ihre Verweisungen, die zum Teil Provinzialrecht betrafen (s. u. S. 205 ff.).
II. „Bürgerliches“ Gesetzbuch Dieser Ausdruck stellt die Übersetzung des römischrechtlichen Terminus „ius civile“ dar. In Österreich übersetzte bereits im 14. Jahrhundert die „Summa le-
631
Vgl. o. S. 54 ff. Zeiller, Commentar I, 82. 633 Ebda, 82 f. 634 HD vom 13. Juli 1811; Pfaff/Hofmann, Commentar, 221–230. 635 Zeiller bezog § 11 nun auf die Verweisungen: Commentar I, 84; die hier aufgeführten §§ 1131 und 1135 enthalten allerdings keine solchen (richtig wohl: §§ 1132, 1142, 1146, 1149)! 632
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
gum“ „ius civile“ mit „burgerlichen rechten“ 636. Was „das bürgerliche Recht genannt wird“, ist „diesem unseren Landrechten nahe“, heißt es in der stark gemeinrechtlich orientierten Vorrede des Landrechts für Österreich unter der Enns 1526637. „Jus Civile suche Bürgerlich Recht“ und dann „Bürgerliches Recht, Jus Civile . . .“ heißt es beispielsweise zur Zeit der Arbeiten am Codex Theresianus in einem Konversationslexikon638. Gemäß ABGB (§ 1) gehört es zum Wesen des Bürgerlichen Rechts, daß durch dieses „die Privat-Rechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich bestimmt werden“. Der Zusatz „bürgerlich“ verstehe sich daraus, „weil man unter dem Nahmen Bürger gewöhnlich nicht die Gesammtheit, das ganze Volk, oder den Staat, sondern die einzelnen (Privat-)Glieder, in so fern sie auf einander bezogen werden, zu verstehen pflegt“ 639. Der Terminologie des ABGB zufolge sind Privatrecht, Zivilrecht und Bürgerliches Recht identische Ausdrücke640. Das „Bürgerliche Gesetzbuch“, der „Civil-Kodex“, wird mehrfach abgegrenzt: vom Zivilprozeßrecht der „bürgerlichen Gerichtsordnung“; vom „Strafgesetz“; vom „öffentliche(n) Recht, welches mit der Verfassung des Staates und dem (öffentlichen) Rechtsverhältnisse der Unterthanen zur obersten Macht sich beschäftiget“; vor allem von den „politischen Verordnungen“, den „politischen Gesetzen“, „der politischen Gesetzgebung“ 641. Zu diesem Rechtsbereich zählen „Regalien und Fiskalrechte“, „z. B. die Jagd, Forst, Kommerz oder die das Dienstgesind, oder das Verhältnis der Grundherren zu ihren Grundsassen betreffenden Ordnungen“, die „Finanzverwaltung“, insgesamt „die Polizey in ihrem weiten Umfange“. Die „politischen Verordnungen“ sind im Gegensatz zum Bürgerlichen Recht „so wie die Umstände, von denen sie abhängen, zufällig und veränderlich, und können, weil sie sich auf die Verschiedenheit der Stände und der Beschäftigungen beziehen, weder gleiche Rechte, noch gleiche Verbindlichkeiten gründen“; zwar werden „durch politische Verordnungen die Privatrechte beschränket; es werden oft dadurch auch Rechte der Privaten gegen Private festgesetzt“ – die Abgrenzung erweist sich gerade hier als schwierig: „Allein solche Rechte werden doch größtentheils im Rahmen des Staats als öffentliche Rechte ausgeübt“ oder sie beruhen auf „veränderlichen und widerruflichen Anstalten und Vergleichungen“ 642. Kurzum: Sie weisen zwar den Grundcharakter des Bürgerlichen Rechts 636 A. Gal, Die Summa legum brevis levis et utilis des sogenannten Doctor Raymundus von Wiener-Neustadt, 1926, 193 f., 237, 280, 296, 314. 637 Wie Fn. 9. 638 J. Hübner, Reales Staats-, Zeitungs- und Conversations-Lexicon, 1757, 197, 558. 639 Zeiller, Commentar I, 31. 640 Ofner, Urentwurf II, 469; Zeiller, Commentar I, 31. 641 Zeiller, Commentar I, 15 f., 31, 33; Ofner, Urentwurf II, 469. 642 Ebda, 469 bzw. Zeiller, Commentar I, 15 f.
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auf, nämlich den, Verhältnisse zwischen den Bürgern zu regeln, weichen aber hiervon durch die Veränderlichkeit ab. In diesem Sinn war nach der Intention des ABGB das bäuerliche Erbrecht sowie das nach Geistlichen „in den politischen Gesetzen enthalten“ (§ 761), obwohl seinem Wesen nach (ansonsten) Bürgerliches Recht. Die erwähnte Unterstellung des „Commerz“, des Handelsrechts, unter das politische Recht ist vom Prinzip her fragwürdig, da es Merkmale unveränderlichen Bürgerlichen Rechts an sich trägt: Im Kundmachungspatent sind daher die „Handels- und Wechselgesetze“ auch von den politischen Gesetzen abgehoben. Hingegen stellen die „anderen Verhältnisse“ zwischen Ober- und Nutzungseigentümer, die nicht dem ABGB, sondern „den politischen Vorschriften zu entnehmen“ waren, öffentlichrechtliche Beschränkungen dar (§ 1146). Überhaupt als öffentlichrechtliche Institute galten, anders als heute, das nur durch Verweisungen erfaßte Heimfallsrecht (§§ 760, 1149) sowie die Stiftung (§ 646), die nicht unter den Begriff der „Juristischen Person“ subsumiert werden konnte, da dieser dem ABGB fremd ist643. Mit der Abtrennung „politischen“ Rechts hat somit das ABGB nicht nur Öffentliches Recht aus seinem Inhalt verbannt, sondern auch Privatrecht. Andererseits hat es nicht nur dieses aufgenommen: Die Einleitung enthält allgemeine Rechtsregeln, die sich als Rest eines umfangreicheren derartigen Abschnitts aus dem GBGB erhalten haben (vgl. o. S. 118 f.). Und mit den grunduntertänigen Leiheformen befinden wir uns in einer Grauzone, was allein schon die Terminologie verrät. Denn hier ist nicht die Rede von „Bürgern unter sich“ gemäß der Definition des Bürgerlichen Rechts in § 1, sondern in Komposita von „Herrn“ und „Untertanen“ (§§ 1131 ff.).
III. „Allgemeines“ Gesetzbuch 1. Allgemein – territorial Der Ausdruck „Allgemein“ steht um 1800 typisch für Gesetze von Staaten, die sich aus unterschiedlichen Provinzen bzw. Ländern mit jeweils traditionell eigenen Gesetzen644 zusammensetzten, deren Recht somit territorial zersplittert war. Im Gegensatz hierzu soll mit dem Wort „allgemein“ betont werden, daß das mit ihm benannte Gesetz nicht nur in einem dieser Rechtsgebiete gilt, sondern in allen „Ländern“, in allen „Staaten“, aus welchen der Gesamtstaat besteht. Dies drückt klar der Titel „Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten“ aus. In Österreich hatten dies 1786 das Erbfolgepatent und das Teil-ABGB betont: Ersteres führte eine „in den gesammten deutschen Erbländern . . . allgemeine“ Erbfolge ein, letzteres „ein gleichförmig allgemeines bürgerliches Recht in (den) ge643 644
Brauneder, Person, 265. Vgl. z. B. o. Einleitung.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
sammten Deutschen Erbländern“. Hier wird der territoriale Bezug des Wortes „allgemein“ deutlich, und zwar zu den „deutschen Erbländern“. Ebenso bringt auch das „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer“ von 1811 ein hierfür einheitliches Recht im Gegensatz zum bisher territorial unterschiedlichen Landesrecht. Ganz in diesem Sinne stellte schon das Teil-ABGB 1786 den „allgemeinen Gesetzen“ ausdrücklich die „Satzungen und Anordnungen“ für „ein besonderes Land, eine eigene Ortschaft“ gegenüber (I § 8), ebenso den Gewohnheiten, die „in allen Erbländern allgemein“ beobachtet werden, jene, die nur „im einzelnen Orten eingeführet seyn“ (I § 9). Im Einklang mit dieser territorialen Bedeutung des Wortes „allgemein“ steht auch der Umstand, daß das „Bürgerliche Gesetzbuch für Westgalizien“ (bzw. „Ostgalizien“, „Galizien“), das eben nicht für einen Länderkomplex, sondern nur zwei Länder – Galizien und Buchenland (Bukowina) – erlassen wurde, nicht mit dem Wort „allgemein“ ausgestattet ist: Statt diesem territorialen Hinweis steht hier ein anderer, nämlich der Zusatz „für Westgalizien“ (bzw. „Ostgalizien“ bzw. „Galizien“). Zeiller stellt wie selbstverständlich dem „allgemeinen Gesetzbuche“ die „Provinzial-Gesetze“ gegenüber645. Dieselbe Gestaltung der Titel findet sich auch in den Strafrechtskodifikationen: „Allgemeines Gesetzbuch über Verbrechen und desselben Bestrafung“ (1787). Eine Ausgabe des Urentwurfs trägt den Titel „Entwurf eines allgemein bürgerlichen Gesetzbuches“, und zwar beharrlich auch auf den Titelblättern des zweiten und dritten Teils646. Dies mußte nun nicht als „allgemeines Gesetzbuch“ gelesen und im territorialen Sinn verstanden werden, sondern als Kategorie „allgemein-bürgerlich“ im sogleich zu beschreibenden (unten 2.) sachlichen Sinn. Just dies aber sollte nicht sein, denn die Bezeichnung wurde korrigiert. Für die Zeitgenossen stand jedenfalls fest: „Allgemeine Gesetze werden diejenigen genannt, die sich auf alle Erbländer erstrecken“ 647. Das Wort „Allgemein“ im Titel verdeutlicht somit im zeitgenössischen Verständnis eine allumfassende Geltung, und zwar in territorialer Hinsicht. Dies drücken auch Übersetzungen aus, die „allgemein“ fast stets mit „universalis“/„universale“ wiedergeben: „Allgemeines“ Recht ist „universelles“, nämlich das allen Ländern gemeinsame Recht im Gegensatz zum lokalen Recht648. 2. Allgemein – sachlich Zeiller allerdings begriff „allgemein“ daneben auch in anderer, der heutigen Bedeutung649: Er stellte das ABGB als „allgemeines, somit [!] auf alle Classen 645
Zeiller, Beytrag I, 60. Ausgabe „Wien, gedruckt bey Joseph Hraschansky k. k. deutsch- und hebräischen Hofbuchdrucker und Buchhändler“, 1797. 647 Kropatschek, wie Fn. 479, § 38. 648 Ebenso mit einer Fülle an Quellenbelegen Pfaff/Hofmann, Commentar, 78 ff. 649 Zu dieser z. B. Kozial/Welser, Grundriss I, 8; Schwimann, ABGB2 I, § 1 Rz. 11. 646
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und Bürger anwendbares Recht“ neben „besondere Zweige der civilistischen Legislation“ 650. Tatsächlich bezeichnet auch das ABGB im Kundmachungspatent seine Vorschriften als „allgemein verbindlich“ und stellt ihnen „besondere, auf das Privat-Recht sich beziehende Vorschriften“ wie jene für den Militärstand gegenüber und schließt ihnen die „Handels- und Wechselgesetze“ an. Weiters enthält das ABGB Verweisungen auf „besondere“ Vorschriften privatrechtlicher Natur wie beispielsweise auf Regeln an anderer Stelle im ABGB selbst (§ 826), vor allem auf außerhalb des ABGB stehendes Sonderprivatrecht (z. B. § 1172: Gesinde-Dienstvertrag) wie insbesondere auf das Handelsrecht (§§ 1179, 1216, 1410). Auch die „besonderen Vorschriften“ für die Rechte von Gesellschaftsmitgliedern „unter sich“ (§ 26) sind nach dieser privatrechtlichen Begriffsbestimmung („unter sich“) als Sonderprivatrecht anzusehen. Da hier noch eigens auf die „politischen Gesetze“ verwiesen ist, wie übrigens anderswo auch neben einer Verweisung auf die „besonderen Handelsgesetze“ (§ 1179), sind die „besonderen“ also andere als die „politischen“ Vorschriften, nämlich „besonderes“ Privatrecht, nicht Öffentliches Recht. Aber auch Verweisungen auf „politische“ Vorschriften können sich als solche auf Sonderprivatrecht darstellen. Dies ist im Falle diverser erbrechtlicher Verweisungen (§§ 539, 573) insbesondere hinsichtlich der bäuerlichen Erbfolge (§ 761) der Fall: Die Regeln über sie waren in den Jahren 1787 (JGS 658) und sodann 1790 (JGS 72) und 1791 (JGS 152) ausdrücklich als Sondererbrecht zum Erbfolgepatent 1786 erlassen worden. Das ABGB kennt somit der Sache und schon auch der Terminologie nach „besondere“ sachliche Privatrechtsvorschriften im Gegensatz zu „allgemein verbindlich(en)“, also ein Sonderprivatrecht neben einem allgemeinen Privatrecht. Zum Teil enthält es ersteres (wie natürlich letzteres) selbst, vielfach steht ersteres in Nebengesetzen außerhalb der Kodifikation. Möglicherweise hatte der abweichende Titel „Allgemein bürgerliches Gesetzbuch“ einer Ausgabe des Urentwurfs diese Bedeutung gemeint, was aber, wie eben (oben 1.) erwähnt, korrigiert und so nicht der Fall sein sollte. Mit dem Wort „Allgemeines“ im Titel des ABGB war diese sachliche Differenzierung jedenfalls nicht ausgedrückt.
IV. Gesetzbuch für die „deutschen Erbländer“ 1. Terminologie Während das „Allgemeine Landrecht“ Preußens in allen „preußischen Staaten“ galt, somit in der gesamten preußischen Monarchie, beschränkte sich das ABGB in seiner Geltung auf einen Teil der österreichischen Monarchie. Es war kein Gesetzbuch „für das Kaisertum Österreich“, sondern bloß für einen Teil hiervon, nämlich für dessen „deutsche Erbländer“, nach dem Wortlaut der lateinischen 650
Zeiller, Commentar I, 19.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
Fassung „pro omnibus terris hereditariis germanicis imperii Austriaci“. Unter den „deutschen Erbländern“ verstand man ursprünglich jene Teile der habsburgischen Monarchie, die ehedem zum Römisch-Deutschen Reich zählten, weiters dann allerdings auch alle jene Länder, die mit diesen zu einer administrativen Einheit – im Gegensatz zum Länderkomplex der ungarischen Krone – verbunden wurden651. Die Rechtsvereinheitlichung durch das ABGB beschränkte sich somit vorerst auf die nicht-ungarischen Länder des Kaisertums Österreich. Dies stellte keinen Einzelfall dar, denn in der Regel bezogen die Rechts- und Behördenreformen und damit die Rechtsvereinheitlichung die ungarischen Länder nicht mit ein. Der Titel der italienischen ABGB-Ausgaben signalisierte allerdings diesen eingeschränkten örtlichen Geltungsbereich des ABGB nicht. Als „Codice civile generale Austriaco“ war es das „österreichische“ Zivilgesetzbuch schlechthin. Der örtliche Titelzusatz verweist hier auf den gesetzgebenden Staat. Nicht auf das Kaisertum Österreich, sondern auf das (geographische) Italien bezogen, war allerdings mit der Bezeichnung „österreichisches“ Zivilgesetzbuch auch hier der örtliche Geltungsbereich, wenngleich aus ganz anderer Sicht, umschrieben. Es war damit angedeutet, daß es sich um jenen Zivilkodex handle, der in Österreichisch-Italien galt, nicht um die Zivilgesetzbücher anderer Teile Italiens wie etwa den Codice Civile für Parma und Piacenza (1820), den Codice Civile Albertino für Sardinien-Piemont (1837) oder auch den Codice Civile Napoleone, der in italienischer Übersetzung noch nach der napoleonischen Herrschaft in manchen Territorien Italiens in Kraft blieb. So war mit dem italienischen Titel für Italien doch auch der örtliche Geltungsbereich des ABGB umschrieben, allerdings in Bezug auf Italien, nämlich Österreichisch-Italien, also LombardoVenetien. Wollte man wie in Italien die Herkunft des Gesetzbuches und seine staatliche Zuordnung (und nicht den konkreten Geltungsbereich) betonen, nannte man das ABGB auch auf Deutsch „unser (Oesterreichisches)“ Gesetzbuch, das „neue Oesterreichische bürgerliche Gesetzbuch“ oder stellte es als das „Oesterreichische Gesetzbuche“ dem „französischen“ gegenüber652. Die Erstreckung der örtlichen Geltung des ABGB ab 1849 auf das gesamte Kaisertum Österreich (s. u. S. 256 f.) führte folgerichtig zu einer Titeländerung: Der einschränkende Zusatz „für die gesamten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie“ entfiel, nun nannten es die neuen offiziellen Ausgaben „Allgemeines österreichisches bürgerliches Gesetzbuch“: „Österreichisch“ war nun nicht mehr bloß die Herkunft, sondern auch die Geltung des ABGB. Schließlich entfiel im Laufe des weiteren 19. Jahrhunderts jeder territoriale Hinweis.
651 652
Brauneder, Habsburgermonarchie, 197 ff.; auch o. S. 48 ff. U. a. im Titel bei Zeiller, Beytrag IV, 68 ff.
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2. Territoriales Inkrafttreten Als das ABGB am 1. Jänner 1812 in Kraft trat, hatte das Kaisertum Österreich durch sukzessive Gebietsabtretungen im Gefolge der Kriege gegen Napoleon I. den kleinsten Gebietsstand erreicht und war überdies zu einem Binnenstaat geworden. Zahlreiche der „deutschen Erbländer“ im Sinne des ABGB-Titels zählten zum Ausland. So trat das ABGB am 1. Jänner 1812 von den heutigen österreichischen Bundesländern nur in Österreich unter der Enns (Niederösterreich) und der Steiermark, sodann in Österreich ob der Enns (Oberösterreich) sowie in Kärnten nur in einigen Teilen in Kraft, ferner in den Ländern Böhmen, Mähren, Schlesien, der kroatischen und der slawonischen Militärgrenze, in Galizien nur in Teilen. Erhebliche Gebiete des damaligen wie auch heutigen Österreich blieben, da abgetreten, vorerst außerhalb des Geltungsgebietes des ABGB. In Kärnten trat übrigens am 1. Jänner 1812 nicht nur im österreichisch gebliebenen Unterkärnten, dem Klagenfurter Kreis, das ABGB in Kraft, sondern am selben Tag im Villacher Kreis Oberkärntens wie auch in Osttirol der Code Civil: Letztgenannte Teile bildeten seit 1809 mit u. a. Dalmatien, dem heutigen Slowenien und Triest als Illyrische Provinzen einen Teil des französischen Kaiserreichs653. In dem abgetrennten Teil Galiziens galt gleichfalls der Code Civil, er war dem Großherzogtum Warschau, einem französischen Satellitenstaat, zugeschlagen worden. Mit der Rückgliederung so gut wie aller abgetrennten Gebiete zufolge des Wiener Kongresses 1815 wurde in diesen das ABGB eingeführt, allerdings schrittweise654. Sogleich 1815 trat es zuerst mit 1. Mai in Oberkärnten und in Krain, sodann mit 1. Juli in fast allen Teilen Nordtirols und Vorarlbergs, mit 1. Oktober in Südtirol, Görz und Istrien schließlich mit 1. November in wiedergewonnenen Teilen Galiziens (Wielicka, Podgorze) in Kraft. Im Jahre 1816 folgten die Lombardei, Venetien und Dalmatien (1. Jänner), ein weiterer Teil Galiziens (Tarnopol: 1. Februar) sowie die dalmatinischen Inseln (1. Oktober); zuletzt 1817 das Hausruckviertel Oberösterreichs, die restlichen Teile Tirols, hier insbesondere das Zillertal (1. Jänner), sodann Salzburg sowie in Oberösterreich das Innviertel (1. August). Dieses länderweise, oft auch nur gebietsweise Inkrafttreten des ABGB versteht sich allerdings nur zum Teil aus der jüngsten Zugehörigkeit dieser Länder bzw. Landesteile zu verschiedenen Staaten und damit Rechtsordnungen. Denn es löste das ABGB beispielsweise nicht nur 1815 in Oberkärnten und in Krain den Code Civil ab, sondern auch 1816 in Dalmatien samt dessen Inseln und es hatten die Lombardei, Venetien sowie Südtirol zum Königreich Ita-
653 Dazu Brauneder, Code Civil, 369 ff.; E. Holeczek, Die Verfassung und Verwaltung Oberkärntens im Vormärz (1809–1848), phil. Diss. 1966, 102. 654 Zu Tirol M. P. Schennach, „Kein Volk österreichischer Staaten . . .“. Der Lange Weg Tirols zum ABGB, in: Tiroler Heimat 72/2008, 268 ff.
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lien gehört, welches unter Napoleon I. in Personalunion mit dem Kaiserreich Frankreich gestanden und wo das französische Zivilgesetzbuch in italienischer Übersetzung gegolten hatte. Die Geltung des Code Civil zeitigte allerdings Wirkungen noch über seine Aufhebung hinaus für die unter seinem Regime begründeten Rechtsverhältnisse. So waren unter dem Code Civil (Art. 1399) begründete Gütergemeinschaften auch nach seiner Aufhebung nicht nach ABGB, sondern weiterhin nach seinen Bestimmungen zu beurteilen655. Das schrittweise Inkrafttreten in Tirol und den wiedergewonnenen Teilen Oberösterreichs geht darauf zurück, daß einige Gebiete wie etwa das Zillertal zu unterschiedlichen Zeitpunkten von Bayern an Österreich zurückgegeben wurden656. In einigen der wieder erworbenen Gebiete war vor Inkrafttreten des gesamten ABGB schon dessen Eherecht in Geltung gesetzt worden wie in Dalmatien und in kleineren Teilen Tirols wie beispielsweise dem Zillertal (20. Mai 1815).
V. „Gleiches“ Gesetzbuch? – Neuständisches Gesetzbuch Gleichheit als Gesetzgebungsprinzip wurde dem ABGB oft unterstellt: „Die Vertreibung ständischer Differenzierungen aus dem Privatrecht und die Etablierung einer für alle Bürger gleichen Ordnung wurde in vollem Bewußtsein der politischen Brisanz dieses Unternehmens angestrebt“, hinsichtlich der „Gleichheit ihrer Normadressaten“ habe das ABGB „den Weg der Voraussetzung beschritten“ 657. Verkürzt: Es „postulierte das ABGB staatsbürgerliche Gleichheit und Freiheit“ 658, es werde der „Geist des ABGB“ durch „die Gleichheit aller vor dem Gesetz (als) sein hervorstechendster Charakterzug“ bestimmt, es sei „Hochburg der bürgerlichen Freiheit“ 659. Noch deutlicher: „Hervorzuheben ist überdies das klare Bekenntnis zur Gleichheit aller vor dem Gesetz. Das ABGB wollte für den wirtschaftlich auf sich selbst gestellten, vernünftigen, von mittelalterlichen Bindungen frei gewordenen Staatsbürger gelten“ 660. So verwundert es denn auch nicht, von Wieacker die naturrechtlichen Zivilrechtskodifikationen auf einen Nenner gebracht zu sehen: Die „Naturrechtsgesetzbücher waren Akte revolutionärer Umgestaltung“ 661.
655
J. Schimkowsky, wie Fn. 435, 36. Vgl. auch J. Busch/A. Besenböck, Von Mailand bis Czernowitz, in: A. Bauer/ K. H. L. Welker (Hrsg.), Europa und seine Regionen, 2007, 563 ff., wo allerdings das Datum des Inkrafttretens nicht immer angegeben ist. 657 T. Mayer-Maly, Die Lebenskraft des ABGB, in: ÖNZ 1986, 269. 658 Ogris, wie Fn. 99, 9. 659 Wesener, Privatrechtsgeschichte, 165; E. Weiß, Hundertvierzig Jahre Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, in: JBl 1951, 250. 660 Floßmann, wie Fn. 96, 14. 661 Wieacker, wie Fn. 96, 167, 324. 656
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1. Konservatives Gesetzbuch Die Zeitgenossen sahen das ABGB ausschließlich anders, nämlich in keiner Weise revolutionär. So verteidigte es etwa Pratobevera gegen den Vorwurf, es habe als „Hauptmoment“ die bisherige „Erfahrung“ verwertet, mit dem Hinweis, warum hätte man „ohne Noth ein Gebäude niederreissen (sollen), in dem man bisher bequem und sicher wohnte?“ 662. Auch Gönner würdigte am ABGB die „Achtung gegen bestehende Einrichtungen und Verhältnisse“, und dies trotz seiner „Ungebundenheit von alten Vorurteilen und veralteten Institutionen“ 663. Für einen anderen Kritiker war das ABGB schlicht ein Gesetzbuch, „in welchem alle Institute des Feudalismus noch vorhanden sind“ 664, denn man könne sehen, „daß man in Oesterreich viel sorgfältiger als in Frankreich bei der Prüfung des jetzt noch Anwendbaren verfahren ist“ 665. Bluntschli hielt lapidar fest: „Sein Charakter ist vorherrschend konservativ-absolutistisch“ 666. Ganz im Gegensatz zu der heute rückblickend betonten „Gleichheit“ gab schließlich in der Grundrechtsdiskussion von 1848/49 das ABGB nur einmal ein Argument zum Thema „angeborene Rechte“ (§ 16) ab667. Für das zeitgenössische Verständnis läßt sich schon aus dem Titel der Charakter eines gleichen Gesetzbuches nicht ableiten668. Dem Wort „allgemein“ wohnte, wie erläutert (s. o. S. 177 ff.), diese Bedeutung bewußt nicht inne. Bekanntlich lag es auch dem „Allgemeinen Landrecht“ Preußens durchaus fern, unter dem Etikett „Allgemein“ gleiches Recht einzuführen – es ging planmäßig von der ständisch geordneten, somit ungleichen Gesellschaft aus, und zwar besonders in seinen Abschnitten „Von dem Bürgerstande“, „Vom Bauernstand“. Der Gleichheitsgedanke wurde vielmehr mit dem wesentlich treffenderen Wort „gleich“ umschrieben. So verband schon das Erbfolgepatent 1786 mit dem Wort „allgemein“ die territoriale Geltung (s. o.) und kündigte daneben eine „für alle Stände ohne Unterschied gleiche Ordnung“ an. Das ABGB enthält einen derartigen Hinweis auf eine „gleiche Ordnung“ nun nicht.
662
C. J. v. Pratobevera/F. v. Zeiller, Anzeigen und Recensionen des Oesterreichischen bürgerlichen Gesetzbuches in auswärtigen Schriften, nebst Bemerkungen, in: Materialien I, 174 ff., 198 f. 663 N. T. Gönner, Ueber das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erblande der Oesterreichischen Monarchie v. J. 1811, 1812, 91. 664 Rezension eines anonymen „W.“, in: Jahrbücher, wie Fn. 606, 102. 665 Ebda 103. 666 J. C. Bluntschli, Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich I, 1855, XX. 667 A. Fischel, Die Protokolle des Verfassungsausschusses über die Grundrechte. Ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Reichstags vom Jahre 1848, 1912, 164. 668 Zum Folgenden auch (mit anderen Nuancen) D. Grimm, Das Verhältnis von politischer und privater Freiheit bei Zeiller, in: Selb/Hofmeister, Forschungsband 94 ff.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
2. Gleichheitsvorstellungen Zeillers Ausführungen zur Eigenschaft „gleich“ 669 knüpfen daher auch nicht an die Charakteristik „allgemein“ an, sondern überhaupt nicht an ein vom Gesetzbuch selbst festgelegtes Merkmal, vielmehr an einen „der allgemeinen Grundsätze, welche man bey der Abfassung des Gesetzbuches vor Augen gehabt hat“ – dies ist die „Gerechtigkeit“; sie „kennt keinen Unterschied der Geburt, der Religion, des Alters, Ranges, oder Standes“ und gerade das Privatrecht „beschränket sich auf diejenigen Rechte . . ., welche . . . allen selbständigen Einwohnern auf gleiche Weise zustehen können und sollen“: „Die Gesetze müssen also gegen alle Bürger gleich gerecht seyn“. Zeiller nennt dies sogar die „erste wesentliche Eigenschaft der bürgerlichen Gesetze“ 670. An Zeillers Gleichheitsauffassung fällt aber zweierlei auf. Zum einen meint er, die bürgerlichen Gesetze sollen „gleich gerecht“, „gleich geltend“ 671 sein. Damit ist noch nicht gesagt, daß sie für alle den gleichen Inhalt haben müssen. In der schon zitierten Feststellung, das ABGB enthalte ein „allgemeines, somit auf alle Classen der Bürger anwendbares Recht“ 672, fällt das Fehlen eines Hinweises auf die Gleichheit besonders auf, vielmehr werden hier ausdrücklich „alle Classen“ angesprochen. Ein für alle gleichermaßen geltendes, nicht aber alle gleich behandelndes Recht folgt aus dieser Gleichheitsauffassung673. In Einklang damit steht zweitens, daß Zeiller die Beschränkung dieser Gleichheit als ihr nahezu immanent ansieht674: So verweist er auf § 17 ABGB, der wie selbstverständlich die Möglichkeit, eigentlich die Tatsache der „gesetzmäßigen Beschränkung“ der „angeborenen natürlichen Rechte“ festsetzt; so bemerkt er weiters, daß auch die politische Gesetzgebung „den Grundsatz der gleichen Gerechtigkeit stets vor Augen haben“ müsse, sie aber eben „die Freyheit der Unterthanen“ so weit beschränken könne, „als es der Zweck der Gesellschaft nur immer gestattet“. Die „gleiche Gerechtigkeit“ ist also nicht Gleichheit im Sinne der Egalité: „Eine gänzliche Gleichheit der Güter und Rechte ist ein juridisches Unding, welches bey der physischen, intellektuellen und moralischen Ungleichheit der Menschen ohne Umwälzung aller Rechtsbegriffe und Rechtsverhältnisse nie realisiert werden kann; und jede Staatsverfassung macht eine Verschiedenheit der Beschäftigungen und der Stände, folglich auch der daraus fließenden Rechte nothwendig“; jedoch: „Mit diesen Standes-
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Zeiller, Commentar I, 12 f. Zeiller, Beytrag I, 40 f. 671 Zeiller, Commentar I, 12, 13; ders., Beytrag, 10 f. 672 Zeiller, Commentar I, 19. 673 So auch (insb. zum ALR) G. Kleinheyer, Aspekte der Gleichheit in den Aufklärungskodifikationen und den Konstitutionen des Vormärz, in: Von der ständischen Gesellschaft zur bürgerlichen Gleichheit (= Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte, Beiheft 4) 1980, 9. 674 Zeiller, Commentar I, 12 Fn. *, 13. 670
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rechten hat aber das Privat-Recht nichts zu schaffen . . .“ 675. Sie sind Gegenstand der politischen Gesetze, in welche die veränderlichen Rechtsbeziehungen gehören. Freilich: Das Privatrecht können sie sehr wohl modifizieren; bei derartiger Beschränkung der Privatrechte sind sogar „diese Abweichungen . . . in dem ZivilCodex anzudeuten, aber nicht aus dem politischen Codex, worin sie mit anderen Vorschriften zusammen hängen, in jenen zu verpflanzen“ – der erwähnte Politische Kodex kam allerdings nicht zustande. Die Normierung der Ungleichheit hat also substantiell außerhalb der Zivilrechtskodifikation zu erfolgen, ist aber in dieser anzumerken, zeitigt auf diese inhaltliche Rückwirkungen. Die Vermeidung inhaltlich ungleicher Regelungen erweist sich aber weder als politische Forderung an die Rechtsordnung, auch nicht als solche an die Privatrechtsordnung, sondern als ein legistisch-technisches Postulat der Privatrechtskodifikation. Dies hat aber mit inhaltlicher Gleichheit, mit politisch-rechtlicher Egalität, wenig zu schaffen. Schließlich führt Zeiller676 als „Befolgung dieses Grundsatzes“ der gleichen Gerechtigkeit unter anderem an, daß das ABGB „keinen Unterschied der Religionen“ kenne, was in der Toleranz begründet sei: Nun ist gerade dies inhaltlich unrichtig, da die Eheaufhebungsgründe nach Konfessionen sehr wohl unterscheiden. Hier wird deutlich, daß Zeiller gewisse, traditionelle Beschränkungen einer prinzipiellen Gleichheit als so selbstverständlich ansieht, daß sie ihm offenbar nicht auffallen, da er sozusagen Grenzen der Gleichheit voraussetzt. Diese seine Sicht charakterisiert auch das weitere Beispiel, es könne „jedermann“ alle Arten an dinglichen Rechten erwerben, freilich aber nur dann, wenn ihn „die Gesetze nicht ausdrücklich ausschließen“, was sehr wohl der Fall ist. So akzeptiert Zeiller Ungleichheiten, die sich ihm gar nicht als solche darstellen; berücksichtigt Ungleichheiten, die sich vor allem aus der „politischen Gesetzgebung“ ergeben, für welche „Unterschied(e) der Geburt, der Religion, des Alters, Ranges oder Standes . . . allerdings wichtig“ sind, womit sich das GleichGerecht-Sein abermals nicht als eine revolutionäre Egalität versteht. Und dies hat Zeiller auch offen ausgesprochen: Als letzten legislativen Grundsatz führte er selbst an, es müßten die Zivilgesetze „den besonderen Verhältnissen des Staates . . . angemessen seyn“ und erwähnt im Zusammenhang damit ausdrücklich, daß nicht alle „Einschränkungen der Freyheit“ zu entfallen hätten, sondern nur jene, „deren Grund nicht mehr besteht“. Ein „Grund“, die ständische Gesellschaft durch das ABGB aufzuheben, war aber für Österreich, zumal als Gegner des egalitären Frankreich, nicht gegeben.
675 676
Zeiller, Beytrag I, 41. Das Folgende bei Zeiller, Commentar I, 12 ff., 23 f.
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3. Der Code Civil als Kontrast Die Zeitgenossen warfen das ABGB keineswegs in einen Topf mit dem Code Civil. Bluntschli etwa fügte an den oben zitierten Ausspruch – der Charakter des ABGB sei „vorherrschend konservativ-absolutistisch“ – sogleich die Bemerkung an, ALR und ABGB seien „noch Werke des vorigen Jahrhunderts. Ganz der neuen Zeit gehört der Code Civil der Franzosen, der Code Napoleon an“ 677. Im Gegensatz zu diesem war einem anderen Kritiker das ABGB „nicht die Folge einer Revolution, welche die alten Institute zerstört hat“, sondern sei „mit ruhiger Forschung als Produkt einer langen Ueberlegung und Prüfung“ 678 in einem, wie schon zitiert, feudalen Staat entstanden. Da Zeiller meinte, Gesetzbücher dürften „von alten Einrichtungen, Sitten, Gebräuchen und von den eigentümlichen Bedürfnissen sich nicht gänzlich losreißen“, fand er denn auch, der Code Civil habe „eben so schnell wieder verschwinden“ müssen als er „eilig und gewaltsam dem widerstrebenden Genius der Völker aufgedrungen wurde“ 679, nämlich in ehemaligen französischen Satellitenstaaten. So sah mit den Zeitgenossen Zeiller in „seinem“ Zivilgesetzbuch traditionelles Recht für eine traditionelle Gesellschaft entgegen dem revolutionären des Code Civil verwirklicht. Als im Frühjahr 1811 an das ABGB letzte Hand angelegt wurde, kam zwar der Sohn Napoleons und Enkel Kaiser Franz I. zur Welt, nachmals Napoleon II. bzw. Herzog von Reichstadt, doch war die hiermit sichtbare Vereinigung der Häuser Habsburg und Bonaparte nicht nur von bekanntlich kurzer Dauer, sondern mangels eines gemeinsamen staatsrechtlich-gesellschaftlichen Fundaments der beiden Kaiserreiche ein Kuriosum. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, daß die Habsburgermonarchie so wie Rußland und Preußen nicht bloß die französische Hegemonie in Europa bekämpfte, sondern auch die mit ihr exportierte egalitäre Gesellschaftsstruktur. „Reaktionäre Vorbehalte“, so eine rückschauende Sicht680, hatten sich daher in der Entwicklung der Zivilrechtskodifikation Österreichs mehrfach durch die Eliminierung zu sehr dem Naturrecht und seiner Gesellschaftslehre verbundenen Bestimmungen niedergeschlagen. Niedergeschlagen hatte sich die politisch-gesellschaftliche Situation Europas aber in sämtlichen Kodifikationsentwicklungen. In Rußland lehnte man eine Anlehnung an den Code Civil auch mit den – politischen – Hinweisen ab, dieser wolle auf der Grundlage der Französischen Revolution „eine neue Staatsform begründen“, man sei „noch nicht Westfalen, das Königreich Italien oder das Herzogtum War-
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Wie Fn. 666. Wie Fn. 664, 101 f. 679 Wie Fn. 662, 169. 680 F. Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher und die Entwicklung der modernen Gesellschaft (= Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Schriftenreihe 3), 1953, 14. 678
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schau“, also nicht mit diesen französischen Satellitenstaaten zu vergleichen, in denen der Code Civil galt681. Bedenkt man dessen beachtlichen örtlichen Geltungsbereich zur Zeit Napoleons von Mittelitalien bis zu Nord- und Ostsee, so fällt weiters auf, daß der Rheinbundstaat Baden den Code Civil nicht einfach rezipierte, sondern als Badisches Landrecht mit erheblichen Zusätzen versah, daß ferner der Rheinbundstaat Bayern an eine eigene Kodifikation dachte und schließlich der Rheinbundstaat Liechtenstein das ABGB in Kraft setzte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt Österreich und damit das Geltungsgebiet des ABGB gar nicht zum Nachbarn hatte682. Dieser Zivilrechtslandschaft entsprach die politisch-staatliche Situation. Frankreich und seine Tochterstaaten, etwa das Königreich Westfalen, verkörperten die neue Staatlichkeit mit egalitärer Staatsbürgerschaft als Trägerin einer neuen Sozialordnung: In diesen postrevolutionär-egalitären Staaten galt der Code Civil683. Ihnen gegenüber stand die Gruppe der antirevolutionären altmonarchischen Staaten mit ständisch geschichteten Untertanen im Sinne der bisherigen Sozialordnung wie beispielsweise Österreich und Liechtenstein: Hier galt das ABGB. Gleichsam dazwischen anzusiedeln sind die fast neuen Staaten, entstanden aber aus der alten Wurzel monarchisch-ständischer Staatlichkeit, modifiziert nun durch eine Repräsentation des neuen Staatsvolkes wie Baden: Hier konnte der Code Civil nicht schlechthin, aber doch modifiziert gelten. Diese Kongruenz von Staats- und Sozialordnung einer- und Kodifikationstypus andererseits setzte sich in der nachnapoleonischen Zeit fort. Soferne in der Restaurationszeit nach dem Wiener Kongreß deutsche Staaten an eine Zivilrechtskodifikation dachten, bevorzugen sie das ABGB vor dem Code Civil. Dies684 wurzelte nicht nur in einer antifranzösischen Haltung, sondern eben auch in der Beschaffenheit der Staats- und Sozialordnung. Für Kodifikationsarbeiten in Hessen-Darmstadt empfahl sich nach dem Wiener Kongreß das ABGB unter anderem wegen seiner ständischen Rechtsinstiute685. In Bayern lehnte man eine Übernahme des Code Civil schon in der Rheinbundzeit ab, da ein derart „demokratisches“ Gesetzbuch auf dessen Verhältnisse nicht passe, einen „revolutionä681 N. Reich, Kodifikation und Reform des Russischen Zivilrechts im neunzehnten Jahrhundert bis zum Erlaß des Svod Zakonov, in: Ius Commune III, 1970, 174, 172. 682 B. Dölemeyer, Kodifikationen und Projekte, in: Coing, Handbuch III/2, 1472 f. – Zu Liechtenstein: Brauneder, 175 Jahre ABGB, 94 ff.; Berger, wie Fn. 203. 683 E. Fehrenbach, Der Kampf um die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten (= Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Vorträge Nr. 56), 1973; W. Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozeßrecht (= FNP 24), 1977, 41 ff., 70 ff. 684 Das Folgende nach B. Dölemeyer, Einflüsse von ALR, Code civil und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und -projekte in Deutschland, in: Ius Commune VII, 1978, 210. 685 C. Wicke, Kodifikationsbestrebungen und Wissenschaft in Hessen-Darmstadt im vorkonstitutionellen Zeitalter. Zu der Beteiligung der Gießener Rechtsprofessoren an den Gesetzgebungsarbeiten in Hessen-Darmstadt in der Zeit zwischen 1769 und 1820 (= RHR 311), 2005, 192.
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ren Umbruch“ wollte man verhindern686. So sollte auch nicht das egalitäre Eherecht des Code Civil zum Vorbild genommen werden, sondern das an Konfessionen ausgerichtete des ABGB in der Fassung des für Salzburg und Berchtesgarden vorab in Kraft gesetzten Ehegesetzes687. Da mit dem Code Civil „der Unterschied der Stände . . . verschwunden (war)“, er keine „Rücksicht auf Privilegien und Prärogrativen“ nahm, konnte er 1830 im Entwurf Leonrod nicht für eine bayerische Zivilrechtskodifaktion zum Vorbild genommen werden, denn: „Nicht so sind Bayerns Verhältnisse gestaltet“ – so schloß man sich eng an das ABGB an, das eben mit diesen Verhältnissen übereinzustimmen schien, da es anders als der Code Civil nicht „revolutionär“ war, sondern Rücksicht auf die „traditionale Gesellschaft“ genommen hatte. In Sachsen fand man 1839 ausdrücklich, „es würde sich das österreichische Gesetzbuch auch für einen Staat mit ständischer Verfassung eignen“ 688. Wenn schon nicht als Gesetzbuch für eine ständische Gesellschaftsordnung, so sah man im ABGB – im Gegensatz zum Code Civil – wenigstens eine Kodifikation, die sich gesellschaftspolitisch neutral verhielt, also eine ständische Schichtung nicht so wie der französische Zivilkodex nivellierte689. In Hinblick auf die Geltung des Code Civil in Teilen Polens wies Rosbierski 1812 auf einen Gleichheitsvorteil des ABGB hin, allerdings im Familienrecht: Es mache „im Allgemeinen keinen Unterschied zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechte“, wo doch, seien dies „viel mehr Begünstigungen als Einschränkungen“ 690. Zeiller als guter Kenner des Code Civil (s. oben S. 109) verwies mehrfach auf dessen Abweichungen vom ABGB691: daß im Code Civil der Privilegien nicht gedacht werde; daß hier die Einteilung in Ober- und Nutzungseigentum fehle; daß die Familienfideikommisse aufgehoben und erst später wieder eingeführt worden seien; daß es keine Regelung des „Vermächtnisses über Wäsche, Equipage und Spitzen“ gäbe; daß Erbverträge für unverbindlich erklärt seien; bemerkenswert auch der Hinweis, im Gegensatz zum ABGB seien im Eherecht des Code Civil alle Konfessionen gleich behandelt. In allen diesen Fällen handelt es sich nun um mehr als bloße Rechtstechnik – insgesamt nämlich um Rechtsinstitutionen einer nicht-egalitären Gesellschaft, die das ABGB sehr wohl und bewußt aufgenommen hatte.
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Demel/Schubert, wie Fn. 81, XLVIII, LXXXVIII, auch LVIII. Ebda, LXXV. 688 Ebda, 215. 689 Ebda, 211. 690 Rosbierski, Darstellung, 41 f. 691 Zeiller, Commentar I, 90 in Fn. * (zu § 13); II, 115 in Fn. (zu § 357), 522 in Fn. * (zu § 618), 627 in Fn. * (zu § 680); I, 211 in Fn. ** (zu § 63), 230 in Fn. ** (zu § 77), 295 in Fn. *, 295 in Fn. * (zu § 115); Zeiller, Principien, 55 f. (zu § 618); Ofner, Urentwurf II, 485 (zu § 618), 482 (zu § 115). 687
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Tatsächlich enthielt das ABGB eine ganze Reihe an Regelungen für die ständische Gesellschaftsordnung. Das klassische – und trotz der zum Teil dramatischen Entwicklungen in den nächsten rund 130 Jahren oft übersehene – Beispiel für ungleiche Regelungen im ABGB bildet das Eherecht, das konfessionell gebundene und daher für Katholiken, Evangelische und Juden unterschiedliche Regelungen brachte, und zwar bis zum Ehegesetz 1938. Ganz spezifisch ungleiches, nämlich ständisch gebundenes Recht haben die übrigen Beispiele Zeillers im Auge: generell die von ihm vermißten „Privilegien“, die das ABGB nicht abgeschafft hat; weiters das Ober- und Untereigentum als typisch für grunduntertänige Rechtsverhältnisse, für Lehen und für Familienfideikommisse; ferner diese als adeliges Rechtsinstitut wie ähnlich auch der Erbvertrag; schließlich nahezu verräterisch das Vermächtnis von „Equipage und Spitzen“, also ebenfalls kein allgemeines, etwa auch bäuerliches Rechtsinstitut, sondern auf den Adel zugeschnitten. Wie sehr diese ständisch gebundenen Rechtsinstitutionen zu einer egalitären Gesellschaftsordnung wie der des Code Civil als im Gegensatz stehend angesehen wurden, veranschaulichen besonders die Zusätze zu seiner Übersetzung im Badischen Landrecht. Sie betreffen u. a. das Geteilte Eigentum, den Familienfideikommiß, die Erbdienstbarkeiten und Grundpflichtigkeiten sowie die Erbpacht692: Wir finden also hier exakt jene Institutionen als Ergänzungen des Code Civil wieder, die das ABGB enthält, Zeiller im Code Civil ausdrücklich vermißt und die in der ständischen Gesellschaft wurzeln! Das Hervorheben, daß derartige ständische Rechtsinstitutionen des ABGB im Code Civil fehlen, macht das Bewußtsein der Andersartigkeit beider Zivilgesetzbücher bei Zeiller deutlich: Wie zitiert, sah er in der Vernachlässigung „von alten Einrichtungen“ auch einen Grund dafür, daß der Code Civil in manchen Geltungsgebieten – eben den ständisch orientierten Staaten – „so schnell wieder verschwinden“ mußte693! Die oben (1.) erwähnten Kritiken am ABGB, seine Akzeptanz außerhalb der Habsburgermonarchie im Einklang mit der politisch-gesellschaftlichen Situation und der Vergleich mit dem Code Civil zeigen somit: Das ABGB galt als bewußt ständisches, jedenfalls ständisch verträgliches Gesetzbuch im Gegensatz zum egalitären Code Civil. 4. Ungleiches Recht Der Komplex ungleichen Rechts ist im ABGB wesentlich größer als bisher angedeutet. Folgende Typologie läßt sich erstellen: verdeckte Ungleichheit, offene Ungleichheit, Ungleichheit durch Verweisung. 692 §§ 577a ff., 577c ff., 710a ff., 710g ff.; 1831b ff.: vgl. damit z. T. in Zusammenhang stehend weitere Zusätze: Losungs- und Einstandsrecht (§§ 1701a ff.), auch Leibgedinge (§§ 1831a ff.). 693 Oben Fn. 679.
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Zur verdeckten Ungleichheit zählen Institutionen, welche allgemein zugänglich erscheinen, da sie vor allem keinem bestimmten Stand wie Adel oder „Bürger“ – diese von Zeiller ausdrücklich als ein „besonderer Stand“ neben anderen „Standesgenossen“ verstanden694 – zugeordnet sind, aber in der ständischen Gesellschaft Rechtsinstitutionen bestimmter Stände waren. Hieher zählt beispielsweise der Familienfideikommiß, wo eine adelige Bezugnahme nur in termini technici wie Primogenitur, Majorat, Seniorat, Erlöschung des Mannesstammes anklingt (§§ 618 ff.). Sodann gehört zu dieser Kategorie das Geteilte Eigentum, welches in der Regel adelige Lehen, adelige Familienfideikommisse sowie grunduntertänige Verhältnisse betrifft (§§ 357 ff.). Hiebei fällt überdies zweierlei auf: Zum einen, daß zwar hinsichtlich der Lehen auf das „besonders bestehende Lehenrechte“ verwiesen wird (§ 359) – Zeiller selbst hatte einen entsprechenden Gesetzesentwurf 695 erstellt –, die grunduntertänigen Leiheformen aber das ABGB selbst enthält (§§ 1122 ff.), zum anderen, daß ein Großteil der einschlägigen Bestimmungen zum Geteilten Eigentum nicht im standesneutralen Eigentums-Hauptstück, sondern im Zusammenhang mit eben diesen Leiheformen aus dem Bereich der Grundherrschaft geregelt sind (§§ 1126 ff.) – ständisch gebundenes Recht wurde also hier bewußt inkorporiert! Dazu betonte Zeiller überdies, daß die bäuerlich-grundherrschaftlichen Erbpacht- und Erbzinsrechte „schon seit den ältesten Zeiten“ herrühren696, tatsächlich dauerte die im Mittelalter wurzelnde Grundherrschaft bis 1848 fort. Allerdings sind auch diese Leiheformen überwiegend standesneutral normiert, vor allem verstehen sie sich als besondere Gestaltungen des „Bestandvertrages“ nach Miete und Pacht. Doch verrät auch hier die Terminologie ständische Bindung wie ähnlich beim Familienfideikommiß: Im Gegensatz zum neutral benannten „Bestandgeber“ bzw. „Vermieter“ oder „Verpächter“ ist die Rede vom „Erbpachtherrn“ bzw. vom „Erbzinsherrn“ (§ 1131); signifikant ist auch der Hinweis, daß das Verhältnis des Ober- zum Nutzungseigentümer „insbesondere zwischen den Gutsbesitzern und den Gutsuntertanen“ (§ 1146) bestehe: „Untertan“ ist man aber nach Zeiller ausdrücklich gegenüber einer Obrigkeit, eben dem „Herrn“, „unter sich“ haben die „Einwohner“ den Charakter von „Bürgern“ 697. Die Standesgebundenheit derartiger Terminologie wird von jener beim Gesindedienstvertrag unterstrichen, wo vom „Dienstherren“ die Rede ist – doch regelt das ABGB den Gesindedienstvertrag nicht selbst, sondern enthält lediglich eine Verweisung! Eher unbewußt hat das ABGB auch das Ehegüterrecht insoferne standesspezifisch erfaßt698, als diesem als Re694
Zeiller, Commentar I, 133 f. Entwurf der allgemeinen österreichischen Lehensordnung, 1806. Zur Entstehungsgeschichte dieses Entwurfs: W. Wagner, Die Privatisierung des Lehnrechts, in: Selb/Hofmeister, Forschungsband 226 ff. 696 Zeiller, Commentar III/2, 458, 483. 697 Zeiller, Commentar I, 31 f. 698 Brauneder, Auslegung, 268 f. 695
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gelungsmuster ein Ehevertrag (Heiratsbrief) des Adels bzw. gehobenen Bürgertums unterlegt ist, woraus sich die ausführlichen Bestimmungen über die Einzelleistungen des Heiratsgabensystems im ABGB verstehen: Heiratsgut, Widerlage, Morgengabe, Verwaltung und Nutzung des Frauenvermögens (Parapherum), Witwengehalt und deren Sicherstellung (§§ 1217–1232, §§ 1237–1245), während die Regelungen über die vorwiegend bäuerliche Gütergemeinschaft dürftigst sind. Zur nächsten Kategorie ungleicher Regelungen zählt die offene Ungleichheit. Sie findet sich vor allem im Familienrecht: Kinder erhalten nicht nur „den Namen ihres Vaters“, sondern auch „sein Wappen und alle übrigen nicht bloß persönlichen Rechte seiner Familie und seines Standes“ (§ 146), wobei im Zuge der Versagung derartiger Rechte an uneheliche Kinder ein Stand besonders hervorgehoben wird, nämlich der „Adel“ wie übrigens auch zur Adoption (§ 182). Bei der Legitimation ist ausdrücklich die Rede von den „Standesvorzügen“ (§ 162). Auf den „Stande“ verwiesen wird auch bei den Begräbniskosten (§ 549) und bei der Bemessung der Mitgift (§ 1220). Selbst beim Eigentumserwerb wird differenziert, denn bei Bauerngütern genügt es, wenn „auch nur der Übergeber allein vor der Grundobrigkeit erscheint“, um eine Grundbucheintragung zu bewirken, andererseits muß das Erwerbsgeschäft über „städtische oder landtäfliche Güter“, im wesentlichen also bürgerliche und adelige Liegenschaften, förmlicher erfolgen (§ 433 f.). Offen ungleiche Regelungen enthält das ABGB schließlich – sieht man vom Vorrang des Mannes (insbesondere §§ 91, 92, 591) und der Zurücksetzung der unehelichen Kinder (§ 155) als zeitgenössisch allgemein üblich ab – in Hinblick auf die konfessionelle Zugehörigkeit. Gegenüber Christen besteht für Nichtchristen ein Ehehindernis (§ 64) und die Unfähigkeit zum Testamentszeugen (§ 593). Für Juden enthält das ABGB ein eigenes Eherecht (§§ 123 ff.) in Ergänzung und teilweiser Abänderung des allgemeinen, d. h. des auf Christen zugeschnittenen Eherechts. Dieses wieder unterscheidet oftmals zwischen Katholiken und Nichtkatholiken wie insbesondere hinsichtlich der Eheauflösung (§§ 111 ff.): Nur Nichtkatholiken ist die Scheidung (ABGB: „Trennung“) gestattet. Überdies sind nichtkatholische Christen gegenüber Katholiken im Eherecht benachteiligt: Bei jenen muß das Aufgebot auch in der katholischen Pfarrkirche vorgenommen (§ 71) und der Ehekonsens auch vor dem katholischen Pfarrer und zwei Zeugen erklärt werden (§ 77), da dieser bei allen (!) Christen als staatliches Trauungsorgan fungiert. Die Trauung von Juden allerdings erfolgt vor dem Rabbiner (§ 127), das Aufgebot („Verkündigung“) in Synagoge oder Bethaus (§ 126). Ungleichheit zeigt sich auch im Enterbungsgrund des Abfalls „vom Christenthume“ (§ 768 1. Fall), da er den Übertritt etwa zur jüdischen Religion diskredidiert und der Abfall etwa von dieser Religion keinen Enterbungsgrund darstellt. Schließlich existiert als letzte Kategorie die Ungleichheit durch Verweisung699: Vor allem standesneutrale oder standesneutral formulierte Rechtsinstitute werden 699
Ebda, 31; zu Verweisungen sogleich u. S. 205 ff.
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ständisch fixiert, wenn das ABGB auf Vorschriften in anderen Rechtsquellen verweist, die ständisch zuordnen. Dies gilt einmal für den vorhin erwähnten Bereich des Geteilten Eigentums, das durch die Regelungen in der verwiesenen „Verfassung jeder Provinz und den politischen Vorschriften“ eine grunduntertänige Färbung gewinnt (§§ 1142, 1146). Auf letztere ist auch verwiesen bezüglich der Erbfähigkeit von Religionsgesellschaften und ihren Untergliederungen (§ 539), der Testierfähigkeit von Ordenspersonen (§ 573), der Erbfolge nach „geistlichen Personen“ und in bäuerlichen Besitz (§ 761), auf „besondere“ Vorschriften bezüglich des Gesinde-Dienstvertrags (§ 1172). Das beste Beispiel für Ungleichheit durch Verweisung bietet der Familienfideikommiß, der durch eine Verordnung aus dem Jahre 1838700, welche die Vorrechte des Adels aufzählt, diesem zugeordnet wird. Wie sehr übrigens der Familienfideikommiß als ständisches Rechtsinstitut galt, zeigt der Umstand, daß er mit der Hinwendung Frankreichs zur monarchischen Regierungsform neuadeliger und damit neuständischer Prägung ebenso wie Lehen und Primogenitur wieder eingeführt wurde, was auch Zeiller bewußt war701. 5. Neuständische Kodifikation Dem Umstand nun, daß das ABGB selbst Ungleichheit fixiert und spezifisch ständisch gebundene Rechtsinstitute regelt, kommt unter einem bestimmten Aspekt besondere Bedeutung zu. Für die Kodifikatoren702 bestand kodifizierbares und sodann kodifiziertes Recht aus einer „Kette rechtlicher Wahrheiten“, das, da ein „Ausspruch der Vernunft“, als „ein bleibendes Werk der ewig gleichförmigen reinen Gerechtigkeit“ nunmehr mit der Kodifikation „unwandelbar dauerhaft“ in Geltung bleiben sollte, und zwar im Gegensatz zu anderen, als wandelbar angesehenen Normen. Zudem war eine Kodifikation im Rahmen der zeitgenössischen Rechtsordnung mehr als bloß ein Gesetz schlechthin, sondern ein „Fundamentalgesetz“ 703. Dies alles bedeutet, daß der nahezu unwandelbare Charakter der Kodifikation auch die in ihr geregelten ständischen Rechtsinstitutionen miterfaßte! Aus der zeitgenössischen Sicht überrascht das nun keineswegs: Die Habsburgermonarchie hatte sowohl während wie auch nach den Napoleonischen Kriegen keinerlei Absicht, ihre Gesellschaftsordnung zu ändern. Es war im Gegensatz zu Frankreich der Adel weder vertrieben noch guillotiniert, die Kirche, nämlich die katholische, nie aufgelöst, die Grundherrschaften nicht aufgehoben und daher auch nie von einer egalitären Gleichheit der Untertanen gesprochen worden. So 700 701 702 703
HKD 1838 VI 12 (JGS 279). Zeiller, Commentar II, 522 Fn. *; Zeiller, Principien, 56. Zeiller, Commentar I, XV, 19; Ofner, Urentwurf II, 469, 646. Siehe sogleich u. S. 197 ff.
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bestand notwendigerweise ein Bedarf an den bisherigen und damit an ständischen Rechtsinstitutionen weiter fort, ein Anliegen, dem sich die Kodifikatoren nicht verschließen konnten und wohl auch nicht verschließen wollten – sie alle waren so gut wie stets von Adel und loyale Staatsdiener. Als Leopold II. eine staatserhaltend-konservative Lesegesellschaft als Gegengründung zu den der Französischen Revolution geneigten Lesegesellschaften zu etablieren beabsichtigte, galt als eines der potentiellen Mitglieder Franz v. Zeiller: Er sei „ein braver Mann“ 704. Aber gerade deshalb ist auffallend: Kein einziges der ständisch gebundenen Rechtsinstitute ist expressis verbis etwa dem Adelsstande oder dem Bürgerstande zugeordnet. Die Berücksichtigung der ungleichen Gesellschaft erfolgte durch das ABGB auf eine andere, subtilere Weise als im ALR. Während dieses die ständische Gesellschaft plakativ offenlegt, geschah solches im ABGB nicht. Es enthält, anders als jenes, keine mit „Von den Rechten und Pflichten der Herrschaften und des Gesindes“, „Vom Bauernstande“, „Von dem Bürgerstand“, „Von den Pflichten und Rechten des Adelsstandes“, „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staates“, „Von den Rechten und Pflichten der Kirchen und geistlichen Gesellschaften“ überschriebene Abschnitte noch entsprechende Regelungen. Dem Gesellschaftsbild der Kodifikatoren705 entsprachen aber dennoch mehrere „Classen der Bürger“, „eine Verschiedenheit der Beschäftigungen und der Stände“. Auch enthielt das ABGB, wenngleich ganz selten, Hinweise auf den „Stand“ schlechthin. So hatte das Aufgebot u. a. eine Angabe auch des „Standes“ zu enthalten (§ 70), der „Stand“ war in das Trauungsbuch einzutragen (§ 80), der Ehegattin kamen „die Rechte (des) Standes (des Mannes)“ zu (§ 92) ebenso wie den ehelichen (§ 146) und den legitimierten Kindern (§ 162). Kinder waren „zu dem Stande“, jedenfalls „mit Rücksicht auf den Stand“ zu erziehen (§ 148) und ihre Mitgift mußte dem „Stande“ angemessen sein (§ 1220). Schließlich hatte sich das „angemessene Begräbnis“ auch am „Stande“ zu orientieren (§ 549). Zu den „Standesvorzügen“ (§ 162) zählten vornehmlich „Adel“, „Wappen“ und „andere Vorzüge“ (§§ 146, 165, 182). Wenn nun Zeiller von Gleichheit spricht, setzt er ständische Schichtung voraus: Gleichheit ist daher nicht Egalité, vielmehr sollen die bürgerlichen Gesetze „gleich gerecht“ bzw. „gleich geltend“, müssen also nicht inhaltlich gleich sein und es sind diese ständischen Beschränkungen auch „in dem Zivil-Codex anzudeuten“. Damit wie mit den entsprechenden Unterschieden des konfessionellen Eherechts steht Zeiller und mit ihm das ABGB nicht auf dem Boden egalitären Vernunftrechts, sondern historischen Rechts. Wie Savigny die Zivilehe als „Stück der (französischen) Revolution“, die 704
G. Lettner, Das Rückzugsgefecht der Aufklärung in Wien 1790–1792, 1988, 6,
62 f. 705 Zum Folgenden grundsätzlich: Zeiller, Commentar I, 12 ff., 19, 23, 31; ders., Beytrag, 41.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
„kirchliche Trauung“ aber als eine positive „alte, unantastbare Sitte“ ansah706, so eben die ABGB-Kodifikatoren nicht bloß just auch die Ehe, sondern andere Einrichtungen. Gerade zum legislativen Grundsatz, daß die Zivilgesetze „den besonderen Verhältnissen des Staates . . . angemessen seyn“ sollen, führt Zeiller707 an, daß „Einschränkungen der Freiheit“ sehr wohl beizubehalten sind, nämlich im Gegensatz zu jenen, „deren Grund nicht mehr besteht“. So versteht es sich auch, daß das ABGB ständisches Recht nicht bloß durch Verweisungen, nicht bloß verdeckt, sondern auch offen enthalten konnte. Es waren dies, worauf Zeiller gleichfalls hinweist, eben jene „gesetzmäßigen Beschränkungen“ der „angeborenen natürlichen Rechte“, die § 17 ABGB gestattet. „Klassen“ und „Stände“ bestimmten also das Gesellschaftsbild der Kodifikatoren; bleibt freilich zu fragen: Welche? „Vom Adelsstande“ oder „Vom Bauernstande“ wie das ALR sprach das ABGB nicht; eine derartige präzise Antwort wollte es offenbar nicht geben. Es war dies zunächst einmal auch überflüssig: Das ABGB galt in und für eine etablierte Ständegesellschaft, nämlich für Adel, Bürger und Bauern wie eben auch das ALR. Daß man sich aber in einer Zeit des Umbruchs befand und überdies der des aufklärerischen Bildungsbemühens war natürlich auch den Kodifikatoren bewußt. Den Schlüssel zum Verständnis der Haltung des ABGB bilden die Konsumenten des ABGB, die „gebildeten Bürger“ als eine ganz spezifische Kategorie, die dereinst mit dem gesamten Volk deckungsgleich sein sollte708. Damit aber würde die traditionelle, noch gegenwärtige Ständeordnung obsolet sein. Dieser Prozeß der Ständeüberwindung hatte um 1800 bereits eingesetzt. Die Hauptorganisation des „gebildeten Bürgers“ bildeten die Lesevereine. Der Zugang zu ihnen stand in der Regel jedermann offen: „Rang kömmt gar nicht in Frage“ hieß es in Bonn, „ohne Rücksicht auf Stand“ nahm man in Graz auf709. Doch galt dies vorerst nur in einem bestimmten Sinne, nämlich für die traditionellen Geburtsstände, und ausgeschlossen waren meist, auch das galt als fast selbstverständlich, Frauen. Dazu gab es natürlich noch andere Schranken: Lesen und Verstehen bildeten eine Voraussetzung der Aufnahme, denn die Kunst des Lesens wurde nicht erst unterrichtet; um 1800 schieden damit 75% der Bevölkerung Deutschlands als potentielle Mitglieder aus, 1840 freilich dann nur mehr 10%710. Eine weitere Schranke bildeten Aufnahmsbeitrag und jährlicher Mitgliedsbeitrag. So fand sich tatsäch706
F. C. Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher, in: ZGR III, 1817, 25. Zeiller, Commentar I, 12 f., 23. 708 Vgl. o. S. 127 ff. 709 Zu Bonn: K. Ruckstahl, Geschichte der Lese- und Erholungsgesellschaft in Bonn, in: Bonner Geschichtsblätter XV, 1961, 49; zu Graz: J. D. Gottscheer, Der Leseverein am Joanneum in Grätz, 1843, 8; vgl. ferner u. a. M. Raffler, Deutschsprachige Lesegesellschaften am Beispiel des von Erzherzog Johann gegründeten Lesevereins am Joanneum in Graz (1819–1871), phil. Diss 1988; R. Schenda, Volk ohne Buch, 1970, 214 f. 710 Wehler und Engelsing wie Fn. 441. 707
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lich nicht einfach Jedermann in den Lesegellschaften. Dies hatte Auswirkungen und der schon erwähnte Bericht in der „Deutschen Vierteljahresschrift“ von 1839 beschrieb sie ganz plastisch: Die Lesevereine hätten eine „sorgfältige Absonderung nach den verschiedenen Klassen der Bildung“ gebracht, man könne nunmehr „drei Stände von verschiedener Bildungsstufe und verschiedenen Bedürfnissen der Bildung“ ausmachen. Zum „1. Stande“, „die Honoratioren“ genannt, zählten „die Beamten . . ., ferner Geistliche, Ärzte, Rechtsgelehrte, Offiziere, Kapitalisten, größere Kaufleute, Güterbesitzer und Fabrikanten, also alle diejenigen, welche ohne Handarbeit selbständig leben können“. Den „2. Stand“ bildeten die „selbständigen Bürger, auch im engeren Sinn Bürger genannt“, für sie sei „zwar körperliche Anstrengung und Handarbeit Regel“, ebenso aber „ökonomische Selbständigkeit und zugleich die Herrschaft über die Kräfte anderer Personen, der Gesellen, Jungen, Dienstboten und Mitglieder der Familie“. Den 3. Stand mache „der gemeine Haufen, das Volk im engeren Sinn“ aus, nämlich „Taglöhner, die kleinen Güterbesitzer, die Diener der selbständigen Bürger und die von öffentlicher Unterstützung Lebenden“, sie stünden den Lesevereinen fern. Nach diesem Bericht hatte somit die vereinsmäßig organisierte Bildung eine neue Ständegliederung gebracht und die alte überlagert oder zumindest ergänzt, jedenfalls verändert. Goethe beispielsweise stellte im Gespräch wie selbstverständlich dem „Fürst“ samt „Hof“ das „eigentliche Volk“ gegenüber und sah dieses gegliedert in den „Adel“ als „hoher Stand“ wie die englischen Peers, die „Bürger“ mit den Spezifikationen „wohlhabender und vornehmer Mittelstand“ bzw. „Beamte und wohlhabende Einwohner der kleinen Städte“, stellte letzteren „Pächter und Gutsbesitzer“ gleich, und fügte schließlich die „dienende Klasse und jungen Handwerker“, insgesamt „die große arbeitende Klasse“ hinzu711. Eine neuständische Selektierung hatte stattgefunden. Im Politisch-Staatsrechtlichen schlug sich dies in den frühkonstitutionellen Staaten in dem durch Steuerleistung oder Bildung beschränkten Kreis der Wahlberechtigten nieder712, im vormärzlich-unkonstitutionellen Österreich in Vorschlägen, Bildung sowie Handel und Gewerbe neben den bisherigen Ständen am Landtag vertreten zu sehen713. Lesegesellschaften und sonstige Bildungsvereine, Konversationslexika und andere Literatur verbreiteten Bildung, und zwar in einem dynamischen Assimilierungsprozeß der niederen an die höheren Stände: So schrieb Goethe die „große Kultur der mittleren Stände“, wie sie sich gerade zur Zeit des ABGB „über Deutschland verbreitet“ hatte, dem Wirken Lessings, mehr noch Herder und Wieland zu, wobei er dem „Umgange mit vollendeten Menschen der höheren und höchsten Stände“ besondere Bedeutung beimaß; daß der Dichter Pierre Jean de Béranger „aus niederem
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Eckermann, wie Fn. 461, 226 (18.1.1827), 157 (24.2.1825), 581 ff. (27.3.1825). Kleinheyer, wie Fn. 673, 25 ff. 713 Vgl. etwa für Österreich unter der Enns: V. Bibl, Die niederösterreichischen Stände im Vormärz, 1911, 46 (1840), 226 (1843), 271 (1846), 303 f. (1847). 712
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Stande heraufgekommen“ war, würdigte er daher sehr positiv, und zwar auch wieder für den Bildungsprozeß, da durch seine Werke „das Volk . . . gewöhnt und genötigt wird, selbst edler und besser zu denken“ 714. Demnach sollte sich schließlich zwischen der ursprünglich elitären „gebildeten Nation“ und der Gesamtbevölkerung kein Unterschied mehr zeigen. So sprach Fichte zwar mit der „gebildeten“ vorerst nur einen Teil der „Deutschen Nation“ an, doch bewußt dahingehend, „durch die neue Erziehung die Deutschen zu einer Gesamtheit (zu) bilden“ 715. Diesem Prozeß ließ das ABGB insoferne freien Lauf, als es, im Gegensatz zum ALR, die – noch – gegenwärtig-formale Ständeordnung nicht etikettierte und schon gar nicht in der Sache zementierte. Zudem sind im ABGB die Elemente der Ungleichheit legistisch entweder durch ihre standesneutrale Formulierung bzw. durch das Mittel der Verweisung so erfaßt, daß sie einer Entwicklung im Sinne des (materiellen) Gleichheitssatzes – im Gegensatz zum ALR – nicht im Wege standen. So konnte oft die Gleichstellung, wie in Lombardo-Venetien die des Bauernstandes, legistisch einfach dadurch verwirklicht werden, daß man die Verweisungen auf Sonderrechte aufhob716. Dies alles drängt zur Annahme, daß sich das ABGB auf der Basis der ständischen Gesellschaft des vormärzlichen Österreich anders als das ALR nicht an eine altständische, aber auch nicht wie der Code Civil an eine egalitäre Gesellschaft, vielmehr an eine neuständisch gegliederte Bevölkerung wandte, zu deren Bestandteil freilich auch noch die alten Stände gehörten: Daher stellte es ständische Rechtsinstitutionen bereit, hatte die unterschiedlichsten Bildungsstufen einkalkuliert und wollte ihnen Rechnung tragen, wobei im Zentrum des Augenmerks der „gebildete Bürger“ stand. Mit dem als dynamisch verstandenen Bildungsprozeß sollte das ABGB der Fortbildung zur umfassenden „gebildeten Nation“ dienen. Aus dieser Dynamik versteht es sich, daß es die ständischen Rechtsinstitutionen nicht altständisch fixierte: Auch sie sollten von der Dynamik erfaßt werden, allenfalls einmal nicht nur einem, sondern mehreren, möglicherweise allen, nämlich auch den neuen Ständen offenstehen. Eine Parallele zu russischen Kodifikationsbemühungen fällt auf: Wie für Zeiller diente auch für Michail M. Speranskij eine Zivilrechtskodifikation nicht der Gesellschaftsreform, wollte auch er die vorhandene ständische Gesellschaft nicht aufheben, deshalb aber doch kein Standesrecht, sondern ein „allgemeines bürgerliches Recht in der ständischen Gesellschaft“ normieren717. Insgesamt erinnert das ABGB ferner an die Absicht der
714 Eckermann, wie Fn. 461, 150 (18.1.1825), 142 (10.1.1825), 231 (25.1.1827), 748 (14.3.1830), 643 (3.5.1827). 715 Eucken, wie Fn. 462, 15. 716 Vgl. u. S. 218. 717 Reich, wie Fn. 681, 158, 163, 170.
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Berliner Mittwoch-Gesellschaft718, die Ständeordnung zwar beibehalten, aber reformieren zu wollen, um damit die kulturelle, rechtliche und soziale Situation der unteren Schichten zu verbessern sowie die Privilegien des Adels abzubauen. Da sich Zeiller eine ständelose Gesellschaft nur nach einem staatlichen Umbruch vorstellen konnte, dafür aber nie eintrat, kann von ihm und den anderen Kodifikatoren auch kein egalitäres Gesetzbuch im Sinne des Code Civil, sondern als größtmöglicher Fortschritt eben ein neuständisches ABGB erwartet werden.
VI. „Fundamentalgesetz“, „Verfassung“ Als das ABGB 1812 in Liechtenstein eingeführt wurde, galt es gemäß dem liechtensteinischen Kundmachungspatent als Teil der „Landesverfassung“, als „Grundgesetz“, als ein die Privatrechte „des Untertans rechtlich schützendes Fundamentalgesetz“ 719. Nach Zeiller hatte schon das GBGB für das bisher unruhige und zerrüttete Westgalizien als „Verfassung“ gedient720. Zum ABGB lobte Rosbierski sogleich 1812 dessen § 16, wonach die Bauern „ebenso frey wie der Adeliche“ seien im Gegensatz zur „vormals Pohlnischen Verfassung“ („polskiéy konstytucyi“)721. Zum Teil-ABGB bemerkte Tiller sogleich 1787, Vorbild sei das „römische Recht“ gewesen, man habe aber für die „Staatsverfassung“ – im bürgerlichen Gesetzbuch! – „unbrauchbare Dinge weggelassen“ 722. Dies war verbreitete Ansicht: „Das Gesetzbuch ist ein Teil der Staatsgesetze bzw. der Verfassung“ hieß es ähnlich 1802 in Rußland zur geplanten Zivilrechtskodifikation723. „Verfassung“ im hier gebrauchten Sinn hat wenig mit dem modernen Verfassungsbegriff zu tun724, der freilich unter der Bezeichnung „Constitution“ neben dem ABGB anzutreffen ist: In Österreichs Nachbarland Bayern war 1808, vier Jahre vor dem ABGB, eine „Konstitution für das Königreich Baiern“ in Kraft getreten, die man in Österreich durch ausführliche Berichte in eigenen Zeitungen 718 Nach I. Mittenzwei/E. Herzfeld, Brandenburg-Preußen 1648 bis 1789. Das Zeitalter des Absolutismus in Text und Bild, 2. Aufl., 1988, 402 f.; zur Mittwochgesellschaft vgl. H. Möller, Aufklärung in Preussen. Der Verleger, Publizist und Geschichtsschreiber Friedrich Nicolai (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 15), 1974, 229 f. 719 Brauneder, 175 Jahre ABGB, 94 ff.; Kundmachungspatent: Fürstliche Verordnung vom 18. Februar 1812, betreffend die Einführung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches und der allgemeinen Gerichtsordnung, in: Amtliches Sammelwerk der Liechtensteinischen Rechtsvorschriften seit 1863 (Loseblattsammlung, 1971). 720 Ofner, Protokolle I, 3; vgl. auch Zeiller, Commentar I, 167: „bürgerliche Verfassung“. 721 Rosbierski, Darstellung, 38 bzw. 39. 722 F. A. Tiller, Sistem der bürgerlichen Rechtslehre I, 1787, S. X. 723 Reich, wie Fn. 681, 156. 724 Nur in knapper Andeutung bei H. Mohnhaupt/D. Grimm, Verfassung: zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 47), 2. Aufl., 2002, 88: „Zustand und Ordnung im weitesten Sinn!“.
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sehr wohl kennen konnte725. Dem ABGB liegt jedocch der ältere Begriff von „Verfassung“ zugrunde. Eine Darstellung beispielsweise der „Verfassung des Landes Böhmen“ betraf noch 1847 nach ihrer Haupteinteilung726 die „Staats(Regierungs-)Organe“, die „Eintheilung des Landes in Verwaltungsbezirke“, die „Behörden“, die „Beamten“, die „Grundherren und die Communen“, die „Gesetze und deren Kundmachung“, die „staatsbürgerlichen Verhältnisse“ mit u. a. Abschnitten über „Adel“, „Bürgerstand“ und „Bauernstand“, die „landständische Verfassung“, die „Verhältnisse des Realbesitzstandes“, die „Communal- und Municipal-Verfassung“, die „Religionsverhältnisse“, „die Verhältnisse der Judenschaft“ mit u. a. deren „Familienrecht“, schließlich das „Fremdenrecht“. Schon zum Teil-ABGB war erklärt worden, unter „Landesverfassung“ seien die „verschiedenen Landesgesetze“ zu verstehen727: Auch dieser Rechtsquellentyp hat nichts mit dem modernen Verfassungsbegriff zu tun, denn er umfaßt beispielsweise Privatrecht, Lehenrecht, Recht der Grundherrschaften, Gerichtsverfassung, Zivil- und Strafprozeßrecht728. So kann das ABGB in Liechtenstein einen Teil der „Landesverfassung“ ausmachen, nach Zeiller den einer „Verfassung“ schlechthin. Damit steht eine weitere Überlegung im Einklang. Das 18. Jahrhundert maß der Justizverwaltung, womit Gesetzgebung, Gerichtsorganisation und Gerichtsverfahren gemeint waren, „großen Einfluß in das Aufnehmen des Nahrungsstandes und in den innerlichen Wohlstand des Staats“ bei und hatte, um diese Rolle zu erfüllen, bestimmte „Grundsätze“ zu verwirklichen729. Eine besondere Rolle spielten dabei „auch die bürgerlichen Gesetze, wodurch die besonderen Gerechtssame und Anforderungen der Unterthanen entschieden werden“, da sie geeignet sind, „die Culur des Landes, den Anwachs der Einwohner und die Vergrößerung des Nahrungsstandes zu befördern“. Ganz in dieser Sicht äußerte sich Erzherzog Rainer, ein Bruder Kaiser Franz I., in einer Denkschrift im Jahre 1809 in Erwartung des ABGB zur „Justiz“ 730: „Was diesen Zweig der Staatsverwaltung betrifft, so ist er wahrlich der bestgeordnete derselben; die Gesetze sind zweckmässig, und die neu entworfenen und zum Theil schon geltenden Gesetzbücher werden selbst vom Auslande bewundert. Hier ist nur zu wünschen, dass das neue bürgerliche Gesetzbuch bald in Ausübung kommen möge“. Das mit der Justiz insge725 Vgl. W. Brauneder, Die Verfassungsentwicklung Österreichs und Bayerns im Vormärz: ein Vergleich, in: A. Schmid (Hrsg.), Die bayerische Konstitution von 1808, 2008, 129 ff. 726 F. J. Schopf, Die organische Verwaltung der Provinz Böhmen und die landesverfassungsmäßigen Verhältnisse der Bewohner als Einleitung zur politischen Gesetzkunde, 1847, VII–XXII (Inhaltsverzeichnis). 727 Teil-ABGB Ausgabe Freiburg/Breisgau II § 4 Fn. *. 728 Vgl. o. Einleitung. 729 Bergius, wie Fn. 191, 273 f. 730 E. Wertheimer (Hrsg.), Zwei Denkschriften Erzherzog Rainers aus den Jahren 1808 und 1809, in: Archiv für österreichische Geschichte 1892, 297 ff., 361.
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samt nach „Grundsätzen“ richtig gestaltete Bürgerliche Recht war somit ein wesentliches Element, den Staat mitzukonstituieren. Nicht nur als Tatsachenfeststellung, sondern auch programatisch hielt 1814 in Hinblick auf das inkraftgetretene ABGB eine populäre Darstellung fest731: „Weise Gesetze sind der unerschütterliche Grundstein, auf welchem das Gebäude der bürgerlichen Gesellschaft ruht, in dessen Schutze die Menschen sich die Mittel ihrer Existenz sichern, und Musse und Ruhe und Mittel erwerben, auch ihre höhern Kräfte zu entwickeln, und als Menschen glücklich zu seyn“. Als das ABGB 1811 fertiggestellt und sanktioniert worden war, hielt Anselm v. Feuerbach dem Reform-Staatskanzler Bayerns, Montgelas, einen Vortrag, der die staatsbildende Kraft auch der Zivilgesetze betonte732: „Ein Staat ist solange noch nicht Ein Staat, solange nicht seine einzelnen Bestand-Theile durch gemeinschaftliche Geseze verbunden sind. Nur unter der Gleichheit der Geseze kann Einheit des Geistes und der Kraft eines Volkes entstehen, nur durch diese Mittel können verschiedene, durch Nazional-Haß und Nazional-Vorurtheil ursprünglich getrennte Völkerschaften allmählich in eine Nazion zusammenwachsen.“ Mit den Ausdrücken „Verfassung“, „Fundamentalgesetz“ verband sich Bestandsgarantie. Es werde, so Sonnenfels, „durch gesetzliches Ansehen“ eine „Verfassung befestigt“, die „Staat und Gesellschaft selbst gegen jeden Wunsch der Neuerung sichert“ 733. Mit der Aufnahme bestimmter Grundsätze in die Kodifikation sah er diese als unter einer derartigen Garantie stehend an734. Der Zusammenhang einer durch Kodifikationen „befestigten“ „Verfassung“ im Sinne eines materiellen Verfassungszustandes mit dem formellen Begriff einer „Constitution“ war Sonnenfels wohl bewußt und von ihm auch offen ausgesprochen. So sah er grundsätzliche Bestimmungen wie die des GBGB735 in Frankreich in den Gesetzestyp „Constitution“ aufgenommen, den man aber „sorgfältig von den davon abgeleiteten Gesetzen selbst unterscheiden“ müsse, da er für diese „Richtschnur und . . . Vorschrift“ sei: Die aber gingen „den Befolgenden“ der Gesetze nichts an. In diese dennoch aufgenommen, würden sich die „Befolgenden“ die Befugnis anmaßen, sie direkt auf die sie durchführenden Gesetze anzuwenden und damit Entscheidungen fällen, die nur dem Gesetzgeber allein als dem zur Realisierung jener Grundsätze Befugten zustünden. Die zitierte liechtensteinische Einführungsverordnung zum ABGB ging nahezu davon aus, daß dieses prinzipiell unverändert gelten werde, denn der Landesfürst behielt sich – gleichsam als Ausnahme – vor, „jene Modifikationen mit 731 732 733 734 735
Hoffer, Schutzgeist, 10. Nach Schennach, Volk, 265. Adler, Gesetzgebung, 128 f. Fn. 70. Ebda, 114. Adler, Gesetzgebung, 116.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
der Zeit zu gestatten, welche Lokalverhältnisse in einem oder dem anderen Falle nötig machen könnten“. Zur Bestandsgarantie trug der Inhalt der Kodifikationen bei: Als „Kette rechtlicher Wahrheiten“ sollten sie „für die Dauer von Menschenaltern“, wenn nicht gar „ewig“ gelten736. Da dies bei einem guten Gesetz so sein müsse, sah die Gesetzgebungslehre in Novellierungen das Eingeständnis von Unzulänglichkeiten und empfahl, sie zu vermeiden. Das ABGB enthält, anders noch als das GBGB (§ 21), keine Bestimmungen über Novellierungen, sehr wohl aber über die authentische Interpretation (§ 8), da man ihr vor einer Novellierung den Vorzug gab: Im Vormärz ergingen tatsächlich einige „authentische Interpretationen“, die nach heutigem Verständnis Novellierungen sind737. Die „fundamentale“, d. h. verfassungsgleiche Bedeutung, des ABGB in der konstitutionslosen Zeit betonten die Zeitgenossen. Im Jahre 1847 wurde beispielsweise im Zusammenhang mit der „Verfassungsfrage“ Österreichs hervorgehoben, das „vortreffliche bürgerliche Gesetzbuch, das beste in ganz Deutschland“, biete einen „befriedigenden Rechtsschutz“ 738. Und rückblickend bemerkte Justizminister Karl v. Krauß 1852, das ABGB habe „durch 40 Jahre als eine feste Schutzwehr gegen Willkühr und Unrecht“ gedient739. Die zeitgenössische Auffassung vom ABGB als, modern gesprochen, Teil der damaligen Verfassung im materiellen Sinn wird besonders durch die naturrechtliche Grundsituation verständlich. Sie führte, kurz skizziert, auf Bindungen des Individuums auf tatsächliche oder fingierte Verträge zurück. Zu letzteren zählte der den Staat konstituierende Gesellschaftsvertrag und der die Staatsgewalt begründende Unterwerfungsvertrag. Wenngleich Fiktion, so leitete man aus dieser Vertragssituation nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte des Untertanen gegenüber dem Staat bzw. nicht nur Rechte desselbe gegenüber den Untertanen, sondern auch Pflichten ab. Das Teil-ABGB enthielt eine entsprechende Formulierung (I § 1): „Jeder Unterthan erwartet von dem Landesfürsten Sicherheit und Schutz. Es ist also die Pflicht des Landesfürsten, die Rechte der Unterthanen deutlich zu bestimmen, und ihre Handlungen so zu leiten, wie es der allgemeine und besondere Wohlstand fodert“. Noch 1840 galt es als Vorteil einer Monarchie, es könne der Monarch, da er „die Gesetze sanktioniert“, diese „nicht plötzlich und eigenmächtig wieder verwerfen, ohne nicht zugleich auch das Getriebe der Verfassung gänzlich zu zertrümmern“ 740. Diesem grundsätzlichen Verständnis bzw. Menschenbild entsprachen besonders die Kodifikationen. So gewährte die 736
Adler, Gesetzgebung, 127. S. u. 3. Kap. C. I.: S. 361 ff. 738 Anonym (Matthias Koch), Oesterreichs innere Politik mit Beziehung auf die Verfassungsfrage, 1847, 217. 739 Im Ministerrat am 13. Mai 1852 aus Anlaß der Anti-ABGB-Rede von Minister Thun-Hohenstein: F. Walter, Diskussion über das ABGB, in: ders., Die Österreichische Zentralverwaltung III/3, 1970, 52. 740 F. L. Schirnding, Oesterreich im Jahre 1840, Bd. I, 1840, 99. 737
B. Das ABGB in der Gesamtrechtsordnung
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Strafrechtskodifikation einen speziellen Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür mit ihrer Verwirklichung des Satzes „nulla crimen sine lege“. Einen weiteren Schutz gewährte die Zivilrechtskodifikation, nämlich den des autonomen Bereichs der Individuen unter sich. Diese materiell-verfassungsrechtliche Sicht verstärkte die Gesetzgebungslehre mit der von ihr verbreiteten und auch akzeptierten Ansicht, Kodifikationenen unterlägen einer Bestandsgarantie, da es verwerflich sei, gerade sie zu novellieren.
B. Das ABGB in der Gesamtrechtsordnung I. Gemeinsamkeiten im Gesetzgebungsprozeß Die Aufteilung der Rechtsordnung auf insbesondere mehrere Kodifikationen bedeutet nicht, daß – etwa im Vergleich mit dem einheitlichen ALR Preußens – voneinander völlig unabhängige Gesetzbücher vorgelegen hätten. So verklammerten bereits die Gesetzgebungskommissionen mit ihren Personen, vor allem Martini und Zeiller, die Gesetzgebungsarbeiten. Von Martini stammt nicht nur der nach ihm benannte Entwurf eines Zivilgesetzbuches, der wie erwähnt in Galizien in Kraft trat, er hatte auch das Strafgesetzbuch 1787 mitgestaltet741. Noch stärker trat aber Zeiller als eine das Zivil- und Strafrecht verbindende Kraft hervor742. Merkwürdigerweise ist Zeiller in erster Linie als Vertreter der Zivilrechtslegistik und der Zivilrechtswissenschaft in die Rechtsgeschichte eingegangen, vor allem als einer der Väter, wenn nicht sogar als der Vater des ABGB. Dazu trug einerseits der erste Kommentar zum ABGB aus Zeillers Feder bei, der lange monopolartig auch in drei italienischen Übersetzungen die Rechtswissenschaft des ABGB dominierte und noch heute eine gewisse Aktualität besitzt. Andererseits aber förderte diesen Ruhm die Drucklegung der Beratungsprotokolle der Arbeiten am ABGB samt Zeillers Erläuterungen des Gesetzbuches743. Als Strafrechtler rangiert Zeiller erst nach diesen Tätigkeiten – und zwar unverdienter Maßen. Dies liegt einmal an zwei Ursachen, die den beiden eben erwähnten Gründen für seinen zivilistischen Ruhm geradezu entgegengesetzt sind: Zeiller hat keinen Kommentar zum StG verfaßt und es sind die strafrechtlichen Beratungsprotokolle der Gesetzgebungshofkommission nicht im Druck erschienen. Quellenmäßig ist also Zeillers strafrechtliche Tätigkeit in der Gesetzgebungshofkommission im Gegensatz zu seinen zivilistischen Aktionen nicht entsprechend dokumentiert. Dazu ist zu bemerken, daß die Protokolle der zivilrechtlichen und der strafrechtlichen Gesetzgebungsarbeiten in den Originalprotokollen gar nicht getrennt sind: Sie wurden zwar von jeweils einem anderen Schreiber angefertigt, sind aber 741 742 743
Zu Martini u. a. Brauneder, Kodifikationen, 116 ff.; wie Fn. 217. Zu Zeiller für das Folgende: Brauneder, Kodifikationen, 119 ff. Harrasowsky, Codex; Ofner, Protokolle.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
chronologisch in einem Exemplar zusammengebunden744. Diesen Protokollen ist zu entnehmen, daß beispielsweise die Gesetzgebungshofkommission am Vormittag sich mit der Zivilrechtskodifikation und am Nachmittag desselben Tages mit der Strafrechtskodifikation beschäftigte – bei Anwesenheit Zeillers an beiden Beratungen! Zur Vernachlässigung von Zeillers Rolle als Strafrechtler hat weiters beigetragen, daß seine Publikationen zum Strafrecht kaum bekannt sind, möglicherweise auch der Umstand, daß man sich in der österreichischen beziehungsweise europäischen Rechtsgeschichte sehr wohl des Einflusses des ABGB auf zahlreiche Privatrechtskodifikationen bewußt ist, derartiges aber hinsichtlich des StG nicht wahrgenommen wurde745. Überblickt man Zeillers Tätigkeiten746, so überwiegen zumindest chronologisch die dem Strafrecht gewidmeten jene, die sich mit dem Zivilrecht beschäftigen. Zeiller begann als Strafrechtler und hörte als Strafrechtler auf. Als er 1774 Supplent der Lehrkanzel Martinis wurde, umfaßte diese auch die Kriminalistik, 1782 folgte Zeiller Martini als Ordinarius. Nun hielt er tatsächlich auch Vorlesungen aus Strafrecht und Strafprozeßrecht. Seine erste legistische Tätigkeit bestand ab 1793 in der Abfassung eines Gesetzentwurfs zur Verbesserung des damals geltenden Strafgesetzes 1787, ab 1797 wirkte er in der zuständigen Hofkommission sogar als Hauptreferent für ein neues Strafgesetz. So kam es, daß Zeiller aufgrund des galizischen Strafgesetzes durch Redaktionsarbeiten den ersten Teil des StG 1803, das Justizstrafrecht samt Prozeßrecht, schuf. Ab 1801 fungierte Zeiller aber als Referent für die Arbeiten am ABGB. Er beschäftigte sich also, wie auch aus den schon erwähnten Beratungsprotokollen ersichtlich, zeitweise parallel mit der Kodifikation des Strafrechts wie auch mit jener des Zivilrechts! Bald jedoch nahm ihn letztere Arbeit völlig in Anspruch, ab 1801 wirkt Zeiller ausschließlich als zivilrechtlicher Legist. Aber selbst in dieser zivilistischen Phase widmete sich Zeiller dem Strafrecht, da die von ihm von 1806 bis 1809 herausgegebene Zeitschrift „Jährlicher Beytrag zur Gesetzkunde und Rechtswissenschaft“ überwiegend strafrechtliche Arbeiten veröffentlichte – 1810 folgte unter dem Titel „Vorbereitung zur neuesten oesterreichischen Gesetzkunde“ davon eine zweite Auflage. Sogleich im ersten Band dieser Zeitschrift von 1806 erschien Zeillers grundlegende strafrechtliche Arbeit, deren Titel den weiten Rahmen erkennen läßt: „Zweck und Prinzipien der Criminal-Gesetzgebung. Darstellung der durch das neue CriminalGesetzbuch [von 1803] bewirkten Veränderungen samt ihren Gründen“. Auch beschäftigte sich Zeiller in dieser Zeit mit einem ganz anderen Rechtsgebiet: Ebenfalls aus 1806 liegt der von ihm stammende oder von ihm redigierte der Entwurf einer Lehensordnung vor. Im Jahre 1817 erscheint überdies ein größerer Beitrag 744
Allgemeines Verwaltungsarchiv Wien: Oberste Justiz. Vgl. jedoch B. Bravo-Lira, Bicentenario del Código Penal de Austria: Su proyección desde el Danubio a Filipinas, in: Revista de estudios histórico-jurídicos 26 (2004), 115 ff. 746 Zum Folgenden Brauneder, Kodifikationen, 119 ff. 745
B. Das ABGB in der Gesamtrechtsordnung
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Zeillers zum Zivilprozeßrecht. In diesen Jahren aber dominiert die Zivilistik: Neben den letzten Arbeiten am ABGB verfaßt Zeiller 1809 zu diesem seinen Probekommentar, 1811 bis 1813 erscheint sein Hauptkommentar zum ABGB, 1815 verteidigt er das ABGB gegen eine Kritik von Gönner und 1822 gegen eine solche des nichtbenannten Savigny, dazwischen, 1816 bis 1820, verfaßt er seinen sogenannten Zweiten ABGB-Kommentar. Mit seiner Kritik an Gönner von 1822 beendete Zeiller allerdings seine hauptsächlich zivilrechtliche Arbeitsphase und kehrte zum Strafrecht zurück. Schon 1817 war ihm aufgetragen worden, einen Entwurf zur Verbesserung des StG 1803 zu erstellen. 1823 legte er dazu den Entwurf zum materiellen Justizstrafrecht vor, 1825 zum prozessualen Justizstrafrecht. Dazwischen hatte er 1824 eingehendst zwei Strafrechtsfälle erörtert. Vor seinem Tod 1828 sind diese strafrechtlichen seine letzten Arbeiten. Das Bild vom „Zivilisten Zeiller“ ist also zu korrigieren: Zeiller war – besonders als Legist – ebenso auch Strafrechtler wie ähnlich sein Vorgänger an der Universität und in der Gesetzgebungskommission Martini. Und überdies hat er sich nebenbei sowohl dem Lehensrecht wie dem Zivilprozeßrecht gewidmet. In seiner Person laufen also fast alle Gesetzgebungsarbeiten zusammen.
II. Der kodifizierte Teil der Rechtsordnung Die Arbeiten an den Kodifikationen insgesamt, allein schon die am ABGB, lassen Zusammenhänge erkennen. Tatsächlich sollte, so Kees 1794747, die Privatrechtskodifikation nicht isoliert stehen, sondern es das Ziel sein, daß mit anderen Kodifikationen wie mit dem Politischen Kodex und dem Strafgesetz „dermaleinstens die Gesetzbücher auf eine alles erschöpfende Art“ die gesamte Rechtsordnung erfassen. Allerdings geschah dies nicht vollkommen. Zum Zeitpunkt des Inkraftretens des ABGB waren folgende Teile der Rechtsordnung kodifiziert748: das bürgerliche Recht im ABGB, das Zivilprozeßrecht in der AGO 1781 sowie in der GGO 1796 und das Strafrecht749 samt Strafprozeßrecht im StG 1803. Das StG 1803 umfaßte zwei Gebiete: Im ersten Teil war das Justizstrafrecht samt dem zugehörigen Prozeßrecht geregelt, die „Verbrechen“ („I. Abteilung“), im zweiten Teil das Polizeystrafrecht abermals samt dem zugehörigen Prozeßrecht, die sogenannten „schweren Polizeyübertretungen“ („II. Abteilung“). Die jeweilige Zusammenfassung von materiellem und prozessualem Strafrecht zu je einer Einheit zeigt sehr deutlich, daß man beide Teile nahezu als eigene Straf747 J. K. Binder/H. Suchomel (Bearb.), Zur Lebensgeschichte des Hofrates Franz Georg Edlen von Keeß, in: ABGB-FS I, 355 ff., hier insb. 373. 748 Dazu W. Brauneder, Vom Nutzen des Naturrechts für die Habsburgermonarchie, in: D. Klippel (Hrsg.), Naturrecht und Staat (= Schriften des Historischen Kollegs/Kolloquien 57), 2006, 145 ff. 749 Dazu W. Brauneder, Die Entwicklung der modernen Verwaltungsstrafrechtspflege in Österreich/Cisleithanien, in: ders., Studien I, 321 ff.
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gesetzbücher betrachtete, was weiters der Umstand betont, daß für die Aburteilung der „Verbrechen“ Gerichte, für die der „schweren Polizeyübertretungen“ gemischte Behörden aus Richtern und Verwaltungsbeamten zuständig waren. Ein Teil der dritten Deliktskategorie, die „anderen Übertretungen“, wurde 1835 von einer weiteren Strafrechtskodifikation erfaßt, nämlich vom „Gefälls-StG“, das Steuerstrafrecht. Auch dieses Steuer-StG 1835 enthielt einen materiellen und einen prozessualen Teil. Zuständig für das Steuerstrafrecht waren gleichfalls gemischte Behörden wie eben erwähnt. Nun nach 1835, waren folgende Gebiete nicht in einer Kodifikation geregelt: Die sonstigen Polizeyübertretungen, über die reine Verwaltungsbehörden urteilten, sodann insbesondere das übrige Polizeyrecht, also modern gesprochen das Verwaltungsrecht, ferner etwa das Lehensrecht und das Handelsrecht. Für das Lehensrecht lag seit 1806 ein gedruckter Entwurf vor750. Seit 1826 mühte man sich mit der „Vollendung der Justizgesetze in Handels- und Wechselsachen“ ab751, nämlich mit einem umfassenden „Handelsgesetzbuch“ („Handels-Codex“). Es sollte aus fünf „Abteilungen“ bestehen: „Handelsrecht“, „Wechselrecht“, „Seerecht“, „Falliten-Ordnung“ und „Wechselprozeß“. Dieses Handelsgesetzbuch war von einem zusätzlichen „allgemeinen politisch Handels-Codex“ „genau zu sondern“, der die „politischen Handels- und Gewerbs-Verordnungen“ aufzunehmen hatte. Wie schon zum ABGB gab also auch hier die Trennung in ein „ewiges“ Justizgesetz und in veränderliche Politische Gesetze die Regel ab. Zur Gesetzgebungsentwicklung insgesamt mußte 1847 das Fehlen erheblicher Teile festgestellt werden, wie das „der Umarbeitung des Strafgesetzbuches“, eines „Seekodex, eines Konscriptions- und Rekrutirungsgesetzes, eines neuen Handelsrechts und eines Wechselrechts, dessen Entwurf seit 1835 gedruckt vorlag, eines Militärstrafrechts, einer „Allgemeinen Lehensordnung“, deren Entwurf schon 1806 gedruckt worden war, „und einer neuen Gerichtsordnung“ 752. Was nun die Politischen Gesetze anlangt, so ging man hier, anders als bei den Justizgesetzen, von einer Fortdauer der Provinzialgesetzgebung aus. Die seit 1819 bestehenden Provinzialgesetzsammlungen zu redigieren war gleichfalls 1826 angeordnet worden. Vor allem aber hatte man nahezu parallel zu den Kodifikationen von 1768 bis 1817 an einem „Politischen Kodex“ gearbeitet753. Dieses 750
Vgl. Fn. 695. Vgl. Vortrag der Allgemeinen Hofkammer vom 7. Juli 1824 mit kaiserlicher Genehmigung vom 28. Oktober 1826: Finanz- und Hofkammerarchiv Wien, Kommerz. Nr. 1049 ex. Nov. 1826 Fol. 1728 ff.; Transkription von Prof Barbara Dölemeyer freundlichst zur Verfügung gestellt. 752 Wie Fn. 726, 294. 753 Adler, Gesetzgebung, 85 ff., 30 ff.; S. Wagner, Der politische Kodex. Die Kodifikationsarbeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Österreich 1780–1818 (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 70), 2004; Brauneder, wie Fn. 748, 159 ff. 751
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Gesetzbuch wäre allerdings keine Kodifikation wie die des Zivil- und Strafrechts samt ihren Prozeßrechten gewesen, sondern eine systematische Kompilation des Polizey-(Verwaltungs-)rechts sowie auch des Handelsrechts. Zeitweise war ferner vorgesehen, verfassungsrechtliche Bestimmungen in diesen Kodex aufzunehmen. Gerade sie ließen aber angesichts der durch die Habsburgermonarchie besonders abgelehnten Französischen Revolution den Kodex-Plan scheitern, ebenso aber auch die kaum bewältigbare Quantität an Verwaltungsvorschriften. Kam auch kein „Politischer Codex“ zustande, so existiert doch ein derartiger Titel, freilich für ein Rechtslexikon in alphabetsicher Anordnung, das auf diese Weise den Inhalt der Gesetze „im politischen Fache“ von 1359 bis 1788 und in den beiden letzten Bänden XIII und XIV jene Josefs II. darbietet. Diese Privatarbeit des Wiener Professors Ignatz de Luca erschien von 1789 bis 1795 immerhin mit „allerhöchster Genehmhaltung“. Die Kodifikationsbewegung war also 1835 zum ungeplanten Abschluß gekommen. Vergleicht man die Habsburgermonarchie mit Frankreich, so besaß sie wie dieses einen code civil, sogar zwei codes de procedure civil, sogar zwei codes penales einschließlich der codes de procedure penal, aber keinen code de commerce und vor allem keine Kodifikation des Verfassungsrechts, keine „Konstitution“. An eine solche hatte man ohnedies nie gedacht, gerade nicht mehr in der Zeit nach dem Wiener Kongreß und der Zugehörigkeit der ehemaligen Reichsteile Österreichs zum Deutschen Bund, da dieser lediglich eine „landständische Verfassung“ für die einzelnen Länder zugelassen hatte. Erst in Folge der Revolution von 1848 erhielt Österreich erstmals eine Konstitution als Verfassungskodifikation.
III. Verweisungen Der Verklammerung des ABGB mit der Gesamtrechtsordnung dienten seine Verweisungen. 1. Ausgangslage Das Konzept des „allgemein“-territorial geltenden Gesetzbuchs erschwerten drei Hindernisse. Erstens war auf den weiten örtlichen Geltungsbereich von den Grenzen der Schweizer Eidgenossenschaft am Rhein im Westen bis zu den Grenzen Rußlands an Bug und Pruth im Osten Bedacht zu nehmen und damit auf unterschiedlichste Territorien und verschiedene Nationen. Zweitens existierte die fortdauernde ständische Gliederung der Bevölkerung, die ebenso wie beispielsweise in Preußen, aber im Gegensatz zu Frankreich, keine Revolution beseitigt hatte, die vielmehr gegen Frankreich in mehreren Kriegen verteidigt wurde. Schließlich drittens erstreckten sich zahlreiche Rechtsverhältnisse in das Öffentliche Recht hinein wie etwa im Bereich der Grundherrschaften und auch bezüglich konkreter Institutionen wie etwa der Stiftung.
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Diese Problematik war der Theorie bekannt. Zeiller etwa754 ging davon aus, es gäbe zweierlei „Rechtsgrundsätze“, allerdings sei deren Trennung „nicht leicht“. Einerseits existiere die „reine Rechtslehre“ 755 als Lehre vom „Natürlichen Privatrecht“, vom „Naturrecht“, welche Rechtsgrundsätze unmittelbar aus der „Vernunft“ herleite wie etwa den Satz, fremdes Eigentum sei zu respektieren. Sodann gäbe es aber auch andere Rechtsgrundsätze, nämlich die „Principien der positiven Gesetzgebung“, in welchen „die gesetzgebende Klugheit mit der Erfahrung“ zusammen komme, denn für eine „Theorie einer allgemeinen Civil-Gesetzgebung“ reiche „die reine Vernunft nicht aus“, das Naturrecht bedürfe vielmehr der Modifikationen, Einschränkungen und Ergänzungen, da man etwa Religion, Sitten und Denkungsart in einer Theorie der praktischen Gesetzgebung mitzuberücksichtigen habe. Zeiller zieht daraus den Schluß, es „müssen . . . die Civil-Gesetze verschieden sein“ 756! Dazu komme noch, daß es „schon in der Theorie“ reichlich „schwer“ sei, eine Grenze zwischen „der politischen und Justiz-Gesetzgebung“, also zwischen Öffentlichem Recht und, wenn man aus diesem das Strafrecht ausscheidet, dem Privatrecht zu ziehen. Noch mehr aber, so Zeiller, „verlieren sich in der wirklichen Welt“, also in der Praxis, diese „Grenzen in einander“, zumal sich beispielsweise zur „Ergänzung . . . oft die Justiz-Gesetze auf die politischen, so wie die letzteren auf die ersteren“ berufen, auch gäbe es „Gegenstände von vermischter Eigenschaft“ 757. Tatsächlich sind Verweisungen auf die „politischen“ Gesetze nicht völlig identisch mit solchen auf das Öffentliche Recht. Zu ihnen zählen auch jene Materien des Privatrechts, die wegen ihres zeitbedingten, veränderlichen oder vorübergehenden Inhalts als nicht geeignet erschienen in die – möglichst – ewig gültige Kodifikation aufgenommen zu werden Auch ist nach Zeiller758 für die „politische Gesetzgebung“ der „Unterschied der Geburt, der Religion, des Alters, Ranges oder Standes“ im Gegensatz zum Privatrecht „allerdings wichtig“. So stand das Konzept der einheitlich in Kraft zu setzenden Kodifikation des Bürgerlichen Rechts in einer von den Kodifikatoren erkannten Spannung dazu, daß in einem Geltungsbereich unterschiedlicher Länder mit einer ständisch geschichteten Gesellschaft „die Civil-Gesetze verschieden sein“ müßten und überdies die Abgrenzung zum Öffentlichen Recht schwierig sei. Diese Problematik betraf nicht bloß die Habsburgermonarchie, sondern auch Preußen mit seinen ebenso höchst unterschiedlichen Territorien gleichfalls vom 754
Zeiller, Principien, 27 ff. Sie hat nichts mit Hans Kelsens „Reiner Rechtslehre“ zu tun! Vgl. auch M. Stolleis, Reine Rechtslehre in Erlangen, in: G. Kohl/Ch. Neschwara/Th. Simon (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Brauneder, 2008, 661 ff. 756 Zeiller, Commentar I, 23. 757 Ebda, 17 ff. 758 Zeiller, Commentar I, 12. 755
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Rhein bis an die Grenzen Rußlands. Die preußische Gesetzgebung löste diese Spannung mit dem ALR auf folgende Weise759: Den örtlichen Unterschiedlichkeiten trug es dadurch Rechnung, daß ihm bloß subsidiäre Geltung nach örtlichem und regionalem Recht zukam. Den ständischen Unterschiedlichkeiten kam es durch spezifische ständische Regelungen in entsprechenden Titeln wie „Von den Pflichten und Rechten des Adelsstandes“, „Vom Bürgerstande“ und „Vom Bauernstande“ entgegen. Die Problematik der Abgrenzung von Privatrecht und Öffentlichem Recht wurde durch die Aufnahme beider Materien vermieden. Die österreichische Kodifikationsentwicklung hingegen ging von Anfang an von der Trennung in Privatrecht und Öffentliches Recht aus. Den unterschiedlichen örtlichen und ständischen Bedingungen trägt die Legistik des ABGB aber dennoch, wenngleich anders als das ALR, Rechnung. Neben den beiden bedeutungslosen Hinweisen auf Gewohnheitsrecht (§ 10) und Provinzialrecht (§ 11) ist es so gut wie allein das Mittel der Verweisung. 2. Verweisungen im allgemeinen Insgesamt verweisen 81 der 1502 Paragraphen des ABGB auf andere Rechtsquellen, also etwa 6 Prozent. Davon stehen in 7 Paragraphen zwei Verweisungen, so daß das ABGB insgesamt 88 Verweisungen enthält (vgl. Anhang I). Diese Verweisungen betreffen unterschiedliche Rechtsquellen. Die größte Anzahl, nämlich 30 Verweisungen (34 Prozent aller Verweisungen), entfällt auf „politische Gesetze/Verordnungen/Vorschriften“; genau die Hälfte dieser Zahl, nämlich 15 Verweisungen (17 Prozent), betrifft die „Gerichtsordnung“ (13 Verweisungen: 14,8 Prozent) samt Konkursvorschriften (2 Verweisungen: 2,2 Prozent). Nur etwas weniger sind die Verweisungen auf die „Strafgesetze“ (11 Verweisungen: 12,5 Prozent). Die übrigen Verweisungen sind von wesentlich geringerer Anzahl: Jeweils zwei (0,13 Prozent) betreffen die „Militärgesetze“, die „Seegesetze“ sowie die „Berggesetze“, jeweils drei (0,2 Prozent) die „Handelsgesetze“ und die „Landes-“ bzw. „Provinzial-Verfassungen“. In weiteren 20 Verweisungen (22,8 Prozent) sind sonstige Rechtsquellen erwähnt wie etwa „besondere Vorschriften“ schlechthin (vgl. Anhang II.). Es fällt auf, daß keine der Verweisungen eine konkrete Rechtsquelle nennt, das heißt, es wird stets auf eine Rechtsquellengattung verwiesen. Die „Landes-“ bzw. „Provinzial-Verfassungen“ umfaßen im Wesentlichen die „politischen“ Landesgesetze. Dies trifft weiters auf die anscheinend präzise Verweisung auf die „Gerichtsordnung“ zu, denn deren gab es zwei: Die ältere „Allgemeine Gerichtsordnung“ von 1781 sowie die jüngere, die sogenannte „Westgalizische Gerichtsord759 P. Caroni, Gesetz und Gesetzbuch. Beiträge zu einer Kodifikationsgeschichte, 2003, 54–58; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, 116–125; H. Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (Textausgabe), 11–39.
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nung“ 1796. Am weitesten gefaßt sind wohl die Verweisungen auf die „besonderen Vorschriften“. Die Verweisungen und mit ihnen die durch sie bewirkte Öffnung der Kodifikation besitzen daher einen ganz spezifischen Charakter: Sie sind nicht konkret, sondern unbestimmt, ungewiß. Damit ergibt sich für das verwiesene Recht, daß es nicht fixiert, also veränderbar ist. Dies ermöglichte zweierlei: Erstens konnten Veränderungen der Privatrechtsordnung durch Gesetzgebungsakte außerhalb des ABGB erfolgen, was auch geschah wie etwa das Fallenlassen ständischer und örtlicher Unterschiedlichkeiten durch die Aufhebung des Geteilten Eigentums im Bauernstand im Zuge der Grundentlastung nach 1848 oder die Abschaffung der Familienfideikommisse 1938. Zweitens blieb, als Folge davon, das ABGB unberührt von zeitbedingten, eventuell nur vorübergehenden legislativen Maßnahmen. Die Verweisungen sind überdies von unterschiedlicher Art; sie lassen sich in mehrere Gruppen einteilen. 3. Legistisch überflüssige Verweisungen Ein nicht unerheblicher Teil der Verweisungen könnte ohne Schaden für die Kenntnis des ABGB entfallen, sie sind streng legistisch gesehen überflüssig. Dies deshalb, da bezüglich bestimmter Regelungen oder Rechtsfolgen auf Öffentliches Recht verwiesen wird, was zufolge der Trennung in dieses und in das Privatrecht an sich entbehrlich wäre. Dies betrifft alle Verweisungen auf das „Strafrecht“ 760. So ist es etwa selbstverständlich, daß bestimmte Fälle der „Verführung zugleich als ein Verbrechen, oder als eine schwere Polizei-Übertretung bestraft“ werden (§ 1328). Ähnliches gilt für nahezu alle Verweisungen auf die Gerichts- beziehungsweise Konkursordnung761. Beispielsweise werden die „Vorzugsrechte der Gläubiger bei dem Ausbruche eines Concurses“ selbstverständlich durch das „Verfahren in Concurs-Fällen“ bestimmt (§ 470). Auch der Hinweis, daß sich die Erbschaftssteuer (§ 818) nach den politischen Verordnungen bemißt, erübrigt sich in einem Bürgerlichen Gesetzbuch. Doch haben diese an sich überflüssigen Verweisungen bestimmte Gründe für sich; sie sind von dreierlei Art. Die eine Gruppe an derartigen Verweisungen erinnert an weitere Rechtsfolgen. Die Verweisung zum Schadenersatz bei Verführung (§ 1328) stellt klar, daß mit der Schadenersatzleistung allein nicht alle Rechtsfolgen der Verführung abgedeckt sind762. Ähnlich ist, um nicht den Anschein zu erwecken, daß der Eigentumserwerb durch Jagd zur Wilderei berechtige, bezüglich des Wilddiebstahls auf das Strafgesetz verwiesen (§ 383).
760
Anhang II („Strafgesetze“). Anhang II („Gerichtsordnung“) mit Ausnahme der §§ 163, 340, 350, 450, 465, 798, 1001. 762 Dasselbe auch im Zusammenhang mit den Schadenersatzbestimmungen der §§ 1338, 1339, 1384. 761
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Eine andere Art von an sich überflüssigen Verweisungen besteht darin, daß sie ergänzende Klarstellungen hinsichtlich einer formalen Rechtsdurchsetzung treffen. Dies ist zur Inbesitznahme der Erbschaft (§§ 779 ff.) der Fall, wo ausdrücklich (§ 798) auf das Abhandlungsverfahren gemäß der Gerichtsordnung verwiesen wird. Ähnlich ist zur restitutio in integrum (§ 1450) hinsichtlich der „zum gerichtlichen Verfahren gehörigen Fälle“ auf die Gerichtsordnung verwiesen, ebenso hinsichtlich der Schiedsrichterbestellung im Falle des Vergleichs (§ 1391). Die Klarstellung liegt z. B. darin, daß eine eigenmächtige Inbesitznahme der Erbschaft unstatthaft ist (§ 797). Zeillers ausführliche Kommentierungen des Erbschaftserwerbs stützen sich daher auch nicht auf das ABGB, sondern auf Verfahrensvorschriften763. Allerdings gibt es schließlich den dritten Fall der tatsächlich überflüssigen Verweisung wie etwa im § 1000, die besagt, daß Wucher nach dem „Wuchergesetz“ bestraft werde. Diese Überflüssigkeit gesteht Zeiller mit der lapidaren Feststellung ein, die Verweisung verstehe sich aus der Trennung in Privatrecht und Öffentliches Recht764. Die an sich, das heißt aus legistischen Gründen überflüssigen Verweisungen machen immerhin etwa ein Viertel sämtlicher Verweisungen aus. Sie gewähren allerdings den Vorteil, den Konsumenten des ABGB765 umfassender zu informieren als dies ohne derartige Verweisungen der Fall wäre. So soll der Wilddieb nicht glauben, daß er gemäß § 383 rechtmäßig Eigentum an der Jagdbeute erwirbt, es soll der Verführer nicht meinen, seine Schadenersatzleistung gemäß § 1328 sei „Strafe“ genug für seine Verführung und es soll der durch ein Testament unzweifelhaft zum Erben Eingesetzte wissen, daß er allein aufgrund des Testaments nicht berechtigt ist, die Erbschaft in Besitz zu nehmen. Gerade diese legistisch überflüssigen Verweisungen stimmen mit der allgemeinen Aufgabe überein, daß durch den „Civil-Codex . . . der Bürger über seine und seiner Mitbürger Rechte und Rechtspflichten belehrt . . . werden soll“, und so habe man in Hinblick auf verwandte Rechtsquellen „in dem Civil-Codex den Bürger auf dieselben an den zukommenden Orten durch Hinweisungen aufmerksam gemacht“ 766. In dieser Verweisungstechnik schlägt sich somit einmal mehr der Charakter der naturrechtlichen Kodifikation als spezifisches Rechtslexikon nieder. 4. Materielle Öffnung Drei Viertel der Verweisungen stehen mit dem verwiesenen Recht nicht bloß in dem eben erläuterten informativen, sondern in einem materiellen Zusammenhang, und zwar auf unterschiedliche Art. 763 764 765 766
Zeiller, Commentar II, 830–836. Zeiller, Commentar III, 261 f. Dazu o. 1. Kap. F. III.: S. 126 ff. Zeiller, Commentar I, VI f., 18.
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a) Verweisung zufolge einer Gesamtmaterie Eine Gruppe an Verweisungen versteht sich daraus, daß das ABGB nur einen Teil einer komplexen Materie erfaßt, während deren anderer Teil außerhalb der Kodifikation geregelt ist. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür bietet der Dienstleistungsvertrag. Seine Regelung beginnt sozusagen im 26. Hauptstück des ABGB „Von entgeltlichen Verträgen über Dienstleistungen“ und endet gleichsam außerhalb der Kodifikation. In ausdrücklicher Zählung der Marginalrubriken (heute Überschriften) zählen nämlich zum Dienstleistungsvertrag „1.“ (zu § 1151) der Werkvertrag, sodann „2.“ (zu § 1164) der Verlagsvertrag und schließlich „3.“ der Gesindedienstvertrag, der aber Kraft Verweisung in „besonderen darüber bestehenden Vorschriften“ außerhalb des ABGB geregelt ist! Diese Nichtregelung der „3.“ Variante ist deshalb auffallend, weil der Gesindedienstvertrag sehr wohl noch im GBGB enthalten war (III § 274). Eine ebensolche Regelung teils im ABGB einerseits und teils kraft Verweisung außerhalb desselben finden wir hinsichtlich der Verjährungsfristen: Die „außerordentlichen“ Verjährungsfristen (§§ 1486 ff.) regelt das ABGB nicht nur im Hauptstück „Von der Verjährung und Ersitzung“, sondern verweist sowohl auf andere seiner eigenen Bestimmungen (§ 1491) wie auch nach „außerhalb“, nämlich auf die „Wechselordnung“ (§ 1492). Ein illustratives Beispiel für die Verweisungstechnik gibt das Geteilte Eigentum ab. Zu dessen sachenrechtlichen Vorschriften (§ 357) treten kraft Verweisung (§ 359) noch jene über „Lehen-, Erbpacht- und Erbzinsgüter“. Diese Verweisung zielt hinsichtlich der Erbpacht- und Erbzinsgüter auf entsprechende Regelungen im ABGB selbst ab (§§ 1122 ff.), hinsichtlich des „Lehenrechts“ aber auf eine Materie außerhalb des ABGB, für die es den Entwurf von 1806 gab, der entweder von J. B. v. Fölsch stammt und von Zeiller überprüft wurde oder von diesem selbst767. Etwas anders ist es im Fall der Stiftung. Das ABGB enthält bloß eine Beschreibung dieses Instituts und verweist bezüglich der „Vorschriften über Stiftungen“ auf die „politischen Verordnungen“ (§ 646). Diese Beschreibung im ABGB hat offenkundig bloß den von ihm selbst vermerkten Zweck, die Stiftung von „den Substitutionen und Fideicommissen (zu) unterscheiden“, den „Unterschied eines Fideicommisses von Stiftungen“ (Marginalrubrik) festzustellen. Das Stiftungsrecht entwickelte sich selbständig neben dem ABGB als eine öffentlichrechtliche Materie768. 767 Gedruckt: Entwurf der allgemeinen österreichischen Lehenordnung, 1806; zu Fölsch: Pfaff/Hofmann, Excurse II, 172 ff.; Zeiller: Wagner, wie Fn. 695, 226–247. 768 Das Bundes-Stiftungs- und Fondsgesetz 1974 (BGBl. 11) läßt keinerlei Zusammenhang mit dem ABGB erkennen, auf das nicht einmal verwiesen wird. Typisch ist
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b) Verweisung als Konkretisierung In der Mehrzahl der Verweisungs-Fälle erfährt nicht ein nur zum Teil im ABGB geregeltes Rechtsgebiet seine Komplettierung kraft Verweisung wie eben erläutert, sondern eine an sich schon komplette ABGB-Regelung wird außerhalb des ABGB für bestimmte Fälle konkretisiert. In einem Naheverhältnis zur voraufgehend beschriebenen Gruppe an Verweisungen stehen die folgenden, die aber, deutlich anders als dort, gleichsam Anhänge für Sonderregelungen zu einer im ABGB allgemein geregelten Materie darstellen. Dies ist bei der Verweisung bezüglich der Vormundschaft im Bauernstand (§ 284) der Fall wie auch bei jenen hinsichtlich des Erbrechts von geistlichen Orden und deren Mitgliedern (§ 539) sowie in Bauerngüter und bezüglich der Verlassenschaft nach geistlichen Personen (§ 761). Punktuelle Konkretisierungen bringt § 298, demzufolge Rechte als unbewegliche Sachen gelten, wenn sie mit einer solchen verbunden sind oder wenn dies die „Landesverfassung“ anordnet: Letzteres stellt eine Verweisung dar. Bezüglich der Form der Einverleibung dinglicher Rechte verweist § 446 auf besondere Anordnungen, ähnlich ist für die Form der Vaterschaftsfeststellung (§ 163) und die des Schuldscheins (§ 1001) auf die „Gerichtsordnung“ verwiesen. Auch die spezifisch vereinbarte Darlehensrückzahlung „in klingender Münze“ oder in bestimmter „Münz-Sorte“ richtet sich kraft der Verweisung in §§ 986 f. nach „besonderen Vorschriften“. Den engen Zusammenhang mit dem ABGB illustriert besonders der Umstand, daß Zeiller hiezu nicht wie ansonsten bei Verweisungen fast nur das ABGB erläutert, sondern umfänglich auch das verwiesene Recht, nämlich das im Kundmachungspatent übrigens besonders erwähnte Finanzpatent 1811 (PGS 14/1811)769. Diese Gruppe an Verweisungen macht zwei Umstände deutlich. Einerseits betreffen die verwiesenen Regelungen zum Teil privatrechtliche Sonderrechte wie insbesondere im Erbrecht, andereseits enthalten sie, im Gegensatz zum ABGB, veränderliches Recht wie besonders hinsichtlich der Darlehensrückzahlung „in Münze“ wegen des hier verwiesenen Finanzpatents 1811, das der Inflation – nur vorübergehend für ihre Folgen – zu steuern suchte. Wie schon in der voraufgehenden Verweisungs-Gruppe sichtbar (§§ 359, 1491 mit 1492), zeigt sich auch hier, daß die Verweisungen auf Regelungen innerhalb des ABGB wie auf solche außerhalb desselben legistisch gleichwertig sind. Beispielsweise verweist § 450 bezüglich der gesetzlichen Pfandrechte auf Bestimferner, daß das Gesetz den Begriff der Stiftungen sowie der Fonds selbst definiert (§§ 2, 22). Dasselbe trifft auf das Institut der Privatstiftung gemäß Privatstiftungsgesetz 1993 (BGBl. 694) zu: keinerlei Verweisungen auf das ABGB, eigene Begrifflichkeit (insb. § 1). 769 Zeiller, Commentar III, 231–243.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
mungen „dieses Gesetzbuches“ wie auch auf die Konkurs- und die Gerichtsordnung. Während hier eine gleichwertige Verweisung auf Bestimmungen inner- wie außerhalb des ABGB vorliegt, bietet § 1089 ein etwas anderes Bild. Er verweist bezüglich des gerichtlichen Verkaufs einerseits auf die ABGB-Bestimmungen über Verträge im allgemeinen und über jene von Tausch und Kauf, schränkt aber durch weitere Verweisungen ein „in sofern nicht in diesem Gesetze oder in der Gerichtsordnung einige Anordnungen enthalten sind“: Letztere ist hier also als lex specialis zum ABGB aufgefaßt. c) Verweisung als Spezifikation In diesen Fällen enthält das ABGB die grundsätzliche Hauptregel, während die Details durch das verwiesene Recht erfaßt werden770. So sind etwa die Gründe für die Erbunwürdigkeit (§ 540) wie solche des Schenkungswiderrufs wegen „groben Undankes“ (§ 948) dem „Strafgesetze“ zu entnehmen. Die Begünstigung des Militärtestaments ergibt sich aus den Militärgesetzen (§ 600), die Lotterie unterliegt nicht den Bestimmungen des ABGB über das Spiel, sondern Regeln in jeweils eigenen Kundmachungen (§ 1274). Für Handelsleute sind die ergänzenden Regeln zum Gesellschaftsvertrag des ABGB „besonderen Gesetzen“ zu entnehmen (§§ 1179, 1216), gleiches gilt für die Anweisung (Assignation: § 1401) unter Handelsleuten (§ 1410). d) Ausnahmen kraft Verweisung Zahlreiche Bestimmungen des ABGB wären schließlich deshalb unvollständig, da ohne das verwiesene Recht Ausnahmen unbekannt blieben771. Beispielsweise gelten gemäß § 290 die sachenrechtlichen Regelungen auch für Güter und Vermögen von Staat und Gemeinden, doch können die „politischen Vorschriften“ Ausnahmen festsetzen (§ 290), die also erst dort zu finden sind. Ausnahmen dieser Art gibt es auch hinsichtlich der Aneignung freistehender Sachen (§ 328) und der Nutzung einer Weidegerechtigkeit grundsätzlich für alle Tierarten (§ 499). Die „Provinzialgesetze“ können gemäß § 1132 eine Ausnahme von seiner Regelung treffen, wonach der Erbzins in der ersten Novemberhälfte fällig wird, Ausnahmen von der Geschäftsfähigkeit auch der Verbrecher folgen gemäß § 868 aus dem „Strafgesetze“. Besonders typisch für diese Gruppe an Verweisungen ist § 325: Gemäß §§ 323 f. hat der Besitzer die Vermutung des Rechtstitels (causa) für sich, wozu
770 Vgl. die §§ 32, 38, 54, 241, 540, 544, 573, 300, 634, 760, 948, 1163, 1171, 1179, 1216, 1274, 1277, 1292, 1317, 1410. 771 Vgl. §§ 13, 290, 325, 382, 385, 499, 511, 867, 868, 1139.
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§ 325 laut seiner Marginalrubrik die „Ausnahme“ bringt. Diese aber enthält er nicht, sondern nur die Verweisung auf „die Straf- und politischen Gesetze“. 5. Das verwiesene Recht a) Allgemeines Die Verweisungen im ABGB könnten zu der Annahme verleiten, sie seien zu vernachlässigende Ausnahmen, da sie sich in nur knapp 6 Prozent der ABGBParagraphen finden. Dies aber trifft nicht zu. Schon für das Jahr 1829 wurden rund 300 Bestimmungen zu den Verweisungen des ABGB verzeichnet772, für knapp zehn Jahre danach, 1837773, bereits etwa 450 – die Anzahl hatte sich also in nicht einmal zehn Jahren um 50 Prozent vermehrt! Was das verwiesene Recht betrifft, so ist aber damit noch lange nicht alles gesagt, weil es „verwiesenes“ Recht zum ABGB auch ohne Verweisungen gibt! Solches enthalten für 1829 rund 400 Bestimmungen, also um ein Drittel mehr als kraft Verweisung, eine Zahl, die sich bis 1837 gleichfalls um 50 Prozent auf 600 Bestimmungen vermehrt hat, die also um ein Viertel mehr als die verwiesenen Bestimmungen in diesem Jahr ausmachen. Insgesamt gab es damit schon 1829 rund 700 zusätzliche Bestimmungen zum ABGB, 1837 etwa 1050! Anders betrachtet: Während das ABGB in etwa 80 Paragraphen Verweisungen enthalten hatte, gab es tatsächlich insgesamt ergänzende Bestimmungen zu 208 ABGB-Paragraphen, also nicht bloß zu etwa 6 Prozent, sondern zu fast 14 Prozent (Anhang III.)! Allerdings entspricht nicht jeder Verweisung verwiesenes Recht, doch sind dies die Ausnahmen (Anhang I.). b) Verwiesenes Recht ohne Verweisung Wie schon zu den Verweisungen bemerkt (oben 3.) kennzeichnet auch einen Teil der zum ABGB ohne Verweisung hinzutretenden Bestimmungen durchaus nicht eine zwingende Notwendigkeit aus. Manches, was 1829 und 1837 angeführt wurde, sind begleitende, aber nicht eingreifende oder notwendig ergänzende Regelungen. Es handelt sich etwa, wie schon bekannt von den Verweisungen im ABGB, um Bestimmungen des Strafgesetzes oder um Verfahrensvorschriften oder konkret etwa zu § 97 ABGB um Regelungen des Ehegerichtsstandes oder zu § 413 ABGB um Bestimmungen über die Bauführung an Flußufern774.
772
Winiwarter, Handbuch I–III. Visini, Handbuch I–II. 774 Winiwarter, Handbuch I, 149 ff.; ders., Handbuch II, 114–117; Visini, Handbuch I, LXVI; ders., Handbuch II, 314 f. 773
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
Die Bedeutung des ergänzenden Rechts ohne Verweisung läßt sich bei Zeiller erkennen. In seinen Beispielen für Verweisungen775 führt er zwei Bestimmungen an, die keine solchen enthalten: § 344 belehrt bloß darüber, daß „die politische Behörde für die Erhaltung der öffentlichen Ruhe so wie das Strafgericht für die Bestrafung öffentlicher Gewalttätigkeiten zu sorgen“ habe, § 384 enthält nicht einmal eine entfernt ähnliche Bemerkung. Der Hinweis in § 344 führte allerdings in Zeillers Kommentar zu Ausführungen über die behördliche Überprüfung der Selbsthilfemaßnahmen, zu § 384 fehlt Vergleichbares776. Auch hatte Zeiller bei der Beratung von § 2 Regelungen über die Art der Gesetzeskundmachung als Verwaltungsangelegenheit aus dem Entwurfstext verbannt, ohne aber trotz des erwähnten Zusammenhangs dafür eine Verweisung einzusetzen. Allerdings ist ein Großteil des ohne Verweisung im ABGB zu ihm hinzutretenden Rechts in manchen Fällen von sogar besonderer Wichtigkeit. Dies gilt vor allem einmal für § 2 ABGB, wonach sich niemand mit der Unkenntnis der Gesetze entschuldigen könne, „gehörige Kundmachung“ vorausgesetzt. Das Wörtchen „gehörige“ kann besonders im Lichte der Vorgeschichte dieser Bestimmung sowie ihres Umfeldes als materielle Verweisung betrachtet werden. Tatsächlich spezifizierten in sehr abgestufter und unterschiedlicher Weise Rechtsquellen außerhalb des ABGB die Art der Kundmachung von Gesetzen777. Auch zu § 33 mit seiner Gleichstellung der Fremden mit den Staatsbürgern sind sogar besonders viele zusätzliche Rechtsquellen verzeichnet778. Das gilt weiters für die grundbücherliche Eintragung, da zu § 431 ohne Verweisung die Grundbuchs- und Landtafel-Ordnungen hinzutreten779. Wichtige Ergänzungen sind etwa auch die folgenden: Zu § 7 erging die Anweisung, eine authentische Interpretation des ABGB gelte in der Regel nicht nur für jene Behörde, an welche diese gerichtet ist, sondern allgemein780. Zu § 16 wurde ausdrücklich festgehalten, die Leibeigenschaft sei gänzlich aufgehoben781. Zu § 433 (Übertragung eines Bauernguts) wurden Regeln über die Durchführung einer Exekution in ein unteilbares Bauerngut im Miteigentum nachgetragen, zu § 1116 Details zur Kündigung von Bestandverträgen782. Wie der erste materielle Paragraph des ABGB (§ 2) ohne Verweisung durch zusätzliche Rechtsquellen ergänzt wurde, so auch der letzte (§ 1502) bezüglich des Verjährungsverzichts783. 775 776 777 778 779 780 781 782 783
Zeiller, Commentar I, 18. Zeiller, Commentar II, 94 f., 163. Siehe sogleich u. 7. a); o. S. 134 f. Winiwarter, Handbuch I, 85–103. Winiwarter, Handbuch II, 120–140. Visini, Handbuch I, XII, 49. Ebda, 26 f. Ebda, 117; Winiwarter, Handbuch III, 47–60. Visini, Handbuch I, CXLVI.
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6. Ständische Wirkungen Im Gegensatz zum ALR kannte, wie mehrfach erwähnt784, das ABGB explizit keine grundlegenden ständischen Differenzierungen wie auch keine Zuteilung von Rechtsinstitute an bestimmte Stände, und zwar auch nicht bei ständisch gebundenen Rechtsinstituten wie etwa dem adeligen Familienfideikomiß. Dennoch hob das ABGB ständische Differenzierungen im Privatrecht insgesamt nicht auf, wozu es sich der Verweisung bediente, was Zeiller so auch festhielt: Auf „die verschiedenen Standesrechte, Privilegien u.(nd) d.(er) gl.(eichen)“ werde an den entsprechenden Orten „aufmerksam gemacht“ 785. Aber auch ohne Verweisungen traf ergänzendes Recht ständische Zuteilungen. Dabei boten Wendungen wie „Standesvorzüge“ (§ 162) und „andere Vorzüge“ des Standes (§§ 146, 165, 182) Anknüpfungspunkte. So wurden 1838 die Vorrechte des Adels festgeschrieben786 und, was das Privatrecht anlangt, der Familienfideikomiß ausdrücklich als ein adeliges Rechtsinstitut deklariert, der Genuß bestimmter Stiftungen, der Erwerb rittermäßiger Lehen nur dem Adel und die Eigentumsfähigkeit an den in der Landtafel verzeichneten Grundstücken spezifisch dem landsässigen Adel vorbehalten. Korrespondierend dazu gab es auch bürgerliche Reservate. Dem Bürgerstand war die Eigentumsfähigkeit an sogenannten „Bürgerlichen Häusern“ vorbehalten787. „Der Bauernstand unterliegt in Rücksicht der Vormundschaft, der Curatel (§ 284) und der gesetzlichen Erbfolge (§ 761) besonderen politischen Gesetzen“ hielt das ursprünglich amtliche, von Zeiller verfaßte, ABGB-Register zum Stichwort „Bauernstand“ fest. Eine eindeutig durch das ABGB selbst ausgewiesene eigene Rechtsmaterie des Bauernstandes bildete neben dessen Vormundschaftsrecht (§ 284) vor allem das Erbrecht (§ 761), das zufolge des verwiesenen Rechts als Anerbenrecht ausgestaltet war788. Aber nicht nur dies. Ohne einen eigenen Hinweis im ABGB waren weiters dem Bauernstand zugehörig das Untereigentum des Geteilten Eigentums bei Erbpacht- und Erbzinsverträgen, was allerdings die Diktion des ABGB verrät, nämlich mit „Erbpachtherr“, „Erbzinsherr“ bzw. „Erbzinsmann“ (§§ 1131, 1134 f.) im Gegensatz zu „Bestandsnehmer“, „Bestandsgeber“ (z. B. §§ 1117 f.). Die „meisten Erbpacht- und Erbzinsgüter sind zugleich mit dem Bande der Grundunterthänigkeit verknüpft“, sie werden „fast durchgehends nur von Gutsunterthanen oder Grundholden besessen“ 789. Dem784 785 786 787 788 789
S. o. 205 ff. Zeiller, Commentar I, 18. HKD 1838 VI 12 (JGS 279). Resolution vom 1760 VII 12: Codex Austriacus VI, 1777, 98. Aufgrund älterer Verordnungen: Brauneder, Erbrecht, 357–375. Zeiller, Commentar III, 458, 483.
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nach konnte das ABGB über Erbpacht- und Erbzinsverträge „im allgemeinen wenig bestimmtes festsetzen“ 790, was Zeiller just zu § 1146 vermerkt, der zu „noch . . . anderen Verhältnissen“ zwischen Ober- und Untereigentümer wie der Rechte „insbesondere zwischen den Gutsbesitzern und den Gutsunterthanen“ nur aus Verweisungen besteht, und zwar sowohl den regionalen auf die „Verfassung jeder Provinz“ wie dem allgemeinen auf die „politischen Vorschriften“. Mit diesen Verweisungen werden Erbpacht- und Erbzinsvertrag sowie das durch sie begründete Untereigentum zu ganz spezifischen Rechtsinstituten der grunduntertänigen Bauern, aber, was nicht vergessen werden sollte, das ihm korrespondierende Obereigentum zum Recht der adeligen oder kirchlichen, nur in wenigen Fällen auch bürgerlichen Grundherrn. Zur Frage, ob sie heimgefallenes Untereigentum wieder auszugeben hatten oder es mit ihrem Obereigentum zu einem „vollständigen und ungeteilten“ Eigentum (§ 357) verschmelzen konnten, enthielt § 1149 gleichfalls nur eine Verweisung. Als eigener Stand hoben sich von den anderen auch die Juden ab, und zwar nicht nur durch das eigene, im ABGB geregelte Eherecht (§§ 123 ff.), sondern durch außerhalb des ABGB stehende besondere Bestimmungen für den Liegenschaftserwerb791. 7. Örtliche Wirkungen a) Differenzierungen im allgemeinen Zahlreiche Ergänzungen zu ABGB-Bestimmungen bewirkten allgemeine örtliche Unterschiede. Beispielsweise differenzierten sie zu § 2 hinsichtlich der „gehörigen Kundmachung“ in erstens größere Städte, zweitens Dörfer mit einem Pfarrer sowie drittens Dörfer ohne Pfarrer792. Manche Differenzierungen (beispielhaft Anhang IV) betrafen mehrere Länder gemeinsam, und zwar auch deshalb, weil sie zumindest zeitweise einen gemeinsamen staatlichen Verwaltungssprengel, einen Gouvernementsbezirk, bildeten wie etwa Tirol mit Vorarlberg oder Österreich unter und ob der Enns. In den regionalen Unterschieden spiegeln sich somit sowohl die Länder wie die Gouvernementsbezirke wider. Gemäß der Verweisung in § 27 bezüglich der Gemeindeaufsicht gab es für die Ortsgemeinden unterschiedliche Bestimmungen hinsichtlich ihrer Geschäftsfähigkeit und Klagslegitimation: In Tirol, Kärnten, Krain und der Steiermark ergänzte erstere eine Bewilligung durch die Kreisämter, letztere eine solche durch die Landesverwaltung, während diese für Gemeinden in Böhmen nur bei bestimmten Klagen erforderlich war793. Ein Heimfallsrecht der 790
Ebda, 483. Winiwarter, Handbuch II, 42–52; Visini, Handbuch I, 4, 98, 167, 171, 182; ders., Handbuch II, 125, 196, 229, 253, 396. 792 S. o. S. 134. 793 Winiwarter, Handbuch I, 52–66; Visini, Handbuch I, XVI f. 791
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Grundherrschaften gemäß § 1149 wurde nur für Österreich unter und ob der Enns sowie Mähren mit Schlesien aufrecht erhalten794. Unfähig zum Liegenschaftserwerb gemäß § 355 waren Juden in Österreich unter der Enns, Böhmen, Galizien und Tirol, teilweise unfähig in Görz und Vorarlberg795. Eine unterschiedliche Regelung des Abfahrtsgeldes betraf Galizien sowie hinsichtlich des Mortuars Mähren mit Schlesien, die Steiermark sowie Görz mit Gradiska (§ 818)796. Eigene Zehentordnungen (§ 1144) besaßen Österreich unter der Enns und Salzburg797, jeweils eigene Gesindeordnungen (§ 1172) Wien, Österreich unter und ob der Enns, Tirol mit Vorarlberg, Illyrien, Innerösterreich sowie Böhmen mit Mähren und Schlesien, wovon allein für die beiden letzteren zwischen Stadt und Land unterschieden wurde798. b) Konkrete Länderunterschiede Beispielhaft seien nun einige Länder mit ihren zufolge der ergänzenden Rechtsquellen799 zum ABGB unterschiedlichen Situationen vorgeführt. Böhmen besaß eine eingeschränkte Gemeindeaufsicht (zu § 27), ein eigenes bäuerliches Erbrecht (zu § 761), eine Beschränkung der Eigentumsfähigkeit an landtäflichen Gütern zugunsten des landsässigen Adels (zu § 451), eine eigene Gesindeordnung (zu § 1172), abweichend von sonstigen Ländern war das Apothekergewerbe eine selbständige, unbewegliche Sache und eigens verkäuflich (zu § 298). In Österreich unter der Enns war das Vormundschaftsrecht im Bauernstand besonders ausführlich geregelt (zu § 284), ebenso die Weiderechte (zu § 499), den Grundherrschaften war ein Heimfallsrecht eingeräumt (zu § 1149 gemeinsam mit anderen Ländern), es existierten eine eigene Zehentordnung (zu § 1144) und eine eigene Gesindeordnung (zu § 1172 gemeinsam mit Österreich ob der Enns), Juden war der Liegenschaftserwerb untersagt (zu § 355 gemeinsam mit anderen Ländern). In Salzburg gab es eher wenig ergänzende Sonderrechte wie nur teilweise ein eigenes bäuerliches Erbrecht (zu § 761) und eine eigene Zehentordnung (zu § 1144). Tirol mit Vorarlberg besaßen insbesondere ein eigenes bäuerliches Erbrecht (zu § 761), eine eigene Gesindeordnung (zu § 1172), Juden waren vom Liegen794
Winiwarter, Handbuch I, 73 ff.; Visini, Handbuch I, 86. Winiwarter, Handbuch II, 42–52; Visini, Handbuch I, 4, 98, 167, 171, 182; ders., Handbuch II, 125, 196, 229, 253, 396. 796 Winiwarter, Handbuch II, 294 ff.; Visini, Handbuch I, C–CXIV. 797 Winiwarter, Handbuch II, 294 ff.; Visini, Handbuch II, 80 f., 306–313. 798 Winiwarter, Handbuch III, 78–88; Visini, Handbuch I, CXXVIII–CXXXVI. 799 Vgl. zu den im Text genannten §§ jeweils Winiwarter, Visini bzw. die Ausführungen im Text eben unter a). 795
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schaftserwerb ausgeschlossen (zu § 355 gemeinsam mit anderen Länder), im Sachenrecht fand das Intabulationsprinzip keine Anwendung (zu § 431). Lombardo-Venetien hob sich in besonderem Maße von den übrigen Ländern ab. Zu den wichtigsten Abweichungen zählte u. a. die beschränktere Gemeindeaufsicht zufolge der staatlichen Bewilligungspflicht nur für bestimmte Rechtsgeschäfte und zur Passivlegitimation (zu § 27). Eigene Regelungen gab es bezüglich der Darlehensrückzahlung „in klingender Münze“ (zu § 986) aufgrund des eigenen Münzpatentes 1823. Eine eigene Verfahrensverordnung in Ehesachen von 1819800 berief sich ausdrücklich auf die §§ 94, 97 (Nichtigerklärung) und § 107 (Trennung von Tisch und Bett). Da es keinerlei zusätzliche Regelungen hinsichtlich der Vormundschaft im Bauernstand (§ 284), der Erwerbsart von Bauerngütern (§ 433) sowie der bäuerlichen Erbfolge (§ 761) gab, wurden diese ABGB-Paragraphen für Lombardo-Venetien 1819 ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt („non sieno applicabili“)801. Demnach galten hier die allgemeinen ABGB-Bestimmungen wie etwa über das gesetzliche Erbrecht. Damit brachte das ABGB in Lombardo-Venetien mehr an Rechtsgleichheit als in den übrigen Ländern, nämlich weniger ständische Differenzierungen mangels zusätzlicher Rechtsquellen802. 8. Verweisungen auf das ABGB Legistisch war das ABGB mit den übrigen Teilen der Rechtsordnung zwar durch seine eigenen Verweisung verbunden, stellte aber kaum verwiesenes Recht zufolge von Verweisungen in anderen Gesetzen dar. Das verstand sich einmal daraus, daß ältere Gesetze wegen der erst zu „erfolgenden Kundmachung der Fortsetzung des bürgerlichen Gesetzbuches“ 803 noch nicht auf dieses verweisen konnten. Dieser Gedankengang könnte auch unscharfen Verweisungen zugrundegelegen haben wie hinsichtlich des Verlassenschaftsinventars mit „wenn solches nach dem Gesetze erforderlich ist“, obwohl zum Erbrecht auf das Erbfolgepatent 1786 sehr konkret hätte verwiesen werden können804. Allgemein gehaltene Verweisungen waren allerdings durchaus üblich wie auf die „allgemeine Gerichtsordnung“ 805, was die Verweisungen im ABGB unterstreichen. Das trifft auch auf das Strafgesetzbuch 1803 zu: Es kennt keinerlei konkrete Verweisungen, was natürlich mit an seiner Regelungsmaterie liegt, wäre aber wegen seiner Kasuistik 800 Imp. Regio Governo, Collezione di leggi e regolamenti VI/II, Nr. 230 (vom 7.8. 1819), Venezia 1819. 801 Ebda, Nr. 302 (vom 20.10.1819): Hier auch § 986 angeführt, was sich aber mit dem oben erwähnten MünzPat 1823 änderte. 802 Daher gab es beispielsweise auch keine Militärbefreiung für den Adel wie sonst gemäß Dekret 1838 (Fn. 786). 803 So HD 1802: JGS 586/1802. 804 Verfahrensordnung für Westgalizien 1801 (JGS 543/1802) § 183. 805 Wie Fn. 804 § 195.
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auf das Teil-ABGB wahrscheinlich etwa zu Bestimmungen, welche z. B. „geheime Gesellschaften“, Vormundschaft, Verwandschaft, Familie, Entschädigungen des Verurteilten und des Staates betreffen806. Eine Untersuchung über Verweisungstechniken um 1800 steht noch aus. Jedenfalls fällt auf, daß besonders präzise Verweisungen sich im Entwurf einer Lehensordnung von 1806 finden, wohl deshalb, weil er aus der Feder Zeillers stammt oder von ihm redigiert wurde807. Von ihren 351 Paragraphen enthalten 22 Verweisungen, also etwa 6% wie auch das ABGB. Zufolge zweier Verweisungen in je zwei Paragraphen gibt es insgesamt vierundzwanzig Verweisungen. Von ihnen entfallen fünfzehn (knapp 65%) auf das ABGB, d. h. dessen Entwurf mit Stand vom Jahre 1806, also nach der Ersten Lesung. Von den übrigen neun Verweisungen betreffen fünf ganz allgemein „Gesetze“, zwei die „Provinzialrechte“, je eine die Konkurs- bzw. die Gerichtsordnung.
IV. Konkretes Beispiel: Eigentums- und Gesamtrechtsordnung 1. Der Eigentumsbegriff des ABGB Im zentralen Bereich des Eigentums würden Rückschlüsse allein aus dem Eigentumsbegriff des ABGB auf die Eigentumsgestaltung gerade in den ersten Jahrzehnten seiner Geltung ein falsches Bild erzeugen. Maßgebend ist vielmehr die Gesamtrechtsordnung. Eine Eigentumsordnung im vollen Sinne des ABGB setzte sich erst allmählich im Zeitraum bis zur Gewerbeordnung 1859 durch. Der Eigentumsbegriff des ABGB ist dem Naturrecht verpflichtet. Dies zeigt sich beispielsweise in Zeillers Kommentar808, für den das Privateigentum ein Ausfluß der „natürlichen Freiheit“ des Menschen und gleichzeitig auch das wesentliche Substrat dafür ist, diese natürliche Freiheit zu garantieren. Das ABGB kennt daher nur die Kategorie des Privateigentums; auch „Staats- und Gemeindegüter“ unterstehen prinzipiell seinen Regeln (§ 290). Nach Zeiller existiert konkret das sogenannte „dominium supereminens“ des Landesfürsten nicht, er nennt es „zweideutig und gehässig“, und zwar unter anderem deshalb, weil aus diesem Rechtstitel vor dem ABGB die Enteignung abgeleitet wurde: Das „dominium supereminens“ des Landesfürsten galt gegenüber dem des Individiums als das stärkere Eigentum. Nach ABGB ist die Enteignung nur mehr aus Gründen des „allgemeinen Besten“ (§ 365) zulässig und entschädigungsbedürftig, nicht aber die Folge eines außerindividuellen stärkeren Eigentums. Naturrechtlicher Position entspringt es auch, daß das Eigentum im Einklang mit dem weiten Sachbegriff des ABGB sich auf körperliche und unkörperliche Sachen erstreckt: „Alles, 806 807 808
StG 1803 II §§ 38 ff., 169 ff., I § 377, II §§ 213, 246 ff., I §§ 426, 514 ff. Oben Fn. 695. Zeiller, Commentar II, 10 f., 112 f., 127 f.
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was jemanden zugehört, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, heißen sein Eigentum“ (§ 353). Naturrechtlich ist weiters der Inhalt des Eigentums, dem eine Beschränkung vom Begriff her nicht immanent ist. Immanent allerdings ist dem Eigentum, daß es beschränkt werden kann; es muß nicht beschränkt sein, ist aber beschränkbar – damit ist die prinzipielle Eigentumsfreiheit postuliert. Allerdings kennt das ABGB mehrere Formen des Eigentums, die erkennen lassen, daß diese Prinzipien ungeschmälert nur dem Eigentum des Alleineigentümers zukommen: Beschränkungen des Eigentums liegen bei all jenen Formen vor, an denen mehrere Personen beteiligt sind. Dies ist der Fall bei den verschiedenen Varianten des Miteigentums (§§ 361, 825 ff.), deren Inhalt aus Vertrag oder Gesetz folgt. Das ABGB war ursprünglich nicht auf das bloße Quoteneigentum als einziger Miteigentumsform fixiert (§§ 826, 829). Es beließ durchaus weitere Miteigentumsformen unberührt, sei es in besonderer Gestaltung des Quoteneigentums (z. B. mit Anwachsung) oder als Gesamteigentum809. Diese Formen beschränken die Eigentumsfreiheit durch ihre Ausgestaltung. Beschränkungen ergeben sich auch aus besonderen Eigentumsformen, etwa dem vom ABGB durchaus nicht aufgehobenen sogenannten Stockwerkseigentum810 und vor allem aus dem Geteilten Eigentum (§§ 357 ff.) des Ober- und Untereigentümers, eine Eigentumsform, die gerade zur Zeit der Entstehung des ABGB den bäuerlichen Bereich beherrschte811. So ist allen Varianten des Eigentums eine Beschränkbarkeit immanent (§ 364). Für alle Eigentumsformen gilt nahezu als Grundsatz der jeweils spezifischen Beschränkung (§ 364): „Überhaupt findet die Ausübung des Eigentumsrechtes nur insoferne statt, als dadurch weder in die Rechte eines dritten ein Eingriff geschieht, noch die in den Gesetzen zur Erhaltung und Beförderung des allgemeinen Wohles vorgeschriebenen Einschränkungen vertreten werden“. Diese Beschränkungen treten zu dem an sich unbeschränkten Alleineigentum wie zu den durch die Position mehrerer Eigentümer beschänkten Varianten hinzu – die „Hauptabsicht“ derartiger gesetzlicher Beschränkungen muß aber, so Zeiller (zu § 364), stets die „allgemeine Wohlfahrt“ sein, ganz ebenso wie bei der Enteignung812. Der Eigentumsbegriff des ABGB erfährt in der konstitutionellen Phase von 1848 bis Ende 1851 keine Veränderung. Es zeigt sich, daß er für den nunmehr 809
Vgl. u. S. 238 f. Zeiller, Commentar II, 120 ff.; P. Putzer, Zur Rechtsgeschichte des Stockwerkseigentums, in: H. Lentze/P. Putzer (Hrsg.), FS für Ernst Carl Hellbling zum 80. Geburtstag, 1971, 581 ff.; G. Kohl, Beobachtungen über die materielle Gebäudeteilung in Österreich. Ein vorläufiger Forschungsbericht, in: ÖNZ 2002, 161 ff. 811 Brauneder, Erbrecht, 360 f. 812 Zeiller, Commentar II, 125 ff. 810
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Einfluß gebenden Liberalismus wie selbstverständlich als akzeptabel galt und von der konstitutionellen Bewegung daher nie in Frage gestellt wurde. Beispielsweise hatte man im Zuge der Verfassungsberatungen des Reichstags813 nie über den Eigentumsbegriff als solchen diskutiert, sondern ihn so akzeptiert, wie er in den Formulierungen des ABGB vorgegeben war. Die Verfassung 1848 (§ 24), der Kremsierer Verfassungsentwurf (§ 22) und die Verfassung 1849 (§ 29) begnügten sich damit, das Eigentum unter den Schutz des Staates zu stellen. Der Kremsierer Verfassungsentwurf statuierte überdies noch die Aufhebung des Geteilten Eigentums (§ 23 Satz 1) und wollte die Möglichkeit von Verfügungsbeschränkungen einengen (§ 23 Satz 2). Signifikant ist nun, daß diese Bestimmungen nur der Kremsierer Verfassungsentwurf vorsah, während sie in den konservativeren Verfassungen von 1848 und 1849 fehlen. Das Grundrechte-Staatsgrundgesetz der Verfassung 1867 hingegen entsprach dem Kremsierer Verfassungsentwurf (Art. 5 und 7). Man sieht in dieser unterschiedlichen Haltung überaus deutlich, worauf es den Zeitgenossen bei der Ausgestaltung des Eigentums ankam: Wesentlich war ihnen die Verfügbarkeit, das heißt die Reichweite der Beschränkungen gemäß § 364 ABGB als lediglich möglichst geringe Einengungen des Eigentums. 2. Elemente der konkreten Eigentumsgestaltung Die konkrete Gestaltung des Eigentums im Rechtsleben bestimmen an sich drei Elemente: erstens das Objekt des Eigentums, zweitens der Eigentümer als Subjekt des Eigentums, drittens die Verfügungsmacht oder, negativ formuliert, die Beschränkungen. Was das Objekt anlangt, so ist die Anwendbarkeit des Eigentumsbegriffs davon abhängig, was alles Gegenstand des Eigentums sein kann. Daraus ergibt sich die „natürliche Freiheit“ des Menschen bzw. deren Einengung. Daß alle im Rechtsverkehr stehenden Sachen Gegenstand des Eigentums sein können, ist nicht selbstverständlich. Das ZGB/DDR etwa beschränkte ganz bewußt die Sphäre des Privateigentums auf bestimmte Sachengruppen (§ 23): Es schrieb vor, an welchen Sachen persönliches Eigentum nicht begründet werden konnte, da sie den Formen des „sozialistischen Eigentums“ vorbehalten blieben (§ 18). Dieses war „Eigentum an den Produktionsmitteln“, jenes das „Konsumationsmitteleigentum“ 814. Dem ABGB hingegen ist eine solche Trennung fremd. Grundsätzlich ist „alles, was von der Person verschieden ist, und zum Gebrauche des Menschen dient“, ohne Ausnahme als Eigentum zugänglich (§§ 353, 285). Dabei ist zu betonen, daß sowohl bewegliche Sachen wie auch Grund und Boden nach dem 813 W. Brauneder, Die Gesetzgebungsgeschichte der österreichischen Grundrechte in: R. Machacek/W. P. Pahr/G. Stadler (Hrsg.), 70 Jahre Republik. Grund- und Menschenrechte in Österreich. Grundlagen, Entwicklung und internationale Verbindungen, 1991, 198 ff. 814 J. Göhring/M. Posch, Zivilrecht I, 1981, 140 bzw. 143.
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Wortlaut des ABGB – da es hier nicht unterscheidet – unbeschränkt Gegenstand des Eigentums sein können. Anders war auch hier die Rechtsordnung der DDR. Das Privateigentum an Grund und Boden war nicht bloß inhaltlich höchst beschränkt, sondern auf bestimmte Objekte wie etwa Mietwohngrundstücke eingeengt815. Was nun das Subjekt des Eigentums anlangt, so konnte jede Person Eigentümer sein, und zwar nicht nur physische Personen nahezu ohne Unterschied816, sondern auch juristische Personen. Was schließlich die Verfügungsbeschränkungen anlangt, so sind zwei Positionen zu unterscheiden: einerseits die der grundsätzlichen Beschränkung, einfacher formuliert, die der Eigentumsunfreiheit, die durch einzelne Bewilligungen hin zur Eigentumsfreiheit gelockert werden kann; andererseits existiert die Position der grundsätzlichen Eigentumsfreiheit, die beschränkbar ist. Die erstere Position entspricht der Rechtslage vor dem ABGB, diese jener, wie sie das ABGB formuliert. 3. Eigentumsordnungen Das Zusammenspiel der eben genannten drei Elemente – Objekt des Eigentums, Subjekt des Eigentums, Ausgestaltung der Verfügungsbeschränkungen – konstituierte mehrere konkrete Eigentumsordnungen. Um etwa 1800 sind sie teils schon als solche komplex normiert, und zwar in zahlreichen Einzelgesetzen, Anweisungen, Privilegien. Einige Gesetze regeln die bäuerliche Eigentumsordnung, die vor allem bestimmt wird durch die Unteilbarkeit des Hofes unter Lebenden und im Erbweg durch das Höfe- und Anerbenrecht und durch das Geteilte Eigentum im Falle grundherrlicher Erbpacht817. An ähnlichen Grundsätzen orientiert sich die hochadelige Eigentumsordnung aufgrund von Regeln über den Familienfideikommiß im ABGB und zusätzlich insbesondere aus den konkreten Verleihungen von Familienfideikommiß-Privilegien818. Die handels- und gewerberechtliche Eigentumsordnung des Vormärz819 ergab sich aus einer Unzahl von allgemein geltenden Bestimmungen sowie aus sol815
G. Rohde, Bodenrecht, 1989, 233 ff. Modifiziert aber in manchen Ländern für Juden: s. o. S. 216. 817 Brauneder, Erbrecht, 363 ff. 818 Brauneder, Zivilrechtskodifikation, 71 f. 819 Zum Folgenden: J. N. Frh. von Hempel-Kürsinger, Alphabetisch-chronologische Übersicht der k. k. Gesetze und Verordnungen vom Jahre 1740 bis zum Jahre 1821, als Haupt-Repertorium über die theils mit höchster Genehmigung, theils unter Aufsicht der Hofstellen in 79 Bänden erschienenen politischen Gesetzsammlungen, insb. III, 1825, 184 ff.; Kopetz, Gesetzkunde: s. in den folgenden Fn.; C. J. Paurnfeindt, Handbuch der 816
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chen, die für einzelne Provinzen erlassen wurden. Sie alle beruhen auf dem Prinzip der Eigentumsunfreiheit, und zwar dadurch, daß sie diese wie selbstverständlich voraussetzen, um sie zu lockern oder zu modifizieren. So werden, in der damaligen Terminologie, durch derartige Bestimmungen erst konkrete „Rechte und Befugnisse“ gewährt820, und zwar nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall und auch dann nur auf Antrag. Es werden also Konzessionen erteilt. Zu diesen „Rechten und Befugnissen“ gesellen sich „staatswirthschaftliche und polizeyliche Mittel zur Sicherung und Beförderung der Manufacturs- und HandelsIndustrie“ in einer ganzen Fülle von Bestimmungen821. Alle diese Reglementierungen geben der Eigentumsordnung des Handels- und Gewerbestandes eine ganz bestimmte Prägung, die im Detail mehrfach variiert, so daß diese Eigentumsordnung in verschiedene Unterordnungen zerfällt. Typisch dafür ist es, daß den einzelnen Klassen von Handels- und Gewerbeleuten ganz bestimmte Typen von Handelsgeschäften, also von Rechtshandlungen, zugeordnet sind, es kommen ihnen auch hier ganz spezifische „Rechte und Befugnisse“ zu. Deutlich lassen sich in diesen Reglementierungen die drei Kriterien jeder Eigentumsordnung – Objekt des Eigentums, Subjekt des Eigentums, Verfügungsmacht – erkennen. Eine Reglementierung des Objekts des Eigentums erfolgt zum Beispiel durch das Erfordernis eines bestimmten Stammkapitals, auch durch die Zulässigkeit nur einer bestimmten Produktion oder nur eines bestimmten Absatzes, woraus sich die Beschränkung auf bestimmte Eigentumsobjekte ergibt. Das Subjekt des Eigentums wird jeweils unterschiedlich durch bestimmte Kategorien erfaßt wie etwa822 „Wiener Kleinhändler“ oder „Griechische und türkische Händler“ oder „Fabrikant“. Schließlich wird die Verfügungsmacht reglementiert, und zwar durch die Verfügungsbeschränkungen in Ankaufs-, Absatz- oder Standortvorschriften für das gewerbliche Unternehmen. In der Verflechtung dieser typischen Zuordnungen konkretisieren sich die erwähnten Unterordnungen heraus wie etwa für den „Hausierer“, den „bürgerlichen Großhändler“ und vor allem den „Fabrikanten“. Zur Zeit des Inkrafttretens des ABGB ist es besonders das Fabrikenrecht, das sich als eine eigene Sonderrechtsordnung auszubilden beginnt und im Jahre 1838 von Wildner wissenschaftlich einheitlich dargestellt wird823. Aus individuellen Handelsgesetze und des bei Anwendung derselben bei den Mercantil-Gerichten eintretenden Verfahrens, mit besonderer Rücksicht auf das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns, 1836; Mischler/Ulbrich, Staatswörterbuch II, „Gewerbe“, 463 ff.; „Handel“, 619 ff. 820 Kopetz, Gesetzkunde I, §§ 207 ff. 821 Kopetz, Gesetzkunde II, §§ 317 ff. 822 Hempel-Kürsinger, wie Fn. 819, IV, 226 ff.; Paurnfeindt, wie Fn. 819; I. Sonnleithner, Leitfaden über das Oesterreichische Handels- und Wechselrecht, 3. Aufl., 1815, 9 ff. 823 I. Wildner, Das österreichische Fabrikenrecht mit einem Anhange über das Recht der Wasserleitungen zum Maschinenbetriebe, sowohl als zu andern Zwecken, 1838.
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Fabriksprivilegien hatte sich ein standardisierter Konzessionsinhalt824 entwickelt, der nach einem Entwurf unter Maria Theresia schließlich unter Joseph II. 1787 Gesetz wurde. Damit war aus dem Fabriksprivileg mit individuellem Zuschnitt die Konzession mit generellem Inhalt geworden, durch ihre Verleihung entstand weniger ein speziell ausgeformter Rechtsanspruch, sondern es kam objektives Recht zur Gewährung. Die sogenannte „Fabriksbefugnis“ ermöglichte besondere Verfügungen über Produktionsmittel und Produkte, den Abschluß besonderer Arbeitsverträge und vieles mehr. Nur mit Mühe läßt sich eine Beziehung zwischen diesen Regeln des Fabrikenrechts und dem Eigentumsbegriff des ABGB herstellen. Für das Fabrikenrecht galt das ABGB ausdrücklich als „Subsidiarquelle“.825 Es gibt im Bereich des Fabrikenrechts Regeln, die erstens den Zugang zum Eigentum erleichtern, z. B. staatliche Unterstützung für die Rohstoffbeschaffung und für die Errichtung von Fabriksgebäuden gewähren, zweitens Regeln, die die Benützung der – vorhandenen – Eigentumsobjekte verbessern wie z. B. durch das Verbot der Einquartierung von Militär, und schließlich drittens Regeln, die den Absatz, das heißt die Verfügung über das Eigentum, begünstigen wie etwa durch den Verkauf von Produkten außerhalb der Marktzeit826. Alle diese Einzelregelungen und Einzelmaßnahmen verdichteten sich allmählich zu einem Normenkomplex827. Schon im Vormärz erscheint er in einem Handelsgesetzbuch und/oder in einer Gewerbeordnung normierbar, doch bleiben derartige Versuche für Österreich Entwurf. Erst 1862 tritt das Allgemeine Handelsgesetzbuch (RGBl. 1863/1) und sodann 1859 die Gewerbeordnung (RGBl. 1859/227) in Kraft. Ihre Regeln bestimmen, wie bestimmte Güter – Objekte des Eigentums – von bestimmten Personen – Subjekten des Eigentums – in bestimmter Weise – kraft Verfügungsgewalt – benützt werden dürfen. Allen diesen konkreten Eigentumsordnungen liegt der Eigentumsbegriff des ABGB zugrunde, wird aber ergänzt durch eine Fülle anderer Regelungen, die eben eine bestimmte Eigentumsordnung konstituieren, wozu noch „Folgeeinrichtungen“ 828 als ihre Verfestigungen treten wie etwa für die bäuerliche Eigentumsordnung spezielle Darlehenskassen für den Bauernstand und die Landwirtschaftgesellschaften, für die handels- und gewerberechtliche Eigentumsordnung Wirtschaftsbanken, Gewerbevereine sowie Ein- und Verkaufsgenossenschaften.
824 G. Otruba, Von den „Fabriksprivilegien“ des 17. und 18. Jahrhunderts zum „Österreichischen Fabrikenrecht“ 1838, in: Scripta Mercatura Jg. 10/2, 1976, 92; Dölemeyer, wie Fn. 933, 59 ff. 825 Wildner, wie Fn. 823, 10. 826 Sonnleithner, wie Fn. 822, 18 ff. 827 C. Bergfeld, Handelsrecht, in: Coing, Handbuch III/3, 3042 ff.; H. Steindl, Die Einführung der Gewerbefreiheit, in: Coing, Handbuch III/3, 3602 ff. 828 Matis, Leitlinien, 53 ff.; Matis/Bachinger, Entwicklung, 112 ff.
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4. Strukturwandel der Eigentumsordnungen Ein Strukturwandel der konkreten Eigentumsordnungen ist aus den Regeln des ABGB zum Eigentum nicht ablesbar und auch nicht angestrebt. Dennoch ist der Strukturwandel abhängig vom Gesetzgeber, der mit einer Fülle von anderen Regelungen auf den Plan tritt. Dabei ist zu beachten, daß derartige Regelungen schon vor dem Inkrafttreten des ABGB existierten, so daß es mit diesem zu einem Nebeneinander einer alten Rechtsschicht und dem neuen Gesetzbuch kam. Jene beruhte auf dem Gedanken des grundsätzlich beschränkten Eigentums, der Eigentumsunfreiheit, dieses hingegen formulierte die beschränkbare Eigentumsfreiheit. Das ABGB, obwohl das jüngere Gesetz, derogierte den Bestimmungen der alten Rechtsschichten dennoch nicht. Dies hat seine Ursache in der Zweiteilung der Rechtsordnung in Justizgesetze einerseits und politische Gesetze andererseits. Das ABGB als Justizgesetz vermochte nur älteren Privatrechtsgesetzen zu derogieren, nicht aber den politischen Gesetzen, so daß diese neben dem ABGB weiter Bestand hatten829. Sie wirkten damit als gesetzliche Beschränkungen des Eigentums, und zwar in einem Maße, welches eine konkrete Eigentumsordnung im Sinne der Eigentumsfreiheit nicht entstehen ließ. Etwa galt für den grundherrlichen Bereich weiterhin der Tractatus de iuribus incorporalibus 1679830. So blieb die Eigentumsfreiheit des ABGB weitgehend Konzept, da die Ausgestaltung der Gesamtrechtsordnung mit dem alten Eigentumssystem der grundsätzlichen Unfreiheit das ABGB überlagerte. Das war allerdings nicht in allen Ländern der Habsburgermonarchie der Fall. Dort, wo diesem alten Eigentumssystem die gesetzlichen Grundlagen entzogen worden waren, konnte sich das Konzept des ABGB durchsetzen, die prinzipielle Eigentumsfreiheit über jene Reste hinweg sozusagen zu Tage treten. Dies war besonders in der neu erworbenen Provinz Lombardo-Venetien der Fall, da hier vor dem ABGB schon der Code Civil gegolten hatte, sowie abgeschwächt auch in jenen Gebieten, die als Teile der Illyrischen Provinzen von 1812 bis 1815 zu Frankreich und damit gleichfalls zum Geltungsgebiet des Code Civil gehört hatten wie z. B. Dalmatien, Istrien, Krain, Oberkärnten (vgl. S. 111). Insgesamt allerdings blieb die Eigentumsfreiheit des ABGB im Vormärz ein Postulat, festgehalten in der besonderen, nahezu feierlichen Form der Kodifikation, während diesem Konzept noch kaum Rechtswirklichkeit beschieden war. So wird es auch verständlich, daß 1848 kein Kampf um einen neuen Begriff des Eigentums entbrannte, sondern man sich gegen das alte System der Eigentumsunfreiheit wendete, gegen die Eigentumsbeschränkungen einer Gesetzesschichte, die das ABGB beschnitt, um mit ihrer Beseitigung die ohnedies adäquaten Bestimmungen des ABGB freizulegen. Daher bestimmte die Verfassung 829 830
Siehe KdmPat Abs. 8. Matis, Leitlinien 53 ff.; Matis/Bachinger, Entwicklung, 112 ff.
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1848 auch ausdrücklich: „Jeder Staatsbürger kann Grundbesitzer werden“ (§ 24), obwohl dies bereits nach den Regeln des ABGB möglich gewesen wäre. Die auffallendste Wandlung einer konkreten Eigentumsordnung ist im bäuerlichen Bereich festzustellen831. Das Ende der Grundherrschaft ab 1849 führte hier zum Ende des Geteilten Eigentums und anderer Eigentumsbeschränkungen. Vor allem wird den Grundherrn als Obereigentümern dieses spezifische Eigentum abgelöst und mit dem Untereigentum der Bauern zu deren vollständigem Eigentum vereinigt. Auch geht die Praxis vom Höferecht und vom Anerbenrecht ab, die Gesetze bleiben zwar weiterhin bestehen, jedoch dulden die Behörden zunehmend die Zerstückelung der Höfe, eine Entwicklung, die schließlich 1869 zur Aufhebung des Höfe- und Anerbenrechts führt. Die adelige Eigentumsordnung bleibt im Wesentlichen noch bestehen, denn die Familienfideikommisse werden in Österreich erst im Jahre 1938 aufgehoben832. Eine interessante Entwicklung nimmt die gewerbe- und handelsrechtliche Eigentumsordnung. Den Einklang zwischen dem vormärzlichen Fabrikenrecht und dem Gewerberecht einerseits sowie dem ABGB andererseits stellte erst 1859 die Gewerbeordnung her. Sie löste die das ABGB überlagernde Schicht des alten Rechts mit ihrer Ausgangsbasis der Eigentumsunfreiheit ab und bringt, im Lichte des ABGB (§ 364) gesehen und verstanden, Eigentumsfreiheit mit Eigentumsbeschränkungen.
V. Konkretes Beispiel: Sklavereiverbot Als Folge der Feststellung in § 16, jeder Mensch sei „als eine Person zu betrachten“, ist anschließend festgehalten, daß „Sklaverei oder Leibeigenschaft“ verboten sei. Geschichtlich besehen handelt es sich um eine Tatsachenfeststellung. „Sklaverei“ hatte es in der Habsburgermonarchie nie gegeben, die „Leibeigenschaft“ Josef II. abgeschafft, zuletzt war sie nach dem Erwerb Westgaliziens auch hier aufgehoben worden, was Rosbierski in seiner ABGB-Würdigung aus 1812 zu § 16 ausdrücklich festhielt833. Das Sklavereiverbot besaß allerding eine spezifische Aktualität zufolge des praktisch einzigen östlich-südöstlichen Nachbarn, dem Osmanischen Reich: Hier gab es Sklaverei. Auf seinen Sklavenmärkten traten auch Käufer beispielsweise für kirchliche Institutionen und den Landesfürsten der Habsburgermonarchie auf, um die Sklaven in Freiheit zu setzen. Juristisch
831 Brauneder, Erbrecht, 370; Mischler/Ulbrich, Staatswörterbuch I, „Agrarverfassung“, 33 ff.; Matis, Leitlinien, 32 f.; Matis/Bachinger, Entwicklung, 112 ff. 832 Mischler/Ulbrich, Staatswörterbuch II, „Fideikommisse“, 21 ff.; dies., Staatswörterbuch I, „Adelsrecht“, 23 ff. 833 Rosbierski, Darstellung, 41.
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besehen handelte es sich bei den Verboten des § 16 im Sinne der Charakteristik des ABGB als Fundamental- bzw. als Grundgesetz eben um Grundbestimmungen, allerdings nicht des Zivil-, sondern des Strafrechts. Normen des Strafrechts führten sie auch näher aus. Dies geschah insbesondere mit der umfassenden Verordnung „Gegen den Sclavenhandel und die Mißhandlung der Sclaven“ vom 1. August 1826 (PGS 55). Trotz zwar ausdrücklicher Berufung auf § 16 liegt ein strafrechtliches Nebengesetz vor, das einschlägige Bestimmungen des Strafgesetzes 1803 tatbestandsmäßig ergänzt und Strafrahmen verschärft (zu I §§ 4, 31, 33, 34, 74,78, 79; II § 173). Ergänzend bestimmte eine weitere Verordnung vom 4. Mai 1827 (JGS 2276), es sei „ein von der k. k. Marine wo immer angehaltenes k. k. Oesterreichisches Mercantil-Fahrzeug, das sich des Handels mit Sclaven oder der Mißhandlung dieser Menschen schuldig gemacht haben sollte“, sogleich an die nächste Strafrechtsbehörde zu überstellen. Mehrfach zeigt sich, daß § 16 mit und zufolge seiner Durchführungen örtlich über das Gebiet der Habsburgermonarchie hinauszielt. An der Verordnung 1826 fallen die nachdrücklichen Kundmachungsanordnungen auf, die über die Publikation als Gesetz hinausgehen. So war „in Zukunft jedem Oesterreichischen Schiffs-Capitäne zugleich mit seinem Patente ein Exemplar dieser Verordnung in Deutscher, Italienischer und Slavischer Sprache zuzustellen, und eben so jeder der bereits bestehenden Oesterreichischen Schiffs-Captiäne mit einem Exemplar derselben zu betheilen, endlich daß ein Gleiches an jedem Oesterreichischen Schiffe an einer zugänglichen und sichtbaren Stelle anzuschlagen“. Und § 1 hielt fest: „Jeder Sclave wird in dem Augenblicke frey, da er das k. k. Gebieth, oder auch nur ein Oesterreichisches Schiff betritt. Eben so erlangt jeder Sclave auch im Außlande seine Freyheit, in dem Augenblicke, in welchem er, unter was immer für einem Titel, an einen k. k. Oesterreichischen Unterthan als Sklave überlassen wird“. Mit Letzterem war der erwähnte Slavenkauf im Ausland gemeint. Die beiden Verordnungen fanden internationale Beachtung834. In London berichtete 1828 „The Christian Observer“ u. a.: „A decree hat recently appeared from the Emporer of Austria, utterly abolishing slavery throughout the Austrian dominions“ – was ein wenig zu kurz gegriffen erscheint – und lobte: „The free governments of Great Britain, America and France, may learn a salutary lesson of justice and humanity from this monarch“. In den USA hielt 1849 der „Report of the Committee on Slavery“ in Massachusetts zum Text der Verordnung von 1826 fest: „Brief and comprehensive words! Uttered by the constituted head and the united voice of more than thirty millions of people“.
834
Das Folgende nach F. Harrer/P. Warto, Das ABGB und die Sklaverei, in: Fn. 986.
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C. Unmittelbare Wirkungen I. Rechtsunterricht Schon das Teil-ABGB 1786 hatte den Rechtsunterricht beeinflußt. Es war sogleich 1787 „den Lehrern des bürgerlichen Rechtes auf unseren Akademien der Auftrag gemacht worden: daß sie bey dem Vortrage des römischen Rechtes auch zugleich das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch [von 1786] . . . zum Unterrichte . . . anwenden sollen“ 835. Es wird deutlich, daß der Einfluß der Privatrechtskodifikation im Unterricht zur Konkurrenz mit jenem Recht führte, das sie – unter anderem – verdrängte: mit dem Gemeinen Recht. Dies ist vom Ziel der Juristenausbildung im absolutistischen Staat her zu sehen, die er ganz besonders auf seine Zwecke ausrichtete, das heißt auf Juristen, die primär eine Kenntnis im geltenden Recht und weniger in theoretischen Fächern aufweisen und dementsprechend unterrichtet werden sollten. Mit den neuen Kodifikationen, auch außerhalb des Privatrechts, erschien eine Neuordnung des juristischen Studiums alsbald unerläßlich836. So erging 1808 eine entsprechende kaiserliche Entschließung, die Zeiller mit der Ausarbeitung von Reformvorschlägen beauftragte837: Studienreform und Rechtsreform, insbesondere des Privat- und Strafrechts, lagen damit in einer Hand. Zeiller stellte nun sogleich 1808 allgemein zur künftigen Studienordnung fest, daß sie auf die „Bedürfnisse des Staats, und seiner Einwohner einzuschränken“ sei; speziell zum Privatrecht maß er dem Unterricht im Römischen Recht eine untergeordnete, ja möglicherweise sogar befristete Rolle im Hinblick auf seine Notwendigkeit zur Entscheidung in „Streitigkeiten über ältere Rechte“ zu, denn mit dem „Erscheinen“ des künftigen ABGB „erhält . . . dieses ein ungleich wichtigeres Interesse“ als das Römische Recht. Demnach sollte an den Universitäten genau halb soviel Römisches (im 2. Jahr eine Stunde täglich) als Bürgerliches Recht (im 3. Jahr 2 Stunden täglich) gelesen werden, wobei ersteres auf letzteres Bedacht zu nehmen hätte. An den universitätsähnlichen Lyceen wie z. B. in Graz hatte das Römische Recht überhaupt nur eine Art Einführungsrolle in das Bürgerliche Recht zu übernehmen. Die neue juristische Studienordnung von 1810838 gewichtete dann jedoch Römisches und Bürgerliches Recht gleich: beide zwei Stunden täglich im 2. bzw. im 835
Tiller, wie Fn. 403, I, X. Vgl. allgemein S. Ferz, Ewige Universitätsreform (= Rechts- und SozialWissenschaftliche Reihe 27), 2000. 837 Zum Folgenden K. Ebert, Der Einfluß Franz v. Zeillers auf die Gestaltung des juristischen akademischen Unterrichts, in: Selb/Hofmeister, Forschungsband, insb. 66, 68, 71, 73, 80. 838 G. Wesener, Zum „juridisch-politischen Studium“ an österreichischen Lyzeen und Universitäten in der Zeit von 1782 bis 1848 – Studienordnungen und Lehrämter, in: FS für Herbert Hausmaninger zum 70. Geburtstag, 2006, 320 ff.; G. Oberkofler/P. Goller, 836
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3. Studienjahr; hiebei blieb es bis zur Ablösung dieser durch die Studienordnung von 1850839. Nach der „Instruktion“ zur Studienordnung 1810 galt das Römische Recht als „abgekürztes Fach“; zum „Gesichtspunct, aus welchem (es) . . . gelehret werden soll“, wurden zwei Momente angegeben, nämlich, daß es „die erste Grundlage zur neuen Gesetzgebung“ bilde, sowie, „daß die vor dem neuen Oesterreichischen bürgerlichen Gesetzbuche vorgekommenen Rechtsgeschäfte noch nach den älteren Gesetzen, somit hauptsächlich aus dem Römischen Rechte beurtheilet werden müssen“. Die Grundlagenfunktion spezifiziert das Einführungsbuch von Heß840 sehr treffend: Er hält das Gemeine Recht für die „Basis . . . unserer Legislationen“, da es die „Schule“ gewesen sei, welche die Gesetzesmacher durchlaufen hatten, ferner seien „Bestimmungen unverändert beybehalten“ worden, so daß seine Kenntniß „zur richtigen, wissenschaftlichen Einsicht in den Sinn und die Entstehung der neueren Gesetzgebungen höchst wichtig“ sei. Interessanterweise nennt Heß noch einen weiteren „Nutzen“: Wie tote Sprachen seien tote Rechte „der gemeinsame, keinem Wandel unterworfene, Gegenstand des Nachdenkens“ aller Rechtswissenschafter und somit das Römische Recht „das Band der gelehrten Republik“ der Juristen! Für diese bliebe es auch mangels Geltung eine „unversiegbare Quelle der Belehrung“. Für derartige Ansprüche war allerdings das Fach im Unterricht eher knapp bemessen. Die „Instruction“ von 1810 verlangte zu den „positiven Rechtswissenschaften“, und damit auch zum Bürgerlichen Recht, daß die Studenten „mit den Quellen, nämlich den Gesetzbüchern, genau bekannt zu machen“ seien, es müßten diese daher auch bei den Prüfungen vorliegen „und die Schüler über die Fähigkeit, den Sinn der Gesetze zu erklären, geprüft werde(n)“. Konkret wurde dem „Professor des Oesterreichischen bürgerlichen Gesetzbuches“ aufgetragen, mit einer kurzen Privatrechtsgeschichte zu beginnen, „dann genau dem Gesetzbuche selbst“ zu folgen und darauf zu drängen, „daß die Zuhörer ihre Behauptungen aus dem Gesetzbuche selbst zu beweisen und dann erst philosophisch zu begründen fähig seyn“; hiebei sind „alle Wiederholungen aus dem Römischen Rechte“ zu vermeiden. Zu den positiven Rechtsfächern wußte Heß nichts Enthusiastisches zu sagen, auch nicht zum „Privat-Recht“, zumal zum Zeitpunkt der Abfassung seines Buchtextes das ABGB gerade in Kraft trat. Das bisherige Unterrichtsmonopol des Römisch-gemeinen Rechts war jedenfalls durch die Existenz der neuen Privatrechtskodifikationen gebrochen, aber doch auf eine nicht bloß vorübergehende Rolle in einer Übergangszeit beschränkt, sondern als Grundlagenfach zum Bürgerlichen Recht etabliert worden. Geschichte der Universität Innsbruck (1669–1945) (= Rechts- und Sozialwissenschaftliche Reihe 14), 2. Aufl. 1996, 139; Wagner, Staatsrecht, 21 insbes. zu Zeiller. 839 1810: PGS 34, 25; 1850: RGBl. 327. 840 A. von Heß, Encyclopädisch-methodologische Einleitung in das juridisch-politische Studium an den Universitäten und Lyceen der Deutschen Erbländer des Oesterreichischen Kaiserthums nach seiner jetzigen Einrichtung, 1813, 29 ff., 70.
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II. Rechtswissenschaft 1. Die Exegetische Schule Der erste Einbruch der Kodifikationsentwicklung in das überkommene Gefüge der Privatrechtswissenschaft erfolgte ebenso wie jene in die Rechtsordnung und in den Rechtsunterricht ebenfalls bereits mit dem Teil-ABGB 1786841. Gleich im Jahr darauf zeigt deutlich den Niedergang der bisherigen Wissenschaft vom Gemeinen Recht Franz Aloys Tillers „Sistem der bürgerlichen Rechtslehre“ mit dem weiterführenden Untertitel an: „aus dem sammetlichen römischen Rechte, mit Bezug auf die österreichischen Gesetze, sonderlich aber auf das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“. Im selben Jahr, 1787, manifestierte sich die Hinwendung zur neuen Privatrechtskodifikation in Josef Leonhard von Bannizas Buch „Gründliche Anleitung zu dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche“. Er habe „die nämliche Ordnung der Paragraphen, dieselbe in dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche vorkommen, genau beobachtet; jedoch aber überall, wo es möglich war, die Paragraphen mit dem vorausgesetzten verbunden, selbe öfters zergliedert und die Regeln und Ausnahmen davon auseinandergesetzt, damit dadurch die Deutlichkeit und der Zusammenhang der Gesetze desto leichter am Tage liegen“. Es ist dies exakt die Beschreibung der bisherigen Methode der Rechtswissenschaft, wie sie etwa Mopha im 16. Jahrhundert in einem Hexameter beschrieben hatte: „Praemitto, scindo, summo casumque figuro/Perlego, do causas, connoto, objicio“ 842. Nunmehr wird diese exegetische Methode des usus modernus pandectarum auf den neuen Gesetzestext der Privatrechtskodifikation ausgerichtet – damit beginnt eine neue Epoche der Privatrechtswissenschaft in Österreich, die „Exegetische Schule“. Zwar konnte sie sich ab 1787 vorläufig nur einem Teil des Privatrechts annehmen, nämlich dem Personenrecht und dem gesetzlichen Erbrecht aufgrund des Teil-ABGB und des Erbfolgepatents 1786, dies jedoch in Erwartung der künftigen Gesamtkodifikation. Mit dem ABGB 1811 stand dann der gesamte Privatrechtsstoff der Wissenschaft zur Verfügung. Überdies war nun in den Regeln über die „Anwendung“ der Gesetze (§§ 6 und 7 ABGB)843 die hiebei zu befolgende Methode festgelegt. So bemerkt Zeiller zu seinem Kommentar, er habe nach „diesen allgemeinen Vorschriften . . . die Ausarbeitung . . . angelegt“ 844. Derartige Hinweise finden sich auch bei anderen Autoren. Dolliner etwa berichtete 1813 zu seinem Handbuch des Eherechts, die „Menge Fragen, die sich mir bey Zusammenhaltung der gesetzlichen Vorschriften aufdrangen, suchte ich nach Rechtsgrundsätzen oder Analogie zu entschei841
Das Folgende nach Brauneder, Juristen, 47 ff.; H. Lentze, Zivilrechtswissenschaft,
61. 842 M. G. Mopha, De methodo ac ratione studendi libri tres, 1554, nach: Stintzing/ Landsberg, wie Fn. 99, I, 1880, 107. 843 Nur die Marginalrubrik hiezu engt auf „Auslegung“ ein! 844 Zeiller, Commentar I, XIV.
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den“ 845. Auch der zweite Kommentar zum ABGB in deutscher Sprache von Franz Xaver Nippel stellte sowohl grundsätzlich wie 1838 zu einzelnen ABGBParagraphen Ähnliches wie Zeiller fest846. Ein derart „strenges Anschließen an das Gesetzbuch selbst, sowohl bey der Auslegung als bey der Aufstellung der Principien“, fand durchaus den Beifall der zeitgenössischen Juristen wie etwa 1827 von Johann Vesque v. Püttlingen847. Das Inkrafttreten des ABGB 1811 wirkte begreiflicherweise in ganz besonderem Maße wissenschaftlich anregend, es erschien nun eine ganze Fülle an Literatur848. Den ersten Kommentar lieferte Zeiller. Mit der Arbeit daran hatte er noch während jener am Gesetzestext begonnen, denn schon 1809, also vor der Sanktionierung des ABGB, erschien die „Probe eines Commentars für das neue Oesterreichische bürgerliche Gesetzbuch“ 849. Zeiller kommentierte in diesem Probekommentar freilich nur die „Einleitung“ des ABGB, somit die §§ 1–14. Die Kommentierung entspricht im Wesentlichen jener des späteren, vollständigen Kommentars. Allerdings ist im „Probekommentar“ eine höchst instruktive Erklärung über die Art der Kommentierung enthalten850: Grundsätzlich solle der Kommentar „das Denken nicht entbehrlich machen, er soll es nur erleichten“! Zu den Bedingungen eines „guten Commentars“ resümiert Zeiller, daß ein solcher „den Text des Gesetzbuches, eine deutliche Erklärung der, eine Beleuchtung fordernden, Gesetzesstellen, ferner die Gründe der Gesetze, endlich den Unterricht zur Anwendung derselben enthalten“ müsse. Der Probekommentar kündigte einen vollständigen Kommentar an, der „sammt dem Register aus vier Bänden bestehen“ und zu jedem Hauptstück entsprechende Hinweise auf Bestimmungen des Teil-ABGB 1786 und des GBGB, aber auch des „Preußischen, Französischen und Bayerischen“ Zivilgesetzbuches enthalten werde851. Er begann noch 1811 vor dem Inkrafttreten des ABGB zu erscheinen, die Wiener Zeitung machte während der mehrfachen Abdrucke des Kundmachungspatents vom 26. Juni bis 13. Juli 1811 am 29. Juni auffallend Reklame für den erschienenen ersten Band! Das Werk lag 1813 komplett vor: „Commentar über das allgemeine bürgerliche 845 Th. Dolliner, Handbuch des in Oesterreich geltenden Eherechts I, 1813, IX (Vorrede); das Buch wurde von Zeiller in seiner „Eigenschaft eines k. k. Directors der juridischen Studien unverzüglich“ zensuriert: ebda. 846 Nippel, wie Fn. 440, III f.; ders., Erläuterung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für die gesamten deutschen Länder der Monarchie IX, 1838, 105 (zu § 1485). 847 J. Vesque von Püttlingen, Darstellung der Literatur des Österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, 1827. 848 Zum Folgenden die Literaturübersicht bei Pfaff/Hofmann, Commentar, 59 ff.; Brauneder, Kommentare und Bemerkungen Franz v. Zeillers zum ABGB zwischen 1809 und 1822, zuletzt in: ders., Zweiter Kommenar, 7 ff. 849 Zeiller, Beytrag bzw. Vorbereitung IV, 68 ff. 850 Zeiller, Beytrag bzw. Vorbereitung IV, 71. 851 Zeiller, Beytrag bzw. Vorbereitung IV, 76; zu letzterem kam es aber nicht.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie“, erschienen in „Geistingers Verlagshandlung“ zu „Wien und Triest“, und zwar in vier Bänden und zusätzlich einem eigenen Registerband, also einem Band mehr als nach dem Probekommentar geplant. Die hier angekündigten Verweisungen auf vorausgegangenes und ausländisches Recht enthielt der Hauptkommentar nicht durchgehend. Er entspricht aber dem Plan, wie Zeiller ihn im Probekommentar umrissen hat. Der Hauptkommentar ist demnach tatsächlich eine Erläuterung des Gesetzbuches, nicht bloß, wie manchmal angenommen, ein Motivenbericht aus der Gesetzgebungs-Hofkommission. Zeiller hat auch seine Minderheitenmeinung im Kommentar manifest gemacht oder dem Gesetzestext bereits ein Eigenleben zuerkannt, welches nach den Anwendungsregeln festzustellen war. Er betont ja, wie erwähnt, ausdrücklich, daß nach diesen – „§§ 6. u. 7.“ – „die Ausarbeitung des Commentars angelegt (ist)“ 852. Beispielsweise erweitert Zeiller § 1238, der dem Ehemann kraft Vermutung das Recht zur Verwaltung des Vermögens der Ehegattin einräumt, dahingehend, daß „nach Beschaffenheit der Umstände auch der entgegengesetzte Fall Statt finden (kann), und nach den nähmlichen Vorschriften zu beurteilen sey“, nämlich die Verwaltung des Mannesvermögens durch die Ehegattin! Eine Gesetzessicht dieser Art zeigt, daß Zeiller dem Wortlaut keineswegs jene starre Rolle zumaß wie späterhin insbesondere die Begriffsjurisprudenz. Bald nach seinem Hauptkommentar nahm Zeiller in ausführlicher Weise Stellung zum ABGB, und zwar 1815 zufolge einer Kritik von Gönner853: Hier überrascht seine Feststellung, daß er „mit mehreren Bestimmungen des Gesetzbuches schon bey der Berathschlagung nicht einverstanden war“. Die „Anticritik“ an Gönner fiel naturgemäß sehr punktuell aus, daher mag es Zeiller vielleicht ein Anliegen geworden sein, das ABGB umfassend zu erklären. Es geschah dies nicht nur sogleich im Jahr danach, sondern im nächsten Band derselben Zeitschrift mit seinem „Zweiten Kommentar“, der „Abhandlung über die Principien des allgemein bürgerlichen Gesetzbuches für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie“, die in drei Teilen zwischen 1816 und 1820 erschien854. Seit dem vollständigen Vorliegen des Hauptkommentars (1813) waren nun mindestens drei Jahre verstrichen, im Jahr vor dem Erscheinen der letzten Folge, also 1819, erschien das „Natürliche Privatrecht“ Zeillers in 3. Auflage. Zeillers Anliegen im „Zweiten Kommentar“, die „Principien“ des ABGB zu erläutern, mag mit dieser Neuauflage zusammenhängen, und zwar hinsichtlich der naturrechtlichen Grundpositionen des ABGB, die ihm in Erinnerung zu rufen in Hinblick auf die §§ 7 und 17 ein Anliegen gewesen sein könnte. Schließlich ging Zeiller 1822 nochmals kurz auf das ABGB ein, und zwar in einer Stellungnahme gegen u. a. Savigny855. 852 853 854 855
Zeiller, Commentar I, XIV. Brauneder, Zweiter Kommentar, 14 ff. Edition: Brauneder, Zweiter Kommentar. S. o. S. 203.
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Im Jahre 1811 hatte die Zeitschrift „Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat“ vom 17. Juli bis zum 28. Dezember in acht Folgen das ABGB unter dessen vollem Titel vorgestellt. Dies geschah nach Abdruck des Kundmachungspantents durch eine Inhaltsangabe, eine „kurze Darstellung der Grundwahrheiten“, d. h. der Gesetzgebungsprinzipien, und sodann durch eine Auswahl jener Regelungen, „welche theils durch die Merkwürdigkeit ihres Inhalts, theils durch ihre Abwicklung“ vom bisherigen Recht „bekannter zu werden verdienen“ (Folge 17.7.1811). Dies ist so aber nicht konsequent geschehen. Zum Eherecht erfolgt trotz des Bekenntnisses, es wurde das „bewährt gefundene Josephinische Gesetz beybehalten“, eine breite Darstellung (24. 8.1811). Von den Dienstleistungsverträgen wird nur der Verlagsvertrag vorgestellt, die eheliche Gütergemeinschaft bleibt unerwähnt (6.11.1811). In der Regel lesen wir schlicht den Gesetzestext. Aus u. a. diesen Gründen kann der anonyme Verfasser, in nur drei der acht Folgen mit „Z.“ verzeichnet, wohl nicht mit Zeiller identifiziert werden, ein „dritter Kommentar“ liegt von ihm also nicht vor856. Der zweite deutsche Kommentar von Michael Schuster erschien 1818 während Zeillers „Zweitem Kommentar“, allerdings nur der erste Band857. Erst 1830 bis 1838 folgte der nächste deutsche Kommentar von Franz Xaver Nippel858, parallel dazu der von Josef Winiwarter859. Zeitgenössische Berichte zur Zivilrechtsliteratur des Vormärz unterscheiden in der Regel860 zwei Kategorien an Arbeiten zum ABGB. Zur ersten zählten sie jene Werke, welche das „Gesetzbuch unmittelbar behandeln“, mit zwei Untergruppen: Einerseits sind dies Werke „über das ganze Gesetzbuch“, und zwar „erläuternde“ wie Kommentare und Handbücher, „vergleichende Werke“, welche Beziehungen vom ABGB vor allem zu älteren Rechten herstellen, sowie schließ856 So G. Kohl, Das ABGB in den „Vaterländischen Blättern für den österreichischen Kaiserstaat“. Franz v. Zeillers „dritter Kommentar“, in: G. Kohl/Ch. Neschwara/Th. Simon (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Brauneder zum 65. Geburtstag, 2008, 229 ff.; mit Edition G. Kohl/S. Gmoser (Hrsg.), Das ABGB in den „Vaterländischen Blättern für den österreichischen Kaiserstaat“ (1811), 2012. Die o. erwähnten „Grundwahrheiten“ folgen Zeiller, Commentar I, 12 ff., fast wörtlich (entgegen Kohl – Gmoser, 18), denn dieser Band war im Juni 1811 bereits erschienen. Ansonsten aber finden sich keine Textübereinstimmungen, die zwingend auf Zeiller verweisen; nur „Ähnliches liest man . . .“ (so Kohl/Gmoser, 21). Im Gegensatz zu Zeillers Vergleichen von 1807 fehlen nun die wichtigsten mit ALR und Code Civil; dennoch Kohl/Gmoser, 20: Das „Konzept entspricht ziemlich genau jenem“? 857 M. Schuster, Theoretisch-praktischer Kommentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie, 1818. 858 F. X. Nippel, Erläuterungen des allg bürgerl. Gesetzbuches . . ., 9 Bde., 1830– 1838; zuvor war von ihm erschienen: Handbuch zur Kenntniß der Privatrechte, 1827. 859 J. Winiwarter, Das Oesterreichische bürgerliche Recht, systematisch dargestellt und erläutert, 1831–1838; 2. Aufl. 1838–1845. 860 Vesque, wie Fn. 847, 17, 48, 52, 58; ähnlich auch Pfaff/Hofmann, Commentar, 59 ff.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
lich „Register, Auszüge und Tabellen“ und andererseits eine Fülle an „Werken, welche nicht das ganze Gesetzbuch behandeln“, also Monographien. Zur zweiten großen Kategorie gehören die „Werke, welche das Gesetzbuch nur mittelbar behandeln“, worunter jene begriffen wurden, welche entweder von der Praxis oder von einem anderen Rechtszweig wie insbesondere Handelsrecht, Strafrecht oder politische Gesetzkunde Bezüge zum ABGB herstellen. Gerade diese zweite Kategorie zeigt, wie sehr man sich der Bedeutung, das ABGB im Kontext der gesamten Rechtsordnung zu sehen, bewußt war. Ambitionen und Zielsetzungen der einzelnen Exegetiker waren weit gestreut. Manche Darstellungen sahen ihre Aufgabe einfach in einer bloßen Vermittlung des Gesetzesinhalts, und zwar durch eine möglichst getreue Wiedergabe des Gesetzestextes oder bloß in dessen umfangreicherer Inhaltswiedergabe wie bereits Georg Scheidlein, der 1814/15 in seinem „Handbuch des österreichischen Privatrechtes“ unter ausdrücklichem Hinweis: „Ich mache keinen Anspruch auf Authorschaft“ jeden Paragraphen erläutert. Während in diesem Sinne die einen freimütig bekennen, sie haben „so viel es immer möglich war . . . in der Darstellung die gesetzlichen Worte selbst . . . sorgfältig beybehalten“ 861, sehen andere doch schon den Zweck ihrer Arbeiten862 in der Sammlung von „Parallel-Paragraphen, im Vergleich mit dem römischen, preußischen und französischen Rechte und den besten Kommentatoren des Privatrechts von Leiser bis Thibaut“. Neben bloßen Zusammenstellungen von Vorschriften „mit Beifügung der allenfalls erforderlichen kritischen Beleuchtung“ 863 steht so eine Vielzahl vergleichender Werke. Herangezogen werden von ihnen das ältere Recht etwa Böhmens864, das Mährens und Schlesiens865, nach 1850 noch das Ungarns866 oder seiner Nebenländer wie Siebenbürgen867, dann natürlich das Gemeine Recht868, dieses vor allem von den 861
T. Dolliner, Handbuch des in Oesterreich geltenden Eherechts I, 1813, V. Schuster, wie Fn. 857, XII f. 863 J. v. Linden, Das österreichische Frauenrecht I, 2. Aufl. 1839, V. 864 J. v. Jordan, Systematische Darstellung des bürgerlichen Rechts im Königreiche Böhmen I–II, 1795–1797. 865 J. Luksche, Das alte und neue Recht Mährens und Schlesien, 1818. 866 L. J. Pexa, Ausführliche Erläuterungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches . . . mit besonderer Rücksicht auf Ungarn und dessen vormalige Nebenländer, 1853 f.; M. Füger von Rechtborn, Das alte und neue Privatrecht in Ungarn, Kroatien, Slawonien, Siebenbürgen, Serbien und dem temescher Banat, bezüglich seiner Fortdauer und Wirkung, 1858. 867 F. v. Sachsenheim, Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Juni 1811 gültig für Siebenbürgen vom 1. September 1853 verglichen mit dem siebenbürgischen Civilrechte, 1856. 868 J. v. Linden, Das früher in Oesterreich übliche gemeine und einheimische Recht nach der Paragraphenfolge des neuen bürgerlichen Gesetzbuches I–III, 1815–1820; P. Olschbauer, Kurze vergleichende Zusammenstellung der Anordnungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches über den Pflichttheil, mit jenen des römischen Rechtes, 1825. 862
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italienischen Autoren869, zum Eherecht das Kanonische Recht870, schließlich einfach der bisherige Zustand einschließlich des Teil-ABGB871. Mit dem Verhältnis des ABGB zu den „früher bestandenen Privatrechtsgesetzen überhaupt“, „zum Lehenrechte“, „zum Handlungs- und Wechselrechte“, „zum Kirchenrechte“, „zum Gewohnheits- und Provincialstatutarrechte“ sowie „zum gerichtlichen Verfahren“ setzte sich ausdrücklich eine eigene Monographie auseinander872. Interessant ist die weitere Gruppe der „verbindenden Werke“. Sie verdankt ihr Entstehen den Verweisungen des ABGB auf andere Quellen, vor allem auf die „politischen Gesetze“ einschließlich einiger privatrechtlicher Nebengesetze. Durch die derartige gemeinsame Erläuterung werden einige Bereiche der Rechtsordnung erst komplettiert und verständlich gemacht wie etwa das Eherecht oder das Militärprivatrecht873. Auch war es notwendig, die weitere Gesetzesproduktion zu beachten, der sich schon 1819 der „Commentar über die bürgerlichen und politischen Gesetze, welche seit der eingetretenen Wirksamkeit des allg bürgerl. Gesetzbuches nachträglich erschienen sind“ von Georg Scheidlein widmete (2. Auflage 1823). Die Privatrechtskodifikation, aber auch die des Strafrechts und des Zivilprozeßrechts, initiierten das Entstehen rechtswissenschaftlicher Zeitschriften874. Schon ab 1806, also noch während der Schlußarbeiten am ABGB, gab es, herausgegeben von Zeiller, die Zeitschrift „Jährlicher Beytrag zur Gesetzkunde und Rechtswissenschaft in den Oesterreichischen Erbstaaten“. Sie erschien zwar letztmals 1809, aber 1810 nochmals in einer zweiten Auflage mit dem Titel „Vorbereitung der neuesten Oesterreichischen Gesetzkunde im Straf- und Civil-JustizFache, in vier jährlichen Beyträgen von 1806–1809“. Diese zweite Auflage mit ihrem veränderten Titel charakterisiert dieses Periodikum treffend, denn es ent-
869
S. u. S. 239 f. A. Reale, Compendio storico del diritto civile italico col austriaco e del diritto canonico, 1822; G. Rechberger, Handbuch des österreichischen Kirchenrechts I–II, 4, mit besonderer Rücksicht auf das neue bürgerliche Gesetzbuch bearbeitete und vermehrte Auflage, 1825. 871 C. Wittig, Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch, . . . mit den beiden vorhergehenden Gesetzbüchern verglichen I (einziger Bd.): nach Pfaff/Hofmann, Commentar 68; auch Linden, wie Fn. 868. 872 V. A. Wagner, Das Quellenverhältniß des bürgerlichen Gesetzbuches zu den besonderen Zweigen des in den österreichisch-deutschen Erbstaaten für den Civilstand geltenden Privatrechtes, 1818. 873 U. a. I. F. Bergmayr, Das bürgerliche Recht der k. k. österreichischen Armee und der Militär-Gränz. Provinzen, 4 Bde., 1827–1837; Visini, Handbuch I–II; Dolliner, wie Fn. 861; Luksche, wie Fn. 865. 874 Zu ihnen B. Dölemeyer, Zur Frühgeschichte des juristischen Zeitschriftenwesens in Österreich. Die Materialien für Gesetzeskunde und Rechtspflege (1814/15–1824) und die Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit (1825–1849) in: M. Stolleis/Th. Simon (Hrsg.) Juristische Zeitschriften in Europa (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 214), 2006, 269 ff. 870
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
hält etwa der erste Band Beiträge zur Zivil- und Strafgesetzgebung und zur Kriminalistik. Ab 1815 erschienen die „Materialien für Gesetzkunde und Rechtspflege, in den Oesterreichischen Erbstaaten“ (ab Band II/1816: „. . . Oesterreichischen Staaten“). Sie verstanden sich, so die „Vorerinnerung“ in Band I/1815, als „Zeitschrift“, die allerdings in „zwanglosen Zwischenräumen erscheinen wird“. Tatsächlich folgte der „zweyte Band“ sogleich 1816 und der dritte 1817, der vierte jedoch erst 1820, sodann aber die weiteren Bände V bis VIII, dieser ausdrücklich als „letzter“ bezeichnet, wieder jährlich von 1821 bis 1824. Diese „Materialien“ wandten sich gemäß der „Vorerinnerung“ in Band I/1815 an den „für die Gesellschaft so wichtigen Stande der Richter und Sachwalter“. Für sie und auch „die Geschäftsmänner“, d. h. in der damals auch von Formularbüchern gebrauchten Terminologie: für rechtsbedürftige Laien, will die Zeitschrift nicht „gutgemeinte Träumereyen“ von „speculativen Gelehrten“ abdrucken, sondern nützliche „Rathschläge“ von den „durch Talente, Kenntnisse und Erfahrung berufenen Freunde der Rechtspflege“ vermitteln, um auf diese Weise „die Herrschaft des Gesetzes über eine willkührliche oder ungereimte Praxis zu erhalten“. So sollten die „Materialien“, wie schon ihrem Namen zu entnehmen ist, keine streng wissenschaftliche Zeitschrift sein, sondern die Gesetzesanwendung in der Praxis erleichtern. Herausgeber der „Beiträge“ war Carl Joseph v. Pratobevera875, gleich Zeiller Hofrat bei der Obersten Justizstelle und Mitglied der Gesetzgebungs-Hofkommission. Wie dessen Hauptkommentar erschienen auch die „Materialien“ in der „Geistingerschen Buchhandlung“ in Wien. Pratobevera und seine „Materialien“ standen zu Zeiller in einem besonderen Verhältnis: Jener nannte diesen seinen „hochgeachteten Freund“, für Zeiller war Pratobevera der „um die österreichische Rechtsgesetzgebung seit ihrer neuen Entstehung verdiente Herausgeber“ 876. Zeiller877 hatte schon in Band I der „Materialien“ Teile des ABGB erläutert, als er zu Gönners ABGB-Kritik seine „Anticritik“ lieferte. Vor allem erschien hier Zeillers erwähnter „Zweiter Kommentar“ (1816/1820). Einen weiteren Artikel steuerte Zeiller zu Band VI der „Materialien“ von 1822 bei, als er u. a. gegen Savigny Stellung nahm, zwei weitere Beiträge lieferte er für den (letzten) Band VIII: „Von dem Streite zwischen der Theorie und der Praxis im Strafrechte“ sowie „Ueber den bösen Vorsatz nach dem österreichischen Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizey-Uebertretungen“ 878. Überdies verstand Pratobevera seine „Materialien“ „als eine nicht ganz mißrathene Fortsetzung“ der 1806 bis 1809 von Zeiller herausgegebenen, fast gleichnamigen Zeitschrift „Jährlicher Beytrag“, die er sich ausdrücklich zum „Vorbilde“ 875 876 877 878
Zu ihm Brauneder, Juristen, 119 ff.; Neschwara, Jurist. Materialien I, 172, bzw. VI, 321. Zum Folgenden Brauneder, Zweiter Kommentar, 9 ff. Materialien VIII, 388 ff. bzw. 403 ff.
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nahm879. Auch hat er Zeillers „Zweiten Kommentar“ nicht einfach abgedruckt, sondern mit eigenen Erläuterungen versehen wie bereits Zeillers „Anticritik“ zu Gönner, auch Zeillers Artikel von 1822 mit eigenen „Erörterungen“ gleichsam fortgesetzt. An Pratobeveras „Materialien“ schloß880 ab 1825 die „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde“ an, herausgegeben von Vinzenz Wagner und daher kurz „Wagners Zeitschrift“ genannt; ab 1846 trug sie den modernen Titel „Österreichische Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft“. Eine weitere Zeitschrift erschien erst ab 1839: „Der Jurist“. Der Exegetik wiederfuhr durch die ihr nachfolgende Pandektistik eine negative Bewertung881. Reichlich unkritisch behielten sie jüngere Beurteilungen lange bei. Eine „Konzentration auf das Gesetz“ (ABGB) hatte natürlich stattgefunden, doch werden der Exegetik Pauschalurteile nicht gerecht, wonach ihre Arbeiten bloß die eines „Dienstes am Gesetzesbuchstaben“, dieser das „Alpha und Omega“ ihrer Bemühungen gewesen sei882. Die bescheidenen Zielsetzungen mancher ambitionslosen Werke bleiben hier unbeachtet und unbewertet. Auch eine „fast völlige Abschließung gegenüber anderen Quellen des juristischen Erkennens“ fand keineswegs statt883. Die erwähnten vergleichenden wie vor allem die „verbindenden“ Werke zeigen durchaus ein gelungenes Bemühen, über das ABGB hinauszugehen, ferner fand das Rechtsleben Beachtung884. Gegen eine Einstufung der vormärzlichen Juristen als eine Art von vollziehenden Maschinen in ihrer Anwendung des ABGB spricht auch die noch zu beschreibende Tätigkeit der Obersten Justizstelle885. Weiters trifft es keineswegs zu, der österreichische Rechtswissenschaftg habe es an Wahrnehmungen der ausländischen Entwicklungen gefehlt. Unzutreffend ist übrigens die Gleichstellung der österreichischen Exegetik mit der französischen „Exegetischen Schule“ 886, da diese Charakteristiken aufweist, die der österreichischen Exegetik nicht zukommen. Schon887 ein „culte du texte de loi“ trifft für Österreich vielfach, wie gezeigt, nicht zu, schon 879
Materialien I, VI. Dölemeyer, wie Fn. 874. 881 Vgl. die oft abfälligen Bemerkungen bei Pfaff/Hofmann, Commentar, 59 ff.; ferner z. B. J. Unger, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts I, 1856, III ff. 882 Ogris, Zivilistik, 450 f.; ders., Der Entwicklungsgang der österreichischen Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, Vortrag 1967 (= Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin 32), 7: Vor allem hier erfährt die Exegetik eine zu negative Wertung, die allerdings kurz danach relativiert wird: ebda 8. 883 So Ogris, Zivilistik, 450 f.; zu Kontakten zum Ausland sogleich u. 3. 884 Beispiele bei Brauneder, Privatrechtsfortbildung, 48 Fn. 40; Praxis etwa bei M. J. von Kotz, Die gesetzliche Verfassung der Zehendabgaben . . ., 2. Aufl. 1819. 885 R. Hermann/R. Bartsch/O. Leonhard/L. Bernhart/E. Fortner, Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch in der Praxis der Obersten Justizstelle bis 1820, in: ABGB-FS I, 579 ff. 886 So aber Lentze, wie Fn. 841, 60; ihm folgend Ogris, Zivilistik, 451. 887 Nachfolgendes nach J. Bonnecase, L’Ecole de l’Exégèse en Droit civil (= Bibliothèque de l’histoire du droit et des institutions 19), 2. Aufl. 1924, 128 ff., 148, 26. 880
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gar nicht ein „caractère profondément Etatiste“ und eine Interpretation wie die der Franzosen „leurs tendances philosophiques“ unterbanden die Anwendungsregeln von §§ 6 und 7 ABGB888. Unzutreffend ist auch eine Überbewertung des Einflusses der politischen Situation auf die Privatrechtswissenschaft889. Das vormärzliche politische System gestattete es den österreichischen Juristen nicht nur ausländische Fachliteratur wie noch zu beschreiben einzusehen, sondern es wurde der Lehr- und Wissenschaftsbetrieb gar nicht so zensurbedrückt betrieben890. Die Exegetik stellt die erste, relativ selbständige Schule des österreichischen Privatrechts dar, und dies aufgrund der Privatrechtskodifikationen von 1786 und insbesondere von 1811. Ihr Verdienst liegt in der ersten wissenschaftlichen Bearbeitung des ABGB und der mit ihm im Zusammenhang stehenden Rechtsquellen, womit die spätere wissenschaftliche Bearbeitung, sei es auch oft durch bewußten Widerspruch, in bestimmte Bahnen gelenkt wurde. Durch eine verdeckte Rechtsfortbildung hat die Exegetik dem ABGB oft einen den Intentionen des Gesetzbuches nicht oder nicht ganz entsprechenden Sinn unterlegt, den aber die nachfolgenden Generationen wie selbstverständlich als Meinung des ABGB angesehen haben891. So erfolgte durch die Exegetik die Umdeutung von „allgemein“-territorial in „allgemein“-sachlich als Gegensatz zu einem „besonderen“ Privatrecht892. Die Isolierung der §§ 1237 ff. aus ihrem vertraglichen Umfeld bewirkte, daß ein Vorrang des Ehemannes auch im Ehegüterrecht analog zum persönlichen Eherecht – „Der Mann ist das Haupt der Familie“ (§ 91) – wie zu anderen Teilen der Rechtsordnung angenommen und daher das nach ABGB vertraglich zu vereinbarende Nutzungsrecht des Mannes am Frauenvermögen (§ 1238) als selbständiger gesetzlicher Anspruch angesehen wurde, in späterer Terminologie als gesetzlicher Güterstand der Verwaltungsgemeinschaft893. Weiters begann eine Verengung der Sicht auf das Quoteneigentum, so daß späterhin das quotenlose Gesamt(hand)eigentum als unvereinbar mit dem ABGB galt894: Die Regelungen des ABGB zum Miteigentum hatten aber durchaus nicht im Widerspruch zu den überkommenen Formen895 gestanden. So deckte nach damaligem Verständnis § 361 sowohl das quotenlose Gesamteigentum – bei „ungeteilter Sache“ werden die Miteigentümer „für eine einzige Person“ angesehen – wie das Quoteneigen888 Was übrigens gar nicht in Einklang stünde mit der zitierten „fast völligen Abschließung gegenüber anderen Quellen des juristischen Erkennens“! 889 Lentze, wie Fn. 841, 65; Ogris, Zivilistik, 452. 890 Eindrucksvoll G. Oberkofler, Die Verteidigung der Lehrbücher von Karl Anton von Martini (1726–1800) und Franz von Zeiller (1751–1828). Eine Studie über das österreichische Juristenmilieu im Vormärz, in: Tiroler Heimat, 1979/1980, 255 ff.; ders./Goller, wie Fn. 838, 132 ff.; auch Brauneder, Leseverein, 39 ff. 891 Grundsätzlich Brauneder, Privatrechtsfortbildung, 51 ff. 892 Pfaff/Hofmann, Commentar, 78 Fn. 4. 893 Brauneder, Spiegel, 41 ff. 894 Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 129, 142. 895 Vgl. Brauneder, Privatrechtsfortbildung, 55 ff.
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tum bei „unabgesonderten Teilen“, dem „Antheil“ (§§ 827, 829). Diesem stellt Zeiller in Gegensatz zum „abgesonderten Eigenthum“ an „physischen, materiellen Theilen“ wie zum Beispiel einem „Stockwerk vom Hause“ 896: Stockwerkseigentum entsprach also durchaus dem ABGB. Diese Sicht des ABGB und Zeillers gibt die damalige Rechtslage wieder wie sie ein Hofdekret 1790 (JGS 96)897 ausdrücklich festgeschrieben hatte. Mit ihr kompartibel waren auch die Miteigentumsformen des Tractus de juribus inconporalibus, von dem 1807 eine Druckausgabe und noch 1831 eine Monografie erschien898. Abgesehen von Zeillers Kommentar verloren nach etwa 1850 die meisten zuvor erschienenen Werke an Bedeutung, wurden bewußt zur Seite gedrängt und gerieten in Vergessenheit. Auch an die Stelle der ersten Zeitschriften traten nun neue: Die Exegetik wurde von der Pandektistik abgelöst899. 2. Die italienisch-österreichische Jurisprudenz Mit dem Inkrafttreten des ABGB in Lombardo-Venetien 1816 setzte hier ein italienischer Zweig der österreichischen Privatrechtswissenschaft in höchst umfassender Weise und mit eigenen Akzentsetzungen ein900. Diese lagen einmal darin, daß das bisher geltende napoleonische mit dem österreichischen Recht verglichen, dann aber dieses in traditionell-enge Verbindung zum Römischen-Gemeinen Recht901 gesetzt wurde. Dieses stellte für die oberitalienischen Juristen eine „nicht wegzudenkende Linse“ auch in der Betrachtung des ABGB dar902. Abhandlungen, die im ABGB die „wiedererkannte Rolle“ des Gemeinen Rechts aufspürten, waren ein Ergebnis davon. Wie die deutsch-österreichische Exegetik lieferte auch die italienisch-österreichische Jurisprudenz Werke, welche das ABGB ohne wissenschaftlichen Anspruch vereinfacht für die Zwecke der Praxis darstellten. Sie spielen in der Erläuterung des ABGB eine oft primäre Rolle als Ausgangspunkt für eine gleichfalls exegetische oder eine kasuistische Behandlung. Allerdings gab es auch ganz andere Ansätze. In nationalistisch-naturrechtlicher Sicht sah Agostino Reale das ABGB als deduktives Ergebnis aus vorgege896
Zeiller, Commentar II, 120 f. Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 232. 898 A. Engelmayer, Tractatus de juribus incorporalibus, 1831. 899 S. u. S. 282 ff. 900 Brauneder, Privatrechtsfortbildung, 43 ff., 48; ders., Moralische Person, 175 f. (Zeiller-Übersetzungen), 190 ff.; F. Menestrina, Nel centenario del codice civile generale austriaco, in: Rivista di Diritto Civile 6, Mailand 1911, 834 ff.; M. R. di Simone, Das ABGB in Italien, in: Berger, ABGB III, 291 ff. 901 Vgl. G. A. Castelli, Confronto analitico del codice civile della monarchia austriaca colle leggi Romane, 1816; F. Borella, Annotazioni al codice civile universale austriaco col confronto del diritto romano, 1816; Codice civile universale austriaco. Versione ufficiale, colle citazioni delle leggi Romane, 1816. 902 Das Folgende nach P. Caroni, Studi di storia del diritto II, Milano 1999. 897
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
benen Inhalten an, die in einer vom Gesetzbuch abweichenden Systematik darzustellen seien. Dies führte zu einer größeren Unabhängigkeit gegenüber dem ABGB und bereitete so den Boden für die später dominierende Pandektistik vor. Als ab 1830 Nippels Kommentar zu erscheinen begann und mit ihm sowie jenen von Zeiller und Schuster erst drei deutsche Erläuterungen des ABGB vorlagen, existierten bereits acht in Italienisch, nämlich von Onofrio Taglioni (erschienen 1816–1828), dem schon erwähnten Reale (1829–1832), Giuseppe Antonio Castelli (1830–1846), unvollendet von Giuseppe Carozzi (1816–1825) sowie drei Übersetzungen von Zeillers und eine von Nippels Kommentar. Die Rolle von Zeillers Kommentar nahm für Italien der von Taglioni ein. Quantitativ übertraf die italienische oft die deutsche Produktion: Beispielsweise umfaßte Carozzis unvollendeter Kommentar bis einschließlich § 956 bereits 22 Bände – zu allen 1502 Paragraphen schrieben Zeiller 4 und Nippel 9 Bände. Auch gab es eine eigene Zeitschriftenlandschaft 903. Schon 1817 erschien die „Giurisprudenza (teorico-)practica secondo la legislazione austriaca“, abgelöst 1846 durch das „Giornale di Giurisprudenza practica“ (beide Mailand und Venedig), ab 1850 kamen drei weitere Zeitschriften hinzu. Die italienisch-österreichische Jurisprudenz nahm durchaus die Ergebnisse der deutsch-österreichischen Exegetik zur Kenntnis. Dies zeigen nicht nur die Übersetzungen der Kommentare von Zeiller, sogar mehrmals, und von Nippel. Auch zahlreiche andere deutsche Arbeiten wurden übersetzt wie etwa der „Nachtragskommentar“ Scheidleins von 1819. Das „Giornale di giurisprudenza austriaca“ (Venedig 1839–1846) enthält überwiegend übersetzte Beiträge aus „Wagners Zeitschrift“ und aus „Der Jurist“. 3. Die Verknüpfungen mit dem Ausland Die zeitweise geäußerte Meinung, Österreichs Privatrechtswissenschaft, nämlich die Exegetische Schule, sei vom Ausland nahezu mit einer Chinesischen Mauer abgeschlossen gewesen, es habe eine „geistige Isolierung gegenüber dem Auslande“ stattgefunden904, läßt sich bei entsprechender Beachtung von Quellen und Umständen keineswegs halten. Gegen jene Meinung legt allein schon Zeiller Zeugenschaft ab mit seinen zahlreichen vergleichenden Hinweisen auf das ALR und den Code Civil während des Gesetzgebungsprozesses, vor allem in seinem Hauptkommentar und mit seinen Verteidigungen des ABGB 1815 gegen Gönner und 1822 gegen Thibaut, Savigny, Hugo, Eschenmayer und Schrader, die er eben alle kannte905. Aber er ist keineswegs der einzige Zeuge dieser Art. Schuster bemerkte zu seinem Kommentar: „Gewöhnlich berathe ich mich mit Voet, Leyser, 903 Dazu B. Dölemeyer/F. Ranieri, Italien, in: F. Ranieri (Hrsg.), Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800–1945), 1992, 509 ff. 904 Ogris, Zivilistik, 450 f. 905 Zeiller, Rechtsfälle, 319; Brauneder, Kommentar, 15 f.
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Strik, Glück, Lauterbach, Struve, Cramer, Dabelow, Thibaut und andern mehr“, das heißt neben Werken aus der Zeit des Ius Romano-Germanicum mit seinem Zeitgenossen Thibaut, dem Savigny-Gegner, damals berühmt wegen der Forderung nach einem gesamtdeutschen Zivilgesetzbuch. Nippels Kritik am ABGB aus 1850, freilich schon davor erarbeitet, stützt sich gerade auf seine Kenntnisse ausländischen Rechts906. Dies alles waren aber keine Einzelfälle, denn der juristische Wissenschaftsbetrieb beschränkte seinen Horizont keineswegs auf Österreichs Staatsgrenzen. Schon 1825 sah das Programm von Wagners „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde“ Berichte „über die neuesten Fortschritte der Gesetzgebung des Auslandes“ vor mit der Begründung, es solle „dem wissenschaftlichen Juristen und Politiker Österreichs die herrliche Ausbeute der ausländischen Literatur nicht (fremd) bleiben“. Tatsächlich faßte sie jährlich in einem eigenen dritten Band das monatlich erscheinende „Notizblatt“ zusammen, das neben der Hauptabteilung „Rezensionen inländischer Werke“ die weitere „Ausländische Literatur“ enthielt. Ein ähnliches „Notitzenblatt“ enthielt auch Schopfs907 „Archiv für Civil-Justizpflege“ mit einer „Übersicht der Gesetzgebung der benachbarten Staaten des Auslandes“, wozu er festhielt: „In diese Rubrik werden nur die in Preußen, Sachsen und Bayern scheinenden Gesetze aufgenommen, weil die österreichischen Behörden und Staatsbürger mit diesen Nachbarstaaten in fortwährender Geschäftsverbindung stehen“ 908. Vor allem die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Preußens war wie schon während der Kodifikationsphase in mehrfacher Weise präsent. Dies betraf einmal das ALR. Winiwarter erklärte 1823, er habe nicht nur „der Vergleichung wegen“ das ALR „mannigfaltig benützt“, sondern auch „zur Erläuterung unseres Rechtes“ sowie „zur Bestätigung der aus allgemeinen Grundsätzen abgeleiteten Ansichten“ desselben909. In seinem „Bürgerlichen Recht“ (1831/38) betont er, es müsse von den auswärtigen Gesetzbüchern das ALR sogar „vorzüglich erwähnt werden“, und zwar „theils seiner Vollständigkeit wegen, theils weil es bei unserm bürgerlichen Gesetzbuche in mehreren Materien benutzt worden ist“ 910. Dies stimmt mit Zeillers Hauptkommentar insofern überein, als auch er das ALR einerseits als vorbildhaft, andererseits als Auslegungshilfe erwähnt. Allerdings bleibt Winiwarter bei diesem grundsätzlichen Bekenntnis, in der Folge zitiert er das ALR nur selten wie etwa zu § 34. Besser um das ALR ist es im „Kommentar“ von Schuster (1818) bestellt, der allerdings unvollständig blieb. Die Rolle 906 F. X. Nippel, Materialien zur Reform der österreichischen Gesetzgebung im Justizfache I, 1850. 907 Zu ihm G. Kohl, Franz Joseph Schopf – Leben und Werk eines Vergessenen, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 2/2001, 100–119. 908 In: SchopfsArchiv II (Nbl), 1838, 10. 909 In: Materialien VII, 1823, 113. 910 Winiwarter, wie Fn. 859, 24.
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des ALR im Verhältnis zum ABGB spricht er offen aus: Er „beziehe“ sich auf dieses „wenn es offenbar zum Vorbild des österreichischen (Gesetzbuches) gedient hat, oder durch das letztere auffallende Verbesserungen in der Rechtphilosophie eingeführt hat“ 911. Wie in Zeillers Kommentar finden sich Hinweise auf Parallelbestimmungen, sei es in Übereinstimmung oder in Abweichung des ALR vom ABGB. Anders als Zeiller, der in die Kodifikationsentstehung eingebunden war, schließt der daran nicht beteiligte Schuster auf Vorbildhaftigkeit „auch aus der Uebereinstimmung“ bei den Regeln über die Kommorientenpräsumption (zu § 25) – wozu Zeiller das ALR nicht als Vorbild erwähnt! Schuster allerdings: „Aber unsere Verfasser haben das Benützte zugleich verbessert“ 912! Übereinstimmungen der Quelle C mit der Quelle B müssen eben keineswegs auf diese zurückgehen, sondern beide auf eine Quelle A. Schuster verwendet das ALR auch als Erklärungshilfe: „Die Bedeutung“, welche er bestimmten Wörtern beilegt, wird für ihn „durch das preuß. G. B. begründet“ (zu § 29)! Klar läßt sich erkennen, daß er das ALR als Auslegungsbehelf zum ABGB ansah, und zwar entweder wegen seiner Vorbildrolle oder wegen der gleichen „Rechtsphilosophie“ bzw. Grundlage. Im Jahr 1830 meinte ein anonymer Rezensent, das ALR sei „durch seinen materiellen Reichthum und die Umsicht und Zweckmäßigkeit seiner Anordnungen im Ganzen, immer eines der vorzüglichsten Hülfsmittel zur Vervollkommnung der eigenen Gesetzgebung“ 913! Auch Kritik am ALR zeugt von dessen Kenntnis. So fand Wilhelm Unger 1831 die „Einleitung“ des ALR „im Vergleich“ mit jener des ABGB für „überhäuft“ und meinte, er wünsche, „daß die preuß. Gesetzgebung die systematische Schärfe des österr. allg. bürg. Gesetzbuches . . . sich aneignen möge“ 914. Hinweise zum ALR finden sich auch in den Besprechungen der Beiträge von Gans über die „Ehe mit einer ResolutivBedingung“ 915, über die „testamenti factio der Verschwender“ mit der Bemerkung, Gans rüge „die Anordnungen“ des ALR916, ferner in den Besprechungen seiner Beiträge „Von der Beute“ 917 sowie über „Spiele und Wetten“ 918. Konkret den ALR-Text betrafen die Besprechungen der „Ergänzungen“ zum ALR von 1823 ebenfalls noch in diesem Jahr919 sowie späterhin in den Jahren 1837 und 1839920. Publiziert wurden auch eine Kabinettsorder vom 24. Dezember 1837
911 912 913 914 915 916 917 918 919 920
Schuster, wie Fn. 857, XXIII. Ebda 318 Fn. B. In: WagnersZ III (Nbl), 1830, 359. In: ebda III (Nbl), 1831, 425. In: WagnersZ III (Nbl), 1831, 423. In: ebda 426. In: ebda 426 f. In: ebda 427. In: Materialien VII, 1823, 444. In: SchopfsArchiv, 1837 (Nbl), 52; 1839 (Nbl), 144 f.
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sowie eine Deklaration vom 31. März 1838 zu ALR-Bestimmungen921. Der ALR-Kommentar von Gustav Alexander Bielitz aus den Jahren 1823/24 wurde umgehend 1824922 besprochen, das „System des preußischen Privatrechtes“ von E. A. Th. Laspeyres von 1843 sogleich im selben Jahr angezeigt923. Erwähnung fand das ALR auch in Beiträgen. In der Regel geschah dies vergleichend gemeinsam mit anderen Rechtsquellen wie plakativ 1845 in der Abhandlung von Damianitsch „Über die Rechte unehelicher Kinder gegen ihre Ältern nach dem österreichischen, französischen und preußischen Rechte“ 924. Schon 1823 hatte Winiwarter in seinem Beitrag „Der Besitz nach dem Österreichischen bürgerlichen Rechte“ erwähnt, er habe auch „das Preußische Landrecht mit Grävell’s Anmerkungen in dem Werke: Die Lehren vom Besitze und von der Verjährung nach Preußischem Rechte, Halle 1820“ benutzt925. Gönners wichtige Besprechung des ABGB von 1815 ruft übrigens auch das ALR in Erinnerung, beispielsweise mit dem Satz, das Pflichtteilsrecht des ABGB „sey richtig (weil) frey von allen Rechnungsfehlern des . . . preußischen Rechts“ 926. Rezensionen machten auch die „Beyträge zur Revision der Preußischen Gesetzgebung“ von Gans aus 1830, 1831 und 1832 bereits jeweils im selben Jahr bekannt927. Rezensiert wurde auch Otto Heinrich Alexander v. Oppens „Vergleichung der französischen und preußischen Gesetze“ von 1827/28 im Jahr 1831928. Das preußische „Gesetz wegen Einführung kürzerer Verjährungsfristen“ aus 1838 kam sogleich in diesem Jahr zum Abdruck929. Diese intensive Wahrnehmung des ALR änderte sich ab etwa 1850. Ellingers „Handbuch“ führt noch in der ersten Auflage von 1843 zu den als „Hilfsmittel“ verwendbaren „Gesetzbüchern des Auslandes“ als eines der „vorzüglichsten“ sogleich das ALR an930; in der fünften Auflage von 1857 fehlt es jedoch, obwohl hier beispielsweise der Code Civil genannt wird. Dies erscheint insofern typisch, als auch die Kommentare nach der Jahrhundermitte von Stubenrauch (1854) und Michel (1856)931 nicht einmal im Literaturverzeichnis auf das ALR hinweisen. 921
In: SchopfsArchiv, 1838 (Nbl), 10 sowie 12. In: Materialien VIII, 1824, 509. 923 In: WagnersZ. 1843 (Nbl), 564 f. 924 In: Jurist 1830/III, 1845, 498 ff. 925 In: Materialien VII, 1823, 111 ff. 926 Anzeigen und Recensionen des Oesterreichischen bürgerlichen Gesetzbuches in auswärtigen Schriften, nebst Bemerkungen . . . von Zeiller, und dem Herausgeber F. G. Pratobevera, in: Materialien I, 180. 927 In: WagnersZ 1830 (Nbl), 3 259 ff.; 1831 (Nbl), 423 ff.; 1832 (Nbl), 523 ff. 928 In: WagnersZ III (Nbl), 1831, 280 f. 929 In: SchopfsArchiv II (Nbl), 1838, 16 ff. 930 J. Ellinger, Handbuch des österreichischen Civil-Rechtes, 1843, 12. 931 M. Stubenrauch, Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Juni 1811 sammt den dazu erflossenen Nachtrags-Verordnungen und den über die Einführung dieses Gesetzbuches in Ungarn, Croatien, Slavonien, Serbien, dem Temeser Banate und Sieben922
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Ähnliches gilt auch für Ungers „System“: Der – dem ALR wie dem ABGB fremde – „Allgemeine Teil“ aus 1856 enthält so gut wie keine ALR-Hinweise, nur einige wenige das „Erbrecht“ aus 1864932. Das ALR galt jetzt als antiquiertes Gesetzbuch. Gerade für den Vormärz jedoch widerlegt schon allein die Bedachtnahme auf das ALR bis hin zu seinem Einbeziehen nahezu als ABGB-Ergänzung die Abschottung der österreichischen Zivilistik. Zu einer Auseinandersetzung mit einem anderen ausländischen, nämlichen dem französichen Recht zwang schon einmal dessen tatsächliche bzw. geplante Ablöse in Lombardo-Venetien. Dies geschah in den meisten der italienischen ABGB-Kommentare, aber etwa auch sehr intensiv im Bereich des Patentrechts933. Die wichtigste ausländische Rechtsliteratur blieb den österreichischen Juristen keineswegs verschlossen. Signifikant dafür ist der Juridisch-politische Leseverein zu Wien, gegründet 1841934. Seine große wissenschaftliche Bedeutung lag einmal in der Existenz seiner Bibliothek. Im Jahre 1844 verfügte diese über etwa 1.300 Bände, im Jahre 1847 bereits über 3.700, 1858 über 12.000 und 1882 über 23.000 Bände. Zur Zeit der Zensur muß vor allem die Bedeutung darin gesehen werden, daß es im Leseverein möglich war, zensurierte Bücher, die verboten oder nur beschränkt zugänglich waren, benützen zu können. Es ist nämlich insgesamt unrichtig, aufgrund der bestehenden Zensurvorschriften zu meinen, den österreichischen Juristen wär die Fachliteratur besonders aus den übrigen Staaten des Deutschen Bundes verschlossen gewesen: In der Lesevereinsbibliothek konnte sie benützt werden. Da gab es beispielsweise an zivilrechtlicher Literatur Beselers „Volksrecht und Juristenrecht“ (1843), dann vor allem Savignys „Recht des Besitzes“ (1837), sein „System des heutigen Römischen Rechtes“ (1840) sowie die von ihm begründete programmatische „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“. Mit dem „Entwurf des Privatrechtlichen Gesetzbuches für Zürich“ (1844) von Bluntschli hatte man auch schon einen Kodifikationsvorschlag im
bürgen getroffenen Bestimmungen, mit Rücksicht auf das praktische Bedürfniß I–III, 1854–1858; I. 932 Ebenso verhält es sich mit Ungers wichtigsten Monographien und speziellen Einzeluntersuchungen, lediglich in seiner Abhandlung: „Die Verlassenschaftsabhandlung in Oesterreich. Ein Votum für deren Aufhebung“, 1862, widmet er dem ALR „ganz besondere Beachtung“, 25 ff.; er äußert hiezu zwar: „Es gewährt große Belehrung zu sehen, wie das preußische Landrecht, welches dem österr. bürgerl. Gesetzbuche so vielfach zum Vorbilde gedient hat, . . . die uns hier beschäftigende Materie geregelt hat“, stellt aber im Folgenden keine derartigen Beziehungen zum ABGB her. 933 B. Dölemeyer, Vom Privileg zum Gesetz. Am Beispiel österreichischer Erfindungsprivilegien, in: Ius Commune XV, 1988, 57–71. 934 Das folgende in: Brauneder, Leseverein, 121 ff.; ders., Ein Leseverein als Mäzen, in: M. Hlavacˇka u. a. (Hrsg.), Collective and individual Patronage and the Culture of Public Donation in Civil Society in the 19th and 20th Centuries in Central Europe, 2010, 130 ff.
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Sinne der Historischen Rechtsschule zur Hand. In die gleiche Richtung deutet der „Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches“ für Hessen von 1842. Die Wendung von der Historischen Rechtsschule zur Pandektistik markieren Puchtas „Pandekten“ (1845). Im Zeichen neuer Methodik standen auch die Werke von Sintenis. Savignys Gegenspieler Thibaut war gleichfalls mit mehreren Titeln vertreten. Dazu kam ferner das bahnbrechende Werk von Gans „Das Erbrecht in seiner universalhistorischen Entwicklung“, welches neben Savignys Historische Rechtsschule eine universalgeschichtliche-philosophische Betrachtung stellte. Interessant für eine neue Materie war etwa Schäffers „Entwicklung des internationalen Privatrechts“ (1843), zu der es in Österreich im Vormärz kaum Ansätze gab. Den rechtsvereinheitlichenden Aspekt betonte Gerbers „Das wissenschaftliche Prinzip des gemeinen deutschen Privatrechts“ (1846). Mit Kreittmayrs „Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem“ (1759) hatte man sozusagen Bayerns „Zeiller-Kommentar“ zur Hand. Die weitere Bedeutung des Lesevereins liegt in seinen Gesprächs- und Diskussionsrunden sowie einigen hier gehaltenen Vorträgen. Vor allem haben manche Mitglieder im Leseverein aufgrund der Bibliotheksbestände Abhandlungen verfaßt, hier zur Diskussion gestellt und auf diese Weise für die Verbreitung neuen Wissens gesorgt. Es läßt sich nachweisen, daß die ersten Werke der um 1830/40 in Österreich noch völlig neuen Historischen Rechtsschule im Leseverein entstanden sind. So hat beispielsweise Joseph Unger als Mitglied die Vereinsbibliothek benützt und so versteht sich wohl vor allem daher seine Kenntnis der Historischen Rechtsschule, die damals an Österreichs Fakultäten nicht gelehrt wurde. Erstmals verwendete in Österreich die Ergebnisse der Historischen Rechtsschule in einem ABGB-Kommentar Moritz von Stubenrauch 1854 wohl insbesondere deshalb, weil er als Bibliothekar des Lesevereins für diesen die neuesten juristischen Werke anschaffte! Weitere Werke von Lesevereinsmitgliedern dokumentieren gleichfalls Auslandsbezüge. Joseph Lindens Monographie „Das österreichische Frauenrecht“ von 1834, das 1839 in zweiter Auflage erschien, berief sich ausdrücklich auf drei französische Werke mit ähnlichem Titel sowie auf das „Preußische Frauenrecht“ eines gewissen Hesse aus 1829935. Dieses war zumindest dem Titel von Lindens Buch Pate gestanden! Hermann Rössler stellte 1842 zur Literatur über das Ausgedinge fest, daß sie zum allgemeinen deutschen Recht „reichhaltiger fließt“ als zum österreichischen und 1847 wies er überhaupt auf den „ungemeinen Fortschritt“ der deutschen Rechtswissenschaft außerhalb Österreichs hin. Eine treffende Charakteristik des vormärzlichen Wissenschaftsbetriebes liefert eine Anmerkung in dem schon erwähnten Buch über das Rechtsstudium von Heß aus 1813: „Das neueste encyclopädische Werk über die Rechtswissenschaften von Rudhart (Würzburg 1812) erhalte ich so eben“, und er verwertete es auch; weiters: „Unterholzners allgemeine Einleitung in das juristische Studium (München 1811) hat der gegen935 Linden, wie Fn. 863, 1834 sowie 2. Aufl. 1839, VIII: Er betont sogar, daß es anonym erschienen ist.
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wärtige Zustand unseres Buchhandels mir noch nicht zukommen lassen“! Nimmt man dazu noch seinen Hinweis auf sieben weitere Autoren deutscher Staaten wie u. a. Hugo und Thibaut, so wird hier die Kenntnis ausländischer Fachliteratur ganz handgreiflich. Zu Josef Ungers Dissertation „Die Ehe in ihrer welthistorischen Entwicklung“ (1850), da nach „Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung“ von Eduard Gans verfaßt (1824 ff.), hielt Hans Lentze entschieden fest: „Sie beweist übrigens eindrucksvoll, daß von einer geistigen Absperrung Österreichs im Vormärz nicht die Rede sein kann“ 936. Auch gab es persönliche Kontakte ins Ausland937: Gerade vom Herausgeber der „Zeitschrift für Rechtsgelehrsamkeit“, Vinzenz Wagner, wird berichtet, seine „Beziehungen zu den juridischen Capacitäten des Auslandes waren mannigfaltig und sehr aufmunternd“.
III. Rechtsprechung Der Einfluß des ABGB auf die Rechtsprechung ist nur für das Höchstgericht, die Oberste Justizstelle, untersucht938. Allgemein läßt sich aufgrund dieser Untersuchung von „97 Protokoll-Bänden mit rund 93.400 Folioseiten“ der Jahre 1813 bis 1820 (mit Ausnahme des ab 1816 in Verona amtierenden Senates für Lombardo-Venetien) das schon zu den anderen Veränderungen Gesagte wiederholen: Auch in der Rechtsprechung hatten bereits das Teil-ABGB sowie das GBGB den „Boden geebnet“ und so ging ab dem ABGB die „Anwendung des neuen Rechts . . . anscheinend mit größter Leichtigkeit vor sich“. Mit wenig Literaturzitaten, kaum Hinweisen auf die Lehre oder das Gemeine Recht wahrte die Rechtsprechung eine hohe Unabhängigkeit von derartigen Vorlagen, offenbar aber auch gegenüber dem ABGB, denn erst in zunehmendem Maße berief man sich auf dessen Paragraphe. Deren Kenntnis war nicht immer genau, beispielsweise ging die Oberste Justizstelle lange, auch nach seiner Richtigstellung in der Justizgesetzsammlung, vom fehlerhaften Text des § 163 aus939. Einerseits wurde der bloße Zuständigkeitshinweis in §§ 1339 f. auf die Strafgerichtsbarkeit bei Tätlichkeiten und Ehrenbeleidigungen als Neuerung dahingehend verstanden und auch beachtet, es müsse das Strafverfahren einem allfälligen Zivilverfahren vorausgehen, andererseits kam die Neuregelung, mündliche Vertragsabreden haben hinter die darüber aufgesetzte Urkunde zurückzutreten (§ 887), erst allmählich zur vollen Akzeptanz940. 936 937 938 939 940
Lentze, Universitätsreform, 140. Brauneder, Leseverein, 51 f. Hermann/Bartsch/Leonhard/Bernhart/Fortner, wie Fn. 885, 581 f. Ebda 591 ff., auch 660 f. Ebda 681, 641 ff.
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Im Einklang mit dem eben Gesagten stehen auch die Beobachtungen, daß eine Fülle an Entscheidungen teils ausdrücklich auf Vernunft und Billigkeit und nicht (nur) auf Gesetzesbestimmungen beruhten; ferner, daß die Richter „frei und unbekümmert um den Wortlaut wenigstens im Schadenersatzrecht das verwirklichten, was sie für einen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen hielten“, wenngleich man manche Entscheidungsbegründungen als mißlungen ansehen müsse941. So wurden entgegen dem Gesetzeswortlaut (§ 1328) der unehelichen Mutter die Entbindungs- und Wochenbettkosten auch dann zuerkannt, wenn der Tatbestand ihrer „Verführung“ nicht vorlag, ja sogar sie in einem Fall diesen selbst erfüllte. Daher kann auch nicht mehr überraschen, daß die Zuerkennung derartiger Kosten auf die Dauer von sechs Wochen „nach Analogie des 1243. Paragraphen des ABGB“ erfolgte, welcher in dieser Zeitspanne ab Tod des Mannes der Witwe die „gewöhnliche Verpflegung aus der Verlassenschaft“ zuerkennt bzw. der schwangeren Witwe diese „bis nach Verlauf von sechs Wochen nach ihrer Entbindung“: Im gegenständlichen Falle hatte es sich jedoch um keine Witwe, sondern die uneheliche Mutter zu Lebzeiten des Kindesvaters gehandelt942! Die Zeitgenossen des ABGB waren 1816 jedenfalls der Meinung, „die Gerichtshöfe“ hätten dieses „mit Leichtigkeit . . . in das Leben einzuführen“ vermocht, da „dessen Principien und Formen ihnen längst bekannt waren“ 943. Wie allerdings die Anfragen über die Anwendung von ABGB-Bestimmungen oder über unklare Gesetzesstellen durch Gerichte und deren Erledigungen im Wege authentischer Interpretationen zeigen944, gab es von diesem idyllischen Bild doch Ausnahmen. Für den Zeitraum der ersten acht Jahre ab Inkrafttreten des ABGB fand Zeiller eine gewisse Genugtuung darin, man könne feststellen, daß in nur wenigen Fällen die Gerichte nicht „mittelst der Auslegungssregeln“ hatten entscheiden können und daher gemäß „§ 7 nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen“ urteilen mußten945.
IV. Vertragspraxis Ähnlich wie zur Gerichtspraxis läßt sich nur punktuell die Frage beantworten, welchen Einfluß das ABGB auf die Vertragspraxis seiner Zeit hatte. Hiezu muß man sich grundsätzlich in Erinnerung rufen, daß eine Privatrechtskodifikation vom Gedanken der Vertragsfreiheit ausgeht und in hohem Maße vertragsergänzendes, auch durch Vertrag aufhebbares Recht enthält, hingegen nur zum gerin-
941 942 943 944 945
Ebda 676, ferner 598, 669, 675. Ebda 601 ff., 683, 604 (Analogie). J. Pratobevera, Vorerinnerung, in: Materialien II, VII. S. u. 3. Kap. C. I.: S. 261 ff. Zeiller, Rechtsfälle, 346.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
geren Teil zwingendes Recht. So konnte die bisherige Vertragspraxis fortdauern, soferne sie nicht letzteres verletzte, da sie Normen zur Seite zu drängen vermochte. Eine Wirkung des ABGB bestand jedenfalls darin, „daß aus den Urkunden gewisse, nun gegenstandslose Klauseln verschwinden, z. B. der Verzicht auf die weiblichen Rechtswohltaten946, die Kodizillarklausel u. dgl. . . .“; grundsätzlich aber blieb offenbar das „Verkehrsleben . . . zunächst soweit als möglich im alten Geleise“ 947. Formularbücher aus der Zeit nach dem ABGB berufen sich zwar in ihren erläuternden Darstellungen zum Teil häufig auf ABGB-Paragraphe, in ihren Vertragsmustern hingegen kaum948. An einigen dieser Mustersammlungen ging das ABGB sogar spurlos vorbei. Obwohl die besondere Erklärung der Ehegattin bei Mitverpflichtungen neben dem Ehegatten – der sogenannte „Verzicht auf die weiblichen Freiheiten“ aufgrund des SC Velleianum – das ABGB ausdrücklich nicht übernommen hatte, findet er sich aber in einem Formularbuch von 1816 noch ebenso wie in dessen Vorauflage von 1802949. Noch auffallender ist, daß in die Ausgabe von 1816 ein sogenannter „Einkindschafts-Vertrag“, also die erbrechtliche Gleichstellung von Kindern aus verschiedenen Ehen, aufgenommen wurde, den so wie schon das Teil-ABGB das ABGB ausdrücklich verbietet (§ 1259)950. Die Auswirkungen des ABGB auf die Vertragspraxis, so kann schon aus den für sie erstellten Vorlagen erschlossen werden, waren offenbar gering. Dies erweist auch die grundherrschaftliche Vertragspraxis951: Die ausdrücklich verbotene Einkindschaft kam tatsächlich noch immer zur Vereinbarung. Weiterhin wurden Gütergemeinschaftsverträge abgeschlossen, welche den rechtlichen Vermutungen des ABGB, die erstens eine beschränkte Gütergemeinschaft und zweitens auf den Todesfall erzeugen, durch ihre Ausgestaltung als allgemeine Gütergemeinschaft unter Lebenden nicht entsprachen, wobei teils auch noch der dem ABGB völlig fremde Ausdruck „randlose [= grenzenlose, d. h. allgemeine] Abrede“ steht. Auch Heiratsgut und Widerlage fanden überaus häufig vertragsmäßig eine andere Ausgestaltung als vom ABGB vorgeschrieben, nämlich nicht als Leistungen des gütertrennenden Heiratsgabensystems, sondern als Einbringen
946
Zu diesen sogleich. A. Ehrenzweig, Die Schenkung auf den Todesfall, in: ABGB-FS II, 627; ders., System I, 33. 948 Vgl. z. B. J. Füger, Das adeliche Richteramt, oder das gerichtliche Verfahren außer Streitsachen in den deutschen Staaten der österreichischen Monarchie II, 4. Aufl., 1830, 53, 79; Vollständiger Landadvokat, 15. Aufl., 1837, 74, 158. 949 J. G. C. Keßler, Oesterreichisches Geschäften-Lexikon I, 3. Aufl., 1802, 161, 223; ebda II, 174 f.; ders., I, 4. Aufl., 1816, 178, 238; zum „SC Velleianum“ vgl. Brauneder, wie Fn. 512, 270 f. 950 Keßler, wie Fn. 949, 1816, 217. 951 W. Brauneder, Normenautorität und grundherrschaftliche Vertragspraxis, in: ders., Studien II, 109 ff. 947
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in eine Gütergemeinschaft952. Dies führte zu Kontroversen in der wissenschaftlichen Literatur dahingehend, ob es neben der allgemeinen Gütergemeinschaft ein Vorbehaltsgut geben könne, nämlich Heiratsgut und Widerlage, was sowohl bejaht wie bestritten wurde953. ABGB-Konformität mußte dem Vertragsleben daher durch Hofdekrete eingeschärft werden: 1817, daß die in Heiratsbriefe eingeschaltenen Erbverträge den Formerfordernissen eines schriftlichen Testaments zu entsprechen haben (JGS 1340); 1818, daß die Eintragung in ein Ehepakten-Protokollbuch nur Beweiszwecken diene und keine dinglichen Wirkungen zu entfalten vermöge (JGS 1498). Zum Teil blieb jedenfalls die Vertragspraxis gegenüber dem ABGB lange erstaunlich immun954. Zum Teil setzte sie sich sogar gegen das ABGB durch. Dies war der Fall beim Kellereigentum955, d. h. bei Kellern, die nicht zu einem Gebäude gehören, bei denen vielmehr „der Eingang nicht auf dem Grundstücke, sondern auf der anstoßenden Straße oder in der Seitenwand eines Hohlweges sich befindet“ wie vornehmlich bei Weinkellern und Preßhäusern. „Eigentum und Pfandrecht hinsichtlich der Keller“ dieser Art behandelte die Vertragspraxis als unabhängig vom Eigentum am über diesem liegenden Grundstück, was schließlich durch ein Hofkanzleidekret 1832 mit „Bestimmungen über den Bestand von Keller-Grundbücher“ anerkannt wurde. Freilich gab § 1152 über den Bodenzins eine hier allerdings nicht zitierte allgemeine Grundlage ab mit seiner Unterscheidung in „Benützung der Unterfläche“ und „Benützuung der Oberfläche“. Durch seine Verweisung auf insbesondere § 1147 war dies allerdings so nicht gemeint, denn dieser stellte die „Benutzung der Oberfläche, als: Bäume, Pflanzen und Gebäude“ des Nutzungseigentümers kraft Bodenzins dem Obereigentümer gegenüber, betraf also Geteiltes Eigentum956. Im Gegensatz dazu, nämlich nicht als Bodenzins-Variante des Geteilten Eigentums, sowie zu § 295 (u. a. „Bäume“ als Zugehör zur Liegenschaft) liefen auch Verträge weiter fort, die das abgesonderte Eigentum an Bäumen in Südtirol und wohl auch in Dalmatien zum Gegenstand hatten957.
952 Beispiele bei K. Tragauer, Rechtstatsachen des Ehegüterrechts in Niederösterreich im 19. Jahrhundert, Jur. Diss., Wien 2013. 953 L. A. Dierl, Civilrechtliche Untersuchung über die Vereinbarkeit des Heirathsgutes und der Widerlage mit der allgemeinen Gütergemeinschaft, in: Jurist IV/1841, 296 ff. 954 Brauneder, wie Fn. 951, 120. 955 Insb. HKD 1832 VII 2 (Slg. Gesetze für das Erzherzogthum Österreich unter der Enns XIV Nr. 151, Wien 1836, 340 ff.): daraus Zitate im Text; A. Pitreich, Zur Geschichte des Immobilarkredits seit der Kodifikation, in: ABGB-FS II, 495 f. 956 Vgl. Zeiller, Commentar III/1, 484 f. 957 Pitreich, wie Fn. 955, 493.
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
V. Literarische Wahrnehmungen Zwischen Jahresbeginn 1812 und Jahresende 1814 datiert ein Gespräch am Planeten Saturn zwischen einem „Schutzgeist“ und seinem „Freund“, von Beruf gleichfalls „Schutzgeist“ 958. Dieser berichtet jenem über die Zustände des Rechts in Österreich, wie er es während seines eben absolvierten Erdenaufenthaltes vorfand, als er sich „zum Besten der irdischen Wesen“ als „ein Rechtsfreund, ein Advocat, wie die Österreicher es nennen“, sozusagen unters Volk gemischt hatte. In seiner Beschreibung holt der Freund weit aus. Es habe sich nun „ein Mittelstand (ausgebildet), der durch Kunstfleiß, Reichthum und Cultur in den Stand gesetzt war, die Höhern und die Niedern von sich abhängig zu machen“, man mußte „sich nach und nach, mehr oder weniger, in allen europäischen Staaten der gesetzmäßigen Macht eines Regenten unterwerfen, dessen Herrschaft auf dem Gesetze ruht“, und es sind „Richter aufgestellt, vor welche der verletzte Bürger seine Klage bringt, die den Geklagten vernehmen, nach dem Gesetze entscheiden, und das Urtheil durch die ihnen anvertraute öffentliche Gewalt, der kein einzelner Bürger, kein einzelner Stand zu widerstehen vermag, in Vollziehung setzen“. Im Kontrast dazu erinnert sich der Schutzgeist an seinen lange zurückliegenden mittelalterlichen Aufenthalt: „Die Erde gewährte den traurigen Anblick eines Wohnortes vernunftloser Raubthiere“! Dem kann nun der Freund entgegen halten: „Dank der Vorsehung! diese traurige Zeit ist überstanden . . . Lange behalf man sich mit den hervorgesuchten römischen Gesetzen, und suchte sie den neuen Sitten, den neuen Verfassungen anzupassen. Dieser zwangvollen, immer zu erneuernden Umänderung müde, versuchten tiefdenkende, philosophische deutsche Köpfe die Rechtserfahrungen zur Wissenschaft zu erheben. Es gelang ihnen. Das Naturrecht steht nun als ein neuer, fruchtreicher Zweig an dem schönen Stamme der menschlichen Wissenschaft“. Als eine der Auswirkungen dieses Naturrechts „für das practische Leben“ preist der Freund den Umstand, daß zur Zeit seines Erdenaufenthaltes „sich der weise, der väterliche Beherrscher Österreichs, Franz der Erste, der Treugeliebte, ein Denkmahl in dem Herzen seiner Unterthanen“ errichtet habe, nämlich durch ein „neues, vollständiges, vaterländisches Gesetzbuch“, mit dem in „einer reinen, bestimmten Sprache . . . die verschiedenen Rechtsverhältnisse erklärt, die Grundsätze aufgestellt, die nächsten Folgerungen daraus abgeleitet, und durch consequente Regel tausend um tausend Fälle mit einmahl entschieden“ werden. Darauf erkundigt sich der Schutzgeist: „Wenn die Gesetze bekannt gemacht sind, so kann sie jeder wissen . . . wozu die Dazwischenkunft eines Advocaten . . .?“ sowie „. . . wenn das Gesetz so kurz und deutlich, in der Muttersprache geschrieben, einem jeden verständlich ist, wozu ein
958 Hoffer, Schutzgeist, 1814: Die Datierung ergibt sich aus dem Erscheinungsjahr 1814 sowie dem Inkrafttreten des ABGB zu Jahresbeginn 1812; das Folgende ebda 4 ff., 8 ff.
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Rechtsfreund . . .?“ 959. Ausführlich rechtfertigt der Freund nun die Fortexistenz dieses Berufsstandes: „Schon das Verstehen, selbst des neuen Gesetzbuches, setzt die allgemeine, wissenschaftliche Bildung, das richtig geordnete, logische Denken überhaupt, dann die allgemeinen Grundsätze des Naturrechtes, die historische Kenntniß des römischen Rechtes insbesondere voraus. Viele, die das Gesetzbuch lesen, glauben es zu verstehen, weil es deutsch klingt. Allein da sind tausenderley Verhältnisse der ehelichen, der Familiengesellschaft, des Erbrechtes, der letztwilligen Anordnungen, der Verträge, welche gehörig zu fassen, durchzudenken, in den so verschiedenartigen Fällen der Wirklichkeit zu erkennen, mehr als gewöhnliche Fertigkeit im Denken, das besondere Studium der Rechtswissenschaften voraussetzt.“ Außerdem habe vor allem das „gemeine Volk“ genug zu tun, um sich seinen Unterhalt zu beschaffen, so daß es im Sinne einer Arbeitsteilung nicht auch noch im Stande sei, „sich auch nur einige Kenntniß der Gesetze zu erwerben“ – Advokaten seien daher durchaus noch unabdingbar notwendig! Das ABGB-Lob unseres Schutzgeist-Freundes klingt nach Voreingenommenheit, „denn unter allen Völkern Europa’s liebe ich die rechtlichen Deutschen, und unter diesen die biedern Österreicher, bey denen ich mich daher am liebsten aufgehalten habe“ 960, zumal dieses „Gespräch“ in Wien „aufgezeichnet“ wurde. Aber es gab auch an objektiver Wertschätzung keinen Mangel. Im zwar österreichischen Lemberg, aber doch aus ferner polnischer Umwelt, lobte sogleich 1812 Anton Rosbierski das ABGB und pries seine Vorzüge gegenüber dem bisherigen polnischen Recht, aber auch gegenüber dem Code Napoléon, der ja im benachbarten Großherzogtum Warschau, einem französischen Satellitenstaat, galt961. In den deutschen Staaten nahm man besonders häufig zwischen 1812 und 1814 zum ABGB Stellung962. Sogleich im Februar 1812 war es als „kurz und sehr vorteilhaft“ in den „Justiz- und Polizey-Blättern Nro. 22 und 25“ erwähnt worden. Nikolaus Thaddäus Gönner, u. a. Mitglied der Gesetzgebungskommission Bayerns und somit erfahrener Legist, würdigte das ABGB gleich mehrmals963: Schon im 1. Jahresviertel 1812 hob er in seiner Schrift „Über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“, die im April in den „Vaterländischen Blättern für den oesterreichischen Kaiserstaat“ auszugsweise nachgedruckt wurde, Sprache, juristische Präzision und einfache Systematik des ABGB hervor und ging sodann detailliert auf die einzelnen Bestimmungen ein. 1813 lobte er es in dem von ihm herausgegebe-
959
Hoffer, Schutzgeist, 6 f., 10 f. Hoffer, wie Fn. 731, 4. 961 Rosbierski, Darstellung, 38, 42. 962 Zu ABGB-Rezensionen Dölemeyer (siehe Fn. 717), 187 f. Das Folgende i. d. R. nach den Berichten hierüber: Anzeigen und Rezensionen des Oesterreichischen bürgerlichen Gesetzbuches in: Materialen I, 172 ff., mit einer Replik Zeillers zu Gönner und mit Anmerkungen Pratobeveras. 963 1812: Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat 18. 4.1812, 189 ff.; 1813 nach Pratobevera I, 172 ff. 960
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
nen „Archiv“ wegen seiner „Richtigkeit“, „strengen Rechtlichkeit der Bestimmungen, Einfachheit der Rechts-Institute, Kürze und Deutlichkeit aller Normen“ sowie seiner Fortschrittlichkeit bei Beachtung des Überkommenen. Gleichfalls 1813 würdigten das ABGB die „Leipziger Literaturzeitung“ u. a. wegen der „Gleichheit des Rechtes“ sowie, gedämpfter, die „Göttingischen gelehrten Anzeigen“ in einer vorläufigen Besprechung. 1814 brachten die „Heidelbergischen Jahrbücher der Litteratur“ eine eingehende Würdigung von einem anonymen „W.“ 964. Dieser stellte es als „das neueste Deutsche Gesetzbuch“ vielfach dem Code Napoléon gegenüber, dem es grundsätzlich vorzuziehen sei, obwohl es nicht dessen „blendenden originellen Charakter an sich“ habe. Dem Urteil liegt eine konservative Haltung zugrunde: Im Gegensatz zum französischen Zivilgesetzbuch sei das ABGB „nicht die Folge einer Revolution, welche die alten Institute zerstört hat“, und es wird demgemäß als „Product einer langen Ueberlegung und Prüfung in einem Staate . . ., in welchem alle Institute des Feudalismus noch vorhanden sind“, verstanden; man sei „viel sorgfältiger als in Frankreich bey der Prüfung des jetzt noch anwendbaren verfahren“; habe „überall mehr die Sittlichkeit“ beachtet, auch „die altreligiösen Grundsätze der Katholischen Kirche befolgt“. Mehr noch wird aber der Fortschritt im ABGB gewürdigt: Die Forderungen Zeillers an die Güte eines Zivilkodex seien „befriedigt“ worden; das „Einmischen der Staatsregierungen“ in das Privatrecht habe man vermieden, pflege auch „nicht die übertriebene Menge von Formalitäten“, das ABGB weise „ausgezeichnete Originalität“ auf, habe insgesamt den „Vorzug der Kürze“, auch seien die „einzelnen Artikel . . . kurz und präzis“. Gleichfalls 1814 verglich auch Franz Xaver Nippel (Nippl) das ABGB mit dem Code Civil und kam zum gleichen Ergebnis wie „W.“ 965. Vielfach galt es in diesen Jahren des „Befreiungskampfes“ gegen Napoleon als rühmenswertes Produkt deutscher Kultur, auch als empfehlenswertes Gesetzbuch für Gesamtdeutschland bzw. als Vorbild hiezu. Selbst Charles Sealsfield, der Ex-Österreicher Karl Postl, der als Amerika-Auswanderer seinem Geburtsland mehr als skeptisch gegenüber stand966, hielt das ABGB samt weiteren Gesetzen für „die besten auf dem Festlande und dem Code Napoleon weitaus überlegen“. Übrigens wird berichtet967, daß sich Napoleon vom ABGB Auszüge in französischer Übersetzung anfertigen ließ. Dies kann nur bei seinem kriegsbedingten Aufenthalt in Wien 1809 der Fall gewesen sein, als er
964
Wie Fn. 606, Nr. 7, 96 ff. Hoffer, Schutzgeist, 54 ff.; dazu E. Berger, „Kinder des Lichtes“, in: ebda, 77 f. 966 Sealsfield-Postl, wie Fn. 122, 207 bzw. (englisch) 99. 967 A. Christ, Ueber deutsche Nationalgesetzgebung. Ein Beitrag zur Erzielung gemeinsamer für ganz Deutschland gültiger Gesetzbücher, und zur Abschaffung des römischen und des französischen Rechts insbesondere, 2. Aufl., 1842, 118 in Fn. * nach einer – nicht feststellbaren – Broschüre „Kaiser Franz“ möglicherweise von Johann Philipp v. Wasserberg-Ampringen. Das hier Mitgeteilte bestätigen allerdings weder eine weitere Quelle noch Nachfragen bei französischen Kollegen. 965
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immerhin mehrere Wochen im Schloß Schönbrunn residierte. Die übersetzten Auszüge müßten daher wohl dem Urentwurf entstammen, der ab 1797 im Druck vorlag, allenfalls einer der Ausgaben des GBGB. Napoleon zeigte sich fünf Jahre nach „seinem“ Zivilgesetzbuch unvoreingenommen, er lobte das ABGB: „Napoléon en ayant entendu parler avec éloge, s’en fit faire des extraits, et regretta de n’en avoir pas eu connaisance avant d’avoir fait publier son Code. Il fut frappé, je le tiens de bonne source, de la clarté et de la précision qui caratérisent cet ouvrage; il admira surtout les chapitres qui traitent de la succession et des réglemens testamentaires, les trouvant préférables aux lois analogues en France“ bzw. in zeitgenössischer Übersetzung folgt auf: „Das Bürgerliche Gesetzbuch, das Kaiser Franz mit besonderer Sorgfalt verfassen ließ, und 1811 veröffentlich wurde, ist ein Denkmal, das auf immer unvergänglich bleiben wird“ der Hinweis auf Napoleon: „Napoleon, der von diesen lobenden Äußerungen gehört hatte, ließ sich Auszüge daraus machen und bedauerte hiervon nicht vor Veröffentlichung seines Gesetzbuches Kenntnis gehabt zu haben. Er war beeindruckt, und das weiß ich aus sicherer Quelle, von der Klarheit und Genauigkeit, die dieses Werk auszeichnen. Er bewunderte besonders die Kapitel über die Erbfolge und die testamentarischen Verfügungen, die er gegenüber den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen in Frankreich für vorzugswürdig erachtete“ 968. Übrigens äußerte sich 1810 der Gouverneur der Illyrischen Provinzen, Marschall Marmont, lobend über die hier vorgefundene Einrichtung des Grundbuches, die „Frankreich einst nur von dem Genie und der Macht des Kaisers erwarten darf“ 969. Angesichts der Fülle an positiven Reaktionen verschwindet zumindest quantitativ die auf Dauer wohl bekannteste Kritik am ABGB, nämlich die Savignys970: Sie erschien zeitgleich mit den bisher vorgeführten Beurteilungen, nämlich 1814, war aber negativ. Nicht nur darin unterscheidet sie sich von jenen, sondern durch ihren Ansatz. Savignys Kritik enthält sein Werk „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ (Heidelberg 1814), das in umfassender Weise dem Nachweis dienen sollte, dieser „Beruf“ fehle für die Gesetzgebung, so daß die Rolle der Rechtsbildung der Rechtswissenschaft zukäme. Von diesem spezifischen Ansatz her konnte keinerlei Gesetzbuch positiv beurteilt werden und das negative Urteil traf ja nicht nur das ABGB, sondern ebenso das ganz anders gestaltete ALR und den vielfach abweichenden Code Civil. Übrigens betraf von den Seiten des „Berufs“ nur eine ganz geringe Zahl die drei Kodifikationen. Seine Kritik erreicht also gerade den Rang eines Nebenprodukts in der gesamten Beweisführung. Sie leidet übrigens an nicht unwesentlichen inhaltlichen Män-
968 969 970
tisten.
Zitate bei Brauneder, Code Civil, 422 f. mit Fn. 41. RosbAnnalen 1813, 42 f. Dazu insb. Caroni, Meister, mit weiteren Nachweisen; auch Demelius, Pandek-
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2. Kap.: Das ABGB von 1811
geln. In Unkenntnis der Vorarbeiten und Endarbeiten am ABGB verwendet er als Maßstab die Begrifflichkeit des klassischen Römischen Rechts, verkennt damit auch die Praxisorientierung einer Gesetzgebung an sich sowie speziell die des ABGB und stellt überdies seine Anwendung in Frage, in unseriöser Weise nicht einmal zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten. Die Praxistauglichkeit der ABGBVorläufer, besonders Teil-ABGB 1786 und GBGB, war ihm nicht ins Blickfeld gekommen. Paradoxerweise verkannte Savigny, daß das ABGB in etwa seinen Forderungen entsprach: Es war eine Frucht der Rechtswissenschaft seiner Zeit. Savignys Kritik blieb übrigens nicht unerwidert, und zwar von Zeiller selbst971: Den Forderungen Savignys und anderer – „faßliches Handbuch des Rechts“, „Kundmachung besonderer Gesetze“, „gleichförmige gerichtliche Urtheile“, „Sammlung der Gewohnheiten“, „wiederholte Revision des Rechtes“ – käme in Österreich die Gesetzgebungs-Hofkommission mittels laufender Revision der Gesetzbücher und authentischen Interpretationen ohnedies nach. Eine weitere Verteidigung des ABGB plante Michael Schuster 1828/1830972, doch vereitelte dies wohl sein Tod 1834.
VI. Bildliche Wahrnehmungen Bildliche oder figürliche Wahrnehmungen halten sich in ganz engen Grenzen; sie reichen bei weiteren nicht an solche des Code Civil bzw. an Napoleon als dessen oder als Gesetzgeber überhaupt heran973. Bekannt974 ist eine einzige bildliche Darstellung an einem peripheren Ort, nämlich im Museum zu Aussig an der Elbe (Usti nad Laben). Es stammt von Ignatz Pieschel aus den Jahren 1848 bis 1849 und zeigt immerhin im Format 131 x 130,5 cm in Öl auf Leinen dominierend eine Frauenfigur mit Schwert und Waage, zu ihren Füßen u. a. zwei Putti, den einen mit aufgeschlagenem Buch, so daß zu lesen ist: „Allgmeines/bürgerl./ Gesetz/Buch“, den anderen eher mit einem Faszikel, auf dessen Deckblatt wir lesen: „Verordnung/von dem k. k./Landesgubernium“: Das ABGB also, so könnte man dies deuten, umrahmt von Ergänzungsverordnungen wie sie etwa in diesen Jahren – 1837 – von Visini publiziert worden waren. Eine weitere Darstellung blieb unausgeführt, sie hätte als eine der Herrscher-Fresken den Marmorsaal der ehemaligen niederösterreichischen Statthalterei in Wien schmücken sollen, doch ist der Entwurf dazu erhalten. Er stammt von dem bekannten Maler Leopold Kupelwieser aus den Jahren 1847 bis 1850 und zeigt vor dem Hintergrund der Stadt971
Brauneder, Kommentar, 15 f. Demelius, Pandektisten, 9 Fn. 3. 973 B. Dölemeyer, Der Code civil in der napoleonischen Ikonographie, in: T. I. Chiusi/Th. Gergen/H. Jung (Hrsg.), Das Recht und seine historischen Grundlagen. Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag, Berlin 2008, 111 ff. 974 Zum Folgenden B. Dölemeyer, Sichtbarmachen der Gesetzgebung. Zur Ikonographie des ABGB, in: Signa Iuris 6/2010, 14 ff., 12 f. 972
C. Unmittelbare Wirkungen
255
silhouette Wiens Kaiser Franz stehend vor einem Thron, in der einen Hand das Szepter, in der anderen ein aufgeschlagenes Buch, das ihn, so der Maler, „mit dem bürgerlichen Gesetzbuch“ zeigen soll975. Eine Art Vorläufer zur ABGB-Ikonografie scheint eine Medaille976 aus der Zeit des Codex Theresianus darzustellen. Sie ist laut Rückseite „Maria Theresia pia Augusta“ gewidmet; den Grund nennt die Vorderseite mit „Cura fori“, etwas frei übersetzt mit Pflege des Rechtswesens, was die hier verwendete Symbolik ausdrückt: Unter einem aufgeschlagenen Buch mit nur angedeuteter Schrift ragen die Enden von Fasces gekreuzt mit einem Schwert und die Schalen einer Waage hervor, auf dem oberen Teil des Buches liegt ein Medaillon mit dem gemmenhaften Brustbild Maria Theresias und der Umschrift „Justitia et clementia“ für Gerechtigkeit und Güte. Die Gegenstände symbolisieren also Gesetzgebung (Buch), Rechtsprechung (Fasces) und Rechtsdurchsetzung (Schwert) im Sinne der Gerechtigkeit (Waage). Zu „Cura fori“ ist „MDCCLXV“ (1765) angefügt. Da die genannten Gegenstände vom Buch dominiert werden und somit die Gesetzgebung im Vordergrund steht, lautete bereits 1782 wegen der Jahreszahl 1765 eine zeitgenössische Interpretation der Medaille „Ueber die im Großfürstenthum Siebenbürgen erneuerten Gesetze“ 977. Maria Theresia wird allerdings als Beschützerin des Rechts insgesamt begriffen mit der Gesetzgebung als Grundlage; ein Bezug zu einem bestimmten Gesetzgebungsakt läßt sich buchstäblich nicht erkennen978.
975 S. Eyp-Green, Das zusammengedrängte Gedenken. Leopold Kupelwiesers Freskenzyklus zur österreichischen Geschichte im Gebäude der niederösterreichischen Statthalterei zu Wien (1848–1850), Diss. Akad. d. bildenden Künste, Wien 2009, 11; S. Petrin, Aus dem unerschöpflichen Born der österreichischen Geschichte, in: Jb. f. Landeskunde von Niederösterreich NF 62/2, 1996, 538 f. 976 Zu ihr Dölemeyer, wie Fn. 974, 10, 22. 977 Schau- und Gedenkmünzen . . . der Kaiserinn Königinn Maria Theresia/Médailles . . . de l’Impératrice Reine Marie Thèrese I, Wien 1782, 253 f. 978 Eine „Reform der Zivilgesetzgebung in Siebenbürgen im Jahre 1765“ (so G. Kisch, Recht und Gerechtigkeit in der Medaillenkunst, Heidelberg 1955, 149) bzw. eine „Medaille auf die Reform des bürgerlichen Rechts“ (so Erläuterung zur Münze im Schloß Gödöllö bei Budapest) liegt weder aufgrund der Münze und auch nicht der Interpretation von 1782 vor.
3. Kapitel
Die Entwicklung im 19. Jahrhundert A. Das Geltungsgebiet Das Geltungsgebiet des ABGB unterlag starken Schwankungen, dazu ist noch zwischen in- und ausländischer Geltung zu unterscheiden979. Was das inländische Geltungsgebiet betrifft, ergaben sich Veränderungen aus Grenzziehungen des österreichischen Staates, aber auch aus Veränderungen der Verfassungsstruktur in Hinblick auf die wechselnde Stellung Ungarns und seiner Nebenländer980.
I. Veränderungen durch Grenzziehungen Hatte die Restauration zufolge des Wiener Kongresses 1815 sozusagen das vom ABGB-Titel selbst umschriebene Geltungsgebiet der „deutschen Erbländer“ komplettiert (S. 181 f.), so waren die folgenden Gebietsveränderungen anderer Art. Im Jahre 1846 erfolgte die Annexion des Freistaates Krakau. Das ABGB wurde allerdings erst 1855 in Kraft gesetzt (29. September) und löste den Code Civil ab. Wie nach 1815 in manchen Gebieten (s. o. S. 182) war das Eherecht schon zuvor 1852 in Kraft gesetzt worden (20. April). Mit der Okkupation von Bosnien-Herzegowina 1878 galt es hier in komplizierter Weise teils partiell, teils subsidiär981. Gebietsverluste des österreichischen Staates führten nicht gleich zu einer Aufhebung des ABGB. In der 1859 abgetretenen Lombardei galt das ABGB noch mehrere Jahre und wurde erst am 1. Jänner 1866 vom Codice Civile abgelöst. Auch im 1866 verlorenen Venetien trat dieser erst späterhin, nämlich am 1. September 1871 an die Stelle des ABGB.
II. Veränderungen durch Verfassungsänderungen Da das ABGB nur in einem Teil des Kaisertums Österreich galt, konnte es auch innerhalb desselben zu Änderungen des Geltungsgebietes kommen. Die er979 Ein guter Überblick zum Stand 1856 in: GZ 1856, 492 f.; ferner Ehrenzweig, System I, 37; R. Mayr, Das bürgerliche Gesetzbuch als Rechtsquelle. Einst und jetzt, in: ABGB-FS I, 382 ff.; A. Fedynskyj, Räumlicher Geltungsbereich des ABGB im Wandel der Zeit, Jur. Diss., Wien 1944, 70 ff.; im Detail Berger, ABGB III. 980 Brauneder, Verfassunggeschichte, 168 f., 179 ff., 188. 981 I. Pilar, in: ABGB-FS I, 701 ff.
A. Das Geltungsgebiet
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ste Veränderung dieser Art führte zu einer Reduzierung der örtlichen Geltung: Als 1822 insbesondere Fiume (Rijeka, St. Veit/Pflaum) samt umliegendem Gebiet als sogenanntes ungarisches Küstenland aus dem Kronland Illyrien ausgeschieden und Ungarn wieder angegliedert wurde, trat hier das ABGB außer Kraft (1. November). Die größte Veränderung innerhalb der Habsburgermonarchie trat im Gefolge der Reichsverfassung 1849 (RGBl. 150) ein. Da sie für die Gesamtmonarchie galt und diese nun bewußt als einheitlichen Staat organisierte, sah sie auch eine Erstreckung insbesondere des Straf- und Zivilrechts auf alle Teile dieses Staates vor (§ 68). Sie sollten, vor allem auch das ABGB, als einheitliches Recht des Gesamtstaates eine zusätzliche Staatsklammer zur Behördenorganisation bilden. Dieses gesamtstaatliche Konzept kam im Wesentlichen erst aufgrund der Verfassungsgrundsätze 1852 zur Verwirklichung (RGBl. 1852/4, Anhang Pkt. 33). So wurde das ABGB im Jahr 1853 in den ungarischen Teilen des Kaisertums Österreich in Kraft gesetzt, zuerst mit 1. Mai im verkleinerten Ungarn sowie in dessen ehemaligen Nebenländern als nunmehr selbstständigen Kronländern KroatienSlawonien, der Woiwodschaft Serbien samt Temeser Banat, zusammen später Voijvodina genannt, sodann mit 1. September in Siebenbürgen – in allen Fällen mit Modifikationen insbesondere im Eherecht. Im Zuge der Verselbständigung Ungarns trat es hier 1861 außer Kraft, galt aber als Gewohnheitsrecht weiter fort. In Siebenbürgen, in Kroatien-Slawonien und im ungarischen Küstenland mit Fiume blieb es in Geltung, auch als dieses und Siebenbürgen nach dem Ausgleich von 1867 Ungarn einverleibt bzw. Kroatien-Slawonien ein ungarisches Nebenland wurde982. Insgesamt hatte sich somit seit dem Inkrafttreten 1812 innerstaatlich der Geltungsbereich des ABGB ausgedehnt. Als dann 1914 bis 1916 in Cisleithanien das ABGB durch die „Teilnovellen“ stark verändert wurde, blieb dies auf eben den cisleithanischen Staat beschränkt, so daß in der österreichisch-ungarischen Realunion mehrere ABGB-Textschichten galten: das teilnovellierte ABGB in Österreich/Cisleithanien, das nicht teilnovellierte ABGB in Gebieten Ungarns, nämlich in den Siebenbürger Komitaten und in Kroatien-Slawonien mit Modifikationen sowie im ungarischen Küstenland und Fiume mit sogar starken Abänderungen, sowie nur teilweise und subsidiär in Bosnien-Herzegowina.
III. Ausländisches Geltungsgebiet Vor 1918 stand das ABGB im Ausland territorial lediglich in Staaten oder Staatsteilen des Deutschen Bundes in Kraft. So galt es durch die ursprünglich selbstverständliche Übung, österreichisches Recht als rezipiert anzusehen („automatische Rezeption“), sogleich ab 1812 (18. Februar) im Fürstentum Liechten982
Im Detail Berger, ABGB III, Beitrag Ch. Neschwara.
258
3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
stein, das Erbrecht allerdings erst ab 1847 (1. Jänner)983. Sodann hatte das ABGB in einigen kleineren, unselbständigen Gebieten Geltung984: Ihm unterstanden von 1838 bis 1881 österreichische Untertanen, die in Gebäuden der Kommende des Deutschen Ordens im bis 1866 selbständigen und sodann preußischen Frankfurt/Main wohnhaft waren. In Teilen Bayerns bildete es zufolge österreichischer Gebietsabtretungen eines der zahlreichen bayerischen Territorialrechte bis zu deren Ablösung durch das BGB am 1. Jänner 1900985. So behielt ABGB-Recht der Ort Markt-Redwitz mit seinem Gebiet in Oberfranken, obwohl 1816 diese österreichische Enklave an Bayern kam. Als Österreich und Bayern 1846/47 ihre verschlungenen Hoheitsrechte im Fraisch-Bezirk der Oberpfalz einer territorialen Lösung durch Teilung zuführten, behielten die an Bayern abgetretenen Teile gleichfalls das ABGB. Übrigens galt als weiteres bayerisches Lokalrecht das „vorderösterreichische Recht“. Zu ihm zählten vor allem das TeilABGB und das Erbfolgepatent 1786, auch die Allgemeine Gerichtsordnung 1781. Es stand in jenen Herrschaften in Kraft, die 1805 an Bayern gekommen waren, wie insbesondere in der Markgrafschaft Burgau (Österreichisch-Schwaben), auch vermischt mit lokalen Rechten wie etwa in Wasserburg am Bodensee. Dieses „vorderösterreichische Recht“ galt bis zum BGB. Im Osmanischen Reich hatte das ABGB ab 1855 (RGBl. 23) personelle Geltung für die der österreichischen Konsulargerichtsbarkeit unterworfenen österreichischen Staatsbürger und für die sogenannten osmanischen „Schutzgenossen“.
B. Die Ausstrahlungen im Überblick Die Einflußnahme des ABGB auf andere Rechtsordnungen sind im Detail in Band III erläutert986. Hier soll ein Überblick orientieren. Bald nach dem Inkrafttreten des ABGB hatte das Kaisertum Österreich am Wiener Kongreß 1814/15 wieder den Rang einer europäischen Großmacht erhalten. Es besaß formell und auch materiell die Führung im Deutschen Bund und übte in Italien die Hegemonie aus. Auf diese Weise zwar politisch gestützt trug das ABGB aber seinen Wert vor allem in sich selbst. In diesen Jahren war es die jüngste und damit auch modernste deutsche Privatrechtskodifikation. Im Gebiet des Deutschen Bundes987
983 E. Berger, Rezeption im liechtensteinischen Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des ABGB, Berlin/Wien 2. Aufl. 2011, 22 ff. K. von In der Maur, Die Rezeption des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in Liechtenstein, in: ABGB-FS I, 759, 761. 984 Hierzu Mayr, wie Fn. 979, 383–385. 985 J. Peißl, Civilgesetzstatistik des Königreiches Bayern, 1868, 162, 177, 220. 986 Berger, ABGB III. Ferner nach dessen Erscheinen M. Geistlinger/F. Harter/ R. Mosler/J. M. Rainer (Hrsg.), 200 Jahre ABGB – Ausstrahlungen, 2011. 987 Grundsätzlich Dölemeyer, wie Fn. 684, 208.
B. Die Ausstrahlungen im Überblick
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vermochte das ABGB Einfluß auf Kodifikationsprojekte in Hessen-Darmstadt (1816/19)988, Bayern (1832/34), in geringem Maße in Preußen 1842989 und dann besonders in Sachsen (1852) zu gewinnen. Um 1815 wurde es als Vorbild für ein gesamtdeutsches Zivilgesetzbuch gepriesen sowie für seine Übernahme als solches plädiert990. Als gewichtiger zu veranschlagen ist der Einfluß des ABGB in Schweizer Kantonen991 insofern, als es auf tatsächlich geltende Zivilgesetzbücher einwirkte. Hier läßt sich eine eigene „österreichische“ Gruppe ausmachen: Das „Zivilgesetzbuch“ des Kantons Bern (entstanden 1824 bis 1830) folgte nicht nur der Systematik des ABGB, sondern dessen Sachenrecht und Schuldrecht beinahe wortwörtlich. Teils über diese bernische Kodifikation, teils direkt aus dem ABGB nahmen Anleihen das „Bürgerliche Gesetzbuch“ des Kantons Luzern (entstanden 1831–1839), das „Zivilgesetzbuch“ des Kantons Solothurn (1838–1847) sowie das „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“ des Kantons Aargau (1826–1855). Aber auch die weitere Kodifikationsgruppe Schweizer Kantone, welche sich das auf der Basis der Historischen Rechtsschule entstandene Privatgesetzbuch Zürichs (1856) zum Vorbild wählte, setzte sich noch mit dem ABGB auseinander: So ist sein Einfluß in den Zivilgesetzbüchern des Thurgau (1860) und von Graubünden (1862) feststellbar. Ähnliches gilt auch für den Codice Civile des Tessin (1837). Gemessen an Fläche und Bevölkerungszahl entsprach der Einfluß des ABGB in der Schweiz dem des Code Civil. Gering ist hingegen der Einfluß auf die Zivilrechtskodifikationen italienischer Staaten, zumal er in jenen der habsburgischen Nebenlinien erwartet werden könnte. Doch dominiert hier992 der Einfluß des Code Civil, lediglich auf den Codice Civile für Parma und Piacenza von 1820 konnte neben ihm auch das ABGB einwirken. Eine andere Ausstrahlungsrichtung weist nach Südosteuropa993. Schon früh ist vom ABGB im Fürstentum Moldau994 der „Codex Civilis“ des Fürsten Skarlatos (Karl) Kallimachis, der Codex Kallimachus (Kodika lui Kalimachi), vom 1. Juli 988
Wicke, wie Fn. 685, 190 ff. B. Kern, der preußische BGB-Entwurf von 1842 (= RHR 176), 1, 52, 111, 131 ff., 153, 161, 163, 171, 205, 207. 990 J. Nolte, Burchard Wilhelm Pfeiffer, Gedanken zur Reform des Zivilrechts (= Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte 1), 1969, 51 ff. (Vorschlag Pfeiffer); C. F. Savigny, in: ZGR I, 1815, 412 (Vorschlag Schmid), 411 (Vorschlag Thibaut). 991 L. Carlen, Rechtsgeschichte der Schweiz, 2. Aufl., 1978, 96; ders., Österreichische Einflüsse auf das Recht in der Schweiz, 1977 (= Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte 9). 992 Ranieri, wie Fn. 903, 233 ff. 993 Zum Folgenden grundsätzlich Fedynskyj, wie Fn. 979, 84, 86–88. 994 Darauf ist hier näher eingegangen, weil ein entsprechender Beitrag in Berger, ABGB III fehlt. 989
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3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
1817, beeinflußt995. Er entstand bereits ab 1813. Zufolge allein des Kundmachungspatents (Chrysobullon) nahm man häufig an, er stünde stark in der Tradition des byzantinischen Rechts, womit sich dessen vermuteter Verfasser, nämlich der Fürst selbst, in die Reihe großer griechischer Gesetzgeber stellen und von modern-europäischen Einflüssen ablenken wollte. Deutsche Leser wurden allerdings schon 1848 von einem Einfluß der „Institutionen Justinians“ und auch des ABGB informiert996. Wesentlich Genaueres hatte man bereits im Jahr zuvor, 1847, der österreichischen Zeitschrift „Der Jurist“ entnehmen können997: Der Codex Kallimachus sei dem ABGB „nachgebildet“, zum Teil dessen „wortgetreue Übersetzung“, außer bei seiner Bedachtnahme auf „die Landesverhältnisse und Religionsverschiedenheit“. Eine ausführliche synoptische Erläuterung im Vergleich mit dem ABGB von 70 Seiten mündet in die Feststellung, der Codex biete somit „über die Anwendbarkeit des österreichischen Gesetzes auf fremden Boden geeigneten Stoff“. Noch fiel hier bloß diese weitestgehende Übereinstimmung auf, keine Kenntnisse aber besaß man offenbar von den konkreten Vorlagen und deren Verwerter. Als einer der Verfasser des Kodex galt noch 1847 Fürst Callimachis Nachfolger, Michael Grigori Sturdza. Das 1817 in griechischer Sprache publizierte Gesetzbuch wurde im Zuge des Erlasses einer Landesverfassung (Réglement organique) modifiziert und 1833 in rumänischer Fassung vom Landtag abermals in Kraft gesetzt. Dies geschah unter dem merkwürdigen Titel „Kodike polititschaske“ (Politischer Kodex), und zwar offenbar deshalb, weil dieser nun auch eine Konkurs- und Versteigerungsordnung umfaßte. Als einen der Übersetzer ins Rumänische nannte „Der Jurist“ 1847 einen Christian Flechtenberger. Tatsächlich ist dieser, richtig Flechtenmacher, nicht nur der Übersetzer, sondern der gewichtigere Verfasser des Kodex von 1817 neben Ananias Kusanos, dem wohl die sprachliche Redaktion oblag, da Flechtenmacher offenbar nur auf Deutsch und Rumänisch schrieb998. Flechtenmacher hat zwar die Verwendung von Vorlagen strikt geleugnet, aber die Indizien sind erdrückend. Der Siebenbürger Sachse Flechtenmacher999 aus Kronstadt (geboren 1785) studierte ab 1811 in Wien Rechtswissenschaft und erlebte hier das Inkrafttreten des ABGB sowie das Erscheinen von Zeillers Kommentar. Ab 1813 wirkte er als Rechtsberater der moldauischen Regierung in Jasy, wo er mit dem schon erwähnten Sturdza unter dem wohl nur formellen Vorsitz von Fürst Callimachis „dessen“ Kodex erarbei995 Zum Folgenden insb. G. A. Mantzoufas, Die österreichischen Vorlagen des moldauischen Codex Civilis, in: ders., Über griechisches Privatrecht, 1956, 126 ff., mit zahlreichen Details; besonders schon J. Trausch, Schriftsteller-Lexikon oder biographisch-literärische Denk-Blätter der Siebenbürger Deutschen, 1868, 327 ff. 996 Dr. Neigebaur, Die Rechtsverwaltung in der Moldau u. Wallachei, in: Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes XX/1848, 50. 997 Dr. Hillbricht, Ueber den gegenwärtigen Rechtszustand im Fürstenthume Moldau, in: Jurist XVIII/1847, 353 ff., Zitate 356 f., 438. 998 Mantzoufas, wie Fn. 995, 131, hier auch das Folgende. 999 Das Folgende nach Trausch, wie Fn. 995.
C. Änderungen
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tete, eine Rolle, welche die beiden Verfasser auch öffentlich lobte; 1835 wurde Flechtenmacher in den Adelsstand erhoben, 1843 starb er. Schlüssig nachgewiesen ist nun1000, daß Flechtenmacher wahrscheinlich die erste deutsche ABGBAusgabe benutzte, sie aber mit Zeillers Kommentar modifizierte, da er beide aus seiner Wiener Zeit kannte. Ein schönes Beispiel für beider Verwendung ergibt der dem § 1172 ABGB nachgebildete § 1560 des Codex Callimachus: Während jener auf die „besonders darüber bestehenden Vorschriften“ verweist, so dieser auf „Gesetze der Polizei“, was konkret Zeillers Kommentar zu § 1172 entnommen ist. Es könnte auch sein, daß Flechtenmacher überhaupt nur Zeillers Kommentar benutzte, der ja auch die Paragraphen des ABGB enthält. Jedenfalls gehen auf diese Vorlage acht bis neun Zehntel des Codex Callimachus zurück! In den Rest teilen sich übrigens weitere österreichische Gesetze wie etwa die Gerichtsordnung 1796, das Wuchergesetz 1803 und die Jagdordnung 1786 sowie ein wenig der Code Civil. Der Codex Kallimachus stellt somit im Wesentlichen eine schon sehr frühe Übersetzung des ABGB dar. Etwas1001 später folgte 1844 das serbische Zivilgesetzbuch dem ABGB, und zwar mit System und im Inhalt, dieser allerdings auf ein Drittel der Paragraphen verkürzt, ebenso, allerdings erheblich später (1888) das „Allgemeine Gesetzbuch über Vermögen“ für Montenegro, der nach seinem Verfasser sogenannte Code Bogisits. Einflüsse werden auch noch auf das griechische Zivilgesetzbuch 1856 festgestellt. Eine schwache Spur führt nach Norden in das „Kur-, Liv- und Estländische Privatrechtsgesetzbuch“ 1864 von Georg Friedrich v. Bunge. Es scheint, als ob das ABGB für die Regeln des Geteilten Eigentums Vorbild gewesen wäre: Art. 942 von Bunges Gesetzbuch entspricht fast wortwörtlich § 357 ABGB1002.
C. Änderungen I. Authentische Interpretationen Schon zur Erbfolgeordnung und zum Teil-ABGB 1786 war vorsorglich sogleich 1787 verfügt worden, daß über die zu erwartenden Anfragen der Gerichte die Oberste Justizstelle in Zusammenarbeit mit der Gesetzgebungskommission Antworten zu erteilen habe1003. Dies stellte keine Neuheit dar: Beispielsweise 1000
Mantzoufas, wie Fn. 995, 132 ff.; das folgende Beispiel ebda 133; weiters ebda
135 f. 1001 Zum Folgenden im Detail bei Berger, ABGB III; M. Zivkovic ´ /M. Staniowkovic´, Serbia and Montenegro, in: R. Blanpain (Hrsg.), International Encyclopaedia of Laws, 2001, 11 ff. 1002 Noch im 20. Jahrhundert beibehalten: C. v. Schilling/H. Elers (Hrsg.), Lettlands Bürgerliches Gesetzbuch, 1928, 137. 1003 Das Folgende nach L. Pfaff, Aus den älteren Materialien des ABGB, in: ZBl 25, 1907, 23 ff., 124 ff.
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3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
war schon das Ehepatent 1783 auf diese Weise erläutert worden etwa sogleich 1783 (JGS 173) mit dem Verbot der „geheimen Verehelichung und sogenannte mariage de conscience“ und sogar noch 1787 (JGS 614), als es bereits durch das Teil-ABGB 1786 ersetzt worden war! In den Jahren 1787 und 1788 hat dann die Oberste Justizstelle über Anfragen zum Teil-ABGB elf Sitzungen abgehalten; einige ihrer Erledigungen wurden als Hofdekrete in die Justiz-Gesetzsammlung aufgenommen1004. Zahlreiche Erledigungen mit dem Hinweis „wird nachgetragen“ zu Paragraphen des Teil-ABGB enthält auch das „Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph II. für die k. k. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze“. Für 1786 sind es erst 2 derartige Nachträge, für 1787 sodann schon 26, für 1788 noch 111005. Ursache für diese Anfragen waren nicht nur unklare Gesetzesstellen, sondern auch entgegenstehendes Gewohnheitsrecht und bereits bestehende, vom Gesetzestext abweichende Rechtsverhältnisse. Gleiche Probleme brachte überdies auch das Anerbenrechts-Patent von 1787 (JGS 658): In der Justizgesetzsammlung ergingen 1787 sogleich 2, 1788 sodann 6 und 1789 nochmals 2 Nachträge, wobei der vorletzte sich sogar auch als Nachtrag zu fünf der vorangegangenen Nachträgen verstand1006. Authentische Interpretationen ergingen auch zum GBGB, und zwar gemäß Justizgesetzsammlung elf in den Jahren 1799 bis 1807, meist auf Anfragen der ost- wie westgalizischen Appelationsgerichte (Lemberg bzw. Krakau)1007. Besonders ausführlich fielen 1800 Ausnahmen von eherechtlichen Vorschriften für „die Judenschaft beyder Galizien“ aus, die interessanterweise auch für die „übrigen Deutschen Erbländer“ galten, also zum Teil-ABGB. Bemerkenswert auch eine Erklärung 1806 zum Advitalitätsrecht, das dann als einziges regionales Recht Aufnahme in das ABGB fand1008. So war man schon vor dem Inkrafttreten des ABGB mit den Wirkungen und Problemen im Gefolge einer neuen Kodifikation unter Einschluß der Gerichts- und Vertragspraxis vertraut. Das ABGB sah daher wie das Teil-ABGB (I § 26) das Mittel der authentischen Interpretation vor, d. h. die „Erklärung“ eines Gesetzes durch den „Gesetzgeber . . . auf eine allgemein verbindliche Art“ (§ 8). Solche ergingen übrigens auch zum Strafgesetz 1803 ohne hier ausdrücklich vorgesehen zu sein. In dessen Ausgabe von 1814 sind zu seinem ersten Teil siebenundzwanzig, zum zweiten Teil sechzehn derartige Erklärungen abgedruckt, die nicht bloß
1004 JGS 1787: 629, 630, 644, 647, 648, 661, 662, 664, 671, 737, 738 teils auf Anfragen der Gerichte, teils auf Vortrag der Gesetzgebungskommission; JGS 1788: 769, 790, 794, 804, 815, 821, 823, 864, 874, 885, 896, 903, 922 teils auf Anfragen der Gerichte, der Gesetzgebungskommission bzw. der Vereinigten Hofstellen. 1005 1786: Handbuch X, 440 f.; 1787 (darunter die in Fn. 1004 zitierten HD): ebda XIII, 379 ff.; 1788 (darunter die in Fn. 1004 zitierten HD): ebda XV, 695 ff. 1006 JGS 1787: 713, 741; 1788: 807, 832, 833, 893, 894, 912; 1789: 1027, 1101. 1007 JGS 1799: 463, 475, 478; 1800: 510; 1801: 539, 544; 1802: 554; 1803: 627; 1805: 746; 1806: 775; 1807: 801. 1008 S. o. S. 86.
C. Änderungen
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als „Erledigung einzelner Anfragen“ an die Gerichte ergingen, sondern den Charakter „allgemeiner Verordnungen“ besaßen1009. Zeiller berichtete 1822 emotionslos über Verordnungen zum ABGB1010, wobei er drei Gruppen unterschied: Erstens Verordnungen, „die sich zwar auf Gegenstände“ des ABGB „beziehen“, aber in die Zivilprozeßordnung, das Strafgesetz und die politischen Gesetze gehören; zweitens solche, wodurch Vorschriften des ABGB „deutlicher und vollständiger ausgedruckt werden“; drittens jene, wodurch Bestimmungen „abgändert werden“. Die Verordnungen der beiden letzten Gruppen würden bei einer „neuen Ausgabe“ des ABGB dazu dienen einige Bestimmungen „deutlicher, vollständiger und richtiger abzufassen“! Dazu ist es aber doch nicht gekommen. Die Anzahl an authentischen „Erklärungen“ zum ABGB pro Jahr veranschaulicht die folgende Grafik. Insgesamt wurden in den Jahren 1812 bis 1848 nach Ausweis von Gruber1011 rund 60 Nachtragsverordnungen zum ABGB in der Justizgesetzsammlung publiziert.
Der Charakter dieser „Erklärungen“ war jedoch höchst unterschiedlich. Notwendige Erklärungen ergaben sich aus dem ABGB selbst, nämlich bei Widersprüchen. Der auffallendste Widerspruch ist wohl der, daß das ABGB vielfach vom „Noterben“ (§§ 762 ff.) spricht und ihm einen „Erbteil“ einräumt, diesen 1009 Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen, Wien 1814, 339 ff.; 351 ff.; identisch mit „Zweyte Auflage“, Wien 1815. 1010 Zeiller, Rechtfälle, 332 ff., 337, 344 ff., 346. 1011 Das Folgende nach Gruber, Interpretationen.
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3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
jedoch als „Pflichtteil“ bezeichnet (§ 764): Die Klarstellung, daß die so Berechtigten doch nicht als „Noterben“ den übrigen Erben zur Seite, sondern ihnen bzw. dem Nachlaß als Berechtigte eines „Pflichtteils“ (in Geld) gegenübertreten, erfolgte erst 1844 (JGS 781). In anderer Weise vom Text des ABGB verursacht wurde eine „Erklärung“ im Jahre 1817 (JGS 1340). Zufolge § 1249 kann ein Erbvertrag nur „zwischen Ehegatten“ abgeschlossen werden. Die „Erklärung“ ergänzte nun um Brautleute, „da fern der Abschluß der Ehe zwischen ihnen erfolgt“. Diese Möglichkeit war, ganz im Sinne der zeitgenössischen Vertragspraxis, von den Redaktoren des ABGB im Wort „Ehegatten“ wohl mitgedacht gewesen. Präzisierende „Erklärungen“ ergaben sich oft aus der Rechtssprechung. So hatten oberitalienische Gerichte1012 § 700, wonach die Bedingung der Nichtverehelichung des Erben „als nicht beigesetzt anzusehen“ ist, auch auf die Beschränkung des testamentarischen Fruchtgenusses der Witwe am Nachlaß ihres Ehegatten angewendet, somit diesen nur bis zur Wiederverheiratung zuerkannt. Diese Anwendung von § 700 untersagte 1844 eine „Erläuterung“ (JGS 807). In einer authentischen Interpretation wurde 1835 der örtliche Geltungsbereich authentischer Interpretatioenen gleichsam an den des ABGB angeglichen, auch wenn sie nicht „an alle Appelationsgerichte“ ergingen. Als eine „Erläuterung“ zu den §§ 539 und 573 bezüglich der Testier-, Erb- und Veräußerungsfähigkeit von Ex-Religiosen, d. h. ehemaligen Mitgliedern von Orden, sich auf solche „im lombardisch-venetianischen Königreiche und in Dalmatien“ bezog (JGS 76), wurde sie ohne diesen räumlichen Hinweis im selben Jahr wiederholt (JGS 111). Auf diese Weise wurde vermieden, durch regionalbezogene authentische Interpretationen regionales Sonderrecht zu schaffen. Eine Analyse der „Erklärungen“ ergibt folgende Fallgruppen1013: ausdrücklich als solche spezifizierte authentische Interpretationen, aber unter Ausschluß der rückwirkenden Kraft gleich Novellen; nicht derart spezifizierte „Erläuterungen“, die teils als authentische Interpretationen, teils als Novellen zu klassifizieren sind. Die Form der „Erläuterungen“ gemäß § 8 war zum Teil höchst unterschiedlich. Besonders auffallend ist die erwähnte Erbvertrags-Interpretation von 1817 (JGS 1340). Man wählte nicht die Form einer Erläuterung des Wortes „Ehegatten“, sondern erließ eine Neufassung des § 1249 mit neuem Text, so daß dem Stil nach hier eigentlich eine Novelle1014 vorliegt. Daß aber dennoch für derartige Text1012
Vgl. Stross, Materialien, 715 ff. Nach Gruber, Interpretationen, 98 ff. aufgrund der jeweiligen Textierung wie auch den Einstufungen in den Kommentaren von Zeiller, Nippel, Winiwarter und Stubenrauch. 1014 Eigentlich wäre ab nun dieser Text in ABGB-Drucke aufzunehmen gewesen; zur Frage der Novellierung sogleich unten II. 1013
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änderungen nicht die Technik einer Novelle gewählt wurde, geht wohl mit darauf zurück, daß die Gesetzgebungslehre Novellen von Gesetzbüchern negativ bewertete. Bei dieser Meinung blieb es aber nicht. Vom frühen rechtsstaatlichen Standpunkt fand die authentische Interpretation alsbald heftige Kritik wie etwa im Rotteck-Welckerschen „Staatslexikon“ 1015. Es prangerte sie als „schändliches Mittel feiger und schlechter Regierungen gegen wohlerworbene Rechte der Bürger“ an, und zwar nicht nur wegen ihrer rückwirkenden Kraft, denn unter „dem Schein authentischer Auslegung aber verändern sie die bestehenden Gesetze“. Einige der „Erklärungen“ zum ABGB unterstützen diese Meinung durchaus. Dem „Staatslexikon“ diente es allerdings zur Beruhigung, daß die „gesetzliche (legale)“ Interpretation zunehmend „als ein neuer Act der gesetzgebenden Gewalt, ein neues Gesetz“, verstanden werde, dem, wie auch Gesetzen sonst, keine rückwirkende Kraft zukomme1016. Wohl auch aus diesen Gründen beschränkten sich die authentischen Interpretationen auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. In der zweiten bediente man sich der Technik der Novellierung. Im Zusammenhang mit der Behandlung des Stockwerkeigentums tauchte nochmals die Idee eines „Interpretativgesetzes“ auf, dem aber eine rückwirkende Kraft entgegen § 8 zu entziehen gewesen wäre; dazu kam es aber nicht, sondern zu einem Nebengesetz zum ABGB1017.
II. Novellen Trotz der ablehnenden Haltung der Gesetzgebungslehre gegenüber Novellierungen gerade von Gesetzbüchern hatte Zeiller bereits 1801 an eine solche des ABGB gedacht1018: Ein Gesetzbuch sei „kein liber clausus“ und es würden ohne Zweifel dem ABGB Novellen nachfolgen. Gegen Savigny hielt Zeiller 18221019 auch fest, daß die Gesetzgebungs-Hofkommission die Gesetzbücher einer laufenden Revision unterziehe, womit er aber vielleicht doch eher authentische Interpretationen verstand, nämlich jene in Novellennähe (s. oben I.). Ernsthaft erwogen wurden Novellierungen aufgrund zweier Enqueten der Gesetzgebungs-Hofkommission 1825 und 1835/36 zum Testamentsrecht und zu den Ehepakten, und zwar hinsichtlich von Förmlichkeiten bei deren Errichtung1020. Abermals schei-
1015 Auslegung der Gesetze, der Geschäfte, in: C. von Rotteck/C. Welcker, Das Staats-Lexikon I, 2. Aufl., 1845, 784. 1016 Ebda 783 f. 1017 G. Kohl, Stockwerkseigentum. Geschichte, Theorie und Praxis der materiellen Gebäudeteilung unter besonderer Berücksichtigung von Rechtstatsachen aus Österreich (= Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 55), 2007, 118. 1018 Ofner, Urentwurf I, 16 Fn. 1. 1019 Brauneder, Kommentar, 16. 1020 Ch. Neschwara, Geschichte des österreichischen Notariats I: Vom Spätmittelalter bis zum Erlaß der Notariatsordnung 1850, 1996, 565.
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nen Novellierungen aufgrund der durch die Revolution 1848 veränderten Situationen wie die bäuerliche Grundentlastung erwogen worden zu sein1021. Insgesamt wurden im 19. Jahrhundert durch bewußt novellierende Texteingriffe und Umwandlung zwingender in dispositive Normen, sieht man von den vorübergehend aufgehobenen Eherechtsbestimmungen für Katholiken ab1022, lediglich 36 der 1502 Paragraphen betroffen (gute 2%). Hievon standen 16 Paragraphe im Zusammenhang mit der Änderung auch anderer Gesetze, so daß nur 20 Paragraphe „autonom“ verändert worden waren. Das ABGB hatte sich damit während der ersten hundert Jahre seines Bestehens textlich nahezu unverändert erhalten. 1. Änderungen allein im ABGB Autonome, d. h. allein auf den Wortlaut des ABGB bezogene Textänderungen sind äußerst selten und betreffen keine Kernmaterien. Die wohl erste Novellierung der Sache nach erfolgte zwar schon 1814 (JGS 1099), ist allerdings noch ganz in die Form einer „Erklärung“ gemäß § 8 gekleidet, zumal sie „ueber Anfrage“ erfolgte, und zwar „zur genaueren Bestimmung“ des § 119. Diesem wurde ein durch seinen Wortlaut nicht gedecktes, weiteres Wiederverehelichungsverbot unterlegt, damit aber gleichzeitig ein neues Ehehindernis, das sogenannte „impedimentum catholicismi“, geschaffen: Die Aufzählung der Ehehindernisse in den Paragrafen 48 bis 82 und 119 wurde damit von einer ausschließlichen zu einer bloß demonstrativen1023. Ähnlich auch die folgenden Fälle: Im1024 Jahre 1021 Vgl. u. 3. Die Arbeiten der Gesetzgebungs-Hofkommission nach dem ABGB harrt noch iherer Darstellung. Zum ABGB-Symposium 2009 in Wien kündigte Ch. Neschwara zwar ein entsprechendes Referat an, sprach aber dann zu deren bereits erforschten Tätigkeit vor dem ABGB. 1022 Vgl. unten S. 275. 1023 Dieser Vorgang wird auch als überzogene authentische Interpretation verstanden, ist aber bei Trennung in Form und Inhalt eine Novellierung: § 119 gestattet ausdrücklich die Wiederverheiratung von nach heutiger Terminologie geschiedenen Eheleuten. Von der Konfession des sich Wiederverheiratenden bzw. Zuheiratenden ist hier keine Rede. Doch konnte dem Bande nach nur eine Ehe von Nichtkatholiken (§ 115) geschieden werden. Dies war allerdings auch dann möglich, wenn einer von ihnen erst während der Ehe zum Katholizismus übergetreten war, allerdings nun nicht mehr auf dessen Antrag (§ 116). Die „Anfragebeantwortung“ von 1814 erklärte nun, daß gemäß § 119 eine Wiederverheiratung eines geschiedenen Ehegatten bei Lebzeiten des anderen nur mit einem Nichtkatholiken erfolgen könne, was dem Wortlaut des § 119 nicht entsprach. Da es für Katholiken keine Scheidung gab (§ 115) galt nun sozusagen ihm gegenüber die Scheidung von Nichtkatholiken nicht, für ihn hatten sie weiterhin als verheiratet zu gelten so wie er als Katholik sich auch nicht scheiden lassen konnte. Dafür findet sich aber im ABGB nicht nur keine Bestimmung, vielmehr ist § 116 das Gegenteil zu entnehmen: Von der Nichtkatholiken zugänglichen Scheidung kann sehr wohl ein nach Eheschließung zum Katholizismus Übergetretener betroffen sein, dh geschieden werden. Damit wurde § 119 ganz im Lichte des § 115, und nicht auch des § 116, auf den Kreis von Nichtkatholiken beschränkt. Da nun geschiedene Nichtkatholiken keinen Katholiken heiraten durften, wirkte für diese die Erklärung von 1814 wie ein Ehehindernis: Ein
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1816 (JGS 1295) erschien es erforderlich, den Erwerb der Staatsbürgerschaft (§ 29) „zu beschränken“, das ABGB also ausdrücklich abzuändern, allerding nur in Freihäfen: Die Antretung eines Gewerbes (§ 30) oder der zehnjährige Wohnsitz (§ 29) genügte hier nicht. Gemäß § 1340 konnten gegen die in Strafurteilen über eine „schwere Polizeiübertretung“ gemäß Strafgesetz 1803 ausgesprochene Schadenerstatzleistung sowohl der Beschädigte wie der Verurteilte ein Rechtsmittel ergreifen: 1820 (JGS 1705) wurde ausdrücklich angeordnet, dies „abzuändern“ nämlich dem letzteren diese Möglichkeit genommen, womit der Wortlaut von § 1340 („beiden Teilen“) tatsächlich abgeändert war. Zu diesen nahezu ausdrücklichen Novellierungen traten einige nicht derart gekennzeichnete. Im Jahr 1816 (JGS 1206) wurde erklärt, es seien die Adoptions-§§ 179 bis 185 auf uneheliche Kinder nicht mehr „anwendbar“, womit ein neues Adoptionshindernis entstanden war: keine Adoption unehelicher Kinder durch ihre Eltern. In ähnlicher Weise schuf die Anordnung, eine Ausländerin erwerbe durch Eheschließung mit einem österreichischen Staatsbürger dessen Staatsbürgerschaft, für diese einen neuen Erwerbsgrund. Die erste Novellierung auch der Form nach, zumal sie nun auch nicht auf Anfrage erfolgte, erfuhr das ABGB 1846 durch den Verzicht des Staates auf sein Drittel beim Schatzfund, wobei ausdrücklich auf die §§ 395, 396, 397, 400 Bezug genommen wurde (JGS 970). Weitere autonome Novellierungen folgten erst 1859/1860: Im Zeichen eines Abbaus von Sonderregelungen für Nichtchristen wurde 1859 (RGBl. 217) die besondere Eheschließungsbewilligung für Juden (§ 12) aufgehoben und ebenso 1860 (RGBl. 9) die Testierunfähigkeit von Nichtchristen bei letztwilligen Verfügungen von Christen (§ 593). In diesem Jahr (RGBl. 108/1860) schlug sich aber auch ein stärkerer Etatismus in der Novellierung von § 29 nieder, wonach nunmehr die „Antretung eines Gewerbes, dessen Betreibung die ordentliche Ansässigkeit im Lande notwendig macht“, nicht mehr den Erwerb der Staatsbürgerschaft nach sich zog. Acht Jahre später fielen im Zeichen des Wirtschaftsliberalismus die Festlegung von Höchstzinsen und das Verbot der sogenannten „societas leonina“, dh das der Beteiligung zwar am Verlust, nicht aber am Gewinn einer Gesellschaft (RGBl. 62/1868 zu §§ 993 ff.,
Katholik durfte keine geschiedenen Nichtkatholiken (zu Lebzeit von dessen geschiedenem Ehegatten) heiraten. Dies wurde 1835 (JGS 61) in einer abermaligen authentischen Interpretation auch so festgehalten, aber noch auf einen nach der Scheidung zum Katholizismus Übergetretenen ausgedehnt, so daß dieser bei Lebzeiten seines geschiedenen Ehegatten überhaupt nicht heiraten konnte. Insgesamt war damit für Katholiken ein Ehehindernis geschaffen, welches zu den in § 119 ausdrücklich normierten hinzukam: Daher wurde diese Regelung eben als „impedimentum catholicismi“ bezeichnet. Mit den Erklärungen von 1814 und 1835 war § 119 somit durch Ergänzung novelliert worden, was man allerdings damals, wie insbesondere die Form zeigt, als authentische Interpretation verstand. In Liechtenstein war das Ehehindernis des Katholizismus noch 1985 Gegenstand eines Rechtsstreits: LJZ 2/1986, 52 ff. 1024 Zum Folgenden Gruber, Interpretationen, 149 f., 180 ff.
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1196). Mit dieser ausdrücklichen Derogation ist der Bereich autonomer Novellierungen für das 19. Jahrhundert bereits erschöpft. Sie alle zeigen eine noch unausgereifte Novellierungsmethode, die sich primär der Form von Erklärungen bedient, noch nicht, wie späterhin, der exakten grammatikalischen Ausbesserung von Sätzen oder Satzteilen. 2. Änderungen mit anderen Gesetzen Alle übrigen Änderungen bewerkstelligten Gesetze mit auch anderem Inhalt oder standen mit anderen Gesetzen im Zusammenhang. Die erste Novellierung dieser Art erfolgte wie auch die erste echte autonome Novellierung (s. eben 1.) 1846, und zwar mit dem Erlaß des „Gesetzes zum Schutze des literarischen und artistischen Eigenthums“ (JGS 992), dessen § 20 ausdrücklich § 1168 ABGB derogierte. Eine Welle von neuen Gesetzen löste die Verfassung 1867 mit vor allem ihren Grundrechten aus. Ohne Bezugnahme auf die Verfassung oder einzelne Grundrechte, jedoch in Realisierung des Gleichheitssatzes, kam es 1868 zur Wiederherstellung des ABGB-Eherechts für Katholiken und zur Neueinführung der Notzivilehe, diese allerdings mit Regelungen außerhalb des ABGB (RGBl. 47). Die Glaubens- und Gewissensfreiheit führte zur Aufhebung des Enterbungsgrundes „Abfall vom Christentum“ (in § 768) und parallel zur Straflosstellung des „Abfalles vom Christenum“ im Strafgesetz 1852 (RGBl. 49). Im Zusammenhang mit der erwähnten Wiederherstellung des Eherechts stehen Textänderungen im Eheschließungsrecht, die Bevorzugungen der Katholischen Kirche abbauten (RGBl. 4/1869 zu §§ 71, 77), sowie zwar keine Textänderung, doch eine Änderung des Normencharakters dadurch, daß gewisse Scheidungszuständigkeiten kirchlicher Behörden ihres zwingenden Charakters entkleidet wurden (RGBl. 3/1869 zu §§ 104, 107, 132). Diese letztgenannte Technik findet sich übrigens schon 1867 insoferne, als die Anwendung einer Reihe von bisher zwingenden Vormundschaftsbestimmungen in das Ermessen der Vormundschaftsbehörde gestellt worden war (RGBl. 131/1867 zu §§ 191: Untauglichkeit zum Vormund, 254: Entlassung des Vormunds, 281: analoge Anwendung von Vormundschaftsbestimmungen auf die Kuratel). Dieses Gesetz hatte primär das Strafgesetz 1852 novelliert und unter diesem Aspekt auch das ABGB, in dem weiters Bestimmungen mit strafrechtlichem Bezug aufgehoben wurden (§ 61: Ehehindernis bestimmter Kerkerstrafen, § 574: Testamentsunfähigkeit bei Todes- und bestimmter Kerkerstrafen, § 868: Geschäftsfähigkeit von Verbrechern). Schließlich standen auch die letzten beiden Texteingriffe des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit anderen Gesetzen, nämlich eine Aufhebung (§ 200 Schlußsatz: Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichtes) mit der Jurisdiktionsnorm 1895 (RGBl. 110) und eine Textänderung (§ 277 f: Todeszeitpunkt bei Todeserklärung) mit dem Todeserklärungsgesetz 1883 (RGBl. 20).
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3. Änderungen durch Verfassungsgesetze Zum Teil haben auch Verfassungsgesetze verändernd auf das ABGB eingewirkt. Als Grundsätze sollen sie der übrigen Rechtsordnung Grundlage und Richtung geben. Den Verfassungen von 1848 und 1849 maß man die Kraft zu, gemäß der Regel „lex posterior derogat legi priori“ bisherigen Gesetzen zu derogieren, so auch dem ABGB. Die Verfassung vom April 1848 hatte nach Meinung der Zeitgenossen1025 noch so gut wie keinen Einfluß auf das ABGB. Im Sinne des Gleichheitssatzes hob allerdings ein Ministerialerlaß vom Jänner 1849 (RGBl. 107) § 71 insoweit durch eine neue Regelung teilweise auf, so daß nunmehr insbesondere das Aufgebot für Ehen zwischen nichtkatholischen Christen nicht mehr auch in einer katholischen Kirche vorgenommen werden mußte. Nach einer Ansicht wurden auch die §§ 1122 ff. betreffend Erbpacht, Erbzins und Bodenzins aufgehoben1026. Die Verfassung 1849 mit einigen ihrer Durchführungsgesetze hatte dann nach zeitgenössischem Verständnis allerdings zahlreiche Bestimmungen des ABGB entweder aufgehoben, verändert oder durch neue ersetzt. Überwiegend beigemessen wurde derogatorische Wirkung den Grundrechten der Reichsverfassung (RGBl. 150/1849: §§ 23 bis 32 hinsichtlich der „Reichsbürger“ bzw. § 33 hinsichtlich der „Gemeinde“) sowie des Grundrechtspatents (RGBl. 151/1849). Durch die Grundentlastungsbestimmungen der Reichsverfassung (§§ 26, 32) bzw. der entsprechenden Durchführungsgesetze galten Bestimmungen des Geteilten Eigentums und der Erbpacht für aufgehoben (§§ 1132, 1140 f., 1146, 1149) oder abgeändert (§§ 395 f., 1131). Als aufgehoben betrachtete man auch das bäuerliche Sonderrecht hinsichtlich Vormundschaft und Kuratel (§ 284) wie das bäuerliche Erbrecht (§ 761) – dies aber in irriger Meinung, da sich gerade das Anerbenrecht auch auf den freien Bauernstand bezog und weiterhin in Kraft blieb. Eine weitere Anzahl von ABGB-Bestimmungen galt durch den Gleichheitssatz (§ 27 Reichsverfassung) und seine Spezialbestimmungen des freien Liegenschaftserwerbs (§ 30 Reichsverfassung) sowie der Unabhängigkeit der „bürgerlichen Rechte“ vom Religionsbekenntnis (§ 1 Grundrechtspatent) als aufgehoben wie die Existenz von „Privilegien“ außerhalb der Fabriksprivilegien (§ 13), Beschränkungen im Rechtsverkehr (§§ 355, 654, 1455), die Zeugenunfähigkeit von Nichtchristen bei letztwilligen Verfügungen von Christen (§ 593), bei „Judenehen . . . alle Abweichungen von dem allgemeinen Eherechte“ (§§ 123 ff.) 1025 Das folgende, soweit nicht anders belegt, nach W. Frühwald, Versuch einer Darstellung der durch die seit dem März 1849 erflossenen organischen Gesetze an den Bestimmungen des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches und der allgemeinen Gerichtsordnung geschehenen Abänderungen, in: WagnersZ II, 1849, 394 ff.: Unter „Grundrechte“ werden hier sowohl die „Grundrechte der Staatsbürger“ der Reichsverfassung 1849 sowie die „Politischen Rechte“ im Grundrechtspatent 1849 verstanden: ebda 394, 397. 1026 Saint-Joseph, Concordance, zu §§ 1122 ff.
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allerdings mit der Einschränkung, soferne sie „nicht lediglich in den Religionsansichten der Juden gegründet sind“, was mit der Grundtendenz übereinstimmt, daß zwar „jede auf dem Religionsbekenntnis beruhende Beschränkung der Privatrechte aufgehoben“ sei (§ 39), aber nicht das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit (§ 64), da „durch die Beibehaltung des Abschlusses des Ehevertrages durch die Trauung“, nämlich die des jeweiligen Religionsdieners, „das religiöse Moment als das in Ehesachen vorwaltende erkannt wird“! Gleichfalls als nicht aufgehoben galt der Enterbungsgrund des Abfalls vom Christentum (§§ 768 f.), „weil es sich hier eigentlich um das verletzte religiöse Gefühl der nächsten Anverwandten handelt“. Als neue „politische Vorschrift“ war zur religiösen Kindererziehung (§ 140) ein Erlaß des Kultusministeriums aufgrund von § 1 Grundrechtspatent hinzugetreten, wonach konfessionsverschiedene Eltern zufolge des Grundrechts der Glaubensfreiheit die Kinder nicht in einer gesetzlich festgelegten Religion zu erziehen hatten, sondern in einer nach ihrer Übereinkunft. Aus dem Bereich der Grundrechte fand man durch § 7 Grundrechtspatent (Vereinsfreiheit) und durch das Vereinspatent die §§ 26 (Juristische Person) und 1175 (Gesellschaft) näher präzisiert. Der besondere „Schutz der Gesetze“ für Ortsgemeinden wie z. B. auch für Kinder (§ 21) galt als durch § 33 Reichsverfassung bzw. das Gemeindegesetz 1849 weggefallen. Dieses habe auch die Bestimmungen über „Gemeindegut“ und „Gemeindevermögen“ (§§ 288, 290) ersetzt sowie § 36 lit. f Reichsverfassung jene über das „Staatsvermögen“ (§ 287). Als ersetzt galten weiters die Regeln über Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft (§§ 28 bis 32) durch §§ 23 bis 25 Reichsverfassung, jene über die Enteignung (§§ 364 f.) durch § 29 Reichsverfassung und §§ 2 und 3 über Kundmachung und Geltungsbeginn von Gesetzen durch das Patent über das Reichsgesetzblatt (RGBl. 153/1849). Die „Provinz“ in § 1475 (und etwa auch in § 11) sei nun präzisiert durch das „Kronland“ im Sinne von § 1 Reichsverfassung. Mit der Aufhebung der Reichsverfassung sowie des Grundrechtspatents zu Ende 1851 traten manche ABGB-Bestimmungen wieder in Kraft. Doch galten vor allem jene, die mit der Grundentlastung im Zusammenhang standen als „gegenstandslos“ 1027. Aufgrund der Verfassung 1867 stellte sich abermals die Frage, inwieweit das neue Verfassungsrecht, vor allem der Gleichheitssatz in seinen Varianten, Einfluß auch auf das ABGB nehmen könnte. Das Verfassungs- wie auch das Grundrechtsverständnis hatte sich von der zu 1848/49 beschriebenen Situation entfernt. Verfassungsrecht besaß gegenüber sonstigem Gesetzesrecht, etwa dem des ABGB, keine derogatorische Kraft, „lex superior derogat legi inferiori“ galt nicht1028. 1027
Friedmann/Sandig/Wach, Recht II, zu § 284 und ähnlich zu §§ 1146, 1149. Vgl. W. Brauneder, Was ist die Verfassung?, in: St. Hammer u. a. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. Festschrift für Theo Öhlinger, 2004, 181 ff., 191 f.; R. Walter, ABGB und Verfassung, in ÖJZ 1966, 7 f. 1028
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Verfassungsbestimmungen widersprechendes Gesetzesrecht konnte entweder als Verfassungsdurchbrechung angesehen werden oder als zwar verfassungwidrig, aber mangels Normenkontrolle als dennoch geltend. Damit stand in Einklang, daß die Grundrechte als Bestimmungen vorrangig mit Grundsatzcharakter, als Staatszielbestimmungen, verstanden wurden und daher beispielsweise der Gleichheitssatz nicht ihm entgegenstehendes Recht derogierte, sondern vielmehr durch Gesetze auszuführen war1029. Daher hatte die Verfassung 1867 wie beschrieben eine Welle neuer, für das ABGB relevanter Gesetze ausgelöst (oben 2.). Dieses Verfassungsverständis bestimmt auch die gesamte weitere Entwicklung. So stellt der direkte Einfluß des Verfassungsrechts auf das ABGB, d. h. durch Derogation, eine Episode der Verfassungen 1848 und insbesondere 1849 dar.
III. Nebengesetze Das Hinzutreten von Nebengesetzen zum ABGB sah dieses zum Teil selbst vor wie etwa durch ein „Handels- und Wechselgesetz“ (KdmPat), durch den eventuellen Fortbestand von Provinzialrecht (§ 11), durch die authentische Interpretation (§ 8), denn sie führte dazu, ohne Verweisungen Normenkomplexe neben das ABGB zu setzen, und vor allem durch die Verweisungen. 1. Chronologie Was die wichtigsten Nebengesetze anlangt, so hatte das ABGB einen Teil davon bereits vorgefunden wie insbesondere die Regelungen über das bäuerliche Erbrecht. Sie waren auf mehrere Nebengesetze aus den Jahren 1679 bis 1795 verstreut1030. Auch im Bereich des Wechselrechts1031 existierten bereits Rechtsvorschriften, nämlich das Wechselpatent von 1763 und die Wechselordnungen für Ost- bzw. Westgalizien 1775 bzw. 1797. Als Nebengesetz galt auch der „Tractatus de juribus incorporalibus“ von 1679. „Auf dringendes Verlangen“ war 1807 davon eine Druckausgabe erschienen, also zur Zeit der 2. Lesung des ABGB, der „Revision“, und sogar noch nach dessen Inkrafttreten 1830; 1831 erschien zu ihm eine Monografie1032. Die öffentlichrechtlichen Teile des „Tractatus“ waren vom ABGB gemäß Kundmachungspatent nicht betroffen, während seine privatrechtlichen Regelungen nun zu Nebenbestimmungen des ABGB wurden. Damit spezifizierte und ergänzte er die Miteigentumsbestimmungen des ABGB über das bloße
1029
Brauneder, Grundrechte, 275 ff. Brauneder, Erbrecht, 357 ff. 1031 O. Pisko, Lehrbuch des österreichischen Handelsrechts, 1923, 5 ff.; M. Straube (Hrsg.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch mit einschlägigen Rechtsvorschriften, 2. Aufl., 2000, 11 ff. 1032 A. Engelmayer, Tractatus de juribus incorporalibus, 1831. 1030
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Quoteneigentum hinaus1033. Im Jahr 1837 wurden Bestimmungen aus 350 Nebengesetzen zum ABGB aufgezählt, die älter als dieses waren1034. Das bedeutsamste der vorgefundenen Nebengesetze zum ABGB war paradoxer Weise der Code de Commerce in seiner italienischen Fassung als Codice di Commercio, der für Lombardo-Venetien von dessen Vorgänger, dem napoleonischen Königreich Italien, übernommen worden war, während der hier gleichfalls als Codice Civile geltende Code Civil durch das ABGB ersetzt wurde1035: Neben diesem galt somit in Lombardo-Venetien französisches Handelsrecht, die Verweisungen des ABGB auf Handelsgesetze verknüpfen es hier mit dem napoleonischen Handelskodex! Die Reihe der nach Inkrafttreten des ABGB erlassenen Nebengesetze begann erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zwar betraf ein Hofkanzleidekret aus 1841 (JGS 541) das Stiftungsrecht, doch stellte es die Behörden- bzw. Gerichtszuständigkeiten fest ohne § 646 um materielle Regeln zu ergänzen. Dies verstand sich offenkundig daraus, daß Errichtung, Abänderung und Aufhebung einer Stiftung, somit deren Existenz insgesamt, den Verwaltungsbehörden zukamen. Hingegen gehörten Streitigkeiten über die Dotierung der Stiftung, die Ausbezahlung von Stiftungsrenten oder die Verweigerung von Rechtsansprüchen auf das Stiftungsvermögen vor den „Civilrichter“, und zwar deshalb, weil man derartige Streitigkeiten als solche aus „einem privatrechtlichen Titel“ ansah, den man offenkundig an entsprechender Stelle im ABGB zu suchen hatte. Gleichfalls „auf einen privatrechtlichen Titel“ wurde hinsichtlich der Kompetenz der Gerichte verwiesen, über den „Genuß (aus) einer Stiftung“ zu entscheiden; lag dafür ein solcher Titel nicht vor, waren wieder die Verwaltungsbehöreden zuständig. Insgesamt schien man also hinsichtlich der erwähnten Leistungen das ABGB für ausreichend zu erachten. Ein Nebengesetz zum ABGB in dem Sinne, daß eine in diesem enthaltene Materie außerhalb desselben neu oder ergänzend geregelt worden wäre, stellt das Hofkanzleidekret von 1841 also nicht dar. Das erste zum ABGB erlassene Nebengesetz ist daher die Allgemeinen Deutsche Wechselordnung (ADWO), die in Österreich ab 1850 galt (RGBl. 51). Es folgte 1856 zufolge des Konkordats 1855 (RGBl. 195) ein eigenes „Gesetz über die Ehe der Katholiken im Kaiserthume Österreich“ sowie eine „Anweisung für die geistlichen Gerichte des Kaiserthums Österreich in Betreff der Ehesachen“ (RGBl. 185/1856), welches für Angehörige dieser Konfession das ABGB-Eherecht weitestgehend außer Kraft setzte; es galt bis 1868. Im Jahre 1863 wurde das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch erlassen (RGBl. 1), wie die ADWO 1850 eine Folge der Zugehörigkeit Österreichs zum Deutschen Bund. Aus ihr versteht sich auch, daß das Schuldrecht des ABGB durch den „Dresdner Obliga1033 1034 1035
Brauneder, Privatrechtsfortbildung, 55 ff. Visini, Handbuch I–II. A. Padoa Schioppa, Handelsrecht, in: Coing, Handbuch III/3, 3214 f.
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tionenrechtsentwurf “ von 1866 ersetzt worden wäre, hätte der Deutsche Bund dieses Jahr überlebt1036. Dieses Gesetz wäre das inhaltlich bedeutsamste und umfangreichste Nebengesetz zum ABGB geworden. Josef Unger berücksichtigte es bereits in seinen Vorlesungen, es stieß allerdings, beispielsweise in der niederösterreichischen Advokatenkammer, auf Widerspruch. Mit der Aufhebung des Ehegesetzes für Katholiken 1868 (RGBl. 47) kam für diese nicht nur die Rückkehr zum Eherecht des ABGB, sondern es wurde weiters die Notzivilehe eingeführt, 1870 folgte für Konfessionslose wie für Angehörige einer gesetzlich nicht anerkannten Konfession die Einführung der obligatorischen Zivilehe (RGBl. 51). Sie wie die Notzivilehe fanden keine Aufnahme in das ABGB, verblieben also in Nebengesetzen. Zu einer durchgreifenden Reform des konfessionell gebundenen ABGB-Eherechts, wie in der Folge oft gefordert und sogar zum Thema von Theaterstücken gemacht1037, konnte man sich jedoch nicht entschließen. Nun ergingen in relativ dichter Folge weitere Einzelgesetze, die als „ergänzende Gesetze“, „Sondergesetze“, „Spezialgesetze“ oder „Nachtragsgesetze“ zum ABGB galten1038, allerdings in einem etwa nur das Zivilprozeßrecht und nicht auch das ABGB betreffenden Sinne. Zu solchen Gesetzen zählten beispielsweise die sogenannten Kuratorengesetze hinsichtlich bestimmter Wertpapiere von 1874 (RGBl. 48 und 49) und 1877 (RGBl. 111) sowie vor allem schon seinem Titel nach das Gesetz „betreffend das Verfahren zum Zwecke der Todeserklärung“ 1883 (Todeserklärungsgesetz: RGBl. 20). Hingegen wurde das ABGB sehr wohl von folgenden Gesetzen betroffen: Eisenbahnhaftpflichtgesetz 1869 (RGBl. 27), Notariatsordnung 1870 (RGBl. 75), Grundbuchsordnung 1871 (RGBl. 75), Notariatszwangsgesetz 1871 (RGBl. 76), Eisenbahnenteignungsgesetz 1878 (RGBl. 30), Stockwerkseigentumsgesetz 1879 (RGBl. 50), Urheberrechtsgesetz 1895 (RGBl. 197), Ratengesetz 1896 (RGBl. 70), Exekutionsordnung 1896 (RGBl. 79) und Notwegegesetz 1896 (RGBl. 140). Mit einem Nebengesetz, dem Baurechtsgesetz 1912 (RGBl. 86), begann die große, auch von der Pandektistik inspirierte Teilerneuerung des ABGB1039. Sie selbst erfolgte allerdings durch Eingriffe in den ABGB-Text mit den beiden ersten Teilnovellen 1914 (RGBl. 276) und 1915 (RGBl. 208) und der großen dritten Teilnovelle 1916 (RGBl. 69). Sie besaßen jedoch auch den Charakter von Nebengesetzen, da einige ihrer Bestimmungen nicht in das ABGB eingingen wie etwa über den Vormundschaftsrat (TN I
1036 Text siehe: B. Francke (Hrsg.), Dresdener Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866 (= Neudrucke privatrechtlicher Kodifikationen und Entwürfe des 19. Jahrhunderts 2), 1973. 1037 Brauneder, Eherechtsreform, 379 ff. 1038 Vgl. bei Fn. 1042 und 1043; R. von Mayr, Zur Frage der Revision des österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, in: GZ 1906, 129 ff., 141 ff., 149 ff., 154 ff.; E. Till, Revision oder Ergänzung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches?, in: GZ 1907, 41 ff. 1039 Dazu Brauneder/Berger, ABGB II, Beitrag von B. Dölemeyer und W. Brauneder.
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3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
§§ 30 ff.)1040 sowie die bedeutsameren bezüglich Verfügungsmöglichkeiten über Hypotheken (Eigentümerhypothek: TN III §§ 37 ff.). Zudem wurde mit der Entmündigungsordnung 1916 (RGBl. 207) wieder ein Nebengesetz erlassen. 2. Das Erscheinungsbild des Bürgerlichen Rechts: ABGB und Nebengesetze Zufolge der zunehmenden Nebengesetze boten ABGB-Ausgaben bald nicht bloß allein den ABGB-Text an, sondern zu diesem weitere Rechtsvorschriften, darunter nicht nur Nebengesetze, sondern auch einzelne Bestimmungen aus anderen Gesetzen1041. Noch 1876 hatte eine ABGB-Ausgabe trotz ihres Titelzusatzes „sammt allen . . . ergänzenden Gesetzen und Verordnungen“ es als ausreichend angesehen, auf solche gelegentlich bei einzelnen ABGB-Paragraphen hinzuweisen, allein das Gesetz über die Notzivilehe 1868 samt einer Verordnung dazu ist eigens abgedruckt1042. 1905/1906 war dies unter dem Titel „Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch samt Nachtragsgesetzen“ bereits mit 14 Gesetzen der Fall, wovon jedoch knapp die Hälfte nicht materielles Privatrecht, sondern Verfahrensrecht betraf1043. Allerdings hatte eine ABGB-Ausgabe des Jahres 1887 bereits einen Anhang mit 10 Materiengruppen aufgewiesen, der rund 20 Nebengesetze beziehungsweise Nebenbestimmungen enthält1044. Das ABGB erschien nun in Gesetzesausgaben ganz deutlich umrahmt und ergänzt von zahlreichen weiteren Gesetzen. 3. Das Verhältnis der Nebengesetze zum ABGB a) Ergänzungen Eine Gruppe an Nebengesetzen trat zum ABGB hinzu, hob keine seiner Bestimmungen auf, sondern ergänzte es um oft nur ganz wenige Vorschriften1045. Beispielsweise führte das Notariatszwangsgesetz 1871 das Formerfordernis des Notariatsaktes für bestimmte Rechtsgeschäfte ein wie u. a. für Eheverträge (Ehe1040 Nicht vollzogen. Die Aufzählung der nicht in das ABGB eingefügten TN§§ z. B. bei K. Wolff, Grundriß des österreichischen bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1948, 403. 1041 Allgemein dazu: F. Bydlinski, Zivilrechtskodifikation und Sondergesetze, in: H. Mayer (Hrsg.), Staatsrecht in Theorie und Praxis. FS Robert Walter, 1991, 105 ff. 1042 A. Wintersperger, Das allgemeine österreichische bürgerliche Gesetzbuch sammt allen dasselbe ergänzenden Gesetzen und Verordnungen und sammt allen bisher publicirten wichtigeren Entscheidungen des obersten Gerichts- und Cassationshofes, 1876. 1043 Friedmann/Sandig/Wach, Recht II, 1 ff. 1044 Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für das Kaiserthum Oesterreich sammt allen dasselbe ergänzenden und erläuternden Gesetzen und Verordnungen, und den grundsätzlichen Entscheidungen des kk obersten Gerichtshofes, 12. verb. Aufl., 1887. 1045 Hier wird auf die erstmalige Regelung einer derartigen Materie eingegangen.
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pakte) und für Schenkungsverträge ohne wirkliche Übergabe. Das Eisenbahnenteignungsgesetz 1878 ergänzte ausdrücklich § 365 (Enteignung) für seinen spezifischen Zweck (§§ 1, 4). Das Notwegegesetz 1896 schuf eine weitere Möglichkeit, eine „Servitut“ (§ 3) durch Richterspruch zu begründen, was bisher gemäß § 842 nur bei Liegenschaftsteilungen der Fall war. Das Ratengesetz 1896 erweiterte den bloßen Hinweis auf den Kauf auf Borg in § 1063 zum Institut des Ratengeschäfts. Einen besonderen Fall der Ergänzung brachte das Stockwerkseigentumsgesetz 1879. Als „Interpretativgesetz“, das allerdings in die Form einer „Novelle“ gekleidet wurde, um anders als eine authentische Interpretation nach § 8 keine rückwirkende Kraft zu entfalten, führte es grundsätzliche „Bestimmungen des Civilrechts“, präziser „Grundsätze des ABGB“ aus, wonach an unselbständigen Gebäudeteilen kein Eigentum begründet werden könne (§ 1)1046. Derartige „anomale Verhältnisse/. . . Theilungen“, nämlich das sogenannte Stockwerkseigentum, wurden künftighin verboten, damit man nicht gegen den unterstellten Sinn des nun interpretierten ABGB „Verfügungen, die nicht Theilungen sind, als Theilungen gelten lasse“ 1047. b) Schaffung von Ausnahmefällen Weitere Nebengesetze ergänzen das ABGB nicht schlechthin und allgemein, sondern deshalb, weil sie einige seiner Bestimmungen für bestimmte Fälle aufheben. Dazu zählt sogleich das allererste Nebengesetz, das Katholiken-Ehegesetz 1856. Es beließ das (persönliche) Eherecht des ABGB (§§ 44 bis 136) nicht nur für Nichtkatholiken weiterhin in Kraft, sondern in einigen Fällen auch für Katholiken wie ausdrücklich die §§ 45 f. über den Schadenersatz bei Bruch eines Verlöbnisses, dessen Abschluß nach ABGB freiwillig, nunmehr aber ab 1856 für Katholiken zwingend war1048. Der weitaus überwiegenden katholischen Bevölkerung im Geltungsgebiet des ABGB wegen sank dessen Eherecht nahezu zur Bedeutungslosigkeit herab. Das Ehegesetz 1868 hob das Katholiken-Ehegesetz 1856 auf und brachte zudem ausdrücklich „Abänderungen“ des ABGB (Art. II), allerdings für eine Ausnahmesituation, nämlich mit der Notzivilehe, und dann ähnlich das Ehegesetz 1870 für Konfessionslose und Angehörige nicht anerkannter Konfession. Diese „Abänderungen“ bestanden darin, daß das ABGB keine Notzivil-
1046 J. Kaserer, Das Gesetz vom 30. März 1879 betreffend die Theilung von Gebäuden nach materiellen Antheilen mit Materialien, 1879, 18, 22. 1047 Ebda 8 ff., 15; G. Kohl, Stockwerkseigentum (= Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 55), 2007, 101 ff. 1048 J. F. Schulte, Erläuterung des Gesetzes über die Ehen der Katholiken im Kaiserthume Oesterreich vom 8. Oktober 1856 und des kaiserlichen Patentes dazu nebst Darlegung und Begründung der Bestimmungen des Kirchengesetzes, 1857, 74 f.
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ehe kannte und für die vom Ehegesetz 1870 erfaßten Personen bisher die für Katholiken geltenden Bestimmungen des ABGB anzuwenden waren. Das Eisenbahnhaftpflichtgesetz 1869 näherte sich für seinen spezifischen Sachbereich entgegen der prinzipiellen Verschuldenshaftung des ABGB der Gefährdungshaftung. Das Ratengesetz 1896 hob allein für Ratengeschäfte ABGB-Bestimmungen auf (§ 4): bei Verkürzung über die Hälfte keine Ausnahmen entgegen § 935 (z. B. Wert der besonderen Vorliebe), zwingende dreijährige Verjährung (§ 1487) und längere Gewährleistungsfrist bei Sachmängeln entgegen § 933. c) Derogationen Das Grundbuchgesetz 1871 betraf einzelne Bestimmungen des ABGB durch materielle Derogation. So galt die sogenannte „Tabularersitzung“ als aufgehoben (§ 1467)1049 und im Ehegüerrecht das „Recht zur Gemeinschaft“ als nicht eintragbar (§ 1236)1050. Derogation bringt die Herausnahme einer Materie aus dem ABGB. Erstmals kündigte sich mit dem Katholiken-Ehegesetz 1856 die Idee an, eine Regelungsmaterie aus dem ABGB herauszunehmen und in ein Nebengesetz zu verschieben, allerdings noch nicht allgemein, so daß sich im ABGB keine Lücke auftat. Andere Nebengesetze derogierten aber Teilgebieten des ABGB zur Gänze. Die entsprechende Materie wurde insgesamt in das Nebengesetz verlagert, so daß im ABGB eine Lücke entstand. Dies geschah erstmals 56 Jahre nach seinem Inkrafttreten mit dem Wuchergesetz 1868 (RGBl. 62) und dann erst nach weiteren 70 Jahren durch das Ehegesetz 1938. 4. Gründe für Nebengesetze Zur folgenden Analyse ist festzuhalten, daß die Erklärungen für den Erlaß eines Nebengesetzes durchaus nicht monokausal sein müssen beziehungsweise dies auch nicht waren, sondern von mehreren der nachstehend aufgelisteten Motive getragen sein können. Daher begegnen in der Folge einige Nebengesetze mehrfach. a) Personell-ständisches Sonderrecht Das Motiv, in die Kodifikation nur personell-allgemeines Recht aufzunehmen, war schon vor dem Inkrafttreten des ABGB nicht neu. So enthielt das Erbfolgepatent 1786 (JGS 548) ganz in diesem Sinne eine „allgemeine . . . Erbfolge“, 1049 L. v. Kirchstetter, Commentar zum österr. Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche, 4. Aufl., 1882, 716 f.; M. v. Stubenrauch, Commentar zum österr. Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuche II, 5. Aufl., 1888, 827 f. 1050 Brauneder, Ehepakte, 824 f.; ders., Gemeinschaft, 289 ff.
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während jene nach Geistlichen und in Bauerngüter in speziellen Gesetzen zu finden war1051, wobei es das ABGB beließ. In dieser Tradition steht weiters von Beginn der ABGB-Entstehung an das Handelsrecht als Sonderprivatrecht für Kaufleute. Dessen Verständnis als berufsständisches Sonderrecht zeigt sich besonders darin, daß ein solches in der Schweiz abgelehnt wurde und die entsprechenden Regeln Aufnahme in das Obligationenrecht fanden1052. Auch im Katholiken-Ehegesetz 1856 spielte das Motiv des personellen Sonderrechts eine Rolle, was der Plan von 1861 bekräftigt, ein eigenes Ehegesetz für Protestanten zu schaffen1053! Dieser auch in den zeitgenössischen Gesindeordnungen neben dem ABGB sichtbare Gedanke personell bezogener Sonderrechte setzte sich dann weiter fort über die jüngeren Arbeitsvertragsgesetze ab dem späten 19. Jahrhundert1054 bis in das Anerbengesetz und das Verbraucherschutzgesetz des 20. Jahrhunderts. b) Veränderliches Recht Nach Ansicht der Kodifikatoren hatte veränderliches Recht außerhalb der Kodifikation zu stehen. Gerade zur Zeit des Inkrafttretens des ABGB zeigt dies sehr deutlich die Diskussion um die Sanktion des Darlehens-Hauptstückes angesichts der damals herrschenden Inflation1055: Diese fand als vorübergehende Situation Berücksichtigung in einem Nebengesetz, dem Finanzpatent 1811 (JGS 929), welches detaillierte Vorschriften über die Rückzahlung von Darlehen angesichts der Inflation brachte. Daß dies ein legistischer Gedanke war, der dem Bestand des ABGB sehr zugute kam, erweist das bäuerliche Erbrecht. Wie erwähnt, wurde es bewußt außerhalb des ABGB geregelt, wenngleich primär seiner ständischen Gebundenheit und weniger seiner Veränderlichkeit wegen. Doch unterlag es auch dieser. Als man nämlich das bäuerliche Sondererbrecht 1868 abschaffte, bedurfte es keines Eingriffs in das ABGB, die Sondergesetze wurden einfach aufgehoben. Die Wiedereinführung eines bäuerlichen Sondererbrechts ermöglichte ein Gesetz abermals außerhalb des ABGB, nämlich das Anerbengesetz 1889 (RGBl. 52): Als gesamtstaatliches Rahmengesetz eröffnete es den Ländern die Möglichkeit einer erneuten Einführung bäuerlichen Sondererbrechts. Dies geschah allerdings nur in Tirol 1900 (LGBl 47) und in Kärnten 1903 (LGBl 33), so daß in den übrigen Ländern auch für Bauerngüter die allgemeine Erbfolgeordnung galt und damit die Erbteilung1056. Die schließlich doch wieder nahezu einheitliche Regelung
1051
Brauneder, Erbrecht, 367 ff.; Visini, Handbuch I, XCV f. Caroni, Privatrecht, 157 ff. 1053 L. Wahrmund, Dokumente zur Geschichte der Eherechtsreform in Österreich, 1908, 375 ff.; E. Rittner, Oesterreichisches Eherecht, 1876, 30. 1054 Vgl. Brauneder/Berger, ABGB II: Beitrag W. Brauneder. 1055 Ofner, Urentwurf II, 611 ff. 1056 Dazu Brauneder, Erbrecht, 370 f. 1052
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bäuerlichen Erbrechts erfolgte mit und ab dem Anerbengesetz 1958 in gleicher Weise außerhalb des ABGB1057. c) Ersatz einer ABGB-Reform Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Ruf nach einer Reform des ABGB immer lauter und dringender wurde, plädierten manche dafür, durch „zweckmäßige Sondergesetze“ erste Reformschritte zu setzen, wodurch „die bereits feststehenden und als dringend empfundenen Postulate der modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik in möglichster technischer Vollkommenheit schon jetzt zu verwirklichen“ seien, wobei als Vorbild offenbar der Umstand diente, daß eine privatrechtliche Sondergesetzgebung „schon bisher geschah“ 1058. Da 1905 geschrieben, können damit nur gemeint sein das Ehegesetz 1870, das Notwegegesetz und das Ratengesetz 1896. Gleichfalls für „Spezialgesetze“ plädierte eine nahezu zeitgleiche, aber der eben skizzierten entgegenstehende Meinung1059: Sie lehnt eine umfassende Novellierung des ABGB ab, doch könne nichts gegen eine „Ergänzung des geltenden Rechts durch neues Recht“ eingewendet werden, sie solle aber durch „Spezialgesetze“ erfolgen. Dienen sie nach dieser Ansicht der Ergänzung des nahezu unverändert zu belassenden ABGB, so bei der vorauf referierten Meinung der mosaikartig vorgezogenen, später im Zuge einer großen Novellierung in das ABGB einzubauenden Reform. Der Reform durch Sondergesetze wurde auch aus einem anderen Grund das Wort geredet: Eine Gruppe von Materien scheide „teils vermöge ihres einschneidenden neuartigen wirtschaftlichen Charakters, der ihre unmittelbare Anknüpfung an das System des geltenden Rechtes unmöglich erscheinen läßt, teils vermöge ihrer größeren Verwandtschaft mit anderen, vom bürgerlichen Rechte verschiedenen Erscheinungen der Gesetzgebung aus dem Kreise der Revision des bürgerlichen Gesetzbuches aus“; aufgezählt dazu werden u. a. das Internationale Privatrecht, das Enteignungsrecht, bestimmte gesetzliche Pfandrechte, Irrenrecht, Automobilhaftpflicht und Materien, die später Elemente des Arbeitsrechts wurden1060. Nicht nur in Hinblick darauf, sondern auch wegen anderer der aufgezählten Materien war dies eine prophetische Sicht: Das „Irrenrecht“ finden wir in der Entmündigungsordnung 1916, die Automobilhaftpflicht wurde 1959 geregelt, das Internationale Privatrecht erst 1978. Allerdings gab es auch die gegenteilige Meinung: „Es geht nicht länger an, allen Fortschritt Sondergesetzen zu überlassen“, hieß es gleichsam als Auftakt zu
1057 1058 1059 1060
Vgl. wie Fn. 1054. Mayr, wie Fn. 1038, 156. Till, wie Fn. 1038, 44. Mayr, wie Fn. 1038, 156.
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den drei Teilnovellen zum ABGB1061. Doch blieb diese Art der Reform durch Textänderungen im ABGB selbst nahezu Episode. In der Regel erfolgten sie hinfort durch Nebengesetze. Als Reformgesetze anzusehen sind weiters Nebengesetze mit verfahrensrechtlichen Teilen. Ihnen mag grundsätzlich auch der Gedanke zugrunde gelegen haben, für die jeweilige Sachmaterie des ABGB ein besseres Verfahrensrecht zur Verfügung zu stellen, oder überhaupt die Meinung, durch ein solches das ABGBRecht zu verbessern1062. Tatsächlich geschehen ist dies mit dem Todeserklärungsgesetz 1883. Statt ABGB-Recht zu ändern wurde bewußt das Todeserklärungsverfahren beschleunigt1063. Ähnlich sah man auch die Wirkungen der Entmündigungsordnung 1916, deren „Verfahrensvorschriften“ in „das materielle Recht tief eingreifen“ 1064. d) Sachliche Abweichung vom ABGB Hier handelt es sich um eine Regelungsmaterie, die ihres materiellen Gehalts wegen als eine lex specialis zum ABGB gesehen und deshalb nicht in dieses aufgenommen wurde. So blieben wohl die beiden Gesetze über eine (ausnahmsweise) Zivilehe von 1868 und 1870 deshalb außerhalb des ABGB, weil ihre Regelungen zufolge der Trauung durch ein staatliches Organ und nicht durch den „Seelsorger“ einer Religionsgemeinschaft gemäß § 75 dem ABGB nicht entsprachen. Zum Baurechtsgesetz 1912 wurde das merkwürdige Argument gebraucht, die ausschließliche Aufzählung der dinglichen Rechte in § 308 mache es „nötig, ein eigenes Gesetz für das Baurecht zu schaffen“ 1065 – merkwürdig deshalb, weil man ja die Aufzählung der dinglichen Rechte in § 308 hätte ergänzen können. Allerdings wich das Baurechtsgesetz 1912 insoferne vom ABGB ab, als es ein neues dingliches Recht in Abkehr vom – angeblich – im ABGB verankerten Grundsatz superficies solo cedit schuf, auf dem – angeblich – das Sachenrecht des ABGB beruhe, eine Auffassung, die sich deutlich auch im Stockwerkseigentumsgesetz 1879 zeigt. Nicht verträglich mit dem ABGB und daher in „Spezialgesetzen“ zu regeln sah man weiters Materien an mit einer Zunahme zwingenden Rechts aus Gründen des „sozialen Rechtszwangs“ wie im Mietenrecht, im „Ar-
1061 B. Dölemeyer, Die Revision des ABGB durch die drei Teilnovellen von 1914, 1915 und 1916, in: Jus commune VI, 1977, 289; dies., „Teilnovellen“ statt Totalernennung, in: Brauneder/Berger, ABGB II. 1062 Till, wie Fn. 1038, 42. 1063 J. Kaserer, Das Gesetz vom 16. Februar 1883 betreffend das Verfahren zur Todeserklärung und Beweisführung des Todes mit Materialien, 1883, 19 ff. 1064 H. Sturm, Zur Anwendung der Entmündigungsordnung, in: GZ 1918, 326 f. 1065 G. Bloch, Erläuternde Bemerkungen zu den privatrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes vom 26. April 1912 Nr. 86 RGBl. betreffend das Baurecht, in: JBl. 1913, 133.
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3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
beitsrecht“, worunter Dienstbotenordnungen, Hausbesorgerordnungen etc. verstanden wurden, in Teilen des Wirtschaftsrechts und im Gesellschaftsrecht, wofür das GesmbH-Gesetz als Beispiel galt1066. e) Politisch veranlaßte Regelungen Außenpolitisch initiiert war das Katholiken-Ehegesetz 18561067, denn es vollzog eine Verpflichtung aus dem Konkordat 1855, war aber auch innenpolitisch durch anti-aufklärerische Bemühungen motiviert. Im 20. Jahrhundert werden politische Motive wesentlich stärker auftreten. f) Rechtstechnische Gründe Einige Nebengesetze sind durch die legistische Technik des ABGB selbst bedingt, nämlich insoferne, als sie, wie schon erwähnt, durch Verweisungen im ABGB geplant und daher meist auch notwendig waren wie etwa alle Gesetze im Bereich des bäuerlichen Erbrechts zufolge § 761. In den überwiegenden Fällen handelt es sich allerdings um Nebengesetze, die das ABGB zwar ähnlich wie verwiesenes Recht ergänzen, aber nicht kraft einer Verweisung und daher an sich gleich einer Novelle zum ABGB in dieses hätten eingearbeitet werden können. Warum das nicht geschah, geht auf verschiedene Gründe zurück. Einer dieser Gründe ist die Komplettregelung einer Sachmaterie unter Einschluß auch öffentlichrechtlicher, verfahrensrechtlicher, strafrechtlicher und/oder anderer Regelungen wie etwa von Gebühren oder auch die Verbindung unterschiedlicher privatrechtlicher Materien. So erklärt sich die eigene Existenz der Ehegesetze 1868 und 1870, des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes 1869, des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1878, des Notwegegesetzes 1896 und des Ratengesetzes 1896 durch ihre zusätzlichen, zum Teil umfangreichen Verfahrensbestimmungen, denn die jeweils knappen materiellrechtlichen Texte von 2 bis 10 Paragraphen hätten in das ABGB aufgenommen werden können. Beispielsweise enthielt das Eisenbahnenteignungsgesetz ausdrücklich einen Abschnitt „Enteignungsverfahren“. Die Entmündigungsordnung 1916 wird sogar drei Abschnitte über das Verfahren wie z. B. „Entmündigungsverfahren“ kennen1068. Das Todeserklärungesetz 1883 enthielt seiner Bezeichnung gemäßt ausschließlich Verfahrensrecht. Mehrere Teile des Privatrechts verband auch das Notariatszwangsgesetz 1871, das überdies in engstem Zusammenhang stand mit der gleichzeitig in Kraft tretenden Notariatsordnung.
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Mayer, Rechtszwang, 425, 427, 432 f. Schulte, wie Fn. 1048, 24 f., 30 f.; Rittner, wie Fn. 1053, 28 ff. Brauneder/Berger, ABGB II: Beitrag W. Brauneder.
D. Einfluß der Rechtsprechung
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Die Idee der Komplettregelung fiel Menzel 1896 aus Anlaß des Notwegegesetzes auf 1069: Man schaffe über die „materiellen Rechtssätze“ hinaus „womöglich auch ein eigenes Verfahren mit besonderen Behörden und besonderen Strafsanctionen“, wozu er den BGB-Entwurf mit nur 2 Notwegeparagraphen als Gegenbeispiel nennt.
D. Einfluß der Rechtsprechung In ähnlicher Weise wie die Wissenschaft, und zwar überwiegend auch unter derem Einfluß, nahm die Rechtsprechung vor allem des Obersten Gerichts- und Kassationshofs einen zum Teil umprägenden Einfluß auf das ABGB1070. Einige Beispiele veranschaulichen, wie sie zu einer neuen Lesart des Gesetzestextes zwang. Ähnlích wie 1817 durch authentische Interpretation zu den „Ehegatten“ des § 1249 als Abschlußberechtigte eines Erbvertrages auch „Brautleute“ hinzugekommen waren, so nun aufgrund der Rechtsprechung zu „der hinterlassenen Frau und den Kindern“ des § 1327 als Anspruchsberechtigte nach einem Getöteten alle ihm gegenüber „Unterhaltsberechtigten“. Ebenso war nun § 91, der nur „der Ehegattin“ vom Manne den standesgemäßen Unterhalt zusprach, so zu lesen, daß dieser auch dem „Ehegatten“ von der Frau gebühren konnte. Ferner wurde eine Haftung des Unternehmers für Schadenszufügung durch seinen Angestellten angenommen, und zwar allgemein unter Beiseiteschieben der Einschränkung des § 1315 auf eine „wissentliche“ Anstellung einer „gefährlichen“ oder „untüchtigen“ Person. Daß man sich hier aber bereits weit vom Gesetzestext entfernt hatte, folgt aus der Einfügung einer etwa dieser Ansicht entsprechenden neuen Bestimmung (§ 1313a) durch die Teilnovellierung. Andere Beispiele zeigen, daß ABGB-Bestimmungen, die ein Rechtsinstitut nur unvollständig erfaßt hatten, zu dessen Ausbau dienten wie im Falle des Unterbestandverhältnisses (§ 1098) oder des gesetzlichen Pfandrechts des Bestandgebers (§ 1101), wobei dieses gleichfalls durch eine entsprechende Gesetzesänderung der Teilnovellierung erfaßt wurde. Die „Schlüsselgewalt“, das spezifische Vertretungsrecht der Ehegattin, welche das ABGB überhaupt nicht kannte, konstruierte die Rechtsprechung aufgrund einer allgemein gehaltenen Vertretungsregel (§ 1029) im Zusammenhang mit der Stellung des Mannes als unterhaltpflichtigem Familienoberhaupt (§ 91); eine ausdrückliche Regelung im ABGB erfuhr die modifizierte Schlüsselgewalt erst 1975 (BGBl 412). Der Stellenwert des ABGB für diese Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung bestand u. a. darin, sie „elastisch gestaltet“ zu haben1071. Im Wege der 1069
A. Menzel, Das Recht des Notweges II, in: JBl. 1896, 229. Zum Folgenden H. Klang, Der Oberste Gerichtshof und die Entwicklung des bürgerlichen Rechts, in: FS zur Hundertjahrfeier des österreichischen Obersten Gerichtshofes 1850–1950, 1950, 80 ff. 1071 Klang, wie Fn. 1070, 160 f. 1070
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3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Lückenfüllung erfuhr das ABGB Ergänzungen im Rückgriff auf die Rechtswissenschaft1072. So stellte der Oberste Gerichtshof 19151073 eine Lücke im internationalen Privatrecht des ABGB (§§ 35 bis 37) fest, die gemäß § 7 zu schließen war. Dessen „natürliche Rechtsgrundsätze“ verstand er in Auslegung nach § 6 als „das zu einer bestimmten Zeit herrschende, von den logischen Denkgesetzen getragene Rechtsbewußtsein des Volkes“. Zu dessen Festellung habe der Richter gemäß Artikel 1 Absatz 2 ZGB vorzugehen. Dessen „bewährte Lehre und Überlieferung“ führe auf die „auch für unser Rechtsbewußtsein maßgebende deutsche Rechtswissenschaft“ und mit ihr konkret zu Artikel 1 EGBGB und der Schlußfolgerung: Dessen „Rechtsgrundsatz wird daher im allgemeinen auch bei uns anzuwenden sein“!
E. Wissenschaftliche Umdeutung: die „Pandektisierung“ War die Exegetik ein Produkt der Privatrechtskodifikationen, erst des TeilABGB und insbesondere des ABGB, so drehte sich dieses Verhältnis ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts um: Die Historische Rechtsschule entstand außerhalb, ja sogar gegen die Kodifikationen und initierte schließlich neue Gesetzbücher wie das BGB und das ZGB bzw. in Österreich eine Erneuerung des ABGB in den Teilnovellen. In den Jahren 1840/45 macht sich in Österreichs juristischen Fachzeitschriften relativ plötzlich eine neue rechtswissenschaftliche Richtung bemerkbar: Die Historische Rechtsschule, und zwar vorerst deren germanistischer Zweig1074. In den Kreis dieser Fachartikel gehört jener des schlesisch-preußischen Juristen Ferdinand Fischer aus 18441075. Es ist anzunehmen, daß dieser Artikel ganz in das Programm der österreichischen Germanisten paßte und auch deshalb zum Abdruck kam. Das Neue an Fischers Beitrag stellt der Umstand dar, daß er das ALR nicht wie auch das ABGB aus gleichen „allgemeinen Grundsätzen“ 1076 entstanden ansah, nicht wegen seines „materiellen Reichtums“ 1077 der österreichischen Rechtswissenschaft empfahl, sondern von einem anderen Grundgedanken ausging. Es ist der des gemeinsamen Deutschen Rechts, denn es seien ALR und ABGB „auf die aus deutscher Lebensweise, deutschem Charakter und deutscher 1072 E. A. Kramer, Der Einfluß des BGB auf das schweizerische und österreichische Privatrecht, in: Archiv für die civilistische Praxis 200/2000, 389, auch 391. 1073 Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 248 f. 1074 Hiezu W. Brauneder, Der Beginn der Historischen Schule in Österreich (Vortrag am Deutschen Rechtshistorikertag Bern 1994); ders., Leseverein, 154 f. 1075 Von den Rechten, welche sich auf persönliche Eigenschaften und Verhältnisse beziehen – Eine Zusammenstellung und Vereinigung der österreichischen und preußischen Rechtsgrundsätze, in: WagnersZ II, 1844, 261 ff. 1076 Zeiller, Beytrag I, 2. 1077 Rezension eines anonymen W., in WagnersZ III (Nbl), 1830, 359.
E. Wissenschaftliche Umdeutung: die „Pandektisierung‘‘
283
Geschichte entsprungenen Rechtsideen gegründet“, gingen daher beide „auf die deutschen Rechtsprinzipien“ zurück und so lasse sich zeigen, „wie schroff sie dem französischen, ja sogar dem römischen Rechte gegenüber stehen“ 1078. Es ist dies nicht mehr die bisher gepflogene vernunftrechtlich-konstruktive Ähnlichkeit oder gar Gemeinsamkeit, sondern der Gedanke einer gemeinsamen Wurzel im Lichte einer noch einfachen und daher überspitzten rechtshistorischen Germanistik. Bemerkenswert ist übrigens, daß im Jahr nach Fischers Beitrag, 1845, der letzte ALR-Artikel im bisher üblichen, oben beschriebenen Sinne (s. o. S. 243) in einer österreichischen Fachzeitschrift erschien. Die Anfänge der rechtswissenschaftlichen Germanistik in Österreich lassen sich sehr genau festmachen1079. Signifikant schreibt Johann Perthaler1080 1842 an seinen Vater: Nun „studiere ich Rechtsgeschichte“ und weiters: „Allen anderen Plunder, vor allem die mir verhaßten Erläuterungen habe ich dem Kuckuck übergeben“; im Jahr darauf erschien sein Buch „Recht und Geschichte. Zur enzyklopädischen Einleitung in das Studium der juridisch-politischen Wissenschaften“. Für Johann Nepomuk Berger war es der „neuen Richtung“ verpflichtet, in der „fortzuschreiten“ es „durch den Geist der Zeit“ geboten sein wird1081. In diesem Umfeld erschienen weitere, der Rechtsgermanistik verpflichtete Arbeiten. Aber es gab auch Warner. In seiner eigenen Zeitschrift „Der Jurist“ schrieb 1844 Wildner v. Maithstein, es werde zwar „das historische Element des Rechtes bey uns viel zu wenig gepflegt“, doch sei das laufende Jahrhundert „für die Codification Österreichs so fruchtbar gewesen wie nie eines“, also „brechen wir nicht den Stab über die dankbare Anhänglichkeit an Grundsätze“, die ihr zugrundeliegen1082. Zum Durchbruch gelangte die Historische Rechtsschule in Österreich mit den Werken von Emil Franz Rössler, insbesondere mit „Über die Bedeutung und Behandlung der Geschichte des Rechts in Österreich“ 1847. Hier nur so viel: Das ABGB behandelt er nach dem Pandektensystem: Familienrecht, „Erbrecht“, „Sachenrecht“, „Obligationenrecht“, noch fehlt der Allgmeine Teil. Die wirkungsvolle Verbreitung geschah allerdings durch den romanistischen Zweig, durch die Pandektistik. An der Wende von der Exegetik zur Pandektistik hatte Moritz Stubenrauch deren erste Ergebnisse noch in seinen traditionell-exegetischen Kommentar zum ABGB von 1854 einfach eingereiht. Beispielsweise fügte er der Kommentierung des § 26 (Moralische Person) nahezu wie einen Fremdkörper die Lehre über die Juristische Person Savignys einfach an1083. Möglicher1078
Fischer, wie Fn. 1075, 261. Wie Fn. 1074. 1080 Brauneder, Leseverein, 154. 1081 Rezension von Perthalers Buch in: Wagners Zs 1844/III, 66. 1082 I. Wildner v. Maithstein, Rezension über J. N. Berger „Lexicon sämtlicher Worte“ des ABGB, in: Der Jurist 11/1844, 160 f. 1083 Brauneder, Person, 193 ff. 1079
284
3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
weise schon, aber noch schwach inspiriert von der Pandektistik begann Theodor Michel 18551084 in seinem „Grundriss des heutigen österreichischen allgemeinen Privatrechts“ dieses abweichend von der Systematik des ABGB darzustellen: Recht der Persönlichkeit, Vermögens-Recht, Familien- und Erbrecht. Allerdings erschienen von diesem Werk nur zwei Lieferungen (Olmütz 1855). In diesen Jahren setzte nahezu plötzlich, jedenfalls sehr vehement eine Diskussion um das ABGB ein. Anläßlich einer Promotion sub auspiciis imperatoris nannte am 11. Mai 1852 der Vertreter des Kaisers, Kultusminister Leo Graf Thun-Hohenstein1085, das ABGB zwar das „mit Recht berühmteste Rechtskompendium der neueren Zeit“, doch sei es „wie jedes menschliche Werk nicht frei von Mängeln“, die er dem Naturrecht anlastete, da es keine „auf höhere sittliche Gesetze gegründete Ordnung geschichtlich gegebener thatsächlicher Verhältniße“ biete, sondern ein „Produkt der Spekulation des menschlichen Verstandes“ sei. Damit verband er eine negative Kritik der bisherigen Rechtswissenschaft, der er vorwarf, „in blinder Anbethung des ABGB“ verharrt, dieses als „juridisches Evangelium“ betrachtet und es gleich „einem Götzen in stummer Verehrung“ kritiklos angebetet zu haben, und zwar in Einklang mit der Beschränkung „auf das trügerische Nebelbild des sogenannten Naturrechtes“. Diese überwiegend falsche Einschätzung1086 geht wohl auf ihre sehr spezifische Herkunft und ein bestimmtes Motiv zurück. Thun-Hohenstein gehörte dem Juridisch-Politischen Leseverein an, so daß ihm die durch die Historische Rechtsschule erzeugte Aufbruchsstimmung jener Vereinskollegen bekannt sein mußte, die zu den ersten Vertretern dieser Methode zählten. Von ihnen hat er dann besonders Josef Unger gefördert. Was das Motiv seiner Rede anlangt, so liegt es im Politischen. Gut vier Monate vor seiner Rede waren mit Jahresbeginn 1852 die Verfassungsgrundsätze 1852 an die Stelle der eben aufgehobenen konstitutionellen Verfassung 1849 getreten, die das System einer neuständisch beschränkten Monarchie auf der Basis des Historischen Staatsrechts, also des verfassungsrechtlichen Zweiges der Historischen Rechtsschule1087, vorsahen. So ging es Kultusminister Thun nun um die Etablierung dieser Methode im juristischen Universitätsbetrieb und damit auch im Privatrecht. Als politische, jedenfalls hochschulpolitisch motivierte Rede sollte sie nicht als wissenschaftliche Analyse aufgefaßt und überschätzt werden1088.
1084
Wesener, Michel, 64; Lentze, Universitätsreform, 304 f. 1086 S. o. S. 237. 1087 Brauneder, Privatrechtsgeschichte, 140; bes. ders., Die Reichsverfassung 1861 – „Februarpatent“ – in der Verfassungsentwicklung, in: Studien und Forschungen aus dem Nö. Institut für Landeskunde 56/2013, 13 ff. 1088 Dies geht wohl auf die Tagebuchbemerkung des Reichsratspräsidenten Kübeck zurück, wonach Thun eine „Schmährede“ auf das ABGB gehalten habe: Lentze, Universitätsreform, 110, eher nüchtern; Rede ebda 304 ff. 1085
E. Wissenschaftliche Umdeutung: die „Pandektisierung‘‘
285
Im Sinne der Historischen Rechtsschule trat nunmehr der Stellenwert des ABGB quellenmäßig hinter das historisch-systematische Begriffsgebäude zurück. So war es einmal in das Pandektenschema einzupassen. Vor allem wurden Rechtsinstitute, entwickelt auf der Grundlage des antiken Römischen Rechts, zum Maßstab richtigen Rechts genommen und daran das ABGB gemessen: Dies führte teils zu Umdeutungen von ABGB-Bestimmungen oder doch „Richtigstellungen“ vermeintlich fehlerhafter Entscheidungen der ABGB-Redaktoren. So wurde1089 beispielsweise der weite Sachbegriff des ABGB (§ 285) auf den engeren der körperlichen Sachen reduziert und der Besitz nicht als Recht (so § 308), sondern als Tatsache verstanden. Verfestigt wurde die romanistische Sicht, die Miteigentumsbestimmungen des ABGB als Regeln nur des Qoteneigentums zu sehen, so daß bis heute das Gesamthandeigentum als der österreichischen Rechtsordnung nicht angemessen gilt. Verändernd wirkte auch die Schablone einer neuen Typologie und neuer Begriffsbestimmungen, die man über das ABGB legte. Beispielsweise erhielten nun die schon von der Exegetik zu einem gesetzlichen Verwaltungs- und Nutzungsrecht umgedeuteten vertragsbezogenen Parafernum-Bestimmungen (§§ 1238 ff.) die Einstufung „gesetzlicher Güterstand“ und die Inhaltsbestimmung „Verwaltungsgemeinschaft“ als sowohl germanistisch wie romanistisch begründbares Entwicklungsergebnis1090. Bei dieser nun auch systematisch-begrifflich verfestigten Ansicht blieb es hinfort. Daher konnte im Zuge der ABGB-Reform durch die Teilnovellen die Forderung erhoben werden1091, es solle dem Ehegatten sein „Verwaltungs-, Nutzungs- und Vertretungsrecht bezüglich des freien Vermögens (der Parapherna) der Frau“ entzogen und er nur „das Vermögen der Frau auf ihr Verlangen“ zu verwalten und zu vertreten berechtigt sein, also aufgrund eines Vertrags. Dies verstand man als Rückkehr zum Römischen Recht, wäre aber tatsächlich eine solche zum richtig verstandenen ABGB gewesen. Auch das Mißverständnis der Exegetik, das ABGB messe der Gütergemeinschaft primär Wirkungen nur „auf den Todesfall“, d. h. bei Tod eines Ehegatten zu, verfestigte die Begrifflichkeit der Pandektistik mit ihrer Unterscheidung in eine „Gütergemeinschaft unter Lebenden“ und eine solche „auf den Todesfall“. Dies konnte dazu führen, unter Hinweis auf sie und andere Todesfolgen wie Witwengehalt, wechselseitiges Testament, Erbvertrag und Fruchtnießung auf den Todesfall, da alle im Ehepakt-Hauptstück geregelt, auch das Pflichtteilsrecht des überlebenden Ehegatten „zu den grundlegenden Bestimmungen des ehelichen Güterrechts“ zu zählen1092. Die Lehre von der Juristischen Person1093 in ihren drei Formen Anstalt, Stiftung und Körperschaft trat zur Er1089
Die folgenden Beispiele nach Ogris, Zivilistik, 449 ff. Brauneder, Spiegel, 397 ff. 1091 Hanausek, Erbrecht, 26 ff. 1092 Ebda 26 ff.; übrigens sprach sich Hanausek hier auch gegen ein Pflichtteilsrecht des überlebenden Ehegatten aus. 1093 Zum Folgenden Brauneder, Moralische Person, 164 ff., 175 (Zeiller). 1090
286
3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
wähnung nur der letzteren als „erlaubte Gesellschaft“ hinzu (§ 26), welche die Marginalrubrik zu § 26 als „Moralische Person“ bezeichnet, damit also nur die Körperschaft meint. Zeiller verwendete einmal den Ausdruck „(Juridische) Person“ (ersteres Wort in Klammer!) für etwas ganz anderes, nämlich den Erben als Rechtsnachfolger des Erblassers gegenüber Dritten. Ganz augenfällig wandelte sich die Systematik des Bürgerlichen Rechts. Es wird nun nicht mehr nach der ABGB-Systematik in drei Teilen, sondern nach dem Pandektensystem in fünf Teilen dargestellt. Dies bedeutet vor allem, daß im Gegensatz zum ABGB ein Allgemeiner Teil aus der Einleitung und allen drei Teilen des ABGB zusammengestellt und das Erbrecht aus Teil II/1 ABGB „Von den dinglichen Rechten“ als eigener Teil herausgenommen ist. Somit verbleibt als „Familienrecht“ der Rest von Teil I „Personenrecht“ mit insbesondere dem Eherecht. Der gewichtige Rest des Teils II/1 bildet das „Sachenrecht“, jener von Teil II/2 „Von den persönlichen Sachenrechten“ mit Partien von Teil III „Von den gemeinschaftlichen Bestimmungen“ das „Schuldrecht“ – der Teil III ist damit zur Gänze aufgelöst:
Als die Quellen zur Entstehungsgeschichte des ABGB ab 1877 im Druck zugänglich gemacht wurden1094, war die Wissenschaft in die Lage versetzt, die echten Beweggründe der ABGB-Redaktoren kennenzulernen. Nicht Irrtümer hatten diese, wie nun ersichtlich, vom Römischen Recht abweichen lassen, sondern sachliche Erwägungen. Das Ende der Pandektistik war gekommen. Von ihr über-
1094 Pfaff/Hofmann, Commentar; dies., Excurse; Harrasowsky, Codex I–V; Ofner, Urentwurf I–II; Pfaff, wie Fn. 1003.
F. Rückblick und Epilog
287
dauerte die erwähnte Darstellung des Bürgerlichen Rechts nach dem Pandektensystem und die schärfere Begrifflichkeit.
F. Rückblick und Epilog Im 19. Jahrhundert galt das ABGB in unterschiedlichen Verfassungsphasen1095: im absoluten Staat des Vormärz; in den konstitutionellen Phasen erst der Revolutionsepoche von 1848 bis 1851 sowie ab 1867; in der neuständischen Verfassungskonstruktion von 1852 bis 1867. In diesen Systemen kommt dem ABGB ein jeweils unterschiedlicher Stellenwert zu. Als es 1812 in Kraft trat, garantierte es die Privatrechtordnung als „Fundamentalgesetz“ (Liechtenstein: „Grundgesetz“) durch eine erhöhte Bestandsgarantie, die sich aus seinem Wesen als Kodifikation und dem eines „Allgemeinen Gesetzes“ auf naturrechtlicher Basis ergab. In den Zeiten des Konstitutionalismus übernahm diese Garantiefunktion die jeweilige Verfassung, zu welcher sich das ABGB als einfaches Gesetz zu verhalten, d. h. sich an ihr auszurichten hatte. Zeitgenossen maßen den Verfassungen 1848 und insbesondere 1849 gegenüber dem ABGB derogatorische Kraft zu, nicht mehr der Verfassung 1867. Die Periode von 1852 bis 1867 entsprach im Wesentlichen jener vor 1848. Beispielsweise gab es zufolge des Wegfalls der Grundrechte ab 1852 keine Verfassungsgarantie des Eigentums mehr, diese Garantiefunktion übernahm wieder das ABGB mit seinen Eigentums- und Enteignungsbestimmungen. Das ABGB blieb in seinen Wirkungen nicht auf den österreichischen Staat beschränkt. Aufgrund insbesondere seiner Geltungsgebiete und seiner zum Teil starken Beeinflussungen anderer Gesetzbücher, dann auch zufolge der damit zusammenhängenden Kommentierungen und Monographien, läßt sich ein Rechtsraum des ABGB ausmachen, in dessen Kern das als Gesetz oder Gewohnheitsrecht geltende ABGB steht, in seinen Umfeldern die von ihm beeinflußten Gesetzbücher. Dieser Rechtsraum des ABGB reichte mit dem Kodex Callimachus von Rumänien bis in die Schweiz zufolge mehrerer kantonaler Zivilrechtskodifikationen und durch seine Geltung in Lombardo-Venetien von Oberitalien bis an die Grenze Österreichs zu Russland. Dieser Rechtsraum des ABGB schmolz vor und besonders nach 1900 in mehreren Schüben zusammen. Er verringerte sich im Westen durch die Ablöse der schweizerischen Kantonskodifiationen durch das (Bundes-)Obligationenrecht 1883 und schließlich das ZGB 1912 sowie das Außerkraftsetzen in den ehemals österreichischen Gebieten Italiens ab 1866 und 1871. Durch das bis zur Identität reichende Naheverhältnis des österreichischen mit dem deutschen Rechtsraum in Gesetzgebung und vor allem Rechtswissenschaft übte das ABGB auch eine wesentliche Vermittlerrolle aus.
1095
Vgl. Brauneder, Verfassungsgeschichte, 20, 90, 112 ff., 134 ff., 137.
288
3. Kap.: Die Entwicklung im 19. Jahrhundert
Genau einhundert Jahre nach der Sanktion des ABGB markierte die entsprechende Feier am 1. Juni 1911 im Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses im Parlamentsgebäude zu Wien Abschluß und Neubeginn von Entwicklungsphasen. In seiner Festrede stellte Schey die Frage „Jahrhundertfeier oder Revision?“ 1096, womit er präzise den Wendepunkt in der Entwicklung des ABGB markierte. Schon im darauffolgenden Jahr 1912 mit dem Baurechtsgesetz und dann vor allem mit den drei Teilnovellen der Jahre 1914 bis 1916 trat das Gesetzbuch in eine neue Phase seiner Entwicklung ein1097.
1096 1097
AÖGZ 1911, 192; ebda 192 ff. die Reden der Festsitzung vom 1. Juni 1911. Diese in: Brauneder/Berger, ABGB II.
Anhang I. ABGB-Beiträge des Verfassers, die in diesem Band aufgegegangen sind „Allgemeines“ aber nicht gleiches Recht: Das ständische Recht des ABGB, in: H. Hattenhauer/G. Landwehr (Hrsg.), Das nachfriderizianische Preußen 1786– 1806, Heidelberg 1988; Vernünftiges Recht als überregionales Recht: Die Rechtsvereinheitlichung der österreichischen Zivilrechtskodifikationen 1786–1796–1811, in: R. Schulze (Hrsg.), Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte (= Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 3), Berlin 1991; Gesetzeskenntnis und Gesetzessprache in Deutschland von 1750 bis 1850 am Beispiel der Habsburgermonarchie, in: J. Eckert/H. Hattenhauer (Hrsg.), Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991; Das österreichische ABGB als neuständische Zivilrechtskodifikation, in: G. Klingenberg/J. M. Rainer/H. Stiegler (Hrsg.), Vestigia Iuris Romani. Festschrift für Gunter Wesener, Graz 1992; Kommentare und Bemerkungen Franz v. Zeillers zum ABGB zwischen 1809 und 1822, in: W. Brauneder, Studien II: Entwicklung des Privatrechts, Wien 1994; Das Galizische Bürgerliche Gesetzbuch: Europas erste Privatrechtskodifikation, in: H. Barta/R. Palme/W. Ingenhaeff (Hrsg.), Naturrecht und Privatrechtskodifikation. Tagungsband des Martini-Colloquiums 1998, Wien 1999; „Gehörige Kundmachung“ – entschuldbare Rechtskenntnis, in: M. Senn/C. Soliva (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Interdisziplinarität. Festschrift für Claudieter Schott zum 65. Geburtstag, Bern 2001; Das ABGB in der Rechtsordnung am Beispiel des Eigentums, in: U. Aichhorn/A. Rinnerthaler (Hrsg.), Scientia iuris et historia. Festschrift für Peter Putzer zum 65. Geburtstag, Egling/Paar 2004; Österreichs ABGB – Vom Zentrum an den Rand der Privatrechtsordnung? in: Liechtensteinische Juristenzeitung 2004/ 2; Über die Geschlossenheit der Kodifikation: Die Verweisungen im ABGB, in: P. Caroni/E. Dezza (Hrsg.), L’ABGB e la Codificazione Asburgica in Italia e in Europa, Padua 2006; Vom Rechtsbuch des Mittelalters zum Gesetzbuch der Neuzeit, in: M. Steppan/H. Gebhardt (Hrsg.), Zur Geschichte des Rechts. Festschrift für Gernot Kocher zum 65. Geburtstag, Graz 2006; Die naturrechtlichen Kodifikationen der Habsburgermonarchie als Modernisierungsprozeß, in: Comparative Law/Nihon University 24/2007; Rechtssymbolik im ABGB, in: Signa iuris II, Halle 2008; Die Dauerhaftigkeit einer Kodifikation: 200 Jahre österreichisches ABGB in: E. Balogh/M. Homoki-Nagy (Hrsg.), Emlékkönyv [Festschrift für József Ruszoly zum 70. Geburtstag], Szeged 2010; Der Einfluß des ALR auf das ABGB, in: C. Fischer-Czermak etc. (Hrsg.), Festschrift 200 Jahre ABGB, Bd. II, Wien 2011; Schutz der Zivilgesellschaft: Das ABGB als Verfassung, in: W. Braun-
290
Anhang
eder/M. Hlavacˇka (Hrsg.), Bürgerliche Gesellschaft auf dem Papier, Berlin 2014; Österreichs ABGB: Rechtstransfer nach West- und Osteuropa, in: ebda.
II. Verwiesenes Recht Nr
ABGBParagraph
Verweisung auf
Verordnungen Verordnungen in Visini in Winiwarter
1.
13
Politische Verordnungen
6
5
2.
26
Vorschriften für moralische Personen, politische Gesetze
4
2
17
19
3.
27
Politische Gesetze
4.
32
Auswanderungsgesetze
5
3
5.
38
Völkerrecht, Staatsverträge
5
3
6.
54
Militärgesetze
6
5
7.
102
Strafgesetz
1
1
8.
140
Politische Vorschriften
7
7
9.
163
Gerichtsordnung
1
1
10.
241
Besondere Vorschriften (Rechnungslegung)
4
6
11.
284
Politische Gesetze
17
25
12.
288
Landesverfassung
0
0
13.
290
Staatsrecht
9
5
14.
298
Landesverfassung
7
4
15.
325
Straf- und politische Gesetze
2
3
16.
340
Gerichtsordnung
7
6
17.
355
Gesetze
42
34
18.
359
Lehenrecht
1
0
19.
382
Politische Gesetze
4
4
20.
383
Politische Gesetze, Strafgesetze
1
3
21.
385
Politische Verordnungen
5
4
22.
387
Politische Gesetze
1
1
23.
393
Strafgesetzbuch
1
1
24.
402
Kriegsgesetze
1
1
25.
446
Grundbuchs- und Landtafelvorschriften
0
0
26.
450
Konkursverfahren, Gerichtsordnung
12
7
Anhang Verweisung auf
291
Nr
ABGBParagraph
Verordnungen Verordnungen in Visini in Winiwarter
27.
461
Gerichtsordnung
1
1
28.
465
Gerichtsordnung
1
1
29.
470
Konkursverfahren
2
1
30.
471
Gerichtsordnung
2
0
31.
499
Politische Verordnungen und das betreffende Forstwesen
2
2
32.
501
Politische Bestimmungen
1
1
33.
511
Bergwerksordnung
0
0
34.
539
Politische Vorschriften
26
19
35.
540
Strafgesetz
1
1
36.
544
Politische Verordnungen
6
9
37.
573
Politische Verordnungen
8
6
38.
600
Militärgesetze
2
2
39.
627
Familienfideikommissvorschriften
6
6
40.
634
Politische Verordnungen
0
0
41.
646
Politische Verordnungen
7
6
42.
694
Politische Vorschriften
22
22
43.
760
Politische Verordnungen
5
3
44.
761
Politische Gesetze
14
15
45.
798
Vorschriften über das gerichtliche Verfahren
21
1
92
8
46.
818
Politische Verordnungen
47.
867
Politische Gesetze
2
2
48.
868
Strafgesetz
1
1
49.
948
Strafgesetz
0
0
50.
966
Gerichtsordnung
1
1
51.
986
Besondere Vorschriften (Währung)
2
1
52.
1000
Wuchergesetz
1
9
53.
1001
Gerichtsordnung
3
1
54.
1043
Seegesetze
0
0
55.
1044
Vorschriften für Kriegsschäden
1
2
56.
1089
Gerichtsordnung
2
1
292
Anhang
Nr
ABGBParagraph
Verweisung auf
Verordnungen Verordnungen in Visini in Winiwarter
57.
1132
Provinzialgesetze
0
0
58.
1142
Landesverfassung
1
0
59.
1146
Provinzialverfassung, politische Vorschriften
6
1
60.
1149
Politische Verordnungen
5
4
61.
1163
Besondere Vorschriften (Anwälte, Künstler . . .)
3
0
62.
1171
Politische Gesetze
5
3
63.
1172
Gesetze betreffend Dienstgesinde
11
12
64.
1174
Politische Verordnungen
0
0
65.
1179
Handelsgesetze, politische Gesetze
1
2
66.
1216
Handelsgesetze
0
0
67.
1272
Politische Gesetze
4
5
68.
1274
Vorschriften betreffend Staatslotterien
0
1
69.
1277
Bergbaugesetze
1
0
70.
1292
Seegesetze
1
0
71.
1317
Besondere Vorschriften (Versuchsanstalten)
2
1
72.
1328
Strafgesetz
1
1
73.
1338
Strafgesetz, Politische Verordnungen
1
1
74.
1339
Politische Vorschriften
1
1
75.
1384
Strafgesetze
0
0
76.
1391
Gerichtsordnung
3
1
77.
1410
Handelsgesetze
1
1
78.
1428
Gerichtsordnung
13
5
79.
1439
Gerichtsordnung
1
2
80.
1450
Gerichtsordnung
2
1
81.
1492
Wechselordnung
2
3
Anhang
293
III. Art des verwiesenen Rechts Verweisung auf
in ABGB-§§
Gesamt
% von ABGB-§§
% von allen Verweisungs-§§
Politische Gesetze, Verordnungen, Vorschriften
13, 26, 27, 140, 284, 325, 382, 383, 385, 387, 499, 501, 539, 544, 573, 634, 646, 694, 760, 761, 818, 867, 1146, 1149, 1171, 1174, 1179, 1272, 1338, 1339
30
2%
34%
Gerichtsordnung
163, 340, 450, 461, 465, 471, 798, 966, 1001, 1089, 1391, 1428, 1439, 1450
13
0,9%
14,8%
Strafgesetze
19, 102, 325, 383, 393, 540, 868, 948, 1328, 1338, 1384
11
0,7%
12,5%
Handelsgesetze
1179, 1216, 1410
3
0,2%
3,4%
Landesverfassung
288, 298, 1142
3
0,2%
3,4%
Vorschriften über Konkursverfahren
450, 470
2
0,13%
2,3%
Militärgesetze
54, 600
2
0,13%
2,3%
Seegesetze
1043, 1292
2
0,13%
2,3%
Berggesetze
511, 1277
2
0,13%
2,3%
Vorschriften für moralische Personen
26
1
0,07%
1,2%
Auswanderungsgesetze
32
1
0,07%
1,2%
Völkerrecht, Staatsverträge
38
1
0,07%
1,2%
Vorschriften zu Rechnungslegung
241
1
0,07%
1,2%
Staatsrecht
290
1
0,07%
1,2%
Lehenrecht
359
1
0,07%
1,2%
Kriegsgesetze
402
1
0,07%
1,2%
Grundbuchs- und Landtafelvorschriften
446
1
0,07%
1,2%
Forstgesetze
499
1
0,07%
1,2%
Vorschriften zu 627 Familienfideikommissen
1
0,07%
1,2%
294
Anhang Verweisung auf
in ABGB-§§
Gesamt
% von ABGB-§§
% von allen Verweisungs-§§
Währungsvorschriften
986
1
0,07%
1,2%
Wuchergesetz
1000
1
0,07%
1,2%
Vorschriften für Kriegsschäden
1044
1
0,07%
1,2%
Provinzialgesetze
1132
1
0,07%
1,2%
Provinzialverfassung
1146
1
0,07%
1,2%
Vorschriften für Anwälte 1163 und Künstler
1
0,07%
1,2%
Gesindegesetze
1172
1
0,07%
1,2%
Lotteriegesetze
1274
1
0,07%
1,2%
Vorschriften zu Versuchsanstalten
1317
1
0,07%
1,2%
Wechselordnung
1492
1
0,07%
1,2%
88
5,8%
100%
Gesamt:
IV. Verordnungen ohne ausdrückliche Verweisung (nach Visini) ABGB §§ 2, 5, 6, 7, 8, 11, 16, 19, 24, 28, 29, 30, 31, 33, 35, 37, 39, 45, 47, 49, 50, 51, 55, 62, 70, 71, 75, 76, 78, 80, 83, 86, 87, 90, 93, 96, 97, 100, 112, 113, 114, 115, 119, 124, 133, 134, 138, 139, 146, 148, 150, 155, 157, 164, 165, 174, 177, 178, 179, 181, 183, 189, 190, 191, 202, 207, 217, 222, 229, 230, 231, 232, 233, 238, 239, 240, 243, 244, 251, 252, 262, 263, 265, 270, 277, 279, 280, 281, 294, 304, 311, 320, 321, 323, 339, 344, 346, 364, 365, 367, 388, 389, 399, 400, 413, 424, 431, 432, 433, 434, 435, 436, 438, 443, 448, 451, 453, 457, 469, 480, 481, 531, 538, 543, 545, 548, 574, 578, 591, 597, 601, 630, 632, 635, 644, 651, 690, 699, 762, 763, 797, 805, 813, 816, 843, 858, 878, 879, 883, 884, 889, 902, 908, 914, 919, 931, 956, 968, 985, 987, 994, 999, 1005, 1006, 1008, 1067, 1090, 1093, 1098, 1101, 1116, 1124, 1131, 1135, 1140, 1144, 1145, 1156, 1157, 1227, 1233, 1245, 1249, 1276, 1284, 1319, 1320, 1321, 1331, 1333, 1334, 1336, 1340, 1341, 1355, 1372, 1374, 1380, 1392, 1424, 1462, 1467, 1479, 1480, 1486, 1497, 1502 Gesamt: 208 (13,8% von 1502 ABGB-§§)
Anhang
295
V. Örtliche Differenzierungen durch Verweisungen auf politische Vorschriften (nach Winiwarter und Visini) ABGBParagraph
Verordnungen für:
13
allgemein gültig
26
Galizien, Niederösterreich, sonstige allgemein gültig
27
Böhmen, Lombardo-Venetien, Galizien, Steiermark, Krain, Görz, Gradiska, Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg ausdrücklich genannt, sonstige allgemein gültig
140
allgemein gültig
284
Böhmen, Mähren, Galizien, Innerösterreich, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Illyrien, Schlesien, Dalmatien, sonstige allgemein gültig; Dalmatien, Lombardo-Venetien: ausdrücklich von Geltung ausgenommen
325
allgemein gültig
343
keine Verordnungen
382
Böhmen, Oberösterreich (in Visini als allgemein gültig angeführt)
383
allgemein gültig
385
Nieder-, Innerösterreich, Böhmen, Mähren, Schlesien; Ungarn, Galizien, Kärnten; sonstige allgemein gültig
387
Galizien, sonstige allgemein gültig Lombardo-Venetien: ausdrücklich von Geltung ausgenommen
499
Niederösterreich, sonstige allgemein gültig
501
allgemein gültig
539
Österreich, Küstenland, Tirol, Vorarlberg, Galizien, sonstige auf bestimmte Orden oder Klöster bezogen
544
Illyrien, Klagenfurt, Tirol, Inner- und Oberösterreich, sonstige allgemein gültig
573
Ungarn, sonstige allgemein gültig
634
keine Verordnungen
646
Galizien, Tirol, Niederösterreich, sonstige allgemein gültig
694
deutsche Erblande, Tirol, Vorarlberg, Wien, Lemberg, Graz, Prag, Böhmen, Mähren, Schlesien, sonstige allgemein gültig
760
Niederösterreich, sonstige allgemein gültig
761
Böhmen, Tirol, Vorarlberg, Salzburg, deutsche Erblande, Ungarn, Steiermark, Krain, Oberösterreich, Galizien, sonstige allgemein gültig; Lombardo-Venetien: ausdrücklich von Geltung ausgenommen
296
Anhang
ABGBParagraph
Verordnungen für:
818
Böhmen, Mähren, Schlesien, Ungarn, Steiermark, Görz, Gradiska, Innerösterreich, Tirol und Vorarlberg, Salzburg, Ungarn, Siebenbürgen, Galizien, Lodomerien, Kärnten, Hausruckviertel, Krain, Görz, Villacher Kreis, deutsche Erblande, Böhmen, Galizien, Niederösterreich, sonstige allgemein gültig
867
allgemein gültig, Sondervorschriften für Ungarn und Siebenbürgen
986
Lombardo-Venetien: ausdrücklich von Geltung ausgenommen
1146
Illyrien, sonstige allgemein gültig
1149
Ober-, Niederösterreich, Mähren, Schlesien, Küstenland, sonstige allgemein gültig
1171
allgemein gültig
1174
keine Verordnungen
1179
allgemein gültig
1272
allgemein gültig
1338
allgemein gültig
1339
allgemein gültig
Verweisungen auf Landesverfassung 288
keine Verordnungen
298
Böhmen, Niederösterreich, sonstige allgemein gültig
1142
keine Verordnungen
Verweisungen auf Provinzialgesetze 1132
keine Verordnungen
Literatur- und Quellenverzeichnis A. Quellen ABGB
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AGO
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CTh
Codex Theresianus: nach Harrasowsky I–III; zit. nach Teil, caput, Nr.
EHort
Entwurf Horten (eines allg. bürgerl. Gesetzbuches): nach Harrasowsky IV; zit. nach Teil, Capitel, §.
EMart
Entwurf Martini (eines allg. bürgerl. Gesetzbuches): nach Harrasowsky V; zit. nach Teil, Hauptstück, §.
GBGB
Bürgerliches Gesetzbuch für (West-, Ost-)Galizien, 1797 (Buchfassungen).
GGO
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Handbuch
Handbuch aller unter der Regierung des Kaisers Joseph des II. für die k. k. Erbländer ergangenen Verordnungen und Gesetze in einer Sistematischen Verbindung I–XVIII, 1785–1790; zit. nach Bd. und S.
JGS
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Karton
Österreichisches Staatsarchiv, Abt. Allgemeines Verwaltungsarchiv, Justizministerium I B I 1, Karton 34–38.
PGS
Politische Gesetze und Verordnungen für die Oesterreichischen, Böhmischen und Galizischen Erbländer, 1793 ff.; zit. nach Bd. und Nr. des betreffenden Gesetzes.
RosbAnnalen
A. Rosbierski (Hrsg.), Annalen der Rechtsgelehrsamkeit, Wien/Lemberg.
Sammlung
Sammlung der Gesetze welche unter der glorreichsten Regierung des Kaisers Leopold II. in den sämmentlichen K. K. Erblanden erschienen sind in einer chronologischen Ordnung III, 1791.
Slg. Chorinsky
„Sammlung Chorinsky“ = Sammlung lithogrphierter Mitteliungen und Abschriften österr. Rechtsquellen der Neuzeit, hg. unter der Leitung Carl v. Chorinskys; zit nach Exemplaren des Instituts für Rechtsund Verfassungsgeschichte, Universität Wien.
StG
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Teil-ABGB
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Teil I, publiziert mit Patent 1786 XI 1 (JGS 591): sog. „Josephinisches Gesetzbuch“ (auch Buchfassungen).
WGGB
Westgalizisches Gesetzbuch = GBGB.
298
Literatur- und Quellenverzeichnis
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304
Literatur- und Quellenverzeichnis
Wesenberg, Gerhard/Wesener, Gunter: Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung, 4. Aufl. Wien etc. 1985 (zitiert als: Wesenberg/Wesener). Wesener, Gunter: Aequitas naturalis, „natürliche Billigkeit“, in der privatrechtlichen Dogmen- und Kodifikationsgeschichte, in: M. Beck-Mannagetta/H. Böhm/G. Graf (Hrsg.), Der Gerechtigkeitsanspruch des Rechts. Festschrift für Theo Mayer-Maly zum 65. Geburtstag (= Rechtsehtik Band 3), Wien 1996, 81 ff. (zitiert als: Wesener, Aequitas). – Zur Dogmengeschichte des Rechtsbesitzers, in: Festschrift für Walter Wilburg zum 70. Geburtstag, Granz 1975, 453 ff. (zitiert als: Wesener, Dogmengeschichte). – Einflüsse und Geltung des römisch-gemeinen Rechts in den altösterreichischen Ländern in der Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert) (= Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte 27), Wien 1989 (zitiert als: Wesener, Einflüsse). – Kodifikationen und Kompilationen, Reformprogramme und Landrechtsentwürfe des 17. und 18. Jahrhunderts, in: ZRG/RA 127, 202 ff. (zitiert als: Wesener, Kodifikationen). – Von der Lex Rhodia de iactu zum § 1043 BGB, in: Festschrift für Johannes Bärmann, München 1975, 31 ff. (zitiert als: Wesener, Lex Rhodia). – Adalbert Theodor Michel (1821–1877) – ein später Vertreter der Exegetischen Schule der österreichischen Ziviljurisprudenz, in: Festschrift für Louis Carlen zum 60. Geburtstag, Zürich 1989, 47 ff. (zitiert als: Wesener, Michel). – Pflichtteilsrecht und Unterhaltsanspruch des überlebenden Ehegatten in historischer Sicht, in: B. Sutter, Reformen des Rechts. Festschrift zur 200-Jahr-Feier der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, Graz 1979, 95 ff. (zitiert als: Wesener, Pflichtteilsrecht). – Die Rolle des Usus modernus pandectarum im Entwurf des Codex Therisanus. Zur Wirkungsgeschichte des älteren gemeinen Rechts, in: Wirkungen europäischer Rechtskultur. Festschrift für Karl Kroeschell zum 70. Geburtstag, München 1997, 1363 ff. (zitiert als: Wesener, Usus modernus). – Zession und Schuldübernahme im Codex Theresianus, in: P. Pichonnaz/N. P. Vogt/ S. Wolf, Spuren des römischen Rechts. Festschrift für Bruno Huwiler zum 65. Geburtstag, Bern 2007, 693 ff. (zitiert als: Wesener, Zession). – Zum Erbrecht des Codex Theresianus, in: J. F. Gerkens/H. Peter/P. Trenk-Hinterberger/R. Vigneron, Mélanges Fritz Sturm I, Liège 1999, 943 ff. (zitiert als: Wesener, Erbrecht). Winiwarter, Joseph: Handbuch der Justiz- und politischen Gesetze und Verordnungen, welche sich auf das in den Deutschen Provinzen der Oesterreichischen Monarchie geltende allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch beziehen I–III, Wien 1829 (zitiert als: Winiwarter, Handbuch). Zeiller, Franz von: Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie I–IV, Wien/Triest 1811–1813 (zitiert als: Zeiller, Commentar).
Literatur- und Quellenverzeichnis
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– Jährlicher Beytrag zur Gesetzkunde und Rechtswissenschaft in den Oesterreichischen Erbstaaten I–IV, 1. Aufl. Wien 1806–1809, 2. Aufl. Wien 1810/1811 (zitiert als: Zeiller, Beytrag). – Grundsätze der Gesetzgebung 1806/09, auszugsweise abgedruckt in: E. Wolf (Hrsg.), Deutsches Rechtsdenken 14/1944, 9 ff. (zitiert als: Zeiller, Grundsätze). – Abhandlung über die Principien des allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs für die gesammten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie, Wien 1816–1820, hrsg. Wilhelm Brauneder/Elisabeth Berger, 2. Aufl., o. O. 2011 (zitiert als: Zeiller, Principien). – Das natürliche Privat-Recht, 3. Aufl., Wien 1819 (zitiert als: Zeiller, Privatrecht). – Rechtsfälle in Auszügen, in: Pratobevera, Materialien VI, 1822, 318 ff. (zitiert als: Zeiller, Rechtsfälle). – Vorbereitung zur neuesten Oesterreichischen Gesetzkunde im Straf- und Zivil-Justiz Fache, Wien/Triest 1810 (zitiert als: Zeiller, Vorbereitung).
Stichwortverzeichnis Allgemeine Rechtsrechtsregeln 118, 177 Allgemeines Landrecht 142, 177, 186, 193, 194, 196, 201, 207 ALR siehe Allgemeines Landrecht Appellationsgerichtskommissionen 79 f. Auslegung 53, 57, 58 f., 69, 76, 118, 120, 123, 147, 231, 282 – mittels ALR 107 – mittels Übersetzungen 159 Authentische Interpretation 85, 159, 166, 200, 214, 261, 264, 265, 271, 275, 281, 300 Badisches Landrecht 189 Bürger, gebildeter 127 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – für Galizien 163 ff. – für Ostgalizien 165 – für Westgalizien 163 f. „Bürgerliches“ Gesetzbuch, Wesen 175 ff. Code Civil 25, 42, 100, 102, 108 ff., 125, 175, 182, 188, 205, 240, 254, 259, 272 – in Österreich 29, 111, 225 – Kontrast zum ABGB 186 ff., 196, 252, 253 Codex Kallimachus 259 ff. Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis 22, 66, 89, 111, 113 Codex Theresianus 23, 26, 29, 32 ff., 48, 53, 56, 59, 66, 95–97, 99, 112, 113, 115 ff., 119 ff., 121 ff., 125 f., 131 ff., 141, 151–153, 161, 176, 255 Codice Barbacoviano 111 „Compilationsgrundsätze“ siehe Kodifikationsgrundsätze
Derogation durch Verfassungen 269 ff. Deutsche Erbländer 24, 49 ff., 179 ff., 271, 276 Deutsches Recht 88, 89 Ehegesetz 1856 268, 272, 275–278, 280 Ehegesetz 1870 273, 276, 278 Ehegesetz 1938 189 Ehegesetz für Salzburg und Berchtesgaden 86, 188 Ehepatent 1783 21, 37, 38, 43, 49, 63, 120, 143, 172, 262 Einflußnahme des ABGB 258 ff. Entwurf Azzoni 1753 33 f., 59, 115 Entwurf Holger siehe „System“ Holger Entwurf Horten 29, 36 f., 38, 39, 49, 54, 56, 68, 84, 97, 116 f., 119–122, 132, 133, 145 Entwurf Martini 30, 41 f., 45, 51, 56, 57, 59, 67, 68, 72, 74, 75, 84, 89, 98, 99, 116, 119, 121–123, 133, 137, 165, 167 Entwurf Schuppler 67 Erbfolgepatent 1786 21, 26, 37 ff., 41, 42, 49, 50, 74, 99, 108, 175, 179, 183, 218, 258, 276 Exegetische Schule (Exegetik) 230 ff., 240 Fundamentalgesetz, ABGB als 193, 197 ff., 199, 287 Geltungsgebiet 48 ff., 179 ff., 256 ff. Gemeines Recht 52, 53, 60, 61, 75, 83, 89, 93, 94, 97, 98, 173 Germanistik 282 f. Gesamtrechtsordnung, ABGB in der 201 ff.
Stichwortverzeichnis Gesetzessprache 64, 144 ff., 160 Gesetzgebungs-Hofkommission 1790 29 ff., 50, 169, 201 Gesetzgebungskommission 1756 28 ff. Gesetzgebungslehre 63 f., 122, 145 ff., 200, 201, 265 Gewohnheitsrecht 18, 42, 57 f., 60, 68, 82, 87, 118, 122, 173 ff., 207, 257 Gleichheit 184 ff., 189 ff. Gliederungen 114 ff. Grundgesetz, ABGB als 197 ff. Handelsrecht 179, 204, 205, 234, 272, 277 Ikonografie 254 f. Italienisch-österreichische Jurisprudenz 239 ff. Josefinisches Gesetzbuch siehe TeilABGB Kanonisches Recht 83, 120, 235 Kodifikation 22, 27, 29, 38–40, 51 ff., 56, 100, 120, 138, 172 f., 199, 206, 209, 210, 276 f., 287 – der Gesamtrechtsordnung 203 ff. – neuständische 192 ff. Kodifikationsgrundsätze 1753 59 ff., 66, 86 Kommentare, frühe 231 ff. Kompilation 22, 51, 53, 54 Kompilationskommission 1753 27 ff. Konservativismus 183 ff. Kritiken am ABGB 250 ff. Kundmachung, gehörige 131 f., 138 Ländergruppen statt Länder 81 ff. „Länder“kommissionen 31, 65, 66, 80 „Länderrechts“-Übersichten 81 ff. Landesordnung 19 ff., 81, 82 Latein 141 f., 152 f.
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„Legenden“ 45, 87 f. Lehensordnung, Entwurf 190, 204, 229 Lesung, Erste 46 f., 57, 64, 85, 98, 115, 121 Lesung, Zweite siehe Revision Marginalrubriken 71, 133, 139 ff., 152, 163, 168, 169, 171, 210 Naturrecht 22, 59 ff., 66 ff., 83, 89, 186, 206, 219, 250, 284 Nebengesetze, vor 1914 235, 271 ff. Novellen, vor 1914 265 ff., 300 Novellierungsscheu siehe Fundamentalgesetz Oberste Justizstelle 24, 31, 35, 50, 78, 246 f., 261 f. Öffentliches Recht 118 ff., 177, 179, 207–209 Ordnungen (Rechtsquelle) 18, 19, 21, 22, 118, 176 Pandektisierung 282 ff. Politische Gesetze 30, 120, 176, 179, 225 Politischer Kodex 204 f. Polizeyordnung 19, 21, 81 Populäre Literatur 143 ff., 234 Provinzialrecht 80, 174 f., 207, 271 Publikation 1786 162 f. Publikation 1797 163 ff. Publikation 1811 167 ff. Randschriften siehe Marginalrubriken Rechtskenntnis, verpflichtende 136 ff. Rechtslexikon, ABGB als 138 f., 142, 205, 208, 209 Rechtsprechung 112, 246, 255, 281 Rechtsraum des ABGB vor 1918 256 ff., 258, 287 f. Rechtsunkenntnis 136 ff. Rechtsunterricht 63, 129, 228 ff.
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Stichwortverzeichnis
Reformersatz 278 f. Regional-lokale Elemente 76 ff., 174 Revision (Zweite Lesung) 46 f., 57, 64, 86, 115, 121 f., 271 Revisionskommission 1755 27 ff., 34, 77, 137 Römisches Recht 83, 89, 93, 98, 108, siehe auch Gemeines Recht Russisches Gesetzbuch 1804/1808 111 f. Sachregister, amtliches 141 ff. „Schmährede“ 1852 284 Sklavereiverbot 226 f. Sprachgestaltung 63, 145 ff., 160 ff. Stellungnahmen, regionale 84 ff. Superrevision 31, 46 ff., 86, 141, 152 Symbolik 90 ff. „System“ Holger 1753 83, 94 ff. Systematik siehe Gliederungen Teil-ABGB 1786 23, 25–29, 31, 38 ff., 42, 43, 45, 49, 50, 54, 56–58, 62, 63, 77, 99, 108, 113–115, 116 f., 119–122, 130, 133, 146, 153, 159, 162 f., 173, 175, 178, 228, 230, 231, 254, 261 f. Teilnovellen 273, 285 Titel der Zivilrechtskodifikationen 112 ff.
Überprüfungskommission 1794 30 f. Übersetzungen – allgemein 149 ff. – des ABGB 152, 154 ff. – des ABGB, offizielle 156 f. – vor ABGB 153 Umfang 121 Ungleiches Recht 189 ff. Urentwurf 30, 45, 62, 70, 72, 85, 108, 112, 121, 122, 133, 165 f., 253 Urtext, authentischer 169 ff. Verfassung 1867, Einfluß 268, 270 Verfassungsgesetz, ABGB als 197 ff. Vermutungen als Rechtsfolge 78 Vertragspraxis 89, 143, 247–249, 262, 264 Verweisungen 205 ff. – örtliche 216 ff. – ständische 215 „Vorentwurf“ 1753 siehe Entwurf Azzoni 1753 Zeitschriften, juristische 235 ff. Zivilprozeßrecht 25, 42, 117 f., 159, 176, 203, 273