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German Pages 119 Year 2015
Schriften zum Steuerrecht Band 119
Stand und Entwicklung der steuerrechtlichen Mitunternehmerdoktrin Von
Tim Florstedt
Duncker & Humblot · Berlin
TIM FLORSTEDT
Stand und Entwicklung der steuerrechtlichen Mitunternehmerdoktrin
S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 119
Stand und Entwicklung der steuerrechtlichen Mitunternehmerdoktrin
Von
Tim Florstedt
Duncker & Humblot · Berlin
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Inhaltsübersicht Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1. Teil Bestandsaufnahme
18
§ 1 Der historische Entwicklungsverlauf der Mitunternehmerlehre im Einkommensteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 § 2 Darstellung des gegenwärtigen Stands der Mitunternehmerrechtsprechung . . . . . . . . 25 § 3 Zum Verhältnis von steuerrechtlicher Subjektivität von Personengesellschaften und Mitunternehmerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2. Teil Dogmatische und methodische Kritik
41
§ 4 Das Begründungsdefizit der Mitunternehmerjudikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 5 Zivilrechtliche Prämissen als Fehlerquellen des Mitunternehmerdogmas . . . . . . . . . . 52 § 6 Die methodologische Scheinlösung durch einen Rekurs auf die Lehre vom Typusbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3. Teil Folgerungen
75
§ 7 Überwindbare Theorieinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 § 8 Einbeziehung von Innengesellschaften als historisch ursprünglicher und verbleibender Theoriebereich für die sachvorgegebenen Problemaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 § 9 Möglichkeiten zu einer Hinwendung zu den freigelegten Sachfragen (Auswahl) . . . . 97 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Inhaltsverzeichnis Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Determinanten und Aufgaben einer Mitunternehmertheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Aufgabenstellung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1. Teil Bestandsaufnahme
18
§ 1 Der historische Entwicklungsverlauf der Mitunternehmerlehre im Einkommensteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Vorkonstitutionelle Gesetze und ursprüngliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Entfaltung des Mitunternehmerdogmas und die Rolle der Korrekturgesetzgebung 22 1. Entstehung der Mitunternehmerdoktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Die dogmenblinden Reaktionen durch den Gesetzgeber seither . . . . . . . . . . . . 24 § 2 Darstellung des gegenwärtigen Stands der Mitunternehmerrechtsprechung . . . . . . . . 25 I. Abstrakter Inhalt von „Risiko“ und „Initiative“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Konjunktion von „Risiko“ und „Initiative“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Kompensation von „Risiko“ und „Initiative“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 3 Zum Verhältnis von steuerrechtlicher Subjektivität von Personengesellschaften und Mitunternehmerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Das dogmatische Verständnis der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Ende der Bilanzbündeldoktrin als Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Der Beschluss zur Aufgabe der Gepräge-Rechtsprechung und zur doppelstöckigen GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Der Beschluss zum gewerbesteuerlichen Verlustabzug und zum gewerblichen Grundstückshandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Die Bedeutung der Korrekturgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Die Mitunternehmerlehre als dogmatisches Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
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Inhaltsverzeichnis 2. Teil Dogmatische und methodische Kritik
41
§ 4 Das Begründungsdefizit der Mitunternehmerjudikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Markteinkommensgedanke und Mitunternehmergedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Einkommenstheoretische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Markteinkommenstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Aufgabe und Bedeutung des Mitunternehmerbegriffs in unserem dichotomen System der Einkunftsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 § 5 Zivilrechtliche Prämissen als Fehlerquellen des Mitunternehmerdogmas . . . . . . . . . . 52 I. Dogmenvergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Die zivilrechtliche Prägung des Mitunternehmertatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Die zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Das zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Die Gesellschaftereigenschaft des Mitunternehmers aus zivilrechtlicher Sicht. 61 a) Der „gemeinsame Zweck“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Vom Unterschied zwischen Verbänden und kooperativen Schuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 c) Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 § 6 Die methodologische Scheinlösung durch einen Rekurs auf die Lehre vom Typusbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Die begriffslogische Redundanz der Typusfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Die rechtserzeugende Tendenz der Typusbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 II. Folgerung für die methodische Einordnung des Mitunternehmerbegriffs als „Typus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
3. Teil Folgerungen
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§ 7 Überwindbare Theorieinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Steuerliche Nichtanerkennung der gesellschaftsrechtlichen Teilhaberstellung als überflüssiges Rudiment der wirtschaftlichen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . 75 1. „Angestellter“ Komplementär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Nichtmitunternehmerische Kommanditisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Kommanditist als Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Realsplitting bei Familienpersonengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Verlustzuweisungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
Inhaltsverzeichnis
9
II. Ausdehnung der Mitunternehmergrundsätze auf nichtgesellschaftsrechtliche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. „Verdeckte“ Mitunternehmerschaften und Negation des zivilrechtlichen Trennungsprinzips (Durchgriff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. „Wirtschaftlich vergleichbare Gemeinschaftsverhältnisse“ (Fortsetzung) . . . . 82 3. Inpflichtnahme von Nichtgesellschaftern und revisionsrechtliches Korrektiv . 84 III. Die Mitunternehmerlehre als Mittel steuerrechtlicher Zuordnung . . . . . . . . . . . . 85 1. Treuhandverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Faktische Macht als zurechnungsbegründende Mitunternehmerinitiative . . . . . 86 § 8 Einbeziehung von Innengesellschaften als historisch ursprünglicher und verbleibender Theoriebereich für die sachvorgegebenen Problemaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 I. Die ursprünglichen Prämissen für die Entstehung der Mitunternehmerfigur . . . . 88 II. Wegfall der ursprünglichen Prämissen der Mitunternehmerdoktrin . . . . . . . . . . . 89 III. Zur Aussicht auf eine Theorierückbildung im Bereich der Innengesellschaften . . 92 1. Die zivilrechtliche Prägung des Mitunternehmertatbestands bei Innengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Die zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerinitiative von Innenkommanditisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Das zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerrisiko von Innenkommanditisten 93 c) Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Vereinfachung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 IV. Rückbezug zur Ausgangsfrage nach einem verbleibenden Theoriebereich einer Mitunternehmerdoktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 § 9 Möglichkeiten zu einer Hinwendung zu den freigelegten Sachfragen (Auswahl) . . . . 97 I. Differenzierte Rechtsfolgenrelevanz bei echtem unternehmerischem Handeln durch Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Gegenentwürfe zu einer Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Blockierung sinnvoller Differenzierungsversuche durch die Mitunternehmerdoktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Entprivilegierung von unentgeltlich erworbenen Mitunternehmeranteilen. Realsplitting bei Familienpersonengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Präliminarien Ein hoher Aufwand und ein großes Maß an dogmatischem und wissenschaftlichem Vermögen wurden eingesetzt, um Wege einer Neuformulierung unserer Steuergesetze zu finden und zu beschreiten. Die Reformbemühungen sind auf das unübersichtliche, inkohärente und inkonsequente steuerrechtliche corpus iuris bezogen, das mit seinen kostspieligen Anwendungsproblemen seit Jahrzehnten Anlass rechtspolitischer Kritik ist1. Für einen Neubau des Steuerrechts erfordert das „Richterrecht“ scheinbar keine besondere Aufmerksamkeit2. Auch die Mitunternehmerdoktrin als eine wichtige Einbruchstelle in die Gestaltungsfreiheit des Steuerpflichtigen steht in einer Kontinuität, die von Enno Becker bis in die Gegenwart reicht. Das richterliche Dogma ist bis zur Stunde niemals ernstlich in Frage gestellt worden. Diese Lücke in der Steuerrechtswissenschaft soll die vorliegende Abhandlung schließen. Wer sich an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligt – so unsere Sichtweise –, bezieht nicht zwangsläufig gewerbliche Einkünfte. Der Personengesellschafter muss als Mitunternehmer anzusehen sein. Er hat dazu über den Kapitaleinsatz hinaus besondere Risiken zu übernehmen sowie „initiativ“ im Betrieb mitzuwirken3. Ob dieser „unternehmerische“ Tatbestand verwirklicht ist, entscheidet darüber, ob Gewinn- oder Überschusseinkünfte vorliegen, wie der Gewinn ermittelt wird, welche Wertänderungen des Vermögens steuerlich erfasst werden, welche Freibeträge gelten, wie Verluste ausgeglichen werden können, wie hoch der Steuersatz ist oder welche Einnahmen steuerfrei sind. Die von Mitunternehmern eingesetzten Wirtschaftsgüter sind als Sonderbetriebsvermögen steuerverstrickt und an sie gezahlte Entgelte für Leistungen an eine gewerblich tätige Gesellschaft werden zu gewerblichen Einkünften umqualifiziert und dem Gewerbeertrag hinzugerechnet4. Man spricht heute ganz unbefangen davon, dass die Figur des Mitunternehmers ein unverzichtbares, gesetzlich vorgesehenes Element in unserem Besteuerungssystem der Personengesellschaften sei. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der 1 Für eine Übersicht über die Reformbemühungen Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 3, S. 1783 ff., S. 1820 ff.; s. auch Schön, DStZ 2008, Beihefter, S. 10 ff. und Hey, StuW 2013, 107 ff. 2 S. allerdings Tipke, der seit der 1. Aufl. der „Steuerrechtsordnung“ von der Judikatur einen größeren Beitrag zur Systemgerechtigkeit durch Richterrecht einfordert, Band 3, S. 1476 ff.; s. auch die Erwiderung aus der Richterschaft von Bozza-Bodden, StuW 2013, 84 ff. 3 Analoges gilt bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft und aus selbständiger Arbeit, § 13 Abs. 7 EStG, § 18 Abs. 4 S. 2 EStG. 4 Zu den Rechtsfolgen s. Schreiber, Mitunternehmer, S. 12 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 21 f.
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erreichte Stand von Recht und Dogmatik durchaus weiterer Überlegung bedarf. Die Theorie des Mitunternehmers beruht bereits in ihrem Kern auf einer Paradoxie: Im Steuerrecht gilt der Kommanditist als paradigmengleicher, „typusbildender“ Mitunternehmer5. Für die Handelsrechtslehre ist er aber der idealtypische Anleger, für den das dispositive Gesetzesleitbild entsprechende, nicht-unternehmerische Rechte und Pflichten vorsieht. Wege zur Entparadoxierung des „unternehmerischen Anlagegesellschafters“ durch ein Voranschreiten des Denkens werden weder angeboten noch gesucht. Unangemessen erscheint die Gedankenkonstruktion auch, wenn man auf ihre rechtspraktischen Resultate sieht. Das System muss bei einer Schlüsselfrage des Einkommensteuerrechts auf rationale, vorhersehbare Anwendung normativer Gebote verzichten6. Der Mitunternehmerbegriff wird charakterisiert als „rechtsunsicher“7, „nicht berechenbar“8, „zwangsläufig fast unüberschaubar kasuistisch“9, eine „cognito confusa“10, „unzumutbar“11, „zum Teil unverständlich“12, „widersprüchlich“13, und „ergebnisorientiert“14. Dieser Befund scheint streitfrei15.
5 So z. B. BFH v. 30. 7. 1975 – I R 174/73 – BStBl. II 1975, 818 (819); BFH v. 10. 11. 1977 – IV B 33 – 34/76 – BStBl. II 1978, 15 (19 f.); BFH v. 10. 8. 1978 – IV R 54/74 – BStBl. II 1979, 74 (75); BFH v. 15. 10. 1981 – IV R 52/79 – BStBl. II 1982, 342 (343). Das Mitunternehmerrisiko wird seit 1979 anhand des gesetzlichen Regelstatuts für den Kommanditisten beschrieben als Beteiligung an Gewinn, Verlust und Vermögen einschließlich des Geschäftswerts vgl. BFH v. 8. 2. 1979 – IV R 163/76 – BStBl. II 1979, 405 (408); BFH v. 24. 1. 1980 – IV R 156 – 157/78 – BStBl. II 1980, 271 (273); BFH v. 29. 4. 1981 – IV R 131/78 – BStBl. II 1981, 663 (664); BFH v. 25. 6. 1981 – IV R 61/78 – BStBl. II 1982, 59. 6 Die Mahnung Knobbe-Keuks bleibt berechtigt: „Es ist nachdrücklich der – offensichtlich verbreiteten – Vorstellung entgegenzutreten, daß Rechtssicherheit durch das Festhalten an zwar überkommenen, aber systematisch nicht einzuordnenden Sätzen gewährleistet würde. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade dann, wenn die Rechtsprechung zur Erstarrung verurteilt und gezwungen ist, an systemwidrigen Gebilden, die ein immer größeres Eigenleben außerhalb des Systems entfalten, festzuhalten, entsteht Rechtsunsicherheit“, vgl. Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 22 X 2 c, S. 869 f. (zur Betriebsaufspaltung). 7 Statt vieler Crezelius, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 355 (377); Knobbe-Keuk, StuW 1986, 106 (113 f.); Schreiber, Mitunternehmer, S. 103; Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 305. 8 Schreiber, Mitunternehmer, S. 104. 9 Bitz, DB 1984, 317. 10 Lanzenauer, Mitunternehmerbegriff, S. 61. 11 Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 23b, allerdings nur bis April 2014. 12 Wie zuvor. 13 Kneip, Mitunternehmer, S. 442. 14 Wie zuvor. 15 S. z. B. aus der Aufsatzliteratur Crezelius, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 355 (356 ff.); aus der Monographieliteratur die Darstellungen bei Kneip, Mitunternehmer, S. 192 ff.; ferner Schreiber, Mitunternehmer, S. 43 ff.; Troost, Abgrenzung, S. 116 ff. (zur stillen Gesellschaft); aus der Kommentarliteratur Littmann/Bitz/Pust, EstG, § 15 RdNr. 23 ff.
Präliminarien
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I. Determinanten und Aufgaben einer Mitunternehmertheorie Um die berechtigte Funktion der Mitunternehmerfigur deutlicher zu erkennen, ist es erforderlich, die Determinanten zu benennen, welche der Theoriebildung vorgegeben sind. Gedanke und Begriff der Mitunternehmerschaft stehen in einem grundlegenden Zusammenhang mit der Wahl des Besteuerungsmodells der Personengesellschaft, die durch eine Verzahnung von drei Prinzipien geprägt ist. Dem Primärziel einer vollständigen Abbildung der finanziellen Leistungsfähigkeit, nach dem alle Vermögenszuwächse eines Gesellschafters einschließlich einbehaltener Gewinne und Wertsteigerungen des ruhenden Gesellschaftsanteils zu erfassen sind, läuft das Realisationsprinzip zuwider. Es verlangt, dass der Vermögenszuwachs durch Umsatz, Leistungsaustausch oder auf sonstige Weise „verwirklicht“ ist16. Von hier aus ergibt sich unter dem Gleichheitssatz das Folgeproblem, dass der in der Gesellschaft erzielte Gewinn nicht im Wirtschaftsjahr der Entstehung, sondern bis zum Realisationsvorgang der Besteuerung entzogen ist – aber dann würden Personengesellschaften gegenüber Kapitalgesellschaften und Einzelunternehmen besser gestellt17. Das führt unweigerlich zu der Frage, durch welche Regelungstechnik das gemeinsam erwirtschaftete Ergebnis zeitangemessen erfasst werden soll18. Das deutsche Recht entscheidet sich in dieser Frage für Personengesellschaften dahingehend, dass das Gesellschaftsergebnis den Gesellschaftern unmittelbar, unabhängig von Entnahmerechten, zugerechnet wird, also für ein Modell der transparenten Besteuerung. Welches ist die Funktion und Aufgabe der Mitunternehmergrundsätze in diesem Bezugsfeld? Die Mitunternehmerdoktrin will eine umfassende Einheitstheorie für die verschiedensten Ordnungsprobleme sein: Sie dient u. a. 1. der Bestimmung derjenigen Steuersubjekte, denen das kollektiv erwirtschaftete Einkommen anteilig zugerechnet wird, 2. der Abgrenzung von Einkunftsarten, 3. der Abgrenzung von Erwerbs- und Privatsphäre, indem ein realisierter Wertzuwachs des Mitunternehmeranteils nicht mehr als privater Vorgang steuerlich ignoriert wird, oder indem die Kosten im Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb abzugsfähig sind, 4. der verdeckten Legitimationsgrundlage für die Belastung der Sondervergütungen mit Gewerbesteuer. Auf den ersten Blick werden die einzelnen Aspekte äußerst disparat erscheinen. Man kann drei Aufgabenfelder erkennen. Erstens. Zunächst lässt sich sagen, dass eine Hauptaufgabe der Mitunternehmerfigur in unserem dualistischen Einkünftesystem darin besteht, die gewerblichen 16
Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 6 I, S. 244 ff. Einfacher hat es Enno Becker formuliert: „Wollte man aber zulassen, einen Anteil an einer (…) Personengesellschaft, abgesehen von den ausgeschütteten Gewinnen oder Entnahmen, wie einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft immer höchstens mit dem ursprünglichen zur Beteiligung aufgebrachten Betrage zu führen, so wäre das allerdings ein außerordentlich bequemes Mittel, die Besteuerung zu vereiteln“, StuW 1933, Sp. 1138 (1158). 18 Schön, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 139 (147). 17
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oder freiberuflichen Einkünfte von solchen aus Kapital oder Arbeit abzugrenzen. Zwei Grundaussagen in diesem Systemrahmen – die Sonderbelastung der gewerblichen Einkünfte und die fiktive Gewerblichkeit der Kommanditbeteiligung – sind für das Mitunternehmerdogma wesentlich: Zunächst macht es erst die Belastung der gewerblichen Einkünfte mit der Gewerbesteuer nachvollziehbar, warum „Sondervergütungen“ von Gesellschaftern den Gesamtgewinn nicht verringern, sondern nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 2. Hs. EStG steuerrechtlich „negiert“ werden19. Die Gesellschafter können so die Bemessungsgrundlage nicht durch Abreden mit „ihrer“ Gesellschaft aushöhlen. Nicht weniger wichtig ist die zweite Systemvorgabe. Bedeutung und Aktualität konnte die richterliche Mitunternehmerdoktrin überhaupt erst durch die Einbeziehung von Kommanditisten in den Bereich gewerblicher Einkünfte erlangen20. Die Konsequenzen sind beträchtlich. Man sieht das bereits an dem Mitunternehmerbegriff, der im Kern eine Abstraktion des gesetzlichen Leitbildes eines Kommanditisten geblieben ist21. Angesichts dieser beiden Systemvorgaben würde es allerdings genügen, alle Teilhaber einer unternehmenstragenden, gewerblich tätigen Gesellschaft als Mitunternehmer zu erfassen, nicht nur die besonders „disponierten“ und mittätigen „Mitunternehmerpersönlichkeiten“. Der historische Grund, warum es zu dem Theorieversuch kam, einen genuin steuerlichen Tatbestand der Mitunternehmerschaft zu formulieren, sind die Einordnungsprobleme gewesen, welche die sogenannten „atypischen stillen Gesellschaften“ einer freirechtlich inspirierten Steuerrechtswissenschaft der 1920er Jahre bereiteten. Dieser Grund bestimmt den Mitunternehmerbegriff bis heute. Der gedankliche Ausgangspunkt bleibt ein „wirtschaftlicher“ Vergleich: Hat ein stiller Gesellschafter, der handelsrechtlich Fremdkapitalgeber ist22, kommanditistentypische Rechte, soll er steuerrechtlich wie ein Kommanditist als Mitunternehmer anzusehen sein23. Ein Kommanditist „minderen Rechts“ wird umgekehrt wie ein „typischer“ stiller Beteiligter behandelt24. Die Aufgabe, welche man der Mitunternehmerdoktrin in diesem Kontext zutraut, ist aber nicht einfach nur die einer Abgrenzungshilfe. Durch die Einbeziehung von Kommanditisten in den Bereich der gewerblichen Einkünfte ging das alte Unterschei19 Knobbe-Keuk, Das Steuerrecht – eine unerwünschte Rechtsquelle des Gesellschaftsrechts, S. 47 ff.; dies., Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 11 IV, S. 461 ff. 20 S. dazu, dass die Einkünftequalifikation bei Kommanditisten in fremden Rechten, etwa dem französischen Recht, anders geregelt ist, und der Kommanditist Einkünfte aus Kapitalvermögen bezieht, Schön, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 139 (160). 21 Grundlegend BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769) und seither ständige Rspr. 22 S. § 236 HGB, näher Karsten Schmidt, DB 1976, 1705 ff.; ders., ZHR 140 (1976), 475 ff.; ders., Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 13. Anders noch z. B. Würdinger, JZ 1953, 226 (227). 23 RFH v. 2. 3. 1926 – A 163/25 – RFHE 18, 162 (164) im Anschluss an Becker, StuW 1925, Sp. 1579 (1603 ff.); eingehender unten, S. 28 ff. und S. 88 f. 24 Bis heute ständige Rspr. siehe z. B. BFH v. 3. 5. 1993 – GrS 3192 – BFHE 171, 246 (257) = BStBl. II 1993, 616 (621).
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dungskriterium zwischen den Einkünften aus Gewerbe und Kapital, die persönliche Haftung, unweigerlich verloren25. Es lässt sich nicht durch den reduzierten Haftungszugriff bei Kommanditisten ersetzen. Das Besteuerungssystem der Personengesellschaft verliert damit insgesamt an Überzeugungskraft und die Mitunternehmertheorie lässt sich als Versuch verstehen, die aufgerissene Lücke im Begründungsfundament zu besetzten. Man ist deswegen dazu übergegangen, den Mitunternehmertatbestand und die Rechtfertigung der gewerblichen Steuerfolgen gleichsam zusammenzuziehen, um damit die Legitimation der Belastungsfolge sicherzustellen: die Zuweisung des gemeinschaftlich erzielten Gewinns sei nur bei mit-tätigen und mit-unternehmerischen Teilhabern gerecht26. Zweitens. Ein weiteres Funktionsfeld der Mitunternehmertheorie bezieht sich auf die Charakterisierung der Personengesellschaft als zivilrechtsfähiges Subjekt mit transparenter Besteuerungsart. Mit Gründung einer Personengesellschaft entstehen Gestaltungsspielräume für Gesellschafter, welche, wie erwähnt, u. a. die steuerrechtliche Negation von Leistungen an die Gesellschaft erforderlich machen. Die Problematik setzt sich unter dem Einfluss des subjektiven Einkommensbegriffs in verstärktem Maße fort. Man kann für ein Beispiel das viel diskutierte Realsplitting bei Familienpersonengesellschaften nehmen, bei dem ein Unternehmer die Betriebsgrundlagen einer neu gegründeten KG verpachtet und seine Frau und Kinder als Personengesellschafter beteiligt, um auf diesem Weg den Tarif zu senken und Freibeträge mehrfach zu nutzen27. Die Bedenken gegen eine solche Gestaltung, vor allem gegen den Versuch, aufgrund von geschenkten Anteilen an minderjährige Kinder ein solches Splitting zu erreichen, haben bekanntlich dazu geführt, dass Gerichte die Mitunternehmerschaft der Kinder nicht anerkannt haben28. Man kann allgemeiner formulieren: Die Teilhaber einer Personengesellschaft können steuerliche Sachverhalte durch Einschaltung einer Gesellschaft willkürlich verändern. Insofern hilft die Mitunternehmerdoktrin, diese Gestaltungsfreiheit zu begrenzen29. Drittens. Damit ist das ganze Aufgabenfeld der Mitunternehmerlehre noch nicht abgesteckt. Die Ambiguität eines disparaten Fallrechts mit seinem schwankenden Entwicklungsverlauf ist ein klares Zeichen eines echten steuerrechtlichen Generaltatbestands. Der frühe Versuch, den Mitunternehmerbegriff in einem abstrakten Kontext zu bestimmen und die Entscheidung, ihm eine Schlüsselfunktion im Besteuerungskonzept der Personengesellschaft zuzuweisen, haben einen allgemeinen Korrekturmechanismus verfügbar gemacht. Ein Grund der begrifflichen Unschärfe wird darin zu sehen sein, dass die Mitunternehmergrundsätze zum Instrument der 25 S. die Kritik an der Bedeutung der pers. Haftung im Zusammenhang mit der transparenten Besteuerung Hennrichs, FR 2010, 721 (727); ihm zustimmend Schön, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 139 (146 f.). 26 S. nur BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (406). 27 Statt aller Ludwig Schmidt, FR 1989, 328 f. 28 Exemplarisch BFH v. 4.8.1971 – I R 209/69 – BStBl. II 1972, 10. 29 S. auch die Kritik bei Schön, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 139 (151 f. und 162).
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Feinjustierung wurden, das eine situative Abwägung zulässt, ob die Steuerfolgen der Gewerblichkeit angemessen sind oder nicht. Dabei ist gleichgültig, von welcher konkreten Rechtsfolge her man sich der Subsumtion unter den Mitunternehmerbegriff nähert, fast stets lassen die Merkmale eine Entscheidung für oder gegen die Mitunternehmerschaft zu. Die Prädikate „Risiko“ und „Initiative“ sind so allgemein, dass sie in nahezu jedem Rechtsverhältnis vorgefunden werden können. Eine Minimierung der begrifflichen Anforderungen genügt, um völlig passive Kapitalgeber zu mittätigen Unternehmergesellschaftern zu stilisieren. Seither verschwenden Richter und Rechtsberater ihre Aufmerksamkeit daran, diese minimalen begrifflichen Unterschiede von Anlegergesellschaftern und Anlegergläubigern festzustellen, um daraus Folgerungen für oder gegen eine letztlich rein fiktive Gewerblichkeit ziehen zu können.
II. Aufgabenstellung der Arbeit Der gegenwärtige Stillstand der Rechtsreform gibt die Gelegenheit für eine Überprüfung hin auf entbehrliche Theorieinhalte des Mitunternehmerdogmas. Für die Steuerrechtswissenschaft des 20. Jahrhunderts war die Mitunternehmerlehre eine wichtige Konstante. In einem instabilen Bezugssystem, das von dem Streit um das Primat des Zivilrechts ebenso wie von der Diskussion über Vielheit oder Einheit der Personengesellschaft geprägt wurde, hat man die traditionelle Mitunternehmerfigur ohne tiefere Erklärung hingenommen. Es bedarf kaum einer Begründung, dass eine erklärende Grundlegung vor einer Neufassung der Steuerrechtsordnung verfügbar sein sollte. Angesichts des fragwürdigen Zustands und der zentralen Bedeutung der Theorie kann sich die Steuerrechtswissenschaft nicht auf die Deskription des angehäuften Rechtsstoffs und auf Erklärungsversuche beschränken. Wenn die Mitunternehmerdoktrin den Anspruch erhebt, Gesellschafter mit Einkünften aus Gewerbe und solche mit Einkünften aus Kapital anhand eines steuerlich„wirtschaftlichen“ Mitunternehmertatbestands voneinander zu unterscheiden, ist es notwendig, um zu einer geschlossenen Dogmatik zu kommen, dass sie imstande ist, die Rechtsfolgen der Mitunternehmerschaft als gerecht nachweisen zu können. Ist dies eigentlich der Fall? Genügt es, die gegenwärtige Mitunternehmerproblematik durch eine Einheitstheorie mit zahlreichen begrifflichen und kasuistischen Ausdifferenzierungen und Ausnahmen zu erfassen? Welches sind die heute notwendigen Theorieaufgaben, welches die zufällig entstandenen, überwindbaren Dogmeninhalte? Diese Fragestellungen sind Gegenstand dieses Buches. Zunächst soll kurz behandelt werden, welchen Stand die Mitunternehmerjudikatur inzwischen erreicht hat. Es muss dann über die Dogmenentwicklung seit den 1920er Jahren berichtet werden. Auch setzt ein tieferes Verständnis einen Querbezug zur Diskussion um die Subjektivität der Personengesellschaft voraus. Der zweite Teil des Buches kann zu einer theoretischen Kritik übergehen. Die einführenden Bemerkungen können nicht verbergen, dass eine kritische Distanzierung von dem Dogma einen Schwerpunkt der
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Abhandlung bildet, doch geht es nicht einfach um Ablehnung der richterlichen Grundsätze. Erst eine kritische Analyse, so scheint es, kann überhaupt Auskunft darüber geben, wo entbehrliche Theorieinhalte in dem verfilzten Fallmaterial zu vermuten sind, durch deren Überwindung sich der chaotische Rechtsstoff vereinfachen lässt. Sie soll umgekehrt helfen, die verbleibenden, sinnvollen Theorieinhalte besser zu verstehen.
1. Teil
Bestandsaufnahme § 1 Der historische Entwicklungsverlauf der Mitunternehmerlehre im Einkommensteuerrecht Für ein tieferes Verständnis der Mitunternehmerdoktrin ist es sinnvoll, mit einigen Vorbemerkungen zu den früheren handelsrechtlichen Prämissen zu beginnen. Bis in die 1930er Jahre hatte die Steuerrechtswissenschaft ein Primat privatrechtlicher Lehre und Praxis im Sinne einer bindenden Vorgabe anerkannt30. Der frühere Entwicklungsstand des Zivilrechts ist in dreierlei Hinsicht – der Rechtsunfähigkeit von Handelsgesellschaften, der Kaufmannseigenschaft ihrer Gesellschafter und der Figur der „Erwerbsgesellschaft“ – für ein Verständnis der Entwicklungsgeschichte wesentlich. 1. Im 19. Jahrhundert war offen, ob die Handelsgesellschaften „juristische Personen“, „relative juristische Personen“ oder Zwischengebilde seien31. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich eine Lehre durchgesetzt, der zufolge die OHG und die KG als an sich rechtsunfähig galten32. In der Gesamthandsgesellschaft ein rechtsfähiges Subjekt zu sehen, ist eine recht junge Errungenschaft der Handelsrechtslehre33. 2. Ebenso offen war im 19. Jahrhundert die Frage, ob die Personenhandelsgesellschaft oder ihre Gesellschafter als Kaufmann anzusehen sind34. Bald überwog das bis heute vorherrschende Verständnis, nach dem die Kaufmannseigenschaft der persönlichen Haftung folgt: offene Handelsgesellschafter und Komplementäre, nicht aber Kommanditisten gelten als Kaufleute35. 3. Der heute ungebräuchliche Oberbegriff „Erwerbsgesellschaft“ vereinte unternehmenstragende juristische Personen und nicht rechtsfähige Handelsgesellschaften, aber auch die un30 Siehe statt vieler Schön, Auslegung, S. 17; Walz, Steuergerechtigkeit, S. 212 ff.; eingehender sogleich auf S. 19 f. 31 Siehe etwa Endemann/Lasting, Handbuch, Erster Band, § 74, S. 311 ff. m. N. 32 § 124 HGB wurde als Fiktion ausgegeben, siehe die ständige Rechtsprechung (zur OHG) RGZ 56, 209; RGZ 106, 141; RGZ 107, 171; RGZ 117, 262; RGZ 136, 270; ferner Julius v. Gierke, Handelsrecht, 8. Aufl., 6. Band, § 31, S. 184 (zur OHG). 33 Grundlegend Flume, ZHR 136 (1972), 177 (190 ff.); statt aller Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 105 RdNr. 7. 34 Vgl. den Überblick zum Meinungsstand z. B. Endemann/Lasting, Handbuch, Erster Band, § 82, S. 347 f. 35 Siehe ADHGB-Protokolle = Lutz, Protokolle, S. 1259 (ohne Angabe von Gründen); siehe ferner BGHZ 34, 293 (296 f.); BGHZ 45, 282 (284).
§ 1 Der historische Entwicklungsverlauf
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ternehmenstragende Gesellschaft bürgerlichen Rechts36. Die besondere Bedeutung der „Erwerbsgesellschaft“ bürgerlichen Rechts lässt sich auf die Enge des alten Kaufmannsbegriffs zurückführen. Freiberufliche und künstlerische Unternehmen oder nicht eingetragene Kleingewerbe, Land- oder Forstwirtschaftsunternehmen wurden von „Erwerbsgesellschaften“ betrieben, deren begriffliche Kriterien auf Ebene der Gesellschaft, nicht der Gesellschafter liegen – die Gesamtheit der Gesellschafter musste als Betriebsinhaber anzusehen sein37. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, wie sehr die vorkonstitutionelle Steuergesetzgebung von zivilrechtsnahem Denken geprägt war.
I. Vorkonstitutionelle Gesetze und ursprüngliche Bedeutung Das Preußische Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 189138 – das historische Vorbild für viele Einkommensteuergesetze der Länder39 – rechnete den von der „Erwerbsgesellschaft erzielte[n] Geschäftsgewinn (…), den einzelnen Teilhabern nach Maßgabe ihres Anteils“ zu40. Auch das PrOVG ging von einem Vorrang der Zivilrechtsdoktrin aus41 und meinte deswegen, die „Erwerbsgesellschaft“ selbst erziele den Unternehmensgewinn42 ; der Inhaber des Gewerbebetriebs sei die Gesamtheit der Mitglieder der Gesellschaft43. Das PrOVG ermittelte den Gewinn der Gesellschaft wie den einer natürlichen Person44. Zwischen unternehmerischen und passiven Gesellschafterklassen zu unterscheiden, kam niemandem in den Sinn. 36 Vgl. etwa Reg. Begr., Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, I. Session, Band 301, Anlage zu den stenographischen Berichten Nr. 871, S. 17 und dazu noch sogleich im Text. 37 Vgl. Reg. Begr., Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, I. Session, Band 301, Anlage zu den stenographischen Berichten Nr. 871, S. 17. 38 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1891, 175 ff. 39 Vgl. etwa Schreiber, Mitunternehmer, S. 33. 40 § 14 S. 4 Nr. 2 PrEStG, Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1891, 175 (181). Auch das PrEStG v. 1906 enthielt noch die Formulierung, des von einer „Erwerbsgesellschaft erzielten Geschäftsgewinns“; zitiert nach BFH v. 10. 11. 1980 – GrS 1/79 – BStBl. II 1981, 164 (167). Unlängst hat Hüttemann, StuW 2014, 58 ff. überzeugend nachgewiesen, wieso die wesentlichen Strukturen unseres geltenden Unternehmenssteuerechts bereits vor den Weltkriegen bestanden haben und seither nicht verändert wurden. 41 Das PrOVG führte aus, dass es sich „falls nicht gewichtige Gründe entgegenstehen, der Auffassung der Civilgerichte anzuschließen“ habe, vgl. m. N. Kurth, Mitunternehmer, S. 128 ff. 42 Vgl. PrOVG v. 11. 5. 1896 – Rep. VI. 1145/95 – PrOVGSt 5, 122 (125); PrOVG v. 7. 4. 1900 – Rep. VI. 5/99 – PrOVGSt 9, 14 (18). 43 Zitiert nach Meßmer, StbJb 1972/73, 127 (135). 44 PrOVG v. 7. 4. 1900 – Rep. VI. 5/99 – PrOVGSt 9, 14 (18); PrOVG v. 6. 12. 1913 – VI. G. 61/13 – PrOVGSt 16, 430 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Das Wort „Mitunternehmer“ ist im geschriebenen Recht des 19. Jahrhunderts nicht enthalten45. Erstmals erwähnt wird es im zweiten Gesetz zum Wehrbeitrag46 und im Besitzsteuergesetz von 191347: „Das Betriebsvermögen einer offenen Handelsgesellschaft oder einer anderen Erwerbsgesellschaft, bei welcher der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist, wird den einzelnen Teilhabern nach dem Verhältnis ihres Anteils zugerechnet“48. Die Kommanditgesellschaft bleibt unerwähnt. In der Begründung ist zu den „Erwerbsgesellschaften“ ausgeführt, es seien solche Gesellschaften gemeint, „bei denen die Gesamtheit der Gesellschafter als Inhaber des Betriebs gelten. Im Gegensatz hierzu stehen solche Erwerbsgesellschaften (z. B. Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung), die selbst als Betriebsinhaber anzusehen sind, deren Gesellschaftsanteile somit zum Kapitalvermögen der Anteilseigner zählen“.49 Das Wort „Mitunternehmer“ sollte nur den unternehmenstragenden Charakter der „anderen Gesellschaft“ beschreiben. Das erste einheitliche Einkommensteuergesetz des Reichs vom 29. März 192050 führte diese Ansätze fort: Zu dem Einkommen aus Gewerbebetrieb gehörte „bei Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Erwerbsgesellschaft, bei der der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist, ihr Anteil am Geschäftsgewinn zuzüglich einer etwaigen besonderen Vergütung, die der Gesellschafter für Mühewaltungen im Interesse der Gesellschaft für deren Rechnung bezogen hat“51. Der Gewinn ist nunmehr ein Gewinn der Gesellschafter52. Auch das ist Ausdruck des vergangenen Primats des Zivilrechts, denn zivilrechtliche Judikatur und Lehre waren, wie gesagt, dazu übergegangen, in den Personengesellschaften des Handelsrechts kein Subjekt im Rechtsverkehr und in § 124 HGB eine Fiktion zu sehen53. Die erstmalige Nennung der Kommanditgesellschaft, die in der Entwurfsfassung 45
Siehe auch Schreiber, Mitunternehmer, S. 33. RGBl. 1913, 505. 47 RGBl. 1913, 524. 48 Jeweils § 4 Abs. 2 des Wehrbeitrag- und des Besitzsteuergesetzes, RGBl. 1913, 505, 524. 49 Reg. Begr., Verhandlungen des Reichstags, XIII. Legislaturperiode, I. Session, Band 301, Anlage zu den stenographischen Berichten Nr. 871, S. 17. 50 RGBl. 1920, 359. 51 § 7 Nr. 3 REStG 1920, RGBl. 1920, 359. Die Formulierung „Geschäftsgewinn der Erwerbsgesellschaft“ wurde gestrichen; eine inhaltliche Änderung sollte damit nicht verbunden sein; vgl. Strutz, EStG 1925, § 29 RdNr. 28. 52 Strutz unterschied die „Personalgesellschaften“, deren einzelne Gesellschafter als Unternehmer anzusehen seien, von den unternehmerisch tätigen „Kapitalgesellschaften“, vgl. EStG 1925, § 29 RdNr. 23; vgl. auch § 65 EStG 1925: der Geschäftsgewinn der Gesellschaft, an „der mehrere Personen als Unternehmer (Mitunternehmer) beteiligt sind“, sei einheitlich festzustellen. 53 Vgl. RGZ 56, 209; RGZ 106, 141; RGZ 107, 171; RGZ 117, 262; RGZ 136, 270; ferner Julius v. Gierke, Handelsrecht, 8. Aufl., 6. Band, § 31, S. 184 (zur OHG). 46
§ 1 Der historische Entwicklungsverlauf
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noch fehlte, fällt besonders auf54. Zur Begründung hieß es: „Der Berichterstatter führte aus, daß der Kommanditist einer Kommanditgesellschaft nicht als Kaufmann angesehen werde und deshalb eine Klarstellung erforderlich sei, ob der Kommanditist als ,Mitunternehmer des Betriebes‘ anzusehen sei“55. Es ist wichtig, den historischen Hintergrund in die Betrachtung einzubeziehen. Die Inflation hatte den fiskalischen Bedarf radikal erhöht; das REStG 1920 wurde fortlaufend novelliert und früh durch das REStG 1925 abgelöst56. Einer freirechtlich inspirierten Zeit schien es hier unangemessen, den Kommanditisten aus dem Bereich gewerblicher Einkünfte auszunehmen, weil ihm das Handelsrecht die Kaufmannseigenschaft absprach. Es ging jedenfalls nicht darum, den Kommanditisten nach steuerrechtlichen Maßstäben den Klassen „unternehmerisch“ und „nicht-unternehmerisch“ zuzuordnen, sondern, im Gegenteil, gerade darum, auch die rein kapitalistisch beteiligten Kommandisten zu erfassen. Die Reichseinkommensteuergesetze von 1925 und 1934 erstreckten die steuerrechtliche Negation schuldrechtlicher Verträge auf Entgelte für Darlehen und überlassene Wirtschaftsgüter57. Der Gewerbeertrag sollte nicht durch frei gestaltbare Abreden zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft beliebig gesenkt werden können. Dies war dem reichseinheitlichen Gewerbesteuergesetz verpflichtet58, das die Gewerbesteuer, anders als das Preußische Einkommensteuergesetz59, an die Gewinnermittlung des Einkommensteuergesetzes anknüpfte60. Weder die Stellung der Personengesellschaft im Einkommensteuerrecht noch die Funktion der Mitunternehmerschaft wurden überdacht61. Man kann festhalten: Die Worte „andere Gesellschaft, bei der der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist“, sollten ursprünglich eine damals sogenannte „Erwerbsgesellschaft“ bürgerlichen Rechts bezeichnen, also Außengesellschaften, bei denen die Gesamtheit der Gesellschafter als Betriebsin54 Vgl. § 7 Abs. 3 des Entwurfes, Drs. Nr. 1624 der Nationalversammlung 1919, S. 2. Die Rede war nur von „Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft oder einer anderen Erwerbsgesellschaft, bei der der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) anzusehen ist (…)“. Einen Grund etwas zu ändern, sah zunächst niemand, vgl. die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 340, Anlage zu den stenographischen Berichten, Drs. Nr. 1624, S. 43. 55 Drs. Nr. 2149 der Nationalversammlung 1920 zu § 7, S. 5; vgl. auch Keuk, StuW 1974, 1 (3). 56 Siehe Icking, Einkommensteuerrecht, S. 85. 57 Insbes. § 15 REStG 1934. Zu der Entwicklung Schreiber, Mitunternehmer, S. 38 f. 58 Begründung des Einkommensteuergesetzes v. 16. 10. 1934, RStBl. 1935, 33 (42). 59 Im Preußischen Gewerbesteuergesetz von 1891 war die Bemessungsgrundlage noch ein eigener Gewerbeertrag. 60 Vgl. auch die Begründung des Einkommensteuergesetzes v. 16. 10. 1934, RStBl. 1935, 33 (42). 61 Vgl. auch Schreiber, Mitunternehmer, S. 35 ff.; Hallerbach, Personengesellschaft, S. 103 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
haber anzusehen ist. Teilhaber dieser Erwerbsgesellschaften hießen Mitunternehmer. Sie mussten sich nicht durch individuelle unternehmerische Momente qualifizieren.
II. Entfaltung des Mitunternehmerdogmas und die Rolle der Korrekturgesetzgebung Dieses erste Ergebnis der historischen Analyse erklärt das heutige Verständnis von Mitunternehmerschaft nicht. Wie konnte es dazu kommen, dass man eine Mitunternehmerqualifikation jedes Gesellschafters verlangt und diese selbst bei den Personenhandelsgesellschaften prüft? Wieso wurden stille Gesellschafter, Erbengemeinschafter oder Darlehensgeber als Mitunternehmer besteuert? 1. Entstehung der Mitunternehmerdoktrin In der Zeit zwischen den Kriegen stand eine radikal-positivistische Forderung nach einer „reinen Rechtslehre“62 des Neukantianers Hans Kelsen u. a. der spekulativen, hegelianisch inspirierten Methodenlehre der Kieler Schule einschließlich des jungen Karl Larenz63 gegenüber. In dieser Zeit löste sich das Steuerrecht, das man bis dahin als Annexrecht begriffen hatte, vom Zivilrecht. In der Weimarer Republik haben insbesondere Kurt Ball64, Max Lion65 und Enno Becker66 für ein Steuerrechtssystem mit einer eigenständigen Begrifflichkeit gekämpft. Das Unbehagen gegenüber einer strengen Bindung an zivilrechtliche Sachverhalte und Dogmen artikulierte sich durch das Postulat der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“, nach dem der Richter den Sachverhalt mit „Gestaltungskraft“ und „Blick für das Wirkliche“ erfasst und würdigt67. Die Mitunternehmerdoktrin wurde später als Hauptanwendungsbereich dieser Lehre betrachtet68. Das historisch erste Anwendungsbeispiel dieser Doktrin war die „uneigentliche stille Gesellschaft“69. Unter dem Vorsitz Enno Beckers, der diese Ansicht in einer
62
Kelsen, Reine Rechtslehre, passim. Larenz, Gegenstand, passim. Eingehender unten, S. 66 ff. 64 Steuerrecht und Privatrecht, S. 110 ff. 65 VJSchrStuFR 1927, S. 132 ff. 66 StuW 1931, Sp. 429 ff.; ders., StuW 1934, Sp. 299 ff.; ders., StuW 1939, Sp. 745 ff.; vgl. auch sogleich im Text. 67 So die viel zitierten Worte Beckers, RAO, § 4 RdNr. 2a, S. 43 f. 68 Vgl. RFH v. 10. 9. 1930 – VI 178/30 – RStBl. 1931, 190: die Mitunternehmerfigur sei das Hauptbeispiel der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“. 69 Unterscheidung erstmals bei Flechtheim, nach dem nur ein „uneigentlicher“ stiller Gesellschafter an stillen Reserven und am Firmenwert beteiligt ist, s. Düringer/Hachenburg/ Flechtheim, HGB, Bd. 5, 1924, § 340 RdNr. 4. 63
§ 1 Der historische Entwicklungsverlauf
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Abhandlung vorbereitet hatte70, ordnete der VI. Senat des RFH im Jahr 1926 die „nichttypischen“ stillen Gesellschaften als Mitunternehmerschaften im Sinne des § 29 Nr. 3 EStG 1925 ein71. Es heißt ohne weitere Begründung: „Die an den Anlagewerten und damit mit ihrem Vermögen unmittelbar am Gedeih und Verderb des Geschäfts beteiligten Gesellschafter gehören, auch wenn sie im übrigen als stille Gesellschafter bezeichnet oder aufgefaßt sind, steuerrechtlich zu den Mitunternehmern des Betriebs, und ihr Einkommen ist, wie das der Kommanditisten oder der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, Einkommen aus Gewerbebetrieb (…)“72. Dies ist seither der gedankliche Kern der Mitunternehmertheorie geblieben: Der „uneigentliche“ Stille stehe wirtschaftlich gesehen dem Kommanditisten nahe; habe dieser eingeschränkte Rechte, sei er vice versa wie ein gesetzestypischer Stiller zu besteuern73. Auf derselben Linie liegt der Ansatz der Bilanzbündeltheorie: Die zivilrechtlich fingierte Selbständigkeit der Personengesellschaft wird nicht mehr zur Kenntnis genommen, die Personengesellschaft wird auf die Summe der Mitunternehmer und ihre Bilanz auf die Summe ihrer Bilanzstäbe reduziert74. Das Ende dieser Gedankenlinie war die Vorstellung, es komme gar nicht mehr auf zivilrechtliche Positionen an. Dieses Ende wurde in der Ära der „faktischen Mitunternehmerschaft“ erreicht75. Gleichzeitig mit der Emanzipation gegenüber dem Handelsrecht – „es gilt“, so später der Große Senat des RFH, „nicht das, wofür der Schein spricht, sondern das, was wirklich ist“76 – wird die Freiheit des Rechtsanwenders aufgewertet77. Trotz der
70 StuW 1925, Sp. 1579 ff. zu § 7 EStG 1920 der Vorläuferregel zu § 29 Nr. 3 EStG 1925, dem heute § 15 EStG entspricht. 71 RFH v. 3. 2. 1926 – VI A 163/25 – RFHE 18, 162 (164). 72 RFH v. 3. 2. 1926 – VI A 163/25 – RFHE 18, 162 (164) mit Hinweis auf die Abhandlung Enno Beckers, StuW 1925, Sp. 1579 ff. 73 Siehe oben, S. 14. 74 Zur Bilanzbündeltheorie vgl. RFH v. 10. 1. 1940 – VI 704/39 – RStBl. 1940, 134; eingehend zur Geschichte der Bilanzbündeltheorie z. B. Meßmer, StbJb. 1972/1973, 127 ff.; Überblick etwa bei Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 I 1, S. 362 ff.; Kirchhof/Söhn/Reiß, EStG, § 15 RdNr. E 33 f. 75 S. dazu die Übersichten bei Döllerer, JbFStR. 1986/1987, 37 ff. und Schreiber, Mitunternehmer, S. 53 f. 76 Gutachten des RFH vom 25. 4. 1936 – GrS D 2/36 – RFHE 39, 193, 200; vgl. auch die Kommentierung Beckers, RAO, § 4 RdNr. 2. 77 Nicht von ungefähr geht der Reichsfinanzhof im Jahr 1929 dazu über, die Mitunternehmerkritierien nicht weiter zu konturieren, sondern eine Gesamtbetrachtung des Richters im Einzelfall vorzunehmen, s. RFH v. 20. 11. 1929 – I A 1487/29 – RStBl. 1930, 195; RFH v. 17. 7. 1930 – III A 203/29 – RStBl 1931, 42 (43); RFH v. 13. 7. 1933 – III A 259/33 – RStBl. 1933, 895 (896); aus der Rspr. s. nur BFH v. 12. 1. 1954 – I 188/53 U – BStBl. III 1954, 101 (102); BFH v. 26. 6. 1964 – VI 302/62 – BStBl. III 1964, 501 (502); BFH v. 28. 11. 1974 – I R 232/72 – BStBl. II 1975, 498 (499); BFH v. 19. 2. 1981 – IV R 152/76 – BStBl. II 1981, 602 (604); BFH v. 10. 2. 1987 – VIII R 297/81 – BFH/NV 1987, 637 (639). Die Lehre hat sich dem im Wesentlichen angeschlossen, vgl. nur Becker, StuW 1934, Sp. 299 (310 ff.); Jakob, BB 1986,
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1. Teil: Bestandsaufnahme
erheblichen Rechtsunsicherheit sind in dieser Zeit kaum Bemühungen einer Begriffsbestimmung zu verzeichnen. Lange werden die zu betrachtenden Kriterien gar nicht benannt. Die Vermögensteilhabe bleibt zwar das entscheidende Kriterium78; eine Beteiligung an der Geschäftsführung, ist in einer frühen Entscheidung zu lesen, führe nur zu einer „ungewöhnlichen“ typischen stillen Gesellschaft79. Kurze Zeit später wurde die Mitunternehmerschaft eines ausscheidenden Seniorenchefs davon abhängig gemacht, ob er „weiterhin aus eigenem Recht die Seele des Betriebs“ sei80. In dieser Zeit – immerhin die Blütezeit der Kieler Schule –, entband das Instrument der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ den Richter scheinbar von den Grundforderungen jeder juristischen Dogmatik. Erst der Bundesfinanzhof hat die im Freirecht verwurzelte Entwicklungslinie abgebrochen. Er erkannte das Primat des Zivilrechts an81. Später verwarf er zunächst die Bilanzbündeltheorie82 und schließlich die Figur der „faktischen Mitunternehmerschaft“83. In der Folgezeit hatte die Steuerrechtswissenschaft unweigerlich ein Regelungsmodell der Personengesellschaften auszudifferenzieren, das zwischen den Extremen von Einheit und Vielheit oszilliert84. 2. Die dogmenblinden Reaktionen durch den Gesetzgeber seither Die geschilderten Regeln des REStG wurden in das EStG 1949 überführt85. Seither hat der Gesetzgeber den jeweiligen dogmatischen Standpunkt der Judikatur vielfach kritiklos übernommen, wie anhand von drei Beispielen zu veranschaulichen ist86. 1615 (1617); Boettcher, Mitunternehmerschaft, S. 46; Überblick über die Kritik bei Schreiber, Mitunternehmer, S. 49. 78 St. Rspr. siehe RFH v. 20. 3. 1930 – VI A 358/30 – RStBl. 1930, 297; RFH v. 1. 5. 1930 – VI A 235/29 – StuW 1930, Sp. 1615; RFH v. 8. 3. 1933 – I A 330/31 – RStBl. 1933, 405 (406); RFH v. 14. 3. 1934 – VI A 111/34 – RStBl. 1934, 810 (811); RFH v. 14. 4. 1937 – VI A 159/37 – RStBl. 1937, 683. 79 RFH v. 25. 1. 1927 – I A 385/26 – RFHE 20, 194 (196) zu Widerspruchsrechten. 80 RFH v. 9. 3. 1938 – VI 81/38 – RStBl. 1938, 643 (644). 81 Vgl. BFH v. 12. 7. 1960 – I 96/59 – BStBl. III 1960, 387 ff.; BFH v. 20. 10. 1965 – II 119/ 62 U – BStBl. III 1965, 697 ff.; BFH v. 12. 7. 1967 – I 204/64 – BStBl. III 1967, 781 ff. 82 BFH v. 8. 1. 1975 – I R 142/72 – BStBl. II 1975, 437, s. noch unten, S. 34 f. 83 S. BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751, s. die Nachw. in Fn. 75. 84 Statt vieler Schön, StuW 1996, 275 (276 ff.), eingehend unten, S. 34 ff. 85 Näher Schreiber, Mitunternehmer, S. 39 ff. 86 Auch die Sicht der Einkommensteuerkommission ist bezeichnend. Die Judikatur zum „Mitunternehmer“ wird nicht hinterfragt, man liest nur, dass der Begriff fallrechtlich hinreichend konturiert sei, vgl. Untersuchungen zum Einkommensteuerrecht – Bericht der Einkommensteuerkommission, Schriftenreihe des BdF Heft 7, 178. Die Kommission empfahl, sich noch weiter von den zivilrechtlichen Vorgaben zu lösen und auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen, vgl. ebenda. Stellvertretend ist auch der Entwurf des Einkommensteuerreformgesetzes Mitte der 1970er Jahre, dessen § 14 die Bilanzbündeltheorie festschreiben sollte, vgl.
§ 2 Darstellung des gegenwärtigen Stands
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Erstens hatte, wie gesagt, schon der RFH „seine“ Mitunternehmerdoktrin auf Personenhandelsgesellschafter bezogen. Der Gesetzgeber ist ganz offenbar von diesem Verständnis ausgegangen, wenn in § 7g Abs. 7 S. 2 Nr. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG von „Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 2“, also allen dort erwähnten Gesellschaften die Rede ist. Dass dies ein Bruch mit dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG bedeutet, der nur die „anderen Gesellschaften“ als Mitunternehmerschaften vorsieht, wurde offenbar nicht wahrgenommen87. Zweitens wurde die Erbengemeinschaft spätestens mit dem Beschluss GrS 4/82 in den Kreis möglicher Mitunternehmerschaften integriert88. Das wurde kurze Zeit nach diesem Beschluss in § 14a Abs. 4 S. 5 EStG beim Freibetrag für die Veräußerung von Grund und Boden berücksichtigt. Man sah keinen Anlass, dies näher auszuführen89. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG können drittens Darlehensgeber Mitunternehmer sein. Die Norm entstand in der Zeit der „faktischen Mitunternehmerschaft“ und kann anders nicht erklärt werden90. Der Gesetzgeber übernahm, was er in der Judikatur vorfand und als die Zeit der „faktischen Mitunternehmerschaft“ endete, wandten die Gerichte die Norm nicht mehr an – heute ist sie eine lettre morte91. Diese im Gesetzeswortlaut anklingenden, und von den Gesetzgebungsorganen unbedacht übernommenen dogmatischen Ansichten können für die Norminterpretation nicht entscheidend sein, mit anderen Worten: Die Antwort auf eine historische Situation, nicht der Ausdruck, den sie gefunden hat, ist bindend92. Dass beispielsweise § 6 Abs. 5 S. 2 EStG das Sonderbetriebsvermögen erwähnt, stützt dieses Dogma ebenso wenig, wie man in § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 EStG eine solide Theoriebasis für die „faktische Mitunternehmerschaft“ erkennen kann.
§ 2 Darstellung des gegenwärtigen Stands der Mitunternehmerrechtsprechung Die Kriterien der Mitunternehmerschaft wurden stufenweise entwickelt. Die gesellschaftsrechtlich vermittelte Teilhabe am Gewinn sowie an stillen Reserven und BT-Drs. 7/1470 v. 9. 1. 1974, S. 21; und unter dem Eindruck der Kritik in der Literatur, v. a. durch Keuk, StuW 1974, 1 ff. und Meßmer, StKgR 1974, 281 (304 ff.), sah man davon ab, um den Prozess der richterlichen Fortbildung des Einkommensteuerrechts nicht zu unterbrechen; zur Entwicklung vor dem Steuerbereinigungsgesetz 1986 vgl. Schreiber, Mitunternehmer, S. 39 ff. 87 S. näher unten, S. 41 f. 88 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751. 89 Vgl. die Begründung im Bericht des Finanzausschusses in BT-Drs. 10/4513, S. 21. 90 Vgl. Art. 2 des KStRefG v. 31. 8. 1976, BGBl. I 1976, 2597 (2617), zur „faktischen Mitunternehmerschaft siehe oben, § 1 II 1. 91 Siehe statt vieler Blümich/Ratschow, EStG, § 20 RdNr. 254. 92 Siehe nur Staudinger/Honsell, Einl. zum BGB, 2013, RdNr. 114 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 328 ff.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
am Geschäftswert (gemeinhin als Vermögensteilhabe bezeichnet)93 war das erste, eine „leitende Tätigkeit“ das historisch zweite Kriterium94; später wurden weitere Indizien benannt95 und den Topoi „Risiko“ und „Initiative“ zugeordnet. In zwei Richtungen setzte der Große Senat in dem sog. Gepräge-Beschluss vom 25. Juni 1984 einem freien und ausufernden Entwicklungsgang Grenzen, die bis heute gelten: Erstens wird die Vorherigkeit der zivilrechtlichen Gesellschafterstellung akzeptiert (der Sachverhalt wird nicht mehr rein „wirtschaftlich“ betrachtet) und der Kreis der Mitunternehmer wird auf Gesellschafter begrenzt96. Nur wenige wirtschaftlich vergleichbare Gemeinschaftsverhältnisse wurden ausgenommen. Mitunternehmer könne es geben in: Erben- oder Gütergemeinschaften, Bruchteilsgemeinschaften97, fehlerhaften Gesellschaften98, sowie in Pacht-99, Nießbrauch-100 und Treuhandverhältnissen101. Der Versuch einiger süddeutscher Finanzgerichte und der süddeutschen Finanzverwaltung, den Kreis der mitunternehmerischen Personenmehrheiten in Richtung der „faktischen Mitunternehmerschaft“ auszudehnen und auf das Erfordernis der „Gesellschaft“ im zivilrechtlich Sinne ganz zu verzichten102, wurde als zu weitgehend empfunden103 und durch den Gepräge-Beschluss unterbunden104. Seither
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RFH v. 2. 3. 1926 – A 163/25 – RFHE 18, 162 (164). RFH v. 23. 11. 1928 – VI A 94 – StuW 1928, Sp 284 f. („leitende Tätigkeit“); RFH v. 9. 3. 1938 – VI 81/38 – RStBl. 1938, 643 (644); vgl. unklar hingegen RFH v. 4. 5. 1938, RStBl. 1938, 647. 95 Zu diesen sogleich unter I. Zu den Anfängen der Entwicklung siehe bereits S. 22 ff. 96 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (766). 97 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (768). 98 Vgl. BFH v. 22. 1. 1985 – VIII R 303/81 – BStBl. II 1985, 363 (364). 99 Siehe nur BFH v. 14. 11. 1979 – I R 123/76 – BStBl. II 1980, 432; unklar hingegen BFH v. 22. 1. 1985 – VIII R 303/81 – BStBl. II 1985, 363 (364); kritisch dazu Peter Fischer, FR 1998, 813 (817). 100 Etwa BFH v. 11. 4. 1973 – IV R 67/69 – BStBl. II 1973, 528 ff.; siehe ferner Schön, StbJb 1996/97, 45 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 31 ff.; Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 171, 305 ff. 101 BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (700); BFH v. 16. 5. 1995 – VIII R 18/93 – BStBl. II 1995, 714; BFH v. 12. 10. 1999 – VIII R 67/98 – BFH/NV 2000, 427 f.; dazu noch unten, S. 85 f. 102 Verfügungen v. 1. 12. 1983 der OFD Freiburg, OFD Karlsruhe und OFD Stuttgart, siehe dazu und zur Rechtsprechung Döllerer, JbFStR. 1986/1987, 37 ff. und Schreiber, Mitunternehmer, S. 53 f. 103 So meint Döllerer, „daß wir drauf und dran waren, ein Volk von Mitunternehmern zu werden“, JbFStR 1986/1987, 37 (50). 104 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751; das Erfordernis einer zivilrechtlichen Gesellschaft zwinge – so die Auskunft des Berichterstatters des Beschlusses GrS 4/82 – gerade in Zweifelsfällen dazu, das Risiko genau zu prüfen, s. Erdweg, FR 1984, 601 (606); zu seiner Aufgabe als Berichterstatter vgl. Beierl, Einkünftequalifikation, S. 45. 94
§ 2 Darstellung des gegenwärtigen Stands
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stellt sich die Frage nach der „faktischen Mitunternehmerschaft“ nur in veränderter Form, und zwar als Frage nach „verdeckten“ Gesellschaftsverhältnissen105. Zweitens wird ein Mindestmaß an „Risiko“ und „Initiative“ von jedem Mitunternehmer gefordert. Die Kennzeichen des Mitunternehmers sind anhand zweier entgegengesetzter Ideale entwickelt worden, dem realtypisch-soziologischen des Unternehmers und dem gesetzestypischen des Kommanditisten. Von dem ersten übernimmt der Mitunternehmerbegriff die Prädikate („Risiko“ und „Initiative“); mit Hilfe des Regelstatuts des Kommanditisten werden diese Prädikate mit Inhalten gefüllt. Im Normalfall habe der Mitunternehmer deswegen eine Rechtsposition, die der eines gesetzestypischen Kommanditisten angenähert sei106 oder entspreche107, jedenfalls nicht wesentlich dahinter zurückbleibe108. Der Vergleichsmaßstab ist das Regelstatut, nicht die Rechtspraxis109. Die Teilhabe an Gewinn und Vermögen (§§ 738 ff. BGB, §§ 138, 155, 161 Abs. 2, 168 HGB) sowie an Verlusten (§ 167 Abs. 3 HGB) wird dem Bereich des „Risikos“, das Stimmrecht (§§ 161 Abs. 2, 119 HGB), das Widerspruchsrecht (§ 164 S. 2 HGB) und das Kontrollrecht (§ 166 HGB) dem der „Initiative“ zugerechnet. Von Beginn an vermied die Judikatur eine genauere Konturierung des Begriffs. Am 18. März 1942 wurde „Initiative“ als ein Merkmal begriffen, das anhand von Indizien zu ermitteln sei110. Auch der Bundesfinanzhof unternahm anfangs eine „Gesamtbetrachtung“ im Einzelfall111. In einem Beschluss vom 21. Februar 1974 behauptet der IV. Senat, der Mitunternehmerbegriff könne nicht definiert werden112,
105 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (768); s. etwa BFH v. 28. 10. 2008 – VII R 32/07 – BFH/NV, 2009, 355 (356): dort hatte die Vorinstanz eine OHG zwischen einem Einzelunternehmer und einer Angestellten fingiert; vgl. zur Problematik bereits Lucas, FR 1986, 112. 106 So z. B. BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769); BFH v. 21. 4. 1988 – IV R 47/85 – BStBl. II 1989, 722 (724); weitgehend BFH v. 10. 11. 1987 – VIII R 166/84 – BStBl. II 1989, 758; die Verwaltung reagierte mit einem Nichtanwendungserlass, abgedruckt in DB 1989, 2099. 107 S. etwa BFH v. 29. 1. 1976 – IV R 73/73 – BStBl. II 1976, 324 (327); BFH v. 23. 6. 1976 – I R 178/74 – BStBl. II 1976, 678 (679); BFH v. 25. 6. 1981 – IV R 135/78 – BStBl. II 1981, 779 (780) (jew. zur Familien-KG). 108 Vgl. z. B. BFH v. 30. 7. 1975 – I R 174/73 – BStBl. II 1975, 818 (820); BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769); BFH v. 11. 7. 1989 – VIII R 41/84 – BFH/NV 1990, 92 (93). 109 Kritik an dieser Sichtweise bei Knobbe-Keuk, StbJb 1989/1990, 185 (197); Dornbach, DB 1976, 1397 (1399); zum Meinungsstand siehe Kneip, Mitunternehmer, S. 192 ff. 110 Vgl. RFH v. 18. 3. 1942 – VI. 236/41 – RFHE 51, 270 (insbes. 274 ff.). 111 Vgl. BFH v. 12. 1. 1954 – I 88/53 U – BStBl. III 1954, 101; BFH v. 22. 11. 1955 – I 139/54 S – BStBl. III 1956, 4. Das geläufige Wort eines BFH-Richters zum Mitunternehmer – „und wenn man sonst nicht weiter kann, kommt es auf’s Gesamtbild an“ (zit. nach Meßmer, StKgR 1974, 281 (291)) – ist durchaus berechtigt. 112 BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (406).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
da er als „offener Typus“ nur in einem Gesamtbild erkennbar sei113. Das ist bis zum heutigen Tag die Sicht des BFH geblieben114.
I. Abstrakter Inhalt von „Risiko“ und „Initiative“ Bei einer typologisch-vergleichenden Rechtsanwendung werden die Prädikate („Risiko“, „Initiative“) beschrieben, nicht bestimmt. Aber selbst eine nähere Umschreibung des „Mitunternehmers“ unterblieb zunächst115. Richter verglichen den Sachverhalt auf seine Ähnlichkeit hin mit den gesetzestypischen Rechten des Kommanditisten116. Abstrakt umschreibt die Rechtsprechung die Merkmale erst seit dem Gepräge-Beschluss. „Mitunternehmerinitiative bedeutet vor allem Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen, wie sie z. B. Gesellschaftern oder diesen vergleichbaren Personen als Geschäftsführer, Prokuristen oder anderen leitenden Angestellten obliegen (…). Ausreichend ist indes schon die Möglichkeit zur Ausübung von Gesellschafterrechten, die wenigstens den Stimm-, Kontroll- und Widerspruchsrechten angenähert sind, die einem Kommanditisten nach dem HGB zustehen (…) oder die den gesellschaftsrechtlichen Kontrollrechten nach § 716 Abs. 1 BGB entsprechen (…)“.117 Und: „Mitunternehmerrisiko bedeutet gesellschaftsrechtliche oder einer dieser wirtschaftlich vergleichbaren Teilnahme am Erfolg oder Misserfolg 113 BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (407), im Anschluss an Raupach, Durchgriff, S. 77. 114 S. nur BFH v. 28. 10. 2008 – VII R 32/07 – BFH/NV 2009, 355 (356); BFH v. 10. 10. 2012 – VIII R 42/10 – BFH/NV 2013, 317 (318). 115 So in ständiger Rechtsprechung bis zum Gepräge-Beschluss z. B. BFH v. 28. 1. 1971 – IV 127/64 – BStBl. II 1971, 662 (664); BFH v. 11. 4. 1973 – IV R 67/69 – BStBl. II 1973, 528 (530); BFH v. 9. 12. 1976 – IV R 47/72 – BStBl. II 1977, 155 (158); BFH v. 22. 6. 1977 – I R 185/75 – 1977, 836 (838); BFH v. 10. 8. 1978 – IV R 54/74 – BStBl. II 1979, 74 (75); BFH v. 28. 1. 1982 – IV R 197/79 – BStBl. II 1982, 389 (390). 116 So z. B. BFH v. 30. 7. 1975 – I R 174/73 – BStBl. II 1975, 818 (819); BFH v. 10. 11. 1977 – IV B 33 – 34/76 – BStBl. II 1978, 15 (19 f.); BFH v. 10. 8. 1978 – IV R 54/74 – BStBl. II 1979, 74 (75); BFH v. 15. 10. 1981 – IV R 52/79 – BStBl. II 1982, 342 (343). Das Mitunternehmerrisiko wird seit 1979 anhand des gesetzlichen Regelstatuts für den Kommanditisten beschrieben als Beteiligung an Gewinn, Verlust und Vermögen einschließlich des Geschäftswerts vgl. BFH v. 8. 2. 1979 – IV R 163/76 – BStBl. II 1979, 405 (408); BFH v. 24. 1. 1980 – IV R 156 – 157/78 – BStBl. II 1980, 271 (273); BFH v. 29. 4. 1981 – IV R 131/78 – BStBl. II 1981, 663 (664); BFH v. 25. 6. 1981 – IV R 61/78 – BStBl. II 1982, 59. 117 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769), Hervorhebung des Verf. Rspr., Lehre und Verwaltung sind dem gefolgt. Vgl. zur ständigen Folgerechtsprechung z. B. BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 272/84 – BStBl. II 1986, 802 (805); BFH v. 10. 11. 1987 – VIII R 166/ 84 – BStBl. II 1989, 758 (759); BFH v. 4. 11. 1997 – VIII R 18/95 – BStBl. II 1999, 384. Zur h. L.: Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 263; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 23; Groh, BB 1982, 1229 (1232); Horn, BB 1985, 2036 ff.; Jakob, BB 1986, 1615 (1618); Costede, StbKR 1987, 239 (243); Dornbach, FR 1976, 391 (396); Lothar Fischer, BB 1986, 779 (780); Lucas, FR 1986, 115 und 634; Schulze zur Wiesche, DB 1987, 551 ff., ders., FR 1987, 216 (217); Reusch, Stille Gesellschaft, S. 56.
§ 2 Darstellung des gegenwärtigen Stands
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eines gewerblichen Unternehmens. Dieses Risiko wird regelmäßig durch Beteiligung am Gewinn und Verlust sowie an den stillen Reserven des Anlagevermögens einschließlich eines Geschäftswerts ermittelt (…)“.118 Auch eine unbeschränkte persönliche Haftung119, eine Übernahme von Wechselbürgschaften120 oder eine besondere wirtschaftliche Verbindung zum Unternehmen121 könne ein hinreichendes Risiko begründen. Die Kumulation von Risiken aus Austauschverträgen genüge nicht122. Folgende Aspekte sprechen gegen eine Mitunternehmerschaft: ein fehlender Gewinnanteil123; Wertlosigkeit des Einlagegegenstands von beschränkt haftenden Gesellschaftern124 ; eine Hinauskündigungsklausel mit Buchwertabfindung125 ; Begrenzungen der Gesellschafterrechte von Kindern, welche die Volljährigkeit überdauern126. Schädlich soll es auch sein, wenn keine Gewinnteilhabe zu erwarten ist, etwa weil ein Verkaufspreis des Anteils bei dem Eintritt fixiert wurde127, wenn die Beteiligung befristet ist und innerhalb der Frist nicht mit Gewinnen zu rechnen ist128, oder wenn die Rückübertragung des Anteils vorbehalten bleibt129. 118 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769), Hervorhebung des Verf. Zur Folgerechtsprechung siehe die Nachweise zuvor. Dem folgend z. B. Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 23; Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 264; Groh, BB 1982, 1229 (1230); Lothar Fischer, BB 1986, 779 (780); Horn, BB 1985, 2036 (2038); Lucas, FR 1986, 115 f. und 634; Schulze zur Wiesche, BB 1982, 1974 (1976); Reusch, Stille Gesellschaft, S. 57. Kritisch zum Risikokriterium z. B. Loritz, Mitarbeit, S. 456. 119 BFH v. 17. 1. 1980 – IV R 115/76 – BStBl. II 1980, 336 (338). 120 BFH v. 28. 10. 1981 – I R 25/79 – BStBl. II 1982, 186 (188). 121 BFH v. 11. 12. 1980 – IV R 91/76 – BStBl. II 1981, 310 (313 f.). 122 BFH v. 22. 1. 1985 – VIII R 303/81 – BStBl. II 1985, 363 (364 f.); BFH v. 31. 1. 1985 – IV R 104/82 – BFH/NV 1986, 17 (18); BFH v. 28. 1. 1986 – VIII R 335/82 – BStBl. II 1986, 599 (600); BFH v. 14. 8. 1986 – IV R 22/85 – BFH/NV 1988, 291 f.; BFH v. 11. 9. 1986 – IV R 82/85 – BStBl. II 1987, 111 f.; BFH v. 23. 8. 1990 – IV R 58/59 – BFH/NV 1991, 661 (662); BFHE 173, 28, BFH v. 23. 7. 1993 – VIII R 50/92 – BStBl. II 1994, 282 (284 ff.) BFH v. 1. 8. 1996 – VIII R 12/94 – BFHE 181, 423 (430); vgl. auch mit weiteren Nachweisen Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 24. 123 BFH v. 23. 7. 1993 – VIII R 50/92 – BStBl. II 1994, 282 (285); BFH v. 28. 10. 1999 – VIII R 66 – 70/97 – BStBl. II 2000, 183 (184); offen gelassen in BFH v. 27. 5. 1993 – IV R 1/92 – BStBl. II 1994, 700 (701). 124 BFH v. 31. 5. 2012 – IV R 40/09 – BFH/NV 2012, 1440 (1442). 125 BFH v. 5. 7. 1979 – IV R 27/76 – BStBl. II 1979, 670 (672, allerdings nur für die Risikorechte); BFH v. 29. 4. 1981 – IV R 131/78 – BStBl. II 1981, 663 (664); dazu m. N. Troost, Abgrenzung, S. 155. Das soll auch gelten, wenn ein pauschaler Aufschlag zur Abgeltung der Reserven vereinbart ist, BFH v. 8. 2. 1979 – IV R 163/76 – BStBl. II 1979, 405 (409, zur Familien-KG); das gelte auch bei einer Teilhabe an stillen Reserven, nicht aber am Geschäftswert, vgl. BFH v. 15. 10. 1981 – IV R 52/79 – BStBl. II 1982, 342 (343); anders wohl BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (407). 126 BFH v. 25. 6. 1981 – VI R 135/78 – BStBl. II 1981, 779. 127 BFH v. 10. 11. 1977 – IV B 33 – 34/76 – BStBl. II 1978, 15 (19 f.). 128 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (770); BFH v. 13. 6. 1989 – VIII R 47/85 – BFHE 157, 192 (196) = BStBl. II 1989, 720 ff. 129 BFH v. 16. 5. 1989 – VIII R 196/84 – BStBl. II 1989, 877 (878).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
II. Konjunktion von „Risiko“ und „Initiative“ Die Konjunktion der Begriffsprädikate („Risiko“, „Initiative“) erschien anfangs unproblematisch. Das mit einer Vermögensteilhabe übernommene „Risiko“ wurde als zentrales, der wesentliche Einfluss auf die Unternehmensleitung als randläufiges Kriterium angesehen130. Diese Sicht wurde in der Blütezeit der Bilanzbündeltheorie fragwürdig. Die Urteile lassen sich zwei Lagern zuordnen. In vielen Urteilen wurden die Vermögensteilhabe und der unternehmerische Einfluss als gleichberechtigte Kriterien verstanden, die jeweils eine Mitunternehmerschaft begründen131. In einem zweiten Lager stehen Urteile des BFH132 und bereits des RFH133, die für eine Mitunternehmerschaft das Vorliegen beider Merkmale fordern. In der Mitte der 1970er Jahre gewann dieses Lager die Oberhand134 und wurde durch den Großen Senat im Gepräge-Beschluss bestätigt135. Das Entscheidende, die Frage, in welchem Umfang beide Merkmale vorliegen müssen, blieb unbeantwortet136. Kann das Nichtvorliegen eines Merkmals ausgeglichen werden, und worin besteht dann ein inhaltlicher Unterschied zur alternativen Verknüpfung? Und wenn es richtig ist, dass beide Merkmale vorliegen müssen: warum wird bis heute auf Urteile aus einer Zeit verwiesen, in
130 RFH v. 23. 11. 1928 – VI A 94 – StuW 1928, Sp. 284 f. („leitende Tätigkeit“); unklar RFH v. 9. 3. 1938 – VI 81/38 – RStBl. 1938, 643 (644: der „Seniorenchef“ bleibe die „Seele des Betriebs“); siehe auch RFH v. 4. 5. 1938 – VI 213/38 – RStBl. 1938, 647: „tatsächliche Machtstellung“ als Teilaspekt in der Gesamtwürdigung. 131 BFH v. 9. 9. 1954 – IV 574/53 U – BStBl. III 1954, 317 (318). Wer am Vermögen beteiligt sei, sei Mitunternehmer, ist zu lesen in: BFH v. 12. 1. 1954 – I 88/53 U – BStBl. III 1954, 101 (102); BFH v. 13. 2. 1962 – I 55/61 U – BStBl. III 1962, 84 (84 f.); BFH v. 11. 12. 1962 – I 27/62 – HFR 1963, 140 (141); BFH v. 26. 6. 1964 – VI 302/62 – BStBl. 1964 III 501 (502); BFH v. 4. 8. 1971 – I R 209/69 – BStBl. II 1972, 10 (12). 132 Vgl. BFH v. 21. 3. 1961 – I 249/60 – HFR 1961, 220 (221 f.); BFH v. 5. 8. 1965 – IV 138/ 65 U – BStBl. III 1965, 560. 133 Vgl. RFH v. 14. 3. 1934 – VI A 111/34 – RStBl. 1934, 810 (811); RFH v. 27. 2. 1935 – VI A 1364 – StuW 1935, Sp. 654 (655 f.); RFH v. 27. 7. 1938 – VI 391/38 – RStBl. 1938, 908 (909). 134 Vgl. bereits BFH v. 17. 11. 1964 – VI 319/63 U – BStBl. III 1965, 260. Seit den siebziger Jahren ist die kumulative Verknüpfung Bestandteil beinahe jeder Entscheidung vgl. z. B. BFH v. 28. 1. 1971 – IV 127/64 – BStBl. II 1971, 662 (664); BFH v. 23. 1. 1974 BStBl. II 1974, 481; BFH v. 30. 7. 1975 – I R 174/73 – BStBl. II 1975, 818 (819); BFH v. 9. 12. 1976 – IV R 47/72 – BStBl. II 1977, 155 (158); BFH v. 22. 6. 1977 – I R 185/75 – 1977, 836 (838); BFH v. 10. 11. 1977 – IV B 33 – 34/76 – BStBl. II 1978, 15 (19); BFH v. 10. 8. 1978 – IV R 54/74 – BStBl. II 1979, 74 (75); BFH v. 8. 2. 1979 – IV R 163/76 – BStBl. II 1979, 405 (408). Seither ständige Rechtsprechung vgl. z. B. aus den achtziger Jahren BFH v. 29. 4. 1981 – IV R 131/78 – BStBl. II 1981, 663 (664); aus den neunziger Jahren etwa BFH v. 27. 5. 1993 – IV R 1/92 – BStBl. II 1994, 700 (701). 135 S. BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769): „Die Hauptmerkmale können im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein. Sie müssen jedoch beide vorliegen“. 136 Zu seiner Ambivalenz siehe auch Schön, StuW 1996, 275 (277); Jackob/Hörmann, FR 1990, 33 (34 f.).
§ 2 Darstellung des gegenwärtigen Stands
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der ein „Risiko“ oder eine „Initiative“ für eine Mitunternehmerschaft ausreichend sein sollte?137 Die Konjunktion der Merkmale ist nur vordergründig geklärt.
III. Kompensation von „Risiko“ und „Initiative“ Um das zu erkennen, sind zunächst der Ausgleich eines schwachen „Risikos“ und dann der einer schwachen „Initiative“ kurz näher zu betrachten. Erst durch eine gewisse Detailkenntnis lässt sich vermitteln, wie kasuistisch und unklar der Mitunternehmer bleibt. Zunächst zum Ausgleich eines schwachen Mitunternehmerrisikos: Es kann auffallend einfach kompensiert werden138. Wer nur an Gewinn und Verlust, nicht aber am Vermögen beteiligt ist, sei Mitunternehmer, wenn er ein Mehrheitsstimmrecht139 oder eine Geschäftsführungsbefugnis inne habe140. In besonders gelagerten Fällen steige das Gewicht der Mitunternehmerinitiative141, etwa wenn die übrigen Gesellschafter keine nennenswerten Mitsprachemöglichkeiten haben142. Wie sehr sich die Rechtsprechung auf den jeweiligen Fall bezieht, lässt sich durch das Urteil vom 28. Januar 1971 veranschaulichen. Der BFH hatte das Mitglied einer Familien-OHG, welches keine Geschäftsführungsrechte und nur ein schwach ausgeprägtes „Risiko“ hatte, als Mitunternehmer angesehen; es reiche aus, dass der Gesellschafter tatsächlich selbständig unternehmerisch in dem Betrieb tätig wurde. Als ein ausgleichsfähiges Mindestrisiko wurde es gewertet, dass dem mitunternehmerischen Sohn, dem kein Gewinnanteil zustand, Entnahmen nach dessen Bedürfnissen gestattet wurden143. In BFH, BStBl. II 1986, 891, ist sogar zu lesen, es könne einen Mangel an Vermögensteilhabe ausgleichen, wenn alle maßgebenden Entscheidungen rein tatsächlich „miterörtert und mitgetragen“ werden144. Analog dazu wurde auch ein stiller Gesellschafter mit „Geschäftsführungsbefugnissen“145 oder einer
137 Solche Verweise werden indes seltener; Beispiele finden sich in dem Urteil des BFH v. 25. 4. 2006 – VIII R 74/03 – BFH/NV 2006, 1564 (1565) und in BFH v. 7. 12. 2004 – VIII R 58/ 02 – BStBl. II 2005, 390 (391). 138 Vgl. Schreiber, Mitunternehmer, S. 69. 139 BFH v. 11. 4. 1973 – IV R 67/69 – BStBl. II 1973, 528 (530). 140 BFH v. 26. 2. 1987 – IV R 147/85 – BFH/NV 1989, 363. 141 BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 53/82 – BStBl. II 1986, 798 (804). 142 BFH v. 11. 12. 1980 – IV R 91/76 – BStBl. II 1981, 310 (313 f.). 143 BFH v. 28. 1. 1971 – IV 127/64 – BStBl. II 1971, 662 (664). 144 BFH v. 6. 5. 1986 – VIII R 300/82 – BStBl. II 1986, 891 (892 f. betont wird allerdings auch, das Gesellschaftsvermögen falle in casu nicht ins Gewicht). 145 Siehe etwa BFH v. 28. 1. 1982 – IV R 197/79 – BStBl. II 1982, 389 (390); ferner BFH v. 5. 7. 1978 – I R 22/75 – BStBl. II 1978, 644 (646); BFH v. 18. 2. 1993 – IV R 132/91 – BFH/NV 1993, 649 f.; BFH v. 16. 12. 1997 – VIII R 32/90 – BStBl. II 1998, 480 (484); siehe allerdings zu den Einschränkungen noch sogleich im Text.
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1. Teil: Bestandsaufnahme
„Teilhabe an allen maßgebenden Entscheidungen“ als Mitunternehmer qualifiziert, obwohl er keinen Anteil am Vermögen hielt146. Noch einfacher ist der Ausgleich einer schwachen Mitunternehmerinitiative. Der „Initiativ-Mitunternehmer“ mit schwachem Risiko erscheint heute als Ausnahme147, der „Risiko-Mitunternehmer“ als Regelfall. Die noch in dem Beschluss GrS 4/82 geforderten Stimm-, Kontroll- und Widerspruchsrechte eines Kommanditisten148 brauchen nur rudimentär ausgeprägt zu sein. Bloße Kontrollrechte werden zur unternehmerischen „Initiative“ stilisiert. So wurden Gesellschafter, denen nur Kontrollrechte nach § 716 BGB zustanden, als Mitunternehmer angesehen, weil sie persönlich hafteten149. Später äußerte der VIII. Senat den folgenden fragwürdigen Gedanken: Der stille Gesellschafter sei nicht dazu berufen, das Unternehmen mitzuleiten; das Gesetz gewähre ihm aus diesem Grund nur schwache Verwaltungsrechte; deswegen (!) müsse man für seine Mitunternehmerinitiative weniger fordern150. Das leitete geradezu einen Verzicht auf eine Initiative von stillen Mitunternehmern ein. Jeder Anteil an einem nach verkehrsüblichen Methoden berechneten Geschäftswert151 genügt seither für eine stille Mitunternehmerschaft152. Der Bundesfinanzhof hat diese Regel mehrfach bestätigt und konkretisiert153. Das Erfordernis
146 BFH v. 11. 4. 1973 – IV R 67/69 – BStBl. II 1973, 528 (530). Die Mitunternehmerschaft des still beteiligten Geschäftsführers verneinend, wenn die stille Beteiligung einem Fremdvergleich nicht standhält, etwa BFH v. 22. 10. 1987 – IV R 17/84 – BStBl. II 1988, 62 (64); BFH v. 13. 7. 1993 – VIII R 50/92 – BStBl. II 1994, 282 ff.; BFH v. 1. 8. 1996 – VIII R 12/94 – BStBl. II 1997, 272 ff.; anders BFH v. 16. 12. 1997 – VIII R 32/90 – BStBl. II 1998, 480 (484). Das Hinzutreten sonstiger Umstände wird z. B. gefordert in BFH v. 13. 7. 1993 – VIII R 50/92 – BStBl. II 1994, 282; zur umfangreichen Kasuistik s. den Überblick bei Kneip, Mitunternehmer, S. 415, 430, 481 ff.; Schreiber, Mitunternehmer, S. 66 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 23. 147 So liest es sich auch in BFH v. 21. 1. 1981 – IV B 41/80 – BStBl. II 1981, 424 (426, für stille Gesellschaften); ausf. Axel Schmidt, Leistungsbeziehungen, S. 132 f. 148 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769). 149 Vgl. BFH v. 19. 2. 1981 – IV R 152/76 – BStBl. II 1981, 602 (604, der Gesellschafter hatte Kontrollrechte nach § 716 BGB und haftete im Außenverhältnis); BFH v. 28. 10. 1981 – I R 25/79 – BStBl. II 1982, 186 (188, der Gesellschafter hatte Kontrollrechte nach § 716 BGB, Zustimmungsrechte und haftete im Außenverhältnis für Wechselbürgschaften). 150 BFH v. 13. 6. 1989 – VIII R 47/85 – BStBl. II 1989, 720 (722); ähnlich schon BFH v. 12. 11. 1985 – VIII R 364/83 – BStBl. II 1986, 311 (314). 151 BFH v. 7. 12. 1989 – IV R 79/88 – BFH/NV 1991, 364. 152 Vgl. BFH v. 12. 11. 1985 – VIII R 364/83 – BStBl. II 1986, 311 (314 f.); BFH v. 24. 7. 1986 – IV R 103/83 – BStBl. II 1987, 54 (56); BFH v. 13. 6. 1989 – VIII R 47/85 – BStBl. II 1989, 720 (722). 153 So kann die Teilhabe an stillen Reserven des Sonderbetriebsvermögens neben der Beteiligung am Geschäftswert ausreichen, s. BFH v. 6. 5. 1986 – VIII R 300/82 – BStBl. II 1986, 891 (893). Ist das Kontrollrecht nach § 233 HGB um ein jederzeitiges Kontrollrecht erweitert, genüge es, wenn dem Gesellschafter der Geschäftswert allein zustehe; eine Beteiligung an stillen Reserven sei nicht erforderlich, vgl. BFH v. 12. 11. 1985 – VIII R 364/83 – BStBl. II 1986, 311 (314); ein pauschaler Zuschlag zu einer Buchwertabfindung für den Ge-
§ 3 Steuerrechtliche Subjektivität von Personengesellschaften
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einer „Initiative“ für Kommanditisten ist dagegen seltsamerweise nicht in diesem Maß entwertet worden154. Der Bruch mit der ursprünglichen Idee der Mitunternehmerschaft – dem wirtschaftlichen Vergleich von stillem Gesellschafter und Kommanditisten – ist offenbar.
§ 3 Zum Verhältnis von steuerrechtlicher Subjektivität von Personengesellschaften und Mitunternehmerschaft Aus bilanzbündeltheoretischer Perspektive ist der Gesellschafter Inhaber eines eigenen Betriebs. Die Gesellschaft gilt als nicht existent, so dass es Plausibilitätswert hat, von dem Mitunternehmer eine gewisse unternehmerische Betätigung und Aktivität zu fordern – wer sonst sollte in diesem Denkmodell gewerblich tätig sein? Nach dem Verzicht auf den romanistischen Denkansatz eines Bilanzbündels von Gesellschafter-Unternehmern hatte man in den 1970er Jahren das Verhältnis zwischen der zum Subjekt erhobenen Gesellschaft und ihren Mitgliedern dogmatisch neu zu bestimmen155. Man kann bezweifeln, dass eine solche dogmenklare Erfassung dieser wechselseitigen Bezogenheit von Subjektcharakter und Mitunternehmereigenschaft befriedigend gelungen ist156. Betrachten wir das genauer.
I. Das dogmatische Verständnis der Rechtsprechung Für einen ersten Schritt sollten die wandelhaften Ansichten des Großen Senats zum Subjekt-Sein der Personengesellschaft nachgezeichnet werden, um sie jeweils in einen Bezug zu der zeitgleichen Rechtsprechung zum Mitunternehmer setzen zu können.
schäftswert genüge allerdings nicht, s. BFH v. 27. 5. 1993 – IV R 1/92 – HFR 1994, 137 f. Übersicht über die Rspr. zur stillen Gesellschaft bei Kuck, Steuerrechtssubjektivität, S. 108 ff. 154 Hat ein Kommanditist nur Kontrollrechte, wird der Mangel an Initiative nicht bereits durch einen vollen Vermögensanteil ausgeglichen, vgl. ausdrücklich BFH v. 22. 1. 1970 – IV R 178/68 – BStBl. II 1970, 416 (417 f., keine Mitunternehmerschaft bei Vermögensteilhabe, beschränkten Entnahmerechten und ohne Widerspruchsrecht). Vgl. ferner: BFH v. 30. 7. 1975 – I R 174/73 – BStBl. II 1975, 818 (820); BFH v. 6. 4. 1979 – I R 116/77 – BStBl. II 1979, 620 (622); BFH v. 24. 1. 1980 – IV R 156 – 157/78 – BStBl. II 1980, 271 (273); BFH v. 10. 11. 1987 – VIII R 166/84 – BStBl. II 1989, 758 (761), (jew. die Mitunternehmerschaft bejahend bei Vermögensteilhabe, Kontrollrecht nach § 166 HGB und Stimmrecht). 155 Bei Kneip, Mitunternehmer, S. 87 ist etwa zu lesen: „Inhalt und Umfang des Mitunternehmerbegriffs sind abhängig von der Frage, ob und inwieweit die Personengesellschaft einkommensteuerrechtlich als Steuersubjekt anzusehen ist“. 156 Skeptisch statt vieler Schön, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 139 (160 ff.).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
1. Ende der Bilanzbündeldoktrin als Ausgangslage In den 1970er Jahren wuchs der Widerstand gegen die Bilanzbündeltheorie. Namentlich die damaligen Mitglieder des I. Senats Döllerer157, v. Wallis158, Birkholz159, Meßmer160, Beisse161 und Woerner162 legten in ihren wissenschaftlichen Beiträgen den Grundstein für den Umbruch163. Der I. Senat distanzierte sich in dieser Zeit zunächst zaghaft164, am 8. Januar 1975 dann deutlich von der Bilanzbündeltheorie165. Schließlich entschied der Große Senat am 10. November 1980: „Der Gewinn oder Verlust der Gesellschaft ist durch einen Vermögensvergleich der Gesellschaft und nicht durch Vermögensvergleiche der einzelnen Gesellschafter zu ermitteln“.166 Das für die Praxis Relevante darf man sich nicht zu umfassend vorstellen: Die Nebenrechnung zum Gesellschaftsgewinn wurde zur Hauptrechnung167. Die Personengesellschaft wurde zum Subjekt des Einkommensteuerrechts, soweit es darum geht, den Gewinn zu ermitteln168 und zu erzielen169. Es hätte damit nahe gelegen, auch den für die Bilanzbündeltheorie wesenseigenen Vergleich von Mitunternehmer und Einzelunternehmer zu überdenken170. Aber schon zu der Zeit, als das Ende der Bilanzbündeltheorie absehbar war, hielt der IV. Senat daran fest, der Mitunternehmer müsse zu dem Unternehmen in „einem ähnlichen Verhältnis stehen wie der Einzelunternehmer als Inhaber eines gewerblichen Unternehmens“171. Bezeichnenderweise hatte der Vorsitzende des I. Senats, v. Wallis, vor einer Ratlosigkeit nach einer Aufgabe der Bilanzbündeltheorie ge-
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DStZ-A 1974, 211 ff.; ders., JbFStR. 1974/1975, 142 ff. StbJb. 1973/1974, 79 ff. 159 FR 1972, 45 ff. 160 StbJb. 1972/1973, 127 ff. 161 JbFfSt. 1976/1977, 247 ff. 162 FR 1975, 567 ff. 163 BFH v. 29. 5. 1972 – GrS 4/71 – BStBl. II 1973, 5 ff. 164 BFH v. 29. 10. 1971 – I R 161/68 – BStBl. II 1972, 118 (120); dazu Woerner, BB 1974, 592 (596). 165 BFH v. 8. 1. 1975 – I R 142/72 – BStBl. II 1975, 437; dazu Döllerer, ZGR 1976, 349 (367). 166 BFH v. 10. 11. 1980 – GrS 1/79 – BFHE 132, 244 = BStBl. II 1981, 164 (167); vgl. dazu Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 11; der Weg zeichnete sich ab seit BFH v. 29. 5. 1972 – GrS 4/71 – BStBl. II 1973, 5 ff. 167 BFH v. 10. 11. 1980 – GrS 1/79 – BFHE 132, 244 = BStBl. II 1981, 164 (167 f.). 168 BFH v. 10. 11. 1980 – GrS 1/79 – BFHE 132, 244 = BStBl. II 1981, 164 (167 f.); Schön, StuW 1996, 275 (277); Groh, ZIP 1998, 89 (92 f.). 169 Ausdrücklich BFH v. 24. 3. 1983 – IV R 123/80 – BFHE 138, 337 = BStBl. II 1983, 598 (600); die Formulierung stammt von Döllerer, DStZ 1982, 267 (271). Siehe auch Schön, StuW 1996, 275 (277); Gschwendtner, Festschrift Klein, S. 751 (753). 170 Zum Verhältnis dieser Dogmen siehe Walz, Gutachten, S. 75. 171 BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (406). 158
§ 3 Steuerrechtliche Subjektivität von Personengesellschaften
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warnt172. Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Mitunternehmer im Jahr 1974 als Typus eingeordnet wurde173. Man fand sich mit der begrifflichen Unschärfe ab, ebenso wie mit dem Verlust des dogmatischen Haltepunkts. Dass die Problematik der „faktischen Mitunternehmerschaft“ Anfang der 1980er Jahre besonders virulent wurde, dürfte ebenfalls kein Zufall sein174. Gerade in der Zeit, als die Bilanzbündeldoktrin aufgegeben wurde, gab es keine klare Linie zur Frage der Konjunktion von „Risiko“ und „Initiative“175. Diese Unsicherheiten sind die wesentlichen auf den Mitunternehmer bezogenen Folgen der Aufgabe der Bilanzbündeltheorie. 2. Der Beschluss zur Aufgabe der Gepräge-Rechtsprechung und zur doppelstöckigen GmbH & Co. KG Die Aufgabe der Bilanzbündeltheorie leitete eine Entwicklung ein, deren Endpunkt zu sein schien, die Personengesellschaft so weit wie möglich als Subjekt des Einkommensteuerrechts anzuerkennen. In seinem Beschluss vom 25. Juni 1984 lehnte der Große Senat die gewerbliche Prägung einer KG ab, deren einziger Komplementär eine GmbH war und führte aus: „Nach der Rechtsprechung des BFH setzt die Annahme von Einkünften aus Gewerbebetrieb i. S. des § 2 Abs. 3 Nr. 2 EStG bei den Gesellschaftern einer Personengesellschaft grundsätzlich voraus, dass die Gesellschaft ein gewerbliches Unternehmen betreibt und die Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind (…).“176 In erkennbarer Nähe zu der Gesamthandsdoktrin heißt es weiter: „Bei der Frage nach dem Vorliegen eines gewerblichen Unternehmens der Personengesellschaft ist allein auf deren Tätigkeit, wie sie sich in der gemeinschaftlichen Betätigung ihrer Gesellschafter darstellt, abzustellen (…). Die Art der Einkünfte der Gesellschafter einer Personengesellschaft wird in erster Linie durch die Tätigkeit der Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, mithin durch die Tätigkeit der Gesellschaft, bestimmt“177. Die „Gesellschaft“ und damit gleichbedeutend die „Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit“ sei gewerblich tätig; die Kommanditgesellschaft sei Subjekt der Einkünfteerzielung und -ermittlung178. „Eine Personengesellschaft ist (…) insoweit 172
v. Wallis, StbJb. 1973/1974, 79 (99 ff.). BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (407); seitdem st. Rspr., s. etwa BFH v. 28. 10. 2008 – VII R 32/07 – BFH/NV 2009, 355 (356); BFH v. 10. 10. 2012 – VIII R 42/ 10 – BFH/NV 2013, 317 (318), eingehend unten, S. 66 ff. 174 Siehe oben, § 1 II. 1. 175 Wie zuvor. 176 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (761). 177 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (761). Zu den Formulierungen vgl. schon RG v. 19. 1. 1933 – IV 390/32 – RGZ 139, 252 (254); BGH v. 16. 2. 1961 – III ZR 71/60 – BGHZ 34, 293 (296); BGH v. 24. 1. 1990 – IV ZR 270/88 – BGHZ 110, 127 (128); zur neueren Entwicklung siehe Karsten Schmidt, NJW 2001, 993 (995 f.); Ulmer, ZIP 2001, 585 (586 ff.); Überblick bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 2, § 7 III, S. 639 ff. 178 Der Große Senat spricht überwiegend von der „Tätigkeit der Gesellschaft“, vgl. BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (760 ff.). 173
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1. Teil: Bestandsaufnahme
Steuerrechtssubjekt, als sie in der Einheit ihrer Gesellschafter Merkmale eines Besteuerungstatbestands verwirklicht, welche den Gesellschaftern für deren Besteuerung zuzurechnen sind“179. Die Personengesellschaft wird auch zum „Subjekt der Einkünftequalifikation“180. Den eingeschlagenen Weg hat der Beschluss vom 25. Februar 1991 zur Mitunternehmerschaft in der doppelstöckigen GmbH & Co. KG nicht verlassen181. Gesellschafts- und Gesellschaftersphäre wurden getrennt182: Wer in der Obergesellschaft Mitunternehmer sei, müsse nicht Mitunternehmer in der Untergesellschaft sein183. Nach dem Großen Senat ist die zivilrechtliche Rechtssubjektivität von Personengesellschaften steuerrechtlich nicht auszublenden, sondern anzuerkennen184. Was folgte daraus für die Mitunternehmertheorie? Wenn die Gesellschaft selbst gewerblich tätig ist, wird erklärungsbedürftig, weshalb der Gesellschafter neben seiner Gesellschaft Unternehmer sein soll. Nicht von ungefähr wurde die strenge Einzelunternehmerideologie in dieser Zeit aufgegeben185. Wie wirkt es sich aber auf den Mitunternehmerbegriff aus, wenn der Mitunternehmer dem Einzelunternehmer nicht mehr ganz186 oder nur „nach Möglichkeit“187 gleichzustellen ist? Seltsamerweise gar nicht. Es ist daran zu erinnern, dass derselbe Beschluss zur Aufgabe der Gepräge-Rechtsprechung auch die Grenzen des Mitunternehmerbegriffs bis heute festlegt188. Die uneinheitlichen Aussagen der Senate zum Verhältnis der Mitunternehmerkriterien und zur Reichweite der Mitunternehmerschaft werden per Apodikt auf klare Linien gebracht. Dies ist auch das Bild, das die Folgerechtsprechung des BFH bis zum Beschluss GrS 3/92189 offenbart: Dem Mitunternehmerbegriff ist durch den Beschluss GrS 4/82 eine Form gegeben worden, welche das Voranschreiten der Personengesellschaft
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BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (761 f.). BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (762). Unklar blieb, ob der Gesellschaftsgewinn steuerrechtlich ein originärer Gewinn der Mitunternehmer ist (so z. B. Raupach, StuW 1991, 278 (280 ff.); ders., DStZ 1992, 692 (695 f.)) oder ob dem Mitunternehmer ein fremder Gewinn zugerechnet wird (so Knobbe-Keuk, DB 1990, 905 (907); Schön, DStR 1993, 185 (191); ders., StuW 1996, 275 (283 f.). Näher Jakob/Hörmann, FR 1990, 33 (34); Schön, StuW 1996, 275 (277); Hallerbach, Personengesellschaft, S. 127 f.). 181 BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BFHE 163, 1= BStBl. II 1991, 691 ff. 182 Crezelius, JZ 1991, 546 (549); Schön, StuW 1996, 275. 183 BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (697). 184 BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (698); vgl. auch Gschwendtner, Festschrift Klein, 751 (755); Schön, StuW 1996, 275 (279). 185 BFH v. 25. 2. 1991 – 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (698), näher unten, § 4. 186 So z. B. BFH Urteil vom 28. 3. 1966 – VI 43/65 – BFHE 86, 80 = BStBl. III 1966, 352 (353). 187 So noch BFH v. 19. 10. 1970 – GrS 1/70 – BStBl. II 1971, 177 (178). 188 Siehe oben, S. 26 ff. 189 Dazu sogleich im Text. 180
§ 3 Steuerrechtliche Subjektivität von Personengesellschaften
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zum Subjekt in keiner Weise mehr beeinflusst; stets wird der Mitunternehmer nur so beschrieben, wie es durch diesen Beschluss vorgegeben ist190. 3. Der Beschluss zum gewerbesteuerlichen Verlustabzug und zum gewerblichen Grundstückshandel Diese Entwicklungslinie wurde durch den Großen Senat nicht fortgesetzt, sondern unerwartet abgebrochen191. Die erreichten Ergebnisse wurden teilweise zurückgenommen192. Der Große Senat führte in dem Beschluss zum gewerbesteuerlichen Verlustabzug (GrS 3/92) aus: „Das Einkommensteuerrecht geht von der Grundwertung aus, daß bei den Personengesellschaften die Gesellschafter, nicht die Gesellschaft als solche Träger des Unternehmens und des Gesellschaftsvermögens sind“193. Ganz löste sich der Große Senat allerdings nicht von der Einheitstheorie: „Aus dem Gesichtspunkt der Einheit ergibt sich vornehmlich, dass es die Gesellschafter in ihrer gesellschaftlichen Verbundenheit sind, die die Merkmale eines Besteuerungstatbestandes verwirklichen“194. Auf gleicher Linie liegt der Folgebeschluss GrS 1/93 zum gewerblichen Grundstückshandel195. Der Große Senat meint, die Personengesellschaft sei zwar Steuerrechtssubjekt, sei „Subjekt der Gewinnermittlung“, soweit „sie ein gewerbliches Unternehmen betreibt“, aber „Träger des Unternehmens“ seien allein die Gesellschafter. Ihnen sei das Ergebnis als „originäre Einkünfte“ zuzurechnen196. Wiederum fragt sich, welche Folge dieser Rückzug für die Mitunternehmerlehre hat. Es gibt ebenfalls keine: „Auch der Mitunternehmer ist ein Unternehmer des Betriebs. Der Mitunternehmer unterscheidet sich vom Einzelunternehmer dadurch, 190
Vgl. BFH v. 22. 1. 1985 – VIII R 303/81 – BStBl. II 1985, 363 (364); BFH v. 6. 8. 1985 – VIII R 246/81 – BFH/NV 1985, 79; BFH v. 6. 8. 1985 – VIII 247/81 – BFH/NV 1985, 100; BFH v. 11. 6. 1985 – VIII R 252/80 – BFHE 144, 357 (361); BFH v. 14. 8. 1986 – IV R 131/84 – BStBl. II 1987, 61; BFH v. 9. 10. 1986 – IV R 235/84 – BStBl. II 1987, 124 (125); BFH v. 11. 10. 1988 – VIII R 328/83 – BStBl. II 1989, 762 f. und unlängst BFH v. 10. 10. 2012 – VIII R 42/10 – BFH/NV 2013, 317 (318). 191 Siehe etwa Söffing, FR 1991, 254 (257) oder Märkles, StBJb. 1991/92, 247 (261 f.). 192 Zu den Gründen Groh, ZIP 1998, 89 (93). 193 BFH v. 3. 5. 1993 – GrS 3/92 – BStBl. II 1993, 616 (621) zu der Frage, ob ein Wechsel der Gesellschafter die Identiät des Unternehmens ändert, so dass Gewerbeverluste nicht verrechnet werden können, vgl. insofern bereits BFH v. 19. 12. 1984 – I R 165/80 – BStBl. II 1985, 403 ff.; Kritik an der Argumentation des GrS bei Schön, StuW 1996, 275 (279). 194 BFH v. 3. 5. 1993 – GrS 3/92 – BStBl. II 1993, 616 (622). 195 Zu entscheiden war darüber, ob ein Handeln der Gesellschaft bei der Frage der Gewerblichkeit von Gesellschafterhandeln berücksichtigt werden kann, BFH v. 3. 7. 1995 – GrS 1/ 93 – BStBl. II 1995, 617 ff. Siehe zu diesem Beschluss die Anmerkungen Peter Fischers, FR 1995, 803 ff.; Weber-Grellets, DStR 1995, 1341 ff. und Schmidt-Liebigs, FR 1996, 58 ff.; ders., StBp. 1996, 81 ff. 196 BFH v. 3. 7. 1995 – GrS 1/93 – BStBl. II 1995, 617 (621) mit Berufung auf § 2 Abs. 1 EStG; anders insoweit BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (700).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
dass er seine Tätigkeit nicht allein, sondern nur zusammen mit anderen (Mit-)Unternehmern in gesellschaftsrechtlicher Verbundenheit ausübt“197. Die Mitunternehmer seien die „Unternehmer des Betriebes der Personengesellschaft“198.
II. Die Bedeutung der Korrekturgesetzgebung Der Eindruck, den man a prima vista haben kann, dass ein Subjekt-Sein der Personengesellschaft auf das Verständnis von Mitunternehmerschaft wirkt, ist durch die Rechtsprechungsanalyse erschüttert. Blickt man von hier aus auf die Gesetzesgrundlagen, aus denen einige das Nicht-Sein der Personengesellschaft und in dessen Gefolge die Notwendigkeit unternehmerisch tätiger Gesellschafter bisweilen herleiten, zeigt sich wieder nur das Bild eines Gesetzgebers, der sich auf fiskalische Folgen konzentriert. Eine belastbare Stütze für eine Positionierung in der Diskussion um die Personengesellschaft als Einheit oder Vielheit bietet das Gesetz nicht. Es muss genügen, dies beispielhaft anhand der Gesetzeskorrekturen bei § 15 EStG und der Regel zur begünstigten Reinvestition zu zeigen199. (1) In den Beschlüssen 4/82 und 7/89 hat der Große Senat ein Subjekt-Sein der Personengesellschaft angenommen. Beide Beschlüsse wurden per „Nichtanwendungsgesetz“ kassiert. Wenn seither etwa von einer Tätigkeit der Gesellschaft die Rede ist, lässt sich daraus Verbindliches für oder wider das Subjekt-Sein der Personengesellschaft herleiten?200 Es wurde bereits festgestellt, wie der jeweilige Stand der Rechtsprechung unkritisch übernommen wurde. Beim Subjekt-Sein der Personengesellschaft und seinem Verhältnis zur Mitunternehmerschaft ist das nicht anders. Als der Gesetzgeber die vom Großen Senat verworfene Gepräge-Rechtsprechung201 durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 wieder einführte202, fand er beispielsweise das Grundverständnis vor, dass die Personengesellschaft insoweit Steuerrechtssubjekt sei, als dass sie als Einheit Merkmale eines Besteuerungstatbestandes verwirkliche203. Das wurde in § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG adaptiert. Als Gewerbebetrieb gilt: „die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer Personengesellschaft, die keine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 ausübt“, aber die
197
BFH v. 3. 5. 1993 – GrS 3/92 – BStBl. II 1993, 616 (621). BFH v. 3. 5. 1993 – GrS 3/92 – BStBl. II 1993, 616 (621). 199 Döllerer hat behauptet, der Vielheitsgedanke werde durch § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG unterstützt, DStZ 1976, 435 (440); gegen ihn Schön, DStR 1993, 185 (188 ff.). 200 S. bereits Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 I, S. 368. 201 Zur Gepräge-Rechtsprechung siehe BFH v. 17. 3. 1966 – IV 233 – 234/65 – BStBl. III 1966, 171 ff.; BFH v. 3. 8. 1972 – IV R 235/67 – BStBl. II 1972, 799. Die Aufgabe erfolgte durch den Beschluss des GrS v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (761). 202 Steuerbereinigungsgesetz v. 19. 12. 1985, BGBl. I 1985, 2436. 203 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (761 f.), siehe oben, § 3 I. 198
§ 3 Steuerrechtliche Subjektivität von Personengesellschaften
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besonderen Voraussetzungen des Abs. 3 Nr. 2 erfüllt204. (2) Die Regel des § 6b EStG, die Reinvestitionen begünstigt205, stellt die Theorien zum Subjekt-Sein der Personengesellschaften auf die Probe. Wenn nach § 6b EStG stille Reserven auf bestimmte Reinvestionsobjekte steuerneutral übertragen werden können – bei wem müssen die Voraussetzungen, insbesondere die Vorbesitzzeit des § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG vorliegen: bei dem Gesellschafter oder der Gesellschaft? Eine gesellschafterbezogene Sichtweise hat lange überwogen206. Der Gesetzgeber verhalf dem Gegenansatz von Knobbe-Keuk207 und Schön208 zum kurzzeitigen Erfolg. Im Anschluss an die „Petersberger Steuervorschläge“209 wurde § 6b Abs. 10 EStG im Jahr 1999 kurzzeitig gesellschaftsbezogen ausgeformt210, um Abschreibungsmodellen zu begegnen211; als man erkannte, dass dies im Ergebnis zu einer Belastung des Haushalts führte, ist man 2002 zu der ursprünglichen Sicht zurückgekehrt212. Außerfiskalische Motive sind nicht zu verzeichnen.
III. Die Mitunternehmerlehre als dogmatisches Kontinuum Zieht man ein gemeinsames Substrat, so bleibt der Mitunternehmer das, was er zur Zeit der Bilanzbündeltheorie gewesen ist. Es scheint, als begreife man Subjektivität und Mitunternehmerschaft in der Steuerrechtsdogmatik der Personengesellschaft als zwei voneinander völlig getrennte Fragenkreise. Eine überzeugende Dogmatik ist das nicht: Wieso der Mitunternehmer Unternehmer sein soll, wenn die Personen204 Auch in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ist von der „Tätigkeit im Sinne des Abs. 1 S. 1 Nr. 1 der Gesellschaft“ die Rede; gegen einen Schluss aus § 15 Abs. 3 EStG etwa auch Kneip, Mitunternehmer, S. 113; Gschwendter, Festschrift Klein, S. 751 (760); vgl. demgegenüber ders., DStZ 1998, 335 (336). 205 Siehe nur BT-Drs. IV/2400; BR-Drs. 193/64; Jachmann, DStZ 2002, 203 ff.; Littmann/ Bitz/Pust/Cattelaens, EStG, § 6b RdNr. 1 ff. 206 Vgl. BFH v. 25. 7. 1979 – I R 175/76 – BStBl. II 1980, 43 ff.; BFH v. 28. 1. 1981 – IV R 111/77 – BStBl. II 1982, 430 ff.; BFH v. 24. 3. 1992 – VIII R 48/90 – BStBl. II 1993, 93; aus der Literatur statt vieler Bordewin, BB 1978, 1353 (1354). 207 Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmensteuerrecht, § 10 I b., S. 417 ff.; kritisch gegenüber der h. M. auch schon Bordewin, DStZ 1983, 487 (489); ders., FR 1985, 126; anders noch ders., BB 1978, 1353 ff. 208 Schön, Gewinnübertragung, S. 11 ff. 209 Vom 22. 1. 1997, abgedruckt in NJW 1997, Beilage zu Nr. 13. 210 Vgl. zudem § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG. Anders noch der Entwurf des Steuerreformgesetzes, vgl. v. 22. 4. 1997, BT-Drs. 13/7480 mit Beschlussempfehlung BT-Drs. 13/8022. 211 Vgl. BT-Drs. 14/23, Anh. 2. 212 In der Gesetzesbegründung ist lediglich zu lesen: „durch die Neufassung des § 6b Abs. 10 EStG wird zu weiteren Verbesserungen der Investitionen zur Verfügung stehenden Liquidität bei Personenunternehmen zugelassen, Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften steuerneutral auf die Anschaffungskosten von anderen (neu erworbenen) Anteilen an Kapitalgesellschaften zu übertragen“, s. BT-Drs. 14/6882, S. 33. Es heißt auch, die Rückkehr zur früheren Sichtweise des § 6 EStG entlaste die Haushalte erheblich (S. 26).
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1. Teil: Bestandsaufnahme
gesellschaft selbst Unternehmerin ist, bleibt letztlich rätselhaft. Aber vor dem Hintergrund eines richtungslosen Fortbildungsprozesses, der zwischen der Vielheitsund Einheitsbetrachtung keinen klaren Mittelweg findet, hat der Bundesfinanzhof den Mitunternehmerbegriff als zeitloses Kontinuum gedeutet, das unverändert vor einem wandelbaren Hintergrund des Besteuerungskonzepts für Personengesellschaften steht. In heutigen Urteilen wird deswegen ohne Bedenken auf Entscheidungen verwiesen, die noch dem Gedankengut der Bilanzbündeltheorie zuzuordnen sind213. Offenbar sollte die Mitunternehmerlehre vor einem Zustand der Orientierungslosigkeit bewahrt werden, in welchem sich die steuerrechtliche Dogmatik zur Personengesellschaft bereits befand214.
213
S. etwa BFH v. 25. 4. 2006 – VIII R 74/03 – BFH/NV 2006, 1564 (1565); und in BFH v. 7. 12. 2004 – VIII R 58/02 – BStBl. II 2005, 390 (391). 214 In BFH v. 3. 5. 1993 – GrS 3/92 – BStBl. II 1993, 616 ff. werden die Mitunternehmergrundsätze nicht verändert. So ist es geblieben, der Beschluss GrS 4/82 wird weiterhin als Referenz für den Mitunternehmerbegriff herangezogen, s. etwa BFH v. 18. 8. 2005 – IV R 37/04 – BStBl. II 2006, 165 (166).
2. Teil
Dogmatische und methodische Kritik § 4 Das Begründungsdefizit der Mitunternehmerjudikatur Dass sich die Grundsätze der Mitunternehmerjudikatur mit Methoden der Normanwendung aus dem Gesetz ableiten lassen, ist anerkannt215. Aber schon der Wortlaut des Steuertatbestands lässt die gewohnte Lesart gar nicht zu216. Der Relativsatz „bei der der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist“, bezieht sich auf die „andere Gesellschaft“, nicht auf die Personenhandelsgesellschaften: Relativpronomen richten sich in Geschlecht und Zahl nach dem Bezugswort im übergeordneten Satz217. Auch sind Entgelte für Darlehensgeber oder Geschäftsführer kein „Gewinnanteil“ eines „Gesellschafters“. Befürworter des Mitunternehmergedankens können insofern auf Auslegungsräume eines insgesamt ambivalenten Gesetzestexts verweisen218. Diese Ambivalenz besteht. Es zeigt sich, dass die Rechtsformen der Mitunternehmerschaften (Gemeinschaften, Gesellschaften, faktische Zusammenschlüsse) im Textganzen nicht klar zu erkennen 215
Statt aller BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769); Herrmann/Heuer/ Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 300 a.E. 216 Zur Begrenzung der Auslegung durch den Wortlaut statt aller Crezelius, Rechtsanwendung, S. 108 ff. 217 Unrichtig BFH v. 8. 2. 1979 – IV R 163/76 – BStBl. II 1979, 405; Streck, FR 1973, 297 (298); Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 300. Der wortgleiche Ausdruck in Österreich wird so ausgelegt, wie es dieser Vorgabe entspricht, vgl. Schulze-Osterloh, DStJG 2 (1979), 131 (134). Das Problem musste zwischenzeitlich auch der Ministerialbürokratie aufgefallen sein, denn § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG a.F. (bis 1991) lautete „(…) der offenen Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften und anderer Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind“. Vgl. auch § 50a Abs. 1 S. 1 EStG: „Bei beschränkt steuerpflichtigen Mitgliedern des Aufsichtsrats (Verwaltungsrats) von inländischen Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Berggewerkschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und sonstigen Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Personenvereinigungen des privaten und des öffentlichen Rechts, bei denen die Gesellschafter nicht als Unternehmer (Mitunternehmer) anzusehen sind, (…).“ Eindeutig ist der Bezug auch im Entwurf eines Einkommensteuergesetzes, BT-Drs. 7/1470 v. 9. 1. 1974, S. 32: Dessen § 38 Abs. 1 Nr. 2 sah vor: „Einkünfte aus Gewerbe sind (…) die Gewinnanteile einer Personengesellschaft, die ein Gewerbe unterhält, wenn die Gesellschafter Mitunternehmer sind“. 218 So in der Tat BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (769); ähnlich bereits BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (406).
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
sind219. Es gibt aber keinen Hinweis, nach dem die Mitunternehmerschaft gesondert zu prüfen wäre. Auch auf die Begriffsprädikate „Risiko“ und „Initiative“ weist nichts hin. Im Gegenteil, denn es wird danach unterschieden, ob jemand Mitunternehmer ist oder, wie es im Gesetz steht, nur als solcher anzusehen ist. Offenbar soll der Teilhaber einer „anderen Gesellschaft“ stets als Mitunternehmer gelten. Der heutige Steuerjurist wird angesichts dessen die Frage nach dem Normtelos für maßgeblich halten. Damit ist eine besondere Problematik der Steuerrechtsmethodik erreicht, die darin besteht, wie Crezelius behauptet hat, dass der Fiskalzweck von Steuernormen im Vordergrund stehe und ein tieferer Belastungsgrund oft gar nicht feststellbar sei220. Die Ansicht hat wenig Gefolgschaft gefunden221, aber dass die mitunternehmerbezogenen Steuergesetze im Jahr 1913 die Aufrüstung der kaiserlichen Armee finanzieren und später die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage im reichseinheitlichen Steuersystem von 1925 vor einer Aushölung durch willkürliche Dispositionen der Steuerpflichtigen bewahren sollten, ist historisch belegt222. Lässt sich daneben ein Belastungsgrund nachweisen und formulieren, der einer teleologischen Normanwendung die Richtung vorgibt? Man hat sich zu Zeiten der Bilanzbündeltheorie oft die weitreichende Folgerung zugetraut, das gesetzliche Ziel sei es, den Personengesellschafter hinsichtlich thesaurierter Gewinne gegenüber einem Einzelunternehmer so weit wie möglich gleichzustellen223. Dieser Einfall faszinierte, wie gesagt, durch seine Schlichtheit. Wenn der Gesellschafter der Inhaber eines eigenen Betriebs ist, lag es nahe, von ihm auch eine phänomenologische Ähnlichkeit mit einem Betriebsinhaber zu fordern224. 219 Bisweilen erwähnen Normen Mitunternehmer, die „Gesellschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 2“, also einschließlich der Handelsgesellschaften, angehören (§ 7g Abs. 7 S. 2 Nr. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG). In § 14a Abs. 4 S. 5 EStG ist von Mitunternehmern in Erbengemeinschaften zu lesen, in § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG werden stille Gesellschaften und Darlehen in diesen Kreis potentieller Mitunternehmerschaften einbezogen. Bisweilen ist nur von Mitunternehmerschaft (§ 6 Abs. 5 S. 2 und 3 EStG) oder von „Mitunternehmerschaften im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2“ (§ 35 Abs. 2 S. 1 EStG) oder von „Gemeinschaften“ (§ 2b EStG a.F.) zu lesen. 220 Crezelius, Rechtsanwendung, S. 358 ff.; s. dazu auch Kruse, JdFStR 1975/76, 35 (42 ff.); Schick, DStR 1982, 575 (577). 221 Siehe nur m. N. Schön, Auslegung, S. 26 f. und Schulze-Osterloh, AcP 190 (1990), 140 (154 f.). 222 S. oben, S. 20 f. 223 S. statt vieler Schön, StuW 1996, 275 (284); Schreiber, Mitunternehmer, S. 63; Hallerbach, Personengesellschaft, S. 121. Zur Bilanzbündeltheorie siehe die Nachweise in Fn. 74. 224 Noch in dem Beschluss des Großen Senats 1/70 ist zu lesen: „Der Gesellschafter einer Personengesellschaft soll nach Möglichkeit so gestellt werden, wie er als Einzelunternehmer stünde. Jeder Gesellschafter hat einen eigenen Betrieb, belastet durch die Rechte seiner Mitgesellschafter“, BFH v. 19. 10. 1970 – GrS 1/70 – BStBl. II 1971, 177 (178). Klarer heißt es 1974 in einem Urteil des IV. Senats: „Ausschlaggebend für die Interpretation des § 15 Nr. 2 EStG muss vielmehr die Erkenntnis sein, dass die Vorschrift von dem – nach der gesamten Systematik des Einkommensteuergesetzes – legitimen Ziel getragen ist, den Gesellschafter einer Personengesellschaft dem Einzelunternehmer weitgehend gleichzustellen. Diesem Ziel
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Dass die „Einzelunternehmerideologie“ letztlich eher irreführend ist, wurde hinlänglich belegt225. Der Große Senat entschied in dem Beschluss 7/89 zur doppelstöckigen KG, diese Zielsetzung nur noch anzuerkennen, „soweit das Gesetz eine solche Gleichstellung (…) zulässt“226. Seither lässt sich die „Ideologie“ nicht mehr als eine verbindliche Direktive verstehen. Sie leitet den Auslegungsprozess nicht mehr, sondern ist selbst den Regeln der Auslegung unterworfen. Und ursprünglich sollte der Kommanditist, wie beschrieben, Einkünfte gerade ohne Rücksicht darauf beziehen, ob er einem Unternehmer ähnele227. Die von der Mitunternehmerlehre geforderte „Einzelunternehmerähnlichkeit“ ist ein Gegenstück zu dem, was der Gesetzgeber einmal für „gerecht“ hielt. Dennoch lebt die „Einzelunternehmerideologie“ als unausgesprochener Gerechtigkeitsgedanke fort, wenn gesagt wird, die Steuerrechtsfolgen des § 15 Nr. 2 EStG seien nur dann angebracht, wenn der Gesellschafter „zumindest“ durch „Risiko“ oder „Initiative“ einem Einzelunternehmer gleiche. Aber diese untergründige Theorie, die auf der Gleichsetzung von Einzel- und Mitunternehmer beharrt, bedürfte heute der Vermittlung eines neuen Gerechtigkeitsgedankens, und zwar durch einen von der Verfassung, nach der die Einkunftsarten prinzipiell gleich zu behandeln sind, ermöglichten und mitgetragenen Gedanken228. Damit tritt das Begründungsdefizit der heutigen Mitunternehmerlehre offen zu Tage. Näher zu betrachten sind noch die zwei wesentlichen Versuche, die Doktrin steuerrechtsdogmatisch zu rechtfertigen, ein prinzipienverpflichteter, der den Markteinkommensgedanken konkretisiert, und ein systemorientierter, der nach dem Unterscheidungsgrund zwischen Gewinn- und Überschusseinkünften fragt.
entspricht es, nur denjenigen Gesellschaftern einer Personengesellschaft (…), ihren zivilrechtlichen Anteil am Gewinn der Gesellschaft als eigene gewerbliche Einkünfte zuzurechnen, die zum gewerblichen Unternehmen, dessen Trägerin die Personengesellschaft ist, in einem zumindest ähnlichen Verhältnis stehen wie der Einzelunternehmer als Inhaber eines gewerblichen Unternehmens“, s. BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (406). 225 S. statt vieler Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 21 II, S. 758; Schön, StuW 1996, 275 (284). 226 BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (698), anders der Vorlagebeschluss BFH v. 12. 10. 1989 – IV R 5/86 – BStBl. II 1990, 168 (169); etwas unklar in BFH v. 23. 4. 1996 – VIII R 13/95 – BStBl. II 1998, 325 (326); sehr klar BFH v. 12. 4. 2000 – X I R 35/99 – BStBl. II 2001, 26 (27): Der Grundsatz gelte nur insoweit, „als die Vorschriften des Gesellschaftsrechts nicht entgegenstehen“. 227 S. oben, S. 21. 228 BVerfGE 91, 1 ff.; BVerfGE 99, 88 (94 f.); BVerfG BStBl. II 2002, 618 (637); dazu etwa Schön, Symposion Kichhof, S. 143 (177); ausführlich Kirchhof, Besteuerung, S. 80 ff. Für eine gleiche Behandlung der Unternehmensgewinne von Personengesellschaften, Kapitalgesellschaften und Einzelunternehmern dagegen Reiß, StuW 1986, 232 (233 f.); Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 21 II, S. 758; Schön, StuW 1988, 253 (257 f.); ders., DStR 1993, 185 (191); ablehnend etwa Hallerbach, Personengesellschaft, S. 123.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
I. Markteinkommensgedanke und Mitunternehmergedanke Eine prinzipienorientierte Systemjurisprudenz, der wesentliche Teile der Steuerrechtswissenschaft zugehören229, gelangt mit den Rechtfertigungsbemühungen fast zwangsläufig zu dem Fundamentalprinzip einer Besteuerung nach Leistungsfähigkeit230, das nach vielen auch den Mitunternehmergedanken erklären soll231. Aber der Hinweis auf das abstrakte Prinzip als solches ist nichtssagend. Anders kann es bei den zahlreichen Subprinzipien232 (Prinzip der Individualbesteuerung, das Markteinkommensprinzip, das Realwertprinzip, das Prinzip der Gleichwertigkeit der Einkunftsarten, das objektive und das subjektive Nettoprinzip, Veranlassungsprinzip, usf.) sein233. Die These, ein „Beziehen“ von Gewinnanteilen, sei nur demjenigen möglich, der die Gewinne selbst durch eine unternehmerische Aktivität am Markt „erzielt“, führt offenbar zu einer grundsätzlichen Fragestellung: Kann man den Marktgedanken und den Mitunternehmergedanken zusammenziehen und so der Doktrin ein grundsatzgestütztes Fundament geben? 1. Einkommenstheoretische Grundlegung Für eine Antwort ist mit einer abrissartigen Annäherung an die finanzwissenschaftlichen Einkommenstheorien zu beginnen234. Nach der Quellenlehre Fuistings ist Einkommen „die Gesamtheit der Sachgüter, welche in einer bestimmten Periode (Jahr) dem Einzelnen als Erträge dauernder Quellen der Güterzuordnung zur Bestreitung der persönlichen Bedürfnisse (…) zur Verfügung stehen“235. Einen Schnitt zwischen Gewerbe- und Kapitalertrag zu ziehen, ist dieser Lehre ebenso fremd, wie der wichtigen Gegenansicht von Schanz: Einkommen sei „als Reinvermögenszugang eines bestimmten Zeitabschnitts inkl. der Nutzungen und geldwerten Leistungen Dritter“ zu verstehen. „Wir rechnen also zum Einkommen alle Reinerträge und Nutzungen, geldwerte Leistungen Dritter, alle Geschenke, Erbschaften, Legate,
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S. statt aller Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 1, § 4, S. 67 ff. Z. B. BVerfGE 6, 55 (67); BVerfGE 8, 51 (68 f.); BVerfGE 9, 237 (243); BVerfGE 43, 108 (118 ff.); BVerfGE 61, 319 (343 ff.); BVerfGE 68, 143 (152 f.); BVerfGE 82, 60 (86 f.). Zur Prinzipiengeschichte Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 6 ff.; zu anderen Rechtsordnungen Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 2, § 12, S. 619 ff. 231 Statt vieler Schreiber, Mitunternehmer, S. 105 f. 232 Vgl. in diesem Zusammenhang Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 1, § 9 2.3, S. 479 f.; Costede, Festschrift Felix, S. 17 ff.; Lang, Festschrift Kruse, S. 313 ff. 233 S. Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 1, § 4 2.1, S. 70; § 9 2.3, S. 479 ff. 234 Auf die weiteren Ansätze, beispielsweise die Konsumtionstheorie Hermanns (Untersuchungen, S. 582 f.) oder die Periodizitätstheorie Wagners (Volkswirtschaftslehre, S. 114 f.) kann nicht eingegangen werden; für eine historische Übersicht s. Bauckner, Einkommensbegriff, S. 5 ff. 235 Fuisting, Grundzüge, S. 110. 230
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Lotteriegewinne, Versicherungskapitalien, Versicherungsrenten, Konjunkturgewinne jeder Art, wir rechnen ab alle Schuldzinsen und Vermögensverluste“236. Im zwanzigsten Jahrhundert verloren die Quellenlehren an Einfluss237. Vor allem, dass einmalige Einkünfte aus Verkauf von Grundstück, Praxis oder Wertpapieren nicht steuerbar waren, wurde oft kritisiert238. Auf der anderen Seite galt der reine Vermögenszugang, in erster Linie der Gewinn in privater Sphäre, der nicht ehrlich angegeben wird, als nicht erfassbar239. An diesem Punkt setzte Lotz an: Nicht das „Volksvermögen als solches, sondern nur neu produzierter Reichtum oder genauer, stets nur ein Teil des neu Produzierten“ könne zum Einkommen zählen240. Roscher hat dies zu präzisieren versucht, indem er als Einkommen nur solche Einnahmen anerkannte, welche aus einer „wirtschaftlichen (…) Tätigkeit herrühren“241. Vocke sah Einkommen als Summe aller Zuflüsse, die einer Ertragsquelle entspringen242. Die Ansätze wurden von Neumark zu einer wirkungsmächtigen Einkommenstheorie verbunden, die als Vorläufer der Markteinkommenstheorie angesehen werden kann: „Erstens müssen Einnahmen, um wirtschaftstheoretische Bestandteile des Einkommens zu sein, aus der Teilnahme ihrer Bezieher an der Bildung des Sozialprodukts herrühren, und zweitens kommt selbst solchen Einnahmen Einkommenscharakter nur zu, wenn und soweit sie einen echten (effektiven) Zuwachs an ökonomischer Verfügungskraft des Empfängers bewirken“243. Zurück zur Ausgangsfrage: Was folgt aus diesen skizzenhaft dargestellten Ansätzen für die Mitunternehmerdoktrin? Offenbar nichts: Die Bezüge des Mitunternehmers entspringen der Quelle seines Gesellschaftsanteils und sind ein Reinvermögenszugang. Für die Produktionstheorien genügt es, dass der Mitunternehmer Kapital überlässt244 und nach Neumark nimmt der Gesellschafter durch die Kapi-
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Schanz, Einkommensbegriff, S. 23. S. dazu Hüttemann, StuW 2014, 58 (61). 238 Statt vieler Bauckner, Einkommensbegriff, S. 31. 239 Siehe dazu statt vieler Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 2, § 12 4.211, S. 625 f. 240 Lotz, Finanzwissenschaft, S. 445 f. „Ein Staat“, meint er a.a.O., könne „seine wiederkehrenden Ausgaben dauernd nur aus solchen Steuern bestreiten, die von den Steuerzahlern aus den im Laufe des Jahres Neuerworbenen bezahlt werden (…). Die Volkswirtschaft liefert nur mehr an Mitteln für Steuern, wenn die Produktion erfolgreich gesteigert worden ist“. 241 Roscher meint ein planmäßiges Tun, das darauf gerichtet ist, den Bedarf an äußeren Gütern zu befriedigen. Auf einen Umsatz am Markt kommt es Roscher nicht an, s. Grundlagen, S. 307. 242 Vocke, Grundzüge, S. 278. Der Zentralbegriff des Ertrags wird verstanden als die aus einer Güterquelle gewonnenen Mittel, welche die Bedürfnisse befriedigen sollen (S. 234.). Was den Ertrag aber letztlich ausmache, ist inhaltlich das, was Roscher „wirtschaftliche Tätigkeit“ nannte. 243 Neumark, Probleme, S. 32; ferner ders., Theorie, S. 41. 244 Der Begriff der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ ist weit zu verstehen: Er soll nur Einnahmen aus anderen Quellen wie Erbschaft, Geschenk oder Spielgewinn ausschließen, s. Haushofer, Grundzüge, S. 55. Der Steuerpflichtige wird wirtschaftlich tätig, wenn er planmäßig darauf 237
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
talhingabe an der Bildung des Sozialproduktes teil und bezogene Gewinne steigern seine ökonomische Verfügungskraft245. 2. Markteinkommenstheorie Und doch wird behauptet, die Forderungen nach Mitunternehmerrisiko und -initiative setzen das Erfordernis der unternehmerischen Marktteilnahme um246. Der Versuch Ruppes247, die Neumarkschen Gedanken für das Einkommensteuerrecht fruchtbar zu machen, konnte sich als „Markteinkommenstheorie“248 durchsetzen249. Nach einer Betrachtung des geltenden Rechts fasst er zusammen: „Berücksichtigt man diese Punkte (…), so kristallisiert sich doch das Merkmal heraus, das zumindest die meisten Einkunftsquellen des Einkommensteuergesetzes verbindet: es ist dies die entgeltliche Verwertung von Leistungen (Wirtschaftsgütern oder Dienstleistungen) am Markt“250. Genauer: „Wenn das verbindende Element der (meisten) Einkunftsquellen des Einkommensteuergesetzes tatsächlich die Teilnahme am Marktgeschehen, der Umsatz von Leistungen ist, so muß als Zurechnungssubjekt doch offenbar der angesehen werden, der über diese Teilnahme, über die Leistungserstellung disponieren kann, d. h. die Möglichkeit hat, Marktchancen zu nutzen, Leistungen zu hinarbeitet, seinen Bedarf an äußeren Gütern zu befriedigen (Roscher, Grundlagen, S. 307.). S. im Zusammenhang bereits Schön, StuW 1996, 275 (287). 245 Allerdings gibt es nach Neumark (Theorie, S. 44) einen subtilen Unterschied zwischen Gewerbe und Kapital. Er zeige sich bei Zuwachsgewinnen. Nur beim Gewerbe sei der Vermögenszuwachs in die Bemessungsgrundlage einbezogen, nur wenn sich das Betriebsvermögen des Kaufmanns erhöhe, sei dies „prinzipiell“ steuerbar. Der Nichtkaufmann habe keine Dispositionskraft über die nicht realisierten Werterhöhungen. Der Kaufmann dagegen könne den bisherigen Buchwert höher buchen; seine nicht realisierten Wertminderungen seien ferner abzugsfähig (a.a.O.). Das ist wie folgt zu verstehen: Nicht Risiko oder Initiative des Kaufmanns, erst die vom Bilanzrecht eröffneten Spielräume sollen den Unterschied rechtfertigen. Den Mitunternehmergedanken zu stützen, wird auf diesem Weg nicht gelingen. Neumark hat diesen Unterschied später eingeebnet (Grundsätze, S. 136). Neumark folgte einer Tendenz des angloamerikanischen Rechtskreises, nach der Wertzuwächse bei den verschiedenen Einkommensarten nicht grundlegend anders behandelt werden. „Die verschiedenen Lösungen, die sich in den Einkommensteuergesetzgebungen finden, unterliegen fast sämtlich mehr oder minder erheblichen Einwänden vom Gerechtigkeits- bzw. Leistungsfähigkeitsstandpunkt aus“ (a.a.O., S. 137). 246 Statt vieler Wittmann, StuW 1993, 35 (40), kritisch Schön, StuW 1996, 275 (285). 247 Ruppe, DStJG 1 (1978), 7 (16). 248 So zuerst Lang, StuW 1981, 223 (230). 249 Statt vieler s. Bareis, Festschrift Schneider, S. 39 (41); Biergans/Stockinger, FR 1982, 1 (5); Lang, StuW 1981, 223 ff.; Steichen, Festschrift Tipke, S. 365; Wendt, DÖV 1988, 710 (714 ff.); Kirchhof/Söhn, EStG, § 2 A RdNr. 365 ff.; Herrmann/Heuer/Raupach/Ruppe, EStG, Einf. RdNr. 17; monographisch Wittmann, Markteinkommen, passim. 250 Ruppe, DStJG 1 (1978), 7 (16). Zur rechtfertigenden Seite der Theorie, vgl. Kirchhof, Gutachten, F 20 ff. Die Rechtsgemeinschaft eröffne dem Einzelnen den Markt und fordere im Gegenzug gewissermaßen eine Teilnahmegebühr. Zur nicht geklärten Reichweite s. Ruppe, DStJG 1 (1978), 7 (16) einerseits und Lang, Bemessungsgrundlage, S. 537 ff. andererseits.
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variieren, im Extremfall auch zu verweigern, indem er seine Tätigkeit einstellt, Kapital zurückzieht, Mietverhältnisse kündigt etc.“251. Die Markteinkommenstheorie gilt heute als „Grundelement“252, „Grundentscheidung des Gesetzgebers“253 oder, nach Kirchhof, als Vorgabe des Grundgesetzes254. Kritiker wie Tipke sehen in ihr dagegen eine „auf das Praktikable zurückgenommene Reinvermögenszugangstheorie“255 oder tun den „Markt-Gedanken“ wie Weber-Grellet als „eher unfruchtbar“ ab256. Was bedeuten diese Vorgaben für den Mitunternehmerbegriff? Wird der Mitunternehmer am Markt tätig, indem er Kapital überlässt oder ist eine „aktivere“ Marktteilhabe zu fordern? Ruppe war bemüht, im Gesetz Stützen des Markt-Gedankens zu finden. Deswegen versuchte er aufzuzeigen, wie die „(meisten) Einkunftsquellen des Einkommensteuergesetzes“ durch das Element der „Teilnahme am Marktgeschehen“ verbunden seien257. Das versteht sich nicht von selbst, denn der Gesetzgeber hatte den Vorläufer-Theorien eine Absage erteilt258. Man sieht, dass ein mit dem Markt-Gedanken begründetes Zurechnungskonzept, „das zumindest die meisten Einkunftsquellen verbindet“259, nicht daran vorbeigehen kann, dass sich § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG als Ausnahmenorm mit rein fiskalischem Hintergrund verstehen lässt. Es ist spätestens an diesem Punkt ebenso klar, dass der Rechtsanwender letztlich wieder nur auf die allgemeinen gesetzlichen Anhaltspunkte zurückgeworfen ist260. 251
Ruppe, DStJG 1 (1978), 7 (18). Lang, Reformentwurf, S. 31. 253 Biergans/Stockinger, FR 1982, 1 (5). 254 Kirchhof, Gutachten, F 16, 20 f., gegen ihn die h. L., etwa Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 2, § 12, S. 629 ff.; eingehend zur verfassungsrechtlichen Seite etwa Wittmann, StuW 1993, 35 (40 ff.); ders., Markteinkommen, S. 106 ff. 255 Tipke, Steuerrechtsordnung, Band 2, § 12, S. 629 ff. 256 Weber-Grellet, Steuern, S. 81. 257 Ruppe, DStJG 1 (1978), 7 (18). 258 Amtl. Begr. zum EStG 1920, Verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung 1919, Drs. Nr. 1624, S. 17 f. „Man glaubte daher, das Kriterium in der wirtschaftlichen Tätigkeit erblicken und das Einkommen nur solche Einnahmen erklären zu sollen, die auf einer wirtschaftlichen Tätigkeit beruhen (…). Aber auch diese Definition gibt von dem Einkommensbegriff kein zutreffendes Bild. Der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit ist nicht durchschlagend (…)“. 259 Ruppe, DStJG 1 (1978) 7 (16). 260 Die Lehre hat oft betont, das äußere System des Einkommensteuerrechts sei allein auf natürliche Personen bezogen und um diese herum gruppiert, s. mit Unterschieden Best, DStR, 1991, 1545 ff.; Bodden, DStZ 1996, 73 (75); ders., DStZ 2002, 391 (394); Peter Fischer, FR 1998, 813 (819); Jakob/Hörmann, FR 1990, 33 (37 f.); Meßmer, FR 1990, 205 (208); Raupach, StuW 1991, 278 (280 ff.); Reiß, StuW 2000, 399 (405); Walz, JZ 1985, 192 (194); Kneip, Mitunternehmer, S. 94; Pinkernell, Einkünftezurechnung, S. 108 f.; Bodden, Einkünftequalifikation, S. 37 ff.; Kirchhof/Söhn/Reiß, EStG, § 15 RdNr. E 41. Gemäß § 1 EStG sei nur die natürliche Person Steuersubjekt. Welche Tätigkeiten den Steuertatbestand verwirklichen, stehe in den §§ 2, 13 ff. EStG. Daraus soll folgen, dass nur Mitunternehmer Einkünfte erzielen und 252
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Auch bei den vielfältigen Theorieverfeinerungen, welche die Marktteilnahme des Mitunternehmers genauer analysieren, ist man nicht mehr bereit, die Anordnungen des Rechtssystems als notwendigen Ausdruck überpositiver Prinzipien auszugeben. Es handelt sich um dogmatische Arbeiten, welche die Mitunternehmergrundsätze als geltendes Recht voraussetzen261. Wittmann hat beispielsweise gemeint, die Intensität der Steuerlast folge der Intensität der Marktteilnahme. Wer sein Vermögen nur verwaltend nutze, setze seine Wirtschaftsgüter weniger intensiv ein als ein Gewerbetreibender sein Betriebsvermögen. Dieser Intensitätsunterschied rechtfertige es, zwischen Gewinn- und Überschusseinkünften in der Weise zu unterscheiden, wie es dem geltenden Recht entspricht262. Als Hauptbeleg für den Intensitätsgedanken führt er die Mitunternehmergrundsätze an: „Schlägt (…) die schlichte Kapitalüberlassung des Stillen in unternehmerisches Engagement um, so überwindet der atypisch Beteiligte die Distanz zur unmittelbaren Marktleistung des Prinzipals mit der Folge, daß das ,stille‘ Kapitalüberlassungsverhältnis steuerlich überspielt wird und die intensivere Teilhabe an der unmittelbaren Marktleistung auf die Einkünftequalifikation durchschlägt“263. Die Mitunternehmerjudikatur soll also den Intensitätsgedanken erklären und nicht, wie man für eine prinzipiengestützte Begründung des Dogmas fordern müsste, das Prinzip die Regel.
dies setze unternehmerische Teilhabe voraus, s. Bodden, DStZ 2002, 391 (394); ders., Einkünftequalifikation, S. 37 ff.; Peter Fischer, Festschrift Beisse, S. 189 (190). Der Ansatz ist oft genug und überzeugend widerlegt worden, statt aller s. Schön, StuW 1996, 275 (284); Hüttemann, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 39 (43 ff.); ders., DStJG 34 (2011), 291 (294 ff.). 261 Beierl hat für seine Erklärung ein Bild benutzt: „Stellt man sich die Leistungsbeziehung als Seil vor, das vom Dritten zur Vereinigung (Personengesellschaft) reicht, so endet dieses Seil nicht etwa bei der Vereinigung, sondern wird zu den einzelnen Beteiligten aufgedröselt; zwischen dem einzelnen Beteiligten und dem Dritten besteht eine unmittelbare Leistungsbeziehung als quantitativer Ausschnitt der Beziehung Vereinigung-Dritter“, Einkünftequalifikation, S. 84 f. Nach Pinkernell (Einkünftezurechnung, S. 84 ff.) handeln die Mitunternehmer am Markt gemeinschaftlich: einige unmittelbar, andere mittelbar. Den nicht am Markt Tätigen werde die Erwerbshandlung der anderen zugerechnet. Wie lässt sich diese Zurechnung begründen? Bodden hat den Ansatz aufgenommen und durch den Gedanken der Dispositionsbefugnis Ruppes ergänzt. Die Erwerbshandlung werde dem „inaktiven Mitglied“ zugerechnet, wenn es einen gewissen Einfluss ausübe. Ausreichend sei es schon, dass sich der Gesellschafter dem Mehrheitsprinzip unterwerfe, Einkünftequalifikation, S. 59 ff., insbes. S. 63 unter Hinweis auf BFH v. 3. 7. 1995 – GrS 1/93 – BStBl. II 1995, 617 (622). S. auch zu weiteren Vertretern der sogenannten Theorie der „gemeinschaftlichen Tatbestandsverwirklichung“ die Fn. zuvor und den Überblick bei Hüttemann, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 39 (43 ff.). 262 Wittmann, StuW 1993, 35 (39) unter Hinweis auf die Regeln für Spekulationsfristen nach § 23 EStG oder die Höhe der Beteiligung nach § 17 EStG. 263 Wittmann, StuW 1993, 35 (40).
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II. Aufgabe und Bedeutung des Mitunternehmerbegriffs in unserem dichotomen System der Einkunftsarten Im Ergebnis bleibt nur der Ansatz, die Mitunternehmerfigur als einen legitimen, gesetzlich angelegten Unterscheidungsmechanismus im dichotomen System der Einkunftsarten begreiflich zu machen264. Man kann bezweifeln, ob dies gelingen kann. Die in § 2 Abs. 2 EStG niedergelegte Dichotomie von Überschuss- und Gewinneinkünften spiegelt letztlich nur den geschilderten, vom Gesetzgeber nicht entschiedenen Theorienstreit um die vorletzte Jahrhundertwende wider265. Den Gewinneinkünften (aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbe und selbständiger Arbeit) liegt der Ansatz zugrunde, nach dem jeder Zugang im Reinvermögen der Steuer zu unterwerfen ist266 ; die Konzeption der Überschusseinkünfte (u. a. aus Miete, Kapital, wiederkehrenden Bezügen) ist von der Quellentheorie geprägt, nach welcher der Ertrag, nicht aber eine Veränderung der Ertragsgrundlage besteuert wird267. Betrachten wir den Hintergrund dieses Systems nochmals genauer: Die preußischen Einkommensteuergesetze standen noch dem Ansatz der Quellentheorie nahe268. Nach dem ersten Weltkrieg begünstigten Inflation und Finanznot eine Aufwertung der Reinvermögenszugangstheorie mit ihrem weiten Einkommensbegriff269. Im REStG 1925 ist das Nebeneinander der Theorieansätze akzeptiert, auch weil man meinte, die finanzwissenschaftlichen Konzepte nicht in Reinform umsetzen zu können270. Stattdessen entstand ein Kompromiss auf folgendem theoretischen Fundament: Den Gewinneinkünften wurden die „selbständigen Erwerbs- und Berufstätigkeiten“ zugewiesen271. Bis heute gilt die „Berufstätigkeit“ als Abgrenzungshilfe, etwa wenn der Wertpapierhandel oder die Vermietung erst durch die professionelle Tätigkeit des Handelnden eine gewerbliche Prägung erhält272. Als weiteren Unterscheidungsgrund hat der Gesetzgeber das einer solchen Tätigkeit gewidmete Vermögen angeführt. Bei der nichtselbständigen Arbeit werde regel264
Auch insofern ist der Ansatz Wittmanns charakteristisch und steht für andere. In das EStG 1925 (RGBl. I, 189) fanden Elemente beider Theorien Eingang; vgl. Begründung zum EStG 1925, Verhandlungen des Reichstages, III. Wahlperiode 1924, Bd. 400, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Nr. 795, S. 21 ff.; Schulze-Osterloh, AcP 190 (1990), 139 (157 f.), eingehend Icking, Einkommensteuerrecht, S. 85 ff. 266 Grundlegend Schanz, Einkommensbegriff, S. 23. 267 Grundlegend Fuisting, Grundzüge, S. 110. 268 Eingehend dazu Icking, Einkommensteuerrecht, S. 23 ff. 269 Icking, Einkommensteuerrecht, S. 53 ff. 270 Begr. REStG 1925, S. 21. 271 Begr. REStG 1925, S. 40. 272 Zum gewerblichen Wertpapierhandel siehe etwa BFH v. 30. 7. 2003 – X R 7/99 – BStBl. II 2004, 408 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 135; Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 91 zur gewerblichen Vermietung etwa BFH v. 13. 11. 1996 – XI R 31/95 – BStBl. II 1997, 247 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG § 15 RdNr. 137; eingehender zu beidem Nickel, Abgrenzung, S. 168 ff. 265
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
mäßig kein Vermögen eingesetzt und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, Miete oder wiederkehrenden Bezügen komme es „nicht auf die Veränderung der Vermögensgegenstände an, sondern lediglich auf die Erträge, die sie abwerfen“273. Unterstreicht dies den Ansatz der Mitunternehmerlehre? Ist es folgerichtig, dass ein Mitunternehmer (mit-)tätig sein und ein besonderes Risiko tragen muss, wenn doch die „Erwerbs- und Berufstätigkeit“ und das ihr gewidmete Vermögen die Schnittstelle zwischen Gewinn- und Überschusseinkünften festlegen? Man wird das verneinen müssen. Auf diese Weise lässt sich die Mitunternehmerdoktrin recht besehen weder historisch noch positivistisch noch teleologisch rechtfertigen. Nicht historisch, denn das dichotome System ist erstmals im REStG 1925 enthalten, welches den Mitunternehmerparagraphen des REStG 1920 unbedacht fortgeschrieben hat274. Die ältere Mitunternehmerregel durch den jüngeren Systembezug erklären zu wollen, ist fragwürdig, weil das theoretische Konzept der Mitunternehmerdoktrin erst 1925 entwickelt275 und 1926 von der Judikatur übernommen wurde, also dem Gesetzgeber des REStG 1925 nicht bekannt war. Nicht positivistisch, denn zur Aufschließung der Auslegungsprobleme sind in einem solchen dualistischen System Rückschlüsse von zwei Seiten her möglich. Die bislang gewohnte isolierende Sicht nur auf § 15 EStG oder § 18 EStG, ohne Ansehung der Komplementärnormen, vor allem des § 20 EStG, leuchtet nicht ein276. Der bislang unbeachtete Gegenschluss zu § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist besonders aufschlussreich. Ein Genussrecht, das einen Anteil am Gewinn und Liquiditätserlös gewährt, vermittelt danach Einkünfte aus Kapitalvermögen. Nach der Judikatur soll demgegenüber ein stiller Gesellschafter mit solchen Rechten gewerbliche Einkünfte beziehen277. Noch nie ist plausibel dargelegt worden, welcher materielle Unterschied diese ungleiche Behandlung obligatorisch Beteiligter rechtfertigen könnte278. Aus der Sicht des Aktienrechts sind Genussrechte obligatorische Positionen, welche dieselben oder ähnliche Vermögensrechte wie eine Aktie gewähren279. Die Handelsrechtslehre spricht von einer stillen Gesellschaft, wenn sich ein Teilhaber an dem Handelsgewerbe eines anderen (des „Inhabers“) mit einer Vermögenseinlage be-
273
Begründung REStG 1925, a.a.O., S. 41. Siehe oben, § 1 I. 275 Becker, StuW 1925, Sp. 1579 ff. 276 S. bereits zu § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG, der einen mitunternehmerischen Darlehensgeber erwähnt oben, § 1 II. 2. 277 Siehe oben, § 2 III. 278 Es ist hier nicht der Ort zu erwägen, was die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen stiller Teilhabe und Genussrecht rechtfertigt oder nicht rechtfertigt, s. dazu den Verf., Festschrift Karsten Schmidt, S. 399 ff. Der Widerspruch der steuerrechtlichen Mitunternehmertheorie zum Normtext (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) muss jedenfalls unverständlich bleiben, solange insofern eine Erklärung nicht gegeben wird. 279 Schön, JZ 1993, 925 (926); Ernst, Genußschein, S. 92 f. und S. 98 ff.; Lutter, Kölner Kommentar, AktG, § 221 RdNr. 198; Krieger, Münchener Handbuch, AG, § 63 RdNr. 60 ff. 274
§ 4 Das Begründungsdefizit der Mitunternehmerjudikatur
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teiligt, und dafür am Gewinn des Handelsgewerbes teilnimmt280. Es liegt auf der Hand, dass beide obligatorischen Beteiligungsformen nahezu inhaltsgleich definiert werden281. Der Hinweis, nur die stille Gesellschaft verfolge einen „gemeinsamen Zweck“, ist insofern völlig ungeeignet und wirkt vorgeschoben282. Schließlich ist der Mitunternehmeransatz unter diesen Gesichtspunkten auch nicht zweckvorgegeben oder gerecht. Man hat lange versucht, das dichotome System der Einkunftsarten zu rechtfertigen, die Unterscheidungsgründe dogmatisch abzusichern und den Wert der Distinktion verständlich zu machen. Gegenwärtig bestehen große Zweifel, ob es einen solchen Wert gibt283. Insofern ist schon die These einer „gerechten“ Einstufung als Mitunternehmer vor dem Hintergrund eines Einkünftesystems mit Recht kritisiert worden, das letztlich nicht mit Einkünftekategorien von besser/schlecher oder schonend/belastend beschrieben werden kann284. Es gibt, das hat Knobbe-Keuk richtig gesagt, keine „bösen“ oder „guten“ Einkünfte285. Wer Mitunternehmer ist, wird mit seinem Geschäftsführergehalt zu den gewerblichen Einkünften gerechnet und mit Gewerbesteuer belastet; das von ihm überlassene Vermögen ist steuerverstrickt; Pensionszusagen an ihn mindern den Gesellschaftsgewinn nicht. Umgekehrt gewährt eine Mitunternehmerschaft noch immer erhebliche Vorteile, etwa den Tarif nach § 34 Abs. 3 EStG, bei der Bewertung oder die Freibeträge im Erbfall286.
280
Baumbach/Hopt § 230 RdNr. 1; Heymann/Horn § 230 RdNr. 2; etwas weiter Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 1. 281 Für eine Identität von Genussrechten und stillen Gesellschaften deswegen z. B. Semler, Referat zum 55 DJT, K 54; Schön, ZGR 1993, 210 (234 f.); ders., JZ 1993, 925 (929 f.); ferner Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (394 ff.); ders., Münchener Kommentar, AktG, § 221 RdNr. 88 f. Judikatur und h.L. sind dem bislang nicht gefolgt, vgl. BGH ZIP 2003, 1788 (1789 f.); siehe auch BGHZ 119, 305 (330); Lutter, Kölner Kommentar, AktG, § 221 RdNr. 232; Ernst, Genußschein, S. 108 ff., 118 f.; Frantzen, Genußschein, S. 15 ff., 22; Rid-Niebler, Genussrechte, S. 81; Sethe, AG 1993, 297. 282 S. zu den geschichtl. Hintergründen den Verf., Festschrift Karsten Schmidt, S. 399 (401 f.); s. noch unten, S. 63 ff. 283 S. statt vieler Birk, DStJG 34 (2011), 11 (20 ff.); noch immer lesenswert Knobbe-Keuk, Das Steuerrecht – eine unerwünschte Rechtsquelle, S. 53 f. 284 Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 II, S. 391; Schön, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 139 (160 ff.). Vgl. auch BFH Urteil vom 28. 3. 1966 – VI 43/65 – BFHE 86, 80 = BStBl. III 1966, 352 (353). 285 Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 II, S. 391: Die Zuordnungsweise im Einkunftsartensystem ist „von ähnlich banaler Ambivalenz wie der Reißverschluß. (…) Man kann nicht abstrakt sagen, die Ermittlung nach dem einen System sei für den Steuerpflichtigen günstiger oder ungünstiger (…). Man kann nur feststellen: Es ist ein aliud“; ähnlich dies., Festschrift Ludwig Schmidt, S. 741 (743). 286 Für eine Übersicht zu den Folgen s. Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 21 ff.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
§ 5 Zivilrechtliche Prämissen als Fehlerquellen des Mitunternehmerdogmas Mit welchem Gewinn zivilrechtsdogmatische Erwägungen in einen Zusammenhang mit der steuerrechtlichen Mitunternehmerlehre sinnvoll und erkenntnisfördernd gebracht werden können, hängt zunächst von der wechselseitigen Beziehung zwischen Zivilrecht und Steuerrecht selbst ab. Die immense Gegenwehr gegen die rein „wirtschaftliche“ Denkungsart eines Enno Beckers beruhte auf dem Eindruck eines erheblichen Verlusts an Rechtssicherheit287. Seither hat es zahlreiche Theorieangebote für das Verhältnis zwischen den Teilrechtsordnungen unter verschiedenen Gesichtspunkten gegeben. Ein zwischenzeitlich vom Bundesfinanzhof verkündetes „Primat“ des bürgerlichen Rechts288, das von Flume auf den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung gestützt wurde289, trifft gegenwärtig auf vielfältige Theorieerneuerungen der „wirtschaftlichen“ Betrachtungsart in einer gemäßigten Form290. Schon diese Skizze lässt die Komplexität sichtbar werden. Es ist aber klar, dass nach dem Bedeutungsverlust des rein „wirtschaftlichen“ Methodenansatzes die Vorgegebenheiten des Zivilrechts nicht einfach auf eine steuerlich-reale, „wirtschaftliche“ Substanz reduziert werden können. Wenn Einkommen in zivilrechtlichen Formen erzielt wird, Steuergesetze Privatrechtsbegriffe entleihen, um den die Steuer auslösenden Vorgang zu bezeichnen, oder wenn die Gesellschaftsform die Steuerlast der Unternehmen bestimmt, ist die zivilrechtliche Vorprägung zunächst einmal zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hält es unter dem Grundgesetz für geboten, die tatbestandlichen Vorgegebenheiten anzuerkennen291. Für Zivilrechtsbegriffe in Steuergesetzen („Gewinnanteil“, „offene Handelsgesellschaft“, „Kommanditgesellschaft“, „Gesellschaft“) ist andererseits klar, dass sie durch normzweckgeleitete, an dem steuerlichen Belastungsziel orientierte Erwä-
287
Eingehend zur geschichtlichen Entwicklung v. Wallis, Gedächtnisschrift Spitaler, S. 207 ff., Beisse, StuW 1981, 4 ff. 288 BFH v. 12. 7. 1967 – I 204/64 – BFHE 90, 122 (125). 289 Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 21 und S. 24; als Annexrecht, welches dem Vollstreckungsrecht gleiche, wurde das Steuerrecht bezeichnet von Crezelius, Rechtsanwendung, S. 330 ff. Nach h.L. fordert das Postulat nur, Wertungswidersprüche möglichst zu vermeiden, Elschen, StuW 1988, 1 (8 ff.); Kneip, Mitunternehmer, S. 18; Herrmann/Heuer/Raupach/Ruppe, EStG, Einf. RdNr. 450 und 457; Kirchhof/Söhn, EStG, § 2 RdNr. A 236. Zu dem Postulat statt vieler Crezelius, Rechtsanwendung, S. 208 f., 256; Thiel, Gedächtnisschrift Spitaler, S. 195 (204 f.); Maaßen, Privatrechtsbegriffe, S. 26 ff.; Meincke, StuW 1992, 190. 290 S. nur Schön, StuW 2005, 247 f.; soweit steuerrechtliche Tatbestände an Vorgänge und Zustände (Rechtsform und Körperschaftssteuerpflicht, Ehe und Splittingtarif) anknüpfen, werden diese Tatbestände dabei nicht „wirtschaftlich“ umgedeutet, siehe statt vieler nur Schön, Auslegung, S. 28 ff. 291 BVerfGE 13, 331; BVerfGE 24, 112 ff.
§ 5 Zivilrechtliche Prämissen als Fehlerquellen des Mitunternehmerdogmas
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gungen einen eigenständigen Inhalt haben können292. Der Große Senat des Bundesfinanzhofs hat insofern gefordert, von einer zivilrechtlichen Begriffsvorgabe nicht beliebig, sondern nur aus einem „sachlichen Grund“ abzuweichen293. Legt man dieses Grundverständnis einer solchen Vorherigkeit zivilrechtlich geprägter Tatbestände und Begriffsbedeutungen zugrunde, ist es sinnvoll und notwendig, auch bei der Mitunternehmerlehre eine Reihe zivilrechtlicher Überlegungen einzubeziehen.
I. Dogmenvergleichende Betrachtung Voranzustellen ist eine gewissermaßen dogmenvergleichende Betrachtung, die eine aufschlussreiche „Außensicht“ auf die steuerrechtliche Mitunternehmerlehre freilegt. Ein solches Vorgehen liegt auf der Hand: Die Rechtsprechung zur „uneigentlichen stillen Gesellschaft“294, zur Aufgabe der Bilanzbündeltheorie295, oder zur Subjektfähigkeit der Personengesellschaft296 entstand ebenso in einer Auseinandersetzung mit zivilrechtlicher Dogmatik wie der Mitunternehmergedanke selbst297. Dass aber die Mitunternehmerschaft eine Kategorie ist, welche die Teilrechtsgebiete verbindet und nicht trennt, wird lange schon nicht mehr notiert298. Im Zivilrecht ist Mitunternehmerschaft ein Phänomen auf zwei Ebenen. Zunächst: Die „andere Gesellschaft“ (§ 15 EStG) bezeichnete ursprünglich, wie gesagt, die „Erwerbsgesellschaft“ bürgerlichen Rechts, welche die Handelsrechtslehre heute „Mitunternehmer-BGB-Gesellschaft“ nennt299. Diese hebt sich von der „zivilisti292 S. nur Maaßen, Privatrechtsbegriffe, S. 28; Schön, Auslegung, S. 18. BFH v. 25. 2. 1991 – 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (698 ff.). Die Auslegung von Zivilrechtsbegriffen in Steuergesetzen bleibt besonders kontrovers. Für eine Maßgeblichkeit des zivilrechtlichen Verständnisses, wenn sich ein steuerrechtlicher Sinngehalt nicht ermitteln lässt, Flume, Steuerwesen und Rechtsordnung, S. 1 ff.; Crezelius, Rechtsanwendung, S. 357 ff.; Grimm, DStZ/A 1978, 283 (286); List, Festschrift Döllerer, S. 369 (381); Söffing, StVj 1992, 51 (56); Thiel, Gedächtnisschrift Spitaler, S. 195 (204 f.); Spanner, Festschrift Wacke, S. 181 ff.; v. Wallis, Gedächtnisschrift Spitaler, S. 207 (222). Gegen eine solche Relevanz Beisse, StuW 1981, 1 (8); Groh, StuW 1989, 227 (230); Kirchhof, StuW 1983, 173 (180 ff.); Schulze-Osterloh, StuW 1986, 74 (75); ders., AcP, 190 (1990), 139 (153); Tipke, JuS 1970, 149 (152); Danzer, Steuerumgehung, S. 115 f.; Herrmann/Heuer/Raupach/Ruppe, EStG, Einf. RdNr. 455, 457; dem hat sich auch eine Kammer des BVerfG angeschlossen, vgl. BVerfG v. 27. 12. 1991 – 2 BvR – BStBl. II 1992, 212. 293 BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (698 ff.). 294 Siehe oben, S. 24. 295 Siehe oben, S. 34 f. 296 Siehe oben, S. 35 ff. 297 Vgl. Düringer/Hachenburg/Flechtheim, HGB, Bd. 5, 1924, § 340 RdNr. 4 zur „uneigentlichen stillen Gesellschaft“ und daran anknüpfend Becker, StuW 1925, Sp. 1579 (1603 ff.). Dazu noch unten, S. 88 f. 298 S. nur die Habilitationsschrift zum Thema von Jung, Unternehmergesellschafter, passim. 299 Zur Mitunternehmer-BGB-Gesellschaft grundlegend Karsten Schmidt, JZ 1985, 910 ff.; ders., Festschrift Fleck, S. 271 ff.; ders., Gesellschaftsrecht, § 58 II 4, S. 1698; zustimmend
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
schen“ Gesellschaft bürgerlichen Rechts dadurch ab, dass sie ein Unternehmen betreibt, als Außengesellschaft Unternehmensträgerin ist und nicht kaufmännisch tätig wird300. Alle Teilhaber sind Mitunternehmer. Die vom Bundesgerichtshof übernommene Figur der Mitunternehmer-BGB-Gesellschaft trifft also genau den ursprünglichen Sinngehalt der steuerrechtlichen Mitunternehmerschaft301. Auf einer zweiten, gesellschafterbezogenen Ebene gibt es eine zivilrechtliche Entsprechung der heutigen steuerrechtlichen Mitunternehmerlehre302. Begriff und Figur des zivilrechtlichen Mitunternehmers werden in der Handelsrechtsdogmatik bei einer Vielzahl von Einzelfragen relevant303, etwa für die Frage, ob ein Gesellschafter als Arbeitnehmer304 anzusehen ist, oder, ob er Nebenintervenient, Richter oder Zeuge im Gesellschaftsprozess sein kann305. Im Verbandsrecht nehmen Treubindungen bei diesem Gesellschaftertyp zu, im Gewerberecht gilt nur ein unternehmerisch engagierter Gesellschafter als Gewerbetreibender306. Die Sonderstellung von Unternehmergesellschaftern lässt sich gar nicht leugnen, auch wenn die Wissenschaft erst beginnt, die Zusammenhänge zu ordnen. Für den Gegenstand der Betrachtung genügt es, dieses Sonderrecht anhand von zwei Beispielen zu veranschaulichen: (1) Nach § 165 HGB ist den Kommanditisten der Wettbewerb erlaubt, aber bei (mit)unternehmerischer Stellung unterfallen sie dem
Thiery, Gesellschaft, S. 127 ff.; monographisch Loukakos, Mitunternehmer-BGB-Gesellschaft; ablehnend etwa Breuninger, BGB-Gesellschaft, S. 120 ff. 300 Vgl. Karsten Schmidt, JZ 1985, 910 ff.; ders., Festschrift Fleck, S. 271 ff.; ders., Gesellschaftsrecht, § 58 II 4, S. 1699. In einem Gesetzesentwurf hat es Karsten Schmidt 1983 beschrieben: „Wird eine Gesellschaft, ohne Handelsgesellschaft zu sein, zum Betrieb eines Gewerbes oder eines sonstigen, z. B. freiberuflichen, Unternehmens eingegangen, so gelten für sie die Bestimmungen über die offene Handelsgesellschaft (…) sinngemäß“, vgl. § 732 des Entwurfes, Karsten Schmidt, Gutachten, S. 565. Einschränkend nunmehr ders., ZHR 177 (2013), 712 (714 ff., 727): im veränderten Bezugsfeld soll nunmehr nur noch die unternehmenstragende GbR als „Residualgröße“ erhalten bleiben. 301 S. BGHZ 61, 59 (69); das HRefG v. 22. 6. 1998, BGBl. I 1998, S. 1474 ff. hat die Bedeutung der unternehmenstragenden GbR dezimiert, s. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 58 II 4, S. 1700. 302 S. zur Entwicklung der Doktrin auch die Auseinandersetzung mit der sachverwandten Frage, ob die Gesellschafter einer Handelsgesellschaft als Kaufmann anzusehen sind, oben, S. 18 ff. 303 Erst vor wenigen Jahren wurde das Phänomen im Rahmen einer Monographie systematisch untersucht, vgl. Jung, Unternehmergesellschafter, passim, und zu den Rechtsanwendungsfragen ausf. S. 123 ff. 304 Vgl. BFH v. 25. 9. 1989 – II ZR 259/88 – BGHZ 108, 330 (333); Hommelhoff/Timm, KTS 1981, 289 (308 ff.); Hanau/Kemper, ZGR 1982, 123 (133 ff.); Goette, ZIP 1997, 1317 (1322). 305 Zu diesen Fragen des Gesellschaftsprozesses eingehend Jung, Unternehmergesellschafter, S. 624 ff. 306 BVerwG GewA 1965, 7 (8 f.); siehe auch Odenthal, GewA 1991, 206 f.
§ 5 Zivilrechtliche Prämissen als Fehlerquellen des Mitunternehmerdogmas
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Wettbewerbsverbot nach § 112 HGB307. Das Paradigma personengesellschaftsgebundener Mitunternehmerschaft ist die „umfassende Arbeits- und Haftungsgemeinschaft“308, ihr Gegensatz die „im wesentlichen kapitalistisch organisierte Personengesellschaft“309. In diesem Sinne spricht der II. Zivilsenat von dem „tätigen und leitenden Mitunternehmer“310. Danach ist das Leitbild des Komplementärs typusbildend für die Mitunternehmerschaft, nicht das des Kommanditisten311. (2) In der kapitalgesellschaftsrechtlichen Dogmatik wird zwischen Unternehmer- und Anlagegesellschaftern unterschieden312. In seinem Urteil vom 26. Mai 1984 (– II ZR 171/ 83 –) hat der Bundesgerichtshof beispielsweise die Pflichtenbindungen bei eigenkapitalersetzenden Leistungen auf Aktionäre beschränkt, die „unternehmerisch“ entscheiden können313. Ein solcher Einfluss ergebe sich aus dem Bestehen einer Sperrminorität oder aus „sonstigen Umständen“314. Maßgeblich sei eine „Unternehmerstellung, die eine Mitverantwortlichkeit für die seriöse Finanzierung der Gesellschaft begründen könnte“315. Wer in diesem Sinne einem Unternehmer ähnele, sei Nutznießer der Unternehmung, ihm sei es zu verwehren, Risiken auf Gläubiger abzuwälzen316. Man erkennt bereits, dass der zivilrechtliche Mitunternehmerbegriff in hohem Grade teleologisch bestimmt ist. Für ein Wettbewerbsverbot, das allgemein aus einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis begründet wird, steht die gemeinsame 307
Vgl. BGHZ 89, 162 ff.; siehe dazu Becher, NJW 1961, 1999 f.; Löffler, NJW 1986, 223 ff.; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 165 RdNr. 3; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 V 1 b, S. 596; siehe allerdings auch BGH BB 1982, 267 (268). 308 Vgl. BGHZ 38, 306 (312). 309 BGHZ 38, 306 (313, 315). 310 BGHZ 38, 306 (313). 311 BGHZ 38, 306 (313 f.). Wer nicht Mitunternehmer sei, wird deswegen wie folgt beschrieben: „Die wesentlich kapitalistische Beteiligung des Beklagten an der Gesellschaft ähnelt vielmehr einer Gestaltung, wie sie für die Beteiligung eines Kommanditisten oder eines stillen Gesellschafters nach dem gesetzlichen Leitbild eigentümlich ist.“, S. 314. 312 Siehe zu dieser Unterscheidung statt vieler aus der monographischen Literatur Meyer, Haftungsbeschränkung, S. 967 ff.; aus der Lehrbuchliteratur Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, § 2 I 3 b, S. 103; eingehend Jung, Unternehmergesellschafter, S. 48 ff. 313 Gemeint ist ein Einfluss auf die „Geschäfte“ oder die Geschäftspolitik der AG, vgl. BGHZ 90, 381 (392). 314 BGH v. 26. 3. 1984 – II ZR 171/83 – BGHZ 90, 381 (382); wer Einfluss nehmen könne, habe „erfahrungsgemäß“ ein „Unternehmensinteresse“, S. 391. 315 BGHZ 90, 381 (389 f.) 316 Zu diesem systemtragenden Gedanken des Eigenkapitalersatzrechts vgl. BGHZ 75, 334 (336 f.); ähnliche Formulierungen in der Folgerechtsprechung, vgl. BGHZ 105, 168 (175); BGHZ 127, 17 (23); BGHZ 127, 336 (346); BGH NJW 1995, 658; BGH WM 1997, 1481 (1482); vgl. auch die Begründung zu §§ 32a, b RegE 1977, BT-Drucksache 8/1347, S. 39; Begründung zu §§ 49, 50 RegE 1971/1973, BT-Drucksache 6/3088, S. 82 und BT-Drucksache 7/253, S. 82; erläuternde Bemerkungen zu §§ 47, 48 RefE 1969, BJM 1969, S. 185. Der Gedanke wurde gesetzlich verankert in § 32a Abs. 3 S. 2 GmbHG a.F., vgl. dazu Seibert, DStR 1997, 35 (36); er ist heute in § 39 Abs. 5 InsO enthalten.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
Tätigkeit in einer Arbeitsgemeinschaft im Vordergrund317. Für eine gesteigerte Finanzierungsverantwortung von Gesellschaftern soll es, stark vereinfacht, auf die Gefahr ankommen, dass der Nutznießer der Unternehmung Risiken auf Gläubiger abwälzt. Daher ist unter diesem Blickwinkel Mitunternehmer, wer in einer besonderen Nähe zur Gesellschaft aufgrund seiner Anteilsgröße und Vermögensrechte steht318. Es fällt aber noch eine weitere Differenz zum Steuerrecht auf. Bei Wiedemann, der in seinem „Gesellschaftsrecht“ die zivilrechtliche Mitunternehmerschaft als rechtsformübergreifendes Problem erkannt und dargestellt hat, kann man am deutlichsten nachlesen, dass die Anforderungen an eine steuerrechtliche Mitunternehmerschaft aus einer zivilrechtlichen Sicht unverständlich niedrig sind319.
II. Die zivilrechtliche Prägung des Mitunternehmertatbestands Blickt man auf die Hauptprädikate des Mitunternehmerbegriffs – die Initiative als Teilhabe an „unternehmerischen Entscheidungen“, das Risiko als Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg des Gewerbebetriebs – zeigt sich, dass deren subsumtionsgeeigneten Inhalte dem Zivilrecht entlehnt sind320. Auf Basis dieser konzeptionellen Anbindung an zivilrechtliche Tatbestände, die der Doktrin seit ihrer Abkehr vom radikal„wirtschaftlichen“ Ansatz zugrunde liegt und ihre Entwicklung seit dem EStG 1949 bestimmt hat, folgt unweigerlich, dass über Inhalte und Wirkungsweise der mitunternehmertypischen Zivilrechte erst einmal Klarheit bestehen sollte. 1. Die zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerinitiative Aus diesem Betrachtungswinkel erscheint die Schlüssigkeit der wichtigsten Hauptkriterien einer Mitunternehmerinitiative, der Verwaltungsrechte nach §§ 164, 166 HGB, unter begrifflichen, dogmatischen und ökonomischen Aspekten nicht gegeben.
317
S. ausdr. die Begründung des Preußischen Entwurfs, 1857, S. 55; zur Vorläuferregel des § 112 HGB s. näher den Verf., Der „stille Verband“, S. 111 ff. 318 Siehe nur Fleischer, Finanzplankredite, S. 86 f. 319 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, § 2 II 2 a, S. 115. Hochinteressant ist der vereinzelt gebliebene Versuch einer (stark modifizierten) Adaption der steuerrechtlichen Mitunternehmerlehre durch Jung (Unternehmergesellschafter, S. 47: „methodische und inhaltliche Parallelen“), der meint, eine Unternehmergesellschaft unterscheide sich durch „Initiative“ und „Risiko“ von Anlagegesellschaftern (S. 48 ff., Zusammenfassung auf S. 120 ff.). Einen weitergehenden Gleichlauf mit der steuerrechtlichen Mitunternehmerschaft hat bislang nur Sennhenn, S. 94 ff. vertreten. 320 Näher sogleich im Text.
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Für eine Begriffsbildung ist dieser Maßstab zu ungenau. Die Initiativmacht, welche die Rechte nach §§ 164, 161 Abs. 3, 116 HGB vermitteln sollen, ist auf den Bereich der „außergewöhnlichen“ Geschäfte begrenzt. Gemeint sind Geschäfte, die nach Gegenstand, Zuschnitt oder dem verbundenen Risiko über das hinausgehen, was im Betrieb üblich ist321. Es wurde als „außerordentlich“ angesehen322, wenn Grundstücke ersteigert323, für die Kapitalrücklage vorgesehene Wertpapiere veräußert324 oder wenn Geschäfte trotz einer Interessenkollision abgeschlossen wurden325. Die „Initiative“ lässt sich durch derart konturenlose Rechte ersichtlich nicht klar eingrenzen. Dogmatisch angreifbar ist dieser Bestimmungsversuch soweit er auf der Prämisse beruht, dass ein kategorischer Unterschied zwischen den Verwaltungsrechten des Kommanditisten zum einen und denen des gesetzestypischen stillen Gesellschafters zum anderen besteht. Entgegegen der Textfassung, die in der Tat kein Widerspruchsrecht nach dem Vorbild des § 164 S. 2 HGB für stille Beteiligte erwähnt, bedürfen bestimmte Geschäfte der Zustimmung auch des „typischen“ stillen Gesellschafters. Das ist im Handelsrecht streitfrei326, wird aber im Steuerrecht ausgeblendet. Ein Stiller muss stets zustimmen, wenn der Inhaber das Unternehmen und seine Grundlagen verändert327, das Unternehmen ohne Grund einstellt328 oder veräußert329, und im Einzelfall sogar, wenn er dem Unternehmen Kapital entzieht330; auch eine Umwandlung ist zustimmungsgebunden, soweit die Rechte des Stillen betroffen werden331. Wer die Kataloge zustimmungsbedürftiger Geschäfte betrachtet, wird keine benennbare Differenz zum Regelstatut für Kommanditisten finden. 321
So z. B. bei Grunewald, Münchener Kommentar, HGB, § 164 RdNr. 9. Zur Kasuistik siehe Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 116 RdNr. 2; Jickeli, Münchener Kommentar, HGB, § 116 RdNr. 6 ff.; Staub/Schäfer, HGB, § 116 RdNr. 12 f.; Schlegelberger/ Martens, 5. Aufl., § 116 RdNr. 10. 323 RG LZ 1914, 580. 324 RG JW 1930, 706. 325 BGH BB 1973, 213. 326 Weiterhin wird die Sitzverlegung und, je nach Lage des Falles, die Änderung der Firma für zustimmungspflichtig gehalten, s. Heinrich Lang, Typen, S. 57, Rasner, Stille Gesellschaft, S. 79; Düringer/Hachenburg/Flechtheim, HGB, Bd. 5, 1924, § 335 RdNr. 16. 327 BGH WM 1963, 1209 (1210); OLG Saarbrücken NZG 1999, 155 (156); Baumbach/ Hopt/Roth, HGB, § 230 RdNr. 15; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 137, 179. 328 BGH WM 1963, 1209 (1210) = BB 1963, 1277 ff.; Koenigs, Stille Gesellschaft, S. 142. 329 Saenger, S. 109 f.; Blaurock, Handbuch, RdNr. 12.15; Kühn, Münchener Handbuch, StG, § 80 RdNr. 5; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 230 RdNr. 13; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 137. 330 Vgl. RGZ 126, 386 (391); Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 137. 331 Einzelheiten sind umstritten; siehe Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 137; eingehend dazu Blaurock, Handbuch, RdNr. 18.22, 18.40 und 18.49; Kühn, Münchener Handbuch, StG, § 80 RdNr. 5 ff. 322
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
Der Versuch, die „Initiative“ anhand von Verwaltungsrechten zu bestimmen, ist dogmatisch zudem deswegen problematisch, weil er zu einseitig am Normtext orientiert ist. Der Kommanditist wird zum Beispiel, entgegen der Textfassung, nicht auf das Widerspruchsrecht (§ 164 HGB) verwiesen; stattdessen ist seine Zustimmung zu „außergewöhnlichen Geschäften“ einzuholen332. Der Kommanditist braucht also nicht aktiv nach den Plänen des Komplementärs zu forschen, er ist unaufgefordert bei wichtigen Geschäften einzubeziehen333. Ein weiteres Beispiel besteht in der Pflichtunterworfenheit mitgliedschaftlicher Rechte. Die Entscheidung über eine Zustimmung ist – prinzipiell anders als die eines schuldrechtlich Beteiligten – aufgrund der Treupflicht streng am Wohl der Gesellschaft auszurichten334. Das ist eine erhebliche, durch bloße Textanalyse nicht erkennbare Einschränkung der „Initiative“. Bei einer ökonomischen Beurteilung müsste auffallen, dass die „Initiativ“-Rechte des Kommanditisten ebenfalls ein fragwürdiger Anknüpfungspunkt sind, weil die Wirkungsart seines Widerspruchs offen bleibt. Es ist ungeklärt, ob ein widersprechender Kommanditist das Handeln des Komplementärs durch eine Leistungsklage verhindern kann335. Gesichert ist nur, dass er berechtigt ist, den Schaden geltend zu machen336. Allerdings ist dieser Anspruch in das Vermögen der Gesellschaft zu leisten; auch der Ersatz eines direkten Schadens kann verlangt werden337, hängt aber der Höhe nach vom Umfang der Kommanditbeteiligung ab – gerade dieser Umstand spielt aber für die Mitunternehmerlehre keine Rolle. Geradezu unverständlich ist es schließlich, warum die steuerrechtliche Rechtsprechung in Kontrollrechten nach §§ 166, 233 HGB eine „Mitunternehmerinitiative“ erkennt338. Wer die „abschriftliche Mitteilung des Jahresabschlusses verlangen und dessen Richtigkeit unter Einsicht der Bücher“ prüfen kann, entscheidet deswegen nicht „unternehmerisch“ mit. Das Recht ist die Kehrseite des Anteils am 332 Einhellige Ansicht, statt vieler siehe RGZ 158, 302 (306); BGHZ 76, 160 (164); Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 164 RdNr. 2; Grunewald, Münchener Kommentar, HGB, § 164 RdNr. 10. 333 Das ist bei Nicht-Verbandsmitgliedern mit vertraglichen Widerspruchsrechten anders. 334 RGZ 158, 302 (306); BGHZ 76, 160 (164); Emde, WM 1996, 1205; Baumbach/Hopt/ Roth, HGB, § 164 RdNr. 2; Grunewald, Münchener Kommentar, HGB, § 164 RdNr. 11. 335 Vgl. BGHZ 76, 160 (167 f.); die Unterlassungsklage halten etwa für zulässig Becker, Verwaltungskontrolle, S. 568; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 V 3 a, S. 648 f. (bei gesetzes- oder satzungswidrigen Übergriffen); dagegen Heymann/Horn, HGB, § 164 RdNr. 6. 336 Siehe nur BGH ZIP 1996, 2164. 337 Vgl. Grunewald, Münchener Kommentar, HGB, § 164 RdNr. 13. 338 Siehe BFH v. 13. 6. 1989 – VIII R 47/85 – BStBl. II 1989, 720 (722); BFH v. 12. 11. 1985 – VIII R 364/83 – BStBl. II 1986, 311 (314) jew. zur stillen Gesellschaft und § 233 HGB; siehe ferner BFH v. 19. 2. 1981 – IV R 152/76 – BStBl. II 1981, 602 (604); BFH v. 9.10, 1986 – IV R 235/84 – BStBl. II 1987 II 124 (126); BFH v. 24. 7. 1986 – IV R 103/83 – BStBl. II 1987, 54 (56); in diesem Sinne in der zivilrechtlichen Rechtsprechung auch OLG Dresden v. 19. 6. 2002 – 8 U 630/02 – ZIP 2002, 1293 (1295), welches „Informations-/Kontrollrechte“ als Teilnahme an der „Unternehmensinitiative“ ansieht.
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laufenden Gewinn. Auch bei einem Beteiligungskredit wird ein solches Recht dem Parteiwillen entsprechen339, und wo es an entsprechenden Abreden fehlt, korrigieren die Zivilgerichte die Verträge und gewähren entsprechende Kontrollrechte340. 2. Das zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerrisiko Der Begriff des Risikos, verstanden als „gesellschafterliche Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg des Gewerbebetriebs“341, setzt in gleicher Weise an zivilrechtlichen Tatbeständen (Gewinn- und Verlustanteil, Anspruch auf Liquidationserlös, Haftung) an. Da der Gewinnanteil als unabdingbares Merkmal bei Handelsgesellschaften gesetzlich (§§ 120 ff., 167 ff. HGB) und bei stillen Gesellschaftern begrifflich (§ 230 HGB) vorgegeben ist342, besteht das Hauptabgrenzungskriterium in der Vermögensteilhabe343. Auch dagegen sind aus einer zivilrechtlichen Sicht Einwände zu erheben. Ein in dieser Weise präzisierter Risikobegriff bleibt in Wahrheit unbestimmt. Dass zwischen einem Anteil an den laufenden Gewinnen einerseits und am Vermögen andererseits nahezu beliebige Abstufungen denkbar sind, dürfte schon die Kasuistik hinlänglich zeigen344. Aber auch der Unterschied zwischen den Vermögensrechten von Kommanditisten und stillen Gesellschaftern ist geringer als gemeinhin angenommen wird. In welchem Umfang der gesetzestypische stille Gesellschafter an Wertveränderungen des Anlagevermögens partizipiert, ist gar nicht geklärt345. Stille 339 So schon Rasner, Stille Gesellschaft, S. 38 f.; Schön, ZGR 1990, 220 (233); anders Koenigs, Stille Gesellschaft, S. 32 f. Dies wird auch der Rechtspraxis entsprechen, s. Kollhosser, WM 1985, 929 (933); ferner das OLG Schleswig NZG 2000, 1176 (1177). 340 Siehe z. B. OLG Dresden DJZ 1908, Sp. 370, das § 233 HGB analog angewendet hat; die heute ganz h. L. spricht sich dafür aus, § 810 BGB anzuwenden, vgl. statt aller Blaurock, Handbuch, RdNr. 8.35; Ulmer/Schäfer, Münchener Kommentar, BGB, vor § 705 RdNr. 108 m. N.; siehe auch für den ausgeschiedenen Kommanditisten BGH GmbHR 1988, 434. 341 Siehe oben, S. 26 ff. 342 Siehe nur RG DJZ 1932, 95; BGH BB 1954, 172; BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (770); Koenigs, Stille Gesellschaft, S. 20 ff.; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 230 RdNr. 3; Heymann/Horn, HGB, § 230 RdNr. 38; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 38; Röhricht/v. Westphalen/Haas/Mock, HGB, § 230 RdNr. 46. 343 Siehe oben, S. 32 f. 344 Die Abfindung kann für bestimmte Fälle auf den Buchwert beschränkt sein; es ist nur eine Teilhabe am Geschäftswert oder nur an stillen Reserven vorgesehen; die Teilhabe an stillen Reserven wird auf solche beschränkt, die während der Beteiligung gelegt wurden; es wird nicht selten nach der Art der Beendigung unterschieden und es werden die Rechte des vorzeitig Ausscheidenden begrenzt; auch kommen in der Praxis Abschläge vor, mit denen der Anteil etwa am Geschäftswert abgegolten wird; s. zu den Detailfragen Kneip, Mitunternehmer, S. 403 ff.; Troost, Abgrenzung, S. 148 ff., 206 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 23e; Herrmann/ Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 324. 345 Für eine solche Teilhabe Sudhoff, NJW 1960, 2122, Aulinger, Stille Gesellschaft, S. 23 f.; Zinkeisen, S. 36 ff.; anders die h. M. RGZ 120, 410 (411); Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 235 RdNr. 1; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 235 RdNr. 25.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
Rücklagen sind etwa in der Auseinandersetzungsbilanz aufzulösen346; an einem Firmenwert, der bei Gesellschaftsauflösung realisiert wird, ist er nach vielen zu beteiligen347. Auch bei einer wirtschaftlichen Betrachtung sind Bedenken zu erheben. Bereits Aulinger hat auf die ökonomische Ambivalenz einer Vermögensteilhabe hingewiesen348. Rasner hat später von einem geradezu irreführenden Begriff gesprochen349 : Durch eine Vermögensteilhabe würden Gewinn und Auseinandersetzungsguthaben in besonderer Weise ermittelt350, aber das habe keine über Abrechnungsfragen hinausgehende Bedeutung351. In der Zivilrechtswissenschaft kreisen die Überlegungen zu Rechtsfolgeproblemen, die durch „atypische“ Momente ausgelöst werden, tatsächlich kaum um das isolierte Merkmal einer „Vermögensteilhabe“352. Noch ein weiterer Gesichtspunkt ist zu bedenken: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging die Rechtsprechung von einer vollen (schuldrechtlichen) Vermögensteilhabe jedes stillen Gesellschafters aus353. Erst später setzte es sich durch, dem typischen stillen Gesellschafter den vollen Anteil an den stillen Reserven und am Firmenwert zu verweigern354. Heute herrscht, wie gezeigt, eine unklare Zwischenposition vor. Die Handelsrechtsjudikatur kann durchaus zu dem früheren Ansatz zurückfinden355. Typische stille Gesellschafter wären dann am Vermögen beteiligt und nach gegen-
346 Mit Unterschieden Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 235 RdNr. 24; Heymann/Horn, HGB, § 235 RdNr. 12; Röhricht/v. Westphalen/Haas/Mock, HGB, § 235 RdNr. 8; Staub/Harbarth, HGB, § 235 RdNr. 25 f.; s. auch BGHZ 127, 176 (181, zu unzulässig gebildeten Reserven). 347 Siehe bereits Aulinger, Stille Gesellschaft, S. 24; ferner Sudhoff, NJW 1960, 2125; zur abweichenden h. A. vgl. Nachweise bei Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 235 RdNr. 26. 348 Aulinger, Stille Gesellschaft, S. 25; ähnlich Rasner, Stille Gesellschaft, S. 60 ff. Der stille Gesellschafter nehme in erster Linie mit seiner Einlage am Unternehmensrisiko teil; über die wirtschaftliche Bedeutung der Vermögensteilhabe lasse sich abstrakt gar nichts sinnvoll sagen, S. 25. 349 Rasner, Stille Gesellschaft, S. 74. 350 Da die Rechnungslegung dem Inhaber Spielräume gibt, kann er Gewinne „verstecken“, aber auch verschieben, indem er Gewinne thesauriert und den Unternehmenswert steigert; s. zu den gesellschaftsrechtlichen Regularien insofern Rasner, Stille Gesellschaft, S. 65 ff. 351 Rasner, Stille Gesellschaft, S. 67 ff., der nur geringe Einschränkungen im Bereich der Kontrolle und der Treupflichten gelten lässt. 352 Vgl. den Überblick bei Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 80; vgl. auch die Nachweise in Fn. 344 ff. 353 Vgl. RFH v. 5. 11. 1918 – II 243/18 – RGZ 94, 106 (108). 354 Heute ganz h.A., vgl. RGZ 120, 410 (411); RGZ 126, 386 (393); BGHZ 127, 176 (181); Koenigs, Stille Gesellschaft, S. 289; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 235 RdNr. 21; Heymann/Horn, HGB, § 235 RdNr. 12; Staub/Harbarth, HGB, § 235 RdNr. 27 f. 355 So bereits Zinkeisen, Gewinnbeteiligung, S. 33, 89.
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wärtigem Stand des Richterrechts als Mitunternehmer anzusehen356. Die Frage ist nur: Sollte die steuerrechtliche Einordnung der Einkünfte als gewerbliche von dieser eher marginalen Vorfrage des Zivilrechts abhängen? Man wird das schwerlich bejahen können. 3. Die Gesellschaftereigenschaft des Mitunternehmers aus zivilrechtlicher Sicht Der Kreis möglicher Mitunternehmer wurde zunächst im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtung festgelegt und später durch das Erfordernis einer gemeinsamen Zweckverfolgung begrenzt357. Der Große Senat hat die Zeit des „faktischen Mitunternehmers“ abrupt beendet, indem er als Mitunternehmer nur in Betracht zog, „wer zivilrechtlich Gesellschafter einer Personengesellschaft ist“358. Dies gilt bis heute als fortschrittliche Errungenschaft359. Bundesfinanzhof und Lehre halten einhellig daran fest360. Ein Nichtgesellschafter, der unternehmerische Entscheidungen treffen kann und den Gewinn der Gesellschaft abschöpft, sei, mangels einer gesellschaftlichen Position, nicht Mitunternehmer361. Das Zusammenwirken zu einem „gemeinsamen Zweck“ ist das Kriterium, das eine anwendungssichere Abgrenzung gegen Kredite und andere „einfache“ Austauschverträge gewährleisten soll362. a) Der „gemeinsame Zweck“ Diese seither traditionelle Eingrenzung des Mitunternehmertatbestands wird angesichts der zivilrechtlichen Merkmalsbedeutung kritisierbar. Der Begriff des „gemeinsamen Zwecks“ kann schon wegen seiner Abstraktionshöhe nicht zur Lösung der eigentlichen Abgrenzungsproblematik beitragen. Es heißt, Teilnehmer 356
S. 32 f.
Vorbehaltlich einer Korrektur im Rahmen der „Gesamtbetrachtung“; vgl. schon oben,
357 Deswegen hat Crezelius von einer Hybridstruktur, von einem „Chamäleon“, gesprochen, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 354. 358 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (768). 359 Siehe oben, S. 26 ff. 360 Zur Rechtsprechung sogleich im Text. Aus der Literatur grundlegend Priester, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 331 (334 ff.); Dötsch, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 7 (13 ff.); s. ferner statt aller Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 280 ff.; kritisch etwa Peter Fischer, FR 1998, 813 (821); Bodden, FR 2002, 559 (564). 361 BFH v. 22. 1. 1985 – VIII R 303/81 – BStBl. II 1985, 363 (365). Ferner BFH v. 2. 9. 1985 – IV B 51/85 – BStBl. II 1986, 10: liegen „Initiative“ und „Risiko“ vor, werde das Vorliegen einer Gesellschaft „vermutet“; mit Recht kritisch dazu etwa Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 II 3 b, S. 385, eingehend dies., unerwünschte Rechtsquelle, S. 43 ff. Diese restriktive Linie wird in einer Reihe von Entscheidungen des VIII. Senats bestätigt, s. neben der Genannten auch BFH v. 28. 1. 1986 – VIII R 335/82 – BStBl. II 1986, 599 ff.; BFH v. 13. 7. 1993 – VIII R 50/92 – BStBl. II 1994, 282 ff. 362 S. zum zivilrechtlichen Parallelproblem z. B. BGH NJW 1990, 573 (574); BGHZ 127, 176 f.; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 54; Ulmer/Schäfer, Münchener Kommentar, BGB, vor § 705 RdNr. 104.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
müssten „wie in einer Ehe ihre beidseitigen Interessen in einem höheren Zweck aufgehen lassen“, so dass kein „Egoismus zu Zweien“ herrsche363 oder, um nur ein zweites Definitionsbeispiel anzuführen, der Zweck müsse „vergemeinschaftet“ sein und so über eine Interessenparallelität hinausgehen364 ; ein bestimmter Erfolg müsse gemeinsam erstrebt werden365. Die zivilrechtliche Rechtsanwendung operiert niemals mit dem „gemeinsamen Zweck“, sondern greift zu anderen Lösungskriterien, welche erst eine Abgrenzung zwischen Gesellschaft und Austauschvertrag ermöglichen366. Die jederzeitige Lösungsmöglichkeit367, der besicherte Rückübertragungsanspruch368, oder die Abtretbarkeit der Forderungen369 weisen beispielsweise auf einen Kredit hin. Kontrollrechte sollen dagegen gesellschaftstypisch sein370. In der steuerrechtlichen Kasuistik fällt ebenfalls auf, wie unsicher die Rechtsanwendung bleibt371. Sieht man genauer hin, zeigt sich, dass der richterliche Wunschtraum einer Fremdstabilisierung durch zivilrechtliche Haltepunkte („gemeinsamer Zweck“) nicht in Erfüllung geht, sondern es sekundärer, problembezogener Kriterien bedarf. Dies führt dazu, dass die Gerichte auffallend oft den Sachverhalt ergebnisorientiert verbiegen, wenn die Steuerpflichtigen ihre Gestaltungsfreiheit vermeintlich überzogen haben372 : Verdeckte Gesellschafterstellungen werden unterstellt373 oder sollen bezeichnenderweise bei unangemessenen Gestaltungen 363
So etwa für die stille Gesellschaft Rasner, Stille Gesellschaft, S. 39; ähnlich MüllerErzbach, Handelsrecht, 2/3 Aufl., Kap. 72, S. 357. 364 BGH BB 1988, 12; Priester, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 335 (340); Lempenau, StbJb 1982/83, 201 (212). 365 Böhmer, JZ 1994, 982 (984); dem folgend Ulmer/Schäfer, Münchener Kommentar, BGB, § 705 RdNr. 142, 48. 366 Siehe Kellermann, S. 170 ff.; vgl. Heymann/Horn, HGB, § 230 RdNr. 16, der den „gemeinsamen Zweck“ für die Abgrenzung nicht mehr anführt. 367 BGH WM 1965, 1052 (1053); dazu statt vieler Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 67. 368 OLG Hamburg MDR 1950, 229; dazu statt vieler Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 68. 369 OLG Hamburg MDR 1950, 229; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 65. 370 Siehe z. B. RGZ 31, 33 (34); BGHZ 127, 176 (180); weitere Nachweise bei Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 64; mit Recht kritisch Heymann/Horn, HGB, § 230 RdNr. 16; Staub/Harbarth, HGB, § 230 RdNr. 39; Schön, ZGR 1993, 211 (231 ff.). 371 Siehe schon Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 II b, S. 386 sowie Woerner, BB 1986, 704 ff.; zur „verdeckten Mitunternehmerschaft“ unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung siehe ferner Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 24 ff. 372 Siehe etwa BFH v. 21. 9. 1995 – IV R 65/94 – BStBl. II 1996, 66 (67 f.); BFH v. 28. 10. 2008 – VII R 32/07 – BFH/NV 2009, 355 (357); vgl. dazu Priester, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 331 (335); Crezelius, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 355 (364 und 369); Peter Fischer, FR 1998, 813 f. 373 Siehe die Nachweise zuvor; kritisch dazu Söffing, StbJb 1986/87, 297 (309) und Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15, RdNr. 24b.
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anzunehmen sein374. Die Angemessenheit der Entgelte bestimmt daher in Wahrheit, welche Einkunftsart anzunehmen ist375. Das Erfordernis der gesellschaftlichen Position hängt in der Luft. b) Vom Unterschied zwischen Verbänden und kooperativen Schuldverhältnissen Der Theorieansatz, mit Hilfe des „gemeinsamen Zwecks“ den Kreis der gewerblichen oder freiberuflichen Einkünfte einzugrenzen, blendet den zentralen tatbestandlichen Unterschied zwischen unternehmenstragenden Personengesellschaften und nur faktisch oder schuldrechtlich verbundenen Zufallsgemeinschaften aus. Offene Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften und die unternehmenstragende Gesellschaft bürgerlichen Rechts sind Außenverbände qua Rechtsform376. Ihr „gemeinsamer“ Zweck ist der Zweck der überindividuellen Verbandsperson selbst377. Für die zahllosen verbandsrechtlichen Konsequenzen, die ebenso verbindliche Anknüpfungsmomente der Mitunternehmerschaft sein müssten wie vertraglich bedungene Vermögens- oder Verwaltungsrechte, fehlt in der Steuerrechtspraxis jede Sensibilität378. Diese Konsequenzen sind weitreichend. Einige Beispiele sollen zeigen, dass ein Kommanditist als geborenes Verbandsmitglied qualitativ andere – verbandstypische – Rechte und Pflichten hat, als ein bloß schuldrechtlich am Unternehmen Beteiligter. Zunächst zum „Risikobereich“: Die kategorische Verschiedenheit, die zwischen Verbandsmitgliedern einerseits und Vertragspartnern andererseits besteht, kommt darin zum Ausdruck, dass verbandsrechtliche Grundsätze und Regeln vertraglich vereinbarte Rechte „überlagern“ und ergänzen. Die Rechtsstellung des Einzelnen – z. B. seine Vermögenspartizipation oder Rangstellung in der Insolvenz – ist von hier aus determiniert. Das wahre „Risiko“ lässt sich nur in diesem Kontext beurteilen. Ohne die Berücksichtigung dieses verbandsrechtlichen Regelungskontexts bleibt der „wirtschaftliche“ Vergleich auf Teilaspekte begrenzt und unvollständig. Das sollen drei einfache Bespiele veranschaulichen. (1) Nach der „Lehre der fehlerhaften Gesellschaft“ kann sich ein Gesellschafter von einem Engagement auf fehlerhafter 374 Die Judikate beziehen sich meist auf Ehegatten-GmbH & Co. KG oder einer EhegattenGmbH & Still und es ist klar, dass der Mitunternehmerbegriff hier als Umgehungsschutzinstrument umfunktioniert wird; s. noch zu dem sog. „Wiesbadener Sparmodell“, bei dem die „verdeckte Mitunternehmerschaft“ in der Vergangenheit eine gewisse Rolle gespielt hat, Priester, Festschrift Ludwig Schmidt, 331 (334). 375 BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 53/82 – BStBl. II 1986, 798 (800 ff.); BFH v. 21. 9. 1995 – IV R 65/94 – BStBl. II 1996, 66 (68); siehe noch unten, S. 81 f. 376 Statt aller s. Karsten Schmidt, ZHR 177 (2013), 712 (720); ders., Gesellschaftsrecht, § 7 I 2 b aa, S. 169: „Außengesellschaften sind nur als verfaßte Verbände möglich“. 377 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 I 2 b, S. 61; siehe bereits Flume, Personengesellschaft, § 3 I, S. 38 für die Personengesellschaft; siehe auch für die OHG Hueck, OHG, § 1 I b, S. 3 f. 378 S. zuletzt auch aus der Wissenschaft ohne Problembewusstsein Kuck, Steuerrechtssubjektivität, S. 62 ff.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
Grundlage nur für die Zukunft lösen379. Stellt sich nach Jahren heraus, dass der Beitritt fehlerhaft war, bleibt eine in Verlustjahren aufgezehrte Kommanditeinlage verloren380 ; der Kreditgeber kann dagegen die Valuta kondizieren. Umgekehrt bleibt dem fehlerhaft beigetretenen Verbandsmitglied der Anteil an bislang bezogenen Gewinnen erhalten, während der Darlehensgeber kondiktionsrechtlich den objektiven Kapitalnutzwert einfordern kann381. (2) Nur der Kommanditist, nicht aber ein rein schuldrechtlich Beteiligter, wird vor bestimmten Abfindungsklauseln, insbesondere einer Abfindung zu Buchwerten, verbandsrechtlich geschützt; solche Klauseln verfallen der Unwirksamkeit382. (3) Soweit nichts anderes vereinbart wurde, ist die Pflichteinlage des Kommanditisten Risikokapital383. Der Anspruch auf die Liquidationsquote (§ 734 BGB) ist nach allen anderen Ansprüchen zu bedienen (§ 199 S. 2 InsO); der Kommanditist unterliegt hinsichtlich weiterer Leistungen den Grundsätzen des Rechts der Eigenkapitalersatzleistung384. Die fundamentale Bedeutung der Verbandsverfassung, welche die Reichweite der mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten festlegt, ist auch für den „Initiativbereich“ gegeben. (1) Diejenigen Verwaltungsrechte, welche steuerrechtsdogmatisch zur „Initiative“ stilisiert werden, sind zum Beispiel dem Verbandsinteresse untergeordnet. Wer ein Widerspruchsrecht nach § 164 HGB ausübt, wird durch Treupflichten viel weiter beschränkt als Fremdkapitalgeber mit einer vertraglich vorgesehenen, vergleichbaren Rechtsmacht. Eine Entscheidung, die nicht am Wohl der Gesellschaft orientiert ist, verpflichtet den Kommanditisten zum Schadensersatz385. (2) Das Institut der actio pro socio berechtigt Verbandsmitglieder, im Klageweg
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So die ständige Rechtsprechung, vgl. BGHZ 3, 285; BGHZ 10, 44 (51); BGHZ 44, 235 (236); für den Fall des fehlerhaften Beitritts vgl. BGHZ 26, 330 (335); BGHZ 63, 338 (344); siehe auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 6 II 2, S. 143 f. 380 Zu dieser Lehre etwa BGHZ 55, 5 (8); Karsten Schmidt, AcP 186 (1986), 421 ff.; Paschke, ZHR 155 (1991), 1 ff.; Ulmer, Festschrift Flume II, S. 301 ff. 381 Zum bereicherungsrechtlichen Instrumentarium s. BGHZ 7, 208 (218); BGHZ 63, 365 (368); BGH NJW 1978, 1578; eingehend zur Rückabwicklung nichtiger Gesellschaften z. B. Pörnig, Fehlerhafte Gesellschaft, S. 102 ff.; Schäfer, Der fehlerhafte Verband, S. 79 ff.; der Verf., Der „stille Verband“, S. 122 ff. 382 Siehe nur den Überblick bei Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 131 RdNr. 58 ff.; Piehler/ Schulte, Münchener Handbuch, KG, § 38; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 50 IV 2 a, S. 1481 ff. 383 Zur Haftungsfunktion der Einlage siehe nur BGH NJW 1981, 2251; Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, §§ 171, 172 RdNr. 97. Zur Dispositivität der Pflichteinlage im Innenverhältnis siehe etwa Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, §§ 171, 172 RdNr. 11; Heymann/Horn, HGB, § 161 RdNr. 78. 384 Für den Fall, dass kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, vgl. § 39 Abs. 4 S. 1 InsO (entspr. § 172a HGB a.F.). Darüber hinaus für die gesetzestypische KG siehe Karsten Schmidt, GmbHR, 1986, 337 (340); Joost, ZGR, 1987, 371 (374 ff.); Michel, Gesellschafterleistung, S. 215 ff. 385 S. nur Röhricht/v. Westphalen/v. Gerkan/Haas, HGB, § 164 RdNr. 4; Westermann, Festschrift Maier-Reimer, S. 853 (855).
§ 5 Zivilrechtliche Prämissen als Fehlerquellen des Mitunternehmerdogmas
65
Sozialansprüche des Verbandes im eigenen Namen geltend zu machen386, insofern wird ihre „Macht“ faktisch gesteigert. Die „Initiative“ von Gesellschaftern, die von anderen Gesellschaftern unter den Bedingungen der actio pro socio verklagt werden können, wird umgekehrt zugleich begrenzt. (3) Auch die Informations- und Kontrollrechte des Kommanditisten gehen über das in § 166 HGB erwähnte Einsichtsrecht deutlich hinaus; ein allgemeines Auskunftsrecht reicht soweit, wie es zur Wahrnehmung seiner Rechte als Mitglied im Verband erforderlich ist387. Zudem gibt es – wie bei allen Verbänden – ein Kollektivrecht, demzufolge die geschäftsführenden Organe das Kollektiv im rechtsformabhängigen Umfang informieren müssen388. c) Folgerung Das Erfordernis der gemeinsamen Zweckverfolgung von Mitunternehmern wirkt aufgepfropft und – wenn es in Wahrheit durch ganz andere, in gar keinem Ableitungszusammenhang zum „Zweck“ stehende Kriterien ersetzt wird – eher als Aporie. Der historische Ansatz, nach dem nur zivilrechtliche Verbandsformen (OHG, KG und Erwerbsgesellschaften bürgerlichen Rechts) einzubeziehen waren, erscheint überlegen389. Die Rechte und Pflichten eines Verbandsmitglieds heben es von Kreditgebern und schuldrechtlich Beteiligten ab; zivilrechtsdogmatisch gesehen lebt der Kommanditist als geborenes Mitglied in einer anderen Rechtswelt. Wird er in dem einen oder anderen Punkt mit Rechten versehen, welche hinter dem Regelstatut nach HGB zurückbleiben, ist seine Sonderstellung insgesamt unberührt. Wenn also ursprünglich alle Verbandsmitglieder unternehmenstragender Personengesellschaften stets als Mitunternehmer angesehen wurden, ist das aus Sicht des Zivilrechts – anders als der gegenwärtige Ansatz der steuerrechtlichen Mitunternehmerdoktrin – ein sinnklares Konzept.
386 BGHZ 25, 47; BGH NJW 1985, 2830; BGH WM 2001, 515; OLG Karlsruhe NZG 1999, 439; Heymann/Horn, HGB, § 161 RdNr. 50; Grunewald, Münchener Kommentar, HGB, § 161 RdNr. 36; Immenga, ZGR, 1974, 385 (411); zu den Grenzen der actio pro socio bei nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung s. BGHZ 76, 160 (167 f.); Überblick bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 IV, S. 629 ff. 387 Einhellige Meinung, s. nur OLG Stuttgart, NZG 2002, 1005; Karsten Schmidt, Informationsrechte, S. 68 ff.; Grunewald, Münchener Kommentar, HGB, § 166 RdNr. 11 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 1, § 7 II 2, S. 376. 388 Zum kollektiven Kontrollrecht statt aller Karsten Schmidt, Informationsrechte, S. 15 f. 389 Siehe oben, S. 19 ff.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
§ 6 Die methodologische Scheinlösung durch einen Rekurs auf die Lehre vom Typusbegriff Die Unschärfe des Mitunternehmerbegriffs gilt dem BFH als eine Vorgabe der Methodik390. Der Mitunternehmer sei kein trennscharfer abstrakter Begriff, er sei ein „offener Typ“, der „nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann, für den also ein Gesamtbild kennzeichnend ist und dem somit zwar auch genügt sein kann, wenn der eine oder andere typische Wesenszug fehlt, der aber doch mindestens das Vorhandensein einiger dieser typischen Wesenszüge verlangt“.391 Wer das Urteil liest, findet als Beweis dieser Aussage nur ein Zitat der „Methodenlehre“ von Larenz392 dessen Typuskonzeption im Wesentlichen von ihm selbst und seinen Schülern393 vertreten wurde und gegen eine große Zahl kritischer Stimmen394 verteidigt werden musste.
390
S. dazu bereits den Verf., StuW 2007, 314 (320 f.). Erstmals in BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (407). Die These, der Typusbegriff könne gar nicht definiert werden, kommt auch z. B. in BFH v. 12. 4. 1991 – III R 105/88 – BStBl. II 1991 616 (617) zum Ausdruck. Bis heute gilt der Mitunternehmer als „Typus“. Aus der Rechtsprechung z. B. BFH v. 5. 11. 1999 – VIII B 30 /98 – BFH/NV 1999, 769; aus der Aufsatzliteratur Zugmaier, FR 1999, 997; aus der Kommentarliteratur Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 261; einschränkend Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 305; aus der Lehrbuchliteratur Tipke/Lang/Hennrichs, Steuerrecht, § 10 RdNr. 38. Zur Rezeption des Typusbegriffs im Steuerrecht Schenke, Rechtsfindung, S. 160 ff., insbes. S. 165 ff. 392 BFH v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (407). Es wird ferner auf Raupach, Durchgriff, S. 77 und Streck, FR 1973, 297 verwiesen, die ihrerseits auf die 2. Aufl. der Methodenlehre von Larenz Bezug nehmen. 393 Namentlich Leenen, Typus, passim; und Canaris in Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 290 ff. 394 Aus der Monographieliteratur grundlegend Kuhlen, Typuskonzeptionen, insbes. S. 99 ff.; Rüthers, unbegrenzte Auslegung, S. 317 ff.; vgl. ferner aus der Aufsatzliteratur Weber-Grellet, Festschrift Beisse, S. 551 (568); Mössner, Festschrift Kruse, S. 161 (181); der Verf., StuW 2007, 314 ff.; aus der Lehrbuchliteratur Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 73 ff. Eingehende Darstellung zum Meinungsstand bei Kokert, Typus, S. 18 ff. und zur Kritik an der frühen Methodenlehre S. 75 f.; zu Kokerts Untersuchung, vgl. näher Hüpers, Karl Larenz, S. 468 ff. Diese Kritik des rechtsmethodischen Schrifttums wurde im Steuerrecht lange nicht ernst genommen. Erst seit Mitte der 1990er Jahre hinterfragen Steuerrechtler den „offenen Typus“, die Typisierung oder typologisches Denken an sich immer öfter. In einer Monographie zur Mitunternehmerschaft hat Schreiber dem IV. Senat vorgeworfen, er halte den Mitunternehmer bewusst im Ungewissen, weiche einer begrifflichen Trennklarheit aus und verstecke sich dabei geradezu hinter der Figur des „Typus“ (Mitunternehmer, S. 52). Eine dem typologischen Denken gegenüber aufgeschlossenere Arbeit von Strahl hat dann eine rege Kontroverse bewirkt und scharfe Erwiderungen provoziert, Strahl, Die typisierende Betrachtungsweise im Steuerrecht, 1996. Dazu Drüen, StuW 1997, 261 ff. Namhafte Bundesrichter meinen dagegen: „Die Verwendung offener Typusbegriffe ist methodisch nicht geboten“, Weber-Grellet, Festschrift Beisse, S. 551 (568); zustimmend Mössner, Festschrift Kruse, 391
§ 6 Die methodologische Scheinlösung durch den Typusbegriff
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Im Folgenden wird es nur darum gehen, ob und wie in Gesetzen verwendete rechtsfolgenrelevante Begriffe zu „offenen Typen“ erklärt werden können395. Für ein erstes Verständnis sollte der Gegensatz von Typus(begriff) und allgemein-abstraktem Begriff (Allgemeinbegriff, Klassenbegriff) betrachtet werden396. Bei dem Allgemeinbegriff werden durch Abstraktion von empirischen Regelfällen Merkmale isoliert und zu einem streng definierten Ganzen zusammengefügt, das eine rein analytische Deduktion zulässt397. Klassenbegriffe in diesem (engen) Sinne, die bereits alle ableitbaren Urteile in sich tragen, sind etwa die durch Altersgrenzen bestimmte Strafmündigkeit oder Wahlberechtigung. Der Bereich x wird durch klar umrissene Merkmale in eine Klasse (z. B. Wechsel) und eine Nichtklasse (Nichtwechsel) geteilt. Der zuordnende Syllogismus erfordert der Idee nach kein Werten398. Ganz anders der Typusbegriff: Der erste Schritt jeder Begriffsbildung ist das Ablösen von Bestimmtheiten einer Anschauung. Das gilt für Typusbegriff und Klassenbegriff gleichermaßen. Aber die Bestimmtheiten werden nach der Typenlehre nicht in abstrahierte Prädikate verwandelt und in einem starren System miteinander verbunden, sondern lose und beschreibend nebeneinander gestellt. Die Merkmale eines abstrakten Begriffs sind in ihrem Gefüge jeweils unabdingbar; beim Typus bleiben die Einzelprädikate kompensierbar und damit letztlich verzichtbar. Der Typus wird so „zu einem durch anschauliche Abstraktion gewonnenen Allgemeinbild“399 und zeichnet sich durch „Offenheit“ aus400. Anstelle der Subsumtion tritt ein beschreibendes Zuordnen, das Entweder-Oder des Klassenbegriffs wird S. 161 (181). Zur Rezeption der Kritik in der Steuerrechtstheorie Schenke, Rechtsfindung, S. 168 ff. Eine Methodenkritik des Verf. findet sich in StuW 2007, 314 ff. 395 Typusbegriffe gibt es in der Biomorphologie, der Psychologie, den Geschichtswissenschaften oder der Logik, um nur einiges zu nennen, s. Koller, Grundfragen, S. 9. Zu den juristischen Typusbegriffen wie Staats-, Vertrags- oder Deliktstypen, Tat- und Tätertypen, Typen von Sachenrechten, Gattungstypen, Typenzwang, Typussystem, Typengebundenheit, Typenbeschränkung siehe Koller, Grundfragen, S. 30 f.; Leenen, Typus, S. 50. Inhalt und Grenzen einer typisierenden Sachverhaltsbetrachtung durch Gerichte sind hier abzutrennen (s. zu ihr Strahl, Betrachtungsweise, S. 257). Auch kann der Gesetzgeber ersichtlich nur von einer typischen Interessenlage (vgl. nur BVerfGE 17, 11, 23; BVerfGE 84, 348, 363; BVerfGE 89, 15, 24) und der Richter bei einem prima-facie-Beweis nur von einem „typischen Geschehensablauf“ ausgehen, s. etwa zum Problem des Fremdvergleichs in diesem Zusammenhang Drüen, StuW 1997, 261 (270 ff.). Da man im Steuerrecht stets das Verständnis des „offenen Typus“ von Larenz zugrunde gelegt hat, und dieses auch in der Rechtsmethodik das Verständnis vom „Typus“ bestimmt und beherrscht (s. oben, Fn. 113, 114), werden andere Theorien zum Typus in den Hintergrund gestellt. 396 Koller, Grundfragen, S. 16. 397 Zum Begriff eingehend: Hempel, Begriffsbildung, S. 51 ff.; Carnap, Einführung, S. 59 ff. 398 Eine wertfreie Subsumtion bei Klassenbegriffen ist in der Praxis die Ausnahme, vgl. Leenen, Typus, S. 33; Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 4; Hatz, Rechtssprache, S. 66; Arthur Kaufmann, Geschichtlichkeit, S. 265 m.w.N.; anders aber Hassemer, Tatbestand, S. 98. 399 Koller, Grundfragen, S. 19. 400 Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 440; Kaufmann, Analogie, S. 37, 39; Strache, S. 53.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
durch ein Mehr-oder-Weniger ersetzt401. Der Typus eignet sich durch sein ganzheitliches Verfahren zu einem sinnhaften Erfassen des Wirklichen402.
I. Methodenkritik Die Typuskonzeption ist eine Gegenbewegung zu dem Positivismus, insbesondere zu seiner „extremsten Form der ,reinen Rechtslehre‘, die“, so Larenz, „den Gehalt der Rechtsbegriffe fortschreitend entleert“ habe403. Mit Hilfe einer Adaption des „konkret-allgemeinen Begriffs“ Hegels will Larenz die toten Rechtsbegriffe wieder auf eine weltanschauliche Grundlage zurückführen404. Die Vorgehensweise einer Kritik ist damit vorgezeichnet, denn es liegt nahe, diese Übernahme hegelianischer Philosophie durch Larenz gerade aus dem Blickwinkel der neukantianischen „reinen Rechtslehre“ zu betrachten, gegen die sich Larenz ausdrücklich wendet. Es soll mit Kelsen versucht werden, die auf das Recht bezogene Erkenntnis sicherzustellen und aus dieser Erkenntnis alles auszuscheiden, „was nicht zu dem exakt als Recht bestimmten Gegenstand gehört“.405 1. Die begriffslogische Redundanz der Typusfigur Nach diesen Vorgaben lassen sich vier Aussagen betrachten, welche sich auf die (reine) Begriffsformenlehre beziehen. Erstens: die Konjunktionen der Begriffsprädikate. „Von den Zügen, die insgesamt als ,typisch‘, d. h. als für diesen Typus charakteristisch angesehen werden, kann im Einzelfall der eine oder der andere fehlen (…).“406 Das Einzelmerkmal des Typus wird verzichtbar. Die Idee des Typusbegriffs lebt von seiner Gegenüberstellung zu einem sinnleeren Klassenbegriff, den sich die Typologen als strenge Summe seiner Prädikate vorstellten. Aber der modernen Begriffsformenlehre wird man attestieren können, die Konjunktionen von Begriffsprädikaten weit mehr durchdrungen zu haben, als es die Typenlehre glauben macht407. Es gibt durchaus juristische Begriffe,
401
S. die Nachweise zuvor. Leenen, Typus, S. 44; ähnlich Heyde, der den Typus bezeichnet als: „Merkmal-Ganzes, d. h. ein ganzheitliches aufzufassendes Allgemeines“, vgl. Typologik, S. 237 f. 403 Larenz, Grundlage, S. 52. 404 Larenz, Grundlage, S. 52. 405 Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 1 mit Appell zur Befreiung der „Rechtswissenschaft von allen ihr fremden Elementen“. 406 Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 440. 407 Die mehrstelligen Prädikate sind konjunktiv (durch ein „und“) oder disjunktiv (durch ein „oder“) verbunden; auch kann die Konjunktion ebenso wie die Prädikate selbst unbestimmt sein, s. etwa Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 149 ff. 402
§ 6 Die methodologische Scheinlösung durch den Typusbegriff
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deren Prädikate disjunktiv verbunden sind, deren Einzelmerkmale also „verzichtbar“ sind408. Zweitens: die „Offenheit“ als Undefinierbarkeit. „Ein offener Typus kann (…) nur durch Aufzeigen seiner Einzelzüge gerade in ihrem sinnvollen Zusammenhang beschrieben werden“.409 Gibt es also eine dem beschreibenden Verfahren wesenseigene Unschärfe des Typus? Ist diese Unschärfe eine Vorgabe der Methodik, wie es in der Judikatur des Bundesfinanzhofs bisweilen anklingt? Die Aussagen der Typologen dazu bleiben undeutlich. Bei Larenz heißt es etwa „jeder offene Typus“ kann „in einen geschlossenen, d. h. letztlich in einen (abstrakten) Begriff, verwandelt werden“.410 Dass der Typusbegriff nicht als begrifflich-strenger Gegensatz zum Klassenbegriff gesehen werden kann, hat auch Leenen in seiner von Larenz betreuten Dissertation zum Typusbegriff gesehen411: Die „Offenheit“, die „Ganzheitlichkeit“ und die „Anschaulichkeit“ des Typusbegriffs seien ihrerseits nur dem typologischen Denken zugänglich412. Der Unterschied von Begriff und Typus sei abgestuft-typologisch413. Drittens: typologisches Denken ist vergleichendes Rechtsdenken. Das Merkmalsgefüge des „Typus“ kann sich anpassend ändern, die Prädikate sind abstufbar und wandelbar. Nun kann vergleichendes Denken unbestreitbar sinnvoll sein. Farbstufen zwischen „Blau“ und „Rot“ etwa können nicht in strengen Klassen getrennt, sie können nur mehr-oder-weniger zugeordnet werden. Auch im Einkommensteuerrecht werden Rechtsfolgen daran geknüpft, ob etwas „ähnlich“414, „gleichartig“415 oder „vergleichbar“416 ist. Es ist zwar das Verdienst früher Typus408 Vgl. auch Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 128. Nach § 44 AO sind beispielsweise Gesamtschuldner „Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind“. 409 Larenz, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 441 (Hervorhebung des Verf.). 410 Larenz, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 441. Ähnlich Leenen, Typus, S. 58. Und bei Strache ist zu lesen: „Die Inhaltsangabe, das Umfassen von Denkinhalten“ sei dem „Typendenken vorbehalten“, der Begriff sei auf exakte Abgrenzung gerichtet; gerade diese Zielrichtung unterscheide den Begriff vom Typus, vgl. Strache, Standards, S. 42 f. Das typologische Denken sei gegenüber dem begrifflichen einerseits mehr realitätsgebunden, andererseits (…) eine stärker wertbezogene Methode“ (S. 46). Aber auch bei Strache ist zu lesen: „Die Definition würde ihn zum Klassenbegriff umformen“, vgl. S. 24. Zu den späteren Auflagen der Methodenlehre von Larenz sogleich im Text. 411 Leenen, Typus, S. 53 ff. 412 Typus und Begriff sind entgegengesetzte Pole, zwischen denen nach Leenen (Typus, S. 49 ff.); eine abstufbare Reihe besteht, s. dazu die Kritik bei Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 113 ff. Das Höchstmaß der Abstraktion bilden danach die wertungsfreien Begriffe (z. B. Altersgrenzen); weniger sinnentleert seien die deutungsbedürftigen Begriffe (z. B. Diebstahl). Zwischen den Polen des abstrakt-allgemeinen Begriffs und den Typen liege ein unscharfer Grenzbereich, in dem ein klar umschriebener Typus kaum von dem unbestimmten Allgemeinbegriff getrennt werden könne. 413 Leenen, Typus, S. 56. 414 § 13 Abs. 1 Nr. 4 EStG. 415 § 19 Abs. 2 Nr. 1 EStG.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
konzeptionen, vergleichendes Denken im Recht in eine Denkkategorie gefasst zu haben417, aber die Begriffsformenlehre hat vergleichend-zuordnendes Denken seit langem in ihre Modelle aufgenommen418. Viertens: die Ganzheitlichkeit. Nach Larenz ist der Typus „ein Merkmal-Ganzes, das heißt (…) ein ganzheitlich aufzufassendes Allgemeines“419. Den Begriff will Larenz in zwei Schritten bilden: Isolation von Merkmalen und Wiederannäherung an das Konkrete. Im zweiten Schritt entstehe beim Typus keine Summe von Merkmalen, es würden Merkmale nebeneinander gestellt. Was aber unterscheidet das Nebeneinanderstellen von einer Addition? Was ist gemeint, wenn ein Gegenstand in der „Fülle aller seiner Eigenschaften (…) und damit in seiner Individualität“ erfasst werden soll?420 Die Wendung „aller seiner Eigenschaften“ ist offenbar gar nicht wörtlich gemeint. Um es bezogen auf den Untersuchungsgegenstand zu sagen: Ein Mitunternehmer mag in der Empirie typischerweise ein gewisses Vermögen, eine politische Neigung oder auch ein bestimmtes Geschlecht haben. Einen Ausschlag geben solche Eigenschaften nicht. Über Auswahl und Anzahl der entscheidenden Eigenschaften und ihre Verbindung erfährt der Leser aber nichts, das mit Mitteln der Logik beurteilt werden könnte421. 2. Die rechtserzeugende Tendenz der Typusbegriffe Eine vorangeschrittene Begriffsformenlehre hat also längst die Lücken gefüllt, welche beim begrifflichen Denken bestanden haben: der Typus ist eine verzichtbare Begriffskategorie. Der tiefere Gegensatz zwischen Typus und Begriff ist schwer zu erkennen: er liegt in seiner rechtserzeugenden Wirkung. Larenz hat den Unterschied für den Vorläufer des Typusbegriffs, den „konkreten Begriff“, so umschrieben: „Der konkrete Begriff ist die Totalität seiner Momente.“422 Oder: „Die Einheit des konkret-allgemeinen Begriffs ist so nicht die formale Diesselbigkeit, sondern die konkrete Einheit des den Unterschied in sich bewahrenden gegliederten Ganzen.“423 Das hängt an den Fäden der hegelianischen Begriffslehre, die den abstrakt-allgemeinen Begriff als etwas „Totes, Leeres und Abstraktes“ dem konkreten Begriff als „das Prinzip allen Lebens und damit zugleich das schlechthin Konkrete“424 gegenübersetzt. Der konkrete Begriff beziehe sich auf die 416
§ 22 Nr. 4 EStG. Vgl. Radbruch, Klassenbegriffe, S. 46; Hempel/Oppenheim, Typusbegriff, S. 66 ff., insbes. S. 77. 418 Zippelius, Festschrift Engisch, S. 224 (231); dagegen Leenen, Typus, S. 57 ff. 419 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 462. 420 Larenz, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 413, (Hervorhebung des Verf.). 421 Richtig Ott, Typologie, S. 39; vgl. auch Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 103. 422 Larenz, zur Logik des konkreten Begriffs, DRW V (1940), 279 (290). 423 Larenz, zur Logik des konkreten Begriffs, DRW V (1940), 279 (285). 424 Hegel, § 160, S. 353. 417
§ 6 Die methodologische Scheinlösung durch den Typusbegriff
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Wirklichkeit, könne nicht mit der Logik des Verstandes, sondern nur mit menschlicher Vernunft nachdenkend erfasst werden425. Die Begriffe aus der Welt des SoSeins gehen dem Recht vor: Ein Gesetz gilt, weil und insoweit der Inhalt des Rechts auf diese Vorherigkeit zurückgeführt werden kann. Man hat deswegen gesagt, der konkrete Begriff „setze“ Recht426. Larenz hat die hegelianische Begriffslehre übernommen, weil der Sinnreichtum juristischer Begriffe im Recht verfallen sei. Durch Ausklammerung des Besonderen seien allgemeinste Begriffe entstanden, die nur noch ein logisches Minimum darstellten427. Geschrieben wurde dies im Jahr 1938. Was der Autor bis zu diesem Datum an Vorarbeiten durch Georg Jellinek oder Max Weber vorfand, waren politisch motivierte Typusbegriffe428. Als der junge Larenz seinen Typusbegriff vor einem Schulungslager des Nationalsozialistischen Rechtsbewahrerbundes erklärte, blieb er in dieser Tradition429. Es ging Larenz darum, neben dem konkreten Ordnungsdenken430 eine weitere Einbruchstelle im positiven Recht zu schaffen, damit sich völkisches Denken und letztlich nationalsozialistische Zielvorstellungen umsetzen lassen431. Nach Larenz ist die „Ordnung“ keine „durchschnittliche Meinung“, keine bloße „tatsächliche Überzeugung einiger oder vieler oder aller, sondern die innere geistige Ausrichtung und Haltung unseres völkischen Gesamtdaseins“.432 Die „Ordnung des 425 Hegel, § 163 Zusatz 2, S. 361. Seine Begriffslehre hat Hegel anhand des juristischen Begriffs des Eigentums erklärt: „Man spricht von der Ableitung eines Inhalts, so z. B. der das Eigenthum betreffenden Rechtsbestimmungen aus dem Begriff des Eigenthums und eben so umgekehrt von der Zurückführung eines solchen Inhalts auf den Begriff. Damit aber wird anerkannt, daß der Begriff nicht bloß eine an sich inhaltslose Form ist, da einerseits aus einer solchen nichts abzuleiten wäre und andererseits durch die Zurückführung eines gegebenen Inhalts auf die leere Form des Begriffs, derselbe nur seiner Bestimmtheit würde beraubt, aber nicht anerkannt werden.“ Hegel, § 160, S. 355. Das Beispiel wird von Larenz in den verschiedenen Schaffensperioden immer wieder aufgenommen, vgl. zuerst in Grundlagen, S. 50 f. und zuletzt in der Methodenlehre, 6. Aufl., S. 459 f. 426 Vgl. auch Rüthers, unbegrenzte Auslegung, S. 306. 427 Larenz, Grundlagen, S. 43 ff. 428 Vgl. dazu eingehend mit Nachweisen Kokert, Typus, S. 84 ff. 429 Vgl. das Vorwort von „Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens“, 1938. 430 Zum konkreten Ordnungsdenken vgl. Larenz, Grundlagen, S. 27 ff. und dazu kritisch Rüthers, unbegrenzte Auslegung, S. 277 ff. 431 Vgl. Larenz, Gegenstand, S. 43 ff. Wie weit Larenz ging, lässt sich anhand eines Anwendungsbeispiels seiner Typuskonzeption von 1938 zeigen, das manchen heutigen Juristen zum Durchatmen verleiten wird: Das sinnentleerte kodifizierte Rechtssystem stelle die Rechtsfähigkeit jedes Menschen an seine Spitze. „Für das völkische Rechtsdenken ist die Rechtsfähigkeit dagegen gegliedert. Es macht für ihren Inhalt und damit für die Rechtsstellung der Persönlichkeit einen wesentlichen Unterschied aus, ob jemand Rassengenosse oder Rassefremder, ferner innerhalb der Rechtsfähigkeit des Volksgenossen, ob er Reichsbürger, werdender Reichsbürger oder in seiner persönlichen Rechtsstellung, z. B. durch Ehrverlust, gemindert ist“, s. Larenz, Gegenstand, S. 52; dort wird für eine Einschränkung der Rechtsfähigkeit plädiert. 432 Larenz, Gegenstand, S. 12.
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
Ganzen“ sei „das letzte Ziel“ bei der Regelung des Rechtsverkehrs: „Ich kann es mir nicht versagen, hier das Wort eines Richters anzuführen (…): Der Richter ist nicht mehr nur Staatsorgan zur Entscheidung privater Interessenkonflikte, sondern er ist souveräner Wahrer der Lebensgesetze der Gemeinschaft und damit einer der vornehmsten Vollstrecker des Führerwillens“.433 Der Leser sollte diese Ausführungen nicht für Polemik halten, sie verifizieren mit besonderer Klarheit, was oft gegen den Typus angeführt wird: dass der Typus sich eignet, Sachfremdes und Beliebiges zum Maßstab der Rechtsanwendung zu machen434. Larenz hatte seinen Typusbegriff nach dem Krieg neu zu gestalten oder zu verwerfen. Die sechs Auflagen der „Methodenlehre“ lassen sich als Serie von Versuchen lesen, wie die Typuskonzeption aufrecht erhalten werden kann. Schließlich wollte Larenz sie in einer Theorie des wertorientierten Denkens aufgehen lassen435. Die rechtsgestaltende Tendenz wird dabei verklärt, nicht aufgegeben436. Der Richter 433
Larenz, Gegenstand, S. 41, insbes. Fn. 10. Die Folgen des völkischen Rechtsdenkens in der Gerichtspraxis sind dargestellt bei Rüthers, unbegrenzte Auslegung, S. 322 ff.; zur Einschränkung der Rechtsfähigkeit vgl. insbes. S. 331 ff. Diese Folgen sind aber nicht auf Larenz zurückzuführen, denn Larenz fand mit seinen ersten methodischen Schriften keine Beachtung in der Judikatur und stieß in der Lehre fast einhellig auf Kritik, vgl. die Nachweise bei Kokert, Typus, S. 75 f. 435 Erstmals Larenz, Methodenlehre, 3. Aufl. S. 192 f. Der Gesetzgeber lasse sich bei dem Erlaß einer Norm von Regelungsabsichten (Gerechtigkeits- oder Zweckmäßigkeitserwägungen) leiten, denen Wertungen zu Grunde lägen. Typologisches Denken sei ein Hauptbeispiel wertorientierten Rechtsdenkens, vgl. zuletzt Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 216 ff. Bydlinski bemerkt zu dieser Neugestalt der Typuskonzeption, sie lasse sich auf das Postulat teleologischer Rechtsfindung reduzieren, Methodenlehre, S. 546; ebenso Crezelius, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 354 (369). 436 Zunächst hieß es, die Wiederzusammenfügung durch Abstraktion gewonnener Merkmale sei „eine Wiederannäherung (aber im Elemente des Gedankens) an die Bildhaftigkeit der Anschauung“, s. Larenz, Methodenlehre, 1. Aufl. (1960), S. 335. Dies ist undeutlich, denn gemeint ist keine bloße Beschreibung der empirischen Anschauung: es wird etwas beigemischt, um das Wahrnehmbare aus der Welt des So-Seins einem normativen Zielbild anzunähern, s. bereits Hirsch, JZ 1962, S. 329 (330 f.); Kokert, Typus, S. 141 ff., insbes. S. 143. Klarer heißt es in der zweiten Auflage, die auch das Verständnis des BFH im Urteil v. 21. 2. 1974 – IV B 28/73 – BStBl. II 1974, 404 (407) geprägt hat: „Auch an diesem Beispiel wird klar, daß es sich bei der inhaltlichen Bestimmung eines Begriffes (…) nicht um die Bildung eines formalen Ordnungsbegriffs im Wege abstrahierender Verallgemeinerung, auch nicht um die Beschreibung eines Typus, sondern um die Aufdeckung der von den Rechtsnormen vorausgesetzten Sinnbezüge und um die Wahrung und die angemessene Berücksichtigung dieser Sinnbezüge in der Begriffsbildung oder bei der Interpretation der Normen handelt“, Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 432. (Hervorhebung des Verf.) In den Folgeauflagen spricht Larenz vom „normativen Realtypus“. Als Beispiele werden „Tierhalter“, „Besitzdiener“ und „Verrichtungsgehilfe“ angeführt, s. zuletzt Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 465. Empirische Typen seien durch Anschauung gewonnen. „Die Auswahl der maßgeblichen Erscheinungen und die nähere Umgrenzung des Typus werden aber durch den Normzweck und den hinter der Regelung stehenden Rechtsgedanken mitbestimmt. Sie erfolgen unter einem normativen Gesichtspunkt“, so Larenz, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 448; siehe auch 6. Aufl., S. 463 ff. Erst ein Zusammenspiel des empirischen mit einem normativen Element mache das Wesen des Typus aus; das normative Element erschöpft sich nach Larenz nicht in dem Gesetzeswillen (sehr deutlich zum 434
§ 6 Die methodologische Scheinlösung durch den Typusbegriff
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entscheidet, ob ein Typusbegriff vorliegt, welche Einzelzüge er habe, wie sich diese Züge zueinander verhalten und auch, ob eine Zuordnung im Einzelfall angemessen ist. Er hat sich nunmehr an dem Wertungsplan des Gesetzes, aber weiter auch an der sozialen Realität zu orientieren437. Wie er die Empirie als ein dem Recht vorgehenden Sinnbezug bewertet, oder wann die Rechtsfolge angemessen ist, wird nicht gesagt. Der Typus ist nicht mehr einer konkreten Rechtspolitik und Beliebigkeit verschrieben, aber er kann zu beliebigen Zwecken verwendet werden438. Schon Radbruch hatte das erkannt: Die typologische Zuordnung sei das Ergebnis – „die Mittel der Zuordnung werden erst gewählt, nachdem das Ergebnis schon feststeht, das sogenannte typologische Denken dient in Wahrheit nur dazu, nachträglich aus dem Gesetz zu begründen, was in schöpferischer Ergänzung des Gesetzes bereits gefunden war…“439.
Begriff des Eigentums, Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 228), sondern bezieht sich auf den normativen Sinn des Gesetzes (vgl. Larenz, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 305, 336 ff.). Was aber ist das normative Element? Wie verhält sich das normative Zielbild zur Empirie? Das erklärt Larenz in dem auf Typenbegriffe bezogenen Kapitel der „Methodenlehre“ nicht weiter, s. 6. Aufl., S. 461 ff. Aber er hat bereits zweihundertfünfzig Seiten zuvor dem Typusbegriff als Gallionsfigur wertorientierten Denkens einen neuen Platz in seinem methodischen System zugewiesen. Es frage sich, „worauf die Verbindung (scl. zu einem ,Gesamtbild‘) beruht, anders ausgedrückt, was das die Einheit des Typus stiftende Moment ist. Hier wird nun bedeutsam, daß der ,normative Realtypus‘, (…) zwar einen in der sozialen Realtität vielfach anzutreffenden Sachverhalt meint, seine rechtliche Relevanz aber dadurch erhält, daß ihm eine bestimmte Rechtsfolge ,angemessen‘ ist. Der Gesetzgeber bildet den Typus im Hinblick auf die Rechtsfolgen, die er an ihn knüpft, und damit auf die Wertung, die er ihm zuteil werden läßt“, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 221. Ausführlich Kokert, Typus, S. 130 ff. 437 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 228. 438 Das BVerfG hat zum „Typusbegriff“ der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach § 7 Abs. 4 SGB IV ausgeführt: „Das Gesetz bedient sich bei den Tatbeständen der Versicherungs- und Beitragspflicht nicht des tatbestandlich scharf kontrollierten Begriffs, der auf eine einfache Subsumtion hoffen ließe, sondern der Rechtsfigur des Typus; die versicherten Personen werden nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normalfall in der Form eines Typus beschrieben. Den jeweiligen Typus und dessen Kenntnis setzt das Gesetz stillschweigend voraus; es übernimmt ihn so, wie ihn der Gesetzgeber in der sozialen Wirklichkeit idealtypisch, d. h. im Normal- oder Durchschnittsfall vorfindet. Es ist nicht erforderlich, daß stets sämtliche als idealtypisch erkannten, d. h. den Typus kennzeichnenden Merkmale (Indizien) vorliegen. Diese können vielmehr in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; je für sich genommen haben sie nur die Bedeutung von Anzeichen oder Indizien. Entscheidend ist jeweils ihre Verbindung, die Intensität und die Häufigkeit ihres Auftretens im konkreten Einzelfall. Maßgeblich ist das Gesamtbild“, s. den Beschluss v. 20. 5. 1996 – 1 BvR 21/96 – NJW 1996, 2644. Das BVerfG würdigt nur die begriffslogische, nicht die rechtserzeugende Seite des Typusbegriffs. 439 Radbruch, Rechtswissenschaft, S. 169 (allgemein zur Auslegung).
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2. Teil: Dogmatische und methodische Kritik
II. Folgerung für die methodische Einordnung des Mitunternehmerbegriffs als „Typus“ Auch als in der Steuerrechtswissenschaft selbst auf Seiten der Richterschaft immer mehr Zweifel an der methodischen Einstufung des Mitunternehmerbegriffs artikuliert wurden, behielt die Typusfigur für den Bundesfinanzhof, der sich stets unbeirrt und knapp geäußert hat, offenbar ihre Berechtigung. Aber gerade für den Mitunternehmerbegriff eignet sich die Typuskonzeption seltsamerweise gar nicht. Aus dem Blickwinkel der Begriffsformenlehre fällt bereits eine eher einfache Begriffsstruktur des „Mitunternehmers“ mit zwei konjuktiv verknüpften Hauptprädikaten („Risiko“, „Initiative“) auf, die durch kasuistisch konturierte Untermerkmale präzisiert werden. Das ist bei unbestimmten Rechtsbegriffen nicht anders440. Der Mitunternehmerbegriff ist ebenfalls kein „Typenbegriff“ im Sinne eines „Steigerungsbegriffs“441, Mitunternehmer kann man nicht mehr-oder-weniger sein. Schließlich ist es entgegen dem BFH nicht so, dass ein Typusbegriff nur beschrieben werden kann, sich also schon der Versuch des Definierens verbiete442. Und wenn die typologische Zuordnung zum Typus des Mitunternehmers ein wertorientiertes Denkverfahren sein soll, müsste der Richter Normzweck und Angemessenheit der Rechtsfolge in diesem Verfahren berücksichtigen. Es ist nicht ein Urteil ersichtlich, in dem das offen erfolgt wäre. Vor allem ist der für Larenz entscheidende Gedanke, einen „empirischen Typus“ als einen „Sachverhalt“ in der „sozialen Realität“ im vergleichenden, typologisch-zuordnenden Verfahren zum verbindlichen Orientierungspunkt der Normanwendung zu erheben, im Steuerrecht gar nicht wesentlich, da es den Mitunternehmer als soziologisches Phänomen überhaupt nicht gibt. Deswegen muss das Gesetzesleitbild des Kommanditisten den „empirischen Typus“ in Wahrheit ersetzen.
440 Einige Einzelprädikate sind streng-begrifflich, s. oben, S. 28 ff. In wichtigen Konstellationen hat der Begriff eine gewisse Abstraktionshöhe erreicht, so etwa, wenn nach dem BFH die Vermögensteilhabe eines stillen Gesellschafters eine Mitunternehmerschaft begründen soll, s. oben S. 32 f. Einzelne Judikate mögen an ein „ganzheitliches“ Verfahren erinnern, beispielsweise wenn die Mitunternehmerschaft daraus folgen soll, dass jemand zuvor Alleinunternehmer gewesen, s. BFH v. 21. 9. 1995 – VI R 65/94 – BStBl. II 1996, 66 (68) oder die „Seele des Betriebs“ sei, s. RFH v. 9. 3. 1938 – VI 81/38 – RStBl. 1938, 643 ff., Zitat auf S. 644. Ersichtlich lassen sich solche Lösungsmuster aber begriffslogisch weder auf ein typologisches noch ein streng-begriffliches Mitunternehmerkonzept zurückführen. 441 Engisch, Konkretisierung, S. 289; vgl. auch Ott, Typologie, S. 81 f. 442 Die Undefinierbarkeitsthese ist (auch) aus dem Blickwinkel der Begriffsformenlehre abzulehnen; überzeugend Kuhlen, Typuskonzeptionen, S. 120 ff.
3. Teil
Folgerungen § 7 Überwindbare Theorieinhalte Wie beschrieben, war die frühe Mitunternehmerdoktrin mit der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in ihrer radikalen, vorkonstitutionellen Form eng verbunden. Die ursprüngliche Funktion, die sie im Prozess der Loslösung aus der Abhängigkeit vom Zivilrecht in den 1920er Jahren übernehmen sollte, ging verloren. Die generalklauselartigen Aussagen der Mitunternehmerdoktrin haben es aber ermöglicht, sie auf zahlreiche neue, ganz verschiedene Problemaufgaben zu beziehen und diese in einem Fallrecht zu verarbeiten, das heute eine wildgewachsene, sehr unübersichtliche Kasuistik bildet. Die an sich naheliegende Ablösung wenigstens einzelner Theorieinhalte der Mitunternehmerdoktrin durch andere Rechtsinstitute ist ausgeblieben443. Über die Jahrzehnte hat sich ein Gewöhnungseffekt eingestellt: Für welche der verschiedenen Ordnungsprobleme es der einzelnen Aussagen der Mitunternehmerdoktrin heute noch bedarf, welche Theorieinhalte dagegen überwindbar sind, wird nicht mehr gefragt.
I. Steuerliche Nichtanerkennung der gesellschaftsrechtlichen Teilhaberstellung als überflüssiges Rudiment der wirtschaftlichen Betrachtungsweise Der erste Grundsatz der Mitunternehmerdoktrin nimmt ausgezahlte und einbehaltene Gewinne, Leistungsentgelte oder andere Vermögenszuwächse causa societatis von den gewerblichen oder freiberuflichen Einkünften aus, wenn die begrifflichen Erfordernisse der Mitunternehmerschaft verfehlt werden. Einkünfte aus Gesellschaft von Gesellschaftern werden zu solchen aus Darlehen oder Arbeit erklärt. Das überzeugt zwar weder gesetzesanalytisch noch aus zivilrechtlicher Sicht, ist aber streitfrei444. Eine rechtspraktisch orientierte Durchsicht des Fallstoffes zeigt, um die These vorweg zu stellen, dass es sich doch eher um eine rituelle Bindung an die alte Hintergrundideologie der wirtschaftlichen Betrachtungsweise handelt. 443 Siehe nur in diesem Zusammenhang Crezelius, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 355 (365 zur „verdeckten Mitunternehmerschaft“). 444 Dazu oben, § 4 und § 5.
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3. Teil: Folgerungen
1. „Angestellter“ Komplementär Die Mitunternehmerschaft eines Komplementärs wird fragwürdig, wenn dieser wie ein Angestellter arbeitet, keinen Vermögens- oder Kapitalanteil hält und von der Haftung freigestellt wird445. In seinem Urteil vom 18. März 1942 (– VI 236/41 –) hat der Reichsgerichtshof die Mitunternehmerschaft eines ehemals angestellten Vertreters, der in eine offene Handelsgesellschaft als Komplementär aufgenommen worden war, abgelehnt446. Dieser hatte keine Einlage geleistet, ein Festentgelt bezogen, war am Umsatz, nicht aber an Verlusten beteiligt und von der Haftung freigestellt447. Entscheidend sei, dass die Bezüge dem Tarifvertrag für kaufmännische Angestellte angepasst, die Lohnsteuer einbehalten worden war und der Vertreter die Bezüge weiter als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit angegeben hatte448. Der Bundesfinanzhof hat diese Judikatur zu „angestellten“ Komplementären zunächst übernommen, nach den restriktiveren Vorgaben des Großen Senats im Gepräge-Beschluss seit 1984 aber wieder verworfen449 : „Persönlich haftende Gesellschafter in kapitalistisch organisierten Kommanditgesellschaften sind Mitunternehmer“450. Ein dienstvertragstypisches „Risiko“, etwa ein fehlender Anteil am Gewinn, Verlust oder Vermögen, schließt eine Mitunternehmerschaft von „faktischen“ Arbeitnehmern oder Angestellten seither nicht mehr aus451. In diesem Bereich läuft der erste Subgrundsatz der Doktrin also leer und es kommt zu Verbiegungen, wenn z. B.
445
Grundlegend Huber, Vermögensanteil, S. 340; aus der steuerrechtlichen Literatur etwa Walz, Steuergerechtigkeit, S. 284; Kneip, Mitunternehmer, S. 284. 446 Vgl. RFH v. 18. 3. 1942 – VI. 236/41 – RFHE 51, 270 ff. 447 Vgl. RFH v. 18. 3. 1942 – VI. 236/41 – RFHE 51, 270 (272 ff.); auch eine vertraglich vorgesehene „Entschädigung“ vermittle keine Vermögensteilhabe, da sie nicht von Wertschwankungen des Betriebsvermögens abhänge. Im Ergebnis ähnlich ist RFH v. 15. 1. 1931 – VI 611/30 – RFHE 27, 332 ff. 448 Vgl. RFH v. 18. 3. 1942 – VI. 236/41 – RFHE 51, 270 (275). 449 Der I. Senat sah zwei als OHG-Gesellschafter beteiligte ehemalige Prokuristen nicht als Mitunternehmer an, v. a. weil sie ein Festgehalt erhielten, vgl. BFH v. 22. 11. 1955 – I 139/54 – BStBl. III 1956, 4 f. Besonders gelagert war hingegen der Fall in BFH v. 26. 6. 1964 – VI 302/62 – BStBl. III 1964, 501 f. 450 BFH v. 11. 6. 1985 – VIII R 252/80 – BStBl. II 1987, 33 (34), s. zu z. T. anderen Beurteilungen bei Treuhandverhältnissen das Urteil v. 25. 4. 2004 – VIII R 74/03 – BFH/NV 2006, 1564 (1565 m. N.). 451 Siehe BFH v. 14. 8. 1986 – IV R 131/84 – BStBl. II 1987, 60 (61); BFH v. 17. 11. 1987 – VIII R 83/84 – BFHE 152, 230 (232); ausdrücklich offen gelassen in BFH v. 21. 4. 1988 – IV R 47/85 – BFHE 153, 545 = BStBl. II 1989, 722 (725). Das Schrifttum ist uneinheitlich, vgl. z. B. Streck, FR 1973, 297 (298: für eine Behandlung als Arbeitnehmer); kritisch zur neueren Rspr. etwa Paus, DStZ 1989, 162 ff.; Bodden, Einkünftequalifikation, S. 127 f.; Kneip, Mitunternehmer, S. 299 (m.w.N.); siehe ferner Meßmer, Festschrift Döllerer, S. 429 (440 f.); KnobbeKeuk, StuW 1986, 106 (113 ff.).
§ 7 Überwindbare Theorieinhalte
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die Vertretungsmacht des „angestellten Komplementärs“ als „Initiative“ deklariert wird452, um den Bruch mit dem „wirtschaftlichen“ Denkansatz zu verdecken. Man sieht zudem, dass die eigentliche Sachfrage ungenau gestellt wird, da es nicht einfach darum geht, ob der Komplementär Mitunternehmer ist oder nicht, sondern darum, ob er als „Mitunternehmer oder Angestellter“453 anzusehen ist. Sieht man genauer hin, werden Lösungskriterien ergänzt, die sich nicht in die Mitunternehmerdoktrin integrieren lassen. Schon das Reichsgericht hatte, wie beschrieben, theorieferne Momente wie die Tarifvertragsanbindung oder die abgeführte Lohnsteuer hervorgehoben454. Analog dazu hat der BFH in einem Urteil vom 22. November 1955 (– I 139/54 –) einen ehemaligen Prokuristen als Angestellten angesehen, u. a. weil er Gehälter und Tantiemen entnehmen konnte und weil „Konkurrenzklausel, Urlaub, Ruhegehalt und Witwenversorgung (…) in der bei leitenden Angestellten üblichen Weise geregelt“ waren455. 2. Nichtmitunternehmerische Kommanditisten Der theoretische Ausgangspunkt der Doktrin lag, wie gesagt, in der Gleichbehandlung von Kommanditisten und „atypischen“ Stillen zum einen, sowie von Kommandisten „minderen Rechts“ und typischen Stillen zum anderen. Auch dies ist rechtspraktisch insofern kaum relevant, als dass ein Kommanditist „minderen Rechts“ nach diesem Schema kaum jemals als „Darlehensgeber“ angesehen wurde456. Zudem zeigt sich erneut, wie die Mitunternehmerlehre neue Ordnungsaufgaben übernimmt und mitbewältigt457. a) Kommanditist als Arbeitnehmer Auch in diesem Kontext geht es wesentlich darum, Einkünfte aus Arbeit gegen solche aus Gewerbebetrieb abzugerenzen. In einer Entscheidung des BFH vom 26. Juni 1962 (– I 215/60 –) erhielt beispielsweise ein Kommanditist ein Festgehalt mit geringem Gewinnanteil und wurde sozialversicherungsrechtlich als Arbeitneh452 BFH v. 11. 6. 1985 – VIII R 252/80 – BStBl. II 1987, 33 (35); BFH v. 17. 11. 1987 – VIII R 83/84 – BFHE 152, 230 (232). Zu Recht kritisch Paus, DStZ 1989, 162; Bodden, Einkünftequalifikation, S. 127; zweifelnd auch BFH v. 14. 8. 1986 – IV R 131/84 – BStBl. II 1987, 60; offen gelassen in BFH v. 9. 2. 1999 – VIII R 43/98 – DStRE 1999, 586 (587). 453 So auch RFH v. 18. 3. 1942 – VI. 236/41 – RFHE 51, 270 (272). 454 Vgl. RFH v. 18. 3. 1942 – VI 236/41 – RFHE 51, 270 (274 ff.); im Ergebnis ähnlich bereits RFH v. 15. 1. 1931 – VI 611/30 – RFHE 27, 332 ff. 455 Vgl. BFH v. 22. 11. 1955 – I 139/54 – BStBl. III 1956, 4 (5: wenn das FG solchen Umständen großes Gewicht beimesse, könne das nicht beanstandet werden); im Ansatz ähnlich BFH v. 26. 6. 1964 – VI 302/62 – BStBl. III 1964, 501 f. 456 Ein Überblick findet sich bei Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 25 ff. 457 Siehe auch Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 II, S. 383 f.; Hallerbach, Personengesellschaft, S. 155 ff.
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3. Teil: Folgerungen
mer behandelt. Dass er gesetzestypische „Initiativrechte“ hatte, gibt nach dem BFH nicht den Ausschlag, da er kein genügendes „Risiko“ übernommen habe und die Kommanditistenstellung nach drei Jahren wieder in eine Arbeitnehmerschaft wechseln sollte458. Nicht der Abgleich mit dem Regelstatut nach HGB, sondern ganz andere Kriterien (Verhalten der Parteien, Entrichten von Sozialversicherungsbeiträgen) haben danach das entscheidende Gewicht. Es gibt in vielen Entscheidungen gleichlaufende Abgrenzungsversuche, die auf die Kapitaleinlagepflicht459 oder das bewusste Herbeiführen gleichlaufender Arbeitnehmer- und Mitunternehmerschaft460, nur vordergründig aber auf „Risiko“ und „Initiative“ abstellen. In einem Urteil des BFH vom 12. Februar 1992 (– XI R 49/ 89 –)461 werden beispielsweise als maßgebliche Kriterien genannt: die herausgehobene Position gegenüber anderen Arbeitnehmern, eine Bezirksleiterschaft und eine für Arbeitnehmer wesensfremde Geldeinlage462. Das Urteil ist auch deswegen bemerkenswert, weil der Bezirksleiter eine Kommanditeinlage von gerade einmal 500 DM leistete463. Den Einwand, dieser Anteil sei wirtschaftlich bedeutungslos, wies der Senat zurück und nahm schematisch an, der Mitunternehmeranteil überlagere und „infiziere“ das Arbeitsverhältnis. Es wird spätestens an dieser Stelle deutlich, dass die wahre Problemaufgabe darin besteht, die Wirkungsreichweite der Sondervergütungsregel zu bestimmen. Nur bei einem zufälligen, kurzzeitigen Zusammentreffen von Arbeit und Mitunternehmerschaft werden die Einkünfte aus Arbeit nicht umqualifiziert464. Zudem sieht man erneut, wie die Trennlinie von Einkünften aus Arbeit und Gewerbe in Wahrheit mit Hilfe von Kriterien gezeichnet wird, welche an die Stelle der Mitunternehmerkriterien treten. Auch der nicht-mitunternehmerische Arbeitnehmerkommanditist hat wenig Praxisrelevanz465. Seit dem Gepräge-Beschluss hat der Bundesfinanzhof die Mitunternehmerschaft nicht mehr aus ähnlichen Gründen verneint, sondern stets bejaht466.
458
BFH v. 26. 6. 1962 – I 215/60 – HFR 1962, 266 f. BFH v. 24. 1. 1980 – IV R 156 – 157/78 – BStBl. II 1980, 271 (272). 460 BFH v. 24. 1. 1980 – IV R 156 – 157/78 – BStBl. II 1980, 271 (274). 461 BFH v. 12. 2. 1992 – XI R 49/89 – BFH/NV 1993, 156 ff. 462 BFH v. 12. 2. 1992 – XI R 49/89 – BFH/NV 1993, 156 (158). 463 BFH v. 12. 2. 1992 – XI R 49/89 – BFH/NV 1993, 156 ff. 464 Unschädlich soll es beispielsweise sein, wenn ein Arbeitnehmer einen Kommanditanteil erbt und kurz darauf das Arbeitsverhältnis beendet, vgl. BFH v. 24. 1. 1980 – IV R 156 – 157/78 – BStBl. II 1980, 271 (273); BFH v. 12. 2. 1992 – XI R 49/89 – BFH/NV 1993, 156 (158). 465 Auch Hallerbach, Personengesellschaft, S. 157 fordert, angesichts der geringen Praxisrelevanz dieser Konstellation, nicht die Dogmatik des § 15 Abs. 1 EStG anzupassen. 466 Siehe z. B. BFH v. 12. 2. 1992 – XI R 49/89 – BFH/NV 1993, 156 (157); BFH v. 28. 10. 1999 – VIII R 66 – 70/97 – BStBl. II 2000, 183; siehe auch Hallerbach, Personengesellschaft, S. 157; zu Besonderheiten bei Treuhandkonstruktionen s. unten, S. 85 f. 459
§ 7 Überwindbare Theorieinhalte
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b) Realsplitting bei Familienpersonengesellschaften Man kann die wirtschaftlich-betrachtende oder typologische Methode, mit der Gerichte eine modern-freirechtliche Rechtsanwendung rechtfertigen, für unangebracht halten; klar erkennen sollte man aber die Tendenz des gerneralklauselartigen Mitunternehmerbegriffs, sich der Behandlung im Kern problemferner Ordnungsaufgaben zu widmen. Dazu gehört die Eindämmung von konstruktiven, „künstlichen“ Gestaltungen mit dem Ziel der Progressionsmilderung oder mehrfachen Nutzung von Freibeträgen durch Beteiligung von Kindern und Angehörigen. In einem Urteil vom 22. Januar 1970 (– IV R 178/68 –) findet sich der paradigmengleiche Fall, in dem ein Unternehmer seine Kinder als Kommanditisten „minderen Rechts“ in sein Unternehmen „aufnimmt“467. Wie es der Zeit vor dem GeprägeBeschluss entspricht, fehlen klare Subsumtionsvorgänge vollständig468. Die Kinder seien keine Mitunternehmer, weil der Vater wirtschaftlich weiter Alleinunternehmer sei; er wolle ihre wirtschaftliche Stellung verkümmern lassen; Entnahmen waren an seine Zustimmung gebunden; die Verlustteilhabe sei „nicht ernst zu nehmen“, da ein Verlust nicht bis zum nächst möglichen Kündigungszeitpunkt zu erwarten gewesen sei; Widerspruchsrechte seien abbedungen469. Die Auffassung über die Art der Eingrenzung von Steuersparkonstruktionen mit Angehörigen wandelt sich im späteren Verlauf470. Die allgemeinen Regularien – Wirksamkeitspostulat entgegen § 41 AO471, vormundschaftsgerichtliche Genehmigung, Fremdvergleich – machen seither den Umweg über die Verneinung einer Mitunternehmerstellung entbehrlich472. Der Grund liegt darin, dass der Maßstab des Fremdvergleichs, dem die Gesellschaftsverträge unterzogen werden, am gesetzlichen Regelstatut ausgerichtet ist473. Der Fremdvergleich, nicht der Mitunternehmerbegriff, ist seither die für ein Gelingen der Steuersparversuche entscheidende Hürde474 ; auf die Mitunternehmerdoktrin mit einem inhaltsgleichen Prüfungsansatz kommt es nicht mehr an. 467
BFH v. 22. 1. 1970 – IV R 178/68 – BStBl. II 1970, 416 ff.; die Kommanditisten waren zu 5 % an laufenden Gewinnen und Verlusten beteiligt; der Anteil konnte nach fünf Jahren gekündigt werden; eine Vermögensteilhabe bestand nur im Liquidationsfall. 468 Im Rahmen einer recht freien Gesamtwürdigung werden die Kriterien von Risiko oder Initiative nicht abstrakt beschrieben, vgl. BFH v. 22. 1. 1970 – IV R 178/68 – BStBl. II 1970, 416 (417 f.). 469 BFH v. 22. 1. 1970 – IV R 178/68 – BStBl. II 1970, 416 ff. 470 Siehe nur zu Familienpersonengesellschaften aus der Monographieliteratur Schütte, Familiengesellschaft, passim; aus der Aufsatzliteratur Schmid, DStR 1995, 1977 ff.; aus der Kommentarliteratur Blümich/Bode, EStG, § 15 RdNr. 371 ff.; aus der Lehrbuchliteratur Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 12, S. 505 ff. 471 Dazu Crezelius, Rechtsanwendung, S. 207. 472 S. bereits BFH v. 22. 1. 1970 – IV R 178/68 – BStBl. II 1970, 416 (418). 473 BFH v. 10. 11. 1987 – VIII R 166/84 – BStBl. II 1989, 758 (759 f.). 474 Siehe die Nachweise zuvor; zu dieser Rspr. kritisch Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 12 I 2, S. 510 ff. m. N.
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3. Teil: Folgerungen
c) Verlustzuweisungsgesellschaften Die gesetzlichen Begrenzungen der gesellschaftsvermittelten Verlustzuweisungen (§ 15a EStG, § 2b a.F. EStG, § 15b EStG) haben die Mitunternehmerdoktrin als Mittel zur Unterbindung ungerechtfertigter Verlustzuweisungen nach Ansicht der Judikatur nicht entbehrlich werden lassen475. Die Möglichkeit, den Empfänger der Verlustzuweisung nicht als Mitunternehmer anzusehen, soll bestehen bleiben und mit den gesetzlichen Regeln eine Synthese bilden. Dabei ist die Mitunternehmerdoktrin mit ihren gegenwärtigen Aussagen im Grunde wirkungslos: Die Kautelarjurisprudenz kann eine Mitunternehmerschaft mit derart niedrigen Anforderungen leicht erreichen476.
II. Ausdehnung der Mitunternehmergrundsätze auf nichtgesellschaftsrechtliche Verhältnisse Im Verlauf der Dogmenentwicklung, in der sich die Etablierung eines universellen Generalklauseltatbestands vollzogen hat, ist eine ganze Reihe gesellschaftsloser Personenmehrheiten in den Kreis der Mitunternehmerschaften einbezogen worden477. Dazu zählen neue Formen wie die Partenreedereien oder zugezogene Auslandsgesellschaften, aber auch nicht gesellschaftsrechtliche Verbundformen wie Erbengemeinschaft, Nießbrauch478 oder Betriebsaufspaltung479. Auch die „verdeckte“ Mitunternehmerschaft und die anderen „wirtschaftlich vergleichbaren Gemeinschaftsverhältnisse“ gehören in diesen Kontext. 1. „Verdeckte“ Mitunternehmerschaften und Negation des zivilrechtlichen Trennungsprinzips (Durchgriff) Die praxiswichtige „Verdeckung“ einer Gesellschaft durch einen Arbeitsvertrag bildet dabei keine neuartige Aufgabenstellung, sondern eine Variante des Abgrenzungsproblems von gewerblichen oder freiberuflichen Einkünften gegen solche aus Arbeit. Die angewandten Lösungskriterien – z. B. die Weisungsgebundenheit oder das Verhältnis von Gehalt und Gewinnanteil – lassen sich auch in diesem Kontext 475
Siehe zu diesen Regelungen und den Verlustzuweisungsgesellschaften z. B. Kohlhaas, FR 1999, 504 ff.; Raubach/Böckstiegel, FR 1999, 487 ff., 617 ff. Zu § 15b EStG etwa Stuhrmann, NJW 2006, 465 ff.; für eine Schilderung der Entwicklung Röder, System der Verlustverrechnung, S. 27 ff. 476 S. noch zu dem Versuch der Verwaltung, dies durch den sogenannten Medienerlass zu ändern, unten, § 8 II 1 b. 477 Gesamtüberblick bei Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 50a ff.; Herrmann/Heuer/ Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 399 ff.; Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 324 ff. 478 Siehe dazu nur Schön, StbJb 1996/97, 45 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 31 ff.; Tipke/Lang/Hennrichs, Steuerrecht, § 9 RdNr. 158 ff. 479 Dazu aus der Aufsatzliteratur Söffing, BB 1998, 1973; Poll, DStR 1999, 477; aus der Kommentarliteratur Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 29.
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mehr einer arbeitsvertraglichen Typik als den Prädikaten „Risiko“ und „Initiative“ zuordnen480. Die besondere Problematik einer „verdeckten Mitunternehmerschaft“481 ergibt sich aber beispielsweise, wenn der bisherige Unternehmer juristisch als Geschäftsführer, Vertragspartner oder Darlehensgeber, wirtschaftlich aber weiter wie ein Alleinunternehmer handelt482. So lag es in einem Urteil vom 5. Juni 1986 (– IV R 53/82 –) als sich der bisherige Einzelunternehmer an dem Stammkapital einer neu gegründeten GmbH mit 19.000,– DM und seine Ehefrau mit 1.000,– DM beteiligten483. Der Ehemann gewährte eine stille Einlage in Höhe von 45.000,– DM. Die Geschäfte führte er alleine, sein Geschäftsführergehalt und der stille Gewinnanteil zehrten den Unternehmensgewinn weitgehend auf. Kurzum: der ehemalige Einzelunternehmer betreibt das Unternehmen „wirtschaftlich gesehen“ wie zuvor, nunmehr aber verdeckt hinter einer Papierwand von Abreden. Die Grundfrage ist in solchen Fällen auf die Möglichkeit eines steuerrechtlichen „Durchgriffs“ durch diese Wand aufgesetzt wirkender Vertragsverhältnisse gerichtet484. Die Mitunternehmerdoktrin hilft nur begrenzt. Eine „atypische“ Vermögensteilhabe, das Hauptkennzeichen mitunternehmerischen „Risikos“, lässt sich gezielt vermeiden und die „Initiative“ des faktischen Einzelunternehmers wird rechtlich nicht durch ein Gesellschaftsverhältnis vermittelt. Aber wenn ein Unternehmer „sein“ Unternehmen „nach wie vor“ betreibt, tut er dies nicht als „Mitunternehmer wie ein Alleinunternehmer“ (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG), sondern als „Alleinunternehmer“ ( Nr. 1)485. Dazu passt es, wenn die Judikatur fragt, ob sich der frühere
480 Vgl. etwa m. N. die umfassende Darstellung bei Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 346 oder bei Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 24. Schließlich zeigt sich bei den „verdeckten Mitunternehmerschaften“ zwischen Familienangehörigen das bereits bekannte Bild, dass der Bundesfinanzhof nicht anhand von Vorgaben der Mitunternehmerlehre, sondern anhand derer für Verträge zwischen Angehörigen entscheidet, vgl. nur BFH v. 23. 8. 1990 – IV R 58/898 – BFH/NV 1991, 661 (662); im Ansatz auch BFH v. 22. 10. 1987 – IV R 17/ 84 – BStBl. II 1988, 62 (64); Überblick bei Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 342; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 106 ff. Vgl. auch BFH v. 13. 10. 1992 – VIII R 57/91 – BFH/NV 1993, 518 (520): der Fremdvergleich entscheide, ob eine Gewinnteilhabe anzunehmen sei. 481 Zum Ganzen siehe Peter Fischer, FR 1998, 813 ff.; Fichtelmann, INF 2000, 494 ff.; Priester, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 331 ff.; Janssen, BB 1994, 1757 ff.; Schulze zur Wiesche, StBP, 1997, 221 ff.; Kneip, Mitunternehmer, S. 415 ff., 430 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 24 ff. 482 Wie zuvor. 483 BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 53/82 – BStBl II 1986, 798 ff. 484 Siehe etwa BFH v. 13. 7. 1993 – VIII R 50/92 – BStBl. II 1994, 282 (285). Ein Durchgriff durch Unterstellung einer „verdeckten Mitunternehmerschaft“ bleibt selten und erscheint praktisch verzichtbar, zur Kasuistik s. etwa Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 340 ff.; Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 24 ff. 485 Treffend Groll, StuW 1995, 326 ff.; Peter Fischer, FR 1998, 813 (821). Auch BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 53/82 – BStBl. II 1986, 798 (802) liegt ganz auf dieser Linie: Der BFH fingiert
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Unternehmer weiter wie ein „Alleinunternehmer“486 oder „Alleininhaber“ verhält487. Die Anwendung der richterlichen Mitunternehmerregeln führt dagegen nicht weiter, sondern mündet in Grenz- und Zweifelsfragen: Muss die „Initiative“ des Gewerbetreibenden auf einem Gesellschaftsvertrag beruhen? Ist eine Vermögensteilhabe verzichtbar? Wer den Fall dennoch mit Hilfe der Mitunternehmergrundsätze zu lösen versucht, muss sie zunächst ändern, um Ergebnisse zu erzielen, welche mit denen allgemeiner Lehren zum Gestaltungsmissbrauch inhaltsgleich sind488. So kommt es, dass der BFH bezeichnenderweise meint, erst eine unangemessene Gewinnbeteiligung begründe ein ausreichendes „Risiko“489. 2. „Wirtschaftlich vergleichbare Gemeinschaftsverhältnisse“ (Fortsetzung) Zu ähnlichen Einsichten führt eine Betrachtung der weiteren gesellschaftslosen Mitunternehmerschaften, der „wirtschaftlich vergleichbaren Gemeinschaftsverhältnisse“490. Gemeint sind vor allem Gesamthands- und Bruchteilsgemeinschaften491, aber auch fehlerhafte Gesellschaften492. Bei der praktisch wichtigsten Konstellation, der Erbengemeinschaft, fällt bereits auf, dass die Kernaussage der Mitunternehmerlehre nicht durchgehalten ist: Gehört ein Einzelunternehmen oder ein Mitunternehmeranteil zum Nachlass, ist der Erbe „geborener“ Mitunternehmer493.
hier kein „verdecktes Gesellschaftsverhältnis“ mehr, sondern fragt nur, wem die „Alleinunternehmerschaft“(!) ähnlich wie bei der Treuhand zuzurechnen sei. 486 BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 272/84 – BStBl. II 1986, 798 (802). 487 BFH v. 21. 9. 1995 – VI R 65/94 – BStBl. II 1996, 66 (68). 488 Vgl. zu § 42 AO in diesem Zusammenhang Peter Fischer, FR 1998, 813 (821). 489 BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 53/82 – BStBl. II 1986, 798 (801); offen gelassen in BFH v. 21. 9. 1995 – IV R 65/94 – BStBl. II 1996, 66 (68). Kritische Literaturstimmen sprachen von dem Beginn einer neuen Ära des „Initiativ-Mitunternehmers“, vgl. Schreiber, Mitunternehmer, S. 69. 490 In dem Beschluss des Großen Senates vom 25. Juni 1984 hieß es: „Sinn und Zweck des § 15 Nr. 2 EStG, Einkünfte beim gemeinschaftlichen Bezug von Einkünften aus einem gewerblichen Unternehmen zu bestimmen, erlauben es jedoch, als Mitunternehmer auch solche Personen anzusehen, die nicht in einem zivilrechtlichen Gesellschaftsverhältnis einer Außenoder Innengesellschaft, sondern in einem wirtschaftlich vergleichbaren Gemeinschaftsverhältnis zueinander stehen“, BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (768). 491 Siehe nur BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82 – BStBl. II 1984, 751 (768); BFH v. 22. 1. 1985 – VIII R 303/81 – BStBl. II 1985, 363 (364). 492 Vgl. BFH v. 22. 1. 1985 – VIII R 303/81 – BStBl. II 1985, 363 (364); krit. zur Einbeziehung mit Recht Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 171 m. N. 493 BFH v. 5. 7. 1990 – GrS 2/89 – BStBl. II 1990, 837; siehe ferner Kirchhof/Söhn/Reiß, EStG, § 15 RdNr. 236; Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 15 RdNr. 383; eingehender Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 57.
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Illustrieren lässt sich die tiefere Bedeutung anhand von Zweifelsfällen, bei denen der Steuerpflichtige zeitweise Erbe ist494. Ist der scheinbare, ausschlagende oder vermächtnisbelastete Erbe eines Gesellschaftsanteils in der Übergangszeit Mitunternehmer? Es wurde darauf hingewiesen, dass das Rechtsverhältnis zwischen weichendem und qualifiziertem Erben eines Gesellschaftsanteils an eine Unterbeteiligung erinnere. Aber genügt dies, um den weichenden Erben wie einen Unterbeteiligten als Mitunternehmer anzusehen495 ? Zivilrechtlich wird der qualifzierte Erbe Gesellschafter, der weichende Erbe wird auf Ausgleichsansprüche verwiesen496. Diese Vorgaben bilden für den BFH die Grundlage, den weichenden Erben mangels Gesellschafterstellung nicht als Mitunternehmer anzusehen497. Schon diese kursorischen Bemerkungen zeigen, dass die Mitunternehmerlehre es theoretisch zwar ermöglicht, weichende Erben wie Unterbeteiligte als Mitunternehmer zu behandeln; eine Bedeutung erlangt dies in der Gerichtspraxis allerdings nicht. Wichtiger ist eine weitere Erkenntnis: In der Diskussion um den Durchgangsunternehmer wird offenbar versucht, Fehlerfolgen der „Lehre des Sonderbetriebsvermögens“ zu überwinden. Wer Defizite der „Lehre des Sonderbetriebsvermögens“ erkennt, sollte sie dort zu lösen versuchen498. Dann erübrigt sich die wenig sinnvolle Frage, ob der weichende Erbe eine hinreichende „Initiative“ durch seine Kontrolle ausübt, auf die abzustellen die Mitunternehmerdoktrin aber gebietet499.
494 Siehe dazu Groh, DB 1992, 1312 ff.; Crezelius, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 355 (359 f.). 495 So in der Tat Groh, der den weichenden Erben mit einem „atypischen stillen Gesellschafter“ vergleicht, DB 1992, 1312 (1315); dagegen z. B. BFH v. 27. 3. 1993 – VIII R 72/90 – BStBl. II 1994, 625 (626 f.); BFH v. 15. 3. 2000 – VIII R 51/98 – BStBl. II 2000, 316 ff.; Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 401. 496 Grundlegend BGHZ 68, 225 (236 ff.); Überblick zum Meinungsstand bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 45 V 5 b, S. 1344. 497 BFH v. 26. 11. 1992 – X R 187/87 – BStBl. II 1993, 298; BFH v. 27. 7. 1993 – VIII R 72/ 90 – BStBl. II 1994, 625; siehe zur Rechtsprechung etwa Groh, DB 1992, 1312 ff.; Crezelius, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 355 (359 f.); Herrmann/Heuer/Raupach/Haep, EStG, § 15 RdNr. 401; Ludwig Schmidt/Wacker, EStG, § 16 RdNr. 672. Die Erbauseinandersetzung ist so steuerneutral möglich; Sonderbetriebsvermögen ist nicht steuerverstrickt, s. Groh, DB 1991, 724 (726); Kirchhof/Söhn/Reiß, EStG, § 16 RdNr. B 122 f. 498 Die „Lehre des Sonderbetriebsvermögens“ in Frage zu stellen, ist nicht Aufgabe der Arbeit. Ohne gesetzliche Grundlage kann diese Lehre aber schwerlich den Begriff des Mitunternehmers bestimmen; s. allerdings zu dem Versuch, die „Gleichstellungsthese“ für eine Begründung heranzuziehen BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (697 f.); BFH v. – 12. 4. 2000 – XI R 35/99 – BStBl. II 2001, 26 (27); eingehend Schneider, Sonderbetriebsvermögen, S. 137 ff.; berechtigte Kritik bei Schön, DStR 1993, 185 (190). Dass die Mitunternehmerlehre nicht dazu dienen kann, die fehlende Gesetzesgrundlage dieser Lehre zu ersetzen, sollte klar sein; anders z. B. Kneip, Mitunternehmer, S. 100. 499 Wie zuvor.
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3. Inpflichtnahme von Nichtgesellschaftern und revisionsrechtliches Korrektiv Es liegt mit dem Urteil vom 28. Oktober 2008 (– VII R 32/07 –) allerdings noch ein Anschauungsbeispiel für eine bislang unerwähnte Funktion der erweiterten Mitunternehmergrundsätze vor. Es handelte sich um eine besonders fragwürdige Arbeitsgemeinschaft zwischen einer seit 2001 angestellten Frau und ihrem Arbeitgeber, der „mit Unterbrechungen“ ihr langjähriger Lebensgefährte war. Dem Mann gehörte ein Autohaus, dessen Gewinne maßgeblich von dem betrügerischen Verkauf nicht gekennzeichneter Unfallwagen abhingen. Er selbst trat in den Geschäftsräumen nicht in Erscheinung, machte seiner Lebensgefährtin aber exakte Vorgaben für den Geschäftsbetrieb. Als die geschuldete Umsatzsteuer bei dem offenbar auf der Flucht befindlichen Mann nicht beigebracht werden konnte, nahm das Finanzamt die Frau als Mitunternehmerin nach § 191 Abs. 1 AO in Anspruch. Das Finanzamt konstruierte zu diesem Zweck eine „vedeckte“ Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Lebensgefährten, das Finanzgericht ging ohne nähere Festellungen von einer OHG aus500. Wie wurde in einem solchen Extremfall die Mitunternehmereigenschaft der Frau begründet? Das Finanzgericht hatte für eine Initiative nur festgehalten, dass die mangelnde „wirtschaftliche und persönliche Durchsetzungsfähigkeit“ der Frau „jedenfalls nicht im Sinne des zivilrechtlichen Ausschlusses der Geschäftsfähigkeit gemäß § 104 BGB oder auch des strafrechtlichen Schuldausschlusses nach § 20 des Strafgesetzbuchs in ihrer freien Willensbildung und Steuerungsfähigkeit eingeschränkt oder ausgeschaltet gewesen sei“501. Positive Feststellungen fehlten. Das „Mitunternehmerrisiko“ der Frau sollte daraus folgen, dass sie sich durch die „Beteiligung an den betrügerischen Machenschaften [scl. des Mannes] der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt hat und dass sie am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens in der Weise teilhatte, dass ihr durch die Lebensgemeinschaft mit V. [scl. dem Mann] ein gehobener Lebenswandel ermöglicht war“502. Der BFH hat dies korrigiert und gerügt, dass das Risiko nicht auf einer „gesellschaftsrechtlichen (oder einer dieser wirtschaftlich vergleichbaren) Teilnahme am Erfolg oder Misserfolg eines gewerblichen Unternehmens“ beruhe503. Das „wirtschaftlich vergleichbare Gemeinschaftsverhältnis“ hat ersichtlich Auffangfunktion. Ob wirklich eine „verdeckte“ OHG nach handelsrechtlichen Maßstäben vorliegt, kann offen bleiben. Man kann jedenfalls erkennen: So einfach die Vorgabe des „wirtschaftlich vergleichbaren Gemeinschaftsverhältnisses“ bei „verdeckten Mitunternehmerschaften“ aussieht, so unterschiedlich kann es ausgefüllt werden, je nachdem, ob die Rechtsfolge der Mitunternehmerschaft angemessen erscheint oder nicht: Das In500 501 502 503
BFH v. 28. 10. 2008 – VII R 32/07 – BFH/NV, 2009, 355 (356). Ebenda. Ebenda, (357). Ebenda, (357), Hervorhebung des Verf.
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einandergreifen der Figuren der „verdeckten“ Gesellschaft und der „wirtschaftlich vergleichbaren“ Gemeinschaft führt zu dem als richtig empfundenen Ergebnis auf untergerichtlicher und behördlicher Ebene. Die Mitunterehmerdoktrin ermöglicht so erst die Inpflichtnahme, und zwar nicht nur des beherrschenden Hintermanns, sondern auch von vorgeschalteten Angehörigen oder Lebenspartnern durch Schaffung einer steuerlichen Haftungsgemeinschaft. Aber das Beispiel macht ebenfalls anschaulich, dass die Mitunternehmerlehre auf revisionsrechtlicher Ebene das Korrektiv gleich mitliefert. Hier wird sie zum biegsamen Mittel der Berichtigung, das eine Rückverweisung entbehrlich macht504.
III. Die Mitunternehmerlehre als Mittel steuerrechtlicher Zuordnung Betrachtet man die ganze Spannbreite der Theoriefunktionen, so stößt man auf ein Nebeneinander von zwei Arten der steuerrechtlichen Zurechungen: eine explizit gesetzliche, die bei der Treuhand am Gesellschaftsanteil angewendet wird und den Zurechnungsweg des § 39 AO wählt. Und eine zweite, richterlich ergänzte Zurechnungsart, welche eine Theorielücke im gesetzlichen Zurechnungskonzept durch erneute Ausdehnung des Mitunternehmerdogmas schließt. 1. Treuhandverhältnisse Bei einer Treuhand am Mitunternehmeranteil lässt sich die Mitunternehmerschaft des Treugebers auf beiden Wegen begründen505. Der IV. Senat hat in einem Urteil vom 24. Mai 1977 (– IV R 47/76 –) auf § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO verwiesen: „diese Zurechnung umfasst über den Wortlaut des Gesetzes hinausgreifend nicht nur einzelne ,Wirtschaftsgüter‘ (i.S. des einkommensteuerrechtlichen und vermögensteuerrechtlichen Sprachgebrauchs), sondern in gleicher Weise auch ganze Einkunftsquellen wie z. B. den Gesellschaftsanteil an einer Personengesellschaft und die daraus fließenden Einkünfte“506. Diese Ansicht überwiegt in der Rechtsprechung507, der Große Senat hat sich ihr angeschlossen508 : Der Anteil sei wie ein Wirtschaftsgut 504 Diese Theorieerweiterung erscheint einzelfallbezogen und ist nicht als Wiederbelebung der „faktischen Mitunternehmerschaft“ zu sehen. 505 BFH v. 24.5 1977 – IV R47/76 – BStBl. II 1977, 737 (740). 506 BFH v. 24.5 1977 – IV R47/76 – BStBl. II 1977, 737 (740). 507 Vgl. etwa BFH v. 16. 5. 1995 – VIII R 18/93 – BStBl. II 1995, 714 (716); weitere Nachweise im Folgenden. Zu einschränkenden Erfordernissen (Nachweis, Entgeltangemessenheit und gedachte Mitunternehmerschaft des Treuhänders) etwa BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/ 82 – BStBl. II 1984, 751 (769); BFH v. 5. 6. 1986 – IV R 53/82 – BStBl. II 1986, 798 (801); siehe auch Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 30. 508 BFH v. 25. 2. 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (700); das entspricht der h. L., s. Heidner, DStR 1989, 305 (307); Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 RdNr. 30; Axel Schmidt,
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zu behandeln, da er die Summe aller Anteile an den zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern verkörpere509. In anderen Entscheidungen wird die Mitunternehmerschaft der Hinterleute dagegen bejaht, weil die Treuhand ein Mitunternehmerschaftsverhältnis sei510. Es zeigt sich allerdings, dass der Weg über § 39 AO nicht nur gleichwertig, sondern auch einfacher ist. Die Mitunternehmerlehre muss erklären, warum der treugeberische Mitunternehmer nicht zivilrechtlicher Gesellschafter sein muss511. Auch das Gegenstück der Zurechnung, die Abrechnung, lässt sich einfach aus § 39 AO herleiten512. Die Mitunternehmerlehre muss dasselbe Ergebnis konstruieren, indem sie nicht nur den treuhänderischen Kommanditisten, sondern auch den persönlich haftenden Komplementären ein Mitunternehmerrisiko abspricht513. 2. Faktische Macht als zurechnungsbegründende Mitunternehmerinitiative Wird die ursprüngliche Mitunternehmerlehre zur Erweiterung der Zurechnungstechniken eingesetzt, birgt dies Möglichkeiten, die über die Erfassung klarer Treuhand- und Herrschaftsverhältnisse hinausgehen. Eine Zurechnung gelingt ganz ohne imperativentheoretische Ausschließungsmacht schon bei einer „Initiative“. In einem am 26. Juni 1990 entschiedenen Fall (– VIII R 81/85 –)514 waren zwei Ehefrauen als Kommanditistinnen einer GmbH & Co. KG offenbar „vorgeschoben“; ihre an der GmbH beteiligten Ehemänner waren Verpächter der wesentlichen Betriebsgrundlagen. Man kann hier leicht ein Gesellschaftsverhältnis für eine Lösung und zur Annahme einer Mitunternehmerschaft fingieren. Allerdings hat der BFH einen anderen, kaum weniger fiktiven Weg gewählt und die Ehemänner als wirtschaftliche Eigentümer der Kommanditanteile nach § 39 AO angesehen. Der VIII. Senat versuchte ein faktisches Ausschließungsrecht aus einer Klausel abzuleiten, nach der eine Scheidung zum fristlosen Ausschluss der Ehefrau und zum Eintritt des beLeistungsbeziehungen, S. 100 ff.; für Zurechnung in „wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ dagegen etwa Wöhe, StKgR 1979, 301 (339); s. auch Eden, Treuhandschaft, S. 112 f. Zu anderen Ansätzen vgl. Blaurock, Unterbeteiligung, S. 302; Stadie, Zurechnung, S. 213; Rödder, DB 1988, 195 (196). 509 So BFH v. 25.2 1991 – GrS 7/89 – BStBl. II 1991, 691 (700). 510 Die Mitunternehmerschaft der Treuhandkommanditisten wird dann allerdings mangels „Risikos“ verneint, s. BFH v. 21. 4. 1988 – IV R 47/85 – BStBl. II 1989, 722 (724) m. Hinweis auf §§ 675, 667 BGB; vgl. auch BFH v. 12. 10. 1999 – VIII R 67/98 – BFH/NV 2000, 427 f.; BFH v. 30. 6. 2005 – IV R 40/03 – BFH/NV 2005, 1994 ff.; BFH v. 2.3.2010 – IV R 26/07 – BFH/NV, 2010, 1035 ff. § 39 AO bleibt unerwähnt in BFH v. 11.10 1984 – IV R179/82 – BStBl. II 1985, 247 (248); BFH v. 21. 4. 1988 – IV R47/85 – BStBl. II 1989, 722 (724); BFH v. 12. 10. 1999 – VIII R 67/98 – BFH/NV 2000, 427 f. 511 Vgl. bereits Ludwig Schmidt, StuW 1988, 245 (248). 512 Vgl. in diesem Zusammenhang BFH v. 16. 10. 1991 – I R 115/87 – BStBl. II 1992, 199 ff. 513 S. Fn. 510. 514 BFH v. 26. 6. 1990 – VIII R 81/85 – BFHE 161, 472 ff. = BStBl. II 1994, 645 ff.
§ 8 Einbeziehung von Innengesellschaften
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troffenen Ehemanns als Kommanditist berechtigte; die Ehefrauen konnten „tatsächlich von den ihnen formell zustehenden Rechten nur insoweit Gebrauch machen (…), wie die Interessen ihrer Ehemänner nicht berührt wurden. Andernfalls riskierten sie die Scheidung“515. Wie immer man das beurteilt, der Mitunternehmerdoktrin als Zurechnungsinstrument bedarf es ganz offenbar nicht.
§ 8 Einbeziehung von Innengesellschaften als historisch ursprünglicher und verbleibender Theoriebereich für die sachvorgegebenen Problemaufgaben Die Schlüssigkeit des bilanzbündeltheoretischen Gedankenkonstrukts, in dem die Mitunternehmer ihren eigenen Betrieb führen, weshalb Schuldrechtsverträge mit der steuerlich gar nicht existenten Gesellschaft scheinbar folgerichtig negiert werden, hat von der fälligen Dogmenarbeit abgelenkt und sie letztlich blockiert. Sie besteht heute darin, die fortbestehenden Problemaufgaben rationell zu erfassen und durch eine Mitunternehmertheorie abzuarbeiten, welche die Eigenheiten des Steuerrechtssystems einbezieht, aber nicht grundlos ergänzt. Anders gesagt: Die Mitunternehmerdoktrin müsste mehr darstellen als eine bloße Einbruchstelle für Billigkeitsentscheidungen oder ein Notkorrektiv, wo das System nicht weiterkommt. Dass die unterschiedlichen Theoriefunktionen (Abgrenzung von Einkunftsarten, Durchgriffs- oder Zuordnungsaufgaben, Rechtfertigung der Sondervergütungsregel, Missbrauchsbekämpfung) die verworrene Kasuistik zwangsläufig beeinflussen, soll nicht verdecken, wo der wahre Grund für die Entstehung der Mitunternehmerfigur liegt: Das Dogma verdankt sein Entstehen der Einstufung von „atypischen“ stillen Gesellschaften als „andere Gesellschaften“ im Sinne des § 15 EStG516. Es sollte ermöglicht werden, ein im Verbund erwirtschaftetes Ergebnis den „nichttypischen“ stillen Gesellschaftern als gewerbliche Einkünfte zuzuweisen517. Die zentrale Problematik der unternehmensführenden stillen Innengesellschaft, vor allem der sogenannten GmbH & „atypisch Still“, lässt die Mitunternehmerdoktrin bis heute als notwendig erscheinen518. Ob man das Phänomen nicht auch auf anderem Weg behandeln kann, wird zu Unrecht nicht gefragt.
515 516 517 518
BFH v. 26. 6. 1990 – VIII R 81/85 – BFHE 161, 472 (478) = BStBl. II 1994, 645 (648). Siehe oben, S. 23 f. S. oben, S. 23 f. S. nur statt aller Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 II, S. 389.
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3. Teil: Folgerungen
I. Die ursprünglichen Prämissen für die Entstehung der Mitunternehmerfigur Als Enno Becker die Mitunternehmerdoktrin entwickelte, hatte er einen vom Preußischen OVG am 26. Juni 1907 entschiedenen Fall vor Augen519. Ein Sohn führte das Geschäft seines 1904 verstorbenen Vaters nach außen fort, handelte aber im Innenverhältnis für Rechnung aller sieben Geschwister, die zu gleichen Teilen gesetzliche Erben waren. Nach Preußischem Recht unterlagen die sechs, nicht im Handelsregister eingetragenen Geschwister der Nachbesteuerung ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen, wenn sie – und nur dann – als stille Gesellschafter anzusehen waren. Als Mitinhaber des Betriebs hingegen konnten sie nicht mit Einkommensund Ergänzungssteuer belastet werden, weil der Betrieb außerhalb Preußens lag520. Die Berufungskommission hatte die Miterben als stille Gesellschafter veranlagt, das Oberverwaltungsgericht gab der dagegen gerichteten Beschwerde statt: „Stellt sich (…) heraus, daß die als alleiniger Inhaber der Firma im Handelsregister eingetragene Person das Gewerbe lediglich als Beauftragter auf Rechnung und Gefahr der sämtlichen Beteiligten betreibt, so sind die letzteren die Inhaber und Unternehmer des Geschäfts, und die Besteuerung ist dementsprechend vorzunehmen“521. Diesen Gedanken setzte Enno Becker fort. Es ging ihm darum, solche stillen Gesellschafter, die „wirtschaftlich“ gesehen als „Inhaber“ des Unternehmens anzusehen sind, den Gesellschaftern von Erwerbsgesellschaften (OHG, KG, unternehmenstragende GbR) gleichzustellen. Seine knappen Ausführungen lauteten: „Ich würde danach den Fall, daß nach dem Tode eines Kaufmanns der älteste Sohn das Geschäft nach außen hin als alleiniger Inhaber, aber nach innen für Rechnung und Gefahr der sämtlichen Kinder fortführt, dahin entscheiden, daß für die Einkommensteuer sämtliche Kinder als Gewerbetreibende anzusehen sind“522. So hatte es auch das OVG gesehen523. An diesem Punkt wählte er aber einen anderen Weg als das OVG und führte den Mitunternehmergedanken in das Steuerrecht ein. Enno Beckers Gedanke war es, zwischen „typischen“ und „nichttypischen“ Rechten zu unterscheiden und auf diesem Weg das Phänomen der „wahren Inhaberschaft“ eines nicht-rechtsfähigen Kollektivs zu erfassen, indem er die individuellen Rechte des einzelnen Gesellschafters betrachtete. Unter Berufung auf diesen Ansatz und mit Beteiligung Beckers hat der RFH ein Jahr später ausgeführt: „Jedenfalls können als stille Gesellschafter, deren Einkünfte (…) zum Einkommen aus Kapitalvermögen gerechnet werden müssen, nur die typischen stillen Gesellschafter (…) gerechnet werden. Die an den Anlagewerten und damit mit ihrem Vermögen 519 Becker, StuW 1925, Sp. 1579 (1604), Bezug nehmend auf PrOVG v. 26. 6. 1907 – Rep. E VI. 6, 7/07 – OVGSt. 13, 168 (172 f.). 520 PrOVG v. 26. 6. 1907 – Rep. E VI. 6, 7/07 – OVGSt. 13, 168 (171 f.). 521 PrOVG v. 26. 6. 1907 – Rep. E VI. 6, 7/07 – OVGSt. 13, 168 (169, 1. Leitsatz). 522 Becker, StuW 1925, Sp. 1579 (1604). 523 S. Fn. 521.
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unmittelbar am Gedeih und Verderb des Geschäfts beteiligten Gesellschafter gehören, auch wenn sie im übrigen als stille Gesellschafter bezeichnet oder aufgefaßt sind, steuerrechtlich zu den Mitunternehmern des Betriebs, und ihr Einkommen ist, wie das der Kommanditisten oder der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, Einkommen aus Gewerbebetrieb (…)“524. Dieser neue, gesellschafterbezogene Blickwinkel hat mit der Art und Weise zu tun, wie die zivilrechtsdominierte Steuerrechtswissenschaft die stille Gesellschaft damals einordnete. Eine stille Gesellschaft galt als ein zwingend zweigliedriges525, „bloß obligatorisches“ Verhältnis526. Ein solches kreditähnliches Rechtsverhältnis lässt sich schwerlich als „wahrer Inhaber“ denken. Und in der damaligen Steuerrechtsdogmatik gab es im Hintergrund noch zwei weitere Vorbedingtheiten, welche den Aufstieg des Mitunternehmergedankens begünstigt haben und kurz zu erwähnen sind. Die erste war die Denkungsart der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ in ihrer ursprünglichen Form. Die Mitunternehmerdoktrin wurde zwischenzeitlich als deren wichtigster Anwendungsfall ausgegeben527. Der zweite Aspekt ist der bilanzbündeltheoretische Ansatz, nur die Gesellschafter als Subjekt unternehmerischen Handelns anzusehen528; dann mag es naheliegen, in der Mitunternehmerschaft ein rein gesellschafterbezogenes Phänomen zu sehen.
II. Wegfall der ursprünglichen Prämissen der Mitunternehmerdoktrin Es wurde schon angedeutet, dass sich die Grundlagen für die Theoriebildung in den 90 Jahren seither radikal verändert haben und dies an sich Anlass für eine Neubeurteilung sein müsste. Die Prämissen, von denen Enno Becker ausgehen musste, sind überholt. Das gilt nicht nur für die längst aufgegebenen Basisideologien der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“529 und der „Bilanzbündeltheorie“530, sondern gerade auch für das fortentwickelte Recht der mehrgliedrigen stillen Ge-
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RFH v. 3. 2. 1926 – VI A 163/25 – RFHE 18, 162 (164). Siehe nur RGZ 25, 41 (45); Lübbert, ZHR 58 (1906), 505 ff.; Düringer/Hachenburg/ Flechtheim, HGB, Bd. 5, 1924, § 335 RdNr. 37; siehe auch noch Reuter, NJW 1984, 1849 (1851); Rasner, Stille Gesellschaft, S. 27; eingehender dazu Schlitt, Informationsrechte, S. 46. 526 Vgl. die Protokolle zu der dritten Lesung, ADHGB-Protokolle = Lutz, Protokolle, S. 4549 (zu Art. 243 des zweiten Entwurfes, welcher § 236 HGB entspricht). 527 S. oben, Fn. 68. 528 S. oben, S. 23. 529 S. nur BFH v. 23. 10. 1996 – X R 75/94 – BStBl. II 1997, 239 ff.; ähnlich BFH v. 24. 7. 1996 – I R 94/95 – BFHE 181, 64 ff.; Übersicht zu den gemäßigten Erneuerungsversuchen in der jüngeren Steuerrechtswissenschaft bei Schön, StuW 2005, 247 f. 530 BFH v. 8. 1. 1975 – I R 142/72 – BStBl. II 1975, 437. 525
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3. Teil: Folgerungen
sellschaft mit Verbandscharakter531: In der Zivilrechtswissenschaft weiß man seit langem, dass das Kreditmodell, welches den §§ 230 ff. HGB zugrunde liegt (Zweigliedrigkeit, kein gemeinsames Vermögen, Kreditfunktion der stillen Einlage nach § 236 HGB), für die verbandsrechtstypischen Probleme bei einer GmbH & Still oder stillen Publikumsgesellschaft nicht adäquat ist532. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, kann man sagen, dass sowohl die Vermögens- als auch die Organisationsverfassung der KG-ähnlichen stillen Gesellschaften weitgehend dem Recht der GmbH & Co. KG angenähert sind533. Gibt es also heute noch einen anderen Weg als den Enno Beckers? Die Steuerrechtswissenschaft der 1920er Jahre hat die Frage nach der Behandlung der „wahren Inhaberschaft“ von „uneigentlichen“ stillen Gesellschaften durch eine Neukonzeption des Mitunternehmertatbestands beantwortet und ist zu einer Betrachtung der individuellen Rechte im Zweipersonenverhältnis übergegangen. Erst die steuerrechtliche und handelsrechtliche Dogmatik der 1990er Jahre hat damit begonnen, das Phänomen der „wahren Inhaberschaft“ von Innengesellschaften besser zu verstehen, als es aufgrund der damaligen Prämissen möglich war. Bezeichnend für dieses Verständnis ist heute eine Änderung des Blickwinkels der Gerichte, die sich bereits in der geschilderten Judikatur des Bundesfinanzhofs zur Subjektfähigkeit der „atypischen stillen Gesellschaft“ andeutete. Der VIII. Senat führte aus, dass der tätige Gesellschafter die Geschäfte im Innenverhältnis „für alle Gesellschafter entsprechend der für sie geltenden Gemeinschaftsordnung“ führe. Die Geschäfte seien „deshalb entsprechend dieser Gemeinschaftsordnung auch allen Gesellschaftern einheitlich zuzurechnen (…)“534. Diese Gemeinschaftsordnung, die den Geschäftsinhaber als Beauftragten der Gesamtheit erscheinen lasse, rechtfertige die Annahme eines Subjektseins für den Zweck der Gewinnerzielung und -ermittlung sowie der Einkünftequalifikation535. Völlig synchron damit ist die Judikatur des 531 Die mehrgliedrige stille Gesellschaft ist heute anerkannt, s. nur BGHZ 125, 74 (78 f.) = NJW 1994, 1156; erkennbar bereits bei BGH WM 1958, 1336 (1337); BGH NJW 1972, 338; vgl. auch Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 83; Blaurock, NJW 1972, 1119 f.; Schlitt, Informationsrechte, S. 46 ff. Zuvor bereits Heinrich Lang, Typen, S. 38 f.; Aulinger, Stille Gesellschaft, S. 50. Zur Anpassung des Verbandsrechts der GmbH & Still an das der GmbH & Co. KG sogleich unter III. 532 S. sogleich ausf. im Text. Die Handelsrechtslehre hat lange die Denkweise des Steuerrechts adaptiert und ein gewisses Sonderrecht für „atypische stille Gesellschafter“ geschaffen, indem es mal auf dieses, mal auf jenes „atypische“ Moment abgestellt hat, s. BGH NJW 1980, 1522; BGH NJW 1985, 1079 ff.; BGHZ 104, 33 ff.; OLG Frankfurt GmbHR 1997, 892 f. (jew. zum materiellen Eigenkapitalcharakter stiller Einlagen); BGH NJW 1988, 1841 ff.; BGHZ 119, 191 ff. (jew. zur sog. „Finanzierungsverantwortung“). Siehe allgemein Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 230 RdNr. 77 ff. S. zur jüngeren Entwicklung noch Fn. 537 und sogleich im Text. 533 S. Fn. 531. 534 BFH v. 26. 11. 1996 – VIII R 42/94 – BFHE 182, 101 (103); ähnlich bereits BFH v. 25. 7. 1995 – VIII R 54/93 – BStBl. II 1995, 794; s. dazu Gschwendtner, DStZ 1998, 335 ff. 535 Wie zuvor. Dem Senat folgend BFH v. 2. 2. 1999 – II B 112/97 – BFH/NV 1999, 912 f. Eine Gewinnerzielungsabsicht der stillen Gesellschaft wird angenommen in BFH v. 5. 7. 2002 –
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II. Zivilsenats bei der Beurteilung der KG-ähnlichen GmbH & Still: Der Senat lässt sich – wie der VI. Senat des BFH –, u. a. von der Überlegung leiten, dass die Gesellschaftsstruktur „in erheblichem Umfang auftragsrechtliche Elemente enthält“536. Die „Atypizität“ der individuellen Rechte einzelner Teilhaber steht nicht mehr im Vordergrund537. Im Gegenteil, in der jüngeren Judikatur wird die Figur des „atypischen stillen Gesellschafters“ zum Teil gar nicht mehr bemüht538. Stattdessen soll nur noch die Zugehörigkeit zu einer verbandsverfassten Innengesellschaft, einer „Innenkommanditgesellschaft“ (BGH), rechtsentscheidend sein539. Was bedeutet diese Entwicklung für die Mitunternehmerlehre? Nochmals ist zur Erinnerung auf die Lage hinzuweisen, aus der Enno Becker einen Ausweg suchte. Die Worte: „andere Erwerbsgesellschaft, bei welcher der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist“ sollten Außengesellschaften beschreiben, die Betriebsinhaber sind; ihre Gesellschafter sind, bildlich gesagt, „geborene“ Mitunternehmer540. Man sieht an diesem Punkt: Wenn wir heute auch eine stille Gesellschaft als „wahre Inhaberin“, beauftragendes „Subjekt“ (BFH) oder „Innenkommanditgesellschaft“ (BGH) anerkennen können, ist der Grund entfallen, die Mitunternehmerschaft in eine gesellschaftsbezogene Kategorie umzudeuten. Solche stillen Gesellschaften lassen sich dann zwanglos als „andere Gesellschaften“ i.S.v. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG und ihre Gesellschafter ausnahmslos als Mitunternehmer ansehen.
IV B 42/52 – DStRE 2002, 1339 (1342). In BFH v. 15. 10. 1998 – IV R 18/98 – BFHE 187, 250 (256) wird das Handeln des Inhabers „wie ein Organ“ in den Vordergrund gestellt. 536 BGHZ 125, 74 (78). 537 „Besonderes Gewicht“ habe es, „daß die Beklagte als formalrechtliche Geschäftsinhaberin die Mittel für die von ihr erworbene Beteiligung (…) fast vollständig von den stillen Gesellschaftern erhalten hat“ und, dass sie weder am Gewinn noch am Verlust beteiligt wurde, BGHZ 125, 74 (78 f.). S. allerdings zur vorerst bleibenden Bedeutung der Figur der „atypischen stillen Gesellschaft“ im Zivilrecht oben, Fn. 532; ein Paradigmenwechsel deutete sich bereits an in BGH v. 28. 6. 2012 – IX ZR 191/11 – BGHZ 193, 378 = NJW 2012, 3443, vgl. dazu die Kritik an der latent fortbestehenden Verhaftung des IX. Senats in einer Denkweise, die weiter am Kreditmodell der § 230 ff. HGB orientiert ist, bei Karsten Schmidt, ZHR 178 (2014), 1 (45). In der jüngeren Judikatur ist dieser Paradigmenwechsel nunmehr vollzogen; in einer Reihe von Urteilen wird nur noch auf das Vorliegen einer verbandsähnlichen Binnenstruktur abgestellt, die Figur des stillen Gesellschafters mit „atypischen“ Verwaltungs- oder Vermögensrechten wird dagegen nicht mehr verwendet, s. zuletzt OLG Hamburg ZIP 2015, 688 (689) mit umfangr. Hinweisen auf die jüngere OLG-Judikatur. Mehrere Revisionsverfahren sind diesbezüglich beim BGH (unter II ZR 205/14, II ZR 243/14, II ZR 333/14) anhängig. 538 Wie zuvor, exemplarisch OLG Hamburg ZIP 2015, 688 (689). 539 BGHZ 193, 378 = BGH NJW 2012, 3443 (3445); OLG Schleswig, NZG 2009, 256 (258). Theoretische Vorarbeiten von Karsten Schmidt, Festschrift Bezzenberger, S. 401 (406); ders., DB 2002, 829 (832); ders., NZG 2009, 361 ff.; ders., NZG 2014, 881 ff.; ders., ZIP 2014, 1457 ff. und dem Verf., Der „stille Verband“, passim; ders., Festschrift Karsten Schmidt, S. 399 (404). 540 Siehe oben, S. 20 ff.
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3. Teil: Folgerungen
III. Zur Aussicht auf eine Theorierückbildung im Bereich der Innengesellschaften Damit ist die Frage erreicht, ob es nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll oder geboten ist, den historischen Weg einer individuellen Differenzierung von Mitunternehmerpersönlichkeiten bei Innengesellschaften wieder zu verlassen. Für eine solche Theorierückbildung sprechen nach den Ergebnissen der Arbeit die zivilrechtliche Vorprägung des Mitunternehmertatbestands zum einen und die erzielbaren Vereinfachungseffekte zum anderen. 1. Die zivilrechtliche Prägung des Mitunternehmertatbestands bei Innengesellschaften Es wurde im Paragraphen 5 eingehend dargelegt, dass die zivilrechtlichen Prämissen von Mitunternehmerinitiative und -risiko oft ungenau und fehlerhaft beurteilt werden. Das schlägt auf die Anwendung der Mitunternehmergrundsätze im Steuerrecht durch und führt zu unüberzeugenden Ergebnissen541. Eine analoge Vorprägung lässt sich bei verbandsverfassten Innengesellschaften verzeichnen. a) Die zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerinitiative von Innenkommanditisten Die Mitgliedschaft des Innenkommanditisten, nicht erst die Reichweite der im Einzelnen ausverhandelten Rechte, ist für die „Initiative“ des still Beteiligten maßgeblich, wie bereits anhand einiger wichtiger Fragen nachvollzogen werden kann. Die Geschäftsführer einer GmbH & Still haben beispielsweise im Interesse der Innengesellschaft zu handeln. Konstruktiv umgesetzt wird dies, indem die stillen Kapitalanleger dienstvertraglich in den Schutzbereich der Geschäftsleiterverträge einbezogen werden542. Die Pflichteinhaltung kann von den Stillen im Klageweg erzwungen werden543. Ein anderes Beispiel: Sowohl Kontrollrechte, die sich auf Vorgänge bei der Komplementär-GmbH erstrecken, als auch Informationspflichten der Geschäftsleitung gegenüber den Anlegern sind heute für Kommanditisten und
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Siehe oben, S. 56 ff. BGH NJW 1995, 1353 (1357); dazu Karsten Schmidt, Festschrift Bezzenberger, S. 401 (411). 543 Ob die stillen Innenkommanditisten wengistens bei der mehrgliedrigen GmbH & Still gegen die Geschäftsführung eine actio pro socio anstrengen können, ist oft gefordert, aber bislang nicht entschieden worden, s. zuerst Karsten Schmidt, Festschrift Bezzenberger, S. 401 (411); zust. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 2, § 10 I 4, S. 881. Der BGH hatte bislang bei stillen Gesellschaftern, die durch eine Konsortialabrede untereinander verbunden waren, eine actio pro socio zwar abgelehnt, hielt aber die Mehrheit der stillen Gesellschafter auf Grund einer gewillkürten Prozessstandschaft für klagebefugt, BGH NJW 1995, 1353 (1355); s. Keul, Münchener Handbuch StG, § 72 RdNr. 18. 542
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stille Verbandsmitglieder weitgehend inhaltsgleich544. Die Frage, ob es ein über § 233 HGB hinausgehendes, umfassendes Auskunfts- und Einsichtsrecht für Innenkommanditisten gibt, war lange offen, ist aber zu bejahen, seit der BGH in den vergangenen Jahren analoge Rechte selbst für Treugeberanleger gewährt hat545. b) Das zivilrechtsvermittelte Mitunternehmerrisiko von Innenkommanditisten Noch erheblicher ist die Vorprägung des „Risikos“ von stillen Innenkommanditisten. Im Mittelpunkt des steuerrechtsdogmatischen Interesses steht die Abfindungsproblematik, also Fragen der Unternehmensbewertung, Anteilsberechnung, Abfindungsklauseln, ohne deren Berücksichtigung man gar nicht sagen kann, ob der stille Gesellschafter „wie ein Kommanditist“ am Vermögen beteiligt ist oder nicht546. Einfache stille Gesellschaften werden beendet, gekündigt oder aufgehoben, aber für Innenkommanditgesellschaften gelten die verbandsrechtlichen Regeln zum Ausscheiden von Mitgliedern sinngemäß547. Das lässt sich anhand der schon erwähnten Leitentscheidung des BGH veranschaulichen, nach der eine Klausel, die dem Geschäftsinhaber ein einseitiges Recht verleiht, die stillen Gesellschafter nach freiem Ermessen „hinauszukündigen“, unwirksam ist548. Der II. Zivilsenat begründet dies, wie gesagt, mit der strukturbezogenen Erwägung, dass die Anleger die Kapitalgrundlage der Unternehmung bereitgestellt haben und ihnen alleine, nicht der Handelsgesellschaft, das erwirtschaftete Ergebnis zustehe549. Am deutlichsten wird die zivilrechtliche Prägung des „Risikobereichs“ in der Unternehmenskrise. In ihrer gesetzlichen Gestalt erfüllt die stille Gesellschaft die strengen Ansprüche an gesellschaftsrechtliches Risikokapital nicht, die stille Einlage ist nach § 236 HGB Leihkapital. Für „Innenkommanditisten“ gilt bei allen wichtigen Aspekten – Nachrang, Ausschüttungsverbot, „materielles Eigenkapital“ – anderes. So ist nach dem BGH der Anspruch auf Rückzahlung einer stillen Einlage von einem 544
S. die Übersichten bei Karsten Schmidt, Münchener Kommentar, HGB, § 233 RdNr. 18 f.; Erhardt/Seffer, Münchener Handbuch StG, § 81 RdNr. 1 ff. 545 S. BGH NJW 2011, 921 = JuS 2011, 361 m. Anm. Karsten Schmidt. Auch ein gesteigerter Informationsfluss durch kollektive Informationsrechte wie bei der KG, bei der die geschäftsführenden Organe das Kollektiv informieren müssen (s. dazu Karsten Schmidt, Informationsrechte in Gesellschaften und Verbänden, S. 68 ff.; Grunewald, Münchener Kommentar zum HGB, § 166 RdNr. 11 ff.), ist naheliegenderweise anzunehmen; bislang hatten Gerichte über die Frage nicht zu entscheiden; s. näher den Verf., Der „stille Verband“, S. 217 ff. 546 S. dagegen zum derzeitigen Ansatz der Steuerrechtsjudikatur oben, § 2. 547 Aus der Judikatur s. BGHZ 125, 74 ff.; BGH NJW 2013, 1060 (1061); BGH DB 2013, 2792 (2793); Überblick über die Rspr. bei Karsten Schmidt, ZHR 178 (2014), 1 (41 ff.); ders., Münchener Kommentar, HGB, § 235 RdNr. 63. S. exemplarisch zur Liquidation der verbandsverfassten Innengesellschaft zuletzt OLG Köln v. 26. 6. 2014 – 18 U 204/13 (unveröffentl.); OLG Hamburg ZIP 2015, 688 (689) m. zahlreichen Nachw. 548 BGHZ 125, 74 (78); s. dazu bereits oben, S. 91. 549 Wie zuvor.
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Innenkommanditisten entgegen § 236 HGB gemäß § 39 Nr. 5 InsO nur nachrangig in der Insolvenz geltend zu machen550. Bei der verbandsverfassten GmbH & Still besteht auch keine Freistellung der Stillen von den Kapitalschutzregeln der GmbH. Im Gegenteil, der stille Innenkommanditist trägt eine „Finanzierungsverantwortung“ wie ein Kommanditist bei der GmbH & Co. KG. Die Grundsätze für eigenkapitalersetzende Darlehen gelten im reformierten Bezugssystem (des MoMiG) fort. Das bedeutet: Gewährt ein Stiller neben seiner Einlage zusätzlich Darlehen, unterfallen diese den Kapitalersatzregeln und können ebenfalls im Rang des § 39 Nr. 5 InsO geltend gemacht werden551. Schließlich: Die stille Einlage des Innenkommanditisten ist Eigenkapital, und zwar, wie der Bundesfinanzhof in einer Grundlagenentscheidung gesagt hat, als „Teil der Eigenkapitalgrundlage einer als Geschäftsherrin beteiligten Kommanditgesellschaft oder GmbH“552. Der BGH geht so weit, dass er die stille Einlage als in der Insolvenz noch zu leistendes Haftkapital, sogenanntes „materielles Eigenkapital“ ansieht553. c) Folgerung Die handelsrechtliche Analyse von Organisations- und Vermögensverfassung der verbandsähnlichen Innengesellschaft zeigt also, dass Mitunternehmerinitiative und -risiko in erster Linie durch die Mitgliedschaft selbst determiniert sind. Ein still beteiligtes Mitglied hat eine zivilrechtlich vorgegebene Sonderstellung, unabhängig davon, ob es sich „atypische“ Vermögens- oder Verwaltungsrechte ausbedungen hat. Erkennt man diese Vorprägung, liegt ein Gleichlauf von Mitunternehmerschaft und Mitgliedschaft nahe. Das Mitglied ist „geborener“ Mitunternehmer. Diese Vorprägung durch die Mitgliedschaft in einem Innen-Verband lässt den Ansatz der Mitunternehmerjudikatur, nur auf einige ganz spezifische, „atypische“ Gesichtspunkte von Risiko und Inititative abzustellen, und die weiteren, aus der Mitgliedschaft folgenden Rechte und Pflichten zu ignorieren, nicht mehr plausibel erscheinen. Die Mitunternehmerjudikatur liefert kein einziges, von einem dogmatischen Standpunkt aus nachvollziehbares Argument dafür, warum die von ihr für maßgeblich erklärten Mitunternehmerkriterien im Rang vorgehen sollten. All dies spricht dafür, die verbandsverfasste Innengesellschaft als „andere Gesellschaft“ im Sinne von § 15 EStG und ihre Mitglieder stets als Mitunternehmer anzusehen.
550 BGHZ 193, 378 = NJW 2012, 3443. Konsequent, aber wenig folgenreich wäre es, von insolvenzbefangenem Eigenkapital (§ 199 S. 2 InsO) auszugehen, so in der Tat Karsten Schmidt, ZHR 178 (2014), 1 (45 f.). 551 BGH NZG 2013, 1385 (zu § 32a Abs. 3 S. 1 GmbHG a.F.). 552 BGHZ 107, 6 = BGH NJW 1989, 982. 553 Grundlegend bereits BGH NJW 1985, 1079 ff.; ausf. Darstellung und Kritik beim Verf., Der „stille Verband“, S. 231 ff.
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2. Vereinfachung des Rechts Ein solcher Theorierückbau bedeutete zugleich einen Ausweg aus den Anwendungsproblemen eines Mitunternehmerbegriffs, der nur noch mit Mitteln der Kasuistik begrenzbar ist. Ein einfaches Verständnis von „Mitunternehmerschaft“ erscheint wieder möglich, aber es darf, soll es akzeptanzfähig sein, keine neuen unlösbaren Anwendungsprobleme aufwerfen, bei denen die Sachfragen um „Risiko“ und „Initiative“ wiederkehren. Die zentrale Frage lautet dann, unter welchen Bedingungen eine Innengesellschaft als eine „andere Gesellschaft“ im Sinne des § 15 EStG angesehen werden kann. In dem Bereich der Judikatur gibt es dazu seit mehr als hundert Jahren eine Fülle von Aussagen. Das Preußische OVG hatte zu dem Fall, der Enno Becker zu seiner Mitunternehmertheorie inspiriert hat, den stillen Gesellschaftern die Gewinne als gewerbliche Einkünfte zugewiesen, wenn der handelsrechtliche Geschäftsinhaber in Wahrheit als „Beauftragter auf Rechnung und Gefahr sämtlicher Beteiligter“ handelte. Dann sei das Kollektiv der stillen Teilhaber der „wirkliche Inhaber“ des Betriebs554. Die Aussagen des BFH zur Frage, warum die „atypische stille Gesellschaft“ als Subjekt im Steuerrecht anzuerkennen sei, liegen auf der gleichen Linie, wenn es darauf ankommen soll, ob der Inhaber „für fremde Rechnung“ oder „wie ein Organ“ für den „wahren Inhaber“ handelt555. Entscheidet man sich, eine solch einfache Bedeutung von stiller Mitunternehmerschaft als ein gesellschaftsbezogenes Phänomen zu akzeptieren, wird es leichter, die gegenwärtig schwierigen Abgrenzungsprobleme zu lösen. Das gilt unabhängig von den Einzelheiten der steuerrechtlichen Begriffsbildung, die nicht zum Gegenstand der Betrachtung gehört. Denn die vereinfachende Wirkung liegt in erster Linie in der Realtypik. Die fiduziarische Stellung des Geschäftsinhabers, die auf eine „wahre Inhaberschaft“ der Innengesellschaft hinweist, ist fast stets leicht zu erkennen556. Die Vereinfachung fängt mit diesem Schritt erst an. Ein weiterer Vorzug: Es ist von einem gesellschaftsbezogenen Blickwinkel aus – und nur von dort aus – möglich, eine insgesamt gleichheitsgerechte Ausdifferenzierung der Kasuistik zwischen echten Verbandsmitgliedern und allen übrigen verbandslosen, rein schuldrechtlichen Beteiligungsformen zu erreichen. Die gegenwärtige Unterscheidung zwischen partiarischen Krediten, rein obligatorischen stillen Gesellschaften und Genussrechten beruht dagegen, wie geschildert, nicht auf benennbaren Sachverhaltsunterschieden557. Sie erscheint bloß terminologisch, wirr und willkürlich. Geht man zu einem strukturbezogenen – dem ursprünglichen – Verständnis von Mitunternehmerschaft 554
PrOVG v. 26. 6. 1907 – Rep. E VI. 6, 7/07 – OVGSt. 13, 168 (172 f.). Vgl. BFH v. 15. 10. 1998 – IV R 18/98 – BFHE 187, 250 (256). 556 Exemplarisch sind sowohl die älteren Urteile des BGH (s. etwa Fn. 536), aber in gleicher Weise auch die jüngsten Urteile zur „Innen-KG“ in der OLG-Judikatur (Fn. 537). Die Vorarbeiten für eine steuerrechtliche Begriffsbildung finden sich bei Karsten Schmidt, ZHR 178 (2014), 1 (21 f.) und dem Verf., Der „stille Verband“, passim. 557 S. näher oben, S. 61 ff. 555
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über, entfallen solche Differenzierungsversuche: bloß obligatorisch Beteiligte sind niemals Mitunternehmer. Die bisherigen Abgrenzungsfragen im Bereich des schuldrechtlichen Beteiligungskapitals entfallen.
IV. Rückbezug zur Ausgangsfrage nach einem verbleibenden Theoriebereich einer Mitunternehmerdoktrin Angesichts dieses Befundes wird die Frage nicht zu vermeiden sein, ob sich von einem verbleibenden Theoriebereich, der sinnvollerweise nur von der Mitunternehmerdoktrin besetzt werden kann, heute überhaupt noch sprechen lässt. Im Rückblick erscheint die Mitunternehmerdoktrin von 1925 als ein Notbehelf aus der Verlegenheit, dass ein verbandsähnlicher Zusammenschluss stiller Gesellschafter nach der Handelsrechtsdogmatik als Nebeneinander zweigliedriger, kreditähnlicher Verhältnisse aufzufassen war. Heute ist eine Neubeurteilung der Problematik möglich und sinnvoll. Sie kann ohne Weiteres durch eine Theorierückbildung auf die ursprüngliche Bedeutung der Mitunternehmerschaft geschehen. Eine Rückkehr zum ursprünglichen Bedeutungsgehalt heißt nicht: ein ganz und gar vereinfachtes Verfahren, ein der digitalen Schnellprüfung zugängiger „Einfachbegriff“ des Mitunternehmers, sozusagen eine universelle Schablone für den „wirtschaftlichen“ Vergleich jedweder individueller Rechte stiller oder anderer schuldrechtlicher Beteiligter. Sie bedeutet stattdessen: eine Umkehr der Denkungsart, welche die handelsrechtlichen Vorgegebenheiten akzeptiert und verbandsverfasste Innengesellschaften, die „Innenkommanditgesellschaften“, als „andere Gesellschaft“ im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG anerkennt. Deren Teilhaber sind stets „als Mitunternehmer“ anzusehen. Die Prüfung individueller Rechte auf Ebene der Teilhaber kann entfallen. Sobald man, wie Enno Becker und seither unsere Steuerrechtswissenschaft, die Problematik der virtuellen Rechtsträger dagegen durch die Frage aufzulösen versucht, ob der „atypische stille Gesellschafter“ kraft seiner „Mitunternehmerpersönlichkeit“ als „Mitinhaber des Betriebes“ erscheint, verlagert man das Problem auf die falsche Ebene und nimmt eine unterschiedliche Besteuerung von inhaltsgleichen schuldrechtlichen Beteiligungsformen (partiarische Kredite, Genussrechte, obligatorische stille Gesellschaften) in Kauf. Eine gleichheitsgerechte Problembehandlung lässt sich methodisch auf dieser Ebene nicht bewerkstelligen und wird bislang schlicht übersprungen. Sie wäre aber durchaus möglich, wenn nur verfasste Innenverbände als Mitunternehmerschaften anerkannt werden, alle bloß obligatorischen Beteiligungskapitalien dagegen stets Einkünfte aus Kapitalvermögen vermitteln. Damit löst sich der verbleibende Problemkern der Mitunternehmerlehre bei näherer Betrachtung weithin auf. Brigitte Knobbe-Keuk hat richtig gesagt: „Es ist
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nachdrücklich der – offensichtlich verbreiteten – Vorstellung entgegenzutreten, daß Rechtssicherheit durch das Festhalten an zwar überkommenen, aber systematisch nicht einzuordnenden Sätzen gewährleistet würde. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade dann, wenn die Rechtsprechung zur Erstarrung verurteilt und gezwungen ist, an systemwidrigen Gebilden, die ein immer größeres Eigenleben außerhalb des Systems entfalten, festzuhalten, entsteht Rechtsunsicherheit“558. Diese auf das Institut der Betriebsaufspaltung bezogenen Sätze Knobbe-Keuks formulieren angesichts der getrübten Aussicht auf eine große „Rechtsreform“ einen wichtigen Gedanken: Auch ungeschriebene, „richterrechtliche“ Grundsätze und Regeln, die eine rechtssichere, vorhersehbare und rational begründete Anwendung nicht gewährleisten, weil sich zu viel „Rechtsstoff“ über die Jahrzehnte „zufällig“ angesammelt hat, müssen zur Vereinfachung des Steuerrechts ausscheiden. Die Kritik KnobbeKeuks war noch nicht auf die Mitunternehmerdoktrin bezogen, da sie ihr gerade für das Problem der „atypischen stillen Gesellschaften“ unverzichtbar schien559. Angesichts der Dogmen- und Erkenntnisfortschritte im Steuer- und Zivilrecht seither ist es an der Zeit, auch die Vorherrschaft der Mitunternehmerdoktrin nach diesen Vorgaben zu hinterfragen. Es ist fast zu trivial zu sagen, dass eine trennklare Begriffskontur des „Mitunternehmers“ einen nicht zu ersetzenden Wert hat, aber gegenwärtig nicht gegeben ist. Heute gibt es durchaus einen Weg für die von KnobbeKeuk geforderte Rückbildung zufällig entstandenen, nicht mehr notwendigen Richterrechts. Eine solche Rückbildung lässt dann das Mitunternehmertheorem insgesamt überflüssig erscheinen.
§ 9 Möglichkeiten zu einer Hinwendung zu den freigelegten Sachfragen (Auswahl) Von diesen Problemen abgesehen gibt es eine Reihe von Sachfragen, auf die jede Rechtsordnung eine Antwort suchen muss, deren Beantwortung aber durch die Mitunternehmerjudikatur erschwert wird, worauf kurz einzugehen ist. Die Versuchung ist groß, über den Gegenstand der Analyse hinauszugehen, und die Erkenntnisse in rechtspolitische Vorschläge fortzusetzen. Das ist aber nicht das An558
Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 22 X 2 c, S. 869 f. S. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 9 II, S. 389: „Solange nur Gesellschafter von Gesellschaften mit Gesamthandsvermögen unter die Vorschrift des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG und deren Vorläufer gefaßt wurden, war denn auch der Mitunternehmer kein Thema. Zu einem Thema wurde der Mitunternehmer erst, nachdem die Rechtsprechung auch den atypischen stillen Gesellschafter unter § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG subsumiert hatte. Grund für die steuerliche Gleichstellung der atypischen stillen Gesellschaft mit der Kommanditgesellschaft war, daß es für die Besteuerung keinen Unterschied machen kann, ob Gesellschaftsvermögen vorhanden ist (…). Entspricht die vermögensmäßige Stellung des atypischen stillen Gesellschafters (…) derjenigen eines Kommanditisten, so ist in der Tat der atypische stille Gesellschafter als Mitinhaber des Betriebs anzusehen“. 559
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liegen dieses Buches. Stattdessen soll gezeigt werden, wie die Rückbildung der Mitunternehmerjudikatur es zuließe, über diese und andere Sachprobleme in Zukunft nochmals neu nachzudenken.
I. Differenzierte Rechtsfolgenrelevanz bei echtem unternehmerischem Handeln durch Gesellschafter Im deutschen Steuerrecht gibt es für die verschiedenen Funktionsziele und Aufgaben der Mitunternehmerdoktrin eine Einheitslösung. Rechtsfolgenorientierte Differenzierungen, beispielsweise für den Verlustausgleich, die Freibeträge oder den Steuersatz, sind ausgeschlossen. 1. Gegenentwürfe zu einer Einheitstheorie Um die darin liegende Problematik zu erkennen, ist es zweckmäßig, an die schon skizzierte Handelsrechtsdogmatik zu erinnern, welche in der Mitunternehmerschaft nicht ein Einheitsschema für disparate Fragen, sondern ein teleologisch determiniertes, genauer: ein streng normkontextbezogenes Rechtsphänomen erkennt560. Jedem Versuch, einen einheitlichen Mitunternehmerbegriff einzuführen oder sich sogar dem steuerrechtlichen Verständnis anzuschließen561, wird im Handelsrecht mit dem Hinweis auf die zu verschiedenen teleologischen Zusammenhänge begegnet. Es war beispielsweise aufschlussreich zu beobachten, wie der BGH nur denjenigen „mitunternehmerischen“ Kommanditisten562, der in einer „umfassenden Arbeits- und Haftungsgemeinschaft“ leitend tätig wird563, entgegen § 165 HGB dem Wettbewerbsverbot für Komplementäre unterwirft. Im kapitalgesellschaftsrechtlichen Zusammenhang hat dagegen ein „Unternehmergesellschafter“ schon aufgrund seiner Anteilsgröße und Vermögensrechte gesteigerte Pflichten für die Finanzierung der AG564. Die Zivilrechtswissenschaft lässt sich insofern offenbar von der Teleologie des Wettbewerbsverbots (gesteigerter Vertrauensschutz in Arbeitsgemeinschaften) oder der Eigenkapitalersatzregeln (Gläubigerschutz vor Risikoabwälzung durch die Nutznießer der Unternehmung) maßgeblich leiten565.
560
S. oben, S. 53 ff. S. zu dem Versuch Jungs oben, Fn. 320. 562 Vgl. BGHZ 89, 162 ff.; siehe dazu Becher, NJW 1961, 1999 f.; Löffler, NJW 1986, 223 ff.; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 165 RdNr. 3; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 V 1 b, S. 596; siehe allerdings auch BGH BB 1982, 267 (268). 563 Vgl. BGHZ 38, 306 (312). 564 S. oben, S. 55. 565 S. oben, S. 55 f. 561
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Eine Betrachtung der Verlustzuweisungsregeln in fremden Steuerrechten lässt den Nutzen einer Abkehr vom dogmatischen Einheitsdenken der Mitunternehmerdoktrin deutlicher werden. In anderen Rechtsordnungen wird die Möglichkeit der Verlustverrechnung an ein Mindestmaß an aktiver Tätigkeit geknüpft. In den U.S.A. beispielsweise, in denen nur gewerbliche Verluste mit anderen Einkunftsarten verrechnet werden können566, wird von Gesellschaftern zusätzlich eine material participation verlangt567. Die Anforderungen an die Mitarbeit sind erheblich568. Ähnliche Distinktionen von aktiven und passiven Gesellschaften gibt es im französischen und englischen Recht569. Man sieht, dass die Verlustverrechnungsart nicht notwendig der Klassifizierung der Einkunftsart folgen muss. Mit der Verknüpfung einer konkreten Rechtsfolge an ergänzende Anforderungen (marterial participation, active partners, activité professionnelle) gewinnt man ein erweitertes Differenzierungsvermögen. Man braucht das „materiell“ gerechte Fallergebnis nicht mit Hilfe von Schlagwörtern wie „Risiko“ oder „Initiative“ herbeiführen, sondern kann die Problemlösungen abstrakt und im rechtsfolgenbezogenen Kontext, z. B. der Verlustverrechnung, anhand überzeugender Kriterien festlegen. 2. Blockierung sinnvoller Differenzierungsversuche durch die Mitunternehmerdoktrin Mit solchen Theorieansätzen kann ein vom Mitunternehmergedanken beherrschtes Einkommensteuerrecht wenig anfangen. Auf den ersten Blick scheint die Mitunternehmerdoktrin gar keine nennenswerten Auswirkungen, jedenfalls kein notwendiges Hindernis für eine Distinktion zwischen aktiven und passiven Mitunternehmergesellschaftern zu bilden. Aber ein solches Konzept widerspricht dem Ansatz, welcher bereits einen Kommanditisten als mitaktive Unternehmerpersönlichkeit deklarieren will. Es müsste zudem in einem komplizierten, dreistufigen Prüfverfahren umgesetzt werden, denn die Verlustverrechnung wäre an die Eigenschaft als Gesellschafter, als Mitunternehmer und als aktives Mitglied geknüpft. Es ist insofern bezeichnend, aber auch verständlich, dass entsprechende Vorschläge in der Steuerrechtswissenschaft so gut wie gar nicht vorkommen. Daran, ob die fremden Differenzierungsversuche unter der Bezeichnung der Aktivität immer trennklar 566
§ 172 (a) IRC. S. zu den Beschränkungen nach § 469 IRC bei einer „passive activity“ näher Lipton/ Carman/Fassler/Schwidetzky, Partnership Taxation, S. 112. 568 Vgl. Tempt. Treas. Reg. § 1.1429 – 2T (e) (1); beispielsweise genügt eine Mitarbeit von mehr als 500 Stunden im Jahr oder ein Arbeitsbeitrag von mindestens 100 Stunden, wenn kein anderer Gesellschafter einen höheren Beitrag erbringt. 569 S. zum engl. Recht Sec. 103B ITA 2007 und zum französischen Recht Art. 151 nonies CGI. Für einen Überblick zu diesen Regeln s. Schön, Gedächtnissymposion Knobbe-Keuk, S. 139 (159 f.). Die Anerkennung als „associé qui exerce son activité professionelle“ führt erst dazu, dass ein Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf des Anteils für aktive Gesellschafter dem „régime des plus-value professionnelles“ unterliegt; Aufwendungen für den Anteilserwerb sind abzugsfähig, s. Gutmann, Droit fiscal des affaires, Rn. 270. 567
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gelungen sind, kann man sicher zweifeln570. Aber von der echten unternehmerischen Tätigkeit her zu denken (nicht von der rein fiktiven Gewerblichkeit der Kommanditbeteiligung) bedeutet eben auch, dass der Spielraum für den Gestaltungsmissbrauch und den Verlusthandel viel kleiner wird. Empfiehlt sich ein solcher Ansatz für das deutsche Recht? Offenbar ja, wie am Beispiel des Medienerlasses kurz veranschaulicht werden soll571. Die Einführung eines neuen Missbrauchsverbots in § 2b EStG hatte ausweislich der international einzigartig deutschen „Verlustzuweisungsindustrie“ offenbar nicht genügt. Die Beteiligung an Filmfonds zu Abschreibungszwecken sollte nach der Finanzverwaltung durch neue Anforderungen an die Mitunternehmerschaft (im Medienbereich) unattraktiv gemacht werden. Durch Normanwendung des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG sei „wegen der besonderen Konzeption der geschlossenen Fonds“ ein Anleger nur Mitunternehmer, wenn er die Filmproduktion aktiv überwache, mitbeeinflusse und mitverantworte572. Es genüge nicht, dies auf einen Beirat zu delegieren, dem der Initiator des Fonds oder seine Vertrauensleute angehören; auch die Zustimmung zu vorgelegten Konzepten sei nicht ausreichend573. Diese Einschränkungen mögen angesichts der Missbräuche verständlich sein. Aus der Sicht der Steuerrechtswissenschaft musste es unklar sein, was diese unbemerkte Annäherung an das Theoriemodell einer Zweiklassen-Mitunternehmerschaft noch mit einer Normanwendung zu tun habe574. Hierin einen legitimen und sinnvollen Denkansatz zur Weiterbildung der tradierten Theorie zu sehen, kam nicht in den Sinn. Blickt man von hier aus zurück auf die deutsche Entwicklung, lässt sich mit § 15a EStG (1980), dem alten § 2b EStG (1999) und § 15b EStG (2005) eine Verkettung von Pioniermodell und Nachfolgenormen erkennen, durch die ohne Infragestellung der dogmatischen Ursachen (Anerkennung des negativen Kapitalkontos, Mitunternehmerdoktrin) immer neue Missbrauchstatbestände dem Gesetz hinzugefügt werden575. Diese sollen dann die von der Dogmatik selbst geschaffenen Probleme korrigieren und letztlich überdecken.
570
Positive Beurteilung bei Lipton, 70 Taxes 427 (1992), S. 653 ff. BMF v. 23. 2. 2001 – IV A 6 – S 2241 – 8/01 – BStBl. I 2001, 175, geändert durch das Rundschreiben BMF v. 5. 8. 2003 – IV A 6 – S 2241 – 81/03 – BStBl. I 2003, 406. 572 So das Rundschreiben von 2003, wie zuvor, S. 2. 573 Wie zuvor. 574 S. statt vieler Zacher, DStR 2003, 1861 (1864 ff.). 575 S. für Nachw. oben, Fn. 475. 571
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II. Entprivilegierung von unentgeltlich erworbenen Mitunternehmeranteilen. Realsplitting bei Familienpersonengesellschaften Solche Verklärungseffekte erlauben es, den verbleibenden Nutzen der Mitunternehmerdoktrin in Frage zu stellen. Die Ablenkung von den wahren Sachproblemen kann beispielsweise auch bei der Beurteilung von Familienpersonengesellschaften nachvollzogen werden, bei denen Kinder mit schenkweise erfolgten Beteiligungen zu Mitunternehmern werden576. Auch hier werden die tieferen Sachprobleme nicht klar herausgearbeitet, sondern durch die Dogmatik verdeckt. Die Gestaltungsfreiheit des Steuerpflichtigen wird durch die richterlich geschaffenen Einbruchstellen in das Gesetz (Mitunternehmerdogma, Rechtsprechungsgrundsätze für Verträge mit Angehörigen) begrenzt, ohne dass das Parlament die Sachproblematik behandelt. Die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Sparkonstruktion erscheint dann fälschlicherweise als bloßes Subsumtionsergebnis, das aus der Anwendung von Rechtsprechungsgrundsätzen folgt. Aber warum sind die eingangs schon geschilderten Steuervorteile durch ein Splitting von Einkünften auf Ehegatten oder Kinder fragwürdig? Beschäftigt man sich mit der Entstehung der „künstlichen Konstruktionen“577, so wird man auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufmerksam, welche die Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern nach altem § 27 EStG wegen der Mehrbelastung durch den Progressionstarif für unvereinbar mit der Garantie des Art. 6 GG erklärt hat578. Der Beschluss ebnete den Weg zu dem beschriebenen, mit gestalterischen Mitteln zu erreichenden Kindersplitting. Seit geraumer Zeit ist der sozialpolitische Versuch wieder vordringlich, ein echtes Familiensplitting gesetzlich einzuführen579. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich das Problem deutlicher ab: Statt einer Auseinandersetzung mit der Sachfrage geht der BFH dazu über, den Mitunternehmerkindern die Mitunternehmerschaft abzusprechen580. Das ist sicher einfacher und lässt sich besser für situative Einzelfalllösungen nutzen. Aber das wahre Ordnungsproblem wird übersprungen. Später drängen die verfeinerten Grundsätze für die Verträge mit Angehörigen in den Vordergrund, aber die streng dogmenbezogene Herangehensweise ohne Diskurs über die eigentlichen Fragen im Hintergrund ändert sich nicht581.
576
S. schon eingangs, S. 15. Ludwig Schmidt, FR 1990, 649 ff. 578 BVerfGE 18, 97. 579 S. statt vieler Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, S. 164 ff.; für einen Überblick über den gegenwärtigen Diskussionsstand Tipke/Lang/Hey, Steuerrecht, § 8 RdNr. 103 ff. 580 Flume, DStR 1973, 618 (620) in Bezug auf BFH v. 4.8.1971 – I R 209/99 – BStBl. II 1972, 10. 581 S. oben, S. 79. 577
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Auf die Argumente für oder gegen ein Familiensplitting kann nicht weiter eingegangen werden. Entscheidend im Zusammenhang sind die erneut kaum überzeugenden Resultate der Doktrin, die hier ein okkasionelles Hilfsmittel gegen den Gestaltungsmissbrauch ist582. Als solches ist die Doktrin verzichtbar. Die Mitunternehmereigenschaft der Ehegatten oder Kinder lässt sich inzwischen ohnehin ziemlich präzise herbeiführen oder vermeiden. Bei den geringen Anforderungen an eine Mitunternehmerschaft wird es den gut beratenen Steuerpflichtigen überlassen, die Einkünftequelle zu splitten und die Bestimmung der Einkunftsart ihrer Familienmitglieder zu wählen583.
582
Ludwig Schmidt, FR 1989, 369. Die analoge Problematik ergibt sich bei der Gepräge-Regel des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, worauf Knobbe-Keuk, Festschrift Ludwig Schmidt, S. 741 (743), überzeugend hingewiesen hat. 583
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