Stadttor und Stadteingang: Zur Alltags- und Kulturgeschichte der Stadt in der römischen Kaiserzeit [1 ed.] 9783949189203, 9783949189180


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Stadttor und Stadteingang: Zur Alltags- und Kulturgeschichte der Stadt in der römischen Kaiserzeit [1 ed.]
 9783949189203, 9783949189180

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Susanne Froehlich

Stadttor und Stadteingang ZUR ALLTAGS- UND KULTURGESCHICHTE DER STADT IN DER RÖMISCHEN KAISERZEIT

Studien zur Alten Geschichte

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Studien zur Alten Geschichte Herausgegeben von Ernst Baltrusch, Peter Funke, Tanja Itgenshorst, Stefan Rebenich und Uwe Walter

Band 32

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Susanne Froehlich

Stadttor und Stadteingang Zur Alltags- und Kulturgeschichte der Stadt in der römischen Kaiserzeit

Verlag Antike

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Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2022 Verlag Antike, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Susanne Froehlich & Philipp Pilhofer mit LATEX Umschlagabbildung: Susanne Froehlich (Severus-Alexander-Bogen in Thugga) Umschlaggestaltung: disegno visuelle kommunikation, Wuppertal

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-949189-20-3

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Für Peter Pilhofer, den ἀνὴρ Μακεδών

Szenerie vor dem Stadttor. Umzeichnung eines kaiserzeitlichen Graffito aus Dura Europos. Dargestellt sind fünf Personen vor einer Stadtmauer (die Kreisstruktur im Zentrum ist von anderer Hand). Gut zu erkennen sind links eine glatt rasierte Person in Tunika und Mantel, die einen Turban trägt, daneben ein Bärtiger in Tunika, und rechts eine Person mit Turban und Schwert im Gürtel. Im Hintergrund ist eine hohe zinnenbewehrte Stadtmauer mit Türmen zu sehen. Zwischen zwei eng beieinanderstehenden Türmen ist das offene Stadttor dargestellt.

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Vorwort Als ich mit den Vorarbeiten zu diesem Buch begann, war Europa ein fast grenzenfreier Raum. Diese Situation änderte sich 2015, als plötzlich in vielen europäischen Staaten Zäune und Mauern errichtet wurden, um unerwünschte Migration zu verhindern. Auch in Deutschland gab es Politikerinnen, die die Grenzen mit Waffengewalt verteidigen lassen wollten. Ein grundsätzliches Umdenken ist nicht in Sicht: An der polnischen Grenze zu Belarus, wo derzeit hunderte Flüchtlinge ausharren, spielen sich der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl zufolge Szenen ab, „die undenkbar sein sollten für Europa im 21. Jahrhundert“. Im Frühjahr 2020 war es dann unversehens selbst mit einem deutschen Paß in der Tasche nicht mehr möglich, ins Ausland zu reisen. Die Pandemie beschränkte die Mobilität jedes einzelnen in einer Weise, die noch Wochen vorher für undenkbar gehalten worden wäre – Strände, Inseln und ganze Bundesländer wurden für den Publikumsverkehr gesperrt und Kinderspielplätze mit Flatterband abgezäunt. Freie Mobilität, so haben wir gelernt, ist auch in Europa nicht der historische Normalfall, sondern eine stets fragile Errungenschaft. Das Thema der vorliegenden Studie, in der es um Grenzen, Schwellen, Tore und Zugänge geht, ist damit von unerwarteter Aktualität. Es handelt sich um eine überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift „Stadttor und Stadteingang. Ein Beitrag zur Alltags- und Kulturgeschichte der kaiserzeitlichen Stadt“, die im Juni 2021 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen als Habilitationsleistung im Fach Alte Geschichte angenommen wurde. Den Gutachtern Karen Piepenbrink, Boris Dreyer und Helmut Krasser gilt mein ganz herzlicher Dank für ihre vielfältigen weiterführenden Hinweise, die in die Druckfassung eingeflossen sind. Auch seiner Genese nach ist dieser Band vor allem ein Gießener Produkt, dessen Entstehung nicht zu denken ist ohne die inspirierende Atmosphäre am Fachbereich 04 der JLU. Den Kolleginnen und Kollegen möchte ich für ihr Interesse an einem epochen- und fächerübergreifenden Austausch von Herzen Dank sagen. Namentlich anzuführen ist Wolfram Martini (†), von dem ich viel gelernt habe, wann immer ich mit ihm archäologische und historische Probleme des Stadttors erörtern durfte. Anja Klöckner lud mich ein, urbanistische Aspekte meines Projekts in ihrem Kolloquium „Neue Funde und Forschungen“ zu präsentieren. Helmut Krasser und Peter von Möllendorff gaben mir die Gelegenheit, meine Überlegungen im altphilologischen Forschungskolloquium zur Diskussion zu stellen, und haben mir in verschiedenen Zusammenhängen wertvolle Anregungen gegeben. Auch beim interdisziplinären Gießener Arbeitskreis „Antike und Mittelalter“ durfte ich meine

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viii

Vorwort

Arbeit vorstellen. Matthias Schmidt hat mich auf zahlreiche einschlägige Stellen nicht nur im Neuen Testament aufmerksam gemacht. Mit Stefan Tebruck dachte ich in mehreren langen Gesprächen über Stadttore in Antike und Mittelalter und über die Anwendbarkeit der security studies auf diese Epochen nach. Zu nennen ist schließlich der über viele Jahre hinweg fast täglich geführte produktive Austausch mit meinen latinistischen Kollegen Helge Baumann und Wiebke Nierste. Ganz besonders aber habe ich meiner früheren Gießener Chefin Karen Piepenbrink zu danken. Mein Habilitationsprojekt hat sie von Anfang an nach Kräften unterstützt und war nie um guten Rat verlegen. Dabei hat sie mir in großzügiger Weise die Zeit für eigene Forschungen eingeräumt und die Freiheit zu eigenen Wegen gelassen, wofür ich ihr zu größtem Dank verpflichtet bin. Für ihr Interesse an meinem Vorhaben, für hilfreiche Hinweise und Unterstützung in verschiedenen Arbeitsstadien und für die Möglichkeit der Einsichtnahme in noch unveröffentlichte Manuskripte möchte ich außerdem Christfried Böttrich, David Breeze, Kai Brodersen, Julia Doroszewska, Daniel Emmelius, Johannes Hahn, Jan Meister, Nadine Metzger, Beat Näf, Gunnar Seelentag, Stephan Schröder, Cornelis van Tilburg, Gerhard Wirth und Nicola Zwingmann meinen herzlichen Dank aussprechen, und in langjähriger Verbundenheit besonders auch meinen beiden Doktorvätern, Hans-Joachim Gehrke und Eckhard Wirbelauer. Mein Dank gilt außerdem Ann-Cathrin Harders und Uwe Walter, Calum A. Maciver, Christoph Markschies, Jan Meister, Sven Page, Saskia Stevens, Claudia Tiersch und Aloys Winterling, die mich zu Gastvorträgen eingeladen haben, bei denen ich aktuelle Probleme meiner Arbeit vorstellen und Fertiges einer kritischen Prüfung unterziehen konnte. In der letzten Arbeitsphase habe ich dann insbesondere vom Austausch mit den altertumswissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen in Greifswald profitiert, die bei unserer wöchentlichen Runde das eine oder andere Griechisch-Problem mit mir gelöst haben oder ihre Einschätzung zu einem vertrackten Rechtstext geben konnten: Veronika Egetenmeyr, Dirk-Uwe Hansen, Andreas Hofeneder, Immanuel Musäus, Bernard van Wickevoort Crommelin und Michael Weißenberger. Mein Vorhaben wurde gefördert durch zwei Forschungsstipendien der Fondation Hardt, in deren Bibliothek in Vandœuvres ich mittlerweile insgesamt viermal die Möglichkeit zu ungestörtem Nachdenken und Schreiben genossen habe. Die Gießener Maria-und-Dr.-Ernst-Rink-Stiftung hat mehrere mit meinem Projekt zusammenhängende Reisen unterstützt. Im akademischen Jahr 2019/2020 hatte ich das Glück, ein Forschungsstipendium der Gerda Henkel Stiftung zu erhalten, um meine Arbeit abzuschließen. Auch die Druckkosten wurden großzügig von der Gerda Henkel Stiftung getragen. Allen Geldgebern sei herzlich gedankt. Beim Korrekturlesen haben mich Wiebke Nierste, Sibylle und Peter Pilhofer, Philipp Pilhofer sowie Rebecca Weidinger unterstützt. Philipp Pilhofer hat die Registervorlagen erstellt, diverse satztechnische Probleme gelöst und die gesamten Software-Anwendungen betreut, die zur Realisierung der Publikation benutzt

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Vorwort

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wurden. Kai Wendler vom Ingenieurbüro für Kartographie in Windsbach hat die beiden Karten gezeichnet, die auf dem Vor- und Nachsatz abgedruckt sind. Schließlich möchte ich den studentischen Hilfskräften danken, die unendliche Literaturbestellungen für mich aufgegeben, Bücher geschleppt und Scans angefertigt haben: Anna-Lena Ehrlich, Matthias Friemel, Alice Karkhiran-Khozani, Gonzalo Landau Brenes, Jonas Langer, Isabell Thiebach und Cornelius Volk. Ich freue mich, daß meine Schrift zur Publikation in den „Studien zur Alten Geschichte“ angenommen worden ist, und spreche dem Herausgebergremium und besonders Uwe Walter meinen besten Dank aus. Im Verlag Antike haben Kai Pätzke und Matthias Ansorge für einen reibungslosen Ablauf der Drucklegung gesorgt. Am Schluß möchte ich einen Bogen zurück zum Beginn meines Projekts schlagen. Die Idee, mich in meiner Habilitationsschrift mit dem römischen Stadttor zu befassen, verdanke ich meinem Vater Peter Pilhofer. Mit ihm konnte ich meine Überlegungen jeweils in statu nascendi besprechen, und er arbeitete sich akribisch durch so manche Manuskriptseite, um in olivgrüner Tinte seine Randbemerkungen beizusteuern. Daß wir das Interesse für die römische Kaiserzeit teilen, ist kein Zufall: Mein Vater hat mich seit frühester Kindheit auf entsprechende Ausgrabungen und Exkursionen mitgenommen und mir bei dieser Gelegenheit nach und nach alle vor Ort notwendigen Kniffe beigebracht, vom unerschrockenen Umgang mit Archäologenzäunen („Jeder Zaun hat irgendwo ein Loch“) bis hin zu nützlichen Redewendungen in der Landessprache („Ελληνικό σύστηµα, όπως λέµε έµεις οι ΄Ελληνες“). Später haben wir im roten Landrover Defender – mit dem Barrington Atlas und allen einschlägigen Inschriftenbänden im eingebauten Bücherregal – Expeditionen entlang der Via Egnatia oder im türkischen Hinterland unternommen. In Erinnerung an diese gemeinsamen Reisen ist das Buch meinem Vater gewidmet.

Greifswald, im Januar 2022

Susanne Froehlich

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Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.2

. . . . . . . . . . . .

1 3 4 4 4 10 11 11 12 15 17 17

. . . . . . . .

18 23

Teil 1: Das Stadttor in den Kulturen des Mittelmeerraums . . . . . . . .

27

1.3

1.4

1.5

2 2.1

2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 3 3.1 3.2

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitionen und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Stadttor und Stadteingang . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Urbs, continentia und suburbium in Stadtrom . . . . . Methodische Prämissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Plädoyer für methodische Vielseitigkeit . . . . . . . . 1.3.2 Multiperspektivische Historiographie . . . . . . . . . 1.3.3 Ein komparatistischer Zugang . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen und Ansprüche der Quellenarbeit . . . . . . 1.4.1 Übersicht über die benutzten Quellen . . . . . . . . . 1.4.2 Zur Problematik entkontextualisierter Zitate in einer historischen Argumentation . . . . . . . . . . . . . . Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . .

Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung der römischen Wehrarchitektur bis in die Kaiserzeit 2.1.1 Walltore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Mauertore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Bogenmonumente als Stadttore . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Städte hatten Mauern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wer entschied über die Errichtung von Mauern? . . . . . . . . . . . . Wer finanzierte Stadtmauern, Türme und Tore? . . . . . . . . . . . . Tore ohne Mauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gründe für die Errichtung von Stadtmauern und Stadttoren im Prinzipat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Stadttor in der Levante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Infrastruktur der altorientalischen Stadt . . . . . . . . . . . . . . Das Tor als städtische Institution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 30 30 31 32 33 33 37 39 43 45 51 52 56

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xii

3.3

4 4.1 4.2

4.3

Inhaltsverzeichnis

Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition . 3.3.1 Die Dynamik städtebaulicher Bedürfnisse in Gadara . . . . 3.3.2 Die Hauptstraße als lineares Forum . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Die Karawanenstation am Tor der kaiserzeitlichen Levantestadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Potentiale einer Langzeitperspektive . . . . . . . . . . . . .

. . .

60 61 72

. .

74 77

Das Stadttor in Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriegsführung und Mauerbau in archaischer und klassischer Zeit . . Befestigte Städte als offene Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Das Kontinuum von Stadt und Chora . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Ritus und Kultus im Übergangsraum . . . . . . . . . . . . . Pausanias als Chronist vorrömischer Stadttore und Mauern in den griechischen Städten des zweiten Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Stadtmauer: Sehenswürdigkeit aus vergangenen Zeiten . 4.3.2 Das Stadttor: Orientierungshilfe bei Spaziergängen durch eine sakralidyllische Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

79 79 85 86 88 91 92 97

Teil 2: Kontrollmodalitäten am Stadteingang . . . . . . . . . . . . . . . 105 5 5.1 5.2 5.3 5.4 6 6.1 6.2

6.3

6.4

Das Konzept von pax et securitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Securitas Augusti. Der Kaiser als Garant einer ubiquitären Sicherheit . Kriegszustand als Anachronismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht das geschlossene, sondern das offene Tor steht für Sicherheit . Persönliche Reisefreiheit: Eine Herausforderung für die öffentliche Ordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107 107 112 116

Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt . . . . . . . . . Städtische Sicherheitskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschließbarkeit von Stadttoren und nächtlicher Torschluß . . . . 6.2.1 Technische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Belege für geöffnete und für geschlossene Tore . . . . . . . Wachpersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Nachtwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Tagwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Wachlokale an und in Stadttoren . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Verschlossene und bewachte Tore im Prinzipat . . . . . . . Personenkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Mobilitätsrestriktionen für Personen und Personengruppen 6.4.2 Die Identifikation von Personen . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Sozialer Status und persönliche Vernetztheit als Faktoren .

123 127 130 130 133 136 137 138 141 142 144 145 148 158

. . . . . . . . . . . . . .

119

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Inhaltsverzeichnis

xiii

Ausblick: Die Bürokratisierung von Personenkontrollen ab dem vierten Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das umgehbare Stadttor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Militärisch besetzte stationes am Stadteingang . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Der archäologische und epigraphische Befund . . . . . . . . 6.6.2 Ein lieu de pouvoir: Machtdemonstration und Machtmißbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herstellung und Darstellung von Sicherheit am Eingang der Stadt . 6.4.4

6.5 6.6

6.7 7 7.1 7.2

159 161 166 169 171 173

7.3 7.4

Torgeld- und Zollerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Munizipale und kommissarische Zollerhebung an Stadttoren . . . . . Torzölle im ägyptischen Fayum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Am Stadttor zu entrichtender Hafenzoll (λιµὴν Μέµφεως) . 7.2.2 Zoll des Nomos Arsinoites (ρ καὶ ν ) . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Maut zu Sicherung der Wüstenstraße (ἴχνους ἐρηµοφυλακία) 7.2.4 Modellrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokalisierbare Torzollstationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zolldeklaration am Stadttor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177 178 181 183 184 185 186 187 192

8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6

Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang . . . . . Märkte und Warendepots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anlieferung und Schlachtung von Vieh . . . . . . . . . . Infrastruktur und Dienstleistungen für Reisende . . . . . . . . Außerhalb der Stadt angesiedelte Gewerbe und Einrichtungen Berufsleben an den Toren Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Momentaufnahme an der Porta Capena in Rom . . . . .

195 196 199 201 204 209 212

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

Teil 3: Verkehrs- und Kommunikationswege am Stadteingang . . . . . 215 9 9.1

9.2

9.3

Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das angebliche Tagfahrverbot in Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Normative Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Praktiziertes Verkehrsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokale Verkehrsregelung in den Städten des Römischen Reichs . . . 9.2.1 Literarische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Archäologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten zur Führung des Durchgangsverkehrs . . . . . . . . . 9.3.1 Der gesamte Verkehr geht durch das Zentrum der Stadt . . . 9.3.2 Das Forum wird ausgespart . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217 219 219 227 231 232 233 237 240 242 243 245

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xiv

9.4

Inhaltsverzeichnis

9.3.3 Ein verkehrsberuhigtes Zentrum . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Eine eigene innerstädtische Trasse für den Fernverkehr . 9.3.5 Umgehungsstraßen unmittelbar intra und extra muros . . 9.3.6 Umgehungsstraßen in größerer Entfernung zur Siedlung 9.3.7 Rom, eine Stadt ohne Durchgangsverkehr . . . . . . . . 9.3.8 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überlegungen zum Verkehrsaufkommen am Stadteingang . . . .

. . . . . . .

Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Das Stadttor im Straßensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Orientierung – Das Stadttor als Landmarke . . . . . . . . . 10.1.2 Raumorganisation – Das Stadttor als Verbindungsstelle . . 10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Ortsspezifische Kommunikationsmodalitäten im urbanen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Informationsfluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Das Tor als Medium und Aktant von Kommunikation . . 10.2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

247 249 249 250 250 251 253

. . . . .

257 258 260 263 268

. . . . .

269 270 272 276 280

10

Teil 4: Die Semantik des Stadttors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 11 Das Tor als liminaler Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Der Stadteingangsbereich als Schwellenraum . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Das Tor als Teil einer sakralen und sakralrechtlichen Grenze . . . . . 11.2.1 Nicht maßgeblich: Das Pomerium . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Das römische Stadtgründungsritual, die sanctitas der Mauern und der Status der Tore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Eine Grenze zwischen Lebenden und Toten . . . . . . . . . . 11.3 Kultpraxis am oder im Stadttor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Die östlichen Provinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Die westlichen Provinzen und Italien . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Apotropäische und magische Praktiken . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Das Stadttor als Ort persönlicher Religiosität? . . . . . . . . 11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Städtische Feste und Prozessionen . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Das adventus-Zeremoniell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.3 Der Triumph und die Frage nach der Porta Triumphalis . . . 11.4.4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283 286 292 292 293 296 297 297 300 302 307 310 312 313 315 323 329

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Inhaltsverzeichnis

12 Das Tor als Ort von Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Die Repräsentation der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Eine Manifestation von Macht . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Das Stadttor als Ausdruck von dignitas, urbanitas und romanitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.3 Identifikationsangebote und Memorialkultur . . . . . 12.2 Die Repräsentation führender Familien . . . . . . . . . . . . . 12.3 Herrscherbildnisse am Stadttor . . . . . . . . . . . . . . . . .

xv

. . . . 333 . . . . 335 . . . . 337 . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

339 342 345 349

13 Fiktionale Topographien des Stadtrands . . . . . . . . . . . . . 13.1 Das Imaginäre als Problem althistorischer Forschung . . . . . . . 13.2 Die Entfaltung städtischer Peripherien in der Literatur . . . . . . 13.2.1 Szenen eines attischen Alltags . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Romanbilder eines locus horridus . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Der imaginäre Stadtrand im historischen Kontext . . . . . . . . . 13.3.1 Städtebaulicher Wandel als Gentrifizierungsprozeß . . . . 13.3.2 Die Transformation der urbanen Landschaft Roms in der Satire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

355 355 360 361 371 376 377

. . 378 . . 383

Teil 5: Bilanz und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 14 Die Funktionen des römischen Stadttors . . . . . . . . . . . 14.1 Funktionen, die Stadttore in der Kaiserzeit nicht erfüllten . . 14.2 Kontrollstelle: Sicherheitspolitische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Verbindungsstelle: Infrastrukturelle, orientierunggebende und kommunikative Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Symbolort: Religiöse, rituelle und repräsentative Funktionen . 14.5 Der emotionale Wert des Stadttors . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . 387 . . . . 387 . . . . 389 . . . . 390 . . . . 390 . . . . 391

15 Am Tor der vormodernen Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Die antike Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Das Betreten der Stadt als kulturelle Praxis von der Antike bis zur Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Kontrolliert werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Waren deklarieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Streiten und warten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.4 Religion praktizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.5 Vor verschlossenem Tor stehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.6 Spezielle Umstände und besondere Anlässe . . . . . . . . . . 15.2.7 Ein Vorgang mit vielen Variablen . . . . . . . . . . . . . . .

393 394 395 396 397 398 398 399 400 401

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Inhaltsverzeichnis

15.3 Zum Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

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1 Einleitung Am Anfang dieser Arbeit standen einige einfache Fragen: Wozu wurden zu Zeiten der Pax Romana überhaupt noch Stadtmauern errichtet? Und wie kam man in eine römische Stadt hinein beziehungsweise aus ihr heraus? Hatte man sich am Stadttor auszuweisen? Waren die mitgeführten Gegenstände zu verzollen? Durfte man im Wagen in die Stadt fahren, oder mußte man zu Fuß gehen? Waren die Tore nachts verschlossen? Gab es einen Nachtwächter, der verspätet Ankommende einließ? Man könnte meinen, all diese Fragen zur Bedeutung von Stadttoren für das Alltagsleben in der römischen Kaiserzeit seien wohl schon in einem grundlegenden Artikel der Realenzyklopädie geklärt worden, einem Artikel, den mit Sicherheit Ludwig Friedländer verfaßt haben müßte – »Stadttor« ist ohne jeden Zweifel ein wunderbares Realium. Allein, diesen Artikel, und auch einen Artikel »Stadtmauer« findet man in der RE leider nicht. In neueren einschlägigen Werken wird man entsprechende Beiträge ebenfalls vergebens suchen.1 Lediglich in der online-Version der Encyclopedia of Ancient History ist seit 2019 ein Eintrag „City Gates, Roman“ vertreten.2 Innerstädtisch und außerstädtisch ist die Mobilität von Menschen und Waren mittlerweile vergleichsweise gut erforscht,3 aber darüber, was an der prekären Schnittstelle zwischen Stadt und Umland – den Stadttoren – passierte, wissen wir wenig.4 Bisher erschienene Beiträge zum römischen Stadttor behandeln, sofern es um die republikanische Zeit oder die Spätantike geht, vor allem fortifikatorische Aspekte; zur Kaiserzeit wurden bau- und kunstgeschichtliche Studien publiziert, die Ehrenbögen und darunter auch solche am Stadteingang untersuchen.5 Arbeiten 1 2 3

4

5

So etwa im ANRW. Der Neue Pauly weist immerhin in den archäologischen Artikeln „Toranlagen“ und „Befestigungswesen“ einige wenige Zeilen zum römischen Stadttor auf. V T 2019. Der Artikel bietet einen knappen Überblick zur typologischen Entwicklung der römischen Mauertore bis ins dritte Jahrhundert. Unter den neueren Publikationen sei verwiesen auf M 2000, P 2006,  T 2007, G 2010, D 2011, L 2013, Z 2017, C 2021, H 2021, W-H 2021 sowie die Sammelbände O/S 2002, M 2004, M/K 2007a, M 2008, O/S 2014,  L/T 2016 und B/F 2018 mit zahlreichen einschlägigen Beiträgen. Für die Frühneuzeit dagegen liegen mittlerweile vor: S 1997, O 2013, J 2014 und J 2015, 209–251. An einer Habilitationsschrift zum Stadttor im Mittelalter arbeitet Gerrit Deutschländer. Siehe ferner den epochenübergreifenden Sammelband M-F/ D/G 2006. Dennoch gilt in bezug auf die gesamte europäische Vormoderne: „[W]e know relatively little about the experience of entering a walled city and the various procedures and problems related to passing through a gate“ (J 2015, 210). S 1909; M 1923; R 1933; K 1942; B 1988;  H 1992;  H 1994; W 2000; B 2006; J 2009; L/S

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2

1 Einleitung

zum römischen Stadttor, die historische Fragestellungen behandeln, liegen nicht vor. Diese Lücke will die vorliegende Untersuchung schließen, die sich als ein Beitrag zur Alltags- und Kulturgeschichte der kaiserzeitlichen Stadt versteht. Gegenüber der Betrachungsweise in anderen Studien zur antiken Mobilität liegt eine Besonderheit dieses Buches darin, daß von beiden Teilen der kaiserzeitlichen Bevölkerung, dem reisenden und dem nicht reisenden, die Rede sein wird. Die einschlägige Forschung hat sich üblicherweise auf die erstgenannte Gruppe konzentriert, auf jene Personen, die Greg Woolf als movers bezeichnet hat. Die stayers dagegen, jene, die ortsgebunden nur in ihrer nächsten Umgebung mobil waren, kommen in Arbeiten zur Mobilität allenfalls am Rande vor (was in der Sache selbst begründet ist, da ihre Geschichte zum Thema wenig beiträgt). Dabei machten Personen mit einem lokal begrenzten Bewegungsradius den weitaus größten Teil der kaiserzeitlichen Bevölkerung aus, wie Woolf ausführt: „Rather than a generalised mobility, I suggest the ancient world was characterised by a minority of movers – travelling back and forth along well defined migration streams – and a majority of stayers inhabiting small worlds even if they were aware of the larger one to which their visitors connected them and into which some of their members might occasionally depart, for a while or for ever.“6 Während also nur vergleichsweise wenige Menschen weitere Reisen unternahmen und zum Beispiel eine Fahrt auf einem großen Handelsschiff erlebten,7 war das Passieren der Stadttore demgegenüber ein alltäglicher Akt nicht nur für jeden Reisenden im Römischen Reich, sondern auch für die vielen anderen, die lediglich einmal ihren Garten vor der Stadt versorgen gingen oder die Schwester im Nachbarort besuchten. Auch diese Form von Mobilität wird im folgenden in den Blick genommen. Es soll gezeigt werden, daß die Modalitäten des Eintritts in eine Stadt innerhalb des Römischen Reichs weit weniger einheitlich waren, als bislang angenommen wurde. Die unterschiedlichen regionalen Traditionen, an die der kaiserzeitliche Städtebau anknüpfte, führten bereits zu einer sehr heterogenen urbanistischen Situation. Hinzu kamen voneinander abweichende stadtplanerische Prioritäten, aber auch eine regional zu differenzierende Sicherheitslage und unterschiedliche Zollbestimmungen. Das geregelte Betreten oder Verlassen einer Stadt konnte sich

6

7

2010; darüber hinaus wäre an die zahlreichen Untersuchungen zu einzelnen Städten bzw. Monumenten zu denken wie beispielsweise B 1995 und L 2011 zu den Stadttoren von Rom. Vgl. W 2016, 457. Woolf schätzt anhand der Schiffskapazitäten, daß jährlich nur etwa ein Promille der Gesamtbevölkerung Fernreisen unternahm (459 f.); im inschriftlichen Befund der Kaiserzeit erweisen sich etwa fünf Prozent der Personen als explizit ortsfremd (457). Vgl. auch R 2017, 108–111. Zum Erlebnis der Schiffsreise in der Römischen Kaiserzeit siehe den Sammelband B/ F 2018 mit zahlreichen einschlägigen Beiträgen.

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1.1 Eingrenzung

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daher deutlich komplizierter und zeitaufwendiger gestalten, als die kaiserzeitlichen Autoren es suggerieren, bei denen das offene Tor am Eingang der Stadt paradigmatisch die Realität der Pax Romana zum Ausdruck bringt. Ich vertrete die These, daß die Stadttore selbst keineswegs rein dekorativ oder nur symbolischen Charakters waren. Sie hatten, wie detailliert argumentiert werden soll, im Gegenteil diverse und teils auch widersprüchliche Funktionen zu erfüllen. Damit spielten sie in der städtischen Kultur der Kaiserzeit eine nicht unbedeutende Rolle. Je nach Kontext läßt sich das Stadttor als Ort von Sicherheit, von Kommunikation, von Liminalität, von Inszenierung und Repräsentation, als Wegmarke, als symbolischer oder als kommemorativer Ort begreifen. Auch fiktionale Entwürfe, die den Stadteingang als einen imaginären Ort zeichnen, sollen untersucht werden. Ich werde also nicht bei konkreten alltagsgeschichtlichen Problemen der Praxis an römischen Stadttoren stehenbleiben, sondern im Sinne eines kulturgeschichtlichen Ansatzes die unterschiedlichen Deutungsmuster in den Blick nehmen, die das Stadttor als Eingang und Ausgang einer Stadt betreffen. 1.1 Eingrenzung Das Material zum kaiserzeitlichen Stadttor ist disparat, heterogen und insgesamt spärlich. Es erwies sich daher als notwendig, den Rahmen der Untersuchung räumlich wie zeitlich weit zu fassen: Ihr Gegenstand sind Stadttor und Stadteingang im gesamten Römischen Reich. Der zeitliche Schwerpunkt reicht von der augusteischen Epoche bis ins dritte Jahrhundert, wobei in manchen Fragen bereits die spätrepublikanische Zeit einbezogen wird und in anderen bis in die Spätantike ausgegriffen werden kann. Wer unter solchen Umständen forscht, sieht sich mit einer Fülle von Einzelfällen und Einzelproblemen konfrontiert, und das heißt mit Quellen unterschiedlichster Gattung und Provenienz, die es für eine historische Argumentation zu erschließen gilt. Werden im einen Fall hilfswissenschaftliche Spezialkenntnisse verlangt, gilt es in anderen Fällen, die archäologische oder literaturwissenschaftliche Forschung zu rezipieren.8 Die Gefahr der Verzettelung ist angesichts dessen zweifellos immens, und so hat sich die Verfasserin für eine multiperspektivische, dabei aber stets exemplarische Herangehensweise entschieden. Exemplarisch kann hier freilich nicht heißen, sich auf die Verhältnisse in Rom oder Italien zu konzentrieren in der festen Annahme, daß die dabei gewonnenen Erkenntnisse allgemeine Gültigkeit haben werden. Die Stadt Rom muß bei Fragen, die das ganze Reich betreffen, immer als ein Sonderfall gelten – ein überaus wichtiger und wirkmächtiger natürlich, aber eben doch als ein Sonderfall, der mitunter wenig über die Situation in den Provinzen aussagt. So 8

Zu den benutzen Quellen und den Schwierigkeiten ihrer historischen Interpretation siehe den eigenen Abschnitt unten, 17–23.

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1 Einleitung

werden wir uns im folgenden häufig in Rom selbst bewegen, aber eben auch in gallischen, spanischen, griechischen oder syrischen Städten. Da die vorliegende Untersuchung nicht beansprucht, enzyklopädisch alles zu erfassen, was mit kaiserzeitlichen Stadttoren in Zusammenhang steht, wurde auf manches bewußt verzichtet. Die Fülle des vorhandenen archäologischen Materials etwa wird nur in Form von Fallbeispielen in die Argumentation mit einbezogen, ohne daß ein eigener Systematisierungsversuch ins Auge gefaßt wäre. Auch in bezug auf das semantische Potential des Stadttors werden nur ausgewählte Gesichtspunkte vertiefend diskutiert. 1.2 Definitionen und Begriffe 1.2.1 Stadt Wenn wir den Gegenstand der Arbeit näher bestimmen, so ist zunächst die Frage zu klären, was in der römischen Kaiserzeit überhaupt als Stadt anzusprechen ist. Unter einer Stadt verstehe ich im folgenden einen Zentralort. Ich orientiere mich diesbezüglich am administrativen Status eines Ortes als civitas, municipium oder colonia. Eine trennscharfe Abgrenzung gegenüber Siedlungsformen mit anderem Rechtsstatus wie städtisch ausgestatteten Kastellvici ist nicht immer sinnvoll möglich, zumal wenn sie im Verlauf des Betrachtungszeitraums zu coloniae erhoben wurden. Reine Militärlager werden jedoch im folgenden ebensowenig berücksichtigt wie Siedlungen dörflichen Charakters. Auf eine inhaltliche Differenzierung von Städten nach antikem Rechtsstatus wird verzichtet, sofern sich daraus keine aussagekräftigen Unterschiede ergeben (so ist zum Beispiel für die Verkehrsregelung am Stadteingang nicht der Status der Siedlung entscheidend, sondern andere Faktoren wie Topographie, Nähe zu den Reichsgrenzen und regionale Traditionen). 1.2.2 Stadttor und Stadteingang Der Definition eines Stadttors werden in der Regel bauliche Kriterien zugrundegelegt. Als Stadttore gelten gemeinhin Straßendurchlässe in der Wehrmauer einer städtischen Siedlung.9 In der römischen Kaiserzeit waren sie in der Regel als Durchgangstore mit einem oder mehreren Bögen gestaltet, seltener als Torburgen mit einem Innenhof. In beide Typen von Stadttoren konnten seitliche Türme integriert sein.10 Die Tore einer Stadtmauer lassen sich nun erstens von Mauerpforten ohne Straßenanbindung unterscheiden, zweitens von Toren in Burg- oder Lagermauern,

9

10

Vgl. etwa B 1988, 2: Ein Stadttor ist „ein formal und funktional spezifischer Bautyp aus dem Bereich der Wehrarchitektur [. . . ], der als Durchlaß durch die Wehrmauer einer städtischen Siedlung fungiert.“ Siehe dazu die unten, 30–33, gebotene ausführlichere Darstellung.

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1.2 Definitionen und Begriffe

5

und drittens von freistehenden Bogenmonumenten. Diese letztgenannte Differenzierung ist in unserem Kontext besonders wichtig, da bei einer typologischen Betrachtungsweise die zahlreichen Bogenmonumente, die die Eingänge kaiserzeitlicher Städte markierten,11 nicht als Stadttore anzusprechen wären. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt jedoch nicht auf der Architektur, sondern auf der Funktion von Stadttoren, und diese Funktion war im betrachteten Zeitraum nicht an das Vorhandensein einer Mauer gebunden. Stadttore hatten in der Kaiserzeit nicht in erster Linie fortifikatorische Aufgaben zu erfüllen. Ich gehe daher grundsätzlich davon aus, daß freistehende Bogenmonumente alle typischen Funktionen eines Stadttors übernehmen konnten.12 Als »Stadttore« werden in diesem Buch Tore und Bögen an Ausfallstraßen bezeichnet, die ihrer Funktion nach den Eingang und Ausgang einer Stadt markierten. Sie waren nicht zwingend Teil einer Stadtmauer. Bögen im innerstädtischen Straßenverlauf oder Tore an Burgen, Militärlagern, an Außen- oder Provinzgrenzen sind damit nicht Gegenstand dieser Studie. Auch die Hafentore einer Stadt sind als gesondertes Phänomen zu betrachten, da ihnen die Anbindung an das überregionale Straßensystem fehlte. Aufgrund der engen Parallelen, was die Funktion als Ein- und Ausgang der Stadt betrifft, werden Befunde von Hafentoren aber vergleichend herangezogen. Um meine Definition zu begründen, ist etwas weiter auszuholen. Römische Städte hatten nicht ein einziges Stadttor, sondern mehrere; idealtypisch waren es mindestens vier, eines für jede Himmelsrichtung. In historisch gewachsenen Städten kam es darüber hinaus nicht selten vor, daß gleich mehrere Stadttore entlang einer einzigen Zugangsstraße zu finden waren, welche im Laufe der Zeit mit den veränderten Bedürfnissen einer größer (oder kleiner) werdenden Stadt entstanden. Wenn Stadttore Innen und Außen definierten – und dies nicht nur physisch, sondern auch in rechtlicher, administrativer, wirtschaftlicher, verkehrstechnischer, religiöser, psychologischer und symbolischer Hinsicht13 –, dann liegt eine Beson11

12

13

Bogenmonumente am Stadteingang sind in allen Provinzen gleichermaßen nachgewiesen. Vollkommen irrig ist daher die Annahme van Tilburgs, Stadttore im Westen des Reiches seien ausschließlich Mauertore, im Osten ausschließlich freistehende Bögen ( T 2007, 90– 107). So auch B 2006: Bogenmonumente konnten „aufgrund spezifischer Entwicklungen im Römischen Reich die den Stadttoren zugeschriebenen Funktionen übernehmen“ (131), dies „zumindest symbolhaft“ (132). Bührig hält dennoch weiter an der typologischen Bezeichnung Bogenmonument in Unterscheidung zum eigentlichen Stadttor fest. Treffender ist der von K 1996, 163 geprägte Ausdruck eines „freistehenden Stadttor-Monuments“. G 2007, 65, urteilt, daß Bogenmonumente als Grenzmarkierung nahezu „as city gates without a wall“ fungierten. Pierre Gros verweist auf die „autonomie architecturale“ freistehender Stadttore, die unabhängig vom Vorhandensein einer Mauer die Stadtgrenze sichtbar machten; eine Unterscheidung zwischen Stadttoren und Ehrenbögen sei daher in der Kaiserzeit schwierig (G 1996, 27). Zur visuellen Zeichenhaftigkeit des Bogens und der Benutzung von Bogenkonstruktionen im Stadttorbau siehe B-E 2016, 285 f. In diesem Sinn auch die Aufzählung bei K 2011, 53, wo es freilich nicht um Stadttore, sondern um Stadtmauern in der Kaiserzeit geht.

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6

1 Einleitung

derheit der römischen Kaiserzeit darin, daß eine solche Dichotomie zugunsten eines abgestuften Übergangs zwischen Innen und Außen aufgebrochen wurde. Mittels einer Staffelung von gleich mehreren hintereinanderliegenden Torbögen am Stadteingang ließen sich verschiedene Qualitäten und auch unterschiedliche Grade von Urbanität bezeichnen.14 Typische Funktionen eines Stadttors verteilten sich in solchen Fällen auf mehrere Bauwerke entlang einer Zugangsstraße. Da dieser Sachverhalt für mein Verständnis von »Stadttoren« zentral ist, sei er anhand eines Beispiels aus der Stadt Rom näher erläutert. (Siehe dazu im folgenden die Karte auf S. 8 f.) Ein Reisender, der zu Beginn des ersten Jahrhunderts aus nordöstlicher Richtung kommend auf der Via Tiburtina15 nach Rom wollte, gelangte zunächst an die Aqua Julia, einen Aquädukt, der den Straßenverlauf kreuzte und dessen Bogen für den Ankommenden ähnlich wie ein Stadttor gewirkt haben mag. Augustus hatte den Aquäduktbogen, der die Straße überspannte, in einer repräsentativen Durchgangsbreite von 5,5 Metern ausbauen lassen.16 Der Reisende ging dann durch die vergleichsweise locker besiedelte Gegend am Fuß des Esquilin, in der sich weitläufige Parkanlagen befanden, namentlich die berühmten horti des Maecenas, die mittlerweile dem Kaiser gehörten. Die Straße war in diesem Abschnitt gesäumt von hohen stuckierten Feldsteinmauern.17 Man passierte den alten Tempel der Todesgöttin Libitina,18 einst das Herzstück der früher hier gelegenen Nekropole: Noch immer standen Grabbauten zwischen den niedrigen Wohnblöcken. Schließlich kam man in das dicht bebaute Gebiet um das republikanische Stadtmauertor, die Porta Esquilina. Hier befanden sich Gasthäuser, Werkstätten und große Bäckereien mit eigenen Getreidemühlen. Die sogenannten servianischen Stadtmauern waren in diesem Abschnitt noch weitgehend erhalten. Nach Norden verlaufend begann an der Porta Esquilina der Erdwall (agger),19 welcher freilich längst nicht mehr fortifikatorischen Zwecken diente, sondern als beliebte Promenade.20 Das alte 14

15

16

17 18 19

20

Das greift auf, was G 2007, 65, als Methoden zum Markieren von Grenzen aufführt: Mauern, Grenzsteine, Richtungswechsel von Hauptstraßen, natürliche topographische Gegebenheiten wie einen Flußlauf, Ecken eines orthogonalen Straßenrasters und eben Monumentalbögen. Die im folgenden skizzierte bauliche Situation der Via Tiburtina orientiert sich an M/ B 2011, passim. Vgl. auch die Beschreibung der Route eines fiktiven Reisenden in die Gegenrichtung bei P 1987, 187–189, die im Jahr 55 angesiedelt ist. Der Bogen wurde im Jahr 270 in die aurelianische Stadtmauer integriert und blieb als zweites Bogenmonument direkt hinter der Porta Tiburtina stehen. Zur Monumentalisierung von Aquäduktbögen unter Augustus siehe auch C-S 2004, 41. Dazu P 1987, 188. Zum Charakter dieser Gottheit siehe W 1998, 13–16. Den Agger beschreibt Strab. V 3,7 (p. 234C). Zum Aufbau der republikanischen Verteidigungsanlage mit einem 30 Meter breiten Wall, der zwischen 5 und 10 Meter breiten Mauer und einem vorgelagerten Graben von 30 Metern Breite und 10 Metern Tiefe siehe L 2011, 41–50, sowie Filippo Coarellis Beitrag in B 1995, hier 16–20. Zum Verlauf des Agger siehe W 1998 (mit Kartenmaterial). Folgt man Juvenal, der freilich einige Dekaden später schreibt, so waren auf dem Agger Wahrsager und Schausteller anzutreffen: In Sat. 6,588 erwähnt er, daß man auf dem Agger sein zukünftiges

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1.2 Definitionen und Begriffe

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Stadttor selbst fungierte nach wie vor als Zollgrenze; hier waren alle mitgeführten Waren und Wertgegenstände zu deklarieren, die nicht dem persönlichen Gebrauch dienten.21 Hatte der Reisende den Zoll absolviert, konnte er die Porta Esquilina passieren, die unter Augustus zu einem dreibögigen Monument mit Durchgangsbreiten von 7,16 und seitlich je 3,45 Metern umgebaut worden war.22 Nun befand er sich im Kernbereich der Stadt. Welches Tor war aber nun das Stadttor? Die aufwendig neugestaltete Porta Esquilina, die längst nicht mehr den Beginn des Siedlungsgebiets kennzeichnete? Oder der Bogen der Aqua Julia, der nie Teil einer Befestigungsanlage gewesen war? Es läßt sich argumentieren, daß beide Bögen, die unser fiktiver Reisender passiert hat, als Stadteingänge aufzufassen waren – Eingänge, die sich auf unterschiedliche Aspekte von Urbanität bezogen. Der Bogen der Aqua Julia markierte, noch ehe das Pomerium bis hierher ausgedehnt worden war,23 die Grenze des durchgängig besiedelten Stadtgebiets.24 Bereits an dieser Stelle begann der Zuständigkeitsbereich der städtischen Magistrate. Die Porta Esquilina aber, das alte republikanische Stadttor, das seine einstige militärische Funktion verloren hatte und nicht einmal mehr verschließbar war,25 diente weiterhin als Zolltor. Einen repräsentativen Charakter hatten beide Monumente. Angesichts derart komplexer Befunde erscheint es mir sinnvoll, meinen Gegenstand nicht auf Tore zu beschränken, die Teil von Stadtmauern waren.26 Mein Ansatz ist ein anderer: Ich denke die Stadttore nicht als Teil der Befestigung, sondern als Teil des Straßensystems einer Stadt.27 Eine Arbeitsdefinition nach funktionalen Kriterien hat den Vorteil, nah am antiken Wortgebrauch zu sein, bei dem ebenfalls nicht differenziert wird, ob es sich um ein Stadtmauertor handelt oder um das, was typologisch als Bogenmonument bezeichnet werden müßte. Im kaiserzeitlichen Sprachgebrauch ist in beiden Fällen schlicht von porta oder πύλη bzw. πυλών die Rede (inschriftlich sind im Griechischen auch πόρτα oder πώρτα als Bezeichnung für ein Stadttor belegt28 ).

21 22 23 24 25 26 27

28

Schicksal erfragen kann, und in 5,153–155 wird ein dressierter Affe beschrieben, der mit einem Soldatenkostüm bekleidet auf einer Ziege über den Agger reitet. M/B 2011, 374 f. Ausführlich zum Zollverfahren unten, 192–194. Die mittlere Passage erlaubte einen zwei- bis dreispurigen Wagenverkehr, die beiden seitlichen Bögen waren den Fußgängern vorbehalten (M/B 2011, 372 f.). Dazu siehe unten, 293. Zur continentia aedificia siehe unten, 10 mit Anm. 32. M/B 2011, 373. So die herkömmliche Auffassung, vgl. etwa K 1999, 14: „Stadttore sind damit Teile einer Einheit, der Stadtmauer.“ Das entspricht auch der Wahrnehmung durch die kaiserzeitlichen Autoren selbst. Pausanias etwa beschreibt die Tore der griechischen Städte im zweiten Jahrhundert nicht etwa im Zusammenhang mit der Besprechung ihrer Stadtmauern, sondern im Kontext der vorstädtischen Landschaft mit ihren Zugangswegen in die Siedlung (siehe dazu mein Kapitel 4.3.2). Siehe etwa SEG VII 570 (Inschrift am Palmyra-Tor der Stadt Dura Europos); weitere Belege für πόρτα im Griechischen bei H 1989, 335, s. v. πόρτα.

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8

1 Einleitung

Abbildung 1.1: Rom mit dem Verlauf der servianischen und aurelianischen Mauern, Westen

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1.2 Definitionen und Begriffe

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Abbildung 1.2: Rom mit dem Verlauf der servianischen und aurelianischen Mauern, Osten

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10

1 Einleitung

Seltener begegnen die präzisierten Ausdrücke porta urbis bzw. πύλη τῆς πόλεως, die aber ebenfalls die Funktion des Tors und nicht seine Bauform bezeichnen. In denjenigen Zusammenhängen, in denen die konkrete bauliche Ausgestaltung einer Stadtgrenze nicht relevant ist, sondern lediglich die Tatsache einer Eingangssituation konstatiert wird, spreche ich von »Stadteingang«.29 Ein solcher Eingang kann beispielsweise durch ein Mauertor, ein Bogenmonument oder eine Zollschranke markiert sein, umfaßt aber auch die Gegend, in der die städtische Bebauung aufhört und eine Nekropole beginnt, und ist daher nicht präzise einzugrenzen. Bei am Meer oder an einem Fluß gelegenen Städten kann auch ein Hafen den Eingang zur Stadt darstellen. Die Begriffe »Stadteingang« und analog »Stadtausgang« bezeichnen damit allgemein einen Ort, an dem man eine Stadt betritt oder verläßt. 1.2.3 Urbs, continentia und suburbium in Stadtrom Im Zusammenhang mit Stadtrom fallen schließlich immer wieder die Begriffe Urbs, continentia und suburbium. Mein Wortgebrauch orientiert sich an der antiken, hier konkret an der kaiserzeitlichen Verwendung der Begriffe. In diesem Sinn meint Urbs das Innenstadtgebiet von Rom im Bereich der republikanischen Mauern,30 über welche die Stadt seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. bereits weit hinausgewachsen war. Die andernorts gebräuchliche Definition eines Bereichs intra muros spielte daher im kaiserzeitlichen Rom juristisch keine Rolle mehr.31 Stattdessen wurde der Begriff der continentia aedificia eingeführt, der das durchgängig besiedelte Gebiet jenseits der servianischen Mauern bezeichnete. Dieses Gebiet war zwar nicht mehr Teil der Urbs, gehörte aber juristisch und verwaltungstechnisch bereits zur Stadt Rom, wie die Einbeziehung in die augusteische Gliederung der Großstadt in 14 Regionen zeigt. Es handelte sich beim Konzept der continentia um eine flexible Definition, da sich die durchgehende Wohnbebauung stetig weiter ausdehnte. Als Bezugsgröße wurde daher in manchen Zusammenhängen noch eine Meile über das Ende der Bebauung hinaus angesetzt.32 Die Stadt Rom – Roma – umfaßte somit beides, Urbs und continentia. Demgegenüber wird im folgenden das nur locker besiedelte weitere Umland Roms, in dem sich Nekropolen, Gärten, Parks, Haine, Heiligtümer, Villen, Bauernhöfe und kleinere Städte befanden, als suburbium bezeichnet.33 Das suburbium 29 30

31 32 33

Vgl. dazu den antiken Wortgebrauch: In den literarischen Quellen können Vokabeln für „Stadteingang“ als (Teil-)Synonym zu „Stadttor“ verwendet werden (siehe G 2006b, 84). So zum Beispiel auch G 2006b, 80 und G 2007, 42. In der Forschungsliteratur wird Urbs jedoch auch abweichend definiert, nämlich mit Bezug auf den Verlauf des Pomerium. Zum Pomerium in Rom siehe unten, 292 f. Vgl. G 1987, 163. Zum juristischen Konzept der continentia aedificia in Rom siehe F 1987, 381–386, P 1987, 389 f., und P 2000, 90 f. Zur Verwendung und Bedeutung des Begriffs in den Quellen siehe M 2005, 43–50. Der Ausdruck suburbium ist nicht zu verwechseln mit dem Namen des römischen Stadtteils Subura, einer verrufenen Gegend nordöstlich der Foren am Fuß der Hügel Quirinal, Viminal und Esquilin.

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1.3 Methodische Prämissen

11

Roms umfaßte nach kaiserzeitlichem Sprachgebrauch die Orte Fidenae, Nomentum, Tibur, Praeneste, Tusculum, Velitrae, Lanuvium, Lavinium und Antium; der Begriff schloß also das Gebiet in einem Radius von etwa 35 bis 50 Kilometern um die Hauptstadt ein34 und somit jene Orte, die in ein bis maximal zwei Tagesreisen von Rom aus erreichbar waren.35 1.3 Methodische Prämissen 1.3.1 Plädoyer für methodische Vielseitigkeit Angesichts der sehr heterogenen Quellenbasis dieser Untersuchung und zugunsten einer multiperspektivischen und möglichst ganzheitlichen Erfassung eines kulturgeschichtlichen Phänomens erschien es weder wünschenswert noch überhaupt durchführbar, für diese Arbeit einen einheitlichen theoriegeleiteten Zugang zu wählen. Die begrifflichen Grundlagen und methodischen Ansätze sind von Kapitel zu Kapitel der jeweiligen Fragestellung angepaßt. Beides, Begrifflichkeiten und Methode, benutze ich als ein heuristisches Instrumentarium. Mein Vorgehen ist damit gleichermaßen bedarfsorientiert wie ökonomisch, was Puristen nicht begeistern wird, seinen Zweck aber dahingehend erfüllt, relevante Ansätze für eine althistorische Fragestellung nutzbar zu machen. Wenn es auf diese Weise gelingt, neue Interpretationsansätze zu gewinnen, wäre bereits viel geleistet. Anhand der politikwissenschaftlichen bzw. sozialwissenschaftlichen Sicherheitsstudien, deren Denkfiguren und Konzepte ich für mein Kapitel zur Sicherheit benutzt habe, soll dieses Vorgehen kurz erläutert werden: Die Forschung auf dem Gebiet der security studies36 ist bislang für die Alte Geschichte kaum fruchtbar gemacht worden.37 Dabei wäre es zweifellos sehr vielversprechend, die Tragfähigkeit der Begriffe und Konzepte der Sicherheitsstudien für die Altertumswissenschaften

34

35

36 37

In einigen jüngeren englischsprachigen Forschungsbeiträgen wird auf das suburbium mit den Begriffen „urban periphery“ oder „urban borderscape“ rekurriert, um eine Vermischung mit den Konnotationen des englischen „suburb“ auszuschließen („urban periphery“ ist eine Prägung von G 2007; „urban borderscape“ bei S 2017 bzw. S 2021; I 2015 dagegen bleibt bei suburbium). Dazu G 2007, 20 f. mit Abb. 2.1. Siehe ferner die überaus detaillierte topographische Eingrenzung bei M 2005, 51–128, sowie die sorgfältige Diskussion von Definitionskriterien bei L 2001, 200–204. Vgl. dazu M 2005, 132 f.: Nähergelegene Villen im Umkreis von bis zu 25 Kilometern wie das Laurentinum des jüngeren Plinius waren für Tagesausflüge geeignet, solche im Umkreis von bis zu 50 Kilometern wie sein Lanuvinum nur mit (mindestens) einer Übernachtung. Eine Einführung in die Methoden der Sicherheitsstudien bieten J/H 2015. Die Gründe dafür führt P 2016, 39–41 aus. Untersuchungen zur Sicherheit in der Antike existieren selbstverständlich (etwa die Monographien B 2005 und P 2018 oder die Beiträge in B/D 2008), sie greifen aber nicht die politikwissenschaftliche Theoriebildung auf (wie beispielsweise aus B 2005, 5 ersichtlich). Anders die Untersuchung P 2016 zum politischen Diskurs der klassischen Zeit in Athen, die sich explizit auf die security studies bezieht.

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1 Einleitung

einmal grundsätzlich auszuloten.38 Zwei Großprojekte zur Anwendbarkeit der security studies in den Geschichtswissenschaften, die derzeit mit dem Sonderforschungsbereich der Universitäten Marburg und Gießen sowie in einem eigenen Programm der Gerda Henkel Stiftung laufen, werden dahingehend keine neuen Erkenntnisse liefern, da sie die Antike ausklammern.39 Eine konsistente Übertragung der politikwissenschaftlichen Theoriebildung auf die Alte Geschichte ist daher beim jetzigen Diskussionsstand nicht ohne weiteres möglich, und dies umso weniger, als auch die bisherigen historisch argumentierenden Beiträge Sicherheit und Sicherheitspolitik in der Regel als spezifisch moderne Phänomene betrachten, die untrennbar mit der Entstehung des Nationalstaats und dem Sicherheitsbedürfnis in säkularisierten Gesellschaften verbunden seien.40 Einzelne Begriffe und Kategorien wie die Dichotomie einer »Herstellung und Darstellung von Sicherheit« sowie der grundlegende, durch die Kopenhagener Schule etablierte Ansatz, sicherheitspolitische Diskurse zum Gegenstand der Analyse zu machen,41 lassen sich meines Erachtens gleichwohl auch in bezug auf die Antike historisieren und damit für die Zwecke einer althistorischen Arbeit operationalisieren. In Kapitel 6 werden sie daher benutzt, um über die Bedingungen von Sicherheit in der römischen Antike nachzudenken. 1.3.2 Multiperspektivische Historiographie Die Studie verfolgt den Ansatz, eine exemplarische Einbeziehung lokal- und regionalgeschichtlicher Situationen als Ausgangspunkt einer multiperspektivischen Historiographie fruchtbar zu machen. Bisher dominiert die Vorstellung, Funktion und Bedeutung von Stadttoren innerhalb des Römischen Reichs seien weitgehend einheitlich gewesen oder allenfalls nach Westen und Osten zu unterscheiden. So wird in einem Beitrag zur Urbanisierung leichthändig folgendes Bild der römischen Stadt schlechthin entworfen: „Unmittelbar auf die Gräberfelder folgten die typischen Vorstadtgeschäfte wie Restaurants und Fuhrunternehmen, Bordelle und Polizeistationen und dann der mehr oder weniger monumentale Eingang in die Stadt. Auch wenn die Stadt – 38

39

40

41

Zur Sicherheitsforschung in der Geschichtswissenschaft allgemein siehe etwa den Überblick von Z 2012 – teils irrig freilich seine Ausführungen zur Antike, etwa mit der Behauptung, Sicherheit habe „erst seit Nero und vor allem seit dem 2. Jahrhundert einen gewissen Stellenwert [. . . ] erhalten“ (368). SFB/TRR 138 „Dynamiken der Sicherheit. Formen der Versicherheitlichung in historischer Perspektive“ in Marburg und Gießen, seit 2014 (https://www.sfb138.de), und Sonderprogramm „Sicherheit, Gesellschaft und Staat“ bei der Gerda Henkel Stiftung, seit 2012 (https://www.gerdahenkel-stiftung.de/spsss). Abruf beider Internetseiten am 1. Oktober 2021. Dazu D 2012, 396 f. mit weiterer Literatur. Die vor allem von mediävistischer Seite geäußerte Kritik an dieser Identifizierung von Sicherheit und moderner Staatlichkeit diskutiert Daase ebd., 397–401. Programmatisch formuliert von B/W/ W 1998.

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1.3 Methodische Prämissen

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wie viele im Frieden der hohen Kaiserzeit – keine Mauern (mehr) besaß, wollte man doch den Eintritt vom Land in die Stadt gebührend deutlich machen. Selbst Colonien wie Augusta Raurica am Hochrhein bauten deshalb aufwendige Tore mit einem kurzen Ansatz der Mauer links und rechts, die sich dann sehr schnell verlor; das Tor diente also eher der monumentalen Markierung des sonst unsichtbaren Pomerium als irgendwelchen defensiven Zwecken, da es ja mühelos umgangen werden konnte. Eine Inschrift an ihm erinnerte jedoch an denjenigen Politiker oder Kaiser bzw. Prinzen, der der Stadt das Tor und die Mauern gegeben hatte, meist bei Gründung der Stadt. Das Tor hatte jedoch auch einen sehr praktischen Zweck, denn es war die Einnahmestelle für die Maut, die auf die Waren aus dem Umland und von weiter her erhoben wurde, eine wichtige Einnahmequelle für die Stadt. Ein »Erinnerungsort« war das Tor unter diesem Aspekt eher im negativen Sinn, denn die Zöllner genossen wegen ihrer unbarmherzigen Strenge und Unberechenbarkeit unter den Reisenden einen sehr schlechten Ruf, wie wir aus der Bibel wissen. Vom Tor aus führte die Straße in direkter Linie – häufig von Portiken oder überdachten Gehsteigen begleitet – zu dem Forum, dem Markt der Stadt.“42 Es ist hier nicht der Ort, auf problematische Punkte wie die Verallgemeinerbarkeit der Zollpraxis in Palästina für das Reich oder die Frage nach der Existenz eines Pomerium in nicht-italischen municipia näher einzugehen, da beides im Hauptteil der vorliegenden Studie eingehend besprochen wird. Indessen liegt auf der Hand, daß die Eingangssituation der einzelnen Städte (oder selbst an den verschiedenen Toren ein und derselben Stadt) ganz unterschiedlich aussehen konnte. Diese Heterogenität wird im vorliegenden Buch deutlich herausgearbeitet und ist an sich vielleicht kein überraschender Befund. So weisen zahlreiche neuere Arbeiten zur Romanisierung auf die Uneinheitlichkeit dieses Prozesses und seiner Ergebnisse hin.43 Richard Hingley zufolge, der die Romanisierung analog zu modernen Globalisierungsprozessen beschreibt, hat gerade die Ungenauigkeit der zeitgenössischen Vorstellungen davon, was eigentlich »römisch« sei, maßgeblich zum Erfolg der römischen Herrschaft beigetragen.44 Die Beobachtung der hier vorgelegten Studie, wie unterschiedlich die Städte der Prinzipatszeit ihre Eingänge gestalteten, wie dynamisch diese Gestaltung den sich ändernden Bedürfnissen angepaßt wurde und wie vielseitig die Stadtbewohner den Bereich der Tore benutzten, fügt sich in diesen Rahmen ein, weist aber mit Überlegungen zu diachronen Kontinuitäten in einzelnen Regionen auch darüber hinaus. 42

43 44

G 2006, 475 (ich zitiere hier nur den die Tore betreffenden Abschnitt). Bemerkenswert ist, daß der Verfasser für diese in vielen Punkten anfechtbare Darstellung ohne einen einzigen Quellen- oder Literaturverweis auskommt. Zuletzt H 2013, W 2014 und P 2015; siehe außerdem den nach wie vor Maßstäbe setzenden Aufsatz W 1994. H 2005, 50 f. Eine Diskussion seines Ansatzes bietet die Rezension P 2006.

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1 Einleitung

Daraus ergeben sich wichtige Implikationen. Wollen wir beispielsweise wissen, welchen symbolischen Stellenwert »das Stadttor« für »die Römer« hatte, so stellt sich unweigerlich die Frage, wen wir überhaupt als Römer betrachten, oder vielmehr, wen wir für einen repräsentativen Römer halten und wie wir demnach unsere Quellen gewichten. Wie repräsentativ sind zum Beispiel Jannai und Johanan, zwei Rabbiner aus Sepphoris? Läßt sich entscheiden, ob sie in jüdischer oder römischer Tradition stehen, wenn sie, ins Gespräch vertieft, am Stadttor von Tiberias sitzen?45 In diese Arbeit sind ganz bewußt auch Randperspektiven mit einbezogen worden, um den Rom- und Italien-zentrierten Blickwinkel der kanonischen Autoren wie Seneca oder Plinius zumindest stellenweise aufzubrechen. Was man in Rom über die Situation in den Provinzen wußte und dachte, ist eine Sichtweise – eine legitime Sichtweise zumal, und fraglos eine besonders interessante. Es scheint mir aber geboten, nach Möglichkeit auch die entlegeneren, oftmals mit wenig Kontext überlieferten und damit für uns schwer zu interpretierenden Quellen aus den Provinzen zu berücksichtigen, insbesondere auch die nichtliterarischen. Eine solche Vorgehensweise könnte die römisch-italische Perspektive (und die natürlich unter den kaiserzeitlichen Autoren ebenfalls prominent vertretene kleinasiatische) um zahlreiche lokale Gesichtswinkel bereichern. Eine Geschichte des Römischen Reiches, die auf einer Synthese von einzelnen ortsgebundenen Perspektiven aufbaut, ist in meinen Augen ein echtes Desiderat. Analog zu neuen Ansätzen einer europäischen Universalgeschichte sollte sie die Vielfältigkeit und Differenziertheit der römischen Welt angemessen berücksichtigen und damit andere Aspekte sichtbar machen, als es etwa bei einer Geschichtsschreibung der Fall ist, die sich vor allem auf politische Akteure, Entscheidungen und Entwicklungen in Rom und Italien konzentriert. Ein solcher lokalgeschichtlich fundierter historiographischer Ansatz wäre ganz ausgezeichnet dazu geeignet, der in vielen Bereichen eher netzwerkähnlichen denn zentralistischen Struktur des Römischen Reiches gerecht zu werden. Als ein bescheidener Schritt auf diesem Weg möchte auch der vorliegende Beitrag verstanden werden, der anhand eines einzelnen kulturgeschichtlichen Phänomens – der Modalitäten des Betretens und Verlassens einer Stadt – lokalgeschichtlich und damit konsequent multiperspektivisch vorzugehen versucht, um der komplexen Wirklichkeit des Imperium Romanum gerecht zu werden. In diesem Sinne sollen vorhandene Unstimmigkeiten und Brüche nicht interpretatorisch nivelliert, sondern im Gegenteil überhaupt erst einmal entdeckt, aufgezeigt und gedeutet werden. Eine Randperspektive, die in der Antike ganz besonders schwer zu greifen ist, ist im übrigen die der Frauen. Im literarischen Textcorpus sind weibliche Perspektiven nicht gerade prominent vertreten. Um hier wenigstens ein kleines Gegengewicht in die Waagschale zu werfen, wurden die epigraphischen und archäologischen Fallbeispiele nach Möglichkeit so gewählt, daß unter mehreren einander entsprechenden 45

Zu ihrer Person und der Stelle, auf die ich mich beziehe, siehe unten, 77.

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1.3 Methodische Prämissen

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Befunden denjenigen der Vorzug gegeben wurde, in denen Frauen sichtbar sind. So kommen in dieser Studie die reichen Euergetinnen Plancia Magna und Salvia Postuma vor, aber auch eine gewisse Leontia, Henkelflaschenmacherin an der Porta Trigemina in Rom.46 Die kaiserzeitliche Gesellschaft und Kultur verstehe ich bei allen einigenden Gemeinsamkeiten als eine vielstimmige und bemühe mich, diese Vielstimmigkeit in meiner Darstellung zu transportieren. Daß es in einer historischen Arbeit freilich nicht darum gehen kann, isolierte Einzelfälle zu sammeln, versteht sich dabei von selbst: Idealiter steht am Ende ein zusammenhängendes Gesamtbild, das disparate lokale Befunde überzeugend integriert. 1.3.3 Ein komparatistischer Zugang Die Studie hat den Anspruch, größere Entwicklungslinien aufzuzeigen. Dabei wird der historische Zusammenhang mit der unmittelbaren republikanischen (bzw. hellenistischen) Vorgeschichte jeweils ebenso mitbedacht, wie auch die Weiterentwicklung der untersuchten Phänomene in der Spätantike zumindest ausblickartig skizziert werden soll. Um zu gewährleisten, daß die geographischen und zeitlichen Unterschiede nicht den Blick auf die kultur- und epochenspezifischen Eigenheiten verstellen, die das Stadttor als Eingang und Ausgang römischer Städte auszeichnen, sollen darüber hinaus komparatistisch auch andere Kulturen und Epochen in den Blick genommen werden. Als Vergleichspunkte werden zu Beginn der Untersuchung der Alte Orient und das vorrömische Griechenland herangezogen und darüber hinaus immer wieder konkrete Beispiele aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Die Synthese am Schluß der Arbeit bietet ein vergleichendes Resumé, das Kontinuitäten, aber auch Diskontinuitäten zum Stadteingang in den späteren Epochen der europäischen Vormoderne herausarbeitet. Die Auswahl der zum Vergleich herangezogenen Nachbarkulturen und -epochen sei kurz begründet: Für einen Vergleich eignen sich aufgrund der geographischtopographisch gegebenen Kontinuität insbesondere solche Regionen, die in der Kaiserzeit zum Römischen Reich gehörten. Die eisenzeitliche Levante, in deren urbaner Kultur den Stadttoren eine ganz herausragende Bedeutung zukam, und das vorrömische Griechenland als die der römischen am nächsten verwandte Kultur im Mittelmeerraum liegen in Gegenden, in denen später römische Gepflogenheiten adaptiert werden sollten, und sind damit naheliegende und aufschlußreiche Referenzgrößen.47 Dasselbe gilt für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte in Mittel- und Südeuropa, die im Gebiet einstiger römischer Provinzen liegen. Mit 46 47

Zu Salvia Postuma in Pola siehe 347–349 und öfter, zu Plancia Magna in Perge 343, zu Leontia in Rom 210. Das Alte Ägypten dagegen wäre als Vergleichspunkt denkbar unergiebig, da die Städte weitgehend unbefestigt waren und Stadttore daher keine größere Rolle spielten (siehe etwa B 1988, 248).

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1 Einleitung

einem solchen komparatistischen Ansatz kann für diesen Raum eine diachrone und kulturübergreifende Perspektive hinzugewonnen werden. Selbstverständlich ist hier nicht die Gesamtdarstellung einer Entwicklung von der Eisenzeit bis in die Frühe Neuzeit intendiert, sondern nur eine punktuelle Bezugnahme auf einzelne Beispiele. Es kann jedoch im Sinne der Braudelschen longue durée argumentiert werden, daß das Stadttor in den Städten des Mittelmeerraums weit über die Antike hinaus ein feste Größe im städtischen Alltag und im Selbstverständnis der Stadtbevölkerung darstellte: Fernand Braudel, der vielleicht innovativste Geschichtsschreiber seit Herodot, hat die Zeitkategorie der longue durée für naturräumliche Prozesse von nahezu statischer Langsamkeit etabliert.48 Sie läßt sich dazu benutzen, urbanistische Grundkonfigurationen zu beschreiben, die sich nicht den Konjunkturen der Wirtschaft oder dem schnellen Takt der Ereignisgeschichte unterordnen.49 Obwohl Stadteingänge und Stadttore in ihrer Ausgestaltung (mit Braudel gesprochen: an der Oberfläche) einer beständigen architektonischen Umgestaltung unterlagen, konnte die Eingangssituation als solche über Jahrhunderte fortbestehen, da sich die wichtigsten Trassen, die Zugang in eine Stadt boten, ebenso wie der Mauerring nicht änderten. Viele europäische Altstädte folgen in ihrer Anlage bis heute einer Konzeption, der urbanistische Entscheidungen zugrundeliegen, welche in der Antike oder im Mittelalter getroffen wurden. So ist die Altstadt von Istanbul noch im 21. Jahrhundert durch die spätantiken Mauern von den neueren Vierteln abgeriegelt und der gesamte Verkehr auf die Passage durch die antiken Stadttore angewiesen, und in Städten wie Trier, Neapel oder Damaskus – um nur wenige zu nennen – sind die cardines und decumani des

48

49

B 1949. Der erste Teil der Studie, La part du milieu, widmet sich der Zeitebene der longue durée und untersucht die über lange Zeiträume fast unveränderten Rahmenbedingungen wie Klima, Geographie und Straßennetz; der zweite, Destins collectifs et mouvements d’ensemble, betrachtet die ökonomischen Konjunkturen und sozialen Strukturen, die der Ebene der moyenne durée zugeordnet sind; und der dritte Teil, Les événements, la politique et les hommes, stellt die Ereignisgeschichte dar. Braudels Buch entstand großteils in deutscher Kriegsgefangenschaft, fernab des Mittelmeers (siehe dazu S 2013); diesen Umstand der zeitlichen und räumlichen Entfernung von seinem Gegenstand betont Braudel im Nachhinein auch selbst (B 1941/2013, 159). Das Konzept der longue durée war Braudels persönliche Methode, den deutschen Kriegsmeldungen eine optimistische Perspektive entgegenzusetzen (ebd.). Anwendungsmöglichkeiten des Konzepts in der Geschichtsschreibung diskutiert T 2012, siehe vor allem 9–18.27–31. Daß auch die Veränderungen der longue durée bei Braudel als genuin historisch aufgefaßt werden, zeigt F 1999, 5–7 („Fernand Braudel n’est pas géographe“, 6 f.). Vgl. J 2010, 141–143, die für ihre Untersuchung der architektonisch-urbanistischen Entwicklung der Piazza del Popolo in Rom ein solchermaßen spezifiziertes Verständnis der Kategorie longue durée fruchtbar macht. Grundsätzliche Überlegungen zur longue durée als Perspektive auf die Architektur einer Stadt bietet A 2009, 17–21: In ihrer Stabilität relativiert die longue durée die so viel kürzeren Lebenszyklen der jeweiligen Stadtbevölkerung (19).

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1.4 Voraussetzungen und Ansprüche der Quellenarbeit

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römischen Straßennetzes im Gewirr der später entstandenen Nebengassen noch immer deutlich auszumachen.50 Wenn die hier vorgelegten Untersuchungen zu Stadttor und Stadteingang in der römischen Kaiserzeit auf diese Weise in den Gesamtkontext der europäischen Geschichte eingebettet werden, geschieht dies in der Annahme, daß der Vergleich zu anderen Epochen der Vormoderne das Potential hat, das Leben hinter Stadttoren als eine strukturelle Konstante in der urbanen Geschichte des Mittelmeerraums begreifbar zu machen. 1.4 Voraussetzungen und Ansprüche der Quellenarbeit 1.4.1 Übersicht über die benutzten Quellen Wie bereits angeklungen, wurden zur Erstellung dieser Arbeit Quellen ganz unterschiedlicher Gattung und Provenienz genutzt. Archäologische und topographische Befunde sind anhand von Grabungsberichten und der einschlägigen Forschungsliteratur aufgearbeitet worden. An klassischen althistorischen Quellen, die der Droysenschen Kategorie der »Überreste« zuzuschlagen wären, wurden in erster Linie Inschriften und daneben Papyri benutzt. Schließlich stützt sich die Arbeit auf eine große Bandbreite literarischer Quellen. Neben Historiographie und Biographie, die für das hier behandelte Thema relevant, aber keineswegs zentral sind, wurde unter anderem poliorketische, philosophische und juristische antike Fachliteratur herangezogen, und darüber hinaus Reden, Briefliteratur, Roman, Dichtung und weitere literarische Gattungen. Schließlich wurden einige aus altertumswissenschaftlicher Sicht unkanonische Texte wie biblische und rabbinische Schriften benutzt. Die Quellensammlung erfolgte nicht systematisch. Da Begriffe wie porta und πύλη mit ihren Derivaten so überaus häufig vorkommen, erschien es nicht sinnvoll, alle Nachweise – und sei es auch nur in Verbindung mit Vokabeln für »Stadt« – zu überprüfen. Dies wurde nur für eine Reihe von ausgewählten Werken durchgeführt. Ansonsten konnte auf Wort- und Sachindices zu einzelnen Autoren zurückgegriffen werden, um einschlägige Stellen zu ermitteln. Viele Quellenbelege, in denen entsprechende Stichwörter gar nicht explizit vorkommen, konnten durch eine kursorische Gesamtlektüre der einschlägigen Werke zutage gefördert werden; auf diese Weise wurde etwa mit den Pliniusbriefen, dem Werk des Pausanias und den Libaniosbriefen verfahren. Auf eine beträchtliche Anzahl von Quellen bin ich durch die Forschungsliteratur oder durch Hinweise von Kolleginnen und Kollegen aufmerksam geworden, was an den jeweiligen Stellen vermerkt ist. Einzelprobleme der Quellen werden im Zuge der entsprechenden Stelleninterpretation geklärt. Nach einer Klärung ganz grundsätzlicher Art verlangt indessen 50

Die Langlebigkeit von Straßen ist generell beachtlich; sie überdauern unter Umständen einschneidende urbanistische Veränderungen und selbst die Zerstörung einer Stadt (siehe C 1986, 209).

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1 Einleitung

die unkritische Benutzung von aus dem Zusammenhang gerissenen Literaturzitaten, die in Darstellungen zur kaiserzeitlichen Urbanistik, Infrastruktur, Mobilitätsund Alltagsgeschichte erstaunlich häufig anzutreffen ist. Sie ist Gegenstand der folgenden Überlegungen. 1.4.2 Zur Problematik entkontextualisierter Zitate in einer historischen Argumentation Die lateinische Dichtung und zumal die Satire sind dankbare Stichwortgeber für jede Untersuchung zum kaiserzeitlichen Rom. In vielen Forschungsarbeiten zur Peripherie der Stadt Rom finden sich Verweise auf entsprechende Textstellen, die sich freilich in der Regel auf einen Beleg in der Fußnote beschränken, ohne daß die jeweilige Quelle näher vorgestellt, kontextualisiert oder gar diskutiert würde. Das Problem wird dadurch verschärft, daß es immer dieselben vermeintlichen Belege sind, die durch die Anmerkungsapparate der einschlägigen Forschung geistern, so daß es schon genügt, jeweils eine einzige der üblichen Stellen bei Horaz, Martial und Juvenal aufzuführen, um dann lakonisch anzufügen „etc.“51 Das Repertoire, so darf man das wohl verstehen, kann als bekannt vorausgesetzt werden, und eine Analyse und Diskussion der Texte erscheint von vornherein überflüssig. Welchen Beitrag eine Blütenlese unkontextualisierter Literaturzitate im Rahmen einer historischen Fragestellung leisten soll, erschließt sich mir jedoch nicht. Die Schwierigkeiten, die mit einer solchen Vorgehensweise einhergehen, sollen im folgenden anhand eines Beispiels aufgezeigt werden. Es geht dabei um die Annahme, daß die Stadttore von Rom ein bevorzugter Aufenthaltsort für Bettler gewesen seien – was zwar nicht unplausibel ist, durch die Quellen jedoch nicht gedeckt wird. Ich gehe auf die beiden wichtigsten einschlägigen Texte ein, wobei der zweite, ein Abschnitt aus Juvenals dritter Satire, auch in anderen für diese Studie relevanten Zusammenhängen überaus häufig unkritisch als Beleg zitiert wird und darum bereits an dieser Stelle exemplarisch besprochen werden soll. Es wird als Gemeinplatz gehandelt, daß im antiken Rom bevorzugt an den Stadttoren mit Bettlern zu rechnen gewesen sei. Diese „hielten sich in Gruppen an stark frequentierten Orten auf, wo die Passanten ihnen kaum ausweichen konnten: auf Brücken, um Tempel herum und an Stadttoren.“52 Geht man den beiden in diesem Zusammenhang aufgeführten Belegen jedoch im einzelnen nach, erweist sich die Evidenz als überaus dünn. In Plautus’ Captivi konstatiert der Taugenichts Ergasilus, daß ein Schmarotzer, der keine Prügel erträgt, wohl oder übel zur Porta Trigemina hinausgehen und sich einen anderen Broterwerb suchen muß: 51 52

So praktiziert bei G 2008, 146, Anm. 14. W 2010, 52 f., s. v. Bettler. Ähnlich äußert sich H 2012, 66, Anm. 13, wobei sie sich auf die gleichen Quellen bezieht wie vor ihr Weeber. P 1997, 71, bei dem es heißt, die Bettler in Rom seien „auf den Straßen, an den Märkten, an Straßenecken, an Wegkreuzungen und Stadttoren“ zu finden gewesen, führt für die Stadttore keinen einzigen Beleg an.

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1.4 Voraussetzungen und Ansprüche der Quellenarbeit

90

19

et hic quidem hercle, nisi qui colaphos perpeti potis parasitus frangique aulas in caput, vel ire extra portam Trigeminam ad saccum licet.

„Und hier, beim Hercules, kann ein Parasit, wenn er nicht Maulschellen und auf seinem Kopf zerschlagene Töpfe erträgt, zum Drillingstor hinaus zum Betteln gehen.“53 Der Textabschnitt wird als Beleg dafür zitiert, daß die römische Porta Trigemina an der Straße Richtung Ostia ein besonders aussichtsreiches Pflaster zum Betteln gewesen sein muß, da hier mit vielen vorbeikommenden Reisenden und Händlern gerechnet werden konnte.54 Dagegen läßt sich jedoch zweierlei einwenden. Erstens: Die Handlung des Stücks spielt in Ätolien. Man mag zwar mit guten Gründen argumentieren, daß Plautus sich in seinem pseudogriechischen Setting auf römische Zustände bezieht;55 ob der Text aber deshalb als Quelle zu römischen Realien betrachtet werden kann, erscheint sehr fraglich.56 Selbst wenn sich in rezeptionsästhetischer Perspektive vermuten läßt, daß ein römischer Rezipient dieser Passage selbstverständlich an die stadtrömische Porta Trigemina und die Straße nach Ostia gedacht haben muß, scheint es doch einigermaßen verwegen, die Stelle unkommentiert als Beleg für die wirkliche Anwesenheit von Bettlern an römischen Stadttoren heranzuziehen. Zweitens ist die Interpretation des ire ad saccum als Betteln alles andere als zwingend. Näher läge es, hier an eine Tätigkeit als saccarius zu denken, also als Lastenträger.57 Eine solche Auffassung läßt sich inhaltlich dadurch stützen, daß die Porta Trigemina im vorliegenden Text gar nicht als Aufenthaltsort des parasitus benannt wird. Der nichtsnutzige Protagonist soll nur durch das Tor hinausgehen (ire extra portam Trigeminam), um die Innenstadt zu verlassen und in der Neustadt sein Glück zu suchen.58 Das fügt sich gut zu einer Tätigkeit als saccarius. Wenn die Sack- und Packträger in Rom ihren Standort an der Porta Trigemina hatten,59 so mußte dort jedenfalls ein Auskommen zu finden sein, da an diesem Tor die Straße zum Hafen nach Ostia begann. 53 54 55 56

57

58 59

Plaut. Capt. 88–90, Text und Übersetzung der Ausgabe von R 2007–2009. So etwa bei H 2012, 66, Anm. 13. Dazu ausführlicher in der Plautusinterpretation unten, 361–371. So konstatiert Lefèvre, es sei das Paradox der plautinischen Komödien, daß sie nicht die römische Gesellschaft darstellen, sondern die Handlungsabläufe der griechischen Stücke dahingehend umbiegen, „daß sie keinerlei realen Verhältnissen – weder griech[ischen] noch röm[ischen] – entsprechen.“ L 2000, Sp. 1119, meine Hervorhebung. So führt das Oxford Latin Dictionary unsere Stelle auf und übersetzt „to work as a porter“ (OLD, s. v. saccus, hier 1674). In diesem Sinne auch die Übersetzungen B/N/K 1930, 22 und E 1957, 96. Vgl. auch den Kommentar zur Stelle bei L 1954, 76. Zu extra portam Trigeminam als Bezeichnung für den Stadtteil vor dem Tor siehe die unten, 210, aufgeführten Belege. B/N/K 1930, 22; einen Beleg für diese Behauptung bieten die Kommentatoren leider nicht.

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1 Einleitung

Die Alternative, die Ergasilus benennt, ist demnach nicht die zwischen dem Leben als Parasit oder dem als Bettler, sondern die zwischen Untätigkeit und Lohnarbeit. Das paßt auch stimmig zu der Aussage, man könne auf diese Weise den Töpfen entgehen, die einem auf dem Kopf zerschlagen werden, denn während ein Straßenbettler sehr wohl gelegentlich Prügel bezieht, muß ein ehrbarer Tagelöhner keine Handgreiflichkeiten gewärtigen. Als Nachweis für die Anwesenheit von Bettlern an den Toren der Stadt Rom wird man Plaut. Capt. 88–90 damit nicht in Anspruch nehmen können. Der zweite einschlägige Beleg ist eine häufig zitierte Szene aus Juvenals dritter Satire, deren Rahmenhandlung an einem anderen stadtrömischen Tor, der Porta Capena an der Via Appia, spielt. Der Sprecher beklagt den Weggang seines Freundes Umbricius aus Rom. Umbricius ist im Begriff, nach Cumae umzuziehen, und nun gilt es, am Stadttor auf den Umzugswagen zu warten: 10

15

sed dum tota domus raeda componitur una, substitit ad veteres arcus madidamque Capenam. hic, ubi nocturnae Numa constituebat amicae, nunc sacri fontis nemus et delubra locantur Iudaeis, quorum cophinus fenumque supellex; omnis enim populo mercedem pendere iussa est arbor et eiectis mendicat silva Camenis.

„Aber während der gesamte Hausrat auf einen einzigen Karren geladen wurde, machte er Halt bei den alten Bögen der tropfenden60 Porta Capena. Hier, wo sich Numa zum Stelldichein mit seiner nächtlichen Freundin einfand, wird jetzt der Hain mit der heiligen Quelle und der Tempel an Juden vermietet, deren Gepäck der Korb mit dem Heu ist; jeder Baum hat nämlich Order, dem Volk Miete zu zahlen,61 und der Wald bettelt nach der Vertreibung der Camenen.“62 Der kommentarlose Verweis auf das Zitat als Beleg für Bettler an den römischen Toren63 suggeriert nun eine Eindeutigkeit des Textes, die in keiner Weise gegeben ist. Ein Blick in die einschlägigen Kommentare zeigt, daß sich die Sachlage keineswegs als so eindeutig darstellt, wie sie in den historischen Arbeiten erscheint. Zwar wird der bettelnde Wald (mendicat silva) in Vers 16 von den Kommentatoren tatsächlich übereinstimmend dahingehend interpretiert, daß er hier für die zuvor genannten Juden steht, die in der Gegend des Stadttors betteln gehen.64 Höchst umstritten ist jedoch bereits die Deutung von Vers 14, in dem erwähnt wird, daß diese Juden mit 60 61 62 63 64

Weshalb Tropfen vom Stadttor rinnen, wird unten, 212, in Anm. 138 geklärt. Juvenal spielt hier auf die Kopfsteuer an, die die Juden zu zahlen hatten. Juv. 3,10–16, Text und Übersetzung A 1993. P 1997, 75 konjiziert sogar kühn, unter Domitian sei an der Porta Capena ein neues „Judenviertel“ entstanden, das vorwiegend von Armen und Bettlern bewohnt wurde. D 1970, 127; C 1980, 158; S 1980, 98. Dies wird mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem in Zusammenhang gebracht: „After the destruction of the temple at

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1.4 Voraussetzungen und Ansprüche der Quellenarbeit

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Körben und Heu (cophinus fenumque) ausgestattet sind. Dazu gibt es verschiedene Erklärungsansätze, von denen ich hier nur die drei wichtigsten aufführe. These eins lautet: Die Juden boten in den gepolsterten Körben Eier zum Verkauf feil.65 Die Argumentation stützt sich auf ein Martial-Epigramm, in welchem davon die Rede ist, daß ein Läufer in Heu gebettete Eier in die Stadt trägt.66 Die Erklärung erscheint wenig überzeugend, denn selbst wenn eine subtile Anspielung auf Martial intendiert sein sollte,67 so lassen sich daraus doch schwerlich belastbare Aussagen über die Tätigkeit der Juden bei Juvenal ableiten: In Martials Epigramm werden die Eier eben nicht verkauft, sondern lediglich durch die Porta Capena transportiert; damit liegt in dem Punkt, auf den es hier ankommt, gerade keine Parallele vor. Der zweiten These zufolge verweist das Heu darauf, daß die Juden Futter für die Lastund Zugtiere verkauften, welche vor dem Stadttor warteten.68 Dieser Ansatz kann lebensweltliche Plausibilität beanspruchen, läßt aber eine Beobachtung außen vor, die von den Verfechtern des dritten Ansatzes ins Feld geführt wird, wonach die Heukörbe hier ein spezifisch jüdisches Attribut sein müssen: These drei nämlich besagt, daß die Körbe den jüdischen Bettlern dazu dienten, am Sabbat vorgekochte Speisen warmzuhalten, indem sie sie mit Heu bedeckten.69 Diese Überlegung geht auf einen Scholienkommentar zu einer anderen Stelle, Juv. 6,542, in zwei Leidener Handschriften zurück.70 Juvenal verwendet an jener Stelle den gleichen Ausdruck, cophinus fenumque, um die früheren Habseligkeiten einer jüdischen Wahrsagerin zu bezeichnen. Auch wenn der Einwand nicht ganz von der Hand zu weisen ist, es ließe sich doch wohl annehmen, daß sich arme Bettler vielleicht auch einmal in der Woche mit einer kalten Mahlzeit zufriedengeben würden,71 so legt die Übereinstimmung der beiden Juvenalstellen doch sehr nahe, daß die

65 66 67 68

69 70 71

Jerusalem .. 70, the number of Jews in Rome must have largely increased. Most of them were utterly destitute and lived by begging and fortune-telling“ (D 1970, 127). Jüdische Bettler in Rom sind bereits bei Martial thematisiert (Ep. 12,57,13, zur literarischen Abhängigkeit der Juvenalpassage von dieser Stelle siehe C 1991, 92 f., allgemein zu den bettelnden Juden bei Martial und Juvenal P 1997, 74–76). So die Erklärung bei F 1979 im Kommentar zur Stelle, 137. Mart. Ep. 3,47,14: sed tuta faeno cursor ova portabat. Das Epigramm wird unten, 212–214, ausführlicher behandelt. Einen Bezug der in Rede stehenden Passage auf Ep. 3,47 weist C 1991, 89 nach, ohne jedoch auf cophinus fenumque einzugehen. Diese Ansicht vertritt unter anderem H 2012, 899, in Anlehnung an Joël le Gall, der sich ein entsprechendes Szenario folgendermaßen ausmalt ( G 1979, 115): Vor den Toren der servianischen Mauern warteten „des voituriers prêts à se mettre au service des gens qui avaient à faire un transport au-delà, mais il fallait emporter de la nourriture pour les animaux dont la quantité n’avait pu être prévue avant que ne fût connue la longueur et la durée du voyage: les juifs pauvres qui habitaient dans les parages vendaient tout simplement le foin indispensable.“ So die Kommentare zur Stelle bei C 1980, R/B 1991 und A 1993, ebenso wie S 1980, 98. Dazu F 1895, 192. D 1970 im Kommentar zur Stelle, 127. Kritik an der Sabbat-These äußert auch  G 1979, 115, Anm. 10.

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1 Einleitung

Körbe hier tatsächlich als spezifisch jüdisch72 gekennzeichnet werden sollen.73 Daß Juvenal das griechische Wort cophinus wie einen terminus technicus benutzt, soll möglicherweise die Fremdheit der Juden und ihrer Sitten unterstreichen. Soweit also zunächst zu der Frage, ob der Autor die Juden mit diesen Worten überhaupt als Bettler charakterisiert – oder nicht vielleicht eher als Heuhändler (These zwei) oder gar Eierverkäufer (These eins). Davon unabhängig ist der entscheidende Punkt indessen die grundlegende Einsicht, daß hier keineswegs ein Tatsachenbericht vorliegt. Es handelt sich ganz im Gegenteil um einen satirischen Text in mehrfacher Brechung; man denke nur an die unmittelbar vorangehenden Verse 7–9, in denen der Sprecher über die fortwährend einstürzenden Häuser in Rom und die unerträglichen rezitierenden Dichter lamentiert. Wenn man unsere Passage in ihrem Textzusammenhang liest, geht es dem Autor ersichtlich nicht darum, eine historische Situation möglichst authentisch darzustellen. Juvenals dritte Satire als den „Bericht“ eines „Zeitzeugen“ zu behandeln,74 ist in meinen Augen verfehlt.75 Wir haben es hier mit einer hochpolemischen Darstellung zu tun, die ihrer eigenen Logik folgt: Der Sprecher und sein Freund sind auf der Suche nach einem ländlichen Gegenentwurf zum römischen Großstadtleben. Doch selbst der Hain mit der heiligen Quelle am Ausgang der Stadt, ein Ort, der Assoziationen an die hehren urväterlichen Zeiten König Numas bereithält (V. 11 f.), ist durch die Anwesenheit der Juden verdorben.76 Wie im weiteren Verlauf der Satire deutlich werden wird, ist dieser Zustand der Verderbtheit symptomatisch, denn Rom ist von Fremden überlaufen77 und droht, Züge einer griechisch-orientalischen Stadt anzunehmen.78 Die solcherart heruntergekommene Porta Capena mit den geschäftig umherlaufenden Juden bildet dem Textzusammenhang nach das großstädtische Gegenstück zu einem anderen »Tor«,79 dem anfangs vom Sprecher als amön qualifizierten Cumae: Von Rom aus gleichsam nach Süden blickend, bezeichnet er in den Versen 4 f. die Stadt Cumae als den Eingang nach Baiae (ianua Baiarum est et gratum litus amoeni secessus). Im Vergleich zu Rom erscheinen ihm selbst die verrufenen Partystädte Kampaniens als beschauliche Orte des Rückzugs und der inneren Ruhe. 72 73 74 75 76

77 78 79

Dafür spricht auch eine Parallele bei Sidonius Apollinaris (Ep. VII 6,4), auf die S 1980, 98 verweist. Bei Sidonius ist der cophinus das Symbol der Israeliten. Gegen Joël le Gall, der Juv. 6,542 wenig überzeugend als Beleg für den von ihm angenommenen „petit commerce des Juifs de la Porte Capène“ heranzieht ( G 1979, 115, Anm. 10). S 1992, 187 bzw. 189. Grundsätzliches zur historischen Auswertbarkeit fiktionaler Texte in meinen Überlegungen unten, 355–360. Vgl. C 1980 im Kommentar zur Stelle, 159. Auch für Martial sind in dem bereits erwähnten Epigramm die bettelnden Juden eines der Ärgernisse, um derentwillen der Sprecher die Ruhe seiner Villa der Stadt vorzieht (Ep. 12,57,13, vgl. S 1976, 528 f.). Vgl. S 1980, 98. Siehe dazu ebd., 94, mit Verweis unter anderem auf Juv. 3,60–62, wo in einem Schreckensszenario der syrische Fluß Orontes den Tiber überschwemmt. Vgl. C 1980, 159.

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1.5 Gliederung

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Verzichtet man auf eine Analyse, um einen solchen Text umstandslos in einzelne, ihrem unmittelbaren Wortsinn nach aufgefaßte Verse zu zerlegen, ist das Ergebnis historisch wertlos. Mit einer verkürzenden Interpretation von entkontextualisierten Aussagen, die der antiken Literatur wie einem großen Steinbruch entnommen werden, ist meines Erachtens nichts gewonnen. Die Akkumulation mehrerer solcher Bruchstücke mag eine gewisse Suggestivkraft besitzen, ist aber in der Sache irreführend. So wäre im Zusammenhang mit der Frage nach Bettlern an den römischen Stadttoren doch zumindest zu berücksichtigen, daß die beiden maßgeblichen Belegstellen bei Plautus und Juvenal in einem Abstand von etwa 300 Jahren zueinander entstanden sind. Um angesichts dessen überhaupt verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen, müßte man schon eine anthropologische Konstante postulieren wie „Bettler bevorzugen generell den Stadteingang als Aufenthaltsort.“80 Über die spezifische Situation im republikanischen oder kaiserzeitlichen Rom aber wäre damit nichts ausgesagt. Welche Konsequenzen folgen daraus für die vorliegende Untersuchung? Zum einen soll bei allen literarischen Belegstellen ihr Kontext sorgfältig und angemessen berücksichtigt werden, wobei mit Kontext zunächst nicht der historische Rahmen, sondern der Zusammenhang innerhalb des jeweiligen Werks gemeint ist. Dieser methodisch wichtige Schritt ist der Lesbarkeit halber nicht immer in extenso dokumentiert, in allen schwierigen Fällen aber wird er in einer für die Leserinnen und Leser nachvollziehbaren Weise transparent gemacht. Zum anderen dient Kapitel 13 über die fiktionalen Topographien des Stadteingangs dazu, das historische Potential der Literatur über das übliche Herausklauben von Realien hinaus auszuschöpfen. 1.5 Gliederung Die Studie besteht aus 15 Kapiteln, die sich aus der Einleitung sowie fünf Hauptteilen zusammensetzen. Der erste Teil verortet in breiter zeitlicher und räumlicher Perspektive das Stadttor in den Kulturen des Mittelmeerraums. Im zweiten Teil wird der kaiserzeitliche Stadteingang mit seinen spezifischen Kontrollmodalitäten als sozio-ökonomischer Transitbereich untersucht. Im dritten Teil wird nach der Bedeutung des Stadttors für das inner- und überstädtische Verkehrs- und Kommunikationssystem gefragt. An den vierten Teil über das semantische Potential des Stadttors schließen sich als fünfter Teil meine Bilanz und ein epochenübergreifender Ausblick an. Nach der vorliegenden Einführung (Kapitel 1) bietet ein erster Teil unter dem Titel „Das Stadttor in den Kulturen des Mittelmeerraums“ einen Abgleich der 80

Vgl. diesbezüglich etwa K 1999, 249, der ausgehend von der Situation an den islamischen Stadteingängen des Mittelalters folgendermaßen verallgemeinert: „Noch heute lagern viele Bettler an den Schwellen der Tore von Moscheen, und wenn Stadttore noch stehen, dann sind sie begehrte Plätze, die Vorbeigehenden um Almosen zu bitten. An den Schwellen, die viele Menschen überschreiten, sammeln sich die Armen.“

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1 Einleitung

Situation im Prinzipat mit den Stadttortraditionen im Alten Orient und in Griechenland. In Kapitel 2 wird zunächst ein kurzer Überblick zur Entwicklung der römischen Wehrarchitektur gegeben. Anschließend wird geklärt, welche Städte in der Kaiserzeit Stadtmauern und Stadttore hatten, welche Instanzen über deren Errichtung entschieden und wie sie finanziert wurden. Es wird aufgezeigt, daß im ersten bis dritten Jahrhundert auch Städte ohne Mauern sehr wohl über Stadttore verfügten. Das Kapitel schließt mit Überlegungen dazu, aus welchen Gründen im Prinzipat überhaupt noch Stadtmauern errichtet wurden. Als Perspektiven einer longue durée werden anschließend das Tor der altorientalischen (Kapitel 3) und der griechischen Stadt (Kapitel 4) besprochen. Die Darstellung von Funktionen des Stadttors in zwei vorrömischen Kulturen dient als Folie, vor der in den folgenden Kapiteln das kaiserzeitliche Stadttor mit seinen Besonderheiten in den Blick genommen wird. Dabei wird bereits in diesem Teil der Studie eine Brücke zu den Befunden der Kaiserzeit geschlagen, in bezug auf die Levante mittels einer topographisch-urbanistischen Fallstudie zur Stadt Gadara, in bezug auf Griechenland mittels einer Untersuchung der Darstellung von griechischen Stadtmauern und Stadttoren bei Pausanias. „Kontrollmodalitäten am Stadteingang“ sind Gegenstand des zweiten Teils. Das Stadttor wird hier als ein sicherheitspolitisch und ökonomisch relevanter Transitbereich behandelt. Ausgangspunkt ist die zentrale Frage nach der Sicherheitsbedeutung der kaiserzeitlichen Tore. Zunächst wird das Konzept von pax et securitas aufgegriffen und danach gefragt, welche Rolle Stadttore innerhalb einer Ideologie spielten, derzufolge reichsweit einheitliche Standards einer allgemeinen Reisefreiheit galten (Kapitel 5). Ausgehend von diesem zeitgenössischen Diskurs stellen die anschließenden Kapitel die Alltagswirklichkeit der Modalitäten beim Passieren von Stadttoren dar. Kapitel 6 untersucht differenziert die am Stadteingang praktizierten städtischen und militärischen Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen und in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Verschließbarkeit und Bemannung der Stadttore; ein Ausblick gilt der Institutionalisierung einschlägiger Ordnungsmaßnahmen in der Spätantike. Reisende hatten am Stadteingang indessen nicht nur mögliche Personenkontrollen zu gewärtigen, sondern, wie Kapitel 7 umreißt, unter Umständen auch ein aufwendiges Zollverfahren zu absolvieren. Dies ist anhand von Torzollquittungen aus dem Fayum detailliert nachvollziehbar. Um Wartezeiten, Kontrollen und Zollerhebung am Stadttor zu umgehen, wurde ein Teil des Handels bevorzugt vor den Toren der Städte abgewickelt (Kapitel 8). Auch andere wirtschaftliche Aktivitäten, etwa mit Lärm- oder Geruchsbelästigung verbundene oder normverletzende Gewerbe, waren mancherorts – keineswegs überall – bevorzugt am Stadteingang angesiedelt. Viele Städte boten unmittelbar vor oder gleich hinter ihren Toren zudem eine spezielle Infrastruktur für ankommende Reisende. Ein dritter Teil über „Verkehrs- und Kommunikationswege am Stadteingang“ betrachtet diesen als einen Raum, durch den sich Fahrzeuge, Personen und Infor-

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1.5 Gliederung

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mationen bewegten, in dem somit Austausch und Begegnung zustandekamen. Für eine Beurteilung der Verkehrslage am Eingang der kaiserzeitlichen Städte ist die Frage nach innerstädtischen Verkehrsregelungen grundlegend (Kapitel 9). Es wird nachgewiesen, daß in Rom selbst – entgegen einer häufig zu lesenden Behauptung – kein allgemeines Tagfahrverbot herrschte. Was die Verkehrsbestimmungen in anderen römischen Städten betrifft, kann im Rückgriff auf archäologische Studien klar gezeigt werden, daß diese, anders als es der bisherige althistorische Diskussionsstand vermuten ließe, ganz uneinheitlich waren. Auch die verschiedenen Lösungen für das zentrale Problem des Durchgangsverkehrs waren den jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepaßt. Kapitel 10 untersucht die Rolle des Stadttors für Raumordnung und Kommunikation. Im Rückgriff auf einen netzwerktheoretischen Zugang wird aufgezeigt, wie sich die Menschen an Stadttoren orientierten und auf welche Weise sie von dort aus einfach und effizient an ihr Ziel gelangen konnten. Anschließend werden quellennah die spezifischen Kommunikationsmodalitäten herausgearbeitet, durch die sich der Eingang kaiserzeitlicher Städte auszeichnete. Der vierte Teil der Arbeit befaßt sich mit der „Semantik des Stadttors“ in einer Zeit, als es in der Regel militärisch entbehrlich war. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Tatsache, daß es sich um einen liminalen Ort handelte, also um den Übergang über eine konzeptionelle Grenze (Kapitel 11). Ich beschreibe die idealtypische Ankunft am Stadttor als Eintritt in einen Schwellenraum, der durch kultische und rituelle Praktiken begleitet und akzentuiert werden konnte. Zeremonielle Handlungen, wie sie im Zuge von städtischen Festprozessionen, bei der Ankunft des Kaisers oder beim Triumphzug durchgeführt wurden, setzten das Tor als Ort des Übergangs zwischen Außen und Innen in Szene und schrieben sich damit in die Topographie der Stadt und in das Gedächtnis ihrer Bewohner ein. In Kapitel 12 wird diskutiert, inwiefern das Stadttor nicht nur die Stadt als solche symbolisierte, sondern auch ganz konkret der Repräsentation des Gemeinwesens oder seiner führenden Familien dienen konnte. Eine besondere Bedeutung konnte dabei der Entscheidung der Stadtplaner zukommen, das Eingangstor für eine prominent plazierte Ehrung des Kaisers zu nutzen. Kapitel 13 schließlich unternimmt einen Ausflug in fiktionale Welten. Ausgehend von der Prämisse, daß auch eine Interpretation, die ein Werk in seiner Literarizität ernst nimmt, eine historische Interpretation sein kann, werden die Topographien des römischen Stadtrands untersucht, welche in Komödie, Roman und Satire entworfen werden. Diese fiktionalen Räume weisen zwar Berührungspunkte zur empirischen Wirklichkeit auf, lassen uns aber an Assoziationen und Deutungen teilhaben, die weit darüber hinaus reichen. Die abschließende Synthese im fünften Teil („Bilanz und Ausblick“) bietet mit Kapitel 14 einen systematischen Überblick über die Funktionen, welche dem kaiserzeitlichen Stadttor in seiner Eigenschaft als Kontrollpunkt, als Verbindungsstelle und als Symbolort zukamen. Resümierend wird erörtert, welcher emotionale Wert

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1 Einleitung

dem Stadttor von denjenigen zugeschrieben wurde, die die Stadt bewohnten. Den Schluß der Studie bildet eine kultur- und epochenübergreifende Darstellung, die eine historische Bewertung und Einordnung der römischen Situation leisten soll: Kapitel 15 beschreibt in einem Überblick über die spezifischen Gegebenheiten der Antike, des Mittelalters und der Frühen Neuzeit die kulturelle Praxis, eine vormoderne Stadt zu betreten.

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Teil 1 Das Stadttor in den Kulturen des Mittelmeerraums

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In diesem Teil über „Das Stadttor in den Kulturen des Mittelmeerraums“ wird eine komparatistische Perspektive eingenommen. Wenngleich Bedeutung und Funktionen der Stadttore kulturspezifisch und epochenabhängig differierten, ist das Leben hinter Stadtmauern und -toren als eine strukturelle Konstante in der Geschichte der Städte des Mittelmeerraums zu verstehen. Den Ausgangspunkt meiner Überlegungen bilden die Verhältnisse der römischen Kaiserzeit, die in Kapitel 2 überblicksweise vorgestellt werden, um auf dieser Grundlage den Vergleich zur orientalischen und griechischen Stadt anzustellen und die Spezifika der Prinzipatszeit herauszuarbeiten. An einen kurzen Abriß über die Entwicklung der römischen Wehrarchitektur schließen sich grundlegende Informationen über die im Prinzipat realisierten Mauerneubauten an. Deren historische Besonderheit liegt in ihrer militärischen Entbehrlichkeit: Das Phänomen, daß in dieser Epoche weiterhin Stadtmauern erbaut wurden, erscheint ebenso erklärungsbedürftig wie die Tatsache, daß viele Städte neue Stadttore errichteten, ohne über einen Mauerring zu verfügen. Kapitel 3 widmet sich dem Stadteingang im Vorderen Orient mit einem Schwerpunkt auf Syrien und Palästina. Im Alltagsleben der eisenzeitlichen Städte dieser Region spielte das Stadttor eine zentrale Rolle. Die Kommunikations- und Versammlungspraxis im Tor wird anhand der baulichen Gegebenheiten erläutert und im Rückgriff auf zwei alttestamentliche Erzählungen näher beleuchtet. Es kann herausgearbeitet werden, daß sich das vorderorientalische Stadttor in seinen Grundfunktionen von dem der römischen Kaiserzeit in drei wesentlichen Punkten unterschied: Es diente primär fortifikatorischen Zwecken, es stellte einen exklusiven Eingang zur Stadt dar, und es bot Raum für Zusammenkünfte der gesamten männlichen Bürgerschaft. Überraschenderweise sind noch in der Urbanistik der kaiserzeitlichen Städte in den Levanteprovinzen Anklänge an die vorderorientalische Tradition zu finden, wie das Fallbeispiel Gadara zeigt. Wie im anschließenden Kapitel 4 referiert wird, diente der Bau von Mauern und Toren in Griechenland ebenfalls dezidiert militärischen Zwecken und war daher eng mit den sich wandelnden Formen der Kriegsführung von der archaischen bis zur hellenistischen Zeit verknüpft. Bei den Griechen gab es indessen keine Konzeption, die eine Grenze zwischen Stadt und Umland begründet hätte. Nur im Belagerungsfall wurde das Kontinuum von Polis und Chora durch ein geschlossenes Tor unterbrochen. Eine Funktion als Versammlungsort im städtischen Alltag wie im Vorderen Orient existierte nicht. Analog zum vorangehenden Kapitel gilt auch hier eine abschließende Analyse der kaiserzeitlichen Situation, wobei untersucht wird, wie Pausanias die Eingänge der griechischen Städte mit ihren vorrömischen Baudenkmälern darstellt. In der Zusammenschau der Ausgestaltung und Benutzung von Stadteingängen im Mittelmeerraum seit dem 12. Jahrhundert v. Chr., die dieser Teil schlaglichtartig beleuchtet, sind Brüche und Kontinuitäten zu verzeichnen. Bei allen kulturspezifischen Eigenheiten überwiegt jedoch das Gemeinsame.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit Eine einheitliche Politik zur Befestigung von Städten hat es im Römischen Reich nie gegeben. Die Situation der einzelnen Städte war so spezifisch, daß auch in Phasen militärischer Bedrohung einer Region nicht festzustellen ist, daß flächendeckend oder konzertiert Stadtmauern errichtet beziehungsweise vorhandene Mauern erneuert worden wären.1 In diesem Kapitel soll einleitend die Entwicklung der römischen Verteidigungsarchitektur knapp skizziert werden (2.1). Anschließend möchte ich einen Überblick darüber geben, welche Städte in der römischen Kaiserzeit über Befestigungsanlagen verfügten (2.2), wer für deren Errichtung zuständig war (2.3) und wie diese Bauten finanziert wurden (2.4). Dabei gehe ich auch auf das Spezifikum der Prinzipatszeit ein, daß viele Städte ihren Eingang durch neue Torbauten kennzeichneten, obgleich sie keine Mauern hatten (2.5). Im Rahmen der hier intendierten Einführung in die Thematik wird die Gesamtsituation lediglich anhand von exemplarischem Material vorgestellt, wobei der Überblick sowohl Italien selbst als auch die westlichen und östlichen Provinzen umfaßt. Aus dem differenzierten Befund ergibt sich die Frage, warum in der Kaiserzeit in manchen Städten Stadtmauern errichtet oder wiederhergestellt wurden (2.6). Wie zu sehen sein wird, wurde der grundsätzliche Widerspruch zwischen einer möglichst hohen fortifikatorischen Effizienz und dem Anspruch auf eine repräsentative Gestaltung von Verteidigungsanlagen unterschiedlich gelöst. Während bei einigen kaiserzeitlichen Befestigungsbauten die militärischen oder sicherheitspolitischen Aspekte dominieren, sind andere Stadtmauern vorrangig dem Selbstverständnis einer Stadt als Stadt verpflichtet, oder sie sind als Prestigeprojekte zu bewerten, die beispielsweise eine enge Verbundenheit mit dem Kaiserhaus ausdrücken konnten. Aus dem Vorhandensein einer Ummauerung ergaben sich desweiteren diverse praktische Vorteile für die Stadtbewohner. Aus welchen Gründen auch Städte, die ohne Mauerring auskamen, Tore bauen ließen, ist wiederum eine eigene Frage, die es in dieser Studie zu klären gilt. Die Aspekte, die sich als mögliche Gründe für den Bau speziell von Stadttoren benennen lassen, werden in den Folgekapiteln differenziert dargestellt und am Ende in Kapitel 14 systematisierend zusammengebracht.

1

Vgl. in diesem Sinn auch H 2003, 159.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

2.1 Die Entwicklung der römischen Wehrarchitektur bis in die Kaiserzeit Die römische Wehrarchitektur unterscheidet sich von der hellenistischen ganz wesentlich. Wie noch näher aufzuzeigen sein wird,2 hatten Poliorketik und Befestigungswesen der griechischen Welt in hellenistischer Zeit rasante Fortschritte gemacht. Die Römer übernahmen jedoch nur, was ihrem Bedarf entsprach, und benutzten diese Elemente für die Stadtmauern ihrer Kolonien; so beispielsweise die regelmäßige Besetzung der Mauer mit Wehrtürmen oder die Sicherung der Stadttore durch Fallgatter.3 Diese eigene Entwicklung der römischen Wehrarchitektur soll im folgenden näher erläutert werden, um die verschiedenen Bauformen der römischen Stadttore überblicksweise vorzustellen und historisch einzuordnen.4 2.1.1 Walltore Die in der Ebene gelegenen alten italischen Städte waren von einem Erddamm (agger) und einem Graben (fossa) umgeben. Dabei wurde das Material für den Wall beim Aushub des davor liegenden Grabens gewonnen. Solche Anlagen sind unter anderem in Rom, Ostia, Pompeji und Ardea nachgewiesen.5 Zwischen Erdwall und Graben konnte als zusätzliches Schutzelement eine Steinmauer eingezogen werden, die stadtseitig durch die Erde des Aggers abgestützt wurde. Eine gegebenenfalls auf der Innenseite des Walls eingezogene niedrige Stützmauer verhinderte, daß die Erde der Anschüttung auf die innere Wallstraße fallen konnte. Das Tor einer solchen Befestigung war anfangs wohl eine schlichte Bresche, die seitlich ausgemauert wurde, damit das Erdreich nicht die Torgasse auffüllte. Im Kriegsfall wurde sie vermutlich einfach verbarrikadiert und konnte von den seitlichen Abstützmauern herab verteidigt werden; der eigentliche Verschluß lag am stadtseitigen Ausgang, so daß mögliche Angreifer die Bresche wie eine Sackgasse betreten mußten, um zum Torverschluß zu gelangen.6 Die komplizierte Anlage der hellenistischen Stadttore wurde von den Römern nicht übernommen.7 Stattdessen entwickelten sie die Toranlagen weiter, die für die alten Erdbefestigungen durch einen Agger benutzt worden waren. Dabei sind erste komplett aus Stein erbaute Walltore bereits mit den im vierten Jahrhundert v. Chr. errichteten Wallanlagen der Städte Rom und Ostia nachweisbar.8 Sie bestanden aus 2 3 4

5 6 7 8

Unten, 82. B 1997, Sp. 540. Zur baugeschichtlichen Entwicklung des römischen Stadttors nach wie vor grundlegend: M 1923, 75–143 und K 1942. Vgl. die Darstellung bei  H 1992, der die Entwicklung der Formensprache von Bogenmonumenten von der frühen Kaiserzeit bis ins zweite Jahrhundert analysiert. Vgl. K 1942, 7–9. Zu Pompeji siehe die ausführliche Studie   G 2019, die S. 174–204 einen Bogen zu den anderen italischen Städten schlägt. K 1942, 7–9. Eine Gegenüberstellung der griechisch-hellenistischen und der republikanischen Stadttorarchitektur bietet B-E 2016. K 1942, 9.

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2.1 Die Entwicklung der römischen Wehrarchitektur bis in die Kaiserzeit

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einer nach oben offenen Torgasse, deren Hauptverschluß weiterhin die stadtseitig gelegene Tür bildete.9 Erst im ersten Jahrhundert v. Chr. kamen vereinzelt seitliche Türme als weiteres Element hinzu.10 2.1.2 Mauertore Ein neues, genuin römisches Konstruktionselement war das seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. aufkommende gemörtelte Bruchsteinmauerwerk, das den effizienten Bau sehr fester Mauern ermöglichte. Das Mörtelmauerwerk konnte mit Quader- oder Ziegelschalen versehen werden, wurde auch verputzt, weiß getüncht und zum Teil bemalt.11 Mit den Steinmauern der ausgehenden Republik waren die Stadttore dann als eigenständige Baukörper etabliert. Ihren Hauptverschluß bildete nach wie vor die stadtseitige Tür, wobei doppelgeschossige Bauten zusätzlich ein feldseitiges Fallgatter aufweisen konnten.12 In aller Regel besaßen die Tore nur eine einzige Durchfahrt, die selten breiter als vier Meter war.13 In der Zeit der ausgehenden Republik war die Stadtmauer bei jeder Neugründung eines der Bauvorhaben, die allerhöchste Priorität genossen. Für die römischen Kolonien des ersten Jahrhunderts v. Chr. galt: Keine Stadt ohne Mauern.14 Wie zu sehen sein wird, existierte diese Vorstellung in der Kaiserzeit weiter, entsprach aber nicht mehr überall den tatsächlichen Gegebenheiten. Seit der frühen Kaiserzeit sind zunehmend auch Tore mit zwei, drei oder sogar vier Durchgängen nachzuweisen. So war die sogenannte Porta di Ercolano in Pompeji – ursprünglich wie die anderen erhaltenen Tore der Stadt eine Torburg mit einem einzigen Durchlaß – nach ihrer Zerstörung durch Sulla als dreitoriger Bau neu errichtet worden. Der zentrale, sehr viel höhere und breitere Hauptdurchlaß war für Wagenverkehr und Reiter passierbar, wohingegen die beiden seitlichen Durchgänge für Fußgänger konzipiert waren (Abb. 2.1 auf S. 32).15 Während bei den griechischen und hellenistischen Poleis, aber auch bei den italischen Bergstädten wie Veji, Perusia (Perugia), Volaterrae (Volterra) oder Asisium (Assisi) die Zugänge der Stadttore durch eine tangentiale Heranführung der Straßen an die Stadtmauer, durch hakenförmige Versetzungen oder durch vorgezogene Mauerzungen gesichert wurden, lagen die römischen Toranlagen der frühen 9 10

11 12 13 14 15

Ebd., 10–12. Ebd., 16–20. In eine Aggerbefestigung waren Türme nicht sinnvoll einzubinden, da eine flankierende Stellung vor der Mauer es erfordert hätte, den Abstand zwischen Graben und Mauer bedeutend zu vergrößern. B 1997, Sp. 540; ausführlicher zu Mauerwerkstechniken siehe B/M 2016. K 1942, 20, mit einer Erläuterung zur militärischen Nutzung einer solchen Anlage ebd., 9. Ebd., 21. Lediglich die Porta Carmentalis und die Porta Trigemina in Rom, die zu stark frequentierten Märkten vor der Stadt führten, hatten mehrere Durchgänge. G 1987, 160. Dazu insbesondere  T 2019, 1. Zu den Stadtmauern augusteischer Zeit siehe den vergleichenden Überblick italischer Mauern bei R 1987.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

Abbildung 2.1: Die Porta di Ercolano in Pompeji in stadtseitiger Ansicht. Die in die Stadtmauern integrierte Torburg ersetzte einen republikanischen Vorgängerbau. Der breite (im oberen Teil nicht erhaltene) Durchlaß in der Mitte wurde von zwei kleineren, etwa drei Meter hohen Durchgängen für Fußgänger gerahmt. Stadtseitig waren die Arkaden durch Torflügel verschließbar, während es feldseitig ein Fallgatter gab. Teile der Stuckierung an den Wänden sind noch gut zu erkennen.

Kaiserzeit frontal in der Mauerflucht. Sie überspannten Straßen, die im rechten Winkel auf die Stadtmauern trafen, anstatt sich den Gegebenheiten des Geländes anzupassen. Bei Neugründungen mit streng axial ausgerichtetem Hauptstraßensystem lagen die Tore zudem häufig zentral in der Mauer, so daß sie schon von weitem klar auszumachen waren.16 2.1.3 Bogenmonumente als Stadttore Die Stadttore des zweiten und dritten Jahrhunderts wurden dann häufig aus dem Kontext der Stadtmauern gelöst. Die Fassaden, insbesondere die der Feldseiten, waren zunehmend nach repräsentativen Gesichtspunkten gestaltet und wiesen Bauornamentik, Reliefs, Statuen und Inschriften auf. Stadttore konnten nun als eigenständige Monumente ohne Maueranschluß errichtet werden. Dabei waren Torburgen im Befund nach wie vor vertreten, sehr viel häufiger aber war das Stadttor auf einen einzelnen Baukörper ohne Innenhof reduziert, der als Bogenmonument

16

K 1942, 7.30.41.

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2.2 Welche Städte hatten Mauern?

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mit einem oder mehreren Durchgängen gestaltet war. Seitliche Türme konnten nach wie vor verwendet werden.17 2.1.4 Ausblick Im Ausblick auf die Spätantike sei abschließend vermerkt, daß etwa ab der Zeit der Tetrarchie der Wehrcharakter von Stadtmauern wieder in den Vordergrund rückte. Entsprechend wurden die Stadttore funktional ganz auf die Verteidigung ausgerichtet; Fenster und Nebendurchgänge wurden zugesetzt, und bei Neubauten handelte es sich nun wieder um stark befestigte Mauertore, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur einen einzigen Durchlaß aufwiesen.18 2.2 Welche Städte hatten Mauern? Spätestens in nachaugusteischer Zeit war es in vielen Gegenden des Römischen Reichs für eine Stadt nicht zwingend nötig, Befestigungsanlagen zu unterhalten. Erstaunlich viele Orte waren aber trotzdem befestigt.19 So waren unter Augustus von 64 kampanischen Gemeinden – coloniae, municipia und oppida – noch mindestens 44 mit Mauern versehen.20 In Mauretanien ergibt der archäologische Befund, daß 25 Städte bereits in vorrömischer Zeit befestigt waren, wohingegen immerhin 17 Städte noch unter den römischen Kaisern eigene Mauern erhielten; drei weitere Städte errichteten in der Kaiserzeit einen zweiten Mauerring.21 In Italien selbst und in Provinzen mit einem traditionell hohen Urbanisierungsgrad wie der Asia, der Achaia, der Africa Proconsularis oder der Sicilia verfügten viele Städte noch über Mauern aus hellenistischer bzw. republikanischer Zeit.22 Daher blieben vielerorts die alten Stadttore in Betrieb.23 Zudem hatte eine ganze Reihe von Städten in Italien, Gallien, Dalmatien und Spanien noch unter Augustus neue Mauern erhalten.24 Paul Zanker entwirft dementsprechend das folgende Bild:

17 18 19 20 21 22 23 24

Zu Gestaltung und Dekor der kaiserzeitlichen Stadttore siehe das in diesem Buch präsentierte Material. Siehe dazu F O/M 2006 und ferner den Überlick zum Byzantinischen Reich bei U 2006. Vgl. auch G 1996, 39: Es ließe sich annehmen, daß mit Ende der Bürgerkriege keine neuen Stadtmauern mehr gebaut wurden, doch das Gegenteil war der Fall. L/E C/S 2011, 141 unter Rückgriff auf das Material des Liber Coloniarum. L 1987, 152. Siehe H 2001, 139; B 2008, 178; L/E C/S 2011, 158; F 2019, 295–300. Siehe etwa H 2008 in bezug auf Pergamon und Ephesos oder F 2019, 295–298 in bezug auf die Städte der Peloponnes. Beispielhaft sei auf die von Augustus selbst gestifteten Mauern in den genannten Regionen verwiesen, siehe unten, 40 f. Zu den augusteischen Mauern in Italien liegt jetzt P 2017 vor.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

„Wer [. . . ] auf den vom Princeps neu hergerichteten Straßen durch Italien reiste – nach jeder Meile erinnerte ein Pfeiler mit großer Inschrift daran, wem man die Straßen verdankte –, stieß allenthalben auf neue Stadtmauern[,] auf prächtige Torbauten und grosse [sic] Ehrenbögen. Augustus und Tiberius haben mehreren Städten sogar mitten im friedlichen Italien das Geld für solche Mauern geschenkt.“25 In republikanischer Tradition wurden unter Augustus und im ganzen ersten Jahrhundert insbesondere auch wichtige neugegründete Kolonien mit Stadtmauern versehen, wie sich anhand zahlreicher Einzelstudien belegen läßt. Frühe Beispiele wären etwa die Coloniae Forum Iulii (Fréjus) um 30 v. Chr.,26 Augusta Taurinorum (Turin) nach 27 v. Chr.,27 Augusta Emerita (Mérida), deren Mauern spätestens im Jahr 8 v. Chr. vollendet waren,28 und Emona (Ljubljana) mit einer im Jahr 14/15 n. Chr. fertiggestellten Mauer.29 Die Colonia Ara Agrippinensium (Köln) erhielt nach ihrer Gründung im Jahr 50 n. Chr. ebenfalls eine steinerne Umfassungsmauer mit neun Toren;30 als oppidum hatte Köln zuvor nur über eine Holz-Erde-Mauer verfügt.31 In den 70er Jahren wurde Aventicum (Avenches) im Zuge seiner Erhebung zur Kolonie mit einer großen Ringmauer umgeben.32 Auch die numidischen Coloniae Cuiculitana (Djémila) am Ende des ersten Jahrhunderts und Thamugadi (Timgad) im Jahr 100 wurden als Neugründungen mit Mauern ausgestattet.33 Noch unter Hadrian erhielt dessen Heimatstadt, das hispanische Italica, bei seiner Neugründung als Kolonie eine Steinmauer.34 Dabei wurden die Mauern der neugegründeten Kolonien oft so großzügig bemessen, daß intra muros zunächst große unbebaute Flächen frei blieben. Die Überlegung Michael Pfanners, daß die Größe des ummauerten Stadtgebiets „symbolhaft für die neue Zeit“ stand und dafür, was man in Zukunft für die Stadt erwarten durfte,35 hat einiges für sich. Der Rechtsstatus einer Ortschaft spielte für die Frage nach Befestigungsanlagen allerdings keine grundsätzliche Rolle, wie Marietta Horster überzeugend aufzeigt.

25

26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Z 1997, 323. Auch G 1996, 39 verweist darauf, daß Mauern, Türme und Tore im frühen Prinzipat den Weg der Reisenden in Italien und den westlichen Provinzen prägten und die Landschaft strukturierten. S 1981, 84 f. G 1987, 160. P 1990, 88. H 2001, 145. Zu den Stadtmauern von Köln S 1981, zum Zusammenhang von Koloniegründung und Mauerbau ebd., 18 f. E 2004, 174. P 1992, 40 f. L/E C/S 2011, 158, vgl. auch G 1996, 52. P 1990, 110. Ebd., 88. Aus diesem Grund – und nicht aus militärischen Erwägungen heraus – gehörten die Stadtmauern Pfanner zufolge zu den ersten Baumaßnahmen in den neuen Kolonien.

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2.2 Welche Städte hatten Mauern?

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Auch municipia und oppida konnten Mauern aus Stein besitzen.36 Nicht zuletzt ist außerdem an den Sonderfall der befestigten Militärlager zu denken, die sich im Laufe der Zeit zu Städten entwickeln sollten, wie es vor allem in westlichen Provinzen der Fall war, beispielsweise in Castra Regina (Regensburg).37 Umgekehrt gab es viele wichtige Kolonien, die keine Mauern erhielten. So blieb die Colonia Karthago als die bedeutendste augusteische Neugründung für über 400 Jahre ohne Stadtmauern.38 Insgesamt ergibt sich ein sehr uneinheitliches Bild. Während in Italien, Kleinasien, Griechenland und etwa auch in den gallischen Provinzen viele municipia und selbst oppida ummauert waren, verfügte in Britannien bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts kaum eine Stadt über steinerne Mauern. Selbst eine colonia wie Camulodunum (Colchester) oder die Provinzhauptstadt Londinium wurden nur durch Erdwälle und Palisaden geschützt.39 Einige britannische Städte hatten immerhin steinerne Stadttore.40 Auch in den westlichen Alpenprovinzen scheinen Mauern häufig zu fehlen, so in Noviodunum (Nyon), wo keinerlei Hinweise auf eine Stadtmauer gefunden wurden, oder in Augusta Raurica (Augst), wo ein in flavischer Zeit begonnener Mauerring nie fertiggestellt worden ist.41 In Syrien und Palästina erhielten auch bedeutende Städte im ersten und zweiten Jahrhundert keine (neuen) Mauern, wie nicht zuletzt das prominente Beispiel von Aelia Capitolina (Jerusalem) zeigt.42 Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts wurden in Mauretanien, Dalmatien, Dakien, Thrakien, Untermösien und Germanien, somit in Provinzen mit einem gewissen „Unruhepotential“, verstärkte Sicherheitsmaßnahmen notwendig. Dort wurden unter Marc Aurel und seinen Nachfolgern zahlreiche Städte befestigt.43 In Untergermanien lassen sich angesichts eines sehr fragmentarischen Forschungsstandes immerhin zwei Städte benennen, die ihre Mauern vermutlich in severischer

36

37

38 39 40 41 42 43

H 2001, 122.138 f. und 163–165 (und so auch schon G 1996, 51). Horster hat die kaiserlichen Bauinschriften für die westlichen Provinzen und Italien, ohne die Stadt Rom, systematisch erschlossen, wobei sie die östlichen Provinzen und Rom in ihre Überlegungen vergleichend mit einbezieht. Den Stadtmauern und Stadttoren widmet sie ein eigenes Kapitel (Kapitel III: „Die Inschriften von Stadtmauern und Stadttoren“, 121–167). Eine kritische Leseanleitung bietet die sehr ausführliche Rezension A 2002. In Regensburg ist die Bauinschrift des steinernen Osttors des Lagers erhalten, derzufolge Marc Aurel und Commodus im Jahr 179 vallum cum portis et turribus bauen ließen (CIL III Suppl. 1, 11965). Siehe G 1996, 39.52. H 2001, 163–165. P 1991, 283 verweist auf den geringen militärischen Wert der Befestigungen von London und Colchester. H 2001, 165. Die Beispiele bei P 1992, 35–38. A 1998, 182: Zunächst wurden nur jene Städte befestigt, in denen eine Legion stationiert wurde. H 2001, 166, Zitat ebd.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

Zeit erhielten.44 Im rechtsrheinischen Obergermanien wurde Ende des zweiten Jahrhunderts ein Teil der städtischen Siedlungen, die um frühere Auxiliarkastelle herum entstanden waren, mit Ringmauern und einer zusätzlichen Wallanschüttung versehen.45 Die Landmauern der britannischen Hauptstadt Londinium entstanden um 190 bis 225 als Erweiterung der bereits existierenden Befestigung eines Militärlagers.46 Auch eine Reihe afrikanischer Städte erhielt im zweiten Jahrhundert neue Mauern.47 In den 250er und 260er Jahren ließen mehrere kleinasiatische Städte ihre Befestigungsanlagen erneuern, um die Vorstöße der Goten abzuwehren; darunter waren Dorylaion, Ankyra, Prusias am Hypios, Sardeis, Milet, Ephesos und Lamos in Kilikien.48 Die von den Goten niedergebrannte Stadt Nikaia bekam noch unter dem Kaiser Claudius Gothicus neue Mauern.49 Thessalonike in Makedonien, das zweimal von den Gothen belagert wurde, hatte um die Mitte des dritten Jahrhunderts neue Land- und Seemauern erhalten, die offenbar unter großem Zeitdruck errichtet wurden.50 Auch Rom selbst erhielt in den 270er Jahren mit der aurelianischen Mauer wieder eine Befestigung, die einen großen Teil des durchgehend bebauten Stadtgebiets umschloß.51 In Britannien wurden in dieser Zeit viele Städte erstmals richtig ummauert. So wurde in Corinium (Cirencester) eine Steinmauer vor den Erdwall gesetzt, der die Stadt einschloß; in Glevum (Gloucester), Calleva Atrebatum (Silchester) und Lindum (Lincoln) wurden die Befestigungen der früheren Militärlager durch zusätzliche Mauern verstärkt, in Lindum außerdem die vorher nur durch einen Wall geschützte Vorstadt ummauert.52 Londinium erhielt entlang dem Nordufer der Themse Flußmauern.53 Schließlich ist auch auf die Städte der Levante zu verweisen, die im ausgehenden dritten Jahrhundert neue Befestigungen anlegten, darunter Adraa, Bosra, Gerasa, Gadara, Skythopolis und

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K 1992, 147–152: Dies sind Forum Hadriani (Voorburg) und Ulpia Noviomagus (Nijmegen); die Mauern von Köln gehören noch ins erste Jahrhundert (siehe dazu schon oben), und die von Vetera (Xanten) fallen mit Erhalt des Stadtrechts zu Beginn des zweiten Jahrhunderts zusammen. S 1992, 137–140. Aufgrund der sehr sorgfältigen Mauerweise und des Fehlens jeglicher Spolien, was auf eine Errichtung dieser Stadtmauern ohne Zeitdruck und Materialmangel verweist, geht Sommer davon aus, daß die Maßnahmen nicht im Zusammenhang mit einer akuten Bedrohung oder feindlichen Zerstörungen standen (139). H 2018, 173. Es werden auch frühere Datierungen diskutiert (ebd.). L 1987, 152; G 1996, 52. W 1996, 136; B 2008, 179. In bezug auf Kilikien ist meines Erachtens eher an eine Bedrohung durch Isaurier oder Sasaniden zu denken. W 1996, 136. Siehe dazu Βελένης 1998, 43–63 (mit Abb. 54 auf S. 80, wo die verbauten Spolien zu sehen sind); vgl. auch  B 2001, 49–52. Dazu B 1997, Sp. 541; siehe auch unten, 46. W 1992, 21–23; K 2011, 143. H 2018, 173.

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2.3 Wer entschied über die Errichtung von Mauern?

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Aelia Capitolina (Jerusalem).54 Im vierten Jahrhundert sind ebenfalls zahlreiche Neuerrichtungen und Instandsetzungen von Stadtmauern belegt, die an dieser Stelle nicht im einzelnen aufgeführt werden müssen.55 Es läßt sich festhalten, daß in der gesamten Prinzipatszeit Stadtmauern erbaut und instand gehalten wurden – entgegen einer zweifellos existenten allgemeinen Tendenz zur offenen Stadt im ersten und zweiten Jahrhundert. Neben den Städten, in denen ältere Mauern weiter unterhalten wurden, erhielten namentlich zahlreiche neugegründete Kolonien steinerne Befestigungen, aber auch Neugründungen ohne den Status einer colonia, ebenso wie bereits bestehende Städte. Dabei ergeben sich im Befund sehr starke regionale Unterschiede: Als Schwerpunkte solcher Baumaßnahmen können im ersten Jahrhundert unter anderem Italien, Gallien, Dalmatien und Spanien benannt werden, im zweiten Jahrhundert mehrere Rhein- und Donauprovinzen, und im dritten Jahrhundert vor allem Kleinasien und Britannien sowie die Stadt Rom selbst. Chronologisch betrachtet wurden im Imperium Romanum insbesondere unter Augustus und Tiberius, am Ende des zweiten Jahrhunderts und dann wieder seit den 250er Jahren vermehrt Stadtmauern errichtet oder alte Mauern instand gesetzt. 2.3 Wer entschied über die Errichtung von Mauern? Wie bereits mehrfach angeklungen ist, bedurfte der Bau von Stadtmauern in der Kaiserzeit einer Genehmigung des Kaisers. Dabei legt das epigraphische Material meiner Ansicht nach den Schluß nahe, daß Bau und Instandhaltung von Mauern und Mauertoren bis in augusteische Zeit von den Städten als ureigene hoheitliche Aufgaben betrachtet worden waren. Über eine solide Stadtmauer zu verfügen, war eine Frage der Sicherheit und damit von immenser und unmittelbarer Bedeutung für die Stadt als Gemeinwesen und für jeden ihrer Einwohner.56 Bezeichnend ist wohl die Tatsache, daß die Römer im Zuge ihrer Expansion jenen Städten, die ihnen aktiven Widerstand geleistet hatten, das Recht auf eine Bewehrung mit Mauern nicht mehr zugestanden haben.57 So wurde es einer Stadt wie Thisbe in Boiotien, die 171 v. Chr. auf makedonischer Seite gegen Rom gekämpft hatte, per Senatsbeschluß verweigert, ihre Mauern, die nach der Kapitulation geschleift worden waren,58 wieder instand zu setzen.59 54 55

56 57 58 59

A 1998, 179; H 2000, 222; W 2002, 79; B 2008, 184 f.; H 2013, 27. Ich verweise beispielhaft auf die Wiederherstellung von Stadtbefestigungen der kilikischen Städte Anazarbos, Kastabala, Eirenoupolis und Anemourion nach ihrer Zerstörung durch Balbinus (W 1996, 133) oder auf die Restaurierung der Mauern von Smyrna (ebd., 159). Ob bzw. inwieweit dies auch noch nach Augustus galt, wird unten, 123–175, diskutiert. Vgl. C 2000, 51. G 1993, 149. M 1961a, 33; C 2000, 50 f. Den griechischen und lateinischen Wortlaut des Beschlusses vom Oktober 170 v. Chr. bietet die Inschrift IG VII 2225.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

Noch in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. waren die stadtrömischen Censoren für die Errichtung öffentlicher Bauten auf dem ager Romanus zuständig gewesen, also in Rom selbst, in den Bürgerkolonien und in den abhängigen Städten. Damit fiel auch der Befestigungsbau zunächst in den Zuständigkeitsbereich der Censoren.60 Seit dem Bundesgenossenkrieg, also in der Zeit nach 88 v. Chr., lag die Initiative für die Einrichtung von Stadtbefestigungen in Italien dann bei den lokalen Magistraten,61 also in der Entscheidungshoheit der Städte. Auch in den Provinzen wurden Errichtung und Renovierung von Stadtmauern und Toren in dieser Zeit eigenverantwortlich durchgeführt, wie Beispiele aus Sizilien, Spanien, Dalmatien und Africa zeigen.62 Während aber im ersten Jahrhundert v. Chr. die Zuständigkeit im Regelfall bei den Städten selbst lag, ist nach Augustus nur noch ein einziger Mauertorbau in claudischer Zeit mit dem Namen eines lokalen Amtsträgers verbunden.63 Anscheinend ging die Entscheidungskompetenz in allen Fragen der städtischen Befestigung exklusiv an den Kaiser bzw. seinen Statthalter über.64 Das ius muniendi mußte durch die Städte beantragt werden und konnte nach Einzelfallprüfung erteilt werden.65 In den Provinzen wurden Neubau, Umbau und Restaurierungen an Befestigungsanlagen durch die Statthalter genehmigt, wobei zumindest seit der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts bis zum Ende des vierten Jahrhunderts ein kaiserlicher Entscheidungsvorbehalt galt.66 Bei allen Unsicherheiten zu den Details des Ablaufs zeigt dieser Umstand jedenfalls, daß die Frage der städtischen Befestigung auch in der Kaiserzeit ein Politikum blieb.67 Cédric Brélaz veranschaulicht das anhand eines historischen Beispiels: „Par le contrôle qu’ils exercent sur la construction des murailles, les Romains cherchent à limiter les possibilités de rébellion, comme ce fut le cas toutefois à Byzance, par exemple, qui réussit à résister deux ans à l’armée de Septime Sévère derrière ses murs, lors de la guerre civile du début des années 190.“68

60 61

62 63 64 65 66 67 68

H 2001, 123. Ebd., 123–127. Die Verfasserin kann für die Phase der Munizipalisierung Italiens nach dem Bundesgenossenkrieg über 50 Stadtbefestigungsinschriften anführen. 42 davon belegen einen eigenverantwortlichen Mauerbau durch städtische Magistrate – so in Aquileia, Arpinum, Asisium, Pompeji, Rubi, Tibur und Verona, um einige Beispiele zu nennen. H 2001, 127 verweist auf Lilybaeum, Carthago Nova, Lucentum, Saguntum, Emporiae, Curici, Narona, Lissus und Curubi. Es handelt sich dabei um die Porta Leone in Verona (ebd., 132). In diesem Sinn auch B 2008, 177. H 2001, 134, Tac. hist. 5,12 interpretierend. H 2001, 135–137. Zum kaiserlichen Entscheidungsvorbehalt siehe auch W 1996, 205. Vgl. H 2001, 134. B 2008, 177.

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2.4 Wer finanzierte Stadtmauern, Türme und Tore?

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Nach der Niederlage verlor Byzantium den Status einer civitas libera – und seine Mauern wurden geschleift.69 Die Zerstörung der Befestigungsanlagen bedeutete die faktische wie symbolische Aufhebung jedweder Autonomie,70 die eine Stadt im Römischen Reich noch für sich reklamieren wollte. Insofern verweist die Beanspruchung des ius muniendi durch den Kaiser klar auf die tatsächlichen Machtverhältnisse unter römischer Herrschaft. 2.4 Wer finanzierte Stadtmauern, Türme und Tore? Stadtmauern, Türme und Tore zu errichten und zu unterhalten, war ein extrem kostspieliges und aufwendiges Unterfangen,71 worauf nicht zuletzt die zahlreichen Mauerringe verweisen, die nie fertiggestellt worden sind.72 Schon der reine Materialaufwand war immens. So wurden in einem konkret untersuchten Fall in Obergermanien allein für fünf Kilometer Stadtmauern mindestens 67 000 Kubikmeter Steinmaterial verbaut, was einem Gewicht von 175 000 Tonnen Stein entspricht. Dazu kamen enorme Mengen an Bauholz für Verschalungen, Kräne und Gerüste, sowie Brennholz für den verwendeten Mörtelkalk.73 Die notwendigen Arbeitsleistungen wurden zumindest teilweise unentgeltlich von den Bewohnern selbst erbracht. So konnte eine Kolonie ihre Bürger ebenso wie die auf ihrem Territorium ansässigen Nichtbürger jährlich zu fünf Arbeitstagen einbestellen, und wer ein Pferde- oder Ochsengespann besaß, hatte dies für drei Tage dem Dienst der Gemeinschaft zu überlassen.74 In der ausgehenden Republik lag die Finanzierung von Mauern bei den Städten selbst, und noch in augusteischer Zeit wurden die Stadtbefestigungen in der Regel aus der städtischen Kasse bestritten.75 Nur in wenigen Fällen finanzierten Euergeten Arbeiten an Mauern oder Toren.76 69 70 71

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Ebd., 177 f. Vgl. dazu M 1961a, 33. Vgl. die Kostenaufstellung für Stadtmauern in klassischer und hellenistischer Zeit bei C 2000, 46 f. Wie der Verfasser konstatiert, zeigen die hohen Kosten „that fortifications represent by far the greatest physical expression of public, communal participation, whether we think in terms of money, labor, or organization“ (47). G 2005, 197 führt als Beispiele die unvollendeten Mauern von Augusta Raurica (Augst) und Aguntum (Dösach bei Lienz) an, die er nonchalant als „Bauruinen“ tituliert. Ebd., 196 f. Der Verfasser berechnet neben diesem Beispiel die Volumina der Mauern von zwei weiteren obergermanischen Städten (ohne Türme und Tore). E 2004, 176 f.; vgl. H 2001, 128 f. Ebd. Für diese Annahme spricht auch, daß in den Inschriften meist kein Geldgeber explizit benannt wird, was bei einer Finanzierung aus den eigenen Mitteln eines Privatmanns oder Magistraten der Fall gewesen wäre (ebd., 128). Mehrere Beispiele diskutiert   G 2019, 198–201. H 2001, 129 vermutet, „daß entweder kein Raum für derartige Baustiftungen blieb, oder aber in diesem Sicherheitsbereich und statusbeladenem Darstellungsmittel einer Stadt solche nicht erwünscht waren“. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht die repräsentative, sondern allein die militärische Funktion der Stadtmauern und Tore, wie im Vergleich zu den Bogenmonumenten am Stadteingang zu

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

In den ersten drei Jahrhunderten kann ebenfalls für eine Reihe von Stadtmauern der Nachweis geführt werden, daß sie aus städtischen Mitteln finanziert wurden, darunter die Mauern von Brixen im Noricum, von Sala und Rapidum in Mauretanien, von Callatis in der Moesia Inferior und die von Lamos in Kilikien.77 Die Kosten der Instandhaltung fielen anscheinend ohnedies ganz in die Verantwortung der Städte.78 Später wurden die Städte der Asia mit einer Verfügung des Kaisers Valens aus dem Jahr 370/371 dazu verpflichtet, ein Drittel ihrer Einkünfte für den Mauerbau aufzuwenden.79 Daneben läßt sich in sehr wenigen Fällen bereits in den 40er und 30er Jahren v. Chr. der Beginn einer neuen Entwicklung fassen, in der Triumvirn und später Kaiser als Stifter von Stadtmauern und -toren fungieren. Im Zusammenhang mit drei oder vier Mauerbauvorhaben werden inschriftlich Triumvirn oder ihre Unterbefehlshaber genannt, wobei aus den Formulierungen nicht hervorgeht, wie man sich deren Beteiligung an den Befestigungsarbeiten vorzustellen hat.80 Octavian ist der erste, für den sich zweifelsfrei belegen läßt, daß er im Jahr 33 v. Chr. einer Stadt – der Colonia Tergeste (Triest) – Mauern und Türme finanzierte (murum turresque fecit).81 Im Verlauf der folgenden 47 Jahre werden diverse Stadtmauerstiftungen, vor allem in Gallien und Dalmatien, mit seiner Person verknüpft sein. Eine ganze Reihe davon kann dank entsprechender Bauinschriften mit der Formulierung dat oder dedit konkret zugeordnet werden: Neben den Befestigungsanlagen von Triest stiftete Octavian bzw. zu diesem Zeitpunkt schon Augustus auch die Stadtmauern von Fanum Fortunae (Fano) und Augusta Praetoria (Aosta) in Italien, von Vienna (Vienne) und Nemausus (Nîmes) in der Narbonensis, von Pax Iulia (Beja) in der Lusitania und die von Arba (Rab), Salona und Iader (Zadar) in der Dalmatia.82 In den östlichen Provinzen finanzierte Augustus dem pisidischen

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sehen sein wird, die – ebenfalls »statusbeladen«, aber nicht verteidigungsrelevant – häufig mit privaten Mitteln finanziert wurden. Zur Mauer von Brixen siehe H 2003, 383. Die Städte Sala, Rapidum und Callatis benennt H 2001, 155; zum Bau der Mauer in Sala siehe unten, 127–129. Den Beleg für Lamos bietet eine Inschrift über dem Haupttor der Stadt (P/R 1914, 167 f., Nr. 116, hier Z. 5). Siehe dazu B 2008, 178, der im Rückgriff auf Dions Rhodische Rede (Or. 31) herausarbeitet, daß zumindest manche griechischen Städte ihre vorrömischen Befestigungsanlagen in der Kaiserzeit weiter pflegten, wenn auch weniger sorgfältig als in Kriegszeiten. Ob der Unterhalt von Stadtmauern in der Kaiserzeit ein fester Posten im städtischen Haushalt war (wie noch in manchen hellenistischen Poleis), ist ihm zufolge unklar. W 1996, 136. Belege bei H 2001, 130–132. CIL V pars 1, 525 = ILS 77, Zitat Z. 3. Vgl. auch H 2001, 141. Zu Augusta Praetoria siehe H 2003, 369, die anderen Belege bei H 2001, 154, zu den Einzelnachweisen siehe ihre tabellarische Aufstellung (ebd., 141). Wie umfassend die Finanzierung durch den Princeps tatsächlich ausfiel, ist freilich nicht immer ganz deutlich. So ist mittlerweile klar nachgewiesen, daß die Mauern von Nemausus bereits zehn Jahre vor ihrer »Stiftung« durch Augustus errichtet worden waren (G 1996, 47); die Mauern von Vienna sind in ihrem erhaltenen Zustand nicht augusteisch, sondern in iulisch-claudische Zeit zu datieren (ebd., 51).

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2.4 Wer finanzierte Stadtmauern, Türme und Tore?

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Antiocheia Stadtmauern.83 Daß es sich jeweils um gewaltige Bauprojekte handelt, veranschaulicht etwa die Mauer der Colonia Vienna, die vier Hügel umschloß, sechs bis sieben Kilometer lang war und eine Stärke von bis zu vier Metern aufwies; sie war mit 58 Türmen besetzt.84 Augustus kann damit ein in der gesamten römischen Geschichte einzigartiges Engagement als Stifter von Mauern und Toren vorweisen.85 In seiner eigenen Aufzählung seiner bedeutendsten Euergesien in den Res Gestae übergeht er diesen Punkt leider, da ausschließlich Baumaßnahmen in Rom selbst verzeichnet werden. An dieser Stelle sei auch auf die Finanzierung von Mauern durch die Klientelkönige der frühen Prinzipatszeit hingewiesen. Diese Euergesien standen klar in hellenistischer Tradition,86 gehören aber in die gleiche Zeit wie die Stiftungen des Augustus und sind daher in diesem Zusammenhang ebenfalls zu berücksichtigen. So hat Herodes der Große im Rahmen seines Bauprogramms mehreren Städten, auch solchen außerhalb seines Herrschaftsbereichs, Ringmauern finanziert.87 Seine erste Neugründung, die zu Ehren des Augustus in Sebaste umbenannte Stadt Samaria, stattete er um 25 v. Chr. mit Stadtmauern aus, die mehrere der älteren hellenistischen Türme integrierten.88 Der bei Josephus erwähnte, archäologisch aber noch nicht nachgewiesene Bau von Stadtmauern in der syrischen Stadt Byblos wurde von Herodes vermutlich um das Jahr 20 v. Chr. herum in Angriff genommmen.89 Im Zuge der Neugründung von Caesarea Maritima als Hafen- und Residenzstadt, auch sie zu Ehren des Augustus benannt, errichtete Herodes um 15 bis 9 v. Chr. eine Ringmauer um die Stadt.90 Ein weiteres Beispiel bietet der Galaterkönig Amyntas, der als Klientelkönig unter Augustus die Stadt Isaura (wohl mit dem heutigen Zengibar Kalesi zu identifizieren) zu seiner Residenz ausbaute. Amyntas setzte in Isaura eine Stadtmauer ins Werk, welche als zweischaliger Ring ausgeführt wurde (siehe Abb. 2.2 auf S. 42).91 In bezug auf den Westen kann auf Juba II. verwiesen werden, der das mauretanische Caesarea – auch hier sei die Benennung nach Augustus vermerkt – zu einer der wichtigsten Städte Nordafrikas 83 84

85 86 87

88 89 90 91

W 1996, 124. Entsprechende Bauinschriften an den sehr viel älteren Stadttoren von Byllis in der Macedonia beziehen sich wohl auf einen Umbau (H 2001, 154, Anm. 105). Eine Besprechung des archäologischen Befundes bietet L B-H 1987, 51–54. Die Stifterinschrift, in Horsters Katalog Nr. XX 3, setzt sich aus den Fragmenten CIL XII 1843 und ILGN 263 zusammen. Programmatisch war dies Horster zufolge im Hinblick darauf, daß es sich bei den mit Mauern ausgestatteten Städten zumeist um Veteranenkolonien handelte (H 2001, 166). Zur Schenkung von Stadtmauern durch hellenistische Herrscher siehe unten, 84. Nicht berücksichtigt ist in den folgenden Ausführungen der Bau der monumentalen Befestigungsanlagen von Masada durch Herodes. Er fällt noch in die 40er Jahre des ersten Jahrhunderts v. Chr. und damit in voraugusteische Zeit, siehe dazu R 1998, 187–190. Ebd., 211, zur Datierung 210. Jos. bell. Iud. 1,422; siehe dazu R 1998, 222 f. Ebd., 143 f., zur Datierung 134 f. Zu den Mauern, Türmen und Toren von Isaura siehe die nach wie vor maßgebliche Publikation von Knoll in S/K/K 1935, 119–125; in bezug auf ihre Stiftung durch Amyntas siehe zuletzt auch W 1996, 219.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

Abbildung 2.2: Die von Amyntas in augusteischer Zeit gestiftete Befestigung der Stadt Isaura (Türkei). Das Foto zeigt das Tor zur Akropolis, das von zwei weit vorspringenden Türmen gedeckt wurde. Es handelt sich um das Vortor einer Doppeltoranlage mit versetzter Wegführung; der Torhof ist heute verschüttet. Die Stadtmauern von Isaura waren nur durch ein einziges weiteres Tor und einige kleine Ausfallpforten durchbrochen.

ausbaute, einschließlich in ihrem Umfang sehr großzügig bemessener Land- und Seemauern, die kurz nach der Zeitenwende datieren.92 In augusteischer Tradition traten auch die späteren Kaiser als Euergeten von Stadtmauern und Stadttoren in Erscheinung. Tiberius hatte bereits zur Regierungszeit seines Stiefvaters gemeinsam mit seinem Bruder Drusus den Mauerring der italischen Stadt Saepinum samt Türmen und Toren finanziert.93 Als Princeps beendete er den unter Augustus begonnenen Bau der Stadtmauern von Emona (Ljubljana) in Panonnien, er stiftete die Mauern von Argyruntum in Dalmatien sowie ein Stadttor des italischen municipium Laus Pompeia.94 Claudius hat eines der Stadttore von Ravenna aus eigenen Mitteln erbauen lassen.95 Der Bau des Mauerrings von Köln wurde möglicherweise durch Nero finanziert.96 Die Wieder92

93 94 95 96

L 1987, 152–156. Wie der Verfasser erläutert, folgten diese Mauern typologisch ebenfalls hellenistischen Vorbildern, und nicht etwa der vorrömischen Tradition in Afrika oder dem Typus der in derselben Zeit entstandenen Stadtmauern der augusteischen Kolonien (156). H 2001, 141. Ebd., 141 f. und 145.154. Ebd., 154. E 2004, 175–177.

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2.5 Tore ohne Mauern

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herstellung der Mauern von Harmozike, einer Stadt östlich des Schwarzen Meers im iberischen Kaukasus, durch Vespasian, Titus und Domitian stand offenbar im Zusammenhang mit der Sicherung der Reichsgrenzen.97 Trajan erscheint in unserem Befund lediglich als Stifter von Stadttoren; eine mögliche Finanzierung der Stadtmauern von Thamugadi (Timgad) wird diskutiert.98 Hadrian unterstützte die bithynischen Metropolen Nikaia und Nikomedia nach einem Erdbeben bei der Restaurierung ihrer Stadtmauern und -tore.99 Marc Aurel und Lucius Verus haben Stadtmauern für die Kolonie Apulum in Dakien finanziert.100 Außerdem ist Marc Aurel die Befestigung von Philippopolis und Serdica (Sofia) in Thrakien zuzuschreiben sowie die Neuerrichtung eines Teilabschnitts der Mauern von Salona durch Militärtruppen.101 Die Finanzierung weiterer Stadtmauern ist für Alexander Severus, Gordian, Philippus und Gallienus belegt.102 Während die Kaiser ihrerseits Stadtmauern und -tore finanzierten oder wiederaufbauen halfen, wurden ihnen umgekehrt auch Stadttore als Ehrenmonument gewidmet, wie an anderer Stelle noch zu besprechen sein wird.103 Dieses Phänomen betrifft in besonderer Weise Tore, die nicht Teil von Befestigungsanlagen waren – was uns zu einem nächsten Punkt führt. 2.5 Tore ohne Mauern Im ersten und zweiten Jahrhundert hatten bei weitem nicht alle Städte Mauern, aber über Tore verfügten sie in der Regel dennoch. Dabei handelte es sich dann um Bogenmonumente am Eingang bzw. Ausgang der Stadt, die keinen fortifikatorischen Charakter hatten (siehe etwa Abb. 2.3 auf S. 45). Die monumentalen Bogentore kamen in dieser Form erst zu Beginn der Prinzipatszeit auf.104 So erhielt beispielsweise die augusteische Neugründung Carsulae in Umbrien keine Stadtmauern, wie sie in dieser Zeit in anderen italischen Städten wie Fanum oder Minturnae errichtet wurden. Dennoch wurde der nördliche Stadteingang von Carsulae mit einem dreigliedrigen Bogenmonument markiert, das den Wohnbereich von der Nekropole abgrenzte.105 In den folgenden zwei Jahrhunderten verbreitete sich der Typus des dreibogigen Stadteingangstors nach italischem Vorbild in den östlichen Reichsteilen wie Syrien und Kleinasien so stark, daß man heute anhand dieser 97 98 99

100 101 102 103 104 105

W 1996, 135. H 2001, 154. W 1996, 101, vgl. auch die zur Erinnerung an die Stadtsanierung in Nikomedia geprägten Münzen mit einer Abbildung Hadrians, der die vor ihm knieende und mit einer Mauerkrone geschmückte Stadtgöttin erhebt (N 1995, 47, Abb. 3). H 2001, 154. Ebd., 155. Ebd. Siehe dazu unten, 349–354. Vgl. B 1988, 76. Zum semantischen Gehalt dieser Bauform siehe die Untersuchung von B-E 2016. L/E C/S 2011, 148 f.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

Bögen Romanisierungsprozesse untersucht.106 Bei aller Vorbildwirkung Italiens und Roms waren freilich die regionalen Unterschiede in der Ausgestaltung und urbanistischen Einbindung der Bogenmonumente immens. Monumente dieser Art bedurften mangels militärischer Bedeutung nicht der Genehmigung durch einen Statthalter und konnten von den Städten eigenständig geplant und errichtet werden. Wie andere repräsentative Bauten im öffentlichen Raum wurden auch die Bögen am Stadteingang häufig durch Euergesien finanziert. Die Gestaltung dieser Bauwerke muß zwischen den zuständigen Behörden und dem Stifter abgestimmt worden sein, wobei das Maß seiner Einbeziehung im einzelnen Fall offenbar erheblich variieren konnte. So durfte sich der Geldgeber unter Umständen prominent in Szene setzen, wie Salvia Postuma es in Pola tat.107 Entsprechende Euergesien waren so prestigereich, daß sie auch durch Statthalter oder Kaiser übernommen worden sind. So war der in Nikaia als Patron der Stadt geehrte Proconsul M. Plancius Varus unter Vespasian finanziell am Bau des Osttors (heute Lefke Kapı) beteiligt,108 das repräsentativ mit drei Durchgängen und Statuenschmuck ausgestaltet wurde. Das imposante von Türmen flankierte dreibogige Tor von Hierapolis in Phrygien (Abb. 2.3), das in domitianischer Zeit errichtet wurde, war eine Euergesie des Proconsuls Sex. Julius Frontinus.109 Augustus selbst hat beispielsweise im Zuge seiner Erneuerung der Via Flaminia den Prunkbogen von Ariminum (Rimini) als ihren Endpunkt erbauen lassen; er wurde feldseitig vor den älteren Mauertoren errichtet und war von zwei Türmen gerahmt, die ihn wie eine befestigte Toranlage erscheinen ließen.110 Dabei konnten solche Einzelmonumente durchaus sekundär in einer Stadtmauer zusammengefaßt werden, wie das von Wolfram Martini untersuchte Beispiel der pamphylischen Stadt Perge sehr anschaulich zeigt. Die späthellenistische Neustadt von Perge wurde zunächst nur von einzeln stehenden Stadttoren und Türmen begrenzt, wobei die Tore, da keine Mauer vorhanden war, auf die ankommenden Hauptstraßen hin ausgerichtet waren. Erst nachträglich, möglicherweise in augusteischer Zeit, wurde eine Stadtmauer errichtet, die die einzelnen Tore verband.111

106 107 108

109 110 111

W 2000, 14; siehe dazu auch die Überlegungen zum Stadttor als Romanisierungsindikator unten, 341. Dazu im einzelnen unten, 347–349. IK Bithynien 1; ich folge hier der Interpretation der Inschrift bei W 1996, 158. Eine eingehende Diskussion des archäologischen und epigraphischen Befundes bietet Ö 2009, 17–22. CIL III pars 1, 368 = CIL III Suppl. 1, 7059 = IGR IV 811. Zum Baubefund siehe auch hier Ö 2009, 22–24. V H 1992, 284; L/E C/S 2011, 150 f. M 2016; sein Datierungsvorschlag wird 228 f. begründet. Der Mauerring wurde nie ganz fertiggestellt (224). Zu den Stadttoren von Perge siehe auch Ö 2009, 53–61.

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2.6 Gründe für die Errichtung von Stadtmauern und Stadttoren im Prinzipat

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Abbildung 2.3: Stadtseitige Ansicht des domitianischen Tors von Hierapolis in Phrygien (Türkei). Das Bogenmonument wird seitlich durch große Rundtürme gerahmt, an die sich aber keine Mauer angeschlossen hat.

2.6 Gründe für die Errichtung von Stadtmauern und Stadttoren im Prinzipat Es stellt sich natürlich die Frage, wozu im ersten bis dritten Jahrhundert überhaupt Stadtmauern und Stadttore errichtet worden sind. Wie gezeigt wurde, handelte es sich beim Bau von Mauern mit Türmen und Toren schließlich um immens teure, aufwendige und langfristig verpflichtende Projekte. Eine pauschale Antwort wird es angesichts eines sehr heterogenen Befundes nicht geben; auch gilt es zu bedenken, daß monokausale Erklärungen in den meisten Fällen zu kurz greifen werden. Im historischen Überblick über die vormodernen Epochen ist festzustellen, daß Mauern generell nicht nur in Zeiten militärischer Bedrohung zum Schutz einer Stadt errichtet wurden, sondern auch in Phasen politischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität.112 Die Differenz zwischen dem Bemühen um militärisch funktionale Effizienz auf der einen Seite und dem Anspruch einer ästhetischen und repräsentativen Ausführung auf der anderen Seite ist dabei vielfach konstatiert worden; in einer neueren Publikation wurde sie als „eine Dichotomie im Stadtmauerbau“ bezeichnet.113 An einigen Orten, die in den vorangehenden Abschnitten als Beispiele angeführt wurden, steht klar ein fortifikatorischer Zweck des jeweiligen Mauerbaus 112 113

C 2000, 43 f. mit Beispielen; vgl. auch schon den Ansatz von O 1985. L/S 2010, 284.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

im Vordergrund, so in Köln unter Nero, in Harmozike in flavischer Zeit, in den Donauprovinzen seit Marc Aurel oder in der Asia nach der Mitte des dritten Jahrhunderts. Schwieriger gestaltet sich die Bewertung der Sachlage an Orten und zu Zeiten, als Stadtmauern militärisch verzichtbar scheinen. So wird kontrovers diskutiert, warum Aurelian im Jahr 271/272 begann, die nach ihm benannten Mauern um die Stadt Rom errichten zu lassen. Es wird einerseits die Ansicht vertreten, der Mauerbau sei klar militärstrategisch zu interpretieren und habe sich gegen die Gefahr von Germaneneinfällen gerichtet;114 es habe sich bei den aurelianischen Mauern um eine starke Befestigung gehandelt, die als einzige Stadtmauer des Westens mit gedeckter Wehrgalerie versehen war und dadurch in der Lage, im Fall einer Usurpation dem Angriff des römischen Heeres selbst und seinen technischen Mitteln standzuhalten.115 Andererseits gibt es Stimmen, denen zufolge die aurelianischen Mauern „niemals besonders verteidigungswirksam“ gewesen seien; angesichts einer Gesamtlänge von knapp 19 Kilometern sei es gar nicht möglich gewesen, die Mauern überhaupt auf ganzer Länge zu verteidigen – oder anzugreifen.116 Ihr primärer Zweck sei ein wirtschaftlicher gewesen, da sich an Mauertoren die Einnahme der Stadteingangszölle besser überwachen ließ.117 Wie an anderer Stelle gezeigt werden soll, konnten jedoch auch Anlagen, die nicht in erster Linie nach militärischen Aspekten konzipiert waren, durchaus sicherheitsrelevant sein.118 Neben einer abschreckenden Wirkung des Bauwerks auf potentielle Angreifer sind hier zum einen die Kontrollmöglichkeiten von Bedeutung, die sich aus der einzig möglichen Passage durch die Stadttore ergaben, zum anderen der Schutz zum Beispiel gegen nächtliche Überfälle, den auch eine militärisch defizitäre Mauer bot, sofern ihre Eingänge verschließbar oder bewacht waren. Auch wilde Tiere konnten so aus der Stadt ferngehalten werden.119 Das Sicherheitsbedürfnis der Bewohner ist meines Erachtens bei jedem Mauerbau mit zu veranschlagen, unabhängig davon, wie hoch der tatsächliche fortifikatorische Wert des Bauwerks eingeschätzt werden kann. In diesem Sinn hat man angesichts der zahlreichen neuen Stadtmauern eine symbolische Remilitarisierung der Landschaft im frühen Prinzipat konstatiert.120 Mit den zahlreichen Mauerneubauten gerade der augusteischen Zeit war untrennbar das kaiserliche Programm von Macht, Sicherheit und Frieden verbunden.121 114 115 116 117 118 119

120 121

K 2002, 403. B 1997, Sp. 541. K 1980, 263. P 1980; P 1991, 283 f. Siehe dazu unten, Kapitel 6. Siehe dazu   G 2019, 139: Es galt als todbringendes Omen, wenn in einer römischen Stadt ein wilder Wolf gesichtet wurde, da die Mauern als Schutz vor bedrohlichen Spezies versagt hatten. G 1996, 39. Der Verfasser weist auf das Paradox eines zunehmenden Neubaus von Stadtmauern in einer befriedeten Welt hin. P 2017, 41. Zu pax et securitas als Programm siehe unten, Kapitel 5.

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2.6 Gründe für die Errichtung von Stadtmauern und Stadttoren im Prinzipat

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Dabei trugen Ringmauern außerdem zum Selbstverständnis einer Stadt als Stadt bei, etwa im Fall der vielen neugegründeten Kolonien. Wie jede Begrenzung verbanden Stadtmauern die Abschirmung nach außen mit einem Zusammenschluß im Inneren und nahmen auf diese Weise eine Doppelfunktion wahr.122 Zu diesem Zweck mußte die Gestaltung der Mauern nicht einmal herausragend repräsentativ sein; so beurteilt Michael Pfanner die „in der billigen incertum-Technik“ erbaute Stadtmauer von Italica mit einer Stärke von nur 1,60 Metern als „bescheiden“; ihr habe sowohl der fortifikatorische Charakter der republikanischen Mauern gefehlt als auch der repräsentative der augusteischen Vorzeigeprojekte. Die Bedeutung dieser Stadtmauer sei eine „eher ‚gewohnheitsmäßige‘“, da sie zum Erscheinungsbild einer richtigen Stadt eben dazugehörte.123 Die Vorstellung, wonach eine Mauer konzeptionell ein konstitutiver Bestandteil der urbanen Ausstattung war, die Identität als Stadt also durch die Existenz von Mauern definiert wurde,124 geht auf eine lange architektonische Tradition zur Ummauerung von Städten im Mittelmeerraum zurück.125 Auch wenn nicht jede von Mauern geschützte Ortschaft eine Stadt war und nicht jede Stadt Mauern hatte, war die Korrelation sehr hoch.126 Seit der frühen Kaiserzeit wurde die Konzeption einer Stadt als durch Mauern definierte Siedlung von den Städten des Imperiums unter neuen Vorzeichen wieder aufgegriffen – sei es durch den Bau von Mauerringen, sei es durch entsprechende Darstellungen zum Beispiel auf Münzen, die die elementare Bedeutung der Befestigung für das Selbstverständnis als Stadt programmatisch ausdrückten.127 Auch 122 123

124

125 126 127

Vgl. J 2010, 141, die sich in ihren Überlegungen auf Georg Simmel bezieht. P 1990, 110. Vgl. auch L/E C/S 2011, 149, sowie M/ L/B 2016, 131, die in Bezug auf den Mauerbau im ostgallischen Castrum Belnense (Beaune), welcher weite Teile der verstreuten Siedlung gar nicht umfaßte, zu der Einschätzung kommen, „dass diesem etwas absurd anmutenden Unterfangen neben der Erfüllung eines gewissen Sicherheitsbedürfnisses [. . . ] noch mehr die selbstbewusste Demonstration von Wehrfähigkeit, Wirtschaftskraft, einer gewissen Souveränität und eines bestimmten Rechtsstatus zugrunde liegt.“ Hier ist auf Paus. X 4,1 zu verweisen, wonach auch ein Ort ohne Amtsgebäude und Gymnasion, ohne Theater, Marktplatz und Fließbrunnen als Stadt gelten kann, sofern er Außengrenzen und eine eigene Interessensvertretung gegenüber den Nachbarstädten hat. Auch wenn Pausanias hier an Territoriumsgrenzen und nicht an Stadtmauern denkt, ist das Entscheidende für die Definition als Stadt ihre Abgrenzung nach außen. Vgl. auch die in diesem Zusammenhang noch nicht berücksichtigte Belegstelle Dion Chrys. Or. 7,22: In der Wahrnehmung des Landbewohners, der hier spricht, ist »Stadt« ein Ort mit vielen großen Häusern, einem starken turmbewehrten Mauerring und einem Hafen. Siehe dazu schon meine einleitenden Überlegungen oben, 15–17, sowie die unten folgenden Kapitel 3 zur Levante und Kapitel 4 zum klassischen Griechenland. So auch J 2015, 210 mit Bezug auf Mittelalter und Frühneuzeit. Dazu M/L/B 2016, 128. Kaiserzeitliche Münzen stellen den Bildtypus der Stadtpersonifikation mit Mauerkrone als Bildchiffre dar oder zeigen die Städte als von Mauern umgeben, siehe etwa Abb. 3 und 4 bei N 1995, 47. Zur chiffreartigen Verwendung der Abbildung speziell von Stadttoren siehe unten, 333. Auch in der Rhetorik ist die Würdigung der Befestigungsanlagen einer Stadt ein fester Topos: In der descriptio urbium werden in der Regel neben Lage, Klima, Umgebung und Wasserversorgung als nächster wichtiger Punkt die Mauern einer Stadt besprochen, bevor andere Bauwerke aufgeführt werden (C 1980, 34). Zur Verbindung von Mauerbau und Identität als Stadt im frühen Prinzipat siehe ferner P 2017, 41.

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2 Der Bau von Stadtmauern und Stadttoren in der römischen Kaiserzeit

für die eigene Verortung einer Stadt innerhalb des Reichs spielten Stadtmauern offenbar eine große Rolle: Sie bezeichneten den Handlungsspielraum, den sich die Stadt unter der römischen Herrschaft verschafft hatte, und symbolisierten damit nach wie vor deren Autonomie.128 Dies zeigt, wie langlebig die Vorstellung, daß zu einer Stadt Mauern gehörten, trotz einer veränderten politischen Konstellation und auch angesichts einer verbesserten Sicherheitslage war.129 In vielen Fällen ist der Bau von Stadtmauern auch oder sogar vorrangig als Prestigeprojekt einzuordnen,130 so etwa bei den kaiserlichen Mauerstiftungen in Fanum und Augusta Praetoria durch Augustus oder bei der Wiederherstellung der Mauern von Nikaia und Nikomedia durch Hadrian.131 Schon die kaiserliche Unterstützung ist dabei ein wichtiger Faktor, da sie – wie die erhaltenen Stifterinschriften zeigen – ostentativ zur Schau gestellt wird. Aber auch sonst kann der Bau neuer Mauern als ein Zeichen der guten Beziehungen einer Stadt zum Kaiserhaus gelten, da die Errichtung einer Stadtmauer, wie oben ausgeführt wurde, in jedem Fall ein kaiserliches Privileg darstellte. Darüber hinaus wurden auch das Selbstverständnis der Bürger als Bewohner einer Stadt, ihre wirtschaftliche Potenz und ihr kultureller Stand nach außen hin dargestellt.132 Um es mit Wolfram Martini zu sagen, konnte eine Stadtmauer im Prinzipat der Selbstvergewisserung einer Bürgerschaft dienen, die zwar dem Kaiserhaus gegenüber loyal war, sich jedoch zugleich als autonom empfand.133 In diesem Sinn begreift Martini den Bau der Stadtmauern von Perge, den er in augusteische Zeit setzt, als „Ausdruck der Selbstvergewisserung einer sich in der pax Romana neu formierenden Bürgerschaft“.134 Aus der Existenz einer Stadtmauer ergaben sich schließlich eine ganze Reihe von praktischen Vorteilen für die Bewohner einer Stadt; Vorteile, die meines Erachtens den Aufwand eines entsprechenden Bauvorhabens nie ursächlich begründeten, sondern gleichsam nebenbei aus dem Mauerbau resultierten. So ließ die Verkehrsführung durch nur wenige Stadteingänge – die Stadttore – diverse Überprüfungsmöglichkeiten zu: Es konnten ohne größeren Aufwand Personenkontrollen, Waren- und Zollkontrollen durchgeführt werden, und die Spurbreite 128 129

130

131

132

133 134

B 2008, 176. Entsprechende Kontinuitäten ließen sich durch die gesamte Vormoderne hindurch verfolgen, symbolisierten Stadtmauern in Europa doch stets civitas als einen Ort eigener Sicherheit und Ordnung (vgl. J 2015, 210). Vgl. A 1997, 258: „L’érection d’une enceinte autour d’une ville nouvellement fondée est un acte de prestige.“ Siehe etwa auch die bei B 2008, 177 angeführte Grabinschrift IPhilippi 296, in der sich der Bestattete des Privilegs rühmt, in einer wohlummauerten Stadt – Philippi – verstorben zu sein. In bezug auf Augusta Praetoria hält Penelope Goodman den militärischen Faktor für möglicherweise noch ausschlaggebend, da die Gründung der Kolonie kurz nach der Niederschlagung der Salasser den Zugang zu den beiden St.-Bernhard-Pässen sichern sollte (G 2007, 60). Siehe weiterführend die differenzierten Überlegungen bei M/L/B 2016, 131–138. Zu dekorativen Elementen im kaiserzeitlichen Mauerbau wie Materialvielfalt und Farbkontrasten siehe P 2017, 37 f. M 2016, 229. Ebd., 220.

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2.6 Gründe für die Errichtung von Stadtmauern und Stadttoren im Prinzipat

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der Durchgänge regulierte automatisch den Zugang für bestimmte Verkehrsmittel, falls etwa das Fahren mit schweren Lastwagen in der Stadt nicht erwünscht war.135 Nun konnten alle genannten Funktionen einer Stadtmauer – von den rein militärischen abgesehen – in der Kaiserzeit auch durch Stadttore wahrgenommen werden, die nicht mehr im Zusammenhang mit Mauern errichtet waren. Frei stehende Stadttore konnten zur Herstellung und Darstellung von Sicherheit benutzt werden; sie trugen zur Identifikation einer Siedlung als Stadt bei und demonstrierten das Selbstverständnis und den kulturellen Stand ihrer Bürger; an Stadttoren wurden Personen, Waren und Verkehrsmittel kontrolliert sowie Zölle erhoben. Das kaiserzeitliche Tormonument fungierte als pars pro toto, indem es ein Mauertor gewissermaßen zitierte und damit das Bild einer ganzen Mauer evozieren konnte. Dabei war ein Bogenmonument in der Ausführung als Einzelbauwerk ungleich preiswerter, vielseitiger gestaltbar und bei Bedarf schneller geänderten Bedürfnissen anzupassen als eine ganze Stadtmauer mit ihren Toren. Die genannten Punkte werden in den Kapiteln 5 bis 12 aufgegriffen und ausführlich diskutiert, wobei noch eine ganze Reihe weiterer Funktionen zu beleuchten sein wird. Ein systematisierender Überblick findet sich in Kapitel 14 am Schluß der Studie.

135

Siehe dazu die entsprechenden Teilstücke der vorliegenden Arbeit: zu Personenkontrollen Kapitel 6.4 (144–161), zum Zoll Kapitel 7 (177–194), zu innerstädtischen Verkehrsregeln Kapitel 9 (217–256).

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3 Das Stadttor in der Levante Das Stadttor in der Levante unterscheidet sich architektonisch und in seiner urbanistischen Einbindung deutlich vom griechisch-römischen Stadttor. Da die eisenzeitlichen Städte in Syrien und Palästina nur über ein einziges Tor in ihrem Mauerring verfügten, entwickelte dieses eine ausgeprägte Bedeutung für den städtischen Alltag, die außerhalb des Alten Orients historisch ohne Parallele ist. Der Verschluß des Stadttors lag, anders als in Griechenland und in Rom, ausschließlich auf der Feldseite, so daß der große Torinnenhof mit den Torkammern Teil des innerstädtischen Raums war. Auf diese Weise ließ sich das Tor als Marktplatz, Gerichtsort und Versammlungsraum nutzen, wie in diesem Kapitel am Beispiel der Infrastruktur von Städten wie Megiddo und Lachisch aufgezeigt werden soll (3.1). Anhand exemplarisch ausgewählter Texte der alttestamentlichen Überlieferung läßt sich im einzelnen nachvollziehen, wie vielseitig das Tor von den Bewohnern der Stadt genutzt wurde, so daß es trotz seiner peripheren Lage als die zentrale öffentliche Institution der Stadt anzusprechen ist (3.2). Während etwa Gen 23 eine Kaufverhandlung vor Zeugen im Stadttor von Hebron situiert, wird in Rt 4,1–12 das Tor von Bethlehem als Treffpunkt und Kommunikationsort nutzbar gemacht, an dem sich im Zuge eines Rechtsakts Volk und Ältestenrat versammeln. Wie zu sehen sein wird, war der Aufenthalt im Stadttor in erster Linie der männlichen Bevölkerung vorbehalten, während die Frauen sich am Brunnen der Stadt trafen. Anklänge an die vorderorientalischen Traditionen sind noch in der Gestaltung und Benutzung der kaiserzeitlichen Stadteingänge in der Levante festzustellen (3.3). Als Fallbeispiel wird die Urbanistik der Stadt Gadara in der syrischen Dekapolis vorgestellt: In römischer Zeit wurde der Eingang von Gadara immer wieder neu gestaltet, um der Dynamik sich wandelnder Bedürfnisse Rechnung zu tragen, und dies ganz auf der Höhe der Zeit. Gleichzeitig verzichtete die Stadt aber auf die Errichtung eines Forums, so daß sich das öffentliche Leben entlang der Hauptstraße und auf einer multifunktionalen Platzanlage am Stadteingang abspielte. Vergleichbare Befunde liegen für eine Reihe weiterer Städte der Region vor, darunter Gerasa, Bosra und Palmyra. Die nahöstliche Tradition des Stadttors als Zentrum urbaner Aktivitäten ist hier neu interpretiert worden. Ein kurzer Ausblick verweist auf das Potential einer Auswertung der rabbinischen Literatur sowie einer Ausweitung der Perspektive bis ins islamische Mittelalter.

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3 Das Stadttor in der Levante

3.1 Die Infrastruktur der altorientalischen Stadt Die Städte in Syrien und Palästina1 waren mit starken Mauern bewehrt.2 Sie besaßen in der Regel nur ein einziges Tor,3 dessen erster Zweck ein fortifikatorischer war.4 Dabei wurde das Stadttor nicht nur in Kriegssituationen, sondern auch nachts regulär verschlossen;5 die Bestellung von Wächtern und die Festsetzung von Öffnungszeiten des Tors war das erste, was es nach dem Bau neuer Mauern zu bedenken galt.6 In der Eisenzeit ging die Entwicklung dahin, daß das Stadttor zunehmend auch zivile Funktionen übernahm.7 Im archäologischen Befund ist das unter anderem daran ablesbar, daß die eisenzeitlichen Tore anders als ihre Vorgängerbauten stets nur zur Feldseite verschließbar waren, stadtseitig aber keine Torverschlüsse hatten.8 Damit wurde das Tor mit Innenhof und Torkammern „zu einem integrierten Bestandteil der stadtinneren Architektur“.9 Während die Stadtstaaten der bronzezeitlichen Palastherrschaften noch kein vergleichbares öffentliches Leben kannten,10 wurde das Stadttor seit dem 12. Jahrhundert v. Chr. trotz seiner peripheren Lage der Mittelpunkt des urbanen Alltags.11 Über einen zentral gelegenen Platz verfügten die eisenzeitlichen Siedlungen der Levante nämlich nicht. Auch in Mesopotamien wurden in Städten wie Assur, Babylon, Ur oder dem hurritischen Nuzi keine innerstädtischen Plätze nachgewiesen.12 Was nun die Funktionen des Tors im einzelnen betrifft, so läßt sich in der Levante insbesondere eine Tradition von Stadttorkulten13 bis in die Eisenzeit zu1 2 3

4

5 6 7 8 9 10

11 12 13

Eine konzise Einführung zur eisenzeitlichen Urbanistik in Palästina bietet  G 1984. Den Bau solcher Mauern in Jerusalem beschreibt Neh 3–6, zur Einweihung des Bauwerks mit Reinigungsriten, Gesang, Musik und Opfern 12,27–43. Dieser Umstand ist archäologisch klar nachweisbar und wird auch in den einschlägigen biblischen Erzählungen vorausgesetzt, etwa in Ri 16,1–3 oder 1Sam 9,14–18. Vgl. auch H 1986, vor allem 161. Vgl. H 1986, 157 und O 2008, 519. Beide weisen auf die architektonische Herausforderung hin, die mit der Doppelfunktion einherging, Schutz in Kriegszeiten und in Friedenszeiten möglichst ungehinderten Durchgang zu gewähren. Siehe beispielsweise Jos 2,5.7 (routinemäßiger nächtlicher Torschluß in Jericho). Neh 7,1–3 (Einrichtung der Wachmannschaften und Öffnungszeiten nach dem Bau der neuen Mauern von Jerusalem). H 1986, 159 und O 2008, 520. Ebd., 520 f. Ebd., 521. Vgl. H 1986, 163. Kritisch zu dessen Darstellung O 2008, 521, Anm. 10: „Daß die bronzezeitlichen Tore überhaupt keine zivilen Funktionen hatten, wird man aus dem doppelseitigen Torverschluß kaum ableiten dürfen.“ Vgl. auch  G 1984, 35: „De stadspoort vormt de levensader van een oudorientaalse stad“, und 41: „De stadspoort was het hart van de stad.“ O 2008, 526. Wie bedeutend die Stadttore als Orte der Kultpraxis waren, ist auch daraus zu ersehen, daß in der Forschung diskutiert wird, ob man in ihnen den Vorläufer der Synagoge zu sehen hat: L 1996, vor allem 432–443, argumentiert, daß die meisten Aktivitäten, die zur Zeit des Zweiten Tempels in den Synagogen stattfanden, in biblischer Zeit an den Stadttoren dokumentiert sind.

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3.1 Die Infrastruktur der altorientalischen Stadt

53

rückverfolgen.14 In den Toren der Städte Betsaida und Dan wurden Kultstelen und Gerätschaften für Kulthandlungen mit Flüssigkeiten, Rauch und pflanzlichen Speiseopfern gefunden, die ins neunte bis achte, in Dan möglicherweise bis ins siebte Jahrhundert v. Chr. zu datieren sind. Der Kult wurde an beiden Orten direkt im Stadttor vollzogen, im geschützten Raum zwischen Vortor und Haupttor.15 Tieropfer dagegen fanden zwar nicht im Tor selbst statt, aber zumindest in Betsaida läßt sich unmittelbar davor, am stadtseitigen Südflügel, ein erhöhter Brandopferplatz nachweisen.16 Im Zusammenhang mit kultischer Praxis am Tor ist außerdem an divinatorische Verfahren zu denken, die sich in der literarischen Überlieferung fassen lassen.17 Das altorientalische Stadttor diente darüber hinaus als Kontroll- und Zollpunkt für Handelsware und zugleich als Verkaufsplatz. So ist die Existenz von Markttoren in babylonischen und assyrischen Texten dokumentiert.18 Auch in Palästina fand der Handel im Tor statt;19 unter den Toren Jerusalems gab es sogar ein eigenes Fischtor sowie ein Schafstor, an denen die entsprechenden Waren gehandelt wurden.20 Da darüber hinaus auch Versammlungen aller Art im Stadttor abgehalten wurden,21 hat man seine Funktion mit der einer Agora in einer hellenistischen Polis verglichen.22

14

15

16

17 18

19 20 21 22

Den Übergang der Funktionen auf die Synagogen datiert er in die hellenistische Zeit, was mit einer Änderung der Architektur der Stadttore zusammenfällt. Dazu H B 1999: Die Verfasserin diskutiert die alttestamentlichen Quellenbelege in 2Kön 23,8; Hes 8,3.5; 16,24.31; 1Sam 9,12–14.18 f.; Ex 22,6–11; Num 5,11–31 und 1Kön 22,10–12.15 f. und untersucht 14 ergrabene Stadttore in Palästina, wobei sich in den meisten Fällen – bis auf die nachstehend genannten Tore von Betsaida und Dan – im archäologischen Befund keine eindeutigen Belege für ihre kultische Funktion erbringen lassen. In Syrien bietet Karkemiš (bei Gaziantep in der heutigen Türkei) das einzige Beispiel für einen Stadttorkult im neunten bis siebten Jahrhundert v. Chr. Der Befund im Stadttor von Betsaida mit mehreren differenzierten Kultbezirken ist „der besterhaltene und bestausgestattete »Kult am Tor«, den man in Israel je gefunden hat“ (A 2003, 64, siehe dazu näherhin B/K 2003). Zu beiden Stätten, Betsaida und Dan, siehe H B 1999, 49–69.210. A 2003, 64: Der Opferplatz war mit einer gepflasterten Rampe, einem Altar, einer Abfallgrube sowie einer an die Innenwand des Tores anschließenden Sitzbank ausgestattet (abweichend H B 1999, 210, derzufolge an den Stadttoren keine Tieropfer vollzogen wurden). Gegen solche Torkulte richtet sich die in 2Kön 23,8 berichtete Zerstörung von Opferplätzen am Stadttor (B/K 2003, 74). In 1Kön 22,5–28 findet vor einem Krieg im Namen Jahwes eine Orakelbefragung statt, die am Tor der Stadt Samaria verortet wird. O 2008, 526 f. Gehandelt wurden an den mesopotamischen Toren in erster Linie lokale Produkte wie Tiere und Getreide, während der Fernhandel am Hafen abgewickelt wurde, sofern die Siedlung an einem Fluß lag (ebd.). Ebd., 527 f. mit literarischen und archäologischen Belegen. Inhaltlich übereinstimmend schon H 1986, 165 unter Verweis auf 2Kön 7,1. Vgl. die von O 2008, 527 aufgeführten Stellen: 2Chr 33,14; Neh 3,1.3; 12,39; 13,15–22; Zeph 1,10. Zu ergänzen ist hier Neh 3,32. Darauf wird unten, 56, näher einzugehen sein. Dazu H B 1999, 17 f. Die Verfasserin führt aus: „[W]ithin the otherwise densely-built towns of the Iron Age II period, the gate was the public space par excellence“ (18).

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3 Das Stadttor in der Levante

Abbildung 3.1: Rekonstruktionsvorschlag der eisenzeitlichen Stadt Lachisch vor ihrer Zerstörung durch den assyrischen König Sennacherib im Jahr 701 v. Chr (Stratum III). Das Vortor, das durch einen ansteigenden Zugangsweg erreicht wird, ist in eine Vormauer integriert, das Haupttor in die eigentliche Stadtmauer. Das Torareal umschließt einen großen freien Hofplatz. Da bisher nur Teile der Stadt ergraben wurden, insbesondere der Palast und die Verteidigungsanlagen, ist die Rekonstruktion der Wohnbebauung weitgehend fiktiv.

Entscheidend für die Bedeutung des Tors im öffentlichen Leben war zum einen der Umstand, daß ein großer Teil der Bevölkerung das Stadttor täglich mindestens zweifach zu passieren hatte,23 zum anderen aber die Existenz großer Platzanlagen, wie sie unter anderem für die eisenzeitlichen Torbereiche in Palästina archäologisch nachgewiesen sind (siehe Abb. 3.1). Bei diesen Anlagen handelte es sich entweder um stadtseitige Vorplätze oder um offene Innenhöfe zwischen Haupttor und Vortor, an die seitlich geöffnete Räume von beträchtlichen 10 bis 15 oder gar 30 Quadratmetern Größe angrenzten. So konnte allein der Innenhof des Stadttors von Megiddo (Abb. 3.2) im neunten Jahrhundert v. Chr.24 um die 800 bis 1 000 Personen aufnehmen, vermutlich mehr als die Hälfte der städtischen Gesamtbevölkerung in dieser Zeit.25 23 24

25

Siehe unten, 58 f. Bei der Datierung folge ich Finkelsteins low chronology für Palästina (F/S 2002), wonach Stratum IVb in Megiddo in die erste Hälfte des neunten Jahrhunderts gehört (siehe dazu die Ausgrabungspublikation F/U 2000, 598–600). Dem traditionellen Ansatz zufolge wären die Befunde ein Jahrhundert früher einzuordnen. Megiddo hatte nach H B 1999, 18, circa 1 600 Einwohner, wobei die Verfasserin von einer Kapazität von nur bis zu 400 Personen im Stadttor ausgeht, also etwa einem Viertel der Bevölkerung. Die Angabe von 800 bis 1 000 Personen entnehme ich O 2008, 520. Mit H 1986, 161, der 0,25 m2 Platz pro Person ansetzt, könnte man im Torhof von Megiddo sogar 1 200 Personen unterbringen – das würde nach den Zahlen von Haettner Blomquist drei Vierteln der Bevölkerung entsprechen. Zum archäologischen Befund in Megiddo siehe H 1986, 93–108 mit Literatur.

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3.1 Die Infrastruktur der altorientalischen Stadt

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Abbildung 3.2: Das eisenzeitliche Stadttor von Megiddo (Stratum IVb), neuntes Jahrhundert v. Chr. Der Zugangsweg von der Feldseite (links) führt zunächst zum Vortor und dann über einen etwa 300 m2 großen Vorhof, der mit zwei Steinbänken ausgestattet war. Das in die Stadtmauer integrierte Haupttor weist sechs Kammern von durchschnittlich etwa 13,5 m2 auf. Es konnte durch eine Doppeltür verschlossen werden.

Vergleichbar große Innenhöfe in eisenzeitlichen Toranlagen wurden unter anderem in den Siedlungen von Dan, Beerscheba V–IV und Lachisch III festgestellt; Städte ohne Vortor wie Geser, Beerscheba III–II und Lachisch II verfügten über stadtseitige Torvorplätze in Form einer breiten Gasse, die beidseitig von Ladengeschäften gesäumt wurde. Auch in Kleinasien weisen die Torareale der Siedlungen Mersin XVI und Troja II offene Plätze auf.26 (Die römischen Zahlen bezeichnen die Strata des archäologischen Befundes, wobei die Zählung bei der obersten und jüngsten Schicht beginnt, so daß die Strata in umgekehrter chronologischer Rei-

26

Ebd., 161 (wobei der Verfasser offenbar Lachisch III und II verwechselt, was ich in meiner eigenen Angabe korrigiert habe).

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3 Das Stadttor in der Levante

henfolge numeriert werden. Troja II beispielsweise ist die Nachfolgesiedlung des älteren Troja III.) Die Bänke, mit denen die Innenhöfe in Megiddo und anderen eisenzeitlichen Städten ausgestattet waren, wurden anscheinend nicht auf eine bestimmte Verwendung festgelegt, sondern konnten vielfältige Aufgaben erfüllen. Stadtälteste und Richter, Bürger, Priester und Händler konnten sich auf die Bänke setzen, um ihre Angelegenheiten zu regeln27 oder mit anderen ins Gespräch zu kommen.28 Neben der städtischen Bevölkerung waren auch Fremde in besonders großer Zahl an den Stadttoren anzutreffen: Da die Toranlagen feldseitig mit Brunnen ausgestattet waren, wie sich archäologisch durchgängig nachweisen läßt,29 konnten Reisende und Karawanen an den Toren der Städte entlang ihrer Route haltmachen, um sich mit Wasser zu versorgen und Waren zu verkaufen. 3.2 Das Tor als städtische Institution Das Stadttor war damit der Ort der Wahl, wenn es galt, Öffentlichkeit herzustellen. Hier fanden Versammlungen der Bürgerschaft30 und des Ältestenrats31 statt, Könige32 und Propheten33 sprachen zum Volk. Das Stadttor war der Ort der zivilen Rechtsprechung, die neben der sakralen Justiz des Tempels in Jerusalem stand34 und dezentral in den einzelnen Städten organisiert wurde: Im Stadttor wurden Gerichtsverhandlungen geführt,35 Rechtsurkunden verlesen,36 Verträge öffentlich geschlossen oder vor Zeugen dokumentiert,37 und Asylsuchende flohen ins Tor.38 Kurz: Die städtische Öffentlichkeit konstituierte sich im Stadttor. Dementsprechend bezeichnen im Alten Testament die Phrasen „alle, die zum Tor einer Stadt hineinkommen“ oder „alle, die zum Tor einer Stadt hinausgehen“ die Bürger einer Stadt – in Abgrenzung zu den Sklaven, denen der freie Ein- und Austritt aus dem Tor verwehrt war.39 27 28 29 30 31 32 33 34 35

36 37 38 39

Ebd., 162. In diesem Sinn etwa Ps 69,13a. H 1986, 161 und übereinstimmend O 2008, 520, detaillierter  G 1984, 82–94. Beispielsweise in Gen 34,20; 2Sam 19,9; Neh 8,1; Spr 1,21; 8,3; Jes 29,21; Jer 17,19 f. Gen 23,20; Dtn 21,19; 22,15; 25,7; Jos 20,4; Hi 29,7 f.; Spr 31,23. Siehe dazu auch H 1986, 163 und W/R/B-S 2007, 295. 2Sam 19,9; 1Kön 22,10; 2Chr 18,9; 32,6; Jer 38,7. Siehe auch H 1986, 163. 1Kön 22,10; 2Chr 18,9; Jes 29,21; Jer 17,19 f.; Am 5,10. Siehe ferner L 1996, 432–434. Ebd., 434. Dtn 16,18; 21,19; 22,15.24; 25,7; 2Sam 15,2; Hi 31,21; Jes 29,21; Jer 1,15 f.; Am 5,10.15. Siehe dazu auch L 1996, 433 f., H B 1999, 189–207 und O 2008, 528 f. Eine öffentliche Verlesung von Rechtsurkunden im Stadttor ist durch die Tontafeln aus dem Palastarchiv der hurritischen Stadt Nuzi belegt (L 1996, 432–434). Rechtsgeschäfte am Tor werden in den unten vorgestellten Beispielen Gen 23 und Rt 4,1–12 verhandelt, siehe ferner Ps 127,5. Jos 20,4. O 2008, 521–523. Beide Formulierungen finden sich etwa in Gen 34,24.

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3.2 Das Tor als städtische Institution

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Einen guten Einblick in die Praxis am Tor gewähren zwei alttestamentliche Geschichten, auf die ich deshalb etwas näher eingehen will. Gen 23 schildert eine Verhandlung im Tor der Stadt Hebron, in Juda südlich der erst später gegründeten Stadt Jerusalem. Der Patriarch Abraham spricht beim Rat der Stadt Hebron vor, weil er einen Grabplatz sucht, an dem er seine verstorbene Frau Sarah bestatten kann. In Gegenwart der im Stadttor versammelten Bürger verhandelt er mit dem Grundbesitzer Ephron über ein geeignetes Anwesen mit einer Grabhöhle und macht den Kauf zu einem sehr hohen Preis40 von 400 Silberstücken perfekt. Die Kaufverhandlung wird hier als ein soziales Ereignis geschildert, dem die Bürger der Stadt als Zeugen beiwohnen, wie abschließend ausdrücklich festgehalten ist: „So fiel das Grundstück Ephrons [. . . ] an Abraham als Eigentümer vor den Augen der Hethiter, aller, die in das Tor der Stadt gekommen waren.“41 Dabei soll die explizite Lokalisierung im Stadttor (V. 10.18) unterstreichen, daß es sich „um einen öffentlich-rechtlichen Akt handelt“.42 Das Tor von Bethlehem ist Schauplatz eines weiteren einschlägigen Geschäfts, das in Rt 4,1–12 geschildert wird. Die komplizierten rechtlichen Grundlagen43 sind in unserem Zusammenhang nicht von Relevanz. Erklärend vorauszuschicken ist lediglich, daß die Handlung auf der gesellschaftlichen Verpflichtung zur Leviratsehe beruht: Ein Bruder oder naher Verwandter eines kinderlos verstorbenen Mannes sollte dessen Witwe heiraten, damit der Besitz der Familie und eine männliche Generationenfolge gewahrt blieben. Der erstgeborene Sohn aus dieser Verbindung galt dann als Sohn und Erbe des Verstorbenen.44 In Rt 3 will nun die verwitwete Rut auf Rat ihrer Schwiegermutter Naomi eine solche Schwagerehe mit Boas eingehen, einem nahen Verwandten ihres verstorbenen Mannes. Sie nähert sich ihm daher in der Nacht, hergerichtet wie eine auf die Hochzeit vorbereitete Braut. Boas ist bereit, ihren Vorschlag anzunehmen, und preist Rut als eine „im Stadttor bekannte“ Frau (3,11), also eine Frau, die im Rahmen der patriarchalen Gesellschaft selbständig zu handeln weiß.45 Er erklärt Rut, daß es jedoch einen engeren Verwandten gibt, der das erste Recht an einer Verbindung mit ihr besitzt: Mit diesem muß er verhandeln, ehe er sie heiraten kann. Noch in der Morgendämmerung46 geht Boas unverzüglich ins Stadttor von Bethlehem und setzt sich dort, um darauf zu warten, daß der besagte Verwandte 40

41 42 43 44 45

46

So W 1981, 459 und L 2009, 103; ersterer zieht zum Vergleich Jer 32,9 heran, wo ein Acker für 17 Silberstücke den Besitzer wechselt (ohne freilich in Rechnung zu stellen, daß wir uns mit Abraham in einer ganz anderen Zeit befinden). Gen 23,17 f., Übersetzung W 1981, 454. So W 1981, 458 im Kommentar zur Stelle. Diesbezüglich siehe insbesondere den ausführlichen Kommentar bei F 2001, 235–245. Die Vorschrift findet sich in Dtn 25,5–10, vgl. Gen 38. Zum Levirat siehe im einzelnen K 2010, 73 f. und L 2010, 56–58. Diese Erklärung des Ausdrucks nach G 2009, 460, der zum Vergleich Spr 31,10 anführt. Im selben Sinn interpretiert F 2001, 229 den Satz: „Rut hat in der männlichen Öffentlichkeit den besten Ruf, den eine Frau haben kann. Das ganze Tor weiß, daß sie eine fähige Frau ist.“ So die Interpretation von Rt 4,1 im Stellenkommentar von K 2010, 71.

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3 Das Stadttor in der Levante

vorbeikommt, mit dem er über Rut und über den Grundbesitz ihrer Schwiegermutter Naomi verhandeln will. Als der Mann das Stadttor passiert, ruft Boas ihn heran und fordert ihn auf, sich zu setzen. Zehn von den Ältesten der Stadt werden als Zeugen hinzugerufen und setzen sich zu ihnen. Die beiden Männer werden handelseinig und bezeugen ihren Vertrag, indem sie sich jeder einen Schuh ausziehen und diese miteinander tauschen. Boas wendet sich dann an die Ältesten und das im Stadttor versammelte Volk mit den Worten: „Ihr seid heute Zeugen, daß ich alles, was dem Elimelech, und alles, was dem Kilion und Machlon gehört hat, aus Naomis Hand erworben habe. Dazu habe ich mir auch Rut, die Moabiterin, die Frau Machlons, zum Weibe erworben, um den Namen des Verstorbenen auf seinem Erbbesitz wieder erstehen zu lassen, damit der Name des Verstorbenen aus dem Kreis seiner Verwandten und aus dem Tor seiner Stadt nicht ausgetilgt werde. Dessen seid ihr heute Zeugen.“47 Das Volk im Tor und die Ältesten bestätigen dies, und damit ist die Abmachung perfekt. Die literarische Darstellung in Rt 4 entspricht zumindest in diesem Punkt dem in Dtn 25,5–10 überlieferten Rechtsinstitut, das eine Klärung möglicher Probleme mit der Leviratsehe ausdrücklich vor den Ältesten im Stadttor vorsah (V. 7–9). In der Geschichte von Rut und Boas wird deutlich, daß das Stadttor schon aus logistischen Gründen ein Ort ist, an dem sich sehr einfach Öffentlichkeit herstellen läßt. So erläutert auch Hertzberg im Kommentar zur Stelle: „Die Lösungsszene spielt, wie landesüblich, am Tor, dem Ort, der im Unterschied zu den Straßen der eng zusammengebauten Ortschaften genügend Raum bietet, und der gerade auch für Rechtshandlungen in erster Linie in Frage kommt [. . . ]. Am Tor kann man auch sicher sein, jemanden zu treffen, den man treffen will, weil jeder durch das Tor die Stadt verläßt, und auch die notwendigen Zeugen für einen Rechtsakt zu finden.“48 Entscheidend ist in unserem Kontext vor allem letzteres. Wäre es Boas nur darum gegangen, den Verwandten anzutreffen, hätte er ihn auch in seinem Haus aufsuchen können. Stattdessen wartet er im Tor, bis dieser zu seinen Feldern geht, um eine größere Öffentlichkeit für die geplante Verhandlung herstellen zu können.49 Damit berühren wir auch die Funktion eines Stadttors für die Kommunikation der Einwohner untereinander. Da die in Rede stehenden vorderorientalischen Städte – anders als die Städte der griechisch-römischen Welt – nur über ein einzi47 48 49

Rt 4,9 f., Übersetzung nach H 1969, 279. H 1969, 278 f. Optimistisch führt er weiter aus: „Da im Orient jedermann Zeit hat, bestehen hier keine Probleme.“ Vgl. F 2001, 235. Zur Bedeutung der Zeugenschaft von ganz Bethlehem ebd., 245–247.

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3.2 Das Tor als städtische Institution

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ges Zugangstor verfügten, mußte zwangsläufig jeder Bewohner der Stadt früher oder später einmal das Tor passieren. Die Frauen kamen täglich durch das Tor, wenn sie zum Brunnen gingen, um Wasser zu holen, und die Männer auf dem Weg zu ihren Feldern und Weingärten.50 Umgekehrt gab es auch für Reisende, für Warentransporte oder für Nachrichten nur einen einzigen Weg in die Stadt hinein.51 Anschaulich wird das in 1Sam 9, wenn der Prophet Samuel unterwegs zur Opferhöhe prompt im Tor (V. 18) auf den eben ankommenden Saul trifft, welchen er zum König salben soll. In 2Sam 18,24–27 sitzt König David im Stadttor und wartet ungeduldig auf Meldungen aus dem Krieg, in den sein Sohn gezogen ist. Per Zuruf verständigt er sich mit dem Wächter oben auf der Mauer darüber, was dieser sieht, und empfängt schon im Tor die Boten, die Nachrichten vom Schlachtfeld bringen. Zu bedenken ist bei all diesen Überlegungen freilich, daß die Öffentlichkeit am Stadttor in Palästina eine vorrangig männliche war. Wenn sich dort die Ältesten und die Stadtbürger versammelten, wenn man dort Propheten oder Fremde antreffen konnte, so handelte es sich bei diesen ebenso wie bei den Wächtern und eintreffenden Boten um Männer. Das Tor kann daher „als geschlechtsspezifischer Treffpunkt der Stadtbevölkerung angesehen werden“.52 Während die Männer im Stadttor zusammenkamen, trafen sich die Frauen am Brunnen: „If one wanted to have a word with somebody, the meeting place for men was at the city-gate [. . . ]. Alternatively, men could meet at the local sanctuary or a private house. [. . . ] The meeting place of women was at the spring or at the pool or whatever water-system a city had.“53 Frauen, die sich am Stadttor aufhalten, verfolgen dementsprechend in manchen alttestamentlichen Texten ebenso eindeutige Absichten wie Männer am Brunnen.54 So setzt sich in Gen 38,14 die junge Frau Tamar ans Tor der Stadt Enaim, wo ihr Schwiegervater Juda auf dem Weg zu seinen Schafherden vorbeikommen muß. Juda erkennt seine Schwiegertochter nicht, da sie sich in einen Mantel gehüllt hat, 50 51 52 53

54

D G 1984, 41. Er bilanziert: „De hele dag gaan hier mensen in en uit.“ Vgl. H 1986, 159 f.: Der „hauptsächliche tagtägliche Gebrauch“ der Tore in Palästina bestand ihm zufolge darin, den ankommenden und ausgehenden Verkehr zu gestalten. F 2001, 231. So  G 1995, 77. Zu den städtischen Wasserversorgungssystemen in Palästina siehe im einzelnen  G 1984, 82–94. Der zweite weiblich besetzte Ort in der eisenzeitlichen Stadt war das Haus ( G 1995, 79–83), das freilich für Frauen nicht als Treffpunkt diente. Wie in Griechenland lagen die Frauengemächer im oberen Stockwerk. Männliche Besucher wurden über Treppen oder Leitern daran vorbeigeleitet und auf dem Dach empfangen und bewirtet ( G 1995, 80–82). F 2001, 231 unter Verweis auf Gen 24 und 29 (Brautschau) und Gen 38,14 (Prostitution). Zu unterscheiden ist die bereits im Zusammenhang mit Rut besprochene positive Konnotation einer „im Stadttor bekannten“ Frau (Rt 3,11, siehe oben, 57). Dtn 25,7 sieht explizit die Möglichkeit vor, daß Witwen mit einer Beschwerde beim Ältestenrat im Stadttor vorstellig werden.

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3 Das Stadttor in der Levante

und hält sie für eine Prostituierte (V. 15) – eine solche konnte sicher sein, am Tor auf Kundschaft zu treffen.55 Fassen wir zusammen: Grundfunktionen der eisenzeitlichen Stadttore in der Levante waren erstens, militärischen Schutz zu bieten, zweitens, Zugang zur städtischen Siedlung zu gewähren, und drittens, einen multifunktionalen Versammlungsplatz für politische, juristische, wirtschaftliche, kultische und kommunikative Zwecke zu bieten. Dabei repräsentierten die Tore Stärke und Macht der Siedlung.56 Im Vergleich zum kaiserzeitlichen Stadttor der Römer, das in Kapitel 2 bereits kurz charakterisiert wurde, wird deutlich, daß sich gerade die Hauptfunktionen der Tore in allen genannten drei Punkten unterscheiden. Die kaiserzeitlichen Stadttore dienten erstens nicht vorrangig fortifikatorischen Zwecken. Sie stellten zweitens keinen exklusiven Zugang zur Stadt dar, da diese über mehrere Eingänge verfügte und außerdem in vielen Fällen gar nicht von einem geschlossenen Mauerring umgeben war. Und drittens boten sie als Baukörper in aller Regel keinen Raum für größere Zusammenkünfte, sondern waren im wesentlichen auf den Durchgang selbst beschränkt. Im Bereich der Semantik und Repräsentation dagegen erfüllten die römischen Stadttore durchaus vergleichbare Funktionen, wie die einschlägigen Kapitel der vorliegenden Studie zeigen werden. 3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition Angesichts einer ganz anderen Architektur und Funktion der kaiserzeitlichen Stadttore ist es sehr überraschend, daß die Urbanistik des Stadteingangs in den Levanteprovinzen des Römischen Reichs vorderorientalische Gepflogenheiten aufgreift. Mit dem im folgenden ausführlich besprochenen Fallbeispiel soll zwar keineswegs versucht werden, eine direkte Kontinuität von der Eisenzeit bis in den Prinzipat zu behaupten. Es soll aber gezeigt werden, daß in einer epochenübergreifenden Perspektive gewisse Parallelen in bezug auf den städtischen Alltag in einer Region angenommen werden können. Dies ist in Rechnung zu stellen, wenn die Kultur des Imperium Romanum betrachtet wird, die – bei allen Gemeinsamkeiten der Oberfläche, in diesem Fall einer den italisch-römischen Konventionen verpflichteten Architektur – doch bei genauerem Hinsehen sehr differenziert und heterogen erscheint. Ich stütze mich in diesem Abschnitt auf archäologische Studien zur Stadt Gadara, deren Ergebnisse einführend vergleichsweise breit referiert werden, um die Befundsituation darzustellen. Anschließend soll aufgezeigt werden, wie sich städtische Bedürfnisse und städtebauliche Erfordernisse innerhalb relativ kurzer Zeit wandeln konnten und wie entsprechend auch die Funktion der Stadttore kontinu55 56

Vgl.  G 1995, 77: „Women also passed through the gates, but apparently it was not considered proper to address them there.“ Nach O 2008, 519 handelt es sich hier um eine „symbolisch-proleptische“ Funktion, die „der weithin sichtbaren Machtdemonstration“ diente und damit Feinde abwehren sollte.

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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ierlichen Veränderungen unterlag. Dabei bildete sich in den Levanteprovinzen eine charakteristische Stadtstruktur aus, in der ein Forum westlichen Vorbilds fehlte. Es wird sich zeigen, daß der kaiserzeitliche Städtebau in Gadara, Gerasa, Bosra oder Palmyra im Bereich des Stadteingangs damit an vorrömische Traditionen der Region anknüpfte. 3.3.1 Die Dynamik städtebaulicher Bedürfnisse in Gadara Gegenstand der Untersuchung ist die östlich des Jordan gelegene Stadt Gadara (heute Umm Qais in Jordanien), die zur syrischen Dekapolis gehörte.57 Spätestens in flavischer Zeit war die Dekapolis an die Verwaltung der Provinz Syria gebunden und blieb auch nach der Einrichtung einer eigenständigen Provinz Judaea im Zuständigkeitsbereich des syrischen Legaten.58 Mit der Gründung der prätorischen Provinz Arabia im Jahr 106 n. Chr. wurden die Dekapoleis auf die Syria, Arabia und Judaea verteilt, wobei Gadara zur Provinz Judaea kam.59 Die befestigte hellenistische Oberstadt Gadaras wurde in der frühen Kaiserzeit durch eine neue Siedlung westlich des Stadthügels erweitert,60 die man ebenfalls mit Mauern einfaßte.61 Während die östliche Stadtgrenze bis in die Spätantike bestehen blieb, dehnte sich die römische Siedlung nach Westen immer weiter aus.62 Das städtebauliche Rückgrat dieser neuen Stadt bildete die in Ost-West-Richtung verlaufende Hauptstraße (Abb. 3.3 auf S. 62), welche in ihrem weiteren Verlauf Teil der überregionalen Verkehrsverbindung von Bosra ins Jordantal und weiter an die Küste war. Sowohl die Versorgung der in Bosra stationierten römischen Truppen63 wie auch der Fernhandel mit Luxusgütern verliefen über diese Route. In antoninischer Zeit, als das allgemeine Handelsvolumen der Region zunahm, wurde die Ost-West-Trasse über Gadara die wichtigste Verkehrsverbindung zwischen den Mittelmeerhäfen und Bosra, der Hauptstadt der Provinz Arabia.64 Die von Bosra kommende Straße muß sich im Zentrum Gadaras westlich der Oberstadt gegabelt haben. Ein Zweig führte in nordwestliche Richtung über Tiberias in die Hafenstadt Ptolemaïs, der andere im Südwesten über die Jordanbrücke und via Skythopolis nach Caesarea Maritima (siehe Abb. 3.4 auf S. 63). Beide Straßen

57 58

59 60 61

62 63 64

Zur geographischen Lage und Topographie der Stadt Gadara ausführlich W 2002, 11–56. Zur „territorial-administrative[n] Insellage“ der Dekapolis noch nach der Einrichtung der Provinz Judaea siehe G 2002, 83. Zur Provinzgeschichte der Region insgesamt siehe M 1993. Siehe dazu W-K 2008, 292 und G 2002, 87–89 mit weiterer Literatur. Zur innerstädtischen Topographie siehe W 2002, 39–43. Die Befestigungsanlagen Gadaras in hellenistischer und römischer Zeit waren Gegenstand einer langjährigen Serie von Kampagnen des DAI. Die Ergebnisse sind vorläufig publiziert bei H 2000. Zur Stadtentwicklung siehe B 2008, hier 173. Zum Standort der legio III Cyrenaica in Bosra siehe G 2002, 88–92. B 2004, 185–187, vgl. auch B 2006, 150.

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3 Das Stadttor in der Levante

Abbildung 3.3: Die Hauptstraße von Gadara im Verlauf nach Westen, links der Aufstieg zur Kirchenterrasse und rechts das Nymphäum. Rechts im Hintergrund der See Genezareth.

waren an die im Jordangraben verlaufende Nord-Süd-Trasse von Damaskus nach Jerusalem angebunden.65 Innerstädtisch konnte bislang nur eine einzige Nebenachse des Decumanus nachgewiesen werden, die nach Süden zum römischen Theater führt, sowie zwei kleinere Quartierstraßen. Nahezu alle bekannten öffentlichen Gebäude der Stadt liegen an der Hauptstraße, welche von Portiken und Geschäften gesäumt wurde und in manchen Abschnitten tiefe Spurrillen aufweist.66 Diesem Straßenraum und seinen Torbauten gelten die folgenden Überlegungen. Entlang der Hauptstraße von Gadara sind nicht weniger als neun Toranlagen und Bogenmonumente nachgewiesen: das Osttor und das Westtor im frühkaiserzeitlichen Mauerring, das flavische Tiberiastor extra muros, ein spätkaiserzeitliches freistehendes Bogenmonument extra muros sowie das Westtor der spätantiken Stadtmauer, und schließlich innerhalb der Siedlung vier Straßenbögen. Nur das Osttor und die beiden westlichen Mauertore der frühen Kaiserzeit und Spätantike wurden,

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66

Bezüglich der Einbindung Gadaras in das überregionale Verkehrsnetz siehe B/R 2002, W 2002, 43–44.148, B 2004, 183–187, B 2006, 147–150, B 2008, 155–168 und H 2013, 4–7. W 2002, 149–151; B 2008, 173.

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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Abbildung 3.4: Straßenverbindungen in der Dekapolis und den angrenzenden Gebieten im zweiten Jahrhundert.

wie zu sehen sein wird, unter fortifikatorischen Gesichtspunkten angelegt.67 Das Tiberiastor und das spätkaiserzeitliche Bogenmonument dagegen können keine militärische Funktion erfüllt haben; auf ihre Bedeutung wird noch einzugehen sein. 67

Die Mauerringe des Hellenismus, der frühen Kaiserzeit und der Spätantike wiesen natürlich eine ganze Reihe weiterer Pforten und Tore auf, die aber nicht Gegenstand der folgenden Betrachtungen sein werden, welche sich auf die Toranlagen an der Hauptstraße konzentrieren. Was die Verteidigungswälle des ersten und des vierten Jahrhunderts betrifft, so sind deren Tore ansonsten auch nahezu vollständig abgetragen (vgl. W 2002, 102).

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3 Das Stadttor in der Levante

Die vier innerstädtischen Straßenbögen gliederten die Hauptstraße in einzelne Abschnitte;68 für eine Untersuchung der Stadteingangskonstellation sind sie nicht von Relevanz. Die bauliche Situation soll im einzelnen weitgehend in chronologischer Perspektive vorgestellt werden. Dabei können wir, von einem Vorgriff auf das ganz im Westen der Stadt liegende Bogenmonument extra muros abgesehen, zugleich der topographischen Anordnung der Toranlagen folgen, die der Reihenfolge ihrer Entstehung entspricht, und die Monumente von Osten nach Westen abschreiten. Auf dem auf der folgenden Doppelseite abgedruckten Bestandsplan (Abb. 3.5 f.) ist deutlich die Hauptverkehrsachse auszumachen, um die sich die öffentlichen Gebäude gruppieren. Von Osten nach Westen fortschreitend sind folgende Torbauten verzeichnet: 4) Osttor, 36/37) Straßentore, 22) Frühkaiserzeitliches Westtor, 23) Tiberiastor, 26) Spätkaiserzeitliches Westtor, 29) Spätkaiserzeitliches Bogenmonument. a) Das Osttor Das heute weitgehend zerstörte Osttor, vor dem sich eine Nekropole befand, markierte den östlichen Eingang der antiken Stadt (Nr. 4 in Abb. 3.6). Es war anscheinend schon Teil der späthellenistischen Befestigung. Der Bau war wohl sehr schlicht gehalten und hatte rein defensiven Charakter;69 Einzelheiten sind aber unklar. Mit dem Bau des Nordtheaters wurde der östliche Stadteingang aufwendiger gestaltet und „architektonisch zu einem geradzu festsaalähnlichen Ensemble gefaßt“.70 Das Areal diente zugleich als Handelsplatz,71 was im letzten Drittel des ersten Jahrhunderts durch den Neubau einer an den Torplatz angrenzenden Ladenzeile unterstrichen wurde.72 b) Das frühkaiserzeitliche Westtor Relevant sind nun vor allem die vier Stadttore am westlichen Stadteingang. Gut 750 Meter vom östlichen Tor entfernt am anderen Ende der Stadt lag das in der 68

69 70 71 72

Zu zwei Bögen liegen bislang keine eigenen Publikationen vor; auch Claudia Bührig geht in ihrer Arbeit, soweit ich sehe, auf diese beiden Bögen nicht ein. In dem unten abgedruckten Plan des DAI (Abb. 3.6) sind sie unter Nummer 36 und 37 als westliches bzw. östliches Straßentor verzeichnet. Bei den beiden anderen Straßenbögen, die im Plan des DAI fehlen, handelte es sich um öffentliche Prachtbauten, die die Schmalseiten des Nymphäums eingefaßt zu haben scheinen und den Aufgang zur Westterrasse abteilten (W 2002, 108). Solche Straßenbögen sind in den orientalischen Provinzen besonders häufig; es gibt parallele Beispiele in Palmyra, Tyros, Bosra, Gerasa und Tiberias (A 1997, 100). Sie markierten topographisch wichtige Punkte und unterteilten die geradlinige Trasse der Verkehrsachse in überschaubare, optisch reizvolle Abschnitte, was den monotonen Eindruck einer langen Kolonnadenstraße auflockerte (W 2002, 101, vgl. auch B 2008, 183 und B 2004, 190). W 2002, 102; B 2008, 173–177. H 2013, 19. Ebd., 19 f., vgl. B 2014, 157. Dazu H 2013, 20.

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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frühen Kaiserzeit entstandene Westtor, von dem nur noch Fundamente erhalten sind (Nr. 22 in Abb. 3.5).73 Das einfach gestaltete Tor wurde von großen Bastionen flankiert und war Teil des frühkaiserzeitlichen Mauerrings, der die westliche Stadterweiterung sicherte. Diese neue Mauer wurde sehr nachlässig gefügt und ihr Bau durch eine anscheinend rationalisierte Vorfertigung der Quadersteine beschleunigt, wobei man auch Spolien verwendete. Daß man den Mauerring demnach unter erheblichem Zeitdruck erbaute und daß sich die Verteidigungsvorrichtungen dabei auffällig auf die Westseite der Stadt konzentrierten, spricht dafür, den Torbau und die neuen Mauern in die Zeit des Ersten Jüdischen Krieges (66–70) zu datieren,74 in dessen Zuge der späthellenistische Podientempel von Gadara fast vollständig zerstört wurde.75 Der einzige Durchgang des Westtors war etwa vier Meter breit und mit einem einfachen Türgewände eingefaßt. Es sind noch Löcher für Türpfosten erkennbar. Wie sein östliches Pendant hatte dieses Tor eine vorrangig fortifikatorische Funktion. Im ausgehenden zweiten Jahrhundert wurde es möglicherweise im Zuge der Umgestaltung der Kolonnadenstraße demontiert.76 c) Das Tiberiastor Das extra muros gelegene Tiberiastor, das 140 Meter westlich der neuen Stadtbefestigung und wohl nur kurze Zeit nach dieser errichtet wurde, war der erste freistehende Torbau in Gadara (Nr. 23 in Abb. 3.5).77 Es bestand aus einem Mitteltor mit zwei Rundtürmen.78 Während die Türme stadtseitig nur minimal aus 73 74

75 76 77 78

Siehe zu diesem Tor H 2000, 213–215, B 2006, 143 und B 2008, 178 f. Ich referiere hier H 2000, 218 im Rahmen seiner Analyse der Befestigungsanlagen (211–219). Dort heißt es näherhin: „Die historischen Voraussetzungen für all diese Phänomene könnten am ehesten in den unruhigen Zeiten des Jüdischen Kriegs zu suchen sein, die in den sechziger Jahren von Palästina aus die Region erschütterten. Flavius Josephus berichtet ausführlich über die Ereignisse und auch über gewaltsame Zwischenfälle, die Gadara betrafen (Bell. Jud. II 459 und Vita 42). Die Überfälle der Juden richteten sich sowohl gegen die Dörfer der Gadarener Chora, als auch gegen die Stadt selbst – ausreichend Anlaß, sich gegen drohende Gefahr oder aber auch gegen weitere Übergriffe mit einer neuen Stadtmauer wirksamen Schutz zu verschaffen. [. . . ] Für die Stadt wird die Errichtung der Mauern eine enorme Kraftanstrengung bedeutet haben, und es spricht für die Prosperität des Gemeinwesens, daß das Werk überhaupt bewältigt und daß der Bau fertiggestellt worden ist.“ Die Bedeutung der Ereignisse für Gadara skizziert W 2002, 71–74. H 2013, 13 f. und 20. Der Tempel ist unten in Abb. 3.6 als Nr. 5 verzeichnet. B 2008, 184. H 2000, 232, vgl. W 2000, 9 f. Zum Typus des freistehenden Tors mit zylindrischen Türmen siehe B 2006, 136 f.: Während die Elemente der Wehrarchitektur aus den kaiserzeitlichen Bogenmonumenten im Westen vollständig verschwunden sind, wird im Osten mit dem Turm als Baukörper dem Bogenmonument „ein typisches Element der Wehrarchitektur angefügt“ (136), das freilich nur noch als „Zitat“ aufzufassen sei (137). Siehe weiterhin W 2002, 104–108: Die herodianische Architekturform des Wehr-Rundturms wurde in diesem Typus mit der formalen Herauslösung von Toren aus dem Mauerverbund und ihrer Entwicklung zu isolierten Monumenten verbunden, wie wir sie im augusteischen Italien beobachten.

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3 Das Stadttor in der Levante

Abbildung 3.5: Topographischer Bestandsplan von Gadara, Westen. 3) Stadtmauer, 8) Hauptstraße, 22) Frühkaiserzeitliches Westtor, 23) Tiberiastor, 26) Spätkaiserzeitliches Westtor, 28) Hippodrom, 29) Spätkaiserzeitliches Bogenmonument.

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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Abbildung 3.6: Topographischer Bestandsplan von Gadara, Osten. 3) Stadtmauer, 4) Osttor, 8) Hauptstraße, 36/37) Straßentore.

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3 Das Stadttor in der Levante

der Flucht des Baus heraustraten, waren sie landseitig stark betont, indem sie mit gut der Hälfte ihres Gesamtvolumens hervorkragten.79 Sie ließen sich von der Stadtseite aus durch zwei Türen betreten.80 Auch das Tor selbst war anscheinend verschließbar.81 Wenn seine Errichtung mit dem Ende des Ersten Jüdischen Krieges im Jahr 70 in Zusammenhang zu bringen ist,82 ersetzte es wohl das nur wenige Jahre ältere Westtor als eigentlichen Stadteingang. Jenes nämlich war allem Anschein nach im Zuge des Krieges beschädigt worden, und es ist fraglich, ob es in der Folgezeit überhaupt noch als abschließbares Stadttor funktionierte.83 Der neue Bau wurde mit dem Westtor durch eine prachtvoll neu ausgebaute Straße verbunden, die in verschiedenfarbigen Gesteinen gestaltet war.84 Der Straßenabschnitt zwischen den beiden Toren wurde damit städtebaulich aufgewertet und das neue Tor an das Stadtgebiet auch räumlich angebunden. Es bezeichnete in repräsentativer Form den neuen Stadteingang und diente zugleich als Ausweis römischer Urbanität.85 In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, daß sich der Bau formal wie typologisch am Südtor der nahe gelegenen Stadt Tiberias orientierte,86 was vielleicht nicht nur auf die übliche Konkurrenzsituati79 80 81

82

83 84

85

86

B 2006, 143. W 2000, 10. So zumindest Thomas Weber, der Ausgräber des Tors (W 2000, 14). Bührig dagegen schreibt das Gegenteil (B 2006, 143; B 2008, 179). Da sie auf Webers Aussage nicht eingeht, bleibt unklar, ob sie sich auf neuere Erkenntnisse bezieht oder den Befund nur anders interpretiert als Weber. B 2006, 144 und B 2008, 179 f. (ohne nähere Erläuterung des postulierten Zusammenhangs). Die Verfasserin grenzt damit die Datierung des Ausgräbers Thomas Weber näher ein, der den Bau in die frühe flavische Zeit setzt (W 2002, 73). Weber widerlegt die ältere These, derzufolge das Tor in der augusteisch-herodianischen Epoche zu verorten wäre (so auch noch M 2001, 429). So B 2006, 144 und B 2008, 179 f. unter Verweis auf H 2000, 211–219, der sich aber, wenn ich richtig sehe, zu einer Beschädigung des Tores gar nicht äußert. Fahrbahn und Estraden waren aus dunkelgrauem Basalt gefertigt, Säulenbasen und Kapitelle der flankierenden Portiken aus hellgrauem Kalkstein, und die Schäfte der Säulen bestanden aus rötlich-gelbem Konglomerat mit dunkelbraunen Sprenkeln (W 2002, 148–151). B 2006, 144 f. Die Verfasserin führt weiter aus, daß das Tor nun seinerseits „den architektonischen und prospektartigen Abschluß der innerstädtischen Kolonnadenstraße“ bildete (145). Zum Aspekt der Urbanität bei diesem Tor siehe auch H 2013, 22. Dazu M 2001, 429, sowie B 2008, 182: „Beachtenswert ist, daß mit der Errichtung des Tiberiastores von Gadara dem herodianischen Südtor in Tiberias ein formales und typologisches Pendant in unmittelbarer Nachbarschaft gegenüber trat.“ (Mit „herodianisch“ bezieht sich die Verfasserin anscheinend auf Herodes Antipas, den Gründer der Stadt Tiberias, und nicht etwa auf dessen Vater Herodes den Großen.) Zur parallelen Anlage der beiden Bögen am Anfangs- und Endpunkt der Fernstraße Gadara-Tiberias siehe unten, 190. Auch weitere Gebäude in Gadara waren von Anlagen anderer Städte der Region inspiriert: Die polychrom gefaßten Stoai folgten dem Vorbild der Kolonnaden in Tyros, das Podienmonument ahmte einen Prachtbau an der Straßenkreuzung in Skythopolis nach, das westliche Theater griff den Entwurf der Theater der Städte Adraa und Philippopolis in der Arabia auf, und das noch zu besprechende Ensemble von Bogenmonument und Hippodrom entsprach älteren Konzepten aus Tyros und Gerasa (W 2002, 78).

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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on benachbarter Städte verweist, sondern auch auf eine regionale Komponente städtischer Identität. Daneben hatte das Tiberiastor aber auch die ganz konkrete Aufgabe einer Maut- und Zollstation.87 Im zweiten Jahrhundert, als sich das Stadtgebiet bereits weit über das Tiberiastor hinaus ausgedehnt hatte, wurde die Westfassade des Monuments im Rahmen eines Ausbaus der Hauptstraße aufwendig umgestaltet. Durch eine vorgeblendete Säulenreihe verloren die vormals stark betonten Türme ihre Dominanz, so daß der Wehrcharakter der Fassade zugunsten einer repräsentativen Gestaltung zurückgenommen wurde. Das Tor war nun Teil des innerstädtischen Raums. Es markierte nicht mehr den Übergang vom Umland in die Stadt, sondern den Beginn eines Teilabschnitts der Straße innerhalb der Siedlung.88 Das Tor wurde im vierten Jahrhundert abgetragen. Auf dem Fundament des Nordturms wurde ein Lagerraum errichtet, während man an der Stelle des Südturms ein Wasserbassin erbaute.89 d) Das severische Bogenmonument In der Bauphase des zweiten Jahrhunderts, als die Siedlung über das Tiberiastor hinausreichte, war der westliche Eingang der Stadt Gadara nicht durch ein Stadttor definiert. Erst zu Beginn des dritten Jahrhunderts – der Chronologie folgend übergehe ich hier zunächst das spätantike Westtor – errichtete man ein zweites, typologisch identisches Bogenmonument (Nr. 29 in Abb. 3.5) weit außerhalb des alten Stadtzentrums, gut 600 Meter vor dem Tiberiastor.90 Die Westnekropole im Bereich zwischen den beiden Toren wurde im Zuge dieser Stadterweiterung eingeebnet und in das Siedlungsgebiet mit einbezogen.91 Das neue Bogenmonument besaß drei Durchgänge, von denen der mittlere für den Fuhrverkehr vorgesehen war, wie tief eingefahrene Wagenrinnen auf der Schwelle und im Pflaster der mittleren Torkammer zeigen.92 Ausweislich der Türanschläge und Vorrichtungen für Riegel waren nicht nur die Eingänge in die Türme, sondern auch die Durchgänge selbst verschließbar.93 Das Monument stand am 87 88 89 90

91

92 93

Siehe dazu unten, S. 190. B 2006, 145 f., B 2008, 183 f., zum archäologischen Befund auch M 2001, 429. Ebd., 431. Dieses Bogenmonument ist der Gegenstand der Publikation B 2008, siehe in unserem Zusammenhang besonders 184–192. Einschlägig ist außerdem der Vorbericht H 1990. Das Monument wurde nie fertiggestellt; wie Hoffmann meint, entweder aus Finanzmangel oder weil es seinen Zweck bereits im unfertigen Zustand erfüllte (H 2013, 22). W 2002, 41–43. Lediglich das unmittelbar südwestlich vor dem Tiberiastor gelegene römische Hypogäum wurde vor der Zerstörung bewahrt. Es „scheint für die Bevölkerung eine besondere Bedeutung gehabt zu haben“ und wurde schließlich im vierten Jahrhundert um eine Krypta erweitert, über der sich eine Pilgerkirche erhob (ebd., 41). H 1990, 230, vgl. B 2008, 187. W 2000, 14. Dem diametral entgegenstehend wiederum B 2006, 147, derzufolge die Schwellen die Durchgänge nur „symbolisch“ als Türen charakterisierten, „auch wenn sie die

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3 Das Stadttor in der Levante

westlichsten Punkt der Stadterweiterung und erfüllte damit die Funktion, den Übergang vom Land zur Stadt zu kennzeichnen. Mit Claudia Bührig darf man sich das dahingehend vorstellen, daß das Monument für den Besucher, der sich der Stadt Gadara vom Jordantal her näherte, einen ersten Höhepunkt städtischer Architektur darstellte. Das repräsentative polychrom gestaltete Tor mit prospektartig breit gelagerten Turmfronten und einem reich dekorierten Mittelbau spiegelte sichtbar das städtische Selbstbewußtsein.94 Auf dem höchsten Punkt der Landstraße gelegen, war es schon von weitem zu sehen95 und stellte den Anfangspunkt der städtischen Prachtstraße dar.96 Es bildete zusammen mit dem ebenfalls in dieser Zeit errichteten Hippodrom97 ein neues städtebauliches Ensemble. Stadtseitig vor dem Tor hatte man einen großzügigen Platz angelegt, der optimale Voraussetzungen bot, um einen überregionalen Handelsmarkt zu etablieren, da im benachbarten Hippodrom und an der Nordseite der Straße gewerblich genutzte Ladenlokale vorhanden waren und jenseits des Tors Weideflächen und Wasserreservoirs lagen, an denen durchziehende Karawanen Station machen konnten.98 Sollten Planung und Bau des Ensembles am westlichen Abschluß der Stadt mit einem möglicherweise erwarteten Besuch eines Kaisers zu tun gehabt haben – in Frage kämen Septimius Severus, Caracalla oder Macrinus –,99 dann ist der neugestaltete Stadteingang auch als möglicher Rahmen für das Zeremoniell eines kaiserlichen adventus anzusprechen.100 Die Annahme, daß das Tor auch die Funktion einer Maut- und Zollstation übernahm,101 ist dagegen nicht zwingend.102

94 95 96 97

98 99

100

101 102

eigentliche Funktion aufgrund fehlender Verschlußvorrichtungen nicht erfüllt haben können.“ Daß diese Aussage im Widerspruch zu Webers Darstellung steht, wird von Bührig auch an dieser Stelle nicht thematisiert. B 2008, 193 und wortgleich 198, zur Polychromie 195. Vgl. schon B 2006, 147. B 2008, 196. Vgl. H 2013, 23. Zum Hippodrom W 2002, 138 f.: Er gehörte zu jenen Bauten, die den ostjordanischen Poleis ein griechisches Gepräge gaben. In den syrischen und palästinischen Städten sind musische Agone ebenso wie Sportwettkämpfe nachweisbar, wobei letztere auch Pferde- und Dromedarrennen umfaßten. Der Hippodrom von Gadara blieb allerdings unvollendet. B 2008, 188–190, vgl. auch B 2014, 157. B 2008, 163 f. Septimius Severus war im Jahr 199 in der Region, Caracalla sogar wiederholt (schon 199 mit seinem Vater und dann mehrfach in den Jahren 215 und 216), und Macrinus im Jahr 217/218. H 2013, 22 stimmt Bührigs These von einem kaiserlichen Besuch zu, wobei er Septimius Severus für den plausibelsten Kandidaten hält. B 2008, 198. Zum Zusammenhang zwischen der Errichtung neuer Stadttore und kaiserlichen Besuchen siehe unten, 350 f., zur Bedeutung des Stadttors im adventus-Zeremoniell siehe 315–323. So W 2002, 100 f., und dem folgend B 2008, 190.199. Da es keine Umgehungsstraße und anscheinend auch keine innerstädtische Straße am Tiberiastor vorbei gab, waren ankommende wie durchreisende Fuhrwerke und Karawanen in jedem Fall dazu gezwungen, beide Tore zu passieren, das neue Bogenmonument ebenso wie das ältere Tiberiastor, das damit weiterhin der Maut- und Zollerhebung gedient haben könnte. Die eben skizzierte Nutzung des neugeschaffenen Torbereichs als merkantiles Zentrum spricht meines Erachtens

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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Wie sich am monumentalen Ausbau der Stadt in severischer Zeit ablesen läßt, war Gadara eine jener Städte, die von einer forcierten römischen Urbanisierungspolitik in den Provinzen Arabia und Syria Palaestina profitierten. Einen ähnlichen Aufschwung nahmen seit der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts Skythopolis, Capitolias, Gerasa, Philadelphia, Apameia und Bosra.103 e) Das spätkaiserzeitliche Westtor Geographisch zwischen dem Bogenmonument und dem Tiberiastor angesiedelt war das wiederum ein knappes Jahrhundert später, um den Beginn des vierten Jahrhunderts, erbaute Westtor (Nr. 26 in Abb. 3.5), ein architektonisch schlicht gehaltener Wehrbau mit zwei fast quadratischen Türmen.104 Dieses Tor verfügte über einen einzigen Durchgang von 4,03 Metern Breite, der sich ursprünglich durch eine zweiflügelige Tür verschließen ließ.105 Es lag im Bereich der neronisch-flavischen Nekropole und war mit der anschließenden Mauer Teil einer neuen Befestigung, die im ausgehenden dritten bzw. frühen vierten Jahrhundert angelegt wurde (möglicherweise aber nie vollendet worden ist).106 Eine Reihe weiterer Städte in der Region erhielt zu dieser Zeit neue Mauern.107 Ein Zusammenhang der Baumaßnahmen in Gadara mit der Bedrohung der Region durch die Sasaniden, die Palmyrener und arabische Stämme erscheint daher sehr plausibel.108 Die neue Verteidigungslinie läßt gegenüber der 400 Meter weiter stadtauswärts liegenden Anlage von Bogenmonument und Hippodrom eine „deutliche Rücknahme der optimistischen Planungsperspektiven der späteren Kaiserzeit“ erkennen.109 Erst in frühbyzantinischer Zeit gab es in Gadara wieder eine Fülle neuer öffentlicher Bauten, aber keine weiteren fortifikatorischen Maßnahmen mehr.110 Das spätkaiserzeitliche Westtor bildet damit die letzte in einem eigenen Monument faßbare Station einer komplexen baulichen Entwicklung der Stadteingangssi-

103 104 105 106 107 108

109 110

eher dagegen, das Bogenmonument zugleich als Mautstation anzusprechen: Die Händler und Reisenden hätten jedesmal das Zollbüro passieren müssen, um vom Handelsplatz zu ihren Tieren vor dem Tor zu gelangen und umgekehrt. W 2002, 139.150; B 2004, 189–192; B 2008, 169–173. Siehe zu diesem Tor H 2000, 219–228 und B 2006, 151. H 2000, 219 f. Später entfernte man die Verschlußvorrichtung und die mittleren Schwellsteine, um eine bequemere Durchfahrt zu ermöglichen (ebd.). Im weiteren Verlauf nach Norden und Süden wurden keinerlei Spuren eines neuen Befestigungsringes gefunden (H 2000, 222, H 2013, 27). Siehe dazu oben, 37. Man denke nur an die Feldzüge der Sasaniden unter Schapur im Jahr 260 und diejenigen Palmyras unter Zenobia ab 267/268, in deren Zuge Antiocheia am Orontes überfallen wurde (dazu F 2005, 87.119–123). Zur Situation Gadaras vgl. auch H 2000, 228. Ebd., 232. Vgl. ebd. In frühbyzantinischer Zeit entstanden eine neue Thermenanlage und vier Kirchen. Erst die schweren Erdbeben des späten siebten und des achten Jahrhunderts brachten das städtische Leben in Gadara weitgehend zum Erliegen (ebd.).

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3 Das Stadttor in der Levante

Abbildung 3.7: Die Kolonnadenstraße von Gadara im mittleren Abschnitt, von Osten nach Westen blickend. Die etwa sechs Meter breite Fahrbahn wird beidseitig von drei Meter breiten Estraden gesäumt, an die sich die Säulenreihen anschließen.

tuation von Gadara, an der sich ein Wandel städtischer Bedürfnisse ablesen läßt. Die stetige Umgestaltung der Eingangssituation ist ein Phänomen, daß sich in Städten überall im Römischen Reich beobachten läßt. Angefangen bei Rom selbst, wo die Stadteingänge mit der Siedlungsgrenze einer wachsenden Stadt immer wieder verschoben und neu akzentuiert wurden, ist eine mehrfache Verschiebung der Stadtgrenzen etwa auch im phrygischen Hierapolis oder im pamphylischen Perge111 nachweisbar. Eine Interpretation der beschriebenen Befunde in Gadara wird im folgenden Abschnitt diskutiert. 3.3.2 Die Hauptstraße als lineares Forum Wenn sich die bisher bekannten öffentlichen Bauten in Gadara, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, wie Perlen an einer Schnur der städtischen Ost-West-Achse entlang aufreihten,112 so übernahm hier anscheinend der öffentliche Straßenraum

111 112

M 2010, 21. H 2005, 95.97, vgl. dazu den Plan der Stadt (oben S. 66 f., Abb. 3.5 f.). Nur die großen Thermen im Süden und die Herakleides-Thermen im Norden waren aufgrund ihrer dezentralen Versorgungsfunktion für einzelne Stadtviertel abseits der Hauptstraße gelegen, und ebenso das

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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Abbildung 3.8: Hypothetischer Rekonstruktionsschnitt der Säulenstraße von Gadara.

die Aufgaben eines Forums.113 Ein solches nämlich ist in Gadara nicht nachzuweisen. Claudia Bührig betrachtet daher die Kolonnadenstraße als den eigentlichen „Lebensnerv“ der Stadt, den zentralen Ort politischen Selbstbewußtseins „in der Art römischer Foren“.114 Adolf Hoffmann bezeichnet die Hauptstraße von Gadara als „das entscheidende Element des öffentlichen Lebens“, als ein „lineares Forum“ der Stadt;115 an anderer Stelle spricht er von einer urbanistischen Grundidee „der linearen Stadt“.116 Für diese Interpretation spricht auch die Gestaltung der Hauptstraße selbst, die über eine Strecke von mindestens 575 Metern, mehr als der Hälfte ihrer Gesamtlänge, mit Säulengängen und Estraden ausgestattet war (Abb. 3.7).117 Die Estraden waren anscheinend nicht als Gehwege gedacht, sondern für die Aufstellung von Ehrenstatuen und Reiterbildern vorgesehen, und auch zwischen den Säulen standen Ehrenbilder, wie sie sonst bevorzugt an einem Forum zu finden wären (siehe Abb. 3.8).118 Grabungen des jordanischen Antikendienstes haben außerdem auf einem Teilabschnitt der Straße hinter den Portiken Ladengeschäfte nachgewiesen. Solche Geschäftsräume säumten Hoffmann zufolge die Säulenstraße wohl „in nahezu ununterbrochener Abfolge“.119

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kleine Westtheater, für dessen Bau man das Terrain am Hang des hellenistischen Siedlungshügels nutzte (ebd.). B 2004, 192; H 2005; B 2008, 183. B 2004, 192. H 2005, 98, vgl. bereits den Titel des Aufsatzes: „Platz für Ehrenstatuen! Gadaras Hauptstraße, ein lineares Forum“. H 2013, 27. H 2005, 94. Auf 100 Metern Länge ist nur einseitig eine Estrade nachgewiesen. Ebd., 96–98. Ebd., 98. Ladenzeilen sind für Hoffmann üblicherweise „ein weiteres Element westlicher Fora“ (ebd.).

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3 Das Stadttor in der Levante

Die auf eine einzige Zentralachse hin ausgerichtete Stadtstruktur ist in der Region typisch. Sie begegnet neben Gadara beispielsweise in Gerasa, Bosra, Palmyra, Apameia, Damaskus, Antiocheia am Orontes, in der neugegründeten Kolonie Aelia Capitolina (Jerusalem) und dem kilikischen Pompeiopolis. Die Hauptstraße dieser Städte war jeweils Teil einer Überlandverbindung, welche innerstädtisch in manchen Abschnitten oder sogar auf der gesamten Länge von Kolonnaden eingefaßt und von Ehrenstatuen gesäumt wurde.120 Zentrale Foren mit religiösen, politischen, wirtschaftlichen und repräsentativen öffentlichen Einrichtungen dagegen fehlen in der Regel.121 Wie man sich die Nutzungsmöglichkeiten einer solchen Kolonnadenstraße vorzustellen hat, erhellt aus der Lobrede über Antiocheia, die Libanios im Jahr 357 anläßlich der olympischen Spiele in seiner Heimatstadt hielt. Dort werden als eine besondere Errungenschaft von Antiocheia die prächtigen und unvergleichbar langen Säulenstraßen beschrieben, von deren Hallen aus die angrenzenden öffentlichen Gebäude wie Tempel und Bäder über direkte Eingangspforten mühelos zu erreichen waren. Die Straßen ermöglichten der Bevölkerung das, was in einer Stadt das Schönste und Nützlichste sei, nämlich gegenseitigen Austausch, führt Libanios aus. Beim Auf- und Abgehen oder Verweilen in den Säulenhallen könnten die Bewohner der Stadt in aller Ruhe miteinander sprechen und sich beratschlagen, und dies selbst im Winter, bei Regen, Hagel, Schnee und Sturm.122 Hoffmann faßt zusammen, daß sich im prachtvollen Rahmen der Säulenstraßen im Osten des Reiches „[p]rofaner Handel gleichermaßen wie festliche Prozessionen, politische Manifestationen wie genußvoller Müßiggang“ entfalten konnten, wie sie in anderen römischen Städten auf dem Forum zu verorten wären.123 3.3.3 Die Karawanenstation am Tor der kaiserzeitlichen Levantestadt Da die Stadtanlagen im Osten auch andere orientalische Elemente integrierten,124 erscheint es legitim, die Tatsache, daß in einer Reihe kaiserzeitlicher Levantestädte auf ein zentrales Forum verzichtet wurde und man stattdessen die jeweilige Hauptstraße prachtvoll und komplex ausbaute, mit vorrömischen Traditionen in Zusammenhang zu bringen. Wie im ersten Teil dieses Kapitels dargelegt, nahm in 120 121

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124

Grundlegend dazu ist die Dissertation von T 2001. Einen konzisen Überblick bietet B 2014. H 2005, 98; B 2008, 169 (vgl. auch 172). Es gibt freilich eine Anzahl hellenistischer Städte in der Region, in denen sich die Agora etablieren konnte (vgl. O 2008, 530); so weisen die Pläne von Apameia, Damaskus und Palmyra eine Agora auf. Die Struktur dieser Städte war dennoch nicht auf einen Platz, sondern auf den Hauptverkehrsweg hin ausgerichtet. Lib. Or. 11,212–216. H 2005, 98. Vgl. das Kapitel bei T 2001, 250–262, in dem städtebauliche, kulturelle und sozio-ökonomische, politische sowie repräsentative Funktionen der kaiserzeitlichen Säulenstraßen im Vorderen Orient untersucht werden. B 2014, 152; die Verfasserin verweist hier auf die bereits bestehenden Heiligtümer. Ebd., 157, wird außerdem eine Traditionslinie von den altorientalischen Prozessionsstraßen zu den Kolonnadenstraßen der Kaiserzeit gezogen.

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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den Städten des Alten Orients das Stadttor als öffentlicher Raum eine Schlüsselrolle im städtischen Alltag ein.125 Ein entscheidender Faktor dafür, daß man auf einen zentralen Forumsplatz auch in den Städten des ersten bis dritten Jahrhunderts nicht angewiesen war, lag nun meines Erachtens in der Existenz großzügiger multifunktionaler Platzanlagen am Stadttor,126 die ihrerseits geeignet waren, den Rahmen für verschiedenste Formen sozialer Interaktion zu bieten. In Gadara lassen sich entsprechende Anlagen an beiden Stadteingängen nachweisen. Das bereits erwähnte frühkaiserzeitliche Ensemble am Osttor der Stadt, das außer dem stadtseitigen Torplatz noch eine angrenzende Einkaufszeile mit tabernae umfaßte, wurde als Handelsmarkt genutzt.127 In severischer Zeit wurde darüber hinaus am westlichen Stadtrand das neu errichtete repräsentative Bogenmonument stadtseitig mit einem großzügigen offenen Platz versehen, der für öffentliche Versammlungen geeignet war. Mit seiner Lage am Stadteingang bzw. -ausgang, mit angrenzenden Ladengeschäften sowie feldseitig vor dem Tor liegenden Weideflächen und Wasserspeichern wies er zudem die notwendige Infrastruktur für einen Warenumschlagplatz und eine Karawanenstation auf;128 Hoffmann vermutet sogar, daß die aufwendige Anlage eines Aquädukts in Gadara der Wasserversorgung für die Karawanen diente.129 Gadara gehörte zu den Städten, in denen üblicherweise ein Wechsel der Transportmittel stattfand. Die Waren und Transportgüter wurden hier von Kamelen auf Maultiere umgeladen, um die steilen Küstengebirge überwinden zu können.130 Da bereits seit antoninischer Zeit sowohl die militärische Logistik für die im Osten stationierten Truppen als auch der Wirtschaftsverkehr zwischen Bosra und den Mittelmeerhäfen über Gadara abgewickelt wurde,131 müssen die Rastplätze und Tierweiden vor dem zu Beginn des dritten Jahrhunderts erbauten Tor und der Handelsmarkt an seiner Innenseite sehr stark frequentiert worden sein. Möglicherweise ist der Anlaß zum Bau der Anlage daher nicht zuerst in verstärkten innerstädtischen Bedürfnissen nach Repräsentation zu suchen,132 sondern vielmehr in einem steigenden regionalen Verkehrsaufkommen, das es logistisch zu bewältigen galt. Auch unter diesem Aspekt hatte ein peripher gelegener Platz am Stadttor gegenüber einem zentralen Forum stadtplanerisch nur Vorteile.

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Diesen Umstand hat Bührig merkwürdigerweise nicht im Auge. So schreibt sie, erst die Kolonnadenstraßen hätten im Osten einen öffentlichen Raum etabliert, „und das in einer Region, in der dieser im urbanen Gefüge keine Tradition hat“ (ebd., 159). Auf diese Plätze geht auch H 2005, 98 in einer Nebenbemerkung ein, befindet aber, daß sie „eher monofunktional“ in erster Linie dem Handel dienten. Nachweise oben, 64. B 2008, 188–190; Baubefund und Einzelnachweise oben, 70. H 2013, 7. W 2002, 26, vgl. 138. Zur Bedeutung des Transithandels für Gadara siehe H 1999, 229. Siehe ferner G 2002, 276–285 allgemein zum palmyrenischen Karawanenhandel. Siehe oben, 61. In diese Richtung weisen die Überlegungen von B 2006, 147; B 2008, 163 f. und 193.198.

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3 Das Stadttor in der Levante

Eine entsprechende Nutzbarmachung vergleichbarer Toranlagen durch Reisende ist literarisch noch im fünften Jahrhundert für die Insel Zypern belegt. Auch dort muß man sich in vorderorientalischer Tradition ausgebaute Tore vorstellen, wenn es in den Akten des Barnabas heißt, daß dieser und seine Gefährten sich vor einem Marsch durch das Inlandsgebirge vor dem Stadttor von Lapithos erfrischen,133 und daß sie in Kition eine Stunde lang im Tor beim Brunnen rasten, um sich anschließend nach Salamis einzuschiffen.134 Ein römisches Stadttor westlichen Zuschnitts bietet keinen Platz für eine ausgedehnte Rast, von einer Wasserstelle im (!) Tor (ἐν τῇ πύλῃ) ganz zu schweigen. Leider fehlen in Gadara die Schriftzeugnisse, die uns erlauben würden, die Durchführung einzelner politischer, administrativer oder kultischer Handlungen mit konkreten Orten der städtischen Topographie wie dem Torplatz zu verbinden. Die Anlage von Bogenmonument, stadtseitiger Platzanlage und dem zugleich erbauten Hippodrom war aber zweifelsfrei dazu geeignet und dazu gedacht, als Versammlungsort für vielfältige Zwecke genutzt zu werden.135 Ich möchte daher dafür plädieren, die archäologisch nachgewiesenen Aktionsräume als ein städtebauliches Angebot zu interpretieren, das vielseitige Nutzung ermöglichte, ohne daß sich beim derzeitigen Kenntnisstand über die tatsächliche Ausschöpfung dieses Potentials näheres sagen ließe. Unter Einbeziehung römischer und griechischer Bautypen (Monumentalbogen und Hippodrom) wurde in Gadara die vorderorientalische Tradition des Stadttors als Zentrum urbaner Aktivitäten neu interpretiert.136 Dies läßt sich auch in anderen kaiserzeitlichen Städten der Levante konstatieren, denn vergleichbare stadtseitige 133

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Barnabas geht dem romanhaften Bericht zufolge mit Johannes Markus und Timon nach Lapithos, wo man im Theater ein wildes Götzenfest feiert und sie nicht einläßt. Daher erquicken sie sich ein wenig vor dem Tor, ehe sie weiter wandern (ActBarn 16, Text B 1959): ἀλλὰ πρὸς τῇ πύλῃ ἀνεψύξαµεν µικρόν. In Kition wird gerade großer Lärm im Hippodrom veranstaltet. Da niemand sie aufnimmt, verlassen sie die Stadt wieder und rasten nur eine Stunde im Tor bei der Wasserleitung (ActBarn 21): εἰ µὴ ἐν τῇ πύλῃ µίαν ὥραν ἀνεψύξαµεν πλησίον τοῦ ὑδραγωγίου. Siehe zu den Acta Barnabae im einzelnen die Kommentare bei L 1884, 276–297 und K 1998, 66–68 sowie vor allem R 2017, 123–195. Der Text bezieht sich in dem hier relevanten Punkt auf die Verhältnisse seiner Entstehungszeit im fünften Jahrhundert, nicht auf die Umstände zur Zeit des Barnabas im ersten Jahrhundert. Wie Philipp Pilhofer anhand von Isaurien und Kilikien zeigt, reflektieren die topographischen Angaben der Acta Barnabae auch sonst realitätsnah die Gegebenheiten der Spätantike (P 2015). Vgl. in bezug auf Zypern die Einschätzung Bernd Kollmanns, der von „exakten geographischen Angaben“ eines ortskundigen Verfassers spricht (K 1998, 66, siehe auch sein Gesamturteil zum Quellenwert der Akten ebd., 67). So spricht Thomas Weber in bezug auf den Hippodrom von Gadara von einem „ausgesprochene[n] Mehrzweckbau“ für Massenveranstaltungen aller Art (W 2002, 138). Von der Entwicklung in Rom und anderen Städten der westlicheren Provinzen, wo sich Handelsund Gewerbegebiete im ersten und zweiten Jahrhundert in die Vorstädte verlagerten (siehe dazu das Kapitel 8), ist das Phänomen deutlich abzugrenzen. Die stadtseitige Lokalisierung der beiden großen Platzanlagen in Gadara zeigt, daß mit ihrer Anlage keineswegs die planerische Intention verfolgt wurde, Gewerbe aus der Stadt auszulagern; dagegen entstanden zum Beispiel in Rom

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3.3 Der kaiserzeitliche Stadteingang und die altorientalische Tradition

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Torvorplätze sind am Südtor in Gerasa, am Westtor in Bosra und am DamaskusTor in Palmyra nachgewiesen.137 Die Nutzung von Plätzen vor dem Stadttor als Karawanenstation führt vor Augen, daß städtebauliche Bedürfnisse stark von lokalen Gegebenheiten und Usancen geprägt waren. 3.3.4 Potentiale einer Langzeitperspektive Eine sorgfältige Durchsicht der rabbinischen Literatur wäre möglicherweise dazu geeignet, auswertbare Schriftquellen zur Benutzung von kaiserzeitlichen Stadttoren in Palästina und Syrien zu gewinnen, die das anhand der Stadtforschung erarbeitete Bild ergänzen könnten. Denn auch wenn rechtliche Angelegenheiten nicht mehr wie in Zeiten des Alten Testaments verhandelt wurden, sondern den üblichen römischen Rahmenbedingungen unterlagen,138 scheinen die Stadttore nach wie vor eine wichtige Rolle im sozialen Leben einer Stadt gespielt zu haben. So begegnen uns in einer frühjüdischen Schrift die kaiserzeitlichen Rabbiner Jannai und Johanan, wie sie den ganzen Tag über am Tor der Stadt Tiberias sitzen und die Passanten beobachten;139 eine Szene, die am Tor der eisenzeitlichen Stadt Megiddo genauso funktioniert hätte. Um den Betrachtungszeitraum darüber hinaus zu verlängern, ließen sich ausblickartig auch einschlägige Belege aus der frühchristlichen Literatur beibringen. In der Vita des Barsauma von Samosata etwa, eines Heiligen der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts, wird geschildert, wie dieser auf einer Reise des Mittags am Eingang von Sebaste (dem biblischen Samaria) im Schatten eines Aquädukts ruht. Barsauma wartet darauf, die Stadt zu betreten. Dort – vor dem Stadttor – wird er von einem religionsgelehrten Samariter in ein Gespräch verwickelt,140 und offenbar hält er sich auch anschließend noch eine ganze Zeitlang am Eingang der

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die neuen Handelsplätze gerade vor den Toren und gehörten damit zolltechnisch nicht zum Innenstadtbereich. Belege bei B 2008, 188 f., vgl. auch K 1996, 179 sowie zu Gerasa T 2008, 188. Zum Problem der Interpretation dieser Halte- und Rastplätze siehe H 1999, 229 mit Literatur. Siehe unten, 387 f. TanB Schoftim 10 (Auslegung zu Dtn 18,14). S 1998, 120 f. liest die Passage als Quelle für das dritte Jahrhundert, also für die Zeit, in der die beiden Rabbiner lebten. Johanan ben Nappaha war ein Schüler des Jannai und stammte wie dieser aus Sepphoris. Vita Barsumae 80,1. Den freundlichen Hinweis auf diese Stelle habe ich Johannes Hahn zu danken. Das Tor selbst wird im Text nicht explizit erwähnt (vgl. aber bildlich H 2020, 123, wonach Barsauma in Sebaste ans Stadttor »klopft«, und ähnlich ebd., 126). Zur Datierung: Die historische Reise Barsaumas fand circa in den Jahren 435 bis 438 statt. Der in Rede stehende Textabschnitt wurde noch vor 484 verfaßt (ebd., 136).

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3 Das Stadttor in der Levante

Stadt auf,141 um mit interessierten Bewohnerinnen und Bewohnern von Sebaste über philosophische und religiöse Fragen zu diskutieren.142 Eine Langzeitperspektive wäre auch chronologisch fortschreitend von Interesse. Tatsächlich sind mit dem Stadttor verbundene Gepflogenheiten in der Levante ähnlich sogar noch im islamischen Mittelalter nachzuweisen. Dies gilt beispielsweise für die Nutzung des Tors als Gerichtsort: In den Städten des Nahen Ostens wurden auch in islamischer Zeit Urteile im Stadttor gesprochen und oft in nächster Nähe vollzogen, die Leichen der Hingerichteten dann beim Tor zur Schau gestellt.143 Auch regelmäßige Herrscheraudienzen – üblicherweise zweimal pro Woche – fanden noch im 12. Jahrhundert am Tor einer Stadt oder Residenz statt, so in Damaskus und Aleppo.144 Eine zusammenhängende Entwicklung wird man anhand dieser vereinzelten Belege nicht postulieren. Sehr wohl aber ist eine gewisse Konstante zu erkennen, was die Bedeutung des Stadttors als öffentlicher Ort und seine Benutzung in den Städten der Levante betrifft. Insofern ist die am Beginn dieses Kapitels vorgenommene Gegenüberstellung eines „vorderorientalischen“ und eines „griechisch-römischen“ Phänomens nur idealtypischerweise zutreffend, da in Wirklichkeit in den nachmalig hellenistisch und dann römisch beherrschten Gebieten von fließenden Übergängen auszugehen ist.

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So lese ich den Fortgang der Erzählung (Vita Barsumae 80,2–5), in welcher der Samariter auf Geheiß des Heiligen zu seiner kranken Frau zurückkehrt und sie salbt, was ihre sofortige Heilung bewirkt. Der Mann kehrt mit seiner ganzen Familie zu Barsauma zurück, um ihm zu danken und den christlichen Glauben anzunehmen (80,5). Dies ist vermutlich so zu verstehen, daß Barsauma noch immer am Eingang der Stadt zu finden ist. Ebd., § 80,5. K 1999, 249. Ebd.

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4 Das Stadttor in Griechenland Für den Alltag der Bevölkerung einer griechischen Polis spielte das Stadttor in Friedenszeiten keine größere Rolle. Es erfüllte vorrangig fortifikatorische Funktionen. Damit unterscheidet sich das Tor der archaischen, klassischen und hellenistischen Epoche markant vom Tor der Kaiserzeit, dessen wichtigstes Merkmal seine militärische Entbehrlichkeit war. Die folgenden Überlegungen gelten für den gesamten griechischen Siedlungsraum, wobei der Schwerpunkt auf dem Mutterland mit den Inseln und Kleinasien liegt. Ein Überblick zum Mauerbau in archaischer und klassischer Zeit (4.1) ergibt, daß erst ab dem fünften Jahrhundert v. Chr. ein großer Teil der griechischen Städte über einen Mauerring verfügte, wobei einige wenige Poleis weiterhin ganz ohne Mauern auskamen. Die Entwicklung der Wehrarchitektur läßt sich dabei nur vor dem Hintergrund der Kriegstechnik begreifen, da sich beides gegenseitig bedingte. Dies gilt in ganz besonderem Maße für die erstaunlichen Fortschritte auf beiden Gebieten in spätklassischer und hellenistischer Zeit. Starke Mauern mit repräsentativen Türmen und Toren drückten aber auch immer das Selbstverständnis einer Siedlung als autonome Polis aus, sie galten als Stolz und Zierde einer Stadt. Wie anschließend in Abschnitt 4.2 gezeigt werden soll, stellten die griechischen Stadttore in Friedenszeiten keine Trennung zwischen der Siedlung und ihrer Chora dar, welche im Verständnis der Zeitgenossen unmittelbar zusammengehörten. Daher wurden die Eingänge einer Stadt normalerweise nicht kontrolliert. Indessen zeigen die vielerorts belegten Torkulte und apotropäischen Darstellungen an den Stadttoren, daß den Toren durchaus trotzdem ein liminaler Charakter zubemessen wurde. Auch in diesem Kapitel führt ein abschließender Part in die Kaiserzeit (4.3). Anhand der Darstellung des Pausanias, der als Chronist der Überreste vorrömischer Urbanistik in den griechischen Städten des zweiten Jahrhunderts beansprucht wird, kann eine diachrone Perspektive auf den Stadteingang bei den Griechen gewonnen werden. Damit wird eine Brücke zum Hauptthema und zum eigentlichen Betrachtungszeitraum der Studie geschlagen. 4.1 Kriegsführung und Mauerbau in archaischer und klassischer Zeit Es ist immer wieder apodiktisch behauptet worden, ein Mauerring sei für die griechische Polis eine conditio sine qua non.1 Schon die antiken Quellen behandeln 1

So etwa wörtlich C 2000, 47, vgl. auch 49. Einen aktuellen Forschungsüberblick zum griechischen Befestigungswesen bietet H 2020, 17–35.

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4 Das Stadttor in Griechenland

„Polis“ und „Mauern“ als geradezu synonym.2 Diese Aussagen beziehen sich freilich erst auf einen relativ späten Stand der Entwicklung. Noch in geometrischer Zeit hatten griechische Städte in der Regel keine Mauern. Zutreffend ist, daß der Bau der ersten griechischen Stadtmauern eng mit der Konsolidierung der frühen Poleis zusammenhängt.3 Die ersten Poleis, die Stadtmauern errichteten, waren diejenigen in exponierter Insellage; die ältesten geometrischen Stadtmauern wurden auf Siphnos, Andros und Chios nachgewiesen. Etwas später wurden die neugegründeten ionischen Kolonien an der kleinasiatischen Küste wie beispielsweise Smyrna mit Mauerringen ausgestattet.4 Ein großer Teil der griechischen Städte erhielt erst in der archaischen Zeit Mauern,5 und um 600 v. Chr. waren gute Mauern mit Türmen und Toren bereits eines der wichtigsten Merkmale einer Stadt (wenn nicht das wichtigste überhaupt).6 Von einer durchgängigen Existenz städtischer Befestigungsanlagen läßt sich dennoch erst ab dem fünften Jahrhundert sprechen, und selbst zu dieser Zeit war bei einem beträchtlichen Teil der Städte nur die Akropolis durch Mauern geschützt, nicht aber die Unterstadt.7 Noch am Ende des fünften Jahrhunderts und darüber hinaus gab es außerdem zumindest einige Poleis, die gänzlich ohne Stadtmauern auskamen,8 wie Delphi, Elis, Sparta, Gortyn, Delos, Magnesia am Mäander und Tralleis.9 Der Hintergrund dieser Entwicklung, in der die Städte lange Zeit keine Mauern brauchten, liegt in der spezifisch griechischen Übereinkunft über eine stark forma2

3 4 5 6 7

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9

Siehe die Zusammenstellung von Belegen, etwa aus der Ilias, bei Herodot oder Thukydides, in C 1997, 249–253. Bereits die früheste griechische Darstellung der Gründung einer Siedlung, Hom. Od. 6,7–10, benennt die Mauer als konstitutives Element (vgl. dazu auch H 1998, 68, Anm. 82). H 2020, 503–505. D 1995, 254; C 2000, 48; siehe ferner die differenzierte Darstellung bei H 2020, 424–427.476–495. D 1995, 254. Zur baulichen Gestaltung der archaischen Stadtmauern siehe H 2020, 437–456 sowie die Einzelstudien ebd. H/N 2004, 136. Hansen und Nielsen zufolge haben von den 869 lokalisierbaren Poleis ihres Katalogs immerhin 438 in archaischer oder klassischer Zeit archäologisch nachweisbare Mauern, und 90 weitere werden in literarischen Quellen als ummauert erwähnt, was zusammengenommen einen Anteil von 60 Prozent ergibt. Der tatsächliche Anteil befestigter Poleis dürfte noch wesentlich höher gewesen sein, da den insgesamt 222 in der Literatur belegten Städten mit Mauern nur 19 Poleis gegenüberstehen, von denen es ausdrücklich heißt, sie hätten nicht über Mauern verfügt. Bei insgesamt 69 Städten (und hier ist wieder der archäologische Befund zugrundegelegt) war nur die Akropolis befestigt (ebd., 137). Eine epochenübergreifende Parallele dazu bietet die Beobachtung bei M  2017, 102 f., daß auch in der Frühen Neuzeit – als, ähnlich wie in der Antike, nach allgemeiner Auffassung ein Ort ohne Mauern nicht als Stadt galt – eine Reihe von bedeutenden Städten unbefestigt waren, darunter Den Haag und viele Städte in Polen. J 2015, 215 verweist auf Venedig, das trotz fehlender Mauern nie erobert worden ist. Elis, Magnesia und Tralleis waren zumindest bis 400 v. Chr. unbefestigt, Sparta bis ins zweite Jahrhundert v. Chr. Vgl. dazu den Einzelnachweis bei H/N 2004, Index 23, 1368– 1375.

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4.1 Kriegsführung und Mauerbau in archaischer und klassischer Zeit

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lisierte Kriegsführung, die bis zum Peloponnesischen Krieg allgemein akzeptiert wurde. Krieg war in diesem Verständnis definiert als Hoplitenkampf in offener Feldschlacht: „[C]onflict between the classical Greek city-states for over two centuries (ca 650–431 ) usually focused – at least on land – on one encounter, a day’s collision between phalanxes of heavily armed infantry.“10 Bei einer Schlacht zwischen zwei Hoplitenphalangen waren der Zufall, Finten und der Gebrauch von Wurf- oder Schußwaffen ausgeschlossen.11 Ziel war nicht die dauerhafte Kontrolle eines fremden Territoriums oder die Einnahme einer feindlichen Stadt, sondern die Verwüstung ihrer Felder.12 Selbst im Fall einer Blockade, die den Gegner zur offenen Feldschlacht zwingen sollte,13 sah man davon ab, ihn von ihrer Wasserversorgung abzuschneiden.14 Konsequenterweise spielte Belagerungstechnik in der griechischen Kriegsführung zu dieser Zeit noch keine Rolle.15 Hopliten wären mit ihren schweren Rüstungen und Rundschilden auch kaum dazu in der Lage gewesen, auf Leitern gegnerische Befestigungsanlagen zu erklimmen.16 Solange es keine Kriegspartei gab, die sich – wie die Lyder und Perser – nicht an die Regeln der griechischen Kriegsführung hielt,17 waren waffenfähige Männer der einzige Schutz, dessen eine Polis bedurfte. Die Vorstellung, Mauern »aus Bronze und Eisen« seien besser als solche aus Lehm, findet sich unter anderem bei Platon.18 So konnte sich Sparta rühmen, in seiner gesamten vorrömischen Geschichte nie andere Mauern als seine Hoplitenphalanx besessen zu haben.19 10

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H 1991, 3. Zur griechischen Kriegsführung im siebten bis fünften Jahrhundert siehe außerdem O 1985, 32–50;  W 2004, besonders 166–197; H 2020, 457–475. Zu allen technischen Fragen der Hoplitenkampfweise ist S 2009 zu konsultieren. D 1995, 251. O 1985, 32–34; D 1995, 251; H 2020, 459. Ebd., 474. D 1995, 253. O 1985, 33; H 2020, 460.474. Ebd., 460. Zur Bedeutung der Angriffe von Lydern und Persern für die Entwicklung des griechischen Belagerungswesens siehe ebd., 459–475. Plat. leg. 778d–779a (anders jedoch schon Aristoteles in Pol. 1330b,33–35). Weitere Belegstellen für das Konzept der Phalanx als Stadtmauer im Kommentar zur Stelle bei S 2003, 473 sowie bei C 1997, 249–253. Siehe ferner K 2006, die die Mauer in den „Vögeln“ des Aristophanes in diesem Sinn interpretiert. In der Kaiserzeit war dieser Fall in Form einer fiktiven Debatte der Spartiaten um pro und contra der Errichtung einer Stadtmauer ein beliebtes rhetorisches Thema. Philostrat berichtet, wie es dem Sophisten Isaios gelang, das entscheidende Argument in genialischer Kürze auszudrücken: ἀσπὶς ἄρ’ ἀσπίδ’ ἔρειδε, κόρυς κόρυν, ἀνέρα δ’ ἀνήρ· οὕτω στῆτέ µοι, Λακεδαιµόνιοι, καὶ τετειχίσµεθα. „Und Schild gegen Schild gedrückt, Helm gegen Helm, Mann gegen Mann – steht mir auf diese Weise, Lakedaimonier, und wir haben unsere Mauer gebaut.“ (Philostr. soph. 1,20 (514), der Vers im ersten Satz aus Hom. Il. 16,215. Text der Ausgabe W 1952, eigene Übersetzung.)

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4 Das Stadttor in Griechenland

Erst mit Perikles, der dem peloponnesischen Heer über Jahre hinweg eine Feldschlacht verweigerte, wurde das agonale System der griechischen Kriegsführung aufgebrochen.20 In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich in den griechischen Siedlungsgebieten im Wettstreit zur Waffen- und Belagerungstechnik eine ausgeklügelte Fortifikationsarchitektur, deren Funktion anhand archäologischer Quellen, aber auch anhand der poliorketischen Traktate von Schriftstellern wie Aineias Taktikos21 im Detail nachvollziehbar ist. So wurden mehrfache Umwehrungen und Gräben, gedeckte Wehrgalerien, Katapultstände und starke Türme mit flankierenden Schußfeldern eingeführt.22 Auch die Torbauten wurden komplexer.23 Es entwickelten sich vielfältige Bauformen von Stadttoren; kaum eine Anlage glich der anderen: „Je nach den Bedingungen des Geländes und den Forderungen der Sicherheit und bequemen Zugänglichkeit liegt das Tor bald in einem hakenförmigen Einsprung der Mauer, bald frontal in ihr, wird es hier von Türmen flankiert, dort durch einen vortretenden Schenkel der Mauer geschützt, wird einmal der Hof mit einem Zwinger vor der Feldseite verbunden, dann wieder auf beides verzichtet, zeigt die Anlage das eine Mal einen symmetrischen Plan, wird das andere Mal auf rechte Winkel und Entsprechungen der Seiten verzichtet.“24 Das besterhaltene Beispiel antiker Wehrarchitektur in Griechenland selbst bietet der neun Kilometer lange Mauerring von Messene (siehe Abb. 4.2 auf S. 96), der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. errichtet wurde. Das monumentale Arkadische Tor in der Nordmauer, eine Anlage mit einem kreisförmigen Innenhof von ca. 19,5 Metern Durchmesser, ist auch im heutigen Erhaltungszustand noch beeindruckend (Abb. 4.1).25 Es besteht Einigkeit darüber, daß die griechischen Stadttore in erster Linie fortifikatorischen Charakter hatten.26 So wurde in Kauf genommen, daß die Anlage der Tore für die zivile Nutzung erhebliche Nachteile mit sich brachte. Besonders

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Kritik an diesem Selbstverständnis der Spartaner aus der kaiserzeitlichen Perspektive bei Aristid. Or. 26,79. Die zu dieser Zeit freilich längst existierende Stadtmauer in Sparta erwähnt Paus. III 15,3 und VII 9,5. O 1985, 34–50; Datierung übereinstimmend bei H 2020, 474. Hier sei auch auf die in dieser Tradition stehenden Werke der Kaiserzeit verwiesen, die Kai Brodersen in einer Reihe von zweisprachigen Editionen jüngst für ein größeres Lesepublikum erschlossen hat: die Taktika der Autoren Aelian, Arrian, Asklepiodotos und die strategische Beispielsammlung des Polyainos. B 1997. Eine typologische Darstellung des griechischen Torbaus bietet K 1942, 30–40. Zu den einfachen griechischen Toranlagen der archaischen Zeit siehe H 2020, 448–450. K 1942, 39. Dies ist, wie der Verfasser deutlich macht, ein großer Unterschied zu den römischen Torburgen, die typologisch einem strengen Plan folgen, bei dem die Straße rechtwinklig auf Wall oder Mauer trifft. Siehe dazu ausführlicher oben, 30–32. Siehe dazu die Diskussion von Ergebnissen einer neueren Bauaufnahme bei S 2010. Siehe D 1995, 254 und H/N 2004, 137, jeweils mit weiterführender Literatur.

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4.1 Kriegsführung und Mauerbau in archaischer und klassischer Zeit

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Abbildung 4.1: Stadtseitige Ansicht des Arkadischen Tors in Messene (Griechenland), Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. Das an der Außenseite durch zwei Türme flankierte Tor war feldseitig offen. Stadtseitig wies es zwei Durchgänge von jeweils 3 Metern Breite auf, die durch zwei Torflügelpaare geschlossen werden konnten. Bei dem in den Durchlaß gekippten Block handelte es sich um den einst senkrecht stehenden Mittelpfeiler zwischen den beiden Toreingängen.

für Wagen war das Passieren der engen Einlässe mit mehrfach versetzt geführten Straßen beschwerlich.27 Neben der Wehrhaftigkeit konnten aber auch andere Aspekte im Selbstverständnis einer Stadt durch die Architektur ihrer Tore zum Ausdruck kommen. So war die Stadtbefestigung gerade dank ihrer militärischen Bedeutung Garant und Symbol der Autonomie einer Stadt und der Freiheit ihrer Bewohner. Über die eigenen Befestigungsanlagen und jeden Festungsbau in ihrem Territorium verfügen zu können, war eins der wichtigsten Hoheitsrechte der Polis.28 27

28

So schon K 1942, 34. Ein Wagen, der – mit einer Leiche beladen – das Stadttor von Megara passiert, wird in einem von Cicero referierten Traum des Simonides von Keos erwähnt (Cic. div. 1,57). M 1961a, 32: „Verliert die Polis beim Eintritt in ein politisches Abhängigkeitsverhältnis ihre Autonomie ganz oder teilweise, so ist das Befestigungsrecht naturgemäß eines der wichtigsten Rechte, die vom neuen Souverän beansprucht und tatsächlich selbst in zunächst nebensächlichen Fällen gewahrt werden. Man war sich über die grundsätzliche Bedeutung eben dieses Hoheitsrechtes klar, selbst wenn der Bau im Einzelfall keineswegs bedrohlich erscheinen mochte.“ Vgl. auch H 2020, 505.

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4 Das Stadttor in Griechenland

Wenngleich repräsentative Aspekte beim Bau von Stadtbefestigungen nur sekundär sein konnten, zielten die Mauern durchaus auf eine entsprechende Außendarstellung der Stadt ab. So betont Aristoteles in seiner Abhandlung zur Sache zwar ebenfalls die militärische Bedeutung von Stadtmauern, weist aber auch darauf hin, daß sie der Polis als Zierde (κόσµος) dienen sollten.29 Als Bürger der Stadt Stageira, deren Wehranlagen eine einzigartig elaborierte Ästhetik auszeichnete,30 wußte er, wovon er sprach. Auch die Forschung hat die Schönheit der Ausarbeitung und Form als ein bestimmendes Gestaltungsprinzip im Mauerbau vieler Poleis erkannt.31 So wird etwa dem Mauerring von Messene mit seinen massiven Torbauten ein stark repräsentativer Charakter bescheinigt.32 Bauherrin einer Befestigung war immer die Stadt selbst, sei es als autonome Polis oder unter einem Monarchen.33 So lagen Bauaufsicht, Bauleitung und Finanzierung bei den städtischen Behörden.34 Freilich konnten Schenkungen durch Privatleute oder Herrscher, in seltenen Fällen auch durch andere Städte, zur Teilfinanzierung genutzt werden; sie deckten jedoch in keinem Fall nachweisbar das gesamte Unternehmen ab.35 Unter den hellenistischen Königshäusern taten sich insbesondere die Attaliden als Euergeten großer öffentlicher Bauprojekte hervor.36 Sie unterstützten beispielsweise den Bau einer Stadtmauer der Polis Chios, der durch eine Sonderabgabe der Bürgerschaft co-finanziert wurde, mit einer reichen Spende, aus welcher sogar Rückstellungen für die laufende Instandhaltung der Befestigung gebildet werden konnten.37 29 30

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Arist. Pol. 1330b,33–1331a,24, hier 1331a,13. Der gleiche Ausdruck wird in Anth. Gr. IX 688, Vers 2 verwendet, um ein Tor der Stadt Argos zu preisen. Vgl. M/L/B 2016, 135.139: Die Mauern von Stageira gehören mit ihrem bewußten Einsatz verschiedener Farben und dem Wechsel von Poros, Kalkstein, Marmor und Schiefer, ihren außergewöhnlichen und kunstvollen Mauerwerksformen sowie einer exzellenten Steinbearbeitung zu den schönsten Stadtmauern der Antike. C 2000, 44; H 2020, 506 f. Siehe dazu M/L/B 2016, 134 f. und 142. Schwertheim urteilt, das Arkadische Stadttor von Messene sei aus fortifikatorischer Sicht „keine Meisterleistung“, da bei der Gestaltung repräsentativen Elementen der Vorzug gegeben wurde. Zum einen verdoppelte der zweitürige Einlaß (siehe dazu Abb. 4.1) die potentielle Angriffsfläche, zum anderen hatte der Mittelpfeiler zwischen den beiden Einlaßtüren aufgrund seiner monolithischen Fertigung nur eine vergleichsweise schwach dimensionierte Grundfläche (S 2010, 104 f., Zitat 104). M 1961a, 40. Siehe dazu im einzelnen ebd., 40–68. Ebd., 56.62 f. Die reichen Euergesien der hellenistischen Könige allgemein waren Teil einer Politik, die darauf abzielte, die Städte des Herrschaftsbereichs zu entwickeln, potentielle Bundesgenossen oder wichtige Grenznachbarn für sich zu gewinnen und das eigene Prestige zu erhöhen. Dabei konnte es sogar zu regelrechten Überbietungswettbewerben kommen: Als die Stadt Rhodos nach einem Erdbeben im Jahr 227/226 v. Chr. in Not geraten war, ließen es sich gleich fünf Herrscher – Ptolemaios III., Seleukos III., Antigonos Doson, Hieron und Gelon – angelegen sein, mit Geldund Sachspenden den Wiederaufbau zu unterstützen (M 1961a, 62–66). Das kommentierte Inschriftendossier findet sich bei M 1959, 192–198, als Nr. 51–53.

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4.2 Befestigte Städte als offene Städte

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4.2 Befestigte Städte als offene Städte Was uns an dieser Stelle interessieren soll, ist die Qualität des Stadttors als abschließbarer Zugang zur Stadt. Bei den griechischen Toren, die als fortifikatorische Einrichtungen immer Teil von Stadtmauern waren, wäre es ein leichtes gewesen, den Zugang zu einer Stadt auch in Friedenszeiten zu beschränken. Das aber wurde bemerkenswerterweise offenbar nicht praktiziert. Die Existenz von Befestigungsanlagen eröffnete einer Polis vielmehr die Entscheidungsfreiheit, die Benutzung – oder faktische Nicht-Benutzung – der Mauern und Tore flexibel zu handhaben. Wie Aristoteles bemerkt, ließ sich aus einer mit Mauern umgebenen Stadt je nach Notwendigkeit eine befestigte Stadt machen (deren einzelne Mauerabschnitte, Türme und Tore mit Wachposten besetzt waren), aber man konnte sie eben auch als eine offene Stadt nutzen, so als habe sie gar keine Mauern.38 Dabei konnte es freilich zu fatalen Fehleinschätzungen kommen, wie die Griechen es etwa von Ampheia erzählten, einer kleinen Stadt in Messenien, die im Zuge des Ersten Messenischen Krieges von den Spartanern überfallen wurde. Wie Pausanias berichtet, konnte Ampheia handstreichartig genommen werden, da die Tore des Städtchens offen standen und ohne Besatzung waren; die Spartaner töteten die überraschten Bewohner, die teils noch in den Betten lagen.39 Nach allem, was wir wissen, wurden Stadttore im fünften und vierten Jahrhundert nur im Kriegsfall geschlossen und mit Wachmannschaften besetzt.40 Dabei galt die sorgfältige Auswahl von Wachpersonal als entscheidend. Aineias Taktikos zufolge sollten mit der Aufgabe der Torwache bei einer Belagerung keine zufällig erlosten, sondern diskrete und kluge Männer eingesetzt werden, die außerdem Frau und Kinder in der Stadt hatten; auf gar keinen Fall aber Leute, die arm oder verschuldet waren.41 In Friedenszeiten dagegen konnte offenbar jedermann jederzeit unbehelligt passieren.42 Möglicherweise schloß man die Tore nachts.43 Torgelder oder Zölle 38

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Arist. Pol. 1331a,7–10: ἀλλὰ µὴν οὐδὲ τοῦτό γε δεῖ λανθάνειν, ὅτι τοῖς µὲν περιβεβληµένοις τείχη περὶ τὴν πόλιν ἔξεστιν ἀµφοτέρως χρῆσθαι ταῖς πόλεσιν, καὶ ὡς ἐχούσαις τείχη καὶ ὡς µὴ ἐχούσαις (Text nach R 1950). Paus. IV 5,9. Die Annahme, Ampheia habe über einen Mauerring mit Toren verfügt, ist für das achte Jahrhundert v. Chr. wohl anachronistisch. Ain. Takt. 28,1–4, siehe auch §§ 18–20 zu den komplizierten Torverschlüssen. Ebd., § 5. Siehe dazu B 2017b, der herausarbeitet, daß Aineias im Hinblick auf die Sicherung eines Stadttors „weniger auf Technik als vielmehr auf das Vertrauen der Bewohnerschaft zueinander“ setzt (29). Die Bedeutung einer guten Besatzung ist freilich kein Spezifikum der griechischen Kultur, vgl. etwa J 2015, 213.234 mit Bezug auf die europäische Frühneuzeit: Da die Torwachen schlecht bezahlt wurden, waren Bestechung und Mißbrauch der Befugnisse weit verbreitet. Vgl. H/N 2004, 137 und H 2006, 104. So Hansen und Nielsen, die jedoch meinen, anhand von And. 1,38 f. belegen zu können, daß man trotz geschlossener Tore auch nachts jederzeit aus der Stadt herauskam (H/N 2004, 137). Ihre Interpretation, Diokleides habe in der Nacht des Hermenfrevels auf seinem Weg nach Laurion das Stadttor passiert, ist aber keineswegs zwingend. Zwar referiert Andokides,

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4 Das Stadttor in Griechenland

wurden an den Toren jedenfalls nicht oder nur ausnahmsweise erhoben;44 Personenkontrollen fanden, wie noch zu besprechen sein wird,45 an den Toren ebenfalls nicht statt. So läßt sich festhalten, daß die Stadttore nur im Kriegs- oder Belagerungsfall dazu benutzt wurden, Sicherheit herzustellen. In der Gesamtschau drängt sich indessen der Eindruck auf, daß die bisher vorliegenden Darstellungen zum griechischen Stadteingang deshalb so knapp und übereinstimmend ausfallen, weil viele Einzelheiten weitgehend unerforscht sind. Dies scheint besonders für die Nutzung von Stadttoren in Zeiten ohne militärische Bedrohung zu gelten. Es steht zu hoffen, daß die Forschung hier weitere Anstrengungen unternimmt, aussagekräftige Quellen aufzuspüren und auszuwerten. 4.2.1 Das Kontinuum von Stadt und Chora Ihrem vorrangig fortifikatorischen Charakter entsprechend stellten die Stadttore und -mauern keine Grenze zwischen einer Polis und ihrem Umland dar. Wie die einschlägige Forschung betont, treffen entsprechende Vorstellungen von der Mauer als Stadtgrenze, die aus der mittelalterlichen Geschichte kommen, auf das antike Griechenland (und übrigens auch auf das Römische Reich) nicht zu.46 Dieser Umstand ist darauf zurückzuführen, daß das Umland das Territorium der Polis war und von ihren Bürgern und deren Sklaven bewirtschaftet wurde. Ein qualitativer kultureller oder mentaler Unterschied zwischen Stadt- und Landbevölkerung existierte daher nicht. John Bintliff kommt in seiner einschlägigen Studie vielmehr zum folgenden Ergebnis: „[F]or the typical classical Greek inhabitant of the Normal Polis, the opposition Town and Country meant merely a division of one’s own time, rather than a way of classifying distinct subpopulations“.47

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47

wie Diokleides sich noch im Mondschein auf den Weg gemacht haben will, dann aber bringt er geraume Zeit mit der Beobachtung der Umtriebe im Dionysostheater zu, und es geht nicht aus dem Text hervor, wann er seinen Weg fortsetzt, ob noch bei Nacht oder doch erst in der Morgendämmerung. H/N 2004, 137; H 2006, 104. Siehe unten, 87 f. „Thus, in contradistinction to what happened in the Middle Ages, the walls around an ancient Greek polis did not become a barrier between the town and its countryside, except in periods of war“ (H/N 2004, 137). Inhaltlich übereinstimmend auch P 2006, 76: „Walls might appear as a strong physical indicator of separation, and hence of contrast, between city and countryside. This notion [. . . ] in great part derives from the medieval European context“. B 2006, 30. Nach den Zahlen mehrerer Studien lebten ca. 75 bis 80 Prozent der regionalen Bevölkerung des klassischen Griechenland in den Städten und nur 20 bis 25 Prozent in den Dörfern und Anwesen ihrer Chora (ebd., 22). Selbst in einer Megalopolis wie Athen, deren Territorium so groß war, daß ein Großteil der Bevölkerung tatsächlich auf dem Land lebte, läßt sich keine qualitative Dichotomie von Stadt und Land feststellen, da auch hier die Landbewohner Bürger der Polis waren (13–23).

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4.2 Befestigte Städte als offene Städte

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Zwar konnte die ummauerte Stadt (ἄστυ) terminologisch wie konzeptionell sehr wohl als eine abgeschlossene Einheit verstanden werden, wie beispielsweise darin erkennbar wird, daß Bestattungen außerhalb der städtischen Bebauung durchgeführt werden mußten.48 Die Konzeption einer religiösen oder juristischen Grenze gegenüber dem Umland gab es in Griechenland jedoch nicht.49 Die entscheidende Trennline verlief im Verständnis der Griechen nicht zwischen einer Stadt und ihrer Chora, sondern zwischen dieser Einheit und der Wildnis.50 Die Polis und ihr Territorium wurden als Kontinuum gedacht.51 Sehr treffend faßt Oliver Hülden zusammen, daß sich die Stadtmauer also nicht gegen die eigenen Polisbürger richtete, „sondern gegen alles Fremde, gegen potenzielle äußere Feinde, aber auch gegen wilde Tiere und überhaupt gegen den Bereich der Natur.“ Die Tore fungierten als regulierbare Durchlässe zwischen beiden Bereichen.52 Entsprechend konzentrierten sich Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen in Friedenszeiten auf die Grenzen des Territoriums und nicht auf die Eingänge der Stadt. Diese Außengrenzen wurden durch Grenzsteine abgesteckt und in Zeremonien und Prozessionen performativ manifestiert. Unter Umständen sicherte die Polis sie mit fortifikatorischen Elementen, Wachstationen oder Wachtürmen und entsandte Militärpatrouillen in die Grenzregion. Manche Städte unterhielten Wachposten an ihren Außengrenzen, die für Zollerhebung und für die Ergreifung flüchtiger Sklaven zuständig waren; auch die Häfen konnten strikter Überwachung unterliegen.53 Opferrituale, wie sie etwa beim Auszug eines Heeres durchgeführt wurden, fanden nicht an der Stadtgrenze, sondern an der Territoriumsgrenze statt. Die Frage, ob sich analog dazu auch Fremde bereits an der Stelle auszuweisen hatten, an der die jeweilige Überlandstraße das Gebiet der Stadt erreichte, ist noch ungeklärt. Eine systematische Kontrolle fremder Personen in Friedenszeiten wird jedoch bis ins erste Jahrhundert in keiner einzigen Quelle erwähnt,54 lediglich im Kriegsfall lassen sich strikte Personenkontrollen anhand schriftlicher, teils gesiegelter Ausweispapiere für belagerte Städte belegen.55 Es wurde dennoch vermutet, 48 49

50

51 52 53 54

55

Dazu ausführlicher im anschließenden Abschnitt 4.2.2. Zum Fehlen einer solchen Konzeption bei den Griechen vgl. H 1998, 67 und P 2006. Zum römischen Pomerium, das für die Kaiserzeit ebensowenig in diesem Sinn in Anspruch genommen werden kann, siehe unten, 292 f. Sakrosankten Charakter hatten hingegen die römischen Stadtmauern, siehe dazu 293–296. Siehe MI 2006 mit Literatur. Abweichend H 1998, 68.73, für den mit dem Bau der Stadtmauer die wilde Natur im Bereich des „Draußen“ von einem geschützten städtischen „Drinnen“ getrennt wurde. Die Grenze zwischen Stadt und Umland sei freilich in Griechenland nicht so ausgeprägt gewesen wie in Rom (ebd., 73). Zum Kontinuum von Stadt und Land bei den Griechen siehe P 2006. H 2020, 503. B 2004, 72–74. Zum frühen Bau von Festungen, die dem Schutz des Territoriums dienten, siehe H 2020, 429–433, zur Anlage temporärer Befestigungen ebd., 434–437. Für die klassische Zeit L 2004, 116 („Les sources sont désespérément muettes dès que l’on tente d’apprécier les pratiques de contrôle dans leurs aspects concrets“); H/N 2004, 137; vgl. H 2006, 104. Für die hellenistische Zeit M 2004, 617. L 2004, 107 f.

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4 Das Stadttor in Griechenland

daß auswärtige Personen sich in Griechenland immer ausweisen mußten, sei es gleich an der Grenze zum Territorium einer Stadt56 oder an Stellen, an denen sie notwendigerweise vorbeikamen, nämlich beim ersten Wachposten entlang der Hauptstraße, an den Stadttoren oder im Hafen.57 François Lefèvre geht davon aus, daß jeder Unbekannte regulär nach seinem Namen, dem Patronym und dem Woher und Wohin befragt worden sei.58 Léopold Migeotte dagegen kommt zu der entgegengesetzten Auffassung, daß es in Friedenszeiten keinerlei regelmäßige Kontrollen durch die griechischen Städte gegeben habe.59 Der Vergleich mit der kaiserzeitlichen Praxis60 läßt vermuten, daß Migeotte richtig liegt; die Notwendigkeit und Praktikabilität eines dauerhaften Kontrollsystems wären meines Erachtens erst einmal zu begründen. Wenn Lefèvre plausibel macht, daß ausführlichere personenbezogene Überprüfungen erst nach der Ankunft in der Stadt selbst durchgeführt wurden,61 so ist dies möglicherweise dahingehend zu modifizieren, daß Fremde in Friedenszeiten überhaupt erst dann zu näheren Auskünften angehalten wurden, wenn sie in der Stadt mit einem Anliegen vorstellig wurden.62 So mußte sich ein Gesandter an die städtischen Autoritäten wenden, ein Künstler oder Athlet, der an einem Fest teilnehmen wollte, mußte sich beim Veranstalter registrieren lassen, ein Händler hatte seine Waren zu deklarieren und zu verzollen, und wessen Familie in der Polis über Gastfreunde verfügte, der wandte sich an das entsprechende Haus.63 An den Grenzen des Territoriums und an den Stadttoren hätte man sich dann nur stichprobenartige Kontrollen vorzustellen, die bei Bedarf intensiviert werden konnten. Die eigentliche Grenze, die es zu passieren galt, wäre mit Lefèvre keine geographische, sondern eine administrative gewesen.64 4.2.2 Ritus und Kultus im Übergangsraum Wenn Polis und Chora als eine Einheit gedacht wurden, läßt dies freilich nicht den Umkehrschluß zu, es hätte keinerlei Unterscheidung zwischen beiden Bereichen gegeben. Daß die Stadttore wenn auch keine strikte Grenze, so doch den Punkt eines Übergangs zwischen zwei zusammengehörenden Sphären bezeichneten, kann

56 57 58 59 60 61 62

63 64

B 2004, 72–76. L 2004, 105. Ebd., 100 f. M 2004, 617. In der Kaiserzeit gab es keine systematischen Personenkontrollen, weder an den Reichsgrenzen noch in den Städten, siehe dazu unten, 144. L 2004, 105–107. Er denkt beispielsweise an die Prüfung der konkreten Qualifikationen eines Arztes. In diesem Sinne vgl. auch M 2004, 618: „Après son arrivée dans une cité, cependant, l’identification du xénos ne tardait guère, car les simples visiteurs, équivalents de nos touristes, étaient rares“. Ebd. L 2004, 106.

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4.2 Befestigte Städte als offene Städte

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meines Erachtens aus der Existenz ritueller und kultischer Praktiken klar abgeleitet werden.65 So wurde bereits erwähnt, daß Bestattungen bis auf sehr wenige Ausnahmen nur vor den Toren stattfanden, die damit den Bereich der Toten vom Bereich der Lebenden trennten. Auch im Rahmen von Festprozessionen konnte den Stadttoren eine herausgehobene zeremonielle Rolle zukommen. Man denke etwa an die Panathenäen-Prozession, die vom Kerameikos zur Athener Akropolis führte; sie wurde vor dem Dipylontor geordnet66 und begann dann mit dem Durchzug durch das Tor in die Stadt. Darüber hinaus sind Torkulte und entsprechende apotropäische Darstellungen zu berücksichtigen. So finden sich an und in griechischen Stadttoren Kultbilder des Hermes in seinen Eigenschaften als Schutzherr der Wanderer und als Hüter des Eingangs, der Hekate als Schützerin von Grenzen und Übergängen, aber auch Darstellungen der jeweiligen Polis-Gottheiten sowie Verbindungen zum Heroenkult. Aus der Fülle des Materials67 sei eine Reihe von Beispielen gegeben. In Athen selbst wurde schon das archaische Haupttor im Nordwesten der Agora durch Heroenheiligtümer und eine Reihe von Hermen geschützt.68 Im Dipylontor, das nach den Perserkriegen als neuer Hauptzugang errichtet wurde, ist in situ ein Altar erhalten, der Zeus Herkaios, Hermes und dem Heros Akamas geweiht war.69 Bereits die Archonten des Jahres 493/492 v. Chr. hatten außerdem zu Beginn der Mauerbauarbeiten im Piräus an einer Pforte in der Nähe des nach Athen führenden Tors einen Hermenpfeiler geweiht, den ῾Ερµῆς πρὸς τῇ πυλίδι.70 Auch anikonische Pfeiler, die als Erscheinungsform des Apollon betrachtet wurden, sogenannte Agyieis, waren an den Stadttoren von Athen zu finden und wurden mit Binden und Blumenkränzen geschmückt.71 In Thasos waren die Tore des fünften Jahrhunderts v. Chr. mit Reliefdarstellungen verschiedener für die Polis bedeutender Gottheiten ausgestattet, darunter Zeus, Dionysos, Artemis Polo und Herakles. Neben den Reliefs befand sich jeweils eine Opfernische, in der Votiv- und Kultobjekte niedergelegt werden konnten.72 65

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Vgl. in diesem Sinne auch H 1998, 67–73. Der Verfasser verweist in diesem Zusammenhang auf die urbanistische Konstellation in Athen, Eretria oder Thasos, wo das jeweilige Haupttor von schützenden Kultstätten umgeben war. Ein Gebäude zur Herrichtung der Festzüge erwähnt Paus. I 2,4. Eine Zusammenstellung bietet M 1961b, vgl. auch die kurze Zusammenfassung zum griechischen Torkult bei H 1998, 69–72. Siehe außerdem die ungedruckten Dissertationen W 2003 (materialreicher Gesamtüberblick) und S 2006 (grundlegend zum sakralen Schutz von Grenzen in Griechenland; zu Stadttoren vor allem 102–106.125 f. und 145–152). H 1998, 70 f.; S 2006, 108 f. Ebd., 89 f. M 1961b, 100 f., vgl. auch S 2006, 104. Siehe das einschlägige Kapitel ebd., 134–140: Obwohl literarisch reich bezeugt und den Schriftquellen zufolge auch in größerer Zahl vor Privathäusern aufgestellt, hat sich in Athen kein einziger Agyieuspfeiler erhalten. Möglicherweise waren sie aus Holz gefertigt. M 1961b, 93–96; H-H 1979, 35–37; S 2006, 145–152.

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4 Das Stadttor in Griechenland

In Alyzia in Akarnanien ist ein Torrelief des frühen dritten Jahrhunderts v. Chr. erhalten, das Herakles zeigt, dem einer der wichtigsten Stadttempel geweiht war.73 Im Arkadischen Tor von Messene war in einer Nische eine Herme aufgestellt;74 im benachbarten Gortys ist ein archaisches Heiligtum unbekannter Denomination in das Akropolistor inkorporiert worden.75 Eine Doppelherme des Hermes und des Herakles, die die Grenze zwischen einer ungenannten Stadt und dem Feld bewachte, läßt Leonidas von Tarent in einem Epigramm zu den Lesern sprechen: Die Stadtbewohner pflegen der Herme bei der Rückkehr von ihren Feldern Obst zu opfern (was wegen der unklaren Zuweisung der Gaben und der wahllosen Gefräßigkeit des Herkles zu einer Beschwerde des Hermes führt).76 Ein Zusammenhang mit einem lokalen Heroenkult könnte am westlichen Stadttor von Eretria vorliegen, wo schon im siebten und sechsten Jahrhundert v. Chr. ein Kult nachgewiesen ist, der anscheinend mit einer nahgelegenen Grablege aus geometrischer Zeit in Verbindung stand.77 Zahlreiche Heroengräber an griechischen Stadteingängen sind literarisch bezeugt.78 In Kleinasien war der Schutz von Stadttoren häufig der Göttin Hekate anvertraut, so in ihrem Hauptkultort, dem karischen Lagina,79 und in Milet, wo „die Hekate, die vor dem Tor steht“ (῾Εκάτη ἡ πρόσθεν πυλέων) bei der alljährlichen Neujahrsprozession mit einem Paian bedacht wurde.80 Vor den Stadttoren im lykischen Megiste, im phrygischen Hierapolis, im lydischen Troketta und im thrakischen Kallipolis standen Statuen des Gottes Apollon, wobei die drei letztgenannten auf Weisung des Orakels in Klaros zur Abwehr einer Seuche aufgestellt worden waren.81 In Priene schließlich befindet sich im Turm neben dem Quellentor eine Kultnische ohne erhaltenes Bild. Die zugehörige Inschrift des vierten Jahrhunderts v. Chr. besagt, daß hier der Heros Naulochos als Wächter der Stadt verehrt wurde.82 Obwohl die Aufstellung von Götterbildern keineswegs einheitlich erfolgte – sie konnten vor dem Tor oder im Tordurchgang selbst plaziert sein, in frontaler 73 74

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Ebd., 146.150 f. Die Nische ist oben in Abb. 4.1 auf S. 83 gut zu erkennen. Daß es sich bei dem Kultbild um eine Herme handelte, geht aus Paus. IV 33,3 hervor; vgl. M 1961b, 98 und (skeptisch) H-H 1979, 38–40. M 1961b, 98 f. Anth. Graec. IX 316. Siehe dazu die Diskussion in der Erstpublikation von B 1970, 65–70. Ich danke der Kollegin Nicolette Pavlides für den freundlichen Hinweis. Eine um Vollständigkeit bemühte Aufstellung bietet S 2006, 164 f. Besonders interessant ist die ausführliche Aitiologie zum Stadttorkult in Amathus auf Zypern bei Hdt. V 104 f. und 108.114. S 2006, 125 f., dort auch Belege für weitere Kulte der Hekate Propylaia an Stadttoren. MC 1984, Nr. 10 = SEG XXX 1050, Z. 28 f., vgl. auch den ausführlichen Kommentar von H 2006, hier 259–385. Der Name der „Hekate vor dem Tor“ findet sich in Z. 25 f. und 28 f. der Inschrift. S 2006, 140. Zu dem Befund in Priene siehe H-H 1979, 38 und S 2006, 148.170; vgl. auch M 1961b, 96 f.

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4.3 Pausanias als Chronist vorrömischer Stadttore und Mauern

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Ausrichtung oder flankierend, rechts oder links des Eingangs –, so fällt doch auf, daß sich die Aufstellung immer auf die Außenseite des Zugangs und damit auf die Eintretenden bezog.83 Die Torgottheiten sollten daher wohl einerseits apotropäisch wirken, andererseits wie Wachleute den Tordurchgang, die Mauern und damit die Stadt beschützen. Dabei versprachen Heroen besonderen Schutz im Krieg und in der Schlacht. Dort, wo ein stadtspezifischer Gott oder Heros gewählt wurde, konnte dessen Bild am Stadttor auch wie ein Wappenzeichen der Polis gelesen werden.84 Für jeden Ankommenden markierte das Stadttor damit den Übergang zwischen dem stadtnahen Bereich der Nekropole und der eigentlichen Siedlung. 4.3 Pausanias als Chronist vorrömischer Stadttore und Mauern in den griechischen Städten des zweiten Jahrhunderts Wie im Kapitel über die Stadttore in der Levante soll auch an dieser Stelle der Versuch eines aktualisierenden Zugangs in bezug auf die Kaiserzeit unternommen werden. Sein Gegenstand ist die Periegesis des Pausanias. Zwischen den Beschreibungen bedeutender Stadtanlagen oder Heiligtümer und der Erzählung ihrer mythologischen und historischen Vergangenheit bei Pausanias haben seine kurzen Erwähnungen von Stadttoren und Mauern bislang keine größere Aufmerksamkeit gefunden. Meine Durchsicht der „Beschreibung Griechenlands“ ging jedoch von der Überlegung aus, daß es interessant sein müßte, die Sicht eines Autors im zweiten Jahrhundert85 auf die in diesem Kapitel vorgestellten griechischen Befestigungsanlagen zu gewinnen. Was war von den Mauern der klassischen und hellenistischen Zeit in der Kaiserzeit überhaupt noch zu sehen? Wurden diese Anlagen weiterhin instandgehalten und in irgendeiner Weise benutzt? Welchen Stellenwert nahmen sie im Gefüge der kaiserzeitlichen Urbanistik ein? Und welche Bedeutung hatten sie für einen geschichts- und kulturinteressierten Reisenden wie Pausanias? Pausanias stammte vermutlich aus Magnesia am Sipylos in Lydien86 und kannte viele Orte in Kleinasien aus eigener Anschauung.87 Außer Griechenland hatte er auch Ägypten, Syrien und Palästina sowie Rom und Kampanien besucht.88 Da Pausanias mit der großen Mehrheit seiner Zeitgenossen die hohe Wertschätzung der 83 84

85 86 87 88

S 2006, 106.210. In diesem Sinn M 1961b, 102 f. Siehe weiterführend auch M/L/B 2016, 129, die heraldische Darstellungen an Wehrbauten besprechen, etwa die Löwen über dem Tor von Mykene und das Elefantenrelief auf einem Türsturz der hellenistischen Festung auf dem Karasis in Kilikien. Zur Datierung des Werks in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts siehe H 1985, 21–24. Siehe dazu ebd., 25–29, wo Magnesia als plausibler Herkunftsort herausgearbeitet wird. Paus. VII 2,6.9; IX 11,7; 18,3 f. und öfter. Siehe H 1985, 29. Ein Aufenthalt in Rom ist meines Erachtens aus Paus. IX 21,1 klar ersichtlich.

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griechischen Vergangenheit teilte,89 sind es vor allem die Kunstwerke und Bauten der Archaik und Klassik, die für ihn Griechenland ausmachen90 und denen sein Interesse gilt, wenn er die Provinz Achaia bereist und in seinem Werk beschreibt. Der folgende Abschnitt gilt zunächst den Stadtmauern, die Pausanias erwähnt oder näher darstellt, ehe in einem zweiten Abschnitt die Stadttore zu besprechen sind. Vorauszuschicken ist, daß die Städte der Achaia im Unterschied zu anderen Provinzen des Imperium Romanum in der Regel noch über alte Mauerringe aus vorrömischer Zeit verfügten;91 die erwähnten Stadttore bei Pausanias sind daher wirkliche Mauertore. 4.3.1 Die Stadtmauer: Sehenswürdigkeit aus vergangenen Zeiten Im Zuge seiner Beschreibung Griechenlands geht Pausanias auf Stadtmauern nicht regelmäßig ein, aber doch einigermaßen häufig. Die Durchsicht der einschlägigen Stellen zeigt, daß die Mauern einer Stadt in seinem Werk sehr oft eng mit den Themenfeldern Alter, Vergänglichkeit und Vergangenheit assoziiert sind. Beispielsweise wird im argivischen Hermione die noch um die ganze Stadt herum erhaltene Mauer als „bemerkenswerte Sehenswürdigkeit“ genannt.92 Wenn ich recht verstehe, ist das Bemerkenswerte indes nicht der Erhaltungszustand der Stadtmauer, sondern die Tatsache, daß sie nicht nur die aktuelle Siedlung, sondern auch noch das aufgegebene Stadtgebiet auf der Landzunge umfaßt.93 Dagegen sind von der früheren Stadt Orchomenos in Arkadien nur Reste der Agora und der Mauern übrig, während die zu Pausanias’ Zeit bewohnte Stadt unterhalb des alten Stadtmauerrings liegt.94 Ebenfalls in Arkadien stellt der Perieget in der verlassenen Stadt Asea nur noch Ruinen der Siedlung und Reste der Ringmauer um die Oberstadt fest.95 In anderen aufgegebenen Städten wie Tiryns oder Nauplia in der Argolis sind Pausanias zufolge überhaupt nur mehr die Stadtmauern vorhanden.96 Innerhalb des Mauerrings der altehrwürdigen arkadischen Polis Lykosoura leben 89 90 91

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93 94 95 96

H 1985, 133, übereinstimmend B 1996, 208–210. Zum Verhältnis des Autors zur Vergangenheit siehe ferner A 1996, 43–79. Zur These einer Agenda des Pausanias, mit seinem Werk eine (neue) griechische Identität herstellen zu wollen, siehe A 1996, 247 f. Eigentliche Neugründungen wie die von Nikopolis als civitas libera durch Octavian nach der Schlacht von Actium sind die Ausnahme; die römischen Kolonien in Griechenland wie Philippi hatten ältere Stadtmauern (im Falle Philippis aus makedonischer Zeit). Paus. II 34,11; so die Übersetzung bei E/M/B 2001, 246. Wörtlich ist von Objekten die Rede, die besonders der Erinnerung wert seien (τὰ δὲ ἐς συγγραφὴν καὶ ἄλλα παρείχετο καὶ ὧν αὐτὸς ποιήσασθαι µάλιστα ἠξίωσα µνήµην). Ich benutze für Pausanias den Text von R-P 1989–1990; deutsche Übersetzungen nach E/M/B 2001. Vergleichbar vielleicht der Hinweis in Paus. VIII 30,7, daß sich der Hügel Skoleitas noch innerhalb des Mauerrings von Megalopolis befindet. VIII 13,2. VIII 44,3. II 25,8 und VIII 33,3 (Tiryns); II 38,2 (Nauplia). Pausanias erwähnt in VIII 33,3 außerdem, daß selbst von Babylon, einst der größten Stadt unter der Sonne, nur noch die Mauern stehen.

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4.3 Pausanias als Chronist vorrömischer Stadttore und Mauern

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dagegen noch einige Einwohner.97 In dem kleinen Örtchen Panopeus in Phokien wiederum gibt es zwar sonst keinerlei öffentliche Bauten, aber wenigstens einen alten Mauerring, dessen Länge Pausanias auf immerhin sieben Stadien (gut 1 200 Meter) schätzt.98 Auch in Ambrosos am Fuß des Parnaßmassivs ist die Stadtmauer aus hellenistischer Zeit das einzig Bemerkenswerte.99 Die Mauern waren demnach dasjenige Bauwerk einer Polis, das am längsten überdauerte, wenn die Siedlung aufgegeben wurde.100 Noch immer erinnerten sie in Griechenland an verlassene Städte, deren sonstige Bausubstanz längst abgetragen und verloren war.101 Pausanias liest sie als ein Mahnmal der Vergänglichkeit und der Unbeständigkeit des Glücks: Während der Daimon die Städte Babylon und Tiryns, von denen nur noch die Mauern erhalten seien, zunichte gemacht habe, würden das ägyptische Alexandria und Seleukeia am Orontes, die erst vor kurzer Zeit erbaut worden seien, vom Glück geleitet und hätten Reichtum und Wohlstand erreicht, so Pausanias.102 Die von ihm erwähnten Mauerringe sind alt (ἀρχαῖος) und unter Umständen ruinös (ἐρείπια);103 sie interessieren den Periegeten offenbar als ein Relikt vergangener Zeiten. So nimmt es nicht Wunder, daß sie häufig im Zusammenhang mit den geschilderten Kriegen in der Geschichte der jeweiligen Polis erwähnt werden – die griechische wie auch die römische Geschichte bis zum Prinzipat lassen sich schlechterdings nicht ohne Stadtmauern erzählen, wie die Häufigkeit entsprechender Vokabeln beispielsweise bei Thukydides oder Livius vor Augen führt. Pausanias seinerseits erinnert etwa daran, daß die Bewohner von Plataiai zweimal in einander entgegengesetzten Konstellationen besiegt wurden, nämlich einmal von ihren Mauern umschlossen und einmal von ihnen abgeschnitten: Im Jahr 427 v. Chr. wurden sie von einem doppelten Belagerungsring in ihren eigenen Mauern eingeschlossen und ausgehungert, im Jahr 373/372 v. Chr. dagegen wurden sie auf ihren Äckern überraschend von den Toren ihrer Stadt abgeschnitten und

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VIII 38,1. X 4,1 f. X 36,3 f. Außer den Mauern verzeichnet Pausanias als einziges noch die Agora, die nicht groß sei und deren Statuenausstattung zum Großteil zerbrochen sei (ebd.). Einzig von einer Stadt namens Pisa, die nahe bei Olympia gelegen haben soll, konnte Pausanias keinerlei Spuren mehr sehen; weder von der Stadtmauer noch von anderen Gebäuden waren Reste erhalten (VI 22,1). Bis heute gibt es keinen Ansatz zur Lokalisierung von Pisa (so E/ M/B 2001, 296 im Kommentar zur Stelle). Nur ein einziges Mal konstatiert Pausanias den umgekehrten Fall, daß nämlich eine florierende Stadt ihre Mauern aufgegeben hatte: In Athen lagen die Stadtmauern in Ruinen (ἐρείπια τῶν τειχῶν), I 2,2. VIII 33,3. Alte Mauern: X 4,2. In Trümmern liegende Mauern: II 38,2; VIII 13,2. Hinzu kommen die oben aufgeführten Belege für Mauern in Ruinenstätten (explizit so in VIII 44,3).

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hatten keine Möglichkeit, den Schutz ihrer Mauern aufzusuchen, so daß Plataiai erneut zerstört wurde.104 Analog werden mythologische Begebenheiten105 mit den zu seiner Zeit noch erhaltenen Stadtmauern in Zusammenhang gebracht. Pausanias schildert beispielsweise, wie die Thebaner beim Krieg der Sieben gegen Theben in der Feldschlacht besiegt hinter ihre Mauern flohen. An diesen Mauern scheiterte nun die Kriegstechnik der Feinde: Da die Peloponnesier nichts von Belagerungskunst verstanden und zwar mutig, aber ohne Sachverstand gegen die Stadtmauer anrannten, töteten die Thebaner viele von ihnen, indem sie sie von den Mauern herab unter Beschuß nahmen.106 In einem Ausfall vernichteten die Thebaner das ganze gegnerische Heer. Das hohe Alter der Mauern erweist sich jedoch nicht erst im Rückgriff auf die Geschichte einer Stadt, sondern ist dem Bauwerk selbst anzusehen. Dabei ist nicht nur an den ruinösen Zustand mancher Mauern zu denken, sondern auch an altertümliche Formen der Mauerwerkstechnik oder an die Verwendung von zu Pausanias’ Zeit nicht mehr gebräuchlichem Baumaterial wie unbearbeitetem Stein.107 Ein solcher Befund ist Pausanias durchaus einmal eine Bemerkung wert,108 so etwa in Tiryns, wo er die spätbronzezeitlichen Befestigungsmauern bewundert: τὸ δὲ τεῖχος, ὃ δὴ µόνον τῶν ἐρειπίων λείπεται, Κυκλώπων µέν ἐστιν ἔργον, πεποίηται δὲ ἀργῶν λίθων, µέγεθος ἔχων ἕκαστος λίθος ὡς ἀπ’ αὐτῶν µηδ’ ἂν ἀρχὴν κινηθῆναι τὸν µικρότατον ὑπὸ ζεύγους ἡµιόνων· λιθία δὲ ἐνήρµοσται πάλαι, ὡς µάλιστα αὐτῶν ἕκαστον ἁρµονίαν τοῖς µεγάλοις λίθοις εἶναι.

„Die Mauer, die allein von den Ruinen noch übrig ist, ist ein Werk der Kyklopen und aus unbehauenen Steinen gebaut, jeder Stein so groß, daß auch der kleinste von ihnen von einem Gespann Maultiere überhaupt nicht von der Stelle bewegt 104

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Doppelte Mauer: IX 1,7 (Pausanias setzt die Schilderung der Ereignisse bei Thuk. II 78; III 21.52 als bekannt voraus). Schutzlos vor den Mauern: IX 1,5–7. Als weiteres Beispiel für die Bedeutung von Stadtmauern in der von Pausanias erzählten Geschichte der Poleis sei X 37,7 genannt. Die Unterscheidung zwischen Geschichte der historisch faßbaren Zeit und der Heroenzeit macht Pausanias auch selbst, und zwar im nachfolgend eruierten Zusammenhang des Feldzugs der Sieben gegen Theben, den er als den bedeutendsten Krieg „unter den sogenannten Heroen“ (ἐπὶ τῶν καλουµένων ἡρώων) klassifiziert (IX 9,1). Siehe dazu A 1996, 58–75. Paus. IX 9,3: ἅτε δὲ οὐκ ἐπισταµένων τῶν Πελοποννησίων µάχεσθαι πρὸς τεῖχος, ποιουµένων δὲ θυµῷ µᾶλλον ἢ σὺν ἐπιστήµῃ τὰς προσβολάς, πολλοὺς µὲν ἀπὸ τοῦ τείχους βάλλοντες φονεύουσιν αὐτῶν οἱ Θηβαῖοι. Pausanias situiert das Geschehen mithin in einer Zeit, in der Belagerungstechnik in den Kriegen der Griechen noch keine Rolle spielte (siehe dazu oben, 80–82). Zum Interesse des Autors für alte Handwerkstechniken und ungewöhnliche Materialien siehe die Auswertung der Beschreibung von Statuen bei Pausanias in A 1996, 45–57. Belege dafür, daß unbehauene Steine Pausanias als Ausweis besonders hohen Alters gelten, finden sich ebd., 48–50. Vgl. das Interesse für den Mauerbau in Paus. VIII 39,5, wo der Autor in bezug auf Phigalia in Arkadien die Besonderheiten der Mauerführung vermerkt: Da die Stadt auf hohem und unzugänglichem Gelände liegt, sind ihre Mauern über den Felsabstürzen gebaut.

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werden könnte. Kleine Steine sind von alters eingefügt, damit jeder von ihnen möglichst die Verbindung für die großen Steine herstelle.“109 Die Mauer beeindruckt Pausanias vor allem aufgrund der Größe der verwendeten Steine, welche bis zu drei Meter lang waren oder vielmehr sind.110 Als technische Aspekte, die auf das hohe Alter des Bauwerks verweisen, benennt er die Verwendung unbehauener Steine und die mörtellose Bauweise. Beides steht in völligem Gegensatz zur Mauertechnik der Stadtbefestigungen seiner eigenen Zeit.111 In anderem Zusammenhang wird der Autor bemerken, daß die Mauern von Tiryns nicht weniger bewundernswert seien (οὐδὲν ὄντα ἐλάττονος θαύµατος) als selbst die Pyramiden in Ägypten.112 Auch die Stadtmauer von Messene als Baudenkmal der klassischen Zeit (Abb. 4.2 auf S. 96) wird von Pausanias näher beschrieben. Bei der Besprechung der Bauwerke der Stadt Messene, deren Geschichte der Autor in 29 Kapiteln bereits in beispielloser Breite referiert hat,113 kommt er als erstes auf die Mauern zu sprechen. Schon dies ist ungewöhnlich, da er sich den Sehenswürdigkeiten sonst nicht in topographischer Reihenfolge annähert, sondern in der Regel mit der Agora und den Hauptheiligtümern einer Stadt beginnt. Zu Messene jedoch vermerkt Pausanias als erstes, um die Stadt sei ein Mauerring ganz aus Stein gezogen, mit Türmen und Brustwehren. Zwar könne er keinen seriösen Vergleich mit den berühmten Mauern von Babylon oder Susa anstellen, die ihm nur aus der Literatur bekannt seien, aber im Vergleich zu den Stadtmauern in Ambrosos, Byzantium und Rhodos – diese Städte verfügten nämlich seiner Meinung nach über die besten Mauern –, seien die von Messene noch stärker.114 Die dritte ausführlichere Würdigung einer Stadtmauer gilt dem hellenistischen Doppelmauerring von Ambrosos in der Phokis, der von Pausanias im Zusammenhang mit Messene schon als eine der besten Befestigungsanlagen überhaupt benannt worden war. Die nähere Beschreibung eines Baudenkmals aus dieser Epoche hat in der Periegesis Seltenheitswert, da der Autor zwar ausführlich aus der hellenistischen Geschichte erzählt, aber nur sehr wenige hellenistische Bauten oder Kunstwerke erwähnt.115 Jedenfalls berichtet Pausanias, daß die Thebaner zu Beginn des Krieges mit den Makedonen unter Philipp dem Großen die Stadt 109 110 111 112 113 114

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II 25,8. Eine Zusammenfassung des archäologischen Befundes bietet P 2001, 20–26. Siehe dazu oben, 31. Paus. IX 36,5. Christian Habicht hat in seiner Zusammenstellung der von Pausanias am meisten gelobten Bauwerke die Stadtmauern von Tiryns übersehen (H 1985, 134 f.). Paus. IV 1–29. IV 31,5: περὶ δὲ τὴν Μεσσήνην τεῖχος, κύκλος µὲν πᾶς λίθου πεποίηται, πύργοι δὲ καὶ ἐπάλξεις εἰσὶν ἐνῳκοδοµηµένοι. τὰ µὲν οὖν Βαβυλωνίων ἢ τὰ Μεµνόνεια τὰ ἐν Σούσοις τείχη τοῖς Περσικοῖς οὔτε εἶδον οὔτε ἄλλων περὶ αὐτῶν ἤκουσα αὐτοπτούντων· τὰ δὲ ἐν ᾽Αµβρόσσῳ τῇ Φωκικῇ ἔν τε Βυζαντίῳ καὶ ῾Ρόδῳ – ταῦτα γὰρ δὴ τετειχίσται δοκεῖ τὰ χωρία ἄριστα –, τούτων Μεσσηνίοις ἐστὶν ἐχυρώτερον. Vgl. H 1985, 35.101–103, der die Hintergründe dieser Schwerpunktsetzung erörtert.

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Abbildung 4.2: Reste der Stadtmauer von Messene mit einem Turm.

Ambrosos mit einer doppelten Mauer befestigt hätten. Einer der Mauerringe sei aus einheimischem Stein gefertigt, der schwarz und besonders hart sei. Die Mauern seien im Abstand von einem Klafter zueinander errichtet; sie seien jeweils zweieinhalb Klafter hoch und knapp einen Klafter tief.116 Es seien weder Türme noch Brustwehren noch sonstige Verteidigungseinrichtungen vorhanden, da der Bau unter großem Zeitdruck entstanden sei.117 Damit liegen bei Pausanias drei nähere Beschreibungen von Stadtmauern vor, die gerade im Vergleich interessant sind. Das uralte bronzezeitliche Kyklopenmauerwerk von Tiryns mit seinen riesigen Mauersteinen steht für den Schriftsteller im Rang eines Weltwunders. Unter den Stadtmauern der historischen Zeit bis in seine eigene Gegenwart hält er die von Messene mit ihrem perfekten Mauerwerk für die stärksten, die er in Griechenland und Kleinasien gesehen hat. Fast gleichrangig sind in seiner Wertung die hellenistischen Doppelmauern der sonst unbedeutenden 116

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Die von Pausanias benutzte Maßeinheit ist die ὄργυια, die Spannweite der ausgestreckten Arme. Sie enthielt 4 Ellen oder 6 Fuß, was je nach dem zugrundegelegten Ellen- oder Fußmaß zwischen 1,78 und 2,10 Metern entsprach. Paus. X 36,3 f.: Θηβαῖοι δὲ ἐς τὸν Μακεδόνων καὶ Φιλίππου καθιστάµενοι πόλεµον περιέβαλον τῇ ᾽Αµβρόσσῳ διπλοῦν τεῖχος· τὸ δέ ἐστιν ἐπιχωρίου λίθου, χρόαν µέλανος, ἐς τὰ µάλιστα ἰσχυροῦ· κύκλος δὲ ἑκάτερος τοῦ τείχους πλάτος µὲν ἀποδέων ὀλίγον ἐστὶν ὀργυιᾶς, τὸ δὲ ὕψος ἐς ἡµίσειάν τε καὶ δύο ὀργυιάς, ὅπου µὴ τὸ τεῖχος πεπόνηκε· διάστηµα δὲ ἀπὸ τοῦ προτέρου τῶν κύκλων ἐπὶ τὸν δεύτερόν ἐστιν ὀργυιά· κατασκευὴ δὲ πύργων ἢ ἐπάλξεων ἢ εἴ τι ἄλλο ἐς εὐπρέπειαν τείχους, παρεῖται τὰ πάντα σφίσιν ἅτε τειχίζουσιν ἐπὶ µόνῳ τῷ αὐτίκα ἀµύνεσθαι.

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Stadt Ambrosos, die ihre fehlende Ausstattung durch schieren Materialaufwand wettmachen. Das wichtigste Kriterium zur Bewertung einer Stadtmauer, so läßt sich festhalten, war demnach auch für einen Beobachter des zweiten Jahrhunderts schlicht ihre Eignung zu Zwecken der militärischen Verteidigung. Obwohl dieser Aspekt für eine Stadt in der kaiserzeitlichen Provinz Achaia in dieser Zeit de facto keine Relevanz mehr hatte,118 kann Pausanias sich gut in die Erfordernisse früherer Epochen hineindenken, als über gute Mauern zu verfügen für die Bewohner einer Polis überlebenswichtig war. Eine Stadtgründung in klassischer Zeit stellt er sich denn auch so vor, daß die Errichtung von Mauern die wichtigste und dringlichste Baumaßnahme gewesen sei. So legt er dar, daß zunächst nach einer geeigneten Stelle für die Siedlung gesucht wurde. Anschließend wurden Opfer und Gebete durchgeführt und die Heroen angerufen, als Mitbewohner in die Stadt zu kommen. Fielen die Opfer günstig aus, wurden Steine herangebracht und Männer engagiert, die sich auf die Anlegung von Wegen und auf den Bau von Häusern, Heiligtümern und Stadtmauern verstanden. Gleich am ersten Arbeitstag nach Beendigung der Opfer wurde der Mauerring aufgerichtet und erst dann innerhalb der Mauern mit dem Bau der Häuser und Tempel begonnen.119 Es läßt sich also festhalten, daß Pausanias die alten Mauerringe der griechischen Städte als sehenswerte Relikte einer vergangenen Zeit betrachtet, die mitunter das einzige sind, was von einer verlassenen Siedlung die Wechselfälle des Schicksals überdauert hat. Dabei weiß er die baulichen Qualitäten einer besonders altertümlichen oder besonders starken Mauer zu erkennen und zu würdigen. Das seinem Urteil zugrundeliegende Kriterium ist das der militärischen Zweckmäßigkeit einer Stadtmauer – bei einem Autor des zweiten Jahrhunderts ein durchaus unerwarteter Befund.120 4.3.2 Das Stadttor: Orientierungshilfe bei Spaziergängen durch eine sakralidyllische Landschaft Ganz im Gegensatz zu den nicht mehr benutzten Stadtmauern, die ihre Bestimmung verloren haben und als Sehenswürdigkeiten einer vergangenen Epoche behandelt werden, sind die Stadttore bei Pausanias weniger Gegenstand touristischen Interesses als vielmehr funktionale Bestandteile der städtischen Infrastruktur. Ihre Erwähnung steht nicht, wie sich erwarten ließe, im Zusammenhang mit der 118

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Anders als in anderen Provinzen ist mir für das erste bis dritte Jahrhundert auch keine Stadt der Achaia bekannt, die neue Stadtmauern errichtet oder alte Mauern instandgesetzt hätte. Zum Mauerbau in kaiserzeitlichen Städten siehe oben, Kapitel 2. Paus. IV 27,5–7 (zur Gründung Messenes im vierten Jahrhundert v. Chr.). Vgl. auch VII 4,3 (Bau einer Mauer um Anaia, das zum Festlandbesitz der Samier gehört und ihnen Zuflucht bieten soll). Eine verbreitete Forschungsmeinung besagt, daß den Stadtmauern in der Kaiserzeit nur mehr repräsentative oder symbolische Bedeutung zugestanden worden sei; siehe dazu unten, 124, mit Belegen; vgl. auch 162.

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Besprechung der Befestigungsanlagen, sondern ist häufig in die Beschreibung der Sehenswürdigkeiten und Landschaft vor dem Stadteingang eingebettet. Als Beispiel bietet sich die Darstellung von Korinth und Sikyon an, da hier gleich mehrere Tore genannt werden: Vom Hafen Kenchreai nach Korinth kommend, verweist Pausanias auf verschiedene Denkmäler, die sich entlang des Weges finden. Am Stadttor von Korinth ist, wie er vermerkt, Diogenes aus Sinope begraben; in dem Zypressenhain vor der Stadt finden sich ein heiliger Bezirk des Bellerophontes, ein Tempel der Aphrodite Melainis und das Grab der schönen Hetaire Laïs.121 An dem Weg, der von Akrokorinth Richtung Tenea in die Berge führt, befindet sich das Teneatische Tor mit einem Heiligtum der Eileithyia.122 Am Weg von Korinth nach Sikyon bespricht Pausanias die Nekropole mit ausgewählten Grabstätten.123 Am Stadttor von Sikyon verzeichnet er eine Quelle, die sich in einer Höhle befindet und dort nicht aus der Erde, sondern aus der Decke austritt; deshalb werde sie „die Tropfende“ genannt.124 Ein ganz ähnliches Bild entwirft der Perieget von der Umgebung des Neïtischen Stadttors von Theben. Vor diesem liegt das Grabmal des Kreon-Sohnes Menoikeus mit einem Granatapfelbaum; eine Säule mit einem Schild aus Stein erinnert an die Stelle, an der die Söhne des Ödipus im Kampf miteinander fielen; es wird der Ort gezeigt, an dem Hera den kleinen Herakles gestillt haben soll; und nach Überschreiten eines Flusses Dirke folgen die Ruinen des Hauses des Dichters Pindar und ein Heiligtum. Am Weg vor dem Tor finden sich drei weitere Kultstätten und unter freiem Himmel die Statue eines Herakles; in größerer Entfernung liegt ein Hain der Demeter Kabeiraia und der Kore.125 Diese Passagen können als typisch gelten, weist Pausanias doch häufig auf Grabbauten, Denkmäler und Heiligtümer hin, die sich noch zu seiner Zeit vor dem Tor einer bestimmten Stadt fanden.126 Der Verfasser entwirft eine Topographie, die durch den jeweils expliziten Bezug auf ein Tor als stadtnah zu erkennen ist, dabei aber deutlich als von der Stadt unterschieden erscheint. Die von altehrwürdigen Erinnerungszeichen, Tempeln und Hainen durchsetzte Landschaft,127 die sich bei 121 122 123 124 125 126

127

Paus. II 2,4. II 5,4. II 7,2–4. II 7,4. IX 25,1–4. Neben den bereits genannten Stellen: III 15,3 (eine Reihe von Heroa und ein Heiligtum des Herakles ganz dicht an der Stadtmauer; gemeint ist also feldseitig davor); III 16,4 (ein Heroon und ein Grab vor dem Stadttor von Sparta); III 24,6 (eine Heraklesstatue und ein makedonisches Siegeszeichen vor den Mauern der zerstörten früheren Siedlung des kleinen lakonischen Städtchens Las auf dem Berg Asia). Mit Ausnahme von II 35,11 wird in den Stadtbeschreibungen dagegen nicht erwähnt, was sich innerstädtisch hinter den Toren findet, denn in der Stadt gilt das Interesse des Schriftstellers in der Regel der Agora und anderen markanten öffentlichen Gebäuden im Zentrum. Für Susan Alcock handelt es sich bei der von Pausanias entworfenen Topographie um Erinnerungslandschaften (A 1996, besonders 248–251). Dem ist insofern zuzustimmen, als Erinnerung ein zentrales Thema der gesamten Darstellung ist. Mir scheint jedoch in den stadt-

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Abbildung 4.3: Ideallandschaft mit Bäumen und Architekturelementen, hier als Detail ein Torbogen nebst anschließender Säulenhalle. Wandmalerei aus dem sogenannten Isistempel in Pompeji, erste Hälfte des ersten Jahrhunderts. (Museo Archeologico Nazionale di Napoli, su concessione del Ministerio della Cultura.)

Pausanias vor den Stadttoren erstreckt, läßt an die sakralidyllischen Darstellungen in der kaiserzeitlichen Malerei und Mosaikkunst denken (vgl. Abb. 4.3). Die Stadttore werden damit erzählerisch aus dem Zusammenhang der Stadtmauern gelöst, in welchem sie als Bauwerke in den Städten der Achaia noch immer stehen.128 Pausanias setzt sie gewissermaßen als Einzelelemente in eine Landschaft, die den Vorlieben des Autors und dem Geschmack seiner eigenen Zeit entspricht; eine Landschaft, die mit Kultorten, Ruinen, Quellen und Hainen die Rezipienten des Buchs zum imaginären oder tatsächlichen Spazierengehen vor den alten griechischen Städten einlädt. Als Teil der Stadtmauern oder überhaupt als Baudenkmäler werden Tore dagegen nicht beschrieben. Pausanias geht bekanntlich erklärtermaßen selektiv vor129 und

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nahen Landschaften bei Pausanias das sakrale Element mehr im Vordergrund zu stehen als das kommemorative. (Anders als Alcock nehme ich den Begriff Landschaft hier wörtlich als von der Stadt unterschieden; das Erinnern nimmt in bezug auf die Städte selbst und ihre oft ausführlich erzählte Geschichte größeren Raum ein als bei der Beschreibung vorstädtischer Regionen.) Zur narrativen Plazierung von Monumenten im beschriebenen Raum bei Pausanias siehe G 2009. Siehe dazu H 1985, 34–36.

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interessiert sich offenbar nicht für die Tore als solche.130 Lediglich im Siebentorigen Theben, das ja nun die Stadttore seit Homer prominent im Namen führt, kommt der Perieget systematisch auf die Tore zu sprechen. Auch hier macht er die Stadttore jedoch nicht als Baukörper sichtbar, sondern als Erinnerungsorte, mit denen sich vielfältige Geschichten aus allen Epochen der Vergangenheit der Polis verbinden lassen. Er führt aus, im Ring der alten Stadtmauer von Theben habe es sieben Tore gegeben, die noch jetzt vorhanden seien: das Elektrische, das Proitidische, das Neïtische, das Quellentor, das Höchste Tor, das Ogygische und das Homoloïsche, deren Namen er im einzelnen erläutert. In diesem Zusammenhang bemerkt er, daß die Benennung der einzelnen Tore unterschiedlich alt sei. Er führt die Namen der Tore auf mythologische und historische Personen zurück, auf ein bestimmtes Heiligtum, auf eine an dem betreffenden Tor angeblich gemachte Erfindung und auf ein historisches Ereignis.131 Auch über die Etymologien der Tornamen hinaus kennt Pausanias Geschichten, die sich mit den Stadttoren verbinden. So erwähnt er, daß es am Elektrator gewesen sei, wo Kapaneus, einer der sieben Helden gegen Theben, beim Angriff gegen die Mauer vom Blitz getroffen worden sei.132 Nicht weit davon zeige man die Stelle, an der Kadmos, der Gründer der Stadt, angeblich die Zähne des von ihm getöteten Drachen ausgesät und daraus Männer habe wachsen lassen.133 Links vom Tor würden Reste des Hauses gezeigt, das Amphitryon bewohnt haben solle; das Gemach der Alkmene, also der Geburtsort des Herakles, sei in den Ruinen noch auszumachen.134 In der Beschreibung Thebens werden die Stadttore gleichzeitig zur Strukturierung der Darstellung genutzt. Pausanias macht drei der sieben Tore zum Ausgangspunkt seiner Stadtbeschreibung und nimmt immer wieder Bezug auf sie: „Wenn man von Plataiai kommt, tritt man in Theben durch das Tor der Elektra ein“; „ganz in der Nähe des Tores“, „nicht weit vom Tor“; „rechts vom Tor“; „links vom Tor“, „vor dem Tor“ usw.135 Ein solches Vorgehen praktiziert er auch in anderen Städten wie Korinth.136 Dabei macht er sich die Funktion als Landmarke oder Orientierungspunkt zunutze, die die Stadttore der von ihm beschriebenen Städte für die zeitgenössischen Besucher offenbar hatten.137

130 131 132 133 134 135 136 137

Nur selten einmal wird ein Stadttor um seiner selbst willen erwähnt. So heißt es zu Gythion, ein Tor dort werde das Kastorische genannt (Paus. III 21,9). IX 8,4–6. Die Forschung erklärt die Namen der Tore teils abweichend, was aber in diesem Zusammenhang nicht relevant ist. IX 8,7. IX 10,1. Diesen Mythos referiert Pausanias mit großer Reserviertheit und schiebt ein: ὅτῳ πιστά, „wer es glaubt“. IX 11,1. IX 8,7; 10,1 f.; 11,1; 16,6; 18,1; 23,1; 25,1.4. Siehe dazu die oben bereits aufgeführten Belegstellen. Siehe unten, 260–263.

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4.3 Pausanias als Chronist vorrömischer Stadttore und Mauern

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Tatsächlich werden Stadttore bei Pausanias in den allermeisten Fällen als Orientierungspunkte benannt, etwa um eine Wegbeschreibung zu präzisieren.138 So heißt es etwa, wer den Weg von Argos nach Mantineia suche, dürfe nicht die Straße nach Tegea nehmen, sondern diejenige, die vom Stadttor am Deirassattel ausgehe;139 ein weiterer Weg führe vom Deirastor nach Lyrkeia.140 In Messene erklärt Pausanias den Weg Richtung Arkadien nach Megalopolis und den zum Fluß Balyra unter Bezug auf die Stadttore,141 in Hermione in der Argolis den Weg zum Hafen Mases.142 In einem Exkurs zur Kolonisation Ioniens erwähnt er, daß sich das Grab des Neileus in der von diesem gegründeten Stadt Milet befinde, und zwar an der Straße nach Didyma, nicht weit vom Tor links am Weg.143 In Ephesos werde noch immer das Grab seines Bruders Androklos, des dortigen Gründungsheros, gezeigt, und zwar am Weg zum Magnesischen Tor.144 Das Stadttor ist jedoch kein beliebiges Gebäude, das als markanter Punkt in der städtischen Architektur herausgegriffen und als Orientierungspunkt gewählt wird, sondern es markiert in der „Beschreibung Griechenlands“ ganz konkret den Übergang zwischen Stadt und Umland/Landschaft/Nekropole. Diese liminale Bedeutung des Stadttors145 wird an einer Stelle sogar von Pausanias reflektiert, als er den ungewöhnlichen Begräbnisort des Heros Aitolos in einem Grab im Stadttor von Elis auf einen Orakelspruch zurückführt, wonach der Tote weder außerhalb noch innerhalb der Stadt liegen durfte.146 Die Eltern des Aitolos entsprechen dieser Aufforderung, indem sie das Stadttor als genau diesen Ort des Weder-Noch ausmachen und den Sohn zwischen Innen und Außen beisetzen. Der liminale Charakter des Stadttors kommt bei Pausanias auch sonst in dessen Nutzung als Kultort zum Ausdruck. Da der Schriftsteller sich ganz besonders für alles Religiöse interessiert, entgeht ihm nicht, daß Stadttore in Griechenland mit bestimmten Kulten assoziiert waren. Seine Hinweise auf Kulte für Hermes,147 Herakles148 sowie diverse Heroengräber149 vor oder in den Toren decken sich mit 138

139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149

Zur Präzisierung einer Entfernungsangabe bezieht sich Pausanias an einer Stelle auch auf Stadtmauern, wenn er angibt, daß zwei von ihm erwähnte Altäre zwei Stadien von der Stadtmauer von Tegea entfernt liegen (VIII 53,11). In diesem Sinne ist auch die Angabe zu verstehen, das Theater in Hyampolis sei „nicht weit von den Toren“ (im Plural) entfernt: Hier ist nicht ein konkretes Tor der Bezugspunkt, sondern die Stadtmauer mit ihren Toren als Abschluß der Siedlung (X 35,6: οὐ πόρρω τῶν πυλῶν). II 25,1. II 25,3. IV 33,3. II 35,11. VII 2,6. VII 2,9. Zum Stadttor als Übergangsort siehe Kapitel 11. Paus. V 4,4. IV 33,3. III 15,3 und insbesondere IX 11,1–6 mit dem Geburtshaus des Herakles am Stadttor und einem Herakleion; vgl. auch III 24,6 zu einer Heraklesstatue vor den Mauern. III 15,3; 16,4; V 4,4; VII 2,6.9; IX 18,3; 23,1.

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4 Das Stadttor in Griechenland

dem oben gewonnenen Bild der griechischen Torkulte. Hinzu kommen Kulte für Eileithyia und ein Heiligtum des Zeus Hypsistos.150 An einer anderen Stelle legt er Wert auf die Feststellung, daß sich ein bestimmtes Orakelheiligtum, in dem aus Stimmen geweissagt wird, in Smyrna genau wie in Theben extra muros befinde.151 In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Kulte zur Zeit des Pausanias noch praktiziert wurden, wie er selbst mehrfach explizit schreibt.152 So erwähnt er die täglichen Opfer für Eileithyia in Hermione und einen Opferkult an den Grabmälern der Kinder des Ödipus, die hinter dem Proitidischen Stadttor von Theben an der Landstraße lagen.153 In Elis wurden, wie Pausanias angibt, zu seiner Zeit durch den Gymnasiarchen noch immer regelmäßige Totenopfer für den Stammesheros Aitolos durchgeführt, der wie bereits erwähnt im Stadttor begraben war.154 In der boiotischen Stadt Tanagra wurde ein Hermes Kriophoros verehrt, dessen Kult darauf zurückgeführt wurde, daß der Gott einst eine Epidemie von der Stadt abwehrte, indem er einen Widder um die Mauer herumtrug. Pausanias weiß zu berichten, daß am Fest des Hermes noch immer der als der Schönste ausgezeichnete Ephebe mit einem Schaf auf den Schultern rings um die Mauern der Stadt zu laufen pflegte.155 Zusammenfassend läßt sich folgendes festhalten: Auffallend ist, daß die Stadttore der alten griechischen Städte bei Pausanias einen ganz anderen Stellenwert haben als die Stadtmauern. Sie sind in den meisten Fällen nicht als Sehenswürdigkeiten klassifiziert oder näher beschrieben. Dennoch bezieht sich der Autor in seinen Ausführungen häufig auf Tore, da sie als Orientierungspunkte dienen – sowohl für denjenigen, der sich mit Pausanias durch die beschriebenen Orte bewegt, als auch für denjenigen, der seine Ausführungen rezipiert, in denen die Anordnung des Stoffs in manchen Stadtbeschreibungen nach Stadttoren gegliedert ist. In seinen Beschreibungen der vorstädtischen Landschaft mit Gräbern, Denkmälern, Hainen, Altären und Heiligtümern bildet das Stadttor häufig den Schlußpunkt, der den Übergang zur eigentlichen Siedlung mit der Agora markiert. Das Tor grenzt dabei die Bereiche der städtischen Siedlung und der Nekropole deutlich voneinander ab. Neben der Orientierungsfunktion steht damit bei Pausanias die Schwellenfunktion des Stadttors im Vordergrund. Einige Tore, mit denen die Einwohner der Stadt mythologische und historische Ereignisse aus der Geschichte der Polis verknüpfen, dienen darüber hinaus als Erinnerungsorte. Pausanias läßt sich diese Tore zeigen 150 151 152

153 154 155

II 5,4; 35,11; IX 8,5. IX 11,7: ἔστι γὰρ καὶ Σµυρναίοις ὑπὲρ τὴν πόλιν κατὰ τὸ ἐκτὸς τοῦ τείχους Κληδόνων ἱερόν. „Denn auch in Smyrna gibt es über der Stadt außerhalb der Mauer ein Heiligtum der Stimmen.“ Christian Habicht hat präzise herausgearbeitet, welchen Zeitraum der Ausdruck „zu meiner Zeit“ bzw. „zu unserer Zeit“ (meist ἐπ’ ἐµοῦ, κατ’ ἐµέ oder ἐφ’ ἡµῶν) bei Pausanias umfassen kann, nämlich Daten bis zurück in die 120er Jahre, also die frühe Kindheit des Autors (H 1985, 181–184). In jedem Fall befinden wir uns damit also im zweiten Jahrhundert. Paus. II 35,11 (Eileityia); IX 18,3 (Heroenkult). V 4,4. IX 22,1.

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4.3 Pausanias als Chronist vorrömischer Stadttore und Mauern

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und die Geschichten dazu erzählen, die in die makedonische und griechische Zeit zurückführen oder bis zu den Heroen der Vorzeit. Eine alltagspraktische Bedeutung im Zusammenhang mit Verkehrsfragen, Inspektionen oder Zollkontrollen wird, der Ausrichtung des Werks entsprechend, in keiner Weise auch nur angedeutet.

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Teil 2 Kontrollmodalitäten am Stadteingang

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In diesem Teil geht es um den Stadteingang als Zentrum eines sozio-ökonomischen Transitbereichs und um die Modalitäten, unter denen Personen und Gegenstände ihn passieren konnten. Die für diesen Themenkomplex grundlegende Frage ist die nach der Sicherheitsrelevanz der kaiserzeitlichen Tore. Meine These lautet, daß Stadttore auch dann der Herstellung und Darstellung von Sicherheit dienen konnten, wenn sie weder in Befestigungsanlagen integriert noch verschließbar waren. Sicherheit wurde am Stadteingang baulich konstituiert und sichtbar gemacht: Das Stadttor definierte Außen und Innen und markierte den Innenraum zugleich als einen Raum erhöhter Sicherheit. Dabei ist nicht nur an die architektonische Gestaltung des Stadteingangs zu denken, sondern auch an personelle Maßnahmen wie die Besatzung von Toren mit Wachpersonal oder Zöllnern. Stadttore boten die technische Möglichkeit zur Lenkung, Regulierung und Kontrolle von Mobilität und damit zur Ausübung von Macht. In Kapitel 5 werden nach einer Einführung zum Konzept von pax et securitas im Rahmen kaiserlicher Herrschaftslegitimation im ersten und zweiten Jahrhundert zwei paradigmatische Texte des gebildeten Diskurses besprochen, anhand derer sich Deutungsmuster der kaiserzeitlichen Sicherheitsideologie herausarbeiten lassen. Das optimistische zeitgenössische Narrativ zeigt freilich nur eine Interpretationsmöglichkeit auf und läßt sich nicht absolut setzen, um daraus Rückschlüsse auf kollektive Alltagserfahrungen zu ziehen. Dies wird deutlich, wenn in Kapitel 6 die Sicherheitsmaßnahmen diskutiert werden, die sich an Stadttoren nachweisen lassen. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage nach der Verschließbarkeit und der Bemannung der Tore behandelt. Eine ausführliche Auseinandersetzung gilt der Frage, ob bzw. wie die Identität von Personen am Stadteingang überprüft wurde. In zwei weiteren Kapiteln werden konkrete Praktiken untersucht, die den Stadteingang als Transitbereich kennzeichneten: Torgeld- und Zollerhebung sowie Handelstätigkeit im Bereich der Stadttore. Anhand der Zollpraktiken wird in Kapitel 7 deutlich, wie kompliziert das Betreten und Verlassen einer Stadt sein konnte. Das komplexe und uneinheitliche System von Zöllen und Mauten im Imperium Romanum war nicht dazu angetan, die Mobilität von Personen und Waren zu erleichtern. Zur Handelstätigkeit am Stadttor wird in Kapitel 8 die Infrastruktur von Marktplätzen und Warenlagern in der unmittelbaren Nähe der Stadttore besprochen und die Frage erörtert, ob Tiere, die zum Verzehr bestimmt waren, schon vor den Toren geschlachtet wurden. Die Einrichtungen für Reisende wie Herbergen und Transportdienste waren in der Regel gleich am Stadteingang zu finden. Komplexer stellt sich die Lokalisierung von gesundheitsgefährdenden oder mit starker Lärmbzw. Geruchsbelästigung einhergehenden Gewerbezweigen dar. Am Abschluß stehen eine kurze Auswertung einschlägiger stadtrömischer Grabinschriften und die Besprechung einer satirischen Stadttorszenerie bei Martial.

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5 Das Konzept von pax et securitas Ausgangspunkt meiner Darstellung ist der diskursive Kontext der Sicherheitspraxis am Stadteingang: das kaiserzeitliche Konzept von pax et securitas. Autoren wie Velleius Paterculus, der jüngere Plinius oder Aelius Aristides preisen in ihren Werken den römischen Kaiser als Garanten des Friedens und einer ubiquitären Sicherheit. Damit bringen sie ein Zeitgefühl zum Ausdruck, das von vielen – freilich nicht von allen – Zeitgenossen geteilt wurde (5.1). Wie gezeigt werden soll, war es anders als in der Spätantike und im Mittelalter dieser Sichtweise zufolge nicht das geschlossene, sondern das offene Stadttor, das für Sicherheit stand. Die Pax Romana drückte sich nicht etwa in der starken Bewehrung einer einzelnen Stadt aus, sondern in einem reichsweit geltenden Sicherheitsstandard, der dem römischen Bürger eine unbeschränkte Reisefreiheit und Mobilität ermöglichte. Sicherheit war in diesem Verständnis etwas, das das ganze Reich betraf und nicht erst auf munizipaler Ebene hergestellt wurde. In diesen Zusammenhang stelle ich die Interpretation zwei rhetorischer Texte aus dem zweiten Jahrhundert, Oratio 36 des Dion von Prusa (5.2) und Oratio 26 des Aelius Aristides (5.3). Während Dion das Bild einer permanent und existenziell von Krieg bedrohten Gemeinschaft entwirft, das sich als Gegenwelt zum Alltag in den kaiserzeitlichen Provinzen verstehen läßt, stellt Aristides das Römische Reich als einen Raum der Sicherheit dar, in dem jedem einzelnen überall und jederzeit freie Mobilität ermöglicht ist. Nach dieser Lesart sind gerade die unverschließbaren türlosen Bogenmonumente am Eingang kaiserzeitlicher Städte der Inbegriff einer reichsweit geltenden securitas Augusti. Darauf aufbauend wird diskutiert, wie sich persönliche Reisefreiheit und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Römischen Reich zueinander verhielten (5.4). 5.1 Securitas Augusti. Der Kaiser als Garant einer ubiquitären Sicherheit Als Pendant zur Theorie des gerechten Krieges entwickelte sich im ersten und zweiten Jahrhundert die Vorstellung einer römischen Friedensherrschaft, der Pax Romana.1 Der Begriff selbst ist erst bei Seneca belegt.2 Inhaltlich aber knüpft das Konzept einer Friedensherrschaft der römischen Kaiser direkt an die Ideologie der 1

2

Zum kaiserzeitlichen Konzept der Pax Romana siehe I 1952; Z 1973, 152–184 (nicht überzeugend allerdings seine Interpretation von Max. Tyr. 24 (Trapp) als „pacifist essay“, ebd., 168); L 1985; W 1993; K 1994, 218–245; F 2012, 89–121; R 2018, 23–30. Eine kleine Quellensammlung bietet R-E 2005, 165–168. Sen. clem. I 4,2: hic casus Romanae pacis exitium erit.

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5 Das Konzept von pax et securitas

Pax Augusta3 an. Gemeint war damit nicht das Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen an den Außengrenzen des Reichs, sondern der innere Frieden, der im Jahr 31 v. Chr. nach einer langen Periode der Bürgerkriege mit dem Sieg Octavians über Antonius und Kleopatra in der Schlacht vor Actium erreicht wurde. In Rom selbst wurde der neu erlangte Friedenszustand mit der dreimaligen Schließung des Janustempels und der Weihung der ara Pacis Augustae durch den Senat zeichenhaft inszeniert,4 und in den Provinzen war er durch die von Augustus forcierte Demilitarisierung für jedermann augenfällig.5 Dabei ist mit Greg Woolf darauf hinzuweisen, daß Pax Romana keineswegs bedeutete, daß die Bevölkerung der römischen Provinzen seit augusteischer Zeit keine Gewalt mehr erlebt hätte.6 Im Gegenteil: Gewalterfahrungen lassen sich in der Kaiserzeit auf vielen Ebenen belegen.7 Die Quellen sprechen hier lediglich die Sprache des Prinzipats, wenn sie Kriege als Revolten bezeichnen und Aufstände als Banditenunwesen.8 Denn auch wenn sich das Ausmaß von Piraterie und Räuberei im ersten und zweiten Jahrhundert schwer bestimmen läßt9 und ihr eigentlicher Charakter umstritten bleibt,10 ist anzunehmen, daß nicht ohne Grund Reisende zu ihrer Selbstverteidigung bewaffnet waren11 und viele Provinzbewohner über eigene Waffen verfügten.12 Woolf jedenfalls konstatiert nüchtern: „Roman claims that the provincials enjoyed unbroken peace were an exaggeration, and at least some Romans knew it.“13 Wie die Forschung mittlerweile klar herausgearbeitet hat, handelte es sich bei der Pax Romana aber dennoch um mehr als einen bloßen propagandistischen Slogan, 3

4 5 6 7

8 9 10 11

12

13

Diesbezüglich sei auf die einschlägige Selbstdarstellung des Augustus in Res Gestae 12 f. verwiesen. Die Belege zum Lob des augusteischen Friedens bei den zeitgenössischen Autoren sind Legion, man denke etwa an Hor. carm. saec. 57–60 oder Ov. fast. 1,701–722. Auch dazu Aug. Res Gestae 12 f. Dazu B 2005, 27–30. Die Außengrenzen des Reichs und andere instabile Gebiete waren von der Demilitarisierung selbstredend ausgenommen. W 1993, 185 f. und 189. Siehe dazu etwa H 1999 und M 1993, 195–197. Woolf verweist darauf, daß unter anderem Kriminelle, Landbesitzer und Amtsträger Gewalt ausübten, daß die Provinzialen zum Militär eingezogen wurden, und daß viele Provinzen Schauplätze von Revolten und bürgerkriegsähnlichen Konflikten waren (W 1993, 185 f.). In Anlehnung an W 1993, 190. Die Quellen bietet S 1984. Vgl. auch R 2001; B 2014, 249–251. Zu methodischen Problemen, die mit den antiken Labels wie „Räuber“ oder „Pirat“ verbunden sind, siehe meine früheren Überlegungen in P 2015, 25–32. F 2012, 51 f. Ein solcher Zusammenhang wird im Martyrium des heiligen Konon sogar explizit hergestellt, als der Heilige die Räuber vor seiner Tür für Reisende hält (MKon 93): ἰδὼν αὐτοὺς ἐνόπλους ἐδόκει, ὅτι ἀπὸ ὁδοιπορίας ἥκασιν – „als er sie bewaffnet sah, meinte er, daß sie von einer Reise kämen“ (Text und modifizierte Übersetzung nach P 2020a, 128 f.). Diese Quelle datiert freilich erst vom Ende des vierten Jahrhunderts. W 1993, 186. Auf die Frage, inwiefern Bandenkriminalität nicht nur auf Reisen, sondern auch für die Städte eine Bedrohung darstellte, wird zu Beginn des nächsten Kapitels zurückzukommen sein. W 1993, 189. Kritisch zu dieser Einschätzung Stellung nehmend F 2012, 99 f.

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5.1 Securitas Augusti. Der Kaiser als Garant einer ubiquitären Sicherheit

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den die kaiserzeitlichen Dichter willfährig aufgriffen. Die Rede vom Römischen Frieden brachte ein Zeitgefühl zum Ausdruck,14 mit dem sich große Teile der Bevölkerung identifizieren konnten. Dieser Erfolg des Konzepts der Pax Romana ist sicherlich auf seine enge Verbindung mit dem Gedanken der Sicherheit zurückzuführen. Schon für Augustus war securitas ein zentrales Argument der Herrschaftslegitimation.15 Mit dem Versprechen von Frieden und Sicherheit schuf der Princeps einen politischen und emotionalen Präzendenzfall, der in der gesamten Kaiserzeit stilbildend blieb.16 Die Zusammengehörigkeit von pax und securitas wird beispielsweise anschaulich in einer Doppelweihung der Stadt Praeneste rezipiert, deren Inschriften Paci August(i) sacrum und Securit(ati) Aug(usti) sacrum lauten: „Weihgeschenk für den augusteischen Frieden“ und „Weihgeschenk für die augusteische Sicherheit“.17 Auch unter den Nachfolgern des Augustus wurde die Sicherheit mit der Friedensherrschaft des jeweiligen Princeps in Zusammenhang gebracht.18 So ist es Velleius Paterculus zufolge die mit der Adoption des Tiberius im Jahr 4 n. Chr. geglückte Nachfolgeregelung des Augustus, die ein Zeitalter des Friedens und der Sicherheit einläutet.19 Seneca schreibt in seinem Traktat De clementia dem jungen Nero ins Stammbuch, daß unter einem guten Herrscher Gerechtigkeit, Frieden, Anstand, Sicherheit und Würde in Blüte stehen: iustitia, pax, pudicitia, securitas, di-

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Die Formulierung lehnt sich an K 1994, 219 an, der in den ersten Jahrzehnten des Prinzipats ein „politisch bedingte[s] Zeitgefühl der Erleichterung nach durchlebter Angst“ diagnostiziert. Ähnlich aber schon I 1952, 15 f. in bezug auf Sicherheit, die „als objektiver Zustand sowohl wie als subjektives Gefühl“ die augusteische Zeit geprägt habe. Er wendet sich freilich vehement gegen Versuche, eine entsprechende „Zeitstimmung“ für die ganze Kaiserzeit zu postulieren: Die Sicherheit wurde gerade in jenen Phasen betont, in denen ein erhöhtes Bewußtsein für Gefährdung herrschte (18–20). Dazu B 2005, 26–34. R 2018, 25 versteht securitas als die innere Vorbedingung einer Pax Romana unter Augustus. Das Wort securitas selbst kommt zuerst in Ciceros philosophischen Schriften vor und ist anscheinend erst von ihm konzipiert worden (H 2013, 51–55; R 2018, 34–38). K 1994, 229. Vgl. auch die Analyse des kaiserzeitlichen Sicherheitsdiskurses bei R 2018, 31–69. Es handelt sich um die zusammengehörenden Inschriften CIL XIV 2898 und 2899 (meine Übersetzung). Als Weihende erscheinen, in unterschiedlichen Abkürzungsvarianten, decuriones populusque coloniae Praenestinae. Abweichend von Fritz Taegers Datierung in die augusteische Zeit will K 1994, 273 die Weihungen in die Zeit Neros oder Hadrians setzen; sein Argument gegen eine frühere Datierung lautet, daß eine vergleichbare Auffassung von securitas als einer kollektiven Sicherheit ansonsten vor Velleius nirgends belegt sei. Aber selbst wenn man diese Prämisse zum Charakter von securitas akzeptieren sollte, wäre Velleius zeitlich doch immer noch sehr viel näher an Augustus als an Nero oder Hadrian: Er kann durchaus eine Vorstellung aufgreifen, die bereits 15 Jahre vor der Niederschrift seines Werks existiert hat. Auch das Dekor der beiden Altäre spricht nicht gegen eine augusteische Datierung (für die freundliche Auskunft zum archäologischen Befund habe ich Anja Klöckner zu danken). Vgl. die umfassende Darstellung (von Augustus bis Marc Aurel) bei K 1994, 218–268. Vell. II 103,4: perpetuae securitatis aeternitatisque Romani imperii, und 103,5: tum refulsit certa spes . . . omnibus hominibus salutis, quietis, pacis, tranquillitatis.

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5 Das Konzept von pax et securitas

gnitas florent.20 Tacitus greift die von Nerva geprägte Parole einer für alle geltenden Sicherheit, securitas omnium, zum Lob des Kaisers und seines Nachfolgers auf.21 Der jüngere Plinius preist das sichere und glückliche Dasein, dem er unter der trajanischen Friedensherrschaft zuversichtlich entgegenblicken kann.22 Wie er an anderer Stelle ausführt, ist der aktuelle Friedenszustand als persönliches Verdienst des Kaisers anzusehen.23 Appian bilanziert Mitte des zweiten Jahrhunderts bereits eine 200jährige Periode von dauerhaftem Frieden, Sicherheit und Glück, die er den römischen Imperatoren zuschreibt.24 Der Rhetor Fronto formuliert in einem Brief an Marc Aurel, es sei die Freundschaft des Kaisers und seines Vaters Antoninus Pius, die seinem Bruder hinreichend Frieden und Sicherheit (satis quietum et multum securum) biete.25 In der pseudo-aristidischen Rede des dritten Jahrhunderts wird der Kaiser dafür gelobt, daß er den Barbaren gegenüber keine unnötigen Risiken eingehe und auf diese Weise für Sicherheit sorge (ἀσφαλὴς εἶναι).26 Noch zur Zeit der Tetrarchie führt der anonyme Lobredner des Jahres 291 Sicherheit und Prosperität im Reich direkt auf das Wirken der Kaiser zurück.27 Schon aus diesen wenigen, exemplarisch ausgewählten Belegen geht hervor, daß es im Verständnis der Zeitgenossen die Person des Kaisers selbst ist, die Frieden und Sicherheit garantiert. Dieser Umstand wird in zahlreichen kaiserzeitlichen Münzprägungen in der Personifikation der Securitas Augusti ausgedrückt, an die sich auch die bereits erwähnte Weihung aus Praeneste richtete.28 Der Konzeption von pax et securitas zufolge sind Frieden und Sicherheit im römischen Herrschaftsbereich von ubiquitärer Geltung: Bereits Velleius schreibt, daß die Pax Augusta, die sich unter der Herrschaft des Tiberius über alle Regionen im Osten und Westen und bis an die Grenzen im Süden und Norden ausgedehnt hat, nun jeden Winkel der Welt von Angst vor Räubern oder Piraten befreit.29 Auch Seneca formuliert, daß doch überall friedlich die Waffen ruhen und im 20 21 22 23 24

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Sen. clem. I 19,8. Tac. Agr. 3,1 hat securitas publica. Zum Bezug auf die Formulierung in einem Edikt Nervas, das Plin. ep. 10,58,7 im Wortlaut überliefert, siehe den Kommentar von W 2014, 84 f. Plin. ep. 10,2,2: malui hoc potius tempore me patrem fieri, quo futurus essem et securus et felix. Plin. paneg. 5,8: ad augendam pacis tuae gratiam illum tumultum praecessisse crediderim. App. pr. 24: καὶ ἔστι καὶ τοῖσδε τοῖς αὐτοκράτορσιν ἐς τὸν παρόντα χρόνον ἐγγυτάτω διακοσίων ἐτῶν ἄλλων, ἐν οἷς ἥ τε πόλις µάλιστα κατεκοσµήθη καὶ ἡ πρόσοδος ἐπὶ πλεῖστον ηὐξήθη καὶ πάντα ἐν εἰρήνῃ µακρᾷ καὶ εὐσταθεῖ προῆλθεν εἰς εὐδαιµονίαν ἀσφαλῆ. (Text V/R 1962.) Fronto De nepote amisso 2,8. Der Brief datiert in das Jahr 165. Ps.-Aristid. Or. 35,34, vgl. auch die Bilder eines (wieder) von Ruhe und Sicherheit geprägten Erdkreises und ungefährlicher Reisewege in § 36 f. Siehe zu dieser Rede unten, 120. Paneg. Lat. XI (III), zur Interpretation der Rede in diesem Sinn siehe G 2017, 149 f. Die Rede wurde in Trier vor Diokletian und Maximian gehalten. Die Securitas Augusti wird als Personifikation seit Nero auf Münzen geprägt; siehe die Diskussion des Materials bei I 1952, 17 f. und 21–26; K 1994, 268–278. Abbildung von Beispielen bei I 1952, Taf. I und II (Nero und Gordian III.); P 1985, 225 (Vespasian). Vell. II 126,3: diffusa in orientis occidentisque tractus et quidquid meridiano aut septentrione finitur, pax augusta omnis terrarum orbis angulos a latrociniorum metu servat immunes. Erfolge in der

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5.1 Securitas Augusti. Der Kaiser als Garant einer ubiquitären Sicherheit

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gesamten Erdkreis Sicherheit herrscht.30 Mitte des zweiten Jahrhunderts erklärt Aelius Aristides in seiner Romrede, auf die noch ausführlicher zurückzukommen sein wird, daß die Erzählungen vom Krieg den Bewohnern des Römischen Reiches nur noch wie ferne Erinnerungen oder Mythen erscheinen.31 Ein Leben als Römer oder unter römischer Herrschaft ist Aristides zufolge generell gleichbedeutend mit einem Leben in Sicherheit (ἀσφ´αλεια).32 Sein Alexandrinischer Zeitgenosse Appian vergleicht das Römische Reich mit einer gut gesicherten und geschützten Festung.33 Es sei angemerkt, daß das kaiserliche Versprechen einer allumfassenden Sicherheit indes schon in claudischer Zeit als trügerisch kritisiert worden ist, und zwar von christlicher Seite. In seinem ersten Brief an die christliche Gemeinde in Thessalonike warnt Paulus seine Leser, daß all diejenigen, die sich durch die leere Parole von pax et securitas blenden lassen, am Tag der Parusie um so schmerzlicher erwachen werden. Sie wiegen sich in einer falschen Sicherheit, so Paulus. ὅταν λέγωσιν· εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια, τότε αἰφνίδιος αὐτοῖς ἐφίσταται ὄλεθρος ὥσπερ ἡ ὠδὶν τῇ ἐν γαστρὶ ἐχούσῃ, καὶ οὐ µὴ ἐκφύγωσιν.

„Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit!, dann wird unerwartetes Verderben über sie kommen wie der Wehenschmerz über eine Schwangere, und sie werden nicht entfliehen.“34 Das kaiserliche Schlagwort von Frieden und Sicherheit ist durch das einleitende ὅταν λέγωσιν deutlich als Zitat markiert; hinzu kommt, daß der Ausdruck ἀσφάλεια bei Paulus Hapaxlegomenon ist.35 Der Apostel greift die Formel polemisch auf36 und stellt auf diese Weise eine zentrale Errungenschaft des Prinzipats radikal in Frage. Seine Kritik richtet sich dabei nicht nur gegen das Imperium, sondern relativiert jeglichen weltlichen Herrschaftsanspruch.37 Damit vertritt Paulus freilich eine Außenseiterposition. Soweit ich sehe, ist sie im außerchristlichen Diskurs der Kaiserzeit nicht rezipiert und erst recht nicht vertreten worden.

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Bekämpfung von Piraterie und Räuberei wurden bekanntlich von den Kaisern entsprechend inszeniert. Sen. epist. 91,2: ubique armis quiescentibus, cum toto orbe terrarum diffusa securitas sit, Lugdunum . . . quaeritur (der Brief hat den verheerenden Brand von Lugdunum zum Anlaß). Aristid. Or. 26,70. Ebd., § 100 (ähnlich auch § 104). Zur griechischen Übersetzung von securitas als ἀσφάλεια in offiziellen kaiserlichen Verlautbarungen siehe K 1994, 262–268. App. pr. 28. 1Thess 5,3 (Text N/A28 , eigene Übersetzung). Daß ich diese in der altertumswissenschaftlichen Diskussion bislang übersehene Passage hier anführen kann, verdanke ich dem freundlichen Hinweis von Philipp Pilhofer. Befund bei  B 2001, 167, Anm. 2. Eine detaillierte Interpretation der Passage in diesem Sinn bietet  B 2001, 167–185 unter Rückgriff auf eine These von Ernst Bammel. Vgl. auch E 2004, 201. Ebd., 214.

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5 Das Konzept von pax et securitas

Um zunächst auf der Diskursebene zu bleiben, sollen nun zwei Texte diskutiert werden, in denen das »Zeitgefühl« von pax et securitas zum Ausdruck kommt. Es handelt sich zum einen um eine bislang nicht als Beitrag zum Sicherheitsdiskurs berücksichtigte Rede Dions von Prusa (Or. 36) und zum anderen um die paradigmatische Romrede des Aristides (Or. 26). Beide Texte sind in ihrer Zeit innovativ und haben doch, wie gezeigt werden soll, eine Bedeutung weit über den Einzelfall hinaus. 5.2 Kriegszustand als Anachronismus Die Borysthenes-Rede Dions von Prusa hinterfragt auf subtile Weise die Paradigmen kaiserzeitlicher Konzepte von Frieden, Stabilität und Sicherheit.38 Da die in der Rahmenhandlung dieser Rede dargestellten Verhältnisse gerade in der archäologischen, aber auch in der althistorischen Forschung teils irrigerweise für bare Münze genommen werden,39 erscheint es notwendig, weiter auszuholen, um meine eigene Interpretation zu begründen. Der berühmte Redner Dion schildert seinen Mitbürgern im bithynischen Prusa um das Jahr 100 herum40 die aktuellen Zustände in Olbia, der einst mächtigen und reichen griechischen Kolonie an der Nordküste des Schwarzen Meeres, welche er einige Jahre zuvor besucht haben will.41 Heute, so führt Dion aus, leben die Olbiopoliten am Rande der zivilisierten Welt, mitten unter nomadischen Barbarenvölkern und permanent in kriegerische Auseinandersetzungen mit diesen verwickelt (Or. 36,4). Die Stadt ist laut Dion seit ihrer Zerstörung durch die Geten 150 Jahre zuvor nie wieder richtig aufgebaut worden und befindet sich in deplorabler Verfassung. Geschützt wird sie von einem Teil des alten Mauerrings, der durch eine niedrige und schwache Mauer verkleinert wurde, da die Stadt auf einen kleinen Teil ihres ursprünglichen Areals geschrumpft ist (§§ 4–6). Der Import von Fernhandelsware beschränkt sich auf minderwertige Kleidung und schlechten Wein (24). Die Schilderung dieser unzumutbaren Zustände in Olbia dient dazu, Dions Konzept einer »guten Stadt«42 umso glanzvoller zur Geltung zu bringen.43 Dabei 38 39 40

41

42 43

Dion Chrys. Or. 36 (Textzitate im folgenden nach der Edition N .. 2003). Siehe im einzelnen den Überblick bei B 2003a, 113–121. Die Rede wurde im Jahr 100 oder 101 gehalten, vielleicht auch etwas früher (die Forschungsdiskussion zur Datierungsfrage referiert N 2003, 12–15). In der neuen Textausgabe der Collection Budé wird die Rede in die Jahre 100 bis 105 datiert (B-P 2011, 107). Dions Aufenthalt am Schwarzen Meer während seiner Verbannung unter Domitian ist wohl in den Sommer des Jahres 96 zu setzen (N 2003). Zu seinem Besuch in Olbia siehe zuletzt B-P 2011, 107–113. Je länger ich mich mit der Rede befasse, desto mehr bin ich jedoch geneigt, die Historizität eines Aufenthalts in Olbia in Frage zu stellen (was aber für die folgende Argumentation unerheblich ist). Dazu F 2003, 139–153. Wie weit ihre eigenen Lebensverhältnisse von Dions Ideal entfernt sind, wird auch den Olbiopoliten als den internen Adressaten seiner philosophischen Ausführungen deutlich, und es ist

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5.2 Kriegszustand als Anachronismus

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macht der Text meines Erachtens ganz deutlich, daß es sich um den Entwurf einer bizarren Gegenwelt zum Alltag seiner Zuhörer in Prusa handelt. So tragen die Bewohner der Stadt Olbia die skythische Tracht und pflegen homosexuelle Beziehungen »ungriechischer« Art zu den Barbaren (8). Überhaupt sind sie nicht einmal mehr in der Lage, richtiges Griechisch zu sprechen (9.26). Dennoch verehren sie Homer: Fast alle können sie die Ilias auswendig, und sie wollen über gar nichts anderes sprechen hören als über die homerischen Epen (9).44 Mit moderner Philosophie und Redekunst dagegen können sie nichts anfangen, wobei es einige wenige unter ihnen gibt, die immerhin noch Platon lesen (26). Sie alle tragen ihre Haare lang wie die homerischen Achaier und haben überdies wallende Bärte. Nur ein einziger Außenseiter unter ihnen beharrt zum allgemeinen Spott und Unverständnis darauf, sich zu rasieren (17). (Für jeden zivilisierten Zuhörer war der Rasierte „also offenbar der einzige vernünftig aussehende Mann in einer Horde recht verwegen wirkender Gestalten“.45 ) Kallistratos, Dions gebildeter Gesprächspartner in Olbia, könnte einem platonischen Dialog entsprungen sein;46 er ist ein schöner junger Mann von ionischem Aussehen und eleganter Haltung, der viele Liebhaber hat. Allein, er tritt in voller skythischer Montur auf: zu Pferd, mit einem großen Schwert bewaffnet und mit Hosen bekleidet (7 f.). Ich habe nicht den Eindruck, daß hier lediglich „etwas übertrieben worden“ ist.47 Die von Dion geschilderten Homerfreaks haben mit den tatsächlichen Bewohnern der kaiserzeitlichen Stadt Olbia ganz offensichtlich herzlich wenig gemein. Zieht man den archäologischen, epigraphischen, onomastischen und numismatischen Befund in Olbia heran, so unterscheidet er sich in nichts von dem, was man in einer römischen Stadt im Osten des Reichs in dieser Zeit erwarten würde.48 Wenig überzeugend ist das von Paul Veyne in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, die – gänzlich unauffällige – Sprache der Inschriften, die in Olbia gefunden wurden, sei nicht zwangsläufig mit der gesprochenen Sprache identisch.49 Es erscheint nicht sehr plausibel, daß sich die Bewohner von Olbia zwar schriftlich

44

45 46 47

48 49

nur konsequent, daß sie sich weigern, Dions Darlegungen weiter anzuhören (§§ 24–27, vgl. F 2003, 145). Wenig instruktiv im Hinblick auf die Homerbezüge von Or. 36 ist die Untersuchung K 1973 über „Homer in der Zweiten Sophistik“, die sich zwar auf mehr als 50 Seiten der Homerlektüre und dem Homerbild bei Dion widmet, seine Reden aber auf mechanische Weise auseinanderpflückt, ohne irgendeinen Textzusammenhang zu berücksichtigen (etwa in der Passage ebd., 124–128). B 2003a, 122. Vgl. den Kommentar zur Stelle bei R 1992, 216. Gegen B 2003a, 123 (dort das Zitat) und J 1978, 63 („his picture of the inhabitants seems to exaggerate“). Der Nachweis, daß die historischen Olbiopoliten wohl kaum so römerfeindlich gewesen sein können, wie es in der Ablehnung des rasierten Mitbürgers zum Ausdruck kommt (B 2003a, 122 f.), ist ebenso überflüssig wie die Frage, „wie rep[r]äsentativ die archaisch gekleideten Homer-Liebhaber für die Olbiopoliten des 1. Jh.s n. Chr. noch sind“ (123). Desungeachtet ist Bäblers Gesamturteil zuzustimmen (127). Belege bei J 1978, 63, B 2003a, 122 f. und B 2003b. V 1999, 538, Anm. 132.

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5 Das Konzept von pax et securitas

in einwandfreiem κοινή-Griechisch auszudrücken wußten, mündlich jedoch nur radebrechend und in Archaismen kommuniziert hätten. Wenn Dion die Schwarzmeerküste bereist und möglicherweise Olbia selbst besucht hat,50 kann seine Darstellung weder seinem Unwissen noch einem Hang zu gelegentlichen Übertreibungen geschuldet sein, sondern muß vielmehr als eine Stilisierung betrachtet werden, die bewußt von den empirischen Gegebenheiten abweicht. Dion evoziert eine fremde Welt, die erkennbar von der ethnographischen Tradition der Beschreibung merkwürdiger Völker am Rande der Oikumene geprägt ist.51 Seine Darstellung bezieht ihren besonderen Charme aus dem Spiel mit den Konventionen dieser Gattung, indem das Paradigma der Fremdheit gezielt unterlaufen wird. Wenn die Bewohner von Olbia barbarische Bräuche pflegen, sich auf Griechisch kaum verständigen können und ihre Rezeption griechischer Diskurse mit Homer oder spätestens Platon endet, was nicht zuletzt in ihrer rettungslos anachronistischen Haartracht augenfällig wird, dann liegt ein besonderer Witz darin, daß sie eben nicht irgendeinem exotischen Volksstamm angehören, sondern ihrer Herkunft und ihrem Selbstverständnis nach Griechen sind. In ihrer archaischen Tugendhaftigkeit und ihrer Begeisterung für intellektuelle Herausforderungen können sie den griechisch-römischen Rezipienten der Rede gar als Vorbild dienen.52 Unter diesen Vorzeichen läßt sich der Text als eine scharfe Kritik an denjenigen Zeitgenossen lesen, die die philosophische Weltsicht des Sophisten nicht teilen. Die Beschreibung des Alltags in Olbia oszilliert damit zwischen (scheinbarer) Realitätsnähe und dem Entwurf einer faszinierenden Gegenwelt.53 Diese Rahmenhandlung ist zweifellos dazu angetan, Dions Zuhörer in Prusa in Bann zu schlagen und sie neugierig zu machen auf den eigentlichen Kern seiner Ausführungen.54 Vor dem Hintergrund einer solchen Gesamtkonzeption ist es dringend geboten, die Schilderung der täglichen Angriffe durch Skythen und Sarmaten nicht als dokumentarische Berichterstattung zu lesen. Irrig ist etwa der Ansatz von Cédric Brélaz, der glaubt, Dions Ausführungen ganz wörtlich nehmen zu können. So schreibt er unter Verweis auf Or. 36: „Dans les cités situées dans des régions frontières et soumises aux incursions des Barbares, comme à Tomis ou à Olbia, les remparts sont souvent mis à l’épreuve: 50 51 52 53 54

Siehe dazu oben, Anm. 41. Konkret finden sich insbesondere Bezüge auf Darstellungen der Skythen, und hier insbesondere auf diejenige Herodots (dazu B 2003a, 123–127). Zum Vorbildcharakter der Olbiopoliten vgl. J 1978, 61 und S 2000, 85 f. Vgl. J 1978, 62: „In his description [. . . ] Dio combines exact observation with romantic fantasy.“ Zum philosophischen Gehalt von Or. 36 siehe B-P 2011, 115–137 sowie F 2003, dessen Analyse zufolge Dion hier als „stoisierender Platoniker“ eine „essentiell platonische (in die Zeit des römischen Kaisertums passende und der anderwärts dokumentierten Auffassung Dions entsprechende) politische Botschaft“ vermitteln will (139). Zur politischen Zielsetzung Dions siehe ebd., 153–156, und ferner R 1992, 22 f.

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5.2 Kriegszustand als Anachronismus

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lors d’une attaque, les portes sont fermées, un signal de guerre est hissé sur les murs et les citoyens se précipitent aux armes.“55 Dabei ist Dions Darstellung gerade in bezug auf die kriegerischen Handlungen an Absurdität kaum zu überbieten: Die Stadt befindet sich im Verteidigungszustand, ihre Tore sind geschlossen, und auf der Mauer hängt das von Brélaz erwähnte Alarmsignal, das die Kriegssituation anzeigt (καὶ αἵ τε πύλαι συγκέκλειντο καὶ τὸ σηµεῖον ἦρτο ἐπὶ τοῦ τείχους τὸ πολεµικόν, 16). Erst am Vortag haben die wilden skythischen Reiter einen Überraschungsangriff lanciert, die olbischen Vorposten überrannt und etliche Mitbürger getötet oder verschleppt (15). Alle erwachsenen Männer stehen unter Waffen (16). In dieser brisanten Situation, die den Zuhörern Dions in der beschaulichen Provinz Bithynia höchst beängstigend erscheinen mußte, richtet sich das Interesse der Olbiopoliten nun nicht etwa auf die Verteidigung ihrer Vaterstadt. Ganz im Gegenteil, der tägliche Kampf mit ihren nomadisierenden „Nachbarn“ (γείτονες) erscheint ihnen mittlerweile nur noch als eine gewohnheitsmäßige sportliche Übung (δέῃ προσγυµνάζεσθαι αὐτοῖς, 27). Ihr Engagement gilt höheren Dingen. Voller Neugier und Leidenschaft sind sie auf nichts anderes bedacht als darauf, mit dem fremden Sophisten über Homer zu sprechen (16.26). Jener befindet sich nun seinerseits nicht etwa im sicheren Schutz der Mauern, sondern er promeniert seiner täglichen Gewohnheit entsprechend in aller Seelenruhe vor den geschlossenen Stadttoren am Ufer des Hypanis auf und ab (1.7). Man mag das als topischen Ausweis der stoischen Gelassenheit des Protagonisten lesen, aber es widerspricht jedenfalls allem, was man sinnvollerweise tatsächlich in einer prekären militärischen Verteidigungssituation erwarten könnte. So konstatiert Dion selbst an anderer Stelle, daß den Bürgern einer Stadt in Kriegszeiten nichts anderes übrig bleibt, als sich voller Angst und Verzweiflung hinter den Toren zu verschanzen (καὶ συγκλειόµεθα ἔσω πυλῶν καὶ δεδοίκαµεν πάντα καὶ ἀπελπίζοµεν ἑαυτούς).56 Die waffentragenden Bürger von Olbia aber lassen Alarm Alarm sein und strömen in ihrer Neugier und Wißbegierde vor die Mauern, um an Dions philosophischen Dialogen teilzuhaben (15 f.). Der Text ist unter der Voraussetzung zu lesen, daß ein Leben in permanenter Bedrohung und Kriegsgefahr für die meisten Bewohner der römischen Provinzen nicht der empirische Normalzustand war.57 Das Bild der prekären Situation im fernen Olbia funktionierte für die Erstrezipienten der Rede im kaiserzeitlichen Bithynien als Gegenentwurf zu dem, was man als Reisender im Römischen Reich 55 56 57

B 2008, 179, fast wörtlich übereinstimmend 187 f. Ähnlich die Lesart bei S 2000, 85. Dion. Chrys. Or. 38,19. Dies gilt auch, wenn man berücksichtigt, daß Konflikte mit Gewaltpotential natürlich in der Kaiserzeit weiterhin vorkamen. Anna Heller hat herausgearbeitet, daß Gewaltakte durch die Statthalter der Provinzen Kleinasiens in Dions Reden ebenso thematisiert werden wie Übergriffe durch besonders mächtige Poleis wie das kilikische Tarsos, das mit der Nachbarstadt Mallos notorisch im Grenzstreit lag (H 1999).

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5 Das Konzept von pax et securitas

unter Trajan in jeder zivilisierten Stadt erwarten durfte: unbewaffnete Bürger, unbemannte Mauern und offene Tore. Implizit wird damit bei den Rezipienten der Rede ein Bewußtsein dafür hergestellt, daß sie selbst in einer privilegierten Situation leben, wenn sie Frieden und Sicherheit als Selbstverständlichkeit betrachten können. In dieser Lesart bietet Dions Or. 36 eine komplementäre Ansicht zu der Charakterisierung des Imperium Romanum, die Aelius Aristides etwa vierzig Jahre später in seiner Rede auf Rom entwirft. 5.3 Nicht das geschlossene, sondern das offene Tor steht für Sicherheit Seine berühmte Rede auf Rom hat Aristides im Jahr 143/144 vor Antoninus Pius und seinem Hof gehalten.58 Es lohnt sich, diese Rede aufzugreifen, da sie eine überzeugende Deutung der zeitgenössischen Lebenszusammenhänge bietet, welche bis in die moderne Forschung hinein wirkmächtig geblieben ist. Aristides zeichnet in seinen Ausführungen das Bild eines durch Frieden,59 Sicherheit,60 Freiheit61 und Überfluß62 geprägten Weltreichs. Der Reisende, der innerhalb dieses Reichs unterwegs ist, hat weder Grenzen noch Kontrollen oder sonstige Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit zu gewärtigen. Ja, die Rede läßt sich aus heutiger Perspektive geradezu als Vision eines geeinten Europa lesen: Alle Menschen haben die gleiche Freiheit,63 der Geringe und der Mächtige, der Arme und der Reiche, der Einfache und der Ausgezeichnete.64 Jedem stehen alle Wege offen.65 Ohne Grenzen und Kontrollen reist man, einer fantastisch gut ausgebauten Infrastruktur sei dank,66 in atemberaubender Geschwindigkeit67 über 58

59

60 61 62 63 64

65 66

67

Eine gute historische Einführung in die Schrift bietet K 1981, 111–172, zur Datierung ebd., VII. In einigen Kommentaren wie B 1981, 373 wird die Rede abweichend in die Zeit von Aristides’ zweitem Aufenthalt in Rom gesetzt, in das Jahr 155 n. Chr. Aristid. Or. 26,67: Die Städte bedürfen keiner militärischen Besatzung, einzelne Kohorten und Reiterabteilungen genügen zur Sicherung ganzer Provinzen. Vgl. auch § 66 mit Verweis auf die ἁρµονία der römischen Staatsordnung. §§ 100.104. § 36, zur Freiheit der griechischen Reichsbewohner § 96. §§ 11–13. §§ 30.36–38. § 39. Freilich hebt er in §§ 59 und 63 darauf ab, daß es zwei Gruppen von Einwohnern gibt, nämlich römische Bürger einerseits und Beherrschte oder Nichtrömer andererseits. Zum Erwerb des Bürgerrechts durch Soldaten §§ 75–78. § 60: πρ´οκειται δ’ ἐν µ´εσῳ πᾶσι π´αντα. Vgl. auch § 102: παρασχόντες ἐξουσίαν αὐτόπτας πάντων τοὺς θέλοντας γίγνεσθαι. In § 101 werden als Errungenschaften der römischen Herrschaft Brücken, Tunnels, Fahrwege und stationes aufgeführt. Vgl. ähnlich schon Plin. paneg. 29,2, der die unter Trajan erschlossenen Straßen und geöffneten Häfen lobt. Selbst ein Pausanias, den die Erfolge seiner eigenen Zeit sonst wenig interessieren, kann nicht umhin, eine von Hadrian für den beidseitigen Fuhrverkehr ausgebaute Straße lobend zu erwähnen (Paus. I 44,6). § 93: Bisweilen passiert der Reisende zwei oder gar drei Städte am Tag, so wie man sonst die Straßen einer einzigen Stadt durcheilt.

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5.3 Nicht das geschlossene, sondern das offene Tor steht für Sicherheit

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einst unwegsame Gebirge und über gewaltige Flüsse hinweg.68 Selbst die wilden Bergvölker und Bewohner entlegener Inseln sind friedlich geworden und stellen keine Gefahr mehr dar.69 Mit Leichtigkeit gelangt man wie Aristides selbst von Kleinasien bis ins Herz Europas, nach Rom.70 Stadtmauern sind Aristides zufolge ein Anachronismus in einer Zeit, in der das Reich als Ganzes an seinen Grenzen gesichert ist. Die Stadt Rom braucht keine Mauern, denn das Reich insgesamt ist durch den Limes geschützt und darüber hinaus durch vorgelagerte Fortifikationsanlagen und Siedlungen, die die gesamte bewohnte Welt von Britannien bis zum Euphrat und von Äthiopien bis zum Kaukasus umschließen.71 (Mit Verweis auf einen solchen doppelten Sicherheitsring bezieht sich Aristides auf die weitere Ausdehnung des Reichsgebiets und Verschiebung der Grenzen in Obergermanien und in Britannien unter Antoninus Pius.72 ) Diese doppelten Befestigungslinien sind nun laut Aristides absolut dichtgefügt, uneinnehmbar und unzerstörbar; sie werden lückenlos bewacht durch Soldaten, die an homerische Helden gemahnen.73 Die Römer beschützen somit nicht nur Rom, sondern die gesamte Oikoumene.74 In dieser Perspektive wird die Welt zu einer einzigen Stadt, ja zu einem einzigen Haus: καὶ συντάξαντες ὥσπερ ἕνα οἶκον ἅπασαν τὴν οἰκουµένην.75 Charakteristisch für ein Leben in Sicherheit ist nun gerade die offene Stadt. Rom als Hauptstadt des Imperium ist Aristides zufolge deshalb nicht mit Mauern umgeben, weil die Römer es nicht nötig haben, sich unrühmlich hinter solchen zu verbergen oder vor ihren Untertanen in Sicherheit zu bringen. Sie haben sich dafür entschieden, die Mauern um ihr ganzes Reich herum zu errichten statt um ihre Stadt: τειχῶν γε µὴν οὐκ ἠµελήσατε, ταῦτα δὲ τῇ ἀρχῇ περιεβάλετε, οὐ τῇ πόλει.76 Diese Sichtweise verrät einen innovativen Perspektivwechsel. Nach traditioneller Auffassung sind es ja gerade die Mauern und Tore, die einer Stadt und ihren Einwohnern Sicherheit garantieren. Dies war angesichts der städtebaulichen Entwicklung von Rom und vielen anderen Orten zwar schon lange ein Anachronismus, wurde aber im Prinzipat – mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit – noch im68 69 70 71 72

73 74 75 76

§ 100. § 30. Dabei war Aristides auf seiner Reise sogar sehr krank (B 1996, Sp. 1096). Aristid. Or. 26,79–82. K 1981, 151 f. Der Autor positioniert sich damit innerhalb einer kontroversen zeitgenössischen Debatte um die römische Expansionspolitik, welche mit dem Bau der hadrianischen limites faktisch aufgegeben worden war. Antoninus Pius folgte dieser Politik seines Vorgängers weitgehend (zu diesem historischen Kontext umfassend K 1981, 136–160). Aristid. Or. 26,83 f. § 85: τὴν οἰκουµένην οὕτως σῴζετε, vgl. schon § 84: ὁ τῆς πάσης ἔφορος γῆς. Zur Identifizierung von orbis terrarum und orbis Romanus in Or. 26 siehe K 1981, 152 und 154. § 102: „Und ihr habt die ganze bewohnte Welt wie ein einziges Hauswesen organisiert“ (eigene Übersetzung). § 80: „Freilich, ihr habt die Mauern nicht vernachlässigt, aber ihr habt sie um euer Reich herumgeführt, nicht um eure Stadt.“ (Text und Übersetzung K 1983; bei πόλει ist der versehentlich fehlende Akzent ergänzt.)

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5 Das Konzept von pax et securitas

mer genau so formuliert.77 Aristides setzt dem überzeugend eine eigene Ansicht entgegen: Die Sicherheit, die der Kaiser jedem Einwohner des Reichs garantiert, ist von einer munizipalen Verteidigungsarchitektur gänzlich unabhängig. Es braucht keine wehrhaften Türme und Stadtmauern mehr, wenn doch auch außerhalb der Städte nichts zu finden ist, von dem eine Gefahr ausgehen könnte. Dieser Auffassung folgend ist das offene Tor ein Sinnbild des Friedens und der Sicherheit. Da mag es für sich sprechen, daß in der Welt der römischen Friedensherrschaft alle Tore offen stehen, wie Aristides es an den Kaiser Antoninus Pius gerichtet formuliert: „Sämtliche Tore des Erdkreises wurden von Euch aufgestoßen“ (ἀναπετάσαντες ἁπάσας τῆς οἰκουµένης τὰς πύλας).78 In der Stadt Smyrna zum Beispiel werden wir mit Aristides im Kontext einer anderen Rede an weit offenstehenden, girlandengeschmückten Toren von singenden Nymphen und Musen empfangen: ἦρος δὲ πύλαι καὶ θέρους ὑπὸ στεφάνων ἀνοίγνυνται, χοροὶ δὲ Νυµφῶν καὶ Μουσῶν ἐν αὐτῇ τε καὶ περὶ αὐτὴν χορεύουσιν.

„Im Frühling und Sommer stehen die Stadttore unter Kränzen geöffnet, und Chöre der Nymphen und Musen tanzen in der Stadt und um sie herum.“79 Wer mit Aristides unter dieser Prämisse durch die Provinzen des Imperium Romanum reist, wird in jeder Stadt als erstes die offenstehenden Tore am Stadteingang sehen, ein vertrautes Zeichen der römischen Zivilisation und des römischen Friedens. Gerade die unverschließbaren Bogenmonumente am Eingang kaiserzeitlicher Städte können damit als Inbegriff der securitas Augusti gelten. Eine solche Betrachtungsweise steht im Gegensatz zu dem, was im Alten Orient und im vorrömischen Griechenland, in der römischen Republik und der Spätantike, aber auch im europäischen Mittelalter und der Frühneuzeit über lange Zeiträume galt: daß Sicherheit und Leben der Stadtbewohner an der Funktionsfähigkeit städtischer Verteidigungsanlagen hingen.80 Für einen Einwohner der eisenzeitlichen Stadt Megiddo oder für die Bürger von Nürnberg im 16. Jahrhundert bedeutete es Sicherheit, daß sich die Stadttore verschließen ließen und schlagkräftig bemannt 77

78 79

80

So etwa Sen. benef. VI 15,8: murus nos ab hostibus tutos et a subitis latronum incursionibus praestat. „Eine Stadtmauer schützt uns vor allen Feinden und vor plötzlichen Räuberüberfällen.“ (Eigene Übersetzung.) In bezug auf Stadttore siehe die unten in Anm. 301 auf S. 175 gebotenen Belege. Aristid. Or. 26,102 (Text und Übersetzung K 1983). Aristid. Or. 20,21 (Text K 1958, eigene Übersetzung). Es handelt sich hier um einen Abschnitt aus einer im Jahr 178 gehaltenen Rede, in der Aristides die Stadt Smyrna preist, die nach schweren Erdbeben wieder aufgebaut worden war. Mit dieser Aussage sollen die gewaltigen Unterschiede zwischen den genannten Epochen nicht nivelliert werden. So bildeten Land und Umland im klassischen Griechenland eine Einheit, und die Tore wurden nur im Kriegsfall bewacht, während im Mittelalter eine scharfe rechtliche und administrative Unterscheidung zwischen Stadt und Land zu finden ist, die sich unter anderem in einer ständigen Bemannung der Stadttore ausdrückte (siehe den Vergleich bei H/N 2004, 137 und H 2006, 104).

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5.4 Persönliche Reisefreiheit

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waren. Mit dem Sinnbild des weit offenstehenden Tors oder des von vornherein türlosen Bogens läßt sich demgegenüber eine Errungenschaft des Prinzipats fassen, die als ein historischer Ausnahmezustand anzusprechen ist. Insbesondere die eigene Tradition, die Geschichte der Republik, diente hier bereits den zeitgenössischen Autoren als Kontrastfolie. In augusteischer Zeit war dem römischen Publikum zum Beispiel noch sehr bewußt, daß offen stehende Tore eine exzeptionelle Gewißheit voraussetzten, in Sicherheit zu sein. So sind bei Horaz die unverschlossenen Tore Karthagos (portas . . . non clausas) mitten im Ersten Punischen Krieg als eine explizite Provokation gegenüber Rom zu verstehen: Die Punier lassen ihre Stadttore weit offen stehen, gerade so, als ob von den Römern nichts zu fürchten sei.81 Nun wird im anschließenden Kapitel zu sehen sein, daß es auch in der Kaiserzeit durchaus ein Bedürfnis gab, mittels Bau- und Kontrollmaßnahmen auf munizipaler Ebene Sicherheit herzustellen. Die innere Stabilität des Römischen Reiches über eine lange Zeit bleibt dennoch ein Fakt. So formuliert Greg Woolf: „War, we are told, was ubiquitous in the ancient world. Among the rare exceptions to this rule were the interior provinces of the Roman empire in the first three centuries .“82 Diese Errungenschaft ist insbesondere im Hinblick auf die Befriedung von extrem schwer zu kontrollierenden Gebieten innerhalb des Reichs zu würdigen, wobei sich beispielsweise an das anatolische Taurosgebirge denken läßt.83 Auch wenn es zweifellos der Logik von Literaturproduktion in autoritären Herrschaftssystemen entspricht, die Gegenwart zu loben und Erfahrungen von Bedrohung und Gewalt als eine überwundene Vergangenheit darzustellen, so durften sich die Bewohner des Imperium Romanum im Vergleich zu anderen antiken Gesellschaften mit Fug und Recht sagen, daß sie in einer sicheren Welt lebten. 5.4 Persönliche Reisefreiheit: Eine Herausforderung für die öffentliche Ordnung? Der untersuchte Diskurs wirft die Frage auf, wie es im Römischen Reich unter diesen Umständen um die Reisefreiheit des einzelnen bestellt war, beziehungsweise wie sich die Idee einer solchen Reisefreiheit mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Einklang bringen ließ. Dazu im folgenden einige Gedanken. Die Meinung des Aristides haben wir bereits kennengelernt. Ihm zufolge mochte im Prinzipat ein jeder reisen, wohin es ihn zog, unbeschwert, ungefährdet und ohne jemals kontrolliert zu werden.84 Diese Auffassung deckt sich mit einer Erwähnung 81 82 83 84

Hor. carm. III 5,23. W 1993, 171. Den Prozeß der Befriedung der Taurosregion durch die Römer zeichnet M 1993, 70–79 minutiös nach. Aristid. Or. 26,60.93.100–102, siehe dazu im einzelnen oben.

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5 Das Konzept von pax et securitas

bei Dion von Prusa, der angibt, über Jahre hinweg vollkommen ungehindert gereist zu sein, wie es ihm gerade beliebte. In der Zeit seines Exils, so erwähnt Dion in einer Rede, habe er so viele Länder wie möglich bereist, sowohl griechische als auch barbarische.85 Interessant ist hier, daß er diese Reisen in der Erscheinung und Kleidung eines Landstreichers oder Bettlers (ἐν ἀγύρτου σχήµατι καὶ στολῇ) unternommen haben will, das heißt also, unter Verzicht auf alle Privilegien, von denen ein begüterter Bürger auf Reisen sonst profitierte. Dies impliziert so etwas wie eine allgemeine Reisefreiheit, die nicht an Status oder Besitz gebunden wäre – und es lassen sich historische Beispiele dafür finden, daß eine solche Bewegungsfreiheit von nichtprivilegierten Personengruppen im Imperium Romanum wirklich eingefordert worden ist.86 Noch in der Mitte des dritten Jahrhunderts zeichnet der anonyme Verfasser der pseudo-aristidischen Lobrede auf den Kaiser87 ein Bild völlig ungehinderter Mobilität, die nicht an Status oder Vermögen gebunden ist: οὐ πᾶσα µὲν ἄδεια πᾶσιν ὅποι βούλεταί τις, πάντες δὲ [οἱ] πανταχοῦ λιµένες ἐνεργοί; οὐ τὰ µὲν ὄρη τὴν αὐτὴν ἔχει τοῖς ὁδεύουσιν ἥνπερ αἱ πόλεις τοῖς οἰκοῦσιν αὐτὰς ἀσφάλειαν, χάρις δὲ πάντα ἐπέχει πεδία, πᾶς δὲ διὰ πάντων λέλυται φόβος; ποῖοι µὲν γὰρ πόροι ποταµῶν κεκώλυνται διελθεῖν; τίνες δὲ θαλάττης ἀποκέκλεινται πορθµοί;

„Erlaubt es nicht jegliche Sicherheit allen, zu gehen, wohin einer nur will? Sind nicht alle Häfen allüberall in Aktion? Bieten nicht die Gebirge den Reisenden dieselbe Sicherheit, welche die Städte ihren Bewohnern gewähren? Liegt nicht ein Zauber über allen Ebenen, ist nicht auf allen alle Furcht verschwunden? Welche Flußfurten ist man gehindert zu queren, welche Möglichkeiten zum Überqueren des Meeres mit einer Fähre sind verschlossen?“88 Alle Einwohner des Römischen Reichs können demnach unbesorgt reisen, wohin sie wollen, mitten im Gebirge sind sie ebenso sicher wie hinter den Mauern ihrer Heimatstadt. Statt φόβος liegt χάρις über dem Land, Flüsse und Meer eröffnen unbegrenzte Reisemöglichkeiten . . . Die Vorstellung, daß ein Recht auf freie Mobilität ebenso wie die Möglichkeit ihrer tatsächlichen Nutzung existieren, ist hier klar zu greifen. 85

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88

Dion Chrys. Or. 1,50: ὡς γὰρ ἔτυχον ἐν τῇ φυγῇ ποτε ἀλώµενος . . . ἐπῄειν δ᾽ οὖν ὡς ἐδυνάµην πλείστην γῆν ἐν ἀγύρτου σχήµατι καὶ στολῇ, τοῦτο µὲν παρ᾽ ῞Ελληνας, τοῦτο δὲ παρὰ βαρβάρους. So in einem noch näher zu besprechenden Fall von Hirten, deren Patrone für sie in Saepinum den ungehinderten Durchzug auf ihre Sommerweiden erwirkten: CIL IX 2438, siehe dazu unten, 172 f. Zur Interpretation der Inschrift in bezug auf Reisefreiheit vgl. C 1983, 129, mit einem weiteren epigraphischen Beleg in einem möglicherweise ähnlich gelagerten Fall. Die Rede war höchstwahrscheinlich an Philippus Arabs gerichtet und datiert damit in die Jahre 244 bis 247 (zu Datierung und historischem Kontext siehe P 1997, 171–183). Keil hat die Rede in seiner Aristides-Ausgabe als Nr. XXXV unter dem Titel Anonymi Εἰς βασιλέα ediert. Ps.-Aristid. Or. 35,37 (Text K 1958, Übersetzung Peter Pilhofer).

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5.4 Persönliche Reisefreiheit

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Wie verhielt sich aber nun das Ideal einer ungehinderten Mobilität zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung? In den aktuell geführten Debatten werden Fragen von Migration nach Europa und persönlicher Mobilität innerhalb der EU in erster Linie als ein ordnungs- und sicherheitspolitisches Problem verhandelt, so daß sich diese Assoziationen für mich unwillkürlich auch im Blick auf die Antike einstellen. Mein Eindruck ist jedoch, daß unkontrollierte Mobilität im Römischen Kaiserreich gar nicht oder zumindest nicht generell als ein Problem für die allgemeine Sicherheit aufgefaßt wurde. Im Gegenteil konnten persönliche Bewegungsfreiheit und allgemeine Sicherheit als zwei Seiten einer Medaille betrachtet werden, als zwei Errungenschaften der Pax Romana. Gerade weil im Imperium ein vergleichsweise hoher Sicherheitsstandard erreicht war, wurden Fernreisen ja seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. so attraktiv.89 Erst in der Spätantike entstand angesichts größerer Migrationsbewegungen von außerhalb des Reiches ein Problembewußtsein in dem Sinn, daß eine unregulierte Mobilität von Personen die öffentliche Sicherheit bedrohen könnte.90 Hinzu kamen kriegsbedingte Probleme mit der Infrastruktur. Der anonyme Sprecher des Panegyricus von 311/312 kennt daher, anders als Aristides und Dion, auch zwei unterschiedliche, ja einander entgegengesetzte Szenarien der Mobilität im Römischen Reich. Auf der einen Seite stehen die befriedeten Gebiete, auf der anderen seine eigene Heimatregion, die gallische Belgica. Der Lobredner führt aus: Während unter normalen Umständen das Umland der Städte bewirtschaftet sei, offen zugänglich und die Straßen mühelos begehbar, während die Flüsse Schiffe führten und ihre Wellen friedlich die Tore der Städte umspülten, so sei dagegen die Belgica verödet und unbebaut, wüst, stumm und finster, und selbst die Militärstraßen seien so holprig, steil und abschüssig, daß auch mit leeren Wagen kaum durchzukommen sei.91 Der Dichter Rutilius Namatianus kann sich gut hundert Jahre später gar nicht mehr vorstellen, auf dem Landweg von Rom in seine verheerte gallische Heimat zu reisen. Ein positives Szenario ungehinderter Mobilität ist in seinem Gedicht De reditu suo überhaupt nicht mehr mitbedacht. Im Gegenteil heißt es, auf dem Weg durch Norditalien seien die Landstraßen von Flüssen überschwemmt und 89 90 91

Siehe dazu Z 2017, 919–923 (mit Literatur). Dazu im einzelnen unten, 159–161. Paneg. Lat. V (VIII) 7,2: vidisti enim non, ut per agros aliarum urbium, omnia fere culta aperta florentia, vias faciles, navigera flumina ipsas oppidorum portas adluentia, sed statim ab eo flexu, e quo retrorsum via ducit in Belgicam, vasta omnia, inculta squalentia muta tenebrosa, etiam militaris vias ita confragosas et alternis montibus arduas atque praecipites, ut vix semiplena carpenta, interdum vacua transmittant. „Du hast nämlich nicht, wie bei dem zugehörigen Land anderer Städte, fast alle Teile kultiviert, offen zugänglich und in Blüte gesehen, die Wege mühelos begehbar, die Flüsse schiffetragend und die Tore der Städte unmittelbar mit ihren Wellen bespülend: sondern du hast sogleich von der Biegung an, von der aus rückwärts gewendet der Weg in die Belgica führt, alles verödet und unbebaut liegen sehen, starrend in Wüstnis, Stummheit und Finsternis, sogar die Heeresstraßen derartig holprig und im wechselnden Auf und Ab der Berge so steil und abschüssig, dass sie halbbeladene, zuweilen sogar leere Wagen nur mit Mühe passieren lassen.“ (Text und Übersetzung M-R 2008, 168 f.) Angesprochen ist der Kaiser Konstantin.

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5 Das Konzept von pax et securitas

mit Geröll bedeckt. Etrurien und die Via Aurelia seien durch die Goten zerstört, in den Wäldern seien keine Herbergen mehr anzutreffen, und die Flüsse, die den Weg querten, seien nicht mehr von Brücken überspannt.92 So wählt der Sprecher lieber die – ebenfalls beschwerliche und gefahrvolle – Reise zu Schiff. Seine Verse verkehren die topischen Lobpreisungen des römischen Imperium und seiner Errungenschaften bei Aristides und anderen in ihr genaues Gegenteil. Die triste Gegenwart des Sprechers ist nur mehr ein Zerrbild der Verhältnisse, wie sie überall im Reich herrschen sollten.93 Das sind nun in der Tat andere Mobilitätsbedingungen, als die Autoren der Kaiserzeit sie uns schildern. Dennoch erscheint es alles in allem vorschnell, für das erste bis dritte Jahrhundert eine Reisefreiheit im modernen Sinn des Wortes zu unterstellen.94 Zum einen wurde natürlich den Sklaven und anderen abhängigen Bevölkerungsgruppen kein eigenes Recht zur Bestimmung ihres Aufenthalts eingeräumt, und zum anderen gab es Regeln und Kontrollen beim Passieren von Provinzgrenzen und an Stadteingängen, denen sich Reisende sehr wohl zu unterwerfen hatten. Auch dabei wurde nach Status der jeweiligen Person differenziert. Im Kapitel 6 wird im Zusammenhang mit den Personenkontrollen darauf zurückzukommen sein.95 Die Ausführungen der folgenden zwei Kapitel sollen nun nicht den Nachweis erbringen, daß Aristides unrecht hatte. Mein Ziel ist vielmehr, das zusammenzutragen, was er in seinen Ausführungen ebensowenig in den Blick nimmt wie all die anderen Lobredner der Pax Romana, nämlich wie mühselig die Lebenswirklichkeit in den Städten der Provinz aussehen konnte, wenn es die Sicherheit der Einwohner zu behaupten galt. Die privilegierte Situation der gebildeten Elite in Rom oder an der kleinasiatischen Westküste war jedenfalls nicht repräsentativ für die Mehrheit der Reichsbewohner und ihre Lebensumstände.

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Rutil. 1,37–42: electum pelagus, quoniam terrena viarum | plana madent fluviis, cautibus alta rigent. | postquam Tuscus ager postquamque Aurelius agger | perpessus Geticas ense vel igne manus | non silvas domibus, non flumina ponte coercet, | incerto satius credere vela mari. „Den Seeweg habe ich gewählt, weil die Landstraßen in der Ebene von Flüssen überschwemmt, auf den Höhen von Geröll übersät sind. Seit das Tuskerland und die aurelische Straße unter den Schwertern und Brandfackeln gotischer Horden aufs ärgste gelitten haben, seit die Wälder des Landes keine Herberge mehr bieten und die Straße die Flüsse nicht mehr mit Brücken überspannt, ist es besser, der trügerischen See zu trauen und die Segel zu hissen.“ (Text und Übersetzung D 1972, 90 f.) Die Reise des Rutilius läßt sich in das Jahr 417 datieren. Siehe weiterführend die Interpretation des Gedichts bei H 2018. D 1977, 36 im Kommentar zur Stelle, vgl. auch ebd., 35. Doblhofer zufolge handelt es sich um eine Umkehrung der in Aristides’ Romrede geschilderten Verhältnisse. M 2000, 928, Anm. 18, führt eine ganze Reihe von Forschern auf, die die Behauptung einer allgemeinen Reisefreiheit aus den antiken Quellen als feststehende Tatsache übernehmen. Zur Differenzierung nach Status siehe vor allem 158 f.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt In diesem Kapitel soll die von den römischen Städten am Stadteingang praktizierte Sicherheitspolitik, die Maßnahmen zur Herstellung wie auch zur Visualisierung von Sicherheit umfaßte, in bezug zum zeitgenössischen Sicherheitsdiskurs gesetzt werden. Dabei verstehe ich Sicherheit zum einen als Schutz vor Kriminalität und Gewalt und als Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zum anderen als Schutz vor militärischer Bedrohung.1 Während wir über Sicherheitsmaßnahmen an den Stadttoren der republikanischen Zeit vergleichsweise umfassend informiert sind,2 werden die kaiserzeitlichen Stadteingänge in der Forschung nicht in erster Linie als ein Ort diskutiert, an dem es Sicherheit herzustellen galt. Im Gegenteil erhält man bei oberflächlicher Rezeption der Literatur zum Prinzipat den Eindruck, daß es Stadttore und -mauern überhaupt nicht mehr gab. In einer Traditionslinie, die sich von Ludwig Friedländer bis zum einschlägigen Artikel des Neuen Pauly verfolgen läßt, wird behauptet, daß die offenen Städte in Italien und in den grenzfernen Provinzen keine Mauern mehr brauchten, weil diese zwecklos geworden waren, und daß sie daher ihre alten Befestigungsanlagen verfallen ließen, abrissen oder überbauten.3 Die kaiserzeitlichen Städte, so ist an anderer Stelle noch stärker generalisierend formuliert, hätten in „der sorgenfreien Ruhe des Kaiserfriedens“ allesamt ihre „prächtige[n] Tore und starke[n] Befestigungsmauern“ abgetragen.4 Das Römische Reich unter Augustus wird als ein „Friedensraum“ betrachtet, der Stadtmauern erübrigt habe.5 Dem entgegen steht der archäologische Befund, daß kaiserzeitliche Städte – selbst in Italien – ihre Eingänge im ersten und zweiten Jahrhundert weiterhin durch Torbauten markierten oder daß sie sogar, wie es zum Beispiel in Tergeste, Fanum, Saepinum, Vienna, Salona und dem pisidischen Antiocheia der Fall war, neue Mauern mit Türmen und Toren errichten ließen.6 Die norditalische Stadt Augusta Praetoria verstärkte ihren augusteischen Mauerring im ersten oder zweiten Jahrhundert gar zusätzlich durch einen Agger.7

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Damit lehne ich mich an den in der Politikwissenschaft geläufigen Sicherheitsbegriff an, der zwischen innenpolitischer und außenpolitischer Sicherheit differenziert, vgl. D 2012, 390. Siehe den Überblick zu Aspekten wie Türverschluß, Wachposten, Logistik im Belagerungsfall, Signaldiensten bei Nacht etc. bei B 1988, 66 f. Übereinstimmend bei F 1906, 25, und – 90 Jahre später – bei B 1997, Sp. 541. K 1981, 41. C 1997, 273. Ausführlicher dazu oben, 33–44. H 2003, 369.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Dieses Phänomen erscheint mir höchst erklärungsbedürftig. Waren die neuen Stadttore vor allem repräsentativen Charakters? Hatten sie praktische Zwecke? Oder maß man ihnen auch in Zeiten der Pax Romana noch eine schützende Funktion bei? Zunächst einmal ist zu konstatieren, daß der geregelte Weg in eine Stadt hinein oder aus ihr hinaus in jedem Fall durch ein Stadttor führte. Es war bei Todesstrafe verboten, eine Stadtmauer zu übersteigen, sei es mit Leitern oder auf andere Weise. Römische Bürger durften eine Stadt auf keinem anderen Weg als durch die Tore verlassen, wie die Digesten ausdrücklich festhalten.8 Vor diesem Hintergrund soll in diesem Kapitel gezeigt werden, daß entgegen einer häufig zu lesenden Auffassung9 die Stadtmauern und Stadttore der Kaiserzeit durchaus sicherheitsrelevant waren.10 Dabei ist im ersten und zweiten Jahrhundert weniger an militärische Bedrohung durch eigentliche Kriegshandlungen oder Belagerungsmaßnahmen zu denken, als vielmehr an Überfälle durch kriminelle Banden oder nomadisierende Hirtenvölker.11 Es ist den Römern nie gelungen, die Gefahr von Raubüberfällen systematisch zurückzudrängen.12 So hören wir zwar von kaiserlichen Maßnahmen gegen Banditentum,13 aber auch weiterhin von Angst vor Räubern.14 Man denke etwa an die legendäre Räuberbande des Bulla Felix, die zur Zeit des Septimius Severus 600 Mann stark zwischen Rom und Brundisium operiert haben soll.15 Auch sind eine ganze Reihe von Grabsteinen für Personen erhalten, die von Räubern erschlagen wurden.16 Wie Ammians Schil8

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Dig. 1,8,11 (Pomponius): si quis violaverit muros, capite punitur, sicuti si quis transcendet scalis admotis vel alia qualibet ratione. nam cives Romanos alia quam per portas egredi non licet. Da der Jurist Pomponius in antoninische Zeit gehört, ist der Titel auch von der Zeitstellung her einschlägig. So heißt es zum Beispiel bei Cüppers in bezug auf die Befestigung von Trier mittels einer mehr als acht Meter hohen und bis zu vier Meter starken Mauer, der Bau sei „weniger um einer drohenden Gefahr zu begegnen, als vielmehr aus Repräsentationsgründen“ erfolgt (C 1998, 5; zur Befestigung von Trier siehe unten, 130–132). Ähnlich auch das Urteil bei G 2007, 60, mit Bezug auf die italischen Städte: „An imperial donation of walls and decorative gates to the south-central Italian city of Saepinum between 2  and  4 could have had little to do with fears for security in the context of the pax Romana.“ Vgl. auch J 2009, 198. Diese Meinung vertrete ich mit Daniel Sperber, demzufolge die aufwendige und im Unterhalt sehr kostspielige Befestigung einer Stadt in allererster Linie ein „aspect of security“ war (S 1998, 152–154, Zitat 154). Er bezieht sich dabei auf die – nicht ohne weiteres verallgemeinerbare – Situation in Palästina. Zu einer vergleichbaren Einschätzung kommen S 1989, 346, und, in bezug auf Griechenland, B 2008. Differenziert argumentiert P 1991, 283, der Beispiele aus Britannien heranzieht. R 2018, 147 listet den Bereich vor dem kaiserzeitlichen Stadttor in ihrer Topographie sicherer und gefährlicher Orte unter „dangerous places“. Vgl. B 2008, 156. S 2009, 52 weist darauf hin, daß die Begriffe „Banditen“, „Hirten“ und „Nomaden“ in antiken Texten ein und dieselbe ethnographische Realität beschreiben können. B 2008, 185. Suet. Aug. 32,1 f.; Tib. 37,1. Etwa Apul. met. I 15,2; VIII 16–18. Cass. Dio LXXVI (LXXVII) 10. Zum Beispiel ILS 8504–8508.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

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derung der Zustände in Kleinasien im vierten Jahrhundert drastisch vor Augen führt,17 bestanden die Probleme in der Spätantike weiter. Gefährdet waren in erster Linie diejenigen, die über Land reisten.18 Den Bewohnern der Städte war diese Gefahr jederzeit präsent, wenngleich sie – eben dank munizipaler Sicherheitsvorkehrungen – geschützt waren, solange sie die Stadt nicht verließen. So kann eben Seneca um die Mitte des ersten Jahrhunderts schreiben: „Eine Stadtmauer schützt uns vor allen Feinden und vor plötzlichen Räuberüberfällen.“19 Ein 2001 publizierter Inschriftenfund aus Pisidien hält die Dankesakklamationen der Bürger von Termessos für einen Eirenarchen fest, der die Stadt von Räubern befreit hat. Der Magistrat wird als Beschützer und Retter der Stadt und als Friedensbringer gerühmt, der die Banditen verfolgt und getötet habe.20 Selbst Symmachus als Präfekt von Rom wagt sich im Jahr 383 nicht vor die Mauern der Stadt und schreibt in einem Brief, es sei besser, untätig in Rom zu verharren, da die Vororte durch Räuberbanden unsicher gemacht würden.21 Die Sicherheitsmaßnahmen am Stadteingang richteten sich dabei nicht exklusiv gegen solcherart marodierende Banden, sondern auch gegen Gewalt, Kriminalität und anderes unerwünschte Verhalten durch bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Einzelpersonen.22 Auch durchreisende Personen wie Handwerker, Händler oder Studenten konnten besonderen Kontrollen unterworfen sein.23 Bei Bedarf ließ sich an den Stadttoren mit vergleichsweise geringem Aufwand eine effektive Kontrolle und gegebenenfalls Zugangsbeschränkung durchsetzen. Das galt insbesondere dort, wo Stadtmauern existierten – wir erinnern uns: Der Neubau von Mauern in der Kaiserzeit ist etwa im Fall der aurelianischen Mauern in Rom auch darauf zurückgeführt worden, daß auf diese Weise eine effektive Kontrolle von Personen- und Warenverkehr gewährleistet werden sollte, indem es nahezu unmöglich gemacht wurde, die Zollschranken zu umgehen.24 Aber auch dort, wo die kaiserzeitlichen Stadttore nicht Teil größerer Befestigungsanlagen waren, ließen sie sich unter Umständen verschließen oder wurden bewacht. Zwar konnten Einzelpersonen je nach Vorhandensein einer Mauer mehr oder weniger einfach andere 17 18 19

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Amm. XIV 2. Selbst auf einer kurzen Tagesreise wie der von Jerusalem nach Jericho waren Überfälle vorstellbar, wie in Lk 10,30 geschildert. Sen. benef. VI 15,8: murus nos ab hostibus tutos et a subitis latronum incursionibus praestat. Daß hier an eine Stadtmauer und nicht an die Mauer eines Hauses oder Gartens gedacht ist, erhellt aus der Fortsetzung des Satzes, in dem es um den Unterschied zwischen Wert und Preis einer Sache geht: notum est tamen, illas turres pro securitate publica propugnacula habituras excitaturus faber quid in diem mereat. „Dennoch ist bekannt, was der Handwerker pro Tag verdient, der jene Türme errichten wird, die Schutzwehre für die öffentliche Sicherheit beherbergen sollen.“ (Eigene Übersetzungen.) SEG LI 1813. Die Inschrift gehört ungefähr in die Jahre 278 bis 284. Symm. epist. II 22,1. Siehe diesbezüglich etwa S 2005, 147: „Straßenraub, Einbruch, Diebstahl, Entführung, Beeinträchtigungen von Leib und Leben standen [. . . ] auf der Tagesordnung.“ M 2006, 122. Siehe oben, 46.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Wege in die Stadt oder aus ihr heraus finden, aber größere Personenverbände und der Warenverkehr ließen sich auf diese Weise effektiv kontrollieren. In diesem Kapitel wird zu sehen sein, daß das Ideal einer freien Mobilität, das den zeitgenössischen Autoren zufolge durch die Einheit des Römischen Reiches und die Person des Kaisers garantiert werden sollte, also nicht mit der tatsächlichen Praxis in den römischen Provinzen übereinstimmt. Diese nämlich beruhte auf einer Entkollektivierung von Sicherheit zugunsten städtisch autonomer Entscheidungen, so daß die Kontrollmaßnahmen am Stadteingang von Ort zu Ort extrem differierten. Die prinzipielle Bewegungsfreiheit konnte punktuell oder phasenweise Einschränkungen unterliegen, über die uns die literarischen Quellen wenig verraten. Tatsächlich läßt sich in der Kaiserzeit von städtischen Sicherheitsmaßnahmen reden, weil die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung weitgehend auf munizipaler Ebene organisiert und verantwortet wurde. Die römische Administration wurde nur dann tätig, wenn die Städte mit ihren eigenen Mitteln nicht Herr der Lage wurden; an sich aber waren sie in diesem Bereich weitgehend autonom.25 Die Sicherheitspolitik der kaiserzeitlichen Städte war generell reaktiv, das heißt, sie wurde den jeweiligen Erfordernissen flexibel angepaßt, aber nicht systematisch und in einer kontinuierlichen Weise vorangetrieben.26 So sollten die in den großen Städten stationierten Kohorten und paramilitärischen vigiles – insgesamt allein in Rom um die 10 000 Mann – Aufstände, nächtliche Raubüberfälle und Feuersbrünste verhindern bzw. bekämpfen. Sie waren aber offenbar nicht mit Delikten wie Diebstahl oder Einbruch befaßt, da es sich bei keiner dieser Einheiten um spezialisierte Polizeikräfte handelte.27 Für die Sicherung ihrer Anwesen waren die Einwohner letztendlich selbst verantwortlich, wie fensterlose Straßenfronten, massive Eingangstüren und die vielfach nachgewiesene Existenz privater Türsteher und Pförtner sowie von Wachhunden bestätigen.28 So erwähnt es Fronto als eine Selbstverständlichkeit, daß die Sicherheit eines Privathauses daran hing, ob ein aufmerksamer Türwächter unerwünschte Eindringlinge fernhielt.29 Am Anfang der folgenden Überlegungen steht ein Fallbeispiel des zweiten Jahrhunderts, das ungewöhnlich konkrete Einblicke in die Sicherheitspolitik einer Stadt erlaubt: Sala in der Provinz Mauretania Tingitana (6.1). Anhand geographisch weiter gestreuter Fälle soll anschließend aufgezeigt werden, unter welchen Umständen römische Stadttore verschlossen werden konnten (6.2) oder durch Wachpersonal gesichert wurden (6.3). Grundsätzlich gilt es dabei zu berücksichtigen, daß die allgemeine Sicherheitslage im Römischen Reich von Region zu Region höchst unterschiedlich war und sich zudem schnell ändern konnte. Augenfällig wird das 25 26 27 28 29

Dazu B 2005, 229.324 f. Ebd., 229. K 2013, 410–416, vgl. auch N 1995, 95–98. Kelly geht für Stadtrom von etwa 10 000 Soldaten und vigiles im ersten Jahrhundert und über 20 000 im frühen dritten Jahrhundert aus. N 1995, 97 f.; F 2012, 49–52; K 2013, 421–423. Fronto epist. Graec. 5,1.

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6.1 Städtische Sicherheitskonzepte

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bereits im archäologischen Befund, der ein keineswegs einheitliches Bild ergibt, worauf ebenfalls einzugehen sein wird. Ein ausführlicher Abschnitt widmet sich den Personenkontrollen am Stadteingang (6.4). Ausgehend von Mobilitätsrestriktionen, die sich für Einzelpersonen und für Personengruppen nachweisen lassen, sollen die Möglichkeiten zur Identifikation besprochen werden, die im Römischen Reich praktiziert wurden. Es wird zu sehen sein, daß die Bürokratie von Personenkontrollen erst in der Spätantike stark ausgebaut und systematisiert worden ist. Ein eigenes Problem ergibt sich aus der Tatsache, daß Stadttore in der Kaiserzeit häufig umgehbar waren – aus diesem Grund wird ihnen ja wie erwähnt oft jegliche Sicherheitsrelevanz abgesprochen. Es ist zu diskutieren, inwieweit Kontrollen an einem freistehenden Tor überhaupt effektiv sein konnten (6.5). Ein weiterer Abschnitt behandelt den Einsatz militärischen Personals, das auf Posten nahe dem Stadteingang stationiert war (6.6). Die Militärs erhöhten die Präsenz und die Sichtbarkeit römischer Macht in den Provinzen und konnten so zum Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beitragen. Freilich gilt es auch jene Fälle zu bedenken, in denen Militärposten durch mißbräuchliches Verhalten die Mobilität bestimmter Einzelpersonen oder Gruppen ungerechtfertigt behinderten. Ihr Beitrag zur Sicherheit am Stadteingang ist somit als ambivalent zu werten. Wie bereits verschiedentlich angeklungen ist, sollten die Tore einer Stadt Sicherheit nicht nur herstellen, sondern auch darstellen. Ich werde argumentieren, daß im Lichte der kaiserzeitlichen Ideologie von pax et securitas, die im vorangehenden Kapitel besprochen wurde, die Visualisierung von Sicherheit bei der Gestaltung von Stadteingängen als ein nicht zu unterschätzender Faktor einzustufen ist (6.7). 6.1 Städtische Sicherheitskonzepte Um an die Feststellung anzuknüpfen, daß die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in erster Linie in der Zuständigkeit der Städte lag, soll zunächst ein Fallbeispiel besprochen werden: Die mauretanische Stadt Sala ließ im Jahr 144 oder wenig früher zum Schutz vor marodierenden Banden eine Mauer errichten, die, wie ich zeigen möchte, Teil eines größer angelegten städtischen Sicherheitskonzepts war. Eine auf dem Forum von Sala gefundene Basis einer Ehrenstatue aus Bronze enthält einen Dekurionenbeschluß zur Ehrung des Alenpräfekten Marcus Sulpicius Felix, der für den aus städtischen Mitteln bestrittenen Bau der Mauer verantwortlich war.30 Zu den Verdiensten des Sulpicius Felix, die in der Inschrift aufgeführt 30

AE 1931, 38 = IAM II 304. Kommentar und französische Übersetzungen bei G/C 1931 und R 1994. Die uns interessierenden Z. 12–18 der Inschrift lauten (hier nach der Heidelberger Datenbank, HD001007): . . . seu nos ab solitis iniuris pecorumq(ue) iactura laeniter(!) quidem et sub imagine suae quietis vindicando, seu in rati(onibus) p(ublicis) | et disceptatorem nec dissolute benignum et iustum sene(!) acerbitate praebendo et quaestiones pari hominum ac r(ei) p(ublicae) iniuria | tenebris vetustatis obscuras sagaciter inlustrando, pure diiudicando, seu

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

werden, gehört unter anderem, daß er die Bürger der Stadt „vor gewohnheitsmäßigen Übergriffen und dem Verlust ihres Viehs bewahrt hat“ (Z. 12: seu nos ab solitis iniuris pecorumq(ue) iactura . . . vindicando). Weiter wird aufgeführt, daß er „die Stadt an den stärker bedrohten Stellen zu niedrigsten Kosten mit dem größten Mauerbau umgeben ließ“ (Z. 14 f.: seu municipium infestioribus locis maximo murorum opere minimo sum(p)tu ambiendo). Der Dekurionenbeschluß würdigt die Wohltaten „des äußerst aufrichtigen Mannes, der über das Maß seiner Vorgänger hinaus gemäßigt ist, bescheiden, mild, ehrbar, respektvoll gegenüber dem Stadtrat, dem Volk freundschaftlich verbunden, gewissenhaft in seinem Handeln, so daß er freien Zugang zu Wäldern und Feldern ermöglicht hat, wie er auch regelmäßig für die Sicherheit der Arbeitenden Sorge trägt“ (Z. 16–18: quae bona animi essent verissumi, ultra praecedentium finem moderatum, verecundum, mitem, pudicum, ordinis reverentem, populi amantem, sui diligentem, ita liberam copiam silvarum et agrorum praebuisse, ut pro tutela operantium frequens excubaret). Das excubaret in Z. 18 wurde verschiedentlich dahingehend gedeutet, Sulpicius habe zum Schutz der Stadt die Wachmannschaften verstärkt oder berittene Schutztruppen eingeführt. So erläutern Stéphane Gsell und Jérôme Carcopino: „En effet, il est responsable de la sûreté de Sala et libre du choix des moyens. Il doit, dans ces conditions, organiser avec des cavaliers un service de garde, des colonnes protectrices“.31 Noch weiter geht René Rebuffat, der konjiziert, der Alenpräfekt habe regelmäßige nächtliche Patrouillen durchführen lassen.32 Daß konkrete Wachdienste für das Territorium von Sala eingeführt worden sind, wie wir sie etwa aus Kleinasien kennen,33 erscheint plausibel. Über die Aussage des Textes geht diese Annahme freilich weit hinaus. Ich denke, daß excubare hier ganz allgemein mit „Sorge tragen“ zu übersetzen ist,34 was sich gut in das Gesamtbild des umsichtigen und treusorgenden Patrons einfügt, das die Inschrift von Sulpicius entwirft.

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municipium infestioribus locis maximo | murorum opere minimo sum(p)tu ambiendo, seu annonae avaris difficultatibus ex copis armaturae suae plurima ad nostram | utilitatem, nihil at(!) militum damnum commodando, [ia]m, quae bona animi essent verissumi(!), ultra praecedentium finem mo|deratum, verecundum, mitem, pudicum, ordinis reverentem, populi amantem, sui diligentem, ita liberam copiam silvarum | et agrorum praebuisse, ut pro tutela operantium frequens excubaret, . . . (Die Übersetzungen im Text sind meine eigenen. Für ihre Unterstützung beim Auseinanderklauben der Syntax des insgesamt 26 Zeilen langen Satzes habe ich Wiebke Nierste zu danken.) G/C 1931, 23. Sie übersetzen daher: „[. . . ] d’avoir multiplié les veilles pour protéger la sécurité des travailleurs“. R 1974, 503: „Sulpicius Felix a tout simplement fait ce qui nous est dit, organisé fréquemment des patrouilles nocturnes.“ In diesem Sinn auch seine Übersetzung (R 1994, 212 f.): „[. . . ] qu’il nous a procuré la libre disposition de nos forêts et de nos champs au point de patrouiller fréquemment pour veiller à la sécurité du travail“. Dazu B 2005, 123–171: Viele Städte in Kleinasien hatten eigene Magistrate, deren Aufgabe es war, in Begleitung einer kleinen bewaffneten Truppe durch das Umland zu patroullieren. Ausführlicher dazu unten, 142. Laut OLD, s. v. excub¯o, bedeutet excubare mit pro und Ablativ in einem übertragenen Sinn „[t]o be on the alert, be vigilant“.

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6.1 Städtische Sicherheitskonzepte

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Welchen Gefahren man in Sala mit dem Bau der Mauer begegnen wollte, wird im Wortlaut des Dekurionenbeschlusses nicht ganz deutlich. Man wird aber wohl nicht fehlgehen in der Annahme, daß es sich um bandenmäßig organisierte Überfälle gehandelt haben mag, wie solitis iniuris in Z. 12 nahelegt.35 Wie eingangs bereits gesagt, sind Bandenkriminalität und Raubüberfälle generell als die größte Bedrohung für die Sicherheit der Provinzstädte anzusprechen. An eine von wilden Tieren ausgehende Gefahr dagegen ist wohl allenfalls im Hinblick auf die bedrohten Viehbestände (pecorum iactura) zu denken.36 Auch ein Zusammenhang mit der bereits von Plinius erwähnten ständigen Bedrohung der Stadt durch Elefantenherden und durch den benachbarten Stamm der indigenen Autololes37 ist nicht gerade zwingend38 – mit Sulpicius befinden wir uns bereits drei Generationen nach Plinius. Die Tatsache, daß man in Sala Sicherheitsvorkehrungen als dringend notwendig erachtete, geht jedenfalls zweifelsfrei aus dem Text hervor. Dabei war die Errichtung einer Mauer nur ein Baustein im Gesamtkonzept zum Schutz der Stadt, das auch die umliegenden Viehweiden, Äcker und Wälder mit einschloß. Möglicherweise schützte die Mauer nicht (nur) die Siedlung, sondern außerdem den Landbesitz der Bewohner: Südlich von Sala, zwischen dem Fluß Salat und dem Meer, wurde eine fast elf Kilometer lange fossa mit Erdwall und Resten einer Bruchsteinmauer gefunden, in deren Verlauf auch noch einzelne Türme nachweisbar sind.39 Die Identifizierung dieser wohl als brachium anzusprechenden Anlage40 mit dem in der Inschrift genannten Bau ist allerdings umstritten.41 Die Bündelung baulicher und personeller Maßnahmen in Sala zeigt nachvollziehbar auf, daß der Mauerbau in diesem Fall Teil eines umfassenderen Sicherheitskonzepts war, welches Siedlung wie Umland mit einbezog. An anderen Orten können wir nur punktuelle Sicherheitsvorkehrungen fassen, die jedoch in die gleiche Richtung weisen. So ließen die Inselstädte auf Thasos, Paros und Kalymnos in römischer Zeit ihre Mauern instandsetzen, was sich wohl gegen Piratenüber35

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So bereits R 1974, 502: solitis iniuris pecorumq(ue) iactura „désigne bien précisément un brigandage endémique, habituel, qui devait se manifester depuis longtemps“. In diesem Sinn auch H 2001, 172. Wilde Tiere werden von Horster neben einzelnen Räubern und kleinen Banden als potentielle Gefahren in Sala aufgeführt (ebd.). Plin. Nat. 5,5: oppidum Sala [. . . ] iam solitudinibus vicinum, elephantorumque gregibus infestum, multo tamen magis Autololum gente. Gegen R 1974, 27. Ausführliche Darstellung und Diskussion des bislang nur kursorisch erhobenen archäologischen Befundes bei R 1979. Anders als bei einem vallum, wie es etwa römische Feldlager umgab, liegt der Erdwall bei einem brachium nicht auf der Innenseite, sondern jenseits des Grabens. Eine solche Anlage, die noch durch aufgemauerte Bereiche oder Palisaden verstärkt werden kann, wird nicht auf ihrer gesamten Länge verteidigt, sondern dient als Hindernis und Sichtschutz gegen den Feind (dazu R 1979, 246–251). René Rebuffat selbst äußert sich sehr skeptisch (ebd., 253). Zusammenfassend dazu H 2001, 172.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

fälle richtete.42 In Kleinasien überzogen Städte wie Smyrna ihr Territorium mit einem Netzwerk kleiner Festungen, die den Zugang zur Stadt schützten.43 Die Aufschüttung eines Verteidigungswalls vor dem augusteischen Mauerring der Stadt Augusta Praetoria im ersten oder zweiten Jahrhundert ist im Zusammenhang mit der prekären Situierung der Stadt am Alpenrand erklärt worden.44 Darüber hinaus ist hinsichtlich städtischer Sicherheitsvorkehrungen zur Kontrolle des Eingangs insbesondere an die Verschließbarkeit von Stadttoren zu denken, die im nächsten Abschnitt diskutiert werden soll. 6.2 Verschließbarkeit von Stadttoren und nächtlicher Torschluß 6.2.1 Technische Voraussetzungen Während etwa die neuen augusteischen Torbögen in Rom keine Torflügel und Fallgatter mehr besaßen,45 gibt es in Italien und den Provinzen in der gesamten Kaiserzeit archäologische Belege dafür, daß Stadttore verschließbar waren und auch verschlossen wurden. Einige Beispiele von Toren, an denen diese technischen Voraussetzungen nachgewiesen werden können, seien kurz vorgestellt. Als besterhaltenes Stadttor des Imperium Romanum46 ist die Trierer Porta Nigra in diesem Zusammenhang die erste Referenz. Ihre massiven Schließvorrichtungen sind noch heute klar zu erkennen (Abb. 6.1). Das um 180 n. Chr. errichtete Tor war in Trier Teil einer neuen Stadtmauer47 mit beeindruckenden Dimensionen: einer Gesamtlänge von 6 418 Metern, einer Tiefe von bis zu 4 Metern und einer Höhe von über 8 Metern bei einer bis zu 3,50 Meter tiefen Fundamentierung.48 Die Porta Nigra gehörte zu einer Haupt- und Fernverkehrsstraße, die die Stadt von Norden nach Süden durchmaß. Es handelte sich um ein Doppeltor mit zwei Fenstergalerien und flankierenden Türmen, die ihrerseits drei Fenstergalerien aufwiesen (die oberste Galerie des linken Turms wurde im Zuge eines mittelalterlichen Umbaus abgetragen). Große Teile des Baus sind in Bosse belassen, was „den Eindruck von Robustheit und unüberwindbarer Stärke“ vermittelt,49 der freilich so nicht ursprünglich intendiert gewesen ist: Wie noch zu sehen sein wird, blieb das Stadttor unvollendet.

42 43 44 45 46 47

48 49

C 2000, 50. M 1993, 195. H 2003, 132.369. Ein Beispiel dafür bietet die Porta Esquilina, siehe M/B 2011, 373. C 1998, 7. Ebd., 5 f.; G 1969b, 59.64–70. Zur Datierung M-P 1969, 86 und G 1969b, 55–58 (dort auch ein Überblick über ältere Datierungsvorschläge, die den Bau sogar noch in vorrömische Zeit setzen oder andererseits erst ins vierte oder fünfte Jahrhundert). Neue Ausgrabungen haben die Datierung der Stadtmauer in die Zeit um 180 bestätigt (H 2008/2009). C 1998, 5. Zitat ebd., 12.

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6.2 Verschließbarkeit von Stadttoren und nächtlicher Torschluß

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Abbildung 6.1: Porta Nigra in Trier (Deutschland), um 180 n. Chr. Zu sehen ist die Gesamtansicht von der Feldseite. Die romanische Apsis links ist im Zuge einer Umwandlung zur Kirche im Mittelalter angefügt worden. Ursprünglich verfügte auch der linke Turm über drei Fenstergalerien.

Einlassungen in den Seitenwänden der Laibungen und ein etwas schmalerer Schlitz in den Bogenwölbungen zeigen, daß die Porta Nigra in den feldseitigen Torbögen über Fallgatter verfügte (Abb. 6.2 auf S. 132). Aussparungen für entsprechende Winden, Haspeln und Rollen sind auf der Höhe der ersten Fenstergalerie erhalten. Die Verengung der Führungsschlitze auf der Höhe des Bogenansatzes macht wahrscheinlich, daß die Gatter im unteren Teil mit Eisen beschlagen und stärker dimensioniert waren, so daß sie sich nur bis zum Ansatz des Bogens hochziehen ließen.50 Stadtseitig sollten die Torbögen mit jeweils zwei hohen Torflügeln gesichert werden, die wohl aus Bronze gegossen werden sollten, aber offenbar nicht ausgeführt bzw. nicht eingebaut wurden. Dies ist daraus ersichtlich, daß die Deckenpfannen, in denen sich die Torflügel hätten drehen sollen, durch weit vorkragende Bossen blockiert werden, die nie abgearbeitet worden sind.51 Das Stadttor wurde also nicht ganz vollendet, sondern offenbar unfertig in Benutzung genommen, als die Stadt Trier im Zusammenhang mit der Erhebung des Clodius 50 51

Ebd. Ebd., 16.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Abbildung 6.2: Einlassungen für Fallgatter in den feldseitigen Torlaibungen der Porta Nigra in Trier.

Albinus gegen Septimius Severus im Jahr 196/197 von Germanen belagert wurde.52 Statt der vorgesehenen sieben Meter hohen Bronzetüren baute man deutlich kleinere Flügel ein, die von mächtigen Torsturzbalken gehalten wurden.53 Das Stadttor war damit zu beiden Seiten hin verschließbar: zur Stadt hin mittels massiver Türen und landseitig mit eisenbewehrten Fallgattern.54 Vergleichbare Befunde sind auch in anderen Städten entweder archäologisch nachweisbar (etwa in Isaura55 , Nîmes56 oder Köln57 ) oder über Münzdarstellungen zu fassen. So prägte die Stadt Bizye in Thrakien in der mittleren Kaiserzeit nach der Erneuerung ihrer Befestigungsanlagen ein mit Fallgattern gesichertes Tor auf ihre Münzen.58 Aber auch fernab der Reichsgrenzen und schon im ersten Jahrhundert lassen sich verschließbare Stadttore belegen. Ein Beispiel bietet die sogenannte Porta 52

53

54 55 56 57 58

Die Baugerüste mußten aufgrund der Belagerung anscheinend vorzeitig entfernt werden (übereinstimmend M-P 1969, 83 und C 1998, 26). Trier wurde 197 durch die in Mainz stationierte Legio XXII Primigenia befreit. Ebd., 16. Auch in bezug auf die feldseitigen Fallgatter ist mangels Benutzungsspuren vermutet worden, daß sie nie zur Ausführung gelangten (M-P 1969, 74 f.). Einer neueren Auffassung zufolge sind hier jedoch zusätzliche Gleitschienen aus Holz im Einsatz gewesen, die sich nicht erhalten haben (C 1998, 12.16). Dazu M-P 1969, 85: „Der eigentliche Torverschluß liegt wie bei allen Torhofanlagen im stadtseitigen Trakt, während der feldseitige das Fallgatter aufzunehmen hat.“ K 1942, 34. Siehe die Abb. 2.2 oben auf S. 42: Das erhaltene Vortor der frühkaiserzeitlichen Torburg in Isaura war mit einem Fallgatter verschließbar. Bei der sogenannten Porte d’Auguste in Nemausus lag der Türverschluß entgegen der Regel im feldseitigen Teil der Toranlage (K 1942, 96). Die Stadttore von Köln konnten mittels Gatter und Türen versperrt werden, wie sich an der claudischen Porta Paphia nachweisen läßt (ebd., 29). G 1969b, 39; N 1995, 47 f. mit Abbildung 4.

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6.2 Verschließbarkeit von Stadttoren und nächtlicher Torschluß

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Gemina in Pola (Pula), die vor der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. das spätrepublikanische Stadttor ersetzte und direkt an die bereits vorhandenen Mauertürme angesetzt wurde. Die Archivolten des feldseitigen Doppelbogens waren mit einem Fallgatter verschließbar, die untere Hälfte mit Flügeltüren.59 Für militärische Zwecke war die Anlage aus verschiedenen Gründen ungeeignet.60 Man wird davon ausgehen können, daß sie dazu diente, den Zugang nach Pola für den Fußgängerund Fuhrverkehr zu sperren, was vermutlich nachts praktiziert wurde. In der Sache vergleichbar ist ein Stadttor von Asseria, wie Pola im heutigen Kroatien gelegen. Dort war der im Jahr 113 in die vorrömische Stadtmauer gesetzte Ehrenbogen für Trajan durch Torflügel verschließbar.61 In Pompeji ließen sich um die Mitte des ersten Jahrhunderts nicht nur die alten Mauertore aus republikanischer Zeit nach wie vor verschließen, sondern auch die neu erbaute Porta di Ercolano (Abb. 2.1 oben auf S. 32). Das dreitorige Bauwerk war als Torburg mit Wehrgängen konzipiert und in die Stadtmauer integriert, wo es einen älteren Vorgängerbau ersetzte. Es konnte feldseitig mit einem Fallgatter versperrt werden, während stadtseitig Torflügel angebracht waren. Da Schleifspuren im Stuck der Rillen, in denen das Fallgatter lief, nicht festzustellen sind, kann davon ausgegangen werden, daß abends in der Regel nur die großen Türen der Stadtseite geschlossen wurden.62 Fassen wir kurz zusammen: Es gab im ersten und zweiten Jahrhundert also sowohl Stadttore mit fortifikatorischer Funktion als auch solche, die zwar nicht militärisch nutzbar waren, aber verschlossen werden konnten. Die rein technisch mögliche Verschließbarkeit sagt freilich noch wenig darüber aus, inwiefern Stadttore sicherheitsrelevant waren. Der archäologische Befund muß daher durch andere Quellen kontextualisiert werden, die zwar recht disparat und schwierig sind, insgesamt aber ein klares Urteil zulassen. 6.2.2 Belege für geöffnete und für geschlossene Tore So hören wir verschiedentlich von geöffneten und unbewachten Toren, beispielsweise bei Longos in bezug auf Mytilene.63 Fronto formuliert in einem Schreiben an den Historiker Appian sogar ganz apodiktisch, daß Stadttore – anders als die Türen an Privathäusern – grundsätzlich offenstehen müssen, damit jeder nach Belieben in die Stadt herein und aus ihr hinaus kann.64 Das Gros der einschlägigen Notizen bezieht sich jedoch auf eine nächtliche Schließung von Toren.

59 60

61 62 63 64

F 1996, 63–68. Ebd., 65.67. Schon die spätrepublikanische Befestigung, die die Stadt im Zuge ihrer Neugründung als Kolonie erhalten hatte, war nicht dazu geeignet gewesen, massiven Angriffen standzuhalten (ebd., 69). V H 1994, 259, vgl. zu diesem Tor auch  H 1992, 292 mit Abb. 192. K 1942, 21 f. und 99. Longos III 2,1: ἀφρουρήτοις ταῖς πύλαις. Fronto epist. Graec. 5,1. Der Briefwechsel mit Appian gehört in die Jahre 157 bis 161.

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Aus einem Bericht des Aelius Aristides über eine Reise im Hochsommer des Jahres 165 läßt sich entnehmen, daß die Städte an der kleinasiatischen Westküste zumindest sommers auch in der Nacht frei zugänglich waren.65 Der Hergang der geschilderten Ereignisse ist folgender: Da sich der Aufbruch der Reisegesellschaft von Symrna hinausgezögert hat und die beiden Herbergen am Fluß Hermos und in Larissa Aristides nicht zusagen, kommen er und seine Dienerschaft schließlich gegen Mitternacht in Kyme an. Dort finden sie jedoch alles verschlossen vor (πάντα ἀπεκέκλειτο, § 4). Aristides ist erfreut, hat er doch nun einen guten Grund, seine Leute bis Myrina weiterzutreiben. Mit den ermunternden Worten, es sei doch nur noch ein kleines Wegstück, tritt er aus dem Stadttor von Kyme hinaus (ἐχώρουν ἔξω πυλῶν, § 5). Zur Zeit des ersten Hahnenschreis treffen wir die unglückliche Reisegesellschaft in Myrina an, wo alle Herbergen geschlossen sind und man schließlich bei Morgengrauen Einlaß im Haus eines Bekannten findet (§§ 5 f.). Diesem Reisebericht zufolge standen also die Tore von Kyme nachts offen und waren unbewacht. In der Stadt selbst war alles verschlossen und keine Herberge zu finden. Die Tore von Myrina werden von Aristides nicht explizit erwähnt, doch wenn es dort möglich war, nachts mit einem größeren Gefolge, Lasttieren und Wagen in den Ort einzudringen, herumzugehen und an Haustüren zu klopfen, so war auch die Stadt Myrina offenbar frei zugänglich. Einen Hinweis darauf, daß Stadttore jedoch nicht immer offenstanden, bietet Aristides in seiner Palinodie auf die nach schweren Erdbebenschäden neu wiederaufgebaute Stadt Smyrna aus dem Jahr 178. Wenn der Rhetor darauf abhebt, daß die Tore der Stadt im Frühling und Sommer geöffnet sind,66 liegt der Umkehrschluß nahe, daß dies im Winter nicht immer der Fall war. Hier ist wohl nicht an tagsüber geschlossene Tore, sondern an eine routinemäßige nächtliche Schließung in der dunklen Jahreszeit zu denken: Während sich die Smyrnäer im Sommer am Anblick offener und blumengeschmückter Tore freuten, hätten sie dieser Interpretation zufolge an den kürzeren Wintertagen morgens und abends geschlossene Tore zu gewärtigen gehabt. Die Tatsache, daß Aristides gleich im nächsten Satz die Chöre der Nymphen und Musen durch die sommerliche Stadt tanzen läßt, spricht meines Erachtens nicht grundsätzlich gegen eine solche alltagsweltliche Deutung des Details mit den offenstehenden Toren. Ein weiterer möglicher Anhaltspunkt läßt sich aus Offb 21,25 gewinnen. In der Vision von der Gottesstadt heißt es, daß im himmlischen Jerusalem die Tore nie geschlossen sind – tagsüber stehen sie offen, und eine Nacht gibt es nicht mehr.67 Der Autor bezieht sich hier auf eine alte Prophezeiung in Jes 60,11: Während es dort heißt, die Tore des erneuerten Jerusalem würden dereinst Tag und Nacht offen 65 66 67

Aristid. Or. 51,1–8 (= Hieroi Logoi 5,1–8). Zur Datierung der Reise siehe unten, 235. Aristid. Or. 20,21: πύλαι . . . ἀνοίγνυνται. Das vollständige Zitat mit Übersetzung findet sich oben, 118. καὶ οἱ πυλῶνες αὐτῆς οὐ µὴ κλεισθῶσιν ἡµέρας, νὺξ γὰρ οὐκ ἔσται ἐκεῖ. „Und ihre Tore werden am Tag nie verschlossen; denn Nacht wird dort nicht sein.“ (Text N/A28 , eigene Übersetzung.)

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6.2 Verschließbarkeit von Stadttoren und nächtlicher Torschluß

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stehen, ist in Offb 21,25 jede Aussage über die Nacht obsolet geworden, da der ewige Tag angebrochen ist.68 Einige Kommentatoren lesen diese Vision als ein Gegenbild zu den empirischen Verhältnissen in der Gegenwart des Verfassers, also zu Jerusalem im späten ersten oder frühen zweiten Jahrhundert.69 Nach dieser Lesart waren die Tore von Jerusalem zu jener Zeit bei Bedarf verschließbar. Anscheinend wurden sie unter Umständen sogar am Tag geschlossen70 und jedenfalls regelmäßig in der Nacht. Eine nächtliche Schließung der Tore von Jerusalem ist später auch im Talmud als allgemein bekannte Tatsache erwähnt.71 Auch wenn sich nur wenige Quellen als Beleg beibringen lassen, so wurden anscheinend in manchen Städten die Tore in der Nacht grundsätzlich geschlossen.72 Brent D. Shaw geht sogar noch weiter, wenn er das folgende Bild zeichnet: „Wenn an jedem Abend die Stadttore sich schlossen, schlossen sie die Ansiedlung ab gegenüber dem sie umgebenden Meer von Gefahren, das besonders nachts bedrohlich war; innerhalb dieser Mauern verriegelte und verbarrikadierte jede Familie ihre Türen gegen Attacken von Räubern. Nachts aus der Stadt gehen zu wollen galt als verrückt oder schlimmeres.“73 Ob sich die Aussage in dieser Allgemeinheit halten läßt, erscheint fraglich, zumal Shaw als einzige Referenz Apuleius benennt, dessen Darstellung angesichts vieler anderslautender Belege74 nicht absolut zu setzen ist. Auch sollte bedacht werden, 68 69

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Vgl. dazu etwa die Stellenkommentare bei L 1960, 102; L 1970, 175; K 1974, 273. So L 1970, 169 und A 1998, 1172 f. Es ließe sich freilich fragen, ob der Verfasser der Offenbarung im Hinblick auf das zeitgenössische Jerusalem überhaupt kompetent war, oder ob seinem Bild nicht vielmehr die Städte der Provinz Asia, aus der er stammte, zugrundeliegen. Dort hätte er dann offenbar andere Erfahrungen gemacht als ein halbes Jahrhundert nach ihm Aristides. Zur Verfasserschaft von Offb siehe P 2010, 431 f. Anders die Interpretation bei K 1974, 273 und A 1998, 1172, die von vornherein davon ausgehen, die Tore aller (!) antiken Städte hätten tagsüber offen gestanden. Freilich bleiben sie jeden Beleg dafür schuldig. S 1998, 121, und 125 Anm. 29, unter Verweis auf bErub 6b. Der in diesem Abschnitt zitierte Rabba ben ben Hana gehört ins dritte Jahrhundert. Gegen  T 2007, 107–112, der zum gegenteiligen Ergebnis kommt, nächtliche Torschließungen habe es in der Kaiserzeit ebensowenig gegeben wie Torwächter. Van Tilburgs zentrales Argument ist die – meines Erachtens unzutreffende – Prämisse, es habe ein reichsweit geltendes Tagfahrverbot in den Städten gegeben (siehe zu diesem Problem unten, 219–232). S 1989, 346 unter Bezug auf Apul. met. I 11.15. Er diagnostiziert den Zustand einer „latenten Anarchie“ sowohl in der kaiserzeitlichen Stadt als auch auf dem Land (347). An anderer Stelle spricht er von einer generellen Gefahr, die mit dem Verlassen der Stadtmauern verbunden war (S 1984, 9). G 1983, 55 behauptet apodiktisch, daß „die normalerweise befestigten Städte“ der Kaiserzeit „ihre Tore nachts geschlossen hielten“, bleibt aber jeden Nachweis schuldig. Neben der eben besprochenen Aristides-Stelle zu Kyme denke ich etwa an den Akteur bei Petron, der nachts ungehindert eine kampanische Kleinstadt verläßt (Petr. 62,3, siehe dazu unten, 373). Aber auch in den Metamorphosen, auf die Shaw sich stützt, lassen sich Gegenbeispiele finden, wenn beispielsweise die Räuber in Apul. met. IV 18,1–3 mitten in der Nacht zwischen einer reichen domus und der Nekropole hin- und herlaufen (dazu ausführlicher unten, 374).

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daß wir uns mit Apuleius in der Gattung Roman befinden, die sich durch eine geradezu groteske Dichte von Räuber- und Piratenüberfällen auszeichnet und somit im Hinblick auf die praktizierten Sicherheitsvorkehrungen nicht ganz realitätsnah sein kann.75 Ich formuliere daher als Zwischenergebnis etwas vorsichtiger: Ein spät ankommender Reisender stand in den Provinzen des Römischen Reiches anscheinend häufiger vor verschlossenen Toren, als es der Umstand, daß solche Szenen in der überlieferten Literatur kaum vorkommen, vermuten lassen würde; die kaiserzeitlichen Autoren haben hier anscheinend mehrheitlich Rom selbst – als offene Stadt – vor Augen. Das wirft eine Reihe weiterer Fragen auf: Wie wurde mit Personen verfahren, die nach Torschluß noch in die Stadt hinein oder aus ihr heraus wollten? Mit welcher Personalausstattung war am Stadteingang zu rechnen? Gab es reguläres Wachpersonal? 6.3 Wachpersonal Bei der Frage nach der Anwesenheit von Torwächtern ist wie in bezug auf den Torschluß zunächst nach Tageszeit zu differenzieren. Es ist anzunehmen, daß sich die Schließzeiten wie im Mittelalter und der Frühen Neuzeit76 am Einbruch der Dunkelheit orientierten und entsprechend der Jahreszeit angepaßt wurden. Flexible Regelungen für Personen, die nachts am Tor vorstellig wurden, würden die Existenz von Wachpersonal voraussetzen. In der Auswertung der im folgenden herangezogenen Quellen gilt es zu berücksichtigen, daß in den meisten literarischen Texten, die das Betreten oder Verlassen einer Stadt schildern, keinerlei Formalitäten oder Behinderungen am Stadteingang bzw. -ausgang erwähnt werden und eben auch keine Torwachen. Bei Apuleius beispielsweise entziehen sich die Hirten, mit denen der Erzähler unterwegs ist, gerade dadurch der Verfolgung, daß sie die Anonymität einer bevölkerungsreichen Stadt aufsuchen, von keinem Wächter am Eintreten gehindert.77 Dieser Befund ist für die literarischen Quellen repräsentativ,78 was grundsätzlich zwei Deutungsmöglichkeiten zuläßt: Entweder gab es in der Regel schlicht keine Wachen am Stadteingang, oder die Autoren lassen dieses jedermann bekannte alltagsweltliche Detail mangels Relevanz für ihre Narration beiseite. Im Licht dieser Überlegung sind die wenigen Erwähnungen von Torwachen in anderen Quellengattungen umso wichtiger. 75

76 77 78

Zur Frage der Verwendbarkeit der Metamorphosen als sozialgeschichtliche Quelle ausführlicher unten, 358 f. Shaw selbst setzt sich am angegebenen Ort mit der Frage nach zulässigen Interpretationen entsprechender Romanhandlungen auseinander (S 1989, 365–367). Diametral entgegengesetzt die Einschätzung von B 2014, 249. Siehe dazu unten, 399 f. Apul. met. VIII 23,1. Weitere Belegstellen bietet bereits Anm. 74 auf S. 135.

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6.3 Wachpersonal

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6.3.1 Nachtwachen Die Belege für nächtliche Stadtwachen sind ganz besonders rar. Sie beschränken sich auf patroullierende Truppen, die gegebenenfalls auch die Stadteingänge mit überwachten. In Rom selbst unternahmen die vigiles, deren Hauptaufgabe das Verhindern von Feuersbrünsten war, nächtliche Kontrollgänge. Vom Aufgabengebiet her einschlägiger sind die in Ägypten vielfach belegten nächtlichen Wachmannschaften, die νυκτοφύλακες. Bei ihrem Dienst handelte es sich um eine liturgische Leistung, zu der die Bürger in der Regel für die Dauer eines Jahres verpflichtet wurden. Ein Papyrus überliefert detailliert die Organisation der Nachtwachen der kleinen ägyptischen Stadt Apollonopolis Heptakomias im November 116: Zehn Wachen waren dort für jeweils rund 130 Häuser zuständig und patroullierten in den entsprechenden Straßenzügen.79 In anderen ägyptischen Städten waren bis zu 20 solcher νυκτοφύλακες abgestellt.80 Und während in Apollonopolis Heptakomias an mobiles Wachpersonal gedacht war, das in den Straßen auf und ab ging, hält ein im ausgehenden dritten Jahrhundert verfaßter Papyrus aus Oxyrhynchos die Einteilung stationärer Posten für Nachtwachen fest. Diese verrichteten ihren Dienst an genau bezeichneten Einsatzorten: sowohl bei Privathäusern als auch vor und in öffentlichen Gebäuden und außerdem an den fünf Toren der Stadt.81 Demnach verfügten die Stadttore von Oxyrhynchos, die durch eine über fünf Kilometer lange Mauer miteinander verbunden waren,82 in dieser Zeit83 über fest stationiertes Nachtpersonal. Wir kennen einige dieser Torwächter sogar namentlich. So war beispielsweise am Libyschen Tor Phileas, Sohn des Demetrios, als Nachtwache abgestellt, für das Tor des Pesor, das auch Tor der Gemüsebauern hieß, war Theodoros, Sohn des Kornelios, zuständig, und am Südtor von Oxyrhynchos war Paulus, Sohn des Onnophris, postiert.84 Ein vergleichbares nächtliches Sicherheitssystem müssen wir uns in anderen ägyptischen Städten vorstellen, die wie Oxyrhynchos Gaumetropolen waren.85

79 80 81

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85

P. Brem. 23 (W 1936, 61–66, Nr. 23), siehe die Auswertung bei H 2002, 281 f. F 2012, 75–79. P. Oxy. 1,43 verso (W 1912, 559–561, Nr. 474), siehe dazu H 2002, 282 f. Der Papyrus datiert in die Jahre nach 295. Daß es auch hier um nächtliche Bewachung gehen muß, obwohl der Begriff νυκτοφύλακες nicht fällt, macht H 2002, 284 f. deutlich. T 1952, 81. Die Sicherheitsmaßnahmen gehören in das zeitliche Umfeld der Revolte des Domitius Domitianus (H 2002, 282). P. Oxy. 1,43 verso, Kol. II, Z. 27 f.: καὶ πρ(ὸς) τῇ Λιβικῇ [πύλ]ῃ τριηδάρχου Φιλέας ∆η[µητ]ρίου. Kol. III, Z. 12 f.: καὶ πρ(ὸς) τῇ πύλῃ πέσορ ἤτοι λαχανευτῶν Θεόδωρος Κορνηλίου. Kol. III, Z. 17 f.: καὶ πρ(ὸς) τῇ νοτινῇ πύλῃ Παῦλος ᾽Οννώφριος. Siehe ferner in bezug auf die anderen Tore Kol. I, Z. 1 (fragmentarisch) und Kol. IV, Z. 1. H 2002, 283, mit einem weiteren Beleg aus Hermopolis.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

6.3.2 Tagwachen Auch in bezug auf die Tagzeit stellt sich die Frage, ob Wachpersonal am Stadteingang postiert war. Die Frage nach der Existenz von Tagwachen an kaiserzeitlichen Stadttoren ist im Hinblick auf eine Sicherheitsfunktion nicht zuletzt deshalb von Relevanz, weil auch Tore, die technisch nicht verschließbar waren, durch eine entsprechende Bemannung gesichert worden sein könnten. Haben wir bereits in bezug auf Sala von Personal gehört, das die Sicherheit derjenigen gewähren sollte, die tagsüber vor der Stadt auf ihren Feldern arbeiteten, so werden gelegentlich auch für andere Städte Wachen erwähnt, die konkret für Tore zuständig waren. Eine sehr anschauliche Passage über stadtrömische Torwachen liefert Philostrat in seiner Vita des Apollonios von Tyana: Apollonios ist mit seinen Anhängern auf dem Weg nach Rom. In Aricia, 120 Stadien vor der Stadt, treffen die Reisenden auf den Philosophen Philolaos von Kition, einen Kenner der Verhältnisse in Rom. Dieser warnt seinen Kollegen aus Tyana eindringlich davor, dorthin weiterzureisen. Der regierende Kaiser Nero, so war schon vorher zu erfahren, ist ein erklärter Feind der Philosophie.86 Philolaos befürchtet, daß Apollonios, der „einen ganzen Chor“ von Philosophen (χορὸν φιλοσόφων) mit sich führt, in Rom sofort Verdacht erregen wird. Diejenigen, welche Nero als Wachen an den Toren Roms habe aufstellen lassen, würden Apollonios und seine Anhänger gewiß festnehmen, noch ehe ersterer die Stadt betreten hätte, so Philolaos: οὐκ εἰδὼς τοὺς ἐπιτεταγµένους ταῖς πύλαις ὑπὸ Νέρωνος, οἳ ξυλλήψονταί σέ τε καὶ τούτους, πρὶν ἔσω γενέσθαι.87 Philolaos schildert Nero als ein menschenverschlingendes Ungeheuer und appelliert an Apollonios, wenigstens seine Schüler zu retten, damit diese nicht wie die Gefährten des Odysseus dem Kyklopen ausgeliefert würden.88 Unter diesen Umständen wagen es von den 34 Schülern des Apollonios nur acht, ihren Lehrer nach Rom zu begleiten, während alle anderen plötzliche Krankheit, Heimweh, Liquiditätsengpässe oder warnende Traumgesichte vorschützen, um nicht mitkommen zu müssen.89 Doch Apollonios hat Glück, und die römischen Torwachen lassen ihn und seine Begleiter unbehelligt passieren: προσῄεσαν µὲν οὖν ταῖς πύλαις, οἱ δὲ ἐφεστῶτες οὐδὲν ἠρώτων, ἀλλὰ περιήθρουν τὸ σχῆµα καὶ ἐθαύµαζον· ὁ γὰρ τρόπος ἱερὸς ἐδόκει καὶ οὐδὲν ἐοικὼς τοῖς ἀγείρουσι.

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87 88 89

Philostr. Ap. 4,35 (Text und Übersetzung im folgenden nach M 1983). Neros Edikt, das es Philosophen untersagt, in Rom öffentlich zu sprechen, tritt allerdings im Verlauf der Erzählung erst später (§ 47) in Kraft. § 36. Ebd. Apollonios selbst vergleicht Nero mit einem reißenden Tier, wilder als Löwen und Panther und womöglich mit mehreren Köpfen ausgestattet (§ 38). § 37.

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6.3 Wachpersonal

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„So gelangten sie denn an die Tore Roms. Die Wachen stellten keine Fragen an sie, sondern musterten nur ihre Tracht90 und schienen erstaunt zu sein; die Erscheinung der Fremdlinge hatte etwas Ehrwürdiges an sich, glich sie doch nicht derjenigen der Bettler.“91 Aus dem Text ergibt sich im einzelnen ein dreistufiges Procedere der Torwachen: Zunächst beschränken sie sich darauf, die Passanten aufmerksam zu mustern. Gegebenenfalls befragen sie sie kritisch (was Apollonios und seinen Schülern erspart bleibt). Bei Verdachtsmomenten sind sie, wie die Befürchtung des Philolaos voraussetzt, zur sofortigen Festnahme der Ankommenden befugt. Es entzieht sich unserer Kenntnis, wie gut Philostrat über die stadtrömischen Verhältnisse zur Zeit Neros informiert gewesen sein mag. Sein Szenario scheint eher eine Stadt vorauszusetzen, deren Zugänge systematisch mit Toren besetzt sind, als eine Stadt, die über ihre alten Verteidigungsanlagen längst hinausgewachsen ist.92 Da der Autor viele Jahre lang selbst in Rom gelebt hat93 und die Verhältnisse vor Ort kennt, wird man sich die Episode – anachronistisch in bezug auf die Lebenszeit des Apollonios – wohl an einem der erst unter Vespasian eingerichteten Zolltore vorstellen dürfen, an denen es jederzeit denkbar war, die Zugangsstraßen Roms durch Wachpersonal zu kontrollieren. Wie noch zu sehen sein wird, wurde Zollpersonal tatsächlich zu Wachaufgaben herangezogen. Claudia Moatti schlägt vor, daß die Bezeichnung der Wachen bei Philostrat, οἱ ἐφεστῶτες, als eine Übersetzung für stationarii aufzufassen sein könnte; in diesem Fall wäre also an militärisches Personal, Mitglieder der städtischen Kohorten, zu denken, die die Eingänge Roms kontrollierten.94 Wie eine unten ausführlicher zu besprechende Inschrift nahelegt, waren solche stationarii auch als Wachen am Nordtor von Saepinum eingesetzt.95 Dort hatten sie die Befugnis, Passanten festzuhalten, die sie für entlaufene Sklaven oder Viehdiebe hielten.96 Doch zunächst zurück zu Philostrat: Es läßt sich festhalten, daß er eine Konstellation entwirft, die einerseits auf der Textebene funktioniert und von keiner der 90 91 92

93 94 95 96

Zur aufsehenerregenden veganen Kleidung des Apollonios und seiner Anhänger siehe unten, 152. Philostr. Ap. 4,39. Ich modifziere hier Mumprechts Übersetzung von τοῖς ἀγείρουσι als „Bettelpriester“. Freilich berichtet Tac. ann. XV 58,2 davon, daß Nero aus Angst vor einer Verschwörung die Mauern Roms zeitweilig mit Militäreinheiten habe besatzten lassen: quin et urbem, per manipulos occupatis moenibus, insesso etiam mari et amne, velut in custodiam dedit. „Ja, sogar die Stadt, deren Mauern er von Manipeln besetzen ließ, während er auch das Meer und den Fluß sperrte, verwandelte er gleichsam in ein Gefängnis.“ Auch wenn Tore nicht ausdrücklich erwähnt werden, ist deren Besatzung bei dieser Maßnahme natürlich vorausgesetzt. B 2000, Sp. 888 f. M 2007a, 83. Zur Präsenz von stationarii am Stadteingang siehe den Abschnitt 6.6 unten, 166–173. CIL IX 2438. Siehe die Besprechung der Inschrift unten, 172 f. Die Verfolgung flüchtiger Sklaven gehörte zu den Aufgaben der milites stationarii. Auch Viehdiebstahl wurde im zweiten Jahrhundert, in dem wir uns mit dieser Inschrift befinden, schwer bestraft (C 1983, 128).

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Figuren in Frage gestellt wird (Apollonios und seine Begleiter glauben Philolaos aufs Wort), und die andererseits auch seine Rezipienten alltagsweltlich glaubhaft finden mußten. Für einen gebildeten griechischsprachigen Leser zu Beginn des dritten Jahrhunderts wäre es demnach nicht erklärungsbedürftig gewesen, daß am Eingang einer großen Stadt Wachpersonal abgestellt war, welches die Befugnis hatte, die Ankommenden zu befragen und unerwünschte oder verdächtige Personen abzuweisen oder festzunehmen. Das Verhalten der städtischen Autoritäten bei Philostrat ist dabei weitgehend reaktiv: Näher überprüft wird nur, wer im Verdacht steht, die öffentliche Ordnung zu stören oder die kaiserliche Majestät zu gefährden97 (das nämlich zeigt der weitere Verlauf des Aufenthalts in Rom, als Apollonios von einem Mann denunziert wird, der in einem Gasthaus hinter dem Stadttor von Nero verfaßte Lieder vorgetragen hatte98 ). Betrachten wir kurz die weiteren Belegstellen. Bei Artemidor von Daldis heißt es ganz allgemein, daß Zöllner an den Ausgängen der Stadt (ἀεὶ γὰρ πρὸς ταῖς ἐξόδοις ἕστηκε) Wachaufgaben ausführen (τὸ δὲ εὔνουν αὐτῶν καὶ πιστὸν ἀπὸ τοῦ φυλακτικοῦ ἔστι τεκµήρασθαι).99 Dieser Schutzdienst ist ganz offensichtlich ein Nebenaspekt ihrer eigentlichen Tätigkeit, die an den Geschäfts- und Reiseverkehr tagsüber gebunden ist.100 Die Aufgabe, des Tags die ein- und ausgehenden Personen zu kontrollieren, ließ sich mit Artemidor als eine Wachtätigkeit auffassen. Eine Stelle bei Maximos von Tyros setzt die Anwesenheit von Torwachen voraus, ist aber nicht ohne weiteres auf den kaiserzeitlichen Alltag zu münzen. Dort wird darauf Bezug genommen, daß der führende Amtsträger oder Gründungsvater einer Stadt jedem den Eintritt in ihre Tore verwehrt, der nicht zuvor Auskunft über seinen Beruf gibt und darüber, welchen nützlichen Beitrag zum Zusammenleben der Bürger er zu leisten befähigt sei.101 An dieser Stelle ist nicht vom Betreten einer konkreten Stadt die Rede, sondern allegorisch vom Eintritt ins Leben, was 97 98 99 100

101

M 2007a, 83. Philostr. Ap. 4,39. Am nächsten Tag wird Apollonios vor den Konsul gerufen und befragt (§ 40). Artem. 3,58. In dieser Passage geht es darum, was es bedeutet, im Traum einen Zöllner zu sehen. Das legt übrigens auch Artemidor nahe, der ebd. auf die Zuständigkeit des Zollpersonals für diejenigen abhebt, die Handelsgeschäfte betreiben oder reisen. Vgl. auch die grundsätzliche Überlegung bei M 2007a, 93 (die nicht in bezug zu der hier diskutierten Stelle steht): „Or si l’octroi [die stadtrömische Zollgrenze] est bien attesté à la fin du 1er siècle de notre ère et s’il a pu jouer un rôle dans la surveillance des gens de mauvaise réputation, c’est avant tout au contrôle des marchandises et des prélèvements qu’il était destiné.“ Max. Tyr. 15,3 (Trapp): εἴ τις ἡµᾶς παριόντας εἰς τὸν βίον ὥσπερ ἄρχων πόλεως ἢ οἰκιστὴς οὐκ εἴα βαδίζειν εἴσω πυλῶν, πρὶν πυθέσθαι τί ἑκάστῳ ἔργον καὶ τίνα ἕκαστος ἥκει χρείαν εἰς κοινὸν φέρων τῇ πόλει, οἶµαι ἂν εἰπεῖν τὸν µὲν οἰκοδόµον, ὅτι λίθους ἐν τάξει διὰ τέχνης ἁρµόσας. „Wenn uns jemand beim Eingang ins Leben wie der Aufseher oder Verwalter einer Stadt das Tor erst durchschreiten läßt, wenn er zuvor erfährt, welchen Beruf ein jeder ausübt und welchen Nutzen er der Stadtgemeinde bringt, dann würde wohl der Baumeister erklären, er füge Steine kunstgerecht zusammen“. (Übersetzung S/S 2001.) Sprecher der Rede ist das aktive Leben, das in eigener Sache dafür plädiert, ein Philosoph solle in der Öffentlichkeit wirken.

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6.3 Wachpersonal

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freilich eine Übertragbarkeit des Bildes auf empirische Verhältnisse voraussetzt. Die zeitgenössischen Rezipienten des Maximos im späten zweiten Jahrhundert müssen jedoch nicht zwingend ihren eigenen Alltag darin wiedergefunden haben, da das Vokabular, mit dem die städtischen Autoritäten bezeichnet werden, auf politische Institutionen der klassischen griechischen Polis verweist.102 6.3.3 Wachlokale an und in Stadttoren Kommen wir damit zu einigen Belegen, die sich auf die Verhältnisse in konkreten Städten beziehen, in denen Torwächter oder Wachlokale historisch nachgewiesen sind: Dura Europos in Mesopotamien, Termessos in Pisidien, Bakchias in Ägypten und Augusta Praetoria (Aosta) in Italien. Besonders aussagekräftig ist die Befundsituation in Dura Europos, einer typischen römischen Stadt östlichen Zuschnitts.103 Dort sind mehrere Torwächter (πυλουροί) namentlich bekannt, die im Haupttor der Stadt ihren Dienst taten. Dabei wurden Addaios, Sohn des Akollaios, und Akollaios, Sohn des Addaios – offenbar Vater und Sohn104 – im Zuge der römischen Besetzung der Stadt im Jahr 165 anscheinend durch einen anderen Torwächter namens Gosaios, Sohn des Naastabos, und dessen Sohn ersetzt.105 Da das Amt des πυλουρός in den späteren Inschriften des Stadttors nicht mehr verkommt, ist anzunehmen, daß in der Folgezeit Militärs die Torwache versahen. Bis zum Beginn des dritten Jahrhunderts waren nämlich Soldaten der in Dura stationierten Garnison sowie auch Beneficiarier in dem Tor postiert. Viele von ihnen haben sich in Graffiti und Depinti an den Innenmauern des Stadttors verewigt.106 Eine gemauerte Sitzbank im Tordurchgang wird von den Ausgräbern als Posten der Torwache angesprochen und die gleich dahinter liegende Kammer als Wachlokal.107 In den vier Torkammern wurden Armbrustgeschosse, Reste eines ledernen römischen Schildes sowie von Soldatenschuhen und ein Vorrat an noch unbenutzten Lanzenspitzen gefunden.108 Die weiteren einschlägigen Befunde seien kursorisch referiert: In Termessos ist für die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts inschriftlich ein Wachlokal der 102

103 104 105 106 107 108

Es könnte zwar auch als Übersetzung spezifisch römischer Termini verstanden werden – ἄρχων würde dann einen consul meinen und οἰκιστής einen triumvir coloniae deducendae –, aber diese treten ja nun typischerweise gerade nicht einzeln in Erscheinung, sondern zu zweit bzw. zu dritt. Zumindest das Dreimännerkolleg coloniae deducendae gehört außerdem nicht in die Kaiserzeit, sondern in die Republik. (Zur Übersetzung siehe die einschlägigen Lemmata in LSJ, S. 254 und 1203.) B 2011, 52. J 1931, 138, D.102 = SEG VII 624. Das Verwandtschaftsverhältnis erhellt aus den Patronymen. So überzeugend J 1931, 156–158. Hier geht es um die datierte Inschrift J 1931, 139, D.103 = SEG VII 625. Einzelnachweise zur militärischen Besatzung des Tors unten, 169 f., vgl. dazu auch B 2011, 57. Aus den Graffiti des Stadttors wird unten, 278, zitiert. P 1929, 16.19. Ebd., 16–18, und P 1931, 7 f.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Paraphylakes belegt, ein παραφυλακεῖον, das Brélaz an der Stadtmauer vermutet.109 (Die παραφύλακες waren Magistrate, die in Begleitung kleiner bewaffneter Aufgebote routinemäßig im Umland der kleinasiatischen Städte patroullierten.110 ) Im ägyptischen Bakchias wurde ein an das Doppeltor der Stadt angrenzender Raum von den Ausgräbern als Wächterraum identifiziert.111 Mit Bezug auf Italien ist der Befund eines Stadtmauertors in Aosta zu verzeichnen, wonach die beiden Türme, die das Tor flankierten, im rückwärtigen Teil als Wachstuben konzipiert waren.112 Unklar sind die archäologischen Befunde möglicher Torwächternischen an zwei Stadttoren in Pompeji, deren Deutung kontrovers diskutiert wird.113 Möglicherweise läßt sich an dieser Stelle auch die Stadt Tiberias in Galiläa ergänzen. Dort könnte es offizielle und gewissermaßen hauptamtliche Torwächter gegeben haben, wie rabbinische Quellen nahelegen.114 Der in Tiberias belegte Typus des freistehenden Bogenmonuments war mit seinen seitlich integrierten Türmen jedenfalls prinzipiell dazu geeignet, Wachmannschaften aufzunehmen; eine solche Funktion wird für mehrere Tore dieses Bautyps in Syrien und Palästina postuliert.115 6.3.4 Verschlossene und bewachte Tore im Prinzipat Eine systematische Bewachung der Stadteingänge, wie Libanios sie im vierten Jahrhundert voraussetzen kann,116 hat es im ersten bis dritten Jahrhundert nicht gegeben. Das Quellenmaterial läßt jedoch insgesamt den Schluß zu, daß der Eingang mancher Städte mit regulären Wachleuten besetzt war. Das wäre ein fundamentaler Unterschied etwa zum klassischen Griechenland, wo Stadttore in Friedenszeiten grundsätzlich nicht bemannt waren.117 Dabei stellt sich die Frage, ob neben hauptamtlichen Wachleuten nicht auch an anderes Kontrollpersonal zu denken ist, das den Städten zur Verfügung stand und bei Bedarf am Stadteingang postiert werden konnte. Wie der Beleg bei Artemidor andeutet, konnten insbesondere die Zöllner im Zuge ihrer Tätigkeit auch Wachaufgaben erfüllen. Gerade in Rom selbst scheint 109 110 111 112 113 114

115

116 117

TAM III 14A, Z. 14, siehe dazu B 2005, 124 f. Das Wort ist ein Hapaxlegomenon (LSJ Suppl., S. 241, s. v. παραφυλακεῖον). Siehe F 2012, 71 mit weiteren Belegen. Siehe dazu unten, 192. K 1942, 89. Siehe etwa  T 2007, 111 f. mit Abb. 3.13 sowie   G 2019, 103 mit Anm. 106 auf S. 111. S 1998, 125, Anm. 25, diskutiert zwei Midrasch-Belege, die er ins dritte Jahrhundert setzt. Sie sind freilich sprachlich schwierig, so daß nicht sicher zu entscheiden ist, ob sie sich wirklich auf Torwächter beziehen; Sperber läßt die Frage letztendlich auch offen. A 1998, 181 in bezug auf die mit flankierenden Türmen bewehrten Tore in Jerusalem, Gadara und Tiberias: „En l’absence d’un rempart, la fonction défensive de ces portes était réduite au seul fait que leurs tours abritaient des corps de gardes.“ Weitere Tore dieses Bautyps in den östlichen Provinzen führt W 2000, 10–14 auf. Lib. Or. 25,48 zufolge kann ein Fremder davon ausgehen, am Tor einer Stadt einen Wächter anzutreffen. Siehe dazu oben, 85 f.

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6.3 Wachpersonal

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mir hier eine starke Verquickung von polizeilichen mit Zollaufgaben vorzuliegen, da die städtischen Kohorten in die Erhebung der Ein- und Ausfuhrzölle involviert waren.118 Dennoch legen die vielen Texte, in denen das Betreten einer Stadt mit keinerlei Komplikation oder auch nur einer expliziten Erwähnung eines Wachpostens verbunden ist,119 die Interpretation nahe, daß gerade kleinere Städte in der Regel auf Wachen verzichteten. Hier reichten die Mechanismen der sozialen Kontrolle120 und nachbarschaftlichen Selbsthilfe121 aus, um ein hinreichend großes Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu erzeugen. Nachts patroullierten bei Bedarf Sicherheitskräfte durch die Straßen.122 Wir haben aber gesehen, daß in den Provinzen, anders als in Rom und Italien selbst, verschließbare Stadttore keine Seltenheit waren. Von den besprochenen Städten hatte Sala wegen seiner peripheren Lage besonders prekäre Sicherheitsverhältnisse zu gewärtigen. Darüber hinaus wird man wohl auch der Lage in Palästina eine gewisse Instabilität attestieren. Wenn aber selbst in Smyrna an der kleinasiatischen Westküste im Winter nachts die Stadttore verschlossen wurden, und wenn sich Philostrat Torwächter sogar in Rom vorstellen kann, dann ist das Phänomen nicht auf die exponierten äußersten Randgebiete oder einige notorische Problemfälle beschränkt gewesen. Es ist wohl davon auszugehen, daß Torwachen auch kurzzeitig eingesetzt werden konnten, um einem erhöhten Sicherheitsbedürfnis zu entsprechen oder bei großem Publikumsverkehr einen reibungslosen Ablauf an den Stadttoren zu gewährleisten. Solche Maßnahmen könnte man sich analog zu dem Einsatz zusätzlicher Sicherheitskräfte innerhalb der Stadt vorstellen, der an Festtagen, bei der Austragung von Wettkämpfen und für große Beerdigungsprozessionen praktiziert wurde. In Griechenland und Kleinasien wurden zu solchen Anlässen neben den für Sicherheitsfragen zuständigen Magistraten und ihren festen Mitarbeitern zusätzliche ῥαβδοφόροι und µαστιγοφόροι berufen, um angesichts großer Menschenmengen die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.123 Mit vergleichsweise geringem Aufwand könnten in besonderen Situationen auch die Tore solcher Städte mit Wachpersonal besetzt worden sein, die normalerweise unbemannt waren. 118

119 120 121 122 123

Die Stadtkohorten waren zumindest im vierten Jahrhundert für die Zollerhebung an den Toren mit zuständig (K 2013, 414 f.). Vgl. auch die Eintreibung von Steuergeldern in Stadtrom durch die Prätorianerkohorten im ersten Jahrhundert (Suet. Cal. 40 f.; es geht um die Erhebung der von Caligula eingeführten neuen Steuern unter anderem auf Prozeßkosten, Nahrungsmittel und Gewerbe wie Lastenträger und Prostitution). Beispiele oben, Anm. 74 auf S. 135. Siehe F 2012, 46. Belege zur nachbarschaftlichen Selbsthilfe bei der Verteidigung gegen Räuber bei S 1989, 357 f. Dazu oben, 136 f. Zum Einsatz solcher zusätzlichen Sicherheitskräfte innerhalb der Stadt siehe B 2005, 171– 182.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Den konkreten Aufgaben des Wachpersonals widmet sich das folgende Unterkapitel. Aus welchen Anlässen wurden an den Stadteingängen Kontrollen durchgeführt? Nach welchen Kriterien wurden die Ankommenden eingelassen oder abgewiesen? Wie konnten sie als Einzelpersonen oder Angehörige einer bestimmten Bevölkerungsgruppe identifiziert werden? 6.4 Personenkontrollen Flächendeckende systematische Personenkontrollen hat es im Römischen Reich nicht gegeben.124 Dies erlaubt jedoch nicht den Schluß, daß die Mobilität von Personen gar nicht kontrolliert worden wäre. So kommt Claudia Moatti zu der Einschätzung, „l’entrée dans les villes [. . . ] ne faisait pas l’objet de contrôles mais de nombreuses mesures limitaient les flux de population.“125 Wie Moatti in einer Serie von Beiträgen aufgezeigt hat, operierten die städtischen Autoritäten einerseits mit der Beschränkung von Aufenthaltsrechten oder sogar Platzverweisen, andererseits mit Aufenthaltsprivilegien. Moatti unterscheidet drei Kategorien gesetzlicher Regulierungsmaßnahmen: Durchgangsverbote, Aufenthaltsbeschränkungen und Vertreibung aus einer Stadt.126 Ein Instrumentarium direkter sowie indirekter Kontrollund Regulierungsmechanismen differenzierte sich in der Kaiserzeit aus.127 Unter Umständen wurde die Mobilität von Angehörigen bestimmter Bevölkerungsgruppen nur summarisch erfaßt, wie es an der afrikanischen Außengrenze des Imperium der Fall war, wo die im Lager Gholaia stationierten Soldaten präzise darüber Buch führten, wann immer berberische Garamanten die Grenze passierten. Sogar die von ihnen mitgeführten Tiere wurden penibel gezählt: ducentes asinos n(umero) iiii,128 ist dort etwa vermerkt. Für Personenkontrollen am Stadteingang sind generell ganz unterschiedliche Beweggründe denkbar.129 Vielleicht sollte bei bestimmten Anlässen der Zugang zur Stadt kontrolliert oder reglementiert werden, etwa um die Zahl der Fremden zu erfassen. Vielerorts waren auch zeitweilige Aufenthaltsverbote für bestimmte Personengruppen in Kraft, deren Einhaltung am Stadttor zumindest stichprobenartig überwacht worden sein muß. Als kurzfristige Maßnahme konnten Personenkontrollen außerdem darauf abzielen, Kriminelle zu verfolgen oder mögliche Unruhestifter fernzuhalten. Auch im Zusammenhang mit Zollerhebung wurde gegebenenfalls die

124

125 126 127 128 129

M 2000, 928. Wie Moatti gezeigt hat, änderte sich die Situation erst im sechsten Jahrhundert, als eine Einwanderung der Provinzbevölkerung nach Konstantinopel gezielt und dauerhaft verhindert wurde (M 2007a, 86.90–92 und M 2017, 238–245). Zu den Veränderungen in der Spätantike siehe ausführlicher unten, 159–161. M 2017, 244. Ebd., 238. Ebd., 245. R 2004, 158.174. Die Ostraka datieren etwa in die Zeit von 254 bis 260. Vgl. allgemein (das heißt nicht auf die Antike bezogen) auch A/D 2010, 3–5.

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6.4 Personenkontrollen

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Gruppenidentität von Ankommenden festgestellt,130 um privilegierte Ortsansässige von abgabenpflichtigen Reisenden zu unterscheiden. 6.4.1 Mobilitätsrestriktionen für Personen und Personengruppen In den Quellen ist unter den genannten Fällen insbesondere derjenige gut dokumentiert, daß bestimmten Personen oder ganzen Personengruppen zeitweise der Aufenthalt in römischen Städten verwehrt wurde, oder daß sie umgekehrt an Auflagen gebunden waren, einen bestimmten Ort nicht zu verlassen. Die Hauptstadt Rom war in der Kaiserzeit prinzipiell offen zugänglich.131 Dennoch wurde beispielsweise die dauerhafte Niederlassung als incola, die mit ähnlichen Privilegien verbunden war wie die Stellung eines cives, in Rom streng reglementiert.132 Auch aus anderen Gründen konnten der Zugang nach Rom und der Verbleib vor Ort Restriktionen unterworfen sein. So wurde seit Augustus die relegatio, die Verbannung aus Rom und Italien, als ein politisches Instrument gegen mißliebige Angehörige der Oberschicht eingesetzt;133 Frauen wurden oft lediglich aus Rom selbst verbannt.134 Augustus entfernte auf diese Weise aber auch eine beträchtliche Anzahl Krimineller und potentieller Unruhestifter in die Provinzen.135 Als alternative Sanktion führte er die deportatio ad insulam ein – ein Verfahren, das er erstmals 2 n. Chr. praktizieren ließ, als er seine Tochter Julia nach Pandateria und viele ihrer Freunde auf andere Inseln verbannte.136 Später war der Stadtpräfekt in Rom den Digesten zufolge befugt, einzelnen Personen zeitweise oder dauerhaft den Aufenthalt in der Stadt zu verbieten (urbe interdicere praefectus urbi . . . potest . . . et ad tempus et in perpetuum).137 Solche Verbote konnten beispielsweise Freigelassene betreffen, die sich gegenüber ihrem Patron notorisch undankbar zeigten; sie durften sich Rom fortan nur bis zum 20. Meilenstein nähern.138 Auch römischen Bürgern, die durch einen Statthalter aus einer bestimmten Provinz verbannt worden waren, war der Aufenthalt in Rom verboten. Dasselbe galt für Peregrine, die ihrer Heimatstadt verwiesen worden waren, und für unehrenhaft entlassene Soldaten.139 130 131 132 133 134 135 136 137

138 139

Vgl. S 2009, 83 f. zur Rolle von Zollposten für die Kontrolle der Mobilität von Nomaden. F 1987; M 2007a, 82. Ebd.; M 2017, 242 f. D 2011. Ebd., 231, Anm. 4. Ebd., 233. Als gesetzlich vorgesehene Strafe wurde die deportatio ad insulam erst 12 n. Chr. eingeführt (siehe dazu ebd., 234–243). Dig. 1,12,13 (Ulpian). Da der Titel auf Ulpian zurückgehrt, muß diese Regelung spätestens zu Beginn des dritten Jahrhunderts unter Caracalla in Kraft gewesen sein. Vorher lagen die entsprechenden Befugnisse allein beim Princeps. Die Bestimmung geht auf eine Lex Aelia Sentia des Jahres 4 n. Chr. zurück (dazu M 2007a, 84). Ebd.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Analoge Aufenthaltsverbote konnten auch von den Provinzstädten formuliert werden. So erwähnt Libanios, daß der Sophist Gerontios von Apameia per Dekret aus den Toren seiner Heimatstadt ausgeschlossen wurde.140 Es stellt sich freilich die Frage, ob es überhaupt Versuche gegeben hat, solche Platzverweise zu überwachen. In einigen Fällen handelte es sich wohl eher um Symbolpolitik.141 Und die Tatsache, daß sogar zahlreiche von Augustus Exilierte, denen ein bestimmter Verbannungsort zugewiesen worden war,142 diesen Ort schon 12 n. Chr. wieder verlassen hatten, spricht zumindest gegen die Annahme einer engmaschigen Überwachung. Dabei ist allerdings zu bedenken, daß das Verlassen der ursprünglichen Verbannungsorte ja immerhin von den Autoritäten registriert worden ist.143 Auch ist daran zu erinnern, daß die relegationes unter Androhung harter Sanktionen und teils der Todesstrafe verhängt wurden,144 was wohl in der Regel Abschreckung genug gewesen sein wird.145 Lediglich verbannte Angehörige der kaiserlichen Familie wie beispielsweise die beiden Juliae standen durchgängig unter strengster Bewachung.146 Auf die Möglichkeiten, einen individuellen Platzverweis zu kontrollieren, wird im Zusammenhang mit den Mitteln zur Identifikation einzelner Personen noch zurückzukommen sein. Zunächst gilt es eine weitere Konstellation zu besprechen. Wie bereits erwähnt, konnten nicht nur einzelne Personen, sondern auch bestimmte Personengruppen oder Bevölkerungskategorien Auflagen unterworfen werden. Besonders strikt war seit augusteischer Zeit die Mobilität der Senatoren geregelt. Nach einem Gesetz aus dem Jahr 29 v. Chr. bedurfte jede senatorische Reise außerhalb Italiens einer kaiserlichen Genehmigung; unter Claudius wurde die Regelung auch auf einige Angehörige des Ritterstandes ausgedehnt und galt mit kleineren Modifikationen noch im dritten Jahrhundert.147 Wie Tacitus zugespitzt formuliert, kam es sogar vor, daß der Kaiser jemanden zum Statthalter einer Provinz ernannte und ihm anschließend verweigerte, auch nur die Mauern Roms zu verlassen: mandaverit quibusdam provincias, quos egredi Urbe non erat passurus.148 Augustus verfügte außerdem, daß Statthalter binnen drei Monaten nach Niederlegung ihres Amtes wieder in Rom zu sein hatten. Auch andere Amtspersonen konnten zu einem

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Lib. Or. 1,187. Die Rede datiert ins Jahr 380. Etwa bei dem Verbot für infames, sich in der Stadt niederzulassen (M 2017, 236). Als Beispiel für diese besonders harte Form der Verbannung sei auf Ovid in Tomis verwiesen. Darauf weist D 2011, 239 f. hin. Zur Todesstrafe bei Zuwiderhandlung gegen eine Verbannung ebd., 232. Ich folge hier D 2011, 240: „It would seem, therefore, that the only thing keeping most deportees from leaving their designated island was the threat of worse punishment if caught.“ Siehe dazu ebd., 231–243. Ebd., 243–256. Tac. ann. I 80,3. Siehe D 2011, 251 f., der entsprechende Fälle unter Tiberius auflistet, als die Statthalter von Syrien und Spanien eine ganze Dekade lang nicht in ihre Provinzen ausreisen durften.

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6.4 Personenkontrollen

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Aufenthalt in der Stadt Rom verpflichtet werden.149 Angesichts der Tatsache, daß Senatoren und andere hochgestellte Aristokraten mit großer Entourage zu reisen pflegten, ließ sich ihre Mobilität recht einfach überwachen. Dabei spielte auch die Infrastruktur des neuetablierten Poststationensystems eine Rolle: „The new imperial post system probably helped to enforce Augustus’ regulations, since the changing stations that were distributed along the empire’s highways could easily monitor traffic“.150 Ein Senator hätte daher schon einiges an konspirativer Energie aufbringen müssen, um unerkannt zu verreisen. Freilich gab es solche Fälle. So wurde Rubrius Fabatus 32 n. Chr. bei dem Versuch, ohne Genehmigung nach Sizilien überzusetzen, prompt von einem Zenturio aufgegriffen und nach Rom zurückgebracht, wo er fortan von eigens abgestellten custodes überwacht wurde.151 Neben diesen Auflagen für Senatoren, Rom respektive Italien nicht unautorisiert zu verlassen, gab es umgekehrt Versuche, bestimmte Personengruppen aus Rom auszuschließen. Das bekannteste Beispiel dafür dürfte das der Juden 19 n. Chr. unter Tiberius152 und erneut 49 n. Chr. unter Claudius153 sein. Die Edikte können allerdings nicht die komplette jüdische Stadtbevölkerung betroffen haben:154 Die Juden in Rom waren teils römische Bürger, deren Vorfahren als Kriegsgefangene unter Pompeius nach Italien gebracht worden waren und später durch Freilassung das Bürgerrecht für ihre Kinder erreicht hatten. Möglicherweise zielten die kaiserlichen Erlasse nicht auf diese alteingesessene Gruppe ab, sondern auf die große Zahl neu eingewanderter Juden, die verdächtigt wurden, die öffentliche Ordnung zu gefährden.155 Ein spätantikes Beispiel für die Vertreibung einer ganzen Bevölke149 150 151

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Ebd., 245. Zur strengen Umsetzung dieser Gesetze, auch unter den Nachfolgern des Augustus, siehe insbesondere 244–246. Ebd., 245. Tac. ann. VI 14,2. Wie es weiter heißt, blieb Rubrius nur deshalb am Leben, weil man ihn vergaß. Den Hinweis auf diesen Fall entnehme ich D 2011, 245, zum historischen Hintergrund siehe den Kommentar zur Stelle bei W 2017, 146 f. Woodman zufolge war der justiziable Tatbestand nicht die Reise nach Sizilien (da Sizilien, wenngleich Provinz, für die Belange des Reisegesetzes ausdrücklich zu Italien gezählt wurde), sondern die Absicht des Senators, sich nach Parthien zu begeben. Siehe etwa Suet. Tib. 36: Iudaeorum iuventutem per speciem sacramenti in provincias gravioris caeli distribuit, reliquos gentis eiusdem vel similia sectantes urbe summovit, sub poena perpetuae servitutis nisi obtemperassent. „Die jüdische Jugend stationierte er unter dem Vorwand, daß sie beim Militär Dienst zu tun hätte, in Provinzen mit recht ungesundem Klima. Den Rest eben dieses Volkes und solche Leute, die ähnlichen Riten anhingen, wies er aus der Stadt, wobei er ihnen ewig dauernde Knechtschaft androhte, wenn sie ihm nicht gehorchten.“ (Übersetzung M 2014, 379.) Suet. Claud. 25,4: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit. „Die Juden, die sich von Chrestos ständig zu Unruhen anstifte[n] ließen, vertrieb er aus Rom.“ (Übersetzung M 2014, 591.) Die historische Interpretation der Aussagen bei Sueton ist überhaupt höchst umstritten, siehe etwa den ausführlichen Stellenkommentar zum Edikt des Claudius bei H 2001, 176–178, mit weiterführender Literatur. M 2007a, 87 f. Dort heißt es in bezug auf eine analoge Situation in Alexandria im Jahr 41 n. Chr.: „On peut imaginer qu’il en fut de même à Rome: les juifs, organisés en plusieurs synagogues, accueillaient leurs coreligionnaires sans en demander l’autorisation (et de fait l’entrée

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rungsgruppe bietet die Ausweisung von Saisonarbeitern durch Symmachus, den Stadtpräfekten von Rom, im Jahr 384. Anlaß war eine Hungersnot in der Stadt.156 Es handelte sich bei solchen kollektiven Platzverweisen immer um punktuelle Maßnahmen, mit denen auf konkrete Probleme – eine Krise, politische Unruhen, Nahrungsmittelknappheit – reagiert wurde.157 Gerade Rom, Alexandria und Antiocheia, die großen Zentren der römischen Welt, waren in beträchtlichem Maßstab das Ziel dauerhafter Migration, die seit dem ersten Jahrhundert besondere Maßnahmen der Kontrolle und Beschränkung erforderte.158 Die Forschung der letzten Jahre hat allerdings die sogenannte urban graveyard theory zunehmend kritisch diskutiert,159 derzufolge in den antiken Großstädten die Sterblichkeit sehr viel höher als die Geburtenrate gewesen sei, weshalb enorme Zuwanderungsquoten vom Land in die Stadt veranschlagt werden müßten. Zweifellos aber – das zeigen die genannten Beispiele – hat es immer wieder Bemühungen gegeben, Zuwanderung zu lenken, indem bestimmten Personengruppen der Zutritt in die Stadt erschwert oder ganz versagt wurde. Angaben über die tatsächliche Umsetzung von Maßnahmen, die den Zugang zu bestimmten Städten beschränkten, sind freilich rar. Wie ich meine, läßt sich dennoch mit guten Gründen annehmen, daß bei Bedarf an den Stadttoren Personenkontrollen durchgeführt wurden, so daß Angehörige mißliebiger Personengruppen gar nicht erst in die Stadt hineinkamen.160 Das wirft freilich die Frage auf, wie entsprechende Passanten überhaupt identifiziert werden konnten. 6.4.2 Die Identifikation von Personen Der Prozeß der Identifikation einer Person ist per se fehleranfällig.161 Für die Vormoderne gilt das in erheblich größerem Umfang als heute,162 wo jedem Neugeborenen in Deutschland binnen Wochen eine individuelle amtliche Steueridentifikations-

156 157 158 159 160 161

162

dans la ville était libre et les liens entre toutes les communautés juives de Méditerranée très étroits) et cette liberté avait atteint des proportions jugées intolérables par les autorités.“ Dazu M 2017, 228. M 2007a, 91. Der Frage, inwiefern sich die römische Gesetzgebung mit Migration befaßt hat, geht M 2017 nach. Siehe beispielsweise die zahlreichen Beiträge zum Thema in  L/T 2016. Vertreten wird die Theorie dagegen noch bei P 2006, 35–37. So auch M 2000, 932. Allgemein zur Eignung von Stadttoren, um Personenkontrollen durchzuführen, siehe O 2013, 78. M/K 2007b, 14 f. Anhand des Quellenbefundes für die griechische Zeit kommt L 2004, 120 zu der Einschätzung, es seien mehr Beispiele für unzutreffende als für zutreffende Identifizierungen überliefert. Einen epochenübergreifenden Vergleich vom Mittelalter bis in die Moderne bieten A/D 2010. Ihre Ausgangsthese besagt, daß jede Epoche ihre eigenen Formen der Identifikation von Individuen hat, und ebenso spezifische Arten, die Identität einer Person auszudrücken (ebd., 5).

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nummer zugeordnet wird.163 Die antike Herangehensweise war eine vollkommen andere als die der modernen Nationalstaaten: „Ancient societies did not need to identify all their inhabitants: identification could be left to social networks, to indifference, or to uncertainty.“164 Wie wir gesehen haben, hatten kaiserzeitliche Autoritäten mitunter aber dennoch das Interesse, Ankommende und/oder bereits Ortsansässige zu kontrollieren. Zu unterscheiden sind grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Kontrolle, je nachdem, ob lediglich die Zugehörigkeit einer Einzelperson zu einer Bevölkerungsgruppe oder die konkrete Identität einer Person festgestellt werden sollte. Die Zuordnung zu einer sozialen oder religiösen Gruppe, zu einer Berufsgenossenschaft, zu einem bestimmten Status oder Privileg war oft bereits anhand äußerer Personenmerkmale wie Kleidung, Insignien oder Habitus möglich.165 Zur individuellen Identifikation166 einer Person hingegen konnte einerseits eine formelle mündliche Erklärung (professio) herangezogen werden, die beispielsweise Namen und Herkunft betraf, andererseits schriftliche Dokumente wie Empfehlungsschreiben oder amtliche Papiere aller Art.167 Beides, die allgemeine Zuordnung zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe sowie die konkrete Identifikation einer Person, wurde im Römischen Reich praktiziert.168 Dabei waren es zum einen die Reichsgrenzen, an denen Personenkontrollen stattfanden, zum anderen teils auch die Provinzgrenzen, und schließlich die Stadteingänge.169 a) Feststellen der Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe Die Zuordnung von Passanten zu einer Bevölkerungsgruppe ging in der Regel anhand äußerer Merkmale vonstatten. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang 163

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169

Hier ist freilich zu bemerken, daß in der Kaiserzeit die Geburten von Kindern mit römischem Bürgerrecht ebenfalls dokumentiert wurden (siehe dazu M 2007b, 40–43 mit interessanten Quellenbelegen). M 2006, 121. Siehe dazu den folgenden Abschnitt, 149–154. Das Wesen einer solchen Identifikation besprechen A/D 2010, 3 f. Sie unterscheiden systematisierend drei Aspekte, wonach Identifikation entweder auf die Anerkennung der Einzigartigkeit des Individuums abzielt (singulariser), auf seine Unterscheidung von anderen (différencier) oder auf die Feststellung, daß es sich um dieselbe Person handelt, die andernorts oder zu einer anderen Zeit bereits aktenkundig geworden ist (reconnaître). Dazu ausführlich unten, 154–158. Zur Anwendung verschiedener Identifikationsmöglichkeiten in der römischen Antike siehe M 2006, 119–121, M/K 2007b, 13–15, C 2007 und M 2007b, 27–30. M 2000, 931–938; M 2006, 122–126; zu den Personenkontrollen an den Reichsgrenzen siehe auch G 2016, und zusammenfassend D 2002, 325: „Troops stationed on the frontiers were responsible for the Roman equivalent of immigration control and passport checks. Soldiers supervised natives crossing the frontier at specified points and places for assemblies and markets in Germany. The Tencteri could cross the Rhine, but they had to do so unarmed, under military supervision, and pay tolls.“

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ein Erlaß aus dem Jahr 215, der voraussetzt, daß die Passanten am Stadteingang von Alexandria anhand ihres Äußeren überprüft wurden. Es handelt sich um ein Schreiben des Kaisers Caracalla, das auf einem bekannten Gießener Papyrus überliefert ist.170 Caracalla weist darin an, die Binnenwanderung nach Alexandria zu begrenzen. Hintergrund dieser Bestimmung war der, daß Alexandria nicht nur ein beliebtes Reiseziel bei Touristen, sondern auch für die ägyptische Landbevölkerung sehr attraktiv war, die saisonal oder dauerhaft dorthin wanderte. Colin Adams zufolge zeigt sich im ägyptischen Befund „that legal matters and education, as well as commercial activities, were the main reasons for travelling to and remaining in Alexandria. These were push/pull factors, for Alexandria was a labour market beyond all others in Egypt, which must have been attractive to both skilled and unskilled workers – a focus of labour migration.“171 Entsprechende Aufrufe an die Landbevölkerung, an ihren ursprünglichen Wohnsitz zurückzukehren, sind daher in Ägypten schon seit Beginn des zweiten Jahrhunderts bezeugt, und zwar im Zusammenhang mit dem Zensus, also zum Zweck von Steuererhebungen.172 In diesen Kontext (und nicht in den eines Aufstands in Alexandria im selben Jahr173 ) gehört offenbar das Schreiben Caracallas. Dort heißt es, daß alle Αἰγύπτιοι aus Alexandria auszuweisen sind, sofern es sich um landflüchtige Bauern aus der χώρα handelt (Z. 16 f. und 23 f.), deren zahlreiche Anwesenheit keinen Nutzen bringt und Unruhen verursacht (Z. 19 f.). Bleiben dürfen vorübergehende Besucher der Stadt wie Schweinehändler, Nilschiffer, Schilfrohrlieferanten, Festbesucher, Touristen oder Geschäftsreisende (Z. 18–22). Analog zu der strengen formalen Unterscheidung zwischen der Stadt Alexandria und ihrem Umland174 wird also zwischen der makedonisch-griechisch-römischen Stadtbevölkerung einerseits und der ägyptischen Landbevölkerung andererseits unterschieden, wobei als dritte Kategorie einige unverzichtbare Lieferanten von 170

171 172

173

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P. Giss. 40, Kol. II, Z. 16–29 (K 1994, 215–255, Nr. 6). Zur Urheberschaft siehe K 1994, 247: Es wäre zwar prinzipiell auch denkbar, daß es sich um einen Erlaß des ägyptischen Präfekten handelt, aber die gemeinsame Überlieferung mit zwei Edikten des Kaisers spricht dafür, den Text Caracalla zuzuschreiben. A 2016, 278, vgl. auch ebd., 268. Die Praxis geht offenbar bis auf die Ptolemäer zurück; siehe dazu M 2007a, 90 mit Nachweisen. Vgl. auch M 2017, 239. Für den Zensus war persönliche physische Anwesenheit erforderlich. Gegen die ältere Auffassung, die aktuell auch K 2017, 198–201 vertritt. Eine ausführliche Begründung dieser Position bietet B 1995, demzufolge Caracalla mit diesem Edikt nach dem von ihm persönlich blutig niedergeschlagenen Aufstand in Alexandria im Jahr 215 die örtlichen collegia von Aufrührern säubern wollte. Darauf verweist schon der Name der Stadt, Alexandria ad Aegyptum bzw. ᾽Αλεξάνδρεια πρὸς Αἰγύπτῳ (siehe K 2017, 195).

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der Bestimmung ausgenommen sind und als vierte Kategorie diejenigen, die sich zu religiösen, touristischen oder geschäftlichen Zwecken nur kurzzeitig in der Stadt aufhalten. Der Erlaß beschreibt anschließend, wie die auszuweisenden Bauern zu erkennen sind: ἐπιγεινώσκε|σθαι γὰ[ρ] εἰς τοὺς λ[ι]νούφ[ο]υς οἱ ἀληθινοὶ Αἰγύπτιοι δύνανται εὐµαρῶς φωνῇ, ἣ | ἄλλων [αὐτ]οῖ ἔχειν ὄψεις τε καὶ σχῆµα. ἔτι τε καὶ ζω[ῇ] δεικνύει ἐναντία ἤθη | ἀπὸ ἀναστροφῆς [πο]λειτικῆς εἶναι ἀγροίκους Αἰγυπτίους.

„Leicht erkennbar im Vergleich zu den Leinwebern175 sind nämlich die echten Ägypter an ihrer Sprache oder (daran), daß sie anderes Aussehen und andere Kleidung haben. Noch dazu zeigen auch in der Lebensweise ihre von kultivierten Umgangsformen ganz verschiedenen Gebräuche, daß sie ägyptische Bauern sind.“176 Über den Einlaß in die Stadt wird keine explizite Bestimmung getroffen, aber die Verfügung zielte ersichtlich darauf ab, die beschriebene Personengruppe aus der Stadt zu entfernen. Die Kontrollen, die zur Durchsetzung des Erlasses durchgeführt wurden, mußten somit einerseits die ansässige Stadtbevölkerung betreffen, andererseits neuankommende Reisende an den Stadttoren.177 Das entsprechende Vorgehen wird man sich analog zu dem bei Philostrat beschriebenen Verfahren vorstellen dürfen. Erinnern wir uns: Die Torwachen in Rom mustern Apollonios und seine Begleiter eingehend, lassen sie dann aber unbehelligt passieren, da sie zwar fremdartig aussehen, aber nicht wie Bettler angezogen sind;178 maßgeblich für das Urteil der Wächter sind Aussehen und Kleidung (σχῆµα) der Fremden.179 Dem entsprechen die Kriterien zur Unterscheidung der Bauern von anderen Personen in dem alexandrinischen Erlaß: Redeweise (φωνή), äußere Erscheinung (ὄψις), Kleidung (in wörtlicher Übereinstimmung mit Philostrat: σχῆµα) und Verhaltensweise (ἤθη) verraten dem aufmerksamen Betrachter, mit wem er es zu tun hat. Wie treffsicher eine Zuordnung einzelner Personen anhand dieser recht vagen und fließenden Kriterien möglich war, scheint allerdings fraglich.180 Die äußere 175

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Warum hier ausgerechnet die Leinweber als Vergleich dienen, ist umstritten (vgl. den Stellenkommentar bei K 1994, 255). Möglicherweise war eine Unterscheidung deshalb notwendig, weil die einstigen Bauern unter anderem in den Leinenmanufakturen Alexandrias arbeiteten (ebd.); dementsprechend wäre zwischen Webern griechisch-römischer Herkunft und solchen ägyptischer Herkunft zu unterscheiden gewesen. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage bietet B 1995. P. Giss. 40, Kol. II, Z. 26–29 (Text und Übersetzung nach K 1994, 215–255). Der Überseehafen dagegen erscheint zur Durchsetzung von Caracallas Verfügung weniger einschlägig, da Reisende aus anderen Provinzen nicht betroffen waren. Siehe dazu eingehend oben, 138–140. Philostr. Ap. 4,39. So auch M 2006, 119 f.

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Erscheinung konnte unter Umständen nur einen ersten Anhaltspunkt für die Einordnung von Passanten bieten und mag durch explizite Nachfragen und mündliche Auskünfte der betroffenen Personen ergänzt worden sein. So waren beispielsweise römische Bürger zwar im Prinzip gehalten, die Toga zu tragen, aber die stadtrömische Plebs benutzte als Alltagsgewand eine einfache Tunika, so daß sich anhand der Kleidung nicht entscheiden ließ, ob man einen Bürger, einen Freigelassenen oder einen Sklaven vor sich hatte.181 Das Erscheinungsbild ließ sich natürlich auch leicht manipulieren, wie es bei einem ägyptischen Bauern, der für einen Leinenweber gehalten werden wollte, gut vorstellbar ist. Umgekehrt ist in einem Genfer Papyrus aus dem Archiv einer Legion in Alexandria auch der quasi entgegengesetzte Fall belegt, daß sich jemand als ägyptischer Bauer ausgab. Das Dokument hält in einem Dienstplan für 36 Soldaten fest, daß der Soldat Marcus Antonius Crispus am 2. November 81 pagano cultu unterwegs war, also in der Kleidung eines Landbewohners. Solchermaßen als Zivilist gekleidet, hatte Crispus vermutlich eine vertrauliche Mission zu erfüllen.182 Der tatsächliche Status des Crispus als Militär konnte auf diese Weise verschleiert werden. Ein Beispiel für die erfolgreiche Täuschung der zuständigen Amtsperson bietet eine rhetorische Schulübung, in der der Fall eines Sklavenhändlers verhandelt werden soll: Der Händler läßt im Hafen von Brundisium Sklaven von einem Schiff an Land bringen, die zum Verkauf nach Rom gebracht werden sollen. Einer der Sklaven ist ausnehmend schön und wertvoll. Um den Hafenzoll zu umgehen, hängt ihm der Händler eine bulla um den Hals und bekleidet ihn mit der Purpurtoga (so daß er wie ein freigeborener Knabe aussieht). Auf diese Weise gelingt es problemlos (facile), die Zöllner zu täuschen.183 Ein anderer Fall bewußter Identitätsverschleierung wird wiederum bei Philostrat (Ap. 7,15) referiert: Als Apollonios von Tyana und sein Gefährte Damis zum zweiten Mal nach Rom reisen, wo Domitian dem Philosophen den Prozeß machen wird, behält Apollonios selbst sein langes Haar und seine ungewöhnliche Tracht bei. Er und seine Anhänger kleiden sich nämlich nach der Art der indischen Gymnosophisten; sie tragen Leinenkleider, Bastschuhe und Mäntel aus pflanzlichem Material.184 Seinem Begleiter Damis rät der Philosoph, sich das Haar zu scheren, 181 182 183

184

M 2007b, 30 f. P. Gen. lat. 1 verso 5, Z. 14 (CPL 106). Zur Interpretation siehe C 2007, 304, der an einen Auftrag als Spion oder Geheimpolizist denkt. Suet. rhet. 1,3 (= De grammaticis et rhetoribus 25,5): venalicius cum Brundusi gregem venalium e navi educeret, formoso et pretioso puero, quod portitores verebatur, bullam et praetextam togam imposuit; facile fallaciam celavit. Die Sache fliegt allerdings wenig später in Rom auf (ebd.). Dieser Hintergrund der Episode wurde von Philostrat bereits in Ap. 2,2 ausgeführt. Wie in §§ 7,20 und 8,4–6 zu erfahren ist, lautet die zentrale Anklage gegen Apollonios auf Magie, Menschenopfer und Verschwörung gegen den Kaiser, aber auch seine Kleidung, Haartracht und Lebensweise als Veganer werden dem Philosophen zum Vorwurf gemacht. Die philosophische Rechtfertigung für seine Lebensweise liefert der Protagonist selbst in seiner Verteidigungsrede vor dem Kaiser (§ 8,4–6).

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sein Leinengewand gegen eines aus Wolle zu tauschen und seine Fußbekleidung abzulegen, um nicht als Pythagoräer erkennbar zu sein. Und tatsächlich geht der Plan auf: Damis, der dem Rat folgt, wird nach der Ankunft in Rom keinerlei Scherereien bekommen; niemand erkennt ihn als Philosophen. Angesichts solch simpler Täuschungsmanöver ist in bezug auf den oben besprochenen Erlaß Caracallas in Frage gestellt worden, ob eine sichere Feststellung der Zugehörigkeit zu einer Gruppe anhand äußerer Kriterien überhaupt möglich war. Elena Köstner kommt zu der Einschätzung, das Edikt zeige „how arbitrarily and hastily the authorities dealt with the identification of migrants, and it also demonstrates how easily incorrect categorisation could take place.“185 Bei der Anweisung, die ägyptischen Bauern aus der Stadt zu entfernen, handelte es sich Köstner zufolge um eine nicht praktikable Vorgabe. Eine Unterscheidung anhand der äußeren Erscheinung sei schlicht unmöglich und daher wohl gar nicht ernsthaft intendiert gewesen.186 Demzufolge wäre das Caracalla-Edikt nur als Vorwand zu verstehen, jedermann aus Alexandria ausweisen zu können; die Behörden hätten kein Interesse daran gehabt, tatsächlich die in der Stadt ansässige ägyptische Landbevölkerung zu identifizieren.187 Doch wozu dann der Aufwand? Wäre es ganz allgemein darum gegangen, eine Handhabe zur Ausweisung derjenigen Personen zu haben, die sich verdächtig machten, die öffentliche Ordnung zu stören, hätte der Kaiser genau das bestimmen können. Es hieße doch das Kind mit dem Bade ausschütten, wollte man jeder behördlichen Vorgabe unterstellen, sie sei grundsätzlich nicht ernst gemeint, da ja mit Täuschungsversuchen zu rechnen sein könnte. Im Zweifelsfall gelang es eben einmal einem Bauern, sich als Leinenweber durchzumogeln, oder es wurde umgekehrt jemand zu Unrecht aus der Stadt gewiesen. Das mußte die Behörden von Alexandria nicht irritieren, solange es gelang, die Maßnahme im großen und ganzen umzusetzen. Hier ist meines Erachtens auch die Formulierung in Z. 20 des Edikts bislang nicht hinreichend berücksichtigt worden, derzufolge die Bauern deshalb ausgewiesen werden sollten, weil ihre Existenz ohne jeden Nutzen sei ([οὐ]χὶ χρήσει).188 Es waren diejenigen, die keinen Beitrag für die Stadtgemeinschaft leisteten, die dem Edikt zufolge Unruhe stifteten. Wer sich jedoch zum Beispiel plausibel als Handwerker ausgeben und die entsprechenden Utensilien vorweisen konnte, galt damit eben als Handwerker, konnte einen Nutzen für die Stadt reklamieren und wurde, so läßt sich annehmen, nicht weiter behelligt.189 Erforderlichenfalls galt, was Moatti allgemein formuliert hat: „Dans une société 185 186 187 188

189

K 2017, 194. Ebd., 204. Ebd., 194.201–204. Daß Nutzlosigkeit in den römischen Städten unerwünscht war und zu Repressionen oder Strafen führte, läßt sich Moatti zufolge seit dem dritten Jahrhundert zunehmend beobachten (M 2017, 238 f.). Einen etwas früheren Beleg für diesen Gedanken bietet die oben besprochene Stelle Max. Tyr. 15,3 (Trapp). Zur Fluidität antiker Identitäten siehe M 2007b und N 2007b, 10.

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où prime le rôle social de l’individu, l’identification administrative n’est souvent qu’un acte de reconnaissance fondé sur la déclaration orale.“ Dies läßt sich durch einen Vergleich mit entsprechenden Vorgehensweisen im Mittelalter stützen, als viele Städte Bettler, Landstreicher, Kranke und oft auch Juden aus ihren Mauern ausschlossen. Daß immer wieder versucht wurde, solche Restriktionen zu umgehen,190 zeigt nur, daß sie an sich konsequent gehandhabt wurden. Dabei spielte die präzise Einweisung des Wachpersonals, etwa um bei Pestepidemien Krankheitsanzeichen feststellen zu können, eine Schlüsselrolle.191 Zu bedenken ist schließlich, daß die Einordnung von Personen anhand ihres Äußeren, die bei den Römern noch in der Tradition einer schriftlosen Gesellschaft stand,192 in der Antike eine ausdifferenzierte Technik war. Die Physiognomik als eigener Wissenschaftsbereich setzte sich mit den entsprechenden Problemen auseinander. So zeigten sich einschlägige Schriften im zweiten Jahrhundert sehr zuversichtlich, daß auch eine Verkleidung die wahre Identität einer Person nicht verbergen kann, welche im körperlichen Aussehen unleugbar aufscheint.193 Die generelle Validität der Methode ist insofern nicht zu bezweifeln. Das Edikt Caracallas bewegt sich auf der Höhe der zeitgenössischen Identifikationstechniken, und dem städtischen Wachpersonal darf ein entsprechend geschulter Blick unterstellt werden. b) Die individuelle Identifikation Ging es in den bisher besprochenen Quellen darum, wie sich die Gruppenzugehörigkeit von Personen klären ließ, so ist nun danach zu fragen, auf welche Weise die individuelle Identifikation funktionierte. Wie bereits erwähnt, war es unter Umständen sicherlich schon ausreichend, eine professio abzugeben, eine formale mündliche Erklärung über personenbezogene Daten, wie sie auch bei anderen Gelegenheiten eingefordert wurde. Als römischer Bürger beispielsweise mußte man regelmäßig über seinen Namen, die Kinder und sein Vermögen Auskunft geben (beim Zensus der republikanischen Zeit), und anlaßbezogen zum Beispiel über seine Geburt (wenn es darum ging, eigene Privilegien für die Kinder bestätigen zu lassen) oder über sein Alter (zum Beispiel, wenn man altersbedingt von der Teilnahme an einer Gesandtschaft entpflichtet werden wollte).194 Wurden Fremde am Stadteingang einer individuellen Überprüfung unterzogen, so konnte das unter Umständen anhand eines festgelegten Katalogs von Fragen praktiziert werden, die sich mündlich schnell beantworten ließen, ohne daß man erst langwierig auf die mitgeführten Papiere rekurrieren mußte. So stellt es sich Philostrat sogar für Reisen weit außerhalb des Römischen Reichs vor, wenn Apol190 191 192 193 194

Siehe dazu J 2015, 225. Ebd., 226. Dazu N 2007b, 7–10. M 2007b, 32. Beispiele nach M/K 2007b, 16 und 19 mit Anm. 27, und C 2007, 287.

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lonios in Mesopotamien vor der Stadt Babylon von einer königlichen Garnison angehalten wird, damit ihn der Satrap über seine Person, seine Heimatstadt und den Zweck seiner Reise befragen kann – eine Befragung, von der Philostrat ausdrücklich anmerkt, daß ihr jeder Passant unterworfen worden sei. Die Kontrolle wird ausschließlich mündlich durchgeführt, dabei aber – wir befinden uns tief im Barbaricum – unter der Androhung von Folter.195 Wir können nichtsdestoweniger davon ausgehen, daß Reisende in der Regel selbstverständlich über Dokumente verfügten, mit denen sie sich bei Bedarf und auf nähere Nachfrage hin in irgendeiner Form auch schriftlich ausweisen konnten. Hier ist zunächst an die privaten oder semioffiziellen Empfehlungsschreiben zu denken, die in der Antike eine so wichtige Rolle spielten. Verwiesen sei etwa auf die Zusammenstellung von gleich zwei lateinischen Empfehlungsbriefen für Theophanes aus Hermopolis Magna in der Thebais, die an Achillius, den Statthalter der Provinz Phoinike, und an Delfinius, vermutlich Statthalter in Palästina, gerichtet sind.196 Die Briefe gehören in das Dossier einer Fernreise, die zwischen 317 und 324 unternommen worden sein muß; wie weitere Papyri aus dem Archiv des Theophanes detailliert dokumentieren, reiste er von Alexandria ins syrische Antiocheia.197 Daß jedoch nicht nur höhergestellte Personen, sondern selbst Dienstpersonal mit entsprechenden Empfehlungsbriefen ausgestattet wurde, belegt beispielsweise ein Schreiben aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert, in dem ein Ulpius Celer dem Präfekten von Ägypten seinen Sklaven anempfiehlt.198 Neben Empfehlungsschreiben im engeren Sinne sind auch beschriftete Marken (tesserae) und Metalltafeln (tabulae aeneae) überliefert, mittels derer man dokumentieren konnte, Gastfreund einer Familie oder öffentlicher Gastfreund einer Stadt zu sein.199 Daneben gab es amtliche und quasi-amtliche Dokumente, mittels derer sich Status und Identität einer Person klar nachweisen ließen. Hier ist beispielsweise an die offiziellen diplomata zu denken, die römische Amtsträger auf Reisen in die Provinzen mit sich führten, an die laminae, namentlich gekennzeichnete Blei- oder Kupferhalsbänder, mit denen reisende Sklaven gekennzeichnet wurden, an die bleiernen signacula mit ihrem Namen, die Militärrekruten um den Hals trugen, an

195

196 197

198 199

Philostr. Ap. 1,21. Die Folterdrohung ist explizit als ein exotisches Motiv markiert, das den Perser als einen Barbaren kennzeichnet (οἷς ἐν ἀρχῇ βαρβαρίζοντος ἤκουσε). Wie es im Narrativ der Vita nicht anders zu erwarten ist, zeigt sich der Satrap von den Ausführungen des Philosophen jedoch so beeindruckt, daß er ihn sofort zu seinem Gastfreund macht, um ihn großzügig mit Gold, Wein und gebratenen Gazellen zu bedenken. P. Lat. Argent. 1 und P. Ryl. 4,623 (CPL 262 und 263). P. Ryl. 4,629–638; im Unterschied zu den Empfehlungsschreiben sind diese Texte auf griechisch verfaßt. Eine lesenswerte Aufarbeitung der Reise in allen alltagsgeschichtlichen Einzelheiten bietet M 2006. P. Ryl. 4,608 (CPL 248). Dazu G 2010, 120–125 mit ausführlicher Diskussion der Belege aus Nordafrika (Texte und Übersetzungen ebd., Annexe 4); der größte Teil der bisher bekannten Funde stammt aus Spanien.

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die Soldbücher der aktiven Soldaten, an die Militärdiplome der Veteranen, oder an die Papyri und Wachstafeln, die als Geburtszertifikate benutzt wurden.200 Nun ließe sich ja vermuten, daß eine individuelle Identifikation von Passanten am Eingang in einer Großstadt wie Rom, Alexandria oder Antiocheia praktisch gar nicht umsetzbar war, doch das Beispiel Alexandria belehrt uns eines besseren. In Alexandria nämlich waren die Regeln in ptolemäischer Tradition offenbar besonders streng. Wer in Pharos, am Überseehafen der Stadt, anlangte bzw. von dort abreisen wollte, befand sich ja außerdem nicht nur am Stadteingang von Alexandria, sondern zugleich an der Grenze der Provinz Ägypten. Es ist daher auch daran zu erinnern, daß ein Gesetz des Augustus es Senatoren und Rittern höheren Ranges untersagte, unautorisiert in Ägypten einzureisen.201 Sowohl im Fall der Ankunft als auch für eine Ausreise waren in Pharos eine personalisierte Reisegenehmigung (ein ἔκπλους) sowie für die mitgeführten Güter Zollpapiere (ein ἀπόστολον) vorzulegen. Um diese Dokumente zu erhalten, war eine Anfrage an den Präfekten zu richten. Der bewilligte Antrag mit der Signatur des Präfekten wurde an den Procurator des Abreisehafens übermittelt, der als Emigrationsinspektor und zugleich als Zollkontrolleur fungierte.202 Erhalten ist beispielsweise ein Konvolut von Reiseunterlagen der Aurelia Maeciane aus Side. Es besteht aus dem auf griechisch verfaßten Ausreisegesuch der Maeciane sowie aus einem nur fragmentarisch erhaltenen lateinischen Paßdokument, in dem der Präfekt von Ägypten den Procurator von Pharos anweist, die Dame abreisen zu lassen.203 Auf diese Weise wurde jede einzelne Person, die per Schiff in Alexandria ankam oder von dort abreiste, behördlich erfaßt. Stefan Feuser geht davon aus, daß es auch in anderen überregionalen und regionalen Hafenstädten notwendig war, die Einund Ausfahrten zu kontrollieren, auch wenn nicht überall ein so hohes Maß an administrativem Aufwand vorausgesetzt werden kann wie im Fall Alexandrias.204 Für Rom sind keine analogen Verfahren nachweisbar, und es ist nicht davon auszugehen, daß der Reiseverkehr dort routinemäßig vergleichbar strikt kontrolliert worden wäre. Immerhin: Der Prätorianerpräfekt Casperius Aelianus in Philostrats Apollonios-Vita zeigt einen geradezu erstaunlichen Überblick über das Geschehen an den Eingängen der Hauptstadt. Sobald Apollonios bei seiner zweiten Romreise

200

201 202 203 204

G 2010, 118–120 macht plausibel, daß die laminae nicht solche Sklaven kennzeichneten, die bei der Flucht ertappt worden waren, sondern solche, die im Auftrag ihrer Herren auf Reisen gingen. Die militärischen Beispiele in Anlehnung an C 2007, 300–302. Eine Reihe von Papyri und tabulae ceratae mit Geburtsbeglaubigungen sind im CPL gesammelt (Nr. 148–164). D 2011, 245 nimmt an, daß auch Exilierte im Besitz von diplomata waren, mittels derer sie ihre Abwesenheit von Italien rechtfertigen konnten. Tac. ann. II 59,4, vgl. Cass. Dio LI 17,1. Das Einreiseverbot für Ägypten wurde 30 v. Chr. erlassen (D 2011, 244). M 2000, 950–953, vgl. die Zusammenfassung bei M 2006, 124 f. P. Oxy. 10,1271 (CPL 179). Das Dokument gehört ins Jahr 246. F 2020, 246.

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6.4 Personenkontrollen

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im Jahr 93 die Stadt erreicht hat, läßt Aelianus ihn festnehmen, vorführen und befragen.205 In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß die römische Administration ihrerseits offenbar bei Bedarf durchaus in der Lage war, brauchbare und präzise Personenbeschreibungen zu erstellen.206 Dokumente, anhand derer neu gemusterte Militärrekruten bei ihrer Zieleinheit identifiziert werden sollten, geben beispielsweise an, an welcher Stelle die Männer Narben aufwiesen: C. Longium Priscum annor(um) XXII, i(conismus) supercil(io) sinistr(o), oder M. Antonium Valentum ann(orum) XXII, i(conismus) frontis parte dextr(a), heißt es unter anderem in einem solchen Papyrus aus dem Jahr 103.207 Augustus seinerseits ließ genau protokollieren, wer seine verbannte Tochter Julia auf Pandateria besuchte, und ließ sich über Alter, Statur, Teint, besondere körperliche Merkmale und Narben der jeweiligen Person informieren, um sicherzugehen, daß es sich um den jeweils von ihm zugelassenen Besucher handelte und niemand anderen.208 Eine weitere Aktivität der Behörden zur Kontrolle derjenigen, die sich in einer Stadt aufhielten, bestand in der Buchführung über Einzelpersonen, für die bestimmte Privilegien oder Auflagen galten. In Rom hatte man schon in republikanischer Zeit zu militärischen Zwecken Bürgerlisten geführt.209 Ausländische Gesandte in Rom waren strikten Kontrollen unterworfen, und insbesondere wurden ihre Aufenthaltsorte in der Stadt protokolliert;210 zu Plutarchs Zeit mußten sich neu ankommende Gesandte in Rom im Tempel des Saturn registrieren lassen.211 Zumindest in anderen kaiserzeitlichen Städten wurden offenbar auch Register mit Namen von Personen angelegt, denen der Zutritt oder dauernde Aufenthalt in der Stadt verwehrt war beziehungsweise deren Anwesenheit besonderen Restriktionen unterlag;212 wir wissen beispielsweise von einer Namensliste steuerpflichtiger infames im frühen dritten Jahrhundert in Karthago.213 Außerdem gab es Listen 205 206 207 208

209 210 211 212 213

Philostr. Ap. 7,16–8,8. So C 2007, 302 unter Verweis auf den im folgenden zitierten Papyrus. P. Oxy. 7,1022, Z. 13 f. und 21–23 (CPL 111). Suet. Aug. 65,3: . . . et ita ut certior fieret, qua is aetate, qua statura, quo colore esset, etiam quibus corporis notis vel cicatricibus. „Und zwar wurde er auf diese Weise informiert über das Alter, die Körperstatur, die Hautfarbe, ja sogar über körperliche Merkmale oder Narben des Besuchers.“ (Übersetzung nach M 2014, 251–253.) Die tabulae iuniorum waren Register aller Bürger im wehrdienstfähigen Alter, also zwischen 17 und 46 Jahren (C 2007, 297). C 2004, 560 in bezug auf die Republik. Plut. quaest. rom. 43 (= mor. 275B–C). Entsprechende Personenlisten wurden noch im Mittelalter und der Frühen Neuzeit geführt. So gab es in manchen Städten eine Liste der zum Eintritt berechtigten Juden (J 2015, 225). Tert. De fuga in persecutione 13,5: nescio, dolendum an erubescendum sit, cum in matricibus beneficiariorum et curiosorum inter tabernarios et ianeos et fures balnearum et aleones et lenones Christiani[s] quoque vectigales continentur. „Ich weiß nicht, ob ich es bedauern oder mich deshalb schämen soll, wenn in den Verzeichnissen der Beneficiarier und Agenten zwischen Wirten, Geldleihern, Badedieben, Glücksspielern und Zuhältern auch Christen als steuerpflichtig aufgeführt sind.“ (Text B 1957, meine Übersetzung.) Moatti zufolge handelte es sich dabei nicht um

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

von öffentlich gesuchten Personen, die verdächtigt wurden, gegen den Kaiser zu intrigieren.214 Der administrative Aufwand, der betrieben werden konnte, um Einzelpersonen zu kontrollieren, war also mitunter durchaus beträchtlich: Es konnten mündliche und schriftliche Nachweise über personenbezogene Daten verlangt werden und ebenso individuelle Reisegenehmigungen (was in Alexandria für Ein- und Ausreisen über den Hafen sogar obligatorisch war). Behördlicherseits wurden bei Bedarf Personenbeschreibungen und Personenregister erstellt, um Individuen sicher zu identifizieren und gegebenenfalls, um ihre Bewegungen überwachen zu können. Damit hatten sich Techniken herausdifferenziert, die der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. adäquat angepaßt waren. Mit dieser Einschätzung greife ich eine These Gérard Noiriels auf, wonach ein steigendes Mobilitätsaufkommen historisch mit einer Weiterentwicklung von Identifikationstechniken korrespondiert.215 6.4.3 Sozialer Status und persönliche Vernetztheit als Faktoren Die Kontrolle von Personen wurde in den römischen Städten prinzipiell sehr uneinheitlich durchgeführt und wurde teils recht kurzfristig an neue Erfordernisse angepaßt. Dabei ging es nicht ausschließlich um Fragen der Sicherheit, immer aber um das Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung. Für Leute mit niedrigem Status, ohne Verbindungen, Freunde und Empfehlungsschreiben, oder für jemanden, der wie Dion von Prusa als ein reisender Bettler gekleidet auftrat,216 konnte es unter Umständen schwierig sein, Einlaß in eine Stadt zu erhalten. Für einen wohlhabenden und gut vernetzten Bürger dagegen war es vollkommen unproblematisch, jederzeit die Stadt zu betreten.217 So macht Plutarch in einem philosophischen Traktat darauf aufmerksam, es gelte, auch für solche Dinge dankbar zu sein, die Personen seiner Gesellschaftsschicht selbstverständlich erschienen; so habe Antipater aus Tarsos am Ende seines Lebens nicht vergessen, sich an seine glückliche Reise von Kilikien nach Athen zu erinnern. Plutarch fordert seine Leser auf, sich das Los der weniger Privilegierten vor Augen zu halten und sich beispielsweise in die schwierige Situation desjenigen hineinzuversetzen, der als unbekannter Fremder in einer großen Stadt weder Beziehungen noch Reputation hat:

214 215 216 217

einen Einzelfall (M 2000, 931; M 2007a, 84, mit Anm. 45 f. auf S. 105, dort weitere Beispiele). Ebd. N 2007b, 8. Wenn die eingesetzten Verfahren nicht mehr ausreichen, um das Ausmaß der Mobilität zu bewältigen, liegt nach Noiriel eine Krise vor. Siehe dazu oben, 120. Zur Differenzierung von Kontrollen je nach Status vgl. auch M 2007b, 79–82.

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6.4 Personenkontrollen

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εὐθυµήσοµεν δὲ τούτοις µᾶλλον παροῦσιν, ἂν µὴ παρόντων αὐτῶν φαντασίαν λαµβάνωµεν, ἀναµιµνήσκοντες αὑτοὺς πολλάκις, ὡς ποθεινόν ἐστιν ὑγεία νοσοῦσι καὶ πολεµουµένοις εἰρήνη καὶ κτήσασθαι δόξαν ἐν πόλει τηλικαύτῃ καὶ φίλους ἀγνῶτι καὶ ξένῳ, καὶ τὸ στέρεσθαι γενοµένων ὡς ἀνιαρόν.

„Und über all das werden wir uns noch mehr freuen, wenn wir uns vorstellen, wir müßten es entbehren, wenn wir uns immer wieder vor Augen stellen, wie sehnsüchtig der Kranke nach Gesundheit, der Friedlose nach Frieden verlangt, wie viel es für einen unbekannten Fremden bedeutet, in einer großen Stadt Achtung und Freundschaft zu finden.“218 Im Kontext der besprochenen Maßnahmen gegen verschiedene Einwanderergruppen wird deutlich, daß bei der Frage, wer Zutritt zu einer Stadt erhielt und wer nicht, mit verschiedenerlei Maß gemessen wurde. Derjenige, der in einer fremden Stadt von verwandtschaftlichen, freundschaftlichen, landsmännischen, beruflichen oder religiösen Netzwerken aufgefangen wurde,219 konnte sich glücklich schätzen. 6.4.4 Ausblick: Die Bürokratisierung von Personenkontrollen ab dem vierten Jahrhundert In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, daß in der Spätantike Personenkontrollen in einem bürokratisch strukturierten Procedere durchgeführt wurden, das an Beispiele der Frühen Neuzeit erinnert.220 Der frühneuzeitliche Reisende hatte beispielsweise an den Toren der Stadt Brüssel folgendes anzugeben: seinen Namen, Geburtsort und Beruf, den letzten Wohnort, den Zeitpunkt und Grund seiner Abreise von dort, die letzte Station seiner Reise, Dauer und Grund seines Aufenthalts in Brüssel und schließlich die Adresse seiner Unterkunft. Auf Verlangen der zuständigen Kommissare war außerdem ein Gesundsheitszertifikat beizubringen, um auszuschließen, daß der Fremde an einer ansteckenden Krankheit litt.221 Anschließend waren Zölle und Steuern zu entrichten, ehe der Reisende einen Paß erhielt und die Stadt betreten durfte.222 218 219

220 221

222

Plut. De tranquillitate animi 9 (= mor. 469E–F). (Text P 1984, Übersetzung S 1948, 16.) Mit der so großen Stadt ist Rom gemeint. Vgl. M 2007a, 87 f.: In Rom und Ostia unterhielten religiöse Vereine, Künstler- und Athletenverbände ebenso wie die Städte des Imperiums stationes, an die sich Neuangekommene wenden konnten. Eine epochenübergreifende Gesamtdarstellung zur Identifikation von Personen bieten die Beiträge in N 2007a. J 2014, 216 f. Die Einwohner der Stadt hatten dieses Procedere nicht zu absolvieren. Da sie in der Regel immer das gleiche Tor benutzten, kannten die Wachen sie (ebd., 216, unter Verweis auf Goethes Werther, den die Torwächter wortlos passieren lassen, vgl. auch J 2015, 231 f.). Eine etwas weniger elaborierte Befragung fand an den Toren des frühneuzeitlichen Mantua statt, siehe dazu unten, 397. J 2015, 233.

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Die Parallelen zu den Verfahrensweisen ab dem vierten Jahrhundert sind frappierend: So mußten auswärtige Studenten unter Valentinian unmittelbar nach ihrer Ankunft in Rom bzw. Konstantinopel den magister census aufsuchen und ihm eine schriftliche Studienerlaubnis des zuständigen Provinzstatthalters vorlegen. Das Dossier enthielt 1. den Namen des Heimatortes, 2. eine Geburtsurkunde und 3. Angaben über ihre bisherige Ausbildung. Die Studenten wurden in eine Liste eingetragen und mußten angeben, welches Studiengebiet sie avisierten und wo sie logierten. Das Büro der censuales überprüfte später, ob sie ihre Studien auch ernsthaft betrieben.223 Vergleichbar präzise ist die Konstantinopel betreffende Regelung aus der Zeit Justinians, der 539 ein neues Quaestorenamt einführte. Zu den Aufgaben dieses Beamten gehörte es, die auswärtigen Männer, Frauen, Kleriker, Mönche, Nonnen, Anwälte und alle sonstigen Personen, die neu in die Stadt kamen, einer genauen Kontrolle zu unterziehen. Es war behördlich festzustellen, wer sie waren, aus welcher Provinz sie kamen, welches ihre Heimatstadt war und aus welchem Grund sie nach Konstantinopel gekommen waren. Personen, die keine triftigen Gründe hatten, sich in der Stadt aufzuhalten, waren auszuweisen.224 In der Spätantike wurden auch andere Personen, die sich nur vorübergehend in den Städten aufhielten, schärfer kontrolliert, wie etwa pagane sacerdotales, die zu Festspielen angereist waren, oder auswärtige Professoren. Diejenigen, die die öffentliche Ordnung zu stören drohten wie Bettler, Obdachlose oder Abenteurer, unterstanden polizeilicher Beobachtung.225 Präzise Regelungen untersagten seit dem ausgehenden vierten Jahrhundert in der Stadt Rom das Tragen von Hosen, Pelzkleidung, Parthischen Stiefeln und von langem Haar.226 223

224

225 226

Cod. Theod. 14,9,1 (Valentinian I. an den Stadtpräfekten Olybrius, 12. März 370): quicumque ad urbem discendi cupiditate veniunt, primitus ad magistrum census provincialium iudicum, a quibus copia est danda veniendi, eiusmodi litteras perferant, ut oppida hominum et natales et merita expressa teneantur; deinde ut in primo statim profiteantur introitu, quibus potissimum studiis operam navare proponant; tertio ut hospitia eorum sollicite censualium norit officium, quo ei rei impertiant curam, quam se adseruerint expetisse. Nov. 80,1,1 (Gesetzesnovelle Justinians, 10. Mai 539): βουλόµεθα δὲ τὸν τὴν ἀρχὴν ἔχοντα ταύτην ἀφορῶντα πρὸς θεὸν καὶ τὸ ἡµέτερον δέος καὶ τὸν νόµον ἀναζητεῖν τοὺς ἐπὶ τῆς µεγάλης ταύτης ἐπιδηµοῦντας πόλεως, ἐξ οἱασδήποτε χώρας εἶεν, εἴτε ἄνδρας εἴτε γυναῖκας, εἴτε κληρικοὺς εἴτε µοναχοὺς ἢ ἀσκητρίας, εἴτε τῶν ἔξω πόλεων συνηγόρους ἢ καὶ ἄλλης οἱασοῦν τύχης τε καὶ ἀξίας, καὶ περιεργάζεσθαι τίνες τε εἶεν καὶ πόθεν ἥκοιεν καὶ ἐπὶ ποίᾳ προφάσει. In der lateinischen Textfassung: volumus autem cingulum habentem hoc respicientem ad deum nostrumque timorem et legem requirere ad magnam hanc civitatem, ex quacumque provincia sint, viros sive mulieres aut clericos seu monachos vel monachas sive externarum civitatum advocatos aut alterius cuiuscumque fortunae vel dignitatis existant, et perscrutari qui sint aut unde venerint et in qua occasione. Handelte es sich um Bauern, die in Rechtsangelegenheiten kamen, sollte der Quaestor eine schnelle Aufnahme des Prozesses und nach dessen Ende die sofortige Rückreise der Bauern bewirken (ebd.). Dazu M 2000, 932 f. und M 2017, 238 f. mit Belegen. Das Verbot von Langhaarfrisuren zielte ersichtlich nur auf Männer ab. Belege bei S 2017, 62, Anm. 6.

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6.5 Das umgehbare Stadttor

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Damit läßt sich im vierten und fünften Jahrhundert eine Verstetigung und Institutionalisierung der zuvor nur punktuell ergriffenen Ordnungsmaßnahmen konstatieren.227 Auch wenn Kontrollen an sich bereits seit der frühen Kaiserzeit existierten, wurden die Methoden der Überprüfung nun direkter.228 Diese Entwicklung läßt sich als Reaktion auf die zunehmende Migration von außerhalb des Reichs interpretieren, deren Begrenzung im Zuge einer verstärkten Territorialisierung angestrebt wurde.229 In der Kaiserzeit wurde ein vergleichbarer bürokratischer Aufwand meines Wissens nur auf zwei Gebieten betrieben, nämlich für Zollangelegenheiten und beim Militär.230 6.5 Das umgehbare Stadttor Kommen wir damit zum Problem der Umgehbarkeit von Stadttoren im Prinzipat. Bei den bisher angestellten Überlegungen zur Verschließbarkeit, zum Wachpersonal und zu Personenkontrollen am Stadteingang ging es vorrangig um Tore, die wie in Trier oder Termessos Teil einer Stadtmauer waren. An dieser Stelle sollen aber ausdrücklich auch solche Stadteingänge mitbedacht werden, die lediglich durch umgehbare Bogenmonumente markiert waren. Diesbezüglich ist zunächst der überraschende Befund zu verzeichnen, daß auch freistehende Torbögen am Stadteingang, die nicht zu einer Mauer gehörten, mitunter verschließbar sein konnten. So haben die Archäologen in syrischen Städten auch an isolierten Bogenmonumenten Verschlußeinrichtungen wie Torangeln oder Riegellöcher nachgewiesen.231 Dieser archäologische Befund ist, soweit ich sehe, unstrittig; kontrovers diskutiert wird dagegen seine Erklärung. Welchen Sinn hat es, ein Tor zu schließen, das man umgehen kann? Claudia Bührig beispielsweise argumentiert, das Osttor von Tyros habe mit seinen massiven Rundtürmen eine entsprechende Wehrarchitektur nur „zitiert“. Bührig weiter: 227

228 229

230

231

M 2017, 239. Vgl. außerhalb der Städte auch die Situation der nomadisierenden Hirten, die analog bereits seit severischer Zeit einer zunehmenden Kontrolle unterworfen wurden (S 2009, 78–87). M 2017, 242. Ebd., 245. Diese Auffassung steht im Einklang mit der oben erwähnten These Noiriels, wonach ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Wanderbewegungen und der Entwicklung von Identifikationstechniken besteht (siehe oben, 158). Zum Zoll siehe mein Kapitel 7. Zur Identifikation von Militärangehörigen sei auf C 2007 verwiesen. Ein Militärdiplom beispielsweise enthielt folgende Angaben: 1. eine Liste der betreffenden Militäreinheiten, 2. den Garnisonsort, 3. den Namen des Armeekommandanten, 4. eine Zusammenfassung der geleisteten Militärdienste des Veteranen, 5. Angaben über die erteilten Privilegien, 6. das Datum, 7. den Namen des Veteranen, 8. die Namen seiner Frau und der gemeinsamen Kinder, und 9. die Namen von sieben Zeugen der Abschrift und den Nachweis über den Ort, an dem die entsprechende kaiserliche Demobilisationsliste zu finden war (vgl. ebd., 303). So in Gerasa (W 2000, 10–14), Tyros (B 2006, 139 f.) und Gadara (siehe dazu ausführlicher oben, 68 f.). Vgl. ferner J 2009, 198.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

„Im Widerspruch dazu und obwohl eine Einbindung in eine Stadtmauer auszuschließen ist, war das Osttor durch Türflügel zu verschließen, die an der Landseite anschlugen. Die Verschlußfunktion hat beim Osttor nur eine symbolische Bedeutung, die jedoch bei ausgewählten Anlässen effektvoll in Szene gesetzt werden konnte.“232 Die Annahme, daß die „symbolische Bedeutung“ der Verschlußfunktion zu gegebenem Anlaß „effektvoll in Szene gesetzt werden konnte“, läßt sich weder beweisen noch widerlegen und bleibt damit hypothetisch. Bührigs Ansatz, die Verschließbarkeit eines Stadttors auf reine Symbolik zu reduzieren, überzeugt mich jedoch nicht. Im Rückgriff auf das differenzierte Instrumentarium zur Bestimmung des symbolischen Gehalts von Stadttoren und Wehrmauern, das im Kompendium „Ancient Fortifications“ vorgelegt wurde, können alle Merkmale, die über „eine angemessene technische Funktionalität zum Schutz und zur Verteidigung eines Ortes sowie für urbanistische Zwecke“ hinausgehen, Indizien für symbolische Funktionen des Bauwerks sein.233 Eine sicherheitstechnische Funktion aber läßt sich im konkreten Fall durchaus postulieren. Nehmen wir einmal an, daß das Osttor von Tyros am Abend verschlossen wurde. Für jemanden, der fest entschlossen war, dennoch zu nächtlicher Stunde in die Stadt einzudringen oder sie zu verlassen, konnte das kein ernstzunehmendes Hindernis bedeuten. Er oder sie brauchte das Tor ja nur zu umgehen. Wurde es freilich durch einen Wächter bewacht, so wie es in Tiberias im benachbarten Galiläa der Fall war,234 so mußte das Umgehen schon etwas weiträumiger und unbequemer ausfallen. Dabei galt es, den patroullierenden Nachtwachen nicht in die Arme zu laufen.235 Schwierig, wenn nicht unmöglich, war ein solches Unternehmen für jemanden, der in größerem Umfang Gepäck dabeihatte. Wer gar ein größeres Fahrzeug wie einen Ochsenkarren führte, tat gut daran, zu warten, bis das Tor geöffnet wurde. Für einen verspätet heimkehrenden Ziegenhirten wird es demnach auch bei verschlossenem Tor unproblematisch gewesen sein, auf Seitenpfaden nach Hause zu gelangen.236 Für Ortsunkundige, für größere Personenverbände, für Reiter und erst recht für Wagenführer machte es dagegen einen beträchtlichen Unterschied, ob sie das Straßentor geöffnet oder geschlossen vorfanden. Zumindest der Fuhrverkehr konnte effektiv kontrolliert werden, indem man den Torbogen zu gegebener Zeit verschloß. 232

233 234 235 236

B 2006, 140, vgl. ähnlich 147 in bezug auf das außerstädtische Bogenmonument in Gadara. Auch K 1996, 174 betrachtet die Verschlußfunktion der freistehenden Bogenmonumente im Osten als „nur noch symbolisch“. M/L/B 2016, Zitat 130. Zur Symbolik des Stadttors generell siehe unten, 333. Siehe oben, 142. Zum Einsatz von Nachtwachen in römischen Städten siehe oben, 136 f. Dafür spricht auch, daß es in Texten, die fiktionale Handlungen in realistische Kulissen einbetten, für die Protagonisten nie ein Problem darstellt, als Fußgänger zu beliebigen Tages- und Nachtzeiten die Stadt zu betreten oder zu verlassen. Siehe dazu die oben, Anm. 74 auf S. 135, zusammengestellten Belege.

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6.5 Das umgehbare Stadttor

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Diese Annahme läßt sich anhand eines Fallbeispiels stützen, das uns freilich weit außerhalb des Römischen Reiches führt, in die südarabische Stadt Sabbatha im heutigen Jemen. Dort gab es ein bestimmtes Tor, das für Weihrauchkarawanen geöffnet wurde, wie Plinius weiß (tus collectum Sabotam camelis convehitur, porta ad id una patente).237 Demnach pflegte es normalerweise selbst tagsüber geschlossen zu sein. Es war unter Androhung der Todesstrafe verboten, mit Kamelen, die zollpflichtigen Weihrauch geladen hatten, die Straße zu verlassen (degredi via capital reges fecere).238 Die topographischen Gegebenheiten ließen es anscheinend zu, das Tor abseits der Straße zu umgehen, und die Notwendigkeit einer Strafandrohung läßt vermuten, daß dies auch gelegentlich praktiziert wurde. Für eine Karawane mit einer Reihe beladener Lasttiere aber war es unter diesen Umständen faktisch so gut wie unmöglich, unbemerkt und unbelangt am Stadttor vorbeizukommen. Gehen wir davon aus, daß auch ein Torbogen ohne Maueranschluß die Kontrolle von Personen- und Warenverkehr ermöglichte, so gilt dies unabhängig von seiner technischen Verschließbarkeit. Geschlossen oder verschlossen wurden die Tore ja nur ersatzweise zu den Zeiten, wenn kein Wachpersonal vorhanden war. So nimmt Caroline Arnould an, daß das freistehende und nicht verschließbare Damaskus-Tor in Aelia Capitolina (Jerusalem) durchaus praktische Funktionen zur Durchgangskontrolle und damit zum Schutz der Stadt erfüllte: „La position qu’occupe la porte, position définie en fonction de la vallée qu’elle coupe et qui constituait l’un des points de passage vers la ville, traduit un rôle lié à la protection de la cité. [. . . ] Dans un contexte non troublé, sa situation lui permettait de constituer un point de contrôle dans l’une des zones d’accès principales à la cité. Les aménagements réalisés, dallage et plans inclinés pour les véhicules, indiquent bien qu’on avait là un passage privilégié alors qu’à l’est et à l’ouest de la porte, l’accès était rendu difficile par la configuration du relief.“239 Die Unwegsamkeit des Geländes zwang also die Ankommenden und insbesondere den Fuhrverkehr, auf dem Weg nach Jerusalem die Passage durch das DamaskusTor zu wählen. Auch wenn der Torbogen weder über einen Maueranschluß noch über verschließbare Torflügel verfügte und damit fortifikatorisch vollkommen wertlos war, war er als Kontrollpunkt durchaus sicherheitsrelevant. Diese Überlegungen lassen sich durch einen Vergleich mit den Hafentoren des zweiten und dritten Jahrhunderts bekräftigen. Die Tore zwischen Hafen- und Stadtgebiet waren ihrer Gestaltung nach Repräsentationsbauten ohne jeglichen Wehrcharakter, dennoch aber häufig so konzipiert, daß sie die Kontrolle von Personen und Waren ermöglichten. Dabei gab es immer auch alternative Wege, um vom Hafengelände in das Stadtgebiet zu gelangen. Instruktiv ist insbesondere die Ein237 238 239

Plin. Nat. 12,63. Ebd. A 1997, 244 f., Zitat 245.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

gangssituation am Hafen von Rhodos. Das Hafengebiet war durch ein Tetrapylon und eine anschließende hallengesäumte Straße mit der Stadt verbunden. Alle vier Durchgänge des Tetrapylon waren nun aber bemerkenswerterweise durch Schranken versperrt, so daß es gar nicht in seiner Funktion als Tor genutzt werden konnte. Die Ankommenden mußten stattdessen den Zugang im Kopfende der angrenzenden Portikus benutzen, um auf die Hallenstraße in Richtung Stadt zu gelangen. Auch auf der Straße, die vom Hafen zur Akropolis führte, ließen Abschrankungen nur einen schmalen Streifen als Gehweg frei. Die Schranken erschwerten in Rhodos somit gezielt den Zugang vom Hafen zu den zentralen Gebieten der Stadt, um den Personen- und Warenverkehr kontrollieren zu können240 – obwohl die niedrigen Schrankengitter im Zweifelsfall kein unüberwindliches Hindernis dargestellt hätten, sofern nicht Wachpersonal vor Ort war. In Ephesos und dem kilikischen Pompeiopolis verhinderten Stufen zwischen Kaianlage und Hafentor, daß die Tore von Fahrzeugen passiert werden konnten, und erleichterten mögliche Kontrollen.241 Vor diesem Hintergrund sollte man sich schließlich vor Augen führen, daß auch das Vorhandensein einer Stadtmauer niemanden ernsthaft daran hindern konnte, eine Stadt zu betreten oder zu verlassen.242 Denken wir etwa an Paulus, dem es der Apostelgeschichte zufolge gelang, in einer Nacht- und Nebelaktion aus Damaskus zu fliehen, obwohl die ortsansässigen Juden, die ihn töten wollten, die Stadttore rund um die Uhr überwachten: ὡς δὲ ἐπληροῦντο ἡµέραι ἱκαναί, συνεβουλεύσαντο οἱ ᾽Ιουδαῖοι ἀνελεῖν αὐτόν· ἐγνώσθη δὲ τῷ Σαύλῳ ἡ ἐπιβουλὴ αὐτῶν. παρετηροῦντο δὲ καὶ τὰς πύλας ἡµέρας τε καὶ νυκτὸς ὅπως αὐτὸν ἀνέλωσιν· λαβόντες δὲ οἱ µαθηταὶ αὐτὸν νυκτὸς διὰ τοῦ τείχους καθῆκαν αὐτὸν χαλάσαντες ἐν σπυρίδι.

„Nach einer beträchtlichen Zahl von Tagen faßten die Juden den Plan, ihn zu töten. Saulos aber erfuhr von ihrem Plan. Sie beobachteten aber die Stadttore Tag und Nacht, damit sie ihn umbrächten. Die Jünger aber nahmen ihn bei Nacht und ließen ihn über die Mauer hinab, indem sie ihn in einem Korb abseilten.“243 240

241 242

243

Referiert nach F 2014a, 690–692.702 f., der als weiteres Beispiel für einen entsprechenden Kontrollpunkt das Tor zwischen dem Nordmarkt und dem Delphinion in Milet bespricht. Vgl. auch das bei F 2014b, 80 f. gebotene Material. Ebd., 75–77. Ein Beispiel aus hellenistischer Zeit bietet Paus. IV 29,2–5, demzufolge es einem militärischen Aufgebot Philipps V. gelang, am frühen Morgen unbemerkt über die Stadtmauern von Messene zu steigen; freilich wurden die Makedonen von der aufgebrachten Stadtbevölkerung – die Frauen bewarfen die Soldaten mit Ziegelsteinen – getötet oder in die Flucht geschlagen. Zur herausragenden baulichen Qualität und Stärke dieser Stadtmauer ebd., 31,5. Apg 9,23–25. Text N/A28 (abweichend aber λαβόντες δὲ οἱ µαθηταὶ αὐτόν statt αὐτοῦ, siehe dazu die Diskussion bei B 1994, 466 f.), Übersetzung modifiziert nach Peter Pilhofer („Die Apostelgeschichte“, online unter https://www.die-apostelgeschichte.de [8. April 2015], 179).

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6.5 Das umgehbare Stadttor

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Einen eigenen Bericht der Ereignisse gibt Paulus im zweiten Korintherbrief: ἐν ∆αµασκῷ ὁ ἐθνάρχης ῾Αρέτα τοῦ βασιλέως ἐφρούρει τὴν πόλιν ∆αµασκηνῶν πιάσαι µε, καὶ διὰ θυρίδος ἐν σαργάνῃ ἐχαλάσθην διὰ τοῦ τείχους καὶ ἐξέφυγον τὰς χεῖρας αὐτοῦ.

„In Damaskus hat der Ethnarch des Königs Aretas versucht, die Stadt der Damaskener zu bewachen, um mich zu fangen; und ich bin durch ein Fenster in der Stadtmauer in einem Korb heruntergelassen worden und seinen Nachstellungen entkommen.“244 Unabhängig von der historischen Einordnung des Ereignisses245 und unabhängig von den Problemen, die sich aus der doppelten Überlieferung ergeben,246 ist es in beiden Darstellungen die gleiche List, mit der Paulus seinen Feinden entkommt. Indem er sich heimlich in einem Korb abseilen läßt, umgeht er eine Konfrontation am Stadttor und kann Damaskus unbemerkt verlassen. Es läßt sich aus den Erzählungen ableiten, daß es sich zwar keineswegs um ein alltägliches Szenario handelt, das hier beschrieben wird, aber doch um eines, das dem Leser im ersten Jahrhundert grundsätzlich plausibel erscheinen mußte. Man denke dagegen nur daran, wie sich in einer ganz ähnlichen Situation der alttestamentliche Simson aus der Affäre zieht, der dank seiner unglaublichen Kraft einfach Tatsachen schafft, wenn er mitten in der Nacht die Tür des Stadttors von Gaza brachial aus den Angeln hebt und sie samt Pfosten und Riegeln davonträgt.247 Im Gegensatz dazu erscheint die von Paulus gewählte Methode248 auch für normale Menschen prinzipiell praktikabel. Dabei handelt es sich bei den Wachen, die 2Kor zufolge durch den Trick mit dem Korb düpiert werden, übrigens durchaus um professionelles Personal. Dies legt der Gebrauch des Verbs φρουρέω („bewachen“) in V. 32 zumindest nahe. In den kaiserzeitlichen Papyri wird das Wort durchgehend in amtlichen Zusammenhängen verwendet und bezieht sich auf die Mitglieder der offiziellen städtischen Wach244 245 246

247 248

2Kor 11,32 f., Text N/A28 , Übersetzung Peter Pilhofer (a. a. O., 186). Zur Datierung in die Zeit zwischen 37 und 39 n. Chr. siehe B 1994, 466. Diesbezüglich verweise ich auf Pilhofers Diskussion a. a. O., 185 f.: Abweichend von der eigenen Darstellung des Paulus in 2Kor, derzufolge es der königliche Ethnarch war, der ihn verfolgte, beschuldigt Lukas in Apg 9,23–25 die Juden in Damaskus (siehe dazu auch bereits B 1994, 466). Damit kommt Simson seinen Häschern zuvor, die ihn am nächsten Morgen ermorden wollten, sobald das Tor geöffnet würde und er die Stadt verließe (Ri 16,1–3). Sie hat ein direktes Vorbild in Jos 2,15, wo geschildert wird, wie die Prostituierte Rahab des Nachts zwei Kundschafter an der Stadtmauer von Jericho herabläßt. Rahab kann die Männer, die durch die Truppen des Königs verfolgt werden, V. 15 zufolge einfach aus einem Fenster ihres Hauses abseilen, da sie direkt an der Stadtmauer wohnt. Vgl. auch die abgewandelte Darstellung bei Jos. ant. Iud. 5,1,2, wo sich die Spione selbst die Mauer hinabschwingen und das peinliche Detail, von einer Frau hinuntergelassen zu werden, ausgespart ist. Weitere biblische und außerbiblische Parallelen bei S 2015, 267.

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mannschaften.249 Genau diese Damaszener Wachmannschaften hätte demnach der Ethnarch instruiert, Paulus gefangenzunehmen. Wie diese Überlieferung zeigt, hatte selbst eine gut bewachte Mauer also irgendwo eine Schießscharte oder ein Fensterchen, durch das man unbeobachtet steigen konnte. Diese Annahme läßt sich auch durch einen Vergleich zu den sehr viel strikter abgeriegelten Städten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit stützen, da selbst in diesen jederzeit Möglichkeiten bestanden, durch Mauerlöcher zu schlüpfen oder über die Mauer zu klettern, so daß man in die Stadt hinein oder aus ihr hinaus gelangte, ohne ein Tor passieren zu müssen. So war aus gutem Grund das Übersteigen der Mauern in den meisten Städten strikt verboten.250 Es ist daran zu erinnern, daß dies auch in der römischen Kaiserzeit der Fall gewesen ist. Einem Bürger, der eine Stadt auf anderem Wege als durch die Tore verließ, drohte die Todesstrafe.251 In diesem Licht besehen, mußte man – wie Paulus – schon sehr gewichtige Gründe dafür haben, das Stadttor zu umgehen. 6.6 Militärisch besetzte stationes am Stadteingang Auch wenn eingangs konstatiert wurde, daß die Gestaltung der lokalen Sicherheitspolitik grundsätzlich in der eigenen Zuständigkeit der Städte lag, konnten die munizipalen Maßnahmen bei Bedarf durch militärisches Personal ergänzt werden. Dies galt in besonderem Maß für die Hauptstadt des Reiches: Rom selbst war – mit dem Prätorianerlager, der Stadtpräfektur und den castra weiterer Einheiten wie der equites singulares Augusti – an seinen wichtigsten Zugangsstraßen umfassend mit militärischem Sicherheitspersonal ausgestattet.252 Militärischer Schutz erwies sich in der Praxis außerdem in grenznahen und instabilen Regionen als notwendig oder dort, wo aufgrund der späten oder geringen Urbanisierung einer Provinz die städtische Organisation von Sicherheitspersonal wenig ausdifferenziert war.253 Siedlungen, die wie die Stadt Sala in der Nähe der Reichsgrenzen lagen, waren häufig durch ein benachbartes Militärlager besonders effektiv geschützt. Andernorts boten aber auch die sehr viel kleineren Besatzungen einzelner stationes zusätzliche Sicherheit für die Zugangsstraße und den Eingang einer Stadt. Dabei ist, wie zu sehen sein wird, nicht an militärischen Schutz im engeren Sinn gedacht, da ein oder zwei Elitesoldaten gegen Bandenüberfälle oder ähnliches wenig auszurichten vermocht hätten. Bei der Etablierung von stationes ging es vielmehr um eine Darstellung von

249 250

251 252 253

A-G 2014, 501. J 2015, 244; die drohenden Strafen reichten bis hin zu Verbannung und Todesstrafe. Das Übersteigen von Mauern war Jütte zufolge kein statistisch relevantes Phänomen, wurde aber eben gerade von denjenigen praktiziert, die man aus der Stadt fernhalten wollte wie Landstreichern, Bettlern und Schmugglern. Dig. 1,8,11 (Pomponius), siehe dazu oben, 124. Weiterführend R 2018, 141–186. Diese drei Kriterien übernehme ich von B 2005, 327–329.

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Sicherheit, indem Vertreter der römischen Autorität Präsenz zeigten und in ganz verschiedenen Angelegenheiten für die Bevölkerung ansprechbar waren.254 Das Personal, mit dem diese städtischen und stadtnahen stationes besetzt waren, ist nach Herkunft aus unterschiedlichen militärischen Einheiten zu differenzieren. So wurden Mitglieder der städtischen oder der prätorianischen Kohorten aus Stadtrom als stationarii in die Provinzen abkommandiert, aber auch Angehörige der Eliteeinheit der equites singulares oder beneficiarii, Stabsmitarbeiter des Provinzstatthalters.255 Die letzte, besonders gut dokumentierte Gruppe der stadtnah stationierten Beneficiarier sei im folgenden exemplarisch besprochen. Es wird zu sehen sein, daß Beneficiarierstationen bevorzugt gerade am Stadteingang situiert waren. Um dies aufzuzeigen, stütze ich mich unter anderem auf die exzellente Studie von Jérôme France und Jocelyne Nelis-Clément.256 Livius erwähnt bereits für die Frühe und Mittlere Republik verschiedentlich stationes ante portas oder stationes pro portis,257 wobei man sich hier noch keine reguläre Besatzung, geschweige denn ein festes Gebäude vorstellen muß, sondern wohl eher flexibel positionierte Vorposten.258 Das System der stationes wurde erst unter Augustus und Tiberius entwickelt. Es zielte zunächst auf eine höhere Straßensicherheit in Italien ab und wurde dann nach und nach auch auf die Provinzen ausgedehnt.259 Militärisch besetzte Stationen in unmittelbarer Nähe zu einer Stadt waren spätestens seit trajanischer oder hadrianischer Zeit260 eine reichsweite Institution.261 Im dritten Jahrhundert wurden solche stationes selbst vor den Toren der Stadt Rom eingerichtet.262 Eine statio in diesem Sinn ist nach France und Nelis-Clément „un établissement local de taille réduite où des représentants du pouvoir effectuaient des tâches es254

255 256

257 258 259 260 261 262

In diesem Sinn argumentiert auch Maurice Sartre, der über die Bedeutung einzelner Militärposten in der afrikanischen Wüste, fernab von jeder städtischen Ansiedlung, nachdenkt: „On est là dans le désert, et je ne vois pas en quoi ces postes auraient pu s’opposer en quoi que ce soit au passage d’un groupe nomade bien décidé! La garnison aurait été massacrée sans aucune difficulté. Mieux vaut donc y voir des postes de surveillance, ou plus exactement des points de contact entre Rome et les nomades“ (S 2009, 80). Vgl. B 2005, 256–259. F/N-C 2014b. Ich habe außerdem die einschlägige Monographie über das Beneficiarierwesen, N-C 2000, konsultiert. Als für meine Fragestellung wenig hilfreich erwies sich O 1995, da dessen Einteilung nicht berücksichtigt, ob eine statio vor einem Stadteingang lag. Liv. III 5,4; IX 45,15; XXV 39,2; vgl. auch III 42,6 und XLI 26,2. Zu diesem Gebrauch von statio bei den römischen Historikern vgl. F/N-C 2014b, 119–123. G 2014, 296, vgl. F/N-C 2014b, 120. Zu den italischen stationes siehe R 2018, 189–200. F/N-C 2014b, 184. Eine Auflistung von stationarii, die zu einer bestimmten Stadt gehörten, findet sich bei F 2012, 210. Konkret nachzuweisen sind stationes an der Via Appia und an der Via Latina (R 2018, 148 f.).

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sentielles à son fonctionnement, à savoir le maintien de l’ordre et la perception de certaines taxes.“263 Ein solcher Posten war mit Soldaten, meist im Rang von Unteroffizieren, besetzt. In der Regel handelte es sich dabei um beneficiarii consularis, also um Legionäre, die aufgrund einer Beförderung vom regulären Dienst befreit und aus ihren Stammeinheiten abkommandiert worden waren und nun direkt dem Provinzstatthalter unterstanden. Sie lebten die meiste Zeit in der Hauptstadt der Provinz, wo sie im officium des Statthalters administrative Tätigkeiten verrichteten, und konnten in einem rotierenden Turnus für ein halbes Jahr oder länger auf eine statio abberufen werden.264 Eine Station war in der Regel mit nur einem oder zwei Beneficiariern besetzt,265 die über einige weitere Mitarbeiter verfügten und deren wichtigste Aufgabe es war, als Repräsentanten des Statthalters Recht und öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten: Sie überprüften Requisitionen, nahmen im Namen des Statthalters Petitionen an, schlichteten zwischen Konfliktparteien, unterstützten römische Bürger bei der Durchsetzung ihrer Rechte, nahmen Anzeigen aus der Bevölkerung entgegen und untersuchten die angezeigten Vorfälle, prüften Bücher, verfaßten Verhörprotokolle, verhafteten Beschuldigte, erwirkten Hafterlassungen von zu Unrecht Inhaftierten, führten Konfiskationen durch, begleiteten Gefangenentransporte und überwachten Hinrichtungen.266 Eine Charakterisierung der Beneficiarier als Provinzialpolizei wäre daher unpräzise. Sie übten zwar auch polizeiliche Tätigkeiten aus, waren jedoch in erster Linie „ein[e] Art Hilfsorgan der Strafverfolgungsund Justizvollzugsbehörden sowie der Zivilgerichte.“267 Anders als bei den Sicherheitsmaßnahmen, die am Stadttor selbst ergriffen wurden, wie zum Beispiel dessen Schließung oder Bewachung, waren es nicht die Städte, die über die Errichtung von Beneficiarierstationen zu entscheiden hatten, sondern der Kaiser. Die zeitweilige oder dauerhafte Stationierung eines Militärs zum besonderen Schutz einer Stadt galt als Privileg, um dessen Erteilung sich die Städte aktiv bemühten. Das zeigen entsprechende städtische Anfragen, die inschriftlich überliefert sind,268 und auch zwei einschlägige Briefe in der Korrespondenz zwischen Plinius und Trajan, in denen Plinius den Kaiser vergeblich ersucht, im bithynischen Iuliopolis eine statio zu etablieren, wie er sie in Nikomedia eingerichtet hatte.269 263 264

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F/N-C 2014b, 115. Ebd., 123 f. und 215. Andere Beneficiarier gehörten beispielsweise zu den stadtrömischen Militärkohorten oder zu den verschiedenen Abteilungen der römischen Armee, siehe weiterführend N-C 2000, 87–131. Zur Frage der Kollegialität O 1995, 111–113. Nach O 1995, 122–129 und F/N-C 2014b, 214–217; siehe ferner S 2005, 149, und weiterführend die umfassende Quellendiskussion bei N-C 2000, 211–268. O 1995, 129. Belege bei F/N-C 2014b, 122, Anm. 24. Plin. ep. 10,77 f., der in Nikomedia stationierte Soldat ist in ep. 10,74,1 erwähnt. Diskussion bei F/N-C 2014b, 120–122.

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6.6 Militärisch besetzte stationes am Stadteingang

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6.6.1 Der archäologische und epigraphische Befund Wir sind über die Straßenposten der Beneficiarier vergleichsweise gut informiert,270 auch wenn ihr archäologischer Nachweis ähnlich schwer zu erbringen ist wie der für stationes des Zolls.271 Anhand archäologischer Befunde sicher identifiziert sind bislang drei Beneficiarierstationen, eine im niederpannonischen Sirmium sowie zwei am obergermanischen Limes, in Osterburken und in Obernburg am Main. Alle drei befanden sich in unmittelbarer Nähe von militärischen oder zivilen Siedlungen: In Sirmium war die Station etwa 50 Meter außerhalb der Stadtmauern vor dem wichtigen nordwestlichen Stadttor gelegen. In Obernburg lag die Station 90 Meter südlich vor dem Eingang des römischen Militärlagers, in Osterburken 300 Meter östlich davon.272 Hinzu kommen epigraphische Belege, durch die weitere stationes vor oder in Stadttoren lokalisiert werden können. Für die Frage der Stadttore sind in erster Linie die Beneficiarierstationen in Sirmium und Dura Europos von Interesse, da es sich hier um städtische Siedlungen handelte. Die statio in Sirmium (heute Sremska Mitrovica in Serbien) nahm eine Fläche von mehr als 25 000 Quadratmetern ein und umfaßte auch einen sakralen Bereich, in dem sich 82 Inschriften und Inschriftenfragmente erhalten haben. 79 davon wurden von Beneficiariern verfaßt. Die Station war dem epigraphischen Befund zufolge von der Mitte des zweiten Jahrhunderts an für mindestens 80 Jahre in Betrieb.273 Das militärische Personal war anscheinend dauerhaft vor Ort stationiert, da der Komplex auch über einen Wohnbereich verfügte.274 Eine ähnliche Situation hat man sich vermutlich für die Beneficiarierstation in Mursa (heute Osijek in Kroatien) vorzustellen. Die Stadt gehörte ebenfalls zur Pannonia Inferior und lag etwa 100 Kilometer nordwestlich von Sirmium an der Drau. Die statio von Mursa ist baulich nicht faßbar, aber durch in situ entdeckte Inschriften an der wichtigen Straße nach Italien zweifelsfrei vor ihren Toren lokalisiert.275 In Dura Europos wiederum haben Beneficiarier in der zweiten Hälfte des zweiten und zu Beginn des dritten Jahrhunderts eine Serie von Graffiti ausgerechnt auf den Innenwänden

270 271 272

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275

Neben zahlreichen literarischen und juristischen Quellen liegen allein 1 160 einschlägige Inschriften vor (F/N-C 2014b, 165). Zum archäologischen Nachweis von Zollstationen siehe unten, 177–190. Zur benachbarten Anlage von stationes für Beneficiarier und Zoll siehe 189. F/N-C 2014b, 171, vgl. auch L 2014, 38. Nicht ergraben, aber sicher lokalisiert ist eine weitere Beneficiarierstation vor dem römischen Kastell in Stockstadt am Main (F/N-C 2014b, 187 f.; Material zu weiteren archäologisch nicht sicher zuweisbaren Beneficiarierstationen ebd., 185–194). N-C 2000, 141–148; F/N-C 2014b, 179–184. Ebd., 184. Die Autoren weisen darauf hin, daß stationes für Beneficiarier generell einen zivilen Wohnbereich und einen kultischen Bereich umfaßten. Die Beneficiarier lebten auf den Stationen offenbar auch mit ihren Angehörigen zusammen (ebd., 231). Ebd., 188.

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eines Stadttors, des sogenannten Palmyra-Tors, hinterlassen.276 Das Tor mit seinem Wachposten277 wird von den Ausgräbern daher als eine statio angesprochen, an der neben Beneficiariern auch statores und Soldaten der städtischen Garnison postiert waren.278 Darüber hinaus ist auch auf Siscia in der Pannonia Superior zu verweisen (heute Sisak in Kroatien). Eine in Siscia gefundene Weihinschrift, in der der beneficiarius Lucius Virilius Pupus der einheimischen Bevölkerung untersagt, im Sakralbereich der Station Schweine herumlaufen zu lassen,279 legt es nahe, daß auch die dortige Station extra muros zu suchen war.280 Erwähnt sei schließlich noch der bezeichnende Umstand, daß in Kappadokien mehrere Inschriften von Beneficiariern belegt sind, die Torschutzgottheiten geweiht waren wie dem erhörenden Pylon oder dem Zeus Pylaios (Πύλωνι ᾽Επηκόῳ, Θεῷ Πύλωνι und ∆ιὶ Πυλαίῳ).281 Auch dies verweist auf die enge Verbindung der Tätigkeit dieser Beneficiarier mit den Toren,282 und es steht zu vermuten, daß die Dedikanten vor den Stadttoren von Sebastopolis und Dazimon stationiert waren.283 Folgendes läßt sich festhalten: In grenznahen Regionen wie im Fall der Kastellvici am obergermanischen Limes oder der Städte Sirmium und Mursa, die nicht weit hinter der Donaulinie lagen, wurden wichtige Ausfallstraßen vor den Siedlungen im zweiten Jahrhundert systematisch mit Beneficiarierstationen besetzt, die in engem Kontakt zum jeweiligen Statthalterbüro standen. Wie Nelis-Clément aufzeigt, gehörten am obergermanischen Limes alle epigraphisch nachgewiesenen Beneficiarierstation zu nahegelegenen Kastellvici.284 Die Verbindung solcher stationes mit Siedlungen scheint in anderen an das Barbaricum grenzenden Provinzen vergleichbar eng zu sein, wie eine Auswertung der einschlägigen Inschriften aus Untergermanien, Noricum, Pannonien, Dacien, Moesien und Britannien zeigt.285 In den östlichen Provinzen ist die Verbindung von Beneficiarierstationen mit dem 276

277 278

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Siehe zum Beispiel SEG VII 516–518.521.530.534. Zu den Beneficiariern in Dura siehe den Kommentar der Erstpublikation eines Großteils der Inschriften, R 1929, 55–60, und N-C 2000, 212; allgemein zu den Inschriften dieses Stadttors unten, 278. Siehe oben, 141. R 1929, 56. Graffiti von statores am selben Ort sind etwa SEG VII 523.525 f. und 530; die Inschrift AE 1928, 86 = AE 2002, 1501 ist die Weihung eines decurio. Wie J 1931, 155 deutlich macht, wurde die Kursivschrift in Dura vor der Besetzung durch die Römer im Jahr 165 nicht benutzt, was dafür spricht, daß auch die zahlreichen Graffiti, die lediglich den Namen des Urhebers übermitteln, Angehörigen des römischen Militärs zuzuordnen sind. CIL III pars 1, 3955 = ILS 4293: I(ovi) O(ptimo) M(aximo) | Heliopolitano | L(ucius) Virilius | Pupus b(ene)f(iciarius) co(n)s(ularis) | v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). | ne quis in hac | ara porcos agi | facere velit. So die Argumentation von F/N-C 2014b, 190. Bei diesen Beispielen handelt es sich um CBI (= S/E/O 1990) 689.695.694. Nach F/N-C 2014b, 220 f. N-C 2000, 190; F/N-C 2014b, 221. N-C 2000, 148–155. Ebd., 161–168.172–175; eine kurze Diskussion des Befundes in Cataractonium (heute Catterick) in der Region südlich des Hadrianswalls bieten F/N-C 2014b, 189–199.

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6.6 Militärisch besetzte stationes am Stadteingang

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Stadteingang in Dura Europos sowie durch die erwähnten Weihungen an Torschutzgottheiten belegt. Die Existenz von – nur epigraphisch dokumentierten – stadtnahen stationes wie der Beneficiarierstation vor Segisamo, die an der Straße nach Tarraco lag,286 oder der nicht lokalisierten Station vor Lucus Augusti,287 beide in der Hispania Tarraconensis, läßt vermuten, daß sich das Phänomen nicht ausschließlich auf die Grenzregionen des Reiches beschränkte. Auch andernorts in den Provinzen konnte am Eingang einer Stadt eine Beneficiarierstation anzutreffen sein. 6.6.2 Ein lieu de pouvoir: Machtdemonstration und Machtmißbrauch Mit der Einrichtung einer festen statio war unmittelbar vor den Stadttoren jederzeit ein Repräsentant des Provinzstatthalters anzutreffen, der über weitreichende Befugnisse verfügte und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gewährleistete. Anwohner und Reisende konnten sich mit Problemen unterschiedlichster Art an ihn wenden. Die Existenz einer statio vor dem Stadttor demonstrierte ihnen augenfällig die Präsenz römischer Macht. Als „petite Rome projetée dans la province“288 hatte die statio für jeden Vorübergehenden eine klare Botschaft: „Les dizaines et dizaines de monuments votifs érigés les uns après les autres et disposés en rangées, à ciel ouvert, sur l’espace qui leur était réservé dans le complexe d’une statio devaient offrir une impression tout à fait imposante au regard de ceux [qui] arrivaient dans une cité comme Sirmium ou dans un camp comme ceux d’Osterburken ou d’Obernburg. En entrant dans la statio, les habitants des communautés locales [. . . ] étaient invités à y lire l’histoire de ce lieu de pouvoir et de ceux qui l’avaient écrite, ajoutant leur monument à la liste de ceux qui les avaient précédés, associant leur nom aux noms des dieux et des divinités impériales.“289 Denkt man in diese Richtung weiter, so wird die Errichtung einer statio nicht von allen Anwohnern als eine begrüßenswerte Maßnahme zur Erhöhung ihrer persönlichen Sicherheit empfunden worden sein. Sie ließ sich auch als ein imperialer Akt verstehen. Hinzu kommt, daß mit Machtmißbrauch und Gewalt seitens römischen

286 287

288 289

L R 2007, 379. Die statio Segisamonensium ist durch die Inschrift eines Beneficiariers aus der Zeit um 180 bis 220 belegt. L R 2007, zur Lokalisation 376 und 379. Die Inschrift vom Beginn des dritten Jahrhunderts, die als Weihung für Mithras und zu Ehren der statio Lucensis errichtet wurde, ist allerdings nicht von einem Beneficiarier gestiftet worden, sondern von einem Zenturio und seinen zwei Freigelassenen. Le Roux hält den Stifter für einen früheren Beneficiarier (381). F/N-C 2014b, 245. Ebd., 231 f. Zur statio als Symbol der römischen Autorität siehe auch L R 2014, 283 f.

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Militärpersonals durchaus zu rechnen sein konnte, wie es die Quellen zu Genüge belegen.290 Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Inschrift CIL IX 2438, in der ein Mißbrauch von Befugnissen durch stationarii nur deshalb aktenkundig geworden ist, weil er sich unwissentlich gegen kaiserlichen Besitz richtete. Es handelt sich dabei um ein Schreiben der kaiserlichen Verwaltung an die italische Stadt Saepinum. Die Inschrift gehört in die Jahre 169 bis 172 und ist auf der feldseitigen Fassade des Nordtors von Saepinum gefunden worden. In diesem Schreiben werden die örtlichen Magistrate aufgefordert, den Zug der kaiserlichen Schafherden auf ihre Sommerweiden bei Bovianum zukünftig nicht mehr zu behindern. Der Brief zitiert dazu aus dem Beschwerdeschreiben des kaiserlichen Freigelassenen Septimianus an den kaiserlichen Finanzsekretär:291 conductores gregum oviaricorum qui sunt sub cura tua in re pr(a)esenti | subinde mihi quererentur per itinera callium frequenter iniuria) | se accipere a stationaris et magg(istratibus) Saepino et Boviano eo, quod in tra(n)situ | iumenta et pastores, quos conductos habent, dicentes fugitivos esse et | iumenta abactia habere, et sub hac specie oves quoque dominicae | [diffu]giant in illo tumultu necesse habeamus etiam scribere quietius ag|erent ne res dominica detrimentum pateretur. „Die Pächter der Schafherden, die unter Deiner Aufsicht stehen, beschweren sich bei mir in letzter Zeit immer wieder, daß ihnen auf ihren Weidewechselwegen häufig durch die stationarii und Magistrate von Saepinum und Bovianum diesbezüglich Unrecht getan wird. Und zwar behaupten diese, wenn sich die Packtiere und die [von den Pächtern] eingestellten Hirten auf dem Durchzug befinden, sie seien entlaufene Sklaven und hätten gestohlene Packtiere dabei. Und weil unter diesem Vorwand auch die kaiserlichen Schafe in dem Tumult davonlaufen, müssen wir ihnen schreiben, daß sie für Ruhe zu sorgen haben, um die kaiserliche Kasse vor Schaden zu bewahren.“292 Nachdem die Inschrift auf dem Stadttor von Saepinum angebracht worden ist, von wo aus die Straße nach Bovianum führt, steht zu vermuten, daß die kaiserlichen 290 291

292

Siehe außer der im folgenden besprochenen Inschrift auch eine Reihe weiterer Belege für Amtsmißbrauch bei  N 2008, 295 f. sowie die Darstellung bei M 1993, 195–197. Die etwas verschachtelte Struktur des Schreibens ist folgende: Die Prätorianerpräfekten Bassaeus Rufus und Macrinius Vindex teilen den Magistraten der Stadt Saepinum ihren Briefwechsel mit dem kaiserlichen Freigelassenen a rationibus namens Cosmus mit, wobei das Schreiben des Cosmus wiederum einen Brief von dessen Mitfreigelassenem Septimianus zitiert. Septimianus berichtet von Beschwerden der Pächter der kaiserlichen Schafherden und bittet Cosmus um Abhilfe. Da die hartleibigen Magistrate von Saepinum und Bovianum, wie Septimianus schreibt, weder seine Autorität noch die des Cosmus akzeptieren, werden die Prätorianerpräfekten eingeschaltet. CIL IX 2438, Z. 14–20. (Text nach C 1983. Eigene Übersetzung, wobei ich den Begriff „Weidewechselwege“ aus T 2015, 142 übernehme.)

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6.7 Herstellung und Darstellung von Sicherheit am Eingang der Stadt

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Schafherden auf dem Weg zurück von ihren Sommerweideplätzen durch die Stadt getrieben werden sollten.293 Am Stadteingang wurden sie routinemäßig von stationarii aufgehalten, die nach entlaufenen Sklaven suchten. Erst kurze Zeit zuvor hatte der Kaiser die milites stationarii mit der Verfolgung flüchtiger Sklaven betraut.294 Warum die Posten in Saepinum und Bovianum die Hirten als Verdächtige verhafteten, bleibt ungeklärt. Handelte es sich um willkürliche Drangsalierung oder um versuchte Erpressung?295 Ein Versehen ist angesichts der mehrfachen Wiederholung des Vorfalls auszuschließen. In diesem Fall wurde die ungerechtfertigte Behandlung der Hirten durch die stationarii offenbar von den örtlichen Behörden geduldet. Das Rotationsprinzip in der Besetzung der stationes konnte mißbräuchliches Verhalten folglich nicht komplett ausschließen. Je nach Standpunkt des Beobachters war die Ausbeutung der Bevölkerung geradezu das spezifische Kennzeichen eines stationarius. So beklagt ein rabbinischer Text aus dem späten Prinzipat, daß die Repräsentanten Roms selbst aus Felsen und harten Steinen noch Honig und Öl herauspressen.296 Insofern ist das Bild des bürokratisch-integren Soldaten, das auf den vorangehenden Seiten gezeichnet wurde, durch Konnotationen zu ergänzen, die sich auf das gewalttätige und repressive Verhalten mancher Vertreter der römischen Militärpolizei beziehen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß stationarii in enger Zusammenarbeit mit den munizipalen Behörden an den Wegen zur Stadt, aber auch direkt an den Eingängen und Stadttoren Wach- und Kontrollaufgaben übernehmen konnten. Sie trugen damit zur Sicherheit sowohl auf den Überlandstraßen als auch in den Städten selbst bei. Aufgrund ihrer Befugnisse, Personen festzunehmen und längerfristig festzuhalten, war es den Militärposten jedoch auch möglich, mißbräuchlich und willkürlich die Reisefreiheit bestimmter Personen oder Bevölkerungsgruppen zu behindern. 6.7 Herstellung und Darstellung von Sicherheit am Eingang der Stadt Es konnte aufgezeigt werden, daß es wenig zielführend wäre, Herstellung und Darstellung von Sicherheit als einander ausschließende Kategorien zu betrachten. Im Gegenteil gehören sie eng zusammen. Selbst bei vermeintlich klaren Beispielen einer reinen Wehrarchitektur wie den bereits erwähnten Verteidigungsanlagen von 293 294 295 296

So schon Mommsen in der editio princeps (CIL IX, S. 228). Die landwirtschaftlichen und fiskalischen Hintergründe der Inschrift erörtert C 1983. Dig. 11,4,1–2 (Ulpian). Die Flucht von Sklaven als Problem für die römische Ordnungspolitik erörtert F 2012, 21–43. Belege für Schutzgelderpressungen durch Militärposten bei O 1995, 125. SifDev 317 (Auslegung zu Dtn 32,13): „Er liess es Honig schlürfen aus Felsen und Öl aus Kieselgestein. Das sind die Bedrücker, die sich des Landes Israel bemächtigten.“ (Übersetzung B 1984, 766.) Siehe die Diskussion der Stelle in unserem Zusammenhang bei F 2012, 232 f.: Fuhrmann münzt die Aussage speziell auf die Beneficiarier, wohingegen Bietenhard im Kommentar zur Stelle erklärt, es handle sich um Nichtjuden und hier speziell römische Beamte, die gewaltsam jüdisches Eigentum an sich gebracht haben (B 1984, 766).

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6 Sicherheit am Eingang der kaiserzeitlichen Stadt

Trier ist der Schauwert des Baus nicht zu unterschätzen: Die Porta Nigra demonstrierte nach außen hin Stärke und Verteidigungsbereitschaft, für die Bewohner von Trier aber eine neu errungene Sicherheit.297 Umgekehrt hatten aber auch solche Befestigungen, denen die moderne Bauforschung nur geringen militärischen Wert bescheinigt, durchaus Sicherheitsrelevanz. So erörtert Dominic Perring in bezug auf die Mauern von Londinium und Camulodunum (Colchester), daß es zwar kaum möglich war, sie gegen militärische Angriffe zu verteidigen, daß ihre Errichtung aber dennoch in allgemeinerer Weise als ein Versuch betrachtet werden kann, Vertrauen in die Sicherheit und den Status der jeweiligen Stadt herzustellen.298 Was die Herstellung von Sicherheit betrifft, so lassen sich im Prinzipat unterschiedliche Grade von Sicherheit unterscheiden, die durch die städtischen Bau- und Personalmaßnahmen angestrebt wurden – je nachdem, welche Region und welchen genauen Zeitraum wir betrachten. Ich schlage vor, systematisierend vier grundsätzliche Situationen zu unterscheiden. Erstens: Das Tor war Teil einer Befestigungsanlage und mußte kriegerischen Angriffen standhalten – etwa in Grenzprovinzen bei feindlichen Einfällen der »Barbaren« oder im Zusammenhang mit Usurpationen und Bürgerkriegen bei der Belagerung durch römische Armeeverbände. Zweitens: Das Tor war periodischen Angriffen durch indigene Stämme oder durch Räuberbanden ausgesetzt. Drittens: In einer allgemein friedlichen Situation verhinderte das Tor zu bestimmten Zeiten (etwa nachts), daß Personen unkontrolliert und ungehindert die Stadt betraten oder verließen. Viertens: Das Tor konnte jederzeit von jedermann frei passiert werden. Dieser letzte Fall ist naturgemäß der, der im archäologischen und schriftlichen Befund am wenigsten von sich reden macht. Die Gestaltung konkreter fortifikatorischer Maßnahmen vor Ort – seien es Baumaßnahmen oder der Einsatz von Wachpersonal und Soldaten – hing also einerseits davon ab, ob und inwieweit eine Stadt damit rechnen mußte, in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt oder Ziel organisierter Überfälle zu werden, und andererseits davon, inwieweit eine Kontrolle oder Reglementierung des Personenund Warenverkehrs notwendig erschien. Dies paßt zum Befund, daß im Prinzipat manche Städte auch ihren Hafen fortifikatorisch sicherten. Das Hafenbecken konnte bei Bedarf mittels einer auf Schwimmern gelagerten Kette abgesperrt werden, die zwischen zwei Türmen in die Hafeneinfahrt gezogen wurde.299 Dem jeweils angestrebten Sicherheitsgrad entsprechend war der poliorketische Charakter von Stadttoren im Römischen Reich ganz unterschiedlich stark ausgeprägt und reichte vom turmbewehrten Mauertor bis hin zum türlosen Ehrenbogen. Auch die personelle Bewehrung wurde den Erfordernissen angepaßt: Während in unruhigen Gebieten und Zeiten Tore, Türme und Mauern militärisch gesichert waren und bei Bedarf aktiv verteidigt wurden, genügte in den meisten Städten 297 298 299

Zum semantischen Potential der Darstellung von Macht und Wehrhaftigkeit in der Gestaltung kaiserzeitlicher Stadttore siehe unten, 337 f. P 1991, 283. F 2020, 245.

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6.7 Herstellung und Darstellung von Sicherheit am Eingang der Stadt

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der Kaiserzeit wohl eine kleine Wachmannschaft an den Stadttoren, sofern man nicht ohnedies ganz auf Wachpersonal verzichten konnte. Ein Stadttor, vor dem Amtsgebäude wie Beneficiarierstationen oder Zollämter lagen, profitierte zusätzlich von der ostentativen Manifestation und Visualisierung römischer Autorität. Ich habe indessen den Eindruck, daß ungeachtet der tatsächlichen Erfordernisse auch in der Kaiserzeit die Vorstellung, derzufolge die Bürger einer Stadt diese im Zweifelsfall gemeinsam militärisch zu verteidigen hatten, Teil städtischer Identität war.300 Die Erinnerung an solche Zeiten, in denen das Leben jedes einzelnen Bewohners einer Stadt von der Sicherung der Tore abhängig gewesen war, blieb auch in einem weitgehend befriedeten Reich immer präsent.301

300 301

Mit B 2008, 184. Dabei hatten die meisten Städte nur in seltenen Fällen militärische Angriffe oder bewaffnete Überfälle zu gewärtigen (ebd.). Ganz explizit zum Beispiel in Juv. 15,155–158 (dazu unten, 393). Siehe ferner die Benutzung entsprechender Gemeinplätze etwa bei Sen. De ira I 8,2: hostis . . . cum intravit et portis se intulit, modum a captivis non accipit, oder Plut. De audiendis poetis 1 (= mor. 14F): οὔτε γὰρ πόλιν αἱ κεκλειµέναι πύλαι τηροῦσιν ἀνάλωτον, ἂν διὰ µιᾶς παραδέξηται τοὺς πολεµίους. Vgl. ferner die bereits oben, 115, zitierte Stelle Dion. Chrys. Or. 38,19.

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7 Torgeld- und Zollerhebung Wenn am Ein- und Ausgang großer Städte nur bei Bedarf Personenkontrollen durchgeführt wurden, so gab es mit den Zollschranken doch ein Instrument, das die Ein- und Ausreise einer Aufsicht und Regulierung unterwarf.1 Wie im vorangehenden Kapitel mehrfach anklang, wurde das Zollpersonal nicht ausschließlich zur Kontrolle von Warenimporten bzw. -exporten eingesetzt, sondern auch zur Überwachung von Personenmobilität. So spielten die Zollgrenzen im Kontext etwaiger Aufenthaltsrestriktionen eine gewichtige Rolle. Das Zollpersonal konnte im Zuge einer Zolldeklaration Personendaten erheben und gegebenenfalls mit zusätzlichen Wachtätigkeiten oder polizeilichen Aufgaben bis hin zur Festnahme von Verdächtigen betraut werden. Da das Zollwesen im Römischen Reich mit lokalen Sonderabgaben, Mauten, Brückengeldern und Torgeldern nicht reichsweit einheitlich geregelt war, gilt es in diesem Kapitel, methodisch kontrolliert anhand exemplarischer Fälle ein Bild von der Situation an den Stadttoren zu erarbeiten. Neben Zollstationen an städtischen Binnen- oder Seehäfen und Zollposten an Landstraßen waren die wichtigsten Instanzen zur Kontrolle zollpflichtiger Waren am Stadteingang angesiedelte stationes. Ihre Zuständigkeit beschränkte sich dabei keineswegs auf munizipale Abgaben. Alle Zölle, also auch Straßenmauten, Hafenzölle benachbarter Städte und sogar Bezirksgrenzenzölle und Außengrenzenzölle, konnten kommissarisch am Stadteingang erhoben werden. Die logistischen Vorteile dieser Praxis sind kurz zu erläutern (7.1). Als gut dokumentierte Beispiele werden anschließend die Torzölle im ägyptischen Fayum besprochen, die in ihrer Komplexität vor Augen führen, wie aufwendig und zeitintensiv sich das Procedere bei der Ein-, Aus- oder Durchreise durch eine Stadt gestalten konnte (7.2). Anhand eines exemplarisch durchgerechneten Beispiels für einen fiktiven Händler im Nomos Arsinoites soll das komplizierte ägyptische Zollsystem anschaulich gemacht werden. Ein weiterer Abschnitt befaßt sich mit der methodischen Schwierigkeit, Zollstationen archäologisch nachzuweisen (7.3). Bemerkenswerterweise sind die bisher durch Grabungen lokalisierten Zollbüros ausschließlich in, an oder direkt vor den Toren von Städten gelegen. Neben dem Torzollposten der Stadt Bakchias im Fayum und den als Zollbüros genutzten Stadttortürmen in der Levante ist die Zollstation von Porolissum im illyrischen Zollgebiet von besonderem Interesse, da der archäologische Befund detailliertere Einblicke zuläßt. Das Kapitel schließt mit der exemplarischen Skizze eines Zollvorgangs, wie er an den Eingängen der kaiserzeitlichen Städte zu absolvieren war (7.4). 1

In diesem Sinne auch M 2017, 237.

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7 Torgeld- und Zollerhebung

7.1 Munizipale und kommissarische Zollerhebung an Stadttoren Das komplexe und uneinheitliche System von Zöllen (portoria) und indirekten Steuerabgaben (vectigalia) im Römischen Reich ist historisch gewachsen.2 Es läßt sich systematisierend in zwei Gruppen von Abgaben unterteilen. Dies sind zum einen die reichsweit von Rom beanspruchten Zölle an Außengrenzen und Zollbezirksgrenzen, welche von Sklaven der zuständigen societas, eines publicanus oder des kaiserlichen Haushalts eingezogen wurden.3 Der Außenzoll betrug zumindest an den Ostgrenzen des Imperiums exorbitante 25 Prozent auf den Wert importierter oder exportierter4 Waren. Die Zölle an den Grenzen der Zollbezirke (welche nicht mit den Provinzgrenzen identisch waren, sondern größere Einheiten umfaßten) beliefen sich meist auf eine quadragesima, also 2,5 Prozent ad valorem.5 Zum anderen gab es lokale Abgaben und Binnenzölle verschiedener Art, darunter Mauten für die Benutzung von Landstraßen, Pässen und Brücken sowie eigene städtische Zölle, die als Hafenzölle oder Torgelder zu entrichten waren. Sie wurden in der Regel bei der Ankunft bzw. beim Verlassen eines Ortes eingezogen, also im Hafen oder an den Stadttoren. Für unsere Fragestellung sind nun zunächst die städtischen Zölle von Interesse. Sie konnten von Städten erhoben werden, die eigene Zollhoheit genossen wie zum Beispiel Massilia, Mileum in Numidien, Athen, Sparta, Pallantion in Arkadien, Rhodos, Byzantium, Termessos6 und Alexandria in der Troas7 . Das Recht, einen bestimmten städtischen Zoll zu erheben, konnte auch als einzelnes Privileg vergeben werden. So bestätigte Vespasian den Einwohnern von Sabora in der Baetica ein augusteisches Privileg zur Erhebung eigener vectigalia, also indirekter Abgaben.8 Die lydische Stadt Stratonikeia erhielt von Hadrian die Einnahmen aus den τέλη 2

3

4 5

6 7

8

Einführend O 2002; zum Westen des Reiches auch F 2003. Eine grundlegende Studie zum römischen Zollwesen, die den Westen und den Osten behandelt, ist seit den wegweisenden Beiträgen  L 1949 und V 1953 nicht mehr erschienen. Zum Zollpersonal siehe  N 2008 und F 2014, 83–90; vgl. auch die summarische Darstellung bei F/N-C 2014b, 119. Die Doppelrolle der Sklaven im Zollwesen als zu verzollendes Gut einerseits und andererseits als Protagonisten der Zollerhebung arbeitet G 2015 heraus. Alle bekannten Zölle in der römischen Welt galten gleichermaßen für Importe wie Exporte (F 2001, 452). Der Außenzoll wurde Ende des zweiten oder zu Beginn des dritten Jahrhunderts auf eine octava, 12,5 Prozent, halbiert. Die quadragesima wurde unter anderem in den Zollbezirken Gallia oder Asia erhoben. Zu Pallantion siehe Paus. VIII 43,1. Die munizipalen Zölle in den anderen genannten und weiteren Städten diskutiert F 1999, 101–108. Die Zollhoheit von Alexandria Troas ging mit der Erhebung der Stadt zu einer colonia einher, wie das Monumentum Ephesenum, § 44, klar belegt. Zu dieser Inschrift siehe unten, Anm. 16 auf S. 180. CIL II 1423 = CIL II2 871 = ILS 6092, vgl. dazu M 2001, 123 f. Der Kaiser weist in seinem Schreiben explizit darauf hin, daß das Privileg nur für die in der Inschrift genannte Abgabe gilt. Sollte die Stadt zukünftig planen, weitere Zölle zu erheben, sei über den Proconsul ein eigenes kaiserliches Privileg zu beantragen.

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7.1 Munizipale und kommissarische Zollerhebung an Stadttoren

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τὰ ἐκ τῆς χώρας, einem bereits bestehenden Zoll, zur eigenen Erhebung und Verwendung zugesprochen.9 Eine eigene Torgeldzahlung gab es auch in der Stadt Rom selbst. Da sie sich bekanntermaßen weit über ihre republikanischen Mauern ausgedehnt hatte, wurde spätestens unter Vespasian eine neue, vor den Mauern liegende Zollgrenze mit 37 eigenen Zolltoren markiert.10 Die späteren aurelianischen Mauern folgten weitgehend ihrem Verlauf.11 An den Zolltoren war eine Abgabe namens vectigal foricularii et ansarii zu zahlen, ein Zoll auf landwirtschaftliche Produkte wie Wein, Öl, Garum und Schlachtvieh.12 Angesichts der Umgehbarkeit der Zolltore in Rom ist denkbar, daß auf den Märkten der Stadt regelmäßig kontrolliert wurde, ob die Händler für ihre Waren Zollquittungen vorweisen konnten.13 Wenn ich recht sehe, konnten jedoch nicht nur solche munizipalen Torgelder, sondern im Prinzip alle eingangs genannten Zölle und Abgaben kommissarisch von den Städten erhoben werden – und damit unter Umständen an Stadttoren. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß Zölle, die von einer Behörde beansprucht wurden, auch kommissarisch durch eine andere eingezogen werden konnten, und daß der Ort, für dessen Passieren eine Abgabe erhoben wurde, nicht der Ort sein mußte, an dem diese Abgabe zu zahlen war. So wurde das ἀποστόλιον – eine Ausreisegebühr für Personen, die Ägypten verließen – nicht erst in den Hafenstädten am Roten Meer entrichtet, sondern bereits vor der Stadt Koptos, also am Beginn der Landstraße, die durch die ostägyptische Wüste zur Küste führte.14 Umgekehrt wurde der Außengrenzenzoll auf Importe aus Fernost, das vectigal maris Rubri, zwar bereits am Roten Meer in den Häfen von Berenike oder Myos Hormos deklariert und im einzelnen berechnet; er mußte aber erst dann bezahlt werden, wenn die Karawanen auf dem Weg zum Nil die Wüste durchquert und Koptos erreicht hatten.15

9

10 11

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13 14 15

IGR IV 1156, Z. 9 f., vgl. dazu M 2001, 124. Das Zollprivileg wurde im Zusammenhang mit dem Besuch des Kaisers und der „Neugründung“ der Stadt als Hadrianopolis im Jahr 123 vergeben. Dazu zuletzt M/B 2011, 374 f.; H 2012, 90 f.; W 2015, 158. P 1980, 218 hält für möglich, daß die Zollgrenze noch auf Augustus zurückgeht. Die Hintergründe der Entscheidung, die Mauern am Verlauf der Zollgrenze zu orientieren, erörtert P 1980, 219 f. Kritisch G 2006b, 115 f. Zur Zollerhebung an den stadtrömischen Toren der Spätantike siehe P 1980, 223 f. W 2015 hat gezeigt, daß der Titel der Abgabe sich auf den Verzollungsmodus bezieht, also darauf, ob die Waren stückweise oder nach Hohlmaßen bzw. Gewicht abgerechnet wurden. Die wichtigsten Quellen zu dieser Abgabe sind die Inschriften CIL VI pars 1, 1016a–d und CIL VI pars 4 fasc. 2, 31227 (unter Marc Aurel und Commodus). Eine Zusammenstellung aller einschlägigen Quellen bietet bereits P 1980, 231–233. W 2015, 164. B 2002 in Interpretation der Tarifliste von Koptos, die aus dem Jahr 90 n. Chr. stammt. B 2002, 202–208. Die wichtigste Quelle dazu ist ein Geschäftsvertrag, der sogenannte Muziris-Papyrus (SB XVIII 13167). Erstaunlicherweise geht es in diesem konkreten Fall unter

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7 Torgeld- und Zollerhebung

In vergleichbarer Weise konnte in Kleinasien die Zahlung von portorium für Warentransporte über eine Zollbezirksgrenze in Städten erfolgen, die gar nicht an dieser Grenze lagen: Aus dem Zollgesetz der Asia wissen wir, daß es den Zollpächtern gestattet war, nicht nur an den Grenzen des Zollbezirks Büros zu unterhalten, sondern auch an den Territoriumsgrenzen der freien Städte, in allen Häfen, entlang der Küste und in einer ganzen Reihe weiterer Städte, die in der Inschrift explizit aufgeführt sind.16 Die griechische Terminologie des Textes unterscheidet hier zwischen Zollhäusern (ἐποίκια) und kleineren Zollposten (παραφυλακείαι).17 Reisende waren gehalten, sich selbst vor dem Überschreiten der Grenze bei der nächstgelegenen zuständigen Station zu melden; war dort niemand anzutreffen, hatte man sich an das Hauptzollamt oder den höchsten Amtsträger der nächsten Stadt zu wenden.18 In Lykien wiederum gab es gar keine eigenen Zollämter für die Bezirksgrenzzölle. Die Städte des Lykischen Bundes durften gegen einen pauschalen Jahresbetrag Einfuhrzölle erheben, welche in die Stadtkasse flossen, wie es für Myra und Kaunos inschriftlich belegt ist.19 Die römische Verwaltung hatte die Erhebung der Grenzsteuern in Lykien an den Städtebund delegiert, anstatt die Einnahmen daraus zu verpachten, und der Bund wiederum delegierte sie, ebenso wie die Erhebung von Binnenzöllen zwischen den Stadtterritorien, zumindest teilweise an die einzelnen Städte weiter. Im Gegenzug hatte jede Stadt eine Zollsteuer an den Lykischen Bund abzuführen, und dieser wiederum leistete eine feste Zahlung an den Fiscus,20 so daß die kaiserliche Verwaltung mit der Zollerhebung vor Ort oder einer Verpachtung entsprechender Einkünfte – anders als in der Asia – in keiner Weise befaßt war. Die lykischen Städte beanspruchten somit die Einkünfte aus allen Zöllen für auf dem See- oder Landweg importierte oder exportierte Waren. Der Nachweis, wo genau die Städte ihr Zollpersonal stationierten, wäre in jedem Fall einzeln zu führen. Ich gehe davon aus, daß die Zollerhebung in der Regel direkt

16

17 18

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20

anderem um die Einfuhr von 100 Paar Elefantenstoßzähnen (warum Elfenbein in Afrika aus Indien importiert wurde, erschließt sich mir nicht). Monumentum Ephesenum, §§ 12 f. Die in Ephesos gefundene Inschrift hält die im Jahr 62 n. Chr. geltenden Bestimmungen fest, welche in substantiellen Teilen noch auf ein Zollgesetz des Jahres 75 v. Chr. zurückgehen. Die editio princeps der Inschrift ist EA 14 (1989); Angaben hier und folgend nach der Ausgabe C .. 2008. Vgl. diesbezüglich  N 2008, 287. Monumentum Ephesenum, §§ 16 f., 20 f. und 52. Zur Ersatzbestimmung, den höchsten Magistrat der Stadt (τὴν µεγίστην ἀρχὴν) aufzusuchen (§ 16, Z. 41 und § 52, Z. 120), vgl. die Stellenkommentare in der Edition C .. 2008, 116.151. Siehe M 2006a, 208. Die von Marek besprochenen Zollinschriften aus Myra und Kaunos gehen auf ein allgemeines Zollgesetz zurück, das in hadrianischer Zeit für das gesamte Gebiet des Lykischen Bundes galt (ebd., vgl. auch T 2007 im Vorbericht zu der noch unpublizierten Zollinschrift von Andriake). M 2006a, 214 f.; M 2006b, 121.

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7.2 Torzölle im ägyptischen Fayum

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an den Toren21 beziehungsweise bei Hafenstädten analog gleich im Hafenbereich22 erfolgte. Beispiele für Städte, in denen Zollstationen am Stadteingang lokalisierbar sind, werden in den noch folgenden Unterkapiteln besprochen. Eine Einziehung von Zollgeldern ausgerechnet an den Toren einer Stadt hatte naheliegende logistische Vorteile, da sich der ein- und ausgehende Warenverkehr dort relativ einfach systematisch überwachen ließ und zudem vor den Toren mehr Platz vorhanden war als innerhalb der städtischen Siedlung;23 man denke etwa an Gatter für zu verzollende Schlachtviehherden24 oder an den Platz, den Reisende mit vielen Begleitern, Lasttieren oder Fahrzeugen allein zum Abladen ihres Gepäcks benötigten. Archäologisch lassen sich vor kaiserzeitlichen Stadttoren häufig stark verbreiterte Straßen und Vorplätze nachweisen,25 die einer entsprechenden Logistik gedient haben könnten. Auch wenn jemand die Zölle für einen beabsichtigten Export bereits im Vorfeld seiner Reise bei einem städtischen Funktionär entrichtet hatte,26 wurde am Stadttor geprüft, ob die in den vorläufigen Papieren angegebenen Waren mit den tatsächlich ausgeführten Gütern übereinstimmten. Den endgültigen Zollbeleg bekam der Händler erst dann ausgehändigt, wenn sein Transport die Stadt verließ.27 7.2 Torzölle im ägyptischen Fayum Am Beispiel des ägyptischen Nomos Arsinoites soll in diesem Abschnitt aufgezeigt werden, daß sich die Abgaben, die an einem Stadttor erhoben wurden, für die betroffenen Reisenden, Händler und Bauern zu einer verwirrenden Vielzahl addieren konnten. Vorauszuschicken ist, daß die in den einzelnen römischen Zollbezirken 21 22

23 24 25

26

27

Zur generellen Eignung von Stadttoren, um Warenkontrollen durchzuführen und Abgaben zu erheben, siehe O 2013, 78. Da dieser Aspekt im folgenden nicht vertieft werden soll, sei darauf verwiesen, daß beispielsweise die Zollinschrift von Andriake im Hafenbereich aufgestellt war, nahe dem später unter Hadrian errichteten Granarium (T 2007, 165 f.). Der Aufstellungsort der Inschrift, in der unter anderem Sondertarife auf Purpur, Safran, Pech, Olivenöl und Feigen verzeichnet waren und ebenso die geltenden Sanktionen bei Schmuggel und Zollbetrug, war sicherlich in unmittelbarer Nähe der örtlichen Hafenzollstation. Zur Abschrankung des Hafenbereichs, um Warentransporte kontrollieren zu können, siehe schon oben, 163 f. Zur Frage des zur Verfügung stehenden Platzes vgl. F/N-C 2014b, 203. Zur Notwendigkeit von Viehgattern an den Zolltoren Roms siehe W 2015, die sich auf die severische Zeit bezieht. Siehe dazu  T 2007, 29 mit Beispielen aus den westlichen Provinzen: Vor dem Burginatiumtor in Xanten war die Straße auf 12 Meter verbreitert, vor der Porta Augusta in Nîmes auf 9,50 Meter mit einem zusätzlichen Vorplatz von 20,30 Metern, und in Autun und Aosta gab es Torvorplätze von ca. 20 Metern Breite. Als Beispiel im Osten sei Gadara genannt, zum Torvorplatz siehe oben, 74–77. So R 2004, 239–241 in Modifikation von S 1987, 9–11, der an eine Zahlung bei einer Staatsbank gedacht hatte. In der Sache vergleichbar ist die im Zollgesetz der Asia vorgesehene behelfsmäßige Deklaration von Binnenzoll bei einem Beamten, der an sich nicht für Zollsachen zuständig war (siehe oben). S 1987, 9–11.

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7 Torgeld- und Zollerhebung

nachweisbare Praxis reichsweit sehr uneinheitlich ist. So weist Ägypten zahlreiche Besonderheiten auf, weil dort viele Eigenheiten des ptolemäischen Zollsystems in römischer Zeit erhalten blieben. Die im folgenden getroffenen Aussagen sind daher in ihren Einzelheiten nicht auf andere Zollbezirke übertragbar. Die Komplexität des Zollsystems an sich und die Rolle des Stadttors für die Zollerhebung sind jedoch keine spezifisch ägyptischen Phänomene, sondern generelle Charakteristika der römischen Kaiserzeit. Um auf ein zweites Beispiel zu verweisen, sei etwa der gallische Zollbezirk genannt. Auch in dessen Gebiet sind bereits in vorrömischer Zeit Zölle nachzuweisen, unter anderem keltische Zölle an Alpenstraßen und Wasserwegen sowie Hafenzölle der griechischen Städte wie Massilia. Nach Einführung des römischen portorium blieben munizipale Zölle und Abgaben, die in freien oder verbündeten Städten erhoben wurden, zum Teil weiterhin bestehen,28 ähnlich wie sich in Lykien die Zollerhebungsmodalitäten des Städtebundes erhalten haben29 und in Ägypten die der ptolemäischen Verwaltung. Über die ägyptische Situation sind wir aufgrund zahlreich erhaltener Torgeldquittungen30 außergewöhnlich gut informiert (ein Beispiel, auf das noch einzugehen sein wird, bietet Abb. 7.1). Die Quittungen weisen in standardisierten Formeln Zahlungen διὰ πύλης nach. Diese Wendung meint nicht, wie gelegentlich zu lesen ist, eine Zahlung „am Stadttor“ oder „beim Passieren des Stadttors“, sondern, daß der Zoll „durch das Tor“ bzw. durch das dort stationierte Personal eingenommen und an die zuständigen Stellen weitergegeben wurde.31 Anders als die Bezeichnung „Torgeldquittung“ im Deutschen nahelegt, wurden nämlich nicht nur Torgelder im engeren Sinn quittiert, sondern auch – oder sogar in erster Linie – andere Abgaben, die nicht von der betreffenden Stadt, sondern von verschiedenen sonstigen Institutionen beansprucht wurden; wie bereits ausgeführt, war eine kommissarische Erhebung von Zöllen nicht unüblich. Es handelt sich bei dem Ausdruck διὰ πύλης also nicht um eine eigentliche Ortsangabe, sondern um die Bezeichnung der vermittelnden Instanz. Dessen unbenommen war es das Stadttor, wo der Zoll eingezogen wurde; die Mitarbeiter dieser Stadttor-Zollstationen bezeichneten sich selbst dementsprechend als οἱ πρὸς τῇ πύλῃ.32 Eine beispiellos dichte Dokumentation von Torzollquittungen weist der ägyptische Nomos Arsinoites auf, der das wasserreiche und fruchtbare Gebiet des heutigen Fayum umfaßte, eine große Oasenlandschaft in der Wüste westlich des Nils.33 In den Städten des Arsinoites wurden drei Arten von Zöllen erhoben, von denen man 28 29 30 31 32

33

F 2001, 449. Dazu M 2006a, 214 f. Bereits der Katalog S 1987 umfaßt 919 Einträge, zu denen die Neupublikationen der letzten 30 Jahre noch hinzukommen. Ich folge in diesem Punkt S 1987, 12. Belege bei R 2004, 255, der freilich fälschlich annimmt, daß es sich dabei um die Zollpächter selber handelte. Diese waren jedoch allenfalls ausnahmsweise einmal im Zollbüro anzutreffen, wo ihre Sklaven für sie arbeiteten (siehe etwa F 2014, 85 f.). Zu den in der Kaiserzeit dort angebauten Produkten siehe D 1982.

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7.2 Torzölle im ägyptischen Fayum

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Abbildung 7.1: Eine durch das Stadttor von Bakchias ausgestellte Zollquittung für Paësis vom 22. November 208 (P. Fay. 164 descr.).

je nach Reiseziel mindestens zwei, unter Umständen alle drei zu zahlen hatte.34 Erstens war ein Binnenzoll zu entrichten, die Hafengebühr der Stadt Memphis, und dies wohlgemerkt auch für Transporte auf dem Landweg und zwar auch für solche, die gar nicht durch Memphis führten. Zweitens fielen bei jedem Export oder Import über die Grenze des Nomos die Zölle ρ und ν an, also Abgaben in Höhe von einem Hundertstel und einem Fünfzigstel (1 und 2 Prozent) des Warenwertes, die einzeln quittiert wurden oder gemeinsam als ρ καὶ ν . Drittens wurde eine Maut erhoben, die der Sicherheit auf der Wüstenstraße diente. Diese drei Abgaben seien zunächst kurz erläutert. 7.2.1 Am Stadttor zu entrichtender Hafenzoll (λιµὴν Μέµφεως) Der Name der Hafengebühr von Memphis – λιµὴν Μέµφεως – legt nahe, daß es sich dabei ursprünglich um einen Zoll auf die Benutzung des Hafens in Memphis handelte, und möglicherweise kamen die Einnahmen auch in der Kaiserzeit noch 34

S 1987, 19 f. Auf zahlreichen Quittungen wird die Zahlung von zwei oder drei Zöllen belegt, die Mehrzahl der Belege sind allerdings Einzelnachweise. Daher nimmt R 2004, 242 an, daß nicht bei allen Transporten mehrere Zölle anfielen.

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7 Torgeld- und Zollerhebung

seiner Instandhaltung zugute.35 Erhoben wurde der Zoll Pieter Sijpesteijn zufolge aber auf alle Importe und Exporte, die die alte ptolemäische Verwaltungsgrenze zwischen Unter- und Oberägypten passierten, an welcher Memphis lag.36 Dabei war es unerheblich, ob der Transport zu Wasser oder zu Land stattfand und ob er über Memphis abgewickelt wurde oder nicht. Tatsächlich sind überhaupt nur zwei der aus den Jahren 42 bis 211 erhaltenen 112 Zahlungsbelege für diesen Zoll in Memphis selbst ausgestellt worden, da man ihn in der Regel vor Beginn der Reise oder an ihrer letzten Station entrichtete.37 Ein Beispiel bietet die folgende, am 22. November 208 durch das Stadttor von Bakchias ausgestellte Quittung (Abb. 7.1 auf S. 183): τετε. λ. (ώνηται) [δ]ιὰ πύλ(ης) Βακχι(άδος) | λιµέν[ος] Μέµφεως | Παῆσις ἐξ(άγων) ἐπὶ ὄνῳ | ἑνὶ φοί(νικος) (ἀρτάβας) τρεῖς | καὶ ἐφ’ ἑτ(έρῳ) σκ(ευοφόρῳ) φοί(νικος) (ἀρτάβας) | δύο. (ἔτους) ιζ ῾Αθὺρ ἕ|κ. τῃ καὶ εἰκάδι, κς. .

„Paësis, der auf einem Esel drei (artabae)38 Datteln ausführt und auf einem anderen gepäcktragenden (Esel) zwei (artabae) Datteln, hat durch das Stadttor von Bakchias die Hafengebühr von Memphis entrichtet. Sechsundzwanzigster, (in Ziffern:) 26. Hathyr des 17. (Jahres).“39 7.2.2 Zoll des Nomos Arsinoites (ρ καὶ ν ) Bei ρ καὶ ν , den Abgaben in Höhe von 1 und 2 Prozent, die durch insgesamt 140 Torzollquittungen belegt sind, handelte es sich anscheinend ursprünglich um zwei verschiedene Zölle, die bereits im zweiten Jahrhundert v. Chr. zu einem einzigen zusammengelegt wurden. In den Jahren von 93 bis 136 wurden in den meisten Städten des Nomos zeitweilig wiederum nur 1 Prozent Zoll erhoben, in Bakchias, Karanis und Tebtynis jedoch zusätzlich ein weiterer Zoll von 2 Prozent. Von 136 an wurde wieder in allen Städten die gleichzeitige Zahlung beider Zölle obligatorisch, wie aus den einschlägigen Quittungen hervorgeht.40 Sijpesteijn hat den 35 36

37 38 39

40

S 1987, 22. Ebd., 20–23. Diese Deutung läßt sich meines Erachtens durch Reiters Beobachtung stützen, daß dieser Zoll bei Exporten via Kaine oder Tebtynis, also Richtung Süden, nirgends belegt ist (laut R 2004, 245–248). S 1987, 20–23. Die ἀρτάβη ist ein ägyptisches Trockenmaß. P. Fay. 164 descr. (Text weitgehend nach S 1987, 161, Nr. 334, eigene Übersetzung). Die Zahlenangaben habe ich der besseren Lesbarkeit halber einheitlich mit Oberstrichen gekennzeichnet, in Z. 6 steht eigentlich ιζ// für ιζ . Das Tagesdatum ist tatsächlich doppelt angegeben, in Worten und als Zahlzeichen (ἕκτῃ καὶ εἰκάδι, κς ). Zur Datierung: Seit Beginn der Alleinherrschaft des Commodus im Jahr 180 gaben die ägyptischen Schreiber nicht mehr den Namen des regierenden Kaisers an, sondern nur noch das jeweilige Herrschaftsjahr (dazu S 1987, 71). Die Angabe eines 17., 18. oder 19. Jahres bezieht sich immer auf die Regierungszeit des Septimius Severus (siehe diesbezüglich ebd., 72). Hathyr ist in Ägypten der dritte Monat der Jahreszeit Achet, der Zeit der Nilüberschwemmung. Zur historischen Entwicklung R 2004, 248–250.

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7.2 Torzölle im ägyptischen Fayum

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erstgenannten, ν , noch als eine Gebühr betrachtet, um das Stadttor passieren zu dürfen. Die Begründung des zweiten, ρ , hing seiner Deutung nach ebenfalls mit dem Betreten bzw. Verlassen der jeweiligen Stadt zusammen.41 Ausschlaggebend war womöglich aber ein anderer Punkt, nämlich die Tatsache, daß die Waren nicht nur die betreffenden Städte, sondern den Nomos verließen bzw. in ihn eingeführt wurden. Es handelte sich demnach in der Sache nicht um eine munizipale Abgabe, sondern um einen durch den Arsinoites beanspruchten Binnenzoll. Auch wenn er durch die Stadttore erhoben wurde, gehörte er ins Ressort der Nomarchin42 oder des Nomarchen,43 weshalb seine vollständige Bezeichnung ρ καὶ ν νοµαρχίας ᾽Αρσινοίτου gelautet haben dürfte.44 Die Zweckbestimmung dieses Zolls ist unklar.45 Als Beispiel sei der folgende Papyrus zitiert, auf dem die Zahlung des Zolls ρ noch einzeln quittiert ist, da der Beleg vom 21. Oktober 129 stammt: τετελ(ώνηται) διὰ πύλης Φιλαδελφέας (sic) | ρ Ο . ὐ. νώφριος ἐξά. γ. (ων) ὄνο(ν) φοί.[ν]ι.κ. ο. ς | ἀρτάβαι δύο, β. . ἔτους ιδ Α . [ὐ]το|κράτορος Καίσαρος Τραια. ν. ο. ῦ | ῾Α δριανοῦ τοῦ κυρίου Φ α ῶ φι | κδ . . ...

„Ounophris, der einen Esel mit zwei, (in Ziffern:) 2 artabae Datteln ausführt, hat durch das Stadttor von Philadelphia den Zoll in Höhe von einem Prozent entrichtet. 24. Phaophi des 14. Jahres unseres Herrn, des Imperator Caesar Trajan Hadrian.“46 7.2.3 Maut zu Sicherung der Wüstenstraße (ἴχνους ἐρηµοφυλακία) Die Mautgebühr für die Wüstenwege zum Nildelta wird in den Torzahlungsbelegen als ἐρηµοφυλακία oder ἴχνους ἐρηµοφυλακία bezeichnet, als eine Maut zur Sicherung der Wüstenstraße durch Schutztruppen.47 Sie ist in den Jahren von 41 bis 212 in insgesamt 69 erhaltenen Quittungen belegt und wurde vermutlich

41 42 43 44 45 46

47

S 1987, 23–25. Rubria Supersilla ἡ καὶ Εἰρήνη war im Jahr 158/159 Nomarchin des Arsinoites (R 2004, 40). Ebd., 237.248–250; vgl. auch D 1982, 61. R 2004, 237.248, unter Verweis auf einige Belege, in denen – abgekürzt – ρ καὶ ν νοµ quittiert wurde. Ebd., 250. P. Vindob. G inv. 39850 (Text weitgehend nach S 1987, 147, Nr. 137, eigene Übersetzung). Die Menge der Ladung ist in Worten und als Zahlzeichen angegeben (δύο, β ). Phaophi heißt der zweite Monat der Jahreszeit Achet. Auf der Rückseite des Papyrus steht noch einmal: τετελ(ώνηται) δι(ὰ) πύλης. LSJ übersetzen ἐρηµοφύλαξ mit „desert-policeman“ (S. 687), und dazu ἐρηµοφυλακία als „tax paid for protection of desert travellers“ (Suppl., S. 133). ἴχνος hat hier die Spezialbedeutung von „track, route in the desert“ (S. 846).

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7 Torgeld- und Zollerhebung

für den Einsatz des Sicherheitspersonals entlang der Route48 wie auch für die Instandhaltung der Straßen selbst aufgewandt. Ihre Zahlung geschah in der Regel bei Antritt der Reise, am Beginn der Wüstenstraße.49 Die Sicherheitsmaut wurde an den Stadttoren von eigenem Personal eingezogen, wie entsprechende Bezeichnungen der zuständigen Amtsleute nahelegen.50 In einigen wenigen dokumentierten Fällen wurde zusätzlich ein Festbetrag von 2 Drachmen pro Lastkamel als παρόδιον (Straßenzoll) erhoben; die Hintergründe dieser Zahlung sind unklar.51 Eine Quittung über die Bezahlung der Mautgebühr für den Wüstenweg vom 21. September 208 lautet folgendermaßen: τετελ(ώνηται) δι(ὰ) π. ύλ. (ης) Σοκνοπ(αίου) Νή(σου) | ἴχν. ο. υ. ς ἐρηµοφυλ(ακίας) Πα|β. ο. ῦ. ς ἐξ(άγων) ὀρόβου κάµηλ(ον) | [ἀ(ρτάβας)]. (ἔτους) ιζ Θὼθ κδ . „Pabous, der ein Kamel mit (sechs) artabae Erbsen ausführt, hat durch das Stadttor von Soknopaiou Nesos den Zoll zum Schutz der Reisenden auf der Wüstenstraße entrichtet. 24. Thoth des 17. (Jahres).“52

7.2.4 Modellrechnung Soweit also die verschiedenen Zahlungen, die an den Toren der Städte im Nomos Arsinoites zu entrichten waren. Angesichts einer derart komplexen Zollerhebung erscheint der logistische Aufwand, den die Deklaration, Berechnung, Zahlung, Verbuchung und Quittierung der Zölle53 erfordert haben muß, außerordentlich erstaunlich. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Stellen wir uns einen Händler vor, der ein Kamel mit der Ladung von sechs artabae Erbsen und einen Esel mit vier artabae Gemüsesamen von Soknopaiou Nesos nach Alexandria ausführen wollte. Beim Antritt seiner Reise zahlte er einmalig am Nordtor von Soknopaiou Nesos den sogenannten Hafenzoll von Memphis, der für die beabsichtigte Einreise nach Unterägypten fällig wurde. Der Zoll betrug in diesem Fall 3 Obolen (eine halbe Drachme) für die Erbsen sowie 5 Drachmen für das Saatgut. Außerdem hatte der Händler den Zoll des Nomos in Höhe von insgesamt 3 Prozent des Warenwerts zu entrichten. Für Hülsenfrüchte sind konkrete Beträge nicht überliefert, für die Samen aber belief sich die Zahlung auf 3 Drachmen und 2 Obolen. Hinzu kam schließlich noch die Maut für die Schutztruppen an der Wüstenstraße, welche für 48 49 50 51 52

53

Zur Bedrohung der Reisenden auf Wüstenstraßen durch Beduinen siehe S 2009 (mit Belegen zur arabischen Wüste in Ägypten). S 1987, 20–22. Ebd., 93 f. Dazu ebd., 21, und, mit verschiedenen Interpretationsvorschlägen, R 2004, 251–255. P. Mich. inv. 6183b (Text mit einigen Modifikationen nach S 1987, 160, Nr. 331, eigene Übersetzung). Daß das Kamel mit sechs artabae Erbsen beladen war, geht aus der umseitig erhaltenen Quittung über eine Zahlung der Zölle ρ καὶ ν hervor, die am selben Tag in Soknopaiou Nesos ausgestellt wurde (P. Mich. inv. 6183a). Thoth bezeichnet den ersten Monat der Jahreszeit Achet. Auch hier ist die Jahresangabe auf die Regierungszeit des Septimius Severus bezogen. Auf das übliche Procedere wird noch näher einzugehen sein (unten, 192–194).

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7.3 Lokalisierbare Torzollstationen

187

die Erbsen bei 2 Drachmen lag und für die teureren Gemüsesamen entsprechend höher ausgefallen sein muß (der konkret anzusetzende Betrag ist nicht überliefert).54 Außerdem waren die Lasttiere selbst in Anschlag zu bringen, die bei den beiden anderen Zöllen unberücksichtigt blieben, solange sie nicht für den Verkauf bestimmt waren. Die Mautzahlung jedoch erhöhte sich für die Packtiere um vermutlich 2 Drachmen für das Kamel und 1 Drachme für den Esel.55 Insgesamt bezahlte der aufstrebende Handelsreisende also allein am Tor der Stadt, in der er aufbrach, nicht weniger als drei Zölle. Diese gingen an unterschiedliche Stellen: an den Limenarchen von Memphis, also den Unternehmer, der die Einnahmen aus der sogenannten Hafengebühr gepachtet hatte,56 an den Pächter, dem die Einkünfte gehörten, die im Nordtor von Soknopaiou Nesos durch den Zoll der Nomarchie erzielt wurden,57 und schließlich an die Behörde zum Schutz der Wüstenstraße, die wie erwähnt sogar eigene Mitarbeiter zur Erhebung der Maut in die Zollbüros entsandte. 7.3 Lokalisierbare Torzollstationen Ein archäologischer Nachweis für Zollämter ist generell schwierig zu führen58 und bislang nur selten überzeugend geglückt. Bemerkenswert ist in meinen Augen jedoch die Tatsache, daß sich die bisher lokalisierten Zollbüros59 nicht etwa an Landstraßen nahe einer Zollbezirksgrenze befanden, sondern ausnahmslos in, an oder vor den Toren einer Stadt. Eine der archäologisch nachweisbaren Zollstationen sei an dieser Stelle näher vorgestellt, das Zollamt von Porolissum im Nordwesten von Dakien an der äußersten Grenze des publicum portorii Illyrici, des illyrischen Zollgebiets. Porolissum (heute auf dem Gebiet von Moigrad in Rumänien) bestand aus einer Zivilsiedlung, zwei Auxiliarkastellen, zahlreichen kleineren Festungen sowie einer Beneficiarierstation. Es wurde um das Jahr 120 zum Hauptort der neuen Provinz Dacia Porolissen54

55 56 57

58 59

Ich benutze für meine Rechnung Sijpesteijns Zusammenstellung der Zolltarife (S 1987, 76–79). Die Preise änderten sich im Lauf der Zeit nur geringfügig und waren innerhalb des Nomos in allen Städten einheitlich. Sie wurden demnach nicht der jeweiligen Entwicklung der Marktpreise angepaßt. Daß die Wüstenmaut auch für Packtiere zu zahlen war, weist R 2004, 242–245 einleuchtend nach; Diskussion der Einzelpreise für Esel und Kamele ebd. und 254. Zur Limenarchie von Memphis siehe B 2002, 226–228. Der Nomarch als Generalpächter konnte einzelne Einkünfte unterverpachten (R 2004, 260–286); im Jahr 215/216 wurde die Nomarchie in eine Amtsliturgie umgewandelt (ebd., 87–91), wobei der in Rede stehende Zoll anscheinend weiter als Pacht vergeben worden ist. Anders als sonst im Römischen Reich wurden die Zollstationen in Ägypten, Syrien und Judäa einzeln verpachtet (vgl. etwa S 1987, 91). Vgl. meine Diskussion in F 2014, 77–81 sowie, in bezug auf den gallischen Zollbezirk, M 2015. Hier beziehe ich mich auf F/N-C 2014b, 198–204, die lediglich drei ägyptische Zollstationen und Porolissum in Dakien aufführen. Darüber hinaus ist auch an die orientalischen Beispiele zu denken. Auf alle genannten Fälle gehe ich im folgenden noch näher ein.

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7 Torgeld- und Zollerhebung

Abbildung 7.2: Fort und Zollstation in Porolissum, zweites Jahrhundert. Das Zollbüro befand sich in dem kleinen Annexbau an der östlichen Außenseite des Forts. Links eine Planskizze des Bauensembles in der Bauphase mit Steinmauer (wobei die Mauer selbst nicht verzeichnet ist). Rechts ein Rekonstruktionsvorschlag.

sis. Das mutmaßliche Zollbüro lag auf der Strecke zum Por¸tile-Mese¸sului-Paß, dem Hauptübergang über das Apusenigebirge, an der wichtigen Trasse, die das siebenbürgische Plateau mit der pannonischen Ebene verband.60 Es befand sich nördlich der Siedlung an dem ins Barbaricum führenden Abschnitt dieser Straße. Dort war es im seitlichen Anbau eines kleinen Forts untergebracht, in dem etwa 50 bis 100 Soldaten stationiert waren. Die Nordseite des Forts grenzte direkt an den Verteidigungswall, welcher der eigentlichen Siedlung und dem zentralen Auxiliarlager mit seiner Lagermauer vorgeschaltet war. Spätestens um die Mitte des zweiten Jahrhunderts wurde dieser Wall durch eine Steinmauer ersetzt.61 Das Zollbüro selbst bestand aus zwei Räumen von 30 bzw. 20 Quadratmetern, die seitlich direkt an die Straße angrenzten (Abb. 7.2).62 Die Identifizierung als Zollstation geht auf zwei Votivinschriften von Zollsklaven zurück, die im südlichen Annexbau gefunden wurden.63 Für diese Interpretation sprechen außerdem die 60 61 62

63

Zur Lage und strategischen Bedeutung von Porolissum siehe G/S 1998, 2 f. und 12–21. Datierung der Bauphasen ebd., 49.53. Zum archäologischen Befund siehe G 1996 und fast wortgleich G/S 1998, 47– 59, hier korrigiert nach F/N-C 2014b, 199–204, die zwischen dem militärischen Lager und dem Zollbüro im Annexbau unterscheiden (Gudea spricht das gesamte Bauensemble als Zollstation an). Kritisch M 2015, 244, der den „endgültige[n] Beweis“ der Interpretation als Zollbüro für noch nicht erbracht hält. AE 1988, 978 und 977. Die erste Inschrift wurde zu Beginn der Regierungszeit des Commodus durch den Zollsklaven Felix errichtet, die zweite wenig später von den Sklaven Marcion und Pollio.

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7.3 Lokalisierbare Torzollstationen

189

Funde aus dem Inneren des Forts, zu denen eine bemerkenswert große Anzahl von Schreibinstrumenten gehört sowie ein Brandeisen zur Kennzeichnung von Vieh mit dem Kürzel »P« – was für den Ortsnamen P(orolissum) stehen könnte oder für P(ortorium).64 Jérôme France und Jocelyne Nelis-Clément stellen sich eine mögliche Nutzung der beiden Räume folgendermaßen vor: „. . . on peut envisager une première grande pièce pour l’accueil du public, l’affichage des règlements, le traitement et l’encaissement des droits, et une seconde réservée au personnel, aux archives, à la garde des fonds et de marchandises confisquées, etc.“65 Die Zollsklaven, ihre Familienangehörigen und ihre eigenen Sklaven könnten in einem (archäologisch nicht nachgewiesenen) Zwischen- oder Obergeschoß des Baus gewohnt haben.66 Eine solche Dreigliederung von Räumlichkeiten für die Zolldeklaration, für die Buchhaltung und für die Unterbringung des Personals ist im Zollgesetz der Asia für Zollgebäude vorgesehen, die der Erhebung der quadragesima an den Zollbezirksgrenzen dienten.67 Die Zollstation von Porolissum ist in mancher Hinsicht nicht repräsentativ für Zollbüros im Römischen Reich. Ihre Lage an der Reichsgrenze, in der äußersten Peripherie der Provinz Dacia, erforderte offenbar die unmittelbare Nähe einer namhaften militärischen Besatzung; ein Umstand, der andernorts nicht in diesem Ausmaß gegeben war,68 wenngleich Zollbüros nicht selten durch die Autorität eines in unmittelbarer Nähe stationierten Beneficiariers unterstützt wurden.69

64

65 66

67 68

69

Als vilici waren sie jeweils für die Leitung des Zollbüros verantwortlich. Weitere möglicherweise mit dem Zoll verbundene Inschriften aus Porolissum diskutieren F/N-C 2014b, 202 f. G 1996, 417, vgl. 420. Die alternative Deutung als Kürzel für P(ortorium) oder – bei doppelter Markierung – für P(ublicum) P(ortorii) schlagen F/N-C 2014b, 210, Anm. 326 vor. Ebd., 203. Zum Zollprocedere allgemein siehe unten, 192–194. F/N-C 2014b, 203. Möglicherweise waren sie auch im angrenzenden Fort untergebracht (ebd.). Daß die Angehörigen der Zollmitarbeiter im Allgemeinen mit ihnen gemeinsam auf den Zollstationen lebten, weisen die Verfasser ebd., 235 f., überzeugend nach; in Bezug auf den Zollbezirk Asia siehe in diesem Sinne schon  N 2008, 288 f. Monumentum Ephesenum, § 12. Auf diesen Passus stützen France und Nelis-Clément ihre Überlegungen. Im illyrischen Zollbezirk, zu dem Porolissum gehörte, sind Zoll und Militär sonst nicht systematisch verbunden, wie etwa das bei F 2014 diskutierte epigraphische Material zeigt. Siehe O 1995, 137–142 und N-C 2000, 252–254, mit zahlreichen Beispielen für benachbart angelegte Beneficiarier- und Zollstationen. Die Nutzung einer gemeinsamen Station durch Militär- und Zollpersonal kam jedoch nicht vor, da es sich um unterschiedliche Institutionen handelte (so zumindest F/N-C 2014b, 165). O 1995, 139 sieht hier nicht ein System gegenseitiger Unterstützung, sondern gegenseitiger Kontrolle der beiden Instanzen; aber das eine schließt das andere für mein Dafürhalten nicht aus.

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7 Torgeld- und Zollerhebung

Durchaus exemplarisch ist die Lage der Station von Porolissum vor dem Eingang der Siedlung: Auch sonst wird man Zollstationen, ebenso wie die stationes der Beneficiarier und die Straßenstationen für den cursus publicus, bevorzugt an den großen Zugangsstraßen bzw. Ausfallstraßen direkt vor der Stadt zu suchen haben.70 Daß dabei gerade die Stadttore systematisch als Zollbüros genutzt wurden, hat Thomas Weber für die freistehenden Bogenmonumente der orientalischen Provinzen plausibel machen können.71 Die Bögen des von Weber untersuchten Bautyps besaßen keinen Anschluß an die Stadtmauer, sondern überspannten die Hauptstraße in 100 bis 200 Meter Entfernung vor der Stadt, wobei sie häufig mit dem eigentlichen Stadtmauertor korrespondierten. Sie wurden links und rechts von Rundtürmen flankiert, so daß sich Elemente von Fortifikationsarchitektur und Repräsentationsarchitektur verbanden. Beispiele einer solchen Architektur sind in Tyros, Tiberias, Gadara, Gerasa, Aelia Capitolina (Jerusalem) und Bosra, aber auch im phrygischen Hierapolis und im dalmatischen Zadar nachgewiesen.72 Die korrespondierenden Bögen in Tiberias und Gadara bildeten Anfang und Endpunkt der römischen Fernstraße, die die beiden Städte verband;73 in ähnlicher Weise hatte der Bau an der östlichen Ausfallstraße von Gadara, das Tiberiastor, sein Pendant am Zielpunkt der Landstraße vor Bosra.74 Weber ist der Ansicht, daß diese Bogenmonumente mit ihren seitlichen Türmen der Zollerhebung dienten: „Eine staatliche bzw. munizipale Behörde mit einem differenzierten Personalstab muß über geeignete Räumlichkeiten an neuralgischen Knotenpunkten verfügt haben, in denen es gezielt möglich war, ankommenden wie ausgehenden Reiseverkehr abzufertigen. Daß sich hierzu die beiderseits der Straße gelegenen Türme vorzüglich eigneten, liegt auf der Hand.“75 70

71 72

73 74

75

Zur Lokalisation von Zollstationen am Stadteingang F/N-C 2014b, 203 f. Beneficiarierstationen am Stadteingang sind oben, 169–171, aufgeführt. Zur Lokalisierung von stationes viarum siehe L 2014, 38: „C’est donc dans les suburbia qu’il convient de rechercher les stations routières, même si pour l’heure seulement un très petit nombre a été reconnu.“ (Ein Beispiel wäre die Station am Eingang von Arae Flaviae beim heutigen Rottweil.) Bezüglich der verschiedenen Möglichkeiten einer Einbettung von Städten in ein größeres Straßensystem siehe meine Ausführungen unten, 242–252. W 2000. Ebd., 10–14 (den römischen Vorgängerbau des Damaskus-Tors in Jerusalem, die porta Neapolitana, ergänze ich nach der Beschreibung bei A 1998, 179–182 und E 2003, 243 als typologisch enge Parallele, wobei die Türme pentagonal ausgeführt waren). Zumindest einige dieser Tore verfügten über Türangeln und Riegellöcher, waren also verschließbar; das betrifft die Bogenmonumente dieses Typus in Gadara und Gerasa (W 2000, 10–14) sowie in Tyros (B 2006, 139 f.). Das von Weber angesprochene Tor in Hierapolis ist oben in Abb. 2.3 auf S. 45 abgebildet. Dazu auch W 2002, 103–108. Ebd., 12 f. Ru˘gm al-Men¯ara, die Ruine des mutmaßlichen östlichen Bogenmonuments von Gadara, wurde in byzantinischer Zeit als Grab benutzt, was den archäologischen Befund schwierig macht. Das Monument vor Bosra wurde in der älteren Forschung als Grabbau interpretiert. Ebd., 17.

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7.3 Lokalisierbare Torzollstationen

191

An anderer Stelle vermerkt er: „Die flankierenden Türme übernahmen keineswegs nur die (uns heute ohnehin nur mit Mühe nachvollziehbare) Aufgabe, den fortifikatorischen Aspekt der Polis als abstrakte Chiffre vorzuführen. Sie dienten vielmehr ganz profan als Büros für die berüchtigten Zollpächter, wahrscheinlich getrennt nach ein- und ausgehendem Verkehr.“76 Er verweist in diesem Zusammenhang auf die bereits besprochenen ägyptischen Torzollquittungen mit dem formelhaften τετελώνηται διὰ πύλης77 und auf das bei Plinius erwähnte Zolltor für Weihrauchkarawanen im südarabischen Sabbatha.78 Darüber hinaus kann Weber aber auch einen archäologischen Beleg für die unmittelbare Verbindung einer Toranlage mit dem Zollwesen namhaft machen, nämlich das Haupttor von Dura Europos, welches in die Verteidigungsmauer eingebunden war. In diesem Stadttor war unter anderem eine Dankesinschrift an Tyche angebracht, in welcher das Tor explizit als ein Zolltor (τέλος πώρτα) bezeichnet wurde.79 Damit macht Weber durchaus plausibel, daß in den orientalischen Provinzen Bogenmonumente am Stadteingang der Zollerhebung dienten, so wie es in Ägypten durch Torzollquittungen belegt ist. Auch in Palmyra erfolgte die Zollerhebung offenbar an der in der Forschung als „Zollmauer“ angesprochenen Stadtmauer.80 Der archäologische Befund läßt sich in Zusammenhang mit dem inschriftlich überlieferten Zolltarif der Stadt bringen,81 wonach in Palmyra Ein- und Ausfuhrzölle etwa auf Olivenöl, tierische Fette, gesalzenen Fisch, Weizen, Wein, Salz, Schlacht- und Lasttiere, Pinienzapfen und Heu, aber auch auf purpurgefärbte Wollstoffe, Kamelhäute, Parfum, Bronzestatuen und Sklaven erhoben wurden.82 Ausgehend von den papyrologischen Befunden haben Archäologen namentlich in Bakchias, Karanis und Soknopaiou Nesos versucht, Gebäude zu verorten, die der 76 77 78 79

80 81 82

Ebd., 101. In den Büros waren freilich nicht die Zollpächter selbst anzutreffen, sondern ihre Sklaven, wie bereits oben, 178, festgehalten wurde. W 2000, 15. Der Terminus πύλη ist für den hadrianischen Bogen in Gerasa inschriftlich bezeugt. Ebd. Die Belegstelle ist Plin. Nat. 12,63, siehe dazu schon oben, 163. Inschrift im sogenannten Palmyra-Tor der Stadt Dura Europos: Μνησθῇ Βω.οσ[. . . ] | Εὐχαριστῶ τῇ Τύχης (sic) | ∆ούραν (sic). | Νήφαρακ (sic) τέλος πώρτας· | Βαρνέος Σηλέος, | Σηλαῖος Βαρβαρνέος {εος} | τέλος ∆ούραν (sic) π. ώρ[τας]. (J 1931, 126 f., D.41 = SEG VII 570, vgl. W 2000, 17, der die Schreibweise stillschweigend in πόρτα korrigiert.) Mehrere weitere Zollmitarbeiter sind aus den Inschriften des Palmyra-Tors namentlich bekannt (in der Erstpublikation die Nummern D.67.69.100 = SEG VII 591.593.623). In seinem Kommentar stellt J 1931, 158 die Vermutung auf, daß auf der Stele, die links vor dem Stadttor in situ erhalten ist, der Zolltarif von Dura angeschlagen war. Siehe dazu T 2008, 187 f. Ebd., 187. Zolltarif von Palmyra, II 1,1–2,23 (CIS II 3, 3913 = OGIS 629, hier konsultiert in der Edition S 2014).

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7 Torgeld- und Zollerhebung

Erhebung von Geldern διὰ πύλης dienten.83 So wurde im Zuge der italienischen Ausgrabungen in Bakchias (heute Kom Umm el-Atl im nordöstlichen Fayum) das Doppeltor nachgewiesen, das den nördlichen Eingang der Stadt bildete. Die von dort stadteinwärts führende Passage wurde von einem kleinen Raum mit Kochstelle flankiert, den die Ausgräber als Wächterraum ansprechen. Sie betrachten das Ensemble als möglichen Zahlungs- oder Kontrollposten für Torgeld.84 Daß ein solches Torgeld und weitere Abgaben διὰ πύλης Βακχιάδας zu entrichten waren, belegen nicht allein diverse Torzollquittungen wie der oben zitierte Zahlungsnachweis des Paësis, sondern insbesondere auch eine auf den 1. Oktober 114 datierte Monatsabrechnung für den sogenannten Hafenzoll von Memphis, die an einem der Tore von Bakchias erstellt worden sein muß.85 Schließlich ist auch in bezug auf die Porta Praetoria von Augusta Praetoria (Aosta) die These aufgestellt wurde, der geräumige Innenhof des Tors sei für die Zollerhebung genutzt worden.86 Die Zollstation von Augusta Praetoria ist epigraphisch nachgewiesen.87 Damit liegen plausible Nachweise von Zollstationen am Stadteingang für die Provinzen Dakien, Syrien, Mesopotamien und Ägypten vor; und folgt man der Weberschen Argumentation, lassen sich Palästina, Phrygien und Dalmatien ergänzen. Was sich für uns nur in wenigen Belegen fassen läßt, stellte anscheinend eine reichsweit übliche Situation dar, nämlich die, daß es am Eingang kaiserzeitlicher Städte bei der Ein-, Aus- oder Durchreise eine Zolldeklaration zu machen galt. 7.4 Die Zolldeklaration am Stadttor Überall dort, wo am Stadttor Zölle erhoben wurden, hatte das für den Reisenden erhebliche Auswirkungen. Während die Bewohner der Stadt, sofern sie etwa nur ihre Gärten besucht hatten, vermutlich ohne größere Komplikationen passieren konnten,88 mußten Fremde Torgelder und Mauten entrichten und in grenznah gelegenen Städten zumindest nachweisen, daß eventuelle zollpflichtige Güter an den Außen- oder Binnengrenzen bereits ordnungsgemäß verzollt worden waren.

83

84 85 86 87 88

Dazu F/N-C 2014b, 198–204. Eine zu Recht skeptische Einschätzung des Befundes in Soknopaiou Nesos, wo zwei alleinstehende Gebäude vor den Stadtmauern von den Ausgräbern als mögliche Zollbüros angesprochen werden, bietet M 2015, 244 f. P 1996. In der Nähe befand sich außerdem ein mutmaßlich militärisch genutzes Gebäude, vielleicht ein Wachturm oder ein praesidium (ebd.). P. Wisc. II 80 (S 1977, 155–168, mit Übersetzung). Siehe G 2007, 60. AE 1989, 334. Vgl. diesbezüglich auch die frühneuzeitliche Praxis (J 2015, 231 f.).

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7.4 Die Zolldeklaration am Stadttor

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Dies ließ sich anhand entsprechender Quittungen, Warenplomben89 oder – bei Vieh – anhand der Brandzeichen90 überprüfen. Andernfalls galt es, sich einem umfassenden Zollprocedere zu unterziehen. Alle ein- oder auszuführenden Waren, die nicht dem persönlichen Gebrauch dienten, mußten mündlich angemeldet werden, woraufhin ein Zollmitarbeiter die Deklaration schriftlich registrierte. Er konnte das Gepäck abladen und durchsuchen lassen und die Güter stichprobenartig kontrollieren oder im einzelnen nachzählen, messen oder wiegen lassen. Stellten sich die Angaben des Besitzers als unzutreffend heraus, konfiszierten die Zöllner die nicht deklarierten Waren. Schließlich bezahlte der Reisende den Zoll, woraufhin man ihm ein entsprechendes Dokument zum Nachweis der Zahlung aushändigte, ein σύµβολον.91 Ein solches Verfahren dauerte seine Zeit,92 zumal erstens für verschiedene Arten von Gütern unterschiedliche Abrechnungsmodi vorgesehen waren93 und zweitens mancherorts nur Zahlungen in römischer Währung akzeptiert wurden,94 so daß der Petent unter Umständen überhaupt erst einmal seine Münzen wechseln gehen mußte, was in peripher gelegenen Städten wie Palmyra, wo eine solche Bestimmung explizit überliefert ist,95 sicher keine Ausnahme gewesen sein wird. Daß es beim Ablauf des Zollverfahrens leicht zu Meinungsverschiedenheiten oder Protesten kam,96 die das ganze Verfahren zusätzlich in die Länge zogen, läßt sich leicht ausmalen,97 ganz zu schweigen von 89

90

91

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97

Eine Serie von 4 000 solcher Warenplomben des gallischen Zolls, die in Lyon gefunden wurden, bespricht F 2001, 60–65. Mit ihnen wurden bereits verzollte Güter markiert und solche, die vom Zoll ausgenommen waren, weil sie zum Beispiel für die römische Armee oder den kaiserlichen Haushalt bestimmt waren. Sklaven wurden wohl nicht mit Brandmarken gekennzeichnet. Die Bestimmung im Monumentum Ephesenum, §§ 51 f., wonach Sklaven bei Ein- und Ausfuhr mit der σφραγίς der Steuerpachtgesellschaft zu markieren waren, bezieht sich anscheinend eher auf eine an einem Halsband befestigte Metallplakette (S 1991, vgl. den Kommentar zur Stelle der Edition C .. 2008, 151). Beschreibung des Verfahrens nach  N 2008, 289–293 und F/N-C 2014b, 222–228. Zur Frage der Barzahlung und der damit verbundenen Geldwechselprobleme siehe D-J 2006, 7, zur Notwendigkeit einer schriftlichen Deklaration W 2015, 163. Vgl.  N 2008, 290: „The paperwork must have taken up a lot of time“; übereinstimmend W 2015, 164 und M/B 2011, 375. W 2015, 162. Siehe D-J 2006, 7 mit Einzelnachweisen. Ebd. Zum Problem mißbräuchlicher Zollerhebung  N 2008, 292–297 und F/NC 2014b, 226–228. Vergleichend sei auf den Befund des 16. und 17. Jahrhunderts verwiesen, da in dieser Zeit Betrugsversuche, Streitigkeiten und Handgreiflichkeiten im Zusammenhang mit der Zollerhebung am Stadttor detailliert belegt werden können (Beispiele bei J 2015, 235 f.). Ein pessimistisches Bild der Lage zeichnet Onno van Nijf: „I suspect that the corrupt tax collector is rather representative of how the system worked in practice. [. . . ] But even when they were not personally corrupt, the fact that the tax farmers worked on commission can only have increased their zeal to tax whatever they could lay their hands on“ ( N 2008, 296 f.). Den Zolleinnehmern ist aber zugute zu halten, daß sie als Sklaven gar nicht in die eigene Tasche

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7 Torgeld- und Zollerhebung

den Wartezeiten, die sich bei größerem Verkehrsaufkommen ergeben konnten.98 Erst im vierten Jahrhundert setzte sich der Gebrauch von Bronzeplaketten durch, die örtliche Händler an ihren Wagen befestigen durften, wenn sie eine entsprechende Vereinbarung mit dem Betreiber des lokalen Zollbüros getroffen hatten. Abgerechnet wurde vermutlich in regelmäßigen Abständen summarisch, so daß die Wagenführer nicht bei jeder Fahrt mit Verzögerungen am Stadteingang zu rechnen hatten.99 Findige Händler oder Bauern kannten freilich ohnedies immer Mittel und Wege, Zollkontrollen elegant zu umgehen.100 Der ortsunkundige Reisende aber wird wenig Alternativen dazu gehabt haben, im Zollamt vor dem Stadttor vorstellig zu werden und nachzuweisen, daß sein Gepäck und die ihn begleitenden Sklaven nicht zum Verkauf bestimmt waren.

98 99 100

wirtschaften konnten und der Anreiz zur Korrumpierbarkeit damit vielleicht doch weniger stark ausgeprägt war, als van Nijf annimmt (vgl. dazu schon F 2014, 88). Zur Frage des Verkehrsaufkommens am Stadteingang siehe unten, 253–256. M/B 2011, 375. Belege und Diskussion bei  N 2008, 291 f. Zur Vermeidung der städtischen Einfuhrzölle in Rom durch die lokalen Händler siehe H 2012, 89.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang Vor den römischen Städten und um ihre Stadttore herum entwickelte sich seit dem ausgehenden ersten Jahrhundert v. Chr. eine eigene Infrastruktur mit Handelsplätzen, Verkaufsständen und Warenlagern. Diese räumliche und soziale Verknüpfung von Stadttor und Märkten ist kein Alleinstellungsmerkmal der römischen Kaiserzeit, ganz im Gegenteil: In der Diskussion anderer Epochen ist man so weit gegangen, das Stadttor sogar durch seine ökonomische Funktion zu definieren. Stadttore wären demnach solche Tore, „hinter denen sich Marktstraßen öffneten und vor denen Marktplätze entstanden.“1 In diesem Kapitel sollen die Handelsinfrastruktur und die wirtschaftlichen Aktivitäten am kaiserzeitlichen Stadteingang untersucht werden. Zunächst werden die Märkte und Warenhäuser behandelt, die sich vor den Städten ansiedelten (8.1). Die Stadt Rom verfügte vor den Stadttoren der servianischen Mauern über eine einzigartig ausdifferenzierte Infrastruktur von Handelsplätzen. In kleinerem Maßstab lassen sich auch in anderen Städten Verkaufsplätze vor den Toren nachweisen. Die Frage, ob zum Verzehr bestimmte Tiere in der Regel lebend in die Innenstadt gebracht oder schon vor den Toren geschlachtet und zerteilt wurden (8.2), hat weitreichende Implikationen. Es wird zu sehen sein, daß in Rom und einigen anderen Städten die entsprechende Infrastruktur vor die Tore ausgelagert wurde, wohingegen die Fisch-, Fleisch- und Delikateßmärkte kleinerer Orte häufig ganz zentral am Forum lagen. Auch die Infrastruktur für ankommende und abfahrende Reisende wie Gasthäuser, Herbergen und Transportdienstleister fanden sich in Rom und Städten wie Mailand oder Verona gleich am Stadteingang, weit außerhalb des Zentrums (8.3). Eine kleinere Stadt wie Pompeji dagegen weist ein differenziertes Bild auf. Während auch hier die meisten Herbergen an den Stadttoren lagen, waren die Bordelle in kleinen Gassen in der Nähe des Forums zu finden. Für Rom läßt sich detailliert aufzeigen, daß bestimmte Gewerbe und Einrichtungen generell außerhalb der Stadt angesiedelt waren (8.4). Dies galt für potentiell gesundheitsgefährdende und gefährliche Tätigkeiten ebenso wie solche, die mit Lärm und Geruchsbelästigung einhergingen oder besonders viel Platz benötigten. In mittleren und kleineren Orten mit weniger dichter Bebauung konnten kleine Werkstätten einschlägiger Gewerbe aber auch über die Stadt verteilt sein. 1

K 1999, 14 in bezug auf das islamische Mittelalter. Wie bereits besprochen, war die Verbindung von Handelsaktivitäten mit den Stadttoren in den Städten des Alten Orients besonders ausgeprägt (oben, 53), wobei in den orientalischen Städten des Römischen Reichs an diese vorrömische Tradition angeknüpft wurde (oben, 74–77).

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

Die gute stadtrömische Quellensituation lädt dazu ein, abschließend die epigraphische Überlieferung in den Blick zu nehmen (8.5). Es werden Grabinschriften ausgewertet, in denen die Stadttore erwähnt sind. Sie machen uns mit einem Querschnitt der Händler, Handwerkerinnen und Transportdienstleister bekannt, die an den Toren Roms tätig waren und das in ihren Epitaphen vermerkt haben. In einem kurzen Ausblick wird eine einschlägige Stadttorszenerie bei Martial besprochen, die reiche Assoziationen aufruft und in satirischer Wendung das gewonnene Bild vervollständigt (8.6). 8.1 Märkte und Warendepots In Rom wurde das innerstädtische Verkehrsaufkommen beschränkt, indem ankommende Händler ihre Waren unmittelbar vor den Toren veräußern konnten, was für sie deshalb attraktiv war, weil sie auf diese Weise die Eingangszölle umgingen. Die angelieferten Produkte wurden noch vor den Toren an Zwischenhändler oder direkt an die Konsumenten weiterverkauft.2 Letztere hatten ihrerseits keinen Zoll zu entrichten, da es sich um Waren für den Eigenbedarf handelte. Der Verlauf der Zollgrenze war der maßgebliche Grund dafür, daß die Ansiedlung einer entsprechenden Infrastruktur in den Jahrzehnten um die Zeitenwende noch vor den republikanischen Toren erfolgte, seit Vespasian dann im Bereich der neuen Zolltore, also in etwa dem Verlauf der nachmaligen aurelianischen Mauern entsprechend. (Zu diesen und den im folgenden genannten topographischen Angaben siehe die oben auf S. 8 f. abgedruckte Romkarte, auf der die Tore, Straßen, Plätze und öffentlichen Gebäude verzeichnet sind.) Wir wissen von den regelmäßigen Wochenmärkten, den an jedem neunten Tag abgehaltenen nundinae, daß sie häufig in der Nähe oder außerhalb der republikanischen Tore stattfanden.3 Schon seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. war besonders der Tiberhafen vor der Porta Trigemina mit zwei Portiken und einem gepflasterten Emporium ein wichtiger Handelsplatz, ähnlich auch das Gebiet vor der Porta Flumentana. Unter Augustus wurde mit der Errichtung des Macellum Liviae der Campus vor der Porta Esquilina zu einem großen Marktkomplex ausgebaut;4 im Macellum selbst wurden Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch und exotisches Geflügel gehandelt.5 Inschriften belegen im Gebiet des Campus Esquilinus einen Kleiderhändler und einen Metzger,6 archäologische Untersuchungen mehrere tabernae: eine Weinhandlung, eine Farbenhandlung und ein Geschäft, das auf Preziosen wie 2 3 4 5 6

M/B 2011, 375; H 2012, 89. M/B 2011, 365 f. Ebd., 376 f.; H 2012, 65 f., 88 f., 92.164 f. Eine Übersicht über die Lebensmittel, die in Macella gekauft werden konnten, bietet  R 1983, 341–350. Zu dem Kleiderhändler siehe unten, 211 mit Anm. 128; der Metzger ist in CIL VI pars 4 fasc. 2, 33870 belegt. Beide waren am Hain der Libitina ansässig.

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8.1 Märkte und Warendepots

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Parfum, Spiegel und Edelsteine spezialisiert war.7 Stadtseitig der Porta Esquilina war mit dem sogenannten Forum Esquilinum als Pendant des feldseitigen Campus ein weiterer Handelsplatz vorhanden.8 Vor der Porta Capena gab es Marktplätze für verschiedene Arten von Waren. So wurde in der Area Radicaria wohl Gemüse feilgeboten, in der Area Pannaria vermutlich Wolle und Stoffe.9 Informelle Märkte entwickelten sich auch vor den Portae Viminalis und Caelimontana.10 Neben Handelsplätzen wurden auch Depots benötigt, in denen Großhändler ihre Waren lagern konnten, die noch vor dem Passieren der Zollschranken an Zwischen- und Unterhändler weiterveräußert werden sollten. Auch die günstigeren Grundstückspreise mögen bei der Wahl entsprechender Bauplätze eine Rolle gespielt haben.11 In Rom sind solche Depots unmittelbar vor der vespasianischen Zollgrenze nachgewiesen.12 Die kaiserlichen Horrea konzentrierten sich in der Aventin-Region um das Emporium, das südwestlich der Porta Trigemina lag, und im weiteren Verlauf des Tibers flußabwärts.13 Eine Situation, in der Handelsplätze außerhalb der Stadt zu finden waren, hat man sich indessen nicht nur an anderen stadtrömischen Toren zu denken, sondern vielleicht auch an den Toren kleinerer Orte, etwa der namenlosen griechischen Stadt, zu der der Eselbesitzer bei Apuleius die Erträge seines Gärtchens bringt: Ohne sich lange aufzuhalten, verkauft er sein Gemüse an die örtlichen Zwischenhändler (venditores), setzt sich auf seinen Esel und kehrt in seinen Garten zurück.14 In den gleichen Zusammenhang könnte eine Bemerkung in einer Rede des Dion Chrysostomos in Kelainai in Phrygien gehören. Dort äußert er, die Esel könnten ihre Natur nicht ändern und Pferde werden; selbst wenn man ihnen Zaumzeug anlegen und die Packsättel abnehmen wollte, würden sie weiterhin iah-schreiend vor den Stadtmauern stehen (ὀγκήσονται πρὸ τῶν τειχῶν).15 Warum die Esel ihren charakteristischen Schrei gerade vor den Stadtmauern ausstoßen, erschließt sich nicht ohne weiteres. Die Sentenz könnte jedoch auf das übliche Ab- bzw. Aufladen von Waren vor den Stadttoren oder ähnliche Situationen verweisen, in denen Packtiere unwillig wurden. Beispiele für Handelsplätze und Warenhäuser an den Stadttoren lassen sich archäologisch fassen. In bezug auf die westlichen Provinzen sei etwa auf das Südtor der Stadt Trier verwiesen, vor dem ein großer Handelsmarkt eingerichtet war.16 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

K 2002, 499. M/B 2011, 364. Ebd., 372; H 2012, 89. M/B 2011, 364. Vgl. C 2021, 274. G 2007, 44; vgl. P 2000, 94. K 2002, 519–521. Apul. met. IX 32,1. Die Szene hat man sich mit H 2012, 188 wohl an einem Stadttor vorzustellen. Dion Chrys. Or. 35,3 (Text C/C 1946–1951). Diese Aussage übernehme ich aus der maßgeblichen Publikation G 1969b, 59 f., wobei mir zweifelhaft scheint, ob sich die von Gose ausgewerteten Quellen tatsächlich schon auf die

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

Mehrere gallische Städte verfügten über größere Horrea, die außerhalb der Stadtmauern lagen; so sind in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts in Vienna eine ganze Reihe von Lagerhäusern entlang des Rhône-Ufers erbaut worden.17 In Köln wurden Horrea östlich der ummauerten Innenstadt auf der Rheininsel nachgewiesen.18 In Verona wurde südöstlich des Mauerrings, nahe des Flußufers, eine als Campus Publicus angesprochene repräsentative Platzanlage mit angrenzender Portikus gefunden, die in die Mitte des ersten Jahrhunderts datiert. Die Anlage wurde offenbar als Wirtschaftsraum genutzt; Baustrukturen verweisen eventuell auf Horrea und ein Macellum.19 In bezug auf die östlichen Provinzen wurden bereits die Levantestädte besprochen, die Bauensemble von Torbauten und großen Freiflächen für den Handel aufwiesen. So dienten in Gadara zwei am östlichen und westlichen Stadteingang gelegene großzügige Platzanlagen mit Ladenlokalen als Marktplätze; sie schlossen stadtseitig direkt an das jeweilige Stadttor an.20 Vergleichbare Bauensemble von Torbauten und großen Freiflächen für den Handel finden sich in Gerasa, Bosra und Palmyra.21 Auch Karawansereien waren in den Städten des vorderen Orients am Stadtrand angesiedelt; dort konnten der Troß samt Tieren untergebracht und zum Weitertransport bestimmte Waren provisorisch gelagert werden, während ein anderer Teil der Ladung auf den Märkten der Stadt verkauft wurde.22 Auch nicht-kommerzielle Wirtschaftsaktivitäten fanden vor den Toren statt. In Rom ging die Ausgabe der kostenlosen Getreiderationen an die Bürger in der Porticus Minucia Nova auf dem Marsfeld vonstatten.23 Aristides erwähnt eine Lebensmittelverteilung vor dem Stadttor von Symrna.24 Daß die Smyrnaier im strengsten Winter – „es war mitten im Winter und bei schwarzem Himmel Nordwind und eisige Kälte“25 – vor die Tore kommen mußten, um eine Getreidezuteilung26 zu erhalten, wird wie in Rom logistisch begründet gewesen sein: Eine große Anzahl von Menschen läßt sich in einem weniger bebauten Gebiet schneller und effizienter abfertigen als mitten in der Stadt.

17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Kaiserzeit beziehen lassen. Das besagte Tor, die Porta Media, wurde um das Jahr 180 mit dem Trierer Mauerring zusammen errichtet. G 2007, 117. E 2004, 387. H 2003, 120.464. Siehe oben, 74–77. Belege oben, 77, Anm. 137. Vgl. T 2008, 185 (anhand der Befunde in Palmyra). K 2002, 515. Aristid. Or. 48,20 (= Hieroi Logoi 2,20). Ebd., § 19: ἦν δὲ καὶ δὴ µέσος χειµὼν καὶ βορέας µέλας καὶ κρυµὸς (Text K 1958, Übersetzung S 1986, 47). Aristides spricht unbestimmt von einer διάδοσις (§ 20). Saffrey macht im Kommentar zur Stelle plausibel, daß es sich um eine Getreideverteilung durch einen städtischen Euergeten handelte (F/S 1986, 139, Anm. 36).

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8.2 Die Anlieferung und Schlachtung von Vieh

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8.2 Die Anlieferung und Schlachtung von Vieh Ein eigenes Problem ergibt sich aus den Modalitäten der Anlieferung und Schlachtung von Vieh. Für den Handel mit Schweine- und Rindfleisch gab es in Rom in republikanischer Zeit eigene Märkte und Plätze, das Forum Boarium und das Forum Suarium. Ob das Gros der Schlachttiere auch in der Kaiserzeit noch lebend eingeführt wurde oder nicht, ist freilich unklar. Während Katharina Wojciech meint, es sei „angesichts der mangelnden Frischhaltemöglichkeiten sachlich zwingend, dass die in Rom zu verkaufenden Tiere den Bestimmungsmarkt lebendig erreichten“,27 geht Michael MacKinnon davon aus, daß die Tiere in der Regel noch vor der Stadt geschlachtet wurden.28 Dafür sprechen zooarchäologische Untersuchungen, denen zufolge in großer Zahl bereits zerteilte Tiere nach Rom importiert worden sein müssen, da im Befund der Knochen von Speisetieren Schädel- und Gliederknochen stark unterrepräsentiert sind. In den Vorstädten wurde dagegen ein sehr viel höherer Anteil von Schädeln und Knochen der Gliedmaßen gefunden, was darauf hinweist, daß die Tiere bereits dort geschlachtet und zerteilt wurden und man nur die besseren Teile quasi küchenfertig in die Stadt transportierte.29 Eine Inschrift belegt auch einen Metzger (lanius) am Hain der Libitina vor der Porta Esquilina;30 wie bereits erwähnt, war dieses Stadttor ein wichtiger Wirtschaftsknotenpunkt mit feldseitigen und stadtseitigen Handelsplätzen. Demgegenüber wurde das Forum Boarium nur bis ins zweite oder spätestens erste Jahrhundert v. Chr. als Viehmarkt genutzt31 und ist damit für die Prinzipatszeit nicht mehr relevant. MacKinnon verweist darüber hinaus auf eine Plautusstelle, in der der Protagonist ankündigt, vor dem Stadttor Opferlämmer holen zu wollen.32 Als Beleg überzeugt mich die Stelle inhaltlich jedoch nicht (von der nicht passenden Zeitstellung ganz abgesehen). Zwar ist MacKinnon dahingehend zuzustimmen, daß der eigentlich in Athen angesiedelte Komödiendialog hier auf stadtrömische Verhältnisse verweist,33 aber eine erstaunte Nachfrage des Gesprächspartners zeigt meines Erachtens klar, daß es sich bei dem Vorhaben, die Lämmer vor dem Tor zu besorgen, keineswegs um eine Selbstverständlichkeit handelte.34 So sind die Schlächter, die der Protagonist zu holen gedenkt, in Wirklichkeit keine Metzger, sondern Henker, die er seinem Feind nur zu gerne auf den Hals hetzen würde.35 Historisch sind 27 28 29 30 31 32 33 34

35

W 2015, 161. MK 2013, 124. Ebd. Es handelt sich um die bereits genannte Inschrift CIL VI pars 4 fasc. 2, 33870. MK 2013, 123. Plaut. Pseud. 326–331. Der Text wird unten, 366–368, in anderem Zusammenhang ausführlich besprochen. Siehe dazu meine Argumentation in der Diskussion der Stelle ebd. Plaut. Pseud. 331 f.: iam hic ero; verum extra portam mi etiam currendumst prius. – quid eo? „Gleich bin ich zurück, doch vorher muß ich vor das Tor hinaus.“ – „Wozu denn das?“ (Text und Übersetzung nach der Ausgabe R 2007–2009.) Plaut. Pseud. 333–335.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

Metzger ja auch in beträchtlicher Zahl in der Urbs selbst nachgewiesen und nicht ausschließlich vor den Toren.36 Zur Klärung der Frage, wo in Rom die importierten Viehbestände geschlachtet wurden, trägt die Stelle damit nichts bei. Nichtsdestoweniger halte ich den zooarchäologische Befund für stichhaltig. Gehen wir davon aus, daß das Gros der zum Verzehr bestimmten Tiere noch außerhalb der republikanischen Mauern geschlachtet und zerlegt wurde, paßt auch die Existenz einer Wollmanufaktur37 in den Horti Taurani nahe dem Campus Esquilinus gut ins Bild, was bedeuten würde, daß die Wolle der Schlachttiere gleich vor Ort weiterverarbeitet wurde. Ohne die genannten Einzelbelege überstrapazieren zu wollen, ließen sich hier mit dem Metzger, der Wollmanufaktur und einem Kleiderverkäufer gleich mehrere Glieder einer Produktionskette fassen. Die Errichtung des Macellum Liviae, einer eigenen Verkaufsstätte für Fleisch unweit der Porta Esquilina, stützt diese Überlegung. Auch das zweite stadtrömische Macellum, das unter Nero nach dem Brand von 64 errichtete sogenannte Macellum Magnum, lag außerhalb der republikanischen Mauern, vor der Porta Caelimontana. Anders als die Wochenmärkte waren die Macella täglich geöffnet.38 Die Kunden konnten sich vor den Toren Roms also jederzeit mit frischem Fleisch und Fisch eindecken. Unstrittig ist, daß auf jeden Fall in gewissem Umfang auch lebende Schlachttiere in die Stadt gebracht wurden, insbesondere die Opfertiere, die aus kultischen Gründen erst während der Opferzeremonie getötet wurden. Da lebend eingeführte Nutztiere bis auf wenige Ausnahmen dem Zoll unterworfen waren39 und die Deklaration und Ausstellung der Zollpapiere einen längeren Halt erforderlich machen konnten, ist schwer vorstellbar, daß sich „das ganze Szenario mitten auf den Einfallstraßen nach Rom abspielte“.40 Vielmehr wurden die Tiere in der Zwischenzeit wohl in eine Einzäunung geführt, wie sie mit dem Campus Boarium und dem Campus Pecuarium für Rinder und Schafe belegt sind.41 Es mag sein, daß an bestimmten Stadttoren ein vereinfachtes Zollverfahren für Schlachtvieh angewandt wurde;42 Hinweise darauf liegen jedoch nicht vor. Die Städte Cuicul (Djemila) und Thamugadi (Timgad) in der Numidia weisen ebenso wie der Bereich der Porta Marina in Ostia peripher gelegene Bauensemble von Stadttor, Marktplatz und Macellum auf, die mit dem römischen Befund vergleichbar sind.43 Das Macellum der pamphylischen Stadt Perge lag auf der 36 37 38 39 40 41 42 43

Zahlen zur – sehr ungleichen – Verteilung der Nachweise von Metzgereien auf die einzelnen Regionen bietet K 2002, 503. M/B 2011, 366. Diese Information entnehme ich K 2002, 499. W 2015, 162. Ebd., 164. Vgl. MK 2013, 124 und W 2015, 164. Ein solches vereinfachtes Verfahren wurde in manchen Städten der Frühen Neuzeit praktiziert, die besondere Zugangstore zur Abfertigung von Schlachtviehherden hatten (J 2015, 226). Vergleich bei M/B 2011, 377.

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8.3 Infrastruktur und Dienstleistungen für Reisende

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innerstädtischen Seite nahe des südlichen Stadttors, direkt an den markanten Vorgängerbau des Tors angrenzend. Die periphere Lage war in diesem Fall auf die gute Verkehrsanbindung zum südlich der Stadt gelegenen Seehafen zurückzuführen.44 In Mediolanum (Mailand) sind keine Macella, aber Schlachtungsstätten für Vieh vor der Stadt nachgewiesen.45 Bei vielen mittleren und kleineren Städten stellte sich das Problem der Tierschlachtung angesichts kürzerer Wege, einer weniger dichten Bebauung und entsprechend größerer Platzkapazitäten jedoch nicht in der gleichen Schärfe wie in Rom. Dies wird durch die Existenz von Macella in zentralen Ortslagen deutlich; so waren die Fleisch-, Fisch- und Delikateßmärkte in den italischen Städten typischerweise direkt am oder auf dem Forum lokalisiert, etwa in Pompeji.46 Auch in den weitaus meisten Provinzstädten lagen diese Spezialmärkte im Ortszentrum.47 Als Beispiele habe ich die am Forum gelegenen Macella von Thuburbo Maius und von Mactaris in der Africa Proconsularis vor Augen, dasjenige neben dem Forum von Philippi oder das Macellum im Stadtzentrum von Elaioussa Sebaste in Kilikien.48 Freilich gilt auch in bezug auf kleinere Orte, daß Macella einen beträchtlichen Verkehr von Personen, Vieh und Waren ausgelöst haben müssen.49 Sie waren daher in aller Regel sehr gut an den Hafen und an die Stadttore angebunden.50 Ländlich geprägte Städtchen wie das britannische Calleva Atrebatum (Silchester) wiesen innerhalb der Mauern bei vielen Anwesen offene Höfe, Stallgebäude und kleine Weideflächen auf, auf denen Vieh grasen konnte, so daß Herden von Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen in der Stadt wohl ein übliches Bild waren.51 8.3 Infrastruktur und Dienstleistungen für Reisende Vor allem am Eingang größerer Städte entwickelte sich eine eigene Infrastruktur mit Dienstleistungen, die von Reisenden in Anspruch genommen werden konnten.52 Dies läßt sich für uns wiederum nirgends besser greifen als in Rom: 44 45 46 47 48

49

50 51 52

D R 1983, 129–133.329. H 2003, 439. P 2006, 166–169 (Pompeji). Auch das spätrepublikanische Macellum der Stadt Rom war im Bereich des späteren Forum Pacis zentral gelegen gewesen. Vgl. in diesem Sinn auch  R 1983, 326–329. Siehe ferner die bei H 2021, 208–218 besprochenen Beispiele. Zahlreiche weitere Belege sind dem Katalog bei  R 1983, 17–222 zu entnehmen, siehe auch den vergleichenden Überblick anhand von Situationsskizzen ebd., Tafel 2. Vgl. H 2021, 205 f. Die Autorin geht davon aus, daß das Vieh in den Provinzstädten lebend zu den Metzgereien oder in die Macella geliefert wurde (ebd., 218). Als anachronistisch zurückzuweisen ist die Vorstellung, die Tiere hätten auf Fuhrwerken transportiert werden müssen, anstatt selbst zu laufen (ebd.). Das wird ebd., 208–219 detailliert nachgewiesen. K 2011, 165. Weiterführend zu den entsprechenden Einrichtungen am Stadteingang siehe C 2021.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

„[T]raffic was delayed at the gate, and caused this space to be associated with waiting to enter or leave the city. Consequently gate areas developed into nodes within the overall system of urban movement, places to locate inns, to find coachmen, to establish storehouses and for the sale of sex via prostitution, all of which can be definded as trades that catered for the needs of the traveller. The city gates thus became important transit areas“.53 In Rom wurden in der Area Carruces vor der Porta Capena Wagen und Fuhrwerke vermietet.54 Dieser Platz diente zugleich als Park-, Umpack- und Wendemöglichkeit, ebenso vielleicht die nahegelegene Area Radicaria.55 Ankommende, die ihre Reisewagen abstellten,56 konnten an den Stadttoren die Dienste der Sänftenträger in Anspruch nehmen.57 Ein Stall ist erstaunlicherweise in Rom bis heute nicht archäologisch nachgewiesen.58 Vergleichbare Befunde von Transportdienstleistern an den Toren gibt es in anderen Städten. So läßt sich in Forum Sempronii (Fossombrone) ein einschlägiger Berufsverband nachweisen, der seinen Sitz am Tor der Stadt hatte, der Zusammenschluß der Maultiertreiber von der Porta Gallica.59 Die Porta Gallica war das östliche Stadttor an der einzigen Durchgangsstraße, der Via Flaminia, die als Decumanus Maximus durch Forum Sempronii geführt wurde, und es läßt sich denken, daß hier der beste Platz war, um als Lasttiertreiber Geschäfte zu machen. Auch in Mediolanum (Mailand)60 und Verona61 hatten die Maultiertreiber ihr Vereinslokal am Stadttor. Im kampanischen Cales gab es am stellatinischen Stadttor einen festen Stellplatz, an dem die Führer leichter Reisewagen, die cisiarii, anzutreffen waren (eine Straße verlief ad gisiarios portae Stellatinae).62 Dies ist sicherlich dahingehend zu interpretieren, daß man sich am besagten Ort für eine bevorstehende Fahrt Wagen 53 54 55 56 57 58 59

60 61

62

M/B 2011, 375. P 2000, 103; M/B 2011, 371; H 2012, 89. G 2006b, 107. Der Verfasser stellt sich diese Areae jeweils als „une zone des service, une sorte de gare routière périphérique“ vor (ebd.). Zu den Verkehrsbeschränkungen in Rom siehe unten, 217–232 in Kapitel 9. Zur Frage, warum das Umpacken und Abparken der Wagen in Rom an dieser Stelle geschah, siehe 225 f. CIL VI pars 2, 9514 = CIL IX 407*7 . Eine umfassende Auswertung dieser Inschrift findet sich unten, 210. MK 2013, 125. ILS 7294: Loc(um) sep(ulturae) don(avit) | C(aius) Valgius Fuscus con|legio iumentarior(um) | portae Gallicae | posterisque eor(um) omnium | et uxoribus concubinisq(ue). Die iumentariores könnten auch Halter oder Vermieter von Zugvieh sein. Vgl. zu Rom selbst den Nachweis einer scola carrucarum; Dessau zufolge muß es sich hier, wie der Gebrauch des Terminus scola nahelegt, um Verwaltungsangestellte handeln, die Reisewagen überprüften, nicht um Fahrer oder Hersteller von carrucae (ILS 9047/48). CIL V pars 2, 5872 = ILS 7295: [c]ollegium [iu]mentario[r(um)] portae [Ve]rcellinae. AE 1987, 452 = AE 2010, 53: colleg(ii) iumentarior(um) port(ae) Iov(iae). Vgl. zu dieser Vereinigung außerdem eine weitere Inschrift, die im Dorf Rosegaferro bei Verona gefunden wurde: AE 1975, 429 = AE 2007, 576. CIL X pars 1, 4660, Z. 6. Vgl. auch das Fragment einer zweiten, mit dieser anscheinend wörtlich übereinstimmenden Inschrift, AE 1929, 166.

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8.3 Infrastruktur und Dienstleistungen für Reisende

203

und Fahrer mieten konnte. In Pompeji verweist ein Wahlaufruf der Holzfuhrleute am Nolaner Tor auf deren Präsenz an diesem Ort.63 Gasthäuser, in denen eben angekommene Reisende essen und übernachten konnten, waren in Rom in unmittelbarer Nähe der Stadteingänge angesiedelt. Auch in Pompeji lagen die meisten Herbergen an den Stadttoren, besonders zahlreich an der Porta di Stabia und der Porta di Ercolano.64 Sie verfügten fast durchgehend über Parkmöglichkeiten und Ställe.65 Auch in anderen Städten wie etwa Verona lassen sich mansiones unmittelbar vor den Toren belegen.66 Anders als ländliche Herbergen standen die Wirtshäuser und Bars der kaiserzeitlichen Vorstädte in denkbar schlechtem Ruf. In der zeitgenössischen Literatur sind sie mit Trunkenheit, Prügeleien, Gesang, Rauch und Gestank assoziiert und werden von dubiosen Gestalten wie Dieben, Glücksspielern und Henkern frequentiert.67 Dabei konnten sie, wie die archäologischen Befunde zeigen, durchaus geräumig und gut ausgestattet sein; eine großzügig angelegte Herberge in Pompeji mit Kapazitäten für etwa 50 Übernachtungsgäste verfügte sogar über ein hauseigenes Erholungsgärtchen.68 Einen Eindruck vom Publikumsverkehr in einem solchen Etablissement vermittelt Philostrat: Der Philosoph Apollonios und seine Schüler kehren in Rom in einer Herberge ein, einem πανδοχεῖον in der Nähe des Stadttors. Es ist schon Abend, die Reisenden essen,69 und dies offenbar in größerer Gesellschaft: Ein fremder Gast unterhält die Angekommenen, indem er von Nero verfaßte Lieder singt; er wird sich am nächsten Tag als Spion entpuppen, der Apollonios denunziert.70 In den Wirtschaften am Stadtrand waren wohl auch Prostituierte anzutreffen. In Rom galten zudem die alten Stadtmauern und Nekropolen als ein Ort, an dem Prostituierte zu finden waren; auch die Subura im Bereich des Esquilin stand in einem entsprechenden Ruf. Archäologisch belegt sind mehrere Bordelle an der stadtrömischen Porta Caelimontana. Die entsprechende Kundschaft bestand sicherlich nicht nur aus Reisenden, sondern rekrutierte sich auch aus der ansässigen Stadtbevölkerung.71 Städte von mittlerer und kleinerer Größe dagegen konnten es auch Ortsfremden zumuten, entsprechende Einrichtungen und Dienstleistungen

63 64

65 66 67 68 69 70 71

CIL IV 485: Marcellinum aed. lignari plostrari rog. L 1994, 81. C 2021, 273 diskutiert in diesem Zusammenhang außerdem den Befund eines offenbar für Reisende errichteten Komplexes am nördlichen Sarno-Ufer, 600 Meter vor den Mauern der Stadt. Siehe dazu Poehlers Studie zu gepflasterten Auffahrten in Pompeji: Über 90 Prozent der Gasthäuser mit Auffahrrampen befanden sich in unmittelbarer Nähe der Tore (P 2011, 202 f.). Diskussion einschlägiger Befunde aus Italien und Frankreich bei C 2021, 274–278. Belege bei L 1994, 78 f.; weiterführende Überlegungen dazu bietet C 2021. L 1994, 79 f. Philostr. Ap. 4,39. Ebd., § 40. L 1994, 73; M/B 2011, 368.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

innerorts ausfindig zu machen. So waren die Bordelle in Pompeii in kleinen Gassen in der Nähe des Forums gelegen.72 8.4 Außerhalb der Stadt angesiedelte Gewerbe und Einrichtungen Personen und Aktivitäten, die für die städtische Gemeinschaft notwendig, in der Stadt jedoch aus unterschiedlichen Gründen unerwünscht waren, wurden häufig in die Peripherie verwiesen.73 Dabei ist etwa an Leichenverbrennung und Bestattung, an das Deponieren von Abfall und Exkrementen, aber auch an bestimmte Berufsbranchen und Gewerbe zu denken.74 So waren einige wenige Berufszweige aufgrund von Residenzbestimmungen, wie sie im Zusammenhang mit den Personenkontrollen besprochen wurden, nur außerhalb der Stadt bzw. in den Vororten anzutreffen. Mithin ist es sicherlich kein Zufall, daß Apuleius den Geldverleiher Milo ganz explizit außerhalb der Stadt ansiedelt.75 Den mit Exekution und Bestattungen befaßten Berufsgruppen war es in aller Form untersagt, in der Stadt selbst zu wohnen: Die carnifices und libitinarii, die Folterungen und Hinrichtungen durchzuführen hatten, lebten in Rom vor der Porta Esquilina in der Subura;76 in Puteoli war es ihnen verboten, näher an der Stadt zu wohnen als auf Höhe eines bestimmten Turms beim Hain der Göttin Libitina.77 Wie erwähnt war in Rom auch Prostitution vor allem an den Toren und Mauern der alten servianischen Stadtbefestigung, in der Subura und um die Porta Caelimontana herum verbreitet. Freilich gab es Möglichkeiten, als normverletzend betrachtete Tätigkeiten innerhalb einer Stadt so versteckt anzusiedeln, daß beispielsweise die Ehefrauen und Kinder der städtischen Eliten nicht damit konfrontiert wurden. Dies betrifft etwa die in kleinen Nebengassen des Zentrums liegenden Bordelle in Pompeji.78 Es gilt als Gemeinplatz, daß darüber hinaus auch Tätigkeiten, die gesundheitsgefährend oder gefährlich waren, die mit Beeinträchtigungen wie großem Lärm oder Geruchsbelästigung einhergingen oder die schlicht sehr viel Platz benötigten, bevorzugt außerhalb der Stadtzentren angesiedelt gewesen seien. In diesem 72

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74 75 76

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L 1994, 75. Dabei ist die früher kolpotierte Zahl von 35 oder mehr Bordellen bei weitem übertrieben; eine Überprüfung der Befunde ergab nur mehr neun einschlägige Einrichtungen, wobei es sich in sieben Fällen nur um einzelne cellae handelte (ebd., 73). Siehe S 2021, 270. Wenig überzeugend zählt C 2021, 278 auch die im vorigen Abschnitt besprochenen Besucher der Stadt zu dieser Kategorie; maßgeblich muß hier jedoch der praktische Aspekt gewesen sein, daß Ankommende an den Toren eine entsprechende Infrastruktur benötigten. Vgl. die Aufstellung bei S 2021, 270 f. Apul. met. I 21,3: Milo wohnt extra pomerium et urbem totam. Laut Cic. Rab. perd. 15,4–7 war ihnen ein Wohnsitz in der Urbs verwehrt. Zur Ausführung von Folter und Exekutionen vor der Porta Esquilina siehe etwa Catull. 15,18 f. (mit Erwähnung des Stadttors) und Mart. Ep. 2,17 (mit Erwähnung der Subura). Vgl. auch die Darstellung bei M/B 2011, 368 und E 2021, 157 f. AE 1971, 88 = AE 2004, 421 = AE 2011, 100 (die Bestimmungen zum Wohnsitz in II 3: ne intra turrem ubi hodie lucus est Libit(inae) habitent). Vgl. dazu E 2021, 159. L 1994, 70–87.

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8.4 Außerhalb der Stadt angesiedelte Gewerbe und Einrichtungen

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Zusammenhang wird beispielsweise auf Berufszweige verwiesen, die mit offenem Feuer arbeiteten, wie Großbäckereien, Produktionsstätten für Keramik und Glas oder Ziegelfabriken.79 Auch die Gerber und Walker seien aus nachvollziehbaren Gründen außerhalb der Städte ansässig gewesen.80 Die historische Wirklichkeit erweist sich freilich auch hier als weitaus differenzierter. Die Verdrängung bestimmter Gewerbezweige und Einrichtungen in die Peripherie läßt sich insbesondere für Rom nachweisen, wenngleich sie auch dort nie konsequent verfolgt wurde.81 Das Phänomen der Abdrängung ist andernorts zwar ebenfalls zu beobachten, aber bei weitem nicht in allen Städten. Ich möchte daher zunächst die gut erforschte stadtrömische Situation referieren, ehe ich Parallelen, aber auch Gegenbeispiele aus der Provinz anführe. In bezug auf periphere Lagen in Rom gilt es zwei Stufen der räumlichen Marginalisierung zu unterscheiden, die Lokalisierung von Gewerben und Einrichtungen außerhalb der servianischen Mauern, also im Bereich der durchgängigen Wohnbebauung (continentia aedificia), und ihre Ansiedlung im nur locker besiedelten suburbium.82 Betrachten wir als erstes die continentia jenseits der republikanischen Stadttore. Vor der Porta Esquilina in Rom waren Produktionsstätten wie die erwähnte Wollmanufaktur und mehrere Bäckereien zu finden – die augusteischen Großbäckereien mit eigenen Mühlen lagen gleich in unmittelbarer Nähe des Stadttors; die Wollverarbeitungsstätte, die für das erste Jahrhundert nachgewiesen ist, lag in den Horti Taurani am Campus Esquilinus.83 Auf dem Esquilin gab es auch ein eigenes Viertel mit Zieglereien.84 Gerbereien und Lederverarbeitungsbetriebe waren in den peripheren Wohnlagen am Tiber und jenseits des Flusses angesiedelt.85 Auf dem westlichen Marsfeld waren in der Nähe des Tibers große Marmorwerkstätten untergebracht.86 In den Nekropolen, die bis an den republikanischen Mauerring heranreichten und seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. nach und nach besiedelt wurden, wurden selbst kleinste Parzellen und Grabgärtchen zur Anlage von gewerblichen Intensivkulturen wie Obst, Gemüse, Wein und Blumen benutzt.87 79 80 81 82 83

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C 1998, 28; P 2000, 93; G 2007, 57; M/B 2011, 366. C 1998, 28; M/B 2011, 366. Dies betont K 2002, 497, der Gegenbeispiele anführt wie Glas- und Papierwerkstätten mitten in Rom oder eine Walkerei in einem Insula-Komplex auf dem Caelius. Die Terminologie wurde einleitend, 10 f., näher erläutert. M/B 2011, 366. In bezug auf die Bäckereien halten die Verfasser auch die Notwendigkeit von fließendem Wasser zum Antrieb der hauseigenen Mühlen für einen möglichen Grund der Ansiedlung am Esquilin, da hier mehrere Aquädukte verliefen. K 2002, 496. MK 2013, 124. K 2002, 497. Siehe dazu B 2018, besonders 201–203.221–229, ferner K 2002, 326 und M/ B 2011, 365.368. Inschriftlich sind auf stadtrömischen Grabgrundstücken neben Gärten und Brunnen auch Fischbecken, Wirtschaftsgebäude, Stallungen, ein Lagerhaus und sogar Ladengeschäfte belegt (vgl. etwa die bei P 1987, 188 aufgeführten Beispiele).

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

Auch die großen kaiserzeitlichen Thermen in Rom entstanden teils außerhalb des alten Mauerrings, da ihre Anlage mit großzügigen Schwimmbecken und Palästren viel Bauplatz benötigte. So ließ bereits Agrippa westlich der Urbs auf dem Marsfeld große Thermen errichten,88 die Nero mit einer angrenzend gelegenen eigenen Thermenanlage von fast 16 000 Quadratmetern noch bei weitem übertraf.89 Die monumentalen Caracallathermen mit einer geradezu gigantischen Gesamtfläche von 110 500 Quadratmetern wurden vor der Porta Capena auf dem Kleinen Aventin nahe der Via Appia angelegt.90 Auch an die zahlreichen Spiel- und Wettkampfstätten auf dem Marsfeld ist in diesem Zusammenhang zu denken. Ein Grund für die Plazierung dieser Einrichtungen in peripheren Lagen war also schlicht ihre Größe. Eine Millionenstadt wie Rom benötigte exorbitante Kapazitäten, sei es in bezug auf Bäckerein, Gartenbau, Ziegelproduktion oder öffentliche Badeanstalten. Damit kommen wir zum weiter gefaßten römischen suburbium, das einen sehr viel größeren Bereich als den hier zur Rede stehenden Stadteingang umfaßte, aber im Hinblick auf eine differenzierte Abstufung von marginaler Lokalisation kurz besprochen werden soll. Haben wir schon von Ziegelfabriken in der continentia gehört, so konzentrierten sich zahlreiche Brennöfen im Gebiet der Hügel westlich der späteren aurelianischen Mauern, wo es qualitätvolle Tonvorkommen gab, sowie entlang der Viae Flaminia, Salaria und Nomentana, wo man Ton aus dem Tiber und dem Anio gewinnen konnte.91 Auch das vivarium, in dem die Circustiere gehalten wurden, lag weit außerhalb der Stadt. Es ist wohl vor der späteren Porta Praenestina der aurelianischen Mauern zu lokalisieren.92 Angesichts der Raumknappheit im Gebiet der Innenstadt wurden Gartenbau und Kleintierhaltung in größerem Maß im suburbium betrieben. Einzelnachweise liegen etwa für den Anbau von Birnen, Äpfeln, Feigen, Maulbeeren, Rüben, Lauch, Kohl, Zwiebeln, Kräutern und Delikateßkulturen wie Artischocken und Spargel vor, für die Produktion von Honig, den Anbau von Blumen und ebenso für Milchwirtschaft und die Haltung von Zuchtebern.93 Bei der Suche nach Parallelen werden wir in anderen Städten mit großen Bevölkerungszahlen fündig, etwa in Mediolanum (Mailand). Südöstlich und nördlich der Stadt sind seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. Produktionsstätten nachgewiesen, an denen Metallverarbeitung und Töpferhandwerk betrieben wurden.94 In Ostia waren die Walker ebenfalls an der Peripherie konzentriert und hatten ihre Werk88 89 90 91 92 93 94

Vgl. G 1996, 395. Vgl. ebd., 397 f. Unter Titus und Trajan entstanden innerhalb der Urbs die Thermenanlagen auf dem Esquilin (vgl. ebd., 398–401). Vgl. ebd., 402–404. K 2002, 320. Interpretation des Befundes gegen MK 2013, 126, der die vorhandenen Belege zwei verschiedenen Vivarien zuordnen will. K 2002, 318; B/Z 2013, 320. H 2003, 439. Die Gewerbestätten wurden noch im ersten Jahrhundert n. Chr. benutzt, dann aber offenbar aufgegeben (ebd.).

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8.4 Außerhalb der Stadt angesiedelte Gewerbe und Einrichtungen

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stätten zum größten Teil unmittelbar am Tiber;95 in Lugdunum (Lyon) befand sich das Handwerkerviertel am Ufer der Saône;96 in Arelate (Arles) waren Metallund Glaswerkstätten entlang der Rhône angesiedelt.97 Das Phänomen, daß auf Parzellen innerhalb von Friedhöfen Nutz- und Küchengärten angelegt wurden, war außer in Rom selbst auch in Alexandria seit augusteischer Zeit weit verbreitet.98 Ein anderes Bild ergibt sich für mittlere und kleinere Orte mit großzügigen innerstädtischen Platzverhältnissen, angesichts derer Handwerksbetriebe, Werkstätten, Thermen und Gärten nicht unbedingt in die Peripherie ausweichen mußten. So waren die Werkstätten von Augustodunum (Autun) innerhalb des Mauerrings angesiedelt.99 In Köln wurden im ersten Jahrhundert noch zahlreiche Glashütten und Keramikwerkstätten im Innenstadtbereich betrieben, wo es zu dieser Zeit offenbar erhebliche Freiflächen gab.100 Die meisten Gewerbebetriebe verlagerten sich freilich in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts auch in Köln vor die Mauern,101 darunter neben den Glas- und Keramikproduzenten auch Leimsieder und Bronzegießer;102 die Walker und Gerber waren am Rotgerberbach ansässig.103 Im Zusammenhang mit den Germaneneinfällen mußten die Betriebe außerhalb des Mauerrings allerdings schon zu Beginn des dritten Jahrhunderts wieder aufgegeben werden.104 In Londinium (London) siedelten sich die Eisen- und Kupferindustrie im ersten Jahrhundert jenseits der Themse, am südlichen Flußufer, an, während Glas- und Keramikwerkstätten verstreut in der Peripherie der Siedlung zu finden waren. Im Lauf des zweiten Jahrhunderts entstand ein eigenes Industrieviertel am nordwestlichen Rand der Stadt, in dem sich die verarbeitenden Gewerbezweige konzentrierten; die Metallbearbeitung fand jedoch weiterhin vor allem südlich des Flusses statt.105 In Pompeji waren kleine Handwerksbetriebe wie Bäckereien, Metallverarbeitungsbetriebe, Webstuben und selbst Färbereien und Walkereien innerhalb der Mauern gelegen – freilich bevorzugt an den Durchgangsstraßen und im Stadtzentrum, nicht in den ruhigen Wohngebieten im östlichen Teil der Stadt.106 Über die ganze Stadt verteilt waren Garküchen zu finden.107 Selbst landwirtschaftliche Produktion fand in gewissem Umfang innerhalb der Mauern statt; so sind in Pompeji der Anbau von Oliven, Wein, Gemüse, Obst und Nüssen über 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107

K 2002, 496. C 1998, 28. Ebd. B 2018, 210–214. G 2007, 236. E 2004, 171. Ebd., 357. Ebd., 387 f. K 2002, 496. E 2004, 388. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung bietet H 2018, 102–106.156–158.202– 209.229–236. Siehe etwa L 1994, 55–69. Ebd., 84.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

die Eigenbedarfsmengen einzelner Haushalte hinaus nachweisbar.108 Lediglich ein Thermenkomplex sowie die Garumfabrik lagen auch in Pompeji außerhalb der Stadt109 (wobei Produktionsstätten von Garum und gesalzenem Fisch generell nicht in den Stadtzentren zu finden waren, wie beispielsweise anhand der Fischverarbeitungsbetriebe der Africa Proconsularis festzustellen ist110 ). Weitere Thermenanlagen ebenso wie das Theater und sogar das Amphitheater waren in Pompeji innerhalb des Mauerrings zu finden. Den gleichen Befund haben wir in Augusta Praetoria (Aosta). Für die Lage der Thermen und Spielstätten innerhalb der Stadt sind in diesem Fall wohl militärische Gründe zu veranschlagen, da Augusta Praetoria am norditalischen Alpenrand immerhin so exponiert war, daß im ersten oder zweiten Jahrhundert die augusteischen Mauern noch durch einen Agger verstärkt wurden.111 Kleinere Städte, die nicht über nennenswerte Vorstadtregionen verfügten, waren schlicht von Acker- und Weideland umgeben. So haben Surveys auf dem Territorium von Calleva Atrebatum (Silchester) ergeben, daß die Stadt noch im zweiten Jahrhundert nur von Viehweiden, Äckern, Heideland und kleinen Sümpfen umschlossen wurde.112 Daß die Gegend vor den Toren einer Stadt nicht einmal als Weide taugte, sondern wüst und wild war, galt hingegen als Zeichen von Verfall und Vernachlässigung.113 Es läßt sich festhalten, daß angesichts sehr differenter Befundsituationen die stadtrömischen Verhältnisse keineswegs verallgemeinerbar sind. Zwar lagen auch in einigen anderen Städten Macella, Lagerhäuser und Produktionsstätten für Metall, Keramik oder Lederwaren vor den Toren; in der Mehrzahl der untersuchten Orte aber war dies nicht der Fall. Für Wirtschaftsaktivitäten, die als Infrastruktur nicht mehr als einen großen Platz und vielleicht einen Brunnen benötigten, ergibt sich hingegen ein reichsweit einheitliches Bild. In großen wie in kleinen Städten, in Italien wie in den Provinzen wurden die Plätze vor den Stadttoren für Wochenmärkte benutzt.

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Ebd., 67. Knapp 10 Prozent der Innenstadtfläche in Pompeji wurde von Nutzgärten eingenommen (ebd.). Ebd., 64. Hinzu kam eine Reihe von tabernae in einer Porticus vor der sogenannten Porta Ercolano (siehe dazu Z 2021). Die Geschäfte profitierten hier von der hohen Sichtbarkeit an einer vielgenutzten Durchgangsstraße (ebd., 303). Hier ist zum Beispiel an die große Garum-Produktionsstätte extra muros von Neapolis (Nabeul) zu denken; siehe dazu S/B/T 1999. H 2003, 132 f. W 1992, 28 f.; vgl. auch K 2011, 165. Das erhellt aus Dion Chrys. Or. 7,38 f. Der beschriebene Ort ist so vernachlässigt, daß die Schafe statt in der Wüstenei vor den Toren im Zentrum der Stadt – auf dem Forum – weiden und das Gymnasium als Ackerfläche genutzt wird.

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8.5 Berufsleben an den Toren Roms

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8.5 Berufsleben an den Toren Roms Die gute Quellenlage für Rom soll an dieser Stelle dazu genutzt werden, das Berufsleben an den Stadttoren noch aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ich habe zu diesem Zweck nach Grabinschriften gesucht, in denen die Stadttore erwähnt werden. Sie zeigen einen weitgehend zufälligen Querschnitt von Händlerinnen, Handwerkern und Transportdienstleistern, die an den Stadttoren Roms tätig waren. Eine exakte Datierung ist bei keiner der verwendeten Inschriften möglich, so daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß ein Teil des Materials in die ausgehende Republik gehört. Ich halte die verwendeten Texte dennoch für aussagekräftig, da sich mit dem Beginn des Prinzipats weder die urbanistische Situation an den Stadttoren noch die Benutzung dieser Areale durch die Bewohner der Stadt schlagartig geändert hat. Wir haben es bei den Veränderungen in der römischen Peripherie vielmehr mit langfristigen Prozessen zu tun, die schon im ersten Jahrhundert v. Chr. begannen, wie sich etwa anhand der Entwicklung des Esquilin aufzeigen läßt.114 Bei der Auswertung der Inschriften ist zu bedenken, daß die Überlieferung für Rom zwar besonders dicht ist und Rom schon allein wegen seiner Größe einen exzeptionell hohen beruflichen Spezialisierungsgrad aufwies, daß aber auch in kleinen römischen Städten teilweise ein erstaunlich differenziertes Berufsleben zu fassen ist. In Pompeji kennen wir etwa 85 Berufsbezeichnungen, im spätantiken Korykos in Kilikien sogar über 110.115 So können wir prinzipiell davon ausgehen, daß das im folgenden entworfene Bild nicht ganz unrepräsentativ ist, auch wenn Rom mit mehr als 200 nachweisbaren Berufen eine Sonderstellung beansprucht. Konsultiert man die Register von CIL VI – dem Teil des Corpus Inscriptionum Latinarum, der die Inschriften aus Rom versammelt – unter dem Stichwort porta, so findet man eine ganze Reihe von Personen, die berufshalber in der Nähe der römischen Tore anzutreffen waren und dies in ihren Grabinschriften vermerken ließen: Vor der Porta Flumentana war ein Goldschmied (aurifex) ansässig, der Freigelassene Lucius Sempronius Cephalio.116 An der Porta Trigemina ist ein Honighändler (mellarius) namens Aulus Fuficius Zethus belegt, auch er ein Freigelassener.117 Eine 114

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Zu dieser Entwicklung, die in der Forschung als Gentrifizierungsprozeß beschrieben wird, siehe unten, 377–383. Dort findet sich auch meine Interpretation der Horazsatire 1,8, die die urbanistischen und gesellschaftlichen Veränderungen auf dem Esquilin aufgreift. B/Z 2013, 317–319. Solche Größenordnungen weisen im Mittelalter nur bedeutende Zentren auf, so sind im 13. Jahrhundert in Paris und im 15. Jahrhundert in Florenz jeweils um die 100 verschiedene Berufe belegt (Zahlenangaben ebd.). CIL VI pars 2, 9208b = ILS 7686: L(ucius) Sempronius | L(uci) l(ibertus) Cephalio | aurifex extra | port(a) Flumentan(a) | sibi et suis | posterisque | eorum et | L(ucio) Sempronio L(uci) l(iberto) | Theophilo l(iberto). Merkwürdig ist die doppelte Angabe des l(iberto) in Z. 8 f. Womöglich hätte in Z. 9 col(liberto) stehen sollen. CIL VI pars 2, 9618 = ILS 7497: A(ulus) Fuficius A(uli) l(ibertus) Zethus | mellar(ius) a port(a) Trigem(ina) | Sulpicia P(ubli) l(iberta) Secunda | A(ulus) Fuficius A(uli) et Sulpiciae l(ibertus) | Primigenius v(ixit) a(nnos) XVII.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

Frau namens Leontia arbeitete als lagunaria an der Porta Trigemina, das heißt sie stellte Henkelflaschen (lagunae) her oder verkaufte sie.118 Ein librarius vor diesem Tor, Publius Cornelius Celadus, könnte ein Buchhändler, vielleicht aber auch ein Schreiber, Sekretär oder Buchhalter gewesen sein.119 An der Porta Fontinalis sind gleich drei Personen nachweisbar: der Sänftenträger (lecticarius) Lucius Poblicius Montanus,120 der Rechnungsführer (tabularius) Aulus Apidus Maior121 und der Schuhmacher (sutor) Caius Julius Helius.122 Fragmentarisch erhalten ist der Beleg für einen Obsthändler (pomarius) namens Publius Herennius, der ebenfalls an einem Stadttor tätig war.123 Es ergibt sich folgendes Bild: Der Goldschmied und der librarius waren in der Vorstadt außerhalb der Tore (extra porta) ansässig. Andere arbeiteten direkt an den Toren und bezeichnen sich dann in den Inschriften als an einem bestimmten Tor ansässig (ad porta) oder als von dort kommend (a/ab porta). Der Schumacher, der als Patron mehrerer Freigelassener kein armer Flickschuster gewesen sein kann, besaß ein zweifellos profitables Schuhgeschäft, das wohl in guter Verkehrslage ganz in der Nähe des Stadttors lag. Für den Obsthändler und die Flaschenmacherin wird man sich kleine Verkaufsstände bzw. eine Werkstatt am Stadttor denken können. Der Sänftenträger wartete mit seinen Kollegen124 gleich am Tor auf reiche Kunden, die aus ihren Reisewagen stiegen, wenn sie in die Stadt wollten. Auch der Honigverkäufer, den man sich wohl als fliegenden Händler vorzustellen hat, war hier unterwegs. Der tabularius war möglicherweise bei der Zollabfertigung am Stadteingang tätig. Interessant ist, daß diese Personen in ihrer Grabinschrift eben nicht nur ihren Beruf nennen, sondern auch den Ort ihrer Tätigkeit am oder hinter einem bestimmten Stadttor. Dies entspricht einer allgemeinen Gepflogenheit in Rom, 118 119

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124

CIL VI pars 2, 9488: Leontia) qu(a)e defun(c)ta est Idus Sept(embrius) | bene merenti in pace ad porta(m) Trige|mina(m) lagunara. CIL VI pars 2, 9515 = ILS 7751: P(ublius) Cornelius Celadus | librarius ab extr(a) porta | Trigemina vix(it) an(nos) XXVI. Claire Holleran will in ihm einen Verkäufer von Waagen sehen, was angesichts der vor der Porta Trigemina stattfindenden Handelsaktivitäten einige Plausibilität beanspruchen kann (H 2012, 55, Anm. 198, vgl. 80 mit Anm. 82). Der Ausdruck ab extra porta Trigemina verweist anscheinend auf das Gebiet, das sich zwischen dem Tor und dem Tiberufer erstreckte – den Bereich, in dem sich der Großhandelsmarkt, das Emporium und viele Lagerhäuser befanden. Diese Gegend nennen die antiken Quellen extra portam Trigeminam, vgl. die urbanistische Skizze bei É 1987. CIL VI pars 2, 9514 = CIL IX 407*7 : L(ucius) Poblicius | Montanus | [lecti]carius ab | [porta F]ontinal(is) | Safinia | Attice | uxor eius | vix(it) an(nos) XXIV. CIL VI pars 2, 9921: Dis Manibus | A(uli) Apidi | Mai{i}oris | tablari(i) | a porta | Fontinale. CIL VI pars 4 fasc. 2, 33914 = ILS 7544: D(is) M(anibus) | C(aius) Iulius Helius sutor a | porta Fontinale fecit sibi et | Iuliae Flaccillae fil(iae) et C(aio) Iulio | Onesimo liberto libertabusque | posterisque eorum. v(ivus) f(ecit). Im Giebelfeld der Stele sind zwei Füße abgebildet, der eine nackt und der andere in einem Stiefel steckend. CIL VI pars 2, 9823: P(ublius) Herennius [- - - ] | pomarius a po[rta] | Publilia Hespe[ria] | contubern[ali] | piissimo. Die Ergänzungen sind meine eigenen; CIL zufolge fehlen nach po[- - - ] tatsächlich nur drei Buchstaben. Demnach war das Tor wohl nicht näher spezifiziert. Zum Transport einer lectica brauchte man mindestens vier, besser sechs bis acht Träger.

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8.5 Berufsleben an den Toren Roms

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daß sich Händler innerhalb der Stadt verorten.125 So sind, um einige Beispiele zu nennen, ein Perlenhändler und ein Kranzverkäufer von der Via Sacra belegt,126 ein Sänftenfabrikant von der Cloaca Maxima127 oder der bereits bekannte Kleiderverkäufer am Hain der Libitina.128 Die näheren Ortsangaben waren bei einer Großstadt wie Rom wichtig, um eine Person zweifelsfrei zuordnen zu können, und dies ist sicherlich der Grund dafür, daß die genannten Grabinschriften auf Stadttore verweisen.129 Obsthändler etwa muß es in einer Stadt wie Rom in größerer Zahl gegeben haben, und mehrere einschlägige Inschriften sind auch erhalten.130 Während der bereits erwähnte pomarius Publius Herennius am Stadttor ansässig war, hatte sein Kollege Caius Julius Epaphra sein Geschäft oder seinen Verkaufsstand vor dem Schrein mit der kaiserlichen Ehrenloge am Circus Maximus,131 und Publius Corfidius Signinus betrieb den Obstladen an der Synagoge beim Agger.132 Durch solche Angaben konnte selbst ein Passant, dem der jeweilige Händler nicht namentlich oder gar persönlich bekannt war, die bestattete Person näher zuordnen. Bisweilen sind entsprechende Angaben dieser Art auch in kleineren Orten belegt. So kennen wir beispielsweise in Praeneste eine Samenhändlerin am Triumphtor.133 Unter Umständen ist die Ortsangabe in der Inschrift allerdings so weit gefaßt, daß sie für unsere Fragestellung nichts ergibt. Wenn beispielsweise ein Ausrufer oder Auktionsleiter (praeco), der Freigelassene Marcus Vibius Catinius Vibioninus, in seiner Grabinschrift angibt praeconi de region(e) port(ae) Capen(ae),134 so ist dies wohl nicht auf die unmittelbare Umgebung der Porta Capena zu beziehen,135 sondern ganz konkret auf die gleichnamige stadtrömische regio I, eben die regio portae Capenae, die ein sehr viel größeres Gebiet umfaßte. Auch einzelne vici Roms

125 126 127 128 129 130 131

132 133 134 135

Vgl. dazu MM 1974, 133 f.: „In describing themselves for posterity, people often specified both their craft and where in the city they practiced it.“ CIL VI pars 2, 9548: margaritar(ius) de sacra via. ILS 7617: coronar(ius) de sacra v(ia). CIL VI pars 2, 9385: faber lecticarius ab cloaca maxima. CIL I2 pars 2 fasc. 1, 1268 = CIL VI pars 2, 9974 = ILS 7574: vestiar(ius) ab luco L{u}bitina. In diesem Sinn vgl. auch MM 1974, 134. Zum Stadttor als Orientierungspunkt innerhalb der Stadt siehe unten, 260–263. Sie stammen freilich aus verschiedenen Kontexten. Man darf sich also nicht vorstellen, daß die Grabsteine in unmittelbarer Umgebung zueinander aufgestellt gewesen wären. CIL VI pars 2, 9822 = ILS 7496: pomar(ius) de circo maximo ante pulvinar(ium). Das Pulvinarium, ein Schrein mit Götterstatuen, von dem aus der Kaiser die Spiele verfolgte, befand sich auf der palatinwärts gelegenen Seite des Circus Maximus. Vgl. Aug. Res Gestae 19, wo die Errichtung des Baus erwähnt ist: Dort ist pulvinarium im Griechischen mit ναός übersetzt, was eine sakrale Bedeutung des Gebäudes impliziert und eine nicht religiös konnotierte Wiedergabe etwa als „Ehrenloge“ hier ausschließt (gegen S 2001). CIL VI pars 2, 9821 = ILS 7495 = AE 2010, 265: pomario de agger a proseucha. CIL XIV 2850: seminaria a porta triumphale. Zur Übersetzung als „Samenhändlerin“ bietet der Georges, s. v. s¯emin¯arius, eben diesen Beleg. CIL VI pars 1, 1956. Gegen H 2012, 89.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

wurden nach Stadttoren benannt, so der vicus portae Collinae, der vicus portae Rudusculanae und der vicus porta[e] Naevia[e].136 Daß die nähere Umgebung der Stadttore ein idealer Sitz für Händler, Handwerker und Transportdienstleister war, gilt für eine strukturell sehr ausdifferenzierte Großstadt wie Rom selbst vielleicht in ganz besonderem Maße. In anderen Städten des Imperiums ergibt sich aber kein grundsätzlich abweichendes Bild, auch wenn uns die epigraphischen Quellen nur punktuelle Einblicke gewähren.137 8.6 Eine Momentaufnahme an der Porta Capena in Rom Angesichts der großen Fülle unzusammenhängender Einzelbelege, die in den vorangehenden Abschnitten gesichtet und diskutiert wurden, soll abschließend das Deutungspotential eines zusammenhängenden literarischen Textes herangezogen werden, in dem schlagwortartig eine Szenerie am römischen Stadttor Capena entworfen wird, gewissermaßen eine Momentaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten dort. In einem spöttischen Epigramm bei Martial heißt es: 1

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Capena grandi porta qua pluit gutta Phrygiumque Matris Almo qua lavat ferrum, Horatiorum qua viret sacer campus et qua pusilli fervet Herculis fanum, Faustine, plena Bassus ibat in reda, omnis beati copias trahens ruris. illic videres frutice nobili caules et utrumque porrum sessilesque lactucas pigroque ventri non inutiles betas; illic coronam pinguibus gravem turdis leporemque laesum Gallici canis dente nondumque victa lacteum faba porcum. nec feriatus ibat ante carrucam, sed tuta faeno cursor ova portabat. urbem petebat Bassus? immo rus ibat.

„Dort, wo es von der Porta Capena in schweren Tropfen regnet,138 wo der Almo das phrygische Messer der Großen Mutter wäscht,139 wo die heilige Flur der 136

137

138 139

vicus portae Collinae: CIL VI pars 1, 450 = CIL VI pars 4 fasc. 2, 30768 = ILS 3618, vicus portae Rudusculanae und vicus porta[e] Naevia[e]: CIL VI pars 1, 975 = CIL VI pars 4 fasc. 2, 31218 = ILS 6073 = AE 2002, 181, Z. 51 und Z. 56. Siehe dazu die bereits erwähnten Inschriften ILS 7294 aus Forum Sempronii, CIL V pars 2, 5872 = ILS 7295 aus Mailand, AE 1987, 452 = AE 2010, 53 aus Verona, CIL X pars 1, 4660 aus Cales und CIL XIV 2850 aus Praeneste. Die Tropfen kommen von dem Aquädukt, einem Zweig der Aqua Marcia, der über das Stadttor geführt wurde. Anspielung auf Ov. fast. 4,342, siehe dazu unten, 321–323.

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8.6 Eine Momentaufnahme an der Porta Capena in Rom

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Horatier grünt, wo der Kultraum des kleinen Herkules von Menschen wimmelt,140 Faustinus, zog auf vollbeladenem Reisewagen Bassus dahin und nahm die ganze Fülle eines gesegneten Landgutes mit. Da konnte man prachtvolle Kohlköpfe sehen, zweierlei Lauch, niedrig gewachsenen Lattichsalat und rote Bete, die für den trägen Leib nützlich sind. Da war ein Kranz zu sehen, schwer von fetten Drosseln, ein Hase, den ein gallischer Jagdhund gerissen hatte, und ein Spanferkel, das noch keine Bohnen fressen konnte; auch ging der Läufer nicht müßig vor dem Wagen her, sondern trug vom Heu geschützte Eier. Zog Bassus nach Rom? Im Gegenteil, er ging aufs Land.“141 Das Epigramm evoziert eine scheinbar alltägliche Situation: Bassus ist mit seiner raeda, einem offenen zweiachsigen Wagen, unterwegs.142 Er transportiert eine Fülle ländlicher Lebensmittel. Jeder Leser wird vermuten, daß Bassus gerade mit den reichen Erträgen seines Landguts an der Porta Capena eintrifft, um nach Rom zurückzukehren. Diese Annahme greift Martial mit der Frage urbem petebat Bassus? explizit auf, um dann die überraschende Pointe zu bringen, daß Bassus im Gegenteil gerade im Begriff ist, aufs Land zu fahren (immo rus ibat). Mit diesem Wissen muß der Text nun freilich ganz anders gelesen werden: Anstatt von den Früchten seiner villa urbana zu leben, ist Bassus gezwungen, sich selbst dann, wenn er aufs Land fährt, reichlich mit Proviant einzudecken. Die prächtigen Kohlköpfe und Drosseln hat er in Rom für teures Geld gekauft. Sein Gut bringt keinerlei Ertrag – selbst die Eier muß er aus der Stadt dorthin mitbringen. Erst im letzten Vers wird klar, daß Bassus eine lächerliche Gestalt ist. (Als eine solche begegnet Bassus dem Leser in Ep. 3,58 erneut: Während andere in ihren kampanischen Landgütern üppige Ernten erwirtschaften, besitzt Bassus ein mondänes Anwesen sub urbe, in dem außer Lorbeerbäumen nichts gedeiht.) Der Dichter spielt hier mit Erwartungen. Üblich war natürlich der umgekehrte Vorgang: Die Lebensmittel wurden von den Landgütern in die Stadt gebracht, sei es für den Eigenbedarf oder zum Verkauf. An der bei Martial gleich eingangs genannten Porta Capena befanden sich, wie zu Beginn dieses Kapitels ausgeführt, Umschlagplätze für Waren aller Art, darunter ein Gemüsemarkt und ein Markt für Wollprodukte und Stoffe. Da seit der späten Republik in Rom tagsüber ein Fahrverbot für Lastwagen bestand,143 mußten große Wagen hier geparkt und Güter umgeladen werden, und ein Teil der Produkte wurde wohl auch gleich weiterverkauft, um die städtischen Einfuhrzölle zu umgehen.144 Durch die Ortsangabe im ersten Vers werden die Assoziationen, die sich in Martials Epigramm bei der Beschreibung des Wagens mit seinen schönen Gemüsesorten 140 141 142 143 144

Die genannten Orte liegen vor dem Tor an der Via Appia. Mart. Ep. 3,47 (Text und leicht modifizierte Übersetzung nach B/S 1999). Zum Wagentyp siehe unten, 228. Siehe unten, 219–227. Zum stadtrömischen Eingangszoll siehe oben, 179, bezüglich des Handels vor den römischen Toren 196 f.

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8 Handel, Wirtschaft und Gewerbe am Stadteingang

und Bratentieren einstellen, konkret mit der Porta Capena, dem Fuhrverkehr und den Märkten vor dem Tor verbunden, ohne daß die lokalen Gegebenheiten näher ausgeführt werden müßten. Ein stadtrömischer Rezipient, der das Stadttor und die erwähnten Orte an der Via Appia kannte, hatte zweifellos ein präzises Bild im Kopf, wenn er das Gedicht las, und konnte sich Bassus inmitten der glücklicheren Besitzer von Gütern und Gärten vorstellen, die an der Porta Capena ihre ländlichen Produkte abzuladen pflegten, um sie in die Stadt bringen zu lassen.

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Teil 3 Verkehrs- und Kommunikationswege am Stadteingang

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Um zu verstehen, wie Stadteingänge im Alltag benutzt wurden, ist die Frage nach Verkehrs- und Kommunikationswegen ganz zentral. Während im vorangegangenen Teil dieser Studie der Stadteingang als Zentrum eines Transitbereichs und somit als ein Ort betrachtet wurde, an dem bestimmte Aktivitäten angesiedelt waren, gilt das Interesse in diesem Teil dem Stadteingang als Begegnungsraum und der Bewegung von Fahrzeugen, Personen und Informationen durch diesen Raum hindurch – dem Verkehr also im wörtlichen Sinn von Austausch. In Kapitel 9 wird untersucht, inwiefern der Fuhrverkehr an den Zugängen der Städte kanalisiert oder reglementiert wurde. In diesem Rahmen werden Verkehrsregeln und -regelungen besprochen, die den Stadteingang betrafen. Dies gilt zum einen für die Frage nach innerstädtischen Fahrverboten, zum anderen für die Frage nach der Kanalisierung des Durchgangsverkehrs. Zunächst ist das angebliche Tagfahrverbot in Rom kritisch zu diskutieren, wobei sowohl die geltenden normativen Vorgaben als auch das praktizierte Verkehrsverhalten eruiert werden. Anschließend wird die Situation in den Städten Italiens und der Provinzen untersucht, wobei neben den üblicherweise diskutierten literarischen Quellen auch archäologische Befunde herangezogen werden, auf deren Grundlage sich klare Aussagen über die praktizierte Verkehrsregelung am Stadteingang treffen lassen. Anhand exemplarischer Fälle soll schließlich aufgezeigt werden, welche Lösungen die Städte für die Führung des Transitverkehrs fanden. Dabei wird deutlich, daß die stadtplanerischen Prioritäten sehr unterschiedlich gesetzt wurden. Abschließend wird eine Einschätzung zum Verkehrsaufkommen an den Zugängen der Städte gegeben. Kapitel 10 behandelt Raumorganisation und Kommunikation am Eingang der Stadt. Zunächst wird das Stadttor anhand eines netzwerktheoretischen Zugangs als Orientierungs- und Verbindungspunkt im Netz der städtischen Straßen beschrieben. Dabei kommt das dieser Studie zugrundeliegende Verständnis des Tors als Teil des Straßensystems zum Tragen. Es läßt sich anhand von literarischen Quellen aufzeigen, auf welche Weise sich die Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt ebenso wie Ortsfremde an Stadttoren orientierten, um ihren Weg zu finden. Das Problem des Sichzurechtfindens soll anschließend unter dem Gesichtspunkt der Effizienz betrachtet werden, indem danach gefragt wird, wie komplex sich innerstädtische Wege vom Stadteingang aus gestalteten: Die Straßenorganisation war darauf ausgelegt, daß alle wichtigen Orte innerhalb einer Stadt vom Stadttor aus möglichst einfach und intuitiv zu finden waren. Im Hinblick auf städtische Kommunikationsstrukturen wiederum kann der Stadteingang als ein Begegnungsraum definiert werden, der sich durch bestimmte Kommunikationsmodalitäten wie eine besonders hohe Aktivitäts- und Interaktionsdichte der Bevölkerung auszeichnete. Anhand einer großen Bandbreite von Quellen wird aufgezeigt, wie am Stadttor Informationen ausgetauscht und verteilt wurden. Einen in der Einleitung formulierten Ansatz aufgreifend, kann dabei die typische Kommunikationssituation am Tor einer römischen Stadt aus verschiedenen Perspektiven erhellt werden.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte Der antike Mensch war Fußgänger.1 Je nach Erfordernis und abhängig von seinem Status konnte er aber auch auf die Annehmlichkeiten eines Reittiers, einer Sänfte, eines Tragsessels oder eines Wagens zurückgreifen – Fortbewegungsmittel, die sich jederzeit mieten ließen, sofern man sie nicht selbst besaß.2 Der Warenverkehr wurde innerstädtisch in erster Linie durch Träger und Lasttiere erledigt, aber auch mit Sackkarren oder Handwagen und durch Fahrzeuge aller Art.3 Von Fällen höherer Gewalt wie Unfällen einmal abgesehen, waren die größten Hindernisse für den Verkehrsfluß neben Zollstationen die Stadttore.4 Im Verkehrssystem ummauerter Städte bildeten sie das buchstäbliche Nadelöhr, durch das es hindurchzukommen galt. Bautypen, die nur einen für Wagen geeigneten Durchgang aufwiesen,5 machten es überdies erforderlich, den Gegenverkehr abzuwarten, wie es sich noch heute überall dort beobachten läßt, wo antike oder mittelalterliche Tore in das Straßensystem integriert geblieben sind. Die zentrale Frage, um die Situation am Eingang einer römischen Stadt zu verstehen, ist jedoch die nach etwaigen Einschränkungen des Verkehrs in der Innenstadt. Mußten Transportfahrzeuge und Wagen zur Personenbeförderung vor der Stadt abgestellt werden, oder durften sie die Tore passieren? Antike Verkehrsregelungen wurden anscheinend nur in Ausnahmefällen schriftlich fixiert.6 Das Konzept und der Begriff »Verkehr« als solche existierten in römi1 2

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Eine lesenswerte Kulturgeschichte des Zufußgehens bei den Römern legt O’S 2011 vor. Zur Sänfte als Transportmittel siehe P S 1994, 31–34, zum Tragsessel 35 f., zu den verschiedenen Wagentypen 36–71. Was die Fortbewegung innerhalb der Stadt betrifft, ist außerdem an Flöße und Fähren zu denken, mit denen Flüsse überquert wurden. Zur generellen Bevorzugung von Trägern und Lasttieren gegenüber dem Fuhrtransport siehe L 1989, 206–209. Außerhalb der Städte wurden nach Möglichkeit die Binnen- und Seeschiffahrt genutzt (vgl. ebd., 206). Das hat  T 2007, 85–126 herausgearbeitet, vgl. auch  T 2019, 2 sowie L/E C/S 2011, 149. Wie in Kapitel 7 dieser Arbeit gezeigt werden konnte, wurden potentielle Wartezeiten noch dadurch erheblich verlängert, daß Zollbüros bevorzugt in oder direkt bei den Toren angelegt wurden. Dies waren Tore mit nur einem einzigen Durchlaß wie die meisten Stadttore der servianischen Mauern in Rom oder dreibögige Tore, bei denen nur der mittlere Durchgang groß genug für Fahrzeuge war, wie beim Herculaner Tor in Pompeji. Bei einem zweibögigen Tor wie der Porta Nigra in Trier dagegen konnte je Richtung eine eigene Fahrspur genutzt werden. Selten war die noch komfortablere Variante mit zwei Durchlässen für Fahrzeuge und zwei Durchgängen für Fußgänger wie bei den Toren von Autun oder Nîmes. Positiv belegbar sind solche Regelungen nur im Römischen Reich. Für die griechische Antike können wir juristische Eingriffe ins Verkehrsgeschehen, die über die reine Organisation des Straßenraums hinausgingen, nirgends fassen (vgl. Z 2002, 180–186). Ein „Bedürfnis

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

scher Zeit noch nicht,7 und so ist es wenig verwunderlich, daß es kein juristisches Regelwerk wie unsere heutige Straßenverkehrsordnung gab. Tatsächlich funktionierte der antike Verkehr in jeder Hinsicht anders als der moderne: „Normen, die den öffentlichen Verkehr betrafen, gingen faktisch von grundsätzlich langsamen Entscheidungssituationen aus, in denen das Gefahrenpotential des Verkehrs wenn nicht geringer, so doch wesentlich anders war als heute, ja mit dem Verkehr als solchem gar nichts zu tun haben mußte, sondern mit der grundsätzlichen Präsenz und dem normalen Zusammentreffen von Personen im öffentlichen Raum.“8 So waren beispielsweise Vorfahrtsregelungen aufgrund eines vergleichsweise geringen Verkehrsaufkommens bei niedriger Fahrtgeschwindigkeit schon rein logistisch selten notwendig, ergaben sich aber im Zweifelsfall aus dem sozio-politischen Status9 der Beteiligten. Von einer allgemeinen Verkehrsgesetzgebung kann mithin nicht die Rede sein,10 aber in bestimmten Fällen wurden rechtliche Bestimmungen getroffen, die das betrafen, was wir heute als Verkehr bezeichnen würden. Die bekannteste dieser Bestimmungen ist das angebliche Tagfahrverbot in der Stadt Rom, das für die Verkehrssituation an den Toren der Stadt von großer Bedeutung ist. In diesem Abschnitt schlage ich eine Neubewertung der einschlägigen Quellen zum stadtrömischen Verkehr vor. Bisher konzentriert sich das Forschungsinteresse darauf, die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen über ein (vermeintliches) Fahrverbot zu rekonstruieren. Dort, wo wir es mit normativen Texten zu tun haben, ist ein solcher Ansatz zweifellos sinnvoll. Was aber solche Texte betrifft, die im weitesten Sinn deskriptiven Charakters sind, kann die Festlegung auf Fragen zur rechtlichen Situation nur bedingt erhellend sein. Das verbreitete Verfahren, aus alltagsgeschichtlichen Quellen legislative Vorgaben ableiten zu wollen, die zu

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nach grundsätzlicher und allgemeinverbindlicher Klärung“ von Verkehrsproblemen entwickelten weder Griechen noch Römer (ebd., 201). S 2008, 165. Der Verfasser führt aus, daß das lateinische transitus dem deutschen Wort vielleicht nahekommt, aber stets eine ganz konkrete Ortsveränderung im Sinn von Gehen, Reiten oder Fahren meint und eben nicht in allgemeiner Weise Formen von Austausch und Umgang miteinander bezeichnen kann. E 2008, 59. Schräg erscheint daher der Ansatz von S 2017, 3, in möglichen innerorts geltenden Fahrverboten in erster Linie eine Maßnahme zur Geschwindigkeitsregulierung zu sehen. Man denke etwa an die rutenbündelbewehrten Liktoren, die die römischen Amtsträger begleiteten. Siehe dazu E 2008, 67–69, der verschiedene Konstellationen durchspielt, in denen der rechtliche, soziale oder politische Status einer Person Verkehrssituationen beeinflußte. Z 2002, 200 führt neben dem berühmten »Verkehrskonflikt« zwischen Ödipus und Laertes auch historische Belege an. Auf viele Verkehrsprobleme fanden rechtliche Bestimmungen Anwendung, die in ganz anderen Kontexten entstanden waren, wie die Lex Aquilia de damno iniuria dato (über rechtswidrig zugefügten Schaden) aus dem Jahr 286 v. Chr. (E 2008, 59 f.).

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9.1 Das angebliche Tagfahrverbot in Rom

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der dokumentierten Praxis geführt haben könnten, erscheint zudem methodisch fragwürdig. Niemand wird ja behaupten, daß das Vorliegen bestimmter Gesetze die einzig mögliche Erklärung für ein historisch nachweisbares menschliches Verhalten ist. Ich plädiere daher umgekehrt dafür, deskriptive Texte als das zu nehmen, was sie sind: Quellen zur empirischen Wirklichkeit und zum tatsächlich praktizierten Verhalten der Römer im Stadtverkehr. Dabei ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß sich schon in augusteischer Zeit feste literarische Topoi herausgebildet haben, um die einzigartige Verkehrssituation innerhalb der Hauptstadt zu charakterisieren. Ray Laurence hat in diesem Zusammenhang zurecht daran erinnert, daß die große Bevölkerungszahl Roms und die beispiellos weiten Entfernungen, die innerhalb der Stadt zurückzulegen waren, sich in besonderer Weise in den Quellen niederschlagen: „The combination of longer distances of urban travel with increasing congestion in the streets produced a literary topos of a Rome whose streets were at a standstill as its inhabitants [. . . ] battled to reach their destinations“.11 Mit entsprechender Sorgfalt und Umsicht sind die Quellen zu interpretieren. In einem ersten Schritt werde ich den zentralen Rechtstext diskutieren, um den juristischen Hintergrund der Situation zu erörtern. Davon ausgehend soll nun aber nicht untersucht werden, ob alle sonstigen Texte den normativen Befund stützen (oder wie sie gegebenenfalls zumindest mit diesem in Einklang zu bringen sind). Vielmehr ist in einem zweiten Schritt danach zu fragen, was wir über die in Rom geübte Verkehrspraxis erfahren können. Die Regelung des Verkehrs in Rom wird auf diese Weise aus zwei Perspektiven betrachtet: aus der der aktenkundigen gesetzlichen Sachlage, und aus der der empirischen Praxis. 9.1 Das angebliche Tagfahrverbot in Rom 9.1.1 Normative Grundlagen Bereits im vierten Jahrhundert v. Chr. soll es in der Stadt Rom verboten gewesen sein, im Wagen zu fahren. Ausnahmeregelungen galten für den Triumphator bei der pompa triumphalis sowie für einen Personenkreis, dem wiederum aus gesellschaftlichen oder kultischen Gründen das Reiten untersagt war, nämlich für die Matronen, die Vestalischen Jungfrauen und den Rex Sacrorum. Diese Gesetzgebung zielte jedoch nur auf die Personenbeförderung ab, nicht auf den Wagenverkehr als solchen, und war möglicherweise eher gesellschaftspolitisch als verkehrstechnisch begründet.12 Ein Tagfahrverbot in Rom wird erst für die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. diskutiert. Die wichtigste Quelle dafür ist die Tabula Heracleensis.13 Es 11 12 13

L 2013, 247. Siehe dazu E 2008, 61 f. mit einer Zusammenstellung der einschlägigen Quellen. CIL I1 260 = CIL I2 pars 2 fasc. 1, 593 = ILS 6085. Empfehlenswert ist die neuere Edition von C/N 1996, Nr. 24, mit einem ausführlichen Kommentar. Eine deutsche Übersetzung bietet F 1994, 75–85 (Nr. 41).

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

handelt sich dabei um eine Bronzetafel im Nationalmuseum von Neapel, die aus Herakleia in Lucanien stammt und auf der einen Seite das Ende einer Zusammenstellung lateinischer Gesetzestexte enthält, auf der anderen Seite ein Fragment einer griechischen Inschrift aus hellenistischer Zeit, zu der ein weiteres Fragment auf einer zweiten Tafel gehört.14 Die Interpretation der lateinischen Inschrift und die damit verbundene Frage, warum ein solcher Text in Herakleia öffentlich gemacht wurde, ist in vielen Punkten sehr umstritten.15 Die uns interessierende Passage (Z. 56–61) stammt aus dem zweiten Abschnitt (Z. 20–82), in dem es um Straßenreparaturen, Straßenbenutzung und die Nutzung des öffentlichen Raums in Rom16 geht. Dieser Abschnitt geht wohl auf eine Lex Julia des Jahres 45 v. Chr. zurück, eine Bestimmung Caesars, der möglicherweise ältere Regelungen zugrundelagen.17 Die Verordnung lautet folgendermaßen: quae viae in u(rbem) R(omam) sunt erunt intra ea loca, ubi continenti habetabetur18 , ne quis in ieis vieis post k(alendas) Ianuar(ias) | primas plostrum intediu post solem ortum neve ante horam X diei ducito agito, nisi quod aedium | sacrarum deorum inmortalium caussa aedificandaru operisve faciumdei causa advhei porta|ri oportebit, aut quod ex urbe exve ieis loceis earum rerum, quae publice demolienda loca erunt publi|ce exportarei oportebit, et quarum rerum caussa plostra h(ac) l(ege) certeis hominibus certeis de causeis agere | ducere licebit. „Auf den Straßen, die in der Stadt Rom innerhalb der geschlossenen Bebauung angelegt sind oder werden, soll ab den Kalenden des Januar niemand bei Tage nach Sonnenaufgang oder vor der zehnten Tagesstunde einen Lastwagen führen noch fahren lassen, es sei denn, daß die Zufuhr und der Transport erfolgen muß, um heilige Gebäude für die unsterblichen Götter zu erbauen oder um Arbeiten (an ihnen) durchzuführen, oder daß aus der Stadt oder aus den besagten Plätzen der Schutt von Anlagen, die im öffentlichen Interesse zum Abbruch ausgeschrieben werden, auch in öffentlichem Interesse fortgeschafft werden muß, und daß es dieser Umstände wegen bestimmten Personen aus bestimmten Gründen gemäß diesem Gesetz erlaubt ist, Lastwagen zu führen und zu fahren.“19

14 15 16

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Es handelt sich um die Inschrift IG XIV 645. Allein die detaillierte Bibliographie bei C/N 1996 umfaßt bereits zweieinhalb Seiten (355–357). Frühere Interpretatoren haben aufgrund des Fundorts der Tafel in Süditalien und der im Anschluß an unseren Textabschnitt aufgeführten Munizipialgesetze konjiziert, die Bestimmung sei nicht nur in Rom selbst, sondern in allen italischen municipia zur Anwendung gekommen. Wenn ich recht sehe, gilt diese These jedoch weithin als widerlegt. Unter den neueren Publikationen erwägen einzig  T 2007, 128–131 und E 2008, 61, daß in den Städten Italiens möglicherweise analoge Vorschriften galten. C/N 1996, 359–362. Für habitabitur. Z. 56–61, Text nach C/N 1996, Übersetzung modifiziert nach F 1994, 78.

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9.1 Das angebliche Tagfahrverbot in Rom

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Ausnahmen von der Regel werden also lediglich in zwei Fällen eingeräumt, nämlich im Zusammenhang mit dem Bau und der Instandhaltung von Tempeln sowie für das Abräumen von Schutt bei öffentlichen Bauvorhaben. Wie der Text weiterhin ausdrücklich festhält, werden in dem Gesetz, das er referiert, dagegen keine Ausnahmeregelungen getroffen für kultische Belange der Vestalinnen, des Rex Sacrorum und der Flamines, auch nicht für Triumphwagen und für Transporte im Zusammenhang mit öffentlichen Spielen (Z. 62–65), und schließlich außerdem nicht für Fahrzeuge, die leer oder mit Müll beladen die Stadt verließen (Z. 66 f.).20 Der Text wird gemeinhin als allgemeines Fahrverbot von Sonnenaufgang bis zur zehnten Stunde aufgefaßt, das (mit den benannten Ausnahmen) den privaten und gewerblichen Personen- und Warentransport mittels Fahrzeugen untersagt hätte.21 Der gesamte Fuhrverkehr in Rom wäre demnach, sofern er nicht mit öffentlichen Bauvorhaben in Zusammenhang stand, in den beiden letzten Abendstunden22 und bei Nacht23 abgewickelt worden. Zusammenfassend formuliert etwa Werner Eck: „Diese wohl unter Caesar getroffene gesetzliche Fixierung greift radikal in die Bewegungs- und vor allem Transportfreiheit innerhalb der Stadt [. . . ] ein.“24 Gegen eine solche Interpretation haben Simon Malmberg und Hans Bjur aber zurecht eingewandt, daß in der Regelung nur verboten wird, ein plostrum (Z. 57) zu führen oder zu fahren.25 Das Wort plostrum oder plaustrum bezeichnet nun 20

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25

Die Darstellungen bei S 1992, 188,  T 2007, 73 und E 2008, 62 f. lassen außer acht, daß zu diesen Punkten ausdrücklich keine Bestimmungen getroffen wurden (Z. 65 und 67): e(ius) h(ac) l(ege) n(ihilum) r(ogatur). Zur Frage, wie die nicht erwähnten Getreidelieferungen für die öffentlichen frumentationes bewerkstelligt wurden, siehe E 2008, 63 f. Etwa bei S 1992; P S 1994, 13 f.; S 1999; P 2000, 103; W 2001, 120 f., s. v. Fußgängerzone; K 2002, 422; Z 2002, 187–190;  T 2007, 128–131; E 2008; L 2013, 253–255. Die neben der Tabula Heracleensis in diesem Zusammenhang diskutierten einschlägigen Quellen sind zusammengestellt bei W 1921. Die Bestimmung galt bis zur zehnten der zwölf Stunden, in die der römische Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang eingeteilt war (die Dauer einer Stunde war jahreszeitlich bedingt unterschiedlich lang). Die beiden letzten Sonnenstunden des Tages waren daher von dem Verbot nicht betroffen. Die häufig als Belege angeführten Textstellen mit Klagen über nächtlichen Wagenlärm diskutiere ich unten, 227 f. E 2008, 62 f. Der weitgehend einhelligen Forschungsmeinung folgend beziehen sich auch populäre Darstellungen auf ein vermeintliches Fahrverbot in Rom, etwa René Goscinny und Albert Uderzo im Asterix-Band „Les lauriers de César“, S. 5. Ein weiteres Beispiel bietet der sehr kundige Artikel des Journalisten Andreas Austilat, der einige Tage vor Einführung des ersten Feinstaub-Fahrverbots in Berlin im Tagesspiegel erschien und ausführlich auf die Verkehrssituation im antiken Rom einging. So heißt es etwa im Vorspann mit Bezug auf möglicherweise bevorstehende Diesel-Fahrverbote in deutschen Städten: „Da war man vor 2 000 Jahren viel radikaler: 45 vor Christus erklärte Julius Cäsar Rom tagsüber zur wagenfreien Zone . . . “ (online abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/geschichte/verkehr-fahrverbot-im-altenrom/1129938.html, erschienen am 30.12.2007, letzter Aufruf am 10.3.2020). M/B 2011, 370; zustimmend W-H 2021, 235 f. In diesem Sinne bereits auch, ohne nähere Begründung oder Auseinandersetzung mit der Forschungsdiskussion, A/B 1993, 417 f. Das Argument, mit dem Klaus Zimmermann eine solche Lesart

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

Abbildung 9.1: Ein von Ochsen gezogenes plostrum mit einem Aufsatz zum Transport von Dung. Zeichnung nach einem römischen Relief.

aber nicht einen beliebigen Wagen, sondern ganz konkret einen ein- oder meist zweiachsigen Schwerlastkarren mit dicken Scheibenrädern, der in der Regel von Ochsen26 gezogen wurde. Die Ladung lag auf einer hölzernen Tragfläche und wurde bei Bedarf durch seitlich aufgerichtete Bretter oder Aufsätze fixiert, wie Abb. 9.1 veranschaulicht.27

26 27

von vornherein ausschließen will, leuchtet mir nicht ein: Da auch die von Caesars Regelung ausdrücklich ausgenommenen Triumphwagen als plostra bezeichnet würden, so Zimmermann, ließe sich der Begriff hier eben nicht im engeren Sinn als terminus technicus für einen Lastwagen auffassen (Z 2002, 187, Anm. 39). Abgesehen davon, daß das Gesetz wie erwähnt für die Triumphzüge ja ausdrücklich keine Bestimmung traf, ist dagegen einzuwenden, daß das Wort plostrum an dieser Stelle mit Sicherheit nicht den Wagen des Triumphators bezeichnen soll (vgl. die belegten Verwendungen im einschlägigen ThLL-Artikel, R 2005). Es ist vielmehr ganz klar auf andere Wagen zu beziehen, welche zur Logistik des Triumphzugs notwendig waren. Die Formulierung der Tabula Heracleensis lautet quaeque plostra triumphi caussa, quo die quisque triumphait, ducei oportebit (Z. 63); das heißt, es geht um Transportfahrzeuge, „die wegen eines Triumphes an dem Tag, an dem jemand triumphiert, gefahren werden müssen“, nicht um den Triumphwagen selbst. In der Tabula Heracleensis ist an eine alternative Bespannung mit Ochsen oder Maultieren gedacht (Z. 66): bubus iumenteisve iuncta. Zum Fahrzeugtyp siehe P S 1994, 61–64; vgl. auch R 2005 sowie die präzise Darstellung zur Terminologie der verschiedenen in römischer Zeit gebräuchlichen Transportfahrzeuge bei G 2010, 80–82. Nach wie vor instruktiv ist das erstmals 1817 erschienene, reich bebilderte Werk des königlich-bayerischen Wagenbauinspektors Johann Christian Grinzrot (Nachdruck G 1981).

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9.1 Das angebliche Tagfahrverbot in Rom

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Solche plostra waren im Stadtverkehr nicht nur unpraktisch, sondern auch sprichwörtlich gefährlich, da ein schwer beladener Wagen, der auf einer der steilen und rutschigen28 römischen Straßen außer Kontrolle geriet, eine Gefahr für Leib und Leben darstellte. Das belegen juristische Fälle, in denen es um tödlich verlaufene Unfälle geht.29 Eindringlich schildert auch Juvenal die Nöte eines Fußgängers, der im allgemeinen Gewimmel der Passanten und Sänften auf der Straße von allen Seiten Stöße und Tritte zu gewärtigen hat und sich zu diesem Übel auch noch vor großen plostra mit gefährlich ausschwenkender Ladung in acht nehmen muß.30 Der Sprecher imaginiert, wie ein Wagen unter der Last schwerer Blöcke aus Carrara-Marmor zusammenbricht und die Nächststehenden in einer gräßlichen Szene unter sich zermalmt.31 Auch wenn man den Text nicht als eine sachliche Dokumentation der Zustände auf den römischen Straßen lesen wird,32 macht er anschaulich, daß sich der Transport sperriger und schwerer Baumaterialien per plostrum – wie in Abb. 9.2 auf S. 224 dargestellt – als ausgesprochen schwierig erweisen konnte, zumal bei dichtem Verkehr und großem Fußgängeraufkommen.33 Die These, daß ein Tagfahrverbot in Rom nur ganz spezielle Fälle betroffen haben kann, läßt sich auch im Hinblick auf die Rahmenbedingungen eines nächtlichen Fuhrverkehrs stützen: Die Straßen Roms waren bis ins dritte Jahrhundert34 in der Nacht unbeleuchtet, nur zu bestimmten festlichen Anlässen wurden brennende Lampen über den Haustüren aufgehängt.35 Daß unter diesen Umständen der gewerbliche und private Güter- und Reiseverkehr von ganz Rom ausschließlich 28 29

30 31 32

33 34 35

Zum schlechten Zustand der anscheinend meist nassen und mit einer Schicht von Unrat bedeckten Straßen in Rom siehe L 2013, 249–252. So der Fall eines plostrum, das auf dem Anstieg zum Kapitol rückwärts ins Rollen geriet; es fuhr auf den folgenden Lastwagen auf und setzte diesen hügelabwärts in Bewegung, wobei ein Sklave zu Tode kam. Diskussion und Quellenbelege, auch für weitere Fälle, bei E 2008, 60 f. und M/B 2011, 369 f. Juv. 3,239–267. Die Fuhrwerke sind mit langen Baumstämmen beladen (254–256): longa coruscat | serraco veniente abies, atque altera pinum | plaustra vehunt. Ebd., 257–261. Gegen S 1992, 187 bzw. 189, der die Stelle, wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, als »Bericht« eines »Zeitzeugen« behandelt. Weiterführend sei etwa auf die Analyse von S 2000, 212–221 verwiesen, die zeigt, daß die in Rede stehende Straßenszene mit einem Katalog verschiedener Todesarten dem Vorbild epischer Kampfschilderungen folgt: „Die Beschreibung der im dichten Straßengewühl vorwärtseilenden Klienten, die von allen Seiten bedrängt werden, ist nach dem Modell der epischen Schilderung eines Nahkampfes gestaltet“ (212). Die Marmorblöcke, die von dem zusammengebrochenen Fahrzeug herunterstürzen, verweisen „auf eine in den Kämpfen der Ilias und Aeneis geschilderte Kampfart, und zwar auf den Versuch, den Gegner durch das Schleudern eines mächtigen Felsblocks hinzustrecken“ (215), wie Schmitz anhand enger Übereinstimmungen im Vokabular demonstriert. Kolb resümiert lakonisch: „Anscheinend eigneten sich manche römischen Straßen nicht zu gemütlichen Spaziergängen“ (K 2002, 422). Für die Regierungszeit des Gallus erwähnt Ammian eine nächtliche Straßenbeleuchtung in Rom, deren Helligkeit dem Tageslicht kaum nachgestanden habe (Amm. XIV 1,9). K 2011, 39. Belege zur Straßenbeleuchtung im spätantiken Antiocheia und Ephesos sind bei Z 2002, 187 f., Anm. 40 zusammengetragen, zur nächtlichen Beleuchtung in Ephesos siehe darüber hinaus H 2008, 53–55 und F 1999.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

Abbildung 9.2: Rekonstruktionszeichnung: Ein mit einem monumentalen Marmorblock beladenes plostrum mit Scheibenrädern. Bei anderen Modellen wurde die Ladung formschlüssig durch Rungen oder Bordwände gesichert.

in den beiden letzten Stunden des Nachmittags und in der Nacht stattgefunden hätte, erscheint wenig plausibel. Dem Interpretationsansatz von Malmberg und Bjur zufolge konnten Güter, die auf plostra angeliefert wurden, auf leichtere Fahrzeuge umgepackt und auf diesen in die Stadt gebracht werden.36 (Gerade für monumentale Marmorblöcke galt das natürlich nicht, aber Materialtransporte für öffentliche oder kaiserliche Bauvorhaben waren von dem Verbot ohnehin ausgenommen.) Die Autoren verweisen darauf, daß ein prinzipielles Fahrverbot auch gar nicht umsetzbar gewesen wäre,37 da sich die Regelung nicht nur auf die Stadt innerhalb der Mauern bezieht, sondern auf das gesamte städtische Gebiet mit durchgängiger Besiedlung (ubi continenti habetabetur, Z. 56).38 Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen, denn wie hätte man in den Vorstädten den Fuhrverkehr auf den zahlreichen Zugangsstraßen kontrollieren können? Malmberg und Bjur übersehen freilich, daß sich die Frage nach der Kontrolle und damit der Durchsetzbarkeit des Gesetzes auch dann stellt, wenn man mit ihnen davon ausgeht, daß es ausschließlich den Lastverkehr betraf. Die von Werner Eck vorgetragene These, daß möglicherweise die soziale Kontrolle

36 37

38

M/B 2011, 370 f. Deutlich optimistischer S 1992, der von einem kompletten Fahrverbot ausgeht und meint, „daß aufgrund der monokratischen Herrschaftsverhältnisse in Rom Eingriffe in den Stadtverkehr relativ einfach zu bewerkstelligen waren“ (194): „Entscheidungen mußten nicht lange diskutiert werden“ (193). M/B 2011, 370. Die Herausgeber der Inschrift weisen im Kommentar zur Stelle darauf hin, daß hier möglicherweise der Zusatz propiusve urbem Romam passus mille ausgefallen ist, da die übliche Referenzgröße in Gesetzestexten „eine Meile über die Bebauungsgrenze hinaus“ lautet, so auch an anderer Stelle in der vorliegenden Inschrift, Z. 20 (C/N 1996, 382).

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9.1 Das angebliche Tagfahrverbot in Rom

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durch die Öffentlichkeit bereits ausreichte, um Fahrverbote durchzusetzen,39 ist für den innerstädtischen Personenverkehr der römischen Oberschicht überzeugend, nicht aber, was den auswärtigen Reise- und Lieferverkehr in einer Millionenstadt betrifft. Dazu einige weiterführende Überlegungen, für die die stadtrömische Topographie zu berücksichtigen ist. Obwohl Rom bereits im ersten Jahrhundert v. Chr. über seine Mauern hinausgewachsen war, blieben die Reste dieser Mauern, wie wir bereits gesehen haben, für verschiedene Belange maßgeblich. Der republikanische Agger bildete weiterhin eine Verkehrsgrenze,40 und die 22 unter Augustus erweiterten Tore stellten nach wie vor die Hauptverkehrswege in die Innenstadt dar;41 dementsprechend wurde auch die Torgeldzahlung für die Stadt Rom bis ins Jahr 73/74 dort erhoben.42 Bereits in augusteischer Zeit war jedoch mit der Erbauung neuer stadttorähnlicher Bögen an drei stark frequentierten Straßen die Möglichkeit geschaffen worden, zumindest an diesen Punkten den Zugangsverkehr schon weit vor den servianischen Mauern zu kontrollieren. Die Viae Flaminia, Tiburtina und Praenestina erhielten neue Eingänge, die den Beginn des bebauten Stadtbereichs markierten.43 An diesen Hauptachsen konnte der von Norden und Osten eintreffende Lastverkehr nun schon im Gebiet der Neustadt effektiver reglementiert werden, was insbesondere für die Viae Tiburtina und Praenestina von Bedeutung war, die in den dicht bebauten und sehr belebten Altstadtbereich der Subura mündeten. In dieser Zeit ist es freilich noch gut vorstellbar, daß manch übereifriger Führer eines plostrum entgegen den Bestimmungen der Lex Julia die ganze Neustadt unbehelligt passieren konnte und erst an den Stadttoren angehalten wurde,44 wo er sich ohnedies einer Zollkontrolle unterziehen mußte.45 Ja, aus praktischen Erwägungen heraus erscheint es sogar plausibel, daß das Umpacken von Waren auf wendige Einachser, auf Handkarren, Lasttiere und Träger noch im ersten Jahrhundert an keinem anderen Ort stattgefunden haben wird als vor den Toren der servianischen Mauern, und daß sich auch die Lastwagenführer, die den späten Nachmittag abwarteten, um mit dem plostrum in die Stadt gelassen zu werden, schon in der Nähe der Stadttore aufhielten. Daß die ganze dafür notwendige Infrastruktur – Wendemöglichkeiten, Parkplätze, Ställe, Tiertränken, Mietwagenstände, Wirtshäu39 40 41 42 43 44

45

E 2008, 64 f. M/B 2011, 365. Ebd., 372.374; L 2013, 248. Dazu oben, 179. Vgl. C-S 2004, 41. Daß er dort ungehindert hätte passieren können, wie Malmberg und Bjur implizieren, erscheint mir kaum denkbar: „And if you really wanted to drive a plostrum inside the walls of Rome in daytime, who was to stop you? Today, the Via del Corso in Rome is both within the Zona a Traffico Limitato (ZTL) and a pedestrian street, but still contains an amazing amount of traffic“ (M/B 2011, 371 f.). Hier wird die Analogie zu modernen Verhältnissen überstrapaziert; ein plostrum ist kein motorino, das überall einen Durchschlupf findet. Dies galt bis in vespasianische Zeit, siehe dazu die noch folgenden Ausführungen.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

ser46 – jeweils flexibel mit der Bebauungsgrenze am Rand der wachsenden Stadt umgezogen sei, ist dagegen schwer vorstellbar.47 Im Jahr 73/74 wurde die neue Zollgrenze, die auch die Neustadt umfaßte, mit 37 Toren markiert,48 und es ist anzunehmen, daß Fahrverbote von nun an bereits an den Zolltoren kontrolliert und durchgesetzt wurden. Die Beschränkung des Fuhrverkehrs wäre demnach ab vespasianischer Zeit eine mehrstufige gewesen: Bereits an den neuen Zolltoren konnte der gewerbliche und private Schwerlastverkehr einfach und effizient aus dem Stadtgebiet ferngehalten werden. Kleinere und wendige Fahrzeuge, mit denen sich die Neustadt noch gut passieren ließ und die innerhalb der neustädtischen continentia zum Transport benutzt werden durften, waren spätestens in den engen und steilen Gassen des alten römischen Stadtkerns wohl nur in wenigen Fällen von Nutzen und konnten vor den Toren des servianischen Mauerrings abgestellt werden, wo eine entsprechende Infrastruktur wie beschrieben vorhanden war. Damit läßt sich also festhalten, daß in Rom seit Caesar privater und gewerblicher Schwerlastverkehr, sprich das Fahren oder Führen von plostra, zwischen der ersten und zehnten Stunde verboten war. Zu bedenken ist dabei freilich, daß der Bezeichnung eines Fahrzeugs als plostrum sicherlich keine trennscharfe Terminologie im Sinn einer heutigen EU-Richtlinie zugrundeliegt.49 Entscheidend war vermutlich im Einzelfall weniger der konkrete Fahrzeugtyp als Größe, Gewicht, Sperrigkeit und Ladung des Wagens. Von einer „drastischen Lösung, Rom tagsüber zu einer fahrzeugfreien Zone zu machen“,50 kann aber in keinem Fall die Rede sein. Caesars Regelung scheint die ersten beiden Jahrhunderte der Kaiserzeit, vielleicht sogar bis ins vierte Jahrhundert hinein in Kraft geblieben zu sein.51 Möglicherweise wurde sie durch Bestimmungen zur Einschränkung des innerstädtischen Reitverkehrs ergänzt.52 Wie zu Beginn dieses Kapitels dargelegt, sollen nun weitere Quellen zur Sache besprochen werden, aus denen sich Erkenntnisse über das in Rom praktizierte 46 47 48 49 50 51

52

Daß diese Infrastruktur vor den alten Stadttoren Roms vorhanden war, wurde bereits in Kapitel 8 aufgezeigt, siehe vor allem 201–203. Gegen E 2008, 64, der annimmt, daß sich außerhalb der kontinuierlichen Wohnbebauung Halteplätze entwickelt haben müssen, wo Fahrzeuge auf die Öffnung der Straßen warten konnten. Zur Einrichtung der Zollgrenze, die im wesentlichen dem späteren Verlauf der aurelianischen Mauern entsprach, siehe oben, 179. Zimmermanns Frage nach „zulässige[n] Höchstlasten aus Sicherheitsgründen“ scheint denn auch zu viel zu erwarten (Z 2002, 199, Anm. 121). S 1992, 193. E 2008, 65–67. Der Historia Augusta zufolge (HA Hadr. 22,6) hätte Hadrian die Bestimmungen der Lex Julia verschärft, indem er ein generelles Verbot für Schwerlasttransporte in Rom erließ (wie auch immer man sich dessen Handhabung im einzelnen vorzustellen hätte). Am Anfang des dritten Jahrhunderts ist das Fahren von Privatpersonen in der Stadt nach mehreren Quellen nicht ungewöhnlich, so die Einschätzung von W 1921, 24 (Stellenbelege ebd.). Siehe im einzelnen W 1921, 24, wo entsprechende Initiativen unter Claudius, Hadrian und Marc Aurel besprochen werden, und Z 2002, 188 f., sowie skeptisch E 2008, 65 f.

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9.1 Das angebliche Tagfahrverbot in Rom

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Verkehrsverhalten ableiten lassen. Dieses Vorgehen muß nicht geradezu einen Gegensatz zwischen normativer und empirischer Ebene implizieren, aber ich denke, daß es nur zu einem differenzierten Urteil beitragen kann, wenn wir davon ausgehen, daß beides nicht zwingend deckungsgleich war. 9.1.2 Praktiziertes Verkehrsverhalten Wenn wir nunmehr das praktizierte Verkehrsverhalten in den Blick nehmen, so ist grundsätzlich zunächst unstrittig, daß das Verkehrsaufkommen in Rom beispiellos gewesen sein muß.53 Mit entsprechenden Unannehmlichkeiten war zu rechnen; der Stadt Rom wird in den kaiserzeitlichen Quellen ein unerträglicher Lärmpegel zugeschrieben.54 Im Zusammenhang mit der Frage des angeblichen Tagfahrverbots wird auch in der modernen Forschung stets auf die Klage über nächtlichen Wagenlärm in Rom verwiesen.55 So heißt es bei Juvenal, daß das „Vorbeirollen der Wagen in den engen Windungen der Straßen und die Flüche bei der stehengebliebenen Viehherde“ selbst hartnäckigste Schläfer um den Schlaf bringen.56 Ebendiese Zustände setzt ex negativo schon Martial voraus, wenn er die Vorzüge einer Villa schildert, die zwar den Blick auf den Reiseverkehr der Viae Flaminia und Salaria freigibt, die aber weit genug von diesen entfernt liegt, so daß kein störendes Geräusch den Weg zum Ohr des Schlafenden findet.57 Meiner Ansicht nach sind die beiden Textstellen ganz unabhängig von der Frage nach einem allgemeinen Verkehrsverbot am Tag zu diskutieren (für das sich letztendlich weder bei Juvenal noch bei Martial klare Anhaltspunkte finden lassen). Wenn man stattdessen fragt, was sich für das Thema Stadtverkehr an Erkenntnissen gewinnen läßt, so doch auf jeden Fall erstens, daß in Rom auch nachts mit einem gewissen Verkehrsaufkommen zu rechnen war, und zweitens, daß die Klage über den damit verbundenen Lärm jedem Einwohner der Stadt geläufig sein mußte – wenngleich das Problem in erster Linie die Bewohner der dichtbesiedelten Gegenden und hier vor allem die Anwohner der großen Zufahrtsstraßen betroffen haben wird. Dabei ist vor allem an die Subura und Transtiberim zu denken.58 53 54 55 56

57

58

Siehe dazu den eigenen Abschnitt 9.4 unten. Vgl. L 2013, 247. Etwa bei S 1999 oder Z 2002, 188. Juv. 3,236–238: raedarum transitus arto | vicorum in flexu et stantis convicia mandrae | eripient somnum Druso vitulisque marinis. (Text und Übersetzung A 1993.) Selbst ein Drusus – gemeint ist „der wegen seiner Neigung zum Einschlafen bekannte Kaiser Claudius“ – hätte demnach in Rom keine Chance gehabt, Schlaf zu finden (Zitat und Erläuterung A 1993, 341, inhaltlich übereinstimmend B 2004, 186). Mart. Ep. 4,64, V. 18–20: illinc Flaminiae Salariaeque | gestator patet essedo tacente, | ne blando rota sit molesta somno. Auch die Boote auf dem Tiber ziehen in wohltuender Distanz lautlos vorbei (21–24). Andere Teile der Innenstadt wurden im Lauf des ersten Jahrhunderts zu »verkehrsberuhigten« Räumen umgestaltet, besonders im Bereich der Foren und des Capitols, oder es waren von jeher privilegierte Wohngegenden, wenn wir an den Quirinal, Palatin oder Caelius denken. Vgl. diesbezüglich auch E 2008, 64: „Nicht zu vergessen ist auch, daß diejenigen, die wirklich

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Tatsächlich ist ja die Perspektive des Sprechers bei Juvenal die eines mittellosen Bürgers, der den Zuständen der Subura entfliehen will; mit den Erfahrungen, die man in nobleren Wohnvierteln machte, hat sie ersichtlich nichts zu tun.59 Die Rahmenhandlung der dritten Juvenal-Satire60 bietet darüber hinaus eine weitere für diese Diskussion zentrale Textstelle, deren Interpretation einigermaßen kompliziert ist. Die von Juvenal geschilderte Situation ist folgende: Umbricius, der aus Rom fortzieht, wartet mit seinem Freund zusammen an der Porta Capena darauf, daß sein ärmlicher Hausrat auf einen Reisewagen geladen wird (V. 10). Fast alle Kommentatoren der Stelle verweisen auf das vermeintliche Tagfahrverbot als den lebensweltlichen Hintergrund der Szene.61 Damit wäre eine eindrucksvolle Übereinstimmung zwischen Satire 3 und dem Gesetzestext erzielt. Doch mit diesem Ansatz finden wir in Satire 3 nur bestätigt, was wir bereits aus der Tabula Heracleensis wissen. Bei einer kritischen zweiten Lektüre ergeben sich zudem gleich drei Unstimmigkeiten zwischen dem, was aufgrund der Gesetzeslage zu erwarten wäre, und dem, was Juvenal schildert: Erstens handelt es sich bei dem fraglichen Gefährt nicht um ein plostrum, zweitens steht der Mann am falschen Tor, und drittens stimmt der Zeitpunkt seiner Abreise nicht mit dem durch das Gesetz festgelegten Zeitrahmen überein. Zum ersten Punkt ist zu bemerken, daß nicht von einem plostrum die Rede ist, sondern von einer raeda (V. 10), einem leichten zweiachsigen Reisewagen ohne Federung,62 der, wie ganz am Ende der Satire zu erfahren ist, von einem Maultiergespann gezogen wird (V. 316). Inwiefern Juvenal das Wort raeda im Sinne eines terminus technicus gebraucht, wird sich nicht klar entscheiden lassen;

59

60 61

62

Einfluß hatten, vor allem Senatoren und hohe Ritter, ohnehin zumeist so wohnten, daß sie von den Unannehmlichkeiten weniger getroffen wurden.“ Dazu A 1972, 7–9: Diese Perspektive des armen Römers ist in der Rede des Umbricius bei Juvenal konsequent durchgehalten, wobei mehrfach ausgedrückt wird, daß Reiche in Rom vortrefflich leben können. Den einleitenden Abschnitt der Satire, aus dem im folgenden ein Vers herausgegriffen wird, habe ich oben, 20–22, zitiert und ausführlich diskutiert. Unter den neueren Kommentaren ist M 2011 der einzige, in dem es nicht erwähnt wird. – Um einige Beispiele anzuführen: „Wagons were not allowed in the city by day; so Umbricius’ effects were to be taken to the gate and loaded there“ (R/C 1977, 50). „raeda: a four-wheeled wagon, waiting at the city-gate for the goods to be brought down by hand, since wheeled traffic [. . . ] was not allowed within the city in daylight“ (F 1979, 136). „The van stood here, outside the city wall, because with few exceptions [. . . ] vehicular traffic was forbidden in Rome during the hours of daylight“ (R/B 1991, 154). „Der Karren für den bescheidenen Hausrat wartet vor dem Tor, da während des Tages private Lastwagen die Straßen der Stadt nicht befahren durften“ (A 1993, 335). „In Rome traffic was heavily restricted during the day, so Umbricius’ possessions have to be carried to the gate and loaded there“ (B 2004, 167). Die Traditionslinie läßt sich bis zu Friedländers Juvenalkommentar zurückverfolgen: „Die reda [. . . ] wird von Umbricius und den Seinigen erst am Thor bestiegen (und auch das Gepäck hier aufgeladen), weil in der Stadt während des grössten Theils des Tages Wagen nicht fahren durften“ (F 1895, 190). Zu diesem Fahrzeugtyp siehe P S 1994, 58–61. Die raeda war der im Schnellverkehr des cursus publicus am häufigsten genutzte Wagen (ebd., 58).

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in jedem Fall aber hat man sich ein wendiges und leichtes Fahrzeug vorzustellen und keinen Lastwagen.63 Gravierender ist der zweite Punkt: Obgleich fast alle Kommentatoren der Stelle auf das Tagfahrverbot eingehen, hat keiner von ihnen bemerkt, daß die Porta Capena jedenfalls nicht der Ort ist, an dem Umbricius dem Gesetz zufolge auf die Abreise warten müßte. Im Gegenteil postulieren sie übereinstimmend, daß Umbricius eben aufgrund der Verkehrsbestimmungen dort stehe, wo er steht.64 Das jedoch ist ein Irrtum. Caesars Regelung galt, und das ist in der Forschung absolut unstrittig, mit dem Beginn der durchgehenden Bebauung (oder möglicherweise noch eine Meile darüber hinaus). Da diese Bebauung an der Via Appia bereits weit über den alten servianischen Mauerring hinausreichte, wäre jemand, der seinen Wagen beladen ließ, weit vor der Porta Capena zu plazieren gewesen, vermutlich mindestens am Tor der vespasianischen Zollgrenze. Umbricius befindet sich aber nun einmal inmitten der bebauten Wohnfläche. Damit verbietet sich eine Auslegung im Sinn der caesarischen Verkehrsregelung.65 Drittens ist schließlich zu bemerken, daß Umbricius, wie ganz am Ende der Satire zu erfahren ist, erst spät aufbrechen wird, als sich die Sonne bereits neigt (sol inclinat, V. 316). Das ist nun – leider – keine Uhrzeitangabe. Es könnte entweder gemeint sein, daß die Sonne ihren höchsten Punkt bereits überschritten hat (in diesem Fall wäre es kurz nach Mittag), oder daß sie sich bereits dem Untergang nähert (dann hätten wir uns hier die letzte, zwölfte Tagesstunde vorzustellen). Im einen Fall wäre das Tagfahrverbot noch wirksam und eine gesetzeskonforme Abreise, wie die Kommentare sie für Umbricius in Anspruch nehmen wollen, gar nicht möglich, da die Porta Capena innerhalb des bebauten Gebiets lag. Im anderen Fall wäre das Fahrverbot bereits seit knapp zwei Stunden gegenstandslos und damit ebenfalls keine schlüssige Erklärung für den späten Zeitpunkt der Abfahrt. Die späte Abreise, sei es nach Mittag oder gar erst gegen Abend, erscheint also in jedem Fall erklärungsbedürftig, zumal angesichts dessen, daß der Mann eine weite mehrtägige Reise vor sich hat; er will ja nach Cumae umsiedeln (V. 4 f.). Auf diesen Umstand geht als einziger bereits Georg Wissowa ein, der die scharfsinnige Erklärung bietet, daß Umbricius vor dem Stadttor nicht darauf wartet, daß der bereitstehende Wagen beladen wird, sondern darauf, daß der bereits fertig bepackte Wagen aus der Stadt kommt.66 Das eingangs erwähnte Beladen des Fahrzeugs würde dann nicht, wie zumindest ich mir beim ersten Lesen intuitiv vorgestellt 63

64 65

66

Das Problem des Wagentyps stellt sich freilich nicht, wenn man von einem allgemeinen Fahrverbot für Wagen aller Art ausgeht, wie es die in Anm. 61 aufgeführten Kommentare bis auf A 1993 tun. Siehe dazu die Zusammenstellung oben in Anm. 61. Mit dieser Auffassung richte ich mich auch dezidiert gegen Versuche, die Passage im Zirkelschluß als Beleg dafür heranzuziehen, daß das Gesetz tagsüber jede Art privaten Fuhrverkehrs untersagt hätte (so etwa E 2008, 64). W 1921, 23. Wissowas Interpretation ist übrigens auch im Hinblick auf die Plazierung des Umbricius an der Porta Capena in sich stimmig: Da Wissowa anders als die oben zitierten Kommentare davon ausgeht, daß der Wagen nicht am Tor beladen wird, sondern in der abendlichen

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habe, vor den Augen der Protagonisten am Stadttor stattfinden,67 sondern, unter logistischen Gesichtspunkten sicherlich einleuchtend, direkt vor seiner Wohnung. Vorausgesetzt, daß es sich bei Juvenals Rahmenhandlung um ein lebensweltlich glaubwürdiges Szenario handeln soll, bleibt meines Erachtens nur, an Wissowa anzuknüpfen (dessen Bemerkung in der aktuellen Diskussion nirgends rezipiert worden ist68 ). Umbricius läßt seinen Wagen erst am Nachmittag kommen, um den schlimmsten Tagesverkehr zu vermeiden. Er selbst ist schon einmal mit seinem Freund bis an das alte Stadttor vorausgegangen, wo er auf die Abreise wartet. Daß wir ihn gerade dort antreffen und nicht an irgendeinem anderen Punkt der Straße, ist daher keineswegs eine Frage der Verkehrsgesetzgebung, sondern eine in erster Linie innerliterarisch begründete Entscheidung. Ausgehend von der Porta Capena kann Juvenal ein Panorama mythologischer, historischer, aktueller und intertextueller Bezüge entfalten.69 Darüber hinaus ist das alte Tor als liminaler Ort aufzufassen,70 der das Verlassen der Stadt und den Umbricius bevorstehenden Übergang in ein neues Lebensumfeld versinnbildlicht. Meine Interpretation der Textstelle steht im Einklang mit der Situation, wie sie etwa hundert Jahre später in einer Bemerkung bei Galen vorausgesetzt wird. Dort wird ein Platz in Rom erwähnt, an dem man üblicherweise sein Fahrzeug verließ, wenn man von außerhalb in die Stadt kam. Galen berichtet vom Fall eines frisch geheilten Patienten, der seinem Patron vorführen will, daß er genesen ist, und diesen daher schon am Parkplatz erwartet. Im Wortlaut heißt es: κατὰ δὲ τὴν ἑξῆς ἡµέραν ἕωθεν ἀπαντήσας τῷ πλουσίῳ κατά τι χωρίον ἔνθα τῶν ὀχηµάτων ἀποβαίνειν εἰσὶν εἰθισµένοι [. . . ].

„Früh am nächsten Morgen ging er, um den reichen Mann zu treffen, hinunter zu einem gewissen Platz, an dem sie aus ihren Wagen zu steigen pflegten.“71 Der Patron trifft wie erwartet dort ein und kann sich sogleich vom hervorragenden Gesundheitzustand des Patienten überzeugen. Galens Patient weiß, daß der Reiche frühmorgens am besagten Platz anzutreffen ist, da dieser, wie einleitend erzählt worden war, ἐν προαστείῳ τῆς ῾Ρωµαίων πόλε-

67 68 69

70 71

Schlußszene abreisefertig aus der Stadt kommt, gibt es keinen zwingenden Grund, Umbricius außerhalb der städtischen Bebauung warten zu lassen. So auch die einstimmige Annahme aller oben in Anm. 61 auf S. 228 aufgeführten Kommentare, siehe die Zitate dort. Und dies, obwohl sich sowohl S 1992 als auch Z 2002 maßgeblich auf Wissowas Materialsammlung stützen. Hier nur einige Beispiele (eingehender oben, 20–22). Mythologisch: Egeria, historisch-legendär: Numa, aktuell: Juden und Ausländerproblematik, intertextuell: Martials Verhandlung einer ganz anderen Stadt/Land-Frage an der Porta Capena in Ep. 3,47 (zu diesem Epigramm siehe oben, 212–214). Zur besonderen Bedeutung gerade dieses Stadttors für die Inszenierung von Übergangssituationen siehe unten, 318 und 323. Gal. XI 301 K (De curandi ratione per venae sectionem). Eigene Übersetzung.

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9.1 Das angebliche Tagfahrverbot in Rom

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ως lebt, im suburbium Roms.72 Der Mann kommt also in aller Frühe aus einer vorstädtischen Villa gefahren, um in Rom seinen Geschäften nachzugehen, und verläßt an einem bestimmten Platz in der Neustadt seinen Wagen. Die Rede ist wohlgemerkt nicht von einem plostrum, das als reines Lastenfahrzeug für einen distinguierten Herrn selbstredend kein passendes Fortbewegungsmittel gewesen wäre; ὄχηµα meint im engeren Sinn einen von einem Maultiergespann gezogenen Wagen.73 Nachdem wir uns bei Galens Schrift zur Venensektion jedoch ohnedies fast zweieinhalb Jahrhunderte nach Caesar befinden, wäre es müßig, die Textstelle zur Interpretation von Caesars Gesetz heranzuziehen. Interessant ist Galens Bemerkung vielmehr in bezug auf das Verkehrsverhalten des Patrons: Wenn die reichen Leute aus dem suburbium ihre Wagen nicht aufgrund rechtlicher Bestimmungen verließen, dann doch vermutlich deshalb, weil es unter Umständen im römischen Innenstadtverkehr ohnedies praktischer war, per Sänfte unterwegs zu sein. Unabhängig davon, wie die gesetzliche Regelung des Fuhrverkehrs am Ende des zweiten Jahrhunderts im Detail aussah, läßt sich also festhalten, daß es üblich war, sein Fahrzeug auf einem Parkplatz abzustellen,74 um den Weg in die Stadt zweckmäßigerweise anderweitig fortzusetzen. Dabei ist selbstredend nicht an einen einzigen zentralen Sammelplatz zu denken, sondern an geeignete Plätze an allen großen Straßen, die nach Rom führten. Es steht zu vermuten, daß sich solche Plätze vor den Resten der servianischen Mauern und deren Toren befunden haben, womöglich sogar noch vor den Zolltoren aus vespasianischer Zeit. Ohne daß wir näheres über das Procedere an diesen Toren wüßten, muß es doch jedenfalls sehr viel schneller gegangen sein, sie zu Fuß zu passieren als im Wagen. In der Stadt selbst war man zu Fuß oder in der Sänfte ohnedies schneller und flexibler unterwegs.

9.1.3 Ergebnisse Zumindest in den dicht besiedelten Gegenden Roms wie der Subura und Transtiberim muß es auf den Straßen tags wie nachts vergleichsweise betriebsam zugegangen sein. Das innerstädtische Verkehrsaufkommen in Rom war beispiellos. Keine andere römische Stadt hatte eine vergleichbare Bevölkerungszahl, und nirgends sonst waren innerhalb eines Ortes so weite Strecken zurückzulegen wie in Rom. Verkehrsbeschränkungen galten in Rom nur für Schwerlastwagen, so daß es nach Rechtslage Privatleuten und Händlern möglich war, sich in der Innenstadt eines Fahrzeugs von moderaten Ausmaßen zu bedienen. Freilich tat man gut daran, erst am späteren Nachmittag zu fahren, wenn der Fußgängerstrom langsam nachließ. Die Mitglieder der Elite waren um diese Zeit bereits zum Essen zuhause bzw. 72 73 74

Ebd., § 299 K. LSJ, S. 1280, s. v. ὄχηµα. Zu den stadtrömischen Plätzen, die als Park- und Wendemöglichkeit gedient haben könnten, siehe oben, 202.

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anderswo zu Gast.75 In der Regel pflegte man seinen Wagen daher an bestimmten Plätzen vor der Stadt zu verlassen (vermutlich ab vespasianischer Zeit im Gebiet vor den neuen Zolltoren). Für die stadtrömischen Tore ergibt sich daraus, daß es sich um höchst betriebsame Orte gehandelt haben muß. Im römischen Straßensystem, das ohnedies nicht auf intensiven Fuhrverkehr ausgerichtet war, stellten sie ein weiteres Hindernis dar. Die Verkehrsdichte war sicherlich in der Nähe der Tore besonders hoch, wo Fahrzeuge aller Art ankamen und abfuhren, wo Zugtiere eingespannt und Waren umgeladen werden mußten. Damit waren Verkehr und Mobilität im kaiserzeitlichen Rom anscheinend vergleichsweise stark von Einschränkungen betroffen, die sich aus den gesetzlichen Verkehrsregelungen, aber auch aus den infrastrukturellen Gegebenheiten und der logistischen Notwendigkeit ergaben. Schaut man sich im Vergleich beispielsweise das vorrömische Griechenland an, so versuchte man dort zwar in manchen Poleis, den Verkehrsfluß durch urbanistische Maßnahmen und Gesetze zur Freihaltung der Straßen zu optimieren, aber Eingriffe in den tatsächlichen Verkehr durch Verordnungen oder bedarfsabhängige Regelungen gab es anscheinend nicht.76 Die Enge der Straßen in älteren griechischen Stadtanlagen beschränkte den Wagenverkehr von vornherein weitestgehend auf einige Hauptverkehrswege, und Bergstädte wie Priene blieben ganz dem Fußgänger- und Lasttierverkehr vorbehalten.77 Auch in der Kaiserzeit scheint der Regulierungsbedarf in anderen Städten nicht so groß gewesen zu sein wie in Rom selbst. Mit der Verkehrsregelung in den italischen Städten und der Provinz wird sich der folgende Abschnitt ausführlicher beschäftigen. 9.2 Lokale Verkehrsregelung in den Städten des Römischen Reichs Inwieweit andere Städte der Kaiserzeit den Verkehr in ähnlicher Weise organisierten wie Rom selbst, ist im einzelnen umstritten und im ganzen noch unklar, da reichsweite Bestimmungen nur für Spezialfälle greifbar sind. So waren beispielsweise die kaiserlichen legati proconsulis der Historia Augusta zufolge in den Städten ihrer Provinzen grundsätzlich zu Fuß unterwegs, bis sich während der africanischen Statthalterschaft des späteren Kaisers Septimius Severus im Jahr 173/174 auf offener Straße ein Übergriff ereignete, in dessen Folge die bis dahin gültige Praxis geändert wurde.78 75 76 77 78

Vgl. L 2013, 253. So das Ergebnis der Untersuchung von Z 2002, hier 186. Ebd., 199. Der Statthalter war auf der Straße von einem plebeischen Landsmann aus Leptis Magna umarmt worden, obwohl die Fascien vor ihm hergetragen wurden; der überschwengliche Kompatriot wurde von Severus hart bestraft (HA Sept. Sev. 2,6). Von da an fuhren die Legaten im Wagen: ex quo factum, ut in vehiculo etiam legati sederent, qui ante pedibus ambulabant (§ 2,7, Text M 1953). – Auf die komplizierten Sonderregelungen für die innerstädtische Fortbewegung

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9.2 Lokale Verkehrsregelung in den Städten des Römischen Reichs

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Wie in diesem Abschnitt aufgezeigt werden soll, wird man angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen in den Städten des Reichs von einer Vielzahl lokaler Lösungen für innerstädtische Verkehrsprobleme ausgehen müssen. Ich folge damit der Vorannahme Werner Ecks, wonach nicht nur die gesellschaftliche Struktur, sondern auch die konkreten topographischen und städtebaulichen Umstände die örtlichen Regeln für Mobilität beeinflussen.79 9.2.1 Literarische Quellen Die bisher für die Forschungsdiskussion maßgeblichen Textstellen sollen zunächst in chronologischer Reihenfolge besprochen werden. In bezug auf Italien ist zunächst ein vielzitierter Satz bei Sueton zu diskutieren, demzufolge ein Edikt des Claudius es Reisenden untersagte, die italischen Städte anders als zu Fuß, im Tragsessel oder in der Sänfte zu durchqueren: viatores ne per Italiae oppida nisi aut pedibus aut sella aut lectica transirent, monuit edicto.80 Dies wird in der Regel dahingehend interpretiert, Claudius habe – nach dem Vorbild Roms – ein flächendeckendes Tagfahrverbot für die Städte in Italien eingeführt.81 Von einem generellen Verbot kann freilich nicht die Rede sein, da sich der Erlaß Sueton zufolge nur auf viatores bezog und somit die Stadtbewohner selbst ebenso wie die Bevölkerung des Umlands davon nicht betroffen waren. Auch richtete sich die Bestimmung nicht gegen jene Reisenden, die sich längere Zeit am Ort aufhielten, sondern nur gegen solche, die die Stadt auf ihrem Reiseweg passierten (transirent). Es war demzufolge der Durchgangsverkehr, der mit einer Einschränkung belegt wurde. Meines Erachtens ist die Bestimmung außerdem nicht in erster Linie als ein Fahrverbot, sondern vielmehr als ein Reitverbot aufzufassen, dessen Umsetzung man sich wohl dahingehend vorstellen können wird, daß durchreisende Personen ihre Reit-, Last- oder Zugtiere in der Stadt am Zügel führen sollten. Die Maßnahme könnte darauf abgezielt haben, auf engen Straßen, die nicht über räumlich getrennte Bürgersteige verfügten, die Sicherheit für die Fußgänger zu erhöhen. Über den Betrieb von Fahrzeugen wird nichts gesagt. Die Tatsache, daß laut vorbeirollende Reisewagen für Seneca zur nie enden wollenden Geräuschkulisse seines Studierzimmers in Baiae gehörten,82 legt jedoch die Vermutung nahe, daß jedenfalls im neronischen Baiae Fahrzeuge ohne größere Einschränkungen verkehren konnten. Insofern spricht alles für die Annahme, daß zu dieser Zeit keine anderslautende Regelung zum Mitsichführen von Wagen in Kraft war. Mit der bei Sueton überlieferten Gesetzeslage war Fuhrverkehr zum Transport von

79 80 81 82

bestimmter Magistrate (Material bei B 1991) gehe ich im folgenden nicht näher ein, da jene zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen und deshalb für die Verkehrssituation am Stadteingang ohne größere Bedeutung sind. E 2008, 59. Suet. Claud. 25,2 (Text M 2014). Siehe beispielsweise G 1995, 40, Anm. 26, oder G 2008, 147. Noch weiter geht S 2017, 3: „It meant that no carts were to be driven inside the city for private use“. Sen. epist. 56,4: essedas transcurrentes.

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Nahrungsmitteln, Marktwaren, Baumaterial und dergleichen jedenfalls ebensowenig sanktioniert wie der private Verkehr der Anwohner, die etwa Güter von ihren Gärten in die Stadt brachten oder verreisen wollten. Der nächste einschlägige Beleg gehört ins zweite Jahrhundert. Philostrat berichtet vom exzentrischen Auftreten des Sophisten Hadrianos aus Tyros, der als Inhaber des kaiserlichen Lehrstuhls in Athen in den 170er Jahren damit von sich reden machte, daß er teure Kleider trug, sich mit erlesenen Gemmen behängte und in einem Wagen mit silberbeschlagenem Zaumzeug zu seinen Vorlesungen zu fahren pflegte.83 Die Extravaganz dieses Aufzugs lag jedoch vielleicht mehr im Silberschmuck als in der Tatsache, daß Hadrianos innerhalb der Stadt den Wagen benutzte.84 Aus der knappen Schilderung geht jedenfalls nicht klar hervor, ob es zu dieser Zeit in Athen an sich üblich war, mit dem Fahrzeug unterwegs zu sein, oder eben nicht. Schwer einzuschätzen ist auch der Wert einer erklärenden Zeile in der Historia Augusta, es habe seinerzeit im syrischen Antiocheia für großen Unmut gesorgt, wenn jemand in der Stadt ein Fahrzeug benutzte. Mitte des dritten Jahrhunderts nämlich habe es der nachmalige Kaiser Aurelian trotz einer schweren Verletzung nicht gewagt, im Wagen in Antiocheia einzufahren, sondern sich auf ein Pferd gemüht, quia invidiosum tunc erat vehiculis in civitate uti („weil es damals Haß erregte, Fahrzeuge in der Stadt zu benutzen“).85 Der im Stellenkommentar von David Magie86 hergestellte Zusammenhang mit der Nachricht, Marc Aurel habe in allen Städten des Reichs das Reiten und Wagenfahren verboten,87 kann jedenfalls wenig zur Erklärung beitragen, da sich Aurelian in Antiocheia auf der sicheren Seite glaubte, sobald er aus dem Wagen aus- und auf das Pferd umgestiegen war. Ob ein entsprechendes reichsweites Verbot jemals existiert hat, erscheint mir ohnedies sehr zweifelhaft. In der apodiktischen Formulierung der Historia Augusta88 kann es jedenfalls nicht praktiziert worden sein. Soweit die einschlägigen Stellen. Ergänzen lassen sich drei weitere im Zuge der Recherchen zu der hier vorgelegten Studie zutagegeförderte literarische Belege, die die Verkehrssituation in Smyrna an der kleinasiatischen Westküste und in einer ungenannten Stadt in Palästina beleuchten. Die drei in diesen Quellen geschilderten Situationen setzen voraus, daß das Führen von Wagen in der jeweiligen Stadt auch innerorts gestattet war.

83 84 85 86 87 88

Philostr. soph. 2,10,2 (587). Bezüglich der möglichen Existenz einer Gesetzgebung zur Silberausstattung von Fahrzeugen siehe E 2008, 66. HA Aurelian. 5,4 (Text P 1996, eigene Übersetzung). M 1953, Band 3, 200. HA Aur. 23,8. Ebd.: idem Marcus sederi in civitatibus vetuit in equis sive vehiculis (Text M 1953).

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9.2 Lokale Verkehrsregelung in den Städten des Römischen Reichs

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Für Symrna läßt sich auf eine Bemerkung in den Hieroi Logoi des Aelius Aristides rekurrieren.89 Aristides berichtet, wie im Jahr 165 eine Seuche90 den Vorort von Smyrna ergreift, in dem sein Sommerhaus liegt (§ 38). Mensch und Vieh erkranken, und er selbst wird von den Ärzten bereits aufgegeben (§ 39), als ein Traumgesicht, in dem die Göttin Athene an sein Bett tritt, ihm neuen Mut verleiht (§§ 40–42). Eine erste Wendung zum Besseren tritt ein, und Aristides, der immerhin wieder einigermaßen reisefähig ist, läßt sich zur weiteren Pflege in sein Stadthaus bringen. Immer noch fiebernd, wird er in einem geschlossenen langen Wagen nach Smyrna gefahren (§ 43).91 Es deutet nichts darauf hin, daß es sich bei dieser Fahrt um eine Sonderregelung für Krankentransporte gehandelt hätte – auch wenn Aristides den kurzen Weg von der Vorstadt normalerweise sicherlich zu Fuß gemacht hätte (wie es beispielsweise in §§ 18–20 für den umgekehrten Weg, aus der Stadt heraus, vorausgesetzt ist). Die Besonderheit der Situation besteht lediglich darin, daß der Patient offenbar nur im Liegen transportiert werden kann, weshalb auf die spezielle Form des Fahrzeugs (ὀχήµατος καταστέγου καὶ µακροῦ) verwiesen wird. Bei anderer Gelegenheit einige Wochen später92 läßt Aristides die Wagen für eine Fernreise erst beschaffen, nachdem er die Innenstadt von Smyrna bereits zu Fuß verlassen hat. Da die Bereitstellung der Fahrzeuge einige Zeit in Anspruch nimmt, verbringen er und seine Begleiter die Zeit der größten Mittagshitze in seinem uns bereits bekannten Sommerhaus in der Vorstadt (ἐν τῷ προαστίῳ), ehe sie nach Pergamon aufbrechen.93 Diese Passage ist mit Sicherheit nicht in dem Sinne zu deuten, es habe in Smyrna so etwas wie ein Tagfahrverbot gegeben. In diesem Fall hätte jeder Reisende doch soweit vorgesorgt, zunächst einmal die Fahrzeuge herrichten zu lassen und erst anschließend selbst zum Stadttor zu kommen, anstatt einen ganzen Tag wartend in der Vorstadt zu verbringen. Nein, Aristides bricht deshalb so unvorbereitet auf, weil der Gott Asklepios ihm die sofortige Abreise befohlen hat: καὶ ὁ θεὸς σηµαίνει ἔξοδον ἐν Σµύρνῃ ὄντι τὸν χρόνον τοῦτον, καὶ ἔδει ἐξιέναι αὐτίκα· καὶ ἐξῄειµεν τὴν ἐπὶ Περγάµου. ἐν ὅσῳ δὲ ὀχήµατα ἐπορίζετο, καὶ δὴ µε89 90

91

92

93

Aristid. Or. 48,38–45 (= Hieroi Logoi 2,38–45). Es handelte sich um die nach der Zerstörung von Seleukeia am Tigris im ganzen Reich eingeschleppte Seuche, an der auch Galen erkrankte und die von ihm mehrfach beschrieben wird (vgl. den Stellenkommentar bei S 1986, 52, Anm. 73). ἔπειτ’ ἐκοµίσθην εἰς τὴν πόλιν ἐπ’ ὀχήµατος καταστέγου καὶ µακροῦ. „Dann wurde ich in die Stadt gebracht in einem gedeckten und langen Wagen“. (Text K 1958, Übersetzung S 1986, 54.) Schröder setzt die folgende Episode ebenfalls in das Jahr 165, als Aristides die besagte Epidemie überstanden hatte (S 1986, 123, Anm. 1). Wie aus dem Text hervorgeht, ist immer noch Sommer. Aristid. Or. 51,1 f. (= Hieroi Logoi 5,1 f.). Sie reisen dann übrigens zu Fuß; Aristides schickt die Gepäckfahrzeuge bis Myrina voraus (siehe §§ 3–6).

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σηµβρία τε προσῄει καὶ καῦµα ᾔρετο λαµπρόν. ἔδοξεν οὖν ἡµῖν ἐν τῷ προαστίῳ διατρίψαντας αὐτὴν τὴν ἀκµὴν οὕτως περαίνειν.

„Da zeigte mir der Gott, als ich zu dieser Zeit in Smyrna war, Abreise an, und ich mußte sofort aufbrechen. Wir verließen die Stadt und machten uns auf den Weg nach Pergamon. Während die Wagen beschafft wurden, kam der Mittag heran, die Sonne strahlte, und es entstand eine Gluthitze. Wir beschlossen also, in der Vorstadt zu warten und so den eigentlichen Höhepunkt vorübergehen zu lassen.“94 Mit dem sofortigen Verlassen seiner innerstädtischen domus, noch ehe das Gepäck vorbereitet ist, will Aristides offenbar der göttlichen Weisung unmittelbar nachkommen. Der Aufbruch aus Smyrna gestaltet sich also nicht deshalb so kompliziert, weil strikte Verkehrsregeln eine effiziente Logistik erschweren würden, sondern weil Aristides so überstürzt abreist. Eine dritte Quelle verweist schlaglichtartig auf eine vergleichbare Ausgangslage in Palästina: der im Talmud diskutierte Fall eines Nachbarn, der den lieben langen Tag Kamele95 und Wagen durch die gemeinsam genutzte Gasse führt.96 Hier geht es um die Feststellung, daß ein nichtjüdischer Nachbar, sofern er ausschließlich seinen eigenen Hofeingang benutzt, eine von Juden bewohnte Durchgangsgasse nicht rituell verunreinigt – selbst dann nicht, wenn er den ganzen Tag Kamele und Wagen hindurchführt. Ein solches Verhalten wäre also die Konstruktion eines Extremfalls, der aber voraussetzt, daß Wagen tagsüber selbst durch enge Gassen fahren durften. Das Szenario als solches muß den Bewohnern der Städte im Osten demzufolge vertraut gewesen sein. Wenn sich die verstreuten Belege mitunter schon als einzelne Quellen einer eindeutigen Auslegung verweigern, so läßt sich ein kohärentes Gesamttableau auf dieser Grundlage nicht rekonstruieren.97 Als Zwischenbilanz ist festzuhalten, daß der Durchreiseverkehr wie in den italischen Städten mit Restriktionen belegt sein konnte; daß es Orte wie die Großstadt Antiocheia gab, in denen Fuhrverkehr zeitweise nicht gestattet, nicht üblich oder nicht erwünscht war; und daß in anderen Städten wie in Smyrna offenbar keine Beschränkungen für den Wagenverkehr galten.

94 95 96 97

§§ 1 f. (Text K 1958, Übersetzung S 1986, 123.) Zum Kamel als Transportmittel in römischer Zeit siehe G 2010, 83–88. Talmud bErub 67a. Gegen Zimmermann, der ausgehend von HA Sept. Sev. 2,7 und Aurelian. 5,4 einen „Ausnahmecharakter des Wagenfahrens im griechischen Osten“ postuliert (Z 2002, 199, Anm. 119), was der dünne und chronologisch weit gestreute Befund meines Erachtens nicht ansatzweise hergibt.

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9.2.2 Archäologische Befunde Es gehört zu den Merkwürdigkeiten einer sich teils seit über einem Jahrhundert im Kreis drehenden philologisch-althistorischen Diskussion,98 daß die zahllosen archäologischen Einzeluntersuchungen, die zu den Städten des Imperium vorliegen, bisher nicht größere Berücksichtigung gefunden haben. Dabei lassen sich anhand dieser Untersuchungen für einige Städte durchaus klare Aussagen über die praktizierte Verkehrsregelung gewinnen, die in der Gesamtschau weiterreichende Rückschlüsse zulassen. Es soll an dieser Stelle genügen, vier instruktive Beispiele herauszugreifen. Für Pompeji hat Eric E. Poehler anhand einer akribischen Untersuchung der seitlichen Abriebspuren an Bord- und Trittsteinen nachweisen können, daß es dort im ersten Jahrhundert ein geregeltes Verkehrssystem gegeben haben muß, welches anscheinend auch konsequent umgesetzt wurde.99 Es galt grundsätzlich das Prinzip des Rechtsverkehrs.100 Die meisten Straßen von Pompeji – in der von Poehler untersuchten Regio VI ganze 66 Prozent – waren aber so schmal, daß zwei Fuhrwerke nicht aneinander vorüberkommen konnten. Sie wurden als Einbahnstraßen benutzt, also ausschließlich in eine festgelegte Richtung befahren.101 Daneben gab es auch Straßen und Straßenabschnitte, die für den Fuhrverkehr komplett gesperrt waren.102 So war die Via dell’Abbondanza von den Stabianer Thermen bis zum Forum eine reine Fußgängerzone, während im befahrbaren östlichen Abschnitt derselben Straße reger Fuhrverkehr herrschte.103 Eine weitere Studie Poehlers widmete sich der Frage nach Parkkapazitäten und Ställen in Pompeji. Mehrere größere Privathaushalte im gesamten Stadtgebiet verfügten über eigene Ställe, nur wenige wie die Casa del Menandro auch über eigene Parkmöglichkeiten.104 Die meisten Auffahrrampen, über welche Fahrzeuge den Straßenraum verlassen konnten, um abgestellt zu werden, gehörten zu Gasthäusern.105 Diese Beobachtung läßt den Schluß zu, daß die meisten Haushalte in Pompeji durch Träger und Lasttiere

98 99

100 101

102 103 104 105

Siehe dazu schon oben, 228–230. P 2006, vgl. jetzt auch P 2017, 102–188. Ebd., 189–215, verfolgt Poehler anschaulich den Weg eines fiktiven Wagenführers durch die Stadt. Zum Verkehr in Pompeji siehe ferner W-H 2021. P 2006, 58. Ebd., 72–74. Einbahnstraßen können in Italien auch in Rom, Minturnae, Alba Fucens und Paestum nachgewiesen werden (P 2017, 221–227). Eine Auseinandersetzung mit Poehlers Überlegungen zur Umsetzung des Einbahnverkehrs bietet W-H 2021. P 2006, 72 f. Zu Verkehrsbeschränkungen in Pompeji siehe auch schon G 1995, 65–70. Siehe dazu G 2008, 146: Bezeichnenderweise wurden im östlichen Straßenverlauf ganze 20 Tavernen nachgewiesen, im westlichen, verkehrsberuhigten Abschnitt dagegen keine einzige. In dem Anwesen wurden auch die Überreste eines Wagens gefunden (P 2011, 206 f.). In bezug auf die Verteilung von Ställen ebd., 203. Ebd., 197.

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mit allem versorgt wurden, was sie zum täglichen Leben benötigten.106 Die sehr zahlreichen Parkmöglichkeiten in der Nähe der Stadttore verweisen darauf, daß Fahrzeuge bevorzugt unmittelbar nach der Ankunft in der Stadt abgestellt wurden; Poehler stellt fest, daß hinter vier der insgesamt sieben Tore von Pompeji gleich der erste Hofeingang mit einer Fahrrampe versehen war.107 Demnach war Wagenverkehr in Pompeji generell – wenngleich nicht überall – erlaubt und wurde präzise geregelt. Während ankommende Reisende darauf vertrauen konnten, gleich hinter den Stadttoren Gasthäuser mit Parkmöglichkeiten vorzufinden, bevorzugten es die meisten Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, notwendige Transporte durch Sklaven oder Packtiere ausführen zu lassen. Das Beispiel der hispanischen Stadt Neapolis in der Tarraconensis macht anschaulich, wie sehr historisch gewachsene urbanistische Gegebenheiten die Verkehrsbedingungen beeinflußten. Neapolis bildete gemeinsam mit der römischen Neugründung Emporiae in der Kaiserzeit eine Dipolis.108 Das Straßennetz von Neapolis war vorrömisch und von seiner Anlage her nicht sonderlich verkehrsfördernd. Die schmalen, steilen und verwinkelten Gassen waren teils gesperrt, teils ließen sie gar keinen Fuhrverkehr zu und teils nur Verkehr in eine Richtung. Da wichtige Orte innerhalb der Stadt nur durch einen einzigen Straßenzugang erreichbar waren, kann es sich bei diesen Straßen aber, anders als in Pompeji, nicht um Einbahnstraßen gehandelt haben. Der Verkehr wurde anscheinend dahingehend geregelt, daß jedem Fuhrwerk jemand vorausgehen mußte, um nachzusehen, ob der Weg frei war, so daß die Straße wechselseitig genutzt werden konnte.109 Die Agora als zentraler Straßenknotenpunkt hatte offenbar ebenso wie eine weitere kleine Platzanlage im Süden unter anderem die Funktion, den Wagen, die auf freie Durchfahrt warteten, eine Haltemöglichkeit zu bieten.110 Am Südtor, Richtung Emporiae, sind die gefundenen Wagenspuren nur 1 bis 1,20 Meter breit, was den Schluß nahelegt, daß hier nur Eselskarren, aber keine größeren Ochsengespanne fahren konnten.111 Es ergibt sich das Bild einer Stadt, in der die vorrömische Bebauung und Straßenführung die Möglichkeiten des Fuhrverkehrs von vornherein stark einschränkte. Da es unter diesen Umständen schon bei einem mäßigen Verkehrsaufkommen mit mehreren einander entgegenkommenden Wagen zu Problemen kommen mußte, ist 106 107 108

109 110 111

Ebd., 204. Die Bedeutung von Maultieren für den innerstädtischen Warenverkehr von Pompeji haben zuletzt auch H 2021 und W-H 2021 wieder betont. P 2011, 201–204. Zum Straßensystem von Neapolis und Emporiae siehe K 2011, 170–194. Die Anlage der Dipolis wird bei Livius beschrieben (Liv. XXXIV 9,1–3, zu den Stadttoren 9,8–10): Sie bestand aus zwei Städten, die durch eine Mauer voneinander getrennt waren (iam tunc Emporiae duo oppida erant muro divisa). Die Neapolis war von Griechen bewohnt, die römische Gründung von Hispaniern und, seit Caesar, von römischen Veteranen. K 2011, 187 f. Ebd., 188: „The quiet dignity of the forum at Pompeii created through the exclusion of carts would not have been possible in Neapolis’ agora.“ Ebd., 187.

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davon auszugehen, daß Fuhrwerke bevorzugt schon am Stadteingang von Neapolis, also noch vor den Toren, abgestellt und entladen bzw. beladen wurden. Daß dies nicht in erster Linie durch das Gelände, sondern kulturell bedingt und damit eine bewußte stadtplanerische Entscheidung war, zeigt der Vergleich mit der direkt angrenzenden jüngeren Nachbarsiedlung Emporiae, die unter vergleichbaren topographischen Gegebenheiten angelegt worden war: Die Straßen in Emporiae waren doppelt so breit wie die breiteste Straße von Neapolis und ließen wohl überall zweispurigen Verkehr zu.112 Eine kaiserzeitliche Stadt konnte freilich auch ganz ohne Fuhrverkehr funktionieren, wie das Beispiel von Munigua in der Hispania Baetica deutlich macht. Obwohl hier mit einem beträchtlichen Verkehrsaufkommen zu rechnen ist, da in Munigua in großem Maßstab Eisen verhüttet wurde, sind in der Stadt selbst keinerlei Wagenspuren festzustellen.113 Der größte Teil des Handelsverkehrs und insbesondere der Antransport von Eisenerz, der Abtransport von Eisenbarren und das Wegschaffen der Schlacke wurden wohl von Esels- oder Maultierkarawanen bewältigt114 – wobei darauf zu verweisen ist, daß bereits ein einzelnes Maultier Lasten bis zu 200 kg tragen kann.115 Von besonderem Interesse ist für uns das südliche Stadttor Muniguas, auf das die städtischen Straßen zuliefen. Hier befand sich anscheinend ein Platz, der durch den Bau der Stadtmauer in einen innerstädtischen und einen außerstädtischen Bereich geteilt worden war.116 Die Freifläche vor und hinter dem Tor könnte dazu gedient haben, Wagen zu wenden und zu parken, sie zu beladen oder zu entladen. Näheres wird man freilich erst sagen können, wenn das Areal ergraben ist. Wenn in Munigua somit keinerlei Fuhrverkehr nachzuweisen ist, muß dies nicht auf ein förmliches Fahrverbot zurückzuführen sein. Aufgrund des steilen Geländes war Wagenverkehr auf den meisten Straßen wohl schlicht nicht möglich,117 so daß die gesamte innerstädtische Logistik mit Hilfe von Lasttieren und Trägern bewältigt wurde. Hier gilt, wie Andrew Wallace-Hadrill in anderem Zusammenhang befunden hat, „that we have to wean ourselves of the modern assumption that wheeled traffic is essential for access.“118 Ein dem von Munigua diametral entgegengesetztes Konzept wurde in der numidischen Stadt Thamugadi verfolgt, die als viertes und letztes Fallbeispiel kurz besprochen werden soll. Die von Trajan gegründete Kolonie wies ein zu dieser Zeit eigentlich schon unüblich gewordenes, strikt durchgeführtes orthogonales Straßennetz mit zwei Hauptachsen auf. Die Straßen waren mit einer Breite von 112 113 114 115 116 117 118

Ebd., 194. S 2008, 177–179. Zumal in den Schnittprofilen einer breiten ungepflasterten Straße, so Schattner, hätten Geleisspuren erkennbar sein müssen. Ebd., 178. Der Durchgangsverkehr muß Munigua an der Ostseite umrundet haben, so Schattner. Differenzierte Zahlenangaben bei W-H 2021, 233. S 2008, 177 f. Vgl. ebd., 178. W-H 2021, 233.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

nicht unter fünf Metern im Vergleich zu älteren Kolonien ausgesprochen großzügig angelegt und verfügten meist zusätzlich über seitliche Säulenhallen für Fußgänger. Beidseitiger Verkehr war durchgängig möglich, die Kreuzungen übersichtlich, das Straßenpflaster sorgfältig verlegt. Absperrungen oder Verkehrsbehinderungen durch Trittsteine für Fußgänger gab es nicht.119 Wie die starke Abnutzung des Kalksteinpflasters zeigt, wurden die Straßen sehr intensiv befahren.120 Ein weiteres Indiz für die Verkehrsdichte in Thamugadi bieten die außergewöhnlich zahlreich belegten Rampen, die von den Straßen zu Privatanwesen und Ställen führten.121 Die verkehrsfreundliche Stadtanlage korrespondierte ausweislich der Abriebspuren an den Bordsteinen mit einem nicht restringierten Verkehrsgeschehen. Fuhrverkehr war in Thamugadi allgegenwärtig, Wagen wurden nach Bedarf mitten auf der Straße oder im Kreuzungsbereich gewendet.122 Die einzige verbindliche Regel war anscheinend die, auf der rechten Straßenseite zu fahren.123 „Timgad never developed a system of traffic because it never needed one“, charakterisiert Eric Poehler den Befund.124 Die Stadt war demnach darauf hin angelegt, Fuß- und Fuhrverkehr voneinander zu trennen, um auf diese Weise den Komfort für jede Art von Mobilität zu erhöhen. Die schattenspendenden Säulenhallen waren für die Fußgänger sicherlich ebenso angenehm wie der reibungslose Fuhrverkehr für die Wagenführer. Ein störrisches Packtier oder ein haltendes Fahrzeug, das gerade entladen wurde, konnten auf den breiten Straßen einfach umfahren werden. 9.2.3 Ergebnisse Wie bereits diese wenigen Beispiele verdeutlichen, ist für die Kaiserzeit definitiv nicht von einheitlichen Verkehrsregelungen auszugehen.125 Juristische Eingriffe in das Verkehrsgeschehen, wie sie oben diskutiert wurden, sind als eine absolute Ausnahme zu betrachten. Generelle Verbote privat oder gewerblich genutzter Fahrzeuge sind weder in Italien noch in den Provinzen zu fassen.126 Selbst wenn in den Städten des Reichs mehrheitlich Rechtsverkehr praktiziert wurde,127 so kann 119 120 121

122 123 124 125 126

127

P 2017, 227–230. Ebd., 227 f. Ebd., 228 f.: Es wurden 47 Ställe mit solchen Rampen nachgewiesen, weitere 16 Ställe ohne Rampen sowie 12 mit unbekannten Eingangstypen. Dies sind, bei sehr viel kleinerer Gesamtfläche der Stadt, allein an Rampen bereits doppelt so viele wie in Pompeji. Ebd., 229–231. Ebd., 229. Ebd., 231. Gegen E 2008, 61, der dies für Italien annimmt. Daher ist Klaus Zimmermann zuzustimmen, der erklärt, daß es nicht das wesentliche Anliegen antiker Behörden sein konnte, durch Geschwindigkeitsbegrenzungen und feste Vorfahrtsregelungen Unfällen vorzubeugen (Z 2002, 199, Belege für Verkehrsunfälle der Kaiserzeit ebd., Anm. 122). Rechtsverkehr war P 2017, 219 zufolge innerstädtisch die Regel, wie seine archäologischen Untersuchungen unter anderem für Rom, Herculaneum, Pompeji, Paestum, Saepinum, Ephesos,

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9.2 Lokale Verkehrsregelung in den Städten des Römischen Reichs

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dies als gewohnheitliche Konvention erklärt werden und setzt keineswegs eine entsprechende Gesetzgebung voraus. Insgesamt bedeutender als die nur in Ausnahmefällen vorgenommene juristische Kodifizierung von Verkehrsregeln waren offenbar urbanistische Eingriffe in den Verkehrsfluß.128 Sie hatten den Vorteil, keiner Überwachung oder Sanktionierung zu bedürfen, wenn beispielsweise ein Bereich durch Stufen oder Abschrankungen für Fahrzeuge schlicht unpassierbar gemacht wurde. Dabei gaben die örtliche Topographie und die historische Bausubstanz der Städte von vornherein gewisse Einschränkungen der städtebaulichen Möglichkeiten vor. Zwar ließ sich etwa ein zu enges Stadttor zugunsten des Verkehrsflusses erweitern, aber schmale, gewundene und steile Straßen konnten den Fahrzeugverkehr dauerhaft unmöglich machen, wie sich anhand der hispanischen Befunde zeigen ließ. Das am besten dokumentierte und untersuchte Beispiel von Verkehrsregelung durch urbanistische Maßnahmen bietet Pompeji. Die einmalige Befundsituation ermöglichte den Nachweis, daß der Verkehr im städtischen Raum einem kohärenten Regelsystem unterworfen war, von dem uns keine Schriftquelle berichtet. Es verbietet sich freilich, die in Pompeji gewonnenen Ergebnisse auf andere Städte zu übertragen, wie schon allein der Vergleich mit dem benachbarten Herculaneum zeigt, wo etwa die typischen Fußgängertrittsteine vollkommen fehlen.129 Charakteristisch für das Römische Reich ist vielmehr, daß sich ausgehend von der topographischen und baulichen Situation sowie der kulturellen Prägung der einzelnen Orte sehr unterschiedliche stadtplanerische Prioritäten ergaben, die sich in einer Vielzahl von Ansätzen zur Verkehrsführung niederschlugen.130 Dies gilt, wie wir sehen werden, auch für die Möglichkeiten zum Umgang mit dem überregionalen Verkehr. Die bauplanerischen Ansätze zur Kanalisierung von Durchgangsverkehr, die in verschiedenen Städten des Imperium genutzt wurden, sind Gegenstand des folgenden Abschnitts.

128 129 130

Heliopolis, Madauros oder Cuicul zeigen (ebd., Tabelle 8.1). Von den durch ihn untersuchten Städten praktizierte lediglich Sardeis Linksverkehr (ebd., 221). Abweichend interpretiert S 2009, 338 die Geleisspuren am Magnesischen Stadttor in Ephesos dahingehend, daß in trajanischer Zeit der nördliche Durchgang des Tors Fußgängern vorbehalten gewesen sei, während der mittlere und südliche Bogen für ein Einbahnsystem mit Linksverkehr ausgelegt waren. Der Verfasser argumentiert, daß demnach in Ephesos auch innerstädtisch Linksverkehr gelten mußte. Siehe auch dazu Z 2002, 199: Es galt, „durch geeignete urbanistische Maßnahmen und Reduzierung vermeidbaren Verkehrs die Passierbarkeit der Wege zu gewährleisten.“ Siehe dazu G 1995, 63. Dies betrifft nicht nur den Stadteingang, sondern stellt sich als allgemeine Tendenz der Verkehrsregelung in der Antike dar: Verkehrsprobleme waren Griechen wie Römern „ein wohlbekanntes Übel, dem abzuhelfen man von Fall zu Fall Mittel und Wege fand, ohne indes das Bedürfnis nach grundsätzlicher und allgemeinverbindlicher Klärung zu entwickeln“ (Z 2002, 201).

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

9.3 Möglichkeiten zur Führung des Durchgangsverkehrs Für das Verkehrsaufkommen und die Frequentierung der Stadttore an überregionalen Straßen war der Durchgangsverkehr ein entscheidender Faktor.131 Dabei ist die Existenz von Durchgangsverkehr in antiken Siedlungsstrukturen keinesfalls selbstverständlich, sondern zumindest im westlichen Mittelmeerraum überhaupt erst ein Ergebnis der Romanisierung. Für Spanien hat dies Thomas Schattner anhand der Dipoleis Corduba sowie Emporiae gezeigt,132 es trifft aber zweifellos auch auf andere westliche Provinzen wie Gallien oder Noricum zu, wo die vorrömischen Siedlungsstrukturen ebenfalls in unzugänglichen Höhenlagen zu finden sind. Erst in römischer Zeit wurde eine verkehrsgünstige Lage an Flüssen und Fernverkehrsstraßen für Neusiedlungen ausschlaggebend.133 Idealtypisch ließe sich das etwa für Noricum anhand der römischen Stadtgründung von Virunum in Kärnten und ihrer Vorgängersiedlung auf dem unwegsamen Magdalensberg anschaulich machen.134 Durchgangsverkehr konnte nur dort entstehen, wo es eine Straße gab, die die Zugänge einer Siedlung miteinander verband.135 Einheimische Ortschaften, die zurückgezogen auf Bergen und Höhen lagen, ließen nur Binnenverkehr zu oder Verkehr, der die Siedlung auf dem gleichen Weg verließ, auf dem er hineinkam,136 nicht aber solchen Verkehr, der durch den Ort hindurchging. Die Struktur der vorrömischen Höhensiedlungen war anders als die einer römischen Planstadt nicht am Straßennetz orientiert, sondern an den einzelnen Gebäuden mit ihrem umliegenden Gelände.137 Die Frage, wie der überregionale Verkehr durch eine kaiserzeitliche Stadt hindurch oder an ihr vorbei geleitet wurde, läßt sich nicht pauschal beantworten. Pierre Gros ist ihr in seinem Aufsatz „Entrer dans la ville ou la contourner?“ anhand von Fallbeispielen nachgegangen. Ausgehend von der Beobachtung, daß die Meilen auf Miliarien für manche Städte nicht nur bis zu den Stadtmauern, sondern bis zum Forum angegeben werden, denkt Gros über die Unannehmlichkeiten nach, die der Durchgangsverkehr für die Stadtbewohner mit sich brachte, und über die lokal genutzten Möglichkeiten, damit umzugehen. Er untersucht insbesondere

131 132

133 134 135 136 137

Gegen  T 2007, 112–119, der den Langstreckenverkehr aus seinen Überlegungen weitgehend ausklammert. Siehe dazu im einzelnen den Abschnitt 9.4 unten. S 2008, vgl. bezüglich Emporiae auch K 2011, 170–197. Möglicherweise wäre auch das Phänomen der kleinasiatischen Doppelgemeinden einmal im Zusammenhang mit der jeweiligen Verkehrslage zu betrachten: In der lykaonischen Stadt Iconium oder in der kilikischen Stadt Claudiopolis, um nur zwei Beispiele zu nennen, existierte die griechische Polis neben einer neugegründeten Kolonie weiter (grundlegend dazu sind M 1979 und E 2008). Vgl. S 2008, 167. Siehe dazu F 2014, 72–77 mit Literatur. S 2008, 172. Schattner spricht von Ziel- und Quellverkehr (ebd.). Ebd., 173.

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9.3 Möglichkeiten zur Führung des Durchgangsverkehrs

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die innerstädtischen Abschnitte von größeren Überlandstraßen, die in bestehende Siedlungen integriert werden mußten.138 Der von Gros vorgeschlagene Ansatz wird im folgenden aufgegriffen, wenn ich unter Heranziehung weiterer Beispiele eine Systematisierung des Materials versuche. Die lokalen Befunde lassen ein ganzes Panorama an Lösungsmöglichkeiten erkennen: In manchen Städten ging der gesamte Verkehr durch das Zentrum; in anderen wurde zumindest das Forum ausgespart; das Zentrum konnte insgesamt für den Fuhrverkehr gesperrt sein; die Städte richteten eine eigene innerstädtische Trasse für den Fernverkehr ein; oder sie stellten Umgehungsstraßen zur Verfügung, die innerhalb der Mauern, vor den Mauern oder in größerer Entfernung zur Siedlung verlaufen konnten. Eine solche Systematisierung der empirischen Daten soll nicht implizieren, daß es sich um klar voneinander abzugrenzende Kategorien handelt. Die Übergänge sind im Gegenteil fließend, und das umso mehr, als wir uns die Situation in den einzelnen Städten als eine überaus dynamische zu denken haben und die hier charakterisierten Situationen immer nur Momentaufnahmen der baulichen Entwicklung darstellen. 9.3.1 Der gesamte Verkehr geht durch das Zentrum der Stadt Städte, in denen der gesamte Durchgangsverkehr mitten durch das Zentrum geleitet wurde, waren in der Kaiserzeit eher die Ausnahme; Alba Fucens und Augustodunum (Autun) sind Beispiele dafür.139 Möglicherweise war eine solche Verkehrsführung mancherorts dem Mangel an praktikablen Alternativen geschuldet. Das läßt sich aber keineswegs zwingend voraussetzen. Wie bereits in anderem Kontext gezeigt wurde, waren in Syrien und Palästina Städte wie Palmyra, Damaskus oder Gadara gezielt um eine einzige Zentralachse herum angelegt, die einerseits den durchgehenden Verkehr zu bewältigen hatte und andererseits Funktionen eines Forums übernahm.140 Umfahrungsmöglichkeiten gab es bei einer solchen Stadtanlage nicht. Als näher ausgeführtes Beispiel sei an dieser Stelle der erst ins vierte Jahrhundert zu datierende Fall von Mustis in der Africa Proconsularis referiert, der durch eine seltene Überlieferungsdichte besticht. In dieser Stadt wurde der Fernverkehr durch das Stadtzentrum geleitet. Das Forum von Mustis war als ein Durchgangsplatz kon-

138

139 140

G 2008. Das Problem des Durchgangsverkehrs behandelt auch  T 2007, 160–167, wobei sein Ansatz ein ganz anderer ist: Er fragt sich, warum die kaiserzeitlichen Städte nicht zu der seiner Meinung nach naheliegenden Maßnahme gegriffen haben, ihr Pomerium zu pflastern und als Umgehungsstraße zu nutzen (161). Dies erscheint wenig praktikabel; ein Pomerium ist zwar geographisch klar verortet, aber als abstrakte Größe nicht materiell greifbar (siehe dazu unten, 292 f.). Vgl. G 2008, 161. Siehe oben, 74.

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zipiert und wurde ausweislich tiefer Wagenspuren intensiv befahren.141 Es war, wie epigraphisch belegt ist, im Jahr 350/351 zum forum transitorium umgestaltet worden.142 Daß diese Maßnahme keineswegs als eine logistische Verlegenheitslösung zu bewerten ist, zeigen nicht nur die Bauinschriften, die das Erreichte selbstbewußt dokumentieren. Das Forum von Mustis ist darüber hinaus Gegenstand einer laudatio urbis aus dem vierten Jahrhundert, deren Fragmente als Serie von metrischen Inschriften erhalten sind. Von Interesse sind in unserem Zusammenhang die ersten vier Verse: honestam praebens ornatui publico laudem forum praefulget rerum sub strata {e} meatu. iter agens per te laetum, sanctissima Mustis, aspectu mentem vario corpusq(ue) resumat. „Öffentlicher Zierde ein würdiges Ansehen verschaffend, erstrahlt das Forum inmitten des Treibens zu seinen Seiten. Wer auf erfreulicher Reise dich, heiligstes Mustis, durchzieht, erquicke an deinem mannigfaltigen Anblick Körper und Geist.“143 Obwohl Verständnis und Interpretation der Fragmente im einzelnen nicht ganz einfach sind,144 wird in den Versen klar darauf abgehoben, daß Reisende in Mustis mitten durch die Stadt gingen, ritten oder fuhren (V. 3: iter agens per te laetum);145 und daß sie dabei Gelegenheit hatten oder vielmehr kaum umhinkamen, das Forum zu bewundern, welches als ein bauliches Schmuckstück in der Stadt erglänzte (V. 2: forum praefulget). In den Versen 2 und 4 könnte angedeutet sein, daß dieses Forum auch sonst von Geschäftigkeit erfüllt war (rerum sub strata meatu und aspectu . . . vario). Die Tatsache, daß davon in einem Lobgedicht auf die Stadt die Rede ist, macht klar, daß dies keineswegs als eine Unannehmlichkeit empfunden wurde, sondern den Stolz der Bewohnerinnen und Bewohner von Mustis ausmachte. Die Verkehrsführung durch die Innenstadt und über das Forum war in Mustis anscheinend ein ganz bewußt gewähltes Konzept. 141

142

143

144 145

Eine Ortsbegehung am 27. September 2014 ergab, daß die zentrale Straße von Mustis anscheinend über das Forum verlief. Auf der einen Seite ist die Straßenachse durch zwei Pfeiler markiert, auf der anderen Seite durch ein monumentales Markttor. Im Bereich des mittleren Bogens sind tiefe Wagenspuren erkennbar, die auch im weiteren Verlauf der Straße deutlich zu sehen sind. AE 1933, 105 = AE 2005, 1691: forum trans{s}itorium quod antea non erat. Um 370 wurde das Forum noch einmal umfassend erneuert und fertiggestellt (CIL VIII Suppl. 1, 15581: fo[rum . . . ] restitutum atque perfectum est). Es handelt sich um CIL VIII pars 1, 1584 = CIL VIII Suppl. 1, 15573 = CIL VIII Suppl. 4, 27442, hier Z. 1–4. Die Übersetzung hat der Gießener Kollege Leon Schmieder erstellt, dem an dieser Stelle mein herzlicher Dank gilt. Siehe weiterführend S 2008 mit der älteren Literatur. Im nur sehr fragmentarisch erhaltenen Vers 8 ist zudem von einer Wanderung die Rede (ut gressu maestus . . . ).

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9.3 Möglichkeiten zur Führung des Durchgangsverkehrs

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Abbildung 9.3: Markttor in Sufetula (Tunesien). Das Forum der Stadt ist dreiseitig ummauert, den Hauptzugang bildet dieser über einige Stufen zugängliche Bogen.

9.3.2 Das Forum wird ausgespart In vielen anderen Städten wurde dagegen zumindest das Forum selbst vom Fuhrverkehr ausgeschlossen. Forumsanlagen, die baulich durch Stufen, Tore oder Monumente vom Verkehr abgegrenzt waren, finden sich überaus häufig, etwa in Emporiae,146 Philippi147 oder Sufetula (Abb. 9.3), um Beispiele aus verschiedenen Provinzen zu benennen. Ein gut erforschtes Beispiel bietet Herdonia in Apulien, das an der alten Via Minucia lag, die lediglich für Fußgänger und Maultiere gangbar war. Mit dem Ausbau der Straße von Beneventum nach Brundisium als Via Traiana galt es dann seit 109, innerstädtisch auch überregionalen Fuhrverkehr zu koordinieren. Die Via Traiana verlief in Herdonia als Cardo bis zum Forum, wo sie im rechten Winkel abbog und im weiteren Verlauf den Decumanus Maximus der Stadt bildete. Dabei wurde das Forum nicht nur durch steile Treppenstufen vom Transitverkehr freigehalten, sondern auch genau dort, wo die Straße nach Süden abbog, durch ein Nymphäum baulich abgeschirmt.148

146 147 148

K 2011, 197. In Philippi verlief die Via Egnatia auf kürzestem Weg mitten durch die Stadt und am Forum vorbei, siehe P 1995, 75, Karte 8. G 2008, 150–152.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

In der Hafenstadt Ostia mit ihrem enormen Verkehrsaufkommen war die innerstädtische Hauptachse bis zu Beginn des ersten Jahrhunderts der Cardo, der die Porta Laurentina im Süden mit der Porta Romana im Norden verband, von wo aus der Weg zum Hafen führte. Diese Situation wurde durch den Bau des Tempels für Roma und Augustus grundlegend geändert: Das Heiligtum blockierte den Cardo, der nun nicht mehr durchgängig befahren werden konnte, so daß der Wagenverkehr komplett über den Decumanus Maximus abgewickelt werden mußte und daher am Forum vorbeilief. Der Forumsplatz war freilich durch einige Stufen von der Straße abgegrenzt und lag damit, für Wagen unpassierbar, einige Schritte über dem Straßenniveau. Auch durch die Pflasterung waren beide Sphären deutlich voneinander abgesetzt; das Forum war mit Marmor gepflastert, während die Oberfläche des Decumanus aus robusterem Vulkangestein bestand.149 Sehr differenziert scheint das Verkehrsproblem im britannischen Calleva Atrebatum (Silchester) gelöst worden zu sein. Die Stadt war an einem Verkehrsknotenpunkt angelegt worden und bot den Durchreisenden idealen Fahrkomfort. Alle fünf Stadttore waren dem archäologischen Befund des dritten Jahrhunderts zufolge in Wagenbreite passierbar und alle Straßen zweispurig nutzbar; bei einer Breite von großzügigen sechs bis neun Metern auch für ausladende landwirtschaftliche Fahrzeuge. Der lokale Handelsverkehr zur Themse über die Süd-Nord-Achse führte an der Rückseite des Forums vorbei, das generell für Fahrzeuge offen zugänglich war. Dies wird im Hinblick auf die dort seit dem dritten Jahrhundert stattfindende staatliche Metallverarbeitung zu Transportzwecken von Vorteil gewesen sein.150 Der überregionale Durchgangsverkehr auf der West-Ost-Achse, die die Stadt mit Londinium verband, wurde jedoch in deutlicher Abgrenzung einen Häuserblock entfernt im Norden am Forum vorübergeleitet. Auch diese Trasse führte auf direktem Weg bequem von einem Stadttor zum anderen, aber ohne das Forum zu berühren.151 Ein ganzes Stück restriktiver war die Verkehrspolitik im hispanischen Tarraco. Die durchgehende Via Augusta bildete den Decumanus, der die Stadt in zwei Sphären teilte. Südlich lagen Wohngebäude und kleinere öffentliche Einrichtungen, nördlich der Circus, das Provinzialforum und ein Kultbezirk. Das Forum aber war zum Durchgangsverkehr hin vollkommen abgeschlossen, denn es konnte nur über Treppentürme betreten werden und war somit ausschließlich für Fußgänger erreichbar.152

149 150 151 152

K 2011, 127–131. Relevant war der Zugang zum Forum in Calleva Atrebatum demnach nur für den Quell- und Zielverkehr, nicht aber für den Transitverkehr. K 2011, 143–166. S 2008, 174 f.

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9.3 Möglichkeiten zur Führung des Durchgangsverkehrs

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9.3.3 Ein verkehrsberuhigtes Zentrum Zahlreiche Städte hielten nicht nur das Forum selbst, sondern gleich einen größeren Teil ihres Zentrums frei vom Fernverkehr, so daß sich von verkehrsberuhigten Innenstadtbereichen sprechen läßt. Betrachten wir etwa die Gegebenheiten in der reichen Hauptstadt der Provinz Asia, Ephesos (siehe dazu den Stadtplan Abb. 9.4 auf S. 248). Handel und entsprechender Verkehr in Ephesos sind in der Kaiserzeit „nicht intensiv genug vorzustellen“.153 Der vorrangige Ziel- und Ausgangspunkt des innerstädtischen Verkehrs war der Hafen,154 der auf dem Landweg nur durch die Stadt erreicht werden konnte. Die urbanistische Lösung dieses Problems setzte an mehreren Punkten an. Durch eine zentrale innerstädtische Trasse, welche an die überregionalen Landstraßen angebunden war, wurde der Verkehr effizient gebündelt.155 Baukomplexe wie Gymnasien und Stadion wurden gezielt in der Peripherie der Stadt angelegt, um zusätzlichen Verkehrsbetrieb in der Innenstadt zu vermeiden.156 Und gerade dort, wo die Abzweigung von der Küstenstraße nach Magnesia und die von Osten kommende Straße aus dem Kaystrostal zusammentrafen, um in die alte Hafenstraße zu münden, entstand im Rahmen einer Neukonzeption des Stadtzentrums in der Kaiserzeit ein verkehrsberuhigter Bereich: Im Zuge der Hafenverlandung wurde die Zugangsstraße zum neuen Hafen nach Norden auf die Höhe des Theaters (im Plan Nr. 75) verschoben. Der sogenannte Triodosplatz, einst wichtigster Verkehrsknotenpunkt von Ephesos, wurde bereits im ersten Jahrhundert durch mehrere Treppenanlagen und andere Baumaßnahmen vom Fuhrverkehr abgeriegelt. Spätestens mit dem Bau der Celsusbibliothek (Nr. 55) führte der Durchgangsverkehr östlich bzw. südlich versetzt daran vorbei und sparte auch den im ersten Jahrhundert errichteten angrenzenden Handelsmarkt (Nr. 61) komplett aus. Gleichzeitig entstand am anderen Ende der Zentralachse um den sogenannten Staatsmarkt (Nr. 18) ein zweites städtisches Zentrum, das über eine geradlinig nach Osten verlaufende Verlängerung der Hauptstraße mit dem repräsentativen Magnesischen Stadttor (Nr. 10) verbunden war.157 Die städtebaulichen Maßnahmen zielten also erstens darauf ab, den Hafenverkehr möglichst stark zu kanalisieren und damit effizient abzuwickeln, zweitens darauf, zusätzliches Verkehrsaufkommen gering zu halten, und drittens hielten sie wichtige Orte der historischen Erinnerung, der Repräsenation, des Kaiserkults usw. grundsätzlich vom Fuhrverkehr frei. Eine noch deutlich weiter reichende Verkehrsberuhigung gelang den Stadtplanern in Verona. Dort wurde nur der lokale Verkehr bis ins Stadtzentrum geleitet, während der Transitverkehr sich durch die innerstädtische Peripherie bewegte. Die wichtigste Fernstraße, die Via Postumia, wurde als Decumanus Maximus durch 153 154 155 156 157

H 2008, 48. Ebd., 49.56. Ebd., 47. Ebd., 52. Maßnahmen referiert nach Hoffmann (ebd., 49–53).

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Abbildung 9.4: Topographischer Bestandsplan von Ephesos. 10) Magnesisches Tor, 18) Staatsmarkt, 55) Celsusbibliothek, 61) Handelsmarkt, 75) Theater, 83) Osttor der Arkadiane, 104) Stadion. Die zentrale Trasse verläuft vom Magnesischen Tor am Staatsmarkt vorbei zum Triodosplatz, wo sie nach Norden abzweigt. Nicht eingezeichnet ist das Koressische Tor nordöstlich des Stadions. Das Heiligtum der Artemis lag jenseits des Panayırda˘g, etwa zwei Kilometer von der Stadt entfernt.

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9.3 Möglichkeiten zur Führung des Durchgangsverkehrs

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die Stadt geführt und in julisch-claudischer Zeit sowohl innerhalb der Mauern als auch davor monumental ausgebaut, was ihre Bedeutung unterstrich. Der Durchgangsverkehr aber wurde in der Stadt auf kleineren Straßen in einem Bogen am Adige entlanggeführt und so vom Zentrum ferngehalten. Die Anlage einer Umgehungsstraße war wegen der engen Bebauung des Geländes bis zum Ufer des Adige in Verona nicht möglich.158 9.3.4 Eine eigene innerstädtische Trasse für den Fernverkehr Andere Städte kanalisierten den Durchgangsverkehr auf einer eigenen innerstädtischen Trasse, um den Bereich der öffentlichen Gebäude und die Wohnbezirke gleichermaßen zu entlasten. Ähnliche Verkehrsführungskonzepte hatten bereits die großen hellenistischen Städte Alexandria und Rhodos entwickelt, in denen gut ausgebaute Straßen vom Hafen zum Palast bzw. vom Hafen zur Akropolis führten, welche an der Peripherie der Wohnviertel verliefen und damit die Innenstadt von Durchgangsverkehr freihielten.159 Als kaiserzeitliches Beispiel sei Volsinii in Etrurien benannt. Dort führte die Via Cassia zwar durch die Stadttore in die Stadt hinein, aber je nach Fahrziel nahmen die ankommenden Wagen dann nicht den Weg ins Zentrum, sondern benutzten eine innerstädtische Trasse für den Fernverkehr, welche mehr als 200 Meter vom Decumanus Maximus entfernt verlief und weiträumig um das Zentrum der Stadt herumgeführt wurde. Die Gabelungen, an denen der Verkehr geteilt wurde, lagen im Nordosten in einem wenig bebauten Gebiet innerhalb der Mauern und im Südwesten extra muros kurz vor dem Stadttor.160 Das systematisch angelegte Straßensystem von Orten, die auf militärische Lager zurückgingen, ließ sich in gleicher Weise nutzen. So bildete beispielsweise in Vetera (Xanten) zwar der Cardo die kürzeste mögliche Verbindung zwischen dem nördlichen und südlichen Stadttor. Bei Bedarf konnte der Durchgangsverkehr aber alternativ den Straßenring nutzen, der innerhalb der Mauern parallel zu diesen verlief und die gesamte Stadt umschloß.161 9.3.5 Umgehungsstraßen unmittelbar intra und extra muros Einen singulären Befund bietet die Colonia Nemausus (Nîmes). Die Stadt hatte, wie zahlreiche andere in augusteischer Zeit, in den Jahren 16/15 v. Chr. eine Stadtmauer erhalten, die von Augustus gestiftet und möglicherweise in seiner Anwesenheit eingeweiht wurde.162 Die Via Domitia, die von Italien nach Spanien führte, teilte sich unmittelbar vor dem monumentalen vierbögigen Osttor und 158 159 160 161 162

G 2008, 155–157. Dazu Z 2002, 186 mit Literatur. G 2008, 148–150. Siehe dazu  T 2007, 162 f. Zur Stifterinschrift siehe H 2001, 141.154.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

wurde auf zwei parallel verlaufenden Umgehungsstraßen zum Südtor geführt: Die eine Straße verlief unmittelbar vor der Stadtmauer, die andere dahinter. Dieser Streckenabschnitt, der nicht gepflastert, sondern lediglich geschottert und mit Erde festgetreten war, war über 150 Jahre lang in Benutzung. Die Fußgänger freilich werden am Osttor geradeaus ins Zentrum weitergegangen sein, statt mit dem Fuhrverkehr nach Süden abzubiegen, denn die Umgehungsstraßen verfügten weder über Bürgersteige, noch gab es auf dieser Strecke Geschäfte oder Wohnhäuser.163 9.3.6 Umgehungsstraßen in größerer Entfernung zur Siedlung Für das Vorhandensein außerstädtischer Umgehungsstraßen, die die Siedlung in größerer Entfernung umgingen, kann ich lediglich zwei Belege beibringen. Möglicherweise ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß das außerstädtische Straßensystem im Zuge archäologischer Untersuchungen häufig nicht mit erfaßt werden kann, so daß entsprechende Verkehrsführungslösungen in anderen Städten schlicht (noch) nicht bekannt sind. In der hispanischen Kolonie Corduba waren die überregionalen Straßen innerstädtisch wie in Verona repräsentativ ausgebaut, und die beiden Decumani, in die sich die Via Augusta aufteilte, dienten als Prozessionswege. Zugleich verfügte Corduba aber über ein System außerstädtischer Umgehungsstraßen, so daß es möglich war, die Stadt weiträumig zu umfahren. Auf diese Weise wurde der Durchgangsverkehr mit seinen Unannehmlichkeiten komplett aus dem städtischen Raum herausgehalten.164 Ähnlich in Thessalonike, der Hauptstadt der Macedonia: Ausweislich der gefundenen Meilensteine lief die Via Egnatia zwar aus westlicher Richtung auf die Stadt zu, umging sie dann jedoch, indem sie kurz vor der Siedlung nach Norden abbog und dann in Sichtweite an ihr vorüberführte. Die Stadt war mit der Fernstraße durch mindestens eine Zubringerstraße verbunden.165 9.3.7 Rom, eine Stadt ohne Durchgangsverkehr Ähnlich stellte sich die Situation in Rom selbst dar, obwohl die Stadt sicherlich dahingehend als Ausnahme zu gelten hat, daß sie das (sprichwörtliche) Ziel aller Reisen und Transporte war und das Verkehrsaufkommen deshalb in erster Linie durch Ziel- und Quellverkehr zustandekam, also durch Personen, die nach Rom wollten oder von dort aufbrachen. Demgegenüber muß der Transitverkehr im engeren Sinne von ganz untergeordneter Bedeutung gewesen sein. Rom konnte großräumig umgangen werden,166 und wie die in Abschnitt 9.1 besprochenen 163 164 165 166

G 2008, 153–155. Ebd., 157–159. Zur Verkehrssituation in Corduba siehe auch S 2008, 173 f. Siehe die ausführliche Diskussion der Befunde bei  B 2001, 191–199 mit Abb. 7 f. Das beantwortet meines Erachtens auch die bei van Tilburg aufgeworfene Frage, warum Rom nie eine stadtnahe Ringstraße erhielt ( T 2007, 166 f.). Die Annahme des Verfassers,

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9.3 Möglichkeiten zur Führung des Durchgangsverkehrs

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Quellen nahelegen, war es angeraten, sich nicht ohne dringenden Grund mit einem Wagen in den römischen Innenstadtverkehr zu begeben.167 Davon unbenommen wurde in Rom seit Augustus kontinuierlich daran gearbeitet, die Foren von Wagenverkehr möglichst freizuhalten. Nicht nur die Gesetzgebung,168 auch die Infrastruktur war darauf angelegt, das Verkehrsaufkommen nach Möglichkeit zu verringern. Dies gilt insbesondere für das Zentrum der Stadt, wie Klaus Zimmermann prägnant zusammenfaßt: „Auffällig ist [. . . ] das über einen längeren Zeitraum recht konstant zu beobachtende Bestreben, im Zentrum der Stadt einen verkehrsberuhigten Raum zu schaffen. Unterband bereits das forum Augusti den Wagenverkehr zwischen der dicht besiedelten subura und dem forum Romanum, so setzten die flavischen Bauprojekte – templum Pacis, forum transitorium – die Entwicklung zu einer Art ‚Fußgängerzone‘ in diesem Bereich fort. Offensichtlich versuchte man, im Rahmen des Möglichen reibungslosen Verkehrsablauf mit Repräsentation und Lebensqualität zu vereinbaren.“169

9.3.8 Ergebnisse Die Bandbreite möglicher Lösungen des Verkehrsproblems war, wie sich zeigt, beachtlich: Es gab Städte, die den Transitverkehr mitten durch die Stadt leiteten – anscheinend nicht immer mangels Alternative, sondern unter Umständen wie in Mustis durchaus in bewußter Absicht. Andernorts bemühte man sich darum, zumindest das Forum auszusparen, wobei die lokalen Lösungen von einer einfachen Absetzung des Forums durch zwei oder drei Stufen bis hin zur baulichen Abschirmung durch monumentale Gebäude reichten. Der Durchgangsverkehr konnte aber auch grundsätzlich vom Zentrum ferngehalten werden, indem er durch die innerstädtische Peripherie geleitet wurde, sei es auf kleineren Straßen oder auf einer eigenen Trasse. Eine wohl einzigartige Lösung fand man in Nemausus, wo es zwei parallele Transitstrecken zwischen dem Osttor und dem Südtor gab, von denen die eine intra muros und die andere extra muros verlief. Die Maximallösung schließlich bestand darin, den Durchgangsverkehr mittels weiträumiger außerstädtischer Umgehungsstraßen ganz aus der Stadt herauszuhalten. Daß die meisten Städte den Transitverkehr keineswegs aus dem Innenstadtbereich ferhielten, läßt sich wohl damit erklären, daß er eben nicht ausschließlich Unannehmlichkeiten mit sich brachte, sondern ein eher ambivalentes Phänomen

167 168 169

man hätte vermeiden wollen, daß der Durchgangsverkehr auf einer solchen Umgehungsstraße Rom passieren konnte, ohne Zoll zu entrichten (166), würde voraussetzen, daß tatsächlich zollpflichtige Waren in größerem Umfang mit einem anderen Ziel als Rom durch die Stadt hindurch transportiert worden wären. Das jedoch ist mit Sicherheit auszuschließen. Siehe oben, 228–231. Dazu siehe oben, 219–227. Z 2002, 190, vgl. in diesem Sinn auch K 2002, 338 und L 2013, 248.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

war, das jedenfalls durchaus auch wünschenswerte Effekte hatte. Hier ist nicht zuletzt an das enorme wirtschaftliche Potential zu denken.170 Angesichts antiker Reisegeschwindigkeiten171 ist außerdem zu berücksichtigen, daß Reisende, die nicht den cursus publicus nutzen konnten, innerhalb eines Tages kaum weiter als in die jeweils nächstgelegene Stadt kamen. In vielen Fällen werden sie daher ohnehin im Ort etwas zu essen gekauft oder ein Nachtquartier gesucht haben, ehe sie sich weiter auf den Weg machten. Selbst die privilegierte Reisegesellschaft in Horazens iter Brundisinum (Sat. 1,5) kann unterwegs auf der Via Appia zwar gelegentlich in den ländlichen Anwesen von Bekannten unterkommen, ist aber ansonsten darauf angewiesen, in den Städten eine Herberge zu finden und frisches Wasser und Brot zu kaufen; einmal wird freilich auch in einem Bauernhof am Weg Quartier bezogen, und eine andere Nacht verbringen die Reisenden gezwungenermaßen auf einem Treidelboot in den Pontischen Sümpfen.172 Man wird sich, so läßt sich festhalten, nicht zu einheitlich vorstellen dürfen, in welcher Weise der Fuhrverkehr in den römischen Städten konkret geführt wurde und welche Regelungen es dazu im einzelnen gab. Jede Stadt traf ihre eigenen Bestimmungen, die den lokalen Erfordernissen angepaßt waren. Wie die aufgeführten Beispiele zeigen, waren die Prioritäten der Stadtplaner von Ort zu Ort unterschiedlich. So konnte entweder ein möglichst ungestörter und reibungsloser Verkehrsfluß durch die Stadt angestrebt werden oder aber umgekehrt die beschränkte Passierbarkeit bestimmter Straßenabschnitte und Plätze im Sinne einer Verkehrsberuhigung,173 die die dignitas dieser Orte unterstrich.174

170 171

172

173 174

Vgl. G 2008, 161. Siehe dazu die Ergebnisse von K 2000, 308–317: Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit im Römischen Reich betrug für einen Fußgänger oder einen Wagen etwa 25 Meilen pro Tag (das entspricht ca. 37 km). Bestand die Gelegenheit, die Zugtiere zu wechseln, erhöhte sich die Reisegeschwindigkeit auf etwa 60 Meilen (90 km) pro Tag. Am schnellsten war ein Ritt unter Benutzung des cursus publicus; bei regelmäßigem Wechsel der Pferde ließ sich die enorme Tagesleistung von bis zu 200 Meilen (294 km) bewältigen. Für einen Schwertransport mit Ochsengespann konnten pro Tag dagegen nur etwa 5 bis 8 Meilen veranschlagt werden (7 bis 12 km). Daß die Reisegeschwindigkeiten sehr stark von äußeren Faktoren wie Qualität der Wegstrecke, Terrain, Wetter, Übernachtungsmöglichkeiten usw. abhingen, zeigen die in der folgenden Anmerkung aufgeführten sehr unterschiedlichen Tagesetappen ein und derselben Reisegruppe. Hor. Sat. 1,5. Übernachtungen in einer villa: Verse 50.80; in der domus eines Bekannten: V. 37 f.; in Herbergen in der Stadt: V. 1 f., 71 f., 94.97, siehe auch den Mittagsschlaf in V. 48; auf einem Bauernhof: V. 45 f.; auf einem Boot: V. 9–20. Einige weitere Übernachtungsorte werden nicht spezifiziert (etwa in V. 5 f.). Zum regelmäßigen Kauf von Wasser und Brot siehe V. 89–92. Anhand des Kommentars von S 1976, 272–274 läßt sich feststellen, daß die Tagesetappen der Reisenden von sehr unterschiedlicher Länge sind; in der Regel zwischen 20 und 50 Kilometern. Die kürzeste Etappe beträgt nur knapp 5 Kilometer; am letzten Tag legt die Reisegruppe knapp 60 Kilometer zurück. Zu »Verkehrsfluß« und »Verkehrsberuhigung« in der antiken Verkehrsplanung siehe Z 2002, 184. Vgl. W-H 2021, 235 f.

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9.4 Überlegungen zum Verkehrsaufkommen am Stadteingang

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9.4 Überlegungen zum Verkehrsaufkommen am Stadteingang Im Kontext der Verkehrsregelung und Verkehrsführung am Stadteingang und ebenso in bezug auf die in vorangehenden Kapiteln besprochenen Personenkontrollen und Zolldeklarationen wäre es natürlich relevant, zu wissen, wie hoch das Publikumsaufkommen an den Toren einer römischen Stadt gewesen sein mag. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die sich systematisch mit dieser Frage auseinandersetzen würde, zumal je nach Bedeutung und Lage einer Stadt mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen zu rechnen wäre. Mit Sicherheit variierte das Personenaufkommen im Verlauf eines Tages stark, und ebenso im Jahreslauf – mit einer großen Mobilität im Sommer und sehr viel weniger im Winter. Ereignisse wie Festveranstaltungen mußten noch einmal besonders viel Ein- und Ausreiseverkehr produzieren. Insofern müßte die alltägliche Verkehrssituation von temporär oder anlaßbezogen veränderten Verkehrslagen differenziert werden.175 In den folgenden Zeilen soll zumindest eine überschlägige Einschätzung gegeben werden. Für das Verkehrsaufkommen an den Zugängen der kaiserzeitlichen Städte sind zunächst einmal die Fernreisenden in Anschlag zu bringen. Sie waren es, die am Stadteingang gegebenenfalls kontrolliert wurden, die Handelsgut verzollen oder das Fahrzeug wechseln mußten, die je nach Umständen mit zahlreichen Begleitern unterwegs waren, die nach Parkgelegenheiten, Speiselokalen und Herbergen suchten und deren Ankunft damit einen besonders großen logistischen Aufwand mit sich brachte. Angesichts der ähnlich schwierigen Rahmenbedingungen für den Fernreiseverkehr in dieser Epoche bieten die Städte der Frühen Neuzeit einen aufschlußreichen Vergleichspunkt. Antoni Maczak ˛ hat sich der Mühe unterzogen, einmal die penibel geführte Buchhaltung der Stadtwachen von Mantua in den Jahren 1596 und 1597 durchzugehen. Er zählt monatlich zwischen 500 und 900 Reisende, die sich an den Toren von Mantua registrieren ließen,176 im Tagesdurchschnitt etwa 15 bis 30 Personen. Dabei war das Verkehrsaufkommen von Tag zu Tag stark schwankend mit teilweise 50 und mehr Ankommenden an einem einzigen Tag.177 Das Mobilitätsverhalten der Stadtbewohner selbst ist in der Aufstellung nicht berücksichtigt. Diese Zahlen bieten zumindest einen Anhaltspunkt dafür, mit wieviel auswärtigem Individualverkehr unter vormodernen Gegebenheiten größenordnungsmäßig zu rechnen sein konnte. Solange wir nicht von den großen Zentren wie Rom, Alexandria und Antiocheia sprechen, sondern von mittleren 175

176 177

Vgl. T 2008, 187, die in den vorderorientalischen Städten des Reichs folgende Verkehrssituationen unterscheidet: 1. Alltagsverkehr, 2. Verkehr bei der Ankunft oder dem Aufbruch einer Karawane oder an den Markttagen, und 3. Verkehr bei religiösen Prozessionen und vergleichbaren Anlässen. M  2017, 104. Ebd.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

Städten wie Verona, Philippi oder Corduba, sind in der römischen Kaiserzeit wohl eher noch niedrigere Zahlen zu veranschlagen.178 Neben dem privaten und gewerblichen Fernreiseverkehr ist an römische Amtsträger mit ihrer Entourage sowie an Armeeverbände zu denken. Diese durften, anders als reisende Privatpersonen oder Händler, ohne größere bürokratische Hürden passieren. Bei einer großen Anzahl von Personen, Lasttieren und Troßwagen konnten sie freilich dennoch den Zugang zu einer Stadt für einige Zeit blockieren. Der Personenverkehr, den die Bevölkerung des Umlands und die Stadtbewohner selbst verursachten, brachte demgegenüber nur geringen logistischen Aufwand mit sich, ist aber zahlenmäßig gewiß sehr viel höher in Anschlag zu bringen. Gäste aus dem Umland kamen nicht nur in Geschäfts- und Rechtsangelegenheiten in die Stadt, sondern auch zu Wochenmärkten oder an Festtagen. Selbst für eine kleine Ortschaft wie Pompeji zeigt eine Untersuchung eine hohe Frequenz auswärtiger Besucher auf,179 ohne daß dies genauer bezifferbar wäre. Auch diesbezüglich kann jedoch aus der Kenntnis späterer Epochen ein konkreter Anhaltspunkt gewonnen werden. So wurden im Zuge der Heiltumsweisung in Nürnberg, einem jährlich stattfindenden religiösen Fest zur Ausstellung der Reichskleinodien, im Jahr 1463 an den fünf Haupttoren der Stadt nicht weniger als 1 874 Wagen und Kutschen eingelassen.180 Für die Antike wird man selbst an herausragenden Festtagen deutlich geringere Werte veranschlagen;181 aber die Zahl zeigt, welche logistische Kapazität eine vormoderne Großstadt aufbringen konnte. Unter Umständen generierte bereits die urbanistische Anlage einer Stadt beträchtlichen Binnenverkehr,182 wie es etwa in Carmo in Hispanien anzunehmen ist, wo sich der einzig öffentlich zugängliche Brunnen der Stadt ein Stück außerhalb vor dem Stadttor befand. Die Wohnhäuser in Carmo verfügten zwar über eigene Zisternen, aber jeder, der dazu keinen Zugang hatte, mußte den Sickerbrunnen vor der Stadt benutzen und dazu jeweils das Stadttor passieren.183 Und auch in anderen Städten muß durch regelmäßige Wege beträchtlicher Verkehr am Stadteingang zustandegekommen sein. Wer etwa ein Gärtchen vor der Stadt bewirtschaftete, mußte im Sommer täglich seinen Sklaven zum Bewässern der Pflanzen schicken. Permanente Transporte im Zuge der Lebensmittelversorgung, von Opfertieren, Baumaterial, Rohstoffen etc. kamen hinzu (wobei in Hafenstäd178 179 180 181

182

183

Zum geringen Anteil derjenigen Personen an der Gesamtbevölkerung des Römischen Reichs, die überregional mobil waren, siehe oben, 2. L 1994, 103. Zahlenangabe nach J 2015, 237. Die Olympischen Spiele bieten hier keinen geeigneten Vergleichspunkt, da das Heiligtum eben nicht in einer Stadt lag; das Stadion von Olympia faßte etwa 40 000 Besucher (S 1996, 60), wobei zu fragen ist, ob dieses Potential jemals ausgeschöpft wurde. V T 2007 zufolge hing das Verkehrsaufkommen entscheidend davon ab, ob vor den Toren einer Stadt Vororte lagen oder nicht (was freilich im Widerspruch zu seiner Aussage steht, daß der Verkehr hauptsächlich durch Warenimporte des täglichen Bedarfs ausgemacht worden sei, 171). S 2006, 203.

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9.4 Überlegungen zum Verkehrsaufkommen am Stadteingang

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ten ein großer Teil dieses Verkehrs auf dem Seeweg erfolgt sein dürfte). Marianne Tabaczek geht davon aus, daß solche Gütertransporte den weitaus größten Teil des Fuhrverkehrsaufkommens in der Stadt ausmachten.184 Für Rom selbst stellte sich das Problem des Verkehrsaufkommens in besonderer Schärfe. Man denke allein schon an den Binnenverkehr zwischen dem Tiber und den einzelnen Stadtteilen: Ray Laurence etwa rechnet vor, welch beeindruckende Logistik bereits der Transport der 410 Tonnen Getreide erforderlich machte, die die römische Bevölkerung täglich konsumierte. Um diese Menge von den Schiffsanlegern in die Stadt zu schaffen, waren pro Tag entweder um die 10 300 Transporte durch Lastträger notwendig oder 4 300 Eselslasten oder 3 400 Maultierlasten oder, je nach veranschlagter Fahrzeuggröße, zwischen 800 und 6 200 Fuhrtransporte.185 Andere Waren- oder Materialtransporte öffentlicher, gewerblicher und privater Natur sowie Personenbewegungen aller Art nahmen die Straßen Roms zumindest an solchen Tagen in Anspruch, an denen keine Feste stattfanden – darunter Herden von Schlacht- und Opfervieh, Scharen von Klienten auf dem Weg zur allmorgendlichen salutatio, Händler, Tagelöhner, Spaziergänger und Bettler; Senatoren unterwegs zum Forum, Amtsträger oder Angehörige des Kaiserhauses mit ihrem jeweiligen zahlreichen Begleitpersonal, vornehme Römer in ihren Sänften oder Tragsitzen und Fußgänger auf dem Weg in die Thermen oder nach Hause. Lange Prozessionen wie Beerdigungszüge waren dazu geeignet, den Verkehr gänzlich zum Erliegen zu bringen. Verhältnisse wie in modernen Städten darf man dabei freilich nicht vor Augen haben, auch wenn die satirischen Schilderungen vom Gewimmel auf den römischen Straßen diese Assoziation durchaus nahelegen. Was das Problem langer Wartezeiten betrifft, das im Lichte heutiger Ansprüche an die Effizienz und Geschwindigkeit von Abfertigungsvorgängen sehr drängend erscheinen könnte, so schweigen sich die antiken Quellen diesbezüglich recht konsequent aus. Von Warteschlangen am Stadteingang wird nirgends berichtet, und so ist der einzige Beleg, den ich zu dieser Frage beibringen kann, ein kurzer Satz in der Vita Barsumae, wonach der Heilige in Syrien vor der Stadt Sebaste (Samaria) um die Mittagszeit herum längere Zeit im Schatten sitzt und darauf wartet, eingelassen zu werden.186 Warum der Einlaß in Sebaste mit Wartezeit verbunden ist, bleibt offen. Wartet Barsauma darauf, daß die Stadtwachen ihren Mittagsschlaf beenden und das Tor öffnen? Oder bleibt er angesichts eines größeren Personenandrangs einstweilen lieber im Schatten sitzen, anstatt sich in die Schlange der Wartenden einzureihen? Wartet er möglicherweise auch einfach nur darauf, 184 185

186

T 2008, 187–189. L 2013, 254. Ich gebe die Zahlen leicht gerundet an, da mir die bis auf die letzte Stelle präzisierten Daten bei Laurence eine Genauigkeit vorzuspiegeln scheinen, die bei Berechnungen dieser Art faktisch gar nicht zu leisten ist. Vita Barsumae 80,1: „It was noon and Barsauma was waiting in the shade of an aqueduct to enter this city“ (Übersetzung aus dem Altsyrischen: P 2020, 211). Zur Datierung der Passage (vor 484) siehe oben, 77, Anm. 140.

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9 Verkehrsregeln und Verkehrsregelung am Eingang der römischen Städte

daß die stärkste Mittagshitze vorübergeht, ehe er seine letzte Wegstrecke in die Stadt hinein in Angriff nimmt? Das alles verrät der anonyme Verfasser leider nicht. Sonst ist Warten am Stadttor in den Quellen bereits seit republikanischer Zeit immer in dem Sinne zu verstehen, daß jemand eine andere Person, einen Wagen oder eine Nachricht erwartet. So wartet ein Mann im Morgengrauen am Stadttor darauf, daß ein bestimmtes Fuhrwerk den Ort verläßt,187 andere erwarten geduldig einen Reisewagen mit ihrem Gepäck.188 Junge Mädchen warten am Stadttor auf heimkehrende Soldaten189 und besorgte Angehörige nach einer vernichtenden Schlacht auf Nachricht über das Schicksal ihres Sohnes oder Ehegatten.190 Galens Patient erwartet am Eingang der Stadt seinen Patron,191 und eine römische Reisegruppe steht regelmäßig voller Ungeduld am Stadttor, bis Cicero seinen Brief beendet hat und sein Postkurier sich endlich zu ihnen gesellt.192 Auch der Dummkopf in einem antiken Witz, der auf seinen Bart wartet, setzt sich zu diesem Zweck ans Stadttor.193 Unter Berücksichtigung der anzunehmenden starken Schwankungen im Verkehrsaufkommen und im Hinblick auf die hochgradig komplexen Formalitäten, die gegebenenfalls zu absolvieren waren,194 ist gleichwohl davon auszugehen, daß auch Wartezeiten bei der Abfertigung am Stadteingang in der römischen Antike keineswegs unbekannt waren. In einer Gesellschaft, die Zeit nicht in Minuten, sondern nur in Stunden maß,195 war das Phänomen möglicherweise aber weit weniger negativ besetzt als heute.196 Wartezeiten konnten als nicht unwillkommene Gelegenheit genutzt werden, um – wie Barsauma am Stadttor von Sebaste – zu verweilen und sich mit anderen auszutauschen.197

187 188 189 190 191 192 193 194 195

196 197

Cic. div. 1,57 (die Geschichte spielt im fünften Jahrhundert v. Chr. im griechischen Megara). Juv. 3,10; siehe dazu schon oben, 228–230. Vgl. auch Aristid. Or. 51,2. (= Hieroi Logoi 5,2), wo die Reisegruppe ihren Wagen in der Vorstadt erwartet; dazu oben, 235 f. Plaut. Epid. 218 (Schauplatz ist Athen in vorrömischer Zeit); siehe die ausführliche Besprechung der Stelle unten, 361–366. Liv. XXII 7,11; siehe unten, 274 f. Gal. XI 301 K (De curandi ratione per venae sectionem); siehe oben, 230 f. Cic. fam. XV 17,1; siehe unten, 263. Philogelos 43; als wörtliches Zitat unten, 263. Siehe dazu beispielsweise oben, 181–187 und 193 f. So erläutert der Autor Cetius Faventinus im dritten Jahrhundert ausführlich die Mechanik unterschiedlicher Sonnenuhren, nur um am Ende gleich zweimal darauf zu verweisen, daß die Feststellung der genauen Uhrzeit ohnehin irrelevant sei; es wolle doch eigentlich jeder nur die Tagesstunde wissen (§ 29,2.4). Siehe dazu B 2016c, 82 (dem Verfasser gilt mein herzlicher Dank für den Hinweis auf die Stelle und den hilfreichen Austausch über das Warten in der Antike). Es ließe sich diskutieren, ob überhaupt ein Konzept für »Warten« in unserem Sinn existierte – manere oder opperiri drücken eher das Verbleiben an einem bestimmten Ort aus. Zum Austausch von Informationen am Stadttor siehe unten, 270–272.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation Stadttore stehen in einem urbanistischen Kontext. Sie gehören zu einer Straße, zu einem Stadtviertel, und, was Mauertore betrifft, zu einer Befestigungsanlage. Das vorliegende Kapitel verfolgt den Ansatz, die Struktur der römischen Stadt von ihren Toren ausgehend darzustellen, indem die Rolle der Stadttore für die Orientierung innerhalb und außerhalb der Siedlung sowie für die Organisation des städtischen Raums und des Straßennetzes aufgezeigt wird. Dabei werden zwei komplementäre Betrachtungsweisen durchgespielt, und das Stadttor wird versuchsweise in die Kategorien zweier verschiedener Modelle der Stadt eingeordnet. Im einen Fall wird die städtische Infrastruktur als Netzwerk betrachtet, im anderen Fall als Kommunikationsstruktur. Zunächst wird das Stadttor im Straßensystem betrachtet (10.1). Es wird aufgezeigt, daß schon kaiserzeitliche Autoren die Stadt als Netzwerk beschreiben: als ein Netz gedachter Linien, welche von den Stadttoren ausgehen und im Forum zusammenlaufen, oder als ein Netz orthogonal verlaufender Straßen, dessen Zentralachse die beiden Haupttore miteinander verband. Dem referierten urbanistischen Modell Alan Kaisers zufolge nahmen die Tore im System der städtischen Verkehrswege eine Doppelfunktion als Orientierungspunkte und als Verbindungsstellen wahr, was anhand von Schriftquellen illustriert und im einzelnen nachvollzogen werden soll. Diese Perspektive ermöglicht in einem weiteren Schritt eine neue Bewertung der Rolle des Stadttors in der urbanistischen Struktur von exemplarisch herangezogenen Städten, welche archäologisch gut dokumentiert sind. Anschließend soll das Stadttor als Teil eines Kommunikationssystems untersucht werden (10.2). Dabei wird zur Beschreibung römischer Städte ein Modell Thomas Czarnowskis herangezogen, das die Infrastruktur der modernen Stadt als eine Kommunikationsstruktur betrachtet. Überträgt man die Gegebenheiten der kaiserzeitlichen Urbanistik in die entsprechenden Kategorien, so läßt sich herausarbeiten, daß das Stadttor Qualitäten als Durchgangsort, als Ort informeller Begegnung sowie als Sammlungs- und Verteilerstelle für Personen, Güter, Dienstleistungen und Informationen vereinte. Zur Erörterung der Kommunikationssituation werden Quellen herangezogen, in denen der Eingang zur Stadt als ein Begegnungsraum faßbar ist: Ortsfremde, die in der Stadt ankamen, erhielten am Tor Auskünfte, die Stadtbewohnerinnen und -bewohner tauschten sich dort aus, und sie erhielten Zugang zu Nachrichten, die gerade in der Stadt eintrafen. In einer abschließenden Skizze, die über Czarnowskis Modell hinausgeht, wird das Stadttor selbst als Medium und Aktant von Kommunikation betrachtet.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

10.1 Das Stadttor im Straßensystem Es liegt nahe, die Straßen einer Stadt als ein Netzwerk aufzufassen.1 Eine solche Betrachtungsweise kann für sich in Anspruch nehmen, daß bereits antike Autoren die Stadt als Netzwerk wahrgenommen und dargestellt haben. Charakteristisch erscheint mir die Art und Weise, in welcher sich der ältere Plinius auf die Tore Roms bezieht, um die Struktur der Stadt nachvollziehbar zu machen und ihre Ausdehnung zu definieren. Plinius zieht gedanklich Linien vom goldenen Milliarium auf dem Forum, welches er als den Mittelpunkt der Stadt versteht, zu allen 37 Stadttoren, und berechnet auf dieser Grundlage den Durchmesser der Siedlungsfläche.2 Stellt man sich diese Linien bildlich vor, so ergibt sich ein Netz von Linien, die von den Toren Roms ausgehen und im Forum zusammenlaufen. Eine eng damit verwandte Vorstellung findet sich in einer Passage im Roman des Achilleus Tatios, in welcher der Protagonist Kleitophon von seiner Ankunft in Alexandria berichtet. Kleitophon betritt die Stadt, deren Schönheit ihn sogleich blendet, durch das Heliostor (das heißt, von Osten kommend). Die Siedlungsstruktur Alexandrias beschreibt er nun anhand der Tore: Vom Heliostor führt eine gerade Säulenstraße bis zum anderen Ende der Stadt, welches wiederum durch ein Stadttor, das Selenetor, markiert wird. Im Raum zwischen den beiden Toren erstreckt sich ein ausgedehntes Netz von Seitenstraßen.3 In dieser Darstellung erscheinen die beiden Haupttore als zwei Verbindungspunkte, zwischen denen das orthogonale Straßenraster mit seiner Zentralachse angelegt ist. Die zentrale Straße entspricht einer der gedachten Linien bei Plinius, welche aber, anders als in der Planstadt Alexandria bei Achilleus Tatios, im Rom des ersten Jahrhunderts mit seinem gewachsenen Straßensystem nicht mit den vorhandenen Straßen korrespondierten. Bemerkenswert ist, daß beide Autoren den Stadttoren einen bedeutenden Platz im Gefüge des städtischen Straßensystems zuweisen, bilden die Tore doch jeweils den Ausgangspunkt des von ihnen beschriebenen Netzwerks. Stadttore gehörten zugleich in den größeren Zusammenhang eines überstädtischen Netzwerks, in das sie durch das Fernstraßensystem eingebunden waren.4 Eine Korrespondenz zwischen den Toren benachbarter Städte konnte über baulichtypologische Gemeinsamkeiten oder durch die Benennung der Tore explizit hergestellt werden. So errichtete die Stadt Gadara in flavischer Zeit ein Stadttor, das formal und typologisch dem um einiges älteren Stadttor der Nachbarstadt Tiberias 1

2

3 4

In der Forschung wird dies vielfach praktiziert; neben dem im folgenden aufgegriffenen Ansatz von K 2011 etwa auch bei G 1995, 51–54 oder L/E C/S 2011, 149. Einen Überblick zur Anwendung von Netzwerkmodellen in der Alten Geschichte bietet F 2021. Plin. Nat. 3,66. Plinius bezieht sich auf die unter Vespasian errichteten Tore. Der Beleg ist ebenso wie der nachfolgend besprochene Kaisers Materialsammlung entnommen (K 2011, 7–12); die hier gebotene Interpretation ist meine eigene. Ach. Tat. V 1,1–3. Zur Vernetzung der Städte allgemein siehe den Ansatz von M 1997, der für eine Betrachtung regionaler Netzwerke zwischen römischen Städten plädiert (besonders 54 f.).

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10.1 Das Stadttor im Straßensystem

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glich. Wer von Gadara nach Tiberias reiste, fand damit am Anfang und Ende der Straße Tore vor, die augenscheinlich in einem Bezug zueinander standen. Auch die Überlandstraße von Gadara nach Bosra wurde anscheinend von zwei miteinander korrespondierenden Torbauten gerahmt.5 In vergleichbarer Weise konnte der Reisende in Italien an den Endpunkten wichtiger Fernstraßen auf Stadttore stoßen, die auf den Ausgangspunkt der Strecke, die Stadt Rom, Bezug nahmen. Der Torbogen von Ariminum (Rimini) war beispielsweise eine Ehrung des römischen Senats und Volkes für Augustus.6 Auch die Namen der Stadttore verwiesen mancherorts auf eine Nachbarstadt oder eine benachbarte Region. Eine systematische Suche nach antiken Stadttornamen – deren Analyse einen Beitrag zur Erforschung interstädtischer Netzwerke leisten könnte – wurde im Rahmen dieser Studie nicht durchgeführt; einige Beispiele seien gleichwohl angeführt. So ist etwa an das „Thrakische“ Stadttor der südlich von Thrakien am Marmarameer gelegenen Stadt Kyzikos zu denken.7 In der Asia sind korrespondierende Benennungen von Toren benachbarter Städte für Ephesos und Magnesia am Mäander belegt: Während das entsprechende Stadttor in Ephesos das „Magnesische“ hieß, wurde sein Gegenstück in Magnesia das „Ephesinische“ genannt.8 Eine solche Benennung war keineswegs zwingend durch die topographische Situation vorgegeben. Sie verweist vielmehr darauf, daß die namengebende Stadt einen wichtigen Bezugspunkt darstellte, daß also Austausch zum Beispiel politischer und ökonomischer Natur zwischen den Gemeinwesen bestand.9 So war im ersten Jahrhundert ein Stadttor im kampanischen Nuceria nicht etwa nach Nola benannt, der nächstgelegenen Nachbarstadt an der Via Annia, sondern es hieß das „Römische“10 und verwies damit auf die mehr als 250 Kilometer entfernte Hauptstadt. Ebenso überraschend ist die Existenz eines Tors

5 6 7 8

9

10

Dazu siehe oben, 190. Vgl. H 2001, 132: „Dieser Ehrenbogen bildete nicht nur das Ende der Via Flaminia, sondern zugleich auch den Eingang in die Stadt Ariminum.“ Der Name ist belegt bei Plin. Nat. 36,99. Ich danke Boris Dreyer, der mich auf diesen Umstand aufmerksam gemacht hat. Belege bieten etwa die Inschrift IEph 27, Z. 50 f., 211, 424, 564 f. sowie IEph 2121, Z. 1: τῆς Μαγνητικῆς πύλης (Wortstellung und Lesarten leicht variierend). Die Bezeichung ist auch literarisch gesichert, siehe Paus. VII 2,9. Vgl. diesbezüglich O 2013, 74 f. sowie die Überlegungen in bezug auf die islamischen Stadttore bei K 1999, 200 f.: In der Namengebung von Stadttoren schlugen sich Änderungen in den Außenbeziehungen einer Stadt nieder, wenn beispielsweise nach der Einstellung von Fernhandelsbeziehungen ein Tor, das zuvor den Namen einer weiter entfernten Region getragen hatte, nur mehr nach einem nahen Dorf oder einer Vorstadt benannt wurde. CIL IV Suppl. 3, 8356 = AE 1934, 137, Z. 1: porta(m) Romana(m). Ich gehe davon aus, daß es das Stadttor an der nach Rom führenden Trasse war, das diesen Namen trug; der epigraphische Beleg stammt jedoch aus Pompeji und steht daher nicht in direktem Bezug zu baulichen Befunden in Nuceria.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

im spätantiken Jerusalem, das den Namen der mehr als 100 Kilometer entfernten Landschaft Galiläa trug.11 Um diese Überlegungen weiter zu verfolgen, wäre exemplarisch die Einbindung bestimmter Städte in das Fernstraßennetz zu untersuchen. Das vorliegende Kapitel nimmt jedoch eine innerstädtische Perspektive ein und knüpft damit an die eingangs geschilderte Wahrnehmung der antiken Autoren an, die von den Toren ausgehend Bezüge nicht zu anderen Städten, sondern innerhalb des Stadtgefüges herstellen. Um die Funktion von Stadttoren im innerstädtischen Straßennetz genauer zu erfassen, greife ich ein Modell des Archäologen Alan Kaiser auf. Kaiser betrachtet die römische Stadt als ein Netzwerk, das sich aus Verbindungslinien, Knoten, Orientierungspunkten und Grenzen zusammensetzt. Innerhalb dieses Netzes erfüllen die Stadttore eine doppelte Funktion als Knoten- oder Verbindungspunkte (nodes) und als Orientierungspunkte (landmarks).12 Daß Stadttore als Orientierungspunkte angesprochen werden, ist unmittelbar einsichtig und bedarf an dieser Stelle nicht des methodischen Rückgriffs auf Kaiser;13 die folgenden Überlegungen zur Orientierung in der römischen Stadt werden daher von den Schriftquellen ausgehend erarbeitet (10.1.1). Im anschließenden Abschnitt zum Verständnis des Stadttors als Verbindungsstelle wird dann ausführlich auf Kaisers Kategoriebildung einzugehen sein (10.1.2). 10.1.1 Orientierung – Das Stadttor als Landmarke Da es in den Städten des Römischen Reichs keine Straßenschilder gab und viele Straßen auch keinen Namen hatten, mußten sich Orts- und Richtungsangaben auf Landmarken und Orientierungspunkte beziehen.14 Dazu gehörten, neben anderen besonders markanten Bauten,15 auch die Tore einer Stadt. In Rom beispielsweise

11 12 13

14 15

Die Benennung als porta Galilaeae ist um das Jahr 500 herum belegt, siehe T 1986, 133; es handelte sich um das heute Damaskus-Tor genannte Stadttor. K 2011, passim. Der Verfasser stützt sich seinerseits auf die theoretischen Vorarbeiten von K. Lynch und D. Scagliarini Corlàita. Sein Konzept wird unten, 263–268, näher erläutert. Eine entsprechende Zuordnung von Stadttoren als Landmarken wird beispielsweise bei G 1995, 72, G 2007, 65 oder J 2015, 225 voraussetzungslos vorgenommen. Die Bedeutung von Stadttoren für die Orientierung innerhalb einer Stadt läßt sich nicht zuletzt aus dem Umstand ableiten, daß Tore ihre materielle Zerstörung oft überdauern, indem sie weiterhin als Namensgeber für Stadtviertel erinnert werden. Vgl. dazu, in bezug auf die islamische Welt, K 1999, 250; man denke aber auch an entsprechende Stadtteil- und Straßennamen in heutigen Städten (die „Walltorstraße“ in Gießen, „Am Mühlentor“ in Greifswald, „Am Predigertor“ in Freiburg etc.). Vgl. L 1990, 210. In den Inschriften italischer Städte werden manchmal selbst Hauptstraßen umständlich beschrieben, da sie keinen verbindlichen Namen hatten (Beispiele ebd., 208). In Rom etwa der Circus (siehe etwa Ov. fast. 5,669); in der fiktiven Stadtlandschaft bei Ter. Ad. 573 auch das Macellum.

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10.1 Das Stadttor im Straßensystem

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waren die regio portae Capenae und mehrere vici nach dem jeweiligen Stadttor benannt, an dem sie situiert waren.16 Es wurde bereits gezeigt, daß Pausanias in seiner Beschreibung von Städten der Provinz Achaia wiederholt auf Stadttore verweist, um seine Ausführungen zu strukturieren, die Orientierung innerhalb eines Orts zu erleichtern und Wegbeschreibungen zu präzisieren.17 Die Ausrichtung und Gliederung einer topographischen Darstellung anhand von Stadttoren ist immerhin so naheliegend, daß auch moderne Autoren darauf zurückgreifen. So bespricht Michael Scott die Nekropolen von Ostia und Pompeji in der Reihenfolge der Stadttore, vor denen sie zu finden sind,18 und bezieht sich immer wieder auf die Lage der Grabstätten im Verhältnis zu dem jeweiligen Tor.19 Der antike wie der heutige Autor übernehmen dabei eine Technik, die jeder Besucher vor Ort intuitiv benutzen wird, um sich am Zugang der Stadt bzw. heute in der Ausgrabungsstätte zurechtzufinden.20 Bereits bei Plautus und Terenz werden entsprechende Bezüge zu den Stadttoren hergestellt, wobei die gattungstypischen Verwicklungen andeuten, daß auch scheinbar simple Wegbeschreibungen keineswegs Gewähr dafür boten, wirklich am gesuchten Ort anzukommen. So sucht ein ortsfremder Sklave im Pseudolus nach einem bestimmten Haus, das ihm sein Herr als das siebte vom Tor aus beschrieben hat,21 aber wie in einer Komödie nicht anders zu erwarten, findet sich der wackere Sklave wenig später außerhalb der Stadt wieder, im dritten Wirtshaus vor dem Tor,22 wo er erst einmal ein Mittagsschläfchen hält. Ein anderer Sklave, der unterdessen zum selben Haus will, das bereits der erste gesucht hatte, kann sich gerade noch daran erinnern, daß er die vom Stadttor aus sechste Gasse nehmen muß;23 das wievielte Haus in der Gasse er suchen soll, hat er freilich längst vergessen.24 In einer Szene in Terenzens „Brüdern“ erklärt ein Sklave seinem Herrn den Weg zum Aufenthaltsort des gesuchten Bruders, welcher sich in einer Tischlerwerkstatt kurz vor dem Stadttor befinden soll: „Bevor du ans Tor kommst, ist bei dem Wasserbecken eine kleine Bäckerei und gegenüber eine Werkstatt: Dort ist er.“25 Die 16 17 18 19

20 21 22 23 24 25

Belege oben, 211 f. Siehe oben, 100 f. S 2013, 78–96. Einige Beispiele seien aufgeführt: „about 500 m from the Stabian gate“ (ebd., 87); „just outside the Nolan gate“ (88); „directly outside the Stabian gate“ (90); „nearer the Nucerian gate“ (90); „between the Nucerian gate and the amphitheatre“ (91); „about 20 m from the gate“ (94); „closer to the city gate“ (94); „even closer to the city gate“ (95). Zum intuitiven Sichzurechtfinden in geographischen Räumen der Antike siehe den Beitrag von T 2014 über implizite Wissensstrukturen in der common sense geography. Plaut. Pseud. 597: septumas esse aedis a porta. Eine Auseinandersetzung mit den Stadttorbezügen im Pseudolus und eine Übersetzung der hier zitierten Passagen finden sich unten, 366–371. V. 658: extra portam huc in tabernam tertiam. V. 960 f.: hoc est sextum a porta proxumum | angiportum, in id angiportum me devorti iusserat. Zur baulichen Situation, die hier als Bühnenbild vorausgesetzt ist, siehe unten, 369. V. 962: quotumas aedis dixerit, id ego admodum incerto scio. Ter. Ad. 579–584, Zitat V. 583 f.: prius quam ad portam venias, apud ipsum lacum | est pistrilla et exadvorsum fabrica: ibi est. (Eigene Übersetzung.)

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

Angabe erweist sich im weiteren Verlauf der Komödie als kalkulierte Fehlinformation, aufgrund derer der bedauernswerte Bürger vergeblich einmal durch die ganze Stadt bis zum Tor und zurück trabt,26 während hinter seinem Rücken Intrigen gesponnen werden. Das alltägliche Orientierungssystem, auf das sich die handelnden Figuren beziehen, setzte sich somit aus drei Elementen zusammen: Erstens wurden markante Gebäude und Institutionen angegeben (Stadttor, Wasserbecken, Bäckerladen), zweitens die Lage dieser Orientierungspunkte im Verhältnis zu einer gedachten Bewegungsrichtung (vor, hinter, gegenüber), und gegebenenfalls drittens Einheiten wie Wohnhäuser oder Gassen, die keine eindeutigen Unterscheidungsmerkmale aufwiesen und deshalb schlicht durchgezählt wurden (das siebte Haus, die dritte Schenke, die sechste Gasse). Mittels einer Kombination entsprechender Angaben von Orientierungspunkten und numerierbaren Einheiten konnte prinzipiell jeder Ort innerhalb der Stadt klar bezeichnet werden. Da eine reine Numerierung jedoch anscheinend vergleichsweise fehleranfällig war,27 wurde gegenüber ortskundigen Personen einer inhaltlichen Präzisierung der Vorzug gegeben; so weiß der Sklave bei Terenz in seiner Wegbeschreibung gegenüber einem Ortsansässigen auch Häuser und Straßen präzise zu differenzieren und bezieht sich etwa auf die Gasse mit dem großen wilden Feigenbaum oder das Haus des reichen Cratinus.28 Auf diese Weise wird aus einem Haus, das für den Ortsfremden wie jedes andere aussieht, ebenfalls ein konkret benennbarer Orientierungspunkt, was die Beschreibung vereinfacht. Ähnliche Verweise lassen sich auch aus der kaiserzeitlichen Literatur beibringen.29 Wenn etwa Ovid einen stadtrömischen Venustempel erwähnt, der nahe der Porta Collina zu finden sei (Collinae proxima portae), so sind Verwechslungen damit ausgeschlossen – sowohl für die im Text adressierten Mädchen, die das Heiligtum aufsuchen und der Göttin Myrte, Minze, Binsenkränze und Rosen opfern sollen, als auch für die Rezipienten der Fasten, die das Geschehen lebhaft vor sich sehen und in ihrer Vorstellung mit dem ihnen bekannten Ort verbinden können.30 Der Tempel des Mars und eine dem Merkur geweihte Quelle werden bei Ovid ebenfalls in Verbindung mit einem Stadttor gebracht.31 Analog nimmt der ältere

26 27 28 29

30 31

V. 713–717. Gegen P 2017, 207 f., der davon ausgeht, daß man sich innerhalb einer Stadt bevorzugt anhand von Katasterangaben orientiert hätte. Ter. Ad. 576 f., 581. Siehe neben den im folgenden aufgeführten Stellen beispielsweise auch Aug. Res Gestae 11: ante aedes Honoris et Virtutis ad portam Capenam oder Strab. VI 2,5 (p. 272C): ἐν ῾Ρώµῃ . . . πρὸ τῆς πύλης τῆς Κολλίνης; sowie die unten auf S. 304 in Anm. 131 angegebenen Belege (proxime portam Collinam und ad portam Collinam dextra viam). Ov. fast. 4,871. Ebd., 6,192 (der Tempel des Mars in der Blickachse der Porta Capena); 5,673 (die Quelle Merkurs nahe der Porta Capena).

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10.1 Das Stadttor im Straßensystem

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Plinius bei seiner Beschreibung von Kyzikos auf ein bestimmtes Stadttor Bezug.32 Entsprechende Formulierungen sind auch epigraphisch und papyrologisch belegt.33 Da die Tore einer Stadt nicht nur einfach zu finden, sondern auch problemlos zugänglich waren und Verwechslungen weitgehend ausgeschlossen werden konnten, dienten sie auch als Treffpunkte bei Verabredungen. Dies lag vor allem dann nahe, wenn man ohnedies die Stadt verlassen wollte. Daß sich Reisegruppen an einem Stadttor verabredeten und sammelten, ist für Rom bereits bei Cicero belegt. Dieser beschwert sich im Jahr 45 v. Chr. in einem Brief an Cassius darüber, daß ihm dessen Postkuriere keine Zeit zum Schreiben ließen; sie pflegten reisefertig zu Cicero zu kommen und ihn zu bedrängen, auf die Schnelle einen Brief abzufassen, da ihre Kameraden bereits am Tor auf sie warteten (petasati veniunt, comites ad portam exspectare dicunt).34 Die bereits aufgeführten Belege zum Warten auf Gepäck und Fahrzeuge am Stadttor gehören ebenfalls in diesen Zusammenhang.35 Als selbstverständlicher Treffpunkt erscheint das Stadttor schließlich auch in einem antiken Witz: σχολαστικὸς ἀκούσας παρά τινων ὅτι ὁ πώγων σου ἤδη ἔρχεται – ἀπελθὼν εἰς τὴν πύλην ἐξεδέχετο αὐτόν. ἕτερος δὲ τὴν πρόφασιν ἐρωτήσας καὶ γνούς· εἰκότως, εἶπε, µωροὶ νοµιζόµεθα· πόθεν γὰρ οἶδας, εἰ διὰ τῆς ἑτέρας πύλης ἔρχεται;

„Ein Studierter, der von einigen Leuten gehört hatte: ‚Dein Bart kommt schon‘, ging zum Stadttor und erwartete ihn. Ein anderer, der nach dem Grund dafür fragte, erfuhr ihn und sagte: ‚Passend werden wir für Dummköpfe gehalten: Woher weißt Du denn, ob er nicht durch das andere Tor kommt?‘“36

10.1.2 Raumorganisation – Das Stadttor als Verbindungsstelle Stadttore dienten jedoch nicht nur der Orientierung innerhalb und außerhalb der Stadt, sondern auch der effizienten Organisation des städtischen Raums. So konnte ihnen in bezug auf das Straßennetz eine logistische Schlüsselposition zukommen. Dies läßt sich in der Stadt Rom schon für das erste Jahrhundert v. Chr. belegen, als 32 33

34 35 36

Plin. Nat. 36,99: eadem in urbe iuxta portam, quae Thracia vocatur, turres septem. „In dieser Stadt gibt es bei dem Tor, das das Thrakische genannt wird, sieben Türme . . . “ (Eigene Übersetzung.) Siehe meine epigraphische Fallstudie zur Bedeutung von Stadttoren für eine Verortung innerhalb der Stadt Rom, oben, 210–212. Außerhalb von Rom kann beispielhaft die Inschrift CIL XI pars 1, 3126 = CIL XIV 409* = ILS 5374 aus Falerii (Civita Castellana) benannt werden (Z. 1–5: viam | Augustam | a porta Ci|mina usque | ad Anniam). Als papyrologischer Beleg sei eine Quittung aus Ptolemaïs Euergetis angeführt, die „die Bank des Arion beim Tor von Demetrion“ (einem Vorort der Stadt) ausgestellt hat (BGU 13,2342 vom 28. Januar 129, Z. 3–5): διὰ τῆς πλ. ησίον | [τ]ῆς τοῦ ∆ηµητρίου πύλης ᾽Αρείο[υ] | τραπέζης. (Eigene Übersetzung.) Cic. fam. XV 17,1. Siehe oben, 256. Philogelos 43.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

die Staatssklaven, die als Hilfsverbände der städtischen Feuerwehr abgestellt waren, ihre strategisch eingeteilten Posten an den Stadttoren und entlang der Mauern bezogen.37 Von dort aus konnten alle Orte innerhalb der Stadt am schnellsten erreicht werden. Wenn es im folgenden um die Effizienz des städtischen Straßensystems geht, greife ich damit wie angekündigt auf Kaisers Netzwerkmodell zurück, das dem Stadttor eine Funktion nicht nur als Orientierungspunkt (landmark), sondern auch als Verbindungsstelle (node) zuspricht. Neben den Stadttoren stellt auch das Forum für Kaiser eine solche Verbindungsstelle dar.38 Auf der Grundlage dieser Klassifizierung lassen sich bislang nicht erkannte Muster der Raumorganisation in den Städten des Reichs aufzeigen. Kaiser folgend läßt sich nicht nur die Entfernung einer Straße, sondern auch ihre Tiefe (depth) vom Stadttor bzw. vom Forum aus angeben.39 Eine Straße, die am Stadttor beginnt, hat gemäß dieser Betrachtungsweise eine Tiefe von eins, ihre Seitenstraßen haben eine Tiefe von zwei, deren Abzweigungen eine Tiefe von drei usw. Wie Kaiser zeigen kann, differenziert bereits das antike Vokabular zwischen Straßen, die direkt zum Stadttor führen, also Straßen der Tiefe eins, und anderen innerstädtischen Verkehrswegen (via oder platea im Unterschied zu semita oder angiportum).40 Kaisers Konzept ist zwar erklärtermaßen simplifizierend, weil es örtliche Gegebenheiten wie zum Beispiel die ganz unterschiedliche Bedeutung von einzelnen Toren einer Stadt nicht berücksichtigt,41 es ermöglicht aber sehr aufschlußreiche Vergleiche der Organisation von Verkehrswegen in verschiedenen Städten. Für die vorliegende Arbeit ist es deswegen besonders wertvoll, weil das bekannte archäologische Material anhand dieses Konzepts differenzierter ausgewertet werden kann als mit den üblichen Entfernungsangaben. Anstatt danach zu fragen, welche Arten von Gebäuden sich in welcher Entfernung zum Stadttor finden, kann festgestellt werden, wie direkt, effizient und einfach der Zugang zu diesen Gebäuden und den damit verbundenen Aktivitäten vom Stadttor aus war. So war das Forum einer kaiserzeitlichen Stadt häufig zentral gelegen und damit in besonders weiter Entfernung von allen Stadttoren, gleichzeitig aber führten die Straßen in aller Regel direkt vom Eingang der Stadt dorthin (das heißt mit Kaiser: das Forum befand sich in einer Tiefe von eins zu den Toren). Dies war etwa in 37

38 39 40 41

Dig. 1,15,1 (Paulus). Hier heißt es mit Bezug auf den Zustand vor Augustus (der die Feuerwehr für Rom dann neu organisierte): erat autem familia publica circa portam et muros disposita, unde si opus esset evocabatur. „Es war aber auch eine Truppe von Staatssklaven an den Toren und rund um die Mauern postiert, von wo sie bei Bedarf herbeigerufen werden konnte.“ K 2011, 8–10.53. Auch L/E C/S 2011, 149 machen die Stadttore und das Forum als Knotenpunkte des Verkehrsgeschehens aus. K 2011, 54 f. Der Verfasser folgt hier raumtheoretischen Ansätzen; er bezieht sich dabei auf das Buch „The social logic of space“ von B. Hillier und J. Hanson. Siehe dazu die Aufstellung bei K 2011, 27. Vgl. ebd., 52–54.

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10.1 Das Stadttor im Straßensystem

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Abbildung 10.1: Augusta Treverorum (Trier) in der Vogelperspektive. Das südliche Stadttor ist das ganz hinten abgebildete; im Vordergrund ist halblinks die prominentere Porta Nigra zu sehen. Die Abbildung macht deutlich, daß der Weg von den Toren zum Forum (auf der Höhe der Moselbrücke zentral gelegen) sehr weit, aber einfach zu finden war. Freie Rekonstruktion von Jean-Claude Golvin.

Trier der Fall (Abb. 10.1). Der beispielsweise von Süden her dort ankommende Reisende steuerte auf dem Cardo in exakter Blickachse auf das Forum zu, so daß es trotz der vergleichsweise großen Entfernung vom Stadttor schwerlich zu verfehlen war. Auch von der Moselbrücke her kommend lief man geradewegs auf das Forum zu. Auf solche Weise konnte jeder ortsunkundige Besucher einer Stadt ohne Schwierigkeit zum Forum gelangen, da er von den Haupttoren aus auf dem Decumanus oder Cardo direkten Weges dorthin geführt wurde. Im Idealfall verliefen diese Straßen zudem schnurgerade, so wie Kleitophon es in Alexandria in besonderer Perfektion bewundert.42 In Kaisers Studie werden nun exemplarisch die Straßenorganisation in Pompeji, Ostia, Calleva Atrebatum (Silchester) und Emporiae untersucht. Zusammenfassend lassen sich die folgenden Ergebnisse referieren: In Pompeji konnte man sich dank einer geringen Tiefe aller Straßen von den Toren aus gut zurechtfinden; es gab fast nur Straßen der Tiefe eins oder zwei, einige wenige der Tiefe drei. Je einfacher die Straßen von einem der Stadttore aus zugänglich waren, desto mehr Läden, 42

Siehe oben, 258.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

Werkstätten, Bars und Brunnen fanden sich dort. Die städtischen Thermenanlagen lagen in Pompeji ausnahmslos an Straßen der Tiefe eins zu den Toren. Die großen Vergnügungsstätten – beide Theater und das Amphitheater – befanden sich direkt am Stadtrand an den Toren, also ebenfalls in einer Tiefe von eins. Lediglich die Bordelle waren in größerer Tiefe zu den Toren angesiedelt, nämlich in Nebenstraßen des Stadtzentrums. Sie waren damit nicht ganz so einfach zu finden, wenn man von den Stadttoren oder von den Unterhaltungsstätten aus in die Stadt kam.43 Bei der städtischen Elite von Pompeji waren besonders die Wohnlagen an den belebten Ausfallstraßen und in der Nähe zu einem Stadttor begehrt. Diesen Befund führt Kaiser überzeugend darauf zurück, daß die Straßen geringer Tiefe das höchste Fußgänger- und Verkehrsaufkommen aufwiesen.44 Wer von seiner domus aus auf einer der Hauptverkehrsstaßen, umringt von seinen Klienten, zum Forum schritt und dabei eine möglichst weite Strecke zu gehen hatte, der konnte sicher sein, von besonders vielen Personen gesehen zu werden.45 Etwas anders stellt sich die Situation im kaiserzeitlichen Ostia dar, dessen Straßennetz mit einer Tiefe von bis zu fünf deutlich komplexer war als das von Pompeji. Zwar fanden sich auch in Ostia viele kommerzielle Gebäude und Gasthäuser in geringer Tiefe zu den Toren, als Wohnlage aber waren die zentralen Straßen nicht beliebt. Kaiser erklärt diesen Befund dahingehend, daß Ostia als Hafenstadt Roms ein sehr viel stärkeres Verkehrsaufkommen hatte als Pompeji und daß die Einwohnerinnen und Einwohner sich gegen den Lärm der Fuhrwerke und die fremden Händler und Schiffsleute abgrenzen wollten.46 (Entscheidend ist dabei meines Erachtens allerdings eher die Art des Verkehrs – mit viel auswärtigem Transitverkehr – als das Verkehrsaufkommen als solches, denn während der Fuhrverkehr in Pompeji starken Einschränkungen unterlag und der bloße Transit damit denkbar unattraktiv gemacht wurde,47 waren die breiten Straßen in Ostia für die Durchfahrt auch sperriger Fahrzeuge gut geeignet.48 ) Die Fließbrunnen waren weniger gut sichtbar als in Pompeji angelegt, religiöse Gebäude dagegen etwas prominenter plaziert. Das Theater war in Ostia sowohl von den Stadttoren als auch vom Forum kommend auf direktem Wege zu erreichen.49 In der sehr ländlich geprägten Ansiedlung von Calleva Atrebatum wiederum konnten sich Fremde wie in Pompeji sehr einfach zurechtfinden, da die Straßenstruktur auch hier nur bis zu einer Tiefe von drei reichte. Dennoch war gerade das Forum zwar absolut zentral gelegen, aber nicht direkt an einer der beiden Haupttrassen. Wollte man von einem der Stadttore aus dorthin gelangen, mußte 43 44 45 46 47 48 49

Zu möglichen Gründen dafür siehe K 2011, 79–82. Vgl. diesbezüglich die unten, 270 f., referierte Untersuchung zur Interaktionsdichte in eben diesen Straßen in Pompeji. K 2011, 77–88. Ebd., 107–121. Siehe oben, 237 f. Siehe oben, 246. K 2011, 121 f.

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10.1 Das Stadttor im Straßensystem

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man zweimal abbiegen, was bereits die maximale Anzahl möglicher Abzweigungen für einen Weg innerhalb dieser Stadt war. Während die Verteilung von Ladengeschäften auf die Stadt keine Präferenzen erkennen läßt, waren Werkstätten in signifikanter Häufung in geringer Tiefe zu den Stadttoren zu finden.50 Das vierte von Alan Kaiser untersuchte Beispiel ist das des römischen Emporiae in der Hispania Tarraconensis, das er mit seiner griechischen Vorgänger- und Nachbarsiedlung, der Hafenstadt Neapolis, vergleicht. Während die ganze Stadtanlage von Emporiae in der Effizienz des Straßensystems den anderen von ihm untersuchten römischen Städten entspricht,51 bewertet Kaiser die Anlage des kaiserzeitlichen Neapolis als grundlegend nicht-römisch, vom Architekturstil über die Raumorganisation bis hin zur Beziehung zwischen Gebäuden und Straßennetzwerk.52 Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt,53 war die Stadtanlage von Neapolis mit ihren steilen und verschachtelten Gassen nicht stark auf die Straßenführung ausgerichtet. Obwohl es sich um eine flächenmäßig sehr kleine Stadt handelte, hatte sie, wie Kaiser darlegt, eine extrem komplexe vorrömische Straßenstruktur mit Tiefen von bis zu sechs.54 Während also ein Weg in einer Stadt wie Pompeji in der Regel nicht mehr als eine einzige Richtungsänderung erforderte, mußte man in Neapolis bis zu fünfmal abbiegen, ehe man, vom Stadttor kommend, in den kleinen Gassen ans Ziel gelangte. In den vier untersuchten römischen Städten Pompeji, Ostia, Calleva Atrebatum und Emporiae, so Kaisers Fazit, wurden Straßen und Raum zwar unterschiedlich genutzt. Dabei wiesen die Straßennetze dieser Orte aber hinreichende Gemeinsamkeiten dafür auf, daß eine mit der römischen Kultur vertraute Person, die die Stadt durch eines ihrer Tore betrat, sich orientieren und zurechtfinden konnte.55 So waren die im Stadtplan einander gegenüberliegenden Tore sowie das Forum durch Straßen ersten Ranges (primary streets) miteinander verbunden, welche breit angelegt und gut ausgebaut waren, so daß sie in der Regel auch bequem von Fahrzeugen benutzt werden konnten. Sie wurden von Ladengeschäften für den täglichen Bedarf gesäumt und boten einen einfachen, schnellen und intuitiv erfaßbaren Zugang zu wichtigen Orten innerhalb der Stadt wie den Verwaltungsgebäuden am Forum, den Fließbrunnen, Bädern und Tempeln.56 Straßen zweiten Ranges (secondary streets) waren demgegenüber schwieriger zu finden, schmaler und kürzer und ließen 50 51 52

53 54 55 56

Ebd., 143–166. Ebd., 197. Eine detaillierte Analyse des Straßensystems von Emporiae wird aufgrund der noch sehr lückenhaften Ergrabung des Areals nicht geboten. Ebd., 197 f. Der Verfasser verweist stattdessen auf griechische und iberische Vorbilder. Römische Aspekte sind freilich durchaus feststellbar; so fand der Handel nicht mehr, wie in griechischen Städten üblich, in erster Linie auf der Agora statt, sondern in Geschäften entlang belebter Straßen. In Neapolis sind Läden vor allem an der Straße zwischen Agora und Südplatz, entlang der Hafenstraße sowie in der Nähe der Stadttore nachgewiesen (ebd., 180, 203 f.). Siehe oben, 238 f. K 2011, 170–194. Ebd., 200 und 202 f. Ebd., 199 f.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

nur bedingt Fuhrverkehr zu. Sie führten nicht zu administrativen Gebäuden, wohl aber zu kleineren Thermen, Läden und Werkstätten.57 Die römische Urbanistik hielt damit feste Muster bereit, welche die Raumordnung in den kaiserzeitlichen Städten prägten. Trotz regionaler und lokaler Besonderheiten boten diese Muster eine klare Orientierungsmöglichkeit für diejenigen, die die Straßen benutzten.58 In bezug auf die Themenstellung dieser Arbeit ist folgendes festzuhalten: Die Stadttore spielten für die innerstädtische Raum- und Straßenorganisation eine ganz entscheidende Rolle. Römische Städte waren so angelegt, daß sich ortsfremde Personen, die am Stadttor eintrafen, einfach zurechtfinden konnten. Der entscheidende Faktor war dabei nicht, daß die Stadt über ein konsequent umgesetztes rechtwinkliges Straßenraster verfügte, sondern daß das System der innerstädtischen Straßen auf die Zugangswege und damit auf die Stadteingänge hin ausgerichtet war. Die Hierarchie der innerstädtischen Straßen leitete sich somit unmittelbar von ihrer Verbindung zu den Toren ab – beziehungsweise dort, wo Tore fehlten (ein Fall, den Kaiser nicht berücksichtigt) von der Anbindung an die außerstädtischen Fernverkehrswege. In Abhängigkeit von der Zugänglichkeit der Stadttore ergibt sich somit eine Differenzierung zwischen den sehr belebten Hauptverkehrsstraßen, die den auswärtigen Verkehr ebenso wie den größten Anteil des Binnenverkehrs im Idealfall direkt von einem Stadttor zum anderen führten, den abbiegenden ruhigeren Nebenstraßen, die hauptsächlich von der Stadtbevölkerung selbst genutzt wurden, und solchen (wiederum von diesen Nebenstraßen abzweigenden) noch kleineren Gassen, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner des jeweiligen Viertels weitgehend unter sich blieben. An diese Feststellung wird im folgenden Abschnitt anzuknüpfen sein, wenn es um Kommunikationswege innerhalb der Stadt geht. 10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem Begegnungsräume in der römischen Stadt wie das Forum oder das Theater sind mit ihrer spezifischen Kommunikationssituation mittlerweile recht gut untersucht.59 Der Stadteingang hingegen hat in diesem Zusammenhang noch nicht viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen – möglicherweise deshalb, weil die literarischen Quellen nicht annähernd so reichlich fließen. Dabei sind Stadttore natürlich „Kommunikationsorte allerersten Ranges“60 . Ob man das Bild vom Nadelöhr bemüht, das vom Knoten im Netzwerk städtischer Bewegungslinien oder das der Grenze zwischen innen und außen: Am Tor ergaben sich bei Märkten und Verabredungen, beim Beladen und Entladen von Lastwagen, beim Empfang oder der Verabschiedung wichtiger Besucher tagtäglich zahlreiche Möglichkeiten zur Kommunikation. 57 58 59 60

Ebd., 200. Ebd. Siehe zuletzt M 2012. O 2013, 78.

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10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem

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In diesem Abschnitt sollen Informationsaustausch und Informationsfluß am Eingang der Stadt untersucht werden. Zum einen wird es um die Kommunikation gehen, die dort zwischen unterschiedlichen Akteuren stattfand, und zum anderen um den Zugang zu Nachrichten, die von außerhalb in der Stadt eintrafen. Dabei greife ich methodische Anregungen aus einer Untersuchung zur Kommunikationssituation in heutigen Städten auf. Diese geht zwar aus naheliegenden Gründen nicht auf Stadttore ein, aber da ich die Stadttore als Teil des Straßensystems auffasse, ergeben sich Anknüpfungspunkte zur Rolle von Straßen für die städtische Kommunikation. 10.2.1 Ortsspezifische Kommunikationsmodalitäten im urbanen Raum Betrachtet man den öffentlichen städtischen Raum als Begegnungsraum, so lassen sich in einer Stadt verschiedene Kategorien von Orten unterscheiden, an denen jeweils spezifische Kommunikationsmodalitäten gegeben sind. Eine nützliche Kategorisierung von städtischen Kommunikationsorten hat der amerikanische Architekt Thomas Czarnowski entwickelt: Sein Modell differenziert 1. Durchgangsorte (places of passage), 2. Sammlungs- und Verteilerstellen (collection and distribution nodes), 3. offizielle Versammlungsorte (formal meeting places), 4. informelle Begegnungsstätten (informal meeting places) und 5. Lagerplätze (storage areas).61 Kommunikation ist dabei mit Czarnowski in einem weiten Sinn zu verstehen, nämlich als die Verbreitung und der Austausch von Personen, Gütern, Dienstleistungen und Nachrichten.62 Wenngleich Czarnowski die moderne Stadt mit U-Bahnen, Aufzügen, Bahnhöfen, Stromkabeln, Parkplätzen etc. vor Augen hat, lassen sich seine Kategorien unschwer auf römische Städte übertragen. Vorbehaltlich der Unschärfen und Überschneidungen, die ein solches Modell zwangsläufig mit sich bringt, ließe sich der Kommunikationsraum einer römischen Stadt folgendermaßen differenzieren: 1. Als Durchgangsorte nach Czarnowski lassen sich etwa Straßen, Gehwege, Portiken, Treppen, Brücken, Aquädukte und Abwasserkanäle anführen. 2. Sammlungs- und Verteilerstellen im Sinne von Czarnowskis Kategorisierung waren Foren, Märkte und Basiliken, die Orte der öffentlichen Getreideausgaben,63 der Hafen, aber auch 61

62

63

C 1986, vor allem 207 f. Seine Kategorisierung hat gewisse inhaltliche Berührungspunkte zu Ansätzen der Netzwerkforschung, wie sie bereits oben, 258–268, aufgegriffen wurden. Insbesondere war dort ebenfalls von nodes die Rede (siehe vor allem 264), allerdings konkret auf Knotenpunkte des Stadtverkehrs bezogen und nicht auf abstraktere Kommunikationsformen wie bei Czarnowski (dazu das Nachstehende). Um diesen gleichwohl subtilen Unterschied deutlich zu machen, habe ich oben das von Kaiser benutzte node im Deutschen als „Knoten“ oder „Verbindungsstelle“ übersetzt, Czarnowskis collection and distribution node als „Sammlungs- und Verteilerstelle“. C 1986, 207: Kommunikation ist „every kind of dissemination or exchange, whether it be of persons, goods, messages, or energy, and whether it be transcribed, transported, or transmitted“. Dies war in der Stadt Rom die Porticus Minucia Frumentaria.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

Wassertürme und Brunnen. In diese Kategorie fallen auch Orte, an denen Wissen gesammelt und zur Verfügung gestellt wurde, wie Bibliotheken oder Akademien. 3. Offizielle Versammlungsorte einer kaiserzeitlichen Stadt waren die Versammlungsstätten politischer Organe wie die Kurie, aber auch die Vergnügungs- und Kulturstätten wie Theater, Arena, Circus oder Odeion. 4. Zu informellen Begegnungsorten konnten prinzipiell fast alle der in den anderen Kategorien benannten Orte werden. In erster Linie wird jedoch an Kreuzungen, Straßenecken und Plätze, aber auch an Thermen, Ladengeschäfte, Wirtshäuser, Vereinsgebäude, Privatanwesen oder Gärten zu denken sein. 5. Lagerstätten wären etwa Getreidespeicherhallen, Warenlager, Ställe oder Zisternen und wiederum Bibliotheken, in denen Bücher bereitgehalten und Wissen gespeichert wurde.64 Je nachdem, welche Qualität eines Orts im Vordergrund steht, sind also durchaus unterschiedliche Einordnungen möglich. Dies gilt auch für die Stadttore. Sie sind zweifellos in der Kategorie der Durchgangsorte sowie in der Kategorie der Verteilerstellen einzuordnen, erfüllen aber auch die Kriterien eines informellen Begegnungsortes. Die erstgenannte Qualität des Tors als Durchgangsort ist im Kapitel 9 über den Stadtverkehr bereits behandelt worden; die Qualitäten als Sammlungs- und Verteilerpunkt sowie als informeller Begegnungsort sollen im folgenden anhand der Quellen beleuchtet werden. Wurde zuvor bereits die Dynamik städtischer Bedürfnisse herausgearbeitet,65 so ist auch in bezug auf das Stadttor als Ort der Kommunikation zu betonen, daß wir es hier nicht mit einer statischen Größe, sondern mit sehr wandelbaren, von den Menschen immer wieder anders genutzten und neu interpretierten Möglichkeiten der Kommunikation zu tun haben, die sich an den Stadttoren eröffneten. 10.2.2 Informationsaustausch Zu den spezifischen Gegebenheiten des Stadttors gehörte eine besonders hohe Aktivitätsdichte, wie Ray Laurence anhand einer Untersuchung zu Pompeji aufgezeigt hat.66 Die Interaktion und Aktivität der Stadtbevölkerung bestimmte Laurence anhand der Frequenz von Hauseingängen entlang einer Straße, und diejenige derer, die die Straßen benutzten, anhand der Frequenz von Graffiti. Obwohl die Ergebnisse beider Berechnungen stark voneinander abwichen, also gerade die Straßen mit besonders wenigen Hauseingängen besonders viele Graffiti aufwiesen und umgekehrt,67 gab es in einem Punkt eine sehr deutliche Korrelation: Beide Indikatoren waren in den Straßen am höchsten, die zu den Stadttoren führten (also jenen

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65 66 67

Wenngleich diese Aufzählung keinerlei Vollständigkeit beansprucht, sei doch darauf verwiesen, daß sich wichtige Orte einer römischen Stadt wie die Tempel in diesem Schema nicht schlüssig unterbringen lassen. Siehe oben, 71 f. L 1994, 88–103. Ebd., 97.

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10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem

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Straßen, die Kaiser als primary streets klassifiziert68 ). Auf diesen Straßen bestand Laurence zufolge in Pompeji die höchste Interaktion und Aktivität sowohl der Einheimischen untereinander als auch mit der Bevölkerung des Umlands und Fremden.69 Das Stadttor mit seinen Zugangsstraßen und Vorplätzen gehörte daher zu den typischen Orten der römischen Stadt, an denen sich die Gelegenheit ergab, müßig zu verweilen und zwanglos mit anderen ins Gespräch zu kommen.70 Man wird sich die Situation ähnlich vorstellen können wie in den frühneuzeitlichen Quellen geschildert: An den Stadttoren waren stets Müßiggänger und Kinder anzutreffen, weshalb das Herumlungern an den Toren immer wieder verboten wurde.71 Ein Austausch von Informationen wurde durch die hohe Interaktionsdichte jedenfalls begünstigt. So erscheint das Tor stets als diejenige Stelle in der Stadt, an der Ortsfremde Auskünfte erhalten: Der ungenannte Adressat eines Graffito in Pompeji wird aufgefordert, am Römischen Stadttor des Nachbarorts Nuceria nach einer Frau namens Novellia Primigenia zu fragen,72 die wohl in der Nähe des Tors wohnte oder arbeitete.73 Auch ein reisender Studiosus wandte sich Libanios zufolge in einer fremden Stadt üblicherweise als erstes an den Torwächter und an seinen Gastwirt, um sich den besten Sophisten des Ortes empfehlen zu lassen.74 In vergleichbarem Zusammenhang ist ferner auf ein fiktionales Szenario in den Metamorphosen des Apuleius zu verweisen, demzufolge ein Fremder am Tor einer ihm unbekannten Stadt nicht nur damit rechnen konnte, ein Wirtshaus zu finden, sondern dort auch gleich umfassend Auskunft über den Ort und seine Bewohner zu erhalten.75 Lucius, der Held des Romans, ist soeben am Tor von Hypata angekommen, einer oberhalb des Spercheiostals in Thessalien gelegenen Stadt. Das offensichtlich unbesetzte Stadttor bietet als solches noch keinen Anhaltspunkt, wo der Reisende sich befindet; aber im erstbesten Gasthaus am Stadteingang läßt sich Auskunft bekommen. Lucius befragt die alte Wirtin, ob er hier wirklich in Hypata sei: estne Hypata haec civitas? „Ist diese Stadt nicht Hypata?“76 Er läßt sich den Weg zum Haus seines Gastfreundes erklären, wobei ihn die gesprächige Alte auch gleich über 68 69 70 71 72

73

74 75 76

Siehe oben, 267 f. L 1994, 103. Weitere Belegstellen neben den nachfolgend besprochenen bereits oben, 77 f. J 2015, 238. CIL IV Suppl. 3, 8356 = AE 1934, 137: Nucerea(e)(sic) quaeres ad porta(m) Romana(m) | in vico Venerio Novelliam | Primigeniam. „Frag in Nuceria beim Römischen Stadttor im Venusviertel nach Novellia Primigenia.“ (Eigene Übersetzung.) Daß es sich bei Novellia Primigenia um eine Prostituierte handelte, erscheint angesichts der Benennung des Viertels, in dem sie anzutreffen war, nicht ganz abwegig, ist aber keineswegs evident (gegen L 1990, 212). Lib. Or. 25,48. Apul. met. I 20,6–21,7. § 21,2. „Damit sind der Wegweiser und die Ortsanzeigetafel dem Text gleichsam eingeschrieben“, wie Therese Fuhrer bemerkt (F 2015, 94).

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

dessen häusliche und finanzielle Verhältnisse aufklärt. Solcherart bestens orientiert, kann Lucius sich zielsicher in die Stadt begeben. Sogar schriftliche Informationen konnten unter Umständen an den Stadttoren zu bekommen sein. So verwies ein unter Tiberius erstellter Meilenstein am Stadttor von Leptis Magna in der Africa Proconsularis darauf, daß die ins südliche Hinterland der Metropole führende Straße 44 Meilen weit erschlossen war.77 Am westlichen Stadttor von Aduatuca Tungrorum (Tongern) in der Gallia Belgica wurde zu Beginn des dritten Jahrhunderts ein oktogonaler Basaltstein aufgestellt, welcher dem lesekundigen Reisenden sogar die Entfernung zu zahlreichen wichtigen Halteplätzen und Ortschaften, in Leugen78 gemessen, mitteilte.79 Die Straße teilte sich hinter dem Stadttor in verschiedene Richtungen.80 Hatte der Reisende die umfangreiche Inschrift in Ruhe studiert und sein Reiseziel darauf angegeben gefunden, konnte er sicher sein, nicht den falschen Abzweig zu wählen. Während am Eingang einer Stadt folglich einerseits Informationen über die Stadt, ihre Bewohnerschaft und über die von dort wegführenden Straßen zu bekommen waren, was vorrangig für Ortsfremde relevant war, liefen dort andererseits auch Informationen zusammen, die von außerhalb in der Stadt eintrafen und diejenigen interessierten, die die Stadt bewohnten. Der folgende Abschnitt wird diesen Umstand anhand ausgewählter Quellen näher beleuchten. 10.2.3 Informationsfluß Daß das Stadttor neben dem Hafen der Ort innerhalb einer Stadt war, an dem Neuigkeiten zuerst eintrafen, ist eine Selbstverständlichkeit des antiken Alltags, die nirgends kommentiert oder erläutert wird. Karikiert wird die entsprechende Kommunikationssituation im Porträt einer klatschsüchtigen Frau bei Juvenal. Dort heißt es:

405

77 78 79

80

haec eadem novit quid toto fiat in orbe, quid Seres, quid Thraces agant, secreta novercae et pueri, quis amet, quis diripiatur adulter. dicet quis viduam praegnatem fecerit et quo mense, quibus verbis concumbat quaeque, modis quot. instantem regi Armenio Parthoque cometen prima videt, famam rumoresque illa recentis excipit ad portas, quosdam facit; isse Niphaten

AE 1936, 157 = AE 1940, 69 = R/W-P 2009, Nr. 930. Vgl. die Ausführungen zu dieser Inschrift bei K 2013, 115. Die Leuga, eine gallo-römische Maßeinheit, entsprach 1,5 römischen Meilen. CIL XIII pars 2 fasc. 2, 9158 = CIL XVII pars 2, 675 = ILS 5839. Die etwa 20 fragmentarisch erhaltenen Entfernungsangaben etwa nach Köln, Bonn, Remagen und Koblenz machen lediglich einen kleinen Teil der ursprünglich gebotenen Information aus, da von den sieben beschriebenen Seiten des Steins nur noch drei teilweise lesbar sind. So der Kommentar in CIL XIII pars 2 fasc. 2, 9158.

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10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem 410

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in populos magnoque illic cuncta arva teneri diluvio, nutare urbes, subsidere terras, quocumque in trivio, cuicumque est obvia, narrat.

„Dieselbe Frau weiß, was in der ganzen Welt geschieht, was die Chinesen, was die Thraker treiben, die Heimlichkeiten zwischen Stiefmutter und jungem Stiefsohn, welcher Galan verliebt ist, um welchen man sich reißt. Sie wird sagen, wer eine Unverheiratete geschwängert hat und in welchem Monat, welche Worte eine jede beim Beischlaf gebraucht, wieviele Stellungen. Daß den König von Armenien und den Parther ein Komet bedroht,81 sieht sie als erste, das Gerede und die frischen Gerüchte fängt sie an den Stadttoren auf, einige erfindet sie selbst; daß Niphates82 sich über die Völker ergossen habe und dort alle Fluren von einer großen Überschwemmung bedeckt seien, daß Städte wankten, das Erdreich sich senke,83 erzählt sie an jeder Kreuzung jedem, der ihr begegnet.“84 Wenig überraschend erscheint das Stadttor als der ideale Ort, um Neuigkeiten aus aller Welt zu erfahren. Nachrichten aus den entlegensten Gegenden, den Ländern der Chinesen, Thraker, Armenier und Parther, aus dem Taurosgebirge und vielen anderen unbenannten urbes und terrae (V. 411) schwirren dort herum. Aber auch Gerüchte von nur lokalem Interesse und Gerede über die Nachbarn und Bekannten aus der Stadt, über ihre aktuellen Liebschaften und bevorzugten Sexpraktiken (V. 403 f.) lassen sich am Tor aufschnappen: famam rumoresque illa recentis excipit ad portas (V. 408 f.). Wer sich für Klatsch und Tratsch interessiert, kommt dort voll auf seine Kosten. Diese boshafte Darstellung weiblicher Schwatzhaftigkeit schließt unmittelbar an das von Apuleius evozierte Bild der mitteilungsfreudigen Wirtin an, die gleich allerlei Intimitäten über den Nachbarn an einen ihr vollkommen unbekannten Reisenden ausplaudert. Die Vorstellung, daß an den Toren einer Stadt tratschende Frauen beieinanderstehen, ist indessen keine genuin kaiserzeitliche, sondern über einen sehr viel längeren Zeitraum nachweisbar. Schon in Plautus’ Komödie Epidicus, die zu Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr. entstanden ist, wird mit großer Liebe zum Detail ausgemalt, wie sich am Stadttor einige Frauen lautstark über eine griechische Kurtisane austauschen, die einige Schritte von ihnen entfernt auf ihren Liebhaber wartet.85 81 82 83

84 85

Diese Bemerkung bezieht sich auf Trajans Partherfeldzüge in den Jahren 114 und 116 sowie auf einen 115 erschienenen Kometen (A 1993, 367). Niphates ist der armenische Gebirgszug des Tauros, in dem der Tigris entspringt. A 1993, 367 bezieht diese Aussage im Kommentar zur Stelle auf das große Erdbeben in Antiocheia im Dezember 115. Da die Aussage aber im Gegensatz zu den vorigen Zeilen sehr vage gehalten ist und ein Ortsname nicht erwähnt wird, mag das Erdbeben ebensogut zu jenen Gerüchten zu zählen sein, die die Frau frei zu erfinden pflegt. Juv. 6,402–412, Text und Übersetzung A 1993. Plaut. Epid. 236–254, zur Lokalisierung der Szene am Stadttor V. 217 und 221. Eine eingehende Besprechung findet sich unten, 361–366.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

Typische Wege eines Informationsflusses, der am Stadttor beginnt, sich in die Stadt verteilt und schließlich bis in jedes Haus hinein verzweigt, lassen sich anhand einer Beschreibung bei Livius herausarbeiten. Als Autor des ausgehenden ersten Jahrhunderts v. Chr. will der Historiker seiner Leserschaft in dieser Passage eine Vorstellung davon vermitteln, wie im Zweiten Punischen Krieg nach der verheerenden Schlacht gegen Hannibal am Trasimenischen See (217 v. Chr.) die Situation in Rom gewesen sein könnte. Nach den Livius vorliegenden Zahlen waren in der Schlacht 15 000 römische Soldaten gefallen, und 10 000 befanden sich auf ungeordnetem Rückzug durch Etrurien.86 Als in Rom die erste Nachricht von der Niederlage eintrifft, laufen die Bürger (populus) auf dem Forum zusammen, während ihre Frauen (matronae) durch die Straßen hasten und die Passanten befragen, um in Erfahrung zu bringen, was passiert ist. Unterdessen strömt die Menge (turba) auf das Comitium und zur Kurie, um die Magistrate zur Rede zu stellen.87 Nachdem einer der Prätoren kurz vor Sonnenuntergang endlich offiziell verkündet hat, Rom sei in einer großen Schlacht besiegt worden, ist die Bevölkerung voll Sorge um das Schicksal der jeweiligen Angehörigen. In den folgenden Tagen begeben sich Frauen wie Männer täglich erneut an die Stadttore, wo sie auf Nachricht hoffen: postero ac deinceps aliquot diebus ad portas maior prope mulierum quam virorum multitudo stetit, aut suorum aliquem aut nuntios de iis opperiens; circumfundebanturque obviis sciscitantes neque avelli, utique ab notis, priusquam ordine omnia inquisissent, poterant. Inde varios voltus digredientium ab nuntiis cerneres, ut cuique laeta aut tristia nuntiabantur, gratulantesque aut consolantes redeuntibus domos circumfusos. feminarum praecipue et gaudia insignia erant et luctus. „Am folgenden und noch an mehreren Tagen nacheinander stand an den Stadttoren eine fast größere Menge Frauen als Männer, die auf einen Angehörigen oder auf Nachricht von ihnen warteten. Sie drängten sich um die Ankommenden, fragten sie aus und waren besonders von Bekannten nicht eher wegzubringen, als bis sie alles der Reihe nach erfragt hatten. Man stelle sich die Gegensätze ihres Gesichtsausdrucks vor, wenn sie sich dann von den Berichtenden verabschiedeten, je nachdem ob jemand freudige oder traurige Nachricht erhalten hatte. Auf dem Heimweg wurden sie von Leuten umdrängt, die sie beglückwünschten oder sie trösteten. Am deutlichsten erkannte man Freude und Schmerz bei den Frauen.“88 Die erste Mitteilung von der Niederlage am Trasimenischen See erreichte Rom sicherlich auf dem Landweg über den cursus publicus und traf somit an den Stadt86 87 88

Liv. XXII 7,2. Livius gibt nach eigenen Angaben eine eher zurückhaltende Schätzung wieder (§ 7,3 f.). § 7,6 f. § 7,11 f.

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10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem

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toren ein. In der Darstellung des Livius wird sie zunächst exklusiv in die Kurie übermittelt, aber während der Senat noch in einer Krisensitzung tagt, verbreitet sich das Gerücht von dort aus bereits wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Die Vorgehensweise, die die Römerinnen und Römer nun anwenden, um an zuverlässige Informationen zu kommen, ist geschlechtsspezifisch zu unterscheiden: Während die verheirateten Frauen aufgelöst durch die Straßen laufen und unsystematisch jeden Entgegenkommenden befragen, begeben sich die männlichen Bürger zum politischen und topographischen Zentrum Roms, auf das Forum. Dort, vor der Kurie, erhält die aufgebrachte Bevölkerung schließlich die Bestätigung der Niederlage. Die für jede Familie wichtigste Information aber – ob die eigenen Angehörigen noch am Leben sind –, kann der Prätor natürlich nicht liefern. Die Nachrichten über einzelne Schicksale treffen mit den ersten Überlebenden erst im Lauf der folgenden Tage nach und nach an den Stadttoren ein, wo sie von den bangenden Frauen und Männern erwartet werden. Der Historiker malt die Situation so lebhaft aus, als sei er selbst dabeigewesen. Er weiß von ergreifenden Szenen zu berichten, die sich an den Toren abgespielt haben sollen; so sei eine alte Mutter noch am Stadttor in den Armen des geretteten Sohnes gestorben.89 Um an dieser Stelle noch einmal Czarnowskis Kategorien aufzugreifen, erscheinen die Stadttore in den zitierten Quellen als gut funktionierende collection and distribution nodes für Informationen aller Art. Während die Gerüchte und Neuigkeiten aus aller Welt durch die geschwätzige Frau in Juvenals sechster Satire direkten Weges von den Stadttoren (portae, V. 409) an die Kreuzungen (trivia, V. 412) getragen und dort weiter verteilt werden, erweisen sich die Straßen im Fall der Kriegsnachrichten bei Livius als ungeeigneter Ort, um an gesicherte90 Informationen zu kommen. Die Männer sind es, die seinem Bericht zufolge einen kühlen Kopf bewahren und sich auf das Forum und zur Kurie begeben, zu den formal meeting places in Rom schlechthin. Als es nach der offiziellen Bestätigung der Gerüchte durch den Prätor jedoch für jede Familie darum geht, das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren, sind es die Tore als informal meeting places, an denen sich alle versammeln. Die hier ankommenden Überlebenden der Schlacht erteilen den Wartenden, die sich um sie drängen und sie ausfragen, nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft. Wer Nachricht erhalten hat, läuft nach Hause und läßt sich unterwegs von entgegenkommenden Bekannten beglückwünschen oder trösten, das heißt, die jeweilige Nachricht verbreitet sich in einem letzten Schritt nun doch über die Straßen bis in die einzelnen Häuser hinein. Wie anhand der besprochenen Beispiele zu sehen war, konnte man also sicher sein, daß sich jede Information vom Stadttor aus schnell weiterverbreitete. Ein Meister der Selbstinszenierung wie Aelius Aristides wußte das für sich zu nutzen, 89 90

§ 7,13. Auf diesen Punkt, die Zuverlässigkeit der Information, kommt es den Familien selbstredend an – ganz im Gegensatz zu der Schwätzerin bei Juvenal, die nicht davor zurückschreckt, auch fake news weiterzuverbreiten; wilde Gerüchte, die sie sich selbst ausgedacht hat (Juv. 6,409).

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

um ein möglichst großes Publikum zu finden: Just an dem Tag, als vor den Toren (ἔξω πυλῶν) der Stadt Smyrna eine öffentliche Getreideverteilung stattfindet, begibt er sich laut eigenem Bericht in Begleitung von Freunden und Ärzten dorthin, um bei eisigem Nordwind und strengstem Frost im Fluß Melas zu baden, wie es ihm der Gott Asklepios befohlen hat. Die große Menge der Neugierigen, die eigentlich nur der Lebensmittelverteilung wegen vor der Stadt ist, betrachtet das Spektakel von der Brücke aus. Als Aristides nach einem ausführlichen Bad rosig und wohlbehalten aus dem Fluß steigt, preisen auch die nur zufällig anwesenden Zuschauer den Asklepios mit dem Ruf µέγας ὁ ᾽Ασκληπιός.91 Glücklich also die Stadt, in der es Tore gab, an welchen die Einwohnerschaft darauf rechnen konnte, frisch eintreffende Neuigkeiten nicht zu verpassen. Im Sparta der klassischen Zeit dagegen, einem Gemeinwesen, das stolz darauf war, weder Stadtmauer noch Stadttore nötig zu haben,92 stand man eben unbestimmt und etwas verloren in der Vorstadt herum, um auf Nachrichten zu warten.93 10.2.4 Das Tor als Medium und Aktant von Kommunikation Stadttore sind schließlich auch Medien und Aktanten94 von Kommunikation. Als Baukörper konnten sie nicht nur mit Bildprogrammen ausgestattet sein,95 sondern auch Inschriften oder Graffiti tragen und auf diese Weise direkt zu ihren antiken (und modernen) Betrachtern „sprechen“, mithin in einen Handlungszusammenhang mit diesen treten. Da die Inschriften der römischen Stadttore nicht gesammelt vorliegen, bedürfte ihre systematische Auswertung zunächst aufwendiger Vorarbeiten. Wenngleich diese fehlen, seien an dieser Stelle einige aussagekräftige Beispiele aus der Fülle des Materials herausgegriffen, um den Gedanken näher auszuführen. Abweichend von den Erwartungen moderner Reisender, die an jedem Stadteingang eine formal standardisierte Information über den Ortsnamen vorfinden,96 91 92 93

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Aristid. Or. 48,19–21 (= Hieroi Logoi 2,19–21). Zum Charakter der Gabenverteilung siehe oben, 198. Siehe dazu oben, 80. So erzählt Plutarch in einer Anekdote, wie eine Spartanerin, deren fünf Söhne im Krieg sind, in der Vorstadt (ἐν τοῖς προαστείοις) steht und auf Nachricht wartet, wie die Schlacht ausgegangen sei. Plut. Apophthegmata Lacaenarum 16 (= mor. 241C). Da der Ausdruck »Akteur« an menschliche oder figürliche Handlungsträger denken läßt, ziehe ich hier den von Bruno Latour der Literaturwissenschaft entlehnten und in der Akteur-NetzwerkTheorie eingeführten Begriff »Aktant« vor (L 2010, 93–96). Ein herausragendes Beispiel dafür bietet der Torbogen am Stadteingang von Arausio (Orange), dessen Oberfläche nahezu vollständig mit Reliefbildern geschmückt war (siehe Abb. 12.2 auf S. 338). In Deutschland werden neben dem Namen der Stadt auf der Ortstafel auch eventuelle Namenszusätze („Universitäts- und Hansestadt“) und gegebenenfalls die übergeordnete Verwaltungseinheit mitgeteilt; der Ortsname selbst kann zweisprachig vermerkt sein (so etwa in der Lausitz). Stets informieren eigene Schilder am Ortseingang über die Namen der Partnerstädte und – ein geradezu rührender Anachronismus – über die Gottesdienstzeiten der vor Ort vertretenen Konfessionen. In der Türkei werden auf der Ortstafel häufig auch die Höhe über dem Meeresspiegel und die Anzahl der Einwohner angegeben. Weltweit gebräuchlich, wenn auch de facto längst nicht durchgängig

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10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem

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verrieten die römischen Stadttore den Ankommenden nicht, wie die Stadt, zu der sie Einlaß boten, überhaupt hieß.97 Wer sicher sein wollte, im richtigen Ort angekommen zu sein, war im Zweifelsfall auf Nachfragen angewiesen.98 Sofern Stadttore mit großformatigen Inschriften ausgestattet waren, die jedem Passanten sofort ins Auge sprangen, so „erzählten“ diese etwas ganz anderes, nämlich entweder, wer das Tor erbaut hatte99 oder wen die Statuen darstellten, die ehrenhalber auf ihm angebracht worden waren.100 Ein besonders auskunftsfreudiges Stadttor wie das Nordtor in Saepinum hielt eine ausführliche Rechtsbehelfsbelehrung in Form eines Briefdossiers bereit für den Fall, daß es zwischen den durchziehenden Hirten und den örtlichen Torwachen zu Unstimmigkeiten kommen sollte.101 Geradezu spielerisch mutet an, was das Hadrianstor in Athen die Ankommenden wissen ließ. Näherte sich ein Besucher vom Olympieion kommend der Stadt, so traf er auf einen zweigeschossigen Prunkbogen, der den Beginn der Altstadt markierte und dazu mitteilte: „Dies ist Athen, einst Stadt des Theseus“. So weit, so erwartbar. Verließ der Gast Athen jedoch auf gleichem Wege, so lautete die Information auf der anderen Seite des Monuments: „Dies ist die Stadt Hadrians und nicht des Theseus“ und reklamierte damit den Ruhm des Kaisers, der die vor dem Tor liegende Stadterweiterung initiiert hatte, als Neugründer Athens.102 Ein persönlicher Ton der Kommunikation trat vor allem dort ein, wo die Stadttore nicht in offiziellen Verlautbarungen, sondern in irregulär angebrachten Graffiti oder Depinti kommunizierten. Dies war etwa am Nolaner Tor in Pompeji der Fall, das die vorbeikommenden Bürger der Stadt beherzt zur Wahl aufrief: „Die Holzfuhrunternehmer wollen Marcellinus als Aedilen!“ oder „Die Ackerbauern wollen Marcus Casellius Marcellus als Aedilen!“, hieß es dort etwa.103 Sehr zahlreiche Graffiti, viele nur fragmentarisch erhalten, bot die Porta Marina, die sich als Hafentor einer anzüglichen Sprache befleißigte. So wurde, wer aus Richtung Küste kom-

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praktiziert, ist mittlerweile die Transkription anderer Alphabete in lateinische Buchstaben (so beispielsweise auf den Ortsschildern in Griechenland). Eine Ausnahme stellen die Tore von Perusia (Perugia) dar (CIL XI pars 1, 1929 f.). Daß es im Römischen Reich auch keine Straßenschilder gab, ist bereits vermerkt worden (oben, 260). Vgl. die Situation in Apul. met. I 20,6–21,7 wie oben, 271 f., bereits kurz besprochen. Beispiele bieten die Inschriften IK VII 1 und CIL III pars 1, 368 = CIL III Suppl. 1, 7059 = IGR IV 811. Die kaiserlichen Bauinschriften an Stadttoren und -mauern versammelt H 2001, 121–167. Als Beispiel läßt sich der Sergierbogen im istrischen Pola anführen, siehe unten, 347–349 mit Abb. 12.6. CIL IX 2438, siehe oben, 172 f. Im Zusammenhang mit dieser Inschrift verweist S 2017, 71 auf die Rolle eines Stadttors als „a sort of notice board for important announcements posted before entering the town“. IG II2 5185: αἵδ’ εἴσ’ ᾽Αθῆναι Θησέως ἡ πρὶν πόλις (Ostseite) und αἵδ’ εἴσ’ ῾Αδριανοῦ καὶ οὐχὶ Θησέως πόλις (Westseite). Auf die Inschriften des Hadrianstors hat mich Vicky Barlou aufmerksam gemacht. CIL IV 485: Marcellinum aed. lignari plostrari rog. Nr. 490: M. Casellium Marcellum aed. agricolae rog. (Eigene Übersetzung.) Die Inschriften des Nolaner Tors, darunter weitere Wahlaufrufe, sind in CIL IV als Nummern 484 bis 492 katalogisiert.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

mend die Stadt betrat, an der Außenseite des Stadttors von einem frechen calos ave begrüßt,104 was keineswegs als Kompliment zu verstehen war: Die Transkription des griechischen καλός wird in den Graffiti von Pompeji ausschließlich mit Bezug auf weibliche oder männliche Prostituierte und Schauspieler sowie die mit diesen assoziierten marginalisierten Sexualpraktiken benutzt.105 Dieser Zusammenhang mußte dem Besucher spätestens dann klar werden, wenn er oder sie weiterging und im Tordurchgang der Porta Marina von wüsten Mitteilungen belästigt wurde wie „Der schöne Victor macht es überall“ oder „Victor treibt es mit Philhetairos überall“.106 Das wohl geprächigste kaiserzeitliche Stadttor aber war nach heutigem Forschungsstand das Westtor von Dura Europos, das sogenannte Palmyra-Tor, dessen Wände mehr als 200 Graffiti bedeckten. Sie begrüßten den Eintretenden vielstimmig und vielsprachig: meist Griechisch, aber auch Lateinisch, Palmyrenisch und Safaitisch oder in Mischformen dieser Idiome und ihrer Alphabete.107 Dabei fiel der Blick der Passanten im Vorübergehen vielleicht nur auf vier oder fünf der Texte, die auf Kopfhöhe angebracht und durch eine tabula ansata hervorgehoben waren, aber bereits das genügte, um einen ersten Eindruck von der Bevölkerung der Stadt zu erhalten. „Möge der Soundso von der Gottheit erinnert werden“, lauteten die meisten Texte formelhaft:108 µνησθῇ Μαρείνος! µνησθῇ ῾Ροῦφος ᾽Απολλωνίου! µνησθῇ Βαραδάδης! µνησθῇ Ζωΐλος Ζάβδου βουλευτὴς ∆ούρας! µνησθῇ ᾽Ιοῦλις Βάσσος! µνησθῇ Αὐρῆλις ᾽Αντωνῖνος βενεφικιάρις!,109 so prasselte es auf die Ankommenden ein. Schließlich ist auch an die eloquenten Stadttore der Anthologia Graeca zu denken, die in Versen zu ihren imaginären Betrachtern sprechen.110 Ein Epigramm, das als Inschrift über dem Eugenios-Tor in Konstantinopel (türkisch Yalıkö¸skü Kapı) gedacht ist, belehrt die Besucher der Stadt über die Statue des Kaisers Julian Apostata, welche man sich auf dem Tor stehend vorzustellen hat. Der abgebildete Kaiser, so ist zu erfahren, hat die Mauern zum Schutz des Volkes erbaut und als Tropaion und Zeichen seiner Wachsamkeit errichtet.111 Das Stadttor versteht 104 105 106

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111

CIL IV 3069. Die weiteren Inschriften des Hafentors sind Nr. 652–658.1752–1757. L-R 2015 mit Auflistung aller Belege in Pompeji. CIL IV 652 (Add. 1241): calos Victor ubique. Darüber Nr. 653: Victor cum Phylotero ubique. (Eigene Übersetzung; zur entsprechenden Bedeutung der Formel X cum Y ubique siehe LR 2015, 275.) Siehe im einzelnen B 2011, 49–59. Die Graffiti datieren mehrheitlich vom zweiten und frühen dritten Jahrhundert, wobei auch vereinzelte ältere Texte darunter sind (ebd., 53 und 58 f.). Über ein Fünftel der Graffiti bestanden lediglich aus dieser Formel (B 2011, 56). Die Beispiele sind den Graffiti SEG VII 457.520.546.665.715.784 entnommen, wobei ich die verwendeten Abkürzungen wie das µν. für µνησθῇ ohne weitere Kennzeichnung aufgelöst habe. Anth. Gr. IX 686.688–691. Für die folgenden Zitate wurde auf den Text von B 1965 zurückgegriffen, die Übersetzungen sind der Ausgabe H 2016 entnommen. Auf die Epigramme hat mich der Kollege Helge Baumann aufmerksam gemacht. Nr. 689, V. 1 f.: οὗτος ᾽Ιουλιανὸς λαοσσόα τείχεα πήξας | στῆσε τρόπαιον, ἑῆς σύµβολον ἀγρυπνίης. („Dieser Julianos hat die Mauern, befestigt zum Schutze des Volkes, als Siegeszeichen und Symbol seiner Wachsamkeit errichtet.“)

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10.2 Das Stadttor im Kommunikationssystem

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sich also stolz als Teil der starken Seemauern von Konstantinopel, die Julian vor dem Perserzug ins Werk gesetzt hatte. Das Rhesion-Tor (Mevlana Kapı) und das Xylokerkon-Tor (Belgrad Kapı) wiederum rühmen in zwei kurzen Epigrammen die Wiederherstellung der theodosianischen Landmauer durch den Präfekten Konstantinos.112 Das Osttor der Stadt Thessalonike redet den Eintretenden sogar direkt an, um ihm, ähnlich wie das Eugenios-Tor in Konstantinopel es tut, seine Statuenausstattung zu erläutern: „Den Präfekten Basileios sieh, Fremder, oben auf dem Tor und jauchze auf im Herzen!“113 Das Tor erklärt dem Ankommenden anschließend selbstbewußt, daß die Statue auf seinem Architrav dem Besucher der Stadt während seines Aufenthalts besseren Schutz bieten wird, als jede Stadtmauer es vermöchte.114 Bei der Inschrift des Präfekten Konstantinos handelt es sich um ein Steinepigramm, das am Vortor des Mevlana Kapı tatsächlich erhalten ist.115 Für die anderen Epigramme läßt sich ein solcher Nachweis nicht führen.116 Daß entsprechende Texte jedoch in anderen Städten tatsächlich an oder neben Stadttoren angebracht worden sind, legen Inschriftenepigramme byzantinischer Zeit nahe, in denen Stadttore die Ankommenden genauso anreden, wie es in den Beispielen der Anthologia der Fall ist.117 Wer auch immer einen Text auf einem Stadttor anbringen ließ, konnte sicher sein, damit viele Personen zu erreichen, da Stadttore hochfrequentierte und gut 112

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Nr. 690 f. Der Mauerabschnitt wurde im Jahr 447 nach einem Erdbeben erneuert (H 2016, 214). Zur Lokalisierung der Tore und der Zuordnung der antiken Namen siehe M-P/ S 1943, 11–16 (Baubeschreibung des Mevlana Kapı 66–68, des Belgrad Kapı 63). Nr. 686, V. 2 f.: Βασίλειον ὕπαρχον, | ξεῖνε, νόῳ σκίρτησον ἰδὼν ἐφύπερθε πυλάων. Vgl. auch die direkte Anrede in V. 4 (ὁδεύεις), 5 (τροµέεις) und 6 (σὺ . . . ἔχεις). Die Verse 1 f. und 4 sind den Verdiensten des ὕπαρχος Basileios gewidmet, bei dem es sich wohl um einen Prätorianerpräfekten im vierten Jahrhundert oder den Präfekten des Orients im Jahr 485/486 handelt (ausführliche Diskussion der Datierung bei F 1983, 87 f.). V. 6: ὅπλα Λάκων, σὺ δὲ τεῖχος ἔχεις βασίλειον ἄγαλµα. („Die Waffen hat Sparta, doch du hast als Schutzwehr die Statue des Kaisers.“) Die Wiedergabe von τεῖχος als „Schutzwehr“ (H 2016, 213) unterschlägt freilich, daß das tertium comparationis hier ganz konkret die Stadtmauern sind: Der Vers spielt darauf an, daß die lakedaimonischen Hopliten eine Mauer ersetzen (siehe oben, 81). M-P/S 1943, 132, Nr. 33b (dort merkwürdigerweise ohne Verweis auf die literarische Parallelüberlieferung in Anth. Gr. IX 691). Die Tatsache, daß die betreffenden Mauertore in Konstantinopel samt zahlreicher Inschriften sogar erhalten sind, spricht eher dagegen. Vgl. die letzte Zusammenstellung der Stadtmauerinschriften bei Ö 2016 sowie den nach wie vor maßgeblichen Katalog bei M-P/S 1943, 123–144. Letztere führen das Epigramm Anth. Gr. IX 690 als Inschrift („nicht erhalten“) auf (dort als Nr. 14). Das Epigramm vom Osttor in Thessalonike ist in IG X 2,1 als Nr. 47 aufgenommen und wird dort, F 1983, Nr. 87 folgend, nach der Anthologia zitiert. Siehe etwa R 2014, Nr. GR-73 aus Akrokorinth, um 1400 (V. 1): ἄστεως τήνδε πύλην ἄθρει µοι, ξένε („Diese Pforte der Stadt, Fremder, betrachte mir . . . “) und Nr. TR-15 aus Ankara, um 860 (V. 7): οἵ εἰσιόντες τὴν πυλὴν καὶ τὴν πόλιν („Die ihr eintretet durch das Tor und in die Stadt . . . “). Siehe dort ferner Nr. BG-2 aus Mesambria (Nesebâr), wo allerdings eine direkte Anrede der Ankommenden fehlt.

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10 Die Bedeutung der Stadttore für Vernetzung und Kommunikation

sichtbare Orte waren.118 Sowohl offizielle Verlautbarungen als auch einer Laune entsprungene Graffiti konnten sich auf diese Weise einer vergleichsweise großen Aufmerksamkeit sicher sein. 10.2.5 Zusammenfassung Folgendes ist festzuhalten: Als Begegnungsraum betrachtet, wurde der Eingang der römischen Stadt dadurch gekennzeichnet, daß hier Informationen aller Art zusammenflossen und neu verteilt wurden. Anhand der analysierten Livius-Passage konnten dabei die Wege, die eine Nachricht durch die Stadt Rom nahm, überraschend klar nachgezeichnet werden. Dabei wurde deutlich, daß sich die Kommunikationsmodalitäten an verschiedenen Orten in der Stadt dahingehend unterschieden, welche Art von Informationen dort erhältlich war. Das Stadttor zeichnete sich vor allen anderen Orten in der Stadt dadurch aus, daß Neuigkeiten von außerhalb dort als erstes und noch ungefiltert eintrafen. Dies konnte zwar durchaus von Vorteil sein, brachte es aber mit sich, daß die Nachrichten nicht immer zuverlässig waren und unter Umständen kaum mehr als den Wert von Gerüchten hatten. Die untersuchten Quellen gestatten Einblicke in diverse Kommunikationssituationen, die den Stadteingang als informellen Begegnungsort charakterisieren: Fremde erfragten dort Auskünfte, Frauen warteten auf die Ankunft von Angehörigen, Müßiggänger tauschten Tratsch und Klatsch, Neugierige hofften Nachrichten aus aller Welt zu erfahren. Als Träger von Bildern, Inschriften und Graffiti wurden Stadttore auch selbst zu Medien und Aktanten einer Kommunikation, die die Ankommenden adressierte.

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Vgl. S 2017, 71.

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Teil 4 Die Semantik des Stadttors

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Die Semantik des Stadttors erschöpft sich nicht in dessen zeichenhafter Bedeutung als Symbol der Stadt. Das Tor konnte als Schwelle zwischen Innen und Außen gelesen werden, aber auch als Manifestation von Macht und Reichtum, als Ausdruck von urbanitas und Lebensqualität oder als Ausweis der Zugehörigkeit zum Reich. Wie bereits gezeigt, wurden die unverschließbaren Bogenmonumente am Eingang kaiserzeitlicher Städte außerdem als Inbegriff von Frieden und Sicherheit verstanden. Dieses große semantische Potential soll im folgenden nicht umfassend analysiert, sondern anhand ausgewählter Gesichtspunkte ausgelotet werden. Stadttore sind immer liminale Orte, näherhin mögliche Übergänge über eine materielle oder konzeptionelle Stadtgrenze. Damit ist nicht gesagt, daß das Stadttor eine bereits vorher klar definierte Grenze nur sichtbar machte – umgekehrt konnte ein Ort durch die Errichtung eines Bogens überhaupt erst als Stadteingang bestimmt werden. Diese spezifische Qualität der Monumente wird in Kapitel 11 untersucht. Dabei nähere ich mich dem Thema aus einer architekturtheoretischen Perspektive an und beschreibe die idealtypische Ankunft am Tor einer kaiserzeitlichen Stadt als Eintritt in einen Schwellenraum. Anschließend wird das Stadttor als Teil einer sakralen und sakralrechtlichen Grenze in den Blick genommen, für deren Überquerung besonderer Schutz vonnöten sein konnte, wie eine Durchsicht der Zeugnisse für kultische, apotropäische und magische Praktiken am oder im kaiserzeitlichen Tor erweist. Wo räumliche Schwellen zu passieren sind, werden Rituale entwickelt. Bei städtischen Umzügen und Festen, beim adventus hochrangiger Gäste und beim kaiserlichen Triumph wurden am Stadttor Ankunfts-, Begrüßungs- und Übergaberiten durchgeführt, wie exemplarisch aufzuzeigen ist. Herausragende festliche Momente wurden Teil der Geschichte eines Tors und konnten von der Stadtbevölkerung über lange Zeiträume hinweg erinnert werden. In Kapitel 12 wird untersucht, welchen Beitrag die Stadttore für die Repräsentation des Gemeinwesens leisteten. Es wird zu sehen sein, daß die Stadt als ganze in der Gestaltung des Tors mit ihren Errungenschaften repräsentiert sein konnte, und daß in manchen Städten darüber hinaus einzelne einflußreiche Familien Gelegenheit erhielten, sich und ihre Leistungen am Stadteingang darzustellen. Stadttore konnten schließlich auch als Ehrenmonument für den Herrscher gestaltet werden, um die Verbundenheit der Stadt mit dem Kaiserhaus unter Beweis zu stellen und am Prestige des Kaiser teilzuhaben. Abschließend wird im Kapitel 13 der Versuch unternommen, das Deutungspotential von Texten der Gattungen Komödie, Roman und Satire zu erschließen, in denen mit erzählerischen Mitteln fiktionale Topographien des Stadtrands entworfen werden. Es wird gezeigt, wie die Autoren unter Einbindung lebensweltlich glaubhafter Einzelheiten und im Rückgriff auf Konnotationen, die sich aus dem liminalen Charakter des Stadteingangs ergeben, das Stadttor als einen imaginären Ort konstruieren, der mit ganz eigenen Assoziationen und Emotionen verbunden ist. Dennoch gibt es subtile Berührungspunkte zur empirischen Wirklichkeit.

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11 Das Tor als liminaler Ort Wenn in diesem Kapitel das Tor als liminaler Ort, als Schwellenort, betrachtet wird, beziehe ich mich auf ein architektonisches Verständnis von Schwelle. Der von Victor Turner geprägte ethnologische Begriff der Liminalität, der seinerseits auf Arnold van Genneps Theorie der rites de passage aufbaut, ist dabei nur mittelbar von Bedeutung, nämlich insofern, als er in der einschlägigen Architekturtheorie rezipiert wurde. Mit großem Gewinn habe ich insbesondere Till Boettgers Arbeit zu Übergängen in der Architektur gelesen.1 Zentrale Überlegungen aus Boettgers Studie sollen im folgenden aufgegriffen und weitergeführt werden. Zunächst jedoch zum Begrifflichen: Eine Schwelle ist der waagerecht liegende Balken, der die untere Begrenzung eines Türrahmens oder Tors bildet. Sie dient als Anschlag für die Tür- oder Torflügel, als Halterung der Türangeln und zur Verankerung von Schließsystemen. Insofern sind Stadttore, eben in ihrer Eigenschaft als Tore, per definitionem liminale Orte. In der Antike bildeten sie einen Übergang zwischen Innen und Außen, zwischen Siedlung und Territorium, zwischen städtischer und ländlicher Umgebung.2 Der Gegensatz zwischen „Stadt“ und „Feld“ war vielen antiken Kulturen geläufig, so im Hebräischen und Akkadischen,3 im Griechischen (ἄστυ und χώρα)4 und im Lateinischen (urbs und ager). In einigen Quellen ist der Übergang am Tor sogar als ein scharfer Gegensatz der Stadt nicht nur zum Feld, sondern zur vollkommenen Wildnis konzipiert.5 Die Türschwelle als baulicher Bestandteil des Stadttors stand zugleich für dessen Wesenskern als Übergangsort. Dies galt auch noch in der Kaiserzeit, als es sich bei Stadttoren mit zunehmender Häufigkeit um unverschließbare Bogenmonumente handelte, die in der Regel nicht über Torflügel verfügten. Die Türschwelle konnte daher ebenerdig im Boden eingelassen sein oder als Baukörper ganz feh-

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B 2014. Der Verfasser bezieht sich explizit auf Arnold van Gennep, der bereits eine Kategorie der „räumlichen Übergänge“ kennt (B 2014, 21). So wurden Stadttore einleitend als Tore und Bögen definiert, die den Eingang und Ausgang einer römischen Stadt markierten (siehe oben, 5). Zur metaphorischen Bedeutung von Toren als liminal siehe W 2004, 86 f. Vgl. H B 1999, 15–17. Siehe dazu oben, 86–88. So läßt Dion von Prusa den Bürger einer Kleinstadt auf Euböa behaupten, gleich vor den Toren seiner Heimatstadt sei das Land unkultiviert und absolut zum Fürchten, so als ob es in tiefster Einsamkeit und Wildnis liege und nicht vor einer Stadt. Dion Chrys. Or. 7,38: ἐπεὶ νῦν γε καὶ τὰ πρὸ τῶν πυλῶν ἄγρια παντελῶς ἐστι καὶ αἰσχρὰ δεινῶς, ὥσπερ ἐν ἐρηµίᾳ τῇ βαθυτάτῃ, οὐχ ὡς προάστιον πόλεως. (Text R 1992.)

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11 Das Tor als liminaler Ort

len, was den Fuhrverkehr erleichterte.6 Konzeptionell jedoch gehörte zu einem Stadttor weiterhin die Schwelle.7 Im Moment des Aufbruchs aus einer Stadt war es die Schwelle des Stadttors, deren Überschreiten paradigmatisch den endgültigen Abschied markierte.8 In der symbolischen Bedeutung der Torschwelle schwang außerdem stets die Erinnerung an die ursprüngliche Funktion des Stadttors als Schutz vor Feinden mit. Hatte sich nicht in Kriegszeiten auf der Schwelle des Tores das Schicksal ganzer Städte entschieden?9 Eine Schwelle läßt sich jedoch nicht nur in bezug auf den Baukörper, die Tür oder das Tor, charakterisieren, zu dem sie gehört. Sie ist zugleich als Teil einer Grenze zu verstehen. So heißt es bei Till Boettger: „Die Schwelle wird als lineare Unterbrechung der Grenze verstanden. Sie verläuft folgerichtig in derselben Richtung wie die Grenze. Sie ist Perforation der Grenze und stellt einen kleineren Bruchteil der Grenze dar. Vom Menschen wird die Schwelle als möglicher Übergang, aber auch als Teil der Grenze interpretiert, für dessen Passieren er eine Erlaubnis braucht. Schwellen sind Grenzöffnungen, die zum Übertreten einladen. Sie sind Auftakt zu einem Raum [. . . ]. Schwellen sind im Sinne der Raumbildung [sowohl] Grenze als auch Übergang, das heißt, sie leben von der Ambiguität, Räume zu öffnen und sie zu schließen.“10 Auf das Stadttor bezogen kann daher folgendes formuliert werden: Das Stadttor durchbrach die Stadtgrenze, welche eine gedachte, nur durch das Vorhandensein des Tors überhaupt wahrnehmbare Grenze sein konnte, oder welche durch eine Mauer oder Grenzsteine sichtbar gemacht wurde.11 Das Tor war gleichzeitig Unter6

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Auch in der modernen Architektur gibt es Bemühungen, im Sinn barrierefreier Zugänge gänzlich auf Schwellen zu verzichten. Es handelt sich dann um sogenannte „Nullschwellen“, wie sie das universal design fordert. Für Deutschland werden sie in der DIN 18040 als Baunorm definiert. Vgl. dazu die häufig in bezug auf Stadttore belegte Wortverbindung limina portae, so zum Beispiel in augusteischer Zeit bei Verg. Aen. 2,752.803 und 3,351; im ersten Jahrhundert bei Val. Fl. 1,676 oder Stat. Theb. 3,53. Siehe etwa Ov. trist. I 3,55 oder Rutil. 1,44. In Verg. Aen. 9,687 lassen die Verteidiger der Stadt auf der Schwelle des Stadttors ihr Leben (portae posuere in limine vitam). Vgl. auch Tac. ann. I 66,2, wo sich der Legat selbst auf die Schwelle des Tores wirft, um der unsinnigen Flucht seiner Truppen Einhalt zu gebieten (proiectus in limine portae; hier ist vom Tor eines befestigten Lagers die Rede). B 2014, 46 f., vgl. auch ebd., 10: „Der Mensch überschreitet täglich mehrmals räumliche Grenzen; er bewegt sich von einer Zone in eine angrenzende. [. . . ] Das Phänomen der Schwelle lebt von der räumlichen Ambivalenz. Schwellen öffnen Räume und organisieren Übergänge.“ Vgl. G 1996, 26: „La muraille est avant tout la matérialisation d’une ligne à caractère magique marquant le passage entre l’urbs et l’ager, entre la ville et ce qui n’est pas la ville“. Siehe in diesem Sinn beispielsweise die Unterscheidung der Bereiche außerhalb und innerhalb der Tore bei Aristid. Or. 19,8. Zum Markieren von Grenzen durch Tore ohne Mauern siehe G 1996, 39 f., M 2010, 21, sowie in bezug auf die Stadt Tiberias S 1998, 155. Eine Reihe von Alternativen, die Stadtgrenze sichtbar zu machen, führe ich nachstehend, Abschnitt 285, auf.

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11 Das Tor als liminaler Ort

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brechung und Teil dieser Grenze. Die Passanten interpretierten es als möglichen Übergang, als eine Öffnung, die zum Übertreten und damit zum Betreten der Stadt einlud. Das Stadttor bildete den Auftakt zum städtischen Raum. Es war gekennzeichnet durch die Ambiguität, den Zugang in die Stadt zu ermöglichen oder zu verhindern, den städtischen mit dem vorstädtischen Raum zu verbinden oder sie voneinander zu trennen. Daß freilich die Realität kaiserzeitlicher Städte deutlich komplexer war, als die dieser Definition zugrundeliegende Dichotomie von Innen und Außen es ausdrücken könnte, wurde in der vorliegenden Studie bereits verschiedentlich deutlich. So mußte die Siedlung keineswegs am Stadttor enden, und neben der baulich gezogenen Begrenzung, der Stadtmauer, gab es unter Umständen weitere, davon abweichende Grenzen einer Stadt.12 Tatsächlich läßt sich ein klares Bemühen konstatieren, Stadtgrenzen zu setzen, zu definieren, geltend zu machen und zu erneuern.13 Dabei konnte es sich um Grenzen handeln, die durch die Topographie vorgegeben waren wie steil abfallende Felshänge oder ein Meeres- oder Flußufer, an dem die Siedlung endete;14 um urbanistisch markierte Grenzen wie den Richtungswechsel einer Hauptstraße15 , den Beginn einer Nekropole16 oder einer Abfall- und Schutthalde;17 um administrative Grenzen, die beispielsweise den Amtsbereich von Magistraten betrafen wie die continentia in Stadtrom;18 um Zollschranken;19 um sakrale Grenzen20 und schließlich um performativ oder rituell eingeschriebene Grenzen.21 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß 12

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Siehe weiterführend G 2007, 42–66, W 2013, 207–215, sowie die konzisen Überlegungen zu materiellen und immateriellen Stadtgrenzen bei E 2021, 372 f. In bezug auf Rom M 2005, 109–128. G 2006b, 108. Auch G 2007, 46 konstatiert „a deep-seated Roman interest in the demarcation and differentiation of space“. Vgl. ähnlich S 2017, 13 und zuletzt S 2021, 267. Als Beispiel kann jede beliebige am Meer gelegene Stadt dienen, besonders deutlich vielleicht Konstantinopel, und, was die steil abfallenden Felsen betrifft, etwa Priene. Der Übergang zwischen Land und Meer wurde in manchen italischen Städten mit eigenen Bogenmonumenten markiert, wie F 2014a, 703 f., herausarbeitet. Hier ist zuerst an den noch heute weithin sichtbaren Bogen auf der Hafenmole in Ancona zu denken, siehe Abb. 12.4 unten auf S. 342. Zum Hafenbecken als Schwelle siehe F 2020, 240–247. In Bononia (Bologna) beispielsweise, wo es keine Stadtmauer gab, verlief die Via Aemilia innerstädtisch parallel zu den anderen Straßen des orthogonalen Systems, um erst am Rand der Stadt wieder ihre ursprüngliche Richtung aufzunehmen; so ergab sich am Beginn und Ende der Siedlung ein Richtungswechsel im Straßenverlauf (siehe G 2007, 62–64, mit Abbildung). So reichten in Samarobriva (Amiens) die Friedhöfe bis an das orthogonale Straßennetz der Innenstadt heran (ebd., 65 f.). Zur Nekropole als Stadtgrenze siehe unten, 296 f. Zur Müllentsorgung vor antiken Stadttoren siehe L 2000, vor allem 51 f., und S 2017, 63–65. Siehe oben, 10 mit Anm. 32. G 2006b, 105–108, betrachtet die continentia als die wichtigste konkrete Grenze des kaiserzeitlichen Rom. Zum Stadttor als Zollschranke siehe Kapitel 7. Zum Verhältnis von Stadttoren und sakraler Grenze nachstehend, Abschnitt 11.2. Zur performativen und rituellen Einschreibung von Grenzen am Stadttor siehe Abschnitt 11.4 in diesem Kapitel.

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11 Das Tor als liminaler Ort

einmal vorhandene Grenzen kaum jemals wieder aufgegeben wurden, sondern in der Erinnerung der Bevölkerung, in der Rechtspraxis oder in Ritualen fortbestanden, auch wenn sie ihre ursprüngliche Funktion verloren hatten.22 Dies konnte bzw. kann übrigens auch weit über die Antike hinaus gelten.23 So waren unter Umständen mehrere Tore unterschiedlicher Entstehungszeit, Funktion und Bedeutung entlang einer Ausfallstraße gestaffelt und zeigten auf diese Weise verschiedene Grade von Urbanität an, ohne daß sich das „eine“ Stadttor, das nun letztendlich den Übergang zwischen Stadt und Nicht-Stadt dargestellt hätte, klar bestimmen ließe.24 Es erscheint daher sinnvoll, einen weiter gefaßten Bereich als Schwellenraum zu definieren (siehe unten), um diese Unschärfen angemessen berücksichtigen zu können. Trotz der skizzierten Uneindeutigkeiten, die aus der städtebaulichen Situation erwachsen konnten, ließ sich freilich im konkreten Fall, wenn jemand die Stadt betrat oder sie verließ, in dessen subjektiver Wahrnehmung durchaus präzise festmachen, an welchem Punkt der Wegstrecke dies der Fall war. Das Gefühl anzukommen oder fortzugehen wird bei den zeitgenössischen Autoren auf einen einzigen Moment des Übergangs verdichtet, der sich klar benennen läßt. Das ist in einer Geschichte besonders anschaulich gemacht, die man sich im ersten Jahrhundert aus der Frühzeit Roms über den Prätor Genucius Cipus erzählte: In dem Augenblick, als Cipus aus dem Stadttor auszog (portam egredienti), seien ihm plötzlich Hörner aus dem Kopf gewachsen – ein böses Omen (prodigium), an dem sich sein weiteres Schicksal entschied.25 Ehe anschließend der Übergangscharakter des Stadttors anhand der dort praktizierten Kulthandlungen näher beleuchtet wird, seien zunächst die typischen Sequenzen einer Ankunft am Stadteingang beschrieben. 11.1 Der Stadteingangsbereich als Schwellenraum Der Umgang der Menschen mit räumlichen Schwellen ist durch Sequenzialität gekennzeichnet. So ist die Wahrnehmung eines Schwellenraums nach Boettger stark von der zeitlichen Abfolge des Erlebens bestimmt, die immer vergleichbar verläuft. Boettger gliedert das Durchschreiten von Schwellenräumen in folgende typische 22 23

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G 2007, 45 f., unter Verweis auf das Beispiel der servianischen Mauern in Rom, vgl. auch G 2006b, 80–84. So sollte ein heutiger Besucher der Stadt Rom, der am Bahnhof Termini ankommt, wissen, ob sein Reiseziel innerhalb oder außerhalb der aurelianischen Mauern liegt, da die Taxistation rechter Hand die Destinationen intra muros bedient („servizio entro Mura Aureliane“), die linker Hand gelegene Station die Ziele extra muros; auch gilt jenseits der Stadtmauern ein anderer Tarif (S 2017, 1 f.). Siehe oben, 5–7. Val. Max. V 6,3. Obwohl Ovid die Geschichte ebenso wie Valerius als Aition zum Namen der Porta Rauduscula erzählt, geschieht die Verwandlung des Cipus in met. 565 f. nicht am Stadttor, sondern bei einem Fluß, in dessen Wasser er sich spiegelt. Vgl. ferner Plin. Nat. 11,123, welcher Cipus für fabulosus erklärt und nicht näher behandelt.

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11.1 Der Stadteingangsbereich als Schwellenraum

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Phasen: Erkennen, Ansteuern, Erreichen, Ankommen, Orientieren und Informieren, Kontrollieren (gemeint ist Kontrolliertwerden) und Verlassen.26 Er erläutert diese Abfolge eingehend, was ihre Übertragung auf die spezifische Situation am Eingang einer römischen Stadt ermöglicht. Dabei fasse ich die Phasen „Erreichen“ und „Ankommen“ zu einem Punkt zusammen, da mir diese Differenzierung in bezug auf das Stadttor verzichtbar erscheint. Die idealtypische Ankunft ortsfremder Personen am Tor einer kaiserzeitlichen Stadt soll also im folgenden als eine Sequenz beschrieben werden, wie sie Boettger zufolge das Durchschreiten von Schwellenräumen auszeichnet. Im Zuge dessen spreche ich das Stadttor als Schwelle an und fasse den ganzen Stadteingangsbereich samt den Plätzen vor und hinter dem Tor als Schwellenraum auf.27 Es ergibt sich folgender Ablauf: Das Stadttor konnte bereits aus großer Entfernung erkannt (1) und zielgerichtet angesteuert werden (2). Nach Erreichen des Stadteingangs (3) folgten die Phase der Orientierung (4) und des Kontrolliertwerdens (5), ehe das Stadttor durchschritten, der Schwellenraum verlassen und die Stadt betreten wurde (6). Dabei ist in meinen Ausführungen an eine Stadt mit Stadtmauern gedacht, bei der das Stadttor Teil einer manifesten und deutlich wahrnehmbaren Grenze war; die folgende Beschreibung läßt sich jedoch unschwer auch auf offene Städte übertragen. 1. Erkennen. In der Urbanistik der Kaiserzeit wurde besonderer Wert darauf gelegt, den Zugang zur Stadt schon aus großer Entfernung wahrnehmbar zu machen. Schon viele Meilen vor der Stadt konnten außerdem alleinstehende Bögen die Stelle markieren, an der eine erste Fernsicht auf die Siedlung möglich wurde.28 Gleichzeitig verrieten weitere Beobachtungen den Reisenden, daß sie sich einer Stadt näherten: Zu beiden Seiten der Straße waren in zunehmender Frequenz Bauerngehöfte, bestellte Felder, Weiden und Gärten zu finden, das Verkehrsaufkommen nahm spürbar zu. Anhand von Meilensteinen konnten diejenigen, die über einfache Lesekenntnisse verfügten, genau bestimmen, wieviel Wegstrecke noch vor ihnen lag (zumindest dann, wenn die Meilenzählung von der zu erreichenden Stadt aus bzw. auf sie zu erfolgte). Beim Näherkommen waren schon von weitem neben den Baustrukturen einer eventuell vorhandenen Höhensiedlung und 26 27

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B 2014, 122–125. Anders als die Schwelle selbst läßt sich der Schwellenraum nicht präzise abgrenzen. Wie D 2017, 20 f., darlegt, zeichnet genau diese Vagheit den Bereich der Vorstadt als liminal aus. Ein Beispiel bietet der Bogen oberhalb des türkischen Dorfs Sa˘glıklı (früher Bayramlı) an der Via Tauri. Er wurde genau an der Stelle errichtet, an der sich vom Taurosgebirge hinabsteigend der erste Blick auf die kilikische Ebene und die noch 12 Meilen entfernte Provinzhauptstadt Tarsos bot. Die Datierung des im heutigen Zustand durch seine unsachgemäße Rekonstruktion stark entstellten Monuments ist unklar; die Vorschläge reichen vom ersten bis zum sechsten Jahrhundert (zusammenfassend B,  2000, 24 f.; siehe dort auch Abb. 1–4 sowie S 2002, 456, Abb. 1, welche die starken Veränderungen des Bogens seit seiner ersten Aufnahme durch Victor Langlois Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentieren).

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markanten Gebäuden wie einem großen Podientempel oder Amphitheater29 die Stadtmauern und das Stadttor selbst zu erkennen, denn genau auf dieses hin waren Straßenführung und Blickachsen orientiert.30 In seiner formelhaften baulichen Gestaltung als straßenüberspannender Bogen mit einem oder mehreren Durchgängen war das Stadttor für jedermann als solches zu erkennen, und dies auch bei Städten, die nicht über eine Ringmauer verfügten. 2. Ansteuern. Sobald die Ankommenden den Zugang zur Stadt erkannt hatten, konnten sie ihn als Ziel ansteuern: Ihr Weg bekam eine Richtung. Diese war zugleich durch den Verlauf der Straße vorgegeben. Bei Anlagen der Kaiserzeit orientierte sich die Straßenführung in der Regel nicht am Gelände, sondern die Straße lief in gerader Linie auf das Tor zu und traf so im rechten Winkel auf die Mauern.31 Die bereits in Kapitel 10 erörterte Rolle des Stadttors als Landmarke und Orientierungspunkt kam in der Phase des Ansteuerns besonders zum Tragen. Zugleich wies auch die Umgebung auf die Nähe der Stadt hin, da die Straße nun von vorstädtischen Heiligtümern, Villen, Parks und Nekropolen32 gesäumt wurde; je nach Größe der Stadt lagen auch Metallwerkstätten, Fischfabriken, Keramikmanufakturen, Großbäckereien und ähnliche Betriebe sowie große Spielstätten, etwa ein Hippodrom, am Weg.33 Die Verkehrsdichte nahm zu, und die Geräuschkulisse veränderte sich. 3. Erreichen und Ankommen. Schließlich erreichten die Reisenden den Bereich des Stadteingangs, der beispielsweise als gepflasterter Vorplatz gestaltet sein konnte (Abb. 11.1). Ein solcher Wechsel des Bodenbelags gegenüber der kleinteiliger oder nicht gepflasterten Fernstraße erzeugte einen akustischen Effekt und schaffte zugleich eine Verlangsamung der Bewegung.34 Der Übergang von der Fernstraße zum Stadttor konnte freilich auch ganz fließend gestaltet sein.35 Unter Umständen 29

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34 35

Eine Fernsicht auf die Akropolis war beispielsweise in Perge gegeben, eine durch einen Podientempel beherrschte Stadtansicht im pisidischen Antiocheia, und in Thysdrus dominierte ein besonders großes Amphitheater für die aus drei von vier möglichen Himmelsrichtungen eintreffenden Besucher die Ansicht der Stadt. Dieser Umstand wurde oben bereits für das severische Bogenmonument in Gadara beschrieben, welches auf dem höchsten Punkt der vom Jordantal kommenden Landstraße gelegen war (70). Besonders exponiert war das dreibogige Stadttor von Occilis (Medinaceli) in der Hispania Tarraconensis, für dessen Bau im frühen Prinzipat die Stadtmauer aufgebrochen wurde, so daß das neue Tor direkt an der Böschungskante des Stadthügels plaziert werden konnte. Auf diese Weise war es weithin zu sehen (P 1990, 88 mit Abb. 24 und Tafel 5c). Siehe oben, 31 f. Zur Einstimmung auf die Werte der städtischen Führungsschicht, die ein aufmerksamer Wanderer bereits beim Durchqueren der Nekropole erhielt, siehe G 2006. Vgl. den kursorischen Überblick bei L/E C/S 2011, 149, sowie weiterführend zwei sehr interessante Ansätze zu einer dichten Beschreibung dessen, was ein Reisender auf dem Weg in eine antike Stadt wahrgenommen haben könnte: P 2000, 97–103 für den Weg über die Via Appia nach Rom, und Y 1994 für Ephesos, inklusive eines Spaziergangs durch die ganze Stadt. Vgl. B 2014, 126, der sich an dieser Stelle auf Zugangswege zu privaten Anwesen bezieht. Vgl. ebd., 123: „Der Benutzer ist sich meist nicht darüber bewusst, dass er sich schon im Schwellenraum befindet.“

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11.1 Der Stadteingangsbereich als Schwellenraum

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Abbildung 11.1: Erreichen des westlichen Stadttors von Nemausus (Nîmes). Mit dem Beginn des Straßenpflasters ist hier ein für die Ankommenden spürbarer Übergang in den Stadteingangsbereich markiert. Freie Rekonstruktion von Jean-Claude Golvin.

gab es vor dem Tor einen Brunnen oder schattenspendende Aquäduktbögen.36 Im Eingangsbereich vieler Städte wurden regelmäßige Märkte abgehalten,37 und bei größeren Ortschaften waren Parkplätze vorhanden, auf denen Fahrzeuge abgestellt werden konnten.38 Die „leibliche Erfahrung“ im Moment der Ankunft39 war bei ummauerten Städten besonders eindrucksvoll, da man beim Näherkommen ab einem gewissen Punkt nur noch die unüberwindlich hoch erscheinenden Mauern vor sich sah und damit die Grenze, die einzig durch das Stadttor durchbrochen wurde. (Auch dies wird in Abb. 11.1 deutlich.) Bei den Ankommenden entstand eine Erwartungshaltung,40 die von ihren bisherigen Erfahrungen an diesem Ort 36

37 38 39 40

Ein repräsentativ gestaltetes Nymphäum gab es zum Beispiel feldseitig kurz vor dem Haupttor von Side; einen Aquädukt, in dessen Schatten man ruhen konnte, in Samaria (Vita Barsumae 80,1). Ein Schutz vor Regen oder Sonne und andere Annehmlichkeiten, die die Ankunft positiv gestalten, gehören zur idealerweise vorhandenen Ausstattung des Schwellenraums (siehe dazu B 2014, 123). Siehe oben, 196–198. Siehe oben, Kapitel 9, besonders 230 f.und 237 f. Ein „Wechsel in der Art der Fortbewegung“ kann vor oder in dem Schwellenraum stattfinden (B 2014, 123). Ebd., 124. Siehe dazu ebd., 128.

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11 Das Tor als liminaler Ort

oder am Eingang anderer Städte gespeist wurde: Ob das Tor wohl frei passiert werden konnte? Und würde sich in der Stadt eine akzeptable Herberge finden? 4. Sich Orientieren und Informieren. Vor dem Tor angekommen, konnten die Reisenden die Situation genauer überblicken und sich orientieren.41 Sie stellten fest, ob es etwa eine Warteschlange gab, in die es sich einzureihen galt, ob Kontrollen irgendeiner Art stattfanden und welcher Tordurchgang für sie vorgesehen war. Sie konnten jemanden ansprechen, um sich über ihren weiteren Weg zu informieren,42 und sie konnten das Gespräch mit Ortskundigen suchen, um sich genauer über die Lage vor Ort ins Bild setzen zu lassen. Zugleich hatten sie die Möglichkeit, das Stadttor zu betrachten, den Anblick der darauf stehenden Statuen auf sich wirken zu lassen43 und einen ersten Blick auf den Platz oder die Straße hinter dem Tor zu erhaschen.44 5. Kontrolliertwerden. Die Raumverengung, die durch den Baukörper des Stadttors mit seinen Durchgängen vorgegeben war, trug zur Organisation des Verkehrs bei und bot einen besonders einfachen Zugriff, um Kontrollen durchführen zu können.45 Eine absolute Form der Kontrolle stellte das Verschließen der Tore durch Torflügel oder Fallgatter dar,46 was in den Städten der Kaiserzeit jedoch teils gar nicht, teils nur in der Nacht und sonst ausschließlich in prekären Situationen praktiziert wurde.47 Durchaus verbreitet waren jedoch Personen- und Warenkontrollen, die von unterschiedlichem Personal – mit entsprechenden Amtsgewalten ausgestatteten Bürgern der Stadt, öffentlich bestellten Wächtern, städtischen oder privaten Sklaven, Paramilitärs etc. – durchgeführt werden konnten. Die Besucherinnen und Besucher der Stadt wurden gemustert, gegebenenfalls befragt, durchsucht und ihr Gepäck überprüft.48 Intensität und Atmosphäre der Kontrollen waren maßgeblich dafür verantwortlich, wie die ankommenden Personen ihre Ankunft in der Stadt empfanden.49 6. Verlassen. Schließlich durchquerten die Ankommenden das Stadttor,50 was bei einem Bogenmonument nur wenige Schritte erforderte, bei einer Torburg dagegen einen etwas längeren Weg. Sie traten aus der Enge und dem Schatten des

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50

„Sich im Schwellenraum befinden bedeutet sich orientieren können“ (ebd., 124). Siehe oben, 270–272. Das Stadttor als Ort der Repräsentation wird in Kapitel 12 behandelt. Vgl. auch R 2022, 17. Vgl. B 2014, 124: „Raumverengungen können genutzt werden, um die Gäste, in welcher Weise auch immer, zu kontrollieren.“ Boettger spricht von „Schwellenraum-Verschlüssen“ (ebd.). Siehe dazu oben, 130–136. Siehe Kapitel 6 (besonders 6.3 zum Wachpersonal und 6.4 zur Durchführung von Personenkontrollen) sowie Kapitel 7 zur Zollerhebung. Vgl. B 2014, 124. Zur Bedeutung dieses Moments siehe M/K 2007b, 11. Daß ihm (wie jedem Übergang) eine potentielle Verletzlichkeit innewohnte, betont W 2004, 87.

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11.1 Der Stadteingangsbereich als Schwellenraum

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Torgangs hinaus und in den innerstädtischen Raum mit seiner Architektur, seinem Straßenverkehr und seinen Geräuschen und Gerüchen ein.51 Damit hatten die Reisenden den Schwellenraum am Stadteingang glücklich passiert. Der Übergangscharakter des Vorgangs war dabei an mehreren Punkten deutlich wahrnehmbar, so anhand des veränderten Landschaftsbildes, einer zunehmenden Frequentierung der Straße und einer sich belebenden Geräuschkulisse, anhand des angenommenen Belagwechsels der Straße und gegebenenfalls beim Absteigen von einem Wagen, des weiteren durch die Interaktion mit dem am Stadttor stationierten Zoll- oder Wachpersonal oder mit anderen Passanten, und schließlich in dem Moment, in dem die Ankommenden durch das Tor in die Stadt traten. Für das idealtypische Verlassen der Stadt ergäbe sich eine analoge Sequenz, bei der der Bereich, der stadtseitig vor dem Tor lag, den Schwellenraum bildete. In dieser Perspektive wäre das Erkennen und Ansteuern des Stadttors auf die innerstädtische Ausfallstraße verlagert, die zum stadtseitigen Torvorplatz führte. Der Vorgang, bei dem das Stadttor passiert wurde, verlor sicherlich an Bedeutung, je alltäglicher er war. Die Einwohner, die jeden Tag durch das Tor aus- und eingingen, mochten dabei mit ihren Gedanken gänzlich anderswo sein und der Schwellensituation keinerlei Beachtung schenken. Brachen sie freilich zu einer größeren Reise auf, mußte dem Übergang eine neue Bedeutung zukommen, da er nun keine tagtägliche Verrichtung, sondern den Abschied von ihrem Wohnort bezeichnete. So verharrt der Auswanderer Umbricius bei Juvenal gemeinsam mit einem Freund lange Zeit an der Porta Capena, ehe er Rom endgültig verläßt.52 Rutilius Namatianus, der im Jahr 417 die gefährliche Reise von Rom nach Gallien antritt, muß sich überwinden, die Schwellen (limina) des Stadttors überhaupt zu überschreiten, und bedeckt das Tor mit Küssen; weinend stimmt er das Lob der geliebten Stadt an.53 Erst 120 Verse später kann er sich, noch immer unter Tränen, endlich losreißen und bricht auf.54 Die folgenden Abschnitte untersuchen den Status des Stadttors als Teil einer sakralen Grenze (11.2) und als einen Kultort, der durch die Anwesenheit von Gottheiten ausgezeichnet war und unter deren besonderem Schutz stand (11.3). 51

52 53

54

Vgl. B 2014, 125: „Der Besucher verlässt den Schwellenraum und ist auf das nächste Raumerlebnis vorbereitet. Dieses Verlassen wird meist als Eintritt wahrgenommen, da sich der Schwellenraum verengt und der vorliegende Raum sich aufweitet.“ Juv. Sat. 3,10, siehe dazu oben, 228–230. Rutil. 1,43–45. Daß es sich bei der porta um das Stadttor handeln muß und keine Haustür gemeint ist, ist aus dem Kontext ersichtlich (gegen den Kommentar zur Stelle bei D 1977, 37): Die Stadt hat bereits „ihre Umarmung gelockert“ (V. 35), und Rutilius’ Gedanken kreisen nicht um den Abschied von seinem Hausstand, sondern um den von der regina Roma (V. 47 f.). Rutil. 1,165 f. Vgl. auch Ov. trist. I 3,55 f.: Auch Ovid kann sich auf dem Weg ins Exil kaum von der Schwelle lösen und braucht drei Anläufe, ehe es ihm schließlich gelingt, seine unwilligen Füße hinüberzusetzen – hier freilich ist die Schwelle seiner Haustür gemeint, wie aus dem Zusammenhang und insbesondere aus V. 92 klar hervorgeht.

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11 Das Tor als liminaler Ort

Weiterführend soll geklärt werden, inwieweit oder unter welchen Umständen das Überschreiten der Stadtgrenzen am Tor von Ritualen begleitet wurde (11.4). 11.2 Das Tor als Teil einer sakralen und sakralrechtlichen Grenze 11.2.1 Nicht maßgeblich: Das Pomerium Wenn es um sakrale Stadtgrenzen geht, wird man als erstes an das Pomerium denken.55 In der Forschungsliteratur wird es in der Regel als die sakrale Grenze zwischen ager und urbs definiert: Das Pomerium habe in Rom, in den latinischen Städten und in den römischen Kolonien den Bereich gekennzeichnet, innerhalb dessen keine Verstorbenen verbrannt oder bestattet und bestimmte Kulte nicht ausgeübt werden durften.56 Gleichzeitig habe das Pomerium die Grenze zwischen imperium domi und imperium militiae markiert, was implizierte, daß im entmilitarisierten Bereich – der Stadt – keine Waffen getragen wurden und daß das imperium der Promagistrate hier endete; umgekehrt hätten ausziehende Befehlshaber am Pomerium den Kriegsmantel übergestreift und ihre Liktoren die Beile in die fasces gesteckt.57 Sogar Gesandtschaften feindlicher Kriegsparteien seien außerhalb des Pomerium untergebracht worden.58 In einem erst vor kurzem publizierten Beitrag unterzieht Daniel Emmelius die Quellen jedoch einer Neubewertung und kommt zu dem klaren Ergebnis, daß es sich beim Pomerium nicht um eine sakrale59 oder sakralrechtlich maßgebliche Grenze gehandelt hat.60 Eine solche Vorstellung des Pomerium hält der bei Emmelius gebotenen akribischen Quellendurchsicht nicht stand; wie er nachweisen kann, beruht sie auf Zirkelschlüssen der Forschung. Zwar kann der Ausdruck Pomerium in den Quellen sowohl die Stadtgrenze als auch das umgrenzte Stadtgebiet bezeichnen,61 in der juristischen Literatur und sakralrechtlichen Praxis aber war er aufgrund seiner semantischen und topographischen Uneindeutigkeit irrelevant.62 Die rechtlich verbindlich definierten Stadtgrenzen in Rom waren die republikanische Stadtmauer oder das Ende der durchgängigen Wohnbebauung.63 Die 55 56

57 58 59 60 61 62 63

Siehe dazu etwa G 2001, der den (damaligen) Diskussionsstand referiert. Die jüngsten umfassenden Darstellungen bieten S 2017, 13–60 und E 2021. Aus der Stadt ausgeschlossen waren die Kulte der Unterweltsgötter, der kriegerischen Götter wie Mars und Vulcanus sowie bestimmte fremde Kulte, unter Augustus zum Beispiel noch die sogenannten ägyptischen. Siehe dazu P 2000, 92, und  N 2014, 44. G 2001. Dazu C 2004, 530–544. Skeptisch in bezug auf die häufig unterstellte Sakralität des Pomerium bereits W 2013, 210 („the sanctity of this boundary may have been exaggerated“). E 2021, siehe vor allem 366 f. Zur Vieldeutigkeit schon der antiken Erklärungen, was das Pomerium eigentlich sei, siehe ebd., 27–53. Ebd., 149.346. Ebd., 157.344–347 und 375 f. In bezug auf die Wohnbebauung wurde entweder die continentia oder eine Meile darüber hinaus als Grenze angesetzt (siehe dazu oben, 10 mit Anm. 32).

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11.2 Das Tor als Teil einer sakralen und sakralrechtlichen Grenze

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Begräbnispraxis beispielsweise orientierte sich in Rom am Verlauf der Stadtmauer, nicht an dem des Pomerium.64 Auch die Regeln zum Ausschluß von Waffen aus der Stadt lassen sich nicht mit dem Pomerium verbinden;65 keine einzige antike Quelle stellt einen Zusammenhang zwischen dem Geltungsbereich militärischer Kommandos und dem Pomerium her.66 Eine Grenzfunktion des Pomerium, so bilanziert Emmelius, kann nur in einer einzigen Hinsicht nachgewiesen werden, nämlich in bezug auf das Auspizienwesen der frühen und mittleren Republik.67 In unserem Betrachtungszeitraum war das Pomerium somit alltagspraktisch nicht relevant. Wie Emmelius aufzeigt, ist seine Bedeutung für die Kaiserzeit vielmehr im antiquarischen Diskurs zu suchen, innerhalb dessen das Pomerium zum Wissensbestand um die Ursprünge der Stadt Rom gehörte und sich damit für aktualisierende Bezüge anbot.68 Da sich die Grenzsteine, die das Pomerium in Rom markierten, sehr viel einfacher umsetzen ließen als eine Mauer, bot eine Erweiterung des Pomerium den Kaisern einen willkommenen Anlaß, ihre Macht zu inszenieren – eine Macht, welche es erlaubte, Grenzen zu versetzen und sich damit in den physischen Raum einzuschreiben.69 So wurde das Pomerium in Rom schon unter Sulla und Caesar, im Prinzipat unter Augustus, Claudius, Nero, Vespasian und Titus und dann erneut unter Aurelian verschoben und auf diese Weise das Gebiet der Urbs erweitert.70 11.2.2 Das römische Stadtgründungsritual, die sanctitas der Mauern und der Status der Tore Nachdem der Verlauf des Pomerium durch die genannten Erweiterungen nur noch teilweise mit dem der Stadtmauern zusammenfiel,71 ist mit der Feststellung seiner sakralrechtlichen Irrelevanz über den Status der Mauern und Stadttore noch nichts gesagt. Dieser ist daher gesondert zu klären. 64 65

66 67 68 69 70 71

So sind innerhalb der servianischen Mauern spätestens seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. keine Bestattungen mehr nachweisbar (E 2021, 136, vgl. 145 f.). Ebd., 159–241 und 284 f. Die strikte Entmilitarisierung des innerstädtischen Gebiets ist ohnedies bereits unter Augustus zugunsten einer ständigen militärischen Eskorte des Princeps nach und nach aufgeweicht worden; im Zuge des Versprechens von Frieden und Ordnung wurden die prätorianischen und städtischen Kohorten dann durch Tiberius in Rom stationiert (N 1995, 91 f.). E 2021, 241. Ebd., 242–283.366.369–373. Ebd., 328–330.376. Ebd., 331. Vgl. auch S 2017, 60: Das Pomerium wurde als „political statement of power“ benutzt. Siehe dazu F 1987, 378–380; G 2007, 43–45;  N 2014, 41–46; S 2017, 30–37; die Quellen sind im Detail widersprüchlich. Zum Verhältnis von Pomerium und Stadtmauern siehe E 2021, 53–67, und ferner schon P 2000, 88–92; K 2002, 400–409; G 2007, 42–46;  N 2014, 42–46. Anders die Darstellung bei  T 2007, 160–167: „the pomerium was also the city boundary consisting of the city wall with fallow land on either side“ (161).

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11 Das Tor als liminaler Ort

Stadttore als solche waren im Verständnis der Römer keine sakralen Orte. Im Gegenteil: Anders als die Stadtmauern, die nach einhelliger Meinung der kaiserzeitlichen Juristen als sanctus anzusehen waren72 und deren Verletzung daher als Kapitalverbrechen geahndet wurde,73 standen die Tore ausdrücklich nicht unter dem rechtlichen Schutz einer sanctio. Die Mauern verdankten ihren Status der Urfurche (sulcus primigenius), die im römischen Stadtgründungsritual mit einem Pflug gezogen wurde (vgl. Abb. 11.2). Sie markierte den späteren Verlauf der Befestigung.74 Die Tore aber wurden genau dort errichtet, wo die Stadtgründer den Pflug angehoben und damit die Pflugspur unterbrochen hatten. Wie Plutarch darlegt, war es auf diese Weise möglich, durch die Tore Unreines aus der Stadt hinaus oder in sie hinein zu bringen: διὰ τί πᾶν τεῖχος ἀβέβηλον καὶ ἱερὸν νοµίζουσι, τὰς δὲ πύλας οὐ νοµίζουσιν; ἦ καθάπερ ἔγραψε Βάρρων, τὸ µὲν τεῖχος ἱερὸν δεῖ νοµίζειν, ὅπως ὑπὲρ αὐτοῦ µάχωνται προθύµως καὶ ἀποθνήσκωσιν; οὕτω γὰρ δοκεῖ καὶ ῾Ρωµύλος ἀποκτεῖναι τὸν ἀδελφὸν ὡς ἄβατον καὶ ἱερὸν τόπον ἐπιχειροῦντα διαπηδᾶν καὶ ποιεῖν ὑπερβατὸν καὶ βέβηλον. τὰς δὲ πύλας οὐχ οἷόν τ’ ἦν ἀφιερῶσαι, δι’ ὧν ἄλλα τε πολλὰ τῶν ἀναγκαίων καὶ τοὺς νεκροὺς ἐκκοµίζουσιν. ὅθεν οἱ πόλιν ἀπ’ ἀρχῆς κτίζοντες ὅσον ἂν µέλλωσι τόπον ἀνοικοδοµεῖν, ἐπίασιν ἀρότρῳ, βοῦν ἄρρενα καὶ θήλειαν ὑποζεύξαντες· ὅταν δὲ τὰ τείχη περιορίζωσι, τὰς τῶν πυλῶν χώρας διαµετροῦντες τὴν ὕννιν ὑφαιροῦσι, καὶ µεταφέρουσιν οὕτω τὸ ἄροτρον, ὡς τὴν ἀρουµένην πᾶσαν ἱερὰν καὶ ἄσυλον ἐσοµένην.

„Warum sehen sie [sc. die Römer] die ganze Stadtmauer als unverletzlich und heilig an, die Tore aber nicht? Ist es, wie Varro schrieb, weil man die Mauer als heilig ansehen muß, um feurig dafür zu kämpfen und zu sterben? Deshalb hat, scheint es, auch Romulus seinen Bruder getötet, als dieser es wagte, diesen unverletzlichen und heiligen Ort zu überspringen und so überquerbar und profan zu machen. Es war aber unmöglich, die Tore unverletzlich zu machen, durch die sie allerlei notwendige Güter und auch die Leichen transportieren. Deshalb spannen die ersten Gründer einer Stadt ein männliches und ein weibliches Rind ein und umgehen mit dem Pflug das Land, das sie bebauen wollen. Und wenn sie die Mauerlinie ziehen und den Raum der Tore vermessen, heben sie die Pflugschar und tragen den Pflug, mit der Vorstellung, daß all das gepflügte Land heilig und unverletzlich ist.“75 72 73 74

75

H 2001, 135; vgl. auch G 1996, 26, und E 2021, 89–92. Dig. 1,8,11 (Pomponius), siehe dazu oben, 124. Das Ritual wird beschrieben bei Plut. Rom. 11,3 f. und Plut. quaest. rom. 27 (= mor. 271A–B). Siehe dazu L/E C/S 2011, 71;  N 2014, 41–46; S 2017, 13–30; E 2021, 69–112; eine umfassende Zusammenstellung der einschlägigen Text- und Bildquellen bei F 2004, 54 f. Archäologische Quellen zum Stadtgründungsritual in italischen Städten diskutiert P 2017, 38. Plut. quaest. rom. 27 (= mor. 271A–B), Text und Übersetzung S 2012. Vgl. auch Plut. Rom. 11,3 f. Wie John Scheid im Kommentar zur Stelle herausstellt, war die Mauer nicht sacer,

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11.2 Das Tor als Teil einer sakralen und sakralrechtlichen Grenze

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Abbildung 11.2: Relief mit einer Darstellung des Pflugrituals bei der Stadtgründung von Aquileia, Anfang des ersten Jahrhunderts. Das von mehreren Togati begleitete Gespann ist eben dabei, den sulcus primigenius, die Urfurche, zu ziehen.

Im Verständnis der Römer waren die Stadttore also ihrer Genese nach nicht als Teil der Stadtmauern, sondern als deren Unterbrechung aufzufassen. Aus diesem Grund partizipierten sie nicht am geheiligten Status der Mauern.76 Ihre bei Plutarch benannte Funktion, Güter des Alltags und Leichen passieren zu lassen, ohne daß die sanctitas der Mauern verletzt wurde, entspricht genau der bereits zitierten Vorstellung bei Boettger, wonach eine Schwelle ein „möglicher Übergang“ ist.77 Dessen ungeachtet gab es durchaus religiöse und magische Praktiken, die speziell mit den Stadttoren verbunden wurden, wie die nachfolgenden Abschnitte aufzeigen werden. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß die Herleitung einer religiösen Bedeutung von Stadtgrenzen nicht nur über die stadtrömische Gründungstradition und die aus dieser hervorgehende Rechtspraxis möglich war, sondern an ganz anders geartete lokale Vorstellungen und Gepflogenheiten anknüpfen konnte. So wurde das östliche Stadttor von Aelia Capitolina (Jerusalem), der sogenannte EcceHomo-Bogen, in einer Linie mit dem Verlauf der westlichen Tempelbergmauer positioniert. Die nicht durch eine eigene Stadtmauer markierte Begrenzung der neuen Kolonie fiel auf diese Weise mit der sakralen Mauer des Tempelbezirks zusammen. Auch wenn dieser aus der römischen Stadt ausgeschlossen war, ist das

76

77

sondern sanctus (S 2012, 137). Folgt man der von Scheid vorgeschlagenen Interpretation, die „Römischen Fragen“ als einen „virtuellen Spaziergang“ durch Rom zu lesen, würden die zitierten Ausführungen über den Status der Stadtmauern und -tore zu dem Punkt des Rundgangs gehören, an dem die Spaziergänger vor der Porta Carmentalis und den Resten der republikanischen Mauer stehen (ebd., 187). Irrig die Aussage bei S 2017, 250, wonach das bei Plutarch beschriebene Ritual auch die Stadttore unter den Schutz einer sanctio gestellt habe. Der zitierte Abschnitt sagt unmißverständlich das Gegenteil aus. B 2014, 46.

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11 Das Tor als liminaler Ort

Zusammenfallen der neuen virtuellen Stadtgrenze mit der bestehenden Tempelbergmauer sicherlich mit Bedacht geplant worden78 und konnte im Sinn einer zusätzlichen Legitimation der Neugründung verstanden werden. 11.2.3 Eine Grenze zwischen Lebenden und Toten Das Wesen des Stadttors als Übergangsort kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß die Toten in aller Regel extra muros beigesetzt wurden.79 Das Tor war somit der Durchlaß zwischen dem Bereich der Einwohner der Stadt und dem derjenigen, die zum Beispiel als indigene Bauern noch nicht oder als Tote nicht mehr zu diesen gehörten.80 Die Grenze zwischen den Bereichen der Lebenden und Toten konnte zwar verwischt werden, wenn sich Siedlungen über ihre Mauern hinaus ausdehnten und die vormaligen Nekropolen bebaut wurden, sie scheint aber konzeptionell immer wichtig geblieben zu sein (wobei „immer“ die Zeitspanne bis zum Ausgang der Antike meint, als der Wunsch einer Bestattung ad sanctos zunehmend auch innerstädtische Begräbnisplätze in und um Kirchen herum entstehen ließ). Die einzige systematische Ausnahme von der Regel stellte Sparta dar, wo in Fortsetzung einer lokalen Tradition noch im ersten und zweiten Jahrhundert eine größere Zahl intramuraler Bestattungen nachgewiesen ist, die sich lose über das Stadtgebiet verteilten.81 Die römischen Städte waren also üblicherweise von Gräberfeldern umgeben, welche gleich nach dem Stadttor begannen und die wichtigsten Ausfallstraßen säumten. Meist waren es die Grablegen der ältesten und würdigsten Familien der Stadt, die in nächster Nähe zum Stadttor – der begehrtesten Lage – plaziert waren.82 Gräberstraßen sind vielfach in situ erhalten, so etwa die Via Appia vor der Porta Capena in Rom, die Straßen in Richtung Herculaneum, Stabiae und Nocera vor den Toren Pompejis, die Gräberstraßen zwischen Korykos und Elaioussa Sebaste in Kilikien oder die Alyscamps an der Via Aurelia vor Arelate. Dabei entwickelten sich im besonders stark frequentierten Bereich des Stadteingangs funerär-religiöse

78

79 80 81

82

Befund und Interpretation, wonach die Gründer der Kolonie deren Grenze in bezug auf die Tempelbergmauer definieren wollten, bei E 2003, 255. Auf dem feldseitigen gepflasterten Vorplatz des Ecce-Homo-Bogens verortet die Ortslegende die Verhandlung vor Pontius Pilatus, daher der Name. S 2017, 161–213, untersucht Nekropolen als indirekte Markierungen der Stadtgrenze. G 1996, 26. Siehe F 2019, 198 f. Die Gräber wurden teils in Vergesellschaftung mit älteren Bestattungen im alten dorischen Siedlungskern Spartas angelegt und teils im dicht besiedelten Bereich südlich der Akropolis. Die zum Teil schlichten Bestattungsformen sprechen gegen eine Interpretation als Ehrengräber für Euergeten; ein solches ist in Sparta ebenfalls erhalten, das des inschriftlich als ἥρως bezeichneten Wohltäters C. Julius Eurykles Herculanus aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts (ebd., 199). Die Fortsetzung der ungewöhnlichen Bestattungspraxis, die in der Kaiserzeit auf Lykurg zurückgeführt wurde, ist womöglich als „Ausdruck der zeitgenössischen klassizistischen Elitendiskurse“ zu verstehen (ebd.). G 2006, 43–52, mit Beispielen.

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11.3 Kultpraxis am oder im Stadttor

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Komplexe,83 zu denen auch Schreine, Altäre und kleine Heiligtümer gehörten. Unmittelbar vor den Toren einer Stadt wurden dementsprechend Totenkult, Heroenund Götterkulte mit Opfern und Festen begangen. Die am und im Tor selbst praktizierten Kulthandlungen werden im folgenden Abschnitt besprochen. 11.3 Kultpraxis am oder im Stadttor Wenn das römische Stadttor als solches im Verständnis der Römer kein sakraler Ort war, so heißt das nicht, daß es dort keine Kultpraxis gegeben hätte, die den Übergang in die Stadt hinein oder aus ihr hinaus begleitete.84 Margaret Woodhull sieht die Bogenmonumente am Eingang kaiserzeitlicher Städte sogar als per se stark religiös konnotiert an, da sie typologisch den Bögen am Eingang zu Tempelbezirken nahestehen.85 Nachdem sich die Quellen zur Kultpraxis am oder im Stadttor nicht ohne weiteres zu einem kohärenten Bild fügen, sollen sie geographisch differenziert diskutiert werden. Dabei ergibt sich ein deutlicher Schwerpunkt den Osten des Reichs betreffend. 11.3.1 Die östlichen Provinzen In den östlichen Provinzen waren Stadttore in der Prinzipatszeit häufig Orte religiöser Praxis und konnten unter dem besonderen Schutz von Torgottheiten stehen, wie nachfolgend aufgezeigt werden soll. Die wohl wichtigste Quelle zur Frage nach kaiserzeitlichen Torkulten im Osten ist Pausanias. Wie in anderem Zusammenhang bereits festgehalten, berichtet der Perieget von mehreren lokalen Kultpraktiken, die noch im zweiten Jahrhundert regelmäßig in und an Stadttoren durchgeführt wurden. Dies waren tägliche Opfer für Eileithyia in Hermione sowie an Heroen gerichtete Opfer in Theben und Elis; letztere wurden durch den Gymnasiarchen der Stadt dargebracht.86 Diese ausdrücklichen Hinweise bei Pausanias sind insofern ein Glücksfall, als der durchaus häufiger vorkommende archäologische Nachweis von Götterdarstellungen am Stadttor für sich genommen noch wenig besagt. Eine Deutung solcher Darstellungen ist schwierig und kann in ganz unterschiedliche Richtungen gehen. 83

84

85 86

Vgl. ebd., 43. Gros untersucht in seiner Studie ein solches Ensemble vor der Porta Capena in Rom mit dem Doppeltempel des Honos und der Virtus und dem Grab der gens Claudia als Zeugnis ebendieser Tugenden. Gegen B 1988, 42, der apodiktisch jeden Hinweis auf eine religiöse Bedeutung der römischen Stadttore, auch schon in republikanischer Zeit, in Abrede stellt. Ebenfalls unzutreffend ist in ihrer Allgemeinheit die diametral entgegengesetzte Behauptung, daß es „in der antiken Stadt immer auch Tor-Kulte gab“ (B/K 2003, 74, die jeden römischen Nachweis schuldig bleiben). „The arch, then, was understood by a viewer as sacred and associated with thresholds.“ (W 2004, 86–89, Zitat 88.) Paus. II 35,11; V 4,4; IX 18,3; siehe dazu bereits oben, 102.

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11 Das Tor als liminaler Ort

So wird ein kaiserzeitliches Flachrelief des blitzeschleudernden Zeus in einem Straßenbogen in Ephesos nicht als Kultbild interpretiert, sondern als ikonographische Warnung, die sich gegen eine mögliche Verunreinigung des Durchgangs durch die Notdurft von Passanten gewandt habe.87 Angesichts dessen werden Darstellungen von Gottheiten in Stadttoren, die keinen Kultbildcharakter haben und weder archäologisch noch durch Schriftquellen mit Opferhandlungen in Verbindung gebracht werden können, von mir dahingehend gedeutet, daß es sich eher um schützende bzw. apotropäische Abbildungen handelte.88 Wenig ergiebig erscheint übrigens auch der gelegentlich anzutreffende Hinweis auf eine angebliche Benennung der sieben Stadttore von Damaskus nach astralen Gottheiten. Sofern diese Namen überhaupt auf die römische Antike zurückgehen, ist damit noch keineswegs gesagt, daß es sich um „geweihte“ Orte gehandelt habe.89 Freilich gibt es auch archäologische Befunde zu Kulthandlungen am Stadttor, die sich in das bei Pausanias gewonnene Bild gut einfügen. Hier ist etwa an das westliche Haupttor der Stadt Dura Europos am Euphrat zu denken, das sogenannte Palmyra-Tor, in dem eine reiche kultische Ausstattung dokumentiert ist. Im Hauptdurchgang des Tors war eine Stele errichtet, auf der ein Opfer an Nemesis dargestellt war, daneben Altäre für verschiedene andere Gottheiten und ein Relief mit einem Bild des Herakles. Mehrere der Graffiti, mit denen die Wand über den Altären bedeckt ist, riefen die Stadtgöttin Tyche an. In der Torkammer H wurden eine verschließbare Kultnische und zwei hölzerne Schreinflügel gefunden, einer davon mit einer Nike samt Palmzweig, Kranz und Weltkugel bemalt. Es wird vermutet, daß sich in der Nische ein Kultbild der Tyche von Dura befunden hat.90 Auch mehrere Thymiaterien aus Kalkstein, also Räuchergeräte für kultische Zwecke, haben sich im Tor erhalten; Incisienzeichnungen auf deren Oberfläche stellen wiederum eine Nike mit Palmzweig sowie einen Soldaten mit dem römischen

87

88 89

90

T 1999. Es handelt sich um das Osttor der Arkadiane, die von der Stadt zum Hafen führte (oben in Abb. 9.4 auf S. 248 als Nr. 83 verzeichnet). Trinkls Deutungsvorschlag ist insofern durchaus naheliegend, als in Ephesos das Urinieren in Durchgängen verschiedentlich durch Inschriften verboten wurde, so beim West- und Südtor der nahegelegenen Agora, in den überwölbten Durchgängen der Staatsagora und in der sogenannten Domitiansgasse; im einen Fall wurde widrigenfalls mit Erhebung einer Anklage gedroht, in zwei anderen Inschriften eine Bestrafung durch Artemis bzw. Hekate beschworen (ebd., 179, mit Einzelnachweisen). Dazu dann unten, 307–310. Gegen N 1944, 51 f. mit Anm. 6. Die lateinische Benennung der Tore nach den sieben Gottheiten der sichtbaren Himmelsplaneten ist erst bei den arabischen Autoren belegt, zu deren Zeit zumindest das südöstliche Tor von Damaskus (heute Paulus-Tor oder B¯ab Kays¯an) noch eine Darstellung des Saturn aufwies (Einzelnachweise bei M/G/P 2018, 72.82.93.107.121.132); ältere Belege habe ich nicht finden können. Befunde referiert nach den Grabungsberichten P 1929 und P 1931, vgl. auch zusammenfassend E 1941, 148–150. Die Inschriften der Altäre, der Stele und des Reliefs waren auf Griechisch, Palmyrenisch und Latein abgefaßt und datieren ins späte zweite und frühe dritte Jahrhundert.

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11.3 Kultpraxis am oder im Stadttor

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Adler dar.91 In Dura Europos beherbergte das Hauptstadttor somit eine Kultstätte, an der gleich mehrere für die Stadt bedeutende Gottheiten verehrt wurden. Zu nennen ist außerdem das späthellenistische Südtor in Perge, dessen kreisrunder Hof in augusteischer oder tiberischer Zeit durch einen ovalen, zur Stadt hin weit geöffneten Hof ersetzt wurde, in dem sich Nischen mit Statuen der 12 Götter des griechisch-römischen Pantheons befanden;92 seit hadrianischer Zeit diente das Ensemble auch der Huldigung des Kaiserhauses und der Erinnerung an die wichtigste Euergetin der Stadt.93 Kultische Handlungen an Stadttoren wurden schließlich auch im Zuge großer städtischer Festumzüge durchgeführt, wie in Abschnitt 11.4 näher zu besprechen sein wird. So sind für die Neujahrsprozession in Milet Kultgesänge und Opfer am Stadttor belegt, und bei der alle zwei Monate durchgeführten Artemisprozession in Ephesos wurden die im Zug mitgeführten Kultstatuetten an den Toren in einem feierlichen Akt den Epheben übergeben und später zurück an die Tempeldiener.94 In einzelnen Städten gab es darüber hinaus bestimmte Tore, die als heilig galten und eine entsprechende Bezeichnung führten, so das Nordwesttor in Gerasa, das ἱερὰ πύλη genannt wurde.95 Es handelte sich bei diesem Phänomen anscheinend um die Weiterführung lokaler Traditionen, die in keinerlei Zusammenhang mit den bei Plutarch überlieferten Vorstellungen einer römischen Stadtgründung standen, sondern diesen diametral entgegengesetzt waren. Eine Übereinstimmung mit der von Plutarch referierten Auffassung besteht freilich in dem Punkt, daß auch der Status »heiliger« Tore davon abgeleitet wurde, was durch sie hindurchging: Sie lagen an den Prozessionswegen zu wichtigen außerstädtischen Heiligtümern und spielten somit eine Rolle für kultische Festumzüge, die durch diese Tore die Stadt verließen.96 Die vergleichsweise große Bedeutung von Stadttoren als Kultort im Osten des Reichs steht sicherlich auch insgesamt in vorrömischer Tradition. Hier ist 91 92 93 94 95

96

P 1929, 20 f. M 2010, 21. Siehe unten, 343–345. Zur Prozession in Milet siehe unten, 314, zu der in Ephesos 313 f. Inschrift bei W 1938, Nr. 50, Z. 2. Eine kursorische Durchsicht entsprechender Wortverbindungen in den einschlägigen Datenbanken dagegen ergibt bezeichnenderweise bei den Autoren der Kaiserzeit keine brauchbaren Treffer. Das genannte Tor in Gerasa war im Jahr 75/76 von Anhängern der Artemis gestiftet worden (W 1938, Nr. 50, Z. 2–4) und lag anscheinend am Prozessionsweg zum außerstädtischen Artemision, in dem der Kult der Stadtgöttin von Gerasa praktiziert wurde. In bezug auf das Heilige Tor von Milet, das den Auftakt der Prozessionsstraße zum Apollonheiligtum in Didyma bildete, konnte ich nicht herausfinden, ob seine heute übliche Bezeichnung auf antike Quellen zurückgeht. Die dem Tor zugeschriebene Heiligkeit korrespondiert jedenfalls mit dem epigraphisch überlieferten Namen der anschließenden via sacra, die nach Didyma führte (siehe die traianische Torinschrift CIL III Suppl. 2, 1419543 = ILS 4051 = IK 59, 162, Z. 4 f.). In diesem Zusammenhang wäre zum Beispiel auch an die ἱερὰ ὁδός von Athen nach Delphi zu denken (siehe H 2006, 254).

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insbesondere an das Erbe der Kulturen des Vorderen Orients zu denken,97 in denen Torkulte mehrere Funktionen erfüllten: Sie dienten dem Schutz der Stadtgrenze, aber auch dem Schutz derer, die den städtischen Raum zu verlassen gedachten, sei es für Reisen oder zu einem Kriegszug. Bei der Aufsicht über die Rechtsprechung und der Garantie von Vertragsschlüssen spielten kultische Aspekte ebenfalls eine Rolle.98 Und auch in den griechisch geprägten Provinzen war die Tradition, wonach vor oder in den Stadttoren Gottheiten verehrt wurden,99 noch im zweiten Jahrhundert allgemein geläufig. So kann Aristides in einer Rede auf die Stadt Smyrna den Fluß Melas mit dem „Apollon der Wege“ vergleichen, der die Tore am Stadteingang schmückte: Während jener die Nymphen von den Quellen zum Meer geleitete, begleitete dieser die Wege derer, welche die Stadt verließen.100 Darüber hinaus läßt sich in Griechenland in einigen Fällen sogar eine klare Kontinuität von Torkulten belegen, wie sie bereits in archaischer, klassischer und hellenistischer Zeit praktiziert worden waren.101 11.3.2 Die westlichen Provinzen und Italien Auch an Stadttoren im Westen des Reichs wurden vorrömische religiöse Gebräuche in der Kaiserzeit erinnert und praktiziert. Dies kann anhand einer Begebenheit belegt werden, die der spätere Kaiser Marc Aurel in einem Brief an seinen Lehrer Fronto schildert. Bei einem Besuch in der alten Hernikerstadt Anagnia, einem oppidum antiquum, hatte sich der Kronprinz zahlreiche Altertümer vorführen und archaische Traditionen erläutern lassen. Schließlich hatte er beim Verlassen der Stadt noch am Tor Halt gemacht, um eine altertümliche Inschrift zu studieren, deren Text flamen sume samentum lautete (also „Flamen, nimm das samentum“). Auf die Frage des Prinzen, was das letzte Wort bedeutete, erklärte ihm ein Ortsansässiger, das sei die hernikanische Bezeichnung für das Fell des Opfertiers, welches der Flamen über seine Priestermütze ziehen müsse, wenn er die Stadt betrete.102 Dieses Ritual, das den Moment des Übergangs in die Stadt begleitete, scheint damals in Anagnia noch praktiziert worden zu sein. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß es analog auch in anderen Städten religiös konnotierte Riten gab, die im Zusammenhang mit der Überschreitung der 97 98 99 100

101 102

Siehe oben, 52 f. B/K 2003, 74; zur Rolle der Stadttore in der Rechtsprechung siehe oben, 56. Zu den vorrömischen Torkulten der Griechen siehe oben, 88–91. Dies ist offensichtlich das tertium comparationis des Vergleichs, welches zu erschließen Aristides seinen Rezipienten überläßt: ὁ δὲ δὴ πρὸ θυρῶν κόσµος, ἀντὶ ᾽Απόλλωνος ἀγυιέως προπύλαιος τῇ πόλει Μέλης ὁ ἐπώνυµος, διωρυχὴ Νυµφῶν ἐκ πηγῶν εἰς θάλατταν (Arist. Or. 17,14). Es ist denkbar, daß Aristides sich hier auf eine tatsächlich vor dem Stadttor von Smyrna aufgestellte Apollonstatue bezieht. Explizit bei Paus. II 35,11; V 4,4; IX 18,3; vgl. auch IX 22,1. Fronto Ad M. Caes. 4,4,1: deinde in porta, quom exiimus, ibi scriptum erat bifariam sic: flamen sume samentum. rogavi aliquem ex popularibus quid illud verbum esset? ait lingua Hernica pelli culam de hostia, quam in apicem suum flamen quom in urbem introeat imponit. Der Brief datiert ins Jahr 144 oder 145.

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Stadtgrenzen standen. Der Nachweis kann freilich unter Umständen nur für die republikanische Zeit erbracht werden. So wurden im italischen Iguvium (Gubbio) mindestens in der Zeit des dritten bis ersten Jahrhunderts v. Chr. regelmäßige Reinigungsriten an drei Stadttoren durchgeführt. Dabei wurde jeweils ein Opfer vor dem Tor und eins dahinter dargebracht, um den Akt der Grenzüberschreitung sichtbar zu machen.103 In Pompeji konnte an der sogenannten Porta di Stabia archäologisch eine Kultkontinuität für Minerva Patrua vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis in die Kaiserzeit nachgewiesen werden. Das Tor war in verschiedenen Bauphasen mit einem Schrein, einem Altar und zuletzt mit einer Kultnische für die Göttin ausgestattet.104 Der Minervakult ist in Pompeji auch an anderen Stadttoren faßbar: Im Durchgang der Porta Marina war noch außerhalb des Torverschlusses in eine fast drei Meter hohe Nische eine weitere Nische eingetieft, die seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. als Aufstellungsort für eine Statue der Minerva diente. Diese ist wohl als Kultbild der Stadtgöttin anzusprechen und verblieb auch nach ihrer partiellen Beschädigung im ersten Jahrhundert an ihrem Aufstellungsort.105 An der Porta di Nola war die Gottheit durch eine Protome des zweiten Jahrhunderts v. Chr. präsent.106 Der Kontext einer Stifterinschrift macht in diesem Fall deutlich, daß das Abbild der Göttin polyvalente religiöse, soziale und politische Assoziationen hervorrufen mußte.107 Die gelegentlichen Hinweise in der Forschungsliteratur auf vermeintliche „Weihungen“ von Stadttoren im Westen des Reichs beziehen sich dagegen lediglich auf die Abbildung von Gottheiten am Tor,108 für die eine aussagekräftige Kontextualisierung fehlt. Wie bereits ausgeführt, läßt allein das Vorhandensein solcher Bilder, die beispielsweise als Tondo über dem Durchgang angebracht waren, nicht zwingend auf eine Rolle der Stadttore in kultischen Zusammenhängen schließen.109 Selbst dort, wo der Darstellung klar ein religiöses Programm zugrunde liegt, fehlen in der Regel Hinweise auf eine kultische Praxis.110 Einen Anhaltspunkt liefern indessen urbanistische Konstellationen, bei denen in neuangelegten italischen Städten eine alte Prozessionsstraße zu einem außerstädtischen Heiligtum erhalten blieb, dessen Kult auf vorrömische Zeit zurückging. Das regelmäßige Straßenraster der augusteischen Kolonie Fanum Fortunae beispielsweise wurde durch einen diagonal dazu verlaufenden Prozessionsweg durchschnitten, 103 104 105 106 107 108 109 110

Siehe dazu S 2017, 68 f. V  G 2019, 207, weitere Einzelheiten ebd., 207–209. W 2012, 155 f.;   G 2019, 209–211. W 2012, 196; S 2017, 67;   G 2019, 206 f. Zu einschlägigen Befunden an zwei weiteren Toren von Pompeji siehe ebd., 211. Ebd., 207. So formuliert W 2004, 86 f., der Bogen in Ariminum (Rimini) sei den darauf dargestellten Gottheiten geweiht gewesen und das Hafentor in Pola (Pula) der Minerva. Oben, 297 f. Hier wäre wiederum an den Augustusbogen in Ariminum zu denken, bei dem die imagines clipeatae der Gottheiten Roma, Minerva, Juppiter und Apollon Teil einer ausgefeilten Programmatik waren (siehe etwa   G 2019, 229–231).

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der offenbar einer alten Trasse folgte und für den ein eigenes Tor in der Stadtmauer vorgesehen war.111 Solch ein Tor, das für den Verkehr zu den Nachbarstädten keine Relevanz hatte,112 war sicherlich eng mit den religiösen Prozessionen konnotiert, die ihren Weg regelmäßig dort hindurch nahmen, ähnlich wie es im Fall von »heiligen« Stadttoren in den östlichen Provinzen der Fall war.113 11.3.3 Rom Was Rom selbst betrifft, so ist vor allem an die kaiserlichen Triumphzüge zu denken, in deren Rahmen an der Porta Triumphalis geopfert wurde; der Status dieses Tors und die Gestaltung der dort durchgeführten Rituale sollen in Abschnitt 11.4 diskutiert werden.114 Darüber hinaus wissen wir von zwei archaischen religiösen Bräuchen, die an Stadttoren durchgeführt wurden, den Hundeopfern an der Porta Catularia und der Lebendbestattung von kultisch verunreinigten Vestalinnen an der Porta Collina. Neben diesen beiden sehr spezifischen Ritualen ist auf eine offenbar recht verbreitete Verbindung der stadtrömischen Tore mit dem Larenkult hinzuweisen. Beginnen wir mit dem letztgenannten Punkt. In Rom wurden seit republikanischer Zeit zwei Laren, die lares praestites, als Beschützer der Stadtmauern verehrt;115 ihr Kult ist anscheinend durch Augustus neu belebt worden.116 Es befanden sich zudem nachweislich Larenschreine in der Nähe der stadtrömischen Mauertore, wobei einerseits die Funktion der Laren als Beschützer von Reisenden, andererseits die als Hüter von Durchgängen angesprochen sein konnte.117 Dabei scheint es sich nicht um ein nur auf Rom beschränktes Phänomen zu handeln: In der Darstellung von Stadttoren auf kaiserzeitlichen Münzen, Reliefs oder Mosaiken stehen in vielen Fällen Statuen von Dioskuren, Laren oder anderen Schutzgottheiten auf dem Tor, dem Ankommenden zugewandt. Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang mit der Tradition, vor einer Reise Gebet und Opfer am Stadttor durchzuführen beziehungsweise sich in dieser Form nach einer geglückten Heimreise zu bedanken.118 Die beiden erwähnten archaischen Bräuche hingegen hatten den Charakter kultischer Reinigungen und standen demnach im Zusammenhang mit der Vulnerabilität der Tore oder genauer mit ihrer bei Plutarch benannten Eigenschaft, 111 112 113 114 115 116

117 118

P 2017, 39 f., dort auch weitere Beispiele. Zu diesem Aspekt ebd., 40. Siehe oben, 299. Siehe unten, 323–329. Zu Kult und Ikonographie siehe F 2017, 108–111, vgl. auch S 2017, 68. So das Ergebnis der Interpretation einer Opferszene auf der Ara Pacis bei F 2017, 320–328. Dabei bezieht sich die Verfasserin wohlbemerkt auf die lares praestites, nicht auf den unstrittig von Augustus eingeführten und bald äußerst populären Kult der lares Augusti. F 2005, 171.179. Die Nähe fast sämtlicher stadtrömischer Larenschreine und -altäre zu einer porta charakterisiert Fähndrich als „augenfällig“ (ebd., 171). Ebd., 179. Zu Ausdrucksformen persönlicher Religiosität am Stadttor siehe unten, 310–312.

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11.3 Kultpraxis am oder im Stadttor

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Unreines passieren zu lassen.119 Bei der Hundeopferzeremonie, die traditionell an der Porta Catularia stattfand, handelte es sich um das Augurium Canarium, eine jährlich vor der Getreidereife120 vollzogene Zeichendeutung aus einem Hundeopfer, welche zu den feriae conceptivae gehörte und abhängig vom jeweiligen Aufgang des Sirius auf einen Tag zwischen dem 19. Juli und 2. August fiel. Bei diesem apotropäischen Ritual wurden Hunde mit rötlichem Fell geopfert.121 Festus zufolge trug das Tor deshalb den Namen Catularia (zu catula, „junger Hund“).122 Ob dieses Opfer freilich noch in der Kaiserzeit an der Porta Catularia praktiziert wurde, erscheint fraglich, da Ovid es in der Darstellung seiner Fasten an einem anderen Ort situiert und mit den Robigalia, bei denen ebenfalls ein roter Hund geopfert wurde, zu einer Einheit verschmilzt.123 Unklar ist auch, ob es sich bei der Porta Catularia überhaupt um ein Stadttor handelte.124 Freilich wäre die Durchführung ausgerechnet von Hundeopfern an der Stadtgrenze durchaus stimmig, da solche Opfer sonst namentlich im Kult der Hekate praktiziert wurden;125 Hekate aber galt als Schützerin von Grenzen und Übergängen.126 Mit Sicherheit an einem Stadttor lokalisiert und in der Kaiserzeit positiv belegbar ist das Ritual, im Zuge dessen Vestalinnen, die sich kultisch verunreinigt hatten, lebend begraben wurden. Die Quellenlage erlaubt eine eingehendere Besprechung dieser Praxis und ihrer komplexen Hintergründe. Plinius der Jüngere berichtet als Augenzeuge127 den Fall einer Vestalin, die im Jahr 90 lebend bestattet wurde, weil man sie der Unkeuschheit beschuldigte.128 Ein solcher Vorfall, der als incestum oder incestus bezeichnet wurde, war nach einmütiger Darstellung der antiken Quellen „eines der schlimmsten in Rom überhaupt vorstellbaren Ereignisse,“129 das die pax deorum bedrohte.130 Die antiken Autoren berichten, daß der Ort, an dem die 119 120 121 122

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124 125 126 127 128 129

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Vgl. in diesem Sinn auch S 2017, 68. Dazu Plin. Nat. 18,14. P 2001. Fest. p. 285 (= Paul. ex Fest. p. 45): Catularia porta Romae dicta est, quia non longe ab ea ad placandum caniculae sidus frugibus inimicum rufae canes inmolabantur, ut fruges flavescentes ad maturitatem perducerentur. Ov. fast. 4,905–942. Die Robigalia wurden am fünften Meilenstein vor der Stadt an der Via Claudia begangen und fanden früher im Jahr, bereits am 25. April, statt. Die Gottheit Robigo oder Robigus wurde für Getreidebrand verantwortlich gemacht. Siehe auch dazu P 2001, dem der zeitliche Synchronisierungsversuch und die von den anderen Quellen abweichenden topographischen Angaben bei Ovid unverständlich sind. Vgl. C 1999, 113: „Della p.[orta] C.[atularia] ignoriamo praticamente tutto.“ Plut. quaest. rom. 68 (= mor. 280B–C). Zu entsprechenden Torkulten der Hekate bei den Griechen siehe oben, 89 f. M 2006, 177; B 2012, 204.271. Plin. ep. 4,11,6. Weitere Quellen, die dieses Ereignis rezipieren, führt B 2012, 271, Anm. 1015 auf. Ebd., 204, vgl. auch M 2006, 33. Zum Ritual des Lebendigbegrabens von Vestalinnen und den damit verbundenen religiösen Implikationen siehe B 2012, 204–285, und W 2006, 51–63. In den hier zur Debatte stehenden Punkten nur kursorisch und nicht immer überzeugend äußert sich M 2006, 33–39. W 2006, 57.

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11 Das Tor als liminaler Ort

rituelle Lebendbestattung praktiziert wurde, der Campus Sceleratus an der Porta Collina war.131 Er lag stadtseitig des Tores, also innerhalb der Stadt, wenn auch an ihrem äußersten Rand. Bei einer solchen Bestattung machte man demnach Gebrauch vom Recht jeder Vestalin, in urbe beigesetzt zu werden,132 da auch eine kultisch verunreinigte Vestalin nach wie vor als der irdischen Sphäre entrückt galt. Auf den Ort des Rituals geht Plutarch näher ein: Am Collinischen Tor sei innerhalb der Stadt ein sich weit erstreckender Damm aus Erde gelegen, den die Römer als Wall (χῶµα) bezeichneten. In diesen Wall werde eine Kammer für die Vestalin eingetieft und wie ein Wohngemach eingerichtet; die Kammer sei nur über eine Leiter von oben zugänglich und werde im Zuge des Rituals wieder mit Erde verfüllt.133 Wenn ich recht sehe, meint Plutarch hier mit χῶµα das, was die Römer den agger nannten,134 also die Überreste der von der Porta Collina an besonders wehrhaft ausgebauten servianischen Befestigungsanlage mit Graben, Mauer und Erdwall.135 Das Grab für die Lebendbestattung einer Vestalin wurde demnach in die alte Stadtbefestigung eingearbeitet. Dafür spricht auch die Formulierung bei Dionysios von Halikarnassos, die Vestalinnen würden in einen unterirdischen

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So heißt es bei Festus: Sceleratus campus applinam, in quo virgin fecerunt, defossae sunt v. (Fest. p. 448 L.). Vgl. Serv. Aen. 11,206 und Oros. hist. III 9,5 mit Verweisen auf den Campus Sceleratus. Plut. Numa 10,8 und Dion. Hal. ant. II 67,4 benennen lediglich das Collinische Tor. Liv. VIII 15,8 präzisiert, der Ort habe sich rechts von der Straße befunden (ad portam Collinam dextra viam). Ein solches Privileg genossen außer ihnen nur die imperatores, denen ein Triumph bewilligt worden war. Anscheinend wurde von der Möglichkeit der Bestattung in urbe aber nur sehr selten Gebrauch gemacht. Das einzige archäologisch nachweisbare Grab einer Vestalin befindet sich nicht in Rom, sondern in Tibur. Siehe dazu B 2012, 165–204. Plut. Numa 10,8–9.13: ἡ δὲ τὴν παρθενίαν καταισχύνασα ζῶσα κατορύττεται παρὰ τὴν Κολλίνην λεγοµένην πύλην· ἐν ᾗ ἐστί τις ἐντὸς τῆς πόλεως ὀφρὺς γεώδης παρατείνουσα πόρρω· καλεῖται δὲ χῶµα διαλέκτῳ τῇ Λατίνων. ἐνταῦθα κατασκευάζεται κατάγειος οἶκος οὐ µέγας, ἔχων ἄνωθεν κατάβασιν. κεῖται δ’ ἐν αὐτῷ κλίνη τ’ ὑπεστρωµένη καὶ λύχνος καιόµενος, ἀπαρχαί τε τῶν πρὸς τὸ ζῆν ἀναγκαίων βραχεῖαί τινες [. . . ]. τῆς δὲ καταβάσης ἥ τε κλίµαξ ἀναιρεῖται, καὶ κατακρύπτεται τὸ οἴκηµα γῆς πολλῆς ἄνωθεν ἐπιφορουµένης, ὥστ’ ἰσόπεδον τῷ λοιπῷ χώµατι γενέσθαι τὸν τόπον. „Diejenige aber, die ihre Keuschheit verletzt hat, wird lebendig in der Nähe des sogenannten Collinischen Tores begraben. Dort liegt innerhalb der Stadt ein sich weit ausdehnender Damm aus Erde; in der Sprache der Römer heißt er Wall. Hier wird ein einzelnes und nicht großes Zimmer vorbereitet, das in die Erde hinein gebaut ist und das einen Zugang von oben hat. In diesem sind sowohl ein gemachtes Bett als auch eine brennende Lampe aufgestellt sowie einige wenige Gaben von demjenigen, was zum Leben notwendig ist [. . . ]. Nachdem sie hinuntergestiegen ist, wird die Leiter fortgenommen. Anschließend wird die Kammer verborgen, indem man sie von oben her vollständig mit Erde überschüttet, so daß die Stelle die gleiche Höhe erreicht wie der Rest des Walls.“ (Text hier und bei den folgenden Zitaten nach der Edition F/C/J 1964, Übersetzung in Anlehnung an B 2012, 212.249.279.) So auch B 2012, 247. In ihrer Interpretation der Stelle spricht  N 2014, 52 dagegen durchgehend von ager, was ersichtlich irrig ist, da es um die Stadtseite geht. Zum stadtrömischen Agger siehe oben, 6. Als technischer Begriff bezeichnet χῶµα eigentlich nicht einen Teil der Wehranlage, sondern im Gegenteil eine Erdrampe, die die Belagerer von außen gegen die Mauer aufschütten, um diese zu überwinden (vgl. LSJ, S. 2014, s. v. χῶµα).

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11.3 Kultpraxis am oder im Stadttor

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Raum gebracht, der in die Befestigungsmauern eingetieft sei (ἐντὸς τείχους εἰς σηκὸν ὑπὸ γῆς).136 Wenn die des incestum für schuldig gehaltene Priesterin im alten Verteidigungswall bestattet wurde, sollte möglicherweise ein Bezug auf die Stadtgründung durch Romulus hergestellt werden. So wie Romulus einen in die Erde eingelassenen Platz verwendete, um den Göttern Gaben darzubringen,137 wurde die Vestalin als geweihtes »Objekt« symbolisch der Vesta übergeben,138 die über sie richten sollte. In Ovids Fasten heißt es entsprechend, die unkeusche Vestalin werde bei diesem Ritual derjenigen übereignet, die sie geschändet habe, da Tellus (der Erdboden) und Vesta dasselbe seien.139 Es handelte sich demnach um ein Sühneritual, das ein Urteil der Vesta über ihre kultisch verunreinigte Priesterin erwarten ließ.140 Entsprechend war die unterirdische Kammer, in die die Vestalin eingeschlossen wurde, Plutarch zufolge mit einer geringen Menge an Lebensmitteln wie Brot, Wasser, Milch und Öl ausgestattet, um den Hungertod der geweihten Person zu vermeiden.141 Und tatsächlich kann Dionysios von Halikarnassos auf zwei Fälle verweisen, in denen Vesta selbst per Gottesurteil eingreift, um zu Unrecht angeklagte Vestalinnen zu retten.142 Die eingangs erwähnte Darstellung bei Plinius macht freilich deutlich, daß hier keinesfalls von einem häufigen Vorgehen die Rede sein kann. Der Autor bezieht sich konkret auf den zeitgenössischen Fall der Oberpriesterin Cornelia und hält ausdrücklich fest, Domitian habe an ihr ein Exempel statuieren wollen, um seine 136

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Dion. Hal. ant. II 67,4: κοµισθεῖσαι δὲ µέχρι τῆς Κολλίνης πύλης, ἐντὸς τείχους εἰς σηκὸν ὑπὸ γῆς κατεσκευασµένον ἅµα τοῖς ἐνταφίοις κόσµοις τίθενται. „Man bringt sie dann bis zur Porta Collina und legt sie innerhalb der Stadtmauer mit den bei einer Bestattung üblichen Beigaben in einen unter der Erde ausgehobenen Raum.“ (Text und Übersetzung S 2020.) Plut. Rom. 11,2. B 2012, 251–257. Ovid fast. 6,457–460: nullaque dicetur vittas temerasse sacerdos | hoc duce nec viva defodietur humo: | sic incesta perit, quia, quam violavit, in illam | conditur: et Tellus Vestaque numen idem. „Keine Priesterin wird, solange er [Augustus] herrscht, ihre Würde schänden, lebend im Grund keine vergraben: So stirbt die, welche unkeusch war, der, die sie schändete, übergeben; denn als Gottheiten sind Tellus und Vesta ja eins!“ (Text und modifizierte Übersetzung nach H 2012.) Diese Deutung entspricht dem traditionell vertretenen Ansatz, den zuletzt B 2012, 204–285, gestützt hat. Anders W 2006, 58 f., der die unter die Erde geführte Vestalin als eine Opfergabe an Vesta auffaßt. Diese Annahme ist jedoch angesichts fehlender Quellenaussagen dazu nicht unproblematisch, zumal Wildfang jede Erklärung schuldig bleibt, warum man ausgerechnet eine verunreinigte Priesterin als geeignetes Opfer an die Göttin hätte betrachten sollen. Plut. Numa 10,9, vgl. Plut. quaest. rom. 96 (= mor. 286F). Eine symbolische Deutung dieser Speisen, wie sie W 2006, 60 f., diskutiert, überzeugt nicht. So geht Wildfang fälschlich von der Voraussetzung aus, es seien immer präzise die vier genannten Lebensmittel – Brot, Wasser, Milch und Öl – verwendet worden. Die Formulierung bei Plutarch macht aber deutlich, daß er nur Beispiele nennt: ἀπαρχαί τε τῶν πρὸς τὸ ζῆν ἀναγκαίων βραχεῖαί τινες, οἷον ἄρτος, ὕδωρ ἐν ἀγγείῳ, γάλα, ἔλαιον. Dion. Hal. ant. II 68 f. Das göttliche Eingreifen geschieht freilich in beiden Fällen noch vor der Lebendbestattung der Vestalin.

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Herrschaft in besonderem Licht erstrahlen zu lassen.143 Der singuläre Charakter des Verfahrens sowohl in Abgrenzung gegenüber den vorangehenden Kaisern als auch innerhalb der Regierungszeit Domitians kommt damit klar zum Ausdruck. Dies entspricht dem Bild, das sich aus anderen Quellen gewinnen läßt.144 Was Domitian betrifft, so überließ es der Kaiser im Jahr 82 oder 83 drei weiteren des incestum beschuldigten Vestalinnen, Varronilla und den Schwestern Oculatae, selbst ihre Todesart zu wählen.145 Insgesamt sind in der Geschichte Roms kaum mehr als zwanzig Verhandlungen wegen incestum einer Vestalin anzunehmen.146 In der Kaiserzeit gab es neben den genannten Fällen unter Domitian noch ein einziges Verfahren unter Caracalla, der im Jahr 213 vier Priesterinnen lebendig begraben lassen wollte.147 Das Begräbnis einer Vestalin bei lebendigem Leib war mithin ein absolut exzeptionelles Ereignis. Das gesamte öffentliche Leben kam für kurze Zeit zum Erliegen, da nicht nur sämtliche religiöse Funktionsträger, sondern auch alle, die zufällig zugegen waren, den Zug der Vestalin zum Collinischen Stadttor begleiteten.148 143

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Plin. ep. 4,11,6: nam cum Corneliam, Vestalium maximam, defodere vivam concupisset, ut qui inlustrari saeculum suum eius modi exemplis arbitraretur. „Er hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, Cornelia, die Obervestalin, lebendig zu begraben – er meinte wohl, seiner Regierung durch ein derartiges Exempel besonderen Glanz zu verleihen.“ (Text und Übersetzung nach K 1986.) Plinius stellt das ganze Verfahren als ein höchst zweifelhaftes dar, verurteilte der Kaiser Cornelia doch absentem inauditamque, also in Abwesenheit und ohne sie anzuhören. Domitian versprach sich demnach Ruhm davon, einer alten römischen Tradition zu folgen (gegen M 2006, 177, die meint, Domitian habe „nach Plinius schon lange gewünscht, die Obervestalin Cornelia zu beseitigen“; von einem langgehegten Plan weiß Plinius nichts). Vgl. im Sinn meiner Interpretation auch Suet. Dom. 8,3 f., wo explizit bemerkt wird, daß Cornelias Lebendigbegrabenwerden einer altehrwürdigen Tradition entsprach. So kann ein Juvenal mit der Behauptung, Crispinus sei mit der Vestalin intim geworden und habe damit ihre Lebendbestattung zu verantworten, einen in der Tat ganz unerhörten Vorwurf erheben (Juv. Sat. 4,9 f.). Vgl. Suet. Dom. 8,3 f. Zu den einzelnen Verhandlungen siehe M 2006, 33–39. Eine der Frauen, Cannutia Crescentina, kam dem Urteil durch Suizid zuvor. Cornelia und die drei unter Caracalla getöteten Frauen sind vier von insgesamt nur 13 Fällen in der römischen Geschichte, die tatsächlich mit einem Lebendigbegraben an der Porta Collina endeten (B 2012, 228). Siehe Plut. Numa 10,11, wo erwähnt wird, daß der Vorgang in völliger Stille geschah: ἐξίστανται δὲ πάντες σιωπῇ, καὶ παραπέµπουσιν ἄφθογγοι µετά τινος δεινῆς κατηφείας· οὐδ’ ἔστιν ἕτερον θέαµα φρικτότερον, οὐδ’ ἡµέραν ἡ πόλις ἄλλην ἄγει στυγνοτέραν ἐκείνης. „Alle erheben sich schweigend und geleiten sie lautlos und in großer Niedergeschlagenheit. Es gibt keinen schrecklicheren Anblick, und die Stadt erlebt keinen traurigeren Tag als diesen.“ (Übersetzung in Anlehnung an B 2012, 274.) Vor diesem Hintergrund scheint mir, daß sich Nina Mekacher die Sache zu einfach macht, wenn sie die Darstellung der kaiserzeitlichen Vestalinnen bei den antiken Autoren wie folgt beurteilt: „Die Frauen selbst sind kein Thema. [. . . ] Ihre Namen werden in erster Linie im Zusammenhang mit Anklagen auf Unkeuschheit bekannt. Die Vestalinnenprozesse, aber auch blosse Anklagen, Gerüchte und Legenden, in denen die vestalische Keuschheit in Frage gestellt wird, stellen das eigentliche Interesse der Schriftsteller dar. Dies ist angesichts ihrer Skandalträchtigkeit leicht verständlich. Es mag auch manche Männerphantasie mitspielen“ (M 2006, 184). Eine solche Einschätzung verkennt die zentrale Bedeutung

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11.3 Kultpraxis am oder im Stadttor

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Folgende Zwischenergebnisse sind festzuhalten: In der Kaiserzeit wurden durchaus Kulthandlungen mit dem Stadttor in seiner Eigenschaft als Übergangsort verbunden. Dabei ist von einer sehr vielfältigen lokalen Ausprägung der durchgeführten Rituale auszugehen, sowohl was die adressierten Gottheiten betrifft als auch in bezug auf den Ritus selbst. Da es sich vielfach um eine Weiterführung vorrömischer Traditionen handelte, die an einem einzelnen Ort oder in einer bestimmten Region gepflegt wurden, beschränken sich die benennbaren Gemeinsamkeiten auf die Tatsache, daß die Stadttore Orte von Kultpraxis sein konnten. Eine reichsweit verbreitete Auffassung war möglicherweise die besondere Eignung von Laren und Dioskuren als Beschützern des Stadteingangs. 11.3.4 Apotropäische und magische Praktiken Die durch das Stadttor markierte Schwelle konnte darüber hinaus durch apotropäische und magische Zeichen besonders geschützt werden. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß der Übergang von der Stadt zu den vorstädtischen Gräberfeldern in der Kaiserzeit eng mit Assoziationen zu Spuk und Geistern verbunden war. Das nächtliche Stadttor wird bei den zeitgenössischen Autoren zum locus horridus stilisiert, wenn sich die Bewohner der Stadt, sobald sie das Tor durchschreiten, von liminalen Wesen wie Daimonen, Hexen oder Werwölfen umgeben sehen.149 Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, einschlägige Darstellungen an den römischen Stadttoren als daimonenabwehrende Zeichen zu interpretieren. Daß apotropäische Stadttorbilder eine abschreckende Wirkung auch auf menschliche Feinde beanspruchen konnten, soll dabei nicht in Abrede gestellt werden. Während dies aber in den apotropäischen Bildprogrammen altorientalischer Tore ganz klar mit intendiert war,150 sind kaiserzeitliche Stadttore zwar unter Umständen durchaus als wehrhaft inszeniert, nicht aber als furchteinflößend oder prinzipiell abweisend.

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der Jungfräulichkeit im Kult der Vestalinnen (vgl. diesbezüglich W 2006, 51–63). Mekachers Behauptung, die Namen der Vestalinnen würden „in erster Linie im Zusammenhang mit Anklagen auf Unkeuschheit bekannt“, läßt sich im übrigen nicht halten: Wir kennen namentlich 55 Vestalinnen (siehe die Liste bei W 2006, 142 f.), also sehr viel mehr als diejenigen, die wegen incestum belangt wurden. Zum Stadttor als locus horridus siehe unten, 371–376, und 378–383. Zur liminalen Qualität daimonischer Wesen sei in diesem Kontext auf D 2017 verwiesen, welche am Stadtrand angesiedelte Spukgeschichten in der klassischen Literatur untersucht. Man denke etwa an die eindrucksvollen Bilder der Gottheit Bes in der späthethitischen Nordtoranlage von Karatepe: Zum apotropäischen Charakter des Bes siehe L 2002, zur entsprechenden Bedeutung seiner Darstellungen in Karatepe Ç/Ö 2003, 57 f. In bezug auf die militärische Bedrohung der Region unter Azatiwada, dem Erbauer der Festung, siehe R 2011, 127. Auf diverse Formen von apotropäisch-magischem Schutz für die Stadttore des Alten Orients verweist O 2008, 522, Anm. 17. Auch der apotropäische Brauch der Frühneuzeit, neben dem Stadttor Kanonenkugeln einzumauern (J 2015, 216), richtete sich wohl vornehmlich gegen die Gefahr eines feindlichen Überfalls.

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Explizite apotropäische Zeichen scheinen daher an römischen Stadttoren auch eher die Ausnahme denn die Regel zu sein, und selbst in solchen Fällen ist unter Umständen eine alternative Deutung möglich, wonach diese Abbildungen als emblematisch anzusprechen wären, vergleichbar mit einem Wappenbild.151 Dies legt nicht zuletzt ihre Verwandtschaft zu einschlägigen Darstellungen an den Toren von Militärlagern durchaus nahe.152 Es lassen sich jedoch auch Befunde aufführen, die ich als apotropäisch ansprechen würde: Gelegentlich erscheinen Herakles oder eine Herakleskeule, so in Saepinum, wo auf dem Schlußstein der sogenannten Porta Benevento Herakles, auf dem der Porta Boiano Mars abgebildet war,153 oder an dem zu Beginn des dritten Jahrhunderts errichteten Torbogen in Gadara.154 Als Herakles Propylaios hatte der Heros vor allem in Griechenland und Kleinasien eine unheilabwehrende Bedeutung.155 An der Außenseite des Magnesia-Tors in Ephesos war ein Relief der geflügelten doppelten Nemesis angebracht.156 Auch an einschlägige Darstellungen an Toren der republikanischen Zeit, die im Kaiserreich weiter genutzt wurden, ist zu denken: In Falerii Novi blickte eine Protome des Jupiter den Ankommenden entgegen,157 in Volaterrae waren es gleich drei Schutzgottheiten, wohl Jupiter und die Dioskuren.158 Eine Protome der Minerva findet sich am Schlußstein des stadtseitigen Torbogens an der Porta di Nola in Pompeji.159 Eine freiplastische Darstellung, die Statue einer geflügelten Minerva, war als custos urbis auf der sogenannten Porta Romana in Ostia aufgestellt.160 Auch Phalloi am Stadteingang sind als apotropäische Zeichen zu deuten, die die Androhung physischer Gewalt verbildlichen.161 So war an der Wehrmauer der römischen Oberstadt von Emporiae eine Phallosdarstellung des frühen ersten Jahrhunderts v. Chr. als Relief unmittelbar neben dem Südtor eingelassen; Parallelen sind für mittelitalische Stadtmauern

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Ein solcher Ansatz zur Interpretation bestimmter Götterbilder an griechischen Stadttoren wurde oben, 91, referiert. Zu den methodischen Problemen der Deutung von Darstellungen an Stadttoren als Apotropaia siehe W 2012, 185–187. Beispielsweise hatte das Militärlager Gholaia in der afrikanischen Tripolitana, südlich von Leptis Magna am äußersten Rand des Reiches gelegen, Adler auf den Toren abgebildet (R 2004, 157 f.). S 2017, 66 f. Die Darstellungen waren jeweils nach außen, dem Ankommenden entgegen, ausgerichtet. Zu diesem Monument siehe oben, 69–71. Auch Dionysos, Hermes, Apollon oder Poseidon konnten als Propylaioi erscheinen (W 2002, 99). Zum vorrömischen Herakleskult an griechischen Stadttoren siehe oben, 89 f. und 98.101. S 2009, 334. Der Verfasser interpretiert Nemesis hier als schützende Torgottheit. S 2017, 67. Kritisch, was die Deutung der nur fragmentarisch erhaltenen Protome betrifft, äußert sich W 2012, 196. S 2017, 67. W 2012, 196; S 2017, 67;   G 2019, 206 f. S 2017, 67 f. Eine ausführliche Begründung für diese Interpretation bietet W 2012, 159 f. und 187–192. Vgl. auch bereits W 2003, 245 f. und ferner P 2017, 38.

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und -tore, etwa in Arpinum, Faesulae, Hispellum und Saepinum, belegt.162 In christlicher Zeit waren es dann häufig Kreuze, die als apotropäische Zeichen an der Außenseite von Stadttoren angebracht wurden.163 Neben bildlichen Darstellungen konnten auch Texte, denen magische Wirkung zugesprochen wurde, den Übergang am Stadttor schützen.164 Während entsprechende Praktiken bei den Griechen und Römern nur im privaten Bereich, das heißt an Haustüren, belegt sind,165 wurden in der Spätantike auch Stadttore durch apotropäische Texte geschützt.166 Das prominenteste Beispiel verweist fiktiv auf die Zeit des frühen Prinzipats zurück: Eine Inschrift, die zu Beginn des fünften Jahrhunderts am Neapolis-Tor der Stadt Philippi angebracht worden war, hält in ihrer Schlußpassage ausdrücklich fest, daß sie dem Schutz der Stadt diente, „damit keiner deiner Feinde jemals Macht über sie haben oder erhalten soll“.167 Es handelte sich dabei um eine Wiedergabe des apokryphen Briefwechsels Jesu mit Abgar V. Ukama, der in den Jahren 4 v. Chr. bis 7 n. Chr. und 13 bis 50 n. Chr. König im syrischen Edessa war; die in Philippi zitierten Worte bezogen sich also eigentlich auf Edessa.168 Die Pilgerin Egeria berichtet im vierten Jahrhundert, daß der in Rede stehende Brief Jesu zu ihrer Zeit in Edessa gezeigt wurde und man sich dort erzählte, Abgar habe das Schreiben des Herrn bei einem Angriff der Perser zum Stadttor getragen und dort öffentlich mit dem ganzen Heer zu Jesus gebetet, woraufhin sich eine Finsternis auf die Augen der Perser gesenkt habe. Diese standen bereits am dritten Meilenstein vor der Stadt, wo sie nun ihr Lager aufschlugen; es gelang ihnen jedoch über Monate hinweg nicht anzugreifen, so daß sie schließlich abzogen.169 Auch später wurde, wenn Feinde nach Edessa kamen, der Brief herausgetragen und im (!) Stadttor verlesen (lecta est in porta), und sofort sei auf ein Nicken Gottes hin jeder Feind vertrieben worden.170 Es liegt auf der Hand, warum die Stadt Philippi sich dazu entschloß, eine Abschrift dieses wunderwirkenden Textes an ihrem Stadttor anzubringen; eine Parallele ist auf einem Türsturz in 162 163 164 165

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H 1938, Sp. 1736; P 2017, 38. J 2009, 211, mit Zusammenstellung einschlägiger Befunde 204 f. Vgl. in diesem Sinn W 2012, 246 f., mit Beispielen aus dem Vorderen und Mittleren Orient. W 2012, 247. Der Verfasser macht in diesem Zusammenhang auf ein noch heute in Mitteleuropa weit verbreitetes Phylakterion an Eingangstüren aufmerksam, den alljährlich an Epiphanias mit Kreide neu aufgebrachten Schriftzug CMB mit drei Kreuzen und der jeweiligen Jahreszahl (für Christus mansionem benedicat, volkstümlich auch als „Caspar, Melchior, Balthasar“ gelesen). Neben dem im folgenden näher besprochenen Beleg aus Philippi sei auf eine kurze Inschrift in Rom verwiesen, die auf dem Schlußstein im Durchgang der Porta Appia angebracht ist, also einem der aurelianischen Stadttore. Die Inschrift datiert vermutlich aus der Zeit Justinians, als das Tor nach den Zerstörungen der Gotenkriege renoviert wurde, und spricht Gott sowie den Heiligen Konon und Georg Dank aus (P 2020a, 70). Dem Anbringungsort nach zu schließen, sollte sie dem sakralen Schutz des Übergangs dienen. IPhilippi 131, Z. 13 f.: π. ρὸς τὸ. [µηδένα τῶν ἐχθρῶ]ν σου [ἐξου|σίαν τ]α. ύ. τ. [ης ἔχειν ἢ σχεῖν π]ο. τ. [ε]. (Übersetzung modifiziert nach P 2009, 130.) Siehe den Kommentar zur Stelle ebd., 130 f. Egeria Itin. 19,8–13. Ebd., 19,13.

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Ephesos dokumentiert171 und weitere Fragmente in Edessa selbst sowie auf dem Gebiet der pontischen Stadt Euchaita.172 Um wieder den Bogen zur Kaiserzeit zu schlagen, sei abschließend auf ein Phänomen im Bereich des Aberglaubens hingewiesen, das die Qualität spezifischer Stadttore betraf. Konnte die Passage des Stadttors als Überschreiten einer Grenze schon generell prekär sein, so erst recht, wenn es sich dabei um ein Tor handelte, das als unheilbringend galt. Solche Tore, die von der Stadtbevölkerung gemieden wurden, werden in den Quellen gelegentlich erwähnt. Ovid etwa bemerkt, daß bei der Porta Carmentalis am Fuß des stadtrömischen Kapitols der kürzeste Weg durch den rechten Bogen des Stadttors führe. Dieser freilich sei zu meiden, da er ein böses Vorzeichen bedeute (omen habet, wie es gleich zweimal heißt). Durch diesen Bogen seien die 306 Angehörigen der gens Fabia ins Feld marschiert, die an einem einzigen Tag gegen Veji fielen.173 Auch Plutarch erwähnt gewisse unheilbringende Stadttore (τινας πύλας ἀποφράδας καὶ σκυθρωπάς), durch welche in manchen Städten die zum Tode Verurteilten zur Hinrichtung geführt, Unrat hinausgeschafft und bei Reinigungsritualen der Sündenbock ausgetrieben würde; dagegen ginge nichts Reines oder Heiliges durch sie hindurch.174 11.3.5 Das Stadttor als Ort persönlicher Religiosität? Es konnte gezeigt werden, daß in der Kaiserzeit eine große Bandbreite kultisch konnotierter Praktiken existierte, die mit dem Stadttor zu verbinden sind. Dabei sind zwei Hauptfunktionen zu unterscheiden. Die Handlungen konnten wie die zuletzt besprochenen apotropäischen Methoden darauf abzielen, den vulnerablen Eingang zur Stadt vor unerwünschten Zugriffen zu sichern; oder aber sie dienten dem Schutz der Passanten, die diesen Schwellenort durchquerten, und begleiteten ihren Übergang über die Stadtgrenze. Im Zusammhang damit stellt sich die Frage, ob das Stadttor nicht auch der Ort gewesen sein müßte, an dem man vor einer Reise individuell ein Gelübde ablegte oder eine kleine Weihung darbrachte, wie es ähnlich bei der Abreise mit dem Schiff vor dem Lichten der Anker oder beim Verlassen des Hafenbeckens praktiziert 171 172 173

174

IEph 46. Siehe dazu W 2012, 244. Ov. fast. 2,201–204. Ovid bezieht sich auf die Schlacht am Cremera, die die römische Annalistik in das Jahr 477 v. Chr. setzt. Nur ein einziger Sohn der gens Fabia soll in Rom überlebt und die Familie weitergeführt haben (so auch bei Ovid in den Versen 237–240). Die von mir paraphrasierten Verse 201 bis 204 lauten: Carmentis portae dextro est via proxima iano: | ire per hanc noli, quisquis es; omen habet. | illa fama refert Fabios exisse trecentos: | porta vacat culpa, sed tamen omen habet. „Bei der Carmentis Tor führt der kürzeste Weg durch den rechten Bogen; man meide ihn wohl: Stets bringt nur Böses der Weg! Da hindurch sind die dreihundert Fabier, heißt es, gezogen. Frei von Schuld ist das Tor – dennoch bringt Böses der Weg!“ (Text und Übersetzung H 2012.) Plut. De curiositate 6 (= mor. 518B). Auf diese Passage haben mich, unabhängig voneinander, gleich zwei Kollegen hingewiesen: Julia Doroszewska und Theophanis Tsiampokalos.

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wurde.175 Jedenfalls existierte ein literarischer Topos, daß der Scheidende „Tür oder Tor, Türpfosten oder Schwelle, ja den Boden küßt, den er verlassen muß“, und daß er dabei die Götter anruft.176 Eine entsprechende Schilderung findet sich in der bereits erwähnten Passage bei Rutilius Namatianus in dem Gedicht über seine Reise nach Gallien. Im Moment des Aufbruchs von Rom bringt der Sprecher auf der Schwelle des Stadttors177 der Göttin Roma einen Hymnus dar, in dem er ihren Segen und die Unterstützung der Dioskuren und der Venus für die bevorstehende Schiffahrt erfleht.178 Auf der Diskursebene erscheint das Stadttor somit als ein geeigneter Ort, um mit den Stadtgottheiten in einen persönlichen Austausch zu treten. Ob dieser Topos in Rom selbst einer lebenswirklichen Praxis entsprach, ist mangels entsprechender Votivfunde an den Toren der Stadt nicht belegbar. Das Gelübde einer jungen Frau bei Properz scheint die Existenz einer solchen Praxis jedenfalls vorauszusetzen: Bei der glücklichen Rückkehr ihres Ehemanns aus dem Feld will sie dessen Waffen als Votiv an der Porta Capena anbringen und mit der Beischrift salvo grata puella viro versehen,179 wie sie auch bereits jetzt omnibus portis, an allen Toren der Stadt, Gaben für die Heimkehr des Soldaten dargebracht hat.180 Befunde aus anderen Städten belegen tatsächlich vereinzelte persönliche Votive an bzw. in Stadttoren.181 Personen, die regelmäßig durch das Tor aus- und eingingen, brachten vielleicht, gleichsam im Vorübergehen, an einem Schrein oder einer Nische mit einem Götterbild kleine Opfer wie Speisen oder Blumen dar. Das hätte man sich so vorzustellen wie in einem hellenistischen Epigramm geschildert, wonach die Bewohner einer nicht näher benannten Stadt einer Doppelherme, die die Stadtgrenze bewachte, auf dem Weg zu ihren Feldern oder zurück in die Stadt Speisen wie Birnen oder Trauben zu opfern pflegten.182 Mein Eindruck ist dennoch, daß die Tore der Prinzipatszeit durch ihre bauliche Gestaltung und Ausstattung nicht dazu prädestiniert waren, zu Orten persönlicher Religiosität zu werden, handelte es sich doch bei den allermeisten um Bogenmonumente von geringer Tiefe, die – anders als die griechischen Torburgen der 175

176 177 178

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Zu den einschlägigen kaiserzeitlichen Opfer- und Libationspraktiken bei der Aus- und Einfahrt von Schiffen siehe D 2018, 195–200, K 2018, 160–162 und F 2020, 246 f. Siehe etwa Verg. Aen. 3,351. Zitat und weitere Belegstellen bei D 1977, 37. Zur Identifikation des Tors als Stadttor siehe oben, 291, Anm. 53. Rutil. 1,43–164, die Bitte um gute Reisebedingungen in V. 155 f. Der Autor stellt sich mit dieser Anrufung in eine klassische Tradition: Zur Rolle der Dioskuren als Schutzgottheiten zur See siehe S 2018, 230–234, zu der der Venus siehe D 2018, 192–200. Prop. IV 3,71 f.: armaque cum tulero portae votiva Capenae, | subscribam SALVO GRATA PUELLA VIRO. „. . . und sobald ich die versprochenen Waffen zur Porta Capena gebracht habe, werde ich darunterschreiben: ‚Ein dankbares Mädchen für die gesunde Rückkehr ihres Mannes.‘“ (Eigene Übersetzung.) Ebd., Vers 17. Hier sei auf die Altäre und Inschriften für Nemesis und Tyche in Dura Europos verwiesen (siehe oben, 298 f.). Anth. Graec. IX 316.

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klassischen oder hellenistischen Zeit, und anders auch als etwa das Palmyra-Tor von Dura Europos mit seinem Sakralbereich – kaum Platz für Kultbilder oder gar Altäre boten. Daß viele Stadttore an wichtigen Ausfallstraßen lagen, entsprechend stark frequentiert wurden und in der Regel auch auf einem Reittier oder Fahrzeug passiert werden konnten, spricht ebenfalls gegen die Vorstellung, daß individuelle religiöse Handlungen hier viel Zeit und Raum gefunden hätten. Ein schluchzender Dichter im Tordurchgang, der die Schwelle mit Küssen bedeckte und anschließend einen elaborierten Hymnus an die Stadtgöttin vortrug, hätte im Alltagsverkehr einer römischen Stadt jedenfalls eine gewisse Herausforderung bedeutet. Immerhin war es bei den Römern anscheinend nicht unüblich, den vor dem Stadttor aufgestellten Götterstatuen die Hände zu küssen.183 Plausibel erscheint schließlich auch die Annahme, daß es bereits in römischer Zeit eine Geste gab, die dem noch heute in manchen Ländern des Mittelmeerraums üblichen Bekreuzigen entsprach, das praktiziert wird, wenn man am Ortsrand, an einer Kreuzung oder an einer gefährlichen Kurve einen Schrein mit einem Heiligenbild passiert. Rituale am Stadttor, die in komplexere zeremonielle Zusammenhänge gehören, sind Gegenstand des folgenden Abschnitts. 11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor Stadtgrenzen und ihre Übergänge konnten in der römischen Antike durch eine Vielzahl spezifischer Aktivitäten performativ gekennzeichnet werden. Richard Hingley hat für Londinium eine Reihe solcher Aktivitäten benannt: die Einrichtung von Kultplätzen, die Durchführung religiöser Feste, die Bestattung von Toten, das Zurschaustellen bestimmter Leichen, das Deponieren von Münzstempeln, die Ansiedlung von lärmintensiven Gewerbezweigen, und schließlich – in der Spätantike – die mit Bedacht gewählte Wiederverwendung heidnischer Götterdarstellungen als Spolien in den Befestigungsanlagen.184 Auch die Durchführung von Zollkontrollen oder der Wechsel von Verkehrsmitteln gehören zu den typischen Aktivitäten, die an den Übergängen kaiserzeitlicher Stadtgrenzen praktiziert wurden. Im vorliegenden Abschnitt soll es nun speziell um rituelle Handlungen gehen, im Zuge derer das Stadttor als Übergangsort in Szene gesetzt wurde. Es werden drei Konstellationen untersucht, zu denen aussagekräftige Quellen vorliegen: erstens städtische Festprozessionen, die rituelle Handlungen am Stadttor vorsahen, zweitens das Zeremoniell beim adventus des Kaisers oder anderer hochgestellter Persönlichkeiten am Stadteingang und drittens der kaiserliche Triumph in Rom. Das Stadttor war in allen drei Fällen Durchzugsort einer Prozession, bei der sich die Menschen in einer bestimmten Ordnung und formalisierten Abfolge bewegten.185 Bei der zeremoniellen Bewegung des Festzugs aus der Stadt hinaus oder in die 183 184 185

J 1960, 91 f. H 2018, 247 f. Vgl. die Definition bei F 2004, 33.

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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Stadt hinein markierte das Tor präzise den Ort des Übergangs zwischen Innen und Außen. 11.4.1 Städtische Feste und Prozessionen In vielen Städten wurden Feste begangen, zu denen eine Prozession durch ein Stadttor gehörte. Die Festgemeinde bewegte sich beispielsweise stadtauswärts, um in einem im Umland gelegenen Heiligtum Opfer zu zelebrieren oder um an der Küste eine Kultstatue einer rituellen Waschung zu unterziehen, oder sie zog von einem externen Kultplatz aus stadteinwärts, um in einem urbanen Heiligtum zu opfern oder um Kultbilder in die Stadt zu bringen.186 Dem Queren der Stadtgrenze am Tor kam dabei häufig eine besondere symbolische Bedeutung zu, die performativ ausgedrückt werden konnte. Die nähere Ausgestaltung von rituellen Handlungen an Stadttoren ist leider nur sehr selten faßbar. Dies gilt insbesondere dort, wo Schriftquellen fehlen. So wurde beispielsweise der Bereich des Hauptstadttors von Perge im zweiten Jahrhundert für zeremonielle Zwecke neu eingerichtet;187 Anlaß, Hintergrund und Gestaltung der dort angesiedelten Aktivitäten sind jedoch nicht näher bekannt.188 Ein Glücksfall der Überlieferung ist daher die inschriftliche Dokumentation der Salutaris-Stiftung in Ephesos, die die Rolle der Stadttore bei Festumzügen vergleichsweise deutlich werden läßt. Im Zuge der je nach Anlaß etwa zweimal im Monat stattfindenden Prozession, welche vom Artemision, dem extra muros gelegenen neu aufgebauten Hauptheiligtum der Stadt, über zwei Flußbrücken in die Siedlung von Ephesos führte, stellte das Magnesische Stadttor die erste Station dar. Die Prozession ging auf eine reiche Stiftung des C. Vibius Salutaris im Jahr 104 zurück, die neben der Ausstattung der Feierlichkeiten auch Sach- und Geldspenden umfaßte.189 Bei diesem Umzug wurden über 30 von Salutaris gestiftete Gold- und Silberstatuetten, darunter mehrere Darstellungen der Ephesischen Artemis, durch Tempeldiener vom Artemision zum Magnesia-Tor gebracht, dem Haupttor im Südosten der Siedlung (siehe dazu den Stadtplan Abb. 9.4 oben auf S. 248). Dort nahmen die 250 Epheben der Stadt die Statuetten in Empfang, um sie zum Theater zu tragen, wo die Bilder während der Volksversammlung oder anläßlich religiöser Festakte aufgestellt wurden. Anschließend wurden sie durch die Epheben vom Theater weiter bis zum Koressischen Tor begleitet und dort wieder dem Kultpersonal übergeben.190 186 187 188 189 190

Siehe etwa die von I 2015 untersuchten rituellen Bewegungen zwischen Rom und seinem suburbium und die italischen Beispiele bei P 2017, 39 f. Siehe unten, 343–345. Eine knappe Betrachtung zur Zusammenwirkung von Architektur und Prozession in Perge bietet R 2022, 16. IEph 27. Ob eine frühere Form dieser Prozession schon in vortraianischer Zeit durchgeführt wurde, ist nicht bekannt (S 2009, 328). IEph 27, Z. 48–55.202–214.423–425.554–569. Zum Ablauf der Prozession siehe R 1991, 80–126, zu den Aktivitäten am Magnesischen Tor 86.89.154 f. und 162 f. Die Statuetten stellten

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11 Das Tor als liminaler Ort

Während des Übergaberituals am Magnesia-Tor versammelten sich die Prozessionsteilnehmer auf dem 530 Quadratmeter großen Hof191 vor dem Stadttor mit seinen mächtigen Türmen.192 Einlassungen für einen temporär nutzbaren Baldachin genau vor dem Mittelpfeiler des Stadttors lassen vermuten, daß die kultischen Bilder dort im Zuge des Rituals aufgestellt werden konnten, vielleicht um ein Opfer darzubringen.193 Im Zeremoniell der ephesischen Umzüge wird die liminale Qualität der Stadttore ganz deutlich: Außerhalb der Siedlung wurden die kultischen Statuetten auf der Heiligen Straße durch ihr eigenes Personal begleitet. Vor dem südöstlich gelegenen Haupttor der Stadt machte die Prozession Halt. Hier fand das Übergaberitual statt, wobei die Epheben von Ephesos, die die Bilder entgegennahmen, ja ihrerseits selbst in einer Lebensphase des Übergangs standen.194 Sie geleiteten die Statuetten auf ihrem Weg vom einen Ende der Siedlung zum anderen. Erst am Koressischen Tor, dem nordöstlichen Stadtausgang neben dem Stadion, übernahmen die Tempeldiener die Kultbilder wieder in ihre Verantwortung. Auf diese Weise wurde der Moment, in dem die Prozession das Tor als symbolträchtigen Durchgangsort passierte, performativ herausgestellt. Auch in anderen Städten waren die Stadttore bei Prozessionen zu extraurbanen Heiligtümern zeremoniell wichtige Haltepunkte. So ließe sich etwa auf Milet verweisen, wo die noch in der Kaiserzeit durchgeführte Neujahrsprozession zum Apollonheiligtum von Didyma bereits am Stadttor von Milet ein erstes Mal Station machte, um vor dem Schrein der Hekate, der unmittelbar feldseitig vor dem Tor lag, der Göttin einen Paian darzubieten. In Vorbereitung der Prozession wurde an diesem Stadttor ein heiliger Stein in kubischer Form als Grenzmarkierung aufgestellt, bekränzt und mit ungemischtem Wein begossen; ein zweiter Kultstein wurde als Gegenstück am Endpunkt der Prozession in Didyma vor den Türen des Apollontempels plaziert.195 Bei der stadtrömischen transvectio equitum, einer militärischen Reiterparade, wurden suburbium und Urbs durch den Weg des Umzugs miteinander verbunden. Die Prozession begann am Marstempel, der an der Via Appia feldseitig der Porta

191 192 193

194 195

außer Artemis Angehörige des Kaiserhauses und zahlreiche Personifikationen dar, darunter diejenigen der Stadt Ephesos, der Boule, des Demos und des römischen Senats (Z. 23–31 der genannten Inschrift). Inhaltliche Bezüge zwischen den dargestellten Personen und den Monumenten entlang der Route zeigt R 2022, 15 f. auf. G 2006, 107. Eine genaue Baubeschreibung des Magnesischen Tors bietet S 2009, 328–340. Ebd., 339 f. Der Bodenbelag, in den die Halterungen eingelassen waren, datiert in traianische Zeit. Mir erscheint denkbar, daß der Baldachin auch bei anderen religiösen Prozessionen genutzt wurde: In Ephesos gab es mindestens zwei Feste, bei denen das eigentliche Kultbild der Artemis in die Stadt getragen wurde, siehe dazu G 2006, 107 (bei den Artemis-Statuetten in der Prozession des Salutaris handelte es sich dagegen um Nachbildungen des Kultbilds). Auf diesen Umstand weist S 2009, 344 f. hin. Zur Bedeutung der Epheben für die Prozession siehe R 2022, 15. MC 1984, Nr. 10 = SEG XXXVI 1050, Z. 25–29, vgl. den umfassenden Kommentar zur Stelle bei H 2006, 249–385. Zur Kontinuität in der Kaiserzeit siehe ebd., 455–457.

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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Capena lag. Diese wurde bei der Parade mit kultischen Aktivitäten als Übergangsort zwischen Außen und Innen markiert.196 Ein ganz besonderer Anlaß, der in den Städten des Reichs wie auch in Rom selbst sorgsam vorbereitet und feierlich begangen wurde, war die Ankunft des Kaisers in Form eines ritualisierten adventus. Die vergleichsweise gute Quellenund Forschungssituation ermöglichen es, auf dieses Phänomen näher einzugehen. 11.4.2 Das adventus-Zeremoniell Das adventus-Zeremoniell geht ursprünglich auf religiöse Vorstellungen über die An- und Abwesenheit von Göttern zurück.197 In seiner Ausgestaltung als Einzug der römischen Kaiser ist es daher eng mit kultischen Vorstellungen, Kommunikationsformen und Praktiken verbunden. Es konnte sich auch auf den verstorbenen Kaiser oder sein Bildnis beziehen,198 war im Gegensatz zum Triumph in der Prinzipatszeit jedoch nicht dem Kaiser vorbehalten. Auch andere sehr hochrangige Personen wie Provinzstatthalter199 konnten in dieser oder ähnlicher Form empfangen werden. Eine republikanische Tradition ist hier mitzudenken; erinnert sei etwa an den gleich vierfachen Bericht im Werk Ciceros über seinen begeisterten Empfang durch eine Beifall klatschende Volksmenge an der Porta Capena, als er am 4. September 57 v. Chr. aus dem Exil zurückkehrte.200 Anstatt die bekannten Quellen201 in aller Breite erneut zu diskutieren, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen gezielt auf diejenigen Elemente des adventus, welche den Stadteingang betreffen. Das auf diese Weise evozierte Bild einer typischen adventus-Situation ist als rekonstruiertes Idealschema zu verstehen, dem – in Abgrenzung zu den differenten Gepflogenheiten der Spätantike – die Beschreibungen kaiserlicher Ankünfte im ersten bis dritten Jahrhundert zugrundeliegen. Dabei ist mit Christian Ronning die „hohe Flexibilität des Rituals“ zu betonen, „das eben keinem festen Skript folgte, sondern stets neu szenographiert wurde“ und damit großes Potential als kommunikativer Akt entfaltete.202

196 197 198 199 200

201 202

I 2015, 127 f. und 131, freilich ohne Einzelheiten in bezug auf die durchgeführten Kulthandlungen. Siehe dazu B 1950, Sp. 112–116. F 2004, 51. Zur feierlichen Ankunft von Statthaltern in den Städten ihrer Provinz siehe B 2009; B 2014, 345–353; R 2022, 41–72. In bezug auf das Stadttor ist die in Cic. Att. IV 1,5 gebotene Variante am instruktivsten (siehe dazu, auch mit den anderen Belegen, G 2006b, 83). Weitere Einzüge republikanischer Zeit behandelt M 2013. Eine Zusammenstellung aller einschlägigen Stellenangaben von Augustus bis zu Theodosius I. bietet L 1997, 351–355; die wichtigsten Bildzeugnisse listet F 2004, 51 f. auf. R 2007, 88.

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11 Das Tor als liminaler Ort

a) Der kaiserliche Advent Das adventus-Zeremoniell bestand aus drei zeitlich aufeinanderfolgenden Teilen: erstens dem Empfang des Kaisers und seinem Einholen vor der Stadt (occursus), zweitens dem gemeinschaftlichen Zug zum Stadttor und dem Eintritt des Kaisers durch das Tor (introitus), und drittens dem Weg des Kaisers durch die Stadt mit anschließenden Opfern und Spielen. Meine folgende Darstellung des Ablaufs eines adventus soll aufzeigen, inwiefern das Stadttor im Zuge einer solchen Feier als Übergangsort inszeniert wurde. Wichtig erscheint mir dabei der dialogische Charakter des Zeremoniells, bei dem der einziehende Kaiser und die ihn empfangende Stadtgemeinschaft in einen Akt der symbolischen Kommunikation miteinander eintraten.203 Sein Gegenstück, die feierliche Begleitung des ausziehenden Herrschers im profectio-Zeremoniell, war in Ablauf und Bedeutung vergleichbar und ließe sich analog behandeln.204 Um Redundanzen zu vermeiden, beschränken sich die folgenden Überlegungen jedoch auf den detaillierter dokumentierten adventus. Bereits beim Einholen des Kaisers war das Stadttor insofern relevant, als es den Punkt markierte, hinter dem ein erster Empfang des Ankommenden zu geschehen hatte: noch außerhalb der Stadt und damit jenseits des Tors. Das Zeremoniell begann daher, sofern das Stadttor verschließbar war, mit dem Öffnen der Torflügel.205 Im Gegensatz dazu trat der Eroberer einer Stadt nach deren Niederlage nicht durch eins der Tore, sondern durch eine zuvor in die Mauer geschlagene Bresche in die Stadt ein, was eine Erniedrigung bedeutete.206 Der symbolische Akt der Toröffnung war daher bei instabilen Konstellationen, zum Beispiel nach der (Rück-)Eroberung einer Region durch den Kaiser, von besonderer Bedeutung.207 So öffneten die Einwohner von Tiberias im Jüdischen Krieg Vespasian die Tore, gingen ihm mit Segenswünschen entgegen und begrüßten ihn als ihren Retter und Wohltäter.208 Freilich handelte es sich beim Öffnen der Torflügel um ein eher moderates Symbol der Ergebenheit, wie im kulturübergreifenden Vergleich festzustellen ist – wurde es doch in islamischer Zeit üblich, die Torflügel zu demontieren und vor dem Sultan auf die Erde zu legen, so daß dieser über sie hinweg in die Stadt eintrat.209 203 204 205

206 207

208 209

In Anlehnung an S 2009, 38. Zur profectio siehe K 1965; M 2013. Vgl. L 1997, 167, wobei der Verfasser allerdings die Möglichkeit, daß Stadttore in dieser Zeit ja auch unverschließbar sein konnten, nicht in Betracht zieht. Einem Kaiser „die Stadttore öffnen“ ist bei den kaiserzeitlichen Historikern gleichbedeutend mit „ihn empfangen“ (ebd.). Siehe ebd., und ferner J 2015, 224 (in bezug auf analoge Praktiken frühneuzeitlicher Herrscher). Im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen war das Öffnen von Stadttoren für beide Seiten gleichermaßen heikel: Es konnte eine List sein (siehe etwa Tac. hist. III 20,2), stellte aber umgekehrt auch für die Stadt immer ein Risiko dar. Die lusitanischen Städte beispielsweise, die Caesar bei seiner Ankunft die Tore geöffnet hatten, wurden geplündert (Suet. Iul. 54 2,1 f.). Jos. bell. Iud. 3,459. K 1999, 240 f. Auch im adventus-Zeremoniell des europäischen Mittelalters wurde die Inbesitznahme der Stadt durch den eintretenden Fürsten betont (S 2009, 37).

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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Damit zurück zum Einzug des Princeps: Ein erster Zug der städtischen Magistrate und der Bevölkerung formierte sich in der Stadt, zog durch das Stadttor hinaus und schritt dem Kaiser entgegen.210 Üblicherweise spielte sich die Begrüßung des Herrschers in geringer Entfernung zum Stadttor ab;211 ein besonders weites Entgegenlaufen drückte eine Steigerung der Ehrerbietung aus. Der nachmalige Kaiser Titus etwa wurde nach der Eroberung Jerusalems auf seiner Rückreise in Antiocheia mehr als 30 Stadien weit vor der Stadt begrüßt, also in gut fünf Kilometern Entfernung; nicht nur die Männer, sondern auch Scharen von Frauen mit ihren Kindern eilten ihm entgegen, um ihn unter Segenswünschen in ihre Stadt zu geleiten.212 Die Quellen betonen auch sonst stets die Größe der dem Ankommenden entgegenziehenden Menge.213 Im Rahmen des sorgfältig orchestrierten Zeremoniells galt es umgekehrt aber auch als eine besondere Ehre für ausgewählte Männer, dem Kaiser möglichst weit entgegenlaufen zu dürfen.214 Der Empfang des Kaisers vor dem Stadttor hatte innerhalb des adventus-Zeremoniells eine Schlüsselfunktion,215 da hier das erste Zusammentreffen zwischen Herrscher und Stadtbevölkerung stattfand. Die feierliche Begrüßung wurde mit wechselseitigen Ansprachen begangen. Bei Einzügen in Rom wurde hier das Zeremoniell einer salutatio integriert, im Zuge dessen der Kaiser jeden Senator mit einem Wangenkuß ehrte, die Ritter namentlich begrüßte und seine Klienten per Handschlag.216

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Zum Ablauf des occursus siehe die ausführliche quellenbasierte Darstellung bei L 1997, 128–156; vgl. auch R 2022, 41. Bei Philostrat sind es neben Priestern und Beamten alle Philosophen und Gelehrten der Stadt, die Vespasian in Alexandria vor dem Tor empfangen (Philostr. Ap. 5,27). Dies erhellt im Umkehrschluß aus einer Bemerkung bei Dion Chrysostomos, der aus einer Verkehrung der üblichen Rollen ironisches Kapital schlägt: Anders als einige irregeleitete Mitbürger in Prusa es erwartet hätten, sei es nicht Aufgabe des Kaisers, Besucher am Stadttor von Rom (ἐπὶ τῆς πύλης) in Empfang zu nehmen (Or. 40,13). Auch bildliche Darstellungen des adventus benutzen das Stadttor als Chiffre für die Situierung des Empfangs vor der Stadt (L 1997, 167 f.). Zu konkreten Entfernungsangaben siehe ebd., 135–145. Jos. bell. Iud. 7,100–102. Ähnliche Szenen schildert Josephus bereits in 3,30.459; 4,113. Siehe etwa die paradigmatische Darstellung bei Plin. paneg. 22,2–4, wo selbst Kranke die Anweisungen ihrer Ärzte mißachten, um sich zum adventus Trajans einzufinden. Bereits in republikanischer Zeit war die Anzahl der amici und clientes, die einen nach Rom heimkehrenden Senator einholten, ein wichtiger Indikator für dessen Einfluß und Stellung gewesen (R 2007, 73). Ebd., 81. In Plin. ep. 10,10,2 bittet der Verfasser Trajan um die Erlaubnis, ihm so weit wie möglich entgegenkommen zu dürfen. Dabei geht es nicht um den allgemeinen occursus, sondern um einen noch davor stattfindenden Empfang des Kaisers durch einige handverlesene Senatoren in größerer Entfernung vor Rom (R 2007, 81 f.). Vgl. in bezug auf Mittelalter und Frühneuzeit L 2009, 2. Zu salutatio und adventus siehe B 2009 (die aufgeführten Details der Begrüßung ebd., 165, unter Verweis auf Plin. paneg. 23,1 f.); R 2007, 75–77; M 2013. Seine persönliche Ansprache durch Kaiser Julian bei dessen Ankunft an der Stadtgrenze von Antiocheia erinnert Libanios in Or. 1,120.

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11 Das Tor als liminaler Ort

Der Festzug wurde anschließend mit dem Kaiser und seiner Begleitung neu geordnet, um diesen zum Stadttor zu führen.217 Zwei symbolisch wichtige Elemente dieses Vorgangs bestanden darin, daß der Kaiser vor dem Betreten der Stadt aus seinem Wagen, seiner Sänfte oder von seinem Pferd abstieg und wie jedermann zu Fuß ging,218 und daß er sein militärisches Habit ablegte, um sich in die Toga zu kleiden.219 Zur Lokalisierung dieser symbolträchtigen Handlungen ist zu bemerken, daß es in Rom an der servianischen Mauer, also in unmittelbarer Nähe der Stadttore, eigene Gebäude gab, die mutatoria vestis, welche als Haltepunkt der Equipagen der aus- oder einziehenden Magistrate dienten, damit diese den vorgeschriebenen Wechsel von ziviler und militärischer Kleidung durchführen konnten. Entsprechend wurden die Gebäude auch im Rahmen kaiserlicher Einzüge genutzt; die Wechselstation vor der besonders wichtigen Porta Capena wird in den kaiserzeitlichen Quellen sogar ausdrücklich als mutatorium Caesaris apostrophiert.220 Mit dem Übergang am Stadttor war somit augenfällig eine Änderung der Fortbewegungsart wie auch der Kleidung verbunden. Beides, das Zufußgehen wie das Tragen der Toga, sollte die civilitas des Princeps ausdrücken.221 Dabei gab sich dieser idealerweise der einfachen Bevölkerung gegenüber nahbar und leutselig, gegenüber der Elite kollegial als primus inter pares.222 So vermieden es Vitellius, Vespasian, Trajan, Hadrian, Septimius Severus und Severus Alexander bei verschiedenen Gelegenheiten durch ihr Zufußgehen und/oder das Anlegen der Toga, wie siegreiche Feldherren einzuziehen.223 Die Einzüge Neros nach seiner Rückkehr aus Griechenland verstießen in bewußter Inszenierung gegen diese Zurückhaltung: In Neapel, Antium und Albanum ritten Nero und seine Entourage auf weißen Pferden ein, und in Rom setzte er eine Art Triumphzug ins Werk, indem er im historischen Triumphwagen des Augustus in die Stadt einfuhr.224 217 218 219 220 221

222

223 224

Zum introitus sei wiederum auf die Darstellung bei L 1997, 156–180 verwiesen. Zum Wechsel der Fortbewegungsart siehe G 2006b, 84.107. Zum Kleidungswechsel, dem Ritual der mutatio vestis, siehe G 2006b, 83 f. und S 2017, 42 f. Vgl. G 2006, 44; G 2006b, 84; S 2017, 42 f. Zur herausgehobenen Bedeutung der Porta Capena als Schauplatz feierlicher Einzüge in Rom siehe G 2006, 45. Dazu L 1997, 197–228 und R 2007, 71–78 (B 2009, 167–172, verweist auf die humanitas des Princeps). Bezeichnenderweise wurde es ab dem dritten Jahrhundert üblich, daß die Kaiser im Sesselwagen in die Stadt zogen (L 1997, 180.221 f.). Lediglich in Rom wurde in der Spätantike, abweichend vom adventus in allen anderen Städten, weiterhin an den rituellen Elementen festgehalten, die civilitas demonstrieren sollten – was freilich mit der spätantiken Wirklichkeit „überhaupt nichts mehr zu tun“ hatte (S-H 2012, 37). L 1997, 222.226–228, siehe etwa die programmatische Darstellung in Plin. paneg. 22,1 f. und 23,1. Diese Attitüde steht im starken Gegensatz zu den Inszenierungen herrscherlicher Einzüge in späteren Epochen (zur Spätantike und byzantinischen Zeit siehe unten, 320, zu Mittelalter und Frühneuzeit siehe J/L 2009 und R 2011). Einzelbelege bei L 1997, 197–228. Siehe ferner F 2009, der den Einzug von Usurpatoren untersucht. Suet. Nero 25,1.

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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In aller Regel aber zog der Kaiser mit den Stadtbewohnerinnen und -bewohnern zu Fuß durch das Tor. Die Bedeutung des gemeinsamen Weges vom Ort der Begrüßung ins Zentrum der Stadt unterstreicht Plinius in seiner Lobrede an Trajan. Bei dessen Ankunft in Rom im Jahr 99 habe es den allergrößten Eindruck gemacht, daß der Kaiser nach der salutatio mit ostentativer Freundlichkeit und ohne jede Berührungsangst inmitten der Volksmenge weiterzog: gratius tamen, quod sensim et placide et quantum respectantium turba pateretur incederes, quod occursantium populus te quoque, te immo maxime artaret, quod primo statim die latus tuum crederes omnibus. neque enim stipatus satellitum manu sed circumfusus undique nunc senatus, nunc equestris ordinis flore, prout alterutrum frequentiae genus invaluisset, silentes quietosque lictores tuos subsequebare. „Doch noch größeren Eindruck machte, daß du langsam und freundlich weitergingst, ganz wie die wogende Menge der Schaulustigen es gestattete, daß das herbeiströmende Volk auch dich, ja dich besonders eng umdrängte, daß du gleich am ersten Tag in Rom jedermann vertrauensvoll an deine Seite ließest. Denn keine Schar von Leibwächtern schirmte dich ab, sondern es umringten dich die erlauchtesten Männer, bald Senatoren, bald Ritter, je nachdem, aus welchem Stand gerade die größere Zahl sich zusammengetan hatte. So folgtest du deinen Liktoren, die schweigsam und ohne Druck den Weg bahnten.“225 Das Stadttor wurde zu einem solchen Anlaß mit Lorbeergrün und Blumengirlanden geschmückt.226 Unter Umständen trug es gar ein Standbild des Kaisers, ja das Monument konnte gar eigens für dessen Besuch errichtet worden sein.227 In den Städten der Provinz zielte die Einbettung des Stadttors in das Adventus-Zeremoniell darauf ab, den Kaiser zu beeindrucken und ihm ein erstes positives Bild der Stadt zu vermitteln – und genau dazu waren Bauform und Dekor der Tore bestens geeignet, wie in Kapitel 12 zu sehen sein wird.228 Diejenigen, die als Zuschauer weiß gekleidet229 die Straße säumten, brachten beim Einzug des Kaisers Beifall und Dankesworte in Form von Akklamationen aus.230 Der Panegyricus des Jahres 311/312 faßt den Eintritt Kaiser Konstantins durch das Stadttor von Augustodunum gar mit dem Bild einer Umarmung: Die 225 226

227 228 229 230

Plin. paneg. 23,2 f. (Übersetzung K 2008). Eine ausführliche Besprechung der Darstellung von Trajans adventus bei Plinius bietet R 2007, 69–89. Zur Bekränzung des Stadttors siehe L 1997, 120. Der Schmuck zeigte selbst einem unbedarften Betrachter bereits im Vorfeld die Besonderheit der Situation an (S 2009, 42). Zu Kaiserstatuen auf Bögen am Stadteingang siehe im anschließenden Kapitel die Seiten 349–354, zum Zusammenhang solcher Bauten mit kaiserlichen Reisen 350 f. Vgl. ferner R 2022, 17.41–43. Zur rituell weißen Kleidung der Teilnehmer und Zuschauer beim adventus siehe R 2022, 44 mit Anm. 17 auf S. 62. L 1997, 169 f.

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11 Das Tor als liminaler Ort

Tore umarmten den ankommenden Kaiser mit ihrer bogenförmigen Gestalt und ihren beiderseits vorspringenden Türmen, so heißt es dort.231 Der weitere Weg des Kaisers zum Opfer auf dem Kapitol, sofern es sich um Rom handelte, oder sonst im zentralen Heiligtum der Stadt soll uns nicht beschäftigen.232 Für den Gegenstand dieser Untersuchung ist vielmehr noch der Hinweis von Interesse, daß auf römischen Staatsreliefs adventus-Szenen häufig vor einem Tor oder Bogen situiert werden, was chiffreartig auf die symbolische Bedeutung des Stadttors beim Einzug des Kaisers verweist. So verortet eine Reliefdarstellung der Trajanssäule eine Opferszene als Teil eines adventus-Zeremoniells, indem sie sie vor einem Tor lokalisiert: Das Relief zeigt eine Opferhandlung des Kaisers am Altar, wohl in einer dakischen Stadt, während die von ihm angeführte Prozession noch durch den nahen Torbogen zieht.233 In allegorischer Form, aber ikonographisch vergleichbar, wird Hadrian auf einem stadtrömischen Relief vor dem Durchgang eines Bogens abgebildet, während ihn die Göttin Roma, begleitet von den Genien des Senatus und Populus, mit Handschlag empfängt.234 Festzuhalten ist, daß nicht der Akt des Durchgangs selbst rituell inszeniert wurde, sondern ein Vorher und Nachher. Der Akzent des adventus-Zeremoniells lag nicht auf dem Moment des Durchschreitens, sondern auf dem Moment der Ankunft vor dem Tor.235 Erst in den aufwendigen Umzügen der Spätantike und byzantinischen Zeit in Konstantinopel wurden weitere Elemente in das Zeremoniell am Stadttor eingeführt, wobei der Unterschied zwischen adventus und Triumphzug zunehmend verschwamm:236 Der Kaiser konnte bei seinem Einzug durch das Tor bekränzt werden,237 einer Siegesprozession gingen Dankgebete am Stadttor voraus,238 oder die Teilnehmer einer Prozession machten am Tor Station, um Lieder zu singen und Rezitationen zu lauschen.239 b) Das Stadttor beim adventus von Gottheiten und historischen Persönlichkeiten Die Bedeutung des Stadttors als Schwelle im adventus-Zeremoniell wird in der kaiserzeitlichen Literatur gerade dort deutlich, wo es um die Feier vergleichbarer 231 232

233 234 235 236 237 238 239

Paneg. Lat. V (VIII) 7,6. Siehe dazu im einzelnen L 1997, 181–183.187–195; zum innerstädtischen Ablauf der Prozession beim Adventus des Statthalters in Ephesos, Milet und Pergamon siehe R 2022, 41–72. Trajanssäule Szene 83–85, zur Interpretation F 2005, 211. Relief im Palazzo dei Conservatori, Diskussion bei K 1965, 156–158. In dem Beitrag werden zahlreiche weitere adventus-Darstellungen auf Reliefs und Münzen besprochen. Vgl. in bezug auf die Frühneuzeit S 1997, 313. Abweichend dagegen die Kultur des Alten Orients, die einen rituell bestimmbaren Ort im Stadttor kannte (siehe oben, Kapitel 3). M 2000, 174. B 2001, 47 (im Jahr 559). Gelegentlich ist dies schon früher bezeugt, so beim Einzug Trajans in Antiocheia (L 1997, 167). B 2001, 57 (im Jahr 626). Ebd., 56 (im 10. Jahrhundert). Siehe zur byzantinischen Zeit auch U 2006; zum europäischen Mittelalter vgl. etwa S 2009.

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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Anlässe in vergangenen Epochen geht, da das Geschehen von den Autoren relativ frei imaginiert und ausgestaltet werden konnte. Es läßt sich aufzeigen, daß sich die Darstellung am zeitgenössischen Zeremoniell des kaiserlichen adventus orientierte. Als Beispiel sei eine Stelle aus Ovids viertem Fastenbuch besprochen, in der die Einholung der Göttin Kybele nach Rom im Einzug durch ein Stadttor gipfelt.240 Der Inhalt ist folgender: Die per Schiff aus der Troas angereiste Gottheit wird bei Ovid bereits in Ostia von einer festlichen Prozession erwartet. Senat, Ritter und Volk haben sich mit Müttern, Töchtern und Schwiegertöchtern zu ihrer Begrüßung eingefunden, und ebenso die Vestalinnen (V. 293–296). Logistisch aufwendig wird das Bild der Kybele an der Mündung des Almo in den Tiber auf einen Ochsenwagen verladen, um thronend in die Stadt einzuziehen. Die Beschreibung schließt an der Porta Capena, wo Scipio Nasica241 die Göttin in Empfang nimmt.242 Das anikonische Kultbild wird in diesem Text als Epiphanie der kleinasiatischen Göttermutter verstanden und ihre Einholung nach Rom wie der adventus einer bedeutenden Persönlichkeit inszeniert.243 Ovid greift auf den Topos zurück, dem auch andere adventus-Darstellungen verpflichtet sind, in denen es regelmäßig heißt, daß die gesamte Stadtbevölkerung dem einziehenden Gott oder Herrscher entgegenläuft.244 Eine enge Parallele bietet die Ankunft Kleopatras in Tarsos im Jahr 41 v. Chr., die bei Plutarch beschrieben wird. Wie Kybele reist Kleopatra zu Schiff an, freilich auf einer Barke mit vergoldetem Heck, silbernen Rudern und Purpursegeln und unter dem Klang von Flöten, Schalmeien und Kitharen. Sie hat sich als Aphrodite schmücken und auf ihr Lager drapieren lassen, inszeniert sich 240

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Ov. fast. 4,247–348. Das Ereignis, auf das sich Ovid bezieht, gehört in die Endphase des Zweiten Punischen Krieges und ist geschichtlich mit der Entstehung der unten, 366–371 besprochenen Komödie des Plautus verknüpft, die bei den ludi Megalenses anläßlich der Weihung des Kybeletempels im Jahr 191 v. Chr. aufgeführt wurde. P. Cornelius Scipio Nasica, nachmalig Konsul des Jahres 191 v. Chr., war der Sohn des 212/211 v. Chr. in Spanien gefallenen Cn. Cornelius Scipio Calvus und ein Vetter des älteren Scipio Africanus. Ov. fast. 4,345–348: ipsa sedens plaustro porta est invecta Capena: | sparguntur iunctae flore recente boves. | Nasica accepit; templi non perstitit auctor: | Augustus nunc est, ante Metellus erat. „Die aber sitzt auf dem Wagen und zieht durch die Porta Capena, und die Rinder im Joch werden mit Blumen bestreut. Nasica bot ihr den Gruß. Wer den Tempel erbaute, ist unklar. Jetzt tat’s Augustus, zuvor hat es Metellus getan.“ (Text und Übersetzung nach der Edition H 2012). Der Einzug durch das Tor bildet den Endpunkt der langen Reise, was der Autor auch durch den Wechsel des Erzähltempos in eine knapp gedrängte Darstellung markiert (vgl. F 1998, 161): Wurden die Ereignisse der Ankunft in etwa 100 Zeilen in aller Breite geschildert, genügen nun eineinhalb Verse, um zwei Jahrhunderte zu überblicken und mit Augustus in der Schreibgegenwart Ovids anzulangen. Anders als in der Version der Geschichte, die Livius bietet (Liv. XXIX 10 f. und 14), erscheint das Kultbild bei Ovid nicht als Objekt, das von A nach B transportiert wird, sondern als die eigentliche Protagonistin des Geschehens. So äußert Kybele selbst in aller Autorität und eindrucksvoll untermalt von einem Erdbeben den dringenden Wunsch, nach Rom gebracht zu werden (Ov. fast. 4,269 f.). Siehe oben, 316 f.

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11 Das Tor als liminaler Ort

also ihrerseits als eine Göttin. Die Bewohner der Stadt eilen Kleopatra am Fluß Kydnos entgegen, so daß Antonius, der sie nach Tarsos bestellt hat, allein auf dem Forum zurückbleibt, wo er verloren auf der Rednertribüne sitzt.245 Den Eindruck, daß kaum jemand in der Stadt zurückgeblieben sein kann, erhält der Leser auch bei Ovid. Der Prozessionszug, der Kybele nach Rom geleitet, wird ebenfalls von Musik gerahmt und – schließlich handelt es sich bei ihr wirklich um eine Göttin – von kultischen Handlungen begleitet. Während jedoch das am Vortag der Ankunft durchgeführte Opfer am Tiber in Ovids Darstellung mit den Gepflogenheiten der römischen Religion im Einklang steht,246 sind die in den folgenden Versen beschriebenen kultischen Praktiken klar als fremdartig markiert: Das Aufheulen des Gefolges (exululant comites), die wilden Flötenklänge (furiosaque tibia flatur) und das Mitwirken der berüchtigten Kastratenpriester, auf welche sich molles manus bezieht,247 mußten für einen römischen Betrachter gelinde gesagt eher ungewöhnlich wirken. Die sehr spezifische akustische Untermalung kennzeichnet den adventus der Kybele in Abgrenzung von anderen Prozessionen als einzigartig.248 Wichtig ist in unserem Zusammenhang die Beobachtung, daß die exotische musikalische Untermalung den Weg der Göttin nur vor dem Stadttor begleitet und somit just bis zum Moment des Übergangs. Nach ihrem Eintritt in die Stadt nämlich, wenn die Rinder mit Blumen geschmückt werden und der ehrbare Nasica auftritt, geht es auf einmal ganz ruhig und den altväterlichen Sitten entsprechend zu, so als hätte sich die neue Bewohnerin mit dem Durchzug durch die Porta Capena auf einen Schlag den römischen Erwartungen angepaßt. Interessant ist, daß Ovid die Begrüßung der Kybele durch den vom Senat auserwählten jungen Mann gegenüber älteren Traditionen offenbar bewußt an das Stadttor verlegt.249 Dies ist zweifellos vor dem Hintergrund zu sehen, daß 245

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249

Plut. Ant. 26, zur Einholung Kleopatras durch die Menschenmenge und Antonius auf dem Bema 26,4: τῶν δ’ ἀνθρώπων οἱ µὲν εὐθὺς ἀπὸ τοῦ ποταµοῦ παρωµάρτουν ἑκατέρωθεν, οἱ δ’ ἀπὸ τῆς πόλεως κατέβαινον ἐπὶ τὴν θέαν. ἐκχεοµένου δὲ τοῦ κατὰ τὴν ἀγορὰν ὄχλου, τέλος αὐτὸς ὁ ᾽Αντώνιος ἐπὶ βήµατος καθεζόµενος ἀπελείφθη µόνος. (Text nach F/C 1977.) In feinsinniger Anspielung auf den Advent der ägyptischen Königin wird das einzige erhaltene (kaiserzeitliche) Stadttor in Tarsus von den Tourismusbehörden heute erfolgreich als »KleopatraTor« vermarktet. Ov. fast. 4,337–348. V. 341 f. Zum letztgenannten Punkt vgl. auch Vers 183, wo die Einbindung von Eunuchen in den Kult der Göttermutter bereits explizit erwähnt wurde. Wie F 2003, 35 herausstellt, waren die großen Prozessionen in Rom – pompa funebris, pompa circensis und pompa triumphalis – von den Zuschauern auditiv als „differente zeremonielle Begängnisse“ wahrzunehmen, weil sie von ganz unterschiedlichen akustischen Signalen begleitet wurden. In diesem Zusammenhang ist auch an die von Ovid eingangs geschilderten Impressionen von den ludi Megalenses zu denken, die zu Ehren Kybeles in Rom eingeführt wurden: Das kultische Heulen (exululata, Ov. fast. 4,186) und die grelle Musik (181–184, 189 f.) erschienen dem Sprecher als ein nicht enden wollender Lärm (assiduo sono, 194) und verstörten ihn nachhaltig (190). In der älteren Darstellung bei Livius empfängt Scipio Nasica die Göttermutter bereits gemeinsam mit den römischen Matronen in Ostia. Er fährt der Gesandtschaft zu Schiff entgegen und erhält

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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beim Kybele-Festzyklus in Ovids eigener Zeit die canna intrat und lavatio mit Prozessionen begangen wurden, die auf dem Weg vom bzw. zum Almo durch die Porta Capena führten.250 Zugleich unterstreicht es Ovids Inszenierung des Geschehens als adventus, der nicht zuletzt dank seiner Situierung am Stadttor, und speziell an diesem Stadttor, an das Zeremoniell beim Empfang des Princeps erinnert: Durch die Porta Capena zogen nicht nur die aus dem Osten zurückkehrenden Magistrate in Rom ein.251 Man hatte dort im Jahr 19 v. Chr. auch den Empfang des Augustus vorbereitet, als dieser von einer drei Jahre währenden Reise nach Griechenland, Kleinasien und Syrien zurückkehrte.252 Anläßlich seiner glücklichen Ankunft hatte der Senat an der Porta Capena der Fortuna Redux einen Altar geweiht, den jeder zeitgenössische Rezipient Ovids kannte, da dort in Erinnerung an jenen Tag alljährlich die Augustalia mit einem Opfer begangen wurden.253 Die antiquarische Darstellung verweist damit auf den kaiserlichen adventus in Ovids eigener Zeit und auf die Bedeutung der Stadttore für das zeitgenössische Zeremoniell. Gegenstand des folgenden Abschnitts ist schließlich der kaiserliche Triumphzug, der nicht nur konzeptionell mit der Ankunft des Herrschers verbunden war, sondern auch in der performativen Ausgestaltung starke Parallelen zum kaiserlichen adventus aufwies. 11.4.3 Der Triumph und die Frage nach der Porta Triumphalis Die stadtrömischen Triumphzüge waren in republikanischer Zeit ein Ritual siegreicher Feldherren gewesen.254 Augustus monopolisierte sie für sich selbst und ausgewählte Familienmitglieder, so daß das Privileg, einen Triumph zu zelebrieren, im Untersuchungszeitraum nur mehr Angehörigen des Kaiserhauses vorbehalten war.255 Diese gestalteten ihre Triumphe als Demonstrationen einer universalen Herrschaft sowie ihrer dauerhaften und ubiquitären Sieghaftigkeit.256

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auf offenem Wasser von den Priestern den weitgereisten Kultstein überreicht. Anders als später bei Ovid finden der Weg von Ostia nach Rom und die Passage durchs Stadttor keine Erwähnung (Liv. XXIX 14). Zu den im März begangenen Kybele-Festivitäten in Rom siehe I 2015, 126 f. Siehe oben, 315. Augustus entzog sich der Ehrung jedoch, indem er die Stadt wie üblich des Nachts betrat, siehe im einzelnen L 1997, 141–143. Eine Liste der später nachweislich an der Porta Capena empfangenen Kaiser ebd., 143 f. Zum vor dem Stadttor für das adventus-Zeremoniell eingerichteten mutatorium Caesaris siehe oben, 318. Siehe Aug. Res Gestae 11. Zum Triumph in republikanischer Zeit siehe zuletzt etwa I 2005; B 2007; L 2017. Der Katalog bei I 2005 verzeichnet als letzten nicht-kaiserlichen Triumph den des L. Cornelius Balbus im Jahr 19 v. Chr. (Nr. 297). Zum Triumph im Prinzipat siehe in jüngerer Zeit vor allem B 2007 sowie die Beiträge in K/P/P 2008 und in G/ W 2017. H 2017, 307–311 bietet einen konzisen Überblick über die Triumphe der einzelnen Kaiser, wobei der Triumph als ein biographisches Initiationsritual interpretiert wird. Ebd., 310, vgl. auch B 2003, 551 f.

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Als ein wichtiges „Element im Repertoire der Selbstdarstellung des jeweiligen Herrschers“257 sind die kaiserlichen Triumphfeiern in Bild- und Schriftquellen vergleichsweise dicht dokumentiert, so daß die Bedeutung von Übergangsriten an Toren und Bögen bei einschlägigen Inszenierungen nachgewiesen werden kann. Dabei ist freilich nicht immer zweifelsfrei feststellbar, ob es sich um Stadttore im Sinn der vorliegenden Untersuchung handelte. Beginnen wir zunächst mit den Bilddarstellungen. Auf den Reliefs der Staatskunst sind Bogenmonumente immer in zeremoniellen Zusammenhängen dargestellt, das heißt in ihrer Funktion als Durchgang bei einer offiziellen Prozession oder als Kulisse eines Staatsakts.258 Dabei können die Bogenmonumente einen Stadteingang bezeichnen, wie es etwa auf einem stadtrömischen Relief der Fall ist, auf dem sich die Porta Trigemina identifizieren läßt.259 Die in den Reliefs dargestellten Umzüge sind entweder als Triumphzüge gekennzeichnet oder eng an entsprechende Konventionen angelehnt; sie zeigen Trompetenbläser, Soldaten, den Transport von Siegesbeute oder explizit den Kaiser im Triumphwagen. Die Darstellung von Kultszenen vor Bögen ist in diesem Zusammenhang anscheinend auf die Stationen zu beziehen, an denen im Verlauf der pompa triumphalis in Rom an einzelnen Stadttoren und Bögen Opfer dargebracht wurden.260 Dies waren idealtypisch261 als erstes die Porta Trigemina (das Stadtmauertor, dessen Landseite als Ausgangspunkt zumindest mancher Triumphzügen diente), weiterhin der Bogen des Circus Flaminius, die Porta Triumphalis, der Adventus-Bogen beim FortunaRedux-Tempel, dann der erst 2015 entdeckte Titusbogen am Scheitelpunkt des Circus Maximus, schließlich der zweite Titusbogen am Palatin und der Fornix Fabianus als Osteingang des Forums262 (zur Topographie siehe die Karte auf S. 8 f.). Schon die reine Auflistung zeigt deutlich die Bedeutung von Bogenmonumenten für die Gliederung des Prozessionsablaufs.263 257 258

259 260 261

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I 2017, 75. F 2005, 90 f. Die Verfasserin wertet unter anderem die Reliefs des Titusbogens oder der Trajanssäule in Rom aus, um nur zwei der prominentesten Monumente zu benennen. Vgl. auch die Analyse der Bogendarstellungen auf diesen Monumenten bei S 2009, 136–139. Einen Überblick über die Bildquellen zum Triumph bietet F 2004, 48 f. F 2005, 209. Ebd., 210. Konkret nachweisbar sind Opferhandlungen nur am Adventus-Bogen. Frühere Darstellungen wie K 1988, 14–29 gehen noch von der Existenz einer über Jahrhunderte verbindlich befolgten Triumphroute aus, so auch noch M 2008. Zur Variabilität von Route und Ablauf der kaiserlichen Triumphe siehe jedoch unten, 328. Die Wegstrecke konkreter Triumphzüge untersuchen zum Beispiel B 2007, 92–106 und S 2008. F 2005, 209 f. (ab dem vierten Jahrhundert kam zu den genannten Bögen nach dem Circus Maximus noch der Konstantinsbogen hinzu). Die Verfasserin führt als weiteres Stadtmauertor die Porta Carmentalis auf, deren Einbeziehung in die Route jedoch von der nachstehend diskutierten Frage abhängt, ob nicht die Porta Triumphalis selbst als Mauertor anzusprechen oder sogar mit einem Bogen der Porta Carmentalis zu identifizieren ist. Zur Bedeutung der stadtrömischen Bögen für Triumphprozessionen siehe ferner K 1988, 45–64; F 1994, 158. Vgl. analog die Bedeutung der Stadttore und Triumphbögen beim Triumphzug in Konstantinopel, dazu M 2000.

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Daß Prozessionen auf ihrem Zug in und durch die Stadt gleich mehrere solcher Bögen und damit verschiedene Schwellen passieren konnten, ist kein Spezifikum des Triumphs. In den vorangehenden Kapiteln wurde verschiedentlich darauf abgehoben, daß es entlang der Hauptstraßen in den Städten der Kaiserzeit eine Reihe von mehreren Torbauten und Bogenmonumenten geben konnte, welche die Straßen gliederten und einzelne außer- und innerstädtische Räume abgrenzten. Dabei fungierten jedoch insbesondere diejenigen Monumente, die den Stadteingang markierten, als sorgsam inszenierte Stationen des Prozessionswegs. Für den Triumph wird man am ehesten die Porta Triumphalis als zeremoniellen Stadteingang ansprechen, womit freilich eine Reihe von Problemen verbunden sind, die zunächst diskutiert werden müssen. Die Porta Triumphalis lag wohl im Bereich des nördlichen Forum Boarium zwischen Kapitol und Tiber und war von Siegesdenkmälern und Kultstatuen umgeben. Wie noch auszuführen sein wird, spielte sie bei den kaiserzeitlichen Triumphzügen eine Schlüsselrolle. Es ist indessen nach wie vor gänzlich ungeklärt, ob es sich dabei um ein Tor in der Stadtmauer handelte oder um einen freistehenden Bogen.264 Die häufiger anzutreffende Auffassung verbindet das Triumphtor zwar mit der Porta Carmentalis, einem alten Tor der servianischen Mauern zwischen Marsfeld und Kapitol, aber in dem Sinn, daß in historischer Zeit die Funktionen von Stadttor und Triumphtor voneinander getrennt worden seien, indem in der Nähe, dem geänderten Verlauf des Pomerium entsprechend, ein freistehendes Bogenmonument als neue Porta Triumphalis errichtet worden sei.265 Grundlegend für die Argumentation ist dabei die Bemühung, den (vermuteten) Verlauf des Pomerium mit der Situierung der Porta Triumphalis in Übereinstimmung zu bringen. Das Tor habe an dieser Stelle das Pomerium markiert: „Allein der Triumphator darf am Tage seiner Siegesfeier diese sakralrechtliche Grenze durch diesen Torgang überqueren, ohne sein im kriegerischen ‚Außen‘ (militiae) umfassend geltendes Imperium beim Übertritt in das zivile ‚Innen‘ (domi) der Stadt zu verlieren.“266 Berücksichtigt man jedoch den Umstand, daß die Vorstellung eines sakralrechtlich begründeten Gegensatzes zwischen imperium militiae und imperium domi so nicht haltbar ist267 und daß daher beim Triumph das Pomerium nicht als die entscheidende Stadtgrenze 264 265

266

267

Siehe einführend die Diskussion bei B 2007, 96–101 und die detaillierte Dokumentation der bisherigen Beiträge bei L 2017, 489 f. mit Anm. 10. Besonders prominent vertreten durch Filippo Coarelli, siehe etwa seine umfassende Diskussion der archäologischen und literarischen Quellen in C 1992, 363–414, wonach ursprünglich der rechte Durchgang der doppelbögigen Porta Carmentalis die Porta Triumphalis dargestellt hätte; vgl. ferner auch K 1988, 30–44. Kritisch dazu B 2007, 97–101; H 2008a; H 2008b. S 2008, 102; vgl. in diesem Sinn auch bereits K 1988, 36 f. und 40; C 1992, 385–387. M 2008, 76 f. stellt umgekehrt die These auf, daß der „merkwürdige Verlauf“ des unter Vespasian geänderten Pomeriums gerade dadurch zustande gekommen sei, daß man bei der Erweiterung des Stadtgebiets in Rücksicht auf die Funktion der Porta Triumphalis das mittlere Marsfeld aussparte. Siehe oben, 292 f.

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11 Das Tor als liminaler Ort

betrachtet wurde,268 besteht gar keine Notwendigkeit, die Porta Triumphalis als freistehenden Bau zu reklamieren.269 Die literarischen Erwähnungen sprechen in keiner Weise gegen die an sich naheliegende Annahme, daß die Porta Trimphalis ein Stadtmauertor war.270 Ein weiteres Indiz könnte die in diesem Zusammenhang diskutierte RenaissanceZeichnung eines verlorenen stadtrömischen Reliefs im Codex Coburgensis bieten, die ein mit Schilden, Helmen und Girlanden geschmücktes Tor zeigt (Abb. 11.3).271 Vorspringende Rundtürme, Schießscharten und Zinnen machen deutlich, daß es sich um die Feldansicht eines Stadtmauertors handelt. Wie die Reste zweier Blasinstrumente im Tordurchgang und vor dem linken Turm zeigen, zieht gerade eine Prozession in die Stadt hinein, die angesichts des Beuteschmucks am Tor wohl als Triumphzug anzusprechen ist.272 Im Bestreben, die Porta Triumphalis mit dem Pomerium zu verbinden, wurde eine Identifizierung mit dem hier abgebildeten Tor vielfach zurückgewiesen. So argumentiert etwa Künzl, „dann kann jedenfalls die porta triumphalis nicht dargestellt sein, weil sie mit der Vorverlegung des pomerium mitgewandert sein müßte.“273 Entfällt jedoch diese Voraussetzung, läßt sich die Porta Triumphalis überzeugend mit dem abgebildeten Stadtmauertor identifizieren.274 Auch wenn diese Frage letztlich offen bleiben muß, so ist unstrittig, daß die Porta Triumphalis als Schwelle im Sinne eines Stadteingangs betrachtet und bei Triumphzügen entsprechend in Szene gesetzt wurde. Die antiken Autoren verwenden in diesem Zusammenhang übereinstimmend formelhafte Wendungen wie in urbem inire, triumphans urbem intrare, transvehi oder εἴσοδος.275 Insofern ist das von Tonio Hölscher angewandte Verfahren, die Porta Triumphalis – ohne eine 268 269 270

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E 2021, 221 f. Bereits P 1980, 328 bezeichnet dies als einen „Zirkelschluß“. E 2021, 221 unter Verweis auf Cic. Pis. 55 und Jos. bell. Iud. 7,130. Die Angabe des Verfassers, es handle sich hier um die einzigen Erwähnungen der Porta Triumphalis, ist zwar irrig, doch auch die weiteren Belege (Tac. ann. I 8; Suet. Aug. 100,2; Cass. Dio LVI 42,1) sprechen nicht gegen die Auffassung der Porta Triumphalis als Mauertor. Codex Coburgensis fol. 88, siehe dazu P 1980; B/M 1995. Die Zeichnungen des Codex entstanden in den Jahren 1550 bis 1554. Eine kaiserzeiliche Datierung des Reliefs ist unsicher (vgl. P 1980, 330; K 1988, 41; ein klares Votum für eine solche Datierung dagegen bei B/M 1995, 107). Interpretation nach P 1990, 329–333. Horn und Trompete kamen auch bei anderen Umzügen vor, die aber keinen besonderen Bezug zu Stadttoren aufwiesen (ebd., 331, Anm. 27, vgl. auch K 1988, 40 f.). Abweichend von dieser Deutung sehen B/M 1995, 104 f. in der Fruchtgirlande einen Hinweis auf eine religiöse Prozession und wollen in dem Tor die Porta Trigemina erkennen (111 f.). K 1988, 41; dort heißt es weiter: „In diesem Falle stellt der Renaissancecodex zwar ein Stadttor in der – prinzipatszeitlich immer noch existierenden – republikanischen Stadtmauer dar, durch die gerade ein Triumphzug zieht, nicht aber die damals wohl schon verlegte porta triumphalis.“ Vgl. auch die ebenfalls auf das Pomerium bezogene Argumentation von B/ M 1995, 112 f. Im Detail vorgeführt bei P 1990. Diskussion und Belegstellen bei I 2005, 60–64; S 2008, 102 f.

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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Abbildung 11.3: Renaissance-Zeichnung eines verschollenen stadtrömischen Relieffragments. Im Vordergrund ist ein mit Schilden und Helmen geschmücktes Stadttor zu erkennen, das mit der Porta Triumphalis zu identifizieren sein könnte. Die Girlande und die Musikinstrumente (im Durchgang und vor dem linken Turm) verweisen darauf, daß gerade eine Prozession in die Stadt zieht.

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Diskussion ihrer Lage zu Mauer oder Pomerium – als den „Bereich des rituellen Eingangs des Triumphzuges“, den „Ort des Durchgangs“ und den „Eingang in die Stadt“ zu behandeln,276 so legitim wie praktikabel. Vor diesem Hintergrund soll nun danach gefragt werden, welche zeremoniellen Handlungen an dem Triumphtor durchgeführt wurden. Die mit Abstand instruktivste Quelle zur Frage nach der Verortung von Triumphritualen im kaiserzeitlichen Stadtbild Roms ist die Schilderung des flavischen Triumphs bei Josephus.277 Josephus zufolge wurden Vespasian und Titus bei ihrer gemeinsam zelebrierten Siegesfeier nach dem Jüdischen Krieg im Jahr 71 gleich nach Tagesanbruch durch Senat, Magistrate und Ritter an der Porticus der Octavia auf dem Marsfeld begrüßt, wo man ihnen vor den Kolonnaden eine Tribüne mit Sitzplätzen aus Elfenbein errichtet hatte. Nach stürmischer Beifallbekundung durch die Soldaten, gemeinsamen Gebeten und einer kurzen Rede des Kaisers zogen die Triumphatoren lorbeerbekränzt zur Porta Triumphalis, wo sie drei Handlungen ausführten: Sie nahmen Speisen zu sich, legten ihre Triumphgewänder an und opferten den am Tor ansässigen Gottheiten, ehe sie hindurchzogen.278 Da diese Ausgestaltung des Rituals keineswegs als allgemeingültig verstanden werden kann,279 ist hier schlicht eine Möglichkeit dokumentiert, wie ein kaiserlicher Zug durch die Porta Triumphalis inszeniert werden konnte: Der feierliche Weg des Kaisers und Prinzen zum Kapitol wird am Triumphtor unterbrochen. Hier nehmen sie zunächst etwas zu sich, wobei die Formulierung τροφῆς τε προαπογεύονται an ein öffentlich zelebriertes Kosten von bestimmten Speisen denken läßt.280 Erst am Tor kleiden sich Vespasian und Titus zeremoniell in die traditionellen Triumphgewänder. Die Opfer für die Gottheiten, deren Standbilder neben dem Tor errichtet waren, unterstreichen die Bedeutung der Passage durch das Tor, mit der die Flavier als neue Herrscherdynastie in Rom einziehen.281 276

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H 2017, 293.301, vgl. auch 294. Auch F 2004, 57 behandelt das Durchschreiten der Porta Triumphalis als das „Überschreiten der Stadtgrenze“ und einen Moment von großer Symbolkraft, ohne die Lokalisierung des Tors zu thematisieren. Jos. bell. Iud. 7,123–157; ausführlich dazu B 2003 und M 2017. Mit der methodischen Schwierigkeit, aus der Darstellung Informationen über eine vermeintlich verbindliche Triumphroute gewinnen zu wollen, setzt sich B 2007, 92–106 auseinander. Jos. bell. Iud. 7,124–131. Zur Variabilität gerade der kaiserlichen Triumphe, die durch die Herrscher sehr unterschiedlich akzentuiert wurden, siehe W/G/B 2017, 1–5.10–18 und G 2017; zur Variabilität der Triumphe allgemein F 1994, 153.156. Zur fehlenden Verallgemeinerbarkeit des Berichts bei Josephus siehe B 2007, 100 f. Gegen B 2007, 258, die hier einen hastig eingenommenen Imbiß annimmt („Vespasian and Titus had a bite to eat, privately“); ähnlich M 2017, 156 („while they themselves repair to the porta triumphalis for refreshment“). Der Charakter der sorgfältig orchestrierten Feierlichkeiten spricht meines Erachtens klar dagegen, daß die Triumphatoren unmittelbar vor den Opfern am Tor „unauffällig“, das heißt außerhalb des Protokolls, eine Kleinigkeit zu sich nehmen. Das Wort προαπογεύοµαι ist Hapaxlegomenon (LSJ, S. 1468, s. v. προαπογεύοµαι). Vespasian und Titus als siegreiche Feldherren zogen im Triumphwagen ein, während der zweite Prinz, Domitian, zu Fuß ging. Vgl. B 2003, 552: Der Triumph des Jahres 71 markierte den Wandel von erfolgreichen Usurpatoren zu einer etablierten Herrscherfamilie.

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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Das Spektakel eines Triumphzugs, der mit bunter Exotik und verschwenderischer Fülle aufwartete,282 rief starke Emotionen hervor und blieb den Menschen damit in Erinnerung.283 So, wie sich die Feier eines Triumphs durch neu errichtete Siegesmonumente in die reale Topographie der Stadt einschrieb, prägte sie auch dauerhaft das Selbstverständnis der Bevölkerung: „After the last trumpet had sounded, residents found their understanding of the city’s topography and history once more strengthened. They carried home a sense of security tangibly evidenced by the active presence of their impressive army and by the manifest power of the place where they lived.“284 Gegenüber den anderen Toren und Bögen Roms war die Porta Triumphalis auf diese Weise exklusiv mit ganz spezifischen Gefühlen und Assoziationen verbunden. Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, daß dieses Tor normalerweise verschlossen war285 und zu keinem anderen Zweck benutzt werden durfte als im Zuge der pompa triumphalis,286 so daß keinerlei Alltagsrealität mit dem symbolträchtigen Tor verknüpft war. 11.4.4 Ergebnisse Als Anlässe für rituelle Handlungen und Inszenierungen am Stadttor wurden neben städtischen Festen der kaiserliche Advent und Triumph besprochen. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sich im Zuge von Prozessionen und Empfangszeremonien ein bedeutender Teil der Stadtbevölkerung am Tor versammelte oder es durchzog. Neben der städtischen Führungsschicht und den Priestern war auch die Bürgerschaft repräsentativ vertreten, wobei einzelne Gruppen wie die Epheben in Ephesos besondere Rollen übernehmen konnten. Die Stadt präsentierte sich zu diesen Anlässen als politische und sakrale Gemeinschaft.287 Dabei machte es für das Erlebnis des einzelnen gewiß einen großen Unterschied, ob er oder sie selbst Teil der Festprozession war, die in die Stadt einzog, oder aber einen Triumphzug lediglich vom Straßenrand oder dem Ehrensitz im Theater aus betrachtete. Insofern lag der aus performativer Sicht entscheidende Unterschied zwischen kaiserlichem Einzug und Triumph im unterschiedlichen Grad der Partizipation und Aktivität der Bürge282

283 284 285 286

287

Vgl. etwa den Triumph des Tiberius im Jahr 12 n. Chr., den Ovid später in seinen Briefen aus der Verbannung imaginiert und dabei auf die reiche Beute, die gefesselten Barbaren sowie die im Zug mitgeführten Bilder dramatischer Kampfgeschehen, fremder Landschaften und Städte eingeht (Ov. Pont. II 1,21–44, siehe dazu S-S 2008). H 2017, 298. F 1994, 160. Siehe etwa ebd., 157. Aus diesem Grund erregte der nach dem Tod des Augustus im Senat diskutierte Antrag, den Leichenzug des Verstorbenen durch die Porta Triumphalis zu führen, so großes Aufsehen (Tac. ann. I 8; Suet. Aug. 100,2; Cass. Dio LVI 42,1). Vgl. L 2009, 18.

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11 Das Tor als liminaler Ort

rinnen und Bürger. Während die Vertreter der Stadt dem einziehenden Herrscher die Tore öffneten, ihm entgegengingen, ihn begrüßten und über die Schwelle des Stadttors begleiteten, waren beim Triumphzug Kaiser und Heer die einzigen Akteure – der Part der Bevölkerung beschränkte sich auf Beifallsbekundungen.288 Die besondere zeremonielle Rolle des Stadttors liegt dabei nicht allein in dessen liminaler Qualität, sondern ist bereits durch die urbanistische Konstellation vorgezeichnet, innerhalb welcher die Durchgänge des Tors den Verkehrsfluß verlangsamten und somit einen natürlichen Haltepunkt für jede große Personengruppe darstellten, seien es die Teilnehmer einer Festprozession oder der Kaiser mit seinem Gefolge. Während etwa das Marsfeld in Rom auch großen Personenansammlungen freie Bewegung ermöglichte, mußte sich ein Prozessionszug für den Weg durch die Theater und in die Stadt in geordneter Weise formen:289 Eine amorphe Menge wurde zu einer kontrollierten Reihe.290 Wenn die urbanistische Gestaltung des Stadteingangs somit gewisse Benutzungsmodalitäten vorgab, so konnte sie ihrerseits Resultat einer zeremoniellen Konzeptionierung sein. Die Architektur des Stadteingangs wurde unter Umständen bereits in der Planung auf die Bedürfnisse und Erfordernisse feierlicher Einzugssituationen hin abgestimmt.291 So dokumentieren die reich gestalteten Feldseiten der kaiserzeitlichen Stadttore, daß diese als festliche Eingangstore konzipiert waren.292 Die Umgestaltung des Stadteingangs in Perge293 und die Einrichtung von Baldachinhaltern vor dem Haupttor in Ephesos294 sind Beispiele, bei denen entsprechende Absichten der Stadtplaner sehr deutlich werden. In Konstantinopel war die städtische Struktur sogar insgesamt Ergebnis einer kaiserlichen Planung von Prozessionsrouten, die eine Benutzung der Stadt für Umzüge und Paraden nahelegte.295 Anlaßbezogen wurden die Stadttore bei Prozessionen verschiedenster Art als Übergangsort in Szene gesetzt. Im Vorfeld der Feierlichkeiten konnte das Stadttor mit Girlanden geschmückt oder anderweitig in die Festvorbereitungen einbezogen werden, wie es bei der Neujahrsprozession in Milet der Fall war, zu deren Vorbereitung ein heiliger Grenzstein am Stadttor aufgestellt, bekränzt und mit Wein übergossen wurde. Am Festtag selbst konnte bereits das Öffnen eines zuvor geschlossenen Tors als hochsymbolischer Akt zelebriert werden. Die Begrüßung 288 289 290 291 292 293 294 295

Nichtsdestoweniger konnten beide Zeremonielle in der Praxis miteinander verbunden oder vermischt werden, wie mit Bezug auf die spätantike Entwicklung bereits konstatiert wurde. Zu den Bewegungsmöglichkeiten auf dem Marsfeld im Vergleich zu den städtischen Straßen siehe F 1994, 153 f. Ebd., 154. Vgl. dazu L 2009, die analoge Fälle aus Städten des Mittelalters und der Frühneuzeit diskutiert. M 2010, 31. Siehe unten, 343–345. Siehe oben, 314. B 2001, 44. In seinem Beitrag zeigt Bauer detailliert auf, wie die kaiserlichen Prunkmonumente die Prozessionswege im spätantiken Konstantinopel präfigurierten.

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11.4 Inszenierter Übergang: Rituale am Stadttor

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ankommender Gäste fand in der Regel vor dem Stadttor statt, so daß sich die Stadtbevölkerung im Zuge der Feierlichkeiten zunächst aus der Stadt heraus und dann – im Gefolge der eintretenden Persönlichkeit oder Gottheit – wiederum stadtwärts durch das Tor hineinbewegte. Der Wechsel der Fortbewegungsart, das Anlegen neuer Kleidung, die rituelle Übergabe von Kultgegenständen oder Gesänge, Gebete und Opferhandlungen direkt vor dem Tor brachten den Prozessionszug zum Stehen und konnten den Übergang performativ akzentuieren. Solche Anlässe gingen in das städtische Gedächtnis ein. Die festlichen Momente – außergewöhnliche wie wiederkehrende –, die sich an einem Stadttor über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg abgespielt hatten, verliehen dem Tor seine eigene Geschichte,296 waren durch Erinnerungsmonumente in seine direkte Umgebung eingeschrieben297 und konnten es für nachfolgende Generationen sogar zum Objekt touristischen Interesses machen.298 Dies läßt sich etwa am Beispiel der Porta Capena in Rom zeigen, die von Tempeln, Altären und Siegesmonumenten umgeben war und damit jeden Passanten an die glanzvollen Anlässe erinnerte, die mit Prozessionen durch dieses Tor begangen worden waren. Ein historisch einschneidendes Ereignis wie der adventus des Augustus im Jahr 19 v. Chr. an ebendiesem Ort wurde durch die Opfer am Tag der glücklichen Rückkehr des Princeps Jahr für Jahr wieder an der Porta Capena zelebriert und erinnert. Auch in den Provinzen konnte der Tag eines kaiserlichen Besuchs in den Kalender aufgenommen und mit Memorialfeiern begangen werden.299 Die performative Einbindung des Stadttors in wichtige Festumzüge weist es innerhalb der städtischen Topographie als einen Ort von hoher symbolischer Qualität aus.300 Das symbolische Potential des Stadttors ist Ausgangspunkt des folgenden Kapitels.

296 297 298 299 300

Vgl. epochenübergreifend G 2006a, 14. Vgl. etwa H 2017, 293 f. Siehe M/L/B 2016, 138. Beispiele dafür bieten die bei Pausanias besprochenen Stadttore der griechischen Zeit, siehe oben, 97–103. Beispiele bei B 1950, 116. In Anlehnung an S 2009, 41.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation Den Umstand, daß ein Stadttor – mit oder ohne Mauern – symbolisch für die Stadt als ganze stehen konnte, bringt die römische Bildersprache deutlich zum Ausdruck: Bei der Darstellung von Städten in der Außenperspektive nehmen Mauern und insbesondere die Tore häufig eine dominante Stellung ein.1 Beispiele bieten die Graffitozeichnung aus Dura Europos, in der die Stadt gänzlich hinter ihren Mauern verschwindet (Abb. ganz vorne, S. v), oder – in spätantiker Zeit – das Kartenmosaik aus Madaba, etwa mit der Darstellung der Stadt Jericho, bei der nur einige Dächer über Mauern und Tore hinauslugen (Abb. 12.1 auf S. 334).2 Die Stadttore mit den flankierenden Türmen sind auf beiden Bildern besonders hervorgehoben. Auch Münzdarstellungen von Städten arbeiten häufig mit einer Verkürzung auf die Abbildung eines Stadttors und gegebenenfalls der Mauern.3 In solchen Darstellungskonventionen schlägt sich die elementare Bedeutung der Befestigung als Identifikationsobjekt für eine Stadt nieder.4 Die Tore als Übergangsorte nahmen dabei eine hervorgehobene Stellung ein. Nicht umsonst bedeutete „eine Stadt kennen“, daß man wußte, welches Tor sich in welche Richtung öffnete.5 Dieses Kapitel untersucht jedoch nicht die immanente Zeichenhaftigkeit des Stadttors, unabhängig von Ort und Zeit seiner Errichtung,6 sondern fragt nach den Aussagen, die sich aus den Gestaltungselementen des konkreten einzelnen Bauwerks ableiten lassen.7 Mein Interesse gilt dabei einem spezifischen Teilaspekt: der Frage, inwiefern Stadttore dazu benutzt wurden, das Selbstverständnis einer Stadt beziehungsweise ihrer führenden Familien zum Ausdruck zu bringen und 1 2

3 4 5 6 7

Vgl. dazu auch S 2017, 72–77. Einführend zum Mosaik von Madaba D 1992. Das verzögerte Erscheinen des seit 1967 angekündigten Kommentars zur archäologischen Dokumentation von D/C 1977 wurde seinerzeit entschuldigt unter Verweis auf den „Gestaltwandel der deutschen Universitäten seit 1968“, welcher „Lust und Fähigkeit zu kontinuierlicher wissenschaftlicher Arbeit nicht gefördert hat“ (ebd., VII). Anscheinend ist der Band bis heute nicht erschienen, was die jüngere Entwicklung der deutschen Universitäten in keinem guten Licht erscheinen läßt. Freilich wurde schon das Vorgängerprojekt von Hermann Guthe und Peter Palmer, ein Tafelband aus dem Jahr 1906, nie durch den noch für dasselbe Jahr angekündigten Textteil vervollständigt. Vgl. etwa, als beliebiges Beispiel, die augusteische Münze RIC I2 9B, die den Mauerring samt einem zweibogigen Stadttor abbildet. M/L/B 2016, 128 (eine Liste weiterer Stadttordarstellungen ebd., 158). Siehe auch meine Überlegungen zur Bedeutung von Stadtmauern für die Identität als Stadt oben, 47 f. Lib. Or. 4,13: οἶδα [. . . ] τῶν πυλῶν ἑκάστη ποῖ φέρει. Dies wäre ein sehr weites Feld; siehe dazu B-E 2016, vor allem 285 f., und M/ L/B 2016, 131–138. Zur Methodik, mit der sich der symbolische Gehalt von Befestigungsanlagen bestimmen läßt, siehe grundlegend M/L/B 2016. Vgl. auch L/S 2010, 285, sowie, speziell auf Stadttore bezogen, bereits B 1988, 76.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Abbildung 12.1: Detailansicht eines Mosaiks aus Madaba (Jordanien) mit der topographischen Darstellung biblischer Stätten, Mitte des sechsten Jahrhunderts. In dem hier abgebildeten Ausschnitt ist in frontaler Ansicht eine Stadt gezeigt, die durch die Beischrift als Jericho benannt wird. Die Gebäude im Inneren der Stadt sind nur durch einige Dächer angedeutet. Das Bild wird beherrscht durch die Außenansicht der Mauern mit vier Türmen und zwei weiß hervorgehobenen Stadttoren.

deren Ansprüche, Werte und Leistungen zu repräsentieren.8 Repräsentation wird hier als der Versuch verstanden, nach außen ein Bild von sich zu vermitteln, das aber nicht notwendigerweise der Realität entspricht oder dem Bild, das der Darstellende von sich selbst hat.9 Der Darstellende wäre in unserem Fall die städtische Elite, der die Entscheidungsträger über die Stadtplanung ebenso angehörten wie einzelne Euergeten. Eine repräsentative Bedeutung konnte allen Aspekten des Bauwerks zukommen, darunter subtilen Feinheiten der Form und Bearbeitung, etwa einer ungewöhnlichen Oberflächenbehandlung, der Benutzung besonders qualitätvollen Materials, dem bewußten Einsatz von unüblichen Mauerwerksformen oder der Ausgestaltung mit Bauornamentik, aber auch ostentativ eingesetzten Elementen wie der Verwendung kostbarer Spolien als Torschwelle, dem Vorhandensein von Torflügeln, einer überdimensionierten Ausführung des Tordurchgangs, der Bewehrung mit seitlichen Türmen, der Anbringung von Inschriften oder der bildlichen Darstellung von Gottheiten, Personen, Tieren oder Gegenständen.10 Dabei läßt sich der 8 9 10

Vgl. dazu M/L/B 2016, 137. Nach R 2010, 143. Vgl. B 1988, 41.76, K 1999, 238–240, sowie den Katalog bei M/L/B 2016, 150–158. Das in der islamischen Welt gebräuchliche Einbauen der Torflügel aus eroberten

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12.1 Die Repräsentation der Stadt

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semantische Gehalt eines Stadttors selbstredend nicht anhand einer Interpretation nur von Architektur und Dekor des Bauwerks bestimmen. Auch seine Funktionen im städtischen Alltag und bei festlichen Anlässen flossen in die Bedeutung ein, die dem Stadttor zukam. Dies gilt ebenso für seine urbanistische Einbettung, beispielsweise für die Errichtung von Erinnerungsbauten oder Heiligtümern in seiner Nähe, und insbesondere für die etwaige Einbindung des Tors in eine Ringmauer. Auch die Entscheidung, der bestehenden Mauer einen weiteren Torbogen vorzublenden, hatte dezidiert programmatischen Charakter.11 Eine entsprechende Einzelanalyse von Fallbeispielen kann und soll freilich im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Vielmehr werden die Ergebnisse von archäologischen Untersuchungen, die zu zahlreichen kaiserzeitlichen Stadttoren vorliegen, als Ausgangspunkt für eine systematisierende Betrachtung genutzt, die sich für die kulturgeschichtliche Bedeutung von Repräsentation am Stadttor interessiert. Dabei geht es in den einzelnen Unterkapiteln um drei miteinander verschränkte Gesichtspunkte: die Repräsentation der Stadt insgesamt (12.1), die Repräsentation führender Familien (12.2) und die (Re-)Präsentation des Kaisers (12.3). 12.1 Die Repräsentation der Stadt Die Bedeutung eines Gemeinwesens wurde bereits am Stadttor zur Schau gestellt,12 an dem Ort, an welchem die Stadt betreten wurde und an dem sie sich den eigenen Einwohnern, der Umlandbevölkerung und fremden Gästen präsentierte. Schon aus großer Entfernung wahrnehmbar, war das Tor als Wegmarke über eine weite Strecke im Blickfeld der Ankommenden präsent und konnte von ihnen beim Näherkommen genauer und schließlich aus allernächster Nähe betrachtet und beim Passieren auch in seiner räumlichen Dimension erlebt werden.13 Das Stadttor stellt insofern eine prominent am Stadteingang plazierte potentielle »Werbefläche« dar, die in vielen Fällen höchst aufwendig und sorgfältig geplant, ausgeführt, instandgehalten und immer wieder umgestaltet wurde. So schreibt Wolfram Martini in bezug auf das augusteische Südtor der Stadt Perge in Pamphylien:

11 12 13

Städten in ein Tor der eigenen Stadt (K 1999, 238) scheint bei den Römern noch nicht praktiziert worden zu sein. Erst Nikephoros Phokas brachte im Jahr 965 die Bronzetore der unterworfenen kilikischen Städte Tarsos und Mopsouhestia mit nach Konstantinopel, um sie an den Akropolismauern und am Goldenen Tor zu installieren (zu diesem Vorgang M 2000, 186). Zu diesem Aspekt siehe K-B 1996, 128. Vgl. M 2010, 31; R 2022, 17. Vgl. meine Überlegungen zu den verschiedenen Phasen, in denen das Stadttor bei der Ankunft wahrgenommen wurde, oben 287–291. Auch L/S 2010, 287, weisen darauf hin, daß Toranlagen dazu prädestiniert sind, „als Medien bauherrlicher Repräsentation zu dienen“, weil sie durchschritten werden.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

„Das neue Perge [. . . ] sollte das Bild einer mächtigen und prächtigen Stadt bieten. Dem entspricht auch die Schmuckhaftigkeit der Rundtürme [des Stadttors] mit der dekorativen Gliederung des obersten Geschosses mit Pilastern, Fenstern, Rundschilden und abschließendem dorischen Fries. Die großen [. . . ] Fenster [. . . ] unterstreichen den festlichen Charakter dieser Architektur, die in ihrem unteren Bereich durch die Bossierung und die schmalen Schießscharten Wehrhaftigkeit, im oberen Bereich hingegen durch die Öffnung und den Dekor eine geradezu einladende Freundlichkeit ausstrahlt.“14 Der rein ästhetische Wert, der einem Stadttor beigemessen wurde, sollte demnach nicht zu gering veranschlagt werden.15 Wertigkeit, Prunk und kostbare Details gewannen im ersten Jahrhundert gegenüber der früheren fortifikatorisch-funktionalen Gestaltung von Stadttoren an Gewicht.16 Zugunsten eines möglichst repräsentativen Erscheinungsbildes wurde in der Regel sogar billigend in Kauf genommen, daß der Wehrcharakter einer bereits vorhandenen Stadtmauer durch den Einbau von unverschließbaren Bogenmonumenten deutlich herabgesetzt wurde. Besonders augenfällig wird dies bei einer Baumaßnahme in Occilis (Medinaceli) in der Hispania Tarraconensis. Dort wurde die bereits vorhandene Stadtmauer aufgebrochen, um ein prachtvolles dreitoriges Bogenmonument einzufügen. Direkt an der Böschungskante des Stadthügels gelegen, war es – anders als das weiter westlich gelegene ältere Mauertor – von fernhin zu sehen.17 Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, präziser zu fassen, welches Bild der Stadt und welche Leistungen der städtischen Führungsschicht in der Gestaltung der Stadttore zum Ausdruck gebracht wurden. Dabei können in aller Kürze einige allgemeine Tendenzen aufgezeigt werden, ohne an dieser Stelle näher ins Detail zu gehen und ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben (welcher der Sache nach zum Scheitern verurteilt wäre). Aus den vielen denkbaren Aussagen, mit denen Städte sich in einzelnen Fällen präsentierten, werden als charakteristisch und weit verbreitet die folgenden Punkte herausgegriffen: erstens die Manifestation von Macht, Autorität und wirtschaftlicher Potenz in der Gestaltung von Stadttoren, zweitens ihre Benutzung zum Ausdruck von dignitas, urbanitas und romanitas, und schließlich drittens die Implikationen ihrer Ausgestaltung als Erinnerungsort.

14

15 16 17

M 2016, 227. Martinis Datierung des Stadttors in Perge als augusteisch widerspricht der älteren Forschungsmeinung, es handle sich bei dem Tor in Perge um einen sehr viel früheren, hellenistischen Bau. Vgl. in bezug auf die zeitgenössische Wertschätzung ästhetisch gestalteter Stadtbefestigungen allgemein Z 1997, 324. V H 1994, 255. Vgl. dazu etwa die bei P 2017, 37 f. besprochenen Beispiele. P 1990, 88 mit Abb. 24 und Tafel 5c.

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12.1 Die Repräsentation der Stadt

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12.1.1 Eine Manifestation von Macht Wir haben bereits gesehen, daß Stadttore Lenkung, Regulierung und Kontrolle von Mobilität und damit die Ausübung von Macht ermöglichten: Zollposten oder Beneficiarierstationen am Stadteingang vertraten mit ihrem Personal die Autorität Roms, vom Magistrat bestelltes Sicherheitspersonal die Interessen der Stadt.18 Auch baulich konnten an den Toren Machtverhältnisse dargestellt oder in eine bestimmte Richtung akzentuiert werden. Am augenfälligsten war dies in all jenen Fällen, in denen die Tore in einen Mauerring integriert waren – sie hatten solcherart automatisch Anteil am Status der Mauern als Symbol von Wehrhaftigkeit und Souveränität.19 So erörtert Werner Eck in bezug auf die Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln), die Mitte des ersten Jahrhunderts gegründet wurde, wie deren „eindrucksvolle Ummauerung“ auf diejenigen wirken mußte, die sich auf dem Rhein oder einer der großen Fernverkehrsstraßen der Stadt näherten.20 Die Mauern verkörperten die Macht Roms, so Eck, und demonstrierten die Ohnmacht der Germanen.21 „Nach außen repräsentierte die Mauer mit ihren Toren und Türmen die Wehrkraft der Kolonie, aber auch Roms. Bauten solcher Größe hatte man bisher in Germanien nicht gesehen. Sie sollten natürlich auf diejenigen Eindruck machen, die jenseits des Stromes wohnten und noch nicht ein Teil des Reiches geworden waren.“22 Dies gilt mutatis mutandis auch fernab der Reichsgrenzen, wo eine Stadtmauer die Autorität der Eliten gegenüber dem Umland und seinen Bewohnern demonstrierte und als Symbol städtischer Überlegenheit und Kontrolle der ländlichen Bevölkerung gelesen werden konnte.23 Die Wehrhaftigkeit und Stärke wurde auch in einzelnen baulichen Elementen des Stadttors selbst zum Ausdruck gebracht.24 Dies konnte beispielsweise durch seitliche Rundtürme geschehen, die als Verweis auf die entsprechende Befestigungsarchitektur sogar bei freistehenden Bogenmonumenten angefügt wurden,25 durch bossiert belassene Oberflächen, die den robusten Charakter des Bauwerks unter18

19 20 21 22 23

24 25

Oben, Kapitel 6 und 7. Siehe ferner N 2010, 239: „Die Kontrolle der Stadttore bedeutet Macht, und wer sie ausübt, stellt sich hierarchisch über diejenigen, die dieser Kontrolle unterworfen sind.“ Zur Stadtmauer als Symbol der Stärke und Autonomie einer Stadt siehe oben, 47 f. E 2004, 355. Die Länge der Kölner Stadtmauer beläuft sich auf 3 911 Meter (ebd., 356). Ebd., 177. Ebd. Ich greife damit Überlegungen auf, die Nicholas Purcell bei der Tagung „Muros et Moenia. City Walls, Urban Boundaries, and the Articulation of the City in the First Millennium CE“ am 30. Oktober 2020 in Utrecht vorgestellt hat. Vgl. auch B 1988, 42. Vgl. zum Beispiel das Osttor von Tyros (dazu oben, 161).

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Abbildung 12.2: Der Bogen von Orange (Frankreich), Anfang des ersten Jahrhunderts (die zweite Attika ist eine Ergänzung des zweiten Jahrhunderts). Nahezu die gesamte Oberfläche des Bogens, der vor dem älteren Mauertor programmatisch den Eingang von Arausio bezeichnete, war mit Reliefbildern geschmückt. Die hier abgebildete Feldseite zeigt Waffen, Tropaia und im oberen Attikafries eine Schlacht gegen die Kelten.

strichen,26 und schließlich nicht zuletzt in Bildprogrammen, die auf kriegerische Ereignisse der jüngeren Vergangenheit verwiesen (Abb. 12.2).27 Dabei war vor allem die Bildsprache des ersten Jahrhunderts mit Darstellungen der Victoria oder Pax, von Waffen und Siegeszeichen bevorzugt dem politischen Bereich und seinen Wertkategorien entlehnt.28 Eng mit dem Anspruch auf politische Macht verbunden war die wirtschaftliche Potenz der Gemeinschaft, die sich in Größe und Ausstattung der Stadttore ausdrücken konnte. Gerade die im zweiten Jahrhundert sehr verbreiteten Eroten-, Weinranken- und Meereswesenmotive im Dekor der Monumente können als Chiffren für Fülle, Glückseligkeit und individuelles Wohlergehen gedeutet werden.29 Mit einem solcherart geschmückten Eingangstor präsentierte sich die Stadt „als

26 27 28 29

Vgl. die Porta Nigra in Trier (dazu oben, 130). Zum abgebildeten Bogen der narbonensischen Stadt Arausio (Orange) siehe K-B 1996, 86–109 mit ausführlicher Diskussion der strittigen Befunde. Siehe  H 1992, 296–299. K-B 1996, 155–158. Zum Aufkommen variantenreicher, auch mythologischer Themen an den Bögen des zweiten Jahrhunderts siehe ferner  H 1992, 296–299.

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12.1 Die Repräsentation der Stadt

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reiche Wirtschaftsmetropole, die ihren Bewohnern Wohlstand und ein sorgenfreies Leben“ versprach.30 Dabei konkurrierten die Bogenmonumente an den Eingängen benachbarter Städte miteinander, etwa was ihre Dimensionierung, die Zahl der Durchgänge, die repräsentative Ausstattung mit Bauschmuck, den Durchmesser der Türme und anderes betraf, und stellten insofern „ein an Finanzkraft und Bedeutung orientiertes Prestigeobjekt dar“.31 Der in der Kaiserzeit weit verbreitete Wettbewerb benachbarter Städte fand somit auch in der Gestaltung von Stadttoren ein reiches Betätigungsfeld. 12.1.2 Das Stadttor als Ausdruck von dignitas, urbanitas und romanitas Die Gestaltung des Stadteingangs zielte bewußt darauf ab, einen guten Eindruck auf die Besucherinnen und Besucher der Stadt zu machen. Diesen Wunsch läßt eine Inschrift aus Caesarea Mauretania explizit erkennen. Die am Stadttor32 angebrachte Inschrift informierte über eine kürzlich erfolgte Baumaßnahme zur Verschönerung der Zugangsstraße: Diese war neu gepflastert und damit wieder in einen dem Glanz der Stadt „würdigen und angemessenen“ Zustand (dignam congruentemque) versetzt worden.33 Die Vokabel dignitas beschreibt für mein Dafürhalten sehr gut einen zentralen Wert, der in der Ausgestaltung der kaiserzeitlichen Stadttore zum Ausdruck gebracht werden sollte.34 Würde und Rang einer Stadt manifestierten sich zuallererst in ihren Toren (und gegebenenfalls den Mauern).35 Weitere Repräsentationsaussagen lassen sich unter dem Stichwort urbanitas fassen: Stadttore brachten im Wortsinn den Stadtcharakter einer Siedlung zum Ausdruck und zeigten darüber hinaus den städtisch-gehobenen Lebensstandard ihrer Bevölkerung an.36 Die Zuschreibung von urbanitas konnte, genau wie das Bemühen um dignitas, sehr explizit ausgedrückt werden, wie Pierre Gros anhand von Barbarendarstellungen an Stadttoren in den westlichen Provinzen herausarbeitet. Er bezieht sich hier unter anderem auf die Reliefdarstellungen des Bogens von Glanum in der Gallia Narbonensis aus dem frühen ersten Jahrhundert. Dort ist feldseitig neben dem Durchgang ein gefesselter keltischer Barbar im Doppelrelief einem Gallo-Römer gegenübergestellt, welcher sein traditionelles sagum wie eine 30 31 32 33

34 35 36

K-B 1996, 157. K 1996, 184 (in bezug auf die orientalischen Provinzen), vgl. übereinstimmend KB 1996, 127.179 (in bezug auf die Gallia Narbonensis). Ich beziehe mich auf das monumentale Bogentor, das stadtseitig in 30 Meter Entfernung hinter das ältere Mauertor gesetzt worden war. CIL VIII pars 2, 10979 = CIL VIII Suppl. 3, 20982 = ILS 5376, Z. 8–11: lapides stratam | [d]ignam congruentemque | [s]plendori patriae suae | reddiderunt. Die Inschrift entstand zwischen 201 und 204. Vgl. M 2016, 229. Vgl. auch E 2004, 355 und P 2017, 41. Vgl. etwa den Eintrag im OLD, S. 2105, s. v. urbanitas: „1 The qualities typical of a city-dweller [. . . ]. 2 Refinement or polish or style, esp. as marked by elegance, good taste, brevity, etc.“

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Abbildung 12.3: Gefangenenrelief am Bogen von Glanum (Frankreich), Anfang des ersten Jahrhunderts. Das feldseitig links des Torbogens angebrachte Relief zeigt zwei Personen im traditionellen Fransenmantel (sagum) der Gallier. Der große Gallier rechts ist gefesselt; der linke, der sein sagum wie eine Toga drapiert hat, legt ihm die Hand auf die Schulter. Pierre Gros deutet diese Geste überzeugend als Einladung, an den Vorteilen der römischen Zivilisation teilzuhaben.

Toga trägt und so die urbanitas der einheimischen Elite ins Bild setzt (Abb. 12.3).37 Das gesamte Bildprogramm des Bogens von Glanum mit palmzweigtragenden Victorien und einer üppigen Fruchtgirlande war darauf angelegt, dem Reisenden, der die Stadt durch dieses Tor betrat, die Errungenschaften der römischen Zivilsation vor Augen zu führen. Das Monument war „gleichsam ein Aushängeschild der urbanen Qualitäten der Stadt Glanum und betonte ihre Bedeutung als Zentrum römischer Kultur.“38 Waren die Tore und Bögen am Eingang der augusteischen Städte des Westens ein Sinnbild für die neu gewonnene städtische Qualität der Siedlungen,39 so konnten sie im Osten des Reichs als „die Zeichen einer neuen Lebensqualität auf der Höhe

37

38 39

G 1996, 67–69, zur urbanitas der Figur 69. Eine ausführliche Analyse und Interpretation des Bogens von Glanum bietet bereits seine frühere Studie G 1981. Siehe ferner K-B 1996, 77–85; zur Deutung der Gefangenenreliefs, in der sie dem Ansatz von Gros folgt, 81–85. Ebd., 84, Zitat 85. Zu einem analogen Ergebnis kommt P 2017, 41 in bezug auf italische Beispiele. In diesem Sinn auch K 1996, 163.184.

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12.1 Die Repräsentation der Stadt

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der Zeit“ verstanden werden und den Willen ausdrücken, mit den vom Westen ausgehenden qualitativen Veränderungen des Stadtbildes Schritt zu halten.40 Zugleich brachte das Zitat italischer Torarchitektur romanitas und somit die kulturelle Zugehörigkeit zum Römischen Reich prägnant zum Ausdruck.41 Das Bogenmonument am Stadteingang war insofern ein leicht adaptierbares Medium der Romanisierung,42 wie sowohl in bezug auf westliche als auch auf östliche Provinzen gezeigt worden ist.43 Margaret Woodhull führt zusammenfassend aus: „By the early empire, it [sc. das Bogenmonument] became a quintessentially Roman design and had spread to towns across the empire as a marker of a city’s Romanization. To build one was to make claims about a city’s or patron’s romanitas.“44 Wenn man an dieser Stelle einmal die Perspektive wechselt und statt der Repräsentationsansprüche der Planer die Wahrnehmung eines typischen Bogenmonuments am Stadteingang durch die möglichen Rezipienten bedenkt, dann darf angesichts der ubiquitären Verbreitung im Reich angenommen werden, daß auch ein wenig gebildeter reisender Zeitgenosse das Tor als Chiffre für urbanitas und romanitas begreifen konnte. Führt man sich etwa vor Augen, wie sich der Weg durch eine wilde Gebirgslandschaft wie das anatolische Taurosgebirge45 gestalten mochte, so mußte ein Bogenmonument, das auf die nahe Hauptstadt hinwies,46 für jeden Reisenden ein erfreuliches Anzeichen nahender zivilisatorischer Annehmlichkeiten und vertrauter Standards der römischen Stadtkultur sein. Dies galt analog für die Bogenmonumente auf Hafenmolen,47 die die einfahrenden Schiffe und ihre Passagiere nach einer strapaziösen Reise wieder an Land begrüßten (Abb. 12.4 auf S. 342). Dekor, Bilder und Inschriften waren erst beim Näherkommen zu erkennen, doch bereits die charakteristische Form des alleinstehenden Bogens, der die Straße überspannte oder am äußersten Punkt der Mole den Weg in die Stadt eröffnete, genügte als erster Hinweis zum Verständnis dessen, was das Bauwerk aussagen sollte.

40 41 42 43

44 45 46 47

Ebd., 180. Vgl. ebd., 174.184, und L/E C/S 2011, 166. K 1996, 179. V  G 2019, 137 verweist darauf, daß gerade Kolonien in neu besetzten Regionen durch ihre Tore und Mauern romanitas signalisierten. Bezüglich der vorderorientalischen Provinzen ist auf die Arbeit K 1996 zu verweisen, bezüglich der gallischen und nordafrikanischen Provinzen auf G 2007, 60 und L/ E C/S 2011, 166. W 2004, 88. Zur Romanisierung siehe bereits oben, 13. Das »Rauhe« Kilikien im mittleren Teil des Zentraltauros wurde aus gutem Grund so bezeichnet: Zur Unwegsamkeit der Landschaft siehe zuletzt P 2020b, 72. Ich denke hier an das bereits oben, Anm. 28 auf S. 287, erwähnte Tor von Sa˘glıklı vor der Provinzhauptstadt Tarsos. Siehe dazu die bei F 2014a untersuchten Beispiele meist bildlicher Darstellungen solcher Hafentore. Zum umseitig abgebildeten Bogen im Hafen von Ancona ausführlicher F 2014b, 71 f. und F 2020, 244 f.: Der Bogen war nicht mit dem Straßensystem verbunden und hatte demnach keinerlei praktische Funktion.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Abbildung 12.4: Ein erster Hinweis auf urbanitas und romanitas: Noch im Gewimmel des modernen Hafens von Ancona ist der im Jahr 115 errichtete Ehrenbogen für Trajan bei der Einfahrt gut auszumachen (auf der Mole links). Ursprünglich trug das Monument zwei Reihen teils überlebensgroßer Statuen auf der Attika sowie an beiden Seiten applizierte bronzene Schiffsschnäbel.

In diesem Zusammenhang sei schließlich auch auf die große Beliebtheit von Stadttor-Darstellungen in der häuslichen Sphäre hingewiesen. Als dekoratives Motiv in Mosaiken und Wandmalereien konnte ein Stadttor emblemartig auf städtische Lebensqualität verweisen oder an die Ideale erinnern, die mit der konkret vor Ort vorhandenen Stadtbefestigung verbundenen waren.48 12.1.3 Identifikationsangebote und Memorialkultur Eine systematische Untersuchung der Rolle von Stadttoren innerhalb der städtischen Memorialkultur existiert meines Wissens bislang nicht. Ich beschränke mich darauf, an dieser Stelle einige knappe Hinweise zu geben. Die Frage nach dem Identifikationspotential von Darstellungen am Stadttor wurde bereits kurz gestreift. Sie betrifft weniger die Präsentation der Stadt nach außen als vielmehr die Repräsentation einzelner Bevölkerungsgruppen innerhalb 48

Einen solchen Zusammenhang weist   G 2019, 157–173 in Pompeji nach, wo die Beliebtheit entsprechender Motive just in die Zeit der Wiederherstellung der Stadttore unter Augustus fällt.

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12.1 Die Repräsentation der Stadt

343

der Stadt. So mochte der erwähnte Gallo-Römer am Bogen von Glanum wohl als Identifikationsfigur für die Einwohner der kurz zuvor von Augustus zur Kolonie erhobenen Stadt aufgefaßt worden sein. Tatsächlich ist seit Augustus, und noch einmal verstärkt um die Mitte des ersten Jahrhunderts, das Bemühen der Städte nachzuweisen, in der Gestaltung der Tore allen Bewohnern eine Möglichkeit zur Identifikation zu bieten.49 Letztendlich handelte es sich dabei allerdings um Zuschreibungen seitens derjenigen, die die Ausführung des Tors geplant und in Auftrag gegeben hatten, und es läßt sich nicht bestimmen, inwieweit diese Zuschreibungen von der Stadtbevölkerung selbst akzeptiert und sich zu eigen gemacht wurden. Korrekterweise wäre hier daher von Identifikationsangeboten für die Einwohnerschaft einer Stadt zu sprechen. Angesichts der engen Verbindung von Gemeinschaftsidentität und kollektiver Erinnerung mußten dort, wo eine identitätsstiftende Komponente erkennbar wird, vergangenheitsbezogene Aspekte eine besonders herausgehobene Rolle spielen. Tatsächlich wurden Erinnerungen an bedeutende Ereignisse in der Gestaltung des Stadteingangs aufgegriffen. Dabei konnte es sich um Vorgänge handeln, die unmittelbar mit dem Stadttor selbst oder einem Vorgängerbau am selben Ort verbunden waren,50 aber auch um andere für die Stadt wichtige Erinnerungen etwa an Kriegsgeschehen, auf welche sich zum Beispiel die Bögen am Eingang der gallischen Städte Arausio (Orange) und Glanum mit der Darstellung von Waffen und Tropaia bzw. von gefangenen Barbaren und römischen Feldzeichen bezogen (oben, Abb. 12.2 und 12.3). Stadttore konnten geradezu den Charakter von Denkmälern annehmen, wie es beispielsweise in der Beschreibung der Stadttore von Theben bei Pausanias sehr deutlich zum Ausdruck kam.51 Ich komme damit erneut auf das Fallbeispiel Perge zurück. Dort gingen die Stadtplaner so weit, den Bereich des Südtors zu einem reinen Erinnerungsort und Repräsentationsraum umzugestalten und ihn damit als eigentlichen Stadteingang unbrauchbar zu machen. Im Zuge zahlreicher Baumaßnahmen, die die Euergetin Plancia Magna initiierte und finanzierte,52 wurde vor dem Besuch Hadrians im Jahr 123 ein Ehrenbogen errichtet, der stadtseitig direkt an den Innenvorplatz des älteren Stadttors von Perge angrenzte (Abb. 12.5 auf S. 344). Da das neue Bogentor mit dem Vorplatz durch eine Treppe verbunden wurde, war forthin jeglicher Fuhrverkehr unmöglich, und zusätzlich angebrachte Gitter an der Stadtseite des

49 50

51 52

V H 1994, 257. So tradierte man in Rom über Jahrhunderte die Geschichte einer Ehrenstatue vor der Porta Trigemina (siehe unten, 345, mit Anm. 61). Auch der Name des Stadttors konnte mit der Stadtgeschichte oder einem Gründungsmythos verbunden sein (siehe etwa Verg. Aen. 8,338 f.). Zur eigenen Geschichte von Stadttoren im Gedächtnis der Einwohnerinnen und Einwohner siehe schon oben, 331. Siehe oben, 100. Zur Rolle Plancias siehe R 2022, 11–14.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Abbildung 12.5: Stadtseitige Ansicht des augusteischen Südtors von Perge (Türkei). Zu sehen ist der oval umgebaute Innenhof des Tors mit Nischen für die Götterstatuen, dahinter die beiden Türme des Stadttors (links eingerüstet). Im Vordergrund liegen die Reste des hadrianischen Bogens, dessen drei Durchgänge sich anhand der noch in situ befindlichen Pfeilerfundamente ausmachen lassen.

Bogenmonuments sowie am Torhof ermöglichten die komplette Abriegelung des Bereichs zwischen Tor und Bogen.53 Der einstige Innenhof des Stadttors wurde zu einem Ehrenhof der dort verewigten alten und neuen Gründer Perges umgestaltet,54 zu denen auch Plancias Vater und Bruder gehörten.55 Plancia, die selbst in Perge das Amt der Kaiserpriesterin bekleidete,56 stellte damit einen Bezug zwischen ihrer Geburtsfamilie und der lokalen Identität her57 und schrieb sich und ihre Angehörigen in die Geschichte der Stadt ein. „With its galleries of gods, founders, and emperors, the gate complex was nothing less than a summary in stone of Perge’s place in the worlds of Greek culture and Roman power, designed to be appreciated by citizens and visitors alike.“58

53 54 55 56 57 58

M 2010, 25. Der Hofvorplatz selbst war bereits in tiberischer Zeit aufwendig umgebaut worden (ebd., 22). Ebd., 25. Siehe R 2022, 12. IK Perge 123 zufolge amtierte sie als [ἀ]ρχιέρεια τῶν Σεβασ[τῶν]. Vgl. R 2022, 14. Ebd.

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12.2 Die Repräsentation führender Familien

345

Der Torhof wurde gemeinsam mit dem Ehrenbogen für den regierenden Kaiser „als exklusiver Erinnerungsort dem Alltagsbetrieb entzogen“.59 Damit war das Tor seiner ursprünglichen Bestimmung als Mauerdurchlaß und Teil des Straßennetzes vollkommen enthoben. Der Cardo Maximus wurde verlegt, so daß er nun neben (!) dem Stadttor aus der Siedlung hinausführte,60 was das Tor für die Straßenführung obsolet machte. Die ausschließliche Nutzung des Torhofs in Perge für repräsentative und kommemorative Zwecke mag ein Sonderfall sein, zeigt aber sehr gut die Bedeutung auf, die diesen Aspekten bei der Gestaltung des Stadteingangs beigemessen wurde. Am Beispiel von Plancias Stiftung läßt sich zeigen, wie die Repräsentation der Stadt, die ihrer führenden Familien und die ihrer Verbindung zum Kaiserhaus am Stadttor in eins fallen konnten. Mit der Erinnerung an eine bedeutende Euergetin ist bereits eine weitere Dimension möglicher Repräsentation am Stadttor angesprochen, auf die ich im folgenden näher eingehen möchte, nämlich die Repräsentation von einzelnen Vertretern der führenden Familien einer Stadt. 12.2 Die Repräsentation führender Familien Die Aufstellung von Ehrenstatuen ausgerechnet auf Stadttoren stand in einer Traditionslinie mit dem schon in republikanischer Zeit belegten Vorgehen, bedeutende Persönlichkeiten am Eingang der Stadt zu ehren. Bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. soll Lucius Minucius in Rom für das gute Krisenmanagement bei einer Hungersnot mit einer vergoldeten Statue geehrt worden sein, die vor der Porta Trigemina aufgestellt war.61 Der dann im ersten Jahrhundert noch vergleichsweise neue Brauch, Statuen auf Bögen zu plazieren, sollte Plinius dem Älteren zufolge die Geehrten über alle anderen Sterblichen erheben.62 Eine solche öffentliche Errichtung einer Statue auf einem Bogenmonument, verbunden mit einer Inschrift auf der Attika des Bogens, war die „imposanteste Form der Ehrung, die für das Stadtbild in der griechisch-römischen Welt entwickelt worden ist“.63 Dabei betonten besonders die Bögen des ersten Jahrhunderts den Charakter als Ehrenmonument, wohingegen im zweiten Jahrhundert lokale Komponenten in den Bildprogrammen den Fokus mehr auf die jeweilige Stadt als auf die Person des Geehrten richteten.64

59 60 61 62

63 64

M 2010, 25. Ebd. Liv. IV 16,2; vgl. auch die spätere Fassung bei Plin. Nat. 18,15 und 34,21. Plin. Nat. 34,27: columnarum ratio erat attolli super ceteros mortales, quod et arcus significant novicio invento. „Der Zweck der Säulen (mit Statuen darauf ) bestand darin, daß sie über die anderen Sterblichen erhoben wurden, was auch die neu erfundenen Bogenmonumente bedeuten.“ (Eigene Übersetzung.) E 2005, 156. V H 1992, 296–299.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Die Aussage des Plinius aufgreifend, sind die kaiserzeitlichen Bogenmonumente als „gewissermaßen zweckfreie Bauten“ beschrieben worden, „vorwiegend dazu bestimmt, die Basis für eine Ehrenstatue zu bilden“.65 Das Bauwerk habe quasi lediglich „als überdimensionale Basis“ des Ehrenbildes gedient.66 Diese Auffassung greift freilich zu kurz, sofern es sich bei dem Bogen zugleich um ein Stadttor handelte; der vorliegende Band dokumentiert deren zahlreiche Funktionen ja in aller Ausführlichkeit. In der hier eingenommenen Perspektive sind am Stadteingang plazierte Bögen eben keine reinen Ehrenmonumente, sondern in erster Linie Stadttore. Insofern gilt es im folgenden, mit der Funktion als Aufstellungsort für Ehrenstatuen eine weitere Aufgabe in den Blick zu nehmen, die Stadttore erfüllen konnten. Stadttore, die nicht in Befestigungsanlagen integriert (und daher unabhängig von den Zuständigkeits- und Finanzierungsfragen einer Stadtmauer) waren, boten Gelegenheit für Euergesien67 und damit für die Selbstdarstellung der führenden Familien einer Stadt. Wie Margaret Woodhull plausibel gemacht hat, lag der besondere Reiz bei der Stiftung eines Stadttors gerade in dessen topographischer Schlüsselposition: Die Lage an einer stark frequentierten Zufahrtsstraße garantierte dem Monument eine große Sichtbarkeit und war außerdem mit der Liminalität des Stadteingangs bzw. -ausgangs verbunden. Ehrenstatuen auf einem Stadttor konnten daher die Übernahme von Verantwortung gegenüber den Bürgern der Stadt symbolisieren, so daß die Dargestellten wie schützende parentes des Gemeinwesens erschienen.68 Eine vergleichbar prominente Plazierung bot sich bei wichtigen Hafenstädten an der Hafeneinfahrt, die der am stärksten frequentierte Eingang zur Stadt sein konnte und mit Ehrenbauten, Torbögen und Statuen ausgestaltet wurde. So stellte die Stadt Patara im ersten Jahrhundert zu Ehren des lykischen Provinzstatthalters Sex. Marcius Priscus dessen Statue direkt vor einem der beiden Leuchttürme auf, die die Hafeneinfahrt flankierten.69 Bei der Interpretation der einzelnen Stadttor-Bauten gilt es nun freilich zu berücksichtigen, daß kein einziges dieser Monumente noch seine kaiserzeitliche Statuenausstattung auf der Attika vorweist, was nicht nur die kunstgeschichtliche Forschung vor Probleme stellt,70 sondern auch eine historische Auswertung erschwert. Eine Durchsicht einschlägiger archäologischer Arbeiten ist für die Historikerin ernüchternd, da der historische Ertrag – ohne hier den Wert der Studien 65 66

67 68 69 70

Ebd., 277. E 2005, 156. Vgl. M 2017, 14: „Bei frühkaiserzeitlichen Bogenmonumenten bildeten die Statuen den bedeutsamsten Teil des Monumentes und die Attika eines Bogens funktionierte gleichsam als monumentales Statuenpostament.“ Siehe dazu oben, 39–44. W 2004, 86 f. Zur ideologischen Verbindung von Patronage und Stadtbefestigungen siehe auch   G 2019, 198–201. F 2020, 243–245. Vgl.  H 1992, 277.

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12.2 Die Repräsentation führender Familien

347

für ihre eigene Disziplin in irgendeiner Weise schmälern zu wollen – sich allzu häufig darauf beschränkt, daß der untersuchte Bogen erstens den Stadteingang gekennzeichnet habe und zweitens der Aufstellung von Ehrenstatuen diente.71 Instruktive Beispiele sind immerhin der Gavierbogen in Verona72 und der Sergierbogen im istrischen Pola73 , die beide in die augusteische oder frühtiberische Zeit74 gehören. Der Sergierbogen (Abb. 12.6 auf S. 348) sei zur Veranschaulichung kurz vorgestellt. Eine Euergetin namens Salvia Postuma ließ das Bogenmonument vor dem älteren Stadttor von Pola errichten, um drei verstorbene Angehörige ihrer Nuptialfamilie zu ehren. Das Stadttor selbst war ein von Türmen flankiertes Mauertor mit drei Durchgängen, das die zum Hafen führende Straße kontrollierte.75 Der Ehrenbogen wurde stadtseitig zehn Meter vor diesem Tor errichtet, direkt an den ummauerten Torhof anschließend. Da die Rückseite des Bogens durch Stadtmauer, Stadttor und Hofmauer teilweise verdeckt wurde, ist es die der Stadt zugewandte Fassade, welche als Schauseite konzipiert war.76 In Standbildern auf der Attika waren die drei geehrten Sergier dargestellt, wobei die zentrale Statue des L. Sergius Lepidus überlebensgroß war, während die lebensgroßen Statuen des L. Sergius und Cn. Sergius von größeren Figuren flankiert wurden, möglicherweise von Victorien, die sie bekränzten. Ein viertes Standbild der Salvia Postuma, der Stifterin des Bogens,77 hatte als Pendant ein fünftes Standbild halbrechts, wie die entsprechenden Einlaßspuren mittig auf dem rechten Teil der 71

72

73 74 75

76

77

Als Beispiel sei S 2013 herausgegriffen, dem das Verdienst zukommt, das Nordtor von Diokaisareia und den in die mittelalterliche Landburg verbauten Torbogen von Korykos, beides in Kilikien, überhaupt erst einmal systematisch beschrieben und datiert zu haben. Zur Bedeutung der Monumente als Stadttor und Träger von Ehrenstatuen ebd., 635: Auf dem Bogen in Diokaisareia sind Statuenbasen erhalten, und beide Tore wiesen Konsolen auf, auf denen sich weitere Ehrenbilder befunden haben könnten. Dieser Bogen wurde feldseitig vor der sogenannten Porta Borsari errichtet, 500 Meter vor dem alten Mauerring der Stadt (siehe dazu C 2005, 386). Wie das nachfolgend besprochene Beispiel wies auch der Gavierbogen unter anderem das Standbild einer Frau, der Gavia, auf (M 2017, 76 f. mit weiterer Literatur). Zu diesem Monument siehe F 1996, 58–62, C 2005 und L 2005, 25–32; eine historische Kontextualisierung leistet W 2004. Zur Datierung des Gavierbogens C 2005, 386, Anm. 29, zu den verschiedenen Datierungsansätzen für den Sergierbogen ebd., 380–384, jeweils mit weiterführender Literatur. Vgl. zum Baubefund von Tor und Bogen L 2005, 25–32. Das Stadttor wurde 1829 abgerissen, ist aber in zahlreichen Zeichnungen und Aquarellen relativ gut dokumentiert. Der Bogen ist sehr gut erhalten, wobei die Statuen nur noch durch Einlaßspuren auf der Attika nachweisbar sind. Vgl. C 2005, 379: „L’intento auto-celebrativo di matrice gentilizia è di notevole rilevanza ed originalità: la fronte iscritta e decorata è quella occidentale, rivolta all’interno della città, verso quella comunità polese all’interno della quale i Sergi detenevano una posizione sociale di preminenza e di fronte alla quale volevano glorificarsi.“ Die Namen der Dedikantin und der Dargestellten ergeben sich aus Inschriften an der Front (CIL V pars 1, 50), wobei L. Sergius vermutlich Salvia Postumas Ehemann und L. Sergius Lepidus der gemeinsame Sohn war (so W 2004, 83, sowie C 2005, 376 f., die ebd. auch alternative Interpretationsmöglichkeiten aufführt).

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Abbildung 12.6: Sergierbogen in Pula (Kroatien), augusteische oder frühtiberische Zeit. Dargestellt ist jeweils die stadtseitige Hauptansicht. Der Rekonstruktionsvorschlag rechts entspricht nicht in allen Punkten dem Diskussionsstand: Die mittlere Figur war überlebensgroß dargestellt, hinter den äußeren Standbildern befanden sich bekränzende Victorien oder ähnliche Figuren, und halbrechts fehlt eine fünfte Statue.

Attika zeigen.78 Da die Fassade an dieser Position keine Inschrift bietet, läßt sich nicht bestimmen, wen die fünfte Statue darstellte.79 Der Bogen hatte eine doppelte Funktion „als Schmuckfassade des Tores und als statuentragendes Ehrenmonument“.80 Bemerkenswert ist er aber auch als ein frühes Zeugnis weiblicher Euergesie, wie Monica Chiabà herausstellt: 78

79

80

Deutlich zu erkennen auf der Fotographie bei M 2017, 77, die diese fünfte Statue zwar in der Bilderklärung verzeichnet, im Widerspruch dazu aber bei der Diskussion des Befundes davon ausgeht, die Statue der Stifterin habe rechts kein Pendant gehabt (76). V H 1992, 277–279, rekonstruiert nur drei Ehrenstatuen für die geehrten männlichen Familienmitglieder mit den beiden flankierenden Victorien links und rechts außen. Angesichts der Existenz einer solchen fünften Statue ist es aber jedenfalls überflüssig, die (vermeintlich) auffällige asymmetrische Plazierung der Salvia, wie sie auch in der Rekonstruktion von Abb. 12.6 noch angenommen wird, damit zu erklären, das Bild der Stifterin sei erst nachträglich, das hieße nach ihrem Tod, hinzugefügt worden. So nämlich  M 1988, 251 f., F 1996, 59, und L 2005, 27, zustimmend auch M 2017, 76. Dagegen geht W 2004, 83, davon aus, daß die Statue der Salvia Postuma gleichzeitig mit den anderen errichtet wurde. F 1996, 59.

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12.3 Herrscherbildnisse am Stadttor

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„Salvia Postuma, sopravvissuta ai membri maschi della sua famiglia, libera da ogni manus e in grado di disporre di un ingente patrimonio [. . . ], promuove de sua pecunia [. . . ] un’iniziativa evergetica del tutto originale, ossia la monumentalizzazione di una porta urbica, attraverso cui coloro che provenivano dal foro uscivano dalla città certamente colpiti dalla grandezza dei Sergi e dalla munificenza di Salvia Postuma, Sergi (uxor).“81 Das um den zusätzlichen Bogen erweiterte Stadttor verband die vom Forum kommende Straße mit der Via Flavia, die nach Aquileia und Tergeste (Triest) führte, und ist deshalb als wichtigster Eingang bzw. Ausgang der Colonia Pola anzusprechen.82 Wer immer die Stadt in diese Richtung verließ, durchschritt den Bogen mit der eindrucksvollen Inszenierung der Sergierfamilie. Die Stiftung solcher Ehrenbögen war eng mit kaiserlichen Praktiken assoziiert, sowohl was den euergetischen Akt selbst, als auch was das Bildprogramm betraf.83 In dieser Lesart stellte die Errichtung eines Bogenmonuments grundsätzlich die romanitas des Patrons oder der Patronin und ihrer Familie unter Beweis,84 was wiederum einer der bereits angesprochenen typischen Aussagen auch der Bauwerke von städtischen Bauherren entsprach. Die Verbindungen sind also in beide Richtungen sehr eng, sowohl zur Selbstdarstellung der Stadt als auch zu der des Kaisers. 12.3 Herrscherbildnisse am Stadttor Obwohl sich die Statuenausstattung von Stadttoren nicht erhalten hat, verraten Inschriften,85 daß ungezählte Tore als städtische Ehrenmonumente dem Kaiser zugedacht und entsprechend mit Bildnissen ausgestattet waren;86 andere Stadttore wiederum waren Teil einer kaiserlichen Stiftung.87 Da auch im erstgenannten Fall die Ehrung mit dem Kaiser abgestimmt werden mußte und selbstverständlich unter Benutzung der offiziellen Porträttypen, Titulatur und so weiter erfolgte, handelte es sich in beiden Fällen indirekt oder direkt um herrscherliche Repräsentation,88 81 82 83 84 85

86 87 88

C 2005, 387; die Passagen de sua pecunia und Salvia Postuma Sergi (uxor) zitieren die bereits genannte Stifterinschrift. Vgl. C 2005, 377–379; L 2005, 25. Vgl. W 2004, 87–89. Zur Stiftung von Stadttoren durch Kaiser siehe die nachstehenden Ausführungen mit Anm. 87. Vgl. W 2004, 88. Inschriften konnten den Vorübergehenden auf das Monument aufmerksam machen und auf Besonderheiten hinweisen. Siehe dazu den Überblick bei B 2014, 699 f.; in ihrer ungedruckten Dissertation untersucht die Verfasserin die Stifterinschriften an Bogenmonumenten (B 2008). Ehrenbögen ohne eine Statue des Geehrten gab es nicht (C/E 1997, 18). Zur Finanzierung von Mauern und Toren durch den Kaiser siehe oben, 40–43. Tonio Hölscher betont, daß öffentliche Darstellungen des Kaisers in der Regel als „Manifestationen von Konsens“ aller beteiligten Instanzen aufzufassen sind (H 2017, 300).

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

die insofern als Instrument zur Propagierung einer politischen Ideologie analysiert werden kann.89 So nutzte Augustus die von ihm gestifteten Bogenmonumente in Italien gezielt dazu, seine Sieghaftigkeit und pietas zu inszenieren und die verstorbenen Angehörigen der gens Iulia zu verherrlichen.90 Mich interessiert jedoch im folgenden die Seite der Stadt und damit die Frage, welche Bedeutung die Darstellung und Ehrung von Mitgliedern des Kaiserhauses am Stadttor für die Menschen vor Ort hatte. Um dies beurteilen zu können, ist zunächst der Hinweis von Bedeutung, daß es einen klaren Zusammenhang zwischen kaiserlichen Reisen und der Errichtung von Bogenmonumenten gibt. Während die Statthalter im Vorfeld kaiserlicher Besuche in die Infrastruktur ihrer Provinzen investierten, strengten die Städte Umbaumaßnahmen und Verschönerungsarbeiten an Straßen, Plätzen und Bauwerken an91 und errichteten prunkvolle neue Stadttore.92 Dabei stehen die kaiserlichen Reisen nicht nur in Zusammenhang mit der Errichtung von Stadttoren, sondern, wie Jakob Højte beobachtet hat, auch ganz spezifisch mit der Aufstellung von Kaiserstatuen auf diesen Toren.93 Der Beleg wurde für einen Aufenthalt des Augustus in Segusio (Susa) erbracht sowie für Trajans Besuche der Städte Petra und Gerasa in den Jahren 114 und 115.94 Auch wenn sich diesbezüglich kein lückenloser Nachweis führen läßt, da nähere Informationen über die Statuenausstattung häufig fehlen, ist anzunehmen, daß auch sonst die zu einem kaiserlichen Besuch neu errichteten Stadttore als Ehrenbögen mit entsprechenden Bildnissen des Princeps und der kaiserlichen Familie konzipiert waren. Dies gilt etwa für den sogenannten Hadriansbogen am Eingang der Stadt Gerasa, der anläßlich von Hadrians Besuch im Jahr 130 zum Empfang des Kaisers errichtet wurde. Im Vorfeld der Reise hatte auch die lykische Stadt Phaselis einen Ehrenbogen in Hafennähe erbauen lassen. Die Fertigstellung eines dreitorigen Bogens in Patara, ebenfalls in Lykien, stand anscheinend gleichermaßen im Zusammenhang mit dem Besuch Hadrians. Im pamphylischen Attaleia wurde zu diesem Anlaß das Stadttor zu einem Prunktor ausgebaut, und eine reiche Bewohnerin der Stadt ließ einen das Tor flankierenden Turm errichten.95 Im Zuge der Vorbereitungen auf einen kaiserlichen Besuch konnte demnach ein besonderes Augenmerk des Magistrats darauf gerichtet sein, den Stadteingang mit einem neuen Ehrenbogen aufzuwerten, der das Bildnis des Kaisers trug. Es ist anzunehmen, daß dabei konkret für einen festlichen Empfang des Kaisers vor 89 90 91 92 93

94 95

In diese Richtung weisen etwa die Untersuchungen bei  M 1988, 87–141 und   G 2019, 229–233. D M 1988, 91–109. Siehe H 2009, 113. W 1996, 117. H 2009, 108 f. (freundlicher Hinweis von Sophia Bönisch-Meyer). Interessant ist Højtes Ergebnis auch insofern, als Bögen und Stadttore die einzige Gattung von Statuenträgern mit Kaiserbildern sind, bei denen ein solcher Zusammenhang besteht. Ebd., 103.105. Alle Beispiele bei W 1996, 115.

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12.3 Herrscherbildnisse am Stadttor

351

ebendieser Kulisse geplant wurde.96 Auch in der Zukunft würde das Monument jeden, der die Stadt betrat oder verließ, an die glanzvollen Zeiten erinnern, als der Kaiser den Ort durch seine Anwesenheit beehrt hatte. Die Errichtung freistehender Bögen am Stadteingang bot aber auch ohne den äußeren Anlaß eines kaiserlichen Aufenthalts in der Region eine von den Städten des Reichs sehr rege genutzte Möglichkeit, den Herrscher zu ehren – etwa anläßlich militärischer Siege oder für eine der Stadt erwiesene Großzügigkeit. Beliebig herausgegriffene Beispiele aus der Fülle des Materials wären der Ehrenbogen für Augustus, der in Augusta Praetoria (Aosta) einige hundert Meter vor dem zu dieser Zeit ebenfalls noch ganz neuen Mauertor, der Porta Praetoria, errichtet wurde,97 oder der Severus-Alexander-Bogen am Stadteingang von Thugga (Abb. 12.7 auf S. 352).98 Auch konnten bereits vorhandene Stadttore umfunktioniert werden, indem sie mit einem Standbild des Kaisers und einer entsprechenden Dedikationsinschrift versehen wurden.99 Ein aufschlußreicher Fall sind die Ehrungen für Hadrian in Aelia Capitolina (Jerusalem). Trotz einer im ganzen überaus spärlichen epigraphischen Überlieferung100 sind mehrere Inschriftenfragmente bekannt, die zu gleich drei oder sogar vier kaiserlichen Ehrenbögen in Aelia Capitolina gehört haben müssen. Ausweislich des epigraphischen Befundes wurden zwei dieser Monumente zu Ehren Hadrians errichtet, der die Stadt – nach ihrer Zerstörung durch Titus im Jahr 70 – als römische Kolonie neu gegründet hatte.101 Die Frage nach der Verknüpfung der Inschriftenfragmente mit den archäologischen Befunden ist kompliziert und war lange Zeit strittig, konnte aber durch eine Reihe jüngerer Forschungsbeiträge zumindest teilweise geklärt werden. Die beiden Ehreninschriften für den Kaiser Hadrian sind demnach wohl mit den noch im Stadtbild verortbaren Bogenmonumenten, Stadttoren aus hadrianischer Zeit, in Verbindung zu bringen. Bei dem einen handelt es sich um den Vorgängerbau des heutigen Damaskus-Tors; als Porta Neapolitana markierte er die nördliche Stadtgrenze und war damit das Hauptzugangstor der römischen Kolonie. Der zweite, der sogenannte Ecce-Homo-Bogen,102 stellte das östliche Stadttor dar. Ebenfalls unter Hadrian wurde knapp 300 Meter

96 97 98 99

100 101

102

Zum adventus des Kaisers auch in Provinzstädten siehe oben, 315–320. Vgl. K 1942, 5, und H 2003, 370. Vgl. L/E C/S 2011, 168. So wurde der mehrfach erwähnte Bogen am Stadteingang von Arausio (Orange) bereits im Rahmen eines frühaugusteischen Stadtausbauprogramms errichtet, dann aber im Jahr 26/27 nachträglich dem Tiberius gewidmet (so die überzeugende Interpretation der komplexen Befundlage bei K-B 1996, 108). Aus den knapp 200 Jahren der römischen Kolonie sind weniger als 80 Inschriften erhalten (CIIP I 2, Nummern 705 bis 783). Eine weitere Inschrift bezieht sich auf Septimius Severus, die Fragmente der vierten lassen sich keinem Kaiser namentlich zuordnen. Zum Befund siehe E 2005, ausführlicher zu der severischen Inschrift schon C/E 1997. Zur Benennung siehe oben, Anm. 78 auf S. 296.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

Abbildung 12.7: Die Reste des Severus-Alexander-Bogens am westlichen Stadteingang von Thugga (Tunesien), hier die Stadtseite. In den Nischen sind Einlaßspuren von Statuen erhalten.

vor dem Damaskus-Tor ein weiteres Bogenmonument errichtet.103 Resümierend heißt es bei Eck: „Jerusalem als heilige Stadt der Juden existierte nicht mehr. Die Stadt war in vollem Umfang römisch geworden. Ihren Kaiser bildlich zu ehren, gehörte zu ihrem Selbstverständnis. Die neuen römischen Bürger und die sich neu herausbildenden führenden Familien der Colonia Aelia Capitolina haben dies, wie die Zeugnisse erkennen lassen, mit Nachdruck und in besonders monumentalen Formen getan.“104 Wenn den Besuchern und Bewohnern von Aelia Capitolina schon bei der Ankunft an den Toren der Gründer der Kolonie präsentiert wurde,105 so ist hier vor dem Hintergrund der besonderen Geschichte der Stadt mit Händen zu greifen, daß die 103

104 105

Ein vierter Bogen, der anscheinend sehr viel später datiert, könnte den Eingang zum Forum markiert haben. Ich referiere die Rekonstruktion der kaiserzeitlichen Urbanistik durch E 2003, 243–255. Grundlegend zum Damaskus-Tor und dem Ecce-Homo-Bogen ist die archäologische Monographie A 1997, zur Lokalisierung der beiden Tore innerhalb des antiken Stadtplans ebd., 278. E 2005, 158. Vgl. ebd.

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12.3 Herrscherbildnisse am Stadttor

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Errichtung von Bogenmonumenten mit dem Bildnis des Kaisers eine politische Botschaft transportierte. Die Auffassung, es habe sich bei diesen Monumenten im römischen Osten um rein funktionelle Bauten oder gar leere architektonische Formeln gehandelt,106 ist daher klar zurückzuweisen. Die Befundsituation ist ohnedies bei weitem zu heterogen, als daß sich eine schlichte Ost-West-Dichotomie konstruieren ließe.107 Ingeborg Kader geht sogar so weit, zu behaupten, im Nahen Osten seien an den Bogenmonumenten der Stadteingänge weder Ehreninschriften noch die Aufstellung von Statuen nachweisbar, was sie auf die spezifische politische Situation in der Region zurückführt: Ausbau und Monumentalisierung der Städte seien hier in den Prozeß einer politisch-sozialen Umstrukturierung eingebunden gewesen, der zwar durch die militärische Präsenz der Römer ausgelöst, aber in der Bevölkerung eben nicht als „ein direkter oder indirekter Einfluß des Kaiserhauses“ wahrgenommen worden sei.108 Schon die Annahme, es würde an Nachweisen fehlen, ist freilich irrig, wie die oben aufgeführten Fälle Petra und Gerasa sowie das Beispiel von Aelia Capitolina zeigen. Geradezu abwegig erscheint Kaders These, daß die Einwohner Jerusalems die Zerstörung ihrer Stadt und des Tempels nicht als eine direkte Einflußnahme aufgefaßt haben sollten. Bei aller Differenz der Form- und Bildsprache in den einzelnen Regionen des Reichs läßt sich doch bereits anhand der bloßen Tatsache, daß auf den Stadttoren Kaiserstatuen und Ehreninschriften angebracht wurden, ganz klar allgemeingültig festhalten, daß diese Tore der Verherrlichung des Kaiserhauses dienten.109 Die Erhöhung des Bildes und die der Person(en) waren auch hier untrennbar miteinander verbunden, ganz wie die Erklärung des Plinius zur Anbringung von Statuen auf Bögen es zum Ausdruck brachte: ratio erat attolli, und zwar super ceteros mortales: „Der Zweck bestand darin, daß die Geehrten über die anderen Sterblichen erhoben wurden.“110 Ein augenfälliges Beispiel bietet das Hafentor von Ancona, das durch seine Positionierung auf einem vier Meter hohen Postament zusätzlich erhöht wurde, so daß die auf dem Attika-Gesims angebrachten Statuen Trajans, seiner verstorbenen Schwester Marciana und seiner Frau Plotina von den steilen Treppenstufen aus gesehen in maximale Höhe erhoben waren.111 Führt man sich hier noch einmal vor Augen, daß die Tore eine Stadt als ganze symbolisierten und ihre Errungenschaften repräsentierten, so mußte die Dedikation dieser Tore an den regierenden Kaiser den doppelten Sinn haben, zum einen

106 107 108 109 110 111

Siehe A 1997, 102 (bezogen auf Syrien und Palästina): „L’aspect fonctionnel est renforcé et l’arc est dans certains cas devenu une simple formule architecturale.“ Wiederum gegen Caroline Arnould, die die Bogenmonumente der Levante klar von den »politischen« Bögen im Westen abgrenzt (ebd.). K 1996, 184 f., Zitat 184. Vgl. W 2002, 101 (in bezug auf den Hadriansbogen von Gerasa). Plin. Nat. 34,27, vgl. dazu oben, 345, mit Anm. 62. Siehe Abb. 12.4 oben auf S. 342, Literatur in Anm. 47 auf S. 341.

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12 Das Tor als Ort von Repräsentation

die politische Loyalität und romanitas der Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen, zum anderen die Stadt am Glanz des Kaiserhauses partizipieren zu lassen.

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands Dieses Kapitel ergänzt die bisher eingenommenen Perspektiven, indem es sich mit fiktionalen Entwürfen des Stadtrands bei den römischen Autoren auseinandersetzt.1 Ausgangspunkt ist eine Diskussion der methodischen Probleme, die sich bei der Benutzung stark fikional geprägter Texte für althistorische Fragestellungen ergeben, was die bereits in der Einleitung dieser Studie skizzierte Problemstellung aufgreift. Ging es eingangs jedoch um den unreflektierten Umgang mit entkontextualisierten Zitaten,2 werden hier nun Ansätze einer Methodenbildung zur historischen Auswertung solcher Texte besprochen (13.1). Auf dieser Grundlage sollen in einem zweiten Schritt exemplarisch mehrere Entwürfe einer fiktionalisierten Topographie des Stadteingangs in der Komödie und im Roman untersucht werden. Ziel ist es, das Stadttor als imaginären Ort zu bestimmen und damit ein Potential sichtbar zu machen, das bei der herkömmlichen historischen Auswertung von Quellen nicht ausgeschöpft werden kann (13.2). Während sich diese Interpretation ganz auf innerliterarischer Ebene bewegt, soll abschließend eine historische Kontextualisierung geleistet werden (13.3). Mein Erkenntnisinteresse liegt jedoch auch hier nicht auf der empirischen Seite, das heißt, es geht mir an dieser Stelle nicht darum, in einem weiteren Schritt nun doch einen wie auch immer gearteten historischen Gehalt aus den literarischen Werken zu extrahieren. Vielmehr wird im Rückgriff auf die bisher in dieser Untersuchung erarbeiteten Ergebnisse eine weitere Deutungsebene erschlossen. Im Zentrum steht eine Besprechung der Horazsatire 1,8, anhand welcher sich paradigmatisch Berührungspunkte zwischen dem literarischen Bild des Stadtrands einerseits und der historischen, gesellschaftlichen und urbanistischen Entwicklung andererseits herausarbeiten lassen. Die Querverbindungen, die sich hieraus ergeben, können wiederum in die Interpretation der Satire einfließen und bereichern das gewonnene Bild der fiktionalen Topographie des Stadtrands um weitere Facetten. 13.1 Das Imaginäre als Problem althistorischer Forschung Texte mit stark fiktionaler Prägung sind nicht die bevorzugte Quelle für Forschungen zur städtischen Infrastruktur. Im Kontext eines kulturgeschichtlichen Erkenntnisinteresses aber erscheint es legitim, wenn nicht sogar geboten, das Gesichtsfeld 1

2

Eine frühere Fassung dieses Kapitels erscheint unter dem Titel „Fiktionale Topographien des römischen Stadtrands“ in: Sophia Bönisch-Meyer, Alexander Free und Isabelle Mossong [Hg.]: Bilder urbaner Lebenswelten in der griechisch-römischen Antike, Wiesbaden 2022 [noch unpaginiert]. Siehe oben, 18–23.

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands

zu erweitern und auch die urbane Topographie in fiktionalen Werken in den Blick zu nehmen, da hier zeitgenössische Deutungshorizonte faßbar sind, über die wir in anderen Quellen wenig erfahren. Eine solche Ausweitung der Fragestellung rückt Texte in den Blick, die man bislang im Zusammenhang mit dem römischen Stadttor nicht diskutiert hat, wie Petrons Satyrica oder die Metamorphosen des Apuleius von Madauros. Zum Umgang mit stark fiktional geprägten Werken wie diesen gibt es auf althistorischer Seite keinen Konsens. Die Ansichten reichen von ihrer Bewertung als Quellen, aus welchen das wahre Leben spreche, bis hin zu dem Verdikt, sie seien als Quellen generell vollkommen unbrauchbar.3 Zwischen diesen beiden Polen aber gibt es eine Vielzahl möglicher Positionen, die sich mit guten Argumenten begründen lassen. Um meinen eigenen Standpunkt deutlich zu machen, sollen einleitend zwei in jüngerer Zeit vertretene Herangehensweisen kritisch diskutiert werden. Symptomatisch für die konzeptionelle Unsicherheit und die Schwierigkeiten, die der fehlende Konsens der Forschung mit sich bringt, ist die Untersuchung Jochen Mayers zur Villeggiatur im stadtrömischen suburbium.4 Um zu begründen, warum er in seiner Arbeit antike Dichtung als Quelle heranzieht, dient sich Mayer unnötig defensiv den Trends „neuphilologischer Theorien und Methoden“ an, die er aus zweiter Hand kennt.5 Mayer versucht in wenigen Zeilen, gegen Niklas Holzberg6 die Realitätsnähe eines Catull, Horaz, Tibull, Martial und Statius unter Beweis zu stellen: „[E]in Dichter kann weder seine Dichter-persona noch die Protagonisten seiner Werke in einem »luftleeren Raum« agieren lassen, der seinem Publikum gänzlich unbekannt und somit unverständlich ist. Darüber hinaus müssen gerade bei komischen, satirischen und epigrammatischen Texten bestimmte Verhaltensmuster allgemein bekannt sein, um sie zur allgemeinen Erheiterung dem »Verlachen« preisgeben zu können. Autor und Publikum bedürfen demnach eines gemeinsamen Erfahrungshintergrundes. Und schließlich wird ein Autor kaum Texte verfaßt haben, in die nicht – bewußt oder unbewußt – Elemente aus seinem persönlichen Erleben eingeflossen sind.“7 3

4 5

6 7

Ich verweise auf die oben, 18–23, besprochenen Beispiele der erstgenannten Position. Die zweite vertritt dagegen Agnès Bérenger, die ein vernichtendes Urteil über den Roman als Quelle fällt: „La présence de brigands dans les romans grecs et latins ne donne aucune indication véritablement utilisable quant à la réalité des attaques, puisque le brigand est un personnage haut en couleur et que son intervention permet de multiples rebondissements dans le récit, avec enlèvement de jeunes filles“ (B 2014, 249). M 2005. Ebd., 149. Der Verfasser bezieht sich in seiner Diskussion auf zwei Überblicksdarstellungen zu neuen Ansätzen der Literaturtheorie in der altphilologischen Forschung, welche auf fünf (!) respektive sechs (!) Seiten die Forschungsgeschichte des 20. Jahrhunderts (!) abhandeln. H 2002. M 2005, 150 unter Rückgriff auf K 1958.

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13.1 Das Imaginäre als Problem althistorischer Forschung

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Mayer illustriert diese Überlegungen am Beispiel von Domitians Albaner Villa, „deren Existenz eine historische Realität darstellt“ und die Martial und Juvenal deshalb in ihren Werken „nicht neu zu erfinden“ brauchten. Für die von ihnen geschilderten Ereignisse, so Mayer, gilt dies dagegen nicht. Vielmehr verbittet er sich jeden Versuch, aus der Handlung auch nur ein „Fünkchen Wahrheit“ herauslesen zu wollen, denn eine solche Spekulation sei „mit den Ansprüchen seriöser Geschichtswissenschaft nicht vereinbar“.8 Mayer ist der Meinung, daß die „poetischen Texte“, die er von der „römischen Literatur“ abgrenzt,9 eine klare Scheidung von Realia und Fiktion zulassen: Das Setting spiegelt die realen Verhältnisse, Personen und Handlung sind rein fiktiv. „Die »Kulisse«, das heißt der situative Hintergrund der Texte ist [. . . ] auf allgemeine Aussagen hin verwertbar, wohingegen die Handlungen des poeta und der anderen dramatis personae allesamt ins Reich der dichterischen Phantasie zu verweisen sind“.10 Ob man dem Verfasser damit unterstellen darf, er nehme an, daß die Existenz Domitians im Gegensatz zu der seiner Villa keine „historische Realität darstellt“? Das von Mayer vorgeschlagene Vorgehen halte ich jedenfalls für wenig hilfreich. Ich bin weder der Meinung, daß die antike Literatur in rein fiktionale und strikt nonfiktionale Gattungen unterteilt werden kann, noch daß sich innerhalb einzelner Werke anhand eines Patentrezepts die fiktionalen Elemente sicher bestimmen lassen. Dabei begibt sich Mayer ganz überflüssigerweise in solch schwierige Gewässer. Die realhistorischen Umstände sind für seine Frage nach dem Bild der suburbanen Villenkultur in der lateinischen Dichtung von äußerst nachrangiger Bedeutung,11 und er könnte es daher guten Gewissens dabei belassen, eben dieses Bild aus seinen Quellen herauszuarbeiten, ohne ihren Realitätsgehalt unter Beweis stellen zu müssen.12 Sehr häufig geht es in historischen Arbeiten freilich gerade darum, den literarischen Texten Informationen über die empirische Wirklichkeit abzuringen (auch 8 9 10 11

12

Zitate M 2005, 151. Ebd., 204. In die Kategorie der „römischen Literatur“ fallen die Cicero- und Pliniusbriefe, die Mayer als nonfiktionale Zeitzeugnisse auswertet. Ebd., 224. Er selbst versichert denn auch wiederholt, es sei nicht die Intention seiner Untersuchung, eine »biographistische« oder alltagsweltliche Auswertung der Texte vorzunehmen (ebd., 19.150 f. und 164.224). Vgl. auch die Rezension H 2007, die fast wörtlich übereinstimmend formuliert: „Dabei scheint sich der Autor ganz unnötig in Schwierigkeiten zu begeben. Denn für die eigentlich interessierende Auswertung der Dichtung hinsichtlich der ideellen Hintergründe erscheint die Frage nach der realen Villeggiatur römischer Dichter von geringem Interesse – es sei denn, man geht davon aus, dass diese andernfalls nicht imstande gewesen wären, den Plot ihrer Werke stimmig in Szene zu setzen.“

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ohne dabei gleich in das gegenteilige Extrem zu verfallen und die Quellen 1:1 als Abbild dieser Wirklichkeit in Anspruch zu nehmen). In diesem Zusammenhang ist auf die einschlägige Monographie von Werner Rieß einzugehen,13 in der solch ein Versuch einmal exemplarisch durchgespielt worden ist. Rieß wendet sich innerhalb seiner kriminalitätsgeschichtlichen Untersuchung der Räuber im Römischen Reich ausführlich den Räubergeschichten bei Apuleius zu, um dann zu resümieren, daß sich aus dem Roman „keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Räuberunwesen in Mittel- und Nordgriechenland um die Mitte des 2. Jhs.“ ziehen lassen,14 daß „Apuleius nicht das geringste Verständnis für die sozialen Ursachen der Räuberei hat“15 und daß überhaupt seine Handlung „äußerst unwahrscheinlich“ erscheint.16 Wenngleich immerhin „alles, was von außen beobachtbar ist, so etwa die Vorgehensweise und [. . . ] die Verfolgung der Räuber, höchstwahrscheinlich mit der Realität übereinstimmt,“17 so erweist sich Apuleius als Quelle für die interne Organisation der Räuberbanden als „untauglich“ und muß sich von Rieß anhand „gesicherter Kenntnisse aus der Frühen Neuzeit“ korrigieren lassen.18 Der Verfasser kommt schließlich zu folgendem Ergebnis: „Apuleius darf also nur für die abgesicherten, für die als nachweislich zum Vorverständnis gehörenden Elemente als Quelle herangezogen werden. Alle Aussagen, für die nicht geklärt werden konnte, ob sie von Apuleius selektiert oder hinzuaddiert wurden, sollten künftig von Historikern nicht mehr unreflektiert als »Räuberrealität« zitiert werden.“19 Dabei entgeht Rieß nicht, daß diese Einschätzung im Hinblick auf den sozialgeschichtlichen Quellenwert der Metamorphosen vollkommen vernichtend sein muß. Letztendlich richtet er sein Interesse daher auf einen anderen Gegenstand, nämlich „den Mentalitätsstand des Dichters“ und „eines großen Teils der römischen Oberschicht“.20 Aber selbst in diesem Punkt kann Rieß anhand der Metamorphosen letztendlich nur bestätigen, was er vorher schon wußte:

13 14 15 16 17 18 19

20

R 2001, zum Aufspüren »historischer Fakten« im antiken Roman siehe insbesondere 24–26 und 325. Ebd., 341. Ebd., 342. Ebd., 344. Ebd., 342. Ebd., 343. Ebd. Gegen eine solche Verwendung des Textes verwahrt sich auch Therese Fuhrer, die überzeugend aufzeigt, warum die Metamorphosen nicht „als Quelle für antiquarische Informationen“ gelesen werden können; ein Vorgehen, das nicht nur dem RE-Artikel über die bei Apuleius vorkommende Stadt Hypata zugrundeliegt, sondern seinen Weg bis in den aktuellen Kommentar Wytse Keulens gefunden hat (F 2015, 92–94, Zitat 93). R 2001, 345 f.

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13.1 Das Imaginäre als Problem althistorischer Forschung

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„Der hermeneutische Kreis schließt sich somit. Da sozialhistorisch im ersten Teil dieser Studie rekonstruiert werden konnte, wie sich die Elite zu den kriminellen Außenseitern verhielt, war es möglich zu überprüfen, ob dieser postulierte Umgang mit den Gestrauchelten auch bei Apuleius, natürlich literarisch verarbeitet, auszumachen war. Und in der Tat befinden sich die Ergebnisse, die am Text gemacht wurden, in eindrucksvoller Übereinstimmung mit den durch die Nachbardisziplinen erzielten Erkenntnissen, so daß der Goldene Esel tatsächlich ein wertvolles Zeugnis für die althistorische Kriminalitätsforschung darstellt.“21 Das erscheint wenig überzeugend. Wenn wir die Darstellung bei Apuleius nur in den Punkten für historisch verwertbar halten, in denen bereits gesicherte Kenntnisse aus anderen Quellen vorliegen, kann ihre Untersuchung nichts substantiell Neues ergeben. Dessenungeachtet bin ich aber mit Rieß der Ansicht, daß auch fiktionale antike Werke historischen Fragestellungen prinzipiell zugänglich sind,22 und möchte hinzufügen, daß dies auch für ihre rein textimmanente Lektüre gilt. Die sogenannten »literarischen« Texte stehen dabei keineswegs in der Beweislast, sich gegenüber klassischen historischen Quellen wie der antiken Geschichtsschreibung zunächst einmal grundsätzlich legitimieren zu müssen.23 Wie zu zeigen sein wird, machen sie uns zeitgenössische Deutungspotentiale zugänglich, über die andere Quellengattungen wenig Aufschluß geben können, so daß ihr Verhältnis zu diesen nicht als konkurrierend, sondern als komplementär zu beschreiben wäre. Die Frage, welche Texte die besseren Quellen sind, geht daher am Kern des Problems vorbei. Bleibt darauf zu verweisen, daß das hier umrissenene Feld natürlich auch von der anderen Seite her aufgerollt werden kann, also im Rahmen literaturwissenschaftlicher Fragestellungen. Hier ist man in der Diskussion schon deutlich weiter, wie der Historikerin scheint (die das Gebiet freilich nicht überblickt). Wenn philologischerseits literarische Handlungsräume in ihrem Verhältnis zur außerliterarischen Realität ausgelotet werden, liegt das Erkenntnisinteresse naturgemäß auf der literarischen Seite. Möglicherweise ist das der Grund dafür, daß niemand von der Annahme ausgeht, die Antwort auf die gestellten Fragen könnte am Ende ein simples „richtig“ oder „falsch“ sein:

21 22 23

Ebd., 346. Ebd., 349. Der Versuch bei Rieß, den Roman gegenüber der Historiographie als Quelle zu rechtfertigen (ebd., 325 f. und 349–374), setzt eine Monopolstellung der historiographischen Werke als Bezugspunkt moderner Forschung voraus, die heute nicht mehr gegeben ist, gerade was sozialgeschichtliche und kulturgeschichtliche Ansätze betrifft. Die „grundsätzliche Einsicht in die Ähnlichkeit und damit Vergleichbarkeit von Roman und Historie“ und die daraus folgende Notwendigkeit für den modernen Historiker, sich mit unterschiedlichen Arten des Erzählens zu beschäftigen (ebd., 325 f.), wird dabei niemand bestreiten wollen.

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands

„Literaturgeographie besetzt exakt die heikle Schnittstelle zwischen inner- und außerliterarischer Wirklichkeit, eine Grauzone, in der, vorsichtig formuliert, ein Kontakt zwischen Fiktionen und einer wie auch immer gearteten »Realität« zustandekommt. Wenn man nämlich, wie das traditionellerweise geschieht, Geschehen, Figuren und Handlungsraum als die drei Konstituenten der fiktionalen, im engeren Sinne epischen und dramatischen Welt voraussetzt, dann kommt dem Schauplatz (und ihm allein) die spezifische Funktion zu, eine durchlässige Membran zwischen den Welten zu sein.“24 Auch an diesem Ansatz ist freilich zu hinterfragen, warum der Handlungsraum die genannte Funktion exklusiv für sich beanspruchen sollte: Wären nicht auch Handlungsgeschehen und Figuren denkbar, die zwischen inner- und außerliterarischer Wirklichkeit vermitteln? In bezug auf die räumliche Dimension, die für die vorliegende Arbeit die entscheidende ist, läßt sich jedenfalls festhalten: Gerade die Referenzialität von literarischen Handlungräumen macht diese auch historisch relevant.25 Aus diesen Überlegungen ergibt sich in Hinblick auf das weitere Vorgehen: Wenn im folgenden nach Deutungen des Stadttors in der Literatur gefragt wird, ist es nicht meine Absicht, weitere Informationen zur Lebensrealität in kaiserzeitlichen Städten zu erlangen, sondern eine Interpretation der innerliterarischen Wirklichkeit zu bieten. Gegenstand dieser Interpretation ist nicht die empirische, sondern die fiktionalisierte Topographie des römischen Stadtrands. Grundlegend ist dabei die Überzeugung, daß literarische Texte das Potential haben, „in einem geographisch bestimmbaren Szenario weitere Räume hervorzubringen“26 , also konkret: einen Ort wie den Stadteingang im Text zu konstruieren. Mein Ziel ist es, das Stadttor als imaginären Ort zu bestimmen. 13.2 Die Entfaltung städtischer Peripherien in der Literatur Da das kaiserzeitliche Textcorpus in bezug auf unsere Fragestellung recht schmal ist, werden nachfolgend auch zwei Werke mit einbezogen, die über den engeren Rahmen meines Untersuchungszeitraums hinausreichen. Diesem Vorgehen liegt die Annahme zugrunde, daß Entwürfe des Imaginären in der Literatur weit über ihre Entstehungszeit hinaus wirkmächtig sein können. Wenn daher zunächst zwei 24

25 26

P 2008, 19. Ein umfassender Forschungsüberblick findet sich ebd., 65–121. Vgl. auch das Wort Umberto Ecos, wonach die fiktiven Welten immer „Parasiten der wirklichen Welt“ sind: „[A]uch die unmöglichste Welt muß, um eine solche zu sein, als Hintergrund immer das haben, was in der wirklichen Welt möglich ist. Dies aber bedeutet: Die fiktiven Welten sind Parasiten der wirklichen Welt.“ (E 1996 im Aufsatz „Mögliche Wälder“, 101–127, hier 112.) Zur Referenzialität vgl. P 2008, 25–32.131–147. Mit dieser Formulierung zitiere ich F 2015, 105. Sie zeigt in ihrem Beitrag auf, „wie ein Ort der ‚realen‘ Welt als Raum wahrgenommen, beschrieben und gelesen werden kann, der Nichtreales, Erfundenes, auch Surreales enthält und diesem eine eigene Realität ermöglicht“ (91).

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13.2 Die Entfaltung städtischer Peripherien in der Literatur

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Stücke des Plautus herangezogen werden, die zu Beginn des zweiten Jahrhunderts v. Chr. entstanden,27 ist dabei mitzudenken, daß Plautus als wichtigster Dichter der römischen Komödie auch in der Kaiserzeit breit rezipiert wurde.28 Dennoch können seine Texte selbstredend nicht als Quellen zur Kaiserzeit beansprucht werden, und so wird die Interpretation dem abweichenden zeitlichen Entstehungsrahmen Rechnung tragen. 13.2.1 Szenen eines attischen Alltags In seinen Komödien Epidicus und Pseudolus zeichnet Plautus Szenen eines fiktionalen attischen Alltags, in denen auch ein Stadttor von Bedeutung ist. Obwohl es sich in beiden Fällen sogar quasi um dasselbe Tor im plautinischen Athen handelt, nämlich um das an der zum Hafen führenden Straße, liegt seiner Darstellung keineswegs ein einheitliches Konzept zugrunde. Wie zu sehen sein wird, setzt Plautus in seinem jeweiligen Entwurf der Gegend um das Stadttor ganz unterschiedliche Akzente und ruft damit unterschiedliche Assoziationen auf. a) Plaut. Epid. 206–254 Im Epidicus bietet Plautus ein lebhaftes und detailreiches Bild des städtischen Treibens am Tor. Wir befinden uns in Athen und werden Zeugen, wie der Sklave Epidicus dem alten Periphanes und dessen Freund Apoecides weismacht, Periphanes’ Sohn Stratippocles sei mit einer schönen Lyraspielerin liiert und plane heimlich, diese freizukaufen. Epidicus gibt vor, seinen Herrn in der ganzen Stadt gesucht zu haben, und berichtet ihm, was er zuvor am Stadttor gesehen und gehört haben will. Die Passage soll hier etwas weiter ausholend besprochen werden. Er leitet seine Ausführungen mit der Information ein, das athenische Heer sei aus Theben zurückgekehrt, alle Straßen seien voll von heimkehrenden Soldaten mit ihren Kriegsgefangenen und von Angehörigen, die nach ihren Söhnen suchen: fit concursus per vias.29 Auch die Mädchen seien unterwegs und liefen geschmückt ihren Liebsten entgegen (ornatae occurrebant suis quaeque amatoribus).30 Das Narrativ folgt nun gleichsam dem Strom der Menschen hin zu dem Ort, an dem die noch fehlenden Heimkehrer erwartet werden, zum Stadttor. Hier inszeniert Epidicus unsere erste Begegnung mit der Geliebten des Stratippocles. Die Passage sei zunächst in ganzer Länge zitiert:

27 28 29 30

Ein genaues Aufführungsdatum ist nur für den Pseudolus bekannt, der im Jahr 191 v. Chr. erstmals gespielt wurde. Vgl. S 1968, 1: „[W]ithout any doubt, Plautus was the most successful comic poet in the ancient world.“ Zur Plautusrezeption siehe D 2002. „Auflauf in den Straßen gibt’s.“ Plaut. Epid. 206–212, Zitat 210 (Text und Übersetzung hier und im folgenden modifiziert nach der Ausgabe von R 2007–2009). Epid. 213–216, Zitat 214.

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Ep. quom ad portam venio, atque ego illam illi video praestolarier et cum ea tibicinae ibant quattuor. Per. quicum, Epidice? Ep. cum illa quam tuos gnatus annos multos deamat, deperit, ubi fidemque remque seque teque properat perdere; ea praestolabatur illum apud portam. Per. viden veneficam? Ep. sed vestita, aurata, ornata ut lepide, ut concinne, ut nove. Per. quid erat induta? an regillam induculam an mendiculam? Ep. inpluviatam, ut istaec faciunt vestimentis nomina. Per. utin inpluvium induta fuerit? Ep. quid istuc tam mirabile est? quasi non fundis exornatae multae incedant per vias. at tributus quom imperatus est, negant pendi potis: illis quibus tributus maior penditur, pendi potest. quid istae, quae vesti quotannis nomina inveniunt nova? tunicam rallam, tunicam spissam, linteolum caesicium, indusiatam, patagiatam, caltulam aut crocotulam, subparum aut subnimium, ricam, basilicum aut exoticum, cumatile aut plumatile, carinum aut cerinum – gerrae maxumae. cani quoque etiam ademptumst nomen. Per. qui? Ep. vocant Laco[nicum. haec vocabula auctiones subigunt ut faciant viros. Ap. quin tu ut occepisti loquere? Ep. occepere aliae mulieres duae post me sic fabulari inter sese – ego abscessi sciens paulum ab illis, dissimulabam earum operam sermoni dare; nec satis exaudibam, nec sermonis fallebar tamen, quae loquerentur. Per. id lubidost scire. Ep. ibi illarum altera dixit illi quicum ipsa ibat – Per. quid? Ep. tace ergo, ut audias – postquam illam sunt conspicatae, quam tuos gnatus deperit: „quam facile et quam fortunate evenit illi, obsecro, mulieri, quam liberare volt amator.“ „quisnam is est?“ inquit altera illi. ibi illa nominat Stratippoclem Periphanai filium. Per. perii hercle. quid ego ex te audio? Ep. hoc quod actum est. egomet postquam id illas audivi loqui, coepi rursum vorsum ad illas pauxillatim accedere, quasi retruderet hominum me vis invitum. Per. intellego. Ep. ibi illa interrogavit illam: „qui scis? quis id dixit tibi?“ „quin hodie adlatae tabellae sunt ad eam a Stratippocle, eum argentum sumpsisse apud Thebas ab danista faenore, id paratum et sese ob eam rem id ferre.“ Per. certo ego occidi. Ep. haec sic aibat: sic audivisse ex eapse atque epistula. Ep. Angelangt beim Stadttor, seh ich auch schon sie ihn erwarten und vier Flötenmädchen bei ihr noch. Per. Bei wem, Epidicus?

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13.2 Die Entfaltung städtischer Peripherien in der Literatur

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Ep. Nun, bei jener, die dein Sohn schon viele Jahre sterblich liebt, wo er Ruf, Vermögen, sich und dich zugrunde zu richten eilt; die erwartete ihn am Stadttor. Per. Sieh doch nur diese Hexe! Ep. Doch ihr Kleid, ihr Schmuck, ihr Aufputz: wie charmant, wie chic, wie modern! Per. Was hatte sie denn an? Ein Königs- oder Bettelkleidchen? Ep. Ein Impluvium-Kleid, wie sich die Mode nun einmal so nennt. Per. Ein Impluvium hätt’ sie angehabt? Ep. Was wundert dich daran? Als ob nicht manche mit ganzen Gütern geschmückt einher schritte; und wenn Steuer auferlegt wird, heißt’s, man könne nicht zahlen: Für die Weiber, die viel höhere Steuer kriegen, hat man Geld. Dann, welch neue Namen finden sie jährlich für die Mode? Transparentes, dichtgewirktes, engplissiertes Linnenkleid, Miederkleid, Bordürenrobe, Ringelblumen-, Safrankleid, Bluse, Unterbluse, Schaltuch, Galakleid, Exotikum, Wasserblaues, Flaumgewirktes, Honiggelbes – Firlefanz! Selbst von einem Hund nimmt man den Namen. Per. Wie? Ep. Lakoner-Kleid. Solche Namen sind’s, die Männer zum Konkursverkauf zwingen. Ap. So erzähl doch schon weiter! Ep. Zwei andere Frauen fingen da hinter mir so an zu plaudern. Mit Bedacht entfernte ich mich etwas, und ich tat, als gäbe ich auf ihr Gespräch nicht acht. Ich verstand nicht genau, doch blieb mir das Gespräch nicht unklar, was sie sagten. Per. Das möcht ich doch gern wissen. Ep. Die eine sprach da zu der, die mit ihr ging – Per. Was? Ep. Sei doch still, damit du’s hörst. Als sie die erblickt, in die dein Sohn so sterblich verliebt ist: „Denk nur, welches Glück die Frau hat und wie günstig ihr geschieht, daß ihr Liebhaber ihr die Freiheit kaufen will.“ „Wer ist er denn?“, fragt die andere. Da nennt die erstere Stratippocles, des Periphanes Sohn. Per. Ich bin des Todes! Was hör ich da von dir? Ep. Nur die Wahrheit. Als ich sie nun dies hatte reden hören, macht’ ich wiederum allmählich näher mich an sie heran, so als schöb’ mich unfreiwillig die Menschenmenge. Per. Ich verstehe. Ep. Fragt da die zweite: „Woher weißt du’s? Wer hat das gesagt?“ „Sie erhielt doch einen Brief heut von Stratippocles: Er habe Geld

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in Theben aufgenommen bei einem Wucherer auf Zins; dieses sei bereit, und er bring’s dafür mit.“ Per. Ich bin des Todes! Ep. Dieses sagte sie; so wisse sie’s von ihr selbst und dem Brief.31 Die lebendige Beschreibung des Trubels in der Stadt, der eben heimkehrenden Soldaten und der Mädchen, die ihren Liebsten entgegenlaufen (206–216), bietet eine perfekte Rahmung für das, was sich Epidicus zufolge am Tor abspielt: Dort sitzt in extravaganter Kleidung und mit einem Gefolge von vier Flötenspielerinnen eine Hetäre (217–235), eben besagte Lyraspielerin, die auf Stratippocles wartet, der jeden Moment vom Hafen heraufkommen muß. Die Szenerie wird treffend abgerundet, wenn Epidicus einige plaudernde Frauen hinzufügt, die ein paar Schritte entfernt stehen und eben dabei sind, sich über das Mädchen zu unterhalten (236– 254). Der Sklave entwirft hier mit wenigen Sätzen eine Kommunikationssituation am Stadttor, die frei erfunden ist, die von den beiden Alten aber ohne jedes Zögern als wahr akzeptiert wird. Das Publikum profitiert von einem Wissensvorsprung gegenüber den handelnden Figuren: Anders als diese durchschauen die Rezipienten des Stücks die Geschichte sofort als fingiert, da sie die tatsächlichen Verhältnisse kennen.32 Mit diesem Hintergrundwissen läßt sich vortrefflich goutieren, wie geschickt Epidicus seine Fiktion entwickelt. Ist schon die einleitende Schilderung des Aufruhrs in der Stadt durch viele Details beglaubigt (die Kriegsgefangenen, die Eltern der Soldaten etc.),33 so läuft Epidicus beim Herzstück seiner Erzählung, der Stadttorszene, zu wahren Höchstleistungen auf, wenn er umständlich darlegt, wie er sich zunächst ein wenig abseits postiert, damit nicht auffällt, daß er die schwatzenden Frauen belauscht (237 f.), und wie er dann so tut, als würde er im Gedränge wider Willen nach und nach in ihre Nähe geschoben (247–249). Seine Darstellung arbeitet mit zahlreichen Personen und viel Bewegung, „ja sie mobilisier[t] die ganze Stadt“.34 Eine besondere Bedeutung kommt dem Exkurs zur luxuriösen Aufmachung der Lyraspielerin zu (222–235), da es Epidicus auf raffinierte Weise gelingt, die Aufmerksamkeit des Alten auf vollkommen unwichtige Einzelheiten zu richten und ihn damit von den wirklich brisanten Fragen abzulenken. Der Sklave beschreibt genüßlich, welch aufwendige Frisur, welch teuren Schmuck und vor allem welch ein ausgesuchtes Kleid die Geliebte des Stratippocles trägt – sie ist in eine inpluviata gewandet, worunter sich Periphanes, dem alle Extravaganzen ein Graus sind, ersichtlich nichts Rechtes vorstellen kann. Erstaunt fragt er nach, wie man denn ein inpluvium anziehen könne. Auch die Kommentatoren sind in diesem Punkt ei31 32 33 34

Epid. 218–254. So M 2001, 145: Wenn Epidicus hier Falschinformationen mit zutreffenden Fakten vermischt, tritt seine Manipulationsabsicht für das Publikum deutlich zutage. Zu diesem „brilliant piece of narrative“ siehe L 2001, 64 f. (Zitate 64): „The vivid detail of the description lends credence to the story“. D 1978, 19.

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nigermaßen ratlos, ist ein Impluvium doch das Regenwasserbecken im Atrium des römischen Hauses. So hat man unter anderem versucht, die inpluviata als ein rechtwinklig zugeschnittenes Gewand, als ein Kleid aus changierendem Moiré oder gar als Regenmantel zu deuten.35 Es läßt sich indessen mit guten Gründen annehmen, daß sich Plautus hier gar nicht auf einen tatsächlich existierenden Kleiderschnitt oder -stoff bezieht, sondern in grotesker Überzeichnung phantasievoller Namen für Damenkleider die Bezeichnung frei erfunden hat.36 In diesem Fall läge die komische Interferenz eben in der Überschneidung des alltäglichen Sprachgebrauchs von inpluvium mit dem Bezugsfeld kreativer Wortschöpfungen der Modebranche, also darin, daß Epidicus mit größter Selbstverständlichkeit den Standpunkt vertritt, man könne doch wohl noch weitaus absurdere Dinge anziehen als ein Impluvium (quid istuc tam mirabile est?), und daß Periphanes ihm alles staunend abnimmt.37 Mit einer überwältigenden Invektive vielversprechender Namen für neumodische Damenkleider versetzt der Sklave den bedauernswerten Alten dann vollends in Schrecken, da Periphanes natürlich daran denkt, daß es sein eigenes Geld ist, mit dem der Sohn die Capricen des Mädchens finanziert.38 Wenn Plautus in dieser Passage römische Diskurse zur luxuria aufgreift und sich sogar explizit auf die republikanische Luxusgesetzgebung und den damit verbundenen tributus (228) bezieht, tritt er damit aus der griechischen Kulisse des Stücks heraus. Ein antiker Rezipient wird aber gerade eine solche genuin römische Zutat,39 die aus moderner Sicht unstimmig wirkt,40 als aktualisierendes und damit die Fiktion erst recht beglaubigendes Detail wahrgenommen haben. Angesichts solcher hier nur kursorisch besprochenen Strategien zur Legitimierung des Fiktiven erweist sich die Stadttorszene im Epidicus als ein hochkomplexes Konstrukt, das lebensweltliche und fiktive Elemente zu einer Einheit verbindet. Letzten Endes ist auch die Lokalisierung der Szene am Tor der Stadt Teil dieser Legitimierungsstrategie: Epidicus kann seine Erzählung beglaubigen, indem er den konkreten Ort des Geschehens benennt und es damit verifizierbar erscheinen läßt. Ein ähnliches Verfahren wird schon ganz zu Beginn seines Auftritts angewandt, als 35

36 37 38

39 40

Ich beziehe mich auf den Stellenkommentar zu inpluviata (V. 224) in E 1961, 133: „C’està-dire «taillée en carré» comme le bassin dit impluuium; ou bien une robe de pluie?“, und auf F 1922, 135, Anm. 2, der den Moiréstoff vorschlägt. Weitere Ansätze diskutiert Fraenkel ebd. In diese Richtung weist auch die Auffassung Michael Fontaines, der die inpluviata unter „riddling words and mystifying conundrums“ rubriziert (F 2010, 19). Zur Komik bei Plautus siehe S-P 2007 mit der älteren Literatur. F 1922, 135, nimmt an, daß sich manch ein Zuschauer hier in Periphanes wiederfinden konnte: „Man braucht bei einem Hieb wie dem, den hier Epidicus einem Teil des Publikums versetzt, nicht gerade an Cato zu denken, aber etwas von dem Empfinden des ordentlichen römischen Hausvaters, des homo frugi, lebt in solchen Zwischenbemerkungen“ (gemeint ist Epid. 226–228). Daß es sich bei Epid. 222–235 um eine solche handelt, ist unstrittig, siehe etwa A 2001, 81 f. oder L 2001, 64 f. Fraenkel urteilt, durch die Einlage des plautinischen Katalogs werde rücksichtslos „das Ethos der Personen und der Situation zerstört“ (F 1922, 134).

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er im Gestus eines servus currens41 die Bühne betritt und seinen Herrn Glauben macht, er habe eben die ganze Stadt nach ihm abgesucht. Um das realistisch erscheinen zu lassen, zählt er anschaulich auf, er habe in Kurhäusern, Barbierstuben, im Gymnasium, auf dem Forum, bei Salbenhändlern, Metzgern und Geldwechslern nach ihm gefragt.42 Die von Epidicus erfundene Handlung wird an bestimmbaren Orten festgemacht, wobei hier – anders als im Fall des Stadttors an der Hafenstraße – eine präzise Festlegung ausbleibt, welche Barbierstuben und Salbengeschäfte gemeint sind. Das Stadttor erscheint in diesem Text als ein Treffpunkt im eigentlichen Sinn des Wortes, also als ein Ort, an dem nicht nur Epidicus die Lyraspielerin antrifft, sondern an dem diese ihrerseits ihrem Liebhaber zu begegnen hofft (und sich damit erspart, sinnlos durch die Straßen zu laufen, wie die Eltern der heimkehrenden Soldaten es auf der Suche nach ihren Söhnen tun). Die Kommunikationssituation wird in ihrem Realismus stimmig entworfen und bis ins Kleinste ausgemalt, so daß der Rezipient das merkwürdige intellektuelle Vergnügen hat, sich lebensnah in die Szene am Stadttor hineinversetzt zu fühlen und dabei die kostspielige Hetäre in ihrer exaltierten Aufmachung, die Flötenspielerinnen, die schwatzenden Frauen und die aufgeregte Menschenmenge lebhaft vor seinem inneren Auge zu sehen, obwohl er genau weiß, daß es sich erstens um eine Theaterfiktion handelt und zweitens innerhalb dieser Fiktion wiederum um eine reine Lügengeschichte, mit der ein phantasievoller Sklave seinen Herrn an der Nase herumführt. b) Plaut. Pseud. Ein divergierendes Bild entwirft Plautus in seiner Komödie Pseudolus. Anders als im Epidicus ist dabei die Handlung als solche unmittelbar vor einem Stadttor angesiedelt, so daß die Stadttorgegend insgesamt in den Blick rückt. Die Protagonisten nehmen immer wieder explizit Bezug auf das Tor, auch wenn dessen Darstellung vermutlich im Bühnenbild nicht vorgesehen war.43 Schauplatz der Geschichte ist wiederum Athen, und das in Frage stehende Tor ist wiederum das Tor an der Straße zum Hafen. Sehen wir uns die einschlägigen Passagen an: Im folgenden Dialog freut sich Calidorus, daß sich der Zuhälter Ballio vermeintlich doch dagegen entschieden hat, die Prostituierte Phoenicium, das Mädchen, in das Calidorus verliebt ist, an einen makedonischen Offizier zu verkaufen. Der junge Mann weist seinen Sklaven Pseudolus an, Lämmer zu beschaffen, um eine Dankesmahlzeit für Ballio auszurichten. 41

42

43

Zur entsprechenden »Kostümierung« mit dem Mantel in den Versen 194 f. siehe B 2001, 22. In Vers 205 heißen ihn die beiden Alten erst einmal Atem schöpfen: recipe anhelitum, mahnt der eine, clementer, requiesce der andere. Epid. 196–199: di immortales, utinam conveniam domi | Periphanem, per omnem urbem quem sum defessus quaerere: | per medicinas, per tonstrinas, in gymnasio atque in foro, | per myropolia et lanienas circumque argentarias. Siehe dazu unten, 369, mit Abb. 13.1.

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Bal. immo vin etiam te faciam ex laeto laetantem magis? Cal. quid iam? Bal. quia enim non venalem iam habeo Phoenicium. Cal. non habes? Bal. non hercle vero. Cal. Pseudole, ei accerse hostias, victumas, lanios, ut ego huic sacruficem summo Iovi; nam hic mihi nunc est multo potior Iuppiter quam Iuppiter. Bal. nolo victumas: agninis me extis placari volo. Cal. propera, quid stas? ei accerse agnos. audin quid ait Iuppiter? Ps. iam hic ero; verum extra portam mi etiam currendumst prius. Cal. quid eo? Ps. lanios inde accersam duo cum tintinnabulis, eadem duo greges virgarum inde ulmearum adegero, ut hodie ad litationem huic suppetat satias Iovi. Bal. i in malam crucem. Ps. istuc ibit Iuppiter lenonius. Bal. Möchtest du sogar, daß ich dich anstatt froh noch froher mache? Cal. Wie denn das? Bal. Weil ich Phoenicium nicht mehr verkaufen will. Cal. Nicht mehr? Bal. Nein, gewiß nicht. Cal. Pseudolus, hol Opfertiere her und die Opferschlächter, daß ich diesem Jupiter Opfer bringe, denn der ist mir nun viel eher Jupiter als Jupiter! Bal. Keine Rinder: Nur mit Innereien vom Lamm stimmt man mich sanft. Cal. Eil, was stehst du? Geh, hol Lämmer! Hörst du nicht, was Jupiter sagt? Ps. Gleich bin ich zurück, doch vorher muß ich vor das Tor hinaus. Cal. Wozu denn das? Ps. Dort hol ich zwei Schlächter mit Schellen her, und zugleich bring ich von dort zwei Bündel Ulmenruten mit, daß er alles zur Opferfeier hat, dieser Jupiter. Bal. Geh zum Henker! Ps. Dorthin wird gleich der Kuppler-Jupiter gehen.44

Wenn Calidorus Ballio als seinen Jupiter preist und ihm ein Dankopfer darbringen will (326–328), knüpft er in unerwarteter Weise an eine frühere Bemerkung Ballios an, der seinerseits erklärt hatte, selbst wenn er eben dabei wäre, dem Jupiter zu opfern, und schon die Innereien in der Hand hielte, um sie auf den Altar zu legen, würde er doch keine Gelegenheit ausschlagen, etwas zu verdienen, und im Zweifelsfall bedenkenlos das Opfer abbrechen (265–269). Die Konstellation, in der der Zuhälter als neuer Jupiter just jene Lämmer für sich reklamiert (329), 44

Plaut. Pseud. 324–335 (Text und Übersetzung modifiziert nach der Ausgabe von R 2007– 2009).

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die er selbst dem Gott in lästerlicher Weise verweigern würde,45 ist also bereits einigermaßen bizarr. Nun aber schaltet sich auch noch der Sklave Pseudolus ein und erklärt seinem jungen Herrn zu dessen Erstaunen, er müsse erst vors Stadttor laufen, um dort zwei lanii zu holen (332–334). Wie sich im weiteren Gesprächsverlauf erweist, sind damit in doppeldeutiger Weise keineswegs Metzger zum Schlachten der Lämmer gemeint, sondern Henker, welche Ballio, den Möchtegern-Jupiter, ans Kreuz schlagen46 sollen (335). Wenn Pseudolus den Bordellier zum Henker wünscht, schätzt er dessen Niedertracht und Skrupellosigkeit im Gegensatz zu seinem Herrn treffsicher ein, denn wie Ballio anschließend einräumt, hat er das Mädchen bereits zum Preis von 20 Minen an den Makedonier verkauft (340–344). Die Bemerkung des Pseudolus, er werde vor dem Tor zwei Schlächter suchen, bezieht sich klar auf die stadtrömische Situation, da Henker in Rom von Gesetzes wegen außerhalb der Stadt leben mußten47 und diese nur mit Schellen behängt betreten durften, damit man sie kommen hören konnte und so die Möglichkeit hatte, ihnen weiträumig auszuweichen. Es handelte sich dabei um die Berufsgruppe der libitinarii, deren Aufgabe sich nicht auf das Begraben von Toten beschränkte, sondern auch Folter und öffentliche Hinrichtungen umfaßte, also den Tätigkeitsbereich eines carnifex. In Rom waren libitinarii vornehmlich im Gebiet vor der Porta Esquilina anzutreffen,48 wo Exekutionen stattfanden und die Leichen der Hingerichteten der Verwesung preisgegeben wurden – nicht zuletzt deshalb war die Gegend in republikanischer Zeit, in der wir uns mit Plautus befinden, verrufen.49 Der Vorschlag des Pseudolus mußte unter diesen Umständen bei einem römischen Publikum übelste Assoziationen erwecken, und wie zu sehen sein wird, werden im Verlauf der Handlung weitere üble Assoziationen zur Stadttorgegend zu gewärtigen sein. Zunächst erfahren die Rezipienten, daß Ballio, der sein Bordell in seinem Privathaushalt betreibt,50 ebenfalls in der Nähe des Stadttors wohnt. Harpax, der Diener des makedonischen Offiziers Polymachaeroplagides, soll Ballio den Rest 45 46 47 48

49 50

Zur Konnotation der impietas siehe das Urteil des Pseudolus in Vers 269: deos quidem, quos maxume aequom est metuere, eos minimi facit; weiterführend dazu S 1968, 15–41. Vgl. zur Sache auch den Ausruf des Sklaven Simia in Vers 950: nisi effecero, cruciabiliter carnifex me accipito. Siehe dazu schon oben, 204. Darauf verweisen, teils in unzulässiger Gleichsetzung des Tors im Pseudolus mit der Porta Esquilina, auch die Kommentare zur Stelle bei A 1896, 90, N 1951, IV 184, Anm. 1, und W 1987, 110. Siehe unten, 378–382. Daß die Prostituierten in Ballios eigenem Haus wohnen, wurde bereits in V. 171–229 deutlich. Wie A 1993, 146 f., überzeugend darlegt, gab es in Rom zur Zeit des Plautus noch keine organisierten Bordelle in der Art von Ballios „flagrantly Greek establishment“ (147). Der professionelle Betrieb des Zuhälters „would appear to the Roman audience another proof of Greek perversion, commercialization and base profiteering from the management of prostitutes“, wie sie in Griechenland seit dem frühen vierten Jahrhundert durch den Handel mit attischen und korinthischen Luxusprostituierten anzutreffen waren (ebd.).

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des Kaufpreises für Phoenicium bringen und sucht daher dessen Haus.51 Wie seinem kurzen Monolog zu entnehmen ist, hat ihm sein Herr die Umgebung beschrieben, und er erinnert sich daran, daß das gesuchte Haus das vom Tor aus siebte sein muß (septumas esse aedis a porta ubi ille habitet leno). Anscheinend hat man sich die bauliche Situation unübersichtlich vorzustellen, denn Harpax bleibt ratlos stehen und sucht jemanden, der ihm den Weg weisen kann. So gerät er dem findigen Pseudolus in die Fänge, der ihm ein Schreiben seines Herrn mit dessen Erkennungszeichen abnimmt, sich um alles zu kümmern verspricht und ihn in ein Wirtshaus schickt. Geht man davon aus, daß Harpax die Stadt soeben betreten hatte,52 wohnt Ballio offenbar nicht wie die Henker feldseitig vor dem Tor, sondern innerhalb der Stadt. Auch als wenig später der Sklave Simia vor dem Haus des Ballio steht, wird dieses noch einmal innerhalb der städtischen Peripherie verortet. Simia tut so, als sei er der eben angekommene Harpax.53 Er spricht nun seinerseits zu sich selbst, es sei ihm aufgetragen, in die vom Tor aus sechste Gasse zu gehen (hoc est sextum a porta proxumum angiportum, in id angiportum me devorti iusserat). Dabei gibt er vor, vergessen zu haben, welches Haus in dieser Gasse sein Herr ihm genannt hat. Das muß Teil seiner Strategie sein, überzeugend den Ortsfremden zu spielen, so daß Ballio, der ihn belauscht, keinen Verdacht schöpft und ihm das Mädchen aushändigt. Unklar scheint zunächst, warum die Angaben inhaltlich voneinander abweichen: Suchte Harpax das siebte Haus, so nennt Simia ein Haus in der sechsten Gasse hinter dem Stadttor. Vermutlich hat man sich die Situation so vorzustellen, daß zwischen den Häusern jeweils eine Gasse abzweigt, so daß das siebte Haus an der Hauptstraße zugleich das erste Haus der sechsten Gasse ist (siehe Abb. 13.1 auf S. 370).54 In jedem Fall läßt sich festhalten, daß der innerstädtischen Wohngegend unmittelbar am Stadttor ein etwas anrüchiger Charakter eignet, wenn der mieseste Zuhälter der Stadt dort seine Geschäfte betreibt. Das Tableau erweitert sich schließlich noch um ein weiteres übel beleumdetes Etablissement, welches nun aber wieder außerhalb des Stadttors angesiedelt ist: ein Wirtshaus, in das der Sklave Harpax einkehrt.55 Auf seinem Weg nach Athen 51

52 53 54 55

Pseud. 595–599: Har. hi loci sunt atque hae regiones quae mi ab ero sunt demonstratae, | ut ego oculis rationem capio quam mi ita dixit erus meus miles, | septumas esse aedis a porta ubi ille habitet leno, quoi iussit | symbolum me ferre et hoc argentum. nimis velim, certum qui id mihi faciat, | Ballio leno ubi hic habitat. Dafür spricht nicht nur, daß er ein Schwert trägt (V. 593), sondern auch, daß er nicht weiß, wo er Ballios Etablissement zu suchen hat und sich demnach nicht in Athen auskennt. Pseud. 960–962: Sim. habui numerum sedulo: hoc est sextum a porta proxumum | angiportum, in id angiportum me devorti iusserat; | quotumas aedis dixerit, id ego admodum incerto scio. Dies nehmen die Kommentatoren weitgehend übereinstimmend an. Eine abweichende Lösung, die jedoch neue Probleme aufwirft, schlägt W 1987, 10 f. vor. Pseud. 658–664: Har. ego devortor extra portam huc in tabernam tertiam, | apud anum illam doliarem, claudam crassam, Chrysidem. | Ps. quid nunc vis? Har. inde ut me arcessas, erus tuos ubi venerit. | Ps. tuo arbitratu, maxume. Har. nam ut lassus veni de via, | me volo curare. Ps. sane sapis et

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Abbildung 13.1: Schauplatz des Pseudolus. Auf der Bühne werden nur die drei Häuser rechts dargestellt gewesen sein, der Rest der imaginären Szenerie ließ sich für die Zuschauer durch die Aussagen der Protagonisten und entsprechende Gesten erschließen.

hat Harpax bereits die Unterkunft ausgemacht, in der er abzusteigen und sich auszuruhen gedenkt, die dritte Schenke vor dem Tor (extra portam huc in tabernam tertiam). Die Beschreibung, die er von der alten Wirtin der Spelunke gibt, will so gar nicht zu ihrem schönen Namen Chrysis passen: Sie ist wie ein Faß, hinkend und fett (anum illam doliarem, claudam crassam). Wie der Betrieb aussieht, den diese Dame unterhält, mag man sich gar nicht ausmalen. Ohne dabei weiter ins Detail zu gehen, entwirft Plautus ein eingängies Bild von dem Gebiet am Stadttor, in dem sich die Handlung abspielt. Es ist alles in allem eine sehr zweifelhafte Gegend, in der Calidorus’ Vater, der vornehme Athener Simo, sein Haus hat – eine Gegend, in der Henker, Zuhälter, Prostituierte, Schankwirtinnen und dubiose Fremde anzutreffen sind, und die damit die perfekte Kulisse für eine plautinische Intrige bildet. Der Autor bereichert das attische Setting im Rückgriff auf die Verhältnisse der mittleren Republik um stadtrömisches Lokalkolorit, das die Zuschauer an die berüchtigten Zustände vor der Porta Esquilina und in der angrenzenden Subura denken ließ. Dabei genügen Plautus wenige gezielte Anspielungen, um einen weiten Raum für Assoziationen zu schaffen. Aus den beiden Komödien läßt sich damit so etwas wie eine literarische Topographie des fiktiven Athener Hafentors nicht erstellen. Zu inkongruent sind die Vorstellungen, die jeweils mit dem imaginären Tor verknüpft werden, wenn dort im einen Fall die aus dem Krieg heimkehrenden Bürgersöhne erwartet werden, während sich im anderen Fall der Abschaum der städtischen Gesellschaft dort tummelt. Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch im gewählten Modus weichen die beiden Darstellungen deutlich voneinander ab. Während Plautus im Epidicus consilium placet. | sed vide sis ne in quaestione sis, quando arcessam, mihi. | Har. quin ubi prandero, dabo operam somno. Ps. sane censeo.

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eine einzelne Szene vor der markanten Kulisse des Tors wie in Momentaufnahme darbietet (und dies nur in der Erzählung einer Figur und nicht als visuelle Darstellung auf der Bühne), spielt im Pseudolus die Handlung des kompletten Stücks mit all ihren Nebensträngen und Verwicklungen gleichsam im Schatten des Stadttors. Entsteht im ersten Fall das vergleichsweise klar umrissene Bild eines einzelnen Ortes, so haben wir es im zweiten Fall mit einer ganzen imaginären Stadtlandschaft zu tun, die in vielen Facetten schimmert. Interessant ist dies nicht zuletzt deshalb, weil sich hier zeigen läßt, wie sich ein und derselbe Autor in einem sehr ähnlichen Kontext auf dieselben urbanen Gegebenheiten beziehen kann, dabei aber seinen Gegenstand jeweils neu interpretiert und den Bedürfnissen seines Texts anpaßt.56 13.2.2 Romanbilder eines locus horridus Von den heiteren Szenen unter der attischen Sonne kommen wir nun zum nächtlichen Stadtrand und wechseln zugleich das literarische Genre. War das Stadttor bei Plautus im einen Fall durch seine Funktion als Treff- und Wartepunkt gekennzeichnet und im anderen Fall durch die verrufenen Gestalten, welche die Bordelle und Schenken am Stadtrand bevölkerten, so sind es in den beiden kaiserzeitlichen Texten, die nachfolgend herangezogen werden, die unmittelbar an die Tore grenzenden Friedhöfe, die der Gegend ihr Gepräge aufdrücken. In den Nekropolen eröffnen sich nächtens fantastische Welten, in denen alles möglich scheint: Wer in der Nacht die Stadt verläßt, muß sich darauf gefaßt machen, Räubern, Werwölfen und Untoten zu begegnen. Die beiden im folgenden vorzustellenden Texte von Petron und Apuleius greifen dabei Topoi auf, wie wir sie bereits bei Plautus fassen können, und gestalten auf dieser Grundlage Bilder eines locus horridus. Sie stehen exemplarisch für eine Vielzahl von Geschichten über daimonische und furchteinflößende Wesen vor den Toren der Stadt, die man sich in der Kaiserzeit erzählte.57

56

57

Dieser Befund stützt die These Therese Fuhrers, daß auch das Bild einer namentlich benannten Stadt in der Literatur stets dynamisch zu denken ist: „Mit dem Namen einer Stadt wird dem Raum [. . . ] eine bestimmte kulturelle Identität zugewiesen, die sich aus der geographischen Lage, der Topographie und der politischen und kulturellen Geschichte einer Stadt ergibt, unter Umständen auch aus der Zeitstellung, in der die Handlung angesetzt ist. Dabei bleibt auch ein konkretes Stadtbild nicht statisch. Die Identität einer Stadt ist nicht der gebauten Struktur inhärent; vielmehr lässt sich eine Stadt auch als Wahrnehmungsraum verstehen, der unterschiedliche mentale Bilder erzeugt, und er ist in der Folge auch literarisch oder filmisch modellierbar.“ (F 2015, 88.) Weitere Fallbeispiele wie das der Empousa, einer vampirähnlichen Spukgestalt, in der Hafenvorstadt von Korinth (Phil. Ap. 4,25) und die von Lukian ebendort verorteten Schauergeschichten über ein Geisterhaus (Lukian Philopseudes 30 f.) untersucht D 2017.

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a) Petr. 62,2–9 Beginnen wir mit einem nächtlichen Szenario, das sich vor einer fiktiven Stadt in Kampanien58 abspielt. In Petrons Satyrica 62,2–9, einem Abschnitt aus dem Gastmahl des Trimalchio, wird die an die Stadt grenzende Nekropole als Ort des Grauens in Szene gesetzt. Der Freigelassene Nikeros, einer von Trimalchios Gästen, erzählt, wie er einst nächtens in einer amourösen Angelegenheit aufs Land aufgebrochen ist: Sein Begleiter und er wandern im hellen Mondschein zwischen den Grabmonumenten einher. Doch noch vor dem fünften Meilenstein vor der Stadt kommt es zu einer furchtbaren Szene: Der Soldat, der Nikeros begleitet, verschwindet zwischen den Gräbern, und während Nikeros noch singend die Stelen zählt, entledigt jener sich plötzlich aller Kleidungsstücke, uriniert einen Kreis um diese herum und verwandelt sich in einen Wolf, der heulend in die Wälder läuft. Seine Kleider sind indessen zu Stein geworden, und am nächsten Morgen findet Nikeros die Stelle blutverschmiert.59 Es wäre irrig, aus dieser Erzählung ableiten zu wollen, daß sich die stadtrömische Bevölkerung beim Passieren der vorstädtischen Nekropolen de facto vor Werwölfen gefürchtet habe.60 Eine solche Furcht wird augenscheinlich nicht einmal fiktionsimmanent vorausgesetzt, denn wir haben es hier mit einer Schauergeschichte zu tun, die ein Aufschneider beim Gastmahl zum Besten gibt. Bei der Wolfsverwandlung angelangt, muß er selbst explizit betonen, er treibe keine Scherze und erzähle keine Lügen (62,6). Nikeros schließt mit den Worten: „Wenn ich lüge, will ich eure Schutzgeister gegen mich haben!“61 Spätestens der anschließende Kommentar Trimalchios zeigt, daß man sich die anwesenden Gäste nicht in Angst und Schrecken versetzt vorstellen muß, denn er sieht sich bemüßigt, zu betonen, Nikeros rede keinen Unsinn, und er selbst habe sich sehr gegruselt (63,1).62 58

59 60

61 62

Zur Lokalisierung des Geschehens siehe schon F 1906, 8–11, der den Ort mit Puteoli identifizieren will – gegen M 1878, 106–115, welcher Cumae vorschlägt. Auch wenn diese Thesen nach wie vor diskutiert werden, läßt sich mit S 1975, xviii f. argumentieren „that Petronius did not attach much importance to the precise location of the Cena.“ Petr. 62. Gegen P 2000, 103. Es sei am Rande bemerkt, daß das Motiv der Werwolfverwandlung in der lateinischen Literatur so uneinheitlich behandelt wird, daß daraus auch sonst keinerlei Schlüsse auf eventuell in der Bevölkerung etablierte Vorstellungen gezogen werden können, wie M 2011, 235, festhält. Die Verfasserin zieht neben der Petronstelle Verg. ecl. 8,95–99, Ov. met. 7,264–271 und Apul. met. II 21 f. heran. Zur hier in Frage stehenden Stelle vgl. auch M 2011, 233 mit Anm. 23: Daß Petron bekanntes Material bearbeitet, belegt keinen Volksglauben an Werwölfe, so Metzger. Petr. 62,14: ego si mentior, genios vestros iratos habeam. Text hier und im folgenden nach M/ E 1983. Gerade die Bemühung, die Geschichte durch den Augenzeugenbericht, die genaue räumliche Verortung, durch das Auftreten weiterer Zeugen und die Wahrheitsbeschwörung authentisch erscheinen zu lassen, ist für Geistererzählungen typisch (M 2011, 233 f., in ihrer Besprechung dieser Stelle).

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13.2 Die Entfaltung städtischer Peripherien in der Literatur

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Das jedoch ist die erzählerische Einbettung. Innerhalb der Geschichte selbst gibt es keine Elemente, die das Ausmaß des Schreckens relativieren. Im Gegenteil wird die Furcht des Protagonisten höchst plastisch ausgemalt: Er glaubt zu sterben (mihi anima in naso esse, 62,5),63 ja sein Körper reagiert bereits wie der eines Toten (stabam tamquam mortuus, ebd.) – kurz, er ist in Todesangst versetzt (qui mori timore nisi ego, 62,8). Die Nekropole wird zum Ort des Grauens und Horrors. Selbst der Soldat, der die Disziplin und Stärke der römischen Armee verkörpert,64 hat dem nichts entgegenzusetzen. Ein Stadttor übrigens ist in diesem Text gar nicht erwähnt: Nichts hindert die beiden Wanderer daran, zu vorgerückter nächtlicher Stunde die Stadt zu verlassen und der Straße durch die angrenzende Nekropole zu folgen. Der vom Mond unnatürlich hell erleuchtete Friedhof bildet dabei eine schauerliche Kulisse, in der sich Nikeros freilich zunächst vollkommen unbefangen bewegt. Der Übergang von der Stadt ins Umland korrespondiert dann aber auf unerwartete Weise mit der Verwandlung seines Gefährten in einen Wolf, einer Verwandlung, in der die Grenze zwischen Mensch und Tier überschritten wird. Der Stadtrand wird damit stimmig als ein Übergangsbereich zwischen Zivilisation und Wildnis in Szene gesetzt. Zuhause in der Stadt, im Haus seines Herrn in der Engen Gasse, war der Werwolf in Menschengestalt dem Protagonisten noch als ein zuverlässiger Kamerad erschienen, der einen auf dem nächtlichen Weg wohl beschützen konnte (erat autem miles, fortis tamquam Orcus, 62,2). Erst am fünften Meilenstein vor der Stadt erweist sich sein wahres Wesen. Hier, in der äußersten Peripherie der Stadt, erscheinen unmögliche Grenzüberschreitungen möglich.65 b) Apul. met. IV 18,1–3 Damit verlassen wir Kampanien und begeben uns mit Apuleius (met. IV 18–21) nach Griechenland, ins boiotische Plataiai. In einer Erzählung, die ein Räuber beim Gelage mit seinen Kumpanen zum besten gibt, wird der nächtliche Stadtrand von Plataiai als ein Ort des Verbrechens in Szene gesetzt, an dem sich zwielichtiges Gesindel herumtreibt. Die Lokalisierung der Handlung in einer tatsächlichen Stadt stellt dabei „die für den antiken Roman typische Verbindung von außertextueller Realität und fiktivem Geschehen“ her.66 63

64 65

66

Wie S 1975, 173 im Kommentar zur Stelle erklärt, umschreibt dieser Ausdruck extreme Furcht. Das Bild bezieht sich auf die verbreitete Vorstellung, daß die Seele einer sterbenden Person durch Mund oder Nase entweicht. Darauf macht D 2017, 14 aufmerksam. Eine Verwandlung vom Menschen in einen Werwolf passiert den antiken Quellen zufolge immer außerhalb der Stadt und wäre in einem innerstädtischen Kontext nicht denkbar (freundliche Auskunft von Nadine Metzger, die die einschlägigen Texte für ihre bereits zitierte Publikation M 2011 untersucht hat). So F 2015, 91 über das analoge Verfahren in met. I 5–III 28, wo die Romanhandlung im thessalischen Hypata situiert wird. Zur literarischen Topographie in den Metamorphosen siehe

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands

Der Räuber berichtet zunächst von den Vorbereitungen für einen nächtlichen Beutezug: post haec valefacto discessimus et portam civitatis egressi monumentum quoddam conspicamur procul a via remoto et abdito loco positum. ibi capulos carie et vetustate semitectos, quis inhabitabant pulverei et iam cinerosi mortui, passim ad futurae praedae receptacula reseramus et ex disciplina sectae servato noctis inlunio tempore, quo somnus obvius impetu primo corda mortalium validius invadit ac premit. „Darauf verabschiedeten wir uns und gingen fort. Als wir das Stadttor passiert haben, erblicken wir ein Grabmal, das abseits vom Weg an entlegener und versteckter Stelle errichtet war. Dort brechen wir die Särge, die vor Moder und Alter schon halb verfallen waren und in Staub, ja Asche verwandelte Leichen beherbergten, als Behältnisse für die erwartete Beute in Mengen auf. Nach Zunftregel halten wir uns an die mondfreie Nachtzeit, in welcher der erste Schlaf über die Menschen kommt und ihre Sinne mit Allgewalt bleiern befällt.“67 Daraufhin, so erzählt der Räuber weiter, überfallen er und seine Kumpanen das Haus des reichen Demochares. Sie schleppen Tafelsilber davon, soviel sie tragen können, um es „jenen absolut redlichen Toten schnell unter Dach und Fach zu geben“68 und anschließend noch mehr Gold und Silber aus der Kammer zu holen. Unerwartet wird jedoch ihr Anführer von einer schnell zusammengelaufenen aufgebrachten Menschenmenge angegriffen. Nachdem ihn wilde Hunde zerfleischt haben, durchbohrt man ihn mit Lanzen. So verlassen die übrigen Räuber die Stadt, packen schleunigst ihre Beute, die ihnen die „redlichen Toten“ verwahrt haben,69 und verlassen eilig das Gebiet von Plataiai. Diese Handlung setzt voraus, daß die Protagonisten mehrfach in Folge ungehindert das Stadttor durchqueren, obwohl es mitten in der Nacht ist.70 Explizit erwähnt wird das nur beim ersten Mal, aber da sich das Haus des Demochares in der Stadt befinden muß,71 kehrt die Bande demzufolge von der Nekropole für den Überfall in die Stadt zurück und eilt anschließend mit Gold und Silber beladen

67 68 69 70

71

ferner H 2013, 197–213, hier 203–205: Die drei Räubergeschichten in Apul. met. IV 9–21 lassen sich anhand ihrer expliziten Lokalisierung in Theben und Plataiai als Persiflagen mythologischer bzw. historischer Kriegszüge lesen. Die hier zur Diskussion stehende Geschichte interpretiert Harrison als Parodie auf die Darstellung der Schlacht von Plataiai im Jahr 479 v. Chr. in Hdt. IX 13–84 (H 2013, 205). Apul. met. IV 18,1–3, Text und Übersetzung auch der folgenden Zitate B/E 1989. Apul. met. IV 18,6: et in illis aedibus fidelissimorum mortuorum occultare. So ebd., § 21,6, erneut: confestim itaque constrictis sarcinis illis, quas nobis servaverant fideles mortui. Dies steht im krassen Gegensatz zu den Sicherheitsvorkehrungen des Demochares, der in seinem Haus mehrere Wächter und einen Pförtner beschäftigt und es nachts gut verschließen läßt (§ 18,3) – was ihm freilich nichts nützt, da sich die Banditen mit List und Gewalt Zutritt verschaffen. Dies wird in § 18,1 deutlich, wenn die Räuber sich von Demochares verabschieden und dann unterwegs zum Friedhof das Stadttor passieren.

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13.2 Die Entfaltung städtischer Peripherien in der Literatur

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wieder hinaus vor das Tor, während der Sprecher am Tatort wartet, um schließlich seinerseits nach dem Tod des Anführers aus Plataiai zu fliehen. Das erste Verlassen der Stadt durch das Stadttor ist in dieser Episode sehr betont als Schauplatzänderung gestaltet. Sobald die Räuber durch das Tor hinausgegangen sind (portam civitatis egressi), setzt mit einem markanten Tempuswechsel vom Perfekt zum Präsens die eigentliche Handlung ein. Da sich die Darstellung ohne jede sprachliche Überleitung unmittelbar auf den Friedhof fokussiert (monumentum quoddam conspicamur), hat man den Eindruck, daß die Räuber sofort zwischen den Gräbern stehen, ohne auch nur eine kurze Strecke auf der stadtauswärts führenden Straße zu laufen. Sie entdecken an abgelegener und versteckter Stelle einen Grabbau, den sie sich als Unterschlupf aussuchen, und brechen dort die Särge auf, um später in ihnen ihre Beute verstecken zu können – ein Vorhaben, in dem ein gewisser Witz liegt, da Sarkophage üblicherweise mit der Absicht aufgebrochen wurden, sie auszurauben oder illegal eine weitere Leiche zu deponieren,72 nicht aber, um Gold und Silber hineinzulegen. Wer wie diese Räuberbande bedenkenlos Gräber schändet,73 nur um Wertgegenstände darin zu lagern, darf als einigermaßen ruchlos gelten. Für die Beschreibung des Grabinneren wählt Apuleius nun ein makabres Register, das geeignet ist, den Leser schaudern zu lassen: Fäulnis (caries) und Alter (vetustas) haben die Sargdeckel zum Einstürzen gebracht,74 und in den Sarkophagen finden sich zu Staub und gar zu Asche gewordene Leichen (pulverei et iam cinerosi mortui). Ihrer materiellen Zersetzung zum Trotz führen diese Leichen ein gruseliges Eigenleben, denn es heißt in sarkastischem Scherz, daß sie die Gräber „bewohnen“ (inhabitant).75 Die nachgeschobene Information, daß die Räuber die mondlose Zeit der Nacht abwarten, wenn die Herzen der Normalsterblichen von einem übermächtigen Schlaf gefangengehalten werden (noctis inlunio tempore, quo somnus obvius impetu primo corda mortalium validius invadit ac premit), verstärkt die unheimliche Stimmung. Mit der Rückkehr in die Stadt spielt sich dann im Haus des Überfallenen und in der Gasse davor ein grausames Blutbad ab, bei dem mehrere Menschen ums Leben kommen. Unterdessen wendet der Sprecher wiederholt seine Aufmerksamkeit den Leichen vor dem Stadttor zu, wobei die Stimmung nun entschieden ins Komische kippt.76 Das Eigenleben der Grabbewohner wird zu einem running gag, wenn 72 73 74 75 76

Das belegen die zahllosen Inschriften, die genau dies verhindern sollten. Beliebige Beispiele bieten IPhilippi 038.062.071.083. Grabraub war nicht nur ein Eigentumsdelikt, sondern vor allem ein religiöser Frevel (vgl. R 2001, 106, mit Quellenangaben). Das Wort semitectos erlaubt zwei unterschiedliche Interpretationen: Entweder sind die Särge aufgrund ihres Alters nur noch halb geschlossen, oder sie sind halb von Moder bedeckt. Vgl. in diesem Sinn auch H .. 1977, 136: „Seeing that the inhabitants are cinerosi mortui the verb is used somewhat ironically.“ Ich bin in diesem Punkt anderer Auffassung als  T 1971, 104–106, der die ganze Geschichte „langatmig und umständlich“ findet, „durch und durch pathetisch und unwahrscheinlich“ und ganz ohne ironischen Witz (ebd., 105).

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands

dreimal in Folge die einzigartige Redlichkeit und Zuverlässigkeit der Toten als Wächter der Räuberbeute betont wird.77 Noch auf der Flucht denken die Räuber den Worten des Sprechers zufolge darüber nach, daß in ihrem eigenen Leben keine Treue (nullam fidem) mehr anzutreffen sei, weil diese zu den Toten abgewandert ist.78 Wir finden in diesem Text Elemente wieder, wie wir sie schon bei Petron angetroffen haben. Auch bei Apuleius ist die nächtliche Vorstadt ein unheimlicher Ort, der entscheidend durch die Nekropolen geprägt ist. Die Wirkung des Textes ist dennoch eine andere, da die textinternen Fokalisationsfiguren anders als bei Petron nicht selbst in Angst und Horror versetzt sind, sondern mit der professionellen Frechheit unerschrockener Galgenvögel und einem humorvollen Augenzwinkern ihren Geschäften nachgehen und sich dabei von den Untoten in ihren modrigen Gräbern nicht im geringsten aus der Ruhe bringen lassen. Aber während die Glaubwürdigkeit des Erzählten bei Petron auf der Ebene der Rahmenhandlung relativiert wird, ist es hier umgekehrt so, daß die großsprecherische Darstellung des Räubers mit keinem Wort in Zweifel gezogen wird, nachdem dieser seine Erzählung beendet hat.79 Es tritt eine nachdenkliche Pause ein, da die Banditen in Erinnerung an ihre toten Kameraden ein Trankopfer darbringen, das Gelage beenden und sich ausruhen (§ 22,1). Anscheinend ist es dem Sprecher mit der Schilderung der kühnen Taten seiner Bande gelungen, allen Spöttern (§ 8,6–9) das Maul zu stopfen. Bereits an dieser Stelle läßt sich bilanzieren, daß gewisse mit dem Stadteingang verbundene Assoziationen erstaunlich langlebig waren, so die prinzipielle Verrufenheit der Stadttorgegend, die sich bereits bei Plautus fassen läßt, aber komisch gebrochen noch den Schauergeschichten bei Petron und Apuleius zugrunde liegt. Während der Schrecken des nächtlichen Stadtrands in den Romanen jedoch nur punktuell evoziert wird und im ganzen der fortlaufenden Narration untergeordnet bleibt, entwickelt die Horaz-Satire 1,8, die im Anschluß betrachtet werden soll, vor dem Hintergrund des zeitgenössischen urbanistischen Wandels in sehr anschaulicher Weise die Topographie einer fantastischen Welt, die unter einer scheinbar vertrauten Oberfläche hervorbricht. 13.3 Der imaginäre Stadtrand im historischen Kontext War der Ansatz des vorangehenden Abschnitts, periphere Topographien der römischen Stadt auf literarischer Ebene zu erfassen, soll nun anhand einer Fallstudie zu Horaz Sat. 1,8 ein Bogen zum historischen Kontext geschlagen werden.

77 78 79

In § 18,6 und zweimal in § 21,6. § 21,24. Davon unberührt ist die Stellung dieser Erzählung im Ganzen des Romans mit seinen multiplen Erzählperspektiven und Fiktionalitätsebenen (zu diesen siehe R 2001, 361–365).

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13.3 Der imaginäre Stadtrand im historischen Kontext

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Wie oben bereits deutlich wurde, finden sich in den literarischen Stadttorszenen regelmäßig gezielte Anspielungen auf die stadtrömische Situation: Plautus erwähnt im Pseudolus eine Exekutionsstätte vor dem Stadttor, was die Kommentatoren übereinstimmend als einen klaren Verweis auf Verhältnisse in Rom, näherhin vor der Porta Esquilina, deuten, auf die ich gleich noch näher zu sprechen kommen werde. Er bereichert demnach den attischen Handlungsrahmen seines Stücks um stadtrömisches Lokalkolorit. Apuleius bietet Vergleichbares, wenn er ein Haus extra pomerium et urbem totam situiert, „außerhalb des pomerium und der ganzen Stadt“:80 Dieses Vokabular ist dezidiert stadtrömisch konnotiert, denn über ein Pomerium verfügte die thessalische Kleinpolis, um die es geht, mit Sicherheit nicht.81 Die scheinbare Realitätsferne des griechischen Settings wird also vor dem soziokulturellen Horizont des römischen Rezipienten stellenweise aufgebrochen.82 So kann die dargestellte Welt mit der empirischen Lebenswelt verknüpft werden, ohne deshalb ihr genaues Abbild zu sein. Die Horaz-Satire 1,8 nun greift die Klischees und Assoziationen zur Stadttorgegend auf, wie wir sie bereits kennengelernt haben. Horaz gibt der Sache, wie ich meine, jedoch eine ganz andere Wendung. Seine Satire läßt sich auch als ein Kommentar auf die zeitgenössische urbanistische Entwicklung Roms lesen; anachronistische Brüche verleihen dem Text zusätzliche Tiefe. 13.3.1 Städtebaulicher Wandel als Gentrifizierungsprozeß Konkret geht es in Satire 1,8 um die berühmten Gärten, die Maecenas83 etwa seit dem Jahr 40 oder 38 v. Chr.84 auf dem Esquilin hatte anlegen lassen und die er der 80 81 82

83

84

Apul. met. I 21,3. Zur Frage, welche Städte ein pomerium hatten, siehe oben, 292. Wie Meike Rühl in Bezug auf die plautinische comoedia palliata gezeigt hat, führte die Offenheit des Theaterraums im Rahmen der ludi dazu, daß die Schauspieler die Illusion des Stücks durchbrechen konnten, indem sie sich zum Beispiel direkt an die Zuschauer richteten (R 2011, 437–439). Die Verfasserin führt aus: „Aus dieser Konvention folgt, dass der römische Theaterbesucher gewohnt ist, die dargestellte und die eigene Welt miteinander zu verknüpfen. Dieser Erwartung entspricht durchaus der Textbefund. Denn die Figuren tragen zwar griechische Namen, der fiktive Ort der Handlung liegt in Griechenland und das Sujet selbst ist griechisch, die Argumentationsweise der Figuren ist allerdings römisch geprägt.“ (Zitat ebd., 439.) Während Inhalt, Personal und Ort der Handlung zunächst Realitätsferne suggerieren, machen Aufführungskontext und Kommunikationssituation der Aufführung also deutlich, daß die Figuren des Stücks – vor dem sozialen römischen Hintergrund gelesen – näher an der Realität sind, als man zunächst vermuten könnte (ebd., 438). Vgl. auch 440: Die Lokalisierung der Handlung in Griechenland entspricht der Komödienkonvention, steht aber einer Übertragung auf römische Verhältnisse nicht im Wege. Der Name des Maecenas wird in der Satire nicht genannt, wozu G 2012, 269 bemerkt: „By not naming Maecenas here, H[orace] pays him a more discreet compliment; the gardens have, as it were, an anonymous donor.“ Zur Datierung G 2012, 269, mit weiterer Literatur. Einen deutlich späteren Datierungsansatz verfolgt H 1991, 40 f., die 29 v. Chr. vorschlägt. Ihre Begründung verstehe ich allerdings nicht, da sie ihre Datierung unter anderem ausdrücklich auf die hier zu besprechende Sat. 1,8 stützt – die Satire gehört jedoch, wie Häuber selbst zutreffend schreibt, schon ins Jahr

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands

römischen Bevölkerung als Park zur Verfügung stellte.85 Hier ist vorab etwas weiter auszuholen, um die urbanistische Entwicklung zu erläutern, in die die Anlage der Horti Maecenatis gehörte. Das periphere Gebiet vor dem Stadttor am Esquilin wurde unter Augustus in einem komplexen Prozeß Teil der wachsenden Stadt. Diese Veränderungen sind als ein Gentrifizierungsprozeß beschrieben worden,86 analog zu dem modernen Phänomen, wie es zur Zeit etwa in Berlin oder Istanbul zu beobachten ist. Im Verlauf der augusteischen Entwicklung wurde die verrufene Gegend vor der Porta Esquilina zu einem begehrten Quartier mit hohen Immobilienpreisen.87 In republikanischer Zeit hatten vor dem Tor, wie bereits erwähnt, öffentliche Folterungen und Hinrichtungen stattgefunden.88 Die Gräben der severianischen Verteidigungsanlage vor dem Mauerring dienten als öffentliche Mülldeponie, und entlang der Straße fanden sich die Massengräber der Armen und Sklaven. Als die Nekropole aufgegeben wurde, weil sich das Stadtgebiet weiter ausdehnte, kauften sich Maecenas und andere Reiche weitläufige Grundstücke, auf denen sie Villen und Gärten anlegten, die fortan einen grünen Gürtel um die Stadt bildeten. Auf dem Forum Esquilinum und dem Campus Esquilinus (ersteres innerhalb, letzterer außerhalb des Tors gelegen) etablierten sich Märkte, auf denen Obst, Wein, Blumen, Schlachtvieh und Wolle gehandelt wurden. Vor der Porta Esquilina siedelten sich Produktionsstätten wie eine Wollmanufaktur und große Bäckereien an.89 Augustus selbst ließ das Tor erweitern, die Straße ausbauen und ein monumentales Nymphäum anlegen, das durch die Aqua Julia gespeist wurde.90 Der Gentrifizierungsprozeß setzte sich bis ins zweite Jahrhundert hinein fort, als an der Nordseite des Campus ein großes Macellum erbaut wurde, in dem gehobene Konsumgüter feilgeboten wurden, die sich nur begüterte Bürger leisten konnten.91 Ausgehend von der oben erläuterten Annahme, daß es zwischen fiktionaler und empirischer Topographie Berührungspunkte gibt,92 ist die Horazsatire 1,8 in den größeren historischen Zusammenhang dieser gesellschaftlichen und urbanistischen Entwicklung zu stellen. 13.3.2 Die Transformation der urbanen Landschaft Roms in der Satire Der Sprecher der Satire 1,8, der sich gleich eingangs dem Leser vorstellt, ist eine hölzerne Priapusfigur, die die neuen Parkanlagen des Maecenas vor Dieben schützen

85 86 87 88 89 90 91 92

36/35 v. Chr. Als Quelle für ein Gartenensemble, das nach Häuber erst sechs Jahre später entstand, läßt sie sich damit schwerlich beanspruchen. Grundlegend zu den Horti Maecenatis ist die Monographie H 1991. Detailliert bei M/B 2011 und auch schon bei P 2000, 96. Vgl. M/B 2011, 384, und W 2013, 211. Oben, 368, siehe ferner 388. Siehe dazu bereits oben, 196 f. und 205. Zur baulichen Situation an der Via Tiburtina siehe im einzelnen oben, 6 f. Siehe oben, 196. Siehe oben, 360.

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13.3 Der imaginäre Stadtrand im historischen Kontext

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Abbildung 13.2: Fragment eines Marmorreliefs mit Priapusfigur aus den Horti Maecenatis in Rom, frühaugusteisch. Dargestellt ist eine dionysische Szene. Oben ist im Schatten einer Platane eine sitzende Nymphe zu sehen, die eine Silensmaske betrachtet. Hinter ihr steht halb verdeckt ein sich küssendes Paar. Unten schauen zwei Satyrn einem dritten beim Tanz zu. Im Hintergrund stehen eine cista mystica, an der ein Thyrsosstab lehnt, und eine bärtige ithyphallische Priapusfigur (vgl. die Detailabbildung rechts).

soll und zugleich als Vogelscheuche dient. Die Züge der Figur sind auch aus den unter dem Namen Priapea gesammelten Epigrammen bekannt: Die Priapoi in diesen Gedichten sind aus Holz gemacht, haben rote Phalloi und dienen dem Schutz des Gartens vor Dieben.93 Tatsächlich ist just in den Horti Maecenatis ein Marmorrelief mit einer Gartenszene gefunden worden, das unter anderem eine Priapusfigur zeigt (Abb. 13.2).94 Die Koinzidenz legt das hübsche Gedankenspiel nahe, daß sich die Horazsatire ebenso wie das Relief auf eine wirklich von Maecenas 93

94

Anders als beim Priapus des Horaz ist bei ihnen aber kein Schilfrohr am Hut befestigt, um Vögel zu verscheuchen (E 2009, 125; weitere Bezüge führen die einschlägigen Kommentare auf, etwa B 1993, 169). Zu den Carmina Priapea siehe den lesenswerten Artikel U 2010 mit Literatur. Das Relief wurde in der Nähe des sogenannten Auditorium des Maecenas, der Hauptdomus der Horti, gefunden. Zum Objekt selbst siehe H 2014, 518–521, mit der älteren Literatur. Von philologischer Seite wurde das Relief meines Wissens bisher noch nicht für die Diskussion von Hor. Sat. 1,8 herangezogen.

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands

in den Horti aufgestellte Priapusfigur beziehen könnten. Während aber auf der bildlichen Darstellung der Garten von dionysischem Personal bevölkert wird – eine Nymphe betrachtet eine Silensmaske, Satyrn tanzen herum –, so sind es bei Horaz schauerliche Gestalten, von denen sich der Priapus in seinem Garten umgeben weiß. Er denkt zurück an vergangene Zeiten:

10

huc prius angustis eiecta cadavera cellis conservus vili portanda locabat in arca; hoc miserae plebi stabat commune sepulcrum; Pantolabo scurrae Nomentanoque nepoti mille pedes in fronte, trecentos cippus in agrum hic dabat, heredes monumentum ne sequeretur.

„Hierher trug früher der Sklave in ärmlichen Särgen seine Toten, hinausgeworfen aus stickigen Kammern. Das war fürs elende Volk der gemeinsame Friedhof und auch für Pantolabus, den Nichtsnutz, und Nomentan, den Verschwender: Ein Grabstein95 bezeichnete hier tausend Fuß in der Länge und dreihundert in der Tiefe, und niemals sollte das Grab ins Eigentum der Erben übergehen.“96 Wie Brown bemerkt, wird in diesen Zeilen das Elend nachgerade akkumuliert: „[I]n life the slaves are housed in narrow cells which serve as their bedrooms, from which in death their corpses are cast out in a cheap coffin which conveys them to communal pits“.97 Gegen dieses Bild eines Ortes, an dem einst die Ärmsten der Armen elend begraben wurden,98 setzt der Sprecher eine Impression vom aktuellen Zustand der schönen Grünanlagen (V. 14 f.): 15

nunc licet Esquiliis habitare salubribus atque aggere in aprico spatiari . . .

„Jetzt darf man auf den erfrischenden Höhen des Esquilins wohnen und auf dem sonnigem Stadtwall wandeln . . . “ Die vormals verseuchte Gegend ist nun der Gesundheit zuträglich (salubris), und die alten Verteidigungsanlagen sind – hell und sonnenbeschienen (apricus) – ein 95

96 97 98

Das Wort cippus bezeichnet hier weniger einen Grenzstein, wie in den meisten Kommentaren zu lesen ist (etwa bei B 1993, 171), sondern einen Grabstein: Die in V. 12 f. zitierten Formeln xy pedes in fronte, yz in agro und heredes monumentum ne sequeretur kommen ausschließlich in Grabinschriften vor, wie eine kursorische Durchsicht von Belegen in der Datenbank von Clauss/Slaby ergab. Hor. Sat. 1,8, Verse 8–13, Text und stark modifizierte Übersetzung hier und im folgenden nach H 2000. B 1993, 171. Die Kommentatoren sind uneins, ob ein öffentliches Armengrab gemeint ist oder die Grabstätte eines Vereins, dem hauptsächlich Sklaven angehörten. Der Text läßt beide Interpretationsmöglichkeiten zu.

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13.3 Der imaginäre Stadtrand im historischen Kontext

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angenehmer Ort zum Spazierengehen geworden. Doch noch im selben Satz erweist sich diese scheinbar glatte Oberfläche als brüchig, wenn es weiter heißt (V. 15 f.): 15

. . . qua modo tristes albis informem spectabant ossibus agrum.

„. . . wo vor kurzem nur fahle Gebeine auf grausigem Feld einen traurigen Anblick boten.“ Der Sprecher läßt uns also nicht etwa an der Aussicht der Spaziergänger teilhaben, die vom Agger aus einen wunderbaren Blick auf das Stadtzentrum, über die zuvor erwähnten neuen Gärten (novis hortis, V. 7) und eine Fernsicht bis zu den Bergen von Tivoli und Frascati genießen konnten.99 Stattdessen führt er uns unerwartet das Bild der jüngsten Vergangenheit vor Augen, als hier noch die Knochen der ohne Sorgfalt bestatteten Leichen aus der Erde ragten. Die Zeiten, als die Passanten noch mit dem Anblick bleicher Knochen konfrontiert waren, sind dezidiert vergangen, aber noch nicht lange her (modo): Dieser Ort hat mehr von seinem ursprünglichen Charakter bewahrt, als die vorangehenden Zeilen hätten erahnen lassen. Gefällige Parkanlagen, frische Luft und warmes Sonnenlicht stehen dazu in einem scharfen Kontrast, der den Leser auf das einstimmt, was der Priapus weiter zu erzählen hat. Selbst jetzt noch,100 so nämlich die schaurige Wendung der folgenden Verse, wird die Gegend von Grabräubern, wilden Tieren und Hexen heimgesucht, und in stimmigem Gegensatz zur zuvor evozierten Sonne scheint in dieser Szene der Mond (simul ac vaga luna decorum protulit os, V. 21 f.).101 Der Priapus kann aus eigener Anschauung berichten, welch üble magische Praktiken hier nächtens ausgeübt werden. Wenn die Hexen mit bloßen Fingernägeln Knochen aus der Erde kratzen (V. 22.26 f.),102 wird anschaulich, wie dünn der Firnis ist, der die Zeit des Sprechers von der in den Versen 15 f. heraufbeschworenen Vergangenheit trennt, als hier noch skelettierte Leichen auf den Feldern lagen. Das nächtliche Eindringen der Hexen in den schönen neuen Park läßt sich als anachronistischer Einbruch der Vergangenheit in die Gegenwart lesen. Damit wird in Satire 1,8 nicht weniger als der Strukturwandel des römischen Stadtrands vorgeführt. Als Dichter der augusteischen Epoche war Horaz Zeitzeu99 100 101

102

Zur spektakulären Lage der Horti Maecenatis siehe H 1991, 13. Zur Zeitstruktur der Schilderung siehe zuletzt die Diskussion bei H 2014, 424 f. Zur magischen Bedeutung des Mondscheins an dieser Stelle siehe I 1974, 85–87. Eine Hexe, die zwischen Gräbern nach Knochen sucht, begegnet auch in Tib. I 5,53 f. (vgl. dazu D 2017, 15). „This does not sound quite like the reality“, wendet H 2014, 425, kritisch ein und verweist auf den archäologischen Befund, demzufolge die Nekropole mit einer substantiellen Erdschicht bedeckt wurde, ehe man die Horti Maecenatis anlegte. Diese Argumentation geht meines Erachtens völlig an der Sache vorbei. Sind Hexen denn realistischer, wenn sie sich durch eine dünne Erdschicht graben? In anderem Zusammenhang stellt Häuber immerhin folgende gewagte These auf: „In that case we might suspect that neither the Priapos, nor the witches, nor almost anything else in this satire is real.“

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13 Fiktionale Topographien des Stadtrands

ge der oben skizzierten Neuerfindung eines ganzen Stadtviertels, und als einen Zeitzeugen läßt er gewissermaßen auch den hölzernen Priapus auftreten.103 Lowell Edmunds, der sich bemüht hat, die Leerstellen in „this Priapus’ elliptical lifestory“ zu füllen, kommt zu dem reizvollen Ergebnis, daß die Figur, ehe Maecenas sie in seinen Garten integrierte, in der Nekropole des Esquilin ein Kepotaphion bewacht haben muß, ein zu einem Grabbau gehörendes Gärtchen.104 Wenn der Priapus den Leser an seinen Gedanken über Vergangenheit und Gegenwart teilhaben läßt, reflektiert er die Veränderungen der städtischen Topographie, die er selbst miterlebt hat. So kann er aus eigener Anschauung erzählen, daß hier früher Sklaven und elende Bürger armselig begraben wurden (V. 8–13). Sogar das typische Formular einer entsprechenden Sepulkralinschrift weiß der Priapus sachkundig zu zitieren, wobei er die Wortstellung in seine Hexameter einpaßt (V. 11–13): mille pedes in fronte, trecentos [. . . ] in agrum, gibt er die ganz und gar exorbitanten Maße105 des Grabgrundstücks an. Es folgt der Zusatz heredes monumentum ne sequeretur, durch den das Grab vom Erbe ausgenommen wird. Beides gehört zum üblichen Formular stadtrömischer Epitaphe.106 Was der Text meiner Ansicht nach leistet, ist also die Entwicklung eines Erzählraums unter Einbezug real wirkender Details, die dem zeitgenössischen Rezipienten ganz bestimmte Vorstellungen, Assoziationen und Emotionen eröffnen. Die städtische Peripherie wird durch die fiktive Handlung und die in ihr agierenden Figuren in bestimmter Weise konnotiert und emotional besetzt.107 Dabei geht Horaz hier in gewisser Weise genau umgekehrt vor wie Plautus und Apuleius: Während jene ihre Handlung ins ferne Griechenland verlegen und ihre Anspielungen auf römische Lebenswelt und römische Diskurse stets im griechischen Gewand daherkommen, steht der von Horaz gewählte Sprecher, die Priapusfigur, mitten in der attraktiven römischen Naherholungszone, die jeder zeitgenössische Rezipient kennt. Erst im weiteren Zuge der Lektüre eröffnen sich in seinem Text Perspektiven auf frem103 104 105

106

107

Ähnlich schon U 2010, 198. E 2009, 127 f., Zitat 125. Zur Nutzung der Grabgärten im suburbium von Rom siehe oben, 205. Die Durchsicht von ca. 100 willkürlich ausgewählten lateinischen Inschriften, die Abmessungen von Grabparzellen vermerken, ergab Seitenlängen von in der Regel zwischen drei und 30 Fuß, sehr selten mehr als 40 Fuß. Wenn somit schon die Maße reichlich protzig sind, die Trimalchio in Petr. 71,6 für sein eigenes Grabgrundstück veranschlagt, nämlich 100 Fuß in fronte und 200 in agro, so spotten 1 000 mal 300 Fuß für ein Grab jeder Beschreibung (freundlicher Hinweis von Peter Pilhofer). In den stadtrömischen Inschriften wird in fronte bzw. in agro pedes häufig als I · F · P bzw. I · A · P abgekürzt, jeweils gefolgt von einem Zahlzeichen. Für hoc monumentum heredes non sequetur steht in der Regel H · M · H · N · S. Hier greife ich eine Überlegung Therese Fuhrers auf: „Da der urbane Raum durch die Erzählinstanz und vor allem durch die Akteure im Text kommentiert, bewertet und meist auch emotional besetzt wird, wird – umgekehrt – die Stadt ihrerseits mit Konnotationen versehen: Die im Stadtraum agierenden fiktiven Figuren werden Teil des Stadtbildes, sie prägen oder [. . . ] erfinden es neu“ (F 2015, 105).

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13.3 Der imaginäre Stadtrand im historischen Kontext

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de Welten, wenn die grausige Vergangenheit der republikanischen Peripherie im Treiben der Hexen erschreckende und faszinierende Aktualität gewinnt. 13.3.3 Ausblick Typisch ist in allen besprochenen Texten die Verbindung des Stadteingangs mit der Konnotation eines locus horridus. Beschränkten sich entsprechende Bezüge bei Plautus noch darauf, in einem ansonsten heiteren Setting auf die Folter- und Hinrichtungsstätte vor der Porta Esquilina anzuspielen, so hatte sich bereits im frühen Prinzipat ein fester Topos entwickelt. In der Literatur ist das Verlassen der Stadt, vor allem nachts, mit Gefahr assoziiert.108 Der liminale Charakter des Stadttors wird von den Autoren in Gegensätze gefaßt wie Sicherheit/Gefahr, Zivilisation/Wildnis, bekannt/unbekannt, menschlich/daimonisch. Im Übergangsbereich zwischen Innen und Außen stellen soziale Außenseiter wie Räuber und Zuhälter die gesellschaftlichen Normen in Frage, und hybride109 Kreaturen wie Hexen und Werwölfe die Gesetze der Natur. Der Weg über die Schwelle des Stadttors hinaus in den Bereich der Nekropole mit ihren Gräbern, Leichen und Schauerwesen ist in diesen Darstellungen ein angstbesetztes Wagnis. Dies hat nun, wie ich hoffe deutlich gemacht zu haben, durchaus eine andere Qualität als die Sachinformationen zum römischen Stadtrand, welche uns archäologische oder epigraphische Quellen liefern. Die Vorstellungen und Assoziationen, die in der Literatur mit dem Stadttor und seiner Umgebung verbunden waren, wurden ihrerseits schließlich auch in Gattungen aufgegriffen, die den Anspruch hatten, eine empirisch wiedererkennbare Wirklichkeit zu beschreiben, so in Suetons Biographien: Sueton berichtet über die Villa in der Vorstadt von Velitrae, in der Augustus als Kind aufwuchs, daß es dort in späterer Zeit nächtens spukte.110 Über Caligula weiß der Biograph mitzuteilen, daß dessen Leiche nur hastig halb verbrannt und in den Gärten des Lamia verscharrt worden sei. Fortan habe es dort gespukt, bis seine Schwestern sich der sterblichen Überreste des Kaisers annahmen, seine Knochen ausgruben und sie anständig einäschern und beisetzen ließen.111 Beide Orte, die villa suburbana in Velitrae und die Gärten des Lamia, sind auch hier wieder außerhalb der Tore im prekären Stadtrandbereich angesiedelt – und damit für Spukerscheinungen geradezu prädestiniert.

108 109 110 111

Vgl. D 2017, 20, die das nächtliche suburbium als „landscape of dread“ charakterisiert. Auf die Hybridität der Schauergestalten, die der Hybridität der Vorstadt entspricht, verweisen D 2017 und S 2021, 271 f. Suet. Aug. 6. Suet. Cal. 59.

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Teil 5 Bilanz und Ausblick

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Was steht am Ende als Bilanz? Ausgehend von einem kurzen Überblick zur Errichtung von Stadtmauern und -toren in römischer Zeit hat die Studie die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der Kaiserzeit im Vergleich zu anderen Kulturen des Mittelmeerraums aufgezeigt. Obwohl das Konzept von pax et securitas eine ubiquitäre Sicherheit versprach, konnte es für kaiserzeitliche Städte notwendig sein, an ihren Eingängen Kontrollmaßnahmen durchzuführen, um die Mobilität von Personen und Waren zu erfassen und gegebenenfalls zu regulieren. Die Verkehrssituation am Stadttor gestaltete sich entsprechend komplex, wobei reichsweit in den Städten differente Verkehrsregelungen praktiziert wurden. Es konnte jedoch gezeigt werden, daß das Stadttor unabhängig von lokalen Gegebenheiten eine zentrale Rolle für Orientierung, Raumordnung und Kommunikationswege innerhalb der Stadt erfüllte. Das semantische Potential des Stadttors leitet sich maßgeblich aus dessen Bedeutung als liminaler Ort ab. Seine Qualität als Schwellenort wurde in unterschiedlichsten Kontexten kultisch oder rituell markiert und zur Repräsentation der Stadt und ihrer führenden Familien genutzt. Fiktionale Topographien des Stadtrands in Komödie, Roman und Satire spielen mit den Konnotationen eines locus horridus, der den Übergang zwischen der Sicherheit der Stadt und der potentiellen Gefahr außerhalb bildet. Zum Abschluß soll eine Systematisierung der vielfältigen Funktionen des römischen Stadttors geboten werden (Kapitel 14): In Abgrenzung zur vorderorientalischen Praxis ist zu bilanzieren, daß Stadttore bei den Römern keine Gerichtsorte waren. Ansonsten konnten die Stadttore der römischen Kaiserzeit jedoch alle Funktionen erfüllen, die kulturvergleichend als typisch zu gelten haben: erstens sicherheitspolitische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Funktionen einer Kontrollstelle, zweitens infrastrukturelle, orientierunggebende und kommunikative Funktionen einer Verbindungsstelle und drittens religiöse, rituelle und repräsentative Funktionen eines Symbolorts. Der praktische Nutzen, der den Stadttoren der römischen Kaiserzeit vor dem Hintergrund einer verhältnismäßig lang andauernden politischen Stabilität und angesichts ihrer fehlenden fortifikatorischen Einbindung häufig abgesprochen wird, ist damit klar nachgewiesen. In Kapitel 15 schließt sich ein kultur- und epochenübergreifender Ausblick an: eine Darstellung der kulturellen Praxis, eine vormoderne Stadt zu betreten. Ebenso wie im Alten Orient und der griechisch-römischen Antike gehörten Stadtmauern auch im Mittelalter und der Frühen Neuzeit konzeptionell zur Stadt. Die diachrone Betrachtung macht deutlich, daß grundsätzliche Erfahrungen mit dem Betreten einer Stadt verbunden waren, die sich im Sinn einer longue durée des Phänomens in allen untersuchten Epochen finden lassen. Personen- und Warenkontrollen, Auseinandersetzungen mit dem Wachpersonal, Wartezeiten, die Durchführung religiöser Rituale – all das konnte Teil des Szenarios am Stadttor sein. Die Befürchtung, vor verschlossenen Toren zu stehen, teilten die Menschen in den offenen Städten der römischen Kaiserzeit dagegen nicht mit Reisenden späterer Epochen.

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14 Die Funktionen des römischen Stadttors Die Frage nach den Funktionen, die das römische Stadttor hatte, läßt sich nicht pauschal beantworten, sondern hat den konkreten Ort und vor allem die jeweilige Zeitstellung zu berücksichtigen. Die vorliegende Untersuchung konzentrierte sich daher auf die in dieser Hinsicht besonders vielschichten Befunde der Kaiserzeit, also jener Phase, in der in den meisten Regionen des Römischen Reichs die fortifikatorische Funktion des Stadttors allenfalls nachrangige Bedeutung hatte und andere Aspekte in den Vordergrund treten konnten. Als ein Ergebnis ist festzuhalten, daß die scheinbar funktionslosen Prunkbauten letztendlich fast jede nur denkbare Funktion eines Stadttors erfüllen konnten – wenngleich oft nicht so ausgeprägt oder so exklusiv wie in anderen Kulturen, in denen das Stadttor den einzigen Zugang zur Stadt, den zentralen Handelsplatz, den wichtigsten Kommunikationsort etc. darstellte. Die Funktionen des Stadttors ergaben sich in jedem Fall aus seiner urbanistischen Einbettung. Dabei waren zwei Faktoren entscheidend: die Verbindung des Tors mit dem inner- und außerstädtischen Straßensystem sowie seine Position an einer Stadtgrenze, die durch eine Mauer sichtbar gemacht sein konnte. Beides, die Verbindung mit dem Straßennetz und die Lokalisierung an einer Stadtgrenze, war definitionsgemäß grundsätzlich der Fall, wurden doch eingangs als Stadttore jene Tore und Bögen definiert, die an Ausfallstraßen lagen und ihrer Funktion nach den Eingang und Ausgang einer Stadt markierten.1 Um die Ergebnisse zu systematisieren, werden die verschiedenen Funktionen, die das Stadttor in der Kaiserzeit erfüllte, im folgenden seinen Eigenschaften als Kontrollpunkt, als Verbindungsstelle und als Symbolort zugeordnet. Dabei beginne ich mit einem Negativbefund, nämlich der nicht vorhandenen Funktion römischer Tore für die Rechtsprechung. Den Abschluß dieses Kapitels bildet die weiterführende Frage nach dem emotionalen Wert des Stadttors. 14.1 Funktionen, die Stadttore in der Kaiserzeit nicht erfüllten Der Ansatz des vorliegenden Abschnitts bestand ursprünglich darin, typische Funktionen von Stadttoren zu benennen, die für die römische Kaiserzeit nicht belegt sind. Zur Überraschung der Verfasserin blieb hier nur ein einziger Aspekt übrig, nämlich eine Funktion der Tore in bezug auf die Rechtsprechung. Dies sei in aller Kürze erläutert. 1

Vgl. oben, 5.

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14 Die Funktionen des römischen Stadttors

Wenn Stadttore in den antiken Kulturen des Nahen Orients eine bedeutende Funktion innerhalb der Rechtsprechung und für juristische Vorgänge unterschiedlicher Art erfüllten,2 so ist dies in der römischen wie übrigens auch in der griechischen Kultur nicht der Fall: Gerichtsorte waren die Stadttore weder in Griechenland noch in Rom. Und wie sieht es mit der Vollstreckung von Gerichtsurteilen vor den Toren aus? Einen Anhaltspunkt bietet allenfalls die Durchführung von Exekutionen. Auch diese fanden im Alten Orient vor den Toren statt.3 Sucht man nach einer römischen Parallele, so ist, abgesehen von sehr viel späteren Belegen,4 eigentlich nur an Stadtrom selbst zu denken, wo öffentliche Exekutionen bis gegen Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. an den Kreuzwegen feldseitig der Porta Esquilina und auf dem Campus Sceleratus stadtseitig der Porta Collina vollstreckt wurden. Da es Teil der Strafe war, die Hingerichteten nicht zu bestatten, ließ man die Leichen von den Exekutionsstätten an der Porta Collina, auf dem Marsfeld, auf dem Forum und am Tarpeischen Felsen zum Esquilin schaffen und dort vor dem Tor öffentlichkeitswirksam verwesen.5 In der Kaiserzeit erinnerte an diese Praxis indessen nur noch eine sehr spezielle und außerdem extrem selten (nämlich unter Domitian und Caracalla) praktizierte Tradition, die Lebendbestattung rituell verunreinigter Vestalinnen am Collinischen Tor.6 Wie wir gesehen haben, handelte es sich dabei jedoch um ein Sühneritual, das ein Gottesurteil über die Priesterin erwarten ließ.7 Es ist demnach im römischen Verständnis – auch wenn es auf den Tod der Vestalin hinauslief – nicht als eine Hinrichtung aufzufassen, ja nicht einmal als Strafe im juristischen Sinn. Dies erinnert zwar wiederum an die orientalische Praxis des Gottesurteils am Stadttor, doch wäre es zu weit gegriffen, aus einem Ritual, das in Rom in jeder Hinsicht exzeptionell war,8 allgemein eine juristische Funktion des römischen Stadttors ableiten zu wollen.

2 3

4

5 6 7 8

Siehe oben, 56. Dtn 17,2–5 belegt eine solche Praxis in Palästina: Wer andere Götter als Jahwe anbetet, so wird dort bestimmt, der soll zum Tor geführt und gesteinigt werden. Vgl. auch Dtn 21,18–21: Einen ungehorsamen Sohn sollen Vater und Mutter zu den Ältesten der Stadt führen und zum Tor, und alle Leute der Stadt sollen ihn steinigen. Das gleiche Schicksal erwartet Ehebrecher (Dtn 22,23–24). Zu anderen Kulturen des Nahen Ostens, in denen vor den Toren Hinrichtungen durchgeführt wurden, siehe H B 1999, 16. Der zypriotischen Tradition zufolge fand der Apostel Barnabas im Jahr 61 vor dem Tor der Stadt Salamis den Tod. In der Darstellung der Barnabasakten ergreifen die ortsansässigen Juden bei Nacht den Gefangenen, der eigentlich dem Statthalter vorgeführt werden soll, binden ihm einen Strick um den Hals und schleifen ihn von der Synagoge zum Hippodrom. Als sie vor das Stadttor gelangt sind, verbrennen sie ihn bei lebendigem Leib, so daß selbst die Knochen zu Asche werden (ActBarn 23). Zur Interpretation der Passage siehe R 2017, 186–188, der die Entstehung der Schrift in die Jahre zwischen 431 und 488 datiert (ebd., 123–128). H 1987, 113–115; M/B 2011, 363. Siehe dazu oben, 303–306. Dazu 305. Siehe 306.

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14.2 Kontrollstelle

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Damit komme ich nun im folgenden zu den nachweisbaren Funktionen des Tors. Die Einschätzung, welche dieser Funktionen die wichtigsten waren, hängt wiederum an Ort und Zeitpunkt der Betrachtung, vor allem aber ist es eine Frage der Forschungsperspektive. Eine ereignisgeschichtliche Darstellung wird hier zu einem anderen Ergebnis kommen als eine sozialhistorische, religionsgeschichtliche oder mentalitätsgeschichtliche. Die Reihenfolge meiner Besprechung stellt daher keine Gewichtung dar. 14.2 Kontrollstelle: Sicherheitspolitische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Funktionen Bereits der Bauköper »Tor« als definierter Durchgang impliziert Kontrolle. Ganz allgemein gesprochen konnte die Stadt durch das Stadttor geregelt betreten und verlassen werden. Das Tor kanalisierte den Verkehrsfluß und verlangsamte den Einzug größerer Personengruppen. In dieser Eigenschaft konnte das Stadttor sicherheitspolitische, wirtschaftliche, verkehrstechnische und bei Bedarf auch fortifikatorische Funktionen erfüllen. Zunächst einmal waren die Tore – und dies galt auch für freistehende Bogenmonumente – ein bevorzugter Ort zur Umsetzung von Kontroll-, Ordnungs- und Sicherheitsmaßnahmen, zur Lenkung und Regulierung von Mobilität. Manche Stadttore ließen sich mit Torflügeln oder mit Fallgattern schließen. Bei Bedarf konnte ein Tor jederzeit mit Wachpersonal besetzt werden, um Personenkontrollen durchzuführen und gegebenenfalls den Zugang in die Stadt zu reglementieren oder zu unterbinden. Auch der Warenverkehr wurde am Stadttor koordiniert, kontrolliert und unter Umständen mit Zöllen belegt. Und obwohl in den Städten des Reichs keine generellen Fahrverbote bestanden, konnte es erforderlich sein, am Eingang der Stadt Gepäck oder Waren umzuladen, vielleicht auch das Fuhrwerk stehenzulassen oder vom Pferd abzusteigen und dann zu Fuß weiterzugehen.9 Fortifikatorischen Anforderungen genügten die wenigsten kaiserzeitlichen Tore. Wie die Geschichte der Städte vor allem ab dem dritten Jahrhundert zeigt, war es aber jederzeit möglich, ein Mauertor im Zuge der Instandsetzung älterer Befestigungsanlagen wieder verteidigungsbereit zu machen oder aber neue Mauern zu errichten,10 deren Tore den bereits bestehenden Stadttoren gegenüber etwas vor- oder zurückgelagert waren und die im Gegensatz zu diesen zu militärischen Zwecken eingerichtet wurden.11 Alternativ konnte ein vorhandenes freistehendes Tor auch nachträglich in eine Mauer integriert und zu Verteidigungszwecken umgerüstet werden.12 9 10 11 12

Siehe 231 f.; 240 f.; 251 f. Zum Bau von Mauern in den Städten des Reichs siehe 33–37. Dies läßt sich am Befund von Gadara illustrieren, der 60–72 ausführlich besprochen wurde. Besonders weitgehend waren entsprechende Umbaumaßnahmen der kaiserzeitlichen Bausubstanz im Mittelalter. Ein eindrucksvolles Beispiel stellt der Bogen von Arausio (Orange) dar. Das als Prunktor konzipierte Bauwerk (Abb. 12.2 auf S. 338) wurde im 13. Jahrhundert um einen acht

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14 Die Funktionen des römischen Stadttors

14.3 Verbindungsstelle: Infrastrukturelle, orientierunggebende und kommunikative Funktionen Im Netzwerk der städtischen Straßen bildete das Stadttor einen wichtigen Knotenpunkt, da dort der Fußgänger-, Reit- und Fuhrverkehr aus verschiedenen Richtungen von außerhalb und innerhalb der Stadt zusammenkam. Daraus ergaben sich infrastrukturelle, orientierunggebende und kommunikative Funktionen. Auf den feldseitig und teils auch auf den stadtseitig liegenden Plätzen vor dem Tor siedelten sich Märkte, Warenlager und kleine Gewerbezweige an, und häufig wurde mit Brunnenanlagen, Gaststätten und Stallungen in unmittelbarer Nähe zum Tor auch eine Infrastruktur für den Reise- und Handelsverkehr angelegt. Das Stadttor diente Besuchern wie Einwohnern als Orientierungspunkt, wobei die ganze Anlage der Stadt, sofern diese nicht aus vorrömischer Zeit stammte, darauf ausgelegt war, daß auch Fremde vom Tor aus ohne Schwierigkeiten ihren Weg zum Forum und zu anderen wichtigen Orten wie den Tempeln oder Bädern fanden.13 Aus der Funktion als Verbindungsstelle ergab sich auch die besondere Rolle des Stadttors als informeller Begegnungsraum und Kommunikationsort, an dem man sich teils längere Zeit aufhielt, an dem Informationen zusammenliefen und ausgetauscht wurden. 14.4 Symbolort: Religiöse, rituelle und repräsentative Funktionen Als Auftakt zum städtischen Raum, als Schwelle zwischen Innen und Außen, als Symbol für die Stadt und ihre Gemeinschaft kamen dem Tor schließlich auch religiöse, rituelle und repräsentative Funktionen zu. Das Stadttor war insofern Teil einer religiösen Grenze, als es – zumindest idealtypischerweise – zwischen Siedlung und Nekropole gelegen war. Das Betreten oder Verlassen der Stadt konnte mit kultischen oder magischen Praktiken verbunden werden, die im Schwellenraum des Stadteingangs ausgeführt wurden. Sie gingen häufig auf vorrömische Traditionen zurück. Relativ verbreitet war die Aufstellung von Kultbildern unmittelbar vor oder in den Toren sowie die Anbringung apotropäischer Zeichen an der Außenseite. Im Zug zeremonieller Handlungen, etwa bei der Einholung von Kultbildern oder der des einziehenden Kaisers, konnte dem Stadttor eine herausgehobene Bedeutung zukommen. Ankunfts-, Begrüßungs- und Übergaberiten fanden unmittelbar vor dem Tor statt, ehe die oder der Ankommende in einer feierlichen Prozession über die Schwelle geleitet wurde. Schließlich hatten die Tore auch repräsentative Funktionen. In programmatischer Weise konnten die Städte und ihre führenden Familien in der Ausgestaltung

13

Meter hohen zinnenbewehrten Aufbau auf der Attika ergänzt und zu einer Bastion umgebaut (K-B 1996, 86). Siehe oben, 268: Entscheidend war dabei nicht die Existenz eines rechtwinkligen Straßenrasters, sondern die Ausrichtung des Straßensystems auf die Zugangswege und damit auf die Stadteingänge.

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14.5 Der emotionale Wert des Stadttors

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eines Stadttors Macht und Reichtum zur Schau stellen, ihre dignitas, romanitas und urbanitas demonstrieren oder ihre Loyalität zum Kaiserhaus betonen. Das Stadttor konnte zugleich als Denkmal fungieren, das beispielsweise an Ereignisse der jüngeren Geschichte der Stadt erinnerte. 14.5 Der emotionale Wert des Stadttors Was bisher nur am Rande angesprochen wurde, ist der emotionale Wert, den ein Stadttor für die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt oder eines bestimmten Stadtviertels haben konnte. Dabei ist diese emotionale Komponente in einigen dramatischen Szenen, auf die ich in anderen Zusammenhängen verwiesen habe, mit Händen zu greifen; ich erinnere nur an den tränenreichen Aufbruch des Rutilius, der das Stadttor von Rom mit Küssen bedeckte.14 Ferner sei auf eine noch nicht besprochene Stelle bei Libanios verwiesen: In Konstantinopel beurlaubt, fährt er in seine Heimatstadt Antiocheia und freut sich, seine „allerliebsten Straßen und Tore“ (ὁδούς τε καὶ πύλας τὰς ἐµοὶ φιλτάτας), die Tempel und Wandelhallen, sein Heimathaus und seine ergraute Mutter wiederzusehen.15 Die Steigerung bin hin zum alten Mütterchen läßt sich auch als eine räumliche Annäherung lesen: Die Straßen führen Libanios durch die Tore seiner Heimatstadt, vorbei an Heiligtümern und Stoai bis in das Elternhaus. Die Stadttore, die mit den Straßen als φίλτατος qualifiziert werden, erscheinen hier einmal mehr als bedeutsame Stationen auf einem emotional aufgeladenen Weg. Das Stadttor, durch das man regelmäßig aus- und einging, hatte sicherlich für jeden Benutzer eine individuelle Bedeutung. Dabei ist mein Eindruck, daß die Konnotationen – entgegen dem in Roman und Satire gezeichneten Bild – anscheinend überwiegend positiv waren. Das Stadttor konnte als Garant der Sicherheit jedes einzelnen, als Sinnbild von Einfluß und Wohlstand der Heimatstadt und überhaupt als Symbol dieser politischen Gemeinschaft verstanden werden; es war der Ort, an dem man Verwandte und Freunde bei ihrer Rückkehr begrüßte, an dem man tagtäglich vorüberkam, um Einkäufe zu tätigen, nach dem Garten zu sehen oder ein Grab zu besuchen; ein Ort, an dem man zum Plaudern verweilte, den man auf dem Weg zu den extraurbanen Spielstätten passierte und den man bei Prozessionen festlich geschmückt bewundern konnte. Insofern konnte das Stadttor mit Gefühlen wie Freude, Vorfreude, Zufriedenheit und Stolz verbunden sein. Es ist jedoch ebenso denkbar, daß mit einem bestimmten Stadttor weniger erfreuliche Erfahrungen assoziiert wurden: Erinnerungen an Schikanen durch ziviles oder militärisches Sicherheitspersonal, an zeitraubende Auseinandersetzungen beim Zoll, an Abschied und Trennung, die man hier erlebt hatte, an unangenehme nächtliche Wege durch die Nekropole; vielleicht waren das Stadttor und seine unmittelbare Umgebung auch von Lärm, Müll und Gestank erfüllt. Insofern sind 14 15

Rutil. 1,43–45. So die Reihenfolge der Aufzählung in Lib. Or. 1,86.

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14 Die Funktionen des römischen Stadttors

diverse Konstellationen denkbar, in denen ein Stadttor mit Gefühlen wie Ärger, Ekel, Traurigkeit oder Angst verbunden wurde. Das Spektrum möglicher Emotionen, die die Benutzung eines Stadttors hervorrufen konnte, ist also sehr weit, was die große Vielfalt an praktischen Funktionen widerspiegelt, die mit dem römischen Stadttor verbunden waren, und ebenso dessen großes abstraktes Bedeutungspotential.

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15 Am Tor der vormodernen Stadt Wenn am Beginn dieser Studie postuliert worden ist, daß das Stadttor eine strukturelle Konstante in der urbanen Geschichte des Mittelmeerraums war, so ist abschließend danach zu fragen, was sich daraus für das Leben in antiken Städten ergibt. Mit Juvenal läßt es sich geradezu als Quintessenz menschlichen Seins betrachten, hinter Stadttoren zu wohnen. Folgendes mache den Menschen aus:

155

aedificare domos, laribus coniungere nostris tectum aliud, tutos vicino limine somnos ut conlata daret fiducia, protegere armis lapsum aut ingenti nutantem volnere civem, communi dare signa tuba, defendier isdem turribus atque una portarum clave teneri.

„. . . Häuser zu bauen, mit unserem Heim ein anderes Dach zu verbinden, damit wechselseitiges Vertrauen durch die Nachbarschaft der Wohnung sicheren Schlaf schenke, mit Waffen einen gestürzten oder einen unter gewaltiger Wunde wankenden Bürger zu beschützen, mit gemeinsamer Trompete Signale zu geben, sich durch dieselben Türme zu verteidigen und mit einem einzigen Schlüssel für die Tore eingeschlossen zu sein.“1 Gemeinsame Siedlung, gemeinsamer Verteidigungskampf, gemeinsame Türme und Tore sind Juvenal zufolge die entscheidenden menschlichen Errungenschaften, das, was den Menschen vom Tier unterscheidet (separat hoc nos a grege mutorum).2 Wenn selbst ein Autor der hadrianischen Zeit das Eingeschlossensein „mit einem einzigen Schlüssel für die Tore“ so hoch veranschlagt, obwohl die Lebenswirklichkeit seiner Zeit dem nur noch sehr bedingt entsprach, so zeigt dies ein präzises Bewußtsein dafür an, daß das gemeinsame Leben hinter Stadttoren kulturübergreifend als eine Selbstverständlichkeit gelten konnte.3

1 2 3

Juv. 15,153–158 (Text und Übersetzung A 1993). Vers 142 f. Den Menschen zeichnen außerdem seinen Fähigkeiten aus, Künste zu erschaffen und Mitleid zu verspüren (145 f.). Genau diesen Punkt, daß es sich bei den genannten Errungenschaften um allgemeingültige menschliche Normen handelt, macht Juvenal sehr deutlich, indem er die Übereinstimmung der Römer selbst mit Kimbern und Briten, Sauromaten und Agathyrsern behauptet (Vers 124 f.) – wobei die genannten Ethnien in vorrömischer Zeit allesamt nicht in Städten gesiedelt hatten.

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15 Am Tor der vormodernen Stadt

15.1 Die antike Situation Der historische Ausnahmezustand der Pax Romana, einer Welt der offenstehenden Tore und türlosen Bögen,4 führte keineswegs dazu, daß das Stadttor als Bautyp aufgegeben worden wäre. Die Tradition, am Eingang der Stadt Tore zu errichten, wurde vielmehr in der Kaiserzeit beibehalten und weiterentwickelt – ganz anders als bei den neuzeitlichen Entfestigungsvorgängen bis ins 19. Jahrhundert, in deren Verlauf nicht nur die Baukörper selbst aus den meisten Städten verschwanden, sondern auch die Idee des Stadttors ganz verloren gegangen ist.5 Da die meisten Stadttore in der Kaiserzeit militärisch irrelevant waren, wiesen ihre Form, urbanistische Einbindung und Funktion im antiken Vergleich markante Besonderheiten auf, die in dieser Arbeit aufgezeigt und diskutiert wurden. Dennoch lassen sich in einer Perspektive der longue durée wichtige Gemeinsamkeiten mit dem Alten Orient, der vorrömischen griechischen Welt und natürlich mit den Gepflogenheiten der republikanischen Zeit feststellen: In allen genannten Kulturen grenzten die Tore die Stadt von ihrem Umland ab, kanalisierten den Verkehrsfluß und ermöglichten damit Kontrollen oder Mobilitätsrestriktionen, sie boten Orientierung und waren Orte der Kommunikation. Die Situation der griechischen und römischen Städte war dabei zweifellos komplexer als in den alttestamentlichen Städten, wo es nur ein einziges Tor gab, das zugleich den wichtigsten öffentlichen Begegnungsraum der Stadt bildete. Daher konnte man in Bethlehem (Rt 4,1) oder Enaim (Gen 38,14 f.) absolut sicher sein, eine gesuchte Person früher oder später am Stadttor anzutreffen, ganz anders als in Theben oder Rom. Indessen ermöglichten es auch die vieltorigen Städte der griechischen und römischen Zeit, bestimmte Personen abzupassen, indem man an den Toren Stellung bezog. Es galt dann eben, alle Zugänge zur Stadt beobachten zu lassen, wie es die Verfolger des Paulus in Damaskus taten (Apg 9,23–25), oder aber die Gewohnheiten der gesuchten Person gut genug zu kennen, um zu wissen, welches Tor sie zu welcher Zeit benutzte. Als Beispiel dafür ist ein Fall aus hellenistischer Zeit anzuführen, bei dem ein gewisser Apollonios aus Alexandria Schlägertruppen auf den Mann seiner Geliebten ansetzte, die diesem am Hafentor der ägyptischen Stadt Herakleopolis auflauerten.6 Analog war es möglich, bestimmten Personen oder Personengruppen den Eintritt in eine Stadt zu verwehren, indem systematisch Wachpersonal an den Toren eingesetzt wurde.7

4 5 6

7

Differenzierter oben, 118 f. In der modernen Architektur werden Straßen von Brücken oder Tunnels überspannt, aber nicht von Toren. P. Heid. Inv. G 4925 = P. Phrur. Diosk. 6 (146 v. Chr.). Die überdies betrunkenen Schläger simulierten einen Verkehrsunfall, um den nichtsahnenden Ehemann und seine Begleiter in eine brutale Prügelei zu verwickeln. Der Anstifter Apollonios hatte gehofft, auf diese Weise einem Prozeß wegen Ehebruchs zuvorzukommen. Siehe dazu oben, 138–140.145–154.

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15.2 Das Betreten der Stadt als kulturelle Praxis bis zur Frühen Neuzeit

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Rom selbst war, von punktuellen Sicherheitsmaßnahmen abgesehen, eine offene Stadt, wie es die kaiserzeitlichen Autoren von Petron bis Apuleius für ihre Handlung auch voraussetzen. Es konnte jedoch gezeigt werden, daß dies in den Städten der Provinzen nicht unbedingt der Fall war. Überhaupt ist ein Ergebnis dieser Untersuchung, daß generelle Regeln, die den Eintritt in die Stadt und ihr Verlassen betrafen, im Römischen Reich fehlten. Universell gültig war einzig das im zweiten Jahrhundert kodifizierte Verbot, eine Stadt auf anderem Weg als durch die Tore zu verlassen.8 Was im Zuge meiner Forschungen deutlich wurde, ist die Tatsache, daß sich die vielfältige Situation der römischen Städte, bei allen Gemeinsamkeiten der städtischen Kultur, mit Dichotomien wie groß/klein oder Osten/Westen nicht adäquat beschreiben läßt. Die Situation einer Stadt am dakischen Limes war in jeder Hinsicht unendlich anders als die einer Stadt in Ionien, auch wenn an beiden Orten ein Forum existierte, mit der gleichen Währung bezahlt und römische Keramik benutzt wurde. Wenngleich die Vielgestaltigkeit der römischen Stadtkultur natürlich keine neue Erkenntnis ist, so kann doch nicht genug betont werden, daß der Fokus auf Italien und die früh romanisierten Provinzen, den die literarischen Quellen vorgeben, geradezu irreführend ist und es Aufgabe der Forschung sein muß, auch weitere Perspektiven zu erschließen. Um einen Ausgangspunkt zu gewinnen, der es ermöglicht, die historische Situation im Römischen Reich einzuordnen und zu bewerten, schließe ich mit einem epochenübergreifenden Vergleich. 15.2 Das Betreten der Stadt als kulturelle Praxis von der Antike bis zur Frühen Neuzeit Die Rolle der Stadttore im Mittelater und der Frühneuzeit wurde bereits verschiedentlich thematisiert, sie soll jedoch an dieser Stelle zusammenhängend dargestellt werden, um die diachrone Perspektive etwas zu systematisieren. Vorauszuschicken ist, daß wie in der Antike auch in den späteren vormodernen Epochen eine Stadtmauer zumindest konzeptionell zu einer Stadt dazugehörte. In der Frühen Neuzeit ist noch einmal eine regelrechte Konjunktur des Mauern- und Stadttorbaus zu verzeichnen. Die größten und reichsten Städte wie Köln und Bologna wurden nach dem Vorbild des Himmlischen Jerusalem9 mit nicht weniger als zwölf repräsentativen Toren ausgestattet.10 Stadttore waren bereits seit der Spätantike wieder als Mauertore und dezidiert fortifikatorisch gestaltet worden. Im Vergleich zu einem typischen Bogenmonument des ersten oder zweiten Jahrhunderts hatten sie daher sehr viel mehr den Charakter

8 9 10

Dig. 1,8,11 (Pomponius), siehe dazu oben, 124. Offb 21,12–27. J 2015, 212.

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15 Am Tor der vormodernen Stadt

wirklicher Gebäude mit Innenkammern, Treppen und Türmen, was eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten bot.11 Generell ist zu konstatieren, daß die Stadttore für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte von elementarer Bedeutung waren, und dies nicht nur in ihrer zentralen Rolle für die militärische Verteidigung. So läßt sich in bezug auf die mittelalterlichen Stadttore folgendes festhalten: „Sie definierten die Grenzen der Stadt und bildeten die sichtbare Schwelle zwischen Umland und eng bebauter Stadtlandschaft. Wie Trichter kanalisierten sie den Verkehr in die Stadt und aus der Stadt heraus. Bei den Toren gab es Märkte, sie waren Treffpunkte der Stadt- und Landbevölkerung. Verschiedene Handwerke siedelten sich in der Nähe von Stadttoren an. Das Stadttor war Kristallisationspunkt städtischen Lebens, nicht zuletzt auch wegen der Friedhöfe oder den Gebetsplätzen in der Nähe der Tore. [. . . ] In Kriegszeiten, bei Belagerungen einer der am heftigsten umkämpften Abschnitte in der Befestigungsanlage einer Stadt, war [das Tor] in Zeiten des Friedens Ort zahlreicher Vergnügungen.“12 Die Parallelen zur Antike sind evident, wobei gegenüber dem Befund der Kaiserzeit sehr wohl auch Neuerungen zu verzeichnen sind. So trat beim mittelalterlichen Stadttor neben die raumordnende Funktion als weiteres eine Funktion der Zeitbestimmung: An Stadttoren konnten Glocken und Sonnenuhren angebracht sein, und zu den Aufgaben der Stadtwachen gehörte das regelmäßige Ausrufen der Zeit.13 Um die Kulturtechnik des Betretens einer Stadt in diachroner Perspektive zu beschreiben, sollen im folgenden die nachantiken Befunde Schritt für Schritt mit den Ergebnissen meiner Studie abgeglichen werden. Die einzelnen Aspekte der am Stadttor geübten Praxis, die ich aufführe, mußten dabei nicht in jedem Fall verbindlicherweise Teil des Vorgehens sein. 15.2.1 Kontrolliert werden Das Stadttor diente auch zu Friedenszeiten als Kontrollpunkt für den Zutritt zur Stadt. Dabei zeichneten sich die Kontrollen in der Frühen Neuzeit durch zunehmende Bürokratisierung aus – ähnlich, wie wir es in bezug auf das Römische Reich für die spätantike Zeit festgehalten haben,14 aber in weit größerem Ausmaß. An den Toren der frühneuzeitlichen Städte befragten Wachen die Ankommenden, 11 12 13 14

In England beispielsweise wurden im Mittelalter Beratungen lokaler Beamter in einer Kammer über den Stadttoren abgehalten (ebd., 222). K 1999, 1. In Köpfers Untersuchung, 65–243, wird ein materialreicher Überblick über Formen und Funktionen islamischer Torbauten des Mittelalters gegeben. O 2013, 78. Antike Parallelen dazu sind mir nicht bekannt. Siehe oben, 159–161.

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es wurden Zölle erhoben und Waffenkontrollen durchgeführt; Hieb-, Stich- und Feuerwaffen waren für die Dauer des Aufenthalts beim Wachpersonal abzugeben.15 Vor allem dokumentierten die Wachen die täglichen Einreisen aller Fremden.16 In Mantua notierten die Torwächter Namen, Herkunftsort, Reiseziel und die Anschrift das Nachtquartiers. Kam ihnen jemand verdächtig vor, fertigten sie Notizen mit einer Personenbeschreibung an.17 Im frühneuzeitlichen Brüssel wurden, wie in anderem Zusammenhang bereits erwähnt, Name, Geburtsort und Beruf erfragt und protokolliert, der letzte Wohnort, der Zeitpunkt und Grund der Abreise von dort, die letzte Station der Reise, Dauer und Grund des Aufenthalts in Brüssel und schließlich die Adresse der Unterkunft vor Ort. Gegebenenfalls war außerdem ein Gesundheitszertifikat einzureichen, um einer möglichen Ansteckungsgefahr zuvorzukommen.18 In Antwerpen protokollierten die Wachen außerdem verdächtige Vorkommnisse.19 Wie in der Antike waren einerseits einzelne Personen – Exilierte oder Verbannte – und andererseits Angehörige marginalisierter Gruppen – etwa Landstreicher, Bettler und Juden – aus vielen Städten ausgeschlossen.20 15.2.2 Waren deklarieren Da die Stadttore zugleich die Zollgrenze darstellten,21 mußten Zölle gleich bei Ankunft direkt am Tor entrichtet werden.22 Auch dies war also eine Konstante seit der römischen Antike. Die Liste von 40 zollpflichtigen Waren, die im 18. Jahrhundert in Berlin in Gebrauch war, vermag aus antiker Perspektive, etwa im Vergleich zu den Tariflisten aus Lykien, Koptos oder Palmyra, nicht zu beeindrucken, ebensowenig die Zahl der 11 Zolltore im Florenz der Renaissance im Vergleich zu den 37 Zolltoren des kaiserzeitlichen Rom.23 Epochenübergreifend – und das gilt nun sogar bis heute – läßt sich feststellen, daß die Zollrevisionen großes Konfliktpotential boten. Hinzu kamen in der europäischen Vormoderne häufig Rangprobleme, wenn Aristokraten, hochgestellte Bürger oder Studenten für den Zoll kontrolliert werden sollten, eine Überprüfung 15 16

17 18 19 20 21 22 23

M  2017, 103. Zur Zollgrenze an den Stadttoren ausführlicher unten. Vgl. J 2015, 233. Für die Zeitgenossen waren die Fremdenlisten eine interessante Neuigkeit, so ließ sich der König in Berlin im 18. Jahrhundert die Liste allabendlich vorlegen, in Augsburg der Bürgermeister (ebd., 233). Im 19. Jahrhundert, als Tore langsam aus dem Stadtbild verschwanden, druckten Lokalzeitungen die Namen der auswärtigen Gäste ab, die sich in den Hotels und Gasthäusern angemeldet hatten (ebd., 233 f.). M  2017, 104. J 2014, 216 f. J 2015, 233. Ebd., 225. Ebd., 220. Alternativ konnte man, so etwa in Berlin, an die zentrale Zollstelle weitergeschickt werden (ebd., 226). Die Angaben zur Neuzeit nach J 2015, 226.

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aber verweigerten.24 Dies dürfte in römischer Zeit angesichts der Tatsache, daß es sich bei den Zollmitarbeitern in der Regel um Sklaven handelte,25 nicht wesentlich anders gewesen sein. Die kaiserzeitliche Bestimmung, daß Matronen von der Zollvisitation ausgenommen waren,26 reflektiert möglicherweise genau solche Probleme. 15.2.3 Streiten und warten In den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen sind Konflikte an den Stadttoren generell ein großes Thema, was umso interessanter ist, als wir in der Antike darüber vergleichsweise wenig erfahren. Anders als im Römischen Reich, wo von jedem Reisenden erwartet werden durfte, daß er sich auf Latein oder Griechisch zumindest einigermaßen verständlich zu machen wußte, konnten mangelnde Sprachkenntnisse an den Toren fremder Städte problematisch sein; Mißverständnisse führten zu Wartezeiten.27 Da Wirtshäuser und Bordelle auch im Mittelalter und der Frühen Neuzeit häufig vor der Stadt angesiedelt waren, waren die Einlaß begehrenden Personen zudem nicht selten betrunken, was ihre Kooperationsbereitschaft nicht steigerte.28 Daher kam es an den Stadttoren, und dies nicht nur im Zuge der Zolldeklaration, leicht zu Streit und Prügeleien.29 Soldaten galten als eine besonders problematische Gruppe, für die in Antwerpen sogar eigene Tore ausgewiesen wurden.30 Bei starker Frequentation der Stadteingänge konnte ein Streit schnell eskalieren, etwa wenn bei einem Fest besonders viel Publikumsverkehr herrschte.31 15.2.4 Religion praktizieren Sehr deutliche Parallelen zwischen den vormodernen Epochen finden sich bei den religiösen Praktiken am Eingang der Städte. Wenn zu sehen war, daß in der griechischen und römischen Kultur die Nekropolen mit entsprechenden Grab- und Heroenkulten, oft auch Schreine und Tempel vor dem Stadttor angesiedelt waren und daß unmittelbar an oder in den Toren Kultbilder aufgestellt wurden, so gab es analog im Mittelalter und der Frühen Neuzeit Torpatrozinien und Kapellen, die in Stadttoren bzw. über ihrem Durchgang eingerichtet wurden.32 Wer in der Stadt

24 25 26 27 28 29 30 31 32

Ebd., 235. Siehe oben, 178. Ps.-Quint. decl. 359. J 2015, 235. Ebd., 236. Der Grund für die periphere Lage der einschlägigen Etablissements war die Umgehung der Zollschranken, was einen billigeren Alkoholausschank ermöglichte. Ebd., 236 f. Ebd., 237. Ebd. O 2013, 77, und J 2015, 228.

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ankam oder sie verließ, mochte dort ein Gebet sprechen oder sich im Vorübergehen bekreuzigen. Wenig überraschend angesichts der spezifischen Zuständigkeiten von Heiligen im Mittelalter gab es auch hier bevorzugte Zuordnungen. Während im antiken Griechenland Stadttore häufig dem Schutz des Hermes oder der Hekate unterstellt waren, galt bereits in der Spätantike vor allem die Jungfrau Maria als Schützerin der Tore und Mauern, was etwa für Konstantinopel seit dem sechsten Jahrhundert belegt ist.33 Noch an den Stadttoren des spätmittelalterlichen Italien waren Marienbilder besonders beliebt. Wegen seiner Schlüsselgewalt waren außerdem auch Fresken und Skulpturen des heiligen Petrus in Italien weit verbreitet.34 Die Bilder galten als apotropäisch und sollten Teufel und Dämonen fernhalten.35 In der Antike wie dem Mittelalter waren es außerdem die jeweiligen lokalen Stadtgottheiten bzw. -patrone, die an den Toren abgebildet waren und denen Kulthandlungen galten.36 Am Rande sei vermerkt, daß Stadttore seit dem 16. Jahrhundert Konfessionsgrenzen definieren und markieren konnten. Andersgläubige mußten beispielsweise in Wien oder in den spanischen Niederlanden ihren Glauben vor den Toren, zum Beispiel im ländlichen Anwesen eines Adeligen, praktizieren.37 15.2.5 Vor verschlossenem Tor stehen Feste Torschlußzeiten in den Städten des Mittelalters und der Frühneuzeit richteten sich nach dem Sonnenstand und wurden im Jahresverlauf regelmäßig der Tageslänge angepaßt. In Brüssel etwa wurden die Schließzeiten alle zwei Wochen modifiziert, so daß die Tore beispielsweise in der zweiten Aprilhälfte von 4 Uhr bis 20 Uhr geöffnet waren, im Dezember dagegen nur von 6.30 Uhr bis 17 Uhr.38 Dies führte zu Problemen für denjenigen, der die Zeiten nicht kannte oder sich unterwegs verspätete und dann buchstäblich vor verschlossenem Tor stand; daher der noch heute geläufige Ausdruck »Torschlußpanik«. In manchen Städten gab es für diesen Fall eine eigene Schlupfpforte, so in Würzburg und Augsburg. Dort fand man auch nachts noch Einlaß, freilich gegen Zahlung eines zusätzlichen Einlaßgeldes;39 für Hebammen oder Ärzte gab es mancherorts Sonderregelungen.40 33 34 35 36 37 38 39

40

J 2009, 209. J 2015, 227. Ebd. Zum Mittelalter ebd. Ausführlicher dazu ebd., 221.229. Ebd., 239. Augsburg: M  2017, 104 (der angeführte Gewährsmann ist Michel de Montaigne, der berichtet, daß auch Reiter die von zwei Nachtwachen gehütete Augsburger Pforte passieren durften). Würzburg: B 2016, 58 (die Schlupfpforte ist als kleinere Tür im Zeller Tor erhalten). Jütte zufolge war es jedoch die Ausnahme, daß man auf diese Weise noch verspätet Einlaß finden konnte (J 2015, 242). Ebd., 240.

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Die Nachtwachen galten allerdings als notorisch unzuverlässig und schliefen unter Umständen so tief, daß sich verspätet Ankommende kein Gehör verschaffen konnten.41 In diesem Fall mußte man sein Nachtlager in einer Bauernhütte oder einer schlechten Vorstadtherberge beziehen, sofern eine solche überhaupt vorhanden war.42 So übernachtete der Kölner Ratsmann Hermann Weinsberg im Jahr 1570 mit seinen Angehörigen in einem Boot am Rheinufer, da sich die Familie nach einem Sommertag im Weinberg mit der Rückkehr nach Köln verspätet hatte.43 Kurz vor Torschluß spielten sich nicht selten tumulthafte Szenen ab.44 Noch im Jahr 1808 kam es vor den Stadttoren von Hamburg zu einer Massenpanik mit Toten und Verletzten, als an einem Frühlingsabend bei Schließung der Tore mehrere tausend Personen aus der Stadt ausgesperrt wurden.45 Eine kaiserzeitliche Stadt dagegen wurde nicht in diesem Sinne „abgeschlossen“. Zwar ließen sich die Tore in vielen Städten schließen, aufgrund fehlender Mauern aber gab es in der Regel alternative Wege in die Stadt. Insofern stellte sich das Problem der »Torschlußpanik« nicht. 15.2.6 Spezielle Umstände und besondere Anlässe Zu berücksichtigen sind schließlich auch besondere Umstände, unter denen eine Stadt betreten oder verlassen wurde, etwa im Zug einer Prozession. Bei religiösen Umzügen des Mittelalters kam dem Weg zu den Toren und durch sie hindurch eine besondere Bedeutung zu.46 Das gilt in gleicher Weise für herrscherliche Einzüge in den nachantiken Epochen. Aufgrund der sehr viel besseren Quellenlage lassen sich die Rituale, die im Zuge eines solchen Einzugs am Stadttor durchgeführt wurden – anders als für die Antike – im einzelnen ganz detailliert rekonstruieren. Ein weit verbreitetes zeremonielles Element, das in der Antike nicht belegt ist und aufgrund der Unterwerfungssymbolik zumindest für die Prinzipatszeit sicher ausgeschlossen werden kann, war die zentrale Inszenierung einer Übergabe der Stadttorschlüssel an den Herrscher.47

41 42 43 44 45

46 47

Ebd. M  2017, 104. J 2015, 241. Ebd., 243. B 2016, 58. Die Verfasserin zitiert aus einem Zeitungsbericht vom 2. Mai 1808: „Gestern Abends entstand bey dem Thorschluß von Hamburg, wo bey schönem Wetter mehrere tausend Menschen versperrt worden waren, ein Tumult. Das Volk warf auf das wachhabende holländische Militär mit Steinen, welches erst blind, dann scharf feuerte, wodurch einige Menschen getödtet, und mehrere verwundet wurden.“ L 2009, 17. Zum ius intradae des Stadtherrn siehe J 2015, 222 f. Grundlegend ist die Studie von R 2011 zum kaiserlichen Advent, sowie, allgemein zum Einzug von Herrschern, der Sammelband J/L 2009.

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15.3 Zum Schluß

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15.2.7 Ein Vorgang mit vielen Variablen Bereits in bezug auf die römische Kaiserzeit hatten wir eine große Bandbreite differenter Szenarien festgehalten, mit denen am Eingang einer fremden Stadt zu rechnen sein konnte. Während beispielsweise Aelius Aristides bei einem nächtlichen Gewaltmarsch mit seiner Equipage durch mehrere ionische Küstenstädte zog, ohne dort auch nur auf einen Nachtwächter zu treffen,48 mußte Aurelia Maeciane bei ihrer Abreise aus Alexandria ein mehrseitiges Konvolut von Reiseunterlagen mit Ausreisegesuch und Paßdokument vorlegen, um den Hafen von Pharos verlassen zu dürfen.49 Auch im europäischen Mittelalter und der Frühen Neuzeit konnte von einer einheitlichen Regelung zum Betreten von Städten nicht die Rede sein. Reisende berichten von unterschiedlichen Gebräuchen, von denen sie an fremden Stadttoren überrascht wurden. So wunderte sich Leonhart Rauwolf im 16. Jahrhundert bei einer Reise durch die Levante, daß dort die Stadttore – anders als in Deutschland – nicht immer von Soldaten bewacht wurden. Er wußte zu berichten, daß stattdessen an den Haupttoren maximal zwei oder drei Männer standen, die weniger das Tor bewachen als Zoll erheben sollten, und diese seien nicht bewaffnet gewesen.50 Es zeigt sich, daß das Fehlen allgemeiner Regeln, wie es in bezug auf Verkehrs-, Zoll- und Kontrollmodalitäten der Kaiserzeit festgestellt wurde, bis in die Frühe Neuzeit hinein zu konstatieren ist. Die Kulturtechnik, eine Stadt zu betreten, umfaßte demnach immer bestimmte Variablen, die von ortsfremden Reisenden einkalkuliert werden mußten. 15.3 Zum Schluß In dieser Studie konnte gezeigt werden, welche Bedeutung das Stadttor für den Alltag und die Stadtkultur der Kaiserzeit hatte. Ich habe versucht, mich dem Thema in mehreren Anläufen von verschiedenen Seiten zu nähern. Mein Ziel war es, einerseits zum Verständnis der urbanen Lebenswirklichkeit im Imperium Romanum beizutragen und andererseits einen Diskussionsbeitrag zur antiken Kulturgeschichte zu leisten. Dabei liegt es in der Natur der Sache, daß im Ergebnis eine einigermaßen landstraßenlastige Betrachtung entstanden ist. Wer den Eingang von antiken Städten untersucht, müßte natürlich auch die Fluß- und Meereshäfen im Blick haben. Eine eigene Untersuchung der Ankunft am Hafen würde den hier vorgelegten Band in willkommener Weise ergänzen. Mein Projekt, das der Vielstimmigkeit, Differenziertheit und Komplexität der kaiserzeitlichen Kultur Rechnung tragen wollte, hat den Alltag von Reisenden wie den der Zuhausebleibenden beleuchtet. Es wurde gezeigt, daß – anders als es in 48 49 50

Siehe dazu oben, 134. Die Ereignisse gehören in das Jahr 165. Siehe oben, 156. Diese Reise fand im Jahr 246 statt. Nach J 2015, 216.

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einem heute aktuellen Diskurs verhandelt wird – eine unregulierte Mobilität im Prinzipat nicht generell als Sicherheitsproblem betrachtet worden ist. Es lag in der Hand der jeweiligen Stadt, durch geeignete Maßnahmen an ihren Toren die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu garantieren. Stadt- und Landbevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, Personen aller gesellschaftlichen Schichten betraten und verließen die Städte durch die gleichen Tore und Prunkbögen – an denen sie jedoch durchaus unterschiedliche Erfahrungen machten und die sie entsprechend unterschiedlich erlebten. Als Erinnerungsort, als identifikationsstiftendes Monument oder als Symbol der Gemeinschaft konnte ein Stadttor dennoch auch integrative Wirkung entfalten. Das Leben in Städten, die durch Tore begrenzt wurden, erwies sich als eine strukturelle Konstante der vormodernen Geschichte überhaupt. Das Phänomen kann so mit Fug und Recht in Anspruch nehmen, sich durch eine longue durée auszuzeichnen. Selbst eine Epoche wie die römische Kaiserzeit, in der für viele Städte keinerlei Notwendigkeit bestand, Mauern zu unterhalten, hat auf Stadttore nicht verzichtet.

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Literaturverzeichnis Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen Die verwendeten Abkürzungen für Autorennamen und Werktitel folgen in der Regel dem Autorenverzeichnis im Neuen Pauly oder, sofern dort nicht aufgeführt, dem Liddell/ Scott/Jones bzw. Oxford Latin Dictionary. In Fällen, in denen mehrere Editionen eines Werkes verzeichnet sind, habe ich bei griechischen und lateinischen Zitaten im Text die jeweils benutzte Ausgabe explizit vermerkt. Im Lateinischen wurde den deutschen Gepflogenheiten entsprechend gegebenenfalls u in v geändert. Alle Satzanfänge wurden einheitlich in Kleinbuchstaben gesetzt. Hebräische und altsyrische Texte habe ich nur in Übersetzung konsultiert. Achilleus Tatios Jean-Philippe G: Achille Tatius d’Alexandrie: Le roman de Leucippé et Clitophon. Griechisch-französisch, Paris 1991. Acta Barnabae Maximilian B: Acta Philippi et Acta Thomae accedunt Acta Barnabae [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1903], Darmstadt 1959. Bernd K: Die Barnabasakten [Übersetzung], in: D.: Joseph Barnabas. Leben und Wirkungsgeschichte (Stuttgarter Bibelstudien 175), Stuttgart 1998, 76–82. Richard Adelbert L: Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden. Ein Beitrag zur altchristlichen Literaturgeschichte, Band 2,2, Braunschweig 1884. Aineias Taktikos Kai B: Aineias / Aeneas Tacticus: Stadtverteidigung / Poliorketika. Griechischdeutsch, Berlin/Boston 2017 (zitiert als B 2017a). David W: Aineias the Tactician: How to survive under siege [Übersetzung mit Kommentar], Oxford 1990. Altes Testament Irmtraud F: Rut [Übersetzung mit Kommentar] (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg/Basel/Wien 2001. Hans Wilhelm H: Die Bücher Josua, Richter, Ruth (Das Alte Testament Deutsch 9), Göttingen 4 1969. Melanie K: Ruth (Das Alte Testament Deutsch 9,3), Göttingen 2010. Claus W: Genesis, 2. Teilband (Biblischer Kommentar Altes Testament 1,2), Neukirchen-Vluyn 1981.

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Inschriften- und Papyruseditionen

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Inschriften- und Papyruseditionen In diesem Verzeichnis werden kommentierte Sammlungen von Inschriften und Papyri oder Editionen einzelner Texte aufgeführt, nicht aber die benutzten Bände der AE oder des SEG und auch nicht die einschlägigen Corpora wie CIL, IG, IK oder TAM. Deren Abkürzungen folgen dem Verzeichnis im Neuen Pauly. Von diesem abweichend wird lediglich auf Émile Espérandieus „Inscriptions latines de Gaule Narbonnaise“ mit dem üblicheren Kürzel ILGN verwiesen und auf das von Robert Cavenaile herausgegebene Corpus Papyrorum Latinarum mit dem Kürzel CPL. Das Corpus Inscriptionum Iudaeae/Palaestina wird als CIIP abgekürzt, der von Peter Pilhofer in der zweiten Auflage edierte Katalog der Inschriften von Philippi als IPhilippi und die von Maurice Euzennat und Jean Marion herausgegebenen „Inscriptions antiques du Maroc“ als IAM. M. C ..: The Customs Law of Asia, Oxford 2008. James M. S. C, Klaus M und Christopher B: Das Archiv des Phrurarchen Dioskurides (154–145 v. Chr.?), P. Phrur. Diosk. Papyri aus den Sammlungen von Heidelberg, Köln, München und Wien (Papyrologica Coloniensia 30), Paderborn u.a. 2003. M. H. C und Cl. N: Tabula Heracleensis, in: M. H. C [Hg.]: Roman Statutes, Band 1, London 1996, 355–391. Denis F: Recueil des inscriptions chrétiennes de Macédoine du IIIe au VIe siècle (BCH Supplément 8), Paris 1983. Helmut F: Historische Inschriften zur römischen Kaiserzeit von Augustus bis Konstantin. Griechisch-deutsch/lateinisch-deutsch (Texte zur Forschung 49), Darmstadt 2 1994. Stéphane G und Jérôme C: La base de M. Sulpicius Félix et le décret des décurions de Sala, MEFRA 48 (1931), 1–39. Jotham J: Inscriptions of the Palmyrene Gate, in: B/R 1931, 114– 161. Ernst K und Paul M. M: Griechische Papyri im Museum des Oberhessischen Geschichtsvereins zu Gießen, Band I: Urkunden No. 1–126, Leipzig/Berlin 1910–1912. Peter K: Die Gießener literarischen Papyri und die Caracalla-Erlasse. Edition, Übersetzung und Kommentar (Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek und dem Universitätsarchiv Gießen 46), Gießen 1994. Franz Georg M: Griechische Mauerbauinschriften, Band 1: Texte und Kommentare (Vestigia 1), Heidelberg 1959. Christian M: Die Inschriften von Kaunos (Vestigia 55), München 2006 (zitiert als M 2006a). Donald F. MC: Miletos Inscriptions. Texts and List, Princeton 1984. Hüseyin Sami Ö: Konstantinopolis (˙Istanbul) sur ve kule yazıtları, ˙Istanbul Ara¸stırmaları Yıllı˘gı 5 (2016), 1–34. Roberto P und Pietro R: Studii e ricerche archeologiche nell’ Anatolia meridionale, in: Reale Accademia dei Lincei [Hg.]: Monumenti antichi, Band 23, Mailand 1914, 5–274. Peter P: Philippi. Band 2: Katalog der Inschriften von Philippi (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 119), Tübingen 2 2009.

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Abbildungsverzeichnis Autorin und Verlag haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Rechteinhaber der vorliegenden Abbildungen zu recherchieren, was nicht in allen Fällen möglich war. Sollten berechtigte Ansprüche bestehen, bitten wir um Kontaktaufnahme mit der Autorin bzw. dem Verlag. Karten – Das Römische Reich mit den wichtigsten im Buch vorkommenden Orten, Gesamtkarte und Detailkarte (© Susanne Froehlich 2022, Entwurf: Susanne Froehlich, Kartografie: Kai Wendler) Abb. S. v – Graffito einer Szenerie vor dem Stadttor aus Dura Europos (G 1999, 68, Katalog Nr. F. 3) 1.1 1.2 2.1 2.2 2.3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8

Topographischer Bestandsplan von Rom mit dem Verlauf der Mauern, Westen (Droysens Allgemeiner Historischer Handatlas) Topographischer Bestandsplan von Rom mit dem Verlauf der Mauern, Osten (Droysens Allgemeiner Historischer Handatlas) . Porta di Ercolano in Pompeji (Susanne Froehlich) . . . . . . . . Befestigung der Stadt Isaura (Philipp Pilhofer) . . . . . . . . . . Stadttor von Hierapolis in Phrygien (Carole Raddato, CC BY-SA, https://flic.kr/p/rUmYWS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansicht der Stadt Lachisch ( G 1984, 134, Abb. 40) . . . Stadttor von Megiddo (H 1986, 97, Abb. 82) . . . . . . . Die Hauptstraße von Gadara im Verlauf nach Westen (DAI/Gadara-Projekt, Claudia Bührig) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straßenverbindungen in der Dekapolis (B 2004, 185) . . Topographischer Bestandsplan von Gadara, Westen (DAI/GadaraProjekt, Christian Hartl-Reiter/Claudia Bührig) . . . . . . . . . Topographischer Bestandsplan von Gadara, Osten (DAI/GadaraProjekt, Christian Hartl-Reiter/Claudia Bührig) . . . . . . . . . Die Kolonnadenstraße von Gadara im mittleren Abschnitt (Carole Raddato, CC BY-SA, https://flic.kr/p/UD8oh8) . . . . . . . . . Hypothetischer Rekonstruktionsschnitt der Säulenstraße von Gadara (H 2005, 97) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8 9 32 42 45 54 55 62 63 66 67 72 73

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Abbildungsverzeichnis

4.1 4.2 4.3

Arkadisches Tor in Messene (Susanne Froehlich) . . . . . . . . . Stadtmauer von Messene (Susanne Froehlich) . . . . . . . . . . Ideallandschaft mit Torbogen (Museo Archeologico Nazionale di Napoli, Inventarnr. 8528, su concessione del Ministerio della Cultura, rif. 270-2021, Foto: Susanne Froehlich) . . . . . . . .

83 96

99

6.1 6.2

Porta Nigra in Trier (Susanne Froehlich) . . . . . . . . . . . . . 131 Einlassungen für Fallgatter an der Porta Nigra (a Susanne Froehlich, b Philipp Pilhofer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

7.1

Durch das Stadttor von Bakchias ausgestellte Zollquittung (P. Fay. 164, 22 Nov. 208 CE, Papyrus Collection, Rare Book & Manuscript Library, Columbia University Libraries) . . . . . . . 183 Fort und Zollstation in Porolissum (G 1996, Abb. 4 und Abb. 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

7.2 9.1 9.2 9.3 9.4

plostrum mit einem Aufsatz für Dung (G 1981, 16) . . . plostrum mit Marmorblock (G 1981, 23) . . . . . . . . . Markttor in Sufetula (Philipp Pilhofer) . . . . . . . . . . . . . . Topographischer Bestandsplan von Ephesos (ÖAW-ÖAI/Christian Kurtze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 224 245 248

10.1 Trier in der Vogelperspektive (Aquarell von Jean-Claude Golvin. Musée départemental Arles Antique © Jean-Claude Golvin/Éditions Errance) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 11.1 Ankunft in Nemausus (Aquarell von Jean-Claude Golvin. Musée départemental Arles Antique © Jean-Claude Golvin/Éditions Errance) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 11.2 Sulcus-Primigenius-Relief (Museo Archeologico Nazionale di Aquileia, Inventarnr. 1171, Archivio fotografico, Foto: slowphoto.studio, su concessione del Ministerio della Cultura, Direzione regionale musei del Friuli Venezia Giulia) . . . . . . . . . . . . . . . 295 11.3 Renaissance-Zeichnung eines Stadttor-Reliefs (Codex Coburgensis fol. 88, Kunstsammlungen der Veste Coburg) . . . . . . . . 327 12.1 Mosaik aus Madaba mit einer Stadtansicht von Jericho (Carole Raddato, CC BY-SA, https://flic.kr/p/UEyvFw) . . . . . . . . . 12.2 Der Bogen von Orange (Helge Baumann) . . . . . . . . . . . . 12.3 Gefangenenrelief am Bogen von Glanum (Helge Baumann) . . 12.4 Monumentalbogen im Hafen von Ancona (Susanne Froehlich) . 12.5 Augusteisches Tor und hadrianisches Bogenmonument in Perge (Susanne Froehlich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

334 338 340 342 344

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Abbildungsverzeichnis

443

12.6 Sergierbogen in Pula (a Susanne Froehlich, b W 2004, 83, Abb. 5.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 12.7 Severus-Alexander-Bogen in Thugga (Susanne Froehlich) . . . . 352 13.1 Schauplatz des Pseudolus (Isabell Thiebach, in Anlehnung an A 1896, xxvii) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 13.2 Relief mit Priapusfigur (Musei Capitolini, Palazzo dei Conservatori, Rom, Fotos: Barbara Malter, https://arachne.dainst.org/entity/ 2197186 und https://arachne.dainst.org/entity/2197187) . . . . 379

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Indices Sachregister adventus 70, 315–323, 331, 351, 390, 400 agger 6, 30, 123, 208, 211, 225, 304, 380 f. Apotropäik 91, 303, 307–310, 390, 399 Aquädukt 6, 75, 77, 289 Asyl 56 Ausweisdokumente 87, 149, 155 f., 160 Autonomie 39, 48, 83 Barbaren, Barbaricum 110, 112–114, 155, 170, 174, 188, 339, 343 Belagerung 36, 38, 82, 85, 87, 93, 132, 174, 396 beneficiarii consularis 141, 167–171, 187, 189 Bestattungen 87, 89, 101 f., 204, 292 f., 296 f., 304–306, 312 Bettler 18–21, 23, 120, 139, 154, 158, 160, 397 Bogenmonument 32 f., 43 f., 65–71, 283, 297, 311, 324, 341, 395 brachium 129 Brunnen 56, 59, 70, 76, 254, 266 f., 289, 378, 390 civitas 4, 39 colonia 4, 33–35, 37, 39, 47 continentia aedificia 10, 205 f., 220, 224, 226, 229, 292 Daimonen 93, 307, 383, 399 Emotionen 329, 372 f., 382, 391 f. equites singulares Augusti 166 f. Fallgatter 31 f., 130–133, 290 Fiktion und Empirie 18–23, 112–116, 355–383

Fortifikation siehe Wehrarchitektur Forum 72–74, 243–247, 251, 258, 264–267, 390 fossa 30, 129 Frühe Neuzeit 118, 159, 166, 253, 271, 395–401 Fußgänger 217, 223, 232 f., 240, 245, 251, 318 Gärten vor dem Stadttor 6, 203, 205–207, 254, 378, 381–383 Grenzen 7, 47, 86–88, 117, 180, 225 f., 284 f., 289, 292–297, 300 f., 310, 313 f., 325, 330, 373, 394, 399 Hafentor 5, 163 f., 341 f., 346, 353, 361, 366, 370, 394 Handel im/am Stadttor 53, 57, 64, 70, 195–212, 390, 396 Heiligtümer am Stadttor 98, 331, 335 Aphrodite Melainis 98 Bellerophontes 98 Eileithyia 98 Libitina 6, 204 Mars 262, 314 Venus 262 Zeus Hypsistos 102 Henker 199, 203 f., 368 Herbergen siehe Wirtshäuser am Stadttor Herrscheraudienzen im/am Stadttor 56, 78 Hexen 307, 381, 383 Hinrichtungen vor dem Stadttor 78, 310, 368, 378, 388 ius muniendi 38 f.

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446 Juden 20–22, 147, 154, 236, 397 Karawane 56, 70, 75, 77, 163, 179, 198, 239 Kommunikation 58, 74, 268–280, 290, 315, 364, 366, 390 f., 394, 398 Kontrolle 46, 87, 162–164, 290, 389, 394, 396–398 von Personen 48 f., 87 f., 125, 144–161, 396 f. von Verkehrsmitteln 49, 224–226 von Waren 48 f., 53, 193 f., 225, 397 f. Krieg 68, 79–82, 85, 94, 108, 112, 115, 119, 274, 284, 309 f., 316, 343, 361, 396 als Anlaß zum Mauerbau 65, 130–132, 389 Kult im/am Stadttor 52 f., 88–91, 98, 101 f., 297–307, 310–312, 323, 328, 390, 398 f. Aitolos 102 Akamas 89 Apollon 89, 300 Artemis Polo 89 Dionysos 89 Dioskuren 302, 311 Eileithyia 102, 297 Heilige 399 Hekate 89, 303, 314 Herakles 89 f., 101, 298 Hermes 89 f., 101 Laren 302 Minerva Patrua 301 Nemesis 298 Nike 298 Roma 311 Tyche 298 Venus 311 Zeus 89, 170 Lasttiere 172, 217, 232, 237 f. Esel 144, 184–187, 239, 255 Kamel 75, 163, 186 f., 236 Maultier 75, 94, 239, 245, 255

Indices Liminalität 5, 70, 79, 101 f., 283–331, 373, 383, 390, 396 longue durée 16 f., 77 f., 394, 402 Macellum 196, 198, 200 f., 378 Mauertor 31 f., 389, 395 Memorialkultur 98, 100, 102, 331, 335, 342–345, 391 Mittelalter 78, 118, 154, 166, 254, 316, 395–401 Mobilität 1 f. restringierte 122, 145–148, 150, 158 f., 173, 221, 232–236, 389, 394 ungehinderte 116 f., 119–122, 126, 402 municipium 4, 33, 35 Nekropole 98, 102, 205, 207, 296 f., 371–376, 378, 380, 382 f., 390 f., 398 oppidum 33–35 Pax Romana 48, 107–109, 121, 394 Physiognomik 154 Platzanlagen am Stadttor 54, 64, 70, 75–77, 181, 196–199, 231, 239, 271, 288, 378, 390 Poliorketik 82 Pomerium 292 f., 325, 328, 377 porta 7, 17 Prostitution 60, 203 f., 266, 368, 398 Prozession 87, 89, 255, 313–331, 390 f., 400 πύλη 7, 17 Räuber und Bandenkriminalität 108, 110, 124 f., 129, 135 f., 166, 174, 358 f., 373–376, 383 Randperspektiven 14 f., 395 Rechtsprechung im/am Stadttor 56, 78, 388 Reisegeschwindigkeiten 252 Reittiere 197, 217, 233 f. Romanisierung 13, 44, 242, 341

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Sachregister Sänftenträger 202, 210 securitas Augusti 107–112 Sicherheit 37, 46, 49, 86 f., 107–175, 186, 383, 389, 391, 402 Sicherheitsdiskurs 107–122 Sklaven 56, 172 f., 188 Spätantike 33, 71 f., 118, 121 f., 147 f., 159–161, 312, 320, 399 Stadt passim als Netzwerk 258–268 ihr Prestige 48, 84 ihre Repräsentation 335–345 ihr Selbstverständnis 16, 47–49, 70 Stadteingang passim Definition 10 Stadtgrenzen siehe Grenzen Stadtmauer passim Gestaltung 31, 36, 47, 84, 94–96, 130 sanctitas 293–296 Übersteigen der Mauer 124, 164–166, 294 Stadttor passim Definition 4–7 Gestaltung und Dekor 30–33, 44, 65, 68–70, 130–132, 190, 330, 334–339, 344–349 stationarii 139, 167, 172 f. Statthalter 38, 44 Straßen passim desolater Zustand 121 f., 223 Gestaltung 68, 73 f., 339 Straßenführung 31 f., 242–252, 288 Straßenorganisation 264–268 Via Aemilia 285 Via Annia 259 Via Appia 20, 214, 229, 252, 296, 314 Via Augusta 246, 250 Via Aurelia 122, 296 Via Cassia 249 Via Domitia 249 Via Egnatia ix, 245, 250 Via Flaminia 44, 202, 225, 227

447

Via Flavia 349 Via Minucia 245 Via Postumia 247 Via Praenestina 225 Via Salaria 227 Via Tauri 287 Via Tiburtina 6, 225 Via Traiana 245 Studenten 125, 160, 271 suburbium 10 f., 205 f., 213, 231, 314 Synagoge 52, 211, 388 Tagfahrverbot 218–226, 228 f., 233, 235 Thermen 206–208, 266–268 Torflügel 130–133, 290, 316, 334 Torgeld siehe Zoll Torhof 52–56, 76, 82, 192, 314, 344 f. Torkult siehe Kult im/am Stadttor Torschluß 52, 85, 130–136, 161 f., 393, 399 f. Torschwelle 283 f., 291, 311, 334 Transportdienstleister 19, 202 f., 212, 225, 237, 255 Triumphzug 219, 221 f., 318, 320, 323–329 urbanitas 68, 339–341, 391 Urbs 10, 293, 314 Verkehr 69, 202, 217–256, 264–268, 389 f., 394 Verkehrsaufkommen 75, 242, 250, 253–256, 266 Wachpersonal 52, 59, 85, 87 f., 136–143, 154, 165, 175, 271, 290, 391, 394, 397, 400 militärisches 166–173 νυκτοφύλακες 137 παραφύλακες 142 πυλουροί 141 statores 170 vigiles 126, 137 Wagen 213, 220–226, 228 f., 231, 235, 318 Walltor 30 f.

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Indices

Wartezeit 193 f., 202, 255 f., 391, 398 Wehrarchitektur 30–33, 45 f., 52, 63, 65, 71, 79–83, 97, 130–133, 173 f., 336, 389, 395 f. Werwölfe 307, 372 f., 383 Wirtshäuser am Stadttor 140, 203, 237 f., 261, 271, 369, 390, 398

Zoll 7, 46, 48 f., 53, 70, 85, 87, 140, 143 f., 152, 156, 163, 177–194, 196, 200, 213, 312, 397 f., 401 Zolltor 7, 139, 179, 181 f., 184, 190–192, 196, 225 f., 229, 232, 397

Personenregister Dieses Register verzeichnet Personen der Antike und des Mittelalters und schließt auch Akteure des Mythos ein. Antike Autoren wurden nur dann aufgenommen, wenn sie als handelnde Personen vorkommen; andernfalls lassen sie sich über das Stellenregister auffinden. Angehörige des römischen Kaiserhauses werden mit ihrer im Deutschen üblichen Namensform aufgeführt und entsprechend alphabetisch eingeordnet (also Lucius Verus unter L). Personen mit lateinischen duo oder tria nomina sind unter ihrem Gentilnamen zu finden (also M. Plancius Varus unter P). Sofern die Quellen bei griechischen Namen ein Patronym ausdrücklich benennen, wird dieses im Genitiv mit angegeben. Abgar V. Ukama 309 Abraham 57 Achillius 155 Addaios Akollaiou 141 Aelia Oculata maior 306 Aelia Oculata minor 306 Aelius Aristides 116–119, 134, 235, 401 Aitolos 101 f. Akollaios Addaiou 141 Alexander Severus 43 Alkmene 100 Amphitryon 100 Amyntas 41 f. Androklos 101 Antipater von Tarsos 158 Antoninus Pius 110, 116–118 M. Antonius 322 M. Antonius Crispus 152 M. Antonius Valentus 157 A. Apidus Maior 210 Apoecides 361 Apollonios aus Alexandria 394 Apollonios von Tyana 138–140, 152, 155 f., 203 Aretas 165

Asklepios 235, 276 Athene 235 Augustus 6 f., 33 f., 37, 40–42, 44, 48, 108, 145–147, 157, 167, 225, 249, 251, 293, 302, 318, 323, 331, 343, 350 f., 378, 383 Aurelia Maeciane 156, 401 Aurelian 46, 234, 293 Ballio 366–369 Barnabas 76 Barsauma 77 f., 255 f. Basileios 279 Bassus 212 f. Boas 57 f. Bulla Felix 124 Calidorus 366 f. Caligula 383 Cannutia Crescentina 306 Caracalla 70, 150, 206, 306, 388 M. Casellius Marcellus 277 Casperius Aelianus 156 f. C. Cassius Longinus 263 Chrysis 370

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Personenregister Claudius 42, 146 f., 233, 293 Claudius Gothicus 36 Clodius Albinus 131 f. P. Corfidius Signinus 211 Cornelia (Vestalin) 305 f. P. Cornelius Celadus 210 M. Cornelius Fronto 300 P. Cornelius Scipio Nasica 321 f. L. Cornelius Sulla Felix 293 Damis 152 f. David 59 Delfinius 155 Diogenes 98 Dion von Prusa 112–116, 120 Domitian 43, 152, 305 f., 357, 388 Drusus 42 Egeria 309 Elimelech 58 Ephron 57 Epidicus 361–366 Faustinus 212 f. A. Fuficius Zethus 209 Gallienus 43 Genucius Cipus 286 Gerontios von Apameia 146 Gordian 43 Gosaios Naastabou 141 Hadrian 34, 43, 48, 178, 277, 318, 320, 343, 350–352 Hadrianos von Tyros 234 Hannibal 274 Harpax 368–370 Hera 98 Herakles 98, 100 P. Herennius 210 f. Herodes 41 Herodot 16 Q. Horatius Flaccus 381 Jannai 14, 77 Jesus 309 Johanan ben Nappaha 14, 77

449

Juba II. 41 Juda 59 Julia (Tochter des Augustus) 145 f., 157 Julia Vipsania (Enkelin des Augustus) 146 Julian Apostata 278 f. C. Julius Caesar 220, 226, 229, 293 C. Julius Epaphra 211 Sex. Julius Frontinus 44 C. Julius Helius 210 Jupiter 367 Justinian 160 Kadmos 100 Kallistratos 113 Kapaneus 100 Kilion 58 Kleitophon 258 Kleopatra 321 Konstantin 319 Konstantinos 279 Kriophoros 102 Kybele 321 f. Laïs 98 Leontia 15, 210 C. Longius Priscus 157 Lucius 271 f. Lucius Verus 43 Machlon 58 Macrinus 70 M. Maecenas 6, 377 f., 382 Marc Aurel 35, 43, 46, 110, 234, 300 Marcellinus 277 Marciana 353 Sex. Marcius Priscus 346 Maria (Mutter Jesu) 399 Menoikeus 98 Milo 204 L. Minucius 345 Naomi 57 f. Neileus 101 Nero 42, 46, 109, 138, 140, 200, 203, 206, 293, 318 Nerva 110

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450 Nikephoros Phokas 335 Nikeros 372 f. Novellia Primigenia 271 Octavian siehe Augustus Ounophris 185 Pabous 186 Paësis 183 f. Paulus 111, 164–166, 394 Paulus Onnophrios 137 Pausanias 91–103, 261 Perikles 82 Periphanes 361–365 Petrus 399 Phileas Demetriou 137 Philippus 43 Philolaos von Kition 138–140 Philostrat 139 Phoenicium 366, 369 Pindar 98 Plancia Magna 15, 343 f. M. Plancius Varus 44 C. Plinius Secundus maior 258 C. Plinius Secundus minor 168 Plotina 353 L. Poblicius Montanus 210 Polymachaeroplagides 368 Priapus 378–382 Pseudolus 366–369 Roma 320 Romulus 294, 305 Rubria Supersilla ἡ καὶ Εἰρήνη 185 Rubrius Fabatus 147 Rut 57 f. Salvia Postuma 15, 44, 347, 349 Samuel 59 Sarah 57 Saul 59

Indices L. Sempronius Cephalio 209 Septimianus 172 Septimius Severus 38, 70, 132, 232, 318, 351 Cn. Sergius 347 L. Sergius 347 L. Sergius Lepidus 347 Severus Alexander 318, 351 f. Simia 369 Simo 370 Simson 165 Stratippocles 361, 364 M. Sulpicius Felix 127 Symmachus 125 Tamar 59 Theodoros Korneliou 137 Theophanes 155 Theseus 277 Tiberius 34, 37, 42, 109 f., 147, 167 Titus 43, 293, 317, 328, 351 Trajan 43, 110, 133, 168, 239, 317–320, 342, 350, 353 Trimalchio 372 M. Tullius Cicero 256, 263, 315 Ulpius Celer 155 Umbricius 228–230, 291 Valens 40 Valentinian 160 Varronilla (Vestalin) 306 Vespasian 43, 178 f., 196, 293, 316, 318, 328 Vesta 305 M. Vibius Catinius Vibionius 211 C. Vibius Salutaris 313 M. Vipsanius Agrippa 206 L. Virilius Pupus 170 Vitellius 318

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Ortsregister

451

Ortsregister Die wichtigsten vorkommenden Orte sind in der Überblickskarte auf dem Vorsatz bzw. in der Detailkarte auf dem Nachsatz des Bandes verzeichnet. Die Städte Italiens und der westlichen Provinzen werden in der Regel mit ihrem lateinischen Namen angeführt, die Städte der östlichen Provinzen mit ihrem griechischen Namen, wobei für diese gegebenenfalls die üblichen eingedeutschten Formen benutzt werden (Athen statt Athenai). Die Belege für Byzantium und für Konstantinopel als spätere Hauptstadt werden in zwei separaten Einträgen angegeben. Ebenso sind mittelalterliche und neuzeitliche Städte nicht unter ihrem antiken Namen gelistet (Augsburg dort statt unter Augusta Vindelicum); entsprechend ergeben sich in einigen Fällen Doppeleinträge (Bologna und Bononia). Adraa 36 Aduatuca Tungrorum 272 Aelia Capitolina siehe Jerusalem Alba Fucens 243 Albanum 318 Aleppo 78 Alexandria 93, 148, 150 f., 155 f., 186, 207, 249, 253, 258, 394, 401 Alexandria in der Troas 178 Alyzia 90 Ambrosos 93, 95–97 Ampheia 85 Anagnia 300 Ancona 285, 341 f., 353 Andros 80 Ankyra 36 Antiocheia ad Pisidiam 41, 288 Antiocheia am Orontes 74, 148, 155 f., 234, 253, 317, 391 Antium 11, 318 Antwerpen 397 f. Apameia 71, 74, 146 Apollonopolis Heptakomias 137 Apulum 43 Aquileia 295, 349 Ara Agrippinensium 34, 42, 46, 132, 198, 207, 337 Arausio 338, 343, 389 Arba 40 Arelate 207, 296 Argos 101 Argyruntum 42 Aricia 138 Ariminum 44, 259, 301

Arpinum 309 Asea 92 Asisium 31 Asseria 133 Assur 52 Athen 89, 158, 178, 234, 277, 361, 370 Attaleia 350 Augsburg 399 Augusta Emerita 34 Augusta Praetoria 40, 48, 123, 130, 142, 192, 208, 351 Augusta Raurica 13, 35 Augusta Taurinorum 34 Augusta Treverorum 16, 130–132, 174, 197, 265 Augustodunum 207, 243, 319 Aventicum 34 Babylon 52, 93, 95, 155 Baiae 22, 233 Bakchias 142, 183 f., 191 Beerscheba 55 Beneventum 245 Berenike 179 Berlin 397 Bethlehem 57, 394 Betsaida 53 Bizye 132 Bologna 395 zur antiken Stadt siehe Bononia Bononia 285 Bosra 36, 61, 71, 74 f., 77, 190, 198, 259 Bovianum 172 f.

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452 Brixen 40 Brüssel 159, 397, 399 Brundisium 152, 245 Byblos 41 Byllis 41 Byzantium 38, 95, 178 Caesarea Maritima 41, 61 Caesarea Mauretania 41 f., 339 Caesarea Troketta siehe Troketta Cales 202 Callatis 40 Calleva Atrebatum 36, 201, 208, 246, 266 f. Camulodunum 35, 174 Capitolias 71 Carmo 254 Carsulae 43 Castra Regina 35 Chios 80, 84 Corduba 242, 250, 254 Corinium 36 Cuicul 34, 200 Cumae 20, 22, 229, 372 Damaskus 16, 62, 74, 78, 164 f., 243, 298, 394 Dan 53, 55 Dazimon 170 Delos 80 Delphi 80 Didyma 101, 314 Diokaisareia 347 Dorylaion 36 Dura Europos v, 141, 169–171, 191, 278, 298 f., 312, 333 Edessa (Urfa) 309 f. Elaioussa Sebaste 201, 296 Elis 80, 102, 297 Emona 34, 42 Emporiae 238 f., 242, 245, 267, 308 Enaim 59, 394 Ephesos 36, 101, 164, 247 f., 259, 298 f., 308, 310, 313 f., 330 Eretria 90

Indices Euchaita 310 Faesulae 309 Falerii Novi 308 Fanum Fortunae 40, 43, 48, 301 Fidenae 11 Florenz 397 Forum Hadriani 36 Forum Iulii 34 Forum Sempronii 202 Gadara 36, 60–76, 190, 198, 243, 258 f., 288, 308 Gaza 165 Gerasa 36, 71, 74, 77, 190, 198, 299, 350 Geser 55 Gholaia 144, 308 Glanum 339 f., 343 Glevum 36 Gortyn 80 Gortys 90 Hamburg 400 Harmozike 43, 46 Hebron 57 Herakleia 220 Herakleopolis 394 Herculaneum 241, 296 Herdonia 245 Hermione 92, 101 f., 297 Hermopolis Magna 155 Hierapolis 44 f., 72, 90, 190 Hispellum 309 Hypata 271 Iader 40 Iguvium 301 Isaura 41 f., 132 Italica 34, 47 Iuliopolis 168 Jericho 333 f. Jerusalem 35, 37, 53, 62, 74, 134 f., 163, 190, 260, 295, 317, 351–353

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Ortsregister Kallipolis 90 Kalymnos 129 Karanis 184 Karatepe 307 Karthago 35, 119, 157 Kaunos 180 Kelainai 197 Kenchreai 98 Kition 76 Köln 395, 400 zur antiken Stadt siehe Ara Agrippinensium Konstantinopel 16, 160, 278 f., 320, 330, 335, 391, 399 Koptos 179, 397 Korinth 98, 100, 371 Korykos 209, 296, 347 Kyme 134 Kyzikos 259, 263 Lachisch 54 f. Lamos 36, 40 Lanuvium 11 Lapithos 76 Larissa 134 Laus Pompeia 42 Lavinium 11 Leptis Magna 272 Lindum 36 Londinium 35 f., 174, 207, 246, 312 Lucus Augusti 171 Lugdunum 207 Lykosoura 92 Mactaris 201 Madaba 333 f. Magnesia am Mäander 80, 247, 259 Magnesia am Sipylos 91 Mallos 115 Mantineia 101 Mantua 253, 397 Massilia 178, 182 Mediolanum 201 f., 206 Megalopolis 101 Megiddo 54–56, 77, 118 Megiste 90 Memphis 183 f., 187

453

Mersin 55 Messene 82 f., 90, 95 f., 101 Milet 36, 101, 299, 314, 330 Mileum 178 Minturnae 43 Mopsouhestia 335 Munigua 239 Mursa 169 f. Mustis 243 f., 251 Myos Hormos 179 Myra 180 Myrina 134 Nauplia 92 Neapel 16, 318 Neapolis (Nabeul) 208 Neapolis in der Tarraconensis 238 f., 267 Nemausus 40, 132, 249, 251 Nikaia 36, 43 f., 48 Nikomedia 43, 48, 168 Nikopolis 92 Nocera 296 Nola 259 Nomentum 11 Noviodunum 35 Nuceria 259, 271 Nürnberg 118, 254 Nuzi 52 Obernburg am Main 169 Occilis 288, 336 Olbia 112–115 Orchomenos 92 Osterburken 169 Ostia 30, 200, 206, 246, 261, 266, 308, 321 Oxyrhynchos 137 Pallantion 178 Palmyra 74, 77, 191, 193, 198, 243, 397 Pandateria 145, 157 Panopeus 93 Paros 129 Patara 346, 350

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454 Pax Iulia 40 Pergamon 235 f. Perge 44, 48, 72, 200, 288, 299, 313, 330, 335, 343–345 Perusia 31, 277 Petra 350 Pharos 156, 401 Phaselis 350 Philadelphia (Rabbath Ammon) 71 Philadelphia im Arsinoites 185 Philippi 48, 92, 201, 245, 254, 309 Philippopolis 43 Piräus 89 Plataiai 93, 100, 373 f. Pola 44, 133, 301, 347–349 Pompeiopolis 74 Pompeji 31 f., 99, 133, 142, 201, 203 f., 207–209, 237 f., 241, 254, 261, 265 f., 270 f., 277 f., 296, 301, 308 Porolissum 187–190 Praeneste 11, 109, 211 Priene 232, 285 Prusa 112 Prusias am Hypios 36 Ptolemaïs 61 Puteoli 204, 372 Rapidum 40 Ravenna 42 Rhodos 95, 164, 178, 249 Rom 6–11, 18, 30, 36, 72, 117, 125, 136–139, 142 f., 145–148, 156 f., 160, 166 f., 179, 196 f., 199–206, 209–214, 219–232, 250 f., 253, 255, 258–260, 263, 274 f., 292–294, 302–307, 314, 319, 328, 377 f., 388, 394 f., 397 Mauern, aurelianische 8 f., 46, 179 Mauern, servianische 8 f., 179, 205 f., 225 f., 229, 292 f., 318, 325 Porta Appia 309

Indices Porta Caelimontana 197, 200, 203 Porta Capena 20–22, 197, 202, 206, 211–214, 228–230, 291, 296, 311, 315, 318, 321–323, 331 Porta Carmentalis 310, 325 Porta Catularia 303 Porta Collina 212, 262, 304, 306, 388 Porta Esquilina 6 f., 196 f., 199, 204 f., 368, 370, 378, 388 Porta Flumentana 196, 209 Porta Fontinalis 210 Porta Naevia 212 Porta Praenestina 206 Porta Rudusculana 212 Porta Trigemina 18 f., 196 f., 209 f., 324, 345 Porta Triumphalis 302, 324–329 Porta Viminalis 197 Sabbatha 163 Sabora 178 Saepinum 42, 139, 172 f., 277, 308 f. Sala 40, 127–129, 143, 166 Salamis auf Zypern 76, 388 Salona 40, 43 Samaria 41, 77 f., 255 f., 289 Sardeis 36 Sebaste siehe Samaria Sebastopolis 170 Segisamo 171 Segusio 350 Seleukeia am Orontes 93 Serdica 43 Side 289 Sikyon 98 Siphnos 80 Sirmium 169 f. Siscia 170 Skythopolis 36, 61, 71 Smyrna 80, 102, 118, 130, 134, 143, 198, 235 f., 276, 300 Soknopaiou Nesos 186 f., 191 Sparta 80 f., 178, 276, 296

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Stellenregister Stabiae 296 Stageira 84 Stratonikeia 178 Sufetula 245 Tanagra 102 Tarraco 246 Tarsos 115, 158, 287, 321, 335 Tebtynis 184 Tegea 101 Tenea 98 Tergeste 40, 349 Termessos 125, 141 f., 178 Thamugadi 34, 43, 200, 239 f. Thasos 89, 129 Theben 94, 98, 100, 102, 297, 343, 361, 394 Thessalonike 36, 111, 250, 279 Thisbe 37 Thuburbo Maius 201 Thugga 351 f. Thysdrus 288 Tiberias 61, 68, 77, 142, 162, 190, 258 f., 316 Tibur 11 Tiryns 92–96 Tomis 114

455

Tralleis 80 Trier siehe Augusta Treverorum Troja 55 f. Troketta 90 Tusculum 11 Tyros 161 f., 190 Ulpia Noviomagus 36 Ur 52 Veji 31, 310 Velitrae 11, 383 Verona 198, 202 f., 247, 249, 254, 347 Vetera 36, 249 Vienna 40 f., 198 Virunum 242 Volaterrae 31, 308 Volsinii 249 Wien 399 Würzburg 399 Xanten siehe Vetera Zadar 190 Zengibar Kalesi 41 Zypern 76 Stellenregister

Das Register verzeichnet die im Text besprochenen Quellen, nicht aber reine Belegstellen in den Anmerkungen. Zu den verwendeten Abkürzungen für die antiken Schriften siehe oben, 403, zu den Abkürzungen für Inschriften- und Papyruseditionen siehe 413. Achilleus Tatios V 1,1–3

258

ActBarn 16 76 21 76 23 388 AE 1931, 38 127–129 1933, 105 244 1934, 137 259, 271 1936, 157 272

1940, 69 272 1971, 88 204 1987, 452 202 1988, 977 f. 188 2002, 181 212 2004, 421 204 2005, 1691 244 2010 53 202 100 204 265 211

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456

Indices

Aineias Taktikos 5 85 28,1–4 85

IV

Altes Testament Gen 23 57 38,14 f. 59 f., 394 Dtn 17,2–5 388 25,5–10 58 Jos 2,5.7 52 Ri 16,1–3 165 Rt 3,11 57 4,1 394 4,1–12 57 f. 1Sam 9 59 2Sam 18,24–27 59 Neh 7,1–3 52 Jes 60,11 134 Ammian XIV 1,9 223 2 125 Andokides 1,38 f.

85 f.

Anthologia Graeca IX 316 90, 311 686 279 689 278 690 f. 279 Appian pr. 24 110 28 111 Apuleius met. I 11 135 15 135 20,6–21,7 271 f. 21,3 204, 377

8,6–9 376 18–21 373–376 22,1 376 VIII 23,1 136 IX 32,1 197 Aristides Hieroi Logoi 2,19 f. 198 2,19–21 276 2,38–45 235 5,1 f. 235 f. 5,1–8 134 Or. 17,14 300 Or. 20,21 118, 134 Or. 26 116–118 11–13 116 30 117 36 116 60 116 67 116 70 111 79–85 117 93 116 100 116 f. 101 116 102 117 f. 104 116 Or. 48 19 f. 198 19–21 276 38–45 235 Or. 51 1 f. 235 f. 1–8 134 Ps.-Aristides Or. 35 34 110 37 120 Aristoteles Pol. 1331a,7–10 85 1331a,13 84 Artemidor 3,58

140

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Stellenregister Augustus Res Gestae 11 262, 323 12 f. 108 19 211 BGU 13,2342

263

Catull 15,18 f.

204

Cetius Faventinus 29,2.4

256

Cicero Att. IV 1,5 315 div. 1,57 83, 256 fam. XV 17,1 256, 263 Rab. perd. 15,4–7 204 CIL I2 pars 2 fasc. 1 593 219–226 1268 196, 211 II2 871 178 III pars 1 368 44 3955 170 III Suppl. 1 7059 44 IV 485 203, 277 490 277 652 (Add. 1241) 653 278 3069 278 IV Suppl. 3 8356 259, 271 V pars 1 50 347 525 40 V pars 2 5872 202 VI pars 1 450 212 975 212 1956 211

278

457 VI pars 2 9208b 209 9385 211 9488 210 9514 202, 210 9515 210 9548 211 9618 209 9821 211 9822 211 9823 210 9921 210 9974 196, 211 VI pars 4 fasc. 2 30768 212 31218 212 33870 196, 199 33914 210 VIII pars 1 1584 244 VIII pars 2 10979 339 VIII Suppl. 1 15573 244 15581 244 VIII Suppl. 3 20982 339 VIII Suppl. 4 27442 244 IX 407*7 202, 210 2438 120, 139, 172 f., 277 X pars 1 4660 202 XI pars 1 1929 f. 277 3126 263 XIII pars 2 fasc. 2 9158 272 XIV 409* 263 2850 211 2898 109 2899 109 XVII pars 2 675 272

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458

Indices

CIS II 3, 3913

191

Codex Theodosianus 14,9,1

Egeria Itin. 19,8–13 160

Corpus Iuris Civilis Dig. 1,8,11 124, 166, 294, 395 1,12,13 145 1,15,11 264 11,4,1–2 173 Nov. 80,1,1 160 CPL 106 111 179 248 262 263

152 157 156 155 155 155

Dion Chrysostomos Or. 1,50 120 Or. 7 22 47 38 283 38 f. 208 Or. 35,3 197 Or. 36 112–116 1 115 4–6 112 7–9 113, 115 15 f. 115 16 115 17 113 24 112 26 113, 115 27 115 Or. 38,19 115, 175 Or. 40,13 317 Dionysios von Halikarnassos ant. II 67,4 305 68 f. 305 EA 14 (1989) siehe Monumentum Ephesenum

309

Festus p. 285 (= Paul. ex Fest. p. 45) 303 Fronto Ad M. Caes. 4,4,1 300 De nepote amisso 2,8 110 epist. Graec. 5,1 126, 133 Galen XI 299 K 301 K

231 230 f., 256

Historia Augusta Aur. 23,8 234 Aurelian. 5,4 234 Hadr. 22,6 226 Sept. Sev. 2,6 f. 232 Horaz carm. III 5,23 119 Sat. 1,5 252 Sat. 1,8 376–383 IAM II 304

127–129

IEph 27 259, 313 f. 46 310 2121 259 IG II2 5185 277 VII 2225 37 IGR IV 811 44 1156 179 IK Bithynien 1 44 Perge 123 344

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Stellenregister ILS 77 40 3618 212 4293 170 5374 263 5379 339 5839 272 6073 212 6085 219–226 6092 178 7294 202 7295 202 7495 211 7496 211 7497 209 7544 210 7574 196, 211 7617 211 7686 209 7751 210 IPhilippi 038 062 071 083 131 296

375 375 375 375 309 48

Josephus bell. Iud. 1,422 41 3,30 317 3,459 316 f. 4,113 317 7,100–102 317 7,123–157 328 Juvenal Sat. 3 4 f. 22, 229 7–9 22 10 228–230, 256, 291 10–16 20–22 236–238 227 239–267 223 316 228 f.

459 Sat. 4 9 f. 306 Sat. 5 153–155 7 Sat. 6 402–412 272 f. 542 21 588 6 Sat. 15 124 f. 393 142 f. 393 145 f. 393 153–158 393 155–158 175

Libanios Or. 1 86 391 120 317 187 146 Or. 4,13 333 Or. 11,212–216 74 Or. 25,48 142, 271 Livius III 5,4 167 IV 16,2 345 IX 45,15 167 XXII 7,2–13 274 f. 7,11 256 XXV 39,2 167 XXIX 14 323 XXXIV 9,1–3 238 9,8–10 238 Longos III 2,1 Martial Ep. 2,17 3,47 3,58 4,64 12,57

133

204 21, 212–214 213 227 21 f.

Maximos von Tyros 15,3 (Trapp) 140

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460

Indices

Midraschim SifDev 317 173 TanB Schoftim 10 MKon 93

P. Heid. Inv. G 4925 77

108

Neues Testament Lk 10,30 125 Apg 9,23–25 164 f., 394 2Kor 11,32 f. 165 1Thess 5,3 111 Offb 21,25 134 f. 191

Ovid fast. 2,201–204 310 4,247–348 321–323 4,342 212 4,871 262 4,905–942 303 5,673 262 6,192 262 6,457–460 305 met. 565 f. 286 Pont. II 1,21–44 329 trist. I 3,55 284 3,55 f. 291 3,92 291 P. Brem. 23

137

P. Fay. 164 descr. 183 f. P. Gen. lat. 1 verso 5 P. Giss. 40, Kol. II

155

P. Mich. inv. 6183b

Monumentum Ephesenum 12 189 12 f. 180 16 f. 180 20 f. 180 44 178 51 f. 193 52 180

OGIS 629

P. Lat. Argent. 1

152 150 f.

394

186

P. Oxy. 1,43 verso 137 7,1022 157 10,1271 156 P. Phrur. Diosk. 6

394

P. Ryl. 4,608 155 4,623 155 4,629–638 155 P. Vindob. G inv. 39850 P. Wisc. II 80

192

Panegyrici Latini V (VIII) 7,2 121 7,6 320 XI (III) 110 Pausanias I 44,6 116 II 2,4 98 5,4 98 7,2–4 98 25,1 101 25,3 101 25,8 92, 94 f. 34,11 92 35,11 101, 297 38,2 92 IV 5,9 85 27,5–7 97 29,2–5 164 31,5 95 33,3 101 V 4,4 101 f., 297

185

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Stellenregister VII 2,6 101 2,9 101, 259 VIII 13,2 92 33,3 92 f. 38,1 93 44,3 92 IX 1,5–7 94 8,4–7 100 9,3 94 10,1 100 11,1 100 11,7 102 18,3 297 25,1–4 98 X 4,1 47 4,1 f. 93 36,3 f. 93, 95 f. Petron 62,2–9 372 f. 63,1 372 Philogelos 43

256

Philostrat Ap. 1,21 155 2,2 152 4,25 371 4,35–40 138–140 4,39 151 4,39 f. 203 5,27 317 7,15 152 7,16–8,8 157 soph. 1,20 (514) 81 2,10,2 (587) 234 Platon leg. 778d–779a Plautus Capt. 88–90

81

18–20

461 Epid. 194 f. 366 196–199 366 206–254 361–366 218 256 236–254 273 Pseud. 171–229 368 265–269 367 269 368 324–335 366–368 326–331 199 333–335 199 340–344 368 595–599 369 597 261 658 261 658–664 369 950 368 960 f. 261 960–962 369 962 261

Plinius maior Nat. 3,66 258 5,5 129 11,123 286 12,63 163 18,5 345 34,21 345 34,27 345, 353 36,99 259, 263 Plinius minor ep. 4,11,6 303, 306 10,2,2 110 10,10,2 317 10,77 f. 168 paneg. 5,8 110 22,2–4 317 23,1 f. 317 23,2 f. 319 29,2 116

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462

Indices

Plutarch Ant. 26 322 Apophthegmata Lacaenarum 16 276 De audiendis poetis 1 175 De curiositate 6 310 De tranquillitate animi 9 158 f. mor. 14F 175 241C 276 271A–B 294 275B–C 157 286F 305 469E–F 158 f. 518B 310 Numa 10,8–9 304 10,9 305 10,11 306 10,13 304 quaest. rom. 27 294 43 157 96 305 Rom. 11,2 305 11,3 f. 294 Properz IV 3,17 311 3,71 f. 311 Ps.-Quintilian decl. 359 RIC I2 9B

333

Rutilius Namatianus De reditu suo 1 37–42 122 43–45 291, 391 43–164 311 44 284 155 f. 311 165 f. 291

398

SEG VII 570 7, 191 624 141 625 141 XXXVI 1050 314 LI 1813 125 Seneca benef. VI 15,8 118, 125 clem. I 4,2 107 I 19,8 109 f. De ira I 8,2 175 epist. 56,4 233 91,2 111 Strabon V 3,7 (p. 234C) 6 VI 2,5 (p. 272C) 262 Sueton Aug. 6 383 65,3 157 Cal. 59 383 Claud. 25,2 233 25,4 147 Dom. 8,3 f. 306 Iul. 54 2,1 f. 316 Nero 25,1 318 rhet. 1,3 152 Tib. 36 147 Symmachus epist. II 22,1 Tacitus Agr. 3,1 110 ann. I 66,2 284 I 80,3 146 VI 14,2 147 XV 58,2 139 hist. III 20,2 316

125

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Stellenregister Talmud bErub 6b 135 67a 236 TAM III 14A

142

463

Valerius Maximus V 6,3 Velleius Paterculus II 103,4 f. 109 126,3 110

Terenz Ad. 576 f. 262 579–584 261 581 262 713–717 262

Vergil Aen. 3,351 9,687

Tertullian De fuga in persecutione 13,5 157

Vita Barsumae 80,1 255 f. 80,1–5 77 f.

311 284

286