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German Pages [200] Year 2015
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie
Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Christiane Tietz Band 150
Vandenhoeck & Ruprecht
Joachim Ringleben
Sprachloses Wort? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56418-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Konrad Triltsch, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil A: K. Barths Lehre vom Worte Gottes . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Vorspiel: Die unmögliche Aufgabe, von Gott zu reden . . . . . . . .
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2. Die Lehre vom Worte Gottes (KD I/1) . . . . . . . . . . . a. Einleitung in die Prolegomena der KD (§ 1 u. 2) . . . b. Rede von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Der Ansatz bei der Verkündigung (§ 3) . . . . . . . . d. Das Wort Gottes in dreifacher Gestalt (§ 4) . . . . . . 1. Das Wort Gottes als verkündigtes Wort . . . . . . 2. Das Wort Gottes als geschriebenes Wort . . . . . . 3. Das Wort Gottes als offenbartes Wort . . . . . . . 4. Das Wort Gottes als wesentliche Einheit . . . . . . e. Das Wesen des Wortes Gottes (§ 5) . . . . . . . . . . 1. Die Wesensfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wort Gottes als Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Geistigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Absichtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gottes Rede als Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Kontingente Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . 3.2 Regierungsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gottes Rede als Geheimnis . . . . . . . . . . . . . 4.1 Welthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Einseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Geistigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f. Zur Frage der Erkennbarkeit des Wortes Gottes (§ 6) . 1. Erkenntnis und Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . 2. Theologische Anthropologie . . . . . . . . . . . . 3. Wort Gottes und Erfahrung . . . . . . . . . . . . . 3.1 Ganzheitlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Entsubstantialisierung . . . . . . . . . . . . 3.4 Anti-Cartesianismus . . . . . . . . . . . . . 3.5 Logik der Reflexion . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
3.6 Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wort und Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Der Gegenstand und die Möglichkeit des Glaubens 4.2 Entsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Sein von Gott her . . . . . . . . . . . . . . . . . . g. Ergebnis der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Gott spricht nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die Sprache des Menschen und ihr Grund . . . . . . . . . . c. Offenbarung und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Die Bedeutungen von „Wort Gottes“ . . . . . . . . . . . . . 1. Die drei ersten Bedeutungen . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gottes inneres Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das Schöpferwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das inspirierte und das inkarnierte Wort . . . . . 1.3.1 Zur Inspiration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Zur Inkarnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die zweite Bedeutungsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Sprache der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Predigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Weitere Offenbarungs-Medien . . . . . . . . . . . e. „Wort Gottes“ in subjektiver und objektiver Bedeutung . . f. Das Wesen des Wortes Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die biblische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein objektives Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Offenbarungs-Korrelation und das universale Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g. Schluss: Zur Symboltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . h. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Begriffe und Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Einleitung Kann das nur negativ formulierte Postulat: „es gibt … keine Menschenlosigkeit Gottes“1 so verstanden werden, dass es eine Sprachlosigkeit Gottes, d. h. seine definitive Entfernung von der Menschensprache in seinem eigenen Wort, nicht ausschließt? Dies scheint erstaunlicherweise in der Tat Karl Barths Meinung zu sein bedenkt man, dass der grundlegende erste Band der Kirchlichen Dogmatik (1932) bei der über 500 Seiten füllenden Darlegung seiner „Lehre vom Wort Gottes“ nicht nur faktisch ohne wesentlichen Bezug auf die menschliche Sprache auskommt, sondern sie, wie es aussieht und im Folgenden detailliert zu zeigen sein wird, sogar programmatisch, und zwar aus theologischen Gründen, ausblendet: als ob in einer Art theologisch stilisierter Berührungsscheu Gott mit seinem Wort von der Sprache so fern wie möglich gehalten werden müsste trotz Joh 1,1 und 14; und dies insbesondere auch da, wo sich eine „Berührung“ nolens volens keinesfalls ganz vermeiden lässt. Wie wird Gott gedacht, wenn er nicht, ohne sein Gottsein preiszugeben, in der Sprache als solcher als er selbst gegenwärtig sein kann, und wie ist sein Wort verstanden, wenn es wesentlich sprach-frei doch „Wort“ sein soll? So sehr gilt, dass Gottes Wort sein eigenes (als Gott) muss bleiben können, ebenso sehr muss es als Wort zugleich doch evidentermaßen sprachliches Wort sein können, wenn mit Sinn vom göttlichen Wort als solchem soll gesprochen werden können2. Statt einer durchgängigen Vermeidung der Sprachthematik in der Theologie des Wortes Gottes, wie sie bei Barth zu konstatieren sein wird, ist von Paul Tillich der Versuch unternommen worden, mit Hilfe der Prothese einer (metasprachlichen) Symboltheorie die Rede vom Wort Gottes (und die religiöse Sprache überhaupt) zu plausibilisieren. Auch hier wird sich an einem repräsentativen Text exemplarisch zeigen, dass diese reflektierte Distanzierung von der Sprache aus strukturellen Gründen einer für Tillich unüberwindlichen theologischen Opposition von abstrakter Transzendenz und religiöser Konkretion selber unvermeidlich die Instanz des Wortes Gottes ins
1 K.Barth, KD IV/3 (1959), 133. Cf. dazu E.Jüngel, … keine Menschenlosigkeit Gottes … Zur Theologie Karl Barths zwischen Theismus und Atheismus (1971); Barth-Studien (1982), 332 – 347. Hier soll im Folgenden mit dem Satz Jüngels Ernst gemacht werden: „Einen Denker verstehen aber bedeutet, mit ihm und möglicherweise dann auch gegen ihn die Sache zur Sprache zu bringen, der er nachgedacht hat“ (332). 2 Es ist einigermaßen unerfindlich, wie Barths Wort-Gottes-Theologie lange als kraftvolle Erneuerung der reformatorischen Worttheologie hat gelten können jedenfalls wenn man an Luther denkt.
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Einleitung
Vor-sprachliche zurückfallen lässt bzw. diese ins Untersprachliche abgleiten muss. Stößt sich bei Barth das sogenannte „Selbstwort“ Gottes vom menschensprachlichen Wort (auch der Bibel) ab und entlastet so die Worttheologie von der Dimension der wirklichen Sprache, und rettet sich Tillichs Konzeption in eine Theorie des „Symbols“, dessen eigene sprachliche Verfasstheit nicht reflektiert wird3, so ist beiden für die Theologie des 20.Jahrhunderts repräsentativen Entwürfen gemeinsam, dass sie das zentrale theologische Thema „Gottes Wort“ außersprachlich zu begreifen suchen, d. h. mit einer Tendenz zur Entsprachlichung, und sich ebenso der gravierenden Anfrage ausgesetzt sehen, wie man das göttliche Wort als Wort soll denken können, ohne es in seiner elementaren Sprachlichkeit positiv zu würdigen. Der Ausarbeitung dieser Anfragen ist die hier vorgelegte Studie gewidmet, die zu meiner Darstellung Luthers als des theologischen Sprachdenkers kat’ exochen sozusagen die notwendige Gegenrechnung vornimmt4. Nach dem bisher Angedeuteten geht es um die systematische Frage, ob die theologische Rede vom „Wort Gottes“ eine Antinomie bedeutet, dergestalt dass, wo es um Gottes Gottsein geht, die Menschensprache zur Falle wird, und wo die Sprache (als Theo-Logie) in Anspruch genommen wird, ihr Wort zugleich negiert werden muss? Das würde natürlich in Aporien führen: Gottes Wort darf nicht wirklich Wort sein, damit Gott (in ihm) wirklich Gott ist (Barth). Oder: Die Transzendenz Gottes ist dem Wort der Sprache so unerreichbar, dass diese sich als Sprache einer Gebrochenheit überlassen muss, um erst da von Gott besetzt sein zu können, wo sie nicht mehr Sprache, sondern „Symbol“ ist (Tillich). Wir haben die einschlägigen, prominenten Texte also im Horizont der kritischen Anfrage zu lesen und zu prüfen: Muss Gott hier auf die Weise Gott sein und bleiben, dass er nicht selbst im Wort sein kann (Barth) bzw. kann die Sprache so wenig mit Gott zu tun haben, dass sie ihn nur in „symbolischer“ Abwesenheit anwesend sein lässt (Tillich)? Konkreter ausgedrückt sehen wir uns durch Barth und Tillich vor die Frage gestellt: ist die biblische Sprache wirklich so dunkel und opak, dass das Licht, in welchem Gott unerreichbar wohnt (1Tim 6,16), nicht in ihr scheinen (Joh 1, 5a) und Gott in ihr als dem Haus seines Seins wohnen kann (Joh 14, 23b; cf. Kol 2, 9), wenn anders der sprachlich existierende Logos den unsichtbaren Gott wahrhaft ins Menschenwort fasst (1ngc¶sato, Joh 1, 18b)5? Oder gilt es theologisch nicht vielmehr sprachlich zu denken, was Luther von den Einsetzungsworten instar omnium verborum scripturae sacrae behauptet hat: „das unser text ,Das ist mein leib‘ etc. ist nicht von menschen, sondern von 3 Cf. zur Kritik an diesem Symbolbegriff meine beiden Studien in: J.R., Gott denken (2003), 87ff und 139 ff. 4 Cf. J.R., Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her (2010). HUTh 57. 5 Cf. dazu J.R., Das philosophische Evangelium (2014), 115 ff.
Einleitung
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Gott selbst aus seinem eigen munde mit solchen buchstaben und Worten gesprochen und gesetzt“ (WA 26, 446,1—3)? Dann wäre das biblische Wort gerade vom „Sacrament der Sprache“ (Hamann) her zu begreifen6.
6 Zur Interpretation cf. J.R., Hamanns Verhältnis zum Sakrament des Abendmahls; in: M.Beetz/ A.Rudolph (Hg.), J.G. Hamann. Religion und Gesellschaft (Berlin/Boston 2012), 196ff (Hallische Beiträge zur Europäischen Aufklärung 45).
Teil A: K. Barths Lehre vom Worte Gottes Die unter dem Titel „Dialektische Theologie“ im ersten Viertel dieses Jahrhunderts sich in scharfen Antithesen zur vorausgehenden Theologie neu formierende Theologie hat sich ihrem eigenen Anspruch gemäß dem theologischen Bewusstsein der Zeitgenossen und weit darüber hinaus als eine kraftvolle Erneuerung der reformatorischen Worttheologie imponiert1. K. Barth wusste sich mit diesem Unternehmen einer Ahnenreihe verpflichtet, die „über Kierkegaard zu Luther und Calvin, zu Paulus, zu Jeremia“ zurücklaufe, und wollte dezidiert nicht etwa auf Schleiermacher oder Melanchthon zurückgreifen2. Allein ein flüchtiger Blick auf Luthers Theologie als einer von ihrer Mitte her als Theologie des Wortes Gottes angelegten und inhaltlich in nahezu unübersehbarem Reichtum ausgearbeiteten Worttheologie3 nötigt aber zu einer kritischen Überprüfung jenes Anspruchs, mit dem insbesondere Barths Theologie programmatisch aufgetreten ist, erfolgreich gewesen ist und sich schließlich als „Kirchliche Dogmatik“ nachdrücklich und abschließend formuliert hat. Dieser kritischen Lektüre sollen hier exemplarisch zwei maßgebliche Texte Barths unterzogen werden; zum einen einleitend der berühmte Aufsatz „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“ (1922)4, dessen suggestive Formulierungen in den Augen mehrerer Generationen von Theologen geradezu axiomatischen Rang besaßen, und zum andern eingehend der erste Band der KD (1/1, 1932), der als „Lehre vom Wort Gottes“ eine neue Dogmatik eröffnete, die worttheologisch und schrifttheologisch das zentrale reformatorische Anliegen unter neuartigen Bedingungen genuin wieder aufzunehmen schien, und eine ebenso eigenwillige wie in ihrer Durchführung gigantische und ungeheuer wirkmächtige Theologie begründete, wie sie in diesem Jahrhundert nicht ihresgleichen hat.
1 Exemplarisch J.Moltmann, in: Anfänge der dialektischen Theologie (Teil 1), 19622, (ThB 179, XII). 2 A.a.O. 205. 3 Cf. ausführlich dazu o. wie Anm. 4. 4 Wieder abgedruckt a. a. O. 197 – 218.
1. Vorspiel: Die unmögliche Aufgabe, von Gott zu reden a. Der eben erwähnte programmatische Vortrag von 1922 vertritt bekanntlich die (nachher näher zu diskutierende) These, dass wir als Theologen zwar von Gott reden sollen, es aber als Menschen, die wir sind, gerade nicht können5, weil uns Gottes Wort als das (eigene) Wort Gottes prinzipiell entzogen und so unserm Reden nicht verfügbar sei. Der Text Barths endet einigermaßen überraschend und scheinbar unmotiviert so: „Mein Vortrag ist alttestamentlich gemeint und reformiert. Ich habe ja als Reformierter und nach meiner Meinung natürlich nicht nur als das – die Pflicht, gegenüber dem lutherischen est wie gegenüber der lutherischen Heilsgewißheit eine gewisse letzte Distanz zu wahren“6. Diese Erklärung lässt sich kaum anders verstehen als so, dass Barth seine vorher dargelegte These einer unüberbrückbaren Diastase7 von Menschenwort und eigenem Wort Gottes in notwendiger Analogie zur reformierten Distanzierung von Luthers Affirmation einer sakramentalen Identität der Abendmahlselemente mit Leib und Blut Christi (Realpräsenz) begreift. Das heißt: so wenig man als reformierter Theologe das lutherische „est“ mitvollziehen und die darauf sich gründende Heilsgewissheit des Sakramentes bejahen könne, genau so müsse man den unaufhebbaren Abstand zwischen Gotteswort und Menschenwort stark machen. Darin verrät sich das Bewusstsein, dass die Lutherische Worttheologie ihrerseits in genauer Analogie zum Sakramentsverständnis eine wirkliche Realidentität des Menschenwortes (z. B. als Heilige Schrift oder als Predigt) mit dem göttlichen Wort behauptet und dies auch tun muss, um die Gewissheit des Glaubens, an deren theologischer „Begründung“ Luther in beiden Themenbereichen entscheidend lag, zu ermöglichen. An sich ist Barth mit dieser Beobachtung in genialer Weise zu der Einsicht vorgestoßen, dass Luthers berühmtes Insistieren auf dem „est“ weder nur durch einen starren, unreflektierten Biblizismus erklärt, noch nur als sakramentstheologische oder auch christologische These allein verstanden werden kann, sondern dass es zugleich eine zentrale Aussage im Zusam5 A.a.O. 199. 6 A.a.O. 218. Zum Verhältnis von „est“ und Offenbarung cf. K.Barth, Ansatz und Absicht in Luthers Abendmahlslehre (1923), Vorträge und Kleinere Arbeiten (Hg. H.Finze), 1990, 303 – 306. Cf. auch das Zitat aus der CD (1927), u. Anm. 77. 7 Barth distanziert sich von dem Schleiermacher zugeschriebenen Unternehmen, mit Hilfe des Begriffs Religion „die erwünschte und mit Ehren zu begehende Brücke zwischen Himmel und Erde“ zu schlagen.
Vorspiel: Die unmögliche Aufgabe, von Gott zu reden
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menhang einer Worttheologie und nicht etwa nur der Schrifttheologie – bedeutet. Redet Luthers „est“ also immer auch davon, dass es wirklich so etwas wie das Wort Gottes gibt (est), worin ein Verhältnis zur Sprache, die wir als Menschen sprechen, wenn wir das Gotteswort weitersagen oder es hören (lesen), mitgesetzt ist, das nicht nur diastatisch bestimmt werden kann, so sieht es Barth als seine Pflicht als reformierter Theologe an, eben dies zu bestreiten. Wie er jetzt und später analog in der Sakramentsauffassung8 und in der Christologie9 jede Identitätsaussage bricht und in bleibende Distanzbestimmungen überführt, so kündigt sich dieser theologische Stil bereits hier in der These von der unmöglichen Aufgabe, von Gott zu reden, unverkennbar an. Ein zentral aufschlussreicher Punkt betrifft daher im vorliegenden Aufsatz Barths Verhältnis zur wirklichen Sprache, d. h. die Frage, ob er ein theologisches Verständnis von ihr aufbringt. b. Barths These, dass wir zwar als Theologen von Gott reden sollen, aber zugleich doch Menschen sind und es „als solche“ nicht können10, wird, was dies Nichtkönnen angeht, nur wenig konkretisiert11. Wenn es für den „dogmatischen“ Weg heißt, die Theologie könne nicht „Glauben“ erzwingen (209)12, so ist damit die Frage verschoben, wenn für den „kritisch-mystischen“ Weg, sie könne Gottes Gegenwart nur „behaupten“, aber nicht „zeigen“ (211), so springt damit die Frage von dem sprachlichen Problem des von Gott Redens über zu dem anderen der Gotteserfahrung. Schließlich wird für alle drei nach Barth möglichen theologischen Wege behauptet, dass deren „Schwäche, ihr Unvermögen, wirklich von Gott zu reden“, mit ihrem „Zwang“ zusammenhänge, „immer von etwas Anderem reden zu müssen“ (205). Mit dieser Behauptung aber (spätestens) ist die Frage des Redens von Gott als Reden bzw. der religiösen Sprache berührt, die Barth aber nirgendwo wirklich aufgreift. 8 Es reicht hier zur Verdeutlichung, auf die den Begriff des Sakraments beseitigende Unterscheidung von „Geist-“ und „Wassertaufe“ beim späten Barth hinzuweisen (KD IV/4, 1, 1967). 9 Der in Rede stehende Vortrag deutet diese Gebrochenheit oder Zwiespältigkeit an im Verhältnis der – unmittelbar vor dem im Text Zitierten stehenden – Sätze: „Wer ,Jesus Christus‘ sagt, der darf nicht sagen: ,es könnte sein‘, sondern es ist. Aber wer von uns ist in der Lage ,Jesus Christus‘ zu sagen?“ (a. a. O. 218). Der Zusammenhang beider Sätze ist nicht recht einsichtig, und Barths dann folgender Hinweis auf unser Zeugen vom Zeugnis der ersten Zeugen (cf. ebd.) verschiebt die Sachfrage auch nur. Über die Wendung „Jesus Christus sagen“ s. später im Text. Zur christologischen Problematik der KD cf. u. (2.). 10 A.a.O. 199, 206 u. ö. Die These lässt indirekt und polemisch wohl Kants Satz anklingen: „Du kannst, denn du sollst“. Barth fasst das Sollen der Theologie als „Imperativ“ (206), ja als „kategorischen Imperativ der Sachlichkeit“ (217). 11 Man vermisst Aufklärung darüber, ob dieses Nicht-Können meint: überhaupt nicht, oder: nicht angemessen, oder: nicht, ohne zu verobjektivieren, oder: nicht so, dass es etwas bewirkt, oder: nicht religiös, oder: nicht für den modernen Menschen. Für alle diese Möglichkeiten, die (negative) These aufzufassen, lassen sich beiläufige Indizien aus dem Text beibringen, der selber im Ganzen abstrakt bleibt. Jedenfalls ist die Differenz zwischen Barths eigener, abstrakter Formulierung und diesen bestimmten Alternativen von ihm nicht theologisch reflektiert worden. 12 Beim „dialektischen Weg“ spricht Barth das Problem an, wie menschliches Reden „in notwendiger, in zwingender Weise bedeutsam, zeugniskräftig“ werden könne (a. a. O. 214).
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Vorspiel: Die unmögliche Aufgabe, von Gott zu reden
Freilich streift er beiläufig, ohne es in seiner grundsätzlichen Bedeutung wahrzunehmen, die Thematik des Wortes „Gott“. Von der Orthodoxie und dem Dogma ausgehend, behauptet er, „daß sie, daß wir … nicht darüber hinauskommen, diesen Inhalt, und wäre es auch nur das Wort ,Gott‘, dinglich, gegenständlich, mythologisch-pragmatisch uns selbst und den Menschen gegenüber zu stellen: da, das glaube nun!“ (209)13. Auch hier geht es der Sache nach zunächst gar nicht um die Frage, ob und wie das Wort „Gott“ Glauben finden können soll, sondern angesichts von Barths eigenem Thema der Möglichkeit, von Gott zu reden, genau um dies von ihm selbst vorausgesetzte und ständig in Anspruch genommene Wort „Gott“ als ein Wort der religiösen Sprache, von der unvermeidlich auch die Theologie Gebrauch macht. Es ist zunächst einfach nur zu konstatieren, dass der Eindruck einer problematischen Abstraktheit, der Barths Ausführungen in diesem Text generell begleitet, eben auf dieser Abstraktion von der Sprache beruht14, deren er sich bei ihnen selber unentwegt bedient. Barth reflektiert nicht auf das Wort „Gott“15. Man darf annehmen, Barth meinte das Problem religiöser Sprache darum ausklammern zu können, weil ihm die Religion „so lehrreich, aber auch so fragwürdig wie andre“ Phänomene (204) ist und „auch der ganze Bestand der sogenannten Religion, auch wenn es christliche Religion wäre“ an der rettungslosen Not des Menschseins teilnimmt (205)16. Zumindest wird man dagegen einwenden müssen, dass es einer eingehenderen Erörterung dessen bedurft hätte, inwieweit jedes Reden von Gott einschließlich von Barths eigenem in diesem Text! nicht unvermeidlich (und sei es auch nur „zunächst“ aber was heißt das, wenn man denn weiter von Gott redet, wie Barth es tut? ) religiöse Rede ist. Auf dieser Ebene nun ist gegen Barths umstandslose Behauptung des von Gott nicht reden Könnens festzuhalten und theologisch zu berücksichtigen: wir sollen nicht nur von Gott reden, sondern wir tun es immer schon, indem wir theologisch mit dem (und sei es: religiösen) Wort „Gott“ umgehen. Und 13 Ein paar Zeilen später ähnlich: „Das heißt nicht von Gott reden, etwas, und wäre es das Wort ,Gott‘ vor den Menschen hinzustellen mit der Aufforderung, das nun zu glauben“ (ebd.). Dies sind die einzigen flüchtigen Berührungspunkte einer Thematik, deren sachliche Bedeutung für Barths grundsätzliche und weitreichende Behauptungen doch auf der Hand liegt. 14 Als ein beliebiges Beispiel differenzierten Zugangs sei hier nur das zufällig herausgegriffene Zitat von G.Ebeling verglichen: Wir drohen an einer „Sprachvergiftung zugrunde zu gehen … Nicht weil etwa Gott aus unserer Sprache völlig ausgeschieden wäre, sondern weil Gott in unserer Sprache verwest“ (Gott und Wort (1966), in: Wort und Glaube, Band II (1969), 398). 15 In gewisser Nähe zu Barths Aufsatz, aber die theologische und die sprachliche Problematik zusammendenkend, formuliert z. B. E.Jüngel differenzierter: „Wer ist denn Gott, daß wir von ihm reden müssen“ und: „Ist ,Gott‘ noch ein Wort unserer Sprache, so daß wir von ihm reden können?“ (Gott als Wort unserer Sprache; in: Unterwegs zur Sache (1972), 82 u. 80). 16 In Religion und Frömmigkeit ist Barths Meinung nach der Mensch noch so ganz bei sich selber, dass er dazu der Theologie nicht bedarf (201). In diesem Zusammenhang ist freilich seine These, Luther habe einen „Bruch nicht mit der Unfrömmigkeit, sondern mit der Frömmigkeit des Mittelalters“ vollzogen (206), von schillernder Zweideutigkeit.
Vorspiel: Die unmögliche Aufgabe, von Gott zu reden
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Barth tut es in seinen ganzen Ausführungen auch und in prononcierter Weise. Die von ihm behauptete „Unmöglichkeit“ wird von seinem faktischen Verfahren ständig (wenn nicht widerlegt, so doch prinzipiell) relativiert. Auch in der theologisch irgendwie einsichtigen Behauptung: „Wir können nicht …“ entfaltet, wie in Barths ganzen Darlegungen, das Wort „Gott“ unübersehbar selber eine spezifische Wirksamkeit, damit jene überhaupt nur als (irgendwie) zutreffend gehört werden können. Warum wird dieser Sachverhalt hier überspielt? Ist es theologisch wirklich gleichgültig, dass wir das Wort „Gott“ haben und mit ihm theologisch immer schon umgehen, d. h. es verantwortlich weitersprechen? Zu fragen wäre also nach der theologischen Relevanz des Faktums, dass das Wort Gott in unserer Sprache da ist. Von hier aus ist es eine naheliegende Erwägung, ob nicht das Wort Gott (als Wort unserer Sprache) notwendig etwas mit dem Wort Gottes zu tun haben muss, damit überhaupt auch von einem Wort Gottes die Rede sein kann. Nun ist unverkennbar, dass Barths theologisches Interesse weniger an der von ihm behaupteten Unmöglichkeit von Gott zu reden orientiert ist, als vielmehr an seiner positiven These, „daß von Gott nur Gott selber reden kann“ (217). Das eben bedeutet „die sichere Niederlage aller Theologie und aller Theologen“ (ebd.). Denn genau diese „unmögliche“ Möglichkeit (cf. 206), „die Möglichkeit, daß Gott selbst spricht, wo von ihm gesprochen wird“ (215), ist als Wort Gottes „die ebenso notwendige, wie unmögliche Aufgabe der Theologie“ (216). Freilich ist diese eben von Gott her möglich und als solche immer auch schon wirklich. Denn nur daraufhin, d. h. weil Gott immer schon gesprochen hat, ist sowohl das Unternehmen einer Theologie wie insbesondere das spezifische „Abbrechen“ (215) ihres Weges als nur des ihren allein überhaupt verständlich, wiederum einschließlich aller Ausführungen Barths selber hierzu. Dass Gott selber in unserm Reden von ihm, nicht nur möglicherweise reden können soll, sondern schon redet, ist vorauszusetzen und theologisch entscheidend dafür, dass wir beides unterscheiden können. Offenbar hat nur „das blendende Licht des unendlichen Abstandes von Schöpfer und Geschöpf“ (211) Barth die Einsicht verstellen können, dass die Selbstzurücknahme (oder Selbstrelativierung) unseres Redens von Gott vor dessen eigenem darin selber ein sprachlicher Vorgang ist17, bei dem die religiöse Sprache theologisch selbstkritisch wird und in solcher Selbstunterscheidung mehr ist als bloß sie selber als menschliche. Die Unterscheidung „Gott selbst“ in unserm Reden von Gott ist theologisch nur verstehbar, indem das Wort „Gott“ in unserer religiösen Sprache seine spezifische Dynamis entfaltet18. Insofern redet, wer von Gott redet, eben als ein solcher notwendigerweise nicht nur bloß „als ein solcher“. 17 Cf. das „dialektische“ Aufmerksam-Machen darauf, „daß mein Bejahen wie mein Verneinen nicht mit dem Anspruch auftreten, die Wahrheit Gottes zu sein, sondern mit dem Anspruch, Zeugnis zu sein von der Wahrheit Gottes“ (213). 18 Dass „in“ unserem Reden von Gott „die Wirklichkeit Gottes selbst sich behauptete“ (215), muss
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Vorspiel: Die unmögliche Aufgabe, von Gott zu reden
Barths Aussage, dass wir Menschen „als solche“ (199, 206, 207) das Wort Gottes nicht sagen können, verkennt, dass religiöse Sprache eben als solche immer mehr ist (und sein will) als bloß menschliche, um wirklich von dem zu reden, was ihrem eigenen Sinne nach in ihr zur Sprache kommt19. Dass „das Wort Gottes, das wir nie sprechen werden“, gleichwohl in Kraft göttlicher Selbstvergegenwärtigung in unserer Sprache als unser Wort fähig sein kann, „wenigstens Hülle und irdenes Gefäß des Wortes Gottes zu werden“ (218), kann man nur sagen, wenn man Gott und Sprache nicht so undialektisch auseinanderreißt, wie Barth es hier weithin tut20, weil die theologische Dignität des Wortes „Gott“ von ihm nicht reflektiert wird, die gleichwohl seine negativen und positiven Aussagen bestimmt und leitet. Wenn dagegen theologisch angenommen werden muss, dass religiöse Rede von Gott und wirkliches Zur-Sprache-Kommen des Wortes Gottes (bzw. Gottes)21 nur in Kraft einer vorgängigen Präsenz Gottes in der Sprache und diese elementar in Gestalt des Wortes „Gott“ überhaupt thematisierbar und denkbar sind, dann ist unser Reden von Gott immer nur möglich und wirklich, weil Gott selber schon zuvor darin geredet hat. Von hier aus wären Barths „dialektische“ Wendungen im Verhältnis Frage und Antwort (cf. 200, 201, 207, 213, 215) sprachtheologisch zu reformulieren: weil Gott selber in unserer Sprache, z. B. durch das Wort „Gott“, immer schon geredet hat, ist schon unsere Frage (nach Gott) nur unter Bedingung der Antwort (nämlich Gottes uneinholbarem Selber-Reden) möglich22. Von hier aus wäre auch der Begriff von „Offenbarung“ zu modifizieren, den
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eben in der Dialektik religiöser Sprache als Ort von Gottes eigenem Sprechen gedacht werden, was Barth trotz seiner Metaphorik von Frage und Antwort (ebd.) unterlässt. Zu einer analogen Zweideutigkeit des Gebrauchs der Wendung „als solche“ in Barth späterer Religionstheorie (KD I/2; § 17) cf. meinen Aufsatz „Religion und Offenbarung. Überlegungen im kritischen Anschluß an Barth und Tillich“, in: J.R., Gott denken (2003), 71 u. 67 f. Auch die abschließenden drei Bemerkungen Barths (217; cf. 218 gegen Luther: „letzte Distanz“) verharren trotz aller formellen Beweglichkeit im Ja und Nein bei abstrakter Transzendenz. Sie scheint mir auch in Barths berühmter conclusio wiederzukehren: „Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben“ (199, 216). Dass diese in der Sprachvernachlässigung gründet, zeigt exemplarisch der im Test zitierte Satz, dass wir „das Wort Gottes … nie sprechen werden“ (218); wäre er vollständig richtig, würde das Wort Gottes überhaupt nie gesprochen. Theologisch nur über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, dass wir das Wort Gottes sagen, zu reflektieren, stellt sich nicht der vorrangigen Frage, wie es theologisch zu begreifen ist, dass es (wann und wo auch immer) wirklich geschieht oder geschehen ist. Dieser „Ernstfall“ ist theologisch entscheidend, weil ohne ihn anzunehmen Theologie als Lehre vom Wort Gottes sinnlos wird. Das ist bei der Analyse von KD I/1 gleichfalls relevant (s. u.). Entsprechendes gilt für das Verhältnis von Negation und Positivität (Gottes); cf. 211, 212 u. ö. Ich möchte hier das augustinische Motiv des göttlichen Zuvorkommens sprachtheologisch aufnehmen, wie es sich bei Anselm von Canterbury findet: „nec quaerere te possum, nisi tu doceas, nec invenire, nisi te ostendas“ (Prosl. c.1), auch bei Bernhard von Clairveaux: „Nemo te quaerere valet, nisi qui prius invenerit“ (De dilig. Deo 7) oder auch bei Pascal ausspricht: „tu ne me chercherai pas, si tu ne m’avait trouv “ (Frg. 657; bei Barth, Christliche Dogmatik (1927), 76).
Vorspiel: Die unmögliche Aufgabe, von Gott zu reden
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Barth (mit dem Glauben, d. h. deren Empfangen) zur Bedingung von Gott zu reden macht (cf. 207). Denn eben genau dies: „Bloß Gott ist nicht Gott… Der Gott, der sich offenbart, ist Gott“ (209) ist es, was das Wort „Gott“ selber schon sagt, indem es als Wort unserer Sprache von dem redet, was mehr ist als unser Reden davon und unsere Sprache überhaupt. Wäre Gott, z. B. als das Wort „Gott“, nicht in die Sprache gekommen bzw. käme er nicht, so sich offenbarend, in die Sprache, wir könnten weder von Gott reden noch auch über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, von ihm zu reden. Auch wenn Barth grundsätzlich damit recht hat, dass Gott erst, indem er Mensch wird23, sich als unser Gott so offenbart, dass er Antwort für unser Fragesein ist (201, 202, 207, 209), so ist zu sagen, dass Gott, ehe er Mensch wird und als Menschgewordener Gottes Wort ist, in sich oder bei sich Wort ist und daher auch für uns Wort, und u. a. auch das Wort „Gott“, sein kann. Denn auch um diese vier Worte, „dass Gott Mensch wird“, in Wahrheit als das Wort Gottes zu sagen (cf. 207), kann man bzw. könnte auch Barth nicht umhin, das Wort „Gott“ als Organon (cf. 206) in Anspruch zu nehmen als Grund der Unmöglichkeit, von uns allein her, und der Möglichkeit, von Gottes wirklichem Sprechen her von Gott zu reden. Je weniger dieser theologisch fundamentale Sachverhalt konkret begriffen wird, desto mehr droht das scheinbar radikale Raisonnement über unser Sollen obwohl wir es doch tun und unser Nichtkönnen obwohl unser Reden von Gott her wirklich ist zu einer abstrakten Vexierfrage sich zu verselbständigen24.
23 Unverständlich der Satz: „Und jeder Dogmatiker redet nicht von diesem Gott“ (209), der zusammenhängt mit der Ansicht, jener entwickele nur die „These“ der Menschwerdung (208). 24 Die von Barth exponierte Aporie erinnert an die bekannte Türhüter-Parabel in Kafkas Roman „Der Prozeß“ (1914) und lässt Barths Metapher von dieser „nur von innen zu eröffnenden Pforte“ interessant werden (215).
2. Die Lehre vom Worte Gottes (KD I/1) Man kann die von Barth empfundene Unselbstverständlichkeit des Redens von Gott als das grundlegende Motiv ansehen, das jenen frühen Aufsatz mit der ausgereiften, endgültigen Gestalt einer Theologie verbindet, wie sie in der KD epochalen Ausdruck gefunden hat.25 Die eigentümliche Problematik solcher Rede, zumal als genuin christlicher, wird als so entscheidend angesehen, dass sie in die Aufgabenbestimmung dieser Dogmatik als einer kirchlichen konstitutiv eingeht; denn für Barth ist bekanntlich die theologische Aufgabe der Dogmatik darin begriffen, „die wissenschaftliche Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott zu sein“ (KD 1/1, §1)26. Als dieser spezifische Inhalt wird dann im Folgenden „das Wort Gottes“ ausgewiesen, das so zugleich als Kriterium für die genannte Aufgabe der Dogmatik fungiert (1. Kap., 47 ff). Bei aller inhaltlichen Wandlung, die Barths Position in den der KD vorausgehenden zehn Jahren, die sie von dem Vortrag trennen, durchlaufen haben mag, und trotz der theologisch unvergleichlich viel reicheren, theologiegeschichtlich und dogmatisch-methodisch bis in alle Feinheiten konkret ausgearbeiteten, mit dem Nachdruck einer endgültigen Durchformung auftretenden Sachautorität, die das spätere Unternehmen zu einem Hauptwerk der Theologie im 20. Jahrhundert gemacht hat, ist gleichwohl die Kontinuität und Konsequenz im Festhalten der anfänglichen Fragestellung unverkennbar und eindrucksvoll. Daraus ergibt sich für die folgende Analyse zweierlei: Zum einen gewinnt, eben wegen des fundamentalen Ansatzes der Dogmatik beim Thema „Wort Gottes“, die Frage nach der Bedeutung der Sprache dabei den entscheidenden Rang; denn es ist nicht zu ersehen, welche andere Dimension geeignet sein sollte, das von Barth artikulierte Verhältnis von Gotteswort und Rede von Gott (zumindest in heuristischer Absicht) konkret zu untersuchen. Zum andern ergibt sich aus dem Gesagten ohne weiteres, dass es einer Interpretation dieses Werkes verwehrt ist, direkt und unmittelbar inhaltlich sich auf die Barthschen Aussagen zum Wort Gottes einzulassen, ohne dass vorher auf Grundstrukturen seines Dogmatikbegriffs als solchen eingegangen würde. Denn eben dieser Begriff von Dogmatik reflektiert sich unvermeidlich und durchgängig auch in der dann folgenden Lehre vom Wort Gottes. Daher hat auch diese 25 Cf. auch G.Meckenstock, Karl Barths Prolegomena zur Dogmatik. Entwicklungslinien vom „Unterricht in der christlichen Religion“ bis zur „Kirchlichen Dogmatik“, NZSTh 28 (1986), 296 – 310. 26 A.a.O. 1. Der erste Teilband der KD (1932, 19526) wird im Folgenden immer mit einfacher Angabe der Seitenzahl zitiert.
Einleitung in die Prolegomena der KD (§ 1 u. 2)
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kritische Interpretation sich zunächst, freilich in gebotener Kürze und im Hinblick auf ihr eigentliches Thema, mit dem dogmatischen Ansatz überhaupt zu befassen (a. u. b.) und wird sich dann erst ausführlich der eigentlichen Worttheologie Barths zuwenden (c. ff).
a. Einleitung in die Prolegomena der KD (§ 1 u. 2) Als Grundanliegen und, wie sich zeigen wird, fundamentales Sachproblem der Barthschen Dogmatik kann unschwer das Bemühen um diejenige Selbständigkeit der Theologie identifiziert werden, bei der allein sie spezifisch bei der ihr und nur ihr eigenen Sache selbst ist (cf. 29, 30), nämlich der kompromisslosen und unverwechselbaren Konzentration auf die christliche Wahrheit als eine sui generis. Die Freiheit von aller in diesem Sinne außertheologischen Orientierung erwächst der Dogmatik gerade aus ihrer kirchlichen Gebundenheit: „Dogmatik ist keine ,freie‘, sondern eine an den Raum der Kirche gebundene, da und nur da mögliche und sinnvolle Wissenschaft“ (VIII). Dieser Satz aus dem „Vorwort“ in Abgrenzung zu Barths eigenem Titel zum ersten Band seiner „Christlichen Dogmatik im Entwurf“ (1927) formuliert dient insofern dem Anliegen der Selbständigkeit der Dogmatik, als er die jetzt vorgenommene Ausscheidung alles dessen motiviert, was in der ersten Fassung des Buches „nach existentialphilosophischer Begründung, Stützung oder auch nur Rechtfertigung der Theologie“ noch ausgesehen haben mochte. Diese Abgrenzung ist eine deutliche Reaktion u. a. auf Theodor Siegfrieds scharfsinnige kritische Auseinandersetzung mit der ersten Dogmatik, bei der die Frage nach dem Wort eine entscheidende Rolle spielte27. Was Barth hier abwehrt, ist eine falsche oder überhaupt Abhängigkeit der Dogmatik, die er bei einer solchen (z. B. existentialphilosophischen) Begründung, Stützung oder Rechtfertigung der Theologie ohne weiteres als gegeben unterstellt. Daher überrascht es nicht, wenn an der herangezogenen Stelle des Vorworts die Selbständigkeit der Dogmatik für Barth nur im eindeutigen Verwerfen 27 Barth spielt, ohne Siegfrieds Namen zu nennen, a. a. O. selber auf den Titel von dessen Buch an: „Das Wort und die Existenz. Eine Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie. I. Die Theologie des Wortes bei Karl Barth“ (Gotha 1930). Die Rolle, die Siegfrieds eingehende kritische Auseinandersetzung mit der „Christlichen Dogmatik im Entwurf“ für Barths Umarbeitung zur KD gespielt hat, wäre noch genauer zu erforschen; zweifellos war sie erheblich, obwohl Barths eigene Randbemerkungen in seinem Handexemplar der CD in der Barth-Gesamtausgabe (unverständlicherweise) nicht reproduziert worden sind. Zu Siegfrieds Interpretation von Barths erster Dogmatik als auf einem „existentiellen Denken“ beruhend äußert Barth sich abwehrend – wie auch zu Gogartens Vorwurf fehlender Anthropologie – kurz noch einmal KD I/ 1, 128 ff. In unserm Erörterungsgang wird Siegfrieds Kritik im Blick auf das Verhältnis von Sprache und Trinität (KD I/1, 312 f) noch wichtig werden (s. u.).
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Die Lehre vom Worte Gottes (KD I/1)
„der Linie Schleiermacher Ritschl Herrmann“ (bzw. von deren Neuauflagen), worin er nur das klare Verderben der Theologie sehen kann, wie auch der auf analogia entis und angeblicher natürlicher Gotteserkenntnis gegründeten römisch-katholischen Theologie gewährleistet ist (cf. a. a. O.). Wohin er sich mit der KD abstoßen möchte, das ist eine „aus ihrer eigenen Quelle sich nährende, auf ihren eigenen Füßen stehende, von jenem säkularen Elend endlich befreite protestantische Theologie“ (ebd.). Die Intention auf Selbständigkeit der Dogmatik als Freiheit der ihr, und nur ihr, aufgegebenen „Sache“ ist unverkennbar; wie sie soll realisiert werden können, freilich hier noch nicht ausgeführt. Gleichwohl gibt bereits diese Zielvorstellung im Blick auf die sie leitenden (eher bildhaft-suggestiven) Annahmen von vornherein zu präzisierenden Fragen Anlass, deren Berechtigung im Folgenden sich bestätigen wird. So sehr die Theologie sich aus ihren eigenen Quellen nähren muss kann dieses Sich-Nähren von der gemeinsamen Sprache sich lösen, die sie mit anderen Disziplinen und ihren Lesern überhaupt doch wohl immer wird in Anspruch nehmen müssen? Wie aber ist dann dieser Wechsel von der allgemeinen Sprache zur spezifischen dieser Theologie zu verstehen? „Auf eigenen Füßen“ stehen, bedarf eines Bodens oder einer Absprungsbasis, zu der noch im Verlassen ihrer (bzw. im Sichabstoßen von ihr) ein zu begreifender (und nicht einfach zu vernachlässigender) Bezug besteht. Schließlich die „befreite“ Theologie: es macht theoretisch und außerordentlich folgenreich einen entscheidenden Unterschied, ob solche Befreiung der Theologie von (ihre eigentliche Sache) verstellenden Fremdbestimmungen als ein Vollzug man könnte auch sagen: in bestimmter Negation artikuliert oder aber als fester Unterschied nur abstrakt behauptet oder vorausgesetzt wird. Logisch gesehen ist nicht jeder Bezug mit (bleibender) Abhängigkeit identisch, sondern er kann auch als Ort des in ihm von ihm sich Befreiens, sozusagen als kritische Emanzipation begriffen werden. In diesem Fall wäre die intendierte „Selbständigkeit“ eben konkret als ein bewusstes Sich-selbständig-Machen, Sich-Verselbständigen bzw. als im kritischen Sichabstoßen allererst sich herstellende Selbstidentität zu gewinnen28. Der Zusammenhang dieser Problematik mit der Frage nach dem Wort bzw. der Sprachthematik wird im Folgenden allmählich immer deutlicher hervortreten. Das hier Angemahnte bleibt nicht nur in Geltung, sondern gewinnt noch an Gewicht, wenn man vorausgreifend berücksichtigt, dass für Barth sich die Frage nach der Selbst-Identität der Theologie unlösbar verbindet mit der theologischen Annahme einer göttlichen Selbst-Offenbarung bzw. des
28 Um dies andeutungsweise auf die von Barth gegen Th.Siegfried ironisch geltend gemachte Alternative „Das Wort oder die Existenz“ (VIII) zu beziehen: statt eines einseitigen Begründungsverhältnisses bzw. bleibender Abhängigkeit wäre „das Wort“ als das Andere der Existenz für sie und an ihr geltend zu machen, so dass die Existenz als der Ort im Blick bleiben müsste, wo das Wort gehört und verstanden und wirksam werden können soll.
Einleitung in die Prolegomena der KD (§ 1 u. 2)
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göttlichen „Selbst-Wortes“ (s. u. c.), die für jene als Bedingung ihrer Möglichkeit konstitutiv ist. Auf die hiermit angestoßene Frage nach der wesentlichen Selbständigkeit der Dogmatik kommt Barth in § 2 seiner Einleitung in die Prolegomena zur Dogmatik wieder zu sprechen, der deren Aufgabe in der Verständigung über den besonderen Erkenntnisweg der Dogmatik ansiedelt (cf. 23), wobei diese selber schon ein integraler Teil der Dogmatik sind und nach Barth sein müssen (41, cf. 37); denn die Selbständigkeit, die er intendiert, hat die Figur des „in sich geschlossenen Kreises“ (42)29. In diesem Kontext einer Abwehr externer Begründungsfiguren diskutiert Barth polemisch auch die Frage eines sog. „Anknüpfungspunktes“ der göttlichen Botschaft an den Menschen (cf. 26 u. 27 f). Weil diese Dogmatik „schlechterdings an der ergangenen und vernommenen göttlichen Botschaft selbst interessiert“ ist (27, Hervorh. J.R.), könne ihre Erkenntnisfrage nicht lauten, wie denn menschliche Erkenntnis der Offenbarung möglich sei; dabei bleibt freilich bei Barth unentschieden, ob er nur die Fragestellung bestreitet, wie jene überhaupt, d. h. unter allgemeinen Erkenntnisbedingungen, als möglich zu denken sei, oder auch die a limine doch nicht sinnlose spezifische Frage, wie von ihrer Wirklichkeit her ihre Möglichkeit zu verstehen ist30. Daher ist seine rhetorische Unterstellung vorschnell, bei jener Fragerichtung werde so getan, „als wenn es ihr problematisch wäre, ob Offenbarung erkannt wird, als ob von einer Untersuchung der menschlichen Er29 Dieser wiederholt sich inhaltlich z. B. in der Trinitätslehre Barths als Auslegung von Gottes absoluter Subjektivität als seinem Herr-sein (cf. § 8, 311 ff). 30 Hier wird erkennbar, dass Barths Bestreitung der Frage nach einem „Anknüpfungspunkt“, die ganz einer unexplizierten Logik der Voraussetzung als bleibender Abhängigkeit verhaftet ist, engstens zusammenhängt mit seiner undialektischen Auffassung vom Verhältnis des Allgemeinen und des Besonderen, die sich in der KD immer wieder äußert (cf. z. B. 39), deren theoretisches Gewicht aber nicht durch angeblichen einfachen Verzicht auf diese „allzu belasteten Kategorien“ (39) überspielt werden kann, zumal Barth selber der Sachfrage nicht entgeht, sondern sie andernorts auf eigene und nicht uninteressante Weise aufgreift, wie sich an der Gotteslehre (Verhältnis Gottes zu seinen Eigenschaften; cf. KD II/1,419, 589, 635 f, 637 u. ö.) oder am Verhältnis von Christologie und (theologischer) Anthropologie studieren lässt (cf. KD IV/2, (§ 65), 423 ff). Im vorliegenden Kontext kommt dies Problem zur Sprache in der vor der Debatte über den Anknüpfungspunkt abgelehnten Auffassung, dass „die in der Kirche geglaubte Offenbarung als ein Spezialfall innerhalb des Genus ,Offenbarung überhaupt und im allgemeinen‘ zu verstehen wäre“ (27). Durchweg bleibt Barths Kritik an sich zu außertheologischen Instanzen in Beziehung setzenden Begriffen von Dogmatik oder theologischer Lehre auf (formal-logische) Modelle bezogen, bei denen „das Besondere … in der bekannten rationalistischen Weise durch Subsumtion unter einen allgemeinen Begriff“ bewältigt werden soll (39). Darin kann Barth – wenn es sich denn so verhielte – zu Recht nur, wie im Falle von Bultmanns Theologie, eine „Bevormundung und Bestimmung der Theologie [sc. von außen her]“ sehen (cf. 39). Einen anderen als diesen subsumtionslogisch aufgefassten Begriff von Allgemeinheit, d. h. eine in der Dialektik des Bezugs des Besonderen auf ein (vorausgesetztes) Allgemeines sich allererst herstellende, konkrete bzw. übergreifende Allgemeinheit, scheint Barth hier nicht zu haben bzw. nicht zu explizieren, obwohl gerade ein solcher für die in Rede stehend Verhältnisbestimmung der Theologie zu außertheologischen „Voraussetzungen“ evidentermaßen höchst relevant wäre.
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Die Lehre vom Worte Gottes (KD I/1)
kenntnis die Einsicht in die Möglichkeit der Erkenntnis göttlicher Offenbarung zu erwarten wäre!“ (ebd.). Denn die Frage nach der Möglichkeit muss eben nicht nach dem Ob überhaupt, sondern wird sachgemäß gerade nach dem faktischen Wie zu fragen haben. D.h. aber, sie zielt gar nicht notwendig und primär auf irgendeine vorausgehende, generelle Erkenntnismöglichkeit, sondern auf das tatsächliche (theologische) Erkennen von Offenbarung in seiner Möglichkeit. So gestellt ist sie aber auch nicht vermeidbar, denn die göttliche Offenbarung soll doch als wirklich und wahr zum Wahrheitsinteresse der Theologie cf. 9 erkannt werden; wenn sie geschieht oder schon geschehen ist und so auch wirklich erkannt wird, entbindet das doch nicht von, sondern erfordert wissenschaftlich gerade die Nachfrage nach dem Ort dessen auch unter den Bedingungen menschlicher Erkenntnismöglichkeit. Es liegt auf der Hand, dass diese Frage nach der Möglichkeit etwas anderes ist als ein Abhängigmachen der Offenbarung bzw. ihrer Erkenntnis von einer allgemeinen Erkenntnistheorie, die für sich schon ohne Bezug auf Offenbarung und als fester neutraler Rahmen feststünde. Man kann auch sagen: wie sehr die Offenbarung auch immer unableitbar und tatsächlich nur von Gott her geschieht, so muss sie doch beim Menschen und seiner Erkenntnis als solche ankommen, einsichtig werden und d. h. nach dieser Möglichkeit erkannt werden können. Das Recht dieser Antikritik erhellt auch aus dem, was Barth als Alternative zur abgelehnten Frage nach der Möglichkeit aufbietet: „sondern so muß die theologische Erkenntnisfrage lauten: welches ist die wirkliche menschliche Erkenntnis der göttlichen Offenbarung“ (27 f.). Wieder wird hier überspielt, dass es sich nicht um die Frage nach dem Faktum handeln kann31, sondern darum, wie solche „wirkliche“ Erkenntnis von Offenbarung denn selber möglich, d. h. theologisch sinnvoll zu behaupten ist. Freilich kommt Barths 31 Für Barth stellt sich die Frage nach der „Wirklichkeit“ freilich in anderem Lichte dar, insofern als sein rein aktualistisches Verständnis von ihr (cf. die Rolle des „Ereignisses“!) einen in der nicht vorwegnehmbaren oder gedanklich verfügbaren „Freiheit“ Gottes begründeten, spezifisch theologischen Sinn hat. Darauf ist themenorintiert nachher genauer einzugehen. Hier ist nur zu vermerken, dass der Vorrang dieser Kategorie Wirklichkeit für die Dogmatik genauestens Barths Begriff der Kirche als einem actus purus entspricht, d. h. einer „göttlichen, mit sich selbst anfangenden und nur aus sich selbst einsichtigen, also anthropologisch nicht vorverständlichen Handlung“ (41). Von hier aus ist ebenso die eigentümliche Bestimmung Jesu Christi als des „Seins der Kirche“ (2, 14, 33, 40, 103 u. ö.) zu verstehen, die die Externkonstitution der Kirche festschreiben soll (etwa im Unterschied zu Schleiermachers Lehre von der Frömmigkeit als Sein der Kirche, cf. 35 u. 37; grundsätzlich: 38, 40), wie auch Barths durchgängiger Vorbehalt gegen die affirmative Aussage „es gibt“ (als Hineingebundensein in eine geschöpfliche Gestalt, cf. 41), sei es im Blick auf Christus selber (cf. z. B. 11 u. 178), sei es im Blick auf die Kirche (11, 41; cf. 40; ähnlich über Offenbarung und Glauben (84) sowie über die Wahrheit (13)). Damit kommt bereits die Frage in Sicht, wie dieser Aktualismus mit dem Gedanken der (definitiven) Menschwerdung Gottes in Jesus verträglich ist, wie auch deutlich wird, dass diese Grundoptionen Barths erhebliche Auswirkungen in seiner Lehre vom Worte Gottes zeitigen müssen. Jedenfalls hat die o. erwähnte Reserve gegen das Lutherische „est“ hier ihre ontologische Entsprechung.
Einleitung in die Prolegomena der KD (§ 1 u. 2)
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eigentliche, diesen Aufstellungen zugrundeliegende positive These erst da zum Vorschein, wo er seine eben zitierte Richtigstellung der Frage erläutert. Die Frage nach der wirklichen Erkenntnis vollziehe sich nämlich „unter der Voraussetzung, daß die Offenbarung selbst und von sich aus den nötigen ,Anknüpfungspunkt‘ im Menschen schafft“ (28). Dem in sich geschlossenen Kreis dogmatischer Methode entspricht also die inhaltliche Grundannahme dieser Dogmatik, der gemäß gilt: „Die rechte Begründung der christlichen Rede ist aber doch nur in Gott und nicht für uns identisch mit ihrem rechten Inhalt“ (15). Danach ist abzusehen, dass dies Barthsche Theorem von Gottes eigenem Schaffen eines „Anknüpfungspunktes“ im Menschen konkret überprüfbar wird in Gestalt der Frage, wie er das Wort Gottes zum Menschenwort in Beziehung setzt. An dieser Stelle lässt sich zu der zitierten Voraussetzung Barths vorerst zweierlei bemerken, das im Duktus der bisherigen Diskussion verbleibt. Zum einen gilt: mag es richtig sein, dass die Offenbarung sich in Gestalt jenes Anknüpfungspunktes das Organ ihrer eigenen Aufnahme selber schafft, so tut sie es eben doch „im Menschen“ (28), und das besagt, er soll immer noch verstehender Mensch bleiben, auch als durch die Offenbarung bestimmter und verwandelter Mensch noch Mensch und (sie) verstehender Mensch sein. Konkret muss also Barths Theorem in die Frage überführt werden: wie ist einen Anknüpfungspunkt bzw. ein „Organ“ des Verstehens von Offenbarung im Menschen zu schaffen dergestalt möglich, dass dieses auch zugleich (irgendwie) das „eigene“ Organ des Menschen ist bzw. sein kann?32 Wendet man zum andern vorgreifend Barths Theorem inhaltlich und worttheologisch, so entspricht es offensichtlich dem reformatorischen Satz: das Wort schafft den Glauben, einen Satz, den Barth gewiss teilt. Er findet sich bei Luther beispielsweise in der Formulierung mitgedacht: „Gleich wie auch das wort ohne geist und glauben nicht genug ist, das jemand gewiß mache, so ists doch ein mittel, dadurch der geist und gewisser glaube kommt“ (WA 15,622, cf. 5,267). So wie hiernach einerseits gilt, dass weder Wort und Glaube 32 Genauer gedacht besagt Barths Theorem dies unvermeidlich selber. Dass die Offenbarung selbst und von sich aus den nötigen Anknüpfungspunkt (sc. ihres Empfangen- und Erkanntwerdens) im Menschen schafft (cf. 28), gibt die Selbst-Tätigkeit göttlichen Offenbarungshandelns als ein sich entzweiendes Tun zu denken: Indem es „von sich aus“ tätig wird, übersetzt es sich zugleich in ein Anderes bzw. an dessen Ort, um auch dort es selbst als das allein „selbst“ Tätige zu sein. Offenbarung ist also sie selbst und ihr Ankommen beim Anderen, in dem sie sich reflektiert, um von da auf sich zurückzukommen: im von ihr Unterschiedenen als Offenbarung zu sein. Sie ist nur so sie selbst, dass sie zugleich auch bei dem von ihr Unterschiedenen („im Menschen“) ist, und ist sogar, auf diese Weise für ihn als Offenbarung an ihn seiend („Anknüpfungspunkt“), selber nur als mit diesem Andern und von ihm her. Das eigene Sein des Andern – und sei es auch das sich von sich Wegbewegen hin auf die an ihm sich wirksam erschließende und ihn in sich einbeziehende Offenbarung – ist somit (als existierender Übergang) ein unverzichtbares Moment für das eigene Sein der Offenbarung als Offenbarung (d. h. als Offenbarung für …) und gehört gerade im Unterschied von ihr zu ihr. (Zur sprachlichen Struktur dieses Verhältnisses cf. die folgende Anm.)
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Die Lehre vom Worte Gottes (KD I/1)
(als voneinander unabhängige Faktoren) äußerlich zusammentreten noch auch das Wort ohne Glauben nicht ist, was es wesentlich ist, so andererseits, dass der Glaube ohne Wort gar nicht da ist, sondern gerade vom Wort abhängig ist, um er selber zu sein. Offenkundig ist von einem Verhältnis die Rede, das nur in einem eigentümlichen Zirkel ausgesagt werden kann bzw. genauer: als die Zusammengehörigkeit von zweien, die doch stets auch gegeneinander zu unterscheiden sind. So lässt sich kürzest möglich sagen, der Glaube sei das eigene Andere des Wortes, und d. h. er ist das Wort im Modus seines Vernommenwerdens33. Als die sich selbst ihren Anknüpfungspunkt bei Menschen hervorrufende Offenbarung ist diese wie das im göttlichen Handeln gründende „Sein“ der Kirche nach § 2 der in sich geschlossene Kreis eines actus purus: „göttliche, mit sich selbst anfangende und nur aus und durch sich selbst einsichtige … Handlung“ (41). Allein mit diesem Begriff vom Handeln Gottes meint Barth die Selbständigkeit der Dogmatik im „grundsätzlichen Außerhalb aller menschlichen Möglichkeiten“ (als Quelle von deren Erkenntnis) sichern zu können (40)34. Freilich geht bei der einseitig gedachten Priorität wiederum die Frage unter, wie sich das Sein und Handeln Gottes reflektiert im Sein des Menschen, d. h. zitatbezogen gewendet: wie dessen Außerhalb vom Menschen doch bei diesem und er als Mensch zugleich außerhalb seiner sein könne eine Frage, die wiederum in die Sprachdimension weisen würde35. Bereits an solchen Beobachtungen lässt sich ein Zusammenhang einer gewissen theo33 Über Luther heißt es zutreffend: „Das Wort schafft sich als Organ seiner Aufnahme den Glauben“ (R.H.Grützmacher, Wort und Geist (1902), 32). Dies ist genauer zu interpretieren. Wenn das Wort im Organ seiner Aufnahme erst als Wort ist, heißt das, es vermittelt sein eigenes Wortsein von einem Anderen her, für das und von dem her es ist, was es ist. Es hat seine Identität als Wort in seinem eigenen Andern, dem Glauben. Sein Sein ist nicht nur ein Sein an sich, sondern sein eigenes Sein ist sein Sein bei dem, worin es es selbst ist. Es setzt sich ein Anderes voraus („schafft sich“ das), um von diesem her und in Differenz dazu es selber zu sein. Indem das Wort nicht nur es selbst ist, sondern am Ort des Glaubens auch das von ihm bestimmte Andere (sc. der Geist), ist es selber wirklich als Wort: als vernommenes erst spricht das Wort, ist es Wort. Glaube als das vernehmende Organ für das Wort ist als dessen eigenes Anderes nichts ihm gegenüber Selbständiges oder Ursprüngliches. Sein Sein ist nicht seins, sondern das des Wortes bei ihm. So ist er wesentlich Hören. Er ist nur begründet von dem her, was er an sich selber sein lässt, dem Wort. Nur als sich von sich unterscheidend, im Bezug auf sich durch das Wort, das er vernimmt, begründet, ist der Glaube er selbst. Nur im Wort, es bei sich vernehmend, bezieht der Glaube sich auf sich als Sein-Lassen des Wortes bei ihm. Indem der Glaube von sich weg auf ein Anderes als seinen Grund verweist, ist er, was er ist, und mit sich identisch. Nur beim Anderen des Wortes ist er bei sich selbst, im Sichabstoßen von sich (cf. Luthers „rapi“) bezieht er sich auf sich (externe Konstitution); cf. u. Anm. 273. 34 Bemerkenswerterweise sieht er mit diesem Außerhalb in der katholischen Dogmatik „wenigstens im Ansatz Ernst gemacht“ (40) – im Unterschied zur „modernistischen“ Dogmatik (Schleiermacherscher oder Bultmannscher Prägung), cf. 35 ff. 35 Ganz allgemein geht Barth auf das auch für die christliche Gemeinde „so wichtige Gebiet der Sprache“ im Zusammenhang von Abhängigkeit und Freiheit der Gemeinde ein (cf. KD IV/3 (2.), 841 ff).
Einleitung in die Prolegomena der KD (§ 1 u. 2)
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logischen Abstraktheit („Reinheit“) mit dem später zu konstatierenden Verfehlen der Thematik von Sprache und Menschenwort vermuten. Insbesondere die Bestimmung „actus purus“ gibt zu kritischen Überlegungen in dieser Richtung Anlass. Der in uneinholbarer Externität angesiedelte Akt ist rein, insofern er „mit sich selbst“ anfängt, und so nicht in Relation steht zu dem „Prius“ (37) einer ihm vorgeordneten und d. h. für Barth „übergeordneten“ (37), allgemeinen Möglichkeit, aus der er begriffen werden könnte. Barth will so die Freiheit des Herr-seins Christi (40) bzw. der göttlichen Handlung (41) absichern. Aber ist das in dieser Unmittelbarkeit und abstrakten Setzung möglich? Bzw. so im direkten Zugriff für die Dogmatik thematisierbar? Nach der Logik des Selbst als eines wesentlich Indirekten, weil sprachlich Vermittelten ist die unmittelbare Setzung eines „von selbst“ nur erst die Abstraktion des konkreten von selbst (sc. Anfangens); das wirkliche Selbst kommt erst da heraus, wo es als mit sich selbst beim Andern anfangend, also vermittelt, thematisiert wird36. Für Barth hingegen ist die „Reinheit“ dieses Geschehens gerade Bedingung dafür, dass im Reden und Gehörtwerden Jesus Christus „selber“ präsent wird, denn nur im actus purus ist die unableitbare Aktualität seine Aktualität: „der gegenwärtige Augenblick des Redens und Gehörtwerdens Jesu Christi selber, des göttlichen ,Lichtschaffens‘ in unseren Herzen“ (41). Barths betonter Aktualismus soll die „freie persönliche Entscheidung“ über den rechten Inhalt christlicher Rede (41) bzw. die Gnade als „Ereignis personaler Zuwendung“ und nicht als „übertragener dinghafter Zustand“ (ebd.) theologisch sicherstellen37. Aber es fragt sich, ob nicht diese Grundalternative von personaler Zuwendung und dinghaftem Sein im sprachlichen Wort gerade überholt ist. Freilich scheint man sich für ein rein aktualitätshaftes Verständnis des Wortes immerhin auf Humboldts berühmte Formulierung berufen zu können, wonach die Sprache selbst kein Werk (Ergon), sondern eine (sich erzeugende) Tätigkeit (Energeia) ist38. Ein rein Selbsttätiges ist die gesprochene Sprache für Humboldt aber nur im konkreten Zusammenhang mit ihrem vorhandenen Bestande, d. h. immer nur im aktuellen Selbstunterschied von vorgegebenem Laut- und Sprachmaterial, von Vokabeln und Grammatik (auch Schrift usw.). Dass Geist Erscheinen am Andern seiner ist weswegen er sprachlich mit Lufthauch, Atem zusammenhängt: ruah, Pneuma, anima, spiritus lässt ihn erst aktuell lebendig sein, im Sichabstoßen von Vorgegebenem. Insofern er sein Dasein in der Sprache hat, bringt daher z. B. jedes Wort (seine) Geschichte mit, und insofern redet das Wort Gottes bzw. die christliche Rede auch von vorgegebener Vergangenheit („Gott hat …“; „Jesus Christus war …“ usw.)! Es
36 Cf. die entsprechenden Überlegungen zur „Selbständigkeit“ der Dogmatik, s. o. S. 19 ff. Der „in sich geschlossene Kreis“ (42) ist überhaupt nur da an oder in einem offenen. 37 Cf. die Kritik an einer vis hyperphysica (Hollaz) im Namen des personhaften Wortes Gottes, 113. 38 Gesammelte Schriften (Leitzmann), Band 7, 46.
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Die Lehre vom Worte Gottes (KD I/1)
wird zu prüfen sein, wie eine vom Barthschen Aktualismus geprägte Lehre vom Worte Gottes damit umgeht.
b. Rede von Gott Am Schluss des § 2 seiner Einleitung in die Prolegomena kommt Barth selber überleitend auf die Thematik von Wort Gottes und Reden von Gott zu sprechen (42 f); das ist hier kurz zu vergegenwärtigen. Als Ansatzpunkt der in den selber schon dogmatischen „Prolegomena“ zu gebenden Rechenschaftsablage über den Erkenntnisweg der Dogmatik knüpft Barth an die Tatsache an, „daß die christliche Kirche es wagt, von Gott zu reden, bzw. es wagt, ihr Reden als Reden von Gott zu verstehen“ (42). Dies Wagnis bezieht sich offensichtlich darauf, dass die Kirche beansprucht, in ihrem Reden von Gott wirklich Gott selber zur Sprache zu bringen. „Diese Tatsache als solche … ist offenbar selbst schon ein Stück ,Rede von Gott‘“ (ebd.). Nimmt man diesen Satz prinzipiell, so bedeutet er eine eigentümliche Verdoppelung solchen Redens, die für es wesentlich ist. Die tatsächliche Rede von Gott sagt mehr als was unmittelbar ihr Inhalt (oder Thema) ist. Sie sagt nämlich in ihrem Vollzug immer ihr „Dass“ mit aus und zwar so, dass darin der Grund und die Ermöglichung ihrer selbst als Rede von Gott als konstitutive Voraussetzung implizit immer mit in Anspruch genommen ist und darin immer mit zur Sprache kommt. Das aber kann nur besagen, dass Gottes eigenes Reden sich in ihrem Reden von Gott vernehmlich macht. Unmittelbar genommen, meint Barth es wohl simpler: „Sie besagt von Gott, daß die Kirche von ihm rede“ (ebd.); d. h.: worüber auch inhaltlich diese kirchliche Rede handeln mag, sie bringt stets mit zur Geltung, dass ihr Reden über Gott von Gott selber sich herschreibt, z. B. darin, dass die Rede der Kirche von Gott das Wort „Gott“ und die in ihm aufgehobene Geschichte in Anspruch nimmt. Sie sagt über Gott implizit aus, dass er der Gott ist, zu dem (irgendwie) gehört, dass die Kirche von ihm rede. Das besagt, sie thematisiert ihr eigenes Reden von Gott immer im Horizont Gottes selber. Jedenfalls zielt Barth darauf, dass die kirchliche Rede von Gott nicht nur besagt, „dass“ sie von ihm redet was auch trivial zu verstehen wäre –, sondern auch: dass Gott immer schon von sich (zu ihr) redet bzw. geredet hat. Die Ermöglichung des kirchlichen Redens von Gott liegt demnach in einem „zu der von Gott redenden Kirche zuvor gesprochenen Wort Gottes selbst“ (ebd., Hervorh. J.R.). Darum zieht Barth das Resümee: „Wenn und sofern ein solches Wort von Gott selbst zur Kirche [ nur zu ihr? – ] gesprochen ist, dann und nur dann gibt es ein Recht und hat es einen Sinn, in der Kirche von Gott zu reden“ (42 f.). Für Barth ergibt sich daraus, dass die Prolegomena das eigene Wort Gottes als Kriterium der Dogmatik zu verhandeln haben (43; cf. 42: „Norm des übrigen Inhalts“). Man fragt sich, ob diese Bestimmung hinreicht. Denn ist das
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Wort Gottes nur „Kriterium“ der Dogmatik und nicht auch die Substanz ihres Inhaltes bzw. kann es jenes überhaupt sein, ohne zugleich diese durchweg auszumachen? Diese Anfrage legt sich auch darum nahe, weil Barth auf die auffallenden „Vorwegnahmen“ hinweist, die darin bestehen, „daß wir die ganze Trinitätslehre und wesentliche Teile der Christologie schon hier, als Bestandteile der Antwort auf die Frage nach dem Worte Gottes zur Sprache bringen“ (43). Ist die dabei gemachte Unterscheidung von „formalem Dogma“ (d. h. Lehre vom Wort Gottes) und „materialem Dogma“ (ebd.) so legitim, wie Barth sie, trotz der Beteuerung ihrer Wechselbezogenheit, macht? Denn Trinitätslehre und Christologie sind doch auch selber zugleich als vom Wort her konzipiert verständlich zu machen, d. h. z. B. dass „Wort Gottes“ (im Sinne der These Barths vom in der Selbstoffenbarung redenden Gott als Wurzel der Trinitätslehre, cf. 320 ff) nicht nur seine Weiterbildung in der Trinität findet, sondern dass die Trinität selber als sprachlich und worthaft verfasst zu begreifen ist ( so Luther) und darum ihrerseits allererst so etwas wie Wort Gottes (bei uns) und (kirchliche) Rede von Gott verständlich macht. Dass in Barths Prolegomena der locus: „De scriptura sacra“ mit zur Verhandlung steht, verbindet ihn mit der klassischen Dogmatik der protestantischen Orthodoxie; was ihn aber von dieser unterscheidet, ist die Erörterung der Lehre von der Heiligen Schrift im systematischen Zusammenhang einer umfassenden Lehre vom Worte Gottes (ebd.), die zusammenführt, was sachlich zusammengehört.
c. Der Ansatz bei der Verkündigung (§ 3) In ihrem ersten, grundlegenden Kapitel sollen Barths Prolegomena das Wort Gottes als Kriterium der Dogmatik herausarbeiten (§ 3 – 7). Dazu wird zunächst die kirchliche Verkündigung (in Predigt und Sakrament) als Stoff einer dogmatischen Untersuchung zum Thema, die ihre Verantwortlichkeit von jenem Kriterium her, also sie am Maß des von ihr beanspruchten Wortes Gottes, prüfen will39. 39 Der Leitsatz zu § 3 nimmt damit das am Ende von § 2 Entwickelte ausdrücklich auf: „Die in der Kirche stattfindende Rede von Gott will insofern Verkündigung sein, als sie sich … an den Menschen richtet mit dem Anspruch und umgeben von der Erwartung, daß sie ihm auftragsgemäß das … Wort Gottes zu sagen habe“ (47). Wenn Barth fortfährt: „Sofern sie trotz dieses Anspruchs … menschliches Wort ist, wird sie Stoff der Dogmatik“ (ebd.), so fällt auf, dass sie ja gerade in diesem Anspruch und seinetwegen menschliches Wort ist und es demnach auch zur Aufgabe einer Dogmatik gehören müsste zu begreifen, wie ein solcher möglich ist und was er (auch schon als ein solcher) über das darin vorauszusetzende Verhältnis von Gotteswort und menschlichem Wort erkennen lässt. Ob und wie das religiöse Wort von Gott trotz und gerade in seiner Menschlichkeit doch Gottes Wort sein könne, scheint mir die jener Prüfung vorgeordnete Aufgabe zu sein, weil allein so die Handhabung jenes „Maßstabs“ davor gesichert wäre, den konkreten Ort menschlicher Rede von Gott zu überspringen.
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Barths überraschender Einstieg ist aller Aufmerksamkeit wert: „Nicht alle menschliche Rede ist Rede von Gott. Es könnte und müßte wohl so sein“ (47). Damit wird, wie die Fortsetzung zeigt, eine merkwürdige Richtung der Erörterung genommen. Denn die spezifische, ausdrückliche Rede von Gott (als das eigentliche Thema) wird hier zu Beginn sogleich eingezeichnet in den (worttheologisch und für die Verkündigung) an sich ziemlich fernliegenden Horizont einer ganz anderen Unterscheidung: der Unterscheidung von faktisch überwiegend profanem Reden (worüber auch immer) und der „prinzipiell“ (!, ebd.) anzunehmenden Möglichkeit („es könnte und müßte wohl so sein“), dass eigentlich alle Rede, letztlich und theologisch verstanden (d. h. im Sinne des Urstands oder des Reichs der Herrlichkeit), Rede von Gott zu sein hätte, weil er der Herr ist, „von dem her und zu dem hin“ wir Redenden sind und ebenso alle sonstigen Wirklichkeiten und Wahrheiten (cf. ebd.)40. In dieser Perspektive „müßte und dürfte“ es gar keine profane Rede geben, sondern ausschließlich „geheiligte Rede von Gott“ (48, cf.47). Warum diese auffällige Verschiebung der Blickrichtung von der wirklichen Rede von Gott, die als solche ausdrücklich ihn und sein Wort zum Thema hat, hin zu den postulierten Grenzwerten einer substantiell religiösen Rede, mit der jede Rede überhaupt (über welchen Gegenstand auch immer) identisch und die darum in Wahrheit auch nicht mehr (oder noch nicht) „religiöse“ Rede im spezifischen Sinne wäre?41 Die argumentationsstrategischen Folgen von Barths seltsamem Einsatz im Horizont dieser weiträumigen Fragestellung für seine ganzen anschließenden Erörterungen des eigentlichen Themas dürften in vierfacher Hinsicht wichtig und bezeichnend sein. 1. Das besondere Phänomen der tatsächlichen Rede von Gott wird von vornherein überboten durch Rekurs auf den gefallenen Zustand des redenden Menschen zwischen Schöpfung und Erlösung (cf 47). 2. Die wirkliche religiöse Rede d. h. solche, deren mehr oder weniger ausgesprochener Gegenstand „Gott“ ist und für die die auf diesen Gegenstand gerichtete Intention kennzeichnend ist, nämlich „die mehr oder weniger aufrichtige Absicht, direkt oder indirekt von Gott zu reden“ (48) wird auf diese Weise a priori dem „profanen Dasein“ zugerechnet: „Weder jener Gegenstand noch jene Intention machen die menschliche Rede zur geheiligten Rede von Gott“ (ebd.). 3. Weil Barth so die normale Unterscheidung zwischen „einer gläubigen, religiösen und einer ungläubigen, weltlichen Haltung“ (ebd.) bzw. dem ihr 40 Entsprechend heißt es später im Blick auf das, was Gott an sich tun kann: „Gott kann durch den russischen Kommunismus, durch ein Flötenkonzert, durch einen blühenden Strauch oder durch einen toten Hund zu uns reden … Gott kann durch einen Heiden oder Atheisten zu uns reden und uns damit zu verstehen geben, daß die Grenze zwischen Kirche und Profanität … ganz anders läuft, als wir bisher zu sehen meinten“ (55 f). Cf. dazu nochmals u. Teil B, A.77. 41 Über die Gegenstandslosigkeit der Unterscheidung von „sogenannter religiöser“ und „sogenannter nicht-religiöser Sprache“ cf. auch KD IV/3 (2.), 841.
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jeweils zugeordneten religiösen oder profanen Reden relativiert42 nämlich als ein bloßes und nie eindeutiges Symptom der eigentlichen theologischen Unterscheidung zwischen profanem und geheiligtem Dasein (im o. dargelegten Sinne) –, darum kann er von den ersten Sätzen seiner Entwicklung der Lehre vom Worte Gottes an alles abstellen auf die programmatische „theologische“ Unterscheidung, an der ihm methodisch-dogmatisch entscheidend liegt, nämlich sich vorrangig zu orientieren an dem „immer wieder sich vollziehenden Ereignis jener endgültigen Scheidung, jenem Ereignis, in dem Gott der Handelnde ist“ (48). Das aber bedeutet, das vorgegebene Thema tatsächlicher Rede von Gott kommt von vornherein gar nicht nach seiner eigenen Sachproblematik in den Blick, sondern ist a priori überformt von einer ganz anderen Fragerichtung. Kann so überhaupt noch ein echter Zusammenhang zwischen dem Menschenwort einer Rede von Gott und Gottes eigenem Wort (als wirklichem Wort!) ernsthaft gedacht werden? 4. Jedenfalls ist zu konstatieren, dass Barth von Anfang an eine Relativierung der anstehenden Aufgabe vornimmt, der gemäß zu begreifen wäre, dass tatsächlich in bestimmten Redezusammenhängen explizit von Gott geredet wird und was das mit Gott und seinem Wort real zu tun hat. Die dogmatische Motivation für diese vorsichtig gesprochen Distanzierung von der konkreten theologischen Frage zeichnet sich nach allem Vorausgeschickten ziemlich deutlich ab und sie ist in ihren sachlichen Auswirkungen bei allem noch Folgenden fest im Blick zu behalten. Nach dieser bemerkenswerten Exposition kommt Barth nun auch selber auf die faktische Rede von Gott zu sprechen. Vorausgeht die Einschärfung, dass das Ereignis göttlichen Handelns nur im Glauben ist, was es ist (49)43, so wie ähnlich das Sein des Menschen in der Kirche ein wirkliches Ereignis nur ist, „ubi et quando visum est Deo“ (49; cf. CA V). Bereits bei dieser ersten Berührung mit dem Thema ist wiederum ein eigentümlicher Vorbehalt unverkennbar. Denn zu schnell wird hier die „kritische“ dogmatische reservatio zur Geltung gebracht, dass religiöse Rede als menschliche „nicht an sich und in sich selber“ wahrhaft Rede von Gott sein könne. Bei diesem Sprung zu einem exklusiv theologischen Vorbehalt dessen formelle Berechtigung an sich freilich unbestreitbar ist wird über42 Barths Darlegungen scheinen stark mitbestimmt durch seine kritische Auseinandersetzung mit den Thesen des frühen Tillich über „Kirche und Kultur“ (1924) und den Aufsatzband „Religiöse Verwirklichung“ (1930), was hier nicht genauer zu verfolgen ist (cf. 48 f sowie 55, 63 ff, 75 f, 191 u. ö.). 43 Barths Entgegensetzung von „nur im Glauben“ und „an sich“ (cf. 49) haftet hier insofern etwas Schiefes an, als der Glaube selber eben dies Ereignis konkret ist (nämlich in seinem Ankommen beim Menschen), nicht aber eine von ihm nochmal unterschiedene Perspektive auf ein neutral zu konstatierendes „An sich“. So Barth selber andernorts: „… die Gnade des streng personalen freien Wortes Gottes, das in dem ebenfalls personalen freien [?] Hören des Menschen zu seinem Ziele kommt, dem Hören des Glaubens, das sich seinerseits nur als Gnade verstehen kann“ (69; Hervorh.n J.R.).
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gangen, dass die Rede von Gott diese ihre unverfügbare Legitimation doch zweifellos als Rede nur haben kann. Und wie sie eben als menschliche Rede zugleich wahrhaft Rede von Gott sein könne, das zu begreifen, wäre konkret zu leisten. Für Barth tritt diese Sachfrage nicht in den Blick wenigstens hier noch nicht, weil er mit Berufung auf CAV alles in eine allein Gott selber verfügbare Schwebe des möglichen „es kann“ (sc. zum wirklichen Ereignis werden) bringt. Darum fällt wie sich auch in den späteren Darlegungen immer neu bestätigen wird die Frage aus, wie denn der „Ernstfall“, dass es wirklich geschieht und geschehen ist, selber theologisch zu denken sei. Barths häufige Berufung auf das ubi et quando visum est Deo ist schon an dieser Stelle daher genauer zu untersuchen. Bestimmt dadurch, dass man den Glauben nicht „hervorrufen“ kann, reflektiert sich die Unverfügbarkeit ihres Gegenstandes (als christliche Verkündigung) auch im Verfahren der Dogmatik (bzw. im Habitus des Dogmatikers): „Das Geheimnis des ubi et quando … begleitete bis jetzt wie die christliche Rede von Gott überhaupt, so auch und gerade die Dogmatik …“ (22 f). Dies Geheimnis stattet christliche Rede und Dogmatik insgesamt mit der offenen Möglichkeit eines ganz unverrechenbaren, theologischen Mehrwerts aus: denn die kirchliche Verkündigung kann als Menschenwort „auch mehr,… etwas ganz anderes“ sein, nämlich „wann und wo es Gott gefällt, Gottes eigenes Wort“ (73, Hervorh. J.R.)44. Mehr zu sagen ist offensichtlich nicht erlaubt, denn Gott kann sich nicht definitiv gebunden haben, sondern seine Gottheit wäre ganz preisgegeben so ist zu interpretieren –, wenn er nicht seinen Willen jeweils unberechenbar neu von sich aus und damit aktuell realisierte; daher darf Gottes Wort (als positiver Befehl) in seiner Göttlichkeit, bzw. wegen ihr, nicht irgendwie vorhanden oder zuhanden sein, sondern es ist Gottes Wort nur als das, „das da ist und wirksam ist, wann und wo es da sein und wirksam sein will“ (92). Der theologische Aktualismus dieses „je und je“, in Gestalt dessen die Offenbarung Gottes Wort allererst immer werden muss (cf. 120), entspricht der „Freiheit der Gnade Gottes“ (und sichert sie als solche), die sich in stets neuen, nicht vorherzusehenden einzelnen Entscheidungen zur Geltung bringt. Von diesem Ereignis des zu Gottes Wort Werdens gilt: „Ubi et quando visum est Deo, nicht an sich, sondern kraft göttlicher Entscheidung, wie sie in Bibel [!] und Verkündigung je und je fällt“ (120). Deutlich ist, Barth macht die Wendung aus CAV (cf. dazu 22) durchgehend als eine Art theologischer Generalprämisse geltend bzw. hat daran einen dogmatischen cantus firmus. Dazu ist zweierlei zu bemerken. Die Freiheit Gottes wird hier so einseitig betont45, dass aus dem Blick gerät (oder zu geraten 44 U.H.J.Körtner stellt zu Recht fest, das Wort Gottes werde bei Barth „zur unüberbietbaren Letztinstanz“; der Preis dafür ist aber: es „bleibt freilich bei Barth ungreifbar“. Ich möchte sagen: unhinterfragbar, weil ungreifbar. 45 Cf. auch 88: „daß Gott, seine Offenbarung und der Glaube allem menschlichen Reden und so
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droht), ob Gott sich nicht auch frei gebunden haben könnte bzw. müsste, wenn überhaupt das auch von Barth nicht geleugnete Faktum wahren Redens von ihm theologisch verständlich sein soll von den christologischen Implikationen hier noch zu schweigen. Sodann ist wohl in formeller Hinsicht ein übertragener und problematisch amplifizierter Gebrauch von CA V zu konstatieren. Dort soll die Wendung das Nichtautomatische bzw. Nichtmechanische der Wirkung des Sakraments herausstellen, die schlechterdings nicht ohne Gottes eigene Beteiligung (cf. die Frage des „extra usum“) zu denken ist. Weil dabei aber auch immer das tatsächliche Wirksamwerden göttlicher Selbstvergegenwärtigung mit vorausgesetzt ist sonst könnte Melanchthon gar nicht mehr von einem Sakrament reden! –, ist diese spezifische Verwahrungsklausel, die ja nicht die eigentliche Zentralaussage des Artikels ist, sondern vom Gewirktwerden des Glaubens redet, nicht einfach zu einem theologischen Axiom generalisierbar, das prinzipiell und durchgehend die Methode der Dogmatik reguliert, indem es alle affirmativen Aussagen durch seinen Exklusiv-Anspruch in suspenso bringt. Jedenfalls ist es eindeutig die Meinung von CA V, das, wenn es zur Gabe des Geistes im Glauben (bzw. als Glaube) kommt, dass dies dann wirklich „per verbum et sacramenta“ bzw. als (in Gestalt von) Wort und Sakrament geschieht46, und eben dieser Fall ist der Kernpunkt einer theologischen Lehre vom Worte Gottes. Von Barths grundsätzlichem Vorbehalt her (im Sinne seines dogmatischen Ansatzes) wird einem also bereits fraglich, mit welchem Recht oder in welchem besonderen Verständnis er sich in diesem Kontext auf Luthers eindeutige Predigtaussage beruft, „das nichts anders darin [sc. in der Predigt] geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort“ (50; WA 49, 588,15 – 17)47. Nun redet Barth selber sogleich vielleicht in Anspielung auf das Lutherzitat vom mit uns Reden des Herrn „selbst“ betont von dem göttlichen „Selbstwort“ (52, 58 u. ö.). Ehe die näheren Ausführungen Barths dazu mit bedacht werden, ist es nützlich, sich kurz über die möglichen Bedeutungen, die dieser eigengeprägte Ausdruck Barths überhaupt haben kann, zuvor Gedanken zu machen. 1. Trivial und sachlich unspezifisch wäre der Terminus, sollte er nur das Wort Gottes eben als Gottes eigenes Wort, als sein Wort bezeichnen48. Das auch der besten Dogmatik gegenüber immer wieder sein eigenes freies Leben lebt“. Gilt hier noch: Am Anfang war – das Wort ?! 46 Diese sind daher keinesfalls als bloß äußerliche, beliebige und austauschbare „Instrumente“ aufzufassen, cf. BSLK 58, 4 – 8. Der Artikel redet von einem Geschehen „in his, qui audiant evangelium“ (ebd.). 47 Auch bei dem kurz darauf folgenden Zitat aus Conf. Helv. Post. (1562), Art. I, 2: Praedicatio verbi Dei est verbum Dei (52) darf nicht unbesehen ein strenger Identitätssinn dieses „est“ für Barths Rezeption der Formel unterstellt werden; sein Verständnis dieses „est“ ist vielmehr sehr genau zu untersuchen (s. u. S. 37; cf. den o. S. 12 f zitierten Vorbehalt gegen das Lutherische „est“!). 48 Das gilt auch, sofern dabei die unverfügbare Spontaneität und Initiative göttlichen Redens, d. h. die „Freiheit“ des Gotteswortes akzentuiert werden soll.
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scheint aber ganz und gar nicht Barths Meinung bei diesem auffälligen Ausdruck zu sein (s. u. 3.). 2. Könnte er herausstellen, dass Gott sein Wort auch selbst spricht. Aber ist das wirklich Barths These, dass Gott tatsächlich (im eigentlichen Sinn) redet49? Wie aus dem folgenden Text überall hervorgeht, spricht dafür nichts. Sollte es also nur uneigentlich („metaphorisch“) gemeint sein, so würde dazu die emphatische Hervorhebung dieses eigentümlichen Terminus (Neologismus Barths?50) nicht passen, und außerdem wäre in der Sache nichts gewonnen, sondern die eigentliche Klärung des Sachgehaltes solcher übertragenen Redeweise gerade verstellt bzw. nur aufgeschoben. 3. Bedeutet „Selbstwort“ ein so mit Gottes Selbst verbundenes Wort, dass es in gar keinem Sinn auch unser menschliches Wort sein oder sich dazu in reale Beziehung setzen oder in es eingehen könnte, dann ist es überhaupt nicht mehr mit Sinn als Wort zu bezeichnen; denn Wort bedeutet wesentlich Kommunikation. Barth dagegen begrenzt an anderer Stelle diese sprachliche Gemeinsamkeit des göttlichen Selbstwortes mit menschlicher Rede von Gott so extrem, dass er von jenem prädizieren kann: „gesprochen aus einem unaufhebbaren Gegenüber aller Humanität“ (62)51. Das ist nach allem bisher über den dogmatischen Ansatz seiner Wort-Gottes-Lehre Gesagten konsequent, macht aber alle etwaigen Aussagen über einen Zusammenhang, geschweige irgendeine Identität von Menschenwort und Gotteswort (cf. „est“) völlig obsolet. 4. Es kann heißen: das Gottes Selbst aussprechende Wort ähnlich wie Barth später von Selbst-Offenbarung redet (§ 8, 311 f)52. Dann bleibt eben die Worthaftigkeit dieses Wortes weiter zu klären. 5. Sieht man im Zusammenhang mit dem zu 3. Gesagten diese terminologische Bildung sprachphilosophisch an, so ist gegen sie einzuwenden: weil die Sprache etwas (im konkreten logischen Sinn) Allgemeines ist, ist kein 49 Zum göttlichen Sprechen bei Barth cf. 312 u. 316; dazu s. u. e. 2.1. (S. 84 f) u. 2.2. (S. 90 f) u. ö. Dazu ist zu sagen: Es geht nicht allein um die Frage des „Begründens“, sondern auch darum, was Entsprechung besagt und wie sie möglich ist (was Barth nicht erörtert). Zu beachten ist weiter, dass Barth bei den vestigia trinitatis (353 ff) die Sprache auffälligerweise nicht erörtert, wie z. B. Anselm, Luther u. a. es tun. Ist das ein Zufall? 50 Bei Luther findet sich gelegentlich die Wendung: „sein selbs wort“ (WA 38, 367,13), was im Sinne der Bedeutungen 1. u. 2. gemeint ist. 51 Cf. die entsprechende, noch steiler formulierte Aussage von 1927: „Gewiß das Wort Gottes ist das Wort Gottes. Als solches von keinem Menschen auf die Lippen zu nehmen und nachzubuchstabieren, in grundsätzlicher Andersartigkeit allen Worten, die wir sprechen, gegenüberstehend …“ (Die christliche Dogmatik im Entwurf. Erster Band. Die Lehre vom Worte Gottes (1927), 68 f). So sehr in KD I/1 unvergleichlich viel subtiler geredet wird – bis hin zu Aussagen, die doch eine Identität zur Sprache zu bringen scheinen –, man wird angesichts dieser krassen Diastase mit ihrem grundsätzlichen Gewicht auch solchen späteren Aussagen genaueste Aufmerksamkeit widmen müssen. 52 Sollte „Selbstwort“ in dieser Richtung den aktuellen Selbst-Vollzug Gottes (sein sich redend als Gott Manifestieren) akzentuieren, so liefe das auf ein sich selbst zur Geltung Bringen Gottes hinaus, etwa im Sinne seines „Selbstbeweises“, von dem beispielsweise KD II/1, 50 die Rede ist.
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Wort mit dem sich darin (und sei es, wenn es das gibt, restlos) aussprechenden Selbst, das es sagt, exklusiv identisch53. Das Wort (als ausgesprochenes, ja überhaupt als Wort) gehört nicht dem es sprechenden Selbst selber allein zu, sondern ist als Wort etwas wesentlich Gemeinsames, ist Wort für …, sc. eine es (zumindest potentiell) vernehmende Instanz. Insofern ist die terminologische Bildung „Selbstwort“ unsprachlich. 6. Man könnte „Selbstwort“ in schwächerer Lesart so verstehen, dass Gott darin von sich selber redet54 das käme etwa mit der 4. Bedeutungsmöglichkeit überein –, oder in stärkerer so, dass das Selbstwort nur für Gott selbst ist, der es selber so aus sich selbst spricht, dass er es auch ausschließlich nur zu sich und für sich selbst spricht55. Im ersten Fall entstünde das o. genannte Desiderat, im anderen Fall hätte das Selbstwort gar nichts mehr mit religiöser Rede als Wort von Gott zu tun56. 7. Schließlich ließe sich zur Not „Selbstwort“ so verstehen, dass es mit Gottes Selbst als so identisch gemeint ist, dass dieses Selbst an sich selber Wort, d. h. in sich worthaft verfasst ist. Soll dies gemeint sein, dann fiele man, abgesehen von der inhaltlichen Schwierigkeit dieser These, doch sofort auf die vorher genannten Probleme zurück (z. B. 3., 5. u. 6.). Nach diesem kritischen Überblick über mögliche Bedeutungsnuancen des auffallenden Terminus „Selbstwort“ ist nun der genauere Kontext zu berücksichtigen, in dem Barth den Ausdruck selber erläutert. Das geschieht zunächst durch bildhaften Vergleich: „Verkündigung ist menschliche Rede, in der und durch die Gott selber spricht, wie ein König durch den Mund seines Herolds“ (52)57. Für dies Bild ist strukturell die Abwesenheit des Königs entscheidend. Dieser „spricht“ also nur so durch den Mund des Herolds, dass dieser die Worte des Königs wiederholt oder dessen Auftrag sinngemäß in seinen eigenen Worten wiedergibt. Im eigentlichen Sinn spricht also der König (als Abwesender) nicht selber, sofern eben der Herold spricht, sondern seine Worte werden (als ein allgemeines Medium, in dem sein Wille Ausdruck gefunden hat) vom Herold weitergegeben, d. h. wiederholt (wenn nicht sogar selbständig formuliert). Die Gegenwart des Königs ist entäußert an oder hat sich übersetzt in das Medium ihm gegenüber selb53 Cf. das bekannte (seinerseits einseitig überzogene) Epigramm Schillers: „Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr“ („Sprache“, Sämtliche Werke (Tempel-Klassiker), 1. Band, 264). 54 Cf. z. B. KD II/1, 48: „Gott redet aber in seinem Wort von sich selber.“ Cf. auch u. Anm. 177. 55 Gott spricht dann nicht eigentlich mit uns, sein Wort für uns ist nur Reflex seines Wortes für sich. Dabei wäre grundlegend impliziert, dass Gott in seinem „Selbstwort“ sich selber denkt und erkennt, indem er für sich selber sich „ausspricht“ und dass nur von daher dieses selbsteigene Wort Gottes sich auch an uns reflektiert. Unser „Erkennen“ von Gottes Wort besagte in diesem Falle nur ein Anerkennen seines Zu-sich-selbst-Sprechens und (darin) Sich-selbst-Erkennens. 56 Oder zumindest aber es lediglich wie eine „Tangente“ punktuell und transitorisch berührte; cf. Der Römerbrief (19262), 6 (von der Auferstehung als Offenbarung). 57 Glauben heißt demgemäß, diese Rede hören und aufnehmen als eine, in der und durch die Gott selber spricht (cf. 52).
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ständig vorhandener Wörter, die von einem anderen, im Prinzip von jedem andern, gesagt, d. h. ihm „nachgesagt“ werden können. Zusätzlich kann er, wann und wo er will, sie noch als wirklich seinem Willen entsprechend legitimieren und bewahrheiten. Barth bringt das von ihm mit dem Bild vom Herold gemeinte Verhältnis auf den Begriff, wenn er selber von der aus sich selber nichts vermögenden menschlichen Rede sagt: „In und mit allem, was sie an sich ist, kann sie dem göttlichen Selbstwort nur dienen“ (ebd.). Mit dem Begriff des „Dienens“ wird eine Zuordnung von Menschenwort und Gotteswort formuliert, die grundsätzlich bestimmt ist von dem übergeordneten „unaufhebbaren Gegenüber“ des göttlichen Selbstwortes zu allem Menschlichen (62)58. Diese Distanz ist theologisch unaufhebbar, bezeichnet sie doch den unendlichen „qualitativen Unterschied“ von Gott und Mensch (cf. 426, 512), demgemäß jedenfalls alttestamentarisch gesprochen der redende Mensch auf Erden, Gott aber im Himmel ist (88; cf. Pred 5,1). Das ist Barths Grundfigur, um die Selbstidentität Gottes als exklusive zu markieren: „Und das göttliche Selbstwort hört nicht auf, sich selbst zu sein, indem es sich von menschlicher Rede dienen läßt“ (52). Die eigentümliche Wendung vom „sich selbst sein“59 meint offenbar die absolute Selbstgenügsamkeit des göttlichen Selbstwortes, dem „in und trotz der Finsternis des ihm dienenden Menschenwortes“ doch wesentlich eine „eigene Kraft“ zukommt (61)60. Charakteristischerweise formuliert Barth nun nach Maßgabe dieser Kautele seine Verhältnisbestimmung von Gottes- und Menschenwort als Verhältnis von Dienen und Sein: 58 Erkennt man darin den reformierten Vorbehalt wieder, von dem Barth z. B. 1922 sprach (s. o. S. 12, b. Anm. 6), so lässt sich gegen Barth gerade nicht „davon absehen, daß es spezifisch evangelisch-reformierte Dogmatik ist, die dabei in gewissen Einzelbestimmungen das Wort geführt hat“ (62) – eben weil das Reformierte tatsächlich nicht primär in gewissen Einzelbestimmungen, sondern in einer Grundprämisse dominiert. 59 Sprachlich oszilliert sie zwischen „für sich (bzw. aus sich) selbst“ und „es selbst“ zu sein. Es handelt sich aber nicht um einen Druckfehler oder gar Schweizer Idiomatismus, denn Barth macht häufig von ihr Gebrauch (cf. KD I/2, 47 (vom Menschen verneint); II/1, 308 (Selbstbejahung Gottes); 319 f (Ichsein Gottes, cf. 300); 340 (Freiheit); cf. auch 344 (Aseität: Gott ist selber sein Sein) und 346 (Gott ist sich selber Sein und frei) sowie 30 (Liebe)); cf. Cl.-D.Osthövener, Die Lehre von Gottes Eigenschaften bei Friedrich Schleiermacher und Karl Barth (1996), 164 A. 30 (TBT 76). „Sich selbst sein“ findet sich gleichfalls bei R.Leuenberger, Zeit in der Zeit. Über das Gebet (1988), 88, 144, 192 (etwa im Sinne von: sich gehören). Die Wendung Barths erinnert an eine ähnliche bei J.Chr.K.v.Hofmann, der von Gott als dem „sein selbst seienden“ (d. h. etwa: sich als ewiges Ich selbst gehörenden) redet (cf. Der Schriftbeweis, Band 1 (1852), 35 (1.Lehrstück). Literarische Belege: C.F.Meyer über G.Keller: „seine eindringliche, vielfach variierte Predigt: sich zu bescheiden und immer sich selbst zu sein“ (Sämtliche Werke (Winkler), II (1982), 644); Rilke übersetzt P.Val ry („… comment cesser d’Þtre soi-mÞme“) mit „sich selbst sein“ (Eupalinos. P. V.,Werke in 7 Bänden (Schmidt-Radefeldt), 2 (1990), 18); Sartre hat über das An-sich-Sein die Formulierung: das Sein „ist Sich (soi)“ (Das Sein und das Nichts (1943, Tr. König 1991), 41). 60 Cf.: „Die Gewalt des Wortes Gottes ist in sich selbst und als solche absolute Gewalt“ (158). Die Ausdrucksweise, dass Gottes „Befehl“, sein Selbstwort zu verkündigen, „für sich selber sprechen muß“ bzw. „für sich selber reden mag“ (58), ist allerdings nur übertragen zu nehmen.
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„Aber indem es [das göttliche Selbstwort] sich von ihr [sc. der Verkündigung] dienen läßt, ist es selbst diese menschliche Rede, und indem diese menschliche Rede ihm dient, ist sie selbst das göttliche Selbstwort“ (52).
Es ist klar, dass für die Interpretation dieser Identitätsaussagen („ist“) der Vorbehalt des „unaufhebbaren Gegenüber“ als hermeneutische Klammer in Kraft bleibt. Der Ausdruck „dienen“ hat genau die Funktion, eine (sehr spezifische, um nicht zu sagen: scheinbare) Identität derart zu behaupten, dass die eine Seite an ihr gar nicht wirklich in sie eintritt. Mit dem zu interpretierenden Verhältnis von „dient“ (bzw. „dienen läßt“) und „ist“ ist jedenfalls die Frage nach der sachlichen Gewichtung oder ontologischen Fundierungsrichtung im Bezug beider Aussagen zueinander gestellt. Wenn der Sachverhalt, dass das göttliche Wort auch menschliches Wort ist (bzw. sein kann), von dem eher äußerlichen Verhältnis des Dienens her verstanden wird, dann besteht dies Sein (des einen als das andere) eben im bloßen Eintreten für es (sc. des Menschenwortes für Gottes „Selbstwort“), also darin, ein untergeordnetes Mittel zu sein, um jenes zu „repräsentieren“ (59 f.). Eben dies scheint Barths entschiedene Auffassung zu sein. Sein behauptetes „ist“ gilt also nur in einem ungemein schwachen und indirekten Sinn! Wird dagegen um Barths wahre Meinung über das „ist“ am Gegensatz zu profilieren, wie er der Lutherischen Auffassung entspricht der Sachverhalt umgekehrt so verstanden, dass eben das Sein des Gotteswortes im Menschenwort bzw. sein Sein als Menschenwort wirklich dessen (sc. des Wortes Gottes) eigenes Sein ist, weil es von sich her in ihm real gegenwärtig, selber in es eingegangen und so mit ihm definitiv identisch ist, dann ist das „Dienen“ von diesem Sein her zu verstehen61, also dadurch ermöglicht, begründet und gespeist, und bezeichnet den Umstand, dass das menschliche Wort so nicht nur es selbst, sondern eine Weise wirklicher Anwesenheit des göttlichen, Ort seines sprachlichen sich Vergegenwärtigens ist. Hier gilt: weil Gottes Wort selber Menschwort ist (geworden ist und wird), kann dieses ihm dienen (und muss es). Dort aber gilt: dass das menschliche Wort dem göttlichen Selbstwort (nur) dient und anders als so kann das Verhältnis gar nicht bestimmt werden –, definiert sein Sein als die indirekte Weise, wie es das Wort Gottes „ist“ (bzw. „sein“ kann)62. Barth zieht aus der Rede vom „Dienen“ nun eine Konsequenz, die faktisch eine nochmalige Distanzierung in jenes „ist“ einträgt: „Will also die menschliche Rede Verkündigung sein, so kann das nur heißen, daß sie dem Worte Gottes dienen, daß sie auf sein bevorstehendes Gesprochenwerden 61 Von da aus erscheint Barths Hinweis abwegig: „die Verkündigung wird sich so wenig an dessen [sc. des göttlichen Wortes] Stelle setzen zu wollen …“ (59); treffender ist die Formulierung: „Die in der Kirche stattfindende Rede von Gott will als Verkündigung Wort Gottes sein“ (79), wenn man nur dieses „als“ stärker liest, als Barth es wohl zugeben könnte62 Für das Sein des dienenden Menschen mag das durchaus als konstitutiv beschrieben werden, wie Barth unter Bezug auf Jak 1, 18 tut: „also von einem kºcor, der nun sozusagen zum Menschen selbst gehört, ohne den der Mensch gar nicht mehr sich selbst [!] wäre“ (158).
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durch Gott selber hinweisen will“ (53). Genau besehen liegt hier sogar eine zweifache neue Distanzierung vor. Denn einerseits ist das Dienen auf ein bloßes Hinweisen reduziert. Das besagt: das „dienende Mittel“ menschlicher Rede von Gott ist dem göttlichen Selbstwort äußerlich wie ein nur „hinweisendes“ Zeichen, das der arbiträre Ort des Weiterverweisens an ein ganz Anderes ist, mit dem es innerlich gar nichts zu tun zu haben braucht63. Ja, je weniger dies der Fall ist, desto besser erfüllt es sogar seine Funktion, (von sich weg weisendes) Zeichen auf Abwesendes zu sein. Andererseits verschärft sich die Distanz bzw. Äußerlichkeit des Verhältnisses noch einmal dadurch, dass das hinweisende Wort auf ein nur „bevorstehendes“ Gesprochenwerden des eigenen Wortes Gottes bezogen ist (a. a. O.). Für Barth tritt der Begriff der Verheißung in die ganz formale Funktion ein, eben diese wesentliche Zukünftigkeit des Wortes zu bezeichnen: Menschenwort von Gott ist strukturell (nur) Verheißung des (kommenden) eigenen Gotteswortes64; so wird die Predigt definiert als Versuch, „die Verheißung der heute und hier zu erwartenden Offenbarung … in seinen eigenen Worten auszusprechen …“ (56; verkürzt zitiert, Sperrung J.R.). Die Offenbarung kann lediglich als noch kommende ausgesprochen werden, weil die „eigenen Worte“ der menschlichen Verkündigung als solche die Verheißung nur wiederholen können. Denn was die Verkündigung als Gottes Wort sagen will65, „das kann nicht das göttliche Selbstwort als solches [!], sondern nur die Wiederholung seiner Verheißung sein“ (59; Sperrung J.R.)66. Weil das göttliche Selbstwort in seiner unveränderlichen Gleichheit mit sich selber überhaupt nur im Modus der unüberbrückbaren Differenz bestimmt werden kann, ist es als solches das schlechthin Abwesende. Gottes Wort ist per definitionem das dem Wort des Menschen Entgehende. Seine bloße „Wie63 Von der Predigt heißt es, wäre sie bloß „menschliche Rede in Form menschlich gedachter und menschlich ausgesprochener Worte“, „wie sollte sie dann Hinweis auf das göttliche Selbstwort sein?“ (69). Die subtile Doppeldeutigkeit liegt in dem „bloß“, welches so verstanden werden kann: nicht nur menschliche Rede, sondern (entweder) „als solche an sich selber zugleich etwas anderes“ oder: „mit etwas anderem (als von ihr unterschieden zu ihr hinzutretend) zusammen“. Die zweite Alternative ist die von Barth gemeinte. 64 „Verheißung der Offenbarung“ (53) ist hier Gen.obj.; im gleich darauf von Barth als Beleg herangezogenen Heidelb. Kat. (Fr. 66) ist aber „die verheissung des Evangelions“ eindeutig ein Gen.subj.! 65 Oder sogar: „Sagen wollen kann“ (59). Cf. 54: „Die wirkliche Verkündigung des Wortes Gottes kann nicht bedingt sein durch unsere Intention das Wort Gottes zu sagen“. Die eigentliche Frage wäre freilich, wie denn solche Intention – ohne die schwerlich Rede von Gott denkbar ist! – selber theologisch zu erklären ist (cf. auch 73 f). 66 Die „Wiederholung“ im Menschenwort ist etwas Uneigentliches gegenüber dem Selbstwort Gottes. Barth interpretiert demgemäß (gegen den unübersehbar am Tage liegenden Sinn des Schriftwortes) Mt 28, 20 um als eine wiederholende bloße Ankündigung: „Ankündigung, der das wirkliche: Ich bin bei euch! als kommende Erfüllung gegenübersteht“ (59) – gegenübersteht, eben weil die Verkündigung nur in den (unaufhebbar) eigenen Worten der Predigt geschieht, cf. 56; o. im Text zitiert).
Der Ansatz bei der Verkündigung (§ 3)
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derholung“ steht als menschlicher Hinweis darauf zwischen schon vorausgegangenem Gotteswort und dem Wort, das der unergründlich freie Gott erst noch sagen will, um jene zu bewahrheiten: „Auf Grund des Wortes, das Gott zu seiner Kirche gesprochen hat, wird in seiner Kirche durch Menschen hingewiesen auf das Wort, das Gott zu seiner Kirche sprechen will“ (68). Wiederholt wird also gerade um des noch ausstehenden Selbstwortes Gottes willen, das aber als immer erst eigentlich noch „bevorstehendes“ jedenfalls kein „Wort“ im Sinne des wiederholenden Sprechens und seiner Worte sein kann sonst brauchte es nicht als zu erwartendes qualitativ abgehoben zu werden. Unklar ist daher bei Barth der sprachliche Status der bewahrheitenden Entsprechung Gottes zur menschlichen Wiederholung: „durch das wirkliche neue Kommen seines Wortes“ (69). Erklärtermaßen hat das dienende Hinweisen oder hinweisende Dienen in solcher Wiederholung bei Barth den Status einer „Repräsentation des Wortes Gottes“ durch das Menschenwort (59, 61, 73)67 bzw. sogar eines „Symbols“ (62)68. In solcher Perspektive ist es eher irritierend, wenn Barth zur eigentlichen Erklärung jenes aktuellen „ist“ vorweg schon auf die Zweinaturenlehre der Christologie verweist (53)69. Die näheren Bezüge müssen da erörtert werden, wo Barth selber sie an späterer Stelle der Wort-Gottes-Lehre anspricht (cf. 96, 183); gleichwohl wirft die bisher vorgelegte Interpretation analoge Bedenken für die Christologie auf. Wenn aber Barth in seiner Christologie eine wirkliche Einheit von Gott und Mensch im Menschgewordenen denken können sollte, warum dann nicht auch hier, da keine Lehre von Wort und Sakrament wohl ohne die Inkarnation auskommen kann und Barth selber hier die Analogie betont? Wenn andererseits auch in Barths Christologie ein gleicher Vorbehalt in Kraft bleibt, dann wird auch seine Trinitätslehre nur ein geschlossenes Insich-Kreisen Gottes annehmen können, dessen absolutes Herr-Sein (als dreifältig monadische Subjektivität) eine wirkliche Öffnung nach außen ausschließt und den Menschen Jesus nur tangential berührt70. Jedenfalls ist jetzt schon deutlich, die Aussage über das göttliche Selbstwort: „indem es sich von ihr dienen läßt, ist es selbst diese menschliche Rede“ (52), ist gemäß dem „aktuellen“ Sinn jenes „ist“ von einem vorbehaltlosen 67 Die Verkündigung gilt Barth nur als „Zeugnis zweiten Grades“, „Spiegel“ oder „Echo“ des eigenen (eigentlichen) Wortes Gottes; cf. Einführung in die evangelische Theologie (19622), 148 f. 68 Zur Auseinandersetzung Barths mit dem Symbol-Verständnis P.Tillichs cf. 63 ff. 69 Wohl wegen dieses Bezugs spricht E.Maurer von „anhypostatischer Semantik“ (Sprachphilosophische Aspekte in Karl Barths „Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik“ (1985), 33 ff (EHS T 357). Im Übrigen berührt sich diese Arbeit mit ihrer stark an analytischer Sprachphilosophie und Logik ausgerichteten Tendenz kaum mit den hier verfolgten theologischen Interessen. 70 Zur Logik dieses Verhältnisses cf. Hegel: „Diese negative Macht, notwendig als Subjekt, als das sich auf sich beziehende Negative bestimmt, ist sie der Herr“ (Vorlesungen über die Philosophie der Religion (Hg. G.Lasson), Zweiter Band (1927, 1966), 6 = Vorlesungen (Vorlesungen über die Philosophie der Religion), Band 4a (Hg. W.Jaeschke), 1985, 31 (685 f). Cf. u. S. 78 (Zitat 323). Zur Einheit Gottes als Negativität (im Judentum) cf. auch Hegel, Werke, 17, 18(a). 20 ff. 46 u.51 f.
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Nachvollzug des Satzes „praedicatio verbi Dei est verbum Dei“ (52) genau so weit entfernt wie Barths eigene Predigtdefinition (56; o.zit.) von der von ihm kritisch angeführten, wo von dem „im Schriftwort uns seine Gemeinschaft schenkenden Gott“ die Rede ist, der einem Kreis von Menschen „gemeinsam durch den Heiligen Geist gegenwärtig werde“ (56)71. Wir schließen die Lektüre des § 3 mit dem Hinweis auf drei Zitate zum menschlichen Unternehmen von Predigt und Theologie ab, die den gewonnenen Eindruck abrunden. Barth spricht gern von der „fragwürdigen Tatsache, daß in der Verkündigung durch Menschen von Gott, Offenbarung, Glaube menschlich geredet wird“ (84) und streicht heraus, die Wahrheit dessen verstehe sich nicht von selbst (ebd.). Das ist freilich mindestens solange richtig, als nicht der reale Zusammenhang von Gottes Wort und Menschensprache dogmatisch reflektiert wird. Der Hinweis auf die empirisch natürlich nie zu bestreitende Fragwürdigkeit der Predigt als „menschliche Rede in Form menschlich gedachter und ausgesprochener Worte“ (60)72 tut allerdings so, als ob diese nur und grundsätzlich schon der Ort möglicher Entstellung und Verkehrung des Gotteswortes sein müsse; liegt es christlich nicht gerade näher, den Umstand, dass Gott an diesem Ort zumal als durch das Wort der Schrift bestimmtem – wirklich reden will, als das eigentliche Wunder aufzufassen, das die Dogmatik theologisch zu begreifen hat? Barth denkt wiederum nur in der abstrakten Alternative, wenn er im Unterschied zum bloßen Hinweischarakter der gepredigten Verheißung die Verheißung selbst von allem Menschenwerk unterscheidet: „Sie ist Wort“ (ebd.). Zur Auslegung dieses (göttlichen) WortCharakters der (eigentlichen) Verheißung werden aber nur außersprachliche Kategorien aufgeboten wie: „geschehenes göttliches Ereignis, vollbrachte göttliche Handlung“ (ebd., cf. 61). Wie ist es ernstlich mit dem Wortcharakter solchen göttlichen „Wortes“ (bzw. seinem Charakter als „Verheißung“!) bestellt? Man wird sehen müssen, ob der nächste § (4) darüber eindeutige Auskunft geben kann. Hat die Dogmatik an solcher menschlichen Verkündigung in der Kirche ihren eigentümlichen Stoff, so begrenzt sie sich auch in der Handhabung des mit dem göttlichen Wort gegebenen Maßstabs gleichfalls darauf, ein 71 Sollte Barth sich mit seiner Charakterisierung „modernistischer Predigt“ (62 f) darauf zurückbeziehen wollen? Gegen die Gewissheit des Predigers, die nach Luther der Prediger über das Verkündigungswort haben soll: „Haec dixit Dominus. Das hat Gott selbs gesagt“ (WA 51, 517,9 f), hat Barth sich 1927 (bezogen auf den ganzen Aussagezusammenhang (WA 51, 516, 15 – 517,16) äußerst kritisch gewehrt: „Das geht zu weit, genau so (und das alles steht unter sich in Zusammenhang) wie Luthers Lehre von der Menschheit Christi, vom Abendmahl, vom Glauben und von der Kirche an der entscheidenden Stelle zu weit geht“ (Die christliche Dogmatik im Entwurf (1927), 416). 72 Zum Stichwort „menschlich gedachte Worte“ (60): einige der ganz wenigen Stellen, wo Barth konkret sprachtheoretische Einsichten heranzieht, findet sich 79: der Sinn von Wörtern liegt (erst) im Zusammenhang ihrer Verwendung. Das Stichwort „fragwürdig“ diente Barth schon 1922 zur Wertung der Religion überhaupt (cf. a. a. O. 204; s. o. S. 14 bei Anm. 16); lässt sich das so einfach gleichsetzen?
d. Das Wort Gottes in dreifacher Gestalt (§ 4)
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menschliches Unternehmen zu sein. Strittig wird diese Trivialität denn auch nur in Barths spezieller Fassung; Untersuchungsziel der Dogmatik sei es, „wie von Gott, Offenbarung, Glauben am besten zu reden ist“ (88) und dies damit bekommen der relativierende Superlativ und die Hervorhebung des (menschlichen) Redens erst ihr Profil –, weil es gar nicht darum gehen könne, was jene Größen „an sich sind“(ebd.). Der Dogmatik kann es also lediglich um „ein nach menschlichem Ermessen richtiges Reden“ davon gehen (89)73. In dieser pragmatischen Unterbestimmung der dogmatischen Aufgabe schlagen sich insbesondere die folgenden Defizite nieder: a) der Zusammenhang von Sprache und Sein ist unsprachlich aufgefaßt; b) ohne Annahmen über das, was jene Themen oder Instanzen an sich selber sind, gibt es auch keine konkreten Kriterien, wie „am besten“ davon zu reden ist; c) Dogmatik darf nicht die grundlegende Frage aussparen, wie es möglich ist, dass überhaupt davon und mit Sinn geredet wird; d) gerade das nach menschlichem Ermessen „richtige“ Reden darüber muss an erkannter Sachwahrheit sich anmessen, um ein solches zu sein beanspruchen zu können. Doch haben wir trotz aller beigebrachten signifikanten Details bereits mehr getan, als eine Grundannahme Barths herauszuarbeiten, die seine ausgeführte Lehre vom Wesen und den Gestalten des Wortes Gottes erst konkret anzuwenden haben wird? Erst bei der Interpretation dieser folgenden §§ 4 und 5 kann sich zeigen, was wirklich an dieser Theologie des Wortes Gottes daran ist.
d. Das Wort Gottes in dreifacher Gestalt (§ 4) In den §§ 4 und 5 wird nun das Wort Gottes, „dieser Zentralbegriff unserer Prolegomena“ (90) selber thematisch, und zwar so, dass erst die Erörterung seines Auftretens in den drei Gestalten als verkündigtes, geschriebenes und geoffenbartes Wort und ihrer Einheit die Frage nach dem eigentlichen Wesen des göttlichen Wortes zu stellen und zu beantworten ermöglicht. Die Untersuchung des § 4 hat sich an der Leitfrage auszurichten, wie Barth das Verhältnis des Wortes Gottes selbst zu seinen drei Sprachgestalten bestimmt: Gemäß dem Titel, der nicht von den drei Gestalten des Wortes Gottes redet, ist es „in“ ihnen (irgendwie) da, erscheint nach seinem eigentlichen „Wesen“ (nur) in ihnen, ohne dass sie es selber wären. Es ist jedenfalls der Sinn dieser In-Relation genau herauszuarbeiten; denn ist beispielsweise das Wort Gottes nur in der Verkündigung, so wäre das eine gewichtige Näherbestimmung des Satzes „praedicatio verbi Dei est verbum Dei“ (52) bzw. eine erhebliche Relativierung dieser Identität. Anders gewendet: der Leitsatz zu § 4 73 Cf. Fr.Schmidt, Verkündigung und Dogmatik in der Theologie K.Barths. Hermeneutik und Ontologie in einer Theologie des Wortes Gottes (1964), (Forsch.n z. Geschichte u. Lehre des Protestantismus 10).
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schon gibt Anlass, der Frage besondere Aufmerksamkeit zu widmen, was es für Barth heißt, dass das Wort Gottes sich in der hl. Schrift „im“ prophetischen und apostolischen Wort „bezeugt“ bzw. dass es den Propheten und Aposteln ursprünglich „gesagt“ wurde.
1. Das Wort Gottes als verkündigtes Wort Dass Barths Erörterung mit der Verkündigung als erster Gestalt einsetzt (89 – 101; zum Begriff der Gestalt überhaupt s. u.), ist in der systematischen Anlage dieser Dogmatik und ihrer Prolegomena begründet, wie sie insbes. im § 3 und seinen Aussagen über Wort Gottes und (menschliche) Verkündigung zum Ausdruck kommen (cf. 84 mit 60 u. o. S. 26 ff passim). Barth will in diesem ersten Abschnitt vom Wort Gottes als der wesentlichen Voraussetzung handeln, die die Verkündigung zur Verkündigung macht (89, cf. Leitsatz)74. Die seine Darlegungen leitende systematische Prämisse ist, dass das, was die Verkündigung zur Verkündigung macht, nicht auch schon in ihr ist. Diese so gar nicht ausdrücklich formulierte, aber die Aussagen Barths evidenter Weise bestimmende Prämisse ist aber alles andere als selbstverständlich, geschweige ohne weiteres zwingend. Denn wenn auch unbestreitbar sogar im mehrfachen Sinn; zur jeweiligen Bedeutung von „Voraussetzung“ bei Barth s. im Folgenden das Wort Gottes die Voraussetzung der Verkündigung (sc. eben dieses Wortes!) ist, so ist entscheidend gegen Barth festzuhalten, dass die Verkündigung selber für sich diese Voraussetzung (in einem starken Sinn) macht und d. h.: Verkündigung ist gar nichts anderes als das (verkündigende) Geltendmachen dieser ihrer Voraussetzung. Damit ist gegen Barths Konstruktion vom „je und je zur Verkündigung werden“ (89)75 gesagt: Indem Verkündigung ist (als Verkündigung vollzogen wird), besteht ihr eigenes Sein in ihrem Werden an ihr selber. Sie ist also nicht erst quasi empirisch da (als etwas, das Verkündigung „sein will und sein soll“, ebd.), um dann zu „werden“76, d. h. in ihre Eigentlichkeit dadurch zu gelangen, dass ihre „Voraussetzung“ von außen zu ihr hinzutritt ubi et quando visum est Deo, dann nämlich, wenn das Wort Gottes frei dazukommt, „das da ist und wirksam 74 Cf. A.Denecke, Gottes Wort als Menschenwort. K.Barths Predigtpraxis als Quelle seiner Theologie (1989). 75 Barths parallele Aussagen über das Geschehen, in dem auch die Kirche erst „je und je Kirche werden muß“ (89) geraten nur dann nicht in Widerspruch zu seiner Auffassung von ihr als des „Seins Christi“ (2, 14, 33, 40, 103 u. ö.), wenn diese selber die Inkarnation aktualistisch umdeutet (cf. o. Anm. 31). 76 Die von Barth hier erläuternd herangezogene Parallele zum Abendmahl (Verhältnis der Elemente als „einfach und sichtbar da“ und „als theologisch relevante Größen“, cf. 89 f) ist problematisch, weil das Sakrament selber durch das Wort Gottes konstituiert ist: als verbum visibile, so dass keine völlige Symmetrie besteht, die den Vergleich ermöglichte (Barth selber zu dieser Asymmetrie: 73!).
d. Das Wort Gottes in dreifacher Gestalt (§ 4)
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ist, wann und wo es da sein und wirksam sein will“ (92). Die Verkündigung des Wortes Gottes ist nicht ein „Tun, das, mit dem entsprechenden Anspruch auftretend und von der entsprechenden Erwartung umgeben“ (89, cf. § 3 Leitsatz), auf eine ihm äußerliche Verifizierung ausgerichtet ist, sondern die Verkündigung setzt sich selber, um überhaupt nur zu beginnen, das Wort Gottes voraus und ist nur als Realisation dieser Voraussetzung als solcher eigentlich Verkündigung. Jeder innere Zusammenhang der Verkündigung des Wortes Gottes mit eben diesem Wort ist aufgehoben, wenn „Wort Gottes“ als ein zusätzlicher äußerer Faktor ins Spiel gebracht wird, der Verkündigung „je und je ins Dasein treten“ lässt (cf. 90). Dass „die Voraussetzung eben dieses Ereignisses … das Wort Gottes“ ist (90), ist eine These, die das Wort Gottes von seiner Verkündigung abstrakt trennt, weil sie nahezu objektivistisch die unverfügbare Voraussetzung dieses Ereignisses zu diesem selber nur in ein derart diastatisches Verhältnis bringt, dass nicht mehr einzusehen ist, wie die Voraussetzung am Ort des Ereignisses selbst wirksam ist oder sein kann. Barth muss allerdings die Voraussetzung der Verkündigung so fassen, wie er es tut, weil für ihn die Verkündigung nur dann wirklich Verkündigung bzw. wirkliche Verkündigung ist, wenn sie von der selber rein aktualen Wirklichkeit Gottes (s. o.) her verstanden wird bzw. in diese (und unverfügbar von dieser aus) „je und je“ aufgehoben wird, um eigentlich zu sein, was sie sein soll. Diese eigentliche Wirklichkeit der Verkündigung, die sie erst zur Verkündigung macht, wird Barth als vierten Punkt und innerstes Zentrum der konzentrischen Kreise behandeln (s. u.), in denen er die wesentlichen Beziehungen zwischen dem Wort Gottes und der Verkündigung begrifflich fassen kann (90). Erstens wird das Wort Gottes als „positiver Befehl“ (90) bzw. „Auftrag“ (90) im ersten und äußersten Kreis (92) zur notwendigen Voraussetzung, deren Gegebensein erst Verkündigung legitimiert. Zunächst ist deutlich, dass diese Rede vom „Befehl“ semantisch der schon erörterten vom (bloßen) „Dienst“-Charakter menschlicher Verkündigung und damit sachlich der Distanzierung des Wortes Gottes von christlicher Rede (als menschensprachlicher) konform ist (52; s. o. S. 34 ff)77. Sodann fällt das eigentümlich Formale an diesem Begriff von Voraussetzung auf. Er ist und zwar aus systematischen Gründen nicht mit dem Thema bzw. Inhalt der Verkündigung selber vermittelt. Daher wird er auch gerade nicht, was doch naheläge, biblisch gefüllt; man könnte an Mk 16, 15 oder 2Kor 4, 13 denken78. 77 Für diese Distanzierung des Wortes Gottes selbst von der Verkündigung ist zu erinnern an die o. beigebrachten Aussagen Barths über den bloßen Hinweis-Charakter dieser (53; cf. o. S. 36), über das immer noch Bevorstehen und zu erwarten Sein des Wortes Gottes (56) als Verheißung (59,68), über Verkündigung als bloße „Repräsentation“ (99, 61, 73). 78 Erst im nächsten Abschnitt über das geschriebene Wort Gottes wird auf den Inhalt der Schrift, nämlich Jesus Christus als „Gott mit uns“ verwiesen (110) und dazu mit Zitation von Ps 116, 10
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Auch hier ist gegen Barth geltend zu machen, dass die Verkündigung eben gerade ist, was sie ist, indem und weil sie in sich selber ihr von Gott her Gewolltsein und Ermächtigtsein von ihrem vollziehenden Gehorsamsverhältnis dazu unterscheidet. Diese Selbstunterscheidung der Verkündigung von ihrem Grund, durch die sie erst Verkündigung des Wortes Gottes ist, wäre anstelle der das Triviale streifenden, von Barth versuchten Abgrenzungen gegen sog. „objektivistische“ bzw. „subjektivistische“ Begründungen (90 f), die insgesamt nicht-religiös sind, theologisch zu explizieren. Statt sich auf das (sprachliche) Phänomen dieser Selbstunterscheidung der Verkündigung an ihr selber einzulassen er kommt ihr sachlich nahe mit der Formulierung über den Auftrag, den wir „nur empfangen und im Akt des Empfangens haben können“ (92) –, beschreibt Barth das Verhältnis nur äußerlich: Gottes positiver Befehl (als schlechthin anderes und überlegenes Motivierungsprinzip) „inmitten der … Welt der menschlichen Motivationen“ (91, cf. auch die Rede vom „Medium“ ebd.). Wiederum lässt diese Beschreibung die Äußerlichkeit der wesentlichen Voraussetzung nicht nur zu, sondern fordert sie geradezu (cf. „grundsätzlich transzendierend“ und „schlechterdings von außen“, 92): „also ein Motiv, das nun gerade in seiner Göttlichkeit nicht so vorhanden und wirksam ist, wie Sachverhalte und Wertordnungen über uns und Überzeugungen in uns …“ (92)79. Dies Motiv zur Verkündigung, das ganz anders Motiv ist als menschlichinnerweltliche Motive, wird dementsprechend auch nur durch ein argumentum e negativo eingeführt: „Eben dies: daß es nicht möglich ist, ein höheres Motiv … aufzuweisen, eben dies anerkennen und bestätigen wir, wenn wir den Auftrag … als das Wort Gottes bezeichnen“ (91). Dieser Äußerlichkeit der Argumentation und des Status der Voraussetzung selber dient eigentümlich stimmig die Berufung auf die Freiheit des göttlichen Wirkens ubi et quando … (cf. 92). Wegen der Formalität und Äußerlichkeit dieses „Befehls“, der uns „schlechterdings von außen trifft“ (92), kann menschliche Verkündigung zu ihm nur so Stellung nehmen, dass „wir ihn, so wie wir ihn gehört zu haben meinen, wiederholen, und indem wir ihm, so gut oder schlecht wir können, zu entsprechen suchen“ (92, Hervorh. J.R.). Hier wäre einerseits die oben geäußerte Kritik zu Barths Wendung vom „am besten (von Gott) reden“ (88, cf. o. S. 39) zu wiederholen. Andererseits zeigen die relativierenden Ausdrücke „meinen“ und „zu entsprechen suchen“, wie weit das Wort Gottes hier entfernt gedacht ist von dem klaren und festen Wort, aus dem nach Luther der Glaube gesagt: „Das Hören dieses Wortes im Glauben an seine Verheißung gebietet und ermöglicht die Verkündigung“ (111; Satz-Subj.: Verkündigung). 79 Zwar spricht Barth hier immer auch die „menschliche Rede von Gott“ an (92, 94, 95, 97), ohne sich jedoch durchweg und grundsätzlich dem Phänomen und Problem religiöser Rede als solcher zu stellen. Beides vermeidend hebt er statt dessen z. B. auf bloß menschliche Motivationen oder objektive Sachverhalte und Wertordnungen u. ä. ab, die eher in die Wissenschaft, die Metaphysik und Psychologie oder auch Ästhetik gehören (cf. 90 f u. 94).
d. Das Wort Gottes in dreifacher Gestalt (§ 4)
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im Leben und Sterben seine Gewissheit gewinnt80. Diese Unbestimmtheit des theologischen Konstruktes, das hier als Wort Gottes und bloße Voraussetzung reklamiert wird, ist der Preis für die geforderte reine Transzendenz Gottes, die in unvermittelbare Äußerlichkeit umschlägt: Wo Barth davon spricht, menschliche Rede von Gott sei es nur „auf Grund“ der transzendenten Anweisung Gottes selber als einer „nur faktisch sich ereignenden“ (92), da bleibt programmatisch ausgeklammert, wo denn solcher Grund real wirksam ist, nämlich in der Verkündigung selbst und an ihr selber. Barth beschließt die Erörterung dieses ersten Kreises ähnlich auch 93, 95, 97 mit der zusammenfassenden Formulierung: „Wirkliche Verkündigung heißt also: verkündigtes Wort Gottes …“ (92). Damit ist jedoch (noch) nicht das Einfache gesagt, dass Verkündigung ist, was sie ist, von ihrem Inhalt her, sondern vielmehr gerade, dass sie es ist von ihrem (ihr äußeren) Grund in einer nur faktischen „Anweisung Gottes selber“, über deren Verhältnis zur Sprache der Verkündigung nichts ausgesagt wird. Offen bleibt weiterhin, dass und wie der Grund der Verkündigung in das Verkündigen (als menschliche Rede) selber eingeht bzw. darin gegenwärtig ist. Das aber heißt, über die Verkündigung (des Wortes Gottes) selbst und als solche sagt dieser Satz seltsamerweise gar nichts aus. Zweitens bildet das Wort Gottes eine notwendige Voraussetzung für die Verkündigung, sofern es dieser als ihr „Gegenstand“ vorgegeben sein muss (93). Der Gegenstand von Verkündigung ist dieser wiederum äußerlicher als es (das Wort Gottes als) ihr „Inhalt“ wäre81. Das besagt, unter dem Gegenstand der Verkündigung versteht Barth eine prinzipiell transzendente Bezugsgröße, ein unserm Reden für sich entzogenes Woraufhin dieses Redens, das als solches unserm Reden allererst „Wirklichkeit“ verleiht (ebd.). Dieser Externität des Wortes Gottes als Gegenstand entsprach die oben erwähnte doppelte Distanzierung Barths, dergemäß die Verkündigung auf ein bevorstehendes Sprechen Gottes selber nur hinweisen könne (53; cf. o. S. 36). Daher bestimmt das unverfügbare Ereignis, dass nur, „wo sich Gott selber ihr zum Gegenstände gibt“ (97), Verkündigung zum eigenen Reden Gottes wird, diesen Gegenstand als eine Voraussetzung (der Verkündigung), die sich selber setzt und nur so überhaupt diese Voraussetzung ist: „Wir haben ihn, indem er sich gibt“. 80 Das von Barth angeführte Luther-Zitat, das von der Sendung des Wortes Gottes als Grund der Verkündigung für sie selber handelt (cf. 92), entspricht weit eher der hier gegen Barth geltend gemachten Selbstunterscheidung, als welche die Verkündigung wirklich Verkündigung ist, als dem objektivistisch angesetzten formalen „Befehl“ Gottes. Was für den Glauben gilt, der sich nur im unterscheidenden Bezug auf seinen Grund seiner selber inne ist (cf. Luthers Erklärung des 3.Art., BSLK 511 f), lässt sich entsprechend auch für die Verkündigung formulieren: Ich verkündige, dass (bzw. indem) ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft Jesus Christus, meinen Herrn, verkündigen oder von ihm reden kann, sondern der Heilige Geist hat mich durchs Evangelium berufen …! 81 Deutlich auch an späterer Stelle: „der Gegenstand, der der menschlichen Rede gegenüber auf den Plan treten … muß“ (95; Hervorh. J.R.; cf. 117).
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(Auf diese „Selbstvergegenständlichung Gottes“ (94) ist später zurückzukommen.) Als „Gegenstand“ der Verkündigung ist er ihre Voraussetzung so, dass er von sich selber her prinzipiell Abstand zu ihr hat und wahrt. Auch wenn er sich (im nach Barth angeblich unvermeidlichen Medium anschaulicher Gegenständlichkeit) selber gibt und setzt, tut er dies „in diesem Medium als der Gegenstand, dessen man in keiner Weise habhaft werden … kann“ (93). D.h. er ist im Medium (der Verkündigung) nur so, dass er sich davon (als er selber) abstößt und bleibend unterscheidet. Für diese These bildet freilich Barths Auffassung den Rahmen: „wir haben keine anderen Gegenstände als die unserer äußeren oder inneren Anschauung“ (93); anders als durch diese vermittelt, hätten wir auch den (ganz anderen) Gegenstand der Verkündigung nach ihm gar nicht (ebd.). Diese (wohl eher erkenntnistheoretische) Auffassung Barths ist hier aber spezifisch problematisch, weil sie die für die Verkündigungsthematik einschlägige Frage nach der Sprache überspringt. Denn offensichtlich gehört diese weder zu irgendwelchen „Gegenständen“, die wir haben (oder nicht haben), noch ist sie auf die Alternative „innere/äußere Anschauung“ festgelegt, die gerade erst in ihr selber artikulierbar ist. Die auch theologisch relevante Sachfrage würde lauten: wie ist das Wort Gottes „Gegenstand“ (d. h. Thema und Inhalt und Ermöglichungsgrund zugleich) der aufgrund seiner von ihm redenden Sprache der Verkündigung? Wie etwas sie immer auch Überschreitendes gleichwohl in der Sprache sein kann d. h. der Gegenstand der Verkündigung in ihrem Bezug auf ihn, der zugleich ihr Sichunterscheiden von ihm ist –, das ist eine Frage, die mit Sinn überhaupt nur für die Sprache, und so auch die der Verkündigung, gestellt werden kann! Barth verrät vielleicht eine Ahnung dieses Sachverhalts, wenn er trotz der prinzipiellen Distanzierung gleichwohl auf einen „inneren Zusammenhang“ hinweist, der zwischen dem Gegenstand der Verkündigung und der Predigt (und dem Sakrament) als „Mitteln seiner Darstellung und Mitteilung“ wohl bestehen mag (cf. 93). Dieser innere Zusammenhang kann der Natur der Sache nach nur ein sprachlicher (im eben angedeuteten Sinne) sein. Dann aber kann die Predigt nicht nur „Mittel“ seiner (sc. des Gegenstandes) Darstellung sein. Barth dagegen akzentuiert hier wiederum den uneigentlichen Status solcher Mittel, indem er im Blick auf die Predigt von der „Verheißung künftiger Offenbarung“ redet (ebd.). Das heißt aber, das Sichgeben jenes Gegenstandes geschieht eben nicht selber als Verkündigung und so „in“ ihr (nämlich sie ermöglichend, begründend und bestimmend: als ihr in ihrer Rede wirksamer Grund dieses Redens), sondern als das kontingente Hinzutreten einer sie von außen qualifizierenden Instanz. Die Verkündigung ist darum nur „Form der Verheißung“ (93, Hervorh. J. R.), weil sie erst von jenem externen Gegenstand her erfüllt wird bzw. erfüllbar ist. In dieser Formulierung Barths dürfte der Begriff „Gestalt“ in der Über-
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schrift dieses Paragraphen seine Auslegung erhalten ebenso wie der Sinn des dort gebrauchten „in“ (den drei Gestalten). Damit bestätigt sich nochmals, dass der Gegenstand der Verkündigung auf Grund „der nicht vorhandenen, nicht vorherzusehenden, in keinen Plan einzubeziehenden Selbstvergegenständlichung Gottes“ (94, cf. 92) dem Sprachgeschehen der Verkündigung äußerlich bleibt. Der Gegenstand der Verkündigung ist nur so ihre „Voraussetzung“, dass er gerade nicht sprachlich gegeben ist noch sich so geben soll. Dass die „Selbstvergegenständlichung Gottes, kraft welcher er je und je Gegenstand dieser Rede sein will und ist nach seinem Wohlgefallen“ (94; cf. ubi et quando …), nur in der „Freiheit seiner Gnade“ wirklich ist (ebd.), distanziert Gottes Wort von der Verkündigung davon so grundsätzlich, dass fraglich ist, ob hier Gottes Wort noch Wort sein kann. Denn jedenfalls ist es entschieden nicht Barths Meinung, dass Gott sich in seinem Wort immer schon und von sich aus zum Inhalt und Gegenstand unseres Wortes gemacht hat, so dass wir, wenn wir in der Verkündigung von ihm reden, es daraufhin tun können. So allein wäre Verkündigung selber nichts anderes als das Innesein des eigenen Grundes der Verkündigung bei jeder Verkündigung. Drittens wird ganz im Duktus des Bisherigen und daher kurz zu behandeln das Wort Gottes als Voraussetzung, die Verkündigung wirklich Verkündigung sein lässt, näher bestimmt als Gottes „Urteil“ über ihre Wahrheit (94)82. Ob der „Gegenstand“ der Verkündigung als er selber und allein aufgrund des „positiven Befehls“, der nicht vorwegnehmbar ist, die Verkündigung schlechterdings „von außen“ und je nur aktuell bestimmt, das ist ihr theologisches Wahrheitskriterium. Ist auch als bloßes Faktum zuzugestehen: Verkündigung „liegt im Bereich menschlicher Rede“ (94), so entgeht sie nach ihrer Wahrheit diesem Bereich schlechthin: das Urteil über ihre Wahrheit trifft sie aus einem „grundsätzlichen Anderswoher“ (94). Nicht wir (als Verkündigende oder Verkündigung im Glauben Hörende) haben Zugang zu dem eigentlichen Kriterium der Wahrheit der Verkündigung, sondern dies ist exklusiv „das Kriterium, das sich selbst handhabt“ (95). Indem Barth indes auch sagt, dass dieses von allen „anderen verschiedene Kriterium sich … selber zu erkennen gegeben hat“ (94), so zieht er doch keinerlei Folgen aus dem Umstand, dass dies notwendig in Worten bzw. als Wort (Gottes) geschehen sein muss und demgemäß Gottes Wort als Urteil über die Verkündigung in dieser selber zur Sprache kommt. Dass der Satz „Wir können dieses Kriterium nicht handhaben“ (95) nicht gleichbedeutend ist mit dem anderen: Wir können davon nicht sprechen (bzw. im Sprechen an unserem Sprechen zur Geltung bringen), bleibt ungedacht. Sprechen ist aber nicht dasselbe wie „handhaben“. Die Folgen dieser Ausblendung der Sprachdimension sind unübersehbar. 82 Cf. P.Lochmann, Das Wort Gottes als Urteil. Karl Barths Lehre vom Wort Gottes als Programm seiner Theologie (1976).
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„Verkündigung wird wirkliche Verkündigung, indem sie durch dieses Urteil gutgeheißen wird“ (95). Diese Feststellung bedeutet wegen der prinzipiellen Entzogenheit dieses Urteils bzw. des Wortes Gottes faktisch eine Entwirklichung der geschehenen Verkündigung, weil und indem sie deren Entsprachlichung theologisch fundiert. Mehr noch: ist Gottes Urteil gegenwärtig unerkennbar nach Barth kann es nur erinnert oder erwartet werden, cf. 94 –, so heißt das: es gibt kein (verbindliches) Wort Gottes, und daher für uns auch keine wahre Verkündigung. Viertens schließlich wird das Entscheidende angesprochen. Thematisierten die Punkte 1. bis 3. in wachsender Annäherung an das Zentrum der Frage (nur) notwendige Bedingungen, um Verkündigung vom Wort Gottes her zu verstehen, so geht es erst jetzt um die eigentlich hinreichende Bedingung. Sie enthält der Satz Barths: „Das Wort Gottes ist… das Ereignis selbst, in dem die Verkündigung zur wirklichen Verkündigung wird“ (95; zur Frage nach der eigentlichen Wirklichkeit der Verkündigung cf. schon 92, 93, 94, 95). Das hier genannte Ereignis selbst ist nicht das Ereignis der Verkündigung selbst als solches, sondern das von der Verkündigung theologisch gerade zu unterscheidende Ereignis ihrer Verwirklichung (von Gott her), das eigentliche „Wirklichwerden der Verkündigung“ (95). In seinem Selbstsein bzw. als sein es selbst Sein ist das Ereignis als solches gerade das Sichabheben vom „Geschehen des Wollens und Vollbringens des verkündigenden Menschen“ (ebd.). Zwar ist das mit Phil 2, 13 so auch sagbar, wenn hierbei der Mensch akzentuiert wird, aber gilt es auch vom Sprachgeschehen der Verkündigung des Wortes Gottes? Ist dies Ereignis selbst als eines an und mit der Sprache selber (noch) sprachlich? Barth betont, „daß Verkündigung wirklich wird, indem Gott befiehlt, Gott auf den Plan tritt, Gott urteilt“ (95). Das will sagen: Gott selber macht sich, wenn Verkündigung wirklich eine ist, zum Subjekt des Geschehens. Das wird verstanden, wenn „alle nominalistischen Mißverständnisse in Bezug auf die Prädikate“ in jenen drei Sätzen unmöglich geworden sind. Gott als Subjekt (überhaupt und solcher Sätze über ihn) ist nur angemessen verstanden, wenn er als der verstanden wird, der sich auch noch in seinen (von ihm ausgesagten) Prädikaten selber realisiert, indem er sie als seine bestimmt, d. h. als solche, in denen er sich spezifisch selber wiederholt83. 83 Dies hängt mit der Grundverfassung des Barthschen Gottesbegriffs zusammen. Als absolute Autonomie ist Gott das in sich geschlossene Sein, das, wie es schlechthin aus sich selber ist, auch nur in sich und bei sich selber bleibt: „indem Er ist, ist Alles, was er ist“ (KD II/1, 337). Ist er dies in sich und für sich selber exklusiv, so kommt kein Anderes an ihn heran: es gibt bei ihm und in ihm kein Es, das nicht Er selbst wäre (cf. ebd.). Der absolut Sich-Setzende ist auch der immer nur Sich-Durchsetzende: „Gott ist, der er ist in der Tat seiner Offenbarung“ (§ 28; a. a. O. 228). Daher kann ein adäquater Gottesbegriff nur dies göttliche Subjekt als solches – die nur in sich bewegte Monade – zum Inhalt haben, und was göttliches Prädikat sein soll, kann es nur in ihm selbst als solchem sein; außerhalb dieses Subjektes kommt ihm gar keine Existenz zu (cf. 337). Wie Gott sein eigenes Wollen ist, so will er auch nur sein eigenes Sein (cf. 618), und darum „hat er nicht
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Dieses Geschehen ist das Wort Gottes als das entscheidende Ereignis selbst, durch das und durch das allein Verkündigung von Gott her wirklich wird, denn so erst wird die Verkündigung „auch und zuerst und entscheidend Gottes eigene Tat“ (95). Das Ereignis selbst besteht also darin, dass Gott gleichsam „je und je“ die menschliche Rede an sich zieht. Barth gebraucht dafür den hegelianisierenden Ausdruck „nicht beseitigt, wohl aber aufgehoben“ (97)84. Das besagt hier wohl zunächst nicht mehr, als dass die menschliche Verkündigung, ohne als solche zu verschwinden (cf. 96, 97, 100), zum Moment von Gottes (sie überformender) aktueller Wirklichkeit gemacht wird. Es heißt aber doch gerade nicht, dass Gottes eigenes Wort selber am Ort des menschlichen Wortes und selber als dieses da wäre; Barth redet eben nicht von einem sich zur Menschensprache herunterlassenden Eingehen Gottes in diese. Nicht mehr soll auch insofern ausgesagt sein, als dies „Wunder der Offenbarung“ nicht „erklärt“, sondern lediglich als dieses besondere Wunder gewürdigt werden soll (95). Damit weicht Barth aber wiederum einer theologischen Thematisierung der Sprache (als religiöse bzw. die der Verkündigung) aus. Jedenfalls wird ein genaueres theologisches Nachverstehen abgeeigentlich Prädikate oder Eigenschaften, sondern ist sie“ (610). Gottes Attribute (als seine „Vollkommenheiten“, § 29) sind es nur als die ihm spezifisch und exklusiv eigenen. Insofern „wiederholt“ er nur immer sich selber in seinen Prädikaten (cf. die Rede von der Wiederholung seiner selbst in der Trinität; KD I/1, 315); so auch qua Offenbarung: wir haben es „in Prädikat und Objekt des Begriffs Offenbarung noch einmal und in keiner Weise weniger mit dem Subjekt selbst zu tun“ (KD I/1, 372). Das gilt auch für ein Prädikat wie Allmacht: sie ist primär so zu verstehen, dass Gott „die Macht hat, er selber zu sein“ (KD II/1, 635), nämlich er als „der Sinn, Besitzer und Herr über den Gebrauch seiner Macht“ (ebd.). Bei diesem Begriff hat man es also zu tun mit einer „Unterscheidung, deren Kriterium und Grenze immer wieder Gott selber ist“ (635). Was auch immer von Gott auszusagen ist, es ist Aussage über seine unbedingte Selbstmacht: „in dieser von ihm vollzogenen Unterscheidung ist er Beides in Einem: er selbst und das, was er ist“ (637). Gott ist einer in seiner Selbstverdoppelung (333). Daraus folgt methodisch für diese Theologie des absoluten Subjektes: das Subjekt ist nicht durch die Prädikate, sondern die Prädikate sind (allein) vom Subjekt her zu bestimmen (589), bzw. jedes Prädikat ist (nur) von seinem Subjekt (diesem!) her und dann das Subjekt in diesen seinen Prädikaten zu verstehen (419). Daher ist das Wort Gottes für Barth ausnahmslos „nicht ein Prädikat des Menschen, auch nicht des Menschen, der es empfängt“ (KD I/1, 130). Legt das Subjekt sich also wesentlich in seinen Prädikaten selber aus und realisiert sich in ihnen und durch sie als es selber, so kann es keinen Allgemeinbegriff geben (z. B. einen von „Liebe“), der als solcher, und d. h. für Barth: nur unserer, aus unserem vortheologischen Wissen stammender (309), auf Gott einfach zutreffen, d. h. Anwendung finden könnte. Vielmehr gilt: „gerade hier muß dieser allgemeine Begriff nach der Besonderheit dieses Gegenstandes interpretiert werden“ (316). Unbeschadet seiner theologischen Exklusivität liegt indes in diesem dogmatischen Verfahren Barths ein Fall dessen vor, was Kant „reflektierende Urteilskraft“ nannte (KU, Erste Einl. (1789), V. bzw. Einl. (1793), IV.): „in und mit diesem Besonderen (erkennen wir) das Allgemeine, nicht umgekehrt“ (KD II/1, 570). Es sei angemerkt, dass Barth aus diesem Ansatz die Nötigung erwächst, überhaupt das Allgemeine vom (theologisch) Besonderen aus zu reformulieren: die Ontologie von der Theologie her und in ihr oder die Anthropologie von Jesus aus (KD I/1, 135) usw.; cf. dazu überhaupt W.Härle, Sein und Gnade. Die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, 1975 (TBT 27). 84 Zur „Aufhebung“ cf. 120 f und dazu u. S. 67 f u. Anm. 117.
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wehrt, wie Barth kurz danach ausdrücklich macht: „Die hier scheinbar so brennende Frage nach der Art des Nebeneinander- und Zusammenwirkens der beiden Faktoren ist eine höchst unsachgemäße Frage“ (96). Diese Abwehr leuchtet freilich nur für diejenige Frage ein, die zwei „Faktoren“ in Anschlag bringt, was Barth zu Recht kritisiert (ebd.), nicht aber für eine Sachfrage über das Verhältnis, das hier von Gott her und zur Menschensprache hin gedacht ist. Gerade diese Frage nach der Sprachdimension als Kommunikationsmodus von Gott und Mensch, Gottes eigenem Wort und menschlicher Verkündigung von ihm wird von Barth nur in wenigen Spitzensätzen berührt, deren scheinbare Eindeutigkeit, nimmt man sie für sich, doch wieder fraglich wird, wenn man ihren dominierenden Kontext berücksichtigt. Dieser Kontext (unter Punkt 4.) ist ganz vom Verhältnis von Mensch und Gott überhaupt bestimmt. Wenn Barth hier mehrfach vom „Wollen und Vollbringen des verkündigenden Menschen“ (96, 95) redet, so ist festzuhalten, dass damit nicht (im strengen Sinn) dessen Sprechen (als inhaltliche Rede) thematisiert ist, sondern die eigentliche Frage auf eine andere Ebene hinüberspielend nur die es hervorbringende und ausgestaltende, mit Absichten und Motivationen begleitende menschliche Aktivität (von Sprechersubjekten als solchen; cf. 95: „die menschliche Rede mit ihren Motiven, mit ihren Gegenständen, mit den Urteilen, unter denen sie … steht“). Kein Sprechen als solches ist aber nur so etwas, denn die Sprache gehört niemandem zu eigen und wird auch nicht im Reden schlechthin produziert und schon gar nicht in Gestalt eines „Wollens und Vollbringens“ des redenden Menschen, nämlich nicht sie als Sprache. Dieser Kontamination entspricht gänzlich Barths die Sprache nivellierende Rede von der Verkündigung als einem „Ereignis auf der Ebene aller anderen menschlichen Ereignisse“ (96). Sprechen ist weder „Handlung“ (vielmehr ein aufgehobenes Handeln) noch auch einfachhin ein „Ereignis“ (vielmehr bestenfalls ein Sprachereignis). Wirklich ist Verkündigung als nicht primär „Wollen und Vollbringen des verkündigenden Menschen“ was hier eine verzerrte Perspektive hereinbringt –, sondern als das Sprechen bestimmter Verkündigungsworte. Theologisch geht es darum, dass und wie diese Worte Gottes eigenes Wort sein können. Seiner anderen Perspektive treu, redet Barth in diesem Kontext denn auch zunächst vom Wollen und Vollbringen Gottes als dem Ersten und Entscheidenden (96, cf. 95; Gottes als des Schöpfers und Herrn!) bzw. von seinem Subjektsein schlechthin (97); es ginge aber in der Sache gerade um sein Wort. Diese Dimension des Themas wird von Barth in diesem Abschnitt freilich in drei Spitzensätzen auch berührt, die nun genau zu lesen sind. Sie scheinen hier „im vierten und engsten Kreis“ der Überlegungen (95) Barths größtmögliche Annäherung an das Anliegen einer eigentlichen Worttheologie, wie sie bei Luther begegnet, zu bezeichnen. Das jede wirkliche Verkündigung qualifizierende Ereignis des Wortes Gottes wird von Barth nämlich auch charakterisiert als „das Ereignis des
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Sprechens Gottes selber in der Sphäre menschlicher Ereignisse“ (sc. von Verkündigung? 97). Wenn hiermit das Sprachereignis von Verkündigung gemeint ist, so ergibt sich für die Auslegung des entscheidenden „in“ (cf. „in seiner dreifachen Gestalt“; 89) folgende Alternative: Entweder ist es sachlich gleichbedeutend mit einem „als“ dann wäre auch Gottes Sprechen selber sprachlich zu verstehen (als Sprechen im eigentlichen Sinn). Oder Gottes „Sprechen“ ist nur „in“ menschlichem Sprechen da dann ist es selber nicht notwendig sprachlich, sondern nimmt nur für uns die „Gestalt“ des Sprechens an, weil es inmitten menschlicher Sprache eben auch „Sprechen“ ist; die Sphäre, in der es sich ereignet, bestimmt es selber, gleichsam sekundär, auch als „Sprechen“ (als Sprechen im uneigentlichen Sinn). Diese bei Barth zumindest gänzlich offen bleibende Frage wiederholt sich auch beim letzten Satz des Abschnittes. In diesem vierten und innersten Kreis der Erörterung ist als Spitzensatz von der Verkündigung aussagbar: „Menschliche Rede von Gott, in der und durch die Gott selber von sich selber redet“ (97). Damit scheint wiederum die größtmögliche Koinzidenz ausgesagt; bedenkt man aber auf dem Hintergrund alles bisher Gehörten das theologische Gefälle, so schließt diese Quasi-Identität doch eine letzte Distanz zumindest nicht klar aus. Das zeigt sich bei der an diesen Satz immer noch zu richtende Frage: Ist Gottes „selber von sich selber Reden“ hier im selben Sinn Rede, wie es die „menschliche Rede von Gott“ ist, in der und durch die er jenes tut? Solange das nicht klargestellt ist, kann jede noch so starke (bzw. stark scheinende) Identitätsbehauptung Barths doch wieder relativ gemeint sein85. Die stärkste Formulierung im vorliegenden Abschnitt dürfte die folgende sein: Das Wunder der Offenbarung und des Glaubens ereignet sich, „wenn uns menschliche Rede von Gott nicht nur das, sondern auch und zuerst und entscheidend Gottes eigene Rede ist“ (95). Wie vorbehaltlos ist dieses letzte „ist“ gemeint? Wird es für Barth durch die Relativität auf den Glauben („uns“ im Sinne von „für uns“) eingeschränkt? Jedenfalls ist es nach dem Vorausgehenden durch zweierlei determiniert: „Ist“ steht für ein je und je Werden (cf. 89 u. ö.) und zugleich für ein bloß hinweisendes Dienen (cf. 96 vom Menschlichen: „Im Stande des Gehorsams ist es Dienst Gottes“). Beides gibt dem „zuerst und entscheidend“ seinen theologischen Sinn. Denkt man über diesen Satz im Kontext der sonstigen Aussagen Barths nach, so macht sich jedenfalls ein dreifaches Defizit bemerkbar. 1. Barth spricht nicht von einem schlechthin identifizierenden „als“ (d. h.: von Gottes eigener Rede als menschlicher), sondern von „auch“ (bzw. „in“). Er sagt ein solches „als“ nicht aus und kann es nach Lage der Dinge wohl auch nicht sagen.
85 Diese Distanzierung ist denn auch an späterer Stelle, die sich eindeutig auf das hier Gesagte zurückbezieht, von Barth unter dem Stichwort „Repräsentation“ klar wieder ausgesprochen, also hier mitzudenken (cf. 112; zit. u. S. 55).
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2. Barth beschreibt Gottes „Aufheben“ menschlicher Rede und das Ereignis, dass Gottes Wort „in“ ihr sich vergegenwärtigt, als äußeren Vorgang bzw. er beschreibt ihn (nur) von außen. Nicht aber so, dass die Verkündigung bei ihrer Rede selber sich selbst als Ort göttlichen Selber-Redens erfasst und sich vor diesem zurücknimmt. Sprachlich wäre jenes „Ereignis“ gedacht als das sich in sich selber vom Wort Gottes Unterscheiden der Verkündigung, denn das Wort Gottes kommt als solches überhaupt nur in der Verkündigung davon vor. 3. Was der letzte Satz des Abschnitts (97; o.zit.) sagt, ist in Christus längst definitiv geschehen, und von daher gibt es ein verbindliches Wort Gottes für uns. Das bringt Barth hier aber trotz der christologischen Analogie 96 gar nicht zur Geltung. Damit hängt wiederum zusammen, was o. bereits berührt wurde: Barth thematisiert mit dem Begriff „Wort Gottes“ jenes Ereignis (als hinzutretenden, formellen Vorgang), dass menschliche Rede zur Verkündigung wird, und er sieht dabei völlig von irgendeiner Inhaltlichkeit des Wortes Gottes ab. Das Wort Gottes ist aber nicht nur Ausdruck für das reine Dass des Wirklichwerdens von Verkündigung, sondern ist selber (inhaltlich) bestimmtes Wort und wird als solches in der Verkündigung gesagt bzw. weitergesagt. Die von Barth reichlich beigegebenen Luther-Zitate (98) setzen im Unterschied zu seiner eigenen Theorie alle gerade eine eindeutige Identität von menschlicher Rede und bestimmtem Gotteswort voraus: Gott ist für Luther wirklich und definitiv eingegangen in die Menschensprache, d. h. auch die Verkündigung. Von dieser Kondeszendenz reden deutlich die letzten Zitate auf dieser Seite, ebenso wie auch davon, dass Gottes eigenes Wort hier absconditum sub contrario ist. Die Untersuchung dieses ersten Abschnittes des § 4 hat also erbracht, dass und in welchem Sinn für Barth die Verkündigung eben nur eine „Gestalt“ für das Wort Gottes ist und nicht dieses selbst beim Menschen. 2. Das Wort Gottes als geschriebenes Wort Dieser Abschnitt des § 4 nimmt systematisch eine mittlere Stellung ein und teilt sich im Rahmen unserer Untersuchung in zwei Partien, deren erste (101— 111) theologisch wesentliche Aussagen über die Schrift als Kanon der Kirche macht er ist hier nur in groben Zügen zu behandeln –, während erst die zweite (112 f.) diskussionsbedürftige Festsetzungen über das Verhältnis Wort Gottes und Schrift trifft, die für die Leitfrage dieser Darstellung besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Die zweite Gestalt, in der das Wort Gottes da ist, ist die der Kirche und ihrer Verkündigung in unableitbarer Überlegenheit gegenüberstehende Größe
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„Heilige Schrift“ (103)86. In ihr vergewissert sich die Kirche ihres Seins von ihrem von ihr unterschiedenen Grund her, in dem „Auftrag, … Gegenstand, … Urteil, …Ereignis“, die ihre Verkündigung legitimieren, als ihrem „Haupt“ zusammengefasst sind (ebd.). Sie identifiziert ihr eigenes Sein von „ihrem ihr selbst überlegenen Sein“, von Jesus Christus her (cf. schon 2 f., 14, 35 u. ö.). Dieser ist insofern ihr Grund, als er „zwar die Kirche in sich, den aber die Kirche nicht in sich hat“ ein unumkehrbares Verhältnis von himmlischem Haupt und seinem irdischen Leib (ebd.)87. Dies Verhältnis lässt sich in einer Dialektik des traditionellen Duals so bestimmen: „Er ist ihr nur immanent, indem er ihr transzendent ist“ (103). Es handelt sich also um eine sich selbst transzendierende Immanenz bzw. eine Immanenz, die, nur als zugleich transzendent, immanent ist. Es fällt auf, dass eine solche Verhältnisbestimmung eine unübersehbare und bemerkenswerte Konkretion am Wort als solchem hat, das ja Wort nur ist als vernommenes („immanent“) und doch zugleich jedem Gehört- oder Gelesenwerden bleibend vorgeordnet und äußerlich („transzendent“). Im Vernehmen des Wortes ist jeder zugleich bei sich und außer sich, und zwar so, dass er nur bei sich, indem er außer sich ist. Wort ist geradezu dadurch definiert, dass es das sich ins Innere übersetzende Äußere bzw. das in seiner Innerlichkeit ein Äußeres Bleibende ist. Barth nimmt diese Konformität nicht wahr, sondern denkt das Verhältnis zu Christus als Grund seiner Kirche von Gott her: „es hat Gott gefallen, anders als in reiner Immanenz ihr Gott zu sein“ (103). Er versteht also diese Dialektik von Gottes „Selbstvergegenständlichung“ (94) her, gemäß der wir Gott nur haben, „indem er sich gibt“ (93, cf. 97). Dies formale Verhältnis der Kirche zu ihrem Grund in Jesus Christus (als ihrem eigentlichen Sein) reproduziert sich nun aber auch inhaltlich, insofern die Bibel selber „Wort, Zeugnis, Verkündigung und Predigt von Jesus Christus“ ist (110), und zwar diesem als „Immanuel … Gott mit uns“ (ebd.). Allein „kraft dieses ihres Inhalts imponiert sich die Schrift“ (111)88. So sehr das einleuchtend und richtig ist, bleibt doch die Frage offen, wie Barth das Verhältnis von Christi bzw. Gottes aktuellem Sich-zum-Grund-Machen89 und der im 86 Cf. U.Körtner, Schriftwerdung des Wortes und Wortwerdung der Schrift. Die Schriftlehre K. Barths im Kontext der Krise des protestantischen Schriftprinzips, ZDT 15 (1999), 107 – 130. 87 Dies als „Verhältnis von Herr und Knecht“ für nicht umkehrbar zu behaupten (103), dürfte beim genauen Durchdenken der Dialektik von Herr und Knecht schwierig werden, wie Hegels Analyse dieses Verhältnisses gezeigt hat. Diese kommt bekanntlich zu dem Resultat: „Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist … das knechtische Bewußtsein“ (Phänomenologie des Geistes (Hoffmeister 19526), 147; cf. 146 – 150). 88 Zum sich selber imponierenden Kanon cf. KD I/2, 524 f. 89 Zwar gilt auch für Barth: „die Bibel ist schon darum Kanon, weil sie es ist“ (110), aber dies ihr (Vorgegeben-) Sein wird sogleich wieder aktualistisch verflüssigt: „Aber sie ist es, indem sie sich als solches imponiert“ (ebd.). Cf. ähnlich: „jenes Sich-Imponieren der Bibel in der Kraft ihres besonderen Inhalts … ist ja ein Ereignis und nur als Ereignis zu verstehen“ (112) bzw.: „Die Bibel ist Gottes Wort, sofern Gott sie sein Wort sein läßt“ (ebd.). Barth redet auch davon, dass die Bibel nach uns greift (112), sich uns zu verstehen gibt (119; cf. auch 109).
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sprachlichen Wort der Verkündigung von Christus (als dem schon gelegten Grund; 1Kor 3, 10 f.) aufbewahrten, einmaligen Begründung denken will. Indem die Kirche darin ihren eigenen Grund außerhalb ihrer hat, dient ihr die Hl. Schrift zum Widerlager, an dem sie sich von der Unmittelbarkeit ihrer (immanenten) Lebensvollzüge (selbstkritisch) unterscheiden kann. Das betont Barths ständiger (antikatholischer) Hinweis auf das Gegenüber der Schrift zur Kirche, das verhindert, dass diese nur mit sich allein, in einer Art Selbstgespräch ihr Leben hätte (passim). Eben diese Funktion eines wirksamen Gegenübers erfüllt die Bibel als geschriebene Gestalt des Wortes Gottes: „Gerade an der Schriftlichkeit des Kanons, an seinem Charakter als scriptura sacra, hängt seine Selbständigkeit und Unabhängigkeit und also seine freie Macht gegenüber der Kirche“ (107). Daher (allein) kann die Schrift sich „gerade durch ihre Schriftlichkeit als ,Bibel‘ von dem bloß geistig-mündlichen Leben der kirchlichen Tradition unterscheiden“ (108). Liest man im selben Duktus den richtigen Satz über die Überlegenheit, ja konstitutive Bedeutung der Bibel für die heutige Verkündigung und deren Begründung auf die Heilige Schrift und ihre Bindung an sie, also über „die grundsätzliche Auszeichnung des geschriebenen Propheten- und Apostelwortes vor allem in der Kirche später gesprochenen und heute zu sprechenden sonstigen Menschenwort“ (105, Hervorh. J.R.), so stellt sich einem die Frage, ob Barth die sprachliche Kontinuität in dieser Wortgeschichte, die gerade in der Schriftlichkeit als Bedingung der Möglichkeit situationsenthobener Reproduktion und Wiederholbarkeit begründet ist, nicht vernachlässigt. Die Textwerdung als eine „ein für allemal“ sichert doch eben (als „fester Buchstabe“) die Identität auch des Inhaltes und die Möglichkeit seiner identischen Vergegenwärtigung. Das ist mehr und anders als Barths „Erinnerung“ an eine geschehene Offenbarung Gottes (dazu s. u.). Bei aller Vorordnung ist und bleibt das geschriebenen Propheten- und Apostelwort doch (inhaltliches) Wort, das sich im heutigen Menschenwort als solches wiederholen und als es selber sagen lässt. Auch in einer anderen Hinsicht ließe sich das über Barth hinaus akzentuieren. Zu Recht wird vom normativen apostolischen Wort gesagt, „daß es schriftliches Wort, daß es Text sein muß, um wirklicher vom Leben der Kirche selbst sich unterscheidender Kanon zu sein …“ (109), gleichwohl lässt sich hier über dies Formelle hinaus etwas über das Verhältnis von „Wort“ und „Leben“ der Kirche ausmachen. Denn bei dieser Unterscheidung ist doch gerade vorausgesetzt, dass das Leben der Kirche ganz von dem ihm (ihr) gegenübertretenden Wort bestimmt und belebt ist. Eben weil dieser (als Grund transzendente) Grund ihr immanent ist, ist die Kirche nur kraft des ihn vergegenwärtigenden Wortes, ist sie selber nichts als creatura verbi. In diesem Sinn ist das ihr vorgegebene Schriftwort der in ihr wirksame Grund ihrer. So „lebt“ die Kirche der Gläubigen „aus dem Wort Gottes“ (Mt 4, 4), und dies, weil es beim sprachlichen Wort vom Formalen nicht zu trennen ist, immer auch inhaltlich. Barth selber scheint diese Spur kurz zu berühren, wo er von seinem
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„exegetischen“ Verfahren bezüglich des Status der kanonischen Schrift redet (102, 110). Weil auf die Vorgegebenheit des Kanons immer nur zurück zu kommen ist, hat in diesem Text Barths die „Erinnerung“ an die schon geschehene Offenbarung als eine an die Propheten und die Apostel ergangene Offenbarung (passim) verweisen alle diese Äußerungen weiter an den 3. Abschnitt über die Offenbarungs-Gestalt des Wortes Gottes eine unübersehbare Dominanz (101 u. ö.; cf. schon 94)90. Die Kirche „erinnert“ sich in der Schrift als dem Anderen ihrer selbst ihres Grundes und ihrer Herkunft (in geschehener Offenbarung). Das bedeutet, sie taucht mit dieser Erinnerung gerade nicht „in eine verborgene Tiefe ihrer eigenen Existenz“ bloß als solcher (103) oder in „einen ihr selbst zeitlos eigenen Wesensgrund“ (ebd.) zurück. Das äußere Faktum der vorgegebenen Hl. Schrift ist daher „der Riegel, der der platonischen Anamnese hier faktisch vorgeschoben ist“ (103, cf. auch 101 f.)91. Im „erinnernden“ Bezug auf die schriftlich fixierte vormalige Offenbarung an die Propheten und Apostel, wie Barth ihn hier als Wahrnehmung des Grund-Bezugs der Kirche formuliert, ist also gerade die „reine Immanenz“ Gottes (103) zu einer dialektisch von der Transzendenz her bestimmten (und auf sie hin geöffneten) Immanenz korrigiert. Freilich ist nun auch festzuhalten, dass die Hl. Schrift nur darum für alle folgende Verkündigung kanonisch ist, weil sie selber verschriftlichte Verkündigung ist: als „Niederschlag einst geschehener Verkündigung durch Menschenmund“ (104). Durch diese „Ähnlichkeit“ zwischen jetzt schriftlich vorliegender, normativer und heutiger Verkündigung (cf. 103) sind Barths Ausführungen in diesem Abschnitt ebenso systematisch zurückzubeziehen auf die des Vorhergehenden es gibt eine Kontinuität der Verkündigungsgeschichte –, wie sie zugleich vorausweisen auf die des Folgenden über die Offenbarung. Die zweite „Gestalt“ des Wortes Gottes hat die erste in sich wie 90 Heißt es bei Barth zu Anfang des Abschnittes: „Wir reden – hoffend, was man nicht sehen [sc. kann], was wir nicht als gegenwärtig voraussetzen können – von einer verwirklichten Verkündigung …“ (101), so stutzt man bereits bei dieser Bestreitung der Gegenwärtigkeit. Hat denn die Erinnerung – „Wir reden also in Erinnerung“ (ebd.): nur? – nicht gerade den Sinn von Vergegenwärtigung? Muss Verkündigung als solche nicht gerade das, was sie verkündigt bzw. wovon sie Verkündigung ist, selber als gegenwärtig voraussetzen, um überhaupt wirklich Verkündigung zu sein? Wird hier also nur in ganz untergeordneter Bedeutung von „voraussetzen“ (etwa im Sinne von: als fraglos vorhanden und umstandslos verfügbar o. ä. annehmen) geredet? Ohne dass die Verkündigung selber die Voraussetzung macht, dass Gott sich wesentlich in ihr vergegenwärtigt, kann sie jedenfalls gar nicht Verkündigung sein. Aber Barth lässt eben Offenbarung zwischen Erinnerung (an schon geschehene Offenbarung) und Erwartung (als noch verheißener Offenbarung) ausgespannt sein, um die unverfügbare Freiheit Gottes gegenüber jeder Gegenwart behaupten zu können. 91 Zu einer anderen Fassung der christlichen Wahrheit in Abstoßung des platonischen AnamnesisDenkens (ohne direkte Beziehung auf die Schrift) cf. S.Kierkegaard, Philosophische Brocken (1844).
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umgekehrt diese an jener ausgerichtet bleibt –, und erste und zweite sind auf die dritte Gestalt, das offenbarte Wort bezogen, um zu sein, was sie sind. Anfang und Fortsetzung der Verkündigungs-Sukzession in der Kirche gründen gleichermaßen in der Offenbarung. Deren Ereignis ist es auch, was die Verkündigungsgeschichte je und je bestimmt, indem sie die Kanonizität der Schrift durch sich selber durchsetzt, und diese kann nicht etwa durch äußere menschlich-kirchliche Machtverhältnisse historisch erklärt werden: „Die Bibel macht sich selbst zum Kanon. Sie ist Kanon, weil sie sich als solcher der Kirche imponiert hat und immer wieder imponiert“ (100). Das theologische Recht, ja Zwingende dieser Grundaussage wird bei Barth nur dadurch und zwar prinzipiell beeinträchtigt, dass nicht reflektiert wird, dass dies Sich-Imponieren der Hl. Schrift eben durch die Wörtlichkeit ihrer Sprache, eben insofern sie bestimmtes Wort (Gottes) ist, geschieht – und d. h.: nicht durch eine hinzutretende Unmittelbarkeit göttlicher Aktuosität92, die man traditionell als Kraft des Geistes zum buchstäblichen Wort addierte93 –, die das Wort erst zum wahrhaften Gotteswort, nämlich zum „Selbstwort“ Gottes werden lässt94. Dass Barth eben dies annimmt und bei den zitierten Sätzen stillschweigend schon mit meint, wird die Analyse der letzten Seiten dieses Abschnittes (112 f.) gleich zeigen. Aber auch im Blick auf diese erste Partie des Abschnittes über die Gestalt des geschriebenen Wortes lässt sich resümieren: die theologisch wichtige Externität des vorgegebenen Kanons (cf. 104: „konkret von außen, in der ganzen Äußerlichkeit eben des konkreten Kanons“) entspricht bei Barth systematisch dem von außen her „Ereigniswerden des Redens Gottes selber im 92 Eben gerade wegen dieses zum bloßen Wort noch Hinzukommenden und es theologisch erst Qualifizierenden ist auch die Bibel für Barth (nur) „Verheißung künftiger göttlicher Offenbarung“ (110) und ist ständig die Rede von der „Erwartung kommender Offenbarung“ (101 u. ö.). 93 Insofern als Barth grundsätzlich diesem Modell verhaftet bleibt, fragt sich, ob er systematisch gesehen mit seiner Position so weit von der von ihm kritisierten, katholischen von K.Adam (cf. das Zitat 107) entfernt ist, wie er wohl meint. Wo dieser das „tote Wort“ der Bibel durch die „Vitalität“ der kirchlichen Tradition ergänzend überbieten möchte (a. a. O.), da überbietet Barth das bloße Menschenwort der Bibel (112) ergänzend durch die je nur aktuelle Wirklichkeit Gottes selber. 94 Heißt es noch in der Christlichen Dogmatik. „Das Wort Gottes ist das Wort Gottes, als solches von keinem Menschen auf die Lippen zu nehmen und nach zu buchstabieren, in grundsätzlicher Andersartigkeit allen Worten, die wir sprechen, gegenüberstehend …“ (62 f), so meint das: es ist als (göttlicher) Geist zum (menschlichen) Geist redend (ebd.). Auch in der KD bedarf es des Geistes, um im Menschenwort das Wort Gottes zu erkennen – das Wort „in, mitten und unter“ den Wörtern –, d. h. aber hier: das Gotteswort (als Gottes Selbstwort) vom ihm bloß dienenden, es bezeugenden und auf es nur verweisenden Menschenwort zu unterscheiden. Das wiederum bedeutet: Gottes Geist (im Leser und Hörer) schließt sich am sogenannten Menschenwort (in seinen „Gestalten“) vorbei, und insofern unmittelbar, mit Gottes „Selbstwort“ zusammen. Dieses Transzendieren des Menschenwortes heißt: darüber hinausgehend, sich von ihm weg verweisen lassen – hin zu Gottes eigenem und eigentlichen Wort, das für sich selber nicht mehr Menschenwort ist und nicht sein kann; das nenne ich unsprachlich vom Geist und vom Wort handeln, cf. u. S. 58.
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Menschenwort der Bibel“ (112), welches eben allein „Gottes und nicht unsere Sache“ ist (ebd.). D.h.: das unableitbar gesetzte „Faktum“ der Hl. Schrift (102, 103) entspricht bei Barth systematisch der von ihm postulierten, frei sich setzenden Wirklichkeit Gottes selbst (cf. 103: „es hat Gott gefallen …“). Barth resümiert: „Durch die Heilige Schrift ist die Kirche zu ihrer Verkündigung aufgerufen, ermächtigt und angeleitet“ (111/112), und eben so ist auch sie Wort Gottes. Damit wird die Bibel als „Subjekt ihrer Geschichte“ begriffen (cf. KD III/3, 229); freilich ist nicht aus dem Blick zu verlieren, dass sie ein solches „in der Tat führendes, lehrendes königliches Subjekt“ (ebd.) nur ist, insofern sie Teil gewinnt an der Subjektivität Gottes selber bzw. deren Manifestation wird: „eine Spur des weltbeherrschenden Gottes, von dem sie Kunde gibt. Sie nimmt verborgen … Anteil an seiner Königsherrschaft“ (a. a. O.)95. Weil und insofern sich an der Schrift das freie Subjektsein Gottes selber zur Geltung bringt, darum ist ihr Sein als „Gestalt“ des Wortes Gottes eben als „ein Ereignis und nur als ein Ereignis zu verstehen“ (112), und genau dies setzt sich bei ihrem Sich-Imponieren letztlich durch (ebd.; cf. 110 und dazu schon o.). Mit dieser Konstellation ist aber notwendig gegeben, dass das Menschenwort der Bibel nicht mehr sein kann als nur „Repräsentant“ des Wortes Gottes selber (112). Diese letzte Nicht-Identität von menschlichem Wort und Gottes „Selbstwort“ gilt damit auch für das Menschenwort des heutigen Predigers, das im Ereignis (eo ipso) „wirklicher“ Verkündigung das eigene Wort Gottes allererst werden soll (ebd.). In diesem Kontext verifiziert Barth ausdrücklich auch unsere Interpretation jener Spitzensätze über die Verkündigung (97 u. 95, dazu o. S. 46 f), die bei aller scheinbaren Identifikation doch einen letzten Vorbehalt nicht ausschließen, indem er hier darauf noch einmal anspielt: „Menschenwort, in dem Gottes eigenes Reden zu uns Ereignis ist“ (112). Wegen dieser bleibenden Distanz zwischen Gott und Wort im Ereigniswerden des Gotteswortes redet Barth offensichtlich von „Gestalt“. Eine solche sind Verkündigung und Bibel nur in der Weise, dass sie Menschenwort sind, das „Gottes Auftrag an uns hinter sich hat, … dem sich Gott zum Gegenstand gegeben hat, … das von Gott als gut anerkannt und angenommen ist“ (ebd., Hervorh. J.R.). Der Begriff der Gestalt relativiert das Sein der Bibel als Gottes eigenes Wort zu einem immer nur dazu Werden in Kraft hinzutretender göttlicher Wirksamkeit und Wirklichkeit: „Die Bibel wird also Gottes Wort in diesem Ereignis und auf ihr Sein in diesem Werden bezieht sich das Wörtlein „ist“ in dem Satz, daß die Bibel Gottes Wort ist“ (113, cf. 121!). „Sein“ soll offensichtlich als aktuelle Schöpfung gedacht und so als nicht-vorhandener bzw. nicht-dinglicher Nicht-Zustand gesichert werden in einer freilich unsprachlichen Alternative. Barths spezifischer Begriff von Gottes Freiheit verbietet ihm „von dem Handeln Gottes, kraft welches die Bibel sein Wort an uns je und je werden muß“ (113) zu abstrahieren. Nur indem Gottes Handeln 95 Cf. K.Hafstad, Wort und Geschichte. Das Geschichtsverständnis Karl Barths (1985), (BevTh 98).
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zum Wort hinzukommt so wie im außerreformatorischen Verständnis zum Wort der „Geist“ hinzutreten musste –, kann es unbeschadet, dass es Menschenwort ist Gottes Wort werden. Dieses Ereigniswerden „ist aber Gottes und nicht unsere Sache“ (112); nur so bleibt Gott das schlechthin autonome Subjekt auch seines Wortes als seines „Selbstwortes“96. Darum spielt die Rede von Gottes „Entscheidung“ (112), die aber ganz aktualistisch verstanden ist, und von Gottes „freiem Handeln“, wodurch er für das menschliche Wort in Bibel und Verkündigung „jetzt und hier für uns wahr sein läßt, daß das Menschenwort sein eigenes Wort ist“ (112), in diesem Schlusstext eine so große Rolle. Wegen dieses freien Werdenlassens durch Gott gilt aber: strenggenommen gibt es für Barth Gottes Wort gar nicht als Wort, sondern nur ein kontingentes, jeweilig sich (möglicherweise) aktualisierendes, instrumentelles Indienstnehmen der Menschensprache (der Bibel). Das Wort bleibt Gott selber äußerlich, ja fremd, damit es das Wort Gottes sein kann. Abschließend geht Barth auch noch auf das Verhältnis von Glaube und „Erlebnis“ ein, um den Glaubenssinn des Bezuges auf die Bibel als Gottes Wort sicherzustellen. Diese an sich sattsam bekannten (problematischen) Alternativen sind jetzt nur wegen ihrer worttheologischen Implikationen noch kurz zu diskutieren. Gewiss kann man den Satz von dem im biblischen Menschenwort Gott selbst reden hörenden Glauben: „Die Bibel ist Gottes Wort“ (112) so kommentieren: „ein Satz, den wir, indem wir ihn im Glauben wagen, wahr sein lassen, ganz abgesehen von unserem Glauben und über unseren Glauben hinaus …“ (ebd.), sofern dabei klar ist, dass „Glaube“ selber gar nicht anders bestimmt werden kann als ein solches „Absehen“ von sich (bloß als solchem) bzw. als ein „Hinaus über allen unseren Glauben“ (sofern er bloß „unserer“ überhaupt sein können sollte). Glaube ist doch und das lässt solche Sätze einer Schein-Rhetorik nahekommen nur von seiner Wahrheit her, was er als Glaube ist97. Als Innesein seiner Wahrheit, die ihm gerade im von ihm 96 Wenn Barth in diesem Zusammenhang sagt, die vorher erwähnte „Erinnerung“ an Gottes schon geschehene Offenbarung sei eigentlich ein erinnert Werden (sc. durch Gott; cf. 112) und daher eigentlich „ebenso Gottes Gnade und Gabe“ wie die (von Gott her) verwirklichte Verkündigung (ebd.), so muss man diese Gnade und Gabe doch wohl selber auch schon als Wort Gottes identifizieren. Das aber lässt sich konkret wiederum nur aus der sprachlichen und inhaltlichen Kontinuität des verbindlichen Wortes in Bibel und auf sie gegründeter Predigt verstehen. Barths schematische Unterscheidungen von „Erinnerung“ und „Erwartung“ wären damit theologisch bzw. worttheologisch überholt. 97 Das kommt prägnant in Luthers Erklärung zum 3.Artikel des Credo heraus (cf. auch o. Anm. 32): „Ich gläube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn, gläuben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelium berufen … erleuchtet, im rechten Glauben … erhalten …“ (BSLK 511 f). Der Glaube ist reflexiv, insofern er den Bezug auf seinen Grund („Jesus Christus, meinen Herrn“) wesentlich einschließt und als Glaube überhaupt nur ist („Ich gläube, daß ich nicht … gläuben kann“), indem er sich seiner selbst von ihm her (als im Wort des Evangeliums begegnend) und nur von ihm her ver-
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unterschiedenen Wort begegnet, ist der Glaube nichts anderes als ein sich von außerhalb seiner vergewissert Erfahren. Darum greift Barths anschließende Polemik gegen so etwas wie Erfahrung des Glaubens er spricht psychologisierend von „Erlebnis“ ins Leere: „nicht wahr sein lassen als eine Beschreibung unseres Erlebnisses mit der Bibel, sondern wahr sein lassen als eine Beschreibung des Handelns Gottes in der Bibel, welches auch die Erlebnisse seien, die wir dabei machen oder nicht machen …“ (112 f).
Daran ist schief die Generalisierung: „welches auch die Erlebnisse seien“, denn das Wesen des Glaubens, „der in dieser Weise über sich selbst und alle mit ihm verbundenen … Erlebnisse hinaussieht und hinausgreift auf das Handeln Gottes“ (113), macht doch gerade die ihm eigentümliche „Erfahrung“ bzw. sein konstitutives „Erlebnis“ von sich aus. Solche künstlichen Abgrenzungen mit ihren ebenso künstlichen Sprachregelungen entstehen nur, wenn man nicht radikal genug mit der Wort-Bezogenheit des Glaubens ernst macht, der vom Vernehmen des ihn ermöglichenden und begründenden Wortes her allein auch Erfahrung mit sich bzw. das Erlebnis seines Vergewissertwerdens ist. Barths gekünstelte Polemik (und überhaupt die Thematisierung dieser Frage nach „Glaube und Erlebnis“) spiegelt nur die Sprachvergessenheit seines Ansatzes bzw. die von ihm durchweg eingenommene Distanz zu der realen Thematik des Wortes. Zusatz. Signifikant für die Unterschätzung des Wortes als solchem ist die von Barth am Schluss dieses Abschnittes in einer kleingedruckten Passage noch kurz vorgetragene Kritik an der Lehre der lutherischen Orthodoxie (Quenstedt, Hollaz) von der „efficacia verbi divini etiam ante et extra usum“ (cf. 113 mit Zitaten). Wenn man sich auch Barths Zurückweisung der dort gebrauchten „hyperphysischen“ Begriffe, die aus einer Analogie und Gegenstellung zum Physischen stammen, wohl wird anschließen können, das eigentliche Anliegen und die theologische Berechtigung daran, die unaufgeblich sind, verkennt Barth gänzlich, wenn er jener Lehre allein darin recht geben will, dass „sie die Wahrheit des Glaubenssatzes, daß die Bibel und die Predigt Gottes Wort sind, in vollem Umfang als von der subjektiven Erfahrung unabhängig und ihr gegenüber überlegen … erweisen“ wollte. So sehr dies letzte allein Barths eigenes Anliegen kennzeichnet (s. o.), so wenig ist mit dieser Einräumung der Sinn der kritisierten Lehre getroffen! Diese hat nämlich mit welchen begrifflichen gewissert. Glaube ist als Glauben an seinen Grund gar nichts anderes als ein Sich-begründetWissen bzw. als das bei sich wirksam Sein-Lassen seines eigenen Grundes. Indem er dessen inne ist, dass er nicht aus dem Subjekt selbst („eigene Vernunft noch Kraft“) sein kann, was er ist, ist der Glaube so gerade als er selber nie primär sich selber thematisch, sondern nur im Zuge seines sich von außerhalb seiner her (d.h. im Wort) gegründet Erfahrens. Es gibt nicht erst Glauben, der dann zusätzlich auch Annahmen über seinen Grund hätte oder einschlösse, sondern Glauben gibt es nur so, dass er Sein von einem Grund seiner als seinem eigenen ist. Er ist bei sich (gewiss) nur außerhalb seiner (in seiner Wahrheit: „nos extra nos“), und genau das geschieht im Bezug auf das in begründende Wort. Cf. Barths Berufung auf Luthers „nie genug gewürdigte Erklärung des dritten Artikels“ (190 mit 189 f). Cf. auch u. bei Anm. 227.
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Mitteln auch immer den Status des göttlichen Wortes in Bibel und Predigt als Wort und darin als hinreichend bestimmt. Darum nämlich wehrte Quenstedt ein Verständnis der Bibel in ihrer Sprachlichkeit bloß als eines „instrumentum“ ab, das „novo motu … ad effectum novum ultra propriam suam naturalem virtutem“ erst zu bringen bedürftig sei (cf. a. a. O.; Theol. did. polem. (1685), I. cap, 4. sect., 2 qu. 16, ekth. 7). Eben das Wort als Wort schon ist „medium“, dem „summa vis et efficacia“ an ihm selber zukommt (cf. ebd.). Hier wird offensichtlich ein genuin sprachliches Verständnis der Worthaftigkeit des Bibel- und Predigtwortes gegen ein außersprachlich-instrumentelles aufgeboten. Dieser Konflikt wurde von Luther und den Reformatoren unter dem Titel des Verhältnisses von „Wort und Geist“ derart ausgetragen und aufgelöst, dass das Wort gerade als solches an ihm selber (schon) Geist ist, und dieser nicht als zusätzliche „Kraft“ hinzutreten müsse: sprachliches Geistverständnis und geisthafter Wortbegriff gehörten dort zusammen98. Darum ist Barths eigene Position von Hollaz’ Kritik selber schon mitbetroffen, wenn dieser erklärt hat, das Wort Gottes sei keine „actio“ d. h. im Falle der KD eine je und je aktuelle Bewahrheitung durch Gottes „Selbstwort“ –, sondern eine „vis“ (oder „potentia“), jedenfalls als mit dem Wort selber schon als „vera et realis“ einzuschätzen (cf. a. a. O.). Eben weil der Geist reformatorisch gesprochen nicht etwas dem Wort, das er erst zur eigentlichen Wirklichkeit bringt, gegenüber äußerlich Anderes ist, sondern das Wort selber als „vis“, darum muss auf Barths rhetorische Frage: „Aber ist Gottes Wort so da?“ (a. a. O.) betont geantwortet werden: eben so ist es da,, nämlich wirklich als Wort! Wie schief steht dazu Barths Zusatzfrage: „Wenn es wirklich Wort ist?“ (ebd.)! Dass er grundsätzlich und aus systematischen Gründen die orthodoxe Lehre verwirft, enthüllt die interessierte folgende Frage: „Und wenn es das Wort des Gottes ist, der Person ist?“ (ebd.). Das ist von seiner eigenen Position her im Namen des actus purus, d. h. der Gnade als „Ereignis personaler Zuwendung, nicht übertragener dinghafter Zustand“ (41, cf. 100), formuliert und entsprechend unsprachlich gedacht. Auf dem Hintergrund dieser angedeuteten sprachtheoretischen Rekonstruktion der orthodoxen Bestimmungen wird auch die Grenzlehre vom „extra usum“ präzisierbar. Sie bestreitet nicht das Faktum, dass das Wort nur als gehörtes oder als gelesenes erst lebendiges Wort ist, sie hält aber das Grundsätzliche zu Recht fest, dass es als Wort (wie die Sprache überhaupt, die eben kein verfügbares Instrument ist) nicht vom gläubigen Vernehmen überhaupt erst hervorgebracht, dass es vielmehr darin nur vernommen, d. h. empfangen wird. Barth lässt demgegenüber aber systematisch durchaus äquivalent den usus ganz von einer je und je einfallenden göttlichen Zusatzaktivität bestimmt und so das Wort erst wirklich werden. Weil das durch die lutherische Lehre von der efficacia verbi divini als einer „vis“ des Wortes selber ausgeschlossen wird, muss Barth sie aus systematischen Gründen ablehnen, bzw. hier hat seine Kritik ihrer problematischen Begrifflichkeit ihren eigentlichen Grund. 98 Cf. o. Anm. 94.
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3. Das Wort Gottes als offenbartes Wort Barths einleitende Verhältnisbestimmung dieser dritten Gestalt des Wortes Gottes stellt das systematische Verständnis zunächst vor erhebliche Probleme. Da die Bibel nicht umstandslos „Gottes geschehene Offenbarung“ ist99 wird das Verhältnis so bestimmt: „Sondern die als Gottes Wort zu uns redende und von uns gehörte Bibel bezeugt die geschehene Offenbarung“ (114)100. Da die Bibel (nach Abschnitt 2.) nur eine „Gestalt“ des Wortes Gottes ist, muss man die Wendung „die als Gottes Wort … redende Bibel“ im Sinne von „das Wort Gottes in seiner Gestalt als Bibel“ lesen. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob man sagen kann, die Bibel „bezeuge“ nur die Offenbarung (dazu s. u.), wäre damit zum einen ausgesagt, eine Gestalt des Wortes Gottes (die Bibel) bezeuge (als ein bloßes „Mittel“, ebd.) eine andere (sc. die Offenbarung). Zum andern enthielte der Satz die Aussage: das Wort Gottes (in Gestalt der Bibel) bezeugt (nur) und ist nicht das Wort Gottes (der Offenbarung). Das aber hieße, das Wort Gottes selber ist auch nicht es selber, sondern nur bezeugender Hinweis auf es. Dieser Aporie entgeht man nur mit Hilfe der zusätzlichen Annahme, dass Barth zwischen Wort Gottes und Offenbarung bzw. zwischen Offenbarung (selbst) und offenbartem Wort noch einmal (irgendwie) unterscheiden will. Das aber könnte nur so aussehen, dass das Wort Gottes selber auch nur eine „Gestalt“ von Offenbarung ist; nach dem Titel des Paragraphen sollte es sich aber genau umgekehrt verhalten! In die Richtung dieser Vermutung weist die gleich folgende Formulierung Barths: „ist sie [sc. die Bibel] Gottes geschehene Offenbarung in der Gestalt der Bezeugung“ (114); denn hier wird das biblische Wort Gottes als „Gestalt“ (der Bezeugung) der Offenbarung angesprochen. Wiederum würde gelten: eine Gestalt des Wortes Gottes bezeugt die Gestalt, die als Offenbarung selber Gestalt des Wortes Gottes sein soll. Dass die Bibel als Gottes Wort nur eine Gestalt der Offenbarung selber ist, scheint auch der an die eingangs zitierte Verhältnisbestimmung anschließende nächste Satz auszusagen: „Indem sie wirklich Offenbarung bezeugt, ist die Bibel … Gottes Wort“ (114)101. Dies besagt, was die Bibel angeht, im 99 Ebenso wenig ist für Barth auch die Verkündigung an sich selber „die erwartete künftige Offenbarung“ (114). 100 Hier folgt gleichfalls die parallele Aussage über die Verkündigung: „Die als Gottes Wort zu uns redende und von uns gehörte Verkündigung verheißt die künftige Offenbarung“ ( ebd.). Zur grundsätzlichen Problematik, ob die Bibel Offenbarung lediglich „bezeugen“ und die Verkündigung Offenbarung nur „verheißen“ könne – ohne es selbst auch zu sein –, s. weiter u. im Text. 101 Die Auslassung im Zitat betrifft wiederum die Parallele: „und indem sie wirklich Offenbarung verheißt, ist die Verkündigung (Gottes Wort)“ (ebd.). „Wirklich“ die Offenbarung verheißen und sie wirklich verheißen kann die Verkündigung, wie es entsprechend von der Bibel zu sagen ist, nur, wenn sie nicht nur sie selbst als Verkündigung, sondern eben Gottes Wort und d. h. mehr als sie selbst ist.
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Sinne jenes zuerst zitierten Satzes: sie „ist“ Wort Gottes, sofern und nur sofern sie die „als“ Gottes Wort zu uns redende ist. Dieses aber ist sie selbst, wenn auch im Modus des „Bezeugens“. Dazu steht nun in Spannung die erste Hälfte des Zitates: „Indem sie … Offenbarung bezeugt“ (Hervorh. J. R.), denn das soll heißen: ohne es selber zu sein. Barth hatte nämlich gleich eingangs festgestellt: „Die Bibel ist also nicht selbst und an sich Gottes geschehene Offenbarung …“ (114)102. Auch hier leuchtet dies als für ihn zwingend ein: gerade nur, wenn sie es selber nicht ist, kann sie „wirklich“ die Offenbarung bezeugen. Dabei ist freilich durchaus unklar, was die Bibel (und Verkündigung) „selbst und an sich“ sind. Nur so viel ist deutlich: was hier „selbst“ bedeutet, muss von Barths Begriff des Bezeugens aus weiter aufgeklärt werden (s. u.). Das deutet auch Barths bekräftigende Wiederholung an: „Nochmals: die Bibel ist nicht selbst und an sich Gottes geschehene Offenbarung, sondern indem sie Gottes Wort wird, bezeugt sie Gottes geschehene Offenbarung und ist sie Gottes geschehene Offenbarung in der Gestalt der Bezeugung“ (ebd.). Das Werden der Bibel zu Gottes Wort ist also identisch mit ihrem Wegweisen von sich und Hinweisen auf die Offenbarung im Modus des Zeugnisses von dieser. D.h.: als eine bloße Gestalt des Wortes Gottes setzt sie sich notwendig schon geschehene Offenbarung voraus und ist so selber („wird“) von dieser her die bloße Gestalt ihrer Bezeugung. Diese Figur des Sichvoraussetzens von Offenbarung gibt Anlass, hier schon eine eher grundsätzliche Erwägung einzuschalten, bevor wir dem Textduktus folgend den Begriff des „Bezeugens“ weiter verfolgen. Gegen das Barthsche Abstufungs- und Distanzierungsmodell ist nämlich einzuwenden, dass, weil Offenbarung schon in Anspruch zu nehmen ist, um sich auf sie beziehen zu können, nur in kraft gegenwärtig wirklicher Offenbarung (d. h. geschehender) an geschehene Offenbarung (als eine solche!) „erinnert“ und zur „Erwartung“ künftiger Offenbarung (als einer solchen!) aufgerufen werden kann. So kann die Bibel nicht wirklich (und wirksam) Offenbarung bezeugen, ohne es auch zu sein. Ist das grundsätzlich richtig, so folgt: Die Bibel muss in gewisser Weise „selbst und an sich“ Gottes geschehene Offenbarung sein und nicht bloß das „Mittel“ zu jener Erinnerung (114) –, und die Verkündigung muss ebenso die zu erwartende Offenbarung schon sein. Die Begründung für diese grundsätzliche Überlegung kann einmal vom Begriff der Offenbarung aus gegeben werden. Ein (erinnerndes oder Erwartung weckendes „Bezeugen“ als) Verweisen auf Offenbarung kann nur wirklich auf Offenbarung verweisen, wenn es selber schon an ihr teilhat, also selbst Offenbarung ist. Offenbarung schließt von sich aus die Möglichkeit eines äußeren, d. h. nicht-offenbarungshaften Zugangs zu ihr aus: Gottes Anrede als 102 Der Satz geht weiter: „wie ja auch die kirchliche Verkündigung nicht selbst und an sich die erwartete künftige Offenbarung ist“ (ebd.).
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eine Gottes muss immer auch gegenwärtige Anrede sein. Daher gilt: auch wo von Vergangenem (z. B. Wort und Geschichte Jesu) die Rede ist, wird dies nur als sich vergegenwärtigend wirklich Offenbarung. Offenbarung ist wesentlich und primär etwas Gegenwärtiges, und nur von ihrem gegenwärtigen Geschehen erschließt sie ihr schon Geschehensein auch als Offenbarung (und entsprechend für ihr verheißenes Geschehen). Diese Vorordnung schließt überhaupt nicht aus, dass es gegenwärtige Offenbarung selbst in einem wesentlichen Bezug zu einem vergangenen Geschehen von Offenbarung geben kann oder sogar muss; Offenbarung ist das Sich-selbst-Voraussetzende daher ist kein nicht selber als Offenbarung qualifizierter Verweis von außen auf sie möglich und d. h. sie ist Offenbarung von ihrer Gegenwart aus. Erst gegenwärtige Offenbarung qualifiziert auch ihre eigene Vergangenheit (und Zukunft) als auch schon Offenbarung (gewesene bzw. als auch noch künftige). Das hängt wiederum damit zusammen und das ist die andere Begründungsrichtung dieser Überlegungen –, dass Offenbarung nur im Wort von ihr, dem gegenwärtig in der Bibel gelesenen oder in der Verkündigung gehörten, wirklich Offenbarung ist. Als sprachlich-inhaltliche, d. h. wirklich worthafte, im Aussprechen und Aussagen bestimmte, ist Offenbarung allein Wort Gottes und so eben gegenwärtiges Wort. Das, wovon sie redet, und wie sie davon redet, wenn die Sprache der Bibel oder Verkündigung von Offenbarung redet, kann dieser Sprache nicht nur äußerlich sein, wenn anders sie wirklich davon spricht. Damit kommt wieder Barths Begriff des „Bezeugens“ in den Blick, der im interpretierten Text nun folgt. “Bezeugen heißt: in einer bestimmten Richtung über sich selbst hinaus und auf ein Anderes hinweisen“ (114)103. Gegen den Gebrauch, den Barth im Folgenden von dieser neutralen Definition im konkreten Kontext macht, ist wiederum einzuklagen, dass dieser Begriff nicht sprachlich vermittelt ist bzw. von Barth nicht auf die sprachlichen Realitäten bezogen wird. Denn „Bezeugen“ ist als Aussprechen oder Aussagen des Bezeugten noch etwas anderes, als Barth realisiert. In zwei Hinsichten fordert sein Verfahren zur Kritik heraus. Zum einen, „in einer bestimmten Richtung“ über sich hinaus zu weisen, ist hier nur sprachlich sinnvoll. Überhaupt ist das „über sich selbst hinaus und auf ein Anderes hinweisen“ im Falle sprachlicher Sachverhalte (wie Bibel und Verkündigung) natürlich nicht äußerlich vorzustellen, etwa so wie ein Wegweiser ein Zeichen ist, dem als materiellem Ding sein Zeigen und das, worauf er zeigt, ganz äußerlich bleiben. Schon in dieser Hinsicht ist die Sprache (und sprachliches Bezeugen) für sich mehr als ein (immer nur konventionelles) System von Zeichen104. Sprache ist als Hinweisen wesentlich selbst dabei, 103 Barth verknüpft diesen Begriff sofort mit der früher erörterten Terminologie: „der Dienst, der eben im Hinweis … besteht“ (ebd.). 104 Wenngleich die Sprache mit einem Zeichen auch etwas gemeinsam hat: „Seiendes, das seine Identität dadurch erreicht, daß es über sich hinausweist, ist ein Zeichen“ (J.Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel (1966), 139). Der spezifische Unterschied liegt im Wie des über sich
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indem sie gerade als sie selber (von sich selber her und mit sich selber) auf anderes zeigt, und insofern zeigt sie im Hinweisen auf ein Anderes notwendig immer auch auf sich selbst; sie ist kein an sich totes Substrat einer äußerlichen Zeichenfunktion. Sondern in sich bzw. an sich selber hat sie das Andere. Sprache ist selber die Gegenwart ihres Anderen an ihr selber. Von hier aus ergibt sich auch Berechtigung und Begrenzung dessen, was Barth über die Autorität der biblischen Zeugen sagt: „Warum und worin hat der biblische Zeuge Autorität? Eben darum und darin, daß er gar keine Autorität für sich selbst in Anspruch nimmt, daß sein Bezeugen darin aufgeht, jenes Andere selbst und durch sich Autorität sein zu lassen“ (115). Denn auch hier gilt: ein Anderes als „es selbst“ sein zu lassen, also im Bezug darauf sich davon zu unterscheiden, ist überhaupt nur in der Sprache, sprachlich möglich. Barths Abwehr einer „direkten“ Identifikation der Bibel mit dem Anderen der Offenbarung (115, s. dazu u.) greift daher viel zu kurz, so wenig sie einfach falsch ist. Zum anderen, Barths Ausführungen hier leiden an einer eigentümlichen Verschiebung der ganzen Fragestellung, weil er zur Erläuterung des Bezeugens bzw. des Zeugnis-Charakters von Schrift und Verkündigung das Phänomen der biblischen Zeugen diskutiert. Die Frage kann aber gar nicht auf das Verhältnis von Zeuge und Offenbarung gehen, so als könnte jener je diese selber sein wollen. Die Zeugen (Propheten und Apostel) sind gerade als solche nicht identisch mit ihrer Botschaft; ihr Zeugnis ist eben Zeugnis, weil es von ihnen selber als Subjekten des Bezeugens weg verweist. Die Frage nach dem Verhältnis von Zeugnis (als Bibel und Verkündigung) und Offenbarung ist demgegenüber eine ganz andere! Paulus (cf. Barths Bezug auf 1Kor 9, 16; 114) unterscheidet zwar das Evangelium von sich, aber nicht grundsätzlich von seiner Verkündigung des Evangeliums, bzw. er unterscheidet beides nicht so, dass das Evangelium nicht als seine Verkündigung davon da wäre. Von hier aus ist es verfehlt, das „Bezeugen“ als über sich hinaus Weisen der biblischen Zeugen zu fassen, wie Barth es tut: „dann müssen wir ihr Selbst… entscheidend unter dem Gesichtspunkt seiner Form105 als Hinweis hinweg von sich selbst verstehen“ (114)106. Auf Barths konkretes Thema bezogen, wird man aber von den biblischen Zeugen sagen müssen: die wirkliche „Form“ ihres Selbst als von sich weg Weisen auf ein Anderes, d. h. sofern sie Zeugen (besser: Bezeugende) sind, ist ihr Reden von dem Bezeugten, ihre Botschaft. In der Sprache der Bibel und Verkündigung hat insofern deren Zeugnis die Form, Hinausweisens. Generell gilt, dass die Sprache kein System von „Zeichen“ ist, weil sie in sich, durch innersprachliche Verweisungen, außer sich bzw. über sich hinausweisend ist. 105 Die dieser entsprechende „Materie“ (ihres Dienstes) soll das persönliche Selbst der Zeugen „in seiner inneren und äußeren Bedingtheit und Bewegtheit“ (114) bzw. „ihr tiefster innerer Besitz oder … Bedürfnis“ (114 f) sein. Eine analog die Sprachebene verfehlende Sicht, wie bei der o. erörterten Rede vom „Wollen und Vollbringen“ (cf. o. S. 48). 106 Das Bezeugen als „über sich selbst hinaus und auf ein Anderes hinweisen“ und diese „Form als Hinweis weg von sich selbst“ müssen logisch als Phänomene von (Selbst-)Entzweiung begriffen werden.
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um deren Verweisungscharakter bzw. um deren Verhältnis zur Offenbarung es hier eigentlich geht. Was Barth formuliert, um den instrumentellen Status der Zeugen zu bestimmen, von denen das Zeugnis geredet und geschrieben werden müsse, nämlich: „durch sich selbst jenes Andere“ (115), das trifft genau auf die Entäußerung zu, die die Sprache (der Zeugen) selber ist und realisiert; eine Entäußerung zwar, die an sich selber zugleich Rückkehr zu sich ist (s. o.), verwirklichtes sie-selbst-Sein im Sprechen von dem anderen (und zu Andern). Weil Barth vom persönlichen „Selbst“ der Zeugen, statt von ihrer Sprache selbst aus argumentiert, entsteht für ihn die falsche, unsprachliche Konkurrenz zwischen deren „Selbst“ und dem eigentlichen Selbst des „Anderen“: „so durch sich selbst, daß gerade nur und ausschließend das das … menschliche Organ von außen bedrängende und begrenzende Andere, das Bezeugte selbst dasjenige ist, was den Menschen zum Zeugen macht“ (115; Hervorh.J.R.). Das wirkliche Selbstsein des (bezeugten) Anderen schlechthin besteht also darin, das menschliche Selbst zu einem Zeugen (aktuell) zu machen, und dieses ist nur ein Selbst (als bezeugendes), insofern es „Organ“ jenes Anderen selbst ist. Man kann freilich die hier gemeinte Selbst-Vergegenwärtigung der Offenbarung am (menschlichen) Anderen besser als Selbstvergegenwärtigung in der Sprache denken, die aber, weil die Sprache selbst darin „besteht“, das ihr Andere an ihr selber sein zu lassen, eine Vergegenwärtigung als Sprache ist. Wegen dieser Konkurrenz um das wahre Selbst (bzw.: „Selbstwort“!) muss Barth sich gegen eine „direkte Identifikation“ (115) von Offenbarung und Bibel wenden. Insofern es überhaupt eine solche geben könne, so nicht als „von uns vorauszusetzende und vorweg zu nehmende“ (116; immerhin aber doch wohl als zu begreifende!), sondern sie findet nur „als Ereignis statt, wenn und wo das Bibelwort Gottes Wort wird und d. h. wenn und wo das Bibelwort als Zeugenwort in Funktion tritt“ (116). Direkt kann jene Identifikation demnach überhaupt nur als aktuell stattfindende eintreten: „Also: Im Ereignis des Wortes sind Offenbarung und Bibel in der Tat eines, und zwar wortwörtlich eines“ (ebd.). Durch das Hinzutreten der Offenbarung also wird die Bibel zu einer „Gestalt“ des Wortes Gottes, und als solches ereignet sich ihre Einheit „in der Tat“, nämlich Gottes. Weil es sich um eine bloß aktuelle Einheit handelt, redet Barth dann auch von „Einung“ (cf. 116). Hierbei ist für das theologische Verständnis aber der faktische Umstand, dass Worte aktuell wirklich sind, indem sie gesprochen, gehört oder gelesen werden, strikt zu unterscheiden von dem von Barth gemeinten Sichereignen von Offenbarung und Bibel als Wort Gottes. Nun bestimmt das letzte Zitat dieses aktuelle Einswerden immerhin als „wortwörtlich eines“ Sein. Ist damit nicht doch dem menschensprachlichen Status des göttlichen Wortes als wirklicher Rede (der Bibel) genüge getan? Kann, ja darf man mehr darüber sagen, als Barth es hier tut? Und ist seine Behauptung einer „wortwörtlichen“ Einheit nicht für eine echte Worttheologie hinreichend?
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So scheint es, nimmt man Barths Formulierung nur für sich. Sie wird aber von ihm sogleich wieder eingeschränkt (s. u.) und später sogar ausdrücklich in seinem Sinn präzisiert. Zwar heißt es auch an anderer Stelle nochmals: wir „haben … keinen Anlaß, den Begriff ,Wort Gottes‘ nicht vor allem wörtlich zu nehmen. ,Gottes Wort‘ heißt: Gott redet. ,Redet‘ ist nicht ein Symbol“, nämlich für einen sprachfremden Sachverhalt (137)107. Freilich bleibt hier doch über die zuzugebende faktische „menschliche Inadäquatheit, … Gebrochenheit, in der menschliche Sätze dem Wesen des Wortes Gottes allein entsprechen können“ (ebd.) weit hinausgehend die Differenz zwischen Gott selber und an sich (als Subjekt seines Redens; cf. Dei loquentis persona, 117, 141 u. 320) und seinem „Reden“ in der bloßen „Gestalt“ (bzw. den Gestalten) seines Wortes in Kraft. Die damit verbundene relativierende Korrektur der ausgesagten „Wortwörtlichkeit“ wird dann später unmissverständlich ausgesprochen: Weil Gott freies Subjekt ist, gilt: „Gerade in seinem Wort ist Gott Person. Das bedeutet konkret: Er ist der Herr der Wörtlichkeit seines Wortes. Er ist nicht an sie, sondern sie ist an ihn gebunden“ (143)108. Unter diesem eigentümlichen Vorbehalt nur kann Barth theologisch denken, dass Offenbarung und Bibel „wortwörtlich eines“ sind. So überrascht es nicht, sofort nach dieser Aussage erörtert zu finden, „daß und inwiefern sie auch immer nicht eines sind, inwiefern ihre Einung wirklich ein Ereignis ist“ (116). Nicht-identisch sind Offenbarung und Bibel nämlich als Menschenwort und als Gottes aktuelles Offenbaren, das das Ereignis (der Einung) zum Ereignis macht, die zweierlei sind und so auch different bleiben (cf. „auch immer“). „Hier Deus dixit, hier Paulus dixit. Das ist zweierlei“ (116). Wie kann das aber so diastatisch gelten, wenn Gott wirklich geredet hat und wenn sein Reden und das des Paulus schon als (inhaltliche) Rede eines sind? Redet denn Gott anders als in der menschlichen Sprache der Bibel? Als wirkliche Rede ist Gottes Wort das des Paulus, und Gott ist in dem, was Paulus sagt, selber zur Sprache gekommen. Anders versteht Barth es, wenn er nun auch wieder sagt, dass „es im Ereignis des Wortes Gottes nicht zweierlei ist, sondern eines wird“ (ebd.) eben weil es nicht „an sich eines ist“; aber was heißt hier „an sich“?! –, denn er meint eine „Einheit“ nur während des Ereignisses und nur als Aktivität Gottes am Wort. Daher sind die Menschenworte der Bibel nur „Träger“ des ewigen Wortes109, was „je und je wahr wird“ (119), indem sie nur „mit allem, was sie sagen, … diese Mitte meinen“ (120). 107 Dies wieder in Auseinandersetzung mit P.Tillich; cf. a. a. O. und Fn. 1 (ebd.). 108 Cf. zu diesem fragwürdigen Konzept G.Hunsinger, Jenseits von Literalität und Expressivität. Karl Barths hermeneutischer Realismus (EvTh 47 (1987), 151 – 165). Ein solches „Jenseits“ entspricht eher (theologischen) Wunschvorstellungen als konkretem Sprachdenken. 109 Müsste man entsprechend nicht auch Jesus Christus, statt als menschgewordenen Gott, dann nur als „Träger“ der Gottheit verstehen – im Sinne einer Prinzipchristologie, wie etwa Tillich von Jesus als „Träger des Neuen Seins“ redet (STh II, 132; er kann auch sagen, das neue Sein
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Offen bleibt, wie sich solches bloße „Meinen“ zu ihrem tatsächlichen Sagen verhält110. Jenes „Eines werden“ (116) ist von Barth also gerade nicht sprachlich gedacht111. Von einer wortwörtlichen Einheit im wörtlichen Sinn redet dagegen die von Barth selber (116) beigezogene Lutherpredigt (WA 52, 50; 1544). Luther zitiert (verkürzt) Lk 2, 10 f., und wenn er sagt: „Solches sind nicht menschen wort … Sonder dise predigt ist vom hymel herab geschollen, der selben sind wir … teylhafftig worden“ (a. a. O.), so ist entscheidend, dass es dabei eben um genau diese Worte mit ihrem spezifischen Inhalt geht. Darum, wegen der wortwörtlichen Einheit (in der Sprache), kann er fortfahren: „Denn es ist eben so vil, du hörest oder lesest dise predigt, als hettest du es vom Engel selb gehört!“ Und weiter im Blick auf die (die Engel nicht sehen könnenden) Hirten: „Die wort aber der Engel haben sie gehöret, die höret man noch in der predigt, man lisets noch im buch …“ (ebd.). Weil hier Gottes eigenes Wort so in die Menschensprache eingegangen ist, dass es weit entfernt, daran nur einen „Meinungsträger“ zu haben jetzt allein so da ist, als „klare, dürre, helle wort und text“ (WA 26, 404, 4 f), darum kann Barth sich für seine gebrochene Einheit von göttlicher Offenbarung und biblischem Wort gerade nicht auf diese Luther-Sätze berufen. Nun ist aber die ursprüngliche Offenbarung für Barth auch eine geschehene; es handelt sich nämlich bei ihr um ein geschichtliches Ereignis: den „endlich, als die Zeit erfüllt war, gekommenen Jesus Christus“ (116). Er als die ein für alle Mal geschehene Offenbarung ist nun „das eigene, buchstäblich und diesmal wirklich unmittelbar von Gott selbst gesprochene Wort“ (ebd.). Insofern er Inhalt der Schrift ist sogar ihre „unsichtbar-sichtbare Mitte“ (119) –, ist die Bibel „Zeugnis, Verkündigung und Predigt von Jesus Christus“ (110). Bei dem eben zitierten zentralen Satz über Christus als das „buchstäblich …
habe in einem personhaften Leben volle „Gestalt“ gewonnen, a. a. O. 131). Barth nennt hier die Offenbarung ein übergeordnetes „Prinzip“ (116). 110 Von diesem bloß Träger sein und Meinen her bestimmt sich die Bedeutung eines Satzes Barths wie: „Indem dann und so die Bibel selbst Offenbarung ist“ (126). 111 Der platonische Dualismus Augustins zwischen der veritas incommutabilis per se ipsam ineffabiliter, die allenfalls zum „Geist“ (mentibus) redet, und dem Sprechen per mutabilem creaturam (z. B. die physische Stimme) empfiehlt sich weder christlich als theologisches Vorbild, wie Barth wohl möchte (cf. 117), noch ist er von der Sprache her gedacht (De civ. Dei XVI 6, 1, MPL 41, 484). Ist nicht Barth christologisch bereits jenseits dieser Alternative, wenn er Jesus Christus, die erfüllte Zeit, als „das nur in sich selbst bewegte Sein“ (mitten im Strom des Werdens) denkt (cf. 119)? – Auch das platonisierende Bullinger-Zitat, das er anführt (117): „Literae, verba caro sunt, sententiae vero Dei“ (Comp. Rel. Christ. (1598), 5) scheidet, was der sprachliche Logos zusammengefügt hat, und steht in Spannung (schon verbal) zur Inkarnation. Die Calvin-Stelle schließlich – mit ihrem problematischen „als ob“ (acsi; Inst. I, 7,1) – gäbe umgekehrt einen besseren, der Erfahrung mit der Bibel näheren Sinn, nämlich so: „wenn sie feststellen, dass sie hier die lebendige Stimme Gottes selber vernommen haben, als ob sie vom Himmel herabgekommen sei“!
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von Gott selbst gesprochene Wort“ stellt sich freilich abgesehen von dem Umstand, dass hier „gesprochen“ etwas anderes heißen muss als sonst die Frage, inwiefern diese entscheidende Offenbarung noch eine „Gestalt“ des göttlichen Wortes sein kann, und d. h. neben den Gestalten von Schrift und Verkündigung (wenn auch nicht beziehungslos „neben“ ihnen, sondern sie vielmehr alle erst begründend)? Wenn Jesus Christus eine, sogar die maßgebende „Gestalt“ des göttlichen Wortes eigentlich sogar dieses selber! ist, dann sind offensichtlich Verkündigung und Schrift nicht auch Gestalten in derselben prägnanten Bedeutung des Ausdrucks „Gestalt“. Es wird sich nachher zeigen, dass Barth tatsächlich die Offenbarungs-Gestalt des Wortes Gottes anders versteht als die ersten beiden Gestalten. Bezüglich des zitierten Satzes ist aber noch etwas Anderes zu diskutieren. „Wirklich unmittelbar“ von Gott gesprochen zu sein, kann nicht heißen: unvermittelt. Denn ein so gewichtiges Zeugnis wie Hebr 1, 1 f. stellt Gottes Reden im Sohn ausdrücklich und konstitutiv in den Zusammenhang weit herkommenden göttlichen Redens zuvor (p²kai). In diese Geschichte göttlicher Rede gehört nun aber Jesus Christus als das Wort des Redenden schlechthin (Hebr 12, 25: t¹m kakoOmta) so hinein, daß er selber diese Rede weiter spricht (cf. Hebr 2, 3: kake?shai)112. Das bleibt hier bei Barth merkwürdig unterbelichtet. Zwar heißt es im Blick auf Christi Gekommensein: „Gott war mit uns, so real und vollständig, wie Gott das tut, was er tut; er war mit uns als unseresgleichen. Sein Wort ward Fleisch von unserem Fleisch, Blut von unserem Blut …“ (118); aber warum wird nicht fortgesetzt: „Wort von unserem Wort“?! Es ist auch uneigentlich geredet, wenn es etwas später heißt: „Es ist Jesus Christus selbst, der da für sich selbst spricht und keines Zeugen bedarf als eben seines Heiligen Geistes …“ (123)113. Diese Beobachtungen gewinnen ihr Gewicht von der Tendenz Barths, das Geschehensein „des Wortes“ selber wiederum eher unsprachlich zu fassen. Denn nur deswegen unterscheidet er abstufend das „Geschehen selbst“ noch „von dem besten, getreuesten Bericht darüber“ (116, sc. in der Bibel). Es ist jedoch viel eher plausibel, dass der „Bericht“ selber muss Wort Gottes sein können, um das Geschehen, worüber er berichtet, auf das er hinweist und das er bezeugt, als Offenbarung zu bestimmen. D.h.: das „Geschehen selbst“ und der „Bericht darüber“ können wegen der Einheit des Wortes Gottes mit sich nicht so voneinander abgehoben werden wie Barth es tut114. Theologisch ist die Rede der Bibel unterbestimmt, wird sie auf „menschliche Versuche, dieses Wort Gottes … in menschlichen Gedanken und Worten zu wiederholen und 112 Man kann das fleischgewordene Wort, Jesus Christus, also als „Wort“, d. h. als worthaftes Ereignis, nur begreifen im Zusammenhang einer Geschichte göttlichen Redens, wie Hebr 1,1 f sie aufruft. 113 Entsprechend: „Wer Offenbarung sagt, sagt: ,Das Wort ward Fleisch‘“ (122) bzw. „,und wohnte unter uns‘“ (ebd.); Barth sagt aber nicht: „und wurde Menschenwort“! 114 Cf. die andere Art, wie Luther die Geschichten der Evangelien als gegenwärtige Anrede auffaßt; z. B. WA 10/I, 1, 13,19 – 22.
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wiederzugeben“ reduziert (cf. 116). Es ist eben nur scheinbar unwidersprechlich richtig, wenn man so trennt: „Hier Deus dixit, hier Paulus dixit“ (ebd.). Dieser Hiatus zwischen Geschehensein und bloß menschlichem Bericht darüber reflektiert sich auch im Verhältnis der Zeugen zum „Deus dixit“: Was die Propheten und Apostel zu Zeugen macht die sich nicht selbst eingesetzt haben und es keinen Augenblick „an sich“ sind –, „das ist das von ihrer Existenz verschiedene Geschehensein der Offenbarung Gottes selber, „das Geschehensein …:Deus dixit“ (118). Wenn das Geschehen (wirklich) auch ein Reden Gottes war, dann kann es aber nachdem die Zeugen dadurch zu Zeugen gemacht worden sind von ihrer Existenz als redend-bezeugender gar nicht verschieden bleiben. Sagt Barth selber über das Geschehensein, daß es „jeder Mensch … hören kann und muß“ (119), so schließt das ein, dass es auch ausgesprochen (bzw. geschrieben) an ihn muss gelangen können. Auf den letzten Seiten dieses Abschnittes kommt Barth auf das systematische Verhältnis von Wort Gottes und Offenbarung ausdrücklich zu sprechen. „Die Offenbarung ist nach allem Gesagten ursprünglich und unmittelbar, was die Bibel und die Verkündigung abgeleitet und mittelbar sind: ,Gottes Wort‘“ (120)115. Man wird sagen dürfen: sie ist das eigentliche Wort Gottes. Barth selber erläutert von dieser Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit des göttlichen Wortes in seiner Eigentlichkeit aus noch einmal das „Je und Je“, das zum Gottes-Wort-Werden bei Bibel und Verkündigung gehört; diese Bestimmung des aktuell und unverfügbar Geschehenden entspricht der „Freiheit der Gnade Gottes“, d. h. dem Ubi et quando visum est Deo (120). Bibel und Verkündigung sind etwas, dessen Gott sich „kraft göttlicher Entscheidung“ nur jeweils „bedient“ (ebd.; cf. 121 u. ö. ). Ganz anders die Offenbarung selbst; sie ist eigentlich Gottes Wort, weil sie und nur sie der „göttliche Akt selbst und als solcher“ ist (ebd.): „Die Offenbarung ist aber selber nichts anderes als die Freiheit der Gnade Gottes …“ (120). Damit ist sie die „Voraussetzung und der Vorbehalt“ (ebd., Hervorh. J.R.) für eine theologische Qualifikation von Bibel und Verkündigung; erst in Kraft ihrer sind diese so etwas wie „Gestalt“ des Wortes Gottes. Barth kann entsprechend auch die Offenbarung die (selber unbedingte) Bedingung für die „Wirklichkeit“ des Wortes Gottes als Grund aller möglichen Selbstverwirklichungen nennen (121)116. Damit aber sind im Ereignis der Offenbarung Verkündigung und Bibel zu Momenten ihrer Selbstverwirklichung herabgesetzt: sie sind darin „aufgehoben“ (cf. 120 f.)117. Aus Barths kurzen Erläuterungen 115 Auch hier fragt man sich, wieso die Offenbarung dann noch „Gestalt“ im Sinn des abgeleiteten Status von Bibel und Verkündigung sein kann. 116 Mit der „Wirklichkeit“ des Wortes Gottes ist nur sein Ereignischarakter ausgesagt, nicht aber schon, dass es dies auch im eigentlichen Sinne als Wort ist. 117 Natürlich übernimmt Barth diesen Begriff von Aufhebung im dreifachen Sinn von elevare, negare und conservare faktisch von Hegel (cf. Phänomenologie des Geistes (Hoffmeister, 19526), 90; Wissenschaft der Logik I (Werke in zwanzig Bänden; 5, 113 ff) u. II (Werke; 6, 561). Es überrascht, mit welcher Unbefangenheit Barth, der Hegel nicht nennt, sich dieser dialek-
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dieser Aufhebungsfigur lassen sich daher Bestimmungen seines Begriffes von „Gestalt“ entnehmen (cf. 121). Danach wird das Wort Gottes in seinen Gestalten (d. h. zumindest den ersten beiden): 1. sichtbar und kenntlich gemacht, 2. relativiert und begrenzt und 3. (als solches) gesichert118. Im Zuge dieser Aufhebungsdynamik ist das eigentümliche, schon mehrfach berührte „Sein im Werden“ bei Barth endgültig zu verstehen. Denn erst und grundlegend von dem „Ereignis“ der Offenbarung her gilt, dass Verkündigung und Schrift „Gottes Wort sind, indem sie je und je Gottes Wort werden“ (121; cf. 113, o. zit.). Daher ist von der Offenbarung selber gerade das Umgekehrte zu sagen: „sie wird Wort Gottes, nämlich in der Bibel und in der Verkündigung, indem sie es in sich selber ist“ (121). Im Falle der Schrift und der Predigt macht ihr je und je zu Gottes Wort Werden es aus, dass sie eben „Gestalten“ dieses Gotteswortes sind; es tritt in sie ein, um sie erst dazu zu machen. Zu Barths zitierter Aussage, die Offenbarung werde Wort Gottes (sc. in Bibel und Verkündigung), lassen sich aber zwei kritische Anfragen nicht unterdrücken. Nämlich erstens scheint damit gesagt, Offenbarung wird erst dasjenige, dessen „Gestalt“ sie doch selber sein soll (laut Titel des Paragraphen und auch sonst weithin passim). Nimmt man den Zusatz „indem sie es in sich selber ist“ hinzu, ergibt sich: sie ist auch schon, was sie doch erst werden soll: Gestalt des Wortes Gottes. (Oder muss man annehmen, Barth habe hier seinen GestaltBegriff ganz aus den Augen verloren?) Jedenfalls ist deutlich: Offenbarung als Wort Gottes ist nicht einfach eine andere Gestalt davon (wie die erste und zweite es sind), sondern (wenn überhaupt „Gestalt“, s. u.) eine als Gestalt andere Gestalt. Zweitens bleibt undeutlich, ob die Offenbarung tatsächlich Wort Gottes als Wort wird. Barths Präzisierung: „nämlich in der Bibel und in der Verkündigung“ (a. a. O.) scheint das nahezulegen; aber diese sind schon (bzw. nur erst) „Gestalten“ des Wortes Gottes. Der fragliche Satz besagt ja: Offenbarung wird Wort Gottes (erst) in dessen Gestalten (sc. Bibel und Verkündigung), wird zum Wort, und daher kann sie in sich selber nicht schon (sprachliche) Gestalt des Wortes Gottes sein, sondern muss anders, d. h. bezogen auf die Sprachgestalten von Schrift und Predigt, außersprachlich „Wort Gottes“ sein. Nun heißt es scheinbar doch in andere Richtung weisend, „Offenbarung“ bezeichne „das Wort Gottes selbst im Akt seines zeitlichen Gesprochenwertischen Gedankenfigur hier und sonst bedient (cf. KD I/2, 304, 357 u. ö. sowie E.Thaidigsmann, Aufhebung. Eine theologische Kategorie des frühen Barth, EvTh 43 (1983), 328 – 349), ohne sich um die systematischen Implikationen zu kümmern, die sie bei Hegel hat, insbes. die Logik der „bestimmten Negation“ (cf. Phänomenologie, a. a. O. 49, 68 f u. 74; Wissenschaft der Logik I (a. a. O. 5, 49, 113 f) u. II (a. a. O. 6, 561 f u. ö.) und das Konzept einer sich selbst machenden Totalität; das aber dürfte kaum so unproblematisch möglich sein. Übrigens spiegelt die Abfolge der Abschnitte 1. – 3. dieses Paragraphen 4 bei Barth eben diesen Vorgang der Aufhebung von Verkündigung und Bibel in ihre eigentliche „Wirklichkeit“ hinein (121) selber wider. 118 Barth spricht davon, dass durch das Ereignis der Offenbarung der Verkündigung und der Bibel „die Bestätigung und Bewährung, die Erfüllung“ zukommen (121.
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dens“ (122). Dieser Schein löst sich indessen auf, sieht man, dass „zeitlich“ hier in Abhebung vom gleich darauf erwähnten „ewigen Wort Gottes“ (als dem Höheren) soviel bedeutet wie: in die Zeit hinein (gesprochen, d. h. gekommen) und für sie. Mit dem „zeitlichen Gesprochenwerden“ ist also primär überhaupt nicht wirkliches Sprechen als zeithafter Vorgang gemeint. Der Ton bei der Formulierung „im Akt seines … Gesprochenwerdens“ liegt denn auch gänzlich auf dem Wort „Akt“, d. h. dem Dass des Ereignisses als solchem (cf. 120 den „göttlichen Akt selbst und als solchen“)119, denn diese eigentliche Wirklichkeit der Offenbarung wird von Barth abgehoben von „geschrieben“- und „verkündigt“-Sein als der „zweifachen konkreten Beziehung, in der das Wort Gottes zu uns gesprochen wird“ (121 f), d. h. selber echt sprachlich da ist. Offenbarung ist im Unterschied dazu das aktuelle Dass des Sichereignens des Wortes Gottes, d. h. sein Hervortreten in der Zeit als ein „Gesprochenwerden“ zur Zeitlichkeit. In diesem Sinn (eines göttlichen Aktes auf die Zeit hin bzw. in die Zeit hinein) gibt es für das Zeugnis in Bibel und Verkündigung keine andere Begründung „als die, die Gott selber ein für alle Mal gegeben hat, indem er gesprochen hat“ (123). Heißt das aber für Barth, dass er wirklich im eigentlichen Sinne „gesprochen“ hat? Von der Offenbarung hieß es: „Sie ist selber das Wort Gottes, das Bibel und Verkündigung sind, indem sie es werden“ (121, Hervorh. J.R.). Die Frage ist, ob sie auch in diesem ihren eigensten „sie-selber-Sein“ als Wort ist. Das ist eher unwahrscheinlich, berücksichtigt man die Erklärung Barths, dass in der Formel „offenbartes Wort Gottes“ die Bestimmung „offenbart“ nicht ins Prädikat gehört120, „sondern … nichts als eine Umschreibung, eine zweite Bezeichnung des Subjektes selber“ ist (121). Damit ist deutlich gesagt, dass „Wort“ als Wort Gottes nicht vom Wort (und der Sprache) her, sondern exklusiv von seinem Subjekt her zu fassen ist. Darum ist die Offenbarung in Jesus Christus, dem „Gott mit uns“ (123)121, „dieses Absolute“ (ebd.), auf das alles zuläuft und von dem alles herkommt122. Ihre Wahrheit (bzw. seine) steht für uns wiederum unter dem Vorbehalt des ubi et quando … (123): „Das ist wahr … wo es wahr ist, d. h. … wo und wann es 119 Muss „alles Offenbarsein als Offenbarwerden“ gedacht werden, dann so als „bedingt eben durch den Akt der Offenbarung“ (122) – sei es den Akt des ein für alle Mal Geschehenen (ebd.), sei es durch dessen Aktualisierung beim Bezeugen in Bibel und Verkündigung ; dabei heißt „bedingt“ mehr als veranlasst oder verursacht, nämlich: von ihm aktuell überformt, in ihn hinein „aufgehoben“. 120 Ausdrücklich im Unterschied zu dem „geschrieben“ und „verkündigt“ bei den ersten beiden Gestalten, die für Barth echte Prädikate und nur das sind (cf. a. a. O.). Zum Subjekt-PrädikatVerhältnis cf. schon 95 u.o. S. 46. Cf. auch 130; zit. o. Anm. 83. 121 Barth erinnert hier wieder – sie inhaltlich einholend – an seine anfänglichen Ausführungen über Dogmatik als notwendig „im Raum der Kirche“ arbeitende Disziplin (cf. 123). 122 Das Absolute ist, „was keinen Grund und keine Möglichkeit außer seiner selbst hat“ (123). Erkenntnis dieses Absoluten ist zu begründen nur als „Erkenntnis Gottes aus Gott, als Erkenntnis des Lichtes im Licht“ (cf. die Zitate von Coccejus und Irenäus: 1 u. 203; sowie Ps 36, 10b). Ist sie so aber noch sprachliche Erkenntnis?
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Gott durch sein Betätigen, Bewähren und Erfüllen des Bibel- und Prophetenwortes wahr werden läßt“ (ebd.) und das heißt, wenn die Sprache der Bibel und der Verkündigung wirklich spricht; also der Akt sich ereignet, der nicht Sprache ist, sondern die Sprache der Zeugen sprechen lässt. „Es ist also das an sich und in sich Wahre, was da für uns als Erinnerung und ebenso als Verheißung wahr wird …“ (ebd.). Damit ist nochmals ausgedrückt: die menschensprachliche Erinnerung der Bibel (an den ins Fleisch Gekommenen) und Verheißung der Predigt (als Hoffnung auf sein Wiederkommen in Herrlichkeit) überführt nicht als zu uns gesprochenes Menschenwort von seiner Wahrheit, sondern die Wahrheit selber muss noch bewahrheitend zur Wortsprache der Bibel und Predigt hinzukommen123. An sich selber ist deren menschliche Sprache (als Rede von Gott) nicht wahrheitsfähig, eben weil Gott ihr trotz der Fleischwerdung des Wortes! transzendent geblieben ist. Daran schließt direkt der letzte Satz Barths in diesem Abschnitt an, der sich endlich zur Frage nach der Gestalt äußert: „Dieses unabhängige und unüberbietbare Woher des zu uns kommenden Wortes Gottes meinen wir, wenn wir von seiner dritten sachlich wäre zu sagen von seiner ersten Gestalt reden, von seiner Gestalt als offenbartes Wort Gottes“ (124, cf. 308). Dieses „Woher“ als der Sachlogik nach die „erste“ Gestalt124 ist Jesus Christus selbst, der „für sich selbst spricht“ (123, sc. mit dem Zeugnis des Hl. Geistes). Erschien in den bisher erörterten Aussagen dieses 3. Abschnittes das Wort Gottes eher als selber eine „Gestalt“ von Offenbarung (z. B. gerade auch in der Gestalt Jesu Christi als des unmittelbar von Gott gesprochenen Wortes, cf. 116), so soll nun doch das Woher, also die Offenbarung, selber auch noch eine Gestalt sein. Es ist wohl an so etwas wie die schlechthin gestaltgebende Gestalt gedacht125. Das „Woher des zu uns kommenden Wortes“ ist Gestalt des Wortes freilich nur in dem Sinne, wie Jesus Christus selber „Wort“ ist (s. o.). Er aber (als „dieses Absolute“) ist als „offenbartes Wort Gottes“ vielmehr die Offenbarung selbst; er ist nur insofern Wort, als er nicht Prädikat, sondern die Wiederholung des Subjektes selber (121) der sich offenbarende Gott ist bzw. seine „Gestalt“126. Was die Sprachlichkeit dessen angeht, so bleibt es auch hier (zumindest) beim non liquet. 123 Schon 94 hieß es: wahr wird die Verkündigung nur durch ein zusätzliches „Urteil“ Gottes als ein „grundsätzliches Anderswoher“; s. o. S. 45. 124 Dass die darstellungstechnisch erste Gestalt zur der Sache nach dritten bzw. die als die letzte erörterte dritte zur in Wahrheit ersten wird, spiegelt die mit der Logik der „Aufhebung“ (120 f) gegebene Umkehrung von Anfang und Grund bzw. von Ausgangspunkt und Ziel. 125 Cf.: „Wohl ist die erste, die Offenbarung, die die beiden anderen begründende Gestalt“ (124), sowie auch: „daß das wirkliche vestigium trinitatis eben die in der Offenbarung von Gott angenommene Gestalt ist“ (359); gleichwohl berücksichtigt Barth (wie schon bemerkt) nicht die Sprache als solches „vestigium“. Zu den worttheologischen Folgen dieser Art von Begründungsrelation s. u. Abschnitt 4.1. 126 Freilich relativiert Barth auch das Gestaltsein dieser Gestalt jat’ 1nowgm noch einmal wieder: „Gott der Vater ist Gott, der immer, auch indem er im Sohn Gestalt annimmt, nicht Gestalt
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4. Das Wort Gottes als wesentliche Einheit Barth will, indem er von drei „Gestalten“ des Wortes Gottes gehandelt hat, „nicht von drei verschiedenen Worten Gottes … geredet“ haben (124)127. Darum thematisiert er zum Ende des § 4 die Einheit des Wortes Gottes als solche ausdrücklich noch einmal. Die entscheidende Frage ist, wie die Einheit selber zustande kommt bzw. gedacht ist und wie sie sich als Einheit darstellt. Es wurde deutlich, und wird hier abschließend von ihm nochmals kräftig herausgestellt, dass Barth sie sowohl als Begründungs- und Abhängigkeitsverhältnis der Gestalten untereinander mit eindeutigem Richtungsgefälle meint und insofern hat er selber schon die drei Gestalten „nie vereinzelt verstehen“ wollen (124) als auch sie von dem einen die Gestalten zum Wort Gottes (von außen) qualifizierenden göttlichen Akt her begreift. Daher sind die drei Gestalten in der Tat nicht drei verschiedene Wörter Gottes, aber dies nur so und das ist hier entscheidend –, dass sie gleichwohl nicht in eine Einheit (auch) als Redezusammenhang wirklich eingehen. Das eine Wort Gottes ist „immer nur in dieser dreifachen annimmt, Gott als der freie Grund und als die freie Kraft seines Gottseins im Sohne“ (342; Hervorh. J.R.). 127 Diese Abwehr „verschiedener Worte“ Gottes hat einen sachlichen Bezug zur I. These der Barmer Theologischen Erklärung (1934). Denn diese betont später entschieden die Einheit und Einzigkeit des Wortes Gottes. Dabei ist zunächst auf eine sprachliche Zweideutigkeit dieser These hinzuweisen. Dass Jesus Christus – „wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird“ (mit Berufung auf Joh 14, 6 u. 10, 1 u. 9) – „das eine Wort Gottes“ ist, ist im unlösbaren Zusammenhang mit den beiden Relativsätzen: „das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“, auch bei den theologisch ernst zu nehmenden Gegnern der Erklärung nie strittig gewesen. Fraglich war nur, ob „das eine Wort Gottes“ (für sich genommen) zu verstehen sei im Sinne von: das einzige „Wort“ Gottes (überhaupt). Die These verwirft als falsche Lehre, es gebe „neben diesem einen Worte Gottes“ (sc. Jesus Christus) auch noch andere Worte Gottes, die in Gestalt von „anderen Ereignissen und Mächten, Gestalten und Wahrheiten“ als Offenbarung anzuerkennen seien. Diese Opposition setzt systematisch die Alternative voraus: es kann entweder nur ein (einziges) Wort Gottes geben oder aber mehrere (verschiedene) „Wörter“. Diese Alternative ist aber unbiblisch und ganz unsprachlich. Schon Hebr 1, 1 f überbietet sie; denn da wird die einzigartige Besonderheit (Jesu) als Gottes letztgültiges Wort einbezogen in eine vorausgehende Geschichte göttlichen Redens, die im Wort des Sohnes zu ihrem definitiven Abschluss gelangt – wie manche Sätze ihre Eindeutigkeit erst vom letzten Wort her erhalten, zu dessen Verständnis alle vorausgehenden Wörter des Satzes gleichwohl (vorbereitend) beitragen. Gottes letztgültiges Wort im Sohn ist also nicht ein Wort neben (verschiedenen) anderen „Wörtern“; andererseits hat Gott auch nicht nur ein einziges Wort gesprochen, sondern das definitive Gotteswort ergeht im Zusammenhang einer göttlichen Redesequenz, die jenes sich voraussetzt, und als ihr Abschluss. Man könnte sagen, Gott spricht sich aus: in einem zusammenhängenden Satz. Diese Dialektik göttlichen Redens, das in der Zeit sich artikuliert, wie es in Ewigkeit nur eines ist, lässt die äußerliche Alternative: nur ein Wort oder verschiedene Wörter weit hinter sich. Zur Auslegung von Hebr 1, 1 f cf. J.R., Wort und Geschichte im Hebräerbrief; in: Arbeit am Gottesbegriff I (2004), 262 ff.
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Gestalt“ da (cf. ebd.), nämlich indem es diese jedesmal zu je einer Gestalt seiner, des Wortes Gottes, konstituiert128. Es ist „in“ den Gestalten, sofern es sich an ihnen verwirklicht. Heißt es bei Barth: „Gestalt ist offenbar immer die Gestalt eines Wesens“ (136), so ist eben dies „Wesen“ das die Einheit der Gestalten Stiftende. Barth denkt demnach die fragliche Einheit als eine nur „wesentliche“ Einheit129. Die Behauptung: „Es besteht … kein Stufen- und Wertunterschied zwischen diesen drei Gestalten“ (124) ist nur insofern zutreffend, als diese (d. h. Schrift und Verkündigung) gleichermaßen durch den hinzutretenden göttlichen „Akt“ zum Wort Gottes werden können. Andererseits besteht aber doch so etwas wie ein Stufen-, ja auch Wertunterschied, als die erste und zweite Gestalt ins Ereignis der Offenbarung als deren (bloße) Momente hinein aufgehoben werden; denn als solche sind sie nach dem, was sie an sich selber sind, negiert: „relativiert, begrenzt“ (121; s. o.). Nur im Wort Gottes selber und für sich kann es „kein Mehr oder Weniger“ geben (124). Daher ist auch eine nur wesentliche Einheit gemeint, wenn es vom Wort Gottes heißt: „Es ist eines und dasselbe, ob wir es als Offenbarung, als Bibel oder als Verkündigung verstehen“ (ebd.). Denn diese Identität liegt allein im Wesen als solchem und ist 128 Barth kann auch sagen, der Begriff der Offenbarung sei für die Begriffe von hl.Schrift und kirchlicher Verkündigung konstitutiv (189). 129 Das entzieht Barth das Recht, sich für sein Verständnis von Einheit auf die natürlich auch in der lutherischen Orthodoxie gelehrte Einheit der Wortgestalten zu berufen, was er gleichwohl tut (cf. 127, kleingedruckt). Sagt J.Gerhard über die Einheit von Gottes Anrede an die biblischen Zeugen mit deren Zeugnis davon: „hae distinctiones non faciunt essentialem aliquam differentiam inter verbum Dei hominibus communicatum, sed tantum distinctos communicationis et revelationis modos exprimunt“ (Loci theol. (1610), Prooem. 18), so behauptet er zwar keine Wesensunterschiede zwischen den Gestalten – sondern gerade vielmehr die Einheit von revelatio und communicatio bei ihnen! –, aber eben auch nicht eine qualitative Differenz des Wesens gegen sie wie Barth. Offenbarung ist eine als „verbum Dei hominibus communicatum“! Ebenso bestreitet auch Hollaz eine wesentliche Andersheit der Gestalten untereinander, aber dies gerade wegen der Einheit des inhaltlich einigen Wortes Gottes als solcher: „Nec vero aliud est verbum Dei quod a Deo vel quod inspiratum viris Dei, quam quod in scriptura traditur, aut praedicatur, vel mente humana reconditur“ (Exam. Theol. acroam. (1707), III, 2. 1). Die explizite Einheit des göttlichen Wortes in Schrift und Predigt mit dem Wort Gottes selber ist hier unübersehbar. Typischerweise vermisst Barth dabei denn auch die „Dynamik“ des Verhältnisses der Gestalten untereinander (127). Eben diese Dynamik, „daß … zuerst die Bibel und zuallererst die Offenbarung wirklich Gottes Wort ist“ (128), haben wir o. als eine Bedrohung für eine echte Worttheologie zu verstehen gelernt. Nicht zufällig schließt Barth hier eine Kritik der orthodoxen Schriftlehre als „Inspiriertheitslehre“ an (cf. 127). Was immer man auch gegen die Inspirationstheorie einwenden muss, das von Barth gerügte „Einfrieren der Beziehung zwischen Schrift und Offenbarung“ (ebd.) aber war und ist insofern theologisch unaufhebbar, als sie die Heilsgewissheit vom festen, klaren Wort der Schrift und von hier allein herleitete. Von daher muss zunächst konstruktiv verstanden werden, was Barth – selber in der typisch neuzeitlichen Alternative zur anthropologischen Subjektivierung („Menschendienst“) befangen – als ein Festhalten an „starrer Objektivität“ denunziert (ebd., wenn auch mit dem Anliegen, die Verkündigung theologisch stark zu machen): nämlich das Insistieren der altorthodoxen Theologen auf der Verbalität des fleischgewordenen Logos.
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nur in kraft seiner, von ihm her auszusagen –, nicht aber in der konkreten sprachlichen Verfasstheit der drei Gestalten des Wortes Gottes, d. h. in dem inhaltlich bestimmten, unverwechselbaren Rede- und Sprachzusammenhang von Jesu Wort, Bibel und Verkündigung. Darum wiederholt Barth unübersehbar hier nochmals: „Indem kraft der Aktualität der Offenbarung Bibel und Verkündigung Wort Gottes werden, sind sie es auch“ (ebd.), und das besagt eindeutig: aber auch nur so und nur von jener (als ihrem Wesen) aus und gerade nicht sie selber in ihrer Wörtlichkeit. Das wirft ein problematisches Licht auf die Erklärung Barths: die Offenbarung begegne „uns nie und nirgends abstrakt“ und gerade sie kennten wir „nur indirekt“, d. h. in den Sprachgestalten von Schrift und Verkündigung (cf. ebd. u. 321). Denn durch diese Abgehobenheit als reine Transzendenz gerade wird Offenbarung abstrakt! Ihre aus prinzipiellen theologischen Gründen festgehaltene Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit (cf. 120) entnimmt sie für sich selber echter Sprachlichkeit: „Gerade das unmittelbare Wort Gottes begegnet uns nur in dieser doppelten Mittelbarkeit“ (ebd., Hervorh. J.R., cf. 190 u. 321); jene ist nur in Gestalt der biblischen Texte und des Verkündigungswortes konkret da. Sagt Barth reduktiv: „sofern die Bibel wirklich die Offenbarung bezeugt, ist sie nicht weniger Wort Gottes als die Offenbarung selber“ (ebd.; entsprechend im Satz davor über die Verkündigung), so ist dagegen zu halten: die Bibel ist es sogar mehr, weil sie jedenfalls wirkliches Wort ist; ebenso die Predigt130. Dass die drei Gestalten des Wortes Gottes „nie vereinzelt“ verstanden werden dürfen, tut Barth in einer Art begrifflicher „Engführung“ noch einmal konzentriert dar, indem er in einem Schematismus ihre gegenseitigen Relationen in abschließender Verdichtung formuliert (cf. 124). Dies ist kurz zu kommentieren. Vom „offenbarten“ Wort Gottes heißt es, dass wir es nur „aus“ dem wechselseitigen Bezug (bzw. ihrer Verwiesenheit aneinander) von Verkündigung und Schrift kennen. Aber „kennen“ tun wir es eben nur als die theologisch erschlossene Prämisse eines transzendent bleibenden göttlichen Aktes. Kennen „aus …“ besagt daher: im Überschreiten der Wörtlichkeit von Schrift und Predigt. Das „geschriebene“ Wort Gottes sodann kennen wir nur „durch“ die Verkündigung im Zusammenspiel mit der Offenbarung und dies derart, dass die Verkündigung von Offenbarung (im herausgestellten Sinne) „erfüllt“ sein muss, um theologisch wirklich Verkündigung zu sein. Kennen „durch …“ 130 Bezeichnend, wie Barth sieht, dass beim frühen Luther (der Dict. s. Ps.) das verbum externum als Predigt noch zu kurz kommt und in seiner Bedeutung nicht verstanden wird (125) – dies in der Tat wegen der noch überwiegend augustinisch gedachten Verhältnisbestimmung von Wort und Geist –, dann aber doch (anlässlich einer Predigt von 1522) „die ganz neue, man möchte fast sagen überbetonte Schätzung“ des verbum externum der Verkündigung mit einem gewissen Unbehagen konstatiert. Und tatsächlich ist diese „Überbetonung“ des wirklichen (äußeren) Wortes Ausdruck für den anderen und echt worttheologischen Ansatz Luthers.
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besagt daher: aufgrund von etwas den schriftlichen Wortlaut Transzendierendem. Ein „verkündigtes“ Wort Gottes schließlich kennen wir nur, „indem“ wir (auch) noch etwas Anderes (sc. das ganz Andere der Offenbarung) kennen, und d. h.: beim gepredigten Wort sind wir zugleich nicht nur bei ihm, sondern beim Zeugnis von der Offenbarung. Kennen „indem …“ besagt daher: unter Hinzutreten einer anderen Instanz zum Ausgesagten der Predigt. In dieser Analyse hat sich für die 2. und 3. Gestalt ergeben, dass als die conditio sine qua non, um sie wirklich kennen zu können, der Vorrang der Offenbarung durchgehalten wird, durch die allein bzw. im Zugleich mit der allein es jene theologisch gibt. Im wirklichen Kennen von Bibel und Verkündigung müssen also das Lesen und das Hören „wesentlich“ ergänzt werden, d. h. eben, sie sind „aufgehoben“. Im Anschluss an den „kleinen Schematismus“ der dreifachen, in sich verschränkten Einheit des Wortes Gottes gibt Barth einen Hinweis, der weite Perspektiven auf die ausführliche Entfaltung der Prolegomena eröffnet, indem er kurz auf die Trinitätslehre zu sprechen kommt (124 f.). Der vorliegende Paragraph hat nur erst einen „Aufweis“ der drei Gestalten geliefert, und erst die sehr umfänglichen Darlegungen der folgenden Kapitel über „Die Offenbarung Gottes“ (311 ff), „Die Heilige Schrift“ (KD I/2, 505 ff.) und „Die Verkündigung der Kirche“ (a. a. O. 831 ff.) sollen die eingehenden inhaltlichen „Ausführungen“ der in § 4 angekündigten Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes“ (einschließlich ihrer inneren Struktur und ihrer Beziehungen untereinander) bieten (310)131. Für dieses erneute und ganz neu einsetzende Aufwerfen der Frage nach dem Worte Gottes ist das Problem der Offenbarung in ihrer konkreten Verfassung natürlich das grundlegend zu behandelnde (cf. 307 ff), und die Perspektive, unter der der Grundbegriff der Offenbarung christlich entfaltet werden kann, ist für Barth bekanntlich die Trinitätslehre (§ 8—12). Eben auf die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes weist er schon mit jener kurzen Bemerkung an unserer Stelle hin, weil er sie in einer ausgezeichneten Analogie zu seiner Lehre von den drei Gestalten sieht (124). Genauer gilt sogar: diese Lehre ist „die einzige Analogie“ zur Trinitätslehre (ebd.), die an ihr ihr einziges theologisch legitimes Analogat hat. Die Betonung ihrer Einzigkeit erklärt sich sicher aus Barths grundsätzlicher Abwehr jeglicher analogia entis zugunsten einer analogia fidei (cf. VIII u. 353; KD II/1, 82 ff; 254 ff u. ö.). Der genaue Charakter dieser Analogie ist freilich nicht ohne weiteres erkennbar: liegt sie in dem wechselseitigen Ineinander (bei klarem Gefälle von der Offenbarung selbst her) der „gegenseitigen Relationen“ der drei Gestalten oder ist sie so stark gedacht, dass die Trinität sogar der Grund für diese 131 Dieser weite Weg der konkreten Durchführung von Offenbarungs-, Schrift- und Predigtlehre der KD kann hier, wo es um den Ansatz von Barths Wort-Gottes-Theologie zu tun ist, nicht mehr verfolgt werden.
d. Das Wort Gottes in dreifacher Gestalt (§ 4)
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Dreigestaltigkeit als solche ist? Dann müsste aus jener sowohl die Worthaftigkeit des Wortes Gottes, als auch dessen Einheit sowie schließlich seine Dreigestaltigkeit selber (im Sinne der „gegenseitigen Relationen“) erklärt werden können. Wenn Barth dies auch nicht explizit so tut (auch im folgenden Kapitel nicht), so scheint er die Trinität doch selber als Grund für diese einzig legitime Analogie in Anspruch nehmen zu wollen, hieß es doch schon für das Ereignis der Fleischwerdung des Wortes in Jesus Christus (als Geschehensein der Offenbarung): dies sei „nur noch innertrinitarisch … zu begründen“ (122 f.)132. Jedenfalls ist die Dreigestaltigkeit des Wortes Gottes in so starkem Maße als Analogie der Trinität privilegiert, „daß man für Offenbarung, Schrift und Verkündigung die göttlichen ,Person’namen Vater, Sohn und Heiliger Geist einsetzen kann, und umgekehrt“ (125)133. Daher sind die drei Gestalten des Wortes Gottes exklusiv der „eigentliche und rechtmäßige Sinn“ der von Barth ausführlich und kritisch diskutierten Lehre von den sog. vestigia trinitatis (366 f.): jene nämlich als die „Gestalt, die Gott selbst in seiner Offenbarung in unserer Sprache, Welt und Menschheit angenommen hat“ (367). Was wir in Gottes Offenbarung, in der Schrift und der Verkündigung vernehmen und hören, „das ist die dreifach eine Stimme“ des dreieinigen Gottes. „So ist Gott für uns da in seiner Offenbarung. So schafft er offenbar selber ein vestigium seiner selbst und also seiner Dreieinigkeit“ (ebd.)134. Denn vestigium trinitatis bedeutet schon bei Augustin „ein Analogon der Trinität“ (353); das nimmt aber Barth so auf, dass Gott der einzige Legitimations- und Wirklichkeitsgrund einer solchen Analogie ist. Das systematische Problem dieser vestigia-Lehre, das Barth ausführlich erörtert (§ 8. 3.), soll hier nur noch kurz in zweifacher Hinsicht und auch nur im Blick auf bestimmte sprachtheologische Bezüge weiter diskutiert werden, zumal Barths Trinitätslehre selber die Wort-Gottes-Thematik an verhältnismäßig wenigen Stellen thematisiert. Barth erklärt beiläufig zu seiner offenbarungs-trinitarischen These: „Gottes 132 Auch die Lehre von den sog. vestigia trinitatis, die Barth zuletzt und im Ganzen ablehnt (366), soll nicht als eigene „Wurzel“ der Trinitätslehre gelten, sondern ganz eindeutig – sofern das überhaupt möglich ist (cf. 354, 361 u. 364 f) – auf die Offenbarung selber als sie theologisch begründend zurückgeführt werden (cf. 354, 358, 360). 133 Barth meint auch, „daß man hier wie dort auf dieselben Grundbestimmungen und gegenseitigen Verhältnisse stoßen wird“ (ebd.). Freilich lässt sich davon im wohl einschlägigen § 9 nicht recht etwas ausmachen; in dessen 1.Abschnitt: „Die Einheit in der Dreiheit“ (367 ff) ist das wegen der Wesensgleichheit als Wesensidentität der trinitarischen Personen (cf. 370) auch kaum zu erwarten; im 2.Abschnitt: „Die Dreiheit in der Einheit“ (373 ff) verweist der zentrale Begriff „Seinsweise“ (cf. 379 ff) auf ganz andersartige Verhältnisse als der frühere Begriff der „Gestalt“¸ aber auch der kurze 3.Abschnitt („Die Dreieinigkeit“; 388 ff) geht nicht auf die Analogie zu den drei Wort-gestalten ein, obwohl es z. B. 393 sich nahegelegt hätte (auch schon 381). 134 Schon vorher ist die Rede davon, „daß das wirkliche vestigium trinitatis eben die in der Offenbarung angenommene Gestalt ist“ (359).
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Wort ist Gott selbst in seiner Offenbarung“ (§8; 311)135: „Wir stehen vor dem Problem, daß in dem Satz ,Gott redet‘ … Subjekt, Prädikat und Objekt sowohl gleichzusetzen als auch zu unterscheiden sind“ (316; dies als „nachträgliche Formulierung eines durch die Bibel vorgegebenen Sachverhaltes“). Damit geht er auf eine Problematik ein, die er 1927 in seiner „Christlichen Dogmatik im Entwurf“ so formuliert hatte: „Es sind logisch ganz einfach die Fragen nach Subjekt, Prädikat und Objekt des Sätzleins: ,Gott redet‘, Deus dixit“ (a. a. O. 127; hier zit. I/1, 312)136. Es war insbesondere Th. Siegfried, der Barth wegen dieser Stelle im Zusammenhang einer logischen Kritik an der inneren Differenzierung des Offenbarungsbegriffs137 eine Hypostasierung grammatischer Satzteile und eine rationalistische Ableitung der Trinität daraus vorgeworfen hatte138. Barth entgegnet in KD I/1 darauf mit dem Hinweis, er habe die fraglichen Worte natürlich nicht so herangezogen, dass sie „selbst eine Begründung“ der Trinitätslehre sein sollten, „sondern nur eine schon vollzogene Begründung vorläufig auf eine ihr angemessene … Formel bringen wollten“ (312); also nicht um „Ableitung“ sei es ihm gegangen, sondern lediglich um eine für die durch die Sache geforderten Fragen richtige Formel (ebd.). Worauf Barth aber nicht eingeht, das ist die ganz unabhängig von dem Streit mit Siegfried sprachtheologisch wichtige Frage, was denn diese Angemessenheit des „aus der Bibel exzerpierten Sätzleins: ,Gott redet‘“ (313) als solche besagt! Kann man sie anders als ein vestigium (durchaus im Sinne von Barths Legitimation des Ausdrucks) verstehen? Auf dies Sachproblem hätte Siegfrieds Kritik aufmerksam machen können. Dann wäre nicht nur die Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes, sondern auch die Sprache selber als gleichnisfähig für Gottes Sein auffassbar geworden139. Und diese theologische Sicht der Sprache hätte gewichtige Konsequenzen für das Verhältnis von Wort Gottes und Menschensprache haben müssen; Konsequenzen,
135 Nämlich: „Gott selbst in unzerstörter Einheit, aber auch in unzerstörter Verschiedenheit der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein“ (311, Leitsatz). Diese sich entfaltende Einheit der Offenbarung findet sich übrigens schon bei K.Dunkmann, Der christliche Gottesglaube (1918), 200 f. 136 Für den Barth der KD entfaltet sich der Satz „Gott redet“ in den Momenten, dass Gott selber sich – durch sich – als er selbst offenbart (cf. 312). Übrigens fällt auf, dass das Perfekt „dixit“ hier immer präsentisch wiedergegeben wird; das könnte sachlich durchaus von Belang sein. 137 Th. Siegfried, Das Wort und die Existenz. I. Die Theologie des Worts bei Karl Barth. Eine Prüfung von Karl Barths Prolegomena zur Dogmatik (1930), 51 f. 138 Cf. a. a. O. 52 f. 139 Es wäre überlegenswert, ob man von der Analogie der Drei-Gestalten-Lehre ausgehend nicht auch, sie ins Sprachliche wendend, das Verhältnis von Reden – Schreiben – (Offenbarung als) Sprachgeschehen theologisch grundsätzlicher auffassen kann. Wo Barth auf den Zusammenhang von Sprache und vestigia trinitatis eingeht (358 f), handelt er nur von der Sprache über (mögliche) „vestigia“, nie aber von der Sprache selbst als „vestigium“. Das gilt auch noch von der Spitzenformulierung: „Sprache gegen Offenbarung“ (363).
d. Das Wort Gottes in dreifacher Gestalt (§ 4)
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die Barth vielleicht ganz unerwünscht waren140. Jedenfalls kann es auf diesem Hintergrund kein Zufall sein, dass Barth bei seiner Durchmusterung traditionell als vestigia trinitatis aufgebotener Phänomene aus Natur, Kultur, Geschichte, Religion, Seele (355 ff) die Sprache nicht ausdrücklich berücksichtigt. Zwar führt er (als einziges solches) ein einschlägiges Zitat aus Luthers Tischreden (über Grammatik, Dialektik und Rhetorik) an (cf. 355 f), wertet es aber später als nicht ernst zu nehmende Sentenz, nur „bei Tisch“ geredet, ab (cf. 358, 360)141. Was Barth zur Sprache als solcher theologisch sagen kann, ist denn auch deutlich gesagt. Zu ihrer theologischen Legitimation bedarf es nicht weniger als des Wirkens der Dreieinigkeit selber in strenger Exklusivität, nämlich: „um das, was wir als Wort kennen, zu solcher Gleichnisfähigkeit je und je zu erwecken und zu erheben, damit es Wahrheit werde, wenn wir Jesus Christus das Wort Gottes nennen“ (459). Gott muss die Menschensprache in sich hinein „aufheben“, damit wir von ihm reden können, nicht aber entäußert er sich an sie, indem er selber in sie eingeht und Wort wird. Diese Auffassung von der Wahrheit hängt genauestens mit Barths Verständnis von Gottes Offenbarung zusammen, wie einige eher beiläufige, aber systematisch wichtige Äußerungen beleuchten können. „Gottes Offenbarung hat ihre Wirklichkeit und Wahrheit ganz und in jeder Hinsicht … in sich selber“ (321). Zwar kann daher eine begrenzte Analogie zwischen dem Sprechen und Jesus Christus, dem Wort Gottes, in einer Art „Bildrede“ zugelassen werden: „als eine zweite Seinsweise Gottes von einer ersten verschieden und wiederum im Wesen eins mit ihr, wie das Wort, das Jemand spricht, ein von ihm selbst Verschiedenes und als sein Wort nun doch im Wesen nichts Anderes als er selber ist“ (457)142. Aber das ist letztlich doch wieder nur „eine unangemessene Rede“, wie mit einer an sich sprachtheologisch hochbedeutsamen Einsicht begründet wird: „Wir wissen nicht, was wir sagen, wenn wir Jesus Christus das ewige Wort Gottes nennen. Wir kennen ja kein solches Wort, das, von einem Sprecher verschieden, nun doch das ganze Wesen des Sprechers enthalten würde … kurz: wir kennen kein wahres Wort“ (458). Darum nimmt Barth die Offenbarung ganz in Gott selbst zurück: „in Gottes Offenbarung ist Gottes Wort identisch mit Gott selbst“143. So reduziert sich zuletzt und zuerst alles in seiner Offenbarungs- und Trinitätslehre auf das 140 Später räumt Barth ein, auch sein Verfahren sei „gegen den Verdacht, auch wir möchten … da ein kleines Spiel mit einem angeblichen vestigium trinitatis (vielleicht auf das Sätzlein „Ich zeige mich“ zurückzuführen) getrieben haben, in keiner Weise gesichert“ sei (365). 141 Zu der (nicht sprachlichen, sondern) enzyklopädischen Anwendung, die Barth von Luthers Satz über Grammatik, Dialektik und Rhetorik machen möchte, cf. 367. Zur Sache bei Luther selbst cf. J.R., Gott im Wort (2010), 352 ff. 142 Cf.: „Daß Gott uns zuvor überhaupt etwas sagen kann, dieses … Unbegreifliche, ist in Gottes Offenbarung das Werk des Sohnes oder des Wortes Gottes“ (429). 143 Diese strenge Identität unterscheidet letztlich auch die Lehre von den drei Gestalten des Wortes Gottes (in § 4) von der Trinitätslehre Barths.
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transzendente und exklusive Subjektsein Gottes als des freien Herrn. Denn weil die Offenbarung selber „schlechterdings von ihrem Subjekt, von Gott her verstanden“ werden muss (311), darum haben wir es „in Prädikat und Objekt des Begriffs Offenbarung noch einmal… mit dem Subjekt selbst zu tun“ (372)144. Dieses Subjekt der Offenbarung als solches ist trinitarisch auch nur in der eigenen „Wiederholung“ seiner selbst (369; cf. 334). Daher gerät Barth zwangsläufig die Offenbarung zum unaufbrechbaren, „in sich geschlossenen Kreis“ (322) und ist damit der Sprache absolut entzogen145, nämlich „das dem Menschen gegenübertretende … Ineffabile …, das als solches sich selbst begründet“ (348). Den Sinn solchen Gegenübertretens hat Barth mit bemerkenswerter Eindeutigkeit auch ausgesprochen: „Offenbarung ist Offenbarung von Herrschaft und eben damit Offenbarung Gottes“ (323). So aber ist sie denkt man im Vergleich an Luther unentäußerbar und daher in letztem Betracht unkommunikativ.
e. Das Wesen des Wortes Gottes (§ 5) Der Leitsatz dieses ins Zentrum von Barths Wort-Theologie führenden Paragraphen scheint die Sprachlichkeit des göttlichen Wortes unübersehbar festhalten zu wollen: „Das Wort Gottes ist in allen seinen drei Gestalten Rede Gottes zum Menschen“ (128). Freilich ist zu beachten, dass Gottes Wort Rede „in“ den Gestalten ist, d. h. Rede nur ist als je eine der Gestalten (laut § 4) bzw. nur, insofern es eine solche Gestalt annimmt. Die vom Leitsatz proponierte Entfaltung der Wesenszüge deutet denn auch sogleich wieder eine Tendenz zur Entsprachlichung an, sofern die Identifikation des göttlichen Wortes mit „Rede Gottes“ (zum Menschen) näher bestimmt wird durch die „Tat Gottes“, was offensichtlich dem Akt des Sich-Offenbarens entspricht, um sie abschließend in „Gottes Geheimnis“ zurückzunehmen (als „der von allem anderen Geschehen verschiedenen Weise Gottes“, cf ebd.)146. In diesem letzten 144 Cf. o. Anm. 83. 145 Novalis freilich sah das Eigentümliche und Unbekannte der Sprache selber gerade darin, „daß sie sich bloß um sich selbst bekümmert“ (Monolog; in: Schriften (Samuel), Band 2 (1960), 672). Was daran vielleicht richtig sein mag, eine nur sich selbst sprechende Sprache ist damit noch nicht gegeben. Aber ebenso wie die Hypostasierung zum: die Sprache spricht (Heidegger) und nicht wir, verwehrt ist, so auch ihre instrumentelle Unterbestimmung als bloßes „Mittel“, mit dem wir etwas ausdrücken. 146 Überhaupt entsprechen die drei Wesenszüge, die § 5 thematisiert, spezifisch den drei Gestalten von § 4, so dass sich von daher die Abfolge erklärt: Rede Gottes (cf. § 4. 1. u. 2.: Verkündigung und Bibel) – Tat Gottes (cf. § 4.3.: Offenbarung) – Gottes Geheimnis als er selbst (cf. § 4.4.: Trinität; cf. 136!). Diese Entsprechungen besagen, dass sich, wie im einzelnen die Abschnitte 1.–3. von § 4 zu Abschnitt 4., so im Ganzen § 4 und § 5 zueinander verhalten. War in den ersten Gestalten das Wort Gottes (als Offenbarung) nur indirekt und vermittelt erreichbar (124), so werden nun seine Gestalten als Gestalten seines Wesens gelesen (136).
Das Wesen des Wortes Gottes (§ 5)
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Aspekt vollendet sich die Lehre vom Wesen des Wortes Gottes insofern, als erst im Horizont von Gottes Geheimnis sein Wort exklusiv das seine ist: Hier geht es Barth unverkennbar letztlich wieder um Gottes Selbst bzw. Selbstsein in seinem Wort, „um Gottes Rede, um Gottes Tat“, worüber der Mensch in keiner Weise „denkend und redend Herr“ werden kann und darf (168). Indem die Rede Gottes (als Rede) depotenziert wird zugunsten von „Tat“ und „Geheimnis“, so gilt wohl, dass das Wort Gottes immer Rede ist („in allen seinen drei Gestalten“, Leitsatz), zugleich aber auch, dass es immer weniger nur Rede ist. 1. Die Wesensfrage In dieser Perspektive erklären sich auch die Schwierigkeiten, die Barth darin sieht, überhaupt von einem „Wesen“ des Wortes Gottes zu reden und einfachhin auf die Frage zu antworten, „was“ denn das Wort Gottes sei (cf. 136 u. 169). Der Umstand, dass weder Gott selbst noch sein Wort „uns … in der Weise gegeben (sind), wie uns natürliche und geschichtliche Größen gegeben sind“ (136), verbietet das theologisch, denn das Wort Gottes fällt unter keine (vorgegebene) Kategorie (164), ist weder ein zu beschreibendes Ding, noch ein zu definierender Begriff, weder ein Sachverhalt noch auch eine Idee (141). Daher ist die Frage nach einem „Wesen“ des Wortes Gottes im Grunde genauso und aus demselben Grunde theologisch problematisch wie die nach dem „Wesen“ Gottes selbst (136). Ähnlich wie „uns das verborgene, … in keinem menschlichen Wort adäquat wiederzugebende Wesen Gottes“ an sich entzogen und nur trinitarisch offenbar ist (cf. 136), kann auch nur „indirekt“ ausgesagt werden (ebd. u. 142), was das Wort Gottes ist, nämlich indem man an den vorgegebenen drei „Gestalten“ abliest, „wie es ist“. Weil das Wort Gottes wesentlich sein freies „Selbstwort“ ist, kann dessen Wesen nicht nur (und eigentlich gar nicht) Objekt (168) unserer Feststellung seines Wesens sein. Und eben wegen Gottes schlechthin unverfügbarer Freiheit überhaupt darf er an sich selber nicht unter ein Gesetz seines „Wesens“ kommen was eben jeden Wesensbegriff theologisch obsolet macht –, gleichsam zu dessen bloßem Vollzieher werden; daher spricht Barth statt von einem (statisch zugrunde liegenden) Wesen nur von wesentlichen Vollzugsweisen, Abschattungen eines „Wie“ im Begegnen des göttlichen Wortes. Was die „Gestalten“ des Wortes Gottes für uns sind (cf. 136), das sind die Weisen seines Wie im Blick auf Gott selber. Wie das Wort nur „in“ solchen Gestalten ist, so „hat“ Gott ein Wesen nur in den wesentlichen Weisen, es selbsttätig zu vollziehen (cf. 142)147.
147 Wo die „Christliche Dogmatik im Entwurf“ von einer phänomenologischen Darstellung zur existentiellen Betrachtungsweise überging (cf. a. a. O. 47 f u. KD I/1, 128), da macht die Kirchliche Dogmatik an dieser Stelle den Übergang von der Erörterung der drei Gestalten des
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Daher gilt: „Was Gott und was sein Wort ist, … das muß er uns selbst immer wieder und immer neu sagen“ (136). Da Barth so grundsätzlich den Wesensbegriff problematisiert hat, müsste sich das Verständnis dieses Satzes und insbes. der Wendung „was sein Wort ist“ eigentlich nicht nur auf das immer neu mitgeteilte inhaltliche „Was“ dieses Wortes, sondern auch auf sein „Was“ als Wort beziehen; so dass er aussagte: nicht nur, dass es nicht vorwegzunehmen ist, was Gottes Wort jeweils aktuell sagt was in gewissem Sinn selbstverständlich wäre –, sondern auch, dass es dabei immer neu sein Wesen als Wort erst bestimmt, so dass es auch kein Wesen der Sprache, in der Gott redet, geben dürfte. Ob Barth hier wirklich so weit gehen will, ist nicht eindeutig auszumachen. Fest steht für ihn aber sicher zweierlei. Zum einen, es gibt theologisch keine legitimen Aussagen über die wesentliche Verfasstheit und substantielle Beschaffenheit des göttlichen Wortes. Dessen (nur Gott selber eigenes) „Wesen“ erschließt sich nur in der jeweils faktischen Selbstvergegenwärtigung Gottes selber und als er selber. „Es kommt in Gottes Sagen wohl zu einer Begegnung und Gemeinschaft zwischen seinem Wesen und dem Menschen, aber nicht zu einer Aufnahme dieses Wesens in das Wissen des Menschen“ (136). Diese Begegnung als Gottes freies Sich-Setzen beim Menschen mit Hilfe seines Wortes ist aber notwendigerweise für Barth Gottes sich wieder Entziehen als Distanzierung seiner selbst von eben diesem Wort, über dessen Wörtlichkeit (wie über die Begegnung selbst) er absolut „der Herr“ bleiben muss, um Gott zu bleiben (cf. 143!). Daher darf es „kein menschliches Wissen“ geben, „das diesem göttlichen Sagen entsprechen würde“ (136). Menschliches Wissen ist für Barth nur als Weise eines Beherrschens vorstellbar, als „denkend und redend Herr“ sein, so „wie eben der Mensch eines Objektes denkend und redend Herr zu werden vermag“, und tritt damit unausweichlich in Konkurrenz zu Gottes Herrsein schlechthin148. Daher sind wir zum andern allein an das „Wie“ der Gestalten des Wortes gewiesen als an „das erreichbare menschliche Spiegelbild des unerreichbaren göttlichen Was“ (136, cf. 1Kor 13, 12 und dazu 173). Barth nimmt auch hier die eklatante Unsprachlichkeit des Gedankens in Kauf es darf kein „entsprechendes“ Wissen, sondern nur ein Bild des Ineffabile geben (cf. 348) –, um das göttliche Wort jeglicher Feststellbarkeit zu entziehen. Das „Wesen“ als ein vom Menschen erkanntes wäre seiner Meinung nach immer nur ein Abstraktionsprodukt und von seinen Erscheinungen aus definitiv festgelegt. Das göttlichen Wortes zu einer spezifisch theologischen, die Gottes Selbstmanifestation in Rede, Tat und Geheimnis zum Thema hat. 148 Eben weil Gott allein und selbstgenügsam „der Herr“ ist, „d. h. das Du, das dem menschlichen Ich entgegentritt und sich verbindet als das unauflösliche Subjekt“ (367, § 9), ist schon die menschliche Meinung, dass wir eine nicht herrenmäßige, sondern dienende Stellung ihm gegenüber von uns aus einnehmen könnten, nichts anderes als die „raffinierteste Weise Herr des Wortes Gottes werden [zu wollen]“ (169)! Der Logos Gottes kann sich nur selbst durchsetzen (ebd.).
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verbietet sich theologisch von der Sache selbst her, weil, indem das Wort uns immer neu zu sagen hat, was es ist, zu seinem „Wesen“ gehört, dass es nicht nur etwas mitteilt, sondern stets auch sich selber. Das Wort Gottes redet als solches nicht nur von Inhalten, sondern auch über sein eigenes Reden und dies nicht endgültig oder definitiv, sondern jeweils neu. Das Wort Gottes hat bzw. ist das nicht-festgestellte (und nicht-feststellbare) Wesen: „Es kann nur immer wieder zu neuem göttlichen Sagen kommen“ (136). Wenn Barth damit Ernst machen will, dass es sich dabei wirklich um ein „Sagen“, d. h. Rede, handeln soll, dann ist ihm sachlich entgegenzuhalten, dass solches als ein sinnhafter Zusammenhang vernommen und insofern jeweils als dasselbe, nämlich als Rede, bei allem inhaltlich Neuen, das sie aussagen mag, muss identifiziert, d. h. „wiedererkannt“ werden können. Denn wenn das „göttliche Sagen“ wesentlich ein Mitteilen in der Sprache ist, dann muss es vernehmbar sein wie sonst Rede auch. Was besagt da die Behauptung vom „unerreichbaren göttlichen Was“ des Wortes Gottes (136)? Sollte dieses wie das Wesen Gottes das „mit keinem menschlichen Wort … nachzusprechende, also in keinem menschlichen Wort adäquat wiederzugebende“ (ebd.) und so sich uns in der Begegnung nur Entziehende sein, so ist ebenso unerfindlich, wie es überhaupt von Gott her aus auszusagen ist und von uns sprachlich erfassbar, wie auch, in welcher Weise es derart für uns heilvolles Wort sein kann, daran der Glaube sich vergewissert. Geht es dagegen wirklich um sprachliche Mitteilung in wirklichen Worten, dann muss mindestens dies als zum Wesen des Wortes Gottes gehörig behauptet werden. Das wäre aber immer noch nicht wie Barth zu unterstellen scheint, weil er das lebendige Verhältnis von Sprache und Denken nicht berücksichtigt eine religiös illegitime Fixierung des göttlichen Wortes durch unsere bloß menschliche und auf Bemächtigung des Unverfügbaren ausgehende Erkenntnis149. Barth selber erläutert den o. zit. Satz von dem immer wieder neu sich ereignenden göttlichen Sagen selber so: „In diesem göttlichen Sagen realisiert sich mit dem Gott mit uns! überhaupt die Erkenntnis Gottes und seines Wortes“ (136). Diese Erklärung ist streng im Rahmen des (bisher erörterten) systematischen Bedingungsgefüges bei Barth zu verstehen. Danach will die sich realisierende Erkenntnis Gottes nichts anderes und nicht mehr besagen, als dass sie Erkenntnis seiner als des eben mit und bei diesem „Sagen“ sich gerade distanzierenden Subjektes solcher Begegnung, also Erkenntnis seines bleibenden Herr-Seins ist. Und entsprechend geht es bei der Erkenntnis seines Wortes um nichts anderes und nicht mehr als die Einsicht, dass es eben nicht nur Wort, sondern eigentlich nur die „Gestalt“ einer bloß aktuell sich ereignenden (und so erst unmittelbaren) Offenbarung des Herrn als solchen ist.
149 Barth vernachlässigt hier auch die Unterscheidung zwischen einer „Wesenserkenntnis“ im Hören und Verstehen (bzw. Glauben) des Wortes Gottes selbst und der einer nachträglichen theoretischen Reflexion und Festsetzung.
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Daher fährt Barth auch fort: „Wir können also nur nämlich im Glauben an das Wort Gottes – sagen, wer Gott ist“ (136). Von dieser Primärorientierung seiner Theologie am unerreichbaren Herrsein Gottes aus bestimmt sich also Barths Alteration der Frage nach dem Wesen von Gottes Wort. Nur „wissend um seine drei Gestalten“ lässt sich so etwas wie sein „Wie“ ablesen, nämlich „in welcher Reihe von Bestimmungen es, … zu uns gesprochen, dieses Wort, das Wort Gottes ist“ (ebd.). Verschiebt Barth derart die Frage nach dem „Was“ hin zu der nach dem „Wie“ (cf. auch 194), so fasst er damit das „Wesen“ als Inbegriff der Weisen des Wortes Gottes als Wort Gottes für uns da zu sein, nämlich als ein letztlich „unerreichbares … Was“.
2. Wort Gottes als Rede Ob dieser Abschnitt, wie es scheint, wirklich eine triftige Gegeninstanz darstellt, um die in der hier vorliegenden Interpretation von Barths Wort-Theologie durchweg eingeklagte (weil bei Barth im Wesentlichen ausgefallene) Sprachdimension des Wortes Gottes doch noch theologisch einzuholen, das entscheidet sich an der Antwort auf die Kardinalfrage: Was versteht Barth (hier) unter „Rede“? Der Vorblick auf die drei von ihm beigebrachten Charaktere: Geistigkeit, Persönlichkeit und Absichtlichkeit bereits spricht indes nicht für eine positive Einlösung jener Vermutung. Die sprachliche Verfassung dessen, was Barth „Rede Gottes“ nennt, wird ja im Übrigen auch dadurch schon relativiert, dass mit „Rede“ nur ein erster und ins Wesen des Wortes erst hineinführender (und sich im „Geheimnis“ vollendender) Sachverhalt thematisiert ist, der sich als erste Begegnungsweise des Wesens zu diesem als Ganzem so verhält wie die Vorläufigkeit der drei Gestalten des Wortes Gottes zu dessen eigentlichem Wesen selbst. Fragt man sich vorweg, bevor man sich auf Barths folgende Näherbestimmungen einlässt und um diese systematisch richtig einschätzen zu können, einmal rückblickend, wodurch denn aufgrund der bisherigen Analysen die Einführung eines „Redens“ Gottes motiviert sein könnte, so zeigen sich drei Determinanten, die zweifellos auch jetzt in Geltung bleiben: einmal ein Herausgehen (Gottes) aus sich, das freilich zugleich ein In-sich-Bleiben bzw. Zurückkehren in sich ist, sodann ein Sichöffnen Gottes, dies aber nur, um sich als er selbst, d. h. als uneinholbares („freies“), absolutes Subjekt und geschlossener Kreis zu realisieren und schließlich ein sich als der Herr schlechthin Manifestieren150; genau dieses soll als solches (schon) das Heil für die Menschen sein. 150 Signifikant auf den Begriff gebracht im Leitsatz von § 8 über die unzerstörbare Einheit in der Verschiedenheit von Offenbarer, Offenbarung und Offenbarsein, die Gott selber ist (cf. 311).
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Nun ist unverkennbar, dass alle dies Strukturzüge gegenläufig zur Sprache sind, insofern diese als solche kommunikativ, d. h. gemeinschaftsstifend, und insofern über-subjektiv verfasst ist. Indem das sprechende Subjekt sich durch seine Rede als dieses besondere setzt, verallgemeinert es sich eo ipso durch seine Worte, die es und in denen es sich anderen mitteilt. Bei Barth dagegen kann „Rede“ (nach allem Vorherigen) nur eine Art monologischer Selbstverwirklichung Gottes auf dem Umweg über den „Dienst“ menschlicher Sprache dabei (in Bibel und Predigt) sein. Pointiert gesagt: Gott „redet“, um sich der Sprache zu entziehen; sein Wort ist als exklusiv nur sein Wort zuletzt nicht mehr Wort. Zwischen dem Menschenwort und Gottes „Selbstwort“ gilt in Barths Theologie die methodisch konsequent umgesetzte Regel, dass keine noch so große Nähe bzw. Annäherung behauptet werden kann, ohne dass nicht zwischen ihnen ein um so größerer Abstand bzw. eine prinzipielle Unähnlichkeit geltend gemacht würde151. Das kommt in der Einleitung zu diesem Abschnitt dort heraus, wo die Begriffe Tat und Geheimnis als seine „Exegesen“ zu dem Begriff Rede in Beziehung gesetzt werden (137). Zwar sollen sie nicht von ihm wegweisen, sondern „nur immer wieder auf ihn als den ursprünglichen Text zurückverweisen“ (ebd.), aber sie tun das doch so, dass dabei sein theologischer Horizont eindeutig vor- und übergeordnet bleibt. So heißt es „… so ist auch nur Gottes Rede wirklich Gottes Tat (und nicht irgendeine andere Tat)“ (137). Danach soll zwar Gottes Tat von seinem Reden her begriffen werden und als dieses, eben weil Gott wesentlich durch sein Reden handelt bzw. überhaupt redend (d. h. sich offenbarend) Gott ist. Aber zugleich ist von Barth dabei mitgedacht: Gottes Rede muss auch wirklich eine Gottes selber sein, und das besagt: Sie darf gar nicht bloß „Rede“ (im menschensprachlichen Sinn) sein, eben weil sie zugleich seine Tat und sein Geheimnis (als des Herrn auch seiner Rede) sein soll. Die schon o. berührte Aussage, Gott sei auch „der Herr der Wörtlichkeit seines Wortes“ und diese an ihn, nicht aber er an sie „gebunden“ (143), beeinträchtigt daher entschieden den Rede-Charakter seines Redens, etabliert sie doch eine prinzipielle Konkurrenz zwischen dem sprachlichen Wort und dem göttlichen Rede-Subjekt. Wie Gottes Tat als die Gottes immer Vollzug des Geheimnisses seines Selbst-Seins als Gott ist, so ist auch Gottes 151 In Analogie zur Festsetzung des 4.Laterankonzils (1215): „quia inter creatorem et creaturam non potest similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“ (DS 806). Diese Regel wäre neu zu durchdenken von Luthers inkarnatorischem Denken her, demgemäß gegen den philosophischen Grundsatz, es gebe keine „proportio creaturae et creatoris, finiti et infiniti“, theologisch gerade die „unitas finiti et infiniti“ behauptet wird (cf. WA 39/II, 112,15 – 19). Denn einerseits gilt: „quod neque illa distinctio [sc. zwischen humanitas und divinitas] quicquam impediat, sed potius confirmat unitatem“ (a. a. O. 97,13 f, cf. 111,14 f) und andererseits: „Nos coniungimus creatorem et creaturam in unitate personae“ (a. a. O. 120,14; cf. 121,4) bzw. „Ibi [sc. in Christo] creator et creatura unus et idem est“ (a. a. O. 105,6 f); s. u. Anm. 194.
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Rede „Rede“ nur als zugleich Gottes Selbstvollzug in der Tat seiner Offenbarung152. Das ist also stets mitzudenken, wenn Barth dazu auffordert, seinen Begriff Wort Gottes „vor allem wörtlich zu nehmen“ (137); denn: „Gottes Wort heißt: Gott redet“ (ebd.). Das kann so gesagt werden, weil es nicht aus-, sondern gerade einschließt, dass dies Reden sich nur „in“ den genannten Gestalten vollzieht. Im „wörtlichen“ Sinn ist Gottes Wort als Rede darum zu nehmen, weil für Barth „redet“ gerade „nicht ein Symbol“ ist, nämlich nicht „eine vom Menschen … gewählte Bezeichnung und Beschreibung eines an sich ganz anderen … Sachverhalts“ (137) und insofern auch von Gott selber eigentlich auszusagen. Aber auch dabei bleibt unverbrüchlich in Geltung, dass solches Reden eben das Gottes als des freien Subjektes auch seiner Rede ist, so dass Gott, wie gezeigt wurde, nur „in den drei Gestalten, in denen es [sc. sein Wort] in der Kirche tatsächlich gehört wird“ (ebd.), selber „redet“. Dazu stimmt, dass trotz aller „Wörtlichkeit“, mit der das Reden Gottes in seinem Wort zu nehmen ist, doch sogleich auf die prinzipielle „menschliche Inadäquatheit, … Gebrochenheit, in der menschliche Sätze dem Wesen des Wortes Gottes allein entsprechen können“, hingewiesen wird (ebd.). Es steht also zunächst fest, dass der „Begriff Rede“ (sc. Gottes)153 für Barth nur als Begriff von „Rede“ im Sinne göttlicher Selbstoffenbarung, d. h. als Rede des „unauflöslichen“ Subjektes (367), gefasst und daher durch „Tat“ und „Geheimnis“ theologisch exegesiert werden kann und muss.
2.1 Geistigkeit Fragt Barth zur Exposition seiner drei Wesenszüge: „Geistigkeit, Persönlichkeit, Absichtlichkeit“154, was es für den Begriff des Wortes Gottes bedeute, „wenn Wort Gottes ursprünglich und unaufhebbar heißt: Gott redet“ (138), so hat man von vornherein im Blick zu behalten, dass dabei nicht so sehr (zumindest: nicht mehr) „redet“ betont wird, sondern Gott. Zwar soll „Wort“ durch Rede(n) interpretiert werden (cf. 141), aber das besagt eben, statt des „Wesens“ des Wortes soll dessen Vollzug und dieser als einer Gottes selber thematisiert werden155. 152 Cf. § 28: „Gott ist, der er ist in der Tat seiner Offenbarung“ (KD II/1, 288). 153 Cf. 137; dies erinnert an die von Luther kritisierte Übersetzung von logos durch sermo bei Erasmus, cf. dazu J.R., Gott im Wort (2010), 409 f (Anm. 783). 154 Geistigkeit, Persönlichkeit und Absichtlichkeit sind freilich nicht im eigentlichen Sinne „essentials“ von Rede (als spezifisch sprachlichem Phänomen), sondern eher so etwas wie Merkmale, die am tatsächlichen Sprechen auch vorkommen. 155 Bei Barths Ersetzung der Wesens- durch die Wie-Frage (s. o.) bleibt unberücksichtigt, dass sinnvolles Reden selber an sich schon ein spezifisches (inhaltlich geprägtes) „Wie“ in sich trägt, im Unterschied etwa zu einem formellen Vorgang wie z. B. „sichtbar Machen“ (s. auch weiter u. im Text).
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Dass Barth nun mit der Hervorhebung eines theologisch so unspezifischen, eher „idealistisch“ oder „rationalistisch“ bzw. allgemein-anthropologisch klingenden Zuges wie der „Geistigkeit des Wortes Gottes“ einsetzt (138), überrascht einigermaßen. Vom Thema her ist es vollends befremdlich. Denn anstatt, wie es hier von der Sache zweifellos geboten wäre, auf die Sprachlichkeit oder Worthaftigkeit (wenn nicht schon „Wörtlichkeit“) zu reflektieren, macht Barth mit dem, was er „Geistigkeit“ nennt, etwas stark, was ganz in der Opposition zur Leiblichkeit und Natürlichkeit (als physischem Geschehen) gesehen wird156. Damit aber ist nun die Dimension der Sprache geradezu verfehlt157. Daran ändert nichts das sogleich folgende Zugeständnis Barths, dass faktisch auch das Wort Gottes nie „ohne physisches Geschehen“ da sei, denn das konstatiert nur unbestimmt (und negativ: als bloß notwendige Bedingung) eine empirisch vorkommende Zusammengehörigkeit (cf. das bloße: „Das Wort Gottes ist auch natürlich-leiblich“, ebd.; ähnlich 139, 140). Diese wird überdies noch auf die Relation bloß für den Menschen eingeschränkt, also gerade nicht aus dem Wesen von Sprache begriffen: „auch natürlich-leiblich, weil es in der geschöpflichen Sphäre, in die es als Wort an uns Menschen eingeht, kein Geistiges ohne Natürlich-Leibliches gibt“ (138). Die Rede von der „geschöpflichen Sphäre“ ist eine Unterbestimmung, weil damit der konstitutive Zusammenhang von Wort (Gottes) und Schöpfung selber unterbelichtet wird. Nur aus dieser Relativität auf uns faktisch nun einmal naturgebundene Menschen wird auch die physische „Seite“ an Predigt und Sakrament erklärt; es fehlt jede Andeutung eines eschatologischen Zusammenhangs (cf. ebd.). Auch Barths betonter Hinweis auf die „Buchstäblichkeit“ der Hl. Schrift in diesem Zusammenhang insbes. nach dem 113 zum orthodoxen Schriftverständnis Gesagten, cf. o. S. 57 f hat keinen stärkeren Nachdruck als den eines Zugeständnisses: „nicht ohne“. Barth denkt die Geistigkeit des Wortes nicht von seiner konkreten Sprachlichkeit her wie Luther, sondern das sinnlich-sinnhafte Wesen der Sprache ist ihm kaum mehr als die Bedingung, unter der dem leiblich-naturhaften Menschenwesen allein jene Geistigkeit zugänglich werden kann. Daher liegt der Primat für ihn entschieden beim „Geistigen“: „Das Wort Gottes ist primär geistiges und dann und so … und ihrer unbeschadet, auch leiblichnatürliches Geschehen“ (139). Wenn Barth nun aber diese Priorität für unaufhebbar und d. h. unumkehrbar erklärt: „Es gibt hier in allen Gestalten des Wortes Gottes ein Oben und Unten, ein Zuerst und Nachher, das … nicht 156 Cf. die typische Abwehr irgendeiner dogmatischen Relevanz von Oetingers berühmtem Wort über die Leiblichkeit als Ende aller Werke Gottes (Biblisches und Emblematisches Wörterbuch (1776, 1969), 407), das als „überspitzte Äußerung“ historisch gegen den „naturflüchtigen Geist der Aufklärung“ gerichtet eine nur relative Berechtigung hat (138; kleingedruckt). 157 Cf. dagegen den anthropologisch tiefen Satz des Sprachdenkers Herder: „Schon als Thier, hat der Mensch Sprache“ (Sämmtliche Werke (Suphan), Band 5, 5) – ein Satz, der den ontologischen Dualismus von Leib und Geist dialektisch überwindet.
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umzukehren ist“ (138), so ist dagegen zu behaupten, dass in der Inkarnation Gott selber diese Ordnung verkehrt hat158 und dass uns damit ein ganz anderer Begriff göttlicher „Geistigkeit“ theologisch zu denken aufgegeben ist. Wenn dagegen Barth auch sagen kann, dass das Wort Gottes „sich selbst nicht nur an die Geistigkeit, sondern auch an die Leiblichkeit der Kreatur bindet“ (138), so ist dabei prinzipiell der Dualismus noch vorausgesetzt, d. h. an sich der Geist hier „absolut“ und ohne Leiblichkeit gedacht159; die Parallele zum Extra-Calvinisticum liegt auf der Hand. „Geistigkeit“ steht bei Barth für das, was Gottes Wort zum Wort Gottes macht, d. h. sie realisiert sich im je und je eintretenden Ereignis von Offenbarung. Damit ist Geistigkeit in Barths Sinn gerade das am Wort Gottes, was selber nicht worthaft und mit der Sprachlichkeit des Wortes schon gegeben wäre, also ein zum Wort „Hinzutretendes“ (s. o.). Insofern könnte man annehmen, „Geistigkeit“ sei von Barth als theologischer Begriff gemeint, obwohl die Opposition von Geist und Natur an sich gar nichts spezifisch Theologisches an sich hat und Barth sie auch nicht „geistlich“ bestimmt, d. h. vom Hl. Geist her. Das wäre in diesem Falle aber nötig gewesen. Zugleich hätte sich dann die Aufgabe gestellt, Wort Gottes als Rede des Hl. Geistes zur Geistigkeit der Sprache überhaupt ins Verhältnis zu setzen; diese wäre dann sein „Wie“. Soll man dagegen annehmen, es handele sich um eine „neutrale“ Charakterisierung unter Aufnahme des vortheologischen, ontologischen Schemas von Geist und Natur, hier zugleich anthropologisch gefärbt –, so beträfe sie in der Sache das „Wie“ des (göttlichen) Redens überhaupt. Dann aber stünde man erst recht vor der Aufgabe, dieses Wie mit der Sprachlichkeit zu vermitteln: Ist ein Wie nicht schon mit jedem Sagen gegeben bzw. identisch? Ist „Geist“ als der Sprache äußerlich nicht gerade sein idealistisches Missverständnis? Gibt es aber gar kein abgehobenes „Wie“ wie Barths Begriff der „Geistigkeit“ allerdings unterstellt –, so wären diese Fragen ganz anders zu stellen und zu diskutieren. Denn das Wie des Sagens ist doch das Sagen selber, d. h. dass überhaupt wirklich (und inhaltlich) geredet wird. Für beide Annahmen gilt jedenfalls: Wenn das „Was“ immer neu zu sagen 158 Cf. o. Anm. 151. 159 Cf. u. Anm. 212 (KD I/1, 178). In der Lutherdeutung findet sich eine vergleichbare Alternative, wenn F.Gogarten um eines angeblichen „Personalismus“ Luthers willen das Wort gegen alles quasi Naturhafte und Sakramentalistische ausspielt – eine modifiziert abstrakt idealistische Option, die gerade auch die Sprache verfehlt. Luther hat selber ein eher sakramentales WortVerständnis und begreift daher das Sakrament als Gestalt des Wortes. Barths Begriff der „Geistigkeit“ führte ihn offenbar zu der bezeichnenden Polemik gegen Luthers „Nachbarschaft mit heidnischer Naturmystik“ bzw. „dämonische Vitalität“; cf. Ansatz und Absicht in Luthers Abendmahlslehre (1923), in: Vorträge und kleinere Arbeiten. Karl Barth Gesamtausgabe, Band III (1990), 301 u. 291; cf. auch zum Zentralproblem von Luthers Abendmahlslehre, a. a. O. 279. Umgekehrt hat dieser Begriff sicher auch etwas zu tun mit Barths Abhebung einer „Geist-“ von einer „Wassertaufe“ (KD IV/4), die das Sakrament ja zerstört. Cf. auch Barths Polemik gegen R.Ottos „verabsolutierte Naturgewalt“ (KD I/1, 140).
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ist (s. o.), dann besteht das „Wie“ (die „Geistigkeit“) darin, immer neu sich als Geist und nicht Natur zu imponieren. Aber auch hierbei ist die Frage unausweichlich, inwiefern das nicht als mit der Sprachlichkeit bzw. dem Gesagtwerden als solchem schon sich vollziehend zu denken und nicht, wie Barth möchte, davon abzuheben ist. Barths vorausgesetzte Alternative ist exemplarisch unsprachlich konzipiert, insofern jedes gesprochene Wort gerade die lebendige Einheit von „Geist“ und „Natur“ ist. Dies verfehlt Barth als Sachphänomen durch seine Unterbestimmung des Lautes: „Für jedes andere Wort bedeutet die Physis eine Schranke, an der sich … die Unkraft seiner Geistigkeit verrät“ (140). Hier ist völlig übersehen, dass das Erklingen und wieder Verklingen des Lautes als die Leiblichkeit des Wortes Bedingung der Realdialektik von Sinnlichkeit und Sinn in der Rede und so gerade nicht bloße Schranke, sondern ihre spezifische Angemessenheit für die Existenz des Geistes ist, dessen wirkliches Dasein die Sprache ist160. Wird dagegen „Geist“ zu einer Größe, die hinzukommen muss, um das „bloße“ Wort allererst zu etwas zu qualifizieren, das im Falle des „Wortes Gottes“ die „Gewalt der Wahrheit“ hat (140), dann vertritt Barth hier faktisch unter dem Titel einer „Wort-Gottes-Theologie“ wie die bisherige Untersuchung durchweg ergibt eine außersprachliche bzw. ganz unsprachlich konzipierte Geist-Theologie anstelle jener (in einem realen und sachhaltigen Sinn des Terminus „Wort-Theologie“). Im Blick auf Luther lässt sich eindeutig zeigen, dass er Geist (und Hl. Geist) nur als Sprache und von ihr her theologisch denkt161. Barths Begriff der „Geistigkeit“ ist hier freilich ebenso wenig wie sprachlich auch geistlich, als Verhältnis des Hl. Geistes zum Wort bestimmt. Daher gewinnt er unausweichlich einen betont rationalistischen Zug (cf. 139). Wegen jenes sprachtheologischen Mangels redet Barth in und mit seiner prinzipiellen Abwehr eines Irrationalismus (139, 140) faktisch indem er sich auf diese Alternative überhaupt einlässt und explizit einem Rationalismus das Wort: „Rede ist, auch als Rede Gottes, die Form, in der sich Vernunft der Vernunft, Person der Person mitteilt… Das Wort Gottes ist… ein rationales … Geschehen“ (139). So aber ist Sprache als ein bloßes rationales Verständi160 Dies ist eine der zentralen Einsichten im Sprachdenken Humboldts und auch Hegels. 161 Cf. Gott im Wort. Luthers Theologie von der Sprache her (2010). – Ganz so falsch, wie es nach Barths Antikritik aussieht, war der Vorwurf E.Przywaras gegen ihn, er zeige einen „verhüllten Spiritualismus“ (138), also durchaus nicht, wenn Przywara ihn auch selber nicht als Einwand von der Sprache her vorgetragen hat. Man müsste an dieser Kritik wohl unterscheiden: die gerügte Konzentration auf „Wort und Geist“ überhaupt; dabei handelt es sich um eine katholische Standardkritik wegen eines angeblich protestantischen Intellektualismus, Subjektivismus, Anti-Sakramentalismus u. ä. In dieser allgemeinen Variante ist Przywarae Vorwurf hier unzutreffend bzw. nicht Barth-spezifisch. Aber in einer speziellen Form lässt der Einwand sich aufrecht erhalten, weil Barth tatsächlich Geist gegen Wort ausspielt. „Rede“ bzw. „Angeredetwerden“ (cf. 139) sind bei ihm letztlich nur äußere Symptome für das Geistgeschehen unmittelbarer Gottbezogenheit oder Gottesvergegenwärtigung.
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gungsmittel wieder sachlich unterbestimmt. Denn als wirkliches Begegnungsmedium („Mitte“) von Vernunft mit Vernunft, Person und Person „gewiß göttliche Vernunft der menschlichen, göttliche Person der menschlichen“ (139) ist die Sprache nicht Instrument der Ratio, sondern existierender Geist162. Dass das Denken (ratio, Vernunft) sprachgebunden ist nicht im Sinne bloß einer Schranke, sondern einer produktiven Andersheit und Bedingung seiner Wahrheitsfähigkeit, ist hier „idealistisch“ übersprungen163. Barths Insistieren auf der „Geistigkeit“ mag wohl dem „naturflüchtigen Geist der Aufklärung“ (138) mit seiner „relativen Kanonisierung des Geistes gegen die Natur“ (139) näher verhaftet bleiben, als ihm selber vielleicht deutlich war. Jedenfalls scheint er hier keine andere Alternative als die in der Tat aufklärerische von „Geistigkeit“ (d. h. „Reden und Antwort, Erkenntnis und Entscheidung“) und der Abgleitung in die Natursphäre („nur noch Bewegung, Druck und Stoß“) zu kennen (cf. 140)164. Dass Reden „in Korrelation steht zu Hören, Verstehen, Gehorchen“ (140), gehört zu sehr in den systematischen Kontext von Barths Bestimmung des Wortes Gottes als „Befehl“ (s. o.), als dass hier nicht das göttliche Wort rationalistisch verzeichnet würde. Dazu stimmt, dass die Rede Barths von der diesem eignenden „geistigen Gewalt der Wahrheit“ natürlich seinem grundlegenden Verständnis von der Selbstoffenbarung göttlicher „Herrschaft“ (323) korrespondiert. Woran es diesen Festsetzungen mangelt, ist, dass im Ereignis des Glaubens, den der Hl. Geist durch sein Wort hervorruft – „es ist der Glaube, der die Rede Gottes hört, versteht und ihr gehorcht“ (140) der Hörer sich neu bestimmt erfährt im Gewissen und gegen sein Gewissen, über alle Vernunft hinaus im neuen Verstehen seiner selbst und hörend, was ihm seine Vernunft nicht aus sich selber sagen, was ihm nur im zugesprochenen, sprachlichen Wort begegnen kann. So aber erfährt er sich ohne und sei es eine „geistige“ Gewalt verwandelt, befreit und sich neu geschenkt: Man denke nur an das Hören des 162 Cf. Hegels denkwürdige Formulierung von der Sprache – im Vernehmen eines Ich durch ein anderes – als der „Mitte selbständiger und anerkannter Selbstbewußsein[e]“ und so als das konkrete „Dasein des Geistes“ (Phänomenologie des Geistes (Hoffmeister), 458 f; cf. 362 f). Die Sprache hat nach Hegel ihre letzte Wahrheit in der Verzeihung: „Das Wort der Versöhnung ist der daseiende Geist …, – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist“ (471). 163 Cf. Humboldts wesentliche Einsicht: „Durch die gegenseitige Abhängigkeit des Gedankens, und des Wortes von einander leuchtet es klar ein, dass die Sprachen nicht eigentlich Mittel sind, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken“ (Gesammelte Werke (Leitzmann), Band IV, 28; zur Interpretation mit Blick auf Kleists Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ sowie auf die Sprache des Gebetes cf. J.R., Reden – Denken – Beten; in: Arbeit am Gottesbegriff I (2004), 137 ff). Auch für Hamanns antiaufklärerisches Sprachdenken war der Satz: „Vernunft ist Sprache“ zentral. Luther selber redet in solchen Kontexten freilich nicht von ratio, sondern besteht auf dem Vorrang des „Hörens“ vor dem Sehen – aus eschatologischen Gründen. 164 Cf. z. B. die Aussage, dass an dieser Unterscheidung des rational Geistigen „von einer verabsolutierten Naturgewalt“ – im Sinne R.Ottos – „für das Verständnis des Begriffs des Wortes Gottes zunächst alles (hängt)“ (140).
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Vergebungswortes im Glauben! Ihm „gehorcht“ man, und man „versteht“ es nur so, dass man sich zu einem neuen Selbstverständnis entbunden weiß. Wegen seiner zugrundegelegten, selber nicht-sprachlich verstandenen, „normalen Ordnung des Geistigen und des Natürlichen“ (140) bleibt Barths hier geäußerte Kritik an naturalistischen Begriffen (bzw. an Bildworten) in der theologischen oder gottesdienstlichen Sprache auch ganz an der (Oberfläche der) bloßen Terminologie orientiert und vermeidet so gerade die wesentliche Frage nach dem Status der Sprache als solcher. Und wo er an dem Abgleiten in die Metaphorik von „Bewegung, Druck und Stoß“ kritisiert, hier gehe es statt um „Wahrheit“ nur noch um „Wirklichkeit“ (140)165, so ist zu bedenken, dass er selber wesenhaft vom Handeln Gottes redet (s. u. 3.: „Die Rede Gottes als Tat Gottes“, 148 ff), während doch Sprechen gerade aufgehobenes Handeln ist. Dahinter steht aber das Grundsätzliche, dass Barth theologisch Wahrheit exklusiv von (Gottes) Wirklichkeit her denkt, weil die geistige „Gewalt“ des Wortes Gottes seine Wahrheit nur über das Sichselbstsetzen von Gottes „Selbstwort“ vermittelt, und d. h. dass diese Wahrheit nur ist als ein wirkliches aktuelles Sichereignen. 2.2 Persönlichkeit Indem Barth als zweites Bestimmungsmerkmal des Wortes Gottes, d. h. des theologisch zu begreifenden Sachverhaltes, dass „Gott redet“, seine Persönlichkeit hervorhebt (141), so ist dieses in seiner negativen Charakterisierung von der „Geistigkeit“ nicht eigentlich unterschieden bzw. führt nur deren Beschreibung weiter. Soll die „Geistigkeit“ „im Unterschied zur Natürlichkeit, zur Leiblichkeit, zu allem physischen Geschehen“ gefasst werden (138, s. o.), so ist auch das Wort Gottes nach seiner „Persönlichkeit“: „kein Ding, das zu beschreiben, … kein Begriff, der zu definieren wäre … weder ein Sachverhalt, noch eine Idee“ (141, cf. 143). Weil die Geistigkeit und Persönlichkeit die Charaktere sind, die Gottes Wort als exklusiv das Wort Gottes selbst bezeichnen, ist uns dies Wort Gottes selber „nicht in der Weise gegeben, wie uns natürliche und geschichtliche Größen gegeben sind“ (136, s. o.). Daher ist die persönliche Geistigkeit bzw. geistige Persönlichkeit dieses Wortes als des göttlichen Selbstwortes dadurch ausgezeichnet, dass es unter keine „Kategorie“ sc. des endlichen Begreifens bzw. des klassifizierenden Verstandes fallen kann (cf. 164). Eben weil es „nicht ein objektives“ (141) ist, entzieht es sich dem subsummierenden Denken der Vernunft, und zwar entzieht es sich ihm positiv, als sich selber setzend: „Es ist das Objektive, indem es das Subjektive, 165 Je stärker Barth die „geistige Gewalt der Wahrheit“ um Gottes Herr-seins willen von der Wirklichkeit abhebt (cf. bes. 140u.), desto mehr wird Wahrheit von der Sprache abgekoppelt, in der sie eben ihre Wirklichkeit hat (cf. u. S. 90). Zum dialektischen Verhältnis von Sprache und Wahrheit cf. das Humboldt-Zitat o. Anm. 163.
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nämlich das Subjektive Gottes ist…: der redende Gott“ (ebd.). In diesem je und je Sich-selbst-Setzen (bzw. Durchsetzen) Gottes als er selber, d. h. als der Herr, besteht sein Reden bzw. die „geistige Gewalt der Wahrheit“ seines Wortes (140, s. o.). In solcher „persönlichen“ Unverfügbarkeit ist Gottes aktuelles Wort „nicht“ ,eine‘, auch nicht die höchste ,Wahrheit‘“ (141), denn als solche wäre sie nach Barth immer noch Objekt menschlichen Denkens und würde als von Gottes Selbstvollzug losgelöst, für sich existierend thematisierbar sein, also gerade um seine „Persönlichkeit“ gebracht. Das Wort Gottes ist „geistig“, indem es nichts anderes ist als die sich selbst bewahrheitende „Persönlichkeit“ Gottes: „Es ist die Wahrheit, indem es Gottes sprechende Person ist, Dei loquentis persona“ (ebd.), und nur so ist es wirklich die Wahrheit selber. Freilich zieht dieses Wahrheitsverständnis Barths die Wirklichkeit des Redens ins Fragliche, die er vom Wort Gottes bzw. von Gott selber aussagen will. Zwar wäre die Wirklichkeit von Rede eindeutig sicher gestellt, wenn Barth die Wendung Calvins „Dei loquentis persona“ (cf. 117, 320), was sprachlich an sich möglich ist, im Sinne eines Gen. posses. verstehen würde, also von einer Person, die für Gott, der durch sie redet, spricht, d. h. an seiner Stelle166. Demgegenüber bezieht Barth die Wendung eindeutig auf „das Subjektive Gottes“, d. h. auf Gott selber als die selbst sprechende Person, versteht sie also im Sinne eines Gen. subj.; „Gottes sprechende Person“, das ist „der redende Gott“ (ebd.) als er selber. Aber genau in dieser Identifizierung des Redens mit Gottes eigener Wirklichkeit liegt bei Barth faktisch eine Distanzierung von der Wirklichkeit des Redens als solchem. Denn für das spezifisch sprachliche Phänomen von „Rede“ gibt es ein anderes? ist die Selbstübersetzung des Redenden ins Wort konstitutiv: Im allgemeinen „Medium“ von Sprache ist er so für sich da, dass er es zugleich für andere (die Hörer) ist bzw. sein kann. Genau daran ist auch die wesentliche Möglichkeit gebunden, dass Rede immer auch Rede über Etwas, inhaltlich bestimmte (und nicht nur unmittelbarer Selbstausdruck eines Subjektes) ist. Auch Barth versucht, die Wirklichkeit der Rede in dieser zweiten Hinsicht zu sichern, verfehlt dies aber, weil er die erste fundamentale Hinsicht ausblendet. Auch Gottes Wort soll wirkliche, weil inhaltlich bestimmte Rede sein: „nicht etwa bloß die formale Möglichkeit, sondern die gefüllte Wirklichkeit göttlicher Rede“ (141). Auch als Rede wirklich ist diese Rede, weil sie „immer einen ganz bestimmten objektiven Inhalt“ hat: „Gott redet immer ein concretissimum“ (ebd.). Aber eben dieses wichtige Strukturmoment jeden Redens wird von Barth sogleich wieder um seine Sprachlichkeit gebracht, indem er es 166 Das wäre durchaus im Sinne des NT. Zu den neutestamentlichen Zitationsformeln bemerkt G.Kittel: Die „Tatsache, daß diese Zitationsformeln [sc. mit menschlichen Redesubjekten] mit denen des göttlichen Subjektes meist völlig frei wechseln, beweist zwingend, daß das Nebeneinander beider Formel-Kategorien für die Männer des NeuenTestaments keinerlei Überschneidung oder Gegensatz bedeutet“ (ThWbNT IV, 111 f).
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theologisch verabsolutiert – das indiziert bereits der Superlativ: „Aber dieses göttliche concretissimum ist als solches weder vorherzusagen noch nachzusprechen“ (ebd., Hervorh. J.R.). Zwar soll die göttliche Rede inhaltlich gefüllte Rede sein, aber als solches absolutes „Ereignis“ ist sie wirklich nur in Verbindung mit Gott selber, d. h. so mit Gottes freier Selbstwirklichkeit vereint, dass die Sprachlichkeit dieser Rede wieder aufgehoben bzw. abstrakt negiert wird: „Was Gott redet, das ist nie und nirgends abstrahiert von Gott selbst bekannt und wahr“ (ebd.). Genau deshalb, weil Gott nach Barth gar nicht im sprachlichen Wort als solchem sein kann, ist sein Wort unabtrennbar von seiner eigenen Wirklichkeit und wahr ausschließlich „dadurch und darin, daß er selbst es sagt“ (ebd.). Dies bedeutet für die betonte Inhaltlichkeit der Rede aber nichts anderes, als dass in aller inhaltlichen Bestimmtheit seines Redens letztlich Gott selbst bzw. er als er selbst der qualifizierte Inhalt aller Inhalte, eben das concretissimum ist167. Dies ist der theologische, die Sprachlichkeit des göttlichen Redens zurücknehmende „Vorbehalt“ Barth weist hier selber auf die frühere Distanzierung der Offenbarung gegenüber Schrift und Verkündigung hin (cf. 141) –, „daß er [sc. Gott] in Person in und mit dem von ihm Gesagten gegenwärtig ist“ (141, Hervorh. J.R.). Man sieht, dass und wie die „Persönlichkeit“ des Wortes Gottes mit seiner Sprachlichkeit konkurriert. Gott spricht bei allem inhaltlich Gesagten immer von sich selber, sagt sich selber aus, redet darin eigentlich nur von sich selbst; so will er „in seinem Worte selber zu uns kommen“ (144, Hervorh. J.R.). Aller Inhalt seiner Rede bringt Gott selbst als den eigentlichen Inhalt mit, und er ist das „Selbstwort“ in allem von ihm Gesagtem selber, das concretissimum alles konkret von ihm Geredeten. Gottes Wort das ist letztlich nur seine Weise (redender) Selbstvergegenwärtigung: „Es ist Gottes und nur Gottes Wort eigen, eben als Wort auch die volle echte Gegenwart des Sprechenden … zu sein“ (147). Diese Exklusivität des Wortes Gottes setzt es aber als sprachliches Wort außer Kraft. Denn schließlich muss Barth einerseits auch die Inhaltlichkeit wieder relativieren: „Nicht irgend etwas, … sondern er selbst kommt zu uns in seinem Wort“ (143). Andererseits depotenziert er konsequent die Sprache zum bloßen „Mittel“, durch das Gott sich offenbart (cf. 142). Nun möchte Barth selber einer solchen Kritik zuvorkommen durch die Erklärung: „Die Verpersönlichung des Begriffs des Wortes Gottes … bedeutet nicht seine Entwörtlichung“ (143)168. Barths Begründung für diese These 167 Dem entspricht die exklusive Zuspitzung des göttlichen Wortes auf den abstrakt Einzelnen (als Hörer): „Sein Inhalt ist, wo und wann immer Gott zum Menschen spricht [ubi et quando!], ein concretissimum, er hat jedem Menschen je und je etwas ganz Besonderes, gerade ihn und so nur ihn Angehendes zu sagen“ (145). Das sich selbst begründende Ineffabile (348) tritt dem Menschen als individuum ineffabile gegenüber. 168 Wenn Barth fortfährt: „Sie bedeutet aber … die Erkenntnis seines Personseins im Unterschied zu allem Dingsein oder Sachesein, auch wenn und sofern es Wort, Schriftwort und Predigtwort ist“ (143), so steht man vor der Frage, wie denn ein „Dingsein oder Sachesein“ bei sprachlichen
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verläuft in zwei Schritten. 1. spricht er Gott exklusiv das freie Personsein zu, und 2. bezieht er die Worthaftigkeit des göttlichen Redens darauf. Dieser erste Schritt verschiebt freilich in seinem Duktus das Problem von der Sprache weg und hin zur Frage des „Anthropomorphismus“. Gott wird das Personsein als – im logischen und im ethischen Sinne – „freies Subjekt“ Sein zugesprochen (cf. 143), und dies in einer Weise, wie es keinem Menschen „im vollen ernsten Sinn dieses Begriffs Person“ zukommen können soll169. Gegen diese Begründung ist sachlich und methodisch etwas einzuwenden. Einmal, wird die Freiheit des göttlichen Subjektes darin gesetzt, „auch wählen können neuer Daseins- und Soseinsmöglichkeiten“ (ebd.) zu bedeuten, so ist das entweder ein Widerspruch zu Barths früherer Erklärung, dass Gott, wiewohl er es könnte, faktisch nicht durch den Kommunismus, ein Flötenkonzert, einen blühenden Strauch oder einen toten Hund zu uns reden will (55) und die Theologie sich daher in ihrer Rede gehorsam an seine wirkliche Rede zu halten habe so dass man zumindest vor der Frage steht, ob er hier bei „neue Daseins- und Soseinsmöglichkeiten“ auch an außersprachliche denkt –, oder es geht hier bloß um die abstrakte Anerkennung einer ganz abstrakten Freiheit überhaupt so dass auch so die Frage der Sprachlichkeit suspendiert wäre. Sodann ist methodisch einzuwenden, dass Barths Verweis auf den logischen und ethischen Sinn von Subjektsein eben die hier einschlägige Dimension sprachlichen Subjektseins nicht thematisiert, die beim Ich-Sagen Gottes in seinem Reden ihren Ort hätte. Dadurch wäre die Erklärung erst sachlich konkret geworden. Der zweite Begründungsschritt knüpft nun merkwürdiger Weise an Gottes „Unbegreiflichkeit“ an, die darin besteht, dass er „wirklich Person, wirklich freies Subjekt“ ist (143), um ziemlich indirekt um nicht zu sagen: überredend die Worthaftigkeit von Gottes Reden mit seinem Personsein zu verbinden: „so gewiß dürfen wir uns, sein Wort hörend, nicht weigern, diesen Gedankenanfang zu denken, ihn gerade in seinem Wort als Person zu erkennen“ (ebd.). Barth formuliert eigentlich nur entschieden seine These: „Gerade in seinem Wort ist Gott Person“ (ebd.), und sein Interesse ist weniger auf deren Begründung, als vielmehr auf ihre theologische Erläuterung gerichtet, die die konkrete Bedeutung dieses Satzes sicherstellen soll. Es folgt nämlich der schon o. zitierte Satz (cf. o. S. 64): „Er ist der Herr der Wörtlichkeit seines Wortes“ (143). Das Wort „Herr“ erläutert Gottes Personsein im Verhältnis zu seinem Wort, und dies Verhältnis ist demgemäß das einer einseitigen Bindung, wenn nicht einer Konkurrenz: „Er ist nicht an sie, Sachverhalten wie Wort, Schrift und Verkündigung überhaupt möglich sein soll, sofern sie eben sprachlich sind. Hier wird ein weiteres Mal mit Händen greifbar, dass in diesem Konzept die Sprache nicht reflektiert wird. Meine ganze Interpretation zeigt indes, dass dieser faktische Mangel zugleich eine programmatische Vermeidung ist. 169 Ein Anklang an Goethes Personverständnis ist hier freilich unüberhörbar: „geprägte Form als auch … lebendige Entwicklung“ (143); cf. Urworte. Orphisch: DAILYM, Dämon (v. 8).
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sondern sie ist an ihn gebunden“ (ebd.). Nicht wird die „Persönlichkeit“ der Rede Gottes sprachlich ausgelegt oder als sich in der Sprache realisierend begriffen, sondern umgekehrt wird die konzedierte Worthaftigkeit in das abständige Personsein des Herrn zurückgenommen, der „aus einem unaufhebbaren Gegenüber“ nicht nur zu aller Humanität (62), sondern auch zu aller bloß dienenden Sprache „redet“. Statt Gottes Selbstbindung an die Menschensprache und damit die Wörtlichkeit seines Glaube und Gewissheit stiftenden Wortes theologisch stark zu machen, liegt Barth nur abstrakt an einer freien Verfügbarkeit (nicht über das Wort, sondern) über die Wörtlichkeit des Wortes als eines bestimmten solchen: „Gott verfügt also frei über die Wörtlichkeit der Heiligen Schrift, er kann sie gebrauchen oder auch nicht gebrauchen, er kann sie so oder auch anders gebrauchen und er kann über die Wörtlichkeit der Heiligen Schrift hinaus neue Wörtlichkeit wählen … immer so, daß er selbst es ist, der in dieser Wörtlichkeit redet“ (143). Man fragt sich, ob hier nicht Gottes „freies“ wählen Können an sich so prinzipiell gegen sein konkretes Gewählthaben ausgespielt und isoliert wird, dass gar nicht mehr verständlich bleibt, inwiefern es so etwas wie eine (verbindliche) „Heilige Schrift“ noch theologisch geben kann. Insbesondere die Rede von einer (möglichen) „neuen Wirklichkeit“ ist gänzlich abstrakt, überspringt sie doch „prinzipialistisch“ die notwendige verbale Kontinuität solchen „neuen“ Redens Gottes mit der Bibel (und dem Bekenntnis), denn auch als Weitersprechen müsste solche neue Rede anschlussfähig bleiben. Das besagt: Gottes nur prinzipiell als möglich behauptetes neues Reden könnte eine radikal „neue Wörtlichkeit“ nur um den Preis sein, nicht mehr innersprachliches Reden, also eine jener „neuen Daseins- und Soseinsmöglichkeiten“ außer der Sprache zu sein. Wie es damit auch stehen mag, deutlich ist gegen Barths erneute Beteuerung: „Die Persönlichkeit des Wortes Gottes bedeutet nicht seine Entwörtlichung“ (143) –, dass die Verhältnisbestimmung von Personsein und Reden Gottes, wie Barth sie hier vornimmt, faktisch doch auf eine Entwörtlichung in Gestalt zumindest einer relativierenden Distanz zur Wörtlichkeit hinausläuft. Das kann auch gar nicht anders sein, weil für Barth eben allein der Rückbezug des Wortes auf Gottes freies Selbstsein gegenüber und in unaufhebbarer Distanz zu aller Sprachlichkeit und Wörtlichkeit seines Redens das theologische Grundaxiom bleibt: „immer so, daß er selbst es ist, der in dieser Wörtlichkeit redet“ (ebd., Hervorh. J.R.). Dass Barth abschließend seine Distanz zur Wörtlichkeit göttlichen Redens damit motiviert, so ein „wirksames Hindernis, seine Wörtlichkeit in ein menschliches System zu bringen“ zur (gottgewollten) Geltung bringen zu können, verschiebt wiederum die Sachfrage noch einmal170. Zugleich ver170 Barths Haltung gegenüber der Systemfrage ist nicht eindeutig. Hat er zu Beginn von KD I/1 schon erklärt, die Dogmatik könne es „auf ein System christlicher Wahrheit nicht abgesehen haben“ (80), so wendet er sich auch hier gegen ein System (so angeblich im römischen Katholizismus und im Altprotestantismus) als „eine stabile Summe von offenbarten gleich den
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deutlicht es symptomatisch, dass die Barthsche Theologie durch eine ebenso grundsätzliche wie unaufhebbare Konkurrenzfigur alternativer Bemächtigung durchweg strukturiert ist: die perhorressierte menschliche Möglichkeit, „über sein [sc. Gottes] Wort Macht zu gewinnen“ (143) kann zur Alternative nichts anderes haben als die „schlichte geistige Gewalt“ der Wahrheit (140). An dieser Opposition orientiert, ja auf sie fixiert zu sein, erlaubt natürlich nicht, die Sprache als Ort göttlicher Selbstherablassung zu denken, wo Gott „uns jnn unser menschlichen spräche sich anböte, das er unser Gott sein wolle“ (WA 38, 365, 16 f.). In die analysierten Ausführungen Barths über die „Persönlichkeit“ des Wortes Gottes ist nun aber auch eine christologische Erörterung eingelegt, die diesen Wesenszug bekräftigen, wenn nicht sogar begründen soll. Aber auch dieser Schein trügt, wie jetzt noch darzulegen ist, weil auch hierbei das Gefälle, sich von der Sprachlichkeit zu distanzieren, theologisch beherrschend bleibt. Denn wenn Barth sagt, dass man der „Verpersönlichung“ des Wortes Gottes „in Erinnerung daran, daß Jesus Christus das Wort Gottes ist, nicht ausweichen“ könne (143), so zeigt sich, dass die Rede von einer „Persönlichkeit“ des Gotteswortes lediglich eine Folgerung ist, deren Begründung hier in den Blick kommt. Weil und insofern Gott selber (sprechende) „Person“ ist, kann auch nur eine Person sein eigentliches Wort sein. In diesem Sinne ist Jesus Christus als das Wort „Gottes sprechende Person“ (cf. 141). Das ist freilich damit zusammenzudenken, dass er in der Trinitätslehre nicht als Person, sondern als „Seinsweise“ (cf. 378 ff. u. 457 f) und in der Wort-Gottes-Lehre des § 4 selber auch nicht als Person, sondern als „Gestalt“ der Offenbarung beschrieben wird (cf. 116 ff). Eben an diese „alles tragende und begründende dritte Gestalt des Wortes Gottes“ knüpft Barth hier wieder an (141). Um das Wort Gottes in seinen sprachlichen Gestalten als Verkündigung und Schrift wirklich als Offenbarung verstehen zu können, „müssen wir es in jener Identität mit Gott selber verstehen“ (ebd.). Weil die Identifikationsrichtung hierbei aber anstatt Gott in jener Identität mit Schrift und Verkündigung zu verstehen von den sprachlichen Gestalten und d. h. der Worthaftigkeit des Wortes gerade wegführt (cf. o. zu § 4.3. u. S. 69 f), wirkt sich das auch auf den Sinn des Satzes aus, der gerade das Wort Gottes in seiner Identität mit Gott festhalten will: „Gottes Offenbarung ist Jesus Christus, Gottes Sohn“(ebd.)171. Jedenfalls ist das genaue „Wie“ jener Identität, „in“ der Gottes Wort sich zu Gott selber verhält, a priori Paragraphen einer Rechtsquelle in ein System zu bringenden Sätzen“ (142). Ein „wirksames Hindernis“ dagegen (ebd.) sei in der Gleichung: Gottes Wort ist Gottes Sohn, aufgerichtet; aber im gleichen Atemzug heißt es von eben diesem Sohn Gottes: „System in der Heiligen Schrift und in der Verkündigung kann allein die Offenbarung, d. h. aber Jesus Christus sein“ (ebd.). Freilich kann dieses System, wenn auch nicht einfach „ein menschliches System“ (143), so doch sicher auch nicht nur nicht ein solches sein. 171 KD I/1, 457 wird die Formulierung von Jesus Christus als Wort Gottes als eine „Bildrede“ apostrophiert!
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dadurch festgelegt, dass wie „Gott selbst in unzerstörter Einheit, aber auch in unzerstörter Verschiedenheit der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein ist“, so auch Gottes Wort nichts anderes ist als „Gott selbst in seiner Offenbarung“ (§8; 311. Hervorh. J.R.) und genau darum auch Gott selber „in und mit dem von ihm Gesagten gegenwärtig ist“ (141, 142, 147; sie dazu o.). Im strengen Sinne, also „beständig dieses Vorbehalts eingedenk“ (141), ist „jene Identität“ daher als eine dem Wort der Bibel und der Predigt gegenübertretende Identität (Gottes mit sich selbst) zu verstehen, d. h. als Identität, die vorrangig exklusiv für sich ist172, und so einer nachgeordneten, von ihr immer abzusetzenden, nur relativen und differenzierten Identität mit Schrift und Verkündigung gegenübersteht. Freilich versucht Barth hier auch, gemäß dem Satz: „Gottes Offenbarung ist Jesus Christus, Gottes Sohn“ (141), eine wechselseitige Bezogenheit zur Geltung zu bringen, um den Wortcharakter und den Persönlichkeitscharakter im Gleichgewicht zu halten. Zunächst bietet er die Gleichung: „Gottes Wort ist Gottes Sohn“ (142) gegen die römisch-katholische und die altprotestantisch-orthodoxe Abgleitung in ein doktrinäres Verständnis von „Wort Gottes“ auf. Dieses kann als PersonGestalt der Offenbarung eben keine „stabile Summe von offenbarten gleich den Paragraphen einer Rechtsquelle in ein System zu bringenden Sätzen“ sein (ebd.). Lässt sich so einerseits die Persönlichkeit schlechthin nicht in eine Summe von Sätzen überführen bzw. auf einen Inbegriff von Wörtern reduzieren173, so konzediert Barth an zweiter Stelle dann auch, die Gleichung in umgekehrter Richtung zu lesen: „Gewiß gilt ja auch das Umgekehrte: Gottes Sohn ist Gottes Wort“ (ebd.). Diese Identifikationsrichtung gilt allerdings nur in einem deutlich abgeschwächten Sinne: „Also Gott offenbart sich in Sätzen, durch das Mittel der Sprache und zwar der menschlichen Sprache“ (ebd.). Diese Abschwächung der Identität stammt aus einer (theologischen) Distanz Barths zur Sprache. Sprachliche Sätze sind lediglich ein „Mittel“, um die Offenbarung dem Menschen näher zu bringen, und sie ist offenkundig an ihr selber nicht-sprachlich. Ist es schon an sich eine widersinnige Zurechtlegung, Sprache als bloßes Mittel (sc. der diesem äußerlich bleibenden Transportierung von selber außersprachlichen Sachverhalten) aufzufassen, so zeigt sich an dieser Stelle krass, wie vorbehaltsvoll Barth vorher ausgesagt hatte: „Gott redet“ (cf. 137 u. ö.). Dies ist keineswegs wörtlich gemeint, weil eben auch das 172 Diese monadisch in sich verschlossene Struktur versucht Barth an Apc 19, 12 f zu demonstrieren – mit Hilfe der fragwürdigen Unterscheidung, der Name b kºcor toO heoO sei dem „Wortlaut“ nach allgemein, der „Wortsinn“ aber nur ihm selbst (sc. seinem Träger, d. h. Christus) bekannt (142; cf. 136). 173 Diese nur negative Unterscheidung lässt freilich die von der Inspirationstheorie – wenn auch auf fragwürdige Weise beantwortete – immerhin aufgeworfene Frage nach dem Grund der Möglichkeit von heilsgewissen und –relevanten Sätzen ganz beiseite, die grundsätzlich damit zusammenhängt, dass Jesus Christus in seinem Reden, Tun und Leiden eben „das Wort“ (und nicht ein Prinzip o. ä.) ist.
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von den Propheten und Aposteln gesprochene, in der Kirche verkündigte Wort nicht etwa Gottes Wort ist, sondern allenfalls „je und je dies und dies … Wort sein Wort“ nur erst wird, d. h. werden kann (142). Daher gilt es auch nur in einem sehr formellen Sinne, dass die „Persönlichkeit des Wortes Gottes … nicht etwa gegen seine Wörtlichkeit und Geistigkeit auszuspielen“ sei (ebd.). Denn das Moment der Persönlichkeit Christi als des Sohnes Gottes, d. h. der Selbstwiederholung Gottes in seiner Offenbarung als der Herr (cf. 333 f.), bleibt in dieser wechselseitigen Bezogenheit von Wort als Sohn und Sohn als Wort uneinholbar vorgeordnet. (Die „Geistigkeit“ für sich lässt sich ohnehin gar nicht gegen „Persönlichkeit“ ausspielen, da sie wie o. gezeigt von Barth gerade nicht sprachlich verstanden wird174.) Ein Indiz für diese bei Barth theologisch grundlegende Vorordnung gerade auch im Verständnis Jesu Christi als „des“ Wortes findet sich schließlich in seiner Auseinandersetzung mit Tillich (cf. 142). Zwar betont er gegen Tillichs Abschwächung des menschlichen Wortes zu einem „Symbol“ für die Selbstmitteilung des Seinsjenseits –, dass wenn uns das Sein Christi selbst gegenwärtig wird, dies durchaus so geschieht, „daß es sich mit dem Wort als physischen Mittel der Selbsterfassung und Selbstmitteilung des menschlichen Geistes gleichsetzt“ (ebd.), so dass Schriftwort und Predigtwort zum Wort Gottes werden. Aber diese Identifikation steht dann doch unter dem sie charakteristisch einschränkenden, generellen „Vorbehalt“, dessen Barth stets eingedenk bleiben will (cf. 141): „es kann uns nur indirekt gegenwärtig werden, nämlich durch die Wortverkündigung zunächst der Heiligen Schrift und dann auch der Kirche“ (142, Hervorhebungen J.R.)175. Als Resultat dieser Untersuchung ergibt sich: Die „Persönlichkeit“ des Wortes Gottes, die dessen Rede-Charakter demonstrieren soll (cf. 138), bleibt auch im Falle des Sohnes Gottes als seines Wortes schlechthin der Worthaftigkeit des Wortes theologisch so sehr übergeordnet, dass sie seinen Charakter als Rede eher demontiert. 2.3 Absichtlichkeit Einen dritten Wesenszug von Gottes Reden benennt Barth mit dem Stichwort „Absichtlichkeit“(144 – 148). Er versteht darunter, was das Wort Gottes betrifft, „seine Bezogenheit oder seine Gezieltheit, sein(en) Charakter als Anrede“ (144). Aus den näheren Erläuterungen wird deutlich, dass Barth hiermit sogleich und von vornherein die „Beziehung auf uns“ (145), d. h. das Wort „als an uns Gerichtetes, uns angehendes Wort“ (144) betont176. In dieser Hinsicht 174 Cf.das o. S. 90 über den Sinn des Genitivs „Dei loquentis persona“ Gesagte. 175 Demgegenüber reden die von Barth hier angeführten Luther-Zitate ausdrücklich und eindeutig von Christi Selbstidentifikation mit dem ihn verkündigenden Wort (cf. 142). 176 Barth nimmt hier in seiner Weise auf, was bei Luther das „Pro me“ heißt: „Eben dieses ,Gott mit
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stellt Barth dann zunächst mit Nachdruck heraus, dass diese Zuwendung Gottes zu uns in seinem anredenden Wort ähnlich wie die unableitbare Nichtnotwendigkeit bzw. göttliche Freiheit der Schöpfung einer Welt eine „freie tatsächliche nicht Gott wesensnotwendige Absichtlichkeit“ sei, die uns in Verkündigung, Bibel und Offenbarung begegnet (cf. 144). So sehr diese souveräne Zuwendung Gottes zu uns, der wir schon unser Dasein verdanken, nicht aus irgendeiner höheren, Gott übergeordneten Notwendigkeit zu begründen oder abzuleiten, sondern allein als zuvorkommende Tat seiner freien Liebe aufzufassen ist, so wenig ist mit dieser zustimmungsfähigen Aussage das Thema „Absichtlichkeit“ göttlichen Redens erschöpft. Denn zunächst einmal fällt auf, dass dieser – vielleicht nicht glücklich gewählte Ausdruck „Absichtlichkeit“ gar nicht spezifisch sprachlich ausgerichtet ist. Es fehlt der Bezug zum Wort als Wort, d. h. zu dem Ort, an dem der Sprecher (das Subjekt der Sprech- bzw. Anrede-Absicht) und der angeredete Hörer ihre Vermittlung haben (ähnlich wie bei der ersten Eigenschaft der „Geistigkeit“, s. o.). Dies ist in der Sache umso wichtiger, als die Sprache eben nicht instrumentelles „Mittel“ (cf. 142 u. dazu o. S. 95), sondern die mediale „Mitte“ ist, in der Sprecher und Hörer bzw. Anredender und Angeredeter beieinander sind. Dieses Unspezifische am Terminus „Absichtlichkeit“ hat zur Kehrseite, dass er hier zu allgemein ist. Er ließe sich formell auf viele „geistige“ Vollzüge oder Handlungen Gottes, die sich auf den Menschen richten, anwenden, sofern sie als Wollen, Einwirken auf Personen, Liebe u. ä. eine intentionale Struktur haben und erreichen, was sie erreichen sollen, ohne dazu wesentlich des Wortes zu bedürfen. Diese Fragen werden aber gar nicht angesprochen, weil Barth es kategorisch vermeiden möchte, sich bei seinen Darlegungen auf einen „allgemeinen Begriff des Redens“ überhaupt zu beziehen (144). Denn in der Tat lässt sich aus solchem Begriff nicht das Faktum „erschließen“, dass Gott uns in seinem Wort heilvoll angeredet hat bzw. sich uns überhaupt (uns erschaffend) zuwenden wollte. Gleichwohl hat der Begriff der „Anrede“ als solcher Voraussetzungen im Begriff des Redens bzw. der Sprache, die von Barth hier gänzlich außer Acht gelassen werden. Es sind daher zwei völlig unterschiedliche Fragen auseinander zu halten, die Barth gerade nicht differenziert. Einmal die Frage, ob und wie „Anrede“ als spezifisch sprachlicher Vollzug zu denken ist bzw. ob Anrede zum Reden (Gottes) überhaupt gehört, und sodann die andere von Barth in ihrer uns‘ muß nun aber, indem es mir gesagt wird, indem ich es höre, ohne aufzuhören, der göttliche Inhalt des Wortes zu sein oder sich als solcher zu verändern, vielmehr gerade als der lebendige und unveränderliche Inhalt des Wortes zu seinem Ziel kommen in meinem so oder so beschaffenen und mir bestimmten Dransein ihm gegenüber, in meiner durch das von Gott zu mir gesprochene Wort vollzogenen Qualifizierung“ (166). Von hier aus wären auch Barths Ausführungen über das je Besondere, was Gott jeweils „mir“ zu sagen hat, zu deuten (cf. 145).
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zweiten Hälfte zu Recht verneinte, speziellere Frage, ob die Angeredeten wir, die Menschen, sind (quaestio facti) und es gar notwendig sind (quaestio iuris). Die ausschließliche Konzentration Barths auf den „hörenden Menschen“ (145) ist also eine sachliche Verengung, die nur daran interessiert ist, diesen nicht als wesensmäßig im „Begriff“ des Wortes Gottes mitgesetzt erscheinen zu lassen (cf. ebd.), aber darüber schweigend hinweggeht, dass überhaupt nur aus dem allgemeinen Begriff des Redens verständlich zu machen ist, dass auch das Reden Gottes (irgend)einen Adressaten hat. Diese vorgeordnete Aufgabe würde aber in der Sache damit zusammenfallen, sich der theologischen Wesensaussage über Gott zuzuwenden, die grundsätzlich reflektiert, was es bedeutet, dass er überhaupt redet, d. h. ein Wort hat. Denn das Wort Gottes kann „Absichtlichkeit“, d. h. „Beziehung auf uns“ (145), als unableitbare, weil heilvolle Faktizität der gnädigen Zuwendung Gottes zu uns überhaupt nur an sich haben, weil das Wort als Wort überhaupt Beziehung auf … (sc. ein anderes) ist. Hier wäre die ewige Zeugung des Sohnes Gottes eben als sein „Wort“ zu bedenken, auf die Barth an dieser Stelle nur beiläufig zu sprechen kommt (cf. 144), und das heißt: die Gründung der Sprache in Gottes eigener trinitarischer Lebendigkeit und dem „ewigen Wort“. So erst käme die theologische Bedingung der Möglichkeit auch der „Anrede“ an uns bzw. von Gottes Hinwendung zu uns in seinem Wort in den Blick. Muss man vielleicht sagen: Gott redet in Ewigkeit sich selbst an, um verständlich zu machen, dass und wie sein Wort Anrede an uns sein kann? Jedenfalls gilt von der ewigen Zeugung des Wortes, dass Gott so sich schon ewig mitteilbar macht und trinitarisch bei sich selber im Gegenüber des Wortes ist, das er selbst als sein Sohn ist. Was Barth nur im Vorübergehen andeutet: „daß Gott bei sich selber und mit sich selber redet von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (144)177, das bedeutet den ewigen Grund der Sprache, durch die er auch in seinem Wort zu uns kommt. Darin vermittelt er zunächst aber sich selber in seinem ewigen Wort und spricht sich für sich selber aus; daher konnte Luther die Trinität selber als ein innergöttliches „Gespräch“ (in nicht-metaphorischem Sinn) beschreiben (cf. KD I/1, 179, wo WA 46, 545 zitiert wird!). Ist die „Anrede“ des Wortes Gottes an uns also zunächst nur möglich, weil und indem sie zunächst Anrede an sich selber und für Gott ist und muss sie theologisch genau in diesem Zusammenhang vom Wesen der Sprache aus begriffen werden, so wäre die daran anschließende Frage, wie genau diese Anrede als sprachliche (im Wort der Schrift und der Verkündigung) an uns kommt. Dies ist aber sicher nicht zu klären, ohne z. B. die sprachtheoretischen 177 Später spricht Barth ausdrücklich davon: „So gewiß das Wort Gottes zunächst und ursprünglich das Wort ist, das Gott bei sich und zu sich selber spricht in ewiger Verborgenheit [sc. als sein „Selbstwort“] … so gewiß ist es nun doch in Offenbarung, Schrift und Predigt das zu Menschen geredete Wort“ (198 f), und er verweist auf seine Trinitätslehre (ebd.); Barth zitiert Luthers sprachliche Deutung der Trinität (179).
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Einsichten Humboldts zu berücksichtigen, nach denen Sprache eben kein bloßes Mittel ist, um Absichten u. ä. auszudrücken, sondern eine eigentümliche „Zwischenwelt“, in der sich Redender und Hörer spezifisch begegnen178. Leider unterlässt Barth es nun völlig, die Eigenschaft der „Absichtlichkeit“ des Wortes Gottes, d. h. „seine Bezogenheit und seine Gezieltheit“ auf uns (144) zu seiner Verfasstheit als (sprachliches) Wort in Beziehung zu setzen. Von daher bleiben die vier „Gesichtspunkte, unter denen wir auf seinen wirklichen Inhalt zu achten haben“ (146 – 147: das Wort Gottes als Wort des Herrn, des Schöpfers, des Versöhners und des Erlösers), sprachlich völlig abstrakt. Das wirkt sich auch theologisch in problematischer Weise aus, weil so unberücksichtigt bleiben muss, dass diese vier Gesichtspunkte (durchaus auch inhaltlich!) selber zum Wort Gottes gehören gegen Barths Versicherung, sie „nehmen nichts von seinem wirklichen Inhalt vorweg“ (146), weil gerade sie selber eben nur im Worte Gottes, ja sogar fundamental als dieses, d. h. worthaft, wörtlich und als bestimmte Wörter (z. B. der Hl. Schrift und der Predigt) begegnen. Insbesondere ist es die Kondeszendenz Gottes in die Menschensprache, die bei diesem formellen Geltendmachen jener abstrakten Gesichtspunkte ganz unterbelichtet bleibt. Heißt es bei Barth, „das Wort Gottes [als Wort unseres Schöpfers] geht uns darum an, wie uns kein Menschenwort als solches angehen kann“ (146), so ist das nur insofern richtig, als man nicht berücksichtigt, dass uns dies Wort des Schöpfers eben als Menschenwort der Bibel bzw. Verkündigung erreicht. Entsprechend gilt für die Erneuerung des Menschen im Wort Gottes, dass wenn dies „einerseits eine Kritik der Wirklichkeit der zwischen ihm [sc. Gott] und uns bestehenden Beziehung bedeuten“ muss (147), diese Kritik eben durch das Wort der Sprache an uns kommt, wie auch Gottes „Gegenwart durch das Wort … eben Gegenwart als Kommender“ nur ist im Wort unserer Sprache (ebd.). Barths Motiv für diese permanente Ausblendung der Sprachdimension ist freilich unschwer zu erkennen. Er betont ohne die immer nur sprachliche Vermittlung zu berücksichtigen bei Gottes Rede und Anrede primär „Gott selbst als den auf uns Zielenden“ und so „in strenger Souveränität“ sein Wort bestimmenden und so uns gegenübertretenden (145 f.) Herrn auch der Wirklichkeit seines Wortes (cf. 143). Heißt es vom Wort dieses in Diastase verbleibenden Herrn: „Es ist der Felsblock eines Du, aus dem kein Ich wird“ (sc. kein menschliches, 146), so wird damit der mediale Status der Sprache, in der Gott zu uns spricht und mit der als einer „Zwischenwelt“ sui generis er den Ort seiner Begegnung mit uns und unserer Begegnung mit ihm bestimmt hat, verkannt bzw. in letztem Betracht sogar zurückgenommen. Dass Gott redet und sein Wort Anrede an uns ist, wird präjudiziert dadurch, dass er dabei „unauflöslich“ der Herr bleiben 178 Cf. Gesammelte Werke (Leitzmann), Band IV, 26; V, 110, VII, 60 u. ö.
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muss und seine Verbindung mit uns zugleich Nichtverbindung, weil die Sprache ihm zutiefst äußerlich ist: „So ist er der Herr, d. h. das Du, das dem menschlichen Ich entgegentritt und sich verbindet als das unauflösliche Subjekt und das ihm ebenso und darin als sein Gott offenbar wird“ (367, § 9 Leitsatz). Der theologische Sachgehalt dessen, was für Barth „Absichtlichkeit“ bzw. Anrede des Wortes Gottes allein heißen kann, ist damit theologisch formuliert. Zugleich ist absehbar, dass Barths Beschreibung des Wesens von Gottes Wort in diesem Paragraphen, die mit „Rede Gottes“ begann, konsequent in der Thematisierung von „Gottes Geheimnis“ enden muss.
3. Gottes Rede als Tat An sich muss ein Verständnis von Reden als einem Tun nicht zu einer Entsprachlichung der Sprache führen auch nicht im Falle von Gottes Wort und Rede. Neuere theologische Ansätze, wie sie sich in der Aufmerksamkeit auf so etwas wie „Sprachereignis“ und „Sprachgeschehen“ (Fuchs, Ebeling) ausgebildet haben, oder auch moderne philosophische Konzepte wie die sog. Sprechakttheorie (Austen, Searle)179 bzw. die Untersuchung performativer Rede (theolog. bei O.Bayer), die Barth 1932 freilich insgesamt noch nicht kennen konnte, sind in diese Richtung gegangen. Auch im Raum des Humboldtschen Sprachdenkens ist über den differenzierten Zusammenhang von Sprechen und Handeln Genaueres zu erfahren. Hatte Barth schon vorher betont, dass „Gottes Rede auch als Gottes Tat zu verstehen“ ist (137; cf. 95), so wollte er zugleich den Begriff der Tat streng an den göttlichen Redens zurückgebunden sehen, so dass „nur Gottes Rede wirklich Gottes Tat“ ist (ebd.). Diese Rückbindung soll mit sich bringen, dass der Begriff Tat nur als „Exegese“ des Begriffs Rede in Betracht kommt (cf. ebd.). Freilich kann solche „Exegese“ bedeuten, entweder dass ein implizites Bedeutungsmoment des sprachlichen Wortes herausgearbeitet wird oder dass es sich dabei um die Aufdeckung einer fundierenden Dimension des „Wort“ oder „Rede“ (Gottes) Genannten handelt. Das Gefälle von Barths Interpretation geht nun entschieden in die zweite Richtung, und das notwendigerweise. “Das Wort Gottes ist selbst die Tat Gottes“ (148) daher ist es nicht bloßes Wort (im endlichen bzw. gewöhnlichen menschlichen Sinn), das einer Ergänzung durch so etwas wie die Tat auch nur fähig oder gar bedürftig wäre (cf. ebd.). Gottes Reden, das ist schon sein Tun, und Gottes Tat besteht in nichts anderem als dem Ereignis seines göttlichen Wortes. Weil nämlich Gottes Wort und es exklusiv „eben als Wort auch die volle echte Gegenwart des Sprechenden“ (und so auch selber Kommenden) ist (cf. 147), darum koinzidieren Wort und Tat Gottes aktuell in seiner Selbstvergegenwärtigung. Darum 179 Cf. A. Schulte, Religiöse Rede als Sprachhandlung. Eine Untersuchung zur performativen Funktion der christlichen Glaubens- und Verkündigungssprache (1992).
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ist die von Barth gemeinte Einheit von Rede und Tat bei Gott bereits in seinem Begriff des „Selbstwortes“ (52, 58 u. ö., cf. dazu o. S. 31 ff) impliziert. Im Ereignis seiner Rede als göttliches Selbstwort überführt das Wort Gottes von sich als Tat und setzt es aus sich heraus im spezifischen Sinn „Geschichte“, wie Barth immer wieder betont (148, 149 u. ö.). Freilich ist Gottes Rede „Tat“, indem sie solche Selbstvergegenwärtigung im Wort, d. h. in seinem Wort, ist, dies jedoch nicht völlig als (sprachliches) Wort, sondern gerade im aktuellen Sichunterscheiden davon: eben als Gottes „Selbstwort“. Zwar soll die übliche Unterscheidung von Tat und Wort für das Reden Gottes nicht gelten: „Denn gerade als bloßes Wort ist es Tat“ (149). Doch die sofort folgende Näherbestimmung schränkt den Sinn dieser Identität charakteristisch ein: „Ist es doch als bloßes Wort die göttliche Person, die Person des Herrn der Geschichte, dessen Selbstäußerung als solche Veränderung und zwar absolute Veränderung der Welt… ist“ (ebd.). Gottes Rede als seine Tat wird also von Barth mit theologischem Vorrang als Tat Gottes, als sein eigenes Tun, und nicht oder fast nicht als wirkliche „Tat“, d. h. als Ergehen(lassen) seines Wortes als Wort thematisiert180.Wie die folgenden Erläuterungen Barths denn auch zeigen, geht er auf das Spezifische an Gottes Wort und Rede, nämlich die Tat seiner Selbstentäußerung und Selbstherablassung (Kondeszendenz) in unsere Sprache zu sein, gerade nicht ein. Ein Indiz dafür mag man darin sehen, dass wenn Barth „Tat“ im Unterschied vom Wort (als Selbstäußerung einer Person) als „Veränderung der Umwelt“ bzw. „aktive Teilnahme an der Geschichte“ auffasst (149), er überhaupt nicht daran denkt, dass dies im Falle des Tuns der göttlichen Rede gerade die „Veränderung“ der Sprache von Bibel und Verkündigung bzw. Gottes „aktive Teilnahme“ an diesen betrifft, und das sogar primär. Barths „Exegese“ von Gottes Wort als „Tat“ ergibt also im Resultat die Zurückbiegung der Rede in Gottes eigenes Tun, bzw. die „Tat“ hebt das Wort in sich auf. Dies kann nach der Barthschen Logik auch gar nichts anders sein, dergemäß die Offenbarung das mit Verkündigung und Schrift auch schon tut (cf. 120 f). Dass diese Gottes Wort allererst immer noch werden (können bzw. müssen), heißt nichts anderes, als dass die sprachliche Rede Gottes (in Bibel und Predigt) in solchem Falle (d. h. je und je) zum Ereignis göttlicher Tat als solcher wird. Diese grundsätzliche Einschätzung der theologischen Dominanz von „Tat“ gegenüber wörtlicher „Rede“ bei Barth, wird durch seine dreifache Erläuterung zum Begriff göttlicher Tat (im Reden Gottes) bestätigt, wie nun kurz zu zeigen ist.
180 Von Gottes Reden als solchem ist denn auch in diesen Abschnitten immer weniger zu vernehmen. Diese Formulierung tritt auffällig zurück zugunsten der (trinitarisch oder offenbarungstheologisch-christologisch akzentuierten) „Wort Gottes“.
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3.1 Kontingente Gleichzeitigkeit Obwohl gilt, dass Gottes Reden bzw. Wort in allen seinen in § 4 behandelten „Gestalten“ Gottes Tat ist (149), wird doch jeder dieser Gestalten von Barth eine bestimmte, für diese jeweils spezifische Zeit zugeordnet (cf. 150). Es ist nämlich Gottes (kontingentes) Tun, das im Überschritt von der einen zur je anderen Zeit die „Relation zwischen den drei Gestalten“ allererst aktuell bestimmt (154). In diesem Sinne sind „die Zeiten des Wortes Gottes verschieden“ (150) gemäß unableitbarer und nicht fixierbarer göttlicher Tat. Diese Verschiedenheit drückt sich in einem exklusiv theologisch begründeten Gefälle aus, das die je andere Zeit Christi (als der eigentlichen Offenbarung), sodann die Zeit der biblischen Zeugen (Apostel) und schließlich die Gegenwart unserer Situation voneinander absetzt (150, 154), so dass zwischen Gottes ursprünglicher Offenbarung, deren Zeugnis (im Kanon) und der davon abgeleiteten Verkündigung an uns (150) eine unaufhebbare „Unterordnung“ besteht (154, 150). Unbedacht bleibt, dass derartige Unterschiede doch immer auch vermittelt sind durch eine sprachliche Kontinuität des (inhaltlichen) Wortes. Barth erwähnt in sprachlicher Perspektive nur den (relativen) Unterschied von „Sagen“ (des Wortes Gottes) und „Sichsagenlassen“ (150). Diese „ordnungsgemäße Verschiedenheit“ (152, 150 u. ö.) begründet in einer vorgegebenen Ordnung von Gottes Handeln gehört zum Wort Gottes als solchem bzw. zu seinem (theologischen) „Begriff“ (152). Weil das so ist, kann es nach Barth auch nur eine „kontingente Gleichzeitigkeit“ (150) geben, mit der Gott selber jene Zeitunterschiede aktuell aufhebt. Von Kontingenz ist wegen des unableitbaren „Ereignischarakters“ dieser göttlichen Vergegenwärtigung des Wortes die Rede (154), d. h. es handelt sich um eine „freie Tat Gottes“ (153), so dass der „Schritt von einer Zeit in die andere“ nur als Tat Gottes verständlich ist (154). Die kontingent von Gott heraufgeführte „Gleichzeitigkeit“ ist also das bekannte „je und je“ Sichereignen des Selbstwortes Gottes in allen Gestalten seines Wortes (s. o. zu § 4). Für diese Tat Gottes im Sich-gleichzeitig-machen seines Wortes werden biblische Begriffe wie „Erwählung, Offenbarung, Berufung, Aussonderung, neue Geburt“ aufgeboten (153), die alle theologisch markieren, dass „Gott selbst das Subjekt des in ihnen bezeichneten Handelns ist“ bzw. dass es um seine „freie Handlung“ geht, die alle Immanenz sprengend hier „schafft und setzt“ (153). Das vollzieht sich zwar „in“ den faktischen historischen Beziehungen, aber nicht „durch“ sie (ebd.). Dieser Alternative gegenüber wäre festzuhalten, dass Gottes Sich-Vergegenwärtigen sowohl „im“ (sprachlichen) Wort wie „durch“ es geschieht. Sagt Barth, scheinbar dem Rechnung tragend und die Unterscheidung von „in“ und „durch“ variierend, alles geschehe „schlicht und einfach durch die Kraft des biblischen Wortes selbst“ (cf. 154), so geht es dabei eben um diese, allein auf Gottes Seite zu verortende „Kraft“
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(als die Gottes selbst), nicht aber um die Wörtlichkeit dieses Wortes selber (cf. o.S. 64 zu 143). Überhaupt ist der Hauptmangel dieses Abschnittes über die von Gott selber aktiv hergestellte „Gleichzeitigkeit“, dass Barth nirgends darauf reflektiert, dass das aktuelle Hören bzw. Lesen des Wortes Gottes an sich schon sprachliche Gegenwart bedeutet. Das zumindest wäre mit seinem exklusiven theologischen Anliegen zusammenzudenken gewesen. Das theologische Anliegen von Barths Kritik einer bloß historisch-hermeneutischen Relativierung der Zeitunterschiede ist deutlich: „Denn die [sc. historisierende] Würdigung dieser Unterschiede bedeutet grundsätzlich nicht, daß man sich etwas sagen läßt“ (152) nämlich von Gott selbst in seinem unerzwingbaren Sich-gleichzeitig-machen „in“ den Gestalten seines Wortes. Dies an sich richtige Anliegen wird aber von Barth so einseitig geltend gemacht, dass er völlig zurückdrängt, dass Gott dabei wirklich etwas sagen will. Das „ernsthafte Sagen“ des Wortes Gottes (Gen. obj. u. subj.!) ist bei Barth gerade kein Sagen mehr, d. h. wirkliche Rede, weil er Gottes Wort nicht als Wort unserer Sprache denkt. Für Barth ist demnach die Kirche nur dann nicht „mit sich selber allein und auf sich selbst angewiesen“ (152), wenn Gott ihr uneinholbar mit seinem eigentlichen Wort transzendent bleibt und nicht irgendwie immanent wird (cf. 152 u. 153). Wenn Barth gegen die „Einverleibung“ der Offenbarung in die Humanität polemisiert (153), so wäre theologisch gerade die Einverleibung in die Sprache Jesu, der Schrift und der Verkündigung und so in das sprachliche „Leben der Humanität“ dazu in Beziehung zu setzen. Heißt es vom Wort der Schrift: es „sagt als solches, als Zeugnis von Christus und in seiner Unterordnung unter das Wort Christi, zugleich das Wort Christi selber“ (154), so ist in Barths Sinn zu lesen: es „sagt“ es [bloß], d. h. weist von sich weg darauf hin, und „ist“ es nicht selber. Und wenn die Verkündigung wirkliche Verkündigung, d. h. Gottes Wort, „wird“, so dass in ihr „Christus selbst zu Worte kommt“ (ebd.), so kann das als nur je und je sich ereignend ubi et quando Deo visum est nicht ein in der Wörtlichkeit als solcher „zu Worte Kommen“ sein181. Derselbe Vorbehalt Barths meldet sich, wo es heißt, dass nur „anhand dieses bestimmten biblischen Textes“ dem Menschen durch die Verkündigung „dieses bestimmte Offenbarwerden Gottes zuteil“ werden kann (154). In diesen impliziten Distanzierungen Barths drückt sich seine Fixiertheit auf die ganz unsprachliche Alternative aus, die Relation zwischen den drei Gestalten des Wortes Gottes (bzw. den ihnen spezifisch zugeordneten „Zeiten“) entweder nur (theologisch illegitim) als „allgemeine Wahrheit einer fixen und kontinuierlichen Relation“ oder aber als kontingenten, wirklichen 181 Als alternative Auflösung dieser Ungleichzeitigkeit diskutiert Barth nur die (unsprachliche) neuzeitlich-historische (150 – 152), die er als illegitime „Humanisierung“ des Wortes Gottes kritisiert (152); an seine Sprachlichkeit denkt er nicht.
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„Schritt“ Gottes selbst (von der einen Zeit in die andere) fassen zu können. Dieser Schritt aber ist einer, „der nur als je dieser und dieser und dieser, eben als kontingente Tat, Wirklichkeit hat“ (154), d. h. eine exklusive theologische, außersprachliche Wirklichkeit. Für Barth bewahrt Gottes Wort seine Identität gerade im Gefälle dieses kontingenten Tuns: „Indem das Wort Gottes diese Tat ist, in diesem Schritt von der Offenbarung in die Schrift und in die Verkündigung der Kirche, also im vollen strengen Unterschied der Zeiten, ist es eines, ist es gleichzeitig“ (154). Man muss sehen, dass nach Barths Verständnis dieser Schritt in Wahrheit, d. h. der theologischen Ordnung entsprechend, gerade in der umgekehrten Richtung verläuft und zwar im grundlegenden Sinne –, insofern Gottes Wort, wie früher gezeigt, für Barth nur Wort Gottes bleibt und ist, sofern es sich aus der Verkündigung und aus der Schrift gleichsam zurück übersetzt bzw. zurücknimmt in Gottes eigenstes (jenem vorgeordnetes) Selbstwort hinein, das selber kein sprachliches Wort mehr ist. Daher ist denn auch das Verhältnis der Offenbarung zur Hl. Schrift und das der Hl. Schrift zur Verkündigung selber auch (nur) ein kontingentes „illic et tunc“ der Gleichzeitigkeit, sofern es nämlich „auf den redenden Gott gesehen“ (154) dabei um die Vergegenwärtigung von dessen eigentlichem Selbstwort als solchem geht, wodurch allein „das Wort Gottes durch den Mund Gottes gesprochen, gleichzeitig ist“ (155).
3.2 Regierungsgewalt Das zweite Merkmal des Wortes Gottes als göttlicher Tat ist die dabei ausgeübte „Regierungsgewalt“ (155 – 161). In dieser Perspektive gilt grundlegend vom göttlichen Wort: „Das Reden Gottes ist das Handeln Gottes an denen, zu denen er redet“ (151). Es läge worttheologisch nahe, dies so zu verstehen, dass Gott am Menschen sprachlich handelt, indem er ihn anredet. Aber Barth nimmt diesen Charakter der Anrede nicht als das den Menschen erreichende, lebendige Sprechen Gottes auf, das Glauben hervorruft182. Sondern, indem er es als „Zusage, Urteil und Anspruch“ (cf. ebd. u. 158) auslegt, betont er das unentrinnliche Bestimmtund Gebundensein bzw. unaufhebbare Qualifiziertsein des Menschen durch dies Wort noch bevor er es hört. Durch sein Wort als Weise seines „regierenden Handelns“ als der „Herr“ bestimmt Gott den Menschen so, „daß er nicht sein, sondern Gottes eigen ist“ (ebd.). Mit Zusage, Anspruch und Urteil widerfährt uns in diesem Wort unsere Identifikation ab extra: in ihm, „wohl verstanden in ihm, außerhalb unserer selbst!“, finden wir unsere „Substanz“ (166). Wir bleiben nicht mehr uns selbst überlassen, sondern finden uns „in 182 Das entspräche Luthers Verständnis der Relation Wort – Glaube; P.Althaus, Die Theologie Martin Luthers (19836), 54.
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die Hand Gottes gegeben“ (155). Gottes regierendes Handeln im Wort ist ein Herrschaftsakt (cf. 159): „auf alle Fälle eine Verhaftung des Menschen“ (155). Bei diesen Kennzeichnungen fällt auf, dass sie, indem die lebendige Anrede durch Gottes Sprechen als solche eigentümlich zurücktritt, den Menschen nicht eigentlich als Wortgeschöpf verstehen. Kann man aber, geht es um Gottes Handeln durchs Wort und die am Menschen ausgeübte Regierungsgewalt, davon absehen, dass dies Wort seines Herrn und Schöpfers den Menschen eben auf sein Geschöpfsein, d. h. auf sein durchs Wort Geschaffensein, im Wort Identifiziertsein (Gen 3, 9: „Adam, … wo bist du?“) und daher sein Leben vom göttlichen Worte (Mt 4, 4) anspricht?183 Würde die von Barth beschworene Unentrinnlichkeit des göttlichen Wortes184 nicht so erst theologisch konkret und nicht nur postulatorisch behauptet, es sei „die einzige göttliche Gewalt, die uns angeht“ (155)? Dass diese worttheologisch fundamentale Dimension hier ausfällt, hängt natürlich mit Barths Abwehr einer „natürlichen Theologie“ zugunsten einer „übernatürlichen“ zusammen (cf. 160). Daher kommt auch die Schöpfung nur nachträglich ins Spiel, indem wir angeblich „um die Gewalt Gottes in seiner Schöpfung und Regierung der Welt“ nicht anders als erst durch das offenbare Wort wissen (cf. 156)185. Im Lichte solcher Vernachlässigung des Zusammenhangs zwischen der lebendigen Anrede im Wort und dem Geschaffensein des Menschen durchs Wort werden weiterhin zwei Aussagenzusammenhänge in diesem Abschnitt bei Barth problematisch: die Rede von der „Gewalt“ und von der „Geltung“ des Wortes Gottes (als seiner Tat). Mit der Kennzeichnung des göttlichen Wortes als „Gewalt“ greift Barth unmittelbar auf die Rede von der „geistigen Gewalt der Wahrheit“ zurück (140; s. dazu o. Anm. 165; cf. auch 161 gegen Ende)186. Dass es sich dabei um 183 Barth zitiert selber Mt 4, 4 (155)! Aber trotz seiner Aussage, dass wir im Wort „die Substanz finden, von der wir uns nähren und leben“ (160), ist dieser worttheologische Fundamentalsatz wirklich ernstgenommen allein in den Luther-Zitaten, die er anführt (155) – Belege, die nicht zufällig an die bekannten Stellen über die Seele als Wortgeschöpf erinnern, wie sie sich in der Freiheitsschrift finden (cf. WA 7, 22, 3 – 5 u. 11 – 14; 24,22 – 27 u. 33 – 35). Dazu cf. J.R., Gott im Wort (2010), 113 ff. 184 „Es gibt da, wo Gott einmal geredet hat und gehört ist … kein Entrinnen vor dieser Gewalt, kein Vorbeikommen an ihr“ (156). 185 Sagt Barth: „Im Glauben ist der Mensch durch das Wort Gottes für das Wort Gottes geschaffen“ (251), so dürfte das ein überzogener Aktualismus sein, denn es heißt für ihn eindeutig: erst im Glauben und „nicht von der Schöpfung her“ (ebd.)! Unter dem entsprechenden Vorbehalt „erst durch die Offenbarung in Christus“ stehen auch die Ausführungen 466 f. 186 Die „Gewalt“ des Wortes Gottes wird erläutert durch die Wendungen von „seiner Macht, an seinen Wirkungen, … den Veränderungen, die es hervorbringt“ (157). Eher betont Barth gelegentlich, dass das Wort Gottes als seine Tat auch „Geschichte macht“ (157 u. ö.), ja dass es vorgängig sogar Welt und Geschichte uneinholbar qualifiziert (cf. 160 f). – Trotz der wiederholten Betonung des „geistigen“ Charakters dieser Gewalt bzw. ihrer Wortvermitteltheit scheint der Ausdruck nicht sehr glücklich gewählt, um die machtvolle Gegenwart beim Menschen oder gar den Gegenstand des Glaubens („Gewalt, die ihm selbst, dem Glauben, seinen Gegenstand … gibt“; 159) zu bezeichnen, es sei denn, man wollte mit dem Wort
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„die eine einzige göttliche Gewalt, die uns angeht, auf die wir angewiesen sind“ handelt (155), wird dadurch verständlich, dass es theologisch verstanden um absolute Gewalt geht: „Die Gewalt des Wortes Gottes ist in sich selbst und als solche absolute Gewalt“ (158). Was sich in solcher Gewalt also exekutiert, ist nichts anderes als die Selbstmacht des „göttlichen Selbstwortes“ (52, 61 u. ö.). Damit aber ist die Divergenz noch einmal verdeutlicht, die bei Barth zwischen „Wort“ (Gottes) und „Gewalt“ im Grunde besteht. Dabei muss unvermeidlich die gewaltlose Gewalt des Wortes als solchen auf der Strecke bleiben187. Nur wenn die Sprache spezifisch als aufgehobenes Handeln gedacht wird, kann auch die Kondeszendenz Gottes ins Wort als solches begriffen werden. Dazu passt als ein kleines Indiz –, dass Barth hier im Blick auf den Heiligen Geist zwar sagen kann, seine Gewalt sei „die im Wort und durch das Wort lebendige Gewalt“ (156), es aber durchaus fraglich ist, ob er sich zu der streng gefassten Identitätsaussage verstehen könnte, es sei die als Wort lebendige Gewalt188. Zweitens gibt Barths Rede von der „Geltung“ des Wortes Gottes zu kritischen Rückfragen Anlass. Dabei steht wiederum das Verhältnis von Wort und Glaube im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Weil die Herrschaft Gottes ein realer Machtbereich ist (cf. 159), darum „gilt“ von dem, der Gottes Wort hört, und für ihn „schon alles das, was das Wort Gottes als Zusage, als Anspruch, als Urteil, als Segen besagt“. Gemeint ist damit: Es ist dem Hören und Glauben uneinholbar vorgeordnet immer schon in Kraft, eben durch Gottes reale Herrschaft bzw. Regierungsgewalt, oder es ist von Gott her, soz. in Ewigkeit, schon real. Darum kann Barth sagen: „Nicht erst die Predigt setzt es in Geltung, sondern die Predigt erklärt und bestätigt, daß es in Geltung steht. Eben darum ist sie Verkündigung des Wortes Gottes, daß sie es als ein schon in Geltung stehendes verkündigt“ (159). Wenn aber „Geltung“ wirklich nur ist, indem sie als solche jemanden erreicht und es so für ihn ist, dann ist die Verkündigung des Wortes Gottes in der Predigt eben doch sein zur Geltung Gebrachtwerden. Das „Erklären und Bestätigen“ der Geltung ist erst ihr wirklich geltend Machen. Gelten tut das Wort Gottes, indem es als geltend ausgesprochen wird, und insofern setzt die Predigt es gerade doch erst (sprachlich) in Geltung. „Gewalt“ eine rein abstrakte Herrschaft als solche markieren. Barth gibt dem sogar Nachdruck: „daß eben die Wahrheit Gewalt ist, das war in unserem Zusammenhang ohne Vorbehalt festzustellen“ (161). Sein damit verbundener Hinweis, dass die Wahrheit – im Anschluss an Joh 1, 14 f – „mit der Gnade in einem Atem zu nennen ist“ (a. a. O. Fn. 1), konfrontiert darüber hinaus mit der Zumutung, nun auch die Gnade als Gewalt zu denken – und das ausgerechnet im Zusammenhang der Menschwerdung Gottes. Wäre es demgegenüber theologisch nicht unverfänglicher und sachgemäßer, Gottes Macht und Gnade wirklich „in einem Atem“, nämlich dem der wirklichen Sprache zusammen zu denken? 187 Von ihr reden aber gerade die Zitate Luthers, die Barth anführt (156 f)! 188 Cf. dazu die Luther-Zitate (156 f). Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Mt 28, 18 (cf. 156) in der lutherischen Tradition auf den erhöhten Menschen Jesus bezogen wird (cf. BSLK 1040,29 ff und Hamann, Briefwechsel (Ziesemer / Henkel), Band I, 393 f).
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Dieses Oszillieren zwischen einer Geltung (an sich) und einer erklärten Geltung (aktuell) findet sich ebenso in Barths ganz parallel formuliertem Satz über den Glauben: „Auch nicht erst der Glaube setzt das alles in Geltung, was das Wort Gottes für uns besagt“ (ebd.). In einem bestimmten Sinn, den Barth hier unberücksichtigt lässt, muss man aber doch sagen, dass gerade der Glaube es in Geltung „setzt“, und zwar als (bei Gott) schon geltend. Genau dies in Geltung Setzen als schon in Geltung ist das eigentliche Sein des Glaubens. Barths Satz: „Noch bevor er [sc. der Mensch] zu Gott Stellung nehmen kann, hat Gott zu ihm Stellung genommen“ (159) artikuliert nicht einen (soz. objektiven) Satz über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, sondern in Wahrheit den Vollzug, als welcher der Glaube eben Glaube (an Gottes Wort) ist. Der Glaube ist daher primär nicht „Anerkennung und Bestätigung“ (der vorausgesetzten Geltung des Wortes Gottes)189, sondern ist selber nichts anderes als dessen wirkliche Geltung bei einem, d. h. der Glaube ist selber der Ort, an dem es sich vergegenwärtigt und wirksam erweist – eben als „in Geltung stehend“. Barth scheint es aber anders zu meinen, wenn er von der „Gewalt“ des göttlichen Wortes aussagt, dass sie „dem Glauben … von seinem Gegenstand aus, erst sein Dasein gibt“ (cf. ebd.). Weil Barth das an sich Wahrsein des Geltenden gegen den aktuellen Sinn von „Gelten“ (bzw. in Geltung stehen) ausspielt, wird der Glaube, statt Ort lebendigen Angesprochenseins durch Gott selbst zu sein, dazu verkehrt, ein von der Predigt bloß erklärt und bestätigt Anerkennen und Erkennen des (gleichsam objektiven) Sachverhalts zu sein, dass Gott schon alles getan hat. Der Glaubende ist der, der sich von diesem immer schon vorausgegangenen Tun (Getanhaben) Gottes informieren und zur Anerkennung bewegen lässt. Von daher fällt auch auf die Wendungen Barths vom Versetztwerden in einen neuen Stand etc. (cf. 158), ja von einem qualitativen Verändertsein der Welt und Geschichte (cf. 160 f), ein uneindeutiges Licht so sehr man sie für sich genommen zustimmend lesen kann. Man kann auch sagen, Barth isoliert das an sich in Geltung Stehen des vom Wort Gottes Gesagten und fixiert es so abstrakt für sich vom aktuellen Sagen (seinem Ausgesagt-, Ausgesprochenwerden), das zum Glauben entzündet. Statt von Gottes Handeln im Wort redet er von der Mitteilung über sein immer schon Gehandelthaben: „Was das Wort Gottes sagt, das steht, wie sich auch die Welt dazu stelle, und ob es für sie zum Heil oder zum Unheil ausschlage, in Geltung“ (161). Gottes Wort kommt in Geltung bei uns und wirkt den Glauben, indem es zu uns spricht; insofern ist sein Sagen sein in Geltung Setzen. Dass die Welt (von Gott her) schon im realen Machtbereich der Offenbarung „existiert“, weil das faktisch entscheidende Wort „vor“ aller Arbeit der Kirche „schon gesprochen“ ist, nämlich in Ewigkeit, das bringt Barth in eine abwegige Alternative dazu, 189 Unterbestimmt erscheint der Glaube auch, wenn Barth von der „Entscheidung“ zu „dem ihr [sc. der Gewalt des göttlichen Wortes] gebührenden Gehorsam“ redet (155, Hervorh. J.R.).
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dass „die Welt sich von sich aus zur Übereinstimmung mit dem Wort Gottes entwickeln“ nicht könne noch auch habe die Kirche das durch ihre eigne Arbeit zu schaffen (cf. 161). Diese Alternative von statischem Immer-schonSein und Selbstentwicklung tritt gar nicht auf, wo vom Wort her gedacht wird. Theologisch muss man sagen: Das Wort Gottes schafft sich selber (auch durch Verkündigung und Glaube) seine Bahn und seine Verwirklichung190. Und „was aus Kirche und Welt wird“, ist nicht „ein Geschehen in der Folge jenes schon gesprochenen entscheidenden Wortes“ (161), sondern ist eben dessen Geschehen selber in seiner eigenen Wirksamkeit. Denn das Wort Gottes ist von sich aus in dem Tun begriffen, die Welt zur Übereinstimmung mit ihm, dem Worte selbst, zu entwickeln. Barths Neigung zur Formalisierung, Prinzipialisierung und abstrakten Axiomatisierung des Wortes Gottes findet in diesem Abschnitt auch einen weiteren Ausdruck. Denn gelegentlich schimmert hier durch, was als generelle Prämisse seiner Theologie und ihrer einer undialektischen Einheitslogik gehorchenden Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium fungiert. Er hat diese Prämisse eindeutig 1935 formuliert: „Daß Gott mit uns redet, das ist unter allen Umständen schon an sich Gnade“191. Weil das axiomatisch gilt, ist im vorliegenden Abschnitt über die Regierungsgewalt des Wortes Gottes nun auch (schon) von „Evangelium und Gesetz“ die Rede (155) bzw. heißt es: „Verstehen wir das Wort Gottes von seinem Ursprung in der Offenbarung, in Jesus Christus, her als den Inbegriff der Gnade Gottes …“ (ebd.) oder: „Nur und erst im Bereich der Gnade gibt es ja Glauben und Unglauben, … Gerechtigkeit und Sünde“ (160; als ob es Sünde und Unglaube nicht gerade nur im Bereich des Zornes Gottes gäbe192). Das lebendige Reden Gottes zum Menschen in Gesetz und Evangelium wird zugunsten des abstrakten, prinzipienlogisch instrumentalisierten Begriffs Offenbarung (bzw. Selbstoffenbarung) systematisch-spekulativ nivelliert193. 190 Wegen dieser Macht des göttlichen Wortes, auf seine eigene Verwirklichung zuzugehen, ist das Futur in dem Luther-Zitat wichtig, das Barth zu seinen eigenen Gunsten anführen will (161): „Sermo enim Dei venit mutaturus et innovaturus orbem, quotiens venit“ (WA 18, 626,26 f). 191 Evangelium und Gesetz. ThExh 32 (1935), 4. 192 Dass auch Gericht und Zorn Gottes Gnade seien, behauptet Barth z. B. KD IV/1, 599; cf.604. 193 Das lässt sich an dem berühmten Satz aus der Programmschrift „Evangelium und Gesetz“ demonstrieren: „das Gesetz ist nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist“ (a. a. O., wie o. Anm. 191, 11; cf. KD II/2, 567). Diese Formulierung zieht zwei kritische Anfragen auf sich. 1.Woraufhin müssen und können am Evangelium „Form“ und „Inhalt“ überhaupt unterschieden werden, bzw. impliziert diese Unterscheidung am Evangelium nicht, dass es selber von seiner Form und seinem Inhalt noch einmal als deren neutrales Substrat zu unterscheiden ist? Mit dieser Frage hängt die weitere zusammen, ob das so gemeint ist, dass die Gnade „Inhalt“ (nur) der „Form“ des Evangeliums, also des Gesetzes, ist – dann könnte das Evangelium selber noch ein Inhalt für sich sein – oder Inhalt des Evangeliums selber – dann wäre ein doppelter Formbegriff zu unterstellen: Form der (für die) Gnade und Form als Gesetz. 2.Ist die Gegenüberstellung oder Zuordnung von „Gesetz“ und „Gnade“ nicht ganz schief und nur Resultat des formalen Zusammenzwingens der Begriffe, das jener o. im Text zitierten Prämisse gehorcht?
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3.3 Entscheidung Um Gottes Wort in einer dritten Hinsicht als „Entscheidung“ darzustellen, bezieht sich Barth auf einen absoluten Begriff von Tat, exklusiv gefasst als Tat Gottes und unterschieden von bloßem Geschehen und auch relativer menschlicher Tat: „das Zweideutige, …, das im Gebiet des Menschlichen Tat zu heißen pflegt, nicht aber das Wort Gottes“ (162). Dieses ist als reine Tat schlechthin zu verstehen: „Das Wort Gottes wird als Entscheidung verstanden oder es wird gar nicht verstanden“ (ebd.). Damit ist nun aber ein absolutes Tun gemeint, nämlich dasjenige, durch das und in dem Gott Gott ist: „Gott ist a se. Das gilt vorbehaltlos auch von seinem Wort“ (ebd.). Diese Aseität Gottes (als die auch in seinem Wort) kann nur in einem absoluten Begriff erfasst werden: „Alle allgemeinen Begriffe unterdrücken das Wesentliche, daß das Wort Gottes nur in seiner eigenen Entscheidung Wirklichkeit ist“ (164). Gott ist so Herr seines Wortes, wie er Herr seines Seins und so der Herr überhaupt ist (cf. 162). Daher bedeutet die Aseität von Gottes Wort als exklusiv seiner Tat, dass er sich bzw. es sich seine Wirklichkeit selber gibt, sich zu seiner eigenen Wirklichkeit macht. Gottes Wort als Tat solcher Entscheidung zu begreifen, heißt also weniger bzw. im Grunde gar nicht eigentlich –, es als Entscheidung für die Sprache zu denken, sondern als eine Entscheidung Gottes für sich als Gott: suo modo, sua libertate, sua misericordia (cf. 164) bzw. als die Entscheidung des Wortes Gottes zu sich als Wort Gottes. Indem Gott in seinem Wort als Tat seine Aseität wiederholt, ist es für sich etwas, das allem Geschaffenen und seinen Zusammenhängen absolut gegenübersteht. „Das Wort Gottes ist ungeschaffene Wirklichkeit, identisch mit Gott selber, darum nicht allgemein vorhanden und feststellbar“ (163, cf. 162u.)194. Identisch mit Gott selber ist sein Wort in der Freiheit: „So frei wie Gott selber, wie es denn in der Tat Gott selber ist“ (162), und zwar spezifisch „in der Tat“! Die Wirklichkeit des Wortes Gottes als Wirklichkeit seiner Aseität ist nur die des göttlichen „Selbstwortes“, d. h. diese sich selbst gebende, erschließende und zu verstehen gebende Wirklichkeit. „Es ist nur wirklich und nur als wirklich zu verstehen, wenn und indem es sich selbst gibt und zu verstehen gibt“ (164). Kann man aber diese Suisuffizienz der Tat göttlichen Redens (als Selbstwort) behaupten, ohne zu berücksichtigen, wo sie als diese Wirklichkeit real ankommt, nämlich uns berührt und betrifft? Dies geschieht doch eben in der Menschensprache, d. h. als ausgesprochenes Wort Gottes, das zu hören Für eine differenzierte (logische) Kritik an diesem Satz Barths in 8 Punkten verweise ich auf: Gott im Wort (2010), 195 f (Fn. 10). 194 Diese absolute Scheidung von Schöpfer und Geschöpf ist nach Luther in Christus gerade aufgehoben: „Ibi creator et creatura unus et idem est“ (WA 39/II, 105,6 f; cf. 121,16 f; mit Berufung auf Augustin: „qui creator est, voluit esse creatura“, a. a. O. 105,11). S.o. Anm. 151.
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oder zu lesen ist. Wo Barth davon redet, wie es an den Menschen kommt, da heißt es: „Im Gesprochen und Vernommenwerden des Wortes findet diese Wahl statt: Wahl der Gnade … oder Wahl der Ungnade“ (165); dies aber lässt durchaus offen, ob hier nicht bloß vom (göttlichen) Ergehen des Wortes Gottes (als reinem Ereignis seiner „Tat“) oder wirklich vom verbalen Gesprochen- und Vernommenwerden die Rede ist. Liegt alles Gewicht bei der Tat von Gottes Entscheidung auf dem „Selbstwort“ in seiner Aseität, so kann die Entscheidung Gottes für die Sprache als solche bestenfalls nur beiläufig ins Spiel kommen, und sie wird von Barth hier auch nirgends ausdrücklich erwähnt. Geht es in letztem Betracht nur um die Entscheidung Gottes für sich, so kann zwar eingeräumt werden, „daß das Wort Gottes in Jesus Christus, in der Bibel, in der Verkündigung allerdings auch menschliche Tat ist“ (162; Hervorh. J. R.; bezeichnenderweise wird nicht gesagt: menschliche Rede!), aber auch darin hat Gott es letztlich doch nur mit sich selbst zu tun, ist darin ganz auf sich selbst zurückbezogen oder kehrt darin nur wieder in sich zurück. Die Tat seines Wortes ist eben „in sich selbst … gerechtfertigt, weil göttliche Entscheidung“ (cf. 165). Nun heißt es zwar: „auf Grund von Wahl ist das Wort Gottes eins mit der Menschheit Christi mit der Heiligen Schrift, mit der Verkündigung und also zeitliches Geschehen“ (163; nicht: sprachliches Geschehen!)195. Aber diese „Einheit“ ist nur die einer Assoziation: „Das Wort Gottes ist ja in der Menschheit Christi, in der Bibel und in der Verkündigung auch menschliche Tat und also zeitliches Geschehen“ (ebd.; ein Satz vor dem letzten Zitat; Hervorh. J.R.)196. Beide Aussagen, die des Einsseins und die des bloßen Koordiniertseins (d. h. eines bloß faktischen Zusammenseins), interpretieren einander, dergestalt, dass sie anstatt Gottes verbindliche Kondeszendenz in die Menschensprache zu meinen nur im Begriff göttlicher Freiheit zusammen bestehen (cf. 162u.). Diese souveräne, unveräußerliche Freiheit Gottes soll zwar immer „gebrauchte Freiheit“ sein (163), d. h. nicht bloße leere Möglichkeit, aber zugleich doch a se bestehen bleibende Freiheit, eben weil sie unaufhebbar eine Wirklichkeit sui generis ist: „Nie und unter keinen Umständen allgemein, sondern immer und unter allen Umständen suo modo, sua libertate, sua misericordia ist das Wort Gottes Wirklichkeit in unserer Wirklichkeit und so … wiederum suo modo allein auch vorhanden“ (163 f.). Gott bleibt, was er ist: der Herr auch seiner Wirklichkeit in der unseren (cf. 162u.), genauso wie er auch „der Herr der Wörtlichkeit seines Wortes“ ist und bleibt (143). Darum steht die von Barth behauptete Identität Gottes mit seinem Wort (cf. 162u. und 163u., o. zit.) ebenso wie das Einssein des göttli195 Luther versteht solche Identität anders, weil vorbehaltlos, da er damit ernst macht, dass Gott wirklich im Wort selber da ist, d. h. als Wort. Cf. pointiert vom äußerlichen Wort: „Darumb ist es wol eyn gottlich krafft, ja Gott ist es selber“ (WA 12, 300,21 f). 196 Cf. 162: „das Wort Gottes (ist) auch geschichtliches, zeitliches Geschehen … Das Wort Gottes ist … zuerst und grundlegend als Entscheidung und dann als solche auch als Geschichte zu verstehen.“
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chen Selbstwortes mit Jesus, mit Schrift und Verkündigung unter einem theologischen Vorbehalt. Daher ist die mit Gottes Tat-Wort verbundene Wahl das Wort Gottes „bedeutet als Entscheidung in seinem Verhältnis zum Menschen immer ein Wählen“ (164 f.) als Entscheidung Gottes für sich selbst auch „vor allem in sich selbst als göttliche Entscheidung gerechtfertigt“ (165; cf. 166). Es ist kein Zufall, dass auch Barths Lehre von der Rechtfertigung (§ 61) in der großgearteten Tautologie gründet, dass Gott „sich selber lex“ (KD IV/1, 590, 592, 596, 627 u. ö.) „in dieser Aktion [sc. der Rechtfertigung] allererst sich selbst (bejaht)“ (a. a. O. 593), denn sein „Recht“ ist seine „Selbstübereinstimmung“ (591), so dass die grundlegende theologische Aussage lautet: „in diesem Werk der Rechtfertigung des ungerechten Menschen rechtfertigt Gott auch und zuerst sich selber“ (a. a. O. 626 u. ö.). Nur per accidens betrifft das Rechtfertigungsgeschehen auch den Menschen; in ewiger Priorität aber geht es darum, dass Gott Gott bleibt: in der Selbstwiederholung seiner Aseität der „Beständigkeit seiner in Freiheit immer neu sich bestätigenden Treue zu sich selber“ (ebd.)197. Auch in dem vorliegenden Unterabschnitt, der endgültig Gottes Wort (nur noch) als Tat (seiner Entscheidung) darstellt, fällt die Reflexion auf die Sprachlichkeit des Wort Gottes, wie mehrfach angedeutet, weithin aus. Dies ist allgemeiner noch kurz an Barths Gebrauch des Ausdrucks „Wirklichkeit“ aufzuzeigen. Von aller Wirklichkeit mit Ausnahme der des Wortes Gottes gilt, dass sie „allgemein, d. h. … immer und … überall vorhanden und … feststellbar ist“ (163; cf. 164). Dieser gewöhnlichen Wirklichkeit als Inbegriff universaler Faktizität entsprechen die „allgemeinen Begriffe“ (164), d. h. allgemeingültige Begriffe bzw. formallogische Allgemeinbegriffe, die höchste Genera dessen bezeichnen, was gleichermaßen unter sie fällt. Ganz anders steht es mit der Wirklichkeit des Wortes Gottes: es ist „nicht so Wirklichkeit, wie die Gesamtheit dessen wirklich ist, was wir sonst Wirklichkeit heißen“ (163). Gemeint ist die unvergleichliche Wirklichkeit Gottes „in seiner Aseität und Aktualität“; daher ist das Wort Gottes in seiner „ungeschaffenen Wirklichkeit“ schlechthin unterschieden von aller geschaffenen Wirklichkeit (163). Als solche göttliche Freiheitswirklichkeit a se (162 mit 164) kann das Wort Gottes unter keine vorgegebene Kategorie, keinen Allgemeinbegriff des subsummierenden Denkens fallen (cf. 164), ist es doch Wirklichkeit nur in seiner eigenen Entscheidung zu dieser, d. h. für sich (ebd.)198. 197 Cf. die zutreffende, kritische Analyse von Barths Rechtfertigungslehre bei P.Brunner, Trennt die Rechtfertigungslehre die Konfessionen? Katholisches Dogma, lutherisches Bekenntnis und Karl Barth, in: Pro Ecclesia. Gesammelte Aufsätze zur dogmatischen Theologie. Band 2 (19902), 89 – 112, bes. 106 ff. 198 Schon Thomas hat gezeigt, dass Gott als actus purus „in nullo genere sit“, eben weil in ihm esse und essentia nicht unterschieden werden können (STh I, q.3, a.5; cf. ScG 25: Quod Deus non est in aliquo genere). Bei Barth hängt damit die Zurückweisung der abstrakten Frage nach dem „Was“-sein des Wortes Gottes zusammen (164; cf. 136 u. 169).
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Es nun einfach zu sehen, dass aus dieser Opposition von „allgemein“ vorhandener Wirklichkeit überhaupt und spezifischer Wirklichkeit Gottes als einer sui generis (cf. 164) die Sprache völlig herausfällt. Das liegt daran, dass Barth weder ihren eigenen Status noch die ihr eigentümliche (dialektische) Allgemeinheit wahrnimmt. Die Sprache ist gerade nicht einfach „vorhanden“ oder gegenständlich gegeben, sondern auch eine Realität von ganz eigenem „ontologischen“ Status. Sie ist als solche nur im lebendigen Sprechen wirklich und d. h. nicht „immer und überall feststellbar“, sondern hat aktuelles Dasein. Vor allem aber ist sie „allgemein“ in einem ganz anderen Sinn, als Barth es von der geschaffenen Wirklichkeit sonst behauptet, nämlich nicht im abstraktformallogischen Sinn. Worte, Sätze sind als solche der Sprache nicht auf eine bestimmte Raum- und Zeitstelle zu beschränken: als besondere sind sie zugleich entschränkt. Ihre Allgemeinheit ist eine spezifische, sie besteht in aufgehobener Unmittelbarkeit. Die Allgemeinheit sprachlicher Gebilde ist ihre durch Negation von Unmittelbarkeit sich durchhaltende (bzw. gerade in der Negation von Unmittelbarkeit sich erzeugende), vermittelte Einfachheit. Daher stehen sie nicht im Verhältnis von leeren, bloß formalen Allgemeinbegriffen zur Wirklichkeit; sie sprechen Besonderes an sind schon insofern auf ein concretissimum bezogen (cf. 145) –, aber z. B. als Satz stellen sie gerade die Übersetzung von Einzelnem in (sprachliche) Allgemeinheit dar. Abschließend ist noch herauszuarbeiten, dass Barth in diesem Unterabschnitt in einem dreifachen Sinne von „Entscheidung“ redet, ohne dass das deutlich unterschieden bzw. in seinem sachlichen Zusammenhang hinreichend expliziert würde. Das Wort Gottes als Tat seiner Rede meint 1. die „Entscheidung“ Gottes dafür, dass er redet (d. h. überhaupt oder specialissime zu uns; cf. 165): Gott „entscheidet“ sich zum Reden, für sein Wort. 2. handelt es sich das kommt etwa ab 165 f. ins Spiel um die Entscheidung für bestimmte, nämlich die angeredeten Menschen, also um die Wahl derer, zu denen das Wort gesprochen wird und die es vernehmen (cf. 165: „Im Gesprochen- und Vernommenwerden des Wortes findet diese Wahl statt“)199. Es dürfte deutlich sein, was Barth aber nicht ausspricht, dass die Bedeutung (2.) Bedeutung (1.) voraussetzt und in sich trägt oder dass sogar (1.) sich nur als (2.) bzw. darin vollzieht. Schließlich erhält 3. der Ausdruck „Entscheidung“ noch eine weitere Bedeutung (cf. 166 f.), nämlich als eine „Entscheidung des Menschen“, an und in der die göttliche Entscheidung wirksam wird (166); dies ist nun unsere menschliche Entscheidung gegenüber der Wahl Gottes (ebd.). Wenn Barth in diesem Zusammenhang als Inhalt des Wort Gottes allgemein das „Gott mit uns“ angibt (166), so ist darauf aufmerksam zu machen, dass diesem Inhalt seine Form als Anrede genauestens korrespondiert, d. h. der 199 Cf. auch: „die im Worte fallende Entscheidung“ (165) – nämlich für den Menschen. Das ist die „Prädestination“ (ebd.), dergemäß Gott auch über unser (rechtes oder unrechtes) Hören entscheidet (166).
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Umstand, dass es mir gesagt wird. Das Pro me hat also zunächst auch einen sprachlichen Sinn200! Die menschliche Entscheidung auf sie und Barths hier wurzelnden Glaubensbegriff ist in unserm Zusammenhang nicht genauer einzugehen201 macht nun an ihr selber „mein so oder so beschaffenes Dransein ihm [sc. dem Wort Gottes] gegenüber“ (166) offenbar. Gottes Wort als seine Entscheidung kommt zum Ziel „nur als Antwort darauf“, d. h. als jeweils „meine“ Entscheidung. „Es ist also wirklich meine, meine höchst verantwortliche Entscheidung“ (167), dies aber doch immer nur als Reaktion auf „meine durch das von Gott zu mir gesprochene Wort vollzogene Qualifizierung“ (166) bzw. als meine Antwort auf die veränderte Situation, „in die es mich versetzt, indem zu mir gesprochen wird“ (ebd.). Der Mensch kann nichts anderes, als auf die ihm widerfahrene Entscheidung mit der seinen so oder so zu „antworten“: „Kraft göttlicher Entscheidung bin ich in meiner eigenen Entscheidung ein Glaubender oder ein Nichtglaubender“ (167)202. Meine Entscheidung ist also immer schon unentrinnlich übergriffen von der Gottes: „in diesem Entscheiden, durch das entschieden wird, wer ich bin in meinem eigenen Entscheiden und damit entschieden wird, was mein Entscheiden in Wahrheit bedeutet … vollendet sich das Wort Gottes als die Tat Gottes“ (167 f). Auch diese Konstruktion, die den Glauben als eigene freie Antwort im Horizont göttlicher Wahl versteht, ist ein außersprachliches Konstrukt. Der Glaube ist hier nicht mehr Gottes Werk in mir, das durch das sprachliche Wort im Geiste an mir geschieht. 4. Gottes Rede als Geheimnis Wie die Rede Gottes in seine Tat, so wird schließlich auch die Tat Gottes von Barth in Gottes eigenes Geheimnis zurückgenommen: als „das wahrlich Entscheidende“ (168). Hier wird jetzt entscheidend stark gemacht: „Gottes Wort ist und bleibt immer Gottes Wort“ (170), d. h. es ist als ganz in sein Eigenes zurückgenommen zu denken. Als solches letztlich Gott allein eigene Wort ist es etwas, worin er auch wieder nur mit sich selber allein ist: „Allein Gott begreift sich selber, auch in seinem Worte“ (ebd.; cf. 458). Das ist so sehr entscheidend, dass unser Begreifen sich vor ihm nur zurücknehmen kann: als „nur ein Aufweis der Grenzen unseres Begreifens“ (ebd.; cf. 454)203. So soll das Wort Gottes selber unerfaßbar, nicht verobjektivierbar sein 200 Cf. 144: „Wir kennen es [sc. das Wort Gottes] nicht anders denn als an uns gerichtetes, uns angehendes Wort.“ 201 Cf. M.Seils, Glaube. (1996), 185 – 240 (HST 13). 202 Cf. ähnlich nochmals 215 f (6.). 203 Auch für „alles unser Denken und Reden über sein [sc. des göttlichen Wortes] Wie“ gilt, dass es „seine Substanz nicht in sich selber, sondern außer sich, in Gottes Wort selbst hat“ (170), wie genau dies schon von unserm Sein und Hören überhaupt zutrifft (cf. 166).
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(cf. 168). Darum ist es nach seinem Was und Wie unserem Wissen entzogen (cf. 169 f.), jedenfalls aber keine „Größe, die wir von anderen Größen abzugrenzen und eben damit zu objektivieren wüßten“ (170). Dies genau trifft aber gerade für Gottes Wort als Wort unserer Sprache zu, insofern es für uns als Wort unter Wörtern da ist. Es ist undialektisch zu sagen: „Gottes Rede ist anders als alles andere Reden“ (170), weil sie dies eben nur im menschlichen Reden davon ist; hier ist es, wo es „sich selbst unterscheidet“ (171). Barth betont nur, ohne diesen sprachlichen Ort zu berücksichtigen, dass das Wort Gottes sich als etwas sui generis „vielmehr selber und allein“ erweist (170). Genau diese Reflexion fällt überall auch da aus, wo Barth hervorhebt, „daß nur der Logos Gottes selbst den Beweis führen kann, daß wo angeblich von ihm geredet wird, wirklich von ihm geredet wird“ (169; cf. 168) oder wo er abgrenzend feststellt: „Die wirkliche Interpretation seiner Gestalt kann nur die sein, die das Wort Gottes sich selber gibt“ (173). Denn auch solche „Selbstinterpretation“ bleibt an das Wort gebunden, wenn es denn nicht eine Bewegung weg von der Sprache im Sinne des problematischen Konstrukts vom „Selbstwort“ sein soll. Überhaupt kann, was Barth in diesem Sinne von einer exklusiven „Selbstdarbietung Gottes in seinem Wort“ sagt (cf. 172), nur auf zweierlei Weise gedacht werden. Entweder sie ist sprachlich gemeint, indem das „Wort Gottes“ ausdrücklich von Gott selber redet und Gott dabei beispielsweise „Ich“ sagt, d. h. also, indem dies in der Sprache zur Wirklichkeit kommt. Oder das „Selbst“ der Selbstdarbietung ist außersprachlich (und das hieße, nur uneigentlich so gemeint), und es bringt sich als das, was es ist, zur Geltung, indem es gerade von der Sprache (wie von allem „Welthaftigen“, s. u.) fort zu sich hinführt, in ein Jenseits der wirklichen Sprache, für das bei Barth eben der Ausdruck „Selbstwort“ steht.
4.1 Welthaftigkeit Das Geheimnis des Wortes Gottes sieht Barth zunächst darin, dass es immer durch „Welthaftigkeit“ gekennzeichnet ist. Diese verleiht ihm eine „Gestalt“, durch die es als solches unkenntlich ist: „Wir haben es immer in einer Gestalt, die als solche nicht das Wort Gottes ist und als solche auch nicht verrät, daß sie die Gestalt gerade des Wortes Gottes ist“ (171 f.). Was auch immer Barth mit einer solchen „Gestalt“ des Wort Gottes meinen mag, jedenfalls bleibt völlig unklar, ob er dazu auch dessen Sprachgestalt, d. h. seine menschensprachliche Erscheinung rechnet204. Für diese aber würde nicht umstandslos gelten, dass sie gar nicht verrät, Gestalt des Wortes zu sein, da sie es ja gelegentlich selber 204 Cf. Barths Aussage über die Barmherzigkeit Gottes, „die uns … in der Gegenständlichkeit des Wortes begegnet, die Gestalt und zwar Wortgestalt hat und darum … auch Erkenntnisgestalt, die Gestalt des Fürwahrhaltens“ (247).
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ausspricht und das Wort „Gott“ in ihr auftritt. Die sprachliche Gestalt des Wortes ist „als solche“ schon Verweis an die Gestalt des Wortes Gottes als Wort, und ebenso ist der „Gehalt“ christlich-religiöser Rede von ihm selber her ein Aussagen des göttlichen Gehaltes. Die Ausführungen Barths über die „Welthaftigkeit“ der Rede Gottes setzen an sich, um trennscharf zu sein, voraus, dass Gottes Verhältnis zur Sprache theologisch schon geklärt ist; genau das aber ist, wie die bisherige Untersuchung nachgewiesen hat, bei Barth nicht der Fall, und diese Ungeklärtheit belastet eben die hier zu verhandelnden Ausführungen. So, wenn Barth, um Gottes Rede als etwas zu beschreiben, das immer auch ein weltliches Geschehen wie anderes sonst ist, sagt: „Die Predigt ist in der Tat auch ein Vortrag“ (171). Damit ist wohl eine menschliche (rhetorische) Sprachleistung gemeint; indes muss man fragen: Ist solcher Vortrag schon als einer in unserer Sprache bloß „welthaft“? In Barths „auch“ steckt die ganze Frage nach einem Sein Gottes „in“ der Menschensprache205. Auffälliger ist ein weiteres Beispiel Barths für die (immer auch vorhandene) Welthaftigkeit: „Die Theologie ist in der Tat, so gewiß sie sich der menschlichen Sprache bedient, auch eine Philosophie oder ein Konglomerat von allerlei Philosophien“ (171). Erklärt sich an dieser Stelle schlaglichtartig Barths theologischer Vorbehalt gegen so etwas wie eine Philosophie der Sprache oder ein Denken von der Sprache her (besser: gegen ein theologisches Sprachdenken) daraus, dass für ihn menschliche Sprache selber überhaupt schon philosophiehaltig ist206, dann erscheint es als konsequent, wenn wahre Theologie als ein Denken von der Offenbarung her nicht nur sich programmatisch abstinent gegenüber der Sprachdimension verhält, sondern es sich angelegen sein lässt ein merkwürdiges Unternehmen –, ein Denken und Reden von der Sprache weg zu sein207. Steht die Theologie gerade „denkend und redend“ immer in der Gefahr, des Wortes Gottes „Herr“ werden zu wollen (cf. 168), so darf der Logos Gottes an ihm selber gerade kein sprachlicher Logos sein. Was nun die welthafte Unkenntlichkeit des Wortes Gottes angeht, so erklärt Barth kategorisch: „Seine Gestalt ist nicht ein geeignetes, sondern ein ungeeignetes Mittel der Selbstdarbietung Gottes“ (172). Vorausgesetzt, hier ist mit „Gestalt“ auch die Menschensprache gemeint, so lässt sich das freilich nur behaupten, wenn Gott von sich aus und wesentlich kein Verhältnis zur Sprache hat, auch nicht in einem „Logos“ als exklusiv nur seinem eigenen. Der nächste
205 In dem Lutherzitat (232: EA 4, 177) hingegen werden äußerlich erklingendes Wort und verborgene Gotteskraft ins Verhältnis gesetzt. 206 Impliziert das aber nicht das – folgenreiche! – Eingeständnis, dass alle Philosophie als solche irgendwie von der Sprache her ist bzw. dass es überhaupt Philosophie gibt, weil unser Denken an die Sprache gebunden oder auf die Sprache bezogen ist? Cf. o. S. 88. 207 Von hier fällt nochmals ein bezeichnendes Licht auf den von Barth geforderten „besonderen Erkenntnisweg“ der Dogmatik (23; § 2) bzw. auf ihre „Verantwortlichkeit, gemessen an dem Worte Gottes“ (47, § 3).
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Satz verschärft das Problem noch einmal: „Sie [sc. die Gestalt] entspricht der Sache nicht, sondern sie widerspricht ihr“ (ebd.). Als Sprechen aber kann sie ihr nicht nur widersprechen. Denn wenn „die Sache“ selber Wort (nämlich das Reden Gottes) ist, ist in dieser Dimension auch das Widersprechen immer noch ein „Ent-Sprechen“. Sollte Barth bei der „Gestalt“ auch die Sprache mit meinen, so überzeugt seine Argumentation überhaupt nicht; denn Gottes Selbstdarbietung in ihrer Welthaftigkeit als Sprache beruht ihrer Möglichkeit nach eben auf Gottes Selbstherablassung zur Menschensprache und ebenso darin, dass die Sprache darum Gottes Wort sein kann, weil sie selber in Gottes eigenem (trinitarischem) Leben gründet. Heißt es bei Barth anschließend von der welthaften Gestalt: „Wenn Gottes Wort in ihr offenbar wird, so geschieht es freilich ,durch sie‘, aber so, daß dieses ,durch sie‘ ein ,trotz ihrer‘ bedeutet“ (173), d. h. Gottes Widersprechen gegen jenes Widersprechen, so passt das jedenfalls nicht für die Sprache als Ort des Wortes Gottes. Freilich erwähnt Barth hier das sprachliche Wort nirgends ausdrücklich, sondern er handelt allgemein (d. h. etwas global) vom gefallenen Kosmos: „Der Ort, wo Gottes Wort offenbar wird, ist objektiv und subjektiv der Kosmos, in dem die Sünde regiert“ (172); dieser sei die „Gestalt“ des Wortes Gottes, die im Widerspruch gegen Gott stehe (ebd.). Die unspezifische Frage nach dem Kosmos überhaupt als einer solchen „Gestalt“ kann hier auf sich beruhen bleiben208. Barth interpretiert die „Welthaftigkeit“ ausdrücklich nur durch „Natur“ und „Vernunft“ (Erkenntnis), sofern sie von der Sünde pervertiert sind. Aber wenn dafür auch überall gelten mag: „Der Schleier ist dicht“ (171), so wäre theologisch aufschlussreicher erst die Frage, wie es sich damit im Falle von Gottes Wort im Menschenwort verhält209. Auch Barths Begriff des „Geheimnisses“ (bzw. neutestamentlich: Mysteriums) geht auf eine formelle und insofern abstrakte „Dialektik“: „die Verhüllung Gottes, in der er uns entgegentritt, gerade indem er sich uns enthüllt“ (171). Hier ist nicht jedenfalls nicht mit der gebührenden Bestimmtheit von dem Gott die Rede, der uns als der von der Menschensprache „bekleidete Gott“ begegnet210. Auch Paulus redet 1Kor 2, 7 von der „im Geheimnis verborgenen Weisheit Gottes“ auch als dem sub contrario des geringen Menschenwortes verborgenen Gekreuzigten (cf. 2, 1 – 4!), und selbst Barth er-
208 Es wird erkennbar, dass Barths früherer Hinweis auf die „natürlich-leibliche“, physische Seite am Wort Gottes (138; s. o. S. 86) bereits so etwas wie dessen „Gestalt“ in der geschöpflichen Sphäre meinte, allerdings in einem von der Entstellung durch die Sünde noch abstrahierenden Sinn. 209 Luther jedenfalls rechnet mit der Sprache als einem „Loch im Reiche des Teufels“ (cf. WA 15, 36,21 ff), und das gilt trotz Ps 116, 11 und Röm 3, 4, wo von dem sündigen Sprecher die Rede ist. Barth kennt das „Zerreißen eines unzerreißbar dichten Schleiers“ (174) nur als „Akt“ und wunderhafte „Tat“ in Kraft seines „Geheimnisses“ (ebd.). 210 Cf. WA 40/II, 329,30 und Luthers Rede vom deus velatus (WA 40/I, 174,12), die Barth 173 zitiert.
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wähnt, dass der Wqist¹r 1stauqyl´mor mit der Predigt des Apostels begegnet (cf. 173 und nochmals 202 f.)211. Wo in diesem Abschnitt einmal ausdrücklich vom „Sprechen und Vernommenwerden des Wortes Gottes“ die Rede ist (174), da erfährt man nur, dass es sich dabei „um einen Akt Gottes in der kreatürlichen Wirklichkeit als solcher“ (und dies wieder als in einer „Gott widersprechenden, Gott verhüllenden Wirklichkeit“) handelt (174). Zugleich gilt mit Bezug auf das inkarnierte Wort: „Offenbarung heißt Fleischwerdung des Wortes Gottes. Fleischwerdung aber heißt: Eingang in diese Welthaftigkeit. Wir sind in dieser Welt, wir sind selber durch und durch welthaft. Wenn Gott nicht welthaft zu uns spräche, würde er gar nicht zu uns sprechen“ (175), wobei ganz offen bleibt, ob wir „durch und durch welthaft“ auch mit unserer Sprache sind bzw. ob „Eingang in diese Welthaftigkeit“ auch bedeutet, Eingang in unsere Sprache und was daraus folgen würde212. Nur davon ist ganz unbestimmt die Rede, dass wir, was Gottes Kommen zu uns im Geheimnis der Welthaftigkeit angeht, „die Wirklichkeit dieser Beziehung nachzusprechen“ allein versuchen können (ebd.). Es kommt in dieser Passage heraus, dass Barth einerseits die (eigene) Sprache des Wortes Gottes völlig selbstverständlich von der hier verhandelten Welthaftigkeit unterscheidet (wenn nicht sogar ausnimmt) und seine Sprachlichkeit dabei zugleich einfach voraussetzt ohne sie vorher angemessen klar expliziert zu haben und dass er andererseits jede genaue Verhältnisbestimmung von „Welthaftigkeit“ und Sprache ganz unterlässt. Dieses Nebeneinander von unbefragter Selbstverständlichkeit es geht hier immer noch um „Rede Gottes“! und Ausfall einer thematischen Klärung macht den vorliegenden Abschnitt (4.1.) besonders irritierend bzw. schwer durchschaubar. Dies ist umso bedauerlicher, als Barths „dialektische“ Formeln über das Verhältnis von Verhüllung und Enthüllung zwanglos und naheliegend einen guten spezifisch sprachlichen Sinn hergeben. Heißt es, „daß Gott selbst sich verhüllt und eben damit… sich enthüllt“ (175), so wäre genau dies eben von seinem Sprechen in unserer Sprache zu verstehen, in die Gott sich gleichsam einhüllt, um eben so uns sich zu enthüllen, während Barth in das Zitat als Parenthese die Warnung einfügt: „und darum dürfen wir nicht in das Geheimnis vorstoßen wollen“ (ebd.). Denkt man von Gottes Selbstherablassung in die Sprache aus, so verbirgt Gott sich nicht in seinem Wort, das zugleich Menschenwort ist, sondern erschließt sich uns so gerade und macht sich uns fasslich nach dem, was er für uns sein will und ist (deus revelatus et 211 Genau das heben auch die Luther-Zitate Barths deutlich hervor; cf. 174, wo auch die Beziehung des Glaubens auf den deus loquens von Luther festgestellt wird. 212 Auch später ist für Barth „Menschenwort“ synonym mit „menschlichen Vorstellungen, Begriffen und Urteilen“ bzw. Äußerung von Sündern (cf. 282 mit 285 u. 289). Nur in dieser Dimension kommt z. B. in § 7 auch das Verhältnis von „Verkündigung“ und „Wort Gottes“ noch einmal in den Blick (cf. z. B. 280, 283, 305 u. ö.). Zu Barths aktualistischem Verständnis der „Fleischwerdung“ cf. 178: Für theologisches Denken hat die Fleischwerdung des Wortes „nicht die Wahrheit eines Zustandes, … sondern die Wahrheit eines göttlichen Aktes“.
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praedicatus). Sprachlich gedacht gilt gerade gegen Barth, was er selber „Verhüllung“ als Gottes Sichentziehen ins Geheimnis verstehend sagt: „daß eben die Verhüllung Gottes seine wahre und wirkliche Enthüllung ist“ (184).
4.2 Einseitigkeit Bei dem zweiten Merkmal des Geheimnisses, nämlich der unabwendbaren „Einseitigkeit“ von Gottes Rede zeigt sich vollends, dass Barth das Verhältnis von Verhüllung und Enthüllung in einer ganz anderen als der Dimension des Sprachlichen reflektiert: Gottes Wort „begegnet uns, indem es zu uns gesprochen und von uns vernommen wird, nicht teils verhüllt, teils enthüllt, sondern entweder verhüllt oder enthüllt, ohne darum in sich ein anderes zu sein, ohne so oder so weniger wirklich zu uns gesprochen und vernommen zu werden“ (180 f.). Diese Aussage zeigt: auch in der Sprachdimension ist ebenso wie in aller „Welthaftigkeit“ überhaupt Gottes Wort „entweder verhüllt oder enthüllt“, aber nicht so, dass die Sprachdimension selber und für sich nach ihrer spezifischen Verhüllungs- bzw. Enthüllungsfunktion und -fähigkeit bedacht würde213. Bezeichnenderweise kann Barth vom „verhüllten Wort“ bzw. „enthüllten (Wort)“ reden (181). Demgemäß versteht Barth unter der behaupteten prinzipiellen „Einseitigkeit“ des Wortes Gottes gerade die theologisch spezifische und notwendige Weise, wie das Ganze des Wortes Gottes für uns ist: „Die Rede Gottes ist und bleibt insofern Geheimnis, als uns ihre Ganzheit, freilich als solche … immer nur nach ihrer einen Seite offenbar wird, nach der anderen Seite aber verborgen bleibt“ (181)214. Bei der Formalität der Unterscheidung solcher Seiten, der eine ebenso formal gefasste, letzte Einheit in Gott entspricht, wird nun aber von der Frage der Heilsgenügsamkeit und der ihr entsprechenden Glaubensgewissheit abstrahiert, nämlich ob und wie sie damit zusammen 213 Cf. auch: „Eben seine Verhüllung kann uns schlechterdings zu seiner Enthüllung werden und eben seine Enthüllung schlechterdings zu seiner Verhüllung. Schlechterdings: d. h. jeweilen, unveränderlich in sich selber, für uns je das Eine oder das Andere“ (181). 214 Würde man im Zitierten unter „Seite“ jeweils Enthüllung oder Verhüllung verstehen, was durch vorherigen Sprachgebrauch suggeriert wird, so wird dieser Satz außerordentlich problematisch. Er würde dann entweder bedeuten müssen: „nach der Seite der Enthüllung offenbar“ und „nach der anderen Seite“, d. h. der der Verhüllung, „verborgen“, also besagen: als Verhüllung verborgen, d. h. überhaupt gar nicht zu erfahren! Oder er würde bedeuten müssen: „nach der Seite der Verhüllung offenbar“, d. h. als Verhüllung offenbar, „nach der anderen Seite“, der der Enthüllung, aber verborgen, also nur die Tautologie aussagen, dass das Wort Gottes als Verhüllung eben verhüllt ist, d. h. ausschließlich nur Verhüllung (und nicht mehr auch als Enthüllung zu erfahren); das aber hieße, es wäre nicht mehr „Geheimnis“, „Grenze“, sondern nur Negation und gegen Barths Beteuerung doch „einfach entzogen“ (181), d. h. völlig, und so eine undialektische Verborgenheit bzw. absolute Unzugänglichkeit. Es legt sich daher nahe, Barths Ausdruck „Seite“ im zitierten Satz anders zu verstehen; dann wäre etwa gesagt: einerseits offenbar, d. h. enthüllt, andererseits verborgen, d. h. verhüllt.
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bestehen können. Was bedeutet das „nach der einen Seite“ inhaltlich offenbar Gemachte für den Glauben, wenn es „nach der anderen Seite“ sich wieder ins Verborgene entzieht, bzw. was bedeutet die hier programmatisch gemeinte „Unübersichtlichkeit“ des göttlichen Wortes für den Glauben? Wenn Barth schreibt: „es ist… diese äußere Einseitigkeit, beruhend auf der inneren für uns unübersichtlichen Zweiseitigkeit, des Wortes Gottes, die den Glauben zum Glauben macht“ (188), so ist nur sein Anliegen deutlich, „Einseitigkeit“ gerade als Weise, die „Zweiseitigkeit“, d. h. Ganzheit des Wortes Gottes, zur Geltung zu bringen, herauszustellen. Und dies so, dass diese Ganzheit allein die Gottes und uns unmittelbar entzogen („unübersichtlich“), sein bleibendes Geheimnis ist und d. h. nur für den Glauben, der dadurch in seinem Wesen bestimmt ist, die jeweils eine Seite eben in das göttliche Geheimnis selbst zu transzendieren. „Glaube“ bedeutet also den spezifischen Zugang zu der uns sonst unzugänglichen Ganzheit des Wortes (182) als einer Rede Gottes selber. Eben weil uns anders diese Gegenwart unerreichbar ist nicht nach ihrem Zusammenhang durchschaubar (181), nicht als Synthese von uns aus vollziehbar (182, 181) , ist sie für Gott allein und „bleibt in Gottes Hand“ (181), so dass der Glaube nur dem Geheimnis Gottes selber entspricht, um eben so „uns an ihn selbst zu binden“ (182, cf. 183). Glaube ist so der Bezug auf das unerreichbare Ganze des göttlichen Wortes unter den Bedingungen unserer Einseitigkeit: „Wir können nur jeweils im Einen das Andere begreifen, d. h. wir können jeweils das Andere nur ergreifen, indem wir das Eine ergreifen: wir können es nur im Glauben ergreifen“ (181). Der Glaube hat es hier mit einer Art „Dialektik“ zu tun: Was Barth „Verhüllung“ und „Enthüllung“ nennt, ist deren jedes (in seiner Einseitigkeit) selbst und so allein auch sein anderes215, dies freilich nur subjektiv, d. h. für uns, und insofern nicht wirklich dialektisch. Am uns erreichenden Wort Gottes stellt sich dies formelle Spiel gegenseitiger Verweisung von Verhüllung und Enthüllung auch selber dar: als „die durch das zu uns gesprochene Wort selber gesetzte Grenze“ (181). Die von Barth betonte „größte Klarheit“ der enthüllenden Seite der Rede Gottes endet also selber jeweils an einem dunklen Hintergrund. Nun kann man vielleicht sagen, Gott sei immer noch mehr und anderes, als wir von ihm erfahren und vernehmen, aber insofern er klar zu uns redet und so unsern Glauben bestimmt, dürfte hier gelten: „quae supra nos, nihil ad nos“ (WA 18, 605,20 f.)216. Die von Barth offensichtlich gemeinte Grenze (als eine des zu uns gespro215 So spricht Kierkegaard gleichsam definitorisch von „dem Dialektischen, daß … das Eine stets das sich Entgegengesetzte ist“ (Die Krankheit zum Tode. Gesammelte Werke (Hirsch), 24.Abt. (1957), 26 u. 29. Für das Verhältnis zu Hegels Dialektik-Verständnis cf. M.Theunissen, Der Begriff Verzweiflung (1993; stw 1062), 144 A.9, und J.R., Paradox und Dialektik, in. Kierkegaardiana 19 (1998), 38 f. 216 Cf. dazu E.Jüngel, Quae supra nos, nihil ad nos. Eine Kurzformel der Lehre vom verborgenen Gott – im Anschluß an Luther interpretiert, in: Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch (19862), 202 – 251. Diese Interpretation hat J.Baur kritisiert (ungedruckt).
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chenen Wortes), betrifft dieses, insofern es nur Menschenwort, d. h. welthafte „Gestalt“ des Gotteswortes ist (dazu s. u.). Dazu ist aber zu bemerken, dass jedes Wort als sinnvoll sprechendes selber über seine Grenze hinausweist auf das von ihm Gesagte hin; ja, es ist nur Wort als ein (sprachliches) bei dem Jenseits seiner Grenze (als bloßem Wort) Sein. Das besagt, die „Gestalt“ des Redens ist in der Sprache kein monadischer Selbstabschluss, sondern gerade die Präsenz von „Gehalt“; denn sonst spräche die Gestalt gar nicht, sagte nichts aus. Barth meint diese „Grenze“ aber nicht nur sprachlich217, sondern primär theologisch: „die Grenze jenseits derer das Wort … Geheimnis bleibt, erst recht wieder zum Geheimnis wird“ (181; Hervorh. J.R.). Das besagt doch: Gott zieht sich, indem er sich im Wort gibt, eodem actu aus dem Wort (als einer bloßen Grenze) wieder (in sich) zurück. Er spricht bei seiner „Rede“ Etwas oder sich mit diesem Etwas nur so aus, dass er sich für sich selber davon sogleich auch wieder unterscheidet und zurücknimmt; d. h. aber: Er gibt nicht eigentlich sich selber in seiner Rede als solcher. Wenn Barth sagt: „Das Koinzidieren beider [sc. von Gestalt und Gehalt] ist Gott, es wird aber nicht uns einsichtig“ (182), so scheint in Wahrheit ausgesagt zu sein: Gott ist das SichZurückziehen. Aus diesen Überlegungen folgt, dass der Glaube bei Barth nicht streng und im eigentlichen Sinn aufs Wort (als Gottes eigene Gegenwart) bezogen ist218, sondern vielmehr auf das am Wort als sein Anderes aufscheinende und vom Wort begrenzte (bzw. das Wort begrenzende und von ihm fortweisende) Geheimnis Gottes selbst und als er selbst. Barth selber redet von der „rückläufigen Bewegung des Glaubens“ (185) entsprechend als einer von Gott selber intendierten: „der uns je durch die Gestalt zum Gehalt und durch den Gehalt zurück zu Gestalt und beide Male zu sich selbst führen will“ (183). Ein kurzer Blick auf einige Näherbestimmungen Barths mag das entstandene Bild abrunden. Unterscheidet Barth jeweils verschieden akzentuierend das Wort Gottes „nur in der welthaften Gestalt“ zu hören, davon, es „ebenso wirklich [zu] hören“, d. h. eigentlich und im geistlichen Sinn (cf. 182)219, so ist 217 Deutlich ist auch, dass Barth hier nicht von einer sprachlichen Grenze redet wie der, dass immer nur Bestimmtes und d. h. anderes nicht (zugleich) gesagt werden kann, wenn wirklich geredet wird. Er meint auch nicht eine solche Grenze wie die, dass ein Sprecher immer noch mehr und anderes ist als das von ihm Ausgesprochene, wenn gleich er auch jenes beim Weiterreden durchaus auch sagen könnte. 218 Cf. die Lutherstellen bei Barth zur ausschließlichen Angewiesenheit des Glaubens auf das feste Wort, zitiert 184 u. 176. 219 Analog wenig später: „Glauben heißt also jetzt: den göttlichen Gehalt des Wortes Gottes hören, obwohl uns schlechterdings nur seine welthafte Gestalt einsichtig ist. Und Glauben heißt jetzt: die welthafte Gestalt des Wortes Gottes hören, obwohl uns nur sein göttlicher Gehalt einsichtig ist“ (183). Barth hat den Terminus „einsichtig werden“ restringiert: „Was uns einsichtig wird, das ist immer Gestalt ohne Gehalt oder Gehalt ohne Gestalt“ (182). Man möchte (in anderem Sinne) sagen: schlechterdings! Wie sich solche Einsichtigkeit zum „wirklichen Hören“ (und zum Glauben) verhält, ist schwer zu durchschauen.
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diese Verschiedenheit und ihre (nur für den Glauben gegebene) Einheit in Gott von ihm nicht zum sprachlichen Vollzug als Rede Gottes in Beziehung gesetzt ebenso wenig wie dies für das sich Enthüllen und Verhüllen Gottes in seinem Wort geschieht (cf. ebd.). Auch die Korrelation, dass „die welthafte Gestalt ohne den göttlichen Gehalt … nicht das Wort Gottes (ist)“ und vice versa (ebd.), wird ohne Bezug auf die spezifisch sprachliche Realität des Wortes behauptet. Das „Koinzidieren“ von Gehalt und Gestalt wird exklusiv Gott zugeschrieben, der es sogar „ist“ (183). Aber nur weil Barth es wiederum unterlässt, solches Koinzidieren dazu ins Verhältnis zu setzen, dass Gottes Wort im und als Menschenwort da ist, kann er es abstrakt als für uns völlig uneinsichtig ausgeben (ebd.) und die Unmöglichkeit eines spezifisch „christlichen Denkens“ behaupten, die uns nur die Alternative entweder „realistisch“ oder „idealistisch“ denken zu müssen übrig lasse (cf.183 f.). Sprachlich bzw. sprachtheologisch zu denken, würde aber genau von dieser Situation befreien. Was Barth als die „Gebundenheit des Gehaltes an die Gestalt“ (185) bezeichnet, ist eben nicht identisch mit der Selbstbindung von Gottes Wort an das Menschenwort in Hl. Schrift und christlicher Predigt; dies zeigt auch seine Erläuterung durch die Duale von Herrlichkeit/Niedrigkeit und Güte/Strenge des Wortes Gottes. Diese Andersartigkeit erweist sich auch da, wo Barth gelegentlich auf die konkreten „Gestalten“ des Wortes Gottes zu sprechen kommt, deutlich: „Es ist ja allerdings vor allem so, daß es sich im Glauben darum handelt, die Verhüllung, in der Gott in der Verkündigung, in der Bibel und in Christus selbst zu uns redet, gleichsam zu durchbrechen oder als durchbrochen zu erkennen“ (184). Mit Verhüllung ist hier nur ganz unbestimmt wieder die „Welthaftigkeit“ als solche gemeint, nicht aber präzis das menschensprachliche Lautwerden des Wortes Gottes (zur Fortsetzung des Zitates s. o. zu 175, S. 117 f). In dieser Sprachdimension aber würde gelten, dass die „Verhüllung“ schon dadurch „durchbrochen“ ist, dass Gott „selbst zu uns redet“, indem Verkündigung, Bibel und Christus zu uns reden. Ähnlich problematisch ist es mit Barths Versuch bestellt, die Begriffe Gehalt und Gestalt in Analogie zu „Vater“ und „Sohn“ im Sinne des Joh.-Evangeliums zu bringen (183, cf. 188 u. 53). Dabei entspricht dem Vater der (an sich selber) gestaltlose, göttliche „Gehalt“ und dem Sohne die welthafte (d. h. den Gehalt verhüllende) „Gestalt“220. Beide sind aber durch die „Fleischwerdung“ vermittelt (cf. 175 u. o. S. 117). Demgegenüber ist wohl daran festzuhalten, dass die Fleischwerdung des Wortes auch die Wortwerdung des ewigen Wortes ist und ermöglicht. Schließlich nähert Barth sich der Dimension des Wortes als solchem noch 220 Was Barth hier Gehalt und Gestalt nennt, entspricht in etwa dem, was P.Tillich als ein trinitarisches Schema mit der Unterscheidung von göttlichem „Macht-Element“ (bzw. „Abgrund“) und „Sinn-Element“ (bzw. „Struktur“) im Blick hat (cf. Systematische Theologie I (19563), 289 mit 186).
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einmal, wenn er die „doppelte Bewegung“ des Glaubens und des Wortes Gottes (183 f. u. 186), nämlich durch die Gestalt hin zum Gehalt (und vice versa: 183), vom Grundmuster der wechselseitigen Verweisung von Verhüllung und Enthüllung ausgehend, inhaltlich weiterschreiben will zu den Korrelationen von Gottes Inanspruchnahme und Zuwendung bzw. Forderung und Verheißung bzw. Gesetz und Evangelium bzw. Zorn (Gericht) und Gnade (186 f.). Mit all diesem setzt er dann auch das Verhältnis von Buchstabe und Geist parallel (186). Hierzu formuliert er: „Gerade der Buchstabe der Verkündigung und der Bibel ist der Träger des Geistes; aber gerade der Geist wird uns auch immer wieder zum Buchstaben zurückführen“ (187). Sollen derart Wort und Geist aufeinander bezogen werden, so ist nach allem bisher Ausgeführten zweierlei kritisch im Auge zu behalten. Einmal, was heißt hier genau „Träger“? Für Barth besteht, wie gezeigt, seine Funktion darin, als etwas nur Welthaftes im Glauben selber und so als Buchstabe überschritten zu werden. Sodann, „zurückführen“ bedeutet nur, dass es keinen Geist (d. h. „göttlichen Gehalt“) ohne die welthafte Gestalt gibt, an die der Gehalt gebunden ist (185). Es heißt aber nicht, dass der Geist selber am Buchstaben bzw. als solcher ist; Gottes Selbstbindung ans Wort ist also damit nicht behauptet. Zum Träger zurückgeführt werden, um von ihm aus (d. h. durch die Gestalt hindurch zum göttlichen Gehalt) durchzustoßen zu Gott selber, das ist der Sinn von Barths Formulierung. Denn Gott will uns letztlich im „Vorwärts oder Rückwärts“ bezüglich Gestalt und Gehalt „beide Male zu sich selbst führen“, er, „der sich so oder so nicht in unsere Hand gibt, sondern uns in seiner Hand behält“ (183). Nur so ist für das Wort Gottes als sein „Selbstwort“ gewährleistet, dass wir, ohne uns bei einer der beiden „Einseitigkeiten“ festmachen zu können, „es so oder so als von Gott gesagt… hören“, worauf Barth „alles … ankommt“ (186; Hervorh. J.R.). Denn allein auf diese Weise „ist Gott sich selber und uns treu“ (ebd.). 4.3 Geistigkeit Hatte bisher der Geheimnis-Charakter des Wortes Gottes mit seiner Verhüllung in „Welthaftigkeit“ (4.1.) und seiner in seiner „Einseitigkeit“ verborgenen Ganzheit (4.2.) zu tun, so mag es überraschen, in den zum Schluss folgenden grundsätzlichen Aussagen Barths zum Begriff des Heiligen Geistes diesen unter der Bestimmung „Geheimnis“ und nicht vielmehr der des Offenbarseins erörtert zu sehen: „Die Rede Gottes ist und bleibt Gottes Geheimnis in ihrer Geistlichkeit“(189)221. So könnte sich die Vermutung nahelegen, dass Barth hier nicht so sehr die weltliche Unausweisbarkeit des Wortes Gottes im Sinne habe, als vielmehr auch eine Distanzierung vom Wort- bzw. Redecharakter des Gotteswortes. 221 Das von Barth aus Luther Angeführte (192) hingegen betont gerade: „Der Christliche glaub und das Christliche leben steht ynn dem einigen wörtlin Offenbaren von Gott …“ (WA 23, 689,4).
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Freilich liegen in diesem kurzen Schlussabschnitt des § 5 zustimmungsfähige und problematische Aussagen merkwürdig ineinander, so dass diese hier besonders schwer und d. h. nur bei genauestem Zusehen auszumachen sind. So wird wohl in keiner christlichen Theologie als Anliegen einer Lehre vom Hl. Geist die Aussage zu bestreiten sein: „Der Herr der Rede ist auch der Herr unseres Hörens. Der Herr, der das Wort gibt, ist auch der Herr, der den Glauben gibt“ (189)222. Allerdings ist dabei nicht unwichtig, wie das Verhältnis von Rede Gottes und Hören des Menschen bzw. von Wort und Glaube genauer zu verstehen ist223. Barth handelt vom Hl. Geist als dem „Ereignis, in dem Gottes Wort dem Menschen nicht nur offenbart, sondern auch von ihm geglaubt wird“ (189). Dabei fragt sich nun, ob „Offenbarung“ und „Glaube“ hier als zwei nur relativ voneinander zu unterscheidende Momente gefasst werden gibt es denn Offenbarung, ohne dass sie es für den Glauben an sie bzw. in ihm wäre?224 – oder ob sie doch als gegeneinander selbständige und nur faktisch zusammenkommende Größen konzipiert sind225. Auch diese Frage ist von unmittelbarer (kritischer) Relevanz für die Verhältnisbestimmung von Wort und Glaube. Jedenfalls redet für Barth der Begriff des Hl. Geistes davon, „daß und wie dieser Mensch so für das Wort Gottes offen und bereit ist, daß er es hören kann“ (189). Es geht also darum, dass das Wort Gottes wirklich zum hörenden Menschen gelangt, an ihn kommt und dies in kraft von Gottes eigener Wirksamkeit226. Darum ist das Wort Gottes „geistlich“, d. h.: „es ist da, wo es wirklich ist und wo es also vom Menschen geglaubt wird, endlich und letztlich selber der Grund dieses Ereignisses“ (189)227. Barths schon früher berührter Gedanke, dass das Wort Gottes sich selber beim Menschen seinen „Anknüpfungspunkt“, d. h. die Möglichkeit, dass es wirklich als solches gehört wird und Glauben schafft (s. o. S. 23 mit Anm. 32), wird hier also im Begriff des Hl. Geistes (und so letztlich trinitarisch) verortet. Zu Fragen Anlass gibt nun die Art und Weise, wie Barth diese Selbstunterscheidung des Wortes im Geist, der es selber und seine Aufnahme beim Menschen umgreift, auf der Seite des Glaubens reflektiert sieht. Er sagt mit 222 Cf. Ed.Thurneysen: „Der Satz der Offenbarung: Gott redet ist identisch mit dem Satze: der Mensch hört“ (Das Wort und die Kirche (1927), 222; bei Barth zitiert: 255). 223 Heißt es später: „Empfangen … muß der Mensch nicht nur das Wort von Christus, sondern auch das pmeOla, durch das es erkannt wird“ (203; Cf. 205), so wäre präzisierend bzw. konkretisierend hinzuzufügen: dies Pneuma kommt eben sprachlich, d. h. mit dem Wort und als dieses Wort. 224 Cf. o. Anm. 221. 225 Durch Barths frühere Aussagen über den Glauben als „Entscheidung“ (166 f) ist das zumindest nicht ausgeschlossen (s. o. S. 109 ff). 226 Cf. auch: „Das Wort Gottes ist auch in seinem zum Ziel Kommen beim Menschen, im Ereignis des menschlichen Glaubens an das Wort Gottes Gottes Wundertat“ (190). 227 Cf. auch: „die Aneignung des Wortes Gottes als Gabe des Hl.Geistes und also als des Wortes eigenes Tun am Menschen“ (217).
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Hinweis auf Gottes Handeln im Ereignis des Glaubens –: „Wir müssen an unsern Glauben nicht weniger glauben als an das geglaubte Wort“ (190). Hierin besonders findet er den Geheimnis-Charakter des Geistes bzw. der Geistlichkeit von Gottes Rede: der Glaube sei eben „nur als Wunder des Heiligen Geistes und nicht als unser eigenes Werk“ zu verstehen (ebd.). Bei diesen an sich zutreffenden Feststellungen macht doch die Wendung, an unsern Glauben glauben zu müssen, Beschwer. Denn gilt gerade theologisch vom Wort: „rapit nos a nobis et ponit nos extra nos“ (WA 40/I, 589,25 f), so ist die Wendung Barths „an unsern Glauben nicht weniger glauben als an das geglaubte Wort“ zumindest schwer missverständlich. Es erweckt unvermeidlich den Anschein zweier Glaubensakte oder -Vollzüge abgesehen von der Äquivokation im Begriff von „Glauben“ –, die erst in ihrem Zusammensein (wie von zwei Faktoren) den vollen Glauben ergeben. Freilich enthält der Glaube ans Wort und nur das ist der wahre und ganze Glaube auch ein Moment von Selbstbezüglichkeit und dies sogar wesentlich –, aber dies Selbstverhältnis des Glaubens ist nicht selber wieder ein zweiter Glaube, sondern es fällt völlig in eins mit dem, was den Glauben zum Glauben macht: dem Wegsehen von sich und Hinsehen auf seinen Grund (im Wort); denn der Glaube weiß wesentlich, „nur als von Gott her möglich und wirklich“ zu sein (ebd.). Diese eigentümliche Sachlage lässt sich gerade an Luthers von Barth hier angeführter, „nie genug gewürdigter“ Erklärung des dritten Artikels demonstrieren228. Heißt es dort „Ich gleube, das ich nicht aus eigner vernunfft noch krafft … gleuben … kan“ (WA 30/I, 367,4 f.; Hervorh. J.R.), so ist damit nicht ein zweifaches Glauben, sondern eine Selbstreflexivität des Glaubens behauptet229: Glaube ist wirklich als ein sich von seinem Grund her Verstehen und nicht als Glauben an den eigenen Glauben. Dessen inne zu sein, dass er nicht aus sich, sondern allein von seinem Grund (in Jesus Christus) her ist, was er ist, das ist nicht eine zusätzliche Annahme über den Glauben, die zu ihm noch hinzukäme, sondern es ist eben das Selbstverständnis (von sich), das der Glaube selber ist. Er ist nur als dieses Sichzurücknehmen vor seinem Grund bzw. ist nur als Bezug auf das, was ihn begründet und in diesem Bezug begründet. Der Glaube ist Glaube als diese Selbstunterscheidung: ein Sichwissen nur im Wissen vom extern Begründetsein solchen Sichwissens. Das kommt bei Luther in aller Deutlichkeit heraus durch die Antithese: „Sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelion beruffen“ (a. a. O.). Das heißt: dass der Glaube nur „von Gott her möglich und wirklich“ ist, ist identisch damit, vom Wort her möglich und wirklich zu sein230. Gerade so aber im unlösbaren Zusammenhang von Gott und Rede ist der Hl.Geist zu verstehen, und darauf 228 Cf. dazu bereits o. Anm. 97. Ähnlich schon Augustin: „non parva ex parte intelligit et scit Dominum, qui intelligit et scit etiam hoc a Domino sibi dari, ut intelligat et sciat Dominum“ (De civ. Die XVII, 4,8; MPL 41, 531; bei Barth: 260). 229 Cf. A.Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, Band 2: Der Glaube (1991), 27 ff: „Das Reflexwerden des Glaubensbezugs in Luthers Credo-Auslegungen“. 230 Cf. Peters, a. a. O. 198 f.
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ist Barth gegenüber zu insistieren, welcher den Glauben doch eher als reines „Ereignis“ im Geheimnis des Geistes zu fassen scheint (cf. 194). Die Kritik an Barths Rede vom Glauben an unseren Glauben ist hier darum einschlägig und wichtig, weil sie die Bedeutung des Wortes für den Glauben entscheidend betrifft. Glaube ist nur als Glaube an sein von Gott (und dies im Wort) Gewirktsein. So existiert der Glaube gar nicht anders, denn als in Selbstunterscheidung von sich (als etwas irgendwie Eigenem und für sich Bestehendem); d. h. er ist nur als ein sich von seinem Grund her Seinlassen, ein sich vom Wort und im Wort konstituiert Wissen, und darum ist er nicht etwas noch davon Abzuhebendes für sich selber. Hält Barth diesen konstitutiven Bezug des Glaubens aufs Wort wirklich fest? Zur Erläuterung des Geheimnischarakters des Wortes Gottes, also seinem Bezug auf den Hl.Geist heißt es: „daß es uns geistlich, d. h. … in aller Mittelbarkeit nur unmittelbar von Gott selbst her wirklich trifft“ (190). Ist das (d. h. das „in“) so zu verstehen, dass die Unmittelbarkeit des Wirkens Gottes selber (im Hl.Geist) von dieser Mittelbarkeit noch einmal zu unterscheiden ist? Wohl nicht zufällig fehlt wieder ein expliziter Bezug aufs Wort231. Denn das Wort Gottes im Menschenwort erlaubt gar nicht, Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit so voneinander abzuheben, sondern es bedeutet gerade die sich (im Hören) aufhebende Vermittlung von Wort und Hl.Geist. Im äußeren, sprachlichen Wort, als dieses, begegnet Gott selber, nicht aber in einer Bewegung weg vom Wort hin zu reiner Gottunmittelbarkeit. Wo der Hl.Geist als dies reine Ereignis aktualistisch umgedeutet wird, ist die Wortgebundenheit des Geistes, aber auch die Geisthaftigkeit des Wortes verfehlt232. 231 Barth wendet sich hier nur gegen die falsche Alternative einer direkten Methode, sei es einer sog. pneumatischen Schriftexegese, sei es erwecklicher Verkündigung (cf. 190 u. 193), ohne den Sachzusammenhang mit dem sprachlichen Wort selber zu thematisieren. 232 In diesem Horizont – nicht aber in seiner kritischen Richtung gegen Tillich! – ist auch folgender Satz Barths zweideutig: „Eben durch die Verkündigung der ,Inhalte von Bibel und Tradition‘ bezeugen wir, daß wir dazu überhaupt nicht in der Lage sind“ (191). In Wahrheit bezeugen wir doch gerade, dass hier und nur hier der Hl.Geist Glauben wirkt oder wirken kann, d. h. in diesen traditionellen Worten der Bibel als dem wirklichen Worte Gottes, und insofern gibt es auch kein vages Suchen in neuen anderen Bereichen (cf. 192). Bei Barth klingt es aber so, als ob die Inhalte von Bibel und Tradition nur von ihnen selbst wegweisen auf ein davon unterschiedenes Kommen Gottes selber – also in seinem sog. „Selbstwort“. Freilich sagt er auch: „Sie [sc. die menschlichen Erfahrungen mit dem Glauben] können als Hören des Wortes Gottes … nur bezeugt werden unter Berufung auf die Verkündigung durch die Kirche, auf die heilige Schrift, auf die Offenbarung …“ (193). Aber wenn es dann heißt: „das Suchen nach einem solchen Gefäß menschlicher Erfahrung, Haltung und Lehre, das nun sicher und unzweideutig das Gefäß des göttlichen Inhalts wäre“ und daraufhin solches Suchen abgewiesen wird (192), so ist doch wiederum an das „Gefäß“ der Menschensprache von Bibel und Predigt zu erinnern, worin wir als „irdenem Gefäß“ doch den ganzen Schatz des göttlichen Wortes haben (2Kor 4, 7). Genau das wird in den Luther-Zitaten gesagt, die Barth hier beibringt (192): „das er uns selb gebe das heylige worth durch sich oder durch eynen menschen“ (WA 2, 108,30 f) und : „denn das wyr unsers herren Christi mund sind und seyn rusttzeug, da durch er leyblich das wort prediget“ (WA 12, 531,8 f). (Übrigens ist im letzten Luther-Zitat (WA 23, 689) von „Geheimnis“ in anderem Sinn die Rede als bei Barth.)
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f. Zur Frage der Erkennbarkeit des Wortes Gottes (§ 6) 1. Erkenntnis und Erkennbarkeit Weil es beim Wort Gottes um Gottes eigenes Wort geht, darum gilt für Barth im strengsten Sinn, dass schon „der Begriff seiner Erkenntnis … sich überhaupt nur von diesem seinem Gegenstand her bestimmen läßt“ (198)233. Dabei geht er bei der Behandlung des Themas nicht von irgendeinem schon vorausgesetzten Begriff von Erkenntnis aus, sondern versucht, ihn, um außertheologische Präjudizien zu vermeiden, „so allgemein, so weltanschaulich und erkenntnistheoretisch unbestimmt“ wie nur irgend möglich zu fassen (cf. 197)234. Aber ein sprachlich vermittelter Erkenntnisbegriff wie offen im Übrigen auch immer wäre gerade im Falle des Wortes Gottes nicht eine beliebige, theologisch problematische „weltanschaulich-erkenntnistheoretische Bestimmung“ (ebd.), die die Antwort auf die Frage nach der Erkennbarkeit in „vielleicht sehr unangemessener Weise vorwegnehmen“ würde (cf.ebd.); sondern er ist eben wegen des grundlegenden Charakters des Wortes Gottes als „Rede“ (cf. 137!) spezifisch angemessen und unvermeidlich. Darauf weist Barth indirekt selber hin, wenn er es denn sprachlich meint, wo er sagt: „Wo das Wort Gottes erkannt wird und also erkannt werden kann, da muß es gesprochen, da muß es als göttlicher Ruf an diese und diese Menschen ergangen sein“ (197 (2.)). Gleichwohl unterlässt hier Barth jede thematische Erörterung des konkreten Verhältnisses von Erkenntnis und Sprache. Es geht ihm in diesem Paragraphen um die „Erkennbarkeit des Wortes Gottes“ (194); aber ob damit dessen Erkennbarkeit als wirkliche Rede gemeint ist, bleibt durchgehend im Unklaren. Zwar soll gelten, „daß es Menschen möglich wird, das Wort Gottes zu hören, sogar zu sagen und also zu erkennen“ (194 f), aber die Sachordnung scheint eher umgekehrt: „Ernstzunehmendes Hören und Sagen beruht auf der Möglichkeit von Erkenntnis“ (196)235. Man darf vermuten, dass diese Vorordnung des Erkennens vor der Sprachlichkeit bei Barth mit einem grundlegenden Intellektualismus zusammenhängt, der die Sprache nur als Vehikel der Ratio kennt: „weil das Wort Gottes primär und beherrschend Rede ist, Mitteilung von Person zu Person, von Vernunft zu Vernunft, Geist, rationales Geschehen, Wort der Wahrheit, weil es sich an die menschliche ratio wendet, 233 Ebenso gilt von der „Erkenntnismöglichkeit“ des Menschen, dass sie „nur vom Erkenntnisgegenstand bzw. von der Erkenntniswirklichkeit her … als solche verständlich zu machen ist“ (201). Das ist eine im ganzen Hegelische und vernünftige Option. Hinzu kommt: der theologische „Gegenstand“ der Erkenntnis ist eben nur der sich in ihrer Wirklichkeit selber Wirklichkeit gebende, s. u.). 234 Der Erkenntnisbegriff bleibt bei Barth ganz offen, muss das aber gerade auch. 235 Cf. auch: „daß Menschen … Hörer und Verkündiger des Wortes Gottes werden können durch seine Erkenntnis“ (197).
Zur Frage der Erkennbarkeit des Wortes Gottes (§ 6)
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worunter man … auch und nicht zuletzt den Intellekt zu verstehen hat“ (214; cf. 211f.)236. Nur indem Barth die Erkenntnis rationalistisch der Sprache vorordnet, scheint er den Primat des theologischen Gegenstandes sichern zu können237. Als weitere Sicherung theologischer Reinheit dient der Umstand, dass hier ausdrücklich nicht nach der tatsächlichen Erkenntnis des göttlichen Wortes gefragt werden soll bzw. darf, sondern allein nach deren formeller Möglichkeit beim Menschen, also nach der Erkennbarkeit: Wir müssen theologisch fragen: „wie können Menschen das Wort Gottes erkennen?“ (197). Denn nur bei dieser Art der Fragestellung kann unverbrüchlich gewährleistet bleiben, „daß auf die Frage nach der wirklichen Erkenntnis des Wortes Gottes das Wort Gottes allein Antwort gibt“ (ebd.) eben weil seine Erkenntnis bzw. Anerkennung „nur durch es selbst wirklich und nur aus ihm selbst verständlich werden“ kann (194)238. Ehe dieser Begründung weiter nachzugehen ist, muss aber festgehalten werden: Auf die Frage: „wie können Menschen das Wort Gottes erkennen?“ wäre als elementare und fundamentale Antwort der Hinweis notwendig (und auszuarbeiten) gewesen: so, wie Worte überhaupt, d. h. weil und insofern jenes eben (immer auch) Wort (Rede) ist. Für Barth hingegen geht es vorrangig um die Erkennbarkeit des Wortes Gottes, nämlich als eines solchen, das letztlich und exklusiv das Wort Gottes selber ist, und das besagt, um die Erkennbarkeit von dessen „Wirklichkeit hinsichtlich seines Daseins oder seiner Existenz und hinsichtlich seines Soseins oder seines Wesens“ (195; Hervorh. J.R.)239. Von dieser „Wirklichkeit“ des Wortes Gottes aber sagt bereits der Leitsatz des Paragraphen aus, dass sie (in allen dessen drei Gestalten) „nur in sich selber (gründet)“ und dass auch ihre „Anerkennung“ „nur durch es selber wirklich und nur aus ihm selber verständlich werden“ kann (194)240. Barth greift hier auf das Theorem der „Aseität“ Gottes und seines Wortes zurück (cf. 162 u. 163): „daß das Wort 236 Cf. schon ähnlich 139 und dazu o. S. 87 f. Gegen einen theologischen Antiintellektualismus: 211 f. Barth beruft sich für 1p¸cmysir der Wahrheit als „das Entscheidende im Christenstand“ (197) auf 1Tim 2, 3; 4, 3; 2Tim 2, 25; 3, 7; Tit 1, 3. 237 Cf. aber o. Anm. 163. 238 Es geht Barth eigentlich um einen „Verweis“, nämlich den „auf das Ereignis der wirklichen Erkenntnis des Wortes Gottes“, das theologisch nicht zu antizipieren ist (205), und darum vermeidet er den „Ernstfall“ (s. o. S. 14 f u. S. 16 Anm. 21). Daher gilt sogar: „Auch die Erkenntnis der Unmöglichkeit des Wortes Gottes außerhalb ihrer Wirklichkeit ist nur möglich unter Voraussetzung dieser wirklichen Erkenntnis“ (206; cf. 202 u. 205). 239 Weil Barth hier sagt: „hinsichtlich … seines Wesens“, gerät er nicht in Widerspruch zu der früheren Behauptung, dass das Wesen Gottes und seines Wortes einem direkten Zugang unerreichbar sei (136; cf. auch zum Was und Wie: 136, 194). Im übrigen ist die hier ausgesagte „Erkennbarkeit“ strikt zu unterscheiden von einer dogmatischen Erkenntnis des „Was“ (des Wortes Gottes) im Sinne von § 5! 240 Cf. auch: „Es ist nur wirklich und nur als wirklich zu verstehen, wenn und indem es sich selbst gibt und zu verstehen gibt“ (164).
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Gottes nur in seiner eigenen Entscheidung Wirklichkeit ist“ (164; s. dazu o. S. 109)241. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass genau so wie die anschließende Bestimmbarkeit „von … seinem Gegenstand her“ (198) auch das „in sich selber Gründen“ (194) eine wesentlich sprachliche Unterscheidung ist, weil die Sprache jeder Erkenntnis ermöglichend vorgegeben und die Sprache selber in sich sich auf das bezieht, was sie zugleich von sich unterscheidet. In diesem Sinne hätte sich Barths Begriff der „Anerkennung“ des Wortes Gottes (cf. 194 u. 214 – 217) durchaus der Sinn sprachlichen Verstehens abgewinnen lassen, insofern auch für Barth gilt, dass die Gottes Wort Erkennenden bzw. Anerkennenden „mit dem Denken des Wahrseins seiner Wirklichkeit anfangen“ müssen (195). Denn heißt „Erkenntnis“ bei Barth absichtlich ganz formell nur „Bewährung ihres Wissens“ von einem Gegenstand (cf. 195), d. h. sein Wahrwerden für mich242, so ist die dabei zugrundeliegende Unterscheidung von „für uns“ und „in sich“ evidentermaßen eine sprachliche: „die Wirklichkeit des betreffenden Gegenstandes …, wahr in sich selber, … nun auch für sie wahr“ (195, cf. 204, 234). Gerade nur in kraft dieser Unterscheidung ist beides auch aufeinander zu beziehen: weil in sich wahr, auch für uns, die Erkennenden. Und gerade indem die Sprache diese Unterscheidung und diese Beziehung in sich austrägt, macht sie Erkenntnis (von Wahrheit) möglich243. Dass was Barth durch die außersprachliche Vorordnung eines in und aus sich Wahrseins sicherstellen möchte die Erkennenden „sich diesem seinem [sc. des Wortes Gottes] Wahrsein gegenüber nicht mehr auf sich selbst zurückziehen (können), um es von da aus zu bejahen, in Frage zu stellen oder zu verneinen“ (195), ist genau darum unmöglich, weil sie in Bezug auf das sprachliche Wort gar nicht mehr allein für sich selbst sie selber sind, sondern weil vielmehr „sein Wahrsein“ gerade im Wort „zu ihnen selbst gekommen, ihnen zu eigen geworden“ ist (ebd.). Und genau damit, sprachlich, sind „sie selbst seinem Wahrsein zu eigen geworden“ (ebd.)! Sind diese Erwägungen triftig, so fällt auf Barths Näherbestimmungen, die er andeutungsweise von der Erkenntnis gibt, zumindest ein doppeldeutiges Licht. Er nennt bezüglich der Erkennenden „für sie wahr“ Werden: „aus einer zufälligen zu einer notwendigen“ Bestimmung und „aus einer äußeren zu einer inneren Bestimmung ihrer eigenen Existenz“ Werden (cf. 195). 241 Genau so ist es „vor allem in sich selbst als göttliche Entscheidung gerechtfertigt“ (165). 242 Den genaueren Sinn dieses Für-mich-Wahrwerdens lässt Barth unerörtert. Es wäre wohl zu sagen und gerade an der sprachlichen Vermittlung aufzuzeigen, dass jenes Wahrsein-in-sich mich so von seiner Wahrheit innerlich überführt und mir so aufgeht, dass ich in ihr und nur in ihr mir selber gegenwärtig und „durchsichtig“ bin. An einer Stelle spricht er vom „Sich-Fügen in die Sinnhaftigkeit“ (214). 243 Sagt Barth, es komme alles darauf an, dass wir „als Redende und Hörende bei der Sache sind“ (206), so geschieht genau dies in der Sprache, die bei sich gerade nicht nur bei sich, sondern außer sich ist: bei dem, wovon sie spricht. Damit transzendiert Sprachlichkeit auch die von Barth hier betonte Alternative: (bloße) „Sache“ und „persönlicher und freier Gott“ (ebd.).
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Diese Merkmale von Erkenntnis ließen sich an sich in einem konkreten sprachlichen Sinn verstehen. Denn das äußere Wort wird, als solches vernommen, zugleich zu einer inneren Bestimmung des Vernehmenden. Das sprachliche Wort ist gerade der Ort, wo ich außer mir ganz bei mir sein kann, und als „wahr in sich selber“ nur kann es auch „wahr für“ mich sein. Also entweder meint Barth Erkenntnis hier als ein sprachliches Geschehen was er aber nirgends deutlich sagt – und dann geht es bei ihr um das Verstehen (Einleuchten) des gehörten Wortes als eines solchen, eben um ein sprachliches Innewerden seiner Wahrheit: Vernunft als eine (Sprache) vernehmende. Oder aber Barth versteht alles von ihm Gesagte letztlich doch von jener „geistigen Gewalt“ her, der „im Wort und durch das Wort lebendige(n) Gewalt“ (156), die sich des sprachlichen Wortes nur bedient („in“ ihm und „durch“ es sich durchsetzt), weil a priori gelten soll: „Die Gewalt des Wortes Gottes ist in sich selbst und als solche absolute Gewalt“ (158; cf. 155 u. 61: „die eigene Kraft des göttlichen Selbstwortes in und trotz der Finsternis des ihm dienenden Menschenwortes“!). Sind Barths Ausführungen von daher zu lesen, dann kann Erkenntnis hier natürlich nur „Anerkennung“ sein244, d. h. ein einfaches (opakes) Sein- und für sich Geltenlassen, gehorsames Akzeptieren, bloßes Sichbeugen vor einer sich selber imponierenden Gewalt245. Barths Rede von der „Wahrheit in sich selber“ entspräche dann dem uneinholbaren Voraussein einer sich setzenden, übermächtigen Wirklichkeit, die nur auf sich selbst bezogen ist246. Das aber bedeutet, dass die „wahre Wirklichkeit“ (des Wortes Gottes, cf. 195), eigentlich und streng genommen, nur eine unhintergehbar247 und unabweisbar wirkliche Wirklichkeit wäre, d. h. in diesem rein faktischen Sinne kein „Phantasieprodukt“, sondern eine als wirklich bekannte Wirklichkeit (cf. 195)248.
244 Luther spricht im Angeführten (203) demgegenüber von Erkenntnis nicht als einem Tun, sondern einem „Empfangen“; daher hat Jak 1, 18 (cf. 204) bei ihm eine unvergleichlich stärker und nachhaltiger zum Ausdruck gebrachte Bedeutung (cf. J.Haar, Initium creaturae Dei. Eine Untersuchung über Luthers Begriff der „neuen Creatur“ im Zusammenhang mit seinem Verständnis von Jakobus 1, 18 und mit seinem „Zeit“-Denken, 1939). Es leuchtet ein, Erkennen gerade insofern als ein Empfangen zu verstehen, als es sprachlich vermittelt ist. 245 Cf. Wendungen wie: „Anerkennung bezieht sich auf das Vorliegen einer bestimmten positiven und negativen Verfügung … heißt aber nicht nur Unterwerfung unter eine Notwendigkeit, sondern Sich-Fügen in die Sinnhaftigkeit, Gutheißen dieser Notwendigkeit … besteht im Eingeständnis seiner Beugung vor den … Absichten Gottes“ (214 f). Weiterhin ist von „Unterwerfung“ und „zurückweichen vor seiner Überlegenheit“ die Rede (cf. 215). Die Charakterisierung der Erkennenden als „von einem erkannten Gegenstand angegangen“ (195; Hervorh. J.R.; cf. 155) bzw. dass sie „nicht mehr ohne ihn sondern mit ihm (existieren)“ (ebd.; cf. 198), sind für die Entscheidung dieses Entweder-Oder neutral. 246 Cf. o. Anm. 240 u. 241. 247 Cf. die Rede Barths vom Anfangen-müssen mit dem Wahrsein seiner Wirklichkeit (195). 248 In diesem Sinne gilt nach Barth vom Wort Gottes: „Es will sich an ihnen [sc. seinen Adressaten], vermittelt durch ihr Wissen um es, bewähren als Wirklichkeit“ (198; Hervorh. J.R.) – d. h. aber doch: eben nicht als Wort!
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2. Theologische Anthropologie Bei der Erörterung der Frage nach einer etwaigen Fähigkeit des Menschen als solchen, das Wort Gottes zu erkennen, kommt Barth nicht umhin, das Verhältnis von Anthropologie und Theologie zu diskutieren (cf. 199). Auch das geschieht, ohne die Sprache überhaupt nur zu erwähnen, obwohl er mehrfach betont, Gottes Wort sei „ein an Menschen gerichtetes“ (198), „das zu Menschen geredete Wort“ (199) und Menschen seien „gemeint und angesprochen“ und so qualifiziert als „Adressaten, aber auch selber als Träger dieses Wortes“ (199)249. Die Frage: „wie denn Menschen als Menschen das sein können?“ (199) für Barth nur ein „sozusagen anthropologisches Problem“ (ebd.) verweist an sich fundamental an die Sprachlichkeit, also den Menschen als sprachliches Wesen, ohne dass das identisch sein müsste mit einer von Barth bekanntlich abgelehnten vortheologischen Anthropologie. So sehr auch Barths Kritik an der „anthropologischen Wende“ in der Theologie der Neuzeit (z. B. bei Schleiermacher, cf. 200; zum Cartesianismus, s. u.) einzuleuchten vermag, so sehr ist doch zu sehen, dass die Sprache weder einfach eine „allgemein anthropologisch aufweisbare Möglichkeit“ des Menschen (200), noch nur ein „menschlich historisch-psychologisch feststellbares religiöses Erlebnis“ (ebd.) oder gar eine „dem Menschen als solchem eigene besondere Erkenntnismöglichkeit“ (ebd.) betrifft. Sie ist vielmehr und gerade so auch anthropologisch wesentlich eine eigentümliche „Mitte“, in der Gott dem Menschen so begegnet, dass der Mensch spezifisch Mensch wird und Gott ganz Gott ist. Weil die Gründe für dies Geschehen am Menschen in Gottes eigene Lebendigkeit hineinreichen, hat gerade die von Barth favorisierte „theologische Anthropologie“ (204) es spezifisch mit der Sprache zu tun. Und das so grundlegend bzw. ausnahmslos, dass auch Barths kunstvolles Herausarbeiten der Diastase von Gott und Mensch bzw. des unaufhebbaren Gefälles in ihrem Verhältnis auch nach ihrem Wahrheitskern allein sprachlich möglich ist. Heißt es einräumend, es sei „wohl wahr …, daß das Wort Gottes zu verstehen ist als Ereignis in und an der Wirklichkeit des Menschen“ (201), so drängt sich die Einsicht geradezu auf, dass hier dem Wort als Wort eine spezifische Bedeutung eignet. Denn die Sprache ist die unersetzbare Weise, wie Gottes Wort am Ort des Menschen sein kann, ohne dabei aufzuhören, Gottes eigenes Wort zu sein und ohne dies „Ereignis“ auf irgendein „Vermögen“, eine eigene „Fähigkeit“ oder „Verfügungsfreiheit“, die dem Menschen von sich aus zukämen (cf. ebd.), reduzieren zu müssen, gegen welche Präjudizierungen Barth sich wendet. Dass etwas Derartiges beim Menschen nicht einfach gemäß irgendwelcher philosophischen Vorgaben von „kritisch-normativer 249 Einmal heißt es auch, das Wort Gottes „ist, was es ist, indem es zu diesem und diesem Menschen konkret gesprochen ist“ (204).
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Bedeutung für die Theologie“ vorauszusetzen ist, sondern „daß jenes Ereignis diese ihm entsprechende Möglichkeit… mit sich bringt und sie ihm, indem es Ereignis ist, verleiht, so daß sie seine, des Menschen, Möglichkeit wird“ (201)250, „ohne doch … aufzuhören, ganz und gar seine, des Wortes Gottes, eigene … Möglichkeit zu sein“ (ebd.), genau das gilt von der sprachlichen Anrede Gottes an den Menschen251. Barths Rede vom „reinen Faktum“ der Einheit des wirklichen Wortes Gottes mit der von ihm selber eröffneten Erkenntnismöglichkeit seiner (cf. 202) ist demnach zu modifizieren: Es gilt nicht nur rein aktuell (d. h. aktualistisch), sondern im Sinne des Aufdeckens dessen, dass wir immer schon von Gott angesprochen werden und worden sind, der darin und so als unser Schöpfer und zur Erlösung Kommender mit uns redet (cf. 202). Barths grundlegende ontologische Option vom Vorrang der Wirklichkeit (sc. Gottes) vor der Möglichkeit ist auch hier einschlägig252: „In der wirklichen Erkenntnis des Wortes Gottes … ist auch das Ereignis, daß sie möglich ist“ (204). Das besagt, es ist gedanklich bzw. philosophisch-anthropologisch keine vorausgehende Möglichkeit auszumachen, von der aus auf die Wirklichkeit zu schließen wäre, sondern umgekehrt ist so etwas wie ihre Möglichkeit erst nachträglich von der realisierten Wirklichkeit aus erkennbar (cf. auch 219 f.). „Erkenntnis des Wortes Gottes wird … möglich im Ereignis der Wirklichkeit des Wortes Gottes“ (206). Damit ist gesagt, dass die Erkenntnis der Wirklichkeit, indem sie von ihr allererst ermöglicht wird, zu dieser Wirklichkeit selber gehört, die sie erkennt253. Das (reine) Ereignis der Wirklichkeit umschließt auch noch deren eigene Erkenntnis, oder auch: die Er250 Dass „die dem wirklichen Wort Gottes entsprechende Erkenntnismöglichkeit …zu ihm, dem Menschen, gekommen ist“, wird auch 202 betont; Barth überspringt aber sogleich die Sprache, wenn er dies so „nur als reines Faktum“ verstehen will: „wie das wirkliche Wort Gottes selber“ (ebd.). Auch 205 heißt es noch einmal vom Worte Gottes, dass es „seine Möglichkeit nicht beim Menschen voraussetzt, sondern, zum Menschen kommend, mit sich bringt“. 251 Barth verweist ausdrücklich auf das zur „Absichtlichkeit“ und Anrede in § 5. 2.3. Gesagte zu rück (dazu kritisch o. S. 97 f). Das von Gott Angeredetwerden kann auch grundsätzlich auf den Menschen bezogen werden, wie Hamann sprachtheologisch gegen Herder (cf. KD I/1, 200) zu denken gibt: „Jede Erscheinung der Natur war ein Wort, – das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen, geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigern Vereinigung, Mittheilung und Gemeinschaft göttlicher Energien und Ideen. Alles, was der Mensch am Anfang [d.i. protologisch] hörte, mit Augen sah, beschaute und seine Hände betasteten, war ein lebendiges Wort [cf. 1Joh 1, 1!]; denn Gott war das Wort. Mit diesem Worte im Mund und im Herzen war der Ursprung der Sprache so natürlich, so nahe [cf. Dtn 30, 14; Röm 10, 8] und leicht, wie ein Kinderspiel …“ (Sämtliche Werke (Nadler), Band III, 32,21 – 28; cf. auch Band II, 207,5 f u. 204, 7 – 14). Der Zusammenhang der hier zu verortenden These Hamanns: „Reden ist übersetzen –“ (a. a. O. II, 199,4) ist eingelöst bei W.Benjamin (Gesammelte Schriften, Band II/1 (1977), 151). 252 S.o. Anm. 247 und cf. überhaupt E.Jüngel, Gottes Sein ist im Werden (19753), 33 und W.Härle, Sein und Gnade. Die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik (1975), 15 A. 28; 114 A. 95 (Freiheit); cf. auch 168 A. 366 sowie KD II/1, 2: „Wo die Wirklichkeit ist, da ist auch die entsprechende Möglichkeit“. Die Nachgängigkeit der Möglichkeit spiegelt sich auch in der Abfolge der §§ 4 f u. 6 in KD I/1. 253 Cf. o. Anm. 248: „vermittelt durch ihr Wissen um es“.
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kenntnis der Wirklichkeit ist ein eigenes Moment von deren aktuellem Sichereignen. In diesem Sinn redet Barth von der Wirklichkeit der Erfahrung vom Worte Gottes als einem in sich selber ruhenden „Kreis“ (222)254. So kann Barth in Konsequenz seiner Lösung des Problems eines Anknüpfungspunktes255 – sagen, dass das Ereignis der Wirklichkeit des Wortes Gottes seine eigene Erkenntnismöglichkeit mit sich bringt (201, cf. 219)256. Ihm entgeht, dass dies ein sprachlicher Vorgang kat‘ exochen ist, weil Denken und Erkennen eben an die Sprache gebunden bleibt, wie es sich von ihr auch unterscheidet (Humboldt) und weil im sprachlichen Geschehen (Vernehmen) ein „Subjekt“ des Hörers gar nicht isolierbar bzw. als eine Instanz für sich fixierbar ist. So ist es auch wieder sprachlich zu verstehen, wenn Barth festhält, dass die Möglichkeit, das Wort Gottes zu erkennen, eine des Menschen wird, „ohne doch (indem sie das ist) aufzuhören, ganz und gar seine, des Wortes Gottes, eigene, die nur ihm eigene Möglichkeit zu sein“ (ebd.). Denn eben das gesprochene Wort stellt diese Möglichkeit, es zu verstehen, ganz von sich selber her und unserm Verstehen vorgängig, bereit als Möglichkeit für uns, die es vernehmen: unsere Möglichkeiten sind es nur, weil und insofern es seine eigenen sind. In dieser Unmöglichkeit einer Distanzierung oder Ablösbarkeit des hörenden Subjektes gegenüber dem zu ihm gesprochenen Wort ist auch der sprachtheologische Sinn von Barths Polemik gegen den Einfluss des Cartesianismus in der Theologie (z. B. bei Wobbermin, Scholz, Schaeder und Holl, cf. 203 f, 223, 228, aber auch 220) zu identifizieren257. Denn die Ich-Erfahrung des Subjektes als sicherste Realitätsgewissheit (bzw. deren Ursprung) auszugeben, kann nur einer abstrakten, weil sprach-vergessenen Subjektmetaphysik beifallen. Demgegenüber ist Barths Insistieren darauf, „die Selbstgewißheit auf die Gottesgewißheit zu gründen“ (204), also „den Weg von der Gottesgewißheit zur Selbstgewißheit“ zu gehen (205; bei Barth hervorgehoben), in Wahrheit der Weg der sprachlichen Vermittlung des menschlichen Ich mit sich selber im Wort. 3. Wort Gottes und Erfahrung Obwohl es Barth in dem folgenden Abschnitt um „Das Wort Gottes und die Erfahrung“ geht (206 – 239), wird die naheliegende und eigentlich unvermeidliche Frage nicht gestellt, was es mit dem Zusammenhang von Erfahrung und Sprache auf sich hat. Darum fällt auch jede Erwägung darüber, was die „Erfahrung“ des Wortes Gottes als Erfahrung sprachlicher Rede denn sei, 254 255 256 257
Cf. auch 322 und dazu o. S. 78. Cf. o. S. 123 und zur sprachlichen Interpretation o. S. 21 mit Anm. 30. Cf.: „Das Wort Gottes wird erkennbar, indem es sich erkennbar macht“ (260). Zu Barths Auseinandersetzung mit Descartes selber cf. KD III/1, 401 ff.
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völlig aus258. Will Barth unter „Erfahrung vom Worte Gottes“ dann „die Bestimmtheit ihrer [sc. der Menschen] Existenz als Menschen durch das Wort Gottes“ verstehen (207), so drängt sich eigentlich der Gesichtspunkt auf, nach dem Verhältnis von Wort und Existenz zu fragen, und dies würde auch fordern, der Überlegung nachzugehen, inwiefern menschliche Existenz überhaupt sprachlich bestimmt ist. Zwar ist ständig von der Möglichkeit der Erkenntnis des Wortes Gottes durch es selbst die Rede (cf. 234, 235, 236 u. ö.), aber sie wird nicht als sprachliche Möglichkeit des Wortes als Wort bedacht. Barth geht absichtlich wieder von einem weiten und formalen Erfahrungsbegriff aus: „Der Mensch existiert … konkret, d. h. in Erfahrungen, in Bestimmungen seiner Existenz durch Gegenstände, durch ein von ihm unterschiedenes Außen. Als Erfahrener … und als Erfahrender … ist er, was er ist, existiert er als Mensch“ (206 f). Dies Extra nos gilt auch genauso formell von der Erfahrung des Wortes Gottes, „die ihren Grund und ihre Gewißheit nur außerhalb ihrer selbst haben kann“ (233) und darum auch den Glauben extern seiner vergewissert: „auch des Wortes Gottes ist er nicht aus und in sich selbst, sondern aus und in dem Worte sicher“ (236). Welche Rolle spielt dabei die sprachliche Vermittlung als solche? Liest man: „Das die menschliche Existenz bestimmende Wort Gottes ist stark genug, um auch mit dem im Denken sich selbst bestimmenden Menschen fertig zu werden“ (212), so würde man gerne wissen, ob hier von der Stärke die Rede ist, die dem Wort spezifisch zukommt, wenn es menschliche Selbstbestimmung „durch das Wort Gottes bestimmt sein“ lässt (210) oder doch nur wieder von der schon erörterten „Gewalt“ des göttlichen Wortes als solchen, von der es aenigmatisch heißt: „Gewalt, wie Wort Gewalt hat, also Gewalt der Wahrheit, … der Zusage, … des Urteils, des Segens Gottes, … aber Gewalt“ (215). 3.1 Ganzheitlichkeit Barth redet von „Erfahrung“ des Wortes Gottes, wie er es tut, um sie als „den ganzen Menschen angehend“ (211) bzw. als „umfassende Bestimmung der ganzen menschlichen Existenz“ (ebd.) angeben zu können. Durch diese bewusst abstrakte Weite sollen einseitige Bestimmungen des anthropologischen Ortes für jene Erfahrung wie: Wille, Gewissen, Gefühl, Intellekt (210 f.), ohne jeweils ausgeschlossen zu sein, theologisch zugunsten der „Totalität menschlicher Existenz“ (213) relativiert werden. Wie immer bei abstrakten Berufungen auf die „Ganzheit“ bleibt allerdings die Frage ausgeblendet, von wo aus solche Ganzheit denn (für den Menschen) zugänglich wird259. Sollte 258 Wiederum anders im angeführten Luther-Zitat 232. 259 Genau um diese methodisch artikulieren zu können, redet z. B. Schleiermacher von „Gefühl oder unmittelbarem Selbstbewußtsein“, so problematisch das in anderer Hinsicht auch sein mag, oder Luther, der Bibel folgend, von Herz und Gewissen.
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dieser Ort nicht gerade die Sprache sein in ihrer konkreten Allgemeinheit und von daher entscheidend wichtig werden, was Barth nur im Vorübergehen erinnert: „daß das Wort Gottes … zuerst und beherrschend ganz wörtlich Rede und d. h. ein geistiges Geschehen ist“ (211 f)? Übrigens kann man auch fragen, ob Barth überhaupt an einer „ganzheitlichen“ Bestimmung des Menschen liegt, begreift er die religiöse Erfahrung doch gerade, wie sich nachher genauer zeigen wird, aus einem bleibenden Gegenüber heraus, das sich in Ausdrücken wie „Gehorsam“, „Entscheidung“, auch „Konformität“ (cf. 215 f.) niederschlägt260. 3.2 Anerkennung Damit ist man auch schon bei dem zentralen Begriff der „Anerkennung“ ein Wort, das in Barths Augen wie kein anderes seinem Verständnis von „Wort Gottes“ angemessen ist (cf. 214) angelangt, der nun genauer erörtert werden muss. Im Begriff der Anerkennung ist eine eigentümliche und nicht leicht zu rekonstruierende „Einheit“ von (für das Menschsein des Menschen konstitutiver) menschlicher Selbstbestimmung und Bestimmung durch Gott mitgedacht (cf. 207 ff; bes. 209, 210, 213, 222)261, die hier als solche nicht zu diskutieren ist. Freilich ist auch sie deutlich nicht-sprachlich konzipiert262. Auch da, wo Selbstbestimmung ganz von außerhalb ihrer (als Akt der Anerkennung, der sein Zentrum, Woher, seinen Sinn „außerhalb seiner selbst“, „von dem Anerkannten her“ hat; cf. 217) und d. h. als „ein Akt seiner Selbstbestimmung“ bestimmt wird, deren „Sinn und Grund“ der Mensch „nicht sich selbst, sondern nur seiner Bestimmung durch das Wort Gottes zuschreiben kann“, (ebd. (9.)), fehlt der Bezug auf die Sprachlichkeit dieses Geschehens. Plastischer und differenzierter wird dies bei Barths ausführlicher Erläuterung von „Anerkennung“ als der konkreten Weise der Erkenntnis und Erfahrung des Wortes Gottes (214 – 217, (1.) – (9.)). Der Grundsinn dieser Erläuterung ist dabei natürlich bestimmt durch die Angemessenheit der „Anerkennung“ zum In-sich-selber-Gründen des Wortes Gottes, wie sie bereits 260 Wie anders hat Luther von der conformitas mit dem Wort Gottes zu reden gewusst, da er es zum einen als (auch eschatologisches) Verwandeltwerden in die forma Dei (bzw. Christi), zum andern aber als Kommen Gottes selber mit seinem Leben verstanden hat (cf. die Anführung bei Barth 252 u. dazu u. Anm. 297). Cf. ausführlich J.R., Gott im Wort (2010), 564 ff. 261 Jedenfalls verrät der Satz: „Erfahrung vom Worte Gottes ereignet sich freilich immer in einem Akt menschlicher Selbstbestimmung“ (207, Hervorh. J.R.) noch einmal deutlich, dass Barths Gebrauch der Präposition „in“ häufig eine Distanzierung dessen, was „in“ etwas ist, von dem, „in“ dem es ist, einschließt (cf. auch 210). 262 Barths (mit Gründen!) abstraktem Konstrukt ließe sich die konkrete Spracheinsicht Humboldts gegenüberstellen, die echt dialektisch ist: „Durch denselben Act, vermöge dessen er [sc. der Mensch] die Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich in dieselbe ein“ (Gesammelte Schriften (Leitzmann), VII, 60). Zu diesem „Hauptsatz“ Humboldtschen Sprachdenkens cf. B.Liebrucks, Sprache und Bewußtsein, Band 2 (1965), 93 ff u. 180; cf. Band 1 (1964), 222.
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der Leitsatz dieses Paragraphen formuliert hat (194). Anerkennen heißt demnach, dessen Wirklichkeit an sich selber zu überlassen, um so und nur so, sich an sie zu überlassen. So allein ist Anerkennung „reine Anerkennung“ (217), angemessene „Stellungnahme“ (ebd.), die diesem Wort entsprechende „Antwort“ (ebd.). Dass es dabei um „Respektierung der in dem Worte Gottes geschehenden Tatsache“ (215 (4.) bzw. „Verfügung und Notwendigkeit“ (215 (5.), cf. 214 (3.)), um „Gehorsam …, Unterwerfung“ (215), ein Sich-beugen (cf. 215 (3.) u. (5.)), ja um „zurückweichen vor seiner Überlegenheit“ (215 (5.)) geht, ist Barth konsequenterweise mindestens genauso wichtig wie die flüchtigen Hinweise darauf, dass „nicht nur Unterwerfung unter eine Notwendigkeit, sondern Sich-Fügen in die Sinnhaftigkeit, Gutheißen dieser Notwendigkeit“ damit verbunden seien (cf. 214 (3.)). Dass diese „Anerkennung“ dem Anerkannten derart auch äußerlich bleiben soll und gleichsam nur eine selbständige Reaktion auf ein schon Bestimmtsein durch Gottes Tatwort ist, ist die vorherrschende Tendenz. Es fragt sich, ob eine solche dergestalt programmatisch distanzierte Anerkennung als „eine wirkliche Stellungnahme des Menschen, ein Akt seiner Selbstbestimmung“ (217 (9.)) dem Sachverhalt des Glaubens als Innewerden von Gottes Selbstvergegenwärtigung in seinem Wort überhaupt gerecht werden kann. Wird hier nicht letztlich der Glaube doch als Leistung gefaßt?263 Was man vermisst, ist der Blick auf die Begründungsdimension: Was konstituiert das Christsein und das, was man vielleicht abgeleiteterweise „Anerkennung“ des Wortes Gottes durch die Christen nennen kann, vorgängig? Wo Barth von „Sinn und Grund,… letztem Ernst und eigentlichem Gehalt“ der menschlichen Selbstbestimmung spricht, um damit deren Bestimmung durch das Wort Gottes zu bezeichnen (cf. 217 (9.)), da redet er faktisch nur von einer Art Horizont oder (durch Gott) vorgegebenen strukturellen Bedingung, nicht aber von Gottes eigener Gegenwart im vollen Sinn. Aber auch wo „Anerkennung“ bei ihm einen personalen Sinn erhält und es dabei „um ein Verhältnis des Menschen als Person zu einer anderen Person, natürlich zu der Person Gottes“ gehen soll (214 (2.)), ist weder die volle Dialektik interpersonaler Anerkennung gedacht, noch diese als ein spezifisch sprachliches Geschehen im Blick264. 263 Nicht zufällig polemisiert Barth gegen das mere passive, die „Aufhebung seiner [sc. des Menschen] Selbstbestimmung als einen Zustand teilweiser oder völliger Rezeptivität und Passivität“ (209; cf. 260). Bedenkenswert ist die auffällige Disparatheit: dass Barth einerseits vehement gegen eine anthropologische Verortung des Glaubens kämpft, ihn andererseits aber doch betont als Tun des Menschen, eigene Antwort, Entscheidung, Entsprechung u. ä. fasst. Schlägt vielleicht gerade wegen des aktualistisch distanzierten Gottesgedankens der Glaubensbegriff in anthropologische Kennzeichnungen um oder setzt sich hier die von Barth sonst perhorreszierte neuzeitliche Subjektivität malgr lui durch? 264 Beides ist differenziert von Hegel als intersubjektive Dynamik ausgearbeitet worden: sowohl die Bewegung des „Anerkennens als anerkannt“ – das Angewiesensein der Anerkennung auf ein Anerkanntsein wird von Barth immerhin gestreift (cf. 217 (9.); cf. 231 u. 241) – wie auch deren Einlösung im sprachlichen Geschehen der „Verzeihung“ (cf. Phänomenologie des Geistes (Hoffmeister 19526), 141 – 143 („Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbe-
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Im Folgenden sollen diese Betrachtungen noch in dreifacher Richtung präzisiert werden: Was Barths eigentliche Stoßrichtung angeht (3.3.), was das Verhältnis seiner Position zu der von ihm abgelehnten bestimmt (3.4.) und den entscheidenden Erkenntnisgewinn unserer Analyse herausarbeitend was die zu Grunde liegende eigentliche Logik seiner theologischen Position ausmacht (3.5.). 3.3 Entsubstantialisierung Aus seinen bisherigen Erörterungen der Erfahrung des Wortes Gottes in Form seiner Anerkennung zieht Barth nun eine einigermaßen überraschende Folgerung: „Man wird wohl daran tun, sofort einzusehen und auszusprechen: diese Erfahrung hört, indem sie als Erfahrung stattfindet, auf, Erfahrung zu sein“ (218) bzw. dass Erfahrung vom Worte Gottes zwar möglich, aber „gerade hinsichtlich ihrer Wahrheit und Wirklichkeit nicht Erfahrung, mehr als Erfahrung ist“ (ebd.)265. Diese dialektisch klingenden Formulierungen sind zwar nicht eindeutig266, aber sie werden doch durch das Vorausgehende nahegelegt bzw. sind darin heimlich schon vorbereitet. Die eigentümliche Modifikation oder Alteration des Erfahrungsbegriffes, dass sie als Erfahrung zwar möglich, als Wirklichkeit aber nicht Erfahrung, sondern mehr als Erfahrung ist, erweist sich an zwei Stellen des vorausgehenden Textes (217 (9.)) angelegt. Einmal hat Barth dort von der Stellungnahme gesagt, sie sei „ganz und gar das Tun dieses Menschen doch, auf den Sinn dieser Stellungnahme gesehen, auch gar nicht sein Tun“ (ebd., Hervorh. J.R.). Zum andern heißt es hiermit konform –, es gehe um den „Akt derjenigen Selbstbestimmung des Menschen, deren Sinn und Grund …, Wahrheit und Wirklichkeit er nicht sich selbst, sondern nur seiner Bestimmung durch das Wort Gottes zuschreiben kann“ (217 (9.); Hervorh. J.R.). Demnach liegt, was die Möglichkeit (des Menschen) wirklich und sinnvoll und d. h. was sie überhaupt zur Möglichkeit macht, außerhalb ihrer (seiner). Barth bereitet mit dieser Auflösung der Erfahrung ersichtlich seine Exposition seines Begriffs wußtseins“) und – im Übergang zur Religion – 468 – 472 (Das „Wort der Versöhnung“ als der daseiende Geist)). 265 Eine systematische Entsprechung hierzu kann man in der früheren Aussage finden, dass, weil Gott allein sich selber (auch in seinem Wort) begreift, „unser Begriff von ihm und seinem Wort … nur ein Aufweis der Grenzen unseres Begreifens“ sein kann (170). 266 Die Uneindeutigkeit besteht darin, ob gesagt werden soll: die Erfahrung höre auf, nur Erfahrung (des Menschen) zu sein bzw. sei nicht (mehr) nur „Erfahrung“, sondern zugleich „mehr“ als Erfahrung; dann wäre sie als Erfahrung (und wenngleich immer auch noch Erfahrung) zugleich mehr als bloß dies. Oder soll „hört auf“ besagen: die Erfahrung schlägt in etwas um, das gar nicht mehr „Erfahrung“ ist, sondern „mehr“, weil (dann) etwas ganz anderes als Erfahrung? Es wird sich bei Barths Begriff des Glaubens zeigen, dass und wie er faktisch beides meint (s. u. 4.).
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des Glaubens vor; dort wird er sagen: „nicht als Erfahrung ist der Glaube Glaube, d. h. wirkliche Erfahrung, obwohl er sicher Erfahrung ist“ (242). An unserer Stelle ist zunächst die besondere Stoßrichtung dieser Relativierung des Ausgangsbegriffs von Erfahrung wahrzunehmen: Barth will eine Substantialisierung der „Möglichkeit“ als einer dem Menschen eigenen Möglichkeit verhindern267. Daher wendet er sich dagegen, dass sie den „Bestand“ menschlicher Möglichkeiten um eine weitere „bereichert“ (219), dass es sich um „ein Organ, eine Fähigkeit“ (mehr) des Menschen handele (ebd.), d. h. etwas ihm wesentlich Eigenes (222), dass sie „zur besonderen Möglichkeit … eben des religiösen Menschen“ werde (ebd.), dass Menschen diese Möglichkeit „haben“ könnten (ebd.), d. h. als etwas ihnen „selbständig“ Eigenes (ebd. u. 223) und sie so als „Besitzer dieser Möglichkeit“ sich selber vorfindlich würden (ebd.), dass die Möglichkeit der Erfahrung also feststellbar und voraussetzbar sei „als ein Prädikat, als ein bestimmtes Sosein …, als Eigentümlichkeit eines menschlichen Ich“ (219 f.)268. Eine „Eignung der Möglichkeit für das Wort Gottes“ muss also theologisch ausgeschlossen werden (220)269 – denn dann „steht (er) … auch auf sich selbst“ (222), d. h. diese Möglichkeit gehörte zu seiner Substanz, wäre substantiell270. Barths sachliches Anliegen lässt sich demnach so identifizieren: Es geht ihm theologisch um das Offenhalten des menschlichen Seins (als in sich und von ihm selber her unabschließbar) für ein ihm uneinholbar (immer auch) äußerlich Bleibendes271. Dadurch allein kann dieses Sein als Sein nicht im Sinne eines festen Bestandes nur eigener Möglichkeiten, sondern als ein Sein von einer anderen Möglichkeit her und aus ihr seiend, was es ist, in eine gewisse Schwebe gebracht werden, die genau Ort des in letzter Instanz allein wirklichen Gotteswortes ist. Barth entsubstantialisiert also das theologische Verständnis des Menschen in kraft eines auf ihn zukommenden Möglichkeitsraumes272: einer „Gründung des ganzen Menschen auf dieses jenseits seiner 267 Dass im Glauben unsere Substanz außerhalb unserer selbst ist, war schon 166 gesagt worden. 268 Auch sonst wehrt Barth (als theologischen Cartesianismus) immer wieder ab, dass die Möglichkeit der Anerkennung des Wortes Gottes durch den Menschen „diesem zu eigen, zu einem Prädikat seiner Existenz, zu einem Gehalt seines Bewußtseins, zu seinem Besitz werde“ (224). Gegen solche „Bewußtseinsimmanenz“ (234) spricht, dass es qua Bewusstsein gerade außerhalb seiner ist und gerade als christliche Erfahrung ihre Ermöglichung jenseits ihrer selbst hat (cf. 231, 229 f); mit Calvin gesprochen: „quum necesse sit extra nos exire“ (zitiert 232). 269 Weil es so „tatsächlich aus der Hand Gottes in die Hand des Menschen übergehe oder …, daß es nun tatsächlich in seine Hand gelegt sei“ (221). 270 Das schließt für Barth im Blick auf die das Wort Gottes erkennenden und erfahrenden Menschen keineswegs aus, dass sein Wahrsein ihnen zu eigen werde“ (224; Hervorh. J.R.), weil das „Sein“ der Wahrheit ihnen gerade ¢r l¶ „zu eigen“ ist, wie nachher gezeigt wird (s. u. 3.5.; S. 140 ff. 271 Cf.: „daß diese Möglichkeit zu Erfahrung vom Worte Gottes empfangen, nur als geliehene“ gebraucht werden kann, „daß diese Möglichkeit Gottes Möglichkeit ist und bleibt und aus seiner Hand in keines anderen Hand übergeht“ (223; cf. 250 u. 251). 272 In diesem Sinn ist letztlich auch der Satz zu verstehen: „Mein Selbstverständnis kann hier nur
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selbst liegende Geheimnis“ (229 f). In den Raum dieses Geheimnisses hinein erweitert ist das menschliche Dasein ein Sein im Offenen, als das Gottes Wirklichkeit für ihn „möglich“ wird273. 3.4 Anti-Cartesianismus Darum also ist die Erkenntnis des Wortes Gottes „Erfahrung“ und doch immer mehr als Erfahrung; sie ist Erfahrung von der Grenze des vom Menschen aus Erfahrbar-Seins (cf. 181). Das „Wort Gottes“ ist dabei der Anlass, das menschliche Ich oder Bewusstsein aus ihm selber, seiner Immanenz, herauszuholen274. Genau diesen Sinn hat nun eigentlich Barths theologischer Aktualismus im Blick auf den Menschen, von dem (auch als frommem) gilt, „daß auch und gerade er keine Möglichkeit hat auch nicht als empfangene –, sondern die Möglichkeit zur Erfahrung vom Wort Gottes nur empfangen, nur als geliehene in der Wirklichkeit des Empfangens gebrauchen kann“ (223)275. Im Blick auf Gott aber heißt das: Gott „berührt“ (gleichsam „tangential“ s. u.) nur mit seinem Wort, um eodem actu wieder zu verlassen und mit sich zu ziehen. Gerade und nur indem das Wort Gottes „sich selbst unterscheidet“ (sc. von allem Gegebenen sonst, 171), ist Gott der Kreis, der sich in sich schließt (222, 322)276. Darum, d. h. um Gottes Gottheit willen, darf der Mensch nicht „Teilhaber“ an der Wirklichkeit des Wortes sein oder werden (222)277, weil dessen Wirklichkeit selbst dann „nicht mehr in sich selber (ruht)“ (222). In Konkurrenz zu dieser Wirklichkeit (als einer a se) sieht Barth es, wenn der vom Wort angesprochene Mensch „verwandelt im immanenten Bestand seiner Menschlichkeit“ wäre (222). „Neu“ kann und darf er also nicht „in sich selber“, sondern
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belangreich sein, sofern ich mich als konfrontiert mit der Verheißung … verstehe, sofern ich mich sehe in dem ganz bestimmten Licht, das von dorther auf meine Existenz fällt“ (229). „Man hat sich den Menschen im Ereignis des wirklichen Glaubens als sozusagen von oben geöffnet zu denken“ (255). Dieser „Öffnung von oben“ entspricht am Menschen, dass er als erfahrender „an sich ein Hohlraum“ ist (256). Will Barth beim Menschen vermeiden, „daß er sich selber näher ist als das Wort Gottes“ (223), so ist bei Luther – in worttheologischer Abwandlung des augustinischen Interior intimo meo – die zugrundeliegende Alternative durch die Einsicht überholt, „quia verbum dei … intimior est … animae quam ipsa sibi“ (WA 9, 103,22 – 25). Von da aus begrenzt Barth die Bedeutung menschlicher „Kapazität“ für das Wort Gottes; cf. zum capax als nur so theologisch legitim: 221, 222 u. 231 sowie nochmals 250. Den Glaubenden darein einbeziehend, kann Barth dann auch sagen, dass „dieses in sich geschlossene … unübertrefflich gediegene und schlechthin gegenwärtige Sein … das in der christlichen Erfahrung und Erkenntnis Erfahrene und Erkannte“ ist (KD IV/1, 96) bzw. „daß sich jener objektiv um jeden Menschen gezogene Kreis im Glauben schließt“ (a. a. O. 830; cf. 829). Wie man das sprachliche Wort hören könne, ohne an ihm teilzuhaben, ist freilich unerfindlich. Überhaupt gilt, dass die Sprache und das gesprochene Wort niemandem „gehören“ – eben weil sie spezifisch „allgemein“ sind (s. o. S. 112 u. die folgende Anm.).
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„nur in Christus“ sein (ebd.); allerdings bedeutet doch, „im Wort“ zu existieren, selber in Christus zu sein (cf. Gal 2, 20). Wenn Barth in diesem Zusammenhang darauf insistiert, dass nicht nur die Sachordnung, sondern auch schon die Erkenntnisordnung erzwingt, von Gott aus auf den Menschen hin zu denken (cf. 223 u. 221), so formuliert er wiederum eine undurchschaute sprachliche Einsicht: die von der Vorordnung der Sprache, in der der Mensch menschlich existiert und bei der Welt und bei ihm selber ist, in der allein er Erfahrungen „machen“ kann und in der ihm Gott (elementar in Gestalt des Wortes „Gott“) begegnet. Das alles wirft nun ein bezeichnendes Licht auf Barths Abgrenzung von der Position seiner theologischen Gegner, wie er sie hier von Schleiermacher bis Wobbermin, Schaeder und Winkler im Blick hat (cf. 220—223). Sein gegen deren „indirekten Cartesianismus“ gerichteter Vorwurf oder Verdacht lautet, dass dort die Möglichkeit der Erfahrung des Wortes Gottes dem so angesprochenen Menschen „zu eigen, zu einem Prädikat seiner Existenz, zu einem Gehalt seines Bewußtseins, zu seinem Besitz werde“ (224), und was er dagegen stark machen will, ist eben die reine Aktualität der sich selbst setzenden Wirklichkeit Gottes in seinem Wort. Zunächst fällt auf, dass alles, was Barth an den genannten Theologen kritisiert (also das Hineinziehen des Wortes Gottes ins Ich), bei ihnen in der Tat ganz unsprachlich gedacht ist, weil es die Sprachlichkeit des Bewusstseins bzw. Selbstbewusstseins verkennt278. Indes müsste von Barth gerade wegen der Priorität und Uneinholbarkeit des Wortes Gottes, an der ihm liegt, die wesentliche Sprachbezogenheit des menschlichen Ich (auch theologisch) fundamental herausgearbeitet werden, um jene Ansätze eingreifend zu kritisieren. Das setzte freilich voraus, dass Barth selber das Wort Gottes wirklich als sprachliches Wort denken will. E.Schaeders Formulierung vom „wortverbundenen Ich“ (zit. 220, cf. auch 225 u. 230) hätte in dieser Richtung aufgenommen werden können. Denn eben weil das Bewusstsein selber sprachlich ist, hat es seine Wahrheit nicht in sich selber, sondern im Worte Gottes. Was Barths Polemik benennt (s. o.), kann es so im Sprachlichen für den Menschen überhaupt nicht geben: „Gehalt seines Bewußtseins“ (bloß als solchen) nicht, denn das Wort holt ihn aus sich heraus, und nur in der Sprache ist er bei einem Gehalt und bei sich; „Prädikat seiner Existenz“ nicht, weil das Verhältnis von Prädikat und Subjekt (als sprachliches) keineswegs einsinnig ist und weil der Mensch so im Raum der Sprache 278 Hegel hat im Kapitel über „Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese und das Meinen“ seiner Phänomenologie des Geistes gezeigt, dass das Allgemeine die Wahrheit des Ichs und des Bewusstseins ist (cf. a. a. O., wie o. Anm. 264, 82), das sich nicht auf seine Einzelheit und Unmittelbarkeit versteifen kann, und dass diese Allgemeinheit von der Sprache wahrgenommen wird, die daher „das Wahrhaftere“ ist (cf. ebd.). Weil die Sprache „die göttliche Natur“ hat, das bloß gemeinte Einzelne unmittelbar an sich selbst in Allgemeinheit zu verkehren (89), kommt eben durch die Sprachlichkeit Wahrheit ans Bewusstsein, die kein Ich sich für sich allein zuschreiben kann. Dies theologisch aufzunehmen, würde heißen, das Wort Gottes als absoluten Grund der „göttlichen Natur“ der Sprache zu denken.
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existiert, dass er von ihr lebt; auch „zu eigen“ bzw. „zu seinem Besitz“ werden schließlich nicht, weil wir die Sprache nur so in Anspruch nehmen können, dass wir uns zugleich ihr zu eigen geben279. Das Wort als vernommenes transzendiert eben die Alternative von „Bewußtseinsimmanenz“ (234) und objektiver Aktualität, weil es als Wort beides zugleich und das Eine nur als das Andere ist. Die Sprache ist weder „Geistbesitz“ im Sinne Schaeders (cf. 221) noch die im Ankommen sich entziehende Transzendenz, die Barth für Gott reservieren möchte. Daher ergibt sich der Eindruck, dass sowohl Barth wie die von ihm kritisierten Theologen jeweils in entgegengesetzter Einseitigkeit die „Mitte“ verfehlen, als die die Sprache ist, d. h. wirklich ist280. 3.5 Logik der Reflexion Barths Verfehlen der Sprachlichkeit des Wortes Gottes hängt, wie nun zu zeigen ist, mit der eigentlichen Logik seines Gedankens von göttlicher Wirklichkeit (des Wortes) und menschlicher Möglichkeit (der Erfahrung davon) zusammen. Diese entscheidende Logik selber ist unsprachlich. Hier gilt es, den mehrfach apostrophierten Barthschen „Aktualismus“ zu begreifen. Die fragliche Möglichkeit (der Erfahrung des Wortes Gottes) zu haben, heißt nämlich, sie „im Akt des zu uns gesprochenen Wortes, im Ereignis der Erfahrung von ihm“, und nur so, zu haben (226, Hervorh. J.R.). Genau das aber besagt, sie „als Reflex oder Echo ihrer Wirklichkeit“ zu empfangen (ebd., Hervorh. J.R.) ihrer Wirklichkeit als einer, die nur in Gottes eigener Entscheidung Wirklichkeit ist (164) bzw. welches Entscheidungsgeschehen „in der Tat Gott selber ist“ (162). Was dabei „Reflex“ heißt, interpretiert Barth durch das Beispiel vom „Widerschein“ des Mondlichts auf einer Wasseroberfläche (226) und später auch zitierend durch den Regenbogen, der nur scheinbar auf der Erde steht (234)281. Es muss nur noch die 279 Cf. das Humboldt-Zitat o. Anm. 262. 280 Cf. o. S. 99 („Zwischenwelt“). Von hier aus konkret zu denken, ist keiner der „neuen langweiligen Vermittlungsversuche“, die Barth fürchtet (cf. 224), sondern heißt spezifisch beim Thema der Theologie, dem Worte Gottes als solchem, zu sein. 281 Barth führt ebd. zustimmend und ganz offensichtlich dadurch inspiriert folgende Sätze des Reformierten E.Böhl an (Dogmatik, 1886, S.XXV): „Es ist nur ein Schein, daß der Regenbogen auf der Erde steht, in Wirklichkeit wölbt er sich über der Erde; zwar läßt er sich zur Erde hernieder, er steht aber nicht auf unserer Erde, sondern wird nur von ihr aus wahrgenommen. Ebenso verhält es sich mit der göttlichen Wahrheit; dieselbe bedarf nicht der menschlichen Unterlage … Wohl bestrahlt sie den Menschen und dieser nimmt sie auf; sie wird jedoch nie vom Menschen abhängig. Sie zieht sich zurück … sie kommt wieder, und der Mensch wandelt im Licht … produzieren kann er das Licht nicht; es aufbewahren gleichfalls nicht!“. In solchen Sätzen, die nicht als geistreiche Metaphorik zu verkennen sind, tritt vielmehr die Logik der Reflexion so klar heraus, dass zugleich ihre anti-inkarnatorische Tendenz, d. h. ihr Gegensatz zu einer wirklichen Kondeszendenz Gottes am Tage liegt. Zum „Widerschein“ cf. nochmals u. Anm. 296; auch das Verhältnis zu Christus wird durch ein „Widerspiegeln“ beschrieben; cf. KD
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Aussage hinzukommen, dass die Anerkennung des Wortes Gottes „ein treuer Spiegel dieses Gegenübers“ ist (227), um die Logik des Gedankens vollends hervortreten zu lassen. Barth denkt das Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit in der Erfahrung des Wortes Gottes als ein Phänomen objektiver Reflexion. Die sich selbst setzende Wirklichkeit ist objektives Scheinen in die Möglichkeit ihrer Erfahrung: gegenwärtig, aber ungreifbar wie das Licht. Ihr Sein bei … ist nur ihr Sichzurücknehmen, und „Erfahrung“ entspricht, im geometrischen Bild geredet, dem Berührtwerden einer Tangente durch eine Kreislinie282. Das Wort Gottes reflektiert sich nur es reflektiert auch nur sich und reflektiert sich nur am menschlichen Subjekt: das allein ist dessen „Möglichkeit“, die zugleich nicht mehr nur „seine“ Möglichkeit ist283. Das exklusiv „in sich selber“ gründen (194, Leitsatz) und exklusiv „in sich selbst Wahrsein“ (233) der Wirklichkeit (des Wortes) lassen nichts anderes zu als solches bloße Scheinen in ihr Anderes. Darum kann es nur ein (tangentiales) „Berühren“ bzw. ein nur sich Reflektieren am Bewusstsein des Menschen geben, weil allein so Gott Gott bleibt, rein er selbst, gleichsam im Bannkreis seiner Aseität. Die Möglichkeit der Erfahrung davon ist demgemäß auf Seiten des Menschen, bzw. bei ihm ist nichts anderes als das objektive (!) Scheinen der sich selbst setzenden und absolut für sich bleibenden, göttlichen Wirklichkeit284. Aus dieser Logik der Reflexion wird verständlich, warum der Mensch und sein Selbstverständnis ein „Gegenpol“ im Geschehen dieses Ereignisses überhaupt nicht sein kann (cf. 230 u. 234). Die Logik des Scheins enthebt denn auch der Behauptung irgendeiner Aussage über unmittelbare Realitätsgehalte285. Und gerade weil die Wirklichkeit als sich an ihm reflektierende an ihn kommt, braucht der Mensch, dem das widerfährt, auch nicht selber (im subjektiven Sinne) zu „reflektieren“ (cf. 231)286, sondern kommt alles auf sein bloßes „Dabeisein“ an: Er muss sich nur beleuchten lassen287.
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IV/1, 831. I/1, 136 ist vom „menschlichen Spiegelbild des unerreichbaren göttlichen Was“ die Rede. Seils spricht vom „punktlosen Punkt“, an dem nach Barth der Glaube relevant wird (a. a. O., wie o. Anm. 201, 192) und weist auf bezeichnende Formulierungen aus Barths „Römerbrief“ von 1922 hin wie die folgende: „gar keine Ausdehnung auf der uns bekannten Ebene“ (a. a. O. 191, bezüglich des „Berührungspunktes“ von Gott und Welt; zur Berührung von Kreis und Tangente cf. a. a. O. 6). Die Kontinuität des Gedankens im Wechsel vom geometrischen Bereich (1922) zum optischen (1932) ist bemerkenswert. Zum Thema „Anknüpfungspunkt“ s. o. S. 21 ff u. nochmals u. S. 123 (4.1.). S. dazu nochmals u. S. 150 (4.3.). Cf. besonders folgendes Zitat: „sie ist eine menschliche Möglichkeit, die … gegenüber dem Worte Gottes selbst, als Reflex von dessen eigener, in sich begründeter Möglichkeit, Möglichkeit wird“ (255). Weil er die Reflexions-Logik theologisch favorisiert, hat es systematische Gründe, dass Barth gegen „influxus“ und „Emanation“ polemisiert (cf. 219 u. 224). Der Mensch, der in dieser Wirklichkeit steht, „wird darüber überhaupt nicht reflektieren, sondern er wird eben dabei sein“ (231).
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Wirkliche Anerkennung bzw. Erfahrung des Wortes Gottes hat es also mit dessen Sich-Reflektieren an ihr zu tun. Möglich ist sie daher „nur von ihm her und zu ihm hin“ (233), also möglich aus der ihr vorausgehend sie berührenden Wirklichkeit sui generis: „ihre(r) Ermöglichung jenseits ihrer selbst“ (231; cf. 233). Von jenseits kommt ihr auch die ihr widerfahrende Anerkennung als Ermöglichungsgrund ihres Anerkennens zu (231; cf. 217 u. 241). Barth versteht sich sogar zu dem Ausdruck „mystisch“, um das Denken des am Diesseits sich nur reflektierenden, aber ebenso nicht „zu verdiesseitigenden“ Jenseits (233) zu charakterisieren (232 f.). Das, was wirkliche Erfahrung „wirklich“ macht „bezogen auf das sie sich als wirkliche … Erfahrung weiß“ (233) –, kann selber nicht wirklich im Sinne von Erfahrung sein; es ist das, was an ihr scheint. Diese Logik der Reflexion verleiht dem Gedanken von der Möglichkeit der Erfahrung von Gottes Wort in Barths Augen nicht nur die Dignität einer „einzigartigen Möglichkeit“ (235), sondern auch die unerschütterliche Gewissheit, hierbei „nicht auf Sand, sondern auf Felsen [zu bauen]“ (ebd.). Die Unerschütterlichkeit des Felsens dürfte sich aber besonders seiner Ungreifbarkeit verdanken, die zugleich als begründender Grund wirkt (cf. 5Mose 32, 18). Bezeichnenderweise spricht Barth denn auch vorrangig nicht von unserer Gewissheit vom Wort, sondern von der „Selbstgewißheit des göttlichen Wortes“ (235). Diese eigentümliche Wendung entspricht ganz dem früheren Terminus „Selbstwort“ und meint wohl das Wort Gottes als Gottesgewissheit am Ort unserer Selbstgewissheit (cf. 205), d. h. diese als Reflex des „in sich selbst wahr sein(s)“ (234) bei uns: „Seine Sicherheit [sc. des Menschen] ist wohl seine Sicherheit, aber sie hat ihren Sitz außer ihm, im Worte Gottes und so, indem das Wort Gottes ihm gegenwärtig ist, ist sie seine Sicherheit“ (236). Es kann also von keiner Selbstsicherheit des Menschen die Rede sein (cf. ebd.), eben weil die Erfahrung vom Worte Gottes „ihren Grund und ihre Gewißheit nur außerhalb ihrer selbst haben kann“ (233); aber vom Wort als solchem ist bei jenem „gegenwärtig“ Sein auch nicht mehr die Rede. Vielmehr lässt sich die Spannung: „seine“, aber zugleich „außer ihm“ für Barth nur noch aus der Logik einer Reflexion begreifen: als Scheinen in …! 3.6 Erwartung Das kann zum Abschluss dieses Abschnittes auch inhaltlich noch kurz und exemplarisch verdeutlicht werden. Barth sagt zwar von unserer Kenntnis jener „Möglichkeit“: „Steht und fällt sie doch mit dem wirklichen Gesprochenwerden des Wortes Gottes zu uns …“ (235), aber dabei ist, wie gezeigt werden konnte, das Gesprochenwerden für Barth nur Gelegenheit des reinen Ereig287 Cf.: „sofern ich mich sehe in dem ganz bestimmten Licht, das von dorther auf meine Existenz fällt“ (229).
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nisses als solchen288. Die Folge ist, dass wirkliche Erfahrung des Wortes Gottes wesentlich seine Erwartung (als eines noch ausstehenden) ist:“Gegenwart des Wortes und Stehen im Glauben heißt also: das Wort und den Glauben vor sich haben und erwarten“ (236)289. Das prägt die Gewissheit des Glaubens eigentümlich: „Die Sicherheit ihrer Bejahung ist also die Sicherheit ihrer Erwartung“ (237)290. Was sich als ihre Zukünftigkeit reflektiert, das ist nichts anderes als die Ungreifbarkeit des wirklichen Gotteswortes, d. h. auch seine Unsprachlichkeit. Daher spricht Barth von der „Bestätigung, die wir nicht schaffen, sondern nur hoffen können, gerade weil sie in die göttliche Verwirklichung eingeschlossen … ist“ (238). Dem entspricht, dass bei Barth Gottes Wort uns nur erreicht als ungreifbarer Reflex von etwas, was ganz in sich reflektiert ist bzw. nur ist als sich in sich reflektierend, als „geschlossener Kreis“ (322, 222). Das Licht dieser Wirklichkeit erreicht uns im Abschied davon; daher ist uns (als Erfahrung) nur eine „Erwartung“ möglich, die das Erwartete ganz ihm selber anheim stellen, sich selber (als Erwartung) aber entzogen bleiben lassen muss: „Sicherheit“ gibt es für uns nur in „dieser letzten Unsicherheit, von der Freiheit Gottes umgeben“ (239). 4. Wort und Glaube Die bisherigen Hauptbegriffe dieses Paragraphen: Erkenntnis, Erfahrung und Anerkennung werden schließlich in dem zusammengeführt, was Barth über den „Glauben“ zu sagen hat291. Wort und Glaube sind, wie schon im dritten Abschnitt sich anzudeuten begann, derart aufeinander bezogen, dass auf das Ereignis des Glaubens als auf den Ort hinzuweisen ist, wo die Frage der Erkennbarkeit des Wortes Gottes unvorgreiflich entschieden wird (cf. 239). Dies so, dass gilt: „Der Glaube … ist die in der wirklichen Erkenntnis des Wortes Gottes stattfindende Ermöglichung dieser Erkenntnis“ (239). Gemäß der 288 „Die Möglichkeit der Erkenntnis des Wortes Gottes liegt im Worte Gottes und nirgends sonst. Daß sie wirklich wird, das kann schlechterdings nur geschehen …“ (234). Die Verwirklichung jener Möglichkeit ist also das reine Sichereignen des „Selbstwortes“ (als Gottes Tat) „in“ der Gestalt des Wortes. Dieses kann es nicht „sagen“, sondern nur zum Ort jenes Geschehens göttlicher Wirklichkeit werden 289 Im Luther-Zitat 238f ist es gerade umgekehrt: die Gegenwart gewiss und die Zukunft ungewiss! Charakteristisch für Barths Verheißungsdenken ist der Satz: „Vergebung der Sünden empfangen, heißt also: die Verheißung der Vergebung der Sünden empfangen“ (KD IV/1, 665; cf. 668). 290 Von Kirche, Verkündigung und Dogmatik gilt daher: „Und auch und gerade, wenn sie dabei wirklich von daher kommen [sc. von Wort, Glaube und Taufe], kann ihr Bejahen dieser Möglichkeit nur ein Sich-Beziehen auf das neue, künftige Ereignis der Verwirklichung dieser Möglichkeit sein“ (237). Weil die eigentliche Wirklichkeit im Wort Gottes sich immer schon entzogen hat, steht sie immer auch noch bevor. 291 Cf. dazu ausführlich M.Seils, a. a. O., wie o. Anm. 201, 185 – 240; zu diesem Abschnitt bes. 203 f (mit Lit.: Anm. 106).
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Barthschen Logik des Scheinens der Wirklichkeit in der Möglichkeit (s. o. 3.5.) ist diese „Ermöglichung“ nur der Reflex jener Wirklichkeit selber und als solcher am Menschen: „sie ist eine menschliche Möglichkeit, die angesichts dieses dem Menschen gegenübertretenden Gegenstandes, gegenüber dem Worte Gottes selbst, als Reflex von dessen eigener, in sich begründeter Möglichkeit, Möglichkeit wird“ (255). Um eine Möglichkeit des Menschen handelt es sich nur insofern, als er sich dieser Wirklichkeit als solcher öffnet, sie als solche, als etwas sui generis, und als die Gottes allein sein lässt, d. h. von sich selber unterscheidet und sie so gleichsam an sie selber zurückgibt. „Ermöglichung“ meint bei Barth nur das Sich-wieder-schließen-Lassen des Kreises, als der Gottes Wirklichkeit a se und reines Ereignis ist: „sie wird so Möglichkeit, wie das Wort Gottes selbst und in sich möglich ist“ (ebd.). „Glaube“ gehört als deren eigenes Moment in diese sich selbst setzende Wirklichkeit hinein: „das Moment in diesem Ereignis …, das es zur Ermöglichung des Wortes Gottes macht“ (240). Das besagt, dass „macht“ hier in einem schwachen Sinn zu lesen ist; Glaube ist nichts als ein Loslassen an die Wirklichkeit des Ereignisses, und genauestens nur insofern kann es heißen: „diese Wirklichkeit ist der Glaube“ (ebd.). Man kann vermuten, dass eben hiermit auch Barths Betonung der cm_sir als Wesenszug des Glaubens zusammenhängt292, danach geht das Erkennen voraus und folgt dann daraufhin das Anerkennen: „Die Anerkennung des Wortes Gottes … wird im Glauben als der wirklichen Erfahrung durch das erkannte Wort Gottes sozusagen in Kraft gesetzt“ (241)293. Dies Inkraftsetzen geschieht dadurch, dass die Anerkennung selber „durch das anerkannte Wort Gottes anerkannt wird“ (241; cf. 217), d. h. aber „bestimmt“ wird (cf. z. B. 239). Insofern solches Bestimmtwerden auch ein sich bestimmen Lassen ist, entspricht die (menschliche) Anerkennung genau dem sich Manifestieren des Wortes Gottes, des göttlichen Tuns an … bzw. seinem Scheinen in … . Glaube ist das Widerspiegeln dieses Vorgangs in Gott hinein bzw. auf Gott zurück294. 4.1 Der Gegenstand und die Möglichkeit des Glaubens Wenn Barth daher hier in einem ersten Unterabschnitt (241—250) nochmals unterstreicht und als tragende Einsicht über die Möglichkeit des Glaubens festhält, „daß sie schlechterdings am Gegenstand der wirklichen Erkenntnis entsteht und besteht“ (250), so ist das aus der Logik des Aufscheinens „an“ und „für“ gesagt, demgemäß der Grund des Glaubens als ein sich gebender da ist: 292 “P¸stir sagt mehr als cm_sir, es sagt aber unter allen Umständen auch cm_sir“ (241). Auch Seils weist mehrfach auf den vorherrschend kognitiven Charakter von Barths Glaubensbegriff hin; cf. a. a. O., wie o. Anm. 201, 202, 204, 211, 229 f (!), 239 u. ö. 293 Man möchte fragen, ob die terminologisch gemeinte Rede vom „erkannten“ Wort Gottes dessen Sprachlichkeit noch gerecht zu werden vermag; cf. u. Anm. 295. 294 Cf. u. Anm. 296 (2. Zitat).
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„es ist das Wort, es ist Christus, auf den sich der Glaube bezieht, weil er sich ihm zum Gegenstände gibt“(242)295. Genau dies Sich-geben macht die Erfahrung als „wirkliche“ erst aus296. Es bleibt also dabei: die im Glauben wirkliche Erkennbarkeit des Wortes Gottes „ist keine Möglichkeit, die der Mensch zur wirklichen Erkenntnis von seiner Seite hinzubrächte“ (249), denn diese „Möglichkeit“ ist eben nur ein sich am Menschen Reflektieren des in sich kreisenden Selbstwortes als Gottes entscheidendes Tun a se. Und streng in diesem Sinn ist Barth zu verstehen, wenn er vom Glauben sagt: „wie er als Glaube keinen Augenblick und in keiner Hinsicht anderswoher und anderswovon lebt als vom Worte“ (249). Eben aus demselben Grunde folgt denn auch eine Bestreitung von so etwas wie einem „positiven oder wenigstens … negativen Anknüpfungspunkt für das Wort Gottes“ bei uns (ebd.). Ein solcher lässt sich beim Menschen nicht „irgendwo in oder an ihm entdecken oder ablesen“(ebd.); denn jede solche vorhandene Voraussetzung würde das aktuelle Reflexionsgeschehen stillstellen und das bloße Scheinen, das die „Möglichkeit“ ist, substantiell verfälschen: „inventarisieren, … katalogisieren … aufs Eis und … ins Museum … stellen“ (250; zum Anknüpfungspunkt nochmals s. u. S. 146 f). Vielmehr nur „als .. . zu uns kommende, ist sie unsere Möglichkeit“, wie auch der Glaube selber nur „als zu uns kommender unsere Möglichkeit“ (249), das aber heißt: eigentlich gerade nicht „unsere“ Möglichkeit ist. Barth kann nur sagen: „Wirklich unsere: des ganzen geschöpflichen sündigen Menschen Möglichkeit“ (249), weil sie in Wahrheit eben gar nicht seine, d. h. unsere, ist. Denn: „der Glaubende ist durchaus derselbe unbegabte und träge oder auch begabte und aufgeregte Mensch, der er als Nichtglaubender war und wieder werden kann“ (249 f). Indem die Möglichkeit Reflexion ist, ist sie als an ihn kommende (an ihm scheinende) „seine“, wird aber als von außen nur „kommende“ gerade nie seine eigene Möglichkeit (cf. 250 f). In Wahrheit, d. h. im Blick auf die eigentliche „Wirklichkeit“, gilt dann doch: „Die Feststellung ist dann also nicht die unserer Möglichkeit, sondern die seiner Wirklichkeit“ (249), und das
295 Ist hier noch von der spezifischen Gegenständlichkeit des sprachlichen Wortes die Rede? Aufschlussreich für Barths Perspektive ist der Satz über die Barmherzigkeit Gottes, „die in der Gegenständlichkeit des Wortes begegnet, die Gestalt und zwar Wortgestalt hat und darum in dem sie annehmenden Glauben auch Erkenntnisgestalt, die Gestalt des Fürwahrhaltens“ (247). Für Barth definiert Aseität jenen „Gegenstand“, und d. h. er ist eine sich konstruierende Instanz. Übrigens ist der Gegenstand des Glaubens als das ihn Bestimmende von Anfang an betont worden; cf. z. B. 11 f; zu Christus als Gegenstand des Glaubens cf. KD IV/1, 826 ff (§ 63, 1: Der Glaube und sein Gegenstand). 296 Der Grund dafür: „Dieser Gegenstand ist aber der freie Gott“ (243 f), nämlich er in seiner absoluten Wirklichkeit. Heißt es: „Aber von diesem Gegenstand und Außerhalb lebt der christliche Glaube“ (244), so meint das: sofern er an diesem sich reflektiert, sein „Leben“ ist Spiegeln. Redet Barth vom menschlichen Suchen, auf dem „noch der Widerschein des Gefundenhabens und schon der Widerschein des neuen Findenwerdens liegt“ (243), so ist das grundsätzlich nichts anderes als Barths Begriff des Glaubens.
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bedeutet: Möglichkeit kommt hier nur gleichsam enklitisch ins Spiel, eben als Reflex. Der sprachlich klingende Satz über Gottes Wort: „Indem wir es hören, haben wir die Möglichkeit es zu hören“ (ebd.), nimmt ganz konsequent, wenn auch auf eine subtile Weise, die Sprachlichkeit zugleich wieder zurück. Er ist nur dann nicht trivial oder tautologisch, wenn das, was wir in Wahrheit hören „es“ ist hier zu betonen –, indem wir das Wort hören, uns dazu bestimmt, es nicht nur zu „hören“ (d. h. als sprachliches Wort), sondern es über „unser“ Hören hinaus als es selbst in seiner reinen Ereignishaftigkeit darin anwesen lassen zu können. Genauer: nur „indem“ wir hören, „haben“ wir auch die Möglichkeit dazu, d. h. kommt sie zu uns. Im aktuellen Vollzug des Hörens („indem“) reflektiert sich auch noch seine Ermöglichung vom zu Hörenden her. Dabei muss das „es“, das wir hören, als etwas, das auch die Möglichkeit des Hörens mit sich bringt, noch mehr und anderes sein als nur das (inhaltlich) Gehörte selber, d. h. jenseits der gehörten Worte. „Am“ Hören der Worte vergegenwärtigt es nur sich selbst. Die Wirklichkeit von Gottes „Selbstwort“ reflektiert sich als seine Möglichkeit bei uns.
4.2 Entsprechung Der zweite Unterabschnitt (250—257) ist der im Bisherigen sichergestellten „Angleichung“ des Glaubens an seinen Gegenstand gewidmet (cf. 258). Hier kann Barth nun auch von einer „Gottförmigkeit“ des Glaubenden als Angepaßtsein des Menschen an das Wort Gottes reden(251; cf. 253) immer aber als Möglichkeit nur von dessen Wirklichkeit her: „Dieses Können in bezug auf das Wort Gottes ist die Gottförmigkeit des Glaubenden und speziell die Erkennbarkeit des Wortes Gottes“ (254). Anders als bei Luther ist für Barth darum die forma verbi (cf. 252) eben nur „an sich ein Hohlraum“ (256)297. Gleichwohl ist Barth an dieser Stelle zu einer Konzession genötigt: „Vernehmen des Wortes Gottes könnte nicht stattfinden, wenn es nicht in und mit diesem Ereignis ein Gemeinsames … gäbe“, nämlich zwischen dem redenden Gott und dem hörenden Menschen (251; Hervorh. J.R.). Die Gemeinsamkeit wird aber ganz von der Seite Gottes her bestimmt: als von ihm erst hergestellte Gemeinsamkeit, d. h. ein neues Setzen des (postlapsarisch) verlorenen „Anknüpfungspunktes“. Dieses Gemeinsame ist als eine Analogie des Glaubens und gerade nicht als analogia entis (cf. 251 u. 257) zugleich theologisch abzusichern: „eine Ähnlichkeit bei aller durch den Unterschied zwischen Gott und Mensch gegebenen Unähnlichkeit“ (251; dazu s. u.). Es besteht auch nur 297 Cf. o. bei Anm. 273. So ist beispielsweise bei dem Luther-Zitat (252): „ita nos in verbum suum, non autem verbum suum in nos mutat“ (WA 56, 227,4 f) zu sehen, dass es Luther hier 1. auf die Begründungsrichtung ankommt und er 2. Gottes Herablassung in die wirkliche Sprache mitdenkt.
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„in und mit“ dem Ereignis von Gottes Wort selber, d. h. als dessen Reflex am Glaubenden; sprachlich ist sie so aber nicht gedacht. Aus der Logik des sich reflektierenden Ereignisses von Gottes Wirklichkeit a se in seinem Wort, d. h. nur durch dieses hindurch, macht sich Barth das von E. Brunner vorgeschlagene, umstrittene Theorem des „Anknüpfungspunktes“ zu eigen (cf. 251). Weil es „bei uns“ einen solchen aus theologischen Gründen gar nicht geben kann bzw. zu geben braucht (cf. 249), darum gilt: „Gerade wenn wir die im Glauben stattfindende Gottförmigkeit des Menschen und den in dieser Gottförmigkeit gesetzten ,Anknüpfungspunkt‘ für das Wort Gottes nicht als eine angeborene oder zugewachsene Eigenschaft des Menschen, sondern als das alleinige Werk der aktuellen Gnade Gottes verstehen, bleibt uns als letztes Wort an dieser Stelle nur übrig: Gott handelt in seinem Wort am Menschen“ (257). Nimmt man es logisch streng, so muss man freilich sagen: Barth beantwortet mit dieser Konzeption gar nicht die Frage nach einem Punkt der Anknüpfung selber, sondern er ersetzt sie durch eine Aussage über Gottes „Anküpfen“298. Das kommt an Formulierungen wie der folgenden, eigentlich tautologischen, auch deutlich heraus: „Dieser Anknüpfungspunkt ist also nicht außerhalb des Glaubens, sondern nur im Glauben wirklich“ (251, Hervorh. J.R.). Gerade dieser Satz Barths kann zeigen, dass es weitergeführt hätte, Gottes Wort als Wort unserer Sprache zu denken, um in der Debatte über den Anknüpfungspunkt Stellung zu nehmen299. Versteht man die Rede vom „Anknüpfungspunkt“ als Begegnung von Gott und Mensch in der Sprache, d. h. Gott als den mit uns Redenden und uns als die Hörenden, so wird, indem der Mensch aus sich heraus beim Wort und Gott der sich in die Menschensprache Herablassende ist, gerade auf diese Weise worthafter Glaube möglich300. Unter diesen Bedingungen ist der sog. Anknüpfungspunkt weder als fester Ausgangspunkt beim Menschen noch nur als ein tangentiales Geschehen zu begreifen. Es geht also theologisch weder um eine in der Subjektivität des Menschen fixierbare, naturwüchsige Fähigkeit, wenngleich doch um einen Sachverhalt im Horizont dessen, was den Menschen zum Menschen macht: die Sprache. Noch aber geht es bloß um eine reine Reflexionsbewegung im Sinne Barths, bei der der Mensch im Wort durch einen Gott nur berührt wird, welcher sich zugleich aus dem Wort wieder in sich zurücknimmt mit ihrer Tendenz zur Entsprachlichung und Außersprachlichkeit. Gleichwohl ge298 Die Folge ist, dass über den Vorgang, wie Menschen die Offenbarung aufnehmen, kein Wort gesagt werden darf, sondern darauf nur durch ein silentium altissimum hingewiesen werden kann (cf. KD II/1, 253 u. 256). 299 Auch Barths Auseinandersetzung mit Brunner geht – zumindest an dieser Stelle: 251 f – nicht auf die Rolle der Sprache ein, wenn er z. B. von einer „Möglichkeit des Menschen für das Wort Gottes“ handelt (251), die Christus neu geschaffen habe. 300 Barth muss stattdessen gegen ein analoges „Sein“ das „keiner bloßen Theorie zugängliche Tun, die menschliche Entscheidung“ aufbieten (252); cf. die folgende Anm.
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schieht dabei Neues bzw. wird Neues gesagt, das der Mensch sich nicht selber sagen kann, und wird der Mensch im Wort verändert; mit Gottes Wort im Wort unserer Sprache kommt für den Menschen sein unverfügbarer Daseinsgrund und sein über alles Gegenwärtige und Vorfindliche hinausreichendes, eschatologisches Daseinsziel zu ihm. Barth hingegen muss die „Entscheidung“ (d. h. die Gottes über den Menschen und die dieser entsprechende menschliche) systematisch vorordnen: „Im Glauben ist der Mensch fähig, der im Wort über ihn fallenden Entscheidung Gottes in seiner eigenen Entscheidung so zu entsprechen, daß das Wort Gottes nun das von ihm gehörte Wort, er selber nun der von diesem Wort angesprochene Mensch ist“ (253; Hervorh. J.R.). Ist hier wirklich noch vom „Glauben“ die Rede, wenn es allein um eine Fähigkeit, von sich weg eine „Entsprechung“ zu leisten, geht?301 Und ist hier noch vom sprachlichen Wort die Rede, wenn auf solches Entsprechen das „Hören“ und Angesprochensein erst folgen? Denn für Barth geht die Erkennbarkeit des Wortes Gottes voraus, so dass daraufhin der Mensch „es hören und als Wort und zwar als Gottes Wort vernehmen kann“ (ebd.). Ohne den Wort- bzw. Sprachcharakter des Wortes aufzuheben, kann das in deutlichem Unterschied zu der von Barth (254) angeführten Stelle Röm 10, 8 gar nicht gesagt werden. Heißt es, wie schon angeführt, „Dieses Können in bezug auf das Wort Gottes ist … speziell die Erkennbarkeit des Wortes Gottes“ (254), bzw. der Mensch werde „im Glauben, indem er das Wort Gottes wirklich vernimmt, dazu geeignet, es zu vernehmen“ (251), so ist dieses „Vermögen der Unvermögenden“ (254)302 nichts anderes als das einer sprachlichen Begegnung, d. h. der im wirklichen Wort, vorausgehende An-sich-scheinen-Lassen göttlicher Wirklichkeit: „Ist das Ereignis des Glaubens das Ereignis der Gegenwart des geglaubten Wortes beim Menschen …, dann muß es heißen: die Finsternis des Menschen … kann Licht werden“ (256)303. Im Horizont dieser Logik steht auch Barths Entsprechungsdenken, d. h. die von ihm bemühte Analogia fidei (Röm 12, 6), wie kurz zu zeigen ist. Sie bedeutet „die Entsprechung des Erkannten im Erkennen, des Gegenstandes im Denken, des Wortes Gottes im gedachten und gesprochenen Menschenwort“ (257). Man muss hören: nur eine Entsprechung des „Wortes Gottes“ findet im Menschenwort statt (und auch nur „in“ ihm, nicht als es). Daher steht jede irgendwie auszusagende „Gemeinsamkeit“ oder Einheit von Gotteswort und Menschenwort unter unaufhebbarem Vorbehalt: „Im Glauben und Bekenntnis wird das Wort Gottes menschlicher Gedanke und menschliches Wort, gewiß in 301 Über Glaube als Handeln cf. u. Anm. 310. Wie Gottes Rede in Wahrheit „Tat“ ist (148 ff), so der Glaube sich selbst bestimmendes Tun des Menschen. 302 Barths Berufung auf 1Kor 2, 9 (254; cf. 149, 173, 202 f) unterstreicht das Unvermögen von Auge und Ohr (!) (254) als „natürlichem Vermögen“ (ebd.), um so faktisch den Reflexionscharakter des Ereignisses stark zu machen. 303 Cf. das bei Barth folgende Bild vom ins Wasser getauchten und gebrochen erscheinenden Stabe (256).
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unendlicher Unähnlichkeit und Inadäquatheit, aber nicht in gänzlicher Fremdheit gegenüber seinem Vorbild, sondern in seiner ganzen … Verkehrtheit dessen wirkliches Abbild, als Verhüllung des Göttlichen zugleich seine Enthüllung“ (254). Dazu ist folgendes kritisch zu sagen: Gottes Wort „wird“ nach Barth zwar Menschenwort, aber zugleich auch nicht; denn es „ist“ es überhaupt nur „in unendlicher Unähnlichkeit und Inadäquatheit“, ja „Verkehrtheit“. Barth bezieht sich mit dieser „Ähnlichkeit bei aller … gegebenen Unähnlichkeit“ (251) nochmals auf die berühmte Formulierung des 4. Laterankonzils, die es ihm gestattet, bei festgehaltener Diastase Gottes Näherung an den Menschen auszusagen304. Sodann fällt die litotes-hafte Rede „nicht in gänzlicher Fremdheit gegenüber seinem Vorbild“ (bzw. auch „Abbild“; Hervorh. J.R.) gänzlich aus der Sprachlichkeit des Einswerdens von Gottes- und Menschenwort heraus. Schließlich kehrt bei der dialektischen Wendung „als Verhüllung … zugleich … Enthüllung“ die alte Zweideutigkeit wieder, ob das abstrakt oder sprachlich gemeint ist (s. o. S. 117 ff). Barth kann diese vorbehaltsvolle Analogie-Figur auch als „Beieinandersein“ beschreiben: „Indem das Wort Gottes zum Menschen gesprochen wird, ist es bei ihm und er beim Wort“ (254). „Sein bei …“ lässt allerdings genau den Raum frei, den Barth für sein theologisches Interesse an Gottes Sichunterscheiden von seinem Kommen mit dem Wort braucht. Umgekehrt, was den Glauben angeht, der aus dem Hören aufs Wort kommt, fragt sich, ob Barths Satz: „Der Beweis der Erkennbarkeit des Wortes besteht im Bekenntnis dazu“ (ebd.) ihn als das Grundlegende und Vorweggehende nicht gerade überspringt. Freilich scheint das „Beieinandersein“ auch einer stärkeren Lesart fähig: „dieses Beieinandersein, ja Einssein des göttlichen und des menschlichen Logos“ (255)305. Aber auch hier redet Barth faktisch wieder nur von einem Einssein im Sichunterscheiden voneinander306. Daher tritt sofort die theologische Sicherung auf den Plan: Das hier zu Sagende könne „nicht als Analyse einer gegenwärtigen Wirklichkeit gemeint“ sein (ebd., Hervorh. J.R.). Es geht an der sprachlichen Gegenwart vorbei um die Gegenwart „des Kommenden“ (147), und das heißt, weil die Wirklichkeit des sich vergegenwärti304 Zur Formel des Konzils s. o. S. 83 (mit Anm. 151). Hierin kommen alle von Barth bisher gemachten Aussagen über die Unverfügbarkeit, Unangemessenheit, Gebrochenheit, das nicht Entsprechen, sondern Widersprechen im Verhältnis zum Menschenwort (als solchem) und Gottes eigenem Wort formelhaft zusammen. Möglicherweise spielt für Barth auch eine Rolle, wie Petrus Lombardus similitudo und dissimilitudo zugleich behauptet hat (Sent. I, dist. 3F); cf. 358 u. 363. 305 Diesem Einssein korrespondiert die Identität von Gottes Reden und menschlichem Hören, die der von Barth zustimmend angeführte Satz Thurneysens meint: „Der Satz der Offenbarung: Gott redet ist identisch mit dem Satze: der Mensch hört!“ (Das Wort Gottes und die Kirche (19279, 222). Zum Verhältnis beider Logoi cf. schon o. zu 168 f, S. 115 f. 306 Dem entsprach früher die Betonung der Erkenntnis des Wortes Gottes im Modus der „Erwartung“ (237).
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genden Gottes unserem Zugriff „sich entzieht“: Gemeint ist das „Beieinandersein“ „streng nur als Erinnerung an die Verheißung und als Hoffnung auf deren kommende Erfüllung“ (255; cf. 256, 260 u. ö.). Eine weitere Absicherung war schon vorausgegangen: „Keine immanente Verwandlung … der menschlichen Sprache“ sei mit dem Werden des Wortes Gottes zu menschlichem Wort gemeint (254). Aber geht es darum überhaupt? Barth will daran festhalten, dass „das Wort auch hier Fleisch ist“ (ebd.). Da er nicht sagt: auch Menschensprache, ist mit „Fleisch“nur unspezifisch-allgemein die „verhüllende Gestalt“ der Welthaftigkeit überhaupt gemeint (cf. 171 f.). Die Tendenz seines „Entsprechungs“- bzw. Analogiedenkens zusammenfassend kann Barth sagen: Im wirklichen Erkennen des Wortes Gottes durch den Menschen „entspricht die Art dieses Erkennens der Art des Wortes Gottes selbst“ (255). Das ist offenbar die schon berührte „Entsprechung des Erkannten im Erkennen“ (257; cf. o. S. 148): „daß das Wort Gottes, wo und wann immer es wirklich erkannt wird in der Art des Wortes Gottes selbst … erkannt wird“ (257). Die sich zu erkennen (!) gebende Art des Gotteswortes reflektiert sich im wirklichen Erkennen von ihm. Daher ist grundlegend die „Gewißheit und Klarheit, in der Gott in seinem Worte sich selber erkennt“ (256)307. Wegen dieser Selbstgewissheit des Wortes „hört“ unsere Erfahrung vom Worte Gottes, „indem sie als Erfahrung stattfindet, auf, Erfahrung zu sein“ (218)! Und nur weil und indem der Kreis sich in sich selber schließt, gibt es von daher auch für uns die „Möglichkeit“ einer „gewissen und klaren“ Erkenntnis“ (256). 4.3 Sein von Gott her Auf den dritten und letzten Unterabschnitt (258—261) ist nach allem Gesagten nur noch kurz einzugehen308. Es geht wegen der zuvor behandelten Vergegenwärtigung des Gegenstandes (4.1.) und seiner Angleichung an diesen (4.2.) nur noch darum, dass der Glaubende als ein solcher „ganz und gar von diesem Gegenstand her“ ist (258; Hervorh. J.R.). Ein solches „Sein von her“ haben wir als Reflexion (Widerspiegeln) logisch durchschaut. Die absolute Wirklichkeit scheint am Menschen als Möglichkeit auf sie hin. Solcher „Schein“ ist ein sich Aufhebendes, sich in sich Zurücknehmendes, und genau dem entspricht das Außer-sich-Sein des Glaubens, der nur „von sich weg“ ist, was er ist. Darum entsprechen sich die Sätze: „das Wort hat ihn [sc. den 307 Weil gilt: „Allein Gott begreift sich selber, auch in seinem Worte“ (170), ist die „wirkliche“ Interpretation des Wortes Gottes seine Selbstinterpretation (173). Cf. zur „Selbstgewißheit des göttlichen Wortes“ (235) o. S. 142. 308 Eine verwandte Gliederung, wie Barth sie hier für diese drei Unterabschnitte angibt (cf. 258), findet sich auch KD IV/1, 831 ff.
Ergebnis der Kritik
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Glauben] erschaffen“ (258)309 und: „Das Wort Gottes wird erkennbar, indem es sich erkennbar macht“ (260). Trotz seines Seins „von sich weg“ bzw. „von … her“ ist der Glaubende aber zugleich „durchaus bei sich selber …, (lebt) sein eigenes Leben“, d. h. hat oder ist in Freiheit (258, 260). Dieses Zugleich ist nur im Sinne jenes Reflexionsgeschehens verständlich, das am sich selbst bestimmenden Menschen310 als sein Anderes (nur) aufscheint: Jenes „Beieinander, ja Einssein“ von göttlichem und menschlichem Wort (255) bzw. menschlicher und göttlicher Möglichkeit (260) ist „in der Freiheit des Menschen Ereignis“ und doch nicht „deren Produkt“ (ebd.; Hervorh. J.R.). Dies Ereignis ist Scheinen göttlicher Freiheitswirklichkeit in menschlicher Freiheit. Darum ist der „in“ Freiheit Glaubende bei sich „ein Anderer“ (258) eben als Scheinen des „ganz Anderen“ an ihm: einer, „der er nur sein kann, indem er es ist“ (ebd.). Zwar heißt es zunächst bzw. unmittelbar: „Der Mensch ist Subjekt des Glaubens“ (ebd.), aber dies doch nur vermittelt: „als Prädikat des Subjektes Gott“ (ebd.). Im Prädikat spiegelt sich in Wahrheit nur das eigentliche Subjekt, und gerade in seiner Freiheit ist der Mensch „abzusetzen“ und „als das ursprüngliche Subjekt, als der primär Mächtige … Gott selbst einzusetzen“, nämlich als der die Möglichkeit der Erkenntnis des Wortes Gottes Schaffende (260). Dass also überhaupt „das Ich des Menschen als solches nur von dem Du des Subjektes Gottes her ist“ (258), gilt gerade darum, weil es von diesem „Felsblock eines Du, aus dem kein Ich wird“ (146; cf. 367: das „unauflösliche“ Subjekt) unendlich geschieden ist, der für Barth so sehr und absolut „Ich“ ist, dass er kein menschliches Ich, geschweige denn Wort werden kann. Genau weil Barth auf diesen „Felsen“ bauen will (cf. 235), kann er ihn nur „scheinen“ lassen311.
g. Ergebnis der Kritik Ohne Zweifel hat Karl Barth in seiner „Lehre vom Wort Gottes“ (KD I/1)in höchst eindrucksvoller und ungemein konsequenter, oft sehr scharfsinniger Weise das Wort Gottes stark gemacht. Fragt man aber genauer nach, was er darunter versteht, so hat sich nachweisen lassen: Weil er das „Wort“ lediglich als das die Menschensprache allenfalls tangential berührendes Medium einer aktuellen Selbstvergegenwärtigung des absoluten Subjektseins Gottes begreift, stellt sich immer wieder die Erkenntnis ein, dass es so nicht mehr 309 Darum ist der Glaubende (bzw. kann nur sich verstehen als …) „in seinemGegenstande begründet, … durch seinen Gegenstand existierend“ (258). 310 „Der Mensch handelt, indem er glaubt, aber daß er glaubt, indem er handelt, das ist Gottes Handeln“ (258). 311 Cf. o. S. 142.
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eigentlich als wirkliches, d. h. sprachliches Wort aufgefasst werden kann bzw. auch gar nicht soll. Die Frage: Hat Barth wirklich eine Theologie des Wortes Gottes, verstanden als sprachliches Wort? kann also nicht eindeutig positiv beantwortet werden. (Eine reine Geist-Theologie kann man ihm freilich stattdessen wohl auch nicht unterstellen, obwohl, was er Wort Gottes nennt, eine gewisse Nähe zu dem an sich hat, was in der Reformationszeit – auf Seiten der „Schwärmer“ und in Luthers Polemik dagegen – emphatisch „Geist“ hieß.) Aber gegen eine WortTheologie im eigentlichen Sinne sprechen (aufs Ganze gesehen) die folgenden Einwände. – Barth bestimmt „Wort Gottes“ als Gottes sog. „Selbstwort“ und damit prinzipiell ohne Zusammenhang mit dem menschlichen Wort, d. h. mit der Sprache, und dies programmatisch (und aus erkennbar „reformierten“ Gründen). – Indem er a priori Gottes „Selbstwort“ als vor- bzw. außersprachlich fasst, arbeitet er seine theologische Lehre vom Wort Gottes aus, ohne irgend Rücksicht zu nehmen auf sprachtheoretische oder sprachphilosophische Sacheinsichten. Dessen enthebt ihn insbes. sein theologischer Aktualismus, der Gottes jeweilige Nähe zum Menschenwort diastatisch absichert. Aber ist eine Theologie vom „Worte“ Gottes ohne Sprachdenken sinnvoll? – Barth depotenziert aus theologischen Gründen faktisch die Sprache überhaupt zu einem transitorischen Mittel für die außersprachliche, flüchtige Gegenwart Gottes. Damit fördert er in der Tat eine Entsprachlichung der Theologie, zumal der des Gotteswortes, obwohl auch diese selber sich der Sprache für ihre theologisch wichtigen Aussagen bedienen muss und nur im Rekurs auf die Sprache der H.Schrift und Verkündigung überhaupt zustande kommt. Mir scheint demgegenüber die Bedeutung des Schriftauslegers und Predigers Luther, was die Theologie des Wortes angeht, unabgegolten darin zu bestehen, dass er, der ein genialer Sprachdenker war, energisch von der Realpräsenz von Gottes Wort in unserm menschlichen Wort her dachte. Das ermöglichte ihm, theologisch Ernst zu machen mit der definitiven Selbstherablassung Gottes in die Sprache (Kondeszendenz), sodann seine wirkliche, heilvolle Gegenwart als Selbstmitteilung des Schöpfers an die sündige Kreatur anzunehmen und schließlich den Glauben als Gewissheit heilvollen Aufgenommenseins in Gottes eigenes Leben zu begreifen.
Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich In Tillichs thematischem Aufsatz „Wort Gottes“ (1957)1 wird dieser theologische Begriff ganz in den Bezügen seiner allgemeinen Auffassung der religiösen Sprache als einer unausweichlich symbolischen verstanden. Der Ausdruck darf eigentlich nur in Anführungszeichen gesetzt gebraucht werden (70), um zu signalisieren, „daß der Begriff ,Wort Gottes‘ symbolischen Charakter hat wie alles, was der Mensch von Gott sagt“ (ebd.; cf. 79). Diese generelle These ist u. genauer zu diskutieren (g.); zunächst aber ist festzuhalten, dass der symbolische Status, also die Uneigentlichkeit des Begriffs „Wort Gottes“, dessen „Wahrheit und Bedeutung“ keineswegs schmälern soll (71). Freilich soll gerade die Rede vom Wort Gottes nicht wörtlich verstanden werden dürfen: „Das ,Wort Gottes‘ bezieht sich auf eine Wirklichkeit, aber nicht auf die Wirklichkeit, die gemeint ist, wenn man den Begriff wörtlich nimmt“ (71). Der Ausdruck „symbolisch“ steht also bei Tillich dafür ein, wie Worte sich auf eine Wirklichkeit sollen beziehen können, ohne dies als Worte, d. h. wörtlich, zu tun. Sie tun es anstatt sprachlich durch Partizipation: was das Symbol vom bloßen „Zeichen“ unterscheidet, ist Vergegenwärtigung des Symbolisierten in ihm: „das echte Symbol (nimmt) teil an der Wirklichkeit dessen, was es symbolisiert“ (ebd.). Teilhabe steht für ein Verhältnis von Distanz (d. h. nicht wörtlich gemeint sein) und Bezug (d. h. uneigentlich-indirekter Vermittlung von Wahrheit); dies Verhältnis ist näher zu untersuchen.
a. Gott spricht nicht Die Distanzierung Tillichs von einem wörtlichen Verständnis ist im Falle von „Wort Gottes“ spezifisch durch die Absicht motiviert, das Missverständnis zu verhindern, „daß Gott eine eigene Sprache habe, und die heiligen Schriften der Religionen eine Übertragung der göttlichen Worte in die menschliche Sprache seien“ (70)2. Weder also spricht Gott selber im eigentlichen Sinne (d. h. so, wie Menschen Worte hervorbringen)3 noch kann die Sprache die letzte, unbe1 Gesammelte Werke, Band VIII (Offenbarung und Glaube), 1970, 70 – 81. Die englische Originalausgabe erschien 1957 (R.N.Anshen (ed.), Language, 112 – 133). Cf. auch Main Works / Hauptwerke 4 (Hg. J.Clayton), 1987. 2 Tillich will eine „Verbal-Inspiration“ vermeiden. 3 Cf. drastisch E.Hirsch: „Dass Gott, bei sich oder zu andern, spricht, ist ein ebenso grober Anthropomorphismus, wie dass er mit Pfeilen schießt oder mit Hammern wirft“ (Leitfaden zur christlichen Lehre (1938), 79 (§ 50, M.1.)).
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich
dingte Wirklichkeit sein bzw. umgekehrt das Sein-selbst Sprache – es ist ihr vielmehr wie allem Seienden transzendent –, noch auch ist die religiöse Sprache in heiliger Schrift so etwas wie eine direkte Umsetzung göttlicher Rede in menschliche, also keine Übersetzung von Worten in Worte; dies wird Tillich als ein Missverständnis von „Inspiration“ kritisieren (s. u. d.1.3.1.). Auf keinen Fall also lassen sich bestimmte Redezusammenhänge (fundamentalistisch) als „von Gott selbst gesprochen“ von anderen sprachlichen Zeugnissen isolieren (cf. ebd.). Man sieht hier bereits: Tillich schließt im Ansatz schon den Fall aus, dass Gott selber in der menschlichen Sprache redet und so im eigentlichen Sinne spricht.
b. Die Sprache des Menschen und ihr Grund Für Tillich bleibt der Mensch „in allem, was er von Gott sagt“ (cf. 70), bei sich selber. Denn Sprache macht den Menschen zum Menschen: „Worte gebrauchen, Sprache haben ist ein Wesenszug des menschlichen Geistes“ (ebd.), und d. h. nur als eines solchen. Die konstitutive Bedeutung der Sprache für das Menschsein wird von Tillich in den Grundzügen deutlich gesehen und skizziert: „Erst die Sprache macht den Menschen zum Menschen. Mit der Sprache sind ihm seine Vernunft und seine Freiheit gegeben. Durch das Wort erfasst er die Wirklichkeit; durch das Wort bringt er die verborgenen Tiefen seiner Persönlichkeit zum Ausdruck und macht sie dadurch mitteilbar. Erst das Wort ermöglicht Gemeinschaft zwischen Menschen, und nur in der Gemeinschaft findet der Mensch das Wort und wird er Mensch, ein Wesen mit Vernunft und Freiheit“ (70). Hier ist in Übereinstimmung mit dem klassischen Sprachdenken erkannt, dass Menschsein sprachlich verfasst ist und sich sprachlich vollzieht, dass das Denken sprachabhängig und dass, sich sprachlich zur Wirklichkeit verhalten zu können, Möglichkeitsbedingung von Freiheit ist4 Grundsätzlich soll das Wort auch Wirklichkeit erfassen können; dies scheint Tillich allerdings, wie der symbolische Status von „Wort Gottes“ zeigt, nicht für die Wirklichkeit Gottes zuzutreffen. Im Wort entäußert sich der Mensch authentisch als er selbst5 und tritt in Kommunikation mit Anderen, indem er sich selber kommunikabel macht6. Die intersubjektive Bedeutung der Sprache insbesondere 4 Zu Tillichs klassischem Sprachverständnis überhaupt cf. Systematische Theologie, Band III (1966), 72 – 79 u. 291 f. Die Systematische Theologie wird im Folgenden als STh zitiert. 5 Anders bekanntermaßen Schiller: „Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr“ (a. a. O., wie o. Teil A, Anm. 53). 6 Tillichs frühe Lehre von der Gemeinschaft kommt freilich ohne Berücksichtigung der Sprache aus; cf. Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden (1923), Gesammelte Werke, Band I (19592), 263 ff.
Die Sprache des Menschen und ihr Grund
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zeigt den konkreten anthropologischen Ort der Sprache als für das Menschsein des Menschen konstitutiv an. Aus dieser fundamentalen Bedeutung der Sprache erklärt Tillich auch Entstehung und Rang der Rede vom „Wort Gottes“: „Die menschliche Erfahrung, das Wesen zu sein, das über das Wort verfügt, lieferte die Grundlage für das Symbol ,Wort Gottes‘“ (71). Aber lässt sich – so ist wegen der von Tillich selbst angeführten Beobachtung zu fragen – die historische Tatsache, dass Griechen, Juden und frühe Christenheit „dem logos, dem dabar, dem verbum, das Gott zukommt, Göttlichkeit zuerkannt“ haben (70 f), wirklich nur als religiöse Hypostasierung der anthropologischen Bedeutung der Sprache begreifen? Das ist nun freilich auch Tillichs Meinung nicht. Denn weil „ein Gott, dem das Wort nicht zu Gebote stünde, weniger (wäre) als der Mensch“7 und weil Gott als der schöpferische Grund von allem auch „nicht weniger sein (kann) als sein Geschöpf“ (70), folgt für ihn: „Er muß der Grund von Wort, Vernunft, Freiheit und Persönlichkeit sein“ (ebd.), und genau dies reflektiert sich im Attribut der „Göttlichkeit“ des Wortes. Um Gott als schöpferischen „Grund“ des Wortes bzw. der Sprache ausgeben zu können, müsste Tillich diesen Grund allerdings von der „Grundlage“, wie sie die menschliche Erfahrung von der Sprachlichkeit darstellt (s. o.), unterscheiden können. Rechnet er mit zwei Gründen, gibt es also zweierlei Begründungen, ohne dass er sie ins Verhältnis setzt, oder ist die menschliche Grundlage [engl. material] für den Ausdruck „Wort Gottes“ nur der Entdeckungsort und liefert gleichsam nur das grundlegende Material dafür, dass die Sprache selber in Gott ihren eigentlichen und letzten Grund [engl. ground] hat? Nun kann andererseits Tillich zwar den Grund eigentlich nicht von dem durch ihn Begründeten abstrakt unterscheiden; denn wenn Gott wirklich der schöpferische Grund von Wort und Sprache ist, dann muss auch das sogenannte Symbol „Wort Gottes“ – wie alle Symbole – „teil(haben) an der Macht und dem Sinn dessen, was sie symbolisieren“ (80). Das heißt aber: in Gott selber muss, damit er wirklich Grund menschlicher Sprache soll sein können, etwas sein, was nach „Macht und Sinn“ dem ent-spricht, was bei uns Menschen Wort und Sprache sind. Mag er anders „sprechen“ als der Mensch – ganz ohne so etwas wie Sprache (Sprachlichkeit) kann er nicht sein, soll er anders Grund der Sprache als solcher sein. Wie sollte Gott als selber nicht-sprachlich 7 Dass Gott „das Wort … zu Gebote“ steht, heißt aber nicht, dass er selber spräche, sondern nur, dass er sich des menschlichen Wortes u. a. (!) notwendig auch muss bedienen können, soll er nicht weniger als ein Mensch sein. Als das, worin auch das Wort bzw. die Sprache seinen / ihren letzten Grund hat, kann Gott nicht weniger sein als der sprachfähige Mensch – so müsste man sich wohl in Analogie dazu ausdrücken, wie Tillich das Verhältnis von menschlicher Personalität und der Frage nach dem Personsein Gottes beantwortet; cf. STh I (19563), 185 u. 283 f; cf. 259. Zur Relativierung des Wortes als eines Mediums göttlicher Selbstmanifestation u. a. cf. auch GW V, 180.
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich
„Grund“ der Sprache sein? „Wort Gottes“ hat dann aber – statt uneigentlich und nur „Symbol“ zu sein – mit dem sprachlichen Grund der Sprache in Gott (dem Logos) selbst zu tun, ist selber kocij_r. Genau das aber soll nach Tillich nicht der Fall sein können8. Gott ist nur (u. a. auch) Grund von Sprache, ohne selber in sich eigentlich sprachlich zu sein9. Der „Grund“ des Wortes ist für Tillich jenseits jedes Wortes und nur indirekt mit dem Symbol des göttlichen „Wortes“ zu benennen. Das zeigt sich auch da, wo Tillich ausdrücklich auf das ewige Wort in Gott zu sprechen kommt (s. u. d.1.1.1.). „Grund“ zu sein, ist für Tillich die Figur, die eine – nur sehr formelle – Teilhabe so auszusagen gestattet, dass sie unüberwindliche Distanz (einen „unendlichen qualitativen Unterschied“) zugleich festzuhalten erlaubt. Dass die Sprache selber der Ort sein könnte, wo Unterschied und Bezug ins Verhältnis gesetzt werden, wird nicht reflektiert.
c. Offenbarung und Sprache Gott als „Grund von Wort, Vernunft …“ (70) ist jenseits der Polaritäten, die alles endliche Seiende kennzeichnen10. Darum kann von ihm nicht gelten, dass er selber eigentlich spricht, noch auch, dass seine Rede eine Rede über etwas wäre, denn er unterliegt nicht der Subjekt-Objekt-Spaltung. „Gott ist nicht jemand, der zu sich und zu seinen Geschöpfen in Worten spricht, die ein Objekt erfassen sollen und von einem Subjekt zeugen“ (71)11. Freilich ist hier Tillichs Voraussetzung, dass Sprache immer der Subjekt-Objekt-Polarität unterliegt, schon deshalb nicht unproblematisch, weil so etwas wie (redendes) Subjekt und (beredetes) Objekt doch nur erst in der Sprache selber voneinander sich unterscheiden. Ist aber die Sprache der Grund dieser Unterscheidung, so kann sie nicht einfach unter sie fallen12. Für Tillich wird denn auch diese Frage erneut akut, wo er auf das „innere Wort“ Gottes zu sprechen kommt (s. u. d.1.1.1.). Hier soll zunächst von der Voraussetzung ausgegangen werden, dass nach Tillich jedenfalls Gott nicht selbst das (sprechende) Subjekt des Wortes Gottes sein kann. Wer aber ist dann dies Subjekt? Das kann für Tillich nur der Mensch selber sein, sofern er (allein) we8 Trotz der unklaren Andeutungen a. a. O., wie o. Anm. 7 (GW V, 180). 9 Dagegen wäre, Ps 94, 9 entsprechend, zu stellen: Sollte der, der das Wort gemacht hat, nicht selber sprechen! 10 Zum Jenseits Gottes von Essenz und Existenz heißt es: „Das Wort ,Jenseits‘ drückt aus, daß diese Begriffe – als Qualitäten Gottes gebraucht – symbolisch gemeint sind“ (GW V, 242). Die Frage ist, ob damit nur negativ ein unbestimmtes Zusammenfallen jener Begriffe gemeint ist oder ob es bestimmt zu denken ist; sie verschleiert hier die Rede von „symbolisch“. 11 Cf. o. Anm. 3. 12 Dass die Sprache an das Subjekt-Objekt-Schema gebunden ist, steht STh I, 132, dass sie jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung ist, STh III, 87.
Offenbarung und Sprache
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sentlich über das Wort überhaupt verfügt. „Wort Gottes“ gibt es demnach nur im Zusammenspiel göttlicher Offenbarung und ihrer menschlichen Verbalisierung: „Gott offenbart sich vielmehr in ekstatischen Erfahrungen, und wem eine solche Erfahrung zuteilwird, der faßt sie in Worte, die auf die göttliche Selbst-Offenbarung hinweisen“ (71). Offensichtlich meint Tillich mit der ekstatischen Offenbarungserfahrung ein unmittelbares, d. h. vor- oder außersprachliches Innesein der Gegenwart des göttlichen Grundes allen Seins beim Menschen und für ihn. Fraglich ist dabei natürlich, wie denn die Präsenz eines Grundes – und dieses Grundes zumal – ohne Sprache soll als solche identifiziert werden und zur Geltung gelangen können13. Menschliche Worte „fassen“ sie nach Tillich nur so, dass sie nicht nur von sich weg auf sie „hinweisen“ – das tun ja alle Worte eben als sprachliche –, sondern so, dass sie gerade über sich als bloße Worte hinweg weisen auf die Sache selber; „hinweisen“ steht hier in Opposition zu „sprechen von …“, d. h. dazu, etwas sprachlich als es selber sein zu lassen. Die Sprache überhaupt wird in solchem Hinweisen überschritten – als ein unzureichendes und bloß sekundäres Ausdrucksmittel – in Richtung auf das (außersprachliche) Selbst-sein der Offenbarung. Was das Selbst in der göttlichen SelbstOffenbarung ist, so entgeht es der Sprache (des Menschen) prinzipiell14. So stellt sich bei Tillich, wie schon Barth gegenüber, die kritische Frage, wie das Selbst der Offenbarung (Gottes eigenes Subjektsein) überhaupt soll gedacht bzw. schon als solches erfahren werden können, ohne dass dies durch Sprache und in ihr geschähe. Tillich kann gerade nicht der Meinung sein, dass Gottes Sein als Selbst (seiner Offenbarung) selber nur auf das Konto des die Offenbarung in seine sprachlichen Worte fassenden Menschen geht, weil er eben diese Selbsttätigkeit der Offenbarung Gottes dafür aufbietet, um die menschliche Sprache (als bloßes Hinweisen auf ein Jenseits der Sprache15) hinter sich lassen zu können. So etwas wie „Wort Gottes“ gibt es demnach für Tillich ausschließlich im Zusammentreffen von (außersprachlicher) göttlicher Offenbarung und deren menschlicher Rezeption in Worten der Sprache16 : „Diese Worte und die göttliche Selbst-Offenbarung, der sie Ausdruck geben, sind ,Wort Gottes‘“ (71). Das gilt definitiv. Zwar geben menschliche Worte der Offenbarung nur so „Ausdruck“, dass sie sich als Sprache ganz zurücknehmen, aber gerade so gehören sie für Tillich konstitutiv zu dem, was er mit „Wort Gottes“ meint. Göttliche Selbst-Offenbarung wird nur dadurch zum „Wort“ Gottes, dass wir sie in unsere Worte „fassen“ bzw. ihr mit sprachlichen Worten Ausdruck „geben“. Was das „Wort Gottes“ zum Wort macht, ist der Versuch des Men13 D.h. konkret: wie ist das „Selbst“ der Selbst-Offenbarung in ihr ohne Sprachlichkeit zu realisieren? 14 Das ist bei Tillich in diesem Punkte ähnlich gedacht wie bei Barth, der auch von (bloßem) „Hinweisen“ spricht (s. o. S. 35 f). 15 Cf. o. Anm. 10. 16 Cf.: „faßt sie in Worte“ (71).
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich
schen, die selber sprachfreie Offenbarung verbal (menschensprachlich) auszudrücken. Insofern die Selbst-Offenbarung nur als in menschliche Sprache gefasste für den Menschen Offenbarung ist, gehört das menschliche Wort zur Offenbarung notwendig hinzu. Nur durch unsere Sprache vermittelt sich die Selbst-Offenbarung an uns, und „Wort Gottes“ ist nichts anderes als das Füruns-Sein der Offenbarung selbst, die an sich etwas ganz anderes ist als Rede bzw. Wort. Offenbarung wäre als Offenbarung (an uns) unterbestimmt, würde sie nicht mit dem menschlichen Sprechen von ihr zum „Wort Gottes“ synthetisiert. Der Begriff des Wortes Gottes besagt also bei Tillich eigentlich nur, dass unser Menschenwort zur Offenbarung konstitutiv hinzugehört, damit diese uns wirklich (in einer „ekstatischen Erfahrung“) erreichen kann. Der theologische Sinn von „Wort Gottes“ ist, Menschenwort zu sein, in dem die wortlose Offenbarung sich uns vermittelt. Insofern besagt „Wort Gottes“ lediglich, dass wir in unsern Worten von der Offenbarung sprechen können müssen, damit wir überhaupt von Offenbarung an uns sprechen können. Nur auch in diesem scharf begrenzten Sinn kann Tillich dann sagen: „Der Grund unseres Seins ist nicht stumm, aber er spricht nicht die Sprache endlicher Wesen“ (71). Stumm ist Gott allerdings nur darum nicht, weil wir von ihm und seiner Offenbarung reden können. An sich selber bricht er hier „sein ewiges Schweigen“ gerade nicht (gegen 72o.), sondern er wird darin nur beredbar, indem es so etwas wie „Wort Gottes“ gibt17. Zwar „spricht“ Gott nach Tillich selber nicht die Sprache des geschaffenen Menschen18, aber er gebraucht sie sozusagen doch als von ihm selbst und seiner Offenbarung sprechende Sprache. „Gott spricht nicht ihre Sprache, aber er spricht zu ihnen durch ihre Sprache“ (71). Dieser Satz Tillichs wäre freilich an sich einer vertieften Lesart fähig. Denn wenn er nicht implizieren soll, dass in Wahrheit die menschliche Sprache, eben weil Gott selber nicht spricht, nur von sich selber oder mit sich selber spricht, indem sie von ihm redet, dann müsste man – gegen Tillich – doch so argumentieren: Wenn Gottes Sprechen „durch“ die Sprache der Menschen wirklich ein Sprechen (inhaltliche Rede) sein soll, dann muss er sehr wohl ihre Sprache (im transitiven Sinne) sprechen, damit er wirklich „zu ihnen“ spricht. Gott spricht „ihre Sprache“, indem er „in“ dieser zu ihnen spricht. Sein Sprechen wäre dann wirkliches, d. h. sein eigenes Sprechen, unbeschadet dessen, dass es immer nur „durch ihre Sprache“ zu ihnen gelangt, d. h. in dieser bzw. als diese. Damit aber wäre die einseitige Alternative in Tillichs Ansatz, die eingangs notiert wurde19, überwunden. Da Tillich jedoch dieses Verständnis des Zusammenhangs von Gottes Sprechen und menschlicher Sprache nicht wahrnimmt, bleibt es bei der Zu17 Allenfalls ließe sich sagen, Gott „äußere“ sich auf uns hin, dies aber in einem vor-sprachlichen Sinn. 18 Im menschgewordenen Logos (Joh 1, 14) tut er es allerdings doch! 19 S.o. (a.), S. 153 f. Sie findet sich übrigens schon bei Zwingli.
Die Bedeutungen von „Wort Gottes“
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rücknahme eines eigentlichen Wortes Gottes ins Symbol: „Gott offenbart sich ihnen, und sie gebrauchen symbolische Worte, um seine Offenbarung erfassen und mitteilen zu können. ,Wort Gottes‘ ist das notwendig und angemessene Symbol für den Vorgang, in dem sich der Seinsgrund dem Menschen offenbart“ (71). Hiermit ist wieder das ganz äußerliche Verhältnis von göttlichem Seinsgrund und Sprache festgeschrieben, das im Begriff des „Symbols“ notdürftig und vage übergriffen wird20. Gewiss klingt in dem diskutierten Satz Tillichs eine tiefere Sicht an, sofern er berücksichtigt, dass die Offenbarung selbst sich (irgendwie) vermittelt im menschlichen Gefäß ihrer sprachlichen Fassung bzw. Rezeption. Würde sie aber selber streng als das gedacht, was sich auch am Ort der menschlichen Sprache als es selbst noch ausspricht – und für Tillich soll ja das Wort so zum „Vorgang“ der Offenbarung gehören, dass sie nur mit diesem zusammen erst eigentlich Offenbarung, nämlich „Wort Gottes“ für den Menschen ist (s. o.) –, dann ließe sich die Sprachlichkeit, weil Sprachfähigkeit, der Selbst-Offenbarung Gottes nicht mehr abstrakt bestreiten. Diese Fragen kehren bei Tillichs Deutung des Wortes Gottes als Moment des göttlichen Lebens wieder.
d. Die Bedeutungen von „Wort Gottes“ Nach den allgemeinen Feststellungen erörtert Tillich sechs verschiedene Bedeutungen, in denen der Ausdruck „Wort Gottes“ in der religiösen und theologischen Überlieferung verwendet wird (71)21. Dabei gehören die ersten drei Bedeutungsebenen insofern zusammen, als sie „das transzendente Fundament“ dessen, was Wort Gottes heißt, betreffen bzw. es „symbolisieren“ (73). 1. Die drei ersten Bedeutungen Diese ersten drei Bedeutungen sind 1. Gottes eigenes „inneres Wort“, 2. das Schöpfungswort und 3. das inspirierte und inkarnierte Wort. Diese Verwendungsweisen des Ausdrucks „Wort Gottes“ betreffen dessen Grund bzw. Ermöglichung im „Mysterium des göttlichen Lebens, dem Mysterium des Seins selbst“ (71) und müssen insofern zuerst behandelt werden. In ihnen ist so20 Die Analyse des Symbolbegriffs bei Tillich führt ihrerseits auf ein entsprechend äußerliches Verhältnis; cf. o. bei Anm. 9. 21 cf. auch STh I, 187 – 189. Im Übrigen ist zu betonen, dass Tillich primär den Ausdruck „Wort Gottes“ nicht etwa deswegen für symbolisch, d. h. nicht-wörtlich gemeint, ansieht, weil ihm eine mehrfache Bedeutung zukommt, sondern wegen seiner grundsätzlichen Annahmen über den Status religiöser Sprache überhaupt. Zwar hängen die im Folgenden diskutierten Bedeutungen für Tillich untereinander mehr oder weniger systematisch nachvollziehbar zusammen, aber als genuin sprachlich begreift er dies sechsfache Bedeutungsfeld nicht.
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich
zusagen fundiert, dass man überhaupt, wenn auch symbolisch, von einem Wort Gottes so reden kann, dass dies auch irgendein fundamentum in Deo hat, bzw. dass man in Tillichs Verständnis begründet davon reden kann, dass Gott, wenn er auch nicht selber die Sprache der Menschen spricht, so doch wenigstens „zu ihnen durch ihre Sprache“ (71) gleichsam „spricht“. Das „transzendente Fundament“ des Wortes Gottes ist also die selber nicht-symbolische Seite der Wirklichkeit, auf die sich das Symbol indirekt (nicht-wörtlich) bezieht. 1.1 Gottes inneres Wort Traditionell wird die Rede vom „Wort Gottes“ überhaupt und insbesondere die von einem „äußeren“ Wort Gottes (d. h. für uns Menschen) daraus begründet, dass es im göttlichen Leben selber ein inneres Wort gibt, „mit dem Gott zu sich selbst spricht und in dem er sich begreift“ (71). Für Tillich hat eine solche Ausdrucksweise natürlich „höchst symbolischen Charakter“ (ebd.). Immerhin wird an ihr doch zumindest deutlich, dass nur daraufhin theologisch von „Wort Gottes“ in symbolischer Weise geredet werden kann, dass es auf Gottes eigenes lebendiges Sein zurückbezogen wird. Insofern nimmt „Wort Gottes“, wie jedes „echte Symbol teil an der Wirklichkeit dessen, was es symbolisiert“ (71). Freilich lässt sich diese eigentliche Wirklichkeit selber auch nur wieder „symbolisch“ ausdrücken. Jedoch stellen sich die Verhältnisse für Tillich nur deshalb so dar, weil er, ausgehend von der menschlichen Sprache als schlechthin vorgegebener und aus sich selbst verständlicher Sprache, gar nicht mehr fragt, ob nicht sie – anstatt nur symbolisch auf die Transzendenz Gottes zu verweisen – selber überhaupt nur aus Gottes Wesen begriffen werden könne. Wenn die Sprache ihrem tiefsten Wesen nach in Gottes Selbstverhältnis gründet, dann und nur dann kann es ein (äußeres) Wort Gottes als menschensprachliches genau darum geben, weil es immer schon ein „inneres“ Wort Gottes gibt. Nur wenn die Sprache in Gott selber ihren Grund hat, kann auch eigentlich und nicht-symbolisch (ebenso: nicht-metaphorisch) von „Wort Gottes“ die Rede sein22. Tillich kommt einem solchen Verständnis an sich recht nahe, nur hindert ihn seine prinzipielle Annahme vom unvermeidlich symbolischen Charakter alles Redens von Gott, es konsequent zur Geltung zu bringen. Denn über die erwähnte „höchst symbolische“ Aussage vom „inneren Wort“, mit dem Gott zu sich selbst spricht und in dem er sich selbst begreift (cf.71), gesteht er immerhin zu: „sie läßt sich nach dem Satz des Parmenides verstehen, dem22 Immerhin hat Tillich selber eine solche Fundierung abstrakt behauptet mit dem Satz über Gott: „Er muß der Grund von Wort, Vernunft … sein“ (70). In den Erörterungen hier wird deutlich: Gott ist dieser „Grund“ der Sprache, weil und indem er in sich selber schon logoshaft verfasst ist und daher auch das geschaffene Wort und die geschaffene Vernunft aus sich ermöglicht.
Die Bedeutungen von „Wort Gottes“
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zufolge da, wo Sein ist, auch der logos des Seins ist, das heißt, das ,Wort‘, in dem sich das Sein selbst erfaßt“ (ebd.)23. Diese Aussage ist offensichtlich selber nicht mehr eine „symbolische“. Demgemäß wird das (göttliche) Sein so gefasst, dass es nur ist als zugleich ein Sich-Offenbarsein. Das Sein hat als Sein den logos so bei sich, dass es nur ist, was es ist, indem es sich darin auf sich selbst bezieht und so sich durchsichtig ist. Sein hat an ihm selber LogosCharakter, d. h. es ist nur als wissende Beziehung auf sich, Selbsterschlossenheit. Das „Wort“, in dem das Sein sich selbst erfasst, ist mithin ein durchsichtiges Sich-gegenständlich-werden und so Bei-sich-sein des Seins. Sprache gründet daher im (logoshaften) Selbstverhältnis des göttlichen Seins als eines sich (durch sich selbst) erschlossenen. Dies wäre der vernünftige, spekulative Gehalt der Rede vom „inneren Wort“, der als „transzendentes Fundament“ von Sprache überhaupt gedacht werden kann. Nun ist klarerweise das, was durch diesen Gedanken soll verstanden werden können, nämlich die nach Tillich hochsymbolische Rede davon, dass es in Gott einen Logos gibt, „mit dem Gott zu sich selbst spricht und in dem er sich begreift“ (s. o.), von diesem Gedanken selber gar nicht mehr zu unterscheiden. „Inneres Wort“ ist Gottes Sichaufschliessen für sich selbst, bei dem er sich in sich von sich unterscheidet und so durchsichtig bei sich selbst ist. Er spricht sich in sich selber so für sich aus, dass er darin allererst er selbst ist; sein Sein ist sein sich Begreifen, und Wort bzw. Sprechen Gottes (in ihm zu ihm) ist sein immanentes Sichöffnen für sich bzw. ein internes Heraustreten aus sich als Zurückkommen zu sich selber. Im inneren Wort vermittelt sich Gottes Beisichsein. Insofern solches Wort, in dem Gottes Sein (bzw. er selber) sich erfasst, auch nach Tillich Logos-Charakter hat, vernünftig ist, weist dieser Gedanke auch auf ein Verständnis von der Sprache hin, das nicht einfach der Subjekt-ObjektSpaltung unterliegt24. Denn im Wort (logos) ist das Subjekt zugleich sich selber „gegenständlich“, indem es über Gegenstände redet, zugleich aber auch nicht gegenständlich, weil im sprachlichen Wort der Gedanke eben so zu sich kommt, wie dieser im Gegenstand vernünftig bei sich ist. Tillich findet nun in der beschriebenen Rede vom inneren Wort: „die Grundlage [engl. basis] für die christliche Lehre von der Trinität, die ebenfalls das Heraustreten Gottes aus sich selbst und seine Wiedervereinigung mit sich selbst in symbolischen Begriffen beschreibt“ (71 f). Dieser Satz muss so verstanden werden, dass die (Tillichsche) Rede vom „Heraustreten“ Gottes aus sich selbst und von seiner „Wiedervereinigung“ mit sich selbst selber nicht symbolische Begriffe, sondern eigentliche Begriffe für das verwendet, was
23 Tillich spielt vermutlich auf den bekannten Satz des Parmenides an: t¹ c±q aqt¹ moe?m 1st¸m te ja· eWmai. Zu Parmenides genauso STh I, 204 (cf.88). 24 Cf. o. S. 156, Anm. 12.
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich
traditionellerweise in der kirchlichen Trinitätslehre nur symbolisch formuliert wird (z. B. Person, Vater – Sohn, Zeugung, Hauchung u. ä.)25. Tillich deutet hier also einen Begriff des göttlichen Lebens (als die Bewegung von Selbstentäußerung und Rückkehr zu sich) an26, der den Gedankenzusammenhang des Ausdrucks „inneres Wort“ (d. h. desjenigen „Wortes“, mit dem Gott zu sich selbst spricht und in dem er sich selbst begreift) verständlich macht27. Was ihm aber auch hier entgeht, ist der sprachliche Status eben dieser Begriffe von „Heraustreten … aus sich selbst“ und „Wiedervereinigung mit sich selbst“, nämlich im Logos. Insofern genau dies im Sprechen (Gottes) geschieht, also die Grundverfassung der Sprache ist, wird von Tillich faktisch der worthafte Charakter des trinitarischen Lebens Gottes formuliert28. Wie und insofern das göttliche Leben in sich selber sprachlich verfasst ist29, ist es der transzendente Grund für die Rede vom „Wort Gottes“; d. h. das „innere“ Wort Gottes ermöglicht überhaupt so etwas wie ein äußeres „Wort Gottes“. Weil Gott selber und in sich Wort ist bzw. der Logos selber Gott (Joh 1, 1c), gibt es auch für uns das Wort Gottes. Demgegenüber zieht Tillich sich auf die recht allgemeine Auskunft zurück, es handele sich hierbei um „eine Beschreibung des Lebens in seiner Polarität von Dynamik und Form“ (72), d. h. er rekurriert auf die von ihm auch sonst benannten allgemeinsten ontologischen Elemente30 und verweist vage auf Schelling, Whitehead und Heidegger (ebd.). Als einfachste Formel für diese Grundlage, von der her die Ausbildung der christlichen Trinitätslehre nach ihrem Anliegen verständlich werden soll31, rekurriert er auf den Sachverhalt, „daß das Sein nicht nur verborgen, sondern auch offenbar ist und daß es zuerst sich selbst erscheint“ (72). Mit dieser Formel dürfte das Sein in Wahrheit als Leben begriffen sein: ein Sein, das nicht nur einfach ist, was es ist, sondern das sein Sein im Sich-Offenbarsein hat, also nicht etwa sich selber verborgen wäre, sondern das sich, indem es in seinem Sein sich ausdrücklich zu seinem Sein verhält, lebendig, weil für sich zugänglich, sich zu sich verhaltend und sich selber mit sich durchdringend ist. Es ist nur als sich selbst in dem, was es ist, erscheinend; und weil es derart als das Sich-Erscheinende grundlegend „zuerst“ sich selbst erscheint, kann es von daher anderem, als es selber ist, auch erscheinen: das innere Wort ist Bedingung der Möglichkeit eines äußeren Wortes. 25 Denn die Erklärung des Gehaltes eines Symbols kann nicht selber wieder symbolisch sein, ohne ihren Erklärungswert zu verlieren – in unendlichem Regress. 26 Weitere Ausführungen dessen finden sich bei Tillich vielerorts, besonders in der STh. 27 Cf. das „ebenfalls“ (71u.), das die Parallele zwischen Parmenides und Trinitätslehre betont. 28 Rein deskriptiv kann es auch bei Tillich heißen: „Wort ist Manifestation des göttlichen Lebens“ (STh I, 188). 29 Luther hat die Trinität als ein ewiges Gespräch Gottes mit sich selber begriffen; cf. in meinem o. Einl., Anm. 4 genannten Buch, a. a. O. 70 ff. 30 Cf. STh I, 210 ff u. ö.; vom göttlichen Leben: 282 ff. 31 Cf. die schematischen Skizzen STh I, 288 und III, 324 ff.
Die Bedeutungen von „Wort Gottes“
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Tillich beschließt diese Darlegungen zum inneren Wort mit einem Satz, der selber begriffliche und metaphorische („symbolische“) Elemente mischt: „,Wort Gottes‘ in diesem Sinne ist der symbolische Ausdruck für jenes Element im Seinsgrund, das sein ewiges Schweigen bricht und Leben und Geschichte möglich macht“ (72)32.
1.2 Das Schöpferwort Die zweite grundlegende Bedeutung von „Wort Gottes“ ist die des Schöpfungswortes. Es gilt traditionell: „Die Welt wird durch ,Gottes Wort‘ erschaffen“ (72), und damit ist symbolisch zum Ausdruck gebracht, das auch der Existenz des endlichen Universums eine „Manifestation“ Gottes zugrundeliegt (ebd.). Diese Manifestation ist das schöpferische, d. h. ein Anderes, als Gott ist, hervorrufende Wort – so wie es das vierte Evangelium mit dem ewigen Logos meint, der der Grund der Schöpfung ist (Joh 1, 2 f). Tillich findet in dieser johanneischen Redeweise einen „Hinweis auf den Übergang der Selbstmanifestation Gottes [engl. within himself] zu seiner Manifestation im Universum“ (72). Was er hier „Selbstmanifestation“ Gottes nennt, ist mithin identisch mit der zuvor behandelten Manifestation Gottes in und für sich selbst (1.1.). Der Ausdruck „Manifestation im Universum“ kann demgegenüber ein Doppeltes – vielleicht auch miteinander zusammenhängend – meinen: 1) diejenige Manifestation, die das Universum hervorruft und begründet, d. h. eine Manifestation, die in Gestalt des Universums ihr äußeres Resultat hat, und 2) diejenige Manifestation, die sich als solche im Universum selber noch mit darstellt, d. h. eine Manifestation Gottes am Universum und seiner spezifischen Beschaffenheit; so wäre das Universum nicht nur als Wirkung, sondern auch als Ort göttlichen Sichmanifestierens verstanden. Tillichs Formulierung lässt die Frage offen, was der erwähnte „Übergang“ von der immanenten Selbstmanifestation Gottes (im „inneren Wort“) zu seiner schöpferischen Manifestation („im Universum“) genauer bedeutet. Ohne dass dies von Tillich hier weiter expliziert würde, wäre es immerhin denkmöglich und sachlich naheliegend, diesen Übergang selber sprachtheologisch aufzufassen, d. h. als im Wort (Logos) Gottes als Wort begründet. Dann würde es sich um eine erweiterte bzw. potenzierte Entäußerung (soz. ein Weitersprechen) dessen handeln, was im Unterschied des „inneren Wortes“ zu Gott selber bereits angelegt ist: also ein radikaleres „Heraustreten Gottes aus sich selbst“ (72) in die Andersheit, nämlich ein Herausgehen Gottes hin zum Seinlassen einer Welt außer ihm und ihm gegenüber, in der der schöpferische Logos gleichwohl noch bei sich selber ist (Joh 1, 10a u. 11a). Der fragliche Übergang wäre das Äußerlichwerden des (von Gott selbst nur in ihm unter32 Cf. (paulin.?) Röm 16, 25 f und Ignatius, Magn. 8, 2. Zur Problematik dieser Rede vom Brechen des (vorausgehenden) Schweigens cf. Gott im Wort (wie o. Einl., Anm. 4), 20 f.
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schiedenen) inneren Wortes, und dies als Verselbständigung seiner (sc. des Wortes) internen Andersheit zu einer sich auch extern und als solche wirklich darstellenden. Wie – trinitarisch geredet – der Sohn das andere Gottes in ihm selber ist, so die Welt das Andere des Sohnes außer Gott. Für Tillich selber bedeutet in diesem Kontext die symbolische Rede vom Erschaffenwerden der Welt durch Gottes Wort freilich nur, „dass die Struktur des Universums abhängig ist von der göttlichen Selbst-Offenbarung, ihrer33 ewigen und ursprünglichen Form“ (72, Hervorh. J.R.). Damit ist zweierlei deutlich gesagt: einmal, die Selbst-Offenbarung Gottes hat eine ewige und ihr ursprünglich zukommende „Form“34, und sodann, diese begründet die logische Struktur des geschaffenen Universums (oder bildet sich in dieser ab). Die logische Struktur des Universums macht seine Vernünftigkeit und d. h. Erkennbarkeit aus35. Weniger klar ist der Sinn des Ausdrucks „Selbst-Offenbarung“ [engl. self-manifestation!] in diesem Zusammenhang. Ist damit das gemeint, was vorher „Selbstmanifestation“ (Gottes in sich) hieß (s. o.) oder das, was dort „Manifestation im Universum“ meinte? Auch dies zweite wäre möglich, da auch die Manifestation Gottes „im“ Universum ein Sichmanifestieren Gottes ist. Im ersten Fall (Selbst-Offenbarung = Selbstmanifestation) wäre gesagt, dass die vernünftige Struktur des Universums abhängig ist von der – durch das schöpferische Wort Gottes vermittelten – logoshaften Beziehung Gottes selber auf sich und in sich. Diese als Gottes eigene „ewige und ursprüngliche Form“ begründet die logoshafte Struktur des Universums und hat so ihre Manifestation im geschaffenen Universum als solchem. Im zweiten Fall (Selbst-Offenbarung = (nur) Manifestation im Universum in der 2.Variante, s. o.) wäre gesagt, dass die göttliche Selbst-Offenbarung als schöpferischer Logos (im Sinne der Schöpfung durch das Wort) dem Universum seine eigene logoshafte Struktur verleiht bzw. einstiftet; Gottes Manifestation „im Universum“ wäre das Geprägtsein der geschaffenen Welt von der „ewigen und ursprünglichen“ Logos-Form dieses Sichmanifestierens selber. Die Struktur des Universums bringt so an ihr selber jene logoshafte Form zur Darstellung, und diese wohnt ihm als seine Struktur inne. Beide Interpretationen hängen freilich in der Sache darum eng zusammen, weil die „ewige und ursprüngliche Form“ als Struktur des Universums bzw. als in ihm sich manifestierend zuletzt 33 So ist zu lesen statt „seiner“ (GW), was offensichtlich ein Übersetzungsfehler ist. Der engl. Text lautet: „that the structure of the universe is dependent on the divine self-manifestation, on it’s eternal and primordial form“ (a. a. O., wie o. Anm.1, 406). Daraus geht eindeutig hervor, dass „it’s“ auf self-manifestation zu beziehen ist. Jede andere Lesart, und insbes. die (irrige) der GW („seiner“) führt in große Schwierigkeiten, was die grammatischen Bezüge und die Sachlogik angeht. 34 Cf. den Sprachgedanken bei F.Hebbel: „Das erste Stadium der Form ist das Wort, in dem der Gedanke sich verkörpern muß, um nur selbst zu werden“ (Tagebücher I, Nr. 3131; in: Werke, Band 4 (hg. v. G.Fricke u. a.), Darmstadt 1966, 660). 35 Cf. STh I, 87 ff u. bes. 114 ff sowie meinen Aufsatz: Der Gott der Vernunft und der Offenbarung. Zum Verhältnis von Sprache und Geschichte bei Paul Tillich; in: J.Lauster / B.Oberdorfer (Hgg.): Der Gott der Vernunft. Protestantismus und vernünftiger Gottesgedanke (2009), 301 ff.
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auch der Logos in Gott selber ist, der sich in der worthaften Schöpfung an die Welt vermittelt hat. Wichtiger dürfte wohl das Sachproblem sein, das sich angesichts von Tillichs Aufstellungen aufdrängt. Es ist gar nicht einsichtig, warum die ewige und ursprüngliche Form nicht nur „symbolisch“, sondern im eigentlichen und sachlichen Sinne nicht das Wort soll sein können, das in Gott ist und schöpferisch von Gott ausgeht. Denn es ist keineswegs a priori unsinnig, das geschaffene Universum als sprachförmig zu begreifen und zu denken, dass alle vom Logos geschaffenen Dinge auch worthaft existieren, also selber den Status (oder die Struktur) des Wortes haben; vielmehr ist das eine schon allein dadurch als sinnvoll und konsequent nahegelegte Auffassung, dass man überhaupt von Schöpfung und von dieser als einer durch das Wort redet36. Diese Sicht der Sachverhalte hätte eigentlich auch Tillich naheliegen müssen. Denn er findet in der religiösen Aussage von der Schöpfung durchs Wort noch einen weiteren Aspekt: „Sie weist auf den geistigen Charakter in der Beziehung zwischen dem Grund des Seins und allem Seienden“ (72)37. Da es später erläuternd heißt: „… alles Geistige ist … mit Erkenntnis verknüpft“ (77 f), besagt dies mindestens (und grundlegend), dass das geschaffene Seiende auch für den göttlichen Seinsgrund erkennbar, und zwar schlechthin erkennbar, sein muss – so wie dieser für das menschliche Geschöpf erkennbar ist. Das Geschöpf steht mithin der Erkenntnis des Schöpfers durch und durch offen, weil ihre Beziehung trotz des unendlichen Unterschiedes beider „geistig“ ist. Es liegt daher nahe, die frühere fundamentale Aussage, dass Gott sich in seinem (inneren) Wort selbst begreift (71) – und dies kann er, weil eben das ewige Wort das Medium seines Sich-zu-sich-Verhaltens ist (s. o.) –, auch dergestalt auf das Verhältnis Gottes zu dem durch sein schöpferisches Wort außer ihm Geschaffenen zu übertragen, dass Gottes Verhältnis zum LogosGeschöpf das einer vollkommenen (und wortvermittelten) Erkenntnis dieses Geschaffenen ist. Indem Gott die von ihm geschaffene, worthaft existierende Welt erkennen kann, ist er in der Schöpfung außer sich bei sich selber. Gottes Wort ist selber Träger und Medium dieser Erkenntnis, der nichts Geschaffenes sich entziehen kann (Hebr 4, 12)38. Der „geistige Charakter“ der Beziehung zwischen Gott und geschaffener Welt ist so die göttliche Allwissenheit39. Im unmittelbaren Zusammenhang unserer Ausgangsstelle wird der „geistige“ Charakter des Gottesverhältnisses von Tillich noch weiter erläutert. Er 36 Statt der üblichen Redeweise „Schöpfung durch das Wort“ (als einem gleichsam äußerlichen Mittel) wäre es theologisch sachgemäßer, von der Schöpfung „im“ Wort zu sprechen. Zum worthaften Status der geschaffenen Dinge cf. Luther WA 42, 17,16 – 23 und dazu in: J.R. Gott im Wort (wie o. Einl., Anm. 4), 92 ff. 37 Cf. auch die aufschlussreiche, endgültige Charakterisierung: Wort Gottes ist „das vom göttlichen Geist bestimmte menschliche Wort“ (STh III, 291; cf. 148). 38 Cf. die indirekte Anspielung: „Es dringt in die Tiefe der Seele, es richtet, wo kein menschlicher Richter urteilen kann …“ (77). 39 Cf. Ps 139 und STh I, 320 f.
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findet darin zunächst die Abgrenzung von einem quasi-naturhaften Verständnis der Schöpfung als bloßer „Emanation“ aus einer absoluten Substanz (cf. 72). Demgegenüber verdankt sich das geschaffene Universum vielmehr „einer geistigen Bejahung des Endlichen durch seinen unendlichen Grund“ (ebd.). Für diese geistige „Bejahung“ sind zwei Moment miteinander konstitutiv: das freie Seinlassen des Geschöpfs als eines solchen Gott gegenüber, das selber frei ist. Die relative Selbständigkeit des „im Wort“ Geschaffenen bzw. im Status eines worthaft Geschaffenen ist nur einer unableitbar freien, schöpferischen Setzung, einem souveränen Schöpfungsakt zu verdanken. Indem das schon mit in der Rede vom Geschaffenwerden durchs Wort liegt, lässt sich die „geistige Bejahung“, von der Tillich spricht, eigentlich nur dann behaupten, wenn auch die „Schöpfung durch das Wort“ im eigentlichen Sinne zu verstehen und nicht Symbol für eine andere (nicht-sprachhafte), d. h. unaussprechliche Wirklichkeit ist. Denn das Unaussprechliche, nur durch symbolisches „Hinweisen“ Anzudeutende, ist vom Naturhaften gerade nicht mehr zu unterscheiden. Insofern wäre gegen Tillich festzuhalten, dass das Symbol „Schöpfung durchs Wort“ nur dann und nur so „die Freiheit des Geschöpfes von seinem schöpferischen Grund (gewährleistet)“ (cf. 72), wenn es eben nicht symbolische, sondern eigentliche Rede ist40. Nur erst, wenn der Sachverhalt, dass „der Mensch … frei für Gut und Böse und fähig zur Sünde und zur Erlösung (ist)“ (ebd.), von seiner Sprachlichkeit als Wort-Geschöpf aus verstanden wird, ist auch verstanden – wie Tillich will –, dass „Wort Gottes … die Grundlage (ist) für das geschichtliche Denken des christlichen Abendlandes“ (ebd.).
1.3 Das inspirierte und das inkarnierte Wort Mit dem Thema „Geschichte“ ist auf die dritte, in sich doppelte Bedeutung von „Wort Gottes“ angesprochen: Inspiration und Inkarnation sind die beiden Formen oder Weisen, wie das Wort Gottes in der Geschichte erscheint (72). Tillichs Ausführungen dazu weisen hier einen zweifachen Mangel auf. Zum einen unterlässt er eine genauere, d. h. selber geschichtliche bzw. logos-geschichtliche Bestimmung des Verhältnisses von Inspiration und Inkarnation41; er begreift ihre geschichtliche Abfolge nicht selber aus dem Wesen des Wortes Gottes. Das hängt mit dem zweiten Mangel zusammen; denn zum andern bedenkt Tillich nicht die eigene Geschichtlichkeit des Wortes Gottes als solchen. Er erklärt lediglich, dass diese dritte Bedeutung des Wortes Gottes „auf einer geschichtlichen Deutung des Universums (beruht)“ (ebd.). Theologisch gesehen, muss sie aber (zumindest ebenso sehr) auch auf einer ge40 Das Abgleiten ins Untersprachliche bedroht immer die Freiheit. 41 Dem entspricht in der STh eine fehlende Verhältnisbestimmung von Vernunft und Geschichte; cf. meinen o. genannten Aufsatz, a. a. O. wie Anm. 35, 310 ff.
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schichtlichen Deutung des Wortes Gottes selber beruhen, die in diesem begründet ist. „Das Wort, durch das die Welt erschaffen ist, erscheint in der Geschichte“ (ebd.) – eben darum, weil es in sich selber geschichtlich ist. Tillich hat vorher nur allgemein erklärt, dass es (als schöpferisch) „Leben und Geschichte möglich macht“ (72). Zu denken wäre aber, inwiefern es das so tut, dass es dabei selber als Wort Gottes schon geschichtlich verfasst ist. Die Formel vom „Übergang“ der internen Selbstmanifestation Gottes zu seiner Manifestation im Universum (cf. ebd. und s. o.) hätte darauf führen können. In seiner spezifisch dem Logos selber eigentümlichen Geschichtlichkeit ist das Wort Gottes nicht nur ganz allgemein, wie Tillich im Blick auf die geschöpfliche Freiheit sagte (s. o.), „die Grundlage für das geschichtliche Denken“ (72), sondern theologisch die Grundlage für ein wortgeschichtliches Denken. 1.3.1 Zur Inspiration Tillich macht sich diesen traditionellen Begriff zu eigen42, um das geschichtliche Sichbekunden Gottes, das im Symbol eines an geschichtliche Menschen ergehenden Wortes Gottes religiös aufgefasst wurde, zur Geltung zu bringen. Und er tut das in durchgehender Abgrenzung gegen das (von ihm vergröbert apostrophierte) Inspirationsdenken insbes. der altprotestantischen Orthodoxie43. Ganz augenscheinlich ist es seine Intention, den Begriff als unverzichtbare religionsgeschichtliche Kategorie für die biblische Religion gegenüber seinen historischen Entstellungen geklärt festzuhalten. Denn „Inspiration“ durch das ergehende Wort Gottes gehört zum Wesen der biblischen (insbes. alttestamentlichen) Prophetie. Tillich legt sich diesen Sachverhalt so zurecht: „Es [sc. das Wort Gottes von der Schöpfung her] inspiriert die Propheten, deren Worte in menschlicher Sprache ausdrücken, was sie vom göttlichen logos empfangen haben: die göttliche Selbstbekundung [engl. divine self-affirmation] in der menschlichen Geschichte“ (72). Die geschichtliche Menschen erreichende Selbstbekundung Gottes ist aber nach Tillich an sich selber gerade keine sprachliche, sondern sie wird von den Betroffenen nur in den Worten menschlicher Sprache „ausgedrückt“, d. h. als etwas Außersprachliches in Menschenworte gefasst. Man fragt sich allerdings, wie es plausibel zu machen ist, dass das, was gerade der göttliche Logos mitteilt, selber nicht worthaft soll sein können. Aber genau das will Tillich ausschließen – entsprechend seiner gleich eingangs geäußerten Kritik an dem Missverständnis, „dass Gott eine eigene Sprache habe und die heiligen Schriften … eine Übertragung der göttlichen Worte in die menschliche Sprache seien“ (70, s. o. a.). Auch hier wehrt er das traditionelle Verständnis von Inspiration als 42 Cf. dazu z. B. R.Rothe, Offenbarung, in: Zur Dogmatik (1863), 55 ff und Tillich selber STh I, 45. 43 Cf. zur Kritik Barths an der orthodoxen Inspirationslehre o. Teil A, S. 72, Anm. 129.
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„göttliches Diktat“ von göttlichen Worten ab: „Sie bedeutet nicht, daß den vom Geist Inspirierten durch göttliche Autorität Worte eingegeben werden, so daß ihre eigenen Worte zugleich Worte Gottes sind …“ (72). Bei dieser Abwehr ist ganz allgemein sicher auch Tillichs Überzeugung im Spiel, durch vom Hl.Geist wörtlich diktierte Rede würde die Autonomie des menschlichen Geistes heteronom überfremdet und so zerstört. Sodann mag die Meinung hineinspielen, der Logos sei wesentlich nur einer, so dass man nur im Singular vom Worte Gottes, nicht aber von mehreren „Worten“ Gottes reden dürfe. Vor allem aber ist seine Kritik am traditionellen Inspirationsverständnis dadurch motiviert, dass er die Außersprachlichkeit des Wortes Gottes prinzipiell sicherstellen möchte, d. h. das letztlich sprachlich nicht Identifizierbare und wörtlich genommen Unkenntliche, weil nur symbolisch Ausdrückbare. Das zeigt eindeutig sein – gleich vorzustellendes – positives Verständnis von Inspiration. Im Horizont dieser leitenden Intentionen aber kann Tillich die angeführte Wendung, „daß ihre eigenen Worte zugleich Worte Gottes sind“ (bzw. Gottes Wort), auch nur in einem ganz äußerlichen, verdinglichenden Sinne und pejorativ verstehen; nämlich als mechanische Ersetzung menschlicher Worte durch (angeblich eigene) Worte Gottes, also als Verdoppelung oder Konkurrenz von zweierlei wörtlicher Rede. Wie schon angemerkt, kommt überhaupt nicht der Gedanke in den Blick, dass Gott in unserer Sprache (und durch sie) selber mit uns redet, also selbst spricht, indem wir sprechen, weil er in unserer Sprache selber gegenwärtig ist und sich vernehmlich macht. Damit wäre die vorher genannte Alternative Tillichs: „Gott spricht nicht ihre Sprache, aber er spricht [sc. selber unsprachlich bleibend] zu ihnen durch ihre Sprache“ (71; s. o.) konkret aufgehoben. Mit einem solchen Begriff von „Inspiration“ als Gottes eigenes Eingehen in die Menschensprache, aus der er wörtlich selber spricht44, wäre auch erst die Rede vom Hl.Geist als Subjekt des inspirierten Gotteswortes theologisch angemessen legitimiert. Hl.Geist bedeutet, dass Gottes Geist bzw. Gott als Geist sprachlich für unsern Geist (und in ihm) sich manifestiert. Der Begriff „Geist“ (bzw. in-spiratio) steht genau für diesen Sachverhalt, dass in unseren menschlichen Worten Gott selber – wörtlich – redet, also für das Ineinander und zugleich voneinander Unterschiedensein von Gottes Wort und menschlicher Rede davon. Weil Tillich das nicht denkt, ist auch sein Verständnis von Geist wesentlich sprachfrei konzipiert45, d. h. ebenso unsprachlich wie das von Inspiration: „Inspiration bedeutet, daß die ekstatische Erfahrung des Grundes unseres Seins in unser gewöhnliches Bewußtsein einbricht und das Bewußtsein ,außer sich‘ bringt, ohne jedoch eine natürliche Struktur zu zerstören“ (72). Dies hieß 44 Es ist wesentlich inkarnatorisch begründet (cf. u. 1.3.2.) und von Hamanns KondeszendenzTheologie hergeleitet, s. u. Anm. 67 u.o. Teil A, Anm. 251. 45 Das gilt trotz o. Anm. 37 und ist schon Im „System der Wissenschaften“ erkennbar; cf. GW I, 210 f.
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am Anfang des Aufsatzes: „Gott offenbart sich … in ekstatischen Erfahrungen, und wem eine solche Erfahrung zuteil wird, der faßt sie in Worte“ (sc. seine eigenen, nur-menschlichen; 71, s. o.). Es dürfte auf der Hand liegen, dass die von Tillich beschriebene ekstatische Erfahrung (72) nur sprachlich möglich ist und dass seine Beschreibung dieses Bewusstseins faktisch dessen Sprachlichkeit zum Thema hat, ohne dass er dies bemerkt oder thematisiert. Denn die sprachliche Entäußerung des Bewusstseins ist genau der Fall von dessen Übersichhinausgehen und (im Wort) Außersichsein, bei dem das Bewusstsein zugleich bei sich selber ist. Im Sich-Aussprechen kommt es von seinen Worten her (bzw. auch im Vernehmen der Worte Anderer), anstatt in solcher Entäußerung zerstört zu werden, gerade konkret auf sich zurück. Das Verkennen oder Nichtbeachten der strukturellen Sprachlichkeit des Bewusstseins46 hat auch Tillichs formalen Begriff von Offenbarung unverständlich gemacht: für den Vorgang der Offenbarung kann er so wenig wie hier für die Inspiration überhaupt plausibel machen, wie in einem solchen ekstatischen Zustand „die Vernunft jenseits ihrer selbst ist“ und dadurch gleichwohl „nicht die rationale Struktur des Geistes (zerstört) wird“47. Statt die Sprachlichkeit dieser Verhältnisse zu erkennen, ist Tillich auf den problematischen Begriff einer „Tiefe der Vernunft“ ausgewichen48 Es bleibt für den Inspirationsbegriff Tillichs der paradoxe Sachverhalt bestimmend, dass der aus dem göttlichen Seinsgrund für das Bewusstsein – und sei es „ekstatisch“ – sich manifestierende Logos erst vom Bewusstsein in Worte gefasst werden muss, die ihm nachträglich und indirekt („symbolisch“) Ausdruck verleihen. Heißt es abschließend: „Die Worte, die von den Propheten später gesprochen und aufgezeichnet wurden, sind nicht ,von Gott inspirierte Worte‘, sondern Worte, die sich einer Inspiration verdanken“ (73), so wird noch einmal deutlich, dass die Inspiration im Geist nicht von sich aus wortbezogen sind, sondern vielmehr ergänzungsbedürftig. Die an sich selber unsprachliche „Inspiration“ ist in eine sprachliche Fassung zu überführen, deren Worte mit menschensprachlichen Mitteln nachträglich auf eine Ekstase hinweisen. Man steht vor dem erstaunlichen Ergebnis: das, was das Wort Gottes ausmacht, ist das menschliche Wort allein49. 46 Sie ist durch W.v.Humboldt auf vielfältige Weise nachgewiesen worden; aber schon bei Hegel heißt es von der Sprache: „Sie ist der existirende Begriff des Bewußtseyns“ (Gesammelte Werke, Band 6 (1975), 288, 13 f). 47 STh I, 135 u. 137. 48 Cf. STh I, 96 – 98. Dort heißt es z. B.: „Tiefe der Vernunft bezeichnet etwas, das nicht selbst Vernunft ist, sondern ihr zugrunde liegt und durch sie offenbar wird“ (96); aber wie kann der Vernunft als Vernunft zugrundeliegen, was sie nicht selbst ist? Oder: „Die Tiefe der Vernunft ist essentiell in der Vernunft offenbar“ (97) – ist das Wesen der Vernunft ihr selber entzogen, und wie kann sie so noch Vernunft sein? Zur ausführlichen Diskussion dieses Konzeptes cf. meinen o. Anm. 35 genannten Aufsatz, a. a. O. 302 – 305. 49 Entsprechend der frühere Satz: „Diese Worte und die göttliche Selbst-Offenbarung, der sie Ausdruck geben, sind ,Wort Gottes‘“ (71), d. h. erst sie als zur Offenbarung äußerlich hinzutretende.
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1.3.2 Zur Inkarnation Diese zweite Weise oder Form eines Erscheinens des göttlichen Wortes in der Geschichte wird von Tillich eigentümlich ungeschichtlich eingeführt. Zwar deutet er auf die in der Geschichte voraufgehenden inkarnatorischen Motive im Heidentum hin. Da habe Inkarnation so etwas bedeutet wie die „Selbstmanifestation eines göttlichen Wesens in einer endlichen – untermenschlichen oder menschlichen – Gestalt“ (73). Die Relativität oder Vorläufigkeit solcher Erscheinungen beruht offensichtlich auf zweierlei: einmal handelte es sich um die Manifestation nur eines göttlichen Wesens, d. h. eines unter anderen bzw. irgendeines, und sodann sind solche Manifestationen nie definitiv für die sich manifestierende Gottheit gewesen, weil sie sich mit gewisser Zufälligkeit an irgendeinem endlichen Seienden, sei es vormenschlicher oder menschlicher Art, ereignen konnten. In beiden Hinsichten ist das Christentum absolut: „Im Christentum bedeutet sie [sc. die Inkarnation] die einzigartige göttliche Selbstmanifestation in dem Menschen Jesus von Nazareth, der deshalb das ,fleischgewordene Wort‘ genannt wird“ (73). Einzigartig ist diese Inkarnation, weil es sich eben nicht um irgendeine Gottheit, sondern den einen wahren Gott, den Grund des Seins selber, handelt, der im strengen Sinne hier sich selbst manifestiert hat, und weil es sich um eine exklusive Inkarnation in dem einmaligen historischen Menschen Jesus gehandelt hat. Der Einzigkeit Gottes entspricht im christlichen Fall von Inkarnation deren streng definitiver Charakter (auch für Gott selber) und ihre Unwiederholbarkeit. Der christliche Fall von „Inkarnation“ ist deren absoluter Fall (wohl auch, weil es sich um Gottes Selbstbindung an einen Menschen handelt). Was in lockerer und vorläufiger Weise an inkarnatorischen Motiven in der außerchristlichen Religionsgeschichte vorfindlich ist, kommt zum Abschluss im christlichen Inkarnationsverständnis von der Fleischwerdung des göttlichen Logos im Menschen Jesus (Joh 1, 14): darum handelt es sich hier um die schlechthin „einzigartige göttliche Selbstmanifestation“. Eigentümlicherweise denkt Tillich die Inkarnation aber nicht als Abschluss auch der Geschichte der „Inspiration“. Das hätte insofern nicht fern gelegen, als er doch mit einer Vielfalt von Inspirations-Erfahrungen auch in der biblischen Geschichte rechnet, und weil es nicht von vornherein abwegig ist, auch die Inkarnation des göttlichen Wortes in Jesus als sozusagen den vollkommensten Fall von „Inspiration“ aufzufassen. Wo Tillich einseitig den Kontrast betont: „Im Gegensatz zur prophetischen Erfahrung der Inspiration ist das Sein Jesu als solches ,das göttliche Wort‘“ (73), da muss man auch eine Vollendung mit denken. Denn betraf die Inspiration der Propheten nur gleichsam die geistige Schicht ihres Seins und drückte sich in gesprochenen Worten und deren schriftlicher Aufzeichnung aus, so wird im Falle Jesu die göttliche Gegenwart mit seinem ganzen menschli-
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chen Sein als solchem eins50. Wo jene das Wort empfingen, da war er es selber51. Die Vollendung der Inspiration in der Inkarnation zu denken, legt sich für Tillich deswegen tatsächlich nicht nahe, weil er keine eigene Geschichtlichkeit des Wortes Gottes selber in Anschlag bringt (s. o.)52. Der Weg von den Inspirationen zur Inkarnation wäre als Wort-Geschichte, als Geschichte des göttlichen Redens, das mit den Propheten begonnen hat und sich im Sohn (als Gottes endgültigem Wort) vollendet, zu denken – gemäß Hebr 1, 1f! Man könnte das auch als Geschichte von den vorläufigen Inspirationen des Geistes hin zur absoluten Inspiriertheit eines menschlichen Seins (als vollkommener Gegenwart des göttlichen Geistes) beschreiben. Außerdem wäre in einem solchen geschichtlichen Verständnis des Wortes Gottes – als einer Sequenz göttlichen Redens zum Menschen im Verlauf der Geschichte des religiösen Bewusstseins, die sich im endgültigen Gotteswort in Gestalt des Sohnes zum Abschluss bringt53 – die Möglichkeit angelegt, die Alternative von : ein Wort oder mehrere Worte (Gottes) zu überwinden54. Das Wort in den Wörtern ist demgemäß als das sich sukzessiv-geschichtlich aussprechende (artikulierende) Wort Gottes zu begreifen bzw. als der eine „Satz“, dessen definitives, ihm rückwärts endgültig seinen Sinn verleihendes Schlusswort eben der inkarnierte Logos ist. Tillich freilich betont das Mensch-Gewordensein des göttlichen Wortes so einseitig, dass darüber der Wort-Charakter der Inkarnation zurückzutreten droht: „Nicht seine [sc. Jesu] Worte, sondern er selbst ist das ,Wort Gottes‘“ (73)55. Es geht ihm vorrangig um das Sein des ganzen Menschen Jesus, um das „Neue Sein“: „Seine Worte sind nur eine von vielen Ausdrucksformen seines Seins; sein Sein ist Träger des Wortes, des Prinzips der göttlichen Selbstoffenbarung“ (ebd.). Die Zurückstufung der Sprachlichkeit zugunsten eines wesentlich vor und außer der Sprache anzusiedelnden „Seins“, das sich unter verschiedenen, gleichberechtigten „Ausdrucksformen“ auch der verbalen bedienen kann56, ist hier unübersehbar. Dass primär und grundlegend das Sein Jesu Träger der Offenbarung und erst in zweiter Linie seine Worte es sein sollen, das zeigt einmal mehr, wie Tillich mit seiner „ontologischen Option“ 50 Das schließt natürlich wegen der Wort-Bezogenheit der Inspiration auch deren Vollendung ein: Jesus ist gänzlich durch das bestimmt, was er von seinem himmlischen Vater so „hört“, dass er darin sich selber empfängt, so z. B. bei der Taufe (Mk 1, 10 f); cf. auch Joh 3, 11a; 8, 26b. 38a u. ö. 51 Eine Andeutung dessen könnte man bei Tillich in der Formulierung vom Erscheinen des fleischgewordenen Wortes finden, „das sich in einem persönlichen Leben manifestiert und nicht nur in einem Erlebnis der Inspiration“ (74; Hervorh. J.R.; fehlt im engl. Text). 52 Und somit auch nicht die Vollendung dieser Wort-Geschichte in der Menschwerdung des Logos. 53 Cf. dazu J.R.: Wort und Geschichte im Hebräerbrief; in: Arbeit am Gottesbegriff I (2004), 262 ff. 54 Wie sie in „Barmen 1“ vorausgesetzt ist; cf. dazu J.R., a. a. O. 267 u.o. Teil A, Anm. 127. 55 Dagegen ist zu sagen: „Das Wort ward Fleisch“ (Joh 1, 14) schließt in sich, dass es auch (in Jesu Rede) Menschenwort wird. 56 Cf. die folgende Anm.
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die göttliche Selbstoffenbarung verstehen möchte57: Worte können auf das „Prinzip“ des Logos nur (zusätzlich) hinweisen; die Ekstase steht ihm (sprachlos) näher. Zwar ist Tillichs Polemik gegen das häufige Missverständnis einer „Gleichsetzung der Botschaft Jesu mit seinen Worten und der Worte Jesu mit ,Wort Gottes‘“ (73) nicht ganz unberechtigt – insbes. gegenüber einer ethizistischen Missdeutung Jesu als des „Lehrers reiner Moral“ u. ä. –, denn Jesu Sein als das Wort Gottes ist in der Tat nicht auf seine Worte zu beschränken. Aber trotzdem gilt theologisch, dass nur in seinen Worten (seiner Botschaft vom in seiner Person nahegekommenen Gottesreich) sich erst ganz und endgültig erschließt, was er mit seinem Tun und Leiden, mit seiner ganzen Geschichte eigentlich ist. Darum gründet, wie Tillich später selber konstatiert, das „Neue Testament in dem ,Wort, das Fleisch ward‘“ und ist eben „dessen erstes und entscheidendes Zeugnis“ (74). Die Schriftwerdung des Wortes Gottes gründet also gerade im dem Wortcharakter der Inkarnation! Im Gegenzug gegen eine „verbalistische“ Reduktion der Christologie, der gegenüber Tillich recht hat, auf dem umfassenden Sinn der Inkarnation (bzw. dem Sein des Inkarnierten) zu bestehen, das scheint ihn selber einer Reduktion im umgekehrten Sinn verfallen zu lassen: „Jesus als der Christus ist das ,Wort Gottes‘, und das umfaßt sowohl sein Tun und Leiden wie seine Worte“ (73). Man muss nicht einseitig Jesu Sein auf seine Botschaft beschränken, um doch die eigentliche Gegenwart seines heilvollen Seins in eben dieser vollmächtigen Verkündigung und so ihn selbst in seinen Worten finden zu können (cf. Joh 15, 3). So spricht Jesus – wie exegetisch allgemein anerkannt ist – gerade in seinen Gleichnissen vom Gottesreich stets auch von sich selber: in ihnen spricht er von seinem Sein. Eben seine Botschaft bringt daher als Wort das, was er ist: sein Sein als das Wort Gottes. Tillich beschließt diesen kurzen Abschnitt zur Inkarnation mit dem Satz: „Nichts zeigt den Symbolcharakter des Begriffes ,Wort Gottes‘ überzeugender als die Tatsache, daß von einem Menschen ausgesagt wird: Er ist das ,Wort Gottes‘“ (73). Zwar ist Tillichs Argumentationsstrategie unverkennbar: je mehr Jesu „Sein“ in den Vordergrund gestellt wird, desto leichter den Symbolcharakter des (Fleisch gewordenen) Wortes behaupten zu können58. Aber eher müsste man angesichts des von ihm genannten Sachverhalts doch umgekehrt fragen: Wird nicht das, was „das Wort“ (überhaupt) ist, von Tillich unterschätzt – angesichts der Tatsache, dass von einem Menschen ausgesagt wird, er sei das Wort Gottes in Person? Hat Tillich nicht von vornherein Wort und Sprache unterbestimmt, eben weil er mit der Möglichkeit eines eigentlich 57 Cf.: „Das Sein geht dem Reden voraus, und die Offenbarungswirklichkeit geht dem Offenbarungswort voraus“ (STh I, 150). 58 Zu Tillichs „rationalistischer“ Kritik an einem wörtlichen Inkarnationsverständnis im Blick auf Jesus Christus, die die Menschwerdung und Sendung des Sohnes in ein Symbol überführen möchte, cf. meine Antikritik in: Gott denken, a. a. O., wie o. Einleitung, Anm.3, 154 f.
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so zu nennenden Wortes Gottes a limine nicht rechnen wollte bzw. weil er Gott nicht selber in ein spezifisches Verhältnis zur Sprache bringen konnte? Jedenfalls gilt: wenn, das Wort Gottes zu sein, Jesu eigentliches Sein ausmacht, dann ist dieser Sachverhalt selber gerade nicht (einfach nur) „symbolisch“ aufzufassen, sondern dann gibt dieser Sachverhalt zu einer theologischen Neubestimmung des Verhältnisses von Sein und Sprachlichkeit bzw. von schöpferischem Gotteswort und menschlichem Personsein allen Anlass.
2. Die zweite Bedeutungsgruppe In der „Hierarchie“ von Bedeutungen des Ausdrucks „Wort Gottes“, die Tillich anspricht, folgt, nachdem die erste Dreiergruppe sein „transzendentes Fundament“ [engl. transcendent foundation] (73) im „Mysterium des göttlichen Lebens“ selbst (71) dargestellt hat, eine zweite Gruppe von drei Bedeutungen, die mehr der alltäglichen, wirklich gesprochenen Sprache zuzuordnen sind (cf. 71), weil sie die Offenbarung Gottes „durch das menschliche Wort“ als solches betreffen (73). Das besagt, es geht hier um „die Aufnahme und Wiedergabe der göttlichen Selbstoffenbarung durch den Menschen“ (ebd.). Der Mensch selber also, an dem sich in einer ekstatischen religiösen Erfahrung eine Selbstoffenbarung Gottes ereignet, verleiht diesem Widerfahrnis durch menschensprachliche Worte Ausdruck; er verhilft ihr von sich aus zum Wort. In dieser Hinsicht unterscheidet Tillich drei weitere Bedeutungen von „Wort Gottes“: 1. die Bibel; 2. die Predigt und 3. andere Medien der Offenbarung. Systematisch stehen die beiden Gruppen von je drei Bedeutungen, da Tillich sie jede für sich als Einheit auffasst (cf. 73), einander signifikant gegenüber. In der ersten Hinsicht (d.1.) geht es um den göttlichen Grund für das Wort Gottes, der in seiner „Transzendenz“ auch der Sprache so transzendent bleibt, dass er nur „symbolisch“ zugänglich ist. Und genau in dem Maße, in dem Gott von der Sprache ferngehalten wird, wird in der zweiten Hinsicht (d.2.) die religiöse Sprache in Bibel und Verkündigung notwendig von Gott selber ferngehalten, d. h. als etwas nur Menschliches angesehen. Abstrakte Sprachtranszendenz (Sprachlosigkeit) Gottes und immanentistische Äußerlichkeit religiöser Sprache sind nur Kehrseiten Desselben. Es lässt sich zeigen, dass Tillichs Symbolbegriff durch genau diese Ambivalenz von abstrakter Transzendenz und religiöser Verdinglichung strukturiert ist59.
59 Cf. meine o. Einleitung, Anm. 3 genannten kritischen Analysen.
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich
2.1 Die Sprache der Bibel Tillich erklärt zunächst – allerdings ohne genauere Erläuterung des damit Gemeinten – die konventionelle (kirchliche) „Gleichsetzung“ von Wort Gottes mit Worten der Schrift für irreführend (74). Dass damit die Bedeutungsmannigfaltigkeit des Begriffs „Wort Gottes“ beschränkt würde, ist freilich nur bedingt richtig. Denn dass auch die Bibel bzw. dass die Bibel auch Wort Gottes ist, könnte durchaus strengstens mit den anderen Bedeutungen und insbes. den grundlegenden (d.1.) zusammenhängen und sogar aus ihnen folgen. Das aber scheint für Tillich ganz undenkbar zu sein. Wichtiger ist für Tillich indes der zweite Grund gegen jene einfache Gleichsetzung; sie verwischt nämlich „den Unterschied zwischen dem ,göttlichen Wort‘, wie es den Propheten und Aposteln in ihrem Zustand der Inspiration zuteil wurde, und den menschlichen Worten, in denen sie ihre ekstatischen Erfahrungen später ausgedrückt haben“ (74)60. Das heißt, der von Tillich zuvor festgeschriebene unendliche Unterschied zwischen Inspiration an sich und ihrem menschensprachlichen Ausdruck (s. o. 1.3.1.) rückt die Bibel eindeutig und ganz auf die Seite des Menschlichen. Die Verbalisierung ekstatischer Offenbarungserfahrung kann nur nachträglich sein, und das sich manifestierende Mysterium des Seinsgrundes ist eo ipso diesseits der Sprache. Daher wiederholt Tillich hier vorher Gesagtes (cf. 70 u. 72): „Die Sprache der Bibel ist weder göttliche Sprache noch eine von Gott diktierte menschliche Sprache“ (74). Sofern Sprache zur Offenbarung hinzukommt61, gehört sie gänzlich auf die Seite menschlicher Rezeption von Offenbarung: „Die Sprache der Bibel ist der menschliche Ausdruck für die offenbarende Ekstase, die die Schreiber der Bibel erfuhren. Sie drücken ihre Erfahrung auf menschliche Weise aus, jeder in seiner eigenen Sprache“ (ebd.). Dagegen ist zu halten: wäre die Sprache nur der menschliche „Ausdruck“ für Offenbarung – dass sie dies immer auch ist, ist gar nicht zu bestreiten –, dann würde die Sprache der Bibel nur Wort Gottes für ihre Leser sein können, indem sie von dieser Sprache, d. h. auch vom inhaltlichen Reden der Bibel, gerade abstrahierten und durch den als bloßen Ausdruck vorsprachlicher Erfahrungen relativierten Wortlaut hindurch, d. h. hinter ihn zurückgehend, ihres eigentlichen religiösen, aber vorsprachlichen Gehaltes ansichtig würden. Die Sprache der Bibel hätte religiösen SymptomCharakter, wäre als Sprache gerade zu verlassen. Das ist nicht nur abwegig, 60 Schon Tillichs Wortlaut macht den hier ausgesagten qualitativen Unterschied fraglich: Wie kann dann das göttliche Wort [engl. ohne Anführungszeichen] wirklich Wort sein? (Tillich würde sich wohl auf ein „symbolisches“ Verständnis zurückziehen, was hier aber nicht überzeugt, oder er zitiert nur die Meinung der Propheten und Apostel – aber ist deren Selbstverständnis so einfach zu überspielen?) Und mit welchem Recht werden menschliche Worte (der Sprache) so vom Wort-habenden (logosförmigen) Gott abgetrennt? 61 Cf. o. Anm. 49.
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sondern in der Sache muss man genau umgekehrt sagen: nur weil und indem die biblische Sprache dem eigenen Wortcharakter der Offenbarung entspricht, kann sie deren immer inhaltlich artikulierte Botschaft, d. h. das eigene Wort Gottes, zugleich auch jeweils „auf menschliche Weise“ ausdrücken, d. h. mitteilen bzw. weitersprechen und weitersagen. So unbestreitbar es empirisch ist, dass die individuellen Verfasser der biblischen Schriften jeweils in ihrer „eigenen Sprache“, d. h. individuell verschiedenen theologischen Denk- und Redeweise, sich äußern, so sehr ist zugleich Tillichs Argumentation mit der je „eigenen Sprache“ sprachphilosophisch zu problematisieren. So etwas wie eine „eigene“ Sprache gibt es nur als eigenes Inanspruchnehmen der Sprache überhaupt bzw. selber und in Bezug auf diese als ein jedem einzelnen Sprecher Vorgegebenes und schlechthin Allgemeines. Jeder von uns kann nur die Sprache weitersprechen, die sich uns immer schon zugesprochen hat, und kann es nur daraufhin62. Das heißt: jede noch so „eigene“ Sprache ist es nur in sprachlicher Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Sprache; sonst wäre sie gar nicht mehr Sprache63. Allerdings findet Tillich das rein Menschliche an der Sprache der biblischen Autoren nicht nur in ihrer kontingent individuellen Redeweise, sondern auch in der darin ebenfalls wirksamen Geschichtlichkeit (und d. h. wiederum: menschlichen Relativität) allen Sprechens: „Und jede dieser Sprachen [sc. die jeweils eigenen der Verfasser] ist geformt von ihrer Geschichte und den unzähligen Einflüssen, von denen eine jede geschichtliche Wirklichkeit bestimmt ist“ (74). In der Tat: jedes Sprechen ist geschichtlich, insbes. auch sprachgeschichtlich bestimmt oder mitbestimmt, und die Sprache ist aufgehobene Geschichte: „Worte, Worte – Substantive! Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende entfallen ihrem Flug“64. So unbestreitbar das Historische in seiner Faktizität auch an der Sprache der Bibel mitgewoben und seine Spuren hinterlassen hat, so sehr ist ihr Spezifikum damit noch gar nicht genannt: die in ihr zur Sprache kommende eigene Geschichte und Geschichtlichkeit göttlichen Redens zum Menschen. Aus dieser Sprachgeschichte vor allem ist das biblische Reden (schon innerhalb des AT und besonders deutlich in der Abhängigkeit des NT vom AT) erst nach seiner Besonderheit theologisch zu erfassen. Denn jeder der biblischen Verfasser spricht gerade nicht aus Eigenem oder auch aus einer undurchschauten, ganz allgemeinen 62 Cf. die dialektische Einsicht in das Verhältnis von Mensch und Sprache bei W.v.Humboldt: „Durch denselben Act, vermöge dessen er die Sprache aus sich herausspinnt, spinnt er sich in dieselbe ein“ (Gesammelte Schriften (Leitzmann), Band VII, 60). 63 Es ist vielleicht nicht zufällig, dass Tillich, weil er die vorsprachliche Ekstase für den eigentlichen Offenbarungsvorgang hält, ihre sprachliche Fassung abstrakt zum bloß individuellen „Ausdruck“, d. h. einer Expression, depotenzieren kann. Ist das Außersprachliche wesentlich, so muss der Kommunikationszusammenhang atomisiert werden. Sprache aber ist nie nur Ausdruck. 64 G. Benn, Gesammelte Werke in vier Bänden (D.Wellershoff), I, 513 – eine Einsicht, die auch Humboldt schon hatte.
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geschichtlichen Abhängigkeit heraus, sondern er findet „seine eigene Sprache“ im produktiven Aufnehmen und Weitersprechen der Sprache, die ihm als Gotteswort sich bereits in seiner Tradition zugesprochen hat, und er tut dies bewusst und absichtlich65. Für die biblische Sprache ist der geschichtliche Zusammenhang ihres Redens mit einem ihr vorausgehenden Sprechen Gottes in der Tradition gerade konstitutiv. Jede jeweils „eigene Sprache“ in der Bibel kommt her vom Vorgegebensein des Logos Gottes, an dem sie sich bemisst und von dessen Geschichte sie „geformt“ ist und sich formen lässt. Auch von daher ist Tillichs – freilich anders gemeinter – Satz besser zu verstehen, als Tillich ihn verstanden wissen will: „Gott spricht in den Büchern der Bibel durch Menschenworte“ (74). Tillich meint mit „Gott spricht … durch …“, dass er überhaupt nur „spricht“, indem Menschenworte an seiner Stelle sprechen, d. h. selber spricht Gott eigentlich nicht. Zu einem „Sprechen“ Gottes kommt es, weil und insofern es Menschenworte gibt, die für ihn im eigentlichen Sinne sprechen, ihm Sprache verleihen. Theologisch verstanden, meint der zitierte Satz (anders als Tillich) aber – mit Luther und Hamann –: Gott hat die Menschensprache der Bibel zum Ort seiner eigenen Gegenwart für uns gemacht, und insofern spricht er „durch“ sie, in ihr als er selber. Gott spricht demnach zwar „durch Menschenworte“, dies aber nicht so, dass er selber gar nicht spräche. Denn eben diese Menschenworte sind seine Sprache, und durch sie spricht er selbst zu Menschen. Gott entäußert sich in das menschliche Sprechen von ihm und in seinem Namen, und darin und so spricht er wirklich bzw. spricht wirklich er. Er nimmt die Menschenworte der Bibel zu seinem eigenen Sprechen an (oder an sich); darum gibt es für uns das „Wort“ Gottes66. Auch mit dieser Sicht ist – was auch Tillich vermeiden möchte – nicht einfach das göttliche Reden bzw. Gotteswort äußerlich identisch behauptet mit allen Wörtern, die zwischen den Deckeln des Bibelbuches geschrieben stehen (cf. 70); aber dass die Bibel das Wort Gottes für uns ist, besagt: Wenn Gott redet, dann spricht er mit den Worten der Bibel; bzw. was er uns entscheidend (und inhaltlich) zu sagen hat, das ist in diesen „Menschenworten“ formuliert67. So kann die Bibel als Menschenwort zugleich Gottes eigenes Wort sein, während Tillich allein davon wissen will, dass sie es für uns nur jeweils werden kann68, indem sie nämlich von uns als nur-menschlicher Ausdruck hin zu 65 Cf. z. B. das Verhältnis des vierten Evangeliums zu den Synoptikern. 66 Dass es christlich Gottes Wort in Gestalt von H.Schrift (und Verkündigung) gibt, ist keine religionsgeschichtliche Zufälligkeit, sondern weist auf ein wesentliches Verhältnis dieses Gottes zur Sprache hin, das nicht so nivelliert werden sollte, wie Tillich es weiter unten tut (cf. 2.3.). 67 „Gott ein Schriftsteller! – – Die Eingebung dieses Buches ist eine eben so große Erniedrigung und Herunterlassung Gottes als die Schöpfung des Vaters und Menschwerdung des Sohnes“ (J.G.Hamann, Sämtliche Werke (Nadler), Band I, 5). 68 Die Rede vom „Werden“ (bzw. Werdenkönnen) zum Wort Gottes findet sich wenig später in dem Satz angedeutet: „Denen, die die Botschaft von Jesus als dem ,fleischgewordenen Wort‘ an-
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Gottes eigener vorsprachlicher Manifestation überschritten wird. Er erläutert den zitierten Satz von Gottes Reden in der Bibel „durch“ Menschenworte so: „Aber diese Worte sind zugleich ,Gottes Wort‘, insofern sie als göttliche Selbstoffenbarung von Menschen aufgenommen worden sind“ (74). Das ist im Sinne von Tillichs bisherigen Aufstellungen folgerichtig; er meint damit aber nicht, dass im Glauben das Menschenwort der Bibel zugleich Gottes eigenes Wort ist und in diesem Sinn als Offenbarung Gottes erfahren wird, sondern er meint, die menschlichen Worte sind überhaupt nur darum so etwas wie „Gottes Wort“, weil Menschen durch sie hindurch zu Gottes eigentlicher, von dem sprachlichen Ausdruck dieser (hinzutretenden) Worte streng zu unterscheidender Selbstoffenbarung finden69, d. h. durch diese Worte auf die ihnen zugrundeliegende „ekstatische“ Erfahrung des göttlichen Mysteriums verwiesen werden. Das erklärt aber gar nicht den vorliegenden Sachverhalt (bzw. erklärt ihn nicht theologisch), dass tatsächlich Gottes Selbstoffenbarung in diesen Worten als solchen gefunden wird. Eben weil bestimmte Menschenworte der Bibel vom Glauben gerade in ihrer Sprachlichkeit „als göttliche Selbstoffenbarung … aufgenommen worden sind“, gibt es überhaupt den Begriff eines „Wortes Gottes“. Genau genommen, werden diese Worte auch nicht „als“ Selbstoffenbarung vom Menschen aus „aufgenommen“, d. h. selbsttätig rezipiert, sondern der Glaube hört Gott in diesen bestimmten Worten sich offenbaren, und d. h.: wirklich zu ihm reden. Tillich hingegen konnte eingangs von der alltäglichen Menschensprache nur deswegen sagen, dass sie „das Mysterium des Seins meist verbirgt, manchmal aber auch enthüllt“ (71), weil er sie gar nicht von Gottes in unserer Sprache zur Sprache Kommen her deutet. Von hier aus müssen alle Aussagen Tillichs über den Zeugnis-Charakter des Neuen Testaments und dass sie die Urkunde vom Erscheinen des „Wortes Gottes“ in der Person Jesu ist, entschiedener theologisch und d. h. sprachgemäßer gedacht werden, als Tillichs Formulierungen es tun (cf. 74). Denn sowohl die „Inspiriertheit“ der H.Schrift wie auch ihr Zeugnis von dem fleischgewordenen Wort lassen sich – ohne deswegen schon die mechanische Vorstellung eines göttlichen „Diktats“ bemühen zu müssen (cf. ebd.) – theologisch nur in der Linie von Gottes eigenem Reden verstehen bzw. die Schriftwerdung des Wortes Gottes in der Bibel nur in der Verlängerung der Inkarnation des Wortes selber.
nehmen, wird das Neue Testament dadurch in einem besonderen Sinne zum ,Wort Gottes‘“ (74). Explizit referiert Tillich sie anlässlich der subjektivistischen Interpretation der Predigt (s. u. 2.2.). Zu dem Sinn, in dem für Barth die Bibel je und je Gottes Wort werden kann s. o. Teil A, S. 73. 69 In gewisser Weise nimmt bei Tillich die „Selbstoffenbarung“ die systematische Stelle ein, die bei Barth durch die Rede von Gottes „Selbstwort“ besetzt wird; s. o. Teil A, S. 31 ff.
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2.2 Die Predigt Der Anspruch der christlichen Predigt, Verkündigung des Wortes Gottes zu sein, kann nach Tillich entweder „objektiv“ oder „subjektiv“ interpretiert werden (cf. 74). Tillich selber referiert eigentlich beide theologische Deutungen nur – die objektive identifiziert er ausdrücklich mit der „klassischen Orthodoxie“ (75), die subjektive erinnert vielleicht an Züge der kerygmatischen Position Barths oder (in ihrer existenztheologischen Wendung) Bultmanns –, ohne differenziert zu ihnen Stellung zu beziehen; deutlich ist nach allem Gesagten nur, dass er die objektive ablehnt, die er ausdrücklich „vollkommen objektivistisch“ nennt (75). Die objektive Deutung besagt nach Tillich: „wenn der Prediger die christliche Botschaft verkündet, so hat er das ,Wort Gottes‘ gepredigt, wobei es bedeutungslos ist, wie es auf die Gemeinde wirkt. Wenn er die Botschaft unverfälscht wiedergibt und fähig ist, die Lehre rein, vollständig und ohne Abweichung auszudrücken, dann predigt er das ,Wort Gottes‘“ (74). In dieser äußerst knappen Charakterisierung wird man das Predigtverständnis der altprotestantischen Orthodoxie kaum wiedererkennen können. Tillichs Andeutungen lassen zumindest zweierlei unbestimmt. 1. Wie verhält sich die „Botschaft“ – vorher als die Botschaft von Jesus als dem „fleischgewordenen Wort“ apostrophiert (74) – inhaltlich zum gesamten Wortlaut der Bibel? Ist sie damit identisch oder nur in ihr „enthalten“, wie Tillich auch sagen kann (cf. ebd.)? Meint Tillich also eine bestimmte, an ihren inhaltlichen Aussagen identifizierbare Botschaft oder meint er nur die wörtlich Wiederholung beliebiger biblischer Aussagen? 2. Tillichs umstandslose Identifizierung der Botschaft bzw. ihrer Verkündigung mit einer korrekten Mitteilung der christlichen „Lehre“ ist – auch historisch im Blick auf die Orthodoxie – zu kurz gegriffen. Er vermischt hier den theologischen Gedanken einer Selbstwirksamkeit des göttlichen Wortes, die sich nicht der Tätigkeit des hörenden Subjekts verdankt, mit der exklusiven Fixierung auf wörtliche Übereinstimmung (im fundamentalistisch-literalistischen Sinn). Man könnte sagen: dabei wird der Geist zu subjektiv, das Wort zu objektiv angesetzt. Außerdem bleibt bei Tillichs Beschreibung der Pro-me-Bezug unberücksichtigt, der die Botschaft als Botschaft „für mich“ selber kennzeichnet70. Das aber besagt, auch nach dem von Tillich so genannten „objektiven“ Verständnis der Predigt kann nicht außer Betracht bleiben, dass es bei der Verkündigung der christlichen Botschaft stets um ein Zueignungsgeschehen, d. h. um ein Kommen Gottes selber jeweils zu mir und um sein Kommen eben im Hören dieser Botschaft, in der Gott sich mir zuspricht, und im Glauben daran geht. Die andere, subjektive Deutung wird von Tillich so genannt, weil ihr die Auffassung zugrunde liegt, dass die verkündigte Botschaft nicht an sich schon 70 Ihn berührt er erst bei der „subjektiven“ Interpretation; s. u.
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(d. h. nach ihrem äußeren, wörtlichen Bestand) das Wort Gottes ist, sondern dass sie „dem, der sie vernimmt, zum ,Wort Gottes‘ werden kann“ (75; engl. must become). Wie es dabei nach Tillichs Meinung „nicht der objektive Inhalt der Predigt“, d. h. doch wohl: seine sprachliche Vermittlung, sein soll, der sie zum Wort Gottes macht (cf. ebd.), ist allerdings nicht einzusehen. Denn woran sonst soll sie für den sie Vernehmenden zum „Wort“ Gottes werden als mit ihrer inhaltlichen Artikulation? Für Tillich (bzw. in seinem Referat dieser Position) ist jedenfalls Wort Gottes nichts, was es unabhängig von einer bestimmten Weise der Rezeption seitens des Hörers geben kann. Dieser konstitutive Faktor der subjektiven Aufnahme bringt es mit sich, „daß eine Predigt … einem Menschen zum ,Wort Gottes‘ werden kann, aber nicht notwendigerweise werden muß“ (75). Die Predigt stellt mit ihren (menschlichen) Worten nur eine Möglichkeit dafür bereit, dass in einer bestimmten Reaktion des Hörers daraus die Wirklichkeit des Wortes Gottes allererst wird. Diese das Wort Gottes als solches zustandekommen lassende Reaktion ist die eines persönlichen Sich-betreffen-Lassens und Betroffenwerdens: Die Predigt „muß den Hörer ,existentiell‘ treffen, damit sie ihm zum ,Wort Gottes‘ wird“ (ebd.). Erst in solchem Hören, das eine selbsttätige existentielle Aneignung realisiert, werden die Worte der Predigt zur Anrede Gottes für einen; von sich her sind sie es mithin nicht. Dennoch ist auch hier die Sprachlichkeit dieses Vorgangs nicht völlig auszuschalten; immerhin sagt Tillich: „Sie muß zum Hörer sprechen als eine Selbstoffenbarung Gottes, die ihm zuteil wird“ (75). Theologisch müsste man hier festhalten, dass die Predigt dem Hörer „existentiell“, d. h. ihm als ihm selbst, nur so wirklich als eine göttliche Offenbarung zuteil werden kann, dass sie und indem sie als eine solche Selbstoffenbarung zu ihm spricht und überhaupt zu ihm spricht71. Wie gesagt, referiert Tillich hier nur knapp bestimmte theologische Meinungen oder Positionen. Insofern darf man auch diese „subjektive“ Interpretation nicht umstandslos mit Tillichs eigener Sicht der Dinge identifizieren. Es liegt eher die Vermutung nahe, dass er sie von seinem Theorem der „Offenbarungskorrelation“ her präzisieren bzw. korrigieren würde72. Danach müsste er wohl geltend machen, dass das existentielle Getroffenwerden durch eine Predigt, wodurch diese für den Hörer allererst zum Wort Gottes wird, an die Bedingung gebunden ist, dass es zum Ort einer ekstatischen Erfahrung des göttlichen Seinsgrundes wird73. Das heißt: gegen die rein subjektive Auffassung, nach der „Wort Gottes“ ganz vom persönlichen Betroffensein des Subjektes abhängig ist – es „kann“ dazu werden, muss es aber nicht notwendigerweise (s. o.) –, würde Tillich selber wohl ein Moment des Ansichseins 71 In Tillichs zitiertem Satz hat der Ausdruck „sprechen“ eher eine unspezifische, metaphorische Bedeutung. 72 Cf. STh I, 73 ff u. 154 ff. 73 Soz. als „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht“.
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oder der Eigendynamik der Vergegenwärtigung des Seinsgrundes (eben als „Selbstoffenbarung“) stark machen. Wie das aber mit der Sprachlichkeit der Predigt zu tun hat (bzw. ob überhaupt etwas), bleibt zumindest hier ganz unbestimmt oder unabsehbar. Auf jeden Fall aber hat Tillich sich an dieser Stelle nicht zu der Frage verhalten, ob nicht die Sprachlichkeit der Verkündigung – die Predigt als Ereignis des Wortes Gottes – über die Alternative von „objektiver“ und „subjektiver“ Sicht produktiv und sachnäher hinausführt74.
2.3 Weitere Offenbarungs-Medien In der subjektiven Auffassung von der Predigt tritt deren Inhalt so sehr zurück – er ist gleichsam nur der Anlass eines existentiellen bedeutsam Werdens für das hörende Subjekt –, dass es „nicht der objektive Inhalt der Predigt“ ist, „der sie zum ,Wort Gottes‘ macht“ (75). Das in den Hintergrund Treten des Inhalts – Tillich redet sogar davon, dass „irgendeine Predigt unabhängig von ihrem Inhalt einem Menschen zum ,Wort Gottes‘ werden kann“ (ebd.) – gestattet, die Erfahrung von so etwas wie „Wort Gottes“ als universelle Möglichkeit zu behaupten, d. h. durch Entgrenzung (Formalisierung) von der Predigt schlechthin zu lösen: „dann ist die Grenze zwischen dem Sprechen der Kirche und jedem anderen Sprechen verschwunden“ (ebd.). Tillichs Analyse führt dabei zuletzt auf ein gänzlich entsprachlichtes Verständnis von „Wort Gottes“, das so genannt wird, weil es zum von solchen Erfahrungen betroffenen Menschen in einem Sinne „spricht“, der nur noch metaphorisch gemeint ist75. „Jedes Wort und jedes Ereignis kann einem Menschen in einer besonderen Situation zum ,Wort Gottes‘ werden. Wird es als Selbstoffenbarung Gottes erfahren, dann ist es ,Wort Gottes‘ für den, der sie erfährt. Auf diese Weise kann alles in Natur und Kultur ein möglicher Träger des ,Wortes Gottes‘ sein“ (75)76. Man muss sehen, dass mit dieser, hier gleichsam als Grenzmöglichkeit am Rande des Bedeutungsfeldes und zuletzt noch genannten, religiösen Erfahrung in Wahrheit Tillichs eigentliches Anliegen seiner Offenbarungstheorie zu Worte kommt. Die Entgrenzung der Bedeutung von „Wort Gottes“ ist der Zielpunkt der ganzen hier vorliegenden Analyse, insofern Tillich systematische Gründe hat, das „Wort Gottes“ als einen besonderen Fall der Universalität des religiösen Symbols einzuordnen. Es gehört bekanntlich zu seinen ältesten religionsphilosophischen Thesen, dass nichts Endliches und Bedingtes in 74 S.o. c. (S. 156). 75 Die Frage, ob solche Metaphorik verrät, dass alle menschliche Erfahrung sprachlich verfasst ist (Humboldt), liegt nicht in Tillichs Horizont. 76 Hier wäre an Tillichs Sakramentsauffassung zu erinnern; cf. „Natur und Sakrament“ (1928), GW VII, 105 ff. Dass Alles zum Gefäß von Offenbarung werden kann, steht auch STh I, 142; cf. 252.
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Natur, Geschichte und Kultur von der Möglichkeit ausgeschlossen ist, symbolischer Träger des Unbedingten zu werden. In ganz anderem Sinne hat K.Barth eine solche Möglichkeit erwähnt bzw. erwogen: nämlich, wie, abstrakt gedacht, Gottes Offenbarung auch hätte Gestalt gewinnen können, – um sie sogleich positivistisch wieder auszuschließen: weil es Gott nun einmal anders gefallen habe, und zwar sich exklusiv in Jesus Christus zu offenbaren77. Das Anliegen Tillichs bei der Ausweitung ist, die freie Allgegenwart des Seinsgrundes offen zu halten, dessen Selbstmanifestation an keine Vorbedingungen gebunden werden kann: das Unendliche kann als solches in allem Endlichen erscheinen, sich in einer Durchbruchserfahrung vergegenwärtigen. Tillich schreibt – die religiöse Erfahrung in ihrer Unverfügbarkeit situativ konkretisierend –: „Ein Mensch kann den letzten Sinn des Seins in einem zufälligen Gespräch erfahren oder in der Begegnung mit einem Menschen, in einem philosophischen Text, einem Kunstwerk, einem politischen Ereignis. Wenn das geschieht, dann hat er durch diese Medien das ,Wort Gottes‘ vernommen“ (75)78. Ein ekstatisches Berührtwerden durch Unbedingtes – kann man mehr sagen als: etwas Unbedingtes, darf man schon sagen: das Unbedingte bzw. es selbst? – ist derart ein Vernehmen göttlicher Manifestation „durch“ bedingte und zufällige Medien hindurch. Gegenüber solcher generellen Möglichkeit erscheint das christliche Offenbarungsverständnis, nämlich Gottes freie Wahl einer bestimmten Art seiner definitiven Selbstoffenbarung: im sprachlichen Wort, als eine unsachgemäße und willkürliche theologische Verengung79. Aber einmal ist zu sehen, dass auch Tillichs Entgrenzung des Offenbarungsereignisses nur um den Preis einer Subjektivierung bzw. Relativierung möglich ist: Selbstoffenbarung Gottes kann so nur immer als eine erfahren werden, die es – in bestimmter Situation – auch nur „für den“ ist, „der sie 77 Barths entsprechende Passage (KD I/1, 55 f) klingt wie eine implizite Auseinandersetzung – motiviert von Ragaz und Kutter her – mit dem frühen Tillich: „Gott kann durch den russischen Kommunismus, durch ein Flötenkonzert, durch einen blühenden Strauch oder einen toten Hund zu uns reden. Wir werden wohl daran tun, ihn zu hören, wenn er das wirklich tut. Wir werden aber … nicht sagen können, daß es uns aufgetragen sei, das so Gehörte als selbständige Verkündigung weiterzugeben. Gott kann durch einen Heiden oder Atheisten zu uns reden und uns damit zu verstehen geben, daß die Grenze zwischen Kirche und Profanität immer noch und immer wieder ganz anders läuft, als wir bisher zu sehen meinten“ (s. dazu schonTeil A, o. Anm. 40). Barth bietet gegen eine solche rein gedankliche Möglichkeit schlicht den wirklichen Auftrag der Kirche zu ihrer bestimmten Verkündigung auf (cf. a. a. O.). So unbefriedigend das theoretisch sein mag, es ist damit doch – entschiedener als bei Tillich – das systematische Problem festgehalten, wie sich inhaltliche Besonderheit und formalisierte Allgemeinheit beim Wort Gottes (bzw. der religiösen Erfahrung davon) zu einander verhalten, oder auch: von welchem Ort aus die christliche Bestimmtheit dieser Begriffe sinnvoll entschränkt werden kann. 78 Auch bei diesen Beispielen reflektiert Tillich nicht auf deren evident sprachlichen Charakter. 79 Jedenfalls solange, wie man nicht über die Sprachlichkeit menschlicher Weltbegegnung überhaupt nachdenkt.
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erfährt“ (ebd.)80. Ihr Auftreten in lauter kontingenten Einzelerfahrungen hat nicht die übersubjektive, freie Allgemeinheit des (öffentlichen) Wortes81. Sodann präzisiert Tillich selber etwas später: „Aber Aussagen über Natur, Geschichte, Mensch können ,Wort Gottes‘ sein, wenn sie diese Wirklichkeiten in Beziehung zur letzten Wirklichkeit setzen“ (78); dabei ist nun gar nicht mehr abzusehen, wie ein solches ausdrückliches In-Beziehung-Setzen von endlichen Wirklichkeiten zu der „letzten Wirklichkeit“ ohne die Sprache soll möglich sein können82. Jedenfalls zeigen diese Bemerkungen, dass mit der die Bedeutung von „Wort Gottes“ universell ausweitenden Option Tillichs zumindest zwei sachliche Fragen verknüpft sind, die m. E. ebenso religionsphilosophisch wie theologisch unabweisbar sind. (1.)Kann es eine „Selbst“-Offenbarung als solche anders als im sprachlichen Wort geben, weil die Darstellung von Selbstsein überhaupt – intersubjektiv , aber auch inner-subjektiv (subjekt-intern) – an Sprache gebunden ist, d. h. die Möglichkeit, „Ich“ zu sagen? Darin steckt auch die allgemeinere Frage: Wie verhalten sich die Weise bzw. der konkrete Ort von Offenbarung zu dem, was dabei jeweils (inhaltlich) offenbar werden kann? Kann jede Offenbarung grundsätzlich alles von Gott offenbaren (und somit auch immer Selbst-Offenbarung sein)? Oder liegt nicht faktisch in Tillichs Ausweitung von Wort Gottes zum allgemeinen religiösen Symbol eine nivellierende Verengung des überhaupt möglichen Inhalts von Offenbarung83? (2.)Führt nicht der Begriff von Offenbarung überhaupt und durch sich selber auf deren jeweilige Bestimmtheit – dergestalt, dass das Ereignis göttlichen Sicherschließens die Richtung auf bestimmte Orte dafür schon in sich trägt und so die christliche Annahme der definitiv letztgültigen Offenbarung im Menschen Jesus in gewisser Weise nur die interne Tendenz aller Offenbarung vollendet? Verhält es sich so, würde die christliche Offenbarung – statt den Begriff Offenbarung ungebührlich einzuengen – zum Ausdruck bringen,
80 Bezüglich des Erfahrens von etwas als … (z. B. eines Wortes oder Ereignisses als einer Selbstoffenbarung Gottes (cf. 75)) stellt sich angesichts von Tillichs knappen Bemerkungen die Frage: Verdankt es sich einer reinen Deutungsaktivität des erfahrenden Menschen oder muss nicht – im Falle religiöser Erfahrung – Gottes Wort hinzu kommen, damit irgendein Wort oder Ereignis für den betroffenen Menschen zum Wort Gottes „werden“ kann? Dies gilt zumal, wenn es sich dabei um die Erfahrung von etwas als einer Selbst-Offenbarung Gottes handeln soll. 81 Zur Allgemeinheit des Sprachlichen cf. GW XI, 67, zu Allgemeinheit und Negativität cf. STh III, 85 ff. 82 Ist nicht die Qualifizierung einer Wirklichkeit als die „letzte“ (engl. ultimate) überhaupt nur sprachlich möglich – gerade auch, wenn sie „das Ganze“ der menschlichen Existenz betreffen soll? 83 In einem seiner Symbol-Aufsätze hat Tillich beispielsweise aber betont, dass nur ein persönliches Leben den symbolischen Stoff hergibt, an dem sich alle Dimensionen des Seins vollendet manifestieren können, was natürlich christologisch relevant ist; cf. dazu: Gott denken, a. a. O. 159 f.
„Wort Gottes“ in subjektiver und objektiver Bedeutung
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dass wirkliche Offenbarung immer nur bestimmte sein kann, um überhaupt Offenbarung zu sein. Was Tillichs Auffassung des „Wortes Gottes“ als eines religiösen Symbols angeht, so sind hier einige systematische Beobachtungen festzuhalten. Tillich favorisiert den Symbol-Begriff auch deswegen, weil er gestattet, Offenbarung auszuweiten und auch nicht-sprachliche Manifestationen des unendlichen Seinsgrundes – sogar bevorzugt – dafür in Anspruch zu nehmen. Der Begriff des Symbols erlaubt Tillich anscheinend, den sprachlichen Status allgemeiner Offenbarungserfahrungen theoretisch unbeachtet zu lassen oder ihn wenigstens nicht zu thematisieren. Der Sache nach ist freilich mit dem Phänomen des religiösen Symbols ein anspruchsvolles Verhältnis von „Hinweisen auf …“ und zugleich „Vergegenwärtigen“ dessen, worauf es hinweist, gegeben. Denn das Symbol hat einerseits selber Anteil an dem, was es symbolisch repräsentiert, und andererseits ist es als dessen Symbol davon auch wieder strikt zu unterscheiden. Wie soll dies Verhältnis von Identität und Differenz differenziert zu erfahren sein, ohne dass es dabei bereits sprachlicher Klärungen bedürfte? Wenn aber die Symbol-Erfahrung auf die Sprache seiner Klärung als Erfahrung des Symbolisierten am Symbol (und d. h.: auch unterschieden davon) gar nicht verzichten kann, kann dann die religiöse Sprache (als notwendiger Kommentar im religiösen Umgang mit Symbolen) selber auch symbolisch sein? Bzw. muss nicht zumindest an dem, was Tillich religiöse „symbolische Sprache“ nennt, selber diese Aufklärung vorgenommen werden oder in ihr bereits stattfinden, damit sie als symbolisch und religiös zugleich überhaupt noch Sprache bleibt? Das führt auf die systematisch entscheidende Frage, ob religiöse Sprache dem sonstigen religiösen Symbolismus nur (als eine Symbol-Art u. a.) unter- bzw. einzuordnen ist oder ob sie als Sprache jenem auch noch gegenüber steht.
e. „Wort Gottes“ in subjektiver und objektiver Bedeutung Die diskutierte Ausweitung der Möglichkeit von Offenbarung in nahezu beliebigen Kontexten scheint zu einer nur noch „subjektivistischen“ Auffassung vom Wort Gottes führen zu müssen: „Wenn alles einem Menschen in einer besonderen Situation zum ,Wort Gottes‘ werden kann, ist dann überhaupt etwas Objektives nötig?“ (75). Um darauf antworten zu können, fragt Tillich in den folgenden beiden Abschnitten (IV u. V) nach dem sachlichen Verhältnis von subjektiver und objektiver Bedeutung des Begriffs (75). Für die rein subjektive Bedeutung könnte man auf die traditionelle Lehre vom „inneren Wort“ (Gottes), das im Menschen zu verorten ist, hinweisen; danach gilt: „Gott kann unmittelbar und ohne Umweg zum Menschen sprechen, unabhängig von einer objektiven Manifestation“ (ebd.). Tillich verweist zur Konkretion dieser Lehre zunächst auf Schwärmerbewegungen spiritua-
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listischen und mystischen Gepräges insbes. im Gefolge der Reformation (cf. 75 f). Für sie alle galt: Wort Gottes ist primär als „inneres Wort“ da, nämlich als „die unmittelbare Erfahrung der Gegenwart Gottes im Innersten der Seele“ (76). Tillich bemerkt hierbei übrigens selber den eigentümlichen Umstand, dass alle diese Bewegungen das „innere Wort“, das auch bei Augustin prominent ist, mit Worten beschreiben, „die große Ähnlichkeit haben mit den Ausdrücken, die auch für das äußere ,Wort Gottes‘ verwendet wurden“ (76)84. Allerdings scheint ihm der spezifische Grund für dies Phänomen nicht vor Augen zu stehen; es belegt nämlich die Problematik bereits der Rede von einem „inneren“ Wort: weil kein Wort als solches bloß innerlich ist, sondern weil in der Sprache sich gerade „Inneres“ und „Äußeres“ vermitteln85 und so das sogen. Innere des Menschen sich selber äußerlich wird bzw. ihm im äußeren Wort etwas begegnet, was es innerlich vernehmen kann, darum ist die Rede vom inneren Wort (bloß als einem solchen) sprachlich widersinnig. Entweder ist das Wort nicht bloß „innerlich“ oder es ist eben gar nicht „Wort“86. Tillich äußert diese Kritik nicht, sondern beschreibt im Weiteren nur die geistesgeschichtliche Verwandlung des Motivs vom „inneren Wort“ zu einem universalen anthropologischen Wesenszug des neuzeitlichen Menschen: schließlich gibt es in jedem Menschen ein „inneres Wort Gottes“, „nämlich die rationale Struktur seines Geistes“ (76). Tillich weist auf die damit verbundene völlige Säkularisierung und Entleerung hin. Es bleibt dabei nur die reine Autonomie des vernünftigen Subjekts von Welterkenntnis und Weltgestaltung übrig: „Der Mensch war nun völlig auf sich gestellt“ (76), und empirische Erfahrung und rationale Schlussfolgerung bestimmen sein Denken und Handeln (ebd.). Mit dem Wegfall jeglicher Spur von „Autorität und Weihe“, wie sie der Vernunft noch irgendwie zukamen, solange ihr Zusammenhang mit der Anschauung vom inneren Wort mächtig war, wird der Mensch bzw. seine Ratio formal selbstgenügsam: „Nichts wurde ihm gegeben, nichts ihm gesagt, nichts in ihn gelegt“ (76). Damit deutet Tillich auf die (traditionsreiche) Frage nach einem Grund der Vernunft hin, die im Verständnis vom inneren Wort als einem von Gott in den Menschen gelegten Wort noch präsent war87. Unter den Bedingungen der neuzeitlichen, sich völlig auf sich stellenden Ratio fragt sich daher: Wie kann ihr, die sich als solche unweigerlich ganz aus sich selber verstehen muss, so etwas wie ein „Grund“ ihrer überhaupt zugänglich werden, als die Instanz, die dem Menschen die Ratio „gegeben“, sie in 84 Z.B.: Stimme, Eingebung, logos. Damit seien dann andere Ausdrücke wie: Same, Geist, Burg, Seelenfunke verbunden worden. 85 Das sprachliche Wort ist – z. B. als artikuliert bzw. Laut-konform – so etwas wie eine innere Äußerlichkeit oder sich äußerliche Innerlichkeit. 86 Entsprechendes gilt von Barths Theologumenon „Selbstwort“ (Gottes); s. o. Teil A, S. 31 ff. 87 Zu dem einschlägigen Tillichschen Konzept einer „Tiefe der Vernunft“ s. o. bei Anm. 48 und u. Anm. 91.
„Wort Gottes“ in subjektiver und objektiver Bedeutung
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ihn „gelegt“, sie ihm zugesprochen („gesagt“) hat? Das könnte wohl nur durch ein sie von außerhalb ihrer treffendes Wort sein, im Verhältnis zu dem sie zur vernehmenden Vernunft würde. Das heißt theologisch: allein das Wort von der Schöpfung unterbricht die Selbstgenügsamkeit der Ratio (cf. Hebr 11,3). Die Kritik an der „rationalen Struktur“ des Geistes müsste also, abgesehen von den von Tillich namhaft gemachten säkularisierten Verallgemeinerungen, geltend machen, dass damit – wie schon beim Konzept des „inneren Wortes“ – auch und vor allem der wesentliche Zusammenhang von Vernunft (Denken) und Sprache verkannt und ausgeblendet worden ist88. Tillich selber behandelt anschließend kurz die theologische Kritik dieser ganzen Entwicklung, die er in einer „antirationalen, supranaturalen und transzendenten“ Neuinterpretation des Wortes Gottes findet, wie sie seiner Meinung nach sich mit K. Barths „Theologie des Wortes“ neuorthodox formiert hat (76 f). Die Auseinandersetzung Tillichs damit betrifft in diesem Kontext zwei Kernpunkte. Einerseits wirft er Barth die Äußerlichkeit seines Begriffs vom „Wort Gottes“ vor: „Gottes Wort kommt zu uns, es steht gegen uns, es übersteigt alle menschlichen Möglichkeiten“ (77)89. Diese von der Barthschen Theologie geltend gemachten Charakteristika des Wortes Gottes betreffen freilich nicht nur die Abwehr der Lehre vom „inneren Wort“. Wenn das Wort Gottes nicht „zu uns kommt“, wie soll es dann Gottes Wort an uns sein? Dass es „gegen uns steht“, hängt damit zusammen, dass in ihm Gott selber sich an Sünder offenbart; diesen kann ihre eigene Wahrheit nur als ihnen entgegengesetzt begegnen. Schließlich ist die Frage, ob der Satz: „es übersteigt alle menschliche Möglichkeiten“ heißen muss, dass es dies völlig unbezüglich auf diese tut90. Allgemeiner gesprochen, geht es um das Problem, ob das Wort Gottes nicht gegenüber einer sich in sich selbst abschließenden Immanenz der Rationalität etwas Äußeres sein muss, wenn anders die Vernunft selber eigentlich vernehmende Vernunft ist91, wobei es als sprachliches Wort ebenso äußerlich wie zugleich innerlich ist. Andererseits kritisiert Tillich an Barths Theologie eine „neuorthodoxe“92 Verengung der Thematik: „Das ,Wort Gottes‘ wird wieder mit dem inspirierten Wort der Bibel gleichgesetzt“ (77). So werde aus der Theologie des Wortes oft eine „Theologie der Worte“(ebd.). Damit rührt Tillich indes an die 88 Damit auch die Geschichtlichkeit der Vernunft. 89 Drastischer formuliert STh I, 13, 97 u. 138 („Fremdkörper“, „wie ein Stein zugeschleudert“). 90 Tillich findet bei Barth nur abstrakte Alterität: „Das Wort, das Gott spricht, ist gegen den Menschen gesprochen. Es hat keinen Berührungspunkt im Menschen. Es kann nur angenommen oder verworfen werden“ (77). 91 Cf. Tillichs (doch wohl das Gegenteil bejahende) Formulierung: „Nichts wurde ihm [dem rationalen Subjekt] gegeben, nichts ihm gesagt …“ (76). Auch das Theorem einer „Tiefe der Vernunft“ (s. o. bei Anm. 87) hat unausweichlich ein Moment des Gegenüber zur selbstgenügsamen Vernunft, in der sie gegen sie aufbricht. 92 Cf. STh I, 11. 57 u. ö.
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von ihm selber suspendierte Frage nach der Wörtlichkeit, d. h. sprachlichen Bestimmtheit, des Wortes Gottes. „Das Wort in den Wörtern“ – diese Formulierung bezeichnet durchaus mehr und anderes als nur das formelle Problem, wie Einheit gegen Pluralität festzuhalten sei – Tillich sieht hier nur die Verdinglichung zu einem bestimmten („inspirierten“) Wortlaut, wobei die freie, mit sich identische Selbstoffenbarung preisgegeben wäre –, sondern die Formulierung weist auf eine schon innersprachlich unvermeidliche Dialektik. Denn schon jeder Satz ist nur Einer in der Dialektik des Erklingens und Verklingens mehrerer Wörter, die darin seine Einheit konstituieren. Die kritisierte Verengung findet Tillich bei Barth auch noch in dessen angeblichem Mißtrauen gegen eine Theologie des Sakramentes (77). Auch diese Frage des Sakraments aber kann und muss worttheologisch reflektiert werden, was Tillich selber nicht tut. Er bietet viel mehr gegen die kritisierte Verengung der Wort-Gottes-Theologie die universale Ausweitung durch den Symbol-Begriff auf: „Wort Gottes“ ist zu verstehen „als symbolischer Ausdruck aller göttlichen Selbstoffenbarungen“ (77). Wiederum ist die sachlich entscheidende Frage, ob die Bestimmtheit und Allgemeinheit des Wortes als solche eine derartige Alternative nicht gegenstandslos macht, überhaupt nicht im Blick.
f. Das Wesen des Wortes Gottes Um in der Frage nach dem inneren Wort, und d. h. nach dem Verhältnis von subjektiver und objektiver Bedeutung des Wortes Gottes zu einer Antwort zu kommen, fragt Tillich nun entschieden nach dem eigentlichen „Wesen dessen, was man ,Wort Gottes‘ nennt“ (77 – 79).
1. Die biblische Perspektive Tillich beruft sich für die Wesensbeschreibung auf die Bibel: „In den biblischen Schriften hat das ,Wort Gottes‘ eine Macht, wie sie kein anderes Wort hat. Es dringt in die Tiefe der Seele, es richtet, wo kein menschlicher Richter urteilen kann93, es treibt zur Verzweiflung und gibt Gewißheit, es droht und verheißt, es verdammt und erlöst. … Man hat es mit dem Blitz94, mit einem Schwert95, einem brennenden Feuer96, einem Erdbeben verglichen“97 (77). Es 93 94 95 96 97
Cf. Hebr 4,12 f. Cf. 2 Sam 22, 9; Ps 18, 9. Cf. Weish 18, 16; Eph 6, 17; Hebr 4, 12; Offbr 1, 16. Cf. Jes 30, 27; Jer 5, 14; 23, 29. Cf. Ez 3, 12.
Das Wesen des Wortes Gottes
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ist bemerkenswert, ja signifikant, dass Tillich sich hier auf den Befund und die Phänomene des mündlichen und schriftlichen Wortes bezieht, wie es sich in der Bibel darstellt. Denn das besagt, dass es die Charaktere des wirklich gehörten und erfahrenen sprachlichen Wortes sind, die seine Wesenserhellung unmittelbar leiten und nicht der Horizont einer gleichsam metasprachlichen Symbol-Theorie über ein nur distanziert Gewusstes. Dafür, dass das biblisch bezeugte Wort Gottes als eine Macht erfahren wird, „wie sie kein anderes Wort hat“ (ebd.), kann Tillich auch sagen: „Wann immer es gehört wird, geht das ,Wort Gottes‘ den, der es vernimmt, unbedingt an [engl. is of ultimate concern to him]“ (77). Es fragt sich hier: Ist ein unbedingtes Ergriffensein oder Angegangensein erfahrbar, und zwar als solches, ohne dass das vernommene Wort als ein Wort Gottes (selbst) sich zu Gehör bringt? Das heißt: Gott als Sprecher dieses Wortes (bzw. seine „Stimme“) muss für den Hörer identifizierbar sein, und dies ist es erst dann, wenn das Wort „Gott“ selber dies indiziert, indem nämlich das Wort eben als eines Gottes selber (des Sprechenden) ausgesagt wird. Ohne dass das Wort „Gott“ hierbei auftritt (oder seine Äquivalente, wie z. B. ein unverwechselbares „Ego“; cf. Ex 3, 14), kann irgendein Wort nicht unbedingt angehen, d. h. als Wort Gottes vernommen werden. Das Wort „Gott“ aber sagt eindeutig und religiös-existentiell (mit) aus, dass uns etwas unbedingt angeht; demgegenüber ist beispielsweise die Rede vom „Grund des Seins“ oder „Sein-selbst“ an sich theoretisch. Neben der Unwiderstehlichkeit, mit der die Macht eines solchen Wortes sich beim Hörer unbedingt durchsetzt – wofür die angeführten biblischen Bilder einstehen (s. o.) –, nennt Tillich noch ein weiteres Merkmal dieser Unbedingtheit. Es hängt vermutlich damit zusammen, dass für ihn „Wort Gottes“ eine Selbstoffenbarung des göttlichen Seinsgrundes bedeutet und als solche als ein ekstatisches Phänomen erfahren wird; Tillich sagt: „Es stellt die gewöhnliche Existenz des Menschen völlig auf den Kopf“ (77). Das andere Merkmal ist seine Unverfügbarkeit und Freiheit: „Niemand kann sagen, wann und wo es sich ereignen wird. Es ist an keine Situation gebunden, aber es bricht in jede Situation ein“ (ebd.). Man sieht an diesen eindrucksvollen Sätzen: die Macht unbedingten Betroffen- und Ergriffenseins wird religiös als Macht des lebendigen Gotteswortes erfahren, eines Wortes, das sich immer auch als inhaltlich qualifiziertes, vom Sprecher her und auf den jeweiligen Hörer hin bestimmtes durchsetzt, d. h. den Hörenden zu einem ihn „existentiell“ bestimmenden98 Vernehmen bringt: „Es stellt die gewöhnliche Existenz des Menschen völlig auf den Kopf. … Wer von Gott ,ein Wort‘ empfängt, ist mit der ganzen Existenz in seine Wahrheit hineingezogen“ (77/78). Man bemerkt aber auch: Wenn so im Anschluss an den biblischen Sachverhalt das Wesen dessen erkennbar wird, 98 „das ,Wort Gottes‘ antwortet existentiell auf existentielle Fragen. Es duldet keine rein theoretische Betrachtung“ [sc.wenn es ergeht] (78).
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was „Wort Gottes“ heißt, dann kann dessen Sprachlichkeit nicht über- oder unterschritten werden. Insbesondere seine Unbedingtheit, wie Tillich sie als Unwiderstehlichkeit und Freiheit beschreibt, lässt sich, bleibt man dem biblischen Erfahrungshintergrund für die Rede vom Wort Gottes treu, nur unter Voraussetzungen verständlich machen, die spezifisch sprachtheologischer Art sind. Das Wort Gottes hat „eine Macht, wie sie kein anderes Wort“ hat (77), eben weil es als Wort des Schöpfers selber schöpferisch ist (Röm 1, 16: d¼malir). In seiner unbedingten Freiheit und freien Unbedingtheit ist es deswegen „unwiderstehlich“, weil es den es Vernehmenden (Hörer oder Leser) als einen trifft, der schon als Wortgeschöpf existiert99. Seine Unverfügbarkeit bewährt es gerade darin, dass es menschensprachliche Worte als Ort der unendlichen Macht seiner als des göttlichen Wortes, d. h. des selber Sprechens Gottes, und so in menschlichen Worten die Stimme Gottes selbst vernehmbar werden lässt. Indirekt kommt auch Tillich auf diesen sprachlichen Status von Gottes Wort zu sprechen, wenn er dessen Dynamik als eine „erschütternde und umwandelnde Kraft“ (78) beschreibt, mit der es auf „Verwandlung und Sinnesänderung“ (77) zielt. Es ereignet sich also nicht – wie Tillich gegen ein orthodoxes Missverständnis festhält – um einer „Unterrichtung und Information“ willen (77), sondern, wie man wohl sagen darf, als Anrede. Gleichwohl gilt: „Wie alles Geistige ist es mit Erkenntnis verknüpft“ (77 f)100. Die Offenheit für Erkenntnis unterstreicht den sprachlichen Charakter des vernommenen göttlichen Wortes. Denn sie macht deutlich: von ihm unbedingt ergriffen zu sein, ist keine untersprachliche Alteration („magisch“) oder ein quasi-physisches oder psychologisches Überwältigtwerden, sondern schließt den Bezug auf Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit konstitutiv ein. Daher zielt es auf eine geisthafte „Verwandlung und Sinnesänderung“, die von dem betroffenen Menschen auch geisthaft zu bejahen ist. Erkenntnis des Wortes Gottes (Gen. obj.) ist Offenbarungserkenntnis: „Es offenbart etwas vom Menschen und seiner Welt und [etwas] vom Verhältnis des Menschen zum Grunde seines Seins“ (78). Das erste tut es, so ist der Zusammenhang wohl gemeint, immer nur im Licht des zweiten. So aber betrifft die Offenbarung und ihre Erkenntnis keine theoretisch abständige Wahrheit; sie ist nämlich ein echtes Sprachgeschehen: der Sprecher und der Angesprochene (Hörer) sind selber im Besprochenen (Mensch – Welt) mit präsent. Daher betont Tillich hier stark den „existentiellen“ Charakter der Offenbarung im Wort Gottes: Wer es empfängt, „ist mit seiner ganzen Existenz in seine Wahrheit hineingezogen“ (78). In „seine“, d. h. die dem Worte Gottes 99 Cf. Luthers emphatische Aussagen im Freiheits-Traktat; z. B. WA 7, 22,11 – 14. 100 Schon vorher war vom logos-haften Status des geschaffenen Universums die Rede gewesen: „Sie weist auf den geistigen Charakter in der Beziehung zwischen dem Grund des Seins und allem Seienden“ (72; dazu s. o. d.1.1.2., S. 165 f).
Das Wesen des Wortes Gottes
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eigene [engl. its], Wahrheit hineingezogen zu werden, kann indes nur sprachlich geschehen, zumal wenn es auch um den Zusammenhang des Menschen mit seiner Welt geht. Dem existentiellen Charakter des Offenbarungswortes, das keine „theoretische Wahrheit (vermittelt), die sich von seiner erschütternden und umwandelnden Kraft abtrennen ließe“ (78), liegt konstitutiv zugrunde, dass die Sprache es ist, die als Einheit von Selbstbezug und Weltbezug des Menschen auch der Ort seines geistigen Verhältnisses zu Gott ist. Tillich kennt neben der Möglichkeit eines existentiellen Sichangehenlassens auch die eines „existentiellen Verwerfens“ des Wortes Gottes. Auch dies hat keinen theoretischen Charakter, sondern ist „ein Widerstand gegen den Inhalt des ,Wortes‘ oder eine Abkehr von ihm“ (78). Hier findet sich zum ersten Male eine explizite Berücksichtigung der inhaltlichen Bestimmtheit des Gotteswortes als Wort. Entweder bringt diese Stelle des Textes etwas zum Ausdruck, was Tillich (gleichsam selbstverständlich) in allem Vorigen ständig mit voraussetzt, aber nicht expliziert hat, oder die Logik der Sache nötigt ihn an dieser Stelle seine Distanz zur sprachlichen Konkretion aufzugeben, was der Aussage kritische Signifikanz verleiht. Jedenfalls zeigen auch diese letzten Überlegungen: Das „Wesen“ des Wortes Gottes, wie Tillich es biblisch orientiert beschreibt, widersetzt sich der von Tillich vorher behaupteten Reduktion auf ein außersprachliches und nur symbolisch-indirekt sich ausdrückendes Seinsmysterium.
2. Ein objektives Kriterium Auch eine Theologie des Wortes im Stile Barths löst in Tillichs Sicht, wie dargetan (o. S. 178 u. 185 f), die Frage nach der objektiven Bedeutung von „Wort Gottes“ nicht. Ebensowenig haben die Darlegungen zum „inneren Wort“ (o. S. 183 ff) wie auch die zuletzt behandelte Wesensbeschreibung eine solche Antwort schon formuliert. Aber die letztere (f.1.) scheint in Tillichs Verständnis doch einen Hinweis auf ein „objektives Kriterium für das, was ,Wort Gottes‘ ist“, schon zu enthalten (78). Offensichtlich knüpft er an seine Bemerkung über den „Inhalt des Wortes“ an (cf. o.). Die Antwort auf die Frage nach einem objektiven Kriterium sei „ganz einfach und zugleich unerschöpflich“ (78). Sie lautet, in einem Haupt-Satz gegeben, der dann noch erläutert wird: „Ein ,Wort von Gott‘ ist immer auch ein ,Wort über Gott‘“ (78). Die Formel „von Gott“ [engl. word from God] erklärt Tillich so: „ein Wort, das von Gott kommt“ (d. h. herkommt, ausgeht, stammt), die „über Gott“ [engl. word about God] als: „ein Wort, das Gott betrifft“ (ebd.). Gott „betreffen“ soll heißen, dass solche Worte sich als (menschliche) Worte auf „Gott“ beziehen, d. h. Gott meinen, sich auf ihn richten, ihn in-
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tendieren und nennen101. Das kann aber, wie gesagt, nur geschehen, indem das Wort „Gott“ selber auch als sprachlicher Repräsentant Gottes selbst in solchen Worten, die Gott betreffen und dadurch ein „Wort über Gott“ sind, explizit vorkommt. In diesem Sinne, d. h. sprachlich verstanden, würde dann auch Tillichs folgender Satz mehr als eine Trivialität sein: „Kein Wort über den Menschen und seine Welt als solche kann ,Wort Gottes‘ sein“ (78)102. In den von Tillich angeführten Beispielen für religiöse Sätze kommt daher auch das Wort „Gott“ immer mit vor103. Wie anders sollten sich auch von „Aussagen, die die Natur als solche, ihre Gesetze und ihre Struktur betreffen, [von] Aussagen über die Geschichte als solche, ihre Tatsachen und Bewegungen, über den Menschen als solchen, seine biologische und psychologische Natur“ (78) eigentliche Worte „über Gott“, d. h. das Wort Gottes, überhaupt definitiv unterscheiden lassen, wenn nicht dadurch, dass hierbei Gott wirklich zur Sprache kommt! Dass Gottes (in Gestalt des Wortes „Gott“) zur Sprache Gebrachtwerden zugleich ein eigenes zur Sprache Kommen Gottes selbst ist104, scheint auch als Tillichs Meinung gelten zu können, wenn man das „immer auch“ in dem (o. S. 189) zitierten Hauptsatz interpretiert. Es müsste dann besagen: ein Wort „von Gott“ selber ist wesentlich nur zugleich als Wort „über Gott“ da. Das heißt: Gott spricht zu uns, indem wir über ihn sprechen. So wäre auch ein „Wort von Gott“ für Tillich „ein Wort, das von Gott kommt“, nämlich als Wort von Gott kommt und so ein von ihm gesprochenes Wort ist. Indem unsere Worte Gott „betreffen“ (sc. sollen, nämlich als „über ihn“ gesprochene ihn meinen, nennen, ansprechen), erreicht uns Gottes eigenes Wort und haben wir „ein Wort von Gott“ erhalten105. Das wäre in der Tat ein Sachverhalt, von dem gelten könnte, dass er „ganz einfach und zugleich unerschöpflich“ ist! Denn einfach ist dieser Zusammenhang insofern, als wir es zunächst immer mit menschlichen Worten über Gott, also Worten, in denen wesentlich das Wort „Gott“ vorkommt, zu tun haben, und unerschöpflich ist er dadurch, dass das Wort „Gott“ (als Wort unserer Sprache) das Wort ist, indem sich die Menschensprache von sich abstößt – d. h. eigentlich spricht – und zum Ort eines 101 Cf. die gleich folgende Formulierung: „Aussagen über Natur, Geschichte, Mensch können ,Wort Gottes‘ sein, wenn sie diese Wirklichkeiten in Beziehung zur letzten Wirklichkeit setzen“ (78). 102 Tillichs eigenes Interesse hierbei ist es freilich, jeden möglichen Konflikt mit wissenschaftlicher Erkenntnis von Mensch und Welt auszuschließen; cf. a. a. O. und 80. 103 „Natur, geschaffen von Gott, Geschichte, gelenkt von Gott, der Mensch, gerichtet und erlöst von Gott – das alles sind Aussagen, die als ,Wort Gottes‘ auftreten können (78); zugleich sind es Beispiele dafür, wie die endlichen Wirklichkeiten von Natur, Geschichte und Mensch „in Beziehung zur letzten Wirklichkeit“ gesetzt werden! 104 Cf. dazu im Anschluss an Hegel: J.R., Sätze über Gott und spekulativer Satz; in:. Arbeit am Gottesbegriff II (2005), 192 ff. 105 Tillich führt das allerdings hier nicht explizit aus; insofern bleiben seine Ausführungen zum „objektiven Kriterium“ zu kurz, um voll verständlich sein zu können. Außerdem scheint er dieser Interpretation im Folgenden zu widersprechen, s. u. S. 191 f.
Das Wesen des Wortes Gottes
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Sichvergegenwärtigens Gottes selber, also Ort seines Wortes, des Wortes Gottes wird106. Gott spricht nur in menschlicher Sprache, und doch spricht er selbst darin: das Wort „Gott“ ist das erste Wort Gottes. Zu dieser Interpretation von Tillichs Hauptsatz über das „objektive“ Kriterium steht anscheinend in unausgeglichener Spannung eine andere Aussage in diesem Kontext, bei der es darum geht, einem möglichen Konflikt zwischen dem „Wort Gottes“ und jeglicher Erkenntnis von Welt und Geschichte (eben durch den Bezug auf die „letzte Wirklichkeit“) prinzipiell aus dem Wege zu gehen. Tillich schreibt vom Wort Gottes: „Nur wenn es gleichgesetzt wird mit dem menschlichen Wort, durch das es zur Sprache kommt, so wie das bei den Worten der Bibel der Fall ist, sind Konflikte unvermeidbar“ (78). Unter dem „menschlichen Wort“ versteht er hier nur „die historischen und wissenschaftlichen (oder vorwissenschaftlichen) Aussagen eines religiösen Textes“ (ebd.). Es geht ihm mithin um inhaltliche Aussagen „über den Menschen und seine Welt als solche“ (78), die nicht „in Beziehung zur letzten Wirklichkeit“ gesetzt werden, also nicht „Wort über Gott“ sind. Solche Aussagen sind bestenfalls erst „das Material, das von denen, die ein ,Wort Gottes‘ empfangen haben, für ihre Aussage gebraucht wird“ (ebd.). Als solche und für sich genommen sind sie noch gar nicht „Wort Gottes“ bzw. „das Material ist … nicht Teil des ,Wortes Gottes‘ selbst“ (ebd.; cf. 81). Demnach kann es zu Konflikten nur kommen, wenn diese Unterscheidung vernachlässigt, d. h. wenn Aussagen über endliche Wirklichkeit mit denen über die unendliche, letzte Wirklichkeit materialiter identifiziert werden. Unterscheidet man die „Dimensionen“, ist kein Konflikt möglich. Dass diese Unterscheidung nicht in Kraft bleibt, das scheint für Tillich genau dann „bei den Worten der Bibel der Fall“ zu sein, wenn sie als „inspiriert“ angesehen werden107. Nun ist bei diesem Thema des je verschiedenen Bezugs auf endliche und unendliche Wirklichkeit, weil er nur am Inhalt der Aussagen orientiert ist, die sprachliche Dimension als solche schon nicht mehr im Blick. Tillichs Formulierung: „gleichgesetzt mit dem menschlichen Wort, durch das es zur Sprache kommt“ (s. o.) ist jedoch an sich viel grundsätzlicher108. Aber die sich hier aufdrängende, vorgeordnete und grundsätzlichere Frage, was es sprachlich besagt, dass ein „Wort von Gott“ immer auch ein „Wort über Gott“ ist, wird in der Formulierung „gleichgesetzt mit …“ nur gestreift und nicht als solche aufgenommen, sondern sogleich ins Inhaltliche („historische und 106 Auch bei Tillich ist zu lesen: „Im Wort ,Gott‘ ist enthalten zugleich das Vertretende, und dieses, daß es ein Vertretendes ist. Es hat die Eigentümlichkeit, seinen eigenen Vorstellungsinhalt zu transzendieren“ (GW V, 207; cf. auch 218). 107 Cf. 72 f, 70 und zu dieser objektivistischen Auffassung schon 74. 108 Es sei denn, man unterstellt als seine Meinung überhaupt, „menschliches Wort“ sei immer eines über endliche Wirklichkeit und könne prinzipiell etwas darüber hinaus nicht einmal ansprechen (s. u. Anm. 116). „Zur Sprache kommen“ wäre eo ipso Verendlichung. Dann aber hätte die Unterscheidung von „Material“ und Beziehung auf die „letzte Wirklichkeit“ keinen sprachlich ausweisbaren Sinn mehr.
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wissenschaftliche Aussagen … eines religiösen Textes“) umgebogen. Seinem „Hauptsatz“ entsprechend (s. o.) muss aber das Wort Gottes („Wort von Gott“) sprachlich „gleichgesetzt“ werden (cf. „immer auch“) „mit dem menschlichen Wort, durch das es zur Sprache kommt“ („Wort über Gott“). Spätestens bei der Frage, wie denn das endlich-weltliche „Material“ (soz. die Hyle religiöser Aussagen) zur letzten Wirklichkeit in Beziehung gesetzt werden kann (soz. ihrer Intention), um dergestalt ein Wort zu sein, „das Gott betrifft“, wäre dazu Anlass gewesen. 2.1 Die Offenbarungs-Korrelation und das universale Kriterium Tillich reflektiert die Frage nach einem Kriterium für das Wort Gottes schließlich noch im Blick auf dessen (mehrfach erwähnten) existentiellen Charakter, d. h. den Umstand, dass es „nicht von außerhalb der Offenbarungserfahrung gewonnen werden kann“ (79). Denn es gibt keinen „neutralen Beobachter“ der Selbstoffenbarung Gottes (ebd.) und kann ihn auch nicht geben. Damit ist wohl zwingend geklärt, auch wenn Tillich das nicht ausdrücklich sagt, dass es überhaupt nur ein relativ-objektives Kriterium geben kann, nämlich eins, das „objektiv“ allein für die in der religiösen Offenbarungssituation bzw. -korrelation Befindlichen ist, eine immanente Objektivität sozusagen, nicht aber eine situationsenthoben allgemeingültige109. Tillich fasst diese Korrelation so: „Die Kriterien … sind Teil des ,Wortes‘ selbst für die, die es empfangen“ (79). Damit ist einerseits gesagt, dass das Wort Gottes sich selber als das, was es ist, bei denen imponiert, für die es dies ist. Genau insofern ist ein solches Kriterium „nicht außerhalb der Offenbarungserfahrung“ zu gewinnen, als das Wort Gottes selber die Erfahrung von ihm ermöglicht und bestimmt, d. h. als der das Wort Vernehmende in seinem Vernehmen durch das ihn ansprechende Wort als Vernehmender qualifiziert wird. Mindestens auch so muss der von Tillich beschworene „existentielle Charakter“ des Wortes Gottes verstanden werden: als Situation des im Angeredetwerden zum Hören Gelangens. Andererseits führt auch Tillichs Formulierung auf diesen Sachverhalt. Denn denkt man bei dem „Empfangen“ des Wortes Gottes an sein Empfangenwerden als Wort, d. h. eben an sein Gehörtwerden, also an ein spezifisch sprachbezogenes Empfangen (Vernehmen), dann kann ein solches Kriterium wiederum „Teil des Wortes selbst“ (für den Hörer) nur sein, wenn es selber auch als Wort (worthaft) da ist. Das heißt: ein solches Kriterium muss sich als Bestandteil des Wortes Gottes im Auftreten des Wortes „Gott“ darin (oder im Zusammenhang damit) sprachlich ausweisen, um Kriterium für die Selbstoffenbarung Gottes sein zu können. Eben der Hörer des Wortes „Gott“ (als Teil 109 Das engt den Begriff „objektiv“ zwar ein, hebt ihn aber nicht völlig auf.
Schluss: Zur Symboltheorie
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einer als „Wort Gottes“ beanspruchten Rede) kann kein „neutraler Beobachter“ dieser Offenbarung sein. Tillichs Relativierung eines objektiv-allgemeinen Kriteriums dient auch seinem Interesse, exklusive Besitzansprüche im interreligiösen Gespräch unmöglich zu machen, die ihrerseits eine gegenseitige Verwerfung ermöglichen würden (cf. 79). Aber er weist doch auf ein der Anerkennung durch andere Religionen fähiges und insofern eine Einigung unter diesem gemeinsamen Kriterium ermöglichendes, spezifisch christliches Kriterium hin: „Das Christentum glaubt dies universale Kriterium zu besitzen, und glaubt daher an die Möglichkeit, alle Religionen unter seinem Kriterium, dem ,fleischgewordenen Wort‘, einen zu können“ (79). Will man überhaupt einen solchen Anspruch erheben, so sollte er jedenfalls die Überlegung einschließen, ob dies Kriterium nicht gerade darum universal ist, weil und insofern im Christusereignis zu Worte kommt, was alle Religionen umtreibt und bewegt. Dann wäre Christus als der zu begreifen, der das ausdrücklich zur Sprache Kommen des in den Religionen verborgenen Wortes ist, d. h. das gleichsam „wortgewordene Fleisch“ der Religion. In diesem lösenden Wort der Religionen und ihrer Geschichte kommt dergestalt das sprachliche Wesen aller Religion zu sich, und der menschgewordene Logos ist der Ort, wo die Religion die Augen über sich aufschlägt und zu ihrem denkenden, logoshaften Selbstbewusstsein findet. Die Einheit aller Religionen im Logos hätte an diesem ihr universales Kriterium110.
g. Schluss: Zur Symboltheorie Im Abschnitt VI, mit dem Tillich seine Abhandlung über „Wort Gottes“ beendet, knüpft er präzisierend an seine Aussage an, dass das Wort Gottes immer ein Wort „über“ Gott einschließe (78), um seine Thesen zum symbolischen Charakter religiöser Sprache überhaupt an dieser Stelle noch anzudeuten (79 – 81)111. Wort Gottes als ein „Wort über Gott“ hat demnach notwendigerweise die sprachliche Gestalt eines Symbols: „denn über Gott kann nur symbolisch gesprochen werden“ (79). Durch die Einführung dieses axiomatischen Aus110 In STh I hat Tillich entsprechend ausgeführt, dass die christliche Theologie im Logos das „Prinzip der göttlichen Selbstoffenbarung“ selber weiß (I, 24) und diesen als „das göttliche Offenbarungswort“ und zugleich als die „Wurzel alles menschlichen logos“ (I, 23). Dies Fundament der christlichen Theologie aber transzendiere das Fundament jeder anderen Theologie, weil es die Möglichkeit jedes denkbaren Fundamentes noch begründet (cf. I, 24). Insofern ist für Tillich die Logoslehre „die einzig mögliche Begründung einer christlichen Theologie, die den Anspruch erhebt, die Theologie zu sein“ (I, 24). 111 Auf die Thesen dieses Schlussabschnitts gehe ich hier nur kurz ein, da meine ausführliche Diskussion von Tillichs Symbol-Theorie bereits vorliegt; s. o. Einleitung, Anm. 3.
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gangssatzes vermeidet Tillich Konsequenzen, wie sie aus der Gleichsetzung von „Wort über Gott“ und „Wort von Gott“ zu ziehen wären112; aber genau durch die damit verbundene Relativierung des Wortes Gottes als solchen weicht er auch dem sprachlichen Status des Wortes Gottes aus. Die Voraussetzung von Tillichs Axiom lautet: „Gott transzendiert alles, was über ihn gesagt werden kann“ (81). Daraus folgt: „Das Symbol ist die Sprache der Religion“ (ebd.). Symbolisch – und zwar unausweichlich symbolisch – von Gott zu reden, heißt so von ihm zu reden, dass seine sprach-überschreitende Transzendenz in solchem Reden gewahrt bleibt. „Das religiöse Symbol ist die Form des Sprechens über Gott“ (79), eben weil in solcher Form Gottes Transzendenz zur Geltung kommt und religiöse Sprache mehr ist als nur Sprache, nämlich (sprachlich formuliertes) Symbol. Freilich ist bei diesen Thesen nicht ganz deutlich, ob Tillich nur meint, Gott selber sei immer mehr, als über ihn gesagt werden kann113, oder ob er die weitergehende These zur Transzendenz im radikalen Sinn vertritt, dass Gott nämlich so sehr jenseits der Sprache ist, dass er selber von sich aus gar kein eigentliches Verhältnis zu ihr (zumal als menschlicher) hat. In vielen seiner Äußerungen scheint Tillich diese grundsätzliche, absolute und abstrakte Sprach-Transzendenz Gottes vorauszusetzen. Zunächst sieht es indes so aus, als wolle er diese abstrakte Transzendenz als durch Gott selber aufgehoben verstanden wissen, und zwar durch seine Offenbarung aufgehoben: „Indem Gott sich offenbart, schafft er Symbole und Mythen, durch die er erkennbar wird und durch die sich der Mensch ihm nähern kann“ (79; Hervorh. J.R.). Nun ist aber diese Rede vom „Schaffen“ der Symbole selber eine symbolische. Denn für Tillich gilt unverbrüchlich: „Sobald … die Kategorie der Kausalität auf Gott angewandt wird, sprechen wir symbolisch“ (80). Demnach ist alle Rede über Gottes Verhältnis zu den Symbolen, die ihn betreffen, selbst symbolisch, und über die Konstitution des Symbols als solchen kann nur symbolisch gesprochen werden. Hier wird ein eigentümlicher Mangel von Tillichs Symbol-Theorie sichtbar114. Wenn von Gottes Sichoffenbaren durch (von ihm „geschaffene“) Symbole nur symbolisch zu reden möglich ist, dann bricht Gottes Offenbarung sich in der menschlichen Sprache und ist nur indirekt115, indem die Sprache über sich als Sprache hinausweist, in ihr (an ihr) bzw. für sie da. Dem korrespondiert auch, dass Gott durch Symbole nur relativ, nämlich „symbolisch“, erkennbar ist und dass man ihm sich nur „nähern“ kann. Obwohl er sich selber offenbart, 112 Cf. o. f.2., S. 189. 113 Dieser These läßt sich ein guter theologischer, nämlich eschatologischer Sinn abgewinnen. Man könnte in Tillichs Aussagen über die „nicht-symbolische Sprache“ der religiösen Gebote, Drohungen und Verheißungen (cf. 79) eben diese Dimension angedeutet finden, wenn es heißt: „auch in ihnen verschwindet niemals der symbolische Hintergrund“ (ebd.). 114 Cf. dazu: Gott denken, a. a. O. 151 f. 115 Cf.: „Das ,Wort Gottes‘ bezieht sich auf eine Wirklichkeit, aber nicht auf die Wirklichkeit, die gemeint ist, wenn man den Begriff wörtlich nimmt“ (71).
Schluss: Zur Symboltheorie
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führt dies auf Grund der symbolischen Form, in der das geschieht, doch nicht dazu, dass er als er selber erkennbar und als der Gegenwärtige erfahrbar wäre. Das Symbol hält auf Abstand, und nur echte Sprachlichkeit vermöchte, Gottes Transzendenz und wirkliches Sicherschließen an uns zu vermitteln. Weil nach Tillichs Voraussetzung die Sprache letztlich wohl doch etwas nur Endliches sein soll116, transzendiert Gottes Wirklichkeit auch unendlich den Sachverhalt, „daß Gott als sprechend gedacht wird“ (79); diese Tatsache schafft allenfalls eine „symbolhafte Atmosphäre“ für die Erfahrung von ihm (cf. ebd.). Unter diesen Umständen ist verständlich, dass Tillich zweierlei festhalten möchte: „,Wort Gottes‘ ist selbst ein solches Symbol, es ist das zentrale Symbol für die Weise der göttlichen Selbstoffenbarung“ (79). Es handelt sich erstens bei dem Ausdruck „Wort Gottes“ also um ein religiöses Symbol, das dem Menschen die Möglichkeit eröffnet, Gott – freilich nur „symbolisch“ – zu erkennen und sich ihm – freilich nur relativ – zu nähern, und das zugleich diese Möglichkeit als von Gott her eröffnet symbolisch markiert (cf. „schafft“). Genau darum ist zweitens „Wort Gottes“ auch das zentrale Symbol für die Weise göttlicher Selbstoffenbarung, weil es nämlich die (symbolische) Form des Sprechens über Gott legitimiert117. „Wort Gottes“ ist das Symbol, in dem sich zentral reflektiert, dass der Mensch irgendwie auch von Gott reden kann, indem er überhaupt sprechen kann118. Nun sind nach Tillich „die Worte über Gott nur ein Element im ,Wort Gottes‘“ (79). Und was er „Form“ des symbolischen Redens nennt, ist der Sache nach dessen Selbsttranszendenz. Als „Symbol“ genommen, ist die Sprache hier mehr als sie selbst, nämlich der (sich aufhebende) Ort für alle Manifestation von etwas, was sich menschlicher Sprache letztlich entzieht. In dieser Auffassung vom Wort Gottes koinzidieren für Tillich das erkenntnistheoretische und das religiöse Anliegen seiner Symboltheorie; er entwickelt sie hier umrisshaft, „da das Symbol die Ausdrucksform des Religiösen ist und das ,Wort Gottes‘, wenn es wahrhaft religiös gemeint wird, symbolischen Charakter hat“ (80). Unter „wahrhaft religiös“ versteht Tillich, wie aus allem Gesagten hervorgeht, das Anliegen, dass Gott nicht verendlicht und vergegenständlicht wird, sondern Mysterium bleibt in der Einheit von Anwesenheit und Entzogenheit. So gesehen ist die „Symbolsprache der Religion … ein Ausdruck des wirklichen Verhältnisses des Menschen zu dem, was ihn unbedingt angeht“ (80) und derart „wahrhaft religiös“. Die vorgetragene kritische Lektüre von Tillichs Thesen hat demgegenüber 116 Cf. z. B.: „daß der Begriff ,Wort Gottes‘ symbolischen Charakter hat, wie alles, was der Mensch von Gott sagt“ (70) und: „Gott transzendiert alles, was über ihn gesagt werden kann“ (81). Cf. o. Anm. 108. 117 Cf. das Zitat o. Anm. 49. 118 „Die menschliche Erfahrung, das Wesen zu sein, das über das Wort verfügt, lieferte die Grundlage für das Symbol ,Wort Gottes‘“ (71); dazu s. schon o.S.189.
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Teil B: Wort Gottes bei P. Tillich
theologisch zu zeigen versucht, dass das religiöse Verhältnis erst da wahrhaft religiös ist, wo es als wahrhaft sprachlich erfasst wird. Nur so lässt sich vermeiden, den Gedanken Gottes zu einem vagen Letzthorizont zu entgrenzen, sondern kann er für den Menschen als das Sprachwesen schlechthin – als solches sieht freilich auch Tillich ihn; cf. 70! – konkret gegenwärtig sein. Wahrhaft religiös ist das Verhältnis zu ihm, wo Gott selber in seinem bestimmten Wort verlässlich da ist. Bei solcher sprachlichen Gegenwart bleibt das Geheimnis Gottes in seinem Wort gewahrt, denn es ist geisthafte Gegenwart. Der Sprechende, uns Anredende bleibt als solcher transzendent, und doch berührt er uns Hörende wirklich in der ungegenständlichen „Mitte“, die die Sprache ist. In seinem Wort ist Gott ganz für uns da und doch ganz frei er selbst. Und gerade so ist das Wort Gottes im eigentlichen Sinne eine „Sache des wagenden Glaubens und nie endender Erfahrung“ (81).
h. Schlussbemerkungen Tillichs einschlägige Äußerungen zum Wort Gottes als einem Symbol nehmen zu verschiedenen Fragen Stellung: wie der nach Gottes Reden und der Sprache, nach Offenbarung, innerem Wort, Schöpfungswort, Inkarnation und Inspiration, nach der Sprache der Bibel und der Predigt und nach dem Wesen des Wortes Gottes überhaupt. Überall wird dabei die schon vorausgesetzte Symboltheorie in Anschlag gebracht. Denn das Symbol ist für Tillich das Medium der Religion überhaupt. Daher kann auch von „Wort Gottes“ nur symbolisch die Rede sein. Im Ganzen haben meine sprachtheologisch und sprachphilosophisch interessierten Analysen hierbei die Gefahr des Abgleitens ins Außersprachliche immer wieder konstatieren müssen. Im Einzelnen entstehen bei Tillich unvermeidlich gewisse Aporien durch sein Einbeziehen einer metasprachlichen Ebene ins Verständnis religiöser Sprache. Das „Symbol“ steht für die Vermittlung mit Vorsprachlichem ein. Dahinter aber steht eine für unüberwindlich angesehene Diastase von abstrakter Transzendenz des Göttlichen und religiöser Konkretion. Kritisch ließ sich zeigen, dass das theoretische Konstrukt des „Symbols“ einerseits den genuinen religiösen Sinn biblischer Aussagen mit ihrer Sprachlichkeit verfehlt und dass es andererseits undurchschaut selber sprachlich verfasst ist. „Wort Gottes“ ist einer der für das Selbstverständnis christlichen Glaubens und christlicher Theologie grundlegenden und entscheidenden Begriffe. Nichts scheint so evident, wie dass das Wort Gottes, wenn es das denn gibt, ein genuin sprachliches Wort sein müsse. Tatsächlich gibt es das Gotteswort auch nur als menschensprachliches Wort der Bibel oder in ihr. In paradigmatischer Weise hat M. Luther in seiner reformatorischen Theologie des Wortes Gottes dessen Sprachlichkeit umfassend – von der
Schlussbemerkungen
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Trinitätslehre bis zur Eschatologie und bis in die Konkretion von Atem und Stimme hinein – gewürdigt. Umso erstaunlicher ist, dass zwei der für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts massgeblichen theologische Gesamtentwürfe den sprachlichen Status des göttlichen Wortes, und d. h. es als wirkliches Wort, relativieren oder negieren bzw. außersprachlich zu begreifen versuchen. Philosophisch zwingende Gründe dafür gibt es nicht. Die hier vorgetragene Kritik an der tendentiellen Sprachlosigkeit des Wortes Gottes bei Barth und Tillich konzentriert sich und ist, allgemein gesagt, von zwei wesentlichen Gesichtspunkten geleitet. Der eine betrifft die programmatische Distanz zur Sprache: als Distanz zu dem unhintergehbaren „Medium“ (oder: humanen Ort), in dem allein auch die Theologie sich selber artikuliert und von dem sie überlieferungsgemäß sich herleitet und begründet weiß. Der andere wesentliche Gesichtspunkt ist christlich mit der Menschwerdung Gottes verbunden, die als seine Kondeszendenz in die menschliche Sprache Jesu zugleich die in die Menschensprache überhaupt ist.
Register Namen Adam, K. 54 Althaus, P. 104 Anselm von Canterbury 16, 32 Augustinus 65, 75, 109, 124, 138, 184 Austen, J.L. 100 Barth, K. 7 f, 11–152, 157, 167, 177 f, 181, 184–186, 189, 197 Baur, J. 119 Bayer, O. 100 Benjamin, W. 131 Benn, G. 175 Bernhard von Clairvaux 16 Böhl, E. 140 Brunner, E. 147 Brunner, P. 111 Bullinger, H. 65 Bultmann, R. 21, 24, 178 Calvin, J. 11, 65, 90, 137 Denecke, A. 40 Descartes, R. 132 Dunkmann, K. 76 Ebeling, G. 14, 100 Erasmus 84 Fuchs, E. 100 Gerhard, J. 72 Goethe, J.W.v. 92 Gogarten, F. 19, 86 Grützmacher, R.H. 24 Haar, J. 129 Hafstad, K. 55
Hamann, J.G. 9, 88, 106, 131, 168, 176 Härle, W. 47, 131 Hebbel, F. 164 Hegel, G.W.F. 37, 51, 62, 67 f, 87 f, 119, 135, 139, 169, 190 Heidegger, M. 78, 162 Herder, J.G. 85, 131 Hirsch, E. 153 Hofmann, J.Chr.K.v. 34 Holl, K. 132 Hollaz, D. 25, 57 f, 72 Humboldt, W.v. 25, 87–89, 99, 132, 134, 140, 169, 175, 180 Hunsinger, G. 64 Ignatius 163 Jüngel, E. 7, 14, 119, 131 Kafka, F. 17 Kant, I. 13, 47 Kierkegaard, S. 11, 53, 119 Kittel, G. 90 Körtner, U.H.J. 30, 51 Leuenberger, R. 34 Liebrucks, B. 134 Lochmann, P. 45 Luther, M. 7 ff, 11–14, 16, 23 f, 27, 31 f, 38, 43 f, 48, 50, 56–58, 65 f, 73, 77 f, 83–88, 96, 98, 104–106, 108–110, 115 ff, 119f, 122, 124 f, 129, 133 f, 138, 143, 146, 151 f, 162, 165, 176, 188, 196f Maurer, E. 37 Meckenstock, G. 18 Melanchthon, Ph. 11, 31 Meyer, C.F. 34
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Register Moltmann, J. 11
Schiller, F. 33, 154 Schleiermacher, F.D.E. 11 f, 20, 22, 24, 34, 130, 133, 139 Schmidt, F. 34 Scholz, H. 132 Schulte, A. 100 Searle, J.R. 100 Seils, M. 113, 141, 143 f Siegfried, Th. 19 f, 76 Simon, J. 61
Novalis 78 Oetinger, F.Chr. 85 Osthövener, Cl.-D. 34 Otto, R. 86, 88 Parmenides 160–162 Pascal. B. 16 Peters, A. 124 Petrus Lombardus 149 Przywara, E. 87 Quenstedt, J.A, 57f Rilke, R.M. 34 Ringleben, J. 8 f, 16, 71, 77, 84, 87 f, 105, 109, 119, 134, 163 ff, 169, 171, 173, 190, 194 Rothe, R. 167 Sartre, J.P. 34 Schaeder, E. 132, 139 f Schelling, F.W.J. 162
Thaidigsmann, E. 68 Theunissen, M. 119 Thomas von Aquin 111 Thurneysen, E. 123, 149 Tillich, P. 7 f, 16, 29, 37, 64 f, 96, 121, 125, 153–197 Val ry, P. 34 Whitehead, A. 162 Winkler, R. 139 Wobbermin, G. 132, 139 Zwingli, H. 158
Begriffe und Sachen Actus purus 22, 24 f, 58, 111 Aktualismus 22, 25 f, 30, 105, 138, 140, 152 Allgemeines / Besonderes 21, 47, 111 f Anerkennung 92, 107, 127–129, 134–137, 141–144, 193 Anknüpfungspunkt 21, 23 f, 123, 132, 141, 145–147 Aufhebung 47, 67 f, 70, 135 Barmen 171 Befehl 30, 34, 41–43, 45, 88 Bezeugen 59–62, 69, 125 Christologie 13, 21, 27, 37, 172 Dienen 34–37, 49 Dogmatik 7, 11, 16–27, 30–32, 34, 37–40,
47, 54, 69, 76, 79, 93, 115, 131, 140, 143, 167 Ereignis 25, 29 f, 38, 43, 46–48, 50 f, 54 f, 58, 63–68, 72, 75, 86, 88, 91, 100 f, 110, 123–125, 127, 130–132, 138, 140, 143 f, 146, 148, 151, 180–182 Erfahrung (Erlebnis) 57, 65, 125, 132–134, 136–144, 150, 155, 157 f, 168–170, 173 f, 177, 179–184, 192, 195 f Erinnerung 52 f, 56, 60, 70, 94, 150 Erkennen 22, 27, 33, 45, 47, 54, 92, 99, 107, 121, 126 f, 129 f, 132, 144, 148, 150, 165, 169, 195 Erwartung 27, 41, 53 f, 56, 60, 142 f, 149 Est 12 f, 22, 29–32, 38–40, 67, 72, 83, 103, 109, 111, 138
200
Register
Evangelium / Gesetz 108 f Freiheit 19 f, 22, 24 f, 30 f, 34, 42, 45, 53, 55, 67, 79, 92, 97, 109–111, 131, 143, 150 f, 154 f, 166 f, 187 f Geist 13, 23–25, 31, 38, 43, 51, 54, 56, 58, 65–67, 70, 73, 75, 85–88, 96, 106, 113, 122–126, 135 f, 139, 151, 154, 165, 168 f, 171, 178, 184 f Geschichte 25 f, 39, 55, 61, 66, 71, 77, 101, 105, 107, 110, 163 f, 166 f, 170–172, 175 f, 181 f, 190 f, 193 Gestalt 16, 18, 22 f, 30 f, 39 f, 44 f, 48–50, 52–55, 59 f, 63–82, 84–86, 93–95, 102 f, 114–116, 120–122, 127, 139, 143, 145, 150, 163, 170 f, 176, 181, 190, 193 Gewalt 34, 87–90, 94, 105–107, 129, 133 Glaube 13 f, 17, 22–24, 29–31, 33, 38 f, 42 f, 45, 49, 56 f, 81 f, 88 f, 93, 104–108, 113, 119–125, 133, 135, 137 f, 141, 143–145, 147–150, 152 f, 177 f Gott 7–9, 11–18, 21–61, 63–197 Heilsgewissheit 12, 72 Herr (Herrschaft) 21, 25, 28, 31, 37, 43, 47 f, 51, 56, 64, 78–83, 89 f, 92 f, 96, 99–101, 104 f, 109 f, 115, 123, 125 Hören 13, 24, 29, 33, 42, 67, 71, 74 f, 81, 88, 103, 106, 109, 112 f, 120, 122 f, 125 f, 138, 146, 148 f, 178 f, 181, 192
Praedicatio verbi Divini 38 f Predigt (Verkündigung) 12, 27, 31, 34, 36, 38, 44, 51, 56 f, 65, 68, 70, 72–74, 83, 85, 95, 98 f, 101, 106 f, 115, 117, 121, 125, 173, 177–180, 196 Reden 12–18, 25 f, 28–31, 34, 38 f, 42–45, 48–50, 53–56, 62, 64, 66 f, 70 f, 76 f, 79, 81–84, 86, 88, 90–93, 95–98, 100–102, 104, 106, 108 f, 112–116, 118, 120 f, 131, 134, 146, 149, 158, 160, 168, 171 f, 174–177, 181, 194–196 Religiöse Sprache (Rede) 7, 13–16, 28, 153 f, 159, 173, 183, 193 f, 196 Sakrament 9, 12 f, 27, 31, 37, 40, 44, 85 f, 180, 186 Schöpfung 28, 55, 85, 97, 105, 163–167, 176, 185 Schrift (Kanon) 12, 25, 27, 38, 40 f, 50–55, 62, 65 f, 68, 71–75, 78, 85, 91–96, 98 f, 101, 103 f, 110, 121, 125, 131, 134, 152–154, 167, 174–177, 186 Selbstwort 8, 31–37, 54–56, 58, 63, 79, 83, 89, 91, 98, 101 f, 104, 106, 109 ff, 114, 122, 125, 129, 142 f, 145 f, 152, 177, 184 Sich selbst sein 34 Subjekt / Prädikat 46 f, 69, 76, 139 Symboltheorie 7, 193, 195 f Trinität
19, 27, 47, 74–76, 78, 98, 161 f
Inkarnation (Fleischwerdung) 37, 40, 65, 86, 166, 170–172, 177, 196 Inneres Wort 159–162, 184 Inspirationslehre 95, 153, 167 f, 170 f
Ubi et quando (CA V) 29 f, 40, 42, 45, 67, 69, 91, 103 Urteil 45 f, 48, 51, 70, 104, 106, 117, 133, 165, 186
Kondeszendenz 50, 99, 101, 106, 110, 140, 152, 168, 197
Verheißung 36, 41, 54, 59, 143 Vestigia trinitatis 32, 75–77
Offenbarung 12, 16, 20–24, 30, 32 f, 36, 38 f, 44, 46 f, 49, 52–54, 56, 59–78, 81 f, 84, 86, 91, 94–98, 101–105, 107 f, 115, 117, 123, 125, 147, 149, 153, 156–159, 164, 167, 169, 171, 173–175, 177, 179–183, 188, 192–194, 196
Wirklichkeit / Möglichkeit 21 f, 111, 126, 132 Wörtlichkeit 54, 64, 73, 80, 83–85, 92 f, 96, 103, 110, 186