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German Pages 457 [460] Year 1995
PHONAI Texte und Untersuchungen zum gesprochenen Deutsch
Herausgegeben von Walter Haas und Peter Wagener
Band 42
Sprachbewahrung nach der Emigration - Das Deutsch der 20er Jahre in Israel Teil I: Transkripte und Tondokumente
Herausgegeben von Anne Betten unter Mitarbeit von Sigrid Graßl
MAX N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N 1995
Zu diesem PHONAI-Band gehört eine CD, die eine Auswahl der zugrundeliegenden, analog aufgezeichneten Originalaufnahmen enthält.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sprachbewahrung nach der Emigration: das Deutsch der 20er Jahre in Israel / hrsg. von Anne Betten. Unter Mitarb. von Sigrid Graßl. - Tübingen : Niemeyer, 1995 Teil 1. Transkripte und Tondokumente (Phonai; Bd. 42) NE: GT
ISBN 3-484-23142-4
ISSN 0939-5024
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nadele, Nehren
Mit Dank an alle, die hier das Wort an uns richten, und zur Erinnerung an die Unzähligen, deren Stimmen gewaltsam zum Schweigen gebracht wurden
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Inhalt
Ο Einleitung (Anne Betten) 0.1 Analysemöglichkeiten für das Textcorpus
1 3
0.2 Informationen über den Kreis der Interviewten und die Entstehung der Aufnahmen
7
0.3 Zur inhaltlichen Auswahl und Kapitelgliederung
12
0.4 Erklärungen zur Textpräsentation, zur Transkription und zur CD
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0.4.1 Der Vorspann
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0.4.2
Die Transkriptionen
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0.4.3
Die Compact-Disc
26
0.5 Dank
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0.6 Literatur
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1 Das Leben in Mitteleuropa bis zur Emigration
31
1.1 Kindheit, Elternhaus, Ausbildung, Berufstätigkeit vor und direkt nach 1933
33
1.2 Antisemitische Erfahrungen
82
1.3 Verhöre, Haft und andere Erlebnisse, die zur Emigration führten
93
2 Auswanderungsvorbereitungen und Fluchtwege
119
2.1 Sofortiger Entschluß zur Auswanderung nach Palästina 1933
121
2.2 Vorbereitung auf Palästina durch Berufsumschichtung (Hachschara)
134
2.3 Auswanderung bzw. Flucht nach Palästina zwischen 1935 und 1940 (mit Zertifikat, Jugend-Alija, Touristenvisum oder illegal)
149
2.4 Nach Palästina über andere Länder; verschiedene Emigrationswege
171
2.5 Inhaftierung in KZs und anderen Lagern bis 1945; Befreiung; Internierungsschicksale aus russischen Lagern
219
VIII
3 Das neue Leben in Palästina/Israel
259
3.1 Ankunft in Palästina/Israel: Erste Eindrücke und Anfangsberufe
261
3.2 Leben in Kibbuzim und Moschawim
313
3.3 Spätere Berufe und Tätigkeiten im Alter
341
4 Persönliche Meinungen zu zentralen Themen
375
4.1 Beziehungen zu den Arabern in der Anfangszeit
377
4.2 Neue Beziehungen zur früheren Heimat
391
4.3 Die "Jeckes": Das Selbstverständnis der deutschen Juden in Israel
409
4.4 Das Verhältnis zur arabischen Welt und zur Entwicklung Israels heute
430
Register (Text- und CD-Stellen)
448
ο Einleitung Anne Betten
3 0.1 Analysemöglichkeiten für das Textcorpus
Die PHONAI-Reihe hat sich in ihrer "Neuen Folge" programmatisch für "Texte und Untersuchungen zum gesprochenen Deutsch" in allen seinen Varietäten geöffnet.1 Der vorliegende Band, der noch mit einer zweiten Publikation in dieser Reihe fortgesetzt und ergänzt werden wird, enthält Transkriptionstexte, die, rein linguistisch betrachtet, sowohl für dialektologische und sprachhistorische wie auch für soziolinguistische, dialoganalytische und weitere Untersuchungen Material bieten. Das Besondere an den hier vorgestellten 165 Ausschnitten aus 109 Gesprächsaufnahmen mit ursprünglich deutschsprachigen Juden in Israel ist jedoch die spezifische Kombination der sprachhistorischen und gegenwartssprachlichen Komponenten: Es handelt sich um ein Deutsch, das heute außerhalb des deutschen Sprachraums gesprochen wird (die Aufnahmen entstanden zwischen 1989 und 1994), aber im wesentlichen das gesprochene Deutsch der 20er Jahre und 30er Jahre aus den verschiedenen deutschsprachigen Ländern und Gebieten Mitteleuropas repräsentiert. Damit bietet sich eine der wenigen Möglichkeiten, Sprachwandel in der gesprochenen Sprache an authentischem Datenmaterial zu studieren. Nach übereinstimmender Ansicht aller Sprachbeobachter hat sich der schriftliche und mündliche Gebrauch des Deutschen spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg in Folge der ungeheuren Umwälzungen auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens und eines tiefgreifenden Mentalitäts- und Wertewandels bei den folgenden Generationen stark verändert. Die Sprachhistoriker registrieren nach 1945 eine "Öffnung in sozialer, sprechsprachlicher und regionaler Hinsicht" (Sonderegger 1979, 174) bzw. einen "säkularen Trend zur 'Vermündlichung'" (Erben 1989, 27). Im Vergleich zu den vorangehenden Entwicklungsetappen des Neuhochdeutschen, die zunächst (seit ca. 1770) im Zeichen der "Etablierung der bürgerlichen Bildungssprache" und dann (seit ca. 1870) der "Etablierung der modernen Standardsprache" mit "monozentrische[r] Tendenz" standen, charakterisiert v. Polenz (1989, 15) das heutige Deutsch seit ca. 1950 als eine neue Phase mit "polyzentrische[r] Weiterentwicklung". Seitdem in den letzten 30 Jahren in größerem Umfang Transkriptionen von Aufnahmen spontaner Sprechsprache zur Analyse typischer Strukturmerkmale der Sprach- und Organisationsformen mündlicher Kommunikation angefertigt wurden, standen bevorzugt Texte aus möglichst un-
Vgl. etwas ausführlicher zu den neuen Zielen der Reihe im Rahmen der Gesprochenen-Sprache-Forschung der letzten drei Jahrzehnte Wagener (1995) und Redder/Ehlich (1994).
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gezwungenen Situationen im Vordergrund des Interesses, die sich oft weit von den schriftsprachlichen Normvorstellungen entfernen.2 Auf der Grundlage solcher Texte werden nicht nur Spezifika der verbalen Interaktion - auch im Zusammenspiel mit nonverbaler Kommunikation - in verschiedensten Alltagsbereichen zu erforschen gesucht, sondern auch die Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache im engeren "grammatischen" Sinn.3 Teilweise werden diese Ergebnisse aufgrund der prinzipiell verschiedenen medialen Bedingungen von mündlichen und schriftlichen Texten als Universalien verstanden, was sich durch eine Reihe ähnlicher Manifestationen in verschiedenen Sprachen zu bestätigen scheint. Wenn es sich bei diesen Unterschieden in der sprachlichen Codierung vor allem auf der Ebene der syntaktischen Organisation mündlicher Äußerungen jedoch wirklich um Universalien handelt, müßten sich diese nicht nur in kontrastiven synchronen Untersuchungen, sondern auch bei diachronen Textvergleichen nachweisen lassen. Es gibt dafür inzwischen im Rahmen der Erforschung von Spuren/Reflexen der Mündlichkeit in Texten älterer Sprachstufen, vor den strengen Normierungen der einzelnen Schriftsprachen, interessante Bestätigungen, doch ist davon auszugehen, daß das seit Jahren beliebte Forschungsgebiet Mündlichkeit - Schriftlichkeit noch lange nicht nach allen möglichen Texterscheinungsformen ausgelotet und auf alle Gründe für das Vorkommen mehr schriftsprachlicher oder mehr sprechsprachlicher Strukturformen hin erforscht ist.4 Da eine genauere Erörterung dieser Probleme Beiträgen im zweiten Band vorbehalten sein soll, begnüge ich mich hier mit dem Hinweis, daß das Textcorpus, das in diesem Band und noch mit ca. 150 weiteren Transkriptionsseiten im Folgeband in einer kleinen Auswahl zugänglich gemacht wird, Texte enthält, die zwar alle in relativ privaten Gesprächssituationen als spontane freie Rede aufgenommen wurden, aber teilweise eine viel stärkere Orientierung an schriftsprachlichen Konstruktionsmustern aufweisen als die meisten der heute in Deutschland, Österreich oder der Schweiz gemachten Aufnahmen. Die Sprecher haben den deutschen Sprachraum vor rund 60 Jahren bei ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten verlassen, haben aber, nicht zuletzt wegen der besonderen Bedingungen, die die Einwanderung nach Palästina/Israel mit sich
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Vgl. den Forschungsbericht von Betten (1977/78) und die wohl immer noch umfangreichste Sammlung von "Texten gesprochener deutscher Standardsprache" I-IV (197Iff.). Für das Deutsche unternahm Rath (1979) einen der wichtigsten Versuche, die Besonderheiten der Mündlichkeit auf der syntaktischen Ebene positiv zu deuten. S. ferner Koch/Oesterreicher (1990). Vgl. dazu genauer Betten (1995).
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brachte, die Sprache ihres Elternhauses, ihrer Schul- und Studienzeit, ihres beruflichen und gesellschaftlichen Umfeldes vor der Emigration bewahrt und aus verschiedensten Gründen und in unterschiedlichem Ausmaß weiter gepflegt. Ein Teil der Gründe wird durch die Texte dieses Bandes selbst sichtbar, die inhaltlich einzelnen Stationen der Lebensschicksale der Befragten folgen. Explizit thematisiert wird die sprachliche Situation der Interviewten dann in den Transkriptionstexten des zweiten Bandes, die sich mit der Verwendung des Deutschen im Verhältnis zum Hebräischen (Iwrit) und anderen Sprachen (vor allem dem Englischen während der britischen Mandatszeit in Palästina bis 1948) und auch mit den individuellen Einstellungen zu den jeweils benützten Sprachen beschäftigen. Ohne den Analysen des zweiten Bandes vorgreifen zu wollen, sei angedeutet, daß dort u.a. der Frage nachgegangen werden wird, wie die zum Teil sehr deutlich spürbare Normorientierung der Sprecher auf allen sprachlichen Ebenen zu erklären ist. Nicht nur in Phonetik und Morphologie ist bei den meisten eine starke Ausrichtung an der Hochsprache zu registrieren, so daß nur wenige den Dialekt ihrer Herkunftsgegend sprechen, während überwiegend nur leichte regionale Einflüsse in der Lautung und der Intonation zu hören sind. Besonders auffällig - allerdings nur für den geübten Leser von Transkriptionen, der genügend Vergleichsmöglichkeiten mit dem heute gesprochenen Deutsch auch Gebildeter hat5 ist jedoch der hohe Grad syntaktischer Normorientierung bei den meisten Sprechern. Auch Sprecher ohne Studium oder höhere Schulbildung, die u.U. (aber durchaus nicht immer!) einen etwas einfacheren Satzbau und parataktische Anschlußformen bevorzugen, konstruieren ihre Äußerungen überwiegend als vollständige, weitestgehend korrekte Sätze. Noch erstaunlicher aber ist, mit welcher Disziplin diejenigen, die in langen, verschachtelten Konstruktionen mit vielen Nebensätzen, Einschüben, Nachträgen u.ä.m. sprechen, auch diese meist ohne auffällige Anakoluthe oder Abbrüche zum Abschluß bringen, was in den bisher vorliegenden Corpora Seltenheitswert hat und um so beachtlicher ist, als die meisten Sprecher ja schon ein recht hohes Alter haben, in dem Konzentrationsschwächen beim Durchhalten komplizierter, komplexer Konstruktionen besonders verständlich wären. Es wird daher nicht nur zu bedenken sein, welchen Einfluß Elternhaus, Ausbildung, Beruf, gesellschaftliches Umfeld etc. auf den Sprachstil haben, sondern vor allem nach den Hintergründen für die Anerkennung und Befolgung sprachlicher Normen zu fragen sein, die offensichtlich bei den meisten so tief verankert sind, daß sie auch
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Viele der von Rath (1979) aus den "Texten gesprochener deutscher Standardsprache" herangezogenen, von der Schriftsprache stark abweichenden Beispiele stammen von Akademikern.
6 bei nur noch sporadischem Gebrauch der deutschen Sprache und ungeachtet von Alter und Befindlichkeit ganz automatisch jede sprachliche Äußerung steuern. Da anzunehmen ist, daß dieser Sprachstil als repräsentantiv für das gebildete Bürgertum der Jahre vor dem Nationalsozialismus betrachtet werden kann, dessen Normen und Ideale gerade in jüdischen Kreisen auch für aufstiegswillige Nichtakademiker Verbindlichkeit besaßen, nenne ich diese Sprache hier "das Deutsch der 20er Jahre". In den nur ganz knappen linguistischen Anmerkungen, die jedem Text im Vorspann beigegeben sind, wird daher vor allem auf Erscheinungen hingewiesen, die auf ihr Verhältnis zur Hochsprache (in Lautung und Morphologie) bzw. zu schriftsprachlichen Normen (in Syntax und Stil) schließen lassen. Obwohl die Texte unter vielen weiteren linguistischen Gesichtspunkten analysiert werden können, ist der Aspekt der Konservierung eines Bildungsbürgerdeutsch hier in den Vordergrund gerückt, da er das herausragende Charakteristikum dieser Sprechergruppe sein dürfte. Es soll hier allerdings nicht nur die Chance genützt werden, eine sprachhistorisch und sprachsoziologisch interessante, sonst kaum noch irgendwo so "pur" und unbeeinflußt vorfindbare frühere Form des gesprochenen Deutsch unmittelbar zugänglich zu machen. Viel mehr als aus linguistischem Interesse wurden diese Aufnahmen in der Absicht gemacht, noch einmal auch aus dieser speziellen Perspektive der mündlichen Sprachkultur Ausdrucksformen des deutschen Judentums zu dokumentieren, die mit dieser letzten noch lebenden Emigrantengeneration endgültig zu Ende gehen. All denen, die aus einer Heimat, die sie verstieß, nichts mitnehmen konnten als ihre Sprache und die damit verbundenen kulturellen Werte, in denen sie nolens volens auch in der neuen Umgebung mehr oder weniger intensiv weiterlebten, sei hiermit, rund 60 Jahre nach ihrer Auswanderung bzw. Flucht6 ein Denkmal aus Sprache gesetzt, das zugleich beredt Zeugnis gibt von dem Verlust an Kultur und Bildung, den Deutschland durch die Vernichtung und Vertreibung der Juden sich selbst zugefügt hat. Daß so viele alte Menschen nach allem, was sie durchgemacht haben, bereit waren, über ihr Schicksal und über ihre Beziehung zu Deutsch-
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Anderl (1992, 172) weist zutreffend auf das terminologische Problem hin, daß die Bezeichnungen "Auswanderung" und "Emigration" Freiwilligkeit vorspiegeln, wo es um menschenverachtende Vertreibungspolitik ging, aber im Falle der Flucht nach Palästina ein besonderer Fall vorliege, da er "zugleich die Rückkehr der Juden in ihre biblische Heimat bedeutet", weshalb diese Einwanderung im Hebräischen Alija, wörtlich 'Aufstieg' genannt wird. So ist es manchem heutigen Israeli wichtig zu betonen, daß er sich, wenn auch unter äußerem Druck, dann doch bewußt dem Zionismus und Palästina zu- und von Deutschland abgewandt hat. - Vgl. dazu auch das Kapitel bei Wetzel (1993, 413ff.) "Es war nie Auswanderung, immer nur Flucht" (Zitat von Adrienne Thomas, aus: Zadek 1981, 101).
7 land, zur deutschen Sprache und Kultur zu reden, war getragen von dem Willen, ein Dokument für die heutigen Deutschen und Österreicher sowie alle anderen von diesem Thema Betroffenen zu hinterlassen, und das nicht nur in ihrem eigenen Namen, sondern auch stellvertretend für alle jene - häufig die engsten Angehörigen - , die nie mehr gehört werden konnten. "Wir sind die Letzten./Fragt uns aus" hat der Emigrant Hans Sahl eines seiner eindrucksvollsten späten Gedichte genannt. "Ich habe es geschrieben für die Deutschen, die nie gefragt haben, was eigentlich aus uns geworden ist, nachdem wir aus Deutschland geflohen sind", sagte unser Interviewpartner Josef Stern über seine Autobiographie, die er gerade beendet hatte.
0.2 Informationen über den Kreis der Interviewten und die Entstehung der Aufnahmen
Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen in diesem Projekt jüdische Menschen, die in den 30er Jahren Deutschland, Österreich, die Tschechoslowakei oder andere deutschsprachige Gebiete verlassen konnten und entweder direkt oder auf Umwegen nach Palästina/Israel gekommen sind. Von den Einwanderern aus Mitteleuropa, die in dieser Zeit fast ausschließlich - selbst dann, wenn sie schon vor Hitler zionistisch gesinnt waren - als Reaktion auf die nationalsozialistische Judenverfolgung ins "Land der Väter" kamen, leben heute noch einige tausend, die Europa als Kinder, Jugendliche oder jüngere Erwachsene allein, mit Eltern oder schon mit Ehepartnern verließen.7 Sie sind heute 60 bis (über) 100 Jahre alt. Ein Teil von ihnen gehört noch Organisationen an, in denen sich die ehemaligen Einwanderer zusammenschlossen, so der "Centra" (Dachverband der zentraleuropäischen Landsmannschaften) und dem "Irgun Olej Merkas Europa" (Verein der Einwanderer aus Mitteleuropa), der u.a. verschiedene Altenheime unterhält, deren Bewohner noch (oder wieder) überwiegend deutsch sprechen und auch zum Teil noch kultu-
Ganz exakte Zahlen sind weder für die Gegenwart noch für die 30er Jahre zu ermitteln. Erel (1983, 14) gibt eine Statistik des Central Bureau of Statistics, Government of Israel, von 1950/51 an, nach der in den Jahren 1919 - 1948 insgesamt 77.493 Einwanderer aus Deutschland (52.951), Österreich (7.748) und der Tschechoslowakei (16.794, ohne Angabe, wieviele davon deutschsprachig waren) nach Palästina kamen; vor 1933 waren es jedoch weniger als 3.000 aus Deutschland. Von 1948 bis 1951 wurden aus denselben drei Ländern nochmals 28.837 Einwanderer registriert. - Wetzel (1993, 453) gibt Zahlen der Jewish Agency wieder, die von 1933 bis 1942 52.463 Einwanderer "aus dem Deutschen Reich" registriert hat. Nicht zuletzt wegen der illegalen Einwanderungen läßt sich schwer eine ganz genaue Zahl angeben: vgl. dazu auch Anderl (1992, 171).
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relle Veranstaltungen in deutscher Sprache durchführen. Das monatliche Mitteilungsblatt des Irgun (MB) erscheint noch (bis auf eine Seite) auf deutsch, und es gibt immer noch eine deutschsprachige Tageszeitung, die "Israel Nachrichten".8 Als die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Herbst 1989 ihre Unterstützung für das Projekt zusagte, wurden zunächst zwei Anzeigen in diesen beiden deutschsprachigen Zeitungen aufgegeben, in der Hoffnung, daß sich mindestens 30 Personen melden würden. Dr. Kristine Hecker, Lektorin für Deutsch an der Universität Bologna, die bereits über gute Landeskenntnisse und viele menschliche Verbindungen in Israel verfügte und entscheidende Impulse für die Planung des Projekts gegeben hatte, übernahm in der ersten Phase als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Knüpfung von Kontakten und begann gleichzeitig mit ersten "Pilotaufnahmen" in verschiedenen Altenheimen. Auf die Anzeigen meldeten sich dann zu unserer Überraschung fast 200 Personen, die sogar bereit waren, einen umfangreichen Fragebogen auszufüllen, der später für die Vorund Nachbereitung der Aufnahmen sehr wichtig war. Der damalige Kanzler der Katholischen Universität Eichstätt, Carl Heinz Jacob, ermutigte mich, möglichst viele dieser Gesprächsangebote aufzugreifen und sicherte mir dafür zusätzliche finanzielle Unterstützung durch die Universität zu, die auch sein Nachfolger Manfred Haiti engagiert fortsetzte. Die Absicht, möglichst viele Interviews zu machen, erhielt zunächst einen herben Rückschlag, als mir bei meinem ersten siebenwöchigen Aufenthalt im Juni/Juli 1990, bei dem ich meistens zwei Aufnahmen pro Tag machte, nach fünf Wochen beim Besuch meiner israelischen Kollegin Dr. Miryam Du-nour aus einem Leihwagen auf dem Parkplatz vor einem Kurhotel am See Genezareth mein ganzes Gepäck, einschließlich der 50 inzwischen von mir gemachten Interviews gestohlen wurde. Obwohl sich viele Freunde und Projektteilnehmer rührend um Hilfe und Aufklärung bemühten, tauchte das Material nie wieder auf. Ich setzte die Aufnahmen zwei Tage später mit der moralischen und praktischen Unterstützung meiner israelischen Geprächspartner fort und kam so zunächst mit bescheidenen zwölf Aufnahmen in einem Plastikbeutel zurück zu Hause schon von anteilnehmenden Briefen aus Israel und phantasievollen Hilfsangeboten er-
Deren jetzige Chefredakteurin Alice Schwarz-Gardos (s. S. 164) gibt in ihrer Autobiographie (1991) viele Informationen über die Probleme der deutschsprachigen Einwanderer, ihre Treffpunkte früher und heute sowie vor allem über die zum Teil wegen Anfeindungen in und nach der Hitlerzeit recht stürmische Geschichte der deutschsprachigen Zeitungen in Palästina/Israel (vgl. auch W. Zadek, S. 412f.). Für viele der älteren Einwanderer, die das Hebräische nicht mehr erlernen konnten, blieben sie zeitlebens die wichtigste Informationsquelle. Des Englischen kundige Leser (und manche der aus Deutschland kommenden Journalisten) wandten sich als Alternative oft der englischsprachigen "Jerusalem Post" zu.
9 wartet. Da ich selber meine Aufnahmetätigkeit erst ab April 1991 wieder aufnehmen konnte, machte auch Kristine Hecker bei privaten Israelreisen eine große Zahl weiterer Aufnahmen. Eva Eylon, deren erstes Interview zunächst einmal mit abhanden gekommen war, die aber daher den Ablauf kannte, bot sich an, mit einem von ihrer Universität entliehenen Gerät selbständig Aufnahmen zu machen. Cary Kloetzel schickte, ebenfalls in Erinnerung an die Gesprächsthemen, eine Selbstaufnahme, bei der sie nicht weniger spontan war als bei der ersten (oder umgekehrt: bei der Erstaufnahme sprach sie schon genauso sicher, flüssig und unterhaltsam wie bei der Wiederholung). Am folgenreichsten war schließlich der Entschluß von Miryam Du-nour, aktiv am Projekt mitzuwirken; als Linguistin und Hebraistin, selbst aus einer deutschsprachigen Prager Familie stammend, aber schon in Tel Aviv geboren, kennt sie die Materie von der praktischen und theoretischen Seite und bereicherte die Interviews um Fragen, zum Beispiel nach der Tiefe des Eindringens in die hebräische Kultur, die von den anderen Interviewerinnen nicht gestellt werden konnten. Der zweite Band, der sowohl im Transkriptionsteil wie im Analyseteil die Sprache erst recht eigentlich zum Thema hat, ist mit ihr zusammen erarbeitet. Im vorliegenden ersten Band sind nur sieben von den rund zwei Dutzend Interviews berücksichtigt, die sie zwischen 1991 und 1994 selbst aufnahm, und zwar großenteils in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis. Obwohl diese neu hinzukommenden Teilnehmer - wie auch manche andere, zu denen im Verlauf des Projekts durch persönliche Empfehlungen Beziehungen hergestellt worden waren - meist keinen Kontakt zu irgendwelchen deutschsprachigen Organisationen oder Publikationsorganen in Israel haben und unsere Anzeigen daher weder gelesen noch auf sie geantwortet hätten, unterschieden sie sich hinsichtlich des sprachlichen Niveaus, der Vertrautheit oder auch noch Verbundenheit mit bestimmten Bereichen der deutschen kulturellen Tradition und oft sogar hinsichtlich der Verwendung des Deutschen im alten Freundeskreis oder zumindest in früheren Jahren mit älteren Familienmitgliedern nicht von den über die Annoncen gewonnenen Interviewpartnern. Insgesamt wurden bis Ende 1994 170 Personen aufgenommen, von denen hier 121 (aus 109 Aufnahmen) zu Wort kommen. Die meisten Aufnahmen sind Einzelinterviews. Ehepaare wurden je nach Wunsch getrennt oder zusammen, in einem dann oft stärker dialogischen Dreiergespräch mit der Interviewerin aufgenommen. Besonders in den Altenheimen waren bei der Aufnahme gelegentlich auch Nachbarn oder Freunde anwesend; die Höchstzahl der zusammen Interviewten ist jedoch nur einmal vier (s.S. 400ff.). Außer in einigen small-talk-ähniichen Gesprächen im Altenheim sind jedoch auch bei Doppelinterviews stets viele längere, monologische
10 Ausführungen der einzelnen Sprecher zu verzeichnen, die bewußt nicht unterbrochen wurden, um der Gestaltung und Entfaltung eines Themas freien Lauf zu lassen. Der weitaus überwiegende Teil der Gespräche fand in der Wohnung der Interviewten statt. Das Gerät wurde meist erst nach einer längeren Vorunterhaltung eingeschaltet, speziell bei den Aufnahmen von K . Hecker oft mitten im Gespräch oder während des Ausfüllens des Fragebogens. Bei meinen eigenen Wiederholungsinterviews kamen einige Gesprächspartner zu mir ins Hotelzimmer. Prof. Heinrich Mendelssohn nahm ich in seinem Büro in der Universität auf, Prof. Josef Walk im Leo Baeck Institut Jerusalem, Alice Schwarz-Gardos in ihrer Zeitungsredaktion, Hermann Mayer in seiner Buchhandlung. Hans Forst und Ernst Schwarz begaben sich für die Aufnahmen in einen Aufnahmeraum der Bar-Ilan-Universität; die Wiederholungsinterviews mit Gertrud Kedar machte ich in einem Hotelzimmer in Nürnberg und mit Jehuda Steinbach in meiner Wohnung in Eichstätt. Generell läßt sich sagen, daß der Aufnahmeort quasi keinen Einfluß auf den Sprachstil der Interviewten hatte, was ich besonders aufgrund meiner Erfahrung mit der Wiederholung von ca. 30 Interviews nach ein bis drei Jahren behaupten kann.9 Entscheidender war, wie die Interviewten die Situation für sich selbst definierten. Besonders für einige der sehr alten Damen, die K. Hecker spontan im Altenheim aufnahm, stand der Besuch einer jüngeren Deutschen, die sich etwas aus dem Leben der Interviewten erzählen ließ, im Vordergrund; bei Kaffee und Kuchen kam es dann auch oft zu fast familiärem Plaudern, Fotoalben wurden herangeholt etc. Solche Gesprächspartner fragten auch oft nicht lange nach, für wen und wozu die Aufnahmen bestimmt seien. Für die meisten jedoch war die Einladung zum Gespräch eine sehr bewußte Entscheidung. Bei der Meldung zur Teilnahme an dem Projekt war für viele ausschlaggebend, daß hier ihre deutsche Sprache und eventuell ihre Verbundenheit mit der klassischen deutschen Literatur und Kultur im Vordergrund stehen sollte, auf die sie fast alle noch großen Wert legen: Waren doch häufig die Bücher, und darunter bevorzugt die deutschen Klassiker, mit das Wichtigste im Gepäck der Neuankömmlinge gewesen - vorausgesetzt, daß sie überhaupt etwas hatten mitnehmen können. Viele wären sogar bereit gewesen, sich einer Prüfung zu stellen, wieweit sie das Deutsche noch beherrschen, wieviel sie inzwischen verloren haben, wie altmodisch oder "versteinert" ihre Sprache sei und wie sie im Vergleich zum heute in Deutschland gesprochenen Deutsch zu bewerten ist (das von ihnen allerdings oft recht kritisch
Bemerkungen wie "Ich habe Ihnen das auch das letzte Mal schon erzählt" (vgl. I. Blumenfeld, S. 42) beziehen sich auf diese Wiederholungssituation.
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beurteilt wird). Mit einigen dieser Fragen, sowohl aus der Sicht der Interviewten wie auch aus der Sicht der Linguisten, beschäftigt sich wiederum der Folgeband. Hier sei nur nochmals betont, daß wir das Projekt nicht begonnen hätten, wenn wir von der Hypothese eines einschneidenden Sprachverlusts oder einer Verarmung hätten ausgehen müssen: Dies ausgerechnet an Menschen zu studieren, die sonst fast alles verloren haben, wäre zumindest für deutsche Forscher mehr als geschmacklos gewesen. Da sich aber insgesamt, nicht nur bei wenigen Prominenten, sondern quer durch alle sozialen Gruppen die Bewahrung einer hohen Sprachkultur bestätigte, erleichterte uns dies unser Vorhaben und öffnete uns viele Türen und vielleicht auch manche Herzen. 10 Jedenfalls scheint es so zu sein, daß sich für ein Projekt zur deutschen Sprache mehr Teilnehmer gewinnen ließen als für manches Historikerprojekt. Dazu kommt, daß die Bereitschaft zum Gespräch sowohl durch den Abstand der Jahre wie auch bedingt durch das Alter der Interviewten wächst; die Erinnerungen an die Jugend ebenso wie alles in der Erstsprache ursprünglich Erworbene treten wieder stärker hervor, während das Berufsleben und alles später Gelernte wieder in den Hintergrund rücken. Und nicht zuletzt kommt dazu, daß viele aus dem Bewußtsein, die letzten Vertreter einer langen und bedeutenden Tradition des Diaspora-Judentums zu sein, die mit ihnen zu Ende geht, die Erinnerung daran für die Nachwelt festhalten wollen. Über das Thema Sprache wurden zugleich große Teile der Biographie mit erfaßt. Für die Frage, ob und warum man heute noch teilweise in der deutschen Sprache lebt (oder aber, in der geringeren Zahl der Fälle, kaum noch deutsch spricht), spielen viele Faktoren eine Rolle: schon das Elternhaus (dessen Verhältnis zur Religion, zum Zionismus, zu Deutschland etc.); die bewußte oder eher zufällige, notgedrungene Wahl Palästinas als Auswanderungsland; die familiären und beruflichen Verhältnisse nach der Einwanderung (Zusammenleben mit Eltern, die kein Hebräisch mehr lernten; Herkunft des Ehepartners und des Freundes- und Kollegenkreises); die Einstellung zum Land, zum Judentum, zur hebräischen Kultur einerseits, Sprachbegabung, Al-
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Der Vergleich mit schriftlichen Autobiographien desselben Personenkreises scheint verschiedene Hypothesen über das Deutsch der ehemaligen Emigranten zu bestätigen: Die Annahme, es handle sich um ein etwas veraltetes, stehengebliebenes Deutsch, mag sich bei schriftlichen Ausführungen eher einstellen als bei dem sehr lebendigen, gepflegt klingenden mündlichen Erzählen - zumindest bei nicht schriftstellerisch Geübten. Hier sind interessante Vergleiche zu unseren Texten möglich, z.B. für K. Dror, Mirjam und Micha Michaelis, E. Rothschild, A. Wachs mit ihren Beiträgen in Erel (1994); ferner für W. Zadek, ζ. B. mit seinem Beitrag zu seinem eigenen Sammelband (1981), oder für A. Schwarz-Gardos mit ihrer Autobiographie (1991): Zum Vergleich der sprachlichen Gestaltung des Interviews mit dem Buch der letzteren vgl. bereits Betten (1994).
12 ter, Lebensumstände andererseits. Die Textauswahl dieses ersten Bandes und der beigegebenen CD ist hauptsächlich auf diesen biographischen Hintergrund ausgerichtet.
0.3 Zur inhaltlichen Auswahl und Kapitelgliederung
Es kann in dieser Einleitung weder ein Abriß über die Geschichte der Juden in Deutschland, noch über die Zeit des Nationalsozialismus, noch über die Emigrations- oder Lagerschicksale, noch über den Neuanfang in Palästina, noch über das heutige Leben und Selbstverständnis der ehemals deutschen Juden gegeben werden. Die Texte sollen vielmehr für sich sprechen. Zusammen mit meiner Mitarbeiterin an diesem Band, Sigrid Graßl, habe ich mich jedoch bemüht, aus dem Gesamtmaterial möglichst viele verschiedene Schicksale und persönliche Einstellungen zu diesen Themenkreisen auszuwählen, ohne damit einen vollständigen oder ausgewogenen Überblick anstreben zu können. Es liegen genügend historische Abhandlungen vor, die den allgemeinen Informationsrahmen für die sehr persönlich gehaltenen Berichte unserer Interviewpartner geben können. Einige neuere werden in den Literaturangaben genannt. In Kapitel 1.1 werden zunächst verschiedene Elternhäuser (mehr oder weniger assimilierte, religiöse, zionistische) und positive und negative Erinnerungen an Schulzeit, Studium, Lehre und Berufsanfang vorgestellt. Antisemitische Erfahrungen spielen schon bei den frühen Jugenderlebnissen eine Rolle, vermehrt dann seit dem Aufkommen der Nationalsozialisten. Die zweite Hälfte der Texte ist schon geprägt von den Auswirkungen der Bedrohung und Verfolgung nach 1933 auf das Leben der Eltern sowie den eigenen Werdegang: Bereits wenige Wochen nach Hitlers Machtergreifung am 30.1.1933 wurden die ersten antijüdischen Gesetze erlassen, am "Boykottag", dem 1. April 1933, zeigte sich auch öffentlich, welche bedrohlichen Ausmaße die antijüdischen Aktionen der Nazis annahmen. Abbruch von Schule, Studium oder Referendarzeit, Entlassungen aus dem Beruf, berufliche Umorientierung, Hinwendung bislang vollständig Assimilierter zum Judentum, Gedanken an oder sofortige Entschlüsse zur Emigration waren einige der unmittelbaren Folgen. Einzelne der hier angedeuteten Themen werden in eigenen Abschnitten noch vertieft. Insgesamt wurde hier wie auch in späteren Kapiteln ein Wechsel von kurzen, charakteristischen Episoden mit einigen längeren, überblicksartigen Berichten angestrebt. In 1.2 sind antisemitische Erlebnisse das zentrale Thema. Zunächst wird nochmals zeitlich zurückgegangen mit Berichten aus Regionen, in denen der Antisemitismus schon deutlicher in
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Erscheinung trat als im assimilatorischen, scheinbar liberaleren Klima einiger Großstädte oder auch scheinbar guter Nachbarschaften in Dörfern und Kleinstädten. Den Schwerpunkt bilden dann die leidvollen Erfahrungen des plötzlichen Verhaltensumschwungs in der bisherigen Umwelt, die nach 1933 bzw. 1938 für die meisten der Juden, die sich ganz als Deutsche oder Österreicher gefühlt hatten, unerwartet ihr feindliches oder auch nur opportunistisches oder feiges Gesicht zeigte. Daran schließen auch viele Texte von 1.3 unmittelbar an; die Bedrohung nimmt hier meist lebensgefährliche Formen an, vom Schlägertrupp bis zu Verhaftung und Deportation, und wird häufig als auslösendes Erlebnis für die Emigration geschildert. Kapitel 2 konzentriert sich auf die Auswanderung bzw. Flucht nach Palästina (direkt oder auf dem Umweg über andere Länder) in den 30er Jahren sowie auf Überlebende aus Lagern oder dem Untergrund, die erst 1945 oder noch später nach Palästina/Israel gelangten. In 2.2 und 2.3 stehen die verschiedenen Anstrengungen, die Emigration einzuleiten, im Vordergrund. Da die Nationalsozialisten zunächst alles auf die Vertreibung der Juden setzten, wurden derartige Bemühungen "unterstützt", etwa in folgenden Formen: Es gelang speziell in den ersten Jahren öfter, daß bereits Inhaftierte unter Vorlage von Auswanderungszertifikaten, um die sich die Angehörigen fieberhaft bemüht hatten, freigelassen wurden; speziell jungen Menschen, die nach Absolvierung einer landwirtschaftlichen oder handwerklichen Umschulung, auch Umschichtung (hebr. Hachscharä) genannt, größere Chancen hatten, ein Einwanderungszertifikat für Palästina zu erhalten, wurden solche Ausbildungen in eigens dafür ausgewählten Landgütern oder Betrieben (teilweise auch im Ausland) in Gruppen, öfter aber auch individuell genehmigt; für Informationsreisen nach Palästina, die der Vorbereitung der Auswanderung dienten, wurden Juden auch nach 1937 ausnahmsweise noch Reisepässe ausgestellt, es durften aber nur maximal 50 Reichsmark mitgenommen werden, ferner waren Unbedenklichkeitserklärungen der Steuerbehörden vorzulegen. Die Möglichkeiten zur Auswanderung wurden jedoch nicht nur durch mannigfache Schikanen der Nazis erschwert, sondern auch durch die Schwierigkeiten, eine Einwanderungsgenehmigung zu bekommen, häufig lange verzögert oder ganz vereitelt. Für Palästina erteilte die britische Mandatsregierung der Jewish Agency, die das jüdische Volk in Palästina-Angelegenheiten vertrat, "halbjährlich eine wechselnd bemessene Zahl von Einwanderungsgenehmigungen ('Zertifikate'). Diese wurden dann an die von der Jewish Agency in den jeweiligen Ländern eingerichteten Palästina-Ämter verteilt, die ihrerseits geeignete Bewerber aussuchten" (Wetzel 1993, 451).
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Das schon 1924 für Deutschland eröffnete zentrale Palästinaamt befand sich in Berlin in der in den Interviews oft erwähnten Meinekestraße 10. Am ehesten möglich war die Emigration in den ersten Jahren für "Kapitalisten", die ein Eigenkapital von mindestens 1.000 Palästina-Pfund (anfangs 15.000 RM, später immer mehr) aufweisen konnten. Über ein Drittel der PalästinaEinwanderer aus dem Deutschen Reich kam mit einem "Kapitalistenzertifikat".11 Relativ günstig standen die Chancen, ein Zertifikat zu bekommen, außerdem für Studenten und Schüler, wenn ihr Lebensunterhalt bis zur Berufsausübung gesichert war (14,5% der Auswanderer). Unter diese Kategorie fallt auch die Jugend-Alija, eine organisierte Gruppenauswanderung, die offiziell seit 1934 mit Unterstützung der zionistischen amerikanischen Frauenorganisation "Hadassa" von deren Gründerin Henrietta Szold (vgl. J. Stern, S. 154) in Palästina organisiert wurde.12 Für diese Jugendlichen waren für zwei Jahre Unterbringung und Ausbildung (halbtags Unterricht und halbtags Arbeit) garantiert. Vor allem das Kinderdorf Ben Schemen, 1927 von dem aus Berlin eingewanderten Dr. Siegfried Lehmann ursprünglich für Waisenkinder aus Litauen gegründet, spielte bei der Einordnung dieser ohne Eltern nach wenigen Wochen der Vorbereitung in Europa ins Land kommenden Vierzehn- bis Siebzehnjährigen eine große Rolle.13 Des weiteren nahmen verschiedene Kibbuzim Jugend-Alija-Gruppen der jeweiligen ihnen ideologisch nahestehenden Jugendbünde auf. Eva Michaelis-Stern und auch Hilde Rudberg waren leitend in der für die Jugend-Alija zuständigen Deutschen Abteilung der Jewish Agency in Berlin tätig. "Die Jugend-Alijah war sicherlich eine der erfolgreichsten Rettungsmaßnahmen im nationalsozialistischen Deutschland. Die emotionalen Tragödien in den jüdischen Familien [...] sind freilich nicht zu ermessen"
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Vgl. Wetzel (1993, 453). Das Problem bestand für viele nicht darin, diese Summe aufzubringen, sondern darin, sie aufgrund der Devisenbeschränkung einzuwechseln. Ein Ausfuhr- und Verrechnungsabkommen, das die Nationalsozialisten mit der Jewish Agency von 1933 bis 1939 in beiderseitigem Interesse geschlossen hatten (Wetzel 1993, 464: "Waren gegen Menschenleben"), ermöglichte den Transfer (hebr. Ha'awara) von bis zu 50.000 RM pro Antragsteller, für die eine in Palästina gegründete Gesellschaft (Hanotea) dann deutsche Waren kaufen mußte; der Neueinwanderer erhielt im Gegenwert dafür von dieser Gesellschaft ein (recht bescheidenes) Haus oder eine Zitruspflanzung. Dieser Geldtransfer half der jüdischen Seite beim Aufbau Palästinas und war daher in der nationalsozialistischen Führung sehr umstritten - ebenso wurde er auf jüdischer Seite als Kollaboration mit dem Nazi-Regime scharf kritisiert; er endete mit Kriegsbeginn. Vgl. genauer Wetzel (1993, 464ff.). Erstmals wurde ein solcher Versuch schon 1932 von der Lehrerin und Rabbinersfrau Recha Freier aus Berlin unternommen. 1933 gelang es ihr, mit der Gründung der "Jüdischen Jugendhilfe" dafür eine breitere Basis zu schaffen. Vgl. E. Michaelis-Stern, S. 261ff., und E. Strauss, S. 265f. Pädagogische Modelle für die Schule waren die Landschulheime und die Waldorfschule (Rudolf Steiner-Schule) in Deutschland.
15 (Wetzel 1993, 472). 14 Da die arabische Bevölkerung Palästinas sich gegen die seit 1933 so stark angestiegene jüdische Einwanderung zur Wehr setzte und es 1936 zu heftigen Unruhen kam (s. dazu Berichte in Kap. 3.1 und 4.1), beschränkten die Engländer die Einwanderung rigoros und untersagten sie schließlich 1939 ganz. Zum Teil war dies auch eine Reaktion auf die regelrechte Organisation illegaler Einwanderung15 seit der enormen Zunahme der Flüchtlingsströme nach dem "Anschluß" Österreichs (12./13. März 1938) sowie den seit Ende 1937 sich drastisch verschärfenden "Aktionen" gegen Juden in Deutschland, gipfelnd im Pogrom vom 9./10. November 1938 (der "Kristallnacht"), dem Münchner Abkommen vom 19. September 1938, das das bisherige Exilland Tschechoslowakei in ein Flüchtlingschaos stürzte, und dem Einmarsch deutscher Truppen in Prag am 15. März 1939. Die vier letzten Texte von 2.3 berichten von den dramatischen Zuständen auf den illegalen Schiffstransporten 1938 bis 1940. Eine besonders tragische Berühmtheit erlangte die "Patria", mit der die Engländer Passagiere mehrerer Flüchtlingsschiffe nach Mauritius deportieren wollten. Um dies zu verhindern, versuchten Angehörige der jüdischen Untergrundarmee "Hagana", den Schiffsmotor durch einen Anschlag außer Betrieb zu setzen. Die Explosion war jedoch unbeabsichtigt so stark, daß das Schiff versank und über 250 Menschen ums Leben kamen; die Überlebenden durften danach an Land gehen, wurden aber noch einige Monate im Internierungslager Atlit - das für viele Einwanderer die erste Station in Palästina war - festgehalten (vgl. R. Bar-Levi, S. 166ff.). Diejenigen Passagiere, die noch nicht auf die "Patria" umgestiegen waren, wurden jedoch wie Ehepaar Steiner (s. S. 169f.) nach Mauritius gebracht und dort bis nach Kriegsende interniert.16 Die Schoa selbst ist in diesem Buch kein Thema, da sie zu ungeheuerlich ist, um als Kapitel unter anderem abgehandelt zu werden. Aber auch wenn hier nur Überlebende sprechen, sind diese, wie fast alle jüdischen Familien, meist schon in ihrer engsten Verwandtschaft davon betroffen. Viele konnten die Eltern nicht mehr aus Europa herausbekommen, erhielten die letzten
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Zur Jugend-Alija vgl. außer Wetzel (1993, 468^72) ausführlich Anderl (1992, 218-255) und Erel (1983, 134ff.). Zu den vom Mossad 1937 gegründeten Ausschuß für illegale Einwanderung, der "Alija Bet", die von der Gestapo unterstützt wurde, um die jüdische Auswanderung zu beschleunigen, vgl. Wetzel (1993, 472ff.) sowie Anderl (1992, 256-308). Mit genaueren Informationen speziell über die Transporte, von denen L. Vardon, A. SchwarzGardos, R. Bar-Levi und Ehepaar Steiner berichten (S. 157-170), vgl. Anderl (1992, 277ff.).
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Nachrichten von ihnen oft nach deren Deportation durch Rot-Kreuz-Briefe und erst nach dem Krieg die Gewißheit über ihren grausamen Tod. Nur in 2.5 deuten einige Berichte die Tragödien der in die Lager Deportierten an und zeigen, durch welche Zufälle und unter welch schrecklichen Umständen einzelne überlebten. Ein Sonderfall ist hierbei Y. Arieli, der sich, wie viele mitteleuropäische Einwanderer in Palästina, freiwillig zum Dienst in der englischen Armee gemeldet hatte, um gegen Hitler zu kämpfen, dabei in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet und bis 1945 vier Jahre in deutschen Kriegsgefangenenlagern verbrachte - nie sicher, ob die Nazis sich den jüdischen Gefangenen gegenüber an die Genfer Konventionen halten würden. A. Wachs wurde im Krieg in England interniert, wo er u.a. Inspektions- und Vermittlungsarbeit für jüdische Jugendliche übernommen hatte, die auf englischen Bauernhöfen ihre landwirtschaftliche Ausbildung machten, und dann zusammen mit deutschen Kriegsgefangenen in ein Gefangenenlager nach Australien verschickt, während Rabbiner J. Ansbacher, der sich von Belgien nach Frankreich zu retten versuchte, zunächst in Lagern in Südfrankreich, u.a. in Gurs, interniert war, aber dann 1942 mit seiner Frau über die Pyrenäen nach Spanien flüchten und 1944 weiter nach Palästina gelangen konnte: Die Geschichte der Ansbachers, die teils gemeinsam, teils getrennt unterwegs waren, wird als exemplarisch für die vielen, die zunächst in andere europäische Länder geflohen waren, zwar bei weitem nicht in voller Länge, doch ausführlicher als die anderen und mit wechselnden Sprecherrollen wiedergegeben. A. Goldberg und S. Smetana waren in Konzentrationslagern und Ghettos im Osten, ebenso wie Ch. Rosen, der 1945 auf dem Transport nach Dachau befreit wurde, G. Levisohn-Marcus überlebte in Theresienstadt. Ihre engsten Angehörigen jedoch überlebten nicht. I. Naor, der sich die letzte Zeit vor der Befreiung in der Tschechoslowakei in Wäldern versteckte, erzählt eindrucksvoll, wie schwierig es auch nach Kriegsende noch war, nach Palästina zu gelangen, da die Engländer die Einwanderung jüdischer Überlebender weiterhin zu verhindern suchten. Auch der Bericht von M. Seligmann, der 1945 junge Frauen, die aus Lagern kamen, von Schweden, wohin er selbst geflohen war, nach Palästina bringen wollte und mit ihnen nochmals zwei Jahre in Zypern interniert wurde, gibt ein Beispiel für die andauernden Nöte der so knapp Geretteten. Die letzten beiden Texte von 2.5 schließlich behandeln noch ganz andere Lagererfahrungen von zwei Frauen, die sich vor Hitler in die Sowjetunion hatten retten wollen. J. Klausner gelang es, nach dem Krieg wieder in ihre schlesische, jetzt polnische Heimat zurückzukommen und von
17 dort vier Jahre später nach Israel zu emigrieren, während H. Bialer bis 1953 in stalinistischen Lagern war. Kapitel 3 schildert die Ankunft der Neueinwanderer und ihre Anfangszeit in Palästina, wobei sich allein durch die unterschiedliche Zeit von Ende der 20er bis Ende der 40er Jahre sowie durch die unterschiedlichen Umstände von freiwilliger, geplanter Auswanderung mit der ganzen Habe (oft im "Lift", einem Container aus Holz) bis zur nackten Flucht mit einem Rucksack, der bei der Landung noch ins Wasser fiel, sehr verschiedene Startpositionen ergaben. Nur wenige konnten sofort oder nach kurzer Zeit in ihren gelernten alten oder "umgeschichteten" neuen Berufen weiterarbeiten. Die meisten erlebten eine lange Phase mit schlecht bezahlten, körperlich harten Übergangsberufen, von denen in den vorangestellten Kurzbiographien meist nur einige wenige erwähnt werden konnten. Trotz der großen Umstellungsschwierigkeiten, die besonders für die Älteren bzw. die Eltern der Auswanderer häufig einen vollständigen beruflichen und kulturellen Bruch bedeuteten und viele menschliche Tragödien mit sich brachten, werden viele dieser Geschichten aus der "Pionierzeit" mit Humor erzählt. Sie geben ein buntes Bild von den ganz fremden, für die meist gutbürgerlich Aufgewachsenen sehr primitiven Lebensverhältnissen in dem weitgehend noch wüsten Land, das nun in großen Anstrengungen buchstäblich mit der Hände Arbeit urbar zu machen versucht wurde. Sofern die Einwanderer nicht in Städten wie Jerusalem oder dem noch sehr einfachen Tel Aviv (gegründet 1903) oder in Haifa blieben, wo sie in einigen Stadtteilen ziemlich unter sich waren - so nannte man den Norden von Tel Aviv "Kanton Iwrit" nach der österreichischen Aussprache von "kein Ton Iwrit" - , oder sich zu landwirtschaftlichen Siedlungsgemeinschaften (Moschawim) zusammenschlossen, begannen sehr viele zunächst einmal in einem Kibbuz. Die ersten Kibbuzim waren schon von früheren zionistischen Einwanderern aus Osteuropa gegründet worden, die hier ihre sozialistischen Ideale zu verwirklichen suchten. Die meist jugendlichen neuen Kibbuzniks trafen hier, sofern sie in schon länger existierende, größere Kibbuzim kamen, oft zum ersten Mal mit Ostjuden zusammen, und manchmal traten dann Spannungen auf, die zum Teil noch aus der Herablassung resultierten, mit der speziell manche assimilierte Juden in Deutschland auf die Ostjuden herabgesehen hatten, zum Teil auch einfach in Mentalitätsunterschieden sowie in unterschiedlichen Traditionen des Judentums begründet waren (vgl. die ersten Texte von 3.2). Nun waren es die Ostjuden, die schon eher gekommen waren und politisch im Land den Ton angaben, die sich über die "Jeckes", wie die deutschen Juden ursprünglich eher spöttisch genannt wurden, manchmal lustig machten wegen ihrer typisch deutschen Eigenschaften, auf die
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sie so stolz waren (s. Kap. 4.3); noch mehr aber regten diese sich über das Festhalten vieler Neueinwanderer an der deutschen Sprache und Kultur, der Sprache Hitlers und der Mörder, auf. Speziell in den Kriegsjahren (vgl. etwa W. Zadek, S. 412f.) und besonders nach 1945, als der volle Umfang der nationalsozialistischen Verbrechen erkennbar wurde, war dies ein besonderes Ärgernis. Die Jeckes hatten daher nicht immer einen leichten Stand im Lande, manch einer fühlte sich verkannt und unterbewertet. Hart gearbeitet, um sich selbst und das Land voran zu bringen, haben sie alle. In den neu gegründeten Kibbuzim waren die Lebensumstände am Anfang oft besonders spartanisch und die Arbeit in der Landwirtschaft (u.a. in den Zitruspflanzungen, hebr. Pardes) oder bei Außenarbeiten (Straßenbau etc.) äußerst anstrengend, was in den Erzählungen von 3.2 nur ausschnittweise erkennbar wird. 17 Auf Dauer aber hatten es wohl die mit einem Kapitalistenzertifikat eingewanderten ursprünglichen Akademiker und Kaufleute, die in Moschawim gegangen waren und dort auf eigene Rechnung und Verantwortung die ihnen trotz Umschulungsversuchen noch reichlich fremde Landwirtschaft versuchten, noch schwerer, da es bei ihnen, im Gegensatz zu späteren Zeiten im Kibbuz, nie einen Achtstundentag gab. Hier blieben deutschsprachige Siedlergruppen, wie etwa in Sde Warburg (s. R. Tauber und die Brüder Walter), oft besonders lange unter sich; am Abend war man zu erschöpft, um noch Hebräisch zu lernen, so daß nicht nur die Sprache in den Familien, sondern auch in den Versammlungen und bei kulturellen Veranstaltungen noch lange Deutsch blieb, während in den Kibbuzim zumindest in offiziellen Zusammenkünften sehr bald zum Hebräischen übergegangen wurde. Diese Thematik wird im zweiten Band genauer aufgegriffen. Wenig findet sich in diesem Band über diejenigen Schüler, Studenten und Berufstätigen, die sich ganz rasch in die hebräische Sprache hineinfanden und nach kurzer Zeit in der neuen Sprache erfolgreich weiterstudierten oder -arbeiteten. Insgesamt wurde in den Gesprächen im Verhältnis zu den Schwierigkeiten des Anfangs nur noch wenig über die langen Jahre der endgültigen Berufstätigkeit gesprochen; so finden sich hier in 3.3 nur einige wenige Beispiele für die spätere berufliche Eingliederung. Fast mehr Gewicht wurde in diesen Rückblicken aus der Per-
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Überwiegend von deutschen Juden gegründet waren z.B. die in den Interviews oft genannten Kibbuzim Giw'at Brenner und Hasorea, dem Ch. Sela angehört. Hasorea wurde von Angehörigen der Jugendorganisation der "Werkleute" gegründet; über diesen Kibbuz und die dahinterstehende Ideologie informieren umfassend Godenschweger/Vilmar (1990). Für die Kibbuzkultur bedeutend wurde u.a. auch Dalija, wo Ehepaar Michaelis lebt (vgl. dazu E. Sternberg, S. 414f.).
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spektive des Alters dann wieder auf die Gegenwart gelegt, in der erstaunlich viele noch weiterhin tätig sind, entweder in ihren alten Berufen oder aber, besonders häufig, mit freiwilliger unentgeltlicher Arbeit im sozialen Bereich (wofür die letzten Texte von 3.3 stehen), nicht selten auch durch die (Wieder-)Aufnahme von Studien, zu deren Abschluß es unter dem Hitler-Regime nicht mehr kam. Hier wären eine Reihe unserer Interviewpartner zu nennen, stellvertretend für alle steht der Text von H. Forst. Ebenfalls für eine etwas größere Gruppe typisch ist die Beschäftigung mit Übersetzungsarbeiten, sowohl vom Deutschen ins Hebräische wie auch umgekehrt, u.a. getragen vom Wunsch der Vermittlung zwischen den beiden Kulturen, denen man selber angehört: sowohl um den jungen Israelis Lieblingsautoren aus dem Deutschen zugänglich zu machen, wie auch, um israelische Kulturwerte, aber auch praktische, technische, wissenschaftliche, journalistische oder politische Texte aus Israel den Deutschen zu vermitteln. J. Steinbach, der als Vertreter für diese Gruppe steht, übersetzt gelegentlich auch Lebenserinnerungen seiner Alters- und Schicksalsgenossen, die diese auf deutsch niedergeschrieben haben, für ihre Nachkommen ins Hebräische. In Kapitel 4 schließlich ist Heterogenes vereint. Viele Gespräche berührten das Verhältnis zu den Arabern. Was hierzu gesagt wird, sind - mehr als in allen anderen Texten des Bandes ganz subjektive, keinesfalls repräsentative Äußerungen. Zusammen spiegeln sie aber wohl wider, daß gerade die deutschen Juden von Anfang an eine liberale Einstellung hatten und von der Notwendigkeit politischer Verhandlungen überzeugt waren, wenngleich in den Gesprächen, die zum Teil unmittelbar nach dem Golfkrieg geführt wurden, auch oft ein tiefer Pessimismus bei der Beurteilung der gegenwärtigen Lage mitschwingt. Am wenigsten "repräsentativ" sind wohl die in 4.4 über die Einstellung zum eigenen Staat und zum Judentum abgedruckten Statements. Sie können allenfalls einen ganz kleinen Eindruck von der Vielfalt der Meinungen geben, die bereits innerhalb einer (der insgesamt so vielen) Einwanderergruppe(n) bestehen und für das so lebendige und vielseitige geistige Leben in diesem an Fläche so kleinem Lande charakteristisch sind. In 4.3 finden sich Ansätze, die Eigenschaften der deutschen Juden im Vergleich zu den Zuwanderern aus anderen Herkunftsländern zu sehen, vor allem in den Gegenüberstellungen Ostjuden und Westjuden, deren Gegensätze, wie oben schon gesagt, in der Anfangszeit eine Rolle spielten, mehr dann aber noch im Kontrast aschkenasischer versus sphardischer Juden bzw. Juden westlicher (europäisch-amerikanischer) versus orientalischer Abstammung. Die in den Gesprächen auch oft thematisierten Probleme, die die jüngsten großen Einwanderungen aus Äthio-
20 pien und der ehemaligen Sowjetunion mit sich bringen, sind in der Auswahl nicht vertreten. Schließlich wird in 4.2 angesprochen, was die aus Deutschland und deutschsprachigen Ländern Gekommenen nach ihren in diesem Buch zum Teil berichteten furchtbaren Erfahrungen bei späteren neuerlichen Kontakten mit Deutschen und Österreichern gefühlt haben. Waren die ersten Begegnungen meist traumatisch, so haben viele von ihnen doch, zum Teil unter dem Eindruck von Bemühungen wie denen der Jugendlichen der Aktion Sühnezeichen (vgl. R. Beck) oder im Rahmen der Städteeinladungen oder der mannigfachen anderen Kontakte, mit denen schon vor und besonders nach der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland 1965 versucht wurde, neue Brücken zu schlagen, gerade der jüngeren Generation den Dialog nicht verwehrt. Schon unsere kleine Textauswahl macht aber deutlich, warum das Mißtrauen berechtigt geblieben ist - ein Thema, das leider ständig neue Nahrung erhält. Um so wichtiger sollte aber gerade für die deutsche Seite Aufklärung durch Originaltexte wie diese sein. Über Fragen wie die nach dem Bruch in der Lebensführung, im kulturellen Selbstverständnis und im persönlichen Selbstwertgefühl, das ein Emigranten- bzw. Flüchtlingsschicksal im allgemeinen mit sich bringt, kann hier ebensowenig gehandelt werden wie über die speziellen Bedingungen, daß gerade die und nur die Juden, die nach Palästina gelangten, damit gleichzeitig, wenn auch vielfach zunächst erzwungenermaßen, zu ihren eigentlichen Wurzeln und Werten zurückkehrten, viele aber zu alt und/oder zu wenig sprachbegabt waren, um sich selbst noch in der hebräischen jüdischen Kultur fest zu verankern oder auch nur heimisch zu fühlen. Die hier abgedruckten Primärtexte können zu solchen Überlegungen allenfalls anregen. Gewisse sich aus der Sprache ergebende Probleme werden jedoch im zweiten Band noch eingehender betrachtet werden.
0.4 Erklärungen zur Textpräsentation, zur Transkription und zur CD 0.4.1 Der Vorspann
Jedem Transkriptionstext ist ein kurzer Vorspann über den biographischen Hintergrund des/r Interviewten, über die Aufnahmesituation sowie eine grobe linguistische Charakterisierung und eine Angabe zur technischen Qualität der Aufnahme vorangestellt.
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Die biographischen Daten: Fast alle Sprecher waren mit der Veröffentlichung ihres vollen Namens einverstanden; nur zwei erscheinen verschlüsselt als X und Y. Allerdings ist es aufgrund der besonderen Bedeutung, die sowohl das Festhalten am alten deutschen Namen wegen Familientraditionen u.a.m. für die einen bzw. die Hebraisierung des Namens (in den ersten Jahren nach der Staatsgründung von Ben Gurion sogar für alle, die Auslandskontakte hatten, gefordert) für die anderen hat, nicht ganz leicht, hier die richtige Entscheidung zu treffen, ganz besonders was die Vornamen anbelangt: Zumindest (fast) jeder jüdische Junge bekam schon in Deutschland bei der Beschneidung einen hebräischen Vornamen, der aber, außer bei den Orthodoxen, nur selten benützt wurde. Von den Frauen hatten manche nie einen hebräischen Vornamen. Nach der Einwanderung entschieden sich diejenigen, die einen hebräischen Vornamen annahmen, auch nicht unbedingt für den, den sie als Kind erhalten hatten, sondern wählten u.U. einen neuen. Häufig aber wurde der hebräische Vorname nur in der Öffentlichkeit und bei neuen Freunden verwendet, in der Familie und im alten Freundeskreis aber wurden die gewohnten deutschen Vornamen, oft auch in Kurzform, beibehalten. Da diese Frage viel mit dem Identitätsgefühl der einzelnen zu tun hat, aber Theorie und Praxis hier manchmal auseinandergehen, bitte ich um Entschuldigung, falls wir nicht immer die richtige Entscheidung in der Reihenfolge der Namen getroffen haben. Die biographischen Daten fußen auf Angaben im Fragebogen, der meist schon vor den Interviews ausgefüllt worden war, aber gerade zur Ausbildung und Berufsausübung häufig keine vollständigen Daten enthielt. Einiges wurde aus den Protokollen ergänzt, die im Laufe der Zeit zu allen Aufnahmen gemacht wurden, doch waren auch die Interviews in dieser Hinsicht keineswegs vollständig, da es ja hier nicht primär um biographische Details gegangen war. 1994 wurde zwar mit einem Rundbrief jedem ein kurzer Entwurf der biographischen Angaben zugeschickt, doch wurden diese - bedingt durch Alter und Krankheit vieler der Angeschriebenen nur etwa von der Hälfte der Interviewten bestätigt bzw. korrigiert. Doch auch im Falle einer Bestätigung lagen recht unterschiedlich detaillierende Angaben vor. So sind nicht immer alle Ausbildungsphasen in Deutschland erfaßt, und die Gewichtung der Berufstätigkeiten in Palästina/Israel, bei denen oft viele Details für die Anfangstätigkeiten, aber wenig zur späteren eigentlichen Berufslaufbahn angegeben wurde, erfolgte sicher nicht immer befriedigend. Auch hier bitten wir um Nachsicht. Die Drangsalierungen in der Hitlerzeit, die zum Abbruch von Lehre, Schule, Studium und Berufsverbot führten, werden nicht immer deutlich. "Umschichtung" und Vorbereitung auf einen praktischen Beruf in Palästina erfolgten nicht immer als offizielle
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Hachschara, sondern sind manchmal auch nur daraus abzulesen, daß ein Abiturient anschließend eine Tischlerlehre machte, eine Medizinstudentin sich zur Laborantin ausbilden ließ, Rechtsreferendar(inn)e(n) als Sekretärin oder in der zionistischen Organisation weiterarbeiteten etc. In den 20er Jahren können allerdings die Fortsetzung nach dem Abitur als Verkäuferin oder Postbeamtin oder eine Arbeitslosigkeit auch inflationsbedingt sein. Die Anfangsberufe in Palästina waren bei manchen so zahlreich, daß nur einige genannt werden konnten, um diese Phase wenigstens etwas zu illustrieren. Da viele der Interviewten noch heute in ihren Berufen oder als Volontäre tätig sind, wurde dies, sofern Informationen vorlagen, erwähnt; "heute noch tätig als ..." heißt, zum Zeitpunkt der Aufnahme. Über eine Reihe an sich wichtiger Daten werden hier keine Angaben gemacht, so nicht über den Beruf der Eltern (auch nicht, wenn diese berühmte Persönlichkeiten waren - es sei denn, es gäbe Hinweise darauf im Textausschnitt), über Ehepartner, Kinderzahl (viele der Interviewten haben inzwischen eine große Anzahl von Enkeln und sogar Urenkeln: über diese wird im folgenden Band über die Sprachverhältnisse mehr Auskunft gegeben), Militärdienst bei den Engländern oder in der israelischen Armee (sofern dieser nicht zum Hauptberuf wurde), sowie nicht über einen Wechsel ins Altenheim. Ebenfalls nicht angegeben wurde, wenn der oder die Interviewte inzwischen verstorben ist. Informationen zur Aufnahmesituation: Außer der Interviewerin, dem Ort und Jahr der Aufnahme (allgemeines über die Umstände der Aufnahmen s.o.) sind hier gegebenenfalls zusätzlich anwesende Personen genannt: am Interview an anderen Stellen voll beteiligte als "mit teilnehmend", nur gelegentlich sich einschaltende als "mit anwesend" (mit kurzen biographischen Daten, falls bekannt); weitestgehend stumm anwesende Personen sind in Klammern erwähnt. 47 Interviews wurden von Anne Betten, 46 von Kristine Hecker, 8 von Eva Eylon und 7 von Miryam Du-nour geführt; dazu kommt 1 Selbstaufnahme. Linguistische Charakterisierung: Da fast alle Interviewpartner gepflegte Standardsprache und nur ganz selten stärker Dialekt sprechen (s.o.), sind nur wenige Angaben zum Grad der phonetischen regionalen Einfärbungen gemacht. Erfolgt gar keine Angabe zur Lautung, ist davon auszugehen, daß der/die Interviewte Hochlautung auf der Aussprachebasis seines/ihres Herkunftsortes verwendet. Ist der Wechsel zwischen einem mehr offiziellen Redestil in bewußt gestalteten Passagen und einem wesentlich
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informelleren, kolloquialen oder auch dialektalen Sprechen in small-talk-Abschnitten des Gesprächs oder häufigen Wiedergaben direkter Rede auffällig, wurde dies angedeutet. — Im Bereich der Morphologie sind es vor allem Verschleifungen, Kontraktionen, e-Elisionen, die einen etwas salopperen, "umgangssprachlicheren" Sprechstil anzeigen können. Auf der syntaktischen Ebene wird im Hinblick auf entsprechende Untersuchungen im zweiten Band vor allem auf syntaktische Komplexität und Korrektheit (gemäß der Ausgangshypothese "schriftnahes Sprechen") hingewiesen. Für Benutzer, die sich die ganze Aufnahme aus dem Deutschen Spracharchiv im IDS für gründlichere, eventuell ganz anders ausgerichtete Analysen kommen lassen wollen, finden sich gelegentlich Hinweise wie "interviewerorientiert", "stark dialogisch", um anzudeuten, daß die ganze Aufnahme weniger durch lange Monologe als vielmehr durch häufigen dialogischen Wechsel zwischen der Interviewerin und ihrem Interviewpartner bzw. in Aufnahmesituationen mit mehreren Gesprächspartnern der verschiedenen Teilnehmer gekennzeichnet ist. Angaben zur Tonqualität: Diese Angaben gelten über die ausgewählte Stelle hinaus für die ganze Aufnahme. Die Aufnahmen wurden mit verschiedenen Kassettenrecordern gemacht. Schlechte Qualität geht darauf zurück, daß bei einer ganzen Aufnahmeserie, von der Interviewerin unbemerkt, das Aufnahmegerät einen Defekt hatte. Ein weiteres, zu empfindliches Aufnahmegerät hatte keinen Windschutz am Mikrophon, was sich als störend erwies, da ein Teil der Aufnahmen wegen der sommerlichen Hitze auf offenen Veranden u.ä. gemacht wurde. Wegen der meist geöffneten Fenster sind öfter auch Straßengeräusche, Vogelgezwitscher oder ähnliche sporadisch auftretende Hintergrundgeräusche zu hören. Da im Laufe des Gesprächs fast immer etwas zu Essen und zu Trinken vorgesetzt wurde, ist auch nicht selten Geschirrklappern zu hören. Gelegentlich stand das Mikrophon für einen der Gesprächspartner ungeeignet, so daß Unterschiede in der Lautstärke der einzelnen Sprecher auffallen; manchmal gab es Probleme mit umfallenden Mikrophonen, Stolpern über Kabel u.ä.m. Die Mehrzahl der Interviews hat jedoch eine gute Qualität. Alle als "gut" bis "mittel" charakterisierten werden in den Jahren 1995f. am Institut für deutsche Sprache in Mannheim (ermöglicht durch Zuschüsse der DFG) digitalisiert, der Rest als Kassetten archiviert. Bei einer Bestellung der vollständigen Aufnahmen muß aus Gründen des Datenschutzes eine schriftliche Genehmigung von mir (A.B.) eingeholt werden, die das IDS vermittelt.
24 0.4.2 Die Transkriptionen
Da die Untersuchungsziele unseres Projekts im wesentlichen syntaktisch-stilistische, gesprächsanalytische und soziolinguistische sind, wurde keine phonetische, sondern eine für Gesprächsanalysen entwickelte Transkription gewählt. Sie basiert auf neueren Transkriptionsrichtlinien des IDS, wurde aber in Absprache mit Dr. Peter Wagener leicht abgewandelt. In die Kommentarzeilen sind nur Begleitphänomene aufgenommen, die u.U. einen Einfluß auf den Verlauf oder die Interpretation des Gesprächs haben könnten (also z.B. kein Hintergrundgeräusch, das von den Sprechern ignoriert wurde). Die Transkripte sind in Partiturschreibweise erstellt. Die Umschrift erfolgt generell in Kleinschreibung. Werden Buchstaben einzeln gesprochen, wie in bestimmten Kurzwörtern (z.B. 5/4) oder beim Buchstabieren, wird groß geschrieben. Sonst wird in Anlehnung an die Orthographieregeln verschriftlicht, mit folgenden Ausnahmen: Lautgetreu wiedergeben werden: Spirantisierung von /gl, Dialektmerkmale wie z.B. deutliche Entrundung, /e/- Elision, wenn eindeutig kein silbisches [n] realisiert ist (z.B. könri), Kontamination im Wort (z.B. ham). Eigennamen erscheinen stets in korrekter Schreibung, Ortsnamen sind hingegen gegebenenfalls phonetisch adaptiert. Werden Fremdwörter so ausgesprochen, wie es in der Herkunftssprache korrekt ist, sind sie ohne Zusatzbemerkung in der Normalorthographie der jeweiligen Sprache wiedergegeben; nur bei abweichender Aussprache erfolgt eine phonetische Transkription in der Kommentarzeile. Die Transkriptionen aus dem Hebräischen sind nach linguistischen Gesichtspunkten vorgenommen und weichen daher häufig von den heute in Israel auf der Basis des Englischen erstellten, aber auch von den früher in Deutschland üblichen Schreibungen ab; bei Namen von Organisationen u.ä. wurden einige Kompromisse gemacht, obwohl sich auch hier aufgrund der besonderen Probleme der Übertragungen aus dem Hebräischen die unterschiedlichsten Schreibungen finden lassen. Eine linguistisch befriedigende und allen Traditionen gerecht werdende Lösung ist hier leider nicht möglich.
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Transkriptionszeichen ja aber das ist kein
simultan gesprochene Äußerungen; durch das Unterstreichen wird die Extension markiert
LACHT
Wiedergabe einer nichtverbalisierten Äußerung
IRONISCH
Kommentar zur Äußerung (auf der Kommentarzeile)
LEISE, LAUT, LANGSAM, SCHNELL
auffallige Lautstärke oder Sprechgeschwindigkeit bei Beginn eines Beitrages (auf der Kommentarzeile)
LEISER, LAUTER, auffällige Veränderungen der Lautstärke oder der Sprechgeschwindigkeit LANGSAMER, während eines Redebeitrages (auf der Kommentarzeile) SCHNELLER TELEFONKLINGELN, HUPEN
Hinweis auf nicht-kommunikative (akustische) Ereignisse bzw. nonverbale Handlungen in der Gesprächssituation (auf der Kommentarzeile)
#
Bezugsbereich des Kommentars am Anfang und Ende
(war)
vermuteter Wortlaut
(mag?sag)
Alternativlautungen
(???)
unverständliches Wort
(???) (???)
unverständliche Wortgruppe, Phrase
*
Pause bis 1 Sekunde
**
Pause von 1 bis 3 Sekunden
*3*
Pause ab 3 Sekunden, mit Zeitangabe
+
unmittelbarer Anschluß (Anklebung) bei Sprecherwechsel
1
fallende Intonation
t
steigende Intonation auffällige Dehnung eines Vokals oder Konsonanten
=
Verschiffung eines oder mehrerer Laute zwischen Wörtern
/
Wortabbruch
hm
kurze Inteijektion
hm:
einfache Interjektion
hmhm
reduplizierte Inteijektion
26 0.4.3
Die Compact-Disc
Von den Texten der 46 Frauen und 75 Männer, die in diesem Band zu Wort kommen, konnte nur ein Teil auf die CD übernommen werden. Bei der Auswahl wurden verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigt, z.B. eine breite Streuung nach regionaler Herkunft in Europa sowie nach Ausbildung und Beruf. Die Texte sind vorwiegend nach chronologisch-thematischen Kriterien, und nicht nach sprachlichen Kriterien im Sinne der Ausgangshypothese ("schriftnahes Sprechen") ausgewählt. In sprachstilistischer Hinsicht handelt es sich vielmehr um eine völlig zufällige Zusammenstellung, die allenfalls das "durchschnittliche" Niveau des Gesamtmaterials repräsentiert. Die 38 Kurztexte von 15 Sprecherinnen und 23 Sprechern sind meist nur Ausschnitte aus den transkribierten Texten. Im folgenden sind die Seitenzahlen angegeben, auf denen sich die Texte der CD finden lassen; in einigen wenigen Fällen sind mehrere Textstellen aus demselben Transkript zusammengeschnitten, was auf der CD nicht markiert ist. 1
Das Leben vor der Auswanderung 1 Chuma Kolath, S. 84f. . 2 Akiba Eger, S. 39f. 3 Marianne Wahrmann, S. 54. 4 Hilde Rudberg, S. 79f. 5 Alfred Engel, S. 121f. 6 Gertrud Kedar, S. 60f. 7 Stefan Rothstein, S. 89f. 8 Mirjam u. Micha Michaelis, S. 108ff.
2
Verhaftung, Bedrohung, Auswanderungsbemühungen 9 Ada Brodsky, S. 219f. 10 Abraham Frank, S. 150f. 11 Josef Stern, S. 154. 12 Paul Feiner, S. 91f. 13 Siegfried Stern, S. 111.
3
Flucht, Lager, Befreiung, Aufbruch nach Palästina 14 Lisi Vardon, S. 158, 160 u. 161. 15 Betty u. Jehuda Ansbacher, S. 181f. 16 Yehoshua Arieli, S. 240f. 17 Gerda Levisohn-Marcus, S. 235ff. 18 Chaim Rosen, S. 229. 19 Ishak Naor, S. 245f., 248 u. 249f.
4
Nenanfang in Palästina 20 Cary Kloetzel, S. 266f. 21 Charlotte Rothschild, S. 271f. 22 Felix Wahle, S. 290f. 23 David Bar-Levi, S. 293f. 24 Eva Eylon, S. 289.
27 25 26 27 28
Ernst Pfeffermann, S. 275f. Abraham Friedländer, S. 313f. Chaim Sela, S. 322 u. 323. Michael Walter, S. 335f.
5
Spätere Berufe und Tätigkeiten im Alter 29 Nira Cohn, S. 355 u. 356f. 30 Gertrud Kedar, S. 369 u. 370. 31 Moshe Cederbaum, S. 372 u. 374.
6
Neue Beziehungen zur früheren Heimat 32 Mordechai Gilead, S. 392. 33 Shimshon Marcus, S. 393f. 34 Else Sternberg, S. 415f. 35 Rachel Beck, S. 406f.
7
Die 36 37 38
0.5
"Jeckes" Efraim Orni, S. 417f. Isak Blumenfeld, S. 423 u. 424. Else Sternberg, S. 414f.
Dank
Am Zustandekommen dieser Auswahlpublikation waren seit Beginn des Projekts 1989/90 sehr viele Menschen beteiligt, denen hier zu danken ist. Dies gilt natürlich allen voran für die Interviewten, die sich zu diesen Aufnahmen bereit erklärt haben und trotz ihres zum Teil schon hohen Alters die Mühe auf sich genommen haben, auf Zeitungsannoncen zu antworten, Fragebögen auszufüllen und einen ihnen in den meisten Fällen ganz fremden Menschen aus Deutschland stundenlang für dieses Interview bei sich zu Hause aufzunehmen. In der Organisationsphase war uns ferner die Hilfe von Mitarbeitern des "Irgun Olej Merkas Europa", vor allem des damaligen Kulturreferenten Abraham Frank, sehr wertvoll. Dr. Esriel Hildesheimer, Jehuda Steinbach, Eva Eylon und Nira Cohn waren später mit Auskünften zu vielen Detailfragen besonders kooperativ. Diesem großen Entgegenkommen in Israel und der uns erwiesenen Freundlichkeit, aus der in vielen Fällen sogar Freundschaft wurde, werde ich mich immer mit großer Dankbarkeit verpflichtet fühlen. Sodann gehört mein Dank den anderen Interviewerinnen (s. schon oben S. 8f.): Dr. Kristine Hecker, die mich überzeugt hat, dieses Projekt anzugehen, die es vorbereitet und mit großem Einsatz bei den Interviews begleitet hat; Eva Eylon, deren Hilfsbereitschaft überwältigend war; Dr. Miryam Du-nour, durch deren Sachkenntnis die Interviews an fachlicher Kompetenz gewan-
28
nen, was vor allem dem gemeinsam konzipierten zweiten Band zugute kommen wird. In besonderer Weise geht das vorliegende Buch auf die intensive Mitarbeit von Sigrid Graßl, M.A., zurück: In der ersten Arbeitsphase hat sie zusammen mit anderen Helfern Transkriptionen, Protokolle, Themenlisten u.a.m. aus der riesigen Materialmenge der Aufnahmen erstellt. Hierbei haben auch meine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen an der Katholischen Universität Eichstätt, Dr. Claudia Riehl und Gudrun Dreher, M.A., und die Sekretärinnen Christa Plötz und Birgit Lindner mitgewirkt sowie eine große Zahl wechselnder studentischer Mitarbeiter/ -innen, von denen vor allem die letzte, besonders motivierte Gruppe mit Christian Albert, Christine Badstöber, Astrid Heumann, Peter Kammler, Norbert Lehning, Elke Probst und Georg Tannheimer genannt werden soll. Sigrid Graßl hat sodann zusammen mit mir die Auswahl der Texte für diesen und den Folgeband getroffen und in vielen Absprachen mit Dr. Peter Wagener und Toningenieur Wolfgang Rathke vom Institut für deutsche Sprache sowie dem Lektorats- und Herstellungsteam des Niemeyer-Verlages unter Leitung von Birgitta Zeller nicht nur die sehr zeitaufwendigen endgültigen Transkriptionen, sondern auch die vollständige drucktechnische Herstellung dieses Bandes vorgenommen. Ihnen allen, besonders aber Sigrid Graßl, sei für ihr großes, unermüdliches Engagement gedankt! Daß dieses Unternehmen so breit angelegt und mit der Hilfe so vieler durchgeführt werden konnte, ist schließlich das Verdienst der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Katholischen Universität Eichstätt, die das Projekt von 1989 bis 1995 auch über schwierige Haushaltssituationen hinweg tatkräftig finanziell unterstützt haben.
0.6 Literatur
Zum sprachwissenschaftlichen Hintergrund: Betten, Anne (1977/78): Erforschung gesprochener deutscher Standardsprache, Teil I in: Deutsche Sprache 5, S. 335-361, Teil II in: Deutsche Sprache 6, S. 21-44. Betten, Anne (1994): Zur Spontaneität autobiographischer Erzählungen. Vergleich eines Interviews der ehemals österreichischen, heute israelischen Schriftstellerin und Journalistin Alice Schwarz-Gardos mit ihrer schriftlichen Autobiographie, in: Grazer Linguistische Monographien 11, Festschrift für K. Sornig zum 66. Geburtstag, Graz: Institut für Sprachwissenschaft der Universität Graz, S. 1-11. Betten, Anne (1995): Stilphänomene der Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Wandel, in: G. Stickel (Hg.): Stilfragen, Berlin/New York: de Gruyter (Jahrbuch 1994 des Instituts für deutsche Sprache), S. 257-279.
29
Koch, Peter/Oesterreicher, Wulf (1990): Gesprochene Sprache in der Romania: Französisch, Italienisch, Spanisch, Tübingen: Niemeyer. v. Polenz, Peter (1989): Das 19. Jahrhundert als sprachgeschichtliches Periodisierungsproblem, in: D. Cherubim/K. J. Mattheier (Hg.): Voraussetzungen und Grundlagen der Gegenwartssprache. Sprach- und sozialgeschichtliche Untersuchungen zum 19. Jahrhundert, Berlin/New York: de Gruyter, S. 11-30. Rath, Rainer (1979): Kommunikationspraxis: Analysen zur Textbildung und Textgliederung im gesprochenen Deutsch, Göttingen: Vandenhoek u. Ruprecht. Redder, Angelika/Ehlich, Konrad (Hg.) (1994): Gesprochene Sprache. Transkripte und Tondokumente, Tübingen: Niemeyer (PHONAI 41). Sonderegger, Stefan (1979): Grundzüge deutscher Sprachgeschichte. Bd. I, Berlin/New York: de Gruyter. Texte gesprochener deutscher Standardsprache I-IV (1971-1979), erarbeitet am Institut für deutsche Sprache, Forschungsstelle Freiburg i. Br., München: Hueber (Heutiges Deutsch II/1-4). Wagener, Peter (Hg.) (1995): Tonauftaahmen des gesprochenen Deutsch. Dokumentation der Bestände von sprachwissenschaftlichen Forschungsprojekten und Archiven, Tübingen: Niemeyer (PHONAI 40). Zum historischen Hintergrund: Anderl, Gabriele (1992): Emigration und Vertreibung, in: E. Weinzierl/O. D. Kulka (Hg.): Vertreibung und Neubeginn. Israelische Bürger österreichischer Herkunft, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, S. 167-337. Erel, Shlomo: Neue Wurzeln. 50 Jahre Immigration deutschsprachiger Juden in Israel, Gerlingen: Bleicher. Erel, Shlomo (Hg.) (1994): Kaleidoskop Israel. Deutschsprachige Einwanderer in Israel erzählen (Aus Briefen, Tagebüchern, Aufzeichnungen und Gedichten), Klagenfurt: Alekto (Edition Mnemosyne 2). Godenschweger, Walter B./Vilmar, Fritz (1990): Die rettende Kraft der Utopie. Deutsche Juden gründen den Kibbuz Hasorea, Frankfurt/M.: Luchterhand. Schwarz-Gardos, Alice (1991): Von Wien nach Tel Aviv. Lebensweg einer Journalistin, Gerlingen: Bleicher. Wetzel, Juliane (1993): Auswanderung aus Deutschland, in: W. Benz (Hg.): Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, 3. durchges. Aufl. 01988), München: Beck, S. 412-498. Zadek, Walter (1981): Emigration und Wesens Verwandlung, in: W. Zadek (Hg.): Sie flohen vor dem Hakenkreuz. Selbstzeugnisse der Emigranten. Ein Lesebuch für Deutsche, Reinbek: Rowohlt (roak 4836), S. 171-185. Für die Anmerkungen verwendete Nachschlagewerke: Duden. Fremdwörterbuch (1990), 5., neu bearb. u. erw. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag (Duden Bd. 5). Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Ein Lexikon zu Leben und Werk (1993), hg. v. J. Dick/M. Sassenburg, Reinbek: Rowohlt. Meyers großes Taschenlexikon in 24 Bänden (1981), Mannheim/Wien/Zürich: Meyers Lexikonverlag.
30 Neues Lexikon des Judentums (1992), hg. v. J. H. Schoeps, Gütersloh/München: Bertelsmann Lexikon Verlag. Philo-Lexikon. Handbuch des jüdischen Wissens (1982), unveränd. Nachdruck d. 3. verm. u. verb. Aufl. von 1936 (Philo-Verlag), Königstein/Ts.: Jüdischer Verlag im Athenäum Verlag. Universalgeschichte der Juden. Von den Ursprüngen bis zur Gegenwart. Ein historischer Atlas (1993), hg. v. E. Barnavi/dt. Ausg. hg. v. F. Stern, Wien: Brandstätter.
1 Das Leben in Mitteleuropa bis zur Emigration
33
1.1 Kindheit, Elternhaus, Ausbildung, Berufstätigkeit vor und direkt nach 1933
Der Tanzstundenherr Chuma Betty Kolath (geb. Betty Lewy), * 1908 in Stettin Kindergärtnerinnenseminar, Soziale Frauenschule, Hochschule für angewandte Kunst; tätig in Berufsberatung und jüdischer Gemeinde; Umschichtung (Landwirtschaft); 1934 Emigration nach Palästina; anfangs im Kibbuz (u.a. in der Küche), dann in einem Dorf Schafzucht, danach wieder Kibbuz (Gemüseanbau), Arbeit in einem Labor für Boden- und Wasseruntersuchungen, später nebenbei wieder gemalt, einige Ausstellungen; seit 1964 in Kirjat Tivon. Aufnahme: Anne Betten, Kirjat Tivon 1991. Sehr bewußtes, engagiertes, lebendiges Erzählen in stark wechselndem Sprechrhythmus, häufig sehr schnell, mit Tendenz zum Verschlucken von Wörtern und zu elliptischen Sätzen. Abwechslungsreiche Intonation. Tonqualität: gut.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23
CK: [...] ja ich möchte noch eine geschichte erzählen* *4* jat * ich möcht noch eine geschichtet mit fünfzehn jahrent ** diese geschichte die ich jetzt erzähle * is: ** vielleicht nicht ganz * ä: ** geeignet aber sie is so schön ** daß ich sie doch mit erzählen möchtet also mit fünfzehn jähren * sollte ich * war auch ich war η bißchen ungeschickt ich war η bißchen schüchtern* ** und meine eitern wollten mir tanzstunden geben lassen! ** es * kam ein kreis zustande ** von ** fünfzehn jungen und sechzehn mädelst ** guten jüdischen familien ** bekannte freunde ** und ** (man fand) auch eine * ballettlehrerin das heißt das muß gewesen sein neunzehnhundert ä:: (weil weil ich ja) acht geborn * dreiunzwanzich vierenzwanzich so #(ungefährt)# ** ä::m:: es Κ #LEISER # CK: g/ gab auch einen einen ä: einen ** (alte) * ein cafe was einen räum hattet ** uns fehlte der sechzehnte herrt ** herrt ** so war man* SCHNAUFT ** es war anfang unterprima oder sot ** und die jungens die da warn die jungen herrnt * (sagten) acht * bei uns is einer in der klasse ** den ** können wir * mit bittent * der is bestimmt nich antisemitisch was damals sehr wichtich wart ** is bestimmt nich antisemitisch ** und der is sogar η
34 24
bißchen ** links*politisch ** und er is * hochanstän-
25
dich ** er is zwar ein aus proletarischer herkunftt
26
aber * er is: ** möchte schrecklich gern ** η hm biß-
27
chen was * schliff kriegen und * lernen ** und den wer-
**
29
AB: also der war nichtjude CK: den wir bitten als * herrn! **
30 31
AB: nehm ich an! nachdem was sie * der einzige der jetzt CK: der war nichtjude! aber nicht
32 33
AB: ja! hmhmt das hat ma so erwogen! * hmhmt der CK: einziger der nichtjude war!
34 35
AB: paßt! hmhm! CK: +es war eigentlich ein η jüdischer k/ ä kreis
36 37
AB: hm:I CK: und man hat immer angst gehabt vor antisemitischem
38 39
AB:
28
CK: 40 41 42
fehlte ein herr! * (nu ja also! bei der) ** und dann ** ä: id/ in/ inzwischen hatten sich die andern hatten sich schon alle irgendwie zu paaren geordnet das heißt
46
* ä man hat ja mit einem festen * herr/ * ich sag herrn
47
und damen denn so wurden wir da so
48
(immer) * (un m/)
herren und damen hatten sich schon irgendwie ** ä: hm *
49
gi/ ä geeinicht wir ä be/ also man hat ja die diese
50
tänze gelernt immer mit demselben * partner! sagn wa
51
mall ** und also wir
52
(kom/) für mich war keiner daT **
und ich hab mir schon gedacht ach jetz werde ich also
53
diesen ** jungen mann da * aus der klasse von den *
54
andern! ** und es kommt auf mich zu ** ein junger mann
55
** klein ** blond: ** nich so seh:r * ä:m: grade ge-
56
64
irgendwie auch gesellschaftlich
die eitern kannten sich ** und es ergab sich sol· es
45
62 63
hm:! * *
CK: schließen aber
44
60 61
(pöbel)! * man hat ä ä: de/ das war nich andere auszu-
AB:
43
57 58 59
hm: !
wachsen! *4* stellt sich vor ** erich mielkel AB: CK: Κ CK: Κ CK: Κ CK:
*3* läu-
hmhmi ** tet=s bei ihnen* *
sag ich angenehm* ** #ach #LANGfräulein lewy! ** ich habe sie doch schon ** vorijes SAMER, SEHR AKZENTUIERT jähr * im strande * am strande so bewundert!# ** mir # lief es kalt den rücken runter! *3* (nich) was is das
35
65
für ein mensch* ** er hat mich die ganze zeit * nicht
66
einmal ** grade in die äugen ** gekuckt* ** er hat im-
67
mer ** auf die nase oder aufs kinn gekuckt* ** dieser
68
mann ** war mir derartich * unsympathisch* * und un-
69
heimlich* ** auf der andern seite hatt=i entsetzliche
70
angst er könnte denken weil er kein jude is* oder weil
71
er nich so schön gewachsen is ** oder weil er ein pro-
72
letarier is* ** und ich habe alles getan ** um ihm
73
jetzt dieses gefühl bei ihm nicht aufkommen zu lassen*
74
*3* und: ** da kam noch was dazu* ** etwas sehr persön-
75
liches* ** zwei Sachen* * erstens mal hat er immer nach
76
* schmierseife gerochent * er hatte keinen persönlichen
77
geruch * wie alle andern jungensf ** er hat nach
78
schmierseife so als ob er zu hause * seine mutter ihm
79
gesacht hat weißt du wenn du jetzt zu den feinen leuten
80
gehst * du mußt immer schön sauber sein* und das war
81
er* ** a sein Scheitel war grade gezogen* es war nicht
82
ein härchen beiseit* er war ** der einziehe der immer *
83
hundertprozent ** gut rasiert war* ** aber er roch nich
84
nach * nach rasierseife sondern nach nach * schmiersei-
85
fe* ** und jetzt hatte ich eine * fürchterliche angst*
86
* die mir bis heute noch * ich krieg heut noch herz-
87
klopfen* ** man könnte denken ** daß ich * aus irgend-
88
welchen andern gründen ** ihn nich ** ich habe angst
89
gehabt ihn anzufassen*
90
[KOMMENTARE ZU DIESER GESCHICHTE; 4:00 Min.]
91
CK:
[... ]
[...] jetzt kommt noch eine * ein STOCKT kleine ä::
92
noch etwas dazut ** um die sache ä nich so ernst zu
93
nehmen wie se eigentlich is ** es kam zum schlußballt
94
** und am schlußball ** kriechten wir doch das war doch
95
damals so ganz das mußte so streng sein wie bei großva-
96
tern * die mädchen mußten: * dem herrnt ** eine *
97
schärpe * sticken lassen denn selbstgestickte hat hat
98
keinert * mi/ mit ä: zum andenken an die schöne tanz-
99
stundenzeit so und so * mit=m datumt ** und ä zwar muß-
100
te de schärpe sein in derselben färbe sein wie das:
101
ballkleidf * zum schlußballt ** und ä: ** und dann wur-
36
102
de uns eingeprägt! * ä:m zur damenwahl muß man als er-
103 104
Κ
105
CK: will) tanzen*# ** außerdem konnten wir einladen *
106
Κ
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CK: freunde bekannte vettern und so weiter* * ich war da-
108
stes dem * herrn mit dem man eben also gesagt #(dem # LEISER # mals s/ s/ 1
über die ohren verliebt * in einen * über-
109
vetter
110
damenwahl mit dem tanzen* ** was hab ich gemacht ich
111
war damals schon ein * (revolutionär)* habe den herrn
112
mielke sitzen lassen * und habe meinen Übervetter zur
113
damenwahl aufgesetzt* * und habe ihm ** nachher über-
114
reicht ** als schärpe * ich habe * gefunden das find
115
ich schrecklich wenn man dann * der Stickerin ** zehn
116
mark bezahlt damit sie das stickt * ich habe damals
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schon sehr schön kunstschrift gekonnt und habe * ein
118
hellblaues * schöne schärpe gekauft * und habe mit
119
kunstschrift mit goldfarbe * geschrieben aber mit * go-
120
tischer schrift zur (höchst/) andenken und fand das
121
herrlich ** aber ich seh noch das bi/ den den blick von
122
herrn mielke* ** diesen herab**lassenden * mundwinkel*
123
na * die hätte auch zehn mark ausgeben können für die
124
Stickerin* * so ungefähr* ** jetzt habe ich nachdem *
125
ich jetzt vor anderthalb jahrent ** gelesen habe ** was
126
mit diesem jungen mann weiter passiert is (da grad) och
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* das is es* * das is es* ** ich hab durch mein verhal-
128
ten damals bei dem schlußball * dazu beigetragen * daß
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er * noch kommunistischer geworden ist* ** und daß er *
130
noch mehr ** judenhasser geworden ist* ** und ich habe
131
schuld daß er so geworden is (wie=s)* * ich habe ganz
132
im ernst ** tagelang drüber nachgedacht * was * mein *
133 134 135
von mirt ** und wollte schrecklich gern bei der
AB: bei der damenwahl* CK: schlechtes benehmen damals ** äj_ veranlaßt hat* bei der damenwahl*
Vetter 2. Grades.
37 Gutbürgerliches Elternhaus und humanistisches Gymnasium in Cottbus Abraham H. Friedländer (ehem. Horst Friedländer), * 1916 in Cottbus Abitur, Umschichtung (Landwirtschaft) in Dänemark; 1936 Emigration nach Palästina; zunächst im Kibbuz, später Jugendleiter, Gewerkschaftssekretär, nach Abendstudium (Jura) in juristischer Abteilung der Gewerkschaft, danach selbständiger Anwalt und Notar (Spezialist für Arbeitsrecht). Aufnahme: Anne Betten, Tel Aviv 1991. Teilweise märkisch-regionalsprachliche Färbung, große Nähe zum Berlinerischen. Lange, oft hypotaktische Satzkonstruktionen im Wechsel mit Telegrammstil und dialogischer Spontaneität. Sprechgeschwindigkeit variierend, manchmal sehr schnell. Tonqualität: gut. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
AB: d e i n v a t e r wenn i c h da mal e b e n z w i s c h e n f r a q e n d a r f AF: auch e i n AB: ja:Φ +und d e r AF: a e b o r n e s k i n d i n c o t t b / i n C o t t b u s a e b o r n * AB: war kaufmannΨ kann man d a s p r ä z i s i e r n t ** AF: kaufmannt hm:: d i e d / e : r e r war ** e i n b e k a n n t e r k a u f m a n n * weg e n s e i n e r e h r l i c h k e i t und a n s t ä n d i c h k e i t e r war S c h ö f f e i n C o t t b u s ** und ** l e b t e a u / mehr o d e r w e n j e r
als
s e i n e m b e r u f n a c h * a l s : g e t r e i d e h ä n d l e r g r o ß h ä n d l e r ** meine m u t t e r w a : r d i e ä hm * d o m i n a n t e i n d e r a u c h i n d e r f a m i l i e ** k u l t u r e l l u n : d g e i s t i c h ä d e : r m i t t e l AB: AF: p u n k t t
wo stammte d e i n e m u t t e r h e r t *
* meine m u t t e r ä
15 16 17 18
g e b o r n i n n e r d e u t s c h - p o l n i s c h e n g r e n z s t a d t i l o w o * ** d i e : ** m i t ** a u s einem a n d e r n k u l t u r k r e i s kamen mehr ä v i e l mehr j ü d i s c h e r * v i e l f r o m m e r t ** ne g o t t e s f ü r c h t i g e p / p e r s o n m i t ** m i t k o s c h e r e m 2 h a u s h a l t und
19 20 21
m i t * s y n a g o g e n b e s u c h und * und a : e b e n d a s e i n e e i n e t o c h t e r e i n e : r s e h r s t r e n g e n * r e l i j ö s e n f a m i l i e ** d a d u r c h ** d i e d a s z u s a m m e n t r e f f e n d e r d e u t s c h e n eman-
22 23 24
z i p i e r t e n ä: * f a m i l i e mit e i : n e r j ü d i s c h e n t o c h t e r aus einem j ü d i s c h e n * s t r e n g j ü d i s c h e n n i c h o r t h o d o x e n h a u s h a l t a b e r ** hmhm * einem h a u s h a l t d e r * b e z i e h u n g
25 26
h a t t e zu p o l e n und zu wa/ a zu r u ß l a n d und ** d e r e n HUSTET e i n e w e i t e f a m i l i e d e r e n b r ü d e r ** a u c h im d e u t -
27 28
s c h e n h e e r w/ s / s e h r a k t i v w a r e n und * ä i n j ü d i s c h e n s c h u l e i n f r a n k / i n f r a n f u r t am m a i n da g a b = s e i n e b e Hebr. (in aschkenasischer Form): den jüdischen Speisegesetzen entsprechend.
38 29
rühmte ** ä: berühmtes gymnasium dieses besucht
jüdi-
30 31
AB: das hirsch 3 * AF: sches gymnasium besucht ha:m
32 33
AB: hnU AF: tich* * HOLT LUFT HUSTET das is immerhin in deutschland
34
schon tradition gewesen * für * gewisse reljöse * krei-
35
se die sich das auch la/ erla/ erlauben konnten*
hmrieh/ rich-
** so
36 37
AB: AF: d a ß ich ä: meine jugendzeit
im hause ** m/ mehr oder weniger
38 39
AB: deiner mutter wurde aber deutsch gesprochen* AF:
40 41
AB: AF:
42 43
AB: ja* sowieso* ja* AF: die in der polnischen grenze war* s war η deutscher
44 45
AB: AF: haushalt*
46 47
AB: hmf hm Τ AF: land es war zwar ein grenzortt
* hm:* hm ja: *
gab es da ä: traditionen (das wäre) was heißt im hause meiner mudder wenn
ja ja* die ganze familie hat war in deutsch* und dadurch aber es: *
48
ä es: deutsch war immer ä: ** de/ auch die jetζ wie ich
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die geschichte der familie nachgeschaut habe
50
* einige ge/ generationen also * deren zentrale war im-
51
AB:
hmhmt
52
A F : mer ein deutscher kulturkreis*
**
(mehr) da
** ja zurückzu-
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kommen auf Cottbus ** ä: die ä: * die: tradition des
54
deutschen gymnasiums * η ho/ das ich besuchen konnte **
55
hatte eine ganz besondre art von erziehung* hängt
56
natürlich auch sehr viel von der * schuldirektion ab
57
wen we/ welcher richtung ob sie * noch sehr beeinflußt
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waren von * kaiserzeit oder von weimarzeit ob die
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Schulbücher noch ** noch so gewesen sind wie sie zur
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kaiserzeit warn oder ob sie schon geändert wurden*
61
im großen un ganzen hatten wir das glück * gute * gute
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lehrer zu haben ** und fortschrittliche
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progressive lehrer mit sehr viel Verständnis*
64
die schule an sich ein ein gutes renommee hattet
3
hing
**
lehrer und * ** so daß ** mit
Benannt nach dem Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808-1888), seit 1851 Rabbiner der orthodoxen "Israelitischen Religionsgesellschaft" in Frankfurt/M., die er zu einer orthodoxen Modellgemeinde ausbaute; bedeutendster Theoretiker der Neuorthodoxie.
39 65
sehr viel mati/ lehrmateriale also wenn ich das heut
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überlege neun jähr lateine * sechs jähr griechische *
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vier jähre französische sechs jähr englische
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isch oder latein als wahlfra/ wahlfall * wahlfreie
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das sind für für kinder der der auch noch sportlich
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oder so andre noch intresse hatten * wie ich war * wur-
71
de doch sehr sehr viel material hineingepfropft in ein
72
* Schulkind weiß natürlich nich ob das heute noch *
73
heute gibt=s ja diese dieses ä art dieses humanistische
74
gymnasium ganz ganz selten glaub in torgau ** an ganz
75
wenjen platzen gibt es noch in deutschlande aber d/ *
76
man is davon abgegangen und mehr übergangen auf real*-
77
gymnasium real * und weniger ä diese humanistische **
78
liniee obwohl ich ä ein anhänger bin grad
79
manistischen ausbildung weil ich der ansieht bin das **
80
das gibt die grundlage fürs lebene
** hebrä** ä
(dieser) hu-
[...]
Primanervortrag über Deutschlands Stellung in der Welt Dr. Akiba Eger, * 1913 in Königsberg Studium (Sozialökonomie/Geschichte/Philosophie); 1933 Emigration nach Frankreich, Fortsetzung des Studiums, Umschichtung (Landwirtschaft); 1935 Emigration nach Palästina; seitdem im Kibbuz mit verschiedenen Tätigkeiten; Besuch der London School of Economics; Leiter des Afro-Asiatischen Seminars, später des Afro-Asiatischen Instituts in Tel Aviv; heute Archivar im Kibbuz. Aufnahme: Kristine Hecker, Kibbuz Nezer Sereni 1991. Ostpreußische Färbung (v.a. beim [r]). Überlegtes Sprechen mit komplexen Satzkonstruktionen. Tonqualität: gut. 1
AE:
2
[...] ä: ich bin als jude erzogen worden und als jude aufgewachsenf
** und als #deu/ als deutscher aucht# **
3
Κ
4
AE: als deutscher judef ** ä::m bis zu einem bestimmten::
5
umbruche jat ** abe:r ** die das intresse an der weit
6
** und ä: sich in ein Verhältnis zu setzen zur ** zur
7
zur weite ** das war bei mi::r * schon sehr früh vor-
8 9 10
Κ
#LEICHT LACHEND
#
handene ** und schon ä: ** schon auf de:r auf der schulee ich weiß #wir hatten ein * einen redner#**wettbe#LACHEND #
40 in der * primat
chuzpe 4
11
AE: werbt
** und da hatt ich die
12 13
KH: ja4- LACHT VERHALTEN AE: das wissen sie was das is* jat ä: eine:
14
rede zu halten über deutschlands Stellung in der weit*
15
HOLT LUFT HUSTET was ich un/ unglaublich finde*
*3*
16 17
KH: warn sie siebzehn so* net (siebzehn) achtzehn* AE: war ich siebzehn* ia* **
18 19
Κ
20
AE: ich dann nich den ersten preis bekommen* ** ja: heute:
21
#da war ich siebzehn*# ** und nur weil ich jude war hab #LEISER #
** is das schon keine Überheblichkeit mehr wenn ich sa-
22 23
Κ
ge daß * d a ß meine rede viel besser w a r als die #die #LEICHT
24 25
AE: den ersten preis# bekomm hatte* Κ LACHEND #
26
AE: war) das auch nich dasselbe thema* * er hat
27
über ** was sagt uns jungen die geschichte*
28
natürlich η viel: ä: ** besseres thema ** für einen
29
primaner* und nicht deutschlands Stellung in der weit*
30
* Überheblichkeit*
31
mich in den
32
ken* jat
** und e::r ** er
gesprochen ** das=s
** aber ich hatte immer versucht
(weltlichen) und auch so im jüdischen den-
** ich hab ihnen so gezeigt nur so=n paar **
33 34
KH: a da war ich auf diesem vortraa in AE: vorträae weil ich hab mich schon mit
35
oder sechzehn jähren hab ich vorträge gehalten
36 37
KH: AE:
(häl/
fünfzehn in::
(jat) ** in:: jüdischen jugendgruppent
** die: ä:: sich
38
einfach auseinandersetzten mit ä: ** mit ä:: dem Ver-
39
hältnis: *3* der jüdischen menschen zur jüdischen ge-
40
meinschaft und auch zur * zur deutschen
41
** zum antisemitismus das das ä: HOLT LUFT ä das is
42
sch/ is schw/ schwer auseinanderzuhalten*
43
als Sozialist hab ich imme::r ich bin sehr früh Sozialist geworden*
gesellschaft*
jat obwohl ich ** in keiner
jat
** und
44 45
Κ
46 47
AE: schen # familie aufgewachsen bin* * im gegenteil* Κ CHEND #
48
AE: ä:: es hat mich auch dazu gebracht ä: ** STOCKT ein
Hebr. (in aschkenasischer Form): 'Unverfrorenheit', 'Dreistigkeit'.
#sozialisti#LEICHT LA**
41 49
Verhältnis zu finden zu * dem was in der weit ä: be-
50 51
steht und ** was sich in der weit entwickeln:: soll* *4* so ist es sicher vielen gegangen*
Lieblingsschüler des Deutschlehrers Isak Blumenfeld, * 1912 in Oswiecim (Polen), aufgewachsen in Wien Pharmaziestudium; 1936 Emigration nach Palästina; Apotheker. Aufnahme: Anne Betten, Tel Aviv 1991. Hochösterreichische Grundfärbung mit einigen Beimengungen nordöstlicher Herkunft (Böhmen/Schlesien/ Galizien?). Ruhiger, flüssiger Erzählstil. Tonqualität: gut. 1
AB:
[...] w:ie:: ist das ä: ä Verhältnis* von ihren * jü-
2
dischen * wurzeln ** von ihr/ ihrem judentum * ihrem **
3
Staatsbürgerschaft als israelii * zu ä ihrer deutschen
4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
* muttersprache * ä zu der deutschen kultur die sie * in der sie noch groß geworden sind und in der sie auch * noch in einem gewissen grad weiterleben heute für sie* is das is das eine schwierichkeit das zu verbinden war das immer ganz natürlich* * wie verteilt sich IB: nein* AB: das* * IB: nein* ich glaub ich hab es schon in meiner kindheit verbunden* ** ä: zum beispiel * in der schule* ** hatt ich einen ä: * deutsch ä lehr/ in der mittelschule einen deutschlehrer* ** das war so ein: richtiger germane wie man sich einen germanen vorstellt* * groß blond und ä * sehr d/ deutsch a ich mein damals wußte man noch nichts über nationalsozialismus ich weiß nicht ob er später ein nazi war oder nicht * aber sehr deutschnational eingestellt* ** und ich war sein liebling* ** denn ä: ä ** meine mitschüler haben immer darüber gelacht da sacht er bei den aufsätzen vom blumenfeld * da wenn er den namen sieht da schreibt er erst a sehr gut drunter und nachher liest er ihn* ** und meine * aufsätze wo überall wo äm ** (meine) freien ä: freies thema ** wählen konntet ** haben so ausgesehen daß ich
42
26 27
28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59
60 61
62
ihm ä: daß ich mein judentum * hervor*gehoben hab! * und ä: * zum beispiel! wir haben einmal ich hab ihnen das auch le/ letztes mal schon * erzählt1 wir haben einmal über die analyse von Sprichwörtern ** gelernt daß man die nach einem bestimmten lateinischen schema quis quid cur contra simile paradigmata tos/ testes ** ä: * ä * analysierte * und ä: * ä ä dann h::am wir ein: ** sollten wir eine ** Schulaufgabe schreibend ** wählt euch irgendein * Sprichwortt ** und analysiert es nach diesem * schema! * also daraufhin hab ich gewählt wer dem andern eine grübe gräbt fällt selbst hinein! ** und dazugeschrieben also quis wo/ woher stammt das Sprichwort t * das is kein deutsches Sprichwort sondern steht in der bibelt * in ä: * den ä: ** ä * Sprüchen in den Sprüchen salomost * hab das * hebräisch zitiert mit an/ mit quellenangabet * und das alles hat=s damals das hat=s großen eindruck gemacht der hat das dem ä * ä:: * christlichen je:/ religionslehrer gezeigte und ä:: * so weiter! * oder wie wir übe:r die Siegfried * gel/ ä:: * gelern/ die siegfriedsage gelernt habend ** das ä da hab ich: dann auch einen aufsatz darüber geschrieben * das is sind die motive stammen * nicht ** ä sind sind keine deutschen motive sondern stammen aus der bibel! * von ä * schimschon! ä: samson! * über herkules! ** und hab die einzelnen * motive ** in den drei sagen miteinander verglichen wie sich * die entwickelt ham! zum beispiel die rolle der frau * bei ä * ä schimschon hat die * frau die dalila ihn * verraten! * bei herkules hat sie das ** unabsichtlich getan ohne * zu wollen! ** bei ä: * ä * ä SCHLUCKT bei Siegfried * hat sie es getan hat sie das ä dem hagen verraten ** weil sie ihn schützen weil se se dachte daß hagen sein freund is und ihn schützen wollte! damit er ihn schützen kann! * und so weiter! also die einzelnen motive in den * also so * so daß ich * von * von jugend an in beiden ä:: kulturn * und ä: ** diese:r deutschlehrer hat das sehr hat das sehr geschätztt
43
Erste Berührung mit dem Zionismus in der Israelitischen Gartenbauschule Bei^jamin Jeremias (ehem. Bruno Jeremias), * 1910 in Posen Jüdische Gartenbauschule, landwirtschaftliche Ausbildung, Ausbilder auf einem Umschulungsgut; 1931 Emigration nach Palästina; zunächst im Kibbuz, dann bei einer englischen Firma (Viehzucht), später Instruktor für Neueinwanderer, daneben u.a. Gasgerätegeschäft; 1994, nach seinem Tod (1992), Verleihung der Ehrenbürgerwürde des arabischen Ortes Masraa wegen seiner humanitären Verdienste. Aufnahme: Kristine Hecker, Naharija 1989. Anfangs mit anwesend: seine Ehefrau Hannah Jeremias. Überlegtes, ruhiges Reden mit vielen Pausen; anfangs stark interviewerorientiert. Tonqualität: mittel bis schlecht. Interviewter zu weit vom Mikrophon entfernt, spricht im Liegen (kam gerade aus dem Krankenhaus). 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
BJ: [...] und * hier ich habe ** vierenzwanzich* ** den großen wünsch meines ** vaters ** erfüllen wollen* ** daß eins * einer seiner söhnet ** deutschen * boden beKH: ja: Ψ * # boden bearbeiBJ: arbeiten lernt* * #deutschen #MIT NACHDRUCK# Κ BJ: ten lernt* ** so bin ich in die ** israelitische gartenbauschule ** ä:: ** nach: * ahlem ** gekommen* [ÜBER FAMILIE UND VERWANDTE; 17:00 Min.] BJ: [...] ich: ä ** bin dann tatsächlich ** bewußt gärtner geworden* ** und hab ä: ** drei jähre in ahlem die a wo is das ahlem* * KH: BJ: schule besucht* und (das war) ahlem is eine ** israelitische gartenbauschule * in der nähe von hannoKH: a:* * ahlem: die:: von juden gegründet wart ** BJ: vert * und hatte diese KH: heißt die* A H L E M * *4* HUSTET * BJ: ahlem* KH: schule hm ä: irgendeine zionistische ausrichtung oder überhaupt nich* +nein* ** diese schule ** hat einen *3* BJ: allgemein jüdischen* *3* aber ** auf eine merkwürdije weise * infizierten * zionistischen * anfall bekommen* ** und zwar sind aus palästina* ** kinder von schülern * dieser schule* ** zurückgekommen von palästina* ** um in der ahlemer schule dieselbe au/ harte ausbildung zu bekommen wie die eitern* ** und so is des * niveau der schule ** ungewollt: * oder im gegenteil nicht gewollt ** zionistisch geworden* ** a zum beispiel ich war ** mein vater war ** antizionist* * wir ham * sein bruder
44
31
der gründer der ** hm: * bewegung ** in * posen und in
32
** in: * breslau war! ** aber ** ä:: *4* die schule war
33 34
KH: ja* * BJ: deswegen nicht zionistische * sondern * ich bin in der schule zionistisch infiziert wordent ** von den
35 36 37
jungs die aus Palästina kament die gesagt haben ** wenn ein jude schon gärtner lerntt ** dann soll er nach Pa-
38
lästina gehent und nich nach deutschland oder nach **
39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
aber ich wollte den wünsch ä den größten wünsch meines +muß in KH: BJ: vaters erfüllen* ** daß einer seiner söhne KH: deutschland deutschen * nein deutschen boden bearbeiten BJ: lernti so superdeutsch war mein vateri ** #und das hab Κ #AUSRUFEND BJ: ich gelerntt# aber natürlich dabei hat sich abgesehn * Κ # BJ: daß wir dabei auch ä * ä:: * ä: gekuckt haben übern zaun was was * was andere leute machen* jat * und so * dann zu dem * ä zionistischen ** oder zu dem ** aufbau des landes oder irgendwie gekommen (sind)Ψ
50 51
Orthodoxe Erziehung in Ladenburg Hanna Lion (geb. Levy), * 1920 in Ladenburg Realschule; 1939 Emigration nach Palästina; Schwesternschule, Krankenschwester, später Privat- und Hauspflegerin; heute in der Altenpflege tätig. Leichte rheinfränkische Färbung. Gewandte, rasche Sprechweise. Schlomo Lion (ehem. Siegfried Leopold Lion), * 1920 in Sötern (Saarland) Volksschule, Umschichtung (Landwirtschaft); 1936 Emigration nach Palästina; anfangs Gelegenheitsarbeiten, dann Ausbildung zum Radiotechniker. Leichte moselfränkisch-saarländische Färbung. Flüssiges, zum Teil sehr schnelles Sprechen. Aufnahme: Kristine Hecker, Haifa 1990. Da Dreiergespräch, zum Teil stark dialogisch. Tonqualität: mittel.
1
KH: also die eitern warn offensichtlich in keinster weise
2 3 4
HL: SL:
zionistisch orientiert und sol nein nein überhaupt nich wir warn streng renein*
45 5
HL: ligiös und man hat
immer so gesprochen ** in i:srael
6
SL:
7
HL: kann man nicht so religiös sein die angst davor wir
meine auch nich*
8
könnten nicht ä: ä fromm genuch bleiben * nach den ge-
9
setzen ** aber nachher * wollte man nur raus* raus* **
10 11
KH: ja* und * welche * linie war das HL: #dann war=s zu spät*# **
12
Κ
13
KH: ungefähr* also war das die orthodo/ diese neoorthodoxie
14 15 16
oder warn es reformt HL: nein* SL: nein nicht mehr* es war aguda 5 *
17 18 19
KH: ja* HL: aber hier heißt es misrachi 6 * SL: aguda* * kenn sie den (agudat iisrael)
20 21 22
KH: ja* und * trug HL: ja* das gesch/ gescht/ * das geSL: misrachi aguda*
23 24
KH: ja* +ja* aber keiHL: häkelte käppchen das is unsere:
25 26 27
KH: HL: SL:
28 29 30
KH: die war ja in deutschland nicht üblich* HL: nein* keine SL: gab=s doch in deutschland nich*
31 32 33
KH: ja* +ja* * ä wie äußerte sich das im HL: war nicht üblich* SL: war doch modern*
34
KH: praktischen leben sind sie zum beispiel in eine jüdi-
35 36
#LEISER
#
nich reform* aguda* ja*
ne: ä schwarze kleidung* war natürlich nicht* (ab/ emblem)* nicht unter nein nein* nein nein* nein*
sehe schule gegangen? HL:
HOLT LUFT hatten wir nicht in laden-
37
bürgt aber unser religionslehrer ** hat uns Unterricht
38
gegeben und der hat die bücher sogar selbst verfaßt* *
39 40
KH: ja:* ja: * HL: selbst herausgegeben* * in ladenburg* ** ja und
41 42
KH: und wieviel jüdische familien warn denn da* HL: das eiternhaus war +zwan-
5
6
Agudat Jisra'el (hebr.): 'Vereinigung Israels'; eine der orthodoxen politischen Vereinigungen, 1912 gegründet. Kurzwort (hebr.): eine orthodoxe, der zionistischen Bewegung angeschlossene Vereinigung, 1902 gegründet.
46 43 44
KH: HL:
zia* *
45 46
KH: HL:
war ein sehr starkes religiöses leben dort* **
47 48
SL:
(ziem-
49 50
KH: SL:
ia* * also s/ ä: samslich) acruda* * d/ in die richtuncr*
51 52 53
KH: HL: SL:
tach nich in die schule*
54
HL:
gingen ja in die schule durften aber nicht tragen* *
a: *
ja* unaefähr fünfenzwanzich familien* ** und es ja* **
und wir wurden sehr streng orthodox erzogen* **
55
samstach nich* doch wir nein* QO/ aeschäfte zu*
wir ham freitach schon die bücher in die schule ge-
56 57 58
KH: HL: SL:
bracht
59
HL:
oder einmal hm ein Schulkamerad hat sie mit nach hause
ia* und am * samstachabend stahlen uns rein*
zurückgebracht
60
genommen* * wir durften nich schreiben ** und wir ham *
61
frei bekommen von neun bis zehn während der toravorle-
62
sung in der synagoge daß wir das mithören konnten* **
63 64
KH: HL:
65 66 67 68
ja* ja:* und sonst warn wir ja in der schule* * und ich war bis zum jähre siebenundreißich ** ging ich zur schule*
KH: HL:
und natürlich ä koscher 7 zu hause ** * milchig un fleisch sin getrennt
ia ia* +ä streng koscher*
[...]
Religiöse Rücksichten bei der Berufswahl Siegmund Schmaja Suess, * 1904 in Mainz (Sigle: HS) Kaufmännische Ausbildung und Tätigkeit, Studium (Mathematik/Naturwissenschaften) nicht beendet; 1933 Emigration nach Palästina; anfangs Arbeit auf dem Bau, dann Spediteur (selbständig). Aufnahme: Kristine Hecker, Tel Aviv 1990. Größerenteils mainzerische Färbung, gelegentlich stärkere Dialektmerkmale in Morphologie und Lexik. Lebendige Sprech- und Erzählweise mit variierenden Satzstilen. Tonqualität: mittel.
7
1
KH: ich wollte sie noch was fragen warum * das=s doch merk-
2
würdich daß ihre eitern gegen so einen soliden studien-
S. Anm. 2, S. 37.
47
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
HS: KH: HS:
wünsch wie das inaenieurswesen mein vater ο mein vater * war überzeucht * daß ich * schaun sie ich mußte als ingenieur ja* * praktisches arbeitend jat nich wahrt ** un mein vater hat ** mir nicht getraut * daß ich ** den schabbat halten werde* jat ** #(is beim ??? unter) uns gere#LACHEND ja:Ψ * aber det# * na hat er=s nich erlaubtΨ * ja* **
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Κ KH: HS: Κ # KH: als mathematiklehrer das war doch auch da hätte man (also e::s)* HS: KH: frei bekommen* net erstens kann ma net sache hier und zweiHS: tens gibt=s auch jüdische gymnasien oder gab es jüdische gymnasien also das war * das war ein problem das KH: ja:* ** er hat alles getan um mich * HS: war zu lösen* * bei der Stange zu halten* * ich weiß nich ob ihnen der ein rabKH: HS: name carlebach ein begriff is* * der name überhaupt* KH: biner doch auch* ia* ja ja ja* ** ich weiß nich ob sie zufälHS: lich wissen daß in hamburg ** der letzte rabbiner ** rabbiner joseph carlebach8 war* ** vielleicht ham se von
29 30 31 32 33 34
ia: * KH: HS: dem aehörtt ** ein sehr bedeutender rabbiner* ** dem war mein vater sehr befreundet aus verschiedenen gründen ** un da hat er mich immer hingeschickt* * als ich schon primaner war* ** während der ferient * damit ich bei ihm lerne*
8
(1833-1942), Pädagoge und Rabbiner; 1921-26 Direktor der Talmud-Tora-Schule Hamburg; letzter Oberrabbiner der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg; wurde im Dezember 1941 deportiert.
48
"Ulkige Mischling" zwischen fromm und nichtfromm Shalom Weinstein (ehem. Friedrich Weinstein), * 1915 in Hindenburg (Oberschlesien) Rabbinerseminar; 1938 Emigration nach Palästina; zunächst Lehrerseminar, dann Lehrer und Erzieher, Schuldirektor, Schulinspektor. Aufnahme: Kristine Hecker, Herzlija 1990. Ruhiger, sicherer, überlegter Redestil. Tonqualität: mittel bis schlecht. 1
KH: da wollt ich sie noch was fragen* * äußerte sich diese
2
zugehörichkeit zur gemeinde zum beispiel auch * im aus-
3
sehen! das heißt hatten die noch * schläfenlocken *
4 5
peies und so nich* ia* * SW: nein nein* +meine qroßeltern ia*
6
mein vater nichtΤ ** ä: ** er ging auch ohne hutΤ ** es
7
wurde bei uns freitag abend ** hat man=n segensspruch
8
gemacht* ** wir kinder gingen in die synagoget ** mein
9
vater ging ** an den feiertagen mit uns am abend in die
10
Synagoge ** am tage mußte er ja praxis machenf ** er
11
hat ** am schabbat nicht geraucht ** und *3* ist nicht
12 13
5 CO
14 15
KH: praxis am samstag auch* ja* ** SW: ja* ja:* ** da gab es so
KH:
also er hatte die cjefahren* * schreiben mußte er* * (als ä)
eine ulkije mischung ** zwischen ** fromm und nicht-
17
fromm ** zu hause hat man mehr oder wenijer * die spei-
18
segesetze gehalten * aber im lokal hat man gegessen was
19 20
KH: und noch getrenntes geschirrt * und solSW: man wollte* ** ja*
21 22
KH: che:: reaelnt CO
16
(even/) ia* +zuerst ia* süäter nicht* * meine
23
mutter hatte (daran) ** keinerlei* ** obwohl sie auch
24
Vorsitzende vom frauenverein war und * schabbat früh in
25
die Synagoge ging (dann)* * es gibt da wissen sie **
26
unter den deutschen juden das können die andern juden
27
gar nicht verstehn so eine mischung von fromm und un-
28
fromm* * und ich werde ihnen eine sehr ulkije anekdote
29
von meinem bruder erzählen die hat mir meine Schwägerin
49 ** a n s c h a w u o t 9 * hm dem p f i n g s t e n *
30
erzählt
** e s i s :
31
ü b l i c h ** m i l c h : : s p e i s e n
32
b r u d e r ** a n d i e s e m s c h a w u o t * m a c h t e ** HUSTET **
33
KH:
34
SW: ** f i l e t m i t s a h n e s o ß e *
zu e s s e n t
* worauf
sie
meinem ä:
LACHT VERHALTEN was n a t ü r l i c h
35
o d e r m e i n b r u d e r h a t am jom k i p p u r
36
aber er hat geraucht*
10
** n i c h t
*
gegessen
[...]
Jugendjahre bis zur Bar Mizwa11 Salomon Epstein, * 1916 in Leipzig Dekorateurlehre begonnen; 1933/34 Umschichtung (Landwirtschaft) in Dänemark; 1934 Emigration nach Palästina; anfangs im Kibbuz (Chauffeur: Patrouille), dann Minensucher beim englischen Militär, später bei der Polizei, Polizeioffizier; nach der Pensionierung bei der International Police Association tätig (in den letzten Jahren Vizepräsident). Aufnahme: Eva Eylon, Tel Aviv 1991. Leichte sächsische Färbung. Überlegtes Sprechen mit Neigung zu Selbstkorrekturen; interviewerorientiert. Tonqualität: gut bis mittel. 1
SE
i c h b i n i n l e i p z i c h g e b o r n u n d ** m e i n e g r o ß e i t e r n
wa-
2
ren ziemlich r e l i g i ö s
** m e i n v a t e r w a r e s n i c h t u n d
3
b i n i c h auch n i c h t ä:
s e h r r e l i g i ö s e r z o g e n worden*
4
i c h b i n zwar: ä:
5
gegangen i c h wurde a n g e l e r n t
6
ligionsericht
7
s c h u l e ** t e i l g e n o m m e n t
ich bin in eine * *
** z u r b a r mizwa * i n d i e :
8 9
EE SE
** r e a l s c h u l e c r e a a n g e n t
10 11
EE SE
le* s e h e s c h u l e b i s zum e i n i ä h r i i e n *
12 13
EE SE
r e n zum t e i l
14 15
EE SE
9
10 11
s c h ü l e r warn a l l e s
synagoge
in der
re-
jüdischen israelitische
das heißt eine iüdische eine
j u d e n zum t e i l
**
i c h h a b e a u c h a n ** ä :
* religionsunterricht
so
schuiüdi-
ja:t *
* christen*
die lehrer **
iüdische schüler* alle schüler (das)
aber (aus) warn
wa-
die
die
Chag ha-schawu'ot (hebr.): 'Wochenfest'; Wallfahrtsfest 50 Tage nach Pessach (s. Anm. 15, S. 51), Fest der Erstlingsfrüchte; zugleich Erinnerung an die Offenbarung am Sinai. Hebr.: 'Versöhnungstag'; wichtigster jüdischer Feiertag; fallt in den September oder Oktober. Hebr.: 'Sohn des Gesetzes'; Bezeichnung für den Jungen, der das 13. Lebensjahr vollendet hat, und für seine Einführung als selbstverantwortliches Mitglied in die jüdische Gemeinschaft.
50 16
l e h r e r w a r n zum t e i l
christen aber die schüler
warn
17 18
EE: SE: a l l e
und ä ä s i n d s i e
19 20
EE: am s c h a b b a t z u r s c h u l e g e g a n g e n ! * SE: n e i n * **
21 22
EE: n e i n * (war wann ä) SE: s c h / s c h a b b a t un s o n n t a c h ä : s i n d w i r n i c h : w a r n n u r
23 24
EE: SE: d / ä s e c h s t a g e i n d e r wochet
25
d e r woche und ä :
26
im ä l /
(schabbat) sch/
f ü n f t a g e i n d e r woche1 * fünf tage in
** z u r s e l b e n z e i t ä :
** w a r i c h a u c h
im * f o r t g e s c h r i t t e n e n a l t e r s o um z e h n
elf
27 28
EE: SE: zwölf j ä h r e war i c h a u c h ä b e i j u g e n d b ü n d e n t
29 30
EE: w e l c h e n ? SE: w u ß t e n ) * im IWB: d a s war e i n j u g e n d v e r b a n d d e r
31 32
EE: ja* * SE: z i o n 1 2 * * und d a n n s p ä t e r im h e c h a l u z 1 3 ä b i s
33 34
EE: na j a * ä SE: a u f h a c h s c h a r a 1 4 g e g a n g e n b i n und ä : * n a c h
35
EE: j a * d a s
36
SE: g e g a n g e n b i n *
37
EE: l i e h ä me/ d a n n d o c h w a h r s c h e i n l i c h n u r * j /
38 39
auch
* ä j ü d i s c h e r abstammung* **
*
jat
in (und
poale ich
palästina
war j a ä * d a s h e i ß t s i e h a t t e n
eigentjüdische
f r e u n d e wenn s i e m i t d e n * j ü d i s c h e n SE:
zum
großen t e i l
jüdi-
40
sehe f r e u n d e t wir h a t t e n auch ä * oder jungens
41
c h r i s t e n * d i e w i r von d e r s o z i a l i s t i s c h e n
42
g e n d ä * k a n n t e n w i r warn j a * b i ß e h e n a f f i l i e r t
43
der sozialdemokratischen p a r t e i
44
w a n d e r b u n d war ** d i e :
45
un man h a t s i c h manchmal * a u c h m i t äm: m i t g l i e d e r n
46 47 48 49
EE: j ai :r Ψ h a t SE: SAJ ä g e t r o f f e n a b e r d a s war o b e r f l ä c h l i c h * ** w EE: nachbarskinder* SE: t e n zwar * im h a u s : * ä : * c h r i s t l i c h e n a c h b a r n k i n d e r
50 51
EE: ja: * SE: m i t d e n e n man * s i c h zu d e n f e s t e n v o r a l l e m zu d e n
12 13 14
* und d e r
die
arbeiterjumit
jungjüdische
* war d e r g e g e n v e r b a n d d e r SAJ* der
Hebr.: 'Arbeiter Zions'; 1906/07 gegründete sozialistisch-zionistische Partei. Hebr.: 'der Pionier'; zionistische Pionierbewegung, zum Zweck der Vorbereitung auf das Leben in Palästina. Hebr.: 'Ausbildung'; landwirtschaftliche oder handwerkliche Ausbildung für Palästina.
51 52 53
EE: SE: c h r i s t l i c h e n
54 55
EE: t e n s i n d s i e zum b e i s p i e l SE: zu W e i h n a c h t e n zum b e i s p i e l
f e s t e n ** ä b e s u c h t h a t
i a zu oder
weihnach-
iat s i n wa n a c h o b e n creqan-
56
g e n u n d zu p e s s a c h 1 5 * s i n d d i e m a n c h m a l zu u n s
57 58
a h a * * d a s h e i ß t zu EE: SE: a e n ham m a z z e s 1 6 q e k r i e a t u n d s o w e i t e r * * d a s w a r
59 60
EE: h a u s e ham SE: ( V e r h ä l t n i s )
61 62
(un ham v i e l ) EE: SE: w e i l w i r b e i = n c r r o ß e l t e r n crewa/ ä a u f q e w a c h s e n
s i e ä zu p e s s a c h n u r m a z z e und
gegandas
aeqessenf ia* sind
63
[. · ·]
64
[RELIGIOSITÄT IM GROSSELTERNHAUS; IM RELIGIONSUNTER-
65
RICHT HEBRÄISCH; 1 : 1 5 M i n . ]
66
SE: e s g a b e i n e z e i t
67 68
EE: SE: w a r i c h ä :
zwischen e l f
da
f r o m m e r * ** *
i c h w i l l n i c h s a g e n fromm i c h
69
w a r im c h o r u n s r e r s y n a g o g e t
70
doxen Synagoge auf
71 72
und d r e i z e h n v i e r z e h n
in einer leipziger
ortho-
* wünsch m e i n e r g r o ß e i t e r n un da
ja* EE: SE: i c h im c h o r m i t g e s u n g e n ** u n d a s h a t n a c h h e r d e r
73
mizwa h a t d a s n a t ü r l i c h a u f g e h ö r t w e i l i c h d a n n
74
i n t r e s s e n jugendinteressen gehabt ha/ gehabt
75
[. . .]
hab bar
andre
habet 1
Jugendbundführer bei den jüdischen Pfadfindern Nachum Gadiel (ehem. Norbert Immerglück), * 1917 in Zwickau Tischlerlehre, Abendschule für Innenarchitektur (kein Abschluß), Arbeit in der Landwirtschaft, 1937/38 landwirtschaftliche Umschulung in Italien; 1939 Emigration nach Palästina; anfangs im Kibbuz, dann Ausbildung zum Feinmechaniker, zunächst als Tischler, dann bei der Post als Fernmeldetechniker tätig; heute Reiseleiter. Aufnahme: Eva Eylon, Tel Aviv 1991. Weitestgehend Hochlautung (aber Tendenz zu |j] statt [x] und zu binnendeutscher Konsonantenschwächung). Ruhige Sprechweise, sehr exakte Artikulation. Stark normorientierte Syntax. Tonqualität: gut.
15
16
Hebr. (wörtl.): 'Vorüberschreiten* (dt. auch Passah)·, einwöchiges Fest zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, beginnt am 14./15. Nissan (1. Frühlingsvollmond). Hebr. (in der aschkenasischen Form): Ungesäuerte Fladenbrote.
52
1 2 3
EE: und waren sie zu dieser zeit in irgendeiner * ä jugendbewegungt NG:
+jawohlt ** ich bin: ** ä: ** ich bin beim ä
4
hab mich einer jugendbewegung angeschlossen und zwar
5
der jüdischen pfadfindert ** meine eitern warn sehr da-
6
gegent ** weil:: ** sowohl der führer meiner gruppe als
7
überhaupt diese ganze bewegung * nich sehr religiös
8
eingestellt wart ** aber durch diese * bewegung ** hab
9
EE:
sogar
10
NG: ich mehr achtung für das judentum bekommen! **
11
EE: sehr interessant* ja* ** und ä * hm: b/ bis zu welchem
12 13
jähr warn sie in der jugendbewegungΤ ** NG:
bis zum jähre
14
einen moment mal* bis zum jähre siebenundreißich als
15
ich deutschland verließt ** und zwar * war ich dann
16 17 18 19 20
EE: selber ** ein ich ein führer der iugendbewegung ja* un ich NG: EE: ja* NG: hatte meine eigene gruppe die ich geführt habet ** und noch heute habe ich den ausweis: * als jugendbundführer
21 22 23
EE: SCHNAUFT #um gottes willen*# LACHT Κ #LEICHT LACHEND # NG: von baldur von schirach* * ja* **
24 25
EE: wirklicht NG:
26
* so was gab est iawohlt denn damals mußte man: ä
konnte man nur jugendbundführer sein * wenn man so ei-
27 28
EE: auch wenn jüdische ä f/ in der NG: nen ausweis besaß* *
29 30
EE: jüdischen iugendbewe/ * NG: auch ia:t und ä nicht bloß das* * des öf-
31
ters kam von der k/ ä geheimpolizei beamte zu unst **
32
die ä:: ** dabei warn als wir unser treffen abhielten*
33 34
EE: das war in gli/ ä das treffen war in privatwohnunNG: **
35 36
EE: gent * ja* NG: das wa:r * oder im jugendheimt oder in pri-
37
vatwohnungent
38
werden*
* aber jedes treffen mußte angemeldet
53
Antizionistische Einstellung bei deutschen Juden Dr. Mirjam Michaelis (geb. Lotte Adam), * 1908 in Berlin (Sigle: FM) Studium (Germanistik/Philosophie/Zeitungswissenschaften), Promotion, Schriftstellerin (Lyrikpreis); Umschichtung in Holland, Deutschland und Dänemark, Arbeit mit zionistischen Jugendgruppen; 1938 Emigration nach Palästina; seitdem im Kibbuz, u.a. in Küche, Orangenplantage, Fabrik sowie als Krankenschwester und in verschiedenen Ämtern tätig; daneben schriftstellerische Tätigkeit. Aufnahme: Anne Betten, Kibbuz Dalija 1991. Mit teilnehmend: ihr Ehemann Micha Michaelis. Leichte berlinerische Färbung. In den längeren monologischen Partien sehr normgetreu durchgehaltene, komplexe, hypotaktische Satzkonstruktionen, daneben auch spontaneres Sprechen. Leicht brüchige, belegte Stimme, aber deutliche, nachdrückliche Sprechweise. Tonqualität: gut. 1
FM: m e i n e m u t t e r w a r a n f a n g s s e i t
i c h m i c h dem z i o n /
der
2
z i o n i s t i s c h e n gruppe * a n s c h l o ß war s i e
antizioni-
3
stisch*
4
ist
5
war a n t i z i o n i s t i s c h und e s g i n g ü b e r den k i b b u z a l s
6
hörte
7
g i n g e n da a l l e möglichen g e r ü c h t e wie das d a s i s
8
ein konzentrationslager
9
g e r ü c h t e g i n g e n u n t e r den d e u t s c h e n j u d e n * e i n i n
* d a s mein v a t e r war j a s c h o n totΨ mein
gestorben als
ich sechzehn jähre a l t
war*
vater
* a
i c h w i l l mich * einem k i b b u z a n s c h l i e ß e n
sie
* das wie
e i n kibbuz und a l l e möglichen
10
n e n k i b b u z k a n n man n i c h t g e h e n d
11 12
AB: i c h d a c h t e d a s w a r d e n r a b b i n e r n FM: s i e
13 14
AB: b u z t e i l w e i s e * FM: vielleicht
15 16
AB: FM: a n t i k i b b u z S t i m m u n g u n t e r d e n j u d e n *
* aber nachhe:r
LACHT LEISE auch das* - j e d e n f a l l s * war jat
ei-
als
eine
** ä:
aber
i c h dann ä:
18
achtundreißich
19
ne m u t t e r a / a l s o gesehn h a t daß das d e r r i e h t j e
20
war den i c h * daß i c h nach ä P a l ä s t i n a
i c h dann
*
z u u n m o r a l i s c h im k i b -
17
** a l s
sie
als
neunzehnhundertachtundrei/
* war d i e l ä g e s c h /
schon sot gehe*
* daß meiweg
[...]
Trotz Assimilation frühe Entscheidung für Palästina Marianne Wahrmann (geb. Grätzer), * 1911 in Wien 1933 Emigration nach Palästina; anfangs Gelegenheitsarbeiten (Fabrik, Hotel), später Mitarbeit in der Buchhandlung ihres Mannes. Aufnahme: Anne Betten, Jerusalem 1991. Mit teilnehmend: ihr Ehemann Oskar Wahrmann. Österreichische Färbung mit härterer Stimmführung als sonst üblich. Lebhaftes, syntaktisch reihendes Erzählen. Stark modulierende Stimme.
54 Tonqualität: gut; Uhrticken im Hintergrund.
1
MW:
[...] bin zum: pessach 17 in die schule gegangen* und und
2
und dann brot gegessen zu ** wir warn wirklich sehr as-
3
similiert! ** und ich muß sagen ich ** ich denk oft
4
darüber nach ich weiß nicht wie ich hergekommen bin
5
nach israel LACHT i/ ** im jähre dreiundreißig schon! *
6
da war noch * war noch ganz wir haben nur gelesen daß
7
in deutschland in den Zeitungen in * daß in deutschland
8
diese:: * unruhen sind und sot ** aber in wien war das
9
noch nichts *3* trotzdem ä: ** ich weiß nicht wie das
10
aufgekommen ist ** wir haben doch eigentlich: ** ä: **
11
jüdische bekannt/ freundinnen * bekannte gehabte
12
* bin zwar in=n arbeiterturnverein gegangen und da
13
war:η auch n/ * nichtjuden und sot ** und am ersten mai
14
* hab ich geturnt am am * #am rathaust LACHT und ä: # LACHEND
mehr!
15
Κ
#
16
MW: LACHT ** ja aber zum schluß irgendwie später warn wir
17
doch in den jüdischen ** mit juden zu/ f/ ä befreundet!
18
** und ich weiß nicht wieso das wort palästina aufge-
19
kommen ist ** und eines tages sind wir zu einem vortrag
20
von ben gurion gegangent
21
kann mich heut wirklich nicht mehr erinnern warum! **
22
und er hat jiddisch gesprochen wir haben kein wort ver-
23
standen! * LACHT wir haben wirklich kein wort verstan-
24
den! ** und irgendwie hat sich das entwickelt es: es
25
war auch eine arbeitslosigkeit
** ich weiß nicht warum ich
in wien! * und so hat
26
AB:
27
MW: sich das irgendwie entwickelt! *
28
AB: für berufswünschet
29
wie was hatten sie * ä
oder was sind sie damals gewesen sie
warn ja glaub ich dann dreiundreißich warn sie dann
30 31 32
sindkrankenschwe(was ham) MW: zweiunzwanzich jähre alt! ia:! wie ich sie ich weg wollte AB: ja! ja!
33
MW: ster werdent nich mit achtzehnt
** ä: ma hat mich aber
34
nicht aufgenommen! nicht man hat gesagt ich bin zu
35
klein! ** LACHT ich hab keine kraftt
17
S. Anm. 15, S. 51.
ich bin zu kleint
55 36
** u n : d ä : ** zweimal h a b i c h mich g e m e l d e t l
37 38
war i c h * a r b e i t s l o s un m e i n e m u t t e r h a t g e s a g t ** du w i r s t h e i r a t e n * b r a u c h s t k e i n e n b e r u f e LACHT und drum hab i c h meiner t o c h t e r g e s a g t das i s k e i n z u s t a n d s i e
39 40 41
inzwischen
muß e i n e n b e r u f haben* ** a l s o i c h h a b w i r k l i c h m i t
42
e i n u n d z w a n z i g g e h e i r a t e t i n w i e n l ** u n : d d a n n ** s i n d i s mein mann a r b e i t s l o s gewesen* und w i r ham: u n s ü b e r -
43
l e g t ! * n a c h P a l ä s t i n a zu gehn*
Vom Auf und Ab des elterlichen Geschäfts bis zum Entschluß auszuwandern Asta Bergmann (geb. Sobotki), * 1911 in Berlin Hutmachermeisterin im elterlichen Geschäft, Umschichtung (Landwirtschaft); 1939 Emigration über Dänemark nach Palästina; seitdem im Kibbuz, u.a. Arbeit im Erholungsheim. Aufnahme: Kristine Hecker, Kibbuz Nezer Sereni 1991. Nur anfangs mit teilnehmend und anwesend: ihr Ehemann Bernhard Bergmann. Leichte berlinerische Färbung. Ruhiges, flüssiges Erzählen. Tonqualität: gut bis mittel. 1 2 3 4 5 6 7
AB: i c h b i n a u s einem * ganz * g u t b ü r g e r l i c h e m h a u s t ** d i e e i n z j e t o c h t e r t ** und ä : * s e h r v e r w ö h n t * w e i l b e i d e e i t e r n * imme:r * ä : * g e a r b e i t e t h a : m t ** m e i n e m u t t e r h a t t e e i n e n ** d a m e n p u t z s a l o n t ** an * an d e r e c k e d e r e l e g a n t e s t e n S t r a ß e von * b e r l i n t *5* und ä : m e i n v a t e r h a t t e e i n e f a b r i k f ü r k n ö p f e * und * g ü r t e l t ** f ü r d i e d a m e n k o n f e k t i o n i n b e r l i n t ** und war * b i s m i t t a g s d a -
8 9 10
m i t b e s c h ä f t i c h t t s p i e l t e dann e i n e s t u n d e s k a t t ** und kam immer zu s p ä t zum: m i t t a c h e s s e n t * w i r a ß e n immer um d r e i t ** und ä dann g i n g e r m i t m e i n e r m u t t e r w i e d e r
11
z u r ü c k i n s g e s c h ä f t l und war d o r t * g e s c h ä f t s f ü h r e r
12 13 14 15
d i e s e m * damen/ ** ä : / h u t g e s c h ä f t * * und s e h r v i e l e k u n d i n n e n kamen s e i n e t w e g e n * e r war s e h r c h a r m a n t u n d * s e h r g u t a u s s e h e n d t ** und ä : : * d a s g i n g * g u t t i c h g l a u b e meine m u t t e r k a u f t e d a s g e s c h ä f t v o n e i n e r *
16 17
f r a n z ö s i n ** XY im j ä h r e * n e u n z e h n h u n d e r t a c h t z e h n t ** und dann f i n g d i e s e g r o ß e : i n f l a t i o n a n t * n i c h w i e e s
18
heute i s
19
k r i e g t s o n d e r n * d a s g e l d * war * e n t w e r t e t t
in
daß man dafür immer irgendwie Vergeltung
und * man
56 20
bekam * überhaupt nichts mehr dafür* ** und ä:: *4* als
21
dann die nazis ä:: ans ruder kament
22
endreißich ** wurden wir in dem laden * gekündicht *
23
de:r *4* der inhaber des hauses verlangte anstatt drei-
24
tausend mark ** ä: * mietet neunzehntausendt
25
das konnte natürlich * d/ ein geschäft * nich ** auf-
26
bringen! ** so daß wir dort wegziehn mußtent
27
leider in eine parallelstraße gezogen sind ** die: ä.: :
28
eben keine: * hm ä laufgegend wart
29
die bei uns ä: ** kauften a da wir einen besondern stil
30
hatten warn meist deutschnationalt
31
alle möglichen bekannten adelstitelt
32
eben auch wegblieben und nich meh:r zu juden kaufen
33
kamen* so daß wir hatten das sehr elegant
34
* um dadurch * irgendwie anzulocken!
35
[ÜBER IHRE DIREKTRICE UND EIN DIENSTMÄDCHEN; 2:25 Min.]
36
AB:
* auch schon zwei-
** und ä
** und
* und die: künden
** von zitzewitz und ** die dann ä:
eingerichtet
[...] und dann ham wir eben diese * sehr sehr gute
37
Wirtschafterin gefunden die ** gar nicht zu vergleichen
38
* ä mit der andern* ** und die: fuhr mit mir im sommer
39
an die ostsee wenn meine eitern * nach karlsbad oder
40
marienbad fuhrnt und im winter * fuhrn wir zum * Win-
41
tersport * im allgemeinen nach krummhübel ** und einmal
42
in die tschechoslowakei * nach spindlermühlet
43
sind wi:r neunzehnhundert*fünfunzwanzich
44
belt worden* * da ham se irgendwie festgestellt im ho-
45
tel daß wir juden sindt ** und da warn sie schon ein
46
bißchen angetrunken die andern also beim tanzen ham sie
47
* gepöbeltt
48
s c h ü t t e n genommen haben und ** wieder über die grenze
49
gefahrn sind und dann nach haus gefahren sind* ** und
50
dann anfang vier/ sechsunzwanzich starb meine muttert [. . .]
** und da
schon angepö-
* so daß wir noch in derselben: nacht * ä:
51 [PROBLEME IM GESCHÄFT; UMZUG; 0:42 Min.]
52 53
AB:
[...] das war MUMRMELT ** eine:: * schlechte: ** ein
54
schlechter abgang* * auch von dem ladent
**
(bis) den
55
wir dann auch aufgeben mußten den zweitent und wi:r
56
wohnten inzwischent
* da war ich schon verheiratet* *
57
57 58
wir ham vierendreißich geheiratet! ** wir nahmen eine fünfzimmerwohnung zusammen mit meinem vatert ** un:d **
59
diese:r Wirtschafterini
60
den: wendeten sich an micht ** und ä: ich fing wieder
61
an im Schlafzimmer * hüte s/ zu machen und zu ändern **
62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75
und das wa:r damals streng verboten* mein mann war apothekert * und ich hätte ** das gab=s doch nich doppelverdienen * ja das war einer * der guten ideen von hitlert * ä:: um die arbeitsl:osichkeit zu:: bremsen* * durften in einer familie nich zwei arbeiten* ** und ä: ** ich konnte das gut verstehn abe:r ä das gehalt von meinem mann war zwar gut * aber ich hab doch * aber immer in der angst es käme mal raus und ä ** und zum beispiel we::/ asta bergmann kannte niemand* wenn ich da unten am schil:/ am haus ein schild angemacht hätte asta bergmannt ** man kannte asta sobotki* * ä das war der namen des ä:: ** salonst ** da dürft ich nich schreiben asta bergmann sobotki* ** aber ich hab=s doch getan* und is mir nichts passiert* ich hab einije sa-
76
chen getan die man an sich nich tun solltet
77 78 79 80 81 82 83 84
ä:: ham wir gesehn das hat keine zukunftt und * mein mann war immer zionistt im gegensatz zu mirt * mein vater hat immer gesagt daß ich war auch als ich jung war zionist das vergeht* ** das is ne jugendsünde und das ** das vergeht* ** und ä so: ** beschlossen wir ** uns ausbilden zu lassent ** landwirtschaftlicht * um: * hier irgendwie nach Palästina einwandern zu können* [. . .]
** und wir beide und viele kun-
** und dann
Demütigungen nach 1933 Gertrud Towa Kedar (geb. Trude Fisch), * 1901 in Nürnberg Handelshochschule, Diplomkauffrau, zuletzt in einer Nürnberger Firma beschäftigt; 1934 Emigration nach Palästina; anfangs Arbeit in Gemeinschaftsküche und Milchbar, dann in eigener Landwirtschaft, danach eigener kleiner Lebensmittelladen; seit dessen Aufgabe bis heute Volontärarbeit für eine Blindenbibliothek. Aufnahme: Anne Betten, Nürnberg 1991, bei einem Besuch von Frau Kedar in Nürnberg (Städteeinla-
58 dung ehemaliger jüdischer Mitbürger). Ostfränkisch-nordbairische Färbung ("Nürnbergerisch"). Klares, sehr bewußtes und korrektes Formulieren, teilweise in recht komplexen Konstruktionen. Kräftiges Sprechen trotz leichter Brüchigkeit der Stimme. Tonqualität: gut.
1
GK:
[...] ich habe verzichtet ** noch zwei sch:tumes/ seme-
2
ster zu studiernt wegen des doktorst ** weil ich ä: ge-
3
funden habe ** daß ich ä: ** frühzeitich arbeiten muß-
4
te* ich wollte meinen * eitern nicht mehr ** spesen ma-
5
chent * ich habe zwar * kein taschengeld von ihnen ver-
6
langt ** nur * kost und logist * und hab dann ers :
7
nachhilfestunden ge/ zu gegeben um das * zu machen* *
8
ich will betonen daß ich eine * sehr schöne jugend und
9
* jugend * in deutschland erlebt habeΦ ** ich habe vie-
10
le konzerte besucht * schauspiele * oper ** und hab
11
viel sport getrieben* ** ich war im jungen jüdischen
12
wanderbundt
13
** habe klettern gelernt in der fränkischen Schweiz *
14
und habe mich sehr gefreut die fränkische Schweiz * ge-
* und wir sind jeden sonntach ** gewandert
15
AB:
hmhnu ** ä f/ frau ke-
16
GK: stern wieder kennenzulernen* **
17
AB: dar * ä sie ham ja dann als * sind sie überhaupt in ei-
18
ner jüdischen Volksschule gewesent damals war doch ei-
19
gentlich ä das volksschulwesen noch konfessionell* **
20
GK: nein ich bin gleich in die * e/ erste klasse schon ge-
21 22
AB: a das war so ne GK: gangen in die: * m/ * mädchenschule* **
23 24
AB: art Vorschule zum lyzeum und die war dann nichtkonfesGK: die bis ja* ja*
25 26
AB: sionell* also * war ihr eiternhaus überGK: nein* nein*
27
AB: haupt noch ä religiöse oder in welchem
28
GK:
umfangt *
HOLT LUFT wir ae/
ja*
29
wir gehörten der liberalen gemeinde ant ** die ihre
30
gottesdienste in der * großen synagoge haben* ** die
31
dann zerstört worden ist ** an der ei/ * dessen platz
32
wir gestern * einen schönen ** gedenkstein gesehen ha-
33
bent ** und gingen in * in der hauptsache an den feier-
34
tachen * in die synagochet
** und an * gedenktachen für
59 35 36
AB: GK: ** todestache*
37 38
AB: warn die eitern also ä ä: : liberal!· jüdische * GK: liberal* ia*
39 40
AB: a: aha* ia* ~ia* hmt GK: Staat/ hat ae/ damals qeheißen die: * bund ** iüdisch
41 42
so ** der großeitern zum beispiel*
**
SCHLUCKT deutsche Staatsbürger * jüdischen glaubens* ** AB: HOLT LUFT wie: waren denn die jähre des ersten Welt-
43
kriegs in ihrer families sie warn in der schule sie
44
warn schon auf dem lyzeum ** was hat ihr vater in der
45 46
zeit gemacht* ** nun mein vater hat gearbeit* ich hatte
GK:
einen ** einen v:etter* ** also ein söhn ** einer tante
47
* der war vier jähre im krieg* ** war #sehr früh# leut#BETONT #
48 49
Κ
50
GK: nantt
** mit eiserm kreuz * erste klasset
** als das
51
noch ein wunder war für einen juden* ** trotzdem * er
52
war bei der kavalleriet
53
ner gesacht hat ** d/ * der moses kam * geritten die
54
zeitung in der hand* *4* aber ich habe ** nie * nie ir-
* hat er mitangehört
** daß ei-
gendwie unter antisemitismus gelitten* ** #so (war #LEISER
55 56
Κ
57 58 59
eiternhaus war dann offensichtlich nicht AB: ihr GK: das*)# Κ #
60 61
AB: stisch* weil sie saaen sie sind auf diese erfahruna in nein* GK:
62
AB : ihrem Studium hin * ham sie sich überhaupt erst dem et-
63 64
GK:
65 66 67
AB : malt GK: Κ
68 69
GK: LACHT #und * das zeigte dasselbe hab ich später um das #LEICHT LACHEND Κ
70
GK: schon vorauszunehmen * von meinem * mann be/ gehört* **
71 72 73
qab es denn in AB: GK: da# LACHT #war es war * dasselbe*# ** qe/ Κ # #LEICHT LACHEND #
74
AB: nürnberg in der zeit eine starke zionistische bewegungt
75
GK: +nein die gab=s im ganzen land nicht* * nirgends war se
zioni-
was aktiver zuaewandt* * ä STOCKT da/ * darf ich mein v/ * mein v/ * j_at hm: t mein #vater war ziemlich entsetzt #LEICHT LACHEND
hm:* darüber*# #
60 76 77
AB: ging das etwas mehr von ä zugewanderten ostGK: stark* ** gern/
78
AB: juden aust
79
GK:
+ja* ** zweifellos* ** und ich will sagen
80
ich habe dann ** zum beispiel man hat ein ** zehntel
81
seines ä:m ** Verdienstes abgegeben! ** un ich ** hätte
82
nie dran gedacht * daß ich das beanspruchen würde* *
83
das war gedacht für leute die aus rußland und polen
84
AB:
hmhm*
85
GK: auswandern mußten*
** hm hm* * wir deutsche ich
86
hab nie dran gedacht daß das für uns in frage kommt*
87
[IHRE ANSTELLUNGEN NACH STUDIENABSCHLUSS; 3:00 Min.]
88
AB: wie war denn das überhaupt in dieser zeit warn ja noch
89
gar nich sehr viele frauen berufstätich und mit * warn
90
an der hochschule wieviel wieviel frauen ham da stu-
91
diert* so pro/ ungefähr prozentual*
92
GK:
93
** ja* *4* ich
glaube wir warn drei frauent
* nur wieviel manner es
94 95 96
AB: in ihrem iahrgang weiß oder GK: waren ** drei frauen* * drei frauen ich* AB: überhaupt*
97
GK:
+drei frauen weiß icht ** und als diese ver-
98
bindung gegründet worden si/ ist * da hat mich also **
99
der herr erhard 18 gefrächt was ich dazu denket
** worauf
100
ich ihm sachte ich bin jüdin es sei eigentlich
ziemlich
101
HOLT LUFT klar was ich denket
102
sacht hat er hätte nie gedacht daß ich jüdin bin son-
* wo/ worauf er mir ge-
103 104
Κ
105 106
GK: nen großen mund hat blonde haare# LACHT #und ganz häßΚ: # #LEICHT LACHEND
107
GK: lieh war daß * ham sie gedacht das ist die jüdin*#
108
Κ
109
dern eine andre frau * die LACHT #eine große nase un #LEICHT LACHEND
# [EMIGRATION 1934; TÄTIGKEIT DAVOR; 5:04 Min.]
110
AB: sie sind also in einer * jüdischen firma gewesen die *
111 112
wie ma so sachte arisiert * wurdet an die spitze * und GK: ja* iat
113 114
AB: da sind sie noch gebliebent GK: iat
18
* und die iat ich blieb * ich bin ge-
Ludwig Erhard, Bundeskanzler von 1963 bis 1966, war ihr Studienkollege.
61 115 116
AB: +hmhm* * sie wuß/ * GK: blieben um die frau einzuarbeiten*
117
AB: jat
118
GK: eines *
jaf eines tachs zum beispiel sacht sie zu mir *
119
wir werden nachmittags schwimmen gehnt ** und ich hab
120
mich natürlich nicht beteiligt und am nächsten früh
121
fracht sie wo warn sie denn* * hab ich gsacht ich kann
122
doch nicht ins volksbad gehn* * dort steht doch * ver-
123
boten für hunde und juden* ** und sacht sie aber d/ mit
124
uns hätten sie doch gehen können* ** s/ s/ * so war
125
das:* ** mein v/ * meine eitern ham in der nähe ** des
126
stadtparks: ** gewohntt
127
die naturt ** hat sehr darunter gelitten daß er keine
128
arbeit mehr hattet ** aber auf jeder bank * war gestan-
129
den nicht für juden* ** und das war ** schon sehr früh
130
für die damaliche zeit* * ich weiß daß * frankfurt ber-
131
lin ** nicht so sch/ * so schnell ä: ** vorangetrieben
* mein vater ging sehr gern in
132 133
AB: ham sie diese aufmärsche und das hier alles GK: haben* **
134
AB: noch erlebt bis ä:: **
135
GK:
136 137
ten wir haben ja dort * nicht mehr wohnen können* ** AB: sie ham vorhin gesacht sie ham an der deutschherrnwiese
138 139
nein* sicher nicht* * wir durf-
gewohntt
*
GK:
ja* jat wir mußten ausziehn bevor die aufmärsche
140
kamen*
141
[KINDHEITSERINNERUNGEN; SCHICKSAL DER ANGEHÖRIGEN; 4:09
142 143
Min. ] AB:
144 145 146
[. . . ]
[...] darf ich * ä ä: noch mal fragen nach ihrem vater* **
GK:
der * mein vater ist gleich nachdem er ** in der kristallnacht* * innerhalb zwei * sch/ * stunden * die
147 148 149
AB: GK: wohnung verlassen mußtei * die nürnberger wohnung* +die AB: zweite wohnung*
150
GK: nürnbercher
(war ne) zweite wohnungt
ja*
* da muß
151
ich dazu Sachen * daß die hausmeisterin ** unten ** ge-
152
sacht hat * warum nehmen sie denn diese * netten ruhi-
153
chen leute mitt ** SCHLUCKT zur antwort bekam wenn du
154
dein maul nicht hältst nehmen wir dich zuerst mit* **
62 155
m e i n e e i t e r n wurden i n S t u t t g a r t
a u f g e n o m m e n ! ** von
156
d e r * m u t t e r meines schwagersf
** u n d h a t * m e i n v a t e r
157
i s ganz k u r z danach g e s t o r b e n *
** m e i n e m u t t e r h a t
bis
158 159
AB: s i e ham v o r GK: n e u n u n d r e i ß i c h * b e i d e r f r a u g e w o h n t * **
160
AB: h i n g e s a g t i h r v a t e r i s s o z u s a g e n an g e b r o c h e n e m
161 162
GK:
163 164 165
AB: zu d e r z e i t * ia* GK: n e u n u n d s e c h z i c h * n i c h t n o c h n i c h t cranz* ** # k u / *5* s Κ #TRÄNEN UN-
166 167
GK: d a s h a b i c h # * e i g e n t l i c h n i x d a z u z u f ü g e n t * i c h w u ß t e TERDRÜCKEND# Κ
168
GK: d a m a l s d a ß i c h m e i n e m u t t e r * s l e t z t e mal s a h * ** a b e r
herzen
a e s t o r b e n * a l s o * h a t e r = s n i c h t wie a l t war i h r ia* (ia * e r h a t das)
vater
169
e s war n i c h t so* ** i c h h a b e m e i n e m u t t e r n o c h *3* b e -
170
s u c h e n k ö n n e n ** i n ä : * l o n d o n *
Der Rausschmiß 1933: ein Schock für die assimilierten Eltern Rina Biran-Langrod (geb. Irene Langrod), * 1932 in Berlin 1934 Emigration nach Palästina; Schule, Lehrerseminar, Studium (Sonderpädagogik), Sonderpädagogin, Schulleiterin, Ausbilderin von Sonderpädagogen im Lehrerseminar. Aufnahme: Miryam Du-nour, Jerusalem 1991. Mit teilnehmend: ihr Ehemann Usi Biran, * 1920 in Ludwigshafen, Schulrat. Hochlautung. Flüssiger, vorwiegend parataktischer Redestil. Tonqualität: gut; zwischendurch Papierrascheln im Hintergrund. 1
RB: m e i n g r o ß v a t e r * war l e b t e i n h a n n o v e r t
** v o n m e i n
2
großvater mutterseite*
* meine g r o ß e i t e r n
vaterseite
3
h a b i c h n i e g e k a n n t * ** ä : m e i n e m u t t e r s : : s e i t e
4
g r o ß v a t e r h a t t e e i n ** ä r e g e n s c h i r m g e s c h ä f t i n h a n n o -
5
v e r T ** u n d l e b t e v i e l e j ä h r e i n h a n n o v e r t
6
a u c h ** nach=m k r i e g d a n n zurückgekomm n o c h g e g a n g e n
7
nach hannoverf
8
d e n t u m zu t u n ** w a r n a u c h g a r n i c h t z i o n i s t i s c h und **
9
m e i n e m u t t e r war k i n d e r g ä r t n e r i n * b i s s i e s i c h
der
* und
is
** ä:m ** h a t t e n s e h r w e n i c h mit=m j u verhei-
10
r a t e t h a t ** und d a n n m e i n e m u t t e r h a t s i c h m i t meinem
11
v a t e r v e r h e i r a t e t d a n n ham s i e i n b e r l i n g e l e b t * * m e i -
12
ne * e i t e r n *
13
*3* e i g e n t l i c h w a r e n m e i n e e i t e r n n i c h t z i o n i s t e n *
* i c h b i n a u c h i n b e r l i n g e b o r n * ** ä:m **
63
14
und ham sehr gut in berlin gelebt und ** hätten auch berlin nie verlassen wenn mein vater nicht die arbeit verloren hätte und ** is aus dem ä: * ärzte*kreis rausgeschmissen worden und * hat verstanden daß:: er weiter nicht in:: deutschland leben konnte* ** aber es war ein großer kulturschop -schock für meine eitern weil sie sich sehr wohl gefühlt ham und sehr deutsch gefühlt haben* ** im gegensatz zu meiner tante die schwester von meiner mutter ** die: * in ihrem Studium ** wie sie rechtsanwaltin gelernt hat * ju/ jura gelernt hat ** in die zionistische verein gegangen is* und sehr * aktiv in dem zionistischen verein -band war und ** hat sich dann auch verheiratet mit=m * söhn vom oberrabbiner in berli/ in hannover* ** und is:t * is fromm geworden und
15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Κ
30
RB:
31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44
19
#
η von=n nazis hergekommen sind* aber * aus zionistischen und idealistischen: ** gründen im gegensatz zu meinen eitern aus a: * hatten #keine andere möglichkei-
46
49 50
#LAUTER
religion übernommen hat* * und ä ** trotzdem ham sich die beiden schwestern sehr gut verstanden alle jähre* * hm * ä * auch hier im land warn sie sehr ham sehr ** zusammen * aneinandergehangen* *3* meine: tante und mein onkel sind f:/ meine tante wa:r eins von=n ersten rieht/ richtert * richterinnent * richterinnen in: ** UB: ia schon* RB: lübeckf * #nachon19T ** lübeck# in ostΚ #LEISER # UB: in Ostdeutschland* RB: deutschlandt ** mein onkel aucht ** und ä: ** sie sind dann ä: zw/ dreiundreißich hergekommen* ** un meine eitern sind in dr/ ein dreiviertel jähr jähr später hergekomment *3* ä: der hauptunterschied war daß meine * tante und mein onkel ** der auch ä: f:liehen mußte von=
45 47 48
in * sehr strenge * #sehr ernsthafttt ** die jüdische
#LEICHT LACHEND
Κ RB:
ten*# ** nach amerika war damals sehr schwer zu fahren*
Κ Hebr.: 'richtig'.
#
64
51 52 53
RB: und * lebten hier im land als:: sehr sehr viele kinderärzte und ärzte überhaupt warn un hatten=s sehr sehr schwer am anfangt * eigentlich wie alle*
Aus einem "deutschen Haus mosaischen Glaubens" Dr. Klaus Jakob Dror (ehem. Klaus Dreyer), * 1909 in Köln Medizinstudium, da 1933 keine Approbation, als Turnlehrer tätig; 1936 Emigration nach Palästina; anfangs im Kibbuz, dann selbständiger Kleinlandwirt, später Arzt, Ausbildung in Arbeitsmedizin, Professor, Gründung des Instituts für Arbeitsmedizin in Tel Aviv. Aufnahme: Eva Eylon, Ramat Gan 1991. Leichte rheinische Färbung. Sehr bewußtes Formulieren, Tendenz zu langen Satzkonstruktionen. Langsam und akzentuiert sprechend. Tonqualität: schlecht.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
20
KD: fang wir mal damit ant * ich bin neunzehnhundert*neunt ** in köln geborent ** als söhn des ä: dermatologen ** doktor: * albert dreyerΤ ** und seiner frau ** johanna ** geborene samelsont ** die selbst kölnerin warΨ * mein vater war in einem kleinen dorf ä: ** in der senne in der gegend * zwischen gütersloh bielefeld geboren* ** und ä: ** ich wurde ** absolut assimiliert aufgezogent· ** wußte vom judentum ** so gut wie nichts ** ich bin: ** meine mutter ä ist lehrerin gewesen* hatte ein lehrerinnenexamen * hat aber natürlich nicht mehr gearbeitet nachdem sie verheiratet wart ** bekam aber die erlaubnis mich das erste Schuljahr zu lehrent ** und dann kam ich in köln * in die evangelische Volksschule * in unserer gegendt ** wir wohnten in köln marienburg und das war im * rheintal war das nächste ** ä war die EE: LACHT KD: ä: nächste schchuna20 * wollte ich sagen* ** und * dort gingen wir zur schulet ** ä: * zwei jähre und danach kam ich ä: ** auf die Vorschule * für ein jähr ** des gymnasiums und realgymnasiums in der kreuzgasse in köln* ** dazu muß man wissen ja daß köln eine ** sehr
Hebr.: 'Stadtviertel*.
65 22
katholische Stadt wart
*3* und ä: * zu hause ** m e i n
23
vater war zwar aus einer: ä: ** traditionellen
24
** hat aber * außerhalb des hauses * gelernt ä:: ä: *
25
er ging in bielefeld zur schulet
26
er auch schon und dann später beim Studium * ziemlich
27
weit
28
grundbegriffe*
29
gen war aus einem haus wo zwar wieder ihr vater der ä:m
30
** bekannter augenarzt
31
geboren* er kam aus der gegend von ä ** p o m m e r n ä: oder
32
westpreußent
33
weit in seinem * während seines studiums ** vom
34
tum entfernt obwohl er auch aus eine:r sogar
35
familie war!· ** brachte aber der großmutter ** die an
36
sich wieder aus einer familie war die ** um
37
hundert herum rabbiner in ä: köln und bonn w a r e n ** die
38
ab/ wo aber nichts zurückgeblieben war von ä: * v o n ju-
39
dentum*
40
ich ihr später ** von * dem ä: judentum das ich in der
41
schule noch lernte ** erzählte das war für sie ä: **
42
absolut ä: ** ä: ** fremd*
43
alle ihre geschwister ** meiner mutter ** ä christlich
44
#verheiratet warent# ** darunter ein bruder der
** vom judentum entferntt
familiet
** und ä d a d u r c h w a r
aber hatte
irgendwelche
** meine mutter dag/ meine m u t t e r dage-
in köln wart
** aber nicht
** äm ** und hatte sich auch **
ziemlich juden-
frommen
achtzehn-
* die wußte sozu/ sozusagen von nichts*
#LEISER
dort
wenn
** dazu kommt ä: d a ß ä: **
schon
45
Κ
#
46
KD: vor dem ersten weitkrieg ä nach england auswanderte
47
und dort heiratete*
48
lebten * in köln berlin düsseldorf
49
diesen kreisen ä: ** reichlich bewandert*
50
[DIE CHRISTLICHEN V E R W A N D T E N ; SPORTLICHE
51
JÜDISCHE MITSCHÜLER; 5:15 Min.]
52
** aber * die andern
verwandten
** und ä: so w a r
EE: aber * ä * was war zum beispiel rosch ha-schana 2 1 und jom kippur 22 * ** sind die eitern da oder sie selber
54
gendwie in die Synagoge gegangen oder sind sie
21 22
ich
INTERESSEN;
53
55 56
**
KD:
ir-
zur
schule gegangen an den tagen* nein* ** erstmal die eitern *
Hebr. (wörtl.): 'Anfang des Jahres'; jüdisches Neujahr(sfest), fällt in den September. S. Arnn. 10, S. 49.
66 57
RÄUSPERT SICH sind nicht zur synagoge gegangen* ** ä:
58
** ä wir * als schülert ** waren gehörten zu den be-
59
EE:
j a:A
60
KD: rühmten drei-tage-juden
das heißt * die drei tage
61
sind wir nicht in die schule gegangen* ** und ** mußten
62
auch ä: * ä: z/ z/ zum gottesdienst gehend ** wir hat-
63
ten eine * cousine meines vaters * die noch fromm war
64 65 66
** und die uns dann * mitnahm * als ä: * ζ/ zumindest EE: aber kein KD: wie wir noch jünger waren *4* und dadurch: ä
67 68
EE: festessen kein ä: ä an jom an rosch ha-schana* ja* KD: neinΨ a nein nein* die f/ die die
69 70
EE: ia:t und η KD: festessen waren zu Weihnachten und zu ostern **
71 72
EE: weihnachtsbaumt KD:
**
ja* auch η weihnachtsbaum * ja* und das
war der * der sogenannte heilige abend wurde im allge-
73 74 75
EE: christlichen (familie) KD: meinen bei den * bei der ä: ** christlichen tante
76 77
EE: mit geschenken und allem drum (und) KD: gefeiert ** mit geschenken und
78
allem* ** und ä aber nicht ä: nicht mit kirche* oder so
79
EE:
HUSTET
80
KD: was*
(da wir) das heißt ** nein* η * dienstmädchen hat
81
uns glaub ich mal * zur christmette nehmen wollen ich
82
glaube nicht daß wir gegangen sind* ** aber * ä: *3*
83
das wieder nicht* * nich wahrt
84
hörten später ** war ja dann ä das: * ihnen sehr be-
85
kannte trutzjudentum ** das heißt juden die * juden
86
blieben weil es ihre ehre nicht zuließ ** wegen des
87 88
89 90 91 92 93
(denn weil) wozu wir ge-
EE: sich taufen zu lassen* KD: antisemitismus ** die: ä: die religionsgemeinschaft zu verlassent ** ich kam dann auf die Universität * zuEE: aber religionsunterricht hatten sie in der schulet KD: nächst religionsunterricht EE: mußten sie (gehen)* * KD: hatte ich hatten wir jawohl* und * da hab
94 95
EE: (im) KD: ich auch ä * etwas hebräisch gelernt ** aber ** (eben)
96 97
EE: +aber lesen konnten KD: hab es nicht gekannt nicht gekonnt ich war
67
98 99 100 101 102 103 104 105
EE: KD: EE: KD: EE: KD: EE: KD:
sie bißchent * oder auch nich* ich konnte:: * sehr langsam lesen * stottern* ich les heute noch nich * ich lese heute noch nich ja* schnell* das is ne andere sache* ** aber ** ä: dann jat 23 wurde ich bar mizwa * ich erinnere mich daß ich
106
für die bar mizwa ** sowohl die parascha24 ** wie die
107
Übersetzung denn der ä kantor25 sachte ** du darfst
108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133
nicht aus der tora lesen ** wenn du nicht weißt was du liest ** und da bekam ich die Übersetzung auf deutsch und da hab ich sowohl die parascha wie die Übersetzung no auswendich gelernt * wußte aber nich was mit wem zu ja:* mit wem zu tun hat* ** aber * ich konnte das und +und hinterher die geschenke hab das ganz gut gemacht* bekommen und eingeladen* aha* aber selbstverständlich* * (ja) und dann war noch ä: ** der ä LACHT ein ä: ** sehr kon/ wie mein bruder bar mizwa wurde der hatte einen na * recht frommen religionslehrer ** und der wollte uns: am sonntach nach der bar mizwe denn wir wohnten draußen und ä ** (ma) konnte da nicht zu fuß hinkommen* er wolle uns am sonntach ** nach der bar mizwa besuchen kommen ** und da mußte mein bruder ihm sagen da fand er auch nich sehr viel bei* ** ja lieber herr rabbi XY ** am sonntach können sie nicht zu uns kommen denn da müssen wir zur ** ä: ** zur ä: * konfirmation meiner * cousine geLACHT ** ja* ** also sind hen* ja* *3* also SCHNAUFT sie sie sind aus einem hause so könnte man sagen ** ä: ja* deutschem hause RAUSPERT SICH mosaischen glaubens*
23 24
25
EE: KD: EE: KD: EE: KD: EE: KD:
EE: KD: EE: KD:
S. Anm. 11, S. 49. Bezeichnung für den Abschnitt aus der Tora, der im Gottesdienst am Schabbat und an Festtagen vorgetragen wird; die fortlaufende Lesung erfolgt in einem einjährigen Zyklus. Vorbeter in einer Synagoge.
68 134
+absolut! * und dann:! * ä auf der Universität* ** wo ich zu anfang auch * mich nicht einer jüdischen Verbindung anschließen wolltet * aus prinzip! ** aber nachdem ich sah: ** was sich: ä: * dort und ich war in freiburg! ** was eine * die eine der * liberalsten Universitäten in deutschland war! ** wo ** es kaum antisemi-
135 136 137 138 139 140 141
EE: KD:
142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152
hmhm! tismus sondern einen kaum offiziellen antisemitismus gab ** und die jüdischen Verbindungen ä: ** eigentlich gleichberechticht waren mit den andern Verbindungen! ** ä: * da bin ich dann doch dazu gekommen nach ** einigen versuchen während des ersten semesters im zweiten seme-
EE: KD:
ja ja* ster ** im KC * sie wissen was das is! ja! ** aktiv EE: oder saaen sie noch mal erklärensweise! KD: zu werden ä: * kartell(studen/) EE: KD: convent * de.-r es war eine eine: immerhin eine jüdische ** schlagende Verbindung!
Schon vor Hitler keine gute Atmosphäre Johanna Klausner (geb. Weissenberg), * 1908 in Czulow-Tichau (Oberschlesien) Jurastudium (kein Abschluß); 1939 Flucht nach Lemberg, 1940 Verschickung nach Sibirien, nach Kriegsende nach Polen zurück, 1950 Emigration nach Israel; zunächst im Kibbuz, dann Gelegenheitsarbeiten, danach bei der Jewish Agency Arbeit mit Neueinwanderern. Aufnahme: Anne Betten, Naharija 1990. Mit anwesend: ihr jüngster Sohn. Deutliche schlesische Färbung (z.B. Entrundung). Spontaner Sprechstil, lebhaft akzentuierend. Tonqualität: gut. 1 2
AB JK
Γ...1
3 4
AB JK
wo liegt das ganz aenaut * ja iä*
5 6
AB JK
aha! SCHNAUFT -ja: f oberschlesien! damals kreis pl/ damals zu mei-
7 8
AB JK
iaT hmhmT ner zeit kreis pleß oberschlesien! ** mein vater hatte
9 10
AB JK
dort ein gasthaus! ** ein haus mit gasthaus! jat
aeboren neunzehnhundertacht
* in czulow-tichau! tichau!
* fraut das
is kreis pleß
hmhmt
69 11
AB: **
12
JK:
ä ä im jähre ä * im jähre neunzehnhundert**neunzehn
13
* sind wir in zwanzich* * nach dem Plebiszit das war
14
Volksabstimmung* ** sind wir nach nikolai gezogen das
15
is sieben kilometer weitert
** auch kreis pleß * sech-
16
AB:
hmhmt **
17
JK: zehn kilomeiter vor kattowitz* *
dort hatten
18
hat mein vater die likörfabrik seines verstorbenen bru-
19
ders * abgekauft von der witwet ** von der witwe abge-
20
kauft* ** und dort bin sind wa ham wa gelebtt
21
jähre * dort bin ich in die deutsche * ä schule gegan-
22
gent ** minderheitsschulet
23
hun/ als ich fünfzehn jähre alt war wurde ich nach
24
gleiwitz geschickt dort bin ich in das war dann schon
25
deutschland* ** friher war das wohl dann po/ polnisch*
26
* jat * nach gleiwitzt
27
gewohnt und habe das oberlyzeum ** besucht* ** meine ä
28
ä ** in den dörfern und nikolai war meine beziehung zu
29
meinen bekannten eine natirliche gute * freundliche ja
30
* und freundschaftliche* ** in meinen schuljahrn in ä
31
in ä gleiwitz nicht* ich habe ni/ * kaum kontakt gehabt
32
mit den sch/ mitschülerinnen * ich weiß nich warum
33
vielleicht weil ich doch aus reicherem haus war* * weil
34
ich eine jidin war* ich kann die gründe nicht angeben*
35
** neunzehnhundertneununzwanzich hab ich=s abitur ge-
** im
** und ä im jähre neunzehn-
* dort hab ich bei meiner tante
36 37
AB: JK: machtt * im märz* ** war das eine reine mädchenschulet
38
AB: auf der sie da warn* ahat
39
JK:
40
eine reine
mädchenschule*
* wir warn so zum
abitur warn wir zwölf mädchen* jat ** damals warn ham
41
AB:
hm: t
42
JK: noch nich so viele studiert* und ich bin dann nach ber-
43
lin gegangen* ** und hab jura studiert* ** zwei seme-
44
stert ** von berlin bin ich nach ä ** hab ich ein seme-
45
ster in königsberch studiert* das war eine wunderschöne
46
Stadt königsberg* * aber ich wollte doch in oberschle-
47
sien bleiben nach einem semester bin ich zurückgekommen
48
* und hab in breslau vier semester noch sch/ ä ** v/
49
vier jah/ nei/ acht se/ vier semester noch studiert* **
70
einen mo/ ä nachdem hitler zur ä: * zur macht gekomm is ** hat man schon * schon vorher sogar als noch das ä unterwegs war der ganze nationalse/ * warn schon anfeindungen in der UniversitätΤ ** und ä: * es hat mir schon nicht mehr gefallen diese affä/* ** und ich hab einen antrag von meinem mann gekriecht hab geheiratetΨ ** und es war eigentlich zu meinem glücke ** und der *
50 51 52 53 54 55 56
65 66
AB JK
67 68
AB JK
69 70
AB JK
be/ darf ich mal fragen ihr mann war ja wir ham dann ** ä hat ä war das ein studienkolleget oder wo ham sie=n nein* nein* nein* nein* her gekannt* hm:t nein* nein* er war aus bielitz* ein bekannter in * in nikolai wo wir gewohnt ham hat er eine schwester gehabt* * er is zu der schwester gekomm dort ham wa uns hm:ΐ und da zufällich kenngelernt* ** das war=s* ** und ich hab daham sie gedacht also die atmosphäre war schon so daS mals die sie nicht mehr fertichstudiern wollten! atmosphäre war nicht gut* sehen sie dort viel-
71 72
AB JK
leicht
73 74
AB JK
57 58
AB JK
59 60
AB JK
61 62
AB JK
63 64
75 76 77 78 79
AB JK
jat
*
mit den a nun dort in den dörfern und den hm: * hm: * hm: * hm: * hm: * kleinen war gut* und auch mein vater war sehr beliebt er war (da) auch geborn* aber in dem oberlyzeum war ja* hm:* * * schon die atmosphäre nicht gut* ich hab niemals kontakt bin niemals zu jemanden eingeladen gewesen* und ä * überhaupt nicht* [...]
Über Arbeiter-Abiturienten-Kurse zum Stipendiaten der Studienstiftung Mordechai Heinz Gilead (ehem. Heinz Guttfeld), * 1906 in Luckenwalde Realgymnasium, Arbeiter in einer Metallfabrik, Externabitur, Studium (Geographie/Mathematik/ Pädagogik), Mittelschullehrerexamen, Doktorand; 1933 Emigration nach Italien mit einer jüdischen Kindergruppe, 1935 nach Palästina, als Meteorologe tätig (ab 1948 Direktor des Israel Meteorological Service); nach der Pensionierung Volontärtätigkeit im sozialen Bereich. Aufnahme: Kristine Hecker, Ramat Gan 1990. Ruhiges, überlegtes Formulieren; sehr normorientierte Sprechweise, betont artikulierend; komplexe Satzkonstruktionen.
71 Tonqualität: gut bis mittel.
1
KH: und sie ham in frankfurt damals auch meteorologie stu-
2 3
MG:
diert! * oder sie wollten was ganz anderes machen* nein! nein! nein! nein!
4
nein! nein! ** ich habe ** ich habe * noch eine sache
5
getan! ** auch alles aus ausgesprochenem
6
[TECHNISCHES PROBLEM; 0:07 Min.]
7
pessimismus!
MG: aus ausgesprochenem pessimismus! *5* ich habe ein **
8
lehrerexamen gemacht! * wie ich sah es wird nich wei-
9
tergehn! ** im mai neunzehnhundertzweiundreißich! und ä dadurch hab ich heute meine sogenannte
10 11 12
**
restitu-
ja! KH: MG: tion bekommen! ** denn ich habe auch schon * in frank-
13
furt ein paar lehrstunden gegeben und so etwas eben
14
nach dem examen! * und habe dann die erlaubnis von der
15
studienstiftung bekommen * weiterzumachen für das dok-
16
torat! ** und war ziemlich weit! ** ich hätte noch ein jähr #gebraucht! ** HOLT LUFT und das ist nicht mehr!# #LEISER #
17 18
Κ
19
MG: aber dieser poessimismus hat mich gerettet! aber nich
20
nur pessimismus! ** ich glaube es gab noch etwas ande-
21
res dabei! ich war einer vielleicht
22
na/ arbeiterstudent war! so nannte man das damals! **
23
das heißt leute die gearbeitet habenf ** und ich war
24
habe gearbeitet * bevor ich mein extranabitur 26 gemacht
25
habe! ** habe gearbeitet schon fünf oder sechs jähre
26
vorher vom ** von sechzehn ** wie ich sechzehn jähre
27
alt wart
28
gearbeit in einer fabrikt
29
jähre alt war! * und dann bin ich nach berlin gegangen!
** da ich ein soge-
*3* sechzehn siebzehn so ungefähr! ** hab ich *3* bis ich ** zweiunzwanzich
30 31
KH: wo warn sie ursprünglich hert in eine schule ** fünfzig kilometer MG: **
32
südsüdwestlich von berlin das is eine fabrikstadt mit
33 34 35
26
ja:! KH: # * MG: dem namen luckenwalde! * heute in der # DDR! Κ #[didiar]#
Veraltet für 'Externabitur'.
72 36 37
KH: ** und da s:ind ihre eitern mehr oder weniger MG: ä
38 39
KH: gelandet*
zufällich
* oder * (Unternehmer sind)Φ
MG:
nein* nein*
meine eitern
40
hatten dort ein ** ein geschäft das während der berühm-
41
ten jähre ** einunzwanzich bis dreiunzwanzich wie alle
42
anderen solchen kleinen geschäfte * pleite ging* * weil
43
sie einfach * verkauft habent
44 45
KH: MG: les * und sehr viel aufgefressen*
**
46 47
KH: was hat ihr vater danach gemachte
**
MG:
** die inflation hat alja* *3*
und ä:
und
danach hat er al-
48
les mögliche getan er hat irgendeine Versicherung ge-
49
macht und so was ähnliches* aber ich bin siebenunzwan-
50
zich dann nach berlint
51
kölln ** bei dem bek/ * damals bekannten professor * na
52
(da bei) doktor kurt löwenstein* stadtrat für das er-
53
ziehungswesen*
54
eingerichtet*
55
ten angehörtent
56
also zusammengewohnt haben in irgendeinem alten barak-
57
kenviertel aus dem ersten weitkrieg in neuköllnt
58
ä: ** die Unterricht bekommen haben na in dieser **
59
deutschen Oberschule des
60
ums in schw/ später dann karl-marx-schule hieß* ganz
61
bekannte sache* ** dort haben * die lehrer
62
zusätzlich Unterricht gegeben * zwischen acht sechs uhr
63
morgens und zwölf uhr mittags* ** und ab ein uhr wurden
64
diese ** gruppen ** soweit sie nich aus berlin waren
65
die menschen aber die meisten waren nich aus berlin* *
66
eingeteilt
67
zernt
68
f:/ die hochfenster geputztt
69
hallen und so was was es gab* ** in akkordarbeit*
70
heißt was die gruppe fertigbekam dafür bekam sie be-
71
zahlt das haben wir in vier geteilt* ** und so weiter
72 73
KH: war das MG: und so hab ich mein extranabitur gemacht* ** äj_
74
KH: ihr wünscht oder ham ihre eitern sie gedrängt dann
** dort gab es in berlin in neu-
** der hatte
arbeiterabiturientenkurse
* das waren leute * die den gewerkschaf* von denen empfohlen warent
** und die
** und
kaiser-friedrich-realgymnasi-
in gruppen ** von sogenannten
freiwillich
fensterput-
** und die haben also in: öffentlichen schulen * in den aulen und turndas
73
75 76
nachher* ή a:Ψ MG: niemand* meine eitern * nich aedränqt* * denn einfach *
77 78
KH: aber es war doch auch schon sehr ungeMG: ich wollte* **
79
KH: wohnlich die: fabrikarbeitertätichkeit damals im jüdi-
80
schen milieu* odert ** das war das eine notwendich-
81 82
keitt oder war=s ne politische entscheidunq* ** MG: nei:n* ich habe meinem ich ha-
83
be ** meinem vater *4* damals gesagt! ** ich muß geld
84
verdienen* du kannst nich mehr* und mit sechzehn jähren
85
muß man anfangen zu verdienen* mein bruder und ich sind
86 87
KH: +warn sie der ältestet MG: aus der schule weg* +ich war der
88 89
KH: ja* MG: ältere* * ich habe eine ältere schwester die war aber
90 91 92
schon viele jähre in berlin damals* ** und war auch KH: ja:* ** beide schwestern* eine StiefMG: selbständich* *
93
schwester dazu* ** und habe meinem vater eigentlich je-
94
den monat eine feste summe gegeben* ** zur erhaltung:
95
** zum leben* ** von dem das meiste also ich hab sehr
96 97
Κ
wenich #für mich behalten damals*# ** und eines schönen #LEISER #
98
MG: tages hab ich gesacht geht nich mehr* ich muß jetζ wei-
99
terlernen* *3* gutt da hab ich das also gemacht und ha-
100 101
KH: sie werden der tschuldiauna sie werden der einziae MG: be extranerabitur aemacht*
102 103
KH: jude in der fabrik gewesen sein nehm ich an* * MG: na es
104 105
KH: ach so:* ** s ein ort in dem * MG: war ne jüdische fabrik*
106
in dem es: ** in dem friedrich der große * das heißt
107
eigentlich der große kurfürstt aber nach der zeit f/
108
friedrich der großer ** angesiedelt hat zwei * verfolg-
109
te * gruppen* ** die einen warn die hugenottent ** und
110
das andere waren die hugenottent nich wahrt die also
111 112
ja: * KH: MG: nach den berühmten kriegen in ** in der mitt des acht-
113
zehnten jahrhunderts so etwa * ausrücken mußten aus
114
frankreich bis nach holland raust nich wahrt ATMET
115
DURCH und das andere waren: ** juden die aus * aus ä:m
74 116
** aus handwerklichen betrieben kamen* ** gerber ** ä:
117
tuchwalker ** und alles
118
vierzich fabriken in luckenwaldet
119
nich ganz genau wieviel aber ungefähr siebzehn ** jüdi-
120
sche fabrikbesitzer waren* große fabriken* ** zum bei-
121
spiel alles was an hüten gab ** gehörte einer fabrik *
122
steinbergt
123 124 125
det ** die hatten in guben und in luckenwalde die bei-
126
127 128
129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154
(die Sachen) da waren ** einen** von denen ich weiß
judent hermann juden und kompanie auch a ju-
den einzig großen hutfabriken die=s im ganzen deutsch-
KH: MG: KH: MG: KH: MG: KH: MG: KH: MG:
und d i e a r b e i t e r warn auch * und dann gab e s m e t a l l f a b r i +eben* d e s ken* * n e i n d i e a r b e i t e r waren k e i n e j u d e n * halb f / sagt ja* +manchmal i r g e n d e i n e i n ä n e i n * i c h war ia:* d e r e i n z i g e u n t e r der a r b e i t e r s c h a f t der e i n z i g e d o r t * d a s mein i c h * ia:* s i e ham j a auch a l s * war η schöner ( ? ? ? ) * * * i c h b i n s p ä t e r auch l a n d gab* * *
ja:*
*
jat
KH: arbeiter nich in der Verwaltung mitgearbeitet*
MG:
+nein* ich wurde nachher promoviert* nich wahrt
** ich wurde
nachher promo/ ich habe als lehrling angefangen* ** wurde promiv/ promoviert nachhert
** und man hat mir
die gesamte Verwaltung gegeben der güter die weggeschickt wurden* das war eine exportfabrik*
** das pak-
ken dieser sachen das ausfüllen sämtlicher formen denn ich hatte inzwischen englisch und spanisch gelernt* *
KH:
ja:*
MG: privat* ** auf meiner eigenen * (???)* * jat ** aber das hat also keinen fortschritt mehr gemacht man hat mir gesacht die aussichten daß ich mal irgendwie mal ein leitender angestellter werd sicher in dreißich vierzich jahrn hab ich gsacht so lang hab ich keine zeit* ** und bin also dorthint nich wahrt
** und hab
mein extranabitur nach anderthalb jähren gemachtt
[...]
[LEHRER UND MITSCHÜLER; 2 : 4 0 Min.] MG:
[...] jedenfalls ich bin ** sehr viel in Verbindung gekommen * mit Studenten * die auch diese Stiftung be-
75
155
kommen haben* von allen möglichen Seiten her* ** und
156
ich habe schon bei den ersten Studentenunruhen in ber-
157
lin* ** leute gesprochen die ausgesprochen ** rassisch
158
antisemitisch warn* ** sehr nette menschen* ** bin si-
159
cher alle die sind nachher zur SS gegangen* ** dasselbe
160
hat sich fortgesetzt in freiburch wo ich ein jähr wart
161
** wo ich versucht habe den professor heidegger zu ver-
162
stehent
163
genug von der rederei gehört* ** war immer eijntlich
** aber ich war nur einmal da und da ha ick
164 165
KH: ja: * MG: η naturwissenschaftier meiner Veranlagung nach* es hat
166 167
KH: MG: mich alles andere wenjer interessiert*
168
KH: ich vergessen oder
und das hatt **
(vielleicht hab ich=s) im moment
169
jetz ** ä: nich präsent*
170
zunächst des Studium angefangen in der absieht * wei-
171 172
** wa/ ä * sie haben damals
terzumachen* was war das für=n fach* * MG:
ich habe ** bio-
173
logie studiert* ** und mathematik und geographie* *
174 175
KH: fürs lehrfacht oder zu ** wollte lehrer werden* und MG:
176 177
KH: ja* MG: nachher wie ich dann etwas mehr gesehen hab hab ich
178
biologie abgelegt ** meiner Unkenntnis im lateinischen
179
wegent
180
machen* ** hatte genug davon von diesen da art lernen
181
nich wahrt
182
und geographie ** in das lehrerexamen gegangen*
183
nachher* * und wollte lehrer werden an einer pädagogi-
* und ich wollte nicht noch das kleine latinum
** und bin also in * physik und mathematik **
184 185
KH: ja: * das war MG: sehen akademie* * ausbildender lehrer* *
186 187
KH: ja* jat * und darum hab ich meine dokMG: meine idee* *
188
torarbeit in der pädagogik gemacht*
[...]
76
Rechtsreferendariat in Oberschlesien nach 1933 Dr. Lothar Eisner, * 1909 in Guttentag (Oberschlesien) Studium der Rechtswissenschaften, Rechtsreferendar, Umschichtung; 1939 Emigration über England nach Palästina; unterrichtete zunächst Englisch, dann Bibliothekslaufbahn, Universitätsbibliothekar. Aufnahme: Kristine Hecker, Jerusalem 1990. (Gegen Ende mit anwesend: seine Ehefrau Chana Eisner.) Neigung zu komplexen Sätzen, die nicht immer vollständig sind. Leicht heisere Stimme. Tonqualität: mittel; brummendes Nebengeräusch.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
LE: aber breslau war ja die provinzhauptstadt von * schlesient ** und in breslau hab ich schließlich meine juristischen examina gemacht* ** das heißt das referendarexamen* ** wenn ich studiert habe * zuerst in freiburg ** und in münchen * und zum schluß als schlesier ** natürlich in ** breslaut ** das is mir noch grade ** in ä ** im im im im januar anfang februar * dreiundreißich gelungen das examen zu machen ** als die mitteilungen noch nicht durch waren ** daß man * ä: juden überhaupt nich mehr zuläßt zu examina* ** und ä ** ich konnte dann noch *' ein merkwürdige sache ** ich konnte dann noch ** anders als sonst im reich wo das alles zu ende war * noch referendar sein ** weil es zwischen deutschland und polent ** ein abkommen gab daß die ge/ minderheiten beider seiten ** nicht ä tangiert werden dürfen* ** und das hat sich ein ** ein ä: * jude ** is ä: er ha:t das benutzt ich f/ komm jetz nich auf den nament * der hat beim Völkerbund ** damals eine eingäbe gemacht*
19
** und ä ** wir * blieben also in unsern Positionen* **
20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
was die * merkwürdige folge hatte daß zuerst * wo also nichts sein durfte ** plötzlich waren wir genau dasselbe * wie alle andern* ** wie alle andern ** und ich kann auch sagen daß ich in der ** in der referendarszeit in * meiner heimatstadt guttentag * auf einen * besonders ** pf/ pfeinen * katholischen amtsgerichtsrat gab den von dem ich auch * später gehört habe * aber auch dann am landgericht in * in gleiwitz ** ä: * immer nur ** sehr sehr gut behandelt worden bin da war ein * freiherr von XY und XY ein landgerichtsdirektor * ein besonders feiner und netter mann ** und * was wichtjer war als alle diese sachen aus denen ja gar nichts ge-
77 32
worden i s
* * i c h habe e i n e menge * * j ü d i s c h e r n e u e r
33
freundschaften geschlossen*
34
macht*
* und daraus i s
* und b e k a n n t s c h a f t e n
**
ge-
s c h l i e ß l i c h auch * meine * ä :
35
KH:
36
LE: auch meine f r a u zum Vorschein gekommen* j a t
is
LACHT * und so *
37
haben w i r * haben w i r s c h l i e / dann s p ä t e r a l s
38
h i e r h e r kam haben w i r g e h e i r a t e t *
i c h nach
[...]
1933 aus dem Gericht geworfen Dr. Hüde Rudberg (geb. David), * 1909 in Breslau Jurastudium, Promotion, 1933 Abbruch der Referendarzeit, zunächst als Stenotypistin tätig, dann in der Leitung der Jugend-Alija und eigene Umschichtung; 1938 Emigration nach Palästina; anfangs im Kibbuz (in der Wäscherei), dann Stenotypistin und Sekretärin, 1949 "foreign advocates' examination", schließlich juristische Beraterin im Ministry of Communication. Aufnahme: Anne Betten, Jerusalem 1991. Verhaltene, ruhige, überlegte Sprechweise mit langen Formulierungspausen und -Verzögerungen; beim juristischen Fachwortschatz oft Suchen nach dem deutschen Wort. Tonqualität: gut. i h r a b i t u r j a noch i n den z w a n z i g e r
1
AB: nun haben s i e
2 3
HR:
4
AB: n i c h u n b e d i n g t n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h
5 6
HR:
7 8
AB: HR: j a *
9
AB:
10 11
HR:
12 13
AB: HR: n e i n *
14 15
AB: HR: nen ä :
16
r e n gemacht*
war +ende d e r z w a n z i g e r
es war noch jähre* wir a b e r * zum t e i l
r e c h t n a t i o n a l creprächt an den s c h u l e n * net ja* ja*
ja*
ä:m * * i s e s denn da schon ä : i h n e n ja*
jäh-
*
ja*
spürbar
**
zu zu äm * a n t i j ü d i s c h e n äußerungen o d e r was gekomment (also) ** v i e l l e i c h t
HOLT LUFT * 4 * auch deswegen
sehr l i b e r a l e n d i r e k t o r
[AB KOMMENTIERT; 0:24
in der
lehrerschaft
nein* ** nein*
**
weil wir einen ä:
ei-
hm: * hatten*
Min.]
17
AB: w i e haben s i e s i c h zum j u r a s t u d i u m e n t s c h i e d e n *
18
HR: ach g o t t das w a : : r ä : :
** ä:
ich
**
g l a u b e das h ä t t e
hätte
19
e b e n s o g u t was anderes s e i n können* * damals* e s war
20
LACHT VERHALTEN ä : :
21
w e i ß n i c h ob so was h e u t e noch e x i s t i e r t
i c h w a : : r w i r warn damals ä * in
ich
einer
78 22 23
AB: wieder! * wird wieder populär! HR: tanzstunde! ** äj_ +tat-
24 25
AB: nach qroßer unterbrechunq! ia! hm:f HR: sächlich! iat ia! und zwar war das ä: or-
26
ganisiert von: ä:m ** einem ** FWV 27 von der von einer
27 28
AB: hm:Τ * * HR: jüdischen Studentenverbindung! ja! eine jüdi-
29
sche Studentenverbindung! * und die harn mädchen einge-
30
laden! ** und ä::
31 32
(doch doch) das warn alles
juristen!
hm:τ * * AB: HR: * und ä:: * ich bin da so einfach so:: so rein-
33
geschliddert!
34
[IHR BRUDER; 0:18 Min.]
35
HR:
36 37
AB: hm:! * HR: so als ä: sechzehn- siebzehnjährige drinnen war!
38
[...] das war der kreis in den ä: in den ich ä damals
das warn juristen! und ä * und
(so) hab ich da mitge-
39 40
AB: ham und dann ham sie in breslau mit=m Studium HR: macht! **
41 42
AB: beqonnent oder qleich auswärts! hmhm! HR: +hab in breslau becronnent und dann war
43
ich in heidelberg und in berlin ** wie man das so * ge-
44
macht hat in deutschland! ** und das examen hab ich
45
dann wieder in breslau gemacht! **
46
[DATEN VON ABITUR UND STAATSEXAMEN; 0:25 Min.]
47 48
AB : hm:! das erste Staatsexamen! * hm:! * also HR: zweiendreißich! ia! ia!
49
AB: das war alles noch im Studium dann ohne * Störungen!
50 51
HR:
52
ne! +äjä: das Studium ja! ** ja! und die Störungen fingen an dann ä wie ich ä:: ä: in de:r * ä bei der
53 54
AB: hm:! HR: stage 28 ! ** die ä:: än än deutschen juristen * hatten
55
damals ich weiß nich wie es heute is ** ham die stage
56
gemacht ä au:/ beim: ** ä bei den gerichten! bei ver-
57 58 59
27 28
AB: hm: ! HR: schiednen gerichten! ** angefangen mit dem mit dem kleinen amtsgerichti
** und ä: dann zum ä:m * bezirks-
Kurzwort für Freie Wissenschaftliche Verbindung. Frz.: 'Vorbereitungszeit', 'Probezeit'.
79
60 61
AB: wie nennen HR: gericht und bis dahin bin ich gekommen* *
62
AB: sie dast staget is das die referendarzeitt
63 64
wast * ach ja* hm:Ψ ia* hat man das damals so geHR: ja* ja ia* ja ja ja ia ja ja ja*
65 66
AB: nanntt HR:
67 68
AB: a hier nennt=s man so* * hmhm* HR: man es so* +das is ä: das is
69 70
AB: hm: t HR: englisch* natürlich* ä ja* ** wahrscheinlich hat
71 72
AB: hmhmt ja* HR: man es nich so genannt* ich weiß nich wie man=s ge-
73 74
AB: HR: nannt hatt *3* weiß nich* ** referendarzeit*
75 76
AB: referendardienst oder irgendwie* * hmhm* HR:
77 78
AB: dreijährich damalst HR:
79 80
AB: und da kam dreiendreißich kam dann in diese zeit HR: * *
81
AB: rein* was hatte das für konsequenzent
82
HR:
(a so) * +das weiß ich nich*
* oder so
(ja*) da so* hier nennt
hm * hm* war der
nur *
* ä:m ** oder ** ja* ja* dreijährich*
ja*
* ma hat mich
83
rausgeworfen aus=m gericht*
84
[AB ZUM RECHTLICHEN SONDERSTATUS FÜR MINDERHEITEN
85
OBERSCHLESIEN; HRs REFERENDARZEIT IM FEBRUAR 33 ZU EN-
86
DE; 1:00 Min.]
87
HR:
88
AB:
89
HR: hitler gewählt wurdet
IN
[...] das kann das sein daß daß der daß ä zu der zeit ja* * * im januart
ja* ** ä: da
90
war ich: ä:: * mit ä: einem freund im * im gebirge* *
91
auf ferien* ** da warn gerichtsferien irgendwie* ** und
92
ich kam zurückt
93
mand angerufen der mit mir zusammen RÄUSPERT SICH am
94
gericht wart
95
hat gesagt äm: * komm sie nich aufs gericht morgen*
96
und da hab ich gesagt was is da lost und da hat er ge-
97
sagt komm sie lieber nicht* ** und ä:: und zu den an an
98
zu diesen tagen war dann die warn dann die aktionen wo
99
man die die juden aus den aus den gerichten rausgewor-
100
fen hat* RÄUSPERT SICH und ä: ich hab dann diesen ä: *
** und da hat mich: ein ä:m: ** ä: je-
* ein aber ein ein christ* ** und ä: ** *3*
80 101
ä bekannten ä: auf der Straße getroffent und ä: ** ä::
102
er hat gesagt ä * das is ein zeichen wie naiv wir warn*
103
** er sagte: machen sie sich keine sorget * ich mach
104
ein büro auft * und sie werden meine ä:m * ä meine **
105
schutafa meine: ** und sie sie werden ä ä * mitinhabe-
106 107
AB: ia* ~ia* ja* ja* ** hm:* HR: rin des des büros* das ä: * das der hat der
108 109
AB: hm: * hm: * HR: hat damals geglaubt daß das ä: * möglich is*
110
[AB FRAGT NACH DER WEITEREN ENTWICKLUNG; 0:22 Min.]
111
HR: ich hab wohl wohl gewußt daß es zu ende is* aber * was
112
was ich mit mir mache das war mir völlich ä völlich ä:
113 114 115
AB: hm:* HR: fraglich* und ä: ** #ganz ä:: ** ä: ohne das# also Κ #LANGSAMER #
116
HR: also meine meine welt is zusammengestürzt* ** das is ä:
117 118
AB: waren ihre eitern HR: ** ä das jedenfalls das is klar* **
119
120
AB: damals auch schon beruflich ä: betroffent * HR: ä: ja* ja*
121 122
AB: darf ich fragen was ihr vater gemacht HR: ja* ja* ja* ** ia* schon länger*
123 124
AB: hatt ja* ja* HR: schon längere zeit* ja* schon längere zeit* * wa:r
125
wa:r mein vate:r hatte kaum irgendeinen verdienst ge-
126
AB: war ihr vater selbständicht oder HR: habt* na ja und ä: *
128
AB: ja* hat HR: ja* ja* ja* ja* *4* ja und die die ä: hm ä:: öko-
127
129 130
nomische situation zu hause war katastrophal*
131
[VATER KAUFMANN; 0:21 Min.]
132
AB: wie ham sie sich denn dann jetzt * i:m anschluß verhal-
133
ten also * es brach zusammen aber sie sind ja noch nich
134
gegangen* **
135
HR:
nein* * nein* nein* * ich hab dann ä ich ä
136
ich ä: ich versuchte mich zu organisiern auf irgendeine
137
weise* ** ä:m ** ich hatte jä:: *3* ja gute freunde ein
138
ä:: ** ä: ein anwaltsbüro eines von den angesehensten
139
anwaltsbüron in ä in breslau* * (galt) ein ä: ** ä:
140
anwälte die am oberlandesgericht ä zugelassen warn* *
141
juden* ** ä mit denen ich weiß jetz nich mehr woher ich
81
142
mit denen befreundet war ** jedenfalls: ä: ** ich hab
143
angefangen dort ä dort ein bißchen zu arbeiten im büro*
144
und dieses büro ging weiter ich weiß nich mehr warum *
145
ich glaube weil der * der seniorpartner * ä wa*r *
146 147
AB : hm: t HR: vielleicht äm: ein ein kriegsteilnehmer vom vom ersten
148
krieg* und ä hatte deswegen gewisse Vorrechte* ** ä:
149
ich besinn mich jetz nich mehr warum das büro dann ä:
150
weiterexistiert hat* ** und ä: da hab ich angefangen
151
dort etwas zu arbeiten* ** und ä:m: ** SCHLUCKT *3*
152
dann hab ich ä:: ** hab ich noch eine * eine andere
153
Stellung gesucht und ä bekommen als Stenotypistin in
154
einem ä: * in irgendeinem betrieb* ** ä hm: bis mir ä
155
bis bis ich verstanden hab daß es ä: daß es ä: in
156 157
AB: ham sie damals HR: deutschland ä: geht es nich mehr* ** und äj_
158 159
AB: noch bei ihren eitern gewohnte und mußten sie ihre ja* HR:
160 161
AB: eitern auch unterstützen in der zeitt HR: ja* ia* ja* ja* ja* mein
162 163
ja* AB: HR: bruder auch* * (und ä) * das heißt mein bruder hat nich
164
mehr zu hause gewohnt aber er hat die eitern unter-
165 166 167
AB: hmhm* HR: stützt* ** und ä:: ** dann bin ich ä: zu::r ä zur zionistischen bewegung gekommen*
[...]
82
1.2 Antisemitische Erfahrungen
Zwangsverschickt im Ersten Weltkrieg Friedel Loewenson (geb. Elfriede Hollenderski), * 1908 in Königsberg Gymnasium, Haushaltsschule in Hamburg, Ausbildung zur medizinischen Laborantin in Berlin und dort als Laborantin und Sprechstundenhilfe tätig; 1932 Emigration nach Palästina; Hausfrau, Aufnahme von Pensionskindern. Aufnahme: Anne Betten, Haifa 1990. Hochlautung. Sehr flüssiges, gewandtes Erzählen. Lebendige, fast mädchenhafte Stimme. Tonqualität: gut.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
FL: meine erste ** ernsthafte erinnerung war als ich fünf jähre alt wart * und zwar kurz bevor ich sechs wurdet * im august neunzehnhundertvierzehnt ** als grade der krieg ausgebrochen wart ** und * weiß ich noch genau wir saßen alle in unserm eßzimmer beim mittachessent * und es kam das * mädchen herein sachte ein Schutzmann* ** ein polizist hieß damals Schutzmann* (net) ** und ä:: der kamt * und brachte uns ** ein:e * eine aufforderungt * ja alle russischen aber nachher wie wir erfahren haben russischjüdischen familient ** antisemi-
11
tismus gab es damals schon genug in Ostpreußen über-
12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26
hauptt ** die sollen am abend an einem ganz bestimmten platz seint mit kind und kegel gepackten koffern und alles am selben tach wir müssen ** ä:: wir müssen die Stadt verlassent wir müssen Ostpreußen verlassent ** wir wußten nich wohint ** und nixt ** un:d SCHLUCKT es stellte sich ** ja* * ä:m:: und es stellte sich nachher heraust * der war bei ungefäh:r achtzehn oder zwanzich familien gewesen* alles juden* ** nun können sich vorstellen ä: ** die aufregung und das alles und da/ daran erinner ich mich ganz genaut * jat ** und ä: ** vorher war ich im kindergarten gewesen so hab nu:r da weiß AB: hmhml FL: ich noch nichts* wußt ich nichts von antisemitismus und so weiter* jat * aber dannt [HERKUNFT DER ELTERN; 0:53 Min.]
83 27 28
AB: ja und wie ging das weitert FL:
29
AB: gung
30
FL: ter daß
* ä mit bei dieser aufredas ging wei-
neunzehnhundertvierzehnf daß wir dort weiß ich
31
zwei stunden: vie/ mehrere familien mit vielen kindern:
32
und so weiter zu diesem platz kamen * ich w e i ß wir
33
fuhrn in zwei droschkent das gab doch damals nur die
34
pferdedroschkenf
35
wir wieder nach hause geschickte
36
** dann: ä: lebte man natürlich in großer Unsicherheit
37
* weil die russen schon * masuren bedroht habend da war
38
doch die * schlacht in masuren wo hindenburg gesu/ ä: *
39 40 41
AB: +werd=s wieder nachlesend FL: gesiegt hate ** jat * nu wir für sie #für sie Κ #AUSRUFEND
42 43 44
AB: LACHT jat (ja ne) soll/ FL: is das historischett ** für ihr altere und Κ #
45 46
AB: sollt ich wissend LACHT VERHALTEN FL: dann im novemberT ** da bekamen wir=s
* und so weitert
* und * dann wurden ** das war im augustI
47
aber schriftlich zwei wochen vorhert
* hieß es sich be-
48
reithalten wir müssen jetzt wirklich königsberg verlas-
49
sent ** also da war es nich η halben tag vorhert
50
dern: ä jae * das war sehr schlimm* * die väter wur-
son-
51 52
AB: was war ihr vater FL: den aus=m beruf gerissen! ** jaf ** un:d
53
AB: von beruft
54
FL:
*
hm: e er w/ * er war kaufmanne also er er
ar-
55
beitete: SCHLUCKT ä: er arbeitete in der hm getreide-
56
großhandlung meines großvaterse
57
schwiegervaterse
58
ter war ja schon alte und ä: das ä * das war so=n en-
59
grosgeschäft getreide ich weiß nich ganze waggons und
60
so:e wie das war weiß ich jae ** also ja war=n großes
61
büro: über ä gan/ ganzen etage ** und ä: nu gutt
* des: also seines
** und leitete dase denn mein großva-
62 63
AB: FL:
64
AB: auch die ganze familiet oder nur der vater danne
65
FL:
(denn) alle wurden einfach rausgerissene
**
und
ja damals
+bei
66
uns war es die familiee also meine eitern mein bruder
67
und iche
[. . . ]
84
[VERSCHICKUNG NACH HOLZMINDEN; 1:52 Min.]
68 69
FL:
[...] ä zweimal am tach mußten sich die väter auf=m
70 71 72
AB: und wie lange war dast FL: #pa/ auf der polizei melden*# ** Κ #LEISER #
73 74
AB: FL:
* *
ä wir hatten ganz besondere protektion durch ein ä:
75
verwandte in berlin mein onkel war * damals ä: ja* er
76
war politiker und sozialist das is jetzt nich wichtich
77
aber er hatte sehr gute Verbindungen ** und ä: * ä: wir
78
waren * mein bruder konnte schon nach knapp einem jähr*
79
** zurück nach königsberch um die um: zum abi/ ä: um
80
abitur zu machent um die schule zu beenden ** und ä w/
81
ä:: ** ä wir drei blieben noch dort ä: ich weiß nich*
82
im ganzen anderthalb jähret und (die) * viele andre
83
länger* ** die nich so gute beziehungen hatten* aber in
84
berlint ** war=s auch sehr schlimm* ** denn mein vater
85
hat illegal gearbeitet* ** und mußte sich auch j/ ä::
86
hin und wieder ich weiß nich wie oft auf der polizei
87 88
hmhm* AB: FL: melden und ä: ** na ia* also das war der erste Welt-
89
krieg*
Beschimpft yon einer Mitschülerin Chuma Betty Kolath, s. S. 33. 1
CK: [...] ich erinner mich ** da war ich vielleicht zehn
2
jähret ** da hatten wi:r ** eine lehrerin die war ad-
3
lieh* ** die ich sehr geliebt hab * schöne große und *
4
stattliche frau ** eine sehr gute lehrerint ** und ä:
5
** ä die auch zu mir besonders ** lieb und nett war* **
6
außerdem hatten wir * noch ein adliges ** in der klasse
7
** ein mädchen* ** die das ** hm beispiel einer ** ei-
8
ner verzogenen * und ** ä: sch/ sch/ schlecht erzogenen
9
und * arroganten ** ä pommerschen gutsherrentochter war
10
wie man sich nur vorstellen konnte* ** und die hat mich
85 11
** nur heimlich in der zehnuhrstunde * hinter mir her-
12 13
Κ
gezischt #judsche judsche*# ** mich das geärgert! *3* #ABFÄLLIG #
14
CK: (hab) ich das nöticht *3* und da hab ich mich einmal
15
vor sie hingestellt und habe gesa:cht ** eva von po/
16
von XY und XY* * #von XY und XY*# sol ich hab das so *
17
Κ
#SEHR BETONT
#
18
CK: vorgesacht* ** worauf sie zu weinen anfing
(und gesagt
19
hat) es war damals die zeit * wo man nämlich die ** den
20
k/ kaiser ä: ä:: entthront hat und wo alles was von war
21
* von den linksgerichteten ** von oben herunter ange/ *
22
also gespuckt hat! und sie hatte irgendwie das gefühl
23
gehabt daß ich eine linksche bint ** die ihr * (nun:)
24
** und is gegangent * zu dieser lehrerin die auch eine
25
adelige wart * und hat mich ver*klagt* ** die betty
26
lewy hat SCHLUCKT ** aber ich hab das ja nich gewußt* *
27
ich habe nur gemerkt daß plötzlich diese lehrerin **
28
die ich sonst jeden morgen * begleiten durfte wir hat-
29
ten denselben schulwe:ch ** plötzlich mir ausgewichen
30
is * mir nicht g/ * nicht freundlich mehr war * dacht
31
ich ach ist die womöglich auch antisemitisch geworden
32
jetzt* ** und ** dann hab ich sie g/ mal gefra:cht **
33
was sie denn jetzt ge/ plötzlich gegen mich hatΨ * sie
34
hat gsacht ich bin von dir enttäuscht* ** sieh mal wir
35
ham den namen geerbt soundso und auch diese * diese aus
36
der klasse hat * doch den namen geerbt das ge/ * nicht
37
#o: so: # aber ich hab mein judentum auch geerbtt **
38
Κ
# EMPÖRT #
39
CK: und wenn man mir judsche schimpft ** dann * wie soll
40
ich mich denn wehren* ** da hab ich ihre und hab ich
41
sie mit ihrm ** erbteil und mit ihrm stammbaum aufgezo-
42
gen* das war nu:r ** das war nur ein r/ ein verteidi-
43
jungs/* ** und da hat sie hätte mich beinah geküßt* sie
44
war so ** a wenn das so is na dann werd ich ihr aber
45
(geben) *
86
Die jüdischen Schüler mußten nicht mit "Heil Hitler" grüßen Emanuel Strauss, * 1926 in Düsseldorf 3 Jahre Montessorischule in Aachen; 1935 Emigration nach Palästina; weiterer Schulbesuch (u.a. in Jerusalem, im Kibbuz, in Ben Schemen); Tischler, Werk- und Fachlehrer, Planung der Berufserziehung für Holzberufe. Aufnahme: Miryam Du-nour, Jerusalem 1991. Überlegtes, ruhiges Sprechen; sehr normorientiert, mit häufig komplexen hypotaktischen Satzkonstruktionen. Tonqualität: mittel.
1
MD: können sie sich erinnern was im jähre neun/ dreiundrei-
2
ßich * also so passiert ist* in dieser umgebung und ä ES: +also ich habe persönlich ä kaum * ä: damals ä gelittent * wir hatten nur in der * ä montessorischule * ä also im ä dritten ä Schuljahr * ä: eine lehrerin * ä die ä eine klassenlehrerin deren ä mann in der SA war *
3 4 5 6 7 8
und ich kann mich noch erinnern * daß wenn er * ä in die schule kam * ä die klasse aufstand * und ä: heil hitler * zu grüßen hattet * aber wir die drei ä jüdi-
9 10 11 12 13 14
schen schüler * mußten nur aufstehnt * wir mußten nicht * mit heil hitler grüßen* also das war vielleicht eine MD: von der #montessorischuΚ #LEICHT LACHEND ES: besondere beaünsticruna * LACHT LEISE von der
15 16 17
MD: le#* LACHT LEISE Κ # ES : montessorischule die ein ä * freieren aeist hatte viel-
18 19 20 21 22
leicht als die anderen schulen und es * bewahrt hat bis zuletzt muß ich sagen* ** also ich kann mich nicht erinnern in der schule * an irgendwelche antisemitischen bemerkungent * allerdings in zu hause in unserm ä: * eiternhaus in der ä weberstraße waren schon * einige * ä kinder die durch ihre eitern zurückgehalten * wurden
23 24 25 26
* mit mir ä zu spielen* * dagegen warn auch andere * die die freundschaft weiter * gehalten haben* bis zuletzt*
87
"Herr Kommilitone, Sie meinen wir doch gar nicht!" Bernhard Jehuda Bergmann, * 1907 in Halicz (Galizien) Bis 1936 Apotheker in Berlin, Umschichtung (Landwirtschaft); 1939 Emigration über Dänemark nach Palästina; seitdem im Kibbuz, u.a. Arbeit in der Landwirtschaft und als Kibbuzsekretär. Aufnahme: Kristine Hecker, Kibbuz Nezer Sereni 1991. Mit teilnehmend: seine Ehefrau Asta Bergmann. Flüssiges Sprechen. Gebrochene, hohe Stimme. Tonqualität: gut bis mittel. 1
BB: herr kommilitone sie meinen wir doch gar nichtI sie **
2
jat * na
(zufrieden) hab ich gefrächt wen: meinen sie
3
denn* hitler m/ meint doch alle juden* * nein nein*
4
nehmen sie das nich so ernst* * sagt der SS-mann* ** na
5
ja* ** und * nachher hab ich wußt ich warum=s warum sie
6
das gesagt haben* * sie hatten immer probleme wenn=s im
7
* #chemischen# labor ** diese mischung die wir da hat#[Jemi/θη] #
8
Κ
9
BB: ten nun * zu analysiern* ** und da sagten sie mir immer
10
** ich sehe sie sind schon ziemlich fortgeschritten* *
11
sagen sie mal wie sind sie denn zu dem ergebnis gekom-
12
ment
(no ja)*
Zur Meisterprüfung ein Schwein zu schlachten Frau Waller (genauere Angaben fehlen) 1935 Emigration nach Palästina; zunächst Aushilfe im Krankenhaus, dann mit ihrem Mann eigene Metzgerei. Aufnahme: Kristine Hecker, Ra'anana 1990. Mit teilnehmend: Klara Herz, Kurt und Susi Baum. Leichte hessische Färbung mit umgangssprachlichen Verschleifungen. Lebhafte, anschauliche Erzählbeiträge innerhalb des oft sehr lebendigen Fünfergesprächs. Tonqualität: gut bis mittel. 1
KH:
2
FW:
ja:* [...] mein mann war metzger* ** wir
hatten eine metz/
3
hm gutgehende metzgereit
* und er hat * im ** im ä: ma/
4
im * mai dreiundreißich seine meisterprüfung gemacht*
5 6
KH: ja:* FW: ** und da gab man ihm ein schwein zu schlachten* *
7 8 9
KH: FW: das hat man gern gemacht* KB:
ja* LACHT VERHALTEN (nicht·) und mein mann ja* (gern*)
88
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
FW: hat noch nie=n #schwein in der hand gehabt*# zwar is ä Κ #HOCH # KH: ja: * FW: er hat nicht gewußt* * und er hat einen * und der der zweite es warn immer zweit * und da hat der partner zu ihm gsagt hab keine angst* ** ich werd alles ich werd dir alle sachen * wie du machen sollst daß du mir helfen sollst* * also η schwein hat ma gestochen * nicht KH: ja:* ja:* * FW: geschlachtet* also der andere hat es der dieser * der christliche ** ä der ä partner hat es gemacht* * und mein mann hat da:s gemacht was er was er ihm geKH: ja: * FW: sacht hat und er bekam seinen meisterbrief* ** und ä: * das war ungefähr im * aprilt [...]
Als "Judendirne" beschimpft und festgenommen Ernst Schwarz, * 1913 in Cham (Oberpfalz) Abitur, 2 Semester Jurastudium, Arbeit im väterlichen Geschäft, Umschichtung (Landwirtschaft); 1938 Emigration nach Palästina; im Moschaw zunächst in der Landwirtschaft, dann als Buchhalter tätig. Aufnahme: Miryam Du-nour, Ramat Gan 1993. Ganz leichte nordbairische Färbung. Sehr flüssiges, überlegtes Erzählen, am Anfang besonders kontrolliert schriftsprachlich korrekt gestaltet, später teilweise etwas sprechsprachlicher. Tonqualität: mittel; brummendes Nebengeräusch.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
MD ES MD ES
neint das war nicht vor der au swände rung sondern das war aha* gleich im jähr dreiundreißich* ** meine frau hat in kassel ** als junges mädchen ** als zahnarzthilfe ** gearbeitet* ** und * sie hatte ** zwei vettern* ** a:: * die harn * in düsseldorf * gewohnt unter au/ und in hofgeismar ** und die ham sich getroffen in kassel ** an einem * schabbat* ** und sind spazierengegangent ** und plötzlich: hat sich eine menschenmenge um sie herum * versammelt und hat angefangen zu schreien ** du verfluchte judendirn * wie kannst du des wagen dich mit juden herumzutreiben auf der Straße und zwar ** hat meine frau wirklich ausgesehn wie eine arierin ** blond
89 15
* mit
z ö p f e n damals noch*
** w ä h r e n d d i e b e i d e n
16
** z i e m l i c h
17
d i e s e m e n s c h e n d e r mob h a t
18
eine
19
umtreibtΤ
20
war s e h r unangenehm*
21
hand damals
22
herumgelaufent
23
gehn i c h b i n
24
glaubt*
25
meiner heimatstadt*
26
denn e s war s a m s t a c h und war a l l e s
27
hat sie glaub ich d a n n auf die Polizeiwache gebracht **
28
wie s i c h d i e
29
mehrt· * jedenfalls sie hat sich in Wohlgefallen aufge-
30
löst*
31
scheinlich
32
* d a ß e s s i c h um e i n e
33
auf der Straße ** ä: * gegangen is* * das war also ihr/
34
ihre
35
[. . .]
j ü d i s c h ausgesehen haben*
** a r i s c h e
** u n d s o
mädchen m i t
** u n d d a s w a r ** s a m s t a c h m i t t a g hatte
jüdin*
** ä : :
** u n d d a h a t
gesagt
man h a t
sie gesagt
sache dann a u f g e l ö s t
** w i r k l i c h
* ihrer
laßt
es
** ä : :
hat
jüdin handelt
der doch ge-
e u c h **
mit
* unmöglich
weiß ich
randaleure
es
papieren
geschlossen
e r f a h r e n auf
ersten
in
mich
verbindet
her-
** u n d
ihr nich
und das war a u c h f a s t
** d i e ham d i e s e
** e i n e
hat
nich mit
hier
juden
keine papiere
i s man w a h r s c h e i n l i c h ** u n d s i e
hat
angenommen * d a ß s i c h
** e i n a r i s c h e s sie
vettern
** s /
ham w a h r * mit
erfahrungen
ma
nicht
offiziellem ä: die
*
wege
juden
** a l s
**
jüdinf
Bedrohliche Situation im Zug Stefan Schmuel Rothstein, * 1911 in Kitzingen Lehre in einer Weinhandlung, Mitarbeit in der Weinhandlung des Vaters; 1933 Emigration nach Palästina; eigener Wäschereibetrieb. Aufnahme: Anne Betten, Kirjat Ata 1990. (Mit anwesend: eine Bekannte.) Unterostfränkische Färbung (südlicher Würzburger Raum). Sehr klare, bestimmte Sprechweise; weitgehend standardsprachliche Orientierung, lebendige Redegestaltung. Tonqualität: gut. 1
SR:
2
[...]
und außerdem ä::m:
fuhren:
hatte
ich ein
erlebnist
mein # c o u s i n # und i c h d e r a u c h h i e r
3
Κ
4
SR: n a c h w ü r z b u r c h
lebt
wir **
#[kuz8r)]#
5
burch
6
raus
i n einem ä:
* und kitzingent
** v o r o r t s z u g
zwischen
würz-
** und d a m a l s kam die Verordnung
d a ß * a n w ä l t e ä f r o n t k ä m p f e r ** j ü d i s c h e
front-
90 7
kämpfer ** ä: das anwaltsbüro nicht entzogen bekamen^
8
sie durften also weiter anwälte seint wenn sie front-
9
Soldaten warnl ** und es wurde einem ä: jüdischen **
10
anwalt einem gewissen XY in ** frankfurt die ** ä: li-
11
cence entzogen ä: als anwaltt ** trotzdem der mann EK29
12
eins gehabt hat und da hab ich im kreise meiner freunde
13
die mitfuhrn gesacht da kann man sehn was der Schwindel
14
mit dem eisernen kreuz ist! ** daraufhin stieg a hat
15
sich ein * bauer erhoben der in dem neben*abteil saßt
16 17
Κ
und sacht #was sagst du saujudt der Schwindel mit dem # EMPÖRT
18
SR: eisernen kreuzt# ** also der zug von kitzingen nach
19
Κ
20
SR: würzburch der hat ungefähr an jeder station * gehalten?
21
* aber es war eine station das war die artilleriekaser-
22
nei ** das wußten nicht alle daß er dort hältl also
23
dort s/ wir sind vorher rausgegangent und sind dann ä:
24
** an jeder station hat er geschaut ob nicht
25
ein SA oder SS-mann wart ** und wir sind dann an der *
26
artilleriekaserne ausgestiegenf und ham das ** weite
27
gesucht? und sind mit=m taxi nach haus gefahrn um nicht
28
verhaftet zu werdend
#
irgendwo
[...]
Kluges Verhalten der Mutter in der Nacht nach dem "Anschluß" Lisi Vardon (geb. Rosenfeld), * ca. 1915 in Wien Schneidermeisterin; 1938 Emigration nach Palästina; Schneiderin, später eigenes Atelier; daneben schriftstellerisch tätig. Aufnahme: Anne Betten, Tel Aviv 1991. Wiener Verkehrsmundart, in Szenen mit direkter Rede stärkere kolloquiale Einfärbungen. Sehr flüssiger, lebendiger Erzählstil, wirksam unterstützt durch rhetorische Mittel der Veranschaulichung; interviewerorientiert. Tonqualität: gut. 1
LV:
j a b e i m i r war das s o l
2
kommen i s t
3
war damals n i c h t
29
* hat=s
** am e r s t e n
in der nacht
in wienl
Kurzwort für Eisernes Kreuz: Kriegsauszeichnung.
t a g wie h i t l e r
geläutett
* mein
* d e r war i n r u m ä n i e n l
ge-
vater **
wir
91 4
warn zwei m ä d e l n un meine m u t t e r s
* und da h a t = s i n
5 6 7
n a c h t g e l ä u / * g e l ä u t e t t ** un meine m u t t e r s a g t wer i s d o r t τ und da s c h r e i n s i e a u f m a c h e n ** SA* ** n a e s war s e h r n e t t * ** und * m e i n e m u t t e r h a t a u f g e m a c h t und u n -
8
ser Schlafzimmer is ** η bißchen we/ abseits ge/ * ge-
9
legenf
** und d i e s i n d r e i n g e s t ü r m t Τ
** s o l c h e **
** s i n d r e i n g e s t ü r m t
der
laus-
10
b u b e n warn d a s j a i
* und h a b e n
11 12
g e l d w o l l e n un p a s s e w o l l e n un s o w e i t e r t un h a b e n g e s c h r i e n zu u n s g e s c h r i e n ** s t e h t s auf n e h m t s k ü b e l und
13
und seife und besen und ** kommts in die die Straßen
14 15
waschen* * s o war d a s i n wien* ** und * m e i n e m u t t e r war da * ganz w u n d e r b a r * und w i r s i n d v o r s c h r e c k * n a -
16 17
t ü r l i c h ä : ** und da h a t meine m u t t e r g e s a g t * h ö r t i h r denn n i c h t was d i e h e r r e n s a g e n t d a s warn l a u t e r ( i r -
18 19 20 21 22 23 24 25
g e n d w e l c h e ) r o t z e r warn d a s j a t s o l c h e (noch) * un m e i ne m u t t e r h a t g e s a g t h ö r t i h r denn n i c h t was d i e h e r r e n sagend s t e h t auf und nehmt * und wie d i e g e h ö r t ham d a ß i h n e n jemand s a g t d i e h e r r e n t * #warn d i e s o p e r p l e x Κ #VERBLÜFFT LV: d a ß s i e g s a g t ham a h o i t s e i c h d e r t e i f e l * b l e i b t s l i e gen*# und s o s i n d w i r * n i c h t d a z u gekommen r a u s z u k o m Κ #
26
LV: men d a s war s e h r c l e v e r von m e i n e r m u t t e r *
[...]
Davongekommen mit Bodenwaschen und einem Fußtritt Paul Feiner, * 1919 in Wien Technikum (nicht mehr beendet); 1938 Emigration nach Palästina; diverse Anfangstätigkeiten, u.a. in Zitrusplantagen, Steinbrüchen, als Hilfspolizist; Besuch des British Institute of Technology, dann als Industrieingenieur tätig; heute Volontärarbeiten für Senioren. Aufnahme: Anne Betten, Haifa 1990. Am Ende dazukommend: seine Ehefrau. Wiener Verkehrsmundart mit einigen Dialektmerkmalen (v.a. morphologischen); auffällig: Vorherrschen des Imperfekts als Erzähltempus. Relativ häufig englische Ausdrücke. Flüssiger, überlegter Sprachstil, oft mit komplexen Satzkonstruktionen. Tonqualität: gut. 1 2 3
PF:
[ . . . ] e i n e woche b e v o r m e i n e r * a u s r e i s e * ** ä : ** g i n g i c h m i t e i n e r f r e u n d i n im * z w e i t e n b e z i r k * d e r b e r ü h m t e z w e i t e b e z i r k d e r s o s e h r von j u d e n ** ä : b e -
92 4
wohnt wart * spaziern und das war die zeit wo man die
5
Straßen ** ä: * reinigte von den verschiedenen * zeich-
6
nungen * der vaterländischen front ** das war die par-
7
tei * von dollfuß und schuschnigg ** ich weiß nicht wie
8
weit sie die österreichische geschichte * ä: * ä ge/
9
gelesen haben im in bezug auf diese periodet
** und ä:
10
** da gab es in den schulen ** speziell in den schulen
11
saß die SA* ** und die SS* ** oder die benützten das
12
als ihre lokale* ** und da wurde ich ä angehalten!1
13
und da: d/ hatte ich meine ** erste * richtig ausfäl-
14
lige experience ** erfahrung* ** auf diesem gebiet als
15
man mich ä: anhielt und ** fragte ob ich jude seit und
16
mir sagte also dann ** waschen sie hier ** jetzt ** ä
17
den bodent
18
sehen ** dann nahm man mich in das lokal ** und ließ
19
mich auch dort den boden waschen* *3* außer einem fuß-
20
tritt ** dep ich bekam ** ä: *3* ä: ** konnte ich aus *
21
dieser situation ** heil ** ä: * nach hause kommen*
**
** und da hatte ich sowohl den boden gewa-
93
1.3 Verhöre, Haft und andere Erlebnisse, die zur Emigration führten
Nach der Vorlesung vom SA-Schlägertrupp erwartet Dr. Heinrich Mendelssohn, * 1910 in Berlin Studium (Medizin/Zoologie); 1933 Emigration nach Palästina; Fortsetzung des Studiums, Promotion in Zoologie, Professor der Zoologie, heute noch an der Universität tätig; internationaler Experte für Artenund Umweltschutz. Aufnahme: Anne Betten, Tel Aviv 1991. Berlinerische Färbung. Flüssiger, lebhafter, ungezwungener Redestil; sehr unterschiedlicher Sprechrhythmus, häufig schnell. Kassettenqualität: gut.
1 2 3 4 5
AB: ja* HM: daß ich ä dann * so schnell herkamt ** das lag darant * daß ich in ä: * das war im februar märz * hatt ich in der charite: * charite ist ihnen ein begriff! ** hatt ich in der charite in ner Vorlesung hatt ich eine aus-
6 7 8 9 10 11 12 13 14
einandersetzung mit # nazistudenten!# ** ä:: und das Κ #[natslstudentn]# HM: war so* * damals w/ * war die medizinische fakultät überlaufen! die hörsäle warn vollt und die leute saßen auf den ä: * auf den treppen und da drauß/ standen draußen im korridor um irgendwas von dem kolleg mitzubekommen! ** und (dann) war=s üblich wer früher kam der * ä: * der ta:/ der legte seine mappe auf einen stuhl der stuhl war dann belegt! nicht man konnte * ä zu an-
15 16
fang des kollegs kommen! * aber ich machte das eines tages a/ macht das auch sot * in ner v:orlesung ich
17
weiß nich mehr welche Vorlesung das wart * legte meine
18 19
mappe und ging raus! ** und kam dann zu anfang des kollegs zurück da sitzt da seh ich meine mappe * ä: *
20 21
AB: hm:! HM: liegt am boden * ä: * auf dem ä: * auf dem durchgangt
22 23 24
* und auf meinem platz sitzt η ä: bursche mit nem hakenkreuz! ** also sach ich ihm hör ma:: hörn se mal das gehört sich nicht dies war mein platz und so weiter
25 26
große diskussion seine freunde mischten sich eint * aber * zum schluß hat=a doch ä: ** sacht=a noch ja wir
27
wern noch abrechnent und * machte den gab mir den platz
94
28
freiI ja! des war * ä: des war schon dann ä * ä nach
29
den reichstagswahlen! nicht * also: RÄUSPERT SICH gut
30
ich setzte mich hin und erledicht! gut! * und hörte
31
dann noch=n kollegt ** un:d wollte nach hause gehn! und
32
ging raust * da seh ich ä: ** ä ** da sind will raus-
33
gehn da seh ich da steht mein freund dat ** er in sei-
34
ner zivilkleidung aber mit dem hakenkreuzt wie er da im
35 36
AB : hm: ! HM: kolleg warf * und mit ihm sechs SA in uniforme **
37 38
AB: ** HM: un:d der sacht ο da is=a! ** also da:: * sah ich das
39 40
AB:
41 42 43
HM: is doch nich ganz ä: angenehm die
AB: hmhmt ä was zu maHM: de:r universitä/ im Universitätsgebiet chend nicht * aber draußen dacht ich nach * also sieben gegen einen ** das doch nicht sah ich da stand da ein
45
schupo! ** un:d da geh ich zu der geh ich zu dem schupo
46
und da sach ich ihm was vorgefallen is die geschichte
47
und sach ich hör mal zu die: * wollen mir an den kragen
48
glaub ich! * da sacht er mein herr ich kann ihnen lei-
49 51 52
situations dacht ich
was mach icht * die da ham sich noch nich getraut in
44
50
hm:!
der nich helfen? ** wir haben anweisung uns nich einAB:
hm:!
HM: zumischen! ** gut was könnt ich machen also ich ging sicherheitshalber in die charite zurückt * und versucht
53
ich an/ die hatte drei ausgänge! nicht ging (da) zum
54
andern ausgang da standen die o:ch schon wieder! *
55
nicht ** also dacht ich ** nu was mach icht * also gut!
56
* wer warten! * ging in die bibliothek hab gelesen und
57
dann abends hab ich=s noch mal versucht aber da war=s
58
denen schon zu langweilich * da w/ sind sie schon weg-
59
gegangen also könnt ich nach hause fahrn! * erzählte
60 61
das meinen elternt * und die bekam=n furchtbaren
62
schreck * und vor allem grade meine mutter! nicht ** ja
63 64 65
66
AB:
hmhm! **
HM: ja jetzt kannst=de na fahr nach palästina! * nun bin ich hergekommen! * na hab ich noch da: ** so bis alles vorbereitet wart ** das war ich bin im juli
95 67 68 69
AB: Κ HM: einqewandertt
70 71 72
AB: * (nich* ach so) Ψ hm:* hm:*# Κ # HM: das* nicht * also: * hab ich noch bißchen
#april wahrscheinlicht #LEISE und das wa:r * im fe/ februar märz war
73
am zoologischen institut gearbeitett u:nd ä: RÄUSPERT
74
SICH ** dachte gut medizinisch mach ich auch noch was!
75
also: * in de:r * fakultät könnt ich ja nichts mehr ma-
76
chen also hab ich in der poliklinik de:r * ä: jüdischen
77 78
AB: hm hm* HM: gemeinde noch gearbeitet* und die warn sehr froh biß-
79
chen hilfe zu habend
* und da hab ich gesehn was die
80
na:/ was die nazis machen* * da
81
eingeliefert die warn vollkomm der ganze körper voll
82
mit blutergüssen* also die ham se mit gummiknüppeln
83
verprügelt nicht * und es warn keine juden das warn
84 85
hmhmt * AB: also am anfang * dann kam wa * kaHM: kommunisten*
(ham se so) uns leute
86
men wa morgens also * in die poliklinikt
da lag vor der
87
tür so=n mann und wenn wer den ausgezogen haben
88
kommen * voll mit blutergüssen* da hab ich jesehn was
89
die nazi nazis machen* nicht
90
froh ** daß ich ä: RÄUSPERT SICH ** ä: * da rauszukom-
91
ment
voll-
* da war ich schon ganz
Vom Erscheinen des Chefs in SA-Uniform bis zum "Boykottag" in Berlin Franz Naphtali Krausz, * 1905 in Sankt Pölten, aufgewachsen in Graz Handelsakademie (nicht beendet), u.a. Arbeit im Sägewerk, Buchhändlerlehre, Verlagsagent in Berlin, daneben Graphikerausbildung; 1933 Emigration über Paris nach Spanien, Arbeit als Graphiker, 1934 nach Palästina; freier Graphiker. Aufnahme: Kristine Hecker, Tel Aviv 1989. Hochösterreichische Färbung. Stark schriftsprachlich orientiert, großenteils auch in der Syntax; auffällig: Imperfekt als durchgehendes Erzähltempus. Sehr bewußtes Sprechen mit vielen, zum Teil sehr langen Pausen. Tonqualität: mittel. 1 2
FK:
[...] ich kam nach berlint
*4* fast ohne geld* *4* und
suchte Stellung* ** mit meinem diplom als * buchhan-
96 3
delsangestellter*
4
und als:: ich mit ** XY zusammen wohnte ** wurde die
5
sache etwas:: * unangenehm ** er hat keine arbeit ge-
6
funden * ihm ging das geld aus ** ich hatte keine ar-
7
beit gefunden ** und mir ging das geld auch aus* *5* er
8
fuhr weg * nach wien zurückf
9
sich arme leutet
*10* bekam dort keine nachricht
*4*
*3* seine eitern waren an
*3* aber er hoffte * daß er wiederkom-
10
men würde* ** ich blieb da* ** und ich suchte weiter
11
arbeite
12
** jüdischen * buchhändlert
13
lange war ** ich bekam ** eine *3* schriftliche nach-
14
richt ** von dem buchhändlerverband
15
ich ä: mein ** ansuchen für eine Stellung mit ä: ** ge-
16
habt habe ** daß ich mich vorstellen soll ** bei einem:
17
verlag * der friedrich-ernst*-hübsch-verlag hieß* *6*
18
ich ging dorthin *3* und wurde ** von eine/ ** einem
19
mann empfangen **
20
mich gleich bei der ** türe empfangen mit einem
21
** und ich bekam auch eine arbeitt
** bei einem
*5* bei dem ich aber nicht
** jaf * bei dem
(nem) richtigen deutschen *5* der
schrecklichen ** #schrecken*# LACHT #als er mich sah# #LAUTER # #LEICHT LACHEND #
22
Κ
23
FK: ** ich hatte offenbar damals lä/ lange haare ** oder so
24
etwas ** und *6* aber ** er akzeptierte mich *3* und
25
das sollte für mich eine sehr wichtige Stellung werdend
26
*3* er war der treuhänder diede/ * dieses verlagest
27
der ** von herrn hübsch: ** einem ungarischen juden **
28
gegründet wurdet
29
großartige bücher gedruckt hat architekturbücher **
30
aber vergessen hatte * sie der druckerei zu bezahlend [. . .]
*3*
** der aber ** vergessen hatte *4* der
31 32
[WEITERES ZU HERRN HÜBSCH; FKs ARBEIT ALS VERLAGSAGENT;
33
4:42 Min.]
34
FK:
35
KH: ja* ** FK: sion gegeben* von meinem verkauf* * von anfang
36 37 38 39 40
Κ
[...] ich selbst *3* mein ** chef ** hat mir ** provi-
an* *5* und ich kam plötzlich zu geld* *3* das erste was ich tat ** ich kaufte mir einen anzug LACHT und einen hutΤ ** LACHT VERHALTEN ** #und ich stattete mich #LEICHT LACHEND
97 41 42 43
KH: wo wohntest du damals* bei dem brudert FK: ausl# *3* Κ #
44 45
KH: in einem zimmert FK:
46 47 48
KH: FK: nem zimmer* ** #(ich) bin n o c h nicht Κ #LEICHT L A C H E N D
49 50 51
KH: FK: Κ
52
FK: chef nahm mich beiseite
* oder
** in b e r l i n w o h n t e ich * i m m e r in eiLACHT fertigt * #
LEISE LACHT #sorry* # LACHT V E R H A L T E N ** ä:: ** m e i n #LACHEND# *4* und sagte zu m i r ! ** er
53
will mich zum Prokuristen machen* *4* sehr schönt **
54
danke sehr *4* aber im v e r l a g ** war w i d e r s t a n d *
55
d a ß dieser ha/ hergelaufene
56
w e r d e n solltet
57
gegenteil*
58
e n t l a s s e n werde*
59
nige die sehr interessiert war ** d a ß ich
60
w e r d e wurde selbst entlassen*
61
terin*
62
jetzt doch etwas kurz fassen*
63
u n d ä:: ** ich blieb in diesem
64
h a l b jähre *4* mein chef ** w a r wie ein v a t e r zu m i r
65
*4* ein durch*aus *9* h a r t e r ** aber zugleich **
66
mentaler*
67
nett
68
** bei
69
zögern ** einfach:: ** s c h l e c h t e r
70
m i r * w a r er * wirklich ** sehr zugetan *5* er
betrach-
71
tete m i c h : : ** nicht als juden *4* die m e i s t e n
vertre-
72
ter die der verlag hatte ** w a r e n judent
73
er w a r ** trotzdem
74
erscheinen
75
a b s o l u t e r gegner *3* der sozialdemokratiet
76
* durchaus rechtsgerichteter*
77
h i t l e r *3* reichspräsident
78
** in SA-uniform*
79
fragte m i c h natürlich wie geht das weitert
** menscht
prokurist
*6* und *4* es kam nicht dazu*
*4* ich hatte grund anzunehmen
** deutscher * mann*
*5*
** d a ß
*3* aber es kam nicht dazu*
im ich
*8*
dieje-
entlassen
*4* das war die
*6* es war ein g a n z e r roman*
seint
LACHT
*3*
buchhal-
* aber ich m u ß m i c h
** s=s zu w e i t g e h e n d * ** verlag **
sechsein-
*5* er konnte
*3* und * konnte die leute **
*4* sehr beeinflußt
senti-
wahnsinnig
herauswerfen
(der ä) geringsten a n g e l e g e n h e i t e n laune*
* ohne
jedes
*7* a b e r ** zu
*6* a b e r
ein
*5* u n d
*4* nationalist*
** in das büro*
*4*
*3* v o n ** dem
** hitlers *3* er w a r ** ein g e g n e r **
wurde*
**
*3* kam er
*4*
ein als
plötzlich
*8* SEUFZT **
ich
*3* d a n n
kam
98 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108
der erste april ** der judenboykott *3* zu dem die nazis ** zum ersten mal *3* ihre ** judenfeindliche propaganda! ** nicht in büchern nicht in zeitungen ** tageszeitungen! *3* vertraten ** sondern ** in aufmärsehen ** in den Straßen berliner *3* mit gesängen ** mit slogans ** gegen das judentum *3* mit *3* aufSchriften ** an den jüdischen geschäften * die alle geschlossen warnt *3* und manchmal warn auch die scheiben * zugeschlagen* ** fe/ ** und ** alles mit aufSchriften versehen! *8* juden! ** ich fahre * ich hatte * eine dienstreise ** durch ganz berlin zu machen! ** mit dem: * zweidecker*autobus! ** ich konnte von oben ** alles sehn ** was sich in den Straßen tat! *3* es gab überhaupt keine polizei! *3* die: S*S S nicht SS! die SA! ** ja* *4* konnte ** auf den Straßen machen was KH: hm: ! FK: sie wollten* *6* es gab fast keine juden auf der straße! ** aber wenn sie einen: ä: trafen * ja* *3* hielten sie an! * ja* ** weiß nicht was sie mit ihm gemacht ham! ** ich fuhr ja in de:r * im bus! * im zweiten stock! ** und ä:: *3* kam zurück ** ins:: ** büro *5* a un:d *3* sagte ich habe hier keine * existenzberechtigung mehrt ** ich werde weggehen! ** so rasch ich kann! ** aber mein chef zeigte mir einen ** einen:: ** zettel ** ja* ** von der ä: einem büro von de::r ** ä: * partei! ** nazipartei! ** wo er mich beschäftigen darf! *3* ich war ja damals noch Österreicher! *4* ach dir wird gar nichts passiern un was willst du! und ja* *4* aber mir ließ es keine: ruhe* [...]
Wegen einer Bemerkung ins KZ Oranienburg James Springer, * 1907 in Berlin Werbetexter; 1933 Emigration in die Schweiz, 1936 nach Palästina; anfangs Gelegenheitsarbeiten, dann in der Kantine der britischen Armee tätig, danach Angestellter bei der israelischen Schiffahrt und in der Hotelbranche; journalistische Hobbies. Aufnahme: Anne Betten, Ramat Gan 1991. Berlinerische Färbung. Überwiegend berichtender, überlegter Redestil mit komplexen Sätzen, doch auch
99 kurze, sehr lebendige Redepassagen. Tonqualität: gut. 1
JS
[...]
mein b r u d e r s e l b s t war e i n i g e
* w o c h e n i n dem *
2
in Oranienburg^
3
s e h r unmodernes k o n z e n t r a t i o n s l a g e r t
4
den h /
5
d a ß e r i n n e r h a l b von v i e r z e h n t a g e n d a s l a n d
6 7
AB JS
** nu d a s w a r n a t ü r l i c h
sch/
** ä :
ein
äm: d a ** hm
* ham w i r r a u s b e k o m m e n ** ä : m i t dem v e r s p r e c h e n
warum i s t
das ihrem b r u d e r p a s s i e r t e
verläßt!
*
*4*
mein
8
LACHT w e i ß i c h h e u t e n o c h ! ** e r w a r a u f
9
kasse * für irgendeine::
einer
bruder kranken-
** h m : : w e i ß n i c h e i n e
n a c h f r a g e o d e r zu b e z a h l e n u n d man h a t
10
später
eine
stundenlang
t e n müssen * und da h a t e r s i c h g e ä u ß e r t
war-
* #das wäre #LEICHTE
11 12
Κ
13 14
JS κ
u n t e r h i n d e n b u r g n i c h t p a s s i e r t e ** u n d äm w i e e r EMPÖRUNG WIEDERGEBEND #
15
JS
wie e r d e / g/ das gebäude der krankenkasse ä v e r l i e ß * s t a n d e n u n t e n s c h o n z w e i S S - m ä n n e r ham j e s a g t
16
* komm s e
wenn i c h m a l
17 18
AB JS
19 20
AB JS
was f r i v o l
21 22
AB JS
d a r f t warn s i e denn dann n i c h auch ö f t e r s i n q e f a h r ial
23 24
AB JS
i h r n bemerkungenf
25 26
AB JS
hm: 4 d i e d i e nase gehabt i c h habe das a e s p ü r aehabt
m i t w i r b r i n g e n s i e zu h i n d e n b u r g ^ *
de/
et-
**
wenn i c h mal e t w a s f r i v o l
fragen
wiet mit
LACHT VERHALTEN +neini
ä ä::
ich
habe
* daß ä
27
* e n d l i c h e i n m a l s c h w e i g e n w i r k l i c h g o l d u n d r e d e n we-
28
niger als
29
t e n und b i n
silber
i s ! jaf
* i c h h a b e ** d e n mund g e h a l -
gegangen!
Der Verhaftung am "Boykottag" im Versteck entgangen Jehoshua Julius Brünn, * 1913 in Allenstein (Ostpreußen) Kaufmännischer Angestellter in Berlin; 1933 Emigration nach Frankreich, 1934 nach Palästina; anfangs im Kibbuz (u.a. Melker), später Gelegenheitsarbeiten, u.a. auf dem Bau, schließlich Bibliothekar im Polizeidienst. Aufnahme: Eva Eylon, Petach Tikwa 1991. Weitgehend anwesend: seine Ehefrau Charlotte Brünn. Ganz leichte ostpreußische Färbung. Flüssiger Sprechstil, interviewerorientiert.
100 Tonqualität: mittel. 1
EE:
2
JB:
ja:* [...] a p r i l *
** w a r d o c h d e r b o y k o t t a g *
*
jat
3
der boykottagt
4
a b e n d v o r h e r is m e i n c h e f * ä m ä m ** h a t e r s i c h v e r -
5
abschiedet u/ * und hat gesagt daß er den laden über/
6
** v o r e r s t ü b e r g i b t d e m * ä : m :
7
christlichen geschäftsführert
8
tag zu m i r gesagt herr b r ü n n sie gehen runter in=n kel-
9
lert
10
** d a : ä: * is ä: a m a b e n d v o r h e r t
** * am
** g e s c h ä f t s f ü h r e r t ** u n d d e r h a t a m
* u n d b l e i b e n u n t e n im keller bis ich
* m
boykot-
wiederkomme*
** u n d w ä h r e n d i c h u n t e n i m k e l l e r w a r t k a m d i e SS
11 12
EE: JB: w o l l t e m i c h holent
13 14
EE: j ü d i s c h e a n g e s t e l l t e n w a r n d e n n d a noch* JB: ich
15 16
EE: nen* JB:
17
EE:
18
JB:
*
*
schon gleicht
ä: i c h a l l e i n e t
*
*
jat
nur sie alleint
+wieviel
an/
* außer ich
ih-
*
ich
*
k a m ja erst w o l l t e n m i c h holent da h a b e n sie
sacht sie wissen nich wo ich bint
20
n a c h h e r d e r g/ * s i n d s i e * i n m e i n e w o h n u n g CB:
22
JB:
alleint
ja:*
19 21
und
** u n d ä: ** d a n n
gekam
gegangen
(???) in die:
in die kolonnenstraße
23
fundent
** u n d d a r a u f h i n ä : m d a n n ist d e r * d e r
24
schäftsführer
25
er m i r g e s a c h t * u n d die a n d e r n in in ä ja w a r n o c h w a r
26
n o c h eine: eine * ein jüdischer * im aufsieht
27
lebensmittelabteilung*
28
EE:
ja*
29
JB: waren*
jat
zurückjekomment
ham mich au nich dort
** u n d r i e f m i c h t u n d h a t
** u n d ä: * i c h w a r f ü r
für die: textil-
**
30
b r a u n e n haus
31
** v o r e r s t ä ** ä: n i c h w i e d e r z u k o m m e n t
32
schwinden*
33
gung * schriftlich nach hause*
34
an meine:
35
steckt jehabt mit ihrer freundin * in der
36
niet
30
ge-
u n d ä: ** d a s a g t e * e r e r w ä r e 30
ge-
gewesent
im
** u n d e r e m p f i e h l t u n s * ä m ä ** u n d z u v e r -
** w i r b e k o m m e n d i e ä d i e ä d i e d i e schwester angeläutett
kündi-
** u n d d a r a u f h i n h a b
ich
** d i e h a t t e s i c h v e r künstlerkolo-
** u n d d a n n h a b i c h a n g e l ä u t e t m e i n e n ä: * b a u e r n -
NSDAP-Hauptquartier.
101 37
schwager31 in siemensstadtf * und da war ich eine woche
38
lang bei ihm in in siemensstadtΐ ** inzwischen war mein
39
bruder jekomm ein einer mein:: bruder von gekommt **
40
aus ä:: * irgendeinem Städtchen da * weil er auch ent-
41 42
lassen wurdet ** und ä:: ** wir haben beide im im hechaluz32 * ä: * äm äm uns betäticht!
Warnung vor einer bevorstehenden "Aktion" Gabriele Vallentin, * 1910 in Berlin Säuglings- und Kinderpflegerin, ab 1940 Arbeit in einer Keksfabrik, danach bis zum Kriegsende Leben in der Illegalität an verschiedenen Orten; 1948 Emigration in die Schweiz, 1949 nach Israel; zunächst im Kibbuz, später Pflegetätigkeit. Aufnahme: Kristine Hecker, Jerusalem 1989. Hochlautung mit sehr klarer Artikulation. Lebhafte Sprechweise; vorwiegend dialogisch geprägtes Gespräch, öfter spontane Satzumplanungen. Tonqualität: gut bis mittel.
1 2 3 4
GV: und jetz muß ich eine episode be/ erzählen! ** da war eine ganz sch:/ dicke * so=n richtich elefanten*weib ** war da und da hat man mir die andern arbeiterinnen ham
5
mir gesacht du vor der mußt du dich vorsehn die hat einen * söhn der hat w/ is ein der hat ein ganz hohen po-
6 7 8 9
sten in der SS ** und eines tages * nach der frühstückspause ** drängt mich dieses weib in eine ecke hinein! ich denk was fassiert nun! ** nein was passiert! * sie sacht mir ich wußt ni ich weiß jetz nich
10 11 12
Κ
13 14 15 16 17 18
GV: * daß mein söhn ä:m ä: ganz * η ganz hohes tier in de:r * SS is und darum weiß ich mehr als andere! ** ich es wird eine aktion jetzt bald vorgenommen ** ä: * da werKH: ja! ** GV: den * halbjuden ** genauso wie die juden!# * ä: Κ #
31 32
mehr ob wir uns mit nachnamen oder vornamen (sin)! also ich sag vornamen! * sacht #gabriele ** sie wissen doch #LEICHT VERSCHWÖRERISCH
Angeheirateter Schwager. S. Anm. 13, S. 50.
102
19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
KH GV Κ GV
KH GV
KH GV KH GV KH GV KH GV KH GV
deportierte * ä:m ** na wie nennt man dase * deportierte jae * deportierte ** a #verschwinde# verschwin#BESCHWÖREND# de hiere ** und das hab ich auch tatsächlich gemachte eines tages war ich * verschwundene von der ba/ fabrike * nicht die harn * nicht die ha/ da hat kein kra/ ä k/ * hahn danach gekrähte denn die harn gedacht * ich war abjae (ja*) qeholt* wahrscheinliche nicht * (worn)e * wär abaeholt wordene ** aber ich bin * da hab ich illegal beim von da an hab ich illegal bei meiner schwester gear/ gewohnte * aber auch nich so furchtbar illegal wie sie auch sachten * ä wir sahen uns sehr ähnliche und da ham ia und die schwesterτ * die wir cresacht das das ** das aeht war doch in derselben situatione * oder neine die w/ ä: nein war die schon verheiratete mit deutschem die hatte die hat die war mit=m aia:e ia:e ia:e christen verheiratete dadurch war das nich so schlimme * ja das hat ja immer geschü/ das is: wie bei mir die situatione der name hat dann immer aeschützte ja* ja ja jae * und ä dann ä:m * ä also ich war zwa:r illegale ich hab keine marken * bekommend ich bin unterstützt worden von de:r ** von de:r gruppee v:on judiths gruppee * jaT ** mit marken und allem möglichene
Gestapoverhör vor der Ausreise Otto Michael Lederer, * 1905 in Rosshaupt (Böhmen) Handelsakademie, Prokurist, zuletzt in einer Prager Firma; 1939 Emigration nach Palästina; zunächst interniert in Atlit, dann im Kibbuz, danach u.a. Kellner, Kesselheizer; später Beamter bei der Wiedergutmachungsbehörde; heute Volontärarbeit in seinem Altenheim. Aufnahme: Kristine Hecker, Ramat Chen 1990. Mit teilnehmend: Sabina Smetana (Sigle: FS). Böhmische Färbung (z.B. Entrundung, [r]-Aussprache). Flüssiger, nachdrücklicher, vorwiegend parataktischer Gesprächsstil. Etwas heisere Stimme. Tonqualität: gut bis mittel.
103
1 2
KH: a soi ja OL: ja meine frau war mit mir bei der gestapo* * ja
3 4 5
KH: war OL: wie wir weg(gefahrn) sind* ja? * also man hat uns untersucht alles* mußten a: wir ham nix bei uns gehabt **
6
und sagt er sie ham * in den Sudeten doch
sicherlich
7 8 9
eine: * ein/ irgendeine landwirtschaft oder was gehabt* ** sag ich schaun sie gehabt hab ich=s* aber das is weg und ich hab k/=auch kein geld bekommend ** sagt er mir
10
da m u ß ich jetzt den oberstürmer ** Obersturmführer *
11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
holend ** er hat ihn gebracht? ** sagt er wie heißen sie* ** wie heißt du* ** sag ich lederer* * sagt er ich LACHT VERheiße auch lederer* * da kannst du gehn* * HALTEN ja? * und dann ham=ma gehö:rt das war der obersturmführer aus Österreich? * ein gewisser lederer* * dann am schiff ham=ma gehört der hat selbstmord begangen* weil er selbst ein judenstämmling war * und er hat ja* * das ve:r/ * vertuscht* * also ich hab dadurch glück gehabt* aber andere wurden geschlagen und so ja: * weiter dort* ** ä da war ja einer war a tschech hat gesagt die tür hat ihn ** ge/ get/ get/ getroffen* er h:at ja* am köpf was gehabt* * und die ham gsagt * sie ham ja* verstanden tiere* * auf die gestapo* ja? ** und da ham sie ihn dann ein boxer war er sogar* * ham ihn so zujaj_* sammengeschlagen er war dann auch in israel* * konnte noch rausfahrn* [...]
KH: OL: KH: OL:
KH: OL: KH : OL: KH: OL: KH: OL: KH: OL:
Vorladung ins Gestapo-Hauptquartier Eva Michaelis-Stern (geb. Stern), * 1904 in Breslau Schule zuletzt in Hamburg, dort später Gymnastiklehrerin, eigene Gymnastikschule, 1928 1/2 Jahr Aufenthalt in Palästina (Ben Schemen), wegen Krankheit zurück, ab 1933 leitend in der Jugend-Alija in Berlin; 1938 Emigration nach Palästina; 1938-45 Gesandte der Jewish Agency in London, danach weiter in
104 Palästina für die Jugend-Alija tätig; dann Gründung einer Gesellschaft zum verantwortlichen Handeln, zuletzt Arbeit für geistig Behinderte (Hospitalgründung); Vortragstätigkeit. Aufnahme: Anne Betten, Jerusalem 1991. (Gegen Ende mit anwesend: Miryam Du-nour.) Im allgemeinen ruhiger und reflektierter Redestil mit Neigung zu umfangreichen, bevorzugt parataktisch reihenden Satzgebilden, hier jedoch, in der szenischen Darstellung, wesentlich lebhafter und spontaner, mit häufigen Selbstkorrekturen und Konstruktionsänderungen. Etwas brüchige Stimme. Tonqualität: gut; zwischendurch Vogelgezwitscher, Hundegebell im Hintergrund. 1 2
AB: EM:
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
AB: EM:
14 15
AB: EM:
16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
AB: EM:
26
AB:
27 28
EM:
29 30
AB: EM:
31 32 33
hmhmf ä: ä: das war eine sehr unangenehme geschichtet ** ä * denn ä: es sie ist dadurch entstanden ** daß ä: * ä wir den verdacht hatten daß eine unsrer mitarbeiterinnen * ä: f/ mit den * n/ nazis unter einer decke steckt* ** und ä: ä nachdem wir * genug beweise hatten * daß unser mißtrauen berechticht war * hm: * haben wir sie gekü/ sofort gekündicht* ** und ä: sie * hat s:ich also da: * gerächt * an mirτ trotzdem ich die kündigung nich ausgesprochen hattet * sondern ich hatte schon so ein gefüh:l * daß: ä man ihr alles zutraun kann * und ä: sie das war war das eine jüdin aber aucht (war hatte d/ ein +das war (ne jüdin*) hmhm* kollaborateure gesucht* ne jüdin* ja* jüdin die: die die für uns geld gesammelt hat und wir bekamen von verschiedenen * komitees in deutschland und im ausland ** nachrichten über sie: ä die uns ä: sehr zweifelhaft über sie gemacht habenf * und die kündigung hat ä hatte damals * ein kollege von mir * der aus ä: * palästina damals: zur hilfe * in der arbeit ** geschickt worden war * hm: ä übernommen^ ** ä: weil ich ä gleich das gefühl hatte n:/ sie wird sich an mir rächen* ** stand sie unter druck hatte man ihr irgend etwas dafür aber versprochent oder ** fa/ familiär jemanden zu retten * oder (hmhmT * das glauben sie) nein* RÄUSPERT SICH nein* * das glaub ich nich* ** ja* daß ä: den eindruck hatte ich gar nich* ** und ä: ä die war ** ä beim * zionistenkongreß gewesen! ** und ich war auch dortt ** und h:atte das ä: material was wir für das informationsmaterial was wir für die * ä: für
105
jugend-alija-tagung 33
34
den kongreß und für unsere eigene
35
die im anschluß stattfand * ä: vorbereitet hatten* *
36
hab ich ä: ohne sie durch=n zensor zu schicken direkt
37
ä: * ich hab sie verteilt an alle mitarbeiter die da
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hinfuhrn* * so daß jeder einen packen mitgenommen hat *
39
hm und än ich hatte sie also nicht dem zensor vorge-
40
legt* ** und: das is eine sehr lange geschichte dä/ ich
41
wurde angerufen ** ä nachdem ich also zurück war von
42
den t/ hm beiden tagungen * und ä: f/ in: das Zentrum
43
von der f/ gestapo bestellt* ** und äm dort ä zu einem
44
* ä wie wir ihn nannten einen underling von eichmann
45
ein angestellter von ihm* ** den eichmann zu allen jü-
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dischen * ä: Versammlungen schickte damit er ihm * be-
47
richtet ä was dort vorgegangen is* ** und ä: ** wie ich
48
d/ dort in das im am alexanderplatz war das hauptquar-
49
tier ** de:r s/ gestapo* ** und ä wie ich dort hinkam*
50
** da bekam ich am eingang einen zettel ** auf ä: f/ **
51
und es wurde mir gesagt * du kannst das haus nur ver-
52
lassen wenn du den zettel * beim * beim ausgang wieder
53
abgibst* ** und ich nahm also den zettel an mich* und
54
es waren irgendwelche SS-leute die führten mich durch
55
die ä treppen rauf und und korridore und so weiter bis
56
ich d/ also in das zimmer kam ** wo dieser * XY * hieß
57
er* * ä: f:/ ä mich * empfingt und zu meinem großen
58
schrecken ** saß dort die betreffende frühere mitarbei-
59
terin der wir gekündicht hatten* ** na da war mir na-
60
türlich sofort klar ** daß die mir diese Vorladung ein-
61
gebrockt hatte* ** und ä: * der f : / ä * X Y * * ä
62
zu mir zu ihr* ** el/ so sie können jetzt gehen* ** al-
63
so: sie saß dort ganz leger wenn ich mich recht erinne-
64
re saß se sogar auf=m tisch nich auf=m stuhl* ** und ä:
65
f:/ war glaub ich sehr erstaunt daß er sie wegschickte*
66
** und ä: ä dann * ä las er mir vor ** ä was ich an-
67
geblich * ä meine rede die ich dort in: luzern gehalten
68
hatte ** und * die ganze rede war von vorne bis hinten
33
S. Einleitung, S. 14f.
sagte
10( 69
gefälschte
70
** und * mir war vollkommen klar daß diese frau ihm das
71
gegeben hatte als meine rede* ** und ä da hat er zu mir
72
gesagt äm also ** das war ihre rede und se/ sie müssen
73
das jetzt unterschreiben! hab ich gesacht das unter-
74
schreib ich nicht * das war nich meine redet * und ich
75
bin bereit ihnen ** ungefähr den inhalt meiner rede *
76
ä: selber anzugeben! ** und zu meinem großen erstaunen
77
* setzte er sich dann an die Schreibmaschine ** und Ii/
78
ließ sich von mir diktiern * was ich gesagt hatte! **
79
und ich hab noch t/ vorher bevor ich ihm das diktiert
80
habe hab ich ihm gesagt ** ich ä wenn ich diese rede
81
gehalten hätte ** dann hätte ich ja * nich nur daß ich
82
nich nach deutschland zurückgefahren wäre weil sie mich
83
doch f/ * ich mich gefährdet hätte damitt
84
hätte ja auch meine ganzen mitarbeiter gefährdet und
85
die ganze arbeit die wir leisten * und ä so dumm bin
86
ich ja nicht daß ich ä ä: so etwas * ä mir selber ein-
87
brocken würde! * und er hat das alles sofort akzep-
88
tierte * daß mir ganz klar war * daß er wußte ** daß
89
die betreffende * ä ä meine rede gefälscht hatte! **
90
und er hat dann ä hm das was ich ihm diktiert habe über
91
die arbeit in Palästina und ä was die:
92
hier lernen und wie sie hier lebent ich hab nu:r über
93
Palästina gesprochen deutschland nich * erwähnt! ** und
94
ä alles was wir über deutschland ** den delegierten er-
95
zählen wollten ham wir natürlich nur im privatgespräch
96
erzählt! * denn wir wußten ja daß ä: die nazis immer
97
überall ihre im ausland aucht ihre Spitzel hatten! **
98
also * hat er das akzeptiert und ä: ** und war zufrie-
99
den t und ä: sachte also jetzt ä: können sie gehent
** und das war eine haßrede auf die nazis!
* aber ich
jugendlichen
**
100
und ** ich wollte meinen zettel nehmen den ich vor mich
101
auf den tisch gelegt hatte und der zettel war weg! **
102
und da war er f:/ wurde er furchtbar aufgeregtt
103
sagte ** den zettel hat ihnen die jetka weggenommen!
104
also sie er sprach mit ihrem vom mi=m vornamen! ** und:
105
ä da is sie aber zu weit gegangen und das darf ich ihr
** und
107
106
nich durchlassen* ** und * es er wurde immer aufge-
107
regter denn * ich sah daraus er hatte keinen auftrag **
108
mich kommen zu lassen er hatte auch keinen * auftrag
109
etwa mich ä * ä: ins gefängnis zu setzen* * aber er
110
wußte * daß ich ohne diesen zettel aus diesem haus nich
111
rauskommeΨ
112
in einer sehr gefährlichen situation war denn * unten
113
in diesem haus * war das gefängnis* ** und ä wenn sie
114
jemanden inhaftierten dann verschwanden die meisten ins
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konzentrationslager von dort·!- ** also * hm er fing dann
116
an ** im ganzen haus rumzutelefoniern sehr aufgeregt*
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** und * um zu arrangieren daß man mich rausläßt* **
118
auch ohne den zettele ** also * zum schluß ist ihm das
119
gelungen* ** und ich hatte * aus vorsieht ** meine
120
Sekretärin aus=m büro hab ich mitgenommen* * man wußte
121
ja nie was einem passiert wenn man in das in die zen-
122
trale von der gestapo * ä * ef/ g/ beordert wird* * ich
123
hab ihr ge/ gesacht du sitzt hier im cafe das war in
124
der nähe von dem gebäude ** du wartest eine stunde* **
125
wenn ich nach einer stunde nich zurückgekommen bin *
126
dann bitte * ä dann wirst du meinen * damals war ich
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verlobt mit meinem mann * wirst du ihn * ä orientiern
128
was passiert is und damit s/ man sich kümmert ** u/ ä
129
hm daß ich entweder rauskomme oder daß man weiß ä was
130
mit mir los is* ** also se/ * sie diese ganze geschich-
131
te hat über eine stunde gedauert* * aber gott sei dank
132
war die so intelligent und hat sich gedacht also sie
133
wartet ne Viertelstunde länger ** bevor sie erst alle
134
informiert ** und sie saß also noch da wie ich kam* **
135
wie ich wegging * sachte der zu mir ** also ** bestelle
136
* der jetka ** von mi:r ** daß sie morgen früh ** die-
137
sen zettel hier * zu mir zu bringen hat* * und daß ich
138
jetzt keine geduld mehr mit ihr habe denn sie is zu
139
weit gegangen* ** also wie ich nach hause kam* ** hab
140
ich sie angerufen* ** und hab gedacht sie würde st-.ein
141
und bein ** ä: f:/ hm
142
was weiß* ** statt dessen sachte sie ** na ich will mal
** und ä: ** ich ä: ** mir war klar daß ich
(so) beteuern daß sie von nichts
108
143 144 145 146 147 148
in meiner tasche nachsehni ** und dann kam sie wieder ans telefon und sachte ja ja ich hab das aus versehn eingestecktΦ ** LACHT SEHR VERHALTEN und da hab ich ihr bestellt ** was ich ihr zu bestellen hattet ** und * se: sie hat * nehm ich an den zettel zurückgebrachti [. . .]
Als Mitglied des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller von der Gestapo gesucht Dr. Mirjam Michaelis, s. S. 53. (Sigle: FM) Micha Michaelis (ehem. Fritz Michaelis), * 1908 in Berlin (Sigle: HM) Zunächst kaufmännischer Beruf, dann Sozialarbeiterausbildung angefangen; Umschichtung in Holland, Deutschland und Dänemark, Arbeit mit zionistischen Jugendgruppen; 1938 Emigration nach Palästina; seitdem im Kibbuz, u.a. in Steinbruch, Obstbau, Fabrik und Verwaltung tätig. Leichte berlinerische Färbung. Innerhalb eines Dreiergesprächs häufig geschlossene längere Erzählpassagen mit langen, reihenden Satzkonstruktionen. Leicht brüchige, aber doch markante Stimme. Aufnahme: Anne Betten, Kibbuz Dalija 1991. Tonqualität: gut.
1 2 3 4 5 6 7 8
HM: [...] wir sind dann also * von dänemark ** harn wir also no/ sollten wir eigentlich noch eine dritte gruppe übernehmen* * und ich habe gesacht das is uns zu vielt * wir sind jetzt vier * über vier jähre * (in) ausbildung* wir wollen v/ v/ ich verlange ein Zertifikate * und wir ham dann also dieses ei/ (einwanderer/ bloß) wir ham das dann auch bekommen* ** sind nur noch * einmal nach berlin gefahren* * und der hechaluz34 hat uns
9
vorgeschlagen * doch nach schniebinchen35 * zu fahren um
10 11 12 13 14 15 16 17 18
da zu sehn wie sich das entwickelt hat* * wir kommen da an und da sachte * der * ä leiter der jugendgruppe um gottes #willen # gestern hat die gestapo euch #KLATSCHT LEISE# hmhnU ** (wie ??? XY uns hier aesuchti ** und ä:: ** wir sind suchte und) * die # gestapo # hat * vor allen dingen # [gejtapo]#
34 35
Κ AB: FM: HM: FM: Κ
S. Anm. 13, S. 50. Ein Vorbereitungs- und Ausbildungsort für Palästina in der Niederlausitz.
109 19
FM: mich gesucht* * weil ich ä:: im schutzverband deutscher
20
schriftsteiler ** meine Verbindungen mit erich mühsam
21
und karl otten und den: carl von ossietzky * und von:
22
den sozialistischen Schriftstellern * hatte also ich
23
stand auf der schwarzen liste* * und als solche hat
24
AB:
hmhm*
** verstehe* ** hatten sie
25
FM: mich die gestapo gesucht*
26
AB: damals: ä sie ham das zwar vorhin schon kurz skizziert
27
aber ich hab die daten nich mehr genau im köpft hatten
28
sie da noch Verbindung* sie ham ja gesagt sie ham sich
29
bei der auflösung des Verbands schon von mühsam so ver-
30 31
abschiedet daß man wußte es könnte s letzte mal seint * FM: ia: *
32 33
AB: hm: * FM: ja der verband hat ja damals nich meh::r bestanden* er
34 35
AB: hmhm* hm: * FM: hat sich neunzehnhundertdreiendreißich mit die-
36 37
AB: hm* FM: ser Versammlung mit
38
AB:
39
FM: sich aufgelöst* ** weil dieser ganze berliner kreis
dieser letzten Versammlung hat er
hm: *
40
de:r * des schutzverbandes war sozialistisch gerichtet*
41
** und ich hab dann noch versucht * ä: meine Verbindung
42
zu karl otten: ä:: * aufrecht zu halten* und ich find *
43
er hat dort in der künstlerkolonie da am breiten*bach-
44
platz gewohnt* * und ich bin dann hingefahren und da
45 46
AB: RÄUSPERT SICH FM: warn die alle schon ä:: ** ä:: entweder ge-
47
AB:
48
FM: flohen oder verhaftet worden* *
49
AB: hin nach zadek36 gefragt* da gibt=s nämlich ein foto wo
50 51
FM:
52
AB: und da is er mit dabei* nich* ia* hmhm*
53
FM: ja:*
54
AB: so was haben sie daraufhin gemacht* ** als sie das ge-
55 56
HM:
57 36
hm:*
deswegen hatt ich vor-
die grade verhaftet werden* und abgefahrn werden* ja: * ia* ia:*
SCHNALZT
hmhm* **
hört haben* * f/ sie werden gesucht* **
wir sind
(dann
also) * um zwei uhr nachts oder um drei uhr nachts aufS. dazu die Ausführungen von W. Zadek, S. 204ff.
110
58
gestanden? * und de::r negus37 also der leiter der grup-
59 60 61 62 63 64 65 66 67
pe der hat uns dann ** durch den wald in eine entfernte * eisenbahnstation gebracht? wo uns niemand kanntet ** in dem dorf wo wir waren waren wir ja bekannt wie ne bunte kuh? ** und ä: * wir sind dann wieder nach berlin gefahren? * und * einije tage später SCHLUCKT ä: ** wurde ich ä: ** auf=m kur/ kurfürstendamm angerempelt? von zwei SS-leuten? ** und es gelang mir also ** ä: wegzulaufen? ** und ä: * ich bin dann sofort ins palästinaamt38 gegangen? * und wir sind dann noch am glei-
68 69 70 71 72 73 74
chen abend * ä:: * aus berlin weggefahren* * das war etwa * vier fünf tage * nachdem wir in schniebinchen da hatten sie SS-leute angerempelt aber nich waren* * zu besuch* weil sie sie erkannt haben? sondern einfach als: jude? oder? als jude* als jude* als jude* ja* * HOLT LUFT
75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91
37 38
AB: HM: AB:
HM: AB: ja bitte* ja* FM: darf ich dazu noch etwas sagen? ä:: * HM: SCHLUCKT ä: ** meinten FM: diese flucht aus berlin? und aus deutschland * hat zur folge gehabt daß ich alle meine: manuskripte ich weiß nich ob ich es schon * gesagt habe alle meine manuskripte und meine korrespondenz mit den Schriftstellern * zurückgelassen: ä:: habe? * und auch ä: vor kurzer zeit war hier ein freund von uns? aus * london hier? * und der wollte ein: bild aus meiner jugend sehen* * wie ich ausgesehen hab als ich ein junges mädchen war* * und da hab ich ihm gesagt ich habe nichts aus meiner * von den erinnerungen aus meiner jugendzeit alles was ich v:on * vor neunzehnhundertdreiundreißich also vor neunzehnhundertachtundreißich vor meiner * flucht aus deutschland gehabt hab das: hab ich alles zurückgelassen und das is alles verlorengegangen*
Spitzname (weil er so schwarz war). Die Dienststelle der "Jewish Agency" (s. Anm. 67, S. 156) in Berlin, Meinekestraße 10.
Ill Internierung nach dem Einmarsch der Deutschen in Österreich Siegfried Jakob Stern, * 1910 in Illmitz (Burgenland) (Sigle: HS) Bürgerschule, Mitarbeit in der elterlichen Gemischtwarenhandlung und Landwirtschaft; 1938 verhaftet, nach Entlassung Umschichtung (Landwirtschaft); 1938 Emigration nach Palästina; anfangs u.a. als Straßenkehrer und in Orangenplantagen tätig, dann Koch beim Militär, Kompagnon eines Caf6s, schließlich in der Hotelbranche; zur Aufnahmezeit wohnhaft im Kibbuz, dort zum Teil in der Plastikfabrik tätig. Aufnahme: Anne Betten, Kibbuz Aschdot Ja'akow 1990. Deutliches Bemühen um eine ostösterreichische Umgangssprache, dennoch Auftauchen zahlreicher burgenländischer Dialektmerkmale in Phonologie, Morphologie und Syntax (z.B. Kasusgebrauch, Verwendung der doppelten Verneinung, Nebensätze in Hauptsatzstellung). Sehr spontanes sprechsprachliches Formulieren; stark dialogisch geprägt mit lebhaften Erzähleinlagen. Tonqualität: gut. 1
HS:
2 3
AB: hmhm* HS: schiert * ** in Österreich* * und das warn damals
4 5
Κ
6
HS: das ** wenn ich hundert ** hundert oder hundertzwanzich
[...] am dreizehnten märz ** sind die deutschen einmar-
#sehr # sehr schlimme zeltend ** das * ka ma sich * #BETONT#
7
jähre möcht alt wernt ** könnt ich das auch nicht ver-
8
gessend ** in dieser nacht ** wie * ein mensch * über
9
nacht ** seine * anschauungen än/ * ändern kann* * das ist die ganze nacht gegangen! #sieg heil! sieg heil* #IMITIEREND
10 11
Κ
12 13 14
AB: hm: t HS: sieg heil*# * * die die ganze Ortschaft* ** man Κ #
15
HS: hot a * einen so ein empfang gemacht ** da da da ** das
16
unbeschreiblich is das*
17
[NACHFRAGE VON AB; 0:21 Min.]
18
HS:
[...] noch vor acht tag ham sie gesagt * eich passiert
19 20
AB: hm: * HS: überhaupt nichts* ** mir meinen nicht die ä un/ die
21
einheimische juden* * mir
* mir meinen nur die polni-
22
schen juden* ** ich hab wir ham überhaupt nichts gegen
23
eich* ** und dann hot sich das rad * umge*dreht * in
24
einer nacht* ** am dreizehnten ** sind sie einmar-
25 26
schon AB: HS: schiertt ** am fuffzehnten wurd ich verhaftet* **
27 28
AB: von leuten die du kanntest* oder von den einmarschierHS: von nein nein* * von
29 30
AB: ten* * hmhm* * HS: von der gendarmerie* ** sind die gekom-
n: 31
men und ham all * a vor allem! * ham sie das motorrad
32
** mir weggenommen! ** die gendarmerie! ** ein gewisser
33
* ich weiß noch wie heite noch wie er heißt * XYt **
34
hot er geheißen! ** und mich hat man mit einem pferde-
35
wagen ** a dreizehn kilometer * weit geführt das: *
36
diese Ortschaft hot geheißen * frauenkirchen! ** und
37
dort hot man mich interniert! ** in * Wirtschaftsgebäu-
38
de von * fürst esterhäzy* *3* da war ma h/ hat ma von
39
die verschiedene Ortschaften die juden * hingebracht! *
40
wir warn achtzehn juden! ** und waru:m! * als ich ich
41
** vielleicht wegen dem ich habe eine: ** a ich war so:
42
** mitglied von de landesschützen!
43
[SEINE TÄTIGKEIT IN DIESEM LAGER; 0:20 Min.]
44
HS:
[...]
[...] und ä: ** aufgeweckt natirlich wenn die ge/ * gestapo oder die SS gekommen is! ** auf kontrolle! ** a:
45
ham=ma müssen schnö:: rufen das kammando! ** #rührt #IMITIE-
46 47
Κ
48 49
HS: euch*# * und dann sind sie alle aufgestanden ham dageK REND #
50
HS: standen mit der Unterhosen ohne Unterhosen daß die Un-
51
terhosen i:s heruntergefallen! ** na war ein gelächter
52
noch dabei! * bei diese ** sache ** w/ was is! * man
53
hat auch * mit mir ä * das heißt * nicht in unseren
54
zimmern mir * ham einen zimmer gehabt ** vielleicht *
55
sechs auf vier* ** ses/ sechs mal vier ä * vierun-
56
AB:
meter*
57
HS: zwanzig ä: ** ä d/ ** quadrat **
meter* ** und
58
da warn wir achtzehn* ** menschen* ** zusammenge-
59
pfercht! ** die matratzen warn ** links war nur a ein
60
meter! ** a meter weg daß ma hat gehen können! ** und
61
im nächsten zimmer! ** warn s:ehr a warn vielleicht a
62
zwanzig fünfunzwanzig * burgenländische ** persönlich-
63
keiten! ** auch interniert! ** das heißt der schulrat!
64
* aus eisenstadt! ** eisenstadt das war die ** ist die:
65
hauptstadt vom burgenland ** und sehr viel lehrer! **
66
und unter de/ war auch * ein ** guter christlicher Sol-
67
dat von mir! ** a a * a a gastwirt von mir! ** ein ka-
68
merad* ** er war auch interniert! ** aber die warn s:/
113
69
* ganz kurze z e i t v i e l l e i c h t
70
dort* ** sind alle freigekommenΤ
71
weggeschickt das weiß ich nicht* ** und ich bin dort
72
zweieinhalb monat ** war ich internierte
73
[GRÜNDE FÜR INTERNIERUNG DER NICHTJUDEN; 0:22 Min.]
74
HS:
* vierzehn tage warn sie ** oder hot ma sie
[...] ich mußte unterschreiben * wie man mich ** a: *
75
entlassen hattet
** daß ich binnen achtunvierzig
76
den das ** deutsche reichsverbiet
stun-
** verlassen muß* **
77 78
AB: hmhmt also nach zweieinhalb monatenl da hat raa HS: das unterschrieben (wird) j_a*
79 80
AB: euch entlassen und da habt ihr das unterschreiben müsHS: a ja*
81 82
AB: sen* ** sag mal was war denn mit deinen eitern* * bist HS: und
83 84
AB: du allein verhaftet worden* * oder HS: +nein die eitern
85 86
AB: die eitern* hat man lasHS: nicht* * die eitern hat man * al/ * las/ lassen* mich
87
AB: sen*
88
HS: hot ma verhaftet* **
also ham nur zuerst ham=s immer gesagt ** ich
89
bin kommunist* ** was eine ding * a ein ding der unmög-
90
lichkeit war* ** ich kann doch nicht als ä ** landwirt
91
da ä aber ä aus ä ** das heißt aus am ** aus am reichen
92
hau:st
93
sein* ** was warn in Österreich die kommunisten* **
94
(das) größte pöbel und das größte gesindel* ** SCHLUCKT
95
dann ham sie wieder gesagt ** rassenschande*
96
rassenschande*
97
de* ** dieses wort ** vielleicht ä:: * war das* **
98
(???)* weil ich ä bin ** zirka vier jähre gegangen mit
99
einen ** christlichen mädchen ** und ich hätte sie auch
** kann ich doch kein kommunist nicht gewesen
** und vielleicht*
** wegen
* wegen rassenschan-
100
* hundertperzentig hätt ich=s * hätt ich sie auch ge-
101
heiratet* ** und vielleicht noch in demselben jähr* **
102
meine eitern warn ** sehr sehr dagegen* ** aber dann ä:
103
hot mein vater gesogt laß ihn* ** daß er ** laß ihn ä:
104
was er will soll er machen* ** red ihm nicht drein* **
105
und damals hätt ich geheiratet*
[...]
114
Durch einen deutschen Gestapo-Mann in Wien aus der Haft befreit Lisi Vardon, s. S. 90. 1
LV:
[...] nachdem wir gesehen ham was sich da abspielt! *
2
also man mußte raus* ** und wir hatten keine * hm hm
3
kein wohin! ** und da ham wir gehört daß es illegale
4
transporte nach israel gibtt ** und da ham wir uns be-
5
müht * da mitzukommend denn das war unsere einzige *
6
möglichkeit* wir hatten nicht verwandte da und nicht
7
verwandte dort! ** und da is mein mann ** und da hat es
8
geheißen * also * wir hatten keine passe und keine *
9
keinerlei sachen! * und da hat es geheißen in der ge-
10
stapo* ** die war a/ * untergebracht in einem großen
11
hotel * in wient ** in der gestapo * gibt es einen mann
12
der für * geld ** passe besorgt * sofort! ** und da is
13
mei/ und das: * ham viele sich so erledigt! * und da is
14
damals mein mann ** wir warn unterwegs* na hab ich
15
gsagt ich geh nach haus und er geht dorthin sich diese
16
passe* wir ham uns erkundigt wie diese illegalen trans-
17
porte sind! also wir müssen diese pässe uns besorgen!
18
er is dort hingegangen! ** und er is nicht mehr zurück-
19
gekommen* ** gewartet gewartet! ** er is nicht mehr zu-
20
rückgekommen* ** er is sozusagen dem drachen in ä * in
21
maul rein* ** und ** da bin ich nächsten tag in der
22
früh! ** in die gestapo gegangen* * und da hat man mir
23
so abgeraten ich soll das nich tun! hab ich gsagt na
24
aber ich * ich muß ich muß doch sehn was da passiert
25
is* * und da * das war ein riesenhotel in wien* * und
26
da sind die leute im tor draußen gestanden da hat man
27
immer * zehn oder zwanzig nichtarier 39 hineingelassen!
28
und einen juden* ** also ich bin zwei tage gestanden
29
bis ich drangekommen bin ** um in die gestapo hinein-
30
zukommen* ** und wie ich reingekommen bin ** also * da
31
hat man mich von einem zimmer ja! und da hab ich eben
32
gehört
39
(hab ich) also warum ich komme! und da sag ich
Versprecher für Arier.
115 33
mein mann war ** gestern da hiert * und da harn sie
34
gsagt ja man hat die alle verhaftet man is draufgekom-
35
men! ** daß der mann das machte ** und man hat sämtli-
36
che leute die gestern gekommen sind verhaftet! ** HOLT
37
LUFT * also das war sehr fröhlich* und ich: wollte mit
38
jemandem sprechen! ** und da hat man mich von einem
39
zimmer zum andern jüdin was suchen sie da! jüdin was
40
suchen sie da! die ganze zeitt * bis ich zu einem mann
41
gekommen bin und das muß ich ** möcht ich betonen * das
42
war kein Österreicher! ** das war ein deutscher! ** und
43
ich hab das Xmal g/ bemerkt ** später und nachher * und
44
alles was ich gehört hatt daß der deutsche ** sich bes-
45
ser benommen hat * als der Österreicher! ** denn der
46
Österreicher war schrecklich! diese leut die dort ge-
47
sessen sind! SCHLUCKT ich bin dann hab das glück gehabt
48
in ein zimmer zu kommen wo ein deutscher gesessen is
49
und nich daß er gerade freun/ und ich hab ihm das er-
50
zählt!
51
[VERHALTEN DER HAUSMEISTERIN; 1:45 Min.] sie ham erzählt daß sie bei der Γ...1 wo bin ich #ia ή etζ bin ich# #LACHEND #
52 53 54
AB: LV: Κ
55 56
AB: aestapo dort zu einem deutschen kamen!· LV: ia! also zu einem deutschen* * der
57
sehr und ich hab ihm erzählt was passiert is! und hab
58
so ich kann mich wie heute erinnern was ich ihm gesagt
59
hab! * sag ich schaun sie mal * ä da! * die haupt/ **
60
die hauptidee ** de/ des nazismus is doch * daß der
61
jude weggeht! ** ich hab die möglichkeit nach * ä nach
62
israel zu gehen! ** ich kann illegal nach israel gehn!
63
ich mache doch das in ihrem interesse! sie wollen uns
64
doch loswernt ** und mein mann is gegangen um * papiere
65
dazu * zu bekommen damit wir rausgehen! * also warum
66
sollen wir nicht raus und ihnen * das leben erleichtern! so wie heute kann #ich mich erinnern ich war da#SCHNELLER
67 68
Κ
69
LV: mals ja schließlich noch sehr jungt * aber hab das
70 71
Κ
glaub ich richtig gesa/t# * un da schaut er mich so ant
#
116
72
LV:
* * und s a g t wissen=s wast * * na da s i e s i n d j a noch s o :
73
jung!
* * f a h r t s nach i s r a e l
74
l e b e n ! gehn=s am nachmittag zum e : r war im l a n d e s g e -
75
richt!
76
r i c h t und i h r mann w i r d rauskommen! und schauts daß
77
nach i s r a e l
78
i s mir i n d e r g e s t a p o von einem deutschen g e s a g t
* * gehn=s am nachmittag um f ü n f zum l a n d e s g e f a h r t s und b e g i n n t s e i n neues l e b e n !
79 80
hm! AB: LV: * * i n t e r e s s a n t n i c h t t
81 82
AB: LV: * d i e juden g e r e t t e t
83
* und b e g i n n t s e i n neues
i c h hab etwas e r l e b t e
* * das worn!
* man ä man * e h r t heute so
viele
hmhm! habent * p f / P r i v a t l e u t e * und * das e i g e n t l i c h i n t e r e s s a n t
is!
Die Deportation der Stettiner Juden
Dr. Abraham Eran (ehem. Otto Ehrenwerth), * 1907 in Stettin Jurastudium, Assessorexamen, Promotion; Umschichtung (Landwirtschaft) in England; 1934 Emigration nach Palästina; anfangs im Kibbuz, dann auf einer Regierungsfarm und eigene kleine Landwirtschaft; später bei der englischen Arbeitsaufsichtsbehörde, danach beim israelischen Arbeitsministerium tätig; seit der Pensionierung Beschäftigung mit Archäologie, Fachpublikationen. Aufnahme: Eva Eylon, Jerusalem 1992. Sehr exakte und bestimmte Sprechweise; häufig komplexe, meist korrekt durchgeführte Satzkonstruktionen. Tonqualität: mittel. 1
AE: d i e k r i s t a l l n a c h t war schon v o r b e i t
* und dann:
wollte
2
d e r n a z i * h ä u p t l i n g von pommern * ä : d i e juden * * ä kon-
3
zentrieren in Stettin: in pommern Vorpommern und stet-
4
tin * in ein lager in der mitte der Stadt in einem:
5
v o r m a l i g e n Warenhaus! * das hat aber g i n g
6
n i c h w e i l d i e nachbarn und d i e * s t ä d t i s c h e n
7
dagegen p r o t e s t i e r t e n
8
sehe * Organisationen sich an entsprechender weise da-
9
gegen wandten^ * i n b e r l i n f
natürlich behörden
* * und außerdem auch wohl
jüdi-
* * und dann hat e r e s
abe:r
10
* organisiert
f ü r e i n e n s p ä t e r e n t a c h im f e b r u a r neun-
11
zehnhundert ä : v i e r z i c h i
12
von d e r sache das wurde b e i nacht d u r c h g e f ü h r t * * daß
13
k e i n mensch dagegen * * etwas * einwenden o d e r tun konn-
* und da war man so ü b e r r a s c h t
117 14 15
EE: das heißt die iüdischen nachbarn konnten * ä die AE: te* ** und wurden dann
16 17
EE: christlichen nachbarn konnten da nichts unternehmend AE: auch die iuden konnten
18
nichts tun* niemand konnte was dagegen tun* ** und ä::
19
** dann und dabei wurden über tausend: ä: beinah elf-
20
hundert ** juden ** abgesehen von einijen: * kranken in
21
einem * jüdischen * krankenhaus * oder * vielleicht *
22
altersheim ** sollte man sagen ** ä deportiert! * mann
23
frau und kind* ** im februar können sie sich vorstellen
24
mit einer dreitägigen fahrt nach * polen nach ä: lu/ *
25
lublin ** und dabei sind dann schon einige umgekommen
26
und in lublin * zum schluß sind also die meisten außer
27 28
Κ
einem ungefähr zwei dutzend #sind umgekommen4*# ** wir #LEISER #
29
AE: wissen darüber ä durch ä: ** eine: ä beteilichte
die:
30
mit ä deportiert wurde mit ihrem mann die war * eine
31
städtische stadträtin * in Stettin* für soziale * ä: :
32
** soziale aufgaben* ** und * die hatte beziehungen
33
nach Schweden! * und hatte ** ein schwedisches visum
34
beantra:cht
35
an dem tage noch nicht eingetroffen*
36
dann ein es wurde dann ausgegeben * als sie grade in: η
37
paar tage in lublin warent
38
schiedene dörfer also is nich ganz genau * daß man
39
lublin sagen soll bei lublint
40
mann durch die Verhältnisse schon umgekommen ** und *
41
sie wurde dann nach sch/ ä ging * konnte dann nach
42
Schweden gehen* ** und die hat dann diese ganze sache
43
** dokumentarisch beschrieben*
44 45
** für sich und ihren mannt ** aber es war * es traf aber
* verteilt auf drei ver-
** und da: war aber der
** und dadurch wissen
EE: aus den iuden * ä qeworden is* AE: wir * was eigentlich passiert is* was eigentlich
46
passiert na was daraus geworden ist das is ja dann noch
47
ein jähr später oder anderthalb jähre später* * das hab
48
ich dann zufällich ** zufällich also ich hab mich darum
49
bemüht ich wollte mal wissen wer denn nu eigentlich die
50
** die ä: leute warn die damals deportiert wurden*
51
ich wußte nur von: einem * anwalt der bei dem ich meine
**
118
52
* a n w a l t s a u s b i l d u n g gemacht hab d i e r e f e r e n d a r z e i t
53
der wollte nicht
54
h ä t t e w e g g e h e n k ö n n e n * a b e r e r w o l l t e n i c h J · ** u n d
55
i s dann d o r t mitgegangen m i t d e /
56
d a b e i n a t ü r l i c h umgekommene ** u n d m i c h h a t
57
siert
58
ges in das ä:
59
gegangen und ä : :
60
gesagt hat
61
a l l e s was s i c h a u f d i e h i t l e r z e i t
62 63
weggehend
** e r w o l l t e n i c h t Φ * e r deportiert
archiv de/
worden und das
intres-
* ä: des jüdischen Volkes
* habe danach g e f r ä c h t worauf
ja erstens bist
EE:
tahier
man m i r
du an d e r f a l s c h e n s t e l l e bezieht
ist
in
*
jad
j a: i 40
AE: w a - s c h e m * *
u n d n i c h t b e i u n s ** a b e r w i r
nen uns wir haben einen f i l m gehabt mit
65
zeichnis
66
j a d wa-schem abgegebene
67
[SCHWIERIGKEITEN BEIM AUFFINDEN; 0 : 2 8 AE:
der
und i c h w o l l t e d a s mal s e h e n da b i n i c h e i n e s
64
68
**
[...]
aus irgendeiner akte
entsin-
* namensver-
** u n d d e n h a b e n w i r
an
[...] Min.]
u n d d a h a t man d a s d a n n ** e r s t a u n l i c h e r w e i s e
69
* merkwürdijerweise gefundent
70
film dort vergrößern wollent
71
größern wollent
72
in Ordnung * und na hab ich ihnen dann vorgeschlagen
73
s i e s o l l e n mir das ding geben damit
74
universitätsabteilung
75
nen dann * k o p i e r e n l a s s e n kann und d a s i s auch
gelun-
76
gent
**
77
d e u t s c h e n ** p o l i z e i * b e h ö r d e
78
polen b e i der russen * sagen wir b e s s e r
79
SICH b e i d e r
80
obert
81
vergrößert
82
schiedene
83
da e b e n a u c h d e p o r t a t i o n e n war* * d a s war d i e e r s t e
84
portationΨ
85
t i o n a u s b a d e n ** n a c h ä f r a n k r e i c h l
40
** d a n n h a b i c h
und
** u n d l e s e n w o l l e n
da war d e r a p p a r a t
ich es bei
in lublint
** ä : :
* der *
den
die
** RÄUSPERT dort mit:
bekommen* u n d h a b i h n a l s o
vervielfälticht
nich
reproduktio-
* film einer
** ä : b e e n d i j u n g d e s k r i e g e s ** ä : :
ver-
aber scheinbar
fü:r fotografische *
* und da hab i c h a l s o d i e s e n :
hatten*
diesen:
und * h a b noch
(mal)
* ä ver-
s a c h e n u n t e r n o m m e n ** um d a s f e s t z u l e g e n η h a l b e s j ä h r s p ä t e r kam d a n n d i e
er-
daß de-
deporta-
[...]
Hebr.: (übertr.) 'Denkmal und Gedächtnisstätte' (nach Jesaja 56,5); Gedächtnisstätte für die Helden und Opfer der Schoa (Holocaust) in Jerusalem; neben den Denkmalstätten besitzt Jad wa-Schem ein Museum, eine Bibliothek und ein Archiv. Üblicher in engl. Transkription Yad Vashem.
2 Auswanderungsvorbereitungen und Fluchtwege
121
2.1 Sofortiger Entschluß zur Auswanderung nach Palästina 1933
Trotz Zuredens vieler Freunde sofort weg Dr. Alfred Engel, * 1895 in Nangard (Pommern) Gymnasium in Berlin, als Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg (Sanitätskorps), danach verkürztes Studium, Kinderarzt in Berlin; 1933 Emigration nach Palästina; zunächst Eröffnung eines Kinderheims, dann als Kinderarzt tätig; heute freiwillige Arbeit in einer Schule. Aufnahme: Kristine Hecker, Jerusalem 1990. Leichte berlinerische Färbung. Lebendiger, zugleich überlegter Erzählstil, oft in nachdrücklichem Ton. Neigung zu längeren, aber öfters unterbrochenen Konstruktionen. Tonqualität: gut.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
AE: ich bin a * aus * berlin fortgegangen ** ich lebte in berlin in der * wallner-theater-straße* das is * in der nähe vom ** alexanderplatz* ** und * da passierte es ** daß im anfang neunzehnhundertdreiundreißich ** in der gegend * ein jüdischer rechtsanwalt ein jüdischer arzt plötzlich verschwunden warent ** und * man hat nie mehr was von ihnen gehört * un man hat dann sofort gehört ** daß sie ermordet worden waren* * und da hat=s meine KH: also schon anfang dreiAE: frau mit der panik crekrieat* * und hat cremeint KH: undreißich* gleich +anfang dreiundreißich* ** da hat AE: sie=s mit der pan/* wir sind in der hauptsache weggegangen weil sie es mit der panik be/ weil sie angst bekommen hat* ** und *3* der (sie) SCHNAUFT ** trotz allem zureden von allen möglichen freunden ** nichtjüdischen freunden (sachten das wird) * die ganze ** geschichte mit dem ä * nationalsozialismus ** is eine kurze angelegenheit und die wird bald vorbei sein *3* das ham wir nich geglaubt ** und haben ja auch recht gehabt ** und außerdem ** hatte ich * unter meiner patientenschar ** die ein eine:: die kinder von einem * gauleiter der in der gegend wohnte* der sachte zu mir #ach was wollen sie brauchen doch keine angst zu ham* Κ #JOVIAL AE : * wenn irgendwas ihnen passiert * kein mensch ä: wird ihnen was tunT * sie rufen bei mir an und schon ist
122 28
alles in Ordnung wiederl# ** und * auch an dem ersten
29
Κ
#
30
AE: april an dem boykottach gegen die juden wo überall *
31
auch vor allen ärzten irgendein ä: * ein ä: * nazij/ j/
32
/junge gestanden hat so=n ** und hat
33
nicht zu dem juden reint und zettel all bei mir war
34
überhaupt nichts gemacht worden daraufhint
35
ham trotzdem ä keine lust gehabt das weiter auszupro-
36
bierni ** also wir sind dann *3* tatsächlich schon
37
neunzehnhundertdreiundrei/ im September aus deu/ berlin
38
fortgegangen* ** trotzdem wir * von allen leuten allen
39
menschen mit denen ich zu tun hatte ** immer wieder **
40
beruhicht worden bin und sagten ** wo ich auch hinkamt
41
wie ich aufs ** ä zur sch/ sch/ zur f/ um au/ die aus-
42
reise zu bekommen zur Steuer kam *3* da warn da so f/
43
drei vie:r ** beamte die: mich kannten un sachten was
44
wollen sie wozu brauchen sie=n diese unbe::/ ** ä wie
45
KH:
46
AE: nennt man jetz dieses zeugnisT *
(gesagt) geht
** und wir
ζ:ertifikatt +jal **
47
das ä wo ä: hm ä daß ich alle meine steuern bezahlt
48 49
KH: hab (ichwozu will brau/ sie) eine * also ** und wie ich ihm sagte ich AE:
50 51
Κ
52 53
AE: sie doch nich nötich# und hat denn alle kollegen aus=n Κ GNIERT #
54
AE: nachbarbüros gerufen
55
Κ
56
AE: engel den wir alle kennen ** und der will weggehn hier
57
wegen der * politischen angelegenheiten da is doch gar
58
kein grund sacht
will * deutschland verlassen da sagt er #na was das ham #LEICHT INDI-
(sacht #denn hier is) der dokter #ÜBERRAS CHT
(wer tut) es auchA# ** also die ham
59
Κ
#
60
AE: alle auf mich eingeredet und * also wir ham uns darum
61
nich gekümmert un sin im September ** neunzehnhundert*-
62
dreiundreißich aus berlin fortgegangen ** mit * einer
63
woche vorher bei freunden in: *4* auf der insel na *
64 65
KH: bei ital/ bei neapel ** ischial ** bitte wiet capril * (be41) AE:
41
Hebr.: 'in'.
123
66
capriI eine woche capri sind wir denn hier angekommen
67
im anfang oktober in ** in die ä: in in ä tel avivl **
68
KH: konnten sie noch alle Sachen mitnehmen* ja* net *
69
AE:
wir
70
konnten alle Sachen mitnehmen ** und ich ko/ ä konnte
71
auch ein ä * tausend ä * englische pfunde mußte ich
72
mitnehmen um hier dies einwanderungszertifikat zu be-
73
kommend
Noch am "Boykottag" Paß für Palästinareise besorgt Dr. Erich Beiyamin Popper, * 1898 in Elmshorn Teilnahme am 1. Weltkrieg, dann verkürztes Studium, Zahnarzt in Hamburg; 1935 Emigration nach Palästina; Zahnarzt. Aufnahme: Kristine Hecker, Rechowot 1990. Mit teilnehmend: seine Ehefrau Charlotte Popper und seine Tochter Kela Marton, * 1924 in Hamburg, Biologin. Sehr korrekter, gewandter, schriftsprachorientierter Sprachstil. Ruhiges, bedächtiges Sprechen; brüchige, etwas hohe, leise Stimme (z.T. durch größere Mikrophonentfernung). Tonqualität: gut bis mittel; zwischendurch Gänsegeschnatter im Hintergrund. 1
EP: ich war nämlich dreiundreißich schon hier!· ** an diesem
2
** ä ä fürchterlichen boykottage am ersten april *
3
dreiundreißich ** hab ich einen solchen schock * bekom-
4
mend ich hatte mich * immerhin * nich ganz wenich mit
5 6
Κ
der # jüdischen# geschichte in deutschland * befaßt* #[d3ydij9n]#
7
EP: ** und als ich ä ** hörte wie: hitler zur macht kam **
8
und ä: * anfing ** auf die juden loszugehen ** hab ich
9
das blutich ernst genommen* war einer der wenijen * die
10
* das ä * für wahr hielten was womit er uns bedroht
11
hat! ** un am selben tage an dem es * dieser boykott
12
ausbrach * bin ich noch am schabbat obwohl ich damals *
13
ä: relijös wari ** orthodox war * am schabbat ins ä **
14
paßamt gegangen * hab am schabbat dort ** ä: zert/ den
15
paß bekommen * und bin noch am abend schon losgefahrn
16 17 18
stina* ia* KH: (???) (???) EP: und hier nach ä israel* ** das war Palästina* und nich KM:
124 19 20 21
KH: ja! EP: KM: n o c h n i c h
22
EP: i c h * i c h a h n t e wer was u n s h i e r f ü r c h t e r l i c h b e v o r s t a n d ! ** i c h k a n n t e d i e j ü d i s c h e g e s c h i c h t e t ** was i n
23 24
31 32
e i n e n s o l c h e n s c h o c k * i c h wuß/ * israel!
d e u t s c h l a n d den j u d e n s c h o n a l l e s p a s s i e r t w a r t ** und ä : * d i e m e i s t e n l e u t e g / wußten d a s n i c h t i h a t t e n k e i -
25 26 27 28 29 30
ja! *
ne j ü d i s c h e ** g e s c h i c h t s b i l d u n g ! * und h a b e n d a s n i c h t f ü r m ö c h l i c h g e h a l t e n * e s war j a a u c h * ä : s o u n w a h r und j a a u c h v i e r h u n d e r t j ä h r e h e r ! * i c h KH: EP: s c h e i n l i c h ** KH: mein d a s i s n a t ü r l i c h a u c h noch mal o d e r d r e i h u n d e r t 4 *
EP:
33 34 35 36
*
e s i s zwar v i e r h u n d e r t j ä h r e h e r a b e r * d e r n i e d e r s c h l a g davon * w a : r ä : ä s e h t / immer zu s p ü r e n ! und ä * ä : i c h war a u c h m i t d e r d e u t s c h e n l i t e r a t u r zwar s e h r * verbunden * aber * der a n t i s e m i t i s m u s * hat s i c h auch in der deutschen l i t e r a t u r niedergeschlagen! [ . . . ]
Nach der Flucht Orientierungsreise nach Palästina Dalia Grossmann (geb. Hildegard Sachs), * 1919 in Berlin Lyzeum; 1933 Emigration nach Palästina; zunächst weiterer Schulbesuch, dann Kindergärtnerinnen- und Lehrerseminar, Kindergärtnerin; viele Volontärtätigkeiten im sozialen Bereich. Aufnahme: Miryam Du-nour, Jerusalem 1991. Sehr flüssiges, teilweise lebendiges Erzählen. Häufig komplexe Satzkonstruktionen. Tonqualität: gut bis mittel; zwischendurch Mikrophongeräusche. 1 2 3
DG:
[. . .] denn i c h s i n n mich n o c h wie am h e u t i g e n t a g ** d a ß : h i t l e r ganz zu a n f a n g denn mein v a t e r kam h e r * am d r i t t e n mai * n e u n z e h n h u n d e r t d r e i e n d r e i ß i c h l ** und
4 5 6
warumt * e r war * a n g e s t e l l t * am k r a n k e n h a u s l a n k w i t z ! ** und h a t t e * e i n e ** s e h r a n t i s e m i t i s c h e hebammet ** und e i n e n * ä : g e s c h m a d d e t e n 4 2 ** ä : d i r e k t o r d e s k r a n -
7 8
kenhausΨ e i n h e r r d o k t o r XYI ** d e r im g r ü n d e m i t ihm s e h r b e f r e u n d e t war a b e r d o c h ! ** und e i n e s t a g e s **
9
s c h / ä s t e c k t e man meinem v a t e r d a ß e r doch
42
Jidd.: 'getauft'.
vielleicht
125
10
* verschwindet* ** daraufhin ** entsinn ich mich noch *
11
wie heutet ** is er über nacht ** getürmt * in die
12
Schweiζ* ** am nächsten morgen ** bekamen wir von ihm
13
ein telefon aus freiburg* ** weil er sorgen hatte um
14
uns* ** meine mutter hat kurzen prozeß gemacht hat mei-
15
nen bruder genommen ** hat ihm eine karte gegeben **
16
und hat ihm gesacht bis du nich siehst daß dein vater *
17
in marseille auf=m schiff is ** läßt du ihn nicht al-
18
leine* ** jetz war es so* * damals zu jenen Zeiten *
19
hat der faruk ** in ägypten sehr * nach jüdischen *
20
Spezialisten gesucht* ** mein vater hatte nich grade
21
die idee nach palästina zu kommend weil das von ihm
22
weit ** entfernt wart ** und er wollte im gründe nach
23
ägypten fahrn* daraufhin hat mein bruder ihm gesagt
24
wenn du schon in der gegend bist * dann fahr doch nach
25
palästina denn ich will dort ganz bestimmt hinfahrn* **
26
und so kam es daß vati wirklich ** hier
27
** und sich nicht entschließen konnte wo er nun wirk-
28
lieh bleiben wollte* ** er kam nach tel aviv und die
29
damaligen * ärzte warn nich sehr * erfreut für eine **
30
große gute konkurrenz so daß der empfang nich so herr-
31
lieh wart ** und er ließ meine mutti ** kommen um zu-
32
sammen zu beschließen* * ich entsinn mich ich wurde **
33
#in einer familie pensioniertt# ** und mutti fuhr lost #LEICHT LACHEND
(und dort) war
34
Κ
#
35
DG: * und kam ** in sechs wochen zurückt * damals war die
36
fahrerei noch=n bißehen schwierich* ** sie war hier un-
37
gefähr zwei wochen* * eine woche im landt und eine wo-
38
che fuhr sie mit meinem vater nach ägyptent
39
beschlossen sie beide daß sie mich nicht in so eine at-
40
mosphäre bringen wie=s in ägypten war * reichtum von
41
einer seite und armut * große armut von der andern sei-
42
te* ** und so kam es daß vati dann anfang in tel aviv
43
seine praxis aufzubauent
44
des ersten privatkrankenhauses in tel aviv asutat **
45
und dann: * packte meine mutti * meinen einen bruder
46
ein und schickte ihn weg
** und dann
** er war mit der gründer **
(nach palästina)* **
(der) kam
126
47 48 49 50
nach rechowot! * dann als zahnarztt ** dann heiratete mein zweiter bruder und er fuhr auch * her * und kam nach jerusalem als radioingenieur ** und * i:ch hatte ** noch S c h u l p f l i c h t ! [...]
Pessach 1933 schon auf dem Schiff EU Rothschild, * 1909 in Lübeck Studium (Literaturwissenschaft/Geschichte), 1933 Dissertation abgebrochen, Emigration nach Palästina; anfangs im Kibbuz, dann u.a. in einer Möbeltischlerei und als Hilfspolizist tätig, Buchhändler, später Lektor des Leo Baeck Instituts in Jerusalem; Fachpublikationen. Aufnahme: Anne Betten, Tel Aviv 1991. Wechsel zwischen komplexem, hypotaktischem und kürzerem, spontanerem Satzstil; lebhafte, in Tempo und Lautstärke variierende Sprechweise. Tonqualität: gut; im zweiten Teil zwischendurch Flugzeuglärm im Hintergrund.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 43
ER: daß ich mit meiner dissertation durchfallen würdet ** sofort abgefahrn! ** ich bin nach hause gefahrn nach lübeckt #hab meinem vater die geschichte erzählt hat er Κ #SCHNELLER ER: gesagt pack die koffer und fahr!# * bin also als erster Κ # ER: * raust ** nicht ganz als erster eine meine älteste schwester die in jerusalem noch lebt * war schon hierl AB: hm: i ER: * die is neununzwanzich eingewandert! * und ich kam erst dreiundreißich! also die ist * damit is sie mir #nun entschieden über!# ** ä: sie sehen also der trend Κ #LEICHT LACHEND # AB: hmhnU wann sind sie ER: der familje war ohnehin hierherzugehnl ** AB: genau abgereiste * ER: ä: ** genau: in ** am * pessach43 AB: hm:! ER: neunzehnhundertdreiundreißichl * das fällt so zuAB: sammen mit * ä: mit märz auk/ * /pril mit ihren ostern ER: * ungefähr! hmhm! ** wir ham sogar die (hm: ä) april S. Anm. 15, S. 51.
127 24
AB: nich mehr χχ erlebt! -> ja*
25
ER: sederabend^
ja*
-J
nein*
wir ham den sederabend
26
** auf der martha Washington verlebt* * einem * alten
27
kästen vom lloyd triestino 45 * ** und haben da seder ge-
28 29
AB: ER: feiert* ** so schnell warn sie dat ** we/ warn sie
30 31
AB: schon im lande hier* * pessach* nein* ach ER: +nein nein nein* das
32 33
AB: so* +ach auf dem schifft auf dem ER: war auf dem schifft
34
AB: schiff*
35
ER: ja:*
hmhm* ja* ja*
ja* ** ja*
und ich bin zweimal einge-
36
wandert! *3* denn als das schiff in haifa ankam war
37
mein Zertifikat noch nicht da* die engländer verlangten
38 39
AB: hmhm* ** ER: das doch* * daraufhin * das schiff mußte noch
40 41
Κ
42
ER: in meinem leben den * die schöne Stadt # beirut
43
Κ
44
ER: der ferne gesehen in schu/ inzwischen fürcht ich is sie
weiterfahrn nach # beirutt # ** so hab ich also einmal # [be : ru: t] # # aus
#[be:ru:t]#
45
* zusammengeschossen* und gar nich mehr schön* ** und
46
ich wurde dort auf dem schiff bewacht von einem maroni-
47
tischen polizisten* ** mit dem könnt ich englisch re-
48
den* ** und das gehört zu den * traurigen
49
BANDENDE
50
ER: ä: diese maronitischen k/ katholischen christen vom *
51
libanont
52
ihr nachbar die: * zionisten wurden* ** die den juden-
53
Staat aufbauen wollten* SCHLUCKT weil sie * in dem meer
54
vom * islam zu ertrinken fürchteten* * und heute is es
55
ja* ** nich ä: * man bringt im libanon die letzten *
56
christen um* ** SCHLUCKT ** da gab=s einen berühmten
57
professort
58
lebt ** der war der erste Vertreter der arabischen
59
Staaten ** in der uno* * professor Charles malik* **
44
45
** warn ä: * begeistert * davon ** ä daß **
** ef/ ä: ich hab nicht gehört daß er noch
Der erste Abend (in der Diaspora die beiden ersten Abende) des Pessachfestes; seder (hebr.): 'Ordnung', bezogen auf die genaue Reihenfolge in der Zeremonie. Italienische Schiffahrtsgesellschaft.
128
60
großer gelehrter! ** der hat noch * ä meronit* ** der
61
hat noch ** ä * Verbindungsmöglichkeiten * zwischen
62
Zionismus und * ihrem Christentum gesehn hier in dieser
63
** zone ** des vorderen orients* ** ä: *3* ich weiß daß
64
* er noch gelebt haben muß neunzehnhundertzweienach-
65
zieh* ** denn da erschien mir plötzlich in einem * hat-
66
te ihn ein amerikanischer * journalist * aufgespürt ir-
67
gendwo im libanon im norden ** und ihm eine * interes-
68
sante Unterhaltung geführt* ** ich hab dann noch * der
69
katholischen akademie in hamburch empfohlen ** alles zu
70
tun um Charles malik ** ä: nach deutschland zu bringen*
71
** und ä der * vielsprachenkönner*
72
rektor sachte mir ach * der hat doch hier einen jesui-
73
tenbruder* ** wir wern das mal versuchen* se aber sie
74
ham=s * entweder unterlassen oder es * glückte nich
** ä:m * und der di-
75
AB:
76
ER: mehr* **
77
AB: diesem ** ausflug nach beirut kamen sie zurück* * und
78 79
ER:
80 81
AB: ~ia das dauerte nur einen tagt * der ausflugt ER: i::/) ein vetter MURMELT
82
AB:
83
ER: *
84
hm:* * *
nach
den Charles malik zu holen* *3*
das Zertifikat war dat am nächsten morgen war das Zertifikat da
(oder
so * so schnell warn die schiffet ** das is ja keine
entfernung* *3* nein* is keine entfernung* ** ä: * hat
85
AB:
hm:* *
86
ER: auch seine schattenseiten daß es keine is*
unse-
87
re Schnellboote * ä: sind tach und nacht unterwegs weil
88
wir ja nich wissen können wer da: noch schwimmt* ** die
89
sind sehr schnell hier* mit gummibooten kommen sie so-
90
gar von dort* * aber ä:m ** SCHNALZT ** die: ä: näch-
91
sten tag war es da weil ein vetter meiner mutter hm: ä
92
der ** oberbibliothekar später noch * direktor der *
93
nationalbibliothek der Universität jerusalem wart ** äm
94
das Zertifikat besorcht hat* ** dokter bernhard joel*
95
[. . .]
129
Mit Bahn und Schiff allein nach Palästina Mirjam Margot Hein (geb. Margot Löwenberg), * 1911 in Breslau Lyzeum, 4 Semester Psychologiestudium, Buchführung im väterlichen Betrieb; 1933 Emigration nach Palästina; Hausfrau und Klavierlehrerin. Aufnahme: Kristine Hecker, Rischpon 1990. Sehr standardsprachlicher, normorientierter Redestil, allerdings wegen Zungenoperation teilweise schwer verständlich. Tonqualität: mittel.
1 2 3 4
KH: sie warn zwanzich als sie weg sincU net ungefähr* MH: ia* ungefähr* * neunzehn zwanzich ja* ** und ä: ** die erste zeit das war alles wie ein ** erstenmal in der hitze
5
sich dran gewöhnen* ich hatt aber schon ** freundinnen
6
hiert ** und hab in tel aviv mich erstmal ausgeschla-
7
fent ** weil * das schiff martha Washington ** war hat-
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
te zwölftausend tonnen ** es war un/ * in den kabinen nicht zu schlafen* ** ich habe jede nacht ** fünf oder sechs tage auf deck geschlafen* ** ein großer teil war KH: hm* MH: seekrankt ** ich war bahnkrank* * zwischen (???) und triest ** aufregungt ** ich hatte kaum was zu essent ** jeder hat mir seine beiträge an ** Vorrat gegebent man durfte damals noch rundfahrten machen* ** (juden) * von breslau ** bis zum l:and hier und wieder zurück* ** aber ich bin dort hab ich mich ** hab ich gebeten daß ich mich * anschließen kann an die gruppe weil ich allein bin* ** ich habe in triest * vor lauter schwäche ** einen anfall bekommen: * das herz hat getobtt ** ma hatte einen * arzt geholt ich weiß bis heut
22 23
noch nich wie ich aufs * schiff heraufgekommen bin* *3* wie ich das erstemal dann eine warme suppe in triest *
24 25 26
es wa:r * makkaroni ä spaghetti* ** fing mir an besser zu werdent ich hatte hier etwas ** ich habe menschen kennengelerntt ** ich hab sogar getanzt auf=m schiff
27 28
(denn es) war alles schön* * ma hat sich auch keine gedanken gemacht* * was wird sein die sechs tag auf=m
29 30
schiff* ** die warn schönt ** während die andern seekrank warn fing a ich mich an zu erholen* hab ich schon
31
* mal η bißchen nette Sachen aus=m koffer geholt s is
130
32
ein gutes zeichen bei mirt
** und i c h h a b h i e r warn
33
zwei j u n g e l e u t e d i e i c h k e n n e n g e l e r n t hab* ** m i t
34
nen i c h dann s t ä n d i c h zusammenkam b i s w i r ankamen*
35
[. . .]
de-
"Es gibt nur eins: heraus aus Europa!" FrauX, * 1911 in Berlin Lyzeum, Sekretärin im väterlichen Notariat; 1933 Emigration nach Palästina; Sekretärin, später im Büro ihres Mannes und im eigenen Geschäft tätig. Aufnahme: Kristine Hecker 1990. Ganz leichte berlinerische Färbung. Flüssiges Erzählen. Tonqualität: mittel bis schlecht. 1
[1933 BEKAMEN IHR VATER UND DESSEN PARTNER ALS ANWÄLTE
2 3 4
GERICHTSVERBOT; DER PARTNER STARB DARAUFHIN AN EINER HERZATTACKE] FX: [. . .] und mein v a t e r h a t d a m a l s g e s a g t * wenn i c h noch
5
hierbleibet
6 7 8 9
meine m u t t e r s c h r e c k l i c h e a n g s t ä bekommen und s i e s i n d l e g a l nach p a r i s t * mit pässen mit allem * aber n i e mehr z u r ü c k * ** und w o l l t e n immer * d a ß w i r a u c h mein mann und i c h und d a s k i n d n a c h p a r i s kommen*
10 11 12
* dann p a s s i e r t m i r d a s s e l b e * ** und da h a t
[DAS EINFACHE LEBEN DER ELTERN IN PARIS; 0 : 1 5 M i n . ] FX: [ . . . ] a b e r i c h h a b e meinen e i t e r n d a m a l s s c h o n : ä g e s a g t ** e s g i b t n u r e i n s t ** h e r a u s a u s e u r o p a t * d e r
13
arm von h i t l e r w i r d ü b e r ganz e u r o p a * r e i c h e n * * un
14
meine e i t e r n ham m i r d a m a l s s o u n g e f ä h r g e s a g t du b i s t
15 16
j a ganz v e r r ü c k t * * j a t * un k e i n e r h a t d a s j a g e g l a u b t * * a l s o wir h a t t e n aber damals schon durchs pa-
17 18
l ä s t i n a a m t * ä : obwohl w i r k e i n e z i o n i s t e n warn ä e i n g e r e i c h t hierherzukommen* [ . . . ]
131
Nach dem "Boykottag" zurück in die 1908 in Jerusalem gegründete Buchhandlung Hermann Joseph Mayer, * 1915 in Wismar Kaufmännische Lehre in Berlin; 1933 Emigration nach Palästina; zunächst Mitarbeit in der (schon 1908 gegründeten) Buchhandlung des Vaters in Jerusalem, dann gemeinsam mit seinem Bruder deren Leitung bis heute. Aufnahme: Anne Betten, Jerusalem 1991, in der Buchhandlung. Mit teilnehmend: Miryam Du-nour. Sehr flüssiger, korrekter, sachlicher Redestil, oft lebhaft dialogisch, da Dreiergespräch. Klare, deutliche Aussprache. Tonqualität: gut; Straßenlärm, Stimmen aus der Buchhandlung im Hintergrund. 1
AB:
2 3
HM:
[...] wir sitzen hier in der ältesten buchhandluna in * ä: israell
europäischen
* nich wahrt
stimmt dast
4
+mein vater hat diese buchhandlung im jähre neunzehn-
5
hundertundacht
6
ste europäische buchhandlungt
7
händler er stammte aus prenzlau in der Uckermarks
8 9
AB: hm:Ψ HM:
** hier in jerusalem gegründet
* er war gelernter
und ä die buchhandlung hat hier bestanden
zum jähre neunzehnhundertundvierzehnt
11
er * ä von deutschland zurückgerufen
12
[ÜBER DIE ELTERN UND DIE BUCHHANDLUNG; HM:
buch*
**
10
13
* als er-
bis
** ä dann wurde [...] 3:42
Min.]
[...] aber als man dann an dem berühmten ersten april
14
dem boykottach ** abends um sechs: ** einen zettel
15
auf seinem schild unten jude kauft nichts
16
nicht eine minute länger in deutschland zu bleiben?
17
und ist am montach zum finanzamt gegangen und hat
18
die erlaubnis geholt zur auflösung ** der wohnung und
19
des geschäftst
20
** A-eins-zertifikat
21
entsprach ** ä:: leicht eine einwanderung hierher be-
22
k o m m e n konntet1 ** sind meine eitern dann am * im august
23
neunzehnhundertdreiundreißich
24
gewandert
* und der auswanderung was einem
fand
* er b e s c h l o ß **
sich
** und da man als
kapitalisten*zertifikat
** nach palästina * aus-
** ich konnte n/ erst später kommen da zwi-
25 26
Κ
27 28
AB: HM: drei jähre lagenl
29 30
Κ
schen dem deutschen und englischen #majorennalter# #[majorEgaltB]#
**
hm * mit deutschem **
nach deutschem
ist man erst mit einunzwanzich #majorennt# ** während # [majorg : ] #
13: 31 32 33 34 35
HM: K HM: Κ HM:
36 37 38 39
AB : HM:
40 41 42 43 44 45 46
AB:
47 48 49 50 51
HM: AB: HM:
52 53 54 55 56 57 58
AB: HM: AB: HM: AB: HM:
59
60 61
62 63 64 65
AB:
66 67 68 69 70
HM:
nach=m englischen gesetz man mit achtzehn ** # majo#[majorenn# wird* und da ich im zwa/ am zweienzwanzichsten r£g]# april ** achtzehn geworden war konnte ich nicht als kind ** mit meinen eitern mitt und mußte alleine zurückbleiben ** und bekam dann aber im ** jähre neunhmhm* * * zehnhu/ u/ k/ im novembert * ä: ** ein eigenes ** A-Zertifikat nachdem ich mir ** geld geborgt hatte ** von leuten die froh warn wenn sie ihr geld rauskommen konnten* * und so bin ich dann im november gekommen und seitdem ** sind wir eben hier* [SEIT 1978 LEITUNG DER BUCHHANDLUNG ZUSAMMEN MIT SEINEM BRUDER; 2:23 Min.] [...] und sie konnten * die also die buchhandlung bestand nicht mehrt * und sie * ihr vater hat wieder von vorn angefangen* * oder auf sie bestand nur auf papier* papier* denn im buch * im adreßbuch des deutschen buchhändlers*verbandes ** ist die buchhandlung eingetragen gea ja* gründet neunzehnhundertacht jerusalem berlin* ** j_a* ja* weil sie nachher in berlin weit/ das heißt die firhmhmt hm:* ** ma als firma is nie erloschen! sie hat immer * bestanden* ** und ä:m: ** wir ham sie mein vater hat dann neunzehnhundertdreiundreißich als wir herkamen * ham wir beide * die buchhandlung wieder neu gegründett ** neu aufge(holt)* und im (seit) neunzehnhundertfünfundreißich sind wir hier in demselben laden* [SEINE BUCHHANDLUNG UND ANDERE BUCHHÄNDLER; 7:21 Min.] darf ich noch mal was rein technisches nachfragen* war ihr vater in den jähren zwischen * neunzehnhundertvierzehn* nachdem er das land zum ersten mal vi/ wieder verlassen hat* * bis * dreiundreißich * noch mal wieder hier gewesen* * ja* ja* mehre male* * er war hier neun-
133 71
zehn/ * also meine mutter starb neunzehnhundertdreiunzwanzichl * er war neunzehnhundertvierunzwanzich hierΤ
72 73 74
AB: HM:
75 76
AB: HM:
77
AB:
78 79
HM:
80 81
AB: HM:
82 83 84 85
AB: HM:
86 87 88
AB: HM:
89 90 91 92 93
AB:
94
HM:
hmhirU
*
und er war neunzehnhundertneununzwanzich hier und in der zeit hat er aber zuwährend der unruheni * und nächst noch nicht dran gedacht sich wieder hier niederzulassend o/ o/ * ä: neint * er wäre schon neunzehnhunhm: i dertneununzwanzich qekommen aber damals hat die hebräische univer/ * bi/ Universitätsbibliothek die er belieferte * gesacht herr mayer wir brauchen sie mehr in hm:* hmhm* deutschland * besonders für antiquariatt was leichter zu kaufen is wenn ma an ort und stelle ist * hm:t jat ä: als hierl * und da hat papa gesagt gut4. also dann bleibe ich eben in berlini denn * das warn unsre haupt*kunden4- * aber als dann natürlich neunzehnhundertdreiundreißich ** ä:: ** ä der erste april ausbrach da war gar keine frage daß er sofort wieder zurücki * hat ihr vater in dieser zeit schon gut iwrit gekonnt! * nein er hat=s nie ge/ gut gekonnte
134
2.2 Vorbereitung auf Palästina durch Berufsumschichtung (Hachschara46)
"Auf jeden Fall will ich graben!" Ruth Luise Tauber (geb. Schönfeld), * 1919 in Lugnian (Oberschlesien) 1 Jahr Schneiderlehre, daneben Kunstgewerbeschule, Umschichtung; 1938 Emigration nach Palästina; seitdem im Moschaw, Landwirtschaft und Puppenherstellung. Aufnahme: Anne Betten, Sde Warburg 1991. Klares, flüssiges, zum Teil sehr schnelles Sprechen, jedoch unterschiedlich rhythmisierend; sehr lebendiges, anschauliches Erzählen; Tendenz zu Einschüben und Nachträgen führt öfter zu Umformungen der komplexen Konstruktionen. Tonqualität: gut. 1
RT
also mein mann hat noch * abitur mit * sehr ** guten *
2 3
AB RT
wann is er geborent ä: Zeugnissen * ä gemacht in
4 5
AB RT
chem
Hahr)
in wel+er=s neun-
hmhm!
zehnhundertvierzehn geborn! ** und ä:m ** er hat in
6
kreuzburg das abitur gemacht! ** wollte
7
studiernf
8
dertvierundreißich hat er abitur gemachte glaub
9
eine Sekunde daß ich nich was falsches sage ** jaT
archäologie
** hatte sogar eine erlau/ d/ neunzehnhunich! **
10
vierundrei/ vierundreißich! ** und wollte * archäologe
11
werdend
12
ich nach london noch zu gehn! ** aber * er war auch
13
dann schon zionist und hat gesagt auf jeden fall will
14
ich graben! ** also wenn nicht
15
loge dann als landwirt! * und is ein jähr ** nach hol-
16
land gegangen? um landwirtschaft
17
war in ** hm hat das spätere werkdorf mitaufgebaut! **
18
aber ein jähr4* dann war er ** ich glaub ich weiß=s nich
19
genau ich glaube ein jähr noch * oder ** vierundrei-
20 21
Κ
22
RT
** ä:m und ä hatte sogar die möglichkeit
glaub
* wenn nicht als archäo-
zu 1/ * zu lernen und
ßich! ** #fümundreißich! ein m o m e n t a ** war eine zeit #LEISER #
23
g e n a u ! * bei einem oberschlesischen bauernf
24
dort auch noch landwirtschaft gelernt*
25
schon angefangen ** solche hachscharazentren zu **
46
S. Anm. 14, S. 50.
** und hat
** hat aber
135
26 27
AB RT
war ihr mann aus einem zionistischen hausf oder auch leitend un/ nein! auch nichts
28 29
AB RT
erst später dazugekommen* auch so auch auch später!
30 31
AB RT
32 33
AB RT
ial * auch später! die * die hmhm*
schwester und der schwager waren große zionisten*
aber
hm: * sonst nich* ** und ä: hm ** also dann wurde e:r * ge-
34
schickt nach oberschlesien nach beuthen und hat * war
35
als galilleiter 47 * von dem * von ganzen oberschlesi-
36
schen ** ä: Umschichtung! das heißt es warn damals
37
fünfhundert
38
** jugendliche in oberschlesien! dadurch
daß das * wegen des minderheitenschutz konnte man noch
39
soviel * hachscharastellen ** aufbringen*
[...]
Als Leiter eines Bet chaluz48 Asta Bergmann, s. S. 55. 1 2
[HACHSCHARA IN OSTPREUSSEN UND THÜRINGEN] AB:
[...] und dort ä: hab ich angefangen kochen zu lernen*
3
* hab nie zu haus was angefaßt* meine mutter hat immer
4
gesagt schon als
5
nicht zu kochen* lern nur* * du mußt nur wissen * wie
6
man irgendwas macht* * ich konnte weder η weiches noch
7
η hartes ei kochen* ** aber dort hab ich lernen müssen*
8
da warn ungefähr ** vielleicht dreißich junge leute die
9
in der umgebung ä:: * angestellt warnt * bei * bauernt
(meine mutter) noch lebte ** brauchst
10
** u n d ä:: ** über W o c h e n e n d e v o n freitachmittach
sonn-
11
abend und sonntag dort in das heim kamenf und mein mann
12
war der lehrert * hat ihnen hebräischen Unterricht
ge-
49
13
geben und zijonut t und was man * wissen mußte um hier
14
einzu*wandern*
15
siebenundreißich * in herrlicher umgebungt
47 48 49
Galil (hebr.): 'Bezirk'. Hebr.: ' Pionierhaus'. Hebr.: 'Zionismus'.
** und da warn wi:r ** das ganze jähr * thüringen
136
16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27
meiningen ** schweinfurt* * ham ausflüge gemacht auf rädern* ** und ä:: * dann wurden wi:r sieben ende siebenundreißich: *3* #(ja da warn wa)# * a da wurd ich Κ #LEISER # AB: gerufen nach leipzicht * dort gab=s ein bet * chaluzt ** ä:: ** in einer mansardet ** von einem haus das * der jüdischen gemeinde gehörte und in jeder etage * war eine andre jugendgruppeI ** makkabi und ä:: *8* und ä de:r ** und die jungen leute ham überall gearbeitet bei: ä gärtnernt * um ** hier zu lernen baumschule und solche sachen die gingen morgens um fünf zur arbeit und kamen nachmittags wieder*
Obstplantage und Klavier Ernst Schwarz, s. S. 88.
1 2 3 4 5 6 7
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
ES: [...] wir sind ** eine kleine gruppe ** sind dann nach einem dreiviertel jähr* * nach nürnberg ü/ über/ übersiedelt* * auch in ein hachscharazentrum ** und ** wie schon wie ich schon erwähnt hab vorher* ** es is heute nicht mehr zu begreifen* wir ham uns frei bewegt ** damals in bayern ** wir warn * wir hatten sogar war warn so frech ** wir sind auf die Straßen gegangen und ham
MD: (hmhm*) ES: autostopp gemacht* ** und LACHT VERHALTEN wir ham ä ausflüge gemacht in die alpen von augsburg aus* ** und da die mädchen ** wirklich ausgesehen haben wie chriMD: hm: * ES: stinnen ** mußten wir jungens uns immer verstecken ** von der Straße runter ** damit die mädchen autos anhalten konnten* ** und das is auch gelungen* ** aber später * hab ich dann mit jungens von der hachschara ** ausflüge * in bayern * in den bayrischen wald* * überall hin gemacht* ** und wir ham autostopp gemacht und wir sind mit * SS-offizieren in autos gefahren ** und ä: ä ä es LACHT VERHALTEN ** niemand hat gefragt bist
137
21
du: ä jude oder (al)so* * w/ wir ham das ohne angst
22
gemacht * wir sind * in nürnberg ** sind wir ins thea-
23
ter gegangen* wir harn die meistersinger gesehen meine
24
frau und ich*'** wir sind in münchen* ** in kaffeehäu-
25
ser gegangen* in in ä: * ohne an/ auch nur angst zu ha-
26
ben* * das war alles damals noch möglich * obwohl ** es
27
* man war war das wissen wir ja heute gut* * daß es
28
sehr viele ** tätliche ausschreitungen gegen juden ge-
29
geben hat* * und es war für viele juden war es damals
30
schon gefährlich* ** ä: ** als jude entdeckt zu werden*
31
* aber uns is das gelungen und wir ham das weiter nicht
32
* in der * Stadt der * bewegung* ** oder wie sie sich
33
geheißen hat* nürnberg* * wir ham uns in nürnberg auch
34
frei bewegen können [...]
35
[ERSTE BEGEGNUNG MIT OSTJUDEN; 1:27 Min.]
36
ES:
37 38 39
[...] ä: in nürnberg ** ham wir * freundschaft geschlossen ** mit dem ** später ** ä: sehr bekannt ä:
MD:
hmhm* **
ES: bekannten * georg josephsthal
50
seligen angedenkens*
40
der uns * angefangen hat zu verfolgen weil wir * ä warn
41
wir * für ihn interessant * er war damals ä: irgend
42
schon er hatte eine irgend * funktion * der zionisten *
43
ä: zionistische funktiont ** und der hat uns dann * da-
44
zu überredet* ** meine frau und mich* ** und noch ein
45
ehepaar mit dem wir befreundet warn* *3* die ** hadra-
46
cha51 * einer mittleren hachschara ** zu übernehmen **
47
die sich in urfeld ** einem kleinen ort zwischen köln
48
und bonn * am rhein direkt am rhein ** ä: * gebildet
49
hat* ** wir * warn damit einverstanden * und ä: ich
50
mußte zu einem kurs gehen * hm für diese geschichte **
51
in schniebinchen 52 * das is ein * kleiner ort im ä: **
52
oben * im hohen preußen* * ich weiß nich mehr wo (er
50
51 52
Giora (ehem. Georg) Josephthal (1912-1962), 1933 Vorsitzender der Jugendabteilung der jüdischen Gemeinden in Bayern, 1936 Generalsekretär der "Hechaluz"-Organisation (zionistische Pionierbewegung) in Deutschland; später u.a. Entwicklungsminister in Israel. Hebr.: 'Instruktion'. S. Anm. 35, S. 108.
138 53
gen/)I
54
nischen grenze ** dort hab ich einen kurs mitgemachte
55
und dann sind wir ** im april
56
dreißich! ** sind wir als ** madrichim 5 3 der mittleren
57
hachschara ** in Urfeld * eingesetzt worden! ** das hat
58
uns * an sich großen spaß gemacht
59
auf die die wir natürlich mitmachen mußten war
60
bar eintönich ** wir mußten * wochenlang! ** in einem
61
großen ** obst/ in einer großen obstplantage
62
spaten * umgraben! ** diese obstplantage gehörte
63
goj ** der sch/ s/ * be/ damals war das schon bekannt
64
** der der persönliche freund von * adenauer * der da-
65
mals der * bürgermeister der Stadt köln war! ** und
66
dieser ** dieser goj * hat den juden seine plantage
67
zur Verfügung gestellt um ** in der sie da * gearbeitet
68
haben! ** aber * neben * d/ neben der arbeit
69
sehr tätich! ** und hab ä: * musikalisch hab die * ich
70
hab sehr viel klavier gespielt dort! ** ä:: * und ich
71
hab ä de/ den chor geleitet
72
jüdisch-zionistischen
73
bar hab ich ** erfolg gehabt damit *3* ä: ich will nur
74
ganz nebenbei eine kleine episode ** ä: be/ a: * ä *
75
erwähnen ** als ich hier im land! ** siebzigsten ge-
76
burtstag feiertet
77
nen wir bis heute noch Verbindung haben! ** und hat mir
78
zwei schallplatten ** geschenkt mit einem brief ** der
79
mich sehr ** gerührt hat! und zwar schreibt er in die-
80
sem brief
81
leitet! und du hast stundenlang klavier gespielt! ** du
82
hast mich zur musik ** sozusagen erzogen! ich bin dir
83
dankbar ** für diese ** für ä: ** für das was du damals
84
für mich persönlich gemacht hast ** und ich bin noch ä
85
sehe heute in der musik eines der ** wichtigsten
86
* die zum leben gehörn! und der hat auch noch bis heute
87
eine große * schallplatten-
53
* nich * nich weit von der * jetzigen * ä: pol-
neunzehnhundertsiebenun-
** nur die arbeit
**
furcht-
** mit einem
**
** war ich
** natürlich nur mit ä: *
liedern ** und das wa:r * schein-
** kam einer unserer Zöglinge mit de-
** du hast damals * in Urfeld ** den chor ge-
Plural von madrich (hebr.): 'Instrukteur'.
dinge
* und musik**sammlung! **
139
88
d a s h a t mich s e h r * g e r ü h r t * a l s i c h * davon
89
hab* ** ä :
90
b e s j ä h r ** g e b l i e b e n f
91
dreißich ** habe ich eine * Informationsreise
92
p a l ä s t i n a g e m a c h t * ** w i r w u ß t e n ** d a ß w i r ** i n
93
stina
** w i r s i n d d a n n ** d o r t
erfahren
* etwa * e i n * h a l -
** und im j ä h r e * j a n u a r
achtun-
** nach
palä-
** i n d i e l a n d w i r t s c h a f t g e h e n w e r d e n u n d zwar 54
in
94
e i n e n moschaw * ** obwohl e s v i e l e l e u t e i n d e r
hach-
95
s c h a r a oder * damals waren v / s e h r v i e l e * s c h l i c h i m 5 5
96
** i n d e u t s c h l a n d i
97
s e h e n g r u p p e n * um j u g e n d g r u p p e n ** gekümmert ham u n d
98
d i e n a t ü r l i c h v e r * s u c h t h a b e n ** j u n g e * j ü d i s c h e men-
99
s e h e n ** n a c h p a l ä s t i n a i n = n k i b b u z zu ** b r i n g e n
** d i e s i c h um d i e j u g e n d * j ü d i -
[...]
Nach der Entlassung verschiedene Anläufe zur Umschulung Erich Josef Kahn, * 1908 in Mainz Kaufmännischer Angestellter, Umschichtung (Tischler); 1936 Emigration nach Palästina; Tischler, zwischendurch u.a. in einer Raffinerie tätig. Aufnahme: Kristine Hecker, Kirjat Bialik 1990. Mit teilnehmend: seine Ehefrau Ruth Kahn, * 1909 in Liegnitz. Größerenteils leichte mainzerische Färbung. Innerhalb eines Ehepaarinterviews meist nur kürzere Beiträge; eher spontaner Gesprächsstil, manchmal stockend; teilweise undeutliche Artikulation. Tonqualität: mittel. 1 2
KH: EK: i c h w a : r ä * b e i l e o n h a r d t i e t z
3 4
KH: EK: z e h n j ä h r e * ** b e i t e x t i l l
ä kaufhof
a;t * war i c h *
jai
* herrenwaren*
5
[LEONHARD UND HERMANN TIETZ ALS GRÜNDER VON "KAUFHOF"
6
UND "HERTIE"; 0 : 3 5 M i n . ]
7
EK:
[ . . .] und i c h h a b i n m a i n z h a b i c h ä : g e a / g e l e r n t t
8
u n d b i n d a n n n a c h l u d w i c h s h a f e n gekomm a l s a
9
* und d a n n w e i t e r n a c h e l b e r f e l d und d a h a t m i c h d a s
10
54 55
s c h i c k s a l am z w e i t e n j u l i
*
Substitutt
* neunzehnhundertdreiendrei-
Hebr.: 'Siedlung'; Genossenschaftssiedlung, im Unterschied zum Kibbuz mit Privatbesitz. Vgl. Kap. 3.2. Plural von schaliach (hebr.): 'Abgesandter', meist aus Palästina, zur Organisation der zionistischen Arbeit und Erziehung.
140
11 12
KH: ja* ΕΚ: ßich erreicht* ** bin ich entlassen worden* * hab ich
13
in mainz umgeschichtet* ** wollt ich ja erst ä: (pol-
14
sterei) studiern t· * da hat er angst gehabt der ma/
15
RÄUSPERT SICH ** wo ich gelernt hab hat er gsacht ich ä
16
* ich so/ er war kommunist gewesen ich * würd dich gern
17
nehmen aber ** er warnte vor den nazis* ** und dann bin
18
ich hab ich ä: ä ** chaschmal56 gelernt auch nichts *
19
gewesen wei::l * weil ein jüdischer (der war) kaufmann
20
* in mainz * der war (aus aus) ostjude und da hab ich
21
gelernt! RÄUSPERT SICH ** hab ich zwei monat gearbeitet
22
war auch nichts dann bin ich in die tischlerei gegangen
23
zu XY und XY* * die ham metzgereibedarfsartikel gehabt*
24
** und * da hab ich ein jähr gearbeitett ja* ** (bevor
25
ich ä) * bis ich den gschmack hatte #von tischlerei*# *
26
Κ
27
EK: und bin herkomme hab nix gekannt* ** nicht viel* ** mir
28
#LEICHT AMÜSIERT# hat noch die lehre von drei jähre gfehlt*
[...]
"Frau Doktor Michaelis mit dem Gärtner Micha Michaelis" Dr. Mirjam Michaelis, s. S. 53. Micha Michaelis, s. S. 108. 1
FM: ich will noch hinzufügen daß wir in schniebinchen57 ge-
2 3
AB: hm:t FM: heiratet haben dann* * also bis dahin war das so eine:
4
* freundschaftliche Verbindung und dann ham wir in
5
schniebinchen geheiratet* ** und diese heirat wurde von
6
unsern Zöglingen * so gefeiert daß die einzige kuh die
7
in diesem ä dieser landwirtschaftlichen * ä:: au/ aus-
8
bildungsstätte war * daß sie eine woche lang die milch
9 10
56 57
AB: LACHT VERHALTEN FM: gesammelt haben um schlagsahne zu machen* zu
Hebr.: 'Elektrizität'. S. Anm. 35, S. 108.
141 11 12
AB: das gewußt FM: unserer heirate * zu unserer hochzeit* **
13
AB: hätte hätt ich ihnen: besser schlagsahne heut LACHT
14 15 16
LACHT #ia:: # ** also eine hochzeit mit schlagsahne Κ #LACHEND # FM: LACHT
17 18 19
AB: crab es* aber das war wahrscheinlich * iat iat FM: ja* HM: ich möchte das dazu noch
20
etwas hinzufügend
* der Standesbeamte sagtet ** ja also
21
es is ja eigentlich meine pflicht ihnen dies: * d/ mein
22
kämpf ** z:u übergeben und das kann ich doch nich * ih-
23
nen als juden antunf * und wir g/ ich gebe ihnen die
24
große heiratsurkunde * zum preis der kleinen* ** LACHT
25
auf jeden fall ** ä frau XY ** vor deren von denen frau
26
von XY von denen das gut ge/ * gepachtet war * also im
27
aufruf stand frau doktor michaelis mit dem gärtner m/
28
micha michaelis * frau von XY hat mirjam gerufen hat
29
gesacht sie sollte doch keine mesalliance eingehen*
30 31
AB: LACHT HM: LACHT und * so hat sie qut über ä ä versucht zu über-
32
zeugen das ja nicht zu tunt * was natürlich erfolglos
33
war * und sie hat dann uns doch einen großen rosen-
34
strauß geschenkt*
[...]
Agronomiestudent in Florenz und "troubleshooter"58 auf englischen Farmen Dr. Alfred Abraham Wachs, * 1914 in Berlin Abitur, Volontariat bei Kaufhauskonzern (abgebrochen), 1934-35 Umschichtung in Jugoslawien, Studium an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, 1936-38 Studium (Agronomie) in Florenz, Aufenthalt in der Schweiz; 1939 Emigration nach England, dort u.a. auf einer Ausbildungsfarm tätig, ab 1940 in australischem Internierungslager, 1942 Ankunft in Palästina; kurz im Kibbuz, dann in psychiatrischem Krankenhaus tätig, später israelischer Marineoffizier; nach früher Pensionierung Psychologiestudium und Promotion in der Schweiz, anschließend in Israel in der Schulpsychologie und als Psychologe bei der Handelsmarine tätig; noch heute freiwillig arbeitend. Aufnahme: Anne Betten, Haifa 1990. (Zum Schluß teilweise anwesend: seine Ehefrau.) Leichte berlinerische Färbung. Sehr schriftsprachlich orientierter, überlegter, flüssiger Redestil in teilweise sehr komplexen Konstruktionen. Tonqualität: gut. 58
Engl.: 'Störungssucher'.
142 1
AW:
[...]
i c h f a n d ä n a c h d e m ich d o c h n u n s c h o n e t w a s
mich
2
in d e m g a n z e n k o m p l e x or/ o r i e n t i e r t h a t t e i c h m ü ß t e
3
v i e l l e i c h t a u c h eine b e r u f l i c h e ** b e s s e r e
4
für ** p a l ä s t i n a *
5
nicht
6
** n a c h i t a l i e n zu gehent
7
zije e u r o p ä i s c h e
8
für z i t r u s * * a n b a u ** lehrtet
9
n e n s i s c h e n * j u n g e n leute die d a f ü r ** d i e d a r a n
Vorbereitung
** d e n n israel g a b es ja d a m a l s
noch
** ä: ** e r s t r e b e n ! ** und: k a m auf d e n g e d a n k e n ** in f l o r e n z * w a r das ein-
institut ** das * s p e z i e l l e
ausbildung
** die m e i s t e n ** p a l ä s t i inter-
10
e s s i e r t w a r n g i n g e n * u m diese zeit zwar n a c h b e r k e l e y
11
* in k a l i f o r n i e n t
12
g e l d * u n d f a n d e n es n ä h e r u n d e i n f a c h e r ** in f l o r e n z
13
zu s t u d i e r n u n d t a t s ä c h l i c h einige u n s e r e r g r o ß e n **
14
l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n ** fachleute ** h a b e n dort
15
d i e r t * u n d a u c h * zum teil p r o m o v i e r t *
16
d e r b e k a n n t e s t e name ist r a ' a n a n w e i z ** d e r lange
** a b e r n i c h t alle h a t t e n s o v i e l
59
**
stu-
** v i e l l e i c h t jah-
17
re im k e r e n kajemet
18
innehatte*
19
d r e i ß i c h im s o m m e r n a c h florenz *3* u n d ä:: ** a u f g r u n d
20
meiner lateinischen grundkenntnisse
21
s p r ä c h e r e c h t r a s c h in d e n grifft
22
w i e es ä in d e r a g r o * n o m i e ü b l i c h is z u n ä c h s t ** na-
23
turwissenschaftliche grund*fächert
24
** u n d m a c h t e a u c h d a n n b e r e i t s i t a l i e n i s c h m e i n e
25
sten exament
26
z w e i t e n jähre ** im jähre
27
dreißicht
28
italien*
29
terlandet
30
zikampagne gespürt*
31
s u c h ** ka-.m ** e i n v e r b o t ** für n i c h t * * a r i s c h e
32
d e u t s c h e S t u d e n t e n ** die n i c h t b e r e i t s w e n i g s t e n s
33
S t u d i e n j a h r e h i n t e r s i c h hattent
34
s o z u s a g e n m e i n e n laufpaßt
59
** die * f ü h r e n d e * lei/ p o s t e n
** ich kam also
neunzehnhundertundsechsundsch:/ k a m m i r die
** ich s t u d i e r t e
**
* botanik * Zoologie er-
* n a c h d e m e r s t e n jährt ** d a n n a b e r ** im neunzehnhundertund*achtund-
** ä:: kam es zu d e m e r s t e n b e s u c h h i t l e r s
in
** u n d * in ** d i e s e m ** f a s c h i s t i s c h e n * m u t * h a t t e m a n v o r h e r sehr w e n i c h ** v o n d e r na** a b e r mit d i e s e m e r s t e n
hitlerbe** zwei
** u n d ä:: ich b e k a m
*3* u n d d a m a l s w a r b e r e i t s :
Hebr.: Nationalfonds der zionistischen Vereinigung, Institution für Bodenkauf und Wiederaufforstung in Palästina/Israel, 1907 in Großbritannien gegründet.
143 35
* * die möglichkeit rasch ein Zertifikat
36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55
nicht so sehr * groß! [...] [AUFENTHALT IN DER SÜDSCHWEIZ; AB 193 9 IN ENGLAND; SCHICKSAL SEINER FAMILIE; 8:45 Min.] [...] wie ich nach england kam will ich ganz kurz beschreiben ä: wie gesagt ich erzählte schon daß der damalije ** premier von britain ä: baldwin ** ä: also diesen erlaß: ** ä:: ** gab daß jüdische jugend ** aus den naziländernl ** das war eben immerhin damals im ende achtunddreißich schon nicht nur deutschland das war einschließlich auch Österreich ** und etwas später hm: 1 auch die tschechoslowakei: t· ** ä: zur durchreise nach: ** ä: ** britannien kommen könnten* ** und von zionistischer seite ** hatte sich damals gleich ein aktionskomitee gebildet dem unser jetziger bürgermeister von hm: Φ * ** jerusalem teddy kollek sowie der leider viel zu jung verstorbene georg josephthal60 *3* ä:: angehörten und da:: diese mich aus der jugendbewegung kannten ** warn sie auch ä: sehr interessiert ** und baten mich
AW:
AB: AW:
AB: AW:
zu bekommen
56
der damals noch in der Schweiz war * bei der arbeit
57 58 59 60 61 62 63 64 65
mitzumachen! ** und so kam ich ganz früh neunzehnhundertneunundreißich * nach england* *3* bekam dann eine ganz interessante erste aufgabe vom ** refugee * komiteet ** ä:: ** ein großer teil: * der * leute die damals schon eingewandert waren spontan* ** hatte man über ganz england * an verschiedene bauernhöfe die sich bereit erklärten leute aufzunehmen geschickt und das war=s * recht problematisch* denn die meisten dieser jungen manner und auch frauen * ä konnten * ä weder
66
englisch noch hatten sie sehr viel ahnung von landwirt-
67 68 69 70
schaft* ** es gab also da recht ä: * große probleme* * und da bot sich eine gelegenheitt nämlich in der nähe von ä london * im süden ** gab es eine * ausbildungsfarm die der heilsarmee gehörte* ** die heilsarmee hat-
60
S. Anm. 50, S. 137.
144
71
te die ursprünglich für die slum*-jew-jugend aus li-
72
verpool und london und glasgow ** vorbe**reitett
73
die leute ** nach * den kolonien auswandern würden mit
74
einer gewissen grundausbildung*
75
der andrang ** der englischen und * schottischen
76
nicht so g r o ß ** und die:: ** leitung der heilsarmee
77
war * interessiert und erlaubte also dreihundert 61
damit
** aber offenbar war jugend
** jü-
78
dischen * chaluzim
** dort ** auf der farm ** ihre ein
79
training zu beginnend
80
ich gernet
81
lang geleitett
82
inzwischen war das durcheinander der ** stellen in ganz
83
britannien ** so arg daß man ** irgendeinen ausweg *
84
brauchtet· und * ich bekam dann * das * die aufgabe
85
troubleshooter*
86
suchen um zu sehen was man denn da eigentlich überhaupt
87
machen könnte* denn das war also wie gesagt alles sehr
88
spontan geschehend
89
recht wie würde was kann man da * jetz machen*
90
ich bin ä wirklich damals:: ** durch ganz britannien
91
gereist von ** ort zu ort wo * farmen * warent wo je-
92
weils einer manchmal zwei oder eine kleine familie von
93
* emigranten warent
94
von der situationt
95
fe von lokalen ä ** ä fachleuten und in und und auch ä
96
gönnernt
97
daß also ** solche * farmen im umkreis von fünf
98
oder fünfzehn kilometernt
99
bekamen ** sich einmal bis zweimal in der woche ** auf
* und ä: diese arbeit ä: übernahm
** und habe sie auch ä: ** einige monate ** bis ä: ** man mich ** abrieft
** denn
als
** ä die englischen diese farmen zu be-
** und ä: ** ä man ä wußte nich ** ä::
** und habe mich überzeucht
** ä: *
* es gelang mir tatsächlich mit hil-
** ä: dann * kleine Zentren zu schaffen*
**
zehn
** wenigstens die möglichkeit
100
dem fahrrad oder mit dem autobus zu treffent
101
sich aussprechen zu könnent
102
mit hebräischem Unterricht
103
fall um eine gewisse ** ä: * verständnu/
104
zu schaffent
105
wohl denn die wußten die warn ja alles sehr: wohlge-
61
* um **
** auch da ** begannen wir * natürlicht
** auf
jeden
verständijung
* das tat übrijens auch den farmern
Plural von chaluz (hebr.): 'Pionier'.
selber
145 106
sinnte * leute und ä: * ä:: das ganze war eine rechte
107
enttäuschung*
108
reichen probleme die sich ergaben* ** ä: ich habe diese
109
arbeit bis zum kriegs*beginn*
110
sten * Septembert
111
griff deutschland polen ant und am dritten * September
112
* erklärte england * deutschland den krieg* ** damit
113
hörte die * einwanderung automatisch auft
114
kein * nachwuchs mehr * vom kontinentt
115
hatte keine lust in einem büro sitzen zu bleibent
116
habe damals selber zwei arbeitsstellen angenommen eine
117
nach der andern im ** norden von england und im süden
118
von schottlandt
119
landwirtschaftliche praxis getan* ** das hatte aber
120
dann am zehnten mai ** neunzehnhundertvierzich
121
ein endet ** denn ich saß morgens beim melken in einem
122
schottischen ** stall * kuhstallt
123
zeioffiziere erschienen und sachten ja sie müßten lei-
124 125 126
* die die probleme die die da die zahl-
** ausgeführte
* am er-
* neunzehnhundertneunundreißich
**
** es kam
** und ä: ** ich und
** und habe noch etwas für meine **
** auch
** als zwei * poli-
AB: #interniern*# Κ # LEISE # AW: der * me:/ ja mich:: bitten mitzukommend
** ä
127
allerdings: ** lud ich sie erst noch zum frühstück eint
128
** und wir fuhrn dann sechzich oder siebzich kilometer
129
in die nächste kleine provinzstadtt
130
brightshiret
131
von dem * countyt
132
nach glasgow * nach edinburght
133
einhalb stunden kam man zu mir entschuldigte sich und
134
sachte ja ** wir haben ** das machen müssen aber es hat
135
sich s hat sich nämlich * herausgestellt
136
ihrem paß nach bereits also ein ** victim of nazi
137
oppression ** und ein friendly alienf ** aber sie sind
138
der einzije * ausländer in unserm ganzen ** in unserer
139
ganzen countyt
** nach kircud-
** kircudbright so heißt die * hauptStadt ** und man begann zu telefonierend
*
* und etwa * nach zwei-
sie sind ja
140
[UNTERBRECHUNG AUS TECHNISCHEN GRÜNDEN; 0:15 Min.]
141
AW: ä: * ja also man brachte ä mich zurück * auf meine
142 143
AB: hm:t ** AW: farmt und entschuldigte sich nochmals sehr höf-
146 144
l i e h a b e r ** ä : m i r war d o c h n i c h s o r e c h t
zumutet
145
u n d * i c h b a t m e i n e n f e r / f a r m e r ** zu v e r s t e h n d a ß i c h
146
doch vielleicht
147
r ü c k k e h r e um zu s e h n was d o r t w e i t e r g e s c h i e h t !
lieber n a c h london ins Zentrum
**
* zu-
[...]
Freiwillige Meldung zum Umschulungsleiter in einem Lager Ishak Naor (ehem. Lerner), * 1910 in Bielitz, aufgewachsen in Mährisch-Ostrau Mitarbeit in der Kartonagenfabrik des Vaters; 1939-40 und 1942-44 in verschiedenen Lagern, dann im Untergrund; 1946 Emigration über Ungarn und Italien nach Palästina; anfangs Mitarbeit im Betrieb des älteren Bruders, dann gemeinsam mit dem jüngeren Bruder selbständig (Kartonagen, Elektronik). Aufnahme: Kristine Hecker, Tel Aviv 1990. (Großenteils mit anwesend: seine Ehefrau FN.) In phonetischer Hinsicht hochösterreichische Basis mit mährisch-schlesischer Färbung; auffällig: nichtstandardsprachliche Numerus- und Kasus Verwendung, Wortstellungsbesonderheiten, v.a. Verbzweitstellung im Nebensatz, keine Satzklammer im Hauptsatz (tschechischer oder jiddischer Einfluß?). Lange Erzählpassagen mit klarer, einfacher Satzgestaltung. Überwiegend langsam sprechend. Tonqualität: gut bis mittel. 1
IN: i c h b i n a u s m ä h r i s c h - o s t r a u !
** u : n d ä : :
** w i r
hatten
2
zu h a u s e e i n e * k a r t o n a g e f a b r i k ! *4* u n : d ä :
** RÄUS-
3
PERT SICH ** wurde m i r v o r g e s c h l a g e n i c h s o l l
4
b ü r g e i n e ** u m s c h u l u n g l e i t e n !
5
w a r ** z u r z e i t
6
die juden s o l l e n sich ä:
7
s c h o n g e s p r o c h e n a u c h von ä * d e p o r t i e r n t
8
meinte das wird v i e l l e i c h t
9
d a s g e m a c h t t und e s war * g a n z g u t g e w e s e n t
** b i s
10
die:
** e i n e s
11
war davon i n noväky! * d a s i s t v i e l l e i c h t
12
kannt aber * die Stadt t o p o l ' c a n y die i s t eher
13
** i n d e r m i t t e l s l o w a k e i !
14
zwar e i n e n g u t e n p o s t e n ** a b e r man h a t m i c h :
15
wie s o l l
16
g e r e d e t o d e r ** (ma h a t )
17
g e m e l d e t ! i n d i e s e s l a g e r ! d a s m e c h t man n i c h t
in
preß-
** RÄUSPERT SICH d a s
** a l s d a r ü b e r g e s p r o c h e n w u r d e t ** u m s c h u l e n t
** e s wurde ** un man
e t w a s h e l f e n ! ** n a i c h h a b
** d e p o r t a t i o n s l a g e r e r r i c h t e t w u r d e n t
nicht
bekannt!
18 19
KH: n ä : ! *3* IN: * a l s o wir haben d o r t
20 21
KH: u m s c h u l u n g s s t e l l e IN:
hatte
** ä : *
(mich v i e l l e i c h t )
** und i c h h a b m i c h
eben
so be-
** SCHLUCKT a l s o ** i c h
i c h s a g e n ! *3* ma h a t
** ä : ä
* daß
zu-
freiwillig glauben!
und wurde d e n n d i e **
aufgehörtt d i e u m s c h u l u n q s / ä wurde a u f /
147
22 23 24
KH: ja* IN: hat nicht mehr geholfen* denn ** ma hat gemeint es wird helfend aber ** das hat es dann nichts so zu* und die
25
deutschen wollten juden habent
26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53
wollten die juden loswerden * also ** (war) darüber wer hatte die stelle früher nicht was zu sprechen* ** eingerichtet eine zionistische organisation oder eine nein* slowakische* das ist die: ** ä:: ** ustredna zidov* das heißt ja* ** jidische: * zentrale* * die ham das da gemachtΐ ** und ich hatte sogar ** einige schülert ** welche schon so gut konnten und die haben in der ** staatlies war eine chen buchdruckerei ** arbeiten können* * nur eine druckereit oder auch andere berufe* +nein* nein* das war ich habe ** über papierverarbeitung a ja* unterrichtet* ** alles über diesen fach* natürlich sehr ** sehr ä: w/ was konnte man da viel * erzählen* ** aber immerhin hatten die irgendeine ahnungT ** und ä: die meinten die suchten vor alle(m) facharbeiter* [MIKROPHONPROBLEME; 4 Sek.] die suchten eben facharbeitert und die meinten da hier ** werden sie ** den mangel beheben können* ** also da warn zwei schülerT ** und eine schüler/ ich hatt vielleicht dreißig* ** und eine schülerint und * die zweite war meine frau* ** LACHT VERHALTEN ** wir warn auch
54 55 56 57 58 59 60 61
KH: IN: KH: IN: KH: IN: KH: IN:
KH: IN: KH: IN: KH: IN:
IN:
** und die Slowaken
KH: IN: KH: ihre frau is jünger* IN: schon verlobt gewesen* damalst ** KH: nichtt * ja* IN: meine frau ist zwölf jähre jünger* *4* und wir haben auch die * befreiung bekommen nicht den judenstern zu tragent ** bezahlung war keine* ** jedenfalls von bezahlung * war keine rede* ** aber es war auch schon gut daß man ** irgendwie geschützt war* * und das
148
62
war sehr viel wert! denn manche hätten * viel geld be-
63
z a h l e n w o l l e n dafürI
[...]
149
2.3 Auswanderung bzw. Flucht nach Palästina zwischen 1935 und 1940 (mit Zertifikat, Jugend-Alija, Touristenvisum oder illegal)
Mit dem 1000-Pfund-Zertifikat noch viele andere gerettet Dr. Erich Beqjamin Popper, s. S. 123. Charlotte Popper (geb. Levinsky), * 1898 in Preußisch Stargard Mathematiklehrerin in Hamburg; 1936 Emigration nach Palästina; Hausfrau, u.a. journalistisch tätig. Sehr hochsprachlich, sorgfältig artikulierend und langsam sprechend. Sicher formulierend, häufig komplexe Satzkonstruktionen. Brüchige hohe, aber laute Stimme. Aufnahme: Kristine Hecker, Rechowot 1990. Mit teilnehmend: ihre Tochter Kela Marton, s. S. 123.
Tonqualität:gut bis mittel. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
KH EP KM KH EP KM KH EP KH EP KM KH EP KH EP CP KM CP
KH: CP: KH: CP: KM: CP: KH: EP: CP:
is sind sie mit einem Zertifikat noch rausaekomment i a* ia "ja +un was hatten siet * ja:1 (vom ???)* ich hat/ wir hatia* also kapitalistenzertifiten immerhin etwas aeld* * tausend pfund kat* und das bezog sich ia auch nich ia* hatten wir hier insofern ja* ja* ** auf die families da mußte jeder ja eins haben* net jeder erwachsene glaub ich* +nein* die familie durfte ja: * nachkommen* aufgrund * beides* * weshalb * wir mit einem aha* tausend-pfund-Zertifikat ** ä haben die engländer erlaubt die einwanderung* ** und da hatt ich die tausend pfundT ** und hab die vorgezeicht und da durften wir und konnten sie noch sachen mitnehmen* * einwandern* ia:* * ia:* (das viele qe/ ia*) alles* * de:/ es das war in der ersten zeitt ja* ** da wollten die nazis die juden ä direkt loswerden* i a: * sechsundreißich* RÄUSPERT SICH ** und haben ihnen die auswanderuna erleichtert* **
150
31 32
KH: j und so kam ich hierher! ** mit dem tausend-pfund-zerCP:
33
tifikat ** da hab ich sehr viele ** jüdische leute ge-
34
rettet! ** ich hatt es auf der bankt * und dann kamen zu mir * leute ** und wollten ihre angehörigen rausholen! * dann hab ich diese tausend pfund * auf den namen
35 36 37 38 39 40
KH: ja:! die auch CP: von iener eingezahlt? ** u/ und dann konnten sie KH: wieder! CP: das vorzeijen!
Jeckische Auswanderungsvorbereitungen Abraham Frank, * 1923 in Flacht bei Diez (Rheinland-Pfalz) Gymnasium in Stuttgart; 1936 Emigration nach Palästina; anfangs Volksschule, Schreinerlehre, dann Vertreter für Bücher und Kunstreproduktionen, später Mitarbeiter bei zionistischer Organisation, zuletzt im Irgun Olej Merkas Europa (Einwandererorganisation) tätig. Aufnahme: Anne Betten, Ramat Gan 1991. (Gelegentlich kurz mit anwesend: seine Ehefrau.) Leichte südhessische Färbung. Tendenz zu sehr komplexen hypotaktischen, fast immer normgerecht durchgeführten Satzkonstruktionen. Tonqualität: gut.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
AB: konnten sie noch alles mitnehment wie ist die auswanderung selbst verlaufen! * die auswanderung verlief: #wie AF: Κ # AF: man das heute hier nennen würde der begriff is ihn ja Κ AMÜSIERT j a! * AB: AF: wohl bekannt * auf jeckischste art und weise!# Κ # AF: ich habe nach wie vor das dossier meines vaters ** ä : das aktenstück in dem er genau aufzeichnete was er eingekauft hatte * und was er in den lift62 gepackt hatte
13 14
und wie er sich vorbereitet hatte * mit den heften ä: für die Umschichtung des palästinaamtes63 '* es wurde al-
15 16
les bis auf die kleinste hacke und ä je:/ * kleidungsstück und dergleichen mehr * ä: von vornherein vorbe-
62 63
Art Container (oft aus Holz). S. Anm. 38, S. 110.
151
17
reitet
18
man d a s n a n n t e * ä s t e h t
19
w i r s e h e n g r a d e auf
* ä: gepackt
* a u f g e l i s t e t und ä : d e r l i f t n o c h h e u t e i n meinem
ihn in diesem l i f t
wie
garten
brachten
meine
20 21 22
AB: AF: e l t e r n Κ
23 24
AB: s e s g a r t e n h ä u s c h e n f AF:
25 26
AB: d a s i a e i n f a m i l i e n s c h r e i n ! mehr o d e r w e n i g e r f ü r s i e ! AF: das i s mehr o d e r
27 28
AB: ahat AF: m i n d e r i a ! d e r s t a n d z e h n i a h r e
wie sagen s i e d i e auseinandergenommeni
* ihr # mobiliar # * is #[mobila:r] #
d a s war i h r l i f t T dieses gart/
ia
och dann ial
lang in migdal bei
29
berias!
* i n d e r S i e d l u n g wo w i r l a n d e t e n ?
30
d i e möbel und d i e k l e i d e r und d i e ä :
31
und d i e :
32
und d e r s c h l a u c h und so w e i t e r und so f o r t !
33
a/
34
b i l d e r und d e r d i n g e d e r dokumente und d e r
35
ä : :m * / e r b s t ü c k e !
36
konnte!
ä::
**
ti-
* darin
warn
gartengeräte
g u m m i s c h u h e u n d a l l e s was w i r
inklusive natürlich
is ia!
mitbrachten * alles
*
s e i n e r b ü c h e r und s e i n e r ä :
* von denen e r s i c h n i c h t
** ä
familien/ trennen
Zertifikat für Hilfe beim Aufbau einer Fabrik Erna Clara Jacob, * 1892 in Berlin Buchhalterin in verschiedenen Betrieben, zuletzt in einer Kohlepapierfabrik; 1937 Emigration nach Palästina; in einer neugegründeten Kohlepapierfabrik in Tel Aviv tätig (u.a. Buchhaltung). Aufnahme: Kristine Hecker, Tel Aviv 1989. Leichte berlinerische Färbung. Ruhiger, aber flüssiger Redestil; interviewerorientiert. Tonqualität: gut bis mittel. 1 2 3
KH: u n d w i e s o s i n d s i e g l e i c h s i e s i n d
g l e i c h nach i s r a e l oder e r s t nach p a r i s EJ:
4
bin:
5
großer
ich bin g l e i c h hierhergekommeni zufallt
(gekommen)i n e i n nein-t-
* d a s war e i n
** i c h h a b e * i n b e r l i n g e a r b e i t e t
6
KH:
7
EJ: e i n e r k o h l e p a p i e r f a b r i k
ich ganz
in
ja: Φ falls
ihnen das e i n b e g r i f f
8
** u n d w i r h a t t e n e i n e n l i e f e r a n t e n t
9
g e s zu meinem c h e f
10
offensichtlich
*4* d e r e i n e s
kam u n d zu ihm g e s a g t
ist ta-
h a t t e was w ü r -
d e n s i e d a z u * m e i n e n * wenn i c h n a c h p a l ä s t i n a
gehe
is: 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
KH: EJ: KH: EJ: KH: EJ: KH: EJ:
25 26 27 28 29 30 31 32
KH: EJ: KH: EJ: KH: ΕJ:
33 34 35 36
KH: EJ:
37 38 39 40
KH: EJ:
41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51
KH:
und dort eine kohlepapierfabrik (an???)l ** und da hat der eben zu ihm gesagt* ** sehr schönt ** ich geb ihnen alles mit was sie brauchen können* * ich geb ihnen auch die rezepte mit* ** und dann hat er gesagt und dann ** soll er mich mitnehmen* ** denn ich hatte doch so ein bißchen technische * ä durch * fünfzehn jähre hindurch ach * so verschiedene technische ** kenntnisse erworben* fünfzehn jähre warn sie dann in der fabrik* da war ich funfals zehn jähr in berlin* * ich war vorher woanders* * buchhalterin dann* net ** ich war als buchhalterin da aber * ich mußte auch ** ä: viele technische sachen mitmachen* ** und da ich davon einen: ** Schimmer gehm:* habt habe* sagen ma mal* * bin ich natürlich überLACHT VERHALTEN schätzt worden! * das sag ich ihnen* * ** aber der hat * der hat dann zu mir mich endlich gefragt ob ich mitgehn würde* ** und da hab ich gesagt ja und da hat mußte er mir * das Zertifikat besorgen* ** handwerker* * wahrscheinlich net er ging dann fünfündreißich hierher* ** und ich habe die ganze korrespondenz mit den maschineneinkäufen und mit allem gemacht* in ja:* ** deutschland noch* * das dauerte etwas lange mit dem Zertifikat* ** das hab ich dann bekommen* * ja siebenundreißich* ** das ging auch noch denn da * ä: ging auch noch beinahe schief* das ham se * an ne falsche adresse geschickt* ** und das ging zurück* und durch zufall hatte ich eine bekannte dort * die hat das gesehen* * daß das zurückgekommen is* ** und hat mich angerufen und hat gesagt kommen se sofort her* * sonst ist ja:* *
EJ: das: Zertifikat weg* *
dann gibt man=s einfach
KH: jemand anders* ia:* EJ: nich* ** na also ich: hab das noch ge-
153 52
schafft und bin dann * siebenundreißich: ä: ausgewan-
53
KH:
ja:* **
54
EJ: dert* * ich bin ausgewandert mit möbelnf
**
55
denn * der gedanke * irgendwoanders zu wohnen war mir
56
immer schrecklich*
[...]
Es gab kein anderes Land in dieser Zeit Gabriel Walter (ehem. Herbert Walter), * 1921 in Simötzel (Pommern) Gymnasium bis 1935, Vorbereitungskurs; 1936 Emigration nach Palästina; anfangs mit Jugend-Alija im Kibbuz, seitdem im Moschaw (Landwirtschaft). Aufnahme: Anne Betten, Sde Warburg 1991. Mit teilnehmend: seine Ehefrau Käthe Walter, * 1925 in Katscher (Oberschlesien). Hochlautung (interessant im Vergleich zu seinem Bruder Michael, s. S. 335). Klares, sicheres, oft sehr nachdrückliches Erzählen. Tendenz zur Dehnung einzelner Silben. Tonqualität: gut. 1
AB:
[. . . ] ab wann ham sie ä si/ * einen * kontakt zum zio-
2
nismus bekommen* ** wann is es für sie selbstverständ-
3
lieh geworden daß sie nach palästina gehen werden und
4
nicht in ein anderes auswanderungsland*
5
GW:
** ja das ist
6
eine sehr schwere frage* * bei uns zu hause im ä: hause
7
war man * deutsch* * deutsch deutsch deutsch* * und
8
erst dann * war man: ä:: ä:: deutscher jude mosaischen
9
glaubens* ** und mit ä:: Zionismus haben wir sehr we-
10
nich zu tun gehabt* mein vater war mitglied der des
11
Zentralvereins deutsch/ * deutscher juden jüdischen
12
glaubenst
13
mit der jugendbewegung zusammengestoßen * die:: ä:: *
14
wo man über palästina und solche sachen gesprochen hat*
15
* und * um ganz ehrlich zu sein ich bin auch nach palä-
16
stina gekommen eigentlich * weil das die erste möglich-
17
keit war wohin ich auswandern konnte* ** nich ä aus ir-
18
gendwelchen ideologischen: ä:: gründen sondern ganz
19
einfach ä * s gab gar keinen ander/ kein anderes land
20
wohin man hätte auswandern können* * in dieser zeit*
* und ich bin erst in kolberg * ä:: irgendwo
154
Gerettet durch Verwandte in Amerika Josef Stern (ehem. Helmut Stern), * 1921 in Gießen Realgymnasium, 1 Semester Jeschiwa; 1936 Emigration nach Palästina; anfangs mit Jugend-Alija im Kibbuz (u.a. Orangenplantage), später beim Telegraphenamt, Berufssoldat, schließlich Bibliothekar an der Universität; einige Veröffentlichungen. Aufnahme: Anne Betten, Haifa 1991. Leichte hessische Färbung. Gewandter, flüssiger, rascher Sprechstil mit sehr korrekten, zum Teil komplexen Satzkonstruktionen. Modulationsreiche Stimme. Tonqualität: gut.
1
JS: [. . . ] also diese verwandten diese reichen verwandten
2
saßen in * amerikat * mein vater wußte noch von ihnenf
3 4 5
** diese verwandten hatten ** ein kinderfräuleint *3* die später sehr berühmt wurde es war die henrietta szold64 ** die die ä: * jugend-alija betreut hat sie
6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
64
AB: hmhm-t· JS: hat sie nicht gegründete sie hat sie betreute ** und diese henrietta szold hat den * diesen sonneborns gesagt oder den sterns wie sie eben grade da warenl ** seht mal ihr seid doch so reiche ** tut doch etwas für die deutschen judene ** daraufhin haben die: * sonneborns und die sterns in amerika ** ihr kapital oder a teil von ihrem kapital dafür verwun/ verwendet * um die #gesamte * jugend# * unserer families ** die ich selbst Κ #BETONT # JS: überhaupt gar nicht kanntet * die überall verteilt war in ganz deutschlande ** in die jugend-alija hineingerettete ** ich bekam ganz plötzlich ** die aufforderungt ** zur alija zur einwanderung * bereit zu seint ** äm einige zeit später meine schwester aucht * weil es handelt sich um jugendliche im alter zwischen fünfzehn und siebzehn jahrene ** und wir wurden * durch diese familie ganz plötzlich herausgerettete * wenn das nicht gewesen wäre * wäre ich heute rauch in auschwitze * meine schwester auche * das=s ganz klare [...]
(1860 Baltimore - 1945 Jerusalem), Leiterin der Jugend-Alija (s. Einleitung, S. 14).
155
Ausreise zu Kriegsbeginn Gershon Monar (ehem. Günter Mundstock), * 1924 in Leipzig Gymnasium, Privatschule (nicht beendet), Umschichtung (Landwirtschaft); 1939 Emigration nach Palästina; zunächst Mitarbeit in der Landwirtschaft der Eltern, dann Busfahrer, schließlich Reiseleiter. Aufnahme: Anne Betten, Haifa 1991. Nur gelegentlich deutlichere sächsische Färbung. Ruhiger, weitgehend normgerechter, parataktischer Berichtsstil. Tonqualität: gut.
1
AB : da/ d/ darf ich noch ma fragen w/ wie sind sie gefah-
2 3
GM:
4 5
AB: triestT oder wie wie war * wie war die fahrt* GM: hm: i : a : * das
6 7
AB: sie ham zu GM: ganze:: abenteuerliche anaeleqenheit wir * durften
8
AB: hause alles verkauft* und lift65 geschickt oder w/ er-
reni einzeln dann* und ä ä
mit=m schiff rüber* von jaj_* war ne
zählen sie mal η bißchen aenauer aus der * wie wie=s ä: :
9 10
GM:
11 12
AB: gegangen is* * ο ja: das war auch alles sehr aufregend* GM:
13
* RÄUSPERT SICH * man durfte ja überhaupt nix mitnehmen
14
was irgend η wert hat* ** und mußte genaue listen ein-
15
reichen vorher* * ä: und als wir den lift gepackt ha:m
16
da kamen ich glaub drei leute warn das* Zollbeamte* *
17
und die ham jede sache nachgekuckt die man rein*t:ut in
18
den lift* ja* * und ä:: BRUMMT dann w/ und das wurde
19
dann versiegelt ja* * aber der lift is nie angekommen*
20
der is in hamburg stehengeblieben ** und is bombardiert
21
worden und SEUFZT weg war er* * sehr zum: zur trauer
22
meiner mutter die hat zeitlebens das nich * verwinden
23
können daß ä: * sie ihre ganzen andenken von der kind-
24
heit und vom eiternhaus die wasche und all so etwas *
25
ä: dabei verloren hat* und wir hatten nur * hm:: * kof-
26
fer mit also: meine eitern warn und * ich und meine
27
schwester die is fünf jähre jünger wie ich ** und ä: **
28
ö:: wir sind mit der eisenbahn nach triest gefahrn wie
29 30
65
+gab=s da noch von verwandten abAB: GM: sie schon sachten und S. Anm. 62, S. 150.
156
31
AB: schied* oder warn schon die meisten gegangen und f/
32
nachbarn mit denen man noch kontakt hatte nichtjüdi-
33 34
GM:
35 36
AB: können sie sich erinnern* * klassen/ GM: da:: ich kann mich erin-
37 38
AB: +klassenkameraden irgendwas oder is das alles GM: nern*
39 40
AB: schon sehr separat vor sich gegangen* GM: nein es war schon auch
41 42
AB: hm: * GM: in halle nich mehr unsre orginale wohnung* wir
43
sehet * war das überhaupt in der zeit noch da* * hm: η-.ein*
mußten schon umziehn ich weiß nich mehr genau warum das
44 45
AB: ja* GM: war das war in der zeit wie ich schon in winkel 66 war!
46 47
AB. hm: Ψ hmhm* GM: * ich bin dann nur von winkel nach hause gekommen
48
zum einpacken gewissermaßen * und dann sind wa abge-
49
fahrn* ** und das war auch alles sehr dramatischt also
50
* wir waren froh und glücklich wie wir die deutsche
51
grenze: hinter uns hatten* gewissermaßen der abschied
52
is uns überhaupt nich schwer gefallen ** und ä: wir
53
warn dann auf einem schiff des war η italienisches
54
schiff * die galilea* die is ständich zwischen triest
55
und haifa hin und her gefahrn* * und die is wieder zu-
56
rückgerufen worden als wir in kreta warn ** ä: weil der
57
krieg ausgebrochen war* * und wir ham dann: ä: einige
58
tage in triest gestanden* ** ä:: und ä: ** ich glaube
59
daß sich dann die sochnut67 da irgendwie eingemischt hat
60
und ä: * hm: und die Italiener warn dann wirklich sehr
61
human und * ham uns dann doch noch ä nach haifa ge-
,62
bracht* * aufgrund einer zusage von den engländern daß
63
das schiff nich ä: ** ä beschlagnahmt wird * ä wenn es
64
hier im krieg ankommt* ** und wir sind dann tatsächlich
65
im krieg hier angekommen am neunten * September* * ich
66
hab mir das gut gemerkt weil das war der neunte neunte
66 67
Gut Winkel: ein Hachschara-Gut (s. Aran. 14, S. 50) bei Berlin. Hebr. Name für Jewish Agency (for Palestine); 1922 gebildetes Organ der Zionistischen Weltorganisationen, um den Aufbau und die Entwicklung von Erez Israel zu unterstützen.
157 67
n e u n z e h n h u n d e r t n e u n u n d r e i ß i c h u m n e u n u h r abendst jat *
68
u n d ä: ** die leute * ä: ich e r i n n e r e m i c h n o c h d i e
69
k e i l n e r u n d auf dem schiff die g a n z e b e s a t z u n g * die
70
w a r n s c h o n seh::r deprimiert w e i l die s c h o n w u ß t e n d a ß
71
sie n u n in krieg mußten* jat * d a s schiff is d a n n
72
g l e i c h w e i t e r g e f a h r n als t r u p p e n t r a n s p o r t e r o d e r
73
so etwasi ** u n d ich glaub es is a u c h s o g a r v e r s e n k t
74
w o r d e n a l s truppentransporter n a c h h e r ich w e i ß n i c h ge-
75 76
irgend
AB: hmhm* GM: naul * galilea*
Illegaler Transport: Nach mißglückter Zugausreise dramatische Schiffahrt Lisi Vardon, s. S. 90. 1
LV: also * w i r h a m diesen * w i r ham u n s angemeldet* u n d w i r
2
s i n d m i t d e m illegalen transport * weg* * w i r m u ß t e n
3
u n s am b a h n h o f treffen* ** mit rucksackt u n d e i s e r n e m
4
proviantt
5
w a r n a t ü r l i c h nicht so e i n f a c h w e i l m a n w u ß t ja n i c h
6
w o h i n m a n kommt w a s m a n kommt o b m a n die leut u n u n d
für=n p a a r taget * u n d sonst nix* ** u n d es
7 8
AB: was ham LV: m a n seine leu/ v e r w a n d t e n nochmal s e h e n wirdt o d e r
9 10
AB: sie gepacktt u n d wie war ihr a b s c h i e d v o n d e r muttert LV: w a s
11 12
AB: LV:
**
hm * ich m u ß sagen ziemlich normal* i c h w e i ß n i c h
13
w i r h a m u n s irgendwie * möcht fast s a g e n g r a n d i o s b e -
14
nomment
15
s e l b s t v e r s t ä n d l i c h g e m a c h t ! * ich w e i ß n i c h t ob alle so
16
warent * a b e r mit einer s o l c h e n
17
** etwas h m gehofft die w e r d e n d a n n s i c h a u c h d a s ä: e/
18
auf irgendeine weise ** e b e n h i n a u s k o m m e n * m a n w u ß t e
19
n o c h n i c h t w a s so fürchterliches k o m m e n wirdt * d e n n
20
ich b i n d o c h im ä im: September a c h t u n d r e i ß i g
21
raust also * das w a r d o c h ganz am a n f a n g d a w u ß t e m a n
22
ja n o c h nicht * was alles sein kann* ** u n : d ** w i r
* k e i n geheul u n d k e i n d i n g s s o n d e r n alles so Selbstverständlichkeit
schon
ja
15? 23
sind weggefahrnt
24
tember war das dann! also wir sind * am einundreißig-
* das war ** ich glaube am ersten Sep-
25
AB:
26
LV: sten ä: was kommt vor septembert ** ä
ä august4» augustΨ
LACHT
27
also wir sind ä ä rausgefahrn! ** und sind mit der bahn
28
weg! SCHLUCKT es war natürlich ** schauderbar wenn ich
29
so darüber nachdenke diese vielen begleitungen* und
30
diese vielen hunderte von menschen die da weggefahrn
31
sind* * also e:s hat schon sich: ham sich schon tragö-
32
dien abgespielt* auf dem bahnhof* * un man is endlich
33
im zug * und da sind leute drin gewesen zum beispiel in
34
meinem coupe war ein vater eine mutter * und vielleicht
35
vier kinder* ** und sie müssen * die leut ham alles
36
aufgegebent verkauft* gemacht* denn die fahrt war ja
37
auch nicht sehr billig diese illegale reiset ** und
38
sind da drin gewesen* und wir sind abgefahrn! ** und
39
wir sind fünf minuten nach zwölf * nach arnoldstein
40
gekommen! arnoldstein ist die grenze zwischen italien!
41
* und Österreich* ** und wir sind fünf.minuten nach
42
zwölf * in arnoldstein angekommen! und die grenze war
43
gesperrt* ** die italienische grenze war gesperrt* und
44
mir sind dort gestanden* * un man hat uns nicht durch-
45
lassen* ** und so sin=ma gestanden* gestanden gestanden
46 47 48 49
gestanden* ** man hat nicht gewußt was mit uns sein wird* es war ne fürchterliche aufregung* ** und so sind wir acht tage dort gestanden! ** z/ * ein glück wir hatten die sogenannte eiserne reserve * ä: ä wenn einer
50
rausgehn mußte das war eine ga/ eine ganz große furcht-
51
bare sache man durfte gar nicht aus=m zug! ** im gründe
52
genommen! ** und voll und stellen sich vor ganze fami-
53
lien* mit kindern* mit das und man is acht tage un man
54 55 56 57 58 59
wußte nich* und damals hat es schon geheißen * dachau! ** der name dachau war schon bekannt* ** man hat ihn nur und das is wieder diese.* ignoranz * der leute* * man hat doch dachau gekannt von deutschland aus her* ** und man hat überhaupt nicht sich darum gekümmert* ** man hat überhaupt das nicht als war das gar nicht das
159
60
hat mit mir nich/ * uns nix zu tun! man war so ignorant
61
* für all das was sich von dreiundreißig bis achtun-
62
dreißig abgespielt hatΨ * und später ham=s die andern
63
genauso gemachte und machen=s noch heute auchi ** die
64
menschen denken nicht klar* ** über Situationen nach*
65
** und ** so sin=ma acht tage gestanden bis eines tages
66
* es war eine fürchterliche ä situation* schon* ** ei-
67
nes tages * ham wir eine versi/ mit vers/ hat sich der
68
zug in bewegung gesetztΤ * mit versiegelter order* *
69
das heißt wir wußten nicht wohin* * wir sind von sta-
70
tion zu stationt ** mit versiegelter order gefahrn* *
71
und natürlich is:: * alles hat geheißen das geht jetzt
72
nach dachau* ** ja* oder * damals war arnoldstein war
73 74
AB: arnoldsteint LV: der war ein ein lager in Österreich*
* das war ja*
75 76
AB: doch die grenze* ** LV: nein a wie hat das geheißen der hm
77 78
Κ
79 80
AB: LV: das in Österreich das ä lager* hm ä: mauthausent
81
AB:
82
LV: wie nichtt ich weiß nich* * also es gab auch da auf al-
SCHNALZT * nicht arnoldstein #wie hat das # geheißen #LEICHT LACHEND# hmhm* oder
hm*
83
le fälle man hat ** man hat darüber gesprochen daß das
84
in ein lager geht* das war für uns ziemlich selbstver-
85
ständlich* * und da sind wir immer mit versiegelter or-
86
der * eine station gefahrn und dort wieder gestanden
87
und wieder gewartet was kommt weiter* * und da sind
88
sehr viel leute vom lau/ vom fahrenden zug runterge-
89
Sprüngen* ob die lebend davongekommen sind weiß ich
90
nicht * aber die ham darin ihre letzte chance gesehn*
91
** und wir sind weitergefahrn* wir sind zum schluß nach
92
wien gekommen* * also das war auch ä: ** und wir sind
93
in wien angekommen* ** und in wien ** mußten wir * also
94
man hat uns dort freigelassen und man mußte sich näch-
95
sten tag beim polizeiamt melden* ** und so mußten wir
96
jeden tag uns ** bei der polizei melden* bis wir neue *
97 98
AB: sie sind wieder heim* zur mutLV: eine neue Verordnung bekommen*
160 99 100
AB: tert ja* * ia* ja* LV: ä wir sind * ich bin zu meiner mutter mit meinem
101
AB:
102
LV: mann* aber
ja* jetzt stellen sich vor es sind solche
103
familien deshalb hab ich das vorher betont mit diesen
104
vier kindern * die kein zuhause mehr gehabt ha:m* * die
105
alles verkauft ham* nix gehabt ha:m* ** und ä da gab es
106
ein altersheim * in ä: ä wahrscheinlich vi/ viele aber
107
in unserer nähe und die sind dann in diesen altershei-
108
men untergebracht wordeni SCHLUCKT und so hat man ge-
109
wartet und hat uns gesagt vom * von dem illegalen
110
transport aus wir müssen warten bis wir wieder eine **
111
eine ve:r/ nachricht und bekommen* ** und ** eines ta-
112
ges in der nacht läutet es wieder und dieses inder-
113
nachtläuten das ham wir schon gekannt da warn wa schon
114
sehr aufgeregt aber das war jemand von dem * transport*
115
** und der hat uns gesagt wir treffen uns ** morgen
116
oder wannt * dann und dann bei der reichsbrücke* wir
117
fahrn mit der donaudampfschiffahrtsgesellschaft*
118
geht nicht mehr per bahnt wir sehn daß wir übers tote
119
meer 68 irgendwo hinauskommen* ** und: so is es gewesen*
120
wir sind * t/ zum ä: ** zur reichsbrücket
121
und sind dort in ein schiff gfe/ hineingekommen! ** und
122
sind mit diesem schiff dann gefahrn ** bis ä: ** bis
* es
zum ä zur *
123 124
AB: das war achtundreißich und nicht LV: zum schwarzen meer* ** und das war
125 126
AB: neunundreißich wo die donau dann zugefrorn is* LV: alles (achtendreißig)* nein nein
127 128
AB: wo diese wo diese schreckLV: nein nein nein* das war alles noch achtundreißig*
129 130
AB: liehen dinge passiert sind mit der zugefrornen donau LV: j_a* ja* nein
131
AB: dann*
132
LV: nein* das war war noch achtundreißig*
das
(warn ia dann noch) hm:t wir sind von *
133
wien mit dem * ä schiff weg* ** und ** wie wir * dort
134
angek/ wie wir t/ t/ fertig warn mit der donaut ** da
135
sind wir über d/ * in andre schi/ * umgeschifft worn*
68
Versprecher für das Schwarze Meer.
161
136
** und da war ein ** ein griechischer * alter bunker*
137
das war etwas grauenhaftes was da war* und da ham die
138
leute f/ die f/ * mit * uns gekommen sind gesagt dort
139
um himmels willen ich werd das nie vergessen warn da so
140 141
AB: griechischer frachter oder was* LV: zwei matrosen oder schiffsleute wie*
142 143
AB: griechischer frachter wo sie bunker gsagt ia* LV: ja* f/ ä bunker hab ich gsagt*
144 145
AB: ja* frachter* LV: frachter* un:d slicha69* * und da s/ sind die
146
ä:: ** sind die zu uns gekommen und ham gsagt ja kinder
147
ihr könnts doch in das nicht hineinsteigen* da is doch
148
scho gscheiter in wien bleim* kommts mit uns zurückt **
149
und nachdem man nicht gewußt hat was is war das viel-
150
leicht ** wenn das normal gewesen war gscheit/ es war
151
ein fürchter/* un wir sind natürlich dort alle * hin-
152
eint * und das war fürchterlich* das warn so drei bret-
153
tert * gelegt so ding * und so sind wir * gelegent **
154
und so sin=ma gefahrn* ** un so sind wir gefahrn und
155
wir sind bis Zypern gekommen* ** unterwegs sind wir
156
noch ** aufgesch/ sind noch leute gekommen*
157
[SCHLIMME ZUSTÄNDE WÄHREND DER FAHRT; 0:54 Min.]
158
LV:
[...]
[...] und wir sind bis * zypern gekommen* ** und in zy-
159
pern hätten wir Verbindung * haben sollen * mit israel*
160
* man so/ hätte uns von dort irgendwie * holen sollen*
161
* und diese Verbindung is nie zustand gekommen* * und
162
wir sind dort herumgefahrn und herumgefahrn herumge-
163 164
AB: immer LV: fahrn tagelang und es hat sich * nix gerührt* und wir
165 166
AB: auf dem frachtert an land fra/ LV: ham nix zu fre/ ja* und es hat sich nix mehr fressen
167 168
AB: sie konnten nicht an land gehn* hm:* LV: und kein (licht) a vom gar na* * wir ham ge-
169
wartet da so* ** und dann is das ä schiff das nach uns
170
gekommen is wir warn die draga * unser schiff hat draga
171
geheißen* und dann gab es eine lisl* ** die is nach
69
Hebr.: 'Entschuldigung!'
162
172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206
70
AB: hmhmt LV: uns aekommenf ** und * nachdem diese lisl auch nach Zypern gekommen is da mußte die draga über*schifft ä über*getragen w e m auf diese lisl* ** denn wir konnten in diesem schiff schon nicht mehr bleim* * also diese lisl war ja bumvoll* * und stellen sich vor diese ganzen hunderte leut hundert leute von ä ich weiß nich wieviele hunderte wir warn * sind von dieser ** schrecklichen draga * noch auf diese lisl gekommen* und dort sind wir herumgefahrn bis wir dort ja * Verbindung bekommen ha:m mit ä mit israelt ** und da hat man uns dann ** die sind dann ein Stückchen näher gefahrnt un man hat uns mit kleinen booten ** immer ** mit zehn oder fünfzehn leute drauf ich weiß nicht abgeholt* jat *3* SCHLUCKT und so ** sind * unsere reihe gekommen* und da is etwas da is glaub ich das erste mal meine * mein poese/ meine poesie mein künstlerisches empfinden ** stark geworden* * da war folgendes* ** wir sind * angek/ wir sind gekommen mit rucksäckenf * un mußten aber ** weiß nich wieviele meter vorher wir konnten AB: mußten sie als illegaler transport irgendwo: LV: nicht bis an AB: abseits landent * sie sind in der nacht ia unbedinat* wir sind in natania* LV: AB: natan/ LV: * in natania in der nacht* [...] [SCHILDERT DIE ILLEGALE LANDUNG; 1:39 Min.] LV: [·...] die passe mußten wir wegwerfen* * wie wir in die boote ge/ sind mußten wir d/ unsere passe wegwerfen* ** damit wir nicht mit passen sind* zum glück hatt ich eine fotokopie davon* ** und ä wahrscheinlich die andern auch* ich weiß nicht* * aber den paß selbst mußten wir * ins wa/ ins meer werfen* ** und ** wie wir dort hingekommen die leute die und die die von da: ** das warn damals die ezel70* * die das * die diese transporte *
Kurzwort (hebr.): 'Nationale Militärorganisation'; zionistische, extrem nationalistische militärische Untergrundorganisation in Palästina, 1937 gegründet.
163 nicht die jewish agency 71 Φ
207
AB:
208
LV: geleitet haben* *
+nein* das
209
war die et*/ obwohl ich heute ganz und gar nicht * auf
210
ihrer seite bin* jat aber es war * was wahr is is wahr
211
das warn die * sogenannten perltransporte*
* ich weiß
212
nich ob sie von * die ganz/ es warn einige
solche
213
transported
214
persönlich sogar gut kenn* er is ein: psychiater * heu-
215
te ein ein berühmter mann in in amerikat
216
** war ein guter freund von mir und hat hier gelebt in
217
israel er is schon gestorben* * und dieser perl hat
218
diese er war ein ezelnik und dieser perl hat diese
219
transporte von amerika aus * ge/ * arrangiert und ge-
220
macht* ** und die leute die uns hier empfangen ham das
221
is so typisch ä * die warn alle mit schwarzen masken* *
222
also es war so gruselig* ** wahrscheinlich sollt man
223
sie nicht erkennen oder war das so e/ typisch ezelig so
224
eine eine eine: ** ä: * theatralische angelegenheit
225
weiß es nichtt
226
kann man die maske herunternehmen ä is ja unsinnig *
227
aber auf uns hat das ä wenigstens auf mich einen fürch-
228
terlichen eindruck gemacht die so in schwarzen masken
229
da die leute die uns empfangen und dort hinge/ * also
230
ich hab bittere angst gehabt ich hab die ersten wochen
231
solche angst gehabt dauernd hab ich mich umged/ * hab
232
gedacht da kommt jemand und
* und das war ein gewisser perl * den ich
** sein bruder
ich
* denn wenn man sie erwischt hätte und
(kippt) mir also ich weiß
233 234
AB: wie lang warn sie denn LV: nicht* ä: oder oder * ode::r ** (oder)
235 236
AB: da in dem kino untergebracht* LV: +in dem kino warn wir nur
237
AB:
238
LV: über nachtτ
über
nacht * ja* +und dann in der früh hat man
239
ge/ sind autobusse gekommen!· ** und da hat man gesagt
240
jeder konnte wohin* jat es hat ja leute gegeben die
241
verwandte gehabt ham also eine gruppe da hin eine dat
242
71
[. . .]
S. Anm. 67, S. 156.
164
Auf dem letzten illegalen Schiff, das die Engländer hereinließen Alice Schwarz-Gardos (geb. Schwarz), * 1916 in Wien, ab 1929 in Bratislava Medizinstudium (abgebrochen), Ausbildung zur medizinischen Laborantin in Prag; 1939 Emigration nach Palästina; anfangs Gelegenheitsarbeiten, dann im elterlichen Lokal tätig, Schreibmaschinen- und Stenographiekurse, Sekretärin, später Journalistin, schließlich Chefredakteurin der "Israel Nachrichten"; Schriftstellerin. Aufnahme: Anne Betten, Tel Aviv 1991. Wiener Verkehrsmundart. Gewandter, komplexer Erzählstil mit vielen Merkmalen spontanen Sprechens. Tonqualität: gut bis mittel; Verkehrslärm im Hintergrund. 1 2
AS:
[ . . . ] und w i r kamen an * ohne e i n e n h e l l e r g e l d ** z u e r s t mal w/ w i r ä : wurden von d e n : e n g l ä n d e r n ** g e k a -
3 4 5
p e r t * w i r warn d e r l e t z t e i l l e g a l e t r a n s p o r t d e n s i e das hat f u r c h t b a r lang gedauAB: AS: n o c h r e i n g e l a s s e n harn* **
6 7
AB: e r t * AS: wir aus den
8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
** i h r e f a h r t * -ja* ia* iat i a wir warn v i e r monate u n t e r w e a s t ** w e i l u n t e r w e g s ü b e r a l l s t e c k e n g e b l i e b e n s i n d zum t e i l g e l d m a n g e l zum t e i l wegen * s c h w i e r i c h k e i t e n m i t o r t s b e h ö r d e n t * g e l d m a n g e l deswegen w e i l man d i e :
** i l l e g a l e n t r a n s p o r t e s / a s a f t i g e r p r e ß t h a t t ** AB: s i n d s i e dann noch=n s t ü c k d i e donau r u n t e r a e f a h r n t war AS: wir sind die AB: d a s n i c h t d e r w i n t e r wo d i e donau q e f r o r n w a r t AS: donau aenau:* w i r warn a u c h e i n g e f r o r n warn a u c h ** w o c h e n l a n g * s t a n d e n w i r hm* AB: AS: i n e i n e m S c h l e p p e r * i n s u l i n a * * an d e r * an d e r mündung d e r donau i n s s c h w a r z e m e e r t ** s t a n d e n w i r f e s t
21
ä : d a s s c h i f f war f e s t g e f r o r n t * w i r k o n n t e n n i c h t n a c h v o r n n i c h t n a c h r ü c k w ä r t s * a b e r * v / ** v o r a l l e m *
22
s t a n d e n w i r deswegen w e i l w i r * k e i n g e l d h a t t e n * um
23
d a s ** ä : um * um d a s ä : s c h i f f
24 25 26 27 28 29 30 31
z u r w e i t e r f a h r t zu b e hmt AB: AS: z a h l e n * d a s h e i ß t ** d e : : r hm: * t r a n s p o r t l e i t / d i e hmhm* hm:* AB: AS: t r a n s p o r t l e i t u n a h a t t e = s a e l d n i c h t * s i e mußten ü b e r a l l schmieren unterwegs* j a t
* ü b e r a l l h a t man s i e e r ham d i e AB: AS: p r e ß t ü b e r a l l h a t man i h n e n g e l d abgenomment ** AB: l e u t e d a n n n o c h s a c h e n v e r k a u f t t o d e r * w/ w/ h a / warn
165
32 33
AS:
überhaupt leute noch
34 35
AB: hm: Φ hm: 1 hm: ! AS: wir unterwegs! jeder hat irgendwas verkauft wir durf-
36 37
AB: hm: ! AS: ten ja nichts mitnehmen! wir sind ausgewandert mit
38 39
AB: hm: ! AS: einem rucksack und zehn mark pro köpf! ** ja ma hat nun
40 41
AB: hm:! hm: ! AS: verschiedene sachen die im rucksack warn verkauft! eine
42
(mit Sachen!) nein! ä na ia! also etwas hatten
füllfeder oder eine uhr * um sich ein paar sachen zu
43 44
AB: hm:! hmhmf AS: essen zu kaufen! denn das essen war ja auch sehr
45 46
AB: hm:! AS: knapp! ** vom bootsmann! * nich das war so unsre
47
Versorgung! unser Schwarzmarkt! ** und das hat ja
48
nichts ä * für den transport das warn ja ganz andere
49 50
AB: hm:! ** hatten sie da konnten sie da äj_ AS: summen! j_a! da hatten
51 52
AB: konkrete ängste daß die sache gar steckenbleibt AS: wir auch nichts damit zu tun! konk/ sehr konkrete
53
AB: daß: es wieder zurückgeht! * und irgendwas
54
AS: ängste!
55
AS: hatte speziell * angst angst daß die deutschen * rumä-
56
AB:
57
AS: nien besetzen
58
rüchte f/
sehr
(beun/)
+sehr! ich
hm:! könnten! ** jaf * und es warn auch ge-
über lagert * daß man da noch da lager er-
59
AB:
hm: !
60
AS: richten würde! also ich hatte sehr konkrete
angst! **
61
irgendwie im letzten augenblick is es dann gelungen: *
62
doch die nötigen gelder ** flüssich zu machen das is
63
alles aufgebracht worden durch Spendenaktionen! * unter
64
juden im ausland! * in der Schweiz und * es war ein
65
rettungskomitee in der schweizt und * amerikanische ju-
66
den ham geld gegeben! ** und irgendwann ham dann diese
67
Schiffsbesitzer sich: * mit dem zufrieden gegeben was
68
sie bekommen ham! * wir durften also dann das schiff
69
besteigen und sind dann nach * damit nach palästina ge-
70
fahrn! ** es war ein ehemaliger kohlenfrachtert
71
den man irgendwie notdürftig ** mit * holzverschlägen
72
einge:*richtet hat um zweitausend menschen reinzupfer-
nicht
166
73 74
AB: +und d a s w a r im w i n t e r t AS: c h e n *
75 76
AB: j a * AS:
* hm:* u n d d a s w a r im w i n t e r *
** a l s o w i r kamen d a n n h i e r a n u n d w u r d e n d a n n
77
hie:r
78
t e n ** n o c h r e i n g e l a s s e n w u r d e n i n t e r n i e r t Τ
79
illegaler
80 81
* von den * e / e n g l ä n d e r n wie g e s a g t von den ein*reise
bri
* wegen
* war a b e r u n s s e h r r e c h t * war u n s
AB: AS: a l l e s g a n z e g a l d i e h a u p t s a c h e w i r w a r n h i e r t
82
wurden n i c h t
zurückgeschicktt
83
sechs:
84
s c h o n n a c h s e c h s wochen e n t l a s s e n *
hm* und
** u n d m e i n v a t e r
m o n a t e im l a g e r d i e m u t t e r u n d i c h w i r
blieb
wurden
[...]
Gerettet von der "Patria" Ruth Bar-Levi (geb. Ruth Rita Malinowski), * 1914 in Berlin Höhere Handelsschule, Ausländskorrespondent^; 1940 Emigration nach Palästina; Internierung in Atlit, Ausländskorrespondent^, Stenotypistin für Englisch. Aufnahme: Anne Betten, Jerusalem 1991. Mit teilnehmend: ihr Ehemann David Bar-Levi. Ganz leichte berlinerische Färbung. Flüssiges, rasches Sprechen, manchmal etwas undeutlich artikulierend. Tonqualität: gut. 1
RB: i c h ä :
** w a r b e i m e i n e r m u t t e r T die::
** u n d w o l l t e m i t
von: p a l ä s t i n a a m t
72
ei-
2
nem i l l e g a l e n t r a n s p o r t
3
berlin:
4
a n g e f a n g e n d i e t s c h e c h e n u n d d i e Ö s t e r r e i c h e r ham d a s
5
schon j a h r e l a n g gemacht * d a s h e i ß t
6
illegale
7
an d e r s e i t e g e l /
8
* gelandet! n a h a r i j a oder n a t a n j a t
9
ä auf den t r a n s p o r t w a r t e t e
zusammengesetzt wurdent
s c h i f f e weggeschicktt
in
** w i r ham r e l a t i v * s i e ham d i e
spät sch/
* u n d d i e ham i r g e n d w o
* g e l / ä ä : m am am s t r a n d g e l /
ä ge/
* a b e r während i c h *
* war j a b e r e i t s
der
welt-
10
kriegt
11
auch gesacht was willst du d a noch i/ i / i n Stettin
12
b l e i b e n d e i n t r a n s p o r t muß d o c h j e d e n t a c h g e h e n * * u n d
13
ausgerechnet
14
vierzich
72
S. Anm. 38, S. 110.
** u n d i n dem j ä h r i c h s o l l t e m e i n mann h a t
i n dem j ä h r
ja
neunzehnhundertneunendreißich
i s d i e d o n a u z u g e f r o r n * ** u n d d a k o n n t e n
die
167 15 16
AB: hm: ! * RB: schiffe nich abfähr/ abfahrn!
(naher) ä sind wa
17
also nach nach ä * am dreizehnten august
neunzehnhun-
18
dertvierzich bin ich aus berlin weg! immerhin spät ge-
19 20
AB : RB: nuchf
21 22
AB: und ihre eitern sind zurückgebliebene RB: nein* ich konnte mein vater lebt schon lanae
23 24
AB: ja! RB: nicht mehrt aber meine mutter ** und das so is alles im
sind sie allein gefahrnt ** und da harn wir *
25
leben schicksal! * hätte ich mit ihm zusammen fahren
26
können * wär meine mutter genau wie seine familie umge-
27
kommen! * so ha/ war ich im palästinaamtt
28
muß ja immer irgendwie was machen also hab ich da eh-
29
renamtlich gearbeitet! ** und da hieß=s eines tages die
30
griechischen reeder * wollen keine reichsmark sie wol-
31
len dollars! ** also ham die
32
bekommen wir dollars! ** ham sich überlegt es war ihr
33
prinzip nur jugendliche zu schicken! * möglichst
34
die auf hachschara waren! also die eine
35
liche ausbildung hatten! * ich gehörte zu dem kreis
36
weil ich erst sechsundzwanzich jähr alt war noch zu=n
37
jugendlichen! ** und dann
38
nige ältere mitnehmen * die das geld haben! ** und da
39
habe ich sofort an meine freundin geschrieben nach der
40
Schweiz! ** sie soll meinem bruder in Südafrika sagen
41
er soll in genf zweihundert dollar einzahlen! * da hat
42
sie mir zurückgeschrieben bereits eingezahlt! * für die
43
is das so wie für mich η pfennich! ** also jedenfalls
44
is mutti auch mitgekommen! ** na warn wa erst in wient
45
** sehr gut untergebracht! und dann kam ausgerechnet
46
herr göring und da mußten wir alle aus/ ausziehn woan-
47
ders in einen andern bezirk weil der sollt uns nicht
48
sehn daß da plötzlich so viel juden rumlaufent
49
kennt ja die leute! * die wiener sehn ja auch anders
50
aus als die berliner! ** es warn nich alle aus berlin
51
die da mitgefahrn sind! ** aber jedenfalls ä um es kurz
52
zu machen ** sind wir dann hier angekommen! * unser
ich hab ich
(d/ sich) hingesetzt
wie
solche
landwirtschaft-
(sacht=a) müssen se noch ei-
* man *
168
53 54 55 56 57 58
schiff war das erste wir warn am ersten november hierf ** am dritten november kam das schiff mit den tschechent ** und am fünften novem/ am vierenzwanzichsten november das schiff auf dem ich ursprünglich warl ** das hat noch=n extragrund! ** ich hatte ä: mein paß war abgelaufen! ** und da ham die mir in berlin gesacht
59
fahr um gottes willen nich nach Stettin deinen paß ver-
60 61
längernt * sonst schicken sie dich noch hinterher nach polen! nich: stettin73t ** na bin ich mit einem paß ge-
62 63 64 65 66 67 68 69 70
fahrn ohne der ungültich war! und da ham sie mich in wien * zu dem wiener transport gestellt * die also keine grenze zu überschreiten brauchten! während die andern * nach bratislava * preßburg fuhrn! * da mußte man nen paß ham (bei) der tschechoslowakei! ** also mutti war auf dem andern schiff! ** und dann sind wir hier angekommen! ** und dann ha:m ä: ha:m * hm die engländer beschlossen uns nach sa/ mau/ mauritius zu schicken! ** wir kamen aus=m feindlichen ausland! ** ich: muß ihnen
71
ehrlich sagen ich hab dafür Verständnis gehabt! ** ich
72 73 74 75 76
hab bei dem wiener transport da hat einer * unter uns gesagt mit mir η bißchen poussiert * da war ich überzeugt das is kein jüdischer junge! * das war vielleicht einer von denen (unter) * mehrere noch! * die sie da ä die sie da mitschicken wollten um hier gleich η bißchen
77
Spionage zu machen! * bequemer konnten se=s nich haben!
78 79 80 81 82 83 84 85 86 87
** also jedenfalls hat man hat man hier überlegt was man macht daß wir nich nach mauritius kommen! ** und da AB: ja! * RB: hat man ** sie können englischt * (dann könnten sie=n) artikel schade gestern hab ich einen verschenkt! ** wir hatten das es war (nämlich) jetzt fuffzichjähriges ä jubiläum! das * war=n großer artikel in der # jerusalem post!# ** in deutschen zeitung74 auch! ** Κ #[jeruzalem pOst] # RB: also jedenfalls ä: * hat man versucht * die ä man woll-
73 74
S. dazu die Ausführungen von A. Eran, S. 116ff. Gemeint sind die in Tel Aviv erscheinenden "Israel Nachrichten".
169
88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108
te die maschinenen ä: un/ ä /schädlich machent ** und hat eine bombe * gelegtt * SCHLUCKT aber leider war die AB: hmhm* RB: maschine schon unter dampf und da is das schiff explodiert* ** und binnen zwölf minuten gesunken*75 ** und da hab ich mutti gott sei dank gerettet* und * noch zwei AB : die war auf dem schi/ auf dem schiff RB: frauen und mich im letzten moment AB : was gesunken is* (weil er saate) RB: ia* ia wir warn * warn ä f/ * alle drauf die noch nicht * auf unserem schiff warn* mutti war dann (mit=m herrn levi)* ** a/ a/ am schwarzen meer hab ich gesacht jetz will ich auf das schiff meiner mutter* ** will mich nich von ihr trennen* also: ** warn ja kleine äppel(kehne) man (wußt ja gar nich ob) die * und am wir ham unsern a/ auf unserm kleinen schiff zum beispiel ham sie schon angefangen die wände zu verheizen* ** ham gar nich genuch kohlen gehabt* * also jedenfalls * ä: ** ich kam dann nach atlit und meine mutter aucht ** und ich war elf monate eingesperrt in atlit76t [...]
Einwanderung nach fünfjähriger Internierung auf Mauritius Anton Fritz Peretz Steiner, * 1907 in Königshof (bei Prag) Technische Hochschule, Diplomingenieur; 1939 Emigration, 1940-45 auf Mauritius interniert, dort Sekretär des Campkomitees; 1945 nach Palästina; Ingenieur. Aufnahme: Kristine Hecker, Ramat Chen 1990. Mit teilnehmend: seine Ehefrau Chana Steiner, * 1910 in Mannheim. "Prager Deutsch", doch mit deutlich österreichischer Färbung (Eltern aus Wien). Innerhalb des stark dialogisch geprägten Dreiergesprächs auch längere monologische Passagen in gewählter Diktion. Tonqualität: gut bis mittel.
1 2 3 75
76
KH: wie war denn der anfang hier als sie hierherkamen* ** AS: der anfang h:ie:r ** CS: der anfang hier war komische LACHT
Es handelt sich um die "Patria", die am 25. November 1940 im Hafen von Haifa gesprengt wurde, wobei viele Menschen ums Leben kamen (s. auch Einleitung, S. 15). Internierungslager der Engländer nahe Haifa für illegale Einwanderer.
170
4
AS: schaun sie * wir wa:rn eine speziell ** nachdem wir die
5
fünf jähre in mauritius verbracht haben sind wir sozu-
6
sagen * warn wir sozusagen koscherΤ * und haben zerti-
7 8 9
KH: ja* * AS: fikat einwanderungszertifikat bekommen* CS: von den enqländern*
10 11
KH: noch vor kriegsende* +und noch AS: das war noch zur zeit der engländer*
12 13
KH: vor AS: nein*
ja* nach kriegsende* ** (fümfen/) es war LACHT VER-
14
HALTEN na ich glaube nachdem die deutschen* ** nachdem
15
der krieg in europa fertig war* ** wurden wir einmal
16
zusammengerufen und der campkommandant hat uns erklärt
17
daß ä: *
+daß ja his majesty's pleasure is
18
CS:
his majesty*
19
AS: also daß wir zurückdürfen!1 ** as soon a (shipping
20
space) will be available* * kurz darauf is eine poliok/
21
** ä: /epidemie ausgebrochen* im camp war auch da warn
22
wa: * in quarantine also es hat dann noch paar monate
23
gedauert* das war im jänner* * a ja es war am einun-
24 25 26
mitteilung* CS: zwanzigsten jänner die am einunzwanzigsten feber* +feber* AS: feber* * einunzwanzichsten feber
171
2.4 Nach Palästina über andere Länder; verschiedene Emigrationswege
Zwischenaufenthalt und Heirat in Barcelona Franz Naphtali Krausz, s. S. 95. 1
FK: [...] noch im april *4* fuhr ich * mit diesem kollegent
2
*3* RÄUSPERT SICH *5* un:d ** einer fotografint *3*
3 4
KH: dreiundreißich* net april dreiundreißich* FK: weg* ** dreiundreißig*
5
KH:
6
FK: *
ja*
*4* ich ließ ä: meine ** freundin RÄUSPERT SICH
7
** in berlin zurück ** RÄUSPERT SICH * mit der abma-
8
chung ** daß sie ** sie war eine Sekretärin*'* jat *4*
9
sie konnte: ** kein spanisch* * konnte auch nicht spa-
10
KH:
wie hieß deine frau mit mädchennamen*
11
FK: nisch* *
anni
** sass*
12
*3* und ä: *3* ich vereinbarte mit ihr ** daß sie **
13
einen kurs ** für fotografie ** machen solltet *7* sie
14
konnte etwas fotografiernt ** aber einen richtigen kurs
15
** bei dem sie lernen sollte ** auch ä: ** die platten-
16
KH:
ja*
17
FK: behandlung und so
weiter* ** also von grund auf* *3*
18
sie machte diesen kurs ** de:r ** ziemlich lange dauer-
19
tet * es wa:r * ein kurs in der letteschule77 *3* der
20
name war in berlin sehr bekannt es war eine frauen-
21
schule *3* und ä:: ** sie beendete diesen kurs *5* und
22
nach sechs monatent *3* kam sie ** nach barcelona nach*
23 24 25 26 27 28 29
77
KH: FK: * was hat dich veranlaßt nach barcelona zu gehent ** KH: ja:* * es war ** FK: das war nicht von mir bestimmt* das war davon bestimmt daß die Spanier bereit warn ** visen KH: ja:* ** ja* ja* ** schon FK: zu geben* das war nicht so einfach*
Berufsfachschulen des von W. A. Lette 1866 in Berlin gegründeten "Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts".
η: 30 31
ΚΗ: dreiundreißich war es so schwierich* FK: ja* +wir hatten zum
32
beispiel ** ein durchreisevisum durch ä: fr/ paris* *
33
KH: ja*
34
FK:
35
wollten in paris bleiben* das heißt die fotografin hat KH: ja* ** FK: sich gleich ä: von uns verabschiedet* * hatte
36 37 38
ja* ** für vierundzwanzig stunden* *
a/ aber ** wir
auch wohl besondere gründe aber ** wie gesagt das würde
39
KH: ja.* und du hattest die absieht * in FK: zu weit gehn jetzt.* **
40
KH: Spanien zu bleiben nein* du wolltest woanders hin
41 42
FK:
sicher* ia:* (nein*) na ja also weit bin ich noch nicht* * jaf ** hm s ganze is ein roman* es is ä: schwer ** in details
43
zu gehn* abe:r ** wir ha:m * versucht in paris: ä: mein
44
* diese:r ** kollege ** der eigentlich ein maier war!
45
jat ** ä:: war bereits in paris ** gewesen und wußte
46
wie man=s macht* ** ä: wi:r gingen aufs Polizeipräsidi-
47
um ** un:d ä ä * es dauerte lange bis wir da zu dem
48
richtigen mann ** kament ** und de:r gab uns * einen
49
auf/ aufenthalt von einem monat* ** wir versuchten ar-
50
beit zu bekommen* * in paris* *3* wir konnten nicht
51
bleiben denn wir ham keine arbeit gefunden* *3* die
52
franzosen haben zwar gesagt ä: wir werden sehn* jat **
53
#ja:* # ** aber es war keine arbeit zu bekommen* *3* #LEISER#
54
Κ
55
FK: die franzosen waren auch von dem: ** deutschen andrang
56
** jetzt ** be::/ beunruhigt* jat ** obwohl es damals
57
noch gar keinen deutschen andrang gabt es kamen verein-
58
zelte leute* *3* SEUFZT ** also * nach ablauf eines mo-
59
nats ** fuhren wir nach barcelonat ** wir warn ** zu
60
diesem punkt gekommen wo wir kein geld mehr hatten* **
61
ich fuhr mit zweihundert mark die erlaubt waren * her-
62
aus ** mein kollege hatte mehr ** aber der hatte sie in
63
einem spielclub ** in: ** schon in der ersten nacht **
64
verloren* *5* (mit wieviel ???*) ** wir kamen nach bar-
65
celonat *4* hatten kein geld * und wir kannten niemand*
66
67 68
* und es gab keine jüdische gemeinde* ** war noch ver-
173 69
b o t e n ! *4* also * d u r c h u m f r a g e n l e r n t e n w i r d a n n
70
** b u c h d r u c k e r * k e n n e n ** d e r p r ä g e d r u c k e r w a r t
71
n e n h e r r n X Y ** e i n jude a u s * h o l l a n d *3* d e r
72
g e w o r d e n wart ** indem er h e i l i g e n b i l d e r m i t
73
** v e r s a h t
74
h a t t e ! ** v o n S p a n i e n a b g e s e h n ! *4* d i e s e r m a n n *3*
75
u n s * zum k a f f e e e i n ** in s e i n e v i l l a t
76
e i n e n **
77
v i e l e ** g r o ß e * a m e r i k a n i s c h e f i l m f i r m e n t
78
f ü r d e n s p a n i s c h e n m a r k t ** p l a k a t e d r u c k e n ! *4* u n d d a
79
wäre eine möglichkeit
80
o r b e i t *6* u n d *3* w i r a r b e i t e t e n *4* in e i n e r *3* p e n -
81
s i o n * für arme S t u d e n t e n ! *3* w i r w o h n t e n d o r t t
82
d o r t ** u n : d *4* k a u f t e n u n s m a t e r i a l t
83
wahrscheinlich von den letzten groschent
84
icht ** u n : d ** b e g a n n e n m i t d e r a r b e i t ** u n d w i r h a t -
85
t e n ** u n d die arbeit w a r n i c h t l e i c h t ! *3* i c h h a t t e
86
** in b e r l i n * k e i n e f i l m p l a k a t e g e m a c h t ! *4* a b e r
87
s a h sehr r a s c h ** wie das t e c h n i s c h ** zu b e w ä l t i g e n
88
wart
** e i -
reich
golddruck
Südamerika lud
*4* u n d g a b u n s
(hinweis)! ** es g i b t in * b a r c e l o n a t
*4*
sehr
*5* d i e *
** v o r h a n d e n ! *5* w i r
bekamen * aßen
*9* a l s o ** * was
weiß
ich
[...]
[BESCHREIBT D I E S E A R B E I T ; 1:45 Min.]
89 90
** u n d e i n e n g r o ß e n e x p o r t n a c h
einen
FK:
91
[...] w i r h a t t e n l a u f e n d a r b e i t t
** b e z a h l t w u r d e
die
a r b e i t * g e r i n g ! ** im v e r g l e i c h ** zu a m e r i k a n i s c h e n
92 93
KH: FK: p r e i s e n t
ja!
94 95
KH: ja! * FK: d a s b e / l e b e n sehr b i l l i g w a r ! ** jat sehr bil-
jat ** w e i l in ä: ** b a r c e l o n a t
**
hm:!
96
l i g ! *3* u n d ä:: w a s sie b e z a h l t e n w a : r s e h r w e n i g ! **
97
v e r h ä l t n i s m ä ß i g ! jat ** a b e r w i r h a t t e n d o c h
98
arbeitt
99
** a l l e ** w i e sie g e s e h e n h a b e n p a r a m o u n t u n d * m e t r o -
laufend
** w e i l ä: *3* d i e : : v e r s c h i e d e n e n f i r m e n * jat
100
goldwyn-mayert und dann kam noch warner raus! und dann
101
k a m e n a l l e diese f i r m e n ! *3* n a c h s e c h s m o n a t e n *7* w i r
102
w a r e n i m m e r n o c h in d i e s e r * S t u d e n t e n * * f a b r i k t
LACHT
103
V E R H A L T E N u n d ä: ** m e i n *4* k o l l e g e *3* b e g a n n
*4*
104
s e i n e r n a t u r aus ** h o c h s t a p l e r i s c h zu w e r d e n t
105 106
Κ
m i e t e t e ** in e i n e r t e u r e n g e g e n d ** e i n e n **
** u n d #sechs##HOCH #
17< 107
FK: **zimmerwohnungt *5* die ba:r * stattete er ** bereits
108
mit erotischen ** bilden ** bildern * ä bildern aust
109
*3* die er selbst gemacht hat nehm ich ant ** und **
110
ich sollte ** die Wechsel mit unterschreibend
111
diesem Zeitpunkt ** kam auch meine frau* *3* ich erwar-
112
tete sie in parist * wir waren damals noch nicht ver-
113
heiratet* ** und *4* kam nach: *3* barcelonat *6* und
114
wie es geschaht ** mein kollege hatte sofort ein auge
115
auf sie geworfen* *3* also * ich unterschrieb weder die
116
Wechsel *5* noch meine frau* *3* und: *6* inzwischen
117
war * winter geworden* * jat
118
*6* zu
[SEINE FRAU UND DEREN FAMILIE; 1:30 Min.]
119
FK
[...] also ** meine frau kam nach berlin ** und wir
120 121
KH FK
heirateten dortt **
122
aha* * eben* * #dacht KH ** Κ #LEISE FK: vor dem deutschen konsulat*
125
126 127
KH: ich (doch*)# ** Κ # FK: der österreichische konsul ** der für
128
mich zuständig wart ** sagte ja ** er kann das machen
123 124
in barcelona* *
ja* in barcelona* *
129 130
K
131
FK: ben* ** die religiöse trauung konnte nicht stattfinden
** aber da müssen sie erst eine #religiöse# trauung ha#LAUTER #
132
weil es weder ** einen * offiziellen ** rabbiner noch
133
eine Synagoge gab* *3* das war Spanien neunzehnhundert-
134
dreiundreißig* *4* und ä ** der deutsche konsul *3* wir
135
trafen auf der Straße ** hm auch einen kollegen* *3*
136
der nachher seh:r bekannt wurde in israel *5* er war **
137
hauptsächlich bekannt weil er viele esel zeichnete* *
138
er hieß XY* *4* der sagte uns im spazierengehnt *3* in
139
barcelona wir kannten ihn * auch von berlin aus* ** und
140
ä: ** ja es gibt in ä: in: ** in in der ambassade von
141
ä: ** gibt es einen mann der diese sachen macht * jat
142
** weiß nicht mehr wie wie sein titel war* ** ä: *7*
143
de::r wir sollten zu ihm gehn wir gingen hint * und er
144
sagte ** jat ** eure namen klingen nicht jüdisch ** und
145
ä die frau is in ä ** in in Ostpreußen geborent ** ich
175
146
werde in de::r * in der gemeinde in * Ostpreußen einen
147
** anschlag machent *3* und wenn kein ä:: ** widerstand
148
is ** werde ich die heirat durchführn! ** also die hei-
149
rat wurde durchgeführt* *3* meine ** zeugen waren ein
150
Spanier * den * ich kannte ** und dieser ** kollege *8*
151
und: *4* ein ** ich arbeitete in * habe dann ein studio
152
allein gehabt! ** ich arbeitete * alleint ** und meine
153
frau arbeitete auch* ** aber für sie war es schon
154
schwieriger!· *3* denn sie brauchte um * arbeiten zu
155
können ** einen: ** eine arbeitserlaubnis! *3* die sie
156
um diese zeit wahrscheinlich nicht bekommen hätte*
157
[ZWISCHENFRAGE VON KH; 5 Sek.]
158
KH:
159
FK: sie arbeitete für einen fotografen!
160
ja! *3 * und zwar
für einen deutschen fotografen der mit einer jüdin ver-
161 162
KH: und auch emigriert war! ** FK: heiratet war! *3* bittet
163 164
KH: auch emigriert war! schon! ** FK: er war emigriert! aber **
165
da (besaß er dort) ä ** da geschah etwas besonderes! *
166
er wohnte * sehr hübsch mit seiner frau ** in einer
167
villat ** auch schon etwas * außerhalb von barcelona
168
*4* und: *4* er trennte sich von seiner frau! *3* und
169
gab er uns:: * diese wohnung! *5* zur miete! ** jat *4*
170
ich weiß nicht wohin die frau fuhr! ** vielleicht fuhr
171
sie zurück nach ** berlint * ihr vater war arzt! * ein
172
jüdischer arzt! ** ich hoffe sie ist nicht nach berlin
173
gefahrn! *3* er machte eine andere reise! *3* so daß
174
die wohnung frei war! *3* und wir warn sehr glücklich
175
in dieser wohnung denn sie war * sehr nett eingerichtet
176
** im gegensatz zu pensionswohnungen! * jat ** und sehr
177
hübsch gelegen ** am fuße des tibidabo ** das ist der
178
berg * dort von dem die ganze * ganz barcelona überse-
179
hen konnte! ** und: *8* aber ** die läge spitzte sich
180
zu! ** und zwar in barcelona! ** in barcelonat ** be-
181
gann ** die katalanische ** wi/ * Widerstandsbewegung!
182
** gegen * die * regierung * in madrid! *4* sehr unan-
183
genehm zu werden! ** jede nacht *3* explodierten bom-
176
184
ben* ** auf den Straßen ** gab es kämpfe* ** wir kamen
185
mal in so eine schlacht * im Zentrum von * barcelona*
186 187 188 189 190 191 192 193 194 195
*4* wir (be)flüchteten in uns in eine bank* *10* es war zeit geworden ** wegzugehen* *3* und wir gingen ** ende * oktober neunzehnhundertvierundreißig *3* nach: israel* ** das heißt ** zu dieser zeit noch palästina* ** seid ihr damals illegal eingewanderte +nein* ** legal* ** meine frau ** bekam ** von ihrer mutter ein geschenk* *10* sie besa:ß: ** dort ** noch ihr haus in das is gutstadtf *4* und vielleicht auch noch land* **
KH: FK:
KH: FK:
196
KH: in Ostpreußen*
197 198 199 200 201 202
FK: aber das war KH: ja* FK: *7* sie konnte ** und sie gab es: gehn* *8* also wir sent [. . . ]
** das war belegt mit hypotheken* * ** ä noch ä * geld herausbekommen* ** uns: *3* um *4* nach palästina zu *3* konnten nach palästina einrei-
Flucht nach Belgien, Internierung in Frankreich, Flucht nach Spanien Jehuda Ansbacher (ehem. Leo Ansbacher), * 1907 in Frankfurt/M. Bis 1932 Studium (Geschichte/Deutsch/Philosophie), Beginn eines Doktorats; 1933 Emigration nach Belgien, dort Rabbinerprüfung; 1940 Verschickung nach Frankreich, Internierungslager, 1942 Flucht nach Spanien, 1944 Emigration nach Palästina; zunächst Lehrer, später Rabbiner. Leichte frankfurterische Färbung (z.B. Tendenzen zur Lenisierung und [f] statt [x]>. Anschauliches, lebhaftes Erzählen (viele Episoden in direkter Rede). Betty Batia Ansbacher (geb. Ansbacher), * 1906 in Nürnberg Handelsschule, Sekretärin; 1934 Emigration nach Belgien, 1940 nach Frankreich, zusammen mit ihrem Mann 1942 Flucht nach Spanien, 1944 Emigration nach Palästina; soziale Tätigkeiten. Leichte ostfränkisch-nordbairische Färbung. Lebendiges Erzählen. Aufnahme: Kristine Hecker, Netanja 1989. Tonqualität: gut bis mittel; BA spricht aus dem Hintergrund; stellenweise Flugzeuglärm.
1 2 3 4
JA: [...] und als dann * hitler gewählt wurde bin ich über nacht * nach belgien entlaufen* ** ohne visum ohne alKH: nach belgien* ja JA: les* * (ja*) nach (beiz/) ä nach belgien* *
177 5 6 7
KH: ial JA: ja* * ä: #nachdem meine Schwägerin dabei war# mit mit Κ #SCHNELLER #
8
JA: fünf oder * ge/ ganz kleinen kindern hatte der belgi-
9
sche beamde * an der grenze * mitleid*
ein
10
achtenvierzichstundenvisum
11
dann * für einen illegalen auf/ * aufenthalt
12
nächste zwei jähre gereicht* und dann ** wurde das ir-
13
gendwie legalisiert*
14
konnte ich bleiben*
15 16
uns gegeben*
* und hat
* das hat mir
* papiere hab ich noch*
* für zwei
** und so
** bis ä: der Überfall der deut-
KH: JA: sehen am * zehnten mai neunzehnhundertvierzich*
ja* das
17
war ein freitach*
18
länder * auf der Straße ν:erhört und festgenommen*
19
denn in deutschland warn wir juden * dort warn w i r im
20 21
KH: JA: verdacht
* da wurde ich wie viele andern aus-
fünfte * verräterkolonne 7 8 zu
sein*
22
deutschen*
23
[. . .]
24
[WEITER ÜBER DIE ZEIT IN BRÜSSEL; 1:10 Min.]
**
* für die
* kamen in eine B R U M M T schule in der nähe*
25
JA:
[...] am sonntach * sind wir dann ** verschickt
worden*
26 27
** in: ä: #zunächst einmal über die französische #SCHNELLER
gren-
Κ
28 29
JA: ze*# * dort hatten wir * einen ** kurzen aufenthalt* # Κ
30
JA: und wir bekam befehl * türen auf* ** in langen
reihen
31
standen wir auf einem kasernenhof*
32
deutschen flieger schon bombardiert
33
die rangebracht
34
** mit irgendeiner suppei
35
gruppe von * leuten die mit zu mir gehört haben von
36
meiner gemeinde und so weiter* Κ
39
JA: grad auf mich gekuckt*
40
78
79
** ä: oben haben die ** und ä:m * da ham
* ganz große * wie milchkübel
37 38
**
* mit
äm:
** und um mich herum w a r eine
* und die ham dann grad
* #ich weiß nicht ob das intressiert*# * die ham dann #SCHNELLER #
koscher*
* ob das koscher 7 9 is oder nicht
* und da hab ich schnell einen finger
reinge-
Fünfte Kolonne: Politisches Schlagwort zur Bezeichnung politischer Gruppen, die im Krieg o.ä. mit dem Gegner des eigenen Landes zusammenarbeiten. S. Anm. 2, S. 37.
17! 41
steckt und hab=n zweiten abgeleckt und gesacht alles is
42
koschert * daraufhin ham se alle gegessen und ge/ ä das
43
zeuch geschluckt* ** und ** und dann ging der fahrt die
44
fahrt in geschlossenen zügen ** und ich weiß nich wer
45
nicht von der suppe gegessen hat ob er das durchgestan-
46
den hat*
47
[FAHRT MIT DEM ZUG DURCH FRANKREICH; 1:25 Min.]
[. . . ]
48
JA:
[...] ä: un #weitergefahrn weitergefahrn weitergefahrn#
49
Κ
50
JA: bis wir kamen in die nähe von ** ö: ** saint cyprient *
51
das ist in der nähe von ** oloron irgendwo in südfrank-
52
reicht ** und #raus raus raust# ** ä und ** in kolonnen
#SCHNELLER
#
53
Κ
#LAUTER
#
54
JA: marschiern * die bevölkerung hat auf uns geworfen koh-
55
len und faule früchte und so * denn wir warn abgestem-
56
KH:
ja*
57
JA: pelt als Verräter* * ded/ *
sch/ deutsche spione*
58
nich wahrt HOLT LUFT und kamen in dieses lager saint
59
cyprienl1 ** ä wo früher * die spanischen * flüchtlinge
60
KH:
61
JA: warn die spanischen Sozialisten die vor
vom bürgerkrieg* vor franco*
62
** die dort warn* * ä:m * also wir kamen in diese: ä
63
barackent * und äm: ** diese barackent ganz richticht
64
** und ä der französische kommandant * hat dann ernannt
65
* einen verantwortlichen* * das war ein deutscher
66
nichtjude* obwohl achtzich prozent juden warnt ** XY **
67
der (auch freilich) später * nach deutschland zurückge-
68
gangen ist ** ä meiner Schätzung nach ein deutschnatio-
69
naler kein nazit ** aber deutschnational* ** ä: und ei-
70
nes tages kam folgendes ** die:: in jeder jeder baracke
71
war ein * chef* * wurde ein chef ernanntt ** und da kam
72
der barackenchef von * meiner baracke zu mir und sagt
73
ansbacher weißt du wast * wir sind gerufen worden zum
74
kommandanten* geh mal mit* * ja* ** wieso er mir das
75
gsacht hat weiß ich nich* * bin dann mitgegangen* **
76
und äm: ** dann * hat sich folgendes herausgestellt* **
77
einige von den jüdischen * überintellektuellen die bei
78
uns warnt ** och * da warn berühmde leute von univer-
179
79
sitäten und so weiterτ ** ä: * die haben gesagt es ei-
80
gentlich paßt es doch nicht so gut * daß ein nichtjude
81
** kommand/ innerer kommandant ist kapo oder wie sie
82
das nennen ** für=n: * von achtζich prozent judent
83
nicht wahrt * wir wollen mit ihm sprechen * daß er ä:
84
** daß er ä vielleicht verzichtete
85
dieser besprechung sagte mein ä barackenchef weißt=de
86
was geh mit* ** bin mitgegangen ** und die haben * da
87
stand dieser deutschnationale herr XY
88
ken gegen die wand
** und ** auch zu
(grad) mit=m rük-
(und ???) ** und #diese ATMET AUS
89
Κ
90
JA: intellektuellen kamen und ham einen text ausgearbeit
91
#LEICHT SPÖTTISCH **
die ethnische * Zusammensetzung stellt in frage# also *
92
Κ
#
93
JA: so ausgedrückt daß * statt daß man einfach * redet wie
94
KH:
95
JA: ein mensch nicht wahre **
LACHT LEISE ** und er hat so
96
getan * was wollen se (alle mitenander)* könn sie das
97
nich klar sa/ hab ich mir erlaubt η wort zu sachen *
98
die meisten sind hier juden nicht wahr und * die herren
99
finden * die chawerim also die genossen finden * daß:
100
vielleicht richtiger war ein jude war an der spitze*
101
hat er gesagt #meine herrn ** der kommandant hat mich
102
Κ
103
JA: ernannt * wenn der kommandant sagt nein dann sag ich
104
# ENERGISCH nein* sie haben mich nicht ernannt! ich bleibe* ** weg*
105
Κ
#
106
JA: ** am nächsten tag ** is jemand gekommen ** und sagt *
107
der herr XY will sie sprechen* * dieser deutschnationa-
108 109 110
** gutt * wir ham** uns * # #sagt hörn der sie Κ SCHNELLER JA: le* zu herr ansbacher*# sie getroffen warn gestern der er einzige
111
Κ
112
JA: klar gesprochen hat* * nicht wahrt ** ich hab mi=m kom-
#
113
mandant gesprochen ** ä: es muß ein geistliches haupt
114
in diesem lager sein* ** wenn der kommandant sie ruft
115
sind sie bereit ä rabbiner des lagers zu seint **
116
n) moment nachgedacht sach ich ja* ** bei mir war=s
117
nich wichtich ** durch wen geht est sondern man muß den
(hab=
180
118 119
KH: ja* JA: leuten ** kraft geben die
(warn) verzweifelt*
120
[LEBEN IN DEN LAGERN SAINT CYPRIEN UND GURS 1940 BIS
121
1942; BA KOMMT HINZU; 13:12 Min.]
122 123
KH: und sie sind von belgien * direkt * nach gurs* ** BA: ich
124 125
KH: ja* BA: bin von belgien aber auch auf falsche papiere* *
126
und großen Schwierigkeiten*
LACHT VERHALTEN in paris
ham=ma # station # gemachtt # [statsjon]#
* da mußt ich nachts * mit
127 128
Κ
129
BA: dem kleinen vierjährigen jungen da durch die Straßen
130
gehn und irgend * jemand hat mir gsacht eine Wirtschaft
131
da is ein * führer der würde von * unbesetzten vom be-
132
setzten * paris ins unbesetzte frankreich*
* es war ja
133 134
KH: ja* ja* BA: noch nicht alles aleich besetzt* iat ** da bin ich nur
135 136
Κ
137 138 139
ja:* LACHT VERHALKH: BA: au litt ich will in irgendein bettt# Κ #
140 141
KH: TEN ** BA: und dann hab ich auch die * Wirtschaft
rumgelaufen net * mit meinem kleinen jungen* * #je veux #FLEHEND
gefunden
142
un da * hat er gsacht also um so und soviel uhr soll
143
ich da und da dort seint ** und da hat ma ja kraft in
144
der gefahr* net wahrt ** und da war ich mit meinem kind
145
dort und und da sind wir dann über die grenze und dann
146
im zug und dann bin ich rausgeholt worden als spionin
147
mit dem kleinen jungen ** und ä:: irgendwie sind wir dann angekommen trotzdem ich hab dann gesacht #ich will #ENER-
148 149
Κ
150 151
BA: meinen zu meinem mann ich bin keine spionin ich bin GISCH Κ
152
BA: eine jüdin und man verfolcht micht
153 154
Κ
155
BA: entweder nach israel oder nach amerika* ich hab den
156
** und RÄUSPERT SICH
ich will nur zu meinem mann# und wir wollen auswandern
# ganzen * die Wahrheit gesacht* * und die warn so an-
181 157
ständig ham mir gegeben * ein sauf -conduit 80 τ * für drei
158
tache* * und dieses sauf-conduit von drei tach hat mich
159
gerettet!
160 161
[...]
[FORTGANG DER FLUCHT; 1:45 Min.] BA:
[...] und dann ** RÄUSPERT SICH hatte ich eine marken-
162
sammlungt ** und die hat mir der herr * verkauft in
163 164
JA: pau81 BA: bo:t ** das hat mir genau gereicht * in pau* ** das hat
165 166
JA: um die grenz*Schmuggler BA: mir genau gereicht * um die gebühren zu zahlen* jaf **
167
JA: zu bezahlen*
168
BA:
und an einem samstach früh kamen sie mich abholend
169
** und ich hab keine ahnung wo mein kind is* keine ah-
170
nung* und wir sollten uns treffen ** das war ausgemacht
171
** in irgendeiner Wirtschaft in der nähe vom lächert· er
172
geht samstach abend aus=m lager raust * und ich bin
173
samstach früh abgeholt worden* ** und da hat der fran-
174
zose zu mir gsacht wenn jetzt die polizei kommt sie
175
müssen nur den arm um mich schlingen * a liebespaar
176
KH:
la*
ja*
177
BA: stört ma scho net* * jat ** und dann hab ich RÄUSPERT
178
SICH bin ich angekommen der hat mich irgendwo abgelie-
179
fertt * und die frau hat mich gleich die hat gewußt *
180
hat mich gleich in den dritten stock in ein kleines
181
zimmer * und da hab ich den ganzen samstach gewartet *
182
daß mein mann irgendwann mal auftaucht* ** und es wird
183
nacht * es war im winter ist schon fünf uhr * nacht ge-
184 185
KH: JA:
186
BA: wesen
ia* wir sollen um neun (um sechs um sieben)
uhr soll ich dort ja* seint um acht um neun
187
uhr mein mann kam nicht* * also dann hab ich die letz-
188
ten briefe geschrieben * ich wo hab * ich hab * falsche
189
papiere gehabt* jat * aber mein mann hat doch nix ge-
190
habt* jaf ** und: dann hab ich nach der Schweiz ge-
191
schrieben ** ich weiß net ob mein junge noch ο ä: in
192
die Schweiz kommt* ich weiß net ob ich noch meinen mann
80 81
Frz.: 'Geleitbrief. Stadt in Südfrankreich.
182 193
sehl· also jedenfalls * ich sitz da in der tinte * und
194
weiß nicht wie wo was* ** und wenn=s mir möglich ist
195
geh ich wieder in den wald zurück* ** und nachts um
196
zwölf uhr irgendwann pumberts an der tür * und wer
197
steht vor der tür* * mein mann* ** wie durch ein * ich
198
JA:
und so weiter*
199
BA: weiß nicht der liebe gott muß ihn geführt ham* * er is
200
heraus aus=m lagert ** und es war ausgemacht ein auto
201
erwartet ihnt ** un dann hat er=s auto nich gesehnt *
202 203
JA: nein* eine ein moment* ein moment* * BA: und dann jetζ sachst du
204
JA: ja das
205
BA: weiter*
206
JA: bar* wenn
im gründe is es un/
wirklich ä
unvorstell-
un/ unvorstellbar* (ich mal) ich weiß nicht wenn jemand das
207
glauben kann* ** äm: das war sot ** ä bin dann * fünf-
208
unzwanzigste dezembert ** mit dem * dem geliehenen pa-
209
pier von einem freund der noch das recht hatte im lager
210
sich zu bewegent
211
vorbeit
212
ihm so das papier hint ** hätt er genau geguckt hätt er
213
gesehn das foto das bin nicht icht * aber * um fünf uhr
214
** essen die la soupe* ** das abendessen* wenn eine
215
französische wache die suppe ißt kann die weit einfal-
216
len interessiert sie gar nicht* ** ich halt ihm das hin
217
seht * geh durcht * nicht wahrt * daneben war * eine
218
baracke ** wo die quäker * den den den ganz schwachen
219
und verhungerten * zu essen gegeben hamt * das fenster
220
war halb auf das war alles abgesprochent
221
** papier hineingeworfen daß er es am nächsten früh
222
wieder bekommtt ** und ** soll um neun uhrt * soll ich
223
an dem * kwisch 82 an de:r Chaussee seint ** es kommt ein
224
auto holt mich bringt mich dort zu mi/ zu meiner frau
225
und dann * geht=s weiter in der gleichen nacht* ** ä:m
226
** und ä ** wie ich (dort) * draußen bin ** is alles
227
verwachsene hecken die nicht beschnitten warnt ** un-
228
möglich zu gehn* ** es kann nur gemacht werden im krie-
82
Hebr.: 'Landstraße'.
** ich komm an der französischen wache
* und die rechnung ging genau auf* * ich halt
* ich hab dann
183
229 230
KH: ja* JA: chen* ** das * am boden kriechen auf allen viern* * ä: :
231
das ganze * der ganze weg war bis zum kwisch war unge-
232
fähr anderthalb kilometer* * also gar nix* ** aber ich
233
hab gebraucht bis:: ä stun/ ä weit über eine stundet *
234
aber am anfang was is mir passiert* * wie ich so rumta-
235
ste * is da irgendsowas hartes* es war nicht holzt **
236
mit meiner hand hab ich weitergetastetΨ
237
das war* * das war der hohe schuh einer französischen
238
wache* ** und ich nimm an der soldat hat gemeint das is
239
irgend η verlaufener hund oder katze die ihm da unten
** wißt ihr was
240 241
Κ
** nich wahrτ er hat mich nich #festgenommen* ** ich #LEISER
242 243
JA: hab Κ
244
JA: un dann * ich bin dann ** bis zum kwisch gekomm* dane-
(mich durchgekrochen) im finstern*# ** nich wahrt
#
245
ben war so eine fl/ flut von schmutzichem wasser hat
246
dauernd gerechnet* ** und äm * dann kommt ein auto
247
langsam* ** bis zu der stelle wo wir ausgemacht hatten
248
an der brücket ** und da fällt mir im letzten moment
249
(aus) wir haben kein ** erkennungssignal* ** das kann=n
250
auto sein da sitzt ä weiß ich die gestapo drinnen* **
251
hab ich mich der länge nach in den schmutz geworfen*
252
das auto hat sich umgedreht is wieder weggefahrn* * un
253
da hab ich beschlossen ich will versuchen dann ging ich
254
dann eben weiter* ** bis ich * das haus gefunden habe
255 256 257 258
KH: wieviel kilometer warn JA: #wo meine frau war*# Κ #LEISER # BA: licht aesehn* *
259 260
KH: das ungefähr* +das warn:: ä hu* das war nicht allzuJA:
261
weit* da warn drei vier häuser im wald* * hopital saint
262
pierre* * zuerst hab icji=es falsche haus angeklopft* **
263
war auch verdächtig weil=s so spät nachts war* ** und ä
264
** ä dazwischen war noch ein haus* ** da saß da drinne
265
einer ** entweder hat er radio gehört* * mit dem rücken
266 267
Κ
* zum fenster* ** #ich klopf am fen#ster* * dreht der #KLOPFT #
268
JA: sich um ** war das der * telefonmann vom lager* * also
18' 269
h ä t t e r s e i n e p f l i c h t erfüllte
** h ä t t er s o f o r t
mich
270 271
festnehmen müssen! * ich bin aus=m lager entlaufen*
272
n a d e r liebe g o t t hat w i e d e r mal ** d a w a s g e t a n t
* er
273
h a t so g e m a c h t *
# **
ja*
* ps::t ich würd nix sagen # *
274 275
**
#KL0PFT# weg*
** u n d d a n n h a b i c h d a s ä: ** g e f u n d e n ! * n i c h t
276
wahrt
277
** e i n e * j u n g e frau m a c h t auf m i t so e i n e r * p e t r o l e -
278
umlaternet
279
sprücheichen ich bin verabredet mit meiner frau wir
280
m o r g e n f/ m o r g e n w o l l e n w i r auf die
281
gehn* d a s w a r so v e r a b r e d e t *
282
s c h n e l l e i n e t ü r zut d a h a m b a u e r n g e s e s s e n * k a r t e n
283
gespieltt
284
** u n d k a u m h a m w a u n s w i e d e r g s e h n g e h t die t ü r auf *
285
k o m m t e i n e r v o n d e n S c h m u g g l e r n reint * g r o ß e s
286
a u f = m b u c k e l d e / ** u n d sagt ** # *
1
die t/ * klopf a n d i e s e m z w e i t e n h a u s * im waldt ** p e t r o l e u m l a m p e t
** u n d d a sag i c h mei wildschweinjagd
** s a c h t sie *3* m a c h t
** t r e p p e rauf * m e i n e frau*
287
* H O L T L U F T gutt fahrrad
# ** d i e
zeit
#KL0PFT#
288
verpaßtt
289
is wegt
290
d a n n g e b r a c h t in * eine ** in e i n e n k u h s t a l l t
291
s t a n d e n d i e kühet * u n d eine l e i t e r g e h t rauf u n d o b e n
292
z w i s c h e n d e n Stroh/ * ä: ä / d i n g e r n h a m w a u n s d a n n
293
verstecktt
294
d e r d i c k e w i e d e r u n d hat g e s a c h t m o r g e n früht
295
k o m m t e i n taxit
296
t e n fix u n d f e r t i c h h i n z w i s c h e n die kühet
297
raust
298
s c h n e l l r a u s ins taxit * u n d so w e i t e r *
299
gewesent
300
papiere ich hab mich
301
u n d ä : m ** auf einmal flucht d e r f a h r e r * w i e e i n v e r -
302
rückter*
303
te Stadt a n d e r g r e n z e oloront
304
wochenmarkt*
* kann man nich durchfahrnt
305
* gendarmen*
** also is er u m d i e s S t ä d t c h e n
306
fahrnt
* die k l e i n e g r u p p e m i t d e r ihr g e h n ** m ü s s e n m a a b w a r t e n w a s w i r d sein*
* d r e i tage u n d drei n ä c h t e t ** n i c h t wahrt
solltet ** hat uns unten
** u n d d a n n k a m ** ä
* ihr s t e l l t e u c h ** un-
* d a s taxi w i r d h a l t e n eine m i n u t e t ** m e i n e frau k o n n t e sitzent
* kuckt * ihr
springt
** u n d so is es
* ich hatte keine
(beim) b o d e n g e l e g t im taxit
* a l s o w a s ist er w o l l t e d u r c h f a h r n *
die
** letz-
* u n d da war grad der ** k o n t r o l l e *
** u n d d a n n * sagte er * h i e r * is d i e
rumgegrenze
185
307
nicht wahr! * raus mit euch* ** ja * wir jetζ raus *
308
grad auf die seite gesprungent
309
dem fahrrad wiedert nicht wahrt ** nur eines hab ich
310
gesehen wußte nicht was die bedeutung ist irgendwo ging
311
ein laden auf und zu! ** und das hat dem dicken nachher
312
s leben gekostet! wie er zurückkam ham die deutschen
313
ihn erschossen! HOLT LUFT und die zwei schmu/ zwei jun-
314
gen Schmuggler warn noch dat und noch einer * den sie:
315
mit uns zusammen über die grenze schmuggelten! * nicht
316
wahr bezahlt hatten wir durch das geld von der brief-
317
markensammlung! ** und äm: * wir sind dann gegangent
318
erst * pyrenäen hinauft
319
unmöglich nicht wahrt
320 321
* da stand der dicke mit
**
** meine frau ** halbschuhe *
[. . . ]
[SCHNEE, ÜBERNACHTUNG IN EINER HÖHLE; 3:24 Min.] JA:
[...] wir gehn lost ** aber schneet so hoch! ** s näch-
322
ste wunder! ** da sehn wir ** hm ziem/ ä: in der ferne
323
* eine gruppet
** die haben schaufeln ** und machen d=
324 325
Κ
326
JA: sind * in ihren spuren gegangent
#es hat sich später
327
Κ
# SCHNELLER
328
JA: rausgestellt französische Offiziere die entflohen sind
329
löcher in den schnee! # *3* # und wir #IMITIERT GRABGERÄUSCH#
die wollten nach afrika zu de gaullet# ** und ä die ham
330
Κ
#
331
JA: die löcher gemacht! * so konnte meine frau gehn! ** und
332
wir gehent und jetzt kommt das wunder aller wunder! **
333
wir kommen an eine gewisse anhöhet unsere führer sagen
334
uns von jetzt ab geht=s runter jetzt is nicht mehr
335
schwert
336
so ne holzbaracket
337
da kommt raus einer mit einem gerät von diesen
338
sischen Offizieren und bricht die zacken ab! ** und wir
339
kamen in Unterhaltung vor allem unsre führer * und äm
340
** was ist geschehent
341
von ihnen is krank geworden! ** und er hat das abgebro-
342
chen * um es zu wärmen und ihm was warmes zu geben! **
343
und dadurch * daß der krank geworden ist * sowohl ob-
344
wohl es klingt sehr egoistisch! ** sind wir gerettet
** da kommtt * a und dort oben steht eine auch ** und da sind lauter eiszapfen! ** franzö-
* jetzt kommt das wunder! * einer
18