Sozialverwaltung im Reformprozeß: Verfassungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Studie zur Modernisierung der Sozialverwaltung am Beispiel Nordrhein-Westfalens [1 ed.] 9783428489152, 9783428089154

Im Zuge der Diskussion um den »schlanken Staat« in der Bundesrepublik Deutschland wandelt sich derzeit nicht nur der Cha

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Sozialverwaltung im Reformprozeß: Verfassungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Studie zur Modernisierung der Sozialverwaltung am Beispiel Nordrhein-Westfalens [1 ed.]
 9783428489152, 9783428089154

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DETLEF MERTEN • RAINER PITSCHAS

Sozialverwaltung im Reformprozeß

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 123

Sozialverwaltung im Reformprozeß Verfassungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Studie zur Modernisierung der Sozialverwaltung am Beispiel Nordrhein-Westfalens

Von

Univ.-Prof. Dr. Dr. Detlef Merten und Univ.-Prof. Dr. Rainer Pitschas

DUßcker & Humblot · Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Merten, Detlef: Sozial verwaltung im Reformprozeß : verfassungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Studie zur Modernisierung der Sozialverwaltung am Beispiel Nordrhein-Westfalens / von Detlef Merten und Rainer Pitschas. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 123) ISBN 3-428-08915-4

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-08915-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

Vorwort Im Zuge der Diskussion um den "schlanken Staat" in der Bundesrepublik Deutschland wandelt sich derzeit nicht nur der Charakter des Sozialrechts. Auch die Sozialverwaltung sieht sich der Frage nach ihrem Bestand und ihrer zukünftigen Gestalt ausgesetzt. Die Bundesländer entdecken in diesem Veränderungsprozeß, daß sie im Rahmen föderaler Gesamtstaatlichkeit trotz beschränkter Gesetzgebungskompetenzen durch die Wahrnehmung der landesrechtlichen Organisationsgewalt eine eigenständige qualitative Sozialpolitik zu entfalten vermögen. Ziele und Maßstäbe allfälliger Strukturreform werden (auch) von dieser Erkenntnis geprägt. Der Gestaltungsspielraum der Länder wird allerdings durch detaillierte verfassungs- und sozialrechtlichen Maßgaben des Bundes(Verfassungs-)rechts sowie von verwaltungs wissenschaftlichen Rationalitätsbindungen bestimmt. Diese werden im folgenden näher entfaltet. Die dabei vermittelten Einsichten und Vorschläge der Verfasser gehen auf ein Gutachten zurück, daß diese für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen erstattet haben. Demzufolge tragen die Autoren gemeinsam die Verantwortung für die nachfolgenden Ausführungen. Im einzelnen zeichnet jedoch der Erstverfasser für die Darstellung der verfassungs- und sozialrechtlichen Grundlagen (1. bis 4. Kapitel), der Zweitverfasser für die verwaltungswissenschaftliche Grundlegung (5. bis 7. Kapitel) verantwortlich. Speyer, im März 1997

Detlef Merten

Rainer Pitschas

Inhaltsverzeichnis

Einleitung. . . . .. . . .. . . .. .. . . .. . . .. . . . . .. . . . .. .. . .. . . . . .. . .. . . .. . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .

13

ERSTER TEIL

Verfassungsrechtliche und sozialrechtliche Grundlagen 1. Kapitel: Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

A. Allgemeines ........................................................................

15

B. Fehlende sozialrechtliche Totalkompetenz des Bundes..............................

16

C. System der Einzelzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

I. Sozialversicherung .............................................................

17

11. Versorgung.....................................................................

18

111. Fürsorge ......................................................... .. ............

18

IV. Detailzuweisungen am Beispiel des Gesundheitswesens ........................

18

D. "Natur der Sache" und "Sachzusammenhang" als ungeschriebene Bundeskompetenzen ..............................................................................

20

I. Kompetenzen kraft "Natur der Sache" ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

11. Kompetenzen kraft "Sachzusammenhangs" ....................................

21

E. Die Gesetzgebungsschranke des Art. 72 Abs. 2 GG ......... :.......................

21

I. Sinn und Zweck der Vorschrift .................................................

21

11. Sperrwirkung ohne Rückwirkung. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

F. Gesetzgebungskompetenzen der Länder auf sozialrechtlichem Gebiet ...............

23

I. Gesetzgebungskompetenz wegen fehlender Bundeszuweisung ..................

23

11. Gesetzgebungskompetenz wegen ungenutzter Bundeszuweisung ...............

24

111. Gesetzgebungskompetenz wegen subsidiärer Bundesregelung ..................

26

IV. Gesetzgebungskompetenz kraft Bundesermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

G. Die den Ländern verbleibenden Gesetzgebungskompetenzen ................. . . . . . . .

27

8

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern ............................ ......... ..... .................... ...

28

A. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution ......... . ..................

29

I. Bundesvollzug von Bundesgesetzen ............................................

29

1. Grundsätzliches .............................................................

29

2. Art. 87 Abs. 2 Satz I GG ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .

30

a) Der Begriff der "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" .................

31

aa) Der Gegensatz von Art. 87 Abs. 2 Satz I GG und Art. 86 Satz 1 sowie Art. 87 Abs. 3 Satz I GG .....................................

3I

bb) Zur historischen Entwicklung der Sozialversicherungsträger ........

32

b) Zur Korrelation von Art. 87 Abs. 2 und Art. 74 Nr. 12 GG ...............

34

c) Mehrstufigkeit bundesunmittelbarer Körperschaften .....................

34

d) Praktische Bedeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

3. Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG n.F. ...............................................

36

4. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ........................................... . . . . . . . . .

37

a) Bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts .............

37

b) Bundesunmittelbare Anstalten des öffentlichen Rechts...................

37

c) Bundesunmittelbare Stiftungen des öffentlichen Rechts..................

38

11. Landesvollzug von Bundesgesetzen im Bundesauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

I. Bundesauftragsverwaltung nur bei Verfassungsvorbehalt ....................

38

2. Die Verbundverwaltung gemäß Art. 120 a GG ............. . . . ...............

40

C. Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht ........ . ........ . .........

40

I. Organisationsgewalt der Länder bei Landeseigenverwaltung ....................

40

11. Organisationsgewalt des Bundes bei Landeseigenverwaltung ...................

41

1. Einrichtungen der Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4I

a) Grundsätzliches .........................................................

4I

b) Verhältnis von Art. 84 Abs. 1 zu Art. 87 Abs. 2 GG ......................

42

c) Durch Bundesrecht errichtete Behörden auf dem Gebiet des Sozialrechts

43

aa) Schwerbehindertenrecht ........................................ . . . . .

43

bb) Kriegsopferversorgungsrecht ................................... . . . . .

44

2. Verwaltungsverfahren .......................................................

45

a) Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

b)

des Sozialgesetzbuchs und Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder............................................ Verwaltungsve~ahrensrecht

47

Inhaltsverzeichnis

9

c) Verwaltungsverfahrensrecht des Sozialgesetzbuchs und Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes ............................................ .

48

d) Allgemeines und Besonderes sozialrechtliches Verwaltungsverfahrensrecht ................................................................... .

48

D. Zum Verbot der "Mischverwaltung" ........................................... . ... .

49

I. Verfassungsrechtliche Ausgangslage ....................................... . .. .

49

11. Der Begriff der "Mischverwaltung" ........................................... .

50

III. Möglichkeiten und Grenzen einer "Mischverwaltung" ......................... .

50

I. Verfassungsrechtliche Ausgangslage ....................................... .

51

2. Möglichkeiten eines Zusammenwirkens ................................. . .. .

51

E. Würdigung des Einflusses des Bundes auf den Vollzug von Bundesgesetzen . ........ .

52

3. Kapitel: GestaItungsfreiheit der Länder im Bereich der sozialen Sicherheit ....

54

A. Gesetzgebungsbejugnisse .......................................................... .

54

I. Gesetzgebung auf Gebieten der Bundeskompetenz ............................ .

54

11. Gesetzgebung im Bereich ausschließlicher Landeszuständigkeit ..... . . . ....... .

56

111. Würdigung .................................................................... .

57

B. Verwaltungskompetenzen .......................................................... .

57

I. Verwaltung in Bereichen der Bundeskompetenz ............................... .

57

I. Unzugängliche Bereiche ...................................... . ............ .

57

2. Bereiche mit marginaler Landeskompetenz ................................. .

58

3. Bereiche mit weitgehender Gestaltungsfreiheit der Länder .................. .

60

II. Verwaltung in Bereichen der Landeskompetenz ............................... .

60

4. Kapitel: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die landesrechtIiche Organisationsgewalt ............................................................. .

61

A. Landesrechtliehe Organisationsgewalt im Bundesstaat . ............................ .

61

I. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG ...................................... .

61

II. Pflicht zur Herstellung "gleichwertiger" oder "einheitlicher" .Lebensverhält. ?.......................................................................... . msse

63

I. Art. 28 Abs. 2 GG .......................................................... .

63

2. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG ................................................. .

63

10

Inhaltsverzeichnis

B. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung ........................................

64

1. Art. 28 Abs. 2 GG ..............................................................

64

1. Schutz für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft .................

64

2. Agenden ohne Ortsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

3. Möglichkeiten und Grenzen der Auftragsverwaltung ........................

68

II. Art. 78 der nordrhein-westfälischen Verfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

1. Bindungswirkung ...........................................................

70

2. Die Besonderheiten der monistischen Lösung ...............................

70

C. Das Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

1. Das "Soziale" als Staatszielbestimmung ........................................

72

II. Sozialstaatlichkeit bei der Verwaltungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

D. Das Rechtsstaatsprinzip ............................................................

74

1. Rechtsstaatlichkeit als effektive Rechtsstaatlichkeit . . ... . . .. . . . . . . ... . ... . . . . .. .

74

11. Zum rechtsstaatlichen Gesetzesvollzug .........................................

76

E. "Bürgernähe" als Verjassungsprinzip? .............................................

77

F. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ......................................................

78

1. Das Wirtschaftlichkeitsgebot als Verfassungsgrundsatz .........................

78

1. Das Wirtschaftlichkeitsgebot im Grundgesetz ...............................

78

2. Das Wirtschaftlichkeitsgebot in der nordrhein-westfälischen Landesverfassung ............. ................................................. ..........

79

3. Wirtschaftlichkeit als Prinzip des Haushaltsrechts ...........................

80

II. Wirtschaftlichkeit" und "Sparsamkeit" als Zwecke des Verwaltungshandelns ...

81

1. Bedeutung und Wechselwirkung der Begriffe................................

81

2. Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

3. Konkurrenz verschiedener Prinzipien .......................................

83

ZWEITER TEIL

Verwaltungswissenschaftliche Grundlegung 5. Kapitel: Gegenstand der Erörterungen und thematische Eingrenzung . . . . . . . . . .

84

A. Notwendigkeit einer Strukturreform der Sozialverwaltung Nordrhein- Westfalen .....

84

I. Verwaltungsmodernisierung in Nordrhein-Westfalen ............................

84

H. Qualitative Eigendimension der Sozial verwaltung ..............................

85

Inhaltsverzeichnis

B. Thematische Eingrenzung der Erörterungen ..................................... . .. C. Die Versorgungsverwaltung als .. nucleus" einer einheitlichen Landessozialverwal-

11 87

tung? ........... ...................... ....... .......................................

88

6. Kapitel: Ziele und Maßstäbe einer Strukturreform der Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen ........... .. .. .. . . . . . . .. . .. . .. . .. . . .. . .. . .. . . . . .. . .

89

A. Strukturreform als zielkomplexes Arbeitsvorhaben und als sozialpolitischer Prozeß

89

I. Sozialpolitische Steuerung durch "Recht" und "Verwaltung" ...................

89

1. Steuerungsdirektiven "qualitativer" Sozialpolitik ............................

90

a) Qualitativer Steuerungsauftrag staatlicher Sozialpolitik ..................

90

b) Begriff und Reichweite staatlicher Steuerung ............................

91

2. Die Sozialverwaltung als originäre Steuerungsinstanz .......................

93

3. Strukturdirektiven verwaltungsförmiger Steuerungsverantwortung für qualitative Sozialpolitik ..........................................................

95

11. Kennlinien und Strukturdirektiven des modernen Verwaltungsmanagements .... 100 1. "Schlanke" Verwaltung und "New Public Management" ..................... 100 2. Allgemeine Konsequenzen für Verwaltungsstrukturreformen ................ 102 III. Verwaltungsstrukturreform als "Optimierungsproblem" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IV. Zwischenbilanz: Komplexität des Zielsystems der Verwaltungsstrukturreform .. 104

B. Verwaltungswissenschajtliche Maßstäbe und Rationalitätskriterien für die Strukturreform .............................................................................. 104

I. Im Zentrum der Reform: Die "Aufgaben" der Sozialverwaltung ................ 104 11. Sozial(verfassungs-)rechtliche Organisationsdirektiven ................... . ..... 105 1. "Recht" als verwaltungswissenschaftlicher Organisationsmaßstab ........... 105 2. Europarechtlich induzierte Organisationsmaßgaben ......................... 107 3. "Ökonomisierung" der rechtlichen Steuerungsfunktion ...................... 108 4. Reichweite verfassungsrechtlicher Organisationsprägung: Leitlinien für Strukturreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109 III. Funktionale Reorganisation durch Aufgabenintegration ? ....................... 110 1. Spielräume der Aufgabenintegration ........................................

110

2. Grenzen funktionaler Verwaltungsorganisation: Zur Eingliederung in die allgemeine Landesverwaltung .................................................

111

12

Inhaltsverzeichnis

C. Die Bedeutung des" Integrationsgedankens " für die Strukturreform I. "Integration" als verwaltungswissenschaftlicher Maßstab I. "Integration" und "Integrationsnutzen" ......................................

112 112 112

2. Zielpunkt: "Soziale Integration" ............................. .... ........... 112 11. Rechtsmaßstäbe als Integrationsmerkmale . . . .. . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . 113 111. Das Organisationsproblem als Werteentscheidung .............................. 113

7. Kapitel: Einrichtung einer "FachverwaItung für Soziales" (Landesamt für Soziales) ................................................................. 114 A. Der "Integrationswert" einer gebündelten Landessozialverwaltung ................. 114 I. Anwendung der verwaltungswissenschaftlichen Maßstäbe und Rationalitätskriterien . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. .. .. .. .. .. . . . . . . .. . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . . . . 114

11. Konsequenzen für die Landesverwaltung in Nordrhein-Westfalen ............... 115 B. Struktur- und Funktionsmerkmale des Landesamtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I. Landesoberbehörde mit Steuerungsfunktionen .................................. 116 11. Aufgabenzuschnitt und Behördenstruktur .................................... : .. 118 I. Sektoraler und regionaler Zuschnitt .........................................

118

2. Privatisierungspotentiale .................................................... 119 3. Integration bisheriger Sozialbehörden ........................ .. ............. 120 4. Die Landesversorgungsverwaltung als "nucleus" ............................ 122

DRIITER TEIL

Zusammenfassung/Thesen I. Verfassungsrechtliche und sozialrechtliche Grundlagen ......................... 123 11. Verwaltungswissenschaftliche Grundlegung .................................... 126

Literaturverzeichnis

128

Einleitung Die Modernisierung der Staatsverwaltung hat einschneidende Konsequenzen für den zukunfts orientierten Umbau des Sozialstaates. Dies gilt in gleichem Maße für die Ebene des Gesamtstaates wie für die der Bundesländer. Hiervon hängt die Lebensqualität vieler Bürger ab. Eine dezentralisiert und effizient arbeitende, bürgerorientierte, motivierte und finanzierbare Landesverwaltung ist hierfür unabdingbar. Die Sozialverwaltung ist in die damit erforderliche umfassende Verwaltungsstrukturreform notwendig einzubeziehen. Ihr äußerer Behördenaufbau wie auch die Binnenstrukturen und Geschäftsprozesse sind deshalb mit dem Ziel zu überprüfen, nach Maßgabe und in den Grenzen des bundesstaatlichen bzw. landesstaatlichen Verfassungs- und Sozialrechts eine zukunftsbezogene Landessozialverwaltung zu schaffen, die als Partner des Sozialbürgers über leistungsfähige Aufbauund Ablaufstrukturen verfügt. Zentrale Kriterien für den entsprechenden Umbau der zur Zeit vielfach noch in zahlreiche Sonderbehörden zersplitterten Sozial verwaltung(en) sind die Orientierung an einer qualitativ verstandenen Sozialpolitik, ihre Umsetzung durch eine einheitliche Landessozialverwaltung unter gleichzeitigem Abbau von Hierarchien und Bürokratie sowie die Einführung eines (Sozial)Verwaltungsmanagements. Insofern rücken Partizipations- und Wirtschaftlichkeitsfragen der Verwaltungsführung in den Vordergrund der Organisationsgestaltung. Sie umfassen zugleich die Suche nach Formen der Zusammenarbeit von öffentlicher und privater Hand im Sinne einer kooperativen Sozialverantwortung. Daneben ist die Transparenz des Verwaltungshandelns für eine modeme Landessozialverwaltung ebenso unerläßliche Voraussetzung wie ihre gesteigerte (Servicebzw.)Bürgerorientierung. Die nachfolgenden Ausführungen wenden sich diesen Fragen zunächst aus verfassungsrechtlicher Perspektive zu. Denn Strukturveränderungen haben sich unabdingbar an den verfassungsrechtlichen Direktiven zu orientieren. Diese beschreiben den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wobei bundesgesetzliche Regelungen als vorläufig unverrückbare Eckdaten hinzunehmen sind. Demgemäß behandeln die Ausführungen im Ersten Teil die teils geschriebenen, größtenteils jedoch ungeschriebenen Verfassungsgrundsätze und -prinzipien, die auch von den Ländern zu beachten sind und die als solche Schranken für jede Reformgesetzgebung ziehen. Im Ergebnis formuliert die verfassungsrechtliche Analyse eine maßgebliche Programmatik für den neuen Aufgabenzuschnitt von Sozialverwaltungen. Dabei zeigt sich zugleich, daß dem Verfassungsrecht keine institutionelle Garantie des Organisationsbestandes der gegenwärtigen Vielfalt der Landessozialbehörden

14

Einleitung

zu entnehmen ist. Ganz im Gegenteil bleibt auch von Verfassungs wegen auf transparente, bürgerorientierte und "schlanke" Verwaltungseinheiten zu dringen. Die damit beschriebenen (sozial-)verfassungsrechtlichen Reformdirektiven bilden neben anderen und insbesondere unter dem Leitaspekt der sozialen Integration einen maßgeblichen Bezugspunkt für die in dem Zweiten Teil der Schrift anschließenden verwaltungs wissenschaftlichen Aussagen. Diese widmen sich zunächst dem Verhältnis von Sozialpolitik und (Landes-)Verwaltung, um die Notwendigkeit einer Qualitätssteigerung sozialpolitischen Handeins i. S. der Bereitstellung von Sozialleistungen "aus einer Hand" zu verdeutlichen. In der Konsequenz dieser Überlegungen wird vorgeschlagen, eine einheitliche Landessozialverwaltung in Gestalt eines "Landesamtes" zu errichten. Dieser Behörde kommt insofern identitätsbildende Wirkung zu, als sie durch eine gebündelte Sozialkompetenz, umfassende Partnerorientierung, vertiefte Kooperationsbeziehungen zu Privaten und nutzerbestimmte Beiräte gekennzeichnet ist. Das Landesamt verkörpert damit eine Verwaltung, die unter Einbezug der Möglichkeiten breiter Personalentwicklung imstande ist, materiell-qualitative Sozialpolitik äußerst flexibel und bürgerorientiert durchzuführen. Insofern werden bestehende Sonderverwaltungen und Sonderzuständigkeiten aufgelöst. Auch neue Sonderbehörden im Sozialsektor sollten nicht errichtet werden. Die bestehende Versorgungsverwaltung wäre in das zu schaffende Landesamt einzubeziehen. Mit diesem Ergebnis sollen die Ausführungen in der aufgeregten Diskussion um die Zukunft des Sozialstaates einen neuen Ansatz zum "Umbau" des Sozialstaates ohne "Abbau" leisten.

ERSTER TEIL

Verfassungsrechtliche und sozialrechtliche Grundlagen 1. Kapitel

Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen in der Bundesrepublik Deutschland A. Allgemeines Das Grundgesetz enthält keinen eigenen Abschnitt über das Wirtschafts- und Sozialleben, während noch die Weimarer Reichsverfassung z. B. den Fünften Abschnitt ihres Zweiten Hauptteils (Art. 151 ff.) mit "Das Wirtschaftsleben" überschrieben hatte. Die formellen und materiellen Aussagen von sozialpolitischer und sozialrechtlicher Bedeutung, die als "Sozialverfassung" freilich nicht im Sinne eines geschlossenen Systems oder eines bestimmten Modells zu verstehen sind 1, müssen daher aus den einzelnen Abschnitten des Grundgesetzes zusammengetragen und systematisierend zusammengestellt werden. Widmet man sich den Gesetzgebungskompetenzen im Bereich von Sozialrecht und Sozialpolitik, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß das Grundgesetz zur Erzeugung von Recht durch die Länder keine Aussagen enthä1t2 . Vielmehr beschränkt sich die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland darauf, die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern zu verteilen, was Art. 70 Abs. 2 GG deutlich macht. Dabei stellt das Grundgesetz an die Spitze seines Siebten Abschnitts über "Die Gesetzgebung des Bundes" in Art. 70 Abs. 1 GG eine Zuständigkeitsvermutung: Danach haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Art. 70 Abs. 1 GG konkretisiert die allgemeinere Zuständigkeitsvermutung des Art. 30 GG, wonach die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, soweit dieses Grundgesetz keine andere Re1 Vgl. Müller-Valbehr, Sozialverfassung, Sozialpolitik und Sozialreform, in: ZRP 1984, S. 262ff.; SchaldPitschas, in: Sozialrechtsprechung, Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, Bd. 11, S. 639 ff. 2 So auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11, § 37 11 I, S. 578.

16

1. Teil, 1. Kap.: Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen

gelung trifft oder zuläßt. Aus diesen Zuständigkeitsvermutungen darf jedoch nicht fälschlich der Schluß gezogen werden, daß die Fülle staatlicher Zuständigkeiten auch tatsächlich bei den Ländern liege. Der Schwerpunkt der Gesetzgebung findet sich infolge der ihm in Art. 73 bis 75 GG zugewiesenen Materien oder Bereichskataloge beim Bund.

B. Fehlende sozialrechtliche Totalkompetenz des Bundes In der Tradition der Reichsverfassungen von 1871 und 1919 meidet das Grundgesetz bei der Verteilung der Gesetzkompetenzen weitgehend Generalklausein und bevorzugt gegenständlich näher umschriebene einzelne Materien oder Bereiche4 , die vielfach zur Vermeidung von Kompetenzstreitigkeiten möglichst eng bezeichnet werden, wie z. B. "Seezeichen" (Art. 74 Nr. 21 GG) oder "die künstliche Befruchtung beim Menschen" (Art. 74 Nr. 26 GG). In Übereinstimmung mit dieser Tendenz hat das Grundgesetz dem Bund keine legislatorische Totalkompetenz für das Sozialrecht oder das Recht der sozialen Sicherheit zugewiesen 5, sondern ihm nur Gesetzgebungsbefugnisse für einzelne Sachgebiete eingeräumt. Daraus folgt, daß dem Bund die Befugnis zum Erlaß gesetzlicher Regelungen nicht bereits dann zusteht, wenn diese eine Förderung der sozialen Sicherheit bezwecken, worauf das Bundesveifassungsgericht ausdrücklich hinweist6 . Nicht die Zugehörigkeit zum "Sozialrecht" oder dem Recht der "sozialen Sicherheit" als einem Oberbegriff reicht für die Bejahung einer Bundeskompetenz. Vielmehr muß sich ein legislatorisches Vorhaben mit den Merkmalen der dem Bund jeweils eingeräumten sozialrechtlichen Einze1materien decken. Wenn dem Bund auch fast alle bedeutenden sozialrechtlichen Materien zugewiesen sind, so kann daraus noch keine Vollkompetenz gleichsam als Summe der Einzelmaterien abgeleitet werden. Einer derartigen Argumentation steht Art. 70 Abs. 1 GG entgegen, der als Regel-Ausnahme-Prinzip eine generelle Länderkompetenz mit spezieller Bundeszuweisung statuiert. Diese Grundentscheidung der Verfassung liefe leer, wenn man durch Zusammenfassung von Einzelkompetenzen und Konstruktion von Oberbegriffen die Bundeskompetenzen überdehnen dürfte. Diese Auffassung teilt offensichtlich auch der verfassungsändernde Gesetzgeber. Denn er hat trotz der Bedeutung der Krankenhauspflegesätze für das Krankenver3 Ähnlich Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl., § 19 III 3 a, S. 674; MaunVZippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Aufl., § 37 11 I, S. 310. 4 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 3711 4, S. 600. 5 Vgl. BVerfGE 11, 105 (111 ff.); Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, § 100 RN 156, S. 790; Papier, in: von MaydelllRuland (Hg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Aufl., 3 RN 11, S. 77; a.A. Gitter, Sozialrecht, 3. Aufl., S. 28. 6 E 11,105 (111).

C. System der Einzelzuweisungen

17

sicherungsrecht als Teilgebiet des Sozialversicherungsrechts (Art. 74 Nr. 12 GG) eine neue Kompetenzzuweisung in Art. 74 Nr. 19 a GG für "die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze" geschaffen und damit inzident eine Total- oder Vollkompetenz des Bundes abgelehnt. Nach allem reicht es für eine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nicht aus, daß Gesetzesbestimmungen sozialrechtliche Bezüge aufweisen. Vielmehr muß der Bund sich an die ihm einzeln zugewiesenen Gesetzgebungsmaterien halten, wobei es ihm allerdings nicht verwehrt ist, ein Gesetz auf mehrere Gesetzgebungsgegenstände zu stützen.

c. System der Einzelzuweisungen I. Sozialversicherung Gemäß Art. 74 Nr. 12 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes neben dem Arbeitsrecht auf "die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung". Diese Bestimmung knüpft an Art. 161 WRV an, wonach das Reich "ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten" "zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutz der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens" schaffen sollte. Schon der Verfassungswortlaut zeigt, daß der Ausdruck "Sozialversicherung" als ein "Gattungsbegriff,7 nicht beliebig dehnbar ist, da das Grundgesetz es für nötig gehalten hat, die erst 1927 eingeführte Arbeitslosenversicherung als von der "Sozialversicherung" umschlossen auszuweisen 8 . Art. 74 Nr. 12 GG bewirkt zwar keine Versteinerung mit der Folge, daß der Bund an die bei der Verfassunggebung vorhandene Ausgestaltung der Sozialversicherung gebunden ist. Auch neue Lebenssachverhalte können in das soziale Sicherungssystem einbezogen werden, wie das z. B. durch die Pflegeversicherung 9 und die Künstlersozialversicherung geschehen ist. Voraussetzung ist jedoch, daß die neuen Sozialleistungen in ihren "wesentlichen Strukturelementen", insbesondere ,,hinsichtlich der abzudeckenden Risiken" und der "organisatorischen Durchführung" dem Bild entsprechen, "das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist" 10.

So BVerfGE 11, 105 (112). V gl. hierzu auch BVerfGE 11, 105 (111 f.). 9 Vgl. hierzu Krasney, Rechtsgutachten zu Fragen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Pflegeversicherung im Rahmen der Sozialversicherung. 10 Vgl. BVerfGE 88, 203 (213); 87, 1 (34); 75, 108 (146); auch schon E 11, 102 (112); Rüfner, Einführung in das Sozialrecht, 2. Aufl., S. 17 FN 31. 7

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2 Speyer 123

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1. Teil, 1. Kap.: Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen

11. Versorgung

Neben der Sozialversicherung erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, die Kriegsschäden und Wiedergutmachung sowie die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen (Art. 74 Nr. 10, 9, 6 GG). Kennzeichen der Versorgung ist die einseitige Entschädigung für die von der Gemeinschaft auferlegten und von ihr zu tragenden immateriellen (Leben, Gesundheit) oder materiellen (Vermögen) Sonderopfer. Threm Charakter als Sonderopferentschädigung entspricht es, daß Versorgung prinzipiell nach ihren Grundleistungen ohne Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse des Versorgungsberechtigten gewährt wird. Im Gegensatz zur Sozialversicherung fehlt der Versorgung das Merkmal der Gegenseitigkeit, weil die Berechtigten für die Sozialleistungen vorher keine Beiträge erbracht habenlI. Der Bund hat von dieser Kompetenz insbesondere durch Erlaß des Bundesversorgungsgesetzes, des Bundesvertriebenengesetzes, des Lastenausgleichsgesetzes sowie des Bundesentschädigungsgesetzes Gebrauch gemacht. 111. Fürsorge

Im Bereich der Fürsorge steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis für die Bereiche der "öffentlichen Fürsorge" (Art. 74 Nr. 7 GG) und der "Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen" (Art. 74 Nr. 10 GG) zu. Die Fürsorge setzt im Unterschied zur sozialen Versorgung und sozialen Versicherung eine individuelle Notlage voraus, ist also durch das Subsidiaritätsprinzip gekennzeichnet. Sie ist notwendigerweise eine nachrangige Hilfe, die anders als bei der Sozialversicherung und der Sozialversorgung ohne Gegenleistung oder Sonderopfer des Leistungsempfängers von der Allgemeinheit erbracht und in ihrem Ausmaß durch individuelle Bedürftigkeit begrenzt wird 12 . IV. Detailzuweisungen am Beispiel des Gesundheitswesens

Das System der Einzelzuweisungen ist auch am Beispiel des Gesundheitswesens zu belegen, das zum Sozialrecht im formellen Sinne gehört. Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Gesundheitswesen insgesamt fehlt dem Bund. Ihm stehen vielmehr nur sachlich beschränkte Gesetzgebungskompetenzen zu, z. B. für Maßnahmen gegen gemeingefahrliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, für die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, für den Verkehr mit Arznei-, Heil11 Vgl. Merten, Art. Sozialrecht, Sozialpolitik, in: Benda/MaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., § 20 RN 89, S. 987. 12 Vgl. Merten, aaO, S. 988 RN 90.

C. System der Einzelzuweisungen

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und Betäubungsmitteln und Giften (Art. 74 Nr. 19 GG) sowie für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Nr. 19 a GG). Vor kurzem hat der Bund infolge einer Ergänzung des Grundgesetzes 13 zusätzlich die Gesetzgebungskompetenz für "die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben" erhalten (Art. 74 Nr. 26 GG). Die Entscheidung der Verfassung, dem Bund für das Gesundheitswesen nur in eingeschränktem Maße Einzelkompetenzen zuzuweisen, ist für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern von großer Bedeutung. Denn sie macht deutlich, daß fehlende Kompetenzteile aus dem Gesamtbereich "Gesundheitswesen" willentlich und nicht etwa versehentlich dem Bund vorenthalten wurden. Damit liegt insoweit eine "bewußte" und keine "unbewußte" Kompetenzlücke vor. Fehlt es aber an einer planwidrigen oder durch den Gesetzeszweck bedingten Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung, so muß eine analoge Gesetzesanwendung ausscheiden und der Umkehrschluß (argumentum e contrario) greifen 14• Von den bewußt unvollständigen Kompetenzteilen im Bereich des "Gesundheitswesens" darf daher nicht auf eine Bundeszuständigkeit in anderen, nicht ausdrücklich geregelten Bereichen geschlossen werden, noch dürfen andere Kompetenztatbestände, wie z. B. der "öffentlichen Fürsorge" mit der Folge erweiternd ausgelegt werden, daß sie auch zum Erlaß von Regelungen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens berechtigen 15 . Aus diesem Grunde hat das Bundesveifassungsgericht 16 dem Bund die Kompetenz abgesprochen, ein ausreichendes und flächendeckendes Angebot sowohl ambulanter als auch stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen. Ähnliche Erwägungen sprechen dagegen, den Kompetenztitel des Art. 74 Nr. 19 GG, wonach der Bund die konkurrierende Gesetzgebung lediglich für "die Zulassung" zu ärztlichen und anderen Heilberufen hat, auszuweiten 17. Wegen der bewußten Beschränkung auf die "Zulassung" ist es dem Bund verwehrt, andere Bereiche, insbesondere die "Ausübung" der ärztlichen und anderer Heilberufe schlechthin auf andere Kompetenzen, z. B. das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Nr. 11 GG) zu stützen 18. Unabhängig von der Zulassungsbezogenheit erfordert eine Ge13 Durch Art. 1 Nr. 6 lit a) dd) des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994 (BGB\. I S. 3146). 14 Vgl. statt aller Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 390; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 44 ff. IS SO ausdrücklich BVerfGE 88, 203 (329 f.). 16 AaO, S. 328 ff. 17 Zutreffend Hans-Ullrich Gallwas, Bundesgesetzlicher Bezeichnungsvorbehalt im Altenpflegerecht?, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche, S.411 ff. 18 Im Ergebnis ebenso Maunz, in: MaunzlDürig, GG, Art. 74 RN 215 f.; vg\. jedoch hinsichtlich des ärztlichen Gebührenrechts BVerfGE 68,319 (327ff.); BVerfG NJW 1992, S. 737.

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1. Teil, 1. Kap.: Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen

setzgebung nach Art. 74 Nr. 19 GG eine Heilberufsbezogenheit. Daher bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, wenn im Rahmen der Regelung der Altenpflege nicht nur die Heilpflege, sondern auch die Sozialpflege und deren Ausbildung geregelt werden sollen l9 .

D. "Natur der Sache" und "Sachzusammenhang" als ungeschriebene Bundeskompetenzen Ist eine Materie dem Bund in den Art. 73 bis 75 GG nicht ausdrücklich zugeschrieben, so folgt daraus nicht immer, daß dann automatisch das Regel-Ausnahme-Prinzip des Art. 70 Abs. 1 GG greift und eine Zuständigkeit der Länder gegeben ist. Vielmehr werden von Rechtsprechung und Literatur auch Bundeszuständigkeiten kraft Natur der Sache oder kraft Sachzusamrnenhangs anerkannt.

I. Kompetenzen kraft "Natur der Sache" Unter Berufung auf AnschütlO hat das Bundesverfassungsgericht "ungeschriebene, im Wesen der Dinge begründete", mithin einer ausdrücklichen Anerkennung durch die Verfassung nicht bedürftige Rechtssätze anerkannt, "wonach gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit apriori entrückte Angelegenheiten des Reichs darstellen, vom Reiche und nur von ihm geregelt werden können,,21. Will man eine Aushebelung des Kompetenzkatalogs durch ,,kompetenzexterne" Kriterien verrneiden 22 , so muß eine Kompetenzverschaffung kraft "Natur der Sache" auf ohne weiteres einsichtige Ausnahmeflille, wie z. B. Bundessymbole, beschränkt werden 23 . Demzufolge kann der Bund für das Gebiet des Sozialrechts mit Hilfe dieser Argumentationsfigur keine zusätzlichen Kompetenzen gewinnen.

Vgl. im einzelnen Gallwas, aaü, S. 411 ff. Die Reichsaufsicht, in: Anschützlfhoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S.367. 21 BVerfGE 11,89 (98 f.); ähnlich E 12,205 (251); 22, 180 (217); 26, 246 (257); vgl. auch E 3,407 (421 f.); 15, 1 (24 sub C IV). 22 Vgl. in diesem Zusammenhang Scholz, Gesetzgebungskompetenzen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. 11, S. 272f. . 23 Ebenso Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 37 11 5 b, S. 612 f. 19

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E. Die Gesetzgebungsschranke des Art. 72 Abs. 2 GG

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11. Kompetenzen kraft Sachzusammenhangs Im Gegensatz zu den Kompetenzen kraft Natur der Sache handelt es sich bei den Kompetenzen kraft Sachzusammenhangs oder den Annexkompetenzen um eine kompetenzinterne Argumentation, weshalb sich auch Stem 24 gegen den Begriff der "ungeschriebenen" Kompetenzen wendet und die Annexkompetenz als "stillschweigend mitgeschriebene" Kompetenz umschreibt. Für die Annahme einer Kompetenz kraft Sachzusammenhangs reicht der Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit einer Zuordnung von Gesetzgebungskompetenzen nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, daß "eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden kann, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene andere Materie mitgeregelt wird, wenn also ein Übergreifen in nicht ausdrücklich zugewiesene Materien unerläßliche Voraussetzung ist für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie,,25. Das Merkmal einer "unerläßlichen Voraussetzung" der Annexkompetenz hindert eine uferlose Kompetenzausweitung zu Gunsten des Bundes und zu Lasten der Länder. Im Bereich des Sozialrechts hat das Bundesverj"assungsgericht26 die Jugendpflege als so eng mit der Jugendfürsorge verzahnt angesehen, daß sie unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs in den Bereich der "öffentlichen Fürsorge" (Art. 74 Nr. 7 GG) fällt 27 .

E. Die Gesetzgebungsschranke des Art. 72 Abs. 2 GG I. Sinn und Zweck der Vorschrift Der neugefaßte 28 Art. 72 Abs. 2 GG soll für die konkurrierende Gesetzgebung und wegen der Erwähnung in Art. 75 Abs. 1 GG auch für die Rahmengesetzgebung - die eigentlich bestehende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes einschränken. Das macht nicht nur die systematische Betrachtung, sondern auch der Verfassungswortlaut des Art. 75 Abs. 1 GG deutlich, wonach der Bund das Recht zum Erlaß von Rahmenvorschriften nur "unter den Voraussetzungen des Artikels 72" hat. Das Erfordernis der "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" oder der "Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatliAaO, S. 609 f. SO BVerfGE 3,407 (421); 15, 1 (20); 26, 281 (300); vgl. auch E 11, 192 (199); 12, 205 (241); 22,180 (213); siehe auch bad.-württ. VGH, Urt. vom 19.9.1994, DVBl. 1995, S. 365. 26 E 22, 180 (212f.). 24

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27 Bedenken hiergegen bei Merten, Art. Sozialhilfe, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Sp. 3214 (3219 sub Va.E.); siehe auch Bettermann, AöR 83, 1958, S. 94ff. 28 Durch Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994 (BGBl. I S. 3146).

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1. Teil, 1. Kap.: Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen

ehen Interesse" verleiht dem Bund nicht etwa zusätzliche Gesetzgebungsbefugnisse, sondern diese Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit der Bund überhaupt von seiner legislatorischen Kompetenz Gebrauch machen kann, wie das Bundesveifassungsgericht schon für die Vorgängervorschrift, die sogenannte Bedürfnisklausel, betont hat29 . Damit enthält die neugeschaffene Erforderlichkeitsklausel kein Verfassungsgebot, insbesondere keine Pflicht des Bundes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, sondern eine Verfassungsschranke 30 . Anders als in den Fällen des Art. 73 GG reicht die Zuweisung einer Materie zur konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für ein Tätigwerden allein nicht aus, solange die zusätzlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht gegeben sind. Mit anderen Worten: Bei der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebung behalten die Länder die Gesetzgebungskompetenz, es sei denn, daß die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung gebieten. Zweck der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG war es insbesondere, die bisherige "Bedürfnisklausel" des Art. 72 Abs. 2 GG a.F. zu ersetzen und zu verschärfen, weil diese "sich als eines der Haupteinfallstore für die Auszehrung der Länderkompetenzen erwiesen" hatte 3l . Hatte das Bundesveifassungsgericht "gleichsam als Wiedergutmachung von Besatzungsunrecht,,32 seinerzeit die ,,Nachprüfung eines Bedürfnisses" in Art. 72 Abs. 2 GG a.F. abgelehnt und insoweit eine "echte Ermessensentscheidung" der Legislative angenommen 33 , so kann sich das Gericht angesichts der Verschärfung und Präzisierung der Vorschrift durch den verfassungsändernden Gesetzgeber mit dem Ziel, "die als unzureichend gefundene lustitiabilität der Bedürfnisklausel durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern", und wegen der Einführung einer neuen verfassungsgerichtlichen Verfahrensart in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG in Zukunft einer Nachprüfung unbeschadet der Einschätzungsprärogative der Legislative nicht mehr entziehen 34 . BVerfGE 3,407 (421). Vgl. Herzog, in: in: MaunzIDürig, GG, Art. 20 IV RN 87; Vogel/Walter, in: Bonner Kommentar, Art. 106 RN 184; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 19 IV 1 b, S. 750; Scheuner, DÖV 1966, S. 517; Isensee, Art. Idee und Gestalt des Föderalismus, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 98 RN 251, S. 658; Seimer, Einheit der Rechtsordnung und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nach Wiederherstellung der deutschen Einheit, in: Karsten Schmidt (Hg.), Vielfalt des Rechts - Einheit der Rechtsordnung?, S. 206; Heintzen/Kannengießer, DAngVers. 1993, S. 58 (60 r.Sp.); anders die unrichtige Auffassung von Hettlage, VVDStRL 31, 1973, S. 100 (Diskussionsbeitrag); Hohmann, DÖV 1991, S. 194. 31 So der Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, 2.1 sub IV 2, in: Zur Sache 5/93, S. 65. 32 V gl. Merten, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, in: ders., Die Subsidiarität Europas, S.95. 33 Vgl. BVerfGE 2,213 (224f.); siehe jedoch auch E 26,338 (382 f.); 78,249 (270); wörtlich nahezu gleichlautend E 13,230 (234). 29

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F. Gesetzgebungskompetenzen der Länder auf sozialrechtlichem Gebiet

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11. Sperrwirkung ohne Rückwirkung Der in seiner neuen Fassung am 15. November 1994 in Kraft getretene Art. 72 Abs. 2 GG35 entfaltet mit seinen verschärften Anforderungen an den Erlaß eines Bundesgesetzes nur Sperrwirkung für die Zukunft, reicht jedoch nicht in die Vergangenheit zurück. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus dem ebenfalls neu eingefügten Art. 125 a Abs. 2 GG36, wonach Recht, das auf Grund des Art. 72 Abs. 2 GG in seiner bisherigen Fassung erlassen wurde, als Bundesrecht fortgilt, zumindest wenn es wirksam in Kraft getreten ist37 . Nur wenn der Bundesgesetzgeber gemäß Art. 125 a Abs. 2 Satz 2 GG bestimmt, daß das weitergeltende Bundesrecht durch Landesrecht ersetzt werden kann, ist der Landesgesetzgeber zur Gesetzgebung befugt. Insoweit besteht daher eine ,,Bestandswahrung mit Bundesvorrang,,38. Da der Bund auf dem Gebiete des Sozialrechts von seiner konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis nahezu lückenlos Gebrauch gemacht hat, hat die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG für die Länder vorerst kaum praktische Bedeutung.

F. Gesetzgebungskompetenzen der Länder auf sozialrechtlichem Gebiet Im grundgesetzlichen System der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern steht den Ländern eine Gesetzgebungsbefugnis zunächst zu, wenn und soweit die Bundesverfassung nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse in diesem Bereich verliehen hat (Art. 70 Abs. 1 GG). Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat (Art. 72 Abs. 1). Schließlich können die Länder Gesetze erlassen, wenn und soweit sie der Bund hierzu ausdrücklich ermächtigt.

I. Gesetzgebungskompetenz wegen fehlender Bundeszuweisung Hat das Grundgesetz dem Bund in bestimmten Bereichen keine Gesetzgebungsbefugnisse verliehen und ergeben sich diese auch nicht als ungeschriebene Bundes34 V gl. in diesem Zusammenhang auch den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, aaO, S. 66. 35 Gemäß Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994 (BGBI. I S. 3146). 36 Durch Art. 1 Nr. 14 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994. 37 Vgl. }arass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 125 a RN 2. 38 So Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-BleibtreulKlein, Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 125 a RN 3.

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1. Teil, 1. Kap.: Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen

kompetenzen kraft Natur der Sache oder kraft Sachzusammenhangs 39, so haben die Länder das Recht der Gesetzgebung auf Grund des Regel-Ausnahme-Prinzips des Art. 70 Abs. 1 GG. Da dem Bund jedoch auf dem Gebiet des Sozialrechts in den Bereichen von Versicherung, Versorgung und Fürsorge fast ausnahmslos alle in Betracht kommenden Kompetenzen zustehen, verkehrt sich - wie auch in anderen Sachbereichen - der Regel-Ausnahme-Grundsatz des Art. 70 Abs. 1 GG im Ergebnis in sein Gegenteil. Nur im Bereich des Gesundheitswesens, soweit es nicht von der Sachmaterie "Sozialversicherung" erfaßt wird, hat die Verfassung dem Bund bewußt nur Teilkompetenzen zugewiesen, und dieses Verfassungsveto gegen eine Vollkompetenz verbietet den Rückgriff auf andere Sachbereiche. Alle dem Bund nicht ausdrücklich zugewiesenen Teilkompetenzen auf dem Gebiet des "Gesundheitswesens" verbleiben infolgedessen gemäß Art. 70 Abs. 1 GG bei den Ländern4o .

11. Gesetzgebungskompetenz wegen ungenutzter Bundeszuweisung Auf den Sachgebieten der ,,konkurrierenden Gesetzgebung" können die Länder entsprechend dem Verfassungsbegriff solange und soweit mit dem Bund konkurrieren, wie dieser von seinen Zuständigkeiten keinen Gebrauch macht. Erst mit dem Kompetenzgebrauch zeigt sich die ungleichgewichtige oder "unechte" Konkurrenz41 , die der Sache nach eine Vorranggesetzgebung ist42 • Mit dem Gebrauch tritt eine Sperrwirkung für zukünftiges Landesrecht43 sowie eine Derogationswirkung gemäß Art. 31 GG für erlassenes Landesrecht ein44 . Da Bundesrecht dem Landesrecht auf jeder Stufe, also auch dem Landesverfassungsrecht derogiert45 , haben Bestimmungen der Landesverfassungen über die Ausgestaltung der Sozialversicherung46 keine Bedeutung mehr47 . Der Bund kann von seinem Gesetzgebungsrecht im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG nicht nur durch positives Tun, also durch Normenerlaß, sondern auch durch negatives Unterlassen, also durch Nichtregelung, "Gebrauch machen". Bei fehlenden Regelungen muß durch Auslegung ermittelt werden, ob das Bundesgesetz "bewußte" Lücken gelassen und damit wissentlich und willentlich nicht geregelte Sachverhalte oder nicht erwähnte Personengruppen von den Rechtsfolgen des Gesetzes 39 40

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Vgl. oben, S. 21. Vgl. hierzu im einzelnen oben, S. 19. So von Münch, GG, 2. Aufl., Art. 72 RN I, S. 24. Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 37 11 3 e, S. 594. V gl. BVerfGE 1, 283 (296); auch E 67, 299 (328). Vgl. BVerfGE 36,342 (363 f.). Vgl. statt aller Maunz, in: MaunzIDürig, GG, Art. 31 RN 5. Vgl. Z. B. Art. 171 bayer. Verf., Art. 35 hess. Verf. Ebenso Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 4. Aufl., Art. 171 RN 1 a.E.

F. Gesetzgebungskompetenzen der Länder auf sozialrechtlichem Gebiet

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ausnehmen, oder ob er sich bewußt auf eine Teilregelung ohne Sperr- und Derogationswirkung für Landesrecht beschränken wollte48 . Entscheidend ist daher der Regelungswille des Bundesgesetzgebers, der auch in einer bewußten Nichtregelung zum Ausdruck kommen kann. Mit diesem Regelungswillen geht der Sperrwille und der Derogationswille einher. In ähnlicher Weise hatte Anschüti9 für den Grundsatz ,,Reichsrecht bricht Landesrecht" nach Art. 13 Abs. 1 WRV hervorgehoben, daß das Reichsrecht die Herrschaft des Landesrechts breche, "soweit es sie brechen will", und für die Existenz und Tragweite dieses Willens auf die Auslegung verwiesen. Freilich muß der sperrende und derogierende Regelungswille im Inhalt des Gesetzes zum Ausdruck kommen50 . Ein Gebrauchmachen liegt jedenfalls dann vor, wenn die Auslegung ergibt, daß eine Materie trotz vorhandener Lücken erschöpfend geregelt ist51 . Die Kodifizierung eines Sachgebiets erlaubt als solche noch keinen zwingenden Schluß auf eine erschöpfende Regelung 52 . Obwohl der Bundesgesetzgeber das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung als Sechstes Buch des Sozialgesetzbuchs kodifiziert hat, ist damit die Zwangsversicherung Selbständiger nicht erschöpfend geregelt worden. Trotz der traditionellen Einbeziehung besonders schutzbedürftiger Gruppen (selbständige Hausgewerbetreibende, Lehrer, Hebammen) und der späteren Inkorporierung der Landwirte, Künstler und Publizisten53 handelt es sich lediglich um eine punktuelle Berücksichtigung einzelner Gruppen, ohne daß damit der Ausschluß aller nicht berücksichtigten Personenkreise gewollt ist, zumal der Gesetzgeber teilweise sogar Sondergesetze (z. B. Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte, Künstlersozialversicherungsgesetz) erlassen hat. Mangels abschließender bundesgesetzlicher Normierung bleibt daher Raum für landesgesetzliche Regelungen, z. B. über Versorgungseinrichtungen für Freie Berufe (Ärzte, Tierärzte, Apotheker, Rechtsanwälte)54. Aus diesem Grunde haben die Länder Versorgungs werke für Freie Berufe als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts errichten können55 . Setzt der Bundesgesetzgeber Sozialleistungen nach Art und Höhe fest und wird aus dem Gesamtzusammenhang deutlich, daß er nicht nur Mindestleistungen vorsehen will, so ist der Landesgesetzgeber Vgl. BVeifGE 2,232 (236); auch E 34,9 (28). Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Auft., Art. 13 Anm. 3 c, S. 104. 50 Vgl. auch Pieroth, in: JarasslPieroth, GG, 3. Auft., Art. 72 RN 2. 51 Vgl. BVeifGE 7,342 (347); 49, 343 (358); 67, 299 (324). 52 BVeifGE 56, 110 (119). 53 Vgl. hierzu Schulin, Sozialrecht, 5. Auft., RN 115. 54 Vgl. auch Merten, in: Benda/MaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auft., § 20 RN 53, S. 976. 55 Vgl. Gesetz über die Rechtsanwaltsversorgung (RAVG NW) vom 6. 11. 1984 (GVBI. S. 684); bad.-württ. RechtsanwaItsversorgungsgesetz (BadWürtt RAVG) vom 10. 12. 1984 (GBI. S. 671). 48

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1. Teil, 1. Kap.: Die Verteilung der sozialrechtlichen Gesetzgebungskompetenzen

selbst unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip wegen Art. 72 Abs. I GG gehindert, diese Leistungen zu verbessern. IH. Gesetzgebungskompetenz wegen subsidiärer Bundesregelung

Auch wenn der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht im Sinne des Art. 72 Abs. I GG Gebrauch gemacht und damit eine grundsätzliche Sperrwirkung ausgelöst hat, behalten die Länder das Recht zur Gesetzgebung, wenn das Bundesrecht sich nur subsidiäre Kraft beilegt und damit hinter bereits erlassenem oder noch zu erlassendem Landesrecht zurücktreten will. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine subsidiäre bundesgesetzliche Regelung bestehen grundsätzlich nicht. Da der Bund ausweislich des Art. 72 Abs. I GG von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch machen muß, kann er auch im Falle des Gebrauchs ein Zurücktreten des Bundesrechts gegenüber dem Landesrecht anordnen, zumal damit das Regel-Ausnahme-Prinzip des Art. 70 Abs. I GG letztlich verwirklicht wird. Wenn der Gesetzgeber zudem den inhaltlichen Anwendungsbereich einer Norm im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung grundsätzlich frei bestimmen kann, darf er auch eine Anwendungsbeschränkung gegenüber anderen Rechtsnormen anordnen 56 • Eine bundesgesetzliche Regelung subsidiären Charakters stellt beispielsweise § 67 Abs. I BSHG dar, wonach Blinden zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindenhilfe zu gewähren ist, "soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten". Da das Bundessozialhilferecht über die "anderen Rechtsvorschriften" keine näheren Aussagen macht, müssen hierunter sowohl bundes- als auch landesrechtliche Vorschriften fallen. Gleichartige Leistungen nach Bundes- oder Landesrecht verdrängen also die Blindenhilfe nach § 67 BSHG57 , soweit sie nicht in ihrem Umfang hinter den Leistungen nach § 67 BSHG zurückbleiben 58 . Da sich § 67 BSHG von vornherein nur subsidiäre Wirkung zulegt, sind die Länder nicht gehindert, eigene Landesblindengeldgesetze zu erlassen59 • Eine subsidiäre Regelung enthält ferner § 2 Abs. 6 Satz I Nr. 2 BAföG, wonach Ausbildungsförderung nicht geleistet wird, wenn der Auszubildende Leistungen nach den Regelungen der Länder über die Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses oder von Begabtenförderungswerken erhält.

Vgl. BVerfGE 8,155 (170f.). Ebenso KnopplFichmer, Bundessozialhilfegesetz, 7. Aufl., § 67 RN 2; Gottschickl Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 9. Aufl., § 67 RN 3. 58 Vgl. GottschickiGiese, aaO, RN 3.2. 59 Vgl. für Nordrhein-Westfalen das Landesblindengeldgesetz vom 11. 11. 1992 (GVBl. S. 446); hinsichtlich der übrigen Landesgesetze vgl. den Überblick bei KnopplFichmer, aaO, § 67 RN 3. 56 57

G. Die den Ländern verbleibenden Gesetzgebungskompetenzen

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IV. Gesetzgebungskompetenz kraft Bundesermächtigung

Während Art. 71 GG im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung eine ausdrückliche Ermächtigung für die Landesgesetzgebungsbefugnis vorsieht, fehlt ein derartiger Vorbehalt in Art. 72 GG. Seiner bedarf es aber nicht, da die Länder bei der konkurrierenden Gesetzgebung im Unterschied zur ausschließlichen grundsätzlich gesetzgebungsbefugt sind. Kann der Bund Raum für die Landesgesetzgebung lassen, indem er Bereiche nicht oder nicht erschöpfend regelt, so muß es auch zulässig sein, schon im Interesse der Rechtssicherheit ausdrückliche Vorbehalte für die Landesgesetzgebung zu statuieren60 . Der Bund hat von der Möglichkeit, Vorbehalte für den Landesgesetzgeber vorzusehen, in vielen Gesetzen Gebrauch gemacht. Auf sozialrechtlichem Gebiet findet sich ein derartiger Vorbehalt beispielsweise in § 79 Abs. 4 BSHG, wonach die Länder und gegebenenfalls auch die Träger der Sozialhilfe "nicht gehindert" sind, für bestimmte Arten der Hilfe in besonderen Lebenslagen höhere Grundbeträge für die Einkommensgrenze zugrundezulegen. Nordrhein-Westfalen hat von dieser Ermächtigung durch Subdelegation Gebrauch gemacht61 .

G. Die den Ländern verbleibenden Gesetzgebungskompetenzen Trotz des Regel-Ausnahme-Prinzips des Art. 70 Abs. 1 GG, wonach den Ländern die Gesetzgebung zusteht, soweit das Grundgesetz dem Bund keine Gesetzgebungsbefugnisse verleiht, liegt der Schwerpunkt der Gesetzgebung infolge der ihm in Art. 73 ff. GG zugewiesenen Materien beim Bund. Zwar mangelt diesem eine legislatorische Totalkompetenz für das Sozialrecht. Das Grundgesetz hat jedoch mit der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung (Art. 74 Nr. 12 GG), mit der Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, der Kriegsschäden und der Wiedergutmachung sowie der Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen (Art. 74 Nr. 10, 9, 6 GG), der Fürsorge einschließlich der Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen (Art. 74 Nr. 7, 10 GG) die wichtigsten sozialrechtlichen Einzelmaterien der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz dem Bund zugewiesen. Eine Sonderstellung nimmt das Gesundheitswesen ein. In diesem Bereich stehen dem Bund nur sachlich beschränkte Kompetenzen, z. B. für Maßnahmen gegen gemeingefahrliehe und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren, für die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe, für den 60 Vgl. statt aller Maunz, in: MaunzIDürig, GG, Art. 72 RN II f.; das Bundesverfassungsgericht geht von derartigen Vorbehalten als ganz selbstverständlich aus, vgl. E 20,238 (251); 21,106 (115); 29,125 (137); 35, 65 (73 f.). 61 8 des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (AG-BSHG) vom 25. 6. 1962 (GVBI. S. 344).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

Verkehr mit Arznei-, Heil- und Betäubungsmitteln und Giften (Art. 74 Nr. 19 GG) sowie für die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze (Art. 74 Nr. 19 a GG) und neuestens für die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Gentechnik und die Organtransplantation zu. Zu diesen dem Bund ausdrücklich zugeschriebenen Kompetenzen treten noch ungeschriebene Kompetenzen insbesondere kraft Sachzusammenhangs, so daß z. B. wegen der engen Verzahnung von Jugendfürsorge und Jugendpflege auch letztere dem Bereich der "öffentlichen Fürsorge" zugerechnet wird. Zwar kann der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis nur Gebrauch machen, wenn zusätzlich die Voraussetzungen des neu gefaßten Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Dennoch gilt Recht, das auf Grund des Art. 72 Abs. 2 GG in seiner bisherigen Fassung erlassen wurde, gemäß Art. 125 a Abs. 2 GG als Bundesrecht fort, so daß wegen dieser "Bestandswahrung mit Bundesvorrang" die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG für die Länder vorerst kaum praktische Bedeutung hat. Nach allem können die Länder sozialrechtliche Gesetze nur in Bereichen erlassen, die das Grundgesetz dem Bund nicht zur Gesetzgebung zugewiesen hat, oder auf Gebieten, in denen der Bund die ihm zugewiesene Kompetenz nicht oder nicht völlig genutzt hat, z. B. bei der Sozialversicherungspflicht für Freie Berufe, oder wenn der Bund die Länder zur Gesetzgebung ausdrücklich ermächtigt hat, wie z. B. in § 79 Abs. 4 BSHG. Insgesamt ist der Anteil des Landes-Sozialrechts am geltenden Sozialrecht sehr gering 62 •

2. Kapitel

Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen zwischen Bund und Ländern A. Allgemeines Ebenso wie Art. 70 GG für die Gesetzgebung, so enthält Art. 83 GG für die Gesetzesausführung einen Verteilungsgrundsatz, der ebenfalls lex specialis gegenüber Art. 30 GG ist. Mit dem Grundsatz, wonach die Länder Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten ausführen, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt, enthält Art. 83 GG wie Art. 70 GG eine Zuständigkeitsvermutung und ein Regel-Ausnahme-Prinzip. Beide beziehen sich von vornherein nur auf die Ausführung von Bundesgesetzen, da die Exekution von Landesrecht Sache des Landes ist. Aus diesem Grunde ist die Ausführung von Landesgesetzen durch Bundesbehör62

Ebenso Wertenbruch, Sozialverfassung, Sozialverwaltung, S. 36.

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution

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den nach dem Grundgesetz "schlechthin ausgeschlossen"l, weil sich hierfür die Zuständigkeit der Länder schon aus Art. 30 GG ergibt2 • Die Art. 83 ff. GG gelten für den gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung, gleichgültig, ob sie in öffentlich-rechtlicher oder in privatrechtlicher Form handelt3 . Lediglich die erwerbswirtschaftlich-fiskalische Betätigung der öffentlichen Hand, die im Sozialrecht keine Rolle spielt, fällt nicht unter die Vorschriften des VIII. Abschnitts des Grundgesetzes 4 .

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution Das Regel-Ausnahme-Prinzip des Art. 83 GG, wonach die Länder die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheiten ausführen, und die darin liegende Vermutung einer Länderzuständigkeit wird, wenn vom Grundgesetz gestattet, in den Fällen des Bundesvollzugs von Bundesgesetzen, des Landesvollzugs von Bundesgesetzen im Bundesauftrag (Bundesauftragsverwaltung) sowie des Landesvollzugs von Bundesgesetzen unter Beschränkung landeseigener Organisationsgewalt durchbrochen 5 . I. Bundesvollzug von Bundesgesetzen 1. Grundsätzliches

Der Bund führt, soweit es das Grundgesetz vorsieht, Bundesgesetze entweder durch bundeseigene Verwaltung, also im Wege unmittelbarer Bundesverwaltung, oder durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, also im Wege mittelbarer Bundesverwaltung, aus (Art. 86 Satz 1 GG)6. In diesen Fällen regelt die Bundesregierung, vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen, die Einrichtung der Behörden durch allgemeine Verwaltungvorschriften (Art. 86 Satz 2 GG).

So BVeifGE 21,312 (325); siehe auch E 12,205 (221). Vgl. Blümel, Verwaltungszuständigkeit, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 101 RN 2, S. 860. 3 Vgl. BVeifGE 12, 205 (244) für Art. 30 GG; Blümel, Art. Verwaltungszuständigkeit, aaO, RN 7; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl., § 19 III 3 a, c (S. 674, 684); Klein, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. H, S. 279. 4 Statt aller Blümel, aaO, RN 8 mit weit. Nachw. 5 Zur Typologie vgl. auch Hans H. Klein, Verwaltungskompetenzen von Bund und Ländern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. H, S. 277 (286). 6 Vgl. statt aller Blümel, aaO, § 101 RN 77. 1

2

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

Weiterhin unterscheidet das Grundgesetz zwischen obligatorischer und fakultativer Bundesverwaltung. Während bei der obligatorischen Bundesverwaltung die Verfassung selbst eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung an den Bund vornimmt, hängt bei der fakultativen Bundesverwaltung7 die Bundesexekution von einer Entscheidung des Bundesgesetzgebers ab, der von der grundgesetzlichen Ermächtigung Gebrauch machen kann, aber nicht muß. In fakultativer Bundeseigenverwaltung wird das Bundeskindergeldgesetz (BKGG)8 ausgeführt. Mit der Durchführung des Gesetzes ist gemäß § 7 BKGG die Bundesanstalt für Arbeit als ,,Familienkasse" (früher: "Kindergeldkasse") betraut9 . Dagegen wird das Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG)lO, das ergänzende Leistungen vorsieht, von den Ländern ausgeführt. Die Landesregierungen bestimmen gemäß § 10 Abs. I BErzGG die zuständigen Stellen. Die in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes ll in § 10 Abs. 1 Satz 2 BErzGG vorgesehene Möglichkeit einer Landesexekution durch die Bundesanstalt für Arbeit ist weggefallen. In Nordrhein-Westfalen sind die Versorgungs ämter (Erziehungsgeldkassen) mit der Ausführung des Gesetzes betraut.

2. Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG Eine obligatorische mittelbare Bundesverwaltung ist gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz I GG für diejenigen sozialen Versicherungsträger vorgeschrieben, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Damit weist die Verfassungsbestimmung vorbehaltlich des folgenden Satzes 2 überregionale Sozialversicherungsträger der mittelbaren Bundesverwaltung, regionale Sozialversicherungsträger der mittelbaren Landesverwaltung zu, wobei verhältnismäßig geringfügige Grenzüberschreitungen eines Sozialversicherungsträgers noch keine Überregionalität begründen 12. Art. 87 Abs. 2 Satz I GG errichtet Sperren sowohl gegen den Bund als auch gegen die Länder. Dem Bund verbietet die Verfassungsvorschrift eine bundesunmittelbare Verwaltung, indem sie ausdrücklich eine mittelbare Bundesverwaltung durch eigenständige Körperschaften vorschreibt 13 . Die Länder schließt die Bestim7 Vg!. Art. 87 Abs. 1 Satz 2, Art. 87 Abs. 3, Art. 87 b Abs. 2, Art. 89 Abs. 2 Satz 2, Art. 90 Abs. 3 GG. 8 I.d.F. vom 23. 1. 1997 (BGB!. I S. 46). 9 Vg!. auch Maunz, in: MaunzJDürig, GG, Art. 104 a RN 36; Ruland, in: SchmidtAßmann (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Art. Sozialrecht, Abschn. 7 RN 65, S. 698; 19l, in: von MaydelllRuland (Hg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Aufl., 29 RN 43, S. 1456. \0 Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub i.d.F. vom 31. 1. 1994 (BGB!. I S. 180). II Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. 12. 1985 (BGB!. I S. 2154). 12 BSGE I, 17 (33). 13 Vg!. BVerfGE 63, 1 (36); Merten, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, Krankenversicherungsrecht, § 5 RN 125.

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution

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mung vorbehaltlich ihres Satzes 2 von der Verwaltung überregionaler Sozialversicherungsträger aus 1\ wobei der Begriff "bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes" auch als "dezidierte Absage an eine landesrechtliche Kontrolle dieser Körperschaften" zu werten ist l5 .

a) Der Begriff der "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" aa) Der Gegensatz von Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 86 Satz 1 sowie Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG Nach seinem Wortlaut läßt Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG als Organisationsform überregionaler sozialer Versicherungsträger nur "bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes" zu, während Art. 86 Satz 1 GG im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung von "Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechtes" spricht und auch Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG für die fakultative Bundesverwaltung neben selbständigen Bundesoberbehörden "neue bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentliches Rechtes" vorsieht. Trotz dieser differenzierenden Verfassungsterminologie will eine überwiegende Meinung den Begriff "Körperschaft" in Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG in einem weiten Sinne als ,juristische Person" interpretieren und auf diese Weise auch Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts einbeziehen 16. Das Bundesveifassungsgericht hat, soweit ersichtlich, zu den Problemen noch nicht Stellung genommen. Allerdings hat es stillschweigend die als bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts gegründete Versorgungsanstalt der deutschen Bezirksschornsteinfegermeister 17 als unter Art. 87 Abs. 2 GG fallend angesehen l8 . Dabei zitiert es zwar den Verfassungstext, wonach soziale Versicherungsträger als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts zu führen sind, beschränkt seine Prüfung aber darauf, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beteiligung einer Landesbehörde an der Verwaltung zulässig

14 Vgl. Menen, aaO; siehe auch Lerche, in: MaunzJDürig, Art. 86 RN 32 sowie BVerfGE 63, 1 (40) und BSGE 59, 122 (125); 69, 259 (262). 15 So Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 245 mit weit. Nachw. 16 Vgl. BayVerfGH, Verwaltungsrechtsprechung Bd. 20, 1969, Nr. 207, S. 769 (770); von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Art. 87 Anm. V 5 a, Broß, in: von Münch, GG, Art. 87 RN 19; Pieroth, in: JarasslPieroth, GG, Art. 87 RN 10; Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 41 VII 5 c, S. 823; Krebs, Art. Verwaltungsorganisation, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. m, § 69 RN 33; WolfflBachoflStober, Verwaltungsrecht 11, 5. Aufl., § 84 m RN 17; Breuer, Die öffentlich-rechtliche Anstalt, VVDStRL 44, 1986, S. 236f.; zur Abwägung der widerstreitenden Argumente Blümel, aaO, § 101 RN 110. 17 Vgl. 34 des Gesetzes über das Schornsteinfegerwesen vom 15. 9. 1969 (BGBI. I S.1634). 18 BVerfGE 63, 1 (30, 36).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

ist 19 . Angesichts des beträchtlichen Meinungsstreits in der Literatur ist nicht anzunehmen, daß das Gericht, wenn es das Problem gesehen hätte, stillschweigend darüber hinweggegangen wäre, so daß das Erkenntnis keine eindeutigen Rückschlüsse zuläßt. Da die unterschiedliche Verfassungsterminologie in Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG einerseits und Art. 86 Satz 1, Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG andererseits nicht auf einem Redaktionsversehen oder einem undifferenzierten Begriffsverständnis des Parlamentarischen Rates beruht20 , kann der differenzierende Wortgebrauch innerhalb einer Verfassungsbestimmung nicht ohne weiteres beiseite geschoben werden, solange er nicht aus systematischen, historischen oder teleologischen Gründen sinnwidrig erscheint. bb) Zur historischen Entwicklung der Sozialversicherungsträger Zunächst widerspricht die Festlegung der Sozialversicherungsträger auf den Typus der "Körperschaften des öffentlichen Rechtes" nicht der historischen Entwicklung. Zwar ist für Sozialversicherungsträger die Bezeichnung "Versicherungsanstalt" herkömmlich. Schon nach § 41 des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes 21 erfolgte die Invaliditäts- und Altersversicherung durch "Versicherungsanstalten". Sie wurden als "selbständige Korporationen mit eigener juristischer Persönlichkeit" qualifiziert 22 . Die Reichsversicherungsordnung 23 behielt in § 3 Abs. 1 den Begriff für die Versicherungsträger der Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung bei und sprach in § 4 allen Versicherungsträgern Rechtsfähigkeit zu. Durch das Versicherungsgesetz für Angestellte 24 wurde erstmals eine "Reichsversicherungsanstalt für Angestellte" gegründet, der Rechtsfähigkeit zukam (§§ 96f. AVG). Ebenso wie für die Unfallversicherung die genossenschaftliche Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften von Anfang an charakteristisch war25 , sollten Arbeitgeber und Versicherte in gleichem Verhältnis an der Verwaltung der Arbeiterrentenversicherung teilnehmen, wie es schon in den Motiven zum Reichsgesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vorgesehen war26 , weshalb sie in allen Organen der Versicherungsanstalten mit Ausnahme des Vor19 Vgl. zu dem Urteil auch Lerche, in: MaunzIDürig, GG, Art. 87 RN 160, S. 131 FN 54; Blümel, aaO, 101 RN 110. 20 Vgl. hierzu Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 95. 21 Gesetz betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22.6. 1889 (RGBI. S. 97). 22 Bosse/v. Woedtke, Das Reichsgesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22.6.1889,2. Aufl., § 41 Anm. 1, S. 5*. 23 Vom 19.7. 1911 (RGBI. S. 509). 24 Vom 20. 12. 1911 (RGBI. S. 989). 25 Vgl. Merten, Art. Sozialrecht, Sozialpolitik, in: Benda/MaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, S. 967 RN 21. 26 Vgl. Bosse/v. Woedtke, aaO, § 47 Anm. I, S. 16*.

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution

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standes repräsentiert waren. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger war daher bereits essentielles Merkmal der Sozialversicherung 27 , als die Weimarer Reichsverfassung in Art. 161 statuierte, daß das Reich "ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten" schafft. Wegen der mitgliedschaftlichen Organisation gerade der Träger der klassischen Sozialversicherung wären sie in heutiger Terminologie als Körperschaften und nicht als Anstalten des öffentlichen Rechts einzuordnen 28 . Die erst in der Spätzeit der Weimarer Republik gegründete "Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung,,29 war bereits von Gesetzes wegen als "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" ausgestaltet (§ 1 Abs. 3)30. Nach allem kann die historische Entwicklung der Sozialversicherung nicht gegen den Wortlaut des Art. 87 Abs. 2 GG und für eine Begriffsnivellierung verwandt werden. In Übereinstimmung mit dem Verfassungstext ist unter der Geltung des Grundgesetzes die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" gegründet worden 31. Dasselbe gilt für die schon zuvor errichtete "Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung,,32, der heutigen "Bundesanstalt für Arbeit,m. Für die Träger der klassischen Sozialversicherung (vgl. § 1 Abs. 1 SGB IV) ist die Organisationsform als rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung im Sozialgesetzbuch festgeschrieben (§ 29 Abs. 1 SGB IV)34. Mag auch mitunter auf Grund der organisationsrechtlichen Ausgestaltung der körperschaftliche Charakter einzelner Sozialversicherungsträger, z. B. der Bundesanstalt für Arbeit, zweifelhaft erscheinen35 , so sprechen weder systematische noch teleologische Gründe dagegen, die Sozialversicherungsträger gemäß Art. 87 Abs. Vgl. KaskellSitzler, Grundriß des sozialen Versicherungsrechts, S. 55 f. Vgl. hierzu Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 RN 4 ff.; WolfflBachoj, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl., § 71 III b, S. 7 f.; WolfflBachoj/Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl., § 84 RN 37. 29 Gesetz über Arbeitsvennittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16.7. 1927 (RGBI. I S. 187). 30 V gl. hierzu auch Peters, Die Geschichte der sozialen Versicherung, 2. Aufl., S. 98 ff. 31 Vgl. § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 7.8. 1953 (BGBI. I S. 857). 32 § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. 3. 1952 (BGBI. I S. 123). 33 Vgl. §§ 3 Abs. I, 189 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) vom 25. 6. 1969 (BGBI. I S. 582). 34 Zu den körperschaftlichen Sozialversicherungsträgern vgl. WolfflBachojlStober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl., § 98, S. 672 ff. 35 Hierzu BayVerfGH, Verwaltungsrechtsprechung Bd. 20, 1969, Nr. 207, S. 769 (770); WolfflBachojlStober, aaO, § 100 RN 4 mit weit. Nachw.; Lerche, in: MaunzlDürig, GG, Art. 87, S. 133 FN 63; grundsätzlich zu den Abgrenzungsschwierigkeiten Krebs, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, § 69 RN 33, S. 586 f. 27 28

3 Speyer 123

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

2 GG obligatorisch nur als Körperschaften zu führen, in anderen Angelegenheiten, für die dem Bund die Gesetzgebung zusteht, jedoch gemäß Art. 87 Abs. 3 GG Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts zuzulassen. Im Gegensatz zur überwiegenden Meinung ist daher für Art. 87 Abs. 2 GG am Wortlaut festzuhalten 36 . b) Zur Korrelation von Art. 87 Abs. 2 und Art. 74 Nr. 12 GG Art. 87 Abs. 2 GG enthält keinen Anhaltspunkt dafür, daß er den Status quo sozialversicherungsrechtlicher Organisationen mit der Folge festschreiben will, daß lediglich diejenigen sozialen Versicherungsträger, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes existierten, als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden sollen. Denn die Abgrenzung zwischen bundesunmittelbaren und landesunmittelbaren Körperschaften nach dem jeweiligen territorialen Zuständigkeitsbereich macht auch für später geschaffene Sozialversicherungsträger einen Sinn. Da die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gemäß Art. 74 Nr. 12 GG es dem Bund gestattet, auch neue Lebenssachverhalte in das soziale Sicherungssystem einzubeziehen, wenn sie in ihren wesentlichen Strukturelementen dem Bilde der klassischen Sozialversicherung entsprechen37 , ist Art. 87 Abs. 2 GG als korrespondierende organisatorische Kompetenznorm hierzu zu verstehen, worauf auch das Bundesverj"assungsgericht38 hinweist. Schafft der Bund daher im Rahmen des Art. 74 Nr. 12 GG neue Zweige der Sozialversicherung, so kann und muß er die entsprechenden überregionalen Versicherungsträger als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts errichten, wie dies bei dem Gesamtverband der Familienausgleichskassen der Fall war39 . c) Mehrstufigkeit bundesunmittelbarer Körperschaften Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG schweigt sich zu der Frage aus, ob bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes mehrstufig, d. h. mit eigenem Verwaltungsunterbau errichtet werden dürfen. Aus Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG, wonach im Falle neuer Aufgabenentstehung bei dringendem Bedarf bundeseigene Mittel- und Unterbehörden unter qualifizierten Voraussetzungen errichtet werden dürfen, läßt sich kein Gegenargument gewinnen, weil zum einen Art. 87 Abs. 2 GG für das Ge36 Ebenso Lerche, in: MaunzlDürig, GG, Art. 87 RN 160; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 94f.; Ronellenfitsch, Die Mischverwaltung im Bundesstaat, S. 215f., 217; SchmidtAßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, S. 253. 37 Vgl. oben, S. 17. 38 E 63, 1 (35). 39 Vgl. BVeifGE 11, 105 (123).

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution

35

biet des Sozialversicherungsrechts eine spezielle Regelung enthält und zum anderen der unmittelbare Einfluß des Bundes bei bundeseigener Verwaltung größer ist als bei mittelbarer Bundesverwaltung4o . Da zudem bei Schaffung des Grundgesetzes die mehrstufige Arbeitslosenversicherung in Gestalt der Reichsanstalt, der Landesarbeitsämter und der Arbeitsämter (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AVAVG) bekannt war, hätte es im Falle einer gewollten Einstufigkeit der bundesunmittelbaren Körperschaften einer ausdrücklichen Regelung bedurft. Da diese fehlt, steht Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG einem eigenen Verwaltungsunterbau bundesunmittelbarer Körperschaften nicht entgegen 41 .

d) Praktische Bedeutung Die praktische Bedeutung des Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG ist erheblich. Im Schrifttum werden zwischen 225 und 230 Einrichtungen mittelbarer Bundesverwaltung genannt42 , deren Zahl sich allerdings durch die Einfügung des Art. 87 Abs. 2 Satz

2 GG n.F. verringern wird.

Die klassischen Aufgaben der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung, der heutigen "Arbeitsförderung", werden ausschließlich von der gegliederten Bundesanstalt für Arbeit gemäß § 3 AFG in mittelbarer Bundesverwaltung erfüllt. Auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung sind die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für die Rentenversicherung der Angestellten und die Bundesknappschaft für die knappschaftliche Rentenversicherung zuständig (§ 125 Nr. 2 und 3 SGB VI). Darüber hinaus werden als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts die Seekasse sowie die Bahnversicherungsanstalt, die frühere Bundesbahn-Versicherungsanstalt, geführt (§ 125 Nr. I SGB VI n.F.)43. Der Seekasse obliegt als See-Krankenkasse, der als besondere Abteilung der Seekasse eigene Rechtsfähigkeit mangelt, auch die See-Krankenversicherung (§ 165 Abs. 1 SGB V). Auf dem Gebiete der Unfallversicherung ist die SeeBerufsgenossenschaft Trägerin der See-Unfallversicherung44 • Ferner wurde für die Unfallversicherung für Versicherte im Bundeseisenbahnvermögen und in bestimrnÄhnlich Lerche, in: MaunzIDürig, GG, Art. 87 RN 164. H.M., vgl. Bayer.VerfGH, Verwaltungsrechtsprechung Bd. 20,1969, Nr. 207, S. 769ff.; Lerche, in: MaunzIDürig, aaO; von MangoldtiKlein, GG, Art. 87 Anm. V 4, S. 2281; Stern, Staatsrecht, Bd. 11, S. 823; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 249; Merten, in: Schulin (Hg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, Krankenversicherungsrecht, § 5 RN 126. 42 Vgl. Maunz, in: MaunzIDürig, GG, Art. 87 RN 74 (Bearb.: Stand August 1979); Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 243 FN 1,246 RN 21; siehe auch Lerche, in: MaunzIDürig, GG, Art. 87 RN 165. 43 Geändert durch Art. 6 Gliederungsnr. 102 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27. 12. 1993 (BGB. I S. 2378). 44 Vgl. Schulin, Sozialrecht, 5. Aufl., RN 281. 40 41

3*

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

ten anderen Unternehmen eine Eisenbahn-Unfallkasse errichtet 45 . Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG ist ferner für fast alle Berufsgenossenschaften, Ersatzkassen und für die Betriebskrankenkassen größerer Firmen von Bedeutung46 . Nach allem werden die gesamte Arbeitslosenversicherung, die Rentenversicherung der Angestellten und Teile der Rentenversicherung der Arbeiter sowie Teile der Krankenversicherung und der Unfallversicherung in mittelbarer Bundesverwaltung geführt. 3. Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG n.F.

Durch den neu eingefügten Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG47 ist auf dem Gebiet der Sozialversicherung eine Verschiebung zu Gunsten der mittelbaren Landesverwaltung im Zuge einer ,,Föderalisierung der Sozialversicherung,,48 erfolgt. Nach der neuen Bestimmung führt eine Überschreitung von Ländergrenzen durch einen Sozialversicherungsträger nicht mehr automatisch zur Bundesunmittelbarkeit dieser Körperschaft, wobei schon bisher nicht schon jedes noch so geringfügige Übergreifen den Verlust der Landesunmittelbarkeit zur Folge hatte49 . Infolge der neuen Verfassungsbestimmung bleiben auch länderüberschreitende Sozialversicherungsträger landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts, wenn sich ihr Zuständigkeitsbereich nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt und die beteiligten Länder einvernehmlich das aufsichtsführende Land bestimmen. Von Bedeutung ist Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG n.F. insbesondere für diejenigen Sozialversicherungsträger, die bisher lediglich wegen einer Bi-Territorialität in die mittelbare Bundesverwaltung fielen, wie z. B. die Landesversicherungsanstalt 01denburg-Bremen oder die Ortskrankenkasse Bremerhaven und Wesermünde. Wieviele der ca. 223 landesübergreifenden Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungsträger50 in die mittelbare Landesverwaltung übergehen können, ist Z.Z. nicht abschätzbar, da erst die einvernehmliche Einigung über das aufsichtsführende Land den Verlust der Bundesunmittelbarkeit bewirken kann 5!. 45 § 657 a RVO n.F., eingefügt durch Art. 6 Gliederungsnr. 92 Nr. 2 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes vom 27. 12. 1993 (BGBI. I S. 2378). 46 Vgl. Ruland, in: Schmidt-Aßmann (Hg.); Besonderes Verwaltungsrecht, S. 757 oben. 47 Durch Art. I Nr. 11 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994 (BGBI. I S. 3146). 48 Hierzu auch HeintzeniKannengießer, Die Regionalisierung der Sozialversicherung aus verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Sicht, in: DAngVers. 1993, S. 58 ff. 49 So jedoch die Begründung der Gemeinsamen Verfassungskommission, siehe Bericht, in: Zur Sache 5193, S. 82; hierzu oben sub A II 2 a bb. 50 Zu diesen Zahlenangaben siehe Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 246 FN 212. 51 Vgl. Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 8. Aufl., Art. 87 RN 5, S. 1132f.; Pieroth, in: JarasslPieroth, GG, 3. Aufl., Art. 87 RN 11 a; Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, aaO, S. 83.

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution

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Weitergehende Vorstellungen der Länder, mit Hilfe einer erweiterten Aufsicht über Sozialversicherungsträger mehr Möglichkeiten zur Gestaltung einer landesspezifischen Gesundheitspolitik zu erhalten, fanden in der Gemeinsamen Verfassungskommission keine Unterstützung 52 •

4. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG Als weiteren Fall fakultativer Bundesverwaltung gestattet Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG dem Bund, für Angelegenheiten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht, selbständige Bundesoberbehörden oder neue bundesunmitte1bare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetz zu errichten. Praktische Bedeutung hat insbesondere die mittelbare Bundesverwaltung durch bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts erlangt, wobei im Falle des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG die Errichtung von Mittel- und Unterbehörden unzulässig ist, was sich aus einem Umkehrschluß aus Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG ergibt53 • Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG eröffnet die Möglichkeit, daß der Bund ohne Mitwirkung der Länder "praktisch ungehindert ins Gebiet der Landesverwaltung" eindringen und sie durch eine bundeseigene Verwaltung ersetzen kann 54 • a) Bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts Auf dem Gebiet des Sozialrechts sind durch Bundesgesetz insbesondere Dachkörperschaften gegründet worden, in denen landesunmittelbare Körperschaften auf Bundesebene zusammengefaßt sind. Hierzu gehören die Bundesverbände der Betriebskrankenkassen, der Innungskrankenkassen und der Ortskrankenkassen, die Kassenärztliche und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, der Gesamtverband der Landwirtschaftlichen Alterskassen und der Bundesverband der Landwirtschaftlichen Krankenkassen 55 • b) Bundesunmittelbare Anstalten des öffentlichen Rechts Gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG hat der Bund als Anstalten des öffentlichen Rechts auf dem Gebiet des Sozialrechts die Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft, das Bundesinstitut für Berufsbildung sowie die Künstlersozialkasse errichtet56 . Vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, aaO, S. 83. Vgl. BVerfGE 14, 197 (211); BVerwGE 35, 141 (145); Pieroth, in: JarraslPieroth, GG, 3. Aufl., Art. 87 RN 12 a.E.; Rupp, Bemerkungen zur Bundeseigenverwaltung, in: Das akzeptierte Grundgesetz, Dürig-Festschrift, 1990, S. 387 (397 ff.). 54 Rupp, aaO. 55 Vgl. hierzu im einzelnen Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 261 f. 52 53

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

c) Bundesunmittelbare Stiftungen des öffentlichen Rechts Obwohl das Grundgesetz in Art. 87 Abs. 3 Satz I ausdrücklich nur von ..bundesunmittelbaren Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechtes" spricht, sind die Begriffe bei teleologischer Interpretation weit zu interpretieren und umfassen alle öffentlich-rechtlichen Rechtsträger der bundesunmittelbaren Verwaltung einschließlich der Stiftungen des öffentlichen Rechts 57 . Auf sozialrechtlichem Gebiet sind die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge58 , die Heimkehrer-Stiftung für ehemalige Kriegsgefangene 59 , das Hilfswerk für behinderte Kinder6o , die Stiftung ..Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens,,61 und die Stiftung ..Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen,,62 errichtet worden. 11. Landesvollzug von Bundesgesetzen im Bundesauftrag Der Verfassungsgrundsatz der Landesexekution von Bundesgesetzen wird außer beim Bundesvollzug im Falle der Bundesauftragsverwaltung durchbrochen. Dabei erstreckt sich die Bundesaufsicht auf die Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung (Art. 85 Abs. 4 Satz I GG). Ferner kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 85 Abs. 2 Satz I GG), und können Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates auch Vorschriften über die Einrichtung von Behörden enthalten (Art. 85 Abs. I GG). 1. Bundesauftragsverwaltung nur bei Verfassungsvorbehalt Wegen Art. 83 GG bedarf eine Abweichung vom Grundsatz der Landesexekution stets einer ausdrücklichen Regelung im Grundgesetz. Dabei unterscheidet bereits Art. 83 GG zwischen anderweitiger Bestimmung oder Zulassung. Hinsichtlich der Bundesauftragsverwaltung sieht die Verfassung zum Teil eine obligatorische V gl. Dittmann, aaO, S. 259 ff. Vgl. Lerche, in: MaunzlDürig, GG, Art. 87 RN 191; Pieroth, in: JarasslPieroth, GG, 3. Aufl., Art. 87 RN 12 LV.m. Art. 86 RN 1; Blümel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 101 RN 87, S. 908f.; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 263. 58 §§ 15 ff. des Häftlingshilfegesetzes i.d.F. vom 29. 9.1969 (BGBI. I S. 1793). 59 Art. 1 Nr. 1 des Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes vom 22. 7.1969 (BGBI. I S. 931). 60 Gesetz über die Errichtung einer Stiftung .. Hilfswerk für behinderte Kinder" vom 17. 12. 1971 (BGBI. I S. 2018). 61 Gesetz zur Errichtung einer Stiftung ..Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" vom 13.7.1984 (BGBI. I S. 880). 62 Gesetz über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (HIVHilfegesetz - HIVHG) vom 24. 7. 1995 (BGBI. I S. 972). 56

57

B. Durchbrechungen des Grundsatzes der Länderexekution

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Auftragsverwaltung, zum Teil eine fakultative Auftragsverwaltung vor63 . Obligatorisch wird eine Auftragsverwaltung in Fällen des Art. 90 Abs. 2, 104 a Abs. 3 Satz 2, 108 Abs. 3 GG, fakultativ in den Fällen des Art. 87 b Abs. 2, 87 c, 87 d Abs. 2, 89 Abs. 2 Satz 3 und 4, 120 a GG vorgesehen. Grundsätzlich wird dabei die (obligatorische oder fakultative) Auftragsverwaltung nach Sachgebieten geregelt, so daß z. B. "Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung" gemäß Art. 87 d Abs. 2 GG den Ländern als Auftragsverwaltung übertragen werden können. Diesen Grundsatz des materiellen Verfassungsvorbehalts durchbricht Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG, der ohne Rücksicht auf die Art der Aufgabenwahrnehmung einen Kostentragungsvorbehalt statuiert. Immer wenn ein Bundesgesetz in zulässiger Weise (Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG) vorsieht, daß der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt, wird dieses Gesetz obligatorisch im Auftrage des Bundes durchgeführt. In diesem Falle läßt sich die Durchbrechung des Grundsatzes der Länderexekution gemäß Art. 83 GG auch nicht mehr an Hand des Grundgesetzes selbst, sondern nur auf Grund der im Bundesgesetz geregelten Ausgabenverteilung zwischen Bund und Ländern entnehmen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG ist, daß die Ausführung des betreffenden Bundesgesetzes an sich den Ländern als eigene Angelegenheit obliegt, so daß die Verfassungsbestimmung bei bundeseigener Verwaltung oder Bundesauftragsverwaltung unanwendbar ist64 . Da gemäß § 34 Abs. 1 des Wohngeldgesetzes 65 der Bund unbeschadet der Regelung des § 34 Abs. 2 WoGG die Hälfte des von einem Land gezahlten Wohngeldes übernimmt, wird das Wohngeldgesetz gemäß Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG zwingend im Auftrage des Bundes durchgeführt. Ein Gesetz kann auch lediglich zum Teil im Auftrage des Bundes durchgeführt werden. So sah § 66 BSHG a.F. 66 vor, daß der Bund die Hälfte bestimmter Leistungen der Tuberkulosehilfe trug, so daß nur insoweit die Regelung des Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG eingriffi7 • Auf dem Gebiet des Sozialrechts werden weiterhin das Unterhaltsvorschußgesetz68 gemäß seinem § 8 Abs. 1 sowie das Bundesausbildungsförderungsgesetz69 Vgl. Pieroth, in: JarasslPieroth, GG, Art. 85 RN 1. Vgl. statt aller Maunz, in: MaunzlDürig, GG, Art. 104 a RN 36. 65 Ld.F. vom 1. 2. 1993 (BGBI. I S. 183). 66 Aufgehoben durch Art. 26 Nr. 4 des Zweiten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 16. 12. 1986 (BGBI. I S. 2441). 63

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Vgl. auch Fischer-Menshausen, in: von Münch, GG, Art. 104 a RN 18. Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen i.d.F. vom 19. 1. 1994 (BGBI. I S. 166). 69 Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung i.d.F. vom 6. 6. 1983 (BGBI. I S. 645). 67

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I. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

gemäß § 39 Abs. 1 BAföG von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt. §§ 39 ff., 45 BAföG enthalten detaillierte Regelungen über die Behördeneinrichtung und die Behördenzuständigkeiten. Danach haben die Länder grundsätzlich für jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt ein Amt für Ausbildungsförderung zu errichten und dürfen darüber hinaus Landesämter für Ausbildungsförderung errichten. Dabei geht das Bundesgesetz auch in Einzelheiten, indem es bestimmt, daß in dem Teil des Landes Berlin, in dem das Gesetz bisher nicht galt, die Bezirke die Aufgaben der Ämter für Ausbildungsförderung wahrnehmen (§ 40 Abs. 1 Satz 7 BAföG). 2. Die Verbundverwaltung gemäß Art. 120 a GG Auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit ist eine Bundesauftragsverwaltung im Bereich des Lastenausgleichs vorgesehen. Art. 120 a GG ermächtigt den Bundesgesetzgeber bei Zustimmung des Bundesrates zu Regelungen, das Lastenausgleichsrecht "teils durch den Bund, teils im Auftrage des Bundes durch die Länder" auszuführen. Auf diese Weise sieht das Grundgesetz in einer Spezialvorschrift eine Kombination von bundeseigener Verwaltung und Bundesauftragsverwaltung (Art. 86 und 85 GG) vor, die auch als "Verbundverwaltung" charakterisiert werden kann7o . Kraft Verfassungs- und Bundesrechts besteht eine dreistufige Ausgleichsverwaltung mit dem Bundesausgleichsamt an der Spitze, den Landesausgleichsämtern innerhalb der obersten Landesbehörden und den Ausgleichsämtern auf Kreisebene. Landesausgleichsämter und Ausgleichsämter sind keine selbständigen Behörden, sondern Dienststelleneinheiten innerhalb der Landesministerien bzw. der Verwaltung der Stadt- und Landkreise 7 !.

C. Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht I. Organisationsgewalt der Länder bei Landeseigenverwaltung Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten aus, so steht ihnen auch die Organisationsgewalt zu und unterliegen sie nur der Rechtsaufsicht des Bundes (Art. 84 Abs. 3 Satz 1 GG). Hinsichtlich der Organisationsgewalt spricht Art. 84 Abs. 1 GG zwar nur VOn der "Einrichtung der Behörden" und deren "Verwaltungsverfahren". Damit ist je70 So MaunllZippelius, Deutsches Staatsrecht, 26. Aufl., § 31 I 2, S. 279 (nicht mehr in späteren Auflagen); zustimmend Sehaefer, in: von Münch, GG, Art. 120 a RN 14; siehe ferner Maunz, in: MaunzIDürig, GG, Art. 120 a RN 3 ff.; Dittmann, Die Bundesverwaltung, S. 240; Sehaefer, Lastenausgleich - Eine Bewährungsprobe des sozialen Rechtsstaates, in: Bundesverwaltungsgericht-Festgabe, S. 553. 71 Vgl. Sehaefer, in: von Münch, GG, Art. 120 a RN 24.

C. Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht

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doch nur ein wichtiger Ausschnitt aus der Organisationskompetenz erwähnt, ohne daß deswegen Umkehrschlüsse zu Gunsten des Bundes möglich sind72 • 11. Organisationsgewalt des Bundes bei Landeseigenverwaltung Art. 84 Abs. 1 GG sieht vor, daß die Länder, wenn sie Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, auch die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln dürfen. Allerdings können Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen, so daß der Bund selbst die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren normieren darf, wovon er vielfach Gebrauch gemacht hat.

1. Einrichtung der Behörden

a) Grundsätzliches Die Einrichtung der Behörden umfaßt die Errichtung sowie die Einrichtung (insbesondere die Ausstattung mit Sachmitteln und Personal) einschließlich der Aufgabenübertragung73. Da die Gemeinden und Gemeindeverbände zum Verfassungsbereich der Länder gehören 74, bezieht sich die Einrichtungskompetenz gemäß Art. 84 Abs. I GG grundsätzlich auch auf Behörden der Gemeinden und sonstiger selbständiger Rechtsträger75 . Allerdings erlaubt Art. 84 Abs. 1 GG dem Bundesgesetzgeber keinen unbeschränkten Durchgriff auf die Gemeinden in der Weise, daß er schlechthin darüber befinden kann, in welchem Wirkungskreis die Gemeinde das Gesetz zu vollziehen hat76 • Insbesondere darf er Aufgaben an die Gemeinden als Selbstverwaltungsaufgaben nicht ohne weiteres, sondern nur dann zuweisen, wenn es sich um eine punktuelle Annexregelung zu einer zur Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers gehörenden materiellen Regelung handelt und wenn diese Annexregelung für den wirksamen Vollzug der materiellen Bestimmungen des Gesetzes notwendig ist77 . Aus diesen Gründen hat das Bundesverfassungsgericht die Erklärung des Vollzugs des Jugendwohlfahrtsgesetzes und des Bundessozialhilfegesetzes als Selbst72 Ebenso Lerche, in:MaunzJDürig, GG, Art. 84 RN 13; Broß, in: von Münch, GG, Art. 84 RN 4. 73 Vgl. BVerfGE 75, 108 (150ff.); Pieroth, in: JarasslPieroth, GG, 3. Aufl., Art. 84 RN 3; Broß, in: von Münch (Hg.), GG, Art. 85 RN 4; Lerche, in: MaunzJDürig, GG, Art. 84 RN 25. 74 Vgl. BVerfGE 22,180 (210); 39, 96 (109); 86,148 (215); BSGE 34,177 (179f.). 75 BVerfGE 22, 180 (210); 77, 288 (299); Pieroth, in: JarasslPieroth, aaO, Art. 84 RN 3; Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 28 RN 117 f. 76 So BVerfGE 22, 180 (210). 77 So BVerfGE 77, 288 (299).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

verwaltungsangelegenheit der Gemeinden für unzulässig und die entsprechenden Bestimmungen der §§ 12 Abs. 1 JWG, 96 Abs. 1 Satz 2 BSHG für nichtig erkläres, während es die Zuweisung der Bauleitplanungen als Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinden für verfassungskonform erachtet hat79. Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt es, daß das Sozialhilferecht in § 9 BSHG die Einrichtung örtlicher und überörtlicher Träger vorsieht, wobei als örtliche Träger die kreisfreien Städte und die Landkreise bestimmt werden (§ 96 Abs. 1 Satz 1 BSHG), während die Länder die überörtlichen Träger selbst festlegen können (§ 96 Abs. 2 Satz 1 BSHG). Darüber hinaus trifft das Gesetz Regelungen über die örtliche und sachliche Zuständigkeit der örtlichen und überörtlichen Träger (§ 97 ff. BSHG), über die Zusammenarbeit mit den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege (§§ 10, 93 ff. BSHG), wobei für jedes Land oder für Teile eines Landes bei der zuständigen Landesbehörde eine Schiedsstelle zu bilden ist (§ 94 Abs. 1 BSHG).

b) Verhältnis von Art. 84 Abs. 1 zu Art. 87 Abs. 2 GG Auf Grund des bloßen Verfassungswortlauts ist das Verhältnis von Art. 84 Abs. 1 GG zu Art. 87 Abs. 2 GG nicht eindeutig zu klären. Letztere Verfassungsbestimmung ist eine Spezialnorm für soziale Versicherungsträger und geht insoweit Art. 84 Abs. 1 GG vor. Fraglich ist jedoch, ob sie sich darin erschöpft, für überregionale soziale Versicherungsträger die Organisationsform bundesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts obligatorisch festzuschreiben oder ob ihr darüber hinaus korrespondierend die Aussage zu entnehmen ist, daß regionale soziale Versicherungsträger als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden müssen. Hatte sich die frühere Fassung des Art. 87 Abs. 2 GG zu landesunmittelbaren Körperschaften völlig ausgeschwiegen, so enthält die Bestimmung infolge der Anfügung des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG n.F. nunmehr die Regelung, daß soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden, wenn die beteiligten Länder das aufsichtsführende Land bestimmen. Systematisch ist diese Regelung jedoch nur eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach die überregionale Zuständigkeit grundsätzlich zu einer bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechts führt. Daß soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich auf das Gebiet eines Landes beschränkt, zwingend als landesunmittelbare Körperschaften des öffentli78

BVerfGE 22,180 (21Of.).

79

E 77, 288. (297).

C. Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht

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chen Rechts errichtet werden müssen, läßt sich auch aus der neuen Fassung des Art. 87 Abs. 2 GG nicht entnehmen. Das Bundesve1j'assungsgericht80 hat die Frage wegen Irrelevanz für den zu entscheidenden Fall nicht ausdrücklich beantwortet. Allerdings scheint es wegen seines Hinweises auf eine "entsprechende Anwendung von Art. 84 Abs. I GG" bei der Errichtung von Sozialversicherungsträgern als landesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts einer Anwendung des Art. 87 Abs. 2 GG den Vorzug zu geben, ohne daß es dazu nähere Ausführungen macht. Überzeugender erscheint die Anwendung der Regelvorschrift des Art. 84 Abs. I GG. Da Art. 87 Abs. 2 GG die Organisationsform landesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts für regionale soziale Versicherungsträger nicht eindeutig festlegt, muß es beim Grundsatz des Art. 84 Abs. 1 GG verbleiben, wonach der Bund nur durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz Bestimmungen über die Einrichtung von Behörden bei der Landeseigenverwaltung treffen darf. c) Durch Bundesrecht errichtete Behörden auf dem Gebiet des Sozialrechts aa) Schwerbehindertenrecht Für den Bereich des Schwerbehindertenrechts waren schon in der Weimarer Republik durch eine heute als Bundesrecht fortgeltende 8l Reichsverordnung 82 von den "Bundesstaaten" "Hauptfürsorgestellen der Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge" und für die Bezirke der unteren Verwaltungsbehörden "Fürsorgestellen" zu errichten (§§ 5, 9), die nunmehr als "Hauptfürsorgestellen" und "Fürsorgestellen" Aufgaben auf Grund des Schwerbehindertengesetzes 83 wahrnehmen (vgl. auch § 20 Abs. 2 SGB I). Die Länder haben für ihr Gebiet eine oder mehrere Hauptfürsorgestellen zu errichten, wobei ihnen die nähere Regelung dieser sowie der örtlichen FürsorgesteIlen überlassen bleibt. In vielen Ländern sind die Hauptfürsorgestellen den entsprechenden Landesministerien unmittelbar angegliedert (so in Bremen, Hamburg, Saarland und Schleswig-Holstein). In Nordrhein-Westfalen ressortieren sie bei den Landschaftsverbänden 84 . Im übrigen hat Nordrhein-Westfalen auch von der Befug80

E 11, 105 (124).

Vgl. Bundesgesetzblatt, Teil III, S. 1799; Großmann, Gemeinschaftskommentar zum Schwerbehindertengesetz, § 31 RN 13. 82 Verordnung über die soziale Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge vom 8. 2. 1919 (RGBI. S. 187). 83 Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft i.d.F. vom 26.8.1986 (BGBI. I S. 1421). 84 Vgl. Großmann, Gemeinschaftskommentar zum Schwerbehindertengesetz, § 31 RN 16. 81

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I. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

nis gemäß § 37 Abs. 2 SchwbG Gebrauch gemacht, Befugnisse der Hauptfürsorgestellen auf örtliche Fürsorgestellen zu übertragen 85. Da gemäß Art. 8 des Einigungsvertrags das Schwerbehindertengesetz grundsätzlich auch für das "Beitrittsgebiet" in Kraft trat, sind dort inzwischen ebenfalls Hauptfürsorgestellen errichtet worden 86 . Bis dahin hatten deren Aufgaben die Arbeitsämter gemäß Anl. I Kap. VIII Sachgebiet E Abschn. III Nr. 1 lit. d des Einigungsvertrags wahrgenommen.

bb) Kriegsopferversorgungsrecht Gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG trägt der Bund die Aufwendungen u.a. für "die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten nach näherer Bestimmung von Bundesgesetzen". Zu den typischen Gesetzen mit Kriegsfolgenregelungen gehört das Bundesversorgungsgesetz87 • Die Aufwendungen für Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene und gleichgestellte Personen übernimmt der Bund gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 8 des Ersten Überleitungsgesetzes 88 nach Maßgabe dessen §§ 21 und 21 a. Obwohl der Bund damit mehr als die Hälfte der Ausgaben für den Gesetzesvollzug trägt, wird das Bundesversorgungsgesetz nicht gemäß Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 im Auftrage des Bundes durchgeführt. Denn Art. 120 GG ist gegenüber Art. 104 a Abs. 3 GG eine Sondervorschrift, die nach dem Grundsatz "lex specialis derogat legi generali" vorgeht. Da Art. 120 Abs. 1 Satz 1 GG die ausschließliche Kostentragung durch den Bund vorsieht und eine Kostenteilung nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG demgemäß nicht möglich ist, kommt es bei den Gesetzen über Kriegsfolgelasten somit auch nicht zu einer Auftragsverwaltung 89 . Im Rahmen des Art. 84 Abs. 1 GG hat der Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates für die Versorgung der Kriegsopfer die Errichtung von Versorgungsämtern und Landesversorgungsämtern vorgesehen, die von den Ländern als besondere Verwaltungsbehörden zu errichten sind90 . Darüber hinaus sind von den Ländern nach Maßgabe des Bedürfnisses und der Zweckmäßigkeit orthopädische Versorgungsstellen, versorgungsärztliche Untersuchungsstellen, Versorgungskuranstalten, Versorgungsheilstätten für Tuberkulöse, Versorgungskrankenhäuser, Beschaffungsstellen für Heil- und Hilfsmittel, Prüfämter für Heil- und Hilfsmittel und Krankenbuchlager zu errichten (§ 2 des Errichtungsgesetzes). Verordnung vorn 16. 6. 1975 (GVBI. S. 478). Vgl. im einzelnen Großmann, aaO, § 17 RN 8, S. 627. 87 Ebenso Sehaefer, in: von Münch, GG, Art. 120 RN 12, S. 1157. 88 Erstes Gesetz zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund Ld.F. vorn 28. 4. 1955 (BGBI. I S. 193). 89 Siehe Maunz, in: MaunzlDürig, GG, Art. 104 a RN 37. 90 § 1 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung vorn 12. 3.1951 (BGBI. I S. 169); siehe jedoch auch § 7 a des Gesetzes. 85

86

C.

Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht

45

Außerdem schreibt § 4 des Errichtungsgesetzes von Bundesgesetzes wegen vor, daß die "Beamten und Angestellten der Versorgungsverwaltung ... für ihre Aufgabe besonders geeignet sein" sollen. Mit dem Errichtungsgesetz knüpft die Bundesrepublik an die eigenständige Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen in der Weimarer Republik an. Aufbauend auf Regelungen des Ersten Weltkriegs, war mit der Kriegsopferversorgung und -fürsorge ein eigenständiger Sozialleistungstyp geschaffen worden, der neben materiellen Leistungen auch soziale Dienste urnfaßte 91 . Bereits durch das Gesetz über die Versorgungsbehörden92 traten an die Stelle der Versorgungsstellen die Versorgungsämter und Hauptversorgungsämter. Dieser zweistufige Aufbau der Versorgungsverwaltung wurde auch in späteren Gesetzen beibehalten 93 und blieb bis zum Zusammenbruch bestehen. Das Errichtungsgesetz will ausweislich der Amtlichen Begründung94 an den zweistufigen Aufbau von Versorgungsämtem und Landesversorgungsämtern in der Mittelinstanz, die früheren Hauptversorgungsämter, anknüpfen. Als Mittelbehörden sollen die Landesversorgungsämter insbesondere die Aufsicht über die Versorgungsämter führen und die Einheitlichkeit der Gesetzesanwendung überwachen. § 24 Abs. 2 SGB I schreibt die Versorgungsverwaltung fort. Da von Bundesgesetzes wegen die Versorgungsverwaltung als zweistufige besondere Verwaltung zu führen ist, sind die Länder gehindert, sie in die allgemeine Verwaltung einzugliedern. Insoweit ist ihre Organisationsgewalt bundesrechtlich beschränkt. Dieses Ergebnis wird durch den Einigungsvertrag bestätigt, der gemäß seinem Art. 8 das Errichtungsgesetz auf das Beitrittsgebiet überleitet, da jedoch das Wort "besondere" in § 1 Abs. 2 Satz 1 des Errichtungsgesetzes streicht (An!. I Kap. VIII Sachgebiet K Abschn. III Nr. 2 lit. a). Deshalb können die neuen Bundesländer, aber auch nur diese, die Versorgungsverwaltung in die allgemeine Verwaltung eingliedern. 2. Verwaltungsverfahren

Auf dem Gebiet des SoziaIrechts kann sich die Ermittlung des von den Ländern bei der Ausführung von Bundesgesetzen anzuwendenden Verfahrensrechts sehr schwierig gestalten. Neben dem (allgemeinen) Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes bestehen inzwischen in allen Ländern eigene (allgemeine) Landes-Verwaltungsverfahrensgesetze. Daneben gilt für die Verwaltungstätigkeit nach dem So91

Vg!. Tennstedt, in: von MaydelllRuland (Hg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Aufl., 2 RN 41,

S.40. 92 93 94

Vom 15.5. 1920 (RGB!. I S. 1063). I.d.F. vom 2.11. 1934 (RGB!. I S. 1113). BT-Drucks. Nr. 1729 vom 28.12.1950, S. 5 zu § 1.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

zialgesetzbuch das Verwaltungsverfahrensrecht des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs zuzüglich verfahrensrechtlicher Spezialvorschriften in einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuchs. Hierzu zählt auch das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung95 . Es wird durch Art. 11 § 1 Nr. 12 des Sozialgesetzbuchs (SGB) - Allgemeiner Teil _96 als Besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs fingiert, so daß verfahrensrechtliche Besonderheiten und Ergänzungen (z. B. §§ 22,41 Abs. 2 VfG - KOV) den Regelungen des SGB X vorgehen 97 • Unbeschadet dessen sind verfahrens rechtliche Sonderregelungen in einzelnen Bereichen, die nicht besondere Teile des Sozialgesetzbuchs wurden (z. B. im Lastenausgleichsrecht oder im Wiedergutmachungsrecht), erhalten geblieben 98 . a) Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder Das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes beschränkt sich nicht auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit von Bundesbehörden, sondern bezieht sich auch auf die Behörden der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der der Landesaufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wenn sie Bundesrecht im Auftrage des Bundes ausführen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder wenn die Länder Bundesrecht, das Gegenstände der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, als eigene Angelegenheiten ausführen (§ 1 Abs. 2 VwVfG). Soweit die Länder allerdings für die öffentlich-rechtliche Verwaltungs tätigkeit ihrer Behörden landesrechtlich ein Verwaltungsverfahrensgesetz erlassen haben, gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes für die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder gemäß § 1 Abs. 3 VwVfG nicht. Sinn dieser Subsidiaritätsklausel ist es, den Ländern einheitliche Regelungen in eigenen Landesverfahrensgesetzen sowohl für den Vollzug von Bundesrecht als auch für den Vollzug von Landesrecht zu ermöglichen99 . Verfassungsrechtlich bestehen auch unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vorrangs des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) grundsätzlich keine Bedenken, daß der Gesetzgeber einer einzelnen Rechtsvorschrift oder einer Gruppe von Rechtsnormen subsidiären Charakter beilegt. Da es ihm innerhalb seiner Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung freisteht, den inhaltlichen Anwendungsbereich Vom 2. 5.1955 (BGBI. I S. 202) i.d.F. vom 6. 5. 1976 (BGBI. I S. 1169). Vom 11. 12. 1975 (BGBI. I S. 3015). 97 Vgl. Wallerath, Verfahrensrecht, in: von MaydelIJRuland (Hg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Aufl., Kap. 12 RN 9, S. 508. 98 Vgl. Wallerath, aaO; zum Verhältnis von Bundesseuchenrecht und Verwaltungsverfahrensrecht Pitschas, Öffentlicher Gesundheitsdienst und Verwaltungsverfahren, NJW 1986, S. 2861 (2866f. sub III 3). 99 Vgl. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., § 1 RN 11, S. 42. 95

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C. Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht

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einer Norm zu bestimmen, kann er im Rahmen dieser Gestaltungsfreiheit auch eine Anwendungsbeschränkung gegenüber anderen Rechtsnormen gleichen Ranges oder staatlichen Willensäußerungen niedrigeren Ranges vorsehen, solange sich nicht "innerhalb des Staatsgefüges eine Gewichtsverschiebung" ergibt 100. Die Besonderheit des Art. 84 Abs. 1 GG besteht darin, daß der Bundesgesetzgeber nur als Ausnahme Regelungen über die Einrichtung der Behörden oder das Verwaltungverfahren treffen soll. Muß er somit von der Ausnahme überhaupt keinen Gebrauch machen, so kann er auch im Falle des Gebrauchmachens ein Zurücktreten des Bundesrechts gegenüber dem Landesrecht anordnen, womit das Regel-Ausnahme-Prinzip des Art. 84 Abs. 1 GG letztlich verwirklicht wird. Da sich das Verwaltungsverfahrensgesetz von vornherein partiell nur subsidiäre Kraft beilegt, ist für die Anwendung des Art. 31 GG insoweit kein Raum 101. b) Verwaltungsverfahrensrecht des Sozialgesetzbuchs und Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder Im Unterschied zum Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes enthält das Verwaltungsverfahrensrecht des SGB X keine Subsidiaritätsklausel zu Gunsten der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder. Soweit von Behörden des Bundes, aber auch der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs ausgeübt wird, sind die Verwaltungsverfahrensvorschriften des SGB X sowie der Besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs anzuwenden 102. Lediglich für Besondere Teile des Sozialgesetzbuchs, die erst nach Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensvorschriften des SGB X Bestandteil des SGB werden, ist das Verwaltungsverfahrensrecht des Sozialgesetzbuchs nur anwendbar, wenn dies mit Zustimmung des Bundesrates in den Gesetzen verfügt wird (§ 1 Abs. 1 Satz 2 SGBX). Unbeschadet der Vorrangwirkung des Verwaltungsverfahrensrechts des SGB X auf Grund der Organisationsgewalt des Bundes gemäß Art. 84 Abs. 1 GG nimmt das nordrhein-westfalische Verwaltungsverfahrensgesetz insoweit deklaratorisch seine Geltung zurück, als es das Landes-Verwaltungsverfahrensrecht nicht auf Verwaltungsverfahren erstreckt, für die das Sozialgesetzbuch anzuwenden ist.

Vgl. BVerfGE 8,155 (170f.). Vgl. im einzelnen FinkelnburglLässig, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 RN 56. 102 Vgl. auch Wallerath, aaO, Kap. 12 RN 9, S. 508. 100

101

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1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

c) Verwaltungsverfahrensrecht des Sozialgesetzbuchs und Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes Da das Verwaltungsverfahrensgesetz des SGB X besondere Regelungen für die Verwaltungstätigkeit von Behörden auf Grund des Sozialgesetzbuchs enthält, geht es als Spezialgesetz dem (allgemeinen) Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes vor. Ungeachtet dessen enthält das Verwaltungsverfahrensgesetz ohnehin teils konstitutive, teils deklaratorische Subsidiaritäts- und Ausnahmeklauseln. Gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG besteht ein Geltungsvorbehalt zu Gunsten inhaltsgleichen oder entgegenstehenden Bundesrechts, der allerdings nicht Vorschriften autonomer Körperschaften, insbesondere auch bundesunmittelbarer juristischer Personen betrifft 103 • Die nur subsidiäre Geltung bezieht sich auch auf früheres inhaltsgleiches oder abweichendes Bundesrecht, dem das Verwaltungsverfahrensgesetz an sich derogieren würde. Überdies nimmt § 2 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG die Gesetzesgeltung für die in § 51 SGG bezeichneten Angelegenheiten sowie für das Ausbildungsförderungsrecht, das Schwerbeschädigtenrecht, das Wohngeldrecht, das Sozialhilferecht, das Jugendhilferecht und das Kriegsopferfürsorgerecht aus 104. Die Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensrechts des SGB X einerseits oder des (allgemeinen) Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes andererseits ist nicht nur ein theoretisches Problem, sondern hat auch praktische Bedeutung. Denn insbesondere hinsichtlich der Regelungen über den Widerruf, die Rücknahme und die Aufhebung von Verwaltungsakten weist das Sozialgesetzbuch X zahlreiche Besonderheiten auf, wodurch das Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand einer Regelung teilweise besser geschützt wird 105 • Wird die Verwaltungstätigkeit einer Landesbehörde nicht vom Verwaltungsverfahrensrecht des Sozialgesetzbuchs X und wegen der Subsidiaritäts- und Ausnahmeklauseln auch nicht vom Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes erfaßt, so ist Landesverwaltungsverfahrensrecht anzuwenden. Das gilt beispielsweise für den Vollzug von Landessozialrecht (z. B. landesgesetzlichen Blindenrechts), das nicht dem Sozialgesetzbuch X unterfällt 106 • d) Allgemeines und Besonderes sozialrechtliches Verwaltungsverfahrensrecht Das Verwaltungsverfahrensrecht des Sozialgesetzbuchs X ist gegenüber speziellen Bestimmungen in den Besonderen Teilen dieses Gesetzbuchs subsidiär, wie \03 Kopp, VwVfG, 5. Aufl., § 1 RN 5, 7; ausführlich FinkelnburglLässig, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 RN 44. 104 Vgl. FinkelnburglLässig, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, § 2 RN 30 ff. \05 Vgl. im einzelnen Ruland, Art. Sozialrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hg.), Besonderes Verwaitungsrecht, 10. Aufl., S. 751 ff. (752f.). 106 Vgl. Wallerath, aaO, Kap. 12 RN 6, S. 507.

D. Zum Verbot der ,,MischverwaItung"

49

sich auch aus § 37 Satz 1 SGB I ergibt !07. Dabei sind Besondere Teile des Sozialgesetzbuchs nicht nur solche, die als eigene Bücher in das Sozialgesetzbuch inkorporiert sind, sondern gemäß Art. 11 § 1 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil _108 auch frühere Gesetze, die bis zu ihrer Einordnung in das Sozialgesetzbuch als "besondere Teile des Sozialgesetzbuchs" gelten. Zu ihnen gehört beispielsweise das Bundesversorgungsgesetz wie auch das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (Art. 11 § 1 Nr. 11, 12 SGB_AT)109. Daraus folgt, daß das Verwaltungsverfahrensrecht des SGB X keine abschließende Kodifikation darstellt, sondern daß daneben Bestimmungen in den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuchs sowie in früher erlassenen Gesetzen, die als Besondere Teile des Sozialgesetzbuchs gelten, anzuwenden sind. Besonderes sozialrechtliches Verwaltungsverfahrensrecht findet sich aber auch in Einzelgesetzen, die von vornherein nicht in das Sozialgesetzbuch einbezogen sind und für die infolgedessen auch das SGB X nicht gelten kann. Hiervon ist das Recht des Lastenausgleichs und der Wiedergutmachung betroffen, das als auslaufendes Recht nicht in das Sozialgesetzbuch inkorporiert wurde. Aus diesem Grunde ist das SGB X unanwendbar, kraft ausdrücklicher Ausnahmeregelung aber auch das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (§ 2 Abs. 2 Nr. 5, 6 VwVfG) sowie das nordrhein-westfälische Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 2 Abs. 2 Nr. 4, 5). Infolgedessen verbleibt es bei den Verfahrensregelungen der entsprechenden Bundesgesetze, die für die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 GG maßgeblich sind.

D. Zum Verbot der "Mischverwaltung" I. Verfassungsrechtliche Ausgangslage Die Verfassung unterscheidet grundsätzlich zwischen der Bundes- und der Landesverwaltung llO und geht damit von einer "Trennung der Verwaltungsräume" von Bund und Ländern aus 111. Soweit Verwaltungsträgern kraft grundgesetzlichen Auftrags Verwaltungsaufgaben zugewiesen sind, müssen sie diese mit eigenen Verwaltungseinrichtungen, vor allem mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln wahmehmen ll2 . Dem "Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahmehmung,,113 widerspräche es, wenn im Verhältnis zwischen Bund und Ländern EinVgl. auch Wallerath, aaü, Kap. 12 RN 9, S. 508. Vom 11. 12. 1975, BGBI. I S. 3015. 109 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wallerath, aaü, Kap. 12 RN 6, S. 507 FN 16. 110 BVerfGE 63, 1 (39). III Stern, Staatsrecht, Bd. 11, § 41 VIII 1, S. 832; vgl. auch Ronellenfitsch, Die Mischverwaltung im Bundesstaat, S. 248 ff. 112 BVerfGE 63, 1 (41). 113 So Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, S. 195; ihm folgend BVerfGE 63,1 (41). 107 108

4 Speyer

123

50

1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

richtungen eines Verwaltungsträgers für Zwecke eines anderen auch ohne fönnliche Zuständigkeitsübertragung in größerem Umfange beansprucht würden 114. Von der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Bundes- und Landesverwaltung macht das Grundgesetz selbst vielfach Ausnahmen, indem es ein Zusammenwirken von Bund und Ländern beim Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht oder bei der Bundesauftragsverwaltung sowie bei der Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a, 91 b GG) und der Verbundverwaltung gemäß Art. 120 a GG vorsieht.

11. Der Begriff der "Mischverwaltung" Da das Grundgesetz die Verwaltungsräume von Bund und Ländern selbst nicht rein trennt, ist der Begriff ,,Mischverwaltung" als Beurteilungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit von Verwaltungshandeln im Zusammenwirken von Bund und Ländern von vornherein fragwürdig. Ungeachtet seiner möglichen Tauglichkeit als verwaltungswissenschaftliche Kategorie ll5 ist der Begriff darüber hinaus allzu schillernd, als daß mit seiner Hilfe eindeutige Antworten für alle Erscheinungsformen zu finden wären. Umschreibt man Mischverwaltung in einem weiteren Sinne als ,jede funktionelle oder organisatorische Verflechtung der Verwaltung von Bund und Ländern,,116, so ist die verfassungsrechtliche Problematik eine andere als bei einer Mischverwaltung im engeren Sinne, die ein Zusammenwirken von Bund und Ländern in der Fonn gegenseitigen Einvernehmens vorsieht. Zu Recht hat es daher das Bundesve1jassungsgericht ll7 abgelehnt, aus der bloßen Kategorisierung verwaltungsorganisatorischen Handeins als "Mischverwaltung" verfassungsrechtliche Schlüsse zu ziehen ll8 .

111. Möglichkeiten und Grenzen einer "Mischverwaltung" Einerseits kann schon wegen der grundgesetzlichen Ausnahmeregelungen nicht jede Mischverwaltung als "administrative Verbindung von Bund und Ländern,,119 von vornherein unzulässig sein. Andererseits kann eine verfassungsrechtlich vorgeschriebene Trennung der Verwaltungsräume von Bund und Ländern nicht durch Vgl. BVerfGE 63, 1 (41). Vgl. BVerfGE 63, 1 (38); auch Lerche, in: in: MaunzIDürig, GG, Art. 83 RN 85, S. 75. 116 So Ronellenfitsch, Die Mischverwaltung im Bundesstaat, S. 58. 117 E 63, 1 (38). 118 Vgl. hierzu auch Lerche, in: in: MaunzIDürig, GG, Art. 83 RN 85; Blümel, Verwaltungszuständigkeit, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 101 RN 120 ff., S. 935 ff. 119 So Ronellenfitsch, Die Mischverwaltung im Bundesstaat, S. 61. 114 115

D. Zum Verbot der ,,Mischverwaltung"

51

beliebige Erscheinungsfonnen der Mischverwaltung unterlaufen werden. Eignet sich der Begriff der "Mischverwaltung" nicht als Maßstab für die Beurteilung der Yerfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit, so müssen die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen eines administrativen Zusammenwirkens von Bund und Ländern unmittelbar der Verfassung entnommen werden.

1. Verfassungsrechtliche Grenzen

Verfassungsrechtliche Grenzen für die organisatorische Ausgestaltung der Verwaltung ergeben sich aus den Kompetenz- und Organisationsnonnen der Art. 83 ff. GG. Diese Verfassungsbestimmungen sind grundSätzlich unabdingbares Recht, so daß weder Bund noch Länder über ihre im Grundgesetz festgelegten Kompetenzen verfügen noch von der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Verwaltungsordnung in gegenseitiger Übereinstimmung abweichen dürfen 120. Werden entgegen der grundgesetzlich vorgeschriebenen Verwaltungsordnung Bundesbehörden einer Landesbehörde übergeordnet oder werden einem von der Verfassung nicht vorgesehenen Verwaltungsträger Verwaltungs- oder Entscheidungsbefugnisse eingeräumt, so wäre dies verfassungswidrig l21 • 2. Möglichkeiten eines Zusammenwirkens

Unter Beachtung der von den Art. 83 ff. GG gezogenen Grenzen ist ein administratives Zusammenwirken von Bund und Ländern zulässig und bedarf vor allem keiner besonderen verfassungsrechtlichen Ennächtigung l22 . Insbesondere sind vielfältige Möglichkeiten der Konsultation, Koordination und Kooperation denkbar 123 , wobei in engen Grenzen auch die Heranziehung an sich unzuständiger Verwaltungseinrichtungen zu Hilfszwecken möglich ist l24 • Die Versorgungsverwaltung hat schon bisher mit den Trägem der gesetzlichen Krankenversicherung zusammengearbeitet 125 , wie auch deren Mitwirkung bei der Durchführung der Heil- und Krankenbehandlung gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 SGB I vorgesehen ist.

BVerfGE 63, 1 (39); 32, 145 (156). Vgl. BVerfGE 11,105 (124); 32,145 (156); 39, 96 (120); 41, 291 (311). 122 So ausdrücklich BVerfGE 63, 1 (40); vgl. auch Blümel, aaO, § 101 RN 121, S. 937. 123 Vgl. auch Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., § 22 RN 43, S. 532; Lerche, in: in: MaunzlDürig, GG, Art. 86 RN 32; Hans H. Klein, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. II, S. 277 (287 ff.). 124 Vgl. BVerfGE 63, 1 (41). 125 Vgl. Schönleiter/Hennig, Gesetz über das Verwaltungsverfalrren der Kriegsopferversorgung, § 1 RN 3, S. 8. 120

121

4*

52

1. Teil, 2. Kap.: Die Aufteilung der Verwaltungskompetenzen

E. Würdigung des Einflusses des Bundes auf den Vollzug von Bundesgesetzen Das Regel-Ausnahme-Prinzip des Art. 83 GG, wonach die Länder die Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheiten ausführen, wird in den Fällen des Bundesvollzugs von Bundesgesetzen, des Landesvollzugs von Bundesgesetzen im Bundesauftrag (Bundesauftragsverwaltung) sowie des Landesvollzugs von Bundesgesetzen unter Beschränkung landeseigener Organisationsgewalt durchbrochen. Der Bund führt, soweit es das Grundgesetz vorsieht, Bundesgesetze entweder in unmittelbarer Bundesverwaltung durch bundeseigene Behörden oder in mittelbarer Bundesverwaltung durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten (sowie Stiftungen) des öffentlichen Rechts aus (Art. 86 Abs. 1 GG). Die Bundesverwaltung kann von der Verfassung geboten (obligatorische Bundesverwaltung) oder gestattet (fakultative Bundesverwaltung) sein. In obligatorischer mittelbarer Bundesverwaltung werden grundsätzlich überregionale Sozialversicherungsträger geführt. Insoweit sind die Länder sowohl von der Verwaltung als auch von der Kontrolle ausgeschlossen. Entgegen einer überwiegenden Meinung gestattet Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG insbesondere wegen einer differenzierenden Terminologie die Bundesverwaltung nur in Form "bundesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechtes", wobei sich die Bestimmung nicht auf die überkommenen Sozialversicherungsträger beschränkt. Die Sozialversicherungsträger müssen nicht einstufig, sondern können, wie im Falle der Bundesanstalt für Arbeit, auch mehrstufig, d. h. mit eigenem Verwaltungsunterbau errichtet werden. Die praktische Bedeutung des Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG ist erheblich, weil die gesamte Arbeitslosenversicherung, die Rentenversicherung der Angestellten und Teile der Rentenversicherung der Arbeiter sowie Teile der Krankenversicherung und der Unfallversicherung in mittelbarer Bundesverwaltung geführt werden. Die bisher im Schrifttum aufgeführten ca. 230 Einrichtungen mittelbarer Bundesverwaltung werden sich allerdings durch die Einfügung des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG n.F. verringern, wonach soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, abweichend von Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden, wenn das aufsichtsführende Land durch die beteiligten Länder bestimmt ist. Die Bundesauftragsverwaltung ist wie die Bundeseigenverwaltung im Grundgesetz teils obligatorisch, teils fakultativ vorgesehen. Ohne Rücksicht auf die Art der Aufgabenwahrnehmung wird ein Bundesgesetz immer dann im Auftrage des Bundes durchgeführt, wenn der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt (Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG). Deswegen wird das Wohngeldgesetz im Auftrage des

E. Würdigung des Einflusses des Bundes auf den Vollzug von Bundesgesetzen

53

Bundes durchgeführt. Dasselbe gilt für das Bundesausbildungsförderungsgesetz (vgl. § 39 Abs. 1 BAföG). Eine Kombination von bundeseigener Verwaltung und Bundesauftragsverwaltung, gleichsam eine "Verbundverwaltung", sieht Art. 120 a GG im Bereich des Lastenausgleichsrechts vor. Beim Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht steht den Ländern grundsätzlich die Organisationsgewalt zu. Ausnahmsweise darf der Bund jedoch auf Grund zustimmungsbedürftigen Bundesgesetzes die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungs verfahren selbst regeln (Art. 84 Abs. 1 GG). Soweit der Bund kraft besonderer Ermächtigung die Einrichtung der Behörden regeln darf, kann er auch über die Errichtung sowie die Aufgabenübertragung befinden, und erstreckt sich seine Kompetenz auch auf die Gemeinden und Gemeindeverbände. Detaillierte Regelungen über die Behördeneinrichtung und deren Zuständigkeiten finden sich im Bundesausbildungsförderungsgesetz sowie im Bundessozialhilfegesetz. Im Schwerbehinderten- und im Kriegsopferversorgungsrecht wird den Ländern die Errichtung bestimmter Behörden vorgeschrieben. Ob sich die Befugnis zur Errichtung landesunmittelbarer Körperschaften des öffentlichen Rechts als Sozialversicherungsträger aus Art. 87 Abs. 2 oder nur aus der Generalklausei des Art. 84 Abs. 1 GG ergibt, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Überzeugend erscheint die Anwendung der Regelvorschrift des Art. 84 Abs. 1 GG. Da der Bund nicht nur das (allgemeine) Verwaltungsverfahrensgesetz erlassen sowie das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren im Zehnten Buch des Sozialgesetzbuchs statuiert hat und zusätzlich frühere verfahrensrechtliche Sonderregelungen in einzelnen Sozialrechtsbereichen (z. B. im Lastenausgleichsrecht und im Wiedergutmachungsrecht) weitergelten, ist die Situation für Landesbehörden, die Bundesgesetze ausführen, sehr unübersichtlich. Zunächst tritt das Bundes-Verwaltungsverfahrensgesetz wegen einer Subsidiaritätsklausel hinter die Landes-Verwaltungsverfahrensgesetze zurück. Diesen geht jedoch wiederum das Verwaltungsverfahrensrecht des SGB X vor, soweit Landesbehörden Verwaltungstätigkeit nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs ausüben. Dagegen ist Landesverwaltungsverfahrensrecht für den Vollzug von Landessozialrecht anzuwenden, weil dieses nicht dem Sozialgesetzbuch X unterfällt. Soweit sozialrechtliche Einzelmaterien nicht in das Sozialgesetzbuch einbezogen sind, verbleibt es bei den hierfür erlassenen bundesgesetzlichen Verfahrensvorschriften, da weder das SGB X noch das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes, aber auch die Landesverwaltungsverfahrensgesetze nicht anwendbar sind (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 4, 5 nordrh.-westf. VwVfG). Angesichts der Trennung der Verwaltungsräume von Bund und Ländern und des Grundsatzes eigenverantwortlicher Aufgabenwahmehmung, der die Erledigung durch eigene Verwaltungseinrichtungen mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln erfordert, ist der Raum für eine ,,Mischverwaltung" gering. Zwar folgt nicht bereits aus der Zuordnung eines Zusammenwirkens von Bund und Ländern

54

1. Teil, 3. Kap.: Gestaltungsfreiheit der Länder im Bereich der sozialen Sicherheit

zu diesem Begriff die Verfassungswidrigkeit, zumal das Grundgesetz selbst bei der Landeseigenverwaltung mit Bundesaufsicht, bei der Bundesauftragsverwaltung und der Verbundverwaltung gemäß Art. 120 a GG Formen administrativer Verbindung von Bund und Ländern kennt. Jedoch ziehen Art. 83 ff. GG jeder ,,Mischverwaltung" verfassungsrechtliche Grenzen, weil diese grundgesetzlieh vorgeschriebene Verwaltungsordnung nicht abdingbar ist und Bund sowie Länder über ihre zugewiesenen Kompetenzen auch einvernehmlich nicht verfügen dürfen. Innerhalb dieser Grenzen ist jedoch ein Zusammenwirken von Bund und Ländern möglich und bedarf keiner ausdrücklichen verfassungs gesetzlichen Ermächtigung.

3. Kapitel

Gestaltungsfreiheit der Länder im Bereich der sozialen Sicherheit A. Gesetzgebungsbefugnisse I. Gesetzgebung auf Gebieten der Bundeskompetenz Wie im einzelnen dargelegt, verbleiben den Ländern auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes legislatorische Kompetenzen nur, wenn der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht nicht oder nur lückenhaft Gebrauch macht, wenn er Bundesgesetzen lediglich subsidiäre Kraft beilegt oder die Länder ausdrücklich zur Gesetzgebung ermächtigt. Da der Bund von dem Kompetenztitel des Art. 74 Nr. 12 hinsichtlich des Arbeitsrechts keinen abschließenden Gebrauch gemacht hat, bleiben den Ländern Gesetzgebungsbefugnisse erhalten. Zwar besteht eine Anzahl von Bundesgesetzen, die einzelne arbeitsrechtliche Materien regeln. Eine Kodifikation des Arbeitsrechts steht jedoch bisher noch aus 1• Da die Weiterbildung der Arbeitnehmer bisher bundes gesetzlich nicht geregelt ist, können die Länder in diesem Bereich legeferieren2 . Zwar kann Weiterbildung auch als eine Erscheinungsform der Bildung und Kultur mit der Folge angesehen werden, daß insoweit ohnehin eine ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder besteht. Soweit das Gesetz jedoch Freistellungsansprüche und Entgeltfortsetzungsansprüche gegen den Arbeitnehmer statuiert (§ 1 Abs. 1 AWbG), wird der Bereich "Arbeitsrecht" berührt, so daß dem Land Vgl. statt aller Söllner, Grundriß des Arbeitsrechts, 11. Aufl., § 1 Ir I, S. 3 f. Vgl. für Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Freistellung von Arbeitnehmern zum Zwecke der beruflichen und politischen Weiterbildung - Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (AWbG) - vom 6. 11. 1984 (GVBl. S. 678). I

2

A. Gesetzgebungsbefugnisse

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nicht von vornherein, sondern nur wegen der Untätigkeit des Bundesgesetzgebers eine Gesetzgebungsbefugnis zukommt. Da der Bund die Beschäftigungspflichten für Arbeitgeber nicht abschließend, sondern nur punktuell, z. B. hinsichtlich der Einstellung Schwerbehinderter, geregelt hat3 , können die Länder wegen der vom Bund nicht ausgeschöpften Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Arbeitsrechts aus sozialen Gründen weitere Beschäftigungspflichten normieren. Aus diesem Grunde war Nordrhein-Westfalen befugt, private Arbeitgeber und Arbeitgeber der öffentlichen Hand im Bereich des Landes zu verpflichten, in bestimmtem Umfang Arbeitsplätze mit Inhabern des Bergmannversorgungsscheins zu besetzen4 • Da der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis hinsichtlich der Sozialversicherung Selbständiger nicht abschließend, sondern nur vereinzelt und lückenhaft Gebrauch gemacht hatS , können die Länder gemäß Art. 72 Abs. 1 GG die Sozialversicherung Freier Berufe regeln6 • Ebenfalls nicht abschließend hat der Bund die Ausbildungsförderung geregelt, so daß die Länder in den vom Bundesrecht nicht erfaBten Bereichen die Schülerförderung reglementieren dürfen7 • Da der Bund die Ausbildungsförderung fÜr weiterführende allgemeinbildende Schulen und Berufsfachschulen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG) grundsätzlich nur leistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt und zusätzliche Voraussetzungen erfüllt (§ 2 Abs. 1 a BAföG), können die Länder zusätzliche Förderungsmaßnahmen ergreifen. Das Bundesgesetz schließt dies weder ausdrücklich noch stillschweigend aus 8 . Im Bereich der Blindenhilfe hat sich das Bundessozialhilfegesetz in seinem § 67 in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise9 subsidiären Charakter beigelegt, so daß die Länder wegen Art. 72 Abs. 1 GG eigene Landesblindengeldgesetze erlassen können 10. Auf Grund besonderer Bundesermächtigung ll können die Länder 3 Vgl. § 5 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft i.d.F. vom 26.8. 1986 (BGBI. I S. 1421). 4 Vgl. §§ 4f. des Gesetzes über einen Bergmannversorgungsschein im Land NordrheinWestfalen (Bergmannversorgungsscheingesetz - BVSG NW) vom 20. 12. 1983 (GVBI. S.635). 5 Vgl. oben, S. 16 6 Vgl. für Nordrhein-Westfalen das Gesetz über die Rechtsanwaltsversorgung (RAVG NW) vom 6.11.1984 (GVBI. S. 684). 7 Vgl. Richter, in: von MaydelllRuland, Sozialrechtshandbuch, 2. Aufl., 30 RN 27, S.1479. 8 Vgl. in diesem Zusammenhang das Gesetz über die Unterhaltsbeihilfen für Schüler des Landes Nordrhein-Westfalen (Unterhaltsbeihilfengesetz - UBG NW) vom 26. 6. 1984 (GVBI. S. 365). 9 Vgl. oben, S. 26. 10 Vgl. für Nordrhein-Westfalen das Landesblindengeldgesetz vom 11. 11. 1992 (GVBI. S.446). .

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1. Teil, 3. Kap.: Gestaltungsfreiheit der Länder im Bereich der sozialen Sicherheit

Ausführungs- oder Durchführungsgesetze erlassen, die sich vielfach nicht auf organisatorische Regelungen beschränken, sondern auch Sachregelungen umschließen l2 . 11. Gesetzgebung im Bereich ausschließlicher Landeszuständigkeit

Da der Bundesgesetzgebung im Ergebnis fast alle sozialrechtlichen Materien zugewiesen sind 13 , verbleiben den Ländern auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit nur wenige Restkompetenzen, insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens l4 zur ausschließlichen Gesetzgebung. Da der Bund im Bereich des Gesundheitswesens nur bestimmte, ihm ausdrücklich zugewiesene Angelegenheiten regeln darf, verbleibt dem Landesgesetzgeber Gestaltungsfreiheit, sofern die Angelegenheit nicht in den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung fällt. Aus diesem Grunde war Nordrhein-Westfalen befugt, das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG)15 zu erlassen, wobei teilweise auch das Polizeirecht als ausschließliche Gesetzgebungsmaterie der Länder berührt ist. Das gilt für diejenigen Regelungen dieses Gesetzes, die nicht nur Hilfen für psychisch Kranke (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 PsychKG) vorsehen, sondern Maßnahmen gegen Personen, insbesondere deren Unterbringung, statuieren, bei denen eine Selbst- oder Allgemeingefährdung auf Grund einer Psychose oder vergleichbaren psychischen Störungen vorliegt. Eine größere Gestaltungsfreiheit haben die Länder dort, wo das Sozialrecht nicht den Schwerpunkt der Gesetzgebung ausmacht, sondern soziale Gesichtspunkte im Zusammenhang mit einer Materie geregelt werden, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fallen. Das gilt insbesondere für den Bereich von Kultur und Bildung, so daß die Länder hier Lernmittelfreiheit einführen und die Weiterbildung erleichtern können l6 .

Vgl. oben, S. 27. Vgl. §§ 7f. des Gesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (AG BSHG) vom 25. 6. 1962 (GVBI. S. 344) hinsichtlich der Festsetzung der Regelsätze und der Erhöhung der Ei~kommensgrenze. 13 Vgl. hierzu oben, S. 16. 14 Vgl. hierzu oben, S. 18 ff. 15 Vom 2. 12. 1969 (GVBI. S. 872). 16 Vgl. für Nordrhein-Westfalen das Lernmittelfreiheitsgesetz (LFG) i.d.F. vom 24. 3. 1982 (GVBI. S. 165) sowie das Erste Gesetz zur Ordnung und Förderung der Weiterbildung im Lande Nordrhein-Westfalen (Weiterbildungsgesetz - WbG) i.d.F. vom 7.5. 1982 (GVBI. 11

12

S.275).

B. Verwaltungskompetenzen

57

III. Würdigung Angesichts der vom Grundgesetz, wenn auch in Form von Einzelzuweisungen, dem Bund fast vollständig überlassenen Gesetzgebungsmaterie Sozialrecht bzw. Recht der sozialen Sicherheit kann der Landesgesetzgeber abgesehen von Organisationsregelungen inhaltlich nur in sozialrechtlichen Nischen tätig werden. Jede Konzeption für eine Neuordnung der Sozialverwaltung muß also ungeachtet der Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Bundesgesetzgebung vom bestehenden Bundesrecht ausgehen und kann Reformvorstellungen nur innerhalb des bundes gesetzlich gezogenen Rahmens verwirklichen.

B. Verwaltungskompetenzen I. Verwaltung in Bereichen der Bundeskompetenz

Die Befugnisse des Landes für eine Neuordnung der Sozialverwaltung sind auf dem Gebiete der Verwaltungsorganisation und des Verwaltungsverfahrens sicherlich erheblich größer als auf dem Gebiete der Sozialgesetzgebung. Jedoch sind die Landeskompetenzen für die Sozialverwaltung nicht einheitlich strukturiert, sondern schwanken in ihrer Intensität innerhalb der verschiedenen Bereiche des Sozialrechts. Im einzelnen bestimmt sich die Landeskompetenz anhand des vom Bundes (verfassungs-)recht belassenen Freiraums, so daß die Landesbefugnisse gegenüber den Bundesbefugnissen insoweit akzessorisch sind. Entsprechend der Detailliertheit bundesrechtlicher Vorgaben variieren die Landeskompetenzen, so daß sich eine Abstufung zwischen unzugänglichen Bereichen und Gebieten mit weitgehender Gestaltungsfreiheit des Landes ergibt.

1. Unzugängliche Bereiche Grundsätzlich unzugänglich für eine Landessozialverwaltung sind jene Bereiche, in denen der Bund seine Gesetze in bundesunmittelbarer oder bundesrnittelbarer Verwaltung ausführt. Im Unterschied zu den selteneren Fällen bundesunmittelbarer oder bundeseigener Verwaltung auf dem Gebiet des Sozialrechts, von denen vor allem das Bundeskindergeldgesetz aufzuführen ist 17 , sind die Fälle (obligatorischer oder fakultativer) bundesrnittelbarer Verwaltung durch bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts von größerer Bedeutung. Erheblich ins Gewicht fällt die bundesrnittelbare Verwaltung durch überregionale Sozialversicherungsträger gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG. Hier sind die Länder nicht nur von der Verwaltung, sondern auch von der Kontrolle der juristischen 17

Vgl. oben, S. 30.

58

1. Teil, 3. Kap.: Gestaltungsfreiheit der Länder im Bereich der sozialen Sicherheit

Personen ausgeschlossen 18. Nach Art. 87 Abs. 2 Satz I GG werden die gesamte Arbeitslosenversicherung, die Rentenversicherung der Angestellten und Teile der Rentenversicherung der Arbeiter sowie Teile der Krankenversicherung und der Unfallversicherung in mittelbarer Bundesverwaltung und damit unzugänglich für die Landesverwaltung geführt. Der Landesverwaltung verschlossen sind ferner die gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG gegründeten bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, wozu zahlreiche Dachkörperschaften auf Bundesebene, die Künstlersozialkasse und bundesunmittelbare Stiftungen des öffentlichen Rechts gehören 19 .

2. Bereiche mit marginaler Landeskompetenz Im Unterschied zur bundesmittelbaren Verwaltung haben die Länder wenn auch nur geringe Verwaltungskompetenzen bei der landesmittelbaren Verwaltung durch regionale und begrenzt überregionale Sozialversicherungsträger gemäß Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG n.F. 20 . Die Landesverwaltungskompetenz besteht in der Aufsicht über die landesunmittelbaren Versicherungsträger, die gemäß § 90 Abs. 2 SGB IV den für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwaltungsbehörden bzw. den von der Landesregierung oder im Falle der Subdelegation von den obersten Landesbehörden durch Rechtsverordnung bestimmten Behörden obliegt. Im Zuge einer Tendenz, zentrale und spezialisierte Behörden mit der Aufsicht zu betrauen 21 , hat Nordrhein-Westfalen ein Landesversicherungsamt als Landesoberbehörde errichtet22 . Da die staatliche Aufsicht über die Sozialversicherungsträger gemäß 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IV grundsätzlich nur Rechtsaufsicht und lediglich im Unfallversicherungsrecht in geringem Maße auch Zweckmäßigkeitsaufsicht und damit Fachaufsicht ist (§ 87 Abs. 2 SGB IV)23, fehlt es an einer Gestaltungsfreiheit der Landesverwaltung, die lediglich über die Gesetzeskonforrnität des Handeins der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger zu wachen hat. Der Umfang der Rechtsaufsicht kann auch nicht dadurch erweitert werden, daß die Aufsichtsbehörden bei der Prüfung der von den Sozialversicherungsträgern zu berücksichtigenden Grundsätzen der "Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" (§ 69 Abs. 2 SGB IV) die Rechtsaufsicht als Fachaufsicht handhaben24 . Vgl. oben, S. 30f. Vgl. im einzelnen oben, S. 37 f. 20 Vgl. hierzu oben, S. 36f. 21 So Gleitze, in: GleitzelKrauseivon Maydell/Merten, GK-SGB IV, § 90 RN 5. 22 Vgl. auch § 6 LOG NW vom 10.7. 1962 (GVBI. S. 421). 23 Vgl. hierzu Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Nr. 200, S. I ff.; Schewe, Die Organisation der Aufsicht über Sozialversicherungsträger, Die Sozialversicherung 1990, S. 169ff. 18 19

B. Verwaltungskompetenzen

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Organisatorische Befugnisse im Bereich der Sozialversicherung kommen den Ländern nur dort zu, wo sie das Gesetz ausdrücklich einräumt. So ermächtigt § 92 Satz 2 SGB IV die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche Behörde als Versicherungsamt und damit als untere Verwaltungsbehörde fungieren soll. Im allgemeinen werden diese bei den Landkreisen und kreisfreien Städten eingerichtet25 . Durch Rechtsverordnung kann aber auch bestimmt werden, daß ein gemeinsames Versicherungsamt für die Bezirke mehrerer unterer Verwaltungsbehörden, gegebenenfalls sogar länderübergreifend errichtet wird (§ 92 Satz 4 und 5 SGB IV). Auch eine Teil-Kommunalisierung liegt in der Gestaltungsfreiheit der Länder. Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 SGB IV können die Landesregierungen bzw. gegebenenfalls die obersten Landesbehörden "einzelne Aufgaben der Versicherungsämter den Gemeindebehörden durch Rechtsverordnung übertragen". Relativ gering sind die Landeskompetenzen auch beim Landesvollzug von Bundesgesetzen im Bundesauftrag. Trotz der Exekution durch Landesbehörden steht dem Bund nicht nur die Gesetzmäßigkeits-, sondern auch die Zweckmäßigkeitskontrolle zu (Art. 85 Abs. 4 Satz 1 GG). Darüber hinaus kann der Bund durch Gesetz Vorschriften über die Einrichtung von Behörden und kann die Bundesregierung allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen (Art. 85 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG)26. So regelt das Bundesausbildungsförderungsgesetz, das nach seinem § 39 Abs. 1 von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt wird, daß die Länder grundsätzlich für jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt ein Amt für Ausbildungsförderung sowie darüber hinaus Ämter für Ausbildungsförderung bei den Hochschulen oder bei den Studentenwerken sowie Landesämter für Ausbildungsförderung errichten (§§ 40, 40 a). Die Länder können gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 BAföG lediglich darüber entscheiden, ob sie für mehrere Kreise und/oder kreisfreie Städte ein gemeinsames Amt für Ausbildungsförderung errichten. Demgegenüber haben die Länder beim Vollzug des Unterhaltsvorschußgesetzes organisatorisch freie Hand27 . Geringe Gestaltungsfreiheit besitzen die Länder auch bei der Verbundverwaltung gemäß Art. 120 a GG, da hier eine Kombination von bundeseigener Verwaltung und Bundesauftragsverwaltung vorliegt und bereits von Verfassungs wegen die Einrichtung des Bundesausgleichsamts und von Landesausgleichsämtern vorgesehen ist28 • 24 Vgl. hierzu Merten, Zum Selbstverwaltungsrecht Kassenärztlicher Vereinigungen, S. 28 ff.; Maier, Kasseler Kommentar, § 87 SGB IV RN 3 f. 25 Vgl. Maier, Kasseler Kommentar, § 92 SGB IV RN 2. 26 Vgl. oben, S. 38. 27 Vgl. oben, S. 39 f. 28 Vgl. oben, S. 40.

60

1. Teil, 3. Kap.: Gestaltungsfreiheit der Länder im Bereich der sozialen Sicherheit

3. Bereiche mit weitgehender Gestaltungsfreiheit der Länder

Eine weitergehende Gestaltungsfreiheit genießen die Länder beim Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht, da ihnen hierbei grundsätzlich auch die Organisationsgewalt zusteht und sich die Bundesaufsicht auf eine Rechtsaufsicht beschränkt (Art. 84 Abs. 3 Satz 1 GG)29. Zwar kann der Bund auch bei der Landeseigenverwaltung durch zustimmungsbedürftige Bundesgesetze die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln (Art. 84 Abs. 1 GG) und damit die Landesverwaltungskompetenz einengen. Der Bund beschränkt sich jedoch vielfach darauf, den Ländern nur die Einrichtung bestimmter Behörden, z. B. von Fürsorgestellen und Hauptfürsorgestellen im Schwerbehindertenrecht, vorzuschreiben, ihnen aber die verwaltungsorganisatorische Verortung und die Aufgabenverteilung zu überlassen 3o . Im Sozialhilferecht hat der Bund zwar selbst die kreisfreien Städte und Landkreise als örtliche Träger bestimmt, war jedoch verfassungsrechtlich gehindert, dies als Selbstverwaltungsaufgabe zu deklarieren 31 . Für die Versorgungsverwaltung hat der Bund eine zwei stufige (Versorgungsämter, Landesversorgungsämter) besondere Verwaltung angeordnet. Die bundesgesetzlichen Vorgaben müssen die Länder respektieren, so daß ihnen gesetzgeberischer Spielraum nur im Rahmen der gezogenen Grenzen verbleibt. Allerdings haben die Länder gerade auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts als einem "der Kernbereiche des Sozialrechts,,32, in dem ca. 1,4 Millionen Versorgungsberechtigte laufende Rentenleistungen erhalten33 , eine weitaus größere Gestaltungsfreiheit als im Bereich der Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung. 11. Verwaltung in Bereichen der Landeskompetenz

Die weitestgehende Gestaltungsfreiheit besitzen die Länder in den Bereichen der Landeskompetenz, d. h. bei der Ausführung von Landesgesetzen durch die Landesverwaltung. Hierzu schweigt sich der Abschnitt VIII des Grundgesetzes aus, da er sich ausweislich seiner Überschrift von vornherein nur auf die "Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung" bezieht. Dennoch sind die Länder auch bei der Exekution von Landesgesetzen nicht nur dem Landesverfassungsrecht unterworfen, sondern haben darübej hinaus vielfältige grundgesetzliche Vorgaben zu achten, da sich die Bindung aller Staatsgewalt an 29 30 31

32 33

Vgl. auch oben, S. 40 f. Vgl. oben, S. 30. Vgl. oben, S. 41 f. So der Sozialbericht 1993, S. 81 Nr. 231. Sozialbericht, aaO, S: 82 Nr. 233.

A. Landesrechtliehe Organisationsgewalt im Bundesstaat

61

die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) auch auf die Landesstaatsgewalt bezieht, die die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und darüber hinaus die Staatsstrukturprinzipien der Art. 20, 28 Abs. 1 GG, insbesondere das Rechtsstaatsund das Sozialstaatsprinzip zu respektieren hat.

4. Kapitel

Verfassungsrechtliche Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt Wenn sich auch die Verfassungsmäßigkeit einer Neuorganisation der Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen abschließend erst anhand eines detaillierten Entwurfs beurteilen läßt, so ergeben sich doch von vornherein durch das Grundgesetz einerseits und die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen andererseits nicht nur formale Schranken im Hinblick auf die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, sondern auch materiale Grenzen auf Grund materialer Verfassungsprinzipien, die den Gestaltungsspielraum landesrechtlicher Organisationsgewalt einengen. Andererseits können Verfassungsprinzipien und Verfassungsnormen positive Vorgaben für die Ausgestaltung der Organisationsgewalt enthalten.

A. LandesrechtIiche Organisationsgewalt im Bundesstaat I. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG Für die Ausgestaltung einer Landessozialverwaltung ist von Bedeutung, ob der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG, der gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen auch als unmittelbares Landesrecht gilt, Grenzen hinsichtlich einer Gleichheit im Bundesstaat zieht. Konkreter formuliert, stellt sich die Frage, ob das Land wegen Art. 3 Abs. I GG verpflichtet ist, seinen Bürgern einen den anderen Ländern vergleichbaren Organisations- und Verfahrens standard zur Verfügung zu stellen oder ob es im Rahmen bundesgesetzlicher Vorgaben eigene Wege gehen und so selbst bei den nach Art und Höhe bundeseinheitlich normierten Sozialleistungen durch die Effizienz und Qualität seiner Verwaltung andere Länder übertreffen darf. Zwar verpflichtet Art. 3 Abs. 1 GG den Gesetzgeber, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln I. Dabei erfahrt der Gleichbehandlungssatz durch das Postulat der Gruppengerechtigkeit eine NuancieI

Vgl. BVeifGE 3,58 (135); 4, 143 (ISS); 42, 64 (72), st. Rspr.

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

rung und Konkretisierung 2 . Personen oder Gruppen dürfen durch Gesetzesvorschriften nicht ohne sachlich vertretbaren, d. h. ohne rechtlich zureichenden Grund schlechtergestellt werden als andere, die man ihnen als vergleichbar gegenüberstellt3 . Demgemäß ist Art. 3 Abs. I GG vor allem dann verletzt, "wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten,,4. Mit der Verfassungsforderung, Gleiches gleich und vergleichbare Gruppen nicht unterschiedlich zu behandeln, sind zwar materiale und personale Maßstäbe gesetzt, wird aber über den Vergleichsgegenstand in territorialer Hinsicht nichts gesagt. Insbesondere für den Landesgesetzgeber stellt sich das Problem, ob er nur innerhalb eines Landes Gleiches gleich regeln muß oder ob er auch den Rechtszustand in anderen Ländern mit der Folge berücksichtigen muß, daß Gleichartigkeit im Verhältnis zu anderen Ländern herzustellen ist. Hiergegen spricht zunächst das föderalistische Prinzip des Grundgesetzes. Denn Bundesstaatlichkeit als Staatsstrukturprinzip bedeutet die "Anerkennung politischer und kultureller Verschiedenartigkeit,,5. Wo im Interesse bundes staatlicher Homogenität Übereinstimmung zwischen Bund und Ländern zu fordern ist, hat sie das Grundgesetz in Art. 28 Abs. 1 GG normiert. Soweit Gesetze bundeseinheitlich wirken sollen, sind dem Bundesgesetzgeber die Sachgebiete zu ausschließlicher, konkurrierender oder Rahmengesetzgebung überlassen worden. Daraus folgt, daß die Länder in den ihnen verbleibenden Gesetzgebungsbereichen grundSätzlich nicht zur Gleichartigkeit mit anderen Ländern verpflichtet sein können. Zu Recht hat daher das Bundesveifassungsgericht erkannt, daß "die Länder die ihnen zur Regelung vorbehaltenen Materien nicht notwendig einheitlich ordnen müssen,,6. Daher ist jeder Normsetzer nur verpflichtet, innerhalb seines eigenen Herrschaftsbereichs den Gleichheitssatz zu wahren, können also Vergleichspaare nur im Rahmen dieser territorialen Grenzen herangezogen werden 7 • Das Grundgesetz nimmt es hin, daß "die den Ländern zur Gesetzgebung überlassenen Materien von Land zu 2 So Katzenstein, Aktuelle verfassungsrechtliche Fragen des Sozialrechts und der Sozialpolitik, DRV 1983, S. 337 ff. (344). 3 BVerfGE 22,415; ebenso E 52,277 (280 sub 11 I); vgl. auch E 17,354. 4 BVerfGE 55, 72 (88 sub 11 1); 58, 369 (373 f.); 60, 123 (133 f.); 329 (346 sub 11 I); 62, 256 (274); 64, 229 (239); 65,104 (\l2f.); 67, 231 (236); 70,230 (239f.); 71, 146 (154f.); 72, 141 (150); 74,9 (24); 79, 87 (98); 106 (122); 82, 126 (146); 84, 133 (157 sub C V); 85, 360 (383); 87, I (36); 234 (255). 5 So Badura, Staatsrecht, 2. Aufl., D RN 69, S. 228. 6 E 16, 6 (24); vgl. auch E 10, 354 (371); 11,299 (305); 12,139 (143); 319 (324); 17, 319 (331); 21, 54 (68); 27,175 (179); 30, 90 (103); 32, 346 (360); 33, 224 (231); 42,20 (27); 51, 43 (58 f.); 52, 42 (58); 76, 1 (73). 7 Vgl. BVerfGE 10, 354 (371); 12,139 (143); 16, 6 (24); 17, 319 (331); 21, 54 (68); 27, 175 (179); 32, 346 (360); 33, 224 (231); 42, 20 (27); 51,43 (59).

A. Landesrechtliche Organisationsgewalt im Bundesstaat

63

Land verschieden geregelt sein können"s. Wegen der bundesstaatlichen Struktur ist Ungleichheit gerechtfertigt9 •

11. Pflicht zur Herstellung "gleichwertiger" oder "einheitlicher" Lebensverhältnisse ? 1. Art. 72 Abs. 2 GG Art. 72 Abs. 2 GG wendet sich von vornherein nur an den Bund, nicht auch an die Länder. Die in dieser Verfassungsvorschrift normierten Erfordernisse der "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder auch der "Wahrung der Rechtsoder Wirtschaftseinheit" enthalten kein Verfassungs gebot, insbesondere keine Pflicht des Bundes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, sondern stellen eine Verfassungsschranke dar lO • Sie sind "Hemmnis", nicht "Triebfeder", mag auch die Verfassungswirklichkeit die Begrenzung der Bundeskompetenzen in eine Entgrenzung umfunktionieren 11. Für die Landesgesetzgebung läßt sich aus Art. 72 Abs. 2 GG sogar ein Umkehrschluß herleiten. Fehlt dem Bund trotz Zuweisung einer Materie in den Art. 74 und 74 a GG die Gesetzgebungskompetenz, weil eine bundesgesetzliche Regelung nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich ist, so können die Länder erst recht nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse verpflichtet sein. 2. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG Wie Art. 72 Abs. 2 GG, so wendet sich auch Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG ausschließlich an den Bundesgesetzgeber. Dieser soll bei der Verteilung der Umsatzsteuer die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder so aufeinander abstimmen, daß neben der Erzielung eines billigen Ausgleichs und der Vermeidung einer Überbelastung der Steuerpflichtigen die "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird". Ähnlich wie bei Art. 72 Abs. 2 GG stellt die Wahrung der ,,Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" kein VerSoBVerjGE32,199(219f.). Vgl. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 98 RN 251. 10 Vgl. hierzu oben, S. 21 f. 11 Vgl. Isensee, aaO, § 98 RN 247; auch Herzog, in: MaunzJDürig, GG, Art. 20 IV RN 87; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 19 IV 1 b, S. 750; Scheuner, DÖV 1966, S. 517; Schmitt Glaeser, Rechtspolitik unter dem Grundgesetz, in: AöR 107, 1982, S. 337 ff. (358 f.); Seimer, Einheit der Rechtsordnung und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nach Wiederherstellung der deutschen Einheit, in: Karsten Schmidt (Hg.), Vielfalt des Rechts - Einheit der Rechtsordnung, S. 206. 8

9

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

fassungsgebot, sondern eine Verfassungsschranke dar. Im vertikalen Finanzausgleich sind von Verfassungs wegen dann Schranken gezogen, wenn er eine bestehende Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse antastet, wobei das Schrifttum die Zweckmäßigkeit dieser Regelung ohnehin bezweifelt 12 • Ungeachtet der Interpretationsprobleme im einzelnen gilt angesichts der ausschließlichen Adressierung an den Bund auch hier der für die gesamte föderale Kompetenzverteilung prägende Grundsatz, "daß Einheitlichkeit Sache des Bundes, Unterschiedlichkeit Sache der Länder ist,,13. Nach allem sind die Länder bei ihrer Gesetzgebung weder nach Art. 72 Abs. 2 GG zur Herstellung gleichwertiger noch nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG zur Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verpflichtet.

B. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung I. Art. 28 Abs. 2 GG Bund und Länder sind verpflichtet, die den Gemeinden garantierte kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) zu achten 14. 1. SchutzJür die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft

Die Selbstverwaltungsgarantie ist kraft konstitutioneller Definition das Recht, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu reg~ln" (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG). Dabei sind als Angele-· genheiten der örtlichen GemeiItschaft diejenigen Bedürfnisse und Interessen anzusehen, "die in der örtlichen Gemeihschaft wurzeln oder zu ihr einen spezifischen Bezug haben,,15. Es sind mithin Angelegenheiten, die den Gemeindeeinwohnern "gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen,,16. Anders als Art. 83 Abs. I der bayerischen Verfassung, die - wenn auch nicht abschließend (arg. "insbesondere") - die wichtigsten Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden aufzählt, umschreibt das Grundgesetz den materialen Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG generalklauselartig 17 . 12 Vgl. Maunz, in: Maunz!Dürig, GG, Art. 106 RN 61; VogellWalter, in: Bonner Kommentar, Art. 106 RN 184; Fischer-Menshausen, in: Ingo von Münch (Hg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 2. Aufl., Art. 106 RN 26 e. 13 So VogellWalter, Bonner Kommentar, Art. 106 RN 184. 14 Vgl. statt aller BVerfGE 56, 298 (322). 15 BVerfGE 86, 148 (220); vgl. auch E 8, 122 (134); 50, 195 (201); 52, 95 (120); 79, 127 (151); BVerwGE 92, 56 (62). 16 BVerfGE 79,127 (151); BVerwGE 92,56 (92).

B. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung

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Auf dem Gebiete des Sozialrechts werden die auch in Art. 83 Abs. 1 der bayerisehen Verfassung als Bestandteil des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden aufgeführten Bereiche der "Wohlfahrtspflege" und des "örtlichen Gesundheitswesens" bzw. die "öffentliche Fürsorge" sowie auch die Jugendhilfe, die Gesundheits- und Jugendpflege als Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft angesehen 18. Die Fürsorge ist als Armenpflege klassische kommunale Aufgabe. Die bereits im Preußischen Allgemeinen Landrecht statuierte Pflicht, "für die Ernährung und Verpflegung deljenigen Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen und denselben auch von anderen Privatpersonen, welche nach besondern Gesetzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können" (§ 1 11 19), wird den privilegierten Korporationen sowie den Stadt- und Dorfgemeinden jeweils für ihre Mitglieder (und Einwohner) auferlegt (§§ 9, 10 11 19 ALR). Die Preußische Städteordnung 19 enthält organisatorische Regelungen über das städtische Armenwesen, richtet als Leistungsbehörde die Armendirektion ein und vertraut in § 179 lit. c das Armenwesen "den Händen der Bürgerschaft, ihrem Gemeinsinn und der Wohltätigkeit der Stadteinwohner" an. Auch in Bayern obliegt die Sorge für den "eingehörigen Armen" den Stadt-, Markt- und Landgemeinden 2o • Die geschichtliche Entwicklung macht deutlich, daß die öffentliche Armenversorgung nie Gegenstand unmittelbarer Staatstätigkeit W~I, sondern neben der kirchlichen Armenpflege von den Kommunen geleistet wurde 22 • Ob die Sozialhilfe (Fürsorge) den Gemeinden als Selbstverwaltungsaufgabe obliegt, hat nach Auffassung des Bundesvelj"assungsgerichts23 nicht der Bundesgesetzgeber, sondern der Landesgesetzgeber zu entscheiden. Die Ausführungsgesetze der Länder zum Bundessozialhilfegesetz haben mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen den kreisfreien Städten und Landkreisen die Durchführung dieses Bundesgesetzes als Selbstverwaltungsangelegenheit übertragen 24 • Demgegenüber hat das nordrhein-westfälische Ausführungsgesetz 25 nur für die Landschaftsverbände als überörtliche Träger der Sozialhilfe festgelegt, daß diese die Sozialhilfe als Selbstverwaltungsange1egenheiten durchführen (§ 1 Abs. 2 AG17 Vgl. auch die Beispiele bei WolfflBachofiStober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl., § 85 II RN 18 f.; E. Becker, Art. Kommunale Selbstverwaltung, in: BetterrnannlNipperdey (Hg.), Die Grundrechte, Bd. IV/2, S. 715. 18 Vgl. WolfflBachofiStober, aaO; E. Becker, aaO. 19 Vom 19.11. 1808 (GS S. 324). 20 Art. 5 der Verordnung das Armenwesen betr. vom 17. 11. 1816 (Reg.BI. S. 780). 21 So auch Gumplowicz, Das österreichische Staatsrecht, § 214, S. 613. 22 Vgl. Gumplowicz, aaO; Merten, Art. Sozialhilfe, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Sp. 3215 f.; dens., Art. Sozialrecht, Sozialpolitik, in: Benda/MaihoferNogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., § 20 RN 13 ff., S. 965 f. 23 E 22,180 (21Of.); siehe hierzu oben, S. 40. 24 Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 7. Aufl., § 96 RN 2. 25 Gesetz zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (AG-BSHG) vom 25. 6. 1962 (GVBI. S. 344).

5 Speyer 123

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

BSHG). Angesichts dieses Umstands spricht jedoch viel dafür, daß das Ausführungsgesetz die Durchführung der Sozialhilfe als Selbstverwaltungsangelegenheit der kreisfreien Städte und der (Land-)Kreise nur deshalb nicht normiert hat, weil § 96 Abs. 1 Satz 2 BSHG a.F. 26 eine entsprechende Vorschrift enthielt, die erst nach Erlaß des Ausführungsgesetzes vom Bundesverfassungsgerichr7 für nichtig erklärt wurde. Trotz des traditionellen Charakters der Fürsorge (Sozialhilfe) als kommunaler Aufgabe sind die Länder verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, sie den kreisfreien Städten und (Land-)Kreisen als Selbstverwaltungsangelegenheit zu überantworten, und haben die Gebietskörperschaften keine entsprechenden verfassungsrechtlichen Ansprüche. Die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten Verfassungsgrundsätze der Universalität und der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden28 stehen Beschränkungen der kommunalen Selbstverwaltung nicht entgegen, da sie nur ,,im Rahmen der Gesetze" gewährt sind. Daher wird das Selbstverwaltungsrecht nicht in einem bestimmten Umfang garantiert29 , sondern steht die genaue Abgrenzung des Aufgabenkreises der Gemeinden einer Regelung durch den Gesetzgeber offen 3o, wobei das Grundgesetz allerdings ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Gemeinden statuiert3l . In jedem Fall müssen gesetzliche Beschränkungen den Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts unangetastet lassen 32 . Bei der Bestimmung des unantastbaren Kembereichs oder Wesensgehalts muß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen historischen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung getragen werden,,33. "Was herkömmlich das Bild der gemeindlichen Selbstverwaltung in ihren verschiedenen historischen und regionalen Erscheinungsformen durchlaufend und entscheidend prägt, darf weder faktisch noch rechtlich beseitigt werden,,34. Dennoch besteht der Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht in einem gegenständlich bestimmten oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbaren Aufgabenkatalog, sondern nur in der grundsätzlichen Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen, sofern diese nicht durch Gesetz anderen Trägem der öffentlichen Verwaltung zugewiesen sind35 . 26 27

Vom 30. 6. 1961 (BGB!. I S. 815).

E 22,180 (210f.).

Vg!. BVerfGE 79, 127 (146f.); Stern, aaO, Art. 28 RN 86, 94. Vg!. BVerfGE 1,167 (175); 22,180 (205). 30 BVerfGE 79, 127 (144, 146). 31 BVerfGE 79, 127 (149). 32 BVerfGE 1,167 (175f.), st. Rspr. vg!. zuletzt E 79,127 (146); 83, 363 (381); 91, 228 (238). 33 BVerfGE 22, 180 (205); vg!. auch E 23, 353 (366); 26, 228 (238); 50, 195 (201); 59, 216 (226); 76,107 (118); 79,127 (146); 91, 228 (238). 34 So BVerfGE 83,363 (381). 28

29.

B. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung

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Für die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers macht es einen Unterschied, ob er eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft als Staatsaufgabe behandelt und damit der Selbstverwaltung entzieht oder ob er sie weiterhin als kommunale Selbstverwaltungsaufgabe einstuft, sie jedoch nicht den Gemeinden, sondern den (Land-)Kreisen zur Erledigung zuweist, wie dies § 96 Abs. 1 Satz 1 BSHG vorsieht, indem er die kreisfreien Städte und die Landkreise zu örtlichen Trägem der Sozialhilfe bestimmt. Damit trägt das Bundesgesetz dem Umstand Rechnung, daß der örtliche Aufgabenkreis nicht für alle Gemeinden ungeachtet der Einwohnerzahl, der flächenmäßigen Ausdehnung und der Struktur gleich sein kann, so daß Angelegenheiten, die bei mittleren und größeren Städten, die typischerweise kreisfrei sind, örtliche Aufgaben sind, dies nicht auch bei kleinen Gemeinden sein müssen, so daß hier eine "Hochzonung" gerechtfertigt erscheint36 . Im übrigen sieht § 96 Abs. 1 Satz 2 vor, daß nach Maßgabe von Landesrecht Landkreise ihnen zugehörige Gemeinden oder Gemeindeverbände zur Durchführung von Aufgaben nach dem Bundessozialhilfegesetz heranziehen dürfen. Von dieser Möglichkeit haben einige Länder, hat jedoch nicht Nordrhein-Westfalen Gebrauch gemacht37 • 2. Agenden ohne Ortsbezug

Unter die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG fallen schon auf Grund des Verfassungswortlauts von vornherein keine Angelegenheiten, denen ein spezifischer Bezug zur örtlichen Gemeinschaft fehlt und die nicht in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln, weil derartige Agenden ohne Orts bezug nicht als "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" anzusehen sind. Daher überschreiten Gemeinden ihre Grenzen, wenn sie z. B. zu allgemeinen, überörtlichen Fragen Stellung nehmen 38 oder sich mit allgemeinstaatlichen oder allgemeinpolitischen Problemen befassen39 . Aufgabe der Gemeinde ist es auch nicht, staatliche Sozialleistungen, die als unzureichend empfunden werden, durch gemeindliche Transferzahlungen aufzubessern, indem z. B. zusätzliche Altersrenten oder ein zusätzliches Kindergeld gewährt wird. Zu Recht hat es daher das OVG Nordrhein-Westjalen 40 als Überschreitung der gemeindlichen Verbandskompetenz angesehen, wenn Unterhaltspflichtigen anläßlich der Geburt eines dritten oder weiteren Kindes eine kommunale Aufwendungsbeihilfe zum Zweck einer Ergänzung des allgemeinen Familienlastenausgleichs gezahlt wird. Da dieser Maßnahme jede Ortsbezogenheit fehlt, kann sie nicht zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinde gehören. Nur wenn So35

BVerfGE 79, 127 (146).

36

Vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 83,363 (384); vgl. auch E 79, 127 (154). Vgl. hierzu Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 7. Aufl., § 96 RN 7, S. 407. So BVerfGE 8, 122 (134). BVerfGE 79, 127 (147). Uet. vom 19. 1. 1995, NVwZ 1995, S. 718 ff. = NWVBI. 1995, S. 170ff.

37

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40

5*

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliehe Organisationsgewalt

zialleistungen einer Gemeinde die Verbundenheit der ?rtlichen Gemeinschaft mit dem Gemeindebürger zum Ausdruck bringen, werden sie von dem Grundsatz der Universalität erfaßt41 . Daher hätte z. B. ein Ehrensold für Ehrenbürger der Gemeinde42 oder ein Patenschaftsgeld der Gemeinde den erforderlichen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft 43.

3. Möglichkeiten und Grenzen der Auftragsverwaltung Art. 28 Abs. 2 GG verschweigt sich zur Auftragsverwaltung, die auch als Fremdverwaltung bezeichnet wird44 • Daher lehnt das Bundesverfassungsgericht45 eine unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2 GG folgende Pflicht der Gemeinde gegenüber dem Land zur Mitwirkung bei der Erledigung staatlicher Aufgaben ab. Dennoch ist die Auftragsverwaltung, wenn auch nicht ausdrücklich gestattet, von der Verfassung stillschweigend anerkannt 46 . Betrachtet man das Verhältnis von Selbstverwaltung und Auftragsverwaltung, so zeigt sich, daß die Gemeinden seit Jahrzehnten immer stärker durch eine gesetzesgebundene Verwaltung beansprucht werden, so daß die Gemeindeverwaltung zur staatlichen Ortsverwaltung wird, in der die kommunale Eigenverantwortlichkeit nur noch einen geringen Spielraum hat47 . Diese verfassungspolitisch mißliche Entwicklung wird verfassungsrechtlich dann bedenklich, wenn sie die gemeindliche Selbstverwaltung erheblich behindert. Denn das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden darf vom Gesetzgeber weder rechtlich noch faktisch beseitigt werden, wie das Bundesverfassungsgericht betont48 . Die Gefahr faktischer Beseitigung der Selbstverwaltung drohte nach Auffassung des Gerichts insbesondere dann, wenn die Gesetze die gemeindliche Selbstverwaltung innerlich aushöhlten, so daß diese "die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verlöre und nur noch ein Scheindasein führen könnte,,49. Nach Stem50 darf die Auftragsverwaltung nicht soweit gehen, "daß die Selbstverwaltungsaufgaben zum Nebenzweck herabsinken". Zu diesem Prinzip Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 28 RN 86. Vgl. § 34 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NW) i.d.F. vom 14.7. 1994 (GVBl. S. 666). 43 Vgl. hierzu auch OVG Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 1995, S. 170 (171l.Sp.). 44 So WolfflBachojlStober, Verwaltungsrecht H, 5. Aufl., § 86 X RN 189, S. 89. 45 Beschl. vom 30. 5. 1990, DVBl. 1990, S. 1066 (1067). 46 Vgl. statt aller Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 28 RN 61. 47 So WolfflBachojlStober, aaO, § 86 RN 189 mit weit. Nachw. 48 E 79, 127 (155). 49 So BVerfGE 1, 167 (174f.) im Anschluß an die Entscheidung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich vom 10./11. 12. 1929, abgedr. in: LammerslSimons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, Bd. H, S. 107; 22, 180 (204f.); 79, 127 (155); vgl. auch E 23, 353 (367); 38, 258 (279). 50 Bonner Kommentar, Art. 28 RN 61. 41

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B. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung

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Ob die kommunale Selbstverwaltung noch Hauptzweck gemeindlicher Tätigkeit ist oder zum Nebenzweck wird, hängt entscheidend vom Verhältnis der Auftragsangelegenheiten zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten ab. Übertrifft die Fremdverwaltung nach Quantität und/oder Qualität die Selbstverwaltung erheblich, so ist die Regelung der Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft nicht mehr Hauptzweck kommunaler Tätigkeit. Hieraus ergibt sich somit eine Grenze für die Übertragung staatlicher Aufgaben auf die Gemeinden, weil die Garantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur durch den Abfluß von Agenden mit örtlichem Bezug, sondern auch durch den Zufluß von Angelegenheiten ohne örtlichen Bezug gefährdet werden kann. Folglich findet die Dezentralisierung staatlicher Angelegenheiten durch Kommunalisierung ihre Grenze in einer daraus resultierenden Aushöhlung der gemeindlichen Selbstverwaltung. Wann diese Grenze überschritten wird, läßt sich exakt nicht nach abstrakten Merkmalen, sondern nur anhand einer konkreten Bestandsaufnahme des Selbstverwaltungsanteils einerseits und des Fremdverwaltungsanteils andererseits bestimmen. Jedenfalls ist eine schrankenlose Zuweisung von Auftragsangelegenheiten mit der Verfassungsgarantie kommunaler Selbstverwaltung unvereinbar. Aus diesem Grunde stößt auch die verwaltungspolitische Forderung nach Dezentralisierung und Kommunalisierung staatlicher Aufgaben im Interesse größerer "Bürgernähe" auf verfassungsrechtliche Schranken. Denn der Vorrang einer dezentralen, also gemeindlichen, vor einer zentral und damit staatlich determinierten Aufgabenwahrnehmung51 bezieht sich immer nur auf die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Nur insoweit will das Grundgesetz die dezentrale Verwaltungsebene stärken und auch aus historischen Gründen gegenläufigen zentralistischen Tendenzen entgegentreten 52. Da sich die Verfassungsaussage des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auf die "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" beschränkt und sich nicht auf staatliche Angelegenheiten bezieht, ist aus ihr nichts für eine Kommunalisierung staatlicher Aufgaben zu gewinnen. Im Gegenteil ist im Interesse einer effektiven kommunalen Selbstverwaltung darauf zu achten, daß diese nicht durch eine Überbordung mit staatlichen Aufgaben behindert und gefährdet wird.

51 52

So BVerfGE 83, 363 (382); vgl. auch E 79, 127 (147 ff.). Vgl. BVerfGE 79, 127 (149).

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

11. Art. 78 der nordrhein-westfalischen Verfassung 1. Bindungswirkung Art. 78 der nordrhein-westfalischen Verfassung kann als Landesverfassung nur die Landesstaatsgewalt, nicht aber die Bundesstaatsgewalt binden53 • Demzufolge ist der Bund nur aus Art. 28 Abs. 2 GG verpflichtet und hat nur dessen Grenzen zu achten. Wie bereits festgestellt 54, bezieht sich die Einrichtungskompetenz gemäß Art. 84 Abs. 1 GG grundsätzlich auch auf die Gemeinden, da diese zum Verfassungsbereich der Länder gehören. Allerdings darf der Bund nur unter engen Voraussetzungen darüber befinden, in welchem Wirkungskreis die Gemeinde das Gesetz zu vollziehen hat. Ohne verfassungsrechtliche Bedenken kann der Bund als örtliche Träger der Sozialhilfe die kreisfreien Städte und Landkreise bestimmen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 BSHG) und die Länder verpflichten, für jeden Kreis und jede kreisfreie Stadt ein Amt für Ausbildungsförderung zu errichten (§§ 39 ff. BAföG). Da Art. 28 Abs. 2 GG landesverfassungsrechtliche Garantien der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht verbietet, sondern geradezu voraussetzt, können die Landesverfassungen kongruente oder weiterreichende Regelungen enthalten, ohne daß Art. 31 GG eingreift55 • Art. 28 Abs. 2 GG enthält also eine Mindestgarantie56 . Soweit Landesverfassungsrecht die Gemeindeautonomie über Art. 28 Abs. 2 GG hinaus verstärkt, ist allerdings nur das Land, nicht der Bund gebunden57 .

2. Die Besonderheiten der monistischen Lösung Wahrend Art. 28 Abs. 2 GG und vielen Landesverfassungen die dualistische Konstruktion von Selbstverwaltungsangelegenheiten und Fremdverwaltungsaufgaben zugrundeliegt58 , hat Nordrhein-Westfalen (neben Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein) auf diese Trennung verzichtet und in Anlehnung an den sogenannten Weinheimer Entwurf der kommunalen Spitzenverbände von 1948 im Sinne eines monistischen Modells einen einheitlichen Gemeindeaufgabenbereich eingeführt59 . Gemäß Art. 78 Abs. 2 der nordrhein-westfälischen Verfassung sind 53 Vgl. statt aller Erichsen, in: GrimmIPapier (Hg.), Nordrhein-Westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, S. 126. 54 Siehe oben, S. 41 f. 55 Vgl. Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 28 RN 178f.; von Mutius, Verhandlungen des 53. Deutschen Juristentages, S. E 46. 56 Zutreffend Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 22. 57 Stern, aaO, RN 116. 58 Vgl. auch WolfflBachoflStober, Verwaltungsrecht 11, 5. Aufl., RN 189. 59 Vgl. WolfflBachoflStober, aaO; Erichsen, in: GrimmIPapier (Hg.), Nordrhein-Westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, S. 126.

B. Die Garantie kommunaler Selbstverwaltung

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die Gemeinden und Gemeindeverbände in ihrem Gebiet die alleinigen Träger der öffentlichen Verwaltung, soweit die Gesetze nichts anderes vorschreiben, was § 2 der Gemeindeordnung 60 fast wortgleich wiederholt. Damit ist das Prinzip der gemeindlichen Allzuständigkeit verankert61 • Die freiwilligen Aufgaben und die Pflichtaufgaben des monistischen Modells entsprechen den klassischen Selbstverwaltungsangelegenheiten, d. h. den Aufgaben des eigenen Wirkungskreises 62 • Unabhängig davon kennt das nordrhein-westfälische Kommunal(verfassungs)recht Pflichtaufgaben nach Weisung gemäß Art. 78 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 der Verfassung in Verbindung mit § 3 Abs. 2 GO NW. Soweit Erichsen63 darauf hinweist, der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber sei verfassungsrechtlich gehindert, den Gemeinden die Wahrnehmung von "staatlichen Aufgaben" zu übertragen, handelt es sich um ein rein terminologisches Problem, da die Verfassung ausdrücklich die Übernahme und Durchführung bestimmter, wenn auch nicht staatlicher, so doch "öffentlicher Aufgaben" vorsieht (Art. 78 Abs. 3). Im einzelnen ist die genaue dogmatische Verortung der Pflichtaufgaben nach Weisung umstritten. Überwiegend werden sie als Auftragsangelegenheiten in der klassischen Einteilung angesehen64 • Demgegenüber werden sie vom OVG Münster65 als ,,zwischending zwischen Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten" qualifiziert. Stellt man auf die Intensität der staatlichen Kontrollbefugnis ab66 , dann schwanken die Pflichtaufgaben nach Weisung je nach gesetzlicher Ausgestaltung des Kontrollrechts zwischen Auftragsangelegenheiten und Selbstverwaltungsangelegenheiten. Für die grundSätzliche Frage, ob und inwieweit Sozialverwaltungsaufgaben vom Land auf die Kommunen übertragen werden sollen, ergeben sich freilich keine prinzipiellen Unterschiede zwischen der monistischen und der dualistischen Lösung. Zum einen unterliegt auch das Prinzip der gemeindlichen Allzuständigkeit in Nordrhein-Westfalen der Einschränkung, daß Angelegenheiten, die ihrer Natur nach örtlicher Regelung und Erledigung nicht zugänglich sind, nicht erfaßt werden67. Zum anderen steht das Prinzip selbst unter Gesetzesvorbehalt, wie der Wortlaut des Art. 78 Abs. 2 der Landesverfassung sowie des § 2 GO NW ausweisen. Daher wird ähnlich wie nach Art. 28 Abs. 2 GG nicht ein bestimmter Aufgabenumfang, sondern nur ein Kernbereich garantiert. I.d.F. vom 14.7. 1994 (GVBI. S. 666). Erichsen, aaO, S. 117. 62 Vgl. Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in: ders. (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, RN 38. 63 In: GrimmlPapier (Hg.), Nordrhein-Westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, S. 126. 64 So BVerfGE 6, 104 (116); BVerwGE 19, 121 (123); E. Becker, DVBI. 1956, S. 4 (5). 65 OVGE 13, 356 (359) = DVBI. 1958, S. 803 (804) DÖV 1960, S. 431 (432). 66 So Scholier/Broß, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, S. 41; ähnlich Woljf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl., § 86 RN 192. 67 Erichsen, aaO, S. 117. 60

61

=

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I. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliehe Organisationsgewalt

Ebenso wie bei der Auftragsverwaltung besteht auch bei den Pflichtaufgaben nach Weisung unbeschadet der Qualifikation im einzelnen die Gefahr, daß durch ein Mißverhältnis zwischen Pflichtaufgaben nach Weisung und eigentlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten . die kommunale Selbstverwaltung behindert oder ausgehöhlt wird.

c. Das Sozialstaatsprinzip J. Das "Soziale" als Staatszielbestimmung Das Bekenntnis des Grundgesetzes zum "sozialen Bundesstaat" in Art. 20 Abs. 1 GG sowie zum "sozialen Rechtsstaat" in der Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG ist für die Länder verbindlich. Im Unterschied zu den übrigen in Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 GG aufgeführten Fundamentalprinzipien stellt die Verankerung des sozialen Bundesstaates kein Strukturprinzip, sondern eine Staatszielbestimmung dar. Staatszielbestimmungen sind programmatische Direktiven für den Staat, der sie "nach Kräften anzustreben und sein Handeln danach auszurichten" hat68 . Wegen ihres Charakters als Handlungspflichten steht es nicht im Belieben der Staatsgewalt, sie anzuvisieren. Sie enthalten nämlich keine unverbindliche Offerte, sondern ein verbindliches Programm und sind deshalb stringent69 . Anders als die nur an die Legislative gerichteten Gesetzgebungsaufträge binden Staatszielbestimmungen alle Staatsgewalten, wenn auch die Verwirklichung der sozialen Staatlichkeit hauptsächlich dem Gesetzgeber obliegt7o . Allerdings ist das Sozialstaatsprinzip durch Weite, Unbestimmtheit und Offen-· heit charakterisiert71. Deswegen kann es nicht abschließend definiert, sondern nur durch Subprinzipien charakterisiert werden72 • Erscheinungsformen sozialer Staatlichkeit sind soziale Gerechtigkeit, sozialer Ausgleich, soziale Sicherung und soziale Fürsorge.

Vgl. Art. 3 Abs. 3 sachs.-anhalt. Verf.; ähnlich Art. 13 sächs. Verf. Vgl. Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S. 368 (370). 70 Vgl. BVerfGE 1,97 (105); 65, 182 (193); 82, 60 (80); Papier, in: von Maydell/Ruland (Hg.), Sozialrechtshandbuch, 2. Aufl., 3 RN 6, S. 75. 71 So BVerfGE 59,231 (263); 65, 182 (193); 82, 60 (80); vgl. auch E 52,283 (298); ähnlich Herzog, in: MaunzlDürig, GG, Art. 20 VIII RN 19. 72 Vgl. Merten, in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. I, Krankenversicherungsrecht, § 5 RN 35. 68 69

c. Das SoziaIstaatsprinzip

73

11. Sozialstaatlichkeit bei der Verwaltungsorganisation

Wenn auch Sozialstaatlichkeit im wesentlichen durch den Gesetzgeber zu realisieren ist, so bleibt doch das soziale Prinzip stets Maßstab allen staatlichen Handelns 73. Infolgedessen gehört es auch beim Regierungshandeln und der Organisationsgewalt zu den Maximen, die Ermessen und Gestaltungsfreiheit limitieren74 , zumal es sich nicht auf materiell-rechtliche Gebote und Verbote beschränkt, sondern auch eine sozial staatliche Organisation und ein sozialstaatliches Verfahren heischt. Wegen der Diffusität der Staatszielbestimmung des Sozialen lassen sich aus ihm keine konkreten Folgerungen ableiten. So kann beispielsweise der Anspruch des Bürgers auf Auskunft und Beratung nicht unmittelbar dem Sozialstaatsprinzip entnommen werden 75, sondern muß einfachgesetzlich normiert sein, wie dies jetzt in §§ 13 ff. SGB I geschehen ist. Organisatorisch läßt sich aus dem Sozialstaatsgebot weder ein Anspruch auf ein in bestimmter Weise ausgestaltetes Sozialversicherungssystem noch ein Bestandsschutz einzelner Krankenkassen herleiten 7&. Dagegen lassen sich aus dem Sozialstaatsprinzip Grundsätze oder Leitlinien gewinnen, die in der Regel der Gesetzgeber näher auszugestalten hat. Folgt beispielsweise aus der sozialstaatlichen Fürsorgepflicht das Gebot zur Unterstützung insbesondere von Personen mit körperlichen oder geistigen Gebrechen und zu ihrer angemessenen Betreuung77, so bedeutet dies auch eine zweckmäßige Fürsorge durch die Verwaltungsbehörden. Daher muß sich gerade bei behinderten Personen die betreuende Behörde in einer zumutbaren Entfernung befinden und mit hinreichend geschultem Personal besetzt sein. Das Bundesverfassungsgericht78 hat auf die größere "Bürgernähe" von Krankenkassen mit regional begrenztem Einzugsgebiet im Vergleich zu bundes- oder landes weit tätigen Krankenversicherungsträgem hingewiesen. Daher spricht dieser Gesichtspunkt im Sinne einer Bürgerorientierung gegen eine Anbindung der Versorgungsverwaltung oder Fachverwaltung Soziales an die Landschaftsverbände79 in Nordrhein-Westfalen. Die Regelungen im einzelnen obliegen der Gestaltungsfreiheit der Legislative und Exekutive, wobei auch zu berücksichtigen ist, daß angesichts der besseren Verkehrsanbindung zentraler Orte der nähere Ort nicht immer auch der am leichtesten 73 Vgl. Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. I, § 25 RN 106; ders., Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 706 ff. 74 Zacher, Das soziale Staatsziel, aaO, RN 107; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 2. Aufl., S. 915 f. 75 Merten, VSSR 1973174, S. 68. 76 Vgl. BVerfGE 89,365 (377); 39, 302 (315). 77 Vgl. BVerfGE 40, 121 (130); 44, 353 (375). 78 E 89, 365 (377). 79 Zu diesen Erichsen, Die Landschaftsverbände, NW VBI. 1995, S. 1 ff.

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

erreichbare ist. Zudem müssen Zielkonflikte gelöst werden, da geschultes Betreuungspersonal nicht an jedem Orte vorgehalten werden kann, so daß unter Umständen eine etwas größere Entfernung zu Gunsten einer besseren Betreuung in Kauf genommen werden muß, wobei Unzuträglichkeiten durch die Einrichtung von Außenstellen oder die Einführung lokaler Sprechtage vermieden werden können. Die fachliche Qualität des Verwaltungspersonals hat beispielsweise gerade in der Versorgungsverwaltung einen hohen Rang, weshalb auch der Gesetzgeber eine "besondere Eignung" für die Beamten und Angestellten der Versorgungsverwaltung verlangt 80 .

D. Das Rechtsstaatsprinzip I. Rechtsstaatlichkeit als effektive Rechtsstaatlichkeit Das in Art. 20 Abs. 1,28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip 81 verbürgt die Herrschaft des Gesetzes in der Form des Vorbehalts und des Vorrangs des Gesetzes und als deren Elemente die Bestimmtheit und Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit82 und Verläßlichkeit 83 des Gesetzes. Die Staatsstrukturprinzipien der Art. 20, 28 GG stellen keine bloßen Proklamationen, sondern verbindliche Handlungsanweisungen dar. Wie die Grundrechte des Grundgesetzes einen "effektiven Grundrechtsschutz" gebieten84 , so verlangt auch der Rechtsstaatsgrundsatz effektive Rechtsstaatlichkeit. Das Rechtsstaatsprinzip muß daher nicht nur bei der Normsetzung, sondern auch beim Normenvollzug beachtet werden. So hat das Bundesve1jassungsgericht85 für das Steuerverwaltungsrecht entschieden, daß es die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen kann, wenn die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt wird. In ähnlicher Weise darf die rechtliche Gestaltung des Gesetzesvollzugs nicht prinzipiell die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung verfehlen, wenn dies das Rechtsstaatsprinzip nicht verletzen soll. Unter diesem Gesichtspunkt bestehen Bedenken gegen die Betrauung der Kreise, kreisfreien Städte sowie derjenigen kreisangehörigen Gemeinden, bei denen eigene Jugendämter errichtet sind, mit der gerichtlichen und außergerichtlichen Geltendmachung der auf das Land 80 § 4 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden in der Kriegsopferversorgung vom 12. 3. 1951 (BGB!. I S. 169). 81 So BVerfGE 63, 343 (353); zur Gewährleistung des dort nicht ausdrücklich erwähnten Prinzips durch Art. 20 Abs. 1 GG vg!. Merten, Zum Rechtsstaat des Grundgesetzes, in: Civitas, Widmungen für B. Vogel, S. 255 (256 f.). 82 BVerfGE 7,89 (92); vg!. auch E 27,167 (173). 83 Vg!. in diesem Zusammenhang BVerfGE 60,253 (268); 63, 343 (357); 72, 200 (257). 84 Vg!. nur BVerfGE 53,30 (65). 85 E 84, 239 (268).

D. Das Rechtsstaatsprinzip

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übergegangenen Ansprüche aus dem Unterhaltsvorschußgesetz86 . Die Gemeinden und Gemeindeverbände haben zwar ein wirtschaftliches Interesse an der Gewährung von Unterhaltsvorschußleistungen, da sich dadurch die Sozialhilfe verringert und die finanziellen Mittel für das Unterhaltsvorschußgesetz ausschließlich vom Bund und den Ländern aufgebracht werden (§ 8 des Unterhaltsvorschußgesetzes). Sie haben jedoch kein wirtschaftliches Interesse an der Ge1tendmachung der übergegangenen Ansprüche gemäß § 7 UVG, da diese Ansprüche dem Land zustehen und gemäß § 8 Abs. 3 UVG zu 50 v.H. an den Bund abzuführen sind. Da die Personalkosten für die Geltendmachung übergegangener Ansprüche alleine die Kommunalhaushalte belasten, die eingegangenen Mittel aber lediglich dem Land (bzw. teilweise dem Bund) zufließen, stellt die Betrauung der Kreise, kreisfreien Städte und Gemeinden mit der Geltendmachung der Ansprüche eine prinzipiell verfehlte Lösung dar, die unter rechts staatlichen Gesichtspunkten bedenklich ist. Zweckmäßiger wäre es, die Aufgaben nach § 7 UVG der Landesverwaltung zuzuweisen. Trotz der umfangreichen gerichtlichen Generalklause1 des Art. 19 Abs. 4 GG für die Anfechtbarkeit rechtswidriger Staatsakte reicht es nicht, daß Gesetzmäßigkeit repressiv verwirklicht wird. Sie muß vielmehr schon präventiv bedacht werden, so daß in Parallele zu der vom Bundesveifassungsgericht entwickelten "Grundrechtssicherung durch Verfahren,,87 auch Rechtsstaatlichkeit durch Verfahren zu gewährleisten ist. Im Idealfall soll der Bürger schon im Verwaltungsverfahren sein Recht erhalten, ohne es in einem langwierigen "Kampf ums Recht,,88 gerichtlich erstreiten zu müssen. Dazu müssen Gesetze und Verwaltungstätigkeit für den Bürger einsichtig und nachvollziehbar, müssen behördliche und gerichtliche Verfahren in ihrer Dauer absehbar und kalkulierbar sein89 • Da sich der Gesetzesunterworfene am Gesetz orientieren und sich mit ihm arrangieren soll, muß es klare, bestimmte und erkennbare Anordnungen treffen und darf nicht widerspruchsvoll, irreführend oder mißverständlich sein 9o . Der österreichische Veifassungsgerichtsho.f 1 hat Vorschriften die Verbindlichkeit abgesprochen, "zu deren Sinnerrnittlung subtile verfassungsrechtliche Kenntnisse, qualifizierte juristische Befähigung und Erfahrung und geradezu archivarischer Fleiß vonnöten sind", und er hat Vorschriften für verfassungswidrig erklärt, deren Anordnungen 86 Vgl. Verordnung zur Durchführung des Unterhaltsvorschußgesetzes vom 11. 4. 1980 (GVB!. S. 482). 87 Vg!. BVerfGE 52,380 (389f.); 53, 30 (65); 56, 216 (236); 63,131 (143); 65,1 (49); 76, (94); 69, 315 (355); 73,280 (296); 83, 130 (152); 84, 34 (45 ff.); 59 (72 f.); 87,48 (61 f.). 88 Vg!.Rudolf von Ihering, Der Kampf ums Recht, 4. Aufl., 1874. 89 Vg!. in diesem Zusammenhang auch Paul Kirchhof, Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Dauer von Verfahren und Rechtserkenntnissen, in: ders., Stetige Verfassung und politische Erneuerung, S. 109 ff.; zur Dauer von Strafverfahren BVerfG (Kammer), Besch!. vom 14.7.1994, NJW 1995, S. 1277 Nr. 2. 90 Vg!. BVerfGE 1, 14 (45); 5, 25 (31); 17, 306 (314); 21, 73 (79); 27,1 (8); 34, 293 (302); 35, 382 (400); 37, 132 (142f.). 91 Erk. vom 8. 12. 1956, Slg. Nr. 3130, S. 585.

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

nur "mit subtiler Sachkenntnis, außerordentlichen methodischen Fähigkeiten und einer gewissen Lust am Lösen von Denksport-Aufgaben" nachvollziehbar sind92 •

11. Zum rechtsstaatlichen Gesetzesvollzug Die rechtsstaatliche Pflicht zur Verständlichkeit trifft nicht nur das Gesetz, sondern auch den Gesetzesvollzug. Zu Recht hat daher das OLG Brandenburg 93 die Pflicht des Rechtsstaats bei einem Tätigwerden gegenüber dem Bürger betont, "sein Verlangen in einer solchen Weise darzulegen, daß der Bürger dies verstehen, nachvollziehen und sein Verhalten dementsprechend einrichten kann". Eine im rechts staatlichen Sinne bürgerorientierte Verwaltung setzt hinreichend geschultes und erfahrenes Verwaltungspersonal voraus. Zwar wird ein gesetzeskonformer Verwaltungsakt nicht dadurch rechtswidrig oder rechtsstaatswidrig, daß er von einem unerfahrenen Beamten erlassen wird. Rechtsstaatliche Effektivität94 als Ziel umschließt aber auch das - vielfach nicht erfüllbare - Postulat eines optimalen Gesetzesvollzugs mit Hilfe eines bestgeeigneten und vielfach bewährten Personals. Gerade schwierige Rechtsmaterien, wie z. B. das Steuerrecht, werden vielfach nicht der allgemeinen Verwaltung überlassen, sondern einer besonderen Verwaltung anvertraut. In ähnlicher Weise wird das Sozialversicherungsrecht in bundesoder landesmittelbarer Verwaltung von Sozialversicherungsträgem durchgeführt. Für das Versorgungsrecht, das schon in verfahrensrechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bereitet95 , schreibt der Bundesgesetzgeber besondere Verwaltungsbehörden vor.

Bei einem rechtsstaatlichen Verwaltungsvollzug korrespondieren Schwierigkeit der Rechtsmaterie und Erfahrungsintensität des Verwaltungspersonals. Je komplizierter ein Rechtsgebiet ist, desto wichtiger ist es, daß die zuständigen Organwalter praktische Erfahrungen sammeln und durch hinreichende Einzelfallentscheidungen in Übung bleiben. Wer mit einer schwierigen Rechtsmaterie nur gelegentlich in Berührung kommt, benötigt nicht nur eine unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Effizienz überproportionale Einarbeitungszeit, sondern läuft mangels praktischer Erfahrung auch Gefahr, das Gesetz rechtsstaatlieh nicht optimal zu vollziehen. Eine Dezentralisierung der Zuständigkeiten mit degressiver Abnahme der Zahl der Verwaltungsverfahren wirkt sich aber nicht nur negativ auf den Sachverstand des Verwaltungspersonals aus, sondern birgt auch die Gefahr, daß bei BeurErk. vom 27.2. 1992, Sig. Nr. 13000, S. 153. NJW 1995, S. 1843. 94 Zur ,,Effizienz als Rechtsprinzip", das auch mit dem Rechtsstaatsprinzip konkurrieren und kollidieren kann, siehe die gleichnamige Schrift von Walter Leisner, passim, insbes. S. 13 ff.; auch lsensee, Die typisierende Verwaltung, S. 160 ff. 95 Vgl. oben, S. 46 oben. 92 93

E. "Bürgemähe" als Verfassungsprinzip?

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teilsspielräumen und Ennessensentscheidungen die rechts staatlich gebotene Gleichheit der Gesetzesanwendung nicht mehr gewährleistet ist. So ergibt sich bei 168 000 Erstanträgen nach dem Schwerbehindertengesetz und bei 304 000 Änderungsanträgen in Nordrhein-Westfalen für die elf Versorgungsämter eine arbeitstägliche Fallzahl von 69,42 bzw. 125,65. Bei kommunaler Zuständigkeit entfielen auf die 396 Gemeinden nur 1,93 bzw. 3,49 Fälle pro Arbeitstag. Noch signifikanter unterscheidet sich die Bearbeitungsintensität bei Anträgen nach dem sozialen Entschädigungsrecht (Bundesversorgungsgesetz, Soldatenversorgungsgesetz, Opferentschädigungsgesetz). Von den insgesamt 14190 Anträgen entfallen auf jedes Versorgungsamt 5,86 Fälle pro Arbeitstag, während sich für die 396 Kommunen nur eine arbeitstägliche Belastung von 0,16 ergibt, so daß die Kommunen im Durchschnitt nicht einmal einen Fall pro Woche zu bearbeiten hätten. Von den 257470 laufenden Rentenfällen im sozialen Entschädigungsrecht entfallen auf jedes Versorgungsamt 106,39 Fälle pro Arbeitstag, auf jede Kommune nur 2,96. Bei den 335000 Anträgen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz in NordrheinWestfalen im Jahre 1994 ergibt sich für jedes Versorgungsamt eine arbeitstägliche Fallzahl von 138,43, für jede Kommune dagegen nur von 3,85.

E. "Bürgernähe" als Verfassungsprinzip ? Der Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) bekennt sich in seiner Präambel zu "Subsidiarität" und "Bürgemähe,,96. Weiter heißt es unter dem Titel I "Gemeinsame Bestimmungen" in Art. A Abs. 2, daß die Entscheidungen in "einer immer engeren Union der Völker Europas" "möglichst bürgernah" getroffen werden. Dieser Vertragswortlaut ist das Ergebnis eines Kompromisses. Der ursprüngliche Vorschlag, die Europäische Union als "föderal" zu kennzeichnen, war nicht durchsetzungsfähig, weil die anglo-amerikanische Rechtssprache im Gegensatz zum deutschen Sprachgebrauch mit ,,federal" Zuständigkeiten der Zentralebene, nicht der Glieder meint und weil im französischen Staatsverständnis mit Föderalismus oft separative Tendenzen verbunden sind97 . Da der Maastricht-Vertrag jedoch nur die Rechtsverhältnisse der Europäischen Union zu ihren Mitgliedstaaten regelt, ist er für das Staats-Bürger-Verhältnis in Deutschland nicht anwendbar. Die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG, die als ,,hinkende" Homogenitätsklausel nur einen Gleichklang zwischen den Grundprinzipien der Europäischen Union und 96 Siehe Claudia Wiethoff, Zur Bürgemähe in der Europäischen Gemeinschaft, in: Europa '93 - Auf dem Weg zur Europäischen Union, Bleckmann-Festschrift, S. 319 ff. 97 Vgl. hierzu Hilf, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz, VVDStRL 54, 1994, S. 7 (10) mit weit. Nachw.

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l. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

des deutschen Grundgesetzes herstellen will 98 , führt "Bürgernähe" nicht auf, sondern verpflichtet die Europäische Union auf das föderative Prinzip und den Grundsatz der Subsidiarität. Demnach ist "Bürgernähe" kein Verfassungsbegriff des Grundgesetzes. Das föderalistische Prinzip, das der Begriff im Maastricht-Vertrag sichern soll, ist im Grundgesetz ohnehin als unabänderbares (arg. Art. 79 Abs. 3 GG) Staats strukturprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG verankert. Dezentralisierte Entscheidungen werden unter dem Grundgesetz durch die Priorität der Länder (Art. 30, 70, 83 GG) sowie durch das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und der Gemeindeverbände sichergestellt99 . Darüber hinaus kann der Grundsatz einer "Bürgernähe", ·die nicht primär die lokale Reichweite, sondern material die Bürgerorientierung meint, als das Gebot der Betreuung Fürsorgebedürftiger oder eines für den Bürger verständlichen Gesetzesvollzugs aus den Prinzipien des Sozialstaats und des Rechtsstaats entnommen werden.

F. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip I. Das Wirtschaftlichkeitsgebot als Verfassungsgrundsatz 1. Das Wirtschaftlichkeitsgebot im Grundgesetz

Im Unterschied zum rechtsstaatlichen Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist das betriebswirtschaftliche Gebot der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung im Grundgesetz nicht ausdrücklich verankert. Allerdings statuiert Art. 114 Abs. 2 GG, daß der Bundesrechnungshof "die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung" prüft. Da sich diese Prüfung nicht in einer sanktionslosen Beratung erschöpft, sondern der Bericht des Bundesrechnungshofs im Rahmen der sogenannten Verfassungskontrolle zur Vorbereitung für die Entlastung der Bundesregierung dient 1OO , kann sich das Wirtschaftlichkeitsprinzip nicht in einem bloßen Kontrollmaßstab erschöpfen. Vielmehr setzt die Haushaltskontrolle als Beanstandungskontrolle voraus, daß die Verwaltung bei ihrer Tätigkeit auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip verpflichtet ist, weil anderenfalls dessen Nichtbeachtung nicht oder nur in den Fällen einfach-gesetzlicher Normierung gerügt werden könnte. Da das Wirtschaftlichkeitsgebot als bloße Kontrollnorm für den Bundesrechnungshof 98 Vgl. Merten, Subsidiarität als Verfassungsprinzip, in: ders. (Hg.), Die Subsidiarität Europas, S. 86 f. 99 Zur Bürgernähe in der kommunalen Selbstverwaltung von Mutius, Gutachten für den 53. Deutschen Juristentag, S. E 72 mit weit. Nachw. 100 Vgl. Maunz, in: MaunzJDürig, GG, Art. 114 RN 47; Saemisch, Das Kontrollwesen und die Entlastung, in: Anschützfl'homa, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, S. 450; Vogel/Kirchhof, in: Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 114 RN 75, S. 45.

F. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip

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weitgehend leer liefe, muß es auch als Bindungsnorm für die Verwaltung angesehen werden lO '. Da Art. 114 GG jedoch die Verwaltung nicht unmittelbar zur Beachtung der Wirtschaftlichkeit verpflichtet, ist die Bindungswirkung nur eine RefIexwirkung der Kontrolle und insoweit akzessorisch. Der Bindungsbereich kann daher nicht weiter reichen als der Kontrollbereich. Nur soweit der Bundesrechnungshof die Wirtschaftlichkeit prüfen darf, sind die virtuell davon Betroffenen zur Beachtung der Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Da Art. 114 GG sich ausdrücklich nur auf Bundesorgane bezieht, kann er auch nur für diese rechtliche Bindung entfalten,02. Eine Bindung der Länder an das grundgesetzliehe Wirtschaftlichkeitsgebot könnte für die Länder nur über die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 GG eintreten. Diese Verfassungsvorschrift bindet die Länder an die Staatsstrukturprinzipien der Republik, der Demokratie, des Sozialstaats und des Rechtsstaats. Damit will das Grundgesetz ein gewisses Maß an Homogenität zwischen Bund und Ländern erreichen, nicht jedoch totale Konformität oder Uniformität durchsetzen '03. Daraus folgt, daß die Länder nur an die ausdrücklichen Vorgaben des Art. 28 Abs. 1 GG gebunden sind, im übrigen aber Gestaltungsfreiheit für ihre verfassungsmäßige Ordnung behalten 104 . Da das Wirtschaftlichkeitsgebot in Art. 28 Abs. I GG nicht aufgeführt ist, gehört es auch nicht zu den den Ländern vorgegebenen Grundentscheidungen 105 •

2. Das Winschaftlichkeitsgebot in der nordrhein-westfälischen Landesverfassung Nahezu wortgleich mit Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG schreibt Art. 86 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen vor, daß der Landesrechnungshof die Rechnung "sowie die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung" prüft. Wie für das Grundgesetz so ist auch für das nordrhein-westfälische Landesverfassungsrecht dieses Wirtschaftlichkeitsgebot nicht nur als Kontrollnorm, sondern auch als Bindungsnorm anzusehen. Es machte keinen Sinn, wenn der Landesrechnungshof zwar die Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung prüfen und gegebenenfalls beanstanden dürfte, für die Verwaltung daraus jedoch keine RefIexpflichten erwüchsen. In diesem Falle müßte erst der Landtag die Entlastung der Regierung verweigern bzw. mit der Ver101 Vgl. von Amim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, S. 60f.; P. Kirchhof, in: VVDStRL, Heft 42, 1984, S. 287 ff. (Diskussionsbeitrag). 102 Ebenso Vogel/Kirchhof, Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 114 RN 23, 70,108. 103 Vgl. BVeifGE 9,268 (279); 41,88 (119); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl., Art. 28 RN 1. 104 BVeifGE 4,178 (189); 64, 301 (317). 105 So auch Vogel/Kirchhof, Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 114 RN 23.

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1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliche Organisationsgewalt

weigerung drohen, um politisch in Zukunft eine Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzips sicherzustellen. Dieser komplizierte Weg der Erzwingung wirtschaftlichen Handeins der Exekutive widerspräche jedoch dem Gewicht, das die Verfassung der Wirtschaftlichkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung durch die Einrichtung eines unabhängigen Landesrechnungshofs beimißt. Daher ist in Übereinstimmung mit der Interpretation des Art. 114 GG die Beachtung der Wirtschaftlichkeit als Verfassungspflicht aus Art. 86 Abs. 2 der Verfassung Nordrhein-Westfalens mit der Folge abzuleiten, daß unwirtschaftliches Verhalten eo ipso verfassungswidrig ist.

3. Wirtschaftlichkeit als Prinzip des Haushaltsrechts Das Wirtschaftlichkeitsgebot findet sich ferner in den Grundsätzen des Haushaltsrechts, die gemäß Art. 109 Abs. 3 GG auf Grund zustimmungspflichtigen Bundesgesetzes Bund und Länder gemeinsam verpflichten. Das entsprechend dieser Verfassungsbestimmung erlassene Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)l06 statuiert in seinem § 6 Abs. 1, daß "bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans ... die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten" sind. Ferner dürfen nach 19 Abs. 2 HGrG Ausgaben "nur soweit und nicht eher geleistet werden, als sie zur wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung erforderlich sind". Wie sich aus dem Gesetzestite1, dem Gesetzeszweck und der Überschrift von Teil I des Gesetzes ("Vorschriften für die Gesetzgebung des Bundes und der Länder") sowie aus § 1 HGrG ergibt, bedürfen die Vorschriften des Bundesgesetzes noch einer Umsetzung in Landesrecht. Dies ist für Nordrhein-Westfalen durch die Landeshaushaltsordnung (LHO)107 erfolgt, deren §§ 7 Abs. 1,34 Abs. 2 die entsprechenden bundesgesetzlichen Regelungen mit landesgesetzlicher Kraft umsetzen. Soweit die unmittelbare und mittelbare Landesverwaltung an die Landeshaushaltsordnung gebunden ist, hat sie demzufolge bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten und darf Ausgaben nur soweit und nicht eher leisten, als sie zur wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung erforderlich sind. Haushaltsgrundsätzegesetz und Landeshaushaltsordnung wiederholen und präzisieren damit noch einmal, was sich einerseits aus dem Grundgesetz und andererseits aus der Landesverfassung für die jeweiligen Verwaltungsräume als Verfassungsgrundsatz ergibt.

106 107

Vom 19. 8. 1969 (BGBI. I S. 1273). Vom 14. 12. 1971 (GVBI. S. 397).

F. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip

81

11. "Wirtschaftlichkeit" und "Sparsamkeit" als Zwecke des Verwaltungshandelns 1. Bedeutung und Wechselwirkung der Begriffe

"Wirtschaftlichkeit" und "Sparsamkeit" sind inhaltlich nicht eindeutig bestimmt und lassen sich auch abstrakt nicht eindeutig substantiieren. Wegen ihrer ungenügenden Präzision bedürfen sie einer Wertung, weshalb sie als unbestimmte Rechtsbegriffe angesehen werden 108 • Lassen sich aus den Begriffen somit nicht im Wege der Deduktion exakte Folgerungen ableiten 109, so kann es keine "Wirtschaftlichkeit" oder "Sparsamkeit" an sich geben 110. Beide Begriffe müssen immer in Beziehung mit einem Ziel oder Zweck gesetzt werden, bedürfen stets einer anderen, festen Größe. "Wirtschaftlichkeit" und "Sparsamkeit" können daher nicht punktuell, sondern ilUr in einer Relation bewertet werden. So ist die Anschaffung einer Luxuslimousine nicht als solche wirtschaftlich oder unwirtschaftlich, sparsam oder verschwenderisch. Vielmehr kommt es darauf an, zu welchen Zwecken sie eingesetzt wird, ob z. B. zum Aktentransport oder für Staatsbesuche. In Anlehnung an die Wirtschaftswissenschaften wird Wirtschaftlichkeit als das Prinzip formuliert, entweder mit gegebenen Mitteln ein Ziel bestmöglich zu verwirklichen oder ein bestimmtes Ziel mit kleinstmöglichen Mitteln zu realisieren lll . Sparsamkeit betrifft die Mittelverwendung und fordert "unter Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände den geringstmöglichen Einsatz von Mitteln,,112. Im einzelnen ist das Verhältnis von "Sparsamkeit" zu "Wirtschaftlichkeit" in vielem noch unklar und widersprüchlich ll3 . Wahrend dem Sparsamkeits gebot teilweise eine isolierte Bedeutung sowohl als Teil des Doppelgebotes "Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit" als auch als Element der Wirtschaftlichkeit aberkannt wird 114, wird es von anderen als Element der Wirtschaftlichkeit angesehen 115.

2. Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung

Zu Recht wird allerdings gegen eine allzu starre Übernahme nationalökonomischer Theoreme der fundamentale Unterschied von Privatwirtschaft und Staatswirtschaft eingewandt. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft kommt es in der Staats108 Vgl. statt aller Stern, Staatsrecht, Bd. H, S. 439; zum "unbestimmten Rechtsbegriff' Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., § 7 RN 27 ff., S. 129 ff. 109 So Vogel/Kirchhof, in: Bonner Kommentar (Zweitbearb.), Art. 114 RN 91. llO Stern, aaO, S. 438. III Vgl. Stern, aaO, S. 436; s. auch BSGE 55,277 (279); 56, 197 (198 f.). 112 Vogel/Kirchhof, aaO, RN 101; vgl. auch Stern, aaO, S. 437 f. 113 So auch Stern, aaO, S. 438. ll4 Stern, aaO, S. 438. ll5 Vogel/Kirchhof, aaO, RN 101.

6 Speyer 123

1. Teil, 4. Kap.: Vorgaben für die landesrechtliehe Organisationsgewalt

82

wirtschaft nicht entscheidend auf Gewinnoptimierung und Höhe des finanziellen Ertrags an. Im Bereich der Staatstätigkeit steht der Nutzen für die Allgemeinheit im Vordergrund, der sich vielfach nicht quantifizieren läßt ll6 . Verstünde man Sparsamkeit einseitig als Aufwands- oder Ausgabenminimierung, so müßte dies konsequenterweise zu einer Reduzierung der Staatsaufgaben und im Idealfall zur Senkung der Staatsaufgaben bis auf Null führen ll7 . VogeVKirchhoj1l8 wenden sich dagegen, "Wirtschaftlichkeit" für die öffentliche Verwaltung als ein rein rechnerisches Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu verstehen. Sie sehen eine staatliche Maßnahme dann als "wirtschaftlich" an, "wenn die Bedeutung der durch sie erreichbaren Ziele für das Gemeinwohl den eingesetzten Aufwand an Zeit, Arbeitskraft, Finanzmitteln uw. - unter Einschluß etwaiger abträglicher Nebenfolgen - als gerechtfertigt erscheinen läßt und wenn die gleichen Ziele nicht auch mit geringerem Aufwand ... erreicht werden können". Damit kommt es letztlich auf ein "angemessenes Verhältnis zwischen öffentlichem Mitteleinsatz und sozialem Nutzen" an 1l9 . Auch Sparsamkeit hat auf diese Relation zu achten, so daß entscheidend bleibt, ob für ein zu erreichendes Ziel der Mitteleinsatz so gering wie möglich gehalten wurde.

Angesichts der unterschiedlichsten Arten der öffentlichen Verwaitung 120 lassen sich nun die Ziele des Verwaltungshandelns oder der mit möglichst geringen Mitteln zu erreichende "soziale Nutzen" nicht immer leicht bestimmen. Soweit die Verwaltung lediglich gesetzlich fest umrissene Leistungen (z. B. Wohngeld, Renten) den Berechtigten zu gewähren hat, ist das Verwaltungsziel hinreichend bestimmt, so daß Wirtschaftlichkeit bedeutet, diese Aufgabe mit geringstrnöglichem Aufwand zu erfüllen. Sind jedoch Verwaltungsaufgaben komplex oder müssen sie von der Verwaltung sogar selbst definiert werden, wie beispielsweise in der Außenpolitik, läßt sich Wirtschaftlichkeit nur überprüfen, wenn man die von der Verwaltung im Rahmen der Gesetze gewählten Ziele akzeptiert und auf dieser Grundlage die Nutzen-Kosten-Relation beurteilt. Dessen ungeachtet kann jedoch die Zwecksetzung eines Verwaltungshandelns nicht von der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgenommen werden, wobei Ausnahmen für "politische" Sachverhalte (z. B. Außenpolitik) zu machen sind l2l . Daraus folgt, daß die Organisationsgewalt von der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht befreit ist. Organisatorische Umstrukturierungsmaßnahmen müssen die daraus resultierenden Sach- und Personalkosten beachten. Werden daher überkom116 V gl. hierzu Vogel/Kirchhof, aaO, RN 87 ff.; ferner Luhmann, Verwaltungsarehiv, Bd. 51,1960, S. 96ff., 105. 117 Stern, aaO, S. 438. 118 In: Bonner Kommentar, Art. 114 RN 90. 119 So Fischer-Menshausen, in: von Münch, GG, Art. 114 RN 18; ihm folgend Stern, aaO,

S.437. 120 121

Hierzu Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., RN 13 ff. Vgl. Vogel/Kirchhaf, aaO, RN 91, S. 53.

F. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip

83

mene Verwaltungsaufgaben auf eine andere Verwaltungsebene verlagert, so sind die Kosten zu bedenken, die sowohl durch die Umschulung des bisherigen als auch des neuen Verwaltungspersonals sowie durch Freisetzungen und Reibungsverluste entstehen. Diese müssen mit dem langfristigen Nutzen der Umorganisation in Beziehung gesetzt werden. Bei Maßnahmen von erheblicher finanzieller Bedeutung sieht auch § 7 Abs. 2 LHO Nutzen-Kosten-Untersuchungen im Falle der Geeignetheit zwingend vor. Nur wenn organisatorische Maßnahmen gesetzlich vorgegeben sind, entfällt die Verantwortung der Exekutive für die Wirtschaftlichkeit, weil diese nunmehr von der Legislative übernommen worden ist. 3. Konkurrenz verschiedener Prinzipien

"Wirtschaftlichkeit" und "Sparsamkeit" geraten vielfach mit anderen Verfassungsprinzipien in Widerstreit, der einen vernünftigen und schonenden Ausgleich zwischen den einzelnen Verfassungsgrundsätzen heischt. So sind rechtsstaatlich erforderlicher gerichtlicher Rechtsschutz oder sozialstaatlieh gebotene Betreuung vielfach finanziell aufwendig, ohne daß sie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit minimiert werden können. Wenn auch eine zentralistisch organisierte Verwaltung vielfach rationeller und billiger arbeiten kann, so steht dem die Entscheidung der Verfassung für eine Autonomie der Gemeinden entgegen 122 • Allerdings hat es das Bundesverj'assungsgericht 123 für gerechtfertigt angesehen, den Gemeinden Aufgaben mit relevantem örtlichem Charakter zu entziehen, wenn ein Belassen der Aufgaben bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen müßte.

122 123

6*

Vgl. BVerfGE 79, 127 (153). AaO.

ZWEITER TEIL

Verwaltungswissenschaftliche Grundlegung 5. Kapitel

Gegenstand der Erörterungen und thematische Eingrenzung A. Notwendigkeit einer Strukturreform der Sozialverwaltung Nordrhein-Westfalen I. Verwaltungsmodernisierung in Nordrhein-Westfalen

Der Umbau des Sozialstaats der Bundesrepublik Deutschland ist heute zur Pflicht geworden. Dazu zwingen nicht nur die knapper werdenden finanziellen Ressourcen und die wachsenden Probleme gesellschaftlicher Desintegration, sondern ebenso die Notwendigkeit einer "Modernisierung" der Sozialpolitik im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). In deren Kontext stehen bundesweit institutionelle Reformen bevor, wie dies z. B. mit der Reorganisation der Deutschen Rentenversicherung zugunsten ihrer Föderalisierung derzeit der Fall ist). Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Diskussion über institutionelle Reformen, d. h. über die strukturellen Veränderungen der Verwaltung des Landes und der Gemeinden erneut in Gang gekommen. Sie knüpft an frühere Bemühungen dieser Art an. Im übrigen entfaltet sie sich aber in einem breiten Zusammenhang von Bestrebungen in ganz Deutschland, die Bundes-, Länder- und Kommunalverwaltungen "schlanker" zu gestalten. Weithin werden Verwaltungsaufgaben abgebaut, das Verwaltungshandeln wird dereguliert und man vereinfacht und beschleunigt die Verwaltungsverfahren. Dementsprechend geht es im Bereich der gesamten nordrheinwestfälischen Landesverwaltung um die Entwicklung effektiver, effizienter und flexibler Aufgaben-, Organisations- und Prozeßstrukturen nach Maßgabe der allgemeinen Zielvorstellungen für die Verwaltungsmodernisierung und der je speziellen Leitüberlegungen für die Konzeption zukunftsorientierter Verwaltungszweige einschließlich der Sozialverwaltungen und der Landesversorgungsverwaltung2 . 1

Papier, NZS 1995,241 ff.; Pitschas, NZS 1994, 289ff.

A. Notwendigkeit einer Strukturrefonn der Sozial verwaltung NRW

85

Die für eine Reihe von Verwaltungen im wesentlichen abgeschlossenen Untersuchungen des Arbeitsstabes "Aufgabenkritik" der Landesregierung haben dabei in bezug auf die betroffenen Behörden zu der Empfehlung geführt, Hierarchieebenen abzubauen, Aufgaben und Verantwortungen im Verwaltungsbereich der Ämter stärker zu delegieren, dort - wo möglich - zu privatisieren bzw. auf Dritte zu übertragen und die Prozeßorganisation durch Datenverarbeitung umfassend zu unterstützen. Auch die Versorgungsverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in diese Untersuchungen einbezogen. Ermittelt wurde u. a. ein Einsparpotential von 854 Stellen; die Versorgungs verwaltung soll zur Realisierung dieses Potentials mit einem Kostenaufwand von ca. 60 Mio. DM modernisiert werden 3 • 11. Qualitative Eigendimension der Sozialverwaltung

Eine Strukturrefonn der Sozialverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen liegt darin freilich nicht. Diese muß umfassender ansetzen, will sie die institutionellen Konsequenzen aus den verfassungsrechtlichen Aussagen der Untersuchung zur Qualitätsverpflichtung und Bürgerorientierung landeseigener Sozialpolitik ziehen. Nur dann vennag die Sozialverwaltung ihre Integrationsfunktion zu erfüllen4 • Die zukünftige Neugestaltung des Vollzugs bzw. die beabsichtigte Bündelung aller sozialen Aufgaben des Landes Nordrhein-Westfalen verlangen daher und in diesem Zusammenhang nach spezifischen Refonnüberlegungen. In Rechnung zu stellen sind hierbei die Besonderheiten der "Sozialverwaltung" als eines eigengearteten Teilbereichs der öffentlichen Verwaltung. Insoweit gilt im Gegensatz zu anderen Verwaltungszweigen : - Sozialverwaltung geht in weitaus stärkerem Maße als andere Verwaltungszweige über die Funktion bloßer Rechtsanwendung hinaus. Ihr Handeln stellt angewandte Sozialpolitik im Spannungsfeld werthafter Orientierungen, faktischer Durchführung und individueller Erreichbarkeit der Bürger dar. Dies bedingt die strukturelle Notwendigkeit, sich unablässig zu verändern. Die innere Dynamik der Sozialpolitik verlangt deshalb nach einer entsprechend flexiblen Gestaltung der Sozialverwaltungsorganisation. - Sozialverwaltung weist gleichzeitig einen hohen Außenbezug zum Bürger auf. Diese spezifische "Bürgerorientierung" ist in ihrem mehrdimensionalen Konzept ein entscheidendes Qualitätsmerkmal des VerwaltungshandeIns. Der davon ausgehenden Forderung nach einer entsprechenden Prozeß- und Ergebnisqualität der Rechtsanwendung entspricht die Erwartung der Bürger nach einer Sozialpolitik "aus einer Hand". 2 Der Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Modemisierung der Landesverwaltung in Nordrhein-Westfalen, Düsse1dorf, August 1994, S. 25. 3 Modemisierung der Landesverwaltung (Fn. 2), S. 25. 4 Pitschas, Kommunale Sozialpolitik, Rz. 3 ff., 11 ff., 14ff.

86

2. Teil, 5. Kap.: Gegenstand der Erörterungen und thematische Eingrenzung

- Sozialverwaltung greift schließlich als besondere Fonn der Leistungsverwaltung in höchst sensible Bereiche der menschlichen Existenz ein. Freilich folgt aus diesen Besonderheiten des Politikbereichs noch kein zwingendes bzw. genuines Organisationskonzept. Deutlich wird aber, daß die Eingliederung der Sozialverwaltung in die allgemeine Landesverwaltung den spezifischen Eigenarten der Sozialpolitik und ihren Vollzugsbedingungen kaum hinlänglich gerecht werden könnte. Zu fragen bleibt somit, ob nicht deshalb eine qualitative Eigendimension des sozialen Verwaltens erforderlich wird. Thr könnte die Zusammenführung der bislang durch unterschiedliche Einzelverwaltungen in differenzierter Fonn erbrachten Sozialleistungen in einer einheitlichen Landessozialverwaltung wohl am ehesten gerecht werden. Eine solche Ausgangsüberlegung setzt einerseits Klarheit darüber voraus, ob und in welchem Umfang sich bei Anwendung verwaltungswissenschaftlicher Maßstäbe sowie unter Berücksichtigung ihrer Rationalitätsgrenzen die Einführung einer neuen Zwischenebene staatlicher Steuerung von Landessozialpolitik in Gestalt einer eigenständigen Landessozialverwaltung rechtfertigen würde. Sie müßte sich von der allgemeinen Landesverwaltung ebenso wie von kommunalen bzw. privaten Aufgabenwahrnehmungen begründbar abgrenzen. Andererseits bleibt der Frage nachzugehen, ob eine eigenständige Landessozialverwaltung unter den Gesichtspunkten der Recht- und Zweckmäßigkeit sowie der Wirtschaftlichkeit, Dienstleistungsqualität (insbesondere der fachlichen Personalkompetenz) und Bürgerorientierung als anzulegenden Organisationsmaßstäben die ihr angesonnene qualitative Funktion zu übernehmen vennag 5 . Zweifel ergeben sich insoweit, als in beiden erwähnten Punkten tiefgreifender Dissens besteht. Er betrifft zum einen die Frage der Kommunalisierung von Sozialpolitik, d. h. der Übertragung weiterer sozialer Aufgaben auf die Kommunen. Diese wird aus Gründen der örtlichen Bürgerorientierung und anderen Erwägungen heraus weitgehend befürwortet. Zu diesem "Kommunalmodell" (Tb. Ellwein)6 gehört in gewisser Weise die Aufgabenwahrnehmung durch Landschaftsverbände, wie sie in Westfalen-Lippe und Rheinland als Selbstverwaltungskörperschaften existieren. In dieser eigenständigen Organisationsfonn nehmen sie neben den Bezirksregierungen auf der Ebene der mittleren Landesverwaltung (Landesmittelbehörden) gewichtige soziale Aufgaben wahr? Zu überlegen bleibt m. a. W. sowie unter Einbezug der kommunalverfassungsrechtlichen Aussagen im ersten Teil der Untersuchung, ob die "Kommunalisierung" nicht das maßgebliche Leitbild der Verwaltungsstrukturrefonn im Sozialsektor bilden müßte. Die Einrichtung einer einheitlichen Landessozialverwaltung im klassischen Behördenaufbau unter Umgruppierung von Verwaltungsverantwortung und -kom5 Zu diesem methodischen Ansatz vgl. allgemein Seewald, Maßstäbe für Strukturreformen, S. 38 ff. 6 Ellwein, Gutachten, S. 211 ff. 7 Erichsen, NWVBI. 95, 1 ff., 3, 5 f.

B. Thematische Eingrenzung der Erörterungen

87

petenzen würde hingegen einem "Staatsmodell" den Vorzug geben. Unter dem Vorzeichen der "angestrebten Verschlankung" von Staat und Verwaltung, also im Hinblick auf die vielfach geforderte Notwendigkeit von Aufgabenverzicht und Aufgabenverlagerung müßte sich diese Lösung allerdings und zum anderen weitergehenden Fragen nach ihrer Effektivität stellen. Sie setzt darüber hinaus eine entsprechende Fähigkeit künftig ggf. einheitlicher Sozialverwaltung des Landes zur Umsetzung der in Nordrhein-Westfalen den Verwaltungsstrukturreformen zugrundegelegten allgemeinen Zielvorstellungen über eine "schlanke" Verwaltung voraus.

B. Thematische Eingrenzung der Erörterungen Die hiesigen rechts- und verwaltungs wissenschaftlichen Aussagen zur künftigen Organisation der Landessozialpolitik in Nordrhein-Westfalen beziehen sich auf den voraufgehend skizzierten thematischen Zusammenhang. Sie münden in den Entwurf eines Konzepts für die künftige sozialpolitische Steuerung der Erbringung von Sozialleistungen durch eine einheitliche soziale Fachverwaltung ein. Deren Strukturmerkmale bilden ein veränderter Aufgabenzuschnitt der gegenwärtig stark ausdifferenzierten bzw. spezialisierten Leistungsträger auf der Arbeitsebene zwischen der Landesregierung und den Städten und Kreisen des Landes NordrheinWestfalen, die vereinheitlichte und "schlanke" Aufbau- und Ablauforganisation der Sozialverwaltung sowie ein flexibles Personalmanagement8 • Die Untersuchung ist indessen nicht darauf angelegt, Vorschläge für eine Verwaltungsstrukturreform der gesamten Organisation staatlicher Sozialpolitik in diesem Bundesland zu erarbeiten. Es handelt sich lediglich darum, die im Bereich der Mittelinstanzen angesiedelten Problemkreise zu untersuchen; sie bezieht sich deshalb speziell auf die Reorganisation staatlicher Sozialpolitik im Bereich der mittleren Ebene. Die Ausführungen treffen somit auch keine prinzipiellen Aussagen zur umfassenden Neuordnung der staatlichen und kommunalen Arbeitsebene zwischen der Landesregierung und den Städten und Kreisen des Landes NordrheinWestfalen. Ebenso wird auf Darlegungen zur Reform der Ministerialorganisation in allgemeiner Hinsicht verzichtet. Die vor diesem Hintergrund zu unterbreitenden Organisationsempfehlungen gehen von einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Erbringung von Sozialleistungen durch nordrhein-westfälische Behörden aus. Ihr folgen eine qualitativ-fachliche Analyse von Veränderungsnotwendigkeiten mit entsprechenden Vorschlägen an die Landespolitik. Deren Umsetzung bedürfte freilich auch einer eigenen tatsächlichen "Schwachstellenanalyse" der Behördenarbeit. Eine solche empirische 8 Zu dem Modemisierungszusammenhang von Aufgaben (Programmen), Organisation, Verfahren und Personal siehe näher Pitschas, Organisationsrecht als Steuerungsressource, S. A.m., B.I.4.6).

88

2. Teil, 5. Kap.: Gegenstand der Erörterungen und thematische Eingrenzung

Analyse der Strukturprobleme könnte sich vor allem dann als nützlich erweisen, wenn man in die Reformüberlegungen vertieft den künftigen Neuzuschnitt des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des Landes NordrheinWestfalen einbeziehen wollte.

c. Die Versorgungsverwaltung als "nucleus" einer einheitlichen Landessozialverwaltung? Die Neuordnung der Sozialverwaltung ist in jedem Bundesland ein verwaltungspolitisch schwieriges Unterfangen. Tb. Ellwein hebt deshalb in seinem dem Land NRWerstatteten Gutachten zu recht hervor, daß "Perspektiven, also mehr oder weniger klare Zielvorstellungen, einen langen Atem und viel Geduld erfordern. Beginnt eine Diskussion, kann sie erst nach geraumer Zeit zu Ergebnissen führen. Noch länger dauert es dann, bis die Ergebnisse umgesetzt sind. Beschlüsse über Veränderungen wirken sich dennoch sofort aus, weil sie in den betroffenen Organisationen Unruhe und eigene Anpassungsprozesse auslösen, obwohl man für die eigentlichen Veränderungen noch viele Jahre benötigt. Deshalb ist Verwaltungspolitik auch gezwungen, von vornherein auf die Bedingungen zu achten, die in 8 oder 10 Jahren erwartbar sind. Nicht die heutige Arbeitsmarktsituation interessiert, um ein Beispiel zu nennen, sondern die in einem Jahrzehnt. Zu diesem Zeitpunkt ist aus demographischen Gründen eher mit einem Mangel an Arbeitskräften zu rechnen,,9.

Dies gilt auch für die Reorganisation der Sozialbehörden in Nordrhein-Westfalen. Es liegt deshalb nahe, nach Möglichkeiten zur Beschränkung der Zeit- und Vermeidung der sonstigen Reformverluste zu suchen. Einen Ansatzpunkt hierfür bietet der "Umbau" der gegenwärtig existierenden Versorgungsbehörden (Landesversorgungsamt, elf Versorgungsämter, zwei Kurkliniken und die Landesstelle Unna-Massen). Zu fragen steht nämlich, ob sich nicht die Neuordnung der Landessozialverwaltung als eine Gelegenheit zur Integration der Versorgungsverwaltung erweisen und diese zugleich den Grundstein für den Aufbau einer künftig eigenständigen Landessozialbehörde legen könnte. Insofern ginge es darum, die Versorgungsverwaltung in Vorstellungen über einen neuen Aufgabenzuschnitt der Landessozialverwaltung einzufügen. Diese ließe sich dabei als "Kern" der Errichtung einer neuen einheitlichen Landessozialbehörde verstehen.

9

Ellwein, Gutachten, S. 1 f.

A. Strukturrefonn als zielkomplexes Arbeitsvorhaben

89

6. Kapitel

Ziele und Maßstäbe einer Strukturreform der Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen A. Strukturreform als zielkomplexes Arbeitsvorhaben und als sozialpolitischer Prozeß I. Sozialpolitische Steuerung durch "Recht" und" Verwaltung" Verwaltungspolitik und -refonn bedürfen zu ihrem Erfolg einerseits der Orientierung an klaren Zielen und zu deren Umsetzung des Rückgriffs auf aussagekräftige und anwendungsfähige Maßstäbe. Allerdings läßt sich auch unter diesen - noch zu konkretisierenden - Voraussetzungen eine administrative Strukturrefonn nicht schon von heute auf morgen bewältigen. Sie unterliegt vielmehr ihrem eigenen Zeithorizont. Innerhalb dessen verläuft Verwaltungsrefonn als ein Prozeß, nämlich in vielen Einzelschritten bzw. Schattierungen der Konzipierung, politischen Abklärung, rechtlichen Verankerung und nachfolgenden Durchsetzung entsprechender Organisationsveränderungen. Hierfür einen "eindeutigen und geklärten Zeithorizont" zu postulieren, wäre Illusion. Die Vielfalt und spannungsreiche Widersprüchlichkeit der Aspekte gestaltet den Prozeßablauf eher risikoreich und somit ungewiß. Immerhin kann man ihm in den einzelnen Verwaltungs sektoren, in denen Refonnvorhaben durchgeführt werden sollen, ein "Korsett" anlegen. Es fonnt aus den spezifischen Rationalitätsmaßgaben der je verschiedenen Aufgabenpolitiken in den jeweils eigenen Verwaltung-Umwelt-Bezügen und im Blick auf Personal und Organisation ein zielkomplexes Arbeitsvorhaben, in das solche Regelungen und Erfahrungen einzubeziehen sind, die sich schon bislang institutionell und auch in der Privatwirtschaft längst bewährt haben. Für den Sozialsektor ist auf diese Weise und einerseits das Konzept eines neuen Zuschnitts der Landessozialverwaltung aus den zielkomplexen Steuerungsanforderungen der qualitativen Sozialpolitik zu entwerfen. Im Verbund mit den im ersten Teil der Untersuchung verankerten, hier aber noch zu vertiefenden (sozial-)verfassungsrechtlichen Direktiven und den Kennlinien des modemen Verwaltungsmanagements ("Public Management") ergibt sich ein mehr oder weniger konsistentes Zielsystem und Maßstabsgefüge für die Strukturrefonn der Landessozialverwaltungi.

1 Zu den "Kennlinien" des ,,New Public Management" vgl. statt aller Reinermann, DÖV 1992, 133ff.; König, DÖV 1995, 349ff.

2. Teil, 6. Kap.: Strukturrefonn der Sozial verwaltung in NRW

90

1. Steuerungsdirektiven "qualitativer" Sozialpolitik

a) Qualitativer Steuerungsauftrag staatlicher Sozialpolitik In der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland empfängt staatliche Politik, wie der erste Teil der Untersuchung gezeigt hat, aus der Idee eines "sozialen" Gemeinwesens ihren spezifischen Auftrag zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit und Herbeiführung des sozialen Ausgleichs in der Gesellschaft sowie in deren supra- und internationalen Bezügen. Davon bestimmtes staatliches Handeln sucht durch Gesetzgebung und Rechtsanwendung stetig und maßvoll die wirtschaftlichen und sonstigen Lebensbedingungen aller Menschen in unserer Gesellschaft einander anzugleichen und dadurch zur real-wirksamen Ausübung grundrechtlich garantierter Freiheiten beizutragen. Dabei steht durchweg die Verwirklichung der wichtigsten Ziele des "Sozialen" im Vordergrund, nämlich ein menschenwürdiges Existenzminimum für jedermann zu sichern, Ungleichheiten abzubauen, Sicherheit gegen die Wechselfälle des Lebens zu gewährleisten und die Lebensgüter für alle sowie die allgemeine Teilhabe daran zu mehren2 . Diesem verfassungs- und europarechtlichen Auftrag verpflichtete staatliche Sozialpolitik richtet sich als ein Teilbereich politischen Handeins darauf, die am dargelegten Verständnis gemessene defizitäre materielle und/oder immaterielle (physische, psychische) Befindlichkeit von Zugehörigen bestimmter Schichten bzw. Gruppen direkt oder indirekt zu verbessern. Eine präzisere Definition dessen, was "Sozialpolitik" inhaltlich umspannt, läßt sich dabei nicht geben. Denn das "Soziale" ist in sich widersprüchlich und der politischen Definition wie Entscheidung ebenso bedürftig wie zugänglich. Seinen eigentümlichen Kern bildet das Leben schlechthin, die Vielfalt der dynamischen individuellen und gesellschaftlichen Bedarfe und Bedürfnisse3 . Dieser in sich vielfach gestufte Politikauftrag verzichtet allerdings auf die Festlegung, mit welchen Mitteln die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und Sicherheit verwirklicht werden soll. So bleibt jene Aufgabe vielmehr - innerhalb eines gewissen Rahmens und direktiv durch das europäische Gemeinschaftsrecht sowie die grundgesetzliche Sozialverfassung gebunden - einer dynamischen, den sozialen Wandel unablässig aufnehmenden, solchen aber auch selbst steuernden Sozialpolitik überantwortet. Deren Begriff und funktionale Reichweite speisen sich damit ebenso aus dem skizzierten normativen Fundament, wie sie sich in der Reaktion auf die verschiedenen "Lebenswelten" herausbilden. Im Vordergrund steht dabei das Verständnis sozialpolitischen Handeins als ein "Steuerungsprozeß,,4. Benda, Der soziale Rechtsstaat, S. 761, Rz. 93 ff. Merten, Sozialrecht, Sozialpolitik, Rz. 111 ff., 116 ff. 4 Zur Steuerungsfunktion von Sozialpolitik vgl. näher und m. zahlr. Nachw. Pitschas, Kommunale Sozialpolitik, Rz. 3,108, 109ff., 116ff. 2

3

A. Strukturreform als zielkomplexes Arbeitsvorhaben

91

b) Begriff und Reichweite staatlicher Steuerung "Steuerung" meint in diesem Zusammenhang die methodengeleitete Intervention von Gesetzgeber, Sozialverwaltung und Sozialgerichtsbarkeit in Strukturen und Prozesse der sozialen Felder, also die Gestaltung bereits existierender Sozialsysteme durch gesetzlich zur Verfügung gestellte Instrumente sowie unter Berücksichtigung der Folgen dieser Einflußnahmen. Auch wenn diese sozialpolitische Steuerung nicht den beabsichtigten Erfolg erreichen sollte - was oft genug der Fall ist -, handelt es sich doch immer um "Steuerung". Demgemäß umschließt steuernde Sozialpolitik die Gesamtheit der zu koordinierenden Maßnahmen öffentlicher Funktionsträger, die auf allen Ebenen rechtlich organisierter Wirkeinheit im Staat unter Abstimmung mit gesellschaftlichen Institutionen und Einrichtungen des ,,Dritten Sektors" zur kooperativen Verwirklichung des sozialverfassungsrechtlichen Auftrags einzusetzen sind. Die handelnden Akteure sind zugleich Objekte und Subjekte dieses Prozesses. Das als Bestand besonderer Bedürfnislagen und im Verlangen nach Bedarfsgerechtigkeit von Individuen und gesellschaftlichen Gruppierungen konkretisierte Lebensrisiko erweist sich als zentraler Anknüpfungspunkt für das sozialpolitische Steuerungspotential des Staates und seiner Handlungsträger. Dieses in der Begegnung von Freiheit und Gleichheit einzusetzen, Gefahrdungen entgegenzuwirken und soziale Defizite auszugleichen, ist das zentrale Anliegen staatlicher Sozialpolitik. Sie gewinnt auf diese Weise einen spezifisch "materialen" und gleichzeitig qualitativen Gehalt. Er zeigt sich einerseits in der Orientierung sozialpolitischer Programme und Aufgabenwahmehmung an dem Grundziel der sozialen Integration. Dieses verlangt nach entsprechend wert- und substanzgeprägten Inhalten, wie sie sich im Bundesstaat entwickeln und über die Länder - gliedstaatlich gebrochen - institutionell zur Entfaltung und zum Vollzug in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und durch sie aufgegeben werdenS. Dabei orientiert sich das ausgreifende staatliche bzw. kommunale Mandat zur sozialen Daseinsvor- und -fürsorge allerdings nicht nur an den konkreten Bedarfen und Bedürfnissen individueller Bürger in der örtlichen Gemeinschaft. "Sozialität" wird nämlich gleichzeitig - auf die letztere bezogen - in immer stärkerem Maße und gleichsam umgekehrt zu der allgemein zurücktretenden Verfügbarkeit von Geldressourcen zu einem am Leitprinzip der "Solidarität" orientierten Maßstab rechts- und sozialstaatlich gleicher Leistungsinanspruchnahme. Solidarität ist in diesem Sinne Gewährleistungsprinzip einheitlicher Lebensverhältnisse in einem Bundesland (und darüber hinausgehend)6. Damit rückt das häufig vernachlässigte Gebot gleicher und einheitlicher Qualität der Sozialleistungen als Entdeckungsprinzip und -verfahren in den Vordergrund. Die hieraus zu ziehenden aufbau- und ablauforganisatorischen Konsequen5 6

Zacher, Das soziale Staatsziel, Rz. 82 ff. Schulin, Gutachten 59. DIT, S. E 50ff.

92

2. Teil, 6. Kap.: Strukturrefonn der Sozialverwaltung in NRW

zen einerseits sowie die personellen Folgerungen andererseits liegen auf der Hand; auf sie wird unten im Rahmen der verwaltungswissenschaftlichen Maßstabsdiskussion zurückzukommen sein. Doch sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die "Kommunalisierung" von Sozialleistungen immer weniger diesen Anforderungen gerecht zu werden vermag. Komplementär zu ihr müssen größere Verwaltungsräume die gleichheits sichernde "Sozialität" von Politik sichern. Dies gilt zumal im Europa der Regionen. Gerade den Bundesländern kommt hierbei eine neue Rolle zu. Bei alledem ist nicht zu leugnen, daß Sozialpolitik in ihrem steuerungsstaatlichen Bezug auf die Verhütung bzw. Behebung sozialer Risiken bei der Bedarfsdekkung mit konkurrierenden Teil-Politiken in anderen Politikfeldern konfligiert. Doch nimmt der soziale Staat auch diese in die Pflicht, sozialpolitische Initiativen zu flankieren bzw. in der Substanz zu stützen. Dies gilt in besonderem Maße für die Gestaltung der steuerlichen Verhältnisse7 • Die Reichweite sozialpolitischen Hande1ns ist auf diese Weise und jenseits der Verpflichtung auf "Qualität" nicht starr festgelegt. Die grundgesetzliche Sozialverfassung vertraut das "Soziale" auch keinem einheitsstaatlichen Gemeinwesen und damit einer Sozialpolitik "aus einem Guß" an. Deren Eigenheit und Vielfalt hat sich statt dessen in einem "sozialen Bundesstaat" zu entfalten bzw. zu bewähren. Qualitative Sozialpolitik kann deshalb als Element eines (bundes-)staatlich gegliederten und innerhalb eines jeden Bundeslandes dann ausdifferenzierten Organisationsrahmens sowie Wertgefüges unterschiedliche personelle und organisatorische Konsequenzen haben. In diesem Sinne fügt auch das Grundgesetz seiner Sozialverfassung eine bundes- bzw. gliedstaatliche differenzierte Dimension an: Ist die Bundesrepublik Deutschland ein "sozialer Bundesstaat" (Art. 20 Abs. I GG) und hat jedes Land in diesem Sinne ein "Sozialstaat" zu sein (Art. 28 Abs. I S. I GG), dann bewahrt sich jedes Land zugleich eine eigene Steuerungszuständigkeit auch im Hinblick auf den Zuschnitt der Aufgaben einer Landessozialverwaltung. Freilich ist zu erkennen, daß die dadurch aufgeworfene Frage nach der kompetenziellen Reichweite staatlicher Sozialpolitik heute zunehmend in ein Spannungsverhältnis zu den Erscheinungen bundesstaatlicher Vielfalt tritt. Zwar sind etwa landesweite Differenzierungen in der Sozialpolitik in Kauf zu nehmen, doch droht das soziale Staatsziel jenseits der grundgesetzlichen Maßgabe zur Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3, 106 Abs. 3 S. 5 Nr. 2 GG) die sozialpolitischen Aktivitäten immer stärker zu zentralisieren und dabei unangemessene regionale Disparitäten zu fördern. Gleichzeitig und auf der anderen Seite kommt es aber auch zu beträchtlichen Spannungen mit der Forderung nach weiterer und pluralistischer Ausgestaltung der kommunalen Selbstbestimmung. Der Sozialstaat muß sich deshalb gegen eine wachsende Zergliederung im Hinblick auf die infrastrukturelle Organisation seiner Politik wehren, um noch sinnvoll gestalten zu können. Zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung seiner Aufgaben gibt 7

Lehner, Einkommenssteuerrecht, S. 337 ff.

A. Strukturrefonn als zielkomplexes Arbeitsvorhaben

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es also durchaus ein (wachsendes) Konfliktpotential, das wir lange Zeit zugunsten der Betonung kommunaler Selbstverwaltung außer acht gelassen haben 8 . Schließlich steht die Reichweite der Berücksichtigung und Nutzung gesellschaftlicher Selbstregulierungspotentiale mehr und mehr im Streit9 . Dieser spiegelt sich in der Diskussion über noch zulässige Verwaltungsfunktionen wider. Gleichwohl gibt es weder eine vorgreifliche bzw. endgültige Entscheidung der Verfassungen in Bund und Ländern noch speziell in Nordrhein-Westfalen zwischen vertikaler Adressatensteuerung und horizontaler Selbstkoordination im Feld der Sozialpolitik; dies zeigt sich im folgenden Blick auf die Sozialverwaltung als Steuerungsinstanz. 2. Die Sozialverwaltung als originäre Steuerungsinstanz

Steuerungssubjekt der Sozialpolitik auf Landesebene ist zunächst die Landessozialverwaltung. Diese stellt freilich derzeit keinen monolithischen Block dar. Sie bildet vielmehr ein komplexes mehrstufiges Funktionsgefüge und Akteurssystem, in dem die verschiedenen Ebenen und Instanzen einschließlich der nachgeordneten Behörden fremdgesteuert und selbststeuernd handeln. So bestehen historisch gewachsene Träger der Sozialversicherung (Krankenkassen, LVA, BfA, Berufsgenossenschaften, Arbeitsverwaltung u. a. m.), die Sozialpolitik durch Sozialversicherung und deren Leistungen in Selbstverwaltung verwirklichen. Daneben erbringen die Kommunen Sozialhilfe- und Wohngeldleistungen. Von Sonderbehörden des Landes werden die weiteren Leistungssysteme der sozialen Sicherung, wie sie im ersten Teil der Untersuchung beschrieben worden sind, dargeboten. Diese Ausgangssituation führt zu einer breiten und für den Bürger undurchschaubaren Palette von Verwaltungshandeln: Kommunalverwaltungen erbringen ihre Sozialleistungen in Zusammenarbeit mit staatlichen Mittelinstanzen (Bezirksregierungen) und den Landschaftsverbänden. Soziale Förderprogramme werden darüber hinaus in der Mitte1instanz der allgemeinen Landesverwaltung (Landschaftsverbände, Bezirksregierungen) umgesetzt. Teilweise bewirken auch die obersten Landesbehörden (Ministerialverwaltung) Sozialleistungen, etwa durch mittelbare Leistungserbringung im Wege der Förderung DritterlPrivater. Schließlich gibt es einen bunten Strauß von Landessonderverwaltungen mit und ohne Unterbau, zu denen bspw. neben der Landesversorgungsverwaltung das Landesversicherungsamt, die Unfallausführungsbehörde des Landes und die Umsetzung des Bergmannsversorgungsscheines zählen. Zuguterletzt werden wichtige Sozialleistungen von gemeinnützigen Trägem ("Dritter Sektor") - ggf. in Zusammenarbeit mit kommunalen oder staatlichen Trägem - ausgeführt. Zu erinnern ist insoweit an die Jugend-, Behinderten- und stationäre/ambulante Altenhilfe. Auch die Unter8 Zu eng dagegen Zacher, Das soziale Staatsziel, Rz. 83, der nur "Gleichheit" gegen "bun· desstaatliche Vielfalt" setzt. 9 Schuppert, DV 1995, 137 ff.

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2. Teil, 6. Kap.: Strukturrefonn der Sozialverwaltung in NRW

bringung von Flüchtlingen bzw. die Eingliederung von Aussiedlern und Ausländern gehört in diesen Tätigkeitskreis einer Public-Private-Partnership. Es liegt auf der Hand, daß sich diese verwirrende Behörden- und Aufgabenvielfalt jeglicher Forderung nach einer "Sozialpolitik aus einer Hand" entzieht. Einsichtig dürfte darüber hinaus sein, daß sich alle diese Behörden auch dort, wo ihnen von Rechts wegen kein eigener Handlungsspielraum zugestanden erscheint, kaum je als "neutrale" Ausführungsorgane der Sozialpolitik darstellen. Vielmehr bestehen erhebliche administrative Entscheidungsspielräume. Dies gilt in besonderem Maße, wenn und soweit an die Seite der Landessozialverwaltung weitere öffentliche und (beauftragte) private Maßnahmeträger treten. In die steuerungspolitische Betrachtung sind darüber hinaus die Programmadressaten einzubeziehen. Zu ihnen gehören nicht nur die Steuerungspartner des sog. Dritten Sektors, sondern auch diejenigen Bürger, die Empfänger von Maßnahmen sozialer Sicherung als Klienten bzw. "Kunden" sind. Programmadressaten der Steuerung können schließlich auch Betriebe oder andere Private sein, welche bspw. im Rahmen kommunaler Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder im Zusammenhang der Behindertenpolitik Arbeitnehmer im Zuge der Förderung durch Einarbeitungszuschüsse u. a. m. beschäftigen. Das skizzierte Verständnis von Steuerung bezieht sich nach alledem auf die dezentrale, "schlanke" und bürgerorientierte, effiziente und effektive Umsetzung der im Sozialversicherungsrecht einerseits sowie im Recht der sozialen Entschädigungs-, Hilfe- und Fördersysteme andererseits bzw. in den bereichs spezifischen Anordnungen und weiteren Programmen hierzu genannten Zielsetzungen. Der insofern verwandte und bisher sowie im folgenden zugrundegelegte Steuerungsbegriff ist allerdings nicht unproblematisch. Zunächst erscheint er wenig präzise, doch herrscht in den Sozial- und Verwaltungswissenschaften Einigkeit darüber, daß ihm gegenüber der naturwissenschaftlich-technische Begriff mit seinem hohen Präzisionsanspruch in dem hier interessierenden Zusammenhang keine Geltung finden kann lO , Eine besondere Rolle spielt darüber hinaus stets das Objekt der Steuerung: Deren hiesiges Verständnis ermöglicht es, nicht nur die Verwaltung im engeren Sinne, sondern auch die Selbstverwaltung der Sozialleistungstrager, den Dritten Sektor sowie das soziale Handeln Privater in die weiteren Überlegungen einzubeziehen. Im einzelnen bietet dabei zur Überprüfung der Effektivität und Effizienz des Sozialverwaltungshandelns sowie der weiteren Rationalitätskriterien der implementationswissenschaftliche Ansatz den geeigneten theoretischen Rahmenll. Im übrigen korrespondiert der hier verwendete Steuerungs begriff mit der Globalsteuerung des Sozialsystems und seiner Adressaten in Gestalt einer pluralen R. Mayntz, Politische Steuerung, S. 89 ff. R. Mayntz, Die Entwicklung des analytischen Paradigmas der Implementationsforschung, in: dies. (Hrsg.), Implementation politischer Programme I, 1980, S. 1 ff. 10 11

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Vielfachsteuerung auf der Makroebene, wobei vor allem gewisse Wechselbeziehungen zwischen Programm und Programmwirkung nicht übersehen werden dürfen. Dies gilt etwa, wie im ersten Teil der Untersuchung dargelegt wurde, für die in einer steuerungspolitischen Sicht bedeutsamen sozialrechtlichen Gesetzgebungsund Verwaltungskompetenzen in Bund und Ländern: Obwohl der Bund kein Monopol sozialer Betätigung für sich beanspruchen kann und ihm eine legislatorische Totalkompetenz für das Sozialrecht fehlt, sind seiner Gesetzgebungszuständigkeit nahezu alle sozialrechtlichen Materien zugewiesen. Den Ländern bleiben sonach nur marginale Kompetenzen - mit der Konsequenz, daß die eigenen Steuerungsintentionen weithin einer Fremdsteuerung durch den Bund unterliegen. Ähnlich ist es bei den Verwaltungskompetenzen. Die Länder sind von Bundesrechts wegen gehindert, alle Sozialleistungen "aus einer Hand" anzubieten. Die bundesrechtlichen Regelungen im Sozialversicherungsrecht (Kranken-, Unfallund Rentenversicherungsrecht) und im Sozialhilfe recht stehen dem weithin entgegen. Die Rechts- und Verwaltungswissenschaft hat zwar hierfür im Rahmen der mikropolitischen Steuerung eine Reihe von Instrumenten erarbeitet, um Abhilfe zu schaffen (z. B. in der Form der Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften)12. Doch läßt die Verteilung der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen in der Bundesrepublik Deutschland den Ländern nur schmalen Raum für eine direktive Steuerung qualitativer Sozialpolitik auf der Makroebene. Um so wichtiger wird deshalb die Nutzung der gegebenen Steuerungsspielräume durch die Bundesländer auf der Mikroebene der Steuerung, d. h. bei der Umsetzung sozialrechtlicher Programme gegenüber dem einzelnen Bürger als Adressaten. 3. Strukturdirektiven verwaltungsförmiger Steuerungsverantwortung für qualitative Sozialpolitik

Der qualitative Steuerungsauftrag landesstaatlicher Sozialpolitik verfügt demnach über ein nur begrenzt wirkfähiges Steuerungsmuster. In dessen Mittelpunkt steht die Festlegung des institutionellen und prozeduralen Kontextes, innerhalb dessen das Land die bundesstaatlichen Vorgaben umsetzt und durch eigene Programme ergänzt. Die Steuerung der Sozialpolitik auf Landesebene verwendet m. a. W. vor allem Formen einer indirekten Steuerung. Diese setzt im Wege der Gestaltung institutionell-organisatorischer Rahmenbedingungen für die Erbringung der Sozialleistungen und der Verfahrens- bzw. Ablaufsteuerung (Aufbau und funktionelle Differenzierung der Sozialbehörden, formelle Verfahrensfestlegungen, Netzwerkbildung und Kooperationssysteme) originäre Steuerungsimpulse. Hinzu treten Entscheidungen über weitere Rahmenbedingungen aufgabenorientierter sozialer Sicherung wie z. B. die personelle und finanzielle Ressourcenausstattung und die Einflußnahme auf die Qualität der Sozialleistungen. 12

Pitschas, SGb 1990,233 ff., 241 f.

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2. Teil, 6. Kap.: Strukturrefonn der Sozialverwaltung in NRW

Die wachsende Bedeutung dieser Kontextsteuerung durch die Landessozialpolitik ist allerdings und inzwischen offenkundig. Die bundesgesetzliehe Entwicklung der sozialen Sicherung unterstützt diese Tendenz. Insofern nämlich die bundesstaatliehe Steuerung des Sozialsystems vornehmlich auf ,,Recht" als Steuerungsmedium zurückgreift ("legislatorische Programmsteuerung / administrativ-rechtliche Maßnahmensteuerung"), wird seit längerem das Bemühen des Gesetzgebers erkennbar, statt konditionale zunehmend finale Programmierungen zu verwenden und in deren Rahmen die staatliche Steuerung der Sozialpolitik auf die Ausgestaltung von Verfahren zu konzentrieren. "Prozedurale Programmierung" überlagert auf diese Weise die Typen der konditionalen und finalen Steuerung durch materielles Recht 13 . Derartiger Verfahrenssteuerung geht es nicht so sehr darum, Ziele zu definieren und deren Verwirklichung rechtlich vorzuschreiben; im Vordergrund steht vielmehr der Verweis auf die landesstaatlichen Organisationsmuster des Vollzugshandelns und die Ausprägung entsprechender Verfahrensregeln. Dieser Typus der "Verfahrens steuerung" fördert deshalb die Steuerungsverantwortung der Sozialpolitik auf Landesebene und zugleich der Landessozialverwaltungen: Durch die Betonung der Erarbeitung von Entscheidungen über soziale Sicherung für den Einzelfall in Verfahren und spezifischen Organisationszusammenhängen sowie im Zusammenwirken einer Mehrzahl von Akteuren ergibt sich, daß die Zwecke des Handelns selbst und "vor Ort" im Wege der Kommunikation, Interaktion und durch Einwirken von Selbstverwaltungen "bürgerorientiert" und individuell-konkret erarbeitet sowie definiert werden müssen. Andererseits versagen "Recht" und "Geld" im Sozialsektor als Steuerungs- und Kommunikationsmedien strukturell immer häufiger. Der tiefere Grund hierfür liegt darin, daß die rechtliche und ökonomische Interventionsform, also Maßnahmen zur Verbesserung des rechtlichen Status von Personen und deren Einkommenverhältnissen imrtler auch auf die Notwendigkeit der Kooperationsbereitschaft und fähigkeit der Maßnahmeadressaten stoßen. Das ist in der Jugendhilfeverwaltung nicht anders als in der Behindertenhilfe oder in der Versorgungsverwaltung. Deshalb hängt der Erfolg von Maßnahmen sozialer Sicherung nicht (nur) von der Existenz rechtsförmiger Ansprüche und ihrer ausreichenden finanziellen Dotierung ab. Zusätzliche Voraussetzung ist immer auch die Bereitschaft auf Seiten der Adressaten, sich auf eine für den Erfolg der Maßnahmen "produktive" Interaktion überhaupt einzulassen. Hinzu tritt bei der Sozialverwaltung die Notwendigkeit, diesem funktionalen Erfordernis ihres rechtlichen Auftrags auch unverzerrt - also etwa durch neutrale Beratungs- oder Betreuungshilfen - Raum zu geben l4 . Auf diese Weise muß die Sozialverwaltung zugunsten der gesellschaftlichen Integration ihrer Klientel erst jene Bedingungen schaffen, unter denen sie Konsens und Erfolg für die Erfüllung ihrer Aufgaben erwarten kann. Insoweit geht es um 13 Schulze-Fielitz, Kooperatives Recht im Spannungsfeld von Rechtsstaatsprinzip und Verfahrensökonomie, in: Dose I Voigt (Hrsg.), Kooperatives Recht, 1995, S. 225 ff., 239 ff. 14 Pitschas, Entbürokratisierung durch Beratung, S. 225 ff.

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Intervention durch Interaktion. An ihre Seite hat überdies das Bemühen zu treten, das Angebot entsprechender Leistungen oder Handlungsmöglichkeiten durch ihre Gestaltung zu erhöhen, also Sozialleistungen transparent und ohne viel bürokatisehen Aufwand zu vermitteln. Die Rede ist von den institutionellen Voraussetzungen des Erfolgs einer qualitativen Sozialpolitik. Diese schließt deshalb Infrastruktursteuerung ein. Die künftige Sozialpolitik in Nordrhein-Westfalen auf Landesebene gewinnt vor diesem Hintergrund und schon an dieser Stelle eine andere und neue Perspektive. Eröffnet nämlich die ausschließlich rechtlich-dogmatische Analyse des Steuerungsrahmens und der Steuerungsbedingungen lediglich die Vorstellung einer nur begrenzten Steuerungswirkung landesstaatlicher Sozialpolitik, so vermittelt der Blick auf die tatsächliche Reichweite administrativer Steuerungsverantwortung für qualitative Sozialpolitik das Bild einer ausgreifenden Steuerungschance - vorausgesetzt, die sie nutzende Steuerungsverantwortung im Land agiert effektiv und effizient. Für die Wahrnehmung dieser Verantwortung ergeben sich aus den voraufgegangenen Erörterungen mehrere Strukturdirektiven: - Der in Sozialrecht und Sozialpolitik zur Anwendung gelangende Verbund von Steuerungsmedien (Geld, Information, Interaktion und Infrastruktur) erweist die theoretische Figur einer ,,regulativen Sozialpolitik" als überholt. Einerseits steuert das modeme (Sozial-)Verwaltungsrecht schon längst nicht mehr durch die Fixierung individuell verbindlicher Verhaltensnormen, sondern es erkennt die eingeschränkte Steuerbarkeit der Vollzugsinstanzen ebenso wie die Notwendigkeit der Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte und die Bedeutung einer akteursbezogenen Steuerung an. Bei dieser kommt es nicht nur auf Eigeninitiative, Innovation und positives Engagement der Steuerungsadressaten an, sondern daraus folgt auch für die Sozialverwaltung die Notwendigkeit der Existenz zahlreicher Freiräume, in denen sie das jeweilige Sozialrecht eigenständig konkretisieren kann. Der Begriff der "Steuerungsverantwortung" der Sozialverwaltung kennzeichnet diesen Funktionswandel zur sozialpolitischen "Verwaltungsautonomie". Aus diesen Feststellungen folgen weitere zwei Strukturdirektiven qualitativer Sozialpolitik. Zum einen bedarf landesstaatliche Steuerung als Kontextsteuerung wegen der ihr innewohnenden Mehr-Ebenen-Verflechtungen einer gewissen fachlich-zentralistischen Strukturformalisierung. Ist diese nicht gegeben, verspielt Sozialpolitik auf Landesebene ihre Chance, die Implementation des Sozialrechts wirksam zu steuern. Auf der anderen Seite bedarf die autonome und kooperative Verantwortung der Sozialverwaltung der Sicherung entsprechender dezentraler politischer Legitimation. Diese verlangt - anders als bisher - einen "schlanken", d. h. funktional-adäquaten Zuschnitt der Ministerialebene, ebenso aber auch die Stärkung politischer Selbstverwaltung und die Zuordnung autonomer Steuerungsverantwortung der Sozialbehörden hierzu 15 . 15 Zu alledem siehe Jann, Moderner Staat und effiziente Verwaltung. Zur Refonn des öffentlichen Sektors in Deutschland, Bonn 1994.

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2. Teil, 6. Kap.: Strukturreforrn der Sozialverwaltung in NRW

- In der Diskussion um diese SIrukturdirektiven einer qualitativen Sozialpolitik, in deren Rahmen die Sozialverwaltung als originäre Steuerungsinstanz fungiert, schälen sich entscheidende Besonderheiten der Administrierung staatlicher Sozialpolitik heraus, die in einem Konzept für entsprechende Strukturreformen berücksichtigt werden müssen: In weitaus stärkerem Maße als in anderen Verwaltungssektoren überschreitet Sozialverwaltung ihren Vollzugsauftrag; über die Funktion bloßer Rechtsanwendung in der sozialen Sicherung hinaus stellt Sozialverwaltungshandeln angewandte Sozialpolitik dar ("Sozialpolitik durch Fachverwaltung"). Eine zweite Besonderheit liegt in dem hohen Außenbezug der Sozialverwaltung zum Bürger, also in der Bürgerorientierung durch soziale Interaktion als einem funktionalen Äquivalent zur rechtsförrnigen Verhaltenssteuerung. Schließlich greift Sozialverwaltung als besondere Form der Leistungsverwaltung tief in sensible Bereiche der menschlichen Existenz ein. Wirtschaftlichkeits- und insbesondere Kostenüberlegungen finden hierin von vorneherein ihre Grenze. VerwaltungsstrukturreJorm in der Landessozialpolitik ist vor diesem Hintergrund immer auch als eine SozialreJorm zu bedenken bzw. zu betreiben 16. In diesem Sinne besteht zwischen qualitativer Sozialpolitik und ihrer verwaltungsmäßigen Organisation ein gleichsam dialektisches Verhältnis. Der ,,institutional choice" im Sozialsektor ist wegen seiner immensen Steuerungseffekte stets zugleich darauf zu beziehen, daß der qualitative Steuerungsauftrag staatlicher Sozialpolitik effektiv umgesetzt werden kann. Das bedeutet konkret, daß auf breiter Basis mögliche Formen gesellschaftlicher Selbstregulierung unter wachsendem Verzicht auf staatliche Aufgabenerfüllung angestrebt werden. Zugleich ist die bürgerschaftliehe Selbstverwaltung im Sozialsektor zu stärken (,,kondominiale Sozialverwaltung"), ohne aber notwendige Schritte einer fachlichen Zentralisierung hintanzustellen.

- Die sozialpolitische Steuerungsverantwortung der Verwaltung bezieht sich schließlich auf die Qualität der Sozialleistungen 17 • In einem Kontextsteuerungsmodell meint dies zunächst die Organisations- und Verfahrensprämissen der Leistungserbringung. Deshalb beschränkt sich das Sozialstaatsprinzip in seiner Wirkkraft auf die Sozialverwaltung auch nicht auf Ge- und Verbote - z. B. die Grundsätze der sozialen Sicherheit, der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs -, sondern es verlangt eine Organisation, die Leistungen "aus einer Hand" anbietet und dem Bürger gegenüber die Transparenz seiner Ansprüche sichert. Demgemäß sind Sozialverwaltungen zu (re-)organisieren, d. h. sie müssen eine entsprechende Prozeß- und Organisationsqualität verbürgen. Hierfür sind einerseits die Beherrschbarkeit größerer Fallzahlen, eine gewisse Arbeits16 Vgl. auch Grunow, Auf dem Weg zur "neuen Fehlsteuerung"? Bürgernähe und Kundenorientierung in der Sozialverwaltung, in: Merchel/Schrapper (Hrsg.), Neue Steuerung, S.32ff. 17 Pitschas, VerwaItungsmodernisierung im Spannungsfeld, S. 111.

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routine, die Bündelung fachlicher und kommunikativer Kompetenzen u. a. m. notwendig. Die Wirtschaftlichkeit des Aufgabenvollzugs verlangt zudem arbeitstäglich anfallende Mindesarbeitsmengen. Auf der anderen Seite erfordert Qualität häufig genug innovatives Arbeiten, Kreativität und - begleitend dazugeringere Fallzahlen. Beide Anforderungsstränge in einer Verwaltung zu verankern, ist schwierig. Die kommunale Sozialverwaltung sieht sich deshalb auch dem Vorwurf einer ,,Massenabfertigung" (in der Sozialhilfe) zu Lasten der Einzelfallhilfe ausgesetzt. Daraus folgt: Routinearbeiten in der Sozialverwaltung sollten in einem gewissen Maß unter Dekonzentration der Behörden zentralisiert werden. Für NordrheinWestfalen bedeutet dies unter Berücksichtigung der Arbeitsmengen und angesichts des erforderlichen Fach- und Routinewissens sowie der Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidungspraxis, daß u. a. Erst- und Änderungsanträge nach dem SchwbG nicht in den Kommunen bearbeitet werden sollten. Während nämlich auf jede Kommune arbeitstäglich im Jahr 1994 nur 1,93 Erst- bzw. 3,49 Änderungsanträge entfielen, würden z. B. bei den beiden Landschaftsverbänden 381, 81 bzw. 690, 40 Fälle arbeitstäglich behandelt werden müssen. Insgesamt gab es in diesem Jahr 168 000 Erstanträge und 304 000 Änderungsanträge landesweit. Ähnlich liegen die Verhältnisse für Anträge und laufende Fälle nach dem sozialen Entschädigungsrecht 18 . Die genannten bzw. in bezug genommenen Zahlen liefern einen gewissen "Plausibilitätshintergrund" für die Vermutung, daß die Prozeß- und inhaltliche Qualität der Fallbearbeitungen eher in einem zentralisierenden Modell der Sozialverwaltung als im Rahmen einer "Kommunalisierung" zu gewährleisten ist. Gleiches dürfte für die landesweit ca. 200000 Neuanträge nach dem BErzGG gelten. Einbeschlossen in alle Maßgaben zur Qualitätssicherung ist auch das Personal. Qualitative Sozialpolitik in Verwaltungsform bedarf der sozialen Betreuung durch Mitarbeiter/innen der Sozialverwaltung, die zur Auskunfterteilung und Entscheidung in besonderer Weise geeignet sind. Dies setzt einerseits fachlich qualifizierte und hinreichend geschulte Amtswalter, andererseits aber auch und gleichzeitig interaktionsfähige Mitarbeiter/innen voraus. Gleiches gilt für die Sicherung einer entsprechenden "Qualität in der Hierarchie". Dementsprechend sind einschlägige Konzepte der Fortbildung, des Sozialmanagements und der spezifisch auf den Ausbau von Sozialkomponenten zielenden landesweiten Personalentwicklung zu entfalten. - Komplementär muß sich die Sozialverwaltung an den Erwartungen der Bürger orientieren. Die entsprechende "Bürgerorientierung" von Sozialleistungen ist im Sinne einer Serviceorientierung der Sozialbehörden auf allen Verwaltungsebe18 Die Zahlen wurden vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt.

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nen zu verstehen. Dazu gehört auch die Anerkennung der Bürger als "Partner" von Sozialverwaltungen, aber nicht unbedingt als "Kunden,,19. Eine der weiteren Strukturdirektiven für die Verwaltungsreform im Sozialsektor ist es daher, dem Bürger von der Verwaltung möglichst viele Leistungen konzentriert anzubieten und belastende (wie kostspielige) Doppelbetreuungen zu vermeiden.

11. Kennlinien und Strukturdirektiven des modernen Verwaltungsmanagements 1. "Schlanke" Verwaltung und "New Public Management"

Die voraufgehend skizzierten Zielvorstellungen über die zukünftige organisatorische Gestaltung einer qualitativen Sozialpolitik auf Landesebene werden durch einige Ordnungsrnaßgaben ergänzt, die aus der Leitidee einer "schlanken" Verwaltung folgen. Diese Strukturdirektiven führen letztlich auf die Forderung zurück, den künftigen Aufgabenzuschnitt einer Landessozialverwaltung NRW aus der Perspektive des Verwaltungsmanagements näher zu betrachten. Damit treten Wirtschaftlichkeitsfragen der Verwaltungsführung in den Vordergrund der Organisationsarbeit. Die aktuelle verwaltungswissenschaftliche Diskussion vermag hierzu auf eine Reihe von Kennlinien zurückzugreifen. Ihnen liegt die gemeinsame Erkenntnis zugrunde, daß im gegenwärtigen Wandel der Rolle des modemen Staates unter dem Vorzeichen der "Deregulierung" das herkömmliche Bürokratiemodell für den Vollzug der Staatsaufgaben durch dafür eingerichtete Behörden allmählich ausgedient hat. Öffentliche Verwaltungen streifen mehr und mehr die Handlungs- und Verfahrensmuster ab, die ihnen noch Max Weber in seinem Entwurf eines Idealtypus der "Bürokratie" als Ausweis rationaler Aufgabenerfüllung zugeschrieben hatte. Mag auch dieses Idealbild nie vollständig die Wirklichkeit verkörpert haben, so bestand doch Einigkeit darüber, daß sich die Imperative des Verwaltungshandelns aus dem Recht zu ergeben hätten und dieses einen Bestand an Handlungsdirektiven bereitstellen würde, deren Vollzug bereits die Rationalität der Verwaltungs steuerung garantiere. Dem ist allerdings heute nicht mehr so, wie schon oben ausgeführt wurde. Die Imperative des Handeins ergeben sich nicht mehr ausschließlich aus dem Recht, und es bleibt zunehmend offen, in welchem Ausmaß das Recht als "offenes Gehäuse" des Verwaltungshandelns einen allein verbindlichen Steuerungs- bzw. Handlungsrahmen auszeichnet. In der Folge dieser Veränderungen kommt es zu Anpassungsprozessen öffentlicher Verwaltungen an den Wandel von Staat und Recht und an die damit einhergehenden gesellschaftlichen Forderungen nach einem Umbau der Verwaltungsstrukturen. Leitend hierfür wird in allen hochindustrialisierten Ländern des Westens der 19

Kritisch auch Grunow (Anm. 25), S. 42f.; Pitschas, DÖV 1994,981 f.

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Entwurf eines ,,New Public Management,,2o. In der Bundesrepublik Deutschland rechnen dazu und insbesondere auf der kommunalen Verwaltungsebene, zunehmend aber auch im Bereich der Ministerialorganisation die Bemühungen, auf dem Hintergrund eines spezifischen "Verwaltungsmanagements", das über den strikten Gesetzesvollzug hinausführt, die dezentrale Ressourcenverantwortung einzuführen und dadurch die Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns nachhaltig zu steigern. Solche administrativen Modernisierungsbestrebungen schließen den Übergang zu einem leistungsorientierten Personalmanagement sowie den Umbau des traditionellen öffentlichen Rechnungswesens ein 21 . Im Mittelpunkt der auf diese Weise über die öffentlichen Verwaltungen mit Urgewalt hereinbrechenden marktwirtschaftlich orientierten Reformansätze stehen die Entwürfe für neue Verantwortungsstrukturen des Verwaltungshandeins. Entwickelt wird ein "Neues Führungs- und Steuerungsmodell", das nicht mehr nur Geltung für die Kommunalverwaltungen beansprucht. Denn die zentralen Strukturelemente eines solchen neuen Steuerungsmodells entfalten ihre Verbindlichkeit auch für die Organisation staatlicher Sozialpolitik im Bereich der Zwischenebene von staatlicher und kommunaler Aufgabenerfüllung. Dies gilt insbesondere dort, wo die Neugestaltung der Organisationsstruktur unter dem Postulat einer dezentralen Ressourcenverantwortung steht. Die Folge hieraus ist nämlich der Aufbau einer "unternehmensähnlichen" dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur der Landesverwaltung mit klaren Verantwortungsabgrenzungen zwischen Politik und Verwaltung im Ministerialbereich - ebenso wie in der kommunalen Selbstverwaltung - unter jeweiliger Einführung eines Kontraktmanagements. Im übrigen sollen dann die Fachverwaltungen die volle Ressourcenverantwortung über ihre Organisation, ihr Personal und ihre finanziellen Mittel erhalten. Alledem liegt ein Leitbild der öffentlichen Verwaltungen zugrunde, das nicht zuletzt das Prinzip marktwirtschaftlicher Steuerung dezentraler Verwaltungseinheiten durchsetzen will. Konstitutives Merkmal einer entsprechenden Ausrichtung öffentlichen Verwaltens ist das Bemühen um Wettbewerb zwischen Verwaltungsbehörden und dieser mit privaten Anbietern bzw. Nachfragern von Produkten22 . Im Gefolge dessen ist die Rede von einer "Kundenorientierung", der Sicherung von Qualität des Verwaltungshandelns und einem leistungsorientierten Personalmanagement. Öffentliche Verwaltungen orientieren sich auf diese Weise an dem Modell einer "schlanken Produktion". Dessen weitere Maßgaben sind die Fortsetzung der Dezentralisierung, d. h. Aufgabenverlagerung "nach unten" auf jeder Verwaltungsebene bei gleichzeitigem Abbau zentralstaatlicher Kontrollen, die Verbesserung 20 Dazu statt aller und m.w.Nachw. Budäus, Public Management-Konzepte und Verfahren zur Modernisierung öffentlicher Verwaltungen, 1994. 21 Reichard, Umdenken im Rathaus - Neue Steuerungsmodelle in der deutschen Kommunalverwaltung, 1994; Mundhenke, Zur Modernisierung der Bundesverwaltung, VM 1996, 374ff. 22 Vgl. statt aller Reinermann, Die Krise als Chance: Wege innovativer Verwaltungen (Speyerer Forschungsberichte 139),4. Aufl., 1994, S. 7 ff.

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der Dienstleistungen gegenüber dem Bürger (Service-Orientierung, "Bürgerorientierung", verstärktes Marketing-Denken), der Wechsel aus der Verwaltungsrolle unter Herbeiführung von Public-Private-Partnership sowie die Flexibilisierung der Aufbau- und Ablauforganisation auf allen Verwaltungsebenen - bei gleichzeitiger Prozeßoptimierung.

2. Allgemeine Konsequenzen für Verwaltungsstrukturreformen

In Verfolg der skizzierten Kennlinien sowie in Übereinstimmung mit dem rechtsstaatlichen Effizienzgebot für öffentliches Verwaltungshandeln und der Direktive des sozialen Bundesstaates verlangt die "schlanke" Verwaltung danach, künftig die Ministerialorganisation zu verkleinern ("zu entschlacken"), zu viele Sonderbehörden zu venneiden und die derzeitige Behördenvielfalt zu vermindern. Verzichtbare Aufgaben sind auszusondern und dort, wo es zu keinem staatlichen Aufgabenverzicht kommt, möglichst zu dezentralisieren - allerdings unter Beachtung der Effektivitäts- und Effizienzvorteile staatlicher Aufgabenwahmehmung durch dekonzentrierte Behörden. Die insoweit in staatlicher Hand verbleibenden Aufgaben sind allerdings möglichst überschneidungsfrei zusammenzufassen, wobei - wie schon angedeutet - die Ministerialorganisation auf eine schmale Steuerungseinheit zurückzustutzen wäre. Insgesamt muß die "schlanke" Sozialverwaltung eine Gesamtorganisation bilden, mit der beweglicher als heute auf die zukünftige Sozialentwicklung qualitativ reagiert werden kann. Idealtypisch entspricht damit dem modemen Verständnis von Verwaltungsmanagement auch im Bereich der Sozialverwaltung eine eher dezentralisierte Verantwortungsstruktur, die im staatlichen Bereich prinzipiell zu einer zwei stufigen Sozialverwaltung führen müßte; auf der Ministerialebene sollten allenfalls strategische Steuerungs- einschließlich der Controllingfunktionen verbleiben. Im übrigen wäre die Grundstufe einer solchen Sozialverwaltung stark zu dekonzentrieren. Freilich ist bei Strukturentwürfen nach Maßgabe eines modemen Verwaltungsmanagements stets zu bedenken, daß die Arbeit an der Verwaltungsorganisation im Grundsatz "Verwaltungspolitik" - und d. h. für den Bereich des Sozialen eine Art "Verwaltungssozialpolitik" - darstellt, die unterschiedlichen, möglicherweise gegensätzlichen Orientierungen unterliegt. Bezugspunkt jeglicher Verwaltungsmodernisierung bleibt unter dem Gestaltungsmerkmal der "Verantwortung" stets der Gesamtauftrag der öffentlichen Verwaltung, wie er im Grundgesetz und in den Länderverfassungen, darüber hinaus für den Sozialbereich im einfach-gesetzlichen Sozialrecht festgeschrieben ist. Er umfaßt neben den Kennlinien und Strukturdirektiven des modemen Verwaltungsmanagements zahlreiche Handlungsgrundsätze der Verwaltung, die der Aufgabenverwirklichung gleichennaßen dienen. Es sind dies die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Einsichtigkeit und Gemeinwohlverpflichtung des Verwaltungshandelns.

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Insbesondere der Grundsatz der Gemeinwohlbezüglichkeit der Verwaltung tritt für die einheitliche Zielverwirklichung und den Verwaltungserfolg in den Vordergrund. Gemeinwohlhandeln bleibt dabei allemal an das Recht gebunden. Der darauf bezogene Grundsatz der Gesetzmäßigkeit bietet auch für die Verwaltungsstrukturreformen eine verbindliche verfassungsrechtliche Grundlage und Richtlinie 23 • Im übrigen erschöpft sich darin der Handlungsauftrag der Verwaltung bei weitem nicht. Öffentliches Handeln unterliegt einer Vielzahl weiterer und je verschiedener Aufträge. Aus diesen ergibt sich eine ebenso große Zielvielfalt, in deren Verfolg die Verwaltung auch auf das Ergebnis samt Folgen ihres Handeins schauen muß. Die Rechts- und Zweckkonkretisierung des Sozialen durch Behörden befindet sich deshalb stets im Richtsteig zwischen Zielen, Ergebnis, Ressourceneinsatz und Folgen.

III. Verwaltungsstrukturrefonn als "Optimierungsproblem"

Das wirft dann die Frage auf, wie sich die erwähnten Handlungsgrundsätze öffentlich-sozialen Verwaltens zueinander verhalten. Darin einzubeziehen ist auch die Maßgabe der "Bürgerorientierung" öffentlicher Verwaltung, die - wie bereits dargelegt - einen sozialstaatlich-demokratischen Zielkomplex und Handlungsrnaßstab darstellt. Es liegt auf der Hand, daß es bei dieser Konkurrenz von Handlungsgrundsätzen des öffentlichen Verwaltens zu Konflikten unter diesen und mit den erörterten Strukturdirektiven des Verwaltungsmanagements kommen muß. Die Kunst der öffentlichen Verwaltung schlechthin und ihrer Re-Organisation liegt dann darin, diese Konflikte auszutarieren. Somit stellt sich ein "Optimierungsproblem" auch jenseits des "magischen Vierecks" von Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Bürgerorientierung. Darüber hinaus treten weitere Optimierungsaufgaben auf. Der mit Blick hierauf von anderer Seite erhobene und prinzipiell zutreffende Vorwurf, die öffentliche Verwaltung kapriziere sich dabei vor allem auf die Rechtmäßigkeit ihres HandeIns und sie vernachlässige ökonomische Ziele des Verwaltens (F. Wagener), ist ein Hinweis darauf, daß wir bislang das "Optimierungsproblem" nicht angemessen gelöst haben. Sich in diesem Sinne um Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Sozialbereichs verantwortlich zu kümmern, ist also ein auch verwaltungsrechtlich legitimes Anliegen. Allerdings ist gleichzeitig hervorzuheben, daß Rechtrnäßigkeit kein "K.O.Maßstab" ist. Die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns sowie alle weiteren Handlungsgrundsätze stehen vielmehr in einer Einheit mit ihr. Öffentliches Handeln, das rechtswidrig ist, kann z. B. nicht zweckmäßig sein - und umgekehrt. Die "Offenheit" des Sozialrechts unterstützt dabei die erfor23

Pitschas, VM 1996,4 ff., 83 ff., 163 ff.

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2. Teil, 6. Kap.: Strukturreform der Sozial verwaltung in NRW

derlichen Optimierungsvorgänge; Abwägungsprozesse gehören zum Alltag der Sozialverwaltung. Dabei kommen stets subjektive Elemente zum Zuge.

IV. Zwischenbilanz: Komplexität des Zielsystems der Verwaltungsstrukturreform Für die Restrukturierung der Sozialverwaltung in NRW bedeutet dies, daß sich aus den drei großen Bündeln von Strukturdirektiven qualitativer Sozialpolitik, "schlanker" Verwaltung und sozial(verfassungs-)rechtlicher Maßgaben bzw. Handlungsmaßstäbe kein eindeutiges Leitbild für die künftige Gestaltung einer Landessozialverwaltung ergibt. Die Frage ist allerdings, ob nicht für den Gesamtvorgang des beabsichtigten Neuzuschnitts von Aufgaben und Organisationen der Sozialverwaltung aus den bezeichneten Strukturdirektiven spezifisch verwaltungswissenschaftliche Maßstäbe bzw. Rationalitätskriterien ausfilterbar sind, die zu dem Konzept einer einheitlichen Landessozialverwaltung zusammengeführt werden könnten. M.a. W. ist dem soeben skizzierten "Optimierungsproblem" näher nachzugehen.

B. VerwaltungswissenschaftIiche Maßstäbe und Rationalitätskriterien für die Strukturreform I. Im Zentrum der Reform: Die "Aufgaben" der Sozialverwaltung Für die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem ,,richtigen" Aufgabenzuschnitt einer modemen Sozialverwaltung empfiehlt sich aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive, die Aufgaben zum Ausgangspunkt der Erörterung zu wählen. Denn nur dann wird es möglich, aus den zuvor diskutierten Leitideen und Zielen der Verwaltungsstrukturreform und aus den maßgeblichen Organisationsprinzipien konkretisierte verwaltungswissenschaftliche Aussagen abzuleiten. Dem liegt die Auffassung zugrunde, wonach sich die Verwaltungsorganisation prinzipiell nach den Verwaltungsaufgaben zu richten hat24 . Zwar ist es richtig, wenn behauptet wird, daß weder der ständige Aufgabenwandel noch die Funktionsveränderungen der Verwaltung im Aufgabenvollzug außer acht gelassen werden dürfen. Darüber hinaus wird Verwaltung immer nur zu einem Teil intentional gestaltet; im übrigen aber unterliegt sie - wie alle Organisationen - einem originären Wachstum nach eigenen "Entwicklungsgesetzen,,25. Diese Einsicht entbindet indessen nicht von der Verpflichtung, die Verwaltungsorganisation prinzipiell funktional einzurichten, um sie in den Stand zu versetzen, Schuppert, VerwAreh. 71 (1980), S. 309ff.; Wahl, Aufgabenabhängigkeit, S. 177ff. M. Weber, Das Wachstum von Verwaltungsorganisationen, 1994, S. 164ff. zu "typischen" Wachstumspfaden. 24 25

B. Maßstäbe und Rationalitätskriterien für die Strukturreforrn

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die ihr von Rechts wegen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Im einzelnen sieht sich dann die Gestaltungsarbeit an einer funktionalen Verwaltungsorganisation als ein komplexer Prozeß aufgeben, der mit den erörterten Zielbündeln konfrontiert wird. In der daran anknüpfenden Auseinandersetzung können viele Entscheidungen begründet sein, die nicht der reinen Logik oder den von Sachverständigen vorgetragenen Ratschlägen ersprießen, sondern die sich aus dem Für und Wider der politischen Diskussion ergeben. Hierzu sei daran erinnert, daß insofern Verwaltungspolitik qualitative Sozialpolitik mit anderen Mitteln darstellt. 11. Sozial(verfassungs-)rechtliche Organisationsdirektiven Die "Modernisierung" der Sozialverwaltung löst sich dabei und gerade mit Blick auf die ihr zugewiesenen spezifischen Aufgaben nicht vom Recht. Denn das Recht selbst setzt im Rahmen verwaltungswissenschaftlicher Maßstäbe und Rationalitätskriterien für administrative Strukturreformen eigenständige - und insofern auch verwaltungswissenschaftlich relevante - Leitlinien der Verwaltungsorganisation frei. Das Gebot der Rechtmäßigkeit der Verwaltung legt diese organisatorisch fest. Dies gilt sowohl hinsichtlich des einschlägigen Verfassungsrechts als auch hinsichtlich der sozialrechtlichen Steuerungsdirektiven qualitativer Landessozialpolitik26 . 1. "Recht" als verwaltungswissenschaftlicher Organisationsmaßstab

Im Hinblick auf diese verwaltungswissenschaftliche Maßstabsfunktion des Rechts ist von mehreren denkbaren organisatorischen Lösungen diejenige zu wählen, die der Verfassung bzw. dem sog. einfachen Recht entspricht. Dem Grundgesetz und der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen ist allerdings weder eine konkret-institutionelle Garantie des Organisationsbestandes der gegenwärtigen Vielfalt der Landessozialbehörden zu entnehmen, noch gibt es ein in die Zukunft gerichtetes Reorganisationsgebot. Immerhin lassen sich trotz ihrer Weite und Unbestimmtheit aus den Staatsstrukturbestimmungen der Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit rahmensetzende Organisationsmaßgaben ableiten. So dringt das rechtsstaatliche EJfizienzgebot auf transparente, bürgerorientierte und "schlanke" Verwaltungseinheiten 27 . Es unterstützt insoweit und einerseits die voraufgehend dargelegte Veränderungsperspektive des Verwaltungsmanagements. Auf der anderen Seite macht das Gebot darauf aufmerksam, daß sich aus der Einbindung der öffentlichen Verwaltung in den Rechtsstaat strukturelle Notwendigkeiten zum Aufbau einer hierarchischen Verwaltungsorganisation ergeben. Diese las26

27

Ebenso Seewald, Maßstäbe für Strukturrefonnen, S. 31 ff. Dazu näher Pitschas, Verwaltungverantwortung, S. 476, 505, 721, 727.

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2. Teil, 6. Kap.: Strukturreform der Sozialverwaltung in NRW

sen sich lockern, aber nicht beseitigen. Die Frage bleibt dann, wie weit Strukturreformen die Hierarchien "abflachen" dürfen, ohne das Prinzip von Hierarchie und Kontrolle zu gefährden 28 . Allgemeiner noch läßt sich dies in die Aussage wenden, daß allen Reformvorstellungen sowohl der Dezentralisierung als auch der Aufgabenbündelung von Verfassungs- bzw. Rechts wegen Grenzen gesetzt sind. Das gilt auch, wie im ersten Teil der Untersuchung ausgeführt, für die Personalausstattung der Sozialbehörden und das Gebot einer effektiven, d. h. zielorientierten und qualitätssichernden Verwaltungsorganisation im Sozialsektor. Dirigierende Wirkung i. S. einer Maßgabe für den ,,richtigen" Aufgabenzuschnitt der Landessozialverwaltung insgesamt enthält daneben das Sozialstaatsprinzip29. Dies gilt zum einen in seiner Ausformung als sozialstaatliche Direktive der Bürger-(Kunden-)nähe. Formen der dekonzentrierten (und dezentralisierten) Leistungserbringung sind ihr zufolge gegenüber zentralisierenden Organisationsgestaltungen zu bevorzugen. In personeller Hinsicht bedeutet eine solche sozialstaatlieh - und auch durch den Grundsatz der "Subsidiarität" - verankerte Bürgerorientierung, daß die Behörden über Amtswalter verfügen müssen, die zur Auskunftserteilung und Entscheidung in besonderer Weise geeignet sind. Demzufolge ist die Einrichtung spezieller Sozialbehörden im Rahmen der Landesverwaltung geboten. Zum anderen entfaltet das Sozialstaatsprinzip in seiner Maßgabe als Vereinheitlichungsregel der Lebensverhältnisse auch einen gewissen Zwang zur Aufgabenbündelung: Die mit der Zersplitterung der Sozialleistungen einhergehende Intransparenz für den Bürger und Verdichtung bürokratischer Hindernisse spricht für die prinzipielle Zusammenführung zerstreuter Landesober und -mittelbehörden bzw. von Sonderverwaltungen. Hierin gründet deshalb letztlich das weiter unten noch näher zu behandelnde Leitbild der "dekonzentrierten Aufgabenbündelung". Von Organisationsrelevanz ist darüber hinaus die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 Verf. NRW). Sie umfaßt nämlich nicht nur die Organisationsautonomie der Gemeinden, sondern auch das prinzipielle verfassungsrechtliche Gebot, dort Aufgaben an die Gemeinden zu übertragen, wo diese wegen ihrer Orts- und Sachnähe zur Aufgabenerfüllung besonders geeignet sind. Freilich läßt sich daraus kein verfassungsrechtliches Kommunalisierungsprinzip sozialer Aufgaben ableiten. Es gibt keine verfassungsrechtliche Zuweisung aller oder auch nur der meisten sozialen Aufgaben an die Kommunen. Umgekehrt beschreiben die kommunalen Selbstverwaltungsgarantien des Grundgesetzes und der Landesverfassung NRW in ihren Festlegungen aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive spezifische Integrationswerte einer qualitativen Sozialpolitik. 28 In der gegenwärtigen (praxisorientierten) Modemisierungsdiskussion wird u. a. dieser Aspekt ausgeblendet, vgl. beispielhaft Rienaß, Das Neue Berliner Verwaltungsmanagement, VM 1996, 370ff. 29 Zu diesem "institutionellen Ansatz" der sozialstaatsrechtlichen Ausdeutung siehe m. w. Nachw. Zacher, Das soziale Staatsziel, Rz. 75 ff., 97.

B. Maßstäbe und Rationalitätskriterien für die Strukturrefonn

107

Ob sich in Konsequenz dessen "Dezentralisierung" (und "Subsidiarität") schon zu einem zwingenden Organisationskonzept für Strukturreformen im Sozial sektor verbinden, bleibt aber fraglich. Zwar stützen beide Grundsätze zahlreiche Ansätze einer möglichst weitgehenden Verlagerung des Aufgabenvollzugs auf Selbstverwaltungsträger einschließlich der Kommunen. Im übrigen kommt damit wieder die Bürgerorientierung ins Spiel, die aber auch über eine "Dekonzentration" von Behörden erreicht werden kann. Entscheidend für die Wahl der ,,richtigen Organisationsalternative" dürfte indessen sein, ob im Hinblick auf den Aufgabenvollzug die organisatorischen Instrumente alle rechtlichen Maßstäbe optimieren. Das Gebot (Instrument) der "Dezentralisierung" trägt hierzu bei; mehr leistet es jedoch nicht 3o . Es ersetzt keine Beurteilungs- bzw. Bewertungsmaßstäbe, die allein das Wahlproblem der Grundstruktur einer Sozialverwaltung für qualitative Sozialpolitik lösen helfen können. Zieht man aus alledem eine weitere Zwischenbilanz, so läßt sich einerseits festhalten, daß es keine verfassungsrechtlich (und sozialrechtlich) zwingend ableitbare und dann auch verwaltungswissenschaftlich zu gewichtende "Vorrangregel" mit normativem Gehalt zugunsten bestimmter Strukturvarianten des Neuzuschnitts der Landessozialverwaltung gibt. Die dargelegten (sozial-)verfassungsrechtlichen Direktiven beschreiben denn auch (lediglich) Gestaltungsspielräume des Organisationsgesetzgebers. Auf der anderen Seite ist dieser Gestaltungsspielraum durchaus einem Rahmen vergleichbar, in dem sich der Neuzuschnitt der Verwaltungsstrukturen im Sozialsektor bewegen muß. Ein reines "Staatsmodell" der sozialen Aufgabenerfüllung wäre deshalb in jedem Fall verwaltungswissenschaftlich ebenso zurückzuweisen wie ein reines "Kommunalisierungsmodell".

2. Europarechtlich induzierte Organisationsmaßgaben

Auf einer höheren Ebene - und insofern das deutsche Verfassungs- und Sozialrecht wirkmächtig überlagernd - enthält der Europäische Verfassungsstaat eine gewisse Veränderungsprogrammatik für die derzeitigen Organisationsstrukturen der deutschen bzw. nordrhein-westfälischen Sozialverwaltung. Zum einen verlangen die Grundfreiheiten des Europäischen Verfassungsstaates die prinzipiell wettbewerbliehe Organisation der sozialen Sicherung einschließlich ihrer Leistungserbringung. Die Konsequenz hieraus sind wettbewerbssichernde Organisationsmaßgaben für die Sozialverwaltung als ein "Unternehmen" einerseits, die Berücksichtigung von Subsidiarität und sozialer Kohäsion andererseits. Auf diesem Hintergrund hat die Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen einerseits zu prüfen, welche Aufgaben bzw. Leistungen aus dem öffentlichen Bereich auszugliedern und privatwirtschaftlicher Wahrnehmung zu überantworten sind. Aufgegeben ist somit der Entwurf von Strukturen, die einer Verantwortungspart30

W. Hill u. a., Organisationslehre. S. 174 ff.

108

2. Teil, 6. Kap.: Strukturreform der Sozialverwaltung in NRW

nerschaft genügend Raum geben 3 ]. Für die Sozialverwaltung bedeutet dies, daß u. a. Privatisierungsmöglichkeiten bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen zu nutzen sind. Private Einrichtungen könnten in diesem Sinne bspw. als Außengutachter für Versorgungsf.ille auftreten, die den eigenen Sachverstand des Landes ergänzen würden. Freilich und im Sinne "sozialer Kohäsion" bleibt stets zu überlegen, ob nicht bestimmte Leistungen von staatlicher Seite besser gewährleistet werden. Dies könnte etwa im Bereich der orthopädischen Versorgung im Rahmen der Versorgungsverwaltung der Fall sein, wo möglicherweise öffentliche Einheiten eine bessere Betreuung und zugleich kostengünstigere Beratung im Vergleich zu den Krankenkassen leisten.

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß in der Europäischen Union (EU) die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Länder Deutschlands an die überlagernde Regionalpolitik der Gemeinschaft angepaßt werden müssen. Dabei geht es dann um eine Stärkung unserer Regionen im europäischen ökonomischen und sozialen Wettbewerb. Dies alles erzeugt hierzulande vermehrt Abstimmungsbedarfe und Kooperationsgebote innerhalb der Länder mit den Sozialpartnern und den Sozialversicherungsträgern "vor Ort". Die Wirk- und Gestaltungsräume der genannten Akteure im Rahmen einer solchen regionalen Partnerschaft wären zukünftig erst noch zur Deckung zu bringen. In der Rentenversicherung zeigt sich ein solches Bemühen in der Diskussion um deren künftige regionale Struktur; auch in der Landessozialpolitik wird man deshalb künftig "Dezentralisierung" unter dem Aspekt ihres Regionenbezugs betrachten müssen 32 . Insoweit sollte es eben auch kein reines "Kommunalmodell" qualitativer Sozialpolitik in den deutschen Bundesländern geben 33 • 3. "Ökonomisierung" der rechtlichen Steuerungsfunktion

Keinem Zweifel unterliegt, daß die (räumliche) Verwaltungsorganisation auch ökonomische Wirkungen hat. Mit den von der öffentlichen Hand bereitgestellten Arbeitsplätzen sind qualifizierte Einkommen verbunden, deren Verzehr auf die Wirtschaftskraft einer Kommune bzw. Region zurückwirkt. Es liegt deshalb nahe, auch insoweit nach wirtschaftspolitischen, betriebswirtschaftlichen und (verfassungs-)rechtlichen Direktiven der Verwaltungsorganisation zu fragen. Diesbezüglich erweist sich das "Wirtschaftlichkeitsprinzip" des Grundgesetzes als ein ungeschriebenes, gleichsam selbstverständliches und normativ verpflichtendes Merk31 Zu Reichweite und Deutungsgehalt des Begriffs der "Verantwortungspartnerschaft" vgl. näher Pitschas, Duale Umweltverantwortung von Staat und Wirtschaft, in: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1997 (i.Ersch.), B.I.3. 32 Neubauer, Region und Regionalisierung in ihrer Bedeutung für die Sozialversicherung, in: Seewald (Hrsg.), Organisationsprobleme der Sozialversicherung, 1992, S. 153 ff. 33 Landesversicherungsanstalt Baden (Hrsg.), Föderalismus und Regionalisierung in der Sozialversicherung, Karlsruhe 1996, passim.

B. Maßstäbe und Rationalitätskriterien für die Strukturreforrn

109

mal des VerwaltungshandeIns, das die ökonomischen Gebote in sich birgt und in rechtliche Organisationspflichten übersetzt. Man kann diese Pflichten einerseits, wie dies im ersten Teil der Untersuchung geschieht, als Gebot für eine effektive und effiziente Autbauorganisation der Verwaltung und einen entsprechenden Personaleinsatz deuten. Darüber hinaus aber und zugleich offenbart sich Wirtschaftlichkeit als eine verfahrensorientierte Verwaltungsmaxime, die allen Verwaltungen nicht nur eine ständige Mittelkontrolle auferlegt, sondern auch - und darin ebenfalls mit einer gewissen Organisationswirkung versehen - ein durchgreifendes "Controlling" einzurichten verlange 4 . Künftige Sozialverwaltungen Nordrhein-Westfalens sind entsprechend autbau- und ablauforganisatorisch auszustatten. Wirtschaftlichkeit offenbart sich dadurch als ein "ökonomisiertes" Steuerungsgebot des Rechts für die Gestaltung der Sozialverwaltung. Dem "offenen" Rechtsbegriff der Wirtschaftlichkeit wird ein ökonomisches Deutungsmuster mit den daraus ersprießenden Anforderungen an die Wahrung eines optimalen Kosten-NutzenVerhältnisses bei der Restrukturierung der Verwaltungsorganisation implantiert. Daraus wiederum ergibt sich, daß Strukturreformen der öffentlichen Verwaltung nicht nur am Maßstab einer funktionalen Verwaltungsorganisation - wie umstritten diese selbst auch immer sein mag - ausgerichtet werden dürfen. Auch die ökonomischen Wirkungen bzw. Lasten von Strukturänderungen sind einzubeziehen, d. h. konkret ist zu bedenken, daß einerseits die tatsächliche Organisation nur mit großen Kosten verändert werden kann und andererseits der Neuzuschnitt der Verwaltungsorganisation auch Wirtschaftlichkeitserwägungen zu berücksichtigen hat. 4. Reichweite verfassungsrechtlicher Organisationsprägung : Leitlinien für Strukturreformen

Die voraufgehend erörterten sozial(verfassungs-)rechtlichen Organisationsdirektiven für die Sozialverwaltung enthalten nach alledem weder ein konsistentes Zielsystem der Reformpolitik noch detaillierte Bewertungsmaßstäbe für Organisationsalternativen. Erkennbar wird aber ein organisations struktureller Rahmen für Veränderungen, der dem Land Nordrhein-Westfalen einen großen Gestaltungsspielraum für Strukturreformen der Sozialverwaltung in dem beschriebenen Sinne beläßt. Dazu trägt bei, daß die verfassungs- bzw. sozialrechtlichen Festlegungen auch keine institutionelle Garantie des Organisationsbestandes der jetzt bestehenden Sonderbehörden enthalten. Zu beachten sind allerdings einige relationale Direktiven für die künftige Organisation der Sozialverwaltung des Landes. Prinzipiell ist in Übereinstimmung mit 34 Zu den Besonderheiten des Controllings im öffentlichen Sektor siehe J. Weber, Controlling versus New Public Management, VM 1996, 344ff.; am Beispiel der Modernisierung der Bundesanstalt für Arbeit siehe Hesse/Lüder/Pitschas, Wirtschaftliche Gestaltung der Fachaufgaben, S. 253 ff. 289 ff., 367 ff., 398 ff.

110

2. Teil, 6. Kap.: Strukturrefonn der Sozialverwaltung in NRW

dem rechtsstaatlichen Effizienzgebot und dem formellen Sozialstaatsprinzip der Abbau von "Sonderverwaltungen" im Bereich der Sozialleistungen zu begrüßen. Sozialpolitik sollte "aus einer Hand" betrieben werden. Der Gedanke der Einheit der Sozialverwaltung gewinnt dadurch leitbildhafte Funktion, wobei deren Dienstleistungsfunktion zu unterstreichen ist. Daneben schälen sich als weitere Leitlinien für die Organisation die stärkere Ergebnisorientierung des Verwaltens und das Erfordernis einer soliden Verwaltungskostenrechnung (Wirtschaftlichkeitsprinzip) heraus. Hinzu treten die Gebote einer "dekonzentrierten Aufgabenbündelung", der Public-Private-Partnership und der Einrichtung einer dezentralisierten Verwaltungsstruktur innerhalb der Sozialverwaltung im Land Nordrhein-Westfalen. Diese Leitlinien umzusetzen, muß prinzipiell zu einer zwei stufigen Landesverwaltung und einer durchgreifenden "Verschlankung" der Ministerialebene führen, die mit der Ausgliederung einzelner Referatsgruppen bzw. Unterabteilungen als Steuerungszentren in Gestalt von "Landesämtern" und der Rücknahme von Staatsaufgaben verbunden sein sollte. Dabei sind einzelne Sonderbehörden zum Sozialbereich zugunsten einer effizienten Organisation der Sozialverwaltung des Landes zusammenzuführen. Die demokratische Kontrolle bleibt dadurch erhalten, daß eine solche "Bündelungsbehörde" dem Ministerium unterstellt wird. Auf der Ministerialebene sollten dann aber allenfalls strategische Steuerungs- einschließlich der Controllingfunktionen verbleiben. Im übrigen ist die Vollzugsfunktion einer auf diese Weise "gestuften" landeseinheitlichen Sozialverwaltung stark zu dekonzentrieren und der Bürgermitverantwortung zu öffnen.

III. Funktionale Reorganisation durch Aufgabenintegration?

1. Spie/räume der Aufgabenintegration

Vor dem diskutierten Hintergrund verfassungs- und sozialrechtlich vermittelter Aufgaben- bzw. Organisationsprägung - Abbau von "Sonderverwaltungen", Aufgabenbündelung u. a. m. - bleibt zu prüfen, ob nicht die Aufgaben der derzeit zersplitterten Sozialverwaltung innerhalb der allgemeinen Landesverwaltung wahrgenommen werden könnten. Zu erkennen ist freilich, daß diese funktionale und organisatorische Veränderung zu einer anderen Systematik der qualitativen Sozialpolitik und letztlich wohl zu fachlichen Qualitätseinbußen und Verlusten gesellschaftlicher Politikverantwortung ("Bürgermitverantwortung") führen müßte. In der Verwaltungsreformdiskussion sieht sich diese Problematik der Aufgabenintegration lediglich - aber zu Unrecht - unter dem Stichwort des Gebietsorganisations- und Aufgabenorganisationsmodells behandelt. Während einerseits dafür plädiert wird, für bestimmte Aufgaben eine spezielle Organisation auszuprägen, soll andererseits die Möglichkeit bestehen, Aufgaben innerhalb eines bestimmten räumlichen Bereiches zu bündeln ("Gebietsorganisationsmodell"). Diese thematische Reduktion wird dem Bedürfnis nach fachlicher Integration der zersplitterten

B. Maßstäbe und Rationalitätskriterien für die Strukturrefonn

III

Sozialbehörden und den Transparenzerfordemissen des Sozialverwaltungshandelns nicht gerecht. Zurückzugehen ist daher auf die funktionalen Refonnanliegen. 2. GrenzenJunktionaler Verwaltungsorganisation: Zur Eingliederung in die allgemeine Landesverwaltung

In Ansehung dessen verfehlen generelle Aussagen zum Nutzen oder Nachteil einer Aufgabenbündelung in der öffentlichen Verwaltung heute die praktischen Erfordernisse. So läuft zwar die allgemeine Verwaltung in der Tat Gefahr, Fachgebote zu mißachten und Einzelinteressen in den Vordergrund zu rücken. Aber auch die Fachverwaltung droht sich allzuhäufig auf ihr Spezialgebiet zu konzentrieren und die Zusammenhänge zu übersehen. Im Ping-Pong solcher Argumente - denen im Abwägungsprozeß der Vor- und Nachteile hinzuzufügen wäre, daß die allgemeine Verwaltung durch eine Bündelungsfunktion auch überfordert werden könnte (das beste Beispiel hierfür bieten heute die Bezirksregierungen, deren Auftrag und Ablauforganisation der Komplexität vieler Verwaltungsaufgaben nicht mehr gerecht werden) - droht der eigentliche Sinn der verwaltungswissenschaftlichen Analyse verlorenzugehen, nämlich die Bewertung der Organisationsalternativen anband von Maßstäben. Einen solchen Maßstab vermittelt die Heranziehung des "Integrationsnutzens" einzelner organisatorischer Struktunnuster35 •

Was dabei speziell die Eingliederung der Sozialverwaltungs-Sonderbehörden in die allgemeine Landesverwaltung anbelangt, so handelt es sich insgesamt um einen besonders großen Aufgabenbereich, der selbst schon teilweise gebündelt ist. Die allgemeine Landesverwaltung wäre durch eine Eingliederung deshalb potentiell überfordert. Im übrigen würde übersehen, daß Sozialpolitik nicht mehr Bestandteil der allgemeinen Politik ist, sondern daß diese - wie oben dargelegt - eigene qualitative Ziele und Steuerungsbelange sowie gesellschaftliche Mitwirkungsbedarfe vertritt. Im Hinblick auf diese Feststellungen erweist sich der Integrationsgedanke für die Reorganisation der Sozialverwaltung als bedeutsam. Wenn weder die Untersuchung des Aufgabenvolumens bzw. der Finanzströme und Ausgaben noch die Analyse der entstehenden Verwaltungskosten je für sich und dann zusammengenommen verläßliche Aussagen über die ,,richtige" Organisationsstruktur ennöglichen, bleibt auf den Integrationsnutzen von Strukturrefonnen abzustellen.

35 Zu diesem Ansatz aus grds. Sicht Wagener, Neubau der Verwaltung - Gliederung der öffentlichen Aufgaben und ihrer Träger nach Effektivität und Integrationswert, 1969.

112

2. Teil, 6. Kap.: Strukturreform der Sozialverwaltung in NRW

C. Die Bedeutung des "Integrationsgedankens" für die Strukturreform I. "Integration" als verwaltungswissenschaftlicher Maßstab

Die hiesigen Überlegungen zur funktionalen Verwaltungsorganisation durch Aufgabenbündelung mit den qualitativen Steuerungsmerkmalen der Landessozialpolitik, deren genuinen Umwelt-Bezügen, ihren aufbau- und ablauforganisatorischen bzw. personellen Bedingungen und nicht zuletzt mit den Konsequenzen aus den übergreifenden Rechtmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeits anforderungen zu verbinden, heißt nunmehr den Blick von den Aufgaben der Sozialverwaltung auf die Analyse ihrer Integrationswerte zu lenken. Hierzu zählt vor allem und einerseits die "Bürgerorientierung" der Verwaltung und andererseits die "Dezentralisation" bzw. "Selbstverwaltung" einschließlich damit verbundener Tendenzen zu einer "gesellschaftlichen Selbstregulierung". 1. " Integration " und " Integrationsnutzen "

Integration meint dabei, die beabsichtigten und realen Wirkungen der Zusammenfassung verschiedener Sozialleistungsbereiche unter Konzentration ihrer Aufgaben und nach Maßgabe der bereits herausgearbeiteten qualitativen Rationalitätskriterien zugunsten sozialer Effizienz von Verwaltungshandeln näher zu betrachten 36 • Dabei gilt es, den Nutzen einzelner entsprechender Reorganisationsschritte für die Bedarfsdeckung beim Bürger und die Erfassung seiner Bedürfnislagen (= Integrationsnutzen) im Verhältnis zu anderen zu bestimmen bzw. zu bewerten. Vor diesem Hintergrund und verwaltungspraktisch geht es deshalb im Verhältnis der Sozialverwaltung zu anderen spezialisierten Aufgabenbereichen nicht mehr nur einfach um Aufgabenbündelung in der einen oder anderen (neuen) Art und Weise; im Abwägungsprozeß ist vielmehr mitzubedenken, daß die Bündelungsfunktion von einer Reihe weiterer verwaltungswissenschaftlicher Integrationswerte bzw. nutzen überlagert wird, die soeben diskutiert wurden. Das "Bündeln" ist sonach nur noch eine Funktion neben anderen. 2. Zielpunkt: " Soziale Integration"

Organisationspolitische Zielsetzungen in der Sozialleistungsverwaltung können m. a. W. dadurch auf ihre Rationalität und Qualität überprüft und als defizitär erkannte "Organisationslagen" verbessert werden, daß die Strukturreform als ein 36 Zur "sozialen Effizienz" vgl. Pitschils, Die Neuorganisation der Sozialen Dienste im Land Berlin. Zur Analyse und Kritik eines Modells der Strukturreform staatlicher Sozialverwaltung, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit Bd. 7 (1976), S. 50ff., 51, 68,70, 76f.; ders., DÖV 1994,985.

C. Die Bedeutung des ,,Integrationsgedankens" für die Strukturrefonn

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zielkomplexes Arbeitsvorhaben erkannt und dementsprechend das verzweigte Zielsystem und Maßstabsgefüge für die Strukturreform der Versorgungsverwaltung im Rahmen der Landessozialverwaltung herausgearbeitet wird. An früherer Stelle ist diesbezüglich bereits auf den Grundwert der sozialen Integration im Zusammenhang einer wert- und substanzgeprägten Landessozialpolitik verwiesen worden. Allfällige Überlegungen zur Effektivität. und Effizienz der gegenwärtigen und künftigen Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen bieten hierfür keinen Ersatz. Deren Steigerung gibt keine Garantie dafür, daß die Landessozialpolitik den Bürger wirksam erreicht, dieser also ,,integriert" wird. 11. Rechtsmaßstäbe als Integrationsmerkmale

In diesem Sinne wäre es auch partiell falsch, die Rechtsdirektiven einer Strukturreform im Sozialsektor lediglich als ,,rechtliche Restriktionen" der Organisationsänderung zu betrachten. Die Frage nach der Sicherung der Rechtmäßigkeit von Organisationsstrukturen zu stellen, bedeutet nicht nur zu verneinen, daß ein noch so optimales Organisationsmodell der sozialen Sicherung realisiert werden dürfte, wenn die eindeutigen Vorgaben der Verfassung bzw. des einfachgesetzlichen Sozialrechts außer Acht gelassen würden. Zu fragen ist vielmehr auch und vorrangig danach, wie die optimale Organisations struktur unter Einbezug der sozial(verfassungs-)rechtlichen Zielgesamtheit beschaffen ist. Rechtliche Vorgaben für Strukturreformen im Bereich der Sozialleistungsverwaltung bzw. der sozialen Sicherung insgesamt sind deshalb stets Integrationsmerkmale 37 • 111. Das Organisationsproblem als Werteentscheidung

Der "Integrationsgedanke" stellt auf diese Weise eines der tragfähigen Fundamente für die Entwicklung jenes Musters zur Verfügung, von dem bereits im Zusammenhang des institutionellen und prozeduralen Kontextes für die Steuerung einer qualitativen Landessozialpolitik die Rede war. Er setzt konkretisierte Strukturdirektiven für die künftig zu gestaltende Sozialverwaltung des Landes NordrheinWestfalen frei, die an die oben herausgearbeiteten Kriterien verwaltungsförmiger Steuerungsverantwortung anknüpfen und dabei diese als "Integrationswerte" gewichten.

37

Ebenso Seewald, Maßstäbe für Strukturrefonnen, S. 47 ff.

8 Speyer 123

114

2. Teil, 7. Kap.: Einrichtung einer "Fachverwaltung für Soziales"

7. Kapitel

Einrichtung einer "Fachverwaltung für Soziales" (Landesamt für Soziales) A. Der "Integrationswert" einer gebündelten Landessozialverwaltung I. Anwendung der verwaltungswissenschaftlichen Maßstäbe und RationaUtätskriterien

Folgt man den herausgearbeiteten verwaltungswissenschaftlichen Maßstäben und Strukturdirektiven insgesamt, so ergibt sich einerseits, daß Sozialleistungshandeln prinzipiell in einer Fachverwaltung zusammenzuführen ist. Die "fachlich-zentralisierte" Struktur räumt nämlich der qualitativen Sozialpolitik erst den Stellenwert ein, den andere Politikfelder in der Landespolitik - vermittelt durch ihre eigenen Verwaltungen - seit jeher innehaben. Dabei versteht sich, daß angewandte Sozialpolitik für eine soziale Fachverwaltung ein Grundmaß an "Verwaltungsautonomie" voraussetzt. Die dezentralisierte Struktur einer Sozialverwaltungspolitik des Landes darf deshalb nicht mit der Wahrnehmungszuständigkeit kommunaler Selbstverwaltungsträger gleichgesetzt werden. Der hohe Legitimationswert der "Bürgerorientierung" ist funktional auch durch eine dekonzentrierte Behördenstruktur zu erzielen, soweit unter dem Dach der effektiven Aufgabenerfüllung gesellschaftliche Selbstregulierung gesichert bleibt und eine dezentrale politische Legitimation, etwa in Gestalt von Beiräten, gewährleistet wird I. Demgemäß bestehen erhebliche Bedenken, die soziale Fachverwaltung des Landes auf der Ebene der Kommunen einzurichten. Einerseits würde wegen der üblicherweise hohen Antrags- und Bearbeitungszahlen ein qualitativ-funktionaler Gesetzesvollzug nicht mehr gewährleistet sein. Auf der anderen Seite gefährdete die weitere Zuweisung staatlicher Aufgaben die kommunale Sozialverwaltung in deren Kern; sie würde den Eigenwert und die Eigenständigkeit kommunaler Sozialpolitik durch die Übertragung weiterer staatlicher Aufgaben überanstrengen und überregulieren. Aber auch die Anbindung der Landessozialverwaltung an die Landschaftsverbände und die auf diese Weise bewirkte fachlich-administrative Dezentralisierung der Wahrnehmung sozialpolitischer Aufgaben durch die Sozialverwaltung würde nicht den Geboten einer "funktionalen Verwaltungsorganisation" entsprechen. Diese sieht trotz dezentraler Verantwortungsstrukturen - wodurch die Notwendigkeit auftritt, auf der Ministerialebene, anders als bisher, nur eine "aus1 Dazu am Beispiel großstädtischer Aufgabenerfüllung u. a. Schuppert, Organisation, S. 123 ff., 128 ff.

A. Der ,Jntegrationswert" einer gebündelten Landessozialverwaltung

115

gedünnte" Verwaltungszuständigkeit zu verankern - vor, die "Einheit der Sozialverwaltung" bei grundsätzlicher Stärkung der Bürgerorientierung als einem sehr hohen Integrationswert zu erhalten.

11. Konsequenzen für die Landesverwaltung in Nordrhein-Westfalen

Die Errichtung einer Fachverwaltung auf dem Gebiet der Landessozialpolitik, ihre Ausgestaltung als Landesamt und dessen Verortung auf der mittleren Ebene der Landesverwaltung bilden die grundlegende Konsequenz dessen. Die dieser Organisationsempfehlung zugrunde liegenden "Integrationswertungen" haben grundlegenden Einfluß auf die zukünftige Gestalt der Landes- und Kommunalverwaltung in Nordrhein-Westfalen sowie auf alle mit der Umsetzung und Gestaltung von Sozialpolitik und Sozialrecht in diesem Bundesland befaßten Verwaltungseinheiten. Dies gilt zunächst und einerseits, wie schon hervorgehoben, für die bisherige Ministerialebene der Sozial-, Gesundheits- und Jugendpolitik. Aufgegeben ist nach der Strukturreform der Sozialverwaltungspolitik durch Einrichtung einer Landesoberbehörde ("Landesamt") einerseits die "Verschlankung" der Ministerialebene, andererseits ein Reformbedarf für die Landschaftsverbände. Des weiteren wird im Sinne einer funktionalen "Entschlackung" der Landesverwaltung eine Gemengelage von Behörden auf der Mittelebene zukünftig fragwürdig. Das Ziel einer Bündelung der bestehenden Behörden der Sozialverwaltung, wie es die Anwendung der verwaltungswissenschaftlichen Maßstäbe und Rationalisierungskriterien für eine Strukturreform vorgibt, ließe sich auf andere Weise als durch die vorgeschlagene Errichtung eines Landesamtes nur durch die Konzentration der gesamten Behördenorganisation in diesem Bereich auf der Ebene der Ministerialverwaltung erreichen. Dies hätte jedoch einen gravierenden Widerspruch zu den erörterten funktionalen Maßgaben des modernen Verwaltungsmanagements zur Folge. Der Regierungsebene würden in umfangreichem Maße Aufgaben zugewiesen werden müssen, die im Gegensatz zu jenen Maßgaben eine umfangreiche personelle, strukturelle sowie funktionale Ausgestaltung der Ministerien erfordern würde. Zudem ließe sich durch eine solche Hochzonung spezifischer Verwaltungstätigkeiten in der Sozialpolitik auf die Regierungsebene die Gefahr einer kopflastigen Sozialadministration nicht vermeiden. Abgesehen davon wiese die Verortung auf der obersten Verwaltungsebene des Landes eine unüberwindbare Distanz zur Vollzugsebene auf, die eine qualitative sozialpolitische Steuerung erschweren würde. Bei den Vollzugsbehörden sähe sich die Tendenz zur Abkoppelung und Verselbständigung von der Ministerialbürokratie noch gefördert. Zu den andererseits bestehenden Problemen einer vollständigen Verlagung der Landessozialpolitik auf die kommunale Ebene ist bereits argumentiert worden. S*

116

2. Teil, 7. Kap.: Einrichtung einer ,,Fachverwaltung für Soziales"

Gegen das hier vorgeschlagene Organisationskonzept der künftigen Landessozialverwaltung Nordrhein-Westfalen ist naturgemäß Widerstand zu erwarten 2 • Er kommt vor allem von denjenigen Stellen und Verwaltungseinheiten, die durch die Umsetzung des Konzepts erhebliche Kompetenz- und Personaleinbußen zu gewärtigen hätten. Dabei handelt es sich vornehmlich und einerseits um die Landschaftsverbände, die einen erheblichen Kompetenzverlust erlitten, sowie und andererseits - weniger gravierend - um die Bezirksregierungen.

B. Struktur- und Funktionsmerkmale des Landesamtes I. Landesoberbehörde mit Steuerungsfunktionen

Unter den genannten Voraussetzungen stellt das künftig zu errichtende Landesamt die institutionelle Umsetzung dessen dar, was verwaltungswissenschaftliche Maßstäbe und Rationalitätskriterien für die Strukturreform nahelegen. Die grundsätzlichen Bedenken, die gegen die Einführung von Sonderverwaltungseinheiten erhoben werden, greifen daher im konkreten Fall nicht durch bzw. sie erscheinen jedenfalls im Vergleich mit den zu erwartenden Vorzügen einer institutionellen Verselbständigung der Landessozialverwaltung als kalkulierbare und beherrschbare Organisationsrisiken. Zunächst erlaubt der dem Landesamt zuzuweisende und auf seiner angestrebten Bündelungsfunktion für die unterschiedlichen Bereiche der Sozialverwaltung beruhende Aufgabenbestand, dieser Behörde sowohl bestimmte sozialpolitische Steuerungsfunktionen zu übertragen als sie auch im übrigen als landesweit zuständige Vollzugs- und gegebenenfalls Widerspruchs- und Aufsichtsbehörde im Verhältnis zu den kommunalen Verwaltungsträgern auszugestalten. Insoweit handelt es sich bei den künftigen Steuerungsfunktionen des Landesamtes einerseits um eine teilautonome Steuerung. Sie ist darauf angelegt, innerhalb der sozialpolitischen Vorgaben von Landesregierung und Fachministerien eine möglichst optimale Umsetzung durch die einzelnen Fachbehörden der Eingangsebene zu gewährleisten. Dies ist etwa bei der Anwendung neuer komplexer Rechtsvorgaben qualitativer Sozialpolitik oder dem integrierten Vollzug auch von Europasozialrecht der Fall. Andererseits könnte das Landesamt als ausdifferenzierte zentrale Steuerungsinstanz eigenverantwortliche Steuerungsfunktionen übernehmen. Dies käme im Bereich der Änderung von Organisationsstrukturen nachgeordneter Verwaltungsträger, des Personaleinsatzes oder der Verwaltungsverfahren in Betracht. Auf diese Weise ließe sich zugleich eine Entlastung der Ministerialverwaltung von Routinetätigkeiten erreichen. Diese könnte sich dann ihren eigentlichen Funktionen der Regierungsunterstützung und des strategischen Controlling zuwenden. 2 Im einzelnen handelt es sich um interessengebundene Konflikte der ,,Modellbewertung"; sehr einleuchtend dazu Ellwein, Gutachten, S. 218 ff., auch S. 187-204.

B. Struktur- und Funktionsmerkmale des Landesamtes

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Mit der Einrichtung eines Landesamtes als Landesoberbehörde und der damit verbundenen Konzentrationswirkung dürfte sich ferner der Kommunikationsfluß zwischen den einzelnen Behörden der Sozialverwaltung des Landes rationalisieren lassen. Amtsintern erschließen sich nämlich - bei parallelem Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnik 3 - stark verkürzte Informationswege. Durch die Einführung eines hochleistungsfähigen und auf die Bedürfnisse der Landessozialverwaltung zugeschnittenen EDV-Systems fiele im übrigen dem Landesamt die Aufgabe der Verwaltung eines Datenpools zu, in dem die zur Einzelfallbearbeitung im Landesamt selbst oder die für dekonzentrierte Verwaltungseinheiten erforderlichen Daten zentral gespeichert, verfügbar gehalten und aktualisiert würden. Auf diese Weise könnte auch die derzeit allfällige Mehrfacherhebung von Stamm- oder Grunddaten der Mehrfach-Leistungsbezieher vermieden werden4 . Überhaupt liegt in der künftigen Verbindung von Landesamt und Client-ServerStrukturen auf dem Gebiet der Informationserhebung und -verarbeitung ein erheblicher komparativer Vorteil der Reorganisation. Für den Bürger und Leistungsempfänger - auf den "Kundenbegriff' soll hier verzichtet werden - entfiele vor allem bei mehrfacher Leistungsberechtigung eine wiederholte Information der verschiedenen Sozialverwaltungsbehörden über die Berechtigungsvoraussetzungen. Gerade der zentrale Datenpool erlaubte es somit der Verwaltung, unterschiedliche soziale Leistungen "aus einer Hand" anzubieten, wie dies eine qualitative Sozialpolitik verlangt. Darüber hinaus könnte der Bürger in den dekonzentrierten Sozialverwaltungseinheiten im Einzelfall besser und schneller beraten werden, weil die dazu erforderlichen Daten dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin vor Ort über ein entsprechendes Datennetzwerk unmittelbar verfügbar wären. Die Einrichtung eines Landesamtes könnte auf diese Weise - und unvergleichbar besser als bei anderen Lösungen - dem Ziel einer bürgerorientierten Verwaltung durch die Nutzung eines amtsinternen Datenverbundsystems ein erhebliches Stück näherkommen 5 . Im übrigen ließen sich über eine integrierte Datenanalyse und -auswertung sehr viel effektiver und effizienter als bisher notwendige Statistiken über Fallzahlen, Arbeitsaufkommen, Personalauslastung und -bedarf sowie andere für die Wirtschaftlichkeit der Aufbau- und Ablauforganisation wesentliche Parameter erstellen. Es bedarf keiner besonderen Betonung, daß schließlich auch die Wirtschaftlichkeitssteuerung in der Krankenversicherung und Arbeitsförderung aus der entsprechenden Einbeziehung solcher Basisdaten-Fachsysteme Vorteile ziehen könnte. 3 Zu den Anforderungen an eine ,,reformgerechte" Informationstechnik unter Einbezug eines entsprechenden Führungsinformationssystems vgl. Ehlers, Verwaltungsreform "ante portas". Informationstechnische Fundamente für einen Verwaltungsneubau, VM 1996, 182 ff. 4 Die damit verbundenen Probleme erörtert Klewitz-Hommelsen, Ganzheitliche Datenverarbeitung, passim; siehe ferner PitschaslWedler, Dezentrale IuK-Technik und ,,reflexives" Informationsverwaltungsrecht (Speyerer Forschungsberichte 162), Speyer 1997. 5 Den dabei auftretenden Konflikt mit dem Datenschutzrecht behandeln Scholzl Pitschas, AöR llD (1985), S. 489ff.

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2. Teil, 7. Kap.: Einrichtung einer ,.Fachverwaltung für Soziales"

11. Aufgabenzuschnitt und Behördenstruktur

1. Sektoraler und regionaler Zuschnitt

Vor diesem Hintergrund ist das Landesamt als eine Landesoberbehörde einzurichten. Diese Behörde nimmt zugleich die Dienst- und Fachaufsicht über die bisher im Land Nordrhein-Westfalen bestehenden Sozial-Sonderverwaltungen wahr. Darüber hinaus führt sie die dort entstandenen Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren durch. Im einzelnen ist dieser Aufgabenzuschnitt fachlich-sektoral durch die Einrichtung einzelner Fachabteilungen widerzuspiegeln. Im übrigen ist eine Zentral- bzw. Stabsabteilung für alle fachabteilungsübergreifenden Aufgaben (Organisation, Personal, Haushalt) vorzusehen. Inhaltlich sind die Aufgaben des Landesamtes in den Bereichen mit nachgeordneten Behörden im wesentlichen auf Koordinierungs- und Grundsatzfragen zu beschränken. Allerdings werden auch zahlreiche Aufgaben durch das Landesamt originär erfüllt. Hierfür sind Kapazitäten zur Bearbeitung der Einzelfälle vorzuhalten. Dies gilt auch und im großem Maße für die EDV-Serviceorganisation. Der fachliche-sektorale Zuschnitt des künftigen Landesamtes benötigt allerdings im Hinblick auf die Integrationsforderungen der Bürgerorientierung und Verfahrenslegitimation im Zusammenhang der Aufgabenerfüllung eine Ergänzung. Wesentliche Aufgaben sind in der ,,Nähe" zu dem um Leistungsgewährung nachsuchenden Bürger zu erfüllen. Hierzu bedarf es eines regionalen und lokalen Zuschnitts der Aufgabenwahrnehmung. Es liegt nahe, hierzu auf den Bestand der gegenwärtigen Landesversorgungsverwaltung zurückzugreifen. So könnten die Aufgaben eines Landessozial- und eines Landesversorgungsamtes in der dem künftigen Landesamt einzufügenden Abteilung "Versorgung und Soziales" zusammengefaßt werden. Die Vollzugsaufgaben ließen sich dann durch dekonzentrierte Verwaltungseinheiten in Gestalt der Versorgungsämter wahrnehmen. Der Gedanke der Dekonzentration gilt auch für die nach dem Schwerbehindertengesetz zu errichtende Hauptfürsorgestelle. Aus diesem Bereich sind die Aufgaben, die eine größere Ortsnähe erfordern - wie z. B. die Durchführung von Einigungsverhandlungen vor Ort und Kündigungsschutzverfahren - in die Zweigstellen der Hauptfürsorgestelle zu verlagern, die ihrerseits in die Versorgungsämter künftig zu integrieren wären. Im neu zu errichtenden Landesamt sind schließlich auch die Zuständigkeiten für das Widerspruchsverfahren anzusiedeln, da die entsprechenden Prozeßordnungen (Verwaltungsgerichtsordnung, Sozialgerichtsgesetz) eine entsprechende Organisation erfordern. Auch die Vertretung in Gerichtsverfahren vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten sollte wegen der Schwierigkeit der Materien, und weil es in diesem Verfahren häufig um Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung geht, dem Landesamt vorbehalten bleiben.

B. Struktur- und Funktionsmerkmale des Landesamtes

119

2. Privatisierungspotentiale

Allerdings ist der aktuelle Bestand der vom Land zu erbringenden Sozialleistungen zunächst daraufhin zu überprüfen, welche Leistungsangebote von Versorgungs- und Betreuungseinrichtungen sinnvoll auf private Anbieter bei der Wahl einer Landesamts-Lösung zu übertragen wären. Zu beachten sind indessen grundsätzliche Voraussetzungen hierfür, daß nämlich - die Qualität der Leistung des privaten Anbieters zum einen den gesetzlichen Qualitätsanforderungen genügt und zum anderen mindestens dem bisherigen Leistungsstandard entspricht; - ein permanentes (konjunkturunabhängiges) und flächendeckendes Leistungsangebot vom privaten Anbieter gewährleistet werden kann; - die Preisgestaltung und -entwicklung nicht höher ist als bei staatlicher Leistungserbringung. Zur dauerhaften Überprüfung, ob diese Kautelen eingehalten werden, und um Mißbrauchs möglichkeiten vorzubeugen, sind geeigente Gremien und Verfahren bei dem einzurichtenden Landesamt anzusiedeln. In der Frage der Privatisierung selbst bleibt zu berücksichtigen, daß auch Kooperationsmöglichkeiten zwischen privaten Anbietern und staatlicher Verwaltung zu nutzen sind, die noch vor der vollständigen Auslagerung einer Aufgabe in die Verantwortung privater Anbieter liegen ("Public-Private-Partnership,,)6. Soweit die einzubeziehenden Einrichtungen der Versorgungsverwaltung eine in sich abgeschlossene Einheit darstellen, die mit der unmittelbaren Leistungserbringung befaßt ist - wie z. B. Rehabilitationszentren oder Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen -, wäre zu prüfen, ob nicht schon das Betreiben der Einrichtung als privatwirtschaftliches Unternehmen durch das Land in gesellschaftsrechtlichen Formen zu einer Reduzierung von Verwaltungsaufwand und Kosten führen könnte. Entsprechende staatliche Aufsichts- und Überwachungspflichten des Landes wären wiederum vom Landesamt wahrzunehmen. Insgesamt liegen auf dem Gebiet der Landessozialverwaltung beträchtliche Privatisierungspotentiale brach. Bei deren Ausschöpfung sollte vor allem versucht werden, personalintensive Bereiche aus der staatlichen Verwaltung auszugliedern und privaten Anbietern zu übertragen. Entsprechende Erfahrungen mit der dualen Struktur der Pflegeversicherung (Medizinischer Dienst der Krankenkassen vs. Freie WohlfahrtsverbäDde und private Pflegeeinrichtungen) sind zu nutzen. Überhaupt könnten Serviceaufgaben bei entsprechender Ausgestaltung einen interessanten Dienstleistungsmarkt für private Anbieter konstituieren. Privatisierungsmöglichkeiten bieten sich ferner bei der Durchführung standardisierter Verwaltungsverfahren, die zu ihrer Vorhaltung teures weil hochqualifiziertes 6 Dazu näher Tettinger, Die rechtliche Ausgestaltung von Public Private Partnership, DÖV 1996, 746ff.

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2. Teil, 7. Kap.: Einrichtung einer "Fachverwaltung für Soziales"

Personal erfordern. Dies betrifft vor allem medizinische Statusfeststellungen bei Schwerbehinderten und Schwerstpflegebedürftigen. Sie könnten weitaus stärker 'als bisher - und ebenso andere medizinische Routineuntersuchungen bei Einstellung in den öffentlichen Dienst oder zur Feststellung der Dienstfähigkeit, wie sie bisher von den Gesundheitsämtern vorgenommen werden - niedergelassenen Ärzten übertragen werden. Gerade letzteres würde neben der damit einhergehenden finanziellen Entlastung zugleich zu einer bürgerorientierteren Verwaltungspraxis führen: Der Bürger könnte seinen ihm vertrauten Arzt aufsuchen. Freilich kann eine möglichst weitgehende Privatisierung nicht das ausschließliche oder primäre Ziel einer Strukturreform der Landessozialpolitik sein. Wie dargelegt, gilt es stets, die verwaltungswissenschaftlichen Maßstäbe und Rationalisierungskriterien in ihrem Zusammenklang zu würdigen. Auch können bestimmte Leistungen nachweisbar besser von staatlichen Stellen erbracht werden. Dies zei.gen die Erfahrungen und Ergebnisse der Überprüfung orthopädischer Versorgung. Hier vermag der zuständige Bereich IV der Versorgungsverwaltung eine bessere Betreuung und gleichzeitig kostengünstigere Beratung durch Verwaltungsmitarbeiter zu gewährleisten als vergleichbare Einheiten der Krankel'lkassen. Denn die Mitarbeiter des Bereichs IV verfügen über beachtliche Fachkenntnisse, die durch ein hohes Maß an tradiertem Erfahrungswissen ergänzt werden, das nur in dieser Fachverwaltung vorzufinden ist 3. Integration bisheriger Sozialbehörden

Die bislang in Gestalt von Sonderverwaltungen zur Implementation der (Landes-)Sozialpolitik bestehenden Sonderverwaltungen sind in das Landesamt zu integrieren. Dabei ist unter dem Aspekt möglicher Personaleinsparung an die Errichtung sogenannter Querschnittsreferate bzw. von Einheiten der Projektorganisation zu denken? Die Bildung der erstgenannten bietet sich in Bereichen gleichartiger Verwaltungsaufgaben an. So könnte z. B. die Feststellung des Status oder der Leistungsberechtigung von Antragstellern - soweit diese Tätigkeiten nicht privaten Anbietern übertragen werden - unabhängig von ihrer fach- und gesetzesspezifischen Eingebundenheit einem speziellen Referat zugewiesen werden. Dies erlaubte zugleich ein flexibleres Personalmanagement innerhalb dieser Verwaltungseinheit. Neben der Bildung von Verwaltungseinheiten mit Querschnittsfunktionen, deren Tätigkeitsfeld sich über die Gleichartigkeit der Aufgaben definieren müßte, sollten ferner gesonderte Arbeitbereiche mit thematisch hoher Affinität und einem hohen Grad an Identität der Berechtigten gebildet werden. So bietet es sich an, in einem künftigen Landesamt die Bearbeitung von Familienlastenausgleichsanträgen organisatorisch zusammenzufassen. Insoweit käme der Steuerungsfunktion des Landesamtes zugunsten einer widerspruchsfreien, transparenten, einheitlichen und damit 7

Reuß, VOP 1992, 94ff.

B. Struktur- und Funktionsmerkmale des Landesamtes

121

bürgerorientierten Koordination der Ablaufvorgänge bei der Leistungsgewährung eine herausragende Bedeutung zu. In den Politikfeldern, die über den konkreten Gesetzesvollzug hinaus einen größeren Gestaltungsspielraum gewähren - wie z. B. die Senioren-, Jugend-, Familien-, Behinderten- und Migrations- bzw. Integrationspolitik -, kann die Aufgabe des Landesamtes zum einen in der Rolle des Mittlers zwischen den Vorgaben der Landessozialpolitik und den auf kommunaler Ebene handelnden Akteuren bzw. Einrichtungen bestehen. Dabei gilt es jedoch, die auf diesen Gebieten bestehenden Initiativen und Handlungspotentiale kommunaler Sozialpolitik nicht durch dirigistische Vorgaben zu ersticken. Insofern hätte das Landesamt die Funktion eines Partners bei der Gestaltung und Stärkung kommunaler Initiativen zu übernehmen. So könnte z. B. eine entsprechende Informationsversorgung für die kommunale Sozialentwicklung bereitgestellt werden; gleichfalls ließe sich ein Netzwerk aufbauen, mit dessen Hilfe die langfristige Planung der Querschnittsaufgabe ,,kommunale Sozialpolitik" erleichtert und verbessert werden könnte. Im übrigen fällt dem Landesamt in diesem Sektor die Aufgabe zu, dafür Sorge zu tragen, daß es trotz stark divergierender Interessen zu einem sozialverträglichen Ausgleich der Interessendurchsetzung kommt. Dies gilt insbesondere für die Verknüpfung der Kinderund Jugendhilfe- und Familienpolitik mit der Seniorenpolitik. Hier stehen sich die mittel- und langfristig steigende Zahl von Senioren, die einen wachsenden Anteil an Ressourcen bindet, und die rechtlichen bzw. politischen Intentionen der Kinderund Jugendhilfe - z. B. in bezug auf die Einrichtung von Kinder-Tagesstättenplätzen - konfliktträchtig gegenüber. Eine Lösung dieser Konflikte ließe sich u. a. durch eine entsprechend finanziell untersetzte Programmsteuerung des Landesamtes herbeiführen. Was schließlich die Migrationsströme anbelangt, so könnte das Landesamt eine Unterstützungs- und Koordinationsaufgabe zur Entlastung der vor Ort arbeitenden Verwaltungen übernehmen. Dies gilt insbesondere für die Datenerfassung und -auswertung über ein Datenverbundsystem. Schließlich liegt ein weiterer Bereich, in dem die Vernetzungs- und Bünde1ungsfunktion der Landessozialverwaltung entscheidende Bedeutung gewänne, in der Durchführung arbeitsmarktpolitischer Programme der EU. Europäische Sozialprogramme wie z. B. ,,helios" ließen sich auf diese Art erheblich effektiver umsetzen. Gleiches gälte allgemein für die Umsetzung der europäischen Rechtsvorschriften: Die diesen zuzurechnenden europäischen Verordnungen und Richtlinien sind erfahrungsgemäß komplexer Natur, so daß deren zeitgerechte Umsetzung einen entsprechend qualifizierten Personalstamm erfordert; dieser könnte bei der Landessozialverwaltung eingerichtet werden. Die Sozialverwaltungen auf der Kommunalebene bzw. in den Landschaftsverbänden fänden dann in dem Landesamt einen kompetenten Ansprechpartner für die Implementation des Europäischen Sozial-, Jugendhilfe- und Gesundheitsrechts 8 . 8 Allgemein zu diesen Fragen vgl. Henneke, Zur Einbindung der Kommunalebene in die regionale Politik, in: Benz/König (Hrsg.), Der Aufbau einer Region, 1995, S. 121 ff.

122

2. Teil, 7. Kap.: Einrichtung einer ,.Fachverwakuag für Soziales"

4. Die Landesversorgungsverwaltung als "nucleus"

Wie schon eingangs angedeutet, unterliegt auch die Versorgungsverwaltung nach dem Modernisierungskonzept des Landes Nordrhein-Westfalen einer grundlegenden Strukturreform. Diese umfaßt: die Aufbau- und Ablauforganisation, die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, des Besucherverkehrs und des Einsatzes der Informations- und Kommunikationstechnik. Die Zielsetzungen dieses Prozesses leiten sich aus dem oben erörterten Zielkomplex einer "schlanken" Verwaltung ab. Sie konkretisieren diese Oberziele dadurch, daß als Maßstäbe der Dienstleistungen künftig eine verbesserte Qualität der Gesetzesanwendungen, mehr Bürgerorientiertheit, der Abbau von Hierarchien und die Erhöhung der Effizienz des Verwaltungshandelns angestrebt werden. Eben diese (verwaltungswissenschaftlichen) Maßstäbe ünd Rationalisierungskriterien liegen aber auch der allgemeinen Strukturreform der Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen zugrunde. Es liegt deshalb nahe, die bestehende Versorgungsverwaltung zum Kern eines neu zu schaffenden Landesamtes zu wählen. Mit der Integration der Versorgungsbehörden darin könn~ zum einen auf der organisatorischen Seite eine Bündelung erreicht werden, zum anderen ließe sich schon jetzt die Basis für eine dezentrale und dekonzentrierte Sozialpolitik "aus einer Hand" legen9 . Dies wäre auch deshalb sinnvoll, weil die jetzige Bezeichnung "Versorgungsverwaltung" nicht den eigentlichen Charakter der unter diesem Begriff zusammengefaßten Verwaltungstätigkeiten wiedergibt. Die Versorgung umfaßt nämlich nur noch 20 Prozent der Tätigkeiten der Versorgungsämter.

9 Aus eben diesen Gründen hat z. B. auch das Bundesland Sachsen-Anhalt schon frühzeitig ein ,,Landesamt für Versorgwtg und Soziales" eingerichtet, vgl. den Besehl. der LReg. v. 14. 1. 1991 (MBl. 1991, S. 7) und den Erricht\lngseriaB v. 11. 6. 1991 (MBL. 1991, S. 341).

DRITTER TEIL

Zusammenfassung/Thesen I. Verfassungsrechtliche und sozialrechtliche Grundlagen 1. Angesichts der vom Grundgesetz, wenn auch in Form von Einzelzuweisungen, dem Bund fast vollständig überlassenen Gesetzgebungsmaterie Sozialrecht (Recht der sozialen Sicherheit) kann der Landesgesetzgeber nur tätig werden, wenn der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht nicht oder nur lückenhaft Gebrauch macht, wenn er Bundesgesetzen lediglich subsidiäre Kraft beilegt oder die Länder ausdrücklich zur Gesetzgebung ermächtigt. Letztlich verbleiben dem Landes gesetzgeber nur sozialrechtliche Nischen z. B. hinsichtlich der Schaffung von Versorgungseinrichtungen für Freie Berufe, des Erlasses von Landesblindengeldregelungen, von Förderungen des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses oder der Gewährung höherer Grundbeträge bei der Einkommensgrenze nach dem Sozialhilferecht.

Jede Konzeption für eine Neuordnung der Sozialverwaltung muß ungeachtet der Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Bundesgesetzgebung vom bestehenden Bundesrecht ausgehen und kann Reformvorstellungen nur innerhalb des bundesgesetzlieh gezogenen Rahmens verwirklichen (S. 1-20). 2. Die Befugnisse des Landes für eine Neuordnung der Sozialverwaltung sind dagegen auf dem Gebiete der Verwaltungsorganisation und des Verwaltungsverfahrens erheblich größer als auf dem Gebiete der Sozialgesetzgebung. Allerdings variieren die Landeskompetenzen entsprechend der Detailliertheit bundesrechtlicher Vorgaben, so daß sich eine Abstufung zwischen unzugänglichen Bereichen und Gebieten mit weitgehender Gestaltungsfreiheit des Landes ergibt. Grundsätzlich unzugänglich für eine Landessozialverwaltung sind Bereiche, in denen der Bund seine Gesetze in bundesunmittelbarer Verwaltung (z. B. Bundeskindergeldgesetz) oder bundesmittelbarer Verwaltung durch überregionale Sozialversicherungsträger (Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung der Angestellten, Teile der Rentenversicherung der Arbeiter, der Krankenversicherung und der Unfallversicherung) ausführt. Insoweit ist den Ländern nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Kontrolle verwehrt. Demgegenüber haben die Länder geringe Verwaltungskompetenzen beim Gesetzesvollzug durch regionale und begrenzt überregionale Sozialversicherungsträger. Insoweit steht den Ländern die Aufsicht über die landesunmittelbaren Versiche-

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3. Teil: Zusammenfassungffhesen

rungsträger zu, die allerdings grundsätzlich nur Rechtsaufsicht und lediglich im Unfallversicherungsrecht in geringem Maße auch Zweckmäßigkeitsaufsicht ist. Die Landesregierung kann durch Rechtsverordnung bestimmen, wo die Versicherungsämter und das Landesversicherungsamt eingeri~htet werden (S. 21-35). 3. Beim Landesvollzug von Bundesgesetzen im Bundesauftrag haben die Länder im allgemeinen nur geringe Kompetenzen, da dem Bund nicht nur die Gesetzmäßigkeits-, sondern auch die Zweckmäßigkeitskontrolle zusteht und er darüber hinaus durch Gesetz Vorschriften über die Einrichtung von Behörden und allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen kann. Gemäß unterschiedlicher Vorgaben des Bundesrechts ist die Gestaltungsfreiheit der Länder bei den einzelnen Sozialgesetzen unterschiedlich. Während sie beim Vollzug des Unterhaltsvorschußgesetzes freie Hand haben, schreibt das Bundesausbildungsförderungsgesetz die Errichtung von Ämtern für Ausbildungsförderung für jeden Kreis, jede kreisfreie Stadt sowie bei den Hochschulen oder bei den Studentenwerken sowie der Landesämter für Ausbildungsförderung vor. Geringe Gestaltungsfreiheit besitzen die Länder auch bei der Verbundverwaltung gemäß Art. 120 a GG, da hier eine Kombination von bundeseigener Verwaltung und Bundesauftragsverwaltung vorliegt und bereits von Verfassungs wegen die Errichtung des Bundesausgleichsamts und von Landesausgleichsämtern vorgesehen ist (S. 35-39). 4. Eine weitergehende Gestaltungsfreiheit genießen die Länder beim Landesvollzug von Bundesgesetzen unter Bundesaufsicht. Grundsätzlich steht ihnen hierbei auch die Organisationsgewalt zu, und beschränkt sich die Bundesaufsicht auf eine Rechtsaufsicht. Allerdings kann der Bund auch bei der Landeseigenverwaltung durch zustimmungsbedürftige Bundesgesetze die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln, wovon er mehrfach Gebrauch gemacht und damit die Landesverwaltungskompetenz eingeengt hat. Vielfach beschränkt sich der Bund darauf, den Ländern nur die Einrichtung bestimmter Behörden, z. B. von FürsorgesteIlen und HauptfürsorgesteIlen im Schwerbehindertenrecht vorzuschreiben, ihnen aber die verwaltungsorganisatorische Verortung und die Aufgabenverteilung zu überlassen. Im Bereich des Sozialhilferechts hat der Bund zwar selbst die kreisfreien Städte und Landkreise als örtliche Träger bestimmt, war jedoch verfassungsrechtlich gehindert, dies als Selbstverwaltungsaufgabe zu deklarieren. Für die Versorgungsverwaltung hat der Bund dagegen eine zwei stufige besondere Verwaltung (Versorgungsämter, Landesversorgungsämter) zwingend angeordnet, so daß die Länder (mit Ausnahme der neuen Länder nach Maßgabe des Einigungsvertrags) gehindert sind, die Versorgungsverwaltung in die allgemeine Verwaltung einzugliedern. Das Verwaltungsverfahrensrecht ist außerordentlich unübersichtlich geregelt. Neben dem (allgemeinen) Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes bestehen (allgemeine) Landes-Verwaltungsverfahrensgesetze. Für die Verwaltungstätigkeit

3. Teil: ZusammenfasssunglThesen

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nach dem Sozialgesetzbuch gilt das Verwaltungsverfahrensrecht des Zehnten Buchs zuzüglich verfahrensrechtlicher Spezialvorschriften in einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuchs, wozu auch das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung zählt. Unbeschadet dessen sind verfahrensrechtliche Sonderregelungen in einzelnen Bereichen, die nicht Besondere Teile des Sozialgesetzbuchs wurden, erhalten geblieben (S. 39-51). 5. Einer "Mischverwaltung" als "administrativer Verbindung von Bund und Ländern" sind verfassungsrechtliche Grenzen gezogen, weil die grundgesetzliche Verwaltungsordnung nicht abdingbar ist und Bund sowie Länder über die ihnen zugewiesenen Kompetenzen auch einvernehmlich nicht verfügen dürfen. Ein Zusammenwirken von Bund und Ländern in der Form von Konsultation, Koordination oder Kooperation ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich und bedarf auch keiner grundgesetzlichen Ermächtigung. Eine Kooperation empfiehlt sich insbesondere zwischen der Sozialverwaltung des Landes und Sozialversicherungsträgern im Interesse der Kostenminimierung und der Vermeidung von Parallelarbeit (S. 51-58).

6. Für eine Neuorganisation der Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen ziehen Grundgesetz und Landesverfassung einerseits formale und materiale Grenzen, lassen sich andererseits aus Verfassungsprinzipien aber auch positive Vorgaben entnehmen. Zunächst verpflichtet der Gleichheitssatz des Grundgesetzes das Land nur, Gleichheit innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs zu wahren, hindert es aber nicht, von Verwaltungs strukturen in anderen Ländern abzuweichen, zumal das Grundgesetz keine Pflicht zur Herstellung "gleichwertiger" oder "einheitlicher" Lebensverhältnisse kennt (S. 69-73). 7. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Bundesverfassungsund Landesverfassungsrecht schützt einerseits einen unantastbaren Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts vor gesetzlichen Eingriffen, hindert andererseits den Gesetzgeber aber auch daran, die Gemeinden mit Auftragsverwaltung (Pflichtaufgaben nach Weisung) so zu überlasten, daß die Selbstverwaltungsaufgaben zum Nebenzweck herabsinken. Auftragsverwaltung bzw. die Übertragung von Pflichtaufgaben nach Weisung dürfen nicht in ein Mißverhältnis zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten mit der Folge geraten, daß die kommunale Selbstverwaltung behindert oder ausgehöhlt wird (S. 73-85). 8. Trotz der Weite und Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips und der daraus resultierenden Gestaltungsfreiheit der Legislative lassen sich aus ihm Grundsätze ableiten. Sozialstaatliche Betreuung bedeutet zweckmäßige Fürsorge durch die Verwaltungsbehörden, die eine "Bürgerorientierung" der Verwaltungsbehörden und geschultes Verwaltungspersonal bedingt, das für die Versorgungsverwaltung im übrigen bundesrechtlich vorgeschrieben ist (S. 85-87). 9. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet rechtsstaatlichen Gesetzesvollzug und rechtsstaatliche Effektivität, woraus sich das Postulat eines optimalen Gesetzesvollzugs mit Hilfe eines geeigneten und bewährten Personals ergibt. Dabei setzt

126

3. Teil: ZusammenfassungfThesen

die Eignung eine gewisse Erfahrungs- und Bearbeitungsintensität voraus (S. 8791). 10. Wegen der vom Grundgesetz und der Landesverfassung gebotenen Wirtschaftlichkeit müssen organisatorische Umstrukturierungsmaßnahmen die daraus resultierenden Sach- und Personalkosten beachten, wobei ein schonender Ausgleich mit anderen Verfassungsprinzipien zu erstreben ist (S. 92-100).

11. VerwaltungswissenschaftIiche Grundlegung

11. Der qualitative Steuerungsauftrag staatlicher Sozialpolitik ist ohne eine entsprechende Gestaltung der Landessozialverwaltung nicht wahrzunehmen. Sozialverwaltungspolitik wird dadurch zu einem wichtigen Bestandteil der Landessozialpolitik. Für deren Umsetzung werden die Strukturdirektiven verwaltungsförmiger Steuerungsverantwortung für qualitative Sozialpolitik unverzichtbar. 12. Sozialverwaltungspolitik in diesem Sinne verlangt die Zusammenführung des Sozialleistungshandeln in einer einheitlichen Verwaltung. Darin liegt ein Wert an sich. Ihn zu verwirklichen und eine Fachverwaltung für Soziales einzurichten bedeutet, der qualitativen Sozialpolitik denjenigen Stellenwert einzuräumen, den andere Politikfelder des Landes mit den ihnen zugehörigen Verwaltungen seit jeher innehaben. 13. Die einheitliche soziale Fachverwaltung des Landes bündelt die Wahrnehmung der verstreuten Sozialaufgaben. Sie führt zu einem einheitlichen landesweiten Sozialleistungsgefüge unter Aufhebung bestehender Sonderverwaltungen. Fachlich-räumlich ist ihr Bezugsfeld zukünftig die "Region". 14. Die Einrichtung einer einheitlichen Landessozialverwaltung als Bestandteil der allgemeinen inneren Verwaltung ist demgegenüber abzulehnen. Schon von ihrer Größenordnung her würde eine solche Fachverwaltung "Soziales" im Gefüge der allgemeinen inneren Verwaltung einen Fremdkörper bzw. eine nichtintegrierbare Abteilung der allgemeinen inneren Verwaltung darstellen. 15. Auch die Kommunen sind nicht dazu in der Lage, den Zusammenhang einer einheitlichen Sozialverwaltung des Landes herzustellen. Die Übertragung sämtlicher staatlicher Sozialaufgaben würde einerseits die kommunale Selbstverwaltung gefährden und verfassungswidrig sein, andererseits einen qualifizierten Gesetzesvollzug nicht mehr gewährleisten. 16. Auch die Anbindung der Landessozialverwaltung an die Landschaftsverbände scheidet aus. Sie entspricht nicht den Anforderungen an eine fachlich-zentralisierte Struktur mit dekonzentrierten Verwaltungseinheiten. 17. Die abgewogene Würdigung der Ziele und Maßstäbe einer Strukturreform der Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen läßt dagegen als Lösung der Wahl die Einrichtung eines ,,Landesamtes" ansehen. Das Landesamt faßt die bisher in

3. Teil: Zusammeftfasssutlg/Thesen

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Gestalt von Sonderverwaltungen bestehenden Leistungserbringer zusammen. Es gewährleistet dadurch eine Sozialverwaltung "aus einer Hand". Hierzu verfügt das Landesamt über ebenso dezentralisierte wie dekonzentrierte Strukturen. Diese werden durch die Integration der Versorgungsverwaltung ermöglicht. Im übrigen führen einheitliche Personalarbeit, EDV-Ausstattung sowie neue Formen von Aufbauund Ablauforganisation, flache Hierarchien mit dezentraler Verantwortung, neue Führungsstrukturen und einheitliche Führungsleitlinien zu einer qualitativ hochwertigen, bürgerorientierten Leistungsverwaltung. Unverzichtbare Elemente sind in ihr eine Kooperation mit dem sog. Dritten Sektor und privaten Leistungsanbietern. In das Verwaltungshandeln des Landesamtes werden nutzerbestimmte Beiräte eingeschaltet. 18. Die Restrukturierung der bisherigen behördlichen Sozialverwaltung in Nordrhein-Westfalen sollte ihren Ausgangspunkt im Rahmen der Neugestaltung der Versorgungsverwaltung nehmen. 19. Wenn auch die Versorgungsverwaltung den ,,nudeus" einer einheitlichen Landessozialverwaltung bilden sollte, so ist doch zwischenzeitlich eine andere Bezeichnung unumgänglich. Denn die jetzige Wortwahl gibt nicht den wahren Charakter der Amtstätigkeit wieder; die Versorgung umfaßt nur noch lediglich 20 Prozent der Tätigkeiten der Versorgungsämter. 20. Als Institutionalisierung eigener Art trägt die einheitliche Landessozialverwaltung zukünftig zur identitätsbildenden Wirkung der qualitativen Sozialpolitik des Landes bei. Sie verkörpert darüber hinaus einen neuen Typus "Verwaltung" in einer sich wandelnden offenen Gesellschaft; in dieser ist die Landessozialverwaltung umfassend sozial kompetent, partnerorientiert und in der Lage, materielle Sozialpolitik flexibel und bürgerorientiert durchzuführen. 21. Ihr Aufbau sollte sich im Zusammenhang mit einer empirischen Überprüfung gegenwärtiger Gesetzesvollzüge (z. B. BEG, UVG, BKGG) in einem zeitlich und personell überschaubaren Rahmen vollziehen.

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