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German Pages 298 Year 2008
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 265
Soziale Sicherung von Strafgefangenen Von Katrin Schirmer
Duncker & Humblot · Berlin
KATRIN SCHIRMER
Soziale Sicherung von Strafgefangenen
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 265
Soziale Sicherung von Strafgefangenen
Von
Katrin Schirmer
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat diese Arbeit im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-12545-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation angenommen. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Eberhard Eichenhofer, gilt mein ganz besonderer Dank für seine fachliche und persönliche Betreuung. Er hat die Arbeit mit großem Interesse verfolgt, durch zahlreiche Anregungen, aber auch wertvolle Kritik stets gefördert und mich jederzeit unterstützt. Herrn Prof. Dr. Günther Kräupl danke ich für die Bereitschaft zur Übernahme und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Hansgeorg Frohn, der mich nicht nur zum Promovieren ermutigte, sondern währenddessen mit Rat und Tat zur Seite stand. Besonders herzlich danke ich Drea Berg und Juliane Henning für ihre treue Freundschaft, die vielfältige Unterstützung und dafür, dass sie mich während des Schreibens ertragen und immer an mich geglaubt haben. Den „Bielefeldern“ danke ich für den kreativen Austausch über diese Arbeit während unserer gemeinsamen Zeit an der dortigen Universität und allen fleißigen Korrekturlesern für ihre Mühe. Meinen Eltern gebührt mein herzlichster Dank. Sie haben mir meinen beruflichen Weg ermöglicht und mich immer unterstützt. Ihnen widme ich dieses Buch. Berlin, im Dezember 2007
Katrin Schirmer
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Gegenstand und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Untersuchungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Anmerkung zur beschlossenen Föderalismusreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erster Teil Der sozialrechtliche Status des Strafgefangenen in geschichtlicher Sicht A. Der Rechtszustand vor In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes. . . . . . . . . . . I. Die soziale Sicherung der Gefangenen seit Entstehung der Sozialversicherung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungen des Gesetzes betreffend die Unfallfürsorge für Gefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kaiserzeit und Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bundesrepublik bis zum Erlass des Strafvollzugsgesetzes . . . . . . . 3. Arbeitslosenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reformbestrebungen im Rahmen der Vorarbeiten zum Strafvollzugsgesetz seit Ende der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen im Überblick . . . . . . . . . . 1. Die Kranken- und Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungen aus der Unfallversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einbeziehung in die Arbeitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung des § 195 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leistungen der Arbeitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Arbeitsentgeltregelung des § 43 i. V. m. § 200 StVollzG (a. F.) . . . . .
23 23 23 23 24 26 27 28 32 34 34 35 39 39 39 40 42 42 42 44 46 47
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Inhaltsverzeichnis IV. Zwischenzeitliche Gesetzesinitiativen zur Erhöhung der Arbeitsvergütung und Einbeziehung der Gefangenen in weitere Versicherungszweige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 V. Veränderungen nach der Wiedervereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Zweiter Teil Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen nach geltendem Recht
A. Das Sozialrechtsverhältnis in den Sozialversicherungszweigen: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Arbeit im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gefangenenarbeit und Resozialisierungsgebot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Arbeitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsmäßigkeit der Arbeitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geltung der Grundrechte im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vereinbarkeit der Arbeitspflicht mit Art. 12 GG . . . . . . . . . . . . (1) Verbot von Arbeitszwang und Zwangsarbeit . . . . . . . . . . . . (2) Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 3. Arten der Gefangenenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschäftigung im „Eigenbetrieb“ der Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschäftigung im sog. „Unternehmerbetrieb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriffsbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anforderungen nach internationalem Arbeitsrecht. . . . . . . . . . . (1) Vereinbarkeit mit dem ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Meinungsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Rechtsprechung und überwiegende Meinung in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Gegenmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Kritik des ILO-Sachverständigenausschusses . . . (dd) Replik der Bundesregierung auf Kritik des ILO-Sachverständigenausschusses. . . . . . . . . . . . . (b) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Folgerung für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschäftigungen außerhalb der Anstalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das freie Beschäftigungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zugewiesene Pflichtarbeit außerhalb der Anstalt (sog. „unechter Freigang“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Selbstbeschäftigung gem. § 39 Abs. 2 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschäftigung i. S. d. Sozialversicherungsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen des Beschäftigungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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52 53 53 55 55 57 57 60 60 66 67 67 69 69 69 70 72 72 73 75 76 77 81 82 83 84 85 86 87
Inhaltsverzeichnis
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a) Nicht selbständige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Freiwilligkeit der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Folgerungen für die verschiedenen Arten der Gefangenenarbeit . . . . . 89 a) Im Eigenbetrieb arbeitende Strafgefangene versus Freigänger . . . 91 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Stellungnahme und eigene Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Versicherungspflicht bei Arbeiten in „Unternehmerbetrieben“? . . 96 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Arbeitsleistung während der Untersuchungshaft und ihre Bedeutung für die Sozialversicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichteinbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . 1. Rechtslage und Folgen für den Strafgefangenen im Vergleich zum Freigänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Strafvollzugssituation: Ausgleich durch Gesundheitsfürsorgeanspruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleich der Leistungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Umfang medizinischer Vorsorgeleistungen . . . . . . . . . . . . . (2) Verschiedene Leistungen zur Krankenbehandlung . . . . . . (3) Anspruch auf Krankengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Mutterschaftsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Standard der medizinischen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prinzip der freien Arztwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Benachteiligungen nach Entlassung aus dem Strafvollzug . . . . . . . aa) Besteht ein Übergangsanspruch?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fortbestehen der Mitgliedschaft nach § 192 SGB V . . . . . . . . cc) Die Vorversicherungszeit in der KVdR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage für die Familienangehörigen eines Strafgefangenen . . . . . a) Einleitende Bemerkungen zur Mitbetroffenheit Dritter . . . . . . . . . . b) Sicherungsmöglichkeiten der Angehörigen gegen Krankheit . . . . . aa) Eigene Pflichtmitgliedschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Familienversicherung nach § 10 SGB V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Versicherungspflichtmitgliedschaft infolge Beschäftigungsaufnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Freiwillige Versicherung nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V
111 112 112 114 115 115 115 118 122 124 125 126 128 128 129 130 131 132 132 133 133 134 136 136
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Inhaltsverzeichnis ee) Versicherungsschutz bei Anspruch auf staatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Freiwillige Versicherung des Inhaftierten zur Begründung der Familienversicherung für die Angehörigen . . . . . . . . . . . . . c) Die Situation der Angehörigen im Falle des Freigängerstatus des Insassen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichteinbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeit der Strafverbüßung mit rentenrechtlichen Zeiten belegt? . . . . . . . a) Belegung mit Beitragszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Belegung mit Pflichtbeiträgen oder freiwilligen Beiträgen . . . bb) Belegung mit fiktiven Pflichtbeitragszeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichsetzung der Strafhaft mit beitragsfreien Zeiten?. . . . . . . . . . . aa) Anrechnungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ersatzzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung fehlender rentenrechtlicher Zeiten für spätere Rentenansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Möglicher Verlust des Versicherungsschutzes wegen Erwerbsminderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung. . . . . . . b) Verfassungsmäßigkeit des möglichen Verlusts des Versicherungsschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rentenanwartschaften als schutzfähige Eigentumsposition . . . bb) Beeinträchtigung des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der übergangsrechtlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrentenbeschluss des BVerfG vom 8. April 1987. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtsprechung des BSG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Vorlagebeschlüsse zweier Sozialgerichte . . . . . . . . . . . (d) Kammerbeschlüsse des BVerfG zu den Vorlagen der Sozialgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schrifttum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eigene Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. „Riester-Renten“-Anspruch nach dem Altersvermögensgesetz? . . . . . . 5. Rechtsnachteile für die Angehörigen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nichteinbeziehung in die soziale Pflegeversicherung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitende Bemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage und Folgen für Strafgefangene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtslage und Folgen für die Angehörigen eines Gefangenen . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis C. Untersuchung der gegenwärtigen Rechtslage unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit der ungleichen sozialen Sicherung von Strafgefangenen mit Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auswahl des Prüfungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachlicher Differenzierungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswirkungen auf Familienangehörige – ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzfunktionen des Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschlägige Schutzdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Arbeit und Entlohnung von Gefangenen und seine Konsequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wesentlicher Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anerkennung der Arbeit im Strafvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entlohnung der Gefangenenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Arten der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Soziale Sicherung der Strafgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umsetzung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reformdiskussion über die Anerkennung der Gefangenenarbeit . . . . . 2. Die Neuregelungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die neue Arbeitsentgeltregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nicht-monetäre Anerkennung der Gefangenenarbeit . . . . . . . . . . . . c) Keine Einbeziehung in die Sozialversicherungszweige . . . . . . . . . . IV. Bewertung der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Eigener Vorschlag für eine angemessene Entlohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dritter Teil Reformperspektiven für eine Fortentwicklung der sozialen Sicherung der Strafgefangenen und ihrer Angehörigen
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A. Einleitende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 B. Gesetzliche Legitimation für die sozialversicherungsrechtlichen Folgen? . . . . I. Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung und Gewährleistungsgehalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewährleistungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorbehalt des Gesetzes und die „Wesentlichkeitstheorie“ . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
C. Einzelne Reformperspektiven zur Verbesserung der sozialen Sicherung von Strafgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inkraftsetzung der §§ 190–193 StVollzG durch Erlass eines Bundesgesetzes i. S. v. § 198 Abs. 3 StVollzG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Pflicht zum Erlass des Bundesgesetzes aufgrund legislativer Selbstbindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Regelung des Art. 82 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung des Art. 82 Abs. 2 GG auf einzelne Normen . . . . . . . c) Konsequenz aus Regelung des Art. 82 Abs. 2 GG für das vorgesehene „besondere Bundesgesetz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspolitische Gründe für Erlass des besonderen Bundesgesetzes. . a) Verbesserung der Resozialisierungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wegfall der Benachteiligungen für die Familienangehörigen . . . . . c) Mangelnde Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers?. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ungerechtfertigte Bevorzugung? Konflikt: Strafgefangene versus Sozialhilfeempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtslage nach dem BSHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslage nach neuem Existenzsicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anerkennung der Haftstrafe als Anrechnungszeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung und Zweck der Anrechnungszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einstufung der Haftverbüßung als sozial anerkennenswert? . . . . . . . . . 3. Problem: Belastung der Versichertengemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einführung einer Nachzahlungsregelung im SGB VI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendung der Minijob-Regelung auf die Gefangenenarbeit . . . . . . . . . . V. Einführung alternativer Strafsanktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hintergründe und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mögliche Sanktionsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Elektronisch überwachter Hausarrest. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinnützige Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221 221 224 226 227 230 233 233 236 236 240 240 242 242 244 245 245 247 248 249 252 252 254 254 262
Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Abkürzungsverzeichnis a. A. abgedr. abl. Abs. AE-StVollzG a. F. AFG AK Alt. amtl. AmtlMitt LVA Rheinpr. Anh. Anm. AnVNG ArbuR Art. ArVNG Aufl. AÜG AV AVAVG AVG AVmG Az. BAG BAGE BAG-S BArbBl. BayVerfGH BayVerfGHE BBG Bd. Bearb. BewHi
andere Ansicht abgedruckt ablehnend Absatz Alternativ-Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Alternativkommentar Alternative amtlich(e) Amtliche Mitteilungen der LVA Rheinprovinz Anhang Anmerkung Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz Arbeit und Recht – Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis Artikel Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Allgemeine Verfügung Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Angestelltenversicherungsgesetz Altersvermögensgesetz Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e. V. Bundesarbeitsblatt Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Bundesbeamtengesetz Band Bearbeiter(in) Bewährungshilfe, Fachzeitschrift für Bewährungs-, Gerichts- und Straffälligenhilfe
14 BFH BGB BGBl. BGH BGHSt BK BKK BlfGefK BlfStVollzK BMF BMI BMJ Breith. BR-Drs. BRRG BSG BSGE BSHG bspw. BStBl BT-Drs. BT-Prot. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BZVO
bzw. ca. CDU DDR ders. d.h. dies. DJT DM DOK
Abkürzungsverzeichnis Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bonner Kommentar Die Betriebskrankenkasse Blätter für Gefängniskunde Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zu „Der Vollzugsdienst“) Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht (Begründet v. Hermann Breithaupt) Drucksache des Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessozialhilfegesetz beispielsweise Bundessteuerblatt Drucksache des Deutschen Bundestages Protokoll des Deutschen Bundestages Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Verordnung über die Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Abstimmung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (Beitragszahlungsverordnung) beziehungsweise circa Christlich Demokratische Union Deutschlands Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt dieselbe(n) Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die Ortskrankenkasse (Zeitschrift)
Abkürzungsverzeichnis DÖV DRiZ DRV DVBl. DVollzO E ebd. EGStGB Einl. EKD EMRK EStG EStR EuGRZ e. V. f. FEVS ff. Fn. FS GA GBl. DDR gem. GG ggf. GK-SGB GmbH grds. GRG GSiG GUFG HansOLG HBeglG HdbDStR HdbStR HessVGH HHG h. L. HLU
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Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsche Richterzeitung Deutsche Rentenversicherung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Dienst- und Vollzugsordnung Entwurf ebenda Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einleitung Evangelische Kirche in Deutschland (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien Europäische Grundrechte-Zeitschrift eingetragener Verein folgende (Seite) Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte folgende (Seiten) Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesetzblatt der DDR gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch Gesellschaft mit beschränkter Haftung grundsätzlich Gesundheits-Reformgesetz Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Gesetz betreffend die Unfallfürsorge für Gefangene Hanseatisches Oberlandesgericht Haushaltsbegleitgesetz 1984 Handbuch des Deutschen Staatsrechts Handbuch des Staatsrechts Hessischer Verwaltungsgerichtshof Häftlingshilfegesetz herrschende Lehre Hilfe zum Lebensunterhalt
16 h. M. Hrsg., hrsg. HS IAO i. d. F. i. d. R. i. S. d. ILC ILO InfoStVollzPR i. V. m. JA Jg. JGG JuS JVA JZ KassKomm KE KG KK KnVNG KomGRV KrimsozBibl. krit. KSVG KVdR KVLG KVRS LAG Lfg. LG Lit. LPK-BSHG LS LSG LVA m. m.abw.M. Minima Mio.
Abkürzungsverzeichnis herrschende Meinung Herausgeber(in), herausgegeben Halbsatz Internationale Arbeitsorganisation in der Fassung in der Regel im Sinne des (der) International Labour Conference International Labour Organization (s. IAO) Info zum Strafvollzug in Praxis und Rechtsprechung (Zeitschrift) in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Jahrgang Jugendgerichtsgesetz Juristische Schulung Justizvollzugsanstalt Juristenzeitung (Zeitschrift) Kasseler Kommentar Entwurf der Strafvollzugskommission zum Strafvollzugsgesetz 1971 Kammergericht Karlsruher Kommentar Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz Kommentar zum Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung Kriminalsoziologische Bibliografie kritisch Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherung der Rentner Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte Die Krankenversicherung in Rechtsprechung und Schrifttum Landesarbeitsgericht Lieferung Landgericht Litera; Literatur Lehr- und Praxiskommentar-Bundessozialhilfegesetz Leitsatz Landessozialgericht Landesversicherungsanstalt mit mit abweichender Meinung Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen Millionen
Abkürzungsverzeichnis Mrd. MschrKrim MuSchG m. w. N. m.W.v. NDV NJW NK Nr. NRW NStZ NStZ-RR NVwZ NZS OLG OVG R RE RGBl. RJM RKG Rn. Rspr. RStGB RVA RVO s. S. SED SED-UnBerG SG SGb SGB I SGB II SGB III SGB IV SGB SGB SGB SGB
V VI VII XI
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Milliarden Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ – Rechtsprechungs-Report Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Richtlinie Regierungsentwurf zum Strafvollzugsgesetz Reichsgesetzblatt Reichsminister der Justiz Reichsknappschaftsgesetz Randnummer Rechtsprechung Reichsstrafgesetzbuch Reichsversicherungsamt Reichsversicherungsordnung siehe Satz, Seite Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED-Unrechtsbereinigungsgesetz Sozialgericht Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung
18 SGB XII SH s. o. sog. SozR SozVers SPD SRH StGB StPO str. StV StVollzG StVollzVergO s. u. u. a. UN Urt. usw. UV UVollzO v. VDR Verf. VerwRspr. VGH Vgl. Vorb. VV VVDStRL VwVfG WiGBl. z. B. ZBR ZfSH/SGB ZfStrVo zit. ZRP ZSR ZStW zust.
Abkürzungsverzeichnis Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe Sonderheft siehe oben so genannt(e) Sozialrecht (Entscheidungssammlung) Die Sozialversicherung (Zeitschrift) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialrechtshandbuch Strafgesetzbuch Strafprozessordnung streitig Strafverteidiger (Zeitschrift) Strafvollzugsgesetz Strafvollzugsvergütungsordnung siehe unten und andere/unter anderem United Nations, Die Vereinten Nationen Urteil und so weiter Unfallversicherung Untersuchungshaftvollzugsordnung vom, von Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Verfasser(in) Verwaltungs-Rechtsprechung in Deutschland Verwaltungsgerichtshof Vergleiche Vorbemerkungen Verwaltungsvorschrift (zum Strafvollzugsgesetz) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsverfahrensgesetz Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend
Einleitung A. Gegenstand und Ziel der Arbeit Seit Jahrzehnten wird die soziale Sicherung von Strafgefangenen kontrovers diskutiert. Inwieweit ist oder müsste dieser Personenkreis in das System der gesetzlichen Sozialversicherung einbezogen werden? Die Sozialversicherung steht neben sozialer Entschädigung, sozialer Förderung und sozialer Hilfe; sie bildet den mit Abstand wichtigsten Teil sozialer Leistungen.1 Sie verwirklicht ein System umfassender öffentlicher Daseinsvorsorge, das die Versicherten gegen die sozialen Risiken Krankheit, Arbeitsunfall, Berufskrankheit, Erwerbsminderung, Pflegebedürftigkeit, Alter und Tod sichert. Zu den Versicherungszweigen zählen die Kranken-, Unfall-, Pflegeund Rentenversicherung (§ 4 Abs. 1 SGB I). Ferner gehört zur Sozialversicherung auch Arbeitsförderung, weil sie die Versicherten gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit durch die Arbeitslosenversicherung (§ 1 SGB III) sichert. Die gesetzlichen Grundlagen der einzelnen Versicherungszweige sind im Sozialgesetzbuch enthalten. Sind Strafgefangene, die während des Vollzugs ihrer Freiheitsstrafe eine Beschäftigung ausüben, sozialversicherungspflichtig beschäftigt und damit gegen die genannten sozialen Risiken gesichert? Diese Frage lässt sich nach geltendem Recht nicht pauschal mit „ja“ oder „nein“ beantworten, weil der Versicherungspflichtstatus für jeden einzelnen Versicherungszweig selbständig geregelt und dementsprechend auch gesondert zu prüfen ist. Des Weiteren könnte es darauf ankommen, wie der jeweilige Gefangene beschäftigt ist. Im Strafvollzug wird zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen und Arbeitsbetrieben unterschieden. Deshalb ist die Versicherungspflicht von Strafgefangenen nicht einheitlich zu bewerten. Sofern keine Versicherungspflicht bestehen sollte, ist fraglich, wie die Gefangenen anderweitig gegen die sozialen Risiken gesichert sind. Die Klärung der sozialen Sicherung der Gefangenen verlangt in dem umfangreichen Sozialversicherungsgeflecht eine differenzierte Betrachtung, die diese Studie wahrnimmt. Ziel der Arbeit ist es, eine umfassende Bestandsaufnahme zu erstellen, wie Strafgefangene gegenwärtig sozialversicherungsrechtlich gesichert sind und welche Konsequenzen damit einhergehen. Ein spezielles Augenmerk 1
Eichenhofer, Rn. 12.
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Einleitung
gilt dabei den im Strafvollzugsgesetz enthaltenen Regelungen zur Sozialversicherung (§§ 190–193 StVollzG), die seit langem suspendiert sind (§ 198 Abs. 3 StVollzG). Die Suspendierung der Normen ist gesetzestechnisch ungewöhnlich, für die Strafgefangenen aber überaus bedeutsam. Mögliche Folgen einer fehlenden sozialen Sicherung, die nicht nur den Gefangenen, sondern auch seine Familienangehörigen betreffen könnten, sollen untersucht und kritisch geprüft werden. Dabei wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 zur Arbeit, Entlohnung und sozialversicherungsrechtlichen Stellung der Strafgefangenen besondere Berücksichtigung finden. Auf Basis dieser Grundlagen sollen schließlich rechtspraktische Perspektiven aufgezeigt werden, wie die soziale Sicherung der Strafgefangenen in Zukunft reformiert werden könnte.
B. Begriffsbestimmung Die in dieser Dissertation verwendeten Begriffe „Gefangene“, „Häftlinge“, „Inhaftierte“ oder „Insassen“ werden synonym für männliche und weibliche Strafgefangene verwendet. Sofern bestimmte Ausführungen nur für weibliche Gefangene gelten, wird darauf explizit hingewiesen. Auch Untersuchungsgefangene werden ausdrücklich benannt, wenn deren Rechtslage erörtert wird, um mögliche Konsequenz oder Widersprüche in der aktuellen Gesetzeslage zu veranschaulichen.
C. Untersuchungsgang Die Untersuchung ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil widmet sich der Entwicklung und Regelung der sozialen Sicherung der Strafgefangenen. Innerhalb dieses ersten Teils bildet der Erlass des Strafvollzugsgesetzes in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine zeitliche Zäsur. Während zunächst der Rechtszustand seit Entstehung der Sozialversicherung in Deutschland bis zum Zeitpunkt des Erlasses jenes Gesetzes vorgestellt wird, folgt anschließend die Darstellung der sozialversicherungsrechtlichen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes. Die Veränderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage werden eingehend erläutert und bewertet. Da eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt für die Sozialversicherungspflicht maßgebliche Bedeutung hat, wird sodann die neue Arbeitsentgeltregelung für Gefangene dargelegt. Nachfolgende Gesetzesinitiativen sowie Veränderungen in der Zeit nach der Wiedervereinigung komplettieren diesen Untersuchungsabschnitt. Der rechtsgeschichtliche Überblick soll wichtige Erkenntnisse vermitteln, die für die Diskussion aktueller Streitfragen nützlich sind.
C. Untersuchungsgang
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Daran anschließend befasst sich der zweite und zugleich umfangsreichste Teil der Studie mit der sozialen Sicherung der Strafgefangenen und ihrer Angehörigen nach geltendem Recht. Hier gilt es eingangs die Kernfrage zu beantworten, ob Strafgefangene der Versicherungspflicht der verschiedenen Bücher des Sozialgesetzbuchs unterliegen. Da grundsätzlich nur ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis zur Versicherungspflicht führt2, muss in diesem Zusammenhang der Arbeit der Gefangenen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Strafgefangene sind nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG zur Arbeit verpflichtet. Sofern ihnen nicht als Freigänger gestattet ist, außerhalb der Anstalt ein freies und damit versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auszuüben, wird ihnen von der Vollzugsanstalt eine Beschäftigung zugewiesen, die je nach Tätigkeit in unterschiedlichen Arbeitsbetrieben ausgeübt wird. Das wirft im Hinblick auf die speziellen grundgesetzlichen Verbote des Arbeitszwangs und der Zwangsarbeit (Art. 12 Abs. 2 und 3 GG) sowie des allgemeineren Rechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) die Frage nach der Verfassungskonformität jener Arbeitspflicht auf. Entspricht die Gefangenenarbeit in Deutschland ferner Art. 2 des Übereinkommens Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation über Zwangs- oder Pflichtarbeit und damit Anforderungen des internationalen Arbeitsrechts? Wenn ungeachtet dessen die Gefangenen für ihre Tätigkeit aber mit einem Arbeitsentgelt entlohnt werden, muss sich zwingend die Frage stellen, ob ihre Gefangenenarbeit dann nicht als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis i. S. d. Sozialversicherungsrechts einzustufen ist. Gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen den verschiedenen Beschäftigungsarten oder den Tätigkeiten in den jeweiligen Arbeitsbetrieben? Es folgt die Untersuchung, welche Konsequenzen die Suspendierung der sozialversicherungsrechtlichen Normen der §§ 190 ff. StVollzG im Einzelnen haben. Wirkt sich eine fehlende Versicherungspflicht in den einzelnen Versicherungszweigen für einen Gefangenen nur während seiner Inhaftierung oder auch (noch) nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug aus? Welche Folgen hat die fehlende sozialversicherungsrechtliche Sicherung eines Strafgefangenen für seine Familienangehörigen? Sofern diesen Nachteile entstünden, ist die Rechtslage insbesondere unter dem Blickwinkel des verfassungsrechtlich verbürgten Schutzes von Ehe und Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG untersuchungswürdig, weil die Angehörigen an der Straftat nicht beteiligt waren und dennoch durch die strafgerichtliche Verurteilung und Bestrafung des Täters gleichwohl belastet würden. Der zweite Teil endet mit der Besprechung der schon erwähnten Entscheidung des BVerfG vom 1. Juli 1998. Welche Neuerungen brachte die Entscheidung einerseits für die Entlohnung der Gefangenen, andererseits für deren soziale Sicherung? 2
Igl/Welti, § 10 Rn. 19.
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Einleitung
Das Urteil selbst und seine Umsetzung werden eingehend analysiert und gewürdigt. Den Abschluss bildet ein eigener Vorschlag für eine angemessene Entlohnung der Gefangenen. Gegenstand des dritten Teils werden eigene Reformvorschläge zur Entwicklung der sozialen Sicherung der Gefangenen sein. Bevor allerdings Perspektiven unterbreitet werden, mit denen die Situation dieses Personenkreises sinnvoll verändert werden könnte, wird zuvor der Frage nachgegangen, ob aus rechtlichen und/oder rechtspolitischen Gründen die Inkraftsetzung der im Strafvollzugsgesetz verankerten Vorschriften zur Sozialversicherung zwingend geboten ist. Mit dieser Maßnahme wäre schließlich eine weit reichende Reform der sozialen Sicherung der Gefangenen verbunden.
D. Anmerkung zur beschlossenen Föderalismusreform Am 30. Juni 2006 hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates (am 7. Juli 2006) die Föderalismusreform beschlossen3, mit der durch Änderung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder übertragen wurde.4 Diese Grundgesetzänderung ist am 1. September 2006 in Kraft getreten.5 Der Zuständigkeitswechsel berührt die Thematik dieser Arbeit zunächst nicht, weil das Strafvollzugsgesetz als Bundesrecht fort gilt, solange es nicht durch Landesrecht ersetzt wird.6 Selbst wenn die Länder künftig Landesstrafvollzugsgesetze erlassen werden, ist nicht sicher, ob das die soziale Sicherung der Strafgefangenen berührt, da die Sozialversicherung nach wie vor zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes gehört (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG).
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BR-Drs. 462/06, 1. Art. 1 Nr. 7 lit. a) aa) des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drs. 16/813, 3. 5 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.8.2006 (BGBl. I, 2034). 6 Vgl. Art. 1 Nr. 21 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drs. 16/813, 5. 4
Erster Teil
Der sozialrechtliche Status des Strafgefangenen in geschichtlicher Sicht A. Der Rechtszustand vor In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes I. Die soziale Sicherung der Gefangenen seit Entstehung der Sozialversicherung in Deutschland Die Sozialversicherung in Deutschland wurde durch die Kaiserliche Botschaft Kaiser Wilhelms I. vom 17. November 18811 eingeleitet. Sie enthielt die Forderung nach einer umfassenden Arbeiterversicherung gegen die Risiken Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter. Der Botschaft folgten Taten, denn in den Folgejahren wurde die Sozialversicherung durch Verabschiedung der Sozialversicherungsgesetze eingeführt.2 Zuerst erging am 15. Juni 1883 das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter3, ein Jahr später am 6. Juli 1884 das Unfallversicherungsgesetz4 und schließlich am 22. Juni 1889 das Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung5. 1. Gesetzliche Unfallversicherung Bereits mit Einführung der Sozialversicherung wurden die im Strafvollzug beschäftigten Strafgefangenen in den Unfallversicherungsschutz einbezogen. Sie fielen allerdings trotz der von ihnen ausgeübten Beschäftigung nicht unter die für „normale“ Arbeitnehmer geltenden Vorschriften über die Versicherungspflicht.6 Nach der vom Reichsversicherungsamt vertretenen 1 Erste Kaiserliche Botschaft zur sozialen Frage. Verhandlungen des Reichstags, 5. Legislaturperiode, I. Session 1881/82, Bd. 1, 1. 2 Eichenhofer, Rn. 26, 32 ff.; Gitter/Schmitt, § 2 Rn. 8 ff.; Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland, SRH, A. 2. Rn. 4 ff.; Waltermann, Rn. 45 ff. 3 RGBl., 73, in Kraft getreten am 1.12.1884. 4 RGBl., 69, in Kraft getreten am 1.10.1885. 5 RGBl., 97, in Kraft getreten am 1.1.1891. 6 Schlegel, in: Schulin, HS-UV, § 15 Rn. 1.
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
Auffassung beruhte die Tätigkeit der Gefangenen nicht auf einem freien Arbeits- oder Dienstverhältnis, welches Voraussetzung für die Versicherungspflicht war.7 Strafgefangene erhielten für ihre Arbeit kein Arbeitsentgelt, sondern nur eine sog. Arbeitsbelohnung. Demzufolge bedurfte es zur Begründung des Versicherungsschutzes für Gefangene eigener Vorschriften. a) Regelungen des Gesetzes betreffend die Unfallfürsorge für Gefangene Zur Einbeziehung in den Unfallversicherungsschutz wurde das „Gesetz betreffend die Unfallfürsorge für Gefangene“ (GUFG) vom 30. Juni 19008 erlassen. Nach § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes war Gefangenen, die bei einer Tätigkeit einen Unfall erlitten, bei deren Ausübung freie Arbeiter nach den Bestimmungen der Reichsgesetze über Unfallversicherung versichert gewesen wären, für die Folgen des Unfalls eine Entschädigung zu leisten. Ihnen gleichgestellt waren die in öffentlichen Besserungsanstalten, Arbeitshäusern und ähnlichen Zwangsanstalten untergebrachten Personen, ebenso die zur Forst- und Gemeindearbeit oder zu sonstigen Arbeiten zwangsweise angehaltenen Personen (§ 1 Abs. 2 GUFG). Entschädigungsverpflichteter war gem. § 7 Abs. 1 GUFG der Bundesstaat, in dessen Gebiet die Strafanstalt lag, in welcher der Unfall eingetreten war oder in dessen Gebiet die zwangsweise Beschäftigung stattgefunden hatte. Zur Ausführung des Gesetzes hatte der entschädigungspflichtige Bundesstaat Ausführungsbehörden einzusetzen, die, soweit nicht durch Landesgesetz oder durch Vereinbarung andere Bestimmungen getroffen wurden, von der Landeszentralbehörde zu bezeichnen waren (§ 8 GUFG). Die auf dieser Grundlage gezahlten Entschädigungen waren so gering, dass sie kaum die Beträge der Armenunterstützung überstiegen.9 So betrug der Jahreshöchstbetrag für eine Vollrente 300 Mark (§ 3 GUFG) und – im Falle des Todes des Gefangenen/Untergebrachten – für die Hinterbliebenenrente 90 Mark (§ 4 GUFG). Zur Verbesserung dieses Versicherungsschutzes trugen die Allgemeine Verfügung (AV) vom 3. Januar 193610 und die Rundverfügung zur Höhe 7
RVA 26.4.1912: Nr. 23 Buchst. d der „Anleitung über den Kreis der nach der RVO gegen Invalidität und Krankheit versicherten Personen“, in: Amtliche Nachrichten des RVA, 28. Jg. 1912, S. 746: „Strafgefangene, Insassen von Arbeitshäusern und Besserungsanstalten werden zwar auch beschäftigt und erhalten Geld oder Geldeswert; trotzdem liegt aber kein wirtschaftlicher Austausch von Arbeit und Lohn, vielmehr ein, wenn auch nicht immer unmittelbarer obrigkeitlicher Zwang vor“. 8 RGBl., 536. 9 Ilgenfritz, BArbBl. 1963, 452; Schlegel, in: Schulin, HS-UV, § 15 Rn. 1. 10 Deutsche Justiz 1936, 61.
A. Der Rechtszustand vor In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes
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der Unfallentschädigungen für Gefangene vom 24. Oktober 193911 des Reichsjustizministers bei. Hiernach wurden die Generalstaatsanwälte ermächtigt, in eigener Zuständigkeit den Gefangenen – nicht in Anerkennung eines Rechtsanspruchs, sondern vielmehr in Form von jederzeit widerruflichen Billigkeitsentschädigungen – Zuschläge in Höhe des Differenzbetrages zwischen den Leistungen nach dem GUFG und den Leistungen nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 191112 zu gewähren.13 Außerdem stand den Gefangenen nunmehr auch Unfallfürsorge für Berufskrankheiten und für Arbeitsunfälle zu (§ 11 S. 1 Nr. 2 und 3 AV), für die das GUFG keinen Anspruch auf Unfallfürsorge vorgesehen hatte. Die Generalstaatsanwälte wurden angewiesen, von dieser Ermächtigung vollen Gebrauch zu machen und den Gefangenen alle Leistungen zu gewähren, die nach der Reichsversicherungsordnung zulässig waren.14 Mit Urteil vom 26. September 1957 hatte der BGH angesichts der geringen Entschädigungshöhe die Bestimmung über die Widerruflichkeit der zusätzlichen Billigkeitsentschädigungen (§§ 14, 15 AV) unter Geltung des Art. 20 GG für nicht mehr anwendbar erklärt und den Unfallgeschädigten nunmehr einen Rechtsanspruch auf ausreichende Fürsorge zuerkannt.15 Der BGH betonte, das Prinzip der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 GG) fordere, in einer dessen Zielsetzung entsprechenden Rechtsfortbildung anzuerkennen, dass zur objektiven Verpflichtung des Staates zu ausreichender Fürsorge für seine Gefangenen das subjektive Recht unfallgeschädigter Gefangener auf Gewährung eben der Fürsorge trete, die von der Verwaltung zur Erfüllung dieser Fürsorgepflicht für erforderlich gehalten worden sei.16 Dennoch blieb der Gefangene auch in der Folgezeit als unfreier Arbeitnehmer schlechter gestellt als der nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung versicherte freie Arbeitnehmer. Er bezog für die Dauer der Strafverbüßung oder Unterbringung in einer Besserungsanstalt überhaupt keine Rente, da der Rentenbezug gem. § 15 Nr. 1 GUFG während dieser Zeit ruhte. Sofern der Gefangene im Inland wohnende Angehörige 11 Haushaltsrechtliche Bestimmungen für die Justizverwaltung, Sonderbestimmungen für die Strafvollzugsverwaltung (HRZ. Vollz.), Vollz. Nr. 243. 12 RGBl., 509. Die Sozialversicherungsgesetze aus den 1880er Jahren wurden erneuert und 1911 in der RVO zusammengefasst. In-Kraft-Treten der Vorschriften über die Invalidenversicherung am 1.1.1912, die Unfallversicherung am 1.1.1913 und die Krankenversicherung am 1.1.1914. 13 Vgl. §§ 11–15 der Allgemeinen Verfügung von 1936 (s. o. Fn. 10). 14 Einschließlich der späteren Unfallzulagegesetze v. 10.8.1949 (WiGBl. 1949, 251) und v. 29.4.1952 (BGBl. I, 253) sowie den Gesetzen zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung v. 27.7.1957 (BGBl. I, 1071) und v. 29.12.1960 (BGBl. I, 1085). 15 BGHZ 25, 231, 234 f. 16 BGHZ 25, 231, 235.
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
hatte, die im Falle seines Todes Anspruch auf Rente gehabt hätten, war ihnen die Verletztenrente bis zur Höhe jenes Hinterbliebenenrentenanspruchs zu überweisen. Nach der Entlassung stand ihm nur eine nach dem ortsüblichen Tagelohn berechnete Rente (§ 3 GUFG) zu. b) Das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz Eine umfassende Reform der Vorschriften über die Gefangenen-Unfallfürsorge erfolgte durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 196317 mit Einführung des § 540 RVO. Nach dieser Norm waren gegen Arbeitsunfall und Berufskrankheiten nun auch Personen versichert, die während einer aufgrund des Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund strafrichterlicher Anordnung wie ein nach § 539 Abs. 1 RVO Versicherter tätig wurden, soweit nicht bereits Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 RVO bestand. Die Gefangenen wurden in Bezug auf den Unfallversicherungsschutz damit erstmals den Arbeitnehmern gleichgestellt. Mit dieser Vorschrift entsprach die Bundesrepublik Deutschland – obwohl damals noch nicht UN-Mitglied – einer Empfehlung des Zweiten Kongresses der Vereinten Nationen über Verbrechensverhütung und Behandlung Straffälliger vom 8. bis 20. August 1960, wonach der Unfallschutz wie auch die soziale Sicherheit der Gefangenen so vollständig wie möglich den für die freien Arbeiter geltenden Bedingungen anzugleichen seien.18 Nach Eintritt eines Arbeitsunfalls hatten Strafgefangene jetzt unter anderem Anspruch auf Heilbehandlung19 und Maßnahmen der Berufshilfe20, soweit dem Belange des Vollzugs nicht entgegenstanden. Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls wurde ihnen ein Verletztengeld21 in Höhe der wegen Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Arbeitsbelohnung gewährt, sofern dem Verletzten bis zum Unfall eine Arbeitsbelohnung gutgeschrieben wurde oder ohne den Unfall gutgeschrieben worden wäre. Mit dem Verletztengeld wurde den Gefangenen eine Leistung bewilligt, die es bisher nach dem GUFG nicht gab. Die Auszahlung erfolgte 17 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz-UVNG) vom 30.4.1963, BGBl. I, 241, in Kraft getreten am 1.7.1963. 18 Amtl. Begründung des UVNG-Entwurfs BT-Drs. IV/120, 52 zu § 540 RVO; zum Kongress der Vereinten Nationen s. Kongressbericht von Ansorge, BArbBl. 1960, 667; Entschließungen und Empfehlungen des Zweiten Kongresses der Vereinten Nationen, abgedr. in: ZfStrVo 1961, 12. 19 § 566 Abs. 1 RVO i. d. F. des UVNG. 20 § 569 i. V. m. §§ 567, 568 RVO. 21 § 566 Abs. 2 RVO.
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an die Anstaltsleitung, die das Geld für den Gefangenen bis zur Entlassung verwahrte.22 Weitere Verbesserungen folgten für den Bezug einer Verletztenrente. Durch die Gleichstellung mit freien Arbeitnehmern entfiel die Ruhensvorschrift des § 615 Abs. 1 Nr. 1 RVO a. F.23 Nach § 588 RVO in der Fassung des UVNG, der im Wesentlichen dem damaligen § 1289 RVO für die Rentenversicherung der Arbeiter entsprach, war die Rente für die Zeit, in der der Berechtigte eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Monat verbüßte oder in der er aufgrund einer Maßregel der Sicherung und Besserung untergebracht war, ohne die bisherige betragsmäßige Begrenzung an die Unterhaltsberechtigten zu zahlen, soweit eine Unterhaltpflicht kraft Gesetzes bestand. Das Gleiche galt für Renten für während der Freiheitsentziehung (§ 540 RVO) entstandene Unfälle. Mit In-Kraft-Treten des UVNG wurden die aufgrund alten Rechts erteilten Ruhensbescheide mit Wirkung vom 1. Juli 1963 aufgehoben. Bei einer kürzeren Freiheitsstrafe oder bei Fehlen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht war die Rente zugunsten des berechtigten Gefangenen durch die Post an die JVA zu überweisen, ebenso wie nach § 540 RVO Versicherte Anspruch auf Gutschrift der Rente hatten.24 Die Tatsache, dass jemand eine Freiheitsstrafe verbüßte oder untergebracht war, konnte die Rentenberechtigung nicht mehr beseitigen. Träger der Versicherung waren – soweit nicht nach § 653 Abs. 1 Nr. 6 RVO der Bund verpflichtet war – im Allgemeinen die Länder (§ 655 Abs. 2 Nr. 3 RVO), deren Aufgaben wiederum die Ausführungsbehörden wahrnahmen. 2. Gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung Für die soziale Sicherheit wurde das Ziel der Kongressempfehlung der Vereinten Nationen einer möglichst vollständigen Angleichung an die für freie Arbeiter geltenden Bedingungen25 dagegen verfehlt, denn entspre22
Vollmar, SozVers 1964, 52, 54. Zur Berechnung des Verletztengeldes mit Beispielen siehe Hardes, ZfStrVo 1984, 6, 8 f. 23 Der Wortlaut des § 615 Abs. 1 Nr. 1 RVO a. F. lautete: „Die Rente ruht, solange der Berechtigte eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Monat verbüßt oder in Sicherungsverwahrung untergebracht ist. Hat er im Inland Angehörige, die bei seinem Tode Anspruch auf Rente haben würden, so ist ihnen die Rente bis zur Höhe dieses Anspruchs zu überweisen.“ Diese Regelung schloss an § 15 Nr. 1 GUFG an. 24 Vollmar, SozVers 1964, 52, 53 f. mit weiteren Einzelheiten. 25 Siehe Kongress der Vereinten Nationen, Kongressbericht von Ansorge, BArbBl. 1960, 667; Entschließungen und Empfehlungen des Zweiten Kongresses der Vereinten Nationen, abgedr. in: ZfStrVo 1961, 12.
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chende Gesetze zum versicherungsrechtlichen Schutz der Gefangenen in der Kranken- und Rentenversicherung wurden weder erlassen noch erstrebt. Auch in den seit der Kaiserzeit geltenden Bestimmungen zum Strafvollzug waren derartige Vorschriften nicht enthalten. Die Regelung des Strafvollzugs vor Erlass des Strafvollzugsgesetzes beruhte auf verschiedenen landesrechtlichen „Grundsätzen“, „Verwaltungsanordnungen“ und „Verordnungen“, auf die nachfolgend näher eingegangen wird, da Versuche einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung bis dahin gescheitert waren.26 Die Strafgefangenen waren nach den damaligen Verwaltungsvorschriften nie kranken- oder rentenversicherungspflichtig, obwohl einige Gefangene zur Arbeit verpflichtet waren.27 Im Laufe der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufkommende Reformbestrebungen und der Wunsch nach einem einheitlichen Strafvollzugsgesetz erfuhren Einzelfragen des Strafvollzugs wie beispielsweise Regelungen zur Gesundheitsfürsorge und Arbeit eine detailliertere Ausgestaltung, ohne dass sich der sozialrechtliche Status für die Gefangenen verbesserte. a) Kaiserzeit und Weimarer Republik Mit Aufnahme in eine Strafanstalt war den Gefangenen jedoch seit jeher staatliche Gesundheitsfürsorge, also insbesondere ärztliche Heilbehandlung im Krankheitsfall, zu gewähren. Während die vom Bundesrat am 28. Oktober 1897 beschlossenen „Grundsätze, welche bei dem Vollzuge gerichtlich erkannter Freiheitsstrafen bis zu weiterer gemeinsamer Regelung zur Anwendung kommen“28 nur vereinzelte Bestimmungen im Rahmen der Gesundheitsfürsorge29 enthielten, wurden in den von den Ländern vereinbarten 26 Allgemein zur geschichtlichen Entwicklung der Strafvollzugsgesetzgebung: Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, Einl. Rn. 1 ff.; Kaiser/Schöch, § 2 Rn. 54 ff.; Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 1–45; ders., Strafvollzugsreform, S. 82–89; Quedenfeld, Der Strafvollzug in der Gesetzgebung des Reiches, des Bundes und der Länder, 1971; BT-Drs. 7/918, 38–40. 27 So war die Zuchthausstrafe (§ 15 RStGB a. F.) notwendig mit Arbeitszwang verbunden, während Gefängnisgefangene (§ 16 RStGB a. F.) beschäftigt werden konnten, aber nicht mussten. Die zu qualifizierter Haft (§ 362 RStGB a. F.) Verurteilten waren auch einem Arbeitszwang unterworfen. Weitere Einzelheiten vgl. Frank, RStGB, §§ 15–18, S. 362; Otto Krebs, Gefangenenarbeit, S. 188 f.; v. Liszt/ Schmidt, S. 386 f. 28 Abgedr. in: Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 6, 1954, jeweils als Anlage zur Reichsratsvorlage des E 1927, S. 75 ff. und zur Reichstagsvorlage des E 1927, S. 119 ff. 29 Lediglich in den §§ 5, 23, 27 und 31 der Grundsätze von 1897 fanden sich Regelungen zur Gesundheitsfürsorge, wie bspw. die Angabe von Mindestmaßen für Licht und Luft in Zellen und Aufenthaltsräumen, Art der Beköstigung, Behandlung von Krankheitsfällen, Dauer der Bewegung der Gefangenen im Freien.
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„Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ vom 7. Juni 192330 Umfang und Inhalt der Gesundheitsfürsorge eingehend in den §§ 86–104 festgeschrieben. Außerdem wurde erstmals die Fürsorge für die aus der Strafhaft Entlassenen in die Vereinbarungen einbezogen. § 227 der Grundsätze von 1923 regelte in diesem Abschnitt, dass Gefangenen, die bei der Aufnahme eine Anwartschaft auf eine Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung oder auf eine Arbeitslosenversicherung hatten, nahe zu legen war, sich die Anwartschaften durch Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen zu erhalten. Fällige Beiträge konnten aus dem Hausgeld (§ 81), der Rücklage (§ 82) oder mit Zustimmung des Gefangenen aus seinen sonstigen Mitteln gezahlt werden.31 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden allerdings schon die Strafanstalten fast aller deutscher Staaten über entsprechende Verfügungen angewiesen, für die Weiterversicherung der Strafgefangenen in der Invalidenversicherung Sorge zu tragen.32 Jeder Gefangene war alsbald nach seiner Einlieferung in die Strafanstalt über den Stand seines Versicherungsverhältnisses zu befragen und auf die Möglichkeit und Vorteile einer freiwilligen Versicherung hinzuweisen. Die einzelnen Verfügungen enthielten aber voneinander abweichende Bestimmungen. So wurden Gefangene in Preußen33, Bayern34 und Hessen35 auch ohne ihre Einwilligung, in Württemberg36 und Sachsen37 dagegen nur mit ihrem 30 RGBl. II, 263 ff.; abgedr. auch in: Materialien zur Strafrechtsreform, Bd. 6, 1954, jeweils als Anlage zur Reichsratsvorlage des E 1927, S. 79 ff. und zur Reichstagsvorlage des E 1927, S. 123 ff.; Bumke, S. 511 ff. 31 § 80 der „Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ von 1923 regelte, dass den Gefangenen von der Arbeitsbelohnung ein Teil als Hausgeld, ein Teil als Rücklage gutgeschrieben wurde. 32 Vgl. z. B. Verfügung des badischen Ministeriums des Innern v. 29.4.1902 – Nr. 16558 – und des badischen Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrichts v. 11.11.1908 – Nr. 37269 – die Invalidenversicherung der Gefangenen betreffend (zu beziehen beim Generallandesarchiv Karlsruhe, Quelle: GLA 234/4500; Verfügung von 1908 auch wiedergegeben bei Walz, S. 192 f.); Allgemeine Verfügung des preußischen Justizministers v. 30.1.1908 betreffend die Invalidenversicherung von Gefangenen, abgedr. in: Justiz-Ministerial-Blatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, 70. Jg. 1908, S. 29; § 13 der Verfügung des württembergischen Justizministers v. 28.2.1914 betreffend den Vollzug der RVO v. 19.7.1911, abgedr. in: Amtsblatt des Königlich Württembergischen Justizministeriums, Jg. 1914, Nr. 3, S. 23, 27; jeweils zit. nach Höchtl, S. 2: Verfügung des bayerischen Ministeriums der Justiz v. 29.4.1912, Nr. 15685; Verfügung des sächsischen Ministeriums des Innern v. 11.10.1901 und 1.7.1902 betreffend die freiwillige Fortsetzung der Versicherung durch Strafgefangene; Verordnung des General-Staatsanwalts von Hessen v. 13.12.1911 betreffend die Invalidenversicherung der Strafgefangenen. 33 Vgl. Nr. 3 S. 2 AV des preußischen Justizministers v. 30.1.1908 betreffend die Invalidenversicherung von Gefangenen, abgedr. in: Justiz-Ministerial-Blatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, 70. Jg. 1908, S. 29, 30.
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Einverständnis weiterversichert. In Baden war grundsätzlich das Einverständnis der Gefangenen erforderlich; der Direktor der Anstalt konnte aber, wenn er es „zum besseren Fortkommen der Sträflinge für sachdienlich erachtete“, auch ohne Zustimmung des Gefangenen die Weiterversicherung aufnehmen.38 Die zur Zahlung der Versicherungsbeiträge notwendigen Geldbeträge waren dem vom Gefangenen eingebrachten Geld zu entnehmen, sofern er in diese Verwendung einwilligte. Bei Verweigerung der Einwilligung oder bei nicht vorhandenem eingebrachten Geld waren die Mittel aus der dem Gefangenen gutgeschriebenen Arbeitsbelohnung zu entnehmen. Insoweit trafen die Verfügungen der Länder ähnliche oder gleiche Bestimmungen. Unterschiedliche Regelungen gab es wiederum, sofern derartige Mittel nicht zur Verfügung standen. So regelten unter anderem die Verfügungen Preußens und Bayerns, dass die erforderlichen Beträge vorschussweise auf Rechnung der Arbeitsbelohnung des Gefangenen zu bestreiten waren.39 Soweit hiernach die Arbeitsbelohnung zur Bestreitung der Ausgaben für die Beitragsmarken nicht ausreichte, durften diese in Bayern aus den laufenden Mitteln der Anstalt beschafft werden. Preußen sah eine solche Regelung dagegen nicht vor. In Württemberg waren bei nicht vorhandenen eigenen Mitteln des Gefangenen die Beiträge aus der Armenkasse der Strafanstalt oder, wenn auch die Mittel dieser Kasse nicht ausreichten, aus der Anstaltskasse zu Lasten eines anderen Titels des Etats zu bestreiten.40 Nach dem badischen Erlass konnten die erforderlichen Beiträge aus dem Anstaltsetat finanziert werden, soweit die Guthaben der Gefangenen oder deren Arbeitsbelohnungen nicht ausreichten.41 Eine Verrechnung mit der Arbeitsbelohnung erfolgte dagegen nicht. Wenn für die Beiträge eigene Mittel aufgebracht wurden, sollten in der Regel Beitragsmarken derjenigen 34 Nr. 3 S. 3 der Verfügung des bayerischen Ministeriums der Justiz v. 29.4.1912, Nr. 15685, zit. nach: Höchtl, S. 4. 35 Zit. nach: Höchtl, S. 4. 36 § 13 I. S. 5 der Verfügung des württembergischen Justizministers v. 28.2.1914 betreffend den Vollzug der RVO v. 19.7.1911, abgedr. in: Amtsblatt des Königlich Württembergischen Justizministeriums, Jg. 1914, Nr. 3, S. 23, 27. 37 Zit. nach: Höchtl, S. 4. 38 Verfügung des badischen Ministeriums des Innern v. 29.4.1902 – Nr. 16558 – und des badischen Ministeriums der Justiz v. 11.11.1908 – Nr. 37269 – die Invalidenversicherung der Gefangenen betreffend, Ziffer 1 und 2. 39 Vgl. Nr. 4 AV des preußischen Justizministers v. 30.1.1908 betreffend die Invalidenversicherung von Gefangenen, abgedr. in: Justiz-Ministerial-Blatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege, 70. Jg. 1908, S. 29, 30; Nr. 4 S. 2 der Verfügung des bayerischen Ministeriums der Justiz v. 29.4.1912, Nr. 15685, zit. nach: Höchtl, S. 5. 40 § 13 I. S. 8 der Verfügung des württembergischen Justizministers v. 28.2.1914 betreffend den Vollzug der RVO v. 19.7.1911, abgedr. in: Amtsblatt des Königlich Württembergischen Justizministeriums, Jg. 1914, Nr. 3, S. 23, 27.
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Lohnklasse verwendet werden, in welcher der Gefangene zumeist versichert war. Bei der Bestreitung aus Anstaltsmitteln waren nur so viele Beitragsmarken der niedrigsten Lohnklasse zu verwenden, wie zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft aus der Versicherung erforderlich waren. Keine Anwendung fanden die Bestimmungen der Weiterversicherung auf Gefangene, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßten, die erwerbsunfähig oder vor Haftantritt nicht dem Kreis der (freiwillig oder pflicht-)versicherten Personen zuzurechnen waren. Die bayerische Verfügung räumte allerdings auch einem zu lebenslanger Haft Verurteilten ausnahmsweise die Möglichkeit ein, sich weiterzuversichern, wenn er die dafür notwendigen Mittel allein aus eigenen Geldern aufbringen konnte. In Preußen, Württemberg, Baden und Hessen waren die lebenslänglich verurteilten Gefangenen ausdrücklich von der Weiterversicherung ausgeschlossen; Sachsen hatte hierüber keine Regelung getroffen.42 Sollte die Weiterversicherung aufgenommen oder fortgesetzt werden, waren zu diesem Zweck die Quittungskarten43, wenn sie sich nicht in der Strafanstalt befanden, durch Vermittlung der Behörde des letzten Beschäftigungsortes oder der Heimatbehörde einzuziehen. Es war – gegebenenfalls unter Einholung einer Auskunft der jeweiligen Landesversicherungsanstalt – zu prüfen, ob die Quittungskarte noch gültig und ob durch ihren Inhalt die Erhaltung der Anwartschaft zutreffend dokumentiert war. Sofern diese Voraussetzungen zutrafen, waren durch rechtzeitigen Umtausch der Quittungskarte und durch die Weiterversicherung für den Erhalt der Anwartschaft Sorge zu tragen. Bei den unterschiedlichen Regelungen zur Weiterversicherung in den einzelnen Ländern blieb es auch nach Erlass der „Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ von 1923. Nach § 233 Abs. 2 dieser Grundsätze waren die Landesregierungen der einzelnen Länder verpflichtet, die vereinbarten Grundsätze bis spätestens 1. Juli 1924 durch entsprechende (Landes-)Vollzugsordnungen – ihrem Rechtscharakter nach einfache Verwaltungsvorschriften44 – zu verwirklichen. Auch diese Vollzugsordnungen45 enthielten 41
Verfügung des badischen Ministeriums des Innern v. 29.4.1902 – Nr. 16558 – und des badischen Ministeriums der Justiz v. 11.11.1908 – Nr. 37269 – die Invalidenversicherung der Gefangenen betreffend, Ziffer 5. 42 Zu weiteren Einzelheiten und den Rechtsfolgen, vgl. Höchtl, S. 9 ff. 43 Bis zur Einführung der bargeldlosen Beitragsentrichtung durch das Lohnabzugsverfahren (für freiwillige Beiträge zum 1.1.1977) hatten sich Versicherte von den Versicherungsträgern eine Quittungskarte ausstellen zu lassen, in die der Arbeitgeber oder sie einen entsprechenden Betrag von Marken einzukleben hatten. Die Quittungskarte war eine öffentliche Urkunde, die als maßgeblicher Nachweis für die Entrichtung der Beiträge zur Invalidenversicherung diente. 44 Quedenfeld, S. 19 m. w. N.
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hinsichtlich der Invalidenversicherung voneinander abweichende Bestimmungen. So wurden in Preußen und Bayern die Gefangenen weiterhin auch ohne ihre Zustimmung in der Invalidenversicherung weiterversichert, wogegen ihnen in Sachsen und Württemberg eine solche Weiterversicherung nur empfohlen wurde. Die Weiterversicherung in der Angestelltenversicherung und der knappschaftlichen Pensionsversicherung machten dagegen alle Länder von der Entscheidung der Gefangenen abhängig.46 b) Zeit des Nationalsozialismus Diese Rechtszersplitterung wurde mit Erlass der „Allgemeinen Verfügung des Reichsministers der Justiz vom 1. April 1938 über Sozialversicherung (Invalidenversicherung, Angestelltenversicherung und Knappschaftsversicherung) der Gefangenen“47 beseitigt.48 Durch diese Verfügung wurde die Sozialversicherung der Gefangenen mit Wirkung vom 1. April 1938 einheitlich für das ganze Reichsgebiet geregelt. Hintergrund dieser Vereinheitlichung war, dass die Invaliden-, Angestellten- und knappschaftliche Pensionsversicherung durch das „Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937“49 – Ausbaugesetz – wesentlich geändert und angeglichen worden waren und dadurch die Voraussetzung für eine unterschiedliche Behandlung der einzelnen Versicherungsarten in den Justizvollzugsanstalten entfiel.50 Die Gefangenen waren nunmehr zwar weiterhin für alle Versicherungsarten über die Möglichkeit und Vorteile einer freiwilligen Weiterversicherung nach § 1244 RVO a. F., § 21 AVG a. F., § 31 RKG a. F. sowie darüber 45
Vgl. die Nachweise bei Bumke, S. 29 Fn. 1; v. Liszt/Schmidt, S. 388 Fn. 6. Zit. nach Ibbeken, BlfGefK, 69. Bd., 1. Heft (April–Mai 1938), 56, 57. 47 Deutsche Justiz, 1938, 543. 48 Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung erging am 30. Januar 1934 das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ (RGBl. I, 75), das die Landesverwaltungen auf das Reich überleitete, und im Anschluss daran das „Erste Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich“ vom 16. Februar 1934 (RGBl. I, 91). Nach Art. 5 dieses Überleitungsgesetzes wurde der RJM ermächtigt, „alle Bestimmungen zu treffen, die durch den Übergang der Justizhoheit auf das Reich erforderlich werden“. In diesem Zusammenhang wurden die von den Landesregierungen im Juni 1923 erlassenen „Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ nach Art. 1 der „Verordnung über den Vollzug von Freiheitsstrafen und von Maßregeln der Sicherung und Besserung, die mit Freiheitsentziehung verbunden sind“ vom 14. Mai 1934 (RGBl. I, 383) zur reichsrechtlichen Grundlage des Vollzugs erhoben. Diese Verordnung löste die Grundsätze von 1923 nur insoweit ab, als sie den nationalsozialistischen Vorstellungen vom Strafvollzug widersprachen. 49 RGBl. I, 1393. 50 Ibbeken, BlfGefK, 69. Bd., 1. Heft (April–Mai 1938), 56, 57. 46
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zu belehren, dass eine bestehende Anwartschaft oder Halbdeckung nach §§ 1264, 1265 RVO a. F., § 32 AVG a. F., § 44 RKG a. F., gegebenenfalls durch Nachentrichtung rückständiger Beiträge, erhalten werden konnte und welche Aufwendungen dafür erforderlich wären. Gegen seinen Willen wurde jedoch kein Gefangener weiterversichert. Er war selbst für die Entscheidung und Durchführung der Weiterversicherung verantwortlich. Dasselbe galt für denjenigen, der von der Möglichkeit der Selbstversicherung (§§ 1243 RVO a. F., 31 AVG a. F., 43 RKG a. F.) Gebrauch machen wollte.51 Die Beiträge waren grundsätzlich aus eigenem Geld oder aus Mitteln seiner Angehörigen und, wenn diese nicht ausreichten, aus der Arbeitsbelohnung zu finanzieren. Staatliche Mittel sollten nur gewährt werden, wenn ansonsten spätere Rentenansprüche verloren zu gehen drohten und der Gefangene der Hilfe würdig war.52 Dazu zählten insbesondere Gefangene, die für ihre Versicherung bereit waren, ihre Arbeitsbelohnung zu opfern und dadurch ihren Bedarf an Zusatznahrung, Tabak oder sonstigen Vergünstigungen in der Anstalt einschränken oder aufgeben mussten. Doch einen weitergehenden sozialversicherungsrechtlichen Schutz – neben der Unfallversicherung – insbesondere die Einbeziehung in einen zweiten bestehenden Versicherungszweig brachte auch die in der Folgezeit vom Reichsminister der Justiz im Wege einer Allgemeinen Verfügung am 22. Juli 1940 erlassene „Strafvollzugsordnung“ (StrVollzO)53 nicht. Diese regelte in § 150 Abs. 1 StrVollzO ebenfalls nur, dass Gefangene über die Möglichkeit und Vorteile einer freiwilligen Weiterversicherung zu belehren waren. Sofern eine Weiterversicherung zweckmäßig war, was vor allem voraussetzte, dass die Gefangenen nach ihrer Entlassung die allgemeine Wartezeit in der Rentenversicherung erfüllen würden, war ihnen „nahe zu legen, sich weiterzuversichern“. Die Beiträge wurden aus der Arbeitsbelohnung beschafft, soweit die eigenen Mittel des Gefangenen nicht ausreichten (§ 150 Abs. 3 S. 1 StrVollzO). Reichsmittel sollten nach § 150 Abs. 3 S. 2 StrVollzO nur aufgewendet werden, wenn dadurch der Verlust künftiger Rentenansprüche des Gefangenen zu vermeiden und dieser wiederum jener staatlichen Hilfe „würdig“ war.
51 Nr. 2 der Allgemeinen Verfügung des RJM v. 1.4.1938, abgedr. in Deutsche Justiz, 1938, 543. 52 Nr. 10 der Allgemeinen Verfügung des RJM v. 1.4.1938, abgedr. in Deutsche Justiz, 1938, 543. 53 Abgedr. in: Pfundtner/Neubert, II c 14, 17 ff.
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c) Bundesrepublik bis zum Erlass des Strafvollzugsgesetzes In der Zeit von 1947 bis 1949 erließen die Länder Bayern, Berlin, Bremen, Hessen und Württemberg-Baden im Verwaltungswege besondere Strafvollzugsordnungen. In den übrigen Ländern galten überarbeitete Fassungen der Strafvollzugsordnung von 1940.54 Um bis zum Erlass eines Strafvollzugsgesetzes für eine Vereinheitlichung des Strafvollzugs in den Ländern zu sorgen, wurde die bundeseinheitlich geltende Dienst- und Vollzugsordnung der Bundesländer vom 1. Dezember 1961 (DVollzO)55 erlassen. Diese bestimmte auch keine Einbeziehung der Gefangenen in einen weiteren Sozialversicherungszweig. Vielmehr waren die Gefangenen wie zuvor lediglich über die Möglichkeit und Vorteile der freiwilligen Weiterversicherung zu belehren (Nr. 132 DVollzO). Die Dienst- und Vollzugsordnung sah jedoch zusätzlich vor, bei einer Berechtigung zur freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Möglichkeit der Höherversicherung aufmerksam zu machen (Nr. 132 Abs. 1 S. 3 DVollzO). Außerdem verwies Nr. 132 Abs. 1 S. 1 DVollzO erstmals auf eine freiwillige Weiterversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Aufrechterhaltung eines Krankenversicherungsschutzes. Die Beiträge wurden – wie schon nach der Strafvollzugsordnung von 1940 – aus der Arbeitsbelohnung beschafft, soweit die eigenen Mittel des Gefangenen nicht ausreichten (Nr. 132 Abs. 2 DVollzO). Eine Aufwendung von Reichsmitteln war nach der Dienst- und Vollzugsordnung hingegen nicht mehr vorgesehen. Der Gefangene war für eine etwaige Versicherung selbst verantwortlich und hatte die dadurch entstehenden Kosten allein zu tragen. 3. Arbeitslosenversicherung Die Arbeitslosenversicherung war bis zur Einführung der Pflegeversicherung 1995 der jüngste Sozialversicherungszweig. Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 192756 hatte erstmals eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit in das System der deutschen Sozialversicherung eingeführt.57 54
Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, Einl. Rn. 8. Diese Dienst- und Vollzugsordnung ist eine Vereinbarung der Justizminister der Länder und hat den Charakter einer Verwaltungsanordnung. Sie beruht nicht auf einem Gesetz (vgl. BVerfGE 33, 1, 12). 56 RGBl. I, 187. 57 Zuvor gab es nur Erwerbslosenfürsorge, eine nach freiem Ermessen festgesetzte Unterstützung, die Gemeinden Arbeitslosen, die arbeitsfähig und arbeitswil55
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Die Arbeitslosenversicherung war nach § 56 Abs. 1 AVAVG (§ 69 AVAVG a. F.) eine Pflichtversicherung für Arbeitnehmer, die an die Versicherungspflicht in der Kranken- oder Angestelltenversicherung (ausnahmsweise an die Rentenversicherung der Arbeiter) geknüpft war.58 Anknüpfungspunkt der Versicherungspflicht bildete wie auch bei den anderen Sozialversicherungszweigen eine abhängige Beschäftigung gegen Entgelt (§§ 165 Abs. 2 RVO, 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AVG, 1 Abs. 1 RKG, 122 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RVO). Da Strafgefangene für ihre Gefangenenarbeit nicht gegen Arbeitsentgelt entlohnt wurden, gehörten sie somit auch in der Arbeitslosenversicherung nicht zum versicherungspflichtigen Personenkreis. Nach § 70 AVAVG (§ 82 AVAVG a. F.) endete die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung mit dem Ausscheiden aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung, für einen zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten also spätestens mit seinem Haftantritt. Die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung war für Strafgefangene für diesen Sozialversicherungszweig nicht vorgesehen.59 Das Arbeitsförderungsgesetz vom 25. Juni 196960, welches das AVAVG ablöste, brachte für die Gefangenen keine Veränderungen. Zwar war die Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung jetzt unabhängig von der Beitragspflicht zu anderen Zweigen der Sozialversicherung, doch Grundvoraussetzung war nach wie vor eine abhängige Beschäftigung gegen Entgelt, an der es fehlte.
II. Reformbestrebungen im Rahmen der Vorarbeiten zum Strafvollzugsgesetz seit Ende der 1960er Jahre Nach Bestrebungen zur Entwicklung eines Strafvollzugsgesetzes in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begannen konkrete legislatorische Vorarbeiten erst 1967 mit der Berufung einer Strafvollzugskommission durch den damaligen Bundesjustizminister Gustav Heinemann lig waren und sich nicht weigerten, geeignete Arbeit anzunehmen, gewähren konnten; vgl. Knigge u. a. AFG, Einl. Anm. 2; Schieckel, SGb 1977, 425. 58 Draeger u. a., AVAVG, § 56 Rn. 1. 59 Einzige Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung bestand gem. § 86 AVAVG a. F. für Angestellte, die wegen Überschreitens der Gehaltsgrenze aus der Versicherungspflicht ausgeschieden waren. Die Norm wurde 1942 aufgehoben. Doch selbst diese hochbezahlten Angestellten hätten sich im Falle einer Verurteilung nicht weiterversichern können, da die Weiterversicherung stets die Eigenschaft eines Angestellten voraussetzte; vgl. Stier-Somlo, AVAVG, § 86, S. 232; Weigert u. a., AVAVG, § 86 I. 60 BGBl. I, 582, in Kraft getreten am 1.7.1969.
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
(SPD).61 Die Kommission erarbeitete in 13 Arbeitstagungen von November 1967 bis Januar 197162 einen ersten Entwurf zum Strafvollzugsgesetz.63 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wurde die soziale Sicherung der Strafgefangenen, die bislang lediglich in der Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung bestand, im Rahmen der Erarbeitung eines Strafvollzugsgesetzes um weitere Versicherungszweige erweitert? Im Rahmen ihrer neunten Arbeitstagung im November 1969 hatte die Kommission unter anderem Grundsätze zur „Einbeziehung der Gefangenen in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung“ sowie zur „Verwendung des Arbeitsentgelts und die Vollstreckungskosten“ erarbeitet.64 Diese sahen vor, die Gefangenen in alle Zweige der Sozialversicherung und in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen, um sie und ihre Familien vor sozialer Not zu schützen und ihre Wiedereingliederung zu erleichtern. Die hierfür notwendige gesetzliche Regelung sollte durch eine Änderung der Sozialgesetzgebung gesichert werden. Die Einbeziehung würde erleichtert werden, wenn die Arbeit der Gefangenen im Vollzug weitgehend an die Arbeitsbedingungen der freien Wirtschaft angepasst, insbesondere ein Rechtsanspruch auf leistungsangemessenes Entgelt begründet würde.65 Das Arbeitsentgelt der Gefangenen sollte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozial- und Arbeitslosenversicherung unterliegen. Der Kommissionsentwurf eines Strafvollzugsgesetzes wurde am 3. Februar 1971 dem Bundesministerium der Justiz übergeben. Auf diesen Entwurf aufbauend, folgte 1972/73 der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (RE).66 Dieser sah in den §§ 174–176 RE die notwendigen Änderungen der Sozialgesetze insoweit vor, als dies zur Einbeziehung der Gefangenen in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung erforderlich war. Außerdem sollte nach § 40 Abs. 1 RE jeder Gefangene bei Ausübung einer entsprechenden Arbeit einen Rechtsanspruch auf Arbeitsentgelt haben, 61 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, Einl. Rn. 11–15; Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, 24–27, 40–43; ders., Strafvollzugsreform, 116 f.; Quedenfeld, S. 148 ff. 62 Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. I-XII. Über die Beratungsergebnisse berichtete auch die ZfStrVo 1968, 53 ff., 110 ff., 239 ff.; 1969, 98 ff., 183 ff., 243 ff., 361 ff.; 1970, 55 ff., 122 ff., 251 ff.; 1971/72, 357 ff. 63 Kommissionsentwurf: Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafen und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz. Beschlossen auf der 13. Arbeitstagung der Strafvollzugskommission vom 4. bis 8. Januar 1971 in Berlin. 64 Vgl. Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. IX, 123 ff., 126 ff. 65 Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. IX, 124. 66 Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz (StVollzG), hrsg. vom BMJ 1972.
A. Der Rechtszustand vor In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes
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das auf Grundlage des Ortslohnes der Sozialversicherung (§ 149 RVO a. F.)67 zu bemessen war. Die anfallenden Ausgaben für Pflichtbeiträge und Arbeitsentgelte der Gefangenen sollte das für die Vollzugsanstalt jeweils zuständige Bundesland tragen. Der Strafvollzug gehörte nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (a. F.) zwar zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes68, der mit Erlass eines Strafvollzugsgesetzes von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machte. Die Verwaltungshoheit lag gleichwohl bei den Ländern. Sie hätten nach Art. 30 i. V. m. Art. 83 GG das Strafvollzugsgesetz als eigene Angelegenheit auszuführen und wären damit für die Bereitstellung der Finanzmittel zur sozialen Sicherung der Strafgefangenen zuständig. Aufgrund der den Bundesländern entstehenden finanziellen Auswirkungen sah der Regierungsentwurf in § 180 Abs. 2 RE abweichend vom Kommissionsentwurf deshalb vor, das In-Kraft-Treten bestimmter kostenträchtiger Normen – namentlich die Einführung eines Arbeitsentgelts für Gefangene und damit im Zusammenhang stehende Regelungen sowie deren Einbeziehung in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung – einem besonderen Bundesgesetz vorzubehalten. Durch diese Zurückstellung sollte den Ländern Zeit für die Bereitstellung der Finanzmittel eingeräumt werden. Begründet wurde die Suspendierung der Normen mit der Verursachung von geschätzten Mehrausgaben von etwa 173 Millionen DM jährlich durch die Einführung des Arbeitsentgelts sowie noch nicht abschätzbaren Kosten für die Einbeziehung in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung. „Bei der gegenwärtigen Finanzlage konnte keine Frist für die Einführung dieser Vorschriften festgesetzt werden.“69 Die Umsetzung dieser Normen wurde folglich auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben. Der Regierungsentwurf bildete die Grundlage der parlamentarischen Beratungen. Auf diese Beratungen konnte der im Herbst 1973 vorgelegte Alternativ-Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes keinen entscheidenden Einfluss nehmen.70 Dieser Entwurf entsprach mit § 86 S. 1 AE-StVollzG der Forderung, alle Strafgefangenen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung zu versichern. Ferner sollte jeder Insasse für seine Arbeit im Vollzug einen tarifgemäßen Stundenlohn erhalten und somit wie ein freier Arbeitnehmer entlohnt werden (§ 87 Abs. 1 AE-StVollzG). 67
Als Ortslohn galt gem. § 149 Abs. 1 RVO a. F. „der ortsübliche Tagesentgelt gewöhnlicher Tagarbeiter“. 68 Dies hat sich nach In-Kraft-Treten der Föderalismusreform im Jahr 2006 geändert. Die Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug ist den Ländern übertragen worden (vgl. Einl., D). 69 BT-Drs. 7/918, 106. 70 Alternativ-Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes (AE-StVollzG), vorgelegt von einem Arbeitskreis deutscher und schweizerischer Strafrechtslehrer: s. Baumann u. a., AE-StVollzG.
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
Der federführende Sonderausschuss für die Strafrechtsreform, an den der Bundestag am 19. Oktober 1973 den Regierungsentwurf zur Beratung überwiesen hatte, befürchtete bei der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Lösung, einer durch besonderes Bundesgesetz erfolgenden Inkraftsetzung der Vorschriften über die Sozialversicherung der Gefangenen, dass dieses zu lange auf sich warten lassen würde.71 Der Sonderausschuss schlug deshalb eine zeitlich schrittweise Umsetzung der Reformvorhaben vor. Dabei sollten bereits im Strafvollzugsgesetz die Zeitpunkte genau bestimmt werden. So sollten die Gefangenen bereits ab In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes am 1. Januar 1977 ein Arbeitsentgelt in Höhe von 5% des durchschnittlichen Entgelts aller Versicherten der Arbeiter und Angestellten ohne Auszubildende des vorvergangenen Kalenderjahres erhalten, das im Jahr 1980 verdoppelt und 1986 den achtfachen Stand, also 40% erreichen sollte.72 Ferner war vorgesehen, die Gefangenen schon ab 1. Januar 1977 in die Arbeitslosenversicherung, ab 1. Januar 1980 in die Krankenversicherung und schließlich ab 1. Januar 1986 in die Rentenversicherung einzubeziehen.73 Durch diesen Stufenplan wollte der Ausschuss der schwierigen Finanzsituation der Länder Rechnung tragen, aber gleichzeitig eine definitive Reform sichern.74 Für das Konzept des Stufenplans sprachen mehrere Gründe: Die betroffenen Gefangenen würden in zeitlich überschaubarem Rahmen umfassend in die sozialen Sicherungssysteme einbezogen werden. Mit der stetigen Erhöhung des Arbeitsentgelts würde ihnen nicht nur die Bedeutung von Arbeit vor Augen geführt, sondern sie würden zudem in die Lage versetzt werden, ihre finanziellen Pflichten gegenüber ihrer Familie und den Geschädigten zu erfüllen. Außerdem würde durch die genaue Festlegung des Zeitpunkts des In-Kraft-Tretens den Normadressaten Klarheit verschafft und andererseits den Ländern angemessen Zeit für die Umsetzung der Normen eingeräumt werden. Der Vorschlag des Sonderausschusses konnte sich wegen des Einspruchs des Bundesrates75 jedoch nicht durchsetzen. Nach Anrufung des Vermitt71
BT-Drs. 7/3998, 3. BT-Drs. 7/3998, 130 f. 73 BT-Drs. 7/3998, 3, 53 f., 127 f. 74 BT-Drs. 7/3998, 53. 75 Der Bundesrat schlug vor, den Gefangenen einen Arbeitsentgeltanspruch zu gewähren, die Höhe des Entgelts aber auf fünf vom Hundert des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ohne Auszubildende des vorvergangenen Kalenderjahres festzuschreiben (vgl. BT-Drs. 7/4378, 3). Bezüglich der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung befürwortete die Länderkammer die Suspendierung der entsprechenden Normen bis zum Erlass eines besonderen Bundesgesetzes (BT-Drs. 7/4378, 2). 72
B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz
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lungsausschusses durch den Bundesrat76 schlug dieser in seinem Beschlussantrag vor, kostenintensive Innovationen erst durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft zu setzen (§ 198 Abs. 3 StVollzG) und stellte damit die Norm des § 180 Abs. 2 RE teilweise wieder her.77 Der Bundestag verabschiedete schließlich mit den Änderungen des Vermittlungsausschusses am 12. Februar 1976 das Strafvollzugsgesetz, welches nach Zustimmung des Bundesrates endlich zustande gekommen war.78
B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz I. Einleitende Bemerkungen Mit Erlass des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 197679, das – jedenfalls größtenteils – am 1. Januar 1977 in Kraft trat (§ 198 Abs. 1 StVollzG), wurde für den Strafvollzug in der Bundesrepublik Deutschland erstmals eine umfassende gesetzliche Regelung geschaffen. Im Hinblick auf die Reformziele der Angleichung der Arbeitsbedingungen im Vollzug an die der freien Wirtschaft und die volle Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialund Arbeitslosenversicherung, die als die „Kernstücke“80 der Reform angesehen wurden, waren allerdings kaum Fortschritte zu verbuchen. Deshalb wurde das Gesetz vielfach als „Torso“81 oder „Kompromiss“ bzw. „Kompromiss-Gesetz“82 kritisiert.
II. Die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen im Überblick Im fünften Abschnitt des Strafvollzugsgesetzes formulierte der Gesetzgeber in den §§ 190–194 StVollzG die für die Einbeziehung der Gefangenen in die Sozial- und Arbeitslosenversicherung notwendigen Änderungen und Ergänzungen der jeweiligen Sozialgesetze sowie in § 195 StVollzG die 76
BT-Drs. 7/4378. BT-Drs. 7/4662. 78 BR-Drs. 121/76. 79 Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz (StVollzG) v. 16.3.1976, BGBl. I, 581. 80 Müller-Dietz, ZRP 1974, 249; Neumann-Duesberg, DOK 1977, 8, 9. 81 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 198 Rn. 1; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 198; Müller-Dietz, NJW 1976, 913, 917; ebenso BVerfGE 98, 169, 208. 82 Feest, InfoStVollzPR 1986, 617; Kerner, ZfStrVo 1977, 74; Rotthaus, NStZ 1987, 1; Wetzler, ZfStrVo 1987, 32. 77
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
Einbehaltung von Beitragsteilen.83 Aus Kostengesichtspunkten traten am 1. Januar 1977 aber nur die Vorschriften über das Arbeitsförderungsgesetz (§ 194 StVollzG) und die Bestimmung über die Einbehaltung von Beitragsteilen (§ 195 StVollzG) in Kraft. 1. Die Kranken- und Rentenversicherung Die §§ 190 Nr. 1–10 und 13–18, 191–193 StVollzG regeln die Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung. Sie sehen insoweit Änderungen und Ergänzungen der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, des Angestelltenversicherungsgesetzes, des Reichsknappschaftsgesetzes und des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte vor.84 Wegen der Regelung des § 198 Abs. 3 StVollzG wird die geplante Einbeziehung in die Kranken- und Rentenversicherung jedoch erst nach Erlass des schon erwähnten besonderen Bundesgesetzes in Kraft treten. § 190 Nr. 1 StVollzG enthält für die Reichsversicherungsordnung, das Angestelltenversicherungsgesetz, das Reichsknappschaftsgesetz und das Arbeitsförderungsgesetz zunächst eine Begriffsbestimmung der Gefangenen. Sie stellt klar, dass zum Kreis der Gefangenen nicht nur Strafgefangene, sondern auch Personen gehören, die im Vollzug von Untersuchungshaft und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung oder einstweilig nach § 126a Abs. 1 StPO untergebracht sind. In negativer Abgrenzung bedeutet dies, dass Gefangene, die sich in einer anderen Form der Freiheitsentziehung befinden (z. B. Abschiebungshaft oder Zivilhaft) nicht zu dem Personenkreis zählen. Soweit die Gefangenen als entgeltlich Beschäftigte gelten, gilt das für die jeweilige Vollzugsanstalt zuständige Land als Arbeitgeber. Durch § 190 Nr. 2 StVollzG wurde der Grundsatz verwirklicht, dass Gefangene, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung85 (§§ 43–45, 176 und 177 StVollzG) erhalten, in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind. Für die Bemessung der Beiträge und Leistungen mit Ausnahme des Krankengeldes ist als Arbeitsentgelt ein Betrag in Höhe von 90% der in § 18 SGB IV geregelten Bezugsgröße zu83
§§ 190–193 StVollzG sind im Anh. 1 abgedruckt. Das AVG sowie die rentenrechtlichen Vorschriften der RVO und des RKG sind seit 1.1.1992 durch die Regelungen des SGB VI ersetzt. Die gesetzliche Krankenversicherung wird seit 1.1.1989 einheitlich im SGB V geregelt. 85 Die Bestimmung zur Zahlung von Ausfallentschädigung gem. § 45 StVollzG und der darauf Bezug nehmende § 176 Abs. 2 StVollzG treten ebenfalls nach § 198 Abs. 3 StVollzG erst durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft. 84
B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz
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grunde zu legen. Die Bezugsgröße entspricht dem Durchschnittsentgelt aller Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung des vorvergangenen Kalenderjahres. Für den Kalendermonat ist ein Zwölftel, für den Kalendertag ein Dreihundertsechzigstel zugrunde zu legen. Die Beiträge zur Krankenversicherung müsste der Arbeitgeber, also das Land als Träger der Vollzugsanstalten, allein tragen (§ 190 Nr. 6 StVollzG). Das Land hat somit sowohl die Arbeitgeber- wie Arbeitnehmeranteile zu entrichten. Ein Lohnabzug wie bei freien Arbeitnehmern würde zu Härten führen, da der Gefangene Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung in nur geringer Höhe bezieht und deshalb die Beiträge nicht mittragen könnte. § 195 StVollzG räumt der Vollzugsbehörde aber die Möglichkeit ein, von den Bezügen des Gefangenen einen dem freien Arbeitnehmeranteil entsprechenden Betrag einzubehalten.86 Die Pflicht der Länder, im Verhältnis zum Versicherungsträger die Beiträge voll zu zahlen, bleibt unberührt.87 Die §§ 190 Nr. 3–5 StVollzG regeln Ruhensvorschriften für bestimmte Leistungen aus der Krankenversicherung, um Doppelleistungen zu vermeiden. § 190 Nr. 13 StVollzG bestimmt die Versicherungspflicht der entgeltlich beschäftigten Gefangenen in der Rentenversicherung der Arbeiter. Diese Vorschrift wird ergänzt durch § 191 Nr. 1 StVollzG, der die entsprechende Änderung des damals geltenden § 2 AVG für die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten formuliert. Als Beitragsbemessungsgrundlage ist auch im Rahmen der Rentenversicherung ein Arbeitsentgelt in Höhe von 90% der Bezugsgröße zugrunde zu legen (vgl. § 190 Nr. 16 und § 191 Nr. 6 StVollzG). Die Beitragspflicht zur Rentenversicherung obliegt dem Arbeitgeber wiederum allein (§ 190 Nr. 18 und § 191 Nr. 6 StVollzG). Die §§ 192 Nr. 1 und 193 Nr. 5 StVollzG betreffen erforderliche Änderungen des RKG und des KVLG, wonach die Gefangenen bei Einbeziehung in die Krankenversicherung Mitglieder der Bundesknappschaft oder der landwirtschaftlichen Krankenkasse würden, wenn sie dort zuletzt krankenversichert waren. Der Gesetzgeber hat die vorgesehene soziale Sicherung für Gefangene somit zwar detailliert geregelt. Dennoch blieb den Gefangenen die Einbeziehung in die Versicherungszweige der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung aus finanziellen Erwägungen bis heute versagt. Die Inkraftsetzung der sozialversicherungsrechtlichen Normen wurde von dem Erlass eines besonderen Bundesgesetzes abhängig gemacht (§ 198 Abs. 3 StVollzG) und somit auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Tatsache, dass 86 87
Näheres zu § 195 StVollzG im Ersten Teil unter B. II. 3. b). BT-Drs. 7/918, 105.
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
die Vorschriften Jahrzehnte nach ihrem Erlass immer noch suspendiert sind, zeigt, dass sich diese Gesetzgebungstechnik nicht bewährt hat. Die damaligen Befürchtungen des Sonderausschusses der Strafrechtsreform haben sich voll bewahrheitet. 2. Leistungen aus der Unfallversicherung Nach In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes hat der Gefangene wie bisher Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. In § 190 Nr. 11 und 12 StVollzG wurden unfallversicherungsrechtliche Normen der RVO neugefasst, was durch die Einführung eines Arbeitsentgelts für Gefangene (§ 43 StVollzG) notwendig wurde.88 § 190 Nr. 11 und 12 waren von der Suspendierung des § 198 Abs. 3 StVollzG ausgenommen und traten bereits am 1. Januar 1977 in Kraft. Durch das Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz – UVEG) vom 7. August 199689 wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1997 die Vorschriften der RVO durch die Regelungen des SGB VII ersetzt.90 Seither sind mit Ausnahme der in einem freien Beschäftigungsverhältnis tätigen Gefangenen – diese sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert – alle im Strafvollzug arbeitenden oder an beruflichen Bildungsmaßnahmen teilnehmenden Gefangenen gem. § 2 Abs. 2 S. 2 SGB VII gegen Arbeitsunfälle versichert und haben im Versicherungsfall neben der Heilbehandlung insbesondere Anspruch auf Verletztengeld.91 3. Einbeziehung in die Arbeitsförderung a) Allgemeines Mit Erlass des Strafvollzugsgesetzes war als einziger wesentlicher Fortschritt hinsichtlich der sozialen Sicherung der Gefangenen deren Einbeziehung in die Arbeitsförderung gem. § 194 StVollzG92 zu verzeichnen. Seither sind Gefangene (§ 163a S. 1 RVO), die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbei88
BT-Drs. 7/918, 105. BGBl. I, 1254. 90 Zum Anspruch und den Leistungen aus der UV vgl. §§ 2 Abs. 2 S. 2, 27 Abs. 3, 35 Abs. 4, 45 ff., 47 Abs. 6, 56 ff. und 63 ff. SGB VII. 91 Hardes, ZfStrVo 1984, 6, 7; Steiner, S. 55 ff. 92 Diese Vorschrift – inzwischen gestrichen durch das vierte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (4. StVollzGÄndG) vom 26.8.1998 (BGBl. I, 2461, 2468) – nahm auf die damals einschlägigen Normen des AFG Bezug, die seit 1.1.1998 durch die Bestimmungen des SGB III ersetzt worden sind. 89
B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz
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hilfe oder Ausfallentschädigung93 nach dem Strafvollzugsgesetz erhalten, in dem Sozialleistungszweig der Arbeitsförderung allgemein pflichtversichert, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften beitragspflichtig94 oder beitragsfrei95 sind. Die Gefangenen im Rahmen dieser Regelung gelten als Arbeitnehmer, das für die Vollzugsanstalt zuständige Land als Arbeitgeber (§ 194 Nr. 5 StVollzG, § 168 Abs. 3a AFG; heute: § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Die Strafgefangenen wurden damit den versicherungspflichtig Beschäftigten i. S. d. Sozialversicherung gleichgestellt. Die Beitragspflicht beginnt mit dem Tag der Aufnahme der beitragspflichtigen Arbeit oder Ausbildung und endet mit dem Tag des Ausscheidens aus dem Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnis (§ 194 Nr. 6 StVollzG, § 170 Abs. 3 AFG)96. Zwar ist der durch § 190 Nr. 1 StVollzG eingeführte § 163a RVO nicht durch das in § 198 Abs. 3 StVollzG vorgesehene besondere Bundesgesetz in Kraft gesetzt worden, die Übergangsfassung des § 199 Abs. 2 Nr. 1 StVollzG erklärte die für die Beitragspflicht nach dem AFG maßgebenden Vorschriften der RVO und des AVG in der Fassung der §§ 190 und 191 StVollzG aber für anwendbar. Beitragsschuldner gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit (seit 1. Januar 2004 Bundesagentur für Arbeit97) ist allein das für die Vollzugsanstalt zuständige Land (§§ 194 Nr. 7 StVollzG, § 171 Abs. 3 AFG; heute: § 347 Nr. 3 i. V. m. § 349 Abs. 2 SGB III) nach Maßgabe der Gefangenen-Beitragsverordnung98 (§ 194 Nr. 8 StVollzG, § 175 Abs. 3 Nr. 2 AFG; heute: § 352 Abs. 3 SGB III).99 Als beitragspflichtige Einnahme gilt bei Gefangenen, die nach § 26 Abs. 1 Nr. 4 93 Die Bestimmung der Ausfallentschädigung wird erst durch besonderes Bundesgesetz in Kraft gesetzt (§ 198 Abs. 3 StVollzG). 94 Z. B. Gefangene in einem freien Beschäftigungsverhältnis gem. § 39 Abs. 1 StVollzG, für die eine Beitragspflicht nach § 168 Abs. 1 S. 1 AFG bzw. heute nach § 25 Abs. 1 SGB III besteht. 95 Nach § 169 Nr. 2, 3 oder 4 AFG a. F., was dem heutigen § 28 Abs. 1 SGB III entspricht. 96 Vgl. die heutige Regelung des § 24 SGB III zum Versicherungspflichtverhältnis, die in § 24 Abs. 2 und 4 SGB III Beginn und Ende desselben bestimmt und in § 170 AFG ihren Vorläufer hat. 97 Geändert durch Art. 1 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl. I, 2848). 98 Verordnung über den Einzug der während der Freiheitsentziehung zu entrichtenden Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit (Gefangenen-Beitragsverordnung) vom 14.3.1977 (BGBl. I, 448), aufgehoben mit Wirkung vom 1.1.1998 (Art. 82 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Art. 83 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes – AFRG vom 24.3.1997, BGBl. I, 594, 720 f.). Seit 1.1.1998 gilt die Verordnung über die Pauschalberechnung der Beiträge zur Arbeitsförderung für Gefangene (Gefangenen-Beitragsverordnung) vom 3.3.1998 (BGBl. I, 430). 99 Zu den Einzelheiten der Beitragspflicht und Beitragsberechnung nach dem AFG: s. Hardes, ZfStrVo 1982, 284, 285 f.; Maldener, ZfStrVo 1996, 14 ff. Zur aktuellen Rechtslage nach dem SGB III: Hardes, ZfStrVo 2001, 139, 140.
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
SGB III versicherungspflichtig sind, ein Arbeitsentgelt in Höhe von 90% der Bezugsgröße (§ 345 Nr. 3 SGB III). b) Die Bedeutung des § 195 StVollzG Mit Rücksicht auf die Besonderheiten des Strafvollzugs sieht das Strafvollzugsgesetz keine Beteiligung der Gefangenen an den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung vor.100 Allerdings ergänzt § 195 StVollzG diese Regelung im Verhältnis des Gefangenen zur Vollzugsbehörde: Diese ist befugt, vom Arbeitsentgelt oder der Ausbildungsbeihilfe (§§ 43, 44 StVollzG) des Gefangenen einen Beitragsanteil einzubehalten. Dieser hat dem Anteil des Gefangenen am Beitrag der Höhe der Bezüge zu entsprechen, welche er als freier Arbeitnehmer erhielte (zurzeit 2,1% gem. §§ 341 Abs. 2, 346 Abs. 1 S. 1 SGB III, früher § 174 Abs. 1 AFG). Das OLG Koblenz betonte unter Bezugnahme auf § 171 Abs. 3 AFG, dass § 195 StVollzG keine Beitragspflicht der Gefangenen gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit (nunmehr Bundesagentur für Arbeit) regelt, sondern einen originären Ausgleichsanspruch der Vollzugsanstalt gegen den Gefangenen begründet.101 Aufgrund der Ermessensermächtigung des § 195 StVollzG haben alle Justizverwaltungen der Länder eine bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift erlassen. Sie bestimmt, dass der in § 195 StVollzG bestimmte Beitragsanteil einbehalten wird und dass nur in Fällen unbilliger Härte eine Ausnahme gemacht werden kann. Diese Verwaltungsvorschrift wird massiv kritisiert, da sie in Widerspruch zum gesetzgeberischen Ermessen des § 195 StVollzG („kann“) eine gebundene Entscheidung („wird einbehalten“) zu Lasten der Gefangenen vorsieht und deshalb mit dem Gesetz unvereinbar sei.102 Nach einer Entscheidung des BVerfG sei die Beitragsbeteiligung im Rahmen des § 195 StVollzG selbst bei solchen Gefangenen nicht zu beanstanden, deren Lohn unter der in § 171 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AFG (§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB III in der bis 31. März 1999 geltenden Fassung) genannten Einkommensgrenze („ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße“) liegt, nach der freie Arbeitnehmer beitragsfrei wären.103 Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebiete es auch in dem Fall nicht, von der Einbehaltung des Beitragsanteils abzusehen, da anders als bei einem geringver100
BT-Drs. 7/918, 106. OLG Koblenz NStZ 1985, 48 = StV 1985, 333 m. krit. Anm. Dopatka. 102 HansOLG Hamburg NStZ 1992, 352 = ZfStrVo 1992, 329, 330; AKStVollzG-Feest/Brühl, § 195 Rn. 2; Dopatka, StV 1985, 334, 335; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 482. 103 BVerfG ZfStrVo 1995, 312, 313 f. = SozVers 1995, 279, 280. 101
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dienenden freien Arbeitnehmer bei einem Strafgefangenen nicht die Gefahr bestehe, dass er wegen des Beitragsanteils seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten könnte, weil er zur Erfüllung seiner materiellen Grundbedürfnisse auf seinen Lohn nicht angewiesen sei. Ein Teil des Schrifttums wendet dagegen ein, dass die Vollzugsbehörden im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung nach § 195 StVollzG verpflichtet seien, dem Rechtsgedanken des § 171 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AFG gemäß, von einer Beitragseinbehaltung zwingend abzusehen.104 Etwas anderes könne sich auch nicht daraus ergeben, dass sich der Gefangene mit seinem Lohn nicht an den Ausgaben für seinen Lebensunterhalt zu beteiligen habe, sondern ihm vielmehr „freie Kost und Logis“ gewährt würde. Mit Ausnahme für die Freigänger ist die Zahlung eines Haftkostenbeitrags für Unterkunft und Verpflegung nicht vorgesehen (§ 50 StVollzG i. d. F. des § 199 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG). Diese Kritik ist nach einer Rechtsänderung durch das Gesetz zur Neuregelung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999105 zu überdenken und nur noch eingeschränkt haltbar. Mit Wirkung vom 1. April 1999 werden grundsätzlich auch Beschäftigte mit geringem Einkommen der allgemeinen Teilungsregel, nach der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge je zu Hälfte entrichten (§ 346 Abs. 1 S. 1 SGB III), unterworfen. Dass der Arbeitgeber bei Geringverdienern die Beiträge allein zu tragen hat, gilt nur noch für: 1. behinderte Menschen, die in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen oder in einer anerkannten Blindenwerkstätte beschäftigt sind und deren monatliches Bruttoentgelt ein Fünftel der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt (§ 346 Abs. 2 SGB III), 2. Auszubildende, deren monatliches Entgelt 325 e nicht übersteigt (§ 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB IV) und 3. Personen, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr ableisten (§ 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB IV). Der Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG bestimmt, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen möglichst weitgehend angeglichen werden soll. Der Grundsatz verpflichtet die Vollzugsbehörden, die Unterschiede zwischen den Lebensbedingungen im Vollzug und denen in Freiheit gering zu halten oder auszugleichen. Dieses Gebot ist im Zusammenhang mit dem in § 2 S. 1 StVollzG definierten Vollzugsziel zu sehen106, wonach der Strafgefangene zu befähigen ist, künftig in sozialer 104 105
AK-StVollzG-Feest/Brühl, § 195 Rn. 1; Dopatka, StV 1985, 334, 335. BGBl. I, 388.
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Dies schließt nicht aus, dass zur Erreichung des Vollzugsziels mit der Angleichung auch nachteilige Folgen verbunden sein können. Demzufolge erscheint es insbesondere nach der Rechtsänderung gerecht, den Gefangenen auch bei geringem Lohn von der der Sozialversicherung zugrunde liegenden Solidarität nicht auszunehmen. Der Gefangene partizipiert an den Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Diese Leistungen sind von allen beitragspflichtigen – nunmehr auch einkommensschwachen und somit möglicherweise existenzgefährdeten – Arbeitnehmern in der Solidargemeinschaft zu finanzieren. Soweit demnach auch von einem Gefangenen im Einzelfall ein Beitragsanteil einbehalten wird, welcher der Höhe nach seinem geringen Verdienst Rechnung trägt, werden damit gleichzeitig sein Verantwortungsbewusstsein und die Solidarität gegenüber der Gesellschaft geschärft. Entgegen der Verwaltungsvorschrift darf die Einbehaltung der Beitragsanteile aber nicht konsequent durchgeführt werden. Ob die Vollzugsbehörde Beitragsanteile einbehält oder nicht, ist Sache des Einzelfalls und im Rahmen der Ermessensprüfung abzuwägen. Insofern steht die Verwaltungsvorschrift im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 195 StVollzG. Bisher findet die Regelung des § 195 StVollzG nur Geltung für die Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit. c) Leistungen der Arbeitsförderung Als Leistungen der Arbeitsförderung kommen für Gefangene neben der Berufsberatung (§§ 15, 25 AFG/§§ 30 ff. SGB III)107 vor allem die Förderung der Berufsaus- und Weiterbildung108 (§§ 33 ff. AFG/§§ 59 ff., 77 ff. SGB III) in Betracht. Sie gehen der Ausbildungsbeihilfe nach § 44 StVollzG vor, soweit sie der Sicherung des Lebensunterhalts dienen. Die Leistungen des Arbeitsamtes (jetzt: Agentur für Arbeit109) dürfen die Höhe der Ausbildungsbeihilfe nicht übersteigen (§ 37 Abs. 2 AFG/§ 22 Abs. 3 S. 2 SGB III). Die Begrenzung ergibt sich daraus, dass dem Gefangenen 106
Arloth, ZfStrVo 1987, 328; Bemmann, in: FS für Lackner, S. 1047; Böhm, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 3 Rn. 2; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 3 Rn. 2 f. 107 Die früher getrennt geregelte Arbeitsberatung (§ 15 AFG) wurde aufgegeben und in die Berufsberatung integriert, vgl. Mayer, in: Lohre/Mayer/Stevens-Bartol, AFG, § 29 Rn. 1; zur Arbeits- und Berufsberatung nach dem AFG vgl. Mrozynski, Resozialisierung, S. 166 ff. 108 Zu den Voraussetzungen für die Förderung der beruflichen Weiterbildung vgl. Hardes, ZfStrVo 1998, 147 ff. 109 Geändert durch Art. 1 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl. I, 2848).
B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz
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nur in diesem Umfang ein Verdienst entgehen kann.110 Sie werden den Strafgefangenen nach einer Förderzusage der Agentur für Arbeit in Vorleistung von den Ländern erbracht und von der Bundesagentur erstattet (§ 22 Abs. 3 S. 3 SGB III). Gefangene haben nach ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug Anspruch auf Arbeitslosengeld (§§ 100 ff. AFG/§§ 117 ff. SGB III)111.112 Damit wird ihnen vor allem in der kritischen Phase der ersten Zeit nach der Entlassung geholfen, insbesondere wenn sie, wie zumeist, keinen Arbeitsplatz haben und auch nicht sofort einen finden.113 Nach Beendigung des Strafvollzugs ist ihnen eine Bescheinigung über die Zeiten auszustellen, in denen sie innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entlassung (nach § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III) beitragspflichtig waren (§ 194 Nr. 4 StVollzG). Während der Inhaftierung wird ihnen Arbeitslosengeld nicht gewährt, weil sie den Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur nicht zur Verfügung stehen.114 Anders beurteilt sich die Rechtslage bei Gefangenen, denen die Erlaubnis für ein freies Beschäftigungsverhältnis erteilt worden ist oder erteilt wird. Sie haben auch während der Inhaftierung grundsätzlich Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld, wenn sie als Strafgefangene beitragspflichtig waren und nunmehr als Freigänger arbeitslos sind.115
III. Die Arbeitsentgeltregelung des § 43 i. V. m. § 200 StVollzG (a. F.) Entsprechend der Bestimmung des § 43 StVollzG hat der Strafgefangene seit Erlass des Strafvollzugsgesetzes erstmals einen Rechtsanspruch auf Arbeitsentgelt, wenn er eine zugewiesene Arbeit, sonstige Beschäftigung oder eine Hilfstätigkeit nach § 41 Abs. 1 S. 2 StVollzG ausübt. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs folgte die Einführung des Anspruchs auf Arbeitsentgelt (anstelle der früheren Arbeitsbelohnung gem. Nr. 96 DVollzO) aus dem Grundsatz, „dass der Vollzug der Freiheitsstrafe 110
Steinmeyer, in: Gagel, SGB III, § 22 Rn. 61. Zu den Anspruchsvoraussetzungen nach dem AFG vgl. Hardes, ZfStrVo 1982, 284 ff.; zu den Voraussetzungen nach dem SGB III, ders., ZfStrVo 2001, 139, 140 f. 112 Bis zum 31. Dezember 2004 hatten Gefangene auch Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (§§ 134 ff. AFG/§§ 190 ff. SGB III, aufgehoben m.W.v. 1.1.2005 durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003, BGBl. I, 2954). 113 Nach Bertram/Huchting (AK-StVollzG-Feest/Bertram/Huchting, § 74 Rn. 4) verfügen ca. 90% der Haftentlassenen nicht über einen Arbeitsplatz. 114 Hardes, ZfStrVo 1982, 284, 285. 115 Steinmeyer, in: Gagel, SGB III, § 119 Rn. 228. 111
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1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
keine weiteren Einschränkungen für den Gefangenen mit sich bringen soll, als es für den Freiheitsentzug und die für die zukünftige straffreie Lebensführung erforderliche Behandlung notwendig ist“.116 Das Arbeitsentgelt ist sehr bedeutsam, weil es dem Gefangenen „die Früchte seiner Arbeit“ vor Augen führt.117 Besonderes Gewicht erlangt es als Mittel zur Unterstützung der Familie, Schadenswiedergutmachung, Schuldentilgung und Rücklagenbildung für die Zeit nach dem Strafvollzug.118 Diese Ziele waren mit dem auf der Dienst- und Vollzugsordnung beruhenden System einer Arbeits- und Leistungsbelohnung119, das die Gefangenenarbeit nicht in einen wirtschaftlichen Zusammenhang stellte, nicht ausreichend zu verwirklichen. Doch auch die nach § 43 Abs. 1 S. 2 und 3 i. V. m. § 200 Abs. 1 StVollzG a. F. zu berechnende Höhe des Arbeitsentgelts ermöglichte den Gefangenen nicht, die vorgesehenen Verpflichtungen zu erfüllen. Mit Rücksicht auf die Finanzlast der Länder120 begrenzte der Gesetzgeber die Höhe des Anspruchs auf zunächst 5% der Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV (sog. Eckvergütung). Ein Tagessatz ist der 250. Teil der Eckvergütung (§ 43 Abs. 1 S. 3 StVollzG a. F.; heute: § 43 Abs. 2 S. 3 StVollzG). Da sich die Reformvorstellung des Sonderausschusses, die Eckvergütung von 5% bis 1986 stufenweise auf 40% anzuheben, nicht durchsetzen konnte121, bestimmte der Gesetzgeber, dass bis zum 31. Dezember 1980 über eine Erhöhung des in § 200 Abs. 1 StVollzG bezeichneten Anteils zu befinden sei (§ 200 Abs. 2 StVollzG a. F.). Daran geknüpfte Erwartungen für eine baldige Erhöhung wurden allerdings enttäuscht; die Entscheidung über eine Erhöhung des Anteils wurde nie getroffen. Die Untätigkeit des Gesetzgebers charakterisierte Feest sarkastisch, wenngleich nicht frei von Polemik, als „Denkmal gesetzgeberischer Impotenz“.122 Nach § 43 Abs. 2 S. 1 StVollzG a. F. (heute: § 43 Abs. 3 S. 1 StVollzG) kann das Arbeitsentgelt je nach Leistung des Gefangenen und der Art der Arbeit in der Höhe gestuft werden. Dabei ist eine Unterschreitung von 75% der Eckvergütung gem. § 43 Abs. 2 S. 2 StVollzG a. F. (heute: § 43 Abs. 3 S. 2 StVollzG) nur zulässig, wenn die Arbeitsleistungen des Gefangenen 116
BT-Drs. 7/918, 67. BT-Drs. 7/918, 67. 118 Vgl. BT-Drs. 7/918, 67. 119 Zu dem früheren Arbeitsbelohnungssystem s. z. B.: Lichtenberger, S. 12 ff., der die Belohnungspraxis unter dem „Gesichtspunkt der Resozialisierungsdienlichkeit“ kritisierte und die Ablösung des Belohnungssystems durch ein Entlohnungssystem forderte; im Ergebnis zustimmend Heising, S. 69 ff., 117; Ohle, S. 16 ff., 28 ff. jeweils m. w. N. 120 Vgl. BT-Drs. 7/4208. 121 Vgl. Erster Teil, A. II. 122 Feest, InfoStVollzPR 1986, 617, 622. 117
B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz
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den Mindestanforderungen nicht genügen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die Vergütungsstufen bundeseinheitlich festgesetzt werden.123 Deshalb ermächtigt § 48 StVollzG das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und mit Zustimmung des Bundesrates, Rechtsverordnungen über die Vergütungsstufen zu erlassen. Von dieser Ermächtigung wurde mit Erlass der „Verordnung über die Vergütungsstufen des Arbeitsentgelts und der Ausbildungsbeihilfe nach dem Strafvollzugsgesetz – Strafvollzugsvergütungsordnung (StVollzVergO) –“ vom 11. Januar 1977124 Gebrauch gemacht. Nach § 1 StVollzVergO wird der Grundlohn des Arbeitsentgelts nach fünf verschiedenen Vergütungsstufen festgesetzt. Je nach Art der Arbeit und den zur Verrichtung der Tätigkeit nötigen Kenntnissen und Fähigkeiten erhält der Gefangene zwischen 75% und 125% der Eckvergütung. Durch Zulagen kann der Grundlohn erhöht werden (§ 2 StVollzVergO).125 Die sich im Jahr 1977 nach diesem Stufensystem ergebenden Tagessätze bzw. monatlichen Grundlöhne (ausgehend von 21 Arbeitstagen/Monat) sind in der folgenden Tabelle ersichtlich: Tabelle 1 Arbeitslohn der Strafgefangenen im Jahr 1977 Vergütungsstufe
Eckvergütung nach § 43 Abs. 1 S. 2 StVollzG (a. F.) (in%)
Tagessatz 1977 (in DM)
Monatliches Arbeitsentgelt 1977 (in DM)
I
75
3,33
69,93
II
88
3,91
82,11
III
100
4,44
93,24
IV
112
4,97
104,37
V
125
5,55
116,55
Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung
123
Vgl. BT-Drs. 7/3998, 23. BGBl. I, 57. 125 Es können nach § 2 Abs. 1 StVollzVergO Zulagen jeweils bis zu 5% für Arbeiten unter arbeitserschwerenden Bedingungen oder zu ungünstigen Zeiten, ferner Zulagen bis zu 25% des Grundlohns bei Überstunden gewährt werden. Nach § 2 Abs. 2 StVollzVergO können außerdem Leistungszulagen bis zu 30% gewährt werden. 124
50
1. Teil: Sozialrechtlicher Status des Strafgefangenen
IV. Zwischenzeitliche Gesetzesinitiativen zur Erhöhung der Arbeitsvergütung und Einbeziehung der Gefangenen in weitere Versicherungszweige Nach In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes gab es 1979 und 1981 Versuche, das Arbeitsentgelt durch Erhöhung von 5% auf 10% der Bemessungsgrundlage zu verdoppeln und den Gesetzgeber zu verpflichten, bis zum 31. Dezember 1985 über eine „weitere“ Erhöhung zu befinden. Außerdem sollten die Gefangenen zum 1. Januar 1981 in die Krankenversicherung, zum 1. Januar 1986 in die Rentenversicherung einbezogen werden. Entsprechende Gesetzesentwürfe126 scheiterten in der achten und neunten Legislaturperiode jeweils aus Kostengründen. Damals wurden Mehrausgaben für die Länder in Höhe von etwa 109 Millionen DM für das Jahr 1981 und von weiteren ca. 236 Millionen DM für 1986 veranschlagt. Die ab 1981 dem gegenüberstehenden Entlastungen bei den Sozialhilfeaufwendungen wurden auf etwa zehn Millionen DM jährlich geschätzt.127 Ebenso erfolglos blieb die Gesetzesinitiative des Bundesrates im Jahr 1988128, die Bemessungsgrundlage des Arbeitsentgelts auf 6% anzuheben sowie die „Fortschreibung“ der Entlohnung auf den 31. Dezember 1993 zu verschieben. Matzke129 kritisierte zu Recht die zu eng geführte Kostendiskussion hinsichtlich des Arbeitsentgelts für Gefangene, weil „konkrete Berechnungen weder über zu ersparende Sozialhilfeleistungen für Angehörige noch über volkswirtschaftlich bedeutsame Schadensminderungen bzw. Schuldentilgungen oder Einnahmen durch hohe Haftkostenbeiträge, Steuern und Versicherungsleistungen einbezogen wurden“. Erst nachdem das BVerfG in seinem Arbeits- und Entlohnungsurteil aus dem Jahr 1998 die bis dahin unveränderte Bemessungsgrundlage des Arbeitsentgelts nach § 200 Abs. 1 StVollzG (a. F.) als mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot für unvereinbar und damit verfassungswidrig erklärte, war der Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2000 eine Neuregelung zu treffen.130 Die Bemessungsgrundlage des Arbeitsentgelts für Strafgefangene wurde von 5% auf 9% (§ 200 StVollzG) angehoben. 126 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Fortentwicklung des Strafvollzuges – Erstes Strafvollzugs-Fortentwicklungsgesetz (1. StVollzFG) – BT-Drs. 8/3335, 5, 7 f.; BT-Drs. 9/566, 5, 7 f. 127 Vgl. BT-Drs. 8/3335, 1, 6 f.; BT-Drs. 9/566, 1, 6. 128 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes, BT-Drs. 11/3694, 6, 13. 129 Matzke, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, § 43 Rn. 2. 130 BVerfGE 98, 169, 212, 215. Ausführlich dazu im Zweiten Teil unter D.
B. Der Rechtszustand nach dem Strafvollzugsgesetz
51
V. Veränderungen nach der Wiedervereinigung Aufgrund des Einigungsvertrages vom 31. August 1990131 gilt das geänderte Strafvollzugsgesetz132 seit 3. Oktober 1990 auch in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie in dem Teil des Landes Berlin, in dem es zuvor nicht galt.133 Der Einigungsvertrag brachte für die in der ehemaligen DDR inhaftierten Straftäter einschneidende Veränderungen in Bezug auf ihre soziale Sicherung. Ihre Rechtsposition verbesserte sich insoweit, als die arbeitenden Gefangenen nunmehr in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert waren. Negativ wirkte sich der Vertrag für sie jedoch dahingehend aus, dass sie von nun an nicht mehr in die Rentenversicherung einbezogen waren. Nach § 6 Abs. 3 des – am 2. Oktober 1990 außer Kraft getretenen – Strafvollzugsgesetzes der DDR vom 7. April 1977134 wurde „die Dauer des Arbeitseinsatzes [während der Haft] (. . .) nach der Entlassung aus dem Strafvollzug der Zeit einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichgestellt“. Ergänzend erwähnt, im Ergebnis aber dahingestellt sei, dass ferner möglicherweise eine Schlechterstellung durch die Veränderung der Entlohnung erfolgte, die sich im Beitrittsgebiet fortan nach § 43 StVollzG zu richten hatte.135
131 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31.8.1990 (BGBl. II, 889). 132 Art. 8 und Art. 3 des Einigungsvertrages i. V. m. Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Nr. 3 (BGBl. 1990 II, 889, 956 f.): Durch den Einigungsvertrag wurde § 199 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG geändert und § 202 StVollzG neu eingefügt. 133 Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III Nr. 5 des Einigungsvertrages (BGBl. 1990 II, 889, 959): Das Strafvollzugsgesetz ist im Beitrittsgebiet mit den Maßgaben in Kraft getreten, dass bei der Berechnung des Arbeitsentgelts auch in den neuen Ländern die in der Bundesrepublik geltende Bemessungsgrundlage anzuwenden ist und dass § 156 StVollzG im Beitrittsgebiet bis zum In-Kraft-Treten beamtenrechtlicher Regelungen nicht anzuwenden ist. 134 GBl. DDR I, 109. 135 Vgl. hierzu Bölter, ZfStrVo 1990, 323, 324. Er weist darauf hin, dass nach der „Papierform“ des § 24 StVollzG-DDR ein höheres Entgelt gezahlt wurde, nämlich 18% des Nettolohns vergleichbarer Arbeit Nichtgefangener. Aufgrund eines Vergleichs der jeweils gezahlten Arbeitsvergütungen in der Bundesrepublik Deutschland mit denen in der DDR bezweifelt er aber, dass die Neuregelung den Gefangenen tatsächlich eine Verschlechterung ihrer Rechtsposition einbrachte.
Zweiter Teil
Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen nach geltendem Recht Das Strafvollzugsgesetz brachte für die soziale Sicherung der Strafgefangenen nur begrenzte Erfolge. Es wurden zwar anspruchsvolle und sozialpolitisch sachgerechte Ziele formuliert. Im Ergebnis sind die ursprünglichen Reformpläne einer leistungsgerechten Entlohnung und der vollständigen Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherung aber nicht umgesetzt worden. Allerdings stellt sich nach Einführung der Arbeitsentgeltregelung des § 43 StVollzG die Frage, ob es für die soziale Sicherung der Strafgefangenen auf die Inkraftsetzung der §§ 190 ff. StVollzG eigentlich ankommt. Warum regelt das Strafvollzugsgesetz überhaupt gesondert eine Versicherungspflicht für diesen Personenkreis? Denn dieser Fragenkreis wird im Sozialgesetzbuch geregelt. Seit Erlass des Strafvollzugsgesetzes werden Gefangene für ihre geleistete Arbeit mit einem Arbeitsentgelt entlohnt. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV sind in allen Zweigen der Sozialversicherung nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige Personen versichert, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Unterliegen die Gefangenen demzufolge nicht der Versicherungspflicht für Beschäftigte nach den entsprechenden Vorschriften des Sozialgesetzbuchs des jeweiligen Versicherungszweigs?
A. Das Sozialrechtsverhältnis in den Sozialversicherungszweigen: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis § 2 Abs. 1 SGB IV bestimmt, dass die Sozialversicherung Personen umfasst, die kraft Gesetzes oder Satzung (Versicherungspflicht) oder aufgrund freiwilligen Beitritts oder freiwilliger Fortsetzung der Versicherung (Versicherungsberechtigung) versichert sind. Für Personen, die der Sozialversicherungspflicht unterliegen, wird durch Gesetz ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen einem Sozialleistungsträger und einem Sozialleistungsberechtigten begründet.1 1 Vgl. Eichenhofer, Rn. 171; Krause, in: 1. Sozialrechtslehrertagung, 1979, S. 12, 27; Igl/Welti, § 9 Rn. 2; Tomandl, in: 1. Sozialrechtslehrertagung, 1979, S. 50, 54.
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis
53
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI sind Personen kranken- bzw. rentenversicherungspflichtig, wenn sie „gegen Arbeitsentgelt beschäftigt“ sind. Fraglich ist, ob darunter auch Strafgefangene fallen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Die Versicherungspflicht knüpft an den Tatbestand der Beschäftigung an. Allein der Wortlaut dieser Normen lässt darauf schließen, dass Gefangene, die während des Strafvollzugs eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt (§ 43 StVollzG) ausüben oder wegen Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme Ausbildungsbeihilfe (§ 44 StVollzG) erhalten, ebenfalls versicherungspflichtig sein müssten. Kernfrage ist also, ob die Gefangenenarbeit eine Beschäftigung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bzw. § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI darstellt. Die Verschiedenartigkeit der Arbeitsfelder im Strafvollzug erschwert eine einheitliche Beurteilung der Versicherungspflicht.2
I. Arbeit im Strafvollzug 1. Gefangenenarbeit und Resozialisierungsgebot Die Gefangenenarbeit ist nach dem Konzept des Strafvollzugsgesetzes eine Behandlungsmaßnahme (§ 7 Abs. 2 Nr. 4 StVollzG) zur Resozialisierung als alleinigem Vollzugsziel. Dementsprechend bestimmt § 37 Abs. 1 StVollzG, dass Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung oder die Ausund Weiterbildung insbesondere dem Ziel dienen, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern. Das BVerfG hob in der Entscheidung zur Arbeit und Entlohnung von Strafgefangenen ausdrücklich die Bedeutung des Resozialisierungsgebots für die – vor allem verfassungsrechtlichen – Anforderungen an die Gefangenenarbeit und ihre Vergütung hervor.3 Das grundgesetzliche Resozialisierungsgebot ist Maßstab für die Ausgestaltung des Vollzugsarbeitsverhältnisses. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Fundierung dieses Gebots griff das Gericht auf die in seiner früheren Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zurück. Nach dem sog. Lebach-Urteil ist der Staat aufgrund der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) verpflichtet, den Strafvollzug am Maßstab des Resozialisierungsgebots auszurichten.4 Jeder Gefangene hat aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG einen grundrechtlichen Anspruch auf Resozialisierung: „Als Träger der aus der Menschenwürde folgenden und ihren Schutz gewährleistenden Grundrechte muß der verurteilte Straftäter die Chance erhalten, sich nach Ver2 3 4
Schorn, NZS 1995, 444. BVerfGE 98, 169, 199. BVerfGE 35, 202, 235 f.
54
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
büßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen.“5 Folglich muss der Strafvollzug Bedingungen schaffen, welche zum einen die soziale Eingliederung fördern und zum anderen persönlichkeitsschädigenden Auswirkungen des Freiheitsentzugs entgegenwirken.6 Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot ist für alle Staatsgewalten verbindlich.7 Es richtet sich zunächst an die Gesetzgebung, den Strafvollzug in einer dem Gebot der Resozialisierung gemäßen Weise normativ auszugestalten.8 Es bindet aber auch Verwaltung und Rechtsprechung, namentlich wenn es gilt, unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklauseln auszulegen oder Rechtsfolgeermessen auszuüben. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln, wobei ihn die Verfassung jedoch nicht auf bestimmte Einzelmaßnahmen festlege. Ihm stehe vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum zu, in dessen Rahmen der Gesetzgeber sowohl Kostenfolgen als auch den Rang und die Dringlichkeit anderer Staatsaufgaben berücksichtigen könne.9 Die Gefangenenarbeit ist als „Resozialisierungsfaktor ersten Ranges“10 allgemein anerkannt. Sie soll dem Fortkommen des Gefangenen nach der Entlassung dienen. Die Grundsatzbestimmung des § 37 Abs. 1 StVollzG konkretisiert die Erreichung des Vollzugsziels gem. § 2 S. 1 StVollzG.11 Die Arbeit soll den Inhaftierten befähigen, sich nach der Haftentlassung dauerhaft in den Arbeitsprozess zu integrieren, um dadurch seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu bestreiten und künftig ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu führen. Bei Gefangenen, die vor der Inhaftierung einer geregelten Beschäftigung nachgegangen sind, zielt die Tätigkeit im Strafvollzug darauf, einer Entwöhnung von der Arbeit entgegenzuwirken. Insoweit lässt sich behaupten: Die Gefangenenarbeit ist der wichtigste Beitrag zur Resozialisierung! Das BVerfG charakterisiert demgemäß die Arbeit im Strafvollzug als „wirksames Resozialisierungsmittel“ – vorausgesetzt, die Arbeitsleistung findet „angemessene“ Anerkennung.12 Diese Anerkennung müsse geeignet 5
BVerfGE 35, 202, 235 f. BVerfGE 98, 169, 200. Das Gericht betonte an gleicher Stelle, dass das Resozialisierungsgebot den gesamten Strafvollzug bestimmt; es gelte deshalb nicht nur für die zeitige und die lebenslange Freiheitsstrafe (s. dazu BVerfGE 45, 187, 238 f.), sondern auch für die Sicherungsverwahrung. 7 BVerfGE 98, 169, 201. 8 BVerfGE 98, 169, 201 unter Bezugnahme auf BVerfGE 33, 1, 10 f. 9 BVerfGE 98, 169, 201. 10 Ausdruck von Blau, S. 75; s. auch Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/ Jehle, StVollzG, Vor § 37 Rn. 1 m. w. N. 11 AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, Vor § 37 Rn. 2; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, Vor § 37 Rn. 1. 6
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis
55
sein, „dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen.“ Nur dann könne dem Strafgefangenen ein positives Verhältnis zur Arbeit vermittelt und einer weiteren Desozialisation entgegengewirkt werden.13 Das Verfassungsgericht ließ indes offen, in welcher Form die gebotene Anerkennung zu erfolgen hat. Es stellte lediglich klar, dass sie nicht zwingend finanzieller Art sein müsse14, ein Gedanke, der Richter Kruis zu einem Sondervotum veranlasste: „Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß Arbeit in anderer Weise als durch finanzielle Leistungen angemessen anerkannt werden kann.“15 2. Die Arbeitspflicht a) Die gesetzliche Regelung Strafgefangene sind nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG verpflichtet, eine ihnen zugewiesene, ihren körperlichen Fähigkeiten angemessene Arbeit16 auszuüben. Die Verweigerung einer solchen Arbeit stellt eine Verletzung der aus dem Strafvollzugsgesetz sich ergebenden Pflichten dar, die mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden kann.17 Bis zu drei Monate im Jahr, mit ihrer Zustimmung auch darüber hinaus, können die Gefangenen zu Hilfstätigkeiten in der Anstalt verpflichtet werden (§ 41 Abs. 1 S. 2 StVollzG). Ausgenommen von diesen Verpflichtungen sind die über 65 Jahre alten Inhaftierten18 sowie werdende und stillende Mütter, soweit gesetzliche Beschäftigungsverbote zum Schutz erwerbstätiger Mütter bestehen (§ 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG). Der Arbeitspflicht des Gefangenen entspricht die grundsätzliche Verpflichtung der Vollzugsbehörde, dem Inhaftierten unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen „wirtschaftlich ergiebige Arbeit“ (§ 37 Abs. 2 StVollzG) zuzuweisen. Der Gefangene soll dadurch in 12
BVerfGE 98, 169, 201. BVerfGE ebd. 14 BVerfGE ebd. 15 BVerfGE 98, 169, 217, 218. 16 Arbeitstherapeutische oder sonstige Beschäftigungen, zu denen Gefangene ebenfalls verpflichtet werden können, sollen im Hinblick auf die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht außen vor bleiben. 17 LG Bonn NStZ 1988, 575; HansOLG Hamburg NStZ 1992, 53 m. zust. Anm. Krahl, NStZ 1992, 207 und m. abl. Anm. Klesczewski, NStZ 1992, 351. 18 Nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt NStZ 1985, 429 sind Personen, die als erwerbsunfähig gelten und deshalb eine Rente beziehen, den über 65 Jahre alten Gefangenen gleichzustellen. 13
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
die Lage versetzt werden, Unterhaltspflichten gegenüber Angehörigen nachzukommen oder einen durch die Straftat angerichteten Schaden wieder gutzumachen. Unproduktive, abstumpfende Arbeiten sind auszuschließen.19 Allerdings korrespondiert mit dieser Verpflichtung der Anstaltsleitung nach überwiegender Ansicht kein Rechtsanspruch des Gefangenen auf Zuweisung von Arbeit.20 Nach § 148 Abs. 1 StVollzG obliegt es der Vollzugsbehörde, im Zusammenwirken mit den Vereinigungen und Stellen des Arbeits- und Wirtschaftslebens dafür zu sorgen, dass jeder arbeitsfähige Insasse wirtschaftlich ergiebige Arbeit auszuüben vermag. Bei der Arbeitsbeschaffung macht sich aber zu sehr die Abhängigkeit der Arbeitsverwaltung der Vollzugsanstalten vom allgemeinen Arbeitsmarkt bemerkbar; in Zeiten schwacher Konjunkturlage und hoher Arbeitslosigkeit außerhalb der Anstalt wirkt sich dies meist überproportional zu Lasten der Gefangenenarbeit aus.21 Die in einer Vollzugsanstalt von Privatunternehmern unterhaltenen Betriebe – sog. Unternehmerbetriebe22 – vergeben i. d. R. bei guter Konjunkturlage Arbeiten an die Vollzugsanstalten, die von ihren Betrieben selbst nicht mehr bewältigt werden können, die keine besonderen Investitionen voraussetzen und daher in Rezessionszeiten ohne große Verluste wieder eingestellt werden.23 Da diese Betriebe besonders konjunkturanfällig sind, droht dort sehr schnell eine hohe Arbeitslosigkeit. Darüber hinaus sind Werkstätten oder Betriebsgebäude in der Anstalt nur bedingt erweiterungsfähig.24 Dies ist wegen der chronischen Überbelegung25 der Vollzugsanstalten mit Häftlingen besonders fatal. Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele Insassen ungelernt sind und ihnen deshalb mangels hinlänglicher beruflicher Befähigung keine Arbeit zugewiesen werden kann oder umgekehrt, qualifizierten Häftlingen keine adäquate Beschäftigung angeboten werden kann. Folglich ist ein Recht auf Zuweisung von Arbeit für die Vollzugsanstalten in vielen 19
Vgl. amtl. Begründung des RE, in: BT-Drs. 7/918, 65. Vgl. AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, § 37 Rn. 9; Calliess, Strafvollzugsrecht, S. 108; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 37 Rn. 10; Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 124; Walter, Strafvollzug, Rn. 460; a. A. Hoffmeyer, S. 267; Reichardt, S. 53: Seiner Ansicht nach gewährt § 37 Abs. 4 StVollzG dem Strafgefangenen ein allgemeines Recht auf Arbeit, auch wenn die Norm dem Wortlaut nach nur eine Pflicht des Staates formuliert, den Gefangenen zu beschäftigen. 21 Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 37 Rn. 10. 22 Näher dazu im Zweiten Teil, A. I. 3. b). 23 Calliess, Strafvollzugsrecht, S. 103. 24 Laubenthal, in: FS für Geerds, S. 339; ders., Strafvollzug, Rn. 404. 25 Erstmals überstieg im Jahr 1995 die Gefangenenzahl die Anzahl der tatsächlich vorhandenen Haftplätze (Best, S. 138; Preusker, S. 39); mittlerweile sind fast alle Vollzugsanstalten überbelegt (s. BMI/BMJ, Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, S. 620 f.; BMJ, Abschlussbericht, S. 46; Dünkel/Kunkat, NK 2/1997, 24, 28; Kaiser/Schöch, Strafvollzug (Einführung), § 4 Rn. 17 und § 7 Rn. 71). 20
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis
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Fällen nicht erfüllbar. Die Rechtsprechung räumt der Anstaltsleitung bei der Arbeitszuweisung ein weitgehendes Ermessen ein.26 Kann einem arbeitsfähigen Gefangenen wirtschaftlich ergiebige Arbeit oder die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nicht zugewiesen werden, wird ihm eine angemessene Beschäftigung zugeteilt (§ 37 Abs. 4 StVollzG). Nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu § 37 StVollzG ist eine Beschäftigung angemessen, wenn ihr Ergebnis wirtschaftlich verwertbar ist und in einem vertretbaren Verhältnis zum Aufwand steht. Ist ein Gefangener zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit hingegen nicht fähig, soll er gem. § 37 Abs. 5 StVollzG arbeitstherapeutisch beschäftigt werden. Diese Beschäftigungsform soll dazu führen, dass der Betreffende gemeinschaftsfähig wird und lernt, zielgerichtet zu arbeiten.27 b) Verfassungsmäßigkeit der Arbeitspflicht Die Einordnung der Gefangenenarbeit als die Versicherungspflicht auslösende Beschäftigung (§ 7 SGB IV) setzt voraus, dass die Betätigung aufgrund eines freiwillig eingegangenen Arbeitsverhältnisses begründet wird. Ist die Inanspruchnahme der Arbeitskraft der Gefangenen im Wege einer zugewiesenen Pflichtarbeit auf Grundlage des § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG verfassungskonform? Nach Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Arbeitszwang (Art. 12 Abs. 2 GG) und Zwangsarbeit (Art. 12 Abs. 3 GG) sind verboten. Fraglich ist, ob damit die strafvollzugsrechtliche Arbeitspflicht vereinbar ist. Um die Arbeitspflicht an Art. 12 GG zu messen, müssen die Grundrechte im Strafvollzug überhaupt Anwendung finden. Wäre diese Frage zu verneinen, so wäre die Begründung des Versicherungsschutzes als Arbeitnehmer nicht möglich. aa) Geltung der Grundrechte im Strafvollzug Die Grundrechtsgeltung im Strafvollzug war in der Vergangenheit kontrovers. Das Strafvollzugsverhältnis zwischen Strafgefangenem und Vollzugsbehörde war lange Zeit durch die Lehre vom sog. „besonderen Gewaltverhältnis“ geprägt.28 Die Besonderheit dieser Rechtsbeziehung lag in der be26 LG Koblenz ZfStrVo SH 1978, 35; OLG Celle ZfStrVo SH 1979, 57; OLG Nürnberg NStZ 1981, 200. 27 Böhm, Strafvollzug, Rn. 307. 28 Hinter dieser Rechtsfigur verbergen sich Rechtsverhältnisse, die durch eine besonders enge Beziehung einzelner Bürger zur staatlichen Gewalt gekennzeichnet
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
schränkten Geltung der Grundrechte. Daraus folgte, dass der Strafvollzug keiner gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedurfte.29 Danach befand sich der Gefangene in einem spezifischen Unterwerfungs- und Pflichtenverhältnis zum Staat, kraft dessen er alle Rechtsbeschränkungen hinzunehmen hatte, die sich aus den allgemein anerkannten Strafzwecken und Vollzugsaufgaben ergeben.30 Noch bis in die Zeit der Weimarer Reichsverfassung wurde teilweise die Auffassung vertreten, das besondere Gewaltverhältnis sei ein rechtsfreier Raum, in dem weder der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung noch die Grundrechte gälten.31 Nach Schaffung des Grundgesetzes, das in Art. 1 Abs. 3 GG die lückenlose Bindung aller staatlichen Gewalt an die Grundrechte normiert hat, setzte sich dann aber allmählich die Ansicht durch, der umfassende Geltungsanspruch der Grundrechte ergreife alle Betätigungen staatlichen Handelns. Es bestand danach kein Raum mehr für die Annahme besonderer Gewaltverhältnisse.32 Allerdings wurde nicht in Abrede gestellt, dass die Ausübung der Grundrechte eingeschränkt werden könne, falls dies Zweck und Funktionsfähigkeit des jeweiligen Gewaltverhältnisses erforderten.33 Mit unterschiedlichen Begründungen34 diente deshalb der Zweck des besonderen Gewaltverhältnisses als selbständige Grundrechtsschranke, um – unter Verzicht auf den rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt – Grundrechtseinschränkungen ohne gesetzliche Grundlage zu rechtfertigen. Ein Strafvollzugsgesetz wurde deshalb zunächst von Verfassungs wegen nicht für geboten gehalten.35 Gälte diese Lehre in der Form fort, entfiele die Prüfung, ob sind. Neben dem Strafvollzugsverhältnis zählen dazu z. B. auch das Beamtenverhältnis, das Schulverhältnis, das Wehr- und Zivildienstverhältnis. 29 Hoffmeyer, S. 6, 101; v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Vorb. Art. 1–19 Rn. 59. 30 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, Einl. Rn. 21. 31 Siehe Jacobi, in: HdbDStR II, S. 256–258; Otto Mayer, S. 102 f.; Thoma, S. 16, 24; im Ergebnis auch Jellinek, S. 370 f., 484, 488, 493, der darauf abstellte, dass die Grundrechte nur im allgemeinen Gewaltverhältnis gelten. 32 So z. B. Evers, S. 13; Herbert Krüger, NJW 1953, 1369, 1372; Hildegard Krüger, ZBR 1956, 309, 311; Leisner, DVBl. 1960, 617, 622 ff.; v. Mangoldt/Klein, GG, Bd. 1, 2. Aufl., Vorb. B XVI 3; Martens, Grundgesetz und Wehrverfassung, S. 27; ders., ZBR 1970, 197, 200; aus der Rspr.: OVG Hamburg DVBl. 1953, 506, 510; HessVGH JZ 1959, 610, 611; BayVerfGH DÖV 1960, 628, 629. 33 Vgl. bspw. Hildegard Krüger, ZBR 1956, 309, 311; v. Mangoldt/Klein, GG, Bd. 1, 2. Aufl., Vorb. B XVI 4; Martens, ZBR 1970, 197, 200; v. Münch, JZ 1958, 73. Die Literaturstimmen wurden durch eine Reihe von Gerichtsentscheidungen ergänzt: vgl. OVG Hamburg VerwRspr. 10, 10, 11; BayVerfGH VerwRspr. 13, 1, 3; OLG Celle NJW 1961, 692; OLG Hamburg NJW 1963, 1789, 1790; OLG Oldenburg NJW 1964, 2070. 34 Vgl. die zusammenfassenden Darstellungen bei Klein, DVBl. 1987, 1102, 1103 und Ronellenfitsch, DÖV 1981, 933, 936 jeweils m. w. N.
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die strafvollzugsrechtliche Arbeitspflicht gegen die in Art. 12 GG genannten Grundrechte verstößt, weil im Strafvollzug die Grundrechte danach ohnehin beliebig einschränkbar wären. Die auf dieser traditionellen Lehre basierende Vollzugspraxis wurde jedoch durch den sog. „Strafgefangenenbeschluss“ des BVerfG vom 14. März 197236 obsolet. Das BVerfG hielt die Auffassung, das besondere Gewaltverhältnis sei „eine eigenständige, implizite Beschränkung der Grundrechte“37 für rechtsstaatlich nicht länger haltbar und stellte die umfassende Geltung der Grundrechte für Strafgefangene im Strafvollzug fest. Das besondere Gewaltverhältnis habe zugelassen, „die Grundrechte des Strafgefangenen in einer unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren“.38 In Art. 1 Abs. 3 GG werden die Grundrechte für Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung für unmittelbar verbindlich erklärt. Dieser umfassenden Bindung der staatlichen Gewalt widerspräche es, könnten im Strafvollzug die Grundrechte beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden.39 Das Gericht stellte deshalb klar, dass die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses als Eingriffsermächtigung für die Beschränkung der Grundrechte der Strafgefangenen nicht ausreiche, sondern vielmehr jede Grundrechtseinschränkung einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. „Eine Einschränkung [der Grundrechte des Strafgefangenen] kommt nur dann in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerläßlich ist und in den dafür verfassungsrechtlich vorgesehenen Formen geschieht. Die Grundrechte von Strafgefangenen können also nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, (. . .).“40
Die Entscheidung des BVerfG zielte auf die universale Geltung der Grundrechte in allen Feldern staatlicher Betätigung. Der Strafvollzug sollte nicht länger ein grundrechtsfreier Raum sein. Es sollten künftig die Gefangenen und – wie spätere Entscheidungen belegen41 – gleichfalls andere in einem besonderen Gewaltverhältnis stehende Personen nicht mehr von der Grundrechtsgeltung und den rechtlichen Voraussetzungen einer Grundrechtsbeschränkung ausgenommen sein. Nachdem sich bereits Ende der 1960er Jahre einige Stimmen in der Literatur für eine umfassende Grund35
Kritisch dazu: Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 72 ff., 86 ff.; Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, S. 59 ff. 36 BVerfGE 33, 1 ff.; bestätigt in BVerfGE 40, 276, 283; 58, 358, 366 f. 37 BVerfGE 33, 1, 10. 38 BVerfGE 33, 1, 10. 39 BVerfGE 33, 1, 11. 40 BVerfGE 33, 1, 11; bestätigt in BVerfGE 40, 276, 283. 41 Vgl. zum Vorbehalt des Gesetzes im Schulverhältnis z. B. BVerfGE 41, 251, 259 ff.; 45, 400, 417 f.; 47, 46, 78 f.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
rechtsgeltung auch für Gefangene ausgesprochen hatten42, setzte sich nach dem Beschluss des BVerfG diese Meinung einhellig und endgültig durch. Damit gilt zum einen auch im besonderen Gewaltverhältnis stets der rechtsstaatliche Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, und zum anderen bildet der Zweck des besonderen Gewaltverhältnisses keine eigenständige Grundrechtsschranke mehr. Deshalb sind auch im Strafvollzug die Grundrechte nur insoweit einschränkbar, als es das einzelne Grundrecht und die Schrankensystematik des Grundgesetzes zulässt.43 Das BVerfG hat folglich die rechtliche Sonderstellung des besonderen Gewaltverhältnisses gegenüber den allgemeinen Staat-Bürger-Beziehungen auf verfassungsrechtlicher Ebene beseitigt. bb) Vereinbarkeit der Arbeitspflicht mit Art. 12 GG (1) Verbot von Arbeitszwang und Zwangsarbeit Da die Grundrechte im Strafvollzug anwendbar sind, bleibt die Frage zu klären, ob die Arbeitspflicht des § 41 Abs. 1 StVollzG gegen Art. 12 GG verstößt. In Betracht kommen könnte ein Verstoß gegen die in Art. 12 Abs. 2 und 3 GG normierten Verbote für Arbeitszwang und Zwangsarbeit.44 Hinsichtlich dieser Verbote besteht Uneinigkeit, ob es sich um ein einheitliches Grundrecht des Verbots von Arbeitszwang und Zwangsarbeit45 oder um zwei selbständige Grundrechtsverbürgungen46 handelt. Diejenigen, die sich für ein einheitliches Grundrecht aussprechen, begründen dies maßgeblich mit Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den beiden Absätzen. Arbeitszwang und Zwangsarbeit ließen sich weder nach Wortlaut noch Entstehungsgeschichte eindeutig voneinander unterscheiden.47 Vielmehr gingen 42
Vgl. Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 44; Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, S. 98; Würtenberger, JZ 1970, 452, 454. 43 Feest, JA 1990, 223; Morlok, S. 48 ff.; Schüler-Springorum, Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. V, 74, 86. 44 Nach der Entstehungsgeschichte des Art. 12 Abs. 2 und 3 GG sollten die im Nationalsozialismus angewandten Formen des Arbeitszwangs und der Zwangsarbeit mit ihrer Herabwürdigung der menschlichen Persönlichkeit ausgeschlossen werden (vgl. BVerfGE 22, 380, 383; 74, 102, 116). 45 Diese Meinung vertretend z. B. BVerfGE 74, 102, 115 ff.; 83, 119, 126 f.; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 12 Rn. 77; Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 88; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 2, Art. 12 Rn. 490. 46 Vertreter dieser Auffassung z. B. Gusy, JuS 1989, 710, 711; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 12 Rn. 294; Tettinger, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 148, 157; Wieland, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Art. 12 Rn. 68. 47 Breuer, in: HdbStR VI, § 147 Rn. 95; Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 12 Rn. 90; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 2, Art. 12 Rn. 503.
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beide Absätze gleichermaßen von dem prinzipiellen Verbot einer Arbeitspflicht aus und statuierten nur gesonderte Schranken in Gestalt zulässiger Arbeitspflichten.48 Nach anderer Ansicht handelt es sich um ein einheitliches Grundrecht, weil die Zwangsarbeit als Unterfall des Arbeitszwangs einzustufen sei.49 Die Gegenansicht geht von zwei eigenständigen Grundrechtsgewährleistungen aus, da Arbeitszwang nach Art. 12 Abs. 2 GG unter anderen rechtlichen Voraussetzungen zulässig sei als Zwangsarbeit nach Art. 12 Abs. 3 GG.50 Außerdem wäre es systematisch ungewöhnlich, ein Grundrecht im Hinblick auf einen Tatbestand in mehreren Absätzen zu regeln.51 Dem Einwand ist beizupflichten, dass die Abgrenzung zwischen Arbeitszwang und Zwangsarbeit schwierig ist. Doch es besteht Einvernehmen, dass der Verfassungsgeber mit beiden Verboten zwei verschiedene Rechtsausprägungen ansprechen wollte. Demzufolge ist zwischen beiden eine Unterscheidung zu treffen.52 Gerade auf dieser Grundlage überzeugt es daher nicht, gleichwohl ein einheitliches Grundrecht anzunehmen. Wenn schon begrifflich verschiedene Verbote in getrennten Absätzen einer Norm zu finden sind und nach ungleichen rechtlichen Voraussetzungen Ausnahmen von den Verbotsformen zwangsweiser Inanspruchnahme der Arbeitskraft bestehen, dann muss es sich bei diesen auch um differenzierte Rechtsstellungen handeln. Infolgedessen ist von zwei selbständigen Verbotstatbeständen auszugehen. Die Unterscheidung zwischen Arbeitszwang und Zwangsarbeit besteht darin, dass unter Arbeitszwang i. S. d. Art. 12 Abs. 2 GG nach dem Vorbild der mittelalterlichen Hand- und Spanndienste die einseitige Heranziehung eines Menschen zu einer persönlich zu erbringenden, gegenständlich begrenzten Arbeit zu verstehen ist, welche der Erfüllung rechtlicher Pflichten des Staates zu dienen bestimmt ist.53 Demgegenüber ist Zwangsarbeit die einseitige, allgemeine und gegenständlich unbegrenzte Inanspruchnahme der Arbeitskraft einer Person zur Erfüllung anderer als staatlicher Zwecke.54 48
So Breuer, in: HdbStR VI, § 147 Rn. 95. Jarass/Pieroth, GG, Art. 12 Rn. 91; v. Mangoldt/Klein, GG, Bd. 1, 2. Aufl., Art. 12 Anm. II 2. 50 Gusy, JuS 1989, 710, 711. 51 Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 12 Rn. 294. 52 Vgl. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 12 Rn. 90; Scholz, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. 2, Art. 12 Rn. 503 f. 53 Vgl. z. B. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 12 Rn. 90; Gusy, JuS 1989, 710, 712; Tettinger, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 149; Wieland, in: Dreier, GGKomm., Bd. 1, Art. 12 Rn. 68. 54 Gusy, JuS 1989, 710, 714; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 12 Rn. 303, Wieland, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Art. 12 Rn. 93. 49
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Da die Heranziehung von Strafgefangenen aufgrund der Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG nicht zum Zweck der Staatsentlastung, sondern zum Zweck ihrer Resozialisierung erfolgt, ist der Geltungsbereich des Arbeitszwangs gem. Art. 12 Abs. 2 GG nicht betroffen. Dass ihre Tätigkeiten durchaus staatlichen Zwecken dienen können55, ändert daran nichts. Denn die Herbeiführung solcher Zwecke ist nicht das Ziel des § 41 StVollzG. Die strafvollzugsgesetzliche Arbeitspflicht unterliegt folglich nicht dem Verbot des Arbeitszwangs gem. Art. 12 Abs. 2 GG. Dagegen könnte der Schutzbereich des Verbots der Zwangsarbeit nach Art. 12 Abs. 3 GG berührt sein, wenn sich ein Gefangener weigert, eine Arbeit im Vollzug auszuüben. Jeder Gefangene schuldet nach dem Strafvollzugsgesetz eine Arbeitsleistung, deren Verweigerung mit Disziplinarmaßnahmen (§§ 102 ff. StVollzG) geahndet werden kann. Gefangene, die nicht arbeiten wollen, werden somit aus Resozialisierungsgründen zwangsweise zur Arbeit herangezogen. Handelt es sich aber auch um Zwangsarbeit, wenn sich der Strafgefangene bereit erklärt, im Strafvollzug zu arbeiten? Verweigert ein Gefangener von vornherein nicht die Ausübung einer Tätigkeit im Strafvollzug, stimmt dieser vielmehr zu, wird er zur Arbeit sicherlich nicht „gezwungen“. Infolge der Arbeitspflicht ist jedoch ein im Grunde arbeitsbereiter Gefangener genauso verpflichtet, jede ihm von der Vollzugsbehörde zugewiesene Arbeit auszuüben, unabhängig davon, ob er diese ausüben will oder nicht. Die Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 StVollzG erfasst also nicht nur die Pflicht, überhaupt zu arbeiten, sondern begründet auch, eine konkret zugewiesene Tätigkeit abzuleisten. Folglich kann ein arbeitsbereiter Gefangener auch zur Ausübung einer unerwünschten Tätigkeit zwangsweise herangezogen werden. Es handelt sich in beiden Fällen tatbestandlich um Zwangsarbeit. Diese Zwangsarbeit kann jedoch nach Art. 12 Abs. 3 GG gerechtfertigt sein, sofern die Freiheitsstrafe eines Strafgefangenen gerichtlich angeordnet wurde. Art. 12 Abs. 3 GG bestimmt ausdrücklich, dass Zwangsarbeit nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig ist.56 Damit berührt die Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG zwar das Grundrecht des Verbots von Zwangsarbeit, verletzt es indessen nicht. Diesem Ergebnis widerspricht Bemmann57, da er – entgegen der Ansicht des BVerfG58 und des Schrifttums – Art. 12 Abs. 3 GG für verfassungswid55 Z. B. die Herstellung von Aktendeckeln für Behördenakten oder die Mitwirkung der Gefangenen bei der Erstellung einer Kanalisation, Beispiele bei Gusy, JuS 1989, 710, 715. 56 Einer nach Art. 12 Abs. 3 GG zulässigen Zwangsarbeit steht das Verbot der Zwangsarbeit nach Art. 4 EMRK nicht entgegen; Art. 4 Abs. 3 lit. a i. V. m. Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK sieht in Fällen der Verbüßung einer gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafe ausdrücklich eine Ausnahme vom Zwangsarbeitsverbot vor.
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rig hält. Seiner Meinung nach sei in einem auf Resozialisierung angelegten Strafvollzug Zwangsarbeit unzulässig; daran ändere auch Art. 12 Abs. 3 GG nichts. Das BVerfG habe bei Anwendung der Norm nicht bedacht, dass der Verfassungsgeber, als er Zwangsarbeit seinerzeit für zulässig erklärte, von einem damals praktizierten und akzeptierten Vergeltungsstrafvollzug ausging. Die zur Zulassung von Zwangsarbeit im Strafvollzug ermächtigende Verfassungsnorm sei mit dem heutigen verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebot nicht zu vereinbaren. Bemmann ist insoweit zuzustimmen, als die Gefangenenarbeit nach dem Strafvollzugsgesetz nicht frei von Widersprüchen ist.59 Der auf Resozialisierung ausgerichtete Behandlungsvollzug setzt zur Verwirklichung des Vollzugsziels eine aktive und eigenständige Mitwirkung des Gefangenen am Behandlungsprozess voraus. Es gilt als unstreitig, dass die resozialisierende Behandlung nicht erzwingbar ist.60 Dieser Einsicht hat schon der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er mit Rücksicht auf das Wesen des Behandlungsvollzugs von der Konstituierung einer Mitwirkungspflicht des Gefangenen abgesehen hat.61 Wenn ein Gefangener an der Gestaltung der Behandlung nicht mitwirken will, muss das Vollzugspersonal dies akzeptieren.62 Ist es deswegen inkonsistent, dass der Gesetzgeber eine Arbeitspflicht normiert hat, deren Verweigerung mit Disziplinarmaßnahmen geahndet werden kann? Einige Literaturstimmen sehen aufgrund dessen in der Zwangsarbeit neben ihrer Funktion als Behandlungsmaßnahme zugleich ein Strafübel.63 Ist – wie Bemmann annimmt – Art. 12 Abs. 3 GG damit aber verfassungswidrig? Seine These läuft auf den Vorwand hinaus, es gebe ein verfassungswidriges Verfassungsrecht. Gegen diese Auffassung könnte zunächst einmal 57
Bemmann, in: FS für Grünwald, S. 73; ders., in: StV 1998, 604, 605. Siehe BVerfGE 98, 169, 205 m. w. N. 59 So schon Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, vor § 37 Rn. 2. 60 AK-StVollzG-Feest/ders./Lesting, vor § 2 Rn. 19; Bemmann, in: FS für Grünwald, S. 70; Böhm, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 4 Rn. 1; Calliess/MüllerDietz, StVollzG, § 4 Rn. 5 f.; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 151; Lüderssen, JA 1991, 222, 226; Kaiser/Schöch, § 5 Rn. 17. 61 Vgl. Stenographische Protokolle der Sitzungen des Bundestags-Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 7. Wahlperiode, 37. Sitzung 1974, 1769 ff. und 61. Sitzung 1975, 2229; BT-Drs. 7/3998, 6. Da der Gesetzgeber für eine erfolgreiche Resozialisierung indes eine Mitwirkungsnotwendigkeit sah, bestimmte er in § 4 Abs. 1 S. 2 StVollzG, dass die Mitwirkungsbereitschaft des Inhaftierten zu wecken und zu fördern ist. 62 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 4 Rn. 5. 63 So nachdrücklich Seebode, S. 90 f.; ferner Bemmann, in: FS für Grünwald, S. 71; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, vor § 37 Rn. 2. 58
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
sprechen, dass Art. 12 Abs. 3 GG selbst Teil der Verfassung ist. Dieses Argument lässt das BVerfG, das sich insoweit einer Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs anschließt, allein indes nicht gelten.64 Dieser hatte ausgeführt, dass die Frage, ob eine Verfassungsbestimmung selbst nichtig ist, nicht schon deswegen begrifflich ausgeschlossen sei, weil sie selbst Bestandteil der Verfassung ist.65 Das BVerfG hob hervor, die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland habe gelehrt, dass auch der Gesetzgeber Unrecht setzen kann. Solle die praktische Rechtsübung solchen geschichtlich denkbaren Entwicklungen nicht ungewappnet gegenüberstehen, müsse in äußersten Fällen die Möglichkeit gegeben sein, den Grundsatz der materialen Gerechtigkeit höher zu werten als den der Rechtssicherheit. Auch ein ursprünglicher Verfassungsgeber sei der Gefahr, jene äußersten Grenzen der Gerechtigkeit zu überschreiten, nicht denknotwendig entrückt.66 Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein freiheitlich demokratischer Verfassungsgeber diese Grenzen irgendwo überschritte, so gering, dass die theoretische Möglichkeit originärer „verfassungswidriger Verfassungsnormen“ einer praktischen Unmöglichkeit nahezu gleichkäme.67 Mit dem BVerfG ist davon auszugehen, dass der Verfassungsgeber, der noch unter dem negativen Eindruck des nationalsozialistischen Unrechtsstaates stand, im Grundgesetz die Idee der Gerechtigkeit verwirklicht hat.68 Das hat die Rechtswirklichkeit bekräftigt, da es – abgesehen von dem Angriff gegen die Rechtsbeständigkeit des Art. 117 Abs. 1 2. HS GG – bisher keinen Angriff gegen den Bestand einzelner Normen des Grundgesetzes gegeben hat. Das spricht dafür, dass auch Art. 12 Abs. 3 GG nicht verfassungswidrig ist. Bemmanns Ansicht lässt sich des Weiteren entgegenhalten, dass durch die Resozialisierung auch der Schutz der Allgemeinheit bezweckt wird. Die Gemeinschaft hat ein unmittelbares eigenes Interesse daran, dass der Strafgefangene nach der Entlassung keine neuen Straftaten begeht und nicht erneut seine Mitbürger und die Gemeinschaft schädigt.69 Für eine erfolgreiche Resozialisierung wird der Rolle der Arbeit sowie der Aus- und Weiterbildung im Vollzug zentrale Bedeutung beigemessen.70 Zur Erreichung des 64
BVerfGE 1, 14, 32. BayVerfGH Entscheidung v. 10.6.1949 – Vf. 52-VII-47 in: BayVerfGHE 2, 45, 47 und v. 24.4.1950 – Vf. 42, 54, 80, 88-VII-48, Vf. 9, 118-VII-49 in: BayVerfGHE 3, 28, 29. 66 BVerfGE 3, 225, 232. 67 BVerfGE 3, 225, 233 (Hervorhebung von der Verfasserin). 68 BVerfGE 3, 225, 233. 69 BVerfGE 35, 202, 236; 98, 169, 200. Zur Verfassungsmäßigkeit des Schutzes der Allgemeinheit als Aufgabe des Strafvollzuges: Leyendecker, S. 89 ff. 70 Vgl. oben im Zweiten Teil unter A. I. 1. Auch die Rspr. des BVerfG verdeutlicht den Stellenwert der Gefangenenarbeit: In einer früheren Entscheidung bezeich65
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Ziels, den Gefangenen auf eine kontinuierliche erwerbswirtschaftliche Lebensführung nach der Haft vorzubereiten und ihn wieder in die Gesellschaft zu integrieren, gilt die Arbeit als unerlässliche Maßnahme.71 Die Arbeitstätigkeit soll dem Strafgefangenen nicht nur Fertigkeiten und Fähigkeiten für eine spätere Erwerbstätigkeit vermitteln. Vielmehr verfolgt die Vollzugspraxis zugleich einen erzieherischen Zweck: Die Gefangenen sollen zu Selbstdisziplin, Ordnungsbewusstsein und Gewissenhaftigkeit angehalten sowie an einen systematischen Tagesablauf, an Ausdauervermögen, Einund Unterordnung und kollegiale Zusammenarbeit gewöhnt werden.72 Nun mögen die weitaus meisten Gefangenen freiwillig bereit sein, jede sich ihnen bietende Arbeitsmöglichkeit anzunehmen, um Abwechslung in den überwiegend eintönigen Vollzugsalltag zu bringen.73 Doch es gibt genauso Gefangene, die nicht (mehr) in der Lage sind, von sich aus ihre „Arbeitsscheu“ und „Arbeitsunlust“ zu überwinden oder aus anderen Gründen zu wirtschaftlich ergiebiger Arbeit nicht fähig sind. Hier kann die einseitige Verpflichtung zur arbeitstherapeutischen Beschäftigung (§ 37 Abs. 1 und 5 StVollzG) ein taugliches Mittel sein, um solche Gefangenen überhaupt an Arbeit heranzuführen und ihre Arbeitsfähigkeit herzustellen.74 Auch von arbeitsunwilligen und arbeitsunfähigen Personen wird die Eingliederung in das Erwerbs- und Wirtschaftsleben erwartet75, um sie gleichzeitig zum Schutz der Bevölkerung wirksam zu sozialisieren. Das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit ist ein absolut geschütztes öffentliches Interesse der Verfassung.76 Sicherlich ist es erstrebenswert, dass die Arbeitszuweisung stets auf einem freien Willen des Inhaftierten beruhen sollte.77 Aufgrund der vorgesehenen sozialisierenden Wirkungen der Arbeit ist jedoch die durch Art. 12 Abs. 3 GG gerechtfertigte Zwangsarbeit zum Zwecke des Schutzes der Allgemeinheit, der gemeinsam mit der Resozialisierung eine verfasnete das Gericht die Arbeit der Gefangenen als „zentrales Element des verfassungsrechtlich gebotenen Behandlungsvollzugs“ (vgl. BVerfG ZfStrVo 1984, 312, 315); in dem Urteil zur Arbeit und Entlohnung von Strafgefangenen sprach es davon, dass die Zuweisung von Arbeit ein „wichtiges Mittel auf dem Weg zur Resozialisierung“ sei (BVerfGE 98, 169, 172) und das der Gesetzgeber die Arbeit im Vollzug zum „zentralen Resozialisierungsmittel aufstufen wollte“ (BVerfGE 98, 169, 208). 71 Vgl. Deimling, ZfStrVo 1978, 7, 9; Zöbeley, in: FS für Faller, S. 347 f. 72 Siehe Koch, S. 87; vgl. außerdem die von der Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug e. V. aufgelisteten Ziele der Behandlungsmaßnahme „Arbeit“ (s. ZfStrVo 1993, 180). 73 Ebenso Bemmann, StV 1998, 604, 605; ders., in: FS für Grünwald, S. 69. 74 So Koch, S. 90. 75 Vgl. BT-Drs. 7/918, 64. 76 BVerfGE 51, 324, 343; Hoffmeyer, S. 148 m. w. N.; Leyendecker, S. 90. 77 Bei der Arbeitszuweisung – wie bei allen Behandlungsmaßnahmen – muss die Vollzugsbehörde anfänglich die freie Mitwirkung des Gefangenen anstreben, vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 41 Rn. 2.
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sungsmäßige Aufgabe des Strafvollzugs darstellt78, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.79 Wenn sich das BVerfG in der Vergangenheit mit der Regelung des Art. 12 Abs. 3 GG befasste80, wurde die Norm nie als verfassungswidrig beanstandet, was signalisiert, dass sie es nicht ist. Damit ist Bemmanns Ansicht nicht haltbar. (2) Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG Die in § 41 Abs. 1 StVollzG normierte Zwangsarbeit greift in die Berufsfreiheit eines Gefangenen aus Art. 12 Abs. 1 GG ein, weil der Gefangene seinen Arbeitsplatz nicht frei wählen darf. Da die Zwangsarbeit einer erfolgreichen Resozialisierung dienen soll, wird der Eingriff in die Berufsfreiheit mit dem Vollzugsziel der Resozialisierung gerechtfertigt. Wenngleich Art. 12 Abs. 3 GG Zwangsarbeit im Falle von Strafgefangenen ausdrücklich erlaubt, findet auch diese Freiheitsbeeinträchtigung ihre Grenze im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das bedeutet, dass der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG nur gerechtfertigt ist, wenn die Zwangsarbeit den legitimen Zweck der Resozialisierung verfolgt und zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist. Problematisch könnte die Geeignetheit des staatlichen Mittels der Zwangsarbeit sein.81 Geeignet ist das staatliche Mittel dann, wenn mit dessen Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Die Arbeit im Strafvollzug muss demnach so gestaltet sein, dass die Inhaftierten Fähigkeiten und Kenntnisse erlangen, dazu sinnvolle Beschäftigungen (§ 37 Abs. 2 StVollzG gem. wirtschaftlich ergiebige Arbeiten) verrichten, die sie auf ein geordnetes Erwerbsleben vorbereiten und ihnen später eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bieten. Bei der Zuweisung der Arbeit soll das körperliche und geistige Leistungsvermögen des Insassen i. S. d. § 37 Abs. 2 StVollzG berücksichtigt und darauf geachtet werden, dass er mit Interesse die Tätigkeit ausübt, zu deren Leistung er imstande ist.82 In der Vollzugspraxis besteht indes fast immer die Schwierigkeit, dass sich nicht für jeden Inhaftierten ein seiner Persönlichkeitsentwicklung und Qualifikation entsprechender Arbeitsplatz finden lässt.83 Allerdings ermächtigt § 41 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 37 Abs. 4 und 5 78
Leyendecker, S. 91. Ebenso Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 6. 80 Vgl. z. B. BVerfGE 74, 102; 83, 119; 98, 169. 81 Hierzu schon Leyendecker, S. 126 f. 82 OLG Düsseldorf NJW 1960, 1071, 1072; Koch, S. 16. 83 Hier sind die begrenzten Möglichkeiten und Verhältnisse der jeweiligen JVA zu berücksichtigen. Dass insbesondere für einen inhaftierten Akademiker wohl nur in dem seltensten Fall ein halbwegs ausbildungsadäquater Arbeitsplatz in einer JVA zur Verfügung steht, versteht sich von selbst. So ist es schon aus datenschutzrecht79
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StVollzG die Vollzugsbehörde ja auch, den Gefangenen zur Ausübung einer angemessenen oder arbeitstherapeutischen Beschäftigung zu verpflichten.84 Da diese Beschäftigungen desgleichen stets „zukunftsorientiert“85 ausgerichtet sind, sind auch sie geeignet, das erstrebte Ziel der Resozialisierung zu erreichen. Sinnlose Tätigkeiten, die sich als reine „Beschäftigungstherapie“ erweisen (dazu darf heute das aus früheren Zeiten bekannte „Tüten kleben“ gezählt werden), gibt es im heutigen Strafvollzug nicht mehr.86 Von der Geeignetheit ist deshalb auszugehen. An der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Arbeitspflicht bestehen im Übrigen keine Zweifel. Die Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 StVollzG ist folglich mit Art. 12 Abs. 1, 2 und 3 GG vereinbar. 3. Arten der Gefangenenarbeit Die Arbeit der Strafgefangenen verteilt sich auf unterschiedliche Arbeitsbetriebe und Beschäftigungsarten: zugewiesene Pflichtarbeit in sog. „Eigenund privaten Unternehmerbetrieben“, Hilfstätigkeiten, freie Beschäftigungsverhältnisse, Selbstbeschäftigungen, zugewiesene Außentätigkeiten, Berufsausbildungen. a) Beschäftigung im „Eigenbetrieb“ der Anstalt „Eigen- (oder Regie-)betriebe“ sind Betriebe, die in den Justizvollzugsanstalten von der Vollzugsverwaltung selbst eingerichtet und geführt werden. Zu ihnen zählen vor allem Handwerksbetriebe, wie z. B. Buchdruckereien und -bindereien, Schlossereien, Schneidereien oder Kfz-Werkstätten. Es werden Aufträge von Bediensteten, Behörden und von Außenstehenden ausgeführt.87 Die Arbeitsorganisation, insbesondere die Bereitstellung notlichen Gründen unzulässig, bspw. einen Juristen für die Anstaltsleitung tätig werden zu lassen (siehe auch VV Nr. 5 S. 2 zu § 37 StVollzG). Des Weiteren ist nach der Rspr. die medizinische Versorgung Sache der Vollzugsbediensteten oder außen stehender Dritter; ein Strafgefangener kann deshalb in seinem erlernten Beruf als Zahnarzt nicht in der Anstalt praktizieren (OLG Nürnberg NStZ 1981, 200). Für diese qualifizierte Klientel, die im Vollzug weit unterrepräsentiert ist, könnte die Geeignetheit im Rahmen einer zwangsweisen Arbeitszuweisung allein aus vollzugstechnischen Gründen praktisch nie erfüllt werden. Wenn nicht die Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses nach § 39 Abs. 1 StVollzG in Betracht kommt, sollte gegebenenfalls von der Möglichkeit der Selbstbeschäftigung (§ 39 Abs. 2 StVollzG) Gebrauch gemacht werden. 84 s. o. Zweiter Teil, A. I. 2. a). 85 So amtl. Begründung des RE, in: BT-Drs. 7/918, 65. 86 A.A. wohl Leyendecker, S. 127.
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wendiger Produktionsmittel (Maschinen, Geräte, Materialien) obliegt der Anstalt; sie trägt das wirtschaftliche Risiko. Geleitet werden diese Betriebe von beamteten Handwerksmeistern. Inhaftierte, die in den entsprechenden Berufen ausgebildet oder erfahren sind, werden vorrangig beschäftigt. Häufig besteht zudem die Chance, Gefangenen in den Betrieben eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Ebenfalls zu den anstaltseigenen Betrieben gehören die Hilfs- oder Versorgungsbetriebe. Sie dienen der Aufrechterhaltung des Anstaltsbetriebs. Die Inhaftierten werden als Hausarbeiter mit Hilfstätigkeiten (sog. „Kalfaktorenposten“) in der Anstalt, etwa in der Küche oder Wäscherei, beschäftigt, führen Reinigungsarbeiten in den verschiedenen Abteilungen aus, gestalten die Außenanlagen der JVA oder ähnliches.88 Diesen Hilfstätigkeiten wird in den meisten Fällen kein individuell behandlungsorientierter Wert beigemessen89, den § 37 Abs. 1 StVollzG der Arbeit als eine von mehreren Behandlungsmaßnahmen gerade als Ziel vorgibt. Überwiegend handelt es sich bei den Hilfstätigkeiten um die Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben, die geeignet sein können, das Verantwortungsbewusstsein der Gefangenen für ihr Zusammenleben in der Anstalt zu fördern und zu gegenseitiger Rücksichtnahme beizutragen.90 Um die Inhaftierten dennoch zu diesen Tätigkeiten zu verpflichten, bedurfte es einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung – § 41 Abs. 1 S. 2 StVollzG –, die zugleich die zeitliche Befristung von bis zu drei Monaten jährlich für diese Arbeiten vorsieht. Wird der Strafgefangene unter Geltung des Strafvollzugsgesetzes von der Anstaltsleitung zur Arbeit herangezogen, erfolge diese Maßnahme aufgrund des Sonderstatusverhältnisses, das zwischen dem Strafgefangenen und der JVA während der Haftzeit besteht. Grundlage der Heranziehung zur Arbeitsleistung sind nach Auffassung der Rechtsprechung keine privat-rechtlich gestalteten Vertragsbeziehungen zwischen dem Träger der Anstalt und dem Insassen, sondern ausschließlich der dem Strafgefangenen gegenüber ausgeübte öffentlich-rechtliche Zwang.91
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Böhm, Strafvollzug, Rn. 303. Näheres zum Begriff „Kalfaktor“ sowie deren Arbeiten und Bezahlung in der JVA Tegel, in: „der lichtblick“, 1–2/1999, 44 f. 89 BT-Drs. 7/918, 66. 90 Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 41 Rn. 8. 91 BAGE 22, 1, 4 = BAG Urt. v. 24.4.1969 – 5 AZR 438/68 – AP Nr. 18 zu § 5 ArbGG 1953; LAG Hamm NStZ 1991, 455, 456 = ZfStrVo 1992, 256, 257. 88
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b) Beschäftigung im sog. „Unternehmerbetrieb“ aa) Begriffsbestimmung Bei „Unternehmerbetrieben“ handelt es sich um Betriebe, die von privaten Unternehmern als Zweigbetrieb, Außenstelle oder Niederlassung ihres Hauptbetriebes innerhalb einer Vollzugsanstalt eingerichtet und geleitet werden.92 Solche Betriebe lässt das Gesetz in § 149 Abs. 4 StVollzG wegen Fehlens ausreichender Eigenbetriebe ausdrücklich zu. Die Vollzugsbehörde stellt ihnen Räumlichkeiten, die Arbeitskraft der Insassen und Aufsichtspersonal zur Verfügung, während die Unternehmer ihrerseits für die Bereitstellung von Produktionsmitteln verantwortlich sind, die fachliche Aufsicht führen und das unternehmerische Risiko tragen. Die Vollzugsbehörde berechnet dem Unternehmer die Miete für Arbeitsräume, einen bestimmten Betrag für die Arbeitsleistung jedes einzelnen Gefangenen sowie die Arbeitszeit für die aufsichtsführenden Beamten.93 Auch für sonstige Nebenkosten (z. B. Strom) hat der Unternehmer aufzukommen. Die Tätigkeiten sind oft eintönig und langweilig – zumeist bestehen sie aus einfachen Sortierarbeiten oder Zwischenarbeitsgängen, wie z. B. dem Zusammenfügen verschiedener Einzelteile zu einer Gesamteinheit –, vermitteln kaum nach der Entlassung nutzbare Fähigkeiten, was sich auf die Motivation der Gefangenen auswirken kann.94 Nach ständiger Rechtsprechung steht der einzelne Strafgefangene auch bei einer Beschäftigung in einem Unternehmerbetrieb in keinem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis zum Unternehmer. Die Zuweisung zu dem Betrieb – wie auch die Entlohnung – erfolge vielmehr aufgrund des öffentlichrechtlichen Verhältnisses zwischen Inhaftiertem und Vollzugsbehörde.95 bb) Anforderungen nach internationalem Arbeitsrecht Es besteht Uneinigkeit, ob die Beschäftigung in einem Unternehmerbetrieb nur mit Zustimmung des Gefangenen erfolgen darf. In § 41 Abs. 3 S. 1 StVollzG ist ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt geregelt: „Die Beschäftigung in einem von privaten Unternehmen unterhaltenen Betriebe (§ 149 Abs. 4) bedarf der Zustimmung des Gefangenen. Der Widerruf der Zustimmung wird erst wirksam, wenn der Arbeitsplatz von einem anderen 92
Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 148 Rn. 2. Böhm, Strafvollzug, Rn. 300. 94 Weinert, S. 288. 95 KG NStZ 1990, 607, 608; LAG Hamm ZfStrVo 1992, 256, 257; OLG Hamm NStZ 1993, 381. 93
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Gefangenen eingenommen werden kann, spätestens nach sechs Wochen.“ Dieser ist gem. § 198 Abs. 3 StVollzG allerdings erst durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft zu setzen.96 Diese Regelung schaffte der Gesetzgeber, um rechtlichen Bedenken des Sachverständigenausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Rechnung zu tragen.97 Jener Ausschuss hatte bereits in einer Stellungnahme von 1974 betont, dass die im Strafvollzugsgesetz vorgesehene Beschäftigung von Gefangenen in privaten Unternehmerbetrieben ohne Zustimmung des Gefangenen nicht mit Art. 2 des Übereinkommens Nr. 29 der ILO vom 28. Juni 1930 über Zwangsoder Pflichtarbeit in Einklang stünde.98 Dieses Übereinkommen, dem der Bundesgesetzgeber durch Gesetz vom 1. Juni 195699 zugestimmt hat, ist für die Bundesrepublik Deutschland am 13. Juni 1957100 in Kraft getreten. (1) Vereinbarkeit mit dem ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit Nach Art. 2 Abs. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 29 gilt als „Zwangsoder Pflichtarbeit“ jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. Nach Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 gelten als „Zwangs- oder Pflichtarbeit“ jedoch nicht Arbeiten oder Dienstleistungen, die von einer Person aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung verlangt werden, wenn sie unter Überwachung und Aufsicht öffentlicher Behörden ausgeführt werden und der Verurteilte nicht an Einzelpersonen oder private Gesellschaften und Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt wird. Während Art. 2 Abs. 1 dieses Übereinkommens den Begriff der Zwangsund Pflichtarbeit definiert101, bestimmt Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkom96 Ursprünglich sollte die Norm am 1. Januar 1982 in Kraft treten, § 198 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG a. F. Diese Regelung wurde durch Art. 22 Nr. 2 lit. a des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz – 2. HStruktG) vom 22.12.1981 (BGBl. I, 1523, 1535) aufgehoben. Gleichzeitig wurde § 198 Abs. 4 StVollzG neu angefügt, der bestimmte, dass bis zum 31. Dezember 1983 über das In-Kraft-Treten des § 41 Abs. 3 StVollzG befunden wird (Art. 22 Nr. 2 lit. c 2. HStruktG). Tatsächlich ist die Inkraftsetzung bis heute nicht erfolgt. Hintergrund sind einmal mehr befürchtete finanzielle Schwierigkeiten beim Austausch der Unternehmerbetriebe durch Eigenbetriebe (vgl. HansOLG Hamburg ZfStVo 1992, 69, 70; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 408). 97 Vgl. BT-Drs. 7/3998, 21. 98 Zit. nach: Stellungnahme des Internationalen Arbeitsamtes gegenüber dem BVerfG vom 17.6.1996, S. 3 – unveröffentlicht. 99 BGBl. 1956 II, 640. 100 BGBl. 1957 II, 1694.
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mens Nr. 29 eine Ausnahme vom Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit für Strafgefangene. Diese Ausnahmeregelung verlangt die kumulative Erfüllung zweier Bedingungen. Die Arbeit des Gefangenen muss unter Überwachung und Aufsicht der Behörden durchgeführt werden; zusätzlich darf der Gefangene nicht an private Unternehmen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt werden. Es genügt folglich nicht, wenn die Arbeit nur durch die Behörden überwacht wird. Dementsprechend teilte der Sachverständigenausschuss der ILO nicht die Rechtsauffassung des OLG Hamm aus dem Jahr 1973102. Das OLG Hamm hatte entschieden, dass im Falle der Beschäftigung eines Gefangenen für einen Unternehmerbetrieb eine Verdingung oder sonstige „Zurverfügungstellung“ i. S. d. Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 nicht vorliege, weil in einem Vertrag zwischen einer JVA und einem Privatunternehmen die Arbeitsbedingungen des Betroffenen eingehend und umfassend geregelt worden seien103. Es sei nach Auffassung des Gerichts zwar richtig, dass in dem Vertrag „die Anstaltsleitung der Firma gestattet hat, in anstaltseigenen Räumen Polstergestelle usw. durch Gefangene anfertigen zu lassen und sich verpflichtet hat, hierfür Gefangenenarbeitskräfte zur Verfügung zu stellen“.104 Gleichwohl habe es sich nicht um Zwangsarbeit i. S. d. ILO-Übereinkommens Nr. 29 gehandelt, weil „infolge der umfassenden Regelung der Arbeitsbedingungen der Gefangenen zwischen der Anstalt und der Arbeitgeberin und der der Anstalt vorbehaltenen weitgehenden Eingriffs- und Verfügungsrechte“ in der Tätigkeit der Inhaftierten keine „Zurverfügungstellung“ gesehen werden könne, da der Firma „eine Verfügung über die Gefangenen und eine eigenmächtige Behandlung der Gefangenen nicht zustanden“.105 Der Sachverständigenausschuss der ILO, der die Einhaltung der ILOÜbereinkommen überwacht, betonte in seiner Stellungnahme von 1974 ge101 Zur Definition: International Labour Office, Abolition of Forced Labour, General Survey, ILC, 65th Session 1979, Report III (Part 4 B), Absätze 19–23. 102 OLG Hamm NJW 1973, 2168. 103 Insbesondere habe sich die Anstaltsleitung in § 9 des Vertrages ausdrücklich das Recht vorbehalten, Gefangene nach ihrem Ermessen aus dem Betrieb zu entfernen, von sich aus Überprüfungen hinsichtlich des Arbeitseinsatzes, der Arbeitseinteilung, der technischen Leitung und Überwachung der Arbeit anzustellen und festgestellte Mängel zur Abstellung der Arbeitgeberin zu unterbreiten. Zudem war für die von der Firma gestellten Meister und ihre Vertreter in § 9 des Vertrages die „Dienstanweisung für Meister, Angestellte und Arbeiter der Unternehmerbetriebe in den Justizvollzugsanstalten des Landes NRW“ als maßgebend und zum Bestandteil des Vertrages erklärt worden. Nach dieser Dienstanweisung waren die Meister nach Verpflichtung durch den Anstaltsleiter gehalten, den Weisungen des Anstaltsleiters, des Leiters der Arbeitsverwaltung und den hauspolizeilichen Anordnungen Folge zu leisten (vgl. OLG Hamm NJW 1973, 2168, 2170). 104 OLG Hamm NJW 1973, 2168, 2169. 105 OLG Hamm NJW 1973, 2168, 2170.
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genüber der Bundesregierung, die Bestimmungen des Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 seien nicht auf Fälle beschränkt, in denen eine rechtliche Beziehung zwischen dem Gefangenen und dem Unternehmen zustande komme, sondern erfasse gleichfalls Situationen, in denen keine solche rechtliche Beziehung existiere.106 Ferner treffe diese Norm des Übereinkommens Nr. 29 keine Unterscheidung zwischen Arbeit außerhalb und Arbeit innerhalb einer Strafvollzugsanstalt. Schließlich wies der Sachverständigenausschuss darauf hin, dass auch die fortdauernde Ausübung von Aufsicht und Kontrolle durch die Vollzugsbehörde allein genommen nicht ausreiche, um den Bestimmungen des Übereinkommens Genüge zu leisten, denn Art. 2 Abs. 2 lit. c verlange Aufsicht und Kontrolle durch eine öffentliche Behörde zusätzlich zum Verbot, Gefangene an Privatunternehmen zu verdingen oder sie ihnen sonst zur Verfügung zu stellen.107 Der Sachverständigenausschuss der ILO erklärte, die Beschäftigung von Gefangenen in sog. Unternehmerbetrieben sei nur zulässig und mit dem Übereinkommen Nr. 29 vereinbar, wenn die Zustimmung des Gefangenen vorliege und dem Gefangenen ein normaler Lohn gezahlt sowie Sozialversicherungsbeiträge für ihn entrichtet würden. Die ILO würde akzeptieren, wenn die beiden letztgenannten Voraussetzungen stufenweise eingeführt würden, sie würde jedoch nicht auf das Zustimmungserfordernis verzichten.108 Aufgrund dieser geäußerten Bedenken hat der Gesetzgeber den Zustimmungsvorbehalt des § 41 Abs. 3 StVollzG in das Gesetz aufgenommen, ohne damit eine Entscheidung zu treffen, ob er die Rechtsauffassung des Sachverständigenausschusses der ILO teile.109 Verstößt die Beschäftigung von Strafgefangenen in von privaten Unternehmern unterhaltenen Betrieben ohne deren Zustimmung gegen das Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit i. S. d. ILO-Übereinkommens Nr. 29? (a) Meinungsstand (aa) Rechtsprechung und überwiegende Meinung in der Literatur Rechtsprechung und die Mehrheit in der Literatur sehen in der Beschäftigung von Inhaftierten in Unternehmerbetrieben keine nach dem ILOÜbereinkommen Nr. 29 verbotene Zwangs- oder Pflichtarbeit (die Zustimmung sei damit nicht erforderlich), weil ein Rechtsverhältnis allein zwi106 Zit. nach: Stellungnahme des Internationalen Arbeitsamtes gegenüber dem BVerfG vom 17.6.1996, S. 3 – unveröffentlicht. 107 Siehe vorangehende Fn. 108 Zit. nach: BT-Drs. 7/3998, 21. 109 BT-Drs. 7/3998, 21.
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schen Gefangenem und Vollzugsbehörde bestehe und den Unternehmerbetrieben gem. § 149 Abs. 4 StVollzG lediglich die technische und fachliche Leitung übertragen werde.110 Der Gefangene bleibe ausschließlich der Anstalt gegenüber zur Arbeit verpflichtet; Gefangener und Unternehmer könnten dagegen keine Leistungen voneinander beanspruchen.111 Außerdem werde er weder dem Unternehmer noch dem Werkbeamten zu deren freier Verfügung unterworfen.112 Der Gefangene bleibe in seiner Sonderrechtsbeziehung zum Staat, in welcher seine Tätigkeit vom Vollzugspersonal überwacht, beaufsichtigt und angewiesen werde.113 Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Abkommens Nr. 29 „soll nur die Überlassung von Strafgefangenen an Einzelpersonen oder Gesellschaften ohne behördliche Überwachung ausschließen“114. Auch das BVerfG hält eine Zwangsarbeit i. S. d. ILO-Abkommens Nr. 29 für nicht gegeben, soweit die Vollzugsbehörden die öffentlich-rechtliche Verantwortung für die ihnen anvertrauten Gefangenen behalten.115 Die Beschäftigung in einem Unternehmerbetrieb, dessen Organisation sich im Rahmen der durch § 149 Abs. 4 StVollzG zugelassenen Übertragung der technischen und fachlichen Leitung auf Unternehmensangehörige halte, bedürfe nicht der Zustimmung des Gefangenen. Mithin verletze es auch nicht die Verfassung, dass der in § 41 Abs. 3 StVollzG vorgesehene Zustimmungsvorbehalt bisher nicht in Kraft gesetzt worden sei.116 (bb) Gegenmeinung In Teilen des Schrifttums wird an der Auffassung der Rechtsprechung kritisiert, dass sie Zwangsarbeit schon ablehnt, wenn die Arbeit lediglich 110 Vgl. BGH NJW 1975, 1017, 1018; OLG Hamm NJW 1973, 2168, 2169; LSG Baden-Württemberg, Breith 1979, 591, 593; HansOLG Hamburg ZfStVo 1992, 69, 70 = NStZ 1992, 53, 54; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 41 Rn. 8; Grunau/Tiesler, StVollzG, § 41 Rn. 3; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 41 Rn. 3. 111 BT-Drs. 7/918, 64; 7/3998, 21; zust. BAGE 53, 336, 343. 112 HansOLG Hamburg ZfStrVo 1992, 69, 70 = NStZ 1992, 53, 54 m. zust. Anm. Krahl, NStZ 1992, 207 und m. abl. Anm. Klesczewski, NStZ 1992, 351; zust. Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 41 Rn. 15. Mit ähnlicher Begründung OLG Hamm NJW 1973, 2168, 2170: Die Anstalt behalte sich „weitgehende Eingriffs- und Verfügungsrechte“ in die Arbeitsbedingungen der Gefangenen vor, sodass in der Tätigkeit eine „Zurverfügungstellung“ nicht gesehen werden könne. 113 Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 41 Rn. 15. 114 So ausdrücklich LSG Baden-Württemberg, Breith. 1979, 591, 593. 115 BVerfGE 98, 169, 211. 116 BVerfGE ebd.
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durch die Behörden überwacht werde und somit nur eine der beiden Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 der ILO erfüllt sei.117 Eine Verdingung oder sonstige Zurverfügungstellung an einen Unternehmer liege bereits vor, wenn in einem Vertrag zwischen einer JVA und einem Unternehmerbetrieb eingehend die Benutzung der Anstaltsräume sowie die Arbeitsbedingungen des Betroffenen geregelt worden seien, die Vollzugsanstalt über den Arbeitseinsatz des Gefangenen mitentscheide und der Gefangene unter ihrer Aufsicht verbleibe. Dass die JVA die „Personalhoheit“ über den Gefangenen behalte, stehe einer „Zurverfügungstellung“ nicht entgegen.118 Mrozynski widerspricht zudem der Argumentation, ein Verstoß gegen das Übereinkommen Nr. 29 sei nicht gegeben, weil der Gefangene ausschließlich der Vollzugsbehörde gegenüber zur Arbeit verpflichtet sei und auch nur zwischen ihnen allein ein Rechtsverhältnis bestehe.119 Selbst dann sei die Beschäftigung eines Gefangenen in einem Unternehmerbetrieb ohne dessen Zustimmung nichts anderes als eine sonstige Zurverfügungstellung i. S. d. Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29. Da nur die Vollzugsbehörde, nicht aber der Unternehmer von dem Gefangenen eine Arbeitsleistung verlangen dürfe, könne der Gefangene für den Unternehmer nur freiwillig arbeiten. Dieser Konsequenz könne man nur entgehen, wenn man eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Gefangenen gegenüber der Vollzugsbehörde begründen würde, für einen Privaten zu arbeiten.120 Damit würde letztlich aber die ausschließlich gegenüber der Behörde bestehende Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 StVollzG auf eine Arbeitsleistung für ein privates Unternehmen erstreckt, was Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29 gerade verbiete.121 Im Ergebnis bedeute genau das eine sonstige Zurverfügungstellung für den Gefangenen. Folglich verstoße die Auffassung, es bestehe eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Gefangenen gegenüber der Vollzugsbehörde für einen Privaten zu arbeiten, gegen das ILOÜbereinkommen Nr. 29. Klesczewski weist im Übrigen darauf hin, dass das Verdingen eines anderen nicht von dem Entstehen besonderer Rechtsbeziehungen zwischen diesem und dem Dritten abhänge.122 Daran fehle es nämlich auch bei der 117 Vgl. Däubler/Pécic, in: AK-StVollzG, 3. Aufl. 1990, § 41 Rn. 13; Klesczewski, NStZ 1992, 351; Mrozynski, Resozialisierung, S. 148; ders., in: SGb 1990, 315, 317. 118 So Däubler/Pécic, in: AK-StVollzG, 3. Aufl. 1990, § 41 Rn. 13; im Ergebnis genauso Mrozynski, SGb 1990, 315, 318; Schorn, NZS 1995, 444, 446. 119 Mrozynski, SGb 1990, 315, 318. 120 Mrozynski, SGb 1990, 315, 317. 121 Mrozynski, SGb 1990, 315, 318. 122 Klesczewski, NStZ 1992, 351.
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gewerbsmäßigen Überlassung von Leiharbeitnehmern gemäß §§ 11 f. AÜG.123 Sie seien vielmehr derart in den Betrieb des Dritten eingegliedert, dass diesem ein Weisungsrecht zustehe. Genau das gewähre § 149 Abs. 4 StVollzG dem Privatunternehmer. Die Beschäftigung in einem Unternehmerbetrieb verstoße demnach ohne Zustimmung des Gefangenen gegen Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29. (cc) Kritik des ILO-Sachverständigenausschusses Der Sachverständigenausschuss der ILO beanstandete in den vergangenen Jahren wiederholt, dass die Rechtslage und Praxis in Deutschland hinsichtlich der Arbeit von Gefangenen in Unternehmerbetrieben in Widerspruch zu dem Übereinkommen Nr. 29 stehe. Die Kritik richtete sich insbesondere gegen die Nichtumsetzung gesetzgeberischer Maßnahmen, die das Strafvollzugsgesetz mit jenem Übereinkommen in Einklang bringen sollen, namentlich die Inkraftsetzung des Zustimmungsvorbehalts des § 41 Abs. 3 StVollzG, eine Erhöhung des Arbeitsentgelts der Gefangenen und deren Einbeziehung in die Kranken- und Rentenversicherung.124 An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der Sachverständigenausschuss erstmalig 123 In ähnlicher Weise äußerte sich der Sachverständigenausschuss in Absatz 118 des allgemeinen Berichts für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Bericht III (Teil 1 A), Internationale Arbeitskonferenz, 86. Tagung 1998, S. 37: Der Ausschuss habe festgestellt, dass immer dann, wenn ein Häftling im Rahmen eines Vertrags zwischen dem Gefängnis und einem Privatbetrieb an diesen „verliehen wird“, es sich um ein Dreiecksverhältnis handle ähnlich dem, das zwischen einer Zeitarbeitsagentur oder einem Arbeitskräfteverleiher, dem Einsatzbetrieb und dem Zeitarbeiter bestehe. Es gebe jedoch zwei Unterschiede, die sich unmittelbar auf die Einhaltung des Übereinkommens auswirken: Der Zeit- oder Vertragsarbeiter verfüge i. d. R. über einen Arbeitsvertrag und genieße den entsprechenden Schutz des Arbeitsrechts, was bei Zwangsarbeit im Gefängnis nicht der Fall sei; im Übrigen handle es sich bei der Arbeit im Gefängnis um Gefangenenarbeit im eigentlichen Sinn, denn im Gegensatz zu Zeitarbeitern haben diese Arbeitnehmer weder theoretisch noch praktisch Zugang zu einer Beschäftigung außerhalb des Gefängnisses. Tatsächlich unterliege ihre Arbeit in den meisten Fällen keinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Somit könne die Arbeitsverpflichtung eines Häftlings in einem Dreiecksverhältnis, wobei die Arbeitskraft des Häftlings Gegenstand eines Vertrags zwischen dem Gefängnis und einem Privatunternehmen ist, einer Situation entsprechen, die nach Art. 2 Abs. 2 lit. c mit dem Übereinkommen Nr. 29 unvereinbar sei. 124 Vgl. International Labour Office, Reports of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 4 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 73rd Session 1987, S. 92; 76th Session 1989, S. 79; 78th Session 1991, S. 80; 79th Session 1992, S. 112; 81st Session 1994, S. 101; Report III (Part 1 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 85th Session 1997, S. 80 f.; 90th Session 2002, S. 129.
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1974, also schon in der Entstehungsphase des Strafvollzugsgesetzes, die Unerlässlichkeit dieser Maßnahmen betont hatte, um die Vereinbarkeit der Beschäftigung von Gefangenen in Unternehmerbetrieben mit dem ILOÜbereinkommen Nr. 29 zu gewährleisten. Des Weiteren wies der Sachverständigenausschuss in seinen Berichten über die Durchführung der Übereinkommen beständig darauf hin, dass die Gefangenenarbeit in einem von privaten Unternehmen unterhaltenen Betrieb nur dann vom Anwendungsbereich des Übereinkommens Nr. 29 ausgenommen sei, wenn beide Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens erfüllt seien. Die Tatsache, dass der Gefangene während der ganzen Zeit unter Überwachung und Aufsicht der Vollzugsbehörde verbleibe, erübrige nicht die Erfüllung der zweiten Bedingung, dass die betreffende Person nicht an Einzelpersonen, private Gesellschaften oder Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt wird.125 Nur die unter den Bedingungen eines freien Arbeitsverhältnisses geleistete Arbeit könne als mit diesem Verbot vereinbar betrachtet werden. Dies erfordere notwendig die förmliche Zustimmung der betroffenen Person und angesichts der Umstände dieser Zustimmung, entsprechende Garantien und Schutzbestimmungen hinsichtlich Entlohnung und sozialer Sicherung, die es erlauben, das Arbeitsverhältnis als ein freies zu betrachten.126 (dd) Replik der Bundesregierung auf Kritik des ILO-Sachverständigenausschusses Nach dem Bericht des Sachverständigenausschusses von 2004 habe ein deutscher Regierungsvertreter im Jahr 2002 vor dem Konferenzausschuss die Erklärung abgegeben, in den Jahren 1929/30, als das Übereinkommen Nr. 29 ausgearbeitet wurde, habe es der weit verbreiteten Ansicht entsprochen, dass die Gefangenenarbeit ein Teil der Strafe war und sich dies im Einzelnen in den ungünstigen Arbeitsbedingungen habe widerspiegeln müssen; das Übereinkommen sei unter Berücksichtigung dieser zu dem Zeitpunkt herrschenden grundlegenden Ansicht ausgearbeitet worden. Heutzutage würde in den meisten Ländern die Auffassung von Wiedereinglie125 Vgl. International Labour Office, Reports of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 1 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 85th Session 1997, S. 79 f.; 92nd Session 2004, S. 133 (Abs. 5). 126 International Labour Office, Reports of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 4 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 78th Session 1991, S. 81 f.; 79th Session 1992, S. 113; 81st Session 1994, S. 102; Report III (Part 1 A), ILC, 85th Session 1997, S. 80; 87th Session 1999, S. 123.
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derung der Gefangenen durch Arbeit vertreten; im Lichte des Übereinkommens seien die in Unternehmerbetrieben arbeitenden Gefangenen als gleichwertig mit den freien Arbeitern zu betrachten.127 Die Bundesregierung brachte gegenüber dem Sachverständigenausschuss der ILO in den zurückliegenden Jahren mehrfach ihr ausdrückliches Bemühen zum Ausdruck, die im Strafvollzugsgesetz verabschiedete Konzeption voll zu verwirklichen. Sie betonte aber, dass die finanziellen Möglichkeiten der Bundesländer, die für die Ausführung des Gesetzes zuständig sind, die Realisierung des gesamten Konzepts des Strafvollzugsgesetzes verhindert haben, vor allem hinsichtlich der Arbeit der Gefangenen und deren Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme.128 Die Länder befürchten, dass die gesetzliche Bedingung der Zustimmung des Gefangenen für die Beschäftigung in Unternehmerbetrieben zum Verlust von Arbeitsplätzen führen könne, die für die Resozialisierung der Gefangenen gebraucht würden. Diese Besorgnis der Länder könne nicht ignoriert werden.129 (b) Eigene Stellungnahme Wie sind diese kontroversen Auffassungen im Hinblick auf das fragliche Zustimmungserfordernis und die Vereinbarkeit mit dem Übereinkommen Nr. 29 zu bewerten? Für die Meinung, die sich für einen Verstoß gegen das Übereinkommen Nr. 29 ausspricht, wenn Gefangene ohne ihre Zustimmung in Unternehmerbetrieben arbeiten müssen, spricht eindeutig der Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 lit. c jenes Übereinkommens. Die Gegenmeinung versucht hingegen mit umfassenden Aufsichts- und Kontrollrechten zugleich den Tatbestand der „Zurverfügungstellung“ auszuschließen, um damit das Vorliegen der kumulativen Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 zu begründen. Das stellt faktisch eine Umgehung der zweiten Bedingung dieser Norm dar. Das LSG Baden-Württemberg lässt entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Übereinkommens sogar ausdrück127 Zit. nach: International Labour Office, Report of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 1 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 92nd Session 2004, S. 133 (Abs. 2). 128 Zit. nach: International Labour Office, Reports of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 4 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 73rd Session 1987, S. 92; 76th Session 1989, S. 80; 78th Session 1991, S. 81; 79th Session 1992, S. 112 f. 129 Vgl. International Labour Office, Report of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 4 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 76th Session 1989, S. 80.
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lich nur die behördliche Überwachung genügen, um so eine Verletzung des ILO-Übereinkommens Nr. 29 zu verneinen.130 Diese Ansicht ist offensichtlich mit jenem Übereinkommen nicht vereinbar, das die Erfüllung beider Voraussetzungen, namentlich die behördliche Überwachung und keine Verdingung oder sonstige „Zurverfügungstellung“ des Gefangenen an den Unternehmer, verlangt. Auch der Ansicht des BVerfG ist zu widersprechen, eine Verdingung oder sonstige Zurverfügungstellung sei nicht gegeben, solange die Gesamtverantwortung bei der JVA liege. Das BVerfG übersieht, dass die ausschließliche Leitungsgewalt immer bei der Vollzugsanstalt liegen muss, soweit sie gegenüber Gefangenen hoheitliche Aufgaben des Strafvollzugs erfüllt. Ein Tätigwerden auf den Gebieten Arbeit und Ausbildung stellt die Ausführung einer nicht auf Private übertragbaren hoheitlichen Aufgabe dar.131 Sie trägt insoweit stets die Gesamtverantwortung für die Behandlungsmaßnahme „Arbeit“ (§ 7 Abs. 2 Nr. 4 StVollzG). Damit lässt sich im Rahmen der Ausgestaltung des konkreten Arbeitseinsatzes aber nicht die Streitfrage hinsichtlich des Zustimmungserfordernisses bei Zuweisung von Arbeit in „Unternehmerbetrieben“ lösen. In Anbetracht angespannter Personalsituationen in Vollzugsanstalten ist bereits zweifelhaft, ob die intensiven Kontrollen und Einflüsse, von denen Rechtsprechung und überwiegendes Schrifttum ausgehen, von der Anstalt tatsächlich geleistet werden. Es ist fraglich, ob die Gefangenen nicht vielmehr unter derartiger Leitungsgewalt der Unternehmer stehen, die über die ihnen in § 149 Abs. 4 StVollzG eingeräumte (nach Ansicht der Rechtsprechung und überwiegenden Literaturmeinung aber für eine Verdingung nicht ausreichende) Leitungsgewalt hinausgeht. Die in Unternehmerbetrieben arbeitenden Gefangenen stehen zwar unter der Kontrolle der Vollzugsbediensteten der Anstalt, jedoch trifft dies nicht immer für alle und zu jeder Zeit zu. Werden die Gefangenen vom Vollzugspersonal allerdings nur in bestimmten zeitlichen Abfolgen kontrolliert, unterstehen sie letztendlich die weit überwiegende Arbeitszeit allein dem Weisungsrecht des Unternehmers. Diese Situation erfüllt die Voraussetzung einer i. S. d. Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29 unzulässigen Verdingung an einen privaten Unternehmer. Der Sachverständigenausschuss der ILO hat ausdrücklich herausgestellt: Wenn sich die Überwachung und Aufsicht der Vollzugs130
LSG Baden-Württemberg, Breith. 1979, 591, 593. Gusy/Lührmann, BlfStVollzK 3/1999, 1, 3 f.; Gusy, Zulässigkeit und Grenzen, S. 11 f., 19; Ploog, S. 109 f.; a. A. Kulas, S. 112, 142 These 7, der eine gänzlich private Betreibung von Strafvollzugsanstalten befürwortet. Nach Erkenntnissen einer in Hessen eingesetzten Arbeitsgruppe „Modellprojekte für Privatisierung im Strafvollzug“ ist eine Teilprivatisierung von etwa 30–40% der Aufgaben möglich; abgedr. in: DRiZ 2000, 390. 131
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behörde auf eine allgemeine Befugnis beschränke, die Räumlichkeiten in regelmäßigen Abständen zu inspizieren, werde dies der Anforderung des Übereinkommens Nr. 29 nicht gerecht.132 Verdingen bedeutet, einen Dienstverpflichteten entgeltlich einem (privaten) Dritten zum Zweck der Arbeitsleistung „in Dienst zu geben“133 und dessen Verantwortlichkeit zu überlassen. Entscheidend ist, dass der Dienstpflichtige so in den Betrieb eines Dritten integriert ist, dass dieser ihm gegenüber weisungsbefugt ist. Genau dieses Weisungsrecht räumt § 149 Abs. 4 StVollzG dem Unternehmer ein. Der Gefangene, der gegen seinen Willen in einem Unternehmerbetrieb eingesetzt wird, untersteht vollständig der technischen und fachlichen Leitung des Unternehmers und wird diesem als Arbeitskraft zur Verfügung gestellt. Dass nach Ansicht der Rechtsprechung und überwiegenden Literatur (nur) diese Leitungsbefugnis für das Verdingen generell nicht ausreichen soll, überzeugt daher nicht. Denn dass sich diese Befugnis so wesentlich von der Befugnis der Werkmeister oder Vorarbeiter in Betrieben der freien Wirtschaft unterscheidet, infolgedessen diese Arbeitsform nicht als Verdingung anzusehen ist, wird ernsthaft bezweifelt.134 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Vollzugsbeamte die Gefangenen während der Arbeit beaufsichtigen, denn das allein genügt nicht. Demnach ist ein Verstoß gegen das ILO-Abkommen Nr. 29 nur dann zu verneinen, wenn der Gefangene der Arbeit in einem Unternehmerbetrieb zugestimmt hat. Lässt sich möglicherweise ein anderer Schluss ziehen, wenn der Sinn und Zweck des Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 in den Vordergrund gestellt und dabei die Entwicklung des Strafvollzugs mitberücksichtigt wird? Die Bundesregierung hob hervor, dass im Zeitpunkt der Ausarbeitung des Übereinkommens Nr. 29 die Gefangenenarbeit noch als Teil der Strafe betrachtet wurde. Das Strafübel solle für die Betroffenen durch die ungünstigen Arbeitsbedingungen spürbar sein.135 Der Pflichtcharakter der Gefangenenarbeit hatte zu Zeiten der Entstehung dieses Übereinkommens einen anderen Stellenwert als heute, weil neben dem auf Erziehung und Besserung ausgerichteten Freiheitsentzug weiterhin ein am Ver132 Vgl. Internationales Arbeitsamt, Bericht des Sachverständigenausschusses für die Durchführung der Übereinkommen und Empfehlungen, Bericht III (Teil 1 A), Internationale Arbeitskonferenz, 86. Tagung 1998, Abs. 124. 133 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 6, S. 2739. 134 Huchting/Lehmann verlangen diesbezüglich stets eine Einzelfallprüfung; vgl. AK-StVollzG-Feest/Huchting/Lehmann, § 149 Rn. 6. 135 Zit. nach: International Labour Office, Report of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 1 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 92nd Session 2004, S. 133 (Abs. 2).
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geltungsgedanken orientierter Strafvollzug existierte. Seinerzeit war durch die Anwendung bestimmter Methoden des Arbeitseinsatzes nicht ausgeschlossen, dass Gefangene dadurch in ihrer Person herabgewürdigt wurden. Da nach Art. 1 Abs. 2 des Übereinkommens Nr. 29 Zwangs- oder Pflichtarbeit nur zu öffentlichen Zwecken und auch dann nur ausnahmsweise angewandt werden dürfe, sollte es über die Ausnahmeregelung des Art. 2 Abs. 2 lit. c verboten sein, Gefangene der Arbeitspflicht gegenüber Privaten zu unterstellen, wodurch sie womöglich zum Objekt eines unbegrenzten Herrschaftszugriffs gemacht würden. Im heutigen Resozialisierungsvollzug hat die Gefangenenarbeit keinen unmittelbaren Strafcharakter mehr, sondern ist eine unerlässliche Behandlungsmaßnahme zur Wiedereingliederung des Strafgefangenen in die Gesellschaft. Das könnte dafür sprechen, dass infolge der Fortentwicklung des Strafvollzugs seit der Ausarbeitung des Übereinkommens Nr. 29 die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 lit. c in Bezug auf die Rechtspraxis in Deutschland heute weiter ausgelegt werden müsste. Denn um möglichst vielen Strafgefangenen eine Arbeit zu geben, haben die Justizverwaltungen neben den Eigenbetrieben die sog. Unternehmerbetriebe vorgesehen, da ausschließlich Eigenbetriebe bislang nicht zu finanzieren sind. Würden die Justizverwaltungen die Gefangenenarbeit in Unternehmerbetrieben mit Rücksicht auf das Übereinkommen Nr. 29 aufgeben, würde das zu einem erheblichen Arbeitsplatzverlust führen136, was nach Ansicht der Bundesregierung dem Sinn des Übereinkommens widersprechen würde137. In der Tat ist die heutige Pflichtarbeit in Gefängnissen mit der früheren Pflichtarbeit und dem damals bestehenden Vergeltungsstrafvollzug nicht mehr gleichwertig. Das kann bezüglich des ILO-Übereinkommens Nr. 29 aber nur dessen mögliche Überarbeitung zur Konsequenz haben, um es an die veränderte Rechtslage (in Deutschland) anzupassen. Es kann jedoch nicht bedeuten, dass die Regierung über einen veränderten Strafvollzug einen Verstoß gegen den eindeutigen Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 lit. c des Abkommens Nr. 29 zu rechtfertigen sucht. Das lässt sich auch nicht mit der Besorgnis eines Anstiegs der Arbeitslosigkeit unter den Gefangenen entschuldigen. Dieser Befürchtung ist entgegenzuhalten, dass die Unternehmerbetriebe keineswegs abgeschafft werden müssen; vielmehr genügt die Zu136
Der Anteil der in den Unternehmerbetrieben arbeitenden Gefangenen ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich; er liegt zwischen 4% (in Mecklenburg-Vorpommern) und 37,9% (in Niedersachsen); so die Angaben bei Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 72–81. 137 Zit. nach: International Labour Office, Report of the Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations, Report III (Part 4 A), Individual observation concerning Convention No. 29, Germany: ILC, 76th Session 1989, S. 80.
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stimmung der Gefangenen für eine Beschäftigung in diesen Betrieben, um dem Standard des Übereinkommens gerecht zu werden. Im Übrigen soll Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29 nach wie vor verhindern, dass die Gefangenen im Rahmen einer Arbeitspflicht gegen ihren Willen privaten Dritten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden und dem Privatunternehmer dadurch überlassen werden. Genau das ist in Deutschland jedoch nicht sicher ausgeschlossen. Im Ergebnis verstößt die Rechtslage und -praxis in Deutschland folglich gegen Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 der ILO, da nur die erste Bedingung (Überwachung und Aufsicht durch öffentliche Behörden) beachtet wird. Da es sich bei den Übereinkommen der ILO um völkerrechtliche Verträge handelt138, verstößt die Bundesrepublik Deutschland auf völkerrechtlicher Ebene gegen verbindliches internationales Recht. Dabei hat der Bundesgesetzgeber während der Entstehungsphase des Strafvollzugsgesetzes die Grundlagen geschaffen, um den Voraussetzungen des internationalen Arbeitsrechts zu entsprechen. Nicht nur die Zustimmungspflicht für die Beschäftigung eines Strafgefangenen in einem privaten Unternehmerbetrieb (§ 41 Abs. 3 StVollzG), sondern auch die Anhebung der Entlohnung und die soziale Sicherung der Gefangenen waren geplant. Umgesetzt wurden diese Maßnahmen – abgesehen von der erstmaligen Erhöhung des Arbeitsentgelts im Jahr 2001 – indes nicht, was der Sachverständigenausschuss der ILO deshalb seit vielen Jahren zu Recht kritisiert. (2) Folgerung für das deutsche Recht Was folgt daraus nun für das deutsche Recht? Durch den Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29 besteht hierzulande eine Form unzulässiger Zwangs- oder Pflichtarbeit. Folge des Verstoßes ist, dass nach Art. 1 Abs. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 29 die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, den Gebrauch dieser Zwangs- oder Pflichtarbeit zu beseitigen. Um die Verwaltungspraxis in Deutschland mit dem Übereinkommen Nr. 29 in Einklang zu bringen, ist die Zustimmung des Gefangenen unerlässlich. Der Gesetzgeber hat deshalb § 41 Abs. 3 StVollzG endlich in Kraft zu setzen!139 Dafür spricht klar der Wortlaut des 138
Zur Rechtsnatur der ILO-Übereinkommen vgl. z. B. Böhmert, S. 66 ff.; Morhard, S. 97 ff. 139 Das ist nach der Entscheidung des BVerfG zur Arbeit und Entlohnung von Strafgefangenen (BVerfGE 98, 169, 211) in naher Zukunft kaum zu erwarten: Das Gericht sieht in der Nichtinkraftsetzung des § 41 Abs. 3 StVollzG keinen Verfassungsverstoß, weil der Gefangene unbeschadet einer möglichen technischen und fachlichen Leitung durch Unternehmensangehörige unter der öffentlich-rechtlichen Verantwortung der Vollzugsbehörde bleibe. Eine Pflichtarbeit in einem Unterneh-
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Art. 2 Abs. 2 lit. c des Übereinkommens Nr. 29, dessen Bedingung, dass Gefangene nicht an private Unternehmen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt werden dürfen, nur durch die Zustimmung jedes Betroffenen sicher ausgeschlossen wird. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber entsprechend den Vorgaben des Sachverständigenausschusses der ILO für eine leistungsgerechte Entlohnung und die soziale Sicherung der in Unternehmerbetrieben arbeitenden Gefangenen zu sorgen! Denn nur wenn die Gefangenenarbeit in diesen Betrieben mit Zustimmung des Gefangenen und unter den Bedingungen eines freien Arbeitsverhältnisses geleistet wird, verstößt sie nicht gegen das Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit und die Regelung des Art. 2 des ILO-Übereinkommens Nr. 29. Solange Deutschland dieser Pflicht zur Beseitigung der unzulässigen Zwangs- oder Pflichtarbeit nicht nachkommt, handelt es völkerrechtswidrig. Auf das innerstaatliche Recht hat der Verstoß dagegen keine Auswirkung. Das liegt daran, dass durch den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages Recht geschaffen wird, das grundsätzlich nur auf völkerrechtlicher Ebene verbindlich ist. Die innerstaatliche Rechtsordnung wird durch die aufgrund des Vertragsschlusses entstehenden völkerrechtlichen Pflichten nicht berührt.140 Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Übereinkommen als völkerrechtlicher Vertrag im innerstaatlichen Recht unmittelbar anwendbar („selfexecuting“) ist. Ob das der Fall ist, wird im Zusammenhang mit der Frage, ob die in Unternehmerbetrieben arbeitenden Gefangenen sozialversicherungspflichtig sind, zu untersuchen sein.141 c) Beschäftigungen außerhalb der Anstalt Neben der Beschäftigung innerhalb der Anstalt besteht des Weiteren die Möglichkeit, dass Strafgefangene außerhalb der JVA arbeiten. Zu diesem Zweck können sie für eine Außenbeschäftigung oder zum Freigang (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) zugelassen werden, sofern sie dem zustimmen und weder Flucht noch anderweitiger Missbrauch zu befürchten sind (§ 11 Abs. 2 StVollzG). Bei einer Außenbeschäftigung handelt es sich um eine regelmäßige Beschäftigung außerhalb der Anstalt unter Aufsicht eines Vollzugsbediensteten. Die Gewährung von Freigang erlaubt einem Inhaftierten, außerhalb der Anstalt einer regelmäßigen Beschäftigung ohne Beaufsichtigung nachzugehen.
merbetrieb, der den Anforderungen des § 149 Abs. 4 StVollzG genügt, bedürfe von Verfassungs wegen nicht der Zustimmung des Gefangenen. 140 Buchs, S. 31. 141 s. u. Zweiter Teil, A. II. 2. b).
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aa) Das freie Beschäftigungsverhältnis Nach § 39 Abs. 1 S. 1 StVollzG soll dem Gefangenen auf seinen Wunsch gestattet werden, einer Arbeit, Berufsausbildung oder beruflichen Weiterbildung auf Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt nachzugehen, um das Ziel seiner Resozialisierung zu fördern. Der Gefangene schließt mit einem Arbeitgeber einen eigenen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag ab, für dessen Ausgestaltung § 39 Abs. 3 StVollzG und die bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift Nr. 2 Abs. 2 zu § 39 StVollzG Einzelheiten vorschreibt.142 Um seine Tätigkeit kann sich der Gefangene entweder selbst bemühen oder er lässt sie sich durch die Anstalt vermitteln; die JVA wird aber in keinem Fall Vertragspartner. Zwischen dem Gefangenen und dem Arbeitgeber wird ein „privatrechtlich gestaltetes, freiwillig eingegangenes Arbeitsverhältnis“143 begründet. Es bestehen keine hoheitlichen Beziehungen zwischen ihnen und die Entscheidung für den Arbeitsvertrag ist von beiden Beteiligten freiwillig, also ohne Zwang seitens des Anstaltsleiters getroffen worden.144 Das freie Beschäftigungsverhältnis setzt voraus, dass der Gefangene zugleich die Voraussetzungen der Außenbeschäftigung oder des Freigangs (§ 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StVollzG) erfüllt, da eine freie Beschäftigung nur außerhalb der Anstalt möglich ist. Diese Voraussetzungen unterliegen neben der Entscheidung für die Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses einer selbständigen Prüfung durch die Vollzugsbehörde.145 So wie aus der Zuweisungspflicht der Anstalt nach § 37 Abs. 2 StVollzG für den Gefangenen kein Rechtsanspruch abgeleitet wird, gilt gleiches für § 39 Abs. 1 StVollzG; der Gefangene hat keinen Rechtsanspruch auf Begründung eines freien Beschäftigungsverhältnisses, sondern lediglich auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.146 Allerdings hat das BVerfG in seiner Entscheidung zur Arbeit und Entlohnung von Strafgefangenen vom 1. Juli 142 VV Nr. 2 Abs. 2 zu § 39 StVollzG bestimmt, dass der Vertrag (Arbeits-, Berufsausbildungsvertrag oder ähnliches) schriftlich abzuschließen ist. In dem Vertrag ist insbesondere festzulegen, dass das Beschäftigungsverhältnis ohne Kündigung endet, wenn die dem Gefangenen nach § 39 Abs. 1 StVollzG erteilte Erlaubnis endet, und dass das Arbeitsentgelt und sonstige Zuwendungen des Arbeitgebers/Ausbilders mit befreiender Wirkung nur auf das mit der Anstalt vereinbarte Konto gezahlt werden können. 143 LAG Hamm NStZ 1991, 455, 456 = ZfStrVo 1992, 256, 257. 144 LAG Hamm, ebd. 145 AK-StVollzG-Feest/Lesting, § 11 Rn. 20; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/ Böhm/Jehle, StVollzG, § 39 Rn. 8; OLG Celle NStZ 1981, 35. 146 OLG Hamm StV 1989, 543, 544; LG Wuppertal NStZ 1988, 476; LG Göttingen StV 1990, 359.
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1998 ausdrücklich die besonderen Resozialisierungschancen durch diese Beschäftigungsart betont, wodurch dem Anstaltsleiter nur ein geringer Ermessensspielraum verbleibt: „Die Entscheidung der Vollzugsbehörde über die Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses weist unmittelbare Bezüge zum verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot auf, das – wie dargetan – auch die Vollzugsverwaltung in die Pflicht nimmt. Die Vollzugsbehörde ist daher auch von Verfassungs wegen gehalten, die Möglichkeit eines freien Beschäftigungsverhältnisses gerade angesichts der besonderen Resozialisierungschancen zu prüfen, die diese Beschäftigungsform bietet (Realitätsnähe, Anbahnung von Kontakten zu zukünftigen Arbeitgebern). Steht eine solche Tätigkeit im Einzelfall in Einklang mit dem Vollzugsplan und liegen die Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 S. 2 StVollzG vor, so werden nur gewichtige Vollzugsbelange die Versagung einer Erlaubnis nach § 39 Abs. 1 StVollzG rechtfertigen können. Mit dieser Rechtslage ist eine Vollzugspraxis, die das freie Beschäftigungsverhältnis auf seltene Ausnahmefälle zu beschränken sucht, nicht in Einklang zu bringen.“147
Daraus folgt, dass die Vollzugsbehörde bei der Möglichkeit eines freien Beschäftigungsverhältnisses ihr Auswahlermessen auf die Person als Beschäftigten zu konzentrieren und demjenigen Gefangenen die Möglichkeit anzubieten hat, dessen Resozialisierung sie am meisten nützt. bb) Zugewiesene Pflichtarbeit außerhalb der Anstalt (sog. „unechter Freigang“) In der Vollzugspraxis war es in der Vergangenheit üblich geworden, Gefangenen eine von der Anstalt vermittelte und organisierte (Pflicht-)Arbeit in einem privaten Betrieb außerhalb der Anstalt zuzuweisen, sie also nicht auf Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses nach § 39 Abs. 1 StVollzG tätig werden zu lassen, wobei die Gestaltung der konkreten Arbeiten im Wesentlichen den Mitarbeitern der jeweiligen Betriebsstätten übertragen wurde („unechter Freigang“).148 Diese Möglichkeit der Inanspruchnahme der Arbeitskraft war den Unternehmern mehr als recht, weil die zugewiesenen Gefangenen jederzeit auswechselbar waren, weshalb sich demgemäß die Vollzugsbehörden einiger Länder verstärkt um die Organisation derartiger Arbeitsplätze bemühten.149 Diese Vollzugspraxis wurde vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt und zum 31. Dezember 1998 untersagt, weil Art. 12 Abs. 3 GG die zuläs147 148 149
BVerfGE 98, 169, 210. Walter, Strafvollzug, Rn. 481. Kamann, StV 1999, 348, 349.
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sige Zwangsarbeit auf Einrichtungen oder Verrichtungen beschränkt, bei denen die Vollzugsbehörden die öffentlich-rechtliche Verantwortung für die ihnen anvertrauten Gefangenen behalten.150 Es ist demnach unzulässig, Strafgefangene ohne öffentlich-rechtliche Kontrolle an Privatunternehmen zu „verdingen“, sie also in den Betriebsablauf des Unternehmers völlig einzugliedern. Angehörigen des Unternehmens könne nur die technische und fachliche Leitung der einzelnen Arbeitsvorgänge übertragen werden. Eine weitergehende Übertragung der Gesamtverantwortung, insbesondere die Unterstellung des Gefangenen unter die ausschließliche Leitungsgewalt eines Privaten, lasse das Gesetz nicht zu.151 Gleichwohl hat das Gericht unter Betonung des Resozialisierungsgebots klargestellt, dass mit Zustimmung des Gefangenen die Zuweisung einer bestimmten Arbeit in einem privaten Unternehmen außerhalb der Anstalt statthaft ist, wenn sich einem zum Freigang geeigneten Gefangenen – auch nach Bemühungen der Anstalt – keine Arbeit in einem freien Beschäftigungsverhältnis bietet. „Ein Mindestmaß organisierter öffentlich-rechtlicher Verantwortlichkeit der Anstalt für den Gefangenen“ müsse dann jedoch gewährleistet bleiben.152 Sofern ein Insasse mit seiner Zustimmung als unechter Freigänger tätig wird, bestünden wiederum nur Rechtsbeziehungen zwischen der Vollzugsanstalt und dem privaten Unternehmer. Dieser zahlt der JVA einen ausgehandelten Betrag, während die Anstalt ihm die Gefangenenarbeitskräfte zuweist und selbige nach § 43 StVollzG entlohnt. d) Selbstbeschäftigung gem. § 39 Abs. 2 StVollzG Schließlich kann nach § 39 Abs. 2 StVollzG einem Gefangenen gestattet werden, sich inner- oder außerhalb153 der Anstalt selbst zu beschäftigen. Die Selbstbeschäftigung ähnelt freiberuflicher Tätigkeit, beispielsweise der eines Künstlers oder Schriftstellers, bei der weder eine nach § 37 StVollzG zugewiesene Tätigkeit in einem Anstaltsbetrieb ausgeübt wird noch der Inhaftierte in einem freien Beschäftigungsverhältnis i. S. d. § 39 Abs. 1 StVollzG steht.154 Sie soll regelmäßig nur gestattet werden, wenn sie aus wichtigem Grund geboten erscheint und im Rahmen des Vollzugsplans insbesondere dem Ziel des § 37 Abs. 1 StVollzG dient (vgl. VV Nr. 3 Abs. 1 150
BVerfGE 98, 169 (LS 3), 215. So ausdrücklich BVerfGE 98, 169, 209. 152 BVerfGE 98, 169, 211. 153 Vgl. BGH NStZ 1990, 452; AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, § 39 Rn. 30; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 39 Rn. 13. 154 OLG Frankfurt NStZ 1981, 159; Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/ Jehle, StVollzG, § 39 Rn. 13. 151
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zu § 39 StVollzG). Falls dem Gefangenen die Selbstbeschäftigung gestattet wird, entfällt seine Arbeitspflicht nach § 41 StVollzG.155 Er erhält kein Arbeitsentgelt; vielmehr stellen die aus der Selbstbeschäftigung erzielten Einkünfte sein Entgelt dar.156 Ein Gefangener, der als selbständiger Künstler oder Publizist erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit ausübt, ist in der Rentenversicherung pflichtversichert (§ 2 S. 1 Nr. 5 SGB VI i. V. m. §§ 1 und 2 KSVG157).158 In der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung besteht hingegen Versicherungsfreiheit (§ 5 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 Nr. 1 KSVG), es sei denn, der Gefangene war unmittelbar vor der Unterbringung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versichert.159 Da die Selbstbeschäftigung eine absolute Ausnahmestellung hat und innerhalb der Anstalten praktisch äußerst selten vorkommt160, obendrein ganz offensichtlich keine die Versicherungspflicht auslösende „Beschäftigung gegen Entgelt“ darstellt, soll sie im Folgenden keine weitere Berücksichtigung finden.
II. Beschäftigung i. S. d. Sozialversicherungsrechts Fraglich ist, wie die übrigen unterschiedlichen Betätigungen im Strafvollzug sozialversicherungsrechtlich zu bewerten sind. Stellen die Arten der Gefangenenarbeit jeweils eine Beschäftigung i. S. d. Sozialversicherungsrechts dar? Eine Beschäftigung gegen Entgelt ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI notwendige Voraussetzung für die Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV 155
Böhm, Strafvollzug Rn. 323; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 39 Rn. 5. Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 423. 157 Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten – Künstlersozialversicherungsgesetz v. 27.7.1981 (BGBl. I, 705). 158 Etwas anderes gilt nur dann, wenn aus der selbständigen Tätigkeit im Kalenderjahr voraussichtlich ein Einkommen erzielt wird, das 3.900 e nicht übersteigt (§ 3 KSVG) oder aus einem anderen, in § 4 KSVG genannten Grund Versicherungsfreiheit besteht. 159 War ein Gefangener unmittelbar vor der Unterbringung nach dem KSVG krankenversichert, bleibt es für die Dauer des Vollzugs bei dieser Versicherung. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn zwischen der Versicherung nach dem KSVG und der Vollzugsmaßnahme kein voller Kalendermonat ohne Beitragsentrichtung liegt (Finke, in: Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, § 5 Rn. 21). 160 Böhm, Strafvollzug Rn. 323. Dies wird bestätigt durch die von Lohmann im zweiten Halbjahr 2000 durchgeführte Umfrage in den Landesjustizverwaltungen, die den Anteil der Selbstbeschäftigung fast ausnahmslos mit 0% angegeben haben, vgl. Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 72–81. 156
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definiert den Begriff der Beschäftigung einheitlich für die gesamte Sozialversicherung161 als „nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“. Da die Aussagekraft dieser Norm auch nach der in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV eingefügten Weisungsgebundenheit und betrieblichen Eingliederung als Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sehr gering ist und gerade in Zweifelsfällen keine Klärung bietet, hat der Gesetzgeber die Auslegung weiterhin der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen.162 1. Voraussetzungen des Beschäftigungsbegriffs a) Nicht selbständige Arbeit Der Beschäftigungsbegriff verlangt die Ausübung einer nicht selbständigen Arbeit. Arbeit ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete planmäßige Tätigkeit eines Menschen, unabhängig davon, ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden.163 Unselbständige Arbeit ist die fremdbestimmte und damit in persönlicher Abhängigkeit ausgeübte Tätigkeit. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung164 und Literatur165 ist die persönliche Abhängigkeit das typische und charakteristische Merkmal des Beschäftigungsverhältnisses. Persönlich abhängig ist der Beschäftigte, der dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt, das Art, Ort, Zeit und Dauer der Arbeitsleistung umfasst, und der in dessen Betrieb organisatorisch eingegliedert ist.166 Entsprechend der traditionellen Zielsetzung der Sozialversicherung, des Schutzes der abhängig arbeitenden Bevölkerung, sind in erster Linie Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte)167 der Versicherungspflicht unterworfen. In ihrer Eigenschaft spiegeln sich diese Merkmale deutlich wider. 161 Dies folgt daraus, dass § 1 Abs. 1 S. 1 SGB IV festlegt, dass die Vorschriften dieses Gesetzes für alle Versicherungszweige der Sozialversicherung gelten. 162 Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 7 SGB IV Rn. 2; Breuer, in: GK-SGB V, § 5 Rn. 34. 163 BSGE 80, 250, 251. 164 BSGE 3, 30, 35; 8, 278, 282; 13, 130, 132; 15, 65, 69; 16, 289, 293; 45, 199, 200. 165 Brandenburg/Woltjen, in: Wannagat u. a., SGB IV, § 7 Rn. 28; KassKommSeewald, § 7 SGB IV Rn. 46; Mrozynski, Resozialisierung, S. 145; Wallerath, ZSR 1977, 159, 166 f. 166 BSGE 51, 164, 167; 78, 34, 36. 167 Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten, die für die Zuordnung eines Versicherten zu einem Rentenversicherungsträger maßgeblich war, ist mit dem Gesetz zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrgG) vom 9.12.2004 (BGBl. I, 3242) aufgegeben worden. Zu den Hintergründen vgl. amtl. Begründung des Gesetzentwurfs, in: BT-Drs. 15/3654, 67.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Denn Arbeitnehmer ist, wer gegen Entgelt für einen anderen in dessen Betrieb eine Tätigkeit nach dessen Weisungen ausübt.168 b) Arbeitsverhältnis § 7 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB IV nennt beispielhaft das Arbeitsverhältnis als Regelfall abhängiger Beschäftigung. Das Arbeitsverhältnis ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das durch Arbeitsvertrag begründet wird. Das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis setzt aber nicht zwingend ein wirksames Arbeitsverhältnis voraus. Vielmehr erfasst es neben Arbeitsverhältnissen auch andere Rechtsverhältnisse, wie beispielsweise die öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisse.169 Das beweisen die Vorschriften über die Versicherungsfreiheit der Beamten, Richter, Soldaten und sonstigen Beschäftigten mit Versorgungsanwartschaft (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI). Diese Befreiungstatbestände wären überflüssig, wenn die Dienstverhältnisse dieser Personenkreise schon vom Begriff des Beschäftigungsverhältnisses nicht erfasst würden.170 Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses geht weiter als der des Arbeitsverhältnisses. Deswegen sind auch diejenigen als Arbeitnehmer anzusehen, die aufgrund eines nichtigen Arbeitsvertrages tätig werden (sog. faktisches Arbeitsverhältnis).171 Es widerspräche dem Schutzzweck des Arbeits- und Sozialrechts, Personen, die auf fehlerhafter Vertragsgrundlage eine Arbeitsleistung erbracht haben, Sicherungsrechte vorzuenthalten, die sie im wirksamen Arbeitsverhältnis erlangt hätten.172 Das Fehlen eines Arbeitsverhältnisses steht der Begründung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses daher nicht entgegen. Der Regelung des § 7 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB IV kommt keine rechtliche Wirkung zu.173
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Eichenhofer, Rn. 276. Es entspricht der ständigen Rspr. des BSG, dass auch die in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis stehenden Beamten, Richter, Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit und sonstigen Beschäftigten in Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts im sozialversicherungsrechtlichen Sinn Beschäftigte und deswegen dem Grunde nach versicherungspflichtig sind: vgl. BSGE 20, 123, 124, 126; 36, 258, 261; 56, 107, 108; 78, 34, 35. 170 Vgl. BSGE 64, 130, 133 f. 171 BSGE 87, 53, 59; Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 7 SGB IV Rn. 6; Eichenhofer, Rn. 277; Igl/Welti, § 10 Rn. 3. 172 Eichenhofer, Rn. 277. 173 So schon Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 7 SGB IV Rn. 6. 169
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c) Freiwilligkeit der Tätigkeit Schließlich ist ungeschriebenes Merkmal der Beschäftigung die Freiwilligkeit der Tätigkeit. Das Beschäftigungsverhältnis i. S. d. § 7 SGB IV setzt einen freien wirtschaftlichen Austausch von Arbeit und Lohn voraus, sodass die von einer Beschäftigung abhängige Versicherungspflicht nur bei frei übernommener Tätigkeit, nicht dagegen bei einer Tätigkeit aufgrund gesetzlichen Zwangs eintreten könne.174 Daher sei von einem Beschäftigungsverhältnis nur auszugehen, wenn sich zur Arbeitsausübung jemand aufgrund eines freien Willensentschlusses entschieden habe.175 2. Folgerungen für die verschiedenen Arten der Gefangenenarbeit Strafgefangene, die eine ihnen nach § 37 StVollzG zugewiesene Arbeit ausüben, leisten unselbständige Arbeit i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV. Die Regelung des § 37 Abs. 1 StVollzG geht davon aus, dass die Arbeit in der Anstalt ebenso wie in Freiheit die Funktion hat, den Unterhalt und das Fortkommen des Gefangenen und seiner Angehörigen zu sichern.176 Somit verfolgt die Gefangenenarbeit (auch) ein wirtschaftliches Ziel, sodass eine Arbeit i. S. eines Beschäftigungsverhältnisses gegeben ist. Die persönliche Abhängigkeit eines Gefangenen zeigt sich darin, dass ihm die Vollzugsbehörde eine bestimmte Arbeit zuweist und er dem Weisungsrecht des Vollzugspersonals des jeweiligen Arbeitsbetriebs unterliegt. Der Gefangene kann seine Arbeitstätigkeit nicht „im Wesentlichen frei gestalten“ oder gar seine Arbeitszeit frei bestimmen, da er an die von der Anstaltsleitung festgelegten Arbeits- und Schließzeiten gebunden ist. Art, Zeit, Ort und Dauer seiner Tätigkeit werden dem Gefangenen von der Vollzugsanstalt vorgeschrieben. Auch bei einer Beschäftigung in einem Unternehmerbetrieb ist der Gefangene persönlich abhängig, weil er der Weisungsbefugnis des privaten Unternehmers unterliegt (§ 149 Abs. 4 StVollzG)177. Die Fremdbestimmtheit der Arbeit wird durch die Eingliederung in den Betrieb bestä174 Vgl. z. B. BSGE 80, 250, 252; Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 7 SGB IV Rn. 21; KassKomm-Seewald, § 7 SGB IV Rn. 35; Sehnert, in: Hauck/Noftz, SGB IV, K § 7 Rn. 20. 175 Voelzke, in: Schulin, HS-RV, § 16 Rn. 17. 176 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 37 Rn. 2. 177 Mrozynski behauptet, dass nach § 149 Abs. 4 StVollzG dem Unternehmer die technische und fachliche Leitung zumeist übertragen werden muss, weil sich ansonsten schwerlich ein Unternehmer finden ließe, der in der Strafvollzugsanstalt produziert, ohne die Entscheidung über den Produktionsablauf zu haben (vgl. Mrozynski, Resozialisierung, S. 149).
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tigt. Die in Anstalts- oder Unternehmerbetrieben arbeitenden Gefangenen sind Teil eines fremden Betriebs. Sie stehen dagegen nicht im Mittelpunkt eines eigenen Unternehmens, was für eine selbständige Tätigkeit sprechen würde. Die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB IV bringt zum Ausdruck, dass sich der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigtenbegriff in der Regel mit dem arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitsverhältnisses deckt.178 Wie oben erörtert, kommt es auf das Bestehen eines wirksamen Arbeitsverhältnisses jedoch nicht an. Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur steht der Gefangene bei Verrichtung einer zugewiesenen Tätigkeit ausschließlich in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zur Vollzugsbehörde. Es besteht kein privatrechtlicher Arbeitsvertrag, weder mit der Anstalt noch mit einem anderen Unternehmer.179 Da tatsächlich erbrachte Arbeiten aber auch ohne Arbeitsverhältnis sozialversichert sein sollen, schließt das fehlende Arbeitsverhältnis bei den Gefangenen das Vorliegen einer Beschäftigung i. S. d. Sozialversicherung nicht aus. Auch die sog. Freigänger, die außerhalb der Anstalt aufgrund eines freien Beschäftigungsverhältnisses tätig werden, üben eine unselbständige Arbeit aus. Nach Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem Arbeitgeber unterstehen sie ebenfalls dessen Weisungen und sind in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert. Im Gegensatz zu den Gefangenen, die zugewiesene Arbeiten innerhalb oder außerhalb der Vollzugsanstalt ausüben, besteht für die Freigänger zudem ein Arbeitsverhältnis. Erfüllen Strafgefangene aber auch das Merkmal der Freiwilligkeit? „Freiwilligkeit“ erfordert einen zwangsfreien Entschluss bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses bzw. der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit. Fehlt es allein schon an einem freien Willensentschluss, weil ein zur Verwertung seiner Arbeitskraft angehaltener Mensch vielleicht nicht aus freien Stücken, sondern notgedrungen, nämlich zum Zweck des Bestreitens seines Lebensunterhalts arbeitet? Nur die Wenigsten arbeiten freiwillig untertariflich bezahlt. Viele Menschen sind unter den Bedingungen einer hohen Arbeitslosigkeit darauf angewiesen, sich den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen zu unterwerfen, um einen Arbeitsplatz zu bekommen oder zu behalten. Dass es unter diesen Umständen allerdings an dem Merkmal der Freiwilligkeit fehlen könnte, ist eindeutig zu verneinen. Nach seinem Wortlaut verlangt der Begriff Freiwilligkeit einen „freien Willen“, d.h. er muss ohne Druck oder Zwang autonom bestimmt werden. „Freiwilligkeit“ bedeutet indes nicht, frei von jeglichen Bindungen zu sein. Die Notwendigkeit zu 178
BSG SozR 2200 § 165 Nr. 61, S. 82. BAGE 22, 1, 4; KG NStZ 1990, 607, 608; HansOLG Hamburg NStZ 1992, 53, 54; Jehle, ZfStrVo 1994, 259, 261; Laubenthal, in: FS für Geerds, S. 340. 179
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arbeiten, um den Lebensunterhalt zu sichern, besteht für jeden. Für die Freiwilligkeit ist dagegen maßgeblich, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite die Bedingungen ihres gegenseitigen Leistungsaustauschs frei bestimmen können. Freiwilligkeit heißt nicht, eine unbeschränkte Auswahl aus einer Vielzahl von Angeboten zu haben, sondern auf ein Angebot mit der Möglichkeit der Ablehnung zu reagieren. Es bleibt einem Arbeitnehmer unbenommen, das Rechtsverhältnis jederzeit wieder zu kündigen. Beiderseits zeigt die Freiwilligkeit in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis. Ein freier Austausch von Arbeitskraft und Entgelt ist demnach erst zu versagen, wenn die Arbeit aufgrund gesetzlichen Zwangs ausgeübt wird. Strafgefangene unterliegen bekanntermaßen der Zwangsarbeitsregelung des § 41 Abs. 1 StVollzG. Lässt sich daraus die These ableiten, bei einer gesetzlichen Arbeitspflicht scheide generell die „Freiwilligkeit“ und letztlich ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aus? a) Im Eigenbetrieb arbeitende Strafgefangene versus Freigänger aa) Meinungsstand Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung180 und Literatur181 fehlt es bei Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten, die in anstaltseigenen Betrieben arbeiten, an einem freien Willensentschluss, weil sie „unmittelbar aufgrund des öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses als Gefangener bzw. Sicherungsverwahrter kraft ihrer Unterworfenheit unter den Anstaltszwang“ zu ihnen zugewiesenen, ihren körperlichen Fähigkeiten angemessenen Arbeiten herangezogen werden, zu denen sie gesetzlich verpflichtet sind. Eine unter gesetzlichem Zwang ausgeübte Tätigkeit begründe ungeachtet ihrer Ausgestaltung generell kein Beschäftigungsverhältnis i. S. d. Sozialversicherung und führe mithin nicht zu einer Versicherungspflicht.182 Die Gefangenenarbeit werde nur gegen ein geringes Entgelt geleistet, sodass „die Voraussetzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, nämlich die freie Arbeit gegen Entgelt“, nicht erfüllt werde.183 Die Gefangenen stünden in keinem typischen Arbeitsverhältnis. Die Arbeitspflicht nach § 41 180
Amtliche Nachrichten des RVA, 9. Jg. 1893, S. 111; BSGE 27, 197, 198; BSGE 38, 245; BSG SozR 3–4100 § 104 Nr. 4; BSG DRV 1994, 824; BAGE 53, 336, 341, 345. 181 Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 7 SGB IV Rn. 21; Brandenburg/Woltjen, in: Wannagat u. a., SGB IV, § 7 Rn. 65; KassKomm-Seewald, § 7 SGB IV Rn. 35 f.; Merten, GK-SGB IV, § 7 Rn. 23; Sehnert, in: Hauck/Noftz, SGB IV, K § 7 Rn. 20. 182 BSGE 27, 197 f.; BSG SozR 3–5070 § 14 Nr. 2. 183 Vgl. die Nachweise in den Fn. 180 und 181 des Zweiten Teils; außerdem LSG Baden-Württemberg, Breith. 1979, 591, 592.
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Abs. 1 StVollzG begründe durch die öffentlich-rechtliche Beziehung, in der der Gefangene aufgrund seiner Verurteilung zum Staat stehe, ein „öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis eigener Art“184, das die Annahme einer freiwilligen Beschäftigung ausschließe.185 Das BAG ging in seiner Entscheidung zur Arbeitnehmereigenschaft des Gefangenen aus dem Jahr 1969 sogar noch einen Schritt weiter. Es stellte nicht den Zwangscharakter der Arbeit in den Vordergrund, sondern hob allein das Bestehen des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zwischen Inhaftiertem und Vollzugsbehörde hervor. Das Gericht führte hierzu aus: „Alle gegen den Häftling im Rahmen der Haft getroffenen Maßnahmen – einschließlich der Heranziehung zu Arbeitsleistungen – haben ihre Rechtsgrundlage in diesem besonderen Gewaltverhältnis. Das ist ganz offensichtlich bei Gefangenen, die ohne Rücksicht auf ihre Arbeitswilligkeit während der Haft zur Arbeitsleistung verpflichtet sind (. . .), das gilt jedoch auch bei solchen Gefangenen, die nicht oder nur in eingeschränktem Maße zu Arbeitsleistungen verpflichtet sind, denen aber auf Verlangen Gelegenheit zur Arbeit gegeben werden muss (. . .) oder soll (so bei Untersuchungsgefangenen . . .).“ (. . .) „Das Verlangen des Gefangenen nach Zuteilung von Arbeit ist, soweit es für die Beschäftigung während der Haft erforderlich ist, kein Angebot zum Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages gemäß §§ 145 ff. BGB, sondern lediglich eine den Inhalt des öffentlichrechtlichen Gewaltverhältnisses in bestimmter Hinsicht beeinflussende Erklärung.“186
Gegenteilig wird die Rechtslage bei den Freigängern beurteilt, denen die Vollzugsbehörde gem. § 39 Abs. 1 StVollzG gestattet, ein freies, aber ebenfalls öffentlich-rechtlich überlagertes (vgl. §§ 11 Abs. 2, 14, 39 Abs. 3, 51 StVollzG) Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Anstalt einzugehen. Der Freigänger schließe aus eigenem Willensentschluss mit einem Arbeitgeber einen privatrechtlichen Arbeitsvertrag187, aufgrund dessen er in dem Betrieb des Arbeitgebers zur Arbeitsleistung herangezogen und dafür entlohnt werde. Der Freigänger sei einem freien Arbeitnehmer gleichgestellt, weil sein Beschäftigungsverhältnis durch den freien Austausch von Arbeit und Lohn gekennzeichnet sei.188 Insofern wird bei diesen Gefangenen das Merkmal der Freiwilligkeit bejaht.
184 AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, vor § 37 Rn. 30; Schorn, NZS 1995, 444, 445. 185 LAG Hamm ZfStrVo 1992, 256, 257; KG NStZ 1989, 197; Calliess/MüllerDietz, StVollzG, § 41 Rn. 1. 186 BAGE 22, 1, 4 f. = BAG v. 24.4.1969 – 5 AZR 438/68 – AP Nr. 18 zu § 5 ArbGG 1953. 187 LAG Hamm ZfStrVo 1992, 256, 257. 188 BSGE 12, 71, 72 f.; 27, 197, 198 f.
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis
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bb) Stellungnahme und eigene Würdigung Freigänger unterliegen im Gegensatz zu den sonstigen Gefangenen nicht nur der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI), sondern werden obendrein tariflich entlohnt189.190 Die Freigänger müssen sich – wie jeder andere Arbeitnehmer – gem. § 253 SGB V (bzw. § 174 SGB VI und § 60 SGB XI) jeweils i. V. m. §§ 28d ff. SGB IV von ihrem Lohn die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge abziehen lassen. Die Beiträge tragen gem. § 249 Abs. 1 SGB V (bzw. § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und § 58 Abs. 1 S. 1 SGB XI) der Arbeitgeber und der versicherte Gefangene jeweils zur Hälfte. Obwohl die Gefangenen des geschlossenen Vollzugs wie Freigänger der gesetzlichen Arbeitspflicht unterliegen, werden daran unterschiedliche Sozialrechtsfolgen geknüpft. Bei den erstgenannten Gefangenen wird der freie Wille verneint, weil sie infolge ihres Sonderstatus durch staatlichen Zwang zu Arbeiten herangezogen würden. Selbst wenn diese Gefangenen arbeitswillig sind und ihre Arbeitskraft freiwillig zur Verfügung stellen, erfüllen sie trotzdem nicht das Merkmal der „Freiwilligkeit“ des Beschäftigungsverhältnisses, weil sie zur Arbeit ohnehin gesetzlich verpflichtet sind. Auf einen freien Willensentschluss des Gefangenen, der im geschlossenen Vollzug tätig ist, kommt es demnach nie an. Gegenteilig dazu wird den Freigängern ein freier Wille ungeachtet derselben Arbeitspflicht nicht abgesprochen, obwohl auch der Freigänger trotz seines freien Beschäftigungsverhältnisses weiterhin unter öffentlich-rechtlicher Verantwortung der Vollzugsbehörde steht.191 Dies folgt daraus, dass der Freigänger nach wie vor Strafgefangener ist.192 Auch er bleibt der Einflussnahme der Vollzugsbehörde ausgesetzt 189
Vgl. hierzu OLG Hamm ZfStrVo 1988, 110, 111 = NStZ 1988, 245, 246 m. Anm. Wegener. 190 BSGE 12, 71, 73; BSGE 67, 269, 271; BSG ZfStrVo 1992, 134, 135; vgl. auch LAG Baden-Württemberg NZA 1989, 886; AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, § 39 Rn. 15; Jehle, ZfStrVo 1994, 259, 261; Schorn, NZS 1995, 444, 445; von Savigny, S. 89 f. 191 Dies zeigt sich z. B. darin, dass das Arbeitsverhältnis eines Freigängers wegen § 39 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 StVollzG und VV Nr. 2 Abs. 2 zu § 39 (s. o. Fn. 142 des Zweiten Teils) meistens durch dreiseitige vertragliche Vereinbarungen zwischen Gefangenem, JVA und Arbeitgeber geregelt wird; so Wegener, NStZ 1988, 246. In dem Beschluss hatte das Gericht die Entscheidung einer JVA für rechtmäßig erklärt, trotz Erteilung der Zulassung zum Freigang, später dem Gefangenen die konkrete Genehmigung eines bestimmten Vertragsverhältnisses zu versagen, weil der Gefangene – obwohl er selbst damit einverstanden war – deutlich untertariflich bezahlt werden sollte. 192 Weder durch die Gestattung einer Außenbeschäftigung noch durch den Freigang wird der Vollzug der Freiheitsstrafe ausgesetzt oder aufgehoben. Es handelt
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und ist in seiner „Freiwilligkeit“ erheblich beschränkt. Dennoch wird bei diesem Personenkreis die Versicherungspflicht bejaht und weder die gesetzliche Arbeitspflicht noch das insbesondere von der Rechtsprechung stets zitierte öffentlich-rechtliche Gewaltverhältnis als Hinderungsgrund angesehen. Der Begriff der Freiwilligkeit wird offensichtlich unterschiedlich ausgelegt. Fraglich ist, ob sich diese Differenzierung hinreichend begründen lässt. Den im geschlossenen Vollzug arbeitenden Gefangenen wird nur ein geringes Entgelt gezahlt. Dem Argument, dass es daher an der Freiwilligkeit fehle, ist aber entgegenzuhalten, dass die Höhe des Entgelts für den Eintritt der Versicherungspflicht grundsätzlich unerheblich ist.193 So wird beispielsweise auch bei Beschäftigungen zur Berufsausbildung nur ein geringes oder unter Umständen gar kein Entgelt gezahlt,194 dennoch sind diese Beschäftigungen versicherungspflichtig.195 Das ist allerdings damit zu erklären, dass bei einer Beschäftigung zur Berufsausbildung dem Auszubildenden Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen vermittelt werden, die ihn zur Ausübung des betreffenden Berufs befähigen. Die Berufsausbildungsverhältnisse sind nach § 7 Abs. 2 SGB IV den entgeltlichen Beschäftigungsverhältnissen gleichgestellt. Die Gegenleistung für die Arbeitstätigkeit des Auszubildenden ist quasi die ihm zugute kommende Fachausbildung. Darum ist bei diesem Personenkreis das Arbeitsentgelt nicht entscheidend. Dies ist mit der Situation der Strafgefangenen nicht gleich, weil es bei denen auf die Entgeltlichkeit der Beschäftigung ankommt. Bei den Gefangenen wird das synallagmatische Verhältnis verneint, weil das ihnen gezahlte Arbeitsentgelt bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise keine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung sei. Der Verdienst eines Gefangenen stellt in der Tat keine Existenzgrundlage dar. Dafür lässt sich vor allem diese Überlegung anführen: Die Gefangenenarbeit hat in erster Linie nicht dem Ziel der Arbeit zu dienen, nämlich dem zweckgerichteten Einsatz der körperlichen und/oder geistigen Kräfte und Fähigkeiten zur Befriedigung materieller Bedürfnisse, sondern dem Zweck der Resozialisierung des Strafgefangenen. Das verdeutlicht § 37 Abs. 1 StVollzG, der bestimmt, dass die Arbeit im Strafvollzug Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entsich bei diesen Vollzugslockerungen lediglich um Maßnahmen, die den Gefangenen auf ein Leben in Freiheit vorbereiten sollen (Ullenbruch, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 11 Rn. 1). Diese Maßnahmen sind aber Teile des fortdauernden Strafvollzugs. 193 So KassKomm-Gürtner, § 1 SGB VI Rn. 12. 194 Vgl. BSGE 58, 218, 221. 195 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 10 SGB V, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 SGB XI. Versicherungspflichtig sind seit 1.4.1999 auch die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (sog. Minijobs) i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV, vorausgesetzt der geringfügig entlohnte Beschäftigte verzichtet nach § 5 Abs. 2 S. 2 SGB VI auf die Rentenversicherungsfreiheit.
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis
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lassung zu vermitteln, zu erhalten und zu fördern habe. Die Gefangenenarbeit ist als Behandlungsmaßnahme Teil des Vollzugsplans (§ 7 StVollzG) und damit Mittel zur sozialen und beruflichen Integration des Inhaftierten.196 Das Entgelt, das der Gefangene erhält, kann lediglich als monetäre Anerkennung für die erbrachte Arbeit charakterisiert werden. Gegen die fehlende Gegenleistung für Arbeit könnte jedoch eine Entscheidung des BSG sprechen, die das Arbeitsentgelt nach § 43 StVollzG im Gegensatz zu der vor In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes geltenden Regelung197 in einem Urteil ausdrücklich als eine „Gegenleistung für verrichtete Arbeit“ bezeichnete. Das ergebe sich schon aus dem vom Gesetz gewählten Begriff „Arbeitsentgelt“; darunter sei nicht nur nach seinem Wortsinn, sondern auch nach dem gültigen Sprachgebrauch die Gegenleistung für geleistete Arbeit zu verstehen.198 In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob die im geschlossenen Strafvollzug verrichtete Tätigkeit des Strafgefangenen entlohnt war i. S. d. § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 lit. b AFG (in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung). Diese Regelung setzte für die Gewährung von Arbeitslosenhilfe die Erfüllung der sog. „kleinen Anwartschaftszeit“ voraus, d.h. der Antragsteller musste in einer bestimmten Vorfrist zehn Wochen in einer „entlohnten – nicht notwendig beitragspflichtigen – Beschäftigung“ gestanden haben. Das Gericht betonte, um eine „entlohnte“ Beschäftigung handle es sich dann, wenn Arbeit und Lohn im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stünden; auf eine objektive Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung käme es nicht an.199 Auch das Freiwilligkeitsmerkmal des Beschäftigungsverhältnisses nach § 7 Abs. 1 SGB IV verlangt den Austausch von Leistung und Gegenleistung. Die BSG-Entscheidung hatte allerdings eine Leistung aus dem Recht der Arbeitsförderung zum Gegenstand. In diesem Sozialversicherungszweig wurden die Strafgefangenen mit In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes den sonstigen Beschäftigten i. S. d. Sozialversicherung gleichgestellt.200 Infolge der Gleichstellung wird fingiert, dass die Strafgefangenen Arbeitnehmer sind und das Arbeitsentgelt die Gegenleistung für ihre Arbeitstätigkeit ist. Die Gleichstellung ist aber auf das Gebiet des Arbeitsförderungsrechts beschränkt. Deshalb folgt aus der Entscheidung nicht, dass das Arbeitsentgelt, das Strafgefangene erhalten, generell, also auch für die Kranken- und Rentenversicherung, als „echte“ Gegenleistung zu qualifizieren ist, auch wenn es sich jeweils um ein und dasselbe Arbeitsentgelt handelt. 196 197 198 199 200
Zur Bedeutung der Gefangenenarbeit s. o. Zweiter Teil, A. I. 1. Dazu oben im Ersten Teil unter B. III. BSGE 48, 129, 131. BSGE 48, 129, 130. Vgl. hierzu Erster Teil, B. II. 3. a).
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Das allein erklärt aber noch nicht, weshalb die Freigänger hingegen tariflich entlohnt werden und versicherungspflichtig sind. Denn auch der Freigang ist trotz Vollzugslockerung (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG) eine Behandlungsmaßnahme (§ 7 Abs. 2 Nr. 7 StVollzG) und dient dem Ziel der Resozialisierung des Gefangenen. Maßgeblich für die Bejahung der Freiwilligkeit bei Freigängern ist vielmehr, dass das Eingehen eines freien Beschäftigungsverhältnisses gem. § 39 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 11 Abs. 2 StVollzG die Zustimmung des Betreffenden voraussetzt. Das Zustimmungserfordernis gesteht diesem Gefangenen ein Mindestmaß an Selbstbestimmung zu und hat zur Folge, dass gegen seinen Willen die Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 StVollzG bei Beschäftigungen außerhalb der Anstalt nicht mehr durchgesetzt werden kann.201 Der Zwangscharakter der Arbeit ist bei diesen Personen damit aufgehoben. Infolgedessen kann der Freigänger freiwillig und weitgehend ohne Einfluss der Vollzugsbehörde202 ein Arbeitsverhältnis begründen. Er erfüllt folglich sämtliche Voraussetzungen des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses. Das Zustimmungserfordernis im Rahmen der Arbeit von Gefangenen unterscheidet die Freigänger wesentlich von den übrigen Strafgefangenen und ist ursächlich für deren unterschiedliche soziale Sicherung. Im Ergebnis sind die Freigänger somit zu Recht versicherungspflichtig, während die in einem Eigenbetrieb arbeitenden Strafgefangenen wegen Nichterfüllung des Freiwilligkeitsmerkmals keine Beschäftigung i. S. d. Sozialversicherungsrechts ausüben und deshalb nicht versicherungspflichtig sind. b) Versicherungspflicht bei Arbeiten in „Unternehmerbetrieben“? Umstritten und schwierig zu bestimmen ist die Versicherungspflicht, wenn der Strafgefangene in einem sog. „Unternehmerbetrieb“ innerhalb der Anstalt unter fachlicher Aufsicht eines Angehörigen des privaten Unternehmens arbeitet. Hierbei ist fraglich, inwieweit sich der Streit um die Zustimmungspflicht und der Verstoß gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 29 auf eine mögliche Versicherungspflicht der in Unternehmerbetrieben arbeitenden Strafgefangenen auswirken. Eins steht fest: Würde der Gesetzgeber § 41 Abs. 3 StVollzG in Kraft setzen, erfordert die Beschäftigung in den Unternehmerbetrieben zwingend die Zustimmung des Gefangenen. Damit wären sie sozialversicherungspflichtig und jegliche Zweifel beseitigt. Da aus der Rechtsprechung des BSG203 gefolgert werden muss, dass es in erster Linie das Kriterium des Zwangs ist, das bei Gefangenen die Begründung eines so201 202 203
AK-StVollzG-Feest/Lesting, § 11 Rn. 29 f. Vgl. den in Fn. 191 geschilderten Fall. BSGE 12, 71, 73; 27, 197 f.
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis
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zialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses ausschließt, muss im Fall der Beschäftigung in einem privaten Unternehmerbetrieb die Freiwilligkeit und somit die Versicherungspflicht dann infolge der Zustimmung bejaht werden.204 Nach wie vor ist § 41 Abs. 3 StVollzG aber suspendiert. Ist gleichwohl schon heute eine Versicherungspflicht zu bejahen? aa) Meinungsstand Rechtsprechung205 und die überwiegende Ansicht in der Literatur206 verneinen bei Erbringung einer Arbeitsleistung in einem Unternehmerbetrieb die Versicherungspflicht für Strafgefangene, weil die geleistete Arbeit, wie immer sie im Einzelnen auch ausgestaltet sein mag, nur gegen ein geringes Entgelt geleistet werde, sodass die Voraussetzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, nämlich die freie Arbeit gegen Entgelt, nicht erfüllt sei. Für diese Meinung kommt es auf eine Zustimmung des Gefangenen aus zwei Gründen nicht an: Zum einen ist der Zustimmungsvorbehalt des § 41 Abs. 3 StVollzG noch nicht in Kraft gesetzt worden und zum anderen sehen die Vertreter dieser Meinung in der Beschäftigung in einem Unternehmerbetrieb keine Zwangs- oder Pflichtarbeit i. S. d. ILO-Übereinkommens Nr. 29. Die Gegenmeinungen in der Literatur plädieren dagegen für eine Versicherungspflicht. So vertritt Mrozynski die Auffassung, die Tätigkeit eines Gefangenen in einem Unternehmerbetrieb begründe ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis i. S. d. § 7 SGB IV, infolgedessen der Gefangene schon als Arbeitnehmer versicherungspflichtig sei.207 Seiner Ansicht nach beruhe die Arbeit in diesen Betrieben auf einer freiwilligen Dienstbereitschaft des Gefangenen, weil die Beschäftigung eines Strafgefangenen in einem privaten Unternehmen innerhalb der Anstalt von seiner Zustimmung abhängig sei. Obwohl § 41 Abs. 3 StVollzG noch nicht in Kraft gesetzt wurde (§ 198 Abs. 3, 4 StVollzG), gelte dies bereits jetzt, da anderenfalls ein Verstoß gegen das Übereinkommen Nr. 29 der ILO anzunehmen 204
So schon Mrozynski, SGb 1990, 315, 316. Vgl. amtliche Nachrichten des RVA, 9. Jg. 1893, S. 111; BSGE 27, 197, 198; BSGE 38, 245; BSG SozR 3–4100 § 104 Nr. 4; BSG DRV 1994, 824; BAGE 53, 336, 341, 345; außerdem LSG Baden-Württemberg, Breith. 1979, 591, 592: Allein das LSG hebt ausdrücklich hervor, dass die Abweichung, ob der Gefangene in einem Anstaltsbetrieb oder in einem von privaten Unternehmen unterhaltenen Betrieb arbeite, nicht entscheidend sei und deshalb keine andere Beurteilung rechtfertige. 206 Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 7 SGB IV Rn. 21; Brandenburg/Woltjen, in: Wannagat u. a., SGB IV, § 7 Rn. 65; KassKomm-Seewald, § 7 SGB IV Rn. 35 f.; Merten, GK-SGB IV, § 7 Rn. 23; Sehnert, in: Hauck/Noftz, SGB IV, K § 7 Rn. 20. 207 Mrozynski, Resozialisierung, S. 150; ders., in: SGb 1990, 315, 320. 205
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
wäre.208 Das Tatbestandsmerkmal der Freiwilligkeit sei bei Beschäftigungen in „Unternehmerbetrieben“ somit erfüllt. Klesczewski behauptet, das ILO-Übereinkommen Nr. 29 gehe dem § 198 Abs. 3 und 4 StVollzG vor.209 Zwar sei das Strafvollzugsgesetz gegenüber dem Zustimmungsgesetz zu dem ILO-Übereinkommen Nr. 29 das spätere Gesetz; darauf komme es jedoch nicht entscheidend an. Aus Art. 25 GG folge, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den einfachen Gesetzen vorgingen. Zu diesen allgemeinen Regeln gehöre fraglos der Grundsatz „pacta sunt servanda“, gegen den der Gesetzgeber verstoßen würde, der nach Ratifizierung eines völkerrechtlichen Vertrages ein dessen Bestimmungen entgegenstehendes Gesetz erlassen würde.210 Das völkerrechtliche Prinzip der Vertragstreue fungiere dann als Kollisionsregel mit der Maßgabe, dass der Vertragsbestimmung der Vorrang gebühre. § 198 Abs. 3, 4 StVollzG stehe mit Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29 im Widerspruch, da erstere Vorschrift den Zustimmungsvorbehalt des § 41 Abs. 3 StVollzG suspendiere. Das Übereinkommen Nr. 29 der ILO derogiere daher § 198 Abs. 3, 4 StVollzG mit der Folge, dass die Suspendierung von § 41 Abs. 3 StVollzG wegfalle. Dementsprechend ist auch Klesczewski der Ansicht, dass die Arbeitsaufnahme in einem Unternehmerbetrieb von der Zustimmung des Gefangenen abhängig sei. Aus seiner Argumentation lässt sich folgern, dass er die Beschäftigung als versicherungspflichtig einstufen würde. bb) Stellungnahme Für Mrozynskis Ansicht spricht, dass sie mit der kumulativen Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29 in Einklang steht. Seine Auffassung ist allerdings nicht haltbar, wenn dieses Übereinkommen als völkerrechtlicher Vertrag im innerstaatlichen Recht nicht unmittelbar anwendbar („self-executing“) ist und keinen rechtserheblichen Einfluss auf die Versicherungspflicht hat. Grundsätzlich wird durch den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages nur auf völkerrechtlicher Ebene verbindliches Recht geschaffen, welches die innerstaatliche Rechtsordnung unberührt lässt.211 Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn die völkerrechtlichen Regelungen innerstaatlich unmittelbar anwendbar sind. Dies ist für die Frage, ob das ILO-Übereinkommen Nr. 29 für die Versicherungspflicht bedeutsam ist, im Folgenden zu prüfen. 208
Mrozynski, Resozialisierung, S. 147; ders., in: SGb 1990, 315, 316 und 318. Klesczewski, NStZ 1992, 351, 352. 210 Ebenso Stern, StaatsR I, S. 482: „Könnte späteres nationales Recht Völkervertragsrecht derogieren, so wäre dies ein Völkerrechtsverstoß (. . .).“ 211 Dazu schon oben: Zweiter Teil, A. I. 3. b) bb) (2). 209
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis
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Das ILO-Übereinkommen Nr. 29 ist kraft Zustimmung durch das Gesetz vom 1. Juni 1956212 gem. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG in innerstaatliches Recht mit dem Rang einfachen Bundesrechts transformiert worden213.214 Dadurch hat es allerdings nur innerstaatliche Geltung erlangt. Das besagt noch nichts über dessen unmittelbare Anwendbarkeit. Trotz der Übernahme in die innerstaatliche Rechtsordnung ist eine völkerrechtliche Vorschrift von Behörden und Gerichten nicht unmittelbar anwendbar, wenn bereits die völkerrechtliche Norm deutlich werden lässt, dass ihre Anwendung noch weitere Maßnahmen des Gesetzgebers voraussetzt oder nationales Recht (z. B. der Bestimmtheitsgrundsatz) eine Konkretisierung erfordert.215 Maßgeblich ist die Qualität des völkerrechtlichen Rechtssatzes216, die durch Auslegung zu ermitteln ist. Indiz für das Fehlen der unmittelbaren Anwendbarkeit ist eine Verpflichtung der Vertragsparteien, innerstaatlich besondere vorgeschaltete Maßnahmen zu treffen.217 Eine solche Verpflichtung ist dem Übereinkommen Nr. 29 zu entnehmen. Das Übereinkommen Nr. 29 der ILO beinhaltet an die Staatsorgane gerichtete Vorgaben für geeignete Maßnahmen zur Durchführung der Regelungen des Übereinkommens, nicht aber das innerstaatliche Recht unmittelbar ändernde Bestimmungen. So bestimmt Art. 1 Abs. 1 jenes Abkommens, dass jedes Mitglied der ILO, das dieses Übereinkommen ratifiziert, sich verpflichtet, alle Formen der Zwangs- oder Pflichtarbeit zu beseitigen. Für das Übereinkommen Nr. 29 ist damit festzustellen, dass die darin getroffenen Regelungen zur Beseitigung der Zwangs- oder Pflichtarbeit sich nur an die Staatsorgane richten und nicht subjektive Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen. Das in innerstaatliches Recht transformierte Abkommen wirkt nicht mit unmittelbarer Geltung auf die Rechtsgrundlagen zur Sozialversicherungspflicht ein. Sowohl der Inhalt als auch der Adressat des Übereinkommens Nr. 29 sprechen deshalb gegen seine unmittelbare Anwendbarkeit.218 Der Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29 verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland zur Beseitigung der unzulässigen Zwangs- oder Pflichtarbeit. Er hat 212
Vgl. oben: Zweiter Teil, A. I. 3. b) bb), Fn. 99. BT-Drs. 12/3495, 10 m. w. N.; außerdem BVerfGE 58, 233, 255 zum ILOÜbereinkommen Nr. 87 (Vereinigungsfreiheit); BVerwGE 86, 99, 119 zum Übereinkommen Nr. 111 (Diskriminierung); Böhmert, S. 154 ff. 214 Zur Diskussion um die Herbeiführung der innerstaatlichen Geltung des Vertragsinhalts nach der Vollzugslehre oder Transformationstheorie vgl. z. B. Herdegen, § 22 Rn. 7; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 59 Rn. 88; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 60 ff. 215 Jarass/Pieroth, GG, Art. 25 Rn. 3. 216 Buchs, S. 29, 41. 217 Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 68. 218 Nach Böhmert (S. 163) enthalten die ILO-Übereinkommen zum überwiegenden Teil nicht unmittelbar anwendbares Recht. 213
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
aber keine rechtserhebliche Bedeutung für die Suspensionsnorm des § 198 Abs. 3 StVollzG in Bezug auf die Inkraftsetzung des Zustimmungsvorbehalts und in der Folge für die Versicherungspflicht der Strafgefangenen in Unternehmerbetrieben. Demzufolge geht die Annahme Mrozynskis fehl, der Strafgefangene arbeite ungeachtet der Suspendierung des § 41 Abs. 3 StVollzG schon heute freiwillig und sei deshalb versicherungspflichtig, um dadurch die Vereinbarkeit mit dem Völkervertragsrecht herzustellen. Aus dem Völkerrechtsverstoß lässt sich die Sozialversicherungspflicht der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht herleiten. Möglicherweise könnte dieses Ergebnis nicht mit der im Grundgesetz zum Ausdruck gebrachten Völkerrechtsfreundlichkeit zu vereinbaren sein. Diese wird aus einer systematischen Gesamtschau verschiedener Normen des Grundgesetzes, insbesondere der Präambel, der Art. 1 Abs. 2, 9 Abs. 2 und der Art. 24 bis 26 GG abgeleitet, die sich mit dem Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten und zum Völkerrecht befassen.219 Um Konflikte zwischen der innerstaatlichen Rechtslage und völkervertraglichen Pflichten zu vermeiden, gilt der Grundsatz, dass – neben dem Grundgesetz – auch Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden sind.220 Das gilt selbst dann, wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag; denn es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will.221 Die völkerrechtsfreundliche Auslegung gebietet, bei mehreren möglichen Deutungen einer innerstaatlichen Norm derjenigen den Vorzug zu geben, die gleichzeitig den Anforderungen des Völkerrechts gerecht wird.222 Bei der hier zu würdigenden Rechtsfrage besteht ein Konflikt zwischen der Suspendierung der Zustimmungsbedürftigkeit bei der Beschäftigung von Gefangenen in Unternehmerbetrieben infolge des § 198 Abs. 3 i. V. m. § 41 Abs. 3 StVollzG und der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Beseitigung der – wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29 – unzulässigen Zwangs- oder Pflichtarbeit. Fraglich ist, ob die Suspensionsnorm des § 198 Abs. 3 StVollzG dahin völkerrechtskonform ausgelegt werden könnte, dass der Zustimmungsvorbehalt von der Suspen219 BVerfGE 31, 58, 75 f.; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK 2, Art. 24 Rn. 2; Tomuschat, in: HdbStR VII, § 172 Rn. 27. 220 BVerfGE 74, 358, 370; Bleckmann, DÖV 1979, 309, 312; Jarass/Pieroth, GG, Art. 25 Rn. 4; Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK 2, Art. 24 Rn. 2. 221 BVerfGE 74, 358, 370. 222 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GGK 2, Art. 24 Rn. 3; Tomuschat, in: HdbStR VII, § 172 Rn. 27.
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis 101
dierung ausgenommen und demzufolge anwendbar ist. Das setze voraus, dass § 198 Abs. 3 StVollzG auslegungsfähig ist und verschiedene Deutungen zulässt. Dagegen spricht der eindeutige Wortlaut dieser Regelung. Die völkerrechtskonforme Auslegung findet ebenso wie die verfassungskonforme Auslegung ihre Grenze im Wortlaut der auszulegenden Norm, um dem Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Gewaltenteilung Rechnung zu tragen.223 An diesen Willen sind die rechtsanwendenden Verwaltungsbehörden und Gerichte gem. Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. Folglich führt auch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung zu keinem anderen Ergebnis. Wenig überzeugend erscheint die von Klesczewski vertretene Ansicht, über den allgemeinen Völkerrechtsgrundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) werde dem Übereinkommen Nr. 29 gegenüber den Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes in der Weise Vorrang eingeräumt, dass die Suspendierung des Zustimmungsvorbehalts nach § 41 Abs. 3 StVollzG wegfalle. Zunächst einmal ist auszuschließen, dass das ILO-Übereinkommen Nr. 29 selbst allgemeine Regeln des Völkerrechts enthält, die nach Art. 25 S. 2 GG mit unmittelbarer Rechtswirkung den innerstaatlichen Gesetzen vorgehen. Darunter fallen nur allgemein anerkannte Rechtsvorschriften, die von der weit überwiegenden Mehrheit der Völkerrechtssubjekte als verpflichtend anerkannt werden.224 Die Normen des Übereinkommens Nr. 29 sind nicht dazuzurechnen.225 Deshalb gehört das Übereinkommen zum Völkervertragsrecht. Im Übrigen liefe der Einwand auf den Versuch hinaus, über den gewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Vertragstreue dem Völkervertragsrecht gegenüber einfachen Gesetzen einen höheren Rang einzuräumen. Dies hätte zur Folge, dass jeder völkerrechtliche Vertrag Vorrang vor den Gesetzen erhalten würde. Das stünde im Widerspruch zur Regelung des Art. 59 Abs. 2 GG, die völkerrechtlichen Verträgen im innerstaatlichen Recht nur den Rang eines Bundesgesetzes zuweist. Art. 59 GG ist gegenüber Art. 25 GG insoweit das speziellere Gesetz. Ferner ist der Versuch, über den Rechtssatz „pacta 223
Böhmert, S. 170. BVerfGE 15, 25, 34; 16, 27, 33; Jarass/Pieroth, GG, Art. 25 Rn. 5; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 25 Rn. 24. 225 So auch BVerwGE 86, 99, 119 zum Übereinkommen Nr. 111 (Diskriminierung); Haase, ZfSH/SGB 1990, 238, 245, behauptet, es sei „unstrittig“, dass Übereinkommen der IAO nicht zum Allgemeinen Völkerrecht i. S. v. Art. 25 GG rechnen; ebenso Wisskirchen, S. 65, 73; zurückhaltender Lörcher, ArbuR 1991, 97, 103, der es für „ immerhin diskutabel“ hält, diejenigen Übereinkommen, die fundamentale Menschenrechte beinhalten wie das Übereinkommen Nr. 29 mit dem Verbot der Zwangsarbeit (des Weiteren nennt er die Übereinkommen Nr. 100 zur Lohngleichheit von Männern und Frauen und Nr. 111 zum Diskriminierungsverbot) und die von einer Vielzahl von Staaten ratifiziert worden sind, als Völkergewohnheitsrecht i. S. d. Art. 25 GG zu behandeln. 224
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
sunt servanda“ einem völkerrechtlichen Vertrag zu höherem Rang zu verhelfen, deshalb zum Scheitern verurteilt, weil das Völkerrecht es dem Staat überlässt, wie er seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommt.226 Im Ergebnis ist das ILO-Übereinkommen Nr. 29 damit nicht höherrangig gegenüber den Regelungen des Strafvollzugsgesetzes. Folglich steht weiterhin der suspendierte Zustimmungsvorbehalt nach § 41 Abs. 3 StVollzG der Versicherungspflicht der Gefangenen entgegen. Daraus folgt, dass auch die Beschäftigung von Strafgefangenen in den Unternehmerbetrieben derzeit nicht versicherungspflichtig ist. Es fehlt für das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis auch hier an der Freiwilligkeit. c) Arbeitsleistung während der Untersuchungshaft und ihre Bedeutung für die Sozialversicherungspflicht Interessant im Vergleich zu den bisherigen Argumentationen ist die Beurteilung der Rechtslage für Untersuchungsgefangene. Im Unterschied zum Strafgefangenen ist der Untersuchungsgefangene nicht zur Arbeit verpflichtet (§ 119 StPO).227 Gleichwohl wird ihm eine Tätigkeit i. S. d. § 177 StVollzG „zugewiesen“, wenn er eine Arbeitsgelegenheit verlangt hat, die Vollzugsanstalt einen geeigneten Arbeitsplatz (vgl. Nr. 43 Abs. 1, 2 und 5 UVollzO228) zur Verfügung stellen kann und den Untersuchungsgefangenen dementsprechend zur Arbeit einteilt.229 Der Untersuchungsgefangene erwirbt nach § 177 StVollzG einen Anspruch auf Arbeitsentgelt, dessen Bemessungsgrundlage in Höhe von 5% der Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) inzwischen geringer ist als die für Strafgefangene.230 Einen Arbeitsvertrag 226 Vgl. BVerfGE 6, 309, 363; 31, 145, 177 f.; BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NVwZ 1984, 165; AK-GG-Zuleeg, Bd. 2, Art. 25 Rn. 25; Herdegen, in: Maunz-Dürig, GG, Bd. 3, Art. 25 Rn. 9; Seidl-Hohenveldern/Stein, Rn. 583; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 63. 227 BGHSt 35, 112, 114; AK-StVollzG-Feest/ders./Köhne, § 177 Rn. 2; Böhm, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 177 Rn. 1; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 177 Rn. 1; KK-Boujong, § 119 StPO Rn. 71; Meyer-Goßner, StPO, § 119 Rn. 38; vgl. auch Nr. 42 UVollzO und Nr. 89 Minima (s. Anh. 2 und 3). 228 Im Anh. 2 abgedr. 229 BGHSt 35, 112, 114. 230 Während durch das 5. Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 27.12.2000 (BGBl. I, 2043) die Entgeltbemessungsgrundlage für Strafgefangene zum 1. Januar 2001 von 5% auf 9% der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße erhöht wurde (§ 200 StVollzG), blieb die Bemessungsgrundlage für Untersuchungsgefangene unverändert bei 5% der Bezugsgröße (§ 177 S. 2 StVollzG). Die geringe Höhe ist nicht gerechtfertigt; bei Strafgefangenen wird wegen der niedrigen Bemessung des Arbeitsentgelts von der Geltendmachung von Haftkosten abgesehen,
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis 103
schließen der Untersuchungsgefangene und das durch die JVA vertretene Land nicht.231 Mangels Arbeitspflicht erfolgt die Arbeitsleistung eines Untersuchungshäftlings aufgrund seines eigenen freien Willensentschlusses und damit unbestritten auf freiwilliger Basis.232 Deshalb ist es falsch, dass auch die Tätigkeit von Untersuchungsgefangenen mangels Freiwilligkeit nicht als eine zumindest dem Grunde nach sozialversicherungspflichtige Beschäftigung i. S. d. § 7 SGB IV qualifiziert wird. Das LSG Baden-Württemberg begründete in einer Entscheidung aus dem Jahr 1993233 die Versagung der Versicherungspflicht damit, dass ein Untersuchungshäftling zwar nicht zur Arbeit verpflichtet werden könne, er aber andererseits in der Verwertung seiner Arbeitskraft auch nicht völlig frei sei; seine Freiheit sei vielmehr eine negative in dem Sinne, dass er eine ihm nicht genehme Arbeit ablehnen dürfte; indessen habe er nicht das Recht – die positive Freiheit –, sich eine seinen Bedürfnissen entsprechende Arbeit zu suchen und die Bedingungen, unter denen er zu arbeiten bereit sei, mit Arbeitgebern seiner Wahl frei auszuhandeln.234 Das Ausbildungsverhältnis des Untersuchungshäftlings sei auch ohne Arbeitspflicht Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus des Gefangenen.235 zu deren Tragung Untersuchungsgefangene angesichts der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) ohnehin nicht verpflichtet sind (BT-Drs. 7/918, 101). Eine Anhebung ist jedoch kaum zu erwarten, vor allem weil das BVerfG in der unterschiedlichen Entlohnung der Arbeit von Strafgefangenen und (erwachsenen) Untersuchungsgefangenen weder einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen die Unschuldsvermutung sieht (s. BVerfG NJW 2004, 3030 f.). 231 Böhm, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 177 Rn. 3; Grunau/Tiesler, StVollzG, § 177. 232 BGHSt 35, 112, 114; Böhm, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 177 Rn. 3; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 878. 233 LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.10.1993 – L 4 KR 1453/92 (unveröffentlicht): Das Gericht verneinte trotz eines im Jahr 1983 abgeschlossenen schriftlichen Ausbildungsvertrages ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bei einer während der Untersuchungshaft absolvierten Ausbildung zum Tischler. Da Zulassungsvoraussetzung für die Abschlussprüfung gem. § 39 Abs. 1 Nr. 3 Berufsbildungsgesetz eine Eintragung des Auszubildenden in der Lehrlingsrolle der betreffenden Handwerkskammer war, diese die Eintragung damals aber nur nach Abschluss eines schriftlichen Ausbildungsvertrages vornahm, schloss der Untersuchungsgefangene mit der JVA einen solchen Vertrag für die Ausbildung zum Tischler ab. In dem Vertrag hieß es u. a., die Beiträge für die Sozialversicherung trügen die Vertragsschließenden nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen. 234 LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.10.1993 – L 4 KR 1453/92 (unveröffentlicht), S. 12. 235 LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.10.1993 – L 4 KR 1453/92 (unveröffentlicht), S. 13.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Die Ansicht des LSG Baden-Württemberg lehnt Schorn mangels konkreter Rechtsgrundlage ab.236 Eine strafvollzugsrechtliche Beschränkung für den Abschluss privat- oder öffentlich-rechtlicher (Ausbildungs-)Verträge sei jedenfalls bei dem Vollzug einer Untersuchungshaft nicht gegeben. Der Untersuchungsgefangene habe sich für eine konkrete Beschäftigung frei entschieden. Untersuchungshaftbedingte Beeinträchtigungen der Tätigkeit (z. B. nach Nr. 43 Abs. 3 UVollzO237) könnten der Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ebenso wenig entgegenstehen wie die strafvollzugsrechtliche Überlagerung von freien Beschäftigungsverhältnissen nach § 39 StVollzG. Soweit das LSG Baden-Württemberg238 die Versagung des Tatbestandsmerkmals „Freiwilligkeit“ mit dem Sonderstatus des Gefangenen zum Staat zu begründen sucht, ist der Ansicht Schorns zuzustimmen und diese Auffassung wegen einer fehlenden Rechtsgrundlage abzulehnen. Richtig ist, dass es einer JVA als Teil der öffentlichen Gewalt nicht erlaubt ist, die ihr nach dem Strafvollzugsgesetz obliegenden Aufgaben in den Formen des Privatrechts zu erfüllen. Zu diesen Aufgaben gehört nach § 37 StVollzG die Zuweisung von Arbeit an geeignete Gefangene. Allerdings gilt § 37 StVollzG nur für Strafgefangene, nicht aber für Untersuchungsgefangene. Folglich besteht keine gesetzliche Beschränkung, die Arbeitsbedingungen zwischen den Parteien auch frei auszuhandeln. Die Heranziehung des Sonderstatusverhältnisses vermag ferner deshalb nicht zu überzeugen, weil der Begriff der Beschäftigung i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV über den des Arbeitsverhältnisses hinaus geht und namentlich Beschäftigungen in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen mitumfasst. Auch die Beschäftigung eines Untersuchungsgefangenen ist öffentlich-rechtlicher Natur, aber dennoch dem Grunde nach versicherungspflichtig. Als weiteres Beispiel nannte Schorn die freien Beschäftigungsverhältnisse nach § 39 StVollzG, die durch das Strafvollzugsgesetz öffentlich-rechtlich überlagert und trotzdem sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnisse sind. Unabhängig von der Sondersituation der Haft ist ein Inhaftierter im Gegensatz zu den sich in Freiheit befindlichen Personen nicht außerstande, seinen Willen frei zu bestimmen. Die Freiheit seiner Willensbestimmung ist auch nicht etwa aufgehoben, obgleich die Arbeitsbedingungen für Untersuchungshäftlinge einseitig von der Anstalt festgelegt werden. Die Arbeitsverhältnisse nehmen dadurch nicht den Charakter von Zwangsarbeitsverhältnissen an, infolgedessen das Freiwilligkeitsmerkmal abzulehnen wäre. 236
Schorn, NZS 1995, 444, 447. Siehe Anh. 2. 238 LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.10.1993 – L 4 KR 1453/92 (unveröffentlicht), S. 10 ff. 237
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis 105
Nach Nr. 43 Abs. 3 S. 1 UVollzO unterwirft sich der Untersuchungsgefangene zwar den von der Anstalt festgelegten Arbeitsbedingungen, aber auch das ist seine freie Entscheidung. Damit liegen auf beiden Seiten der Beteiligten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vor, was für die Vereinbarung eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses typisch ist.239 Wenn sich also der Untersuchungshäftling – obwohl nicht zur Arbeit verpflichtet – frei von gesetzlichem Zwang gleichwohl zur Ausübung einer Beschäftigung entschließt, gibt es für die Verneinung des Tatbestandsmerkmals „Freiwilligkeit“ keine Rechtfertigung. Insbesondere liefert die vom LSG Baden-Württemberg240 des Weiteren vorgebrachte Argumentation, der Untersuchungsgefangene sei in der Entscheidung über die Verwertung seiner Arbeitskraft nur eingeschränkt frei, keine hinreichende Begründung. Das BSG entschied, dass sowohl die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen als auch die sonstigen Lebensumstände, unter denen der Beschäftigte leben muss, keine Rolle für die Frage spielen, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt oder nicht.241 Demgemäß sei nicht entscheidend, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind.242 Das BSG bewertete eine im Ghetto Lodz ausgeübte Tätigkeit als Schneiderin als versicherungspflichtige Beschäftigung, welche aus eigenem Willensentschluss und nicht aufgrund obrigkeitlichen oder gesetzlichen Zwangs verrichtet worden sei. Die Versicherungspflicht sei nicht allein deswegen zu negieren, „weil die Arbeitsleistung in einem räumlich begrenzten Bereich erbracht worden ist, dessen Verlassen den Bewohnern wegen drastischer Strafdrohungen praktisch unmöglich war“.243 Das BSG betonte, dass die Arbeitssituation im Ghetto Lodz insbesondere nicht mit der von Strafgefangenen vergleichbar sei. Dieser Ansicht ist beizupflichten. Jedoch ist auch die Beurteilung der Arbeitsleistung von Straf- und Untersuchungsgefangenen allenfalls bedingt vergleichbar. Wenn das Beschäftigungsverhältnis selbst daraufhin zu untersuchen ist, ob es „frei“ im Sinne eines aus eigenem Antrieb begründeten Vertragsschlusses ist244, muss die Sozialversicherungspflicht bei Untersuchungsgefangenen bejaht werden. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass der Untersuchungsgefangene bei der Situation – keine Arbeitspflicht, aber dennoch nicht dem Grunde nach sozialversicherungspflichtig – schlechter gestellt ist als ein Strafgefangener mit dem Sta239
Vgl. BSGE 80, 250, 252. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.10.1993 – L 4 KR 1453/92 (unveröffentlicht), S. 12. 241 BSGE 80, 250, 252. 242 BSG SozR 3–5050 § 5 FRG Nr. 1; BSGE 80, 250, 252. 243 BSGE 80, 250, 253. 244 BSGE 80, 250, 252. 240
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
tus des Freigängers, obwohl zu Gunsten des Untersuchungsgefangenen die Unschuldsvermutung greift. Dass zwischen dem Untersuchungsgefangenen und der Vollzugsanstalt keine privatrechtlichen Beziehungen bestehen, steht der Versicherungspflicht nicht entgegen. Darüber hinaus ist in Bezug auf die Argumentation des LSG BadenWürttemberg zur „positiven und negativen Freiheit“ zweifelhaft, ob die Freiwilligkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 7 SGB IV so weit reichend zu verstehen ist. Es hat den Anschein, dass hinsichtlich der Entscheidung über die Versicherungspflicht die allgemeinen Voraussetzungen des Beschäftigungsverhältnisses nach § 7 SGB IV bei dem Personenkreis „Gefangene“ mit unterschiedlichen Maßstäben bewertet werden. Es ist nicht schlüssig, die Versicherungspflicht bei Freigängern zu bejahen, deren Beschäftigungsverhältnis infolge des Strafvollzugsgesetzes öffentlich-rechtlich mitgeprägt ist, sie den Untersuchungsgefangenen dagegen zu versagen, während sie eindeutig freiwillig arbeiten und sich aus freien Stücken den Arbeitsbedingungen der Anstalt unterwerfen. Die Verneinung der grundsätzlichen Sozialversicherungspflicht bei Untersuchungsgefangenen mangels eines Beschäftigungsverhältnisses ist damit unhaltbar. Gegen die dem Grunde nach bestehende Versicherungspflicht bei Untersuchungsgefangenen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ist jedoch der geringe Verdienst vorzubringen. Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit zwischen Leistung und Gegenleistung braucht nicht gegeben zu sein; das Arbeitsentgelt muss allerdings einen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht entsteht.245 Da Untersuchungsgefangene ein Arbeitsentgelt erzielen, das regelmäßig im Monat 400 e nicht übersteigt, üben sie eine geringfügig entlohnte Beschäftigung („Minijob“) i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV aus. Folglich sind sie nicht versicherungspflichtig, sondern in der Kranken- und Rentenversicherung nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB V und § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei. Versicherungsfreiheit normiert eine Ausnahme von der sonst bestehenden Versicherungspflicht für Personen, die anderweitig gesichert sind, wegen des geringen Ausmaßes ihrer Tätigkeit keines Versicherungsschutzes bedürfen oder die einem Berufsstand angehören, für den ein soziales Schutzbedürfnis nicht besteht.246 Ein geringfügig Beschäftigter wird vom Gesetzgeber als nicht schutzbedürftig und somit nicht versicherungspflichtig angesehen, weil er seine Beschäftigung i. d. R. nicht zur wirtschaftlichen Grundlage seiner Lebensführung gemacht habe.247 245
BSGE 80, 250, 252. Eichenhofer, Rn. 273. 247 KassKomm-Peters, § 7 SGB V Rn. 2; Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 5 Rn. 16. 246
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis 107
Hätte die Versicherungsfreiheit für Untersuchungsgefangene Vorteile gegenüber der Einstufung als „nicht versicherungspflichtig“? Seit dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999248 hat der Arbeitgeber249 für versicherungsfreie geringfügig entlohnte Beschäftigungen unter bestimmten Voraussetzungen Pauschalbeiträge zur Kranken- und Rentenversicherung zu zahlen (vgl. § 249b SGB V, § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI). Aus den nach § 249b S. 1 SGB V zu zahlenden Pauschalbeiträgen zur Krankenversicherung entsteht für den Arbeitnehmer kein Leistungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung.250 Diese Beiträge haben für den Beschäftigten also keinen konkreten Nutzen.251 Für Untersuchungsgefangene wären die Pauschalbeiträge zur Krankenversicherung i. d. R. nicht zu entrichten, weil sie nach ihrer Inhaftierung meist nicht (mehr) in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und damit eine Voraussetzung für die Zahlung des pauschalen Beitrags nicht vorliegt.252 Im Rahmen der Rentenversicherung stellt sich die Rechtslage anders dar: Nach § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI hat der Arbeitgeber eines geringfügig entlohnten Beschäftigten einen Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung in Höhe von 15% des Arbeitsentgelts aus der geringfügigen Beschäftigung zu zahlen, wenn in dieser nach § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 1. HS SGB VI Rentenversicherungsfreiheit besteht.253 Da der monatliche Grundlohn eines Unter248
BGBl. I, 388. Arbeitgeber der Untersuchungsgefangenen ist das für die jeweilige JVA zuständige Bundesland. 250 Vgl. BT-Drs. 14/280, 13 f. 251 Der Gesetzgeber bezweckte mit dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse u. a. der Erosion der Finanzgrundlagen der beitragsfinanzierten Sozialversicherung entgegenzuwirken, Frauen, die vor allem in diesen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, die Option auf eine verbesserte Alterssicherung zu geben und die Ausweitung dieser Beschäftigungsverhältnisse einzudämmen, ohne die Arbeitnehmer zu belasten (s. BT-Drs. 14/280, 10). Hingegen sprachen nach Ansicht des Gesetzgebers gegen die Schaffung einer Zugangsmöglichkeit für geringfügig Beschäftigte zur gesetzlichen Krankenversicherung schwerwiegende Gründe, sodass die Lösung über die Pauschalbeitragsregelung gewählt wurde (BTDrs. 14/280, 14). 252 Ein Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 13% des Arbeitsentgelts aus der geringfügigen Beschäftigung ist nur dann vom Arbeitgeber aufzubringen, wenn es sich um eine geringfügig entlohnte Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV handelt, in der der Versicherte versicherungsfrei oder nicht versicherungspflichtig ist und der Arbeitnehmer bereits in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist. Es ist unerheblich, ob es sich bei dieser Versicherung um eine Pflichtversicherung (z. B. als Rentner), eine freiwillige Versicherung (§ 9 SGB V) oder eine Familienversicherung (§ 10 SGB V) handelt. Zeiten eines nachgehenden Anspruchs nach § 19 SGB V gelten hingegen nicht als Versicherungszeiten i. S. d. § 249b SGB V. 249
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
suchungsgefangenen im Jahr 2007 123,48 e (in der Vergütungsstufe III gem. § 177 S. 2 i. V. m. § 43 Abs. 3 bis 5 StVollzG, § 1 Abs. 2 StVollzVergO) beträgt, müsste das Land, in dessen JVA der arbeitende Untersuchungsgefangene einsitzt, somit einen Pauschalbeitrag in Höhe von 18,52 e leisten.254 Diese Beitragsanteile führen nicht zu Beitragszeiten i. S. d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Nach § 76b Abs. 1 SGB VI werden aus den entrichteten Pauschalbeiträgen aber Zuschläge an Entgeltpunkten ermittelt; sie werden damit rentensteigernd angerechnet (§ 76b Abs. 2, § 66 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI). Außerdem zählen gem. § 52 Abs. 2 SGB VI die Beiträge – wenn auch nur zum Teil – bei der Erfüllung der verschiedenen Wartezeiten für einen Rentenanspruch (§§ 50, 51 SGB VI) mit. Die Beiträge haben demnach Einfluss auf das individuelle Versicherungsverhältnis, auch wenn sie nicht den Charakter rentenrechtlicher Beitragszeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 SGB VI haben.255 Zu solchen können sie jedoch werden, wenn der Untersuchungsgefangene als geringfügig entlohnter Beschäftigter nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 S. 2 SGB VI auf die Rentenversicherungsfreiheit verzichtet. Durch diesen Verzicht erhält er die Möglichkeit, die bisher latent bestehende Versicherungspflicht zu aktivieren256 und durch ergänzende Beitragszahlungen sämtliche Leistungsansprüche der Rentenversicherung zu erwerben. Macht ein geringfügig Beschäftigter von dem Verzicht auf die Versicherungsfreiheit Gebrauch, sind Rentenversicherungsbeiträge unter Zugrundelegung des Beitragssatzes der Rentenversicherung zu zahlen. Beitragsbemessungsgrundlage ist nach § 163 Abs. 8 SGB VI das aus der Beschäftigung erzielte Arbeitsentgelt, mindestens jedoch ein Betrag in Höhe von 155 e. Bei einem Beitragssatz von zurzeit 19,9% bedeutet das, dass als Rentenversicherungsbeitrag mindestens ein Betrag von 30,85 e zu entrichten ist. Die Verteilung der Beitragslast richtet sich nach § 168 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI. Danach hat der Arbeitgeber einen Beitragsanteil in Höhe von 15% des aus der geringfügig entlohnten Beschäftigung erzielten Arbeitsentgelts zu tragen; die Differenz zu dem vollen Beitrag (derzeit 4,9%) hat der Beschäf253
In der Rentenversicherung wurde durch das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 ein vom Arbeitgeber zu entrichtender Pauschalbeitrag eingeführt, weil dem Gesetzgeber die Beseitigung der bisherigen Beitragsfreiheit von dauerhaft geringfügig Beschäftigten aus arbeitsmarktpolitischen Gründen und aus Gründen der Wettbewerbsneutralität dringend erforderlich schien (vgl. BT-Drs. 14/280, 16). 254 Die Angaben beziehen sich auf die alten Bundesländer. In den neuen Bundesländern wäre bei einem monatlichen Grundlohn in Höhe von 105,84 e ein Pauschalbeitrag von 15,88 e zu zahlen. 255 Finke, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 172 Rn. 6, 27. 256 BT-Drs. 14/280, 14.
A. Sozialrechtsverhältnis: Versicherungspflicht und Beschäftigungsverhältnis 109
tigte aufzubringen. Da andererseits aber mindestens ein auf Grundlage von 155 e zu berechnender Beitrag zu zahlen ist, bedeutet dies, dass ein Beschäftigter bei monatlichen Arbeitsentgelten unter 155 e den vom Arbeitgeber in Höhe von 15% zu tragenden Beitragsanteil bis zum Mindestbeitrag aufstocken muss.257 Würde ein Untersuchungsgefangener nach § 5 Abs. 2 S. 2 1. HS SGB VI auf die Versicherungsfreiheit verzichten, müsste bei der Beitragsberechnung stets die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage als beitragspflichtige Einnahme zugrunde gelegt werden, denn ein Untersuchungsgefangener kann derzeit selbst in der höchstmöglichen Vergütungsstufe V (§ 1 StVollzVergO) kein Arbeitsentgelt verdienen, das den Betrag von monatlich 155 e übersteigt. Das nachfolgende Beispiel soll die Beitragsberechnung und Beitragstragung verdeutlichen. Beispiel: Ein Untersuchungsgefangener verdient im Jahr 2007 in der Vergütungsstufe III monatlich ein Arbeitsentgelt in Höhe von 123,48 e. Er ist damit rentenversicherungsfrei (§ 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV). Um einen vollwertigen Versicherungsschutz zu erwerben, verzichtet er auf die Versicherungsfreiheit (§ 5 Abs. 2 S. 2 SGB VI). Die monatliche Mindestbeitragsbemessungsgrundlage beträgt gem. § 163 Abs. 8 SGB VI 155 e; die Beiträge zur Rentenversicherung sind wie folgt aufzubringen: Mindestbeitrag
(19,9% von 155,00 e =)
30,85 e
abzüglich Arbeitgeberbeitragsanteil
(15,0% von 123,48 e =)
18,52 e
Beitragsanteil des Untersuchungsgefangenen
12,33 e
Der Versicherte kann auf diese Weise mit relativ niedrigen eigenen Beiträgen vollwertige Beitragszeiten erwerben. Dadurch können alle Ansprüche der Rentenversicherung aufrechterhalten oder erworben werden (Anspruch auf Rehabilitation, auf Versicherungsschutz für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit, auf vorgezogene Altersrenten, auf eine Rentenberechnung nach Mindesteinkommen).258 Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass Untersuchungsgefangene dem Grunde nach sozialversicherungspflichtig, infolge einer geringfügig entlohnten Beschäftigung jedoch versicherungsfrei sind. Die Option des Verzichts auf die Versicherungsfreiheit hat den Vorzug des Eintritts der Versicherungspflicht mit allen leistungsrechtlichen Konsequenzen. Demzufolge ist der Status der Versicherungsfreiheit für Untersuchungsgefangene in jedem Fall günstiger als der Status „nicht versicherungspflichtig“. 257 Der Aufstockungsbetrag wird nach § 2 Abs. 1 S. 4 BZVO ermittelt, indem der gerundete Arbeitgeberbeitragsanteil vom Mindestbeitrag abgezogen wird. 258 BT-Drs. 14/280, 10.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
3. Zwischenergebnis Nach überwiegender Ansicht sind Strafgefangene, unabhängig davon, ob sie in Eigen- oder Unternehmerbetrieben arbeiten, nach den allgemeinen Vorschriften des Sozialversicherungsrechts mangels freiwilliger Tätigkeit nicht pflichtversichert. Um sie dennoch am Schutz der sozialen Sicherung teilhaben zu lassen, hat der Gesetzgeber deshalb deren Einbeziehung in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung im Wege der Fiktion eines Beschäftigungsverhältnisses, nach der Gefangene „als entgeltlich Beschäftigte“ gelten, im Strafvollzugsgesetz vorgesehen, die aber mangels Erlass eines besonderen Bundesgesetzes bis heute unterblieb (§§ 190 bis 193, 198 Abs. 3 StVollzG). Strafgefangenen, denen nach § 37 Abs. 2 i. V. m. § 41 Abs. 1 StVollzG eine Tätigkeit zugewiesen wird, unabhängig davon, ob sie von sich aus auch freiwillig arbeiten würden, haben bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihnen gestattet wird ein freies Beschäftigungsverhältnis gem. § 39 StVollzG einzugehen, keine Möglichkeit, an ihrer sozialrechtlichen Situation etwas zu ändern, um mögliche Folgen abzuwenden. Die nicht selten verbreitete Auffassung, dass der Betroffene an strafhaftbedingten Nachteilen letztlich selbst Schuld sei, verkennt den eigentlichen Strafzweck. Es darf nicht vergessen werden, dass das Übel der Freiheitsstrafe lediglich in dem Freiheitsentzug liegen soll. Die Verurteilung zu einer Haftstrafe ist ausschließlich auf die Einwirkung auf den Täter durch Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit gerichtet. Sonstige Nachteile sind von der Freiheitsstrafe per se nicht gedeckt, sie stellen lediglich eine Begleiterscheinung dar.259 Auch wenn der Delinquent durch seine Straftat dafür die erste Ursache gesetzt hat, muss es Aufgabe der staatlichen Institutionen sein, die Nachteile einer Freiheitsstrafe im Rahmen des Möglichen zu begrenzen. Der Gesetzgeber ist bei der Konzeption des Strafvollzugsgesetzes selbst davon ausgegangen, dass es „nicht gerechtfertigt ist, neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringt, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen“.260 Sogar der 7. Senat des BSG erteilte in einem Urteil aus dem Jahre 1979 der unterschiedlichen sozialen Sicherung eine klare Absage: „Die Unterscheidung zwischen der Beschäftigung in einem freien Beschäftigungsverhältnis (§ 39 StVollzG) und zugewiesener Arbeit (§ 37 i. V. m. § 41 StVollzG) ist eine sich aus der Abwicklung des Strafvollzugs ergebende Folge, an die aber für die Zeit nach der Strafentlassung keine unterschiedlichen Folgerungen hinsichtlich der sozialen Sicherung des Gefangenen geknüpft werden dürfen.“261 259 260
Morlok, S. 55. Vgl. BT-Drs. 7/918, 67.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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Für die Kranken- und Rentenversicherungspflicht wurden daraus allerdings keine gesetzgeberischen Konsequenzen gezogen.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht und Konsequenzen Obwohl die Einbeziehung der Gefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung im Laufe der Strafvollzugsreform stets als wesentliches, sozialpolitisches Anliegen betrachtet wurde262, ist das Reformziel dennoch bis heute nicht verwirklicht worden. Dabei gibt es dafür strafvollzugs- und sozialversicherungsrechtliche Gründe: Die Einbeziehung in das System der sozialen Sicherheit, das im Jahr 1995 um den Zweig der sozialen Pflegeversicherung (geregelt im SGB XI) erweitert wurde, „entspricht dem Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG“263; sie ist „sozialstaatlich geboten“, um den Gefangenen und ihren Angehörigen eine soziale Mindestsicherung zu gewährleisten und sie vor sozialer Not zu schützen264; verbüßte Freiheitsstrafen dürfen keine lebenslangen sozialen Benachteiligungen nach sich ziehen265; die fehlende Rentenversicherung erweist sich als eine „resozialisierungsfeindliche Spätfolge der Freiheitsstrafe“266; die Eingliederung bewirkt eine „bessere Integration der Gefangenen in das Wirtschaftsund Sozialleben“ und sie „ist auch geeignet, dass Rückfallrisiko zu vermindern“267. Welche Folgen resultieren konkret aus der Suspendierung der §§ 190 ff. StVollzG? Ist die fehlende Versicherungspflicht für die Gefangenen nur während der Zeit ihrer Inhaftierung oder auch nach ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug bedeutsam? Hat die fehlende soziale Sicherung der Gefangenen Konsequenzen für deren Familienangehörige?
261
BSGE 48, 129, 134 = BSG ZfStrVo SH 1979, 60, 64. Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. IX, 23; Hauck, Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. IX, 106, 111 f.; BT-Drs. 9/566, 9 f. 263 Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 193 Rn. 1; MüllerDietz, BewHi 1986, 331, 343. 264 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 1; Hauck, BArbBl. 1970, 10; Matzke/Laubenthal, ebd. 265 BT-Drs. 8/3335, 10. 266 Rotthaus, NStZ 1987, 1, 4. 267 BT-Drs. 11/717, 5. 262
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
I. Nichteinbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung 1. Rechtslage und Folgen für den Strafgefangenen im Vergleich zum Freigänger Strafgefangene gehören gegenwärtig nicht zu den in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherungspflichtigen. Demzufolge können sie aus diesem Versicherungszweig auch keine Leistungen beanspruchen. Ungeachtet dessen bleiben sie während der Haft nicht unversorgt. § 56 Abs. 1 S. 1 StVollzG legt der Justizverwaltung die Verpflichtung auf, für die körperliche und geistige Gesundheit der Inhaftierten zu sorgen. Durch die besondere Situation im Freiheitsentzug ist der Gefangene der Obhut der Vollzugsbehörde anvertraut, woraus sich eine besondere Verantwortung und Fürsorgepflicht des Staates für den Insassen ergibt.268 Grundlage der staatlichen Fürsorgepflicht ist das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Das BVerfG hat dies in der Entscheidung „Lebach“ aus dem Jahr 1973 ausdrücklich anerkannt: „Von der Gemeinschaft aus betrachtet verlangt das Sozialstaatsprinzip staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind; dazu gehören auch die Gefangenen und Entlassenen.“269
Deshalb steht Gefangenen ein Anspruch auf Gesundheitsfürsorge gegenüber der Vollzugsbehörde nach §§ 56–66, 76–78 StVollzG zu. Um eine Doppelversorgung durch Krankenkasse und Vollzugsbehörde zu vermeiden, ruht nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V der Leistungsanspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung, solange Versicherte sich in Untersuchungshaft befinden, nach § 126a StPO einstweilen untergebracht sind oder gegen sie eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird, soweit die Versicherten als Gefangene Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz haben oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhalten.270 Diese Regelung gilt für Gefangene, deren Mitgliedschaft in einer Krankenkasse durch den Straf268
BT-Drs. 7/918, 72; Dargel, ZfStrVo 1983, 333; von Savigny, S. 42 ff. BVerfGE 35, 202, 236. 270 Lediglich für die Gefangenen des Straf- und Maßregelvollzugs sehen die §§ 56 ff. StVollzG einen Rechtsanspruch auf Gesundheitsfürsorge vor. Untersuchungsgefangene, nach § 126a StPO einstweilen Untergebrachte und Jugendliche im Jugendstrafvollzug, die alle nicht näher untersucht werden sollen, werden vom StVollzG nicht ausdrücklich erfasst. Sie erhalten allerdings tatsächlich „sonstige Gesundheitsfürsorge“ im Umfange derjenigen nach dem StVollzG (vgl. Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 16 Rn. 44). 269
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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vollzug nicht berührt wird und die damit gegen ihre Krankenkasse grundsätzlich leistungsberechtigt wären.271 Eine Norm, nach der die Beitragspflicht der Berechtigten während des Vollzugs ebenfalls ruht, besteht nicht; das Ruhen der Leistungen führt auch nicht zur Beitragsermäßigung, weil der Anspruch dem Grunde nach weiter besteht.272 Für die Inhaftierten, die vor ihrem Haftantritt als Beschäftigte gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V pflichtversichert waren, kommt die Ruhensvorschrift nur für nachgehende Leistungsansprüche für längstens einen Monat gem. § 19 Abs. 2 SGB V zum Tragen. Denn spätestens mit ihrem Haftantritt endet ihr Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt als versicherungsrechtliche Voraussetzung273, wodurch die Mitgliedschaft und somit der Versichertenstatus endet und ursprüngliche Leistungsansprüche ohnehin erlöschen (§ 19 Abs. 1 i. V. m. § 190 Abs. 2 SGB V). Im Gegensatz dazu unterliegt der Freigänger im offenen Vollzug nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht und kann deren Leistungen beanspruchen.274 Solange er aufgrund des freien Beschäftigungsverhältnisses krankenversichert ist, ruht zur Vermeidung von Doppelleistungen nach § 62a StVollzG sein Anspruch auf Gesundheitsfürsorge (§§ 57–59 StVollzG) gegen die Landesjustizverwaltung.275 Durch § 62a StVollzG – im Zuge des Gesundheits-Reformgesetzes276 mit Wirkung vom 1. Januar 1989 in das Strafvollzugsgesetz eingefügt – wurde die frühere unbefriedigende Regelung aufgehoben, nach der der im freien Beschäftigungsverhältnis tätige Freigänger Beiträge zur Krankenversicherung abführen musste, aber nicht deren Leistungen beanspruchen konnte.277 271 Darunter fallen z. B. Rentenantragsteller, krankenversicherte Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 und 12 SGB V), freiwillig Versicherte (§ 9 SGB V), Familienversicherte (§ 10 SGB V). 272 Von Savigny, S. 101; Zipperer, in: Maaßen u. a., GKV-Komm., § 16 SGB V Rn. 4. 273 Spätestens im Zeitpunkt des Haftantritts erlischt die Verfügungsgewalt des Arbeitgebers, was die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zur Folge hat, vgl. Leitherer, in: Schulin, HS-KV, § 19 Rn. 187. 274 AK-StVollzG-Feest/Brühl, vor § 190 Rn. 4; Breuer, in: GK-SGB V, § 5 Rn. 32; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3; Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 5 Rn. 129. 275 § 78 StVollzG erklärt den Ruhenstatbestand des § 62a StVollzG entsprechend anwendbar auf Leistungsansprüche bei Schwangerschaft und Mutterschaft einer Gefangenen (§§ 76 und 77 StVollzG). 276 Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-ReformgesetzGRG) vom 20.12.1988, BGBl. I, 2477, 2589. 277 Nach dem bis 31.12.1988 geltenden § 216 Abs. 1 Nr. 1 1. HS RVO, der durch § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ersetzt wurde, ruhten die Leistungsansprüche gegen die gesetzlichen Krankenkassen, solange sich der Berechtigte in Untersuchungshaft
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a) Die Strafvollzugssituation: Ausgleich durch Gesundheitsfürsorgeanspruch? Fraglich ist, ob der Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz den Strafgefangenen einen angemessenen Ausgleich zu den Leistungen und dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt. Handelt es sich nur um eine medizinische Grundversorgung oder kompensiert dieser Anspruch sowohl im Leistungsumfang als auch hinsichtlich des Standards der medizinischen Versorgung die unterbliebene Einbeziehung in diesen Sozialversicherungszweig? Der Gesetzgeber bezweckte eine Angleichung der Leistungen, indem er die Regelungen der Gesundheitsfürsorge (§§ 56–66, 76–78 StVollzG) im Wesentlichen denen der RVO (jetzt: SGB V) nachbildete.278 Diese Angleichung sollte die Gleichbehandlung bei der medizinischen Versorgung gewährleisten.279 Eine andere Regelung sei nur berechtigt, soweit dies die Besonderheiten des Vollzugs erfordern.280 Bestehen trotz Anpassung rechtliche und/oder tatsächliche Unterschiede zwischen den Krankenversorgungssystemen zu Lasten der Gefangenen und wenn ja, sind diese haftbedingt gerechtfertigt?281
oder im Straf- oder Maßregelvollzug befand. § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO a. F. hatte folgenden Wortlaut: „Der Anspruch auf Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, auf Krankenhilfe und auf sonstige Hilfen ruht, 1. solange sich der Berechtigte in Untersuchungshaft befindet oder gegen ihn eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird; ist der Versicherte durch Krankheit arbeitsunfähig geworden, und hat er von seinem Arbeitsverdienst bisher Angehörige ganz oder teilweise unterhalten, so ist ihm Krankengeld zu gewähren.“ 2. (. . .) Nach der Entscheidung des BSG vom 9.12.1986 – 8 RK 9/85 – galt diese Vorschrift auch für Gefangene, die „während des Strafvollzugs durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung außerhalb der Strafvollzugsanstalt den Versicherungsschutz der gesetzlichen Krankenversicherung erwerben“; vgl. BSGE 61, 62, 64 = BSG ZfStrVo 1987, 189, 191. Ausführlich zur früheren Rechtslage und Verfassungsmäßigkeit des § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO, von Savigny, S. 100 ff. 278 BT-Drs. 7/3998, 25. 279 AK-StVollzG-Feest/Boetticher/Stöver, vor § 56 Rn. 3. 280 BT-Drs. 7/3998, 25. 281 Ausführlich hierzu, von Savigny, S. 53–82, 242 ff.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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aa) Vergleich der Leistungsansprüche (1) Umfang medizinischer Vorsorgeleistungen Medizinische Vorsorgeleistungen sind Leistungen zur Verhütung von Krankheiten. Eine Krankheit i. S. d. gesetzlichen Krankenversicherung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder – zugleich oder ausschließlich – Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.282 Die medizinischen Vorsorgeleistungen nach § 57 Abs. 6 StVollzG sehen für Gefangene keine ambulanten Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten und, sofern dies nicht ausreichend ist, keine stationäre Behandlung in einer Vorsorgeeinrichtung vor. Versicherten können diese Leistungen nach einer Ermessensentscheidung der Krankenkasse gewährt werden (§ 23 Abs. 2 und 4 SGB V). Eine entsprechende Ermessensvorschrift im Strafvollzugsgesetz würde genügen, um den Gefangenen die gleiche Rechtsposition einzuräumen. Bedenken wegen möglicher Fluchtgefahr oder zu befürchtenden Missbrauchs ist entgegenzuhalten, dass die Vollzugsbehörde diese im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen zu berücksichtigen hätte und gegebenenfalls die Erlaubnis verweigern oder nach erfolgtem Missbrauch zurücknehmen könnte.283 Entsprechendes gilt für Vorsorgeleistungen inhaftierter Mütter und Väter in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung, wie sie § 24 SGB V für versicherte Mütter oder Väter vorsieht. Auch diese Leistungen könnten für Strafgefangene durch eine Ermessensregelung vorgesehen werden, ohne dass Belange des Vollzugs entgegenstünden. (2) Verschiedene Leistungen zur Krankenbehandlung § 58 StVollzG begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung, der weitestgehend den §§ 27 und 28 SGB V entspricht. Die Krankenbehandlung dient dazu, Krankheiten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 58 S. 1 StVollzG). Die ärztliche Behandlung nach § 58 S. 2 Nr. 1 StVollzG schließt – anders als § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V – nicht ausdrücklich die Psychotherapie als 282
BSGE 13, 134, 136; 26, 240, 242; 35, 10, 12; 39, 167, 168; 59, 119, 121. von Savigny (S. 247 f.) weist zu Recht darauf hin, dass die Entscheidung über die Gewährung einer ambulanten oder stationären Vorsorgeleistung die Belange des Vollzugs nicht mehr oder weniger beeinträchtigen würde als die Ermessensentscheidung, ob Ausgang, Freigang und Urlaub zu gewähren oder ein Gefangener in ein Krankenhaus außerhalb des Vollzugs zu verlegen ist (vgl. § 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 65 Abs. 2 StVollzG). 283
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ärztliche und psychotherapeutische Behandlung ein. Nach wörtlicher Auslegung beider Normen stehen Gefangenen diese Behandlungsformen demnach nicht zu. Dagegen spricht allerdings die Regelung des § 61 StVollzG, nach der für den Umfang der Leistungen zur Krankenbehandlung die entsprechenden Vorschriften (§§ 27 und 28) des SGB V gelten. Damit ist gesetzlich sichergestellt, dass für die Gefangenen grundsätzlich dieselben Maßstäbe gelten wie für die Patienten der gesetzlichen Krankenkassen.284 Boetticher/Stöver betonen in dem Zusammenhang, dass dies für die bekannten organischen und anerkannten psychosomatischen Störungen zutreffen mag. Das Angebot im Justizvollzug reiche jedoch sowohl von der Konzeption als auch von der personellen Ausstattung nicht aus, um mit den bei vielen Gefangenen häufig vorhandenen psychischen Erkrankungen (z. B. Psychosen, Neurosen, Depressionen, Psychopathien) fachgerecht umzugehen und notwendige Behandlungsmaßnahmen anzubieten.285 Folge davon ist, dass die psychisch Kranken von Heilungshilfen ausgeschlossen bleiben, die ihnen in Freiheit zugute kommen würden.286 Rechtlich begründen sämtliche, also auch psychische Erkrankungen, einen Anspruch auf fachgerechte Therapie287, doch in der Praxis ist der Strafvollzug dafür oft nicht genügend ausgerüstet.288 Im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung (§ 58 S. 2 Nr. 2 StVollzG) sieht das Strafvollzugsgesetz im Gegensatz zu § 29 SGB V keine kieferorthopädische Behandlung vor. Die Kosten einer solchen Behandlung werden nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung für Versicherte, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht übernommen; das gilt jedoch nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien289, die sowohl kieferorthopädische als auch kieferchirurgische Behandlungsmaßnahmen erforderlich machen (§ 28 Abs. 2 S. 6 und 7 SGB V). Es ist nicht ausgeschlossen, dass für Strafgefangene solche Behandlungen gleichfalls in Betracht kommen könnten. Entgegenstehende Belange des Vollzugs zu einer entsprechenden Regelung im Strafvollzugsgesetz, nach der die Justizbehörde die Kosten für eine kieferorthopädische Behand284 Zur Frage, ob die Gefangenen nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) über § 61 StVollzG zur Zuzahlung für Leistungen zur Gesundheitsfürsorge nach Maßgabe des SGB V verpflichtet sind, vgl. Blüthner, ZfStrVo 2005, 94 ff. 285 AK-StVollzG-Feest/Boetticher/Stöver, § 58 Rn. 12; ebenso Missoni, ZfStrVo 1996, 143, 145. 286 Missoni, ZfStrVo 1996, 143, 145. 287 OLG Frankfurt NStZ 1981, 320; OLG Karlsruhe NJW 2001, 3422. 288 Missoni, ZfStrVo 1996, 143, 145. 289 Vgl. dazu die Aufzählung in BT-Drs. 12/3608, 79.
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lung zu übernehmen hätte, sind nicht zu erkennen. Möglicherweise könnte diese Behandlungsform aber vom Haftzweck nicht gedeckt sein. Im Rahmen der Gesundheitsfürsorge hat die Vollzugsbehörde die notwendigen Leistungen zu gewähren, mit denen das dem Strafvollzug gesetzte Resozialisierungsziel (§ 2 StVollzG) zu erreichen ist. Angesichts der auf dem Gebiet der zahnärztlichen Versorgung bestehenden Möglichkeiten verschiedenartiger Behandlungen hat der Gesetzgeber vorgesehen, Strafgefangenen eine wirtschaftlich ausreichende und zweckmäßige Versorgung zu gewähren, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf.290 Diese Regelung wird im Falle einer medizinischen Indikation nach § 28 Abs. 2 S. 7 SGB V auch eine kieferorthopädische Behandlung für einen Gefangenen als eine notwendige Krankenbehandlung i. S. v. § 58 S. 1 StVollzG umfassen müssen. Deshalb ist es angemessen, eine kieferorthopädische Behandlungsregelung für medizinisch indizierte Ausnahmefälle im Strafvollzugsgesetz vorzusehen. Sofern eine solche Behandlung innerhalb des Vollzugs mangels medizinischen Personals oder Einrichtungen nicht durchzuführen wäre, könnte eine dem § 65 Abs. 2 StVollzG entsprechende Behandlung außerhalb des Vollzugs zu gestatten sein, wenn dies nach Ermessen der Vollzugsbehörde zu vertreten ist. Da Strafgefangene infolge des Freiheitsentzugs keinen eigenen Haushalt führen, erhalten sie weder häusliche Krankenpflege (§ 37 SGB V) noch Haushaltshilfe (§ 38 SGB V). Sie haben notwendigerweise auch keinen Anspruch auf die der häuslichen Krankenpflege nachgebildete Leistungsart der Soziotherapie (§ 37a SGB V), die Betreuung im häuslichen Umfeld des Patienten umfasst.291 Des Weiteren sieht das Strafvollzugsgesetz keine dem § 39a SGB V entsprechenden stationären und ambulanten Hospizleistungen vor. Das könnte deshalb sachgerecht sein, weil Patienten, für die diese Versorgung in Betracht kommt, sich in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium ohne Heilungshoffnung befinden.292 Bei einem derartigen Krankheitsbild können Gefangene nach § 455 Abs. 4 StPO wegen Haftunfähigkeit aus dem Justizvollzug entlassen werden. Folglich ist eine solche Regelung im Justizvollzug entbehrlich. Obwohl § 61 StVollzG bestimmt, dass sich Art und Umfang der Leistungen am SGB V orientieren, bestehen vor allem bei den zur Kostendämp290
BT-Drs. 7/918, 72 f.; 7/3998, 26. Soziotherapie ist ausschließlich schwer psychisch Kranken vorbehalten, die nicht in der Lage sind, ärztliche oder ärztlich verordnete Leistungen selbständig in Anspruch zu nehmen. Sie begründet einen Anspruch auf Koordination von verordneten Leistungen sowie Anleitung und Motivation zu deren Inanspruchnahme (KassKomm-Höfler, § 37a SGB V Rn. 2). 292 Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 39a Rn. 57. 291
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fung eingeführten Regelungen Grenzen im Vollzug. So ist § 34 Abs. 1 S. 6 SGB V, wonach Arzneimittel zur Behandlung von Bagatellerkrankungen von der Leistungspflicht ausgeschlossen sind, für Gefangene nicht anzuwenden.293 Auch Heil- und Hilfsmittel sind ihnen kostenlos zu gewähren. Ausschlaggebend sind dafür nicht nur die Einkommensverhältnisse der Betroffenen, sondern zudem die Tatsache, dass sie aus Umständen des Vollzugs gezwungen sind, sich auch bei Erkältungskrankheiten oder ähnlichen geringfügigen Gesundheitsstörungen Medikamente vom Anstaltsarzt verordnen zu lassen. Somit ist es gerechtfertigt, dass Gefangenen in Bezug auf die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§§ 58 S. 2 Nr. 3, 59 StVollzG) eine bessere Rechtsposition eingeräumt wird als den Krankenversicherten.294 Die Ansprüche der Strafgefangenen auf medizinische und ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sowie auf Belastungserprobung und Arbeitstherapie sind ausdrücklich nur zu gewähren, soweit Belange des Vollzugs dem nicht entgegenstehen (§ 58 S. 2 Nr. 4 StVollzG). Gedacht ist dabei an schwer kriminell gefährdete Gefangene, die auch weiterhin eine Bedrohung der Öffentlichkeit darstellen.295 Dass diese Leistungen unter dem Vorbehalt der Belange des Vollzugs stehen, ist zum Schutz der Allgemeinheit notwendig und damit auch gerechtfertigt, weil diese Leistungen in der Regel nicht innerhalb der JVA beansprucht werden können. (3) Anspruch auf Krankengeld Krankengeld wird nach § 44 Abs. 1 SGB V Versicherten gewährt, die infolge einer Krankheit arbeitsunfähig sind oder stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden, um deren Verlust von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen auszugleichen. Wird ein Strafgefangener wegen einer Erkrankung arbeitsunfähig, hat er trotz Arbeitsleistung keinen Anspruch auf Krankengeld. Das Strafvollzugsgesetz sieht eine dem § 44 SGB V entsprechende Regelung nicht vor. Eigentlich stünde dem Gefangenen dafür nach § 45 Abs. 2 StVollzG wenigstens ein Rechtsanspruch auf Ausfallentschädigung zu. Diese Leistung ist zu gewähren, wenn ein Gefangener infolge Krankheit länger als eine Woche an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Dem Gefangenen sollte damit in gleicher Weise wie einem freien Arbeitnehmer soziale Sicherheit vermittelt werden.296 Da allerdings auch diese 293 AK-StVollzG-Feest/Boetticher/Stöver, § 61 Rn. 8; Riekenbrauck, Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 61 Rn. 5. 294 Ebenso Steiner, S. 83. 295 Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 58 Rn. 19.
in:
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Vorschrift aus Kostengründen bislang suspendiert ist (§ 198 Abs. 3 StVollzG), werden die Gefangenen rechtlich benachteiligt. Doch selbst wenn diese Leistung gewährt würde, beweist ein Vergleich zwischen Ausfallentschädigung und Krankengeld in Bezug auf Leistungshöhe und Anspruchsdauer rechtliche Unterschiede zum Nachteil des Gefangenen.297 Ist das Fehlen einer Krankengeldregelung für Gefangene gerechtfertigt? Das BSG hält dieses für rechtmäßig, da der Gefangene das Krankengeld nicht als Lohnersatz für das ausgefallene Arbeitsentgelt für seinen Unterhalt benötige, weil er bei Arbeitsunfähigkeit auf Kosten des Staates in der JVA unterhalten werde.298 Von Savigny hegt gegenüber der Entscheidung des BSG Zweifel, ob die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes durch die Leistungen der Justizvollzugsbehörde an den Gefangenen gewahrt sei.299 Soweit es bei den Leistungen der JVA um die Versorgung mit Essen, Kleidung und einer „Unterkunft“ geht, dürften diese Zweifel unbegründet sein. Der Auffassung des BSG ist aber entgegenzuhalten, dass das Arbeitsentgelt nicht nur dem notwendigen Unterhalt in Form der genannten Versorgungsgüter dient, sondern darüber hinausgeht. Bei gesetzlich Krankenversicherten hat das Krankengeld Lohnersatzfunktion; diese Leistung ist nicht darauf beschränkt, lediglich die Zahlung der Miete oder den Kauf von Lebensmitteln und Kleidung zu ermöglichen. Das Krankengeld dient der wirtschaftlichen Sicherung und soll dem Leistungsbezieher den vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bestehenden Lebensstandard sichern.300 Deshalb bedarf es des Geldes auch zur Erfüllung anderer Verpflichtungen (z. B. Zahlung von Versicherungsprämien) oder zur Befriedigung bestimmter nicht elementarer Bedürfnisse. Warum gilt das in Anbetracht des Angleichungsgrundsatzes nach § 3 Abs. 1 StVollzG nicht auch für einen Gefangenen? Einen bestimmten Lebensstandard im Vollzug, den sich ein Gefangener durch sein Arbeitsentgelt finanziert (beispielsweise durch Kauf von Nahrungs- und Genussmitteln gem. § 22 StVollzG oder regelmäßigen Bezug abonnierter Zeitungen oder Zeitschriften nach § 68 Abs. 1 StVollzG) kann er, insbesondere bei nicht ausreichendem Eigengeld (§ 52 StVollzG), nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht mehr sichern. Auch und vor allem der Schuldentilgung kann er ohne Arbeitsverdienst infolge Krankheit nicht mehr nachkommen. Sein Lebensstandard oder regelmäßige Zahlungsverpflichtungen werden durch Leistungen der Vollzugsbehörde im Krankheitsfall jedenfalls nicht gesichert. 296 297 298 299 300
BT-Drs. 7/918, 69. Vgl. § 45 Abs. 4 und 5 StVollzG mit §§ 47, 48 SGB V. BSG ZfStrVo 1987, 189, 191. von Savigny, S. 54. KassKomm-Höfler, § 44 SGB V Rn. 2, 11.
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Der Gefangene benötigt das Krankengeld als Lohnersatzleistung insbesondere auch, wenn seine Arbeitsunfähigkeit über den Entlassungszeitpunkt hinaus anhält. Dann wird er nicht durch die Arbeitslosenversicherung gesichert, weil er aufgrund der Erkrankung dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht301 und somit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Folglich ist das Fehlen einer Krankengeldregelung für Gefangene nicht haftbedingt begründbar, weil die Leistungen im Vollzug den ausfallenden Arbeitslohn nicht ausreichend ersetzen. Wenn schon an nicht krankenversicherte Gefangene kein Krankengeld gezahlt wird, so fragt sich, ob dann nicht zumindest versicherten Strafgefangenen, deren Krankenversicherungsansprüche grundsätzlich nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ruhen, Krankengeld zu gewähren ist. Nach einheitlicher Meinung des Schrifttums sei aus dem Ruhenstatbestand herzuleiten, dass der Versicherte seinen Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse behält.302 Denn Leistungsansprüche der gesetzlichen Krankenversicherung ruhen während des Vollzugs der Freiheitsstrafe nur, „soweit“ der Versicherte Anspruch auf Gesundheitsfürsorge habe. Da diese nach dem Strafvollzugsgesetz für Gefangene kein Krankengeld vorsieht, werde der Krankengeldanspruch durch eine freiheitsentziehende Maßnahme i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V nicht berührt. Die Leistung sei aber nur zu gewähren, falls der Versicherte während der Arbeitsunfähigkeit inhaftiert wird.303 Letzteres überzeugt nicht. Nachdem vor Erlass des Strafvollzugsgesetzes teilweise zweifelhaft war, in welchem Umfang die Leistungen nach § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO ruhten304, entschied das BSG in seinem Urteil vom 23. März 1983, dass seit In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes für das Ruhen (nach § 216 Abs. 1 Nr. 1 RVO = § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V) grundsätzlich der Vollzug der Freiheitsstrafe genüge und es unerheblich sei, ob der Gesundheitsfürsorgeanspruch des Gefangenen völlig demjenigen nach der 301
Die Verfügbarkeit des Arbeitslosen für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ist nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 118 Abs. 1 SGB III keine eigenständige Voraussetzung für den Arbeitslosengeldanspruch mehr, sondern nun Tatbestandsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit gem. § 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III; (Brand, in: Niesel, SGB III, § 118 Rn. 1). 302 Vgl. Heinze, Gesamtkomm., SGB V, § 16 Anm. 6d; Igl, in: GK-SGB V, § 16 Rn. 59; KassKomm-Peters, § 16 SGB V Rn. 12; Mengert, in: Peters, Handb KV, SGB V, § 16 Rn. 50; Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 16 Rn. 46; Wagner, in: Krauskopf, SozKV, § 16 SGB V Rn. 14; Zipperer, in: Maaßen u. a., GKV-Komm., § 16 SGB V Rn. 34. 303 Heinze, Gesamtkomm., SGB V, § 16 Anm. 6d; Mengert, in: Peters, Handb KV, SGB V, § 16 Rn. 50; Wagner, in: Krauskopf, SozKV, § 16 SGB V Rn. 14. 304 Zur Uneinheitlichkeit der Rspr. des BSG zu dieser Frage: BSGE 21, 244, 247; BSG v. 19.8.1964 KVRS 2280/2, 6, 9. Vgl. auch die Darstellung bei Mrozynski, Resozialisierung, S. 155 ff. m. w. N.
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Reichsversicherungsordnung gleiche.305 Die Entscheidung entsprach einer wörtlichen Auslegung des früheren Ruhenstatbestands, der mit Ausnahme des zweiten Halbsatzes ein umfassendes Ruhen bestimmte, das von keinen weiteren Voraussetzungen abhing. Dass diese Rechtsprechung ohne weiteres auch für den neuen Ruhenstatbestand des § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V gelten soll, lässt sowohl im Hinblick auf dessen Wortlaut als auch nach dem Zweck der Vorschrift, Bedenken aufkommen.306 Der auch den Krankengeldanspruch umfassende Teil des Wortlauts von § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V („Der Anspruch auf Leistungen ruht, solange . . .“) wird wiederum durch den letzten Halbsatz dieser Norm („soweit die Versicherten als Gefangene Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz haben . . .“) eingeschränkt.307 Im Rahmen der Gesundheitsfürsorge besteht kein Krankengeldanspruch. Folglich ist dieser Leistungsanspruch gegen die Krankenkasse – was im Übrigen auch für andere, nicht vom Umfang der Gesundheitsfürsorge umfasste Leistungen gelten muss – von vornherein nicht von § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V betroffen. Demnach ist den versicherten Gefangenen dieser Anspruch auch während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu gewähren, unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. Dass sich der Vorbehalt „soweit“ nicht auf den Umfang der Gesundheitsfürsorge, sondern nur auf den Rechtsanspruch bzw. auf deren tatsächlichen Erhalt beziehen soll308, überzeugt nicht. Vielmehr spricht der Vergleich mit der früheren Ruhensregelung dafür, das Ruhen der Leistung vom Umfang der Gesundheitsfürsorge abhängig sein zu lassen. Die Leistungen müssen sich vom Ausmaß nicht völlig decken; diejenigen, die im Rahmen der Gesundheitsfürsorge aber überhaupt nicht vorgesehen sind, müssen demnach bei Vorliegen der Voraussetzungen von den Krankenkassen gewährt werden. Dies würde dem Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG gerecht werden. Das Ergebnis wird außerdem vom Normzweck unterstützt. Der Ruhenstatbestand bezweckt die Vermeidung von Doppelleistungen. Soweit Leistungen über die Gesundheitsfürsorge jedoch nicht erbracht werden, besteht die Gefahr einer Doppelversorgung nicht. Wenn der Krankengeldanspruch nur gegeben wäre, sofern die Haft während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldbezug angetreten wird, erweist sich bei Vorhandensein unterhaltsbedürftiger Angehöriger als problematisch. Die Krankenkassen sind trotz des Ruhenstatbestands des § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V nach § 49 Abs. 1 SGB I verpflichtet, Angehörigen eines versicherten Gefangenen Krankengeld zu gewähren, falls der Ge305 306 307 308
BSG ZfStrVo 1983, 311, 312 = BSG SozR § 216 RVO Nr. 6. Zweifelnd schon Peters, KassKomm-Peters, § 16 SGB V Rn. 12. Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 16 Rn. 46. So aber Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 16 Rn. 44.
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fangene länger als einen Kalendermonat untergebracht, kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist und er oder die Unterhaltsberechtigten die Auszahlung einer laufenden Geldleistung beantragen. Das weitere Erfordernis, dass sie der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt ist, ist bei dem Krankengeld unstrittig der Fall.309 Während die frühere Ruhensvorschrift des § 216 Abs. 1 Nr. 1 2. HS RVO310 die Krankengeldzahlung an Angehörige ausdrücklich vom sonstigen Ruhen der Ansprüche ausnahm, sieht § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V im Hinblick auf §§ 49 und 50 SGB I eine solche Regelung nicht mehr vor.311 Nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 SGB I kommt es für die Auszahlung von Krankengeld an Unterhaltsberechtigte auf den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit des Gefangenen nicht an. Es wäre auch nicht nachvollziehbar, wenn unterhaltsbedürftigen Angehörigen Krankengeld nur zu gewähren wäre, sofern der Versicherte während der Arbeitsunfähigkeit inhaftiert wird, jedoch nicht, sofern die Arbeitsunfähigkeit während des Strafvollzugs eintritt. Im letztgenannten Fall sind die Angehörigen nicht weniger als im erstgenannten unterhaltsbedürftig, besonders, wenn der Gefangene aus seinem Arbeitsentgelt seine Angehörigen unterstützt hat. Es zeigt sich, dass auch in dem Fall die Lohnersatzfunktion eingreifen muss, um den Unterhalt weiterhin zu sichern. Sind hingegen Angehörige nicht vorhanden, sollte das Krankengeld dem versicherten Gefangenen selbst zugute kommen. Das ist vor allem unter dem Aspekt seiner Beitragspflicht angemessen. (4) Mutterschaftsgeld Haben weibliche Gefangene Anspruch auf Mutterschaftsgeld gem. §§ 195 Abs. 1 Nr. 6, 200 RVO? Die Vorschriften der §§ 76, 78 StVollzG, die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Art, Umfang und Ruhen dieser Leistungen betreffen, sehen für inhaftierte Frauen einen solchen Anspruch nicht vor. Mutterschaftsgeld erhalten nach § 200 Abs. 1 RVO weibliche Mitglieder einer Krankenkasse, die entweder bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld haben oder denen wegen der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz (Beschäftigungsverbot sechs Wochen vor und i. d. R. acht Wochen nach der Entbindung, §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG) kein Arbeitsentgelt gezahlt wird. Dass für weibliche Gefangene kein Mutterschaftsgeld vorgesehen ist, könnte an dem Normzweck des § 200 RVO liegen. Die Leistung hat wie das Krankengeld Lohnersatzfunktion; sie soll 309
So ausdrücklich KassKomm-Seewald, § 48 SGB I Rn. 5. Zum Wortlaut der Norm s. Fn. 277. Zur früheren Regelung des § 216 Abs. 1 Nr. 1 2. HS RVO a. F. vgl. von Savigny, S. 129 f., 236 f. 311 BT-Drs. 11/2237, 165. 310
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die wirtschaftliche Versorgung berufstätiger Mütter sicherstellen.312 Deshalb wird mit der gleichen Argumentation wie beim Krankengeld genauso die Zahlung von Mutterschaftsgeld abgelehnt: Da schwangere Frauen im Strafvollzug während ihrer Mutterschutzfristen durch die JVA versorgt würden, bedürfen sie der Zahlung von Mutterschaftsgeld nicht. Gleichwohl hat der Gesetzgeber den werdenden Müttern für den Zeitraum der Mutterschutzfristen als Ausgleich eine Ausfallentschädigung nach § 45 Abs. 3 StVollzG zugemessen. Sie sollen damit grundsätzlich in gleicher Weise sozial sichergestellt werden wie freie Arbeitnehmerinnen.313 Auch diese Vorschrift ist jedoch aus Kostengründen ohne zeitliche Befristung suspendiert und findet somit gegenwärtig keine Anwendung. Damit wird aus finanziellen Gründen der Angleichungsgrundsatz verletzt.314 Den werdenden Müttern werden Leistungen vorenthalten, die den abhängig Beschäftigten gewährt werden.315 Fraglich ist, ob weibliche Gefangene, die trotz ihrer Inhaftierung Pflichtoder freiwilliges Mitglied einer Krankenkasse sind, Anspruch auf Mutterschaftsgeld haben. Ungeachtet dessen, dass diese Konstellation in der Praxis kaum zu erwarten ist, stellt sich die Frage im Hinblick auf die Bedeutung des § 195 Abs. 2 S. 2 RVO. Nach § 195 Abs. 2 S. 1 RVO sind für die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, zu denen das Mutterschaftsgeld zählt, die für die Leistungen nach dem SGB V geltenden Vorschriften grundsätzlich entsprechend anzuwenden. Die Regelung des § 195 Abs. 2 S. 2 RVO nimmt jedoch von der entsprechenden Anwendung ausdrücklich die Ruhensvorschrift des § 16 Abs. 1 SGB V aus, der somit für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld nicht gilt. Demzufolge ruht diese Leistung nicht in den in § 16 Abs. 1 SGB V genannten Fällen, also auch nicht bei einem Freiheitsentzug.316 Das könnte dafür sprechen, dass etwa einer freiwillig versicherten, schwangeren Inhaftierten für die Zeit des Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz auch während des Freiheitsentzugs Mutterschaftsgeld zu gewähren wäre. Allerdings setzt der Anspruch gem. § 200 Abs. 1 2. Alt. RVO neben der Mitgliedschaft in einer Krankenkasse, Schwangerschaft oder Entbindung ferner voraus, dass das Mitglied in einem Arbeitsverhältnis steht, aus dem wegen der Schutzfristen kein Arbeitsentgelt gezahlt wird. Es muss sich dabei um ein privatrechtliches Ar312 KassKomm-Höfler, § 200 RVO Rn. 2; Krauskopf, in: ders., SozKV, § 200 RVO Rn. 2. 313 BT-Drs. 7/918, 69. 314 So schon AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, § 45 Rn. 1; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 460. 315 AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, § 45 Rn. 1 und 3. 316 KassKomm-Höfler, § 195 RVO Rn. 8; Krauskopf, in: ders., SozKV, § 195 RVO Rn. 6.
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beitsverhältnis handeln.317 Für Strafgefangene, die im Strafvollzug arbeiten, besteht ein solches Arbeitsverhältnis nicht.318 Das spricht gegen einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld. Wenn ein Arbeitsverhältnis im Strafvollzug den rechtlichen Anforderungen des § 200 RVO für die Gewährung dieser Leistung aber nicht genügt, stellt sich die Frage, in welchem Fall die Regelung des § 195 Abs. 2 S. 2 RVO i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V zur Anwendung kommt. Zu denken wäre an Freigängerinnen, die nach § 39 Abs. 1 StVollzG ein freies Beschäftigungsverhältnis ausüben. Dagegen spricht jedoch, dass ihnen alle Regelleistungen der Krankenkassen ohnehin zustehen.319 Bei diesem Personenkreis ruhen gerade nicht die Leistungen gegen die Krankenkasse nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V, sondern die Ansprüche gegen die Vollzugsbehörde gem. § 78 i. V. m. § 62a StVollzG.320 Für Freigängerinnen hat der § 195 Abs. 2 S. 2 RVO folglich keine Bedeutung. Als denkbarer Anwendungsfall bleibt demnach nur der anspruchsberechtigte Personenkreis nach § 200 Abs. 1 1. Alt. RVO, d.h. es muss sich um weibliche versicherte Gefangene mit Anspruch auf Krankengeld handeln. Ihre Ansprüche gegen die Krankenkasse ruhen nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V infolge des Gesundheitsfürsorgeanspruchs nach dem Strafvollzugsgesetz. Dennoch würden sie während des Freiheitsentzugs Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach § 200 Abs. 1 1. Alt. RVO haben, weil nach § 195 Abs. 2 S. 2 RVO die Ruhensvorschrift auf diese Leistungsart ausdrücklich nicht anzuwenden ist. (5) Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation Schließlich normiert das Strafvollzugsgesetz für Gefangene keine Ansprüche auf ärztliche Beratung zur Empfängnisverhütung, Leistungen bei einer nicht rechtswidrigen Sterilisation und bei einem nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft (§§ 24a, 24b SGB V). Dennoch ist es unstreitig, dass auch eine inhaftierte Schwangere nach den allgemeinen Regelungen der §§ 218, 219 StGB Anspruch auf Schwangerschaftsberatung und -abbruch hat.321 Hinsichtlich der anderen Leistungen sind dagegen haftbedingte Gründe nicht ersichtlich, den weiblichen Gefangenen diese deswegen zu verwehren. Im Gegenteil: In Anbetracht der strafvollzugsrechtlichen 317
BSGE 6, 5; KassKomm-Höfler, § 200 RVO Rn. 13. s. o., Zweiter Teil, A. II. 2. 319 von Savigny, S. 260. 320 Vgl. schon oben, Zweiter Teil, B. I. 1. 321 AK-StVollzG-Feest/Bammann/Quensel, § 76 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 76 Rn. 2; Steinhilper, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 76 Rn. 11. 318
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Behandlungsmaßnahmen Ausgang und Urlaub (§§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 13 StVollzG) wäre eine entsprechende Regelung bezüglich Empfängnisverhütung und Sterilisation für Gefangene durchaus angebracht. Es ist nämlich denkbar, dass Frauen während der Strafhaft schwanger werden. Gedacht sei hier nicht etwa an einen sexuellen Kontakt mit einem Justizvollzugsbeamten, sondern an einen mit dem Ehe- oder Lebenspartner. Mit diesem kann sich eine weibliche Gefangene treffen, wenn sie die JVA aufgrund eines genehmigten Antrags auf Ausgang oder Urlaub zeitweise verlassen darf. bb) Standard der medizinischen Versorgung Ein Vergleich der Qualität der ärztlichen Versorgung im Strafvollzug mit jener in Freiheit lässt sich nicht beurteilen und entscheiden. Dies würde eine ausschließlich auf medizinischem Gebiet liegende Untersuchung voraussetzen, für die es an der Berufung und fachspezifischen Qualifikation fehlt.322 Dennoch stützen verschiedene Aspekte seit langem die Einschätzung, dass der Standard der medizinischen Versorgung im Vollzug hinter dem Standard der kassenärztlichen Versorgung zurückbleibt. Neben veralteten und technisch meist nur unzureichend ausgestatteten Behandlungsräumen in den Vollzugsanstalten wird insbesondere das Fehlen ausreichenden ärztlichen Personals als Grund angeführt.323 In einigen Bundesländern ist weniger als die Hälfte der hauptamtlichen Planstellen für Gefängnisärzte besetzt324; die freien Stellen werden durch nebenamtliche oder vertraglich 322
Zettel (S. 203), leitender Anstaltsarzt in der JVA Hannover, weist immer wieder geübte Kritik an der Qualität der ärztlichen Versorgung in Vollzugsanstalten zurück, „solange die Personalsituation im medizinischen Bereich auch nur einigermaßen geregelt ist“. Aus seiner Sicht könne ein Anstaltsarzt „eine ebenso gute, wenn nicht sogar bessere ärztliche Versorgung „liefern“ als der gewöhnliche Kassenarzt“. Als Gründe führt er an: kürzere Wartezeiten, bessere, d.h. bedürfnis- und persönlichkeitsangepasstere Behandlung, auch sei die Behandlung sicherer, da der Anstaltsarzt keine Behandlungsrisiken eingehen könne, da er sonst mit Regressklagen rechnen müsse, die der Kassenarzt kaum zu erwarten habe. Demgegenüber berichtet Gähner (Vorgänge 1986, Heft 79, 57 ff.) als Betroffener, ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sei im Gefängnis nicht vorhanden; es existiere nicht einmal ein vertrauensvolles Gespräch unter vier Augen, da stets ein oder zwei Krankenpfleger dabei säßen. Im Rahmen der Visite würden 40–80 Patienten in 1½ bis 2 Stunden „verarztet“. Der Anstaltsarzt vermeide es, sich die Patienten genauer anzusehen und körperlich zu untersuchen; häufig würden Gefangene bei Klagen über Beschwerden als Simulanten abgestempelt, was nicht selten schon den Tod eines Patienten zur Folge gehabt habe. 323 Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 169; von Savigny, S. 65 f.; Zettel, S. 193 f. 324 Romkopf/Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, § 158 Rn. 2. Die Ursachen sehen Romkopf/Riekenbrauck in der schwierigen Klientel der Patienten, der unattraktiven Besoldung, der Einschränkung der Eigenständigkeit durch die Gesamtverantwortung des Anstaltsleiters (§ 156 Abs. 2 StVollzG) sowie
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verpflichtete Ärzte ausgeglichen325. Die tatsächlichen Verhältnisse im Vollzug entsprechen damit nicht dem gesetzlichen Auftrag des § 158 Abs. 1 StVollzG, der die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung durch hauptamtliche Ärzte vorsieht. cc) Prinzip der freien Arztwahl Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung können die Leistungsberechtigten unter den zur Versorgung zugelassenen (Zahn-)Ärzten, (ärztlichen und nichtärztlichen) Psychotherapeuten326 und Krankenhäusern frei wählen (§§ 33 SGB I, 76 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 72 Abs. 1 S. 2 SGB V). Im Gegensatz dazu haben Gefangene – mit Ausnahme der aufgrund eines freien Beschäftigungsverhältnisses krankenversicherten Freigänger – keinen Anspruch auf medizinische Versorgung durch einen Arzt ihrer Wahl.327 Desgleichen dürfen sie einen Psychotherapeuten nicht frei wählen.328 Das gilt selbst dann, wenn der Inhaftierte die Kosten der jeweiligen Behandlung zu tragen bereit ist.329 Vielmehr ist nach § 58 StVollzG allein der Anstaltsarzt während des Freiheitsentzugs für die ärztliche Betreuung zuständig und verantwortlich.330 Besondere Ausnahmen von diesem Grundsatz sehen lediglich die Verwaltungsvorschriften Nr. 2 und Nr. 3 zu § 58 StVollzG vor: in der Belastung durch ärztliche Verwaltungsaufgaben, insbesondere den Schriftverkehr mit juristischen Instanzen. Obwohl die Zahl der hauptamtlich besetzten Planstellen in den letzten Jahren zugenommen hat, wird die Tätigkeit im Strafvollzug dennoch eher als Übergangslösung angesehen (Walter, Strafvollzug, Rn. 228). 325 Hauptgrund ist, dass die medizinische Tätigkeit im Vollzug unter Ärzten als wenig attraktiv gilt. Das wird insbesondere auf die belastenden Arbeitsbedingungen und eine im Vergleich zu anderen Beschäftigungsfeldern zu geringe Bezahlung zurückgeführt; vgl. Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 281; Zettel, S. 193 ff. 326 Im Krankenversicherungsrecht sind aufgrund des in § 15 Abs. 1 S. 1 SGB V normierten Arztvorbehalts zur ärztlichen Behandlung grundsätzlich nur approbierte Ärzte berechtigt. Sie konnten bei entsprechender Qualifikation psychotherapeutische Leistungen als ärztliche Behandlung erbringen; nichtärztliche Therapeuten waren bis 31.12.1998 dazu nur als Hilfspersonen nach § 15 Abs. 1 S. 2 SGB V und im Rahmen der Delegation durch bestimmte Vertragsärzte befugt. Aufgrund und nach Maßgabe des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (PsychThG) vom 16.6.1998 (BGBl. I, 1311) nehmen mit Wirkung vom 1.1.1999 nunmehr auch approbierte psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten wie Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung teil, allerdings beschränkt auf die psychotherapeutische Behandlung gem. §§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 28 Abs. 3 SGB V. 327 KG ZfStrVo SH 1979, 65; OLG Hamm ZfStrVo 1979, 127; KG NStZ 1985, 45, 46; AK-StVollzG-Feest/Boetticher/Stöver, vor § 56 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 56 Rn. 1, § 58 Rn. 5; Grunau/Tiesler, StVollzG, § 58 Rn. 2. 328 OLG Nürnberg NStZ 1999, 479, 480. 329 OLG Hamm ZfStrVo 1979, 127.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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Nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 2 zu § 58 StVollzG besteht die Möglichkeit, einen anderen Arzt herbeizurufen, wenn entweder der Anstaltsarzt in dringenden Fällen nicht erreicht werden kann oder – dieser zwar zur Stelle ist – er nach seinem ärztlichen Ermessen aber die Hinzuziehung eines anderen Arztes oder Facharztes für erforderlich hält. In beiden Fällen hat die Vollzugsbehörde für die Kosten aufzukommen. In Nr. 3 S. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 58 StVollzG ist bestimmt, dass der Anstaltsleiter nach Anhörung des Anstaltsarztes dem Gefangenen unter engen Voraussetzungen331 ausnahmsweise gestatten kann, auf eigene Kosten einen beratenden Arzt hinzuzuziehen. Die Erlaubnis ist auf Ausnahmefälle zu beschränken332 und nur zur Beratung, nicht gleichzeitig auch zur Behandlung zu erteilen. Dem versicherungspflichtigen Freigänger steht hingegen ein Recht auf freie Arztwahl zu.333 Er ist damit nicht nur hinsichtlich der Regelleistungen, sondern auch insoweit den anderen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen gleichgestellt. Die freien Ärzte sind primär für seine Behandlung zuständig und seine Krankenkasse übernimmt die Behandlungskosten.334 Eine Behandlung durch den Anstaltsarzt erfolgt nur in akuten Notfällen. Anderenfalls wird der Anstaltsarzt den Freigänger, wenn er sich an ihn wenden sollte, abweisen und ihm nahe legen, einen niedergelassenen Arzt außerhalb der Anstalt zu konsultieren.335 Warum gestattet das Strafvollzugsgesetz nicht allen Gefangenen ein Recht auf freie Arztwahl, so wie es ursprünglich sowohl im Regierungs- als auch im Alternativentwurf zum Strafvollzugsgesetz336 vorgesehen war? Grund für die Ablehnung der freien Arztwahl für Gefangene im geschlossenen Vollzug war der vom Gesetzgeber befürchtete Missbrauch.337 Die freie Arztwahl erhöhe die Gefahr des Arzneimittelmissbrauchs und Handels mit 330
KG ZfStrVo SH 1979, 65. So hat der Inhaftierte den in Anspruch genommenen externen Arzt und den Anstaltsarzt von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, vgl. VV Nr. 3 S. 2 und S. 3 zu § 58 StVollzG. 332 Nach Ansicht von Boetticher/Stöver steht die nur „ausnahmsweise“ zulässige Gestattung der Hinzuziehung eines Arztes eigener Wahl im Widerspruch zum Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 StVollzG), AK-StVollzG-Feest/Boetticher/Stöver, § 58 Rn. 10. 333 AK-StVollzG-Feest/Boetticher/Stöver, § 62a Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 58 Rn. 6; von Savigny, S. 260. 334 Tolzmann, ZfStrVo 1985, 351, 352. 335 Riekenbrauck, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 62a. 336 Vgl. §§ 53 Abs. 2, 54 Abs. 3 RE; § 106 Abs. 3 AE-StVollzG. 337 BT-Drs. 7/3998, 25; ausführlich zur Argumentation im Gesetzgebungsverfahren, von Savigny, S. 70 ff. 331
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Medikamenten in der Anstalt. Außerdem sei ein frei praktizierender Arzt mit den Gegebenheiten des Vollzugs nur unzureichend vertraut, sodass sich der Strafgefangene ungerechtfertigte Leistungen und Vorteile verschaffen könnte, die er über den Anstaltsarzt nicht erreichen würde (z. B. Bescheinigung über Arbeits- oder Haftunfähigkeit, Verringerung des Arbeitspensums, Verordnung von bestimmten Medikamenten oder verbesserter Kost).338 dd) Folgerung Viele Leistungsansprüche, die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung zustehen, werden dem Gefangenen nicht oder nur unter dem Vorbehalt der Belange des Vollzugs gewährt. Die Gesundheitsfürsorge des Strafvollzugsgesetzes bietet den Gefangenen eine medizinische Grundversorgung, die erheblich hinter dem Leistungsumfang und -standard der gesetzlichen Krankenversicherung zurückbleibt. Soweit die Vorenthaltung einiger Leistungen nicht vollzugsbedingt gerechtfertigt ist, wäre es – wie dargelegt – möglich, diese Leistungen in Form von Ermessensvorschriften im Strafvollzugsgesetz zu ergänzen, um eine weitere Angleichung an den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herzustellen. Unbefriedigend sind die für Gefangene gänzlich fehlenden Entgeltersatzleistungen. Auch diesbezüglich ist eine Anpassung geboten, weil die Leistungen der Vollzugsbehörden keineswegs immer den Lebensstandard eines Gefangenen sichern. Das hat auch der Gesetzgeber gesehen und insoweit in § 45 StVollzG eine Ausfallentschädigung vorgesehen. Diese soll dem Gefangenen soziale Sicherheit vermitteln, die in den freien Arbeitsverhältnissen durch die gesetzliche Krankenversicherung erreicht wird.339 Da jene Norm aus finanziellen Gründen suspendiert ist, wird nicht nur der Angleichungsgrundsatz des § 3 Abs. 1 StVollzG verletzt, sondern obendrein vor allem der Zweck der Regelung verfehlt. Denn der Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz kompensiert die fehlende Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung nur zum Teil. b) Benachteiligungen nach Entlassung aus dem Strafvollzug Trotz der bestehenden Unterschiede in der Krankenversorgung ist der Gefangene während seiner Inhaftierung im Krankheitsfall immerhin versorgt. Wirkt sich die suspendierte Krankenversicherungspflicht für einen Strafgefangenen auch nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug aus? Welcher Schutz steht ihm im Krankheitsfall nach Verlassen der JVA zu? 338 339
BT-Drs. 7/3998, 25 f. Hierzu krit. Bemmann, StV 2001, 60, 61. So amtliche Begründung, BT-Drs. 7/918, 69.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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aa) Besteht ein Übergangsanspruch? Die Vollzugsbehörden sind verpflichtet, für die Gesundheit der Gefangenen zu sorgen (§ 56 Abs. 1 StVollzG); die Entlassenen stehen dagegen nicht mehr unter ihrer Verantwortung. Folglich endet mit seiner Entlassung aus dem Justizvollzug für einen Gefangenen der strafvollzugsgesetzliche Anspruch auf Gesundheitsfürsorge. Fraglich ist, ob dem aus der Haft Entlassenen ein Übergangsanspruch zusteht, wie ihn die gesetzliche Krankenversicherung in § 19 Abs. 2 SGB V bestimmt. In der sozialen Krankenversicherung erlischt der Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs. 1 SGB V grundsätzlich mit dem Ende der Mitgliedschaft.340 Jedoch sieht § 19 Abs. 2 SGB V für versicherungspflichtige Mitglieder einen Übergangsanspruch für die Dauer eines Monats nach dem Ende der Mitgliedschaft zur Vermeidung von Lücken im Versicherungsschutz vor.341 Der nachgehende Leistungsanspruch gilt sowohl für vor als auch für nach dem Ende der Mitgliedschaft eingetretene Versicherungsfälle. Das Strafvollzugsgesetz regelt für den aus der Haft zu entlassenden Gefangenen einen solchen Übergangsanspruch nicht. Der Entlassene hat trotz seiner Arbeitsleistung im Vollzug auch keinen Anspruch auf die einer Pflichtmitgliedschaft nachgehenden Leistungen wie bei § 19 Abs. 2 SGB V mangels der vorausgesetzten Mitgliedschaft in einer Krankenkasse. Für einen entlassenen Gefangenen entsteht deshalb eine Versorgungslücke, solange er kein Arbeitslosengeld nach § 117 SGB III oder Arbeitslosengeld II nach § 19 SGB II bezieht. In der Zeit des Bezugs dieser Leistungen ist er krankenversicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 2a SGB V. Wären die Gefangenen in die Krankenversicherung einbezogen, könnten sie auch nach der Haftentlassung für einen Monat den nachgehenden Leistungsanspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V geltend machen. Dadurch würde die Versorgungslücke zwischen Entlassung und Arbeitsaufnahme oder Arbeitslosmeldung geschlossen werden. Da ihre Versicherungspflicht an die im Vollzug ausgeübte Beschäftigung geknüpft wäre, würde ihre Mitgliedschaft zwangsläufig spätestens mit ihrer Entlassung aus der Haft enden.
340
Bei versicherungspflichtig Beschäftigten endet gem. § 190 Abs. 2 SGB V die Mitgliedschaft mit Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt endet. 341 Vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 11/2237, 166.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
bb) Fortbestehen der Mitgliedschaft nach § 192 SGB V Außerdem hat die fehlende Krankenversicherungspflicht zur Folge, dass ein entlassener Gefangener von dem Fortbestehen der Mitgliedschaft gem. § 192 SGB V ausgeschlossen ist. Nach § 192 Abs. 1 SGB V bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten, solange sie sich in einem rechtmäßigen Arbeitskampf befinden (Nr. 1), Anspruch auf Kranken- oder Mutterschaftsgeld besteht oder eine dieser Leistungen oder Erziehungsgeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen wird (Nr. 2), von einem Rehabilitationsträger während einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld gezahlt wird (Nr. 3) oder Kurzarbeiter- oder Winterausfallgeld nach dem SGB III bezogen wird (Nr. 4). Nach § 192 Abs. 2 SGB V bleibt die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger zudem während einer Schwangerschaft erhalten, wenn das Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst oder das Mitglied unter Wegfall des Arbeitsentgelts beurlaubt worden ist, es sei denn, es besteht eine Mitgliedschaft nach anderen Vorschriften. Der Zweck der Norm liegt darin, in den genannten Fällen versicherungspflichtigen Mitgliedern die endende Mitgliedschaft und den daran geknüpften Versicherungsschutz für eine gewisse Dauer zu erhalten.342 Da für Strafgefangene im Regelfall keine Mitgliedschaft besteht, kann auch keine aufrechterhalten werden. Wäre ein Gefangener aber versicherungspflichtig, würde er, so er noch in der Haft arbeitsunfähig werden würde und dies über den Entlassungszeitpunkt hinaus bliebe, der Krankengeldanspruch und seine Pflichtmitgliedschaft beitragsfrei fortbestehen (§§ 192 Abs. 1 Nr. 2, 224 Abs. 1 SGB V). Für die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V genügt ein dem Grunde nach bestehender Anspruch; daraus folgt, dass auch bei Nichtzahlung der Leistung infolge eines Ruhenstatbestands die mitgliedschaftserhaltende Wirkung bestehen bleibt.343 Gerade bei andauernder Arbeitsunfähigkeit, die einen Leistungsanspruch aus der Arbeitslosenversicherung ausschließt344, wäre der Entlassene dadurch wenigstens zeitweilig weiterhin krankenversichert. Die fortbestehende Mitgliedschaft ist eine vollwertige Pflichtmitgliedschaft. Sie ist auf Warte- und Vorversicherungszeiten in gleicher Weise anzurechnen wie die vorausgegangene Mitgliedschaft.345 Dies könnte dem Gefangenen leichter ermöglichen, die Voraussetzungen etwa für eine frei342
KassKomm-Peters, § 192 SGB V Rn. 2. Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 192 SGB V Rn. 12. 344 Vgl. oben, Zweiter Teil, B. I. 1. a) aa) (3). 345 KassKomm-Peters, § 192 SGB V Rn. 22; Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 192 SGB V Rn. 6. 343
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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willige Weiterversicherung gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V oder im Renteneintrittsalter für den Zugang zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V zu erfüllen. cc) Die Vorversicherungszeit in der KVdR Des Weiteren könnte sich die fehlende Krankenversicherungspflicht als Spätfolge insbesondere für Langzeitgefangene dahin auswirken, dass sie im Zeitpunkt des Renteneintritts die Vorversicherungszeit in der KVdR nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V nicht erreichen.346 Nach dieser Norm sind Rentner und Rentenantragsteller nur dann versicherungspflichtig, wenn sie während ihres Arbeitslebens, d.h. in dem Zeitraum von der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags (sog. Rahmenfrist), mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse oder nach § 10 SGB V versichert waren. Die Vorversicherungszeit kann zwar auch mit Zeiten einer freiwilligen Versicherung erfüllt werden, jedoch stellt sich für die Gefangenen unter Berücksichtigung ihrer Entlohnung hierbei wiederum das Problem der Finanzierung. Außerdem werden Gefangene im Hinblick auf die in der Zukunft liegende KVdR kaum überzeugt werden können, dafür während ihrer Inhaftierung freiwillige Beiträge zu entrichten. Zum einen würde die Tatsache, dass sie während des Strafvollzugs aufgrund des Ruhens nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ohnehin keine Leistungen aus der Krankenversicherung beanspruchen könnten, ihre Motivation trüben. Zum anderen ist unsicher, ob sie später überhaupt einen Rentenanspruch haben werden. Ungeachtet dessen erhöht die fehlende Krankenversicherungspflicht für sie das Risiko, den Zugang zur KVdR im Zeitpunkt des Renteneintritts nicht zu erfüllen. Die Mitgliedschaft in der KVdR bietet den Vorteil, dass die nach der Rente zu bemessenden Beiträge vom Versicherungspflichtigen und dem Träger der Rentenversicherung gem. §§ 249a, 255 Abs. 1 SGB V jeweils zur Hälfte getragen werden. Wer sich als Rentner hingegen freiwillig oder privat versichern muss, hat die Beiträge allein zu tragen. Derjenige unterliegt damit einer deutlich höheren Beitragsbelastung. Gerade diese Situation beweist, dass die fehlende Krankenversicherungspflicht für Strafgefangene selbst Jahre nach Verbüßen einer Freiheitsstrafe noch zu sozialen Rechtsnachteilen führen kann.
346
Schorn, NZS 1995, 444, 445.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
2. Rechtslage für die Familienangehörigen eines Strafgefangenen a) Einleitende Bemerkungen zur Mitbetroffenheit Dritter Der Vollzug einer Freiheitsstrafe trifft nicht nur den Straftäter, sondern auch dessen an der Straftat unbeteiligte Familienangehörige in mehrfacher Hinsicht. Diese werden durch die unbeabsichtigten, außerhalb des eigentlichen Strafübels liegenden Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe belastet.347 Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e. V.348 verweist auf die psychosozialen Probleme: Familien werden auseinander gerissen, durch die Inhaftierung sind notwendige Kontaktmöglichkeiten, die eine Aufrechterhaltung der Beziehung gewährleisten könnten, kaum noch gegeben. Die durch die Zwangstrennung von dem Inhaftierten zurückbleibenden Familienangehörigen349 geraten häufig in eine schwere materielle, soziale und psychische Krise350 und müssen sämtliche aus der Inhaftierung des Familienmitglieds auftretenden Probleme allein bewältigen.351 Bei Inhaftierung von Frauen droht nicht selten die zusätzlich belastende Heimunterbringung der Kinder.352 Hinzu kommen in den meisten Fällen erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, denen vorwiegend unterhaltsberechtigte Frauen und Kinder männlicher Inhaftierter begegnen, wenn der Partner und Familienvater als Haupternährer wegfällt. Der Gefangene verfügt nicht oder nur in Ausnahmefällen über finanzielle Möglichkeiten, um zum Unterhalt der Angehörigen beizutragen und damit Verantwortung für die Situation und die Familie zu übernehmen. Darum sind die Familienmitglieder, insbesondere wenn die Ehefrau nicht selbst arbeitet, zumeist auf staatliche Hilfe angewiesen.353 Da diese nur eine Mindestversorgung gewährleistet, wächst für die Familienangehörigen des Inhaftierten die Gefahr, auf das Existenzminimum gedrückt 347
Götte, S. 21. BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 175. 349 Nach dem Forschungsbericht von Busch/Fülbier/Meyer (S. 49 ff.) schätzen die Autoren, dass ca. 20% der Straf- und Untersuchungsgefangenen verheiratet sind oder in eheähnlichen Dauerbeziehungen leben. Die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen wird auf 12.000 geschätzt. 350 Busch, ZfStrVo 1989, 131, 133 weist ausdrücklich darauf hin, dass es – selbst wenn keine Scheidungsabsichten bestehen oder solche nicht realisiert werden – natürlich auch Familiensituationen gibt, in denen die Inhaftierung des Lebenspartners und/oder Vaters von der Familie als Entlastung oder Befreiung empfunden wird. 351 BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 175; EKD, Strafe: Tor zur Versöhnung, S. 34. 352 BAG-S ebd. 353 BAG-S ebd.; Busch/Fülbier/Meyer, S. 247; EKD, Strafe: Tor zur Versöhnung, S. 34; Köhne/Quack, ZfStrVo 1977, 44; Neu, ZfStrVo 1995, 149, 154; Walter, Strafvollzug, Rn. 93. 348
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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zu werden.354 Aufgelaufene Schulden verschärfen die wirtschaftliche Lage zusätzlich. Neben die Bedürftigkeit tritt nicht selten die Diffamierung und soziale Ächtung. Der Verurteilte und mit ihm seine Familie werden deklassiert. Angehörige sind deshalb oft bemüht, die Inhaftierung des Partners zu verbergen. Sie ziehen sich zurück, brechen soziale Kontakte ab und treiben sich damit selbst in die Isolation. Psychische und/oder physische Erkrankungen sind häufig die Folge.355 Strafe setzt nach dem im deutschen Strafrecht geltenden Schuldprinzip eine höchstpersönliche Schuld voraus („nulla poena sine culpa“).356 Individuelle Verantwortlichkeit für eine Straftat kennzeichnet den „Zwang zum individuellen ‚Ausbaden‘ eben dieser Lebenslage“357. Sanktionen sollten deshalb auf den Straftäter begrenzt werden. Die Mitbetroffenheit unschuldiger Dritter durch den Strafvollzug dokumentiert, dass das Postulat nach gezielter individueller Bestrafung in der Praxis nicht realisiert wird.358 Da Gefangene Individuen mit vielfach persönlichen Beziehungen und Bindungen sind, beeinflusst der Freiheitsentzug Ehe, Familie oder Lebenspartnerschaft in seiner Gesamtheit.359 Fraglich ist, ob die Inhaftierung eines Gefangenen auch sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen für seine Familienmitglieder hat. Wie sind die Angehörigen sozial gesichert? b) Sicherungsmöglichkeiten der Angehörigen gegen Krankheit aa) Eigene Pflichtmitgliedschaft Ob sich die Inhaftierung eines Familienmitglieds auf den krankenversicherungsrechtlichen Status des (Ehe-)Partners und die Kinder auswirkt, hängt von der konkreten Familiensituation ab. Sofern der (Ehe-)Partner des Gefangenen aufgrund einer entgeltlichen Beschäftigung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig ist, bleibt die Strafhaft für die Angehörigen folgenlos. Der nicht inhaftierte (Ehe-)Partner ist in dem Fall selbst Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse (§§ 173 Abs. 1, 186 Abs. 1 SGB V). Deshalb können die Kinder, falls sie bisher beim inzwischen in 354 355 356
BAG-S ebd.; Götte, S. 22. EKD, Strafe: Tor zur Versöhnung, S. 34. BGHSt 2, 194, 200; BVerfGE 6, 389, 439; 9, 167, 169; 20, 323, 331; 45, 187,
228. 357
Pilgram, KrimsozBibl. 1977, (Heft 16/17), 44, 45. Busch/Fülbier/Meyer, S. 293; Pilgram, KrimsozBibl. 1977, (Heft 16/17), 44, 50; Walter, Strafvollzug, Rn. 98. 359 EKD, Strafe: Tor zur Versöhnung, S. 33 f. 358
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
der JVA einsitzenden Elternteil mitversichert waren, ihren Versicherungsstatus als Familienversicherte nach § 10 SGB V nunmehr von dem anderen Elternteil ableiten. bb) Familienversicherung nach § 10 SGB V Folgenreich könnte dagegen sein, wenn der Inhaftierte vor dem Haftantritt allein den Versicherungspflichttatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfüllte und die Angehörigen nach § 10 SGB V familienversichert waren. Durch die Familienversicherung sind der Ehegatte, Lebenspartner und die Kinder eines Mitglieds in der gesetzlichen Krankenversicherung (mit)versichert, wenn sie nach § 10 Abs. 1 S. 1 SGB V folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllen: Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Inland (Nr. 1), keine anderweitige Pflicht- oder freiwillige Versicherung (Nr. 2), weder Unterliegen der Versicherungsfreiheit noch Befreiung von der Versicherungspflicht (Nr. 3), keine hauptberuflich selbständige Erwerbstätigkeit (Nr. 4) und kein Gesamteinkommen über einem Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV oder als geringfügig Beschäftigte von mehr als 400 e (Nr. 5).360 Die Familienversicherung der Kinder ist zusätzlich an bestimmte in § 10 Abs. 2 SGB V geregelte Altersgrenzen gebunden. § 10 Abs. 1 S. 1 SGB V bestimmt, dass die Familienangehörigen „selbst“ versichert sind. Sie erwerben eine eigenständige Versicherung, in der sie ihre Rechte selbständig und unabhängig von dem Stammversicherten in Anspruch nehmen können.361 Die Familienversicherung ist beitragsfrei (§ 3 S. 3 SGB V): Weder die versicherten Familienangehörigen noch der Stammversicherte müssen dafür einen besonderen oder zusätzlichen Beitrag leisten.362 Sie ist ein Teil des sozialen Ausgleichs (Familienlastenausgleich), der von der Solidargemeinschaft der Mitglieder finanziert wird.363 Die Familienversicherung ist trotz ihrer Eigenständigkeit aber von der Mitgliedschaft des Stammversicherten abhängig (akzessorisch).364 Endet dessen Mitgliedschaft als versicherungspflichtig Beschäftigter nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V mit Ende des Beschäftigungsverhältnisses nach § 190 Abs. 2 360 Entgegen der früheren Regelung des § 205 Abs. 1 S. 1 1. HS RVO setzt § 10 Abs. 1 SGB V keine Unterhaltsberechtigung des Angehörigen gegenüber dem Stammversicherten mehr voraus; vgl. hierzu KassKomm-Peters, § 10 SGB V Rn. 6 m. w. N. 361 Breuer, in: GK-SGB V, § 10 Rn. 9; KassKomm-Peters, § 10 SGB V Rn. 4. 362 Breuer, in: GK-SGB V, § 10 Rn. 7; Töns, BKK 1989, 322, 324. 363 KassKomm-Peters, § 10 SGB V Rn. 2; Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 3 Rn. 11, 82; Töns, BKK 1989, 322, 324. 364 Vgl. z. B. Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 10 SGB V Rn. 10; Bloch, in: Schulin, HS-KV, § 18 Rn. 1; Gitter/Schmitt, § 8 Rn. 17; KassKomm-Peters, § 10 SGB V Rn. 4.
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SGB V, so endet zugleich die Familienversicherung. Mit dem haftbedingt eintretenden Arbeitsplatzverlust verlieren sämtliche Familienangehörigen ihren Krankenversicherungsschutz. Da die Mitgliedschaft des verurteilten Straftäters mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses, also spätestens mit seinem Haftantritt, erlischt, entfällt die Familienversicherung der mitversicherten Angehörigen. Steht in diesem Fall den Familienmitgliedern des Gefangenen ein Übergangsanspruch gem. § 19 Abs. 2 SGB V zu? Danach besteht für Versicherungspflichtige, deren Mitgliedschaft endet, der Anspruch auf Leistungen für die Dauer von längstens einem Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft fort, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.365 Da die Familienangehörigen ihre Rechtsstellung von der des stammversicherten Mitglieds ableiten, wird ihnen aus § 19 Abs. 2 SGB V zumindest in den Fällen ein nachgehender Leistungsanspruch zuteil, in denen die Familienversicherung aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft eines Versicherungspflichtigen endet.366 Allerdings setzt sich die Akzessorietät der Familienversicherung im Rahmen des § 19 Abs. 2 SGB V fort; steht dem früheren Stammversicherten kein Leistungsanspruch mehr zu, entfällt dieser auch für die Familienversicherten.367 Endet die Mitgliedschaft wegen Inhaftierung, wird dem zuletzt stammversicherten Gefangenen ein nachgehender Leistungsanspruch nicht gewährt, weil er von Haftbeginn an Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz hat oder als Untersuchungsgefangener „sonstige Gesundheitsfürsorge“368 im Umfang derjenigen nach dem Strafvollzugsgesetz erhält. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Anspruch für ihn überhaupt nicht entstanden ist. Sein Anspruch aus § 19 Abs. 2 SGB V besteht vielmehr dem Grunde nach, nur ist er aufgrund der Ruhensregelung des § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V von der Krankenkasse nicht zu erfüllen. Da das Ruhen nur „den Versicherten“ trifft, der in seiner Person einen der in § 16 Abs. 1 SGB V genannten Tatbestände erfüllt, sind Ansprüche mitversicherter Familienangehöriger unabhängig davon zu gewähren.369 Den familienversicherten Angehörigen eines Gefangenen steht der nachgehende Leistungsanspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V folglich ohne Einschränkungen zu. 365
Genauer dazu schon im Zweiten Teil, B. I. 1. b) aa). Baier, in: Krauskopf, SozKV, § 10 SGB V Rn. 17; Breuer, in: GK-SGB V, § 10 Rn. 17; Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 10 Rn. 8; Igl, in: GK-SGB V, § 19 Rn. 8, 12; Wagner, in: Krauskopf, SozKV, § 19 SGB V Rn. 4; KassKommHöfler, § 19 SGB V Rn. 25; Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 19 Rn. 48; Töns, BKK 1989, 322, 324; Zipperer, in: Maaßen u. a., GKV-Komm., § 10 Rn. 12. 367 Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 19 Rn. 48. 368 Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 16 Rn. 44. 369 KassKomm-Peters, § 16 SGB V Rn. 5. 366
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
cc) Versicherungspflichtmitgliedschaft infolge Beschäftigungsaufnahme Wenn jedoch der nachgehende Leistungsanspruch gem. § 19 Abs. 2 SGB V nach einem Monat erschöpft ist, entfällt für die Familienangehörigen der Krankenversicherungsschutz. Die Familienmitglieder müssen sich folglich von dem Zeitpunkt an für den Krankheitsfall selbst oder anderweitig versichern.370 Welcher Versicherungsschutz könnte in Betracht kommen? Denkbar ist zunächst eine Versicherungspflichtmitgliedschaft als Arbeitnehmer. Hat der in Freiheit lebende (Ehe-)Partner die Möglichkeit, eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, könnte derjenige dadurch als Versicherungspflichtiger gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V eine eigene Mitgliedschaft nach §§ 173 Abs. 1, 186 Abs. 1 SGB V begründen. Von dieser Mitgliedschaft könnten die Kinder wiederum die beitragsfreie Familienversicherung nach § 10 SGB V ableiten. dd) Freiwillige Versicherung nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V Anderenfalls bleibt dem Ehe- oder Lebenspartner des Gefangenen die Gelegenheit, als beitragspflichtiges Mitglied im Rahmen der freiwilligen Versicherung nach § 9 SGB V den Krankenversicherungsschutz gegen Beitragszahlung aufrechtzuerhalten. Nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V können Personen, deren Familienversicherung erlischt, der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig beitreten. Der Beitritt ist der Krankenkasse innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Familienversicherung schriftlich anzuzeigen (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 188 Abs. 3 SGB V). Vorhandene Kinder könnten bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 SGB V nunmehr bei dem freiwilligen Mitglied als Stammversicherten im Wege der Familienversicherung beitragsfrei mitversichert werden. Die Schwierigkeit für die Begründung der freiwilligen Versicherung besteht allerdings in der Finanzierung der Versicherungsbeiträge, die von freiwilligen Mitgliedern nach § 250 Abs. 2 SGB V allein zu tragen sind. Wie hoch sind die monatlichen Versicherungsbeiträge? Die Beitragshöhe hängt von mehreren Faktoren ab, z. B. ob das freiwillige Mitglied als Arbeitnehmer oder selbständig tätig ist oder gar keiner beruflichen Tätigkeit nachgeht, ob es sich um eine Mitgliedschaft mit oder ohne Krankengeldanspruch handelt und nach welchem Beitragssatz (§§ 241 ff. SGB V) die Beiträge zu erheben sind. Welche Einnahmen freiwilliger Mitglieder bei der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind, wird im Gegensatz zu den Pflichtver370 Zur Aussicht auf einen beitragsfreien Versicherungsschutz für Kinder auf Grundlage des § 10 Abs. 4 S. 1 SGB V bei Gewährung von Unterhalt durch die Großeltern, vgl. Götte, S. 119 f.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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sicherten im Gesetz nicht definitiv geregelt.371 Vielmehr ist die Krankenkasse nach § 240 Abs. 1 S. 1 SGB V ermächtigt und verpflichtet, dies durch Satzung zu regeln. Nach Maßgabe des § 240 Abs. 1 S. 2 SGB V ist dabei die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen. § 240 Abs. 2, 3 und 4 SGB V enthalten weitere Vorgaben bzw. Grenzen, über die die Satzung nicht hinausgehen darf. Sie sollen sicherstellen, dass freiwillige Mitglieder weder gegenüber vergleichbaren versicherungspflichtigen Beschäftigten noch gegenüber krankenversicherungspflichtigen Mitgliedern mit Rentenbezug wirtschaftlich besser gestellt werden.372 Als Mindestbeitragsbemessungsgrundlage gilt nach § 240 Abs. 4 S. 1 SGB V für den Kalendertag der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV. Eine Krankenkasse darf keinen Beitrag erheben, der aus niedrigeren Einnahmen als der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage berechnet ist. Die monatliche Bezugsgröße der gesetzlichen Krankenversicherung beträgt im Jahr 2007 einheitlich 2.450 e. Das ergibt bei 30 Kalendertagen eine monatliche Mindestbeitragsbemessungsgrundlage von 816,60 e. Die konkrete Beitragshöhe hängt davon ab, welcher Beitragssatz zu erheben ist. Dessen Höhe setzt jede Krankenkasse selbständig fest. Soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, zahlen Mitglieder die Beiträge nach dem allgemeinen Beitragssatz373 (§ 241 S. 2 SGB V). Bei einem durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz von 13,8% ist somit aktuell ein monatlicher Beitrag von 112,69 e zu zahlen. Bei Anwendung des erhöhten oder ermäßigten Beitragssatzes nach §§ 242, 243 SGB V374 ist der Beitrag entsprechend höher oder niedriger.375 Wenn nicht berufstätige Angehörige eines Gefangenen sich nach Verlust der Familienversicherung freiwillig versichern, haben sie i. d. R. keinen Anspruch auf Krankengeld (vgl. § 44 Abs. 2 SGB V), sodass ihr Beitrag nach dem ermäßigten Beitragssatz berechnet wird. Bei einem durchschnittlichen ermäßigten Beitragssatz von 12,7% müssten die Angehörigen demnach einen monatlichen Beitrag von derzeit 103,71 e entrichten. 371
Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 240 Rn. 1. Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 240 Rn. 2. 373 Der allgemeine Beitragssatz nach § 241 SGB V gilt für freiwillig Versicherte, die bei Arbeitsunfähigkeit für mindestens sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts haben oder deren Krankengeldanspruch nach § 44 Abs. 2 SGB V für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ausgeschlossen ist. 374 Besteht Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Arbeitsunfähigkeit an, sind Beiträge nach dem erhöhten Beitragssatz nach § 242 SGB V zu bemessen; Beiträge zu einer freiwilligen Versicherung ohne Anspruch auf Krankengeld werden nach dem ermäßigten Beitragssatz nach § 243 SGB V berechnet. 375 Der erhöhte Beitragssatz variiert je nach Krankenkasse zwischen 13,8% und 21,5%; der ermäßigte Beitragssatz schwankt zwischen 10,8% und 14,5% (Stand: April 2007); im Internet abrufbar unter www.krankenkassentarife.de. 372
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Da die Angehörigen eines Gefangenen vielfach nicht über die finanziellen Mittel verfügen376, um die Beiträge selbst aufzubringen, waren sie in der Vergangenheit häufig auf Unterstützung durch den Sozialhilfeträger angewiesen.377 Nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage hatte der Sozialhilfeträger gem. § 13 Abs. 2 S. 1 1. HS BSHG nach pflichtgemäßem Ermessen über die Übernahme angemessener378 Beiträge für eine freiwillige Versicherung zu entscheiden.379 Ein Rechtsanspruch auf Übernahme der Beiträge bestand für die Angehörigen eines Gefangenen, die bislang familienversichert waren, insofern nicht, als die Beitragsübernahme nach § 13 Abs. 2 S. 1 2. HS BSHG nur dann eine Pflichtleistung des Sozialhilfeträgers war, sofern eine schon bestehende freiwillige Versicherung aufrechterhalten werden sollte.380 Wegen ihrer oft desolaten wirtschaftlichen Lage war die Beitragsübernahme durch den Sozialhilfeträger, sofern Hilfe zum Lebensunterhalt nur für kurze Dauer zu gewähren war, für die Familienmitglieder des Gefangenen die einzige Chance für eine freiwillige Krankenversicherung. Kann eine Beitragsübernahme durch den Sozialhilfeträger für Angehörige eines Gefangenen auch noch nach In-Kraft-Treten der Neukonzeption des Existenzsicherungsrechts durch das SGB II, XII in Betracht kommen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003381 („Hartz IV“) ist das System der existenzsichernden Fürsorgeleistungen neu geregelt worden. Wesentlicher Inhalt des Gesetzes ist die Grundsicherung für Arbeitsuchende, die am 1. Januar 2005 als SGB II in Kraft trat. Kernstück der Reform war die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfebedürftige zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, die zur Sicherung des Lebensunterhalts Arbeitslosengeld II und Sozialgeld vorsieht. Der Gesetzgeber bezweckte damit, die Probleme des 376 Busch/Fülbier/Meyer (S. 237 ff., 288) kommen nach der von ihnen durchgeführten „Analyse der materiellen Lage der Angehörigen von Inhaftierten“ zu dem Ergebnis, dass keine Vergleichsgruppe (Private Haushalte in der Bundesrepublik im Allgemeinen und private Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand im Speziellen) abzüglich der Einkommensanteile für Warmmiete, Versicherungen usw. relativ so wenig Geld zur Finanzierung des täglichen Lebensbedarfs zur Verfügung habe wie Angehörige von Inhaftierten. 377 Rotthaus, in: FS für Rebmann, S. 412. 378 Angemessen sind die Beiträge, wenn sie denen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen; s. Dauber, in: Mergler/Zink, BSHG, § 13 Rn. 17; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 32 Rn. 20; Wenzel, in: Fichtner/Wenzel, BSHG, § 13 Rn. 4. 379 Näher dazu: Götte, S. 159 f. 380 Gottschick/Giese, BSHG, § 13 Rn. 13. 381 BGBl. I, 2954.
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Nebeneinanders zweier Fürsorgeleistungen zu beseitigen, um mehr Effizienz, weniger Verwaltungsaufwand, aber auch eine ausreichende materielle Sicherung bei Arbeitslosigkeit zu verwirklichen.382 Durch das gleichfalls am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003383 ist das „neue“ Sozialhilferecht als Zwölftes Buch in das Sozialgesetzbuch eingeführt worden. SGB II und SGB XII sind nun die Grundlagen des neuen Sozialleistungsrechts für hilfebedürftige Personen. Der Leistungsbezug nach dem einen oder anderen Gesetz folgt einer klaren Abgrenzung: Grundvoraussetzung des Leistungsbezugs nach dem SGB II ist die Erwerbsfähigkeit (§ 7 SGB II). Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Leistungsberechtigt nach dem SGB XII sind alle sonstigen Hilfebedürftigen, d.h. diejenigen, die nichterwerbsfähig sind und die Grundsicherungsberechtigten384. Das folgende Schaubild verdeutlicht die rechtlichen Veränderungen:
Bisher:
SGB III
BSHG
Arbeitslosenhilfe für bedürftige arbeitslose Personen
Neu:
Sozialhilfe HLU für bedürftige erwerbsfähige Personen
Grundsicherung für Arbeitsuchende Arbeitslosengeld II/Sozialgeld SGB II
GSiG
Sozialhilfe HLU für bedürftige nichterwerbsfähige Personen
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel)
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Viertes Kapitel)
SGB XII
Schaubild nach: Renn/Schoch, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Rn. 15.
382
Vgl. amtliche Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/1516, 44. BGBl. I, 3022. 384 Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und 18- bis 65-Jährige, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, erhalten bei Bedürftigkeit Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§ 19 Abs. 2 SGB XII). Diese Leistungen waren bisher in dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (BGBl. I, 1310, 1335) geregelt, das am 31.12.2004 aufgehoben wurde. 383
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Die Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen durch den Sozialhilfeträger (§ 32 SGB XII) ist eine Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, die nach der neuen Rechtslage nur (noch) nichterwerbsfähigen Personen zustehen kann. Demzufolge kann der Sozialhilfeträger Krankenversicherungsbeiträge von Angehörigen eines Gefangenen dann übernehmen, wenn sie nichterwerbsfähige Hilfebedürftige und i. S. d. § 19 Abs. 1 SGB XII leistungsberechtigt sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die meisten hilfebedürftigen (Ehe-)Partner eines Gefangenen erwerbsfähig und deshalb nach dem SGB II leistungsberechtigt sein werden. Eine Beitragsübernahme ist danach nicht möglich, weil der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausschließt (vgl. § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II). Folglich kommt eine freiwillige Versicherung für Familienangehörige eines Gefangenen nur in Betracht, wenn sie die Beiträge selbst aufbringen können oder im Falle der Bedürftigkeit und Nichterwerbsfähigkeit vom Sozialhilfeträger übernommen werden. ee) Versicherungsschutz bei Anspruch auf staatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Falls die Angehörigen des Gefangenen aufgrund ihrer Einkommenslosigkeit auf die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angewiesen sind, stellt sich die Frage, wie sie in dem Fall gegen Krankheit gesichert sind. Das hängt maßgeblich von dem konkreten Leistungsbezug ab, der sich nach dem reformierten Existenzsicherungsrecht entweder nach dem SGB II oder dem Sozialhilferecht des SGB XII bestimmt. Ist oder wird der (Ehe-)Partner eines Strafgefangenen erwerbsfähiger Hilfebedürftiger i. S. d. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II und erhält er nach § 19 S. 1 SGB II nicht nur darlehensweise Arbeitslosengeld II, ist er, soweit keine Familienversicherung besteht, kraft Gesetzes (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V) krankenversicherungspflichtig.385 Der Familienangehörige ist da385 Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Nach § 10 Abs. 1 SGB II ist dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen jede Arbeit zumutbar, es sei denn, dass einer der in den Nr. 1 bis 5 genannten Gründe entgegensteht. Für einen Kinder erziehenden (Ehe-)Partner eines Gefangenen ist nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II die Ausübung einer Arbeit unzumutbar, wenn dadurch die Erziehung seines Kindes oder des Kindes seines Partners gefährdet würde.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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durch Mitglied einer Krankenkasse und kann sämtliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen. Sofern Kinder vorhanden sind, können diese bei dem versicherungspflichtigen Mitglied als Stammversicherten durch die Familienversicherung beitragsfrei mitversichert werden, vorausgesetzt, sie erfüllen die Voraussetzungen des § 10 SGB V. Sind die Familienmitglieder eines Gefangenen hingegen nichterwerbsfähige Hilfebedürftige, erhalten sie Leistungen nach dem Sozialhilferecht. Dieser Personenkreis ist im Unterschied zu den Leistungsbeziehern nach dem SGB II nicht gesetzlich krankenversichert; vielmehr wird eine Krankenbehandlung von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII, die nicht krankenversichert sind, von der Krankenkasse nach § 264 Abs. 2 SGB V übernommen, welche sich die Leistungsaufwendungen in voller Höhe vom zuständigen Sozialhilfeträger erstatten lässt (§ 264 Abs. 7 SGB V).386 Die Grundstruktur der Krankenhilfe nach dem Sozialhilferecht ist in § 48 SGB XII geregelt: Während Satz 1 dieser Vorschrift generell die Hilfeleistung bei Krankheit normiert, stellt Satz 2 klar, dass § 264 SGB V der herkömmlichen sozialhilferechtlichen Krankenhilfe in § 48 S. 1 SGB XII vorgeht. Damit kommt die Krankenhilfe nach § 48 S. 1 SGB XII nur noch in Ausnahmefällen zur Anwendung, die in § 264 Abs. 2 S. 2 SGB V umschrieben sind387.388 Durch § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V wurden die Sozialhilfeempfänger leistungsrechtlich den gesetzlich Krankenversicherten gleichgestellt.389 § 264 Abs. 4 S. 1 i. V. m. § 11 Abs. 1 SGB V erklärt dementsprechend für die Betroffenen den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung für anwendbar. Somit stehen auch diesem Personenkreis sämtliche Leistungen des SGB V zu. Im Unterschied zur früheren Rechtslage haben die von § 264 SGB V erfassten Sozialhilfeempfänger nunmehr aber auch die Praxisgebühr (§ 28 Abs. 4 SGB V) sowie Zuzahlungen nach Maßgabe der in den §§ 61 und 62 SGB V geregelten Zuzahlungs- und Belastungsgrenzen zu erbringen (§ 264 Abs. 4 S. 1 SGB V). 386 Die Übernahme der Krankenbehandlung für Sozialhilfeempfänger durch die Krankenkassen in § 264 SGB V erfolgte zum 1.1.2004 durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-ModernisierungsgesetzGMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190). 387 Danach erhalten Krankenhilfe nach § 48 S. 1 SGB XII nur: Sozialhilfeempfänger, die voraussichtlich nicht länger als einen Monat ununterbrochen HLU beziehen; Personen, die im Rahmen dieser Hilfe ausschließlich Beratung und Unterstützung (§ 11 Abs. 5 S. 3 SGB XII) oder nur die Kosten für eine angemessene Alterssicherung (§ 33 SGB XII) erhalten; Deutsche mit Sozialhilfebezug im Ausland (§ 24 SGB XII). 388 Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 48 Rn. 8. 389 Vgl. BT-Drs. 15/1525, 141.
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Wegen der Regelungen des § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II390 und des § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII391 trifft den Gefangenen nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug die Pflicht zum Kostenersatz für die gezahlten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder dem SGB XII, die seinen unterhaltsberechtigten Angehörigen gewährt wurden. Voraussetzung für die Kostenerstattung ist nach der Rechtsprechung des BVerwG zum früheren § 92a BSHG, an den die §§ 34 SGB II und 103 SGB XII anknüpfen, dass ein schuldhaft sozialwidriges Verhalten des Gefangenen, welches bei Straftaten regelmäßig angenommen wird, für die Hilfebedürftigkeit seiner Angehörigen kausal gewesen ist.392 Allerdings sieht das Gesetz in § 103 Abs. 1 S. 3 SGB XII ausdrücklich vor, dass von der Heranziehung zum Kostenersatz abgesehen werden kann, soweit sie eine Härte bedeuten würde. Nach § 34 Abs. 1 S. 2 SGB II ist von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII abhängig machen würde. Da viele Haftentlassene mitunter hoch verschuldet sind393, bedeutet die jeweilige Ersatzpflicht eine weitere Belastung, die nicht nur eine dauerhafte Abhängigkeit von staatlichen Unterstützungsleistungen erwarten ließe, sondern obendrein den Resozialisierungserfolg gefährden würde394. 390 Nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II ist derjenige, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. 391 Nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist zum Ersatz der Sozialhilfekosten verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat. 392 Grundlegend BVerwGE 51, 61, 62 f. und LS 1; außerdem VG Bremen ZfF 1966, 24; Hessischer VGH FEVS 18, 456; Best, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 74 Rn. 7, 15; Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 296; Kalhorn, in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 34 Rn. 6 ff.; Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 34 Rn. 12, 14, 23; Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 103 Rn. 7 f.; Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18. 393 Während Dünkel (Empirische Beiträge und Materialien zum Strafvollzug, 1992, S. 124; ders., in: Empirische Forschung im Strafvollzug, S. 37) nach einer Untersuchung in Schleswig-Holstein im Jahr 1989 die durchschnittliche Höhe der Schulden im Männervollzug mit 32.000 DM (im Frauenvollzug: ca. 25.000 DM) beziffert, ist für Kemter (S. 143, 146), der 1996 eine Erhebung zur Verschuldenssituation von 452 männlichen und 234 weiblichen Gefangenen durchführte, im Männervollzug eine durchschnittliche Verschuldung von 19.120 DM und im Frauenvollzug von 4.152 DM charakteristisch. Nach der Untersuchung Kemters schätzten über 50% der männlichen Gefangenen ihre Verschuldung mit über 10.000 DM ein, knapp 25% der Gefangenen sogar mit über 25.000 DM. Zu bedenken ist, dass diese Summen durch Zinsen, Vollstreckungsgebühren usw. zusätzlich ansteigen. Vgl. auch die zusammenfassende Darstellung verschiedener Erhebungen über die Verschuldung Straffälliger/Strafgefangener bei Brei, S. 151–178.
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Aus diesem Grund unterbleibt für die Strafentlassenen im Regelfall die Heranziehung zur Kostenerstattung.395 ff) Freiwillige Versicherung des Inhaftierten zur Begründung der Familienversicherung für die Angehörigen Ein anderer Weg zur Sicherung der Angehörigen könnte schließlich eine freiwillige Weiterversicherung des Gefangenen nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V sein, um den Familienmitgliedern auf diese Weise die Fortsetzung ihrer Familienversicherung gem. § 10 Abs. 1 SGB V zu ermöglichen. Allerdings dürfte den meisten Gefangenen die Zahlung freiwilliger Beiträge während der Haft finanziell unmöglich sein.396 Die Übernahme der Versicherungsbeiträge durch den Sozialhilfeträger gem. § 32 Abs. 1 SGB XII kommt in aller Regel nicht in Betracht.397 Zwar schließt allein die Verbüßung einer Freiheitsstrafe noch nicht die Gewährung von Sozialhilfe aus398, jedoch werden dem Inhaftierten wegen des Subsidiaritätsprinzips (§ 2 Abs. 1 SGB XII) Sozialhilfeleistungen nur bewilligt, soweit erforderliche Hilfeleistungen nicht im Rahmen des Strafvollzugs gedeckt werden.399 394 Bereits in der Regierungsbegründung zum 3. Änderungsgesetz des BSHG (BT-Drs. 7/308, 20) wurde darauf hingewiesen, dass es sich in Fällen fortdauernder sozialer Gefährdung, vor allem bei der Resozialisierung von Strafentlassenen, als wünschenswert erwiesen hat, höherrangigen sozialpolitischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen und von einer Heranziehung zum Kostenersatz abzusehen. Ferner Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 296; Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18. 395 AK-StVollzG-Feest/Bertram/Huchting, § 73 Rn. 15; Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 296; Zeitler, in: Mergler/Zink, BSHG, § 92a Rn. 26. Zurückhaltender OVG Lüneburg FEVS 43, 246, 250: Bei der Entscheidung über die Heranziehung zum Kostenersatz sei nicht die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgebend; vielmehr sei in die Prognose, welche Auswirkungen die Heranziehung auf die sozialen Fähigkeiten des Ersatzpflichtigen habe, die weitere Zukunft, also auch die Zeit nach der Haftentlassung, einzubeziehen. Demzufolge stelle eine ratenweise Rückzahlung bei Aussicht auf Beschäftigung nach der Strafhaft nicht von vornherein eine Härte dar. 396 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3; Rotthaus, in: FS für Rebmann, S. 412. 397 AK-StVollzG-Feest/Brühl, vor § 190 Rn. 39; Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 292; Mrozynski, Resozialisierung, S. 187; Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18; a. A. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3. 398 BVerwGE 32, 271, 274; 37, 87, 88; 51, 281; Luthe, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 2 Rn. 56. 399 Gleiches gilt im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip nach § 5 Abs. 1 SGB II auch für die Leistungsgewährung nach dem SGB II. Allerdings können Gefangene – wenn überhaupt – Unterhaltsleistungen nach diesem Gesetz nur erhalten, wenn sie weniger als sechs Monate in einer JVA untergebracht sind (§ 7 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 4 SGB II). Da sie in dem Fall aber kraft Gesetzes krankenversiche-
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Überdies besteht ein Anspruch nur dann, wenn einerseits nicht die Eigenart des Vollzugs die Hilfeleistung ausschließt und andererseits der mit der Hilfeleistung verfolgte Zweck ungeachtet der Strafhaft erreicht werden kann.400 Mit der Leistung i. S. d. § 32 Abs. 1 SGB XII wird bezweckt, dem Hilfe Suchenden den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz durch Abnahme der Beitragslast sicherzustellen. Da dem Strafgefangenen während des Vollzugs eine medizinische Versorgung nach dem Strafvollzugsgesetz zukommt, bestehen Zweifel an der Zweckerreichung, zumal er selbst aufgrund der Ruhensvorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V401 keine Ansprüche aus der freiwilligen Versicherung beanspruchen könnte.402 Da auch die ursprünglich familienversicherten Angehörigen beim Ausscheiden des Gefangenen aus der gesetzlichen Krankenversicherung ein eigenes Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V haben, müssen die Sozialhilfeträger nicht die Krankenversicherungsbeiträge für eine Weiterversicherung übernehmen.403 Da der Strafgefangene nicht in der Lage sein wird, die Beiträge aufzubringen, ist letztlich die freiwillige Weiterversicherung zum Zweck des Familienversicherungsschutzes für die Angehörigen keine zureichende Lösung. c) Die Situation der Angehörigen im Falle des Freigängerstatus des Insassen Wenn die Vollzugsbehörde dem Insassen gestattet, als Freigänger einer Beschäftigung auf Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses nachzugehen (§§ 11 Abs. 1 Nr. 1, 39 Abs. 1 StVollzG), wird nicht nur der Gefangene gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig404, sondern darüber hinaus können dessen (Ehe-)Partner und Kinder die Familienversicherung nach § 10 Abs. 1 SGB V begründen oder fortsetzen und Leistungen aus der Krankenversicherung beanspruchen405. rungspflichtig sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V), käme eine freiwillige Weiterversicherung in der Krankenversicherung zwecks Sicherung der Angehörigen ohnehin nicht in Betracht. 400 BVerwGE 51, 281, 282; OVG Münster ZfStrVo 1988, 243; Brühl, ZfStrVo 1986, 291; Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17. 401 Näher dazu im Zweiten Teil unter B. I. 1. 402 Schellhorn, ZfStrVo 1978, 17, 18 weist aber zu Recht darauf hin, dass die Kostenübernahme und daraus resultierende Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes im Einzelfall geboten sein kann, um für die Zeit nach der Entlassung Anspruchsverluste zu vermeiden. 403 Brühl, ZfStrVo 1986, 291, 292; Mrozynski, Resozialisierung, S. 187. 404 AK-StVollzG-Feest/Brühl, vor § 190 Rn. 4; Breuer, in: GK-SGB V, § 5 Rn. 32; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3; Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 5 Rn. 129.
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II. Nichteinbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung Wegen Aussparung der Strafhaft aus der Rentenversicherung sind die Gefangenen von einem weiteren, für die Sicherung im Alter, bei Invalidität und im Hinterbliebenenfall wichtigen Sozialversicherungszweig ausgeschlossen. Welche Rechtsnachteile gehen damit einher, insbesondere für Gefangene, die bisher sozialversichert waren? 1. Zeit der Strafverbüßung mit rentenrechtlichen Zeiten belegt? Um Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu beanspruchen, müssen neben dem Eintritt des Versicherungsfalls – Minderung der Erwerbsfähigkeit, Erreichen einer bestimmten Altersgrenze oder Tod des Versicherten – Vorversicherungszeiten und/oder Wartezeiten406 erfüllt werden. Diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen werden durch rentenrechtlich erhebliche Zeiten erfüllt, die dem Versicherten für die während seiner Lebensarbeitszeit ausgeübten Tätigkeiten zugerechnet werden. Durch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wird sichergestellt, dass derjenige Leistungen nur beanspruchen kann, wer der Versichertengemeinschaft angehört und Beiträge entrichtet hat.407 Fraglich ist, ob und gegebenenfalls mit welchen rentenrechtlichen Zeiten die Haftzeit von (ehemaligen) Strafgefangenen belegt sein kann. „Rentenrechtliche Zeiten“ ist der Oberbegriff für die im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigenden Zeiten. Nach der Legaldefinition des § 54 Abs. 1 SGB VI zählen zu den rentenrechtlichen Zeiten Beitragszeiten, beitragsfreie Zeiten und Berücksichtigungszeiten. a) Belegung mit Beitragszeiten Kann die Zeit der Inhaftierung eines Gefangenen mit Beitragszeiten belegt sein? Beitragszeiten sind nach § 55 Abs. 1 S. 1 SGB VI Zeiten, für die 405 Das Gleiche gilt auch dann, wenn der Gefangene als Rentenantragsteller oder krankenversicherter Rentner nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 und 12 SGB V der Versicherungspflicht unterliegt. Dass dessen Leistungen nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V ruhen, ist für den Bestand der Familienversicherung nicht entscheidend. Da die Familienversicherten zum Kreis der Versicherten gehören, ruht ihr Anspruch nur, wenn sie selbst einen Ruhenstatbestand erfüllen; s. KassKomm-Peters, § 16 SGB V Rn. 5. 406 Die in § 50 SGB VI genannten Wartezeiten sind nach der Legaldefinition in § 34 Abs. 1 SGB VI Mindestversicherungszeiten, die ein Versicherter vor Eintritt eines Versicherungsfalls zurückgelegt haben muss, damit ein Leistungsanspruch entsteht. 407 Gitter/Schmitt, § 25 Rn. 5.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI).408 aa) Belegung mit Pflichtbeiträgen oder freiwilligen Beiträgen Aufgrund der Suspendierung der Rentenversicherungspflicht (§ 198 Abs. 3 i. V. m. § 190 Nr. 1, 2 und 13 bis 18, § 191, § 192 Nr. 2 und 3 StVollzG) werden derzeit für arbeitspflichtige Strafgefangene keine Pflichtbeiträge an die Rentenversicherung abgeführt.409 Strafgefangene können aber prinzipiell die Zeit ihrer Inhaftierung durch Entrichtung freiwilliger Beiträge gem. § 7 Abs. 1 SGB VI in der Rentenversicherung belegen. Allerdings sind die Betroffenen aus finanziellen Gründen zumeist nicht in der Lage, monatlich den geforderten Beitrag zu zahlen.410 Abgesehen davon, dass die Mehrzahl der Gefangenen zu den einkommensschwachen Bevölkerungskreisen zählt, sind viele von ihnen obendrein überschuldet.411 Ein Straftäter ist unabhängig von seiner strafrechtlichen Verurteilung bei Vermögens-, Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten zivilrechtlich nach § 823 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Neben dem oder den Geschädigten sind die weiteren häufigsten Gläubiger eines Gefangenen: Gerichtskasse, Anwalt, Unterhaltsberechtigte, Banken/Finanzierungs- und Inkassobüros oder sonstige private Gläubiger (z. B. aus Kauf- oder Werkverträgen).412 Das Arbeitsentgelt, das die im Vollzug beschäftigten Gefangenen erhalten, ist gegenwärtig immer noch nicht leistungsadäquat und ausreichend, um von ihnen erwarten zu können, dass sie sich selbst um ihre Altersvorsorge kümmern. Nach § 200 StVollzG in der seit 1. Januar 2001 geltenden Fassung413 beträgt der Anspruch auf Arbeitsentgelt 9% der Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV (sog. Eckvergütung). Da408 Vgl. den Katalog an Vorschriften, für die Pflichtbeiträge als gezahlt gelten, in: KassKomm-Niesel, § 55 SGB VI Rn. 9. 409 Zur Diskussion um die Versagung der Versicherungspflicht bei Gefangenen wegen Fehlens eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses, vgl. oben Zweiter Teil, A. II. 2. a). 410 Böhm, Strafvollzug, Rn. 317; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 193 Rn. 3; Neumann-Duesberg, DOK 1977, 8, 13; Pawlita, ZfSH/SGB 1999, 67, 70. 411 Vgl. Fn. 393. 412 Die Reihenfolge der Aufzählung soll keine Rangfolge der Gläubigergruppen nach der Forderungshöhe wiedergeben. Diesbezüglich wird z. B. auf die Erhebung von Kemter, S. 161 verwiesen. 413 Näheres zur Entwicklung der Arbeitsentgeltregelung für Strafgefangene im Zweiten Teil unter D. III. 1., 2. a).
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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nach betrug im Jahr 2006 der Tagessatz für einen Gefangenen 10,58 e (in den alten Bundesländern) bzw. 8,92 e (in den neuen Bundesländern); ein Gefangener kam somit auf einen monatlichen Verdienst von rund 222 e (West) bzw. 187 e (Ost). Zum Vergleich: Der freiwillige Mindestbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung betrug im gleichen Jahr 78 e. Ein Gefangener in den alten Bundesländern hätte demnach mehr als 35%, einer in den neuen Bundesländern sogar mehr als 41% seines Arbeitsentgelts allein nur für die Beitragsentrichtung aufwenden müssen. Da der Gesetzgeber mit Einführung des Arbeitsentgelts dem Gefangenen ermöglichen wollte, zum Lebensunterhalt seiner Angehörigen beizutragen, Schaden aus seiner Straftat wieder gutzumachen, Kosten des Gerichtsverfahrens zu tilgen und Ersparnisse für den Übergang in das Leben nach der Entlassung zurückzulegen414 und die Entlohnung schon für diese Zwecke kaum ausreicht, ist es unrealistisch von Inhaftierten zu verlangen, sich freiwillig zu versichern. Auf eine Unterstützung durch den zuständigen Sozialhilfeträger (§ 98 Abs. 4 SGB XII) in Form einer Beitragsübernahme gem. § 33 SGB XII (bisher: § 14 BSHG) kann die Mehrzahl der Gefangenen nicht hoffen.415 Nach § 33 SGB XII können Sozialhilfeträger die erforderlichen Kosten übernehmen, um die Voraussetzungen eines Anspruchs auf eine angemessene Alterssicherung zu erfüllen. Regelungszweck der Norm ist der Schutz vor einer drohenden Notlage im Alter416, die dadurch eintreten kann, dass eine begonnene (gesetzliche oder private) Alterssicherung mit eigenen Mitteln nicht fortgesetzt werden kann.417 Die Angemessenheit der Alterssicherung ist zu bejahen, wenn die aufzubringenden Beiträge in einem angemessenen Verhältnis zur künftig zu erwartenden Leistung stehen und diese dem Leistungsberechtigten ermöglicht, im Alter unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu leben.418 Nicht ein bestimmter Betrag ist als angemessen anzusehen; vielmehr steht die Erfüllung der rentenversicherungsmäßigen Wartezeiten im Vordergrund.419 Mit der Kostenübernahme kann zu rechnen sein, wenn der Hilfe Suchende die für einen Rentenanspruch notwendige Wartezeit i. S. d. § 50 SGB VI fast erfüllt, anlässlich seines Alters, Gesundheits414
Amtliche Begründung BT-Drs. 7/918, 67. Die Norm werde in der Praxis nur äußerst zurückhaltend angewendet (so Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 33 Rn. 8). Vgl. auch das Beispiel bei Böhm, Strafvollzug, 2. Aufl.1986, S. 183 (Fn. 314). 416 BayVGH FEVS 31, 464, 467; Birk, in: LPK-BSHG, § 14 Rn. 8. 417 OVG Hamburg FEVS 49, 423, 425; BayVGH FEVS 53, 570; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 33 Rn. 1, 4. 418 BVerwGE 85, 102, 104; OVG Saarlouis FEVS 42, 126, 129; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 33 Rn. 7. 419 BayVGH FEVS 31, 464, 467; OVG Saarlouis FEVS 42, 126, 129; BayVGH FEVS 53, 570, 572. 415
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
zustandes oder aus anderen persönlichen Gründen aber zu erwarten ist, dass er nicht mehr in der Lage sein wird, die für die Wartezeiterfüllung noch fehlenden Monate mit Beiträgen zu belegen.420 Deswegen können lediglich ältere sowie zu langen Freiheitsstrafen verurteilte Gefangene, welche die Wartezeiten weitgehend erfüllt haben und erst nach Erreichen des Rentenalters aus der Haft entlassen werden, in den Genuss der Kostenübernahme seitens des Sozialamts kommen;421 jüngere Gefangene können hingegen nicht mit einer Kostenübernahme nach § 33 SGB XII rechnen. Die Ablehnung der Kostentragung sei nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Hilfe Suchende noch jung und voll erwerbsfähig ist und dies die Prognose rechtfertigt, dass er bei einem zu erwartenden gewöhnlichen Lebensverlauf noch ausreichende eigene Beiträge für seine Altersvorsorge aufbringen wird.422 bb) Belegung mit fiktiven Pflichtbeitragszeiten Zeiten der Haftstrafenverbüßung können durch eine Pflichtbeitragszeit i. S. d. § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI belegt sein, die mit der Inhaftierung selbst in keinem Zusammenhang steht. In Betracht kommen könnte die Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach § 56 Abs. 1 SGB VI. Nach dieser Norm gelten für Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren Pflichtbeiträge als gezahlt. Die Anrechnung einer Kindererziehungszeit erfolgt unter folgenden Voraussetzungen: 1. Eine Person ist ein Elternteil und erzieht ein Kind, 2. die Erziehungszeit ist diesem Elternteil zuzuordnen, 3. die Erziehung ist im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt oder steht einer solchen gleich und 4. der Elternteil ist nicht von der Anrechnung ausgeschlossen. Unter Erziehung ist gemeinhin die Sorge für die körperliche, seelische und geistige Entwicklung eines Kindes zu verstehen.423 Fraglich ist aber: Kann die Erziehung eines Kindes durch ein Elternteil erfolgen, der eine Freiheitsstrafe im Justizvollzug verbüßt? Diese Frage dürfte zu bejahen 420
OVG Hamburg FEVS 49, 423, 425; Birk, in: LPK-BSHG, § 14 Rn. 8; Dauber, in: Mergler/Zink, BSHG, § 14 Rn. 5; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 33 Rn. 7. 421 Mrozynski, Resozialisierung, S. 188. 422 OVG Saarlouis FEVS 42, 126, 130; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 33 Rn. 6, 8. 423 BSGE 68, 171, 176; KassKomm-Gürtner, § 56 SGB VI Rn. 21; Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 56 Rn. 11; Löns, in: Kreikebohm, SGB VI, § 56 Rn. 6; KomGRV § 56 SGB VI Rn. 2.2.
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sein, falls eine Erziehungsaufgabe tatsächlich ausgeführt wird. Kindererziehungszeiten können zunächst einmal für diejenigen Mütter vorgemerkt werden, die gem. § 80 StVollzG mit ihrem noch nicht schulpflichtigen Kind innerhalb der Vollzugsanstalt in einer Mutter-Kind-Einrichtung (§ 142 StVollzG) untergebracht sind.424 Ungeachtet ihres Aufenthaltes in einer JVA ist es nicht ausgeschlossen, dass sie sämtliche aufgezählten Anrechnungsvoraussetzungen des § 56 Abs. 1 SGB VI erfüllen. Folglich könnte durch die Kindererziehung wenigstens ein Teil ihrer Haftzeit mit rechtserheblichen Zeiten für die gesetzliche Rentenversicherung belegt werden, sofern sich Kindererziehung und Strafvollzug zeitlich überschneiden. Umstritten ist, ob § 80 StVollzG entsprechend auch für Väter gilt. Der Gesetzeswortlaut spricht eindeutig dagegen, da er nur auf weibliche Gefangene abstellt. Im Hinblick auf das in Art. 3 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 GG normierte Gebot der Gleichberechtigung von Frauen und Männern hält es das überwiegende Schrifttum425 in geeigneten Fällen aber für geboten, § 80 StVollzG analog auch auf eine Männerstrafanstalt (mit einer besonderen „Vater-Kind-Einrichtung“426) anzuwenden. Dem ist zuzustimmen. Für eine gelingende Sozialisation ist nicht eine durch Abstammung und Geburt begründete Nähe zwischen Mutter und Kind erforderlich, sondern die intensive fürsorgliche Beziehung zu einer Kontaktperson überhaupt, die genauso wie die Mutter auch der Vater sein kann.427 Die Vorstellung von der klassischen Rollenverteilung – Vater verdient den Lebensunterhalt, Mutter erzieht die Kinder – ist heutzutage nicht nur überholt, sondern vor allem mit Art. 3 Abs. 2 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar. Sie kann der analogen Anwendung des § 80 StVollzG insofern nicht entgegenstehen. Bei Verhinderung der Mutter muss deshalb unter dem Aspekt der Gleichbehand424 Die Vorschrift zieht Konsequenzen aus dem Gegensteuerungsgrundsatz des § 3 Abs. 2 StVollzG, wonach schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken ist. Sie will Schäden in der Persönlichkeitsbildung und sozialen Entwicklung abwenden, die dem Kind in den ersten Lebensjahren durch die Trennung von der Mutter, die i. d. R. die ständige Bezugsperson ist, entstehen würden. Wenn es somit dem Wohl des Kindes dient, kann es nach Anhörung des Jugendamtes mit der Mutter in der Vollzugsanstalt untergebracht werden (vgl. z. B. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 80 Rn. 1; Steinhilper, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, § 80 Rn. 1). 425 AK-StVollzG-Feest/Bammann/Quensel, § 80 Rn. 9; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 80 Rn. 1 und § 142 Rn. 1; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 687. 426 Das OLG Hamm (NStZ 1983, 575) lehnte zum Wohle des Kindes dessen Aufnahme in eine normale Männerstrafvollzugsanstalt ab, weil dort die äußeren Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung nicht vorhanden gewesen sind und die Sicherheit als gefährdet angesehen wurde. Im Umkehrschluss ist daraus zu folgern, dass das Gericht bei Vorhandensein einer besonderen Einrichtung und entsprechender Voraussetzungen eine analoge Anwendung des § 80 StVollzG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält. 427 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 142 Rn. 1.
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lung auch eine Aufnahme des Kindes beim inhaftierten Vater möglich sein, vorausgesetzt, die Unterbringung entspricht dem Kindeswohl. Neben der Vermeidung von Sozialisationsschäden für das Kind sollte auch der Resozialisierungsfaktor für den Straftäter berücksichtigt werden, der durch die Verbindung zu seinem Kind soziale Verantwortung tragen muss.428 Bammann/Quensel heben im Übrigen hervor, dass der Schutz der Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG der maßgebliche Prüfungsmaßstab sein müsse.429 Das BVerfG hat sich zur Frage eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG bei Ablehnung gemeinsamer Unterbringung des Kindes mit seinem inhaftierten Vater nicht geäußert, weil in dem betreffenden Fall schon das Kindeswohl dagegen sprach; es hat in der Ablehnung allerdings keine Verletzung des Art. 6 GG gesehen.430 Insgesamt mag diese Problematik nur selten vorkommen. Doch unter dem Blickwinkel der hier zu untersuchenden rentenversicherungsrechtlichen Situation bedeutet dies, dass es für männliche Gefangene nicht gänzlich ausgeschlossen ist, für eine zumindest mögliche Erziehung eines Kindes im Vollzug auch eine entsprechende Kindererziehungszeit vormerken zu lassen. Es wäre wünschenswert, zugunsten der Väter eine Änderung des § 80 StVollzG vorzunehmen.431 Dies würde neben der familiären, verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung gleichzeitig sozialversicherungsrechtliche Vorteile mit sich bringen. Kann eine Kindererziehungszeit nach § 56 SGB VI aber auch dann bei einem im Strafvollzug einsitzenden Elternteil angerechnet werden, wenn dieser und das Kind nicht gemeinsam in einer Vollzugsanstalt untergebracht sind? Die Antwort hängt davon ab, ob trotz räumlicher Trennung die Erziehung eines Kindes erfolgen kann. Dagegen spricht, dass die Erziehung eines Kindes i. S. d. § 56 SGB VI nur möglich ist, wenn der Elternteil nicht nur gewillt, sondern auch in der Lage ist, die Erziehungsaufgaben wahrzunehmen. Sie bestehen im Aufbau einer Eltern-Kind-Beziehung und deren Aufrechterhaltung.432 Um dieser Aufgabe zu genügen, ist ein regelmäßiger Kontakt zwischen der Erziehungsperson und dem Kind unumgänglich. Jener regelmäßige Kontakt ist aber ohne Zusammenleben von erziehendem Elternteil und Kind denkbar. Denn für die Erziehung ist weder eine häusliche Gemeinschaft von Kind und Erzieher433 (außer bei Pflege- oder Stiefeltern) 428 Der Gesetzgeber erwartete, durch die gemeinsame Unterbringung von Mutter und Kind die soziale Verantwortung der Mutter zu stärken (BT-Drs. 7/918, 76). Es ist davon auszugehen, dass die gleiche Wirkung auch beim Vater erzielt würde. 429 AK-StVollzG-Feest/Bammann/Quensel, § 80 Rn. 9. 430 Beschluss des BVerfG v. 27.2.1989 – 2 BvR 573/88 – in: ZfStrVo 1991, 372. 431 So schon Bammann/Quensel, in: AK-StVollzG-Feest, § 80 Rn. 9. 432 BSG, Urteil v. 8.10.1992 – 13 RJ 47/91 –, bei Juris: Nr. KSRE010343414, S. 6.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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noch die elterliche Sorge (§ 1626 Abs. 1 BGB) des Erziehenden zwingende Voraussetzung.434 Deshalb ist eine Erziehung durch die Mutter sogar dann anzuerkennen, wenn das Kind bei den Großeltern lebt, die Mutter aber über die Großeltern durch konkrete Erziehungsmaßnahmen auf die Erziehung des Kindes einwirkt.435 Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr weisen demnach zu Recht darauf hin, dass somit eine Kindererziehungszeit auch dann bei der Mutter vorzumerken ist, wenn diese für einen längeren Zeitraum (z. B. aus beruflichen Gründen, durch Inhaftierung oder Krankenhausaufenthalt der Mutter oder des Kindes) von dem Kind getrennt lebt, wenn sie trotz der räumlichen Trennung die Erziehung des Kindes beeinflussen kann.436 Nur die endgültige Trennung, sei es, dass sich der Erziehende überhaupt nicht mehr um das Kind kümmert, das Sorgerecht entzogen wurde oder das Kind an künftige Pflege- oder Adoptiveltern abgegeben oder in einem Heim untergebracht wird, beendet den Tatbestand der Erziehung.437 Seit 1. Januar 1992 ist die Zuordnung der Kindererziehungszeit bei gemeinsamer Erziehung der Entscheidung der Eltern überlassen. Sie können nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VI durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil die Kindererziehungszeit zugeordnet werden soll. Der Begriff der gemeinsamen Erziehung ist im Gesetz nicht definiert. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.438 Deshalb ist es der alleinigen Entscheidung der Eltern zu überlassen, in welchem Ausmaß und mit welcher Intensität sie sich der Erziehung widmen wollen. Dies haben der Staat und seine Untergliederungen hinzunehmen und nicht die Gewichtung der elterlichen Erziehungsbeiträge durch Zuoder Aberkennung von Pflichtversicherungszeiten zu honorieren oder für unbeachtlich zu erklären.439 Bei getrennt lebenden Eltern kann eine gemeinsame Erziehung vorliegen, sofern der getrennt lebende Elternteil regelmäßigen Kontakt zu „seinem“ Kind hat und Einfluss auf dessen Erziehung ausübt.440 Gemeinsame Erziehung muss nicht zu gleichen Anteilen wahrgenommen werden; es genügt, wenn ein Elternteil an der Erziehung mit433
A.A. Fichte, SGb 1987, 183, 185; Löns, in: Kreikebohm, SGB VI, § 56 Rn. 6. BSGE 32, 117, 118; KomGRV § 56 SGB VI Rn. 2.2; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, RV II – SGB VI, § 56 Rn. 13 f. 435 BSG, Urteil v. 8.10.1992 – 13 RJ 47/91 –, bei Juris: Nr. KSRE010343414, S. 7; vgl. auch BSG, Urteil v. 29.3.1978 – 5 RJ 4/77 – SozR 2000 § 1265 Nr. 32. 436 Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, RV II – SGB VI, § 56 Rn. 14; ebenso KassKomm-Gürtner, § 56 SGB VI Rn. 21. 437 Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, RV II – SGB VI, § 56 Rn. 14. 438 BVerfGE 99, 216, 231; BSGE 68, 171, 175 f. 439 BSGE 68, 171, 176. 440 Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, RV II – SGB VI, § 56 Rn. 26. 434
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wirkt.441 Folglich kann durch übereinstimmende Erklärung beider Elternteile die Kindererziehungszeit ganz oder teilweise (§ 56 Abs. 2 S. 4 SGB VI) dem Vater zugeordnet werden, selbst wenn dieser das Kind nicht überwiegend erzogen hat.442 Mithin muss einem Strafgefangenen, der nur einen untergeordneten Erziehungsbeitrag leistet und dennoch ein VaterKind-Verhältnis aufbaut, bei übereinstimmender Erklärung beider Elternteile im Einzelfall443 eine Kindererziehungszeit angerechnet werden können. Es kann rechtlich keinen Unterschied machen, ob das Kind bei den Großeltern lebt und die Mutter Einfluss auf die Erziehung ausübt, oder ob das Kind bei der (vielleicht sogar berufstätigen) Mutter lebt und der Vater auf die Erziehung Einfluss nimmt. Eine Erziehungszeit vorzumerken, wenn die „eigentliche“ Erziehung von dem anderen Elternteil vorgenommen wird, ist nicht als Missbrauch zu werten, wenn sich der Gefangene mit seiner Ehefrau einig ist, die Zeiten der Kindererziehung, die im System der Rentenversicherung unmittelbar leistungsbegründend und -erhöhend berücksichtigt werden, ihm zuzuordnen, um damit einen Teil der Haftzeit zu belegen. Die Beweggründe für die Anrechnung beim Vater sind unerheblich, jedenfalls vom Rentenversicherungsträger nicht zu berücksichtigen. Der Grundsatz des § 56 Abs. 2 S. 9 SGB VI, dass für die Zuordnung der Erziehungszeit maßgebend ist, wer das Kind „überwiegend erzogen“ hat, greift nur, falls keine übereinstimmende Erklärung der Elternteile abgegeben wurde. Wenn allerdings der Gefangene einen für die Anerkennung einer Kindererziehungszeit ausreichenden mitwirkenden Erziehungsbeitrag geleistet hat – was sich nur im Einzelfall beurteilen lässt – und auch eine gemeinsame Erklärung der Eltern über die Zuordnung der Erziehungszeit vorliegt, sieht es die Rechtslage so vor, diese auch entsprechend vorzumerken. Der Sicherungszweck der Erziehungszeit, demjenigen, der Kinder erzieht, einen eigenständigen und für ihn beitragsfreien Rentenversicherungsschutz und damit eine soziale Sicherung zu verschaffen, kann einem Strafgefangenen nicht vorenthalten werden. 441 BSGE 68, 171, 175 f.; KassKomm-Gürtner, § 56 SGB VI Rn. 26; Zweng/ Scheerer/Buschmann/Dörr, RV II – SGB VI, § 56 Rn. 26. 442 Die Entscheidung des BSG v. 16.12.1997 – 4 RA 60/97 – SozR 3–2600 § 56 Nr. 10 steht dem nicht entgegen. Nach Ansicht des Gerichts sei – auch bei leiblichen Eltern – die Erziehungszeit nach § 56 Abs. 2 S. 9 SGB VI zwar grds. demjenigen zuzuordnen, der das Kind überwiegend erzogen habe. Dieser Grundsatz greife aber dann nicht, wenn sich die Zuordnung der Erziehungszeit bereits zwingend aus der übereinstimmenden Erklärung der Eltern gem. § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VI ergebe. 443 Z. B. wenn dem Gefangenen Freigang nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG gewährt werden kann, um sich intensiv der Erziehung des Kindes zuwenden zu können („Hausmänner- oder Hausfrauenfreigang“); möglicherweise auch bei einem mindestens mehrstündigen wöchentlichen Besuch zwischen dem einsitzenden Elternteil und dem Kind sowie einer über den anderen Elternteil einwirkenden Erziehung.
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Sonstige Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 S. 2 SGB VI können die Haftzeit nicht abdecken. Eine Nachzahlung bei Strafverfolgungsmaßnahmen nach § 205 Abs. 1 S. 3 SGB VI scheidet aus, weil die Norm nur für unschuldig Inhaftierte gilt. b) Gleichsetzung der Strafhaft mit beitragsfreien Zeiten? Können Zeiten eines Freiheitsentzugs den rentenrechtlich erheblichen beitragsfreien Zeiten i. S. d. § 54 Abs. 4 SGB VI gleichgesetzt werden? Beitragsfreie Zeiten sind Zeiträume in der persönlichen Rentenbiografie, in denen der Versicherte an der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gehindert war, die Nichtarbeit jedoch auf sozial anerkennenswerten Gründen beruht.444 Deshalb werden auch diese Zeiten der Rentenberechnung, d.h. der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte, zugrunde gelegt, ohne dass für sie Beiträge gezahlt wurden oder als gezahlt gelten.445 Zu den beitragsfreien Zeiten zählen namentlich Anrechnungszeiten (§§ 58, 252 f. SGB VI), Ersatzzeiten (§ 250 SGB VI) und die Zurechnungszeit (§ 59 SGB VI). Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen der Versicherte aus individuell nicht zu vertretenden Gründen oder, um sich auf eine künftige Erwerbstätigkeit vorzubereiten, keine beitragspflichtige Beschäftigung ausübte: Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, Schwanger- und Mutterschaft, Arbeitslosigkeit sowie Schul-, Fach- und Hochschulausbildung. Ersatzzeiten sind Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen der Versicherte ein von der staatlichen Gemeinschaft verlangtes oder von ihr zu vertretendes Opfer erbracht hat und infolgedessen keine Erwerbstätigkeit ausüben konnte446: Zeiten des Kriegsdienstes, der Kriegsgefangenschaft, der Internierung oder Verschleppung, des Gewahrsams aus politischen Gründen und Zeiten der Freiheitsentziehung im Beitrittsgebiet. Die Zurechnungszeit soll verhindern, dass Versicherte oder deren Hinterbliebene keine ausreichende Rente erhalten, weil der Versicherte vor Vollendung des 60. Lebensjahres vermindert erwerbsfähig wurde oder verstarb.447
444 445 446 447
Eichenhofer, Rn. 326. Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 54 Rn. 12 f. BVerfG SozR 2200 § 1251 Nr. 47 und 90. Eichenhofer, Rn. 326; Löns, in: Kreikebohm, SGB VI, § 59 Rn. 2.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
aa) Anrechnungszeit Nach Rechtsprechung des BSG448 können Zeiten eines strafrechtlichen Freiheitsentzugs den in § 58 SGB VI aufgeführten Anrechnungszeiten449 nicht gleichgesetzt werden. Anrechnungszeiten sollen einen Versicherten vor rentenversicherungsrechtlichen Nachteilen schützen, die dadurch eingetreten sind, dass er durch bestimmte in seiner Person liegende Umstände unverschuldet gehindert war, Pflichtbeiträge zu leisten, die er sonst gezahlt hätte.450 Die Verbüßung einer Strafhaft zählt nach Ansicht des BSG bis dato weder nach Wortlaut noch Begriffsinhalt zu den als sozialversicherungsrechtlich anerkennenswerten Tatbeständen.451 Im Gegenteil: Gerade die noch nicht in Kraft getretene strafvollzugsgesetzliche Sonderregelung der Sozialversicherung für Gefangene mache deutlich, dass die geltende Rechtslage erst beseitigt und die derzeit für die Betroffenen negative, schutzverneinende Gesetzeslage in eine positive, schutzbejahende umgewandelt werden solle. Dass die Haftzeiten in der Rentenversicherung bisher unberücksichtigt bleiben, sei keine planwidrige Gesetzeslücke, die von der Rechtsprechung in sach- und zweckgerechter Weise ausgefüllt werden könne.452 bb) Ersatzzeit Fraglich ist, ob Zeiten einer Strafhaft den in § 250 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 5a SGB VI genannten Ersatzzeittatbeständen gleichgestellt werden könnten. Nach § 250 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI wird für Versicherte eine Ersatzzeit angerechnet, die in Gewahrsam genommen worden sind oder im Anschluss daran wegen Krankheit arbeitsunfähig oder unverschuldet arbeitslos gewesen sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes453 gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3. Oktober 448
Vgl. die Rechtsprechung zu den früher geltenden Ausfallzeiten nach § 1259 RVO (bzw. § 36 AVG für die Angestelltenversicherung oder § 57 RKG für die knappschaftliche Versicherung): BSG NJW 1989, 190, 191. 449 Die Anrechnungszeiten entsprechen im Wesentlichen den Ausfallzeiten des früheren Rechts; vgl. Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 58 Rn. 6. 450 BT-Drs. 2/2437, 74; BSGE 16, 120, 122; 30, 158, 161; 32, 229, 230; 35, 234, 235; 41, 41, 49; 42, 86; BSG NZS 1997, 368; Försterling, GK-SGB VI, § 58 Rn. 20; KassKomm-Niesel, § 58 SGB VI Rn. 2; Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 58 Rn. 2 f. 451 BSG NJW 1989, 190, 191. 452 BSG ebd. 453 Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz – HHG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 2.6.1993 (BGBl. I, 838).
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1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben454. Zum Personenkreis des § 1 HHG gehören deutsche Staatsangehörige oder deutsche Volkszugehörige, die nach der Besetzung ihres Aufenthaltsortes oder nach dem 8. Mai 1945 im Beitrittsgebiet oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten455 aus politischen und von ihnen nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden. Gewahrsam ist ein Festgehaltenwerden auf eng begrenztem Raum unter dauernder Überwachung (§ 1 Abs. 5 S. 1 HHG). Politisch war der Gewahrsam, wenn er nach den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden rechtsstaatlichen Grundsätzen auch unter Berücksichtigung der traditionellen Anschauungen im Gewahrsamsgebiet nicht vertretbar, d.h. rechtsstaatswidrig war.456 Nach § 250 Abs. 1 Nr. 5a SGB VI werden Zeiten der Freiheitsentziehung im Beitrittsgebiet (DDR und Ost-Berlin) in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 30. Juni 1990 sowie Zeiten einer anschließenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit als Ersatzzeit berücksichtigt, soweit bezüglich dieser Freiheitsentziehung zugunsten des Versicherten eine auf Rehabilitierung oder Kassation erkennende Entscheidung ergangen ist. Freiheitsentziehung ist – ähnlich dem Gewahrsam – der vollständige und nachhaltige Ausschluss eines Betroffenen von der allgemeinen Lebensumwelt durch Beschränkung seines Aufenthalts auf einen eng begrenzten Raum (Zelle, Lager, Gebäudekomplex) unter dauernder Bewachung seitens der öffentlichen Gewalt.457 Die der Freiheitsentziehung zu454 Der Halbsatz „oder nur deshalb nicht gehören . . .“ trägt dem Umstand Rechnung, dass das HHG im Beitrittsgebiet zunächst nur auf Personen anzuwenden war, die nach dem 3. Oktober 1990 und vor dem 1. Januar 1993 dort ihren ständigen Aufenthalt begründet haben [Anl. I Kap. II Sachgebiet D Abschnitt III Nr. 3 Buchstabe a des Einigungsvertrages v. 31.8.1990 (BGBl. II, 889, 920) geändert durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung des Verhältnisses von Kriegsfolgengesetzen zum Einigungsvertrag vom 20.12.1991 (BGBl. I, 2270)]. Die Ausnahmeregelung zugunsten bereits vor dem 3. Oktober 1990 im Beitrittsgebiet lebender Versicherter ist durch die Fortentwicklung des HHG überholt. Nach § 26 Abs. 1 HHG gilt jenes Gesetz nunmehr uneingeschränkt auch im Beitrittsgebiet (vgl. dazu Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 250 Rn. 245). 455 Hierbei handelt es sich um die früheren deutschen Ostgebiete, Danzig, Estland, Lettland, Litauen, die ehemalige Sowjetunion, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, das ehemalige Jugoslawien, Albanien und China. 456 Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 250 Rn. 256. 457 Unter Freiheitsentziehung sind insbesondere die freiheitsentziehenden Zwangsmaßnahmen der Straf-, Untersuchungs- und Auslieferungshaft, der vorläufigen Festnahme, der Einweisung in ein Jugendhaus, der Einweisung in Arbeitserziehung und der Einweisung in psychiatrische Anstalten zu verstehen, auch soweit sie nicht auf gerichtlichen Entscheidungen beruhen; Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 250 Rn. 265.
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grunde liegende strafrechtliche Entscheidung muss durch eine rechtskräftige gerichtliche Kassations- oder Rehabilitierungsentscheidung aufgehoben worden sein.458 Die Rechtsinstitute der Kassation und Rehabilitierung dienten im Wesentlichen dem Zweck der Beseitigung rechtsstaatswidriger Entscheidungen der SED-Strafjustiz, die sich zur Durchsetzung der willkürlichen Rechtspraxis der DDR sowohl des politischen als auch des „gewöhnlichen“ Strafrechts bediente.459 Mit beiden Ersatzzeittatbeständen wird Versicherten eine soziale Entschädigung dafür geleistet, dass sie aufgrund ihrer erlittenen Haftzeiten keine beitragspflichtige Beschäftigung ausüben konnten. Da eine Versicherung aus Gründen unterblieben ist, die in die politische Verantwortung der Gesellschaft fallen460, wird das von den Versicherten erbrachte Opfer als rentenversicherungsrechtliche Zeit entgolten. Damit wird der Nachteil fehlender Altersvorsorge während der Haftzeit ausgeglichen. Könnten diese Regelungen analog auf Strafgefangene angewendet werden? Auch Strafgefangene sind während der Strafhaft an der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gehindert. Dieser Personenkreis kann infolgedessen in dieser Zeit ebenso wenig für eine ausreichende Altersvorsorge sorgen. Parallelen zu den benannten Ersatzzeittatbeständen sind somit durchaus gegeben. Mögen die Hintergründe für die jeweiligen Haftzeiten auch verschieden sein, die Folgen sind jedenfalls identisch. Gleichwohl ist eine Analogie nicht zu ziehen. Es fehlt dafür bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Zeiten einer Strafhaft sind vom Normzweck der Ersatzzeiten nicht umfasst. Ersatzzeiten verwirklichen das Prinzip sozialer Entschädigung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit den in § 250 Abs. 1 Nr. 5 und 5a SGB VI normierten Ersatzzeittatbeständen werden die Versicherten deswegen entschädigt, weil sie zu Unrecht inhaftiert wurden. Es ist sozialadäquat, dass die Solidargemeinschaft für Versorgungsnachteile von Betroffenen einzustehen hat, die auf rechtswidrigen Ein458 Die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen erfolgte nach §§ 311 ff. StPODDR (i. d. F. v. 19.12.1974, GBl. DDR 1975 I, 62). Die Rehabilitierung erfolgte zunächst aufgrund der Vorschriften des Rehabilitierungsgesetzes v. 6.9.1990 (GBl. DDR I, 1459), das nach dem Einigungsvertragsgesetz v. 23.9.1990 (BGBl. II, 1240) mit geringfügigen Änderungen als Bundesrecht auch nach dem 3. Oktober 1990 weiter galt. Das Rehabilitierungsgesetz wurde mit Wirkung v. 4.11.1992 durch das Erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz (1. SED-UnBerG) v. 29.10.1992 (BGBl. I, 1814) aufgehoben und durch das als Art. 1 des 1. SED-UnBerG verkündete Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) ersetzt. 459 Vgl. BT-Drs. 12/826, 17. 460 Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 250 Rn. 2.
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griffen beruhen, die dem staatlichen Verantwortungsbereich zuzurechnen sind. Da Strafgefangene hingegen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verurteilt sind und somit rechtmäßig in Haft sitzen, würde ein entsprechender Ausgleich für deren Folgen im Widerspruch zu dem Normzweck der sonstigen Ersatzzeiten stehen. Der Beitragsausfall, den Strafgefangene erleiden, hat seine Ursache nicht in einem von ihnen nicht zu vertretenden hoheitlichen Eingriff, sondern ist deren Lebens- und Verantwortungsbereich zuzurechnen. Aus den gleichen Erwägungen fehlt es auch an einer vergleichbaren Interessenlage, weshalb eine analoge Anwendung ausgeschlossen ist. Eine Gleichsetzung einer Strafhaft mit beitragsfreien Zeiten findet mithin nicht statt. Im Übrigen würde – selbst wenn eine analoge Anwendung in Betracht käme – eine Gleichstellung heutiger Haftzeiten mit den sonstigen Ersatzzeittatbeständen schon deshalb nicht mehr möglich sein, da Ersatzzeiten nur für Zeiten bis zum 31. Dezember 1991 berücksichtigt werden. 2. Bedeutung fehlender rentenrechtlicher Zeiten für spätere Rentenansprüche Da die Zeit einer Inhaftierung im Strafvollzug nur selten mit rentenrechtlich erheblichen Zeiten belegt ist, hinterlässt die Freiheitsstrafe deshalb weitgehend ohne Ausnahme eine Lücke in der jeweiligen Versichertenbiografie. Wie wirkt sich das auf spätere Rentenansprüche aus? Die Höhe einer Rentenleistung hängt zum einen von der Anzahl der dem Versicherten zugerechneten rentenrechtlichen Zeiten ab. Je mehr rentenrechtliche Zeiten ein Versicherungsverlauf aufweist, desto höher ist der Rentenanspruch.461 Zum anderen hängt die Rentenleistung eines Versicherten von seinem während der rentenrechtlichen Zeiten bezogenen Einkommen – dagegen nicht von der Höhe der gezahlten Beiträge – oder von einem fiktiven Einkommen ab. Die Rente ist umso höher, je höher das Einkommen eines Versicherten während eines bestimmten Zeitabschnitts im Verhältnis zum Einkommen aller Versicherten war.462 Die wegen der Inhaftierung auftretende Lücke im Versicherungsverlauf hat für einen Gefangenen zur Folge, dass trotz Arbeitsleistung im Vollzug ein mitunter beträchtlicher Teil der Lebensarbeitszeit für die Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrente ausfällt.463 Dem Versicherten fehlen bei der späteren Rentenberechnung „die nötigen Jahre“. Das bewirkt merkliche Einbußen in der Rentenhöhe, da sich diese gem. § 63 Abs. 1 SGB VI vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten 461 462 463
Eichenhofer, Rn. 324. Eichenhofer, Rn. 324. Schorn, NZS 1995, 444, 445.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen richtet. Infolge der suspendierten Rentenversicherungspflicht droht somit vielen, insbesondere zu hohen Strafen verurteilten Gefangenen, später der Erhalt einer nur geringen Rente. Im schlimmsten Fall kann die Haftzeit sogar gänzlich zum Scheitern von Rentenansprüchen führen, falls erforderliche Wartezeiten gem. § 50 Abs. 2–4 SGB VI nicht erfüllt werden. Beide Rechtsfolgen erklären, weshalb viele (ehemalige) Gefangene und ihre Familien ihren Lebensunterhalt im Alter ohne Unterstützung durch den Sozialhilfeträger nicht bestreiten können.464 Die fehlende Rentenversicherungspflicht demotiviert vor allem ältere Gefangene, die lange Freiheitsstrafen verbüßen, weil für sie oft kaum eine Chance besteht, nach der Entlassung aus dem Vollzug durch Aufnahme einer Beschäftigung noch hinreichende Rentenansprüche zu erwerben.465 Spätestens ab dem 50. Lebensjahr ist es schwer, auf dem Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Die Situation für Strafentlassene erschwert sich obendrein durch den Makel ihrer früheren Straftat. Sie sehen sich bei ihrer Arbeitssuche massiven Vorbehalten gegenüber, weil viele Arbeitgeber aus dem Gesetzesverstoß Rückschlüsse auf das Verhalten als Arbeitskraft und Kollege schließen.466 Hinzu kommt die in Deutschland mit rund vier Millionen Arbeitslosen bestehende hohe Arbeitslosigkeit467, die einem Strafgefangenen wenig Hoffnung macht, nach seiner Entlassung aus der Haft einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen zu können. Für jüngere Strafgefangene ist die Alterssicherung zunächst kein Problem, da sie bessere Aussichten haben, nach der Entlassung eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben und somit ausreichende Rentenanwartschaften zu erwerben. Doch spätestens mit Eintritt des Versicherungsfalls machen sich die früheren Haftzeiten vor allem in der Rentenhöhe auch für sie bemerkbar.
464
BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 177. Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug e. V., ZfStrVo 1993, 180; Pawlita, ZfSH/SGB 1999, 67, 69. 466 Lechner/Reiter, S. 192. 467 Im April 2007 waren in Deutschland insgesamt 3.966.648 Menschen arbeitslos, was einer Arbeitslosenquote von 9,5% entspricht. Davon waren 1.055.185 Menschen (= 26,6%) 50 Jahre und älter. Quelle: Monatsbericht des Arbeits- und Ausbildungsmarktes in Deutschland, Tabellenanhang: Eckwerte des Arbeitsmarktes, veröffentlicht von der Bundesagentur für Arbeit, im Internet abrufbar unter http:// www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/000100/html/monat/200704.pdf. 465
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3. Möglicher Verlust des Versicherungsschutzes wegen Erwerbsminderung a) Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung Für Strafgefangene, die bis zu ihrer Inhaftierung sozialversicherungspflichtig waren, kann sich die fehlende Rentenversicherungspflicht ferner ungünstig auf den erworbenen Erwerbsminderungsschutz auswirken. Infolge der Inhaftierung droht ihnen der Wegfall ihrer bestehenden Anwartschaft468 auf eine Rente wegen Erwerbsminderung gem. § 43 SGB VI469 (früher: Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente). Die Rentenversicherung gewährt mit dieser Rentenart Schutz gegen das Risiko verminderter Erwerbsfähigkeit, infolgedessen Versicherte ganz oder teilweise kein Erwerbseinkommen mehr erzielen können. Erwerbsgemindert ist, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich (voll erwerbsgemindert) bzw. mindestens sechs Stunden täglich (teilweise erwerbsgemindert) eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Der Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung setzt – neben dem Eintritt des Versicherungsfalls und der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit – nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI voraus, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (Drei-Fünftel-Belegung), es sei denn, diese Voraussetzung gilt nach § 43 Abs. 5 SGB VI als erfüllt. Gefangene verlieren deshalb spätestens nach einer Strafverbüßung von zwei Jahren ihren ursprünglichen Versicherungsschutz. Dieser kann im ungünstigsten Fall erst nach dreijähriger versicherungspflichtiger Beschäftigung wieder erworben werden. Die Zeit der Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist kein Verlängerungstatbestand i. S. d. § 43 Abs. 4 SGB VI (sog. Aufschubzeit), durch den der Fünf-Jahres-Zeitraum in die Vergangenheit hinein verlängert werden kann.470 Die Suspendierung der Versicherungspflicht wirkt sich hier beson468 Rentenanwartschaften sind Rechtspositionen des Versicherten nach Begründung des Rentenversicherungsverhältnisses, die bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen, etwa des Ablaufs der Wartezeit und des Eintritts des Versicherungsfalls, zum Vollrecht erstarken können; vgl. BVerfGE 53, 257, 289 f. 469 I. d. F. des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl. I, 1827; in Kraft getreten am 1.1.2001. 470 Zu den Aufschubzeiten nach § 43 Abs. 4 SGB VI gehören: Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung; Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist (z. B. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, der
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
ders gravierend aus, weil sie in eine bestehende Rechtsposition konkret eingreift. Außerdem hat der Betroffene keine Möglichkeit, seinen Versicherungsschutz durch Eigenvorsorge – namentlich durch Entrichtung freiwilliger Beiträge – aufrecht zu erhalten.471 Teilnahme an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation); Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres. 471 Eine Ausnahme in Bezug auf die Eigenvorsorge gilt nur für diejenigen Gefangenen, die der Sonderregelung des § 241 Abs. 2 SGB VI unterliegen. Danach ist eine Rente wegen Erwerbsminderung auch ohne Erfüllung der in § 43 SGB VI vorgeschriebenen Drei-Fünftel-Belegung zu gewähren, sofern der Versicherte die allgemeine Wartezeit (heute: § 50 Abs. 1 i. V. m. § 51 Abs. 1 SGB VI) vor dem 1.1.1984 erfüllt hat und die Zeit vom 1.1.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung lückenlos mit Anwartschaftserhaltungszeiten i. S. d. § 241 Abs. 2 SGB VI belegt ist. § 241 SGB VI schreibt das bisherige im Zusammenhang mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22.12.1983 (BGBl. I, 1532) geschaffene Übergangsrecht zur Anwartschaftserhaltung im Hinblick auf die Rente wegen Erwerbsminderung (früher: Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) fort. Die Regelungen des HBeglG 1984 erschwerten die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten. Nach früherem Recht (§§ 1246 f. RVO, §§ 23 f. AVG und §§ 46 f. RKG in der am 31.12.1983 geltenden Fassung) genügte es für eine solche Rente, berufs- oder erwerbsunfähig zu sein und eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten (Wartezeit) zurückgelegt zu haben. Durch Art. 1 Nr. 32 und 33, Art. 2 Nr. 9 und 10 sowie Art. 3 Nr. 12 und 13 des HBeglG 1984 wurde in die Absätze 1 der bisherigen Vorschriften ein neues Tatbestandsmerkmal eingefügt, nach dem diese Renten nur noch dann gewährt werden, wenn der Versicherte zuletzt vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Diese Voraussetzung lag vor, wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt waren (§§ 1246 Abs. 2a S. 1 Nr. 1 RVO, 23 Abs. 2a S. 1 Nr. 1 AVG, 46 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 RKG). Für diejenigen Versicherten, die vor dem 1.1.1984 bereits eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten (Wartezeit) zurückgelegt hatten, wurden zur Erhaltung der Rentenanwartschaft Übergangsregelungen geschaffen, nach denen die früheren Bestimmungen ohne das Erfordernis einer dem Versicherungsfall unmittelbar vorausgehenden versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit weitergelten, vorausgesetzt, der Versicherte hat jeden Kalendermonat in der Zeit vom 1.1.1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt (vgl. Art. 2 § 6 Abs. 2 ArVNG, Art. 2 § 7b Abs. 1 AnVNG und Art. 2 § 4 Abs. 2 KnVNG jeweils in der bis 31.12.1991 geltenden Fassung des HBeglG 1984). Für Versicherungsfälle ab 1.1.1992 wurde das Übergangsrecht dahingehend verschärft, dass der Versicherte nunmehr in der Zeit vom 1.1.1984 bis zum Ende des Monats vor Eintritt des Versicherungsfalls jeden Kalendermonat mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt haben muss. Zu eben diesen Übergangsregelungen gehört auch der heutige § 241 Abs. 2 SGB VI. Strafgefangene, die bis zu ihrem Haftantritt diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, könnten durch regelmäßige Entrichtung freiwilliger Beiträge während der Haftzeit ihren bestehenden Versicherungsschutz im Prinzip aufrechterhalten. In der Praxis wird die laufende Beitragszahlung aber wiederum an den
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b) Verfassungsmäßigkeit des möglichen Verlusts des Versicherungsschutzes aa) Rentenanwartschaften als schutzfähige Eigentumsposition Sind die beschriebenen strafhaftbedingten Verluste der erworbenen Anwartschaft auf eine Rente wegen Erwerbsminderung mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar? Schutzfähiges Eigentum i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ist grundsätzlich jedes vom Gesetzgeber gewährte vermögenswerte Recht.472 Ein vermögenswertes Recht öffentlich-rechtlicher Natur wird von Art. 14 GG aber nur dann geschützt, wenn es dem Einzelnen eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers entspricht.473 Es ist heute anerkannt, dass dies bei Versichertenrenten und Anwartschaften auf solche Renten der Fall ist; rentenversicherungsrechtliche Positionen dieser Art unterliegen als subjektiv-öffentliche Rechte dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG.474 Sie erfüllen die drei konstituierenden wirtschaftlichen Verhältnissen scheitern, sodass auch diese Gefangenen im Regelfall ihren Versicherungsschutz verlieren werden. 472 Vgl. BVerfGE 1, 264, 277; 2, 380, 399 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 7; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 2, Art. 14 Rn. 55. 473 BVerfGE 40, 65, 83 m. w. N. 474 Das BVerfG hat erstmals in seiner Entscheidung vom 28.2.1980 (BVerfGE 53, 257, 289 ff.; LS 1) den Eigentumsschutz des Art. 14 GG ausdrücklich auf Versichertenrenten und Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt. Ausschlaggebend sei, dass diese Rechtspositionen überwiegend als Äquivalent eigener Leistung des Versicherten erworben wurden, also in einem „personalen Bezug“ zu ihm stehen und nicht ausschließlich auf einseitiger staatlicher Gewährung und Ausübung staatlicher Fürsorge basieren. Mit Beschluss vom 8.4.1987 wurde sodann auch den Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten bzw. den entsprechenden Anwartschaften die Eigentumsgarantie ausdrücklich zuerkannt, BVerfGE 75, 78, 96 f. Dies ist inzwischen gefestigte Rspr., vgl. (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): BVerfGE 58, 81, 109; 69, 272, 298; 70, 101, 110; 87, 348, 355; 95, 143, 160; 100, 1, 32 f.; BSGE 9, 127, 128; 28, 9, 13; 33, 177, 178 f.; 41, 177, 185; 43, 128, 130; 60, 158, 162. Die Rspr. wird von der Lehre überwiegend gebilligt: siehe v. Brünneck, JZ 1990, 992 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 12; Hofmann, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art. 14 Rn. 26 ff.; Katzenstein, in: FS für Zeidler, Bd. 1, S. 667; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 65 ff.; Ossenbühl, in: FS für Zeidler, S. 625 ff.; Rittstieg, in: AK-GG, Art. 14 Rn. 120; Rüfner, in: 2. Sozialrechtslehrertagung, 1982, S. 169, 180; Söllner, in: FS für Geiger, 262, 264 ff.; Wieland, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Art. 14 Rn. 31, 62; a. A. Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 14 Rn. 66 f. Zu den Vorbehalten gegenüber der differenzierten Erweiterung des Eigentumsbegriffes auf Sozialleistungen; vgl. den Meinungsstand bei: Bryde, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 14 Rn. 26 f.; Meinhard Heinze, Gutachten E für den 55. DJT 1984, S. 54–56 m. w. N.; Papier, in: 2. Sozialrechtslehrertagung, 1982, S. 194 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 2, Art. 14 Rn. 123 ff., 137 f., 151, 155, 157; Stober, in: 2. Sozialrechtslehrertagung, 1982,
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Merkmale für den Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen: Erstens sind diese Positionen dem Versicherten nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts als privatnützig zugeordnet, zweitens beruhen sie durch seine persönliche Arbeitsleistung und den entsprechenden einkommensbezogenen Beitragszahlungen auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten und drittens dienen sie wegen ihrer Entgeltersatzfunktion der Sicherung seiner Existenz.475 Rentenansprüche und Anwartschaften erfüllen damit Funktionen, deren Schutz Aufgabe der Eigentumsgarantie ist. Die Eigentumsgarantie dient dem Grundrechtsträger zur Sicherung eines vermögensrechtlichen Freiheitsraums, um ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen.476 bb) Beeinträchtigung des Eigentums Gesetzliche Regelungen, die Rentenanwartschaften kürzen, umgestalten oder gänzlich entziehen, greifen in das Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG ein. Durch das im Zusammenhang mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984477 geschaffene und in § 241 Abs. 2 SGB VI fortgeschriebene Übergangsrecht478 griff der Gesetzgeber in bestehende Anwartschaften der Versicherten ein, indem er die Anwartschaftserhaltung von der Entrichtung weiterer Beitragszahlungen abhängig machte.479 Die von dem Übergangsrecht betroffenen Versicherten hatten vor der Gesetzesänderung bereits eine Rechtsposition erworben, die sie – bei Eintritt des Versicherungsfalls und Stellung eines Rentenantrags – ohne weitere Voraussetzung zum Bezug einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente (heute: Rente wegen Erwerbsminderung, § 43 SGB VI) berechtigt hätte.480 Die Nutzungsmöglichkeit dieser Rechtsposition ist nach der Rechtsänderung ohne regelmäßige Beitragsentrichtung verschlossen. Die Eigentumsfreiheit der Versicherten wurde somit verkürzt. S. 12, 45; ders., SGb 1989, 53, 59 ff. m. w. N.; Stolleis, Sitzungsbericht N zum 55. DJT 1984, S. 38–42. Vgl. auch die zusammenfassenden Darstellungen zum Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen bei Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, S. 30 ff.; Reiter, SGb 1996, 246 ff. 475 Ausführlich: BVerfGE 53, 257, 290 ff.; 69, 272, 300 ff. Aus der Literatur hierzu: vgl. z. B. Jarass, NZS 1997, 545 f.; Ruland, DRV 1997, 94, 98 ff. 476 BVerfGE 50, 290, 339; 53, 257, 290; 69, 272, 300. 477 „Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe“ (Haushaltsbegleitgesetz 1984), BGBl. 1983 I, 1532. 478 Vgl. Fn. 471. 479 BVerfGE 75, 78, 96. 480 BVerfGE 75, 78, 97.
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Fraglich ist, ob auch die mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 neu eingeführte Voraussetzung der Drei-Fünftel-Belegung (gegenwärtig: § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI) als Eingriff in eine rentenversicherungsrechtliche Position zu qualifizieren ist. Auf Ersuchen des BVerfG gem. § 82 Abs. 4 BVerfGG im Zusammenhang mit der Entscheidung zur Arbeit und Entlohnung von Strafgefangenen äußerten der 8. und 13. Senat des BSG diesbezüglich Bedenken: Der 8. Senat des BSG mahnte, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente dazu führten, dass ein bestehender Versicherungsschutz spätestens nach einer Strafhaft von zwei Jahren verloren ginge und im ungünstigsten Fall erst nach dreijähriger versicherungspflichtiger Beschäftigung nach der Entlassung wieder erworben werden könne. Hierin liege ein Eingriff in eigentumsrechtliche Positionen, der dem Resozialisierungsgebot der Verfassung zuwiderlaufe, unverhältnismäßig sei und den allgemeinen Gleichheitssatz verletze.481 Auch für den 13. Senat des BSG bestünden wegen des nach der Drei-Fünftel-Belegung möglichen Wegfalls von Anwartschaften auf Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten infolge der Inhaftierung verfassungsrechtliche Bedenken. Hier wirke sich die Aussparung der Strafhaft aus der Rentenversicherung besonders einschneidend aus, was nach Art. 14 GG problematisch sei.482 Für einen Eingriff durch die Drei-Fünftel-Belegung spricht, dass diese besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung für die Anwartschaft auf eine Rente wegen Erwerbsminderung eine eigentumsbeeinträchtigende Wirkung haben kann. Erfüllt der Versicherte diese Anspruchsvoraussetzung sowie die allgemeine Wartezeit, hätte er bei Eintritt des Versicherungsfalls Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung (vgl. § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI). Der Versicherte hat also eine rechtlich verfestigte Anwartschaft erworben. Scheidet der Versicherte aus seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung aber aus (ein Gefangener z. B. mit seinem Haftantritt), verliert er dadurch zwangsläufig nach zwei Jahren diese Anwartschaft, sofern er nicht durch die in § 43 Abs. 4 SGB VI genannten Verlängerungstatbestände die Anwartschaft über den Fünf-Jahres-Zeitraum hinaus erhalten kann. Gegen einen Eingriff spricht jedoch die Tatsache, dass der Versicherte seit Einführung der Drei-Fünftel-Belegung die Anwartschaft von vornherein mit der Schwäche des möglichen Verlusts erwirbt. Nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG hat der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen; er legt damit die Reichweite des Eigentumsschutzes konkret fest. Mit der Neuregelung der Voraussetzungen des Erwerbsminderungsschutzes durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 hat der Gesetzgeber das Eigentum 481 482
BVerfGE 98, 169, 193 f. Vgl. BVerfGE 98, 169, 193.
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gegenüber dem früheren Recht für die Zukunft neu definiert. Nunmehr ist in der Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente a priori die Schranke des möglichen Verlusts enthalten, die der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Regelung der Drei-Fünftel-Belegung bestimmt hat. Folglich liegt kein Eingriff vor, wenn ein Versicherter diese gesetzliche Voraussetzung nicht mehr erfüllt und dadurch seine erlangte Anwartschaft verliert. Es aktualisiert sich vielmehr die in der rentenversicherungsrechtlichen Position angelegte Schranke.483 Dass die Eigentumsgarantie für die Anwartschaft damit jetzt mehr Symbolwert als rechtliche Wirksamkeit besitzt, ist die Konsequenz dieser Regelung. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der BSG-Senate dürften damit unbegründet sein. Strafgefangene sind zwar besonders hart betroffen, zumal ihnen meistens keiner der in § 43 Abs. 4 SGB VI aufgezählten Verlängerungstatbestände zugute kommt; die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist keine Anrechnungszeit und kann folglich nicht als Aufschubzeit i. S. d. § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI gewertet werden. Es fehlt aber an einem Eingriff in eine eigentumsgeschützte Rechtsposition. cc) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der übergangsrechtlichen Regelungen Sind die übergangsrechtlichen Regelungen, die die betroffenen Versicherten zur Erhaltung ihrer Rentenanwartschaften seitdem zur ununterbrochenen Zahlung freiwilliger Beiträge zwingen484, unter besonderer Berücksichtigung des hier zu betrachtenden Personenkreises der Strafgefangenen verfassungsrechtlich gerechtfertigt? Unter welchen Voraussetzungen ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG gerechtfertigt ist, hängt davon ab, ob eine Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) oder eine Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) vorliegt. Eine Enteignung liegt vor, wenn durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes konkrete Eigentumspositionen durch gezielten hoheitlichen Rechtsakt zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben vollständig oder teilweise entzogen werden.485 Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind hingegen Normen, mit denen der Gesetzgeber abstrakt und generell die Rechte und Pflichten 483 Im Ergebnis auch Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, S. 171. 484 Art. 2 § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ArVNG; Art. 2 § 7b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AnVNG; Art. 2 § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KnVNG. Heute ist dieses Übergangsrecht für alle Versicherungszweige der gesetzlichen Rentenversicherung in § 241 Abs. 2 SGB VI geregelt. 485 Z. B. BVerfGE 70, 191, 199 f.; 72, 66, 76.
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des Eigentümers festlegt, mithin den „Inhalt“ des Eigentums bestimmt.486 Der Gesetzgeber hat mit den durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 geschaffenen übergangsrechtlichen Regelungen den Versicherten nicht gezielt ihre Anwartschaft auf eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente entzogen. Vielmehr verpflichten die Regelungen alle Versicherten, die vor dem 1. Januar 1984 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer solchen Rente erfüllt hatten, zur Entrichtung regelmäßiger Beiträge (falls die Zeit seit 1. Januar 1984 nicht mit sonstigen Anwartschaftserhaltungszeiten ununterbrochen belegt ist), um die Rentenanwartschaft aufrechtzuerhalten. Es folgt zwar bereits aus der einmaligen Nichtzahlung eines Beitrags der Verlust der Anwartschaft, weshalb diese Regelung einen besonders gravierenden Einschnitt in eine bestehende Rechtsposition mit sich bringen kann. Gleichwohl führt sie damit nicht zum Entzug der konkreten Rechtsposition im Sinne einer Enteignung. Somit liegt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach § 14 Abs. 1 S. 2 GG vor. Bei einer Inhalts- und Schrankenbestimmung rentenversicherungsrechtlicher Positionen wird dem Gesetzgeber vom BVerfG eine weite, im Wesentlichen nur durch das rechtsstaatliche Übermaßverbot begrenzte Gestaltungsfreiheit eingeräumt. Dem Gesetzgeber wird ausdrücklich die Befugnis zugestanden, bestehende Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu kürzen oder umzugestalten, sofern dafür verfassungslegitime Eingriffsgründe bestehen und die weiteren Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewahrt werden.487 Demzufolge muss die Inhalts- und Schrankenbestimmung zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein, insbesondere darf sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein.488 Fraglich ist, ob die übergangsrechtlichen Regelungen, die die Erhaltung der Anwartschaft von der regelmäßigen Beitragszahlung abhängig machen, falls die Zeit nicht mit anderen Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist, diesen Voraussetzungen entspricht. (1) Rechtsprechung Mit dieser Frage haben sich jeweils im Rahmen unterschiedlicher Verfahren in der Vergangenheit verschiedene Gerichte auseinandergesetzt. Die Entscheidungen der Gerichte werden in der Reihenfolge ihres zeitlichen Erlasses (von der älteren zur jüngeren Entscheidung) vorgestellt.
486 487 488
BVerfGE 58, 300, 330. BVerfGE 53, 257, 293. BVerfGE 58, 137, 148; 72, 9, 23; 75, 78, 97 f.
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(a) Berufs-/Erwerbsunfähigkeitsrentenbeschluss des BVerfG vom 8. April 1987 Zunächst hat sich das BVerfG grundlegend in dem Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrentenbeschluss vom 8. April 1987 mit der Frage der Vereinbarkeit des mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 geschaffenen Übergangsrechts mit Art. 14 GG befasst. Nach Auffassung des BVerfG verstößt dieses Übergangsrecht nicht gegen Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.489 Der Eingriff durch die angegriffenen Regelungen sei nicht als „Totalentzug“ einer eigentumsgeschützten sozialversicherungsrechtlichen Rechtsposition, sondern als Modifikation einer Anwartschaft zu werten.490 Diese Auffassung wird darauf gestützt, dass die Betroffenen die Möglichkeit erhalten haben, durch erneute und weitere Beitragsleistungen ihre Anwartschaften zu bewahren. Das BVerfG konzediert, dass es sich bei der Umgestaltung erworbener Anwartschaften um einen „schwerwiegenden Eingriff in Rechtspositionen der Beschwerdeführer“ handelt.491 Die Regelung sei jedoch eine noch zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Renteneigentums nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Sie sei durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt und belaste die Betroffenen nicht unzumutbar.492 Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Legislative mit der Neuregelung die Finanzentwicklung in der Rentenversicherung habe stabilisieren und den Lohnersatzcharakter der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten stärken wollen.493 Das seien Regelungsziele, die im öffentlichen Interesse lägen. Sie dienten dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Rentenversicherungssystems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten Bedingungen anzupassen.494 Das Gericht betonte, dass trotz der Schwere des Eingriffs der Gesetzgeber die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht überschritten habe, weil er den Betroffenen die Aufrechterhaltung ihrer Anwartschaften durch Zahlung eines Mindestbeitrages ermöglicht habe. Diese Übergangsregelung belaste die Versicherten 489 Mit Beschluss vom 8.4.1987 (= BVerfGE 75, 78, 96 ff.) wies das BVerfG sieben im Jahre 1984 gegen die Neuregelung der Anspruchsvoraussetzungen für den Invaliditätsschutz durch das HBeglG 1984 erhobene Verfassungsbeschwerden als unbegründet zurück. Bei keinem der Beschwerdeführer handelte es sich um einen Strafgefangenen; die Beschwerdeführer waren vielmehr Selbständige, Beamte und Hausfrauen. 490 BVerfGE 75, 78, 97. 491 BVerfGE 75, 78, 98. 492 BVerfGE 75, 78, 100. 493 BVerfGE 75, 78, 98 unter Bezugnahme auf die Begründung des Regierungsentwurfs (BR-Drs. 302/83, 2, 59 f.). 494 BVerfGE 75, 78, 98.
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zwar unterschiedlich, je nachdem, über welchen Zeitraum sie noch Beiträge entrichten müssten; sie sei aber „noch zumutbar“.495 Für das BVerfG stand außer Zweifel, dass ohne die Möglichkeit der Beitragszahlung die fragliche Gesetzesregelung als Entzug einer Rechtsposition und als Verstoß gegen Art. 14 GG zu werten gewesen wäre.496 (b) Rechtsprechung des BSG Das BSG hielt in seinem Urteil vom 26. Mai 1988497 in Übereinstimmung mit dem Beschluss des BVerfG vom 8. April 1987498 die Regelungen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 für mit dem Grundgesetz vereinbar, auch soweit es die Personengruppe der Strafgefangenen betrifft. Die spezifische Situation eines Strafgefangenen, den zur Erhaltung der Anwartschaft die Obliegenheit zur Weiterzahlung von Beiträgen während seiner Haftdauer trifft, erfordere keine abweichende Beurteilung.499 (c) Vorlagebeschlüsse zweier Sozialgerichte Die Sozialgerichte Frankfurt/Main und Landshut erhoben mit Blick auf die Personengruppe der Strafgefangenen in den Jahren 1989 bzw. 1992 dagegen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Übergangsvorschriften des Haushaltsbegleitgesetzes 1984. Im Hinblick auf die spezifische Situation der Strafgefangenen, die weder in den Gesetzesberatungen noch in der Entscheidung des BVerfG vom 8. April 1987500 erörtert wurde, hielten diese Sozialgerichte die betreffenden Regelungen wegen Verletzung der Eigentumsgarantie für verfassungswidrig. Deshalb setzten sie gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ihre entsprechenden Verfahren501 aus und holten erneut 495
BVerfGE 75, 78, 99 f. BVerfGE 75, 78, 103. 497 BSG NJW 1989, 190, 191. 498 BVerfGE 75, 78. 499 In späteren Entscheidungen hat das BSG bezüglich des Erfordernisses der regelmäßigen Beitragszahlung jedoch erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die fraglichen Regelungen geäußert, wenn auch nicht für den Personenkreis der Strafgefangenen (vgl. BSGE 75, 199, 209, 213 ff.; BSG Urteil v. 6.12.1996 – 13 RJ 13/96 –, bei Juris: Nr. KSRE066130915, S. 4). 500 BVerfGE 75, 78. 501 In dem jeweiligen Verfahren (SG Frankfurt/Main, – S 20 J 2796/87 –, zuletzt geführt unter dem Az. – S 21/20 RJ 150/89; SG Landshut, – S 14 Ar 270/89) hatten die Sozialgerichte darüber zu entscheiden, ob dem Kläger eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit zu gewähren sei. Beide beteiligte Kläger verbüßten in den 1980er Jahren eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Während der überwiegenden 496
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eine Entscheidung des BVerfG zu der Frage ein, ob Art. 2 § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ArVNG i. V. m. § 1246 Abs. 2a RVO in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 verfassungsgemäß sei. In Abweichung zu dem Berufsund Erwerbsunfähigkeitsrentenbeschluss des BVerfG vom 8. April 1987 ging es dieses Mal konkret um die Frage, ob die angegriffene Regelung insoweit mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist, als Strafgefangene während Zeiten der Freiheitsentziehung zur Erhaltung der Anwartschaft auf eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung entrichten müssen.502 Die Sozialgerichte führten zur Begründung an, dass das übergangsrechtliche Erfordernis einer kontinuierlichen Beitragszahlung für Strafgefangene während des Freiheitsentzugs eine übermäßige und deswegen unzumutbare Belastung darstelle. Strafgefangene seien von den Neuregelungen in besonderem Maße betroffen, weil sie typischerweise tatsächlich nicht in der Lage seien, während der Haftzeit freiwillige Beiträge zu entrichten. Den Inhaftierten könne nicht zugemutet werden, von dem geringen Arbeitsverdienst aus der Gefangenenarbeit ihre erworbene Anwartschaft durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zu erhalten. Desgleichen könne weder die Bestreitung der Beiträge aus dem Familieneinkommen unterstellt noch vom Vorhandensein eines ausreichenden Vermögens ausgegangen werden.503 Die Neuregelungen des Erwerbsminderungsrechts durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 kämen daher für den Personenkreis der Strafgefangenen faktisch einem Entzug der Anwartschaft gleich.504 Außerdem, so führte das SG FrankHaftzeit arbeiteten die Kläger im geschlossenen Vollzug. Jedoch entrichtete keiner der Kläger in dieser Zeit freiwillige Beiträge an die Rentenversicherung. Ihre späteren Anträge auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit wurden wegen Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Art. 2 § 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ArVNG i. V. m. § 1246 Abs. 2a RVO i. d. F. des HBeglG 1984) abgelehnt. In den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit seien keine 36 Pflichtbeiträge entrichtet worden. Auch sei in der Zeit vom 1.1.1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls nicht jeder Kalendermonat mit Beiträgen oder sog. Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Hiergegen erhob jeder Kläger Klage und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anrechnung der in der JVA beschäftigten Haftzeiten als Beitragszeit die beantragte Versichertenrente zu gewähren. 502 Vgl. SG Frankfurt/Main Beschluss v. 4.4.1989 – S 21/20 RJ 150/89 – geändert durch Beschluss v. 12.12.1989, abgedr. in Breith. 1989, 665; SG Landshut, Beschluss v. 28.7.1992 – S 14 Ar 270/89 – der mit Beschluss v. 16.2.1995 aufgehoben wurde. Erneuter Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des SG Landshut v. 2.8.1995 – S 11 Ar 53/95. FdV – (unveröffentlicht). 503 SG Frankfurt/Main, Breith. 1989, 665, 670 ff.; Beschluss des SG Landshut v. 2.8.1995 – S 11 Ar 53/95. FdV – (unveröffentlicht) mit inhaltlicher Bezugnahme auf den Beschluss des SG Frankfurt/Main. 504 SG Frankfurt/Main, Breith. 1989, 665, 672.
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furt/Main fort, rechtfertige es die Zielsetzung der Neuregelungen insbesondere unter Berücksichtigung des Ziels der Resozialisierung nicht, diesen Personenkreis aus der rentenversicherungsrechtlichen Solidarität für die Risiken der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit auszuschließen.505 Diese mögliche Konsequenz könne nicht mit dem Hinweis auf die Verantwortlichkeit des Straftäters für sein Tun und die gerichtlich verhängte Freiheitsstrafe gerechtfertigt werden. Der Straftäter habe infolgedessen zwar die mit der Freiheitsentziehung verbundenen Fehlzeiten in seiner Rentenbiografie hinzunehmen, die nunmehr für die Anwartschaftserhaltung verlangte freiwillige Beitragsleistung wirke sich aber tatsächlich wie eine unausgesprochene Nebenstrafe auf dem Gebiet des Rentenversicherungsrechts aus.506 (d) Kammerbeschlüsse des BVerfG zu den Vorlagen der Sozialgerichte Am 14. November und 7. Dezember 2000507 hat das BVerfG jeweils durch Kammerbeschluss die Unzulässigkeit beider Vorlagen festgestellt (§ 81a BVerfGG).508 Es begründete seine Entscheidungen damit, dass sich die Sozialgerichte nicht in genügender Weise mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des BVerfG und derjenigen des BSG auseinander gesetzt hätten. Die Gerichte hätten deutlich machen müssen, aus welchen Gründen sich die Entscheidung des BVerfG vom 8. April 1987 nicht auf Strafgefangene, die bis 31. Dezember 1983 die Wartezeit für eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente erfüllt hatten, erstrecke und die Besonderheiten dieses Personenkreises eine verfassungsrechtliche Überprüfung der in Frage stehenden Vorschriften nahe lege. Hinsichtlich des finanziellen Unvermögens von Gefangenen sei zu erörtern gewesen, ob die Leistungsfähigkeit der Betroffenen überhaupt als Kriterium für eine Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit in Betracht komme. Zu entsprechenden Ausführungen hätte Anlass bestanden, weil sich das BVerfG weder an den individuellen finanziellen Verhältnissen eines einzelnen Versicherten noch an einer abgrenzbaren, durch bestimmte Eigenschaften nicht versicherungsrechtlicher Art charakterisierten Personengruppe orientiert habe. Es sei vielmehr allgemein von Versicherungsverhältnissen ausgegangen und habe bei der Zumutbarkeitsprüfung nur zwischen 505
SG Frankfurt/Main, Breith. 1989, 665, 670 ff. SG Frankfurt/Main, Breith. 1989, 665, 673 f. 507 Vgl. BVerfG Kammerbeschluss v. 14.11.2000 – 1 BvL 9/89 –, in: SozVers 2001, 305; BVerfG Kammerbeschluss v. 7.12.2000 – 1 BvL 25/95 – (unveröffentlicht) betreffend die Vorlage des SG Landshut. 508 Kritisch zur langen Verfahrensdauer, Pawlita, SozVers 1997, 266 f. 506
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Versicherten mit kurzen und solchen mit längeren Versicherungszeiten unterschieden.509 (2) Schrifttum Das Schrifttum begnügt sich mit der Bestätigung der Entscheidung des BVerfG vom 8. April 1987.510 Kritisch gewürdigt wird die Entscheidung allein von Papier.511 Er kritisiert, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung nach dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 dergestalt in bestehende Anwartschaftsrechte eingreift, dass er diese im Ergebnis zu bloßen „Erwerbsberechtigungen“ zurückstuft. Hierbei handle es sich um einen Entzug subjektiver Eigentumsrechte, der nicht mehr als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG gerechtfertigt werden könne.512 Die Betroffenen hätten bereits ein echtes Anwartschaftsrecht erlangt, das nun „zu der bloßen Möglichkeit eines Rechtserwerbs deklassiert“ würde.513 (3) Eigene Stellungnahme Für die vom Übergangsrecht des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 Betroffenen dürfte der Beschluss des BVerfG vom 8. April 1987514 das Vertrauen in 509 BVerfG SozVers 2001, 305, 306; BVerfG Kammerbeschluss v. 7.12.2000 – 1 BvL 25/95 – (unveröffentlicht), S. 8. 510 Vgl. z. B. Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 12; Kamprad, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 241 Rn. 5; Stachura, AmtlMitt LVA Rheinpr. 1987, 415, der es ausdrücklich begrüßt, dass das BVerfG die vielfach geäußerten Bedenken gegen die durch die Neuregelung erfolgte Abwertung freiwilliger Beiträge gegenüber den Pflichtbeiträgen für unbegründet erachtet hat. 511 Papier, SGb 1987, 469, 470. 512 Papier, ebd. zieht zum Vergleich die Entscheidung des BVerfG vom 12.2.1986 (BVerfGE 72, 9, 22 ff.) heran, in der das Gericht die gesetzliche Verschärfung der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld als Verletzung des Art. 14 GG angesehen hat. Die bisherige Anwartschaftszeit von 180 Kalendermonaten war verdoppelt worden, und zwar auch mit Wirkung gegenüber denjenigen Versicherten, welche die bislang geltenden Voraussetzungen bereits erfüllt und damit eine Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erworben hatten. Es sei um eine – unzulässige – Rückstufung des Anwartschaftsrechts in eine bloße „Erwerbsberechtigung“ gegangen. Inkonsequenterweise hat – so Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 2, Art. 14 Rn. 157 – das BVerfG in seiner Entscheidung vom 8.4.1987 (BVerfGE 75, 78) einen vergleichbaren Vorgang der „Rückstufung“ bestehender Anwartschaften in schlichte Erwerbsberechtigungen als verfassungskonforme Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums qualifiziert. 513 So Papier, SGb 1987, 469, 470. 514 BVerfGE 75, 78.
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die Rentenversicherung erheblich geschmälert haben. Auch wenn den Versicherten die Rentenanwartschaften nicht „total“ entzogen wurden, sondern die Erhaltung der Anwartschaft für die Zukunft von der Zahlung regelmäßiger Mindestbeiträge abhängig gemacht wurde, ist das Risiko des gänzlichen Verlusts des Schutzes gegen vorzeitige Erwerbsminderung bis heute latent. Schon eine verspätete Beitragszahlung oder der vorübergehende Beitragsausfall führen zum Fortfall des Anspruchs. Dadurch wird ihnen unter Umständen eine Lebenssituation zugemutet, vor der sich die Versicherten durch die gesetzliche Rentenversicherung schon geschützt glaubten. Das Ausmaß des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes von mitunter langjährigen Anwartschaften, die wesentlich durch eigene Beitragsleistungen der Versicherten geprägt sind, wurde damit gravierend herabgestuft. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG schützt den Bestand des erworbenen Eigentums. Jede Bestandssicherung zielt letztlich darauf ab, dem Begünstigten etwas zu erhalten. Genau hier liegt die Schwäche des zur Prüfung gestellten Übergangsrechts: Infolge der normativen Einwirkung ist der Bestand der Rentenanwartschaft auf eine Rente wegen Erwerbsminderung als solches nicht mehr gesichert, es sei denn, der Versicherte kann unter anhaltender finanzieller Belastung selbst dafür Sorge tragen. Die Bestandssicherung muss also gewissermaßen „erkauft werden“. Nun verlangt die Eigentumsgarantie nicht, einmal ausgestaltete Rechtspositionen für die Zukunft unangetastet zu lassen; aus Art. 14 GG kann keine „Verpflichtung zur allgemeinen Besitzstandswahrung sozialer Rechte abgeleitet werden“515. Dem Gesetzgeber ist es darum nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG gestattet, das Rentenversicherungssystem veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen, die im Interesse der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung unerlässlich erscheinen. Dem BVerfG ist insoweit beizupflichten, dass der Gesetzgeber mit den Regelungen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 einen legitimen Zweck verfolgt und die Regelungen zur Erreichung des Zwecks auch geeignet und erforderlich sind. Entgegen der Ansicht des Gerichts ist der Eingriff in die Rentenanwartschaft aber nicht mehr zumutbar und damit unverhältnismäßig. Bei Eingriffen in die nach früherem Recht entstandenen Rechtspositionen dürfen die Rechte der einzelnen Versicherten nicht außer Betracht gelassen werden.516 Krause weist darauf hin, dass schon der Gleichheitssatz fordert, dass dem Einzelnen kein Sonderopfer abverlangt wird; aus diesem Grund muss der Gesetzgeber Eingriffe vermeiden, die sich im Einzelfall besonders schwer515 516
BSGE 24, 285, 289 f. Vgl. BVerfGE 53, 257, 294.
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wiegend auswirken.517 Da – so Krause weiter – der Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG weiter gehe als der Schutz des Art. 3 Abs. 1 GG, der Ungleichbehandlungen bestimmter Personengruppen bei Vorliegen eines sachlichen Grunds zulassen kann, schütze Art. 14 GG vor allem die durch eigentumsbegrenzende Maßnahmen speziell betroffenen kleinen Gruppen und die Individuen. Dem ist zuzustimmen. Um auszuschließen, dass jemand von einer solchen Maßnahme besonders berührt wird, ist es deshalb unumgänglich, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Verringerung, Beseitigung oder Umgestaltung einer Rentenanwartschaft eine sonderopferbegründende Wirkung für den einzelnen Versicherten hat. Maßgeblich ist die Auswirkung des Eingriffs auf die betroffene Rentenanwartschaft des Einzelnen.518 Wenn nun – wie im Fall der Neuregelung nach dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 – der Eingriff darin besteht, dass durch neue gesetzliche Regelungen die Erhaltung einer Rentenanwartschaft in ihrem Kernbestand zwingend von einer ständigen Beitragszahlung abhängt, dürfen für die Frage der Belastung im Einzelfall demnach die individuellen finanziellen Verhältnisse nicht außer Acht gelassen werden. Darauf haben wegen der typischen wirtschaftlich schlechten Situation der Strafgefangenen auch die Sozialgerichte in ihren Vorlagebeschlüssen abgestellt. Das BVerfG hat dies dagegen nicht getan. Die persönliche Situation und Leistungsfähigkeit der Betroffenen in Bezug auf die Frage der Zumutbarkeit war für das Gericht nicht von Belang. Die Verfassungsrichter haben in ihren Entscheidungen aus dem Jahr 2000 selbst bekräftigt, dass sich das Gericht bei der Zumutbarkeitsprüfung nur an der unterschiedlichen Dauer der Versicherungsverhältnisse orientiert habe.519 Hinsichtlich der finanziellen Belastung stellte das BVerfG nur lapidar fest, dass der monatliche Mindestbeitrag520 zwar nicht gering, aber auch nicht unangemessen hoch sei.521 Sofern ein Versicherter über ein durchschnittliches regelmäßiges Einkommen verfügt, ist der Ansicht des BVerfG durchaus zuzustimmen. Doch für die von dem Eingriff betroffenen Versicherten, die selbst über kein oder ein nur geringes monatliches Entgelt verfügen, zu denen im Regelfall auch die Gefangenen zählen, bedeutet die Neuregelung eine übermäßige Belastung. Wie schon gesagt, genügt eine fehlende Beitragszahlung und der erlangte Versicherungsschutz gegen Erwerbsminderung entfällt. In diesem Fall wirkt sich das Übergangsrecht als unzulässiger Totalentzug des Eigentums aus. Deshalb ist die Zumutbarkeitsgrenze im Einzelfall522 überschritten, weil in die Substanz der eigentums517
Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, S. 184. Krause, ebd. 519 Vgl. BVerfG SozVers 2001, 305, 306; BVerfG Kammerbeschluss v. 7.12.2000 – 1 BvL 25/95 – (unveröffentlicht), S. 8. 520 Dieser betrug im Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG (1987), 94 DM. 521 BVerfGE 75, 78, 104. 518
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geschützten Rechtsposition eingegriffen wird. Die Übergangsregelung ist unverhältnismäßig und verstößt damit gegen Art. 14 Abs. 1 GG. 4. „Riester-Renten“-Anspruch nach dem Altersvermögensgesetz? Die sog. „Riester-Rente“, benannt nach dem für die Rentenreform 2001 zuständigen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Walter Riester (SPD), sieht zum Ausgleich für die Senkung des Rentenniveaus der gesetzlichen Rente Maßnahmen zur staatlichen Förderung einer zusätzlichen kapitalgedeckten Privatrente vor. Seit 1. Januar 2002 wird der Aufbau der privaten Eigenvorsorge in der betrieblichen oder privaten Altersversorgung entweder durch eine Altersvorsorgezulage, die aus einer Grund- und einer Kinderzulage besteht, oder – falls es für den Einzelnen günstiger ist – durch Abzug der Sparaufwendungen bei der Einkommensteuer (Sonderausgabenabzug) gefördert.523 Rechtsgrundlage bildet das am 11. Mai 2001 verabschiedete „Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz – AVmG)“, das am 26. Juni 2001 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde.524 Förderberechtigt sind nach § 10a Abs. 1 S. 1 1. HS EStG die in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversicherten Personen.525 Ihnen gleichgestellt sind Besoldungsempfänger nach dem Bundesbesoldungsgesetz (also insbesondere aktive Beamte, Richter und Soldaten), Pflichtversicherte nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte und Arbeitslose, die der Versicherungspflicht nicht unterliegen, weil sie eine Leistung nach dem SGB III nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht beziehen, (§ 10a Abs. 1 S. 1 2. HS Nr. 1, Abs. 1 S. 3 EStG). Für Empfänger von Amtsbezügen aus einem Amtsverhältnis, die nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB VI versicherungsfrei Beschäftigten und die nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 oder nach § 230 Abs. 2 S. 2 SGB VI von der Versicherungspflicht befreiten Beschäftigten gilt dies entsprechend, wenn deren Versorgungsrecht die entsprechende Anwendung des § 69e Abs. 3 522
Kritik an einer „recht bescheidenen Einzelfallprüfung“ im Anwendungsbereich des Art. 14 GG bei Papier, in: v. Maydell/Ruland, SRH, A. 3. Rn. 54. 523 Die wesentlichen Regelungen der steuerlichen Förderung finden sich in § 10a EStG sowie im neu eingefügten Abschnitt „XI. Altersvorsorgezulage“ (§§ 79–99) des EStG. 524 BGBl. 2001 I, 1310; geändert durch das Versorgungsänderungsgesetz 2001 vom 20.12.2001 (BGBl. I, 3926). 525 Vgl. die in den §§ 1 bis 4, 229, 229a und 230 SGB VI aufgeführten Personengruppen.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
und 4 des Beamtenversorgungsgesetzes vorsieht, (§ 10a Abs. 1 S. 1 2. HS Nr. 2 und 3 EStG). Pflichtversicherten gleichgestellt sind ferner ohne Besoldung beurlaubte Beamte (Richter, Berufs-/Zeitsoldaten) und unter bestimmten Voraussetzungen Steuerpflichtige i. S. d. Nr. 1–4 des § 10a Abs. 1 EStG, die wegen der Erziehung eines Kindes beurlaubt sind und (nur) deshalb keine Besoldung, Amtsbezüge oder Entgelt erhalten (§ 10a Abs. 1 S. 1 2. HS Nr. 4 und Nr. 5 EStG).526 Strafgefangene scheiden aus diesem begünstigten Personenkreis aus, weil sie grundsätzlich – Ausnahme: Freigänger – nicht rentenversicherungspflichtig sind und erst recht keiner der sonstigen förderberechtigten Personengruppen angehören. Ein originärer Förderanspruch steht ihnen folglich nicht zu. Fraglich ist, ob Strafgefangene an der Riester-Förderung partizipieren können, wenn sie verheiratet sind. Neben dem originär begünstigten Personenkreis gelten für Ehegatten Besonderheiten, die auch verheirateten Strafgefangenen zugute kommen können. Erfüllen Eheleute die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung (§§ 26 Abs. 1, 26b EStG) und gehört nur ein Ehegatte zu den nach § 10a Abs. 1 EStG Begünstigten, fingiert § 79 S. 2 EStG eine Zulageberechtigung und räumt auch dem nicht zulageberechtigten Ehegatten einen eigenen Zulageanspruch (§§ 83 ff. EStG) ein, sofern ein auf seinen Namen lautender Altersvorsorgevertrag besteht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sämtliche Voraussetzungen des § 79 S. 2 EStG auch von Ehegatten erfüllt werden können, von denen ein Ehepartner Strafgefangener ist: 1. Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 EStG Die Zusammenveranlagung setzt das Bestehen einer gültigen Ehe voraus. Die Ehe wird infolge des Verbüßens einer Freiheitsstrafe nicht beendet. Beide Eheleute müssen unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i. S. d. § 1 Abs. 1 EStG sein. Sofern sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, unterliegen sie als natürliche Personen der unbeschränkten Steuerpflicht. Diese ist nicht davon abhängig, ob jemand Einkommen i. S. d. Einkommensteuergesetzes bezieht.527 Demnach ist auch der inhaftierte Ehepartner einkommensteuerpflichtig. 526
Ausführlich zum förderberechtigten Personenkreis, vgl. z. B. BMF BStBl 2004 I, 1065 Rn. 3 ff. sowie Anl. 1 (1092 ff.) und Anl. 2 (1095); Schneider/Krammer, in: Littmann/Bitz/Pust, § 10a EStG Rn. 2–9. 527 Michel, in: Littmann/Bitz/Pust, § 1 EStG Rn. 27.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
175
Die Ehegatten dürfen nicht dauernd getrennt leben. Das setzt voraus, dass die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft auf Dauer noch besteht.528 Dass einer der Eheleute eine Freiheitsstrafe absitzt, steht dem nicht entgegen. Die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft ist trotz räumlicher Trennung des Ehepaares vorhanden, sofern sie erkennbar die Absicht haben, die eheliche Gemeinschaft im Rahmen des Möglichen aufrechtzuerhalten und nach Wegfall der Hindernisse die volle Gemeinschaft wiederherzustellen.529 Darum ist die längere Abwesenheit eines Ehegatten infolge Verbüßens einer mehrjährigen oder sogar lebenslangen Freiheitsstrafe unbeachtlich, wenn der Wille zur Aufrechterhaltung der ehelichen Verbindung, z. B. durch regelmäßige Telefonate, Besuche, Briefwechsel sowie die gemeinsame Sorge für die Kinder, dokumentiert wird.530 Schließlich müssen für die Zusammenveranlagung von Ehegatten alle Voraussetzungen gleichzeitig zu Beginn des Veranlagungszeitraums vorgelegen haben oder im Laufe des Veranlagungszeitraums eingetreten sein. Dies ist unproblematisch, wenn die Ehe bereits im Zeitpunkt des Haftantritts bestand. 2. Ein Ehegatte gehört zum zulageberechtigten Personenkreis nach § 79 S. 1 i. V. m. § 10a Abs. 1 EStG Es ist prinzipiell möglich, dass der Ehegatte eines Strafgefangenen dem zulageberechtigten Personenkreis nach § 10a Abs. 1 EStG angehört, wodurch der Strafgefangene selbst einen mittelbaren Zulageanspruch erwerben kann. Der abgeleitete Zulageanspruch ist jedoch immer von dem originär begünstigten Ehegatten abhängig. Fallen bei diesem die persönlichen Fördervoraussetzungen weg, weil er beispielsweise nicht mehr in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert ist, besteht auch der abgeleitete Zulageanspruch nicht mehr. Gleiches gilt, wenn sich die Eheleute trennen.531 3. Abschluss eines Altersvorsorgevertrages durch den Gefangenen Der abgeleitete Zulageanspruch nach § 79 S. 2 EStG setzt schließlich voraus, dass für den Strafgefangenen als nicht unmittelbar Begünstigten ein auf seinen Namen lautender Altersvorsorgevertrag532 besteht. Sofern ein 528 529 530 531
BFH BStBl 1967 III, 84 und 110. BFH BStBl 1967 III, 84. BFH BStBl 1967 III, 84, 85; R 174 Abs. 1 S. 3 EStR 2001. Risthaus, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 79 EStG Rn. 4.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Strafgefangener nicht bereits vor seinem Haftantritt einen solchen Vertrag abgeschlossen hat, kann er diesen jederzeit auch während seiner Inhaftierung abschließen. Erfüllen die Ehegatten alle drei genannten Voraussetzungen des § 79 S. 2 EStG ist somit auch ein verheirateter Strafgefangener zulageberechtigt. Er hat nach § 86 Abs. 2 S. 1 EStG einen ungekürzten Zulageanspruch, wenn sein nach § 79 S. 1 EStG begünstigter Ehegatte den Mindesteigenbeitrag unter Berücksichtigung der den Ehegatten insgesamt zustehenden Zulagen erbracht hat. Der Strafgefangene selbst ist nicht verpflichtet, eigene Beiträge zu erbringen; es genügt, wenn lediglich die ihm zustehenden Zulagen auf seinen Altersvorsorgevertrag eingezahlt werden.533 Es bleibt abzuwarten, ob Strafgefangene von der mittelbaren Begünstigung Gebrauch machen werden. Abgesehen von den damit verbundenen Kosten für die Verwaltung der Verträge beider Eheleute und die Aufwendung des höheren Eigenbeitrags gem. § 86 Abs. 1 S. 2 2. HS EStG durch den nach § 79 S. 1 EStG Begünstigten, dürfte das angesammelte Altersvorsorgevermögen des nur mittelbar Begünstigten ziemlich gering ausfallen. Ungeachtet dessen ist positiv zu bewerten, dass zumindest verheirateten Gefangenen die Möglichkeit der „Riester-Renten“-Förderung im Wege des abgeleiteten Zulageanspruchs eingeräumt wird. 5. Rechtsnachteile für die Angehörigen? Während die Nichteinbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung unmittelbar den Versicherungsstatus der mitversicherten Familienangehörigen beeinflusst534, macht sich der Einfluss der Haft im Rahmen der Rentenversicherung für die Angehörigen erst bei Eintritt des Versicherungsfalls bemerkbar. Verstirbt das versicherte Familienmitglied, stehen dem Ehepartner und den Kindern bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Rente wegen Todes nach den §§ 46–48 SGB VI zu. Einen Hinterbliebenenrentenanspruch haben die Familienangehörigen auch dann, wenn sich der Ehegatte zum Zeitpunkt des Todes im Strafvollzug befindet. Voraussetzung ist allerdings, dass er die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt. Ansonsten bedarf es keiner Vorversicherungszeit, d.h. der Gefangene braucht weder im Todeszeitpunkt noch in einem be532 Zum Begriff des Altersvorsorgevertrags: § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorgeverträgen (Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz – AltZertG), Art. 7 AVmG, in: BGBl. 2001 I, 1310, 1322. 533 Risthaus, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 86 EStG Rn. 8; Drenseck, in: Schmidt, EStG, § 86 Rn. 8. 534 Ausführlich dazu im Zweiten Teil unter B. I. 2. b).
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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stimmten Zeitraum davor aktiv als Pflichtmitglied oder freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung angehört zu haben.535 Die Hinterbliebenenrenten erfüllen nach dem Tod des „Familienernährers“ eine Unterhaltsersatzfunktion.536 Fehlen dem verstorbenen Versicherten vor allem aufgrund längerer Inhaftierung über einige Jahre rentenrechtlich erhebliche Zeiten i. S. d. § 54 Abs. 1 SGB VI, wirkt sich dies (auch) für die Angehörigen in der Höhe der Rentenleistung aus. Sofern die Hinterbliebenenrente nicht ausreicht, um den Lebensbedarf zu decken, sind die Familienangehörigen als Hinterbliebene auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs. 1 SGB XII angewiesen.537 6. Folgerungen Als Ergebnis ist festzustellen, dass die Zeit des Freiheitsentzugs nahezu ohne Ausnahme eine gänzlich rentenversicherungslose Zeit für die (ehemaligen) Gefangenen ist, obwohl sie unter Umständen jahrelang im Vollzug gearbeitet haben. Ihre Vermögenslage lässt die Zahlung freiwilliger Beiträge während der Inhaftierung nicht zu. Die zumindest mögliche (Teil-)Belegung durch eine fiktive Pflichtbeitragszeit kommt nur für eine kaum nennenswerte Personenzahl in Betracht. Die Bestrafung eines Delinquenten ist mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe letztlich nicht auf den Freiheitsentzug beschränkt. Er wird durch die geltende Rechtslage zusätzlich sozial benachteiligt, was im Fall seines Todes auch die Angehörigen in Bezug auf eine Hinterbliebenenrente spüren müssen. Die Nichtzahlung von Versicherungsbeiträgen während des Strafvollzugs wirkt sich für den Betroffenen also „lebenslang“ aus. Bei Eintritt des Versicherungsfalls, sei es durch Erreichen des Rentenalters, sei es infolge verminderter Erwerbsfähigkeit, werden die Rechtsnachteile der suspendierten Rentenversicherungspflicht spürbar. Rotthaus spricht zu Recht von einer „resozialisierungsfeindlichen Spätfolge der Freiheitsstrafe“.538 Die rentenversicherungsrechtliche Sicherung dieses Personenkreises ist sozialpolitisch längst zu einem „Nachversicherungsproblem“ geworden.539 Sofern später die Rente zum Leben nicht ausreicht oder überhaupt kein Rentenanspruch besteht, werden sie immer auf Leistungen der Grundsicherung nach § 19 Abs. 2 i. V. m. § 41 SGB XII angewiesen sein. 535
Köbl, in: Schulin HS-RV, § 28 Rn. 8. Köbl, in: Schulin HS-RV, § 28 Rn. 3; Igl/Welti, § 34 Rn. 94. 537 BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 177; Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug e. V., ZfStrVo 1993, 180. 538 Rotthaus, NStZ 1987, 1, 4. 539 So Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 1 Rn. 21e. 536
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
III. Nichteinbeziehung in die soziale Pflegeversicherung 1. Einleitende Bemerkungen Die Pflegeversicherung ist im SGB XI geregelt und sichert als eigenständiger Zweig der Sozialversicherung das Risiko der Pflegebedürftigkeit. Da dieser Sozialversicherungszweig erst 1995 geschaffen wurde, enthält das Strafvollzugsgesetz aus dem Jahr 1977 in seinen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften hinsichtlich des Risikos der Pflegebedürftigkeit noch keine Regelungen. Nach § 14 SGB XI ist pflegebedürftig, wer aufgrund von Krankheit oder Behinderung zu gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens (Körperpflege, Ernährung, Mobilität und Haushaltsführung, § 14 Abs. 4 SGB XI) auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, nicht mehr selbständig in der Lage ist, sondern hierfür fremder Hilfe bedarf. Für den Leistungsumfang werden drei Pflegestufen unterschieden, die sich nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit richten (§ 15 SGB XI): Die erhebliche Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe I), die Schwerpflegebedürftigkeit (Pflegestufe II) und die Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe III). 2. Rechtslage und Folgen für Strafgefangene Die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung folgt der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 1 Abs. 2 S. 1, 20 SGB XI). Entsprechend diesem Grundsatz folgt daraus für Strafgefangene: Da die im Strafvollzug arbeitenden Gefangenen nicht krankenversicherungspflichtig sind540, sind sie somit auch nicht pflegeversicherungspflichtig. Die Arbeit von Strafgefangenen erfüllt nicht den Versicherungspflichttatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, weil sie nicht als Beschäftigte i. S. d. Sozialversicherungsrechts gelten. Da auch kein Sondertatbestand die Gefangenenarbeit dem Schutz der sozialen Pflegeversicherung unterstellt, sind Strafgefangene – mit Ausnahme der Freigänger – grundsätzlich nicht in den Schutz der sozialen Pflegeversicherung einbezogen. Etwas anderes gilt nur, falls ein Gefangener trotz Inhaftierung freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Dann ist er nach § 20 Abs. 3 SGB XI auch in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Ferner ist ein Gefangener pflegeversichert, wenn er nach § 25 Abs. 1 SGB XI familienversichert ist, bereits eine Rente bezieht (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 SGB XI) oder sich nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht auf Antrag freiwillig weiterversichert hat (§ 26 Abs. 1 S. 1 SGB XI). 540
Ausführlich dazu Zweiter Teil, A. II. 2. a) und B. I. 1.
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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Was sind die Folgen eines Ausschlusses aus der gesetzlichen Pflegeversicherung? Der Ausschluss könnte für einen Gefangenen folgenschwer für die Vorversicherungszeit sein, die für einen Leistungsanspruch erfüllt sein muss. Nach § 33 Abs. 2 S. 1 SGB XI besteht ein Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nur, wenn der Versicherte in den letzten zehn Jahren vor der Antragstellung mindestens fünf Jahre als Mitglied versichert oder nach § 25 SGB XI familienversichert war. Derjenige, der bis zu seiner Inhaftierung als Mitglied versichert war, sodann als nicht versicherter Gefangener mindestens eine fünfjährige Freiheitsstrafe verbüßt, erfüllt spätestens nach fünf Jahren im Strafvollzug nicht mehr die erforderliche Vorversicherungszeit. Sollte der Gefangene nach seiner Entlassung aus der Haft pflegebedürftig werden, hat er folglich keinen Leistungsanspruch nach dem SGB XI, solange er die Vorversicherungszeit des § 33 Abs. 2 S. 1 SGB XI nicht erneut erfüllt. Ihm verbleibt in dem Fall ein Rechtsanspruch auf „Hilfe zur Pflege“ nach den Vorschriften des Sozialhilferechts (§ 19 Abs. 3 i. V. m. §§ 61 ff. SGB XII). Da die Sozialhilfe allerdings im Unterschied zu den Leistungen der Pflegeversicherung einkommens- und vermögensabhängig gewährt wird, steht sie nur demjenigen zu, der sich nicht selbst helfen kann (§ 2 Abs. 1 SGB XII). Leistungsberechtigt für die Leistung „Hilfe zur Pflege“ ist der ehemalige Gefangene gem. § 19 Abs. 3 SGB XII somit nur dann, wenn ihm und seinem Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel für die Pflegeleistungen aus dem Einkommen und Vermögen nach dem Elften Kapitel des SGB XII nicht zuzumuten ist. Im Übrigen hat die Nichteinbeziehung von Gefangenen in die soziale Pflegeversicherung Folgen für einen Leistungsbezug. Denn die Mitgliedschaft in einer Pflegekasse (§§ 1 Abs. 3, 46 SGB XI) endet nach § 49 Abs. 1 S. 2 SGB XI mit Ablauf des Tages, an dem die Versicherungspflicht entfällt und nicht das Recht zur Weiterversicherung (§ 26 SGB XI) ausgeübt wird. Mit dem Ende der Mitgliedschaft erlischt grundsätzlich der Anspruch auf Leistungen (§ 35 SGB XI). Demnach verliert eine pflegebedürftige Person, welche bislang Pflegeleistungen bezog, ihren Leistungsanspruch spätestens dann, wenn mit dem Haftantritt die bis dahin bestehende Versicherungspflicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI entfällt und die Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung endet. In dem Zusammenhang stellen sich allerdings folgende Fragen: Sind pflegebedürftige Personen überhaupt vollzugstauglich, um eine Freiheitsstrafe anzutreten oder – für den Fall, dass der Vollzug einer solchen Strafe schon begonnen wurde – um die Strafvollstreckung fortzusetzen? Wenn ja, wer erbringt die notwendigen Pflegeleistungen? Wer trägt die anfallenden Kosten?
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Für die Frage der Vollzugstauglichkeit ist § 455 StPO heranzuziehen. Die Norm regelt den Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit und bestimmt die Gründe für den Aufschub (§ 455 Abs. 1 bis 3 StPO) oder die Unterbrechung (§ 455 Abs. 4 StPO) der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe. Gesetzliche Aufschub- und Unterbrechungsgründe sind der Verfall eines Verurteilten in Geisteskrankheit sowie die Besorgnis naher Lebensgefahr, die aus einer anderen Krankheit im Fall und ursächlich verknüpft mit einer Vollstreckung droht. Außerdem kann aufgrund des körperlichen Zustands eines Verurteilten die sofortige Vollstreckung aufgeschoben werden, wenn diese mit der Einrichtung der Strafanstalt unverträglich ist (§ 455 Abs. 3 StPO). Ein anderer Strafunterbrechungsgrund ist eine sonstige schwere Erkrankung, die in der Vollzugsanstalt oder einem Anstaltskrankenhaus nicht erkannt oder behandelt werden kann und voraussichtlich für eine erhebliche Zeit fortbestehen wird (§ 455 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 StPO). Eine Strafunterbrechung ist aber auch bei Vollzugsuntauglichkeit ausgeschlossen, wenn überwiegende Gründe, namentlich der öffentlichen Sicherheit, entgegenstehen (§ 455 Abs. 4 S. 2 StPO). Aus § 455 StPO ist damit abzuleiten, dass für eine Vollzugsuntauglichkeit eine solche mangelnde gesundheitliche Verfassung vorausgesetzt wird, dass der Verurteilte weder in der Vollzugsanstalt noch ambulant außerhalb der Anstalt noch in einem Haftkrankenhaus in der erforderlichen Weise behandelt werden kann.541 Es dürfte unbestritten sein, dass eine die Vollzugsuntauglichkeit auslösende Erkrankung eine Pflegebedürftigkeit i. S. d. sozialen Pflegeversicherung bedeuten kann, unabhängig davon, ob Gefangene pflegeversichert sind oder nicht. In Anbetracht der strengen Anforderungen des § 455 StPO folgt im Umkehrschluss daraus aber nicht, dass jede Pflegebedürftigkeit zugleich zur Vollzugsuntauglichkeit führt. Denn pflegebedürftig im Rahmen der Pflegestufe I ist nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XI bereits eine Person, die bei der Körperpflege, Ernährung oder Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt.542 Ein solcher gesundheitlicher Zustand ist nicht schon den Erkrankungen nach § 455 StPO als Voraussetzung für die Vollzugsuntauglichkeit gleichzusetzen. Deshalb ist die bloße Pflegebedürftigkeit eines Verurteilten kein Grund, gegen den Betreffenden die Freiheitsstrafe nicht zu vollstrecken. Folglich kommen und befinden sich selbst pflegebedürftige Straftäter in Justizvollzugsanstalten. Deren notwen541
Vgl. OLG München MDR 1981, 426. Um hauswirtschaftliche Versorgung müssen sich Gefangene prinzipiell nicht kümmern, weil sie vollständig über die Vollzugsanstalt versorgt sind. Zur hauswirtschaftlichen Verrichtung können bei Gefangenen allerdings die Reinigung ihrer Zellen gefasst werden. 542
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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dige Pflege wird in der Krankenabteilung der Vollzugsanstalt und in schwereren Fällen im Haftkrankenhaus geleistet.543 In Ausnahmefällen kann es vorkommen, dass ein Strafgefangener wegen seiner Pflegebedürftigkeit sogar monate- oder gar jahrelang seine Strafe im Haftkrankenhaus verbüßt. Wenn die Strafe dort vollstreckt werden kann, verbleibt er in Haft.544 Die Kosten für die anfallenden Pflegeleistungen trägt allein der Justizfiskus. Das gilt auch für die in der sozialen Pflegeversicherung versicherten Gefangenen. Dabei sind diese bei Eintritt des Versicherungsfalls im Grunde gegen die zuständige Pflegekasse leistungsberechtigt. Denn anders als im Krankenversicherungsrecht (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V) gibt es im SGB XI keine Regelung, die ein Ruhen von Leistungsansprüchen gegenüber Gefangenen anordnet.545 In der Praxis werden aber von den Pflegekassen für versicherte Gefangene keine Leistungen erbracht; die notwendigen Pflegeleistungen erbringen ausschließlich die Einrichtungen des Strafvollzuges, d.h. die Krankenabteilung der JVA oder das Haftkrankenhaus.546 Insgesamt werden die Gefangenen im Pflegefall während ihrer Inhaftierung versorgt. Der Ausschluss aus diesem Versicherungszweig kann sich für die Gefangenen aber nachteilig auswirken, wenn sie als Pflegefall aus dem Vollzug entlassen werden. Solange sie nach ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug nicht die für einen Leistungsanspruch erforderliche Vorversicherungszeit gem. § 33 Abs. 2 S. 1 SGB XI erfüllen, können sie keine Leistungen der sozialen Pflegeversicherung beanspruchen. Sie sind im Falle der Bedürftigkeit auch hier wieder auf die Unterstützung durch den Sozialhilfeträger angewiesen.
543
Telefonische Auskunft (vom 9.2.2006) von Rainer Rex, Ärztlicher Leiter des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten und Leiter des Medizinischen Dienstes im Berliner Justizvollzug. 544 Telefonische Auskunft (vom 9.2.2006) von Rainer Rex (s. vorangehende Fn.). 545 § 34 SGB XI ordnet das Ruhen von Leistungsansprüchen der sozialen Pflegeversicherung nur für den Fall an, dass sich ein Versicherter mehr als sechs Wochen im Kalenderjahr im Ausland aufhält oder er Entschädigungsleistungen wegen Pflegebedürftigkeit nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) oder nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder als Unfallentschädigung aus öffentlichen Kassen erhält. 546 Telefonische Auskunft (vom 9.2.2006) von Rainer Rex, Ärztlicher Leiter des Krankenhauses der Berliner Vollzugsanstalten und Leiter des Medizinischen Dienstes im Berliner Justizvollzug.
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
3. Rechtslage und Folgen für die Angehörigen eines Gefangenen Wie wirkt sich die Nichteinbeziehung von Gefangenen in die Pflegeversicherung auf deren Kinder und (Ehe-)Partner aus? Ob und wenn ja, auf welche Weise sich der pflegeversicherungsrechtliche Status der Familienangehörigen eines Gefangenen infolge seiner Strafhaft verändert, hängt – wie schon für den krankenversicherungsrechtlichen Status beschrieben – von der jeweiligen Familiensituation ab. Wenn der (Ehe-)Partner eines Gefangenen nach § 20 SGB XI selbst pflegeversichert ist, sei es als versicherungspflichtiges oder freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung, beeinflusst die Strafhaft den Pflegeversicherungsstatus der Angehörigen nicht. Die Kinder können in diesem Fall eine beitragsfreie Familienversicherung nach § 25 SGB XI i. V. m. §§ 1 Abs. 6 S. 3, 56 Abs. 1 SGB XI von diesem Elternteil ableiten. Hingegen kommt eine beitragsfreie Familienversicherung sowohl für den Ehegatten oder Lebenspartner als auch die Kinder nach § 25 Abs. 1 SGB XI, die an die Person des inhaftierten Familienmitglieds geknüpft ist, nur in Betracht, wenn der Inhaftierte als Freigänger ein freies Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, bereits eine Rente bezieht (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 SGB XI), nach § 20 Abs. 3 SGB XI pflegeversicherungspflichtig ist oder eine Weiterversicherung des Gefangenen nach § 26 Abs. 1 S. 1 SGB XI erfolgte. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, endet mit dem Ende der Pflegeversicherungspflicht des Gefangenen infolge seiner Inhaftierung auch die Familienversicherung seiner Angehörigen, weil diese akzessorisch zur Stammversicherung des Mitglieds ist. Entsprechend § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V gewährt § 26 Abs. 1 S. 2 SGB XI Personen, deren Familienversicherung nach § 25 SGB XI erlischt, aber das Recht, sich auf Antrag in der sozialen Pflegeversicherung weiterzuversichern. Der (Ehe-)Partner des Gefangenen ist danach zur Weiterversicherung berechtigt, wenn sein Pflegeversicherungsschutz in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate bestand und keine Versicherungspflicht in der privaten Pflegeversicherung eintritt (§ 26 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XI). Der Antrag für eine freiwillige Weiterversicherung ist gem. § 26 Abs. 1 S. 3 SGB XI innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Familienversicherung zu stellen. Problematisch könnte für betroffene Angehörige auch hier die Beitragsfinanzierung sein, denn nach § 59 Abs. 4 S. 1 SGB XI haben Weiterversicherte den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung allein zu tragen. Von dem Sozialversicherungsträger werden die Beiträge zur Pflegeversicherung nach § 32 Abs. 3 SGB XII nur übernommen,
B. Suspendierung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht
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soweit dieser für die Angehörigen auch die Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung nach § 32 Abs. 2 SGB XII übernimmt.547 Bezieht der (Ehe-)Partner eines Gefangenen als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB II) hingegen Arbeitslosengeld II nach § 19 S. 1 SGB II, ist er – als versicherungspflichtiges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung548 – auch in der sozialen Pflegeversicherung kraft Gesetzes versicherungspflichtig (§ 20 Abs. 1 Nr. 2a SGB XI) und Mitglied einer Pflegekasse (§ 49 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Von dieser Stammversicherung können vorhandene Kinder unter den Voraussetzungen des § 25 SGB XI die beitragsfreie Familienversicherung ableiten, sodass auch sie in dem Fall wieder gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit gesichert sind. Sind der (Ehe-)Partner und die Kinder eines Strafgefangenen nicht durch die soziale Pflegeversicherung gesichert – sei es als Nichtversicherte, sei es als Versicherte, die die fünfjährige Wartezeit gem. § 33 Abs. 2 SGB XI nicht erfüllt haben – haben sie im Fall der Pflegebedürftigkeit Anspruch auf „Hilfe zur Pflege“ nach den sozialhilferechtlichen Vorschriften (§§ 61 ff. SGB XII). Leistungsberechtigt sind aber die Angehörigen eines Gefangenen gem. § 19 Abs. 3 SGB XII nur dann, wenn ihnen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten ist. Leistungsberechtigte nach dem SGB XI haben unter den gleichen Voraussetzungen einen (ergänzenden) Anspruch auf Hilfe zur Pflege, sofern die Leistungen der Pflegekassen nicht ausreichen oder es um die Gewährung von Hilfen geht, die als solche im SGB XI nicht vorgesehen sind549.550 Im Allgemeinen ist der Gefangene nach seiner Entlassung aus der Haft nicht nach § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII zum Ersatz der Hilfen zur Pflege verpflichtet, die einem Familienmitglied während seiner Haftzeit geleistet wurden, weil die Sozialhilfeträger nach § 103 Abs. 1 S. 3 SGB XII regelmäßig von einer Heranziehung zum Kostenersatz absehen.551
547 Ob und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht: s. o. Zweiter Teil, B. I. 2. b) dd). 548 Vgl. Zweiter Teil, B. I. 2. b) ee). 549 Zu diesen originären Pflegeleistungen der Sozialhilfe gehören vor allem Leistungen für diejenigen Pflegebedürftigen, deren Pflegebedürftigkeit unterhalb der Schwelle des § 14 SGB XI liegt, die entweder noch nicht den Grad der Pflegestufe I erreicht haben oder weniger als sechs Monate pflegebedürftig sind. 550 Conradis, in: Rothkegel, Sozialhilferecht, Teil III, Kap. 23 Rn. 14 f. 551 Dazu schon Zweiter Teil, B. I. 2. b) ee).
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
C. Untersuchung der gegenwärtigen Rechtslage unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel Die gegenwärtige Rechtslage der sozialen Sicherung der Strafgefangenen und die Mitbetroffenheit ihrer Angehörigen erscheinen im Hinblick auf bestimmte grundrechtliche Gewährleistungen verfassungsrechtlich bedenklich. Ist es unter dem Blickwinkel des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt, dass die sog. Freigänger tariflich entlohnt werden und sozialversicherungsrechtlich gesichert sind, im Gegensatz zu den Gefangenen, die aufgrund zugewiesener Pflichtarbeit tätig sind und denen diese Vorteile nicht zuteil werden, obwohl – von wenigen Ausnahmen abgesehen552 – alle Strafgefangenen der gesetzlichen Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 StVollzG unterliegen? Lässt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz möglicherweise ein Anspruch auf Einbeziehung sämtlicher im Strafvollzug beschäftigter Gefangener in die sozialen Sicherungssysteme ableiten? Untersuchungswürdig ist des Weiteren, ob im Hinblick auf den Schutz von Ehe und Familie die „Mitbestrafung“ der Familienangehörigen eines Gefangenen mit Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich vereinbar ist.
I. Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit der ungleichen sozialen Sicherung von Strafgefangenen mit Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG statuiert programmatisch die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Er gilt daher als allgemeines rechtsstaatliches Prinzip in allen Rechtsgebieten.553 Er wendet sich in seiner Ausformung als „Willkürverbot“ gerade auch an den Gesetzgeber mit der Weisung, „weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ zu behandeln.554 1. Ungleichbehandlung Durch die unterschiedliche Entlohnung und soziale Sicherung von Freigängern und den im geschlossenen Vollzug beschäftigten Gefangenen wird eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung vorgenommen. Trotz getrennter Unterbringung555 und unterschiedlicher Arbeitsorte stehen diese Personen552
Vgl. § 41 Abs. 1 S. 3 StVollzG. BVerfGE 38, 225, 228; 41, 1, 13. 554 Ständige Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 1, 14, 52; 18, 38, 46; 49, 148, 165; 86, 81, 87. 553
C. Rechtslage unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel
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gruppen insofern einander gleich, als sie beide „arbeitspflichtige beschäftigte Strafgefangene“ sind. Von der Rechtsetzung werden sie allerdings ungleich behandelt. Während den im Strafvollzug Tätigen wegen ihrer Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 StVollzG die Ausübung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses versagt wird556, sind die Freigänger hingegen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dabei besteht auch während einer Beschäftigung als Freigänger die strafvollzugsgesetzliche Arbeitspflicht fort.557 Eine Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Form eines gleichheitswidrigen Unterlassens ist folglich zu bejahen. 2. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Ungleichbehandlung müsste verfassungsgemäß sein. Bei den Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung differenziert das BVerfG nach der Intensität, mit der eine Ungleichbehandlung die Betroffenen beeinträchtigt. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung reichen.558 Bei Ungleichbehandlungen größerer Intensität, insbesondere solchen, die Personengruppen ungleich behandeln oder sich auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken, ist Art. 3 Abs. 1 GG vor allem dann verletzt, wenn für die Differenzierung keine Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen könnten (sog. „neue Formel“).559 Ein Gleichheitsverstoß kann hiernach nur durch einen gewichtigen sachlichen Grund gerechtfertigt werden, der in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleichbehandlung stehen muss.560 Bei Ungleichbehandlungen geringer Intensität561 versteht das BVerfG das Gleichheitsgebot 555 Nach VV Nr. 2 Abs. 1 zu § 39 StVollzG sollen Gefangene, denen das Eingehen eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt gestattet ist, von den Gefangenen des geschlossenen Vollzugs getrennt gehalten werden. 556 Vgl. Zweiter Teil A. II. 2. a) und b). 557 Vgl. z. B. BSGE 67, 269, 271; Schorn, NZS 1995, 444, 445; a. A. AKStVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, § 41 Rn. 4, die allerdings einräumen, dass bei einer Arbeitsverweigerung der Freigänger den Widerruf der ihm eingeräumten Rechtsstellung riskiert. 558 Vgl. Sondervotum Katzenstein, BVerfGE 74, 28, 30; außerdem BVerfGE 88, 87, 96; 89, 15, 22; 90, 46, 56. 559 BVerfGE 55, 72, 88; 82, 60, 86; 82, 126, 146; 84, 133, 157; 88, 87, 96 f. 560 BVerfGE 82, 126, 146. 561 Hierunter fallen z. B. ungleiche Rechtsfolgen, die den Einzelnen nur wenig treffen; oder Regelungen, auf die sich die Betroffenen einstellen und den nachteiligen Auswirkungen durch eigenes Verhalten begegnen können (BVerfGE 90, 22, 26).
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
als Willkürverbot (Willkürformel). Willkürlich ist eine Maßnahme, wenn sie nicht mehr am Gerechtigkeitsgedanken orientiert ist.562 Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt danach vor, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt.563 Fraglich ist, welcher Maßstab hier anzuwenden ist. a) Auswahl des Prüfungsmaßstabs Für den verschärften Prüfungsmaßstab spricht die Differenzierung von verschiedenen Personengruppen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Betroffenen die Nachteile des Sozialversicherungsausschlusses nicht durch eigenes Verhalten beeinflussen können. Sie werden zwar mit ihrer Zustimmung in den offenen Vollzug verlegt; die Entscheidung über die Verlegung in den offenen Vollzug trifft nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 4 Abs. 1 zu § 10 StVollzG aber die von der Landesjustizverwaltung bestimmte Stelle. Andererseits wirkt sich die ungleiche soziale Sicherung der im geschlossenen Vollzug beschäftigten Gefangenen nicht nachteilig auf den Gebrauch von Freiheitsgrundrechten aus. Insbesondere können sich die Strafgefangenen nicht auf ein Recht auf soziale Sicherung berufen. Klassische „soziale Grundrechte“, zu denen die soziale Sicherung gehört, sind – anders als in mehreren Landesverfassungen564 – im Grundgesetz nicht verankert worden.565 Im Übrigen werden diese Rechte lediglich als Staatszielbestimmungen in Form der Statuierung von Staatsaufgaben aufgefasst und nicht als einklagbare subjektiv-rechtliche Ansprüche.566 Ferner hat die Legislative 562
BVerfGE 3, 58, 135 f.; 42, 64, 72; 71, 255, 271. BVerfGE 1, 14, 52; darüber hinaus z. B. BVerfGE 18, 38, 46; 68, 237, 250; 83, 1, 23. 564 Vgl. etwa Art. 106 (Recht auf Wohnung), Art. 166 (Recht auf Arbeit), Art. 171 (Recht auf soziale Sicherung) der Bayerischen Verfassung; Art. 18 (Recht auf Arbeit), Art. 20 (Recht auf Bildung), Art. 22 (staatliche Pflicht zur Verwirklichung der sozialen Sicherung), Art. 28 (Recht auf angemessenen Wohnraum) der Berliner Verfassung; Art. 24 (Recht auf Arbeit) der Verfassung von NRW. 565 Anders der Vertrag über eine Verfassung für Europa, der am 18.6.2004 in Brüssel vom Europäischen Rat einstimmig angenommen und am 29.10.2004 von den Staats- und Regierungschefs der 25 EU-Mitgliedstaaten und der drei Kandidatenländer (Bulgarien, Rumänien, Türkei) in Rom unterzeichnet wurde: Teil II des Vertrags – Die Charta der Grundrechte der Union – bestimmt in Art. II-94 Abs. 2, dass jeder Mensch, der in der Union seinen rechtmäßigen Wohnsitz hat und seinen Aufenthalt rechtmäßig wechselt, Anspruch auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten hat. Vollständiger Text der Verfassung im Internet nachzulesen unter: http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2004: 310:SOM:DE:HTML; zuletzt aufgerufen am 30.4.2007. 563
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im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG einen weiten Gestaltungsspielraum. Das gelte – so das BVerfG – in noch höherem Maße bei einer rechtsgewährenden Regelung. Dem Gesetzgeber gebühre bei „gewährender Staatstätigkeit“ größere Gestaltungsfreiheit als innerhalb der Eingriffsverwaltung.567 Um einen Fall der gewährenden Staatstätigkeit handelt es sich auch hier: Dem Gesetzgeber obliegt grundsätzlich die freie Entscheidung zu bestimmen, ob, ab wann und welcher Personenkreis an den Leistungen der Sozialversicherung teilhaben soll.568 Nach diesen Erwägungen spricht mehr für das Willkürverbot als Prüfungsmaßstab.569 Die aus der unterlassenen Inkraftsetzung der §§ 190–193 StVollzG folgende Nichteinbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme ist danach nicht zu beanstanden, sofern ein vernünftiger Grund dafür besteht und die Rechtssetzungsgewalt eine willkürliche Diskriminierung vermieden hat. b) Sachlicher Differenzierungsgrund Um den Anforderungen des Willkürverbots zu entsprechen, müsste die vom Gesetzgeber vorgenommene Ungleichbehandlung von einem sachlichen Grund getragen sein. Das BVerfG sieht in der Auswahl verschiedener Resozialisierungskonzepte eine ausreichende Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung. Die Einbeziehung aller gegen Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung beschäftigter Gefangener in die sozialen Sicherungssysteme sei eine „derart weittragende Regelung“, die sich „als Element eines vom Gesetzgeber frei gestalteten Resozialisierungskonzepts“ darstelle.570 Der Gesetzgeber sei bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise frei, die Merkmale zu wählen, an denen er Gleichheit und Ungleichheit der gesetzlichen Regelung orientiert.571 Als sachliches Differenzierungskriterium genügt demnach die unterschiedliche Ausgestaltung der „Arbeitsverhältnisse“ der Freigänger gegenüber den übrigen arbeitenden Strafgefangenen.572 Ungeachtet ihrer fortbestehenden gesetzlichen Arbeitspflicht schließen die Freigänger freiwillig ein Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitgeber ihrer Wahl. Im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses sind die Freigänger völlig in den Betriebsablauf des Unternehmers eingegliedert und seiner ausschließlichen Leitungsgewalt 566 567 568 569 570 571 572
Dreier, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Vorb. Rn. 81 m. w. N.; Hesse, Rn. 208. Ständige Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 17, 210, 216; 49, 280, 283. BVerfGE 44, 283, 287. A.A. Steiner, S. 114. BVerfGE 98, 169, 212. BVerfGE 60, 113, 119. Näher dazu im Zweiten Teil unter A. II. 2. a).
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
unterworfen. Sie unterstehen während ihrer Tätigkeit keiner öffentlichrechtlichen Verantwortung. Deshalb gelten sie wie jeder andere gegen Entgelt beschäftigte „normale“ Arbeitnehmer als sozialversicherungspflichtig. Dass auch das Beschäftigungsverhältnis eines Freigängers öffentlich-rechtlich geprägt ist, indem er z. B. über das Arbeitsentgelt nicht frei verfügen kann, steht dem nicht entgegen. Die sonstigen Strafgefangenen werden dagegen ausschließlich aufgrund des § 41 Abs. 1 StVollzG zu Arbeiten herangezogen, ohne einen Arbeitsvertrag zu schließen. Sie unterliegen allein der öffentlich-rechtlichen Verantwortung der Vollzugsbehörde und deren Aufsicht. Obwohl diese Gefangenen nicht weniger sozial schutzbedürftig sind als die Freigänger, kann es entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden, wenn der Gesetzgeber aufgrund eines freien Beschäftigungsverhältnisses nur den Personenkreis der Freigänger den anderen versicherungspflichtigen Beschäftigten gleichgestellt hat. Diese Differenzierung steht nicht im Widerspruch zu einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Das BVerfG beanstandet nur die Überschreitung äußerster Grenzen des Gestaltungsspielraums, es prüft nicht, ob der Gesetzgeber die jeweils gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat.573 Die an die verschiedenen Arbeitsverhältnisse gekoppelte Differenzierung ist von daher nicht willkürlich und folglich mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz lässt sich des Weiteren kein direkter Anspruch auf eine Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme ableiten. Ansprüche auf staatliche Leistungen, zu denen auch die Erweiterung des Adressatenkreises einer Pflichtversicherung im Sozialversicherungsrecht gehört, folgen nicht unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG.574 Ein solcher Anspruch wäre mit der dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsfreiheit unvereinbar. Es liegt in dessen Gestaltungsspielraum, den Mitgliederkreis einer gesetzlichen Pflichtversicherung so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist.575 Zwar gewährt § 4 Abs. 1 SGB I jedem ein Recht auf Zugang zur Sozialversicherung. Dieses soziale Recht, das wie alle anderen sozialen Rechte gem. § 2 Abs. 1 S. 2 SGB I kein unmittelbar subjektives Recht schafft, unterliegt jedoch vielerlei Einschränkungen, die sich aus der Struktur der Sozialversicherung ergeben. Die Sozialversicherung, die prinzipiell auf Versicherungszwang beruht, kann nicht jedem nicht versicherungspflichtigen Bürger nach Belieben Zugang gewähren, weil sie sonst für diese „zum Sammel573
BVerfGE 66, 84, 95. Heun, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Art. 3 Rn. 81; Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 3 Rn. 141, 252. 575 BVerfGE 44, 70, 90. 574
C. Rechtslage unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel
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becken der schlechten Risiken“ würde.576 Dem BVerfG zufolge577 kann in dem gesetzgeberischen Unterlassen der Inkraftsetzung der §§ 190–193 StVollzG somit kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen werden. Auch das BSG sieht in dem gesetzgeberischen Unterlassen der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherungssysteme keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG: Das BVerfG habe in ständiger Rechtsprechung dem Gesetzgeber bei gewährender Staatstätigkeit eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zuerkannt, die dann besonders weit sei, „wenn es sich um freiwillige Leistungen aus sozialpolitischen Motiven handelt, mit denen erstmalig ein bestimmter Zustand verbessert werden soll“.578
II. Auswirkungen auf Familienangehörige – ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG? Durch den Vollzug einer staatlich angeordneten Freiheitsentziehung gegen einen Straftäter sind vor allem bei Haushaltsführungsehen579 der Ehepartner und vorhandene Kinder fast immer sozialversicherungsrechtlich mitbetroffen.580 Durch die familiäre Verbundenheit werden die Familienmitglieder in die Wirkung der Strafvollstreckung miteinbezogen. Im Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft tragen die Ehegatten nach § 1353 Abs. 1 S. 2 2. HS BGB füreinander Verantwortung; daraus folgt indes nicht, für Dinge des anderen (mit-)verantwortlich gemacht zu werden. Verletzt deshalb die freilich unbeabsichtigte, jedoch nicht belanglose Form der „Mitbestrafung“ die Familienangehörigen des Delinquenten in ihrem Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG? 1. Schutzfunktionen des Art. 6 Abs. 1 GG Art. 6 Abs. 1 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser umfasst positiv, Ehe und Familie vor Beein576
Rüfner, in: BK, Art. 3 Rn. 321. BVerfGE 98, 169, 212. 578 Vgl. BSG NJW 1989, 190, 191: Das Urteil bezieht sich auf die unterbliebene Inkraftsetzung der versicherungspflichtigen Beschäftigung zur Einbeziehung in die Rentenversicherung (§ 190 Nr. 13 StVollzG). Bestätigend BSG DRV 1994, 824. 579 In der Haushaltsführungsehe versorgt ein Ehegatte die Kinder und den Haushalt, während der andere Ehepartner einer Erwerbstätigkeit nachgeht, um den materiellen Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen, s. Brudermüller, in: Palandt, BGB, § 1360 Rn. 9. 580 Z. B. durch Verlust des Familienversicherungsschutzes in der Krankenversicherung gem. § 10 SGB V, spätere Einbußen bei einer Hinterbliebenenrente, ausführlicher dazu im Zweiten Teil unter B. I. 2. b) bb) und II. 5. 577
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2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
trächtigungen durch andere Kräfte zu bewahren sowie durch geeignete Maßnahmen zu fördern („Schutzgebot“), negativ das Verbot für den Staat selbst, die verbürgten Rechtsinstitute zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen („Schädigungsverbot“).581 Die Vorschrift vereint in sich die Schutzdimensionen eines Abwehrrechts, einer Institutsgarantie und einer wertentscheidenden Grundsatznorm.582 Während das Grundrecht als Abwehrrecht einen klar definierten Schutzraum bildet, in den der Staat grundsätzlich nicht eingreifen darf, werden dem Staat durch die objektiv-rechtliche Grundrechtsfunktion Regelungen zum Schutz und zur Förderung von Ehe und Familie abverlangt.583 Die Institutsgarantie hat bewahrenden Charakter. Sie sichert die Institutionen Ehe und Familie derart in ihrem rechtlichen Bestand, dass der Gesetzgeber an die wesentlichen, die Institute bestimmenden Strukturprinzipien584 gebunden werde, die seiner Verfügungsgewalt entzogen sind.585 Der Gesetzgeber kann demzufolge die das Rechtsinstitut bildenden Normen nur insoweit ändern, als die Änderung keine Abschaffung oder wesentliche Umgestaltung des jeweiligen Rechtsinstituts zur Folge hat. 2. Einschlägige Schutzdimension Die Anordnung und Vollstreckung einer Freiheitsstrafe verstößt nicht gegen die von Art. 6 Abs. 1 GG normierte Institutsgarantie für Ehe und Familie. Das verfassungsrechtliche Gebot, Ehe und Familie als Lebensordnungen anzubieten und zu schützen, wird nicht verletzt, weil die Ausgestaltung der Institute durch diese staatliche Maßnahme keine Änderung erfährt. Die grundsätzliche Gewährleistung der Rechtsinstitute in ihrer wesentlichen Struktur wird gewahrt. Die nachteilige Wirkung der Strafvollstreckung für die Familienangehörigen des Gefangenen könnte aber einerseits als Beeinträchtigung durch einen Akt öffentlicher Gewalt, andererseits als Verstoß gegen das leistungsrechtliche Förderungsgebot zu qualifizieren sein. 581
Grundlegend BVerfGE 6, 55, 76. Vgl. BVerfGE 6, 55, LS 5, 71 f.; 31, 58, 67; 62, 323, 329; 80, 81, 92 f.; aus der Lit. z. B. Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 2, Art. 6 Rn. 67; Gröschner, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Art. 6 Rn. 30 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 1. 583 Kingreen, Jura 1997, 401, 404. 584 Strukturprinzipien der Ehe, die in weitaus stärkerem Maße institutionell vorgeprägt ist als die Familie, sind z. B. die grundsätzlich unauflösliche Lebensgemeinschaft, die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner, die Monogamie (vgl. BVerfG NJW 2002, 2543, 2547). Wesentlicher Kern der Familie ist die grundsätzliche Ermöglichung und Anerkennung familiärer Solidarität. 585 BVerfGE 31, 58, 69; 36, 146, 162; BVerfG NJW 2002, 2543, 2547. 582
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Art. 6 Abs. 1 GG schützt neben der Begründung und Auflösung der Gemeinschaften das gesamte Ehe- und Familienleben als Sphäre privater Lebensgestaltung und entzieht diese der staatlichen Einwirkung.586 Als von der Verfassungsnorm grundlegend schützenswert wird die Unterstützung betrachtet, die sich Eheleute bzw. Familienangehörige gegenseitig immateriell-persönlich sowie materiell-wirtschaftlich zukommen lassen.587 Die wirtschaftliche Hilfe umfasst den materiellen Unterhalt. Zum Unterhalt gehört auch die Sicherstellung eines angemessenen Schutzes im Krankheitsfall.588 Durch die Einbeziehung in die beitragsfreie Familienversicherung nach § 10 SGB V wird dem Unterhaltsverpflichteten die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht589 insofern erleichtert, als er für den Krankenversicherungsschutz seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen keine zusätzlichen Beiträge aufbringen muss.590 Die beitragsfreie Familienversicherung ist Teil des Familienlastenausgleichs.591 Zu diesem ist der Staat aufgrund des Förderungsgebots aus Art. 6 Abs. 1 GG i. V. m. dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip verpflichtet.592 Wenn nun mit der staatlichen Maßnahme der Strafvollstreckung das Ausscheiden des (unterhaltsverpflichteten) Straftäters aus der gesetzlichen Krankenversicherung und infolgedessen zwangsläufig das Ende der Familienversicherung verbunden ist, entzieht der Staat durch seine Maßnahme den Familienangehörigen zugleich eine Förderung, die sie bisher erfahren haben. Der Staat beeinträchtigt dadurch das Recht der Unterhaltsberechtigten auf materiellen Unterhalt. Die von der Freiheitsstrafe ausgehenden ehe- und familienschädigenden Wirkungen sind dem Staat zurechenbar. Die Entscheidung, ob ein Straftäter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, liegt allein in dessen Macht. Mit der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bestimmt der Staat die Lebensverhältnisse des Täters und nimmt zugleich Einfluss auf die Si586
BVerfGE 6, 55, 81; Gusy, JA 1986, 183; Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 3, 5. Vgl. BVerfGE 33, 236, 238; 76, 1, 51; Coester-Waltjen, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 6 Rn. 25. 588 So amtliche Begründung des Gesetzentwurfs zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG) im Zusammenhang mit der Einbeziehung des (gleichgeschlechtlichen) Lebenspartners eines Mitglieds in die beitragsfreie Familienversicherung, BT-Drs. 14/3751, 69. 589 Unterhaltspflichten bestehen zwischen Eltern und Kindern (vgl. §§ 1601 ff. BGB) und zwischen den Ehepartnern untereinander (vgl. §§ 1360, 1361, 1569 ff. BGB). 590 BT-Drs. 14/3751, 69. 591 KassKomm-Peters, § 10 SGB V Rn. 2; Noftz, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 3 Rn. 82. 592 Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 2, Art. 6 Rn. 12; Gröschner, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Art. 6 Rn. 86. 587
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tuation der Angehörigen.593 Dass die staatliche Maßnahme der Freiheitsentziehung nur an den Straftäter adressiert ist, entzieht den Familienangehörigen nicht den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Denn diese Norm schützt nicht nur die Personengemeinschaft „Ehe“ und „Familie“ als solche, sondern auch jedes einzelne Mitglied einer ehelichen oder familiären Lebensgemeinschaft, selbst wenn die jeweilige Maßnahme der öffentlichen Gewalt nur an ein einzelnes Mitglied gerichtet ist.594 Möglicherweise ist Art. 6 Abs. 1 GG aber auch in seiner Funktion als wertentscheidende Grundsatznorm betroffen. Der Schutzdimension als Grundsatznorm kommt auch im Haftvollzug besondere Bedeutung zu. Der Staat hat Ehe und Familie zu erhalten und nachteilige Auswirkungen des Freiheitsentzugs im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen.595 Das Förderungsgebot erhebt Ansprüche an den Gesetzgeber, bestimmte, noch nicht existierende staatliche Vorkehrungen zu treffen.596 Dem könnte der Gesetzgeber zuwider gehandelt haben, wenn er zum Schutz der Familienangehörigen von Inhaftierten z. B. zur Inkraftsetzung der §§ 190–193 StVollzG oder zur Schaffung einer Regelung verpflichtet wäre, die den Angehörigen wenigstens die Fortsetzung ihrer bislang bestehenden beitragsfreien Krankenversicherung gewähren würde. Ist die Legislative nicht in ausreichendem Maße ihrer Pflicht nachgekommen, den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie zu fördern?597 Die Entscheidung, ob es sich um die Abwehr einer Störung oder Schädigung oder um die Geltendmachung eines Leistungsrechts handelt, kann aber letztlich dahinstehen, wenn die Auswirkung der Freiheitsentziehung für Angehörige von Gefangenen gerechtfertigt ist und damit gegen Art. 6 Abs. 1 GG nicht verstößt. 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Da Art. 6 Abs. 1 GG vorbehaltlos gewährleistet ist, können Beeinträchtigungen des Schutzes für Ehe und Familie nur durch kollidierendes Verfas593
Götte, S. 47. BVerfGE 76, 1, 44 f. Das BVerfG hat in dem Zusammenhang ausdrücklich betont, dass es dem Leitbild der Einheit der Ehe und Familie und der durch Art. 3 Abs. 2 GG verbürgten Gleichberechtigung der Ehegatten im Kern zuwider liefe, wenn der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG in persönlicher Hinsicht gegenüber einem dem sachlichen Schutzbereich der Norm unterfallenden Hoheitsakt materiellwie verfahrensrechtlich auf ein bestimmtes Ehe- oder Familienmitglied beschränkt bliebe. 595 BVerfGE 42, 95, 101; BVerfG NJW 1993, 3059. 596 Kingreen, Jura 1997, 401, 405. 597 Vgl. BVerfGE 28, 104, 113; 75, 382, 392. 594
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sungsrecht gerechtfertigt werden. Zum kollidierenden Verfassungsrecht zählen Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte.598 Einige Stimmen der Literatur599 erkennen explizit die Institution der Freiheitsstrafe sowie die Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs als geschützte Verfassungsrechtswerte an; deren Verfassungsrang wird aus den Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 3, 12 Abs. 3, 74 Nr. 1 und 104 Abs. 1 und 2 GG hergeleitet, ohne dies weiter zu begründen. Diese Anerkennung erscheint wegen der normativen Bedeutung dieser Regelungen auf den ersten Blick bedenklich. Bei Art. 74 Nr. 1 GG handelt es sich um eine bloße Kompetenzvorschrift, deren normativer Gehalt sich allein in der Festlegung erschöpft, dass das Rechtsgebiet Strafrecht Gegenstand der konkurrierenden Bundesgesetzgebung ist und folglich das Handeln der Staatsgewalt des Bundes erlaubt ist.600 Damit werden die Gegenstände möglichen staatlichen Handelns aber nicht zu Rechtswerten von Verfassungsrang erhoben.601 Gleiches gilt für die genannten Grundrechte oder das grundrechtsgleiche Recht des Art. 104 GG. Diese Normen bezwecken oder verstärken gerade den Schutz vor Freiheitsbeschränkungen, sodass auch ihnen nicht die Bedeutung der Freiheitsstrafe als „Verfassungsrechtswert“ entnommen werden kann. Das Grundgesetz setzt zwar an mehreren Stellen die staatliche Kompetenz zu strafen voraus602, es gibt aber keine Verfassungsnorm, welche die Institution (Freiheits-)Strafe ausdrücklich rechtfertigt.603 Für den Staat ergeben sich aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte allerdings Schutzpflichten gegenüber dem Bürger, die ihn berechtigen und verpflichten, durch positive Maßnahmen einen Rechtsgüterschutz zu gewährleisten.604 Die generelle Schutzpflicht des Staates folgt aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG; er ist nicht nur verpflichtet, die Grundrechte (negativ) zu achten, son598 Ständige Rspr. seit BVerfGE 28, 243, LS 2, 261; aus der Lit.: Dreier, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 1, Vorb. Rn. 139; v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Vorb. Art. 1–19 Rn. 57. 599 Vgl. Götte, S. 49; Hoffmeyer, S. 142; Morlock, S. 50; Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 6 Rn. 128. 600 Vor In-Kraft-Treten der Föderalismusreform war auch der Strafvollzug Gegenstand der konkurrierenden Bundesgesetzgebung (Art. 74 Abs. 1 GG in der bis 31.8.2006 geltenden Fassung). Nunmehr zählt der Strafvollzug zur Gesetzgebungsmaterie der Länder. Folglich kann der Verfassungsrang der Funktionsfähigkeit des Strafvollzugs nicht mehr aus Art. 74 Abs. 1 GG hergeleitet werden. 601 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 46; Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 132 m. w. N.; Schüler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, S. 97; Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 69, 57, 59 f. 602 Siehe z. B. Art. 26 Abs. 1 S. 2, 46 Abs. 1, 2 und 4, 74 Nr. 1, 102, 103 Abs. 2 und 3 GG. 603 So auch Leyendecker, S. 66 f. 604 Dietlein, S. 17 m. w. N. in Fn. 1 f.; Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 7; Pieroth/Schlink, Rn. 94 ff.
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dern auch (positiv) zu schützen.605 Daraus folgt: Die Rechtsgüter wie deren Schutz genießen den gleichen verfassungsrechtlichen Rang.606 Dieser Schutz kann durch Strafvorschriften realisiert werden.607 Demzufolge billigt der verfassungsrechtlich legitimierte Rechtsgüterschutz der staatlichen Gewalt die Freiheitsstrafe zu. Die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, erfordert grundsätzlich die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs.608 Das Grundgesetz lässt in den oben erwähnten grundrechtlichen oder grundrechtsgleichen Normen erkennen, dass es die Anordnung und Vollstreckung der Freiheitsstrafe anerkennt. Die Institution der Freiheitsstrafe ist damit in der Verfassung abgesichert.609 Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Schutzpflicht des Staates dem Institut der Freiheitsstrafe einen verfassungsrechtlichen Rang verleiht, die dadurch die Bedeutung einer immanenten Schranke erlangt. Die Freiheitsstrafe steht als kollidierendes Verfassungsgut hier folglich den in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten Rechten der einzelnen Familienmitglieder gegenüber. Die Freiheitsstrafe selbst und die aus ihr folgenden ehe- und familienschädigenden Wirkungen sind gerechtfertigt, wenn das Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Freiheitsstrafe die grundrechtlich geschützten Belange überwiegt. Hinter dem gesellschaftlichen Strafinteresse stehen neben der Vergeltung der schuldhaften Tat die verschiedenen Strafzwecke von General- und Spezialprävention. Die Generalprävention bezweckt, durch den Bestrafungsvorgang auf die Allgemeinheit einzuwirken. Während die negative Generalprävention darauf abzielt, jedermann von der Begehung weiterer Straftaten abzuschrecken, erstrebt die positive Generalprävention die Erhaltung und Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung.610 Aus spezialpräventiven Gründen erfolgt der Freiheitsentzug zum Zwecke der Resozialisierung des Täters (positive Spezialprävention) und der Sicherung der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter (negative Spezialprävention).611 Nach Ansicht von Götte überwiegt das Interesse der Allgemeinheit grundsätzlich nur dann, wenn der Freiheitsentzug spezialpräventiv zum Schutz der Allgemeinheit vor dem Täter geboten ist. Das Sicherungsinteresse sei derart gewichtig, dass in dem Fall die Belange 605
Vgl. Isensee, S. 33; Robbers, S. 187 f., 195. Ebenso Isensee, S. 33. 607 BVerfGE 39, 1, 45 ff.; Jarass/Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1 Rn. 7. 608 BVerfGE 51, 324, 343 f. 609 Leyendecker, S. 67. 610 BVerfGE 45, 187, 255 f.; Jescheck/Weigend, § 8 II. 3 a); Maurach/Zipf, § 7 Rn. 8. 611 BVerfGE 45, 187, 257 f.; Jescheck/Weigend, § 8 II. 3 b); Maurach/Zipf, § 7 Rn. 9. 606
C. Rechtslage unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel
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von Ehe und Familie regelmäßig zurücktreten müssten.612 Würde mit der Freiheitsstrafe dagegen ausschließlich einer der anderen Strafzwecke verfolgt werden, könnten diese die Beeinträchtigungen des Ehe- und Familienschutzes wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht rechtfertigen.613 Von diesem Ansatz der Trennbarkeit der Strafzwecke ausgehend, wäre dem Ergebnis zuzustimmen. Der Auffassung Göttes ist aber entgegenzuhalten, dass in der Strafrechtspraxis eine derartige Trennung der einzelnen Strafzwecke unüblich ist. Das geltende Strafrecht und die Rechtsprechung folgen weitgehend der sog. Vereinigungstheorie, die – allerdings mit verschieden gesetzten Schwerpunkten – versucht, sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen.614 Die Verabsolutierung eines einzigen Strafzwecks birgt die Gefahr, dass die strikte Durchführung nur eines Strafzwecks Unfreiheit und Willkür im Gefolge hat und deshalb gegen verschiedene verfassungsrechtliche Prinzipien (z. B. der Menschenwürde oder des Rechtsstaatsprinzips) verstoßen wird.615 Wenn bei der Strafverhängung als mildere Mittel eine Geld- oder Bewährungsstrafe nicht (mehr) möglich sind und im Rahmen der Strafvollstreckung auch die Gewährung der Vollzugslockerung des Freigangs nicht in Betracht kommt (vgl. § 2 S. 2 StVollzG), wird hierfür – neben sonstigen Strafzwecken – immer auch die Sicherung der Allgemeinheit bedeutsam sein. In den Fällen werden die Belange der Allgemeinheit stets die grundrechtlichen Belange der Familie überwiegen, deren Nachteile jedenfalls partiell durch staatliche Leistungen der Sozialhilfeträger kompensiert werden können616. Die Beeinträchtigungen der Ehe und Familie sind folglich gerechtfertigt. Die Benachteiligungen der Familienangehörigen verstoßen auch nicht gegen die aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Pflicht des Staates, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Dem Gesetzgeber steht weitgehende Gestaltungsfreiheit zu, auf welche Weise und in welchem Umfang er den ihm aufgetragenen Schutz verwirklichen will.617 Wenngleich die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich besteht, lassen sich wegen der Gestaltungsfreiheit konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen aus dem Förderungsgebot nicht herleiten.618 Dem612
Götte, S. 51. Götte, S. 52 ff. 614 So ausdrücklich BVerfGE 45, 187, 253; vgl. z. B. auch BGH NStZ 1995, 495; Arloth, GA 1988, 403, 409; Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, Vorb. §§ 38 ff. Rn. 2; Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 3 Rn. 63. 615 Siehe hierzu ausführlich: Leyendecker, S. 70 ff., 77; Roxin, JuS 1966, 377, 387. 616 Vgl. dazu: Zweiter Teil unter B. I. 2. b) dd). 617 Vgl. BVerfGE 82, 60, 81 m. w. N. 618 BVerfGE 82, 60, 81 unter Bezugnahme auf BVerfGE 39, 316, 326. 613
196
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
zufolge ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, im Rahmen des Familienlastenausgleichs spezielle Regelungen zu schaffen, die allein solche Familien entlasten, von denen sich ein Mitglied im Strafvollzug befindet. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen zu entlasten.619 Im Übrigen steht die Familienförderung durch finanzielle Leistungen unter dem Vorbehalt des Möglichen. Die beitragsfreie Familienversicherung wird gerade nicht auf Kosten des Staates, sondern von der Solidargemeinschaft finanziert (vgl. § 3 S. 3 SGB V). Der Staat muss die Belange der Allgemeinheit angemessen beachten und auf deren wirtschaftliche Leistungskraft, insbesondere im Interesse der Funktionsfähigkeit des Sozialversicherungssystems, Rücksicht nehmen. Der Verlust der Familienversicherung für die Angehörigen des Straftäters verstößt schließlich nicht gegen das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Verbot der Schlechterstellung. Die Betroffenen werden nicht gegenüber Ledigen bzw. Nicht-Familien diskriminiert. Sie stehen „nur“ schlechter im Vergleich zu Verheirateten und Familien, deren Stammversicherter sich nicht in Strafhaft befindet. Das Diskriminierungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG gilt jedoch nicht im Verhältnis zwischen verschiedenen Ehen oder Familien.620 Im Ergebnis werden die Familienangehörigen von Strafgefangenen durch die von der Freiheitsstrafe ausgehenden ehe- und familienschädigenden Wirkungen nicht in ihrem Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Es ist sicherlich wünschenswert, wenn die staatliche Gewalt die auftretenden Benachteiligungen durch Ausgleichsleistungen kompensieren würde. Doch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung besteht dazu nicht.
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Arbeit und Entlohnung von Gefangenen und seine Konsequenzen Dem am 1. Juli 1998 verkündeten Urteil des BVerfG621 zur Arbeit und Entlohnung von Gefangenen lagen vier Verfassungsbeschwerden und ein Normenkontrollverfahren zugrunde. Die Entscheidung hatte grundlegende Fragen der Ausgestaltung und Anerkennung der Arbeit im Strafvollzug622, 619
BVerfGE 28, 104, 113; 75, 348, 360; 82, 60, 81. BVerfGE 45, 104, 126; Jarass/Pieroth, GG, Art. 6 Rn. 12; Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6 Rn. 32. 621 BVerfGE 98, 169 m. abw. M. Kruis = NJW 1998, 3337 = StV 1998, 438 = ZfStrVo 1998, 242. 622 Vgl. dazu die Ausführungen im Zweiten Teil unter A. I. 1. 620
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
197
der Entlohnung der Gefangenen sowie ihrer sozialversicherungsrechtlichen Stellung aus verfassungsrechtlicher Sicht zum Gegenstand. Drei Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, durch die Verweigerung einer tarifgemäßen oder angemessenen Entlohnung ihrer Arbeit und durch die Ablehnung der (Nach-)Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in ihren Grundrechten verletzt zu sein.623 Dem Normenkontrollverfahren lag ebenfalls ein Antrag eines Gefangenen auf Zahlung eines angemessenen Arbeitsentgelts zugrunde. Das LG Potsdam hatte das Ausgangsverfahren gem. Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 200 Abs. 1 StVollzG (in der damals geltenden Fassung624) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
I. Wesentlicher Inhalt der Entscheidung 1. Anerkennung der Arbeit im Strafvollzug Das BVerfG hob hervor, dass die Frage nach den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gefangenenarbeit und ihre Vergütung nur im Kontext mit dem Resozialisierungskonzept beantwortet werden kann.625 Deshalb stellte das Gericht zunächst die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots für die Ausgestaltung des Strafvollzugs heraus.626 Dieses fordere, Arbeit angemessen anzuerkennen. Die Anerkennung müsse nicht notwendig finanzieller Art sein. Sie müsse aber geeignet sein, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit zu verdeutlichen.627
623 Die Beschwerdeführer rügten u. a. die Verletzung des Resozialisierungsgebots und des Rechtsstaatsprinzips (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) sowie des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und des Art. 12 Abs. 3 GG. Der Beschwerdeführer zu 4. wendete sich gegen die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen wegen wiederholter Arbeitsverweigerung und gegen gerichtliche Entscheidungen der Strafvollstreckungsgerichte im Verfahren des Eilrechtsschutzes und im Hauptsacheverfahren. Er rügte die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4, 104 Abs. 1 und 2 sowie Art. 12 GG. 624 Zum Zeitpunkt der Entscheidung lautete § 200 Abs. 1 StVollzG: „Der Bemessung des Arbeitsentgelts nach § 43 sind fünf vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zugrunde zu legen.“ 625 BVerfGE 98, 169, 199. 626 Ausführlich dazu im Zweiten Teil, A. I. 1. 627 BVerfGE 98, 169, 201.
198
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
a) Entlohnung der Gefangenenarbeit Wenn sich der Gesetzgeber entschließt, Pflichtarbeit zu vergüten, müsse sich in der Höhe des Entgelts die „angemessene Anerkennung“ widerspiegeln. Die Beantwortung der Frage, was angemessen ist, gebührt – dem BVerfG zufolge – der Legislative. Die am Resozialisierungskonzept orientierte Regelung des Arbeitsentgelts genügt nach Auffassung des höchsten deutschen Gerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das gelte nicht nur für die Bemessung des Lohns auf Grundlage der sog. Eckvergütung, sondern auch für das System der Vergütungsgruppen, die das Arbeitsentgelt nach der Leistung des Gefangenen und der Art der Arbeit abstufen (§ 43 Abs. 1 und 2 StVollzG a. F.)628.629 Hingegen erklärte das Gericht – insoweit im Einklang mit der mehrfach geäußerten Kritik im Schrifttum630 – die Begrenzung der für das Arbeitsentgelt maßgebenden Eckvergütung durch § 200 Abs. 1 StVollzG (a. F.) auf 5% der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV für verfassungswidrig. „In seiner gegenwärtigen Höhe“ kann das Arbeitsentgelt „zur verfassungsrechtlich gebotenen Resozialisierung nicht beitragen, weil der Gefangene durch das ihm tatsächlich zukommende Entgelt nicht im gebotenen Mindestmaß davon überzeugt werden kann, daß Erwerbsarbeit zur Herstellung einer Lebensgrundlage sinnvoll ist.“631 In dem Urteil wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber selbst den in § 200 Abs. 1 StVollzG (a. F.) festgelegten Vomhundertsatz nur als Interimslösung angesehen habe, weil er in § 200 Abs. 2 StVollzG (a. F.) bestimmte, über eine Erhöhung bis 31. Dezember 1980 zu befinden632.633 Die dem Gesetzgeber aus finanzpolitischen Gründen zuzugestehende Übergangsfrist sei inzwischen verstrichen. Das Verfassungsgericht erklärte die dem Resozialisierungsgebot widersprechende Norm für längstens bis zum 31. Dezember 2000 anwendbar.634
628 Zu den Vergütungsgruppen und der Eckvergütung vgl. die Ausführungen im Ersten Teil unter B. III. 629 BVerfGE 98, 169, 203. 630 Vgl. z. B. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 7. Aufl. 1998, § 43 Rn. 2; Däubler/Pécic, in: AK-StVollzG, 3. Aufl. 1990, § 43 Rn. 2 f.; Fleischmann, S. 126; Hartmann, SozVers 1993, 197, 198; Hoffmeyer, S. 269 ff.; Jehle, ZfStrVo 1994, 259, 265; Laubenthal, Strafvollzug, 2. Aufl. 1998, Rn. 407. 631 BVerfGE 98, 169, 212 f. 632 BVerfGE 98, 169, 213. 633 Näher hierzu sowie zu dem Vorschlag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, die Bemessungsgrundlage stufenweise bis auf 40% anzuheben, im Ersten Teil unter A. II. und B. III. 634 BVerfGE 98, 169, 215.
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
199
b) Sonstige Arten der Anerkennung Nach Ansicht des BVerfG kommen im Strafvollzug neben oder anstelle der Entlohnung aber auch nicht-monetäre Arten der Anerkennung für geleistete Arbeit in Betracht. Als Alternativen nennt das Gericht namentlich den Aufbau einer sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaft, Hilfen zur Schuldentilgung oder – sofern general- oder spezialpräventive Gründe nicht entgegenstünden – Haftzeitverkürzungen.635 2. Soziale Sicherung der Strafgefangenen Das BVerfG hält hingegen die fehlende Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Altersrentenversicherung (§ 190 Nummern 13 bis 18 sowie § 191 StVollzG)636 für verfassungsrechtlich unbedenklich. § 198 Abs. 3 StVollzG, der diese Einbeziehung einem besonderen Bundesgesetz vorbehält, sei deshalb nicht zu beanstanden.637 Das Gericht stellte heraus, dass die Eingliederung in den Schutz der sozialen Sicherungssysteme ebenfalls eine Möglichkeit zur Anerkennung der verrichteten Pflichtarbeit sei, es betonte auch, dass sie für bestimmte Gefangene sogar „sinnvoll“ sein könne; die Verfassung zwinge aber nicht zur Ausdehnung dieses Schutzes auf Pflichtarbeit im Strafvollzug.638 Nach der gesetzlich geregelten, aber nicht in Kraft gesetzten Konzeption sollen alle Strafgefangenen, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung erhalten, in die sozialen Sicherungssysteme auf einer Bemessungsgrundlage von 90% der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV einbezogen werden. „Eine derart weittragende Regelung stellt sich als Element eines vom Gesetzgeber frei gestalteten Resozialisierungskonzepts dar.“ Sie sei weder vom verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot gefordert noch vom Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) geboten, vor dem eine solche Regelung im Gegenteil besonders gerechtfertigt werden müsste.639
635
BVerfGE 98, 169, 202. Unerwähnt blieb die Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung, weil es – so das BVerfG – diesbezüglich an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden mangelte. Die Beschwerdeführer hätten eine persönliche Betroffenheit durch Nichtzahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung nicht schlüssig dargelegt (vgl. BVerfGE 98, 169, 196). 637 BVerfGE 98, 169, 212. 638 BVerfGE 98, 169, 204. 639 BVerfGE 98, 169, 212. 636
200
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
II. Bewertung der Entscheidung Insgesamt enthält das Urteil wegweisende Ausführungen für eine verfassungskonforme Regelung und Fortentwicklung des Strafvollzugsrechts. Vor allem aufgrund der nachdrücklichen Betonung der Bedeutung und Verbindlichkeit des verfassungsrechtlich fundierten Resozialisierungsgebots für die Gestaltung des Strafvollzugs hat die Entscheidung zu Recht weitgehend Zustimmung gefunden.640 Positiv ist des Weiteren die längst überfällige Beanstandung der Höhe der Gefangenenentlohnung auf Grundlage des § 200 Abs. 1 StVollzG (a. F.) zu bewerten. Mit einem für das Jahr 2000 errechneten Tageslohn in Höhe von 10,75 DM (in den alten Bundesländern) erhielt der Strafgefangene wahrlich kein Äquivalent für geleistete Arbeit, um deren Sinnhaftigkeit erfahren zu können. Die Entscheidung ist in mehreren Punkten aber auch kritikwürdig. Sie hat, insbesondere was die fehlende Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme betrifft, die Erwartungen nicht erfüllt.641 Pawlita642 und Britz643 kritisieren, dass das Gericht die Höhe der Bemessungsgrundlage zum Argument in der grundsätzlichen Frage nach der Aufnahme der Gefangenen in die sozialen Sicherungssysteme gemacht hat. Dabei handelt es sich diesbezüglich lediglich um eine mögliche Ausgestaltung der rentenrechtlichen Sicherung.644 Um gleichheitsrechtliche Bedenken zu zerstreuen, könnte eine Anpassung an die Beitragsbemessungsgrundlagen von Beschäftigten (§ 162 SGB VI) oder sonstigen Versicherten (§ 166 SGB VI) erfolgen, deren beitragspflichtige Einnahmen zwischen 20% und 80% der Bezugsgröße variieren. Die Bedeutung der sozialen Sicherung für die Resozialisierung der Inhaftierten wurde hingegen nicht näher thematisiert. Das BVerfG stellte zwar klar, dass die Einbeziehung in den sozialen Sicherungsschutz durchaus „sinnvoll“ – mit anderen Worten: resozialisierungsrelevant – sein könne. Das Gericht folgerte daraus jedoch keinen zwingenden Umsetzungsbedarf. Ein Manko ist hier die unterbliebene Differenzierung zwischen lang und kurz inhaftierten Gefangenen und eine entsprechende Bewertung der Folgen für deren Resozialisierung.645 Mit der Suspendierung der Rentenversiche640 Vgl. Bemmann, StV 1998, 604; Britz, ZfStrVo 1999, 195, 197 f.; Dünkel, NK 4/1998, 14; Müller-Dietz, JuS 1999, 952, 956; Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 5 f.; Rösch, BlfStVollzK 4–5/1998, 6. 641 So schon Müller-Dietz, JuS 1999, 952, 956. 642 Pawlita, ZfSH/SGB 1999, 67, 70. 643 Britz, ZfStrVo 1999, 195, 200. 644 Britz, ebd. 645 Vgl. oben: Zweiter Teil, B. II. 2.
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
201
rungspflicht ist der Gefangenenarbeit letztlich ein Strafcharakter immanent, von dem der Resozialisierungsgedanke gerade Abschied nehmen wollte.646 Es vermag auch nicht zu überzeugen, dass sich das Gericht wiederholt mit dem Hinweis auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers aus der Verantwortung nimmt, obwohl es – so die ausdrückliche Kritik Kamanns647 – „um die Neigung des Gesetzgebers zur Untätigkeit (weiß)“. Dass sich die Selbstbindung des Gesetzgebers648 nicht bewährt hat649, hat sich mit der unterbliebenen Erhöhung des Arbeitsentgelts nach § 200 Abs. 2 StVollzG (a. F.) sowie der nicht erfolgten Umsetzung des besonderen Bundesgesetzes gem. § 198 Abs. 3 StVollzG mehr als einmal deutlich gezeigt. Der Gesetzgeber hatte die Aufnahme der Gefangenen in die Sozialversicherung bereits gesetzlich normiert und somit nicht bloß unverbindlich in Aussicht gestellt.650 Die Frage war nur, wann sie erfolgen sollte.651 Kamann hat in dem Zusammenhang eindringlich gewarnt: „Wer die Ignorierung eindeutig übernommener Pflichten als verfassungsgemäß absegnet, setzt das so hoch gepriesene Resozialisierungsprinzip aufs Spiel . . .“ Seiner Ansicht nach hätte das Gericht den Gesetzgeber deshalb insoweit in die Pflicht nehmen müssen, als es § 198 Abs. 3 StVollzG beanstandet und eine Frist zum Erlass des Bundesgesetzes bestimmt hätte.652 Der Schlussfolgerung Kamanns ist zu widersprechen, weil das Gericht in dem Fall unzulässig in die Legislative eingegriffen hätte. Dem Gericht wäre es nur möglich, die Norm des § 198 Abs. 3 StVollzG zu beanstanden und dem Gesetzgeber aufzugeben, innerhalb einer bestimmten Frist eine Norm zu erlassen, die einen konkreten, vom Gesetzgeber festgelegten Zeitpunkt für das In-Kraft-Treten der suspendierten Vorschriften regelt.653 Ein weiterer Kritikpunkt besteht schließlich für die Anerkennung der Gefangenenarbeit durch nicht-monetäre Elemente. Die Ansicht des BVerfG, die Arbeitsleistung von Gefangenen könnte „anstelle“ eines Lohnes in Geld auch durch nicht-monetäre Komponenten angemessen anerkannt werden, überzeugt nicht. Hiergegen spricht, dass selbständige und unselbständige Tätigkeiten stets finanziell vergütet werden, abgesehen von ehrenamtlichem Einsatz. Es ist zweifelhaft, wie gerade bei einer unentgeltlichen Inanspruchnahme der Arbeitskraft dem Strafgefangenen vermittelt werden soll, dass 646 647 648 649 650 651 652 653
So Pawlita, ZfSH/SGB 1999, 67, 70. Kamann, StV 1999, 348, 349. Ausführlich hierzu im Dritten Teil unter C. I. 1. So auch AK-StVollzG-Feest/ders./Köhne, § 198 Rn. 5. Auch dazu eingehender im Dritten Teil unter C. I. So auch Kamann, StV 1999, 348, 350. Kamann, StV 1999, 348, 350. Ausführlich dazu im Dritten Teil, C. I. 1.
202
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
„Erwerbsarbeit zur Herstellung einer Lebensgrundlage sinnvoll ist“. Dies ist ohne finanzielle Anerkennung nicht zu verwirklichen.654 Im Übrigen steht der in § 3 Abs. 1 StVollzG normierte Angleichungsgrundsatz einer rein nicht-monetären Anerkennung entgegen.
III. Umsetzung der Entscheidung 1. Reformdiskussion über die Anerkennung der Gefangenenarbeit Nach Erlass des Urteils wurde zwischen Bund und Ländern kontrovers über verschiedene Modelle zur angemessenen Anerkennung der Vollzugsarbeit diskutiert.655 Die einzelnen Modelle sahen zumeist die Anhebung der Eckvergütung kombiniert mit verschiedenen nicht-monetären Vollzugsvergünstigungen vor (z. B. Ausdehnung des Freistellungszeitraums von der Arbeitspflicht gem. § 42 StVollzG von 18 auf 24 Werktage, Ansparung von Freistellungstagen zur Haftzeitverkürzung oder alternativ zur Gewährung von Arbeitsurlaub).656 Uneinigkeit gab es insbesondere beim Umfang der Anhebung des Arbeitsentgelts.657 Mit Verabschiedung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 27. Dezember 2000658 kam ein legislatorischer Kompromiss zustande.659 654
So auch: Britz, ZfStrVo 1999, 195, 199; Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 7. Umfassende Darstellung über die Konzeption einer neuen Regelung und den Ablauf des Gesetzgebungsprozesses bei Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 295 ff. 656 Vgl. BT-Drs. 14/3763, 4 f. 657 Während das BMJ zunächst vorgesehen hatte, die Arbeitslöhne der Strafgefangenen von 5% auf 10% der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV – kombiniert mit einer Haftzeitverkürzung von einem Tag pro Arbeitswoche – anzuheben (vgl. BlfStVollzK 4–5/1999, 2 ff.; BT-Drs. 14/3763, 4; Ullenbruch, ZRP 2000, 177, 178 f.), unterstützte das Ministerium schließlich einen im Bundestag eingebrachten Entwurf mit einer Erhöhung auf 15% unter Verzicht auf nicht-monetäre Anerkennungskomponenten (vgl. BT-Drs. 14/3763). Die Justizminister(innen) der Länder hielten dagegen – mit Rücksicht auf ihre Mehrkosten – eine Erhöhung auf 7% der Bezugsgröße sowie zusätzlicher Gewährung nicht-monetärer Vorteile für ausreichend (vgl. Beschluss der Justizministerinnen und -minister auf ihrer Herbstkonferenz am 10.11.1999 in Bonn). Demgemäß sahen auch die von verschiedenen Bundesländern in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesinitiativen jeweils eine Anhebung auf 7% und weitere nicht-monetäre Vergünstigungen vor (siehe Gesetzesantrag des Landes Sachsen-Anhalt, BR-Drs. 405/00 sowie Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg und Hessen, BR-Drs. 415/00). 658 BGBl. I, 2043. 659 Der vom BMJ unterstützte Gesetzentwurf (BT-Drs. 14/3763) wurde in der 1. Lesung an den Rechtsausschuss überwiesen, der den Entwurf ohne Änderungsvorschläge mehrheitlich angenommen hatte (vgl. BT-Drs. 14/4622). Das Gesetz 655
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
203
2. Die Neuregelungen im Einzelnen Der Gesetzgeber hat sich für eine teils monetäre, teils nicht-monetäre Anerkennung der Arbeitsleistung von Gefangenen entschieden (§ 43 Abs. 1 StVollzG). a) Die neue Arbeitsentgeltregelung Die Höhe des Arbeitsentgelts wurde auf 9% der Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV angehoben (§ 43 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 200 StVollzG).660 Das ergibt im Jahr 2007 eine Jahres-Eckvergütung von 2.646 e (West) und von 2.268 e (Ost). Der sich für einen Gefangenen je nach Vergütungsgruppe gem. § 1 StVollzVergO daraus ergebende Tagessatz (gem. § 43 Abs. 2 S. 3 StVollzG: der 250. Teil der Eckvergütung) bzw. monatliche Grundlohn (ausgehend von 21 Arbeitstagen/Monat) kann den nachfolgenden Tabellen entnommen werden: Tabelle 2 Arbeitslohn der Strafgefangenen 2007 in den alten Bundesländern Vergütungsstufe
Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 S. 2 StVollzG (in%)
Tagessatz 2007 (in e)
Monatliches Arbeitsentgelt 2007 (in e)
I
75
7,94
166,74
II
88
9,31
195,51
III
100
10,58
222,18
IV
112
11,85
248,85
V
125
13,23
277,83
Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung
wurde am 16.11.2000 vom Bundestag verabschiedet. Nach Anrufung des Vermittlungsausschusses (BT-Drs. 14/4898) durch den Bundesrat hat der Bundestag am 8.12.2000 über das Gesetz unter Berücksichtigung des Änderungsvorschlags des Vermittlungsausschusses (BT-Drs. 14/4943) erneut Beschluss gefasst (vgl. BR-Drs. 812/00). Der Bundesrat erteilte am 21.12.2000 seine Zustimmung. Das Gesetz wurde am 30.12.2000 verkündet und trat am 1.1.2001 in Kraft. 660 Die Bezugsgröße i. S. d. § 18 SGB IV beträgt nach § 2 des Sozialversicherungs-Rechengrößengesetzes 2007 (BGBl. I 2006, 2742, 2746) im Jahr 2007 jährlich 29.400 e (West) und 25.200 e (Ost). Das Gesetz wurde als Art. 12 des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006 erlassen.
204
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen Tabelle 3 Arbeitslohn der Strafgefangenen 2007 in den neuen Bundesländern
Vergütungsstufe
Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 S. 2 StVollzG (in%)
Tagessatz 2007 (in e)
Monatliches Arbeitsentgelt 2007 (in e)
I
75
6,80
142,80
II
88
7,98
167,58
III
100
9,07
190,47
IV
112
10,16
213,36
V
125
11,34
238,14
Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung
Von der Neuregelung profitieren auch diejenigen Gefangenen, die an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Ihre Ausbildungsbeihilfe wird wie bisher entsprechend der Arbeitsentlohnung vergütet (§ 44 Abs. 2 i. V. m. § 43 Abs. 2 und 3 StVollzG). Die Neuregelung gilt nach § 177 S. 4 i. V. m. § 176 Abs. 1 S. 1 und 2 StVollzG ferner für junge und heranwachsende Untersuchungsgefangene. Hingegen sind für arbeitende erwachsene Untersuchungsgefangene bei der Bemessung ihres Arbeitsentgelts unverändert nur 5% der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße zugrunde zu legen (§ 177 S. 2 StVollzG).661 Die unterschiedliche Bemessung des Arbeitsentgelts für Straf- und (erwachsene) Untersuchungsgefangene verstößt dem BVerfG zufolge weder gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen die für Untersuchungsgefangene geltende Unschuldsvermutung.662 b) Nicht-monetäre Anerkennung der Gefangenenarbeit Als weitere Anerkennung wird dem Gefangenen nach § 43 Abs. 6 S. 1 StVollzG – in Ergänzung zu der schon bestehenden Freistellungsregelung nach § 42 StVollzG – zusätzlich für jeweils zwei Monate zusammenhängen661 Diese unterschiedliche Entlohnung wird als „skandalös“ bezeichnet, vgl. Frommel, NK 4/2000, 11; ebenso Konferenz der Katholischen Seelsorge an den Justizvollzugsanstalten in NRW, ZfStrVo 2001, 355, 356; der Kritik zustimmend Strafvollzugsarchiv Bremen in der Publikation „Neue Vergütung der Gefangenenarbeit“, 12/2000 (im Internet abgerufen am 14.8.2006 unter: http://www-user.uni-bremen. de/~sva/HTML/a-z/arbeitsentgelt1200.html). 662 Vgl. BVerfG Kammerbeschluss NJW 2004, 3030.
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
205
der Arbeit ein arbeitsfreier Werktag gewährt. Diese erarbeiteten Freistellungstage (maximal sechs pro Jahr) können auf Antrag des Gefangenen auch als Arbeitsurlaub genutzt werden, wenn Missbrauchs- und Fluchtgefahr nicht zu erwarten sind (§ 43 Abs. 7 StVollzG) oder auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden (§ 43 Abs. 9 StVollzG), d.h. die Haftzeit wird um den entsprechenden Zeitraum verkürzt. Sofern eine Haftzeitverkürzung aus bestimmten Gründen ausgeschlossen ist (vgl. § 43 Abs. 10 StVollzG), erhält der Gefangene bei seiner Entlassung für die zusätzlichen Freistellungstage eine Ausgleichsentschädigung in Höhe von 15% des ihm gezahlten Entgelts, § 43 Abs. 11 StVollzG.663 c) Keine Einbeziehung in die Sozialversicherungszweige Eine Einbeziehung der beschäftigten Strafgefangenen in die gesetzliche Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung ist – wie zu erwarten war – nicht erfolgt. Auch die vom BVerfG genannten sonstigen Arten der Anerkennung664 wurden nicht umgesetzt.
IV. Bewertung der Reform Fundamentale Neuerungen hat es nach dem Urteil des BVerfG nicht gegeben. Insbesondere wurde für die Umsetzung des Resozialisierungsgebots keine Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse jenseits des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes vorgenommen. Mit der Anhebung der Gefangenenentlohnung auf 9% der Bezugsgröße wurde zwar der Vorschlag der Landesjustizminister(innen) (7%) übertroffen, die vom Bundesministerium der Justiz vorgesehene Erhöhung auf 15% jedoch deutlich verfehlt. Noch deutlicher bleibt die Neuregelung hinter den Forderungen des Schrifttums zurück, das eine Erhöhung der Eckvergütung auf mindestens 20–25% für erforderlich erachtete, um den Vorgaben des BVerfG zu genügen.665 663
Näher dazu Schäfer, S. 95 ff. Vgl. oben: Zweiter Teil, D. I. 1. b). 665 Vgl. Rösch, BlfStVollzK 4–5/1998, 6, 8, der eine Erhöhung auf 20% für angemessen hielt; Ullenbruch, ZRP 2000, 177, 181, befand einen Eckwert von unter 20% für nicht verfassungsgemäß; Wrage, ZRP 1997, 435, 436 forderte eine Anhebung auf etwa 20–25% der Bezugsgröße; ebenso Dünkel/van Zyl Smit, in: FS für Kaiser, S. 1174 (Fn. 67); Dünkel, NK 4/1998, 14. Kamann, StV 1999, 348, 349 forderte sogar eine Anhebung auf 40% der Bezugsgröße. Lohmann (Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 264) befürwortet nach Gewichtung der Vorgaben des BVerfG eine Anhebung der Eckvergütung auf 15–20%. 664
206
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Die Erhöhung des Arbeitsentgelts in Kombination mit der zusätzlichen Freistellung von der Arbeit ist unbestritten eine Verbesserung gegenüber der alten Rechtslage. Doch es dürfte ebenso unbestritten sein, dass die jetzige Höhe des Arbeitsentgelts dem Gefangenen auch heute nicht ermöglicht, seinen Verpflichtungen gegenüber seiner Familie (zum Unterhalt) und den Opfern (zur Entschädigung) nachzukommen, Schulden abzubauen, Beiträge für seine Altersvorsorge aufzubringen und finanzielle Rücklagen für die Zeit nach der Entlassung zu bilden.666 Den – vom BVerfG geforderten – „Wert regelmäßiger Arbeit in Gestalt eines greifbaren Vorteils“ erlebt der Gefangene, wenn er durch eine geordnete Berufstätigkeit und einen den Forderungen der Literatur entsprechenden Verdienst lernt, damit eine selbständige Lebensführung erzielen und den genannten Verpflichtungen nachkommen zu können. Diese positive Lernerfahrung ist dem Strafgefangenen wiederum nur vergönnt, wenn er durch die Höhe des Arbeitslohns tatsächlich in die Lage versetzt wird, die dem Arbeitsentgelt zugedachten Zwecke wenigstens partiell umzusetzen. Erst dann wird ihm wirklich vermittelt, dass sich Arbeit lohnt. Dieser „greifbare Vorteil“ wird mit der aktuellen Höhe der Gefangenenentlohnung nicht erzielt. Folglich ist im Einklang mit der überwiegenden Meinung des Schrifttums die Erhöhung der Entlohnung auf 9% der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße gemäß den Forderungen des BVerfG als nicht genügend anzusehen.667 Um dem Postulat nach einer angemessenen Anerkennung zu entsprechen, muss die Höhe der Entlohnung dazu beitragen können, den Strafgefangenen bei seiner Wiedereingliederung zu unterstützen.668 Dazu muss die finanzielle Anerkennung positiven Einfluss auf die einer Wiedereingliederung entgegenstehenden Faktoren, wie namentlich die hohe Schuldenlast, nehmen.669 Empirische Untersuchungen haben verdeutlicht, dass die durch die geringe Entlohnung bedingte Unfähigkeit der Gefangenen, ihre Schulden zumindest teilweise schon während des Vollzuges abzubauen, und ihre materielle Situation bei der Entlassung resozialisierungshemmende Faktoren von herausragender Bedeutung sind.670 Eine Arbeitsentlohnung, 666
So auch Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 43 Rn. 5. Vgl. Calliess, NJW 2001, 1692; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 43 Rn. 5; Feest, AK-StVollzG-ders., Ergänzung § 43 Rn. 3; Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 325 ff.; Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 8; Strafvollzugsarchiv Bremen in der Publikation „Neue Vergütung der Gefangenenarbeit“, 12/2000 (im Internet abgerufen am 14.8.2006 unter: http://www-user.uni-bremen.de/~sva/ HTML/a-z/arbeitsentgelt1200.html); Ullenbruch, ZRP 2000, 177, 181; undeutlicher, aber im Ergebnis wohl zustimmend Böhm, Strafvollzug Rn. 320; a. A. Landau/ Kunze/Poseck, NJW 2001, 2611, die die gesamte Neuregelung für verfassungskonform halten. 668 So schon Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 9. 669 Radtke, ebd. 667
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
207
die wegen zu geringer Höhe die Fähigkeit, künftig ein straffreies Leben zu führen, nicht positiv zu beeinflussen vermöge, verfehle die Vorgaben der Verfassung.671 Selbst mit der „Zugabe“ der zusätzlichen Arbeitsfreistellung wird die dem Gefangenen zugedachte Anerkennung insgesamt nicht zu einem angemessenen Äquivalent für die Arbeitsleistung.672 Der Anerkennungswert der Arbeitsfreistellungsvarianten ist zu unbedeutend, als dass er die geringe monetäre Anerkennung der Arbeit gebührend ergänzt. Die erweiterte Freistellung von der Arbeitspflicht ist im geschlossenen Vollzug mit seiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit und den bescheidenen Nutzungsmöglichkeiten der freien Zeit kaum beachtlich.673 Im Übrigen wissen viele Gefangene schon jetzt nicht, was sie mit der vielen „freien Zeit“ anfangen sollen.674 Die zweite Möglichkeit des Arbeitsurlaubs ist von vornherein denjenigen Inhaftierten verwehrt, bei denen Vollzugslockerungen wegen Missbrauchsoder Fluchtgefahr nicht in Betracht kommen (vgl. § 43 Abs. 7 S. 2 i. V. m. § 11 Abs. 2 StVollzG). Die Anrechnung auf den Entlassungszeitpunkt schließlich verschafft dem Inhaftierten zwar vorzeitig die endgültige Freiheit, beschränkt sich aber auf maximal sechs Tage pro Jahr. Gerade bei längeren Haftzeiten fehlt dieser Anerkennungsform der unmittelbare Bezug zur Arbeitsleistung, weil dem Strafgefangenen der Gegenwert erst nach Jahren zugute kommt. Somit vermag diese Freistellungsvariante dem Gefangenen während der Haft kaum den Sinn seiner Arbeit vor Augen zu führen. Die Eignung der nicht-monetären Anerkennung ist deshalb zu Recht bezweifelt und kritisiert worden.675 Die Gerichte, die sich bislang mit Rechtsbeschwerden von Strafgefangenen gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern676 zu befassen 670 Ausführlich Spieß, S. 590 ff.; Dünkel, Empirische Forschung im Strafvollzug, S. 37 f.; zusammenfassend Dünkel/van Zyl Smit, in: FS für Kaiser, S. 1167; Neu, BewHi 2002, 83, 87. 671 So ausdrücklich Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 10. 672 Ebenso: Brei, S. 60; Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 325 f. 673 So schon Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 318; ders., NStZ 2003, 111, 112. 674 Ullenbruch, ZRP 2000, 177, 180. 675 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 43 Rn. 5; Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 325; Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 9; Ullenbruch, ZRP 2000, 177, 180. 676 Mehrere Strafgefangene haben seit dem 1.1.2001 von ihren jeweiligen Justizvollzugsanstalten ein höheres „verfassungskonformes“ Entgelt gefordert. Meistens belief sich die Forderung auf „mindestens 20% der Bezugsgröße“. Von den Anstalten wurden solche Anträge unter Berufung auf das für sie bindend geltende Strafvollzugsgesetz negativ beschieden. Einzelne Gefangene hatten dagegen die Straf-
208
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
hatten, haben die Neuregelung durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes dagegen ausnahmslos gebilligt.677 Die Erhöhung des Arbeitsentgelts in Verbindung mit den geschilderten „Gutzeiten“ stelle eine angemessene Anerkennung der geleisteten Arbeit dar.678 Dass die Anhebung der Entlohnung auf 9% der Bezugsgröße angemessen sei, wird vor allem mit der Produktivität der Gefangenenarbeit begründet, die deutlich hinter der in Betrieben der gewerblichen Wirtschaft zurückbleibe. Bei einer weitergehenden Erhöhung des Arbeitsentgelts bestehe bei gleichbleibend niedriger Produktivität eine Gefährdung der Gefangenenarbeitsplätze, weil die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe nachhaltig verschlechtert würde.679 Die geringe Produktivität der Gefangenenarbeit und der damit einhergehende Verlust von Arbeitsplätzen bei zu hohen Arbeitskosten sind – wie das sog. Hamburger Modell680 zeigte681 – zweifelsohne ein Problem. Diesen Bedenken ist jedoch entgegenzuhalten, dass die im Rahmen des Hamburger Modells beteiligten Strafgefangenen tariflich entlohnt wurden, d.h. sie erhielten Stundenlöhne von ca. 15–18 DM brutto, was 7,60–9,20 e entspricht.682 Zum Vergleich: Strafgefangene, deren Arbeitsentgelt auf einer Grundlage von 20% der Bezugsgröße bemessen werden würde, würden im Jahr 2007 in der Vergütungsstufe III lediglich einen Stundenlohn von ca. 2,94 e brutto683 (bei acht Arbeitsstunden/Tag) erhalten. Das Hamburger vollstreckungskammern angerufen und die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung gerügt. Die Strafvollstreckungskammern sahen jedoch durchweg keinen Anlass zu einer Vorlage beim BVerfG. 677 Vgl. OLG Frankfurt/Main StV 2002, 377; OLG Saarbrücken StV 2002, 377, 379; OLG Hamm NJW 2002, 230; HansOLG Hamburg StV 2002, 376. 678 So OLG Hamm NJW 2002, 230. 679 OLG Frankfurt/Main StV 2002, 377; OLG Hamm NJW 2002, 230. 680 Ausführlich dazu Hagemann, MschrKrim 78 (1995), 341 ff. Das „Hamburger Modell“ eröffnete Strafgefangenen, die sich nicht im Freigang befanden, die Möglichkeit, im Rahmen freier Beschäftigungsverhältnisse im Strafvollzug zu marktüblichen Bedingungen zu arbeiten. Das Modell wurde Mitte der 1990er Jahre – trotz guten Erfolgs – eingestellt mit der Begründung, dass es gesetzeswidrig sei. Wenn Gefangene im Rahmen eines freien Beschäftigungsverhältnisses tätig werden, soll dieses außerhalb der Vollzugsanstalt ausgeübt werden (Information durch telefonische Auskunft der Justizverwaltung Hamburg vom 31.5.2006). 681 Durch leistungsgerechte Entlohnung entstehen den Betrieben vergleichsweise hohe Arbeitskosten, die nur durch produktive Arbeit gedeckt werden können. Die Betriebe nahmen deshalb Rationalisierungsmaßnahmen vor und beschäftigen heute weniger Gefangene im Vergleich zum früheren Status als herkömmliche Unternehmerbetriebe, vgl. Hagemann, „Leiharbeit“ in: Hammerschick/Pilgram, S. 118. 682 Hagemann, „Leiharbeit“, in: Hammerschick/Pilgram, S. 118. 683 Von Strafgefangenen wird bislang kein Haftkostenbeitrag erhoben; von ihrem Arbeitsentgelt wird gem. § 195 StVollzG lediglich ein Betrag einbehalten, der dem Arbeitnehmeranteil zur Arbeitslosenversicherung (derzeit: 2,1%) entspricht. Es gilt
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
209
Modell bewies indes auch, dass neben Umstrukturierungen in den Arbeitsbetrieben die Produktivität gerade im Gefolge einer besseren Entlohnung erheblich zunimmt.684 Erste Erfahrungen mit betriebswirtschaftlichen Umstrukturierungen belegten, dass trotz der grundsätzlich ungünstigen Voraussetzungen im Vollzug (häufig geringe berufliche Qualifikation, starke Fluktuation infolge eines nicht unerheblichen Anteils von Gefangenen mit kurzzeitigen Freiheitsstrafen, vielfach veraltete Betriebsausstattung usw.) mehr an Arbeitsproduktivität erreicht werden kann, als angenommen wurde und wird.685 Damit kann die Argumentation der Gerichte für die geringe Anhebung des Arbeitsentgelts nicht überzeugen. Eine die Neuregelung betreffende Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen686.687 Durch die Abfassung als negative Sachentscheidung mit der expliziten Ablehnung der Verfassungsbeschwerde als unbegründet gibt der Beschluss jedoch Aufschluss über das kontrovers diskutierte Thema der Arbeitsentlohnung von Strafgefangenen.688 Nach Auffassung des BVerfG sei die geregelte Entlohnung in Gestalt einer Kombination von monetärer und nicht-monetärer Leistung „nicht derart unangemessen“, dass sie nicht mehr zur Resozialisierung beizutragen vermag. Der Gesetzgeber habe die „äußerste Grenze“ einer verfassungsrechtlich zulässigen Bezugsgröße „noch gewahrt“.689 Er bleibe aber aufgefordert, die Bezugsgröße nicht festzuschreiben, sondern einer steten Prüfung zu unterziehen. Die Entscheidung des Gesetzgebers erweise sich als „derzeit noch vertretbar“.690 deshalb das sog. Nettoprinzip (vgl. Neu, BewHi 2002, 83, 87; Radtke, ZfStrVo 2001, 4, 8). Da Strafgefangene keine anderen Abzüge haben, sind der Bruttobetrag und der Nettobetrag nahezu identisch. 684 Vgl. Hagemann, MschrKrim 78 (1995), 341, 348 f.; ders., „Leiharbeit“, in: Hammerschick/Pilgram, S. 119; Neu, Produktivität der Gefängnisarbeit, in: Hammerschick/Pilgram, S. 108. 685 Dünkel/van Zyl Smit, in: FS für Kaiser, S. 1173 f. 686 BVerfG NJW 2002, 2023 ff. 687 Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung blieb somit im Grunde unentschieden, da Nichtannahmebeschlüsse keine Entscheidung in der Sache enthalten und daher weder materielle Rechtskraft noch Bindungswirkung gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG haben. Trotz der fehlenden rechtlichen Wirkung von Nichtannahmebeschlüssen ergehen solche Kammerbeschlüsse zunehmend mit dem Ziel, die Verfassungsrechtslage zu klären. Die Beschlüsse werden faktisch als Entscheidungen des BVerfG beachtet (vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu u. a., BVerfGG, Bd. 2, § 93a Rn. 47–49). 688 So auch Lohmann, NStZ 2003, 111. 689 BVerfG NJW 2002, 2023, 2024 (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 690 BVerfG NJW 2002, 2023, 2025 (Hervorhebungen durch die Verfasserin).
210
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Die Entscheidung erweckt den Eindruck, dass das Gericht dem Gesetzgeber eine „gelbe Karte“ gezeigt hat. Nach den Worten des Gerichts entspricht die Neuregelung der Gefangenenentlohnung nur knapp und zeitlich begrenzt den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Anerkennung der Arbeitsleistung als „nicht derart unangemessen“ zu bezeichnen, impliziert, dass sie nur mit Bedenken zu rechtfertigen ist. Das BVerfG sah jedoch (noch) keine Veranlassung, seine Entscheidung aus dem Jahr 1998 nach so kurzer Zeit neu zu überdenken. Es hat damals keine konkrete verfassungsrechtlich gebotene Zielgröße bestimmt, sondern dem Gesetzgeber vielmehr einen weiten Einschätzungsraum eingeräumt.691 Dem Rechnung tragend, akzeptiert das BVerfG die Anhebung der Vergütung auf 9% der Bezugsgröße, jedenfalls in Kombination mit dem nicht-monetären Konzept, als augenblicklich vertretbar. „Das Bemühen, die Leidensfähigkeit des fiskalisch denkenden Gesetzgebers nicht überzustrapazieren, ist unübersehbar. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot bedarf jedoch einer Verwirklichung nicht allein nach Maßgabe des Füllstandes der öffentlichen Kassen.“692 Wenn das BVerfG betont, der Gesetzgeber habe die äußerste Grenze einer verfassungsrechtlich zulässigen Bezugsgröße noch gewahrt, folgt daraus, dass es eine Frage der Zeit ist, wann diese Grenze nicht mehr gewahrt ist. Dementsprechend hat das Gericht den Gesetzgeber aufgefordert, sowohl die Bezugsgröße als auch den Umfang der nicht-monetären Leistung stetig zu überprüfen. Es bleibt im Hinblick auf die bekannte „gesetzgeberische Trägheit“ im Zusammenhang mit der Entlohnung von Strafgefangenen abzuwarten, ob der Gesetzgeber diesem Appell tatsächlich nachkommen wird.
V. Eigener Vorschlag für eine angemessene Entlohnung Um von einer angemessenen Entlohnung zu sprechen, muss den Strafgefangenen ein zumindest tendenziell leistungsgerechtes Arbeitsentgelt gewährt werden. Eine tarifliche Entlohnung, die teilweise gefordert wird693, erscheint als zu weitgehend und (derzeit) nicht realisierbar, sofern berücksichtigt wird, dass die Möglichkeiten im Vollzug mit denen in Freiheit nicht identisch sind.694 Die Höhe des Arbeitsentgelts muss gleichwohl von gegen691
Vgl. BVerfGE 98, 169, 203. So die deutliche Kritik Lohmanns, NStZ 2003, 111, 112. 693 Vgl. § 87 Abs. 1 AE-StVollzG; BAG-S, Tarifgerechte Entlohnung für Inhaftierte, ZfStrVo 1993, 174, 177; Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug e. V., ZfStrVo 1993, 180; Dünkel, ZfStrVo 1990, 105, 108; Fleischmann, S. 126 f. 694 Vgl. zur möglichen Berücksichtigung, dass Betriebe der Vollzugsanstalten nur bedingt nach erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden können: BVerfGE 98, 169, 203. 692
D. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
211
wärtig 9% auf mindestens 20–25% der Bezugsgröße angehoben werden, damit die (Pflicht-)Arbeit als taugliches Resozialisierungsmittel einzustufen ist. Die nachfolgenden Tabellen zeigen je nach Vergütungsstufe den jeweiligen Tagessatz und monatlichen Grundlohn (ausgehend von 21 Arbeitstagen/Monat), den die Gefangenen im Jahr 2007 verdienen würden, wenn der Bemessung des Arbeitsentgelts 20% oder 25% der Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV zugrunde lägen: Tabelle 4 Arbeitslohn der Strafgefangenen 2007 in den alten Bundesländern, berechnet auf (fiktiver) Grundlage von 20% und 25% der Bezugsgröße Vergütungs- Eckvergütung stufe nach § 43 Abs. 2 S. 2 StVollzG (in%)
Tagessatz 2007 (in e) bei einer Bezugsgröße von
Monatliches Arbeitsentgelt 2007 (in e) bei einer Bezugsgröße von
20%
25%
20%
25%
I
75
17,64
22,05
370,44
463,05
II
88
20,70
25,87
434,70
543,27
III
100
23,52
29,40
493,92
617,40
IV
112
26,34
32,93
553,14
691,53
V
125
29,40
36,75
617,40
771,75
Tabelle 5 Arbeitslohn der Strafgefangenen 2007 in den neuen Bundesländern, berechnet auf (fiktiver) Grundlage von 20% und 25% der Bezugsgröße Vergütungs- Eckvergütung stufe nach § 43 Abs. 2 S. 2 StVollzG (in%)
Tagessatz 2007 (in e) bei einer Bezugsgröße von
Monatliches Arbeitsentgelt 2007 (in e) bei einer Bezugsgröße von
20%
25%
20%
25%
I
75
15,12
18,90
317,52
396,90
II
88
17,74
22,18
372,54
465,78
III
100
20,16
25,20
423,36
529,20
IV
112
22,58
28,22
474,18
592,62
V
125
25,20
31,50
529,20
661,50
Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung
212
2. Teil: Soziale Sicherung von Strafgefangenen und ihren Angehörigen
Diese Zahlen verdeutlichen, dass bei solchen Verdiensten ein Gefangener eher in die Lage versetzt wird, während des Strafvollzugs seine Angehörigen zu unterstützen, Wiedergutmachung gegenüber dem Opfer zu leisten und seine Schulden abzubauen. Die erhöhte Entlohnung ermögliche es ihm auch, ein ausreichendes Überbrückungsgeld zu bilden, welches ihm und seinen Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach der Entlassung den notwendigen Lebensunterhalt sichern soll (§ 51 Abs. 1 StVollzG). Wenn der Strafgefangene diese Aufgaben faktisch (weitgehend) umsetzen kann, werden ihm die Vorteile geregelter Arbeit verdeutlicht und ihm dadurch die Reintegration in die Gesellschaft ermöglicht. Das BVerfG hat die Bedeutung der Arbeit und ihre Entlohnung als Resozialisierungsmittel hervorgehoben.695 Deshalb sollte nach einer deutlichen Anhebung des Arbeitsentgelts, wie sie oben vorgeschlagen wurde, der Verdienst weiterhin regelmäßig schrittweise erhöht werden, sodass eine möglichst tarifgemäße Entlohnung das (Fern-)Ziel bleibt. Dass eine solche Anhebung der Gefangenenentlohnung mit einem erheblichen Finanzmittelaufwand einhergeht, steht außer Frage. Doch es muss im Hinblick auf die herausragende Bedeutung des Resozialisierungsprinzips nun einmal der positive Aspekt der Resozialisierungsförderung im Vordergrund stehen, der mit einem höheren Arbeitsentgelt verbunden ist. So begünstigt ein höheres Arbeitsentgelt – wie das Hamburger Modell bewiesen hat – deutlich die Arbeitsmotivation der Gefangenen. Dies zeige sich durch einen höheren Arbeitseinsatz, einen erheblich verminderten Krankenstand und die Bereitschaft zur Leistung von Überstunden, um bestimmte Arbeiten termingerecht fertig zu stellen.696 Die gesteigerte Leistungsmotivation korreliert positiv mit der Produktivität. Infolge eines angemessenen Arbeitsentgelts machen die Gefangenen die Erfahrung, dass die materielle Existenz durch Arbeit gesichert werden kann und sie ihren Verpflichtungen nachkommen können. Aufgrund der Bedeutung der höheren Entlohnung für die Resozialisierung muss sie deshalb – wie schon Däubler/Spaniol forderten – staatlicherseits selbst dann finanziert werden, wenn sie nicht mit nennenswerten Einsparungen staatlicher Ausgaben, etwa im Bereich der Fürsorgeleistungen, verbunden sein sollte.697 Denn wenn die Arbeit und ihre Entlohnung ein zentrales Resozialisierungsinstrument darstellen, dann gehört deren Finanzierung ungeachtet wirtschaftlicher Kosten-/Nutzen-Überlegungen zu den staatlich zu erbringenden Ausgaben.698
695 696 697 698
BVerfGE 98, 169, 201 f. Vgl. Hagemann, MschrKrim 78 (1995), 341, 348. AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, 4. Aufl. 2000, § 43 Rn. 5. AK-StVollzG-Feest/Däubler/Spaniol, § 43 Rn. 5.
Dritter Teil
Reformperspektiven für eine Fortentwicklung der sozialen Sicherung der Strafgefangenen und ihrer Angehörigen A. Einleitende Bemerkungen Nach den bisherigen Ausführungen sind die sozialversicherungsrechtlichen Beeinträchtigungen für die Strafgefangenen und deren Angehörige offenkundig geworden; sie stellen für alle Beteiligten eine „zusätzliche Bestrafung“ dar. Mit Blick auf bestimmte Einzelgehalte des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit ist fraglich, ob es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten notwendig ist, die „Strafe des Verlusts sozialer Sicherung“ – unter Umständen als „Nebenstrafe“ oder „Nebenfolge“ der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe – explizit gesetzlich zu legitimieren und vom Richter zusammen mit der Hauptstrafe anordnen zu lassen. Unabhängig davon stellt sich des Weiteren die Frage nach Perspektiven, mit denen die infolge des Strafvollzugs auftretenden sozialversicherungsrechtlichen Folgen im Rahmen des Möglichen vermieden oder zumindest eingedämmt werden könnten. Die wirtschaftliche und soziale Situation der Strafgefangenen ist insofern dringend zu verbessern, als die geringe Finanzkraft und die immer noch fehlende Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung nicht nur individuelle Problemlagen schaffen, sondern zugleich hohe gesellschaftliche Folgekosten verursachen (staatliche Fürsorgeleistungen, Altersarmut, Mitbetroffenheit der Familienangehörigen). Gibt es Möglichkeiten, um einerseits bereits während des Strafvollzugs soziale Nachteile zu verhindern und andererseits Sicherungsformen, die nach der Haftentlassung jene Nachteile für den betroffenen Gefangenen ausgleichen könnten?
214
3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
B. Gesetzliche Legitimation für die sozialversicherungsrechtlichen Folgen? Zunächst soll die Frage beantwortet werden, ob es aus rechtsstaatlichen Gründen einer gesetzlichen Legitimation hinsichtlich der nachhaltigen sozialversicherungsrechtlichen Folgen für die im geschlossenen Vollzug untergebrachten Gefangenen und deren Angehörige bedarf. Das Nichthaben sozialer Sicherheit als Folge des Verbüßens einer Freiheitsstrafe ist für jeden Strafgefangenen bzw. Entlassenen ein schwerwiegender Nachteil, selbst wenn sich die Folgen zum Teil erst mehrere Jahre nach der Haftentlassung als Spätfolge bemerkbar machen. Das in Art. 20 Abs. 2 und 3 i. V. m. Art. 28 Abs. 1 GG verortete Rechtsstaatsprinzip als „eines der elementaren Prinzipien des Grundgesetzes“1 hat in zahlreichen Vorschriften im Grundgesetz sowie durch weitere von der Judikatur des BVerfG anerkannte Einzelelemente nähere Konkretisierung erfahren. Für die hiesige Prüfung könnten folgende rechtsstaatliche Elemente in Betracht kommen: der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) sowie der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes einschließlich der „Wesentlichkeitstheorie“.
I. Art. 103 Abs. 2 GG Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Gezielt bestrafen wollte der Gesetzgeber die Strafgefangenen mit ihrem Ausschluss aus der Sozialversicherung ganz offensichtlich nicht. Die fehlende soziale Sicherung für die im geschlossenen Strafvollzug tätigen Gefangenen hat jedoch in ihrer Wirkung deutlich strafenden Charakter. Diese Straffolge ist möglicherweise als eine „unbeabsichtigte Nebenfolge“ aus der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu qualifizieren. Es ist insofern zu erwägen, ob nicht entsprechend dem Garantiegehalt des in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Grundsatzes des „nulla poena sine lege“ diese „Strafe“ in einen Sanktionskatalog aufgenommen werden müsste. Immerhin sind andere Sanktionen, wie beispielsweise ein – im Vergleich zum fehlenden und verlustig gehenden Sozialversicherungsschutz nahezu lapidares – Fahrverbot (§ 44 StGB) oder der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts (§§ 45–45b StGB), ausdrücklich in einem Sanktionskatalog aufgeführt.
1
BVerfGE 1, 14, 18, LS 28; 20, 323, 331.
B. Gesetzliche Legitimation für die sozialversicherungsrechtlichen Folgen? 215
1. Bedeutung und Gewährleistungsgehalt Bedeutung und Gewährleistungsgehalt von Art. 103 Abs. 2 GG waren wiederholt Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen.2 Der Grundsatz der Gesetzlichkeit staatlichen Strafens formuliert ein Abwehrrecht im Sinne eines Anspruchs gegen den Staat, Bestrafungen ohne vorherige gesetzliche Festlegung zu unterlassen.3 Art. 103 Abs. 2 GG fundiert damit nicht nur ein Analogie- und Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften, sondern auch die an den Gesetzgeber gerichtete Pflicht, Strafbarkeit und Strafdrohung so genau zu umschreiben, dass sich Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände erkennen und durch Auslegung ermitteln lassen.4 Diese Verpflichtung dient nach Ansicht des BVerfG einem doppelten Zweck.5 Im Interesse von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit gewährleistet die Regelung einerseits, dass nur der Gesetzgeber die strafwürdigen Rechtsgutsverletzungen bestimmt. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Parlamentsvorbehalt.6 Dieser dient andererseits dem rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Der Einzelne soll nicht nur von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, sondern auch, welche Sanktion ihm für den Fall eines Verstoßes gegen jenes Verbot droht.7 Daher ist nur ein solches Verhalten als strafbare Handlung verfolgbar, für das die Strafbarkeit und die Höhe der Strafe hinreichend bestimmt sind. Der Bürger erhält damit die Grundlage dafür, sein Verhalten eigenverantwortlich so einzurichten, dass er eine Strafbarkeit vermeidet. Fraglich ist, ob diese verfassungsrechtlichen Anforderungen in Bezug auf die Erkennbarkeit staatlicher Reaktionen auch noch für die unmittelbaren Konsequenzen der strafrechtlichen Verurteilung gelten. Die Verurteilten können sich nur schwerlich von vornherein vergegenwärtigen, was sie im Strafvollzug tatsächlich erwartet; dies gilt nicht nur für die speziellen Maßnahmen resozialisierender Behandlung, sondern für die gesamte Ausgestaltung des Vollzugs.8 Ob der fehlende Sozialversicherungsschutz ebenfalls als „vorhersehbare Sanktion“ i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG hinreichend bestimmt sein müsste, hängt von dem Gewährleistungsumfang dieser Norm ab.
2 Vgl. z. B. BVerfGE 73, 206, 234 ff.; 78, 374, 381 f.; 87, 209, 223 f.; 92, 1, 11 f.; 95, 96, 130 ff. 3 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 3, Art. 103 Abs. 2 Rn. 14. 4 BVerfGE 25, 269, 285; 47, 109, 120; 78, 374, 382; 92, 1, 12; ständige Rspr. 5 BVerfGE 47, 109, 120; 73, 206, 234; 92, 1, 12. 6 BVerfGE 95, 96, 131. 7 BVerfGE 25, 269, 285; 45, 363, 370. 8 Hoffmeyer, S. 172.
216
3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
2. Gewährleistungsumfang Maßgeblich für den Umfang und die Reichweite des Art. 103 Abs. 2 GG ist der Strafbarkeitsbegriff, der dieser Norm zugrunde liegt. Nach dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG und der daran anknüpfenden Rechtsprechung des BVerfG findet die Norm primär auf strafrechtliche Maßnahmen des Kriminalstrafrechts Anwendung. Strafbarkeit im Sinne dieser Verfassungsnorm umfasst neben dem Straftatbestand9, zu dem sämtliche materiellrechtlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit zählen, auch die in der Strafandrohung vorgesehenen strafrechtlichen Sanktionsarten, also insbesondere Hauptstrafen (Geld- und Freiheitsstrafen), Nebenstrafen und Nebenfolgen.10 Darüber hinaus sollen nach Auffassung des BVerfG auch Ordnungswidrigkeiten11 sowie disziplinar- und standesrechtliche Maßnahmen12 erfasst sein. Nach einhelliger Ansicht erstreckt sich das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot hingegen nicht auf die Ausgestaltung der einzelnen Strafsanktionen; Art. 103 Abs. 2 GG gilt also nicht im Rahmen der Strafvollstreckung oder des Strafvollzugs.13 Die fehlende soziale Sicherung der Inhaftierten ist demzufolge nicht als Strafe i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG zu deuten, selbst wenn sie von den Betroffenen als „Strafübel“ empfunden wird. Für diese Ansicht spricht, dass Strafe meist als „missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten“14 definiert wird.15 Das in der Strafe liegende Übel besteht in einem gewollten Eingriff in die Rechtssphäre des Verurteilten, denn gerade 9 BVerfGE 25, 269, 286; Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 57; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 42. 10 Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 42; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 6, Art. 103 Abs. 2 Rn. 197; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 3, Art. 103 Abs. 2 Rn. 17. 11 BVerfGE 38, 348, 371; 42, 261, 262 f.; 71, 108, 114 f. 12 BVerfGE 26, 186, 203; 45, 346, 351; 57, 29, 35; 60, 215, 234. 13 Vgl. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 103 Rn. 59; Jarass/Pieroth, GG, Art. 103 Rn. 42a; Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 103 Rn. 112, 148; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 6, Art. 103 Abs. 2 Rn. 197. So erfasst Art. 103 Abs. 2 GG z. B. nicht unterschiedliche Behandlungsmaßnahmen im Vollzug der Freiheitsstrafe, die der Betroffene als mehr oder weniger belastend empfindet (vgl. BVerfGE 64, 261, 280) oder die Gewährung von Hafturlaub (so Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 103 Rn. 112; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 3, Art. 103 Abs. 2 Rn. 22); s. ferner zur Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe: BVerfGE 86, 288, 311 m. abw. M. Mahrenholz, 340, 342. 14 Vgl. BVerfGE 26, 186, 204; 42, 261, 262; Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK 3, Art. 103 Rn. 19; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 6, Art. 103 Abs. 2 Rn. 165, 195. 15 Ausführlich zu verschiedenen Kriterien für das Vorliegen von Strafe: Appel, S. 213 ff.
B. Gesetzliche Legitimation für die sozialversicherungsrechtlichen Folgen? 217
darin findet die öffentliche Missbilligung ihren Ausdruck, dass die Strafe den Schuldigen in seiner Rechtsstellung schmerzhaft trifft.16 Der fehlende Sozialversicherungsschutz ist keine unmittelbare hoheitliche Reaktion auf die Schuld eines Täters, sondern eine immanente Folge des Strafvollzugs. Die Tatsache des Freiheitsentzugs und der Unterbringung in einer Vollzugsanstalt führt zwangsläufig zu „unvermeidlichen Beschränkungen“, die sich gewissermaßen aus der „Natur der Sache“ ergeben.17 Der Betroffene unterliegt durch den Freiheitsentzug nicht nur einer wesentlichen Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit; er muss obendrein mit vielerlei Haftdeprivationen (z. B. Autonomieverlust, Verlust an persönlicher Sicherheit, Entsagung heterosexueller Kontakte)18 leben. Es handelt sich um situationsbedingt unvermeidliche Einschränkungen, die als natürliche Folge des Vollzugs hinzunehmen sind, dagegen nicht um zweckgerichtete Eingriffe zur Wiedergutmachung begangenen Unrechts. Die fehlende soziale Sicherung für die im geschlossenen Vollzug beschäftigten Gefangenen darf freilich nicht als „unvermeidbar“ bezeichnet werden. Dies widerlegen die Regelungen der §§ 190–193 StVollzG. Indem der Gesetzgeber die Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherung im Strafvollzugsgesetz prinzipiell vorgesehen hat, wollte er diese vollzugsimmanente Folge gerade vermeiden. Die fehlende Inkraftsetzung der Normen ist somit kein rechtsetzendes, sondern ein rechtspolitisches Problem, das der Darstellung der Reformperspektiven vorbehalten bleibt. Da die fehlende soziale Sicherung im Ergebnis keine Strafe i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG ist, gebietet der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz keine ausdrückliche gesetzliche Legitimation. Hoffmeyer führt allerdings, wenn auch nur in einer Fußnote, zurückhaltend an: „Wenn die ‚Art der Strafe‘19 vorher bestimmt sein sollte, umfasst dies aber auch die Regelung der Strafvollzugspraxis.“20 Diese Ansicht hätte zur Folge, dass entsprechend dem Normzweck – Vorhersehbarkeit staatlicher Reaktion – sämtliche Begleiterscheinungen und Maßnahmen des Vollzugs ausdrücklich normiert werden müssten – also auch der Ausschluss der Gefangenen aus der Sozialversicherung. Der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG gibt für einen derart extensiven Interpretationsansatz jedoch nichts her. Eine Ausdehnung der Verfassungs16
Jescheck/Weigend, S. 65 unter b). So BVerfGE 42, 95, 100, hinsichtlich der unabwendbaren Einschränkungen der Besuchs- und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen einem Inhaftierten und seiner Familie. 18 Näher hierzu bspw. Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 209 ff. 19 So Hesse, Rn. 558. 20 Hoffmeyer, S. 173, Fn. 5. 17
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
norm auf den Strafvollzug erscheint außerdem nicht erforderlich, da die Betroffenen anderweitig rechtsstaatlichem Schutz unterliegen. Wie oben dargestellt, gelten die Grundrechte auch im Strafvollzug, sodass gegen Maßnahmen und Folgen des Strafvollzugs die allgemeine grundrechtliche Eingriffsdogmatik hinreichende Sicherungen bereithält. Dass der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes kein soziales Grundrecht auf soziale Sicherheit beinhaltet21, kann die Erstreckung des Art. 103 Abs. 2 GG auf die Folgen aus der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nicht rechtfertigen.
II. Vorbehalt des Gesetzes und die „Wesentlichkeitstheorie“ Unter Umständen zwingen jedoch der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 GG) abgeleitete allgemeine Vorbehalt des Gesetzes sowie die Konzeption der Wesentlichkeitslehre wegen der Schwere der sozialrechtlichen Folgen zu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Der Vorbehalt des Gesetzes22 besagt, dass die Exekutive für bestimmte Maßnahmen, insbesondere solche, die in Grundrechte des Einzelnen eingreifen, einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, staatliches Handeln voraussehbar und berechenbar zu machen sowie im Interesse der Gleichmäßigkeit willkürliches Handeln auszuschließen. Der Vorbehalt des Gesetzes weist folglich eine individualschützende Funktion auf.23 Hiervon zu unterscheiden ist der Parlamentsvorbehalt, der bestimmt, wann eine Entscheidung des unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments erforderlich ist. Der Parlamentsvorbehalt bestimmt sich nach der Wesentlichkeitstheorie. Ihr zufolge hat der Gesetzgeber bei grundlegenden normativen Materien alle wesentlichen Regelungen selbst zu treffen.24 Wesentlich sind Entscheidungen gesteigerter Grundrechtsrelevanz. Diese ist zu bejahen, wenn die Entscheidungen Maßnahmen betreffen, ohne die der Grundrechtsgebrauch unmöglich ist oder beträchtlich erschwert wird oder von denen eine erhebliche Gefahr für die grundrechtlich gesicherte Freiheit ausgeht.25 Die Wesentlichkeitstheorie bestimmt aber nicht nur, welche Sachgebiete überhaupt einer Parlamentsentscheidung bedürfen, sondern auch die Regelungsdichte.26 Die Regelungsdichte richtet sich nach der In21
Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 52. Zur Dogmengeschichte vgl. Walter Krebs, S. 16 ff.; Ossenbühl, in: HdbStR III, § 62 Rn. 13 ff.; Rottmann, EuGRZ 1985, 277, 281 ff. 23 Epping, Rn. 357. 24 BVerfGE 34, 165, 192 f.; 40, 237, 249; 49, 89, 126. 25 BVerfGE 80, 124, 132. 26 BVerfGE 83, 130, 152. 22
B. Gesetzliche Legitimation für die sozialversicherungsrechtlichen Folgen? 219
tensität des staatlichen Eingriffs. Das bedeutet: Je stärker der Einzelne oder die Allgemeinheit betroffen ist, desto detaillierter und bestimmter muss die gesetzliche Regelung ausfallen. Sind die sozialen Nachteile der Strafgefangenen und ihrer Angehörigen, die aus dem staatlichen Handeln, nämlich der Verurteilung des Straftäters zu einer Freiheitsstrafe resultieren (können), so bedeutsam, dass sie ausdrücklich normiert werden müssten? Wäre eine solche Regelung ihrerseits verfassungsgemäß? Ausgangspunkt für die Prüfung der Grundrechtsrelevanz ist der durch die Anordnung einer Freiheitsstrafe bedingte Verlust sozialer Sicherung für einen Gefangenen.27 Die sozialen Folgen beruhen allerdings nicht auf einem zielgerichteten, sondern einem mittelbar-faktischen Eingriff i. S. d. erweiterten Eingriffsbegriffs28. Der Verlust sozialer Sicherung und die damit verbundene Beeinträchtigung des jeweils grundrechtlichen Schutzbereichs sind durch das staatliche Handeln nicht bezweckt; es handelt sich vielmehr um eine nicht intendierte Folge eines auf das eigentliche Ziel, nämlich die Bestrafung für schuldhaft begangenes Unrecht, gerichteten Staatshandelns. Gilt für unbeabsichtigte Wirkungen staatlichen Handelns der Vorbehalt des Gesetzes? Die Anforderungen an eine gesetzliche Ermächtigung werden dadurch mitbestimmt, ob diese die im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip wurzelnden Anliegen des Vorbehalts des Gesetzes erfüllen kann. Dies hängt nach Ansicht des BVerfG auch von den hierauf bezogenen Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers ab.29 Durch mittelbar-faktische Eingriffe kann es zu Grundrechtsbeeinträchtigungen kommen, die im Zeitpunkt des Erlasses eines Gesetzes nicht vorhersehbar waren oder aufgrund der Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit der Lebenssachverhalte im Voraus nicht vollständig erfasst werden konnten. Wenn für solche Wirkungen der Vorbehalt des Gesetzes Anwendung finden würde, wäre der Erlass eines umfassenden Gesetzes notwendig. Dieses wäre wegen seiner Unbestimmtheit mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz unvereinbar und könnte zur Rechtssicherheit wenig beisteuern.30 Ein Gesetz als normative 27
Vgl. die Ausführungen zu Art. 14 GG, Zweiter Teil, B. II. 3. b). Nach dem klassischen Eingriffsbegriff ist ein Grundrechtseingriff nur anzunehmen, wenn ein staatliches Handeln unmittelbar und final durch einen Rechtsakt, der mit Befehl und Zwang durchgesetzt werden kann, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. Dieser Begriff ist jedoch zu eng und würde in weiten Gebieten den Bürger gegenüber dem Staat schutzlos stellen. Darum werden durch den erweiterten Eingriffsbegriff die genannten Kriterien des klassischen Eingriffsbegriffs ausgeweitet. Danach kann grundsätzlich in jedem staatlichen Handeln ein Eingriff liegen. 29 BVerfGE 105, 279, 304. 30 So auch Epping, Rn. 360. 28
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
Grundlage ist demnach nur dann erforderlich, wenn die grundrechtsrelevanten Wirkungen des Handelns vorhersehbar sind und es dem Gesetzgeber möglich ist, eine Ermächtigungsgrundlage präzise zu formulieren. Das ist bei den sozialen Folgen, die die Strafgefangenen und ihre Angehörigen treffen können, kaum möglich. Einerseits sind die denkbaren sozialen Nachteile zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Freiheitsstrafe noch gar nicht im Einzelnen bestimmbar, weil diese bei jedem Gefangenen von unterschiedlichen Faktoren (z. B. konkrete Dauer der Freiheitsstrafe, vermögensrechtliche Situation, bisherige Erfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen) und deren Zusammenwirken abhängen. Andererseits würde eine genaue gesetzliche Aufzählung in Betracht kommender Folgen die Gefahr mit sich bringen, dass Gesetze zu starr und kasuistisch würden. Es wäre allenfalls daran zu denken, einen „allgemeinen Sozialversicherungsausschluss“ ähnlich der früheren sozialhilferechtlichen Regelung des § 19 BSHG zu formulieren. Diese Vorschrift bestimmte, dass Hilfe Suchende, die gemeinnützige und zusätzliche Arbeit verrichteten und dafür Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer Mehraufwandsentschädigung gem. § 19 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BSHG erhielten, kein Beschäftigungsverhältnis i. S. d. gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung begründeten.31 Dagegen ist aber einzuwenden, dass eine solche Anordnung nur für diejenigen Gefangenen bedeutsam würde, die im Vollzug auch tatsächlich einer Arbeit nachgingen. Diese Entscheidung ist jedoch nicht von einem Richter zu treffen. Außerdem können Gefangene daraus die sie im Einzelfall treffenden Folgen nicht konkret ableiten. Dies würde genauere Kenntnisse über die sozialversicherungsrechtliche Rechtslage für bestimmte Leistungen voraussetzen, die nicht erwartet werden können. Schließlich stünde ein solcher Sozialversicherungsausschluss im Widerspruch zu den Regelungen der §§ 190–193 StVollzG, die gerade die Einbeziehung der Gefangenen in die soziale Sicherung normieren. Eine diesen Normen entgegenstehende Regelung würde eine Umsetzung der §§ 190 ff. StVollzG erst recht verzögern. Auch nach dem Vorbehalt des Gesetzes müssen die infolge einer Inhaftierung eintretenden sozialen Nachteile nicht ausdrücklich normiert werden. Das BVerfG hat in einer neueren Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass der Staat für mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen regelmäßig keiner einfachgesetzlichen Grundlage bedarf.32
31 Gleiches galt nach § 20 Abs. 2 S. 2 BSHG auch für Hilfe Suchende, denen geeignete Tätigkeiten zur Arbeitsgewöhnung oder zur Prüfung ihrer Arbeitsbereitschaft gem. § 20 Abs. 1 S. 1 BSHG angeboten wurden. Vgl. nunmehr auch die Regelung des § 16 Abs. 3 S. 2, 2. HS SGB II. 32 Vgl. BVerfGE 105, 279, 304.
C. Einzelne Reformperspektiven
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C. Einzelne Reformperspektiven zur Verbesserung der sozialen Sicherung von Strafgefangenen Es bleibt abschließend zu klären, wie die soziale Sicherung der Strafgefangenen verbessert werden könnte. Die verfassungsrechtliche Betrachtung ergab, dass sich aus den Grundrechten für die im geschlossenen Vollzug tätigen Gefangenen keine Verbesserungen ableiten lassen. Weder der Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG noch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG begründen für die Inhaftierten einen subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Einbeziehung in den Schutz der sozialen Sicherungssysteme. Auch sieht das BVerfG in der fehlenden Inkraftsetzung der §§ 190 Nr. 1–10 und 13–18, 191–193 StVollzG keinen Verfassungsverstoß.33 Ungeachtet dessen erscheint es unerlässlich, die derzeitige Situation zu ändern. Welche Perspektiven könnte es dafür geben? Könnten beispielsweise die Zeiten im Vollzug rentenrechtlich als Anrechnungszeit anerkannt werden? Oder ist eine Nachzahlungsregelung sinnvoll, damit die aus dem Strafvollzug Entlassenen eine Möglichkeit erhalten, nachträglich durch eigene Beitragsleistung die Lücke in ihren Versicherungsbiografien zu schließen? Unabhängig von diesen und möglichen anderen überlegenswerten Reformen stellt sich vorrangig jedoch die Frage, ob es nach drei Jahrzehnten nicht endlich geboten ist, die strafvollzugsgesetzlichen Regelungen zur Einbeziehung der Strafgefangenen in die noch ausstehenden sozialen Sicherungssysteme in Kraft zu setzen. Lassen sich dafür rechtliche und/oder rechtspolitische Gründe finden? In Anbetracht dessen, dass die Inkraftsetzung der §§ 190–193 StVollzG für die Inhaftierten und deren Angehörige die mit Abstand vorteilhafteste Lösung von allen ist, wird sie den übrigen Perspektiven vorangestellt. Dieser Vorschlag ist zweifellos sehr brisant. Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben zur Umsetzung der geplanten sozialen Sicherung der Gefangenen dürfte in der Öffentlichkeit kaum populär sein. Ist es dennoch rechtlich oder rechtspolitisch geboten?
I. Inkraftsetzung der §§ 190–193 StVollzG durch Erlass eines Bundesgesetzes i. S. v. § 198 Abs. 3 StVollzG Obwohl das BVerfG der Auffassung ist, dass die Einbeziehung der Gefangenen in den Schutz der sozialen Sicherungssysteme weder vom Resozialisierungsgebot gefordert noch vom Gleichheitssatz geboten sei34, ist 33 34
Vgl. BVerfGE 98, 169, 204. BVerfGE 98, 169, 204.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
fraglich, ob die Einbeziehung einerseits aus einem anderen verfassungsrechtlichen Grund, andererseits aus rechtspolitischen Gründen mittlerweile verpflichtend sein könnte. Als der Gesetzgeber die §§ 190–193 StVollzG gesetzlich regelte, hielt er die soziale Sicherung der Strafgefangenen für unentbehrlich, indem er betonte, dass es „nicht gerechtfertigt ist, neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringt, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen“35. Dies entsprach dem in § 3 Abs. 1 StVollzG festgeschriebenen Angleichungsgrundsatz. Die Strafe sollte allein im Freiheitsentzug bestehen, nicht in der Art und Weise des Strafvollzuges.36 Jede zusätzliche Einschränkung oder Übelszufügung ist daher nur statthaft, wenn sie als tatsächlich unvermeidbare Folge des Freiheitsentzuges begründet werden kann.37 Dass der Ausschluss der Gefangenen aus der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung nicht unvermeidbar ist, beweisen die §§ 190–193 StVollzG. Aufgrund der anhaltenden Suspendierung dieser Normen (§ 198 Abs. 3 StVollzG), hat der Gesetzgeber letztlich nur Absichtserklärungen aufgestellt, deren inhaltliche Bedeutung in ihrer Rechtswirksamkeit seither auf ein „juristisches Nullum“ degradiert ist. Das BVerfG unterstrich in seiner Entscheidung zur Arbeit und Entlohnung der Gefangenen aus dem Jahr 1998 zwar, dass die Anerkennung der Verrichtung von Pflichtarbeit durch Einbeziehung der Gefangenen in den Schutz der sozialen Sicherungssysteme aus Resozialisierungsgründen für bestimmte Gefangene sinnvoll sein könne. Das Grundgesetz zwinge allerdings nicht zu einer Ausdehnung dieses Schutzes auf Pflichtarbeit im Strafvollzug.38 Das BVerfG begründete seine Entscheidung mit der großen Flexibilität des Sozialstaatsgebots, das die Legislative zur Gestaltung sozialstaatlicher Leitprinzipien aufruft und legitimiert. Das Gericht argumentierte wörtlich: „Die Verfassung weist die Ausgestaltung der Sozialordnung (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG) und die Entscheidung über die Gewährung bestimmter Vergünstigungen dem Gesetzgeber als sozialstaatliche Aufgabe zu. Es steht grundsätzlich in seiner Gestaltungsmacht, Art und Umfang sozialer Sicherungssysteme und den Kreis der hierdurch berechtigten Personen nach sachgerechten Kriterien zu bestimmen. Unter dem Blickwinkel des Sozialstaatsgebots kann es hinzunehmen sein, daß der Gesetzgeber sich nach Abwägung aller einschlägigen Gesichtspunkte im Einzelfall gegen eine soziale Maßnahme entscheidet, einen bereits begonnenen Ansatz nicht weiter35
BT-Drs. 7/918, 67. AK-StVollzG-Feest/ders./Lesting, § 3 Rn. 5; Brandt, BT-Prot., 7. Wahlperiode, 58. Sitzung, 3370 f. 37 Ebenso AK-StVollzG-Feest/ders./Lesting, § 3 Rn. 5. 38 BVerfGE 98, 169, 204. 36
C. Einzelne Reformperspektiven
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verfolgt oder von in Aussicht genommenen zukünftigen Verbesserungen endgültig Abstand nimmt. All dies liegt grundsätzlich im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsmacht. Der Gesetzgeber ist danach nicht gehalten, jede in Betracht kommende Beschäftigung am Schutz der Sozialversicherung teilnehmen zu lassen.“39 Soweit das BVerfG dem Gesetzgeber im Rahmen der sozialstaatlichen Gestaltungsfreiheit zubilligt, dass er „einen bereits begonnenen Ansatz nicht weiterverfolgt“ bzw. „von in Aussicht genommenen Verbesserungen Abstand nimmt“ differenziert das Gericht überhaupt nicht danach, inwieweit dieser Ansatz oder diese Aussicht bereits konkretisiert ist. Es macht demnach keinen Unterschied, ob eine beabsichtigte soziale „Innovation“ zunächst nur von einer Kommission vorgeschlagen, vom Gesetzgeber indes verworfen wird, ob eine im Bundestag eingebrachte Gesetzesinitiative scheitert oder ob die sozialen Neuerungen bereits vor Jahrzehnten vom unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber beschlossen und gesetzlich verankert wurden. Es ist unbestritten, dass das Sozialstaatsprinzip der Legislative einen weiten Gestaltungsspielraum zumisst.40 Im Interesse einer durchführbaren sozialen Sicherung muss dem Gesetzgeber auch in Rezessionszeiten ausreichend Spielraum verbleiben. Dennoch folgt daraus nicht, dass der Gesetzgeber nun nahezu nach Belieben seiner staatlichen Sozialpflicht nachkommen darf. Das BVerfG hat in einer anderen Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, dass das Sozialstaatsprinzip nicht zu beliebiger Sozialgestaltung ermächtigt, die das Gebot der Gleichheit auflösen würde.41 Der weite Gestaltungsspielraum der Sozialstaatsklausel sichert, dass diese mit dem Demokratieprinzip im Einklang steht: „Die demokratische Ordnung des Grundgesetzes würde als Ordnung eines freien politischen Prozesses entscheidend eingeschränkt und verkürzt, wenn der politischen Willensbildung eine so und nicht anders einzulösende verfassungsrechtliche Verpflichtung vorgegeben wäre.“42 Der Gesetzgeber hat bei Entstehung des Strafvollzugsgesetzes seine Entscheidung, die Strafgefangenen umfassend in die sozialen Sicherungssysteme zu integrieren, nicht aufgrund einer bestimmten sozialstaatlichen Verbindlichkeit getroffen. Der Gesetzgeber sah sich insbesondere aus sozialpolitischen Gründen verpflichtet, die soziale und wirtschaftliche Lage der Inhaftierten einschließlich ihrer Angehörigen, 39
BVerfGE 98, 169, 204. So z. B. BVerfGE 59, 231, 263; 82, 60, 80; Gröschner, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 2, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 32; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, Art. 20 Rn. 116. 41 BVerfGE 12, 354, 367. 42 BVerfGE 59, 231, 263. 40
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
die gleichfalls davon profitieren, zu verbessern.43 Allgemeine Zielsetzung war es, „einen wirksamen Versicherungsschutz zu gewährleisten“.44 Bei Interpretation des Sozialstaatsprinzips ist zwischen einem verfassungsrechtlichen und einem politischen Begriff des Sozialstaates zu unterscheiden.45 Der verfassungsrechtliche Begriff gebietet, bestimmte soziale Maßnahmen in Angriff zu nehmen und durchzuführen; die Unterlassung verstieße sonst gegen jenes Verfassungsprinzip. Dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsbegriff entspricht unter anderem die Institutionalisierung der Sozialversicherung, die der sozialen Sicherung und dem sozialen Ausgleich, namentlich dem „Schutz der sozialen Existenz gegen die Wechselfälle des Lebens“,46 dient. Der politische Begriff des Sozialstaates betrifft die gegenständliche Sozialpolitik, die vor allem eine Angelegenheit der legislativen und exekutiven Ermessensentscheidung ist.47 Auf diesem Gebiet kommt der weite Gestaltungsspielraum zum Tragen: Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei zu bestimmen, ob, ab wann und gegenüber welcher Bevölkerungsgruppe er soziale Verbesserungen einführen will.48 Doch unter welchen Voraussetzungen ist eine Maßnahme oder Unterlassung des Gesetzgebers nicht mehr von der Gestaltungsfreiheit gedeckt? 1. Pflicht zum Erlass des Bundesgesetzes aufgrund legislativer Selbstbindung? Der Strafvollzugsgesetzgeber hat 1976 aufgrund eines freien politischen Willensentschlusses die soziale Sicherung der Gefangenen nicht nur als Gedanken aufgeworfen oder im Wege eines Reformkonzepts in Aussicht gestellt, sondern bereits en détail gesetzlich fixiert und beschlossen. Der Gesetzgeber hat damit deutlich mehr als nur seinen sozialpolitischen Handlungsbedarf dem Grunde nach anerkannt; er hat vielmehr seinen politischen Regelungswillen durch Verrechtlichung der zu erfüllenden Reformmaßnahme statuiert. Bis auf den genauen Zeitpunkt, wann die Einbeziehung tatsächlich in Kraft zu setzen ist, hat der Gesetzgeber alle Einzelheiten kon43 Vgl. Stenographisches Protokoll des BT-Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 7. Wahlperiode, 36. Sitzung am 25. September 1974, 1733 f.; vgl. auch Hauck, in: Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. IX, 106, 111 f., der die Erforderlichkeit der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherungssysteme aus sowohl sozialpolitischen als auch rechtspolitischen Gründen betonte. 44 BT-Drs. 7/918, 104, 105. 45 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 3, Art. 20 [VIII] Rn. 25. 46 BVerfGE 28, 324, 348. 47 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. 3, Art. 20 [VIII] Rn. 25. 48 Vgl. BVerfGE 17, 1, 23 f.; 17, 210, 216; 44, 70, 90 f.; 49, 280, 283.
C. Einzelne Reformperspektiven
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kretisiert. Folglich kann nicht mehr bloß von einem „Ansatz“ oder einer „Aussicht“ die Rede sein, von welchem/welcher der Gesetzgeber – nach Ansicht des BVerfG – jederzeit Abstand nehmen kann.49 Der Strafvollzugsgesetzgeber könnte sich mit Erlass der §§ 190–193, 198 Abs. 3 StVollzG einer Selbstbindung unterworfen haben, die ihn im Zuge seiner politischen Verantwortung und Glaubwürdigkeit zur Vollendung seines gesetzlichen Auftrags zwingt.50 Schon die Begründung des Entwurfs zum Strafvollzugsgesetz sah ausdrücklich vor, dass die Reform des Strafvollzuges „durch geeignete Verwaltungs- und ggf. gesetzgeberische Maßnahmen wird fortgeführt werden müssen“.51 Trotz des Entschlusses des Gesetzgebers, sein sozialpolitisches Ziel im Hinblick auf die damit verbundenen finanziellen Belastungen für die Länder vorläufig52 zurückzustellen, hat er damit die Erwartung erweckt, dass mit der Umsetzung der Vorschriften innerhalb eines akzeptablen Zeitraums zu rechnen ist. Um der Situation der Länder Rechnung zu tragen, war ein zeitlicher Vorsprung von maximal zehn bis fünfzehn Jahren nach Erlass der Vorschriften als akzeptabel und ausreichend zu betrachten. Nach einem Zeitablauf von 30 Jahren kann nicht mehr von einem „vorläufigen Ausschluss“ gesprochen werden. Prinzipiell steht die Festlegung, wann mit sozialen Verbesserungen begonnen werden soll, ebenfalls im legislativen Ermessen. Doch der zeitlichen Gestaltungsfreiheit müssen Grenzen gesetzt sein, sofern der Gesetzgeber bereits eine legale und damit verlässliche Basis geschaffen hat. Es ist inkonsistent, gegenüber jedem begünstigten Personenkreis unehrlich53 und letztlich für einen Rechtsstaat 49 In ähnlicher Weise Kamann, StV 1999, 348, 350, der hervorhebt, dass der Gesetzgeber die Sozialversicherung für Gefangene nicht unverbindlich in Aussicht gestellt hatte, sondern vielmehr nur die Frage war, wann sie erfolgen sollte. 50 Ähnlich Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 479, der von einer „Selbstverpflichtung des Gesetzgebers“ spricht; ebenso AK-StVollzG-Feest/ders./Köhne, § 198 Rn. 5. Zweifelnd Müller-Dietz, JZ 1973, 564, in einer Glosse über das „Kuriosum“ des InKraft-Tretens von Vorschriften, die nicht in Kraft treten: Es hindere den Gesetzgeber rechtlich nichts daran, die in § 180 Abs. 2 RE [heute § 198 Abs. 3 StVollzG] genannten Vorschriften später abzuändern oder aufzuheben. „Dazu bedürfte es allerdings erst eines Gesetzes, das sie in Kraft setzte. Denn noch hat man nicht vernommen, daß Vorschriften, die nicht in Kraft getreten sind, abgeändert oder aufgehoben werden könnten. Dazu müßten sie ja erst einmal gelten – was sie bekanntlich eben nicht tun.“ Ablehnend Steiner, S. 121. 51 BT-Drs. 7/918, 41 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 52 Das BVerfG spricht ausdrücklich von einem „vorläufigen Ausschluss“ bzw. einer „vorläufige(n) Nichtaufnahme“: vgl. Kammerbeschluss des BVerfG vom 25.8.1986 – 2 BvR 547/84 (unveröffentlicht). Ebenso verweist das BSG (NJW 1989, 190, 191) auf „die noch nicht in Kraft getretene Sonderregelung der Sozialversicherung für Strafgefangene“. Ferner charakterisiert selbst die Übergangsregelung des § 199 StVollzG die Vorläufigkeit des derzeitigen Rechtszustandes in Bezug auf die suspendierten Normen.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
unangemessen, wenn die Legislative soziale Reformen rechtlich existent werden lässt, ihnen sodann aber beharrlich die Rechtswirksamkeit verweigern kann. Dies spricht für die These, dass der Gesetzgeber seine Gestaltungsfreiheit zumindest dann selbst einschränkt, sofern er Reformmaßnahmen verrechtlicht. Es muss für den Gesetzgeber ausgeschlossen sein, sich unter dem Deckmantel des Ermessens der Inkraftsetzung geschaffenen Rechts zu entziehen. Denn Recht ohne Verlässlichkeit ist unbrauchbar. Der Annahme einer Selbstbindung steht nicht entgegen, dass es grundsätzlich in der Macht des Gesetzgebers liegt, Gesetze später abzuändern oder aufzuheben. Der Gesetzgeber ist sowohl für das Aufheben oder Abändern von Normen als auch für die logische Vorstufe – die Inkraftsetzung – in seiner Gestaltung nicht völlig frei: Vorschriften, die grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder wesentliche Verfassungsprinzipien tangieren, stehen nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers, und zwar weder inhaltlich noch – was hier weitaus stärker von Bedeutung ist – in zeitlicher Hinsicht. Für die Richtigkeit dieser Auffassung könnte sich verfassungsnormative Unterstützung aus Art. 82 Abs. 2 GG gewinnen lassen. a) Die Regelung des Art. 82 Abs. 2 GG Nach Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG „soll“ der Gesetzgeber den Tag des InKraft-Tretens eines Gesetzes bestimmen. Fehlt eine entsprechende Regelung, folgt daraus nicht die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes; vielmehr tritt nach Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG das Gesetz mit dem 14. Tage nach Ablauf des Tages der Ausgabe des Bundesgesetzblatts in Kraft. Art. 82 Abs. 2 GG dient dem Zweck, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu erzielen.54 Aufgrund dessen muss der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens zweifelsfrei feststehen. Die Norm verlangt nicht die Festlegung eines maßgeblichen Kalendertages; es genügt, beispielsweise das In-Kraft-Treten mit dem Tag der Gesetzesverkündung zu verknüpfen.55 Das In-Kraft-Treten von Gesetzen darf dagegen nicht von einer (aufschiebenden) Bedingung, d.h. dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses, abhängig gemacht werden.56 53 Neumann-Duesberg (DOK 1977, 8, 9) hat die Konstruktion, nach der die Einbeziehung der Strafgefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung erst durch ein besonderes Bundesgesetz Gültigkeit erlangt, als „April-April-Haltung“ bezeichnet. 54 Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, Art. 82 Rn. 12; Stern, Staatsrecht II, S. 637. 55 Bauer, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 2, Art. 82 Rn. 26; Jarass/Pieroth, GG, Art. 82 Rn. 10; Lücke, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 18. 56 Str., ebenso: Bauer, in: Dreier, GG-Komm., Bd. 2, Art. 82 Rn. 27; Jarass/ Pieroth, GG, Art. 82 Rn. 10; Lücke, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 19; Maurer, in:
C. Einzelne Reformperspektiven
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Eine solche Methode „bestimmt“ nicht den Tag des In-Kraft-Tretens, sondern lässt ihn offen.57 Es muss für den Bürger und die staatlichen Organe jedoch aus dem Gesetz heraus erkennbar sein, ab wann es rechtsverbindlich sein soll. Das In-Kraft-Treten hat grundlegende materielle Bedeutung, weil es den Beginn der Geltung der normativen Regelung eines Gesetzes bestimmt. Es ist nicht Teil des Gesetzgebungsverfahrens, sondern Teil des Gesetzesinhalts.58 Es steht aber in engem Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren, das nicht nur auf den Erlass, sondern auch auf die Geltung zielt. Denn ein Gesetz, welches nicht in Kraft tritt, ist „eine leere Hülse, ein Unding“.59 Der Gesetzgeber kann sich von Verfassungs wegen dieser Verantwortung nicht entziehen. Er ist gehalten, den Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines Gesetzes selbst zu bestimmen. Bleibt er untätig, greift automatisch die Regelung des Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG Platz. Damit soll ausgeschlossen werden, dass ein Gesetz verkündet wird und damit rechtliche Existenz erlangt, überdies jedoch keine rechtliche Wirksamkeit. Genau dies will Art. 82 Abs. 2 GG verhindern: Ein nach Art. 82 Abs. 1 GG ausgefertigtes und verkündetes Gesetz soll in absehbarer Zeit für die Adressaten verbindlich werden; die rechtliche Wirksamkeit darf nicht auf einen unbekannten Zeitpunkt hinausgeschoben werden. Wenn also der Gesetzgeber ein Gesetz erst in ferner Zukunft in Kraft treten lassen will, was Art. 82 Abs. 2 GG nicht verbietet, muss er sich gleichwohl auf einen bestimmten oder zumindest eindeutig bestimmbaren Zeitpunkt festlegen, der dem Normadressaten den Geltungsbeginn des Gesetzes offenbart. b) Anwendung des Art. 82 Abs. 2 GG auf einzelne Normen Was für Gesetze als Ganzes gilt, muss auch für einzelne Vorschriften gelten. Die formelle gesetzestechnische Zusammenfassung einzelner Bestimmungen zu einem kompletten Regelwerk kann insoweit nicht stärkere verfassungsrechtliche Anforderungen bedingen, als es die selbständigen TeilBK, Art. 82 Rn. 131; a. A. Ramsauer, in: AK-GG, Art. 82 Rn. 42; Salzwedel, in: FS für Jahrreiß, S. 195; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 82 Rn. 49; zurückhaltender Stern, Staatsrecht II, S. 638, nach dessen Ansicht Bedingungen vermieden werden sollten. Das BVerfG hat in einem besonders gelagerten Fall die Zulässigkeit einer Bedingung bejaht, zugleich aber den Ausnahmecharakter betont, vgl. BVerfGE 42, 263, 283 ff. Zulässig und sinnvoll ist das bedingte In-Kraft-Treten von Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen gem. Art. 59 Abs. 2 GG, vgl. hierzu Salzwedel, in: FS für Jahrreiß, S. 195. 57 Lücke, in: Sachs, GG, Art. 82 Rn. 19. 58 BVerfGE 34, 9, 23; 42, 263, 283. 59 So ausdrücklich Maurer, in: BK, Art. 82 Rn. 3.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
bestimmungen vermögen. Vor allem sieht Art. 82 Abs. 2 GG keine Differenzierung zwischen einzelnen Regelungen des Gesetzes vor. Das lässt den Schluss zu, dass das, was für Gesetze gilt, zugleich für einzelne Normen gelten muss. Denn ein Gesetz ist nur die Summe der Regelungen. Außerdem muss in Fällen, in denen einzelne Vorschriften gerade nicht mit den übrigen Normen des Gesetzes zusammen in Kraft treten, für den Normadressaten aus Gründen der Rechtsklarheit genauso zweifelsfrei nachvollziehbar sein, zu welchem (späteren) Zeitpunkt diese Normen verbindlich werden sollen. Da diese Normen gleichfalls Bestandteil der gesetzgebungstechnischen Einheit sind, muss sich auch für sie der Zeitpunkt ihres InKraft-Tretens am Maßstab des Art. 82 Abs. 2 GG messen lassen. Sonst bietet sich die absurde Konstellation, dass ein Gesetz in Kraft gesetzt, einigen konkreten Regelungen hieraus dagegen auf ungewisse Zeit die Wirksamkeit verweigert wird. Die Geltung der in § 198 Abs. 3 StVollzG genannten sozialrechtlichen Bestimmungen steht unter der aufschiebenden Bedingung des Erlasses eines besonderen Bundesgesetzes. Der Zeitpunkt für den Geltungsbeginn der Vorschriften ist somit nicht bestimmt; er ist nicht einmal bestimmbar, weil der Erlass des besonderen Bundesgesetzes zeitlich völlig unvorhersehbar ist. Hätte der Gesetzgeber das In-Kraft-Treten des gesamten Strafvollzugsgesetzes von dem fraglichen Eintritt einer solchen Bedingung abhängig gemacht60, wäre das Gesetz infolge eines zu unbestimmten Zeitpunkts automatisch nach Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG in Kraft getreten. Würde man anderenfalls diese aufschiebende Bedingung als hinreichend „bestimmt“ i. S. d. Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG gelten lassen, würde dies verallgemeinert bedeuten, der Gesetzgeber könnte formal ein Gesetz ohne jeglichen rechtswirksamen Gesetzesinhalt in Kraft setzen. Im Ergebnis wäre dies nicht nur sachlich sinnlos, sondern zugleich als gezielte Umgehung der Rechtsfolge des „automatischen“ In-Kraft-Tretens eines Gesetzes zu werten. Obendrein widerspräche es dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit und wäre folglich verfassungswidrig. Diese rechtsstaatlichen Vorgaben, die die Verlässlichkeit des Rechts betreffen, gelten auch für jede einzelne Rechtsnorm. Für einen Normadressaten ist es insbesondere bei Regelungen, die materielle Rechtspositionen beinhalten (z. B. steuerliche Vergünstigungen oder soziale Leistungen, die eingeführt oder beseitigt, erhöht oder verringert werden sollen), von erheblicher Bedeutung zu erkennen, ab wann das verkündete Recht wirksam ist. Rechtsnormen, die unklar, sprachlich unzulänglich und unbestimmt formu60 Die entsprechende Vorschrift für das In-Kraft-Treten des Gesetzes müsste dann lauten: „Die Vorschriften dieses (Strafvollzugs-)Gesetzes werden durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft gesetzt.“
C. Einzelne Reformperspektiven
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liert sind, verfehlen ihr Ziel.61 Das gilt ebenso für Vorschriften, die das InKraft-Treten regeln. Rechtssicherheit verlangt Orientierungssicherheit. Sie ist in der Rechtsgemeinschaft nur durch klare, eindeutige und bestimmte Normbefehle zu gewährleisten.62 Die gesetzgeberische Konzeption des § 198 Abs. 3 StVollzG ist wegen der fehlenden Festsetzung, wann das Bundesgesetz je erlassen wird, nicht bestimmt. Es ist daher unhaltbar und systemwidrig, wenn das In-Kraft-Treten einzelner längst verkündeter und somit rechtlich gültiger63 Vorschriften ohne Konsequenzen von einer aufschiebenden Bedingung abhängig gemacht werden darf, bei deren Ausbleiben die Normen nie in Kraft treten, während ein Gesetz aufgrund einer solchen Bedingung zwangsläufig in Kraft treten würde. Aus Sinn und Zweck des Art. 82 Abs. 2 GG ist abzuleiten, dass auch bei einer herausgezögerten Inkraftsetzung verkündeter Bestimmungen die Inkraftsetzung nicht unbegrenzt und damit zeitlich willkürlich hinausgeschoben werden darf. Hierfür spricht, dass bereits von verkündeten und somit gültigen, mangels In-Kraft-Treten aber noch nicht wirksam-verbindlichen Normen (Vor-)Wirkungen gegenüber dem Bürger ausgehen (können).64 Der Normadressat stellt sich demzufolge nicht nur auf die zukünftige Geltung der kommenden Rechtsnormen ein, sondern bezieht die Vorwirkungen möglicherweise schon in seine Dispositionen mit ein. Gerade bei zu erwartenden Begünstigungen, wie der Einbeziehung in die sozialen Sicherungssysteme, ist das Vertrauen in die Inkraftsetzung künftiger Regelungen immens, weil das Gesetzgebungsverfahren hinsichtlich dieser Regelungen längst abgeschlossen und die politische Entscheidung gefallen ist. Aufgrund dessen ist es rechtens in dem Zusammenhang eine Selbstbindung des Gesetzgebers zu fordern. Staatliche Organe haben Widersprüchlichkeit in ihrem Handeln zu vermeiden. Wenn der Gesetzgeber ein Gesetz verkündet und so der Öffentlichkeit zugänglich macht, bezweckt er auch dessen Geltung. Alles andere wären leere politische Versprechen. Das ist mit dem Gebot der Herstellung von Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren. Außerdem erschüttert es das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Politik. In der Verfassungsnorm des Art. 82 Abs. 2 GG konkretisiert sich ein Verlässlichkeitspostulat, das legislative Konsequenz verlangt und nicht reduktionistische Opportunität aus – zudem fragwürdigen – finanziellen Gründen. Der Anteil der im geschlossenen Vollzug untergebrachten Strafgefangenen in Deutschland liegt im Verhältnis zur strafmündigen Gesamtbevölkerung bei weniger als 0,08%.65 Angesichts dessen, dass die Mehrheit der Be61 62 63 64
Stern, Staatsrecht I, S. 829. Stern, Staatsrecht I, S. 829. Siehe BVerfGE 72, 200, 241; Kloepfer, S. 3; Stern, Staatsrecht I, S. 831. Ausführlich dazu Kloepfer, S. 213 ff.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
völkerung von dem zu erlassenen Bundesgesetz i. S. d. § 198 Abs. 3 StVollzG nicht tangiert wird, wird letztlich von dem Versäumnis des Gesetzgebers kaum Notiz genommen. Würde es um das In-Kraft-Treten von Normen gehen, die weiten Teilen der Bevölkerung zugute kämen, könnte sich der Gesetzgeber infolge des öffentlichen Drucks kaum so lange seiner Verpflichtung entziehen. c) Konsequenz aus Regelung des Art. 82 Abs. 2 GG für das vorgesehene „besondere Bundesgesetz“ Was folgt für die Selbstbindung des Gesetzgebers nun aus der Regelung des Art. 82 Abs. 2 GG für das den Anforderungen des Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG an die Bestimmung des Tages des In-Kraft-Tretens nicht genügende besondere Bundesgesetz? Eins dürfte auszuschließen sein: Die in § 198 Abs. 3 StVollzG aufgeführten Bestimmungen sind nicht etwa längst in Kraft. Das in Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG vorgesehene „automatische“ In-Kraft-Treten mit dem 14. Tage nach Ablauf des Tages, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist, wäre nach dem Wortlaut die logische Konsequenz, weil das „besondere Bundesgesetz“ keine hinreichende Bestimmung des Wirksamkeitsbeginns nach Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG ist. Danach müssten die in § 198 Abs. 3 StVollzG aufgeführten Regelungen – also auch die zur Sozialversicherung der Strafgefangenen (§§ 190–193 StVollzG) – bereits verbindlich geworden sein. Dieses Ergebnis ist so jedoch nicht haltbar. Der Gesetzgeber hatte offenkundig einen Aufschub für das In-Kraft-Treten der betreffenden Normen vorgesehen und infolgedessen der Regelung des Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG keine Beachtung geschenkt. Ein solcher Aufschub ist prinzipiell zulässig. Art. 82 Abs. 2 GG verlangt Rechtsklarheit und -sicherheit, schließt ein zukünftiges, sofern zeitlich bestimmtes InKraft-Treten hingegen nicht aus. Da letzteres allerdings fehlt, in der Folgezeit – wie die strafvollzugsrechtliche Praxis beweist66 – gleichwohl von keiner rechtlichen Verbindlichkeit der in § 198 Abs. 3 StVollzG aufgezählten 65
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (im Internet abrufbar unter: www.destatis.de) befanden sich am 31.3.2004 insgesamt 63.677 (männliche und weibliche) Strafgefangene zur Verbüßung einer Freiheits- oder Jugendstrafe oder in Sicherungsverwahrung in einer deutschen Justizvollzugsanstalt. Davon befanden sich insgesamt 52.539 Strafgefangene im geschlossenen Vollzug. Der Anteil der strafmündigen Bevölkerung in Deutschland liegt bei rd. 70 Millionen Menschen. 66 Anträge von Gefangenen auf (nachträgliche) Abführung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung wurden von Vollzugsbehörden und Rechtsprechung stets unter Berufung auf die noch nicht in Kraft getretenen strafvollzugsgesetzlichen Regelungen abgelehnt (vgl. z. B. die der Entscheidung des BVerfG zur Arbeit und Entlohnung der Gefangenen zugrunde liegenden Sachverhalte, BVerfGE 98, 169, 177 ff.).
C. Einzelne Reformperspektiven
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Normen ausgegangen wurde, hat die öffentliche Gewalt faktisch gegen Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG verstoßen, weil dessen verbindliche Rechtsfolge schlicht ignoriert wurde. Dieses Verhalten steht mit der Verfassung nicht im Einklang. Außerdem widerspricht die Formulierung des § 198 Abs. 3 StVollzG dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtsklarheit und ist auch deshalb verfassungswidrig. Hieraus folgt indes noch nicht zwingend, dass die betreffenden Normen des § 198 Abs. 3 StVollzG aus der Sicht des Art. 82 Abs. 2 GG mittlerweile in Kraft getreten sind und zwar – wegen der Bestimmung des InKraft-Tretens nach § 198 Abs. 1 StVollzG – rückwirkend zum 1. Januar 1977. Denn nach §§ 31, 78 BVerfGG bzw. § 95 Abs. 3 BVerfGG ist die Verfassungswidrigkeit einer nachkonstitutionell-einfachgesetzlichen Regelung (wie die des § 198 Abs. 3 StVollzG) erst dann von sowohl legislativer als auch administrativer Bedeutung, wenn – was vorliegend (immer) noch nicht der Fall ist – eine entsprechende Sachentscheidung des BVerfG vorliegt, die diese strafvollzugsgesetzliche Norm für verfassungswidrig und damit als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt67.68 Eine solche Entscheidung könnte durch eine auf Normerlassfeststellung69 zielende Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen (nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG) jedoch erzwungen werden.70 Da somit eine bundesverfassungsgerichtliche Erklärung der Verfassungswidrigkeit von § 198 Abs. 3 StVollzG nicht völlig ausgeschlossen ist, soll im Folgenden – rein spekulativ – der Frage nach der praktischen Bewältigung der Folgen einer solchen Sachentscheidung nachgegangen werden. Erklärt das BVerfG eine Rechtsnorm für verfassungswidrig, trifft den Gesetzgeber die Pflicht zur Herstellung einer der Verfassung entsprechenden 67 Steht eine Norm mit dem Grundgesetz nicht im Einklang, ist sie grundsätzlich für nichtig zu erklären (§ 95 Abs. 3 S. 1, § 78 S. 1 BVerfGG). Etwas anderes gilt jedoch, wenn der verfassungswidrige Teil der Norm nicht klar abgrenzbar ist oder wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 90, 263, 276). Dem Gesetzgeber stehen hier verschiedene Möglichkeiten offen, die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Er könnte die bislang suspendierten Regelungen des Strafvollzugsgesetzes sofort in Kraft setzen oder § 198 Abs. 3 StVollzG dahingehend neu regeln, dass diese Norm einen konkreten In-Kraft-Tretens-Zeitpunkt bestimmt. 68 Vgl. Benda/Klein, Rn. 1250; Pestalozza, § 20 Rn. 83 ff.; Ulsamer, in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu u. a., BVerfGG, Bd. 2, § 78 Rn. 6 f. 69 Vgl. hierzu Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu u. a., BVerfGG, Bd. 1, Vorb. Rn. 89 und § 31 Rn. 137. 70 Es erscheint allerdings nicht ausgeschlossen, dass der zuständige Senat – wenn nicht schon die Vorprüfungskammer – im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis wegen der zur In-Kraft-Tretens-Frage bereits vorliegenden Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt der „res judicata“ verneint und aus diesem Grund eine Annahme zur Entscheidung ablehnt.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
Gesetzeslage.71 Diese Herstellungspflicht basiert auf dem Vorrang der ranghöheren Norm (Art. 20 Abs. 3 GG).72 Sofern das BVerfG keine konkrete Frist setzt73, hat der Gesetzgeber die Rechtslage unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, mit der Verfassung in Einklang zu bringen.74 Die Fristangaben, bis wann eine gesetzliche Neuregelung durchgeführt sein muss, macht das Gericht von der jeweiligen Schwierigkeit der Materie unter Berücksichtigung der Belastung des Gesetzgebers abhängig.75 Sollte das BVerfG § 198 Abs. 3 StVollzG wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rechtsklarheit sowie wegen Verstoßes gegen Art. 82 Abs. 2 GG für verfassungswidrig und unvereinbar mit höherrangigem Recht erklären, wird es dem Gesetzgeber die Pflicht auferlegen, innerhalb einer bestimmten Frist die beanstandete Norm durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. Fraglich ist, binnen welcher Frist der Gesetzgeber verpflichtet werden könnte, eine dem Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG entsprechende Neuregelung zu treffen. Hierbei ist Folgendes zu berücksichtigen: Da der Gesetzgeber beabsichtigen könnte, mit einer neuen In-Kraft-Tretens-Regelung die noch nicht wirksam gewordenen Normen des Strafvollzugsgesetzes sogleich in Kraft zu setzen, müsste dem Gesetzgeber hierfür eine längere Frist eingeräumt werden, als wenn er nur eine Regelung erlassen würde, die die Inkraftsetzung der besagten Normen zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt vorsieht. Im ersten Fall müssten parallel zu der neuen Regelung des Wirksamkeitsbeginns insbesondere die strafvollzugsgesetzlichen Normen über die Sozialversicherung (§§ 190–193 StVollzG) redaktionell an inzwischen vorgenommene Gesetzesänderungen angepasst werden, bevor sie in Kraft gesetzt werden könnten. Deshalb erscheint in dem Fall eine Frist von etwa zwei bis drei Jahren unumgänglich. Für den Fall, dass der Gesetzgeber „nur“ eine Norm erlassen würde, die die Inkraftsetzung der suspendierten Vorschriften an einem festen künftigen Termin regelt, genügt hingegen eine Frist für diese Neureglung von nicht mehr als einem Jahr. Da der Gesetzgeber – trotz seiner Selbstbindung – die suspendierten Normen nicht sogleich mit der Neuregelung in Kraft setzen will, sollte er gerichtlich verpflichtet werden, eine verfassungskonforme Regelung des InKraft-Tretens binnen Jahresfrist zu erlassen. Verfassungskonform bedeutet in dem Fall aber auch, dass der Gesetzgeber nunmehr keine Bestimmung treffen kann, die für das Wirksamwerden der strafvollzugsgesetzlichen Nor71
BVerfGE 55, 100, 110; 81, 363, 384; 99, 202, 216. Benda/Klein, Rn. 1276. 73 Vgl. BVerfGE 94, 241, 266; 99, 202, 216; 105, 73, 75. 74 So BVerfGE 92, 158, 186 f.; 81, 363, 384: „binnen angemessener Frist“; 89, 15, 27: „schnell“; 90, 60, 105: „alsbald“. 75 Benda/Klein, Rn. 1276. 72
C. Einzelne Reformperspektiven
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men einen zeitlichen Aufschub von mehr als vier Jahren, was einer Legislaturperiode entspricht, vorsieht. Das gilt nicht wegen der schon verstrichenen Jahre seit Erlass der Normen im Jahr 1977, sondern weil eine solche Bestimmung sonst wiederum dem Sinn des Art. 82 Abs. 2 GG widersprechen würde, der nach Erlass von Vorschriften deren zeitnahes In-Kraft-Treten verlangt. Dieses Ergebnis trägt einerseits der oben dargelegten Bedeutung des Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG, andererseits der dem Gesetzgeber im Rahmen seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung zustehenden Gestaltungsfreiheit angemessen Rechnung. 2. Rechtspolitische Gründe für Erlass des besonderen Bundesgesetzes Fraglich ist, ob ferner aus rechtspolitischen Gründen gesetzgeberischer Handlungsbedarf für die Einbeziehung der Strafgefangenen in die sozialen Sicherungssysteme bestehen könnte. Mit dieser Maßnahme soll diesem Personenkreis lediglich das gewährt werden, was für jeden anderen Arbeitnehmer seit langem selbstverständlicher Bestandteil der staatlichen sozialen Sicherung ist. a) Verbesserung der Resozialisierungschancen Ein möglicher Grund für die Einbeziehung in die soziale Sicherung könnte eine Verbesserung der Resozialisierungschancen sein. Die Resozialisierung76 ist das herausragende, verfassungsrechtlich gebotene Ziel des Vollzugs von Freiheitsstrafen.77 Der Strafgefangene soll gem. § 2 S. 1 StVollzG befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Gesetzgeber hat sich in § 2 StVollzG für die Priorität der „sozialen Sicherung“ durch „Ersatz-Sozialisation“, für den Vorrang der Hilfe zur „sozialen Integration“ oder Resozialisierung der Gefangenen vor den Sicherheitsinteressen entschieden.78 Dieser Vorrang bedeutet zwar nicht, dass in jedem Fall die Sicherheitsinteressen zurücktreten müssen. „Gleichwohl will das Prioritätsprinzip sicherstellen, dass bei Zielkonflikten, die im Vollzugsalltag regelmäßig auftreten, nicht der traditionell übermächtige Sicherheitsgedanke gleichsam ‚quasi-automatisch‘ durchschlägt. Vielmehr soll im Rahmen einer verantwortlichen Interessenabwägung im Zweifelsfall, auch unter Inkaufnahme von Risiken, (. . .) dem Prin76 77 78
Zur Definition des Begriffs: Cornel, S. 14 ff. BVerfGE 35, 202, 235. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 2 Rn. 4.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
zip der sozialen Integration und damit dem Prinzip der Eröffnung von Freiheitsspielräumen zur Einübung von sozialer Verantwortung der Vorrang gebühren.“79 Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten ist als Aufgabe des Vollzugs genannt, aber bisher nicht erklärtes Vollzugsziel. Die Umsetzung der sozialen Sicherung würde die Chancen der Strafgefangenen für eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die soziale Rechtsgemeinschaft erheblich verbessern: Die gegenwärtige Arbeitswelt im Strafvollzug ist immer noch stark von Zwang, Gängelung, Unterforderung und einer demotivierenden Unterbezahlung geprägt80, an der auch die Minimalerhöhung zum Jahresbeginn 2001 kaum etwas geändert hat. Die Einbeziehung in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung dürfte dazu beitragen, die Motivation und das Leistungsinteresse der beschäftigten Inhaftierten zu steigern. Denn die Arbeit im Vollzug erhielte für die Betroffenen einen völlig neuen Stellenwert. Die Tätigkeit wäre nicht mehr vordringlich mit dem Makel des Zwangs oder der Pflicht behaftet. Die beschäftigten Strafgefangenen würden in der Arbeit vorrangig die sinnvolle Möglichkeit zur Verbesserung ihrer eigenen Lebenslage und der ihrer Angehörigen sehen. Das trägt dem vom BVerfG geforderten Aspekt Rechnung, dass durch angemessene (auch nicht-monetäre) Anerkennung der Arbeit den Gefangenen verdeutlicht werden muss, dass geregelte Arbeit lohnenswert ist. Den Familienangehörigen blieben durch die Einbeziehung des Gefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung finanzielle Mehrbelastungen aufgrund einer erforderlichen Eigenvorsorge erspart, wenn nicht der Weg zur Arbeitsagentur oder zum Sozialamt. Dass der Gefangene aus dem Strafvollzug heraus insoweit etwas für seine Familie beitragen kann, dürfte zugleich wesentliche psychologische Effekte haben. Es hebt sein Selbstwertgefühl und führt zu einem gesellschaftlich erwünschten Verantwortungsbewusstsein. Außerdem wird die Einbeziehung in den Schutz der sozialen Sicherungssysteme einen Motivationsschub für leistungsunwillige Gefangene bewirken. Nur diejenigen Strafgefangenen, die überhaupt einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen, unterliegen der Sozialversicherungspflicht. Es würde folglich leichter gelingen, Inhaftierte, die bisher nicht bereit waren, an der Gestaltung ihrer Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels aktiv mitzuwirken (vgl. § 4 Abs. 1 StVollzG), zu einer positiven Einstellung zur Arbeit zu bringen. Unter Resozialisierungsaspekten hätte die soziale Sicherung darüber hinaus weit größere Bedeutung als die neu festgesetzte Arbeitsentgeltregelung (§ 43 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 200 StVollzG) oder die – ohnehin umstrittene81, 79 80 81
Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 2 Rn. 4. Bundesvereinigung der Anstaltsleiter im Strafvollzug e. V., ZfStrVo 1993, 180. Vgl. hierzu nur Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 43 Rn. 5.
C. Einzelne Reformperspektiven
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hier aber nicht näher zu betrachtende – Einführung der Regelung der Haftzeitverkürzung in § 43 Absätze 1, 6, 9–11 StVollzG82. Die Vorzüge der Sozialversicherungspflicht kommen den Betroffenen nämlich einerseits schon unmittelbar während des Vollzugs zugute (z. B. in Form einer verbesserten medizinischen Versorgung); andererseits entfallen die dauerhaften rentenversicherungsrechtlichen Spätfolgen, die sich (auch) als Sozialisationshemmnis erweisen und im Widerspruch zur Vollzugszielbestimmung des § 2 S. 1 StVollzG stehen83. Bei der jetzigen Situation ist in Bezug auf die Spätfolgen besonders bedenklich, dass diese im Regelfall nicht mehr in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zur Inhaftierung stehen. Das ist dem Ziel der Förderung der sozialen Integration zur Vorbereitung auf ein künftiges eigenverantwortliches und straffreies Leben nicht zuträglich. Die wirtschaftliche und soziale Benachteiligung ist diskriminierend und durch das begangene Unrecht des Delinquenten nicht zu rechtfertigen. Der Staat hat die Aufgabe, unbeabsichtigte Nebenwirkungen der Freiheitsstrafe zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, wenn sich die Nebenwirkungen als resozialisierungsfeindlich erweisen. Anderenfalls pervertiert der Strafvollzug die Ziele des Strafvollzugsgesetzes in ihr Gegenteil. Die Einbeziehung in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung wäre die einzige Form der Anerkennung für geleistete Arbeit, die langfristig, also auch für die Zeit nach der Haftentlassung, Vorteile mit sich bringt. Sie stellt damit einen wichtigen Schritt für die soziale Sicherung der Gefangenen nach der Entlassung dar. Das Arbeitsentgelt wird diese Voraussetzung erst dann erfüllen, wenn dessen Höhe ein angemessenes Äquivalent zur Arbeitsleistung bildet. Vorher ist der Gefangene nicht in der Lage, für eine ausreichende Zukunftsvorsorge zu sorgen. Das muss der Gesetzgeber auch gerade mit Rücksicht auf ältere Gefangene berücksichtigen, um sie vor drohender Altersarmut zu bewahren. In der meist schwierigen Zeit nach der Entlassung ist es für die älteren Entlassenen am problematischsten, eine berufliche Anstellung zu erhalten. Ihr fortgeschrittenes Alter, die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und zusätzlich das Stigma des „ExKnackis“ bieten kaum Aussicht auf eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Die Gewissheit, nach Zahlung genügender Versicherungsbeiträge bei Erreichen des Renteneintrittsalters eine Rente zu erhalten, würde ihnen nach der Haftentlassung zu einem besseren Start verhelfen und ihnen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erleichtern. Es ist damit zu rechnen, dass sich die Verbesserung der gesundheitlichen, sozialen und materiellen Situation der Gefangenen insgesamt positiv auf die Wiedereingliederung der Straffälligen auswirkt. Eine erfolgreiche Resozialisierung führt 82 83
Ausführlich dazu Schäfer, S. 10 ff.; s. auch Zweiter Teil, D. III. 2. b). Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 479.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
wiederum zu einer Verminderung der Rückfallkriminalität. Die Verringerung der Rückfallquote bedingt einerseits den Schutz der Gesellschaft vor erneuten Straftaten und erspart andererseits erhebliche vom Staat und der Allgemeinheit zu tragende Kosten. b) Wegfall der Benachteiligungen für die Familienangehörigen Des Weiteren begünstigt die Einbeziehung der Gefangenen in die sozialen Sicherungssysteme die Situation der Familienangehörigen. Wie bereits erörtert84, sind die Familienmitglieder des Strafgefangenen in erheblichem Maße von dessen Ausschluss aus der Sozialversicherung mitbetroffen. Dem Strafrecht liegt das Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit zugrunde. Die unschuldigen Familienangehörigen sind darum – soweit möglich – vor den nachteiligen Wirkungen der strafvollzugsimmanenten Folgen zu bewahren. Selbst wenn der für schuldig erklärte Täter durch seine Straftat die erste Ursache für die spätere Sachlage gesetzt hat, muss es für die staatlichen Organe obligatorisch sein, die Drittwirkung der Freiheitsstrafe im Rahmen des Möglichen zu begrenzen. Zur Vermeidung der sozialversicherungsrechtlichen Folgen sind die Voraussetzungen mit den Regelungen der §§ 190–193 StVollzG seit Jahren geschaffen. Der Schutz der Familienmitglieder ist ein wesentlicher sozialpolitischer Aspekt, der die Umsetzung der sozialen Sicherung erfordert. c) Mangelnde Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers? Die Untätigkeit des Gesetzgebers scheint geeignet, das Vertrauen in die Gesetzgebung zu erschüttern und das Ansehen des Gesetzgebers zu schädigen. Es gab seit In-Kraft-Treten des Strafvollzugsgesetzes am 1. Januar 1977 lediglich zwei – von der Bundesregierung in der achten und neunten Wahlperiode des Bundestages eingebrachte – Gesetzentwürfe85, die sich mit der Inkraftsetzung der §§ 190–193 StVollzG im Wege des Erlasses des besonderen Bundesgesetzes beschäftigten. Beide Gesetzesinitiativen scheiterten wegen der den Ländern entstehenden Kosten am Widerstand des Bundesrates.86 Die Bundesregierung hat schon seinerzeit in ihrer Gegen84
Siehe Zweiter Teil, B. I. 2. und II. 5. BT-Drs. 8/3335; 9/566. 86 Das nach dem eingebrachten Regierungsentwurf (BT-Drs. 8/3335) vom Bundestag verabschiedete Gesetz (BT-Drs. 8/3958) sah die Erhöhung des Arbeitsentgelts und eine gestufte Einbeziehung der Gefangenen in die Kranken- (zum 1.1.1981) und Rentenversicherung (zum 1.1.1986) vor. Der Bundesrat hat wegen des Gesetzes den Vermittlungsausschuss angerufen, der bis zum Ende der Legisla85
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äußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates gemahnt, die beschlossenen Regelungen „im Interesse der Glaubwürdigkeit“ nicht auf unbestimmte Zeit zu verschieben.87 Es gab in der Folgezeit weitere Gesetzesinitiativen, die eine Änderung des Strafvollzugsgesetzes, aber konkret nicht die Einbeziehung der Strafgefangenen in die Kranken- und Rentenversicherung vorsahen.88 Auch die Bundesregierung hat wegen der angespannten Lage der Länderhaushalte auf weitere Gesetzesvorhaben verzichtet, obwohl sie die sozialversicherungsrechtliche Anbindung aus Gründen der Resozialisierung, der Verminderung der Belastungen für die Angehörigen und der Verringerung der Rückfallquote befürwortet.89 In der Literatur90 wird seit langem einhellig die Untätigkeit des Gesetzgebers kritisiert: Es wird finanzpolitischen Erwägungen der Vorrang eingeräumt, während das behandlungsorientierte Vollzugskonzept auf der Strecke zu bleiben droht. Das Zuwarten der Gesetzgebungsorgane erweckt immer mehr den Anschein, der Gesetzgeber habe den tatsächlichen Erlass des besonderen Bundesgesetzes nicht aufgeschoben, sondern aufgegeben. Unstreitig ist die Einbeziehung der Strafgefangenen in den Schutz der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung mit beträchtlichen Kosten verbunden.91 Dennoch ist die beharrliche Weigerung der Gesetzesumsetzung turperiode keine Entscheidung getroffen hat. Die BT-Drs. 9/566 ist die unveränderte Fassung des Regierungsentwurfs (BT-Drs. 8/3335), der in der 8. Legislaturperiode aus Gründen der Diskontinuität nicht erledigt worden ist. Der erneut eingebrachte Regierungsentwurf ist bis zum Abschluss der 9. Legislaturperiode in den Bundestagsausschüssen nicht mehr zu Ende beraten worden (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage, in: BT-Drs. 11/717, 6). 87 BT-Drs. 9/566, 10. 88 Vgl. BT-Drs. 11/3694; 13/10245; 14/3763; 14/4070; 14/4452. 89 Vgl. die Antworten der Bundesregierung auf verschiedene Kleine Anfragen, in: BT-Drs. 11/717, 5, 7; BT-Drs. 12/961, 3. 90 Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, § 198 Rn. 1, 3; Feest, InfoStVollzPR 1986, 617, 622, 625; Hartmann, SozVers 1993, 197, 198; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 479; Müller-Dietz, BewHi 1986, 331, 353 f.; Papendorf/Schumann/Voß, InfoStVollzPR 1988, 199, 204. 91 Nach der in der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses vom 23.12. 1986 – Pet 4-10-07-3123-39993 – wiedergegebenen Stellungnahme des Bundesministers der Justiz hat das BMJ bezogen auf das Jahr 1981 die Kosten für die Einbeziehung der Strafgefangenen in die Krankenversicherung auf 56 Mio. DM und für die Rentenversicherung auf 236 Mio. DM geschätzt. Diesen Kosten hat das BMJ Entlastungen bei den Sozialhilfeaufwendungen von geschätzten 10 Mio. DM jährlich gegenübergestellt. Die Bundesregierung (vgl. BT-Drs. 12/961, 2) bezifferte für das Jahr 1990 die jährlichen Mehrkosten für die Krankenversicherungsbeiträge auf 77,7 Mio. DM und für die Rentenversicherungsbeiträge auf 232,6 Mio. DM. Die Angaben bezogen sich auf die Bundesrepublik Deutschland vor dem 3.10.1990. Hingegen behauptet das Justizministerium des Landes NRW im Jahr 2004, dass allein in NRW die Einbeziehung der Gefangenen in die Kranken- und Rentenver-
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
unter Hinweis auf die Kosten kritikwürdig. Während die Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme seit Jahren aus Kostengründen unterbleibt, wurden „andererseits Steuersenkungen zugunsten von Spitzenverdienern in Milliardenhöhe in Aussicht gestellt“92 respektive gewährt. Die beschäftigten Strafgefangenen sind nur ein kleiner Personenkreis, deren soziale Situation verbessert werden soll. Die dadurch entstehenden Mehrkosten liegen in Bezug auf den Gesamtländerhaushalt bei weniger als 0,14%.93 Es ist also nicht so sehr eine Frage der Finanzierbarkeit, sondern eine der haushaltspolitischen Prioritätensetzung. Fragwürdig ist zudem, dass den geschätzten Mehrkosten mangels konkreter Berechnungen keine verwertbaren Zahlen gegenübergestellt werden, welche finanziellen Entlastungen für die Sozialleistungsträger damit einhergehen. Diesbezügliche Anfragen an die Bundesregierung wurden stets damit beantwortet, dass sich Einsparungen bei den Sozialhilfeträgern mangels ausreichenden Datenmaterials weder berechnen noch fundiert schätzen ließen94 und der Prozentanteil der ehemaligen Strafgefangenen, die Sozialhilfe erhielten, in der Sozialhilfestatistik nicht ausgewiesen werde95. Es ist ferner zu bezweifeln, ob den Schätzungen für die Mehrkosten im Rahmen der Krankenversicherung zugleich die ersparten Kosten der Vollzugsanstalten für die bisherige Gesundheitsfürsorge gegenübergestellt wurden. Neu untersuchte für den Erhebungszeitraum von 1989 bis 1991 Probleme und Zusammenhänge bei einer tariforientierten Gefangenenentlohnung und kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Einführung der Versicherungspflicht für die beschäftigten Gefangenen in der gesetzlichen Krankenversicherung voraussichtlich mit keiner Haushaltsbelastung für die Länderhaushalte verbunden ist; es sei eher mit einem Mittelrückfluss zu rechnen.96 Denn die Einführung der Krankenversicherungspflicht für die entlohnungspflichtig beschäftigten Gefangenen hätte für die Vollzugsbehörden sowohl einen be- als auch einen entlastenden finanziellen Aspekt: Einerseits müssten die Länder für die Vollzugsbehörden den Arbeitgeberanteil sicherung Mehrkosten in Höhe von insgesamt rund 66 Mio. e jährlich verursachen würde (vgl. Justizministerium NRW, Justizvollzug in NRW, S. 26). 92 So die Argumentation von einigen Abgeordneten und der SPD-Fraktion in ihrer Kleinen Anfrage: vgl. BT-Drs. 11/662, 1. 93 Die Zahl wurde für das Jahr 2004 am Beispiel des Landes NRW (von der Verfasserin) errechnet: Das Landesjustizministerium schätzt die Mehrkosten auf 66 Mio. e (vgl. Fn. 91) bei einem Gesamthaushalt von über 48,6 Mrd. e für das Haushaltsjahr 2004 (vgl. § 1 des Gesetzes über die Feststellung der Haushaltspläne des Landes NRW für die Haushaltsjahre 2004/2005 [Haushaltsgesetz 2004/2005]). 94 BT-Drs. 11/717, 2; 12/961, 2. 95 BT-Drs. 12/961, 3. 96 Neu, Tariforientierte Gefangenenentlohnung, S. 185.
C. Einzelne Reformperspektiven
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zur Krankenversicherung bereitstellen, andererseits würden die Vollzugsanstalten Personal- und Sachkosten der bisherigen Gesundheitsfürsorge einsparen.97 Für die Ermittlung der letztgenannten Position beschränkte sich Neu auf zwei Stichproben.98 Nach den Haushaltsplänen und Auskünften der Vollzugsbehörden der Länder Schleswig-Holstein (Flächenland) und Hamburg (Stadtstaat) schätzte Neu den Aufwand für krankenversicherungsähnliche Leistungen im Jahr 1991 als Anteil an den gesamten Strafvollzugsausgaben auf 3,5% (Schleswig-Holstein) bzw. 4,5% (Hamburg) und bildete daraus einen Mittelwert von 4%. Bezogen auf die Gesamtausgaben aller Länder für den Strafvollzug (Durchschnitt 1989 – 1991: 2,19 Milliarden DM) entspräche dies einem Aufwand für Gesundheitsfürsorge von knapp 90 Millionen DM. Von diesen 90 Millionen DM entfielen auf die entlohnungspflichtig beschäftigten Gefangenen Kosten zur Gesundheitsfürsorge von gut 50 Millionen DM, die die Vollzugsbehörden für diesen Personenkreis effektiv einsparen würden. Die Gegenüberstellung der Mehraufwendungen für den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung (die Neu je nach Entlohnungsmodell99 zwischen 10,4 und 49,5 Millionen DM beziffert) und der Einsparungen an Gesundheitsfürsorgeaufwendungen ergäbe einen positiven Saldo für die Staatskasse. Dieser betrage je nach Entlohnungsmodell zwischen einer halben Million und knapp 40 Millionen DM, umgerechnet also zwischen gut 255.000 und 20 Millionen Euro.100 97
Neu, ebd., S. 165 f. Ursächlich dafür war, dass eine Ermittlung bei allen einbezogenen Ländern mit einem unvertretbar hohen Zeit- und Kostenaufwand verbunden gewesen wäre. Den Haushaltsplänen der Länder seien die Personal- und Sachkosten für die Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug nicht ohne weiteres zu entnehmen, da der Personalstellenausweis nicht oder nicht vollständig nach funktionalen Kriterien aufgeschlüsselt sei (Neu, ebd., S. 166). 99 Neu (ebd., S. 105 ff., ders., ZfStrVo 1995, 149, 153) unterscheidet drei Varianten einer tariforientierten Gefangenenentlohnung: In dem „Betriebsorientierten Ergebnismodell“ (BEM) wird der Frage nachgegangen, wie sich die ökonomische Situation der Gefangenen und die Länderfinanzen ändern, wenn der Haftkostendeckungsbeitrag in den Betrieben der „wirtschaftlich ergiebigen Arbeit“ zur Anhebung der Arbeitsentgelte umgewidmet wird. In einem zweiten Modellansatz einer tariforientierten Gefangenenentlohnung wird an jene Zielvorstellungen angeknüpft, die der Gesetzgeber ursprünglich im Zuge der Strafvollzugsreform 1977 mit der Frage der Gefangenenentlohnung entwickelt hatte (s. dazu Erster Teil, A. II.): im „Gesetzesvorgabe-Vollzugsmodell“ (GVM) wird angenommen, dass die durchschnittliche Gefangenenentlohnung 40% der Durchschnittsentgelte der gesetzlichen Rentenversicherung des vorvergangenen Kalenderjahres erreicht. Im „Tariforientierten Basismodell“ (TBM) werden der Gefangenenentlohnung die unteren Werte von Tariflöhnen der gewerblichen Wirtschaft für Arbeiten zugrunde gelegt, die im Vollzug schon eingeführt sind oder deren Einführung prinzipiell möglich erscheint. 100 Neu, Tariforientierte Gefangenenentlohnung, S. 167; ders., ZfStrVo 1995, 149, 154. 98
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
Die Untätigkeit des Gesetzgebers ist unter Berufung auf die entstehenden Kosten nicht (mehr) haltbar. Der Gesetzgeber hat sich für die Einbeziehung der Strafgefangenen in das soziale Netz entschieden, die richtig und – wie gezeigt – aus mehreren sozialpolitischen Aspekten notwendig ist. Im Übrigen kann die finanzielle Ablehnung durch die Länder nicht dem politischen Willen übergeordnet sein. Im Ergebnis hat die Legislative – auch im Zuge ihrer Glaubwürdigkeit – ihr begonnenes Reformvorhaben unverzüglich zu vollenden. Teile des Schrifttums kritisieren ausdrücklich, dass ein Gesetzgeber, der sich auf Dauer über selbst gesetzte Fristen hinwegsetze, das Vertrauen der Bevölkerung in die Glaubwürdigkeit staatlicher Selbstbindung erschüttere.101 Was die Kosten betrifft, ist der Gesetzgeber im Übrigen nicht gehindert, die der Beitragsbemessung von Strafgefangenen zu Grunde zu legenden beitragspflichtigen Einnahmen, die zur Zeit der Ausarbeitung des Strafvollzugsgesetzes in Höhe von 90% der Bezugsgröße festgesetzt wurden, zu überdenken. Eine Anpassung beispielsweise an die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen behinderter Menschen, die mindestens 80% der Bezugsgröße betragen (§ 162 Nr. 5 SGB VI), wäre nicht unangemessen. 3. Ungerechtfertigte Bevorzugung? Konflikt: Strafgefangene versus Sozialhilfeempfänger Steht der Einführung der Sozialversicherungspflicht für Strafgefangene eine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber anderen ebenfalls nicht versicherten Gruppen entgegen, die aus gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen ist? Zum Vergleich bietet sich der Personenkreis der Sozialhilfeempfänger an. Deren rechtliche Situation hat sich durch die Neuregelung des Existenzsicherungsrechts102 zum 1. Januar 2005 erheblich verändert. Fraglich ist, ob sich daraus unterschiedliche Folgerungen ableiten lassen. Deshalb soll sowohl die alte Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz als auch die aktuelle Rechtslage der Sozialhilfeempfänger jeweils der Situation der Strafgefangenen gegenübergestellt werden. a) Rechtslage nach dem BSHG Nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz waren Hilfe Suchende, die keine Arbeit finden konnten, zur Annahme einer zumutbaren Arbeitsgelegenheit nach § 19 BSHG verpflichtet (§ 18 Abs. 2 S. 1 BSHG)103. Wenn 101
AK-StVollzG-Feest/ders./Köhne, § 198 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Aufl. 2000, § 200 Rn. 1; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 2 Rn. 75; Matzke, in: Schwind/Böhm, StVollzG, 3. Aufl. 1999, § 200 Rn. 1. 102 Siehe Darstellung im Zweiten Teil unter B. I. 2. b) dd).
C. Einzelne Reformperspektiven
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sie eine gemeinnützige und zusätzliche Arbeit annahmen, konnte ihnen entweder ein übliches Arbeitsentgelt oder Hilfe zum Lebensunterhalt zuzüglich einer Mehraufwandsentschädigung gewährt werden (§ 19 Abs. 2 S. 1 BSHG). Gewährte der Sozialhilfeträger ein Arbeitsentgelt, entstand ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, sodass die allgemeinen sozialrechtlichen Bestimmungen galten.104 Folglich waren diese Sozialhilfeempfänger sozialversichert. Wurde dagegen Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt, bestimmte § 19 Abs. 3 S. 1 BSHG ausdrücklich, dass kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung begründet wird. Der frühere Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) verwies auf diese Sozialhilfeempfänger, die insoweit gegenüber den Gefangenen bei deren Einbeziehung in die Rentenversicherung ungleich behandelt würden. Der VDR betonte, dass nach einer 1994 vom Deutschen Städtetag durchgeführten Umfrage ca. 34% der von den Sozialämtern geschaffenen Arbeitsmöglichkeiten nach § 19 Abs. 2 S. 1 BSHG nicht sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse seien.105 Um eine Ungleichbehandlung zwischen Strafgefangenen und den nicht versicherten Sozialhilfeempfängern zu vermeiden, sprach sich der VDR deshalb gegen eine Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung aus.106 Dem folgend führte das BVerfG in seinem Arbeits- und Entlohnungsurteil von 1998 aus, dass sich eine Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung „nach Aussage der in der mündlichen Verhandlung gehörten Sachverständigen des Sozialversicherungsrechts im Gegenteil gerade unter Gleichheitsgesichtspunkten rechtfertigen“ müsste.107
103 Nach überwiegender Ansicht verstieß die Norm weder gegen das Verbot des Arbeitszwangs nach Art. 12 Abs. 2 GG noch gegen das Verbot der Zwangsarbeit nach Art. 12 Abs. 3 GG noch gegen das Übereinkommen Nr. 29 der ILO vom 28.6.1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit, weil es sich bei der Schaffung einer Arbeitsgelegenheit durch den Sozialhilfeträger um ein Hilfeangebot handelte; siehe Fasselt, in: Fichtner/Wenzel, BSHG, § 18 Rn. 4 m. w. N. 104 Nach nahezu einhelliger Ansicht entstand ein Beschäftigungsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten der gesetzlichen Sozialversicherung; vgl. BVerwG FEVS 41, 45, 47 f. m. w. N.; BSG FEVS 47, 514, 522; Dauber, in: Mergler/Zink, BSHG, § 19 Rn. 17; Fasselt, in: Fichtner/Wenzel, BSHG, § 19 Rn. 11; Krahmer, in: LPKBSHG, § 19 Rn. 7; Trenk-Hinterberger, NDV 1984, 405, 406; a. A. Gutachten des Deutschen Vereins NDV 1985, 89, 90 f. 105 VDR, 1998, S. 17 f. 106 VDR, 1998, S. 18 f. 107 BVerfGE 98, 169, 212.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
b) Rechtslage nach neuem Existenzsicherungsrecht Mit der „Hartz IV“-Reform wurden Anfang 2005 die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe für Erwerbsfähige zum Arbeitslosengeld II zusammengeführt.108 Damit hat sich der Anteil der Sozialhilfeempfänger beträchtlich reduziert, weil alle bisherigen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger nunmehr zu den Arbeitslosengeld II-Beziehern nach § 19 SGB II gehören.109 In Anlehnung an den alten § 19 BSHG sieht § 16 Abs. 3 SGB II vor, dass für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die keine Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden sollen. Demnach können diese Personen auch nach der neuen Rechtslage wieder zu bestimmten Arbeiten herangezogen werden. Es besteht im Vergleich zur alten Rechtslage jedoch ein wesentlicher Unterschied: Die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen erhielten mit Einführung der neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II einen eigenen Zugang zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V, § 3 S. 1 Nr. 3a SGB VI, § 20 Abs. 1 Nr. 2a SGB XI). Seitdem sind sie in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II beziehen, in den genannten Versicherungszweigen versicherungspflichtig.110 Im Vergleich zu den Gefangenen sind die früheren Sozialhilfebezieher damit jetzt besser gestellt. Dem Sozialhilferecht nach dem SGB XII unterliegen nur noch alle nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Sie sind nach wie vor nicht versicherungspflichtig. Diese Hilfebedürftigen würden im Vergleich mit den Strafgefangenen aber nicht ungleich behandelt werden, wenn arbeitende Gefangene versicherungspflichtig würden. Denn sie werden ohnehin nicht zu bestimmten Arbeiten verpflichtet. Die nicht erwerbsfähigen Sozialhilfebezieher wären zu den Gefangenen somit keine Vergleichsgruppe i. S. d. Art. 3 GG, die unterschiedlich behandelt würde. c) Stellungnahme Beim Vergleich der beiden Rechtslagen fällt auf, dass es mit Einführung der Versicherungspflicht für erwerbsfähige Hilfebedürftige keine Diskussion gab, ob mit deren Einbeziehung in die Sozialversicherung möglicherweise 108 Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003, BGBl. I, 2954. 109 Schätzungen gehen dahin, dass 90 bis 95% der ehemaligen Sozialhilfeempfänger zu Arbeitslosengeld II-Empfängern wurden; gerechnet wurde mit 85%: Rexer, Stern, 44/2005, 238, 239. 110 Versicherungspflicht besteht für die Empfänger des Arbeitslosengeldes II nur dann nicht, wenn sie die Leistung nur darlehensweise oder nur Leistungen nach § 23 Abs. 3 S. 1 SGB II beziehen.
C. Einzelne Reformperspektiven
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im Vollzug arbeitende Strafgefangene ungleich behandelt würden. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs der „Hartz IV“-Reform erfolgte die Einführung der Versicherungspflicht als „Folgeänderung zur Aufhebung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe“.111 Die bisherigen Arbeitslosenhilfebezieher waren in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V a. F., § 3 S. 1 Nr. 3 SGB VI a. F., § 20 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI a. F.) versicherungspflichtig und sollten es auch nach der Reform bleiben. Die erwerbsfähigen bisherigen Sozialhilfeempfänger haben durch die Zusammenlegung der beiden früheren Leistungen ganz einfach für sich von dieser Folgeänderung profitiert. Indem dieser Personenkreis nun selbst versicherungspflichtig ist, könnte jener bei einer Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherungszweige damit nicht mehr ungleich behandelt werden. Die frühere Argumentation des VDR ist nach der geänderten Rechtslage deshalb hinfällig geworden. Die Einführung der Sozialversicherungspflicht für Strafgefangene bedeutet keine ungleiche Bevorzugung gegenüber den vergleichbaren (bisherigen), gemeinnützige und zusätzliche Arbeit leistenden Sozialhilfeempfängern mehr. Doch auch nach der alten Rechtslage erscheint es fraglich, ob die Versicherungspflicht für Gefangene zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber den Sozialhilfeempfängern geführt hätte. Letztere wurden zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen, d.h. zu Arbeiten, die dem öffentlichen Wohl und nicht erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienen.112 Dem Gefangenen soll nach § 37 Abs. 2 StVollzG hingegen wirtschaftlich ergiebige Arbeit zugewiesen werden, die neben der Resozialisierung auch wirtschaftlichen Zielen dient.113 Obendrein erhalten Gefangene für ihre Arbeit ein Arbeitsentgelt. Strafgefangene erfüllen damit essentielle Bedingungen des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses nach § 7 SGB IV. Es bestehen insofern wesentliche Unterschiede zu den Sozialhilfeempfängern, in denen durchaus ein sachlicher Grund i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG als Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung hätte gesehen werden können.114 Unter gleichheitsrechtlichem Aspekt wäre demnach auch nach der alten Rechtslage eine Einbeziehung der Strafgefangenen in die Sozialversicherung nicht zwingend ausgeschlossen gewesen. Letztlich kann dies aufgrund der aktuellen Rechtslage für die ehemaligen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger indes dahinstehen. Der Einführung der Sozialversicherungspflicht für Strafgefangene steht eine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber Sozialhilfeempfängern nicht entgegen. 111 112 113 114
Vgl. BT-Drs. 15/1516, 72 f. Krahmer, in: LPK-BSHG, § 19 Rn. 8. Vgl. Zweiter Teil, A. II. 2. So auch Lohmann, Arbeit und Arbeitsentlohnung des Strafgefangenen, S. 157.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
II. Anerkennung der Haftstrafe als Anrechnungszeit? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die §§ 190–193 StVollzG auch in den nächsten Jahren nicht umgesetzt werden. Das ist vor allem nicht zu erwarten, nachdem – entsprechend der von der großen Koalition beschlossenen Föderalismusreform – die Zuständigkeit für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder übertragen wurde.115 Da sich die Länder aus finanziellen Gründen schon bisher stets gegen den Erlass des besonderen Bundesgesetzes ausgesprochen haben, ist erst recht nicht damit zu rechnen, wenn sie nun selbst darüber zu entscheiden haben. Als Alternative zur Kompensation der rentenversicherungsrechtlichen Nachteile ist deshalb übergangsweise (d.h. bis zur Inkraftsetzung der Regelungen) eine Ergänzung des § 58 Abs. 1 SGB VI in Betracht zu ziehen. Als Anrechnungszeit könnte der Zeitraum einer Haftstrafe anerkannt werden, in dem der Gefangene im geschlossenen Strafvollzug entweder einer Beschäftigung (§ 37 Abs. 1, Abs. 2 StVollzG) gegen Arbeitsentgelt nachgegangen ist oder an einer Berufsausbildung, einer beruflichen Weiterbildung (§ 37 Abs. 3 StVollzG) oder an einem Unterricht (§ 38 StVollzG) teilgenommen und dafür eine Ausbildungsbeihilfe erhalten hat. Möglicherweise wäre sogar daran zu denken, die Zeit der Strafhaft ganz oder teilweise als Anrechnungszeit anzuerkennen, unabhängig von geleisteten Tätigkeiten, Aus- oder Weiterbildungen. Nach Auffassung des BSG116 können die Zeiten der Strafhaft den Ausfallzeiten nach § 1259 RVO, die durch das Rentenreformgesetz 1992117 in Anrechnungszeiten umbenannt wurden und heute in § 58 SGB VI geregelt sind, nicht gleichgesetzt werden. Die Vorschrift normiere bestimmte Sachverhalte als anspruchsrelevante Merkmale, die als sozialversicherungsrechtlich bedeutsam einzuordnen sind. Die Verbüßung einer Strafhaft zähle bis heute nicht dazu.118 Die Rechtslage wäre demzufolge anders zu beurteilen, wenn die Legislative die Zeit der Haftverbüßung entweder generell oder aber nur, soweit währenddessen eine Beschäftigung im Vollzug ausgeübt wurde, als Anrechnungszeit anerkennen und den § 58 Abs. 1 S. 1 SGB VI entsprechend ergänzen würde. Fraglich ist, ob die Zeit einer Haftverbüßung als sozialversicherungsrechtlich anerkennenswert eingestuft werden kann und es sozialpolitisch vertretbar ist, die geltende schutzverneinende Gesetzeslage für die Betroffenen auf diese Weise in eine schutzbejahende umzuwandeln. 115 Zu den Bedenken hinsichtlich dieser Reform: Funk, Der Tagesspiegel v. 27.2.2006, S. 6. 116 BSG NJW 1989, 190, 191. 117 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992) vom 18.12.1989, BGBl. I, 2261. 118 Näheres zu dem Urteil des BSG schon im Zweiten Teil unter B. II. 1. b) aa).
C. Einzelne Reformperspektiven
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1. Bedeutung und Zweck der Anrechnungszeiten Der Anrechnungszeitenkatalog des § 58 SGB VI erfasst Zeiten, in denen eine versicherte Tätigkeit aus persönlichen Gründen des Versicherten, die gleichwohl aber sozial relevant sind, nicht ausgeübt werden konnte.119 Die Berücksichtigung der Anrechnungszeiten dient dem Ausgleich der infolge der Anrechnungszeittatbestände eingetretenen Vorsorgeunfähigkeit.120 Die Zeiten werden rentenanspruchsbegründend und anspruchssteigernd berücksichtigt, ohne dass für diese Zeiten Beiträge entrichtet worden sind (sog. beitragsfreie Zeiten gem. § 54 Abs. 4 SGB VI). Wegen der fehlenden Beitragsleistung sind diese Zeiten Solidarleistungen der Versichertengemeinschaft.121 Die spätere Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung soll einen angemessenen Lebensstandard im Alter sichern. Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 SGB VI). Zeiten, in denen die Versicherung nicht bestand, führen zu Lücken in der Versicherungsbiografie und damit zu einer niedrigen Rente. Diese Umstände können dazu führen, dass die Rente ihr Sicherungsziel verfehlt. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Versicherungsprinzip als einem auf Beitragsleistung und Risikoausgleich gestützten Element einerseits und der Lebensstandardsicherung andererseits wird durch Elemente des sozialen Ausgleichs überbrückt.122 Ein Element des sozialen Ausgleichs stellen die Anrechnungszeiten dar.123 2. Einstufung der Haftverbüßung als sozial anerkennenswert? Anrechnungszeiten beruhen auf staatlicher Gewährung und sind Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge sowie des Sozialstaatsprinzips i. S. v. Art. 20 Abs. 1 GG.124 Sie werden den Versicherten aus unterschiedlichen sozialpolitischen Erwägungen heraus zugestanden, weil sie aus billigenswerten Gründen außer Stande waren, während dieser Zeiten Pflichtbeiträge zu entrichten. Dass die Strafgefangenen bzw. die Entlassenen staatlicher Vor- und 119 Vgl. BSG SozR 3–2200 § 1259 Nr. 10; BSG SozR 3–2600 § 58 Nr. 5, 16; BSGE 41, 41, 49; 64, 118, 121; Einzelheiten dazu auch im Zweiten Teil, B. II. 1. b). 120 Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 58 Rn. 1. 121 BSG NZS 1997, 368. 122 Ruland, in: v. Maydell/Ruland, SRH, C. 16 Rn. 73. 123 BSG vom 4.8.1998 – B 4 RA 8/98 R, veröffentlicht bei juris Nr.: KSRE026911508, S. 3; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, RV II – SGB VI, § 58 Rn. 2. 124 BVerfGE 58, 81, 112 m. w. N.; BSG SozR 3–2600, § 58 Nr. 13.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
Fürsorge bedürfen, hat das BVerfG schon in der sog. „Lebach-Entscheidung“ entschieden.125 Im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtlichen Nachteile, die den Entlassenen die Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben keineswegs erleichtern, wird ihnen allerdings keine staatliche Vorsorge entgegengebracht. Dem Gesetzgeber obliegt im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums die Entscheidung über eine Erweiterung des § 58 Abs. 1 SGB VI. Entsprechend den Voraussetzungen und der Bedeutung der Anrechnungszeiten erscheint es nicht ausgeschlossen, die Zeit einer Haftverbüßung als sozial anerkennenswert einzustufen. Ein Gefangener kann wegen seiner Inhaftierung keiner versicherten Beschäftigung nachgehen und ist deswegen daran gehindert, Pflichtbeiträge zu entrichten. Die Beschränkung seiner Fortbewegungsfreiheit während des Absitzens der Freiheitsstrafe ist ein in seiner Person liegender Grund. Die Zeit der Verbüßung einer Strafhaft ist mit Blick auf die – wenn auch unerwünscht – eintretenden Folgen des Weiteren sozial relevant. Denn je nach Haftdauer führt die Zeit zu erheblichen Lücken im Versicherungsverlauf. Eine Anrechnungszeit würde den Vorsorgeverlust des betroffenen Personenkreises für diese Zeit sozialadäquat kompensieren. Dies erscheint auch insoweit gerecht, als die sozialen Belastungen als Folge der Freiheitsentziehung im Spannungsfeld zweier Ursachen stehen. Die erste Ursache für den Strafvollzug hat der Straftäter durch seine Tat selbst gesetzt. Doch die zweite Ursache beruht auf der strafgerichtlichen Verurteilung und ist damit durch eine staatliche Maßnahme bedingt. Gegen die Einstufung als sozial anerkennenswert spricht im Vergleich zu den anderen Anrechnungstatbeständen die Tatsache, dass die Verbüßung einer Strafhaft kein „typisches Lebensschicksal“126 ist. Wesentliches Merkmal für einen rentenrechtlichen Ausgleich in Form der Anrechnungszeiten ist eine unverschuldete Nichtleistung von Pflichtbeiträgen.127 Anrechnungszeiten sind eine soziale Entschädigung durch den Rentenversicherungsträger. Die Straftat als Auslöser für den Strafvollzug hat der Gefangene jedoch durch sein Verhalten verschuldet und zu verantworten. Andererseits ist zu bedenken, dass andere Umstände, wie z. B. eine Krankheit nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, als Anrechnungszeit anerkannt sind. Dabei können die ebenfalls vom Tatbestand der „Krankheit“ erfassten Suchtkrankheiten (etwa Alkohol- oder Drogenabhängigkeit) oder Verletzungen infolge der Ausübung von sog. Risikosportarten (wie z. B. Fallschirmspringen, Ski fahren) genauso wenig als unverschuldet bezeichnet werden. Maßgeblich ist, dass 125
BVerfGE 35, 202, 236; s. dazu auch Zweiter Teil, B. I. 1. So Kreikebohm/v. Koch/Krauß, in: Schulin, HS-RV, § 30 Rn. 6. 127 BSG NZS 1997, 368; KassKomm-Niesel, § 58 SGB VI Rn. 2; Klattenhoff, in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 58 Rn. 2a. 126
C. Einzelne Reformperspektiven
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es auf ein individuelles Verschulden im Rechtssinne hier nicht ankommt. Daher kann die Zeit einer Haftverbüßung als sozialversicherungsrechtlich anerkennenswert eingestuft werden. Demzufolge könnte der Gesetzgeber den § 58 Abs. 1 S. 1 SGB VI um den Anrechnungszeittatbestand der Verbüßung einer Strafhaft ergänzen. 3. Problem: Belastung der Versichertengemeinschaft Im Ergebnis ist die Einführung eines entsprechenden Anrechnungszeittatbestands jedoch problematisch, weil die Regelung indirekt zu Lasten der Versichertengemeinschaft ginge. Dem Wesen der Rentenversicherung als einer „Versicherung“ entspricht es, dass sie ganz überwiegend aus Beiträgen finanziert wird.128 Die Anrechnungszeiten werden bei der Rentenberechnung dagegen ohne Beitragsleistung berücksichtigt. Sie gehören damit zu den „versicherungsfremden Leistungen“.129 Diese werden durch Bundeszuschüsse (§ 213 SGB VI), also aus Steuermitteln, finanziert. Die Rentenkassen weisen schon jetzt ein hohes finanzielles Defizit auf, da immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentenempfänger finanzieren müssen. Würden die versicherungsfremden Leistungen erweitert, blieben der Rentenversicherung aus den Bundeszuschüssen weniger Finanzmittel, die beispielsweise zur Vermeidung von Beitragserhöhungen aufgewendet werden könnten und somit der Versichertengemeinschaft zugute kämen. Ferner stünde ein neuer Anrechnungszeittatbestand im Widerspruch zu der mit dem Rentenreformgesetz 1992 eingeleiteten Gesetzgebung. Diese bezweckte eine Stärkung des Versicherungsprinzips durch Einschränkung des Katalogs beitragsfreier Zeiten und einer dominierenderen beitragsbezogenen Bewertung. Die Anerkennung der Verbüßung einer Strafhaft als Anrechnungszeit ist – unabhängig von einer verrichteten Beschäftigung im Vollzug – folglich insgesamt abzulehnen. Eine Anrechnungszeit für die geleistete Arbeit würde diese honorieren; sie ist wegen der Belastung der Versichertengemeinschaft aber unangemessen. Im Übrigen wäre es gesetzestechnisch unnötiger Aufwand, eine solche Übergangsregelung zu schaffen, wenn im Gesetz eine sinnvolle Regelung enthalten ist, die nur in Kraft gesetzt werden muss.
128
Ruland, in: v. Maydell/Ruland, SRH, C. 16 Rn. 29. Vgl. hierzu: BSG NZS 1998, 482, 483; Ruland, in: v. Maydell/Ruland, SRH, C. 16 Rn. 38. 129
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
III. Einführung einer Nachzahlungsregelung im SGB VI Eine andere Perspektive könnte die Einführung einer Beitragsnachzahlungsregelung im SGB VI sein. Derzeit sieht nur § 205 SGB VI eine Möglichkeit zur Nachzahlung von Beiträgen bei Strafverfolgungsmaßnahmen vor. Die Vorschrift räumt Versicherten das Recht zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge allerdings nur für Zeiten unschuldig erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen ein. Der Gesetzgeber könnte für Zeiten des Verbüßens einer Freiheitsstrafe eine andere Nachzahlungsmöglichkeit vorsehen. Diese gäbe den aus dem Strafvollzug entlassenen Gefangenen das Recht, für die Zeit der Verbüßung ihrer Strafhaft nachträglich freiwillige Beiträge zu zahlen. Zweck der Norm wäre die Schließung der Versorgungslücke in ihrem Versicherungsverlauf. Die Nachzahlung könnte entweder für die gesamte Zeit der Haftverbüßung oder nur für Teile davon erfolgen. Der Vorteil einer solchen Norm bestünde darin, dass sämtlichen Entlassenen, unabhängig davon, ob sie im Vollzug beschäftigt waren, prinzipiell die Gelegenheit gegeben würde, nachträglich etwas für ihre Altersvorsorge im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung zu tun. Da die Beiträge von den Betroffenen zu tragen wären, würde weder die Versichertengemeinschaft noch der Steuerzahler belastet werden. Die Schwierigkeit bestünde für viele Entlassene nur darin, die erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen. Die Mehrzahl der entlassenen Gefangenen ist hoch verschuldet und deshalb (zunächst) kaum in der Lage, auch nur den freiwilligen Mindestbeitrag zu entrichten. Dieser beträgt seit 1. Januar 2007 bundeseinheitlich 79,60 e monatlich.130 Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich die wirtschaftliche Lage bei einigen Entlassenen durch erfolgreiche Wiedereingliederung, Aufnahme einer Beschäftigung oder Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Laufe der Jahre merklich verbessern wird. Demzufolge sollte eine Nachzahlungsregelung eine ausreichende Antragsfrist einräumen, sodass auch noch Jahre nach der Entlassung ein Antrag auf Nachzahlung gestellt werden könnte. Ob ehemalige Strafgefangene von einer solchen Regelung – vor allem unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität – tatsächlich Gebrauch machen würden, kann nicht beurteilt werden. Fakt ist aber, dass den Betroffenen erstmalig die Möglichkeit eröffnet würde, auf eigene Kosten die durch die Inhaftierung erlittenen sozialen Nachteile auszugleichen. Daher ist die Einführung einer entsprechenden Nachzahlungsregelung billig und sinnvoll. 130 Die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage beträgt für freiwillig Versicherte nach § 167 SGB VI monatlich 400 e. Der Beitragssatz zur Rentenversicherung liegt im Jahr 2007 bei 19,9% (§§ 158, 287 SGB VI).
C. Einzelne Reformperspektiven
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IV. Anwendung der Minijob-Regelung auf die Gefangenenarbeit Eine weitere Alternative zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Strafgefangenen könnte die Anwendung der Regelung über geringfügige Beschäftigungen („Minijobs“, § 8 Abs. 1 SGB IV) auf die Gefangenenarbeitsverhältnisse sein. Durch das schon im Zusammenhang mit der sozialen Sicherung der Untersuchungsgefangenen erläuterte „Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse“ vom 24. März 1999 ist die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen grundlegend geändert worden.131 Unter bestimmten Voraussetzungen führen diese Beschäftigungsverhältnisse nun zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine geringfügige Beschäftigung liegt nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400 e nicht übersteigt. Da Gefangene gegenwärtig selbst in der höchsten Vergütungsstufe V kein Arbeitsentgelt von monatlich über 400 e erzielen132, überschreitet ihre Entlohnung folglich nicht die Geringfügigkeitsgrenze. Haupteinwand gegen die Anwendung der Minijob-Regelung (§ 8 SGB IV) auf die Gefangenenarbeitsverhältnisse dürfte die gesetzliche Arbeitspflicht der Gefangenen (§ 41 Abs. 1 StVollzG) sein, durch die mangels Freiwilligkeit keine sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung gem. § 7 Abs. 1 SGB IV vorliege.133 Auch bei einer geringfügigen Beschäftigung müsse es sich um eine Beschäftigung i. S. d. Sozialversicherungsrechts handeln. Nach geltendem Recht ist dieser mögliche Einwand nicht zu widerlegen. Ihm ist jedoch entgegenzuhalten, dass die wichtige soziale Sicherung der Gefangenen daran nicht scheitern müsste. Ihre Versicherungspflicht in der Unfall- und Arbeitslosenversicherung beweist schließlich das Gegenteil. Da die umfassende soziale Sicherung ein wesentliches Reformanliegen war, muss für den Gesetzgeber umso mehr gelten, eine kostengünstige Alternative zu finden. Wegen der Rechtsänderung der versicherungsrechtlichen Beurteilung geringfügiger Beschäftigungen könnte die Anwendung dieser Regelungen auf die Gefangenenarbeitsverhältnisse eine zweckmäßige Lösung sein. Dazu müssten Strafgefangene in der Rentenversicherung künftig als Beschäftigte gelten, sodass ihre Arbeitsverhältnisse als Minijobs zu qualifizieren sind. Welche sozialversicherungsrechtliche Bedeutung hätte das für die Gefangenen und mit welchen Kosten wäre das verbunden? 131 132 133
Siehe oben: Zweiter Teil, A. II. 2. c). Vgl. Tabelle 2 und 3 im Zweiten Teil, D. III. 2. a). Ausführlich dazu: Zweiter Teil, A. II.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
Wer eine geringfügige Beschäftigung ausübt, ist nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB V und § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI in der gesetzlichen Krankenund Rentenversicherung versicherungsfrei; aus der Krankenversicherungsfreiheit folgt, dass in dieser Beschäftigung auch keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung besteht. Grundsätzlich sind geringfügig Beschäftigte nach § 27 Abs. 2 S. 1 SGB III in der Arbeitslosenversicherung ebenfalls versicherungsfrei. Um den Gefangenen bei Anwendung der Minijob-Regelung auf die Gefangenenarbeitsverhältnisse ihre Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung (§ 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III) zu erhalten, müssten die in § 27 Abs. 2 S. 2 SGB III genannten, von der Versicherungsfreiheit ausgenommenen Personen durch eine ergänzende Regelung um den Personenkreis der Gefangenen erweitert werden. Dies könnte durch eine dem § 5 Abs. 2 S. 3 SGB VI ähnliche Normierung erfolgen, der für die Rentenversicherung bestimmt, dass bei geringfügig beschäftigten Behinderten in geschützten Einrichtungen Versicherungsfreiheit nicht in Betracht kommt.134 Ungeachtet der Versicherungsfreiheit in den anderen Versicherungszweigen würde die Anerkennung der Gefangenenarbeit als Minijob die rentenversicherungsrechtliche Sicherung der Strafgefangenen erheblich verbessern.135 Das für die Vollzugsanstalt zuständige Land hätte als Arbeitgeber für jeden Gefangenen nach § 172 Abs. 3 S. 1 SGB VI einen monatlichen Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung in Höhe von 15% des Arbeitsentgelts aus der geringfügigen Beschäftigung zu leisten. Bei einem monatlichen Grundlohn im Jahr 2007 von 222,18 e (West) bzw. 190,47 e (Ost), wäre somit ein Pauschalbeitrag in Höhe von 33,33 e (West) bzw. 28,57 e (Ost) zu zahlen. Aus diesen Beitragsanteilen würden Zuschläge an Entgeltpunkten ermittelt (§ 76b Abs. 1 SGB VI), die bei der späteren Rentenberechnung rentensteigernd bewertet würden (§§ 76b Abs. 2, 66 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI). Zudem begründeten diese Beiträge nach § 52 Abs. 2 SGB VI Zuschläge an Wartezeitmonaten für die Entstehung eines Rentenanspruchs. Die Pauschalbeiträge wirkten damit positiv auf das Versicherungsverhältnis. Falls ein Strafgefangener nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 S. 2 SGB VI auf die Rentenversicherungsfreiheit verzichtete, würden die Pauschalbeiträge zu echten rentenrechtlichen Beitragszeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 SGB VI, da aus dem Verzicht auf die Versicherungsfreiheit der Eintritt von Versicherungspflicht folgt, sodass die kompletten Beiträge zur Rentenversicherung (zurzeit 19,9%) zu zahlen sind. Während die Vollzugsanstalt in dem Fall nach § 168 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI einen Beitragsanteil von 15% des von dem 134
Für diesen Personenkreis besteht damit weiterhin Versicherungspflicht nach § 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI. 135 Vgl. dazu auch schon die Ausführungen bei den Untersuchungsgefangenen: Zweiter Teil, A. II. 2. c).
C. Einzelne Reformperspektiven
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Gefangenen erzielten Arbeitsentgelts zu tragen hätte, müsste der Gefangene die Differenz zu dem vollen Beitrag aufbringen, also derzeit einen Beitragsanteil von 4,9%. Ausgehend von den oben genannten Grundlöhnen betrüge der Beitragsanteil eines Strafgefangenen im Jahr 2007 folglich 10,89 e (West) bzw. 9,33 e (Ost). Infolge dieser ergänzenden Beitragszahlung würde der Gefangene sämtliche Leistungsansprüche der Rentenversicherung erwerben. Er wäre damit zwar auf einem niedrigen Niveau, letztlich aber rentenversicherungsrechtlich umfänglich gesichert. Eine Anerkennung der Gefangenenarbeit als Minijob wäre gegenüber einer jetzt nur möglichen freiwilligen Versicherung auch deshalb vorteilhafter, weil der Gefangene durch die Möglichkeit der Aufstockung der Pauschalbeiträge vollwertige Pflichtbeiträge erwerben würde, die ihm einen vor der Inhaftierung erworbenen Erwerbsminderungsschutz erhielten. Ein weiterer gewichtiger Aspekt für die Anwendung der Minijob-Regelung auf die Gefangenenarbeit ist die geringe Kostenlast. Das Land, in dessen Vollzugsanstalt der Gefangene einsitzt, hätte lediglich einen Pauschalbeitrag in Höhe von 15% des aus der geringfügigen Beschäftigung erzielten Arbeitsentgelts an die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See/ Verwaltungsstelle Cottbus als zuständige Einzugsstelle (§ 28i S. 5 SGB IV) abzuführen. Dieser Beitrag läge momentan unter 35 e pro Monat. Zum Vergleich: Nach der im Strafvollzugsgesetz geregelten Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung soll der Beitragsberechnung ein Arbeitsentgelt in Höhe von 90% der Bezugsgröße zugrunde gelegt werden. Bei einem aktuellen Beitragssatz von 19,9% wäre demnach für 2007 ein monatlicher Beitrag in Höhe von 438,80 e (West) bzw. 376,11 e (Ost) zu entrichten.136 Der Vergleich zeigt, wie viel kostengünstiger die Anwendung der Minijob-Regelung wäre! Pauschalbeiträge zur Krankenversicherung gem. § 249b S. 1 SGB V wären dagegen im Regelfall nicht zu zahlen, weil Strafgefangene grundsätzlich nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Sollten Gefangene ausnahmsweise krankenversichert sein, müsste der Arbeitgeber auch einen Pauschalbeitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 13% des Arbeitsentgelts leisten. Die Anwendung der Regelung über geringfügige Beschäftigungen auf die Gefangenenarbeitsverhältnisse ist damit nicht nur eine geeignete, sondern vor allem auch finanzierbare Möglichkeit zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Strafgefangenen.
136 Die Beitragspflicht obliege gem. §§ 190 Nr. 18 und 191 Nr. 6 StVollzG dem Arbeitgeber allein!
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
V. Einführung alternativer Strafsanktionen Zur Vermeidung der negativen sozialen Folgen, die infolge eines Freiheitsentzugs auftreten (können), könnte ferner die Einführung alternativer ambulanter Sanktionen beitragen, d.h. solcher ohne Freiheitsentzug. Durch sie würden die Delinquenten gar nicht erst in den Strafvollzug gelangen. Infolgedessen könnten die mit der Vollstreckung von Freiheitsstrafen verbundenen Belastungen und Nachteile, die nicht selten die Wiedereingliederung der Täter nach der Entlassung erschweren und die Gefahr neuer Straffälligkeit erhöhen, von vornherein vermieden werden. Auch aus diesem Grund wird deshalb im Bestreben um eine Neugestaltung des strafrechtlichen Sanktionensystems seit Jahren über neue Reaktionsformen nicht nur diskutiert137; sie werden in Modellen und Projekten sogar schon praktisch erprobt.138 1. Hintergründe und Ziele Hintergrund der Überlegungen für einen Ausbau der Sanktionen ist der, dass der bestehende Sanktionenkatalog zunehmend als zu begrenzt empfunden wird.139 Das geltende Erwachsenenstrafrecht bietet mit der Geld- und Freiheitsstrafe lediglich zwei alternative Hauptsanktionen. Diese werden ergänzt durch die Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) und der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB), wobei letztere entsprechend ihrem gesetzlich vorgegebenen Ausnahmecharakter sehr selten angewandt wird. Im Vorfeld einer Verurteilung bieten gegenwärtig nur die vorläufige Einstellung des Strafverfahrens nach Erfüllung von Auflagen gem. § 153a StPO oder die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46a StGB ein differenziertes Instrumentarium zur Einwirkung auf den Beschuldigten. Durch eine Reform des Sanktionensystems ist beabsichtigt, diese Möglichkeiten durch die Einführung zusätzlicher ambulanter Sanktionen zu erweitern. Ziel ist es, vor allem die Vollstreckung von kurzen Freiheits- und Ersatzfreiheitsstrafen soweit wie möglich zu vermeiden. Die unerwünschten Nebenwirkungen von Freiheitsstrafen, zu denen nach wie vor auch die sozialversicherungsrechtlichen Nachteile gehören, sollen so verhindert oder abgeschwächt werden. Außerdem sollen die Justizvollzugsanstalten, die seit 137 Vgl. zusammenfassende Darstellung über die in den letzten Jahren angestellten Reformüberlegungen und die im Bundestag eingebrachten Gesetzentwürfe, in: BMJ, Abschlussbericht, S. 12 ff.; ferner z. B. Müller-Dietz, in: FS für Böhm, S. 5 m. w. N.; Schöch, Bd. I, Gutachten C für den 59. DJT 1992, S. 130 ff. 138 Siehe Müller-Dietz, in: FS für Böhm, S. 5. 139 BMJ, Abschlussbericht, S. 12.
C. Einzelne Reformperspektiven
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Jahren dauerhaft überbelegt sind140, von solchen Straftätern entlastet werden, deren Inhaftierung unter Sicherheitsgesichtspunkten nicht notwendig ist. Die Kapazitäten sollen vielmehr für diejenigen Straftäter freigehalten werden, bei denen der Freiheitsentzug zum Schutz der Allgemeinheit unerlässlich ist.141 Der Anteil von kurzen Freiheitsstrafen, worunter in Anlehnung an § 47 StGB Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten verstanden werden142, liegt seit Mitte der 1990er Jahre in den alten Bundesländern und Berlin bei fast 40% gemessen an der Gesamtzahl aller verhängten Freiheitsstrafen143; bei ca. 20% (im Jahr 2002: 24%) dieser kurzzeitigen Freiheitsstrafen wurde deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt144. Obendrein wird geschätzt, dass bei rund einem Drittel, der zur Bewährung ausgesetzten kurzen Freiheitsstrafen, die Bewährung später widerrufen wird, sodass letztlich auch diese Strafen im Vollzug zu verbüßen sind.145 Hinzu kommen die Fälle der Anrechnung einer Untersuchungshaft auf die zu vollstreckende Freiheitsstrafe (§ 51 StGB) und die Fälle der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen, die jeweils ebenso einen Kurzstrafenvollzug ergeben. Der Anteil der Ersatzfreiheitsstrafen ist in den zurückliegenden Jahren stetig angestiegen (von 4,1% im Jahr 1975 auf 6,8% im Jahr 2003)146. Ersatzfreiheitsstrafe ist eine Freiheitsstrafe, die nach § 43 StGB dann zu verbüßen ist, wenn der Verurteilte eine ihm auferlegte Geldstrafe endgültig nicht zahlt und diese damit nach dem Wortlaut des Gesetzes „uneinbringlich“ ist. Die Zahl der tatsächlich vollstreckten Freiheitsentzüge von weniger als sechs Monaten wird (z. B. wegen Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe, Widerruf von Straf- und Strafrestaussetzung, bedingter Entlassung und Anrechnung von Untersuchungshaft) sechsmal so hoch geschätzt wie die Zahl der verhängten kurzen Freiheitsstrafen.147 Insgesamt ist der Anteil kurzer Freiheitsstrafen damit beträchtlich. 140
Vgl. Zweiter Teil, Fn. 25. Zum Ganzen: BMJ, Eckpunkte, S. 1. 142 Wittstamm, S. 84. 143 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, Strafverfolgung 2002, S. 134: im Jahr 2002 lag der Anteil bei knapp 37%; s. ferner BMJ, Abschlussbericht, S. 13 und 106; BMI/BMJ, Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, S. 572. 144 Vgl. Statistisches Bundesamt, ebd.; BMJ, Abschlussbericht, S. 13, 106; Frommel, NK 3/1999, 9, 10. 145 BMJ, Abschlussbericht, S. 106. 146 Die Zahlen beruhen auf eigenen Berechnungen anhand folgender Zahlen: 1975 wurden von insgesamt 28.039 vollzogenen Freiheitsstrafen, 1.149 Ersatzfreiheitsstrafen vollzogen (Statistisches Bundesamt, Fachserie A, Reihe 9: Strafvollzug 1975, S. 25). Im Jahr 2003 lag der Anteil der in Deutschland insgesamt vollzogenen Freiheitsstrafen bei 52.384, darunter 3.563 Ersatzfreiheitsstrafen (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 1: Rechtspflege 2004, S. 76). 141
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
Die Zahlen verdeutlichen, dass in einem nicht unerheblichen Maße Handlungsbedarf besteht, um Sanktionsalternativen zu schaffen. Von Gefangenen, die kurze Freiheits- oder Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen, geht i. d. R. keine Gefahr für die Gesellschaft aus. Diese Freiheitsstrafen verschärfen jedoch die Kapazitätsdefizite in den Vollzugsanstalten und bringen für die Betroffenen unter sozialen und persönlichen Gesichtspunkten erhebliche Belastungen und Nachteile mit sich. Die Ersatzfreiheitsstrafen verursachen zudem hohe Kosten, denn in aller Regel besteht ein krasses Missverhältnis zwischen den verhängten Tagessatzhöhen und den Haftkosten.148 2. Mögliche Sanktionsalternativen Im kriminalpolitischen Diskurs werden verschiedene Schlagworte genannt, die etwa gleichsam für eine ganze Reihe diskutierter und praktizierter alternativer Sanktionsmöglichkeiten stehen: Schadenswiedergutmachung, Täter-Opfer-Ausgleich, gemeinnützige Arbeit und der elektronisch überwachte Hausarrest.149 Fraglich ist, welche möglichen Sanktionsalternativen – unter dem Blickwinkel der sozialen Sicherung der Betroffenen – in Betracht kommen könnten. a) Elektronisch überwachter Hausarrest Eine sinnvolle Alternative zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe könnte der elektronisch überwachte Hausarrest sein, auch „elektronische (Fuß-)Fessel“ genannt. Bei dieser Sanktion muss der Verurteilte seine Strafe zu Hause verbüßen. Der Betroffene trägt einen am Hand- oder Fußgelenk befestigten Sender, der ständig von einer Empfangsbox registrierte Signale abgibt. Auf diese Weise wird sein Aufenthalt in der Wohnung kontrolliert.150 Durch diese technische Kontrolle wird dem Strafzweck des Schutzes der Allgemeinheit Rechnung getragen.151 Der Straftäter darf sein Domizil nur verlassen, um sich zu seiner Arbeitsstelle oder zu anderen – zuvor genehmigten – Orten (z. B. Einkauf, Arzt, Behörde) zu begeben.152 Der Konsum 147
Dölling, ZStW (104) 1992, 259, 264; Heinz, S. 102 f.; Kaiser, § 93 Rn. 14. BMJ, Abschlussbericht, S. 48. 149 Siehe für die einzelnen Sanktionsmöglichkeiten die Nachweise bei MüllerDietz, in: FS für Böhm, S. 5. 150 Zu den technischen Überwachungsmethoden näher Krahl, NStZ 1997, 457, 458; Weichert, StV 2000, 335, 336; Wittstamm, S. 34 ff. 151 Leyendecker, S. 308. 152 Entfernt sich der Verurteilte aus seinem festgelegten häuslichen Aktionsradius, werden die Funksignale unterbrochen, was zu einer entsprechenden Aufzeichnung in der Überwachungsstation führt. Diese kann aufgrund der Protokollierung der Un148
C. Einzelne Reformperspektiven
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von Alkohol und Drogen ist ihm untersagt. Mit unangekündigten Kontrollen durch das Überwachungspersonal muss er rechnen.153 Versuche des Überwachten, den Sender zu beschädigen, zu manipulieren oder zu zerstören, lösen ein Alarmsignal an die Überwachungsstation aus, die alsdann Sicherungsmaßnahmen ergreifen kann.154 Der elektronisch überwachte Hausarrest wird seit mehreren Jahren in den USA155, Schweden156, Großbritannien157 und den Niederlanden158 als entweder bereits kodifizierte Sanktion oder als Experiment praktiziert.159 Die dort gewonnenen Erfahrungen werden überwiegend als positiv bewertet. In Deutschland ist trotz vielfältiger Erörterungen160 der elektronisch überwachte Hausarrest bisher weder als eigenständige Sanktionsform im Strafgesetzbuch noch als besondere Vollzugsform im Strafvollzugsgesetz geregelt worden. Ein vom Bundesrat im Jahr 1999 eingebrachter Gesetzentwurf161, der im Strafvollzugsgesetz die Einfügung eines § 10a „Elektronisch überwachter Hausarrest“ vorsah162, fand im Bundestag keine Mehrheit. Gleichwohl startete – in Deutschland bislang einmalig – das Land Hessen (im Landgerichtsbezirk Frankfurt/Main) im Mai 2000 das zweijährige „Modellprojekt Elektronische Fußfessel“ zur Erprobung des kontrollierten Hausarrests.163 Aufgrund des erfolgreichen Abschlusses terbrechenszeit prüfen, ob der Überwachte die erlaubten Orte aufgesucht hat. Dies kann zudem durch eine telefonische Rückfrage verifiziert werden (Dahs, NJW 1999, 3469, 3470; vgl. auch Krahl, NStZ 1997, 457). 153 Krahl, NStZ 1997, 457, 458; Leyendecker, S. 308. 154 Dahs, NJW 1999, 3469, 3470. 155 Näher Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 19 ff.; Jolin/Rogers, MschrKrim 1990, 202 ff.; Schlömer, S. 35 ff.; Wittstamm, S. 19 ff. 156 Haverkamp, BewHi 1999, 51 ff.; dies., Intensivüberwachung, S. 21 ff. 157 Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 65 ff.; ders., Hausarrest in Großbritannien, S. 55 ff.; Schlömer, S. 101 ff. 158 Droogendijk, S. 45 ff.; Spaans, BewHi 1999, 68 ff. 159 Albrecht/Arnold/Schädler, ZRP 2000, 466; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 6 m. w. N.; Dahs, NJW 1999, 3469, 3470. 160 Ausführlich zum Diskussionsstand hierzulande, Schlömer, S. 155 ff. 161 BT-Drs. 14/1519. 162 Der Gesetzentwurf beabsichtigte, den Ländern die befristete Möglichkeit zu geben, Regelungen für die Einführung und Ausgestaltung eines elektronisch überwachten Hausarrests zu schaffen. Damit sollte erprobt werden, ob der elektronisch überwachte Hausarrest ein brauchbares Instrument sei, das in geeigneten Fällen und Fallgruppen an die Stelle der stationären Unterbringung in einer JVA treten könne (so die amtliche Begründung, BT-Drs. 14/1519, 5). 163 Dazu Albrecht/Arnold/Schädler, ZRP 2000, 466 ff.; Haverkamp, BewHi 2003, 164 ff.; Markus Mayer, Modellprojekt elektronische Fußfessel, Studien, S. 1 ff.; ders., Wissenschaftliche Befunde, S. 1 ff. Aufgrund der fehlenden spezialgesetzlichen Regelung beteiligten sich an dem Projekt Probanden, die sich zum Zweck der
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
wurde das Modellprojekt 2003 innerhalb Hessens ausgeweitet; es soll langfristig in ganz Hessen zum Einsatz kommen.164 Die Anwendung des elektronisch überwachten Hausarrests setzt bestimmte Grundbedingungen voraus. So muss der Verurteilte eine feste Wohnung, einen Telefonanschluss und möglichst einen Arbeitsplatz haben.165 Dementsprechend scheiden Straftäter mit ungünstiger Sozialprognose, ohne festen Wohnsitz sowie Alkohol- und Drogenabhängige als Teilnehmer an dieser Maßnahme aus. Kritiker der Maßnahme betonen in dem Zusammenhang, der elektronisch überwachte Hausarrest führe zu einem Zwei-KlassenStrafrecht, da nur gut integrierte Täter, d.h. solche, die in geordneten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen leben, in Betracht kämen.166 Im Übrigen bestünde für den kontrollierten Hausarrest kein wirkliches Anwendungsfeld, weil die taugliche Zielgruppe der gut Integrierten mit derjenigen, für die eine Strafaussetzung zur Bewährung in Frage kommt, praktisch übereinstimme.167 Diesen Einwänden ist zu widersprechen. Dem Argument des „Zwei-Klassen-Strafrechts“ ist entgegenzuhalten, dass beispielsweise auch eine in Form von Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckte Geldstrafe nur diejenigen Verurteilten trifft, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse die Geldstrafe nicht zahlen können. Wer dazu hingegen in der Lage ist, entgeht dem Gefängnisaufenthalt. Obwohl die Ersatzfreiheitsstrafe gegenüber der Geldstrafe immer ein Mehr an Übelszufügung enthält168, wird sie gleichwohl nicht als unzulässiges „Zwei-Klassen-Strafrecht“ angegriffen. Das Differenzierungskriterium der guten sozialen Integration als Voraussetzung für die Anordnung des Hausarrests benachteiligt auch nicht gleichheitswidrig die Verurteilten, die diese Voraussetzung nicht erfüllen. Denn diese VoraussetVerschonung des Untersuchungshaftvollzugs oder im Rahmen einer Bewährungsweisung nach § 56c StGB (zum Einsatz der elektronischen Fußfessel als zulässige Weisung, s. LG Frankfurt/Main, NJW 2001, 697) freiwillig zur Teilnahme bereit erklärten (Markus Mayer, Modellprojekt elektronische Fußfessel, Studien, S. 1 sowie S. 81 ff.; ders., Wissenschaftliche Befunde, S. 1). 164 Markus Mayer, Wissenschaftliche Befunde, S. 17. Nach telefonischer Auskunft der Pressesprecherin des Hessischen Ministeriums der Justiz, Nicole Demme, vom 10.7.2007 soll die Ausweitung auf ganz Hessen Ende des Jahres 2007 abgeschlossen sein. 165 Krahl, NStZ 1997, 457. 166 BMJ, Abschlussbericht, S. 180; Ostendorf, ZRP 1997, 473, 476; Streng, ZStW (111) 1999, 827, 850; ders., Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 788, Wittstamm, S. 180. 167 Bösling, MschrKrim 2002, 105, 110 ff.; Krahl, NStZ 1997, 457, 460; Leyendecker, S. 309, die sich gleichwohl für die Einführung des kontrollierten Hausarrests ausspricht; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 788. 168 Tröndle/Fischer, StGB, § 43 Rn. 4a.
C. Einzelne Reformperspektiven
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zung ist seit jeher für die Strafzumessung oder im Rahmen der Strafvollzugsgestaltung von Bedeutung.169 Ein elektronischer Hausarrest bedeutet im Vergleich zum stationären Freiheitsentzug einen wesentlich geringeren Eingriff in die Rechte der Betroffenen.170 Es überzeugt deshalb nicht, den Weg zu einer humanen Strafe bzw. einer Haftvermeidung generell abzulehnen, nur weil für diese Sanktion nicht jeder Straftäter geeignet erscheint. Auch der Einwand der fehlenden Anwendungsfelder für den überwachten Hausarrest wird nicht geteilt. Dass die Population der Verurteilten keineswegs immer eindeutig in für ambulante oder stationäre Sanktionen geeignete oder ungeeignete Personen getrennt werden kann, manifestieren in der Sanktionierungspraxis einerseits die häufigen Widerrufe von zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen sowie andererseits die vielen zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafen.171 Albrecht verweist zudem auf die Vermutung, „dass in den unbedingt verhängten kurzen und längeren Freiheitsstrafen eine freilich nicht genau bezifferbare Gruppe enthalten ist, deren Rückfallrisiko durch die Gerichte als zu hoch eingeschätzt wird, um noch zur Bewährung ausgesetzte Strafen oder Geldstrafe verhängen zu können.“172 Auch für diese Tätergruppe wäre der kontrollierte Hausarrest ein minderschwerer Eingriff als die unbedingt vollzogene Freiheitsstrafe. Dass der elektronische Hausarrest ferner als Alternative zum Vollzug einer Untersuchungshaft und im Strafvollzug als gesonderte Unterbringungsform benannt wird173, spricht ebenfalls für seinen Einsatz. Auch wenn der Anwendungsbereich für den Hausarrest in Deutschland geringer sein mag als der im Ausland und die dort gemachten Erfahrungen aufgrund einer anderen Sanktionspraxis auf die hiesigen Verhältnisse nicht übertragbar sein sollen174, bedeutet das nicht, dass es hierzulande keine nennenswerten Anwendungsfelder gibt. Der elektronisch überwachte Hausarrest erscheint darum als zweckmäßige Sanktionsalternative, die hinsichtlich der Sanktionsschwere zwischen einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe und einer unbedingt verhängten Freiheitsstrafe anzusiedeln ist.175 Die Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests lässt aus mehreren Gründen positive Wirkungen erwarten: Zunächst ist dieser Maßnahme eine erhebliches Resozialisierungspotential beizumessen, weil sie die nega169 Walter, ZfStrVo 1999, 287, 291 f.; zustimmend: Albrecht, MschrKrim 2002, 84, 92 f.; Laubenthal, Strafvollzug, Rn. 7. 170 Ebenso Schlömer, S. 230, 318; Wittstamm, S. 143. 171 So auch Albrecht, MschrKrim 2002, 84, 89. 172 Albrecht, MschrKrim 2002, 84, 89. 173 Ostendorf, ZRP 1997, 473. 174 So z. B. Bösling, MschrKrim 2002, 105, 124. 175 Wittstamm, S. 166.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
tiven Folgen einer Inhaftierung, namentlich den Verlust der Arbeitsstelle, Wohnung und sozialen Kontakte, vermeidet.176 Der Überwachte kann sein Leben, wenn auch eingeschränkt, in seinem gewohnten häuslichen Umfeld weiterführen sowie insbesondere seiner (sozialversicherungspflichtigen) Beschäftigung weiterhin nachgehen. Der Resozialisierungsprozess des Täters findet in der Gesellschaft statt – dort, wo sich der Täter auch nach Verbüßung seiner Strafe bewähren muss. Dass er seine Beschäftigung weiter ausüben kann, sichert ihn und seine Familienangehörigen gegen soziale Risiken. Darüber hinaus verschafft ihm sein leistungsgerechter Arbeitslohn eine wirtschaftliche Situation, die es ihm im Vergleich zu den im geschlossenen Vollzug untergebrachten Strafgefangenen weit mehr gestattet, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Eine resozialisierende Wirkung kann ferner dadurch entstehen, dass das Kontrollpersonal aufgrund des engen Kontakts zu dem Überwachten, dessen Probleme hinsichtlich der Lebensführung frühzeitig erkennen und darauf unterstützend reagieren kann. Außerdem ermöglicht die elektronische Überwachung den Betroffenen, ihre Bereitschaft unter Beweis zu stellen, soziale Gewohnheiten in Alltagssituationen einzuhalten.177 Sofern ihnen dies gelingt und sie sich insoweit bewährt haben, bietet diese Sanktion die Möglichkeit, z. B. durch Verringerung der häuslichen Anwesenheitszeiten, auf konformes Verhalten der Überwachten zu reagieren. Auch dies fördert letztlich ihre Wiedereingliederung. Des Weiteren ist infolge der Einführung des elektronischen Hausarrests nicht nur mit einer Entlastung der Belegungssituation in den Justizvollzugsanstalten zu rechnen, sondern auch auf eine Einsparung von Haftkosten zu hoffen. Nach den Erfahrungen mit dem Modellprojekt in Hessen sei für einen Dauereinsatz der Maßnahme mit Kosten zwischen 20 e und 30 e pro Überwachtem und Tag zu rechnen.178 Die 1998 vom Bundesjustizminister eingesetzte „Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems“ schätzt die Kosten für die elektronische Überwachung auf etwa ein Drittel der Kosten für die Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt179, was den genannten Kostenangaben nahezu entspricht.180 Ungeachtet dessen werden gegen den elektronisch überwachten Hausarrest insbesondere verfassungsrechtliche Bedenken erhoben.181 Unzweifel176
Krahl, NStZ 1997, 457. Markus Mayer, Modellprojekt elektronische Fußfessel, Studien, S. 344; ders., Wissenschaftliche Befunde, S. 18. 178 Markus Mayer, Wissenschaftliche Befunde, S. 17. Siehe auch dessen genauen Kostenvergleich: Elektronische Überwachung und Inhaftierung in: Modellprojekt elektronische Fußfessel, Studien, S. 212 ff. 179 Im Jahr 2001 betrug der tägliche Aufwand an Haftkosten pro Tag und Gefangenem zwischen 61,09 e (in Bayern) und 91,40 e (in Hamburg); s. Meyer, S. 1, 11 f. 177
C. Einzelne Reformperspektiven
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haft berührt der elektronische Hausarrest verschiedene grundrechtlich geschützte Positionen. Namentlich zu nennen sind: die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht und Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG). Fraglich ist aber, ob diese Freiheitsrechte in verfassungswidriger Weise beeinträchtigt werden. Es wird zudem befürchtet, dass der elektronische Hausarrest mit einem Eingriff in die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) verbunden sei.182 Angesichts diverser umfangreicher Untersuchungen zur Verfassungsmäßigkeit des elektronisch überwachten Hausarrests, beschränken sich die folgenden Ausführungen vorwiegend auf die Ergebnisse jener Untersuchungen.183 Da Art. 13 Abs. 1 GG die Wohnung für unverletzlich erklärt, ist der Staatsgewalt jedwedes Eindringen oder Verweilen gegen oder ohne den Willen der Bewohner verwehrt.184 Das Betreten der Wohnung durch Beamte zum Zweck der Installation der Überwachungsgeräte und die anschließende elektronische Überwachung des Hausarrestanten in seiner räumlichen Privatsphäre berührt den Schutzbereich des Art. 13 GG.185 Gleichwohl ist für beide Situationen ein Eingriff zu verneinen. Die Durchführung des elektronisch überwachten Hausarrests verlangt im Vorfeld die Einwilligung des Betroffenen sowie sämtlicher Mitbewohner.186 Aufgrund dessen ist den mit der Installation der Überwachungsgeräte betrauten Personen der Zutritt in die Wohnung ebenso gestattet wie den späteren Kontrollbesuchern.187 Die eigentliche elektronische Überwachung, mit der le180 BMJ, Abschlussbericht, S. 165. Im Ergebnis spricht sich die Kommission – wenn auch aus anderen Gründen – gleichwohl einstimmig gegen die Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests als selbständige Sanktion aus (S. 180 f.). 181 Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 191 ff.; Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 4 Rn. 28. 182 Ostendorf, ZRP 1997, 473, 476; Stern, BewHi 1990, 335, 342. 183 Siehe Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 191 ff.; Schlömer, S. 197 ff.; Schneider, S. 146 ff.; Wittstamm, S. 102 ff. 184 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 13 Rn. 19. 185 Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 193; Schlömer, S. 231; Wittstamm, S. 131. 186 Vgl. BR-Drs. 698/97, 7. Auch die bisherigen Erprobungen dieser Sanktion erfolgten stets nur mit Einwilligung der Beteiligten und dessen Mitbewohnern (Walter, ZfStrVo 1999, 287, 291). 187 Wittstamm, S. 131; a. A. Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 193, der einen Eingriff bejaht, der nach Art. 13 Abs. 7 GG nur aufgrund einer Norm zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig wäre. Davon ausgehend, dass ohne die Überwachung eine Inhaftierung notwendig wäre, ließe sich diese enge Voraussetzung – ungeachtet der Einwilligung der Beteiligten – als erfüllt ansehen (so Walter, ZfStrVo 1999, 287, 291).
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
diglich kontrolliert wird, ob sich der Überwachte in seiner Wohnung aufhält, stellt keinen Eingriff dar, weil sie die Privatsphäre innerhalb seines Wohnraums unberührt lässt.188 Die Sender-/Empfängertechnik lässt keine Rückschlüsse auf irgendeinen Umstand zu, was sich innerhalb der geschützten Räume abspielt.189 In der Überprüfung der Anwesenheit des Überwachten wird teilweise auch ein Eingriff in die Unverletzlichkeit des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) gesehen.190 Da bei der Durchführung des elektronisch überwachten Hausarrests gegebenenfalls Informationen über das Telefonnetz an die Kontrollbehörden übermittelt werden, sei die bezweckte Vertraulichkeit des Fernmeldeverkehrs gegenüber staatlicher Kenntnisnahme nicht mehr gewährleistet. Abgesehen davon, dass auch diesbezüglich die schon erwähnte Zustimmungserklärung des Überwachten zum Tragen kommt, lässt Art. 10 Abs. 2 GG sachgerechte gesetzliche Beschränkungen zu.191 Aufgrund der Einwilligung des Kontrollierten fehlt es des Weiteren an einem Eingriff in das zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehörende Recht auf informationelle Selbstbestimmung, soweit seine Aufenthaltsdaten als Angaben der persönlichen Lebensführung (personenbezogene Daten) elektronisch erfasst und gegenüber staatlichen Kontrollbehörden offenbart werden.192 Dass der Straffällige beim elektronisch überwachten Hausarrest angewiesen ist, genau festgelegte Zeiten in seiner Wohnung zu verbringen, stellt einen Eingriff in seine von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 GG geschützte körperliche Bewegungsfreiheit dar.193 Diese gewährt das Recht, jeden Ort nach Belieben aufzusuchen oder zu verlassen.194 Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt, sofern der Hausarrest aufgrund eines förmlichen Gesetzes i. S. d. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG, der die allgemeine Schranke des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG konkretisiert, angeordnet wird und die Maßnahme verhältnismäßig ist. Letzteres ist zu bejahen, wenn der Hausarrest zur Ein188 Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 193 f.; Schlömer, S. 231 ff.; Wittstamm, S. 131 ff. 189 Wittstamm, S. 133. 190 Siehe Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 196. 191 So schon Walter, ZfStrVo 1999, 287, 291. 192 Schlömer, S. 205; a. A. Wittstamm, S. 134 ff., 137: sie bejaht einen Eingriff, der jedoch gerechtfertigt sein kann, wenn er auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage beruht. 193 Ebenso Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 204; Schlömer, S. 208 f.; Wittstamm, S. 122. 194 Kunig, in: v. Münch/Kunig, GGK 1, Art. 2 Rn. 74; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 229.
C. Einzelne Reformperspektiven
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wirkung auf den Täter zwecks Vermeidung künftiger Normbrüche geeignet, erforderlich und angemessen ist.195 Der grundlegende Einwand, der kontrollierte Hausarrest verstoße gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Menschenwürde, ist in dieser allgemeinen Form nicht zu erheben, da es maßgeblich darauf ankommt, wie diese Sanktion durchgeführt wird.196 Die Menschenwürde und das Übermaßverbot sind bei der Ausgestaltung des Instruments in jedem Fall zu beachten. Mit der Menschenwürde ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen geschützt, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.197 Auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bedeutet das Gebot zur Achtung der Menschenwürde insbesondere, dass grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen verboten sind.198 Der kontrollierte Hausarrest, als Alternative zum Anstaltsvollzug, ist keine übermäßig harte oder gar grausame Sanktion, die die körperliche Integrität des zu Überwachenden verletzt. Im Gegensatz zum Strafvollzug gewährt der Hausarrest dem Delinquenten erheblich mehr Möglichkeiten zur Legalbewährung. Diese Sanktion belässt ihm daher seine Subjektqualität, da ihm seine Entscheidungsmöglichkeiten nicht genommen werden.199 Das Tragen des etwa streichholzschachtelgroßen Senders ist auch keine erniedrigende Behandlung. Der Hausarrestant muss den Sender in der Öffentlichkeit nicht sichtbar tragen. Es bleibt ihm vielmehr überlassen, diesen durch geeignete Kleidung zu verdecken. Dass der Sender in Situationen engeren Kontakts (z. B. während der Arbeit im Umgang mit Kollegen) stigmatisierende Wirkung haben kann, ist zwar unerwünscht, aber von der Zielrichtung und der Intensität her nicht mit dem diffamierenden Effekt etwa beim Tragen des Judensterns identisch.200 Der elektronisch überwachte Hausarrest verstößt somit nicht gegen die Menschenwürde. Insgesamt ist damit festzustellen, dass zur Anwendung dieser ambulanten Sanktion keine Grundrechtseingriffe nötig sind, die das Grundgesetz nicht zuließe. Den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Einführung des elektronischen Hausarrests in das deutsche Sanktionenrecht kann durch eine hinreichend bestimmte Gesetzesnorm Rechnung getragen werden. Folglich ist der elektronisch überwachte Hausarrest mit dem Grundgesetz vereinbar.201 Diese Sanktion sollte deshalb einerseits wegen der resozialisie195 196 197 198 199 200
Siehe hierzu Schlömer, S. 215 ff. Walter, ZfStrVo 1999, 287, 291. BVerfGE 27, 1, 6; 30, 1, 26; 45, 187, 227 ff. BVerfGE 45, 187, 228. Schlömer, S. 242. So Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 218 f.; Wittstamm, S. 112 f.
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
renden Wirkung, andererseits wegen der – unter dem Blickwinkel der sozialen Sicherung von Strafgefangenen zu betrachtenden – sozialversicherungsrechtlichen Vorteile möglichst rasch eingeführt werden.202 b) Gemeinnützige Arbeit Fraglich ist, ob unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten ferner die Leistung gemeinnütziger Arbeit eine geeignete Sanktionsalternative zur Vollstreckung einer kurzen Freiheitsstrafe sein könnte. Bei der gemeinnützigen Arbeit wird dem Betroffenen von der Vollstreckungsbehörde eine Arbeitsstelle vermittelt, die Art der zu leistenden Arbeit festgesetzt und eine Frist bestimmt, innerhalb welcher die Arbeit zu verrichten ist.203 Gemeinnützige Arbeit kann z. B. in Krankenhäusern, städtischen Grünanlagen oder Alten- und Pflegeheimen in Form von handwerklichen, sozialen oder pflegerischen Tätigkeiten geleistet werden. Gegenwärtig kann die Erbringung von gemeinnützigen (Arbeits-)Leistungen nur als Auflage in folgenden Fällen angeordnet werden: mit Zustimmung des Beschuldigten bei der (vorläufigen) Einstellung des Ermittlungsverfahrens gem. § 153a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3 StPO; im Zusammenhang mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (vgl. §§ 56, 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StGB204); bei Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Teilverbüßung einer zeitigen Freiheitsstrafe (§ 57 StGB). Darüber hinaus haben die meisten Landesregierungen von der Ermächtigung des Art. 293 Abs. 1 EGStGB Gebrauch gemacht, durch Rechtsverordnung Regelungen zu treffen, wonach der Verurteilte die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch unentgeltliche, nicht erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienende Arbeit abwenden darf. Es gibt vielfältige Reformvorschläge, den Einsatz gemeinnütziger Arbeit im Erwachsenenstrafrecht zu erweitern.205 Das Bundesministerium der Justiz befürwortet in seinem „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts“ aus dem Jahr 2003 die Einführung eines § 55a StGB, der die Möglichkeit zur Ersetzung kurzer Freiheitsstrafen durch gemeinnützige 201 So schon Schlömer, S. 254 f.; Walter, ZfStrVo 1999, 287, 291; Wittstamm, S. 142. 202 Ebenso Leyendecker, S. 311. 203 Feuerhelm, S. 264 ff. 204 Nach Auffassung des BVerfG (BVerfGE 83, 119, 125) verstößt § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StGB weder gegen das Verbot von Arbeitszwang noch das Verbot von Zwangsarbeit (Art. 12 Abs. 2 und 3 GG). 205 Vgl. z. B. die Gesetzentwürfe des Bundesrates für ein Gesetz zur Einführung der gemeinnützigen Arbeit als strafrechtliche Sanktion (BT-Drs. 13/10485, 14/762), die im Bundestag nicht abschließend beraten worden sind.
C. Einzelne Reformperspektiven
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Arbeit vorsieht.206 Für die gemeinnützige Arbeit als alternative Sanktion spricht neben Kostengesichtspunkten die Verwirklichung verschiedener Strafzwecke: Sie stellt eine aktive Leistung des Täters zur Aussöhnung mit der Gesellschaft dar und verdeutlicht seine soziale Verantwortung. Auf diese Weise ermöglicht sie ihm eine symbolische Wiedergutmachung des begangenen Unrechts und trägt zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens bei.207 Zugleich enthält sie ein Strafübel, das in der Beschränkung seiner Freiheit besteht, wodurch die Tatschuld ausgeglichen wird. Die Resozialisierung wird insoweit erleichtert und gefördert, als der Täter in seinem sozialen Umfeld verbleibt, durch den Arbeitseinsatz ein konstantes Arbeitsverhalten erlernt, mehr Selbstvertrauen erlangt und soziales Verantwortungsgefühl entwickelt.208 Im Hinblick auf die soziale Sicherung von Straffälligen bietet die Einführung der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige Sanktion an sich keinen Vorteil für die Betroffenen, weil die gemeinnützige Arbeit kraft Gesetzes unentgeltlich sein muss.209 Dementsprechend wird durch sie kein Arbeitsverhältnis i. S. d. Arbeitsrechts und kein Beschäftigungsverhältnis i. S. d. Sozialversicherung, einschließlich der Arbeitslosenversicherung, oder des Steuerrechts begründet. Art. 293 Abs. 2 S. 1 EGStGB bestimmt dies zurzeit explizit für die freie Arbeit, mit welcher der Verurteilte die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe abwenden darf. Sollte die gemeinnützige Arbeit als eigenständige Sanktion in das geltende Sanktionensystem eingeführt werden, ist eine Änderung des Art. 293 EGStGB dahingehend absehbar, dass die Unentgeltlichkeit und die Nichtbegründung eines Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses generell für die Verhängung der gemeinnützigen Arbeit gelten.210 Sozialversicherungsrechtlich vorteilhaft ist diese Sanktionsalternative jedoch dann, wenn ein Straftäter trotz Verurteilung zur Verrichtung gemeinnütziger Arbeit weiterhin seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen kann, mit der er seinen materiellen Lebensunterhalt bestreitet. Ist es dem Verurteilten möglich, die ihm auferlegte gemeinnützige Arbeit entweder in seiner Urlaubszeit oder außerhalb seiner Arbeitszeit abzuleisten, bleiben ihm die auf dem sozialrechtlichen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis gründenden Ansprüche und Anwartschaften erhalten. Seine 206
BMJ, Gesetzentwurf zur Reform des Sanktionenrechts, S. 7 f., 56 ff. So die Begründung des BMJ, Gesetzentwurf zur Reform des Sanktionenrechts, S. 38. 208 Kaiser/Schöch, Strafvollzug, § 4 Rn. 24. 209 So ausdrücklich der Gesetzentwurf des BMJ zur Reform des Sanktionenrechts, Art. 6 Nr. 1, (S. 24). 210 Vgl. BMJ, Gesetzentwurf zur Reform des Sanktionenrechts, Art. 6 Nr. 1, (S. 24). 207
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3. Teil: Reformperspektiven für eine Fortentwicklung
Verurteilung hätte keine nachteiligen Auswirkungen auf seine Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungspflicht. Für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ist folglich die Einführung der gemeinnützigen Arbeit als selbständige Sanktion lohnenswert, falls für sie anderenfalls nur die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bliebe. Deshalb ist unter diesem Aspekt auch die Einführung der gemeinnützigen Arbeit als eigenständige Sanktion zu befürworten.
Thesen 1. Eine umfassende soziale Sicherung von im Vollzug beschäftigten Strafgefangenen ist ein Versprechen der Strafvollzugsreform (1976), das bis heute noch nicht eingelöst wurde. Strafgefangene sind aufgrund von Sondertatbeständen lediglich in die gesetzliche Unfallversicherung sowie in das System der Arbeitsförderung einbezogen. Die geplante, seit Jahrzehnten gesetzlich verankerte Einbeziehung in die Kranken- und Rentenversicherung ist seither nicht in Kraft gesetzt worden. 2. Obwohl jeder Strafgefangene einer gesetzlichen Arbeitspflicht unterliegt und gegen Arbeitsentgelt entlohnt wird, führt die Arbeit von im Vollzug tätigen Gefangenen und den Freigängern zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die im Strafvollzug arbeitenden Gefangenen werden gezwungenermaßen tätig und üben somit keine freiwillige Beschäftigung aus. Sie sind folglich nicht als Beschäftigte sozialversicherungspflichtig. Die Freigänger, denen die Ausübung eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Vollzugsanstalt gestattet ist, sind hingegen in allen Sozialversicherungszweigen versicherungspflichtig und entsprechend leistungsberechtigt. 3. Die gesetzliche Arbeitspflicht nach § 41 Abs. 1 S. 1 StVollzG stellt eine erlaubte Form von Zwangsarbeit dar, die das verfassungsrechtliche Verbot von Zwangsarbeit aus Art. 12 Abs. 3 GG nicht verletzt. 4. Die Beschäftigung von Strafgefangenen in privaten Unternehmerbetrieben verstößt ohne Zustimmung der Betroffenen gegen Art. 2 Abs. 2 lit. c des ILO-Übereinkommens Nr. 29. Die Bundesrepublik Deutschland ist völkervertraglich verpflichtet, diese Form der Zwangs- oder Pflichtarbeit zu beseitigen. Deutschland handelt zwar völkerrechtswidrig, innerstaatlich hat dieser Verstoß aber keine Auswirkung. 5. Untersuchungsgefangene sind nicht zur Arbeit verpflichtet und arbeiten deshalb freiwillig. Demzufolge müssen sie in allen Sozialversicherungszweigen als versicherungspflichtig gelten. Bei geringem Verdienst erhält der Untersuchungsgefangene durch die Option des Verzichts auf die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung die Möglichkeit, die latent bestehende Versicherungspflicht zu aktivieren und durch ergänzende Beitragszahlungen Leistungsansprüche zu erwerben.
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Thesen
6. Der Ausschluss aus der gesetzlichen Krankenversicherung wird durch den strafvollzugsgesetzlichen Gesundheitsfürsorgeanspruch nur eingeschränkt kompensiert. Den Strafgefangenen werden mehrere im Leistungskatalog der Krankenversicherung enthaltene Leistungen vorenthalten. Durch ergänzende Ermessensregelungen im Strafvollzugsgesetz könnten die Leistungen im Krankheitsfall für Gefangene jedoch angemessen erweitert und damit dem Leistungskatalog des SGB V angepasst werden. 7. Infolge der Nichteinbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung sind Zeiten eines Freiheitsentzugs in deren Versicherungsbiografie im Regelfall nicht mit rentenrechtlichen Zeiten belegt. Bemerkbar macht sich dieser Ausfall bei Eintritt eines Versicherungsfalls. Die Lücken im Versicherungsverlauf führen häufig zu einer geringen Rentenhöhe, im ungünstigsten Fall sogar zum gänzlichen Ausschluss vom Rentenanspruch. 8. Durch die unvollständige soziale Sicherung der Strafgefangenen werden zugleich deren Familienangehörige erheblich belastet. Der Gesetzgeber verfehlt insoweit das Ziel gezielter individueller Bestrafung. Es ist wünschenswert, die Benachteiligungen der Familien durch Ausgleichsleistungen zu kompensieren. Eine verfassungsrechtliche Pflicht aus Art. 6 Abs. 1 GG besteht dazu allerdings nicht. 9. Die Höhe der Arbeitsentlohnung für Strafgefangene ist zu gering, um die verfassungsrechtlich gebotene Resozialisierung zu befördern. Die dem Arbeitsentgelt zugedachten Zwecke kann ein Gefangener selbst nach Anhebung des Arbeitsentgelts im Jahr 2001 nicht angemessen erfüllen. Dazu müsste die Bemessungsgrundlage des Arbeitsentgelts mindestens auf 20% der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße erhöht werden. 10. Die „Strafe des Verlusts sozialer Sicherung“ infolge einer Inhaftierung ist ein schwerwiegender Nachteil, der jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht einer eigenen gesetzlichen Legitimation bedarf. 11. Mit § 198 Abs. 3 StVollzG hat sich der Gesetzgeber einer Selbstbindung unterworfen, die ihn zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrags in absehbarer Zeit zwingt. Jene Vorschrift, die das In-Kraft-Treten bestimmter Normen von dem Erlass eines besonderen Bundesgesetzes abhängig macht, ist nicht hinreichend „bestimmt“ (Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG). Die Norm verstößt gegen das rechtsstaatliche Gebot der Rechtsklarheit und damit gegen die Verfassung. Das BVerfG hat § 198 Abs. 3 StVollzG für verfassungswidrig und unvereinbar mit höherrangigem Recht zu erklären und dem Gesetzgeber aufzugeben, innerhalb einer be-
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stimmten Frist die beanstandete Norm durch eine verfassungsgemäße, insbesondere dem Art. 82 Abs. 2 GG konforme Regelung zu ersetzen. 12. Eine zügige Inkraftsetzung der Regelungen zur Einbeziehung der Gefangenen in die sozialen Sicherungssysteme ist nicht nur aus Gründen des Art. 82 Abs. 2 GG geboten, sondern auch aus sozialpolitischen Gründen notwendig. Sie verbessert einerseits die Resozialisierungschancen der Gefangenen, erspart andererseits den Angehörigen soziale Nachteile und hohe finanzielle Mehrbelastungen zum Zweck der Eigenvorsorge. Die Untätigkeit des Gesetzgebers unter Berufung auf die damit verbundenen Kosten ist nicht vertretbar, weil die Einführung der Sozialversicherungspflicht für beschäftigte Strafgefangene sowohl beals auch entlastende finanzielle Effekte hätte. 13. Als eine geeignete und finanzierbare Möglichkeit zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Gefangenen erweist sich insbesondere die Anwendung der Regelungen über geringfügige Beschäftigungen (Minijobs) auf die Gefangenenarbeitsverhältnisse. Strafgefangene müssten dazu in der gesetzlichen Rentenversicherung als Beschäftigte gelten. 14. Als sonstige Perspektiven zum umfassenden Sozialversicherungsschutz bieten sich neben der Einführung einer Nachzahlungsregelung letztlich nur die Einführung alternativer Strafsanktionen an. Sozialversicherungsrechtlich vorteilhafte Sanktionsalternativen können sowohl der elektronisch überwachte Hausarrest als auch die gemeinnützige Arbeit sein.
Anhang 1. Auszug aus dem Strafvollzugsgesetz Siebter Titel. Sozial- und Arbeitslosenversicherung § 190 StVollzG* Reichsversicherungsordnung Die Reichsversicherungsordnung wird wie folgt geändert: 1. Nach § 163 wird die Überschrift „5a. Gefangene“ und folgender § 163a eingefügt: „§ 163a Gefangene im Sinne dieses Gesetzes sind Personen, die im Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung oder einstweilig nach § 126a Abs. 1 der Strafprozessordnung untergebracht sind. Soweit sie nach diesem Gesetz als entgeltlich Beschäftigte gelten, gilt das für die jeweilige Vollzugsanstalt zuständige Land als Arbeitgeber.“ 2. Nach § 165b wird folgender § 165c eingefügt: „§ 165c (1) Als entgeltlich Beschäftigte im Sinne des § 165 Abs. 1 und 2 gelten auch Gefangene (§ 163a), die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 bis 45, 176 und 177 des Strafvollzugsgesetzes) erhalten. Voraussetzung für die Versicherungspflicht dieser Personen ist, dass sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften mit Ausnahme des § 165 Abs. 1 Nr. 3, des § 315a sowie des § 19 Abs. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes, des § 2 Abs. 1 Nr. 4 und 5 und des § 49 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte pflichtversichert sind. (2) Versicherungsfrei sind die in §§ 169, 172 Abs. 1 Nr. 1 und 2, §§ 173 und 174 genannten Personen, wenn und solange sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen beihilfeberechtigt sind. (3) Wer bei einem Krankenversicherungsunternehmen versichert ist und für sich und seine Angehörigen, für die ihm Familienkrankenpflege zusteht, Vertragsleistungen erhält, die der Art nach den Leistungen der Krankenhilfe entsprechen, wird auf Antrag von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 befreit. § 173a Abs. 2 gilt. * Die §§ 190 Nr. 1 bis 10 und 13 bis 18, 191 bis 193 treten durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3 StVollzG).
Anhang
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(4) Der Bemessung der Beiträge und der Leistungen mit Ausnahme des Krankengeldes ist als Arbeitsentgelt ein Betrag in Höhe von 90 vom Hundert des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ohne Auszubildende im vorvergangenen Kalenderjahr zugrunde zu legen. Für den Kalendermonat ist ein Zwölftel und für den Kalendertag ein Dreihundertsechzigstel dieses Betrages zugrunde zu legen. (5) Die nach Absatz 1 Versicherten gehören der Kasse an, bei der sie zuletzt Mitglied waren. Hat eine Versicherung nicht bestanden, werden sie Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkasse, in deren Bezirk Angehörige wohnen, für die Ansprüche nach § 205 auf Familienhilfe bestehen. Sind solche Angehörige nicht vorhanden, werden sie Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkasse, in deren Bezirk die für die jeweilige Vollzugsanstalt zuständige oberste Justizbehörde ihren Sitz hat.“ 3. In § 189 Satz 1 wird der Punkt durch ein Semikolon ersetzt und folgender Halbsatz angefügt: „die Ausfallentschädigung nach § 45 des Strafvollzugsgesetzes steht dem Arbeitsentgelt gleich.“ 4. In § 200c Abs. 2 Satz 1 wird der Punkt durch ein Semikolon ersetzt und folgender Halbsatz angefügt: „die Ausfallentschädigung nach § 45 des Strafvollzugsgesetzes steht dem Arbeitsentgelt gleich.“ 5. § 216 Abs. 1 Nr. 1 erhält folgende Fassung: „1. solange und soweit der Versicherte als Gefangener Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz hat oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhält; Krankengeld ist jedoch zu gewähren und den Angehörigen auszuzahlen, wenn der Versicherte diese unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit von seinem Arbeitsentgelt oder seiner Ausfallentschädigung überwiegend unterhalten hat.“ 6. § 381 Abs. 1 Satz 2 erhält folgende Fassung: „Für einen Versicherten, dessen monatliches Entgelt ein Zehntel der in der Rentenversicherung der Arbeiter für Monatsbezüge geltenden Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs. 2) nicht übersteigt, für einen Versicherten, der ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres leistet, für einen Versicherten nach § 165 Abs. 1 Nr. 2a und für einen Versicherten nach § 165c Abs. 1 trägt der Arbeitgeber den Beitrag allein.“ 7. In § 385 wird nach Absatz 3a folgender Absatz 3b eingefügt: „(3b) Für die Versicherten nach § 165c Abs. 1 ist der Beitragssatz, der für versicherungspflichtige Mitglieder gilt, die bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts für mindestens sechs Wochen haben, auf die Hälfte zu ermäßigen.“ 8. Der jetzige Wortlaut des § 393b wird Absatz 1; ihm wird folgender Absatz 2 angefügt:
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Anhang „(2) Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann für die nach § 165c Abs. 1 Versicherten durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates für die Beitragszahlung eine pauschale Beitragsberechnung vorschreiben, die Zahlungsweise regeln und Ausnahmen von der Meldepflicht bestimmen.“
9. § 514 Abs. 2 erhält folgende Fassung: „(2) Die §§ 165c, 257a, 257b, 257c, 306 Abs. 2 und 3, §§ 311, 312 Abs. 2, § 313 Abs. 2, §§ 315a, 316, 317 Abs. 4 bis 6, § 381 Abs. 1 Satz 2, § 385 Abs. 3b und § 393b Abs. 2 gelten entsprechend.“ 10. In § 520 Abs. 1 Satz 2 wird der Punkt durch ein Semikolon ersetzt und folgender Halbsatz angefügt: „für die nach § 165c Abs. 1 Versicherten hat er den Beitrag an die Ersatzkasse abzuführen.“ 11. § 566 Abs. 2 Satz 1 und 2 erhält folgende Fassung: „Hat sich der Unfall während einer auf Grund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung ereignet, gilt § 561 Abs. 1 entsprechend. Für die Berechnung des Übergangsgeldes nach der Entlassung findet § 561 Abs. 3 entsprechende Anwendung, wenn es für den Berechtigten günstiger ist.“ 12. § 571 wird wie folgt geändert: a) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 angefügt: „(2) Arbeitsentgelt und Ausbildungsbeihilfe nach den §§ 43, 44 des Strafvollzugsgesetzes gelten nicht als Arbeitseinkommen im Sinne des Absatzes 1.“ b) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3. 13. Dem § 1227 wird folgender Absatz 3 angefügt: „(3) Als entgeltlich Beschäftigte im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 gelten auch Gefangene (§ 163a), die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 bis 45, 176 und 177 des Strafvollzugsgesetzes) erhalten, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften versicherungspflichtig sind.“ 14. Dem § 1236 Abs. 1 wird folgender Satz 2 angefügt: „Gefangenen (§ 163a) können sie gewährt werden, soweit die Belange des Vollzugs dem nicht entgegenstehen.“ 15. Dem § 1240 wird folgender Satz 3 angefügt: „Der Anspruch von Gefangenen (§ 163a) auf Übergangsgeld ruht während der Dauer ihrer Unterbringung in der Vollzugsanstalt; Übergangsgeld ist jedoch zu gewähren und den Angehörigen auszuzahlen, wenn der Gefangene diese unmittelbar vor Beginn der Maßnahmen zur Rehabilitation von seinem Arbeitsentgelt oder seiner Ausfallentschädigung überwiegend unterhalten hat.“ 16. In § 1255 wird nach Absatz 6 folgender Absatz 6a eingefügt: „(6a) Für Personen, die nach § 1227 Abs. 3 versichert sind, gilt als Arbeitsentgelt der nach § 165c Abs. 4 festgesetzte Betrag.“
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17. § 1303 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 Satz 4 wird gestrichen. b) In Absatz 8 werden die Worte „§ 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, 7 und 8a“ durch die Worte „§ 1227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, 7, 8a und Abs. 3“ ersetzt. 18. § 1385 wird wie folgt geändert: a) In Absatz 3 wird nach dem Buchstaben g der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgender Buchstabe h angefügt: „h) bei Versicherten nach § 1227 Abs. 3 der nach § 165c Abs. 4 festgesetzte Betrag.“ b) In Absatz 4 wird nach dem Buchstaben g der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgender Buchstabe h angefügt: „h) bei Versicherungspflicht nach § 1227 Abs. 3 vom Arbeitgeber allein.“ c) Nach Absatz 5 wird folgender Absatz 6 angefügt: „(6) Der Arbeitgeber entrichtet für die Personen, die nach § 1227 Abs. 3 versichert sind, den Beitrag zusammen mit dem Beitrag zur Rentenversicherung der Angestellten in einem Gesamtbetrag. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates eine pauschale Berechnung des Gesamtbetrages vorschreiben sowie die Verteilung dieses Betrages auf die einzelnen Versicherungszweige und die Zahlungsweise regeln.“ § 191 StVollzG* Angestelltenversicherungsgesetz Das Angestelltenversicherungsgesetz wird wie folgt geändert: 1. Dem § 2 wird folgender Absatz 3 angefügt: „(3) Als entgeltlich Beschäftigte im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 gelten auch Gefangene (§ 163a der Reichsversicherungsordnung), die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung (§§ 43 bis 45, 176 und 177 des Strafvollzugsgesetzes) erhalten, soweit sie vor ihrer Unterbringung in der Vollzugsanstalt zuletzt nach diesem Gesetz versichert waren.“ 2. Dem § 13 Abs. 1 wird folgender Satz 2 angefügt: „Gefangenen (§ 163a der Reichsversicherungsordnung) können sie gewährt werden, soweit die Belange des Vollzugs dem nicht entgegenstehen.“ 3. Dem § 17 wird folgender Satz 3 angefügt: „Der Anspruch von Gefangenen (§ 163a der Reichsversicherungsordnung) auf Übergangsgeld ruht während der Dauer ihrer Unterbringung in der Vollzugsanstalt; Übergangsgeld ist jedoch zu gewähren und den Angehörigen auszuzah* Die §§ 190 Nr. 1 bis 10 und 13 bis 18, 191 bis 193 treten durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3 StVollzG).
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len, wenn der Gefangene diese unmittelbar vor Beginn der Maßnahmen zur Rehabilitation von seinem Arbeitsentgelt oder seiner Ausfallentschädigung überwiegend unterhalten hat.“ 4. In § 32 wird nach Absatz 6 folgender Absatz 6a eingefügt: „(6a) Für Personen, die nach § 2 Abs. 3 versichert sind, gilt als Arbeitsentgelt der nach § 165c Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung festgesetzte Betrag.“ 5. § 82 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 Satz 4 wird gestrichen. b) In Absatz 8 werden die Worte „§ 2 Abs. 1 Nr. 8, 9 und 10a“ durch die Worte „§ 2 Abs. 1 Nr. 8, 9, 10a und Abs. 3“ ersetzt. 6. § 112 wird wie folgt geändert: a) In Absatz 3 wird nach dem Buchstaben h der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgender Buchstabe i angefügt: „i) bei Versicherten nach § 2 Abs. 3 der nach § 165c Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung festgesetzte Betrag.“ b) In Absatz 4 wird nach dem Buchstaben h der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgender Buchstabe i angefügt: „i) bei Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 3 vom Arbeitgeber allein.“ c) Nach Absatz 5 wird folgender Absatz 6 angefügt: „(6) Der Arbeitgeber entrichtet für die Personen, die nach § 2 Abs. 3 versichert sind, den Beitrag zusammen mit dem Beitrag zur Rentenversicherung der Arbeiter in einem Gesamtbetrag. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates eine pauschale Berechnung des Gesamtbetrages vorschreiben sowie die Verteilung dieses Betrages auf die einzelnen Versicherungszweige und die Zahlungsweise regeln.“ 7. In § 205 werden nach den Worten „§§ 157, 158 (Ausländische Gesetzgebung)“ der Punkt durch ein Komma ersetzt und die Worte „§ 163a (Gefangene)“ angefügt. § 192 StVollzG* Reichsknappschaftsgesetz Das Reichsknappschaftsgesetz wird wie folgt geändert: 1. Nach § 18 wird folgender § 18a eingefügt: „§ 18a (1) Die in § 165c Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung bezeichneten Versicherten sind Mitglieder der Bundesknappschaft, wenn sie zuletzt bei dieser krankenversichert waren. * Die §§ 190 Nr. 1 bis 10 und 13 bis 18, 191 bis 193 treten durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3 StVollzG).
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(2) Die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Versicherung der in § 165c der Reichsversicherungsordnung bezeichneten Versicherten gelten entsprechend.“ 2. Dem § 35 Abs. 1 wird folgender Satz 2 angefügt: „Gefangenen (§ 163a der Reichsversicherungsordnung) können sie gewährt werden, soweit die Belange des Vollzugs dem nicht entgegenstehen.“ 3. Dem § 39 wird folgender Satz 3 angefügt: „Der Anspruch von Gefangenen (§ 163a der Reichsversicherungsordnung) auf Übergangsgeld ruht während der Dauer ihrer Unterbringung in der Vollzugsanstalt; Übergangsgeld ist jedoch zu gewähren und den Angehörigen auszuzahlen, wenn der Gefangene diese unmittelbar vor Beginn der Maßnahmen zur Rehabilitation von seinem Arbeitsentgelt oder seiner Ausfallentschädigung überwiegend unterhalten hat.“ § 193 StVollzG* Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte Das Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte vom 10. August 1972 (Bundesgesetzbl. I S. 1433), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 18. Dezember 1975 (Bundesgesetzbl. I S. 3091), wird wie folgt geändert: 1. In § 3 Satz 2 wird nach der Nummer 4 der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgende Nummer 5 angefügt: „5. für die in § 165c Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung bezeichneten Personen, wenn sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 versichert sind.“ 2. In § 20 Abs. 4 Satz 1 wird der Punkt durch ein Semikolon ersetzt und folgender Halbsatz angefügt: „die Ausfallentschädigung nach § 45 des Strafvollzugsgesetzes steht dem Arbeitsentgelt gleich.“ 3. In § 30 Abs. 2 Satz 1 wird der Punkt durch ein Semikolon ersetzt und folgender Halbsatz angefügt: „die Ausfallentschädigung nach § 45 des Strafvollzugsgesetzes steht dem Arbeitsentgelt gleich.“ 4. § 42 wird wie folgt geändert: a) Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 erhält folgende Fassung: „2. solange und soweit der Versicherte als Gefangener Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz hat oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhält; Krankengeld nach § 19 ist jedoch zu gewähren und den Angehörigen auszuzahlen, wenn der Versicherte diese unmittelbar vor Beginn der Ar* Die §§ 190 Nr. 1 bis 10 und 13 bis 18, 191 bis 193 treten durch besonderes Bundesgesetz in Kraft (§ 198 Abs. 3 StVollzG).
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Anhang beitsunfähigkeit von seinem Arbeitsentgelt oder seiner Ausfallentschädigung überwiegend unterhalten hat.“
b) In Absatz 1 Satz 2 werden die Worte „2 und“ gestrichen. 5. Nach § 49a wird folgender § 49b eingefügt: „§ 49b (1) Die in § 165c Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung bezeichneten Versicherten sind Mitglieder der landwirtschaftlichen Krankenkasse, wenn sie zuletzt bei dieser krankenversichert waren. (2) Die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Versicherung, die Mitgliedschaft, die Meldung und die Aufbringung der Mittel für die in § 165c der Reichsversicherungsordnung bezeichneten Versicherten gelten entsprechend. An die Stelle des in § 385 Abs. 3b der Reichsversicherungsordnung genannten Beitragssatzes tritt die Hälfte des für Versicherte, die bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts für mindestens sechs Wochen haben, geltenden Beitragssatzes der Ortskrankenkasse, in deren Bereich die landwirtschaftliche Krankenkasse ihren Sitz hat.“
2. Auszug aus der Untersuchungshaftvollzugsordnung (UVollzO) Vom 12. Februar 1953 i. d. F. vom 15. Dezember 1976 Viertes Kapitel. Arbeit. Selbstbeschäftigung 42. Grundsatz Der Gefangene ist nicht zur Arbeit verpflichtet. 43. Zugewiesene Arbeit (1) Auf Verlangen soll dem Gefangenen Gelegenheit gegeben werden zu arbeiten; auf diese Möglichkeit ist er hinzuweisen. Bei der Zuweisung der Arbeit wird der Zweck der Untersuchungshaft berücksichtigt; auf den Beruf und die Kenntnisse, die Körperkräfte und Fertigkeiten des Gefangenen sowie auf Gesundheitszustand, Geschlecht und Lebensalter wird besonders Rücksicht genommen. (2) Der Gefangene darf mit Zustimmung des Richters bei der Arbeit mit anderen Gefangenen in Berührung kommen. Außerhalb des eingefriedeten Bereichs der Anstalt darf er nicht zur Arbeit eingesetzt werden. (3) Nimmt ein Gefangener an der allgemein eingeführten Arbeit teil, so unterwirft er sich den von der Anstalt festgelegten Arbeitsbedingungen. Er darf die Arbeit nicht zur Unzeit niederlegen. (4) Übt der Gefangene eine ihm zugewiesene Arbeit aus, so erhält er ein nach § 43 Abs. 2 bis 5 i. V. m. § 177 S. 2 StVollzG zu bemessendes Arbeitsentgelt, über das er frei verfügen darf. Für junge und heranwachsende Untersuchungsgefangene gilt § 177 S. 4 StVollzG.
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(5) Der Gefangene darf durch die zugewiesene Arbeit in der Vorbereitung seiner Verteidigung nicht beeinträchtigt werden (Nr. 20).
3. Auszug: Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen Angenommen vom Ersten Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger, Genf 1955, und gebilligt durch den Wirtschaft- und Sozialrat mit seinen Resolutionen 663 C (XXIV) vom 31. Juli 1957 und 2076 (LXII) vom 13. Mai 1977. C. Festgenommene oder Untersuchungsgefangene Nr. 89. Untersuchungsgefangenen ist stets Gelegenheit zur Arbeit zu geben, doch sind sie nicht zur Arbeit verpflichtet. Falls sie arbeiten, sind sie dafür zu bezahlen.
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Sachwortverzeichnis Alternative Strafsanktionen 252–264 – Elektronisch überwachter Hausarrest 254–262 – Gemeinnützige Arbeit 262–264 Angleichungsgrundsatz 45 Anrechnungszeit 153–154, 244–247 Anwartschaft 159, 161–164 Arbeit 87 – Freistellung von der Arbeit 205, 207 – Nicht selbständige Arbeit 87, 89 Arbeitnehmer 87–88 Arbeits- und Entlohnungsurteil 50, 53, 83–84, 163, 196, 200, 222, 241 Arbeitsbelohnung 24, 30, 47–48 Arbeitsbetriebe – Eigenbetrieb 67–68 – Unternehmerbetrieb 56, 69 – Versorgungsbetrieb 68 Arbeitsentgelt 36, 47–48, 50, 94, 146, 198, 203–204, 206, 210–212 – Höhe des Arbeitsentgelts 48–49 Arbeitsförderung 19, 42, 46 Arbeitslosengeld 47 Arbeitslosenversicherung 34–35, 38–39, 44 Arbeitspflicht 21, 55, 62, 185 – gesetzliche Regelung 55 – Verfassungsmäßigkeit 57, 60–67 Arbeitsverhältnis 88, 90, 124 Arbeitszwang 61 Außenbeschäftigung 82 Ausfallentschädigung 40, 118, 123, 128 Beitragsbemessungsgrundlage 41, 108 Beitragsfreie Zeit 153
Beitragspflicht 35, 43 Beitragssatz 108, 137, 251 Beitragszeiten 145–146 Beschäftigung 35, 53 – Angemessene Beschäftigung 57 – Arbeitstherapeutische Beschäftigung 57 – i. S. d. Sozialversicherungsrechts 86, 88–89, 249 Beschäftigungsbegriff 87–90 Beschäftigungsverhältnis – Freies Beschäftigungsverhältnis 83–84, 96 – Öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis 92 Besonderes Bundesgesetz 37, 40–41, 228–230 Besonderes Gewaltverhältnis 57–60 Bezugsgröße 40–41, 137, 203 Dienst- und Vollzugsordnung 34, 48 Eigenbetrieb – siehe Arbeitsbetriebe Elektronisch überwachter Hausarrest – siehe Alternative Strafsanktionen Entlohnung – siehe Gefangenenarbeit Ersatzfreiheitsstrafe 253–254, 256 Ersatzzeit 153–157 Erwerbsfähigkeit 139 Existenzsicherungsrecht 138–140, 242 Familienangehörige 132–133, 135, 176, 182, 189, 236 Familienlastenausgleich 195 Familienversicherung 134–136, 182, 191
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Sachwortverzeichnis
Föderalismusreform 22, 37 Freie Arztwahl 126–128 Freies Beschäftigungsverhältnis – siehe Beschäftigungsverhältnis Freigang 82, 96 – Unechter Freigang 84–85 Freigänger 90, 92–93, 96, 113, 127, 144, 184, 187–188 Freiwillige Beiträge 146 Freiwillige Versicherung 136–138 Freiwilligkeit 89–91, 93–94, 98, 103–106 Gefangenenarbeit 53–55, 65, 94, 234 – Arten 67 – Entlohnung 198, 203–206, 209–210, 212 – Produktivität 208–209, 212 Gemeinnützige Arbeit – siehe Alternative Strafsanktionen Geringfügige Beschäftigung – siehe Minijob 45 Gesundheitsfürsorge 28, 112, 114 Grundrechte 57–60 – Allgemeiner Gleichheitssatz 44, 184–189, 240–243 – Berufsfreiheit 57, 66 – Eigentumsgarantie 161–173 – Fernmeldegeheimnis 260 – Freiheit der Person 260 – Menschenwürde 53, 261 – Recht auf informationelle Selbstbestimmung 260 – Schutz von Ehe und Familie 189–196 – Unverletzlichkeit der Wohnung 259 – Verbot von Arbeitszwang und Zwangsarbeit 60–66 Grundsicherung für Arbeitsuchende 138, 242
Hamburger Modell 208–209 Hilfe zur Pflege 179, 183 ILO-Übereinkommen 70–82, 97–102 – Verdingen 71, 74, 79 – Völkerrechtlicher Vertrag 81–82, 98, 100 – Zwangs- oder Pflichtarbeit 70, 72–73 In-Kraft-Treten eines Gesetzes 226–227, 229–230, 232 Kaiserliche Botschaft 23 Kindererziehungszeit 148–152 Kollidierendes Verfassungsrecht 193–194 Kostenersatz 142–143, 183 Krankenbehandlung 115–118 Krankengeld 118–122 Krankenhilfe 141 Krankenversicherung 28, 34, 38, 40–41, 50, 112–114, 141, 235, 251 Krankenversicherung der Rentner 131 Lebach-Urteil 53, 112 Medizinische Vorsorgeleistungen 115 Mindestbeitrag 147, 248 Mindestbeitragsbemessungsgrundlage 109, 137 Minijob 106–109, 249–251 Minijob-Regelung 249–251 Mutter-Kind-Einrichtung 149 Mutterschaftsgeld 122–124 Nachzahlung von Beiträgen 248 Pauschalbeitrag 107–108, 250–251 Pflegebedürftigkeit 178, 180 Pflegeversicherung 178–183 Pflichtbeitragszeiten 146, 153 Quittungskarte 31
Sachwortverzeichnis Rechtsstaatsprinzip 214 – Bestimmtheitsgrundsatz 214–217, 219 – Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit 226, 228–229 – Vorbehalt des Gesetzes 218–220 Rente wegen Erwerbsminderung 159–163 Rente wegen Todes 176–177 Rentenanspruch 157–158, 162, 165 Rentenrechtliche Zeiten 145 Rentenversicherung 28–29, 33–34, 38, 40–41, 50, 107, 145–177, 235, 247, 250 Resozialisierung 212, 233, 257–258 – Anspruch auf Resozialisierung 53 – Mitwirkungspflicht 63 – Resozialisierungsgebot 53–54, 197 – Resozialisierungskonzept 54 Riester-Rente 173–176 Ruhen von Ansprüchen 112–113, 120–124, 135 Selbstbeschäftigung 85–86 Selbstbindung des Gesetzgebers 201, 225–226, 229 Soziale Sicherung 19, 36, 41, 52, 110, 184, 186, 199–200, 214, 216, 219, 234–235, 249 Sozialgesetzbuch 19, 52, 139 Sozialhilfe 138, 143, 179 Sozialhilfeempfänger 240–243 Sozialstaatsprinzip 224 Sozialversicherung 19, 22–23, 32, 39, 52, 87, 188, 224 – Sozialversicherungsgesetze 23 – Sozialversicherungspflicht 52 Strafe 133, 193, 216 Strafgefangenenbeschluss 59
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Strafvollzugsgesetz 35, 37–39, 44 – Erlass 39 – In-Kraft-Treten 39 – Kommissionsentwurf 36–37 – Regierungsentwurf 36–38, 47 – Sozialversicherungsrechtliche Regelungen 20, 39–47, 187, 217, 222 Strafvollzugsordnung 33–34 Strafzweck 194–195, 263 Überbelegung 56 Übergangsanspruch 129, 135 Unfallversicherung 23–27, 42 Unternehmerbetrieb – siehe Arbeitsbetriebe Untersuchungsgefangener 102–109, 204 Vergütungsstufen 49 Verletztengeld 26, 42 Verletztenrente 26–27 Verschuldung 142 Versicherungsbeitrag 136 Versicherungsfreiheit 88, 106, 250 Versicherungspflicht 23, 35, 41, 52, 86, 94, 96–97, 106, 178, 242–243, 250 Versorgungsbetrieb – siehe Arbeitsbetriebe Vollzugsuntauglichkeit 180 Vollzugsziel 45, 54 Wartezeit 145, 147 Weiterversicherung 29–35, 143–144, 182 Zustimmungsvorbehalt 69–70, 72, 75, 81 Zwangsarbeit 61–62