Sokratische Denkwürdigkeiten. Wolken: Historisch-kritische Ausgabe 9783787339624, 9783787339617

Als Johann Georg Hamann 1759 die Bühne der Publizistik betritt, irritiert er sofort. Ist er ein Philosoph oder ein Phant

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German Pages 335 [448] Year 2021

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Sokratische Denkwürdigkeiten. Wolken: Historisch-kritische Ausgabe
 9783787339624, 9783787339617

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Philosophische Bibliothek

Johann Georg Hamann Sokratische Denkwürdigkeiten Wolken

JOH A N N GEORG H A M A N N

Sokratische Denkwürdigkeiten Wolken

Mit einer Einführung und einem Stellenkommentar herausgegeben von Leonard Keidel und Janina Reibold, unter Mitarbeit von Konrad Bucher

FELI X MEINER V ER L AG H A MBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 748

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.  ISBN 978-3-7873-3961-7  ISBN eBook 978-3-7873-3962-4

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Theodor Springmann Stiftung. © Felix Meiner Verlag Hamburg 2021. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Leonard Keidel und Janina Reibold. Druck und Bindung: Beltz, Bad Langensalza. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werk­d ruck­papier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

Inhalt

in nuce VII Textkritische Zeichen, Auszeichnungen und Siglen IX Einführung Publizistischer Hintergrund XI Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien XIX Biographischer und zeithistorischer Hintergrund XXXVIII Hamanns Sokrates-Quellen LIV Über den Text der Sokratischen Denkwürdigkeiten LXX und der Wolken XCI Edition Sokratische Denkwürdigkeiten 1 Wolken 47

Rezensionen der Denkwürdigkeiten 93 Rezensionen der Wolken 109

Stellenkommentar 121 Bibliographie 301 Dank 335

in nuce

Die vorliegende Ausgabe bietet eine historisch-kritische Edition von Hamanns Sokratischen Denkwürdigkeiten (1759) und Wolken (1761). Die Edition folgt dabei dem Schriftträgerprinzip. Dies gilt für den im Haupttext edierten Erstdruck sowie für die in der Marginalspalte edierten handschriftlichen Annotationen von Hamann. Die Wiedergabe des Textes erfolgt buchstaben- und zeichengenau; makro- und mikrotypographische Phänomene werden in eine moderne Typographie übersetzt. Eine Kontamination zwischen dem Wortlaut des Erstdrucks sowie der handschriftlichen Ergänzungen ist ausgeschlossen. Sekundär überlieferte Annotationen werden im Kommentarteil stellengenau wiedergegeben und mit »Annot.« gekennzeichnet. Im Anschluss an Hamanns Text folgen die für die Entstehungsgeschichte wichtigen zeitgenössischen Rezensionen der Denkwürdigkeiten und Wolken. Die Ausgabe bietet einen Stellenkommentar zu den beiden Schriften, der je mit dem Kürzel »Komm.« eingeleitet wird. Bei der Kommentierung wurde im Gegensatz zu vorherigen Kommentaren versucht, weniger zu erklären und mehr Kontext zu liefern. In der Einführung werden neben dem publi­zistischen, biographischen und zeithistorischen Hintergrund sowie den Editions- und Kommentarprinzipien Hamanns Sokrates-Quellen skizziert sowie der Versuch unternommen, einen inhaltlichen Überblick über die beiden Schriften zu liefern.

Textkritische Zeichen, Auszeichnungen, Siglen Edition: Haupttext Erstdruck

Edition

Fraktur

Serifenschrift (Sina Nova)

Schwabacher

Kursive Serifenschrift (Sina Nova Italic)

Antiqua

Sans-Serif-Schrift (Alegreya Sans)

Kursive (Antiqua)

Kursive Sans-Serif-Schrift (Alegreya Sans Italic)

Schriftgrößen­ differenzen

verhältnismäßig wiedergegeben

Seitenwechsel im ED

|

Zeilenumbruch

/ (falls drucktechnisch nicht reproduzierbar)

Edition: Marginalien 5/15: Spr Sal. IX.13

hschr. Notiz am Rand der Zeile

11/8: mikroskopisch] mikrosko­

hschr. Ersetzung

13/15: dem * stummen / Habac.

hschr. Einfügung einer Fußnote

7/25: denenjenigen,] denjenigen,

identische hschr. Annotation in beiden Exemplaren

11/10: Analogie * Analogy, man’s

surest guide below. / Young. Night 6. SD2; SD1 ähnlich

Annotationen, die lediglich auf Zei­ chenebene different sind, werden in den Marginalien zusammengefasst

41/24: Sokrates Heftigkeit selbst]

Abweichungen auf Wortebene

21/27: Klopstock im nordischen

Zuschauer.

durch nachträglichen Beschnitt von SD2/W2 verloren gegangene Wortteile

22/20: Nachkommen *)] Fußnoten­

Herausgeberanmerkungen kursiv

pisches III.19.

SD1 SD2

Sokrates Heftigkeit SD1 / Sokrates eigener Heftigkeit SD2

anker gestrichen

X

Siglen

SD1

Autograph annotiertes Ex. der Denkwürdigkeiten; Heidelberg

SD2

Autograph annotiertes Ex. der Denkwürdigkeiten; Herder-­ Sammelband; Düsseldorf

SD3

Apograph annotiertes Ex. der Denkwürdigkeiten; Müller-­ Sammelband; Schaffhausen

SD4* Nicht überliefertes autograph annotiertes Ex. der Denkwürdig­ keiten; sekundär über Edition Roth/Wiener rekonstruierbar W1

Autograph annotiertes Ex. der Wolken; nur in Photographien überliefert; Münster

W2

Autograph annotiertes Ex. der Wolken; Herder-Sammelband; Düsseldorf

W3*

Nicht überliefertes autograph annotiertes Ex. der Wolken; sekundär über Edition Roth/Wiener rekonstruierbar

Stellenkommentar

Komm.

Stellenkommentare der Herausgeber

Annot.

Sekundär überlieferte Annotationen Hamanns nach der ­Edition von Roth/Wiener

〈...〉

Zusätze (Nachweis, Übersetzung) der Herausgeber zu Annot.

Einführung

Publizistischer Hintergrund Publikationsgeschichte der Denkwürdigkeiten

Die Sokratischen Denkwürdigkeiten erschienen zum Jahreswechsel 1759/60 in der Hartung’schen Buchhandlung, wenige Schritte entfernt von Hamanns Geburtshaus, der Altstädtischen Badestube in der Hei­ lig Geist Gasse in Königsberg. Auf ihrem Titelblatt finden sich weder Angaben zum Autor, noch zum Verlag der Schrift. Bei »Amsterdam« handelt es sich um einen fiktiven Druckort. Für die Hartung’sche Buchhandlung war das Jahr 1759 kein gutes Jahr. Nachdem wenige Jahre zuvor, am 5. Mai 1756, bereits der Fir­ mengründer Johann Heinrich Hartung (geb. 1699) überraschend auf einer Messereise nach Leipzig gestorben war und sein ältester Sohn Michael Christian Hartung (geb. 1738) mit gerade 18 Jahren die Lei­ tung der Buchhandlung übernehmen musste, verstarb dieser nicht weniger überraschend drei Jahre darauf am 17. April 1759.1 Die verwit­ wete und verwaiste Mutter Hanna Hartung (geb. Zobelin) führte die Firma interimsweise fort. Bereits am 10. Juli 1759 heiratete sie Gebhard Ludwig Woltersdorf und die »Hartung’sche Buchhandlung« wurde im September 1759 zur »Woltersdorfischen Buchhandlung« umbe­ nannt. Bereits einen Monat darauf am 17. Oktober 1759 verstarb der neue Ehemann, die Buchhandlung trug fortan den Namen »Hartung’s Erben, G. L. Woltersdorf ’s Witwe«. Erst 1762 mit der Übernahme der Verlags­geschäfte durch Hartungs zweitältesten Sohn Gottlieb Lebrecht Hartung (geb. 1747) stabilisierte sich der Verlag wieder und erlangte erneuten Ruhm.2 Als Hamann am 31. August 1759 seinem »Nachbarn« die Denkwürdigkeiten zum Verlag anbot,3 war der Firmengründer Johann Hein­ 1 Vgl. HKB 143 (I 325/32 ff., 1.  5.  1759, an J.  G. Lindner). 2

Vgl. zur Verlagsgeschichte der Hartung’schen Buchhandlung Dreher: Der Buchhandel und die Buchhändler zu Königsberg, S. 204–207. 3 HKB 159 (I 404/8 f., 31.  8.  1759, an J.  G. Lindner).

XII

Einführung

rich Hartung bereits drei Jahre, sein Sohn Michael Christian Hartung vier Monate tot.4 Die Geschäfte führte die Witwe Hanna zusammen mit ihrem neuen Ehemann Gebhard Ludwig Woltersdorf. Spätes­ tens im Oktober übergab Hamann die Druckvorlage dem Verlag, am 24. Dezember 1759 erhielt er die ersten Abzüge der Sokratischen Denkwürdigkeiten;5 Korrekturfahnen bekam er wohl keine. In der Zwi­ schenzeit war der neue Geschäftsführer Woltersdorf gestorben und die Leitung der Buchhandlung oblag erneut der Witwe Hanna Woltersdorf (verw. Hartung). Würde auf der Titelseite der Denkwürdigkeiten eine Verlagsangabe gestanden haben, hätte diese vermutlich »Königsberg bey Hartung’s Erben, G. L. Woltersdorf ’s Witwe« gelautet. Gedruckt wurde das Büchlein wahrscheinlich in der Reußnerischen Buch­ druckerei, die seit 1751 zur Hartung’schen Buchhandlung gehörte. Zen­ sur erhielten die Denkwürdigkeiten laut Hamann in Berlin, nachdem diese in Halle wohl bei Prof. Georg Friedrich Meier nicht erwirkt werden konnte.6 Im Messkatalog zur Ostermesse 1760 wird das Erscheinen der Schrift in Ermangelung eines Autornamens unter »Denkwürdigkeiten, sokratische« angekündigt.7 Die Auslieferung begann wohl im Januar 1760, im Juni desselben Jahres war das Büchlein bereits ausverkauft.8 Die Auflage betrug vermutlich nicht viel mehr als 100 Exemplare. Zu einem Nachdruck, an dem die Verlegerin Hanna Woltersdorf zunächst interessiert war,9 ist es wohl nie gekommen. Hamann war sein Leben lang unzufrieden mit der Druckgestalt der Denkwürdigkeiten, weil es in ihnen an »Druck und Schreibefehlern« nur so wimmele.10  4 Im

Fliegenden Brief geht einiges in Bezug auf die Publikationsgeschichte der Denkwürdigkeiten durcheinander bzw. werden Personen und Ereignisse der Hartung’schen Verlagsgeschichte überblendet. Dies liegt einerseits an dem Vier­ teljahrhundert, das zwischen den beiden Texten liegt, andererseits handelt es sich aber vor allen Dingen bei dem Fliegenden Brief um einen literarischen Text. Vgl. HfB 2, 1r; 5, 1r; 8, 3; 26, 3; 36, 2r; 37, 1ro.  5 HKB 163 (I 431/28 ff., 11.  2.  1756, an J. G. Lindner) und HKB 174 (II 1/19 ff., 2.  1.  1760, an den Bruder).  6 Vgl. HKB 174 (II 1/19 ff., 2.  1.  1760, an den Bruder).  7 Allgemeines Verzeichniß [...] der Frankfurter und Leipziger Ostermesse des 1760 Jahres, S. 12.  8 Vgl. HKB 185 (II 32/3 ff., 6.  1760, an J. G. Lindner).  9 Ebd. 10 HKB 174 (II 1/24, 2.  1.  1760, an den Bruder).

Publizistischer Hintergrund

XIII

Rezensionen der Denkwürdigkeiten

Im Juni und Juli 1760 erschienen drei Rezensionen der Sokratischen Denkwürdigkeiten: Die erste am 19. Juni 1760 in den vom ›Dreigestirn der Aufklärung‹ – Friedrich Nicolai, Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn – herausgegebenen Briefen, die neueste Litteratur betreffend.11 Hinter dem mit dem Kürzel D. signierenden Autor verbarg sich Moses Mendelssohn. Am 25. Juni 1760 folgte eine anonyme Rezension in der Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Ihr Verfasser war wohl Johann Joachim Christoph Bode (1730–1793).12 Dieser war zwar erst von 1763 bis 1764 fest angestellter Redakteur der Zeitung, könnte die Rezension aber auch als freier Mitarbeiter dort veröffentlicht haben, auch wenn das eher ungewöhnlich war.13 Er arbei­ tete bereits seit 1754 als Hauslehrer in Hamburg. Von 1745 bis 1767 oblag die Gesamtredaktion der Zeitung Barthold Joachim Zinck (1718– 1775), der unter anderem mit Lessing befreundet war. Unterstützt wurde dieser von 1758 bis 1763 bei der Redaktionsarbeit von Johann Joseph Schmidlin (1725–1779).14 Außer Bode könnten auch Zinck oder Schmidlin die Verfasser der Rezension der Denkwürdigkeiten gewesen sein. Von 1731 bis 1732 war übrigens Hamanns gleichnamiger Onkel Johann Georg Hamann (1697–1733) verantwortlich für die Redaktion des Hamburgischen Correspondenten gewesen. Es ist anzunehmen, dass Hamann davon wusste – allerdings erwähnt er diese ›Familienbande‹ mit der Zeitung nicht.

11

Vgl. zur Geschichte der Literaturbriefe bspw. die Einleitung in Mendelssohn: Rezensionsartikel in Briefe, die neueste Litteratur betreffend, S. IX–LXXXIV. 12 Zumindest scheint diese Annahme in der Hamann-Forschung seit Roth einhel­ lig zu bestehen. Beweise dafür oder dagegen lassen sich allerdings nicht erbrin­ gen. 13 Jubiläums-Zeitung des Hamburgischen Correspondenten, Sp. 6: »wenigstens in den ersten Jahrzehnten [hatten] die Kritiken durchgehens einen und denselben, und zwar der Redaction angehörigen Verfasser gehabt«. 14 Vgl. zur Geschichte des Hamburgischen Correspondenten und zu dessen Mitarbei­ tern v. a. Jubiläums-Zeitung des Hamburgischen Correspondenten, hier v. a. Sp. 7; Tolkemitt: Der Hamburgische Correspondent, v. a. S. 31–37; Böning: Periodische Presse, Kap. »Die Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unparthey­ ischen Correspondenten«, S. 17–35.

XIV

Einführung

Knapp einen Monat später, am 29. Juli 1760, erschien eine dritte Rezension, diesmal in den Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit.15 Verfasser war der Herausgeber Christian Ziegra (1719–1778). Ziegra hatte die Zeitung 1758 in erklärter Opposition zu den aufklärungsaffinen Zeitungen wie dem Hamburgischen Correspondenten gegründet und stand mit den Berliner Literaturbriefen auf Kriegsfuß.16 Einiges an dem Zorn, den man in Ziegras Rezension der Denkwürdigkeiten lesen kann, ist nicht allein auf den publizistischen Affront durch Hamanns Schrift selbst zurückzuführen, sondern auf die beiden im Wesentlichen wohlwollenden Rezensionen in den Literaturbriefen und dem Hamburgischen Correspondenten. Die drei Rezensionen sind im Editionsteil Rezensionen (S. 93–109) vollständig abgedruckt. Publikationsgeschichte der Wolken

Erst am 7. Februar 1761 erwähnt Hamann erstmals in einem Brief an J. G. Lindner, dass er die Rezension Mendelssohns in den Literaturbriefen sowie jene Ziegras in den Hamburgischen Nachrichten gelesen habe.17 Die Ziegra’sche Häme bezeichnet er dort als ein willkommenes »Antidot« für die ihm verdächtige »Anpreißung« Mendelssohns. Die Rezension im Hamburgischen Correspondenten erwähnte er hier und auch später mit keinem Wort. Wann genau die Lektüre der Rezen­ sionen stattgefunden hat, ist nicht genauer zu bestimmen, sie muss aber wenigstens einige Wochen zurückgelegen haben, denn im glei­ chen Brief vom Februar 1761 kündigte Hamann bereits das Erscheinen einer neuen, ebenfalls anonymen Schrift zur Ostermesse 1761 an.18 An 15

Zur Geschichte von Ziegras Hamburgischen Nachrichten vgl. Böning: Periodische Presse, S. 171–173. 16 Der Streit eskalierte publizistisch bereits wenige Monate später im November 1760 anlässlich von Mendelssohns Rezension von Georg Schades Die unwandelbare und ewige Religion der ältesten Naturforscher und Adepten im 132. der Literaturbriefe, vgl. Böning: Periodische Presse, S. 171 f. und Albrecht: Kommentierte Dokumentation zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, in: Lessing: Briefe die neueste Litteratur betreffend, S. 374. 17 HKB 201 (II 61/18 ff., 7.  2.  1761, an J. G. Lindner). 18 HKB 201 (II 61/18 ff., 7.  2.  1761, an J. G. Lindner). Die Leipziger Buchmesse begann jährlich am Sonntag Jubilate, dem dritten Sonntag nach Ostern. 1761 war dies der 12. April.

Publizistischer Hintergrund

XV

den Wolken hatte Hamann frühestens von August 1760 bis spätestens Anfang Februar 1761 gearbeitet. Anfang März 1761 wurden bereits die ersten Exemplare ausgeliefert.19 Der Messkatalog desselben Jahres ver­ merkt die Wolken streng nach dem Alphabet im Anschluss an eine Neu­ auflage von Christian Wolffs Vernünfftige Gedanken von Gott.20 Hamanns Wolken erschienen wie die Denkwürdigkeiten ohne Nennung eines Autornamens oder Verlegers unter dem fingierten Druckort »Altona«. Der Verleger war vermutlich Johann Jakob Kanter (1738–1786),21 der Druck erfolgte wohl in der Quassowsky-Kanterschen Druckerei.22 Kanter war erst im Sommer 1760 nach einigen Lehr- und Wanderjahren in die väterliche Buchhandlung in Königsberg zurück­ gekehrt, bekam aber bereits im Oktober 1760 ein eigenes Buchhändler­ privileg durch die russischen Besatzungskräfte und konnte ab diesem Zeitpunkt verlegerisch tätig sein, ab 1761 tragen einzelne Publikatio­ nen seinen Namen auf den Titelblättern.23 Sein Vater Philipp Christoph Kanter war bereits seit den 1730  er Jahren im Königsberger Buchhandel tätig und hatte das Fundament für die Blütezeit des Unternehmens, die mit Johann Jakob Kanter ab 1760 begann, gelegt. Gut zwanzig Jahre lang stellte die Kanter’sche Buchhandlung das intellektuelle Zentrum Königsbergs dar, war Treffpunkt sowie Wohn- und Arbeitsstätte von Kant, Herder, Johann Jakob Kraus und vielen anderen. Kanter war für seinen sprühenden Unternehmergeist, seine Großzügigkeit und Speku­ lationsneigung berühmt. Erstmals erwähnt Hamann den neuen Königsberger Buchhändler am 11. April 1761 gegenüber J. G. Lindner: »Kanter hat Commission mir einige Sachen [von der Buchmesse] mitzubringen; […]. Er gefällt mir beßer als Petersen, ist aber auch ein wenig zu viel von einem jun­ gen HErrn, bezeigt aber Treue und Fleiß in Expedition seiner Sachen; 19 HKB 202 (II 62/4 ff., 7.  3.  1761, an J. G. Lindner) und HKB 203 (II 74/7 ff., 21.  3.  1761, 20 21 22 23

an J. G. Lindner). Allgemeines Verzeichniß [...] der Frankfurter und Leipziger Ostermesse des 1761 Jahres, S. 145. So auch Schulte-Strathaus: Bibliographie der Originalausgaben deutscher Dichtungen, S. 5 sowie Gühring/Wilpert: Erstausgaben deutscher Dichtungen, S. 483. Diese wurde 1736 von Philipp Christoph Kanter erworben, um selbst drucken zu können. Vgl. im Folgenden zur Geschichte der Kanterschen Buchhandlung Dreher: Der Buchhandel und die Buchhändler zu Königsberg, S. 178–197.

XVI

Einführung

so viel ich noch absehen können.«24 Zu diesem Zeitpunkt war Kanter gerade unterwegs zur Leipziger Buchmesse, im Gepäck womöglich die druckfrischen Exemplare von Hamanns Wolken. »Treue und Fleiß in Expedition seiner Sachen« bezieht sich vermutlich auf die vorange­ gangene Drucklegung der Wolken, muss es aber freilich nicht. Erst am 24. Juli 1762 benennt Hamann Kanter ausdrücklich als seinen Verle­ ger, nämlich als den der Kreuzzüge des Philologen. Das erwähnte Ver­ lagsunternehmen von Johann Friedrich Petersen, der 1756 Hamanns Dangueil-Übersetzung verlegt hatte, gehörte 1761 längst der Vergangen­ heit an. Allerdings könnte theoretisch auch Hanna Woltersdorf (verw. Hartung) als Verlegerin für die Wolken fungiert haben, wenngleich Hamann nicht sonderlich zufrieden mit der Drucklegung und dem Ergebnis der Denkwürdigkeiten gewesen war. Angesichts der unruhi­ gen Königsberger Verlagslandschaft zwischen 1759 und 1761 und feh­ lenden eindeutigen Briefzeugnissen ist es schwierig, die Frage nach dem Verlagsort und dem Verleger eindeutig zu beantworten. Es gilt vielmehr, anhand von Indizien eine Vermutung plausibel zu machen. Josef Nadler hält gar das auf dem Titelblatt genannte Altona für den »gesichert[en]« Verlagsort.25 Er beruft sich zum Beweis seiner Behaup­ tung einzig auf einen Brief an J. G. Lindner vom 7. März 1761, wo die Rede allerdings unzweifelhaft von Lübeck, nicht Altona ist: »Diese Woche erhielt aus Lübeck ein klein Pack mit der adresse sel­ biges zu vertheilen vom Verleger der Wolken, der ein eben so großer Windbeutel seyn muß als ihr Autor. […] Der Verleger meldet, daß der Anonymus im Contract mit ihm abgemacht an alle gelehrte Zeitungs­ schreiber in Deutschland und an alle seine gute Freunde in Europa ein Exemplar gratis zu übersenden. Auf der Liste stand auch der Name des HErrn I. C. Berens in St. Petersburg zum Hochzeitgeschenk. Sie wer­ den also, Liebster Freund! die Freundschaft für mich haben durch eine unbekannte Hand auf beyliegendes die Addresse machen zu laßen, und es auf der Post abgeben zu laßen, ohne daß er weiß weder von Ihrem noch meinem Antheil daran.«26 Bei Altona handelt es sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit um einen fiktiven Druckort. Altona stand im sprichwörtlichen Wettstreit 24 HKB 204 (II 76/33 ff., 11.  4.  1761, an J. G. Lindner). 25 N II 395.

26 HKB 202 (II 62/3 ff., 7.  3.  1761, an J. G. Lindner).

Publizistischer Hintergrund

XVII

mit Hamburg, gegen dessen Nachrichten sich die Wolken maßgeb­ lich richten.27 In dem zitierten Brief an Lindner führte Hamann das literarische Spiel mit dem Druckort fort, indem er fingierte, dass die gedruckten Exemplare der Wolken von Altona nach Lübeck gebracht und von dort über den Seeweg nach Königsberg transportiert worden wären. Hamann nahm hierbei spielerisch die Rolle des unbeteiligten Dritten ein, der weder weiß, wer der anonyme Autor noch jener Verle­ ger ist, der sich laut Vertrag dazu verpflichtet habe, Gratis-Exemplare der Wolken an alle »gelehrten Zeitungsschreiber in Deutschland« sowie die »guten Freunde in Europa« zu schicken. Der Brief kann aufgrund seines Fiktionalisierungsgrads nicht zur Bestimmung der Entstehungs­ geschichte verwendet werden. Genauso wenig lässt sich mittels einer Analyse des Druckbildes der Verlagsort bestimmen, da die typographische Gestaltung der Wolken zu wenig spezifisch ist. Die verwendeten Fraktur-, Schwabacher- und sonstigen Schrifttypen sowie die Buchschmuckelemente finden sich in Drucken von 1759–61 der Familie Kanter28 sowie Hartungs29; es las­ sen sich aber auch große Ähnlichkeiten mit einem Druck von 1761 des Buchhändlers David Iversen in Altona feststellen.30 Ursache hierfür ist, dass die Verleger einerseits nicht immer in der gleichen Druckerei dru­ cken ließen, andererseits verschiedene Druckereien ihre Typen aus der gleichen Schriftgießerei beziehen konnten. Rezensionen der Wolken

Von den Wolken sind zwei Rezensionen erschienen: die erste am 3. Juni 1761 im Hamburgischen Correspondenten, die zweite am 28. Juli 1761 in den Hamburgischen Nachrichten. Erstere stammt wohl wieder aus der Feder Bodes, stellt aber eigentlich eine Rezension der Hamburgischen Nachrichten dar (so ist sie auch mit »Hamburg« und nicht 27

Vgl. hierzu auch Komm. W 47/14. 28 Vgl. bspw. Grot: Zeloide (Königsberg: bey Daniel Christoph Kanter 1760) und Trescho: Neujahrs-Geschenk (Königsberg: bey Johann Jacob Kanter 1761). 29 Vgl. bspw. Beschreibung einer leichten und geschwinden Methode den genauen Inhalt aller krummen und geradlinigten Figuren zu erforschen (Königsberg 1759, gedruckt mit Hartung’schen Schriften). 30 Vgl. Levret: Wahrnehmungen von den Ursachen und Zufällen vieler Schweren Geburten (Lübeck, Altona: verlegts David Iversen 1761).

XVIII

Einführung

»Altona« überschrieben). Die Wolken dienten dem Rezensenten dabei lediglich als Trittbrett, um sich für die Schmähung in der Denkwürdigkeiten-Rezension Ziegras zu rächen. In Bezug auf die Publikationsge­ schichte ist es interessant, dass Bode am Anfang der Rezension Altona als fiktiven Druckort kennzeichnete und, in Deckung mit den oben aus­ geführten Vermutungen, Königsberg als den richtigen Erscheinungsort angab. Auch die Ende Juli 1761 erschienene zweite Rezension der Wolken in den Hamburgischen Nachrichten weist Altona als fingierten Druck­ ort aus. Ziegra polemisierte darin in Fortsetzung seiner Rezension der Denkwürdigkeiten ausgiebig gegen »witzsüchtige« und anonyme Schriftsteller (vor allem jene der Literaturbriefe) sowie Hamanns dunk­ len und anspielungsreichen Stil. Diesem gefiel die »Abfertigung« Zie­ gras, denn es schmeichelte ihm, »in der grösten Wuth von einem Feinde auf die feinste Art gelobt zu werden«.31 In den Literaturbriefen selbst wurden die Wolken nicht rezensiert. Am 2. März 1762 schrieb Mendelssohn diesbezüglich an Hamann: »Von den Wolken haben wir aus Nachsicht für den schätzbaren Verf. der Denkwürdigkeiten niemals ein Urtheil gefällt.«32 Die beiden Rezensionen der Wolken sind in dem Editionsabschnitt Rezensionen (S. 109–120) vollständig abgedruckt. Typographische Gestaltung der Erstdrucke

Das Druckbild der Wolken ist dem der Denkwürdigkeiten sehr ähnlich. Besonders die Titelblätter sind bis ins Detail aufeinander bezogen. Typographisch bedienen sich beide Schriften der konventionellen Mittel des Buchdrucks im 18. Jahrhundert – Anwendung finden diese jedoch auf eine eher unkonventionelle Art und Weise.33 So werden vor allem die Möglichkeiten der Auszeichnung exzessiv genutzt, indem in nahezu jedem Satz der Denkwürdigkeiten und Wolken ein Wort durch Schriftwechsel (Fraktur zu Schwabacher bzw. Antiqua zu Kursive) oder 31 HKB 215 (II 118/36 f.,

10.  10.  1761, an J. G. Lindner) und HKB 216 (II 121/29, 7.  11. 1761, an J. G. Lindner). 32 HKB 221 (II 135/35 f., 2.  3.  1762, von Mendelssohn). 33 In der satirischen Literatur gab es hierfür bereits Vorbilder, die sich meist paro­ distisch auf wissenschaftliche Typographie beziehen; siehe Eckstein: Fussnoten, bes. S. 104–114.

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

XIX

durch veränderte Schriftgröße hervorgehoben wird. Zugespitzt und ins Absurde gewendet wird dieses Mittel, indem nicht nur in mehrerlei Stufen die Schriftgröße vergrößert, sondern auch verkleinert wird. Im ersten Aufzug der Wolken ist gar die gesamte makrotypographische Ordnung auf den Kopf gestellt, indem die Größenverhältnisse auf der Seite zwischen Haupttext und Fußnoten invertiert sind. Interpunk­ tionszeichen, unterschiedlich lange Striche, Versalsatz, Asterisken und Leerzeilen gliedern, spationieren oder durchlöchern den Text. Darüber hinaus werden in den beiden Schriften auch einfache (billige) Mög­ lichkeiten der primär dekorativen Buchgestaltung ausgenutzt, indem auf jeder Seite Buchschmuckelemente zu finden sind, Abschnitte mit (Schmuck-)Initialen beginnen sowie mit Spitzkolumnen enden.

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien Erstdruck

Gegenwärtig sind wohl nicht viel mehr als 25 Erstdrucke der Denkwürdigkeiten34 bzw. 15 der Wolken35 in öffentlichen Bibliotheken und in Privatbesitz überliefert. In mehreren überlieferten Exemplaren fin­ 34

Nach Recherchen in den online verfügbaren Katalogen finden sich Erstdru­ cke der Denkwürdigkeiten in folgenden Bibliotheken: Ostfriesische Bibliothek Emden, Gleimhaus Halberstadt, SUB Hamburg, UB Helsinki, ULB Jena, British Library London, Stadtbücherei Offenburg, Landesbibliothek Oldenburg, Pari­ ser Nationalbibliothek, evtl. UB Tartu, UB Tübingen, UB Warschau, Weimar, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Wolfenbüttel. Die Anzahl der in Pri­ vatbesitz befindlichen Exemplare lässt sich nicht präzise feststellen; es dürften allerdings, gemessen an ihrem äußerst seltenen Auftauchen bei Auktionen in den letzten 100 Jahren, nicht sehr viele sein. 35 Nach Recherchen in den online verfügbaren Katalogen finden sich Erstdrucke der Wolken in folgenden Bibliotheken: Staatsbibliothek Berlin, ULB Bonn, ULB Darmstadt, ULB Göttingen, ULB Münster, Salzburger Stiftsbibliothek, Stadtbi­ bliothek Schaffhausen (Sammelband J. G. Müllers, Sign.: Cc 37), Beinecke Lib­ rary Yale. Laut Recherchen Renate Knolls befinden sich darüber hinaus weitere Exemplare in der UB Warschau, der Bibliothek Slaska, Kattowitz sowie bei der Posener Gesellschaft, Posen (vgl. dies.: Johann Georg Hamann in Osteuropa). Die Anzahl der in Privatbesitz befindlichen Exemplare lässt sich nicht präzise feststellen; es dürften allerdings, gemessen an den äußerst seltenen Auktionen, nicht sehr viele sein.

XX

Einführung

den sich zudem handschriftliche Annotationen von Hamanns eigener (autograph) oder fremder (apograph) Hand. Darüber hinaus lassen sich eine Reihe von ursprünglich autograph annotierten Exemplaren aus der Edition Roths und Wieners rekonstruieren. Der Erstdruck stellt jeweils den Ausgangs- und zugleich Endpunkt der hier vorgelegten Edition dar. Ergänzt wird dieser durch Mitteilung sämtlicher überlieferter handschriftlicher Annotationen von Hamanns Hand. Im Unterschied zu den bisherigen Editionen der beiden Schriften (v. a. durch Roth/Wiener und Nadler) erfolgt die Wiedergabe des Textes buchstaben- und zeichengenau; makro- und mikro­typographische Phä­ nomene werden dabei in eine moderne Typographie übersetzt. Eine Kontamination zwischen dem Wortlaut des Erstdrucks sowie den hand­ schriftlichen Ergänzungen ist prinzi­piell ausgeschlossen. Im Erstdruck der Denkwürdigkeiten und der Wolken werden sechs verschiedene Schriften verwendet: Fraktur, Schwabacher, Antiqua, Kur­ sive sowie griechische und hebräische Schrift. Bei der typogra­phischen Übersetzung wird die Fraktur als Brotschrift mit einer geraden, die Schwabacher mit einer kursiven Serifenschrift wiedergegeben; gerade und kursive Antiqua entsprechend mit einer serifenlosen Schrift. Griechische und hebräische Schrift mussten nicht übersetzt werden, lediglich die griechischen Ligaturen von ου und στ (Stigma) wurden, weil heute ungebräuchlich, aufgelöst. Die Schriftgrößendifferenzen im Erstdruck wurden jeweils typographisch verhältnismäßig reprodu­ ziert. Asterisken dienen im Erstdruck und in der Edition als Fußno­ tenanker; deren Zählung beginnt jeweils mit jeder Seite neu und wird im Neusatz nicht mimetisch, sondern systematisch wiedergegeben. Die bedeutungstragenden Elemente der makro- und mikrotypogra­ phischen Gestaltung des Erstdrucks wurden nach Möglichkeit bei der Edition berücksichtigt und abstrahiert wiedergegeben. Dies betrifft etwa die Verteilung des Weißraums auf der Seite, Linien, Vignetten und Initialen. Die reinen Schmuckzeichen wurden in der Edition hin­ gegen nicht reproduziert. Eine graue Virgel / im Text markiert einen Zeilenumbruch im Erstdruck, der in der Edition aus satztechnischen Gründen nicht reproduziert werden konnte. Auch (vermeintliche) Druckfehler wurden in der Edition nicht emen­ diert, sondern bleiben im Text stehen und werden entweder durch eine handschriftliche Marginalie von Hamann selbst ›korrigiert‹ oder

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

XXI

im Stellenkommentar von den Herausgebern thematisiert. Die Grenze zwischen Korrektur (eines Fehlers) und Textänderung (also Umarbei­ tung) verläuft bei Hamanns Arbeitsweise fließend und nicht selten werden einstige Druckfehler in einer Schrift produktiv für die nächste genutzt. So kommentiert und korrigiert Hamann in den Wolken eine Reihe von (vermeintlichen) Druckfehlern der Denkwürdigkeiten (vgl. etwa SD 14/22 »encyclopischen Witz«). Ein Eingriff in den Wortlaut würde das Verständnis einerseits der handschriftlichen Annotationen, andererseits der Wolken unnötig erschweren. Ein Seitenwechsel im Erstdruck wird in der Edition mit | im Fließ­ text markiert und im Bund neben der Zeilenzählung mit der begin­ nenden Seitennummer konkretisiert. Am Fuß jeder Seite wurde zwecks einfacherer Benutzbarkeit der Ausgabe eine Konkordanz mit der Edi­ tion Nadlers erstellt. Annotierte Erstdrucke

Die am Rand einiger Erstdrucke der Denkwürdigkeiten und Wolken überlieferten handschriftlichen Annotationen Hamanns sind höchst divers und über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden. Es han­ delt sich einerseits um primär kommentatorische Hinweise auf Anspie­ lungen sowie andererseits Korrekturen von Druckfehlern, sprachliche und textliche Umarbeitungen sowie Streichungen und Ergänzungen von Zitaten aus Aristophanes, Aristoteles, Augustinus, Balzac, Euripi­ des, Friedrich II ., Platon, Sueton, Young und anderen. Die meisten der überlieferten Annotationen (SD1, SD2, W1, W2) entstanden wohl zwi­ schen 1760 und 1762. Viele der nur indirekt über die Edition Roth/Wie­ ner rekonstruierbaren Stellen, vor allem aus den sog. durchschossenen Exemplaren (SD4*, W3*) sind zum Teil wesentlich später entstanden. Erste Korrekturen und sprachliche Umarbeitungen der Denkwürdigkeiten fanden bereits kurz nach dem Erscheinen der Schrift zum Jahreswechsel 1759/60 statt und waren vermutlich durch die Aussicht auf eine Neuauflage im Sommer 1760 motiviert. Die Euripides- und Aristophanes-Zitate in den Denkwürdigkeiten sind wohl erst nach Hamanns Lektüre der Texte im März bzw. Mai 1760 ergänzt worden.36 36 HKB 179 (II 10/26 f.,

21. 3. 1760, an den Bruder): Euripides; HKB 182 (II 23/27 f., 21. 5. 1760, an den Bruder): Aristophanes; HKB 184 (II 27/3 f., 13. 6. 1760, an J. G. Lindner): Poësies Diverses von Friedrich II .

XXII

Einführung

Hamanns Platon-Lektüre fand zwischen Oktober 1761 und September 1762 statt, die zahlreichen Zitate am Rand der Denkwürdigkeiten und Wolken stammen vermutlich aus diesem Zeitraum. Anders verhält es sich mit den lediglich sekundär überlieferten Annotationen aus SD4* und W3*. Bereits kurz nach der Drucklegung der Denkwürdigkeiten ließ sich Hamann vom Buchbinder ein Autoren­ exemplar der Denkwürdigkeiten mit weißen Seiten durchschießen, um dieses »voll zu schreiben«.37 Von den Wolken ließ er sich wohl ebenfalls ein solch durchschossenes Exemplar anfertigen und mit den Denkwürdigkeiten zusammenbinden. Die lediglich über die Edition Roth/Wiener überlieferten umfangreichen Annotationen aus den durchschossenen Exemplaren unterscheiden sich wesentlich von den Randbemerkun­ gen der anderen Exemplare. Dies betrifft einerseits den Umfang, vor allem aber auch die Weite des Assoziationsraums. Zu einem großen Teil handelt es sich um umfangreiche originalsprachliche Zitate aus Platon, Cicero, Aristophanes, Clemens von Alexandria, Plutarch, Xeno­ phon und vielen weiteren Autoren; der Schwerpunkt liegt deutlich auf dem klassischen Altertum. Man kann dabei den Eindruck gewinnen, als hätte Hamann jenes Studium der Quellen, das er beim Verfassen der Denkwürdigkeiten und Wolken eher vernachlässigt hatte, in den fol­ genden Jahrzehnen nachgeholt und in seinen durchschossenen Hand­ exemplaren eifrig dokumentiert. Wann genau Hamann mit den Eintragungen in diese Handexem­ plare begonnen hat, lässt sich nicht ausmachen. Einige Eintragungen – wie die Zitate aus Hawkesworth und Chesterfield, die Ausgaben vom Ende der 1770  er-Jahre entstammen – legen die Vermutung nahe, dass Hamann über Jahrzehnte, möglicherweise bis in die 1780  er-Jahre hin­ ein, solche Notizen machte.38 Im Gegensatz zu den bisherigen Ausgaben wird in dieser nun vor­ liegenden Edition streng zwischen den Textträgern unterschieden und Kontaminationen zwischen Drucktext und handschriftlichen Ergänzungen ausgeschlossen. Die Frage, ob eine einzelne Annotation

37 HKB 174 (II 1/19 f., 21.  3.  1760, an den Bruder). 38

Von seiner Erstlektüre der Ausgabe der Briefe Chesterfields berichtet Hamann bspw. in einem Brief vom 8.  2.  1782 an Hartknoch, HKB 642 (IV 366/6 ff.).

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

XXIII

»Textabsicht« hatte oder nicht,39 spielt hierbei keine Rolle. Ziel dieser Edition ist nicht die Herstellung eines von Hamann intendierten Tex­ tes, sondern einer historisch-kritischen Ausgabe, die der Pluralität der Überlieferungsträger gerecht wird und es dem/der Leser:in ermöglicht, in die Lektüre zweier Texte einzutreten, die in Raum und Zeit veran­ kert sind. Dies betrifft einerseits die zeittypischen drucktechnischen Möglichkeiten, Usancen und Fehleranfälligkeiten, verbunden mit orthographischer Flexibilität, sowie andererseits die über viele Jahre entstandenen handschriftlichen Überarbeitungen, die aus der Relek­ türe des eigenen Textes, vor allem aber aus der Lektüre anderer Texte hervorgegangen sind. Die in einzelnen Exemplaren annotierten Vari­ anten, Zitate und Anspielungen zeugen von einer gedanklichen und sprachlichen Offenheit, die Hamann seinen Texten entgegenbrachte. Nichtsdestoweniger waren der exakte Wortlaut und die Form des Erst­ drucks sowohl für Hamann als auch seine Zeitgenossen Grundlage der Rezeption. Sämtliche überlieferten autographen Annotationen von SD1, SD2, W1 und W2 werden buchstabengenau in der Marginalspalte der Edition wiedergegeben. Die Position der Marginalien entspricht nach Möglich­ keit genau der Zeile im annotierten Erstdruck. Falls dies aus satztech­ nischen Gründen nicht möglich ist, wird die Position der Annotation durch Voranstellung der fett gedruckten Zeilennummer kenntlich gemacht. Marginalien mit einer Lemmaklammer markieren, wie bei einem positiv lemmatisierten Variantenapparat, die Ersetzung des fett gedruckten Textes vor der Lemmaklammer durch den darauffolgenden recte gedruckten Text (SD 11/8: mikroskopisch] mikroskopisches). Marginalien, die mit einem fett gedruckten Lemma und einem Asterisk beginnen, zeigen eine handschriftlich eingefügte Fußnote an (SD 13/15: dem * stummen / Habac. III.19.). Alle anderen handschrift­ lichen Notizen am Rand der Seite werden ohne (fett gedrucktes) Lemma zeilengenau in der Marginalspalte der Edition wiedergegeben (SD 5/15: Spr Sal. IX.13). Die Sigle am Ende des Marginaleintrags ver­ merkt, in welchem Exemplar die Annotation zu finden ist. Findet sich eine Annotation übereinstimmend in beiden annotierten Exemplaren, 39

Das ist eine Frage, die Nadler ausführungsreich in Die Hamannausgabe, S. 447– 449, zu bejahen versucht.

XXIV

Einführung

wird der Eintrag zusammengefasst (SD 7/25: denenjenigen,] denjeni­ gen, SD1 SD2). Sofern kleinere Differenzen in Orthographie, Abkürzungsweise oder in Präzision einer Stellenangabe vorliegen, geschieht dies unter Hin­ weis eines »ähnlich«-Vermerks (SD 11/10: Analogie * Analogy, man’s surest guide below. / Young. Night 6. SD2; SD1 ähnlich [in SD1 endet die Stelle mit: »Night VI.«). Im Fall von Differenzen auf der Wort­ebene wird eine Stelle doppelt angeführt (SD 41/24: Sokrates Heftigkeit selbst] Sokrates Heftigkeit SD1 / Sokrates eigener Heftigkeit SD2). Handschrift­ liche Unterstreichungen werden wort-, nicht buchstabengenau wieder­ gegeben. Eine graue Virgel / markiert einen intendierten Zeilenum­ bruch in der handschriftlichen Annotation, der in der Marginalspalte aus satztechnischen Gründen nicht wiedergegeben werden konnte. Die für Hamanns Handschrift typischen Abkürzungszeichen bzw. Verschleifungen am Ende eines Wortes sind in der Edition behutsam aufgelöst. Die wenigen durch Beschnitt des Sammelbandes SD2/W2 ver­ loren gegangenen Wortteile sind in grauer Schriftfarbe in der Edition ergänzt (SD 21/27: Klopstock im nordischen Zuschauer.). Kursive Schrift in der Marginalspalte markiert Herausgeberanmerkungen (SD 22/20: Nachkommen *)] ­Fußnotenanker gestrichen). Die lediglich sekundär überlieferten Annotationen von SD4* und W3* werden innerhalb des Kommentars aufgeführt, nicht in der Mar­ ginalspalte der Edition. Es handelt sich bei SD4*/W3* einerseits um umfangreiche Zitate, die aus dem ›Nachtragsband‹ Wieners (R VIII,1) stammen, sowie andererseits um textliche Umarbeitungen, die sich aus den Textdifferenzen zwischen dem Erstdruck und der Edition Roths (R II) rekonstruieren lassen. Der genaue Wortlaut aller unter SD4*/ W3* angeführten Annotationen und Umarbeitungen ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da weder Roth noch Wiener eine zeichen­ genaue Transkription der Hamann’schen Notizen zum Ziel hatten. Orthographische Fehler, insbesondere im Griechischen, wurden bei der Übernahme der Zitate im Kommentar stillschweigend korrigiert; nicht zuletzt weil diese wohl vornehmlich auf Setzfehler zurückgehen, die bereits Wiener monierte, der dem Anspruch nach Hamanns eigene ›Schreibfehler‹ zu korrigieren und nicht zu überliefern trachtete. Konkret wissen wir von folgenden annotierten Exemplaren der Denkwürdigkeiten und Wolken:

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

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Annotierte Exemplare der Denkwürdigkeiten

SD1 – Bei SD1 handelt es sich um das einzige als Einzelband überlie­

ferte Exemplar der Denkwürdigkeiten mit eigenhändigen Annotatio­ nen Hamanns. Auf dem Vorsatzblatt findet sich eine Widmung an den Sohn Johann Michael Hamann, die auf den »VIII Jul. MDCCLXXXVII .« datiert ist. Heutiger Aufbewahrungsort ist die Theodor Springmann Stiftung in Heidelberg. Der Buchblock von SD1 misst 148 × 86 mm, der Satzspiegel 108 × 59 mm; die Stege sind ca. 8 mm Innen, 16 mm Außen, 16 mm am Kopf und 24 mm am Fuß der Seite breit. Es handelt sich um vier Bogen im Oktavformat, insgesamt 64 Seiten, gebunden in eine Buntpapierbro­ schur aus Herrnhuter Stempeldruckpapier mit blauen und schwarzen ›Blumenkreuzen‹ und dreiseitigem roten Farbschnitt. Bis 1908 war der Band im Besitz des Berliner Justizrats und Straf­ verteidigers Dr. Erich Sello (1852–1912), der diesen zusammen mit anderen Hamann-Erstdrucken noch zu Lebzeiten an den Münchner Antiquar Julius Halle verkaufte.40 Das Exemplar trägt heute noch das Exlibris Sellos. Das Antiquariat J. Halle war ein bedeutendes jüdisches Antiquariat in München und auf Alte Drucke spezialisiert. SD1 war Teil der unverkäuflichen Privatsammlung »Deutsche Literatur« des Besit­ zers. Bei ihrem (unfreiwilligen) Verkauf 1935 bestand die Sammlung aus mehr als 500 Erstausgaben des 18. und 19. Jahrhunderts. SD1 war zu diesem Zeitpunkt allerdings schon nicht mehr Teil der Sammlung. Erst 1999 tauchte der Band wieder bei einer Auktion der Galerie Bassenge auf, ging in Privatbesitz und wurde 2019 von der Theodor Springmann Stiftung erworben. Vor dem Verschwinden des Bandes übersandte die Witwe Ida Halle 1932 auf Bitte der Königsberger Gelehrten Gesellschaft und unter Ver­ mittlung Ernst Schulte Strathaus’ SD1 zusammen mit W1 und fünf wei­ teren annotierten Erstdrucken Hamanns an den Insel Verlag, damit die Bände von der Deutschen Bibliothek in Leipzig photographiert werden könnten – für den Königsberger Hamann-Nachlass und als Grundlage für die Hamann-Werkausgabe Josef Nadlers. Die Photographien der sie­ ben Bände wurden von einem Leipziger Buchbinder zu zwei Sammel­ 40

Vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Reibold: Die Hamann-Sammlung von Julius Halle.

XXVI

Einführung

bänden gebunden. Nadler ließ sich für seine Arbeit in Wien wiederum Photographien der beiden Photo-Sammelbände anfertigen.41 Er ging in der Folge fälschlicherweise davon aus, dass es sich bei den sieben anno­ tierten Erstdrucken aus der Sammlung Halles um einen gebundenen Sammelband aus dem Vorbesitz von Hamanns Sohn Johann Michael handelte. In seiner Ausgabe (N II 383) trägt SD1 die Sigle B. SD2 – Bei SD2 handelt es sich um ein Exemplar der Denkwürdigkeiten mit eigenhändigen Annotationen Hamanns, das als erste Schrift eines Sammelbandes aus dem Vorbesitz Johann Gottfried Herders überliefert ist. Heutiger Aufbewahrungsort des Sammelbandes ist das Goethe-Museum Düsseldorf / Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stif­ tung; Signatur: Gc 1. Es handelt sich um einen Halblederband mit stark beriebenem braunem Papierüberzug und lädierten Lederecken, ohne Farbschnitt. Auf dem Rücken trägt der Band den geprägten Titel: »Der Socratische Philolog«. Auf dem zweiten Vorsatzblatt findet sich eine Authentifizierungsnotiz Herders von etwa 1765: »Die geschriebenen Anmerkungen sind von der Hand des Verfassers.« sowie eine spätere Besitzeintragung Johann Georg Müllers: »Joh. Georg Müller / 1804. / Aus des sel. Herders Bibl.«. Auf der Versoseite des Blattes findet sich von Herders Hand ein Verzeichnis der in dem Band enthaltenen Tex­ te.42 Mitte der 1760  er-Jahre ließ sich Herder den Band in Riga binden. Die handschriftlichen Annotationen wurden von Hamann vor der Bin­ dung des Sammelbandes 1764 in Königsberg vorgenommen. An weni­ gen Stellen sind Annotationen durch den anschließenden Beschnitt des Bandes teilweise verloren gegangen. Die Vervollständigung der beschnittenen Marginalie von SD2 erfolgte innerhalb der Edition mit 41

Diese sind in Band 117 und Band 118 des Hamann-Nachlasses der ULB Münster überliefert. 42 »Sokratische Denkwürdigkeiten, 1759 / Wolken. 1761. / Essais à la Mosaique. 1762. / Kreuzzüge des Philologen. 1762. / Treuherziges Schreiben eines Laien­ bruders im Reich an den Magum in Norden, 1762. / Hamburgische, Göttingische u. Berlinische Beurtheilung der Kreuzzüge. 1763. / 5 Hirtenbriefe das Schul­ drama betr. 1763. / Schriftsteller und Kunstrichter, geschildert in Lebensgrösse. 1762. / Leser und Kunstrichter nach perspektivischem Unebenmaasse.«. Interes­ santerweise wurden bei der Bindung des Bandes (beabsichtigt oder unbeabsich­ tigt) das Treuherzige Schreiben und die Beurtheilung der Kreuzzüge zwischen die dritte (Magi) und vierte Schrift (Klaggedicht) der Kreuzzüge gefügt.

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

XXVII

grauer Schriftfarbe. Die Annotationen gleichen denen von SD3 (betrifft SD 13/7, 13/10 u. 21/27). Von 1923 bis 1930 war der Sammelband wie SD1 Teil der Sammlung »Deutsche Literatur« von Julius Halle in München, vgl. dazu SD1.43 1930 kaufte Anton Kippenberg auf Vermittlung Ernst Schulte Strathaus’ den Band von der Witwe Ida Halle für seine umfangreiche Goethe-Samm­ lung. Nach seinem Tod wurde die Sammlung 1953 von Kippenbergs Töchtern in das Goethe-Museum Düsseldorf überführt, wo der Band heute noch liegt. In der Ausgabe Nadlers (N II 383) trägt SD2 die Sigle A. SD3 – Bei SD3 handelt es sich um ein Exemplar der Denkwürdigkeiten mit abschriftlichen Randbemerkungen von der Hand Johann Georg Müllers, das als erste Schrift eines Sammelbands aus dem Vorbesitz desselben überliefert ist. Heutiger Aufbewahrungsort ist die Stadtbi­ bliothek Schaffhausen; Signatur: Cc 37. Der Band trägt den Titel: »Der sokratische Philolog« und umfasst insgesamt zwölf Schriften Hamanns. Die Annotationen stimmen mit jenen von SD2 weitgehend überein; es handelt sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit um direkte Abschrif­ ten von SD2. Gelegentlich hat SD2 eine ausführlichere Stelle als SD3; der umgekehrte Fall kommt nicht vor. Hingegen lässt sich bspw. auf S. 17 u. 30 des Erstdrucks erkennen, dass der Beschnitt von SD2 vermutlich vor der Abschrift SD3 vorgenommen wurde, da dort die vollständige Annotation zu finden ist, während diese bei SD2 beschnitten wurde (vgl. SD 13/7, 13/10 u. 21/27). Die Abweichungen von SD3 gegenüber SD2 werden in der Edition nicht gesondert aufgelistet. SD4* – Bei SD4* handelt es sich um mindestens drei nicht mehr überlieferte autograph annotierte Exemplare der Denkwürdigkeiten, die sich zum Teil aus der Edition Friedrich Roths und Gustav Adolph Wieners von 1842 rekonstruieren lassen.44  Wiener berichtet kursorisch in seinem Vorwort (S. V) von den ihm zur Verfügung stehenden anno­ tierten Exemplaren der Denkwürdigkeiten. Er hebt dabei besonders ein »durchschossenes, reichbeschriebenes Exemplar« hervor, das Hamann wohl als eine Art Handexemplar diente. Aus diesem stammen wahr­ scheinlich die meisten der unter SD4* aufgeführten Annotationen. ­Darüber hinaus standen Roths und Wieners Edition vermutlich noch 43

Vgl. zum Weg des Sammelbands ausführlich, allerdings mit einigen Ungenauig­ keiten, Schulte Strathaus: Der sokratische Philolog. 44 R II 1–50 sowie R VIII ,1  21–66.

XXVIII

Einführung

zwei weitere, während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangene annotierte Exemplare zur Verfügung: ein zuletzt in der Landesbiblio­ thek Bonn aufbewahrtes Exemplar (zusammengebunden mit Wolken; ehem. Sign.: Fa 713) sowie ein weiteres der Staats- und Universitätsbib­ liothek Königsberg (zusammengebunden mit Wolken und Essais; ehem. Sign.: Sa 1 (g)).45 Annotierte Exemplare der Wolken

W1 – Bei W1 handelt es sich um ein nur in Photographien überliefertes

Exemplar der Wolken mit eigenhändigen Annotationen Hamanns. Im Original handelte es sich um ein Einzelbändchen, dessen Existenz bzw. Aufbewahrungsort seit 1932 unbekannt ist. Die Photographien von W1 werden gegenwärtig in der ULB Münster aufbewahrt (N. Hamann, Bd. 118). Wie SD1 war W1 Teil der Sammlung Sellos, der den Band zusammen mit anderen Hamann-Erstdrucken 1908 an den Münchner Antiquar Julius Halle für dessen Privatsammlung »Deutsche Literatur« verkauf­ te.46 1935, bei der Zwangsschließung des Antiquariats, war W1 bereits nicht mehr Teil der Sammlung. Möglicherweise wurde W1 1984 bei Hauswedell versteigert.47 Vor dem Verschwinden des Bandes übersandte die Witwe Ida Halle 1932 W1 zusammen mit SD1 und fünf weiteren annotierten Erstdrucken Hamanns zwecks Reproduktion nach Leipzig. In der Deutschen Bücherei wurden Photographien der sieben Bände angefertigt und diese sodann zu zwei Sammelbänden gebunden. Nadlers Photographien dieser Pho­ tographien (s. o. zu SD1) werden in der ULB Münster aufbewahrt;48 die 45

Vgl. Nadler: Die Hamannausgabe, S. [214]. 46 Vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Reibold: Die Hamann-Sammlung von Julius Halle. 47 Hauswedell: Auktion 252, Nr. 1351. Im Auktionskatalog wird vermerkt, dass in dem auktionierten Exemplar »10 Blätter im Rand ausgebessert« seien und sich auf der Titelrückseite ein »Stempel« befinde. In W1 sind genau zehn Seiten hand­ schriftlich annotiert und mit dem »Stempel« könnte das Exlibris Sellos gemeint sein, das auch noch in SD1 zu finden ist. Leider ist im Katalog auf Tafel 100 ledig­ lich das Titelblatt der Wolken abgebildet, das keine spezifischen Merkmale auf­ weist, die eine eindeutige Identifikation des Exemplars ermöglichen k­ önnten. 48 Diese sind in Band 117 und Band 118 des Hamann-Nachlasses der ULB Münster überliefert.

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

XXIX

ursprünglichen Photographien sind mit dem Königsberger HamannNachlass verloren gegangen. Nadler ging fälschlicherweise davon aus, dass es sich bei den sieben annotierten Erstdrucken aus der Sammlung Halles um einen gebundenen Sammelband aus dem Vorbesitz von Hamanns Sohn Johann Michael handelte. In seiner Ausgabe (N II 383 bzw. 395) trägt W1 die Sigle B. W2 – Bei W2 handelt es sich um ein Exemplar der Wolken mit eigen­ händigen Annotationen Hamanns, das als zweite Schrift eines Sam­ melbandes aus dem Vorbesitz Johann Gottfried Herders überliefert ist. Heutiger Aufbewahrungsort des Sammelbandes ist das GoetheMuseum Düsseldorf /Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung; Sig­ natur: Gc 1. Zur Beschreibung des Sammelbandes siehe ausführlich SD2. Der Buchblock von W2 misst 162 × 90 mm, der Satzspiegel 116 × 60 mm; die Stege sind ca. 15 mm Innen, 14 mm Außen, 14 mm am Kopf und 32 mm am Fuß der Seite breit. Es handelt sich um viereinhalb Bogen im Oktavformat, insgesamt 72 Seiten. Die handschriftlichen Annotationen in W2 wurden von Hamann vor der Bindung des Sammelbandes 1764 in Königsberg vorgenommen. An wenigen Stellen sind Annotationen durch den anschließenden Beschnitt des Bandes teilweise verloren gegangen. Die Vervollständi­ gung der beschnittenen Marginalie von W2 erfolgte innerhalb der Edi­ tion mit grauer Schriftfarbe (betrifft W 63/11 u. 73/4). Von 1923 bis 1930 war der Sammelband wie SD1 Teil der Sammlung »Deutsche Literatur« von Julius Halle in München.49 1930 kaufte Anton Kippenberg auf Vermittlung Ernst Schulte Strathaus’ den Band von der Witwe Ida Halle für seine umfangreiche Goethe-Sammlung. Nach sei­ nem Tod wurde die Sammlung 1953 von Kippenbergs Töchtern in das Goethe-Museum Düsseldorf überführt, wo der Band heute noch liegt. In der Ausgabe Nadlers (N II 383 bzw. 395) trägt W2 die Sigle A. W3* – Bei W3* handelt es sich um mindestens drei nicht mehr über­ lieferte autograph annotierte Exemplare der Wolken, die sich zum Teil aus der Edition Friedrich Roths und Gustav Adolph Wieners von 1842 rekonstruieren lassen.50 In seinem Vorbericht (S. V) hob Wiener beson­ 49

Vgl. zum Weg des Sammelbands ausführlich, allerdings mit einigen Ungenauig­ keiten, Schulte Strathaus: Der sokratische Philolog. 50 R II 51–102 sowie R VIII ,1  66–82.

XXX

Einführung

ders ein »durchschossenes, reichbeschriebenes Exemplar« hervor, das Hamann wohl als eine Art Handexemplar diente. Aus diesem stammen wahrscheinlich die meisten der unter W3* aufgeführten Annotationen. Darüber hinaus standen Roths und Wieners Edition vermutlich noch zwei weitere, während des Zweiten Weltkriegs verloren gegangene annotierte Exemplare zur Verfügung: ein zuletzt in der Landesbiblio­ thek Bonn aufbewahrtes Exemplar (zusammengebunden mit Denkwürdigkeiten; ehem. Sign.: Fa 713) sowie ein weiteres der Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (zusammengebunden mit Denkwürdigkeiten und Essais; ehem. Sign.: Sa 1 (g)).51 Nicht ediert wird das apograph annotierte Exemplar der Denkwürdigkeiten, das die Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University in New Haven aufbewahrt. Die umfangreichen Randnotizen stammen vermutlich vom Göttinger Juristen Georg Heinrich Oester­ ley, dem Älteren (1758–1825).52 Es handelt sich bei diesen mit großer Sicherheit nicht um Abschriften (nicht überlieferter) Hamann’scher Annotationen (wie im Fall von SD3), sondern um Lektürespuren eines bemühten Lesers. In einer Annotation auf S. 26 wird »Haman« sogar als Autor genannt. Möglicherweise handelt es sich bei dem Exemplar um jenes, das 1935 bei Karl und Faber aus der Bibliothek von Franz Gustav Messow in Aachen auktioniert wurde53 und das laut Nadler später im Besitz von Johann Hammer in Aachen war.54 Ein weiteres interessantes zeitgenössisches Rezeptionsdokument sind Johann Friedrich Kleukers achtseitige handschriftliche Zusammenfassung und Erläuterungen der 51

Vgl. Nadler: Die Hamannausgabe, S. [215]. 52 Die datierte Eintragung auf der Titelrückseite weist diesen jedenfalls 1781 als Besitzer des Bändchens aus. Die Notizen stammen von der gleichen Hand wie die Besitzeintragung. 53 Karl-und-Faber: Katalog Nr. 12, Nr. 998. 54 Vgl. N II 383 sowie die überlieferten Photographien des Bandes in der ULB Münster, N. Hamann, Bd. 77. Falls es sich tatsächlich um das gleiche Exemplar handelt, weist der Auktionskatalog von Karl und Faber die Annotationen (wohl) fälschlich als »Anmerkungen nach Hamann von Cramers Hand« aus; Nadler wiederholt lakonisch in seiner Ausgabe, dass es sich um abschriftliche Anno­ tationen handle, von welcher Hand lässt er offen. Nach eingehender Prüfung der Randbemerkungen erscheint es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass die Anmerkungen von Friedrich Cramer und nicht von dem genannten Oesterley stammen; auf Hamann gehen sie sicher nicht zurück.

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

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Denkwürdigkeiten, die innerhalb seines Nachlasses in der UB Kiel über­ liefert sind.55 Nicht ediert wird ebenfalls ein kurioses Zeugnis von Hamanns spä­ ter Rezeption des eigenen Textes, das auf Bitten der Fürstin Gallitzin in Münster entstand: ein Versuch zur Erläuterung einzelner Stellen der Denkwürdigkeiten. Er gab das Unternehmen aber wohl schnell nach mehreren Ansätzen zum »Tempel der Gelehrsamkeit« (SD 14/1 ff.) auf. Der als Photographie56 überlieferte Entwurf entstand kurz vor Hamanns Tod 1788. Kommentar und dessen Prinzipien

Hamanns Texte bedürfen einer ausführlichen Kommentierung. Der hier vorgelegte Kommentar kann sich auf frühere Arbeiten stützen, insbesondere zu den Denkwürdigkeiten, für welche Friedrich Roth und Gustav Adolph Wiener,57 Fritz Blanke,58 Sven-Aage Jørgensen59 und James C. O’Flaherty60 wichtige Informationen zusammengetragen haben. Für den Dritten Aufzug der Wolken hat Martin Seils61 einen ers­ ten Kommentar erstellt. Zudem kamen im November 2019 auf Initiative der Herausgeber die Hamann-Forscher:innen Eric Achermann, Gregor Babelotzky, Oswald Bayer, Anne Bohnenkamp, Tilman Borsche, Kon­ rad Bucher, Sina Dell’Anno, Hans Graubner, Peter Heßelmann, Peter Klingel, Annelen Kranefuss, Johannes von Lüpke, Sabine Marienberg, Joachim Ringleben und Harald Steffes in Münster zusammen, um sich an drei Tagen bei einem Kleinen Hamann-Kolloquium intensiv mit den Wolken auseinanderzusetzen. Viele der nun vorliegenden Kommentar­ einträge haben ihren Nucleus in diesem fruchtbaren Gespräch. Die in der Hamann-Forschung anerkannte Besonderheit von Hamanns Dialogizität62 zeichnet sich durch eine enorme Fülle an zu 55 UB Kiel, Sign.: Cod. M.S. 76. 56 ULB

Münster, N. Hamann, Kapsel II ,24. Eine grobe Transkription des Entwurfs gibt R VIII ,1  21–23. 57 R II 51–102 sowie R VIII ,1  66–82. 58 HHE II . 59 Jørgensen. 60 O’Flaherty: Hamann’s »Socratic Memorabilia«. 61 Hamann: Entkleidung und Verklärung, S. 163–176. 62 Reuter: Autorschaft als Kondeszendenz, S. 104–111; bes. zu den Wolken siehe Boh­ nenkamp-Renken: Offenbarung im Zitat.

XXXII

Einführung

berücksichtigenden Kontexten aus. Für die Möglichkeit, den ›diskursi­ ven Ermöglichungsraum‹ eines historischen Werks kennenzulernen,63 mag aber die Hoffnung auf Fortschritt berechtigt sein. Diese Aufgaben­ stellung dominiert hier gewiss über diejenige, den Text Hamanns zu deuten. Die viel beschriebene Art von Hamanns Anspielungs- und Zitatcol­ lagen macht die Kommentierung zuweilen zu einem Ratespiel; auch, weil Hamanns Anspielungen selten verraten, ob ihnen eine tiefgrün­ dige oder oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstand zugrundeliegt. Schon die Selbstbeschreibung bewegt sich zwischen der Vision des Lesens als Schwimmen oder Tauchen (SD 12/11) und der Betonung der »seichte[n] Oerter« (W 70/26). Da aber ohnehin keine Auto(r)inszenierung dem Kommentator Entscheidungen abnehmen kann, ist es dessen eigener Teil, den Grad der Belesenheit des Autors (mit-) zu konstruieren. Die besteht nicht nur aus einer Liste von Buch­ titeln, sondern in der Kenntnis von deren Inhalt. Ist bspw. die lässige Geste, mit der Hamann auf die »Geschichts-Wissenschaft« von Johann Martin Chladenius verweist (SD 18/26), Beleg dafür, dass er sich mit ihr nicht intensiv beschäftigt habe? Es findet sich eine Briefstelle, die etwas mehr verrät, aber doch immer noch eher Fahrlässigkeit der Lektüre (vgl. Komm. zur Stelle).64  Warum aber sollte man in einer Publikation die eigene Fahrlässigkeit in die Welt posaunen (besonders SD 15/1–9)? Es gehört zu einer der Besonderheiten der verschiedenen Aufklärungs­ philosophien, einerseits die Beschränktheit der menschlichen Vernunft zu postulieren, ihr andererseits ziemlich viel zuzumuten. Dies Paradox dürfte mithin eine Motivation und Bedingung für Hamanns Werk gewesen sein. Zumindest ist die von ihm erzeugte Textur für das Ver­ stehen verunsichernd, das belegen zeitgenössische Reaktionen. Aber auch oder erst recht heutige Leser:innen sind genötigt, zur Deutung Sätze aus einer ganzen Menge von Texten zusammenzuklauben. Die zeitgenössische Verunsicherung oder Provokation wird in der vorliegenden Edition sichtbar in den Rezensionen der Denkwürdigkei63

Also die »Aussagen des Textes im Rahmen historischer und medialer Aussage­ möglichkeiten« zu unterscheiden lernen, so Zimmermann: Vom Kommentieren, S. 233. 64 Eine interessante Auslegung dieser Stelle liefert Hoffmann: Johann Georg Hamanns Philologie, S. 154–160.

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

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ten und der Wolken. Sichtbar wird an ihnen auch, dass ein damaliger Leser Hamann nicht einfach besser verstanden hat, weil er in derselben Zeit lebte und schrieb. Die Verunsicherung provoziert Kompensations­ mechanismen, bspw. Aggression (Ziegra) oder Besserwisserei (Men­ delssohn). Das zu wissen, ist auch heute hilfreich, um es sich zu erlau­ ben, die Texte Hamanns als befremdlich wahrzunehmen, anstatt sie sich mit stabilem Intertext allzu schnell vertraut zu machen. Anderer­ seits gehört es auch zu einem historischen Paradigma (vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts), die ästhetische Qualität eines Textes vor der wissenschaftlichen Durchdringung bewahren zu wollen, besorgt zu sein, dass sich fremdes Wissen parasitär an das Original anlagert.65 Die konkretisierende, Schriftstellen häufende Kommentierung geht in so manchem Fall über Hamanns Verständnis hinaus und suggeriert eine intellektuelle Auseinandersetzung, die so womöglich nicht stattgefun­ den hat. Ein bewährter Mittelweg zwischen den teils gegensätzlichen Anforderungen besteht darin, in der Gestaltung der wissenschaftlichen Arbeit eine gewisse Distanz zwischen Text und Kommentar herzustel­ len. Deswegen stehen in der vorliegenden Ausgabe Kommentar und Inhaltsbeschreibung nicht unter dem Text Hamanns oder auf sei­ nem doppelseitigen Gegenüber (wie bei HHE II oder Jørgensen), son­ dern – umständlicher in der Handhabe – in einem separaten Teil des Buchs. Die Kommentierung folgt des Weiteren diesen Prinzipien: 1. Sacherläuterungen sind in Zahl und Umfang gering gehalten; der Kommentar soll hierzu nicht die Benutzung von Lexika ersetzen, viel­ mehr war hier von Interesse, die Benutzung der Sache als Argument, also die topische Qualität, zu eruieren und in den Lektüren Hamanns nachzuweisen. Dennoch sollen die Sachinformationen genügen, um das Thema eines Satzes zu erkennen. Manche Sacherläuterungen fal­ len ausführlicher aus (vgl. bspw. zu SD 7/14 »Verwirrung in dem Münz­ wesen«): Meist spielen dafür historische politische Bedingungen eine Rolle, die für Hamanns Schreiben immense Bedeutung haben, teil­ weise in der Erforschung seines Werks aber noch unterbelichtet sind. 2. Dasselbe gilt für Begriffserklärungen, wobei sich hierbei sehr schnell Untiefen ergeben; die Wendung vom »platonische[n] Shaftes­ 65

So die Zuspitzung von Gumbrecht: Die Macht der Philologie, S. 82 f.

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Einführung

bury« (SD 12/1) birgt ein Riesenthema, das sich ein Leser, der nicht schon mit der Aufklärungsphilosophie vertraut ist, erschließen sollte. Der Kommentar bietet dazu zwar eine kurze Beschreibung, die aber eher als Sammlung von Schlagworten dient, die Anhaltspunkte für die weitere Erschließungsarbeit bieten. Für die »Einbildungskraft« bspw. (SD 34/8) wird nicht der philosophische Hintergrund erläutert, sondern es werden einige Stellenhinweise aus dem Lektürehorizont Hamanns gegeben, welche die kontroverse Einschätzung dieses Potentials zeigen. 3. Lexikalische Erklärungen werden eher zurückhaltend gegeben; auch sie ersetzen nicht den Gebrauch eines Lexikons, um die »selbst­ verständliche historische Dialogizität der Sprache«66 zu untersuchen. Unser Kommentar informiert besonders dort, wo Missverständnisse nach heutigem Sprachgebrauch möglich sind oder wo eine historische Semantik zur Hand sein muss, um die einfache Satzbedeutung zu erschließen. 4. Hamanns Text wird nicht mittels Stellen aus seinem späteren Werk erläutert. Auch für die Parallelen in Briefen oder Manuskripten aus London empfiehlt es sich, Unterschiede und nicht nur Gleichklang aufzuspüren, um das Besondere des (nicht ersten, aber doch besonders stilisierten) Gangs in die Öffentlichkeit mit einem provokanten Text zu ergründen. 5. Der Kommentar soll einen zeitgenössisch möglichen Verste­ henshorizont zum Zeitpunkt der Publikation eruieren helfen. Auch Hamanns momentaner Produktionshorizont, die textgenetischen Ver­ hältnisse im Jahr 1759, in Bezug auf seine Erlebnisse wie auch Lektü­ ren, sollen maßgeblich sein für die Informationen und Intertexte, die der Kommentar als Lesehilfe zusammenträgt. Diese Konstruktion kann nicht eindeutig sein, sondern man muss mit unscharfen Rändern rech­ nen. Die Edition des Hamann’schen Textes erlangt dafür ein noch recht klares Ergebnis durch die Orientierung am Schriftträgerprinzip (s. o. zu den Editionsprinzipien); die Kommentierung ist dagegen sehr stark auf Vermutungen und Interpretationen angewiesen. Grenzen sind diesen eben mit der Heuristik des zeitgenössischen Horizonts gesetzt. 6. Die Denkwürdigkeiten wie die Wolken sind publizierte Texte, die Verstehensbedingungen müssen mit dem öffentlichen So-sein des auto­ 66 Zimmermann: Vom Kommentieren, S. 224.

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

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risierten und gedruckten Textes gegeben sein. Die Öffentlichkeit ist andererseits keine klare Entität und die Rezeption der Werke Hamanns ist von Beginn an geprägt von privatem und halb-privatem brieflichem Austausch. Mit dieser Ambivalenz muss man umgehen: Die Zuschrift »An die Zween« bspw. ist für Christian Ziegra in Hamburg als Adres­ sierung an Johann Christoph Berens und Immanuel Kant nicht lesbar gewesen, weil der Druck der Denkwürdigkeiten diese Information nicht enthält und auch nicht jemandem suggerieren kann, der nicht mit den Königsberger Cliquen vertraut ist. Man erfährt es aber in der vorliegen­ den Ausgabe wie in früheren auch. Dies aber allein schon deswegen, weil handschriftliche Notizen Hamanns diese Leerstellen bereits tilg­ ten. Es bleibt dann letztlich weiterhin eine Aufgabe des Interpreten, Verstehensmöglichkeiten zu unterscheiden. 7. Für den intimen Verstehenshorizont sind thematische Parallel­ stellen in den Londoner Schriften (LS) und im Briefwechsel vor den Publikationen der Denkwürdigkeiten und der Wolken maßgeblich. Sie bildeten vor allem auch für die tatsächlich vertrauten Leser, Freunde in Königsberg und Riga, einen Intertext. Solche Nähe braucht man sich heute, trotz des Zugriffs auf die private Korrespondenz, nicht einzu­ bilden. Wir wissen bspw. letztlich sehr wenig darüber, was Hamann in London widerfahren ist, was seine Zukunftspläne im Jahr 1759 waren usw. Überdies mögen Parallelstellen Kontinuität suggerieren; dagegen wäre es allerdings eine wichtige Aufgabe, die Differenzen zwischen den privaten Biblischen Betrachtungen (LS) und dem publizierten Werk zu untersuchen. Verkleidung, dieser von Hamann gepflegte autopoieti­ sche Topos, bedeutet nicht, dass irgendwo die entkleidete Idee lesbar wäre; vielmehr zeugt die Form erst etwas. 8. Hamann bediente sich für die Denkwürdigkeiten verschiedener Quellen für das Leben und die Bedeutung von Sokrates (vgl. das Kapitel Hamanns Sokrates-Quellen). Stellennachweise werden für Charpentier, Brucker, Cooper, Heumann und Zedlers Universallexicon geliefert. Mit dieser Sammlung sind so etwas wie das Standardwissen und auch der common sense zu Sokrates repräsentiert. Vor allem aber sind dies die von Hamann benutzten Werke. Für belegende Zitate wird zuerst Char­ pentier benutzt, der für Hamanns Niederschrift wohl primär gedient hat. Aus den anderen Werken wird zitiert, wenn sie spezifische Bezüge aufweisen. Für die unzähligen Indienstnahmen des griechischen Philo­

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sophen bei weiteren Autoren, wie Montaigne, Erasmus von Rotterdam, Rousseau usw. sind klar plausibel zu machende Bezüge (was selten genug der Fall ist), zuweilen auch nur wahrscheinliche notiert. 9. Für direkte lateinische, griechische oder hebräische Zitate gibt der Stellenkommentar den heute wissenschaftlich gültigen original­ sprachlichen Wortlaut sowie eine deutsche Übersetzung an; es wurde versucht, Hamanns Abweichungen daraufhin zu prüfen, ob sie auf die ihm vorliegenden Ausgaben zurückgehen. Hamann beherrschte das Griechische und Hebräische nicht sonderlich gut, meist sind Abwei­ chungen also seine Schreibfehler – das betrifft vor allem die hand­ schriftlichen Notizen. Diese orthographischen ›Fehler‹ werden im edi­ torischen Part nicht emendiert, stattdessen bietet der Kommentar dem/ der Leser:in die Möglichkeit einer selbständigen ›Korrektur‹. 10. Sofern bei einer Anspielung nicht nachweisbar ist, dass Hamann fremdsprachigen Originaltext studiert hat, wird bei der Kommentie­ rung eine deutschsprachige Übersetzung für Stellenangaben zugrunde ­gelegt. Sofern nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen je aus der in der Bibliographie angegebenen deutschsprachigen Aus­ gabe des Textes. Wird der/die Übersetzer:in im Kommentar genannt, handelt es sich um eine unpublizierte Übersetzung, die eigens für den Kommentar erstellt wurde. 11. Aus platz-ökonomischen Gründen werden im Stellenkommentar für Zitate aus der oder Anspielungen auf die Bibel nur Stellenverweise gegeben. Die Briefe Hamanns werden nur in kleinen Ausschnitten zitiert oder es wird nur auf sie verwiesen, da sie in der Online-Edition HKB leicht nachzulesen sind (hamann-ausgabe.de). 12. Bei Zitaten werden Auszeichnungen nicht wiedergegeben (betrifft bspw. HKB oder LS. Die mit [ ] markierten aufgelösten Abkür­ zungen von LS wurden im Fließtext ohne eckige Klammern übernom­ men). 13. Der Kommentar bietet einerseits die von den Herausgebern verfassten Stellenkommentare (= Komm.), andererseits die lediglich sekundär überlieferten handschriftlichen Annotationen aus SD4* und W3* (= Annot. bzw. Umarb.). Am Anfang jedes Kommentareintrags wird kenntlich gemacht, ob es sich um einen Stellenkommentar oder eine Annotation bzw. Umarbeitung aus SD4*/W3* handelt (zu deren Editions­prinzipien vgl. S. XXVIII u. XXX). Im Fall annotierter Zitate

Textträger, Editions- und Kommentarprinzipien

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wurde jeweils die Stellenangabe sowie eine deutschsprachige Überset­ zung in spitzen Klammern von den Herausgebern hinzugefügt. 14. Die hier in der Einführung gegebene Paraphrase bzw. Inhalts­ beschreibung der Denkwürdigkeiten und der Wolken (S. LXX–CX) ist genauso wie andere solche Versuche, bspw. in der Schriftenreihe HHE, riskant. Zur Reduktion der inhaltlichen Fülle dieser doch eigentlich so kurzen Texte Hamanns werden Entscheidungen getroffen, die schnell korrigiert werden müssen, wenn man einen anderen Schwerpunkt setzt. Es wurde versucht, auf den Behelf durch Parallelstellen aus anderen Texten Hamanns zu verzichten. Das hat den Vorteil, dass eine Schwäche dieser Texte spürbar wird: Sie können kaum allein bestehen. Sie sind insofern dialogisch,67 als fremder Text hinzugezogen werden muss, damit eine einigermaßen kohärente Lektüre zustande kommen kann. Solche sehr verstrickende Dialogizität ist eine monologisch von Hamann hergestellte – die dabei waltende Willkür, die sich für jedes Gespräch verbietet, sollte bei einer Interpretation berücksichtigt wer­ den. Unter allen Schriften Hamanns ist die Bibel als Intertext, als Buch der Bücher anzutreffen. Diese gewissermaßen auswendige Sinn­ dimension ist ein wichtiger Grund dafür, dass Hamanns Werk heute kulturell immer fremder wird. Außerdem kann man auch für den zeit­ genössischen Verstehenshorizont schon behaupten, dass Hamann die Möglichkeit des Auswendigen so sehr ausreizt, dass er den Imperativ der Artikulation unterläuft. Er lässt die Sätze und Wendungen anderer sprechen, dirigiert sie aber. Für Hamanns Lektüren ist das Jahr 1760 sehr bedeutsam, weil er hier beginnt, ein philologisches Gespür und Interesse auch für Texte alter, toter Sprachen zu etablieren – wenn auch weiterhin laienhaft. Der Charakter der Zitate, Anspielungen und Para­ phrasen verändert sich damit. Das wird erst bei den Kreuzzügen des Philologen (1762) voll zum Tragen kommen. In den Denkwürdigkeiten ist die Sammlung des Fremdtexts stärker noch an Positionen, Ideen, Meinungen orientiert. Die Wolken bilden ein Scharnier, die Collagen werden dichter, das Wortmaterial als sinnliches tritt noch stärker her­ vor, die Sprache wird heterogener. Das kann dazu führen, dass der Intertext einfacher nachweisbar wird, weil sehr spezifische Gedan­ ken oder originäres Vokabular eine Rolle spielen. Andererseits ist die 67 Beetz: Dialogische Rhetorik und Intertextualität, S. 79

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›mimische‹ Arbeit Hamanns, das Nachahmen einer fremden Rhetorik oder Lexik, auch dann noch eine stete Herausforderung – schon gar in Bezug auf die Frage, ob er affirmativ, ablehnend, kritisch oder schlicht fasziniert sein Spiel treibt. Unter diesen Bedingungen versucht die Inhaltsbeschreibung eher Vorschläge zur Strukturierung von Textteilen zu machen; doch schon dafür muss deren Thema und Sinndimension festgelegt werden. Die rhetorische Komposition, die Erzeugung eines Zusammenhangs, d. h. auch die Künstlichkeit des Naheliegenden, soll­ ten betont werden.

Biographischer und zeithistorischer Hintergrund Karriere im Handel? Hamanns London-Reise im Siebenjährigen Krieg

1759 herrscht seit drei Jahren Krieg, nicht nur in Preußen oder Mittel­ europa, sondern auf der ganzen Welt. Hamanns Erlebnishorizont dies­ bezüglich ist nicht provinziell. Er reist in den spannungsreichen Mona­ ten von Oktober 1756 bis April 1757 von Preußen, u. a. über Hamburg und die Niederlande, nach London und kehrt im Juli 1758 nach Riga zurück. Hamanns Briefe vermitteln allerdings nur wenige Eindrücke vom Erleben dieser Umstände. Vielleicht war es zu unsicher, brieflich hierüber zu berichten. Es ist durchaus möglich, dass die Überwachung des Briefverkehrs68 auch ein Grund dafür ist, dass Hamanns Korrespon­ denz so wenig über das verrät, was sein Schicksal in den Jahren 1757/58 gewesen ist. Im Oktober 1756 bricht er erstmals gen Westen auf, raus aus dem ostpreußischen Raum, zunächst nach Berlin. Ein Brief von dort ist überliefert und berichtet von illustren Bekanntschaften, auch Mendelssohn zählt dazu.69 Die Reise begann also vielversprechend: Sie war die Chance in einem Leben, das nicht unbedingt gute Voraussetzungen für eine Kar­ riere bot. Die Herkunft aus dem Haushalt eines Baders und Wundarztes in Königsberg war vielleicht respektabel in der Königsberger Bürger­ schaft, randständig war sie allemal, Türen zu lohnenswerten Posten 68 Kohnen:

Ostpreußisch-russische Wechselbeziehungen, S. 341; Beyrer: Die Schwarzen Kabinette der Post, S. 58. 69 HKB 106 (I 233 f., 10.  10.  1756, an den Bruder).

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öffnete sie nicht. Warum Hamann das 1746 begonnene Studium nicht abschloss,70 ist nicht bekannt, aber damit waren auch die entsprechen­ den Laufbahnen, vor allem die kirchlichen und juristischen, verschlos­ sen. Die zwei Anstellungen als Hauslehrer, die Hamann 1754–56 bei livländischen Adligen innehatte, waren allerdings auch typisch für jemand, der eine akademische Karriere anstrebte, aber noch zuwar­ ten musste auf eine Gelegenheit, sich auf eine entsprechende Stelle zu bewerben. Die Zeit solcher Anstellungen konnte genutzt werden, um weiter zu studieren und korrespondierend Kontakte zu knüpfen. Hamann baut eine umfangreiche Lektüre- und Exzerptpraxis aus, im Austausch mit seinem jüngeren Bruder und dem besten Freund Johann Gotthelf Lindner. Der Eifer der Bücherbeschaffung und Aneignung der europäischen, vor allem französischen und englischen Gelehrsamkeit und Literatur deutet darauf hin, dass er in dieser zurückgezogenen Zeit schon so etwas wie eine publizistische Karriere im Sinn hat.71 Den wichtigsten Kontakt für karrieristische Fragen hatte Hamann schon seit der Studienzeit: Johann Christoph Berens. Zusammen mit weiteren Freunden hatten sie die Zeitschrift Daphne produziert, die sich dem noch relativ jungen Trend zu moralischen Wochenschriften anschloss, in Königsberg aber die erste ihrer Art war.72 Berens, Spröß­ ling eines reichen rigaischen Handelshauses, empfahl nach seiner standestypischen Europareise gewiss die Beschäftigung mit ökonomi­ scher Theorie und Empirie als Schlüssel für das Verständnis der Gegen­ wart, wohl auch als Schlüssel für beruflichen Erfolg – und Hamann 70

Theologie belegte er wohl nur drei Semester (Tschackert: J. G. Hamanns Universitätstudien), danach eine Weile Rechtswissenschaften, bis er sich eher mit Literatur und Philologie beschäftigte. Zu den fachlichen Interessen und Unzu­ länglichkeiten siehe Hamanns Gedanken über meinen Lebenslauf, LS 321–324, und Hoffmann: Johann Georg Hamanns Philologie, S. 32–37. 71 Zu den Exzerpten, ihrem Charakter zwischen Philologie, Polyhistorismus und galantem Witz, siehe Hoffmann: Johann Georg Hamanns Philologie, bes. S. 50–60. 72 Die Zeitschrift Daphne war als eine von Frauen betriebene Publikation insze­ niert; wie viele Frauen aber tatsächlich mitgearbeitet haben, ist nicht bekannt. Es erschienen 1749/50 60 Stücke, im Umfang eines Bogens. Einen Nach­ druck hat Joseph Kohnen besorgt: »Daphne«. Nachdruck der von Johann Georg Hamann, Johann Gotthelf Lindner u. a. herausgegebenen Königsberger Zeitschrift (1749–1750). Einige Beiträge, für die Josef Nadler die Verfasserschaft Hamanns annahm, sind abgedruckt in: N IV 13–34.

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scheint das zunächst nicht anders gesehen zu haben:73 Des Herrn von Louis-Joseph Plumard de Dangueil Anmerkungen über die Vortheile und Nachtheile von Frankreich und Grossbritannien in An­sehung des Handels [...] erschien 1756, eine Übersetzung Hamanns mit einem Nachwort.74 Die Ausrichtung ist populär: gefragt wird nach demjenigen Stand, der die Elite der Gesellschaft bilde. Und daran anschließend, ob der Adel Handel treiben solle, um noch Elite sein zu können. Ein Buch dazu versprach guten Absatz.75 Der Einsatz einer bürgerlichen Moralvorstellung ist intellektuell zwar noch mit Shaftesburys ›sensus communis‹ abgesichert – was ver­ mutlich auch die Motivation impliziert, vom Lesesessel aus den Sprung ins kalte Wasser praktischer Tätigkeit zu wagen und sich verdient zu machen76 – und impliziert sowohl soziale Umwälzung als auch Stabi­ lisierung; die Beylage Hamanns verficht diese Dynamik ökonomischer Vernunft nach privat­wirtschaftlichem Verständnis. Die freie handels­ ökonomische Interaktion in und zwischen Gesellschaften lässt eine Balance unabhängig von ideologischen Zielsetzungen erwarten.77 Die Fixierung auf den Kaufmannsstand neigt allerdings ihrerseits dazu, wieder eine aristo­kratische Struktur zu befördern. Hamann nennt das »Familiensucht«, wenn bspw. bestimmte Handelsfamilien durch Kapi­ tal- und Privilegien­vererbung Dynastien bilden.78 73

Schließlich bewarb er sich bei den Berens um eine Anstellung, vgl. HKB 80 & 81 (I 208–210, an A. Berens), dazu Graubner: Spätaufklärer im aufgeklärten Riga, S. 521. 74 Zu Hamanns Quellen für seine ökonomischen Ausführungen siehe Meineke: »Die Vortheile unserer Vereinigung«, S. 53–70; Achermann: Worte und Werte, S. 176  f., 235, 255 u. ö. 75 Tatsächlich wurde es auch ausführlich besprochen: Vermischte Abhandlungen und Urtheile über das Neueste aus der Gelehrsamkeit (Tl. 7, 1758), S. 32–69. 76 Vgl. Deupmann-Frohues: Komik und Methode, S. 219. Zu Shaftesburys Orien­ tierung des moralischen Sinns an einem öffentlich messbaren Verdienst vgl. Schuck: Verinnerlichung der sozialen Natur, S. 54. Zu Hamanns Lektüre des Werks vgl. Meyer: Hamann und Shaftesbury. 77 N IV 231/7–25. 78 Hamanns Beylage enthält eine, wohl erfundene, vertrauliche Familienerzäh­ lung – gemeint ist vmtl. die Familie Berens –, die das Dynastische durchaus stili­ siert, wenn auch als Möglichkeit, bürgerliche Tugenden zu tradieren (N IV 239 f.): »Solche Familien sollte man nicht untergehen lassen, sondern vielmehr aufmun­ tern, auszeichnen, vorziehen, damit der Geist darin nicht sterblich würde«. Die

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Eng mit diesen finanzpolitischen Konzepten und Strategien ver­ knüpft, weil das Wesen des Kredits – seine Basis auf Glauben und Vertrauen – betreffend, ist der aus der Perspektive des Moralisten for­ mulierte Anspruch, dem ein Kaufmann genügen müsse: »Die Tugend eines Kaufmanns sollte sich also zu seinem guten Namen wie die Waare zur Münze verhalten.«79 Der Vergleich findet sich mit sprachtheoreti­ scher Betonung in den Denkwürdigkeiten wieder (SD 30/1–4), in den Wolken wird die Beurteilung der Person dann eher ironisch empfohlen (W 64/5). Die Erziehung des Kaufmanns zum tugendhaften Bürger, also die Aufgabe, für die jemand wie Hamann sich eine gesellschaftliche Rele­ vanz erhoffen kann – als Läuterung taucht das Ansinnen in den Wolken wieder auf (W 76/12–14) –, bedeutet Disziplinierung zur Orientierung am Gemeinwohl. Als Kontrastfolie setzt Hamann den »Actienhandel« der geistlichen Würdenträger, also das alte Thema des Priesterbetrugs mittels der Illusion von einem ewigen Leben der Seele.80 Dieser von Hamann in der Beylage dargestellte bürgerliche Stolz und Fleiß einer stoisch entsagenden Haltung geht einher mit einer besonderen »Ehr­ furcht« vor dem »Wort Publikum«,81 also einer Sorge um die öffentliche Reputation. Dass diese dem Autor trotz des Modethemas der Beylage verwehrt blieb, lag wohl auch am Königsberg Verleger Petersen, der das Projekt ökonomisch und organisatorisch nicht effektiv distribuieren konnte, wie andere Projekte auch, etwa Kants Allgemeine Naturgeschichte. Die Reise nach London versprach eine erneute Möglichkeit, sich auszu­ starke Abhängigkeit des Textes von Berens betont auch Koepp: Der Magier unter Masken, S. 45. 79 N IV 236/10 f. Vom öffentlichen Kredit ist ebd. 235/29 die Rede. Dazu außerdem Meineke: »Die Vortheile unserer Vereinigung«, S. 66 f. Ausführlich zum sowohl ökonomiegeschichtlichen wie auch zeichentheoretischen Hintergrund: Acher­ mann: Worte und Werte. 80 N IV 233/15–28. Hamann versucht bis Ende 1758 diese sozialpolitischen Ideen in den Unterricht seiner ihm früher als Hauslehrer anvertrauten landadligen Zöglinge zu tragen. Siehe Brief HKB 120 (I 260–262, 4.  10.  1758) an Peter Chris­ toph Baron von Witten, dem er anscheinend das provokante Werk von Gabriel François Coyer: La noblesse commerçante zu lesen gegeben oder ihm daraus refe­ riert hatte. 81 N IV 239/36. Vgl. Baur: Johann Georg Hamann als Publizist, S. 258  f.

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zeichnen. Für das in Riga ansässige Familienunternehmen des Hauses Berens hatte die seit 1756 in ganz Mitteleuropa dominierende Kriegs­ wirtschaft besondere Bedeutung: Die Koalition zwischen Preußen und England stellte das Handelsverhältnis zwischen Russland und England in Frage. Für das Anliegen der Geschäftsleute in Riga, den Ostsee-Han­ del weiter zu betreiben, und zwar ohne Extrazölle und Verzögerungen, standen die Chancen aber von vornherein gut, da es beiderseits kein Interesse daran gab, dem einträglichen Verhältnis zu schaden. Die Bestimmungen der bis dahin geltenden Verträge wurden auch letztlich aufrecht erhalten – schon im März 1757 war das geklärt.82 In dieser internationalen Konstellation ist wohl auch der bis heute unbekannte Zweck von Hamanns Reise nach London zu situieren.83 In seinen Gedanken über meinen Lebenslauf schreibt er, dass die »Wich­ tigkeit« seines Anliegens in London Staunen erregt habe, vor allem im Kontrast zur Nichtigkeit seiner Person, deren lächerliches Stottern auch ein sündhaft teurer englischer Wunderheiler nicht heilen konnte. Die Düpierung habe im Umfeld des hohen russischen Gesandten Fürst Gal­ litzin stattgefunden, mit dessen Sekretär Hamann zu tun gehabt habe.84 Von Beschämung und Gewissenspein berichtet er, von der Unmöglich­ keit, das Gesicht zu wahren. Im Nachhinein kann er jedenfalls Berens vorhalten, sich in dieser Geschichte als inkompetenter Geschäftsmann erwiesen zu haben, indem er ihn, Hamann, auf Mission nach London schickte, ihn, der dafür untauglich gewesen und auch nicht ausreichend instruiert wor­ den sei. Solche Vorhaltung ist Kompensation des erlebten Desasters: In London geht Hamann finanziell und moralisch bankrott. Er hatte sich dort vermutlich im eleganten Milieu aufhalten wollen, dabei aber schnell die Barmittel, die Berens ihm zur Verfügung gestellt hatte, auf­ gebraucht; als Lautenist hatte er sich eine Weile aushalten lassen, war jedoch in verruchte Verstrickungen geraten und flüchtete im Januar

82 Gerhard: England und der Aufstieg Russlands, S. 16. 83 Lindner: Lebenswende, London 1758, S. 43.

84 LS 337 f. Vgl. dazu auch den Kommentar ebd. 527 f. Diese Gedanken sind vmtl. im

April und Mai 1758 in London entstanden.

Biographischer und zeithistorischer Hintergrund

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1758 aus diesen in die Einsamkeit.85 Im Juni/Juli trat er die Rückreise an. Noch in London, zurückgezogen in einer Pension, verfasst Hamann die Biblischen Betrachtungen.86 Sie deuten meist nur die Anfänge, die ersten Kapitel oder Verse der biblischen Bücher, bieten hastige, oft redundante Paraphrasen; und es scheint, dass bei dieser Lektüre und Kommentierung vor allem die sündige Verfallenheit und die weltliche Scheinhaftigkeit das leidenschaftliche Interesse Hamanns gewesen ist.87 Diese Fixierung mag Ausgangspunkt für das moralphilosophische Interesse an Sokrates gewesen sein. Die ganz konkrete Konfrontation mit moralischer Misere, die Frage nach den Bedingungen für Glaub­ würdigkeit im gesellschaftlichen Zusammenhang, charakterisiert den Versuch, schriftlich meditierend einigermaßen Kohärenz in der eigenen Haltung zur Welt herzustellen. Das ebenfalls in dieser Zeit entstandene Manuskript der Brocken überträgt den Versuch in eine philosophische, thetische Form, wenn auch fragmentarisch. Die Notate sind dem Titel nach aufgesammelte Abfälle, was also nach dem Stillen der Notdurft übrig blieb.88 Sie erkunden das Verhältnis von (politischem) Gesetz und Selbstliebe/-erkenntnis, und sie versuchen, die gesellschaftlichen For­ men dieses Verhältnisses lesbar, also vertraut zu machen. Die Einfälle dazu sind teils konventionell, teils progressiv; die Formalisierung in zehn Paragraphen zeigt die Idee der Freiheit, die dem Entfremdeten hier vorschwebt: Das politische, allgemeine Gesetz wird als eine Mög­ 85

Für die bisher genauesten Informationen zu Hamanns Affäre in London siehe Fechner: Philologische Einfälle und Zweifel zu Hamanns Londoner Aufenthalt. 86 Zum Charakter der Texte und ihres Bezugs zur Bibel siehe besonders die Ein­ führung in LS 6–10 und 44–53. Die sogenannten Londoner Schriften (LS) sind im Frühjahr 1758 entstanden, Kommentare zu Stellen der Heiligen Schrift, zu Kir­ chenliedern, Aphorismen, eine Beschreibung des eigenen Lebens bis zu diesem Zeitpunkt am Ende seiner Londonreise (mit einer späteren Ergänzung aus Riga). Zu der vermeintlichen Abgeklärtheit der Beylage bilden diese zu Lebzeiten nicht veröffentlichten Texte den größtmöglichen Kontrast. Zu Hamanns Bibellektüre und der Beschäftigung mit James Hervey vgl. Jørgensen: Hamann und Hervey; Steffes: Von Johanniswürmern und Irrlichtern; Graubner: »Gott selbst sagt: Ich schaffe das Böse«. 87 Hamanns Verständnis von Sünde ist ausführlich gewidmet: Kleffmann: Die Erbsündenlehre in sprachtheologischem Horizont. 88 LS 405–417. Lüpke: Hamanns »Brocken« und ihre englischen Hintergründe; Schu­ macher: Die Ironie der Unverständlichkeit, S. 119.

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Einführung

lichkeit, Vertrauen und Sicherheit zu erleben, der Willkür von Billigkeit und persönlicher Gerechtigkeit gegenübergestellt.89 Die Rückreise führt Hamann schließlich nach Riga, wo er sich den Rest des Jahres aufhält und es wagt, um die Hand der Tochter des Hau­ ses Berens, Catharina, anzuhalten – und den nächsten Bankrott erlebt: Wie auch immer die schon 31jährige Frau den Antrag gesehen haben mag, die Herren des Hauses erklären, dass diese Verbindung nicht möglich sei. Daraufhin, im Januar 1759, reist Hamann nach Königsberg, um dort wieder bei seinem mittlerweile allein lebenden Vater einzuzie­ hen und sich der Haushaltung zu widmen. In Königsberg hatten sich die Herrschaftsverhältnisse in der Zwi­ schenzeit geändert: Am 22. Januar 1758 wird Hamanns Heimatstadt von der russischen Armee eingenommen. Die Bewohnerschaft Königs­ bergs muss der Zarin Elisabeth huldigen. In der Stadt wird es eng, die Soldaten werden großteils privat einquartiert, wenn auch nicht in der bürgerlichen Innenstadt; Flüchtlinge müssen untergebracht werden. Nachdem eine städtische Delegation die Kontributionszahlungen ­herunterhandeln konnte, bleibt es weitestgehend friedlich.90 Das grau­ same Kriegsgeschehen ereignet sich hier eher auf dem Land, in den Dörfern. In der Stadt selbst sorgt der Belagerungszustand gar für eine Zunahme des Kosmopolismus, für eine liberale Atmosphäre.91 Ein Publikum für Königsberg, Berlin, Kopenhagen und Hamburg

Der Krieg verändert die Gelehrtenrepublik. Lessing beklagt in der Eröff­ nung der Literaturbriefe, dass in dieser kriegerischen Zeit bedeutende intellektuelle Publikationen nicht zu gewärtigen seien; in Deutschland gäbe es Gelehrsamkeit, aber kein Genie. Es folgen die Auseinander­ setzungen mit englischen Werken, bzw. vor allem mit den miserablen deutschen Übersetzungen aus dem Englischen – der Sprache des preu­ ßischen Verbündeten – etwa von Bolingbrokes skandalträchtigen Wer­ ken.92 Warum dieser Einstieg der jungen Berliner Intelligenz, besonders 89 LS 415, § 5. Auf Lesbarkeit hin wird auch der menschliche Körper bestimmt, ebd.

§ 7. Vgl. dazu Skar: Zwischen Gleichgültigkeit und Idealismus, S. 97. 90 Hasenkamp: Ostpreussen unter dem Doppelaar, S. 312. 91 Kohnen: Ostpreußisch-russische Wechselbeziehungen, S. 340. 92 Literaturbriefe, Tl. 1., 1759, 4. Brief, S. 17–24.

Biographischer und zeithistorischer Hintergrund

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Lessings und Mendelssohns, in ihr neuestes publizistisches Manöver einer selbstbewussten deutschen Literaturkritik? Auch die Zeitschriften rüsten auf;93 besonders drei sind hier von Interesse: Neben und gegen die Literaturbriefe steht der von Johann Andreas Cramer bereits 1758 gegründete Nordische Aufseher, Klop­ stocks zeitweiliges Hausorgan. Weniger bedeutsam (vor allem in der langfristigen Rezeption), aber bissiger in der Polemik, ebenfalls gegen die Berliner Philosophen, sind die von Christian Ziegra herausgegebe­ nen Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit (s. o. S. XIV). Mit seiner streng orthodoxen, rationalistischen Position im Gefolge Gottscheds kann er sich als Verteidiger der gesunden Vernunft gegen alle wichtigtuerischen Modernismen etablieren. In der politi­ schen Konstellation dagegen ist Hamburg neutral, womit es nicht nur seine Rolle als Handels-, sondern auch als Nachrichtenzentrum bewah­ ren kann.94 In Preußen wird der Vertrieb von Zeitungen aus Österreich, Frankfurt, Prag uvm. verboten, die aus Hamburg jedoch können zir­ kulieren – auch im russisch besetzten Königsberg –, was das Geschäft der dortigen Verleger stark fördert.95 Der Hamburgische unpartheyische Correspondent gilt als eine der bedeutendsten Zeitungen im deutsch­ sprachigen Raum.96 Darin wird Hamanns nächster Wurf positiv rezen­ siert werden (s. o. S. XIII f.). Zum militärischen nation building gesellt sich ein intellektuelles; hier tobt ein Generationenkonflikt: Für das Engagement des mittler­ weile alt gewordenen Gottsched zur Erneuerung des deutschen Thea­ ters hat Lessing nur Spott übrig (s. Komm. SD 3/3). An diesem Kon­ flikt waren die Königsberger Gelehrten nah dran, die Publikation des Rhetorik-Handbuchs von Hamanns bestem Freund, Johann Gotthelf Lindner,97 versuchte Gottsched über seinen Königsberger Kompagnon, Cölestin Flottwell, zu verhindern.98 Der Kampf um Meinungshoheit, 93

Zu literarischen Tendenzen in politischer Hinsicht vgl. Hildebrandt: Die Mobilisierung der Poesie, S. 217–260, auch zum Versuch der Berliner Literaturkritik, das Lied als typisch deutsche Gattung zu etablieren. 94 Pantel: Die hamburgische Neutralität, S. 216. 95 Füssel: Der Siebenjährige Krieg, S. 92. 96 Salomon: Geschichte des Deutschen Zeitungswesens, S. 141. 97 Lindner: Anweisung zur guten Schreibart. 98 Krause: Gottsched und Flottwell, S. 125.

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Einführung

die Ausnutzung publizistischer Querelen für lukrative Unternehmun­ gen, ist täglich Brot. Lessing behauptet in der oben genannten Eröffnung der Literaturbriefe, die Intellektuellen seien nun, zu Kriegszeiten, zur Langeweile, also Arbeitslosigkeit, verdammt (s. Komm. SD 1/3). Das mag zwar für den vermeintlichen Adressaten der Literaturbriefe, den in der Schlacht von Zorndorf am 25. August 1758 verwundeten Offizier, zutreffen. Zudem mögen die Produktions- und Vertriebsmöglichkeiten in Berlin etwas eingeschränkt gewesen sein. Vermutlich ist Lessings Argumen­ tation aber Teil eines Lavierens, einerseits die Bedeutung des eigenen Unternehmens zu untertreiben, um nicht als Gefahr angesehen zu werden, gleichzeitig aber größtmögliche Freiheit und Unbekümmert­ heit im Urteil zu erlangen und so bspw. die ältere, in Leipzig etablierte Literaten-Generation schonungslos kritisieren zu können.99 Im Kopenhagener Konkurrenzunternehmen ist man vor allem um die moralische Besserung und Rechtgläubigkeit der Bürgerschaft besorgt; wenn die Vorstellung von Rechtgläubigkeit auch nicht sehr orthodox sein mag, so ist sie gesellschaftlich doch verbindlich. Hier stößt es auf, wenn Lessing sich bezüglich Bolingbroke mehr mit Über­ setzungsdetails beschäftigt, anstatt den Christenfeind eindeutig zu ver­ urteilen.100 Lessing wiederum übt an dem ihm willkürlich vorkommen­ den Glaubensbegriff der ›Aufseher‹ Kritik, an einer Gefühlsreligion, die mit ihrer eigensinnigen Begrifflichkeit und moralischen Selbstgewiss­ heit intransparenter ist als die orthodoxe.101 Die Kontroverse erreicht mithin die Dimension der praktischen Denunziation, den Literaturbriefen droht kurzzeitig das Verbot; einer der Hauptvorwürfe lautet, ein Jude habe darin das Christentum kritisiert.102  99 Das Lavieren betrifft auch das Verhältnis zum preußischen König, es soll Akzep­

tanz erreichen, ohne sich abhängig zu machen; so fällt bspw. die Rezension der Gedichte Friedrichs milde aus, ist aber auch nicht ganz ohne Kritik (vgl. Komm. W 86/19). 100 Klopstock ist dagegen sehr klar in der Identifikation der Feinde der Religion, in seiner im Nordischen Aufseher erschienenen Betrachtung über Julian den Abtrünnigen (vgl. Komm. SD 11/25–12/2). 101 49. der Literaturbriefe (Tl. 3, 1759, S. 79 f.). Zur Kontroverse zwischen Berlin und Kopenhagen siehe Spiekermann: Rechtschaffen ohne Religion? 102 Albrecht: Kommentierte Dokumentation, in: Lessing, Briefe die neueste Litteratur betreffend, S. 374.

Biographischer und zeithistorischer Hintergrund

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Hamanns über seine Briefe rekonstruierbare Lektüre der Zeitschrif­ ten beißt sich aber an einem Phänomen fest, das die Möglichkeits­ bedingung des publizistischen Engagements ist: dem Publikumsbezug (s. Komm. SD 1/3 und 3/1). Mit einer ihm typischen Verschreibung wun­ dert er sich über den »Protheus«103, sich stets verwandelnde Gestalt und Ersatz-Gott,104 der abergläubigen Lesern angeboten werde. Zu denken ist dabei auch an Shaftesburys Verknüpfung des moralischen Sinns mit der öffentlichen Reputation, die diesem als schlüssiger erscheint denn eine Verbürgung dieses Sinns mittels textlicher Überlieferung wie in der christlicher Tradition.105 Hamann wendet sich gegen sol­ che Strebsamkeit im Jetzt nach öffentlicher Zustimmung: Der Wunsch nach Bestätigung in und mit der Dangueil-Übersetzung ist – vermutlich bewirkt durch den in London und danach erfahrenen Gesichtsverlust – der Götzenkritik gewichen.106 Neuanfang mit Philosophie? Hamann, Kant und Sokrates

Diese Veränderung wird wohl als Hintergrund zu setzen sein, vor dem verständlich wird, wie Hamann 1759 auf die Vorschläge zur Reintegra­ tion in das gesellschaftliche und arbeitsame Leben reagiert, die er von mehreren Seiten bekommt.107 Gegen jegliche Art des Bittstellens oder Bettelns wehrt er sich mit einer Anspielung auf Mandevilles Bienen­ fabel, wonach 100 Bettler einem Staat nützlicher seien als ein Pächter.108 Auch publizistische Arbeit könnte, so sie ihm ein Auskommen ver­ schaffen sollte, leicht in Abhängigkeit führen. Der Wunsch nach Unab­ hängigkeit wird in den Gedanken über meinen Lebenslauf (in Bezug auf das Studium) als affirmiertes Dilemma dargestellt: »meine Thorheit 103 HKB 152 (I ,

368/4–15, 16.  7.  1759, an J. G. Lindner). Zur Deutung des Publikums als Proteus vgl. Baur: Johann Georg Hamann als Publizist, S. 259  f. 104 Sich verwandelnde Götzen bieten die Denkwürdigkeit wie die Wolken dann auch zahlreich an, vgl. u. a. W 70/21 f., 88/3. 105 Vgl. Schuck: Verinnerlichung der sozialen Natur, S. 45. 106 Baur: An das Publikum, S. 25. 107 Die in den LS edierten Gedanken über meinen Lebenslauf könnten auch im Zusammenhang mit einer neuen beruflichen Orientierung stehen; immerhin war es in pietistisch geprägten Gemeinden üblich, solche ›Gedanken‹ als Testi­ monien zu verfassen und für Bewerbungen einzureichen (Matthias: Bekehrung und Wiedergeburt, S. 69). 108 HKB 139 (I 304/24, 21.  3.  1759, an J. G. Lindner).

XLVIII

Einführung

ließ mich immer eine Art von Großmuth v Erhabenheit sehen nicht vor Brodt zu studieren, sondern nach Neigung, zum Zeitvertreib und aus Liebe zu den Wissenschaften selbst, daß es besser wäre ein Märtyrer denn ein Taglöhner v Miethling der Musen zu seyn.«109 Konkret geht es um Übersetzungen aus der französischen Ency­ clopédie; die Artikel über das Schöne und über das Schaarwerk (Fron­ dienst) sollen es sein – als eine von Berens und Kant für Hamann aus­ ersonnene Kur gegen die religiöse »Schwärmerey«.110 Das ist jedenfalls Hamanns Version der Geschichte, wie er sie brieflich formuliert.111 Der eine sei eine schöngeistige Wortklauberei, der andere liefere interes­ sante Einsichten eines Juristen, der überdies die Milderung des Fron­ dienstes fordert. Die Idee zu solcher Übersetzung ist schon älter, schon 1756 verwies Hamann in der Beylage auf eben diesen EncyclopédieArtikel von Nicolas-Antoine Boulanger und ist dabei voll des Lobes für das französische Unternehmen als ein Beispiel für zeitgemäße Philoso­ phie.112 Und die Charakterisierung, besonders die Nähe zum Handwerk, die Untersuchung der Grundtechniken gesellschaftlichen Lebens, ist im sokratischen Habitus Hamanns Erzählung nicht unähnlich (bspw. SD 40/7).113 Eine Übersetzungsarbeit erwähnt er dann schon als Projekt für Berens, zusammen mit Briefen zur Erziehung, wie er sie zwei Jahre später, nach London, tatsächlich versucht (s. o. zu Handel und Tugend, S. XLI). Der Brief an Lindner, der diese Vorhaben beschreibt, verrät auch eine positive Haltung zu Kants Publikationen und der Überzeu­ gungskraft seiner Argumente.114 1759 aber zeigt Hamann sich gegen 109 LS 323/38–324/4.

110 HKB 139 (I 307/13–15,

21.  3.  1759, an J. G. Lindner): »Wenn unser Freund meine jetzige Gemüthsverfassung für sehr bedaurenswürdig ansieht, so laß er meine Schwärmerey nicht als ein alienum quid ansehen, das ihn nicht befallen könne.« 111 HKB 153 (I 374/8–30, 27.  7.  1759, an Kant). Vgl. Steffes: Der Genius aus der Wolke, S. 193. 112 N IV 232/52 f. 113 Vor dem Hintergrund dieser Affirmation ist eine Abkehr von den franzö­sischen Modernisten, wie Jørgensen sie für SD 14/22 kommentiert (dort zu S. 18), unwahr­ scheinlich. Hamanns bis ins Spätwerk wiederholte Kritik am Gallikanismus gilt dem Geschmacksuniversalismus jeglicher Coleur; vgl. dazu Piepmeier: Hamanns Auseinandersetzung mit Frankreich; Fink-Langois: Hamanns Auseinandersetzung mit Voltaire. 114 HKB 76 (I 197/37–198/28, 5.  1756, an J. G. Lindner). Zu diesem frühen Projekt vgl. auch Günter: Vom Sinnesdatenempirismus, S. 234.

Biographischer und zeithistorischer Hintergrund

XLIX

Kant amüsiert: »Ich muß beynahe über die Wahl eines Philosophen zu dem Endzweck eine Sinnesänderung in mir hervor zu bringen, lachen. Ich sehe die beste Demonstration, wie ein vernünftig Mädchen einen Liebesbrief, und eine Baumgartsche Erklärung wie eine witzige Fleu­ rette an.«115 Die Auseinandersetzung mit Kant hatte sicherlich erneut Johann Christoph Berens gestiftet.116 Auch er hielt sich 1759 einige Zeit in Königsberg und Umgebung auf, als Händler aus Riga mit russischem Netzwerk war er in der nun besetzten Stadt nützlich.117 Im Brief vom 27. Juli 1759 inszeniert Hamann diese Dreiecksbeziehung als Eifersuchts­ geschichte.118 Das Motiv dafür liefert wohl der pseudoplatonische Dia­ log Alkibiades 1, auf den Hamann 1759 stößt und der ihm die gegen­ wärtige Konstellation bedeutet. Der Dialog mag erhellen, wie sie ihm damals erschien: Er erzählt davon, wie Sokrates sich zum Herrn über Alkibiades erklärt, um ihn – geleitet von Gott – von seinem jugend­ lichen Größenwahn abzubringen, von seiner Unwissenheit zu über­ zeugen und schließlich zur Selbsterkenntnis zu führen, die einzig mit Hilfe Gottes zu gewinnen sei. Urteilsenthaltung gegenüber den Ange­ legenheiten anderer, eröffnet Sokrates dem Jüngling, gebühre dagegen demjenigen, der sich selbst noch nicht erkannt habe.119

115 HKB 153 (I 378/31–34, 27.  7.  1759, an Kant). 116 Seit

wann die drei miteinander bekannt waren, wissen wir nicht. Womöglich begegneten sie sich bereits zu Studienzeiten, Anfang der 1750  er, in der physiko­ theologischen Diskussionsrunde um Martin Knutzen. Siehe Lebenslauf, LS 321, und Graubner: Physikotheologie und Kinderphysik, S. 124 f. und ders.: Der junge Hamann und die Physikotheologie. 117 Zur ideologischen Bedeutung der russischen Zaren für die Handelsfamilie Berens vgl. Graubner: Peter der Große als Pygmalion und ders.: Zwischen Adel und Patriziat. Sie vertrat ein Peter-Ideal, das dessen Aufklärungseifer (nach französischem Vorbild) würdigte. J. Chr. Berens war wohl ein besonders über­ zeugter Verfechter der Russischen Aufklärung und verpflichtete sich ihr auch praktisch-politisch. Der Brief Hamanns an Kant vom 27. Juli 1759 (also während der Abfassung der Denkwürdigkeiten) gibt von seiner Abneigung gegen Berens’ Unterwerfung unter den zarischen Despotismus Ausdruck, siehe HKB 153 (I 376/30–377/10, 27.  7.  1759, an Kant). 118 HKB 153 (I 373/22, 27.  7.  1759, an Kant). 119 Vgl. zur Rolle des Alkibiades-Dialogs für die Entstehung der Denkwürdigkeiten auch Steffes: Der Genius aus der Wolke.

L

Einführung

Hamann lässt sowohl Berens als auch Kant ein Exemplar des Dia­ logs zukommen, Letzterem zusammen mit Vorschriften zur Rollenbe­ setzung: Kant möge Sokrates, Berens den Alkibiades mimen, er selbst dagegen den Genius; eine Eitelkeit, die er zumindest für den Moment nicht scheut.120 Vor allem gegenüber Berens ist das wenig schmei­ chelhaft, seine Reaktion jedoch kalkuliert: Sokrates möge ihm wie ein Sophist, Alkibiades aber wie ein Idiot erscheinen, schreibt er an Lind­ ner.121 Plausibel scheint, dass Hamann in der Auseinandersetzung mit Berens und Kant seine Sache durch den Dialog stellvertretend vorge­ bracht sah: So wie der lange Brief an Kant vom 27. Juli 1759 eine Unter­ redung mit diesem ersetzt, erschienen ihm im platonischen Gespräch die Gründe für diese Gesprächsverweigerung entwickelt, geeignet, ihm jene Unterlassung gegenüber Berens und Kant zu ermöglichen, die er umgekehrt auch für sich einforderte: »Es wird zu keiner Erklärung unter uns kommen. Es schickt sich nicht für mich, daß ich mich rechtfertige. Weil ich mich nicht rechtfertigen kann, ohne meine Richter zu verdam­ men, und dies sind die liebsten Freunde, die ich auf der Welt habe.«122 Dass dieser Ansatz wenig fruchtete, überrascht nicht.123 Zu scharf kon­ trastiert die Identifikation Berens’ mit dem Idioten Alkibiades, dieser wohl nur in der Selbstzuschreibung erfolgte Verzicht einer Anklage: Weder dürfte Berens gerne einen Idioten noch Kant bereitwillig einen Sophisten gespielt haben. Der Verweis auf Alkibiades ist im selben Brief umgeben von poli­ tischen Implikationen, ausgedrückt bspw. im griechischen Bild: »Ein Patricius einer griechischen Republick durfte in keinen Verbindungen mit dem Persischen Hofe stehen, wenn er nicht als ein Verräther seines Vaterlandes verwiesen werden sollte.«124 Der tatsächliche Kontext hängt entweder mit der Frage zusammen, wie man sich in Königsberg gegen die Besatzungsmacht Russland und wie gegen die ehemalige Verwal­

120 HKB 153 (I 373/28–374/7, 27.  7.  1759, an Kant).

121 HKB 148 (I 353/12–15, 22.  6.  1759, an J. G. Lindner). 122 HKB 153 (I 375/31–34, 27.  7.  1759, an Kant).

123 Vgl. dazu HKB 170 (I 451/15–17, 12.  1759, an Kant). 124 HKB 153 (I 377/1–3, 27.  7.  1759, an Kant).

Biographischer und zeithistorischer Hintergrund

LI

tungsmacht Preußen125 verhält. Die Ideen für publizistische Unterneh­ mungen sind orientiert an diesem Dilemma. Andererseits ist es auch möglich, dass Hamann die private Fehde zu einem politischen Konflikt aufbläst. Die Quellenlage ist zu einseitig – ausschließlich Hamanns illustre Briefe sind überliefert –, um zu entscheiden, auf welche Vor­ würfe, Unterstellungen usw. derselbe konkret antwortet. Die Dichte der Anspielungen in Hamanns Verteidigungsstrategie kann als Versteck­ spiel gedeutet werden und dieses wiederum als Aspekt nicht nur einer privaten Querelle, sondern auch einer philosophischen Kontroverse. Auf philosophische, und das meint bzgl. Kant metaphysische und kosmologische Themen lässt sich Hamann brieflich nicht ein, bekun­ det aber auf eine so demonstrative Art sein Desinteresse für dieselben, dass seine (wohl eifersüchtige) Involviertheit doch sichtbar ist.126 Gegen jegliche metaphysische Fragestellung, von der er gelesen hat,127 stellt er eine streng unmetaphysische Relativierung, nämlich die Glaubwürdig­ keit im sozialen Gefüge.128 Auch das Prophetische lässt sich herabholen auf diese profane Ebene: »Wie man den Baum an den Früchten erkennt: so weiß ich daß ich ein Prophet bin aus dem Schicksal, das ich mit allen Zeugen theile, gelästert verfolgt und verachtet zu werden.«129 Leicht kann er mit der Frag- oder Glaubwürdigkeit der Zeugenschaft auch die Relevanzgrenzen eines unkritischen Empirismus aufweisen und statt­ dessen als Herausforderung menschlicher Sozialität eben den Umgang 125 Mit der sich bspw. die akademische Führung auch lange nicht identifizierte, son­

dern Unabhängigkeit als städtischer Stand zu wahren trachtete. 126 Zur Skepsis gegen die wissenschaftliche Neugierde schlechthin, für die Hamann womöglich eine Differenz zwischen Natur- und Geisterkundung nicht für rele­ vant hält, vgl. Skar: Die gottlose Neugierde. Dass Hamann seine Skpesis gegen Kants Thesen zur Kosmologie hingegen relativieren wird, bezeugt ein Brief von 1768 an Herder (HKB 350, II 416/30–35). 127 Bspw. der Spinozas, HKB 153 (I 378/2, 27.  7.  1759, an Kant). 128 HKB 153 (I 378/35, 27.  7.  1759, an Kant). Neu ist diese Art Dekonstruktion für Hamann nicht; bereits während seiner Zeit als Hofmeister schreibt er einen kleinen Essay über Descartes (N IV 219–223), der sich von dessen Philosophie aufgrund des Biographismus im Discourse de la methode distanziert bzw. die Ausarbeitung der abstrakten Methode bedingt sieht durch die soziale Anerken­ nung, die Descartes als Vorschuss genießt. Vgl. dazu Majetschak: Der Stil als Grenze der Methode, S. 235 f., und Bayer: Wahrheit oder Methode?, S. 161–165. 129 HKB 153 (I 379/15–18, 27.  7.  1759, an Kant). Auch in den Brocken wird die Prophe­ tie recht weltlich gedeutet, LS 417, § 8.

LII

Einführung

mit dem sprachlichen Zeugnis betonen.130 Die Zuspitzung mündet in ein antinomisches Sinngebilde, ein Zitat aus Lichtwers Fabel von der Wahrheit: »Die Wahrheit wollte sich von Straßenräubern nicht zunahe kommen laßen, sie trug Kleid auf Kleid, daß man zweifelte ihren Leib zu finden. Wie erschracken sie, da sie ihren Willen hatten und das schreckl. Gespenst, die Wahrheit, vor sich sahen.«131 Das ist für Kant wohl schlicht und einfach keine Philosophie. Er kün­ digt 1759 eine Vorlesung zum Optimismus (Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus) an und erteilt dabei implizit der Philosophie Christian August Crusius’ eine Absage, die in Königsberg vor allem in Daniel Weymann einen eifrigen Verfechter hatte (Komm. W 73/4), der wiederum von russischen Offizieren, die sich weiterbilden wollten, eifrig besucht wurde. Zu Weymanns publizierter Antwort auf Kants Ankündigung (Dissertatio philosophica de mundo non optimo) schweigt Letzterer aber. Diesen Vorgang beobachtet Hamann genau; beider Schriften stoßen ihm ob ihrer philosophischen Anmaßung, vom ›Gan­ zen‹ aufs Besondere zu schließen, auf.132 Kants Schweigen hält er aber für besonders arrogant, wohl weil es auch ihn selbst trifft. Kants Versuche, sich in Königsberg mit der russischen Besatzungs­ macht zu arrangieren, waren am akademischen Auskommen und Vorankommen orientiert;133 publizistisch agiert er zurückhaltend. Die akademische Konstellation in Königsberg beschreibt Manfred Kühn so: »Die Dissertation Weymanns formulierte Überzeugungen und defi­ nierte ein Programm. Kant meldete Zweifel an der Folgerichtigkeit und dem philosophischen Wert eines derartigen Programms an. Die Stu­ denten, die sich damals die Vorlesungen für das kommende Semester aussuchten, wußten ebenfalls, worum es bei diesem Disput ging. Auf der einen Seite stand ein neuer Privatdozent, der darauf bedacht war, durch Verteidigung der Crusiusschen Ideen dem pietistischen Lager 130 HKB 153 (I 379/4–14,

27.  7.  1759, an Kant): »Wenn zwey Menschen in einer ver­ schiedenen Lage sich befinden, müßen Sie niemals über ihre sinnliche Ein­ drücke streiten.« Vgl. auch Günter: Vom Sinnesdatenempirismus, S. 245. 131 HKB 153 (I 381/8–11, 27.  7.  1759, an Kant). 132 HKB 163 (I 435/30–37, 12.  10.  1759, an J. G. Lindner), vgl. Komm. SD 12/4–11. 133 In einem Brief an die russische Kaiserin Elisabeth vom 14.  12.  1758 bewirbt er sich um eine Stelle an der philosophischen Fakultät der Universität Königsberg (AA X , 5).

Biographischer und zeithistorischer Hintergrund

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neues Leben einzuflößen; auf der anderen Seite war da ein zweiter ziemlich junger Lehrer, der die Philosophie zu revidieren versuchte, indem er die Theorien Baumgartens in Richtung auf die britische Philo­ sophie abwandelte. Es war dies ein weiteres Scharmützel in der langen Schlacht, die an der Universität zwischen denen, welche die Philoso­ phie als die Magd einer bestimmten Art von Theologie sahen, und den­ jenigen, die sie als autonome Disziplin auffaßten, geführt wurde.«134 Das Interesse für die britische Philosophie teilen Kant und Hamann, von David Hume ist im oben beschriebenen Brief vom Juli 1759 die Rede.135 Die Beylage zu Dangueil zeigt, dass Hamann Hume zuerst als Wirtschaftstheoretiker und Historiker gelesen hat und sich dabei noch mit ihm optimistisch auf eine moderne Theorie von Kommunikation durch Handel beziehen konnte.136 Eine Möglichkeit, die gerade durch die pessimistische moralische Beurteilung menschlicher Interaktion und Erkenntnis begründet ist, wie sie sich aus der Betrachtung der Geschichte der Religionen ergibt. Das schlägt in Humes Essay Von den Wunderwerken durch, dessen Ende Hamann nun mehrmals abschreibt, um es brieflich zu kritisieren, indem er die Verwurzelung des Denkens in Traditionen betont.137 Die von Hume für die Begriffsverwendung und Wahrnehmung relevant gemachte Macht der Gewohnheit und sozialer Dynamiken ist für Hamann gerade nicht Quelle grundlegender Skep­ sis, sondern nur Bestätigung des sprachlichen Aprioris menschlicher Erkenntnis,138 ihrer kulturellen und historischen Bedingtheit. Den Habitus der Offenheit und Neuheit, den sich die skeptische Phi­ losophie gibt, lässt Hamann aufgrund dieser Beobachtung nicht mehr gelten: Humes Thesen bilden auch eine orthodoxe Position,139 wohl 134 Kühn: Kant, S. 152.

135 HKB 153 (I 373–381, 27.  7.  1759, an Kant). Außerdem auch gegenüber J. G. Lindner

am 3.  7.  1759, HKB 149 (I, 355/25–356/26). Zu Hamanns Hume-Rezeption siehe u. a. Weiß: Hamann zu Hume und Kant; Günter: Vom Sinnesdatenempirismus; Graubner: Erkenntnisbilder und Bildersprache; Brose: Johann Georg Hamann und David Hume; Brose: »Ich war von Hume voll, wie ich die Sokr. Denkw. schrieb«; Graubner: »Gott selbst sagt: Ich schaffe das Böse«. 136 N IV 235/22. 137 Hume: Philosophische Versuche, Tl. 2, S. 254–297. HKB 153 (I 380/5–18, 27.  7.  1759, an Kant). 138 Weiß: Hamann zu Hume und Kant, S. 169. 139 HKB 149 (I 356/20, 3.  7.  1759, an J. G. Lindner).

LIV

Einführung

indem sie die Beurteilung von Glaubwürdigkeit schematisieren. Repu­ tation, öffentlicher Kredit, das Urteil des Publikums, der interesselose Zuschauer usw. – das sind Schlagworte, mit denen die Vergesellschaf­ tung des Zeugnisses angezeigt wird,140 die aber eben auch die Interes­ sen verdecken können: Das Versprechen, dass im Handel gesellschaft­ liche Strukturen umgewertet würden (Ersetzung eines moralischen Aprioris durch die Ökonomie von Wert- und Freiheitsversprechen), wird fragwürdig besonders angesichts von Hamanns Erfahrung, dass Handel Restitution von Machthierarchien bedeuten kann. Eine Erfah­ rung, die er mit Berens macht, den er zunehmend als Politiker bzw. Aristokraten erkennt.141 Seine Absage an die Option, sich noch einmal dienstbar zu machen für Aufgaben, deren Zweck er nicht durchschaut, bedeutet zunächst Rückzug: in die väterliche Obhut und in die Lektüre des göttlichen Buches. Schon bald aber schweift er wieder aus, zu den griechischen und römischen Dichtern, zu den Philologien und ihren Untiefen im Umgang mit Gleichnissen und der menschlichen Heteroglossia.142

Hamanns Sokrates-Quellen

Man kann daran zweifeln, dass Hamann 1759 ein lang gehegtes Inte­ resse an Sokrates aufgreift.143 Er stößt auf ihn, die Figur kommt ihm gelegen. Ohnehin ist Sokrates Mitte des 18. Jahrhunderts nicht eine bestimmte, klar umrissene, sondern eine diffuse, viel benutzte Figur.144

140 Zu Humes ›sozialpsychologischer‹ Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von

Erkenntnis und Moral vgl. Schuck: Verinnerlichung der sozialen Natur, S. 81–128. 141 Zu Berens’ politischem Interesse s. Graubner: Zwischen Adel und Patriziat, S. 93. 142 Hoffmann: Johann Georg Hamanns Philologie, S. 71; Bohnenkamp-Renken: Offenbarung im Zitat, S. 127. 143 Eine frühere Beschäftigung mit dem griechischen Philosophen ist nicht aus­ gewiesen, er ist lediglich Thema u. a. von Texten, die Hamann in der Zeit sei­ ner Anstellungen als Hauslehrer übersetzte, Texte von Rapin und Shaftesbury (ediert in N IV 43–129 und 131–191). 144 Vgl. hierzu Böhm: Sokrates im achtzehnten Jahrhundert; Krochmalnik: Moses Mendelssohn und die Sokrates-Bilder; Schmidt-Biggemann: Sokrates im Dickicht der deutschen Aufklärung; Spiekermann: Socrates christianus – Socrates atheus.

Hamanns Sokrates-Quellen

LV

Sie hat topische Qualität erlangt, sodass sie in einer bestimmten Reihe von Argumentationszusammenhängen funktional ist; vielleicht nicht notwendig, aber hilfreich: vereinfachend. Mit ihr können weitere Topoi und Aspekte der Philosophie aufgerufen werden auf einer mehr oder weniger subtilen Ebene, sei es die libertas philosophandi, für welche der zum Tode verurteilte Grieche einsteht,145 sei es eine Opposition zu Standeshierarchien, für die derselbe sich unter den ›Pöbel‹ begibt,146 sei es eine methodische Klarheit,147 welche dem sowohl radikalen als auch behutsamen Solitär zugemutet wird, oder ein Humor, der sich als Aspekt stoischer Moral mitunter spöttisch gegen alle Widrigkeiten behauptet.148 Vor allem aber als Repräsentant einer docta ignorantia wird er sowohl wissenschaftskritisch und skeptisch als auch für eine anti-dogmatische Methodologie ins Feld geführt.149 Zuletzt ist da noch die prekäre Idee vom gewissermaßen heidnischen Christen, die u. a. Erasmus von Rotterdam erwogen hat (s. Komm zu SD 16/17 f.). Unbekannt ist, wann genau Hamann die Quellen studiert hat, die ihm die Informationen für seinen Sokrates lieferten. Mit Hinweisen darauf, um welche Texte es sich dabei vermutlich handelt, sparen die Denkwürdigkeiten dagegen nicht. Explizit erwähnt werden die Phi­ 145 So

bspw. in Hamanns jüngerer Vergangenheit bei Wolff: Von dem Verbrechen gegen einen Weltweisen, in: Gesammlete kleine philosophische Schriften, S. 117–207. Geschrieben nach seiner von pietistischen Angriffen und unter Androhung der Todesstrafe veranlassten Vertreibung aus Halle. Wolffs universitäre Geschichte gibt auch den Hintergrund für Voltaires Parallelisierung von Sokrates und Fried­ rich II ., da dieser dem philosophischen Märtyrer wieder eine Heimat gegeben habe, so in der Antwort »a une lettre dons Le Roi de Prusse honora l’Auteur a son avenement a la couronne«: »Socrate est sur le trône et la Vérité règne«, in: Mélanges de littérature et de philosophie, S. 242. 146 Die wissenschaftskritischen Deutungen gehören hierher, für welche Sokrates als Nicht-Pedant eingesetzt wird, so auch bei Thomasius, ohnehin bei Rousseau. 147 So in der Kritik Mendelssohns an Wielands Plan für eine Akademie, siehe Komm. SD 11/9. Es gibt aber auch eine Tradition, die Sokrates für die kateche­ tische Methode von Frage und Antwort beansprucht, bspw. beschrieben von Mosheim in seiner Sittenlehre der heiligen Schrift, S. 490 f.. Vgl. dazu auch Bayer: Sokratische Katechetik. 148 Vermittelt über Cicero bezieht sich Shaftesbury darauf, siehe Komm. SD 36/15. 149 In diesem Sinne steht er bspw. für den Jesuiten René Rapin zur Verfügung, des­ sen Réflexions sur l’usage de l’éloquence de ce temps (1672) Hamann wohl in seiner Zeit als Hauslehrer vor 1759 übersetzte (N IV 43–129). Aber auch für den Skepti­ zismus Humes kann das sokratische Nicht-Wissen aufgegriffen werden.

LVI

Einführung

losophiegeschichten von Stanley, Brucker (SD 14/5) und Deslandes (SD 14/21) sowie Coopers Life of Socrates (SD 19/7). Sicher bekannt sind ihm außerdem Heumanns Acta philosophorum und Charpentiers Vie de Socrate, was sich nicht nur am Text zeigt, sondern jeweils auch brieflich verbürgt ist.150 Stanley

Thomas Stanley (1625–1678) begründete das Genre der Philosophie­ geschichte. Die erste Auflage seiner History of Philosophy erschien 1655 bis 1662 in London, blieb aber weitgehend unbekannt. Erst die dritte Auflage von 1703, vor allem aber die lateinische Übersetzung und umfassende Überarbeitung durch Olearius (Leipzig 1711) popula­ risierte das Werk. Es ist anzunehmen, dass Hamann seinerseits diese lateinische oder die vierte englische Auflage (London 1743) des Werks zu seiner Recherche heranzog, in der die Änderungen des Olearius größtenteils übernommen wurden.151 Ihrem Anspruch nach ist History of Philosophy zwar eine Ablösung des rein auf die Lebensbeschreibungen konzentrierten Diogenes Laer­ tius, sie bleibt aber weiterhin eng an diesem orientiert: Statt die Lehren der einzelnen Philosophen zu systematisieren und, wie von Brucker schließlich getan, in eine übergreifende Entwicklungsgeschichte der Philosophie zu integrieren, sammelt, exzerpiert und übersetzt er aus den antiken Quellen und gibt das Material zu Leben und Werk ledig­ lich thematisch sortiert, aber im Wesentlichen kritiklos heraus – sieht man von einigen philologischen Anmerkungen ab. Sokrates wird von ihm beschrieben als Christ avant la lettre, dem Einsicht in die zentra­ len Lehren des Christentums, den Monotheismus, die Unsterblichkeit der Seele und die Omnipräsenz Gottes gewährt war, ohne der Offen­ barung teilhaftig zu werden, geleitet einzig von seinem Genius und der Vernunft. Er stellt neben das positive Bild aber eine Übersetzung in Blankversen von Aristophanes’ Wolken. Was der polyhistorischen, rein doxographischen Darstellung abgeht, ist jede Form eines normativen Philosophiebegriffs; nur indirekt lässt sich ein solcher ableiten: Wenn 150 Vgl. HKB 128 (I 276/1–5,

10./11.  1758, an J. G. Lindner) und HKB 808 (V 358/20– 22, 11.  2.  1785, an Scheffner). 151 Vgl. dazu und allgemein zu Stanley den Beitrag von Bottin u. a. in Models of the History of Philosophy, Bd. 1.

Hamanns Sokrates-Quellen

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Stanley die Geschichte der Philosophie schon bei Epikur enden lässt, ist bis zur Ablösung aller Philosophie durch die Offenbarung – und in der Zeit nach ihr – nichts Entscheidendes mehr dazu gekommen. Olea­rius wird diese Trennlinie, schon unter dem Einfluss der Eklekti­ ker, nach hinten verschieben: Neben einem ausführlichen Kapitel über das Genium des Sokrates fügt er auch eines über die eklektische Schule hinzu. Charpentier

Wichtigste Quelle der Denkwürdigkeiten ist aber La Vie de Socrate von François Charpentier (1620–1702), das dieser seiner Übersetzung von Xenophons Memorabilia beibinden ließ. Er schrieb dieses zu seinen Lebzeiten dreimal aufgelegte Büchlein (Paris 1650, 1668, Amsterdam 1699) mit der Absicht des Historikers, das von Xenophon entworfene Bild des tugendhaften Staatsbürger Sokrates durch eine vollständige Biographie zu komplementieren. So zumindest lautet die Selbstaus­ kunft Charpentiers im Vorwort, abgedruckt nur in der ersten Auflage.152 Einen Grund, an der Aufrichtigkeit dieser Angabe zu zweifeln, gibt es nicht – was nicht heißt, dass damit schon alles gesagt ist: In der Bio­ graphie des Sokrates findet Charpentier das Beispiel eines Weisen, des­ sen Tugendhaftigkeit des Christentums nicht bedurfte – und dessen Handeln dennoch als vorbildlich und vernünftig beschreibbar ist. Eine Konstellation, für die sich Charpentier wohl auch vor dem Hintergrund der beginnenden Querelle des Anciens et des Modernes interessiert, in der er offen für letztere Partei ergreift. Für seine Sokratesbiographie sammelt und exzerpiert er die antiken Quellen, ordnet thematisch, ergänzt und erzählt die Hagiographie des Weisesten der Heiden, der als nachahmenswertes Vorbild und Anhän­ ger einer natürlichen Theologie präsentiert wird. Übermenschlich erscheint Charpentier des Sokrates’ Gesetzestreue, zu eben dem Gesetz, das ihn zum Tode verurteilt. Jeder Verdacht auf Päderastie und Aberglaube des Sokrates wird dagegen mit dem Hinweis darauf verworfen, es handle sich nur um äußerliche Nachahmungen der Sitten seiner Zeitgenossen. All seine Sonderbarkeiten, die Sprüche des Orakels und die Mythen um sein 152 Vgl. Charpentier: Vie de Socrate (Paris 1650), Preface [S. 14].

LVIII

Einführung

Genium gilt es so gut wie möglich – und notfalls auch gegen den Literal­sinn der historischen Zeugnisse – zu einem unanstößigen Bild zu integrieren, das die natürliche Vernunft zeichnet; deren Überlegen­ heit über jede historische Überlieferung wird durchweg anerkannt. Möglich ist ein solch uneingeschränktes Lob, weil Sokrates ein Heide bleibt und diesen gegenüber jede Apologetik überflüssig geworden ist: »Dieweil man aber heutiges Tages wegen dieses Puncts nicht mehr streitig ist, und weil niemand ist, der die heydnischen Philosophos mit denen Aposteln vergleichen wolte, und es also nicht mehr nöthig ist zu beweisen, daß Socrates lasterhaft gewesen, um solcher gestalt dar­ zuthun, daß er denen Aposteln weit nachzusetzen sey, so kan man ihm wohl seine Tugend und Ehre gantz lassen, ohne daß man dadurch die Ehre der Heiligen, und die Vortrefflichkeit des Christen­thums verletze, ja im Gegentheil so scheinet es, daß das Exempel dieses Philosophi uns zu tungendhaften Sitten desto mehr antreiben soll.« (Charpentier 151) Theologisch unproblematisch und ein Muster von Bürger – so erklärt sich auch die in der zweiten Auflage erfolgte Widmung an den Kardinal Mazarin, seinerseits nicht nur höchster Katholik, sondern, als regierender Minister, auch höchster Beamter Frankreichs. Charpentier schreibt im Epistre an Mazarin, Xenophons Sokrates sei eigentlich des­ sen, Mazarins, Portrait.153 Thomasius

Hamann kannte Charpentiers Biographie in der von Christian Tho­ masius (1655–1728) besorgten Übersetzung, die erstmals 1693 und in zweiter Auflage 1720 in Halle erschienen war. Thomasius interes­ siert, anders als Charpentier, der historische Sokrates nicht mehr. Er macht sich ausschließlich dessen Verwertungspotential in der Pole­ mik gegen jede Form der Pedanterie zunutze, die er vor allem an den scholastisch-aristotelischen Universitäten ausmacht und denen er ein neues Ideal des Weisen entgegensetzt:154 Stupende Gelehrsamkeit und galante Selbstgefälligkeit gilt es durch die Erziehung nützlicher und loyaler Staatsbeamter zu ersetzen. Der Gelehrte soll eigenverantwort­ 153 Charpentier: Vie de Socrate (Paris 1668), Epistre [S. 14 f.]. Geäußert mit Bezug auf

das dritte Buch der Memorabilia. 154 Vgl. dazu Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat, S. 423–454 und Küh­ nel: Das politische Denken von Christian Thomasius, S. 280–310.

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lich urteilen können, sich selbst aber streng in den Dienst der Obrigkeit stellen, der es obliegt, den öffentlichen Frieden zu wahren. Emanzipa­ tion gegenüber dem Staat erfolgt nur regional begrenzt: Pädagogische Bemühungen beschränken sich auf die persönliche Entwicklung und zielen auf die zwanglose Besserung des sozialen Verhaltens wie der Lebensführung. Die potentiell nicht nur durch Autoritätsgläubigkeit, sondern auch durch affektgeleitete Fehlschlüsse gefährdete Vernunft muss aber allererst durch zu erlernende Selbsterkenntnis in ihrer Urteilsfähigkeit gefestigt werden. Charpentiers Sokrates passt also nur zu gut – nicht weniger die sokra­tische Lehrart, die formal auf die selbst hervorzubringende Ein­ sicht des Schülers zielt, wie thematisch auf die Erziehung der Dialog­ partner zum tugendhaften Verhalten. Sein Vernunftgebrauch erscheint als notwendiges Korrektiv freidrehender, scholastischer Spekulationen und galant verpackter Selbstgefälligkeiten und bleibt stets pragmatisch geerdet und staatstreu: »Er hat hauptsächlich sich auf die Betrachtung der menschlichen Tugenden geleget, und hat geglaubet, daß die wahre Gelahrtheit des Menschen in dem bestünde, daß er sich selbst erkennete, und sich sei­ nen Freunden und seinem Vaterlande nützlich machte. Dise Weisheit ist es, mit der er sich in der Welt hat sehen laßen. Sie ists, die ihn ver­ hindert hat, daß er kein unnützlich Glied des Staats gewesen und die in einer einigen Person zwey unterschiedene Qualitäten eines rechtschaf­ fenen Philosophi und eines rechtschaffenen Unterthanen vereinigt.«155 (Charpentier 24) Im Zuge der neuen Ausrichtung, die keine historische Akkuratesse mehr verlangt, wird die Vorlage entsprechend zugeschnitten: Das Vor­ wort, die vereinzelt geübte philologische Kritik und die ausführliche chronologische Tafel entfallen, auch der Titel wird zur deutlicheren Anzeige der neuen Absicht modifiziert: Das Ebenbild Eines wahren und ohnpedantischen Philosophi, oder: Das Leben Socratis. Der Ausschluss des Heiden Sokrates aus dem Reich der Gnade aber bleibt bestehen

155 Als

»rechtschaffenen Unterthan[]« verdeutscht Thomasius den ›bon citoyen‹ Charpentiers.

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und wird nochmals unterstrichen, auch wenn die im Vorbericht ange­ kündigte Vorrede, die einzig dies zeigen sollte, ausbleibt.156 Heumann und Brucker

Gerade in der nochmals gezogenen Trennlinie zwischen Theologie und Philosophie liegt der Anknüpfungspunkt für die sich an Thoma­ sius anschließende Philosophiegeschichtsschreibung – für Heumann und Brucker, die Hamann ebenfalls konsultierte. Vor allem die eklek­ tische Methode des Selbstdenkens und der Verzicht auf jede forcierte Schulbildung, für die Sokrates Pate steht, wird von Christoph August Heumann (1681–1764) in seinem der Philosophiegeschichte gewidme­ ten Journal Acta philosophorum aufgegriffen, dessen 18 Stücke in Halle – und dort im engsten Umfeld Thomasius’ in der Rengerischen Buch­ handlung – von 1715 bis 1727 erscheinen.157 Von Thomasius übernimmt Heumann auch die gestellte Aufgabe, überzeitliche Wahrheitsansprüche der paganen Philosophie durch His­ torisierung derselben zu relativieren, um Raum zu schaffen für das bei 156 Gar

zwei Vorreden waren geplant, heißt es dort: »In der ersten wolte ich aus­ führlich darthun / daß dasjenige, was der gelehrte Franzose Charpentier aus denen Alten zu Vertheydigung des Socrates zusammen getragen / der Wahrheit sehr gemäß sey / und daß man auf das / was unter denen ersten Kirch-Vätern der sonst in großem Ansehen schwebende Lactantius zu seiner Beschimpfung von ihm gemeldet / gar leichte beantwortet werde könte: Ja / daß Socrates mit seiner Lehre und Leben nicht allein unser heutiges Heuchel-Christenthum und Affter-Pabst­thum / sondern auch wohl den Lactantius selbst in vielen Dingen beschämet habe. Die andere [Vorrede] solte durch sattsame Gründe beweisen / daß Socrates bey aller seiner Tugend nicht weiter gegangen / als ein Philosophus durch Hülffe des allzuschwachen natürlichen Lichtes gehen kan / und daß / ob er schon dem Christenthum sehr nahe / und vielleicht näher als kein einiger von denen heydnischen Philosophen, gekommen / jedennoch ein wahrer Christ ver­ mittelst der heiligen Erleuchtung Göttlicher Gnade für viel höher und gelehrter zu achten sey / als hundert Socrates, derer Weißheit doch nothwendig in Gegen­ haltung der Göttlichen Morale und der Staats-Klugheit / die GOtt zum Lehrer hat / für nichts als Thorheit zu achten ist; und daß solcher gestalt Marsilius Fici­ nus und Symphorianus Champerius des Nahmens Christlicher Philosophen sich unwürdig gemacht / wenn sie vorgeben / daß Socrates ein Vorbild unseres Heilandes und seines Leidens gewesen sey.« (Charpentier, Vorbericht an den Leser [S. 1 f.]). 157 Dazu und allgemein zu Heumann vgl. Lehmann-Brauns: Weisheit in der Welt­ geschichte, S. 355–396.

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Thomasius die Gnade bezeichnende, bei Heumann aber nicht näher bestimmte Surplus der Offenbarung gegenüber der Vernunft. Dass beide letztlich aber miteinander vereinbar seien, in Grenzen einander sogar bedürften, auch das behauptet Heumann; wer nicht glaube, der habe schlicht nicht gut genug geprüft.158 Für die eklektische Ausscheidung all dessen, was der kritischen Prü­ fung nicht standhält, wird ein normativer Philosophiebegriff bemüht, dem der praktische Nutzen Maßstab ist: Jede Philosophie, die diesen Namen verdient, sei der Sache nach Moralphilosophie, gestützt auf eine als Logik bezeichnete Methode. Kritik kann sich entsprechend nicht mehr auf die Überlieferungsstränge und Textgrundlagen beschränken; entsprechend negativ äußert sich Heumann über Stanley: Dessen weit­ gehende Urteilsenthaltung wird als Leichtgläubigkeit ausgelegt, sein Fleiß zwar anerkannt, aber die History of Philosophy diene dennoch bestenfalls als Propädeutik einer eigentlichen und noch zu schreiben­ den Philosophiegeschichte: »Ich vergleiche ihn also denen Arbeitern / welche bey einem Gebäude allerhand Materialien zutragen: die aber der Meister erst betrachtet / und / was ihm nicht anstehet / wegwirffet.«159 Programmatisch heißt es, nur ein Philosoph könne Philosophiege­ schichte schreiben – dadurch gerät diese freilich auch in das Fahrwas­ ser einer konfessionell engagierten Historiographie. An der Wertschätzung des Sokrates ändert sich dadurch aber nichts. Im Gegenteil, die geübte Kritik kommt ihm gar zugute: Heumann ver­ teidigt nicht nur Xanthippe – um Sokrates vom Vorwurf einer falschen Frauenwahl freizusprechen –, mittels Quellenkritik wird auch Sokrates’ Nase ins rechte Lot gebracht; einzig das Unmethodische seiner Lehrart wird kritisiert.160 Die Abgrenzung von Theologie und Philosophie diktiert aber auch Skepsis bezüglich aller paganen Reste in der Biographie des vermeint­ lichen Protochristen Sokrates. Das betrifft bei Heumann zunächst vor allem den Orakelspruch, der mittels Quellenkritik als spätere Erdich­

158 Vgl. Acta, 1. St., S. 60. 159 Acta, 3. St., S. 540. 160 Vgl.

die Ehren-Rettung der Xanthippe in Acta, 1. St., S. 103–125 und den Beitrag Von des Socratis Leibes-Gestalt ebd., S. 126–138.

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tung abgekanzelt wird.161 Dass er in den Spekulationen um Sokrates’ Genius nichts als Schwatzereien sieht, wird nur nebenbei erwähnt.162 Johann Jakob Brucker (1696–1770) dagegen,163 der sowohl in seinen Kurtzen Fragen (9 Bde., Ulm 1731–36) als auch in seiner Historia critica Philosophiae (5 Bde., Leipzig 1742–44) Heumanns Ansätze aufgreift und allererst systematisch entfaltet, geht hierin noch weiter.164 Wie für Heu­ mann zeichnet sich auch für ihn die Philosophiegeschichte vor allem durch ihre Fehler und Irrtümer aus. Diese sind es, die dem Historiker begegnen, umgekehrt aber auch die Basis für die wahre Philosophie lie­ fern, in die diese teleologisch münden. Das Ziel der Entwicklung kann aber nicht erreicht, nur erahnt werden: Philosophiegeschichte führt zur skeptischen Einsicht, Wahrheit sei allein der Offenbarung vorbehalten. Weil Letztere aber – anders als für Heumann – weder mit der Vernunft vereinbar ist noch dieser bedarf, muss Brucker alle philosophischen Wahrheitsansprüche entschiedener noch zu Meinungen degradieren. Auch der Märtyrertod reicht nicht mehr, die Wahrheit der Lehre zu garantieren. Sokrates wird so zwar eine allgemeine Gotteserkenntnis zugesprochen, diese dürfe aber ebenso wenig mit der eines Gläubigen verwechselt werden wie seine pagane Tugend mit der eines Frommen. Auch sein Genius – schon bei Charpentier/Thomasius, noch skeptisch abwägend, lediglich ein besonders fähiges Iudicium – wurde nur von dessen Schülern zum mittleren Wesen verklärt. Belastbare Aussagen darüber seien aufgrund der Quellenlage gar nicht möglich, konstatieren lässt sich einzig, dass Sokrates die Gabe zukam, Ereignisse manchmal »vorher zu verkündigen«.165 Musterhaft und anknüpfungswürdig, weil ihrem Geiste nach eklektisch, bleibt noch Sokrates’ Vorurteilskritik. Boureau-Deslandes

Bruckers Epoche machendem Werk – Vorlage nicht nur für zahlreiche Artikel im Zedler, bspw. für den Artikel ›Socrates‹, sondern auch viel­ 161 So im Beitrag Von des Oraculi Urtheil über den Socratem in Acta, 3. St., S. 472–500. 162 Vgl. Acta, 3. St., S. 434.

163 In Augsburg geboren, war er dort und in Kaufbeuren Pfarrer. 164 Einen

Überblick über Bruckers Bedeutung für die Geschichte der Philosophie­ geschichte vermittelt Longo: A »Critical« History of Philosophy; und der Sammel­ band Jacob Brucker (1696–1770). 165 Nach Zedler 38, 296 ›Socrates‹.

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fach gebraucht von den französischen Enzyklopädisten – setzt Bou­ reau-Deslandes seine Historie critique de la philosophie entgegen, eben­ falls von Diderot und Co. reichlich herangezogen. Die ersten drei Bände erschienen 1737 in Amsterdam (1742 in London vmtl. als Raubdruck wiederaufgelegt), der finale vierte Band zur modernen Philosophie erst im Zuge der zweiten Auflage 1756 am gleichen Ort, diesmal allerdings mit stiller, vom Zensor Condillac erteilter Erlaubnis, dass Werk auch in Frankreich zu verkaufen, was zuvor verboten war.166 Für André-François Boureau-Deslandes (1689–1757), Mitglied in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften, ist Philoso­ phiegeschichte nur Teilgebiet einer umfassenderen allgemeinen Ideen­ geschichte; ihr Themenfeld lässt sich daher weder definitorisch noch zeitlich klar ein- bzw. umgrenzen. In der popularisierenden Darstellung finden sich so auch anthropologische, soziologische, linguistische und geographische Beobachtungen. Genau dies wird ihm seinerseits von Brucker zum Vorwurf gemacht, der schon die Biographien der Philoso­ phen nur insofern für relevant erachtete, als sie für ihre Lehrmeinungen von Bedeutung waren: Eine Philosophiegeschichte, die ihren Gegen­ stand nicht klar bestimme, verfehle zwangsläufig ihr Thema. Die differierenden Ansichten über Aufgabe und Methode der Phi­ losophiegeschichtsschreibung haben für die Wahrnehmung Sokrates’ aber keine Konsequenzen. Auch seitens Boureau-Deslandes kommt Sokrates Hochachtung zu: Er war bereits Monotheist, bezüglich seiner Standhaftigkeit vor dem Gericht wird gar eine Parallele zu den christli­ chen Märtyrern gezogen. Deslandes verteidigt ihn weiterhin gegen den Vorwurf der Feigheit und zeichnet ihn als Bekämpfer der Sophisten, der die Philosophie von unnötigen Spekulationen befreit – ein Inter­ esse, das er mit dem Autor, selbst Materialist, teilt. Cooper

Bliebe noch John Gilbert Coopers (1722–1769) The life of Socrates (1749) als letzte explizit genannte Quelle Hamanns. Coopers Buch ist nur vor­ geblich eine Biographie Sokrates’ basierend auf den Zeugnissen Xeno­ phons und Platons, eigentlich aber eine durch die Drohkulisse einer neuen Inquisition ausgelöste Intervention: Über die Athener kann 166 Zu Deslandes vgl. Piaia: A »Critical« History of Philosophy.

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Cooper äußern, was er über manche seiner Zeitgenossen sagen möchte. In dem Sinne schreibt auch Cooper »Denkwürdigkeiten«. Sein Sokra­ tes ist musterhafter Lehrer, Patriot und natürlicher Theologe, der nicht nur den Atheisten, sondern vor allem den monetären Interessen einer betrügerischen Priester-/Sophistenklasse, die sich des Staates bemäch­ tigt hat, heldenhaft entgegentritt. Von diesen wird er schließlich – aus Angst, die nie versiegende Geldquelle des Aberglaubens zu verlieren – zum Tode verurteilt: »However the Sequel plainly evinces, that whatever was the Pre­ text, this was the Cause of his being brought to a Punishment inflicted upon the greatest Criminals, viz. his Doctrine of the Unity of the Deity, and a more rational Account of a Retribution of future Rewards and Punishments; which, if it had been publicly and universally taught to the ­People, (as they feared in Time it might, by the mighty Progress it already had made) would have totally destroyed the lucrative Employ­ ment of those sacerdotal Impostors.«167 Der Zweck verlangt umgekehrt, am ›godlike Man‹ Sokrates keinen Makel ungeschönt zu lassen: Sein Verhalten stets musterhaft, sein Genius das sichere, fast prophetische Urteil eines Vernünftigen und der äußerlich eingehaltene Dienst der heidnischen Götter nur vorgespielt, um sein eigentliches Ziel, die Verbreitung der natürlichen Theologie, die freilich nicht mit dem Atheismus der Skeptiker verwechselt werden dürfe, umso schneller zu erreichen. Weitere Sokrates-Bilder

In all diesen Quellen ist Sokrates Muster des Tugendhaften; stets ist es der Sokrates Xenophons – der Praktiker, nicht der Metaphysiker –, dem die Rolle des begrüßens- und nachahmenswerten Positivs zukommt, wobei das Negativ durchaus variieren kann. Der selektive Querschnitt, den Hamann durch die Verweise auf seine Quellen erinnert, wird auch jenseits der Genregrenzen expliziter Biographik bestätigt: Sokrates, »Proteus«168 der Zeit, ist in beinahe allen Kontexten funktional, man findet wohl keinen philosophischen Diskurs, in dem er nicht eine Rolle bekäme – beinahe durchweg die eines identifikationswürdigen 167 Cooper 126.

168 Krochmalnik: Moses Mendelssohn und die Sokrates-Bilder, S. 155.

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Helden. Operiert wird dabei stets mit Nachahmungen und Überschrei­ bungen des historischen Materials, wenngleich die Intensität variiert. Dass Anthony Collins, als eine der wenigen Ausnahmen von der Affir­ mation, am Anfang des 18. Jahrhunderts Sokrates den bis zur Mitte des­ selben mindestens fragwürdig werdenden Ruf eines ›free-thinker‹169 zu verleihen suchte, weist zwar auf ein Gefahrenpotential des heidnischen Philosophen,170 das aber nicht verhinderte, dass er weiterhin für ver­ schiedene, teils gegensätzliche Positionen vereinnahmt werden konnte. Seine Leistung ist oft mit einer Cicero-Sentenz angezeigt: Er habe die Moral vom Himmel auf die Erde geholt;171 es geht also um eine Philosophie mit prometheischer Qualität. Und es liegt damit nahe, ihn als eine Christus verwandte Gestalt zu begreifen.172 Ob der Inhalt sol­ cher Heroisierung des ›kühnen Weltweisen‹173, die Verweltlichung oder Entidealisierung der Moral, überhaupt mit ihrer Form, mit dem Narra­ tiv vom Solitären, bestehen kann, ist dabei selten reflektiert worden. Dass Hamann die Lebensgeschichte des Griechen mit Überlegungen zur Philosophiegeschichte einrahmt, hat wohl damit zu tun. Die für die heutige Ideengeschichtsschreibung prominenteste Sokrates-Figur aus dem 18. Jahrhundert lieferte Rousseau in seinem Discours sur les sciences et les arts (1751) und sur l’origine et les fonde­ ments de l’inégalité parmi les hommes (1755); sie ist mithin die forcier­ teste Sokrates-Deutung der Epoche, vor allem deswegen, weil sie dem Publikum den zivilisatorischen Optimismus raubt – der Genfer Bürger veranschaulicht seine Zivilisa­tionskritik am Konflikt zwischen dem archaischen Sparta und dem korrumpierten Athen. Krochmalnik hat 169 Collins: A Discourse of Free-Thinking. 170 Die

gesamte christliche Tradierung der Figur muss mit diesem Gefahrenpoten­ tial umgehen, seitdem mit Augustinus der Ausschluss der heidnischen Philoso­ phen aus dem Reich Gottes als gewiss gilt; bestätigt von Luther, dem zufolge alle gegenteiligen Versuche »hoheste Blindheit und Unwissenheit Gottes und eitel Gotteslästerung« sind (WA TR6, 118, zitiert nach Spiekermann: Socrates christia­ nus, S. 145). Collins hingegen ermöglicht den Gedanken einer gewissermaßen vorchristlichen Bindung an den christlichen Gott. 171 Cic. tusc. 5,10. 172 Wie das bspw. auch in der Herrnhuter Gemeine stattfand und von Lessing in den Gedanken über die Herrnhuter (1750) bestätigt wird. 173 In der Anzeige von Rousseaus Discours sur l’origine in: Berlinische privilegierte Zeitung, 82. St., 10.  7.  1755.

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beschrieben, wie Mendelssohn versuchte, die von Rousseau destru­ ierte, an den Wissenschaften, den Künsten, der gehobenen Gesellig­ keit hängende Zuversicht wieder zu restituieren.174 Gerettet werden sollen das Ideal des Bürgers und der stoischen Moral, also die Figur, die auch schon für die Publikationen von Charpentier und Thomasius das Material lieferte. Nun hat Mendelssohn selbst mittels einer Über­ setzung die Thesen Rousseaus für den deutschsprachigen Markt der Ideen gefördert. Man kann also voraussetzen, dass es an ihnen etwas für den Berliner Philosophen Affirmierbares gab. Kritik an Fehlentwick­ lungen in Wissenschaft und Kunst übt er selbst auch, wenn er bspw. im 11. der Literaturbriefe gegen Wieland ins Feld zieht, u. a. auch gegen dessen Sokrates-Bild eines schwärmerischen Virtuosen (vgl. Komm. SD 12/4).175 Es scheint ihm dagegen um die Figur eines Philosophen im strengen Sinne zu gehen, der aber eben auch kein Pedant und kein Akademiker ist, sondern durchaus ein Kenner der Künste. Die Ver­ mittlung zielt auf ein Ideal, das vor allem methodologisch formiert ist; und im gesellschaftlichen Kontext soll Sokrates staatstreu sein.176 Auch diese Umwertung ist nicht vorgenommen im Sinne einer historio­ graphischen Präzisierung, sondern dient einem Interesse im eigenen sozialen Kontext, den publizistischen Querelen in Preußen und dem darin stattfindenden Kampf um die Rolle der Wissenschaft im Staat – wobei die in Berlin u. a. von Mendelssohn gestalteten Rollen eher dazu angetan sind, mit dem Monarchen Friedrich II . eine Koalition zuguns­ ten publizistischer Öffentlichkeit, als Alternative zum geschlossenen akademischen System, zu bilden. Damit wird eine konkrete historische Dimension der Gestaltwer­ dung sichtbar, für welche Frankreich und Preußen je unterschiedlich als Hintergrund berücksichtigt werden müssen. In die französischen Querelen in den Milieus der Gelehrten, Geistlichen und Aristokraten 174 Krochmalnik:

Moses Mendelssohn und die Sokrates-Bilder, S. 155–161. Zuerst, auf den zweiten Discours bezogen, in: Johann Jacob Rousseau Bürgers zu Genf Abhandlung von dem Ursprunge der Ungleichheit. 175 Zur Rezeption des Gentleman- und virtuoso-Ideals bei Wieland vgl. Dehrmann: Das »Orakel der Deisten«, S. 310 u. ö. 176 Vgl. den 118. der Literaturbriefe, worin Mendelssohn aus Platons Kriton die Bekenntnisse des Sokrates zu den Gesetzen Athens, trotz der Verurteilung zum Tode, übersetzt. Dazu Krochmalnik: Moses Mendelssohn und die Sokrates-Bilder, S. 191 f.

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führte auch Diderot einen Sokrates ein, der Widerstand leistet gegen katholische Tyrannei; Lessing übersetzt diesen Plan zu einem ›philo­ sophischen Drama‹ ins Deutsche.177 1759 veröffentlicht Voltaire ein Sokrates-Drama, das wiederum Mendelssohn im 119. der Literaturbriefe rezensiert; hier geht es ebenso um die Bedrohung, welcher die franzö­ sischen ›philosophes‹, allen voran die Autoren der Encyclopédie, durch die Angriffe der Geistlichen (bspw. mit dem Vorwurf, sie verdürben die Jugend) ausgesetzt sind.178 Von ähnlichem Kaliber sind Diderots Lettres sur les aveugles, á l’usage de ceux qui voient (London 1749), ein literarisches Versteckspiel, in welchem der erblindete englische Mathematiker Nicholas Saun­ derson (1682–1739) als sokratisch attribuierter Skeptiker gegen den Unsterblichkeitsglauben instrumentiert wird. Trotz der Fiktion wurde Diderot dafür verhaftet. So klar sind die Fronten im deutschsprachigen Diskurs der 1750  er Jahre nicht, nach der Rehabilitation Wolffs ist Sokrates als Widerstands­ kämpfer zunächst einmal nicht mehr nötig. Zumindest im Rahmen der für Hamann (mittels seiner Korrespondenz zum Ende des Jahrzehnts) nachweisbaren Lektüren tritt der Grieche da auf einer anderen Ebene auf – er wird elitärer im bürgerlichen Sinne, soll für ein anspruchsvol­ les Niveau in Philosophie und Kunst stehen. Lessing und Mendelssohn im Streit mit Wieland und Klopstock haben mit je unterschiedlicher Nuancierung einen intellektuellen Repräsentanten im Sinn. Hamanns Sokrates

Wenn Hamann dann ›seinen‹ Sokrates schreibt, braucht er selbst nicht einmal behaupten, ein wahrheitsgemäßes Bild zu liefern. Auf dieser Ebene versucht Mendelssohn in seiner Rezension der Denkwürdigkeiten die Willkür des Königsberger Dilettanten wohlwollend zu bändigen, wenn er ihm attestiert, Sokrates’ Charakter »nach dem Leben« getroffen (Mendelssohn Rez-SD 94/17 f.) und also erreicht zu haben, was Hamann selbst den Historikern ab-, einem La Fontaine aber dem Vermögen 177 Apologie de Socrate de Platon, traduction entreprise en captivité à Vincennes (1749);

Das Theater des Herren Diderot (2 Tle., Berlin 1760). Dazu Krochmalnik: Moses Mendelssohn und die Sokrates-Bilder, S. 162. Vgl. Hamanns briefliche Auseinan­ dersetzung in HKB 206 (II 84 f., 5.  5.  1761, an J. G. Lindner). 178 Voltaire: Socrate, ouvrage dramatique.

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nach zuspricht (SD 15/18–28). Dabei hatte Hamann bekannt, nicht als »Historiograph« (SD 18/23) arbeiten, sondern stattdessen ›Denkwürdig­ keiten‹ liefern zu wollen, d. h. – so wäre es anhand des Beispiels, dem Werk von Charles Pinot Duclos (SD 18/25), zu umschreiben – gerade unzuverlässige Mitteilungen, die ein bestimmtes Interesse im gegen­ wärtigen sozialen Kontext nicht offenlegen, sondern subtil verfolgen. Plausibler erscheint es deshalb, die Erinnerung an die historische Skepsis (vgl. Komm. SD 15/4) ernst und die vermeintlich ersehnte Nähe zum Leben (SD 15/28) nicht als Ausdruck des Interesses an historischer Wahrheit zu nehmen. Vielmehr ist die Stilisierung der Figur als eine in sich äquivoke, mehr durch die Opposition zu den jeweils leblos imagi­ nierten »Kolossen« und »Kaminpuppen« bestimmte Maxime vorzustel­ len. Sie hält den idealisierenden Musterbildern eben jene anstößigen Potentiale des Sokrates-Stoffes entgegen, die durch das teilweise zwar unterschiedlich motivierte, stets aber engagierte Weißwaschen allererst unwahrscheinlich gemacht wurden. Dass die Wahrnehmung dieser Indienstnahmen einem ›müßigen Zuschauer‹ (SD 15/15) leichter, die Darlegung des Gegenbildes aber kei­ neswegs unengagiert geschieht, ist im Fall des Sokrates gar notwendig: Was von ihm bekannt und überliefert ist, ist es genau dank solcher Pro­ jektionen, der Hamann in dieser Lesart schlicht eine weitere hinzufügt und hinzufügen muss, da ein neutraler, d. h. unbeteiligter Standpunkt gar nicht eingenommen werden kann.179 Vielleicht liegt gar in dieser Perspektive auf Geschichtliches und Zeugenschaft Hamanns Intuition für die Figur begründet, mit der er Sokrates und die Geschichte der Philosophie als einen Komplex entwirft, in dem es nicht darum geht, 179 So klingt es auch bei Bode, siehe Bode Rez-SD 106/3–7: »Er selbst hat vielleicht in

diesen Socratischen Denkwürdigkeiten eine Probe liefern wollen, daß man auf die Rechnung der alten Philosophen sagen könne, was man wolle.« Vgl. auch HKB 163 (I 428/34–429/5, 12.  10.  1759, an J. G. Lindner): »Der Sokrates, deßen Denkwürdigkeiten ich geschrieben, war der gröste Idiot in seiner Theorie und der gröste Sophist in seiner Praxi. Lesen Sie nur das Gespräch mit Alcibiades. Verstehen Sie eben den Sokrates, oder vielleicht einen andern, der ein Prahlhans der weisen und klugen Leute ist, und die Maske starker Geister. Mein Sokrates bleibt als ein Heyde groß, und nachahmenswürdig. Das Christenthum würde seinen Glanz verdunkeln. Er starb als ein Verführer der Jugend. Für ein solch Gerücht und Gnadenlohn wird uns der Himmel wohl behüten. Er lief weder in Armen Schulen noch Präbenden; sondern zog Alcibiaden und Platonen.«

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die Überlieferung kritisch zu reinigen, wie in der eklektischen Darstel­ lung angestrebt, sondern das Überlieferte als Botschaft zu verstehen.180 Konkret betrifft dies etwa den Vorwurf der Päderastie, an dessen Begründetheit Hamann keinen Zweifel lässt (SD 22/28 ff.; 23/16–26). Gerade das vermeintlich Anstößige eines Widerspruchs in der Harmo­ nie von innerlicher und äußerlicher Schönheit erlaubt es, im »Mann der Schmerzen« (mit Forstmann, vgl. Komm. 24/14) ein Bild des Messias zu sehen: Die Lust des Sokrates am Fleisch der Jünglinge findet Ent­ sprechung in der Herablassung Gottes im Kreuzestod seines Sohnes. Gerade das Fabelhafte (SD 24/17) – für Heumann Indiz falscher Zeug­ nisse181 – erlaubt es, dies zu sehen. Dafür muss Sokrates nicht als Prototyp des frommen, sondern als überzeugter Heide dargestellt werden: Wenn Hamanns Quellen fast durchweg Sokrates vom Unglauben reinwaschen und zum Prediger einer natürlichen Religion verklären, geben sie dem historischen Vor­ wurf der Athener, er habe versucht, eine neue Religion einzuführen, Recht. Dagegen lässt Hamann ihn nicht nur des Opfers (SD 43/14– 6), sondern den Leser auch seiner heidnischen Schwüre erinnern (SD 43/8–11), ohne hierin bloß äußerliche Nachahmung seiner Zeit­ genossen zu sehen. Vielleicht ist dies als eigentliche Rechtfertigung zu verstehen, die Sokrates – dies möglicherweise auch eine Absicht der oben zitierten Würdigung Mendelssohns – wie schon bezüglich des Vorwurfs der Päderastie (SD 22/14–23/6), wieder im historischen Milieu Athens verortet. Diesem sozialen System tritt er, dies ein weiterer Aspekt, als ein Glied desselben gegenüber, nicht als solitärer Heros, nicht natürlichnaiv, sondern geschickt und, den Umständen entsprechend, kunstvoll und künstlich (SD 37/13–18):182 Seine Unwissenheit steht als »Belei­ digung« (SD 27/16) im Kontrast zum reichlich genossenen Unterricht seiner Meister; das Geständnis der Unwissenheit ist »frech« (SD 27/15), 180 Vgl.

ähnlich (aber mit Bezug auf die aufkommende Bibelwissenschaft) Senkel: Zwischen den Stylen, S. 307 f. Ansonsten ist das Geschichtlich-Werden auch Teil der Kondeszendenz-Bewegung Gottes in Sinnlichkeit und Konkretheit; siehe dazu mit Forschungsüberblick Reuter: Autorschaft als Kondeszendenz, S. 9–25. 181 Vgl. Acta 3. St., S. 456 u. ö., wo der Nachweis der Unwahrheit einer Überlieferung mit der Reduktion derselben auf eine Fabel gleichbedeutend ist. 182 Den naiven Typus rekonstruiert Achermann: Verbriefte Freiheiten, S. 85.

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weil Urteil über deren Lehren. Gerade der eklektische Sokrates Tho­ masius’, Heumanns und Bruckers liefert die Motivik: Nicht mehr das Übernatürliche der Überlieferung will er »absondern« (SD 25/18), sich selbst sondert er vom sophistischen Spiel, motiviert durch tatsächlich bestehende Selbsterkenntnis, die – hier sprechen die Denkwürdigkeiten beinahe irritierend klar – als Skepsis gerade im Widerpart der Raison, in der Empfindung nur bestehen könnte (SD 32/11–25). Sein Selbstden­ ken kehrt sich so nicht nur gegen die vermeinten Demonstrationen, sondern auch gegen die ihrerseits als Sekte erscheinenden Selbstden­ ker, die Hamann im Rekurs auf Erfahrung und gesunde Vernunft mit den französischen Enzyklopädisten vereint betrachtet – und dem ver­ meintlich verworfenen Cooper darin folgt, auch das monetäre an die­ sen Interessen zu betonen (vgl. SD 42/26–43/2).

Über den Text der Sokratischen Denkwürdigkeiten Titel

Der Titel eröffnet bereits den Zusammenhang von philosophischer und politischer Geschichte: Die Genre-Bezeichnung »Denkwürdigkei­ ten« gilt, wie lat. memorabilia, politischen Begebenheiten (Komm. 1/1 und W 60/22 f.), ihr Vergangenheitsbezug ist instrumentell, Unterhal­ tung beabsichtigt. Das Adjektiv »sokratisch« lässt Rückschlüsse sowohl auf das Objekt als auch den Charakter des Erinnerten zu. Langeweile und Publikum eröffnen kontradiktorische Assoziationen: Langeweile ist etwas Aristokratisches, im bürgerlichen Kontext der vorgeblichen Zielgruppe aber tabu.183 1759 geht es auch um die Rolle des Intellektu­ ellen im Krieg (vgl. Komm. 1/3) und allgemein um eine unproduktive Daseinsform. Auch das greift das Persius-Zitat am Ende des Titels wie­ der auf. Es betont und affirmiert nicht nur die Nutzlosigkeit auch der eigenen Unternehmung, sondern setzt zudem die beiden Adressaten der Zuschriften in ein nur schwer zu begreifendes Wechselspiel: vel DVO vel NEMO, was macht hier und was ist der Unterschied zwischen was bzw. wem genau?

183 Vgl. Völker: Langeweile, S. 162 f.

Über die Sokratischen Denkwürdigkeiten

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Wie man das Titelblatt liest, hängt also davon ab, ob man mit der Publizistik der 1750  er Jahre vertraut ist und eine Satire auf Gescheh­ nisse der preußischen Öffentlichkeit erkennt oder ob man rückwirkend in den Zween sehr allgemeine Typen philosophischer Rollen erfasst. Der fingierte Verlagsort Amsterdam (s. o. S. XI) verspricht jedenfalls Anrüchiges. Zuschriften

Die beiden Zuschriften sind gegensätzlich und komplementär: Insze­ niert die erste Zuschrift mit der Du-Anrede (freilich haltlose) Vertrau­ lichkeit, so ist die zweite Zuschrift an die beiden konkreten (freilich unbekannten) Leser im Ton zunächst (kontraintuitiv) allgemeiner, neutraler, mündet aber ebenso in die inszenierte Privatheit. Beide Teile zeichnen sich bereits durch eine an Exempla-Historiographie erinnernde Sentenzhaftigkeit aus. 1. »An das Publicum [...]«: Die Anredeform erinnert an ein Gebet, das wiederholte »Du« findet sich vor allem in zeitgenössischer Predigtlite­ ratur. Aber der Adressat wird angegriffen,184 als Götze entthront, indem er vor seinen »Anbeter[n]« (6/9) entlarvt wird. Diese Doppeldeutigkeit der Anrede macht auch aus dem Publikum etwas Zwiegesichtiges, es wird sowohl Komplize als auch Gegner.185 Auch fallen hier bereits Schlüsselbegriffe der Ästhetik (Schein, Abbildhaftigkeit, Wahrneh­ mung, Verinnerlichung). Das Bild von den reinigenden Pillen (6/10 f.) stellt den Text in die Tradition der Satiren186 und Fabeln (Komm. 6/10); zweier Textgattungen also, die zeigen, indem sie verbergen. Weiterhin wird das sokratische Thema der »Unwissenheit und Neugierde« (6/12 f.) eröffnet, auf beide antwortet hier eine Beichte, die vorbehaltlose Ent­ bergungen suggeriert, dann aber zumindest partiell enttäuscht (6/14): Die »Zween« sollen gezeigt werden – auf der Bühne erscheinen dann 184 Man könnte auch an Hiobs Furor denken; die Wolken beziehen sich dann expli­

zit auf ihn (W 48/1). 185 Hingegen vor allem die kritische Distanz Hamanns betonend: Baur: Johann Georg Hamann als Publizist, S. 266–271. 186 In der von der Humoralpharmakologie geprägten therapeutischen Begründung der Satire ist die Wirkung als Abführung zu verstehen, vgl. Deupmann: »Furor satiricus«. S. 92–103. Zur Grammatik der Satire, also die »Kompressionstechnik« der Satzbildung Hamanns, siehe Dell’Anno: Stilistischer »Medusenschild«.

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allerdings lediglich die Schemen jeweils eines Ehrgeizlings, aus dem Reich der Ökonomie und der Wissenschaft (6/12–7/22). Der Praktiker ist am Gemeinwohl orientiert, als Beispiel gilt der Franzose Mirabeau mit seinen Ideen zur Wachstumssteigerung in Frankreich (vgl. Komm. 6/18). Der Theoretiker ist an der Wahrheit interessiert, aber der Ver­ gleich von Münzwesen und Kritik dürfte im Erfahrungshorizont der Zeitgenossen eher Vergeblichkeit suggeriert haben (vgl. Komm. 7/14). Erst die handschriftliche Annotation, nicht der gedruckte Text befrie­ digt das Bedürfnis nach eindeutiger Identifikation.187 Der Schluss der ersten Zuschrift (7/23–8/8) gibt historische Exem­ pla für die Überschneidung von Politik, Ökonomie und Religion. Der grobe Spott Vespasians gegen die Untertanen bindet die Frage nach der Glaubwürdigkeit an eine Provokation: Hierarchisch bedingt ist die Kommunikation undurchsichtig – doch der Scherz enthält eine sehr einfache Idee, nämlich die Entbergung im Körperlichen und Endlichen. 2. »An die Zween«: Poetologische und hermeneutische Kriterien werden im griechischen Altertum gesucht: Aristoteles (11/2), Alexander (11/4), Sokrates (11/9), Xenophon (11/17), Platon (11/18), Heraklit (12/5) – sie ergeben den ehrwürdigen Horizont, gegen den nur zwei Moderne, Bolingbroke und Shaftesbury, zweifelhaft durch ihren »Misglauben«, abstechen (11/26–12/2). Als Voraussetzung für die Exklusivität im Ver­ stehen, für die Unterscheidung vom ›gemeinen Leser‹ wird die ­soziale Distinktion als politische (der Herrscher Alexander) wie auch als pri­ vate (der Freund) denkbar. Hamann kombiniert das mit moderner wissenschaftlicher Vorstellung: Der Freund hat einen mikroskopischen Blick (11/1–8). Die andere Seite, die Arbeit des Autors, wird als Nachahmung der sokratischen Art bezeichnet, die aus Gegensätzlichem besteht: Iro­ nie und Analogie bilden einen Kontrast wie auch Ungewissheit und Zuversicht (11/9–16). Die beiden Pole entsprechen zwei überlieferten Lesarten der sokratischen Philosophie, für die Hamann Xenophon und Platon angibt. Mit der Anspielung auf den »patriotische[n] St. John« (Bolingbroke; 11/26) wird die politische Implikation der Gegensätze deutlich. In der Relation von Alten und Modernen ist der Schwärmer als politischer Idealist, der Abergläubige als Konservativer zu lesen. 187 Vgl. Simonis: Hamanns Redekunst, S. 135.

Über die Sokratischen Denkwürdigkeiten

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Das Gegensätzliche verknüpft auch die poetologische Abrundung mit dem Heraklit-Gleichnis (12/3–16),188 indem Verständliches und Nicht-Verständliches einander bedingend vorgestellt werden. Mit dem parteiischen Lob oder Tadel (12/17–19) ist wiederum sowohl die Ebene der Vertrautheit als auch der Wissenschaft angedeutet.189 Allein, die Unterscheidung wird in der Dichte der Formulierungen untergraben, letztlich soll gar der Maßstab des Geschmacks (»angenehm«, 12/19) ausschlaggebend sein. Einleitung

In der Einleitung wirft Hamann philosophiegeschichtliche Fragen und solche nach der historiographischen Form auf. Fünf Schritte seien hier unterschieden, mittels derer Hamann das Ideal einer vermeintlich objektiven Historiographie ebenso destruiert wie deren Legitimations­ versuche. 1. Zuerst wird die Gemeinsamkeit von politisch motivierten histo­ rischen Narrativen und Philosophie zu bedenken gegeben.190 Es geht dabei um den Punkt, an dem Religion und Politik als Instrumente der Herrschaft ununterscheidbar sind; die uneindeutige Formulierung Hamanns vom menschlichen Aussehen der göttlichen Regierung spielt damit (am Ende des Ersten Abschnitts, 26/8 f.). Französischer Nationa­ lismus, russisches Streben nach eben solcher politischer Organisation und Macht, römische Restauration unter Kaiser Julian im Kontext der Völkerkonflikte, auf all dies spielt Hamann mit wenigen Worten an, aber so, dass man denken könnte, es ginge um Fragen der Kunst (13/4– 25). Machen, Bilden, Erzeugen – damit wird der »Projektmacher[]« 188 Zum

wissenschaftlichen Hintergrund des Gleichnisses bei Hamanns Universi­ tätslehrer Martin Knutzen siehe Komm. 12/4–11, zu dessen Theorie von der Kon­ deszendenz der biblischen Sprache vgl. Gründer: Figur und Geschichte, S. 56–60. 189 Das ›Parteiische‹ versucht Chladenius in der Allgemeinen Geschichtswissenschaft wissenschaftlich zu kategorisieren. Zu seiner Rationalisierung historischer Erkenntnis vgl. Friedrichs Einleitung in der Neuausg. des Werks, S. XXX–XLVIII . Hamanns spröde Beurteilung als »Supplement unserer scholastischen oder akademischen Vernunftlehre« (18/27) trifft zwar die wissenschaftliche Orien­ tierung, nicht aber die Eigenleistung in der Problematisierung hermeneutischer Methodik. 190 Zu Hamanns Verknüpfung von Wahrheitsanspruch und Zeitlichkeit vgl. Bayer: Wahrheit oder Methode?, S. 169 f.

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Einführung

(13/11) negativ assoziiert, als größenwahnsinnig und autistisch in der Produktion von »Mythologie« und »Reliquien« (13/18 u. 21) gezeichnet. 2. Darauf stellt Hamann Typen von (Philosophie-) Historikern vor. Brucker (14/5) repräsentiert wie Heumann, auf den später angespielt wird (41/8), den Eklektizismus der Vätergeneration, dessen Methode Hamann wahrscheinlich vor allem als »Kritik« begreift. Der Englän­ der Stanley steht für die noch älteren, barocken Vorgänger der Enzy­ klopädik, von denen sich die deutschen akademischen Projekte zur Historio­graphie im 18. Jahrhundert (vor allem der Zedler) kritisch und überbietend absetzen;191 darauf aufbauend dann auch die französische Encyclopédie.192 Boureau-Deslandes steht für französisches, elegantes Populärschrifttum, für das es im deutschsprachigen Raum eine lange und breite Tradition der Skepsis gibt (vgl. Komm zu 14/22), deren Klischees Hamann hier nur zu variieren braucht. Wie die politischen zuvor, werden auch diese akademischen Unternehmungen ästhetisiert und ihre Werke nicht als Zeugen, sondern als Schöpfungen attribuiert: Brucker und Stanley bilden »Kolosse« (14/5), Boureau-Deslandes eine kleinformatige »Kaminpuppe« (14/22). Was hat das mit Sokrates zu tun? Weil er selbst kein Autor wurde, ist seine Gestalt stets zu konstruie­ ren (wie Äsop, der deswegen wandel- und rezipierbar ist; 15/18–28). Gerade die Ungewissheit ob des Erzählten ist es, die Hamann seinem biographischen Versuch zu Sokrates, als sokratische Anekdote viel­ leicht, voranstellt: Schon zu Lebzeiten erkennt der Grieche sich in den Zeugnissen seiner Person nicht wieder (19/11–29). Die Aussicht auf das Erzählte ist also dürftig. Das Mittelstück der Einleitung (15/1–17) relativiert den Status die­ ses dichten Referats des disziplinären Status quo und reagiert auf die gestellte Problematik mit dem Hinweis auf die in der zweiten Zuschrift angekündigte mimetische Voraussetzung (11/14 f.):193 Der eben gege­ bene Überblick sei nur gemimter »Schwung und Ton« und größtmögli­ cher Kontrast zu den kolossalen Systemversuchen (15/2). Nachgeahmt 191 Die Werke dieser Generation sind umfassender, jedoch eher akademische Grup­

penunternehmen als individuelle Leistungen. Siehe dazu Grimm: Letternkultur, S. 146 f. 192 Vgl. Jehl: Jacob Brucker und die ›Encyclopédie‹. 193 Vgl. Komm. 11/21. Zum mimischen Stil in Hamanns Streit mit seinen Freunden Lindner und Berens siehe Steffes: Der Genius aus der Wolke, S. 199.

Über die Sokratischen Denkwürdigkeiten

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werden Shaftesbury und Bolingbroke, deren essayistischer Laxheit Kri­ tiker ein strategisches Versteckspiel unterstellt haben. Eine Untersuchung der »Zeiten, Köpfe, Geschlechter und Völker«, also vielleicht mit komparatistischer, ethnologischer und geistesge­ schichtlicher Methodik, ist die von Hamann dann vorgeschlagene »Gestalt« der Philosophiegeschichtsschreibung (15/10). Das hieße aber: Hamann legt mit seinen Denkwürdigkeiten nicht das vor, was er für diese als »nothwendig« erachtet (15/10), sondern die spezifischen Bedingungen der Nachahmung diktieren ihm etwas Fremdes. 3. Im nächsten Schritt (15/18–17/6) spielt Hamann auf Traditions­ bezüge als Legitimationsgeschehen der Literatur, Philosophie und Poli­ tik an. Die Beispiele handeln von ›verdeckten‹ (18/20) Überlieferungs­ geschehen (auch vermeintliches Verschwinden bspw. bei Celsus), Masken und Verwechslungen. Am ausführlichsten wird Georg Lud­ wig von Bars satirische Aufrichtung des Prophetenamts aufgegriffen (16/18–27). Der auf Französisch publizierende Jurist lebte in Hamburg, weil er sich mit der preußischen Verwaltung überworfen hatte; seine leichten, ›schwungvollen‹ Briefe und Gedichte sind Vexierspiele aus aristokratischem Selbstbewusstsein und beißender Adelskritik, beson­ ders an deren menschenverachtender ›Projektemacherei‹.194 Wer sich als Gelehrter dieser anbiedere, verrate die Philosophie.195 Das sind alles Punkte, die in Hamanns Denkwürdigkeiten auftauchen, bspw. auch in seiner Schluss-Tirade (44/24). Es geht um die ›Berufswahl Prophet‹ und die Existenz bedrohenden Gefahren für die Kritik bzw. die Überliefe­ rung kritischen Schrifttums (17/7–24). Weltliches und Heiliges werden für dieses Thema grob durchmischt; auch die Idee, der Überlieferungs­ bestand sei Gottes Aufmerksamkeit zu danken, ist ambivalent, weil dessen Fürsorge mit der doch recht dürftigen Rettung wichtiger Papiere

194 Von Bar hat nicht unbedingt wissenschaftliche Großprojekte mit seiner Kritik im

Sinn; vermutlich Hamann schon, wenn er (fast notorisch) immer wieder auf die Staatsseher und Alfons X . von Kastilien anspielt (vgl. Komm. 28/9). Das Pendant dazu in den 1750  er Jahren kann in der Berliner Akademie der Wissenschaften und deren französischem Präsidenten, Pierre Louis Moreau de Maupertuis, gesehen werden. 195 Poetische Werke, Bd. 2, S. 8, 16 f.; dort erwähnt er auch Bayle als Beispiel für die Gefährdungen, die man sich mit Aberglaubenskritik einhandelt.

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durch Caesar verglichen wird – eine Hand aus dem Wasser streckend (17/23).196 4. Im vierten Teil der Einleitung (18/1–19/10) wird beginnend mit Quintilians Gleichnis für unnütze Rhetorik (18/1–6) das Verhältnis von Künstler und Gelehrtem, das anfangs mit Pygmalion schon angedeutet wurde (13/21), wieder aufgegriffen: Als Scharnier dient wiederholt die »Mythologie« (13/18 und 18/18); die Einleitung ist also symmetrisch konstruiert. Die Frage nach dem Gebrauch der alten Werke hat Boling­ broke pointiert beantwortet: Wie ein »poetisch Wörterbuch«, also wohl zum freien Gebrauch (18/16). Dagegen steht der viel zitierte Einwand: »Doch vielleicht ist die ganze Historie mehr Mythologie, als es dieser Philosoph meynt, und gleich der Natur ein versiegelt Buch, ein verdeck­ tes Zeugnis, ein Räthsel, das sich nicht auflösen läßt, ohne mit einem andern Kalbe, als unserer Vernunft zu pflügen.« (18/17–22) Der Eng­ länder bezieht sich auf einen common sense, mit dem politisch brauch­ bares Wissen generiert werden soll. Als Kontrast zu dieser Ratio wird Blackwells »Versuch« für eine Homer-Biographie angeführt (19/4),197 also ein Umgang mit alten Texten eher im philologischen und ethno­ logischen Sinne;198 eine Wissenschaft, zu der Hamann (dem Laien) die Ausbildung fehlt. Dass die Denkwürdigkeiten denen des Charles Pinot Duclos glichen (18/25), kann wiederum als Parodie der Idee vom ›versiegelten Buch‹ gelesen werden, denn zwar bedürfen dessen Mémoires und Considerations der Decodierung, die ist aber auch leicht leistbar wie bei jeder Schlüsselliteratur. Das »Senkbley des philosophischen Verstandes« (W 71/1) ist dafür nicht nötig. 196 Zur

Dürftigkeit, die mit Hamanns Metapher von Gott als Schriftsteller (zu Beginn der Biblischen Betrachtungen) verbunden ist, vgl. Ringleben: Gott als Schriftsteller, S. 215 f. 197 Dessen Hermeneutik der Mythen hat ganz andere Grundsätze für die philoso­ phische Erkundung der Vergangenheit als bspw. Bruckers Systematisierung, welche den alten Mythen keine Tiefsinnigkeit beimessen will (so etwa in Kurtze Fragen, Bd. 2, S. 881: Der Betrug der Priester machte die Barbaren zu Sklaven der Tradition). Blackwell hatte außer der Homer-Studie 1748 die Letters concerning Mythology publiziert. 198 Für die theologische Lesart dieser Stelle siehe Veldhuis: Ein versiegeltes Buch, S. 154.

Über die Sokratischen Denkwürdigkeiten

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5. Am Schluss der Einleitung steht das schlichte ›Aufschreiben‹, für das der athenische Simon vorbildlich ist: eine ziemlich unkünstlerische Form des Zeugnisses im Gegensatz zu Platons Dialogen. Es wird zwei­ mal betont, dass Simon Gerber ist wie der Wirt von Petrus (19/12 u. 20). Ein Heischen nach Ähnlichkeit im Bemühen der Aufwertung – das schon bald korrigiert werden muss (W 69/10). Erster Abschnitt

Der erste Abschnitt der Denkwürdigkeiten handelt nur zu etwas mehr als der Hälfte von Sokrates und beschreibt darin das elterliche, beruf­ liche Herkommen des Griechen – von einer Hebamme199 und einem Bildhauer – sowie seine ersten Erfahrungen in der griechischen Öffent­ lichkeit. Hamann begreift dies alles in theologischer Lesart symbolisch; umständlich ist der Verweis auf Luther gestaltet (Fußnote 20/27 weist auf Fußnote 21/26 ff.). Was Hamann zitiert (20/13 f. u. 21/9–11), betrifft die Schöpfung und Bildung des Menschen. Die Analogie von Schöp­ fung und Kunstwerk ist dabei keine erhebende Geste, sondern eher eine demütigende, weil sie Destruktion impliziert. Der Kontext ist politisch, da mit dem Leib nicht nur der einzelne Mensch gemeint ist, sondern auch der gesellschaftliche, die Gemeinschaft in institutionali­ sierter Repräsentation.200 Diese kann gemäß lutherischer Sündentheo­ logie aber nicht anders als falsch sein (vgl. auch Vorrede zum Psalter, Komm. SD 21/9–11). Den »Schwärmer«, mit dem hier auf Luther verwiesen wird, konn­ ten zeitgenössische Leser leicht identifizieren: Klopstock. Dem geht es um deutsche, religiös geprägte Literatur und Sprache,201 deren emp­ findsame Ästhetik Lessing als schwärmerisch angegriffen hatte (vgl. Komm. SD 21/26–31). Der Kritik geht es um die unbegriffliche Theolo­ gie des in Kopenhagen untergekommenen Dichters; Hamann wird die ästhetische Dimension explizieren und mit ihr die Paradoxa religiöser 199 Das mit der Hebamme verbundene »Knäuel vortreflicher Begriffe« (20/9) ist in

den Denkwürdigkeiten nicht pädagogischer Art. An der Maieutik, dem metho­ dischen Kern sokratischer, dialogischer Philosophie, hat Hamann, anders als Mendelssohn (Rez-SD 98/5–99/9), kein Interesse (W 71/16, 72/5). Das für ihn interessante Paradox ist, dass die Mutter Hebamme ist, also auch keine Mutter. 200 Vgl. Kantorowicz: Mysterien des Staates, S. 279 f. 201 Dafür wird Opitz rehabilitiert, Haller inthronisiert und Gottsched ignoriert.

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Rede. Klopstock erinnert an etwas, das man von Luther über die deut­ sche Sprache hätte lernen können (vgl. Komm. SD 21/26–31); gewiss ist dabei an die Unbegrifflichkeit zu denken, wie er sie als Prinzip der Bibelübersetzung bspw. im Sendbrief verficht. Brieflich mokiert sich Hamann über Klopstocks Auslassungen über das Publikum.202 Dass diese auch hier die Referenzebene geben, wird durch die Beschreibung der öffentlichen Reaktionen auf Sokrates’ »Gratien« im ersten Abschnitt (21/22 ff.) nahegelegt. Das Publikum ist eine soziale bzw. politische Größe (vgl. Komm. 3/1 und 5/1), die mit­ tels Exklusion und Inklusion gebildet wird.203 Im sokratischen Kontext benennt Hamann die Sophisten (24/18) als die den common sense ver­ tretenden Athenienser; gegen deren Habitus ist Sokrates der konserva­ tive Künstler mit altväterlicher Moral (21/22). Der Konflikt zwischen Bildhauer und Publikum erinnert an Coopers Insistieren auf der Analogie von künstlerischem Können und Moral (vgl. Komm. 21/19–25), welche den Geschmack als überindividuelles und von Gott gegebenes menschliches Vermögen und die Harmonie als Grundprinzip der Schöpfung setzt. In der Einleitung wird dessen Sokrates-Buch kurz als »Schulübung« abgetan (19/8). Das scheint zu suggerieren, es sei nicht von Interesse; vermutlich ist die darin vertre­ tene Position aber gerade repräsentativ für den Zusammenhang von Ästhetik und Gesetz. Gegen das Neumodische setzt Hamann diffuse kritische Anspie­ lungen (22/11–23): Mit den »gegen das menschliche Geschlecht und dessen Aufkommen gar zu witzig gesinnte[n] Patrioten« kann, mit Hin­ weis auf die erste Zuschrift (6/18), Mirabeau gemeint sein, plausibler ist Bolingbroke (vgl. Komm. 76/15 f.), aber auch Cooper hat patriotische Gedichte veröffentlicht (The Genius of Britain), auch an Shaftesbury könnte man denken, vielleicht gar an den später thematisierten Bayle. Das Verdikt gilt wohl dem Menschenideal eines Virtuosen (22/14); die Anspielung auf den Spott gegen des Zimmermanns Sohn kann Voltaire (vgl. Komm. 22/17) und den spätantiken Kaiser Julian ins Spiel bringen, die beide das handwerkliche Herkommen Jesu gegenüber der künst­ 202 Vgl. Komm. 1/3. Zu diesen brieflichen Kommentaren 1759 vgl. den Aufsatz von

Graubner: »Christ oder Poet. Wundern Sie sich nicht, dass dies Synonima sind«. 203 Zu gruppensoziologischen Aspekten vgl. Baur: Johann Georg Hamann als Publizist, S. 257.

Über die Sokratischen Denkwürdigkeiten

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lerischen griechischen Kultur als minderwertig bezeichneten204 – und damit die am Ende der Einleitung konstatierte Hierarchie von werktä­ tigem Simon und kunstvollem Platon invertieren. Bevor gegen solches »Ansehen der Person« (24/6) die Erscheinung des Erlösers als (von Heiden und Juden unverstandener) Kontrapunkt gesetzt wird, verfällt der Liebhaber der Langeweile in einen ätzenden Ton, mit dem er die »Patrioten« (22/13) als »Giftmischer« und »Mörder« (22/21 f.) verunglimpft.205 Der Gestus ist von apologetischer Publizistik abgeguckt.206 Den Versuch, Sokrates als moralisch integer zu instrumentalisieren, begreift Hamann als alchimistischen Trick (23/2 f.), der antike griechi­ sche Normalität (22/24–28) verdrängen muss. Die Erkundung kultu­ reller Gegebenheit (wie Blackwell für Homer, vgl. Komm. 19/4) ist mit dem moralischen Vorurteil einer Verfallsdynamik, die mit dem HorazZitat suggeriert wird (22/29), blockiert. Das ist Satire ob der Willkür einer Geschichtsschreibung, die Vorbilder generieren soll: Es gibt ver­ blendete Athener und einen klugen Weisen – so kann ein Erzieher sti­ lisiert werden. Der Philosoph als Bildhauer destruiert die Dummheit, um die schöne Figur herzustellen. Mit solcher Rezeption der Antike ist auch der eigenem Bekunden nach aufklärerische Philosoph neuer Zeit geschmäcklerisch (25/9), sucht Vorbilder und malt sie sich selbst (24/26–30). Um Überlieferung als Dilemma begreif bar zu machen, deutet Hamann auf Leben und Tod Christi (24/12–16). Die messianische 204 Komm. 13/11 u. 67/12–14. Zu Hamanns Reaktionen auf

Voltaires Epître à Uranie vgl. Fink-Langois: Hamanns Auseinandersetzung mit Voltaire. 205 Für diesen galligen Ton gibt es auch einen intertextuellen Bezug, wiederum steht Klopstock am Horizont, diesmal dessen Aufsatz über eben besagten Julian und darin die Schmähung der vermeintlich Gottlosen Voltaire, Bolingbroke und Hume (vgl. Komm. 22/21). 206 Vielleicht kann man ihn auch lutherisch nennen; über dessen Heftigkeit Hamann angesichts des Sendbriefes vom Dollmetschen staunt – HKB 167 (I 442/14–20, 20.  11.  1759, an den Bruder); vgl. auch Komm. SD 32/18. Siehe zur apologetischen Rhetorik umfassend Spiekermann: Der Gottlose. Auch Lessing hatte mit solcher Rhetorik in seiner Wieland-Kritik gespielt (in der es auch um ästhetizistische Menschenideale geht), wo er Shaftesbury als den gefährlichsten Feind der Religion bezeichnete – 12. der Literaturbriefe (1.Tl., 1759), S. 64, vgl. Komm. SD 11/25–12/1.

LXXX

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Geschichte als eine des Schmerzes soll Enttäuschung jeder Geschichte sein, die Harmonie nach menschlicher Vorstellungskraft sucht (23/24). Dieser entspricht die sophistische Rigorosität im Begehren, Wider­ sprüchlichkeiten zu eliminieren (24/20). Die »klugen Fabeln« der »Hey­ den« (24/16) könnten dagegen den Vorteil gehabt haben, im bildlichen Ausdruck eher bedeckend als entblößend gewesen zu sein. In der Zusammenschau der skizzierten Aspekte zeigt sich als Thema des ersten Kapitels die Charakterisierung der Philosophen als Men­ schenbildner – wobei die Zuschreibungen unbestimmt bleiben, sodass nicht klar wird, wessen Zeitgenossen getroffen sein sollen. Am Schluss des Abschnitts wird zur Darstellung dieses Komplexes auf Bayle ver­ wiesen, der als Patron kritischer Philosophie stellvertretend ist für die Distanz zu den alten Erzählungen »unserer Kinder und Ammen« (25/15).207 Auf seine Vorbildfunktion zielt die Bezeichnung als Prophet ab (25/21 f.) – wodurch mit Bezug auf die jüngere Vergangenheit und ihre philosophische Tendenz die Ungewissheit der Offenbarung als immer wiederkehrendes Problem aufgerufen wird: Wer folgt wem, spricht wem nach? Wer hat wen verstanden, übernimmt wessen Wahn (26/1) in der »Geisterwelt unsere[r] blöden Augen« (26/12). Bayle wird außerdem als Eiferer eingeführt (25/29); zusammen mit der Charakterisierung des philosophischen »Heldengeistes« (»bren­ nender Ehrgeitz nach Wahrheit und Tugend«, 16/8) ist die Frage nach dem Verhältnis von Haltung und Stil gestellt, vielleicht im Sinne der griechischen Parrhesia, in der Wahrheit und Freiheit korrelieren sollen. Zweyter Abschnitt

Thema des zweiten Abschnitts ist die Auslegung des sokratischen Nicht-Wissens. Im Zentrum, somit auch in der Mitte der Denkwürdigkeiten, steht die Überschneidung von Sokrates und Paulus, Griechenund Christentum. Es sind »willkührliche Verbindungen«, die Hamann für seine Auslegung, den Naturforscher nachahmend, erfindet (29/20– 207 Mit dem Verhältnis von Wunderglaube und Dichtung bezieht sich Hamann auf

die jüngere ästhetische Debatte seiner Zeit; wenn etwa der Rationalist Gottsched die »Alpendichter« (25/19) für ihre Phantasterei kritisierte, hatte das auch die theologische Implikation, dass in einer Offenbarung nur zu gelten habe, was rational nachvollziehbar sei. Gottsched hat wohl am meisten dazu beigetragen, Bayle im deutschsprachigen Raum populär zu machen.

Über die Sokratischen Denkwürdigkeiten

LXXXI

24), man darf vielleicht übersetzen: Heuristiken. Eine Gliederung in fünf Teile bietet sich an. 1. Die biographische Schilderung des Sokrates bleibt zunächst bei Beruflichem. Trotz der ihm ermöglichten Ausbildung bleibt er unwis­ send (27/11–25). Die Wendung vom »Loos der Unwissenheit« deutet verallgemeinernd auf einen unschuldigen, determinierten Mangel, der aber ebenso Widerstand erzeugt wie das souveräne Vermögen. Dieses Paradox wird weiter aufgefächert (27/26–28/9): Besitzlosigkeit wird wie Unwissenheit verachtet, gerade dadurch aber steigen die »Einfälle des Armen« im Wert und werden überliefert. Die Inversion, die den ›Projektmachern‹ den Mottenfraß in Aussicht stellt, eröffnet einen Bühnenraum für eine Typenkomödie, in welcher Sokrates’ Agieren als künstliches erkennbar wird: die Hypochondrie des Unwissens ist Über­ treibung (28/12; wiederum Molière im Hintergrund, vgl. 16/19 f.). In Bezug darauf wird dann die Qualität des Orakels von Delphi ermittelt. Entgegen dem neuen Geschmack (25/9) gilt das Interesse einem Götterspruch: Zuerst spricht eine »Thür«. Die kultische Vereh­ rung aber verhilft nicht zur Erkenntnis (28/17–24). Die Bemühung der Künstler (Sophokles und Euripides) dringt nicht bis zum Selbst (28/28–29/2). Apoll gibt den entscheidenden Rat: Er verweist den Fra­ genden an einen Freund (29/7), was schließlich als göttliches Zeugnis, auch unter den Heiden, gedeutet wird (29/11–19). Versucht wird hier eine Kontextverschiebung: Die Situation des Sokrates wird mit der des Paulus verstrickt. 2. Der zweite Teil des Abschnitts zeigt eine paradigmatische Erset­ zung innerhalb des Satzes vom Nicht-Wissen, aus dem Wissen wird das Spielen. Das wird methodologisch nach- und vorbereitet: Erstens ist der Sinn abhängig von der Person, die den Satz sagt (30/1–11; vgl. den Bezug darauf in W 64/3–8); zweitens ist das Verständnis abhängig von der Person, die ihn hört oder liest (30/11–28).208 Am Beispiel des Sokrates wird gezeigt, dass die Absicht einer Aussage implizit, aber situativ erkennbar ist. Der Beispielsatz »Ich spiele nicht« ist natürlich nicht irgendeiner, sondern, mit Plutarchs Ausführungen zur falschen Schamhaftigkeit 208 Zu

dieser Stelle und ihren kommunikationstheoretischen Implikationen siehe Achermann: Worte und Werte, S. 197; Weiß: Johann Georg Hamanns Ansichten zur Sprache, S. 160–169.

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Einführung

im Hintergrund (vgl. Komm. 30/31), Zentrum einer Szene, in der moral(philosoph)ische Anforderungen auf ihre sozialen Voraussetzun­ gen hin befragt werden. Hamanns szenische Entfaltung des Satzes »Ich spiele nicht« (30/29–32/4), diese ›Auflösung‹ in rauhe Töne (32/1 f.), bedeutet im Umkehrschluss für Sokrates’ lakonisches »Ich weiß nichts« (32/4), dass dieser Satz ein (Er-)Zeugnis der Scham ist. 3. Damit ist der dritte Schritt des Abschnitts eröffnet, in dem es um die Beziehung der Begriffe Empfindung, Glauben und Vernunft geht. Weil der Satz des Sokrates schamhaft ist und mehr mitteilt, als er sagt, ist er eine Geißel auf dem Rücken seiner Zeitgenossen (32/5). Dem gegenüber steht die gespielte Unwissenheit (32/16 f.), die Hamann als eine Strategie der Skeptiker begreift. Diese theoretische Ebene rund um die Begriffe »Empfindung« und »Glauben« mit den verschiedenen Argumenten und Angriffen borgt Hamann aus der Kontroverse zwi­ schen den Literaturbriefen und dem Nordischen Aufseher (s. o. S. XLVf.). Der einzige Name, den Hamann hier nennt, ist »Hume« (33/12). Mit ihm ist einer der Skeptiker genannt, der Glaubenswahrheiten stört.209 Wahrscheinlich ist Hamann hier aber gar nicht an der epistomolo­ gischen Fragestellung interessiert; die erkenntniskritischen Argumente sind relativiert durch ›Angriffe‹ von »Rabulisten« und »Sachwalter[n]«. Hervorgehoben erscheint die Frage nach dem Gemachten, der »Anwen­ dung«, dem Erzeugen und den Strategien und Vorlieben. Die Relati­ vierungen werden dann mit dem (gewissermaßen Natur-)Gesetz der »Nachahmung« begriffen, dem auch Philosophen unterliegen (33/20– 34/10). Angesichts solcher Heteronomie gleicht der Versuch des Zeu­ gens einem »Schattenspiel« (33/27). 4. Die Anspielungen auf die ungenannten Leibniz bzw. Voltaire und Klopstock (34/1–10) grundieren einen nächsten theoretischen Termi­ nus, mit dem der vierte Teil des Abschnitts eröffnet wird: die Einbil­ dungskraft – im Spannungsverhältnis zu der zeitgenössischen theolo­ gischen Herausforderung schlechthin: der Theodizee. Für den Glauben hat Hamann zuvor schon »des Menschen Ende« (32/29) als Eckstein

209 Die Sinnhaftigkeit einer im radikalen Sinne skeptizistischen Position hat Hume

freilich selbst bestritten, Philosophische Versuche, Kap. »Sceptische Zweifel, in Ansehung des Verstandes«.

Über die Sokratischen Denkwürdigkeiten

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hervorgehoben.210 Der thematische Zusammenhang ist die Dialektik von Joh 12,24 (34/21–29): Schöpfung wird als ein Prozess gedacht, der durch Vernichtung geht. Einbildungskraft wäre demgegenüber nicht schöpferisch, sondern ein Tun, das auf Gewohnheiten beruht, kulturell bedingt, vielleicht gar unumgängliche Folge menschlicher Schwäche. In dieser Passage, in der quantitativen Mitte der Denkwürdigkeiten, wird Paulus als ›Lehrer der Heyden‹ auf griechisch und in Überset­ zung zitiert. Das ragt formal hervor; in den Wolken wird diese Stelle nochmals hervorgehoben (70/20). Sie wird als »Orakelspruch« einge­ führt, was erneut wie bei Apoll (29/3) Griechisches und Christliches vermischt und in den Wolken auch auf der Ebene dialektaler Prägungen von Paulus’ Stil wiederholt wird (auf wissenschaftlicher Basis, W 70/22). Die Parallelisierung von Sokrates–Apoll und Paulus–Gott ist »Siegel« und »Schlüssel« (34/12 f.). Als Bild für hermeneutische Prämissen könnte das bedeuten: Man löse das eine Rätsel, indem man ein analo­ ges Rätsel löst. Der religiösen Klimax solcher Engführung wird gleich wieder die Luft genommen: Mit der Willkür der Analogiebildung ist der modische Begriff vom »Genie« (35/5) nicht notwendig, aber historisch verknüpft.211 5. Im Verlauf der nächsten Passage werden verschiedene Versuche zur Ermittlung des Schöpferischen aufgegriffen, aus der antiken Poetik mit Aristoteles (35/2), der neuzeitlichen bzgl. Shakespeare (35/3), der jüngeren Wissenschaft bzgl. der menschlichen Fortpflanzung (35/12 u. 25) und aus den fabelhaften Vorstellungen von der Vermittlung gött­ licher Weisung (35/20) – »hierüber ist von so vielen Sophisten mit so viel Bündigkeit geschrieben worden, daß man erstaunen muß, wie Sokrates bey der gelobten Erkenntniß seiner Selbst, auch hierinn so unwissend gewesen« (36/1–4). Die witzige Antwort lautet: Der Großteil wurde nach Sokrates’ Tod geschrieben. Der ernste Kern des Witzes ist: Es gibt Zeit. Charpentier vermutet eine List hinter Sokrates’ Zurückhaltung bzgl. der Frage, ob er mit einem Gott in Kontakt stünde (Komm. 35/19, vgl. auch 38/14); das ist die List des Priesterbetrugs, die ein mächtiges 210 Das mit Heraklit gesetzte hermeneutische Vorzeichen der Denkwürdigkeiten gilt

auch dieser Herausforderung, hat es doch elegischen Charakter (12/13). 211 Zu Hamanns Verwendung des Modebegriffs Genie vgl. Lumpp: Philologia crucis, S. 107–116 und 130–143.

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Reservoir jeglicher Religionskritik ist.212 Gegen die einfache Logik der Zeit steht damit das Komplizierte der Situation. Die Idee der List steht gegen die der naiven Unwissenheit; Leichtgläubigkeit kann instru­ mentell sein (36/14), das Reden per analogiam ein Versteck, die »gute Laune« (36/16 f.) »künstlich« (37/16). So wird das »Loos der Unwis­ senheit« (25/19) mit einer gesellschaftlichen Dimension ver­sehen – So­krates ist eben auch eine »Nachteule[] seines Vaterlandes«, also ein Sophist.213 Die Resignation vor der historiographischen Aufgabe (37/8–13) benutzt den Begriff der »Palingenesie«, der in der zeitgenössischen Verwendung schwankt zwischen einer idealistischen Dimension (Wan­ derung der Seelen und/oder Ideen)214 und einer materialistischen (bio­ logische Regenerationsvorgänge). Der Begriff verbindet beide Dimen­ sionen mit der Tradition der Alchimie. Fehlen dem Verfasser die Mittel, die Aufgabe der Vergegenwärtigung zu lösen, weil er zu »hölzern« ist (37/20),215 so kann er immerhin eine Richtung anzeigen und dem Leser das eigenständige Gehen zumuten. Das ist der sokratische Akt. Die Gleichzeitigkeit von Offenheit und Anweisung wird in der Idee vom Prophetischen (38/19) zugespitzt.216 Die paulinische Ungeheu­ erlichkeit, die Aufklärung über den Gottesdienst (Apg 17,23), wird in

212 In

dieses Register passt auch die Anspielung auf Numa und seine Nymphe Egeria, siehe Komm. W 87/14. 213 Vgl. HKB 163 (I 428/35, 12.  10.  1759, an J. G. Lindner). 214 Bei dem »gemeine[n] Wesen« (37/11) ist auch an Kollektiva zu denken, wie sie bspw. Wolff als moralische Wesen begriffen hat. Zu ihrer geschichtstheore­ tischen Bedeutung in Chladenius Allgemeine[r] Geschichtswissenschaft vgl. die Einleitung von Friedrich ebd. S. XXVII . 215 Nach Adelung also zu steif, unbelebt, geschmacklos. 216 Dass Sokrates als prophetische Figur dann auch allegorisch als christologische Figur deutbar ist, kann angesichts der doch recht heterogenen und ironischen Inszenierungen von Prophetie und dem Anspruch darauf, sowohl in den Denkwürdigkeiten als auch in den Wolken, nur sehr bedingt gelten. Zu den Argumen­ ten für die allegorische Deutung siehe Schmidt-Biggemann: So­krates im Dickicht, S. 151, und Gajek: Unwissenheit – Selbsterkenntnis – Genie. Zur typologischen Deutung vgl. Seils: Krise und Gericht, S. 387 f., und Wild: ›Metacriticus bonae spei‹, S. 138–147, sowie Büchsel: Paulinische Denkfiguren, S. 425 f. Zu Typologie und figuraler Gestaltung in Hamanns Werk im Allgemeinen siehe Gründer: Figur und Geschichte; Rudolph: Figuren der Ähnlichkeit.

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so­kratischer Gestalt etwas sehr Einfaches: Stütze für das »Gedächtnis« und die »Urtheilskraft« (38/7 f.). Dritter Abschnitt

Der dritte Abschnitt erzählt Sokrates’ politische Verwicklungen, die zu seiner Hinrichtung führten, mehr anekdotisch als konkret. Ausführlich wird das Ausbleiben der Autorschaft reflektiert, ihre Gründe und die stattdessen wirksame mündliche, soziale Situation. Die Schlusspointe zum möglicherweise Prophetischen des Sokrates ist eine Zuspitzung auf Hamanns Gegenwart. In vier Schritten lässt sich die Hinführung beschreiben, die in der Tirade der »Schlußrede« kulminiert. 1. Der Abschnitt beginnt mit Standardthemen der Sokrates-Bio­ graphik: Heldenmut im Krieg (39/2–14), Arbeit in den politischen Institutionen, bei der er sich erstens »lächerlich« und zweitens Feinde macht (39/15–26). Die Engführung dieser beiden Effekte knüpft an die Typologie des Nicht-Wissenden und -Habenden an, mit der Hamann den zweiten Abschnitt eröffnete (27/26–28/9). Weniger die SokratesApologetik – gegen die Anklage, die Jugend für fremde Götter emp­ fänglich zu machen –, sondern die Konfrontation mit dem Tod ist dann von Interesse und Anlass, die Autorschaft zu thematisieren. Sokrates’ Philosophie wird unterschieden von »Schulfüchserey« (40/11), damit ist zunächst der Standard der Pedanterie- und Akademiker-Kritik bedient, die als Alternative eine praktische (Hof- bzw. politische) Philosophie fordert (s. o. S. LIX zu Thomasius). 2. Es tritt der Zusammenhang von Selbstbewusstsein und Philoso­ phie in den Vordergrund, der bereits im zweiten Abschnitt relevant war, nun mit der Frage nach der Schrift verknüpft: Die Begriffe von Glauben, Vernunft, Einbildungskraft wurden auf die Gewissheit der Endlichkeit, des Todes projiziert (32/29); in Bezug auf zeitgenössische Auseinan­ dersetzungen mit der Theodizee war ein existenzialistischer Punkt bemerkt, an dem die Philosophen und Dichter »sich [...] selbst fühlen« (34/3). Und wie Sokrates »übereinstimmig mit sich selbst« (40/2) sein kann, ist ein Knotenpunkt seiner schriftstellerischen Absti­nenz.217 Für die Selbstvergewisserung sucht er nicht die Absicherung in der Schrift als Projektion in Zukünftiges (40/4 f., »Gedächtnis« hier womöglich im 217 Sie ist auch in den Wolken Thema, vgl. Komm. W 71/27.

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Sinne von Vermächtnis), sondern in seiner unmittelbaren Gegenwart – wie der »Held von der Schlacht bey Marathon«.218 Die Unfähigkeit, zu »erfinden«, die »Trockenheit« (40/29, vgl. die Selbstcharakterisierung als »hölzern«, 37/20), verweist gemäß humo­ ralpathologischer Lehre auf Melancholie.219 Hamann skizziert Szenen einfacher, engumgrenzter Tätigkeit mit wenigen Strichen, selbst »mehr plastisch als malerisch« (42/6).220 Die sokratische Art (11/9 f.) ist lako­ nisch, nicht »verblümt« (41/22), an ihr wird der Mensch Sokrates nicht offenbar, sein Inneres bleibt verborgen bzw. so bedeckt wie die Gratien, die er einst schuf (40/15–20).221 Hamanns Vermeidung des geistigen Lebens (im Unterschied zu den »Geschichtsschreiber[n]«, 37/9–13), wie Sokrates’ Bedeckung der Blöße, ist programmatische Zurückhaltung, Einschränkung der Neu­ gierde auch gegenüber moralischen Intentionen (die nur in der Ausle­ gung des Satzes »Ich spiele nicht« mächtig zutage treten, 30/29–32/4). Vom Gefängnis werden wir, biographisch rückwärts, in den Haushalt des Philosophen geführt. Heumann erhob ihn bereits zu einem Thema der Philosophiegeschichtsschreibung und formulierte eine ausführli­ che »Ehren-Rettung der Xanthippe« (vgl. Komm. 41/8). Warum ist es für viele Sokrates-Schwärmer nötig gewesen, Xanthippe zum »Hauscreutz« (41/11) zu stilisieren? Hamann reproduziert hier zeitgenössische Inter­ essen (vor allem an stoischer Tugend) wie in einer Diskurs-Spiegelung. Im 18. Jahrhundert taucht Xanthippe, bspw. in Ratgeberliteratur, noch als Exempel ehelicher Drangsal auf. Für Hamann geht es bei ihr ebenfalls um »Heftigkeit« und »Reitzbarkeit« (41/13 u. 24), die sogar förderlich sei zur Bildung des Weisen (41/12). Mag heißen, dass diese Frau eine Arbeit vollbracht hat wie der Künstler am Holz, der, »indem er wegnimmt und hauet, was am Holze nicht seyn soll, eben dadurch die Form des Bildes fördert« (21/9–11).222 218 Mit

dem Held von Marathon soll der Held von Leuktra gemeint sein – so die Selbstkorrektur in den Wolken (vgl. W 68/24 f. und Komm. 40/3). 219 Sie wird als Thema hier aber noch nicht entfaltet, sondern spielt erst in den Wolken eine zentrale Rolle (bes. 83/14 ff.). 220 Womit er selbst zum Sprachpurismus neigt, vgl. Komm. 42/6. 221 Zur Metaphorik von Kleidung und Gewebe bei Hamann siehe Stünkel: Kleider, Lumpen, Teppiche. 222 Eine solche Bildnerin, die den Schwätzer zurechtstutzt, ist Hamann Ende 1758 vom Familienoberhaupt der Berens verweigert worden, vgl. HKB 161 (I 414/14 f.,

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3. In profane Scherereien verstrickt, aufgerieben im Dienst des Unternehmer-Politikers (41/19), würde auch der, nach Mt 11,29, sanft­ mütigste Menschenlehrer (41/30 f.) einmal die Beherrschung verlieren. Sein Schriftstil wäre, wenn er denn etwas geschrieben hätte, danach gebildet, also eher grob als schön, sowohl versteckt als auch angreifend (42/3–15). Dieser Teil des Kapitels läuft auf die Metapher des Arztes zu, der den Menschen ihre »Projecte« abgewöhnen muss (42/16–43/2). In pejorativer Rede sind Projekte das menschliche Maß überbordend im Streben nach Gewinn oder ewiger Geltung. Hamann zählt an die­ ser Stelle darunter die »Encyclopedie der gesunden Vernunft« (42/30). Das Werk von Diderot und D’Alembert hält Hamann im Jahr 1759 für gescheitert, weil die Pariser und die römische Zensur die Publikation des achten Bandes verboten hatten. Der weise Sokrates – entspricht ihm eine weise Zensur?223 Die Imagination des Arztes »in einem gemeinen Wesen von Kin­ dern« (42/17) gehört im platonischen Kontext Reflexionen über Rheto­ rik, über die Anwendung der Künste an.224 Der Arzt wendet seine Kunst gegen die »Näschereyen«, d. h. hier: Vorteilsnahme aus der Wissen­ schaft für persönliche Zwecke. Das Interesse am Philosophen Sokrates, wie es Hamanns Zeitgenossen pflegen und das ihm als Repräsentant und Lehrer der Moral und Dialektik gilt, in welcher Sprachhandeln zur Beachtung der Widerspruchsfreiheit erzogen werden soll – dieses Inte­ resse wird hier von Hamann sowohl bedient als auch variiert. Denn als hauptsächlichen Störfaktor des Anspruchs bezeichnet er genau die Zwecke, welche in den sonst unter öffentlichem Legitimationsdruck stehenden Plädoyers für die Notwendigkeit einer philosophischen Wis­ senschaft angegeben werden: Glück und »öffentliche[s] Wohl« (42/28), 28.  9.  1759, an J. G. Lindner; s. o. S. XLIV). Ein weiteres Indiz deutet darauf hin, dass Hamann in dieser Passage die jüngsten persönlichen Ereignisse bedenkt: Die Anspielung auf »die Regierungsgeschäfte unvermögender Groß­viziern« wäre dann auf das lehrreiche[] Gespräch von der menschlichen Natur zwischen Sokrates und Alkibiades bezogen, in welchem Hamann »die jetzigen Conjunc­ turen darinn sehr genau mitgenommen« sieht, HKB 148 (I 353/11, 22.  7.  1759, an J. G. Lindner). 223 Die platonische Dichtungskritik, in der Politeia von Sokrates vorgetragen, könnte dafür die Vorlage bieten, bspw. Plat. Pol. 605 f, 607  b u. ö. Vgl. auch in den Wolken den Absatz zur Rolle der Kunstrichter und ihre »feinere Politick« (W 63/15). 224 Plat. Gorg. 464  d, 521  e–522  a.

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nach diesseitiger wie jenseitiger Orientierung. Im Unterschied zur schriftlichen Gestaltung der Kriterien für die Eudaimonie durch Platon oder Xenophon (42/2), die vorsichtig abwägen, inwiefern Erkenntnis oder Tugend instrumentelle oder konstitutive Bedeutung für das Glück haben,225 scheint Hamann für seinen ärztlichen Sokrates eher grobe Interventionen als Mittel im Sinn zu haben. 4. Das Thema Autorschaft bricht mit dem Ekel vor den »Näsche­ reyen« ab. Im letzten Teil dieses dritten Abschnitts folgt der biogra­ phische Abschluss: Anklage vor dem Areopag, Sokrates’ kampflustige Erwiderung (nicht Verteidigung), Verurteilung und Verhängung der Todesstrafe (43/6–44/6) – dafür gibt Hamann zwar anekdotische Details, entwickelt aber keine weiteren theoretischen Implikationen. Ebenfalls anekdotisch ist die Sokrates-Erscheinung nach dem Tod (44/7–15) und Platons Charakterisierung der »göttlichen Sendung« des Sokrates (44/17). Diese letzte Assoziation mit den Propheten, mit Mt 23,29, ist aber explosiv. Denn mit dem »Schicksale der Propheten und Gerechten« (44/19) ist die Nachträglichkeit betont, dass also ihr Eingang in die Überlieferung als ›Gerechte‹ mit dem Urteil, das sie im Leben erfah­ ren haben, nichts zu tun hat. Dass weiterhin derjenige, der historio­ graphisch den vergangenen ›Gerechten‹ als Bezugsfigur hat, damit für sich selbst, im eigenen Leben und Tun, moralische Legitimation erwirtschaften will; dass dies aber eine Täuschung ist, sowohl der Ver­ gangenheit als auch der Gegenwart gegenüber. Das »Denkmal« (44/20) ist demgemäß Zeugnis einer Verwechslung; es verrät jedenfalls keine Selbsterkenntnis. Schluss

Der Schluss kommt zum messianischen »Mann der Schmerzen« (24/14) zurück, dem Kontrast zur erwarteten Figur des Harmoniestrebens.226 Im Ton der Wehklage von Mt 23, ähnlich dem Beginn der ersten Zuschrift, wird die Alternative von Armut bzw. Militanz und bürgerli­ 225 Bspw.

die Selbstzweckhaftigkeit betonend: Plat. Symp. 204  e–205  d; dagegen eher den weltlichen Erfolg betonend: Xen. Mem. 4,2,34–36. 226 Zu Hamanns Anti- oder inversem Idealismus des Ästhetischen siehe zuletzt Wetzel: Der Autor-Künstler, S. 163.

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chem Opportunismus »in der Welt« (45/2) eröffnet.227 Deren Bezug zum Politischen ist in der Regel sehr allgemein, eben im Begriff von ›Welt‹. Hamann aber wird konkret: Der französische Nationalismus (45/15– 17) steht in Relation bzw. im Gegensatz zum »guten Bekenntnis[]« (45/7), das auf die Annahme des gottgegebenen Daseins dringt und sich gegen das Schulgezänk und den Handel um die Gottseligkeit wen­ det (1 Tim 6). Vor dem römischen Statthalter Pilatus galt das Bekennt­ nis dem geistigen Reich (Joh 18), ein weltliches Königtum Christi wird abgewiesen. Im Kontrast dazu steht die göttlich legitimierte französi­ sche Monarchie; wer ihren Leib angreift, wird als »Vatermörder« (45/15) verurteilt und hingerichtet – damit folgt sie römischer Tradition.228 Die darauf bezogene, vergleichende Wertung der Todesarten von Sok­ rates, Christus und Robert-François Damiens (vgl. Komm. 45/15) ist der Struktur nach ein wichtiger Bestandteil christlicher Strafjustiz. Diessei­ tige und jenseitige Werte von Personen und Taten werden proportional in eine Hierarchie der Verbrechen und Strafen übersetzt, deren Zent­ rum das »Blutgericht« (44/22) bildet.229 Abhängig davon wird auch der Inhalt des Begriffs Gerechtigkeit bestimmt – über solcherart Gleichung hatte Sokrates gespottet, er solle totgefüttert werden (43/29 f.). Sie war also auch im griechischen System relevant. Das Kalkül der Proportio­ nalität ist eines der wichtigsten Anliegen der Philosophie unter theolo­ gischer Aufsicht, die bspw. die Unsterblichkeit der Seele für das Konti­ nuum der Rezeptivität erweisen muss.230 Das ist wohl ein Streben nach 227 An

pietistische Diesseitsskepsis erinnernd, vgl. Gestrich: Pietistisches Weltverständnis und Handeln. 228 Zum unsterblichen Leib des Königs siehe Kantorowicz: Mysterien des Staates. 229 Juristisch wurde die Todesstrafe im 18. Jahrhundert immer schwerer legitimier­ bar, zuerst in England, aber auch in der deutschen naturrechtlichen Entwick­ lung; 1754 war in Preußen die Gerichtspraxis der peinlichen Frage, also Folter, weitgehend abgeschafft. Nach Thomasius soll die Strafmaßbegründung nicht mehr sünden-theologisch konzipiert sein (Fundamenta Juris, lib. 1, cap. 5, § 39). Das ist im französischen Konzept des patricide, des Vatermords am allerchrist­ lichsten König, noch der Fall; der Versuch eines Angriffs wird dabei einer erfolg­ reichen Tat gleichgesetzt. Das Argument der Abschreckung im Interesse des Gemeinwohls überlebt dasjenige des Sündenmaßes (bis ins 19. Jahrhundert).  230 So auch Hamanns Lehrer an der Universität Königsberg, Knutzen, in Philosophischer Beweis, § 21: die Strafe als Offenbarung der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes. Zu dieser Art Offenbarung und ihrem Publikum vgl. Martschukat: Inszeniertes Töten, S. 45 u. 86. Vor allem aber Crusius’ Bemühung, den Beweis von der

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»Allwissenheit« – Gottes Entäußerung des Sohnes in eine politische Situation erfolgte diesem Eifer zum Trotz (45/11). Damit erhalten die Denkwürdigkeiten einen ambivalenten Schluss: In der Einleitung wird erstens die Geschichte der Philosophie als Geschichte ihres Schicksals und ihres Namens aufgerufen (15/9–17), eine philologische, sozial- und politikgeschichtliche Beobachtung der Philosophie. Zweitens wird die Absicht der Denkwürdigkeiten vom Allgemeinen abgezogen, um über ein konkretes Schicksal, das des So­krates, zu meditieren (18/24 f.), vielleicht als einem Typus, an dem die sich kreuzenden Ebenen aufgezeigt werden können. Entgegen solcher Absicht liegt aber ein polemischer Text vor, dessen Anfang und Ende die Gegenwart des Autors, also seine Bedingtheit, berühren. Ein »müßi­ ger Zuschauer« (15/15) ist Hamann nicht; mag er auch die Maske des Liebhabers der langen Weile aufsetzen, seine philosophische Panto­ mime zeigt sich thematisch sehr viel tiefer in politische Angelegenhei­ ten verstrickt als die meisten philosophischen Werke zeitgenössischer Akademiker. Und gerade die typologische Struktur seiner Analogiebil­ dung, Ähnlichkeitsfindung usw. scheint die Bedingung dafür zu sein, das historische Schicksal eines Begriffs mit dem aktuellen zu verbin­ den. Die Kohärenz, die er dafür erzeugen kann, ist aber ironische Rhe­ torik: Die »Schlußrede« (44/23) ist ihre eigene Übertreibung im Ton der als töricht erkannten Predigt, und die Figurenreihe Sokrates, Christus, Damiens ist Unsinn (für zeitgenössische Leser).

Unsterblichkeit der Seele allein moraltheologisch zu führen (anstatt substanz­ theoretisch wie Wolff ), behauptet die notwendige Proportionalität der Strafen im Sinne göttlicher Vollkommenheit (Anweisung vernünftig zu leben, § 220). Zur strafpädagogischen Konzeption vgl. Bach: Christian Fürchtegott Gellert über die Bedeutung der Unsterblichkeit. Zur Spiegelung in literarischen Motivationen: Deupmann: ›Furor satiricus‹, S. 80: »Es gibt einen Idealismus der Grausamkeit, begründet auf einer Transzendenz der Person, die in ihrem metaphysischen Kern von den körperlichen Praktiken der Strafe nicht erreicht wird – oder wenn, dann nur negativ: durch Reinigung, Freisetzung der Seele aus der Leiblichkeit.«

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Über den Text der Wolken Titel und Prolog

Schon die Gestaltung des Titels der Wolken signalisiert die Zusammengehörigkeit mit den Denkwürdigkeiten. Die Genre-Bezeichnung »Nachspiel« (47/3) verspricht die Darbietung einer Komposition aus mehreren Stücken, angetrieben von der Reaktion des Publikums – das mit der Indizierung »in usum delphini« als schutzbedürftig vorausgesetzt wird. Zwei Bühnen werden im Folgenden satirisch bespielt: die philologische der Sprache(n) und die politische, auf der Wahnsinn, A ­ nmaßung und Legitimation gerichtlich verhandelt werden. Das Hiob-Zitat vor dem Prolog demonstriert den Zusammenhang der beiden Ebenen (48/1–5). In der Mehrsprachigkeit und mit Hinweis auf den Philologen Albert Schultens ist die Frage gestellt, was eigentlich der Text, dem Buchstaben nach, sei. Der Kampf Hiobs wird mit Hiob 34,7 gerade dort zitiert, wo Elihu gegen dessen Klage die absolute Gerechtigkeit Gottes darlegt. Sprachliche Verunsicherung und fundamentale Heilsbotschaft sind miteinander verschränkt. Der Prolog wird mit einem Hamlet-Zitat eröffnet, mit dem das Folgende als Geschichte von Verdrängung und Offenbarung, von Macht und Ohnmacht zu lesen ist. Da es bei Shakespeare um das Gewissen des Königs geht, ist auch ein politischer Subtext gegeben.231 Es wird die Idee der Generationenfolge, vielleicht als eine Form des Wahns, aufgegriffen, die in der »Schlußrede« der Denkwürdigkeiten als Skandalon angerissen wurde. Mit dem Hamlet-Thema des Brudermords lässt sich eine motivische Klammer zum Ende des ersten Aufzugs bilden, das den brüderlichen Zwist zur Gründung Roms mit der Begründung von Öffentlichkeit parallelisiert (61/1–7). Das Bühnenbild ist das eines Symposions.232 Die geladenen Gäste (49/16–51/1) sind als Gegensatz-Figuren angesprochen, ein Typus gibt die Kehrseite des anderen. Die Reihe der Figuren wird angeführt von Schriftstellern – das erste Paar, »Schöpfer oder Schöpse« (49/18), setzt 231 Henkel: Hamann und Shakespeare, S. 109. Büchsel: Biblisches Zeugnis und Sprach-

gestalt, S. 134–143, betont die belehrende Funktion des Gleichnisses wie bei einer Fabel, nur in Inversion der Ordnung der Figuren: Statt einer Tierszene wird eine Herrschaftsszene (wie auch mit Nathan in 2 Sam 12) benutzt. 232 Worin sich nach antiker Tradition die Bürgerschaft konstituiert und identifiziert.

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Spannung zwischen Zeugung und Beschneidung. Gemeinsam scheint allen Geladenen die Anmaßung der Schriftstellerei zu sein, als »Gesetz­ geber« auftreten zu wollen (50/11). Abgeschlossen wird die Reihe von den Tieren, weil Bileams (50/12) Eselin nicht-sprachlich verkündet,233 womit die oben erwähnte sprachliche Verunsicherung noch vergrößert wäre. Im Zentrum des Festes steht der »Hamburgische[] Nachrichter[]«, einerseits als Vollstrecker des Gesetzes mit peinlicher Bestrafung (vgl. Komm. 51/3), andererseits als Almosengeber – seine Maskierung als griechischer Herold, auch ein Verkünder, gehört wiederum der poli­ tischen Dimension an. Auf diese ist mit dem Adler, dem königlichen Wappentier (51/1), als nationalstaatliche (von der römischen Tradition zur preußischen Expansion) angespielt. Das Zitat aus Euripides’ Ores­ tes (51/7–9) berührt den Muttermord von Orest auf Weisung Apolls. Im Urteil ist auch die Frage nach der Gerechtigkeit der göttlichen Ord­ nung thematisiert – eine Klammer zur Hiob-Stelle (48/1–5). Damit ist die weltliche Szene der publizistischen Kritik (49/20–50/10) doppelt religiös (pagan und biblisch) eingerahmt. Zudem ist mit Orest die The­ matik des Wahnsinns eröffnet, die vor allem im dritten Akt (82/12–15) eine Rolle spielen wird. In Euripides’ Stück ermöglicht das Erscheinen Apolls eine Auflösung des dramatischen Knotens – auch nach einem solchen Deus ex machina wird im dritten Akt der Wolken gefragt, der die Spannung zwischen Weisheit und Torheit zu lösen hätte (87/28). Erster Aufzug

Der erste Aufzug gibt die in den Hamburgischen Nachrichten erschie­ nene Rezension der Denkwürdigkeiten wieder. Gibt es da eine Ver­ wandtschaft zum ersten Akt der aristophanischen Komödie?234 Der zeigt den Bauer Strepsiades, wie er sich um die Bekanntschaft mit Sokrates bemüht, weil er seinen Sohn in dessen Unterricht schicken möchte. Er soll die Kunst erlernen, mit der man Schlechtes in Gutes ver­ wandelt – die Rhetorik. Sokrates ist in ihr bewandert, weil er mit den

233 Vgl. HKB 146 (I 343/10–27, 5.  6.  1759, an J. G. Lindner). 234 Die Akteinteilung dafür

konstituiert.

ist späthumanistisch, vom Editor Nicodemus Frischlin

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göttlichen Wolken in Kontakt steht. Aristophanes erlaubt es, Rhetorik und Philosophie als eine Sache zu behandeln.235 In der griechischen Szenerie steht also das Blendwerk der philoso­ phischen Sprache auf dem Spiel – ebenso im Konflikt zwischen einem puristischen Rationalismus, für den vor allem Gottsched steht, und einer Theorie der Ästhetik, deren Hauptwerk Baumgarten verfasst hat.236 Meier wird als Parteigänger der ›Ästhetiker‹ auch von Ziegra in Hamburg angegriffen,237 ebenso die Berliner, die Autoren der Literaturbriefe.238 In Hamanns Denkwürdigkeiten hat Ziegra wohl das nächste Beispiel dieser neuen Ästhetik entdeckt, die mit sinnlichen Mitteln die Affekte ansprechen und den Geist beeinflussen will. Rhetorisch wird dann gegen Hamann alles aufgefahren, was auch gegen Lessing und Meier aufgeboten wurde.239 Die neun Anmerkungen Hamanns drehen sich um die Hamburgi­ sche Diagnostik der Unvernunft. Sie beginnt mit dem Druckort Amster­ dam, mit dem seichte Schriftsteller Aufmerksamkeit erheischen wollen, weil er etwas Anrüchiges vermuten lässt (53/3–54/4). Hamanns Anmer­ kung zielt auf die Fragwürdigkeit solcher deduktiver Schlüsse. Die zweite Anmerkung betrifft Unsicherheiten in der Syntax (54/23–28). Das lateinische Sprichwort der dritten Anmerkung ist nur nachvollzieh­ 235 Das Thema war in den Denkwürdigkeiten schon präsent (vgl. Komm. 18/1–3), mit

der Negativfolie der sokratischen Unwissenheit jedoch weniger explizit. 236 In der Forschung ist das auch als Dichterkrieg verhandelt worden, siehe bspw. die Textsammlung: Meier: Frühe Schriften zur ästhetischen Erziehung der Deutschen, Tl. 2. 237 Bspw. Hamburgische Nachrichten, 53. St., 1760, S. 417 ff. Zu Meiers Einsatz für die neue deutsche Dichtung siehe Conrad: Verlag und Vertrieb von Publikationen Meiers. 238 Die er bspw. auch mit einer bestimmten Druckgestalt verbindet, weil er richtig bemerkt, dass eine große Ähnlichkeit besteht zwischen den Denkwürdigkeiten und den Literaturbriefen, vgl. Ziegra Rez-W 119/15 f. Auch die Leipziger Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste wird zum feindlichen Lager gezählt. 239 Vgl. bspw. die Assoziation mit Jakob Böhme, Ziegra Rez-SD 107/12 und Komm. W 69/22. Die Assoziation mit Lessing hatte Hamann ja selbst provoziert mit seiner Zuschrift an »Niemand« (SD 1/10 u. 4/3), denn man kann annehmen, dass Lessings Identifikation mit ›Niemand‹ als demjenigen, der es wagt, Gottscheds Leistung zu kritisieren, in der publizistischen Öffentlichkeit schnell zu einem Reizwort geworden war.

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bar, wenn man die »Zuschriften« der Denkwürdigkeiten voraussetzt, die dem Rezensenten aber schon genug Überdruss bereitet haben (54/13). Die Tränen (54/29) erinnern an den weinenden Philosophen, die »Elegie« Heraklits (SD 12/3–16). Das Thema des Heraklit-Gleichnisses taucht in der siebten Anmerkung wieder auf. Die vierte Anmerkung verarbeitet die Einordnung als Wahnsinni­ ger und religiöser Schwärmer (54/14–21 u. Ziegra Rez-SD 107/11–20). Damit sind die schärfsten Waffen der Querelle240 auf dem Tisch des Festmahls. An dieser Schärfe der Diktion wird sichtbar, dass es nicht nur um eine Meinungsdifferenz philosophischer Art geht, sondern um eine Konfrontation, in der die Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesell­ schaft auf dem Spiel steht. Weil er dies nicht verbirgt, hat Hamann den Verriss geschätzt241 und abgedruckt. Ziegra legitimiert den Angriff auch über den Vorwurf, die Denkwürdigkeiten missbrauchten biblische Schriftstellen; Hamanns Anmerkung setzt dagegen lakonisch wiede­ rum eine Schriftstelle: das biblische Gleichnis der Perlen für die Säue (Mt 7,6); Thema des Kontextes ist die Anmaßung des Richteramts und die deswegen fehlende Selbsterkenntnis. Die Kritik exotisiert die Unverständlichkeit, den figürlichen Aus­ druck der Denkwürdigkeiten (54/21–55/11 u. Ziegra Rez-SD 107/20– 108/3).242 Hamanns Umkehrung (55/20–56/32) kann mit lexikali­ schen Zuspitzungen (es geht um Patienten, Verstopfung, Heilung) die Pathologisierung hervorheben: Wahnsinn als Dispositiv der Wertung, das sowohl moralische Distinktion erlaubt als auch vom Kontakt mit dem Gefährdenden bewahrt. Da diese Kritik als »Nachricht« publiziert wird, kann Hamann leicht ihre politische Dimension pointieren; das geschieht mit dem hinkenden Boten (55/23, vgl. Komm. 49/19), der an den Herold des Prologs erinnert (51/5). Auf der Ebene des Pathologischen spielt die Langeweile eine beson­ dere Rolle, mit ihrer Gefahr der Weltflucht und Nutzlosigkeit werden spezifische bürgerliche Erwartungen untergraben. Dieses Fass hatte Hamann mit dem Titel der Denkwürdigkeiten geöffnet, die Rezension 240 Nicht

nur innerhalb der publizistischen Wechsel zwischen Königsberg, Berlin und Hamburg, sondern auch der privaten Zerwürfnisse in Hamanns Freundes­ kreis. 241 HKB 201 (II 61/18 ff., 7.  2.  1761, an J. G. Lindner). 242 Womit sie vielleicht werbenden Effekt gehabt haben mag (vgl. 63/24–28).

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zehrt davon und bildet daraus den Verdacht der Verwahrlosung (55/11– 56/12 u. Ziegra Rez-SD 108/5), also einen Zustand, der polizei­liche Maß­ nahmen legitimiert. Das philosophische bzw. kritische Urteil wäre eine solche Anmaßung, so Hamanns invertierter Vorwurf, welche die Kon­ sequenzen ihres Tuns nicht erkennt, denn sie würde die Üppigkeit des Schrifttums madig machen (56/25 f.). Eine Maßnahme der Gemeinde gegen Verwahrlosung ist die Ein­ sperrung ins »Spinn- oder Raspelhauß« (56/3), die Separierung des (physiologisch und moralisch) Kranken – Ziegras Rezension versucht, diese vorzunehmen, nicht nur bezüglich des Autors der Denkwürdigkeiten, sondern auch seiner wohlwollenden Rezensenten im Hamburgischen Correspondenten und in den Literaturbriefen (56/8). Hamanns sechste Anmerkung (57/6–58/9) spießt diese Diffusität des Gegen­ stands auf, zunächst mit einer komödiantischen Unterscheidung von Geist und Sinnen (57/7 f.) – der alternde Satiriker Swift denkt zwar noch etwas, erkennt aber nichts mehr, nicht einmal sich selbst im Spie­ gel.243 Eine Verwandtschaft solchen Irrens mit Sauls Weissagungen (1 Sam 19,24) herzustellen (57/31), ist Hamanns willkürliche Demons­ tration der Ansteckungsgefahr, die Ziegra insinuiert. Die Farce solcher Inversionen läuft auf die grundsätzliche Gefahr der Schrift hinaus, für deren Wirkung der Rezensent zum Schluss das Beispiel des Don Quijote anführt (60/2–6). Das ist die alte Sorge über die Schädlichkeit der Romane, die auch Hamann schon in den Denkwürdigkeiten ins Spiel gebracht hatte (SD 23/5); also nicht erst Hamanns Wolken betreiben die Logik der Inversion, sondern schon die Kritik bediente sich am Leichnam des Objekts – mit diesem Bild wird der zweite Aufzug beginnen.244 Das Stichwort, das für die Sorge der Schriftkritik hervorgehoben wird, ist »Genie« (59/6), und der geneigte Rezensent des Hamburgischen Correspondenten hatte es gegeben bzw. 243 Vgl. Knoll: »Denkmäler einer Swiftschen Satyrlaune«?, S. 151.

244 Außerdem wird man die Möglichkeit der einfachen Umkehrung damit begrün­

den können, dass die Unterscheidung von Klarheit und Dunkelheit, wie sie als rhetorisches Prinzip bspw. von Gottsched vertreten wird, im konkreten Fall selten selbst auf einer transparenten Begründung beruht; das Gesetz kommt aus dem Dunkeln. Vgl. Schumacher: Die Ironie der Unverständlichkeit, S. 39. Zur intertextuellen Technik der Inversion besonders im ersten Aufzug siehe Boh­ nenkamp-Renken: Offenbarung im Zitat, S. 128.

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Einführung

aus den Denkwürdigkeiten übernommen (35/5): »daß in seinen weni­ gen Blättern ein ungemeines Genie, eine feine und glückliche Satyre, viel Belesenheit, und etwa auch eine kleine Dosis von philosophischer Freydenkerey hervorleuchte.« (Bode Rez-SD 106/10–13) Hamann hebt in Ziegras Kritik dazu das Wort »Zeug« hervor (54/16, 59/23, 60/4) und stellt damit eine Nähe her zur Klimax der Denkwürdigkeiten, in deren »Schlußrede« es um das Zeugen der Wahrheit geht (SD 45/10). Ein Spiel mit den Zeichen, in dem die Begriffe des angreifenden Rationalisten, der mit den Karten seines Konkurrenten gespielt hat, erneut gemischt werden. Für das Verhältnis zu zeitgenössischen Debatten gibt die siebte Anmerkung Anspielungen (58/10–59/31). ›Bauernverstand‹ ist ihr Stichwort (59/1), das aus Bodes Rezension stammt: An den dunklen Denkwürdigkeiten versteht der Bauer weniges, wie an der »philoso­ phischen Rede« des akademischen Predigers Crusius – und schließt davon zuversichtlich (wie Sokrates, SD 12/3–11) auf das ganze Werk (105/5–20).245 Hamanns Anmerkung macht aus der Anspielung eine kleine Erzählung, ähnlich wie in den Denkwürdigkeiten der Satz »Ich spiele nicht« auserzählt wird (s. o. S. LXXXII). Aber auch diese Erzäh­ lung gibt keine Einblicke in einen realen Zusammenhang. Vielmehr ließe sich sagen, sie macht aus der Anspielung ein (im Vokabular der Zeit) Gemälde oder ein kleines Bühnen-Intermezzo, das vielleicht sinn­ haft ist, das aber nur für denjenigen auf die Wirklichkeit hin lesbar ist, der die intellektuellen Cliquen und ihre Fronten ohnehin schon kennt. Crusius wurde zuweilen für seine akademische, philosophische Art zu predigen kritisiert (vgl. Komm. 58/17);246 die ›modische‹ mathema­ tische Methode der Philosophie, die auch von Predigern nachgeahmt würde, schade dem Geschmack. Dass die philosophische ›Gründlich­

245 Dass

der Correspondent, kryptisch, auf Crusius anspielte, lässt vermuten, dass man erstens in der Hamburger Zeitung etwas wusste über die Situation in Königsberg, die Fehde zwischen dem Crusianer Daniel Weymann und dem Newtonianer Kant; dass man zweitens vermutete, oder auch wusste, dass die Denkwürdigkeiten sich irgendwie dazu verhalten. 246 Sowohl die Untersuchung einiger Ursachen des verdorbenen Geschmacks als auch die Gedanken vom Philosophischen Predigen von Georg Friedrich Meier richten sich gegen diese Art.

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XCVII

keit‹ die Rhetorik verachte, führe auch dazu, dass man die kirchliche Gemeinde nicht mehr bewegen könne.247 Das Thema der aristophanischen Wolken, der Gebrauch der philo­ sophischen Sprache, der Rhetorik, begegnet hier also wieder. Die Idee von der Wirksamkeit der Schrift oder Rede (ihr Ansteckungspotential) parodiert Hamann in seiner Erzählung vom Bauern so (59/22–25),248 dass nun hier der Kritiker (der Predigt) gewissermaßen der Besessene ist, weil er es nicht gut sein lassen kann. Aber das ist die zu Beginn der Denkwürdigkeiten mit dem Heraklit-Gleichnis angebotene oder erwünschte Hermeneutik der Zuversicht, dort jedoch schon als Elegie bezeichnet, also wohl ein Klaggedicht ob der Vergeblichkeit solchen Ansinnens. In der achten Anmerkung wird für die Frage nach den Wirkungen der Schrift das medizinische Register gezogen, mit weitem historischem Rückgriff auf Hippokrates und seine Lehre von der Erkundung der Zeichen, der Diagnostik oder Semiotik. Die griechischen Zitate brin­ gen wieder geistige Gebrechen und leibliche Verstopfung in Zusam­ menhang. Daran knüpft die neunte Anmerkung mit Rosinante und ihrer Distel-Speise und dem ihr wesenseigenen starken Magen an. Der Vergleich mit dem Kuriositäten (also eigentlich Zeitungsnachrichten) konsumierenden Metaphysiker (vgl. Komm. 60/22 f.) kann vielleicht als Inversion der Geschichte vom Bauern verstanden werden: dort der ein­ fältige Hörer der philosophischen Predigt, hier der Philosoph als Leser von irdischem Klatsch – allerdings eine Lektüre, die (in der Logik des Vergleichs mit Rosinante) dem »Geschlecht« des Metaphysikers ange­ messen wäre. Nach dem Spiel aus Fremdtext und Anmerkungen setzt Hamann einen Schlussakkord (60/25–61/7), in dem es um nichts weniger als die Struktur der publizistischen Öffentlichkeit geht – Zuspitzung und Überleitung zum zweiten Akt. Es wird die Frage aufgeworfen, ob im Konflikt eine Hierarchie entsteht (Held und Diener, 60/27) und ob die Gründung eine Geschichte von Trennung und Rache ist, gleich derje­ nigen von Romulus und Remus (61/5 f.). 247 Dazu

umfassend Straßberger: Johann Christoph Gottsched und die »philosophische« Predigt. 248 Dass das Motiv des bäuerlichen Philosophen-Kritikers im Schwange war, zeigt Hirtzels Wirthschaft eines Philosophischen Bauers, vgl. Komm. 58/16–59/9.

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Einführung

Zweyter Aufzug

Der zweite Aufzug wird von der Geschichte Davids und Sauls gerahmt. Der Abdruck der Rezension im ersten Aufzug liefert einen »Riesen­ leichnam« zum Triumph (62/4); Davids Sieg über den Riesen Goliat, seine Flucht vor Saul (79/20–80/11), bei der er sich vor König Achis als Wahnsinniger gebärdet, bei der er aber auch den ungeschützten Saul verschont (79/19); Sauls Suche nach Propheten, nachdem er sie aus Israel vertrieben hatte (62/14–63/4). Innerhalb dieses Settings werden vier Aspekte der in den Rezensionen aufgebrachten Kritik verhandelt – mit Karl Heinrich Rappolts Satire ließe sich das Verfahren so beschrei­ ben: Erbsen zählend, pedantisch kritisch einerseits, Analogien bildend andererseits (vgl. Komm. 62/9–11 u. 62/12 f.). 1. Die erste Aufgabe der Kritik ist die Identifikation des Objekts: »[W]as siehest du? und: wie ist er gestaltet« (62/18 f.)? Die Antwort: So­krates (63/5) in rätselhafter Gestalt. Im Umgang damit zeigen sich zwei Politiken: In den Literaturbriefen wird die Gestalt in eigenem Interesse (v)erklärt und vereinnahmt (63/11–15).249 Der Verriss in den Hamburgischen Nachrichten hingegen schweigt zu Sokrates. Stattdes­ sen ist das, was im Dunkeln versteckt sein soll, Thema und Vorwurf, gar unter Strafandrohung (63/15–23). Diese Verdachtshermeneutik250 macht »lüstern und klug« (63/25 f.), bringt also das suchende Schwein (vgl. 54/33) in Bewegung (62/23 f.). Topoi des Unverständlichen hat Hamann in den Denkwürdigkeiten bereits selbst zum Thema gemacht (bspw. mit Heraklit, 12/5, dem »Schimmel«, 11/5); zentral war dort das Bild der sokratischen »Einkleidung« (21/20 f. u. 64/20),251 verstanden als Anpassung an die altväterlichen Sitten.252 249 Auf

Adoption als Vereinnahmung zielt auch die Anspielung auf »Herr — — der sich durch seine Ausstattung gelehrter Fündlinge berühmt gemacht« (77/14 f.), also vmtl. Meier und dessen Bezug auf Klopstocks Dichtung zugunsten der eige­ nen ästhetischen Theorie. 250 Siehe dazu umfassend Spiekermann: Der Gottlose. 251 Bzgl. dieser Betonung der »Einkleidung« lässt sich ein Seitenhieb auf Lessings Ablehnung dieses Begriffs für die Fabeltheorie vermuten (Fabeln, S. 142). Siehe dagegen Hamanns Zitat aus Lichtwers Die beraubte Fabel an Kant, HKB 153 (I 381/8–11, 27.  7.  1759). Vgl. dazu Steiner: Verhüllungsgeschichten, S. 120 f., und Büchsel: Biblisches Zeugnis und Sprachgestalt, S. 148–155. 252 Auch die Variation von 1 Kor 11,10 zeigt eine Szene der Rücksichtnahme (65/16– 20). Mit der Anpassung, oder mit dem im 17. und 18. Jahrhundert verbreiteten

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XCIX

Aber welcher der Schonung bedürftige Leser wird vorausgesetzt? (65/4) Auch das gehört zur Identifikations- oder Definitionsleistung der Kritik, der Adressatenbezug der Denkwürdigkeiten offenbart jedoch niemanden. »Niemand« ist das zu verteidigende Subjekt und Objekt der Komödie, Verwechslung ist das Wesen ihrer Dramaturgie und Rezeption (65/4–11 u. 66/6–24). Die »Kuh Mirons« (67/1), also einen handwerklich hergestellten Gegenstand, für ein Lebewesen zu halten,253 bedeutet eine Dialektik des ›Zeugs‹ (s. o. zu 54/16 u. 60/1 im ersten Aufzug), die sich nicht (nur) auf Kunstwerke bezieht, sondern auch auf den Menschen als Geschöpf und die für die Selbsterkenntnis Widersprüche auszuhalten aufgibt, besonders in Bezug auf die öffent­ liche ›Person‹ der Publizistik. Der Topos der Dunkelheit impliziert, dass im Unsichtbaren, also im Nicht-Verständlichen, Freiheiten bestehen, die über die Grenzen, die im Öffentlichen gelten, hinausgehen; deswegen ist das Dunkle mit dem Bösen assoziiert.254 Die im »Gesträuch« (65/1), im Dithyrambischen (68/23) erahnbare Freiheit oder »Frechheit« (ebd.) bindet Hamann aber mit Aristophanes an das Bild des Maikäfers, der gefesselt ausschwärmt (65/24/f.). Die Form des Werks, also die zweifelhafte Gattung der sati­ rischen »Denkwürdigkeiten« (65/19), sollte hinreichend signalisiert haben, dass die Dunkelheit nicht Eigenes versteckt, sondern Herr­ schendes närrisch nachahmt (68/2 f.), also unfrei und schwach ist.255 Die Fehler, die er sich nun finden lässt, binden den Autor an die Schwäche des Unsinns (67/11), die ihm durch Mendelssohns Rezen­ sion vermittelt wird. Gegen dessen Kritik an der These, ein Philoso­ Begriff decorum, Anständigkeit, ist ein Hauptthema der praktischen Philosophie, bspw. von Thomasius, berührt, in welcher Rhetorik und Politik auch begrifflich eng verknüpft sind; zu Hamanns poetologischem Bezug zu diesem Konzept siehe Achermann: Schema und Kabbala, S. 239. 253 Vgl. die Anspielung auf Pygmalion, SD 13/21. 254 Was gar als die Grundlage einer transzendentalen Publizität verstanden werden kann; vgl. besonders in Bezug auf Kants Konzept davon: Baur: Johann Georg Hamann als Publizist, S. 280–296. 255 Freilich ist in der Hamann-Rezeption bis ins 20. Jahrhundert ein anderes Ver­ ständnis der Dunkelheit maßgeblich gewesen. Schumacher: Die Ironie der Unverständlichkeit, S. 93. Zur Rezeptionslinie der affirmierten Dunkelheit siehe auch Salmony: Johann Georg Hamanns metakritische Philosophie, S. 15. Einen jün­ geren Überblick bietet Reuter: Autorschaft als Kondeszendenz, S. 47–53.

C

Einführung

phiehistoriker dürfe kein Philosoph sein (SD 15/14, Mendelssohn RezSD 96/15–27), spannt Hamann hier nun einen weiten Bogen, der mit dem »encyclischen Geschmack« beginnt (67/12) und ins Paradox des »göttlichen der Unwißenheit« mündet (74/13). Mit dem »Unsinn« wird aus dem »encyclopischen« (SD 14/22) der »encyclische[] Geschmack« (67/12), eine Variation, welche die Gespal­ tenheit der französischen Kultur andeutet, in libertär universalistisch und katholisch universalistisch. Mit der Folie des spätantiken, chris­ tenfeindlichen römischen Kaisers Julian jedoch wird der Kontext historisch und analogisch verkompliziert.256 Die Reihe: französischer Geschmack, jüdische, griechische Literatur, morgenländische Weisheit ist schematisch im Sinne der Veschränkung von nationaler, kulturel­ ler, literarischer, philosophischer und religiöser Identitäten und Vor­ urteile, meist die historische Hierarchie von kulturellem Gipfel und Verfall implizierend.257 »Bey uns hingegen« (67/27): Der Kontrast fügt sich dieser Logik, indem er das typische Minderwertigkeitsgefühl der Deutschen apostrophiert, nämlich keine Grande Nation zu sein. Das Gefüge der politischen wie poetologischen Optionen ist geprägt von Nachahmungen, die der »Poesie eines Originalgedankens« hingegeben sind (67/21).258 Die Idee der allein im Wahn oder im Müll vorhandenen »Freyheit« (67/27–31), die ja schon die Poetologie der Denkwürdigkeiten bestimmt hat (SD 11/22–12/2), erschließt sich aus der Dialektik von Dunkelheit und »erleuchteten Zeiten« (68/7 f.), Aufklärung als Bereini­ gung, als Rationalisierung, die im »Gesträuch« (65/1), in dem der ein­ 256 Boureau-Deslandes

wird nicht mehr erwähnt, obwohl das Wortspiel auf ihn gemünzt war, der eben parteiische Philosophiegeschichte fordert als Element einer Streitkultur, die wiederum eine Konsequenz sein soll aus der Einsicht in das Unvermögen des individuellen Menschen, im holistischen Sinne das Wahre zu erkennen (vgl. Komm. SD 15/14). 257 Inwiefern der hebräischen Sprache und Literatur überhaupt eigene kulturelle Höhe zugestanden und wie demgemäß das Alte Testament als literarisches Zeugnis gewertet wird, ist für Hamann dann in den Folgejahren, besonders in den Kreuzzügen des Philologen, ein wichtiges Thema. Vgl. dazu u. a. Löhrer: Johann Georg Hamann, Kleeblatt hellenistischer Briefe, S. 10–23, und Thouard: Hamann und der Streit um die Poesie der Hebräer. 258 Die Orientierung am römischen Reich ist für die Literatur Mitte des 18. Jahrhun­ derts zumindest in Frankreich, England und den deutschlen Ländern üblich. Siehe dazu Hildebrandt: Die Mobilisierung der Poesie.

Über die Wolken

CI

zelne, »gewiße Schriftsteller« (67/31), zuhause ist, ihr Anderes finden wird. 2. Mit dem bisherigen Bekenntnis und Nachweis der Druckfehler meint der Sprecher der Wolken die »Flecken« des Anrüchigen tilgen zu können (68/6–9). Davon befreit, könne seine zweite Schwäche und der zweite Aspekt der Kritik behandelt werden: historische Unverstän­ digkeit (68/10 f.), am Beispiel Vespasians, dessen Throns oder Klos.259 Auch diese Anspielung der Denkwürdigkeiten weitet Hamann nun aus, anstatt sie zu erklären. Nicht nur Vespasians Erhabenheit, sondern auch die des Papstes oder der Päpstin werden relativiert. Neben der Seite, die den Engeln gleicht (65/16), gibt es den Körper, der auf dem Klo sitzt.260 Hamann kannte Boureau-Deslandes’ Verwendung der Vespasian-Anek­ dote, nämlich zur Kritik an der römischen Kultur, insbesondere an ihrer Devotheit gegenüber dem Herrscher (vgl. Komm. 68/18), der wusste, dass er nach seinem Tod als göttlich verehrt werden würde. Nur erwähnt wird, als nächster Fehler, die Verwechslung der Schlachtfelder von Marathon und Leuktra (vgl. Komm. SD 40/3). Plutarch galt für deren Datierung als unzuverlässig, der Verweis darauf (69/3 f.) gehört vielleicht zum Genre-Spiel der »Denkwürdigkeiten«.261 Dithyrambisch, also regellos, leidenschaftlich, ist die Verwechslung (68/23) vermutlich, weil diese Schlacht-Topoi das für Hamann aktu­ elle Kriegsgeschehen (und damit auch Friedrichs Hegemonialstreben) betreffen (vgl. Komm. SD 40/3). 259 Der Unterschied wird insgesamt dreimal betont: SD 8/7, W 68/13 u. 21. 260 Die

Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Zeugen, die hier betont wird, darf wohl ebenfalls ironisch verstanden werden; Bacon war für die Enzyklopädis­ ten grundlegend (aber für viele andere philosophische Positionen auch), und wegen dieser neuen französischen Rezeption liest ihn auch Hamann; HKB 149 (I 356/28, 3.  7.  1759, an J. G. Lindner). »Abgötter des witzigen Frankreichs und tiefsinnigen Engl[änder]« nennt er ihn und Montaigne in HKB 136 (I 294/14, 9.  3.  1759, an G. I. Lindner). Zu Hamanns Relativierung von Autoritäten in theo­ logischer Hinsicht siehe Senkel: Zwischen den Stylen, S. 308. 261 Académie des Inscriptions et Belles-Lettres: Geschichte der königlichen Akademie, S. 187: Plutarchs Ziel, Herodot als Geschichtsschreiber zu überwinden, habe ihn allzu ehrgeizig im Versuch zur eigenständigen Datierung gemacht. Für Anek­ doten und Theorien darüber, was es mit Sokrates’ Hebammenkunst auf sich habe, zehrt Hamann sehr von Plutarch, siehe bspw. Komm. 71/27. Außerdem war Plutarch auch vorbildlich für Bolingbrokes exempla-Historiographie.

CII

Einführung

Die Korrektur des Vergleichs von Simon von Jaffa und Simon von Athen (69/3–21) stützt sich auf den »Aeltermann der exegetischen Zunft« (69/16 f., auch »Kirchenlehrer« in 70/21), Christoph August Heumann,262 jedoch mit Mt 23,23, »Münz, Till und Kümmel« (69/19), einem Bild aus der Klage gegen die Schriftgelehrten und ihre Pseu­ domoral. Daraus ergibt sich keine Ablehnung der Philologie,263 jedoch eine Spannung zu einer Formulierung wie »Verständnis mit den Alten« (68/11) oder Mendelssohns »Bekantschaft mit dem Geiste des Alterthums«.264 Im Kontrast zur historischen ›Vertrautheit‹ steht Hamanns Distanzierung von der »Palingenesie« in den Denkwürdigkeiten (37/9), also der Vergegenwärtigung eines Charakters oder Geistes. Unkenntnis behauptet Hamann bezüglich Jakob Böhme, auf den Ziegra, zeittypisch, anspielte (Ziegra Rez-SD 107/12). Mit Böhme geht es um »fromme Irrlehren«265, Abweichler, die das Christentum wie Fremd­ körper aus sich ausscheiden muss – in diesem Sinne als Seltsames, das betastet wird, das riecht, nähern sich die Wolken dem wahnwitzigen Werk (70/8–11), bleiben aber auf der Ebene der Zuschreibungen für die Person: Schwärmer, Alchimist; mit dem »Pech« (70/16) ist Böhme wieder

262 S. o. S. LXI . Heumann ist für Lessing Gewährsmann im Streit mit Johann Andre­as

Cramer über die Leistungen des Apostels Paulus (vgl. Komm. 69/16–18). 263 Wenn auch die pedantische Art der Textzergliederung mittels gelehrter Anno­ tationen ironisch behandelt wird, so in der Gestalt des ersten Aufzugs. Vgl. Schumacher: Die Ironie der Unverständlichkeit, S. 135. Aber Hamann recherchiert eben auch bei Heumann über Paulus (70/20–24). Dass es der philologischen Bibelexegese im Begehr nach der einen ›wahren‹ Auslegung auch an Liebe fehle, erläutert Hoffmann: Johann Georg Hamanns Philologie, S. 154, an dessen über Chladenius gebildeten Augustinus-Bezug in HKB 145 (I 334/3–336/23, 1.  6.  1759, an J. G. Lindner). 264 Die dieser Hamann, ihn mit Winckelmann vergleichend, attestiert (Mendelssohn Rez-SD 94/10–14), jedoch mit einer ironischen Formulierung, dass er näm­ lich dem Sokrates etwas von der »glücklichen Unwissenheit abgelernt« habe (100/24). Begründet wäre dies durch Hamanns doch eher bescheidene Kenntnis der platonischen Philosophie zum Zeitpunkt der Niederschrift der Denkwürdigkeiten. Er hat da etwas nachzuholen – und versucht es auch (s. o. zur Entstehung der Annotationen S. XXII). 265 Zur zeitgenössischen Böhme-Kritik siehe die Aufsätze in: Kühlmann: Offenbarung und Episteme, darin, Referenz für die obige Wendung: Achermann: Fromme Irrlehren.

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CIII

zum Schuster geworden – oder zum Stigmatisierten.266 »[E]ine einzige müßige Stelle« (70/19) kann bedeutsam sein: Ziegra wirft den Denkwürdigkeiten Missbrauch von Bibelstellen vor (Ziegra Rez-SD 107/19 f.) und Hamann verstärkt gewissermaßen deren Juckreiz noch, wenn er am Beispiel von Paulus, Lukas und 1 Mos 36,24 (auf Heumann gestützt) semantische Untiefen anzeigt, die durch die historischen, regionalen, dialektalen Bedingungen gegeben sind. 3. Die Komödie steuert damit wieder auf Sokrates’ Unwissen zu, als dritter Szene dieses Aktes und als dritter Aspekt der Kritik: der Unvoreingenommenheit. Hamann meint dazu einen Kontrast bilden zu können zur anmaßenden philosophischen Kompetenz, ihrer Verall­ gemeinerung als »sensus communis« (71/1). Der Gegensatz von starken Geistern und schwachen Lesern, Durchdringen und Schmecken, spielt mit der Topik des Atheismusverdachts, wonach es eine Form überstei­ gerter Eigenständigkeit gibt, die auch im Sinne der Syllogistik zu Fehl­ schlüssen neigt (vgl. Komm. 24/27).267 Ein zu starker Geist lernt nicht richtig, weil er sich nicht beeindrucken lässt. Mit dem Geschmack ist ein Wortfeld bedient, das in der Kunstkritik und im Diskurs über natio­ nale oder kulturelle Eigenheiten zentral ist und auch im Kontext des pietistischen Anti-Institutionalismus und der entsprechenden Theo­ logiekritik begegnet:268 Schmecken ist subjektiv und nicht von Ortho­ doxien gelenkt. Außerdem stehen die Ernährungsmetaphern (71/7–12) quer zum Geistigen (und der Palingenesie); mit ihrer materialistischen Dimen­ sion wird die Idee konterkariert, die Unwissenheit des Sokrates sei eine besondere Kompetenz als Maieutik (Mendelssohn Rez-SD 98/5–99/9). Verdauungsstörung und, ergänzt um die Sexualmetaphorik, Keusch­ heit seien die Produktivitätsgrenzen des Griechen gewesen (71/13–29). Für die epochale Differenz, damals zu heute, Unwissen zu Wissen, wird 266 Pech ist anspielungsreich wegen seiner

Verwendung u. a. als Verteidigungsmit­ tel von Städten und Burgen oder zur Kennzeichnung von Verbrechern. 267 71/4 u. 6; begründet durch Bodes Rezension, die »eine kleine Dosis von philoso­ phischer Freydenkerey« [106/12] in den Denkwürdigkeiten entdeckt. 268 Bspw. Gottfried Arnold: Unpartheysche Kirchen- und Ketzer-Historie, am Ende der Vorrede. Betasten, Schmecken, Sehen: Das ist das im Pietismus im frühen 18. Jahrhundert übliche Vokabular für die Beschreibung der Schrifterfahrung, mit dem ein Unterschied zu sowohl nüchterner Orthodoxie als auch mysti­ schem Bildschwulst gemacht werden soll. Vgl. Alt: Reinigung des Stils, S. 567 f.

CIV

Einführung

Christi Tod und Auferstehung als Schwelle bezeichnet, an der Wahr­ heit und Gerechtigkeit voneinander abhängig gemacht werden. Wis­ sen ist in dieser Perspektive keine Sache der Akademie, sondern der Geschichte (71/29–72/20). Die Definition des Wissens bzw. des Philosophen im Sinne einer ins­ titutionellen Rolle war Voraussetzung für die Skepsis der Denkwürdigkeiten gegen Orthodoxie (72/21–73/5) – und damit auch für die These, dass die »Geschichte des Worts Philosophie« (15/9–17 u. 73/1) nicht von einem Philosophen durchdrungen werden könne. Der Eifer des »gekrönten«, also wohl des ›staatlich‹ legitimierten Philosophen richtet sich auf die »Ordnung des Weltbaues« (73/8), womit er sich (im Bilde der christlichen Relativierung) in Spannung befindet zur »Wohnung des menschlichen Geschlechts« (72/12 f.) und sich in Widersprüchen aufreibt, die wiederum dem »Geschichtschreiber« als Stoff dienen soll­ ten (73/6–16).269 Die folgenden Absätze prüfen philosophische Lehren auf ihre Tauglichkeit, das Unwissen zu erfassen: mit Aristoteles die Syllogistik (73/17–74/3), dann die Kräftetheorie (74/4–13), schließlich die »Weis­ heit des Widerspruchs« (74/14–23). Die Triebkräfte, die mit der zweiten als gegeneinander wirkende erfasst werden können, scheinen tauglich, das Menschliche und das Göttliche als aufeinander bezogen zu erfas­ sen; die Poetik der Denkwürdigkeiten, mit der Berufung auf die »Triebe[] der Ungewißheit und Zuversicht« (74/10 u. SD 11/12 f. sowie 21/1–7), baut darauf. Aber schließlich hat dies womöglich eher die Anmutung eines Wortspiels als die eines Beweises; das zeigt aber ihre Nähe sowohl zur Komödie als auch zur Prophetie (74/24–75/5).270 4. Die von den Kritiken aufgeworfenen Fragen ermöglichten einen Gang durchs »Labyrinth« der Denkwürdigkeiten (75/10). Auf der Grund­ lage der Ambivalenz zwischen Komödie und Prophetie kann nun nach den Götzen der Publizistik geforscht werden, auf welche die Sokra­ 269 Zu

den theologischen Implikationen der dramaturgischen Inversionen vgl. Lüpke: Zur theologischen Dramaturgie, S. 311: »der interpretator, die menschliche Vernunft, wird zum interpretandum«. 270 Mit der Anspielung auf »die Allusion der electrischen und Gewittermaterie« ist aber angezeigt, dass die Ambivalenz aktuelle philosophische Versuche betrifft, bspw. diejenigen Kants in den 1750  er Jahren, mit denen Hamann nichts anfan­ gen kann.

Über die Wolken

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tesschrift bezogen ist und woher sie ihre Gestalt bezieht; und womit der vierte Aspekt der Kritik eröffnet ist: die Kontur der persona. Der »nah gelegene[] Druckfehler« (75/12) ist der Ziegras Rezension als Auf­ hänger dienende so weit hergeholte Druckort, mit dem sich ein medi­ okrer Schriftsteller wichtig machen will (Ziegra Rez-SD 106/1–11). Und Hamann spielt damit in den Wolken wieder, diesmal mit Altona, also nun dem Hamburger ganz nah. Dass die Adresse der Denkwürdigkeiten an Niemand, an Zween und an das Publikum, ein Strohhalm sei gleich Hamlets und gleich Vaninis (75/25 u. 76/1), soll den durch die Konstel­ lation der Rezensionen erzeugten Eindruck korrigieren, Hamann habe für die Autoren der Literaturbriefe geschrieben (vgl. Komm. 3/3). Sich auf Lugilio Vanini zu beziehen, taugt aber nicht, um Verdächtigungen zu entkräften, sondern auch hier streut Hamann Salz in die Wunde der Ungewissheit. Und Hamlet hält den Strohhalm inmitten der Kriegswir­ ren und klagt mit ihm über die Nichtigkeit der menschlichen Motiva­ tionen (75/27–30). Der Schluss des Aufzugs legt das medizinische Dispositiv aus, das Ziegra in der Rezension benutzt, das aber traditionell zur Selbstlegiti­ mation der Satire gehört. Hamann teilt den Körper nun im Schema des politischen Kollektivs in theoretische und praktische Glieder (76/5 f.); damit lenkt er die Diagnose vom Individuum weg auf die Gesellschaft (vgl. im dritten Akt die Anspielung auf Demokrit und die Abderiten, 84/3–7). Dieser allegorische Versuch wird aber auch ironisiert als »Lust an mystischen Zahlen« (76/8). Xenophon und Bolingbroke als (kon­ servative) Patrioten, Platon und Shaftesbury als Idealisten (76/15–18) sollen das obige Schema widerspiegeln und als »Prüfestein« gedient haben, um dem praktischen wie dem theoretischen Bürger die Gril­ len auszutreiben: Läuterung für den »Kleinmeister sieben brotloser Künste«.271 Dass der Liebhaber der Langeweile den tätigen und den denkenden Liebhaber (76/10) »zu läutern gesucht« (76/14), erfüllt die Topik der Satire als Arznei. Was aber die »Hirngespinste[]« (76/13) sind, wird in der Gegenüberstellung von König und Philosoph, dann Pedant und Stutzer explizit nur wieder verrätselt (76/20–77/3).

271 Der

nicht namentlich eingeführt wird, mit dem Newton-Bezug aber als Kant identifizierbar ist.

CVI

Einführung

Detektivisch forscht die Komödie dann nach der Druckgeschichte der anrüchigen Denkwürdigkeiten, stößt in einer Privatkorrespon­ denz auf eine Bolingbroke-Anspielung, die wiederum ein System von Anspielungen ankündigt (77/11–29), weckt den Verdacht, Rezensent und Autor der Denkwürdigkeiten könnten unter einer Decke stecken (78/1–16), und kommt schließlich darauf, dass wohl ein »Krampf« ursächlich für das ganze Schlamassel sei (78/20). Auch die Verwunde­ rung über solch einen »medicinischen Bericht« (79/4) kann beantwor­ tet werden: Der »Nachrichter« ist von seinen Ahnungen einer »neuen Lehre« (79/19) so inspiriert wie ein Evangelist (79/13) und der Nim­ bus des öffentlichen Zeitungswesens verleiht ihm Glaubwürdigkeit. Abschließend tritt wieder David auf; wie dieser das Schwert Goliats kann Hamann die analytischen Instrumente vom Feind übernehmen: willkürliche Anmaßung. Es gilt dann, »den Kopf [eines] kranken Ver­ faßers« zu öffnen (80/9). Dritter Aufzug und Epilog

Der Dritte Aufzug der Wolken steht im Zeichen der Wahrheit des Wahns, »daß der sokratische Schriftsteller an Körper und Kopf unge­ sund sey« (82/18 f.). Sie wird bestätigt, typologisch aufgefächert, auf ihre Anwendbarkeit hin befragt und zuletzt in die Torheit der Predigt verkehrt. Zuerst aber wird die Philosophie verabschiedet, als Akt der Liebe zum Verborgenen (81/3–10). Dass Ziegras Diagnose die »Glaub­ würdigkeit einer philosophischen Hypothese« erlangen konnte, steht im Spannungsverhältnis zum hermeneutischen Scheitern an Hamanns »Sibyllenblättern« (82/16–24). So scheint die Glaubwürdigkeit in sich verschlossen zu sein, wie das Leid des Wahns nach dem Zeugnis Elek­ tras (82/14 f.). 1. Der erste Teil des dritten Aufzugs mündet wieder in eine Szene der Apostelgeschichte (82/25–83/13), die von der Austreibung der Götzen handelt; und dass dies Einnahmeverluste für bestimmte Kunst­ handwerker bedeutet, die aus Gründen des beruflichen Selbsterhalts gegen die Lehre des Paulus Widerstand leisten. Mit dieser Geschichte wird der Grund für die »Raserey« (83/11) und ihre Absicht veräußert, sie wird eine Zuschreibung von Konkurrenten. 2. Der zweite Teil des Aufzugs gibt Typologien des Wahnsinns im Kanon der »Meister« menschlichen Könnens (83/15). Zwar stützt sich

Über die Wolken

CVII

Hamann dafür auf (Pseudo-)Aristoteles’ Problemata,272 fügt in das Thema der Melancholie aber den römischen und in die Neuzeit über­ nommenen Terminus der »Invaliden« (83/16) ein, also von Dienstunfä­ higen bzw. Kriegsversehrten.273 Die Beispiele von Herkules und David zeigen Heiligung von Krankheit und Wahnsinn aufgrund der histo­ riographischen Kanonisierung (83/14–84/2). Die institutiona­lisierte wissenschaftliche Autorität des Hippokrates invertiert bezüglich Demokrit (und dann auch allgemein, 85/20–19) den diagnostischen Begründungszusammenhang: Nicht der Einzelne, sondern die Gesell­ schaft (der Abderiten) ist krank (84/3–7). Horaz verbannt deswegen hellsichtig die Gesunden vom Musenberg, weil sie als Dichter nicht taugen, wenn sie sich an den Wahn nicht anpassen (84/7–10). Mit Jehu und den Weissagungen Elisas ist die kriegerische Geschichte um die Königswürde in Israel (die mit David und Saul im zweiten Akt schon wichtig war) in den Katalog des Wahnsinns aufgenommen (84/10–15). Für das Thema Prophetie steht zunächst abschwächend die schwarze Galle, wiederum mit (Pseudo-)Aristoteles, als humoralpatho­ logische Begründung für das Schicksal der Märtyrer (in den Problemata Heroen) genannt: Ajax, Bellerophon, Sokrates, Platon (84/16–20). Für die Wirkung des Stoffs wird der topische Vergleich mit dem Wein über­ nommen, der erneut die Apostelgeschichte wach ruft und die Ähnlich­ keit von Rausch, bzw. mit Mt 4,24 Besessenheit, und Prophetie oder Inspiration versichert (85/1–14). Noch einmal steht dafür Hippokrates Pate, diesmal mit seiner Resignation vor dem Eindruck, dass das, was als Krankheit analysiert werden kann, dennoch etwas Göttliches sei und damit unbeherrschbar (85/20–19). Im Schwung solchen Erklä­ rungseifers wird Paulus in Athen und sein dortiger »Paroxysmus der 272 Zum

Verhältnis der Melancholie in den Problemata und Aristoteles’ Auseinan­ dersetzung damit, die sich nicht auf außergewöhnliche Leistungen in Politik usw. bezieht, siehe Eijk: Aristoteles über die Melancholie. Zu Aristoteles’ Anerken­ nung kreativer Fähigkeiten (bspw. dem Erkennen von Ähnlichkeiten, das hier für den Terminus ›Genie‹, 85/13, relevant sein könnte), die mit melancholischen verwandt sind, siehe ebd. S. 67 f. 273 Vielleicht ist diese Idee inspiriert von einer Satire über nutzlose, verarmende Schriftsteller, für die ein Hospital zur Notversorgung und Unterkunft einge­ richtet werden müsse, Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, Bd. 5, 1. St. (1748), S. 7–15. Man denke aber auch an die Herausgeberfiktion der Literaturbriefe, vgl. Komm. SD 1/3.

CVIII

Einführung

langen Weile« (85/20–30) verglichen mit Solon, diesem außerordent­ lichen Menschen, der mit einem zornigen Klaggedicht (gleich Hamlets Tollheit, 86/25–30) Stimmung für den Krieg macht (86/1–11). Zuletzt ergänzt Hamann mit Herodes noch den Topos der Todesahnungen (86/12–21), der grundlegenden existenziellen Offenbarung, die immer­ hin Bileams Esel bemerkt (vgl. Komm. 86/23 f.). Die Schnipsel aus der Tradition des Krankheitsdispositivs zeigen, dass es zwar berechtigterweise von der Kritik thematisiert, jedoch schwach angewendet wurde, weil es viel reichhaltiger ist, als die Dia­ gnose des Unnatürlichen vermuten lässt.274 Die Einseitigkeit der Hamburgischen Nachrichten ist auf den Einfluss von Nymphen zurückzufüh­ ren, also Liebhaberinnen bzw. Prostituierten (87/1–19) – das ist wohl ziemlich konkret gemünzt auf die Rolle abhängiger Publizisten im öffentlichen Streit der gelehrten Parteien (s. o. zu Ziegra S. XIV u. XVIII). 3. Der dritte Teil des Aufzugs wechselt von der Krankheit zum Konflikt von Torheit und Weisheit, dem »Hauptknoten« der Komödie (87/23–28) – in der rhetorischen Verfassung bereits als Scheinproblem markiert, setzt doch die Begrifflichkeit eine Entscheidung schon vor­ aus. Dass es göttlichen Beistands zur Lösung bedarf, wird mit einem falschen Horaz-Zitat (»— — — DEVS intersit!«, 87/28) ins Spiel gebracht und damit das Dilemma der Lücken und »Strichelchen« wiederholt, das Ziegra als Dunkelheit angegriffen hatte (Ziegra Rez-SD 109/6). Was ist nun die Torheit des Genies (87/24–26) und was repräsen­ tiert der sokratische Schriftsteller, der sich wie Proteus in Verwandlun­ gen verschanzt (87/29–88/5)? Die »wunderliche Muse« scheint ihm vor allem den Stil jener morgenländischen Literatur einzugeben, die von den Hamburgischen Nachrichten diskreditiert worden war (62/25), weil sie zu Übertreibung, Sprunghaftigkeit, Bekehrungseifer neigt (88/6– 88/18). Mit Elia ist dafür wiederum eine kriegerische Szene assoziiert – der »seine Lenden gürtet«, bedeckt sich nicht nur, sondern rüstet sich zum Aufbruch, zu dem der Aufruf aus den Wolken erschallt (1 Kön 18). Ein Streit ist Anlass und Absicht der hier angewandten Künste, Eifer gegen Eifer, und die Muse, die sich sonst an üppigen (der »Landesva­ ter«, 88/15) und eigensinnigen (die Kinder, 88/22) Gelüsten verkünstelt, soll stattdessen den Jüngling vorstellbar machen, der es wagt, gegen 274 Vgl. zur Hinnahme der Krankheitsdiagnose Lumpp: Philologia crucis, S. 138–140.

Über die Wolken

CIX

die Gelehrten zu eifern, die über die Erkenntnis richten (88/23–29) – gleich Jesus aus Mt 23, der dem jüdischen König Hiskia (der gegen die Götzen vorging, 2 Kön 18), »nacheifert«, um den »Menschensohn« zu ehren, der mit den Wolken kommt (89/1–9). Die »wunderliche Muse« soll also Unmögliches vollbringen, ist aber zugleich das Mittel für dies Unmögliche. Mit einer Offenbarung endet der Aufzug; sie handelt von Gelehrsamkeit und ihrer Verdummung, die mit törichter Predigt vertrieben werden soll. Die sokratischen Themen Selbsterkenntnis und Unwissenheit werden mit Röm 3,20 dem christ­ lichen Sündenverständnis und der Gnadenlehre zugeordnet. Vernunft wird mit dem mosaischen Gesetz assoziiert. Die Flut der biblischen Bil­ der und Topoi, mit denen er das Stück vorläufig beschließt, wird kurz unterbrochen von einem französischen Zitat aus Helvétius’ De l’esprit (der kurz zuvor als einer der Gelehrten erwähnt wird, 88/28), das 1759 in Paris offiziell verbrannt wurde. Die zitierte Anspielung Fontenelles auf den Wahnsinn der Gesellschaft erinnert an Hippokrates’ Urteil über Demokrit bzw. die Abderiten (84/3–7). Fontenelle, Kritiker antiken wie christlichen Aberglaubens, wird als Prophet der neuen Weltweisheit herangezogen, aber eben auch für die Einsicht, dass man als Weiser zum Narr wird »in dieser Welt« (90/2). Wessen Botschaft gehört werden soll (89/14), wird mit diesem Einschub eher unklarer. 4. Der Unterricht zum Glauben, ob durch Gesetz oder Philosophie, entdeckt – so der Wolken letzte Weisheit – das christliche, das »wahr­ haftige Licht« nicht.275 Die theologische Deklination von Herz, Wahrhaf­ tigkeit, Licht, Geist, Freiheit, Klarheit ist im Schlusscento dann so dicht (90/8–16), dass zwar die sehr heterogene Intertextualität der Wolken abgeschnitten und zugunsten des hohen Tons des zweiten Korinther­ briefs (2 Kor 3) verabschiedet wird, gebildet aus abstrakten Offenba­ rungsbegriffen in der Überbietung der ›Klarheiten‹ –276 jedoch nur für einen kurzen Spannungsmoment, der im »Epilogus« verfällt und noch­ mal anders erzeugt wird (91/1–13). Darin ist die »Pantomime« wieder bei den Nymphen, den Hamburgischen Nachrichten, der Muse, dem Tri­ umph, um nun einen römisch-griechischen Schluss zu machen. Kaiser­ 275 Zum

Predigt-Charakter der Stelle siehe Lüpke: Zur theologischen Dramaturgie, S. 313; Büchsel: Biblisches Zeugnis, S. 162–164. 276 Zur gruppenspezifischen Lesbarkeit des verdichteten biblischen Vokabulars siehe Stünkel: Biblisches Formular.

CX

Einführung

liche Posse und christliche Nachfolge sind zuletzt im fremdsprachigen, historisierenden Zitat befremdlich nah beieinander. Vielleicht weil sie auch etwas Gemeinsames enthalten: den Appell an die Freundschaft. 5. Das Befremden ob der Verquickung im Epilog erhält noch eine Abwandlung im allerletzten textuellen Element des Buches, in der Feh­ lernotiz (92/1–6), die sich auf »Uns«, »Niemand« und das Publikum bezieht. Ziegra benutzt den pluralis auctoris für seine Position; mit Hamann könnte man wohl sagen: als Stellvertreter des sensus communis. In der Wiedergabe der Rezension in den Wolken wird der Pluralis in Großbuchstaben gesetzt (54/5 ff.), wie das für die Bezeichnungen Gottes und Christi üblich ist. Mit der Komödie findet wohl eine Ent­ thronung des richterlichen Publikums als Abstraktum statt, um es in die Klarheit des Spiegelbildes zu setzen.

Edition

Sokratische

1|

Denkwürdigkeiten für die lange Weile

d e s Pu b l i cu m s 5

zusammengetragen

vo n e i n e m Li e b h a b e r d e r l a n g e n We i l e . Mit einer doppelten Zuschrift

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an Niemand und an Zween. O curas hominum! o quantum est in rebus inane! Quis leget haec? – – – Min’ tu istud ais? – – Nemo hercule – – Nemo? – Vel DVO vel NEMO – – – p e r s .

Amsterdam, 1759. N II 57

3|

An das Publicum, oder

Niemand, den Kundbaren.

N II 59

– οδ᾽ ΟΥΤΙΣ, που ᾽στιν; – – / Eurip. Κυκλωψ. SD2

An das Publicum […]

D Du

5|

5

5

u führst einen Namen, und brauchst keinen Beweis Deines Daseyns,

findest Glauben, und thust keine Zeichen denselben zu verdienen, Du erhältst Ehre, und hast weder Begrif noch Gefühl davon. Wir wissen, daß es

keinen Götzen in der Welt giebt. Ein Mensch bist Du auch nicht; doch must Du ein menschlich Bild seyn, das 10

6|

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N II 59

der Aberglaube vergöttert hat. Es fehlt Dir nicht an Augen und Ohren, die aber nicht sehen, nicht hö|ren; und das künstliche Auge, das Du machst, das künstliche Ohr, das Du pflanzest, ist, gleich den Deinigen, blind und taub. Du must alles wissen, und lernst nichts; Du must alles richten, und verstehst nichts. Du dichtest, hast zu schaffen, bist über Feld, oder schläfst vielleicht, wenn Deine Priester laut ruffen, und Du ihnen und ihrem Spötter mit Feuer antworten solltest. Dir werden täglich Opfer gebracht, die andere auf Deine Rechnung verzehren, um aus Deinen starken Mahlzeiten

Spr Sal. IX. 13

SD1 SD2

lernst nichts; lernst immerdar, und kannst nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen 2. Tim. III. 7. SD1

lernst nichts;]

17 verstehst nichts.]

verstehst nichts, lernst immerdar, und kannst nimmer zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 2 Tim. III. 7. SD2

6

Sokratische Denkwürdigkeiten

Dein Leben wahrscheinlich zu machen. So eckel Du bist, nimmst Du doch mit

allem für lieb, wenn man nur nicht leer vor Dir erscheint.| Ich werfe mich wie der Philosoph zu den erhörenden Füssen eines Tyrannen. Meine Gabe besteht in nichts als Küchlein, von denen ein Gott, wie Du, einst barst. Ueberlaß sie daher einem Paar Deiner Anbeter, die ich durch diese Pillen von dem Dienst Deiner Eitelkeit zu reinigen wünsche. Weil Du die Züge menschlicher Unwissenheit und Neugierde an Deinem Gesichte trägst; so will ich Dir beichten, wer die Zween sind, denen ich durch Deine Hände diesen frommen Betrug spielen will. Der erste arbeitet am Stein der Weisen, wie ein Menschenfreund, der ihn für ein Mittel ansieht, den Fleiß, die | bürgerliche Tugenden und das Wohl des gemeinen Wesens zu befördern. Ich habe für ihn in der mystischen Sprache eines Sophisten geschrieben; weil Weisheit immer das verborgenste Geheimnis der Politick bleiben wird, wenn gleich

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An das Publicum […]

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25 N II 60

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die Alchymie zu ihren Zweck kommt, alle die Menschen reich zu machen, welche durch des Mar­qvis von Mirabeau fruchtbare Maximen bald! Frankreich bevölkern müssen. Nach dem heutigen Plan der Welt bleibt die Kunst Gold zu machen also mit Recht das höchste Project und höchste Gut unserer Staatsklugen. Der andere möchte einen so allgemeinen Weltweisen und guten |  Münzwaradein abgeben, als Newton war. Kein Theil der Kritick ist sicherer, als die man für Gold und Silber erfunden hat. Daher kann die Verwirrung in dem Münzwesen Deutschlands so groß nicht seyn, als die in die Lehrbücher eingeschlichen, so unter uns gäng und gebe sind. Es fehlt uns an richtigen Verhältnis-Tabellen, die uns bestimmen, wie viellöthig eine Wahrheit seyn müsse, und wie viel an einem Einfall fehlet, wenn er eine Wahrheit gelten soll u. s. w. Weil diese Küchlein nicht gekaut, sondern geschluckt werden müssen, gleich denenjenigen, so die Cosmische Fami-

wie viellöthig […] fehlet,]

von welchem Gehalt ein Einfall seyn müsse, SD1 wie viellöthig an Schrot und Korn ein Einfall seyn müße, SD2 22 u. s. w. * Ο

Ζευ, τι δη χρυσου μεν ος κιβδηλος η Τεκμερι᾽ ανθρωποισιν ωπασας σαφη. / Ανδρων δ᾽ οτω χρη τον κακον διειδεναι / Ουδεις χαρακηρ εμπεφυκε σωματι / Euripides

Medea SD2

25 denenjenigen,]

denjenigen, SD1 SD2

8

Sokratische Denkwürdigkeiten

lie zu Florenz in ihr Wapen | aufnahm; so sind sie nicht für den Geschmack gemacht. Was ihre Wirkungen anbetrift; so lernte bey einem ähnlichen Gefühl derselben Vespasian zuerst das Glück Deines Namens erkennen, und soll auf einem Stuhl, der nicht sein Thron war, ausgeruffen haben: VTI PVTO, DEVS FIO!

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An die

Zwee n .

N II 61

– – σμικρα μεν ταδ᾽ αλλ᾽ ομως / ἁ ᾽χω – – – / S­ ophocles in Electra. SD2

D

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N II 61

An die Zween

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as Publicum in Griechenland laß die Denkwürdigkeiten des Aristoteles über die Naturgeschichte der Thiere, und Alexander verstand sie. Wo ein gemeiner Leser nichts als Schimmel sehen möchte, wird der Affect der Freundschaft Ihnen, Meine Herren, in diesen Blättern vielleicht ein mikroskopisch Wäldchen entdecken. Ich habe über den Sokrates auf eine sokratische Art geschrieben. Die Analogie war die Seele seiner Schlüs|se, und er gab ihnen die Ironie zu ihrem Leibe. Ungewißheit und Zuversicht mögen mir so eigenthümlich seyn als sie wollen; so müssen sie hier doch als ästhetische Nachahmungen betrachtet werden. In den Werken des Xenophons herrscht eine abergläubische, und in Platons eine schwärmerische Andacht; eine Ader ähnlicher Empfindungen läuft daher durch alle Theile dieser mimischen Arbeit. Es würde mir am leichtesten gewesen seyn denen Heyden in ihrer Freymüthigkeit hierin näher zu kommen; ich habe mich aber bequemen müssen meiner Religion den Schleyer | zu borgen, den ein patriotischer St. John und

mikroskopisch]

mikroskopisches SD1 * Analogy, man’s surest guide below. / Young. Night 6. Analogie

SD2; SD1 ähnlich

12

Sokratische Denkwürdigkeiten

platonischer Shaftesbury für ihren Unglauben und Misglauben gewebt haben. Sokrates war, meine Herren, kein gemeiner Kunstrichter. Er unterschied in den Schriften des Heraklitus, dasjenige, was er nicht verstand, von dem, was er darin verstand, und that eine sehr billige und bescheidene Vermuthung von dem Verständlichen auf das Unverständliche. Bey dieser Gelegenheit redete Sokrates von Lesern, könnten welche schwimmen könnten. Ein Zusammen* Atque hic tam docilis ad cetera, natare nesciit. fluß von Ideen und Empfindungen in dieser Sueton. de Calegula. SD1  lebenden Elegie vom | Philosophen machte 12 dieser] jener SD1 SD2 desselben Sätze vielleicht zu einer Menge kleiner Inseln, zu deren Gemeinschaft Brücken und Fähren der Methode fehlten. Da Sie beyde meine Freunde sind; so wird mir Ihr partheyisch Lob und Ihr partheyischer Tadel gleich angenehm seyn. Ich bin etc.

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N II 61

Sokratische Denkwürdigkeiten.

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Einleitung.

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N II 62

D

er Geschichte der Philosophie ist es wie der Bildsäule des französischen Staatsministers ergangen. Ein grosser Künstler zeigte seinen Meissel daran; ein Monarch, der Name eines ganzen Jahrhunderts, gab die Unkosten zum Denkmal und bewunderte das Geschöpf seines Unterthanen; der Scythe aber, der auf sein Handwerk reisete, und wie Noah oder | der Galiläer des Projektmachers, Julians, ein Zimmermann wurde, um der Gott seines Volks zu seyn, dieser Scythe begieng eine Schwachheit, deren Andenken ihn allein verewigen könnte. Er lief auf den Marmor zu, both grosmüthig dem Stein die Hälfte seines weiten Reichs an, wenn er ihn lehren wollte, die andere Hälfte zu regieren. Sollte unsere Historie Mythologie werden; so wird diese Umarmung eines leblosen Lehrers, der ohne Eigennutz Wunder der Erfüllung gethan, in ein Mährchen verwandelt seyn, das den Reliquien von Pygmalions Leben ähnlich sehen wird. Ein Schöpfer seines Volkes in der Sprache unsers Witzes wird nach einer undenklichen Zeit eben so poetisch verstanden werden müssen, als ein Bildhauer seines Weibes.

Girardon SD1 SD2

Ludwig 14. SD2

Peter d. G. SD2

dem * stummen /

Habac. III. 19.

SD1; SD2 ähnlich

14

Engländer] Britte SD1 SD2

encyclopischen]

encyclischen SD1 SD2;. S. Wolken. S. 31. SD2;

SD1 ähnlich

Sokratische Denkwürdigkeiten

Es giebt in dem Tempel der Gelehrsamkeit würklich einen Götzen, der unter seinem | Bilde die Aufschrift der philosophischen Geschichte trägt; und dem es an Hohenpriestern und Leviten nicht gefehlt. Stanley und Brucker haben uns Kolossen geliefert, die eben so sonderbar und unvollendet sind als jenes Bild der Schönheit, das ein Grieche aus den Reitzen aller Schönen, deren Eindruck ihm Absicht und Zufall verschaffen konnte, zusammensetzte. Meisterstücke, die von gelehrten Kennern der Künste immer sehr möchten bewundert und gesucht; von Klugen hingegen als abentheuerliche Gewächse und Chimären in der Stille belacht oder auch für die lange Weile und in theatralischen Zeichnungen nachgeahmt werden. Weil Stanley ein Engländer und Brucker ein Schwabe ist: so haben sie beyde die lange Weile des Publicums zu ihrem Ruhm vertrieben; wiewohl das Publicum auch für die Gefälligkeit, womit es die ungleichen Feh|ler dieser Nationalschriftsteller übersehen, gelobt zu werden verdient. Deslandes, ein Autor von encyclopischen Witz hat eine chinesische Kaminpuppe für das Kabinet des gallicanischen Geschmacks hervorgebracht. Der Schöpfer der schönen Natur scheint die grösten Köpfe Frankreichs, wie Jupiter ehmals die Cyclo­pen zur Schmiede der Strahlen und Schwärmer verdammt zu haben, die er zum tauben Wetterleuchten und ätherischen Feuerwerken nöthig hat.

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N II 62–63

Einleitung

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Aus denen Urtheilen, die ich über alle diese ehrliche und feine Versuche ein kritisch System der philosophischen Geschichte zu machen, gefällt, läßt sich mehr als wahrscheinlich schlüßen, daß ich keines davon gelesen; sondern blos den Schwung und Ton des gelehrten Haufens nachzuahmen, und denenjenigen, zu deren Besten ich schreibe, durch ihre Nachahmung zu schmäucheln suche. Un|terdessen glaube ich zuverläßiger, daß unsere Philosophie eine andere Gestalt nothwendig haben müste, wenn man die Schicksale dieses Namens oder Wortes: Philosophie, nach den Schattierungen der Zeiten, Köpfe, Geschlechter und Völker, nicht wie ein Gelehrter oder Weltweiser ) selbst, sondern als ein müßiger * Zuschauer ihrer olympischen Spiele studiert hätte oder zu studieren wüste. Ein Phrygier, wie Aesop, der sich nach den Gesetzen seines Klima, wie man jetzt redt, Zeit nehmen muste, klug zu werden, und ein so natürlicher Tropf, als ein La Fontaine, der sich besser in die Denkungsart der Thiere als der Menschen zu schicken und zu verwandeln wuste, würden uns an statt gemalter Philosophen oder ihrer zierlich verstümmelter Brustbilder, ganz andere Ge|schöpfe zeigen, und ihre Sitten und Sprüche, die Legenden ihrer Lehren und Thaten mit Farben nachahmen, die dem Leben näher kämen. *) Ein Mensch ohne Geschäfte heißt auf griechisch Argus.

N II 63

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Versuche […] gefällt,]

Versuche von einem kritischen System der philosophischen Geschichte gefällt, SD1 SD2

– ως γραφευς τ᾿αποσταθεις. /

Eurip. Hecub. SD2

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brennender] durstiger SD1

von Baro]

von Bar SD1 SD2

V. La Socrate Chretien par Balsac V. sur S. Thomas de l’Ecole l’Apotre de la Nation des Peripateticiens. SD1

* Ce St. Thomas de l’ecole n’auroit-il point été choisi pour etre l’Apôtre de la Nation des Peripateticiens, qui n’etoit pas encore bien assujettie et bien domtée? Nation presomtueuse et mutine, qui defère si peu à l’autorité, qui se fonde toujours en raison, qui demande toujours pourquoi cela est – – Il me semble que cette dernière Mission n’a pas été inutile. Socrate Chretien par Balzac Discours V. SD2  hatten

Sokratische Denkwürdigkeiten

Doch sind vielleicht die philosophischen Chroniken und Bildergallerien weniger zu tadeln, als der schlechte Gebrauch, den ihre Liebhaber davon machen. Ein wenig Schwärmerey und Aberglauben würde hier nicht nur Nachsicht verdienen, sondern etwas von diesem Sauerteige gehört dazu, um die Seele zu einem philosophischen Heroismus in Gährung zu setzen. Ein brennender Ehrgeitz nach Wahrheit und Tugend, und eine Eroberungswuth aller Lügen und Laster, die nämlich nicht dafür erkannt werden, noch seyn wollen; hierinn besteht der Heldengeist eines Weltweisen. Wenn Cäsar Trähnen vergießt bey der Säule des macedonischen Jünglings, und | dieser bey dem Grabe Achills mit Eyfersucht an einen Herold des Ruhms denkt, wie der blinde Minnesänger war: so biegt ein Erasmus im Spott sein Knie für den heiligen Sokrates, und die hellenistische Muse unsers von Baro muß den komischen Schatten eines Thomas Diafoirus beunruhigen, um uns die unterirrdische Wahrheit zu predigen; daß es göttliche Menschen unter den Heyden gab, daß wir die Wolke dieser Zeugen nicht verachten sollen, daß sie der Himmel zu seinen Boten und Dollmetschern salbte, und zu eben den Beruf unter ihrem Geschlechte einweyhte, den die Propheten unter den Juden hatten. Wie die Natur uns gegeben, unsere Augen zu öfnen; so die Geschichte, unsere Ohren. Einen Körper und eine Begebenheit bis auf ihre ersten Elemente zergliedern, heißt, Gottes unsichtbares

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Einleitung 24|

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Wesen, seine ewige Kraft | und Gottheit ertappen wollen. Wer Mose und den Propheten nicht glaubt, wird daher immer ein Dichter, wieder sein Wissen und Wollen, wie Buffon über die Geschichte der Schöpfung und Montesquieu über die Geschichte des Römischen Reichs. Wenn kein junger Sperling ohne unsern Gott auf die Erde fällt; so ist kein Denkmal alter Zeiten für uns verloren gegangen, das wir zu bekla) gen hätten.* Sollte seine Vorsorge sich nicht über Schriften erstrecken, da Er Selbst ein Schriftsteller geworden, und der Geist Gottes so genau gewesen den Werth der ersten verbotenen Bücher aufzuzeichnen, die ein frommer Eyfer unserer Religion ) dem Feuer geopfert? ** Wir bewundern es an Pompejus als eine kluge und edle Handlung,| daß er die Schriften seines Feindes Sertorius aus dem Wege räumte; warum nicht an unserm HErrn, daß er die Schriften eines Celsus untergehen lassen? Ich meyne also nicht ohne Grund, daß Gott für alle Bücher, woran uns was gelegen, wenigstens so viel Aufmerksamkeit getragen als Cäsar für die beschriebene Rolle, mit der er in die See sprang, ) oder Paulus für sein Pergamen zu Troada.***

*) Der President von Goguet urtheilt auf eine ähnliche Art in der Vorrede seines lesenswürdigen Werkes de l’origine des Loix, des Arts & des Sciences & de leurs progrès chez les anciens Peuples. **) Apostelgesch. XIX. 19.   ***) 2 Tim. IV. 13.

hätten.*)] Fußnotenanker gestrichen SD2

*) Der President […] Peuples.] Fußnote gestrichen SD2

18

V. Melanges interessans et curieux Tome X. SD1 12 den Versuch […] Bacon]

so viel über die Historie gewagt, als Bacon SD1 SD2 14 gethan.*)] Fußnotenanker gestrichen SD2 16 poetisch]

poetisches SD1

*) Die […] anzusehen.] Fußnote gestrichen SD2

Sokratische Denkwürdigkeiten

Hatte der Künstler, welcher mit einer Linse durch ein Nadelöhr traf, nicht an einen Scheffel Linsen genung zur Uebung seiner erworbenen Geschicklichkeit? Diese Frage möchte man an alle Gelehrte thun, welche die Werke der Alten nicht klüger, als jener die Linsen, zu brauchen wißen. Wenn wir mehr hätten, als uns die Zeit hat schenken wollen; so würden wir selbst genöthiget werden unsere Ladungen über Bord zu werfen, un|sere Bibliothecken in Brand zu stecken, oder es wie die Holländer mit dem Gewürz zu machen. Mich wundert, daß noch keiner den Versuch über die Historie gewagt, den Bacon für die Phy) sik gethan.* Bollingbroke giebt seinem Schüler den Rath, die ältere Geschichte überhaupt wie die heydnische Götterlehre und als ein poetisch Wörterbuch zu studieren. Doch vielleicht ist die ganze Historie mehr Mythologie, als es dieser Philosoph meynt, und gleich der Natur ein versiegelt Buch, ein verdecktes Zeugnis, ein Räthsel, das sich nicht auf lösen läßt, ohne mit einem andern Kalbe, als unserer Vernunft zu pflügen. Meine Absicht ist es nicht, ein Historiograph des Sokrates zu seyn; ich schreibe |  blos seine Denkwürdigkeiten wie Düclos dergleichen zur

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*) Die Geschichts-Wissenschaft des scharfsinnigen Chlade-

nius ist blos als ein nützlich Supplement unserer scholastischen oder akademischen Vernunftlehre anzusehen. N II 64–65

Einleitung

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Geschichte des XVIIIten Jahrhunderts für die lange Weile des schönen Publicums herausgegeben. Es liesse sich freylich ein so sinnreicher Versuch über das Leben Sokrates schreiben, als Blackwell über den Homer geliefert. Sollte der Vater der Weltweisheit nicht dieser Ehre näher gewesen seyn als der Vater der Dichtkunst? Was Cooper herausgegeben ist nichts als eine Schulübung, die den Eckel so wohl einer Lob- als Streit-Schrift mit sich führt. Sokrates besuchte öfters die Werkstätte eines Gerbers, der sein Freund war, und, wie der Wirth des Apostel Petrus zu Joppe, Simon hieß. Der Handwerker hatte den ersten Einfall die Gespräche des Sokrates aufzuschreiben. Dieser erkannte sich vielleicht in denselben besser als in Platons, bey deren Lesung er gestutzt und gefragt haben soll: Was hat dieser junge Mensch im Sinn aus mir zu machen? – – Wenn ich nur so gut als Simon der Gerber meinen Held verstehe!

wie der […] Joppe,]

(wie der Wirth des Apostel Petrus zu Joppe) SD1 SD2; S. Wolken S. 34.35. SD1 SD2

Erster Abschnitt.   Bildhauer]

Bildhauer SD1

Sophroniscum Socrates exspirare non patitur Seneca de Benef. III. 32. SD1; SD2 ähnlich 5 Προσφερου

ουν προς με ως προς μαιας υιον και αυτον μαιευτικον S. Socrates zum

Theaetet im Plato. SD2

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S

okrates hatte nicht umsonst einen Bildhauer und eine Wehmutter zu Eltern gehabt. Sein Unterricht ist jederzeit mit den Hebammenkünsten verglichen worden. Man vergnügt sich noch diesen Einfall zu wiederholen, ohne daß man selbigen als das Saamkorn einer fruchtbaren Wahrheit hätte aufgehen lassen. Dieser Ausdruck ist nicht blos tropisch, sondern zugleich ein Knäuel vor­treflicher Begriffe, die jeder Lehrer zum Leitfaden in der Erziehung des Verstandes nöthig hat. Wie der Mensch nach der Gleichheit Gottes erschaffen worden, so scheint der Leib eine Figur oder ) Bild der Seelen zu seyn.* Wenn uns unser Gebein verholen ist, weil wir im Verborgenen gemacht, weil wir gebildet werden unten in der | Erde; wie viel mehr werden unsere Begriffe im Verborgenen gemacht, und können als Gliedmassen unsers Verstandes betrachtet werden. Daß ich sie Gliedmaassen des Verstandes nenne, hindert nicht, jeden Begrif als eine besondere und ganze Geburt selbst anzusehen. Sokrates war also bescheiden genung seine Schulweisheit mit der Kunst eines alten Weibes zu vergleichen, welches blos der Arbeit der Mutter und ihrer zeitigen Frucht zu Hülfe kommt, und beyden Handreichung thut.

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*) Siehe die folgende Anmerkung. N II 66

Erster Abschnitt

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Die Kraft der Trägheit und die ihr entgegengesetzt scheinende Kraft des Stolzes, die man durch so viel Erscheinungen und Beobachtungen veranlasset worden in unserm Willen anzunehmen, bringen die Unwissenheit, und die daraus entspringende Irrthümer und Vorur­theile nebst allen ihren schwesterlichen Leidenschaften hervor. Von dieser | Seite ahmte also Sokrates seinen Vater nach, einen Bildhauer, der, indem er wegnimmt und hauet, was am Holze nicht seyn soll, eben dadurch ) die Form des Bildes fördert.* Daher hatten die grossen Männer seiner Zeit zureichenden Grund über ihn zu schreyen, daß er alle Eichen ihrer Wälder fälle, alle ihre Klötzer verderbe, und aus ihrem Holze nichts als Späne zu machen verstünde. Sokrates wurde vermuthlich ein Bildhauer, weil sein Vater einer war. Daß er in dieser Kunst nicht mittelmässig geblieben, hat man daraus geschlossen, weil zu Athen seine drey Bildsäulen der Gratien aufgehoben worden. Man war ehmals gewohnt | gewesen diese Göttinnen zu kleiden; den altväterischen Gebrauch hatte Sokrates nachgeahmt, und seine Gratien wiedersprachen der Custome des damaligen Göttersystems und der sich darauf gründenden schönen Künste. Wie Sok-

Custome] Costume SD1 SD2

*) Worte unsers Kirchenvaters, Martin Luthers, bey des-

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N II 66–67

sen Namen ein richtig und fein denkender Schwärmer jüngst uns erinnert hat, daß wir von diesem grossen Mann nicht nur in der deutschen Sprache, sondern überhaupt nicht so viel gelernt als wir hätten sollen und können.

Schwärmer SD2; Klopstock im nordischen Aufseher. SD1 Klopstock im nordischen Zuschauer. SD2 Schwärmer]

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Nachkommen *)] Fußnotenanker gestrichen SD1 SD2

*) Progeniem […] Buch 3.] Fußnote gestrichen SD1 SD2

Sokratische Denkwürdigkeiten

rates auf diese Neuerung gekommen; ob es eine Eingebung seines Genius, oder eine Eitelkeit seine Arbeiten zu unterscheiden, oder die Einfalt einer natürlichen Schaamhaftigkeit gewesen, die einem andächtigen Athenienser wunderlich vorkommen muste; weiß ich nicht. Es ist aber nur gar zu wahrscheinlich, daß diese neugekleideten Gratien so wenig ohne Anfechtung werden geblieben seyn als die neugekleideten Gratien unserer heutigen Dichtkunst. Hier ist der Ort die Uebersichtigkeit einiger gegen das menschliche Geschlecht und dessen Auf kommen gar zu witzig gesinnter Patrioten zu ahnden, die sich die Verdienste des Bild|hauers im Sokrates so groß vorstellen, daß sie den Weisen darüber verkennen, die den Bildhauer vergöttern um desto füglicher über des Zimmermanns Sohn spotten zu können. Wenn sie in Ernst an Sokrates glauben; so sind seine Sprüche Zeugnisse wieder ) sie. Diese neuen Athenienser sind Nachkommen* seiner Ankläger und Giftmischer, abgeschmacktere Verläumder und grausamere Mörder dann ihre Väter. Bey der Kunst, in welcher Sokrates erzogen worden, war sein Auge an der Schönheit und ihren Verhältnissen so gewohnt und geübt, daß sein Geschmack an wohlgebildeten Jünglingen uns nicht befremden darf. Wenn man die Zeiten

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*) Progeniem vitiosiorem nennt sie Horaz Ode 6. Buch 3. N II 67

Erster Abschnitt

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des Heydenthums * kennt, in denen er lebte; so ist es eine thörichte Mühe ihn von einem Laster | weiß zu brennen, das unsere Christenheit an Sokrates übersehen sollte, wie die artige Welt an einem Toußaint die kleinen Romane seiner Leidenschaften, als Schönfleckchen seiner Sitten. Sokrates scheint ein aufrichtiger Mann gewesen zu seyn, dessen Handlungen von dem Grund seines Herzens, und nicht von dem Eindruck, den andere davon haben, bestimmt worden. Er leugnete nicht, daß seine verborgene Neigungen mit den Entdeckungen des Gesichtdeuters einträfen; er gestand, daß dessen Brille recht gesehen hätte. Ein Mensch, der überzeugt ist, daß er nichts weiß, kann, ohne sich selbst Lügen zu strafen, kein Kenner seines guten Herzens seyn. Daß er das ihm beschuldigte Laster gehaßt, wissen wir aus seinem Eyfer gegen dasselbe, und in seiner Geschichte sind Merkmale seiner Unschuld, die ihn bey nahe loßsprechen. Man kann keine lebhafte | Freundschaft ohne Sinnlichkeit fühlen, und eine metaphysische Liebe sündigt vielleicht gröber am Nervensaft, als eine thierische an Fleisch und Blut. Sokrates hat also ohne Zweifel für seine Lust an einer Harmonie der äusserlichen und innerlichen Schönheit, in sich selbst leiden und streiten müssen. Ueberdem wurden Schönheit, Stärke des Leibes und Geistes nebst dem Reichthum an Kindern und Gütern in )

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*) Röm. I.

worden.]

werden. SD1 SD2

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Ideoten]

Idioten SD1 SD2

Sokratische Denkwürdigkeiten

dem jugendlichen Alter der Welt für Sinnbilder göttlicher Eigenschaften und Fußstapfen göttlicher Gegenwart erklärt. Wir denken ietzt zu abstrakt und männlich die menschliche Natur nach dergleichen Zufälligkeiten zu beurtheilen. Selbst die Religion lehrt uns einen Gott, der kein Ansehen der Person hat; ohngeachtet der Misverstand des Gesetzes die Juden an gleiche Vorurtheile hierinn mit den Heyden gebunden hielt. Ihre gesunde Vernunft,| woran es den Juden und Griechen so wenig fehlte als unsern Christen und Muselmännern, stieß sich daran, daß der Schönste unter den Menschenkindern ihnen zum Erlöser versprochen war, und daß ein Mann der Schmerzen, voller Wunden und Striemen, der Held ihrer Erwartung seyn sollte. Die Heyden waren durch die klugen Fabeln ihrer Dichter an dergleichen Wiedersprüchen gewohnt; bis ihre Sophisten, wie unsere, solche als einen Vatermord verdammten, den man an den ersten Grundsätzen der menschlichen Erkenntnis begeht. Von solchem Wiederspruch finden wir ein Beyspiel an dem Delphischen Orakel, das denjenigen für den weisesten erkannte, der gleichwol von sich gestand, daß er nichts wisse. Strafte Sokrates das Orakel Lügen, oder das Orakel ihn? Die stärksten Geister unserer Zeit haben für diesmal die Prieste|rinn für eine Wahrsagerinn gehalten, und sich innerlich über ihre Aehnlichkeit mit dem Vater Sokrates gefreut, der es für gleich anständig hielt einen Ideoten zu spielen oder Göttern zu

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glauben. Ist übrigens der Verdacht gegründet, daß sich Apoll nach den Menschen richte, weil diese zu dumm sind sich nach ihn zu richten: so handelt er als ein Gott, dem es leichter fällt zu philippisiren oder zu sokratisiren, als uns Apollos zu seyn. Die Ueberlieferung eines Götterspruches will aber so wenig als ein Komet sagen für einen Philosophen von heutigem Geschmack. Wir müssen nach seiner Meynung in dem Buche, welches das thörichste Volk auf uns gebracht, und in den Ueberbleibseln der Griechen und Römer, so bald es auf Orakel, Erscheinungen, Träume und dergleichen Meteoren ankommt, diese Mährchen unserer | Kinder und Ammen (denn Kinder und Ammen sind alle verfloßne Jahrhunderte gegen unser ) lebendes in der Kunst zu erfahren und zu denken) * absondern, oder selbige als die Schnörkel unserer Alpendichter bewundern. Gesetzt, dieses würde alles so reichlich eingeräumt; als man unverschämt seyn könte es zu fordern: so wird Bayle, einer ihrer Propheten, zu dessen Füssen diese Kretenser mit so viel Anstand zu gähnen gewohnt sind, weil ihr ) Gamaliel ** gähnt, diesen Zweif lern antworten; daß, wenn alle diese Begebenheiten mit dem Einfluß der Gestirne in gleichem Grade der Falschheit stehen, wenn alles gleichartig erlogen und *) Das heißt, Eßays und Pensees oder Loisirs zu schreiben. **) Bayle eyferte für die Religionsduldung wie dieser Pharisäer Act. V.

*

Plinius lib. 28. c. 2. machte schon den Schluß; ostentorum vires in nostra potestate esse, ac prout quaeque accepta sint, ita valere – – In Augurum certe disciplina constat, neque diras neque vlla auspicia pertinere ad eos, qui quamque rem ingredientes, obseruare se ea negauerint. Quo munere diuinae indulgentiae maius nullum est 14 Meteoren

SD2; SD1 ähnlich 22 Kretenser]

Kreter SD1 SD2 ;

* φιλοσοφια εστι

παλαιοτατη τε και πλειστη των Ελλενων εν Κρητη τε και εν Λακεδαιμονι και σοφισται πλειστοι γης εκει εισιν, αλλ᾽ εξαρνουνται και σχηματιζονται αμαθεις ειναι, ινα μη καταδηλοι ωσιν, οτι σοφια των Ελληνων περιεισιν.

Sokrates in Platon Protagoras. SD2  23 gähnen * Kritias

in Platons Charmides:

Ο Κριτιας ακουσας ταυτα και ιδων με απορουντα ωσπερ οι τους χασμωμενους κατ᾽ αντικρυ ορωντες ταυτον τουτο ξυμπασχουσι, κακεινος εδοξε μοι υπ᾽ εμου απορουντος αναγκαθηναι και αυτος αλωναι υπο αποριας. SD2 

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und durch ] uns durch SD1 SD2

12 Firmament

* Matth. II. 2. SD1 SD2 12 Geisterwelt

** Luc. II. 9.13. SD1 SD2

Sokratische Denkwürdigkeiten

erdacht ist, dennoch der Wahn, die Einbildung und der Glaube daran zu ihrer Zeit und an ihrem Ort würklich grössere | Wunder veranlaßt habe und veranlassen könne, als man den Kometen, Orakelsprüchen und Träumen selbst jemals zugeschrieben hat noch zuschreiben wird. In diesem Verstande sollten aber die Zweifler mehr Recht als unsere Empyriker behalten, weil es menschlicher und Gott anständiger aussieht, und durch unsere eigene Grillen und Hirngespinste, als durch eine so entfernte und kostbare Maschinerey, wie das Firmament und die Geisterwelt unsere blöden Augen vorkommt, zu seinen Absichten zu regieren.

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12 unsere]

unsern SD1 unseren SD2 

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in Mann, der Geld zu verlieren hatte, und vermuthlich auch Geld zu verlieren verstand, dem die Geschichte Kriton nennt, soll die Unkosten getragen haben unsern Bildhauer in einen Sophisten zu verwandeln. Wer der etymologischen Mine seines Namens traut, wird diesen Anschlag einem weitsehenden Urtheilsgeist, ein leichtgläubiger Schüler der täglichen Erfahrung hingegen einem blinden Geschmack an Sokrates zu schreiben. Die Reyhe der Lehrmeister und Lehrmeisterinnen, die man dem Sokrates giebt, und die Kriton ohne Zweifel besolden muste, ist ansehnlich genung; und doch blieb Sokrates unwissend. Das freche Geständniß darin war gewissermassen eine Beleidigung, die man | aber dem aufrichtigen Klienten und Kandidaten scheint vergeben zu haben, weil sie auf ihn selbst am schwersten zurück fiel. Das Loos der Unwissenheit und die Blöße derselben macht eben so unversöhnliche Feinde als die Ueberlegenheit an Verdiensten und die Schau davon. War Sokrates wirklich unwissend, so muste ihm auch die Schande unwissend seyn, die vernünftige Leute sich ergrübeln, unwissend zu ­scheinen. Ein Mensch, der nichts weiß und der nichts hat, sind Zwillinge eines Schicksals. Der Fürwitzige und Argwöhnische zeichnen und foltern den ersten als einen Betrüger; wie der Gläubiger und Räu-

dem] den SD1

Urtheilsgeist,] Urtheil, SD1 SD2

unwissend.

* Κυνδυνευομεν ω Μενων εγω τε και συ φαυλοι τινες ειναι ανδρες, και σε τε Γοργιας ουχ ικανως πεπαιδευκεναι και εμε Προδικος. Sokrates in

Platons Menon. SD2 15 darin]

davon SD1 SD2

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Sokratische Denkwürdigkeiten

ber dem letzten, unterdessen der Bauerstolz des reichen Mann und reichen Mann und Polyhistors beyde verachtet. Polyhistors] reichen Polyhistors SD1 SD2  Eben daher bleibt die philosophische Göttin des Glücks eine bewährte Freundinn des Dummen, und durch ihre Vorsorge entgehen die Einfälle des | Armen den Motten länger als blanke Kleider und rauschende Schlafröcke, als die Hypothesen Projektmacher […] Stern-] und Formeln der Kalender-System- und ProjektmaProjektmacher, Stern- SD1 Projektmacher cher samt den Akten der Stern- und Staatsseher. der Stern- SD2 Sokrates scheint von seiner Unwissenheit so 10 Alcibiades in viel geredt zu haben als ein Hypochondriaker Platons Symposio. SD2 von seiner eingebildeten Krankheit. Wie man dies Uebel selbst kennen muß um einen Milzsüchtigen zu verstehen und aus ihm klug zu werden; so gehört vielleicht eine Sympathie der Unwissenheit ein] einen SD1 SD2  dazu, von der sokratischen ein Begrif zu haben. Erkenne dich selbst! sagte die Thür jenes Kritias in Platons ­Charmides. SD2 berühmten Tempels allen denen, die hereingiengen dem Gott der Weisheit zu opfern und ihn über ihre kleinen Händel um Rath zu fragen. Alle lasen, bewunderten und wusten auswendig diesen Spruch. Man trug ihn wie der Stein, in den er gegraben | war, vor der Stirn, ohne den Sinn davon zu begreifen. Der Gott lachte ohne Zweifel unter seinen güldenen Bart, als ihm die küzliche Aufgabe zu Sokrates Zeiten vorgelegt wurde: Wer der weiseste unter allen damals lebenden Menschen wäre? Sophokles und Euripides würden nicht so grosse Muster für die Schaubühne, ohne Zergliederungskunst des menschlichen Herzens, geworden seyn. Sokrates übertraf sie aber beyde dem]

den SD1

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an Weisheit, weil er in der Selbsterkenntnis weiter als jene gekommen war, und wuste, daß er nichts wuste. Apoll antwortete jedem schon vor der Schwelle; wer weise wäre und wie man es werden könne? jetzt war die Frage übrig: Wer Sich Selbst erkenne? und woran man sich in dieser Prüfung zu halten hätte? Geh, Chärephon, lern es von Deinem Freunde. Kein Sterblicher kann die Achtsamkeit und Entäusserung | eines Lehrmeisters sittsamer treiben, als womit Apoll seine Anbeter zum Verstande seiner Geheimniße gängelte. Alle diese Winke und Bruchstücke der ältesten Geschichte und Tradition bestätigen die Beobachtung, welche Paulus und Barnabas den Lykaoniern vorhielten, daß Gott auch unter ihnen sich selbst nicht unbezeuget gelassen, auch ihnen vom Himmel Regen ) und fruchtbare Zeiten gegeben.* Mit wie viel Wahrheit singte also nicht unsere Kirche: Wohl uns des feinen HErren! Ein sorgfältiger Ausleger muß die Naturforscher nachahmen. Wie diese einen Körper in allerhand willkührliche Verbindungen mit andern Körpern versetzen und künstliche Erfahrungen erfinden, seine Eigenschaften auszuholen; so macht es jener mit seinem Texte. Ich habe des Sokrates Sprüchwort | mit der Delphischen Ueberschrift zusammen gehalten; jetzt will ich einige andere Versuche thun, die Energie desselben sinnlicher zu machen. *) Apostelgesch. XIV.

Chärephon,

* Χαιρεφων η νυκτηρις Aristoph. Ορνιθες. / – – Σωκρατης ο Μηλιος / και Χαιρεφων ος οιδε τα ψυλλων ιχνη. Id. SD2

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Sokratische Denkwürdigkeiten

Die Wörter haben ihren Werth, wie die Zahlen von der Stelle, wo sie stehen, und ihre Begriffe sind in ihren Bestimmungen und Verhältnissen, gleich den Münzen, nach Ort und Zeit wandelbar. Wenn die Schlange der Eva beweiset: Ihr werdet seyn wie Gott, und Jehova weissagt: Siehe! Adam ist worden als Unser einer; wenn Salomo ausruft: Alles ist eitel! und ein alter Geck es ihm nachpfeift: so sieht man, daß einerley Wahrheiten mit einem sehr entgegen gesetzten Geist ausgesprochen werden können. Ueberdem leidet jeder Satz, wenn er auch aus einem Munde und Herzen quillt, unendlich viel Nebenbegriffe, welche ihm die geben, so ihn annehmen, auf eben die Art als die | Lichtstrahlen diese oder jene Farbe werden nach der Fläche, von der sie in unser Auge zurück fallen. Wenn Sokrates dem Kriton durch sein: Nichts weiß ich! Rechenschaft ablegte, mit eben diesem Worte die gelehrten und neugierigen Athenienser abwieß, und seinen schönen Jünglingen die Verleugnung ihrer Eitelkeit zu erleichtern, und ihr Vertrauen durch seine Gleichheit mit ihnen zu gewinnen suchte: so würden die Umschreibungen, die man nach diesem dreyfachen Gesichtspunkte von seinem Wahlspruche machen müste, so ungleich einander aussehen, als bisweilen drey Brüder, die Söhne eines leiblichen Vaters sind. Wir wollen annehmen, daß wir einem Unbekannten ein Kartenspiel anböthen. Wenn dieser uns antwortete: Ich spiele nicht; so würden wir dies

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entweder auslegen müssen, daß er das Spiel nicht verstünde, oder eine | Abneigung dagegen hätte, die in oekonomischen, sittlichen oder andern Gründen liegen mag. Gesetzt aber ein ehrlicher Mann, von dem man wüste, daß er alle mögliche Stärke im Spiel besässe und in den Regeln so wohl als verbotenen Künsten desselben bewandert wäre, der ein Spiel aber niemals anders als auf den Fuß eines unschuldigen Zeitvertreibes lieben und treiben könnte, würde in einer Geselschaft von feinen Betrügern, die für gute Spieler gelten, und denen er von beyden Seiten gewachsen wäre, zu einer Parthey mit ihnen aufgefordert. Wenn dieser sagte: Ich spiele nicht, so würden wir mit ihm den Leuten ins Gesicht sehen müssen, mit denen er redet, und seine Worte also ergänzen können: »Ich spiele nicht, nämlich, mit solchen als ihr seyd, welche die Gesetze des Spiels brechen und das Glück desselben stehlen. Wenn ihr ein Spiel anbiethet; so |  ist unser gegenseitiger Vergleich den Eigensinn des Zufalls für unsern Meister zu erkennen, und ihr nennt die Wissenschaft eurer geschwinden Finger Zufall, und ich muß ihn dafür annehmen, wenn ich will, oder die Gefahr wagen euch zu beleidigen, oder die Schande wählen euch nachzuahmen. Hättet ihr mir den Antrag gethan mit einander zu versuchen, wer der beste Taschenspieler von uns in Karten wäre; so hätte ich anders antworten, und vielleicht mitspielen wollen, um euch zu zeigen, daß ihr so schlecht gelernt habt Karten machen, als ihr versteht die euch gegeben werden, nach

32 brauchen] werfen SD1

Δει γαρ πιστευειν τον μανθανοντα. Aristot. περι σοφιστικ. Ελεγχ.

Lib. 1. Cap. 2. SD2

Sokratische Denkwürdigkeiten

der Kunst zu brauchen.« In diese rauhe Töne läßt sich die Meynung des Sokrates auflösen, wenn er den Sophisten, den Gelehrten seiner Zeit, sagte: Ich weiß nichts. Daher kam es, daß dies Wort ein Dorn in ihren Augen und eine Geissel auf ihren Rü|cken war. Alle Einfälle des Sokrates, die nichts als Auswürfe und Absonderungen seiner Unwissenheit waren, schienen ihnen so fürchterlich als die Haare an dem Haupte Medusens, dem Nabel der Egide. Die Unwissenheit des Sokrates war Empfindung. Zwischen Empfindung aber und einen Lehrsatz ist ein grösserer Unterscheid als zwischen einem lebenden Thier und anatomischen Gerippe desselben. Die alten und neuen Skeptiker mögen sich noch so sehr in die Löwenhaut der sokratischen Unwissenheit einwickeln; so verrathen sie sich durch ihre Stimme und Ohren. Wissen sie nichts; was braucht die Welt einen gelehrten Beweis davon? Ihr Heucheltrug ist lächerlich und unverschämt. Wer aber so viel Scharfsinn und Beredsamkeit nöthig hat sich selbst von seiner Unwissenheit zu überführen, muß in seinem Herzen einen mäch|tigen Wiederwillen gegen die Wahrheit derselben hegen. Unser eigen Daseyn und die Existentz aller Dinge ausser uns muß geglaubt und kann auf keine andere Art ausgemacht werden. Was ist gewisser als des Menschen Ende, und von welcher Wahrheit gibt es eine allgemeinere und bewährtere Erkenntnis? Niemand ist gleichwol so klug

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solche zu glauben, als der, wie Moses zuverstehen giebt, von Gott selbst gelehrt wird zu bedenken, daß er sterben müsse. Was man glaubt, hat daher nicht nöthig bewiesen zu werden, und ein Satz kann noch so unumstößlich bewiesen seyn, ohne deswegen geglaubt zu werden. Es giebt Beweise von Wahrheiten, die so wenig taugen als die Anwendung, die man von den ) Wahrheiten selbst machen kann;* ja man kann den Beweiß eines Satzes glauben ohne dem Satz selbst Beyfall zu geben. Die Gründe eines Hume mögen noch so triftig seyn, und ihre Wiederlegungen immerhin |  lauter Lehnsätze und Zweifel: so gewinnt und verliert der Glaube gleich viel bey dem geschicktesten Rabulisten und ehrlichsten Sachwalter. Der Glaube ist kein Werk der Vernunft und kann daher auch keinem Angrif derselben unterliegen; weil Glauben so wenig durch Gründe geschieht als Schmecken und Sehen. Die Beziehung und Uebereinstimmung der Begriffe ist eben dasselbe in einer Demonstration, was Verhältnis und Symmetrie der Linien, Schallwürbel und Farben in der musikalischen Composition und Malerey ist. Der Philosoph ist dem Gesetz der Nachahmung so gut unterworfen als der Poet. Für diesen ist seine Muse und ihr Hieroglyphisches Schattenspiel so wahr als die Vernunft

Beweise * Δυο ειδη

θωμεν πειθους, το μεν πιστιν παρεχομενον ανευ του ειδεναι (πειθους πιστευτικης) το δε επιστημην (πειθους διδασκαλικ.)

Sokrates in Platons Gorgia. SD2 

Zahlen und Linien SD1 SD2 Linien]

*) Ein Philosoph laß über die Unsterblichkeit der Seelen 30 N II 73–74

so überzeugend, daß seine Zuhörer vor Freuden Selbstmörder wurden, wie uns Lactanz erzählt.

Augustinus de Ciuit. Dei I. 22. Cic. Tusc. Quaest. I. 34. SD1

Sokratische Denkwürdigkeiten

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Morgenröthe

* Fidei hoc cum crepusculo commune obtigit, quod ad vtrumque tenebrarum admixtio necessaria sit, quum alias copiosiori accedente luce, illa in scientiam, hoc in diem transeat. Quaedam Mysteria – in quibus Fides intellectui felicius facem praeferre soleat – quam hic ad procreandam fidem viam munire. Rob. Boyle Cogitationes de S. S. Stylo. SD2 ; SD1 ähnlich 

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Socrates im Phädro. SD2

erkannt

erkannt. *)] —*) SD1 SD2

21 wie] als SD1 SD2

hervorkeimen […] werde]

neugeschaffen hervorkeimen SD1 SD2

26 werde * Dans son propre

neant il puise la Sagesse. / Poesies diverses Epitre V.

und das Lehrgebäude derselben für jenen. Das Schicksal setze den grösten Weltweisen und Dichter in Umstände, wo sie sich beyde selbst fühlen; so verleugnet der eine seine Vernunft und entdeckt uns, daß er keine beste Welt glaubt, so gut er sie auch beweisen kann, und der andere sieht sich seiner Muse und Schutzengel beraubt, bey dem Tode seiner Meta. |  Die Einbildungskraft, wäre sie ein Sonnenpferd und hätte Flügel der Morgenröthe, kann also keine Schöpferinn des Glaubens seyn. Ich weiß für des Sokrates Zeugnis von seiner Unwissenheit kein ehrwürdiger Siegel und zugleich keinen bessern Schlüssel als den Orakelspruch des grossen Lehrers der Heyden: Ει δε τις δοκει ειδεναι τι ουδεπω νυδεν εγνωκε

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καθως δει γνωναι. Ει δε τις αγαπα τον ΘΕΟΝ ουτος εγνωται υπ αυτον.

So jemand sich dünken läßt, er wisse etwas, der weiß noch nichts, wie er wissen soll. So aber ) jemand Gott liebt, der wird von ihm erkannt. * — — wie Sokrates vom Apoll für einen Weisen. Wie aber das Korn aller unserer natürlichen Weisheit verwesen, in Unwissenheit vergehen muß, und wie aus diesem Tode, aus diesem Nichts das Leben und Wesen einer höheren Erkenntniß hervorkeimen und neugeschaffen werde; so weit reicht die Nase eines Sophisten nicht. Kein   |­ ­Maulwurfshügel, sondern ein Thurn Libanons muß ) es seyn, der nach Damesek gaft.**

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SD2 ; SD1 ähnlich VII.] VII. Apostelg.

IX. 3.

Kein Ort in der Stadt kann eine so wunderbare Verbindung von Marmor und Unflat, von Größe und Niedrigkeit aufweisen als Damaskus; sagt Maundrell in sn. Reisebeschreibung von Aleppo nach Jerusalem. SD2

*) 1 Kor. VIII.

**) Hohelied Salom. VII.

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Was ersetzt bey einen Homer die Unwissenheit der Kunstregeln, die ein Aristoteles nach ihm erdacht, und was einem Shakesspear die Unwissenheit oder Uebertretung jener kritischen Gesetze? Das Genie ist die einmüthige Antwort. Sokrates hatte also freylich gut unwissend seyn; er hatte einen Genius, auf dessen Wissenschaft er sich verlassen konnte, den er liebte und fürchtete als seinen Gott, an dessen Frieden ihm mehr gelegen war, als an aller Vernunft der Egypter und Griechen, dessen Stimme er glaubte, und durch dessen Wind, wie der erfahrne Doctor Hill uns bewiesen, der leere Verstand eines Sokrates so gut als der Schoos einer reinen Jungfrau, fruchtbar werden kann. Ob dieser Dämon des Sokrates nichts als eine herrschende Leidenschaft gewesen und bey welchem Namen sie von unsern Sittenlehrern geruffen wird, oder ob er einen Fund seiner Staatslist; ob er ein Engel oder Ko|bold, eine hervorragende Idea seiner Einbildungskraft, oder ein erschlichner und willkührlich angenommener Begrif einer mathematischen Unwissenheit; ob dieser Dämon nicht vielleicht eine Quecksilberröhre oder den Maschinen ähnlicher gewesen, welchen die Leuwenhoeks ihre Offenbarungen zu verdanken haben; ob man ihn mit dem wahrsagendem Gefühl eines nüchternen Blinden oder mit der Gabe aus Leichdornen und Narben übelgeheilter Wunden die Revolutionen des Wolkenhimmels vorher zu wissen, am bequemsten vergleichen kann: hierü-

einen Homer] Homer SD1 SD2 was einem]

was bey einem SD1 SD2

wie […] bewiesen,]

(wie der erfahrne Doktor Hill uns bewiesen) SD1 (wie der erfahrne Wurmdoktor Hill* uns bewiesen) SD2 12 Hill * Lucina sine

concubitu. SD2 einen]

ein SD1

die Leuwenhoeks]

die Bradleys und Leuwenhoeks SD1 SD2

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Sokratische Denkwürdigkeiten

ber ist von so vielen Sophisten mit so viel Bündigkeit geschrieben worden, daß man erstaunen muß, wie Sokrates bey der gelobten Erkenntniß seiner Selbst, auch hierinn so unwissend gewesen, Sinnas] Simias SD1 SD2 daß er einem Sinnas darauf die Antwort hat schuldig bleiben wollen. Keinem Leser von Geschmack fehlt es in unsern Tagen an Freunden von Genie, überheben] überheben die mich der Mühe überheben weitläuftiger über werden SD1 SD2 den Genius des Sokrates zu seyn. Aus dieser sokratischen Unwissenheit flüssen als leichte Folgen die Sonderbarkeiten seiner | Lehrnihil ipse (Socrates) und Denkart. Was ist natürlicher, als daß er sich afferre ad persuadendum volebat sed ex eo, quod genöthigt sahe immer zu fragen um klüger zu wersibi ille dederat, quicum den; daß er leichtgläubig that, jedes Meynung für disputabat, aliquid conficere malebat quod wahr annahm, und lieber die Probe der Spötterey ille ex eo quod iam und guten Laune als eine ernsthafte Untersuchung concessisset, necessario approbare deberet. Cicero anstellte; daß er alle seine Schlüsse sinnlich und de Inu. Rhet. Lib I. / Dum nach der Aehnlichkeit machte; Einfälle sagte, weil ad discendum semper se pauperem crededit, er keine Dialectick verstand; gleichgültig gegen ad docendum fecit se locupletissimum das, was man Wahrheit hieß, auch keine LeidenVal. Max. VIII. 7. SD1 ; schaften, besonders diejenigen nicht kannte, Zitat 2 in SD2 ähnlich am Seitenende womit sich die Edelsten unter den Atheniensern 19 Thrasymachus in am meisten wusten; daß er, wie alle Ideoten, oft Platons Buch von der Staatskunst SD2  so zuversichtlich und entscheidend sprach, als wenn er, unter allen Nachteulen seines Vaterlan23 Ideoten] Idioten SD1 SD2 des, die einzige wäre, welche der Minerva auf ihrem Helm säße — — Es hat den Sokraten unsers Publicums […] noch] Alters, den kanonischen Lehrern des Publicums Publicums und Schutzheiligen falsch und verdienstreichen Patronen des menschlichen berühmter Kün­ste und Geschlechts noch nicht glücken wollen, ihr MusVerdienste noch SD1 Publicums noch SD2 ter in allen süssen Fehlern zu erreichen. Weil sie

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von der Urkunde seiner Unwissenheit unendlich abweichen; so muß man alle sinnreichen Lesearten und Glos|sen ihres antisokratischen Dämons über ihres Meisters Lehren und Tugenden als Schönheiten freyer Uebersetzungen bewundern; und es ist eben so mislich ihnen zu trauen als nachzufolgen. Jetzt fehlt es mir an dem Geheimnisse der Palingenesie, das unsere Geschichtschreiber in ihrer Gewalt haben, aus der Asche jedes gegebenen Menschen und gemeinen Wesens eine geistige Gestalt heraus zu ziehen, die man einen Charakter oder ein historisch Gemälde nennt. Ein solches Gemälde des Jahrhunderts und der Republik, worinn Sokrates lebte, würde uns zeigen, wie künstlich seine Unwissenheit für den Zustand seines Volkes und seiner Zeit, und zu dem Geschäfte ) seines Lebens ausgerechnet war.* Ich | kann nichts mehr thun als der Arm eines Wegweisers und bin zu hölzern meinen Lesern in dem Laufe ihrer Betrachtungen Gesellschaft zu leisten.

ihres] unsres SD1 SD2

*) Parrhasius verfertigte, wie es scheint, ein hogarthsches Ge-

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mälde, welches das Publicum zu Athen vorstellen sollte, und worin uns folgender Kupferstich oder Schattenriß in Plinius übrig geblieben? Pinxit & δημον Atheniensi-

um, argumento quoque ingenioso. Volebat namque varium, iracundum, iniustum, inconstantem: eundem exorabilem, clementem, misericordem, excelsum, gloriosum, humilem, ferocem, fugacemque & omnia pariter o­ stendere. Hist. Nat. Lib. XXXV. Cap. X.

worin] wovon SD1 SD2

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ihren Arm]

ihnen von SD1 SD2

Vergl. Platons Euthydemus, Alcibiad.

Sokratische Denkwürdigkeiten

Die Athenienser waren neugierig. Ein Unwissender ist der beste Arzt für diese Lustseuche. Sie waren, wie alle neugierige, geneigt mitzutheilen; es muste ihnen also gefallen, gefragt zu werden. Sie besassen aber mehr die Gabe zu erfinden und vorzutragen, als zu behalten und zu urtheilen; daher hatte Sokrates immer Gelegenheit ihr Gedächtnis und ihre Urtheilskraft zu vertreten, und sie für Leichtsinn und Eitelkeit zu warnen. Kurz, Sokrates lockte seine Mitbürger aus den Labyrinthen ihrer gelehrten Sophisten zu einer Wahrheit, die im Verborgenen liegt, zu einer heimlichen Weisheit, und von den Götzenaltären ihrer andächtigen und staatsklugen Priester zum Dienst eines unbekannten Gottes. Plato sagte es den Atheniensern ins Gesichte, daß Sokrates ihren Arm den Göttern gegeben wäre sie von ihren Thorheiten zu überzeugen und zu seiner Nachfolge in der Tugend aufzumuntern. Wer den Sokrates unter den Propheten nicht leiden will, den muß man fragen: Wer der Propheten Vater sey? und ob sich unser Gott nicht einen Gott der Heyden genannt und erwiesen?

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δευτερον, Philebum,

Protagoram und Kritiam

und Clitophon.

SD2 am Seitenende

N II 76–77

Dritter Abschnitt.

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S

okrates soll drey Feldzüge mitgemacht haben. In dem ersten hatte ihm sein Alcibiades die Erhaltung des Lebens und der Waffen zu danken, dem er auch den Preis der Tapferkeit, welcher ihm selbst zukam, überließ. In dem zweyten wich er wie ein Parther, fiel seine Verfolger mitten im Weichen an, theilte mehr Furcht aus, als ihm eingejagt wurde und trug seinen Freund Xenophon, der vom Pferde gefallen war, auf den Schultern aus der Gefahr des Schlachtfeldes. Er entgieng der grossen Niederlage des dritten Feldzuges eben so glücklich wie der Pest, die zu seiner Zeit Athen zweymal heimsuchte. Die Ehrfurcht gegen das Wort in seinem Herzen, auf dessen Laut er immer aufmerksam war, entschuldigte ihn Staatsversammlungen beyzuwohnen. Als er lange genung glaubte gelebt zu haben, bot er sich selbst zu einer Stelle im Rath ) an, worinn er als Mitglied, Aeltermann* und ) Oberhaupt ** gesessen, und wo er sich mit seiner Unschicklichkeit in Sammlung der Stimmen und andern Gebräuchen lächerlich, auch mit seinem Ei|gensinn, den er dem unrechten Verfahren einer Sache entgegen setzen muste, als ein Aufrührer verdächtig gemacht haben soll. *) Prytan.   **) Prostata.

N II 78

Laches im Platon SD2

Mitglied * Prytan. Aeltermann * Proedrus. Oberhaupt * Epistates. SD1 SD2

So­krates in Platons Gorgia.  SD2

Prostata.] Epistates. SD1 SD2 ;

Die Prytanes musten die Versamml. zusammenberuffen; die Proedri den Vortrag thun u der Epistates die Stimmen sammeln u nach ihrer Mehrheit sprechen. Real im allgem. Grundriß der Staatskunst Th. I p. 262 SD1 

40

Sokr. Phädrus und Gorgias.  SD2 Schlacht bey Marathon]

Leuctrischen Schlacht SD1 SD2 ; S. Wolken 33. SD2;

SD1 ähnlich

gesellschaftlichen Umganges] Umganges SD1 SD2

Alcibiades in Platons Gastmal. SD2 am Seitenende

den] der SD1 SD2

Sokratische Denkwürdigkeiten

Sokrates wurde aber kein Autor, und hierinn handelte er übereinstimmig mit sich selbst. Wie der Held von der Schlacht bey Marathon keine Kinder nöthig hatte; so wenig brauchte Sokrates Schriften zu seinem Gedächtnisse. Seine Philosophie schickte sich für jeden Ort und zu jedem Fall. Der Markt, das Feld, ein Gastmal, das Gefängnis waren seine Schulen; und das erste das beste Quodlibet des menschlichen Lebens und gesellschaftlichen Umganges diente ihm den Saamen der Wahrheit auszustreuen. So wenig Schulfüchserey er in seiner Lebensart beschuldigt wird, und so gut er auch die Kunst verstand die besten Gesellschaften selbst von jungen rohen Leuten zu unterhalten, erzählt man gleichwol von ihm, daß er ganze Tage und Nächte unbeweglich gestanden, und einer seiner Bildsäulen ähnlicher als sich selbst gewesen. Seine Bücher würden also vielleicht wie diese seine Soliloquien und SelbstGespräche ausgesehen haben. Er lobte einen Spa­ tziergang als eine Suppe zu seinem Abendbrodt; er suchte aber nicht wie ein Peripatetiker die Wahrheit im Herumlaufen und hin- und hergehen.  | Daß Sokrates nicht das Talent eines Scribenten gehabt, liesse sich auch aus dem Versuche argwohnen, den er in seinem Gefängnisse auf Angabe eines Traums in der lyrischen Dichtkunst machte. Bey dieser Gelegenheit entdeckte er in sich eine Trockenheit zu erfinden, den er mit den Fabeln des Aesops abzuhelfen wuste. Gleichwol gerieth ihm ein Gesang auf den Apoll und die Diana.

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N II 78–79

Dritter Abschnitt

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N II 79

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Vielleicht fehlte es ihm auch in seinem Hause an der Ruhe, Stille und Heiterkeit, die ein Philosoph zum Schreiben nöthig hat, der sich und andere dadurch lehren und ergötzen will. Das Vorurtheil gegen Xantippe, das durch den ersten Claßischen Autor unserer Schulen ansteckend und tief eingewurzelt worden, hat durch die Acta Philosophorum nicht ausgerottet werden können, wie es zum Behuf der Wahrheit und Sittlichkeit zu wünschen wäre. Unterdessen müssen wir fast ein Hauscreutz von dem Schlage annehmen, um einen solchen Weisen als Sokrates zu bilden. Die Reitzbarkeit seiner Einfälle konnte vielleicht aus Mangel und Eckel daran von Xantippen nicht behänder erstickt werden als durch Grobheiten, Beleidigungen und ihren Nachtspiegel: Einer Frau, welche die Haushaltung eines Philosophen führen, und einem Mann, der die Regierungsgeschäfte unvermögender | Großviziern verwalten soll, ist freylich die Zeit zu edel, Wortspiele zu ersinnen und verblümt zu reden. Mit eben so wenig Grunde hat man auch als einer Verläumdung einer ähnlichen Erzählung von Sokrates Heftigkeit selbst wiedersprochen, mit der er sich auf dem Markte bisweilen die Haare aus dem Haupte gerauft und wie ausser sich selbst gewesen seyn soll. Gab es nicht Sophisten und Priester zu Athen, mit denen Sokrates in einer solchen Vorstellung seiner selbst reden muste? Würde nicht der sanftmüthigste und herzlich demüthige Menschen Lehrer gedrungen ein

* Xantippe war ein’ arge H – – / und 10 mal 10 macht hundert nur. SD2 Schulen

Sokrates soll in der Bigamie gelebt haben; Xantippe die Mutter des Lamprocles und Myrto (welche ihm Gesner ab­spricht) die Mutter des Sophroniscus und Menexenus gewesen seyn. SD1 am Seitenende  erstickt] gedämpft SD1 SD2

Nachtspiegel:]

Nachtspiegel. SD1 SD2

Großviziern]

Großviziere SD1 SD2 verblümt] Blumen SD1

Sokrates Heftigkeit selbst] Sokrates Heftigkeit SD1

Sokrates eigener Heftigkeit SD2 sich selbst]

sich SD1 SD2

Vorstellung]

Verstellung SD1 SD2 30 Würde […] sanftmüthigste]

Wurde nicht der sanftmüthige SD1 SD2

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S. Hippias, Callicles in Platons Gorgias und d

Symposion / Hierocles

soll gesagt haben,

κυβοις εοικεναι τους του Σωκρατους λογους, απτωτας γαρ ειναι πανταχου οπου αν πεσωσι. Suidas. SD2 am Seitenende Alcibiades * Ορθως γε τουτ᾽

Αλκιβιαδης ετραυλισεν / Aristophanes Σφηκες. SD2 11 seinen Parabel]

seine Parabeln SD1 SD2

Conf. Gorgias SD2 Kuchen- und Zucker­ näschereyen] Kuchen und Leckerbißen SD1 SD2 19 Kunstverwandten]

Hofbecker SD1 SD2

dem Glück]

der Ruhe SD1 SD2

Sokratische Denkwürdigkeiten

Wehe über das andere gegen die Gelehrten und frommen Leute seines Volkes auszustossen? In Vergleichung eines Xenophons und Platons würde vielleicht der Styl des Sokrates nach den Meissel eines Bildhauers ausgesehen haben und seine Schreibart mehr plastisch als malerisch gewesen seyn. Die Kunstrichter waren mit seinen Anspielungen nicht zufrieden, und tadelten die Gleichnisse seines mündlichen Vortrages bald als zu weit hergeholt, bald als pöbelhaft. Alcibiades aber verglich seinen Parabel gewissen heiligen Bildern der Götter und Göttinnen, die man nach damaliger Mode in einem kleinen Gehäuse trug, auf denen nichts als die | Gestalt eines ziegenfüßigen Satyrs zu sehen war. Hier ist ein Beyspiel davon. Sokrates verglich sich mit einem Arzte, der in einem gemeinen Wesen von Kindern die Kuchen- und Zuckernäschereyen verbiethen wollte. Wenn diese Kunstverwandten, sagte er, den Arzt vor einem Gerichte verklagen möchten, das aus lauter Kindern bestünde: so wäre sein Schicksal entschieden. Man machte zu Athen so viel Anschläge an dem Glück der Götter Theil zu nehmen, und gleich ihnen weise und glücklich zu werden, als man heut zu Tage macht nach Brodt- und Ehren-Stellen. Jeder neue Götzendienst war eine Finanzgrube der Priester, welche das öffentliche Wohl vermehren sollte; jede neue Secte der Sophisten versprach eine Encyclopedie der gesunden Vernunft und Erfahrung. Diese Projecte waren die Näschereyen,

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Dritter Abschnitt

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welche Sokrates seinen Mitbürgern zu vereckeln suchte. Athen, das den Homer als einen Rasenden zu einer Geldbusse verdammt haben soll, verurtheilte den Sokrates als einen Missethäter zum Tode. Sein erstes Verbrechen war, daß er die Götter nicht geehrt und neue hätte einführen wollen. Plato läßt ihn gleichwol in seinen Gesprächen öfterer bey den Göttern schwören | als ein verliebter Stutzer bey seiner Seele oder ein irrender Ritter bey den Furien seiner Ahnen lügt. In den letzten Augenblicken seines Lebens, da Sokrates schon die Kräfte des Gesundbrunnens in seinen Gliedern fühlte, ersuchte er noch aufs inständigste seinen Kriton einen Hahn für ihn zu bezahlen und in seinen Namen dem Aeskulap zu opfern. Sein zweytes Verbrechen war ein Verführer der Tugend gewesen zu seyn, durch seine freye und anstössige Lehren. Sokrates antwortete auf diese Beschuldigungen, mit einem Ernst und Muth, mit einem Stolz und Kaltsinn, daß man ihn nach seinem Gesichte eher für einen Befehlshaber seiner Richter, wie ein Alter bemerkt, als für einen Beklagten hätte ansehen sollen. Sokrates verlor, sagt man, einen giftigen Ein) fall,* und die gewissenhaften Areopaguten die Gedult. Man wurde also hierauf bald über die *) Er dictirte sich im Scherz selbst die Strafe auf Unkosten

30 N II 80–81

des Staats zu Tode gefüttert zu werden.

* Chaos, Nubes et Linguam nach dem neue

Aristophanes in den Wolken SD1 ;

το ΧΑΟΣ τουτι και τας ΝΕΦΕΛΑΣ και την ΓΛΩΤΤΑΝ. ΤΡΙΑ ταυτι

Aristoph. Nubes. / Plato de republica Lib III. SD2

Hahn zu bezahlen und dem SD1 Hahn zu bezahlen und in seinem Namen dem SD2 Hahn […] dem]

17 Tugend] Jugend SD1 SD2

Richter, wie ein Alter bemerkt, als] Richter, als SD1 SD2

Areopaguten]

Areopagiten SD1 SD2 

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Sokrates soll den Giftbecher an eben dem Tage, als der Tempel zu Ephesus das erstemal abgebrannt, ausgetrunken haben. SD1 am Seitenende

Sokratische Denkwürdigkeiten

Strafe einig, der er würdig wäre, so wenig man sich vorher darüber hatte vergleichen können. Ein Fest zu Athen, an dem es nicht erlaubt war ein Todesurtheil zu vollziehen, legte den Sokrates die schwere Vorbereitung eines dreyssigtägigen Gefängnisses zu seinem Tode auf.  | Nach seinem Tode soll er noch einem Chier, Namens Kyrsas erschienen seyn, der sich unweit seines Grabes niedergesetzt hatte und darüber eingeschlafen war. Die Absicht seiner Reise nach Athen bestand, Sokrates zu sehen, der damals nicht mehr lebte; nach dieser Unterredung also mit desselben Gespenste, kehrte er in sein Vaterland zurück, das bey den Alten wegen seines herrlichen Weins bekannt ist. Plato macht die freywillige Armuth des Sokrates zu einem Zeichen seiner göttlichen Sendung. Ein grösseres ist seine Gemeinschaft an dem letz) ten Schicksale der Propheten und Gerechten.* Ein Bildsäule von Lysippus war das Denkmal, das die Athenienser seiner Unschuld und dem Frevel ihres eigenen Blutgerichts setzen liessen.

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Schlußrede. S. den Schluß von Hippias major. SD2 25 Schwert * Μαχαιραν;

αστειον γε κερδος – – – – / Υπερβολος δ’ ουκ εκ λυχνων πλειν η ταλαντα πολλα / ειληφε δια πονηριαν αλλ’ ου μα Δι’ ου μαχαιραν. /

Aristoph. Nubes. SD2

Wer

nicht von Brosamen und Allmosen, noch vom Raube zu leben, und für ein Schwert alles zu entbehren weiß, ist nicht geschickt zum Dienst

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*) Matth. XXIII , 29. N II 81–82

Schlussrede

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der Wahrheit; Der werde frühe! ein vernünftiger, brauchbarer, ar|tiger Mann in der Welt, oder lerne Bücklinge machen und Teller lecken: so ist er für Hunger und Durst, für Galgen und Rad sein Lebenlang sicher. Ist es wahr, daß GOtt Selbst, wie es in dem guten Bekenntnisse lautet, das er vor Pilatus ablegte; ist es wahr, sage ich, daß Gott Selbst, dazu ein Mensch wurde und dazu in die Welt kam, daß er die Wahrheit zeugen möchte: so brauchte es keine Allwissenheit vorher zu sehen, daß er nicht so gut wie ein Sokrates von der Welt kommen, sondern eines schmählichern und grausameren Todes sterben würde, als der Vatermörder des allerchristlichsten Königes, Ludwich des Vielgeliebten, der ein Urenkel Ludwich des Grossen ist.

Wol ke n .

1|

Ein

Na ch s piel Sokratischer

D e n kwü rdi gkeiten .

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CVM

NOTIS VARIORVM IN

VSVM DELPHINI.

10

  

χαιρ᾽ ω πρεσβυτα παλαιγενες θηρα-



τα λογων φιλομουσων

Συ τε λεπτοτατων ληρων Ιερευ – – –

         

ΑΡΙΣΤΟΦ ΝΕΦ.

Altona, 1761. N II 83

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Ex versione noua Alberti Schultens:

Qualis vir sicut Jobus! bibit subsannationem vt aquam.

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H A M L E T.

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–  –  –  –  –  –  The Play’s the thing, Wherein I’ll catch the Conscience of the King. SHAKESPEARE.

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A

us Liebe zum gemeinen Besten sey es gewagt, dem Grabe der Vergessenheit ein patriotisches Denkmahl zu entführen, das in den Hamburgischen Nachrichten aus | dem Reiche der Gelehrsamkeit im sieben und funfzigsten Stück des tausend, sieben hundert, sechzigsten Jahres am Ende des Heumonates, einem armen Sünder aufgerichtet worden, der sich unterstanden vier Bogen in klein Octav zu schreiben. Alle lang- und kurz-weilige Schriftsteller, sie mögen seyn, wes Standes, Alters und Statur sie wollen; — Schöpfer oder Schöpse*, Dichter oder hinkende Boten, Weltweise oder Bettelmönche, Kunstrichter oder Zahnbrecher; — — die sich *  O imitatores seruum p  —  —  Hor.

N II 85

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Wolken

durch ihren Bart oder durch ihr Milchkinn der Welt bestens empfehlen; — — die, gleich den Schriftgelehrten, in Mänteln und weisen Denksäumen, oder wie Scar|ron in seinem am Ellbogen zurißnen Brustwamms, sich selbst gefallen; — — die aus dem Faß des Cynikers oder auf dem Lehnstuhl ** gesetzlicher Vernunft lästern, da sie nichts von wissen; — — die ihren Stab, wie der Gesetzgeber von schwerer Sprache und schwerer Zunge, oder wie Bileam, der Sohn Beor von Pethor,*** zu führen wissen; — sämtlich und sonders! — alle Thiere auf dem Felde, denen ein Gerücht von der Sprachkunde, den Ränken, der Verschwiegenheit, den Reisen, dem heiligen Magen, der güldenen Hüfte des krotonischen Sittenlehrers Py|thagoras, durch ihre Vorfahren zu Ohren gekommen; alle Vögel unter dem Himmel vom Im Grundtext steht das nachdenkliche Wort: Katheder. *** 4 Buch Mose XXII, 27.  – –  und schlug die Eselin mit dem Stabe.

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** Matth. X X I I I, 2.

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Prolog

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königlichen Geschmack des Adlers,

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werden zur offenen Tafel des Hamburgischen Nachrichters eingeladen, der seine Gäste im Feyerkleide eines griechischen Herolden**** zu bewirthen, selbst erscheinen soll. **** το γαρ γενος τοιονδε επι τον ευτυχη πηδωσ’ αει κηρυκες οδε δ’ αυτος ϕιλος ος αν δυνηται, πολεως εν τ’ αρχαισιν η.

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Euripides im Orest.

Ende des Prologus.

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Erster Aufzug.

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Amsterdam.

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D

ie so weit hergeholten Druck- oder Verlagsörter, mit welchen gewiße Schriften unterschrieben sind, sind ein sicheres Kennzeichen von dem Werthe ihres Inhalts. (1) Weil | sonst ihre Verfasser, zu leicht entdeckt und erkannt

(1)  Inhalts] »Man begnüget sich oft allgemeine Sätze anzunehmen, wenn man sich von der Richtigkeit derselben bey einigen besondern Fällen versichert hat.« Die10

se vernünftige aber etwas dunkle Wiederlegung macht der gelehrte Herr Herausgeber Hamburgischer Nachrichten, aus dem Reiche der Gelehrsamkeit,

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selbst von seinem obigen allgemeinen Satz, und zwar in | eben demselben 57 Stück auf der folgenden Seite bey der Anzeigung eines algebraischen Schulbuches, in welchem, nach seinem Bericht daselbst, unter andern von der Berechnung der Wahrscheinlichkeiten beym L’hombre und der modorum der Syllogismen gehandelt wird. Er allegirt zugleich aus seiner vorhabenden Schrift (daß ich mich seiner selbst eigenen Worte bediene, als welche allemal die besten sind) folgenden lustigen Einfall: »ob es nicht eine Preisfrage, so wichtig, als sie mannigmal von einigen französischen Akademien der schönen Wißenschaften pflegen aufgeworfen zu werden, seyn könnte: ob mehr Nachdenken nöthig gewesen ist das Lombre oder die Figuren |  und Moden der Syllogismen zu erfinden? ?«

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Wolken

werden mögen: so schreiben sie ihren Unverstand fein weit her, damit sie deswegen desto | eher Nachsicht erhalten; weil sie ohne Zweifel wissen, daß bey den meisten eine Schrift desto mehr Beyfall findet, je weiter sie herkommt. Unter Anzeigung jenes Ortes haben WIR bemerkt: Sokrati-

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sche Denkwürdigkeiten für die lange Weile des Publicums zusammen getragen von einem Liebhaber der langen Weile, mit einer doppelten Zuschrift an UNS und an Zween; nebst einem Motto aus dem

Persius, das Niemanden zu langweilig ist abzuschreiben. WIR sagen nur, daß es (2) 4 Bogen in klein Octav stark ist. Gewiß, stark genung, und zu stark für eine Schrift, die lauter Aberwitz und Unsinn in sich hält. Man hat schon genung, wenn man die beyden Zuschriften (3) gelesen hat. Kein Alchymist, kein Jacob Böhme, kein wahnwitziger Schwärmer kann unverständli|cheres und unsinnigeres Zeug reden und schreiben, als man da zu lesen bekomt. Und nichts besser klingt es in der Schrift selbst, und WIR rathen Jedermann, wer nicht Lust hat seinen Verstand zu verderben, daß er diese unnatürliche Ausgeburt eines verwirrten Kopfes ungelesen laße, der sich so gar untersteht Schriftstellen (4) zu misbrauchen. Was wird man von solchen überwitzigen und unphilosophischen Schriftstellern,

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(2)  es] Gründlichen Lesern, die sich an den Buch-

staben der Worte gar zu genau binden, melden Wir, daß nicht das Motto aus dem Persius vier Bogen in klein Octav, sondern das ganze Buch sokratischer Denkwürdigkeiten vier Bogen in klein Octav stark sey. (3)  Zuschriften] Hinc illae laerumae  – – (4)  Schriftstellen] Folgende ist in der Vorrede an Niemand, den Kundbaren, ausgelassen worden: Ihr sollt das Heilig­thum nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue

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Erster Aufzug

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als der Liebhaber von der langen Weile, endlich denken sollen? Er will witzig und philosophisch zugleich thun: aber derjenige wird zu loben seyn, der | ihn dechifriren und herausbringen kann, was er mit seiner Schrift eigentlich haben will. Man denke ja nicht, daß die Aufschrift der Charteque ihren Inhalt angebe: Chimärische Einfälle würde ihn eben so gut und noch beßer ausgedruckt haben. Man lieset hier eine Schrift, die einem japanischen und chinesischen Gemälde völlig ähnlich sieht, worauf man tolle und gräuliche Figuren gewahr wird, da aber kein vernünftiger Mensch weiß, was sie vorstellen sollen. (5) Wie muß es in dem Kopf | des Herrn von der Langenweile aussehen? WIR glauben, die lange Weile hat ihn verwahrloset.

werfen: auf daß sie dieselbigen nicht zertreten mit ihren Füßen, und sich wenden, und euch zerreißen, Matth. V II. Bey einer neuen Auf lage dieser Charteque, die Hofnung hat um einen halben Bogen stärker zu erscheinen, könnte diese Schriftstelle gleichfalls eingeflickt werden. (5)  Was sie vorstellen sollen?] Antwort: Die Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit.

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Man denke ja nicht, daß die Aufschrift der Charteque ihren Inhalt angebe: Hinkender Bote aus dem Spinn- und Raspelhause der gelehrten Republick würde ihn eben so gut, und noch beßer ausgedruckt haben. Wir haben nicht mehr als das einzige 57 Stück des 1760sten Jahres in unserm langweiligen Leben gelesen, und können dies philosophische Zeitungsblatt keinen andern als solchen Patienten empfehlen, die an | den hartnäckigsten Verstopfungen danieder liegen; sind anbey fast geneigt den Theil der Welt,

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Wolken

Möchte man ihm doch, um sie ihm zu vertreiben, und zum besten seines kranken Körpers und Kopfes in ein Spinn- oder | Raspelhauß bringen! Das wäre der beste Zeitvertreib für ihn; denn zum Denken ist er gar nicht: er m ­ öchte sich und einen Theil der Welt mit seinen Schriften um den gesunden Verstand bringen. Wer weiß, was schon mit gegenwärtigen in manchen Köpfen der Leser für Unheil angerichtet worden ist? Wenigstens muß sie bey gewißen Recensenten nicht die beste Wirkung gethan haben, die bey Anzeigung derselben solche Merkmale von sich geben, daß WIR wegen ihrer gesunden Beur­theilungskraft sehr in Sorgen sind. (6) Im Anfange scheinen sie | ganz wohl bey Verstande zu seyn, und laßen der Schrift und UNS Recht

Comödianten] Marktschreyers W1 W2

Josua XIX]

Josua IX W1 W2

der so viel edle Zeit übrig hat die Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit zu bemerken, recht sehr zu beneiden, auch denjenigen Namen herzlich zu bedauren, über den es verhängt ist, in diesen Pfefferhüllen eigentlich gelobt zu werden. Gewißens halber thut man noch dem gelehrten Herrn Herausgeber die heilsame Warnung, künftighin mit mehr Furcht seine Urtheile oder Nachrichten abzuschreiben, und mehr Nechstenliebe und Menschlichkeit besonders für sieche Schriftsteller blicken zu laßen. Das Schlaraf |fenland der Gelehrsamkeit möchte durch seine Zeitungen stinkend werden, oder in ein übel Geschrey kommen, auch der Tittel eines Comödianten bald ehrwürdiger seyn, als der Charakter eines gelehrten Taglöhners und Schriftstellers zu G - - - n (Josua X IX, 21.) über kurz oder lang gerathen möchte.

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wiederfahren: aber je weiter sie fortgehen, je mehr fängt es an, mit ihnen anders zu werden. Sie reden, wie der Verfasser ihrer vorhabenden Schrift,| ganz über den Berg, schweifen aus, bringen Dinge zusammen, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen, und wie sie sich zur Sache

(6)  sehr in Sorgen sind] Der Herr Recensent bricht hier im Geist, doch ohne Theilnehmung seines Sinnes, über sich selbst den Stab; fast wie der kindische Swift | über den alten armen Mann die Achseln zuckte, den er im Spiegel sahe, und nichts anders als sein eigener Schatten war. Wer die Recension der Sokratischen Denkwürdigkeiten in dem Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten nicht gelesen hat, der wird so wenig als ich wissen, wo die Dinge herkommen, die er zusammen bringt. Was geht den Nachrichter im Reich der Gelehrsamkeit, die Anzeigung seiner vorhabenden Schrift in einem andern Zeitungsblatt an? Laß er ihre Anzeigung des Buchs widerlegen, ohne sich bey einem Intermezzo vom Histörchen aufzuhalten. Ist diese neufränkische Methode zu recensiren für gemeine | Leser nicht sehr kryptisch? Dies Phänomenon an einem gesunden und vernünftigen Schreiber ist nicht anders zu erklären, als daß das ansteckende Gift der Sokratischen Denkwürdigkeiten sich seines Gehirns oder Feder gleichfalls bemächtigt haben muß. Er läst Nachrichten Nachrichten seyn, schweift aus, redet irre, und wie der Verfaßer seiner vorhabenden Schrift ganz über den Berg, widerspricht sich selbst, fängt an wie Saul in Ge-

war. * – – οιον απ’ αλλου

οφθαλμιας απολελαυκως προφασιν ειπειν ουκ εχει, ωσπερ δε εν κατοπτρῳ εν τω ερωντι εαυτον ορων λεληθε.

Socrates in Phädro. W2 

redet irre, […] fängt] redet

von japanischen und chinesischen Gemälden, von Namen mit Strichelchen statt der Vocalen, von Predigten, von Bauern, von Romanen u Ritterbüchern, fängt W1 redet irre, fängt W2

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räumen, (reimen) natürlich, wie der Liebhaber der langen Weile. Sie schreiben so kryptisch, wie ihr Verfaßer, Namen mit Strichelchen statt der Vokalen, reden von philosophischen Predigten, von Bauern, von Urtheilen, so diese gefällt haben, und wer weiß, von was | mehr. (7)

XIX, 24.] XIX, 24. Prophe-

tare dicuntur Stulti, i.e. absurda effutire quod non intelligant illa quae dicunt; quemadmodum Prophetae absurda et ridicula videntur dicere iis qui Spiritu DEI carent, sine quo non possunt intelligere. Vatablus ad 1 Sam XVIII. 10. W2

sellschaft zu weißagen, aber mit eben so wenig Anstand, als von jenem geschrieben steht 1 Sam. XIX, 24. (7)  wer weiß von was mehr - - ] Um dies zu entziefern, muß man des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten Anzeigung der Sokratischen Denkwürdigkeiten zu Hülfe nehmen. Demselben soll bey dieser Gelegenheit eine kleine Geschichte entfahren seyn, die den Herrn D. Crusius betreffen soll, deren Inhalt wir Erzehlungsweise gleichfalls mittheilen wollen. »Es war einmal ein Bauer, der das Glück hatte einer heiligen Rede dieses großen Philosophen uneingeladen mit beyzuwohnen. Weil nun letzterer (bekannter maaßen) die Wahrheiten des christlichen Glaubens in einer Lehrart vortrug, die sich weder mit dem Katechismus noch mit dem Vortrag des | Dorfschulmeisters und Pfarr-Herrn zusammen reimte: so konnte der gründliche Prediger dem Bauer nicht anders als unverständlich, dunkel und ausschweifend vorkommen. Weil unterdeßen der Landsmann einen gesunden Bauerverstand besaß: so soll er in seiner Einfalt, (wie man leicht erachten kann) gesagt haben, daß ihm der Mann ziemlich gefiele und sonst gut ge-

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- - Gott bewahre doch ja solche Leute, und erhalte sie wenigstens bey gutem Bauerverstande! Allein es siehet ganz gefähr|licher mit ihnen aus: sie reden irre, und wiedersprechen sich selbst, und erklären einen unverständlichen, dunkeln und ausschweifenden |​Schriftsteller, als

nug seyn möchte, den einzigen Fehler ausgenommen, daß ihn kein vernünftiger Mensch aus seinem Dorf, (wo er nemlich zu Hause gehöre,) würde verstehen können.« Hier sieht man die Würkungen eines gesunden Bauerverstandes. Wie übel würde es aber dem philo­sophi| schen Prediger ergangen seyn, wenn unser Nachrichter im Reich der Gelehrsamkeit die Stelle dieses Layen in der Gemeine vertreten hätte. »Man glaube ja nicht, würde er geschrien haben in seinem Kirchenkruge, daß dieser Mann über seinen Text predigt. Gehört sich solch unkatechetisch und loses Geschwätz auf die Kanzel? Soll man Schriftstellen zum Behuf scholastischer Einfälle mißbrauchen? Wir besorgen sehr« - Doch es ist denen, die solche Urtheile nachschreiben, nichts zuzurechnen. Die Predigt ist ja schuld daran, und solch Zeug als in eines Cr - s - - s Postillen liegt, steckt auch Bauern an, wie der Beweiß hievon in den Hamburgischen Nachrichten aus | dem Reiche der Gelehrsamkeit demjenigen Theil der Welt am Tage liegt, der Lust hat sich mit Lesung derselben wo nicht den Verstand, doch wenigstens die Augen und den Geruch zu verderben.

Wolken

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wofür sie anfänglich ihren Held halten, am Ende für ein ungemein Ge|nie. Bedenkliche Merkmale! (8) Wir besorgen sehr - - - - - - Doch es ist ihnen nichts zuzurechnen. Die Schrift ist schuld daran: solch Zeug steckt an. Man gebe ja dem Liebhaber der langen Weile etwas anders als Schreiben zu thun. Hier sieht man die Wir|kungen davon: keine andere als dergleichen die Romane und Ritterbücher beym Don Qvichotte (9) thaten.

(8)  Bedenkliche Merkmale!] Das Bedenkliche der Merkmale beweisen wir mit folgenden semiotischen Lehrsätzen des Hippokrates: Φυσαν ανευ

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ψοϕου και περδησιος διεξιεναι αριςτον· κρεσσον

sagt der berühmte Arzt des unsinnigen Demokritus in seinem προγνωστικω. και συν ψοϕου διελδειν η αυτου ανειλεεθαι,

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Μετα ριγεος αγνοια κακον κακον δε και ληθη.

| Ομματος κατακλεισις εν οξεσι κακον.

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Αι μετα λυγ‍γος αϕωνιαι κακιςτον -

In lib. I. προρρητ.

(9)  Don Qvichotte] Roßinante frist Disteln, und verleugnet ihr Geschlecht nicht; auch wir kennen einen Metaphysicker, deßen Geschmack sonst Happelii relationes curiosas den nützlichern Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit vorzog.    Gesetzt aber, daß es den neuesten Schriftstellern einfallen möchte Don Qvichotte zu ihren Held zu machen; so bleibt sein kluger Stallmeister allemal ein groß Muster für die gelehrten Zeitungsschreiber.

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  | Gesetzt, Autor und Recensent wären von gleicher Bedeutung, und ein Zwillingspaar welches eine Wölfin für ihre Pflegemutter erkennen müste; so weiß man doch aus der Geschichte, daß ein Römer selbst den Frevel eines leiblichen Bruders nicht ungerochen läst, der den Gränzstein gemeinschaftlicher Mauern entweyhen darf.

Ende der ersten Handlung.

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Zweyter Aufzug.

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D

Zauberwitz * Οτι των

γοητων εστι τις μιμητης ων των οντων Erklärung

eines Sophisten in Platons Gespräch dieses Namens. W2

ie Niederlage dieser unbeschnittenen Schmäh­ schrift hätte nicht der Mühe gelohnt, wenn nicht ihr Riesenleichnam mir zum Fußsteig dienen sollte, um den sokratischen Denkwürdigkei­ ten dadurch näher zu kommen und mit den Blößen ihrer verhüllten Muse der neugierigen Welt eine Augenweide zu machen. Ich ruffe daher einem unberühmten Naturforscher nach, der die grauen Erb­sen, das Gewächs seiner Heymath, besungen:  * Credite, REM POPVLI tracto, SVIS ** atque MINERVAE . |   Jene verjährte Erzählung von der Hexe zu Endor, ***  die einen todten Propheten herauf brachte, hat mit dem Gauckelspiel eines Schriftstellers viel Aehnlichkeit, den man gleichfalls zu fragen nöthig gehabt: was siehest du? und: wie ist er gestaltet? Sein Zauberwitz erzählt etwas, nicht halb nicht ganz, von einem alten Mann in einem

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* Caii Herennii Rapidii, Pisonis, Sermo ad Pisones. Et prodesse volunt & delectare Poetae. Pisae Aestiorum. MDCCXL . ** Dies Thier soll bey den weisen Egyptiern einen For-

scher der Geheimniße bedeutet haben. | Eine Verachtung aller morgenländischen Literatur vom neuesten Geschmack, wie auch der Physick und anderer brauchbaren Künste, gehört zur Idiosynkrasie der Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit. Siehe das 57ste Stück des 1760. Jahres. *** 1 Sam. 28.

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seidenen Rock gekleidet; und Philosophen, deren

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Scepter die Wahrsager und Zeichendeuter aus dem Lande der Vernunft und des Geschmacks auszurotten befiehlt, geben seiner schwarzen Kunst das seltsame Zeugniß, daß es Sokrates sey, den er sich rühmt gesehn zu haben, und | deßen Gestalt er ihnen durch einen Spiegel im Rätzel gewiesen haben soll. Das klügere Publicum ist folglich veranlaßt bey sich selbst zu denken: — — vter est insanior horum? * Gewiß, jene Wehmütter, welche dies hebräische Knäblein seiner Schönheit wegen oder aus zärtlicher Unschuld in ihren Schooß genommen, haben sich schlecht um das gemeine Wesen, dem sie huldigen, verdient gemacht. Eine feinere Politick wehrt solchen Autoren von vier Bogen in klein Octav schlechterdings das Schreiben; sieht die Gefahr künftiger Folgen von ihrer Muße und langen Weile wie Pharao** zum voraus, und verdammt sie zum Frohndienst in seinen Spinn- und Raspelhäusern mit Unbarmherzigkeit, die aber listiger ist als | alle Kunstrichter auf dem weiten Felde der Gelehrsamkeit. Hätten die Hamburgischen Nachrichten aus dem Reich der Gelehrsamkeit mich nicht lüstern und klug in Ansehung der sokratischen Denkwürdigkeiten gemacht; so würde ich über ihre vier Bogen in der gröbsten Unwissenheit geblieben, * Horat. lib. II. serm. 3. ** 2 B. Mos. 5, 17.

Gewiß, jene Wehmütter,] Gewiß, Wehmütter, W2 ;

Briefe die neueste Litteratur betref fend. W2

Autoren von vier Bogen in] Autoren in W1 W2

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chimärischen

* Οταν οιμαι το σον χημα τις τῳ εαυτου χρωμενος σωματι προσομοιον η φωνην φωνη φαινεσθαι ποιη, μιμησις τουτο της φανταστικης μαλιστα κεκληται που sagt der

Gast von Elis in Platons Sophisten. W2

Wolken

und mir nicht einmal eingefallen seyn an ihrem lügenhaften Geburtsort zu zweifeln. Die Selbst- und Mitlauter in dem Namen eines Autors sind selten behülflich zur Erklärung seines Buchs; die Kenntniß der Person aber bleibt ein bewährtes Mittel ihr Werk gut oder arg, lakonisch oder asiatisch, nach dem Völkerrecht oder Droit de convenance zu beurtheilen. Doch heut zu Tag ist es entbehrlich eine Abhandlung zu verstehen, die man auslegen und richten soll. Falls ich herrschende | Sitten geneigt wäre unterdrückten Gesetzen vorzuziehen: so würde die Beschuldigung der Dunkelheit, die man den sokratischen Denkwürdigkeiten gemacht, mir vortref lich zu statten kommen, ein strittig Lob durch meine Feder im Trüben zu fischen. Ich halte es aber vielmehr für eine Pflicht die Gültigkeit dieser Anklage zu wiederlegen. Die Betrachtung über die Bildsäulen der Gratien enthält schon eine Schutzrede derjenigen Einkleidung, die chimärischen Einfällen allein anständig ist. Man muß demnach die — — παραρυθμ’ ευρυθμα φρυγιων διανευματα Χαριτων* in dieser Schrift so wenig tadeln, als die Dämmerung des Ausdrucks in einem Nacht- oder den Stempel des Alterthums auf einem ächten Schaustück. Welcher | Jäger sucht übrigens in einem

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* Aristoph. in θεσμοϕ. N II 92

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Gesträuch die Symmetrie alcinoischer Lustgärten* und den Glanz sonnichter Blumenbeete? Doch die Natur des Gegenstandes muß hier nicht allein, sondern auch das Gesicht des Lesers zu Rath gezogen werden. Wer Menschen, als wären es Bäume, gehen gewahr wird ** und die Schatten der Berge *** für Leute ansehen will, traut einem Schalksauge, oder hat nicht Lust ein gesundes recht aufzuthun. Einfälle, welche Wahrheiten widersprechen, gefallen nur durch ihre Dunkelheit, die unserm Schlummer günstig ist. Wollte man demnach diesen Einwurf zu weit treiben; so würde man unsern | Schriftsteller nöthigen, zum Grundsatz der Andacht seine Zuflucht zu nehmen, der ihm in seiner Nachahmung hat eingeräumt werden müßen. »Um der Engel willen, möchte er in seiner Mundart sagen, muß meine Muse eine Macht auf dem Haupte haben, und hat im Druck mit einer Decke, nicht kahl oder geschoren, vor der Gemeine erscheinen dürfen.« Die Aufschrift der Denkwürdigkeiten aber ist das beste Schild von ihrem Inhalt, und dem Versuch, welchen Sokrates seinen Schülern aufgab, ihren Sinn wie den Käfer **** einer Mühle am Faden seines Schenkels in die Luft schwärmen zu laßen. * Ογχη επ’ ογχη γηρασκει, μηλον δ’ επι μηλω Αυταρ επι σταφυλη σταφυλη, συκον δ’ επι συκω.                  

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Odyss. VII.

*** Marc. 8, 24.   ** B. der Richt. 9, 36. **** μη νυν περι σαυτον ειλε την γνωμην αει.

Η μεν φαινομενου δυναμις μεν ημας επλανα και εποιει ανω τε και κατω πολλακις μεταλαμβανειν ταυτα και μεταμελειν και εν ταις πραξεσι και εν ταις αιρεσεσι των μεγαλων και σμικρων· η δε μετρητικη τεχνη ακυρον μεν αν εποιησε τουτο το φαντασμα, δηλωσασα δε το αληθες etc. Socrates in

Platons Protagoras. W2 am Seitenanfang 

dürfen.

* Εγκαλυψαμενος ερω, ινα οτι ταχιστα διαδραμω τον λογον και μη βλεπων προς σε υπ’ αιχυνης διαπορωμαι Sokrates

im Phaedrus. W2

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Die | Schellen um und um an dem Saum des Seidenrockes laßen seines Ganges Klang laut genug hören. Man hätte dahero dem Autor keinen Uebermuth zurechnen können, wenn es ihm angekommen wäre anstatt des langweiligen Motto aus dem Persius folgendes aus einem komischen Dichter sich zuzueignen.

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Εγω δε την εθηθ᾽ αμα γνωμη ϕορω. Χρη ποιητην ανδρα προς τα δραματα, α δει ποιειν, προς ταυτα τους τροπους εχειν

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μετουσιαν δει των τροπων το σωμ’ εχειν*

Im Buche selbst steht leserlich genug geschrieben, daß seine Absicht keine andere gewesen als μιμησαμενος  —  —

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εις αλλοτριας γαστερας ενδυς κωμωδικα πολλα χεαθαι**

| Sollte es also im Ernst dunkle Stellen in dieser

Schrift geben; so würde es eine lächerliche Erwartung seyn, daß der Autor sich jemals entschlüßen wird den Teppich von Dünsten, die Veste seiner Tritte, in einen klaren Himmel zu verwandeln, weil dasjenige, was gar zu durchsichtig in diesen Blättern gerathen, wenig Glauben gefunden. Doch die sokratische Denkwürdigkeiten können den Stachel, mit dem auf sie loßgestochen

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αλ‍λ’ αποχαλα την φροντιδ’ ες τον αερα λινοδητον ωσπερ μηλολονθην του ποδος.              Aristoph. in Nubib.

* Aristoph. in θεσμοϕ. ** Idem in Σϕηκ.

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worden, verschmerzen, wie die Kuh Mirons, dies lebende Erzt, das der Hirte aus Irr­thum zu seinem Rindvieh zählte, als Auson dies stumme und todte Thier reden läßt: 5

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Miraris, quod fallo gregem! gregis ipse magister Inter pascentes me numerare solet.

Ungeachtet die Anzahl der Druckfehler in unsern vorhabenden vier Bogen stark genug, und zu stark ist für eine Schrift, die | aus lauter Algebra und Ziefern besteht; so bemerke ich doch nur denjenigen Unsinn, der bey der Recension von dem encyclischen Geschmack der Franzosen mit untergelaufen. Dies kryptische Beywort scheint mir auf eine gewiße Stelle Julians zu zielen, wo dieser gekrönte Weltweise den jüdischen Schriftstellern einen großen Geist nicht abspricht, jedoch an ihnen auszusetzen findt, daß es denselben an der encyclischen Literatur der Griechen fehle. Man beschuldigt nehmlich diese Nation, daß sie das Heiligthum der Wißenschaften gemein gemacht, die Poesie eines Originalgedankens in die flüßige Prose der Coffeekreyse und Spieltische ziemlich übersetzt, aber gröstentheils ersäuft hätten, und daß die Geheimniße morgenländischer Weisheit auf ihrem Grund und Boden zu schmackhaften Mährchen und faßlichen Systems ausgeartet wären. |Bey uns hingegen wird die Freyheit zu Denken nur Wahnsinnigen in Feßeln erlaubt, und man möchte auch die Freyheit zu schreiben dem zunehmenden Unkraut philosophischer Abhandlungen mit ehesten zu danken haben. Gewiße Schriftstel-

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ler müßen währender Zeit sich nicht schämen die Dichtersprache so gut sie können nachzulallen, die am Hofe des Gottes zu Delphos eingeführt war, nach dem bekannten Sprüchwort: ουτε λεγει ουτε κρυπτει, αλλα σημαινει.*

dithyrambische * Εαν αρα πολλακις νυμφοληπτος προιοντος του λογου γενωμαι, μη θαυμασης· τα νυν γαρ ουκετι πορρω διθυραμβων φθεγ‍γομαι. Sokrates in

Platos Phaedrus. W2

24f. Marathon * Die

Ebene von Marathon war ein ungesunder Sumpf bis Cimon selbige austrocknen ließ u zu einer der angenehmsten Gegenden machte, wo Platon seine Schule hielt. W1

Nachdem ich nun den Flecken der Dunkelheit, der einen Schriftsteller zu unsern erleuchteten Zeiten so schwarz macht, von den sokratischen Denkwürdigkeiten ausgelöscht, so bin ich desto muthiger an ihrem Urheber | sein vermeintes Verständnis mit den Alten verdächtig zu machen. Mir ist von sicherer Hand gemeldet worden, daß es mit dem Stuhl Vespasians, der kein Thron war, eben so wenig Richtigkeit haben soll als mit dem löcherichten zu Rom, der die Nachfolge Petri gegen die Eingriffe der Spindel in Sicherheit setzt. Dieser Umstand beruht also vermuthlich auf dem Ansehen eines neueren Nativitätstellers, und muß nicht zu leichtsinnig angenommen werden, ohne Gewährleistung eines glaubwürdigeren Zeugen, als Bacon** von diesem Stuhl, der kein Thron war, seyn kan. Eine dithyrambische Figur von gleicher Frechheit ist die Verwechselung der Schlacht bey Marathon mit der Leuctrischen. Mein | Falkenblick fliegt aber zu dem Hauptbeweise der keine Einrede

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* Plutarch, de Oraculis Metricis. ** Serm fidel. II. de morte — Vespasianus cum scommate, exonerans enim se super sella: vt puto, Deus fio — N II 94–95

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übrig läßt, wie unwissend der sokratische Schriftsteller in dem Buchstaben der Alten seyn müsse. Man denke ja nicht, daß er sich den Plutarch zum Muster gesetzt in seiner Parallele des Simons zu Joppe und zu Athen. Wie hinkend selbige ist, wird jedermann gleich einsehen, wenn ich dar­ thun werde, daß der Freund des Socrates von einem ganz verschiednen Handwerk gewesen. Der atheniensische Simon war kein Gerber, sondern eigenlich ein Lederschneider*, und mithin ein Profeßionsverwandter von dem ­vortref lichen Tychius, ** der sich durch den siebenhäutigen Schild des Ajax, oder eigentlicher, durch seine Gastfreyheit gegen den Rhapsodisten, unsterblich gemacht. Daß | aber der Ursprung dieses Irrthums in den Uebersetzungen liege, hat der Aeltermann der exegetischen Zunft schon vor mir angezeigt, im fünften Theil S. 448. seiner Erklärung des N. T. die an Münz, Till und Kümmel so erbaulich als in den Vorurtheilen und Lieblosigkeiten gemeiner Kritick gelehrt ist. * Dergleichen Jacob Böhme gewesen und unsere Riemer,

Sattler und Handschumacher sind.

** Αιας δ’ εγγυθεν ελθε ϕερων σακος ηυτε πυργον 25

Χαλκειον, επτοβοειον, ο οι Τυχιος καμε τευχων Σκυτοτομων οχ’ αριστος, Υλη ενι οικια ναιων  

220. Vielleicht wundern sich manche über das gute Vernehmen unter den Handwerkern und Gelehrten jener Kindheit. Wir wißen nicht was wir von den ersteren oder letzteren eigentlich denken sollen.                     Iliad. VII.

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Es wäre demnach nicht unschicklich den Verfaßer der sokra­tischen Denkwürdigkeiten auch in seiner Nahrung mit dem Cha|mäleon zu vergleichen. Der Geist der Alten ist ein sehr ätherischer Tisch. Ob er aber mit den mystischen Schriften des Schusters in Görlitz eben so ungewissenhaft umgegangen als mit seinem Held von Gerber, bin ich nicht fähig zu entscheiden, da ich niemals das Glück gehabt die Werke dieses wahnwitzigen Schwärmers zu betasten, und wir uns in dem Werth ihres Inhalts auf den Geruch gewißer Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit verlaßen müssen. Man kann sich unterdeßen leicht vorstellen, daß der vertrauliche Umgang eines Alchymisten jemanden sehr verwahrlosen, ihn aber zugleich überheben mag, sich mit Pech selbst zu besudeln. Jedoch ich weiß nicht, ob man die Aufrichtigkeit oder Bescheidenheit des Autors tadeln soll, der nicht mehr als eine einzige müßige Stelle, und noch dazu aus einem griechischen Buch angeführt, in | welchem ein alter Kirchenlehrer* Cilicismen, und ein moderner** Cyrenismen erfand, wie Ana *** in der Wüsten Maulpferde oder warme Bäder. Ein Misverstand ist es aber, wenn man für einige seichte Oerter in den Denkwürdigkeiten das Hieronimus.]

Hieronimus in Epist.

ad Algasiam Tom. III. p. 172. Idem quaeritur Origines, quod Hieronymus, sagt Erasmus in seinen Scholiis. W1

* Der Heil. Hieronimus. ** Der Hochwürdige D. Heumann. *** 1 B. Mos. 36, 24. Luthers Uebersetzung verglichen mit der Vulgata.  

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Senkbley des philosophischen Verstandes (sensus communis) hat brauchen wollen. Die Windeln und die Wiege der sokratischen Weltweisheit gehören nicht für starke Geister; und diese vier Bogen, in denen Milch und Honig flüßt, dürfen niemanden als schwachen Lesern gefallen, die es den Bären und Kälbern im Geschmack gleich thun. Unsere Muse ist ein Säugling der fruchtbaren, vielbrüstigen, ungestalten Mutter, eine Schülerin | jenes Bienenschwarms in dem Aas des Löwens, wo Speise gieng vom Freßer und Süßigkeit von dem Starken.* Diese Erinnerung wird vielleicht dasjenige bemänteln können, was von den Hebammenkünsten des Sokrates obenhin gesagt worden. Aus der Bescheidenheit eines Unwissenden eine Tugend zu machen ist eben so ungewöhnlich, als die Keuschheit eines Verschnittenen zu bewundern. Wenn Sokrates so viel verstanden hätte als die Philosophen, denen er aus der Schule gelaufen war; so würde er nicht nöthig gehabt haben, die Heimlichkeiten der Natur auf dem Stuhl kennen zu lernen, sondern hätte eben so gut als andere die Einsichten der Philosophie in der Liebe und im Genuß der Wahrheiten selbst schöpfen können, nicht aber in den Nachwehen und Würkungen ih|res züchtigen Umganges. Das Unvermögen, dessen sich Sokrates bewust war, verbot ihm von selbst, Vater oder Lehrer zu werden. In diesen * B. der Richt. 14.

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letzten Zeiten darf der Verschnittene nicht mehr sagen: Siehe! ich bin ein dürrer Baum! * Ein solch Geständniß würde jetzt bescheiden laßen, aber nicht aufrichtig seyn. Bey Sokrates hingegen war es aufrichtig; es sahe aber unbescheiden aus, die Schwäche seines Erkentnisvermögens zu entblößen, ohne sich die Schürze von Feigenblättern oder Röcke von Fellen zu Nutz zu machen, durch deren Nothdurft die Sophisten jedes Alters dem Ruhm ihrer Stärke stillschweigend einen Schandfleck anhängen. Ob nun der Mann, in welchem Gott beschloßen hat die Wohnung des menschlichen Geschlechts mit Gerechtigkeit zu richten, die Ungerechtigkeit übersehen | wird, womit unsere Schriftgelehrten und Rabbinen so wohl als die Archonten dieses Aeons die Wahrheit auf halten, wie er die Zeit heidnischer Unwissenheit übersehen hat, ist allerdings keine Preisfrage, die durch französische Akademien der schönen Wißenschafften entschieden werden mag. Weil Sokrates also zu trocken war, selbst Erklärungen und Lehrsätze zu erzeugen: so beqvemte er sich, als ein Diener der Natur, die Vollendung abzuwarten fremder Geburten abzuwarten. Diesem Muster zu * Μαιευεθαι με ο Θεος Folge ist bey jedem Leser seiner Denkwürdigkeiαναγκαζει, γενναν δε ατεκω­λυσεν Socrates in ten die sinnlichste Definition eines Philosophen, Platos Theaetet. W2  in der Gebährmutter des Redegebrauchs, als ein zeitiger Embryo zum voraus gesetzt worden. Wenn es daher heißt: daß man kein Philosoph seyn * Jes. 56, 3.

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dürfe um die Geschichte des Worts Philosophie in abstracto so wohl als in concreto, zu studieren: so ist ein Phi|losoph in hieroglyphischen Zeichen _ einem Jünger des B. und C. der sich dünkt > als sein Meister B. oder C. W. z. E. Niemand muß es aber gekrönten Philosophen verargen, wenn sie das ptolomäische System mit der Ordnung des Weltbaues verwechseln, und alles lästern, was den Mechanismum ihrer Begriffe irre macht. Eben derselbe Ueberdruß, der jenem Maler den Pinsel aus der Hand warf, scheint dem sokratischen Geschichtschreiber den seinigen in die Finger gegeben zu haben; doch es würde nicht jedermanns Laune gelingen, die Kunst auszu­ stechen, welche Chrien und Soriten schäumen lehrt. Dem Stagyriten ist das letzte Hauptstück in seinen vordern analitischen Büchern, so vom physiognomischen Syllogismus handelt, sehr kurz gerathen. Daß er aber keine andere Beweise als geradlinichte für | gültig angesehen haben sollte, läßt sich aus einer Stelle seiner hintern Analytischen Bücher wiederlegen, wo er einen Schluß des Anacharsis* durch die Hyperbel erklärt. Die Zergliederung des Wahren und Schönen scheint den Gebrauch der Dreyecke und Parallelogrammen sehr zu vereiteln, auch die Bewegung der Gedan* Οτι εν Σκυθαις ουκ εισιν αυλητριδες. ουδε γας αμπελοι.

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Die Scythen haben keine Weinstöcke; folglich auch keine Mädchen, welche die Musick lieben. Aristot. Analyt. poster. lib. I. cap. 10.

Baumgarten Crusius. W2 

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Parabeln

* Παραβολη δε τα Σωκρατικα – Εισι οι λογοι δημηγορικοι και εχουσιν αγαθον τουτο οτι πραγματα μεν ευρειν ομοια γεγεννημενα χαλεπον· λογους δε ραον ποιησαι etc. etc. αποδειξεσιν Aristotel.

Rhetor. II. 20. W2

Διαφερομενον γαρ αει ξυμφερεται, φασιν αι συντονωτεραι των Μουσων sagt der Gast

von Elis in Platons Sophisten W2

Wortspiele

* – Παυσανιου δε παυσαμενου, διδασκουσι γαρ με ισα λεγειν ουτωσι οι Σοφοι

sagt Aristodemus in Platons Symposio. / Plutarch im Philadelph führt einen Einfall des Sokr. an der lieber einen Daricus als den Darius zum Freunde haben wollte. W2

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ken den Schulgesetzen der Syllogistick entgegen zu seyn. Man wird daher die Theorie der Centripetal- und fugalkräfte zu Hülfe nehmen, und die Parabeln des Sokrates aus der zusammengesetzten Richtung seiner Unwißenheit und seines Genies herleiten müßen. Die Copie derselben in den Denkwürdigkeiten fliest eben so natürlich aus den | Trieben der Ungewißheit und Zuversicht, die in den Autor gemeinschaftlich gewürkt, wie die geheime Geschichte seines Buchs freymüthig erzählt. In diesem göttlichen der Unwißenheit, in diesem menschlichen des Genies scheinet vermuthlich die Weisheit des Widerspruchs verborgen zu seyn, woran der Adept scheitert und worüber ein Ontologist die Zähne blöckt; wie ich wohl weiß, daß gewiße Leser es mir gleichfalls übel nehmen, als wenn der Schlüssel der sokratischen Denkwürdigkeiten gar zu genau mit der Bildung des Schloßes übereinkäme, woran doch die Schuld am Schloß und nicht am Schlößer liegt. Des Zusammenhanges wegen komm ich von Beweisen auf Wortspiele, wodurch die Denkwürdigkeiten am meisten anstößig geworden. Ich kann den häufigen Ge|brauch derselben blos mit dem verwerflichen Beyspiel des Aristophanes rechtfertigen, der den Sokrates über die Stimme βροντη und den Hauch πορδη so schwatzhaft trillern läst, als die Allusion der electrischen und Gewittermaterie in den Tagbüchern neuerer Gelehrsam-

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keit der Nachwelt vorkommen wird. Zur Ehre der Wortspiele erinnere man sich noch desjenigen, so in dem Munde einer gebratenen Gans ein Prophet des Luthertums gewesen seyn soll.

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Nachdem ich lange genug dem Plan der sokratischen Denkwürdigkeiten Coeca regens filo vestigia — —* nachgeirrt, so seh ich bey dem Scheideweg der doppelten Zuschrift dem Ausgange meines Labyrinths entgegen. Durch einen nah gelegenen Druckfehler ist der Oelgötze | herausgebracht, den der Verfaßer mit seinem Niemand, dem Kundbaren, eigentlich haben wollen. Die andere Zueignung wird also die unsichtbare Wahl des Publici angehen. Wie klein er sich diesen Ausschuß vorgestellt und wie wenig beträchtlich derjenige Theil der Welt ist, auf deren gesunden Verstand der Autor Anschläge macht, ist seiner Aufrichtigkeit oder Bescheidenheit, nach Belieben aufzubürden; wofern nicht zwey unschuldige Wörter aus einem Vers des Persius den Stoff zu dieser langweiligen Erfindung einer doppelten Zuschrifft hergegeben. Dieser letzten Muthmaßung, als der natürlichsten, giebt die verwirrte Denkungsart des Hamlets** viel Gewicht,| der seines gleichen einen Strohhalm zu

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* Virgil. Aeneid. VI. ** — — ’T is not to be great Never to stir without great Argument; But greatly to find quarrel in a straw, When Honour ’s at the stake — — —  / Shakesp.

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η ματην τουνομα νῳ προσηκον κεκτητ’ αν ο θειος ημιν και θαυμαστος νομος Plato de Leg. XII. W2 

Labyrinths * – ωσπερ

εις λαβυρινθον εμπεσοντες, οιομενοι ηδη επι τελει ειναι περικαμψαντες παλιν ωσπερ εν αρχη της ζητησεως ανεφανημεν οντες – Socrates in Platons

Euthydemo. W2 

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ihren tiefen Absichten empfiehlt, wie ein Vanini denselben zu seinem Sachwalter von der Erde gehoben haben soll. Conf. Phaedr. W2

Der Eintheilung des menschlichen Körpers gemäß, in Kopf und Rumpf, giebt es theoretische und praktische Weltbürger. Am Haupt unterscheiden sich Aug und Ohr; am Leibe aber Hand und Fuß. Wer demnach Lust an mystischen Zahlen findt, kann sich in der Wahl des Publici zween kleine Chöre thätiger und denkender Liebhaber dichten, denen der Autor auf Hände und Augen Achtung giebt. Da er den Beruf zu Geschäften von Hirngespinsten, und die Muße zum Erfinden von Zerstreuungen zu läutern gesucht; so schlug er theils den zweydeutigen Patriotismum in dem Lebenslauf eines Xenophons und Bollingbro|ke, theils den zweydeutigen Enthusiasmum in der Lehrart eines Platons und Shaftesbury als den besten Prüfestein vieler unerkannten Wahrheiten vor, so die Erfüllung jenes Fluches beschleunigen helfen, der die Könige in Philosophen (oder rückwärts) zu verwandeln wünschte. Welcher Pedant weiß aber nicht, daß man ohne Gaben, ein großer Apoll in den unbekannten Ländern dißeits seyn kann, wo der Horizont* so eingeschränkt, als möglich ist; und welchem Stutzer fehlt es an Verdiensten das Privilegium einer Phyllis** in den * Tres pateat coeli spatium, non amplius, vlnas. ** — quibus in terris inscripti nomina regum Nascantur flores, & Phyllida solus habeto.  / Virg. Eclog. 3.

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unbekannten Ländern jenseits zu erhalten, wo man über die Gesetze mit Füßen geht,| und Projecte blühen um die Schläfe anakreontischer Aebte? Meine Absicht ist es unterdeßen gar nicht durch diese Erklärung irgend einem Kleinmeister sieben brotloser Künste seine Verwandschaft mit Newton in Zweifel zu ziehen; Da dieser weise Gelehrte den Scherz, zum poßierlichen Geschlecht der Affen gezählt zu werden, großmüthig hat auf sich sitzen laßen. Ich habe mir zwar alle Mühe gegeben Anekdoten von dem Namlosen Verfaßer der sokratischen Denkwürdigkeiten aufzutreiben; aber umsonst. Der einzige Herr — — der sich durch seine Ausstattung gelehrter Fündlinge berühmt gemacht als der reiche O - e - - e - - in Hamburg durch seine Mildthätigkeit gegen H — — Kinder, ist so gütig gewesen mir zu melden; wie unser Autor einmal an ihn geschrieben,| doch vermuthlich unter lügenhaftem Namen, und ihm folgende Aussicht von seinem Büchlein mitgetheilt habe: »daß es eine Sammlung von Gelegenheitsgedanken in sich schlöße, dergleichen die Alten Wälder genannt, libellos, qui mihi subito calore & quadam festinandi voluptate fluxerant, wie Statius* die seinigen beschreibt, oder

mit einem brittischen Schriftsteller zu reden, ein Systemchen von Anspielungen.** «

* Siehe den Brief vor dem ersten Buch seiner Siluarum. ** a System of hints.  Bollingbroke. N II 100

Herr] Herr

Pr. Meyer W1

Overbeck  W1 ; Overbeck der reiche Schinder / Ernähret alle Huren kinder. W2 am O - e - - e - -]

Seitenende

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Wenn daher die Anpreisung der sokratischen Denkwürdigkeiten in dem 57sten Stück Hamburgischer Nachrichten aus dem Reich der Gelehrsamkeit des 1760. Jahres nicht eine Erfindung unsers Autors selbst ist, die zu den Staatsstreichen niederträch|tiger Schriftsteller gehört, welche Gottesäcker und Gerichtsstätten zur Stunde der Mitternacht entweyhen, oder vom Altar und Rade Glück borgen zu ihrer ehrlichen Handthierung; so reicht diese Empfehlung seines Buchs bedenkliche Merkmale zu dem Argwohn dar, daß gemeldete Recensenten den Liebhaber der langen Weile genauer kennen müssen als sein Buch, von deßen näheren Umgang sie durch das verdammte Motto und die zweyköpfige Misgeburt der Einladung ohne Noth sind abgeschreckt worden. Bey diesem Mangel anderweitiger Nachrichten müßen uns freylich die Hamburgischen desto schätzbarer seyn, vornehmlich aber ihre Ent­ deckung, daß der kranke Körper und ein Krampf des Gehirns sich den grösten Antheil an diesen vier Bogen in klein Octav anmaßen könnten; welches | in der That außerordentlicher wäre, als was Sophokles dem Aeschylus nachgesagt haben soll (ωνειδισας δη τουτο Διονυσω καλον) *: daß der Wein, und nicht Aeschylus selbst der eigentliche Autor seiner Schauspiele wäre; wie in den sokratischen Denkwürdigkeiten gleichfalls die Erzählung des Gespenstes, das der Chier bey * Euripid. in Bacch.

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dem Grabe Sokrates sahe, einem weit hergeholten Grunde beygesellt wird. Doch vielleicht wundern sich gewiße Leser über diesen medicinischen Bericht, der in der Recension der sokratischen Denkwürdigkeiten eingewickelt worden, und fragen mit dem Kardinal von Est den Urheber des Gedichts: Wo er zum Henker! das Zeug dazu herbekommen habe? * Solchen | unphilosophischen Witzlingen halt ich es für nöthig zu Gemüth zu führen, daß der Geist der Eingebung in die Zeitungsschreiber, insonderheit die gelehrten, gefahren sey, und daß man diese Evangelisten folglich für die einzigen inspirirten Schriftsteller (εγγαστριμυθους) die uns jetzt übrig sind, erkennen müße, mithin gegen ihr Zeugniß keine Ursache habe mißtrauisch zu seyn. Die Heiligkeit ihrer Pantoffeln ist anbey jedem wahnwitzigen Schwärmer zu Maaß, den der Most einer neuen Lehre treibt, seine Füße zu decken.** | Nichts konte David auf jener Flucht, da er aß, was ihm doch nicht ziemte zu essen, sondern allein den Priestern, Schaubrodte, die niemand essen durfte, ohne die Priester allein; nichts konnte David * Messer Lodovico, dove Diavolo! havete | pigliato tante coionerie? Mit dieser Frage soll sich der Kardinal für die Zueignung des Orlando Furioso gegen den Ariost bedankt

haben.

** Der Wurstmacher Agorakoit sagt zum Kleon in des

Aristophanes Ιππ.

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— — οπερ πινων ανηρ πεπονθ’ οταν χεσειη τοισι τροποις τοις σοισιν, ωσπερ βλαυτιοισι, χρωμαι.

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willkommner seyn, als das Schwert Goliaths, den er im Eichgrunde erschlagen hatte. Gewickelt in einem Mantel hinter den Leibrock war es ein unnütz Hausgeräth für die Priester zu Nobe. Hier ist kein ander Mittel um die Knoten unserer peruanischen Schrift vollends aufzulösen, als das anatomische Federmeßer, welches in den Hamburgischen Nachrichten die sokratische Denkwürdigkeiten und den Kopf ihres kranken Verfaßers zergliedert. Ich eile daher mich deßelben zu bemächtigen. Es ist seines gleichen nicht, gib mirs! 1 Sam. 21, 9.

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Ende der zweyten Handlung.

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Amoris vitio, non meo, nunc tibi morologus fio.*

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ute Nacht, Vater Sokrates! Bruder Aristoteles! der Abschied eurer Freundschaft ist ein Opfer der Liebe. Wahrheit ist mein Mädchen; schwarz, aber gar lieblich, wie die Hütten Kedar, wie die Teppiche Salomo. Doch ihr Geschlecht — — welch ein Brandmark! dies liebenswürdige Kind erkennt jener Kunstrichter unserer Denkwürdigkeiten für sein Fleisch und Blut. Ja, es ist wahr, was dem Publico in dem 57sten Stück der Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit des 1760sten Jahres gemeldet worden, eben so wahr, als was der Wächter auf dem Thurm zu Jesreel verkündigte: »Es ist ein Treiben,| wie das Treiben Jehu, des Sohns Nimsi; denn er treibt, wie er unsinnig wäre« ** Können wir noch zweifeln, daß es dem Verfaßer der sokratischen Denkwürdigkeiten an Menschenverstand fehle? Würde er nicht seine vier Bogen in klein Oktav selbst ausgebrütet haben; aber der Strauß *** ist hart gegen seine Jungen, als wärens nicht sein und achtets nicht, daß er umsonst arbeitet. Redt er nicht über den Berg, schweift er nicht aus, geht er nicht irre und setzt seine Leser in * Plaut. Pers. Act. I. Sc. 1.   ** 2 B. der Kön. 9, 20.  *** Hiob 39.  

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ängstliche Erwartung auf eine Spur vom Sokrates, wie der Sohn Kis* seinen Vater für die verlorne Eselinnen, unterdeßen er bey dem ersten Seher, der ihm im Weg liegt, einkehrt, ihn zu beschmausen und sich wahrsagen zu laßen? Wenn er gesunde Vernunft hätte, oder ihrer mächtig wäre, möchte er sie wohl selbst verdächtig | machen? Ist seine unnatürliche Neigung zu! Wiedersprüchen nicht der Tod und die Hölle der lebenden Weltweisheit? Nennt er nicht die Hypochondrie und Miltzsucht seine Vertrauten? Man muß daher mit der mitleidigen Schwester des rasenden Orestes wenigstens von ihm urtheilen:

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καν μη νοσης γαρ, αλλα δοξαζεις νοσειν καματος βροτοισιν απορια τε γινεται.

S. Phädrum W2

Bedenkliche Merkmale, wodurch die in den Hamburgischen Nachrichten geoffenbarte Wahrheit: daß der sokratische Schriftsteller an Körper und Kopf ungesund sey, die gröste Glaubwürdigkeit einer philosophischen Hypothese gewinnt. Wie polychrestisch oder brauchbar selbige ist alle Schwierigkeiten in diesen Sibyllenblättern auf die leichteste und glücklichste Art zu heben, wird die Anwendung jeden Leser selbst lehren. Nichts ist also mehr übrig als die Gränz­|s​ treitigkeiten des Genies mit der Tollheit zu untersuchen. Das gröste Schisma** hierin ist unter den Juden gewesen über den Vortrag eines Propheten aus * 1 Sam. 9. ** Joh. 10, 20.

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ihren Brüdern. Einige sagten: ΔΑΙΜΟΝΙΟΝ εχει και ΜΑΙΝΕΤΑΙ und sahen die Manie gleichfalls für die Würkung eines Genies an, ja wunderten sich gar, daß es Menschen von gesunden Bauerverstande möglich wäre ihm zuzuhören. Auch Festus urtheilte, daß die viele Belesenheit den Paulus verwirrt gemacht, und gab seinen fanatischen Schwindel den Büchern schuld*. Hätte dieser Landpfleger nur einigen Wind von dem Aufruhr gehabt, den der eigennützige Goldschmidt zu Ephesus erregte; so würde er mit mehr Zuver­läßigkeit die Ra|serey des Apostels einem Pfeil der jachzornigen Diana** zugeschrieben haben. Die Beobachtung ist aber noch älter, daß alle Meister, die sich in der Philosophie, Politick, Poesie und Technick hervorgethan, Invaliden gewesen.*** Herkules hatte eine Seuche, die durch ihn heilig geworden seyn soll, und der Mann, lieblich mit Psalmen Israel, verstellte seine Geberde am Hofe zu Gath, kollerte, stieß sich an die Thür am Thor, und sein Geifer floß ihm in den Bart. Da sprach Achis zu seinen Knechten: Siehe! ihr sehet, daß der Mann unsinnig ist; warum habt ihr ihn zu mir gebracht? hab ich der Unsinnigen zu wenig,

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* Ap. Gesch. 26, 24. τα πολλα σε γραμματα εις μανιαν

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** — — aut morbus regius vrget Aut fanaticus error & iracunda Diana.          Horat. ad Pis. *** Arist. Problem. Sect. 30.   

περιτρεπει.  

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S. Platons Sophisten. W2

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daß ihr diesen herbrächtet, daß er neben mir rase|te? Sollte der in mein Haus kommen?* Das Zeugniß der Gesundheit, welches Hippokrates dem Demokrit ertheilte zum Nachtheil seiner Landsleute, der Abderiten, hat so viel Ansehen, als wenn eine ganze medicinische Facultät ihn rein erklärt hätte. Desto wunderbarer ist aber der Ausspruch in dem Mund eines gesunden Weltweisen, kraft deßen er allen gesunden Dichtern den Zutritt des Helikons versagte.** Da Jehu heraus gieng zu den Knechten seines Herrn, sprach man zu ihm: Stehets wohl? warum ist dieser Rasende zu dir kommen? Er sprach zu ihnen: Ihr kennt doch den Mann wohl und was er sagt. Der Mann war Elisa.*** Aristoteles führt den Ajax, der in seinem | Wahnwitz Wunder that,**** und Bellerophon, welcher dergleichen gesehen haben mag ***** , den ­Sokrates, den Platon, als vorzügliche Beyspiele solcher Märtyrer an, die von der schwarzen Galle * 1 Sam. 21. ** — excludit sanos Helicone poetas Democritus — — —     Hor. ad Pis.   *** 2 B. der Kön. 9, 11. **** Mille ouium insanus morti dedit, inclytum Vlyssem Et Menelaum vna mecum se occidere clamans.  Agamemnon in Hor. Serm Lib. II. 3. ***** Αυταρ επει και ουτος απηχθετο πασι θεοισιν

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Ητοι ο καππεδιον το αληιον οιος αλατο Ον θυμον κατεδων πατον ανθωπων αλεεινων.

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gelitten, und vergleicht daher die schwarze Galle sehr weitläuftig mit dem Wein in ihren Eigenschaften, erklärt auch alle Symptomen der Bacchanten und Propheten nach eben der Methode, in welcher Eli und die ungläubigen Juden das Zeichen der Zungen und Lippen | sich vorzustellen beliebten, über das Entsetzen des großen Haufens lächelten, und den Schluß machten: sie sind voll süßes Weins. Die Vermuthung würde unterdeßen zu weit gehen, wenn man alle mit mancherley Seuchen und Qvaal behaftete, die Beseßenen, Mondsüchtigen und Paralytischen, deren in den Evangelisten erwähnt wird,* für Genies jener Zeit und jenes Landes halten wolte. Ungeachtet Hippokrates sich schon viele Mühe gegeben, das Θειον, dies Kreutz seiner Kunst, zu vernichten: so entfährt ihm doch am Ende seiner Abhandlung ηερι ιερης υοσου der neue Grundsatz: παντα ΘΕΙΑ και ανθρωπινα ΠΑΝΤΑ.

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Es war ein Paroxysmus** der langen | Weile, die Paulus zu Athen hatte, daß er in einer so abgöttischen Stadt das Evangelium von JESU und von der Auferstehung zu predigen suchte; wie es ein Paroxysmus des patriotischen Ehrgeitzes gewe* Matth. 4, 24. ** Ap. Gesch. 17, 16. παροξυνετο το πνευμα αυτου. In unse-

rer Uebersetzung ist das Wort Paroxysmus durch Grimm gegeben. Grimmig muß der heil. Affekt des Apostels den epikurischen und stoischen Philosophen freylich vorgekommen seyn, die mit ihm zankten.

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auch] aber W1

als […] gemahlt,]

als die Eule eines jüdischen Geschichtschreibers, mit dem Engel des HErrn, den ein vom Geist getriebner Mensch bey dem Tode Herodis gemahlt, W1 W2 19 Würmer

* – – le grand homme est rongé par les vers / Le Philosophe de S. S. Epitre XVIII. à Keith W1 – – le grand homme est rongé par les vers. / Epitre XVIII. Poesies diverses. W2

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sen seyn mag, der dem Solon die Erfindung eines unsinnigen Klaggedichts eingab, wodurch er auch die Würde eines Heerführers* in dem verbannten Feldzug gegen die Insel Salamin erhielt, wie dies alles vom Plutarch mit einer angenehmen Umständlichkeit im Leben Solons erzählt wird, der ein Kaufmann,| Dichter, Feldherr, Gesetzgeber und guter Gesellschafter, auch einer der sieben Weisen Griechenlandes gewesen seyn soll, dergleichen allgemeine Köpfe unsre heutige Meßkünstler und Metaphysicker gleichfalls sind. Die historische Wahrheit von der Krankheit des sokratischen Schriftstellers und die poetische Ahndungen von seinem Genie werden daher so gut mit einander bestehen können als der Tod Herodis durch die Kröte eines jüdischen Geschichtschreibers, und durch den Engel des HErrn, den ein vom Geist getriebner Mensch gemahlt, ohne pathologische Auslegung der Würmer, von denen der König und der Dictator gefressen werden, die GOTT nicht die Ehre geben; gesetzt, daß es auch hier heißen sollte:    Was Bileam nicht selber sah,    Sah doch sein Esel stehen. * A Happiness, that often madness hits on Which sanity and reason could not be So prosp’ rously deliverd of — — —

würde hier auch der alte Kammerherr Polonius sagen, der in Hamlets Tollheit, die Methode und die Trächtigkeit seiner Stoßreden bewunderte.

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Aus dem Geschlechtregister dieser Hypo|these, die ein verwirrt Gehirn und siechen Leib in dem Verfaßer der sokratischen Denkwürdigkeiten zum voraus setzt, erhellt aber zugleich, wie unverschämt sich die Hamburgischen Nachrichten die Ausgeburt dieser unnatürlichen Wahrheit zugeeignet, die für nichts als ihr Pflegkind anzusehen, das unter der Feder des erlognen Vaters sehr verwahrloset worden, sich ihrer wahren Ahnen nicht im geringsten zu schämen hat, und durch ein romanhaft Schicksal in die Gesellschaft der Nymphen gerathen seyn muß, denen das Reich der Gelehrsamkeit die hamburgischen Nachrichten zu danken hat, wie Numa seine Gesetze den Einblasungen der Egeria. Diese Egerie hielt einer für eine Pflegerin Baals, wenn seine Kirchen durch den Dienst eines unsinnigen Jehu gereinigt werden zu heimlichen Gemächern bis auf diesen Tag. 2 B. der Kön. X. 18, 27. | Sucht keine Blonde also unter den Gespielinnen des Apolls. Vrit enim fulgore suo — — Jede von ihnen kann sagen: Seht mich nicht an, daß ich so schwarz bin; denn das Genie hat mich so verbrannt. Ist aber die Thorheit des Genies reich genug die Weisheit zu ersetzen, die durch den Zusammenhang allgemeiner Wahrheiten in die Sinne fällt? Dies ist der Hauptknoten —  — — DEVS intersit! — dignus vindice nodus! Nun soll mir der Verfaßer der sokratischen Denkwürdigkeiten nicht mehr entwischen; fest ist er wie Protheus durch die Verrätherey seiner Toch-

S. den Gast von Elis im Sophisten W2 

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ter Eidothea; denn durch ihr Eingeben, und durch ξενων την σοφιαν, die betrügliche Häute der Meerkälber gelung es οτι θαυμασια εστιν αλ‍λ’ ουκ εθελετον dem Menelaus, die List der Verwandlungen zu ημιν επιδειξαθαι σπουδαζοντες αλ‍λα überwinden, die bey der Zurückkehr des grauen τον Πρωτεα μιμεισθον Wahrsa|gers in seine erste Gestalt erschöpft war.* τον Αιγυπτιον Wunderliche Muse! die du Götter aus der σοφιστην γοητευοντε ημας. ημεις ουν τον Erden steigen siehst, und einem alten Mann einen Μενελαον μιμωμεθα και | μη αφιωμεθα Rock von Seide schenkst — stell mir den Jüngling, τοιν ανδροιν εως αν ημιν εκφανητον εφ dem rachgierige Kameele ihre Haare zum Kleide ω αυτω σπουδαζετον, geben, der seinen Kiel in wilden Honig tunkt, daß αλ‍λα δεωμεθα και παραμυθωμεθα και seine Augen wacker werden, deßen Beweise den προσευχωμεθα αυτοιν Heuschrecken ähnlicher sind als den Blindschleiεκφανηναι etc. Socrates im Euthydemo. / chen im Gleise des Weges, der die Mode der Pro– ωσπερ ο Προτευς παντοδαπος γιγνη selytentaufe dem levitischen Heerdienst vorzieht; στρεφομενος ανω και eine Wahrheit theurer bezahlt als der beste Lanκατω εως τελευτων διαφυγων με στρατηγος desvater seine Balletmeisterinnen, der wie Elias ανεφανης — Socrates seine Lenden gürtet, da er vor Ahab hinlief, bis er zum Ion. W2 am Seiten­ende 65 und -anfang 66  kam gen Jesreel.  —  —  —  — Wunderliche Muse, die du pfeifen lehrst, wo Cicero pro Coelio cap. 27. niemand Lust hat zu tanzen, Klagen eingiebst, die Mimi exitus est, non | fabulae: in quo quum nicht zum Heulen bewegen,  weil deine Leser den clausula non invenitur, Kindern gleich sind, die dort am Markt saßen! fugit aliquis e manibus, deinde scabilla concre- stell mir den Jüngling, der unsere Schriftgelehrpant, aulaeum tollitur. ten schelten darf, die den Schlüssel der Erkenntnis W2 am Seitenende  haben, nicht hinein kommen und denen wehren, so hinein wollen; der unsern Weltweisen zischt, die ins Ohr sagen: es sey keine Palingenesie, noch Genie, noch Esprit, (als von dem ihr Helvetius in groß Octav geschrieben) — — ja, den Jüngling, – – ου γινωσκεις των

* Siehe das vierte Buch der Odyßee.

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deßen Kühnheit jenem König in Juda nacheifert, der die eherne Schlange zerstieß, die doch Moses auf höchsten Befehl erhöht hatte, und ein Gleichnis des Menschensohnes war, den Sein GOTT mit Freudenöl gesalbt hatte über seine Gesellen! — Hoch erfreut über des Bräutigams Stimme steht er und hört ihm zu, denn er ist Sein Freund. Wer die Braut aber hat, ist der Bräutigam — Siehe! Er kommt mit den Wolken! | Da stund ein Bild vor meinen Augen und ich kannte seine Gestalt nicht. — Eine Stille und eine Stimme; die Stimme eines Predigers, dem das Publicum eine Wüste ist, in der mehr Heerden als Menschen wohnen. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

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Das Salz der Gelehrsamkeit ist ein gut Ding; wo aber das Salz dumm wird, womit wird man würzen? Womit sonst als der ΜΩΡΙΑ του κηρυγματος

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mit thörichter Predigt. 1 Kor. I. 21. Die Vernunft ist heilig, recht und gut; durch sie kommt aber nichts als Erkentnis der überaus sündigen Unwissenheit, die, wenn sie epidemisch wird, in die Rechte der Weltweisheit tritt, wie einer aus ihnen gesagt | hat, ihr eigen Prophet, der Methu-

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salah unter den beaux-esprits dieses Geschlechts: Les sages d’ une Nation sont fous de la folie commune. Niemand betrüge sich also selbst. Welcher sich

– – Ουδε νυν πω δυναμαι θεασαθαι σαφως αλ‍λ’ οντως θαυμαστος ανηρ και κατειδειν παγχαλεπος επει και νυν μαλα ευ και κομψως εις απορον ειδος διερευνησαθαι καταπεφευγεν. Der

Gast von Elis in Platons Sophisten. W2 am Seitenende

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Narr in […] 1 Kor.]

Narr — —. 1 Kor. W1 Narr — — — 1 Kor. W2

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unter euch dünkt weise zu seyn; der werde ein Narr in dieser Welt, daß er möge weise seyn. 1 Kor. III. 18. Das Amt der Philosophie ist der leibhafte Moses, ein Orbil zum Glauben, und bis auf den heutigen

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Tag, in allen Schulen, wo gelesen wird, hängt die

Decke vor dem Herzen der Lehrer und Zuhörer, welche in C H R I S T O aufhört. Dies wahrhaftige Licht, sehen wir nicht im Licht des Mutterwitzes,| nicht im Licht des Schulwitzes. Der HERR

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ist der Geist. Wo aber des HERRen Geist ist, da ist Freyheit. Dann sehen wir alle mit aufgedeckten Angesichte des HERRn Klarheit wie im Spiegel, und werden verwandelt in daßelbige Bild von Klarheit zu Klarheit als vom

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HERREN des Geistes. 2 Kor. III, 17. 18.

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achdem ich nun die Nymphen der Hamburgischen Nachrichten so wohl als die Muse der Sokratischen Denkwürdigkeiten Schau getragen öffentlich, und einen Triumph aus beyden gemacht, so schliest sich meine Pantomime mit dem Wunsche, der dem sterbenden Augustus eingefallen seyn soll:   —   —   —   — P L AV D I T E ! Συμμιμηται μου γινεθε, αδελφοι, καθως καγω ΧΡΙΣΤΟΥ.

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beyden]

ihnen W1 W2

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Druckfehler: S. 9. sind in zwo unmittelbar einander folgenden Zeilen die Wörter: Uns und Niemanden verwechselt worden; auch noch in einer Stelle, die uns zu langweilig ist anzuführen, steht UNS, wo im Grundtext der Hamburgischen Nachrichten Publico fälschlich gelesen wird.

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Rezensionen

1. Rezensionen der Denkwürdigkeiten

Moses Mendelssohn (anonym) [ohne Titel] In: Briefe, die neueste Litteratur betreffend. 113. Brief (19. Juni 1760), S. 385–400.

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Einen Schriftsteller tadeln, ist eine Beleidigung. Sollte nicht einen andern loben, weit grössere Beleidigung seyn? Ich müßte die Schriftsteller­ eitelkeit wenig kennen, wenn ich hieran zweifeln könnte. Wollte man nun den bösen Gott der Dummheit nur in etwas schonen; so müßte man sparsam im Loben seyn, und Mine machen, als wenn man auch an dem besten Schriftsteller etwas auszusetzen fände? Verständige wissen schon, daß man öfters einen Unschuldigen mit der Ruthe streichen muß, wenn ein gezüchtigtes Kind zu schmollen aufhören soll. Sie können nicht glauben, was das Beurtheilen für eine unangenehme Beschäftigung ist, wenn man nichts als zu tadeln findet, und gleichwohl aus jedem Tadel einen verdrießlichen Streit entstehen siehet. Man müßte alle Gedult verlieren, wenn nicht dann und wann das Vergnügen zu loben wieder aufmuntern sollte; aber wie selten kann man sich dieses Vergnügen machen? – Ich lief seit

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Rezensionen

einigen Tagen die Menge Neuigkeiten durch, die uns die Leipziger Messe hergegeben, um Ihnen das Merkwürdigste mitzutheilen, und fand ein Schriftchen von vier kleinen Bogen, das mit ungemeinem Witze geschrieben ist. Es führet die etwas seltsame Aufschrift: Socratische Denkwürdigkeiten für die lange Weile des Publicums, zusammen getragen von einem Liebhaber der langen Weile. Mit einer doppelten Zuschrift an Niemand und an Zween.* Die Schreibart hat viel Aehnlichkeit mit der Winkelmannschen. Derselbe körnigte aber etwas dunkele Styl, derselbe feine und edle Spott, und dieselbe vertrauete Bekantschaft mit dem Geiste des Alterthums, insbesondere werden Sie bemerken, daß unser Verfasser die naive Laune des Socrates sehr glücklich gefaßt hat. Die Schilderung die er von dessen Charakter macht, scheinet nach dem Leben zu seyn. Die Zween, denen die zwote Zuschrift gewidmet ist, sind Freunde des Verfassers, ein Paar Anbether des Publicums, wie er sich ausdrückt, die er durch diese Pillen von dem Dienste der Eitelkeit zu reinigen wünschet. »Wo ein gemeiner Leser nichts als Schimmel sehen möchte, spricht er, wird der Affect der Freundschaft Ihnen, meine Herren, in diesen Blättern vielleicht ein mikroscopisch Wäldchen entdecken.« Ich bin einer von den gemeinen Lesern, und glaube dennoch ein sehr anmuthiges Wäldchen entdeckt zu haben, ob * Amsterdam 1759.

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ich gleich gestehe, daß mir manche Stelle dunkel scheinet, dazu vielleicht die Zween das Mikro­scop in Händen haben. – »Ich habe über den Socrates, fährt er fort, auf eine socratische Weise geschrieben. Die Analogie war die Seele seiner Schlüsse, und er gab ihnen die Ironie zu ihrem Leibe. – Socrates war, meine Herren, kein gemeiner Kunstrichter. Er unterschied in den Schriften des Heraklitus, dasjenige, was er nicht verstand, von dem, was er darin verstand, und that eine sehr billige und bescheidene Vermuthung von dem Verständlichen auf das Unverständliche. Bey dieser Gelegenheit redete Socrates von Lesern, welche schwimmen könnten. Ein Zusammenfluß von Ideen und Empfindungen in dieser lebenden Elegie vom Philosophen, machte desselben Sätze vielleicht zu einer Menge kleiner Inseln, zu deren Gemeinschaft Brücken und Fähren der Methode fehleten.« Richtiger kann man von den grossen Warheiten, und unzuverläßigen Beweisgründen des Socrates nicht urtheilen! In der Einleitung redet der Verf. von der philosophischen Geschichte. »Weil Stanley ein Engländer, und Brucker ein Schwabe ist; so haben beyde die lange Weile des Publicums zu ihrem Ruhme vertrieben; wiewohl das Publicum auch für die Gefälligkeit, womit es die ungleichen Fehler dieser Nationalschriftsteller übersehen, gelobt zu werden verdienet. Des Landes, fährt er fort, ein Autor von »encyclopischen Witze, hat eine chinesische Caminpuppe

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Rezensionen

für das Cabinet des gallicanischen Geschmacks hervorgebracht. Der Schöpfer der schönen Natur scheint die größten Köpfe Frankreichs, wie Jupiter ehmals die Cyclopen zur Schmiede der Strahlen und Schwärmer verdammt zu haben, die er zum tauben Wetterleuchten und aetherischen Feuerwerken nöthig hat. – Ich glaube zuverläßig, daß unsere Philosophie eine andere Gestalt nothwendig haben müßte, wenn man die Schicksale dieses Namens oder Worts, Philosophie, nach den Schattierungen der Zeiten, Köpfe, Geschlechter und Völker, nicht wie ein Gelehrter oder Weltweiser selbst, sondern als ein müßiger Zuschauer ihrer olympischen Spiele studiert hätte, oder studieren könnte.« Wie seltsam! So ist ein müßiger Zuschauer der diese olympische Spiele so studiert hat, kein Gelehrter? kein Weltweiser? Man kann einem Geschichtschreiber der Philosophie schwerlich die Unpartheylichkeit zumuthen, die man von einem bürgerlichen Geschichtschreiber fordert. Die Begebenheiten, die der erste erzehlen soll, intereßiren ihn allezeit mit, und er ist entweder nicht unterrichtet, oder hat Partie ergriffen. Indessen ist es nicht zu läugnen, daß unsere philosophische Geschichte, immer noch einer Geschichte der Weltweisen ähnlicher siehet, als einer Geschichte der Weltweisheit. Von den Denkmälern des Alterthums, die verloren gegangen, sagt der Verfasser: »Wenn kein junger Sperling ohne unsern Gott auf die Erde fällt; so ist kein Denkmal alter Zeiten für uns verloren

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gegangen, das wir zu beklagen hätten. Sollte seine Vorsorge sich nicht über Bücher erstrecken, da Er selbst ein Schriftsteller geworden, und der Geist Gottes so genau gewesen, den Werth der ersten verbothenen Bücher aufzuzeichnen, die ein frommer Eifer unserer Religion dem Feuer geopfert?* Wir bewundern es an Pompejus, als eine kluge und edle Handlung, daß er die Schriften seines Feindes Sertorius aus dem Wege räumte; warum nicht an unserm Herrn, daß er die Schriften eines Celsus untergehen lassen? Ich meine also nicht ohne Grund, daß Gott für alle Bücher, woran uns was gelegen, wenigstens so viel Aufmerksamkeit getragen, als Cäsar für die beschriebene Rolle, mit der er in die See sprang, oder Paulus für sein Pergamen zu Troada.** – Wenn wir mehr Werke der Alten hätten, als uns die Zeit hat schenken wollen; so würden wir selbst genöthiget werden, unsere Ladungen über Bord zu werfen, unsere Bibliotheken in Brand zu stecken, oder es wie die Holländer mit dem Gewürze zu machen.« Er beschließt seine Einleitung mit diesen Worten: »Socrates besuchte öfters die Werkstäte eines Gerbers, der sein Freund war, und wie der Wirth des Apostel Petrus zu Joppe, Simon hieß. Der Handwerker hatte den ersten Einfall die Gespräche des Socrates aufzuschreiben. Dieser erkannte sich vielleicht besser in denselben, als in Platons, bey deren Lesung er * Apostelgesch. XIX, 19. ** 2 Tim. IV, 13.

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gestutzt, und gefragt haben soll: Was hat dieser junge Mensch im Sinn aus mir zu machen? – Wenn ich nur so gut als Simon der Gerber meinen Held verstehe!« – Der Socratische Unterricht ist jederzeit mit den Hebammenkünsten verglichen worden. Diesen Begrif will der Verf. in dem ersten Abschnitte entwickeln. »Wie der Mensch, spricht er, nach der Weisheit Gottes erschaffen worden, so scheinet der Leib eine Figur oder ein Bild der Seele zu seyn. Wenn uns unser Gebein verholen ist, weil wir im Verborgenen gemacht, weil wir gebildet werden unter der Erde; wie viel mehr werden unsere Begriffe im Verborgenen gemacht, und können als Gliedmaassen unseres Verstandes betrachtet werden. Daß ich sie Gliedmaassen des Verstandes nenne, hindert nicht, jeden Begrif als eine besondere und ganze Geburt selbst anzusehen. Socrates war also bescheiden genung seine Schulweisheit mit der Kunst eines alten Weibes zu vergleichen.« – Der Gedanke ist völlig in dem Socratischen Sinn, aber wie mich dünkt, von dem Verf. nicht in seinem vortheilhaftesten Lichte gezeigt worden. Unser Lernen, behauptete Socrates, sey nur ein blosses Erinnern, denn der Same aller Begriffe, die wir erlangen, liegt von je her in der Seele, und wartet nur auf die Gelegenheit, die sein Aufkommen befördert, so wie die Frucht im Mutterleibe schon die Grundbildung des künftigen Mannes enthält, und nur die Hand der Zeit und Gelegenheit erwartet, um sich in grössere Theile ausein-

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ander zu wickeln. Dieses zu beweisen, verrichtete er einst seinen Hebammendienst bey den Knaben seines Wirths, und lockte durch blosses Fragen einen tiefsinnigen mathematischen Satz aus dem Munde eines Unwissenden, der kaum wußte, was Länge und Breite sey. Er war also nicht bescheiden, sondern nach seiner Lehrmeinung aufrichtig genung, seine Schulweisheit mit der Hebammenkunst zu vergleichen. Ueber die lieblose Beschuldigung einiger Neuern, davon man weder in der Anklage des Anytus, noch in dem aristophanischen Pasquill, die mindeste Spur findet, erklärt sich der Verfasser folgendergestalt: »Bey der Bildhauerkunst, in welcher Socrates erzogen worden, war sein Auge an der Schönheit und ihren Verhältnissen so gewöhnt und geübt, daß sein Geschmack an wohlgebildeten Jünglingen uns nicht befremden darf. Wenn man die Zeiten des Heidenthums kennet, in denen er lebte; so ist es eine thörichte Mühe ihn von einem Laster weis zu brennen, das unsere Christenheit an Socrates übersehen solte, wie die artige Welt an einem Toußaint die kleinen Romanen seiner Leidenschaften, als Schönflecken seiner Sitten. – Daß er das ihm beschuldigte Laster gehaßt, wissen wir aus seinem Eifer gegen dasselbe, und in seiner Geschichte sind Merkmale seiner Unschuld, die ihn beynahe lossprechen. Man kann keine lebhafte Freundschaft ohne Sinnlichkeit fühlen, und eine metaphysische Liebe sündiget vielleicht gröber am Nervensaft, als eine thierische an Fleisch und

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Blut. Socrates hat also ohne Zeifel für seine Lust an einer Harmonie der äusserlichen und innerlichen Schönheit, in sich selbst leiden und streiten müssen.« Ein Hauptzug in dem Charakter des Socrates, ist seine vorgebliche Unwissenheit. Kriton soll die Kosten hergegeben haben, ihn von einer ansehnlichen Anzahl von Lehrmeister und Lehrmeisterinnen unterrichten zu lassen, und gleichwol blieb Socrates seinem eigenen Vorgeben nach, unwissend. »Das Loos der Unwissenheit und die Blösse derselben, sagt unser angenehmer Schriftsteller, macht eben so unversöhnliche Feinde, als die Ueberlegenheit an Verdiensten und die Schau davon. War Socrates wirklich unwissend; so muste ihm auch die Schande unwissend seyn, die vernünftige Leute sich ergrübeln, unwissend zu scheinen.« Die Erläuterungen, die der Verfasser von diesem sonderbaren Geständnisse des Socrates giebt, sind so gründlich, so sehr in dem Charakter des Socrates, daß sie einen vertrauten Schüler desselben verrathen, der ihm sogar einen Theil seiner glücklichen Unwissenheit abgelernt hat. – Ich muß heute wider meine Gewohnheit blos abschreiben; ein andermal will ich Glossen machen, wenn ich einen schlechtern Autor vor mir habe. – Nachdem der Verfasser die Unwissenheit des Socrates mit dem Orakelspruche sowohl als mit der Ueberschrift des Tempels verglichen, und nach Anleitung der bekannten Apologie des Socrates,

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dargethan, daß ihn das Orakel nur deswegen den weisesten unter allen Sterblichen genennet, weil er sich selbst kennet, und weiß, wie wenig er weiß: so fährt er fort, diesen Wahlspruch des Weltweisen aus einem andern Gesichtspunkte zu betrachten, nemlich so, wie er sich dessen gegen die Sophisten seiner Zeit bediente. »Wir wollen annehmen, heist es, daß wir einem Unbekannten ein Kartenspiel anböthen. Wenn dieser uns antwortete: Ich spiele nicht; so würden wir dieses entweder auslegen müssen, daß er das Spiel nicht verstünde, oder eine Abneigung dagegen hätte, die in öconomischen, sittlichen oder andern Gründen liegen mag. Gesetzt aber ein ehrlicher Mann, von dem man wüste, daß er alle mögliche Stärke im Spiel besässe, und in den Regeln sowohl, als verbotenen Künsten bewandert wäre, der aber ein Spiel niemals anders als auf den Fuß eines unschuldigen Zeitvertreibs lieben und treiben könnte; gesetzt dieser Mann würde in einer Gesellschaft von seinen Betriegern, die für gute Spieler gelten, und denen er von beyden Seiten gewachsen wäre, zu einer Partey mit ihnen aufgefodert. Wenn dieser sagte: Ich spiele nicht; so würden wir mit ihm den Leuten ins Gesicht sehen müssen, mit denen er redet, und seine Worte ergänzen können: Ich spiele nicht; nemlich, mit solchen als ihr seyd, welche die Gesetze des Spiels brechen, und das Glück desselben stehlen. Wenn ihr ein Spiel anbietet; so ist unser gegenseitiger Vergleich den Eigensinn des Zufalls für

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unsern Meister zu erkennen, und ihr nennet die Wissenschaft eurer Finger Zufall, und ich muß ihn dafür gelten lassen, wenn ich nicht will die Gefahr wagen, euch zu beleidigen, oder die Schande wählen, euch nachzuahmen. – In diese rauhe Töne läßt sich die Meinung des Socrates auflösen, wenn er den Sophisten, den Gelehrten seiner Zeit, sagte: Ich weiß nichts. Daher kam es, daß dis Wort ein Dorn in ihren Augen, und eine Geissel auf ihren Rücken gewesen. – Die alten und neuen Skeptiker hingegen, mögen sich noch so sehr in die Löwenhaut der Socratischen Unwissenheit einwickeln, so verrathen sie sich durch ihre Stimme und Ohren. Wissen sie nichts; was braucht die Welt einen gelehrten Beweis davon? Ihr Heucheltrug ist lächerlich und unverschämt. Wer aber so viel Scharfsinn und Beredtsamkeit nöthig hat, sich selbst von seiner Unwissenheit zu überführen, muß in seinem Herzen einen mächtigen Widerwillen gegen die Warheit derselben hegen.« Dem letzten Grund mehr Nachdruck zu geben, behauptet der Verfasser einen Satz, der einer Sophisterey nicht unähnlich siehet. »Was man glaubt, hat nicht nöthig bewiesen zu werden, und ein Satz kann noch so unumstößlich bewiesen seyn, ohne deswegen geglaubt zu werden, – ja man kann den Beweis eines Satzes glauben, ohne den Satz selbst Beyfall zu geben.« Wie will sich denn der Verfasser Rechnung machen, daß der seinige Beyfall erhalten wird? – Socrates hätte sich auf Anhörung desselben in seinen Mantel einge-

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wickelt, und seinem Schüler selbst entgegen gerufen: Ich weiß nichts – Man kann an das schimpfliche Ende dieses ehrlichen Weisen nicht gedenken, ohne dem menschlichen Geschlechte ein wenig gram zu werden. Der Verfasser wird ordentlich bitter, und fügt seinem Werkgen eine Schlußrede an, die eine misantropische Laune verräth: – »Wer nicht vom Brosamen oder Allmosen, auch nicht vom Raube zu leben, und für ein Schwert alles zu entbehren weiß, ist nicht geschickt zum Dienste der Warheit; der werde frühe! ein vernünftiger, brauchbarer, artiger Mann in der Welt, oder lerne Bücklinge machen und Teller lecken; so ist er für Hunger und Durst, für Galgen und Rad sein lebelang sicher. Ist es wahr, daß Gott selbst, wie es in dem guten Bekenntnisse lautet, das er ableget; ist es wahr, sage ich, daß Gott selbst, dazu ein Mensch wurde, und dazu in die Welt kam, daß er die Warheit zeugen möchte; so brauchte es keine Allwissenheit vorherzusehen, daß er nicht so gut, wie Socrates von der Welt kommen, sondern eines schmählichern und grausamern Todes sterben würde, als der Vatermörder des allerchristlichsten Königs, Ludwigs des Vielgeliebten, der ein Urenkel Ludwigs des Grossen ist.« – Plato läßt sich im zweyten Buche seiner Republik eine ähnliche Bitterkeit entfahren: »Ein Gerechter von dieser Beschaffenheit,« legt er seinem Bruder Glaucon in den Mund, »stehet in Gefahr, sein Leben in beständigen Quaalen hinzubringen, gegeisselt, gefoltert, in Fessel geschmie-

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det, seiner Augen beraubt zu werden, und endlich sein elendes Leben auf dem Rade zu beschliessen, um dadurch zu lernen, daß man nicht gerecht zu seyn, sondern nur zu scheinen streben müsse u.s.w. Ich wünsche, daß unser Verfasser sein Miniaturgemälde ins Grosse bringen wolle, damit die edlen Züge desto deutlicher werden, die er jetzt kaum hat anzeigen können. D. 

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vmtl. Johann Joachim Christoph Bode (anonym) Amsterdam. In: Staats- und Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Nr. 102 (25. Juni 1760), Von gelehrten Sachen, S. [4].

Amsterdam. Unter Benennung dieses Orts und der Jahrzahl 1759 ist nachstehende Schrift erschienen: Socratische Denkwürdigkeiten für die lange Weile des Publicums, zusammengetragen von einem Liebhaber der langen Weile; mit einer doppelten Zuschrift an Niemand und an Zween; O curas homi-

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num! O quantum est in rebus inane! Quis leget hæc? – Min’ tu istud ais? – Nemo hercule – Nemo? – Vel DVO vel NEMO. Pers. 4 Bogen in Octav. Der Titel dieser Schrift ist

ihrem Inhalte vollkommen angemessen; denn es gehöret wirklich eine gute Portion Weile dazu, ehe man die rechten Ausgänge dieses microscopischen Waldchens finden, und die wahre Verbindung sei-

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ner Gegenstände entdecken wird. Die Zween, an die der Herr Verfasser die eine Zuschrift gerichtet hat, werden ihn ohne Zweifel besser verstehen, als der kundbare Niemand, oder das Publicum, dessen größter Theil sich, in Absicht auf die Schrift, vielleicht in einem ähnlichen Fall mit jenem Bauern befinden wird, der, nach Anhörung einer philosophischen Rede des Herrn D. Cr - s - s zu Leipzig, zwar gerne gestand, daß er nichts davon verstanden, aber gleichwol Stein und Bein schwur, daß sie überaus schön und erbaulich gewesen sey. In der That besitzt diese Schrift, ungeachtet ihrer Dunkelheit, viel Gefälliges, und man wird am besten thun, wenn man es so damit macht, wie der Verfasser selbst vom Socrates erzählt, »daß dieser in den Schriften des Heraklitus dasjenige, was er nicht verstanden, von dem unterschieden habe, was er darinn verstanden, und hernach eine sehr billige und bescheidene Vermuthung von dem Verständlichen auf das Unverständliche gemacht habe.« Ohne uns unter die auserwählte Zahl der Zween des Herrn Verfassers zu rechnen, vermuthen wir doch, daß seine eigentliche Absicht sey, zu zeigen, daß die Historie der Weltweisheit, ohnerachtet der vielen Bemühungen des Diogenes, Laertius, Stanleys, Des Landes, Bruckers und anderer Gelehrten, sie aus ihrem Chaos zu entwickeln, doch noch immer eine rudis Indigestaque moles sey, und ungeachtet der vielen zu ihrer Erhellung aufgesteckten Lichter in einer hieroglyphischen Dunkelheit werde eingehüllet bleiben. Er vergleicht

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daher die Sätze der alten Weltweisen recht artig mit einer Menge kleiner Inseln, zu deren Gemeinschaft uns Brücken und Fähren fehlen. Er selbst hat vielleicht in diesen Socratischen Denkwürdigkeiten eine Probe liefern wollen, daß man auf die Rechnung der alten Philosophen sagen könne, was man wolle. Unsere Muthmaßung mag nun richtig seyn oder nicht, so müssen wir doch sagen, was jeder Leser gern mit uns gestehen wird, nämlich, daß in seinen wenigen Blättern ein ungemeines Genie, eine feine und glückliche Satyre, viel Belesenheit, und etwa auch eine kleine Dosis von philosophischer Freydenkerey hervorleuchte.

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Christian Ziegra (anonym) Amsterdam. In: Hamburgische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit. 57. Stück (29. Juli 1760), S. 452–454.

Amsterdam. Die so weithergeholten Druck- oder Verlagsörter, mit welchen gewisse Schriften unterschrieben sind, sind ein sicheres Kennzeichen von dem Werthe ihres Inhaltes. Weil sonst ihre Verfasser zu leicht entdeckt und erkannt werden möchten, so schreiben sie ihren Unverstand fein weit her, damit sie deswegen desto eher Nachsicht erhalten; weil sie ohne Zweiffel wissen, daß bey den meisten eine Schrift destomehr Beyfall findet, je weiter sie herkommt. Unter Anzeigung jenes Ortes

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haben wir bemerkt: Sokratische Denkwürdigkeiten für die lange Weile des Publicums, zusammen getragen von einem Liebhaber der langen Weile, mit einer doppelten Zuschrift an Niemanden, und an Zween; nebst einem Motto aus dem Persius, das uns aber zulangweilig ist, abzuschreiben. Wir sagen nur, daß es 4 Bogen in klein Octav stark ist. Gewis stark genung, und zu stark, für eine Schrift, die lauter Aberwitz und Unsinn in sich hält. Man hat schon genung, wenn man die beyden Zuschriften gelesen hat. Kein Alchymiste, kein Jacob Böhme, kein wahnwitziger Schwärmer kann unverständlicheres und unsinnigeres Zeug reden und schreiben, als man da zu lesen bekommt. Und nichts besser klingt es in der Schrift selbst, und wir rathen jedermann, wer nicht Lust hat, seinen Verstand zu verderben, daß er diese unnatürliche Ausgeburt eines verwirrten Kopfes ungelesen lasse, der sich so gar untersteht Schriftstellen zu misbrauchen. Was wird man von solchen überwitzigen und unphilosophischen Schriftstellern, als der Hr. Liebhaber der langen Weile, endlich denken sollen? Er will witzig und philosophisch zugleich seyn: aber derjenige wird zu loben seyn, der ihn dechiffriren und herausbringen kan, was er mit seiner Schrift eigentlich haben will. Man denke ja nicht, daß die Aufschrift der Charteque ihren Inhalt angebe: Chimärische Einfälle, würde ihn eben so gut, und noch besser ausgedruckt haben. Man lieset hier eine Schrift, die einem japanischen oder chinesischen Gemälde völlig ähnlich siehet,

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worauf man tolle und gräuliche Figuren gewahr wird, da aber kein vernünftiger Mensch weiß was sie vorstellen sollen. Wie muß es in dem Kopfe des Hn. von der langen Weile aussehen? Wir glauben, die lange Weile hat ihn verwahrloset. Möchte man ihn doch, um sie ihm zuvertreiben, und zum Besten seines kranken Körpers und Kopfes, in ein Spin- oder Raspelhaus bringen. Das wäre der beste Zeitvertreib für ihn: denn zum Denken ist er gar nicht; er möchte sich, und einen Theil der Welt, mit seinen Schriften sonst noch um den gesunden Verstand bringen. Wer weiß, was schon mit gegenwärtiger in manchen Köpfen der Leser, für Unheil angerichtet worden ist: wenigstens muß sie bey gewissen Recensenten nicht die beste Wirkung gethan haben, die bey Anzeigung derselben solche Merkmale von sich geben, daß wir wegen ihrer gesunden Beurtheilungskraft sehr in Sorgen sind. Im Anfange scheinen sie noch ganz wohl bey Verstande zu seyn, und lassen der Schrift, und dem Publico Recht wiederfahren: aber je weiter sie fortgehen, jemehr fängt es an, mit ihnen anders zu werden. Sie reden, wie der Verfasser ihrer vorhabenden Schrift, ganz über den Berg, schweiffen aus, bringen Dinge vor und zusammen, von denen man nicht weiß, wo sie herkommen, und wie sie sich zur Sache räumen, natürlich, wie der Liebhaber der langen Weile. Sie schreiben, so kryptisch, wie ihr Verfasser, Namen mit Strichelchen statt der Vokalen; reden von philosophischen Predigten, von Bauern, von Urtheilen, so diese gefällt haben,

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und wer weiß, von was mehr. – – Gott bewahre doch ja solche Leute, und erhalte sie wenigstens bey gutem Bauerverstande! Allein es siehet schon ganz gefährlicher mit ihnen aus: sie reden irre, und widersprechen sich selbst, und erklären einen unverständlichen, dunkeln, und ausschweiffenden Schriftsteller, als wofür sie anfänglich ihren Held halten, am Ende für ein ungemein Genie. Bedenkliche Merkmale! Wir besorgen sehr – – Doch es ist ihnen nichts zuzurechnen. Die Schrift ist Schuld daran: solch Zeug steckt an. Man gebe ja dem Liebhaber der langen Weile etwas anders, als Schrei­ben, zu thun. Hier siehet man die Wirkungen davon: keine andern, als dergleichen die Romane und Ritterbücher beym Don Quichotte thaten.

2. Rezensionen der Wolken vmtl. Johann Joachim Christoph Bode (anonym) Hamburg. In: Staats- und Gelehrte Zeitung Des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten. Nr. 88 (3. Juni 1761), Von gelehrten Sachen, S. [3f.].

Hamburg. In einer kleinen Schrift, die unlängst zu Altona, oder, wie wir besser belehrt worden sind, zu Königsberg herausgekommen ist, und den Titel führt: »Die Wolken, ein Nachspiel socratischer Denk-

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würdigkeiten, cum notis Variorum, zum Gebrauch eines Delphins« erfahren wir vor einigen Wochen mit nicht geringer Verwunderung, daß innerhalb unserer Stadt-Mauern zweymal wöchentlich ein Blatt zur Welt komme, dessen Stirne mit der Rubrik: Hamburgische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit, bezeichney sey. Wir wollens nur gestehen, wir schämten uns ein bischen, daß wir eine solche Neuigkeit erst vom Pregelstrome hatten herholen müssen. Doch beruhigten wir uns einigermaßen, da wir bey sorgfältigem Nachfragen merkten, daß nicht nur unsere Freunde, sondern selbst einige unserer vornehmsten Buchhändler allhier, in Ansehung dieser periodischen Schrift, in einer eben so dicken Unwissenheit lebten, als wir. Vorgestern Abend zog bey langer Weile, denn es war schwül Wetter, ein gedruckter halber Bogen, der uns ungefähr in die Hände fiel, unsere müßige Aufmerksamkeit an sich, und wir erblickten darauf den Titel: »Hamburgische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit. Das XXXIX. Stück d. J. 1761. den 26 May.« Ja gewiß, da fiel uns Virgils Vers aufs Herze: Turne, quod optanti Divûm promittere nemo Auderet, volvende dies en! attulit ultro.

Wir fingen nun begierig an zu lesen, und siehe da: »Zu Berlin bey Friedrich Nicolai sind heraus: Briefe die neueste Litteratur betreffend, 8ter Theil. Von diesen Briefen habe ich immer gehört und gelesen, daß sie existiren, aber sie niemals selbst gesehen. Denn, wo wollte die Zeit herkommen, so

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viel unnützes Zeug von Schriften alle besonders kennen zu lernen, etc.« Ohe! dachten wir, jam satis est. Quo pede coepisti, sic bene semper eas; und damit ließen wir die Ephemeris wieder aus der Hand fliegen. Aber, was thut man nicht, wenn einem das Gewitter in Gliedern liegt! Gleich einem Domitian haschten wir das Insect aufs neue, d. i. wir lasen weiter; und da fanden wir zu unserm Leidwesen, daß der uns und vielen andern unbekannte Verfasser der Hamburgischen Nachrichten etc. einen theuren Eid geschworen hat, das ganze Land der schönen Wissenschaften mit einem ewigen Kriege zu überziehen. Lugete, Veneres, Cupidinesque! Et quicquid est hominum venustiorum! C at u l l .

Doch wir überlassen ihn billig dem Gerichte der Herren Verfasser der beliebten Briefe, die neueste Litteratur betreffend, und wünschen für seine Ehre, daß es nicht unbarmherzig über ihn ergehen möge. An unserer guten Absicht kann er wol nicht zweifeln, da wir (mit der großmüthigsten Uebergehung seines, wie wir aus den oben benannten Wolken vernommen, maussaden Angriffs einer unserer Recensionen) durch die heutige Anzeige uns um die mehrere Ausbreitung seiner in tiefem Dunkel liegenden Hamburgischen Nachrichten so sehr verdient machen, damit nicht, wenn einst die klügere Nachwelt pejor avis seine gelehrte Zeitung wieder auflegen ließe, es einst zum Vorwurfe unserer gegenwärtigen Welt heiße:

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Non la conobbe il mondo, mentre l’ebbe. P e t r a r c a .

Die Welt verkannte sie, einst im Besitz von ihr. Nur eins müssen wir dem Publico bey dieser Gelegenheit noch sagen; und hiezu bringt uns die Ehre unsers höchstverdienten und rechtschaffenen Herrn Professor Reimarus. Man findet im 8ten Stücke der Litteratur-Briefe einige Einwendungen gegen seine Schrift von den Trieben der Thiere; und der Verfasser der Hamburgischen Nachrichten hat sich viel schwere Noth gegeben, ihn gegen den Berlinischen Recensenten zu vertheidigen. Musca Aquilam! Wir sind versichert, und wir dürfen Bürge dafür seyn, daß unser Herr Professor von dem Vorhaben nicht das geringste gewußt, noch die Vertheidigung selbst bis auf diese Stunde gelesen hat.

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Non his auxiliis, non defensoribus istis — — eget.

Wir vernehmen aber, daß dieser würdige Gelehrte, der sich einen bescheidenen Widerspruch in Meynungen allemal gerne gefallen läßt, in einem kleinen Anhange zu einer nächstbevorstehenden neuen Ausgabe seines so allgemein beliebten Werkes zeigen werden, daß der Herr Recensent weder sein eigentliches Problema, noch dessen Auf lösung und Beweise aufrichtig genug vorgetragen habe, und daß folglich die Einwürfe desselben, nach allen Regeln einer gesunden Logik, die Meynung des Herrn Professors nicht umstoßen, sondern vielmehr in vielen Stücken

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bestätigen. Wir wissen im voraus, daß es mit derjenigen Bescheidenheit geschehen werde, welche den ganzen Charakter unsers Herrn Professors Reimarus bestimmet, und seiner gründlichen Wissenschaft die schönste Zierde ist.

Christian Ziegra (anonym) Altona. In: Hamburgische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit. 57. Stück (28. Juli 1761), S. 449–454.

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Altona. Gewisse Nachrichten geben, daß alda wegen einer gewissen Schrift, die den Namen dieser Stadt auf dem Titel führet, scharfe Untersuchungen angestelt werden, um zu erfahren, ob sie in der That daselbst verfertigt und gedruckt sey, oder ob man anderweit nur diesen Namen schänd­ licherweise gemisbraucht habe. Solte das erste zu allem Unglücke wahr seyn, so sind schon, um den Nachtheil und die Schande von der Stadt zu wenden, die durch solche Schriften in sehr übeln Ruf ge­rathen möchte, dem Verfasser, Censor, bis zum Drucker und Verleger, Quartire, welche die Franzosen p­ etites maisons nennen, bestelt: weil man nicht anders glauben kan, als diese Leute müssen an schweren Krankheiten laboriren, die ein berühmter Theologe unserer Zeit δαιμονια, Genies nennet, und bey denen keine andere Cur, als eiserne Fesseln, anschlagen soll. Seitdem Rabner die Autor-

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schaft so gelobet und herausgestrichen, so hat dieses Lob eine so gute Wirkung gethan, daß die Begierde Autor zu werden, und von griechischen, lateinischen, französischen, italiänischen Poeten Witz zu borgen, zur grassirenden Seuche geworden, ja bis zur Wut und Tollheit gestiegen ist. Ein französischer Schrifsteller, der das Glück hat von unsern Witzsüchtigen weder gekant noch gelesen zu werden, und den wir ihnen nicht nennen wollen, damit sein Name nicht auch von ihnen entweihet und verunehret werden möge, schreibt von dieser Krankheit so: Lorsque la partie de littérature que l’on comprend d’ordinaire sous le nom de bel esprit devient une mode, une espéce de manie publique, les gens de Lettres n’y gagnent pas, & les autres professions y perdent. Cette foule de prétendans au bel esprit (Litteratur-Briefsteller) fait qu’on distingue moins ceux qui ont des droits, d’avec ceux qui n’ont que des pretentions.

Was würde dieser Mann gesagt haben, wenn er die jetzigen Wirkungen der maine du bel esprit, die sich sogar in den kältern Theilen Deutsch­landes äussern, gekant hätte? Man muß sogar darauf bedacht seyn, diesen Leuten und ihren Helfershelfern besondere Quartiere zu verschaffen; und man sagt, daß, nachdem ein gewisser fruchtbarer und um die Policey sehr verdienter Autor Wind davon bekommen, derselbe versprochen habe, nächstens seine Policeywissenschaft zu erweitern, und das Publicum mit ein halb Dutzend Abhandlungen zu beschenken, worinnen von der Nothwendigkeit und Einrichtung der Tollhäuser für die, so

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an der Wut des Witzes krank sind, ausführlicher gehandelt werden soll. Man wird fragen, was das für Leute, und was das für eine Art von Tollheit sey? Oeffentlich, und in Person siehet man sie sehr selten; sondern sie bleiben meistentheils im Verborgenen, wo man sie mit Büchern, die sie witzige Schriften nennen, umgeben findet. Sie wollen auch nicht einmal dem Namen nach bekant seyn: und dieses ist es, was sie bisher der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen hat Allein seit einiger Zeit haben sie sich mit gewissen Wirkungen ihrer Genies hervorgethan, welche einem erleuchteten Publico sehr bedenklich vorgekommen sind. Es sind das Schriften, welche sich alle auf einerley Art, gleich beym ersten Anblicke, kentbar machen: an Papiere, Druck, und Formate ähnlichen sie sich alle den Briefen, die neueste Litteratur betreffend. Ihr Inhalt ist verschiedentlich beschaffen, mancher leidlicher, mancher schlimmer. Allein, vor nunmehro Jahresfrist, kam eine Geburt von einem solchen aberwitzigen Genie zum vorscheine, welche die traurige Beschaffenheit ihres Vaters, bey dem die Seuche des Witzes auf eine gräuliche Art wüten mußte, nur gar zu sehr an den Tag legte. Heuer ist dasselbe fruchtbare Genie nochmals niedergekommen, und hat eine Nachgeburt zur Welt gebracht, welche jener so ähnlich siehet, daß man sie für ein Zwillingspaar halten solte: oder wäre dieses nicht, so muß die Wut seitdem noch weiter um sich gegriffen, und noch mehrere Köpfe angesteckt haben, welche zeigen wollen, daß sie jenem

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an toller Ausschweiffung nichts nachgeben. Diese Schrift ist es, welche itzo so viel Aufsehens macht, und Untersuchungen verursachet. Es ist nöthig dafür öffentlich zu warnen, damit sich jederman dafür hüte, und in Zeiten sich für ihrem wütenden Bisse verwahre. Sie führt Altona zur Unterschrift, und nent sich: Wolken, Ein Nachspiel Sokratischer Denkwürdigkeiten. Cum Notis Variorum in Usum Delphini, nebst zween griechischen Versen aus Aristophanis Nubibus. Den Inhalt davon anzuzeigen, wird man nicht verlangen, es ist unmöglich, und den Character ihres Verfassers zu schildern, möchte auch höchst schwer werden, so gar tolle und närrisch ist das Original davon. Man wird also mit gewissen allgemeinen Zügen davon zufrieden seyn müssen, und diese findet man gleich in dem angezeigten Titel genugsam ausgedruckt. Daraus siehet man schon, daß es mit dem Verfasser nicht richtig seyn muß; und andere griechische Symtomata und Verzückungen mehr beweisen, daß besonders des Aristophanis Komödien diesem Manne das Gehirne verrückt haben müssen. Sein Hauptcharacter ist daher, daß er einen Komödianten und Schriftsteller zugleich vorstellen will, so wie der Husar, der Gellerten gefragt, wie er ein Schriftsteller wie Gellert werden könne? Harlekin, der vor kurzen nicht ohne Beyfall zum Autor geworden ist, und zum Trotze wider den Bürger und Philosophen von Genev, den Komödianten und Narren von Profeßion, in seiner Vertheidigung des Groteske-Komischen, das Wort geredet hat, ist

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gegen unsern Autor ein Wunder: denn er scheint doch noch ein Analogon von Gehirne in seinem Kopfe gehabt zu haben. Aber der Verfasser der Wolken, und sein Kopf, ist ein Ding, wie dort der Fuchs fand, und sagte: Cerebrum non habet. Oder, wenn der bedeutende und kräftige Name des Kindes von seiner Mutter zeugen soll; so muß er mit sehr schädlichen Dünsten angefüllt seyn, die den Gebrauch seiner Vernunft hemmen;

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Wie gleichwol aus so einem Kopfe eine Schrift, die noch dazu einen halben Bogen stärker ist, als die Sokratischen Denkwürdigkeiten, entspringen können, ist, nach der allgemein bekanten Entstehungsart der meisten witzigen Schriften, gar wohl begreif lich. Man stelle sich eine Figur, wie einen deutschen Hans-Wurst, vor, der sich nach griechischer Komödianten-Manier das Gesicht mit Weinhefen beschmiret hat:

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Dicitur & plaustris vexisse poemata Thespis, Quae canerent agerentque peruncti faecibus ora.

Unser deutscher Thespis, der in die griechische Mode so närrisch verliebt ist, geht von seinem Vorfahrer, komischen und närrischen ­Andenkens, darinnen ab, daß er nicht einen mit Ochsen bespanten Wagen zu seinem Schauplatze macht: sondern man findet ihn auf einem dreybeinigten Schemel sitzen, nach Art der Priesterin zu Delphis auf ihrem Dreyfusse; um ihn herum sieht es sehr gelehrt und witzig aus. Auf dem Tische vor ihm und zu seinen Füssen hat ein gelehrtes Unge-

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fähr mancherley Schriften und Bücher zusammen gebracht, als: Aristophanis Komödien, den Shakespeare, Euripides; die Bibel, auf welcher ein Stück von unsern Nachrichten liegt, Plutarch, Jacob Böhme, Orlando Furioso, Homer, Virgil, Bolingbroke, die Briefe die neueste Litteratur betreffend, als sein Muster, und was dergleichen mehr. In dieser Verfassung fängt die Figur, so ganz unbeweglich und in Schriftstellerischen Nachdenken saß, zu agiren an, und hat sich ganz allein, als ein κωφον προσωπον, in angezeigtem autormäßigen Nachspiele aller Welt zum Spectakel gemacht. Blos im Anfange läßt die Autormaske etwas, wie eine menschliche Stimme, hören; es ist aber nichts als ein unvernehmlich Gemurmele:  – – – – pectus anhelum, Et rabie fera corda tument  –  – Bacchatur vates, magnum si pectore possit Excussisse deum: tanto magis ilIe fatigat Os rabidum fera corda domans, fingitque premendo. Horrendas canit ambages, antroque remugit.

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Hiemit schließt sich der Prologus: und es wird auf dem Schauplatze eine grosse Stille. Es geht der erste Aufzug an. Vt primum cessit furor, & rabida ora quierunt; Incipit Aeneas heros.

Man muß bekennen, daß nie ein Autor seine Rolle besser gespielt, als unser Held. Dieser Roscius läßt in seiner Pantomine seine beyden Schriftsteller-Instrumente gar vortref lich agiren; und sein vor sich habender Büchervorrath läßt es ihm

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nicht an Materie zum schreiben fehlen. Er sitzt und hält mit der rechten Hand eine Feder, und die linke streckt sich itzo aus, und von ungefähr ergreift sie zuerst das Stück von unsern Nachrichten. Die rechte, welche eine wundernswürdige Fertigkeit zum Abschreiben hat, fängt an zu agiren, und schreibt einen ganzen Artikel nacheinander daraus ab; welcher den ersten Aufzug vorstellen soll. Sonst ist es nicht der Schriftsteller Gewohnheit, so lange bey einer Sache zu bleiben, sondern die Abwechselung und das Herumschweifen ihrer beweglichen Finger ist ihnen das allernatürlichste. Daß unser Autor hier einmal so lange aushalten, und eine Reihe von vernünftigen und zusammenhängenden Wahrheiten abschreiben können, wissen wir aus nichts anders zu erklären, als daß in demselben Blatte, als einer Panace, eine Vernunft »und Seelenstärkende Kraft« gelegen habe, die, wie ein starker Spiritus, in sein krankes und verdüstertes Gehirne gestiegen, und ein lucidum interuallum verursacht hat. Während dieser heitern Augenblicke war er so gut bey Sinne, daß er sogar am Ende einige alberne gemachte Schreibfehler anzeigt, und verbessert wissen will. Gar bald aber verfällt er wieder in seine vorige Narrheit, und seine Noten in usum Delphini, wie auch der zweyte, und dritte Aufzug, sind eine mitleidenswürdige Wirkung seines verbranten Gehirnes. Wir hoffen, die Welt wird künftig mit dergleichen verschont bleiben; weil wir nicht glauben, daß er diesen heftigen Paroxismus lange überlebt habe. Recht

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klug soll es noch von ihm heissen, wenn er es wie Augustus, dem er sein plaudite! abgeborgt, oder wie Moliere, da er den Malade imaginaire im Ernste spielte, gemacht hat, und dadurch alle seinetwegen angestelte Untersuchung vereitelt.

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Stellenkommentar

1/1  Sokratische  Annot. SD4* oberhalb des Titels: Saalbadereyen. 1/1  Sokratische Denkwürdigkeiten  Komm.:

Siehe Einführung S. LXVIII u. LXX. Die als ›Denkwürdigkeiten‹ betitelten historiographischen Werke (im Französischen »Mémoires pour servir«) sind vor allem der jüngeren Geschichte gewidmet, bspw. Friedrichs II . von Preußen Denkwürdigkeiten der Brandenburgischen Geschichte. Angesichts solcher Historiographie in eigener Sache wurde die Gattungsangabe zuweilen als inflationäre, leere Floskel verspottet. Hamanns Titelwahl mag sich auch ironisch auf den Kant unterstellten literarischen Geschmack an den Grösten Denkwürdigkeiten der Welt beziehen, siehe dazu Komm. W 60/22 f. 1/3  für die lange Weile des Publicums  Komm.: Vgl. Lessings Einleitung zum ersten der Literaturbriefe (Tl. 1, 1759, S. 4): »Der Herr von N. * * ein verdienter Officier, und zugleich ein Mann von Geschmack und Gelehrsamkeit, ward in der Schlacht bei Zorndorf verwundet. Er ward nach Fr * * gebracht, und seine Wundärzte empfohlen ihm nichts eifriger, als Ruhe und Geduld. Lange­weile und ein gewisser militarischer Eckel vor politischen Neuig­ keiten, trieben ihn, bey den ungern verlassenen Musen eine angenehmere Beschäftigung zu suchen. Er schrieb an einige von seinen Freunden in B * * und ersuchte sie, ihm die Lücke, welche der Krieg in seine Kennt­ niß der neuesten Litteratur gemacht, ausfüllen zu helfen.« Vgl. HKB 152 (I 368/4–15, 16.  7.  1759, an J. G. Lindner): »Dies Publicum was für ein Protheus ist es? Wer kann alle die Verwandlungen erzählen, und alle die Gestalten, unter denen es angebetet, und durch die abergläubische Leser betrogen werden. Ein blessirter Officier, der für die lange Weile – ich weis nicht was? lieset. Dies ungenannte sind die Literaturbriefe, die ich mit so viel Vergnügen gelesen, als man einem Patienten kaum zutrauen kann, der seinen Arm in der Schärfe trägt. Sollte aber wohl das Publicum von Richtern und Kennern dergl. Einfälle billigen, die gar zu deutl. ver­ rathen, daß nicht der Mann, an den diese Briefe gerichtet sind sondern der Schriftsteller ein solcher temporair Invalide ist, der seine eigene lange Weile vertreibt – und seine gesunde Urtheilskraft zur Lust oder aus eigen­ nützigen Absichten, wie die Bettler, zum Krüppel [vgl. SD 15/25] macht. Kein Bergmann wird durch diese Briefe gebeßert werden; der ist zu tumm sie zu lesen; kein Wieland an seinem guten Namen viel verlieren, viel­ leicht dadurch für sich und seine Leser oder Anhänger gewinnen – kein

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Kommentar SD  1/6

Philosoph einem Witzling mehr zutrauen als einer privilegierten Acade­ mie. Der wie Pythagoras den olympischen Spielen zusieht [vgl. SD 15/15 f.], hat so wenig Lust als Geschick mitzulaufen; er sieht aber auch ohne Neid den Sieger und ohne Mitleiden seine Nebenbuhler und sich selbst an.« Der Anlass zur Auslassung über das »Publicum« ist Klopstocks Von dem Publico, worin die Unterscheidung in »Richter« und »Kenner« innerhalb des gelehr­ ten Publikums getroffen wird, von dem wiederum der große »Haufen« der Laien zu unterscheiden sei. Siehe auch Komm. SD 3/1. 1/6  Liebhaber  Komm.: Siehe Komm. SD 15/15 f. 1/10  Zween  Komm.: Männliche Flexion, vgl. Gottscheds Grundlegung einer deutschen Sprachkunst, S. 220. Adressiert sind die Freunde Immanuel Kant und Johann Christoph Berens, vgl. HKB 160 (I 410/17, 11.  9.  1759, an J. G. Lind­ ner). Vgl. W 76/4–12. 1/11–15  O curas […] PERS.  Komm.: Pers. saturae 1,1–3: »O curas hominum! o quan­ tum est in rebus inane! / ›Quis leget haec?‹ min’ tu istud ais? nemo Hercule. ›nemo?‹ / Vel duo, vel nemo.« – »Ach der Menschen Bemüh’n, ach wie viel auf der Welt ist eitel! ›Wer liest das?‹ Mich fragst du? Keiner, beim Hercules! ›Keiner?‹ Zwei allenfalls oder keiner.« Der zweite Vers »Quis leget haec? […]« gilt als ein Fragment aus dem ersten Buch des Lucilius. 1/16  Amsterdam  Komm.: Fingierter Druckort, tatsächlich gedruckt in Königsberg in der Hartung’schen Buchhandlung, vgl. Einführung, S. XI . Während des Absolutismus mussten zahlreiche Schriftsteller ihre Bücher aufgrund der Zensur in Amsterdam drucken lassen. 3/1  An das Publicum  Komm.: Vgl. Bodmers Critische Abhandlung von dem Wunderbaren, Beginn der Vorrede, zum »so genannten Publici«: »Das ist eben die moralische Person, an welche die Scribenten insgemein ihre Vorreden rich­ ten, damit sie sich die Gunst und den Beyfall derselben, als ihres Richters, erwerben, und die ich ebenfals in dieser Hoffnung mit einigen Zeilen zu unterhalten gedencke.« Vgl. Komm. SD 1/3. Und Klopstocks Von dem Publico, S. 445: »Man würde demjenigen Publico, das diesen großen Namen verdient, nicht alle Ehrerbietung erzeigen, die man ihm schuldig ist, wenn man es nicht, mit der sorgfältigsten Genauigkeit, von dem großen Haufen unterschiede. Es ist desto nöthiger diesen Unterschied fest zu setzen, je öfter der große Haufen sich es hat anmassen wollen, mit zum Publico zu gehören. Das eigentliche Publicum besteht überhaupt aus wenigern Mit­ gliedern, als viele denken, die sich gern dazu rechneten.« Die politischen Implikationen der öffentlichen Meinung hat Friedrich II . in Lettre au public persifliert; S. 1: »Ich habe allezeit euern Geschmack geliebet, und eure Gril­ len verehrt. Ich kenne die unersättliche Begierde, die ihr nach Neuigkeiten [vgl. SD 30/20] hegt, und ich mache mir eine Ehre daraus euch zu dienen.«

bis 5/6f.

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Die Begebenheit ist ein Streit über die Einführung neuer franz. Menuetts am Berliner Hof. 3/3  Niemand  Komm.: Das Spiel mit der Verwendung des Pronomens ›Niemand‹ als Eigenname geht auf die bei Hom. Od. 9,105–564 beschriebene List Odysseus’ gegenüber dem einäugigen Kyklop [vgl. SD 14/27] Polyphem zurück, weiter bearbeitet durch Euripides’ Cyclops. Lessing greift in sei­ ner Polemik gegen Gottsched im 17. der Literaturbriefe (Tl. 1, 1759, S. 97) diese Figuration auf: »›Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek, wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen grossen Theil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.‹ Ich bin die­ ser Niemand; ich leugne es gerade zu.« Die Polemik Lessings zielt auf die Orientierung Gottscheds am französischen Theater. 3/3  Kundbaren  Komm.: DWB 11, 2619 ›kundbar‹: wie ›erkennbar‹ oder ›bekannt‹. 3/3  Marg.: οδ᾽ […] Κυκλωψ  Komm.: Eur. Cycl. 675: »ὁ δ᾽ Οὖτις ποῦ ’στιν« – »Wo ist ›Niemand‹?«. Zum Kontext: »[Kyklop:] ›Niemand‹ hat mich geblendet. / [Chorführer:] So bist du nicht blind? / [Kyklop:] Wie schön du mich – / [Chorführer:] Sag, wie dich niemand blenden kann! / [Kyklop:] Verspot­ test! Wo ist ›Niemand‹? / [Chorführer:] Nirgendwo, Kyklop! / [Kyklop:] Der Fremde, daß du recht verstehst, hat mir’s getan, / Der Schurke, der mit sei­ nem Tranke mich verdarb.« 5/1  Namen  Komm.: Ps 115,1. Der Zusammenhang von Name und Ehre (Z. 5) ist durch die Paraphrase von Ps 115,4–7 in Z. 10 ff. kontextualisiert. Anlass für die Reflexion über den Namen des Publikums ist Klopstocks Distinktions­ versuch, vgl. Komm. SD 3/1. 5/2  Beweis Deines Daseyns  Komm.: Zum Vergleich Kants Wendung in Allgemeine Naturgeschichte (S. 59): »Die wesentliche Fähigkeit der Naturen der Dinge, sich von selber zur Ordnung und Vollkommenheit zu erheben, ist der schönste Beweis des Daseyns GOttes«. Vgl. auch Jes 45,9. 5/3  thust keine Zeichen  Komm.: Lk 11,29 f. mit Mt 12,38; außerdem 2 Kor 4,17 f. 5/5  weder Begrif noch Gefühl davon  Komm.: Vgl. HKB 170 (I 452/7–13, 12.  1759, an Kant) (mit Anspielung auf Plut. Phok. 8): »Ein stoltzes Wesen ist der Urhe­ ber und Regierer der Welt. Er gefällt sich selbst in seinem Plan; und ist für unsere Urtheile unbesorgt. Wenn ihm der Pöbel über die Güte der Welt mit klatschenden Händen und scharrenden Füßen Höflichkeiten sagt und Bey­ fall zujauchzt, wird er wie Phocion beschämt, und frägt den Kreys seiner wenigen Freunde, die um seinen Thron mit bedeckten Augen und Füßen stehen; ob er eine Thorheit gesagt, da er gesprochen: Es werde Licht! weil er sich vom gemeinen Haufen über seine Werke bewundert sieht.« 5/6f.  Wir wissen […] giebt  Komm.: 1 Kor 8,1–4.

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Kommentar SD  5/11f.

5/11f.  Augen und Ohren […] nicht hören  Komm.: Ps 115,4–7. Hamann las im Sommer

1759 Forstmanns Predigten (vgl. HKB 148 [I 348/18]). In dessen Erfreuliche Nachrichten ist den Augen und Ohren eine Predigt gewidmet (S. 97 ff.): »Der selige Gebrauch unsrer Augen und Ohren, bei dem Zeugnisse Johannes, von dem Lamme Gottes« (mit Bezug auf Joh 1,29). Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 295/29–37 mit Bezug auf Röm 7,24, sowie zur Blindheit ebd. 125/24 ff. 5/12–14  künstliche Auge [… ] pflanzest  Komm.: Ps 94,9 u. Spr 20,12. 5/15  Marg.: Spr […] 2. Tim. III. 7.  Komm.: Spr 9,13 und 2 Tim 3,7. 5/15–17  Du must […] verstehst nichts.]  Umarb. SD4*: Du mußt alles richten und ver­ stehst nichts; Du mußt alles wissen und lernst nichts; Du lernest immerdar und kannst nimmer zur Erkenntniß der Wahrheit kommen. 2 Tim. III,7. Spr. Sal. IX , 13. 5/15–17  Du must […] verstehst nichts.  Annot. SD4*: Ἀπίστους εἶναί τινας ἐπιστύφων Ἡράκλειτός φησιν, ἀκοῦσαι οὐκ ἐπιστάμενοι οὐδ’ εἰπεῖν. Clem. Alex. Strom. II, p. 369. 〈Clem. Al. strom. 2,24,5: »Von einigen Ungläubigen sagt Herakleitos tadelnd: ›Zu hören nicht fähig und nicht zu reden.‹«〉 5/17–22  Du dichtest […] antworten solltest  Komm.: 1 Kön 18,22–29. Die Stelle wurde zuweilen angeführt für die These, auch die Bibel enthalte satirische Ele­ mente, bspw. in Gundlings Satyrische Schriften (Vorrede des Hg., unpag. [S. 8]) u. Groschens Die Regeln der Satyre, S. 139. 5/22–6/1  Dir werden täglich […] wahrscheinlich zu machen  Komm.: ZusDan 2,2–21. Zur Rolle der Wahrscheinlichkeit in der Verteidigung des Christentums (besonders der göttlichen Offenbarung) gegen Kritik (welche Beweise for­ dert) siehe Meiers Rettung der Ehre, S. 175: »Alle unsere practische Klugheit beruhet nur, auf einer solchen Wahrscheinlichkeit. Folglich ist es hinläng­ lich, wenn man mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, erkennet, Gott habe eine Offenbarung gegeben. Wer hier mehr Gewißheit fodert, der versteht sich sehr schlecht auf die Natur der menschlichen Erkenntniß«. Siehe auch Komm. SD 15/4. 6/3  nicht leer vor Dir erscheint  Komm.: 2 Mos 23,15. 6/4–6  wie der Philosoph […] Tyrannen  Komm.: Diog. Laert. 2,8,79: »Als er [Aris­ tippos] einmal für seinen Freund eine Bitte an Dionysios richtete und abschlägig beschieden ward, suchte er ihn durch einen Fußfall umzustim­ men. Darüber machte sich jemand lustig, er aber entgegnete: ›Nicht ich trage die Schuld daran, sondern Dionysios, der seine Ohren in den Füßen hat.‹« Auch von Bacon mit einer deftigen Paraphrase überliefert (Über die Würde, S. 74 f.): »Diogenes antwortete einst auf die Frage eines Spötters, wie es käme, daß sich die Philosophen an die Reichen, und die Reichen hinge­ gen nicht an die Philosophen hielten, sehr beißend: es geschieht dießfalls,

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weil die Philosophen beßer wißen, was sie brauchen, als die Reichen, die zu dumm darzu sind.« 6/7f.  Küchlein […] barst  Komm.: ZusDan 2,22–26, vom Drachen zu Babel. Vgl. auch 1 Kor 8,1. Der Verweis auf den Wissensrelativismus bei Paulus spielt auch in Bacons De dignitate eine Rolle für die Kritik an intellektueller Hy­bris, der in der Regel auch die vermeintliche Klugheit des Herrschers zugehört. Vgl. auch die »Näschereyen« SD 42/31. 6/10  Pillen  Komm.: Vgl. mit dem Arzt SD 42/17. Die Pillen sind ein Topos der Fabel-Theorie, herangezogen bspw. auch von Breitinger in Critische Dichtkunst, S. 5 ff.: »Alleine da der gröste Haufen der Menschen zu den abgezo­ genen Untersuchungen des reinen Verstandes nicht aufgelegt [...], so ist es sich nicht zu verwundern, daß die Weltweißheit zu allen Zeiten die eigene Bemühung und Arbeit einiger weniger über das gemeine Looß der Men­ schen erhabener tiefsinniger Geister geblieben ist [...]. Gleichwie nun ein kluger Arzt, der sich die Gesundheit seiner Krancken läßt angelegen seyn, die bitteren Pillen vergüldet oder verzuckert, und durch diesen heilsamen Betrug ihnen die Artzney beybringet [...] also müssen diejenigen, welche die Weißheit als ein Hülfs-Mittel zur Beförderung der menschlichen Glück­ seligkeit gebrauchen wollen, gleicher Weise verfahren. [...] Ein solcher Weg war derjenige, den der weise Socrates gebraucht hat, [...] seine Mitbürger aus der Gleichförmigkeit unstreitiger Dinge in vertraulichen Gesprächen auf eine angenehme und leichteingehende Weise zu unterrichten und zu überführen«. 6/10  Dienst Deiner Eitelkeit  Komm.: Röm 8,19–21. Vgl. auch Gottfried Arnolds Kir­ chenlied »O Durchbrecher aller Bande« (EG 388): »Schau doch aber unsere Ketten, / da wir mit der Kreatur / um Erlösung schrein und beten / von der Knechtschaft der Natur, / von dem Dienst der Eitelkeiten, / der uns noch so hart bedrückt, / wenn auch unser Geist zu Zeiten / sich auf etwas Beßres schickt.« 6/12  Unwissenheit und Neugierde  Komm.: Vgl. die Wendung vom »göttlichen« der Unwissenheit in W 74/13; zur menschlichen Unwissenheit im zeitgenössi­ schen philosophischen Diskurs vgl. Hume in Philosophische Versuche, S. 75: »Die allervollkommenste Weltweisheit in natürlichen Dingen schiebt nur unsere Unwissenheit ein wenig weiter hinaus: so wie vielleicht die voll­ kommenste Weltweisheit von der sittlichen oder metaphysischen Art allein dienet, weitläufigere Theile unserer Unwissenheit zu entdecken. Also ist die Bemerkung der menschlichen Unwissenheit und Schwachheit die letzte Frucht aller Weltweisheit, und sie begegnet uns zu unserer Kränkung alle Augenblicke in allen Bemühungen sie zu bestreiten oder zu vermeiden.« Als künstliches Konstrukt und Mittel des Opportunismus kritisiert Zimmer­

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Kommentar SD  6/16

mann die Unwissenheit in Von dem Nationalstolze, S. X f.: »[…] ich erfahre mit Schmerzen, wie schwer es ist, seine Empfindungen, seine Gedanken, seine Schreibart über die allgemeine Bahn zu erheben, [...] wann man sich doch immerfort gezwungen findt, auf seinem Angesicht die Geziemenhei­ ten der Unwissenheiten anzunehmen, und allzu oft seinen Verstand in die unaussprechlich engen Schranken zu sezen, die die Kunst zu gefallen in den meisten Conversationen heischt.« 6/16  frommen Betrug  Komm.: Sprichwörtlich nach Ov. met. 9,711, wo Telethusta ihren Mann über das Geschlecht ihrer gemeinsamen Tochter Iphis täuschte, um diese vor dem Tod zu bewahren. Zedler (28, 7 ›pia fraus‹) beschreibt den frommen Betrug aus theologischer Perspektive, für die bspw. die sibylli­ nischen Orakel als ein solcher galten; er gilt dementsprechend als nicht gerechtfertigt, gestützt u. a. mit Röm 3,5–9. 6/17  Der erste  Komm.: Johann Christoph Berens, vgl. Einführung, S. XXXIX f. 6/17  Stein der Weisen  Komm.: Begriff aus der Alchimie, »die geheime Kunst [...] die geringern Metalle durch eine trockne oder nasse Tinctur zur Vollkom­ menheit des Goldes zu bringen« (Zedler 39, 1547). 6/18  wie ein Menschenfreund  Komm.: Skeptisch beurteilt Hamann den Menschen­ freund in der Beylage zu Dangueil (N IV 228/29–44): »Ein Menschenfreund; dieß ist bisweilen ein Titel, der sich durch Schulden und die Verschwen­ dung eines verdorbenen Geschmacks erwerben läßt. Es giebt eine Art Menschenhasses, der keine Krankheit der Galle noch der Einbildung, son­ dern eine Schwermuth der Vernunft ist, die uns vielleicht so aufgelegt zu strengen Sitten machen würde, als die Schwermuth des Temperaments zu einigen Künsten und Wissenschaften. [...] Wenn man an der wahren Ehre der Großen, der Gelehrten und Reichen Theil nimmt; wenn man das Gute erwägt, was sie verbunden sind der Gesellschaft zu thun, und sich hinge­ gen den Unfug vorstellt, wozu sie sich bevollmächtigen; so kann man den wenigsten unter ihnen seinen Unwillen und dem Pöbel sein Mitleiden ent­ ziehen.« Siehe auch Komm. SD 7/4. 6/19–21  den Fleiß […] befördern  Komm.: Der Handel bzw. der Handelsgeist waren in der Beylage zu Dangueil Hoffnungsträger für das allgemeine Wohl im Sinne bürgerlicher Freiheit bei ökonomischer Ungleichheit. Siehe Einfüh­ rung, S. XL f. 6/22  mystischen Sprache eines Sophisten  Komm.: Vgl. HKB  157 (I  396/29–34, 18.  8.  1759, an J. G. Lindner): »Ein Lay und Ungläubiger kann meine Schreibart nicht anders als für Unsinn erklären, weil ich mit mancherley Zungen mich ausdrücke, und die Sprache der Sophisten, der Wortspieler, der Creter und Araber, der Weißen und Mohren und Creolen rede, Critick, Mythologie, rebus und Grundsätze durch einander schwatze, und bald

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κατ’ἀνθρωπον

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bald κατ’ἐξοχην argumentire.« Und HKB 148 (I 353/9–15, 22.  6.  1759, an dens.): »Ich fand hier von ungefehr eine Uebersetzung eines platonischen Gesprächs [Platos lehrreiches Gespräch von der menschlichen Natur] zwischen Sokrates und Alcibiades über die Menschliche Natur; das ich ihm [Berens] zu lesen gebracht, weil die jetzigen Conjuncturen darinn sehr genau mitgenommen sind. Socrates wird ihm als einen abscheulichen Sophisten vorkommen, der die Wahrheit zum Quodlibet macht, und sie alle augenblick zu einer Autocheirie verführt, so wie Alcibiades die Rolle eines Ideoten spielt.« Sowie HKB 163 (I 428/34 f., 12.  10.  1759, an dens.): »Der Sokrates, deßen Denkwürdigkeiten ich geschrieben, war der gröste Idiot in seiner Theorie und der gröste Sophist in seiner Praxi.« 6/24  Geheimnis der Politick  Komm.: An Peter Christoph Baron v. Witten, den ehe­ maligen Zögling als Hauslehrer, schreibt Hamann, HKB 115 (I 252/6–22, 27.  9.  1758): »Es ist eine Mode des jetzigen Alters über den Handel so phi­ losophisch und mathematisch zu denken als Newton über die Erscheinun­ gen der Natur und Fontenelle über die Würbel des Descartes. [...] Egypten, Carthago und Rom sind untergegangen. Der Eroberungsgeist hat seinen Zeitlauf gehabt; die im finstern schleichende Pestilenz eines Machia­ vells hat sich selbst verrathen; wie weit die heutige Staatskunst durch die Grundsätze der Wirthschafft und die Rechnungen der Finanzen kommen möchte wird die Zeit lehren. Die beste Kunst zu regieren gründet sich wie die Beredsamkeit auf die Sittenlehre. Alle Entwürfe hingegen der Herrsch­ sucht entspringen aus einer Lüsternheit nach verbothenen Früchten, die den Saamen des Unterganges mit sich führen. Unsere Erziehung muß nach dem herrschenden Geschmack der Zeiten, des Landes und des Standes, zu denen wir gehören, eingerichtet werden; dieser herrschende Geschmack muß aber durch gesunde Einsichten und edle Gesinnungen geläutert wer­ den.« 7/1  Alchymie  Komm.: HKB  161 (I  414/36–415/4, 28.  9.  1759, an J. G. Lindner): »Ich bin meinem Freunde mit meinen Religionsgrillen lange nicht so beschwerlich geworden in meinem Umgange als ich von seinen Hand­ lungs und Staats­ideen aushalten mußte, wie ich noch keinen Begrif von diesen Schwarzkünsteleyen hatte, biß ich auch diese Geheimniße und ihre Eitelkeit ihm zu Gefallen kennen lernte, und vielleicht eben so weit in der Theorie davon als er hatte kommen können, wenn ich Lust und Liebe zur Practick gehabt hätte.« 7/3  Marqvis von Mirabeau  Komm.: Victor Riqueti de Mirabeau, d. Ä. (1715–1789), vertrat in L’Ami des hommes ou Traité de la Population populationistische Ideen, wonach eine hohe Bevölkerungsdichte den Wohlstand einer Nation vermehre; landwirtschaftliche Arbeit sei dafür der wesentliche Faktor.

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Kommentar SD  7/4

Mirabeau übt, wenn auch verklausuliert, Kritik an der franz. Politik seiner Gegenwart. In der dt. Übers. (Der politische und ökonomische Menschenfreund) ist das erste Kapitel mit dem »Liebhaber«, nämlich »des menschli­ chen Geschlechts« betitelt. Siehe Komm. SD 6/18. 7/4  Frankreich bevölkern  Komm.: Mirabeau vertritt in Der politische und ökonomische Menschenfreund die These, dass erstens die franz. Wirtschaftspolitik und zweitens die katholische Moral einem Bevölkerungszuwachs hinder­ lich seien. 7/7  Project  Komm.: Das Wort wurde überwiegend abschätzig verwendet; der Projektmacher galt als Betrüger, dessen Hauptvorwand sei, für das allge­ meine Wohl zu arbeiten (siehe Zedler 29, 784 ›Projectenmacher‹). 7/9  Der andere  Annot. SD4*: Ὁ δὲ πρὸς τὸν βίον ἀναφέρων ἕκαστα τὸν ὀρθὸν, ἔκ τε τῶν Ἑλληνικῶν καὶ τῶν βαρβαρικῶν (von Juden und Christen) ὑποδείγματα κομίζων, πολύπειρος οὗτος τῆς ἀληθείας ἰχνευτὴς, καὶ τῷ ὄντι πολύμητις, δίκην τῆς βασάνου λίθου· ἣ δ‘ ἐστὶ Λυδὴ, διακρίνειν πεπιστευμένη τὸ νόθον ἀπὸ τοῦ ἰθαγενοῦς χρυσίου· καὶ ἱκανὸς ὢν χωρίζειν ὁ πολύιδρις ἡμῶν καὶ γνωστικός, σοφιστικὴν μὲν, φιλοσοφίας· κομμωτικὴν δὲ, γυμναστικῆς· […] καὶ μετὰ (Sylb. leg. καὶ μὴν καὶ) τὰς ἄλλας τὰς κατὰ τὴν βάρβαρον φιλοσοφίαν αἱρέσεις, αὐτῆς τῆς ἀληθείας. Clem. Alex. Strom. I, p. 291 〈Clem. Al. strom. 1,44,2: »Wer nun alles mit dem rechtschaffenen Leben in Beziehung setzt und aus Griechentum und Barbarentum Vorbilder beibringt, der ist ein vielerfahrener Erforscher der Wahrheit und in der Tat ›erfindungsreich‹; gleich dem Probierstein (das ist ein lydischer Stein, der nach allgemeiner Überzeugung echtes und falsches Gold unterscheiden kann) ist er, unser ›Vielwisser‹ und Sachverständiger (Gnostiker), fähig, zu scheiden die Sophistik von der Philosophie, die Putzkunst von der Gymnastik […] und nach den andern auch die in der barbarischen Philosophie (d. i. dem Chris­ tentum) auftretenden Irrlehren von der eigentlichen Wahrheit.«〉 / – Ἔστι γὰρ δόκιμον νόμισμα καὶ ἄλλο κίβδηλον, ὅπερ οὐδὲν ἔλαττον ἀπατᾷ τοὺς ἰδιώτας, οὐ μὴν τοὺς ἀργυραμοιβούς· οἳ ἴσασι μαθόντες τό τε παρακεχαραγ­ μένον καὶ τὸ δόκιμον χωρίζειν καὶ διακρίνειν. Oὕτως ὁ ἀργυραμοιβὸς τῷ ἰδιώ­­τῃ τὸ νόμισμα τοῦτο μόνον ὅτι κίβδηλόν ἐστι, φησί — Clem. Alex. Strom. II, p. 365 〈Clem. Al. strom. 2,15,4: »Denn es gibt eine echte Münze und eine andere, die gefälscht ist, die aber trotzdem die Nichtsachver­ ständigen täuscht, dagegen nicht die Geldwechsler, die durch Schulung verstehen, das Gefälschte und das Echte voneinander zu sondern und zu unterscheiden. So sagt der Geldwechsler dem Laien nur das eine, daß die Münze unecht ist«〉 / ἔδει οὖν τοιοῦτόν τι ἔχειν ἡμᾶς καὶ ὲν τῷ βίῳ, οἷον ἐπ’ ἀργυρίου, ἵν’ εἰπεῖν δύνωμαι καθάπερ ὁ ἀργυρογνώμων λέγει, φέρε ἣν θέλεις δραχμὲν, καὶ διαγνώσομαι· ἀλλ’ ἐπὶ συλλογισμῶν, φέρε ὃν θέλεις, καὶ δια-

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κρινῶ σοι τὸν ἀναλυτικόν τε καὶ μή. Arrian. Lib. II ,3 〈Arr. Epict. 2,3,3: »Man

sollte also auch im Leben so etwas haben, wie man es beim Silber hat, damit man, wie der Silberkenner, sagen könnte: ›Bring mir, was für eine Drachme du willst, ich will es bald erkennen, ob sie echt oder unecht ist.«〉 / τοὺς οὖν ἀσκητὰς ὥσπερ νόμισμα δοκιμάζει ὁ ὀρθὸς λόγος, πότερα κεκηλίδωνται, ἐπί τι τῶν ἐκτὸς ἀναφέροντες τὸ τῆς ψυχῆς ἀγαθὸν, ἢ ὡς δόκιμοι δ ­ ιαστέλλουσιν, ἐν διανοίᾳ μόνῃ διαφυλάττοντες τοῦτο. Philo Leg. Alleg. Lib. II , p. 91 〈Phil. leg. all. 3,58,168: »Die rechte Vernunft prüft also die Tugendbeflissenen wie eine Münze, ob sie sich haben verderben und dazu bringen lassen, das Heil der Seele auf irgend etwas Aeusseres zurückzuführen, oder ob sie es in seiner Echtheit bestimmen und nur in der Gesinnung bewahren.«〉 / Philo quis rerum divinarum haeres p. 505 〈Phil. her. 36,173– 37,181; bes. her. 37,179–181〉, de nominum mutat. p. 1077 〈Phil mut. 37,206–38,212; bes. mut. 37,207 f.‌〉. 7/9  Der andere  Komm.: Immanuel Kant, vgl. dazu Einführung, S. XLIX f.. 7/10  Münzwaradein  Komm.: Hoher Beamter im Münzwesen des englischen Königreichs, für Legierung und Feingehalt der Münzen zuständig. Von 1695–99 hatte Newton den Posten des ›Warden of the Mint‹ inne, ab 1699 bis zu seinem Tod war er dessen vorgesetzter ›Master of the Mint‹ (vgl. For­ rer: Biographical Dictionary, Bd. IV, S. 254 f.). Newton hatte in seinem Amt dabei mitgewirkt, dass der Bimetallismus (aus dem Verhältnis von Silber und Gold) im Münzwesen sich zugunsten des Goldstandards entwickelte, der über England hinaus maßgebend wurde; in den 1710  er Jahren erzeugte dies zunächst eine Finanzkrise. 7/11  Newton  Komm.: Vgl. Kant: Allgemeine Naturgeschichte (AA I , 230): »Dieses sind die Ursachen, worauf ich meine Zuversicht gründe, daß der physische Theil der Weltwissenschaft künftighin noch wohl eben die Vollkommenheit zu hoffen habe, zu der Newton die mathematische Hälfte derselben erho­ ben hat.« Und: »Ich habe, nachdem ich die Welt in das einfachste Chaos versetzt, keine andere Kräfte als die Anziehungs und Zurückstoßungskraft zur Entwickelung der großen Ordnung der Natur angewandt, zwei Kräfte, welche beide gleich gewiß, gleich einfach und zugleich gleich ursprüng­ lich und allgemein sind. Beide sind aus der Newtonischen Weltweisheit entlehnt. Die erstere ist ein nunmehr außer Zweifel gesetztes Naturge­ setz.« (AA I, 234). Kant musste bei der Fortführung der wissenschaftlichen Ansätze Newtons in Königsberg mit einer Wolff ’schen Opposition rechnen gegen den Versuch, »die Begriffe der Bewegung und der Ruhe, imgleichen der mit der letztern verbundenen Trägheitskraft zu untersuchen und zu verwerfen; ob ich gleich weiß, daß diejenige Herren, welche gewohnt sind, alle Gedanken als Spreu wegzuwerfen, die nicht auf die Zwangmühle des

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Kommentar SD  7/13

Wolffischen oder eines andern berühmten Lehrgebäudes aufgeschüttet worden« (Neuer Lehrbegriff, AA II, 15). 7/11f.  Kein Theil der Kritick  Annot. SD4*: Juliani opp. ex edit. Spanhem. Oratio II , p. 91 〈Iul. or. 2,91  a–d〉. 7/12  Kritick  Komm.: Wissenschaftlich dominant im Wortgebrauch der Zeit ist der philologische Begriff, »[d]ie Kunst oder Wissenschaft, die Richtige Leseart und den Sinn der alten Schriftsteller zu bestimmen, und in weiterer Bedeutung, die Fertigkeit etwas nach den Regeln der Kunst zu beur­theilen, und die Wissenschaft derselben« (Adelung 2, 1792 ›Kritik‹). Aber auch die Rede von philosophischer Kritik, ausgehend bspw. von Bayles Dictionnaire, ist geläufig und begegnet bspw. häufig bei den später thematisierten eklek­ tischen Philosophiehistorikern (Brucker, Heumann). Für die populäre Pub­ lizistik darf dagegen der von Gottsched u. a. etablierte Begriff der Kunst­ kritik als herrschend angenommen werden. Zur Mathematik als kritische Methode in der Ökonomie und darüber hinaus siehe Graumann: Licht des Kaufmans, S. XVII (mit Einbezug der philosophischen Autorität Christian Wolffs, S. XIX): »Die Mathematic bringet uns also zu einem vollkommenen Begrif von allen Dingen in dieser Welt, sie verschaffet dem Geschöpfe in allen Gelegenheiten genaue und nützliche Begriffe, und sie beherrschet so zu reden alle Begriffe der Natur.« 7/13  Gold und Silber  Komm.: Hamann studierte die ökonomische Literatur seiner Zeit, in der aber die Tendenz besteht, Wert weniger über Edelmetallgehalte als über persönliche oder unternehmerische Kreditwürdigkeit zu definie­ ren. Der später thematisierte Bolingbroke verwendet die Metapher, um die Aufgabe des Historikers zu bestimmen (Briefe über die Erlernung und Gebrauch der Geschichte, S. 117): »Die Critic säubert das Gold von der Spreu, und macht aus verschiedenen Schriftstellern eine wahre zusammenhan­ gende Geschichte, die von keinem einzigen derselben hätte völlig können zu Stande gebracht werden, und die, wenn sie mit Beurtheilungskraft ver­ fertiget, und uns mit Aufrichtigkeit vorgeleget worden, uns unsern Beyfall abfordert.« 7/14  Verwirrung in dem Münzwesen  Komm.: Vgl. SD 30/1–4. Bis Ende der 1730  er waren mehr als 500 unterschiedliche Münzen innerhalb des Dt. Reiches im Umlauf. Ab 1750 sollte Johann Philipp Graumann das dann verstaatlichte Münzwesen vereinheitlichen (mit dem sog. Graumann’schen Münzfuß) und durch günstige Wechselkurse den preußischen Handel beflügeln (vgl. dazu Schrötter: Das preußische Münzwesen). Während des Siebenjährigen Krieges machte Friedrich II . die Verstaatlichung rückgängig und verpach­ tete die Prägeanstalten an Münzentrepreneurs, mit denen er eine Münz­ verschlechterung vereinbarte (und die Lösung vom Graumann’schen Fuß).

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Der durch die Reduzierung des Feingehaltes der Münzen bei Beibehaltung ihres Nominalwerts erzielte Gewinn leistete einen entscheidenden Anteil zur Kriegsfinanzierung. Im unter russischer Herrschaft stehenden Königs­ berg (seit Januar 1758) wurden diese minderwertigen Münzen im Septem­ ber 1758 verboten. Ab 1759 wurden dort auch neue Münzen geprägt, deren Feingehalt nicht reduziert war (siehe dazu Bahrfeldt: Die ostpreussischen Münzprägungen). Vgl. die Übertragung auf die Lage der Metaphysik in Deutschland, Mendelssohn im 22. der Literaturbriefe (Tl. 1, 1759, S. 140): »Freylich ist es eine Mitursache von dem Verfalle der Metaphysik, daß viele Anhänger des grossen Wolfs blosse Metaphysiker von Profeßion seyn wollen. Sie haben einen kleinen Schatz von allgemeinen Wahrheiten. Diese ordnen sie nach Belieben; bringen sie bald so, bald anders in Kapitel; erklären, schliessen und beweisen vielleicht richtig nach der Methode. Man findet aber bey ihnen keine weite Aussichten in andere Wissenschaften, keine fruchtbaren Anschläge ihre Münze in der gelehrten Republik durch­ gehends gänge und gebe zu machen. […] Der Misbrauch der mathemati­ schen Begriffe hält viele ab, die philosophischen Gründe anzunehmen, die ihnen zu widersprechen scheinen.« Ein weiterer und für das metaphorische Verhältnis von Münzwesen und Wissenschaft interessanter Vergleichstext ist die von Hamann geschätzte (HKB 72 [I 180/6–15, 12.  4.  1756, an J. G. Lind­ ner]) Vorrede Hallers zum ersten Band der dt. Übers. von Buffons Allgemeiner Naturgeschichte, S. X : »Die Erfindungen der Einbildung sind wie ein gekünsteltes Metall, es kann die Farbe aber niemals die Dichtigkeit und die unzerstörbare Festigkeit haben, die die Natur dem Golde giebt. Eine fal­ sche Münze ist gangbar, weil die Neuigkeit ihr einigen Glanz giebt, die Zeit deckt ihre Röthe und ihre unächte Herkunft auf. Die Streitigkeiten, die der natürliche Stolz und die Ruhmbegierde der Menschen nothwendig erreget, waren das erste Mittel die Blöße der Hypothesen aufzudecken. Ein junger Weltweiser fand einen bequemen Weg zur Größe in der Widerlegung eines berühmten Mannes, und es war ihm viel leichter, dessen Schwäche zu fin­ den, als etwas besseres an die Stelle des niedergerissenen Lehrgebäudes zu setzen. Ein gemeiner Probestein entdeckt das Kupfer im edlen Metalle, aber Gold zu machen ist für die Menschen zu schwer.« Die so inaugurierte Skepsis habe nur noch die mathematischen Gewissheiten als glaubhaft übrig gelassen, worüber der Nutzen der Hypothesen als das Vorantas­ ten im Erkenntnisprozess vergessen wurde – eine »Schutzschrift für die Hypothesen« nennt Haller seine Vorrede selbst (S. XIX). Newton habe mit dem Faktor des Wahrscheinlichen in seinen physikalischen Theo­rien eine besondere Form der Hypothesenbildung rehabilitiert: »Nach einem New­ ton wird sich nun wohl niemand schämen, etwas nicht völlig erweisliches

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zu lehren. Hat ein so guter Kenner das Wahrscheinliche als eine Münze gebraucht: so kann es doch nicht sogar ohne Werth seyn. Es ist andem, es ist eine Nothmünze. Es dient bloß ein Gewerbe zwischen den Gelehrten zu unterhalten. Die Gewißheit ist ein ächtes Gold, dessen Preis niemals her­ untergesetzet werden kann, es würde uns lieb seyn, wenn wir dessen so viel hätten, daß wir die willkührliche Münze entbehren könnten. […] Die Alche­ misten machten sich Gespenster, goldene Berge, und mehr als ovidische Verwandlungen: sie arbeiteten, um sich diesen Gespenstern zu nähern, und fanden auf dem Wege eben so nützliche und vielleicht dem mensch­ lichen Geschlechte noch nützlichere Wahrheiten, als ein Mittel wäre, Bley zu Golde zu machen« (S. XIVf.). Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 225/33–35: »Worte sind den Schätzen der Erde reich; sie sind die Scheidemünze der Weisheit, deren Menge uns beschwerlich, unbrauchbar, eitel wird.« 7/17–23  gebe sind. […] Weil diese  Umarb. SD4*: gebe sind. Weil diese 7/18  Verhältnis-Tabellen  Komm.: Für das Dt. Reich wurden 1738 von den in Regensburg versammelten Münzwardeinen solche Tabellen zur Bekämp­ fung der Münzverwirrung erstellt und herausgegeben (Leucht: Europäische Staats-Canzley, S. 569–592). Die Feingehalte der Silbermünzen werden dort jeweils in Loth angegeben und verglichen. Für Preußen waren dann ab 1754 die (ganz Europa erfassenden) Ausführungen von Graumann maß­ geblich; zum Wert der Verhältnistabellen siehe in dessen Licht des Kaufmans, S. XVI . 7/19  viellöthig  Komm.: Adelung 2, 2113 ›Löthig‹: »Besonders in den Münzen und bey den Metallarbeitern in Bestimmung der Reinigkeit der Metalle, wo das Loth als der sechzehnte Theil einer Mark angesehen wird.« 7/19  Marg.: Schrot und Korn  Komm.: Zedler 35, 1273 ›Schrot‹: »Wenn eine Münze ihren gehörigen Gehalt und Gewichte hat, so spricht man, sie sey gerecht an Schrot und Korn, nehmlich Schrot bedeutet das rechte Gewichte; Korn aber das gute und richtige Metall zu den Geld-Sorten.« 7/22  Marg.: O Zeu, […] Medea  Komm.: Eur. Med. 516–519: »ὦ Ζεῦ, τί δὴ χρυσοῦ μὲν ὃς κίβδηλος ᾖ / τεκμήρι᾽ ἀνθρώποισιν ὤπασας σαφῆ, / ἀνδρῶν δ᾽ ὅτῳ χρὴ τὸν κακὸν διειδέναι / οὐδεὶς χαρακτὴρ ἐμπέφυκε σώματι« – »Warum verliehst du, großer Zeus, uns sichere / Merkmale, daß uns falsches Gold nicht täu­ schen kann, / Doch drücktest kein Kennzeichen auf der Menschen Leib, / An dem man unterscheiden kann den schlechten Mann?« 7/25f.  Cosmische Familie […] Wapen  Komm.: In dem Wappen der florentinischen Familie Medici sind sechs Kugeln oder Pillen (fünf rote, eine blaue) abgebil­ det, welche – wie der Name (Medici = Mediziner) – darauf hindeuten, dass die Vorfahren der Familie Ärzte waren. Mehrere Familienangehörige tru­ gen den Vornamen Cosimo, nach dem Hl. Kosmas, dem Schutzpatron der

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Ärzte. Der Aufstieg zur Herrschaft in Florenz und in der Toskana verdankte die Familie aber dem Erfolg im Bankgeschäft. Die Herkunft des Wappens ist nicht vollständig geklärt; es gibt eine Ähnlichkeit zu den Wappen der Geldwechsler-Gilde (Cambio). 8/2  nicht für den Geschmack  Komm.: Lk 14,24. 8/5  Vespasian  Komm.: Vgl. Boureau-Deslandes: Betrachtungen über diejenigen Grossen Leute welche im Scherzen gestorben, S. 40: »Ich kenne kein Volk in der Welt, welches die Schmeichelei weiter getrieben als die Römer. […] Oft stellet man sie [die Könige] gar in die Reihe der Götter, wenn sie glauben, daß sie der Hochachtung der Menschen ganz und gar unwürdig sind. […] Der Kayser Vespasianus gab es seinen vornehmsten Hofleuten, den abge­ schmackten und närrischen Schmeichlern wohl zuverstehen. Indem er ihnen bezeichnen wolte, daß er sehr krank wäre, so schrie er mit einem hönischen Lächeln, ich merke an mir, daß ich bald zum Gott werden werde.« Schon in der Beylage zu Dangueil spielt Hamann auf Vespasian als Beispiel eines despotischen Herrschers an (N IV 229/39 f.). Auf den poli­ tischen Kontext der für Vespasian (vor allem von Tacitus) überlieferten Wundererzählungen, also den Opportunismus der Untertanen, weist auch Lilienthal hin (Die gute Sache, Tl. 8, S. 1106 f.), um Humes Vergleich dieser paganen mit den biblischen Berichten von Wundern (Philosophische Versuche, Kap. »Von den Wunderwerken«, S. 279) für absurd zu erklären. Heu­ mann versucht, die wundersamen Berichte über Vespasian quellenkritisch zu dekonstruieren (Poecile, Bd. 2, S. 427). 8/8  VTI PVTO, DEVS FIO!  Komm.: Bacon: Sermones fideles, Kap. 2, »De Morte«, S. 10: »Vespasianus cum Scommate; Exonerans enim se super sella: Vt puto Deus fio.« –»Vespasian im Scherz; sich auf dem Stuhl [Klosett] erleichternd: Wie ich glaube, werde ich ein Gott.« Bacons Quelle war u. a. Suet. Caes. 8,23,4. 9/2  Zween.  Annot. SD4*: – – vobis, vobis, non huic vulgo — / Justi Lipsii Epist. LXXXV. Cent. II 〈Lipsius: Epistolarvm, Brief 81, S. 197: »Für euch, für euch, nicht für den Pöbel«; Übers. v. Lukas Reuß〉 / Vulgo non scripsimus, sed tibi, et tui similibus, nec aliter quam prisci suis aenigmatis et fabularum inuo­ lucris arcebant idiotas homines a mysteriis, et nos consueuimus absterrere illos a nostris dapibus, quas non polluere non possent, amariori paulum cortice uerborum. Jo. Pic. Mirandola ad Hermolaum Barbarum pro bar­ baris philosophis in Phil. Melan[ch]thonis Epistolis p. 207 〈Melanchthon: Elementa rhetorices, S. 361: »Wir haben nicht für das Volk, sondern für dich und deinesgleichen geschrieben. Darin sind wir nicht anders als die Antike, in der man die Mysterien in Rätsel und hinter dem Schleier der Mythen vor denjenigen, die nicht eingeweiht waren, verborgen hat. So haben auch wir uns daran gewöhnt, diese durch eine Rinde von Wörtern, die ein wenig

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bitterer ist, von unserem Festschmaus, den sie nur beschmutzen könnten, fernzuhalten.« Das Zitat stammt aus den angehängten Gegensätzlichen Briefen.〉 / Nach dem in ganz Italien angenommenen Grundsatz des Pythagoras wäre die Zahl 2 die unglücklichste, indem dieselbe das böse Grundwesen, die Unordnung und Verwirrung bezeichnete. Pythagoras vergleicht diese Zahl mit der unfruchtbaren und deßwegen verachteten Diana 〈Quelle ist Banier: Erläuterung der Götterlehre und Fabeln aus der Geschichte, Bd. 4, S. 70‌〉. 9/2  Zween  Komm.: Siehe Komm. SD 1/10. 9/2  Marg.: σμικρα [...] Electra  Komm.: Soph. El. 450 f.: »[…] σμικρὰ μὲν τάδ᾽, ἀλλ᾽ ὅμως / ἅχω, […]« – »[und von mir Armen gib ihm,] wenig zwar, doch was / ich habe [: diese flehentliche Locke hier / und meinen Gürtel]«. 11/1–4  Publicum […] Alexander verstand sie  Komm.: Plut. Alex. 7: »›Du hast nicht recht getan, daß du die nur fürs Hören bestimmten Lehren veröffentlicht hast. Denn wodurch werden wir uns über die anderen erheben, wenn die Lehren, nach denen wir erzogen worden sind, Allgemeingut werden? Ich möchte lieber durch Wissen um das Höchste als durch meine Kriegsmacht ausgezeichnet sein.‹ Um diesen Ehrgeiz Alexanders zu beschwichtigen, schreibt Aristoteles zu seiner Entschuldigung über jene Schriften, sie seien veröffentlicht und auch wieder nicht veröffentlicht. Tatsächlich ist das Werk über die Physik, da es nichts für Unterricht und Studium Brauchba­ res enthält, eigentlich nur für die von Grund auf Unterwiesenen als Erin­ nerungsstütze geschrieben.« Auch von Bacon in Über die Würde (Lib. I., S. 126) erzählt. 11/6  Affect der Freundschaft  Komm.: Bereits Aristoteles (eth. Nic. 2,1105  b) rechnet die Freundschaft unter die Affekte. Von Thomasius (und für die folgenden Jahrzehnte wegweisend) werden die Affekte in direkten Zusammenhang mit dem Verstehen eines anderen Menschen gebracht (Von der Artzeney, S. 39): »Ohne die Lehre von denen Gemüths-Neigungen kan man keinen autorem recht verstehen/ andere rechtschaffen unterweisen/ oder sie zu etwas bereden/ weder sich selbst noch andere erkennen [...].« Eine objektive und damit unaffektierte Beurteilung des anderen müsse auf die Erkennt­ nis von dessen Herz zielen, welches sich aber nicht unmittelbar selbst zu erkennen gebe. Also gelte es von den sich zeigenden Affekten auf seine Beschaffenheit zu schließen (vgl. das 13. Hauptstück). 11/8  mikroskopisch Wäldchen  Komm.: In der ersten Hälfte des 17. Jhds. wurden zunächst Tele-, dann Mikroskope erfunden. Der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723; siehe SD 35/25 f.) war einer der ersten, der mi­kroskopische Untersuchungen anstellte und als Arcana naturae detecta (Die enthüllten Geheimnisse der Natur) veröffentlichte. Den Vergleich von

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Schimmel und Wäldchen bringt auch Buffon in Allgemeine Historie der Natur (Tl. 1., Bd. 2, S. 11): »[…] und unser Irrthum könnte zum Theil daher rühren, daß es in der That viel schwerer ist, diese Pflanzen unterscheiden zu können, wenn sie einander weit ähnlicher sind, als die Thiere, und solchergestalt dieser Schimmel, den wir für ein unsäglich kleines Mooß ansehen, in der That ein Wäldchen oder ein Garten voll sehr unterschie­ dener Pflanzen wäre, deren Unterschiede aber sich unsern Augen entzie­ hen.« Eine Abstra­hierung des empirischen Befunds für philosophische bzw. ästhetische Fragen nimmt Mendelssohn vor, Über die Empfindungen (3. Brief, S. 23 f.): »Ein Thier von einigen Stadien groß, eine Milbe, die dem scharfsichtigsten Auge unmerklich ist, können in der Einbildung zu schö­ nen Gegenständen werden; und wie oft hat ihr organischer Bau den Natur­ liebenden ergötzt.« 11/9  sokratische Art  Komm.: Die zeitgenössischen Auffassungen davon sind viel­ fältig. Hamann übersetzte vor 1759 Rapins Reflexions in Auszügen, worin es sehr knapp heißt: »Sein spottendes Wesen, war eine bloße Art, sich Gehör zu verschaffen.« (N IV 88/35 f.) Brucker schreibt in Kurtze Fragen aus der philosophischen Historie (Tl. 1, S. 435–437) zu der Frage »Wie lehrte Sokrates«: »Das that er aber nicht offenbar, sondern er stellte sich als wann er ihre Mei­ nung lobete, eines und das andere aber nicht verstünde, weswegen er durch mancherley Fragen, durch alle Theile der Materie, wovon sie mit einander redeten, und deren Beweiß-Gründe, in sie setzte, [Anm.] biß er sie end­ lich dahin brachte, daß sie entweder seine Lehr-Sätze annehmen und ihm recht geben mußten, oder doch überwiesen nicht weiter fort konnten, und wo sie hartnäckig auf ihrer Meinung beharreten, offentlich zu schanden wurden.« Anm.: »Es bestund also sein Methodus aus zwey Haupt-Stücken, Ironia und Inductione, von welchen beyden Stücken Cicero de Orat. l./ II .c.67. und de Invent. l.I.c.35 nachgesehen werden kan.« Als eine Tradition der Lehrart, die in der Katechetik mündet, versteht Mosheim das sokrati­ sche Erbe, das schon im frühen Christentum wirksam gewesen sei, bspw. in Sittenlehre der heiligen Schrift (S. 491): »[...] die Kunst durch Fragen den Geist aufzuklären [...] Dieses ist, so viel wir nach einer vernünftigen Unter­ suchung haben erkennen können, der Ursprung unsrer Catechisation. Wir treten noch auf gewisse Weise in die Fußstapfen der ersten Christen in die­ sem Stücke, und behalten die Art zu unterweisen, die sie von den Schülern des Socrates und Plato geborget haben. Allein es scheinet, daß wir mehr den Schatten, als das Wesen, behalten haben.« Außerdem kannte Hamann Mendelssohns Kritik an Wielands Plan einer Akademie (Literaturbriefe, Tl. 1, 1759, S. 60): »Er [Wieland] schlägt dagegen vor, daß sich die Lehrer die Aesopische und Sokratische Methode eigen zu machen trachten sollen,

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weil diese ›ihrer Leichtigkeit und Anmuth wegen, der Wahrheit am leich­ testen Zutritt zu unserer Seele verschaffe.‹ Was für einen Begrif muß Herr Wieland von der Sokratischen Lehrart haben! Was that Sokrates anders, als daß er alle wesentliche Stücke, die zu einer Definition gehören, durch Fragen und Antworten heraus zu bringen, und endlich auf eben die Weise aus der Definition Schlußfolgen zu ziehen suchte? Seine Definitionen sind durchgehends richtig; und wenn seine Beweise nicht immer die strengste Probe aushalten, so sieht man wenigstens, daß es mehr ein Fehler der Zei­ ten, in welchen er lebte, als eine Vernachläßigung und Geringschätzung der trocknen Untersuchung von Seiten des Philosophen gewesen. Zu unsern Zeiten kann die Sokratische Lehrart mit der Strenge der itzigen Methode auf eine so geschickte Art verbunden werden, daß man die allertiefsinnigs­ ten Wahrheiten herausbringt, indem man nur richtige Definitionen aufzu­ suchen scheinet.« 11/10  Analogie  Annot. SD4*: Der Gast von Elis zu Sokrates dem jüngern: Χαλεπόν, ὦ δαιμόνιε, μὴ παραδείγμασι χρώμενον ἱκανῶς ἐνδείκνυσθαί τι τῶν μειζόνων. Κινδυνεύει γὰρ ἡμῶν ἕκαστος οἷον ὄναρ εἰδὼς ἅπαντα πάντ᾽ αὖ πάλιν ὥσπερ ὕπαρ ἀγνοεῖν. — — […] Τοὺς παῖδας ἴσμεν, ὅταν ἄρτι γραμμάτων ἔμπειροι γίγνωνται, […] Ὅτι τῶν στοιχείων ἕκαστον ἐν ταῖς βραχυτάταις καὶ ῥᾴσταις τῶν συλλαβῶν ἱκανῶς διαισθάνονται, καὶ τἀληθῆ φράζειν περὶ ἐκεῖνα δυνατοὶ γίγνονται. […] Ταὐτὰ δέ γε ταῦτα ἐν ἄλλαις ἀμφιγνοοῦντες πάλιν δόξῃ τε ψεύδονται καὶ λόγῳ. […] Ἆρ᾽ οὖν οὐχ ὧδε ῥᾷστον καὶ κάλλιστον ἐπάγειν αὐτοὺς ἐπὶ τὰ μήπω γιγνωσκόμενα; — […] Ἀνάγειν πρῶτον ἐπ᾽ ἐκεῖνα ἐν οἷς ταὐτὰ ταῦτα ὀρθῶς ἐδόξαζον, ἀναγαγόντας δὲ τιθέναι παρὰ τὰ μήπω γιγνωσκόμενα, καὶ παραβάλλοντας ἐνδεικνύναι τὴν αὐτὴν ὁμοιότητα καὶ φύσιν ἐν ἀμφοτέραις οὖσαν ταῖς συμπλοκαῖς, μέχριπερ ἂν πᾶσι τοῖς ἀγνοουμένοις τὰ δοξαζόμενα ἀληθῶς παρατιθέμενα δειχθῇ, δειχθέντα δέ, παραδείγματα οὕτω γιγνόμενα, ποιήσῃ τῶν στοιχείων ἕκαστον πάντων ἐν πάσαις ταῖς συλλαβαῖς, τὸ μὲν ἕτερον ὡς τῶν ἄλλων ἕτερον ὄν, τὸ δὲ ταὐτὸν ὡς ταὐτὸν ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ἑαυτῷ προσαγορεύεσθαι. — […] ὅτι παραδείγματός γ᾽ ἐστὶ τότε γένεσις, ὁπόταν ὂν ταὐτὸν ἐν ἑτέρῳ διεσπασμένῳ, δοξαζόμενον ὀρθῶς καὶ συναχθὲν περὶ ἑκάτερον ὡς συνάμφω μίαν ἀληθῆ δόξαν ἀποτελῇ. Θαυμάζοιμεν ἂν οὖν εἰ ταὐτὸν τοῦτο ἡμῶν ἡ ψυχὴ φύσει περὶm, τὰ τῶν πάντων στοιχεῖα πεπονθυῖα τοτὲ μὲν ὑπ᾽ ἀληθείας περὶ ἓν ἕκαστον ἔν τισι συνίσταται, τοτὲ δὲ περὶ ἅπαντα ἐν ἑτέροις αὖ φέρεται, καὶ τὰ μὲν

αὐτῶν ἁμῇ γέ πῃ τῶν συγκράσεων ὀρθῶς δοξάζει, μετατιθέμενα δ᾽ εἰς τὰς τῶν πραγμάτων μακρὰς καὶ μὴ ῥᾳδίους συλλαβὰς ταὐτὰ ταῦτα πάλιν ἀγνοεῖ;

Platonis Politicus 〈Plat. polit. 277  d–278  d: »[Fremder:] Es ist schwer, Bes­ ter, wenn man nicht ein Beispiel zur Hand nimmt, irgend etwas Größeres recht deutlich zu machen. Denn sonst mag wohl jeder von uns erst wie im

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Traume alles wissen und dann wieder gleichsam wachend alles nicht wis­ sen. […] Von den Kindern wissen wir [doch], wenn sie eben lesen lernen. […] Daß sie jeden Buchstaben in den kürzesten und leichtesten Silben bald genug bemerken und ihn da richtig auszusprechen verstehen. […] Diese selbige aber in anderen wieder verkennen und dann fehlen in ihrer Vorstel­ lung und Rede. […] Ist es nun nicht so am leichtesten und schönsten, sie zu dem zu führen, was sie noch nicht erkennen? […] Daß man sie erst zu dem zurückführe, wo sie dasselbe richtig vorgestellt haben, und dann dieses neben das noch nicht von ihnen Erkannte stelle, um ihnen durch Verglei­ chung die Ähnlichkeit und die selbige Beschaffenheit in beiden Verknüp­ fungen zu zeigen, bis das richtig Vorgestellte neben alles noch Unbekannte gestellt aufgezeigt ist und so aufgezeigt Beispiele abgibt, welche bewirken, daß von allen Buchstaben in allen Silben jeder, wenn er verschieden ist, auch verschieden, wenn er aber derselbe ist, auch als derselbe immer auf gleiche Weise benannt werde. […] [Das also haben wir zur Genüge gefaßt,] daß ein Beispiel alsdann entsteht, wenn etwas, was dasselbe ist in einem anderen Getrennten, richtig vorgestellt und herbeigebracht, von jedem von beiden als gleichen eine und dieselbe richtige Vorstellung bewirkt. […] Sollen wir uns also wundern, wenn unsere Seele, der es von Natur mit den Bestandteilen der Dinge überhaupt eben so ergeht, jetzt der Wahrheit gemäß über einzelnes in einigen Sicherheit gewinne, dann aber wieder über alle in anderen schwankt; und einige von ihnen doch in manchen Ver­ bindungen richtig vorstellt, versetzt aber in weitläufige und nicht leichte Verknüpfungen und gleichsam Silben von Gegenständen eben dieselbigen wieder nicht erkennt?«〉 11/10  Analogie  Komm.: Gleichförmigkeit, Entsprechung zweier Verhältnisse. Vgl. Komm. SD 13/23 zum Witz, als Fähigkeit, Analogien zu finden. Die Frage, welche Rolle dem Analogie-Schluss in der Erkenntnis zukommt, taucht im 18. Jhd. in vielen Kontexten auf und wird bisweilen zu bloßer Ähnlichkeit aufgeweicht, ist aber auch in der Etablierung des Begriffs der Wahrschein­ lichkeit relevant. Für Hamann ist einerseits Herveys Verständnis der Analo­ gie-Bildung in der Bibel-Auslegung für die Biblischen Betrachtungen und die Brocken maßgeblich gewesen. Andererseits spielt die Skeptizismus-Debatte eine Rolle für die Begriffsbildung; etwa Hume in Philosophische Versuche, im Kapitel: »Sceptische Zweifel, in Ansehung des Verstandes«. In Hamanns Brocken ist das bereits Voraussetzung, vgl. LS 409/28–32. Bei Sokrates geht es um die bspw. bei Cooper forcierte Analogie zwischen Aussehen (siehe Komm. SD 11/11 f.) bzw. ästhetischem Empfinden und Moral bzw. Philoso­ phie (vgl. Komm. SD 21/19–25).

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11/10  Marg.: Analogy […] Night 6.  Komm.:

Young: Night-Thoughts, »Night 6: The infidel reclaimed«, V. 734. In der dt. Übers. von Ebert wird »Analogy« mit »Gleichförmigkeit« wiedergegeben (Bd. 2, S. 324 f.). 11/11f.  Seele […] Leibe  Komm.: Die Hässlichkeit des Leibes im Kontrast zur Schön­ heit der Seele gehört zum Standardrepertoire der Sokrates-Überlieferung (bspw. bei Charpentier das Kapitel »Von der Leibes Gestalt des Socrates und der Uneinigkeit seiner Zuhörer«), im Zedler 49, 1461, wird Sokrates sogar unter dem Lemma ›ungestalt‹ aufgeführt. In Plat. symp. (215  a–217  a) vergleicht Alkibiades Sokrates entsprechend mit einem Satyr; die Ironie (εἰρωνεία) beschreibt Alkibiades dort als ein charakteristisches Merkmal der Gesprächs- und Lebensführung Sokrates’ (siehe Komm. SD 24/31). Auch bei Cicero findet sich dieser Konnex (Tusc. Quaest. 1,33 u. 37). Darüber hi­naus ist das Verhältnis von Leib und Seele Basis der Analogiebildungen in Platons Gorgias bzgl. der verschiedenen menschlichen Künste, etwa für die Differenz von Redekunst als Analogon für die Kochkunst, die dem Leib dient, gegenüber der Rechtspflege als Analogon zur Heilkunst, die der Seele dient (Plat. Gorg. 465  b–e). Siehe Komm. SD 23/24 f. 11/12  Ironie  Annot. SD4*: – ὁ Σωκράτης εἴρων ὢν φύσει — Juliani oratio VII , p. 237. 〈Iul. or. 7,237  b: »[Ich habe diese Stelle aber bloß deswegen hier ange­ führt, damit Du Dich nicht nach der Art vieler Platoniker auf ] die ironische Art des Sokrates berufst[, um Platons Meinung zu entkräften.]«〉 11/12  Ironie  Komm.: Der Zusammenhang von ›sokratischer Art‹ mit dem rheto­ rischen Begriff von Ironie ist, häufig mit Verweis auf Cicero (bspw. de orat. 2,270), üblich in den von Hamann rezipierten Philosophiegeschichten. Für Hamanns Verallgemeinerung der Ironie bis hin auch zu einem Offenba­ rungsgeschehen siehe bspw. HKB 146 (I 339/28–340/3, 5.  6.  1759, an J. G. Lindner): »Erschrecken Sie nicht liebster Freund! Verantwortung, Zorn, Furcht, Verlangen, Eyfer, Rache. Wenn der natürl. Mensch 5 Sinnen hat; so ist der Christ ein Instrument von 10 Sayten. Und ohne Leidenschaften einem klingenden Ertz ähnlicher als einem neuen Menschen. Kein beßer Schwerdt als Goliaths; so braucht der Christ die Ironie um den Teufel damit zu züchtigen. Diese Figur ist die erste in seiner Redekunst gewesen; und mit dieser Figur führte Gott die ersten Eltern zum Paradiese heraus; nicht sie sondern ihren Verführer damit zu spotten. Für die ersten mag dieser Einfall vielleicht damals verloren gewesen seyn, oder sehr dunkel geblieben, wenn ihn der Glaube nicht aufgeklärt; der letzte mag ihn zu seiner Unruhe mehr nachgedacht haben. War Goliath nicht so witzig als die schönen Geister oder die großen unserer Zeit: Bin ich ein Hund pp. Der Prügel that ihm nichts, sondern die Schleuder, und sein eigen Gewehr.« Aber auch der Bezug zu im engeren Sinne rhetorischen Formen zeitgenössischer Polemik

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ist für Hamann wichtig, siehe etwa HKB 58 (I 143/8–13, 11.  2.  1756, an J. G. Lindner), mit Bezug auf J. H. Oests Streitschriften, S. 5 f.: »›Jede Streitschrift muß das Original in der Schreibart pp nachahmen so viel als möglich. […] Es sind ernste Minen voller Ironie. Schlüße denen die Vordersätze fehlen; er vergleicht sie den Springern im Schach, die keine Linien schlagen aber unmittelbar dem Könige oder den unbesetzten Hauptleuten Schach bieten v manchmal dem Könige v. dem Elephanten zugleich.‹« 11/12  Ungewißheit und Zuversicht  Komm.: Phil 2,14 u. 25. 11/17  Xenophons herrscht eine abergläubische  Komm.: Hamann kannte Schriften von Xenophon aus griechisch-lateinischen Ausgaben (in Leipzig war 1755 die seinerzeit jüngste der memorabilia socratis, hg. v. Ernesti, herausgekom­ men). In dt. Übers. besorgte er sich 1758 die Republick derer Athenienser (1744); darin konnte er über den Aberglauben in Athen die Anm. des Hg. Wackern lesen: »Wir haben aus demjenigen, was uns Xenophon allbereit berichtet hat, mehr als zu wohl eingesehen, daß die Athenienser überaus vielen Lastern ergeben gewesen, dem ohngeachtet aber, waren sie doch überaus abergläubisch, und bestraften diejenigen sehr scharff, welche etwas vornahmen, das ihrer Religion einiger massen zuwieder schien.« (S. 287) Dass Hamann Xenophon selbst als abergläubisch bezeichnet, ist vmtl. bezogen auf Xenophons Auffassung des daimonion als Vermittler von Götterbotschaften (Xen. mem. 1,1,2–5 u. 4,3,12, apol. 12–14) und das Vertrauen auf die Mantik, bspw. im Feldzug des Kyros gegen Artaxerxes II . (Xen. an. 3,2,8 ff.). 11/18  Platons eine schwärmerische  Komm.: Eine ausführliche Beschäftigung mit Platons Dialogen beginnt Hamann erst 1760, vertieft 1761 (siehe Einfüh­ rung, S. X XII). Die These einer schwärmerischen Philosophie Platons bezieht sich auf die Seelen- bzw. Geisterlehre. Colberg etablierte dafür 1690 die Wendung vom platonisch-hermetischen Christentum mit seiner so betitel­ten Streitschrift. Die Kritik richtete sich gegen schwärmerische Innerlichkeit und Vermischung von Theologie und Philosophie. Bruckers Historisierung der griech. Philosophie lehnt deswegen die Annahme eines Genius als Mittler zwischen Göttlichem und Weltlichem bei Sokrates ab; Zedler 38, 292 ›Socrates‹. Die 1758 erhobene Kritik Lessings und Mendels­ sohns an Wielands Platonismus bzw. Sokrates-Adaption betont dessen schwärmerisch-ästhetizistische Moralphilosophie (siehe Komm. SD 11/9). Neben der religiösen Kontroverse galt Platon auch in der politischen ­Theorie als Schwärmer aufgrund seiner Konzeption vom Idealstaat (Plat. rep. 473; vgl. W 76/21). Auch Bolingbroke polemisierte gegen die platoni­ schen Ideen, die er zwar für kohärent, aber dennoch für eine »rhapsody of nonsense« hielt (The Philosophical Works, Bd. 2, S. 172).

140 11/21  mimischen Arbeit  Komm.:

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Siehe Komm. SD 11/12. Lindner: Anweisung zur guten Schreibart definiert ironische Mimesis als: »spöttische Wiederholung der Worte des andern« (S. 28). 11/22  denen Heyden  Umarb. SD4*: den Griechen 11/23  Heyden in ihrer Freymüthigkeit  Komm.: Vmtl. bezogen auf die vermeint­ liche Toleranz der Griechen gegenüber der Heterogenität philosophischer Posi­tionen (im Unterschied zur Intoleranz, die Wackern in der XenophonÜbers. anmerkt, siehe Komm. SD 11/17), bspw. von Hume: Philosophische Versuche, S. 303. 11/25  den Schleyer zu borgen  Annot. SD4*: καὶ μὴν στολήν γ᾽ Ἕλληνα καὶ ῥυθμὸν πέπλων / – – τὰ δ᾽ ἄλλα βαρβάρου χερὸς τάδε. Eurip. in Heraclid 〈Eurip. Heracl. 130 f.: »[Demophon:] Ein Grieche ist er nach Gewand und Tracht, / [Jedoch] Barbar nach dieser Freveltat.«〉 / ἁρμόζει γάρ, οἶμαι, τῆς ἀληθείας τὰ σπέρματα μόνοις φυλάσσεσθαι τοῖς τῆς πίστεως γεωργοῖς. Clem. Alex. Strom. Lib. I. p. 278. 〈Clem. Al. strom. 1,18,1: »Denn wie ich meine, ziemt es sich, daß die Samenkörner der Wahrheit allein für die Ackersleute des Glau­ bens aufbewahrt werden.«〉 τῆς ἐπικρύψεως τὸν τρόπον, θεῖον ὄντα ὡς ἀληθῶς καὶ ἀναγκαιότατον ἡμῖν, ἐν τῷ ἀδύτῳ τῆς ἀληθείας ἀποκείμενον, ἱερὸν ἀτεχνῶς λόγον, Αἰγύπτιοι μὲν διὰ τῶν παρ’ αὐτοῖς ἀδύτων καλουμένων, Ἑβραῖοι δὲ διὰ τοῦ παραπετάσματος ᾐνίξαντο· Id. ibid. Lib. V, p. 555 〈Clem. Al. strom. 5,19,3: »[Deshalb ist die] die Geheimnisse verhüllende Art der Unterweisung wahrhaft göttlich und wegen der im Heiligtum der Wahrheit aufbewahrten, geradezu heiligen Lehre für uns ganz unentbehrlich. Auf diese geheimnisvolle Darbietung wiesen die Ägypter durch die bei ihnen sich findenden sogenannten geweihten und unzugänglichen Räume, die Hebräer aber durch den Tempelvorhang hin.«〉 / – Χρησιμώτατον τὸ τῆς συμβολικῆς ἑρμηνείας εἶδος εἰς πολλά, καὶ πρὸς τὴν ὀρθὴν θεολογίαν συνεργοῦν, καὶ πρὸς εὐσέβειαν, καὶ πρὸς ἐπίδειξιν συνέσεως, καὶ πρὸς βραχυλογίας ἄσκησιν, καὶ σοφίας ἔνδειξιν. Clem. Alex. Strom. Lib. V, p. 569 〈Clem. Al. strom. 5,46,1: »Vom größten Nutzen ist also in vielfacher Hinsicht das Verfahren, etwas durch Sinnbilder kundzutun; denn dieses Verfahren hilft mit bei der rechten Auffassung von Gott, bei der Frömmigkeit, bei der Bekundung von Klugheit, bei der Schulung in kurzer Fassung der Rede, bei dem Aufzeigen von Weisheit.«〉 / Τῶν μιμουμένων οἱ μὲν εἰδότες ὃ μιμοῦνται τοῦτο πράττουσιν, οἱ δ᾽ οὐκ εἰδότες. Καίτοι τίνα μείζω διαίρεσιν ἀγνωσίας τε καὶ γνώσεως θήσομεν; – – […] τὸ σὸν σχῆμα καὶ σὲ γιγνώσκων ἄν τις μιμήσαιτο. […] Tί δὲ δικαιοσύνης τὸ σχῆμα καὶ ὅλης συλλήβδην ἀρετῆς; Ἆρ᾽ οὐκ ἀγνοοῦντες μέν, δοξάζοντες δέ πῃ, σφόδρα ἐπιχειροῦσιν πολλοὶ τὸ δοκοῦν σφίσιν τοῦτο ὡς ἐνὸν αὐτοῖς προθυμεῖσθαι φαίνεσθαι ποιεῖν, ὅτι μάλιστα ἔργοις τε καὶ λόγοις μιμούμενοι; – – […] Μιμητὴν δὴ τοῦτόν γε ἕτερον ἐκεί-

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νου λεκτέον οἶμαι, τὸν ἀγνοοῦντα τοῦ γιγνώσκοντος. […] Πόθεν οὖν ὄνομα

ἑκατέρῳ τις αὐτῶν λήψεται πρέπον; Ἢ δῆλον δὴ χαλεπὸν ὄν, διότι τῆς τῶν

γενῶν κατ᾽ εἴδη διαιρέσεως παλαιά τις, ὡς ἔοικεν, ἀργία τοῖς ἔμπροσθεν καὶ ἀσύννους παρῆν, ὥστε μηδ᾽ ἐπιχειρεῖν μηδένα διαιρεῖσθαι· καθὸ δὴ τῶν ὀνο-

μάτων ἀνάγκη μὴ σφόδρα εὐπορεῖν. Ὅμως δέ, κἂν εἰ τολμηρότερον εἰρῆσθαι,

διαγνώσεως ἕνεκα τὴν μὲν μετὰ δόξης μίμησιν δοξομιμητικὴν προσείπωμεν· τὴν δὲ μετ᾽ ἐπιστήμης ἱστορικήν τινα μίμησιν. — […] (ὁ σοφιστὴς οὐκ ἐν τοῖς εἰδόσιν ἦν, ἀλλ᾽ ἐν τοῖς μιμουμένοις).

[…] Τὸν δοξομιμητὴν δὴ σκοπώμεθα ὥσπερ σίδηρον, εἴτε ὑγιὴς εἴτε διπλόην ἔχων τινά ἐστιν ἐν αὑτῷ. […] Ἔχει τοίνυν καὶ μάλα συχνήν. Ὁ μὲν γὰρ εὐήθης αὐτῶν ἐστιν, οἰόμενος εἰδέναι ταῦτα ἃ δοξάζει· τὸ δὲ θατέρου σχῆμα διὰ τὴν ἐν τοῖς λόγοις κυλίνδησιν ἔχει πολλὴν ὑποψίαν καὶ φόβον ὡς ἀγνοεῖ ταῦτα ἃ πρὸς τοὺς ἄλλους ὡς εἰδὼς ἐσχημάτισται.

[…] Οὐκοῦν τὸν μὲν ἁπλοῦν μιμητήν τινα, τὸν δὲ εἰρωνικὸν μιμητὴν θήσομεν; — […] καί μοι διττὼ καταφαίνεσθόν τινε· τὸν μὲν δημοσίᾳ τε καὶ μακροῖς λόγοις πρὸς πλήθη δυνατὸν εἰρωνεύεσθαι καθορῶ, τὸν δὲ ἰδίᾳ τε καὶ βραχέσι λόγοις ἀναγκάζοντα τὸν προσδιαλεγόμενον ἐναντιολογεῖν αὐτὸν αὑτῷ.

[…] τὸν μακρολογώτερον εἶναι; πότερα πολιτικὸν ἢ δημολογικόν; […] τὸν ἕτερον ἐροῦμεν σοφιστικόν, ἐπείπερ οὐκ εἰδότα αὐτὸν ἔθεμεν· μιμητὴς δ᾽ ὢν τοῦ σοφοῦ δῆλον ὅτι παρωνύμιον αὐτοῦ τι λήψεται […]. Tὸ δὴ τῆς ἐναντιοποιολογικῆς εἰρωνικοῦ μέρους τῆς δοξαστικῆς μιμητικόν, τοῦ φανταστικοῦ γένους ἀπὸ τῆς εἰδωλοποιικῆς οὐ θεῖον ἀλλ᾽ ἀνθρωπικὸν τῆς ποιήσεως ἀφωρισμένον ἐν λόγοις τὸ θαυματοποιικὸν μόριον, ταύτης τῆς γενεᾶς τε καὶ αἵματος ὃς ἂν φῇ τὸν ὄντως σοφιστὴν εἶναι, τἀληθέστατα, ὡς

ἔοικεν, ἐρεῖ. Ende von Platons Sophisten. 〈Plat. soph. 267  b–268  d: »[Frem­

der:] Die Nachahmenden tun dieses teils kennend, was sie nachahmen, teils ohne es zu kennen. Und was für einen größeren Unterschied könnte man wohl setzen als zwischen Unkenntnis und Kenntnis? […] [Denn] nur, wer deine Gestalt und dich kennt, kann sie nachahmen. […] Wie aber die Gestalt der Gerechtigkeit und der gesamten Tugend überhaupt? Gibt es nicht gar viele, die sie eigentlich nicht kennen, sondern sich nur ungefähr vorstellen, sich aber gar sehr darauf legen, das was sie dafür halten, als ihnen einwohnend erscheinen zu machen, indem sie es soviel nur irgend möglich in Handlungen und Reden nachahmen? […] Diesen Nachahmer also werden wir doch für verschieden erklären müssen von jenem, von dem Wissenden diesen Nichtwissenden. […] Woher nimmt man also für jeden von ihnen einen schicklichen Namen? Oder ist das nicht offenbar schwer, deshalb, weil in Absicht der Teilung der Gattungen in Arten die früheren einen alten unbewußten Grund hatten, so daß keiner eine solche Einteilung auch nur versuchte, weshalb ich denn mit den Namen notwen­ dig nicht gar leicht daran bin. Dennoch, wenn es auch kühner gesprochen

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sein sollte, wollen wir der Unterscheidung wegen jene von einer bloßen Vorstellung ausgehende Nachahmung die Dünkelnachahmung nennen, die aber von der Erkenntnis, die kundige Nachahmung. […] [Denn] unter den Wissenden war der Sophist nicht, [wohl] aber unter den Nachahmen­ den. […] Den Dünkelnachahmer laß uns also beschauen wie ein Eisen, ob er aus einem Stück ist oder ob er [noch] irgendwo eine Spur zeigt, daß er aus zweien zusammengeschlagen ist. […] Und die zeigt er recht sichtlich. Der eine nämlich ist ehrlich und glaubt wirklich, das zu wissen, was er sich vorstellt. Des anderen Benehmen aber, weil er sich so gar sehr in seinen Reden hin und her dreht, zeigt, daß er selbst großen Verdacht und Argwohn hegt, das nicht zu wissen, was zu wissen er sich gegen andere das Ansehn geben will. […] Wollen wir nun den einen als den einfältigen Nachahmer setzen, den andern als den, der sich verstellt? […] [Ich sehe schon,] und mir erscheinen allerdings deren zwei; der eine, der öffentlich und in lan­ gen Reden vor dem Volke sich zu verstellen versteht; der andere, der unter wenigen und in kurzen Sätzen seinen Mitunterredner zwingt, sich selbst zu widersprechen. […] [Wer, wollen wir nun nachweisen, daß] der Lang­ redende sei: der [Staatsmann oder] Volksprecher? […] [Und wie] wollen wir den anderen nennen, [den Weisen oder] den Sophisten? [Theai­tetos: Weise wohl unmöglich,] da wir ihn ja als nichtwissend gesetzt haben; da er aber ein Nachahmer des Weisen ist, so muß er doch wohl von diesem etwas in seinem Beinamen bekommen […]. [Fremder:] Also die Nachahme­ rei in der zum Widerspruch bringenden Kunst des verstellerischen Teiles des Dünkels, welche in der trügerischen Art von der bildnerischen Kunst her nicht als die göttliche, sondern als die menschliche, tausendkünstleri­ sche Seite der Hervorbringung in Reden abgesondert ist; wer von diesem Geschlecht und Blute den wahrhaften Sophisten abstammen läßt, der wird, wie es scheint, das richtigste sagen.«〉 11/25–12/2  Schleyer […] Unglauben  Komm.: Vgl. auch Komm. W 76/15 f. u. 17 f. Henry St. John Bolingbroke (1678–1751), britischer Politiker, für die Tories im Par­ lament, 1710 Staatssekretär; weil er an der Planung eines Staatsstreichs zu Gunsten der Stuarts beteiligt war, musste er 1714 ins französische Exil; 1723 konnte er nach England zurückkehren, ihm wurde aber politische Tätigkeit verboten, sodass er sich auf kritische Publizistik verlegte (›patriotisch‹ spielt wohl auf die beiden Schriften The Idea of a Patriot King [1748] und Spirit of Patriotism [1749] an). In den Letters on the Study and Use of History werden alttestamentliche Texte als verstümmelte Überlieferung relativiert, die zur historischen Rekonstruktion nicht taugen. Nur was für das noch geltende christliche Dogma Zeugnis gebe, könne nützlich rezipiert werden; ohnehin solle man sich mehr mit der jüngeren politischen Geschichte beschäftigen

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als mit der alten. Der übergeordnete Zweck des Studiums der Geschichte besteht für ihn in einer Exempla-Lehre für gegenwärtiges Handeln. Von den Kritiken an Bolingbroke, die ihm auch viele sachliche Fehler nachwie­ sen, waren Hamann u. a. bekannt: Hervey: Remarks on Lord Bolingbroke’s Letters und Shuckford: The Sacred and Profane History. Die kontroversen Texte übersetzte Hamann 1774 in Auszügen (Jakob Hervey’s Anmerkungen). Der Vorwurf gegen sog. Freigeister, mit ihrem eleganten ›Witz‹ ihren Unglauben zu bemänteln, gehörte zum Standardrepertoire der Apologetik; bezeichnend etwa Klopstock in Eine Betrachtung über Julian den Abtrünnigen, wo er sich auf Voltaire, Hume und Bolingbroke bezieht (S. 146): »Hume ist nicht besser gegen sie [die Religion] gesinnt, ob gleich seine Art zu denken und zu schreiben so fein ist, daß man ihn beynahe nur für einen bloßen Zweifler halten sollte. Diese drey großen Lehrer des Unglaubens schreiben so schön, sie umkränzen ihren Giftbächer mit so ausgesuchten Blumen […]«. Lessing widmet diese Stigmatisierung ironisch um, wenn er gegen Wieland (der Shaftesburys Konzept des Gentleman bzw. Virtuoso als vorbildlich pries) und dessen Plan einer Akademie im 12. der Literaturbriefe (Tl. 1, 1759, S. 64) schreibt: »Shaftesbury ist der gefährlichste Feind der Religion, weil er der feinste ist. Und wenn er sonst auch noch so viel Gutes hätte; Jupiter verschmähte die Rose in dem Munde der Schlange.« Vgl. dagegen Hamann in den Biblischen Betrachtungen, LS 68/12–25: »Hat Gott sich den Menschen v dem gantzen Mschl. Geschlecht zu offenbaren die Absicht gehabt; so fällt die Thorheit derjenigen desto mehr in die Augen die einen eingeschränkten Geschmack v ihr eigenes Urtheil zum Probestein des göttl. Worts machen wollen. Die Rede ist nicht von einer Offenbarung, die ein Voltaire, ein Bollingbroke, ein Shaftesbury annehmungswerth fin­ den würden; die ihren Vorurtheilen, ihrem Witz, ihren moralischen, politi­ schen […] Grillen am meisten ein Genüge thun würde, sondern von einer Entdeckung solcher Wahrheiten, an deren Gewisheit, Glaubwürdigkeit v Wichtigkeit dem ganzen Mschl. Geschlecht gelegen wäre. […] Sie sind die Gesunden die des Artztes nicht bedürfen.« Anthony Ashley Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury (1671–1713), ebenfalls als Politiker aktiv, vertrat publi­ zistisch einen moralphilosophisch motivierten Neu-Platonismus, plädierte für die Verfeinerung der Sitten mittels ästhetischer Bildung; in den pole­ mischen Konstellationen seiner Zeit (aber auch als Mittel der Selbstkritik) empfahl er die Probe des Spottes zur Erkundung des haltbaren Wahren. Die Kritik an seinem Deismus hob schon um 1700 an, John Browns Essays on the Characteristics waren einschlägig. Hamann kannte Herveys Meditations and Contemplations und Theron and Aspasio, worin Shaftesburys Forderung nach Nüchternheit in der Prüfung reli­giöser Fragen eine demütige Haltung

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zur Offenbarung (im Buch der Natur wie in den Heiligen Schriften) entge­ gengesetzt wird. Shaftesburys Characteristics of Men besaß er in einem in Rotterdam von Thomas Johnson edierten Nachdruck als ›pocket-edition‹, aus der er auch, wohl um 1755, Übersetzungen aus den Essays A Letter concerning Enthusiasm und Sensus communis anfertigte (N IV 131–191). 12/4  Kunstrichter  Komm.: Adelung 2, 1835 ›Kunstrichter‹: »[E]ine Person, welche ein Geschäft daraus macht, die Producte der freyen oder schönen Künste, welche vorzüglich Künste genannt werden, zu beurtheilen. In weiterer Bedeutung, ein jeder, welcher die gelehrten Arbeiten anderer beurtheilet, oder zu beurtheilen unternimmt. […] Man hat dieses Wort in den neuern Zeiten und vermuthlich erst in dem gegenwärtigen Jahrhunderte eingefüh­ ret, das Griech. Kritikus auszudrucken, ungeachtet dieses zunächst einen Verbesserer der alten Schriftsteller bedeutete.« Hamann eröffnet hier einen anderen Bezug zu Sokrates’ ›Kennerschaft‹ als Lessing im 9. der Literaturbriefe, der sich gegen Wielands Evokation von Sokrates als eines feinsinni­ gen Kunstliebhabers gerichtet hatte (Tl. 9, 1759, S. 46). 12/4–11  Er unterschied […] schwimmen könnten  Komm.: Diog. Laert. 2,5,22: »Euripi­ des soll ihm [Sokrates] die Schrift des Herakleitos zum Lesen überreicht und ihn dann gefragt haben, wie er darüber denke; da habe er erwidert: ›Was ich davon verstanden habe, zeugt von hohem Geist; und, wie ich glaube, auch was ich nicht verstanden habe; nur bedarf es dazu eines deli­ schen Tauchers.‹« Hamann verweist schon in den Biblischen Betrachtungen im Kontext von 1 Mos 1,31 auf diese Stelle (LS 72/8–12). Charpentier 26 f. gibt dem Gleichnis eine kritische Implikation: »Womit er zu verstehen geben wolte, daß dieses Buch einem Meer nicht ungleich wäre, welches weder Grund noch Strand hat, und wo die Vernunft sehr wahrscheinlich in Gefahr ist, Schiffbruch zu leiden. Und dieses Gleichniß kommt sehr wohl mit der Eitelkeit dieser Autorum überein, die, weil sie das object, das sie sich vorgesetzt, nicht erreichen kunten, sich an jedwede Grillen, die ihnen ihre Einbildung darreichte, anhielten, und uns solcher gestalt ihre Träume an statt gegründeter Ursachen überlassen, und noch darzu ein grosses Geheimnis aus ihrer Unwissenheit gemacht haben.« Vgl. auch bzgl. der Offenbarungswahrheiten Knutzen: Philosophischer Beweis, S. 105: »Bleiben denn in diesem geheimnisvollen Begnadigungsmittel noch einige Tiefen übrig, die unser eingeschränkter Verstand nie völlig ergründen wird, wie es auch der Göttlichkeit desselben gemäß ist; so glaube, Vernunft und Wahr­ heit gebieten uns, nach so viel wahrgenommenen Proben der Glaubwürdig­ keit von diesen großen Wahrheiten, so wie Socrates von den Schriften des Heracliti zu urtheilen. Ea quae intellixi, egregia sunt; puto his similia esse, quae non intellixi. D. i. Was ich davon verstanden habe, ist vortrefflich; ich

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glaube, das übrige, so ich nicht einzusehen vermögend, werde von gleicher Art seyn.« Auch Leibniz hatte im Theodizee-Essay (Tl. 2 »des Versuchs von der Güte Gottes«, § 146) mit dem Heraklit-Gleichnis zum Schöpfungsver­ ständnis argumentiert. Aber gegen ein Theodizee-Verständnis, das vom (harmonischen) Ganzen aufs Einzelne schließt, wendet sich Hamann in Bezug auf Kant (und dessen Disput mit Weymann), vgl. HKB 163 (I 435/30– 37, 12.  10.  1759, an J. G. Lindner): »Er beruft sich auf das Gantze, um von der Welt zu urtheilen. Dazu gehört aber ein Wißen, das kein Stückwerk mehr ist. Vom Gantzen also auf die Fragmente zu schließen, ist eben so als vom Unbekannten auf das Bekannte. Ein Philosoph, der mir also befiehlt auf das Ganze zu sehen, thut eine eben so schwere Forderung an mich, als ein anderer, der mich befiehlt auf das Herz zu sehen, mit dem er schreibt. Das ganze ist mir eben verborgen, wie mir Dein Herz ist. Meynst du denn, daß ich ein Gott bin? Du machst mich dazu durch Deine Hypothese, oder hälst dich selbst dafür [...]«. 12/7  billige und bescheidene Vermuthung  Komm.: Als hermeneutische Prämisse wäre damit die Billigkeit nach Meiers Auslegungskunst zu vergleichen (§ 198, S. 105): »Ein Ausleger nimt keinen unmittelbaren Sinn des Textes an, welcher ein Beweis der Dummheit und des stumpfen Kopfs des Urhebers desselben, und anderer wirklichen Unvollkommenheiten der Erkenntniß­ kraft, seyn würde, bis das Gegentheil erhellet. Und wenn der eigentliche unmittelbare Sinn ein solcher Beweis seyn würde, so nimt er den uneigent­ lichen an, welcher von dem muntern, aufgeweckten und vortrefflichen Kopfe des Autors ein Zeugniß ablegt, bis das Gegentheil erhellet.« 12/11  Marg.: Atque [...] Calegula  Komm.: Suet. Caes. 4,54,2: »atque hic tam docilis ad cetera natare nesciit.« – »Er [Caligula], der doch ein gelehriger Schüler in allen anderen Disziplinen war, konnte nicht schwimmen.« 12/13  Elegie vom Philosophen  Komm.: Elegie: Klaggedicht. Heraklit wurde bereits seit der Antike (etwa von Lukian vit. auct. 14), dann aber vermehrt in der Renaissance »der weinende Philosoph« genannt, der über den Verfall der Welt klagt. 12/17  wird mir Ihr partheyisch  Annot. SD4*: Ἀργεῖ’ ὀνείδη καὶ Φρυγῶν ἐπαινέσεις / ἀνέμοις φέρεσθαι παραδίδωμ’ – – Eurip. Τρωάδ. 〈Eurip. Tro. 418 f.: »[Talthy­ bios:] Ich schlage diese Reden in den Wind, / Die Reden einer Närrin.«〉 12/18  partheyisch Lob  Komm.: Inversion der damals verbreiteten Forderung nach unparteiischen Lesern. In Chladenius’ Geschichtswissenschaft (siehe Komm. SD 18/26) ist das parteiische Zeugnis definiert als ein mit bewusster Absicht ›verdrehtes‹ (S. 152). 13/5  Bildsäule des französischen Staatsministers  Komm.: François Girardon (1628– 1715) fertigte 1675–1694 im Auftrag von König Ludwig XIV. ein Grabmal

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(keine Bildsäule) für Kardinal Richelieu (1585–1642) an (heute in Paris, Chapelle de la Sorbonne & Sainte-Ursule). Die Anekdote von Peter I., dem Großen, Zar von Russland, vor dem Denkmal Richelieus könnte Hamann in Beaumelles Mes pensées gelesen haben – in der Übers. von Beneckendorf heißt es (S. 66): »Ludwig der XIVte gieng auf die Sorbonne, um das Grab des Cardinals Richelieu zu besehen, er lobete den vortrefflichen Meißel des Girardons, er befahl ihm ein Bruststück von seiner Person zu verferti­ gen, er gab ihm ein ansehnliches Gnadengehalt, und errichtete eine Malerund Bildhauerakademie. Peter der Erste, wollte auch dieses Meisterstück in Augenschein nehmen; anstatt aber, daß er sich mit dessen kaltsinniger Bewunderung hätte aufhalten sollen, steigt er über das Geländer weg, wirft sich auf das Bildnis selbst, umarmt solches, und ruft dabey aus: ›O großer Mann! wenn du lebetest - - - - - - - Ich wollte dir die eine Hälfte meiner Länder geben, um zu lernen, wie ich die andere regieren soll.‹ Er würde gewiß die versprochene Hälfte nicht lange behalten haben.« Auch in Vol­ taires Anecdotes sur le Czar Pierre le grand wird die Richelieu-Anekdote von Peters I . Aufenthalt in Paris 1717 wiedergegeben; dabei geht es aber vor allem um den Kontext der Europa-Reise Peters, bei welcher er u. a. französi­ sche Manufakturen, Münzkabinette, in den Niederlanden Schiffswerkstät­ ten besuchte, um sich Kenntnisse anzueignen, die er für seine Regierung in Russland fruchtbar machen wollte. Hamann hatte sich über die Entwick­ lungen in Russland u. a. informiert mit dem Werk des Diplomaten Weber: Das veränderte Rußland. 13/6  grosser Künstler  Umarb. SD4*: berühmter Künstler 13/7  Name eines ganzen Jahrhunderts  Komm.: Voltaire fordert von der Historiogra­ phie, dass sie nicht nur politische Großtaten einzelner Herrscher erzählt, sondern den Geist einer Epoche erfasst – und Geist habe eine Epoche durch ihre Leistungen in den Künsten. Vgl. Versuch über das Jahrhundert Ludewigs XIV., in: Des Herrn von Voltaire Kleinere Historische Schriften, S. 19: »Man will nicht der Nachwelt die Thaten eines einzigen Mannes schildern, son­ dern den Geist der Menschen in dem alleraufgeklärtesten Jahrhunderte, welches jemals gewesen ist. […] Ein jeder aber welcher denket, oder was noch seltner ist, ein jeder welcher Geschmack hat, kennet nur vier Jahr­ hunderte in der Geschichte der Welt. Diese vier glücklichen Zeitalter sind diejenigen, welche die Künste zu ihrer Vollkommenheit gelangen ließen, und, als die Epochen der Größe des menschlichen Geistes, das Beyspiel der Nachwelt wurden.«    13/10  Scythe  Komm.: Meist unspezifische Bezeichnung für jemanden aus dem osteuropäischen bzw. mittelasiatischen Raum. Zur topischen Charakteri­ sierung vgl. La Fontaines Fabel vom skythischen Philosophen, »Le Philo­

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sophe Scythe«, einem strengen, stoischen Sittenlehrer, der alles Fruchtbare beschneidet. Vgl. aber auch Komm. W 73/24. 13/11  Julians  Komm.: Julian, 360–363 römischer Kaiser, wollte das von Kaiser Konstantin privilegierte Christentum (das er als Verfälschung des älteren Judentums betrachtete, weswegen er an der alten Bezeichnung ›Galiläer‹ festhielt) wieder zurückdrängen zugunsten der römischen, griechischen polytheistischen Religionen und Mysterienkulte (wobei er das Orakel von Delphi als Ursprung der Philosophie ansah). In Bléteries Vie de l’Empereur Julien, das Hamann besaß, werden die Methoden Julians zur Bekämpfung der Christen beschrieben (dt. Übers. S. 205 f.): »Wenn die Christen ihm die Drangsalen, die sie ausstehen musten, vorstelleten, antwortete er ihnen: Könnet ihr euch wohl beschweren? Ein jeder Christ ist ja zum Leiden berufen;« 1759 las Hamann auch Klopstocks Betrachtung über Julian den Abtrünnigen, als Kritik an den ›Freygeistern‹ (Voltaire, Hume, Bolingbroke, implizit auch Lessing und Mendelssohn) motiviert, worin u. a. diese Cha­ rakterisierung zu lesen ist: »Er war in vielen Dingen nichts weniger als ein Originalgenie. Seine ganze Philosophie war die verwirrte verdorbne plato­ nische Philosophie seiner Zeiten.« (S. 147) Und zu den Methoden: »Er befahl seinen Priestern, auch durch das Beyspiel der Tugend, wie die Christen, zu lehren [...] verbot das Lesen der heidnischen Scribenten in den christlichen Schulen [...] suchte die Christen durch Uneinigkeiten zu schwächen.« (ebd. S. 148 f.) Als der »Projektmacher« konnte Julian beschrieben werden bzgl. seines Versuchs, das Judentum wieder aufzurichten: »Er hatte keine gerin­ gere Absicht, als die Weissagung des Messias unwidersprechlich zu wider­ legen. Niemals ist größere Kühnheit und mehr Überzeugung vereinigt wor­ den, um das Aeusserste zu wagen.« (ebd. S. 149 f.) Zu seinen Motiven, »die ihn dahin gebracht hätten, die Lehre der Galiläer für eine menschliche und boshafte Erfindung zu halten. Sie habe nichts Göttliches; sie misbrauche diejenige Kraft der Seele, die sich von dem Fabelhaften, dem Kindischen, und dem Unsinnigen fortreissen lasse. Dieß ihr Geschwätz von Wundern soll bey ihr ein Beweis der Wahrheit seyn.« (ebd. S. 150) U. a. Montaigne, Voltaire und Montesquieu hatten ein ausgewogenes Verständnis für Julians Politik vorgeschlagen und dessen Maßnahmen gegen die christliche Kirche als nachvollziehbar beschrieben; Shaftesbury sieht in ihm ebenfalls einen toleranten Herrscher. 13/15  dem Stein  Annot. SD4*: τότε γάρ, φησί τις προφητεία, δυστυχήσειν τὰ τῇδε πράγματα, ὅταν ἀνδριᾶσι πιστεύσωσιν. Clem. Alex. p. 61. 〈Clem. Al. protr. 10,98,1: »Denn irgendein Prophetenwort sagt, daß Unglück diese Welt hier treffen wird, wenn die Menschen auf Bildsäulen ihr Vertrauen setzen.«〉 13/15  Marg.: stummen  Komm.: Hab 2,19 f.

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Kommentar SD  13/19

13/19  leblosen Lehrers]  Umarb. SD4*: todten Lehrers

13/21  Reliquien von Pygmalions Leben  Komm.: Pygmalion verliebte sich in eine von

ihm hergestellte Frauenstatue; Aphrodite erweckte sie für ihn zum Leben. Vgl. Bacon: De dignitate, darin der Vergleich von Wort und »Bildsäule« (dt. Übers. S. 78 f.): »Nun kann aber dies dennoch bei dem unerfahrensten Pöbel der Achtung der Wißenschaften eine mindere oder mehrere Wendung geben, wenn sie die Schriften der Gelehrten, wie den Ersten Buchstaben in einem Kaufbrief oder anderer gerichtlichen Pergamentnen Urkunden ansehen [...] aber dennoch immer nur ein einiger Buchstabe ist und bleibt. Jener Unsinn des Pigmaleons scheint mir eine schikliche Schilderung und vortrefliches Sinnbild dieser Eitelkeit zu seyn: denn was sind Worte anders als Bilder der Dinge, wo sie nicht durch den kraftvollen Hauch der Ver­ nunftgründe beseelet werden, und was heißt an bloßen Worten sich vergaf­ fen anders, als in eine Bildsäule sich verlieben?« 13/22  Schöpfer seines Volkes  Komm.: Bezeichnung des Zaren Peter I ., bspw. in Des Herrn von Voltaire kleinere Historische Schriften, S. 114. Die russische Ober­ schicht war sehr viel skeptischer gegenüber Peters Expansionswut. 13/23  Sprache unsers Witzes  Komm.: Der deutschsprachige Diskurs zum ›Witz‹ changiert zwischen Bezügen zum englischen ›wit‹ und französischen ›­esprit‹. Eine für Hamanns Anspielung instruktive Beschreibung des Wit­ zes lässt sich bspw. bei Breitinger lesen (Critische Abhandlung von der Natur, S. 9 f.): »Die Ähnlichkeiten und Verwandtschaften der Dinge, samt ihrem besondern Verhältniß gegen einander, werden vermittelst eines Vermö­ gens des Verstandes wahrgenommen. Dasselbe wird der Witz oder Geist, Lateinisch Ingenium, und Französisch Esprit genannt. Demnach sind die Gleichniß-Bilder die erste Würckung des Witzes oder Geistes.« 14/1f.  Tempel der Gelehrsamkeit [...] Bilde  Komm.: Siehe Bruckers Ehren-Tempel der deutschen Gelehrsamkeit. Die Absicht des Werkes ist es, anhand der Por­ traits Einzelner – Brucker gibt zu jedem der abgebildeten Gelehrten eine kurze Beschreibung – eine »critische Historie der Deutschen Verdienste um die Wissenschafften aus den ächten Quellen zu liefern« (Vorrede [S. 5]). Keines der in Bruckers Ehren-Tempel abgebildeten Portraits trägt eine ent­ sprechende Unterschrift. Möglich scheint allerdings auch, dass es Hamann allgemeiner um die von Brucker geschilderte, antike Praxis geht, Portraits Unbekannter den eigenen Vorstellungen entsprechend anzufertigen: »Ja wo man eines solchen berühmten Mannes wahre Gestalt nicht haben konnte, erdachte man dieselbige nach Gutdüncken, oder nach dem in Schrifften gemachten Entwurf der Alten, um den Bibliotheken diese Zierrath nicht zu entziehen, weil man vor etwas sehr vergnügendes hielte, denjenigen von Angesicht zu kennen, von welchem man sondere Verdienste in den Wis­

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senschaften zu rühmen hatte.« [S. 4] Siehe dagegen Hamanns Ablehnung der Palingenesie, SD 37/9. 14/3  Aufschrift der philosophischen Geschichte  Annot. SD4*: Leibniz verglich die Gelehrten-Historie den Apothekerbüchsen, und einen Mann, der sich daran begnügte, einem pharmacopolae, magis pyxides, quam medicamen­ torum illis contentorum compositiones, noscenti. 〈»einem Quacksalber, der die Büchsen besser kennt als die Mixturen der Medikamente, die in ihnen aufbewahrt sind.« Übers. v. Lukas Reuß.〉 Siehe Epist. XXXIII . ad Jo. Christ. Langium, summum antistitem Idsteniensem im 3. Vol. seiner Briefe 〈Leibniz an Johann Christian Lange, 5. Juni 1716 nach Leibniz: Epistolae, Bd. 3, S. 275〉. 14/5  Stanley  Komm.: Siehe Einführung, S. LVI. 14/5  Brucker  Komm.: Siehe Einführung, S. LXII . 14/5  Kolossen  Komm.: Monumentalstatuen; Bronze-Statue des Sonnen- und Stadtgottes Helios, auf Rhodos 292 v. Chr. aufgestellt. Direkte Bildzeug­ nisse davon gab es nicht, über die Ausmaße wurde viel fabuliert. Vielleicht spielt Hamann auch auf die Buchformate an: Stanleys History of Philosophy erschien zunächst in Folio, die Ausgaben von 1711 bzw. 1741 jeweils als ein­ zelner Quartband; Bruckers Historia critica philosophiae umfasste gar fünf Bände in Quarto. Boureau-Deslandes Histoire critique erschien dagegen im deutlich kleineren Duodezformat; vgl. dazu SD 14/23. 14/7  jenes Bild der Schönheit  Annot. SD4*: Cicero erzählt diese Geschichte im Anfang des zweyten Buchs de inventione Rhetorica von den Crotoniaten, die zur Zierde ihres Tempels, der Juno den Zeuxis verdungen, ut mutum in simulacrum ex animali exemplo veritas transferatur. 〈Cic. inv. 2,1: »[›Gebt mir also bitte‹, erwiderte er, ›von diesen Mädchen die schönsten, solange ich an diesem Bild male, das ich euch versprochen habe,] damit auf das stumme Abbild von dem lebenden Vorbild die Wahrheit übertragen wird.«‌〉 Plin. XXV,9 〈Vmtl. Plin. nat. 35,36,64〉 / Siehe Lucian im Gespräch: Die Gemälde 〈vgl. bspw. Lucian im. 6,15〉. 14/7–10  Grieche [...] zusammensetzte  Komm.: Der Maler Zeuxis sollte im Auftrag der Bewohner von Kroton ein Bild der idealen Schönheit malen; dafür kompi­ lierte er aus den einzelnen ästhetischen Vorzügen der versammelten Mäd­ chen der Stadt. Die Episode ist u. a. überliefert in Xen. mem. 3,10,2 (Sokrates im Gespräch mit Parrhasius). Auf Cicero, vgl. Annot. SD 14/7, bezieht sich auch Batteux in Einschränkung der schönen Künste, S. 22 f.: »Was that Zeuxis, da er eine vollkommne Schönheit malen wollte? Entwarf er das Bildniß einer besondern Schönheit, so daß sein Gemälde ihre Geschichte war? Er sammelte die absonderlichen Züge verschiedner lebenden Schönheiten; er entwarf sich im Geiste daraus eine kunstmäßige Vorstellung, welche

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aus allen diesen vereinigten Zügen entsprang; und diese Vorstellung war das Vorbild oder das Muster seiner Schilderey, welches in Absicht auf das Ganze wahrscheinlich und poetisch, und nur in Ansehung seiner abson­ derlich genommnen Theile wahr und historisch war. Hierdurch hat er allen, die in den Künsten arbeiten wollen, ein Exempel gegeben.« Nach Plin. nat 35,33 sei Zeuxis aber wegen der unproportionalen Köpfe und Gliedma­ ßen auf seinen Gemälden getadelt worden. Sulzer erhebt diese Methode der Kombination zu einem Stilideal für das philosophische Schreiben, das Hume verwirkliche (Philosophische Versuche, Vorrede): »[...] wenn sie eine Menge schöner Gestalten, jede von der andern verschieden, deutlich erkannt haben, so setzen sie durch die Einbildungskraft die zerstreueten Züge der Schönheit künstlich zusammen, und zeichnen oder bilden eine abstracte Schönheit, die alles an sich vereiniget hat, was jede einzele Schön­ heit für sich besitzet.« 14/10  gelehrten Kennern  Komm.: Siehe Komm. SD 1/3. 14/14  theatralischen Zeichnungen  Komm.: Vielleicht ebenfalls auf Plin. nat (35,36, 65) bezogen, der erzählt, dass der Maler Parrhasius, um die Eitelkeit des Zeuxis zu kränken, eine naturgetreue Leinwand (bzw. einen Vorhang) gemalt habe und Zeuxis dazu ungeduldig ausrief, man möchte doch end­ lich den Vorhang aufziehen, um das Bild zu zeigen. 14/17  Schwabe  Komm.: Siehe Einführung, S. LXII zu Brucker. Die Anspielung könnte auch der historischen Verklärung in der Entdeckung der ›schwäbi­ schen‹ Geschichte der Deutschen gelten, die bspw. von Gottsched mit dem Hermann-Stoff sowie von Bodmer und Breitinger als Sammlung und Neu­ edition von mittelalterlicher Literatur betrieben wurde. 14/20  ungleichen Fehler  Komm.: Siehe Einführung, S. LXIII u. LVI zu BoureauDeslandes und Stanley. 14/22  Deslandes  Komm.: Siehe Einführung, S. LXIII. 14/22  encyclopischen Witz  Komm.: Hier sind das Motiv des Zyklopen (»Niemand«, SD 3/3) und des enzyklopädischen Wissens zusammengefügt. Allerdings wird das in W 67/12–26 als Druckfehler behauptet. Vmtl. geht es (auch mit dem Verweis in den Wolken auf Kaiser Julians Präferenz der griech. Wissenschaft) um den nationalen Anspruch der Universalisierung des eigenen Wissens, der in Frankreich wie auch in Deutschland und England in der akademischen Publizistik verfolgt wurde. Als Anspielung auf einen spezifisch franz. Geschmack konnte auch die Vorrede (von Johann Peter von Ludewig) im Zedler 1, 8 f. als Quelle dienen, wo nationale GelehrtenKlischees ausgeführt werden: Die Spanier schreiben aufgrund ihrer Melan­ cholie dicke Folianten; hingegen habe »ein nicht ungelehrter Frantzose des Pufendorffs Historie deswegen getadelt / weil sie in Groß-Folio gedrucket;

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indem er in seinem Gewissen verschworen / keinen Folian­ten zu lesen. Daher auch die grösten Wercke in Franckreich / alle / der Nation zugefal­ len / in kleinen 8  ct. oder 12  d. Formen / gedrucket gewesen. Welches [...] die frantzösische memoires, lettres, negociations, reflexions, instructions, relations, remarques, recueils, iournals, traitez, mercures, bibliotheques, oeuuvres, u. d. beweisen [...]. Gleich als wann man ihnen und ihrer Blutart nicht anmuthen dürffte / über dem Leben eines Buches Wochen und Mona­ the zuzubringen / als an welche lange Weile sie nicht gewohnet; sondern vielmehr selbige / fast alle Tage und Stunden / etwas frisches und neues / veränderliches / in kleinen Bändgen haben müsten / die sie vorm Camin / ohne Mühe / in die Hände nehmen / und wieder weglegen können.« 14/23  chinesische Kaminpuppe  Komm.: Anspielung auf die vermeintlich franz. Vor­ liebe für chinesisches Dekor (bei Porzellan-Waren usw.), die Chinoiserie, im 17. und 18. Jhd. Siehe auch Komm. SD 14/22 (Vorrede Zedler). 14/24  gallicanischen  Komm.: Das von lat. gallia abgeleitete Adjektiv wurde meist für die Abgrenzung der franz. Kirche vom römischen Papsttum gebraucht, bspw. im Falle der Bischofsernennung. Auch an den gallischen Hahn ist zu denken als Symbol für Frankreich. 14/25  schönen Natur  Komm.: Idealisierendes Kunst- und Menschenverständnis, aus dem die Prinzipien der Nachahmung bspw. in Batteaux’ Les Beaux Arts réduits gebildet sind. 14/26  die Cyclopen zur]  Umarb. SD4*: die Riesen, zur 14/27  Cyclopen  Komm.: Verg. Aen. 8,418 ff.; Ov. met. 2,106. Die Cyclopen dienten dem Vulcanus bei der Herstellung der Waffen für die Götter. In der ein­ leitenden Strukturbeschreibung zur Historiographie in der Encyclopédie (Bd. 1, S. xlvii) ist Bacons negative Polyphem-Figur der blinden Geschichte (siehe Komm. SD 18/13) aufgegriffen, um die Überwindung dieses Dilem­ mas in aufgeklärter Zeit zu inszenieren. 14/27  Schwärmer  Komm.: Adelung 3, 1717 ›Der Schwärmer‹: »Ein schwärmendes Ding, in welchem Verstande es besonders in der Feuerwerkskunst üblich ist, wo ein in Papier gefüllter kleiner Feuerwerkssatz, welcher, wenn er angezündet wird, vor dem Zerplatzen nicht nur ein schwärmendes Getöse macht, sondern auch ohne Ordnung hin und her schwärmet«. 15/4  mehr als wahrscheinlich  Komm.: Die Rede von Wahrscheinlichkeit begegnet meist mit abschätziger Tendenz und in Opposition zur unumstößlichen Wahrheit einer Demonstration, vgl. dazu Zedler (52,1020–63, ›Wahrschein­ lichkeit‹), besonders im hier virulenten Zusammenhang der Historiogra­ phie. So ist bspw. für Thomasius historische Erkenntnis in dem Grade wahrscheinlich, wie die Zeugen der Überlieferung für zuverlässig erach­ tet werden können, eine Demonstration deshalb nicht möglich, vgl. ders.:

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De fide juridica, S. 56. Für Heumann dagegen gibt es auch in der Historie Demonstrationen, sog. »demonstrationes historicas«, die, obzwar nicht notwendigerweise wahr, dennoch keinen Zweifel an der Wahrheit eines historischen Sachverhalts aufkommen lassen, da die Beweislage eindeutig ist; vgl. bspw. Acta, St. 3, S. 390. Siehe auch Komm. SD 7/14 (Vorrede A. v. Hallers). 15/5  keines davon gelesen  Komm.: Vgl. Der Nordische Aufseher (43. St., 1758, Bd. 1, S. 374): »Die Philosophie, nicht diejenige, die sich in den neuern Zeiten von den schönen Wissenschaften getrennt hat, und in grossen Bänden, die nicht gelesen werden, oft Sachen lehrt, die wenig wissenswürdig sind, und wenn sie wissenswürdigere vorträgt, sie auf eine Art sagt, die sich von jeder Kunst zu gefallen mit der äussersten Sorgfalt zu entfernen scheint: Diejenige Philosophie, deren Liebling Sokrates war, wurde von ihren Freun­ dinnen, der Poesie, der Beredtsamkeit und der Geschichte gebeten, ihre gemeinschaftliche Sache vorzutragen.« Siehe aber auch das Urteil über den franz. Geschmack in der Vorrede des Zedler (Zitat in Komm. SD 14/22). 15/8  schmäucheln  Komm.: Es ist wohl ›schmeicheln‹ gemeint, vgl. DWB (15, 980 ›schmeicheln‹): »die schreibung schmäucheln, ›das schiboleth der gan­ zen Gottschedischen schule‹ (Adelung) beruht auf der [...] irrthümlichen annahme eines etymologischen zusammenhanges mit schmauch, rauch: ein schmäuchler, der dem andern fälschlich räuchert, oder ihn verehret.« 15/11f.  Schicksale [...] Philosophie  Komm.: Heumann gibt in Acta, St. 1, Kap. 2 eine Übersicht über die Wortgeschichte zu dem Zweck, solche Werke und Dis­ kurse aus der weiteren Arbeit auszusortieren, die seinem Verständnis von Philosophie nicht entsprechen. Im deutschsprachigen Diskurs dominierte aber die Bezeichnung ›Weltweisheit‹ u. a., weil das Wort ›Philosophie‹ eine Tradition in der Skepsis und der Religionskritik hatte, von der es sich zu distanzieren galt: Kelsos hatte der Warnung des Paulus vor der Philosophie in 1 Kor 3,19 zugestimmt. 15/12  Wortes: Philosophie  Annot. SD4*: Φιλοσοφία γάρ τοί ἐστιν, ὦ Σώκρατες, χαρίεν, ἄν τις αὐτοῦ μετρίως ἅψηται ἐν τῇ ἡλικίᾳ· ἐὰν δὲ περαιτέρω τοῦ δέοντος ἐνδιατρίψῃ, διαφθορὰ τῶν ἀνθρώπων. Callicles in Platons Gorgias. 〈Plat. Gorg. 484  c: »Denn diese [die Philosophie], o Sokrates, ist eine ganz artige Sache, wenn jemand sie mäßig betreibt in der Jugend, wenn man aber länger als billig dabei verweilt, gereicht sie den Menschen zum Ver­ derben.«‌〉 15/14  nicht wie ein Gelehrter oder Weltweiser  Komm.: Desinteresse fordert Bayle als Haltung des Historikers (bspw. am Ende des Artikels »Morgues, Matthieu de« im Dictionnaire). Hingegen die These, ein Philosophiehistoriker müsse Philosoph sein und also parteiisch/kritisch, vertritt Boureau-Deslandes

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(Kritische Geschichte der Philosophie, Vorrede, S. b3r) und Heumann (vgl. Einführung, S. LXI). 15/15f.  müßiger Zuschauer [...] Spiele  Komm.: Cic. Tusc. 5,9, auf die Frage, was ein Philosoph sei: »Pythagoras habe geantwortet, das Leben der Menschen scheine ihm gleich zu sein wie jener Markt, der im ganzen Glanz der Spiele [zu Olympia] und in der Anwesenheit ganz Griechenlands abgehalten zu werden pflege. Denn wie dort die einen mit trainierten Körpern den Ruhm und die Ehre eines Kranzes erstrebten, andere mit Aussicht auf Gewinn und Profit durch Kauf und Verkauf angelockt würden und es endlich eine besondere Gruppe gebe, die die vornehmste sei und weder nach Beifall noch nach Gewinn strebe, sondern um des Schauens willen gekommen sei und aufmerksam betrachte, was geschehe und wie, ebenso seien auch wir gleichsam aus einer Stadt in irgendeinen belebten Markt gekommen, nämlich in dieses Leben aus einem andern Leben und einer andern Natur, und die einen dienten nun dem Ruhme, die andern dem Gelde. Es gebe aber einige seltene, die alles Andere verachteten und die Natur der Dinge aufmerksam betrachteten. Diese nennten sich Liebhaber der Weisheit, eben Philosophen. Und wie jenes das vornehmste sei, zuzuschauen ohne für sich etwas zu erstreben, so rage auch im Leben die Betrachtung und Erkenntnis der Dinge weit über alle andern Beschäftigungen hinaus.« Diese Anekdote erzählt auch Boureau-Deslandes in seiner Histoire critique (dt. Übers. Bd. 1, S. 31). In Plut. qu. Plat. 1,2 wird die Hebammenkunst als unparteiliche För­ derung und Beurteilung begriffen und mit dem Richter beim olympischen Wettstreit assoziiert. 15/17  [Marg.] ως γραφευς [...] Hecub.  Komm.: Eur. Hec. 807: »ὡς γραφεύς τ᾽ ἀποσταθεὶς« – »tritt wie ein Maler zurück«. 15/18  Phrygier  Annot. SD4*: φαίνεται δὲ τὰ Φρυγῶν ἔθνη σωφρονέστερα εἶναι τῶν ἄλλων ἐθνῶν· καὶ γὰρ δὴ καὶ σπανιάκις Φρύγες ὀμνύουσιν. Socrat. Hist. Eccl. IV, 28. 〈Sokr. hist. eccl. 4,28,9: »Es scheint, dass die Nationen der Phryger weiser als alle anderen Nationen sind; denn die Phryger schwören sehr selten.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 καὶ γὰρ τοὺς οἱασδήποτε ἄλλης αἱρέσεως σωφρονέστερον βιοῦντας Φρύγας καὶ Παφλαγόνας ἔστιν εὑρεῖν. ibid. 〈Sokr. hist. eccl. 4,28,12: »Denn man kann finden, dass die Phryger und Paphlagonier weiser als jede andere Gruppe leben.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 15/18–20  Phrygier [...] klug  Komm.: Anspielung auf das antike Sprichwort »Phry­ ges sero sapiunt«, zitiert von Heumann (Acta, St. 2, S. 255) mit der Vermu­ tung, dass das Wort (Phryx, Phryges) so etwas wie Tölpel bedeutete. 15/18  Aesop  Komm.: Heumann bezweifelt (Acta, St. 2, S. 257) Äsops historische Existenz; den Namen erklärt er etymologisch als »einer, der blitzende und

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helle Augen hat«. Dass er ein phrygischer Sklave gewesen sei, aufgrund seiner Weisheit aber am Königshof des Kroisos in Ehren lebte und von Del­ phiern getötet wurde, weil er sie in seinen Fabeln kritisiert hatte (nach Hdt. historiae 2,134,3–4), ist bei Heumann wie auch bei Zedler (1, 695, ›Aesopus‹) vermerkt. Nach Plut. de sera 12 (Mor. 556  f–557  a) wurde er in Delphi getö­ tet, weil er gegen den dortigen Kult verstoßen habe. 15/19  Klima  Komm.: Montesquieu vertrat in De l’Esprit des Lois die These, dass Staatsverfassung, Kultur u. a. vom Klima einer Region abhänge. Er bestimmt darüber die wesentlichen Unterschiede zwischen europäischer und ›asiatischer‹ Zivilisation. Solchen Einfluss behaupteten aber auch u. a. Nicolas Boileau, Jean de La Bruyère, Henri de Boulainvilliers, Alexander Pope, Jonathan Swift und Buffon. Siehe das Zitat von HKB 171 (I 454/4–14) in Komm. SD 41/19, das ein Verständnis von Klima nicht im geographi­ schen Sinne nahelegt, sondern wie Montesquieu im Sinne allgemeiner politischer, gesellschaftlicher Verhältnisse. 15/20  klug zu werden  Komm.: Vgl. SD 32/31 f. mit Anspielung auf Ps 90; klug wer­ den, die gesellschaftlichen Verhältnisse einsehen, die im Falle des Fabel­ dichters seinen Tod bedingen. Vielleicht aber auch bezogen auf Batteux’ Urteil: »Die äsopische Fabel ist das Schauspiel der Kinder.« (Einschränkung der schönen Künste, S. 204) Er bezieht das auch auf die Kindheit des mensch­ lichen Geschlechts, also die früheren Kulturen. 15/21  La Fontaine  Komm.: Jean de La Fontaine (1621–1695), Fabeldichter. Vgl. am Beginn der Biblischen Betrachtungen, LS 59/19–24: »So wenig wie ein Thier fähig ist die Fabeln eines Aesops, eines Phädrus, und la Fontaine zu lesen, oder wenn es fähig seyn sollte selbige zu lesen, so würde es nicht im stande seyn so thierische Urtheile über den Verstand der Erzählungen und die Füglichkeit derselben zu fällen; als der Mensch über das Buch Gottes critisirt und philosophirt hat.« Vgl. auch Hamanns Auseinandersetzung mit Lessings Fabelbuch und dessen Kritik an La Fontaine (HKB 180, II 17/21–37, 2.  4.  1760, an den Bruder). 15/29  Argus  Komm.: Ov. met. 1,625–629: »Rings um den Kopf hatte Argus hun­ dert Augen; von denen / pflegten je zwei abwechselnd auszuruhen, die an­dren / wachten währenddessen und blieben so auf dem Posten. / Der, wie er sich auch hinstellen mochte, er schaute auf Ïo, / hatte, auch wenn er sich abwandte, Ïo immer vor Augen.« Die etymologische Spekulation bezieht sich auf griech. ἀργός: ungetan, unbearbeitet, müßig, faul; auch im Zedler (2, 1329, ›Arga und Argus‹): »ein fauler nichtswürdig Mensch«. 16/6  Sauerteige  Komm.: Gal 5,9; Lk 13,20 f.; Mt 13,33 u. 16,6–12; 1 Kor 5,6–8. 16/9–12  Ehrgeitz [...] Weltweisen  Komm.: Vgl. dazu Hallers Vorrede zu Buffons Allgemeiner Naturgeschichte (S. XVII): »Wann die Menschen handeln sollen,

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so werden sie wirksamer nach dem Verhältnisse der Stärke ihrer Triebe: ihre natürliche Trägheit wird durch den Ehrgeiz und durch ihre andere der Schnellkraft ähnliche Gemüthsbewegungen überwunden. Leben, Geld und Ruhe, werden willig aufgeopfert, so bald ihr herrschender Trieb es erfor­ dert, und dieser herrschende Trieb ist hauptsächlich eine Hypothesis, und gleich nach derselben das Vergnügen, eine andere zu zerstören. Ein Lehr­ gebäude, das unsern Namen führen soll, eine Meynung, die aus unsern Kräften entsprossen ist, thut bey dem Gelehrten, was die Ehrsucht bey dem Alexander [vgl. SD 11/4].« 16/13  Cäsar Thrähnen vergießt  Komm.: Plut. Caes. 11; hier ist dies eine Reaktion auf die Lektüre einer Alexander-Biographie; bei Suet. Iul. 7,1 und Cass. Dio 37,52,2 dagegen wird die Betrachtung eines Alexander-Standbildes in Spa­ nien erzählt. 16/14  bey dem Grabe Achills  Komm.: Cic. Arch. 24: »Wie viele Schriftsteller, Künder seiner Taten, soll Alexander der Große nicht mit sich geführt haben! Und doch rief er aus, als er auf Sigeum vor dem Grabmal Achills stand: ›Du glücklicher junger Held: du hast zum Preise deiner Tapferkeit einen Homer gefunden!‹ Wahrhaftig: wenn nicht die Ilias entstanden wäre, dann hätte derselbe Hügel, der seinen Leichnam bedeckt, auch seinen Namen begra­ ben.« Auch von Bacon in De dignitate erzählt (dt. Übers., S. 126).   16/16  blinde Minnesänger  Komm.: Ob in der Figur des blinden Sängers Demodo­ cos in Hom. Od. 8,64 eine Selbstbeschreibung Homers vorliege, themati­ siert u. a. Pope in einer Anm. dieser Stelle und affirmiert diese Idee (The Odyssey of Homer, Bd. 2, S. 150 f.). 16/17f.  Erasmus […] Sokrates  Komm.: Bar: Poetische Werke (Tl. 2, S. 63): »Freund, fürchte nicht in mir den schmeichelnden Poeten, / Erasmus ward versucht, St. Socrates! zu beten.*)« – Anm.: »*) Vix mihi tempero, quin dicam: Sancte Socrates, ora pro nobis. In conviv religioso. Ich enthalte mich kaum, Heiliger Socrates, bitte für uns, auszurufen.« Der Bezugstext von Erasmus von Rot­ terdam ist Colloquia familiaria – Convivium religiosorum (S. 86 f.). Vgl. auch Heumann (Acta, St. 1, S. 475): »Erasmus, welcher die letzten Worte Socratis dermassen bewundert/ daß er dieselben nicht nur vor recht Christlich hält/ (worbey er auch Socratem dem Catoni vorziehet/) sondern gar bekennet/ er könne bey Lesung derselben sich kaum enthalten/ daß er nicht ausriefe: Sancte Socrates, ora pro nobis.« 16/19f.  Baro [...] Diafoirus  Komm.: Bar: Poetische Werke (Tl. 2, S. 49 f.): »Unter den Schriften der Epheser findet man folgende Lehre: Habe stäts einen der Alten vor Augen, der vollkommen tugendhaft war. // Du Perle deines Stamms, du jung und edle Seele, / Du, Thomas, bist mein Freund, dem ich mein Kind vermähle. / Dein Herz, das nichts vom Gift der Weltgesinnten weiß, /

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Kommentar SD  16/21–27

Scheint mir ein junger Baum, der wenn Geschick und Fleiß / Ihn wartet und begießt, nur mit der Zeit die Blüthen / Und Früchte tragen kann, um die wir uns bemühten. […]« Thomas Diaforus, der lächerliche junge Arzt in Molières Malade imaginaire, den der eingebildete Kranke zum zukünftigen Ehemann seiner Tochter auserkoren hat (welche in einen anderen verliebt ist), zeichnet sich durch Ungeschick und eine wohl dem Studieren zuzu­ schreibende Weltfremdheit aus. 16/21–27  unterirrdische Wahrheit […] unter den Juden  Komm.: Bar: Poetische Werke (Tl. 2, S. 62): »So ruf die Weisen an, von Rom und von Athen, / Die Gott im Heidenthum zum Unterricht beseelte, *) / Wie er dem jüdschen Volk Pro­ pheten auserwählte.« – Anm.: »*) Diejenigen, die glauben könnten, als thäte man den Gelehrten des Heydenthums zu viele Ehre an, werden gebeten zu bedenken, daß man ihnen nichts beyleget, was der göttl. Vorsicht zuwider sey. Der Gedanke gehöret dem Sextus Empiricus, und wenn er auch gänz­ lich falsch seyn sollte, so bleibt doch der Weise beständig ein Geschenk des Himmels. Glücklich ist die Gegend, die ihn zu nutzen weiß!« Vgl. auch SD 38/19–23. 16/21  göttliche Menschen unter den Heyden  Annot. SD4*: Phil. p. 874 〈Phil.  prob. 9,59–10,63〉. — Balzac im fünften Discours seines christlichen Sokrates fragt, ob Gott nicht den heiligen Thomas den Nachfolgern des Aristoteles zum Besten gesandt habe, sie nach ihrer Mode zu bekehren, um selbige durch Schlüsse und ihre Dialektik zu gewinnen. Ce sainct Thomas de l’Ecole n’auroit-il point esté choisi pour estre l’Apostre de la Nation des Peri­ pateticiens, qui n’estoit pas encore bien assuiettie et bien domtée? Nation presomptueuse et mutine, qui defere si peu à l’autorité, qui se fonde tousi­ ours en raison, qui demande tousiours pourquoy cela est; qui est si impa­ tiente de repos, si ennemie de la paix, si disposée aux choses nouvelles. Il me semble que cette derniere Mission n’a pas esté inutile. 〈Balzac: Socrate Chrestien, S. 37 f.: »Wäre wohl der Scholastiker Thomas auserwählt worden, der Apostel der Gesellschaft der Peripatetiker zu werden, die sich noch nicht [dem Glauben] unterworfen hatten und noch nicht gezähmt waren? Eine eingebildete und eigenwillige Gesellschaft, der Autorität abhold, immer auf die Vernunft bauend und immer nach dem Warum fragend [….] Ich glaube, daß diese letztere Mission [des Thomas] nicht nutzlos war.« Übers. nach HHE II, S. 95.〉 16/21  Marg.: La Socrate [...] Peripateticiens  Komm.: Siehe Komm. SD 16/27. 16/23  Wolke dieser Zeugen  Komm.: Hebr 12,1–3. Luther 2017 übersetzt entspre­ chend des griech. Wortlauts »νέφος μαρτύρων« (NA28): »Weil wir eine sol­ che Wolke von Zeugen um uns haben«; hingegen Luther 1545: »dieweil wir solchen hauffen Zeugen vmb vns haben«.

bis 17/2f. 16/26  den die Propheten  Annot. SD4*:

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Protarchus in Platonis Philebo: δέομαί γε, ὦ Σώκρατες, αὐτόν σε ἡμῖν γενέσθαι προφήτην, ἵνα μηδὲν ἡμεῖς σοι περὶ τὸν ἀγωνιστὴν ἐξαμαρτάνοντες παρὰ μέλος φθεγξώμεθά τι. 〈Plat. Phil. 28  b: »[Protarchos: Freilich wohl. Jetzt aber weiß] ich [fast keinen Rat und] bitte dich, Sokrates, du wolltest selbst unser Wortführer sein, damit wir nicht, gegen deinen Kämpfer uns versündigend, etwas Mißtöniges vorbringen.«〉 16/27  Marg.: Ce St. Thomas [...] Discours V.  Komm.: Nach Balzac: Le Socate Chretien, 5. Gespräch, S. 54; vgl. Annot. SD 16/21 f. Diese Stelle wird auch von Bayle (ausführlicher) in der dritten Klarstellung (über den Pyrrhonismus) zu sei­ nem Dictionnaire zitiert (dt. Übers., Bd. 4, S. 641); er kommentiert: »Wenn diese Rede nicht ein wenig ironisch, und alles lauter Ernst ist, so ist es ein schönes Nichts, in vielen stolzen Worten.« 16/28f.  Natur […] unsere Ohren  Komm.: Vgl. Biblische Betrachtungen (LS 67/13–19): »Die Naturkunde und Geschichte sind die zwey Pfeiler auf welche die wahre Religion beruht. Der Unglaube v. der Aberglaube gründen sich auf eine seichte Physick und seichte Historie. Die Natur ist so wenig einem blinden Ungefehr als ewigen Gesetzen unterworfen, als sich alle Begebenheiten aus Charaktere und Staatsgründe aufschlüßen lassen. Ein Newton wird als ein Naturkundiger von der weisen Allmacht Gottes v als ein Geschichtsschrei­ ber von der weisen Regierung Gottes gleich stark gerührt werden.« 16/31  zergliedern  Komm.: Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 228/35–38 (mit Bzg. auf Pred 1,15): »ja die Blödigkeit und Gränzen unserer Sinne und Verstandes­ kräfte lassen uns Fehler in Schönheiten finden, indem wir falsche Begriffe von denselben uns machen, indem wir alles Stückweise bloß betrachten.« 16/31f.  Gottes [...] Gottheit  Komm.: Vgl. Röm 1,16–25. 17/2f.  Mose […] Dichter  Komm.: Lk 16,29–31 u. Röm 1,19–23. Ins Visier dieser Anspielung könnte auch Kant gehören, mit seiner Einladung in der Vorrede zur Allgemeinen Naturgeschichte, seinen Spekulationen zu folgen, worin eine subtile Inversion stattfindet in Bezug auf den Ort des Erdichteten oder des Nachvollziehbaren (AA I, 234): »Wenn ich indessen den geneigten Leser zur Prüfung meiner Meinungen einlade, so besorge ich mit Recht, daß, da Hypothesen von dieser Art gemeiniglich nicht in viel besserem Ansehen, als philosophische Träume stehen, es eine saure Gefälligkeit vor einen Leser ist, sich zu einer sorgfältigen Untersuchung von selbst erdach­ ten Geschichten der Natur zu entschließen und dem Verfasser durch alle die Wendungen, dadurch er den Schwierigkeiten, die ihm aufstoßen, aus­ weichet, geduldig zu folgen, um vielleicht am Ende, wie die Zuschauer des londonschen Marktschreiers [Anspielung auf Shaftesburys Spott über enthusiastische Religiosität], seine eigne Leichtgläubigkeit zu belachen. [...] Ich habe mich in der That mit größter Behutsamkeit aller willkürlichen

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Kommentar SD  17/4

Erdichtungen entschlagen.« Vgl. dazu auch Komm. SD 7/14, Hallers Vertei­ digung der Hypothesen. 17/4  Buffon  Komm.: Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707–1788) geht in seiner Theorie zur Entstehung der Erde von einer Kometenkollision mit der Sonne aus. 1759 kannte Hamann wahrscheinlich die ersten beiden Bände der Histoire Naturelle in dt. Übersetzung. HKB 71 (I 178/22–27, 10.  4.  1756, an den Bruder): »Ein großes Werk von einer ungeheuren Unternehmung. Man hat eine Bibel der Natur, die ein Misbrauch dieses Titels ist. Das wovon ich rede, möchte ich eher ein apocryphisch Buch derselben nennen. Ich will es mit dem andern Theil von Hume vermischten Schriften abwechseln, den ich heute erhalten«. HKB 72 (I 180/6–15, 12.  4.  1756, an J. G. Lindner): »Seine Theorie, von deren Beweisen ich die Hälfte schon gelesen, hat mich ges­ tern bald rasend gemacht. Trift ihn aber nicht eben der Tadel, den er über die Sündflutherklärer ausstreut. Ist die Schöpfung ein weniger Wunder als diese? Was wird aus dem Werde: was Gott sprach. Warum leidt die Schöp­ fung der Erde eine Theorie, wenn die Sündflut keine leiden soll. Die Eyfer­ sucht gegen die Systeme anderer, die seinem an Erfindung und Witz nichts nachgeben, hat ihn hierauf nicht aufmerksam gemacht, doch der kleine Kläffer, ich meyne Kästner in seinen Noten hat ihn hierüber verschont; und ich will ihn nicht suppliren. Hallers Vorrede über den Nutzen der Hypothe­ sen ist ein Meisterstück.« HKB 139 (I 307/8–12, 21.  3.  1759, an J. G. Lindner): »Gottes Wort und Gottes Werk ist alles, worauf ich mich gründe, dem ich glaube – Lukretz singt: die Götter sind Schlafmützen und Spinoza: Mecha­ nismus, was ihr Gott zuschreibt. Anstatt daß Moses schreibt: Am Anfang schuff Gott; beweist Büffon: Am Anfang fiel ein Comet auf die Sonne, daß die Stücke davon flogen.« Buffons Theorie zur Entstehung des Planetensys­ tems wurde von der theologischen Fakultät in Paris als anstößig verurteilt; in Allgemeine Historie der Natur, Bd. 2. 2, sind die beanstandeten Stellen abgedruckt. Buffon antwortet darauf (ebd.): »[...] daß ich dasjenige, was in meinem Buche der Bildung der Erde, und überhaupt alles, was der Erzäh­ lung des Moses zuwider seyn könnte, fahren lasse; Da ich meine Hypothese von der Bildung der Planeten nur als eine bloße philosophische Vorausset­ zung gegeben habe.« 17/5  Montesquieu  Komm.: In den Considérations weist Montesquieu (1689–1755) dem sonst oft behaupteten Sittenverfall in Rom auf Basis epikureischer Tugendskepsis eine marginale Rolle im Niedergang des Reiches zu; dage­ gen sei wichtiger, dass die gesellschaftliche Struktur der Expansion des Rei­ ches nicht gewachsen war und mit der Eingliederung bzw. Unterwerfung weiterer Gesellschaften kollabierte. Das Werk Montesquieus stand auf dem römischen Index verdächtiger Bücher, wurde auch von der Pariser Zensur

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eingeschränkt und konnte erst nach der Bereinigung einiger Stellen, bspw. über den Freitod, gedruckt werden. 17/7  Sperling […]  Komm.: Mt 10,26–31. 17/10f.  Vorsorge [...] Schriftsteller  Komm.: Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 67/20– 23: »Gott offenbart sich – – Der Schöpfer der Welt ein Schriftsteller – – Was für ein Schicksal werden seine Bücher erfahren müssen, was für strengen Urtheilen, was für scharfsinnigen Kunstrichtern werden seine Bücher unterworfen seyn.« Der Gedanke invertiert Shaftesburys Skepsis gegen die Überlieferung von Wunderwerken in der Hl. Schrift (als Machenschaften einer Partei), vgl. Miscellaneous Reflections, in: Characteristics, Bd. 3, S. 236. 17/13–15  Bücher […] Feuer  Komm.: Apg 19,13–20. 17/17  Sertorius  Komm.: Plut. Pomp. 20 u. Sert. 27. Pompejus ließ die Briefe, die eine Verschwörung gegen ihn verrieten, vernichten, um weiteren Aufruhr zu vermeiden. Peperna, der ihm die Schriften und das Wissen angeboten hatte, ließ er töten. 17/19  Schriften eines Celsus  Komm.: Die Schriften sind zwar nicht überliefert, aber die Kritik des Kelsos (2. Hälfte des 2. Jhds.) am Christentum war und ist nicht untergegangen, sondern ist ausführlich bspw. in der Widerlegung durch Origenes Contra Celsum überliefert. Papst Nikolaus V. beförderte die Auseinandersetzung damit (1481 erschien eine erste Übers. ins Lat.). Im 17. u. 18. Jhd. stützten sich Kirchenkritiker (bspw. der anonym publizierte Traité des trois imposteurs) auf die durch Origines überlieferten Vorwürfe des Kelsos. Mosheim gab 1745 eine Übers. der Texte des Origines heraus (Acht Bücher von der Wahrheit der christlichen Religion wider den Weltweisen Celsus). 17/22  Cäsar  Komm.: Plut. Caes. 49. Der Belagerung von Alexandria musste Cäsar schwimmend entkommen und hielt dabei wichtige Papiere mit der einen Hand über Wasser. 17/24  Paulus  Komm.: 2 Tim 4,13. 17/25  Goguet  Komm.: Antoine-Yve Goguet (1716–1758): De l’origine des loix (dt. Übers., Bd. 1, S. V): »Wenn nach den schönen Tagen Athens und Roms bis auf die Erneuerung der Gelehrsamkeit in Europa, die menschliche Kent­ nis nicht weiter gekommen ist; so hat sie doch wenigstens nichts von allen dem verlohren, wozu man bereits gelanget seyn konte. Der Geschmak hat können verschlimmert, und die Einsichten verdunkelt werden; aber die Grundsäzze, die Anfangsgründe der Künste und Wissenschaften sind nicht vertilget worden: man war nicht gezwungen, sie wieder zu erschaffen; nichts, das die Mühe verlohnte, erhalten zu werden, ist verlohren gegangen; keine wichtige und nützliche Erfindung ist in Abgang gekommen: alles, was das Wohl und Vortheil der Geselschaft angehen konte, ist auf uns durch

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Kommentar SD  18/1–3

eine Kette einer ununterbrochenen Überlieferung übergegangen.« Goguets Zuversicht bezieht sich auf die technischen Künste und Sitten/Gebräuche, zur Rekonstruktion verwendet er so etwas wie ethnologische Hilfsmittel, indem er auch aktuelle Berichte von sog. wilden Völkern etwa in Amerika heranzieht und komparatistisch Schlüsse zieht. 18/1–3  Künstler [...] Linsen  Komm.: Quint. inst. 2,20. Zur Frage, ob die Rhetorik eine Tugend sei, wird das Gleichnis zur Illustration des gerechten Lohns für eine brotlose Kunst erzählt. Montaigne greift es auf (Essais, I, 54, »Des vaines subtilitez / Über die Spitzfindigkeiten«), um die Eigenart mancher Gelehrter, einen Sachverhalt nur wegen seiner Seltenheit oder Schwierig­ keit für besonders zu halten, lächerlich zu machen. 18/10f.  oder […] machen]  Umarb. SD4*: wie die Holländer das Gewürz 18/11  Holländer mit dem Gewürz  Komm.: Holländische Händler verbrannten bspw. in Indonesien, wenn die Produktion die Nachfrage überstieg, Teile der Ernte, um die Preise hochzuhalten. 18/11  Marg.: Melanges [...] Tome X.  Komm.: Rousselot de Surgy: Mélanges intéres­ sans, Bd. 9, S. 380, berichtet von der im vorangehenden Komm. geschilder­ ten Praxis der holländischen Händler. 18/13  Bacon für die Physik  Komm.: Bei Bacon ist das Ideal des experimentierenden Voranschreitens mit der Voraussetzung der Unwissenheit verknüpft (mit Bezug zu Sokrates in der Unterscheidung von wirklichem Anerkennen der Unwissenheit und vorgetäuschter Unwissenheit – De dignitate, dt. Übers. S. 445  f.). Er wendet sich damit vor allem gegen die gängigen scholasti­ schen, aristotelischen Erklärungsmodelle; bzgl. der Nützlichkeit der Philo­ sophien legt er gar einen Rückgang zu den Vorsokratikern nahe (bspw. De dignitate, Buch 8, Kap. 4), also zur Naturphilosophie anstatt der späteren Metaphysiken und Moralphilosophien. Es gehört dazu aber auch eine klare Unterscheidung von Theologie und Physik. Bacons Systematisierung, sein Organon, erstreckt sich keineswegs nur auf die Physik, wenn es auch dort am ausführlichsten die Aufgaben erläutert, ist doch jedes wissenschaftliche Fach darin integriert. Der Verweis hier auf Bacon spielt vmtl. auf dessen eigene Klage über die mangelhafte Historiographie (besonders der Gelehr­ samkeit) an, die der Engländer mit der Metapher des blinden Polyphem (vgl. Komm. SD 3/3) gestaltet (bspw. in De dignitate, dt. Übers. S. 190 f.). 18/14  Bollingbroke  Komm.: Im zweiten Brief der Letters on the Study and Use of History wird der Zusammenhang zwischen dem Lernen aus historisch, schriftlich überlieferten Exempeln und der eigenen Erfahrung thematisiert. Der dritte handelt von der Unzuverlässigkeit der antiken Quellen (sowohl der profanen wie auch der religiösen, also auch der Bibel). Nach der Übers. Hamanns von 1774: Heinrich St. Johann Vitzgraf Bolingbroke (S. 22): »Diese

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heilige Mährchen [der Septuaginta] verwandelten sich in Tradition, und wurden endlich Geschichte. Unsere christlichen Kirchenväter machten sich kein Gewissen, sich ihrer zu bedienen.« Deswegen solle man den propheti­ schen Teil der Bibel, der die religiösen Dogmen enthält, vom historischen unterscheiden und den zweiten kritisch prüfen bzw. verwerfen (S. 30). Das Ansehen des Neuen Testaments müsse vom Alten unabhängig gesehen werden (S. 31). Glaube und Vernunft würden nur dann vereinigt, wenn das Alte Testament nicht mehr als Grundlage der Zeitrechnung und Geschichte der natürlichen Welt angesehen würde (S. 34). 18/16  poetisch Wörterbuch  Komm.: Die Bezeichnung als Wörterbuch (oder ähn­ liches) konnte in den Letters on the Study and Use of History von Boling­ broke nicht nachgewiesen werden. Dessen Beharren auf einer traditionel­ len, moralistischen exempla-Historie kann aber evtl. so gedeutet werden, dass der Leser der Geschichte, der aus ihr für sich Nutzen ziehen will, auch immer schon die Übersetzung für etwas Fremdes parat hat, wie jemand, der bspw. in einem Synonym-Wörterbuch nachschlägt. Vielleicht ist »poe­ tisch Wörterbuch« aber auch Hamanns eigenwillige Übersetzung von »heap of fables«, vgl. Bolingbroke: Letters on the Study and Use of History (Bd. 1, S. 121): »[…] antient traditions are an heap of fables, under which some particular truths, inscrutable, and therefore useless to mankind, may lie con­cealed; which have a just pretence to nothing more, and yet impose them­selves upon us, and become under the venerable name of antient his­ tory the foundations of modern fables; the materials with which so many systems of fancy have been erected.« Vgl. auch in den Biblischen Betrachtungen zu 1 Pet 4,11, LS 304/8–10: »Die heilige Schrift sollte unser Wörterbuch, unsere Sprachkunst seyn, worauf alle Begriffe und Reden der Christen sich gründeten und aus welchen sie bestünden und zusammen gesetzt würden.« 18/19  versiegelt Buch  Komm.: Jes 29,9–16; Offb 5,1. Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 209/32 f., mit Bezug auf Hiob: »Was für ein versiegelt Buch ist selbst die Natur, ohne die Auslegung seines Geistes und ihres Schöpfers.« Vgl. auch HKB 170 (I 450/12–29, 12.  1759, an Kant): »Die Natur ist ein Buch, ein Brief, eine Fabel (im philosophischen Verstande) oder wie Sie sie nennen wollen. Gesetzt wir kennen alle Buchstaben darinn so gut wie möglich, wir können alle Wörter syllabiren und aussprechen, wir wißen so gar die Sprache in der es geschrieben ist – – Ist das alles schon genung ein Buch zu verstehen, da­rüber zu urtheilen, einen Charakter davon oder einen Auszug zu machen. Es gehört also mehr dazu als Physik um die Natur auszulegen. Physik ist nichts als das Abc. Die Natur ist eine Aequation einer unbekanten Größe; ein hebräisch Wort, das mit bloßen Mitlautern geschrieben wird, zu dem der Verstand die Puncte setzen muß. Wir schreiben für eine Nation, wie die

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Kommentar SD  18/21f.

französischen Encyclopedisten; aber für ein Volk, das Maler und Dichter fordert. Mediocribus esse poetis / Non homines, non di, non concessere columnae; Dies ist kein Einfall des Horatz, sondern ein Gesetz der Natur und des guten Geschmacks. Alle Ideen aber stehen in Ihrem Verstande wie die Bilder in Ihrem Auge umgekehrt; Einfälle sehen Sie für Wahrheiten, und diese für jene an. Mit dieser umgekehrten Denkungsart werden wir unmöglich zusammen fortkommen können.« 18/21f.  andern Kalbe […] pflügen  Komm.: Ri 14,18. Zum Wortfeld von ›Vernunft‹, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. SD 20/11 u. 18 f., 24/9 f., 29/11, 33/16 u. 27, 34/4, 35/13, 42/30, 45/1, W 50/9, 54/1 u. 18, 55/10 f., 56/6 u. 13, 57/24, 58/27 f., 59/2, 7, 10 u. 29, 63/3, 70/25, 71/1, 75/17, 81/19 f., 82/6, 83/4 f., 89/19. 18/25  Düclos  Komm.: Die Considerations des Charles Pinot Duclos (1704–1772; Beiträger der Encyclopédie) sind allgemeine Betrachtungen über die Sitten in Frankreich mit Fokus auf die Komplexe in der oberen Pariser Gesell­ schaft. In Mémoires pour servir, die wie ein Schlüsselroman gestaltet sind, wird eine deftige bis obszöne Illustration des in der vorherigen Publikation abstrakt Behandelten geboten. Ziegra zitiert aus den Considerations (S. 271) über die Mode bzw. »Krankheit«/»manie« der ›witzigen‹ Schriften, vgl. Zie­ gra Rez-W 114/12–19. 18/26  Chladenius  Komm.: Johann Martin Chladenius’ (1710–1759, Professor für Theologie, Rhetorik und Dichtkunst an die Universität Erlangen) Geschichtswissenschaft. Vgl. HKB 145 (I 334/3–14, 1.  6.  1759, an J. G. Lindner): »Aus Vorwitz habe alle Schriften des Chladenius durchblättert, die hier zu haben sind; und nur seine Predigten und ein paar kleine Abhandlungen darunter gefunden, die ihnen darunter anständig seyn möchten. Seine Logica Sacra ist gewaltig scholastisch, und seine Anweisung zur Auslegung der Schriften und Reden ist eben so eckel durch die Methode. In der ersten sind einige neue Theorien oder essays als Außenwerke angebracht, die sie aus seiner Philosophia Definitiua, die unter meinen Büchern ist, zum Theil kennen lernen können. Seine Abhandlung vom Wahrscheinl. sind nicht mehr; wenn sie wie seine Hermeneutic und Auslegungskunst geschrieben; so verlange sie nicht zu lesen. Unter seinen philosophischen Werken möch­ ten also wohl seine Philosophia definitiua und allgemeine Geschichtswi­ ßenschaft die stärksten und ausgearbeitesten seyn.« 19/4  Blackwell über den Homer  Komm.: Thomas Blackwell (1701–1757) war in An Enquiry into the Life and Writings of Homer um eine Beschreibung Homers bemüht, die seine Leistung als Poet in Zusammenhang mit soziologischen und anderen objektivierbaren Faktoren erklärt, mit denen er als repräsen­ tativ für eine ganze Kultur gilt, also nicht als außergewöhnliches Genie. Außerdem wird behauptet, Homer sei Sänger in einer mündlichen Kultur

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gewesen und die schriftliche Form des Epos sei das Werk späterer Editoren. 19/5  Vater der Weltweisheit  Komm.: Heumann: Acta (St. 1, S. 101): »Wir sehen hiraus/ daß unter den alten Socrates vor andern/ den Titul eines Philosophi verdiene: ja weil er die Erkänntniß der wahren Philosophie denen Leuten zu erst hat beyzubringen gesuchet/ so nennet Cicero [ fin. 2,1] mit Recht den Vater der Philosophie. Socrates, spricht er/ parens Philosophiae juri dici potest. Die Ursache hiervon giebt Seneca [Epist. 71] in diesen Worten: Socrates totam Philosophiam revocavit ad mores, & hanc summam dixit esse sapientiam, bona malaque distinguere.« Die Titulierung findet sich auch bei Charpentier 146. 19/7  Cooper  Komm.: Siehe Einführung, S. LXIV. 19/11–15  Sokrates besuchte […] aufzuschreiben  Komm.: Diog. Laert. 2,12,122: »Si­ mon aus Athen war Schuster. Sokrates besuchte ihn in seiner Werkstatt und teilte ihm gesprächsweise mancherlei mit, was er aufzeichnete, soweit sein Gedächtnis reichte. Daher nennt man seine Dialoge die Schusterdia­ loge. Es sind dies dreiunddreißig Dialoge in ein Buch zusammengefaßt. Nämlich: 1. Von den Göttern; 2. Vom Guten; 3. Vom Schönen; 4. Das Wesen des Schönen; 5. u. 6. Von der Gerechtigkeit erstes und zweites Gespräch; 7. Von der Tugend, daß sie nicht lehrbar ist; 8., 9. und 10. Von der Tapferkeit, erstes, zweites und drittes Gespräch; 11. Vom Gesetz; 12. Von der Volkver­ führung; 13. Von der Ehre; 14. Von der Dichtkunst; 15. Von dem Wohlbeha­ gen; 16. Von der Liebe; 17. Von der Philosophie; 18. Von der Wissenschaft; 19. Von der Musik; 20. Von der Dichtkunst (s. No. 14); 21. Das Wesen des Schönen (s. No. 4); 22. Vom Unterricht; 23. Von der wissenschaftlichen Gesprächsführung; 24. Vom Urteil; 25. Vom Seienden; 26. Von der Zahl; 27. Von der Sorgfalt; 28. Von der Arbeit; 29. Von der Gewinnsucht; 30. Von der Prahlerei; 31. Von dem Schönen (s. No. 3) nach anderen; 31. Vom Bera­ ten; 32. Vom staatsmännischen Verstand oder vom Erforderlichen; 33. Vom Bösetun. Er war, wie man sagt, der erste, der sich auf Sokratische Dialoge legte. Perikles lud ihn zu einem Besuche bei sich ein mit dem Versprechen, für seinen Unterhalt zu sorgen, er jedoch erklärte, seine Redefreiheit sei ihm nicht feil.« Auch Charpentier erzählt das mit Verweis auf Diogenes. 19/12  Gerbers  Komm.: Vgl. W 69/4–10. 19/13  Apostel […] Simon  Komm.: Apg 10,1–8. 19/18  Was hat dieser junge Mensch  Annot. SD4*: Ἡράκλεις, ὡς πολλά μου καταψεύδεθ᾽ ὁ νεανίσκος. Diog. Laert. in Platone p. 208 〈Diog. Laert. 3,1,35, vgl. Komm. SD 19/18〉. 19/18  Was hat […] aus mir zu machen?  Komm.: Diog. Laert. 3,1,35: »Man erzählt auch, Sokrates habe nach Vorlesung des Platonischen Lysis gesagt: ›Beim Herakles, was der junge Mensch doch alles über mich zusammenlügt.‹ Der

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Kommentar SD  20/2

Verfasser nämlich hat mancherlei zu Papier gebracht, was Sokrates nie gesagt hat.« Auch wiedergegeben im Zedler (38, 277, ›Socrates‹). 20/2  Sokrates hatte nicht umsonst  Annot. SD4*: δοκεῖ μοι χρῆναι κατὰ φύσιν, ὥσπερ ἀγαθοὶ ἐγένοντο, οὕτω καὶ ἐπαινεῖν αὐτούς. Ἀγαθοὶ δὲ ἐγένοντο διὰ τὸ φῦναι ἐξ ἀγαθῶν. Τὴν εὐγένειαν οὖν πρῶτον αὐτῶν ἐγκωμιάζωμεν, δεύτερον δὲ τροφήν τε καὶ παιδείαν, ἐπὶ δὲ τούτοις τὴν τῶν ἔργων πρᾶξιν ἐπιδείξωμεν, ὡς καλὴν καὶ ἀξίαν τούτων ἀπεφήναντο. Socrates im Menexenus. 〈Plat. Mx. 237  a–b: »[Sokrates:] Mich dünkt nun, man müsse der Natur nach, wie sie gut gewesen sind, so auch sie loben. Gut aber sind sie geworden wegen ihrer Abkunft vom Guten. Ihre Wohlgeborenheit also laßt uns zuerst ver­ herrlichen; zum zweiten dann ihre Auferziehung und Unterweisung, und nach diesem ihrer Taten Verrichtung darstellen, wie herrlich und deß allen würdig sich diese bewährt.«〉 / Δικαιότατον δὴ κοσμῆσαι πρῶτον τὴν μητέρα αὐτήν — […] Πᾶν τὸ τεκὸν τροφὴν ἔχει ἐπιτηδείαν ᾧ ἂν τέκῃ. Ibid 〈Plat. Mx. 237  c/e: »[Sokrates:] Darum ist es am billigsten, zuerst die Mutter selbst zu preisen: […] Jedes Gebärende [nämlich] hat angemessene Nahrung für das Geborene«〉 / Εἶτα, ὦ καταγέλαστε, οὐκ ἀκήκοας ὡς ἐγώ εἰμι ὑὸς μαίας μάλα γενναίας τε καὶ βλοσυρᾶς, Φαιναρέτης; — […] Ἆρα καὶ ὅτι ἐπιτηδεύω τὴν αὐτὴν τέχνην ἀκήκοας; Socrates zum Theätetus in Platons Gespräch dieses Namens. 〈Plat. Tht. 149  a: »[Sokrates:] Also du Lächerlicher hast wohl nie­ mals gehört, daß ich der Sohn einer Hebamme bin, einer sehr berühmten und verwegenen, der Phänarete? […] Etwa auch, daß ich dieselbe Kunst ausübe, hast du gehört?«〉 Προσφέρου οὖν πρός με ὡς πρὸς μαίας ὑὸν καὶ αὐτὸν μαιευτικόν. ibidem 〈Plat. Tht. 151  b–c: »So übergib dich also mir, als dem Sohn einer Geburtshelferin und auch selbst der Geburtshilfe Kundi­ gen«〉 / Μενεδήμῳ τῷ Πυρραίῷ Πλάτωνος μὲν γεγονότι μαθητῇ, πρεσβυέρῳ δὲ γεγονότι Ἀριστοξένου, λέγοντι ἐν τῷ Φιλοκράτει, ὅτι οὐκ ἐπαύετο Σωκράτης οὔτε ὑπὲρ τοῦ πατρὸς ὡς λιθουργοῦ λαλῶν, οὔτε ὑπὲρ τῆς μητρὸς ὡς μαίας. Cyrill. contra Julianum. Lib. VI , p. 208 〈Kyr. Alex. c. Iulian. 6,34: »[Man muss] Menedemos von Pyrra, den Schüler von Platon, der älter als Aristoxenos war, [benutzen,] der bei Philokrates sagte, dass Sokrates nicht aufhörte, weder über den Vater als Steinmetz zu reden noch über die Mut­ ter als Amme.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 20/2  umsonst]  Umarb. SD4*: vergebens 20/2f.  Sokrates […] Eltern gehabt  Komm.: Charpentier 2: »Der Vater des Socratis hieß Sophroniscus, und war ein Bildhauer; seine Mutter aber die Phanereta war Kinder-Mutter zu Athen.« Ähnlich Diog. Laert. 2,5,18. 20/2  Marg.: Sophroniscum […] Benef. III. 32.  Komm.: Sen. benef. 3,32: »Sophroniscum Socrates expirare non patitur.« – »Den Sophroniscus läßt Sokrates nicht

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sterben.« Sinngemäß: Sokrates’ Berühmtheit verhilft auch dem Namen des Vaters zur Tradierung. 20/5  Marg.: Προσφερου […] Plato  Komm.: Plat. Tht. 151  b/c: »προσφέρου οὖν πρός με ὡς πρὸς μαίας ὑὸν καὶ αὐτὸν μαιευτικόν« – »So übergib dich also mir, als dem Sohn einer Geburtshelferin und auch selbst der Geburtshilfe Kun­ digen«. 20/7  Saamkorn einer fruchtbaren Wahrheit  Komm.: Gleichnis vom Sämann, Mt 13,19–23. Vgl. auch Meiers Auszug aus der Vernunftlehre, S. 115: »Sie [die Gegenstände gelehrter Erkenntnis] sind ein Saame, und der Kopf eines Menschen ist das Erdreich, in welchen derselbe fält. Soll er also eine wich­ tige und fruchtbare Sache seyn, so muß der Mensch so viel Zeugungskraft des Verstandes besitzen, daß er vermögend ist, aus derselben viele und wichtige Folgen herzuleiten.« 20/10  Lehrer zum Leitfaden  Komm.: Vgl. HKB  128 (I  277/21–25, 9./10.  1758, an G. I. Lindner): »Sentimens bey Kindern herauszubringen, die Hebammen Künste, die Bildhauer Handgriffe, welche Socrates von seinen 2 Eltern ver­ muthlich abgestohlen – – Dies muß immer der Endzweck unseres Amtes seyn, und wir müßen dies mit eben so viel Demuth v Selbstverleugnung treiben, als er die Weltweisheit – –«. In Plut. qu. Plat. 1,2 wird die Hebam­ menkunst als unparteiliche Förderung und Beurteilung begriffen und mit dem Richter beim olympischen Wettstreit assoziiert. 20/12  Mensch nach der Gleichheit Gottes  Komm.: 1 Mos 1,27. 20/13f.   der Leib [...] der Seelen  Annot. SD4*: Die Alten nannten den Leib ein Gespenst (εἴδωλον) der Seele. / τύπος γάρ τίς ἐστι τὸ σῶμα τῆς ψυχῆς, ὡς καὶ ἡ φυσιογνωμονικὴ σοφία δείκνυσιν. Sext. Empir. Pyrrh. Hypotypos. Lib. I. cap. 14. §. 85 〈Sext. Emp. Pyrrh. hyp. 1,14,85: »[D]enn der Körper wird in gewisser Weise von der Seele geprägt, wie auch die Physio­gnomik zeigt.«〉 20/13f.  der Leib [...] der Seelen  Komm.: Luther: Von dem Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig (1520; nach Sämtliche Schriften, Tl. 18, Sp. 1212 f.): »Wer aber mehr glaubet, hoffet und liebet, der ist ein bes­ serer Christe; also daß es offenbar ist, daß die Christenheit eine geistliche Gemeine sey, die unter die weltliche Gemeinen nicht mag gezählet werden, als wenig als die Geister unter die Leiber, der Glaube unter die zeitlichen Güter. Das ist wol wahr, daß gleichwie der Leib ist eine Figur oder Bild der Seelen; also ist auch die leibliche Gemeine ein Fürbild dieser Christli­ chen, geistlichen Gemeine; daß, gleichwie die leibliche Gemeine ein leib­ lich Haupt hat; also auch die geistliche Gemeine ein geistlich Haupt. Wer könnte aber so unsinnig seyn, der da wollte sagen, daß die Seele müßte haben ein leiblich Haupt?« (WA 6, 295/21–29)

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Kommentar SD  20/15

20/15  im Verborgenen gemacht  Komm.: Ps 139,7–16. 20/17  Begriffe im Verborgenen  Komm.:

Vgl. HKB 142 (I 314/6–12, 4.  1759, an den Bruder): »Was für ein ungl. und wetterwendisch Geschöpf ist der Mensch – ich und Du – der kluge wie tum, und der tumme wie gescheid. Die beyden Seiten von einer Tapete können nicht so ungl. einander wegsehen als die Leidenschaften unsers Herzens und ihr Gewebe in unsern Handlungen. Jeder von unsern Entschlüßen kommt auf eine wunderbare Art zur Welt als die Erzeugung v Geburt des Menschen ist – auch von jenem heist es: im verborgenen, in der Erde gebildet«. 20/18  Gliedmassen unsers Verstandes  Komm.: Diese Begrifflichkeit ist mglw. aus der materialistischen Reflexion des Helvétius über den ›Esprit‹ entlehnt; im ersten ›Discours‹ (De l’esprit, dt. Übers. S. 4 f.) behauptet dieser die Abhängigkeit der menschlichen geistigen Fähigkeiten vom anatomischen Gliederbau. Zu Hamanns Lektüre vgl. HKB 167 (I 442/20, 20.  11.  1759, an den Bruder). Vielleicht ist Hamanns Wendung aber auch eine Abwandlung vom in der zeitgenössischen deutschen Philosophie geläufigen Begriff der »Gliedmassen der Sinne«, womit der Zusammenhang der Sinnesorgane mit dem Bewusstsein beschrieben ist, bspw. bei Wolff: Vernünfftige Gedancken, § 219, S. 121 u. ö. Zum Wortfeld von ›Verstand‹, zusammen mit ›Ver­ nunft‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 20/27  Siehe […] Anmerkung  Annot. SD4*: Siehe vom Bapsthumb zu Rom wider den Romanisten zu Leipzig 〈vgl. Komm. SD 20/13 f.〉. 21/1  Kraft der Trägheit  Annot. SD4*: there seems to be in mind as there is in matter a kind of vis inertiae, which resists the first impulse to change. etc. Lieute­ nant Cook’s Voyage round the world in Hawkesworth’s Journal Vol. II . p. 6 〈Hawkesworth: A New Voyage, Bd. 1, S. 4〉 / Τό γε μὴν ἀγνοεῖν ἐστιν ἐπ᾽ ἀλήθειαν ὁρμωμένης ψυχῆς, παραφόρου συνέσεως γιγνομένης, οὐδὲν ἄλλο πλὴν παραφροσύνη, sagt der Gast von Elis in Platons Sophisten 〈Plat. Soph. 228  c–d: »[Fremder:] Das Irren ist ja doch nichts anderes als einer nach Wahrheit ausgehenden, bei der Einsicht aber vorbeikommenden Seele Vorbeidenken.«〉 / Plato bifariam partitur animam, per rationale et inrationale. — […] duo genera subdiuidit ex inrationali, indignatiuum, quod appellant θυμικόν, et concupiscentiuum, quod uocant ἐπιθυμητικόν. Tertull. de Anima cap. 16. 〈Tert. anim. 16,1;3: »[Für den Glauben ist auch von Bedeutung, daß] Platon die Seele in zwei Teile einteilt. […] [Wenn Pla­ ton sodann für Gott allein das Vernünftige in Anspruch nimmt und] zwei Arten aus dem Unvernünftigen abteilt, die Neigung zum Zorne, die man θυμικόν, und die Neigung zur Begierde, die man ἐπιθυμητικόν nennt«.〉 21/1–7  Kraft der Trägheit […] Leidenschaften  Komm.: Vgl. Komm. SD 16/9–12. Das von Newton theoretisch in der heute auch bekannten Form explizierte

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Trägheitsgesetz ist populär wirksam u. a. von Pope auf das Verhältnis von Leidenschaft und Vernunft in der Sittenlehre übertragen worden; beson­ ders in Essay on Man, Ep. II , dessen Implikationen für die Philosophie auch in der Auseinandersetzung Hamanns mit Kant Pointen lieferten (vgl. Komm. W 77/5–10). Hume setzt für seine Affektenlehre ebenfalls einen Gegensatz von »pride« und »humility« voraus (The Natural History of Religion, S. 136f.). In Pascals Gespräch mit Herrn de Saci über Epiktet und Montaigne werden beide Begriffe als Diagnosen einander entgegengesetzter Schwächen diskutiert und ihre Instrumentalisierung wird kritisiert (Kleine Schriften, S. 141 f.): »Wie mir scheint, besteht die Quelle der Irrtümer die­ ser beiden Philosophenschulen [Epiktet/Montaigne] darin, nicht gewußt zu haben, daß der gegenwärtige Zustand des Menschen sich von jenem seiner Schöpfung unterscheidet; derart, daß der eine gewisse Spuren der ursprünglichen Größe des Menschen bemerkt und dessen Verderbnis ver­ kannt hat, und deshalb hat er die Natur so behandelt, als sei sie gesund und brauche keinen Heiland, was ihn auf den Gipfel des Hochmuts führt; der andere hat umgekehrt das gegenwärtige Elend des Menschen empfunden und dessen ursprüngliche Würde verkannt, und deshalb behandelt er die Natur so, als sei sie notwendig schwach und heilsunfähig, was ihn daran verzweifeln läßt, ein wahrhaftiges Gut zu erreichen, und das läßt ihn in äußerste Willenlosigkeit versinken. Da diese beiden Zustände des Men­ schen, die man zusammen erkennen müßte, um die ganze Wahrheit zu erfassen, also getrennt erkannt wurden, führen sie zwangsläufig zu einem dieser zwei Laster, dem Stolz und der Trägheit, denen alle Menschen unfehlbar verfallen sind, bevor die Gnade sie erleuchtet; wenn sie nämlich nicht aus Willenlosigkeit in ihren Ausschweifungen verharren, so überwin­ den sie diese durch ihre Eitelkeit; solch große Wahrheit kommt dem zu, was Sie mir vorhin von Augustinus gesagt haben und was ich für sehr weit­ reichend halte: Non enim uno modo sacrificatur transgressoribus angelis, usw. [Confessiones 1,27].« 21/8  ahmte also Sokrates seinen Vater nach  Annot. SD4*: Accusativus rei, non Dati­ vus personae. 21/9  der, indem er wegnimmt  Annot. SD4*: – – non in omni marmore necesse sit inesse vel Praxitelia capita. illa enim ipsa efficiuntur detractione: neque quicquam illuc adfertur a Praxitele; sed cum multa sunt detracta et ad liniamenta oris perventum est, tum intellegas illud, quod iam expolitum sit, intus fuisse. Cic. de Divinatione II, 21. 〈Cic. div. 2,48: »[…] als ob nicht notwendigerweise in jedem Marmorblock Häupter steckten, sogar solche, die eines Praxiteles würdig wären. Eben sie entstehen doch durch Wegmei­ ßeln, und es wird an ihnen nichts hinzugefügt; vielmehr erkennt man dann,

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Kommentar SD  21/9–11

wenn viel weggemeißelt ist und die Gesichtszüge hervortreten, daß im Innern vorhanden gewesen sein muß, was jetzt kunstvoll ausgebildet ist.«〉 21/9–11  indem er wegnimmt […] fördert  Komm.: Luthers Auslegung der Bußpsal­ men (1517, nach WA 1, 208/27–30): »gleich wie ein gildmacher, eben yn dem er weg nymet und hawet, was am holtz tzum bilde nit [sein] sall, yn dem furdert er auch die form des bildes, Also yn der furcht, die denn alten Adam abhewet, wechst die hoffnung, die den newen menschen fromet«. Das Bild vom Holzklotz war in der lutherischen Theologie anthropologisch grundlegend in Bezug auf die Gnadenlehre, bspw. in der Konkordienfor­ mel (Solida declaratio II, Vom freien Willen oder menschlichen Kräften, in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, hg. v. Irene Dingel im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland [Göttingen u. a. 2014], S. 879), worin der Mensch als »Stein«, »Klotz« und »todt bilde« gnaden­abhängig geschildert ist. In der Vorrede zum Psalter (WA DB 10.1, 101) wird aber auch klargestellt, dass mit der Gestalt noch nicht das Wesen des Menschen gefunden ist: »ES ist ja ein stummer Mensch gegen einem redenden, schier als ein halb todter Mensch zu achten. Und kein kreffti­ ger noch edler werck am Menschen ist, denn reden, Sintemal der Mensch durchs reden von andern Thieren am meisten geschieden wird, mehr denn durch die gestalt oder ander werck. Weil auch wol ein holtz kan eines Men­ schen gestalt durch Schnitzer kunst haben.« 21/13  Eichen ihrer Wälder  Komm.: Im Zeus-Tempel der Stadt Dodona befand sich das älteste Orakel Griechenlands, in dessen Zentrum eine Eiche stand, wel­ che die Orakelsprüche verkündete; später war es Bischofssitz (vgl. Zedler 7, 1132 ›Dodona‹). Auch im germanischen Heidentum spielte der Eichenkult eine große Rolle, vgl. Zedler (47, 398 ›Verehrung der Bäume und Wälder‹). Zentraler Bestandteil der Hagiographie des Bonifatius ist das Fällen der Donner-Eiche bzw. Donareiche. 21/14  alle ihre Klötzer  Komm.: Jes 44,18–20 u. 45,20. Siehe Komm. SD 21/9–11. 21/15  nichts als Späne zu machen  Komm.: Vgl. Plat. Hipp. mai. 304  a: »Hippias: Aber Sokrates, was soll doch dies alles sein? Das sind ja nur Brocken und Schnit­ zel von Reden, wie ich schon vorher sagte, ganz ins Kleine zerpflückt. Aber das ist sowohl schön als viel wert, wenn man imstande ist, eine ganze Rede gut und schön vorzutragen vor Gericht oder im Rat oder vor einer andern öffentlichen Gewalt, an welche die Rede sich wendet, und diese so zu über­ reden, daß man zuletzt nicht etwa unbedeutende, sondern die höchsten Preise davonträgt, nämlich Sicherheit für sich selbst und für sein Eigentum und seine Freunde. Darauf mußt du dich legen und diese Kleinigkeiten fahren lassen, damit du dich nicht allzu unverständig ausnimmst, wenn du dich, wie jetzt immer, mit Possen und leerem Geschwätz abgibst.« Vgl.

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auch in Rapins Betrachtungen: »so ist seine Philosophie geschickter zum Zerstöhren als zum Gründen.« (N IV 50/38) 21/17  weil sein Vater einer war  Annot. SD4*: – – πατρίαν / ἔιπερ καθ’ ὁδὸν νιν εὐθυπομπός αἰὼν / ταῖς μεγάλαις δέδωκε / κόσμον Ἀθάναις. Pindar. Νεμέων β’. 〈Pind. N. 2,6–8: »[…] wenn wirklich / auf dem Weg der Väter ihn gerade­ leitend das Leben / dem großen Athen zum Schmuck gegeben hat«.〉 21/19–25  drey Bildsäulen [...] schönen Künste  Komm.: Vgl. Komm. W 87/12. Charpentier 2 f.: »Socrates lernete im Anfang das Handwerck seines Vaters, und man sahe auf dem Schlosse zu Athen einen Mercurium und die drey Gratien, die er verfertiget hatte. Pausanias [1,22] der solches unter den andern Rari­ täten Griechenlandes erwehnet, mercket an, daß die Gratien auf diese Art bekleidet waren, wie es vor Alters gebräuchlich war, dieselben entweder in Gemählden oder in der Bildhauer Arbeit vorzustellen, indem der Gebrauch sie ganz nackend abzubilden hernach erst eingeführet worden.« Abgebildet sind die Gratien in Cooper 13; für ihn ist mit der künstlerischen Arbeit an den Gratien eine Analogie gegeben, die das Verhältnis von Geschmack und Moral begründet (S. 14 f.): »From this, compar’d with his Life and Doctrines, we may perceive what invariable Analogy there is between a Taste for moral and for natural Comeliness; for the same Faculties of the Soul which lead Mankind to admire Proportion and Order in external Forms of Matter, have a correspondent Relish for a like Regularity in Characters and Manners«. Auf dem Titel von Winckelmanns »Sendschreiben über die Gedanken von der Nachahmung [...]« ist eine Vignette abgedruckt, die Sokrates bei der Arbeit an den Gratien zeigt (Gedanken über die Nachahmung, S. 45). 21/20  Gratien  Komm.: Euphrosyne, die Frohsinnige; Thalia, die Blühende; Agla­ ia, die Strahlende. Von Χάριτες: in der griech. Mythologie Dienende der Hauptgötter Aphrodite, Hermes, Apollon; lat. gratiae: in der röm. Mytholo­ gie die drei Grazien; Töchter des Zeus und der Eurynome. 21/26–31  Worte […] können  Annot. SD4*: über den VI . Bußpsalm (Ps. 130. v. 5) 〈vgl. Komm. SD 21/9–11〉. 21/26–31  Worte [...] sollen und können  Komm.: Klopstock: Von der Sprache der Poesie, in: Der Nordische Aufseher (Bd. 1, St. 26, 1758, S. 223 f.): »Es ist schon lange her, daß Luther die Deutschen durch die Art, auf welche er die poetischen Schriften der Bibel übersetzt hat, von dem Unterschiede der prosaischen und poetischen Sprache hätte überzeugen können. Aber sie haben von diesem grossen Manne überhaupt weniger gelernt, als sie von ihm hätten lernen sollen. Opiz hat sie nach ihm an jenen Unterschied von neuem erin­ nert; Haller noch stärker: allein sie scheinen noch immer daran zu zwei­ feln.« Als Schwärmer ist er von Lessing im 49. der Literaturbriefe (Tl. 3, 1759, S. 79 f.) charakterisiert worden, mit dem Schluss: »von dem wollte ich wohl

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Kommentar SD  22/5

wetten, daß er nicht selten, eben am allerunwürdigsten von Gott denkt, wenn er am erhabensten von ihm zu denken glaubt.«   22/5  andächtigen Athenienser  Komm.: Apg 17,22. Dagegen in SD  30/20 u. 38/1: neugierige Athenienser. Luther hat an dieser Stelle, ausgehend von der lat. Übers. des Erasmus, ›abergläubige‹ Athener übersetzt; aber in den hist.-krit. Kommentaren seit Hugo Grotius (1583–1645) wird in Bezug auf das griech. Wort ›deisidaimonias‹ die genuin griech. Religiosität stärker gewürdigt. Heumann referiert in De Paulo Atheniensium religiositatem den Forschungs­ stand ausführlich (Kurzfassung davon in Erklärung des Neuen Testaments, Tl. 6, S. 253 f.); wie auch Bengel in Gnomon, S. 542 f., deutet er die Rede des Paulus als Ausdruck des Respekts vor der Gottesfurcht der einfachen Athe­ ner, die sich vom christlichen Glauben durch fehlendes Gottesvertrauen unterscheide. 22/9  neugekleideten Gratien  Komm.: Vgl. W 64/18–21 u. 87/12 und Komm. SD 21/20. 22/11  Uebersichtigkeit  Komm.: Altes Wort für »Weitsichtigkeit«, also für den Zustand, wo man Nahes zu groß sieht und darum Entferntes, aber viel­ leicht Wichtigeres, übersieht. Vgl. bspw. Luther: Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt (WA 7, 548/17). 22/12f.  gegen das menschliche Geschlecht [...] Patrioten  Komm.: Für Bolingbroke ist der Mensch nicht Ziel der Schöpfung. In The idea of a patriot king schreibt er (dt. Übers. S. 101): »Wie der Mensch geneigt ist, sich selbst zur Maaßregul aller erschaffenen Wesen zu machen, so machet er sich selbst zur End­ursach aller Schöpfung. Also haben die berühmten orthodoxen Philosophen zu allen Zeiten gelehrt, daß die Welt um des Menschen willen gemacht worden sey, die Erde wäre um seinetwillen geschaffen, auf derselben zu wohnen, und alle helle Cörper wären an den unbeschreiblichen ausgedehnten Raum um uns rund herum, seinetwegen gesetzt worden, sie anzuschauen.« Über die notwendigen Konsequenzen für die Erziehung der Prinzen wolle er sich nicht mehr äußern, »damit ich nicht in meinen Betrachtungen so kühn, und gar zu scharfsinnig und witzig scheinen möge« (S. 102). Vgl. auch Komm. W 76/15 f. 22/14  Verdienste des Bildhauers  Komm.: Cooper stellt seine Theorie von der Ana­ logie künstlerischer und moralischer Vorzüge an Sokrates’ Leistung in der Bildhauerei dar, vgl. Komm. SD 21/19–25. Mendelssohn betont vergleich­ bar (in seiner Antwort auf Rousseau) Sokrates als Künstler – siehe Men­ delssohn: Johann Jacob Rousseau, S. 233: »Aus seinem ganzen Betragen leuchtet ein feiner aber unverzärtelter Geschmack hervor. Er hat das zärt­ lichste Gefühl, er kennet die Zauberkraft der Musik und der unschuldigen Dichtkunst, er zeiget in den Bildseulen, die er verfertiget, so viel Genie als

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Geschmack. Er ist ein empfindungsvoller Freund, ein liebreicher Bürger, und der nützlichste, lehrreichste und anmuthigste Gesellschafter von der Welt.« Damit wendet sich Mendelssohn gegen Rousseaus Forcierung jenes Narrativs vom Aufstieg und Verfall der Gesellschaften, das auch Montes­ quieu mit der Diagnose verband, die Prosperität der Künste sei eher ein Phänomen der Dekadenz (kriegerischer Eifer hingegen ein Indiz des Auf­ stiegs). 22/15–23  daß sie […] Väter  Annot. SD4*: δύο ἔστωσάν σοι μέγιστοι σκοποί, θεῶν μὲν Ζεύς, ἀνδρῶν δὲ φιλοσόφων Σωκράτης. 〈Clem. hom. 5,19,2: »Auf zwei sollst du dein Augenmerk richten, Zeus von den Göttern und von den Philoso­ phen Sokrates.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 Appion in Εγκωμίῳ μοιχείας 〈»Lobrede des Ehebruchs«; Übers. v. Polyxeni Tarpinidou〉. Clement. Homil. V. p. 661. ex edit. Clerici. 22/17  über des Zimmermanns Sohn spotten  Komm.: Mt 13,53–58. Mit dem Spotten­ den ist vmtl. auf Voltaire angespielt, der bspw. in seiner Epître à Uranie (1722) die Menschwerdung Gottes in einem jüdischen Handwerker als unglaubwürdig und unwürdig behauptet und stattdessen ein theistisches Glaubensverständnis favorisiert. Schon in der Zeitschrift Daphne hatte (vielleicht) Hamann daran Kritik geübt (N IV 19/1–27). 22/18  spotten  Komm.: Apg 17,17–32. Vgl. Herveys Kritik an Shaftesburys »Probe der Spötterey« (Komm. SD 11/25–12/2). 22/21  Giftmischer  Komm.: Wenn mit den »neuen« solche Religionskritiker wie Voltaire, Bolingbroke oder Hume gemeint sind, dann konnte Hamann sich für diese Drastik bei Klopstock: Eine Betrachtung über Julian den Abtrünnigen, S. 146, bedienen: »Diese drey großen Lehrer des Unglaubens schrei­ ben so schön, sie umkränzen ihren Giftbecher mit so ausgesuchten Blumen [...]«. Die These vom in einem schönen Stil versteckten Atheismus bei Hume hat William Waburton aufgebracht in Remarks on Mr. Humes Natural History of Religion. 22/22  grausamere Mörder dann ihre Väter  Komm.: Mt 23,30–32. 22/24–28  Bey der Kunst […] befremden darf  Komm.: Die Erziehung zum Bildhauer ist auch für Cooper 14 eine Vorbereitung auf die spätere Liebe der Schönheit. An Letzterer sei Sokrates aber nur interessiert, sofern sie das Korrelat einer inneren Vollkommenheit darstelle (S. 67): »Being thus accustomed to the good and beautiful in Morals, he was led by an amicable Intercourse of Ideas [vgl. SD 35/21], to look upon the Comeliness of a handsome Person as the external Mark of inward Goodness, which made itself thus visible to the Sight by the correspondent Features of an amiable Countenance.« 22/27  Geschmack an wohlgebildeten Jünglingen  Komm.: Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung, S. 8: »Die Schule der Künstler war in den Gymna­

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Kommentar SD  22/28

sien, wo die jungen Leute, welche die öffentliche Schamhaftigkeit bedeckte, ganz nackend ihre Leibesübungen trieben. Der Weise, der Künstler giengen dahin: Socrates den Charmenides, den Avtolycus, den Lysis zu lehren; ein Phidias, aus diesen schönen Geschöpfen seine Kunst zu bereichern.« 22/28  Zeiten des Heydenthums  Komm.: Für Charpentier 42 ist Sokrates hierin Geg­ ner seiner Zeit: »Es ist wahr, er bezeugte eine absonderliche Liebe gegen junge Leute, und ließ sich höchst angelegen seyn, dieselben an sich zu ziehen, damit er sie von gefährlichen Gesellschafften, denen dieses Alter stetswährend unterworffen ist, desto besser abhalten möchte. Fürnemlich zur selben Zeit, und in diesem Lande, wo die ärgsten Laster im schwange giengen, und wo die Sitten durchgehends so verderbt waren, daß fast kein junger Mensch keusch seyn durffte. Jederman weiß, in was für einer schändlichen Brunst damals gantz Griechenland brandte, und die, wie die Schrifft [Röm 1,27] redet, den natürlichen Gebrauch in den unnatürlichen verwandelte. Es würde sich sehr übel geschickt haben, wenn Socrates, der die kleinen Fehler curirete, diese große Kranckheit zu vertreiben [vgl. SD 42/16 ff.] solte ermangelt haben.« Vgl. Komm. SD 41/9. 22/29  Progeniem vitiosiorem  Komm.: Hor. carm. 3,6,45–48 (letzte Strophe): »dam­ nosa quid non inminuit dies? / aetas parentum peior avis tulit / nos nequi­ ores, mox daturos / progeniem vitiosiorem.« – »Was hat die verderbliche Zeit nicht verschlechtert? / Die Generation der Eltern, schlechter als die der Großväter, gebar / uns Schlimmere, die wir bald eine / noch lasterhaftere Nachkommenschaft hervorbringen werden.« 23/3  weiß zu brennen  Komm.: Adelung 1, 1183 f. ›Brennen‹: »Sich rein brennen, sich weiß brennen, figürlich, sich zu rechtfertigen, sich als unschuldig dar­ zustellen suchen.« Wie Cooper 69 ff. versucht auch Charpentier 45 Sokrates vom Vorwurf der Päderastie frei zu sprechen: »Man darff keine Entschuldi­ gung suchen, für eine so keusche und unschuldige Liebe reiner Gemüther, die keinen andern Zweck hat, als das wahrhafftige Gut der geliebten Person, und die so weit entfernet ist, eine schändliche Brunst einer gemeinen Liebe zu seyn, die diejenigen, an denen sie klebet, schwärtzet und beflecket; daß sie vielmehr ein himmlisches Feuer ist, das alles dasjenige, was ihm nahet, reiniget und erleuchtet.« Heumann widmet der Aufgabe, die Überlieferung zu Sokrates’ Aussehen und möglichen Lastern zu korrigieren, ein umfang­ reiches Kapitel (Acta, St. 1, S. 126 ff., Kap. »Von des Socratis Leibes-Gestalt«), als dessen Ergebnis die Schönheit und Tugendhaftigkeit des Griechen prä­ sentiert wird. Vgl. Komm. SD 41/9. 23/5f.  Toußaint […] Romane seiner Leidenschaften  Komm.: François-Vincent Tous­ saint (1715–1772; Beiträger der Encyclopédie): Histoire des Passions. Hamann ändert den Titel und widerspricht damit nicht nur der Selbsteinschät­

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zung Touissants, der sich in der Einleitung (dt. Übers., [S. 4]) als »Feind von allen Romanen, von allen Erzählungen, und von allen [...], was ihnen gleich sieht«, bezeichnet und eine wahrscheinliche Geschichte verspricht, sondern auch dem Urteil Lessings in seiner Rezension in der Berlinischen Privilegirten Zeitung (Bd. 4, St. 32, 1751, S. 295): »[D]as Bild des menschli­ chen Lebens, welches er uns in dem Ritter Shroop vorlegt, verdienet mit Recht eine Historie der Leidenschaften zu heissen. Entfernt von allen, was nach dem Roman schmeckt, schildert er nichts als Begebenheiten, welche alle Leser gehabt haben könne. Sein Held ist ein Mensch, kein Wesen der Vorstellung.« 23/6  Sitten  Komm.: Toussaint: Les Moeurs. In Paris aufgrund der geäußerten häretischen Lehren und der unverhohlen geäußerten Sozialkritik zunächst öffentlich verbrannt, danach wiederholt auch in Frankreich aufgelegt. Tous­ saint vertritt darin eine deistische Position und fordert Toleranz in Reli­ gionssachen. Seine Werke wurden in deutschsprachigen Bücherverzeich­ nissen unter den verdächtigen, ›freigeistigen‹ geführt. Deswegen war es nicht unbedeutend, als Basedow in der Einleitung zu seiner Practische[n] Philosophie (Bd. 1) erwähnt, Toussaint als Quelle benutzt zu haben, im Unterschied zu philosophischen Werken von Puffendorf bis Crusius. Ent­ sprechend wurde er auch vom Nordischen Aufseher ermahnt, er solle doch Toussaint »Dürftigern« überlassen (Bd. 1, St. 24, 1758, S. 207). 23/11  Entdeckungen des Gesichtdeuters  Annot. SD4*: Zopyrus, Cic. Tusc. Quaest. IV,37 〈Vmtl. Cic. Tusc. 4,80〉. Id. De Fato. 5 〈bes. Cic. fat. 5,10〉. 23/11  Entdeckungen des Gesichtdeuters  Komm.: Charpentier 133 f.: »Und ein ande­ rer, so Zopyrus hiesse, urtheilete gleichmäßig aus seiner Gesichts-Bildung, daß er lasterhaft seyn müsse, und er gestand es auch, daß seine natürliche Zuneigung lasterhaft wäre, aber daß er dieselbige durch die Welt-Weißheit gebessert habe.« Die verborgenen Neigungen werden bei Cicero ( fat. 5,10) explizit genannt und auch von Stanley (Tl. 3, S. 93) aufgegriffen. Bei Ers­ terem ist zu lesen: »Dumm sei Sokrates, sagte er [Zopyros], und schwer von Begriff, weil er im Bereich der Schlüsselbeine keine Vertiefungen habe. Diese Partien (seines Körpers) seien zugebaut und verstopft, sagte er, und dann fügte er auch noch hinzu, er habe eine Schwäche für das schöne Geschlecht, woraufhin Alkibiades in lautes Lachen ausgebrochen sein soll.« Bolingbroke: Letters on the Study and Use of History (dt. Übers., Tl. 1, S. 46): »wenn der berühmte Sokrates nicht seine Natur durch Kunst verbessert hätte, so würde dieser vornehmste Apostel der Heyden, ein sehr verworfner Kerl, nach seinem eignen Bekenntnisse gewesen seyn, denn er war zu allen den Lastern geneigt, deren ihn Zopyrus, wie man sagt, aus seiner Gesichtsbildung beschuldigte.«

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Kommentar SD  23/15

23/15  kein Kenner seines guten Herzens  Komm.: Vgl. HKB  137

(I  297/11–24, 10.  3.  1759, an J. G. Lindner): »Freylich, Geliebtester Freund, ist unser Herz der gröste Betrüger, und wehe dem, der sich auf selbiges verläßt. Diesem gebornen Lügner zum Trotz bleibt aber Gott doch treu. Unser Herz mag uns wie ein eigennütziger Laban so offt täuschen als es will; so ist Er größer als unser Herz. Unser Herz mag uns verdammen und schelten wie es will; ist es denn Gott, daß es uns richten kann.« Vgl. zur Thematik der Selbster­ kenntnis auch die Brocken (bes. LS 408/5–410/25). 23/18  Merkmale seiner Unschuld  Komm.: Sokrates lehnt in Plat. symp. 38  c–d die sehr eindeutigen Angebote des Alkibiades ab. Charpentier 43 verweist auf die Gespräche mit Critias und Critobulus (Xen. mem. 1,3,8–15). 23/22  Nervensaft  Komm.: Vgl. SD 41/13. 23/24f.  Harmonie [...] Schönheit  Komm.: Sokrates galt gemeinhin als hässlich. Charpentier 137: »Diejenigen, so den Socrates gekant haben, vermelden, daß ihn der Himmel nicht so wohl mit der Schönheit des Leibes, als der Seele bega­ bet […]«. Damit erreicht er das Ideal der Übereinstimmung von innerer und äußerer Schönheit gerade nicht, das er von anderen einforderte. Heu­ mann (Acta, St. 1, S. 126–138) versucht die Überlieferung zu korrigieren und die nur vermeinte Hässlichkeit des Sokrates mit textkritischen Mitteln zu bestreiten. Auch von Sokrates gelte: »Pulchrior est virtus habitans in cor­ pore pulchro.« (S. 127). Besondere Schwierigkeit bereitet ihm hierbei die Überlieferung, Sokrates habe eine »breite und eingedrückte Nase« gehabt (S. 132), vgl. SD 34/27. 23/25  in sich selbst leiden und streiten müssen  Annot. SD4*: Ὦ φίλε Πάν τε καὶ ἄλλοι ὅσοι τῇδε θεοί, δοίητέ μοι καλῷ γενέσθαι τἄνδοθεν· ἔξωθεν δὲ ὅσα ἔχω, τοῖς ἐντὸς εἶναί μοι φίλια. Πλούσιον δὲ νομίζοιμι τὸν σοφόν. τὸ δὲ χρυσοῦ πλῆθος εἴη μοι ὅσον μήτε φέρειν μήτε ἄγειν δύναιτο ἄλλος ἢ ὁ σώφρων 〈Plat. Phaidr. 279  b-c: »[Sokrates:] Lieber Pan und ihr anderen Götter alle, die ihr hier seid, möget ihr mir verleihen, innerlich schön zu werden und dass alles, was ich an Äußerem besitze, dem Inneren befreundet sei. Für reich möge ich den Weisen halten und eine solche Menge Goldes mein Eigen nennen, wie sie kein anderer als der Besonnene davonzutragen und mitzuführen imstande ist.«〉 / βιότου δ᾽ ἀτρεκεῖς ἐπιτηδεύσεις / φασὶ σφάλλειν πλέον ἢ τέρπειν, / τῇ θ᾽ ὑγιείᾳ μᾶλλον πολεμεῖν sagt die Wärterin der Phädra in Euripid. Hipp. 〈Eurip. Hipp. 261–263: »[Amme:] Drückt sie zu Boden. / Überspanntes Mühen schafft mehr Leid wie Lust, / Höhlt die Kraft aus. Das Zuviel hat«.〉 23/30  Röm 1  Komm.: Röm 1,26–32. 24/2  Fußstapfen göttlicher Gegenwart erklärt  Annot. SD4*: – – ita rudes adhuc homi­ nes agebant, ut cuiuslibet novi viri adspectu quasi divino commoverentur. Tertull. Apolog. adv. gentes Cap. X. 〈Tert. apol. 10,10: »[Ich rede nicht davon,

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daß] die Menschen noch so unkultiviert dahinlebten, daß sie durch den Anblick eines beliebigen, zum erstenmal erscheinenden Menschen wie durch etwas Göttliches erschüttert wurden«.〉 Isocrates in orat. de Helenae laudatione 〈Isokr. or. 10〉. Diog. Laert. de Pythagora 〈Diog. Laert. 8,1,1– 50‌〉 / Von Teridates, dessen Tod Artaxerxes durch ganz Asien hat betrau­ ern lassen. Aelianus Var. Hist. Lib. XII 〈Ael. VH. 12,1‌〉. — Jo. Bapt. Porta de humana Physiognomia Lib. II, cap. XIII 〈Porta: De humana physiognomonia, S. 98–100〉 / – – ὁ μέγας ὠμοκρατὴς, der breitschultrige Αἴας – – Sophocl. Αι. μαστιγοφ 〈Soph. Ai. 205 f.: »[Tekmessa:] [denn] Aias [unbändig] ein Riese an Kraft, / [er liegt nun, gefällt]«〉 / Δικαιοσύνης μὲν οὖν καὶ σωφροσύνης καὶ ὅσα ἄλλα τίμια ψυχαῖς, οὐκ ἔνεστι φέγγος οὐδὲν ἐν τοῖς τῇδε ὁμοιώμασιν, ἀλλὰ δι᾽ ἀμυδρῶν ὀργάνων μόγις αὐτῶν καὶ ὀλίγοι ἐπὶ τὰς εἰκόνας ἰόντες θεῶνται τὸ τοῦ εἰκασθέντος γένος. Sokrates in Platons Phädro 〈Plat. Phaidr.

250  b: »[Sokrates:] In den hiesigen Abbildern von Gerechtigkeit, Besonnen­ heit und was es sonst noch an Wertvollem für die Seele gibt, ist kein Glanz, sondern mit stumpfen Organen erblicken nur wenige mit Mühe die Urform des Abgebildeten, wenn sie zu deren Abbildern kommen.«〉 / Ὄψις ἡμῖν ὀξυτάτη τῶν διὰ τοῦ σώματος ἔρχεται αἰσθήσεων, ᾗ φρόνησις οὐχ ὁρᾶται. δεινοὺς γὰρ ἂν παρεῖχεν ἔρωτας, εἴ τι τοιοῦτον ἑαυτῆς ἐναργὲς εἴδωλον παρείχετο εἰς ὄψιν ἰόν, καὶ τἆλλα ὅσα ἐραστά. νῦν δὲ κάλλος μόνον ταύτην ἔσχε μοῖραν, ὥστ᾽ ἐκφανέστατον εἶναι καὶ ἐρασμιώτατον. Ibid. 〈Plat. Phaidr. 250  d: »[Sokrates:] [denn] der Gesichtssinn zeigt sich uns als die schärfste der Sinneswahrnehmungen im Körper, durch welchen aber die Vernunft nicht wahrgenommen wird – denn das würde ein gewaltiges Verlangen hervorrufen, wenn sich ein derartiges deutliches Abbild von ihr selbst dar­ böte, indem es in in unseren Sehsinn gelangt –; ebenso verhält es sich mit allem anderen, was begehrenswert ist. Nun aber ist allein der Schönheit dies zugefallen, dass sie am deutlichsten wahrnehmbar und am liebens­ würdigsten ist.«〉 / – – Ὁ δὲ ἀρτιτελής, ὁ τῶν τότε πολυθεάμων, ὅταν θεοειδὲς πρόσωπον ἴδῃ κάλλος εὖ μεμιμημένον, ἤ τινα σώματος ἰδέαν, πρῶτον μὲν ἔφριξε, καί τι τῶν τότε ὑπῆλθεν αὐτὸν δειμάτων, εἶτα προσορῶν ὡς θεὸν σέβεται, καὶ, εἰ μὴ ἐδεδίει τὴν τῆς σφόδρα μανίας δόξαν, θύοι ἂν ὡς ἀγάλματι καὶ θεῷ τοῖς παιδικοῖς. Ibidem. 〈Plat. Phaidr. 251  a: »[Sokrates:] Der frisch Eingeweihte aber, der vieles von dem Damaligen geschaut hat, erschaudert zuerst, wenn er ein gottgleiches Antlitz erblickt, das die Schönheit treffend nachbildet, oder die Gestalt eines Körpers, und es beschleicht ihn etwas von den damaligen Ängsten, dann aber, wenn er länger hinschaut, verehrt er den Geliebten wie einen Gott und würde, wenn er nicht den Ruf einer allzu heftigen Raserei fürchtete, ihm wohl wie einem Götterbild und einem Gott opfern«.〉 – Οἱ δὲ Ἀπόλλωνός τε καὶ ἑκάστου τῶν θεῶν οὕτω, κατὰ τὸν

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Kommentar SD  24/3

θεὸν ἰόντες ζητοῦσι τὸν σφέτερον παῖδα πεφυκέναι, καὶ ὅταν κτήσωνται, μιμούμενοι αὐτοί τε καὶ τὰ παιδικὰ πείθοντες καὶ ῥυθμίζοντες εἰς τὸ ἐκείνου ἐπιτήδευμα καὶ ἰδέαν ἄγουσιν, ὅση ἑκάστῳ δύναμις – […] εἰς ὁμοιότητα

αὑτοῖς καὶ τῷ θεῷ, ὃν ἂν τιμῶσι, πᾶσαν πάντως ὅτι μάλιστα πειρώμενοι ἄγειν οὕτω ποιοῦσι. προθυμία μὲν οὖν τῶν ὡς ἀληθῶς ἐρώντων καὶ τελετή.

Ibid. 〈Plat. Phaidr. 253  b–c: »[Sokrates:] Die Begleiter des Apollon und jedes anderen Gottes gehen ebenso ihrem Gott nach und trachten danach, dass ihr (geliebter) Knabe ebenso geartet sei. Und wenn sie einen gewonnen haben, führen sie ihren Geliebten durch eigene Nachahmung (des Gottes), durch Überzeugung und Formung zur Lebensweise und Daseinsweise ihres Gottes, soweit ein jeder dazu in der Lage ist, ohne dass sie ihren Geliebten Neid oder kleinliche Missgunst spüren lassen, sondern indem sie versu­ chen, ihn auf jede Art zu völliger Ähnlichkeit mit sich selbst und dem Gott, den sie verehren, zu führen. Der Eifer nun der wahrhaft Liebenden und ihre Weihe«.〉 24/3  zu abstrakt und männlich  Komm.: Vielleicht mit Bezug auf die von Heumann entworfene Entwicklung der griech. Philosophie in Acta (St. 1, 1715/16, S. 293 f.): »Hieraus ersehen wir/ daß die Philosophie in Griechenland drey periodos oder drey aetates gehabt habe/ nemlich die Kindheit/ die Jugend/ und das männliche Alter. In ihrer Kindheit war die Philosophie/ als man zwar allerhand Wahrheiten erforschete/ dieselben aber zu untersuchen keine gewissen Gesetze/ und sie vorzutragen keine accurate Ordnung beob­ achtete. Ihre Jugend war es/ als man zwar die Gründe der Wissenschafften mit grösserer Sorgfalt untersuchte/ aber doch den Ariadnischen Faden der Logic noch nicht in der Hand hatte. Endlich erreichete sie ihr männliches und reiffes Alter/ da man die Logic recht excolirete/ und hierdurch die Dis­ ciplinen in rechte Ordnung brachte und ihnen eine vollkommene Gestalt gab.« Unter der Kindheit versteht er die ionische Philosophie, unter der Jugend Sokrates und Plato, während das »männliche Alter« mit Aristoteles erreicht sei (St. 1, S. 291–293). Auch Brucker spricht von einem »Mann­lichen Alter der Griechischen Philosophie«. Dieses beginnt für ihn bereits mit der »Secta Jonica« und reicht bis zu den Stoikern. Vgl. Kurtze Fragen (Bd. 1, Inhaltsverzeichnis). 24/6–8  kein Ansehen [...] Vorurtheile  Komm.: Röm 2,11. Luther kommt in seiner Auslegung von Gal 2,6 auf Röm 2,11 zurück und schreibt: »Denn wir sind von Natur und Art dazu geneigt, daß wir auf die Person gaffen, und nach Ansehen richten, und dieser Gebrech oder Fehler hanget uns an, daß wir allwege die Person und äuserliche Ansehen uns mehr bewegen lassen, denn das Wort; so doch GOtt haben will, daß wir allein an seinem Wort han­ gen, und darauf sehen sollen. Er will, daß wir Kern und nicht die Schale

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auslesen, und mehr auf den Hausvater, denn auf das Haus sehen sollen. […] Solches aber kan ein jeder Welt-Mensch durch natürliche Vernunft und Sinn nicht erkennen, sondern ein geistlicher Mensch gehöret dazu«. Aufs Ansehen achte auch, wer das sinnliche Zeichen der Beschneidung für notwendig erachte: »[…] denn daß man die Beschneidung an GOttes statt ehren und anbeten will, [...], das ist ein verdamter Mißbrauch, den man in keinen Wege nicht leiden soll.« (S. 90 f., zitiert nach Vollständige Auslegung der Epistel St. Pauli an die Galater). In den Biblischen Betrachtungen ver­ weist Hamann in Bezug auf Lk 14,12–14 (LS 277/13 ff.) auf Josiah Tuckers (1713–1799) Two Dissertations und notiert: »Der Autor [Tucker] merkt an, wie alle diese Vorurtheile aufgehört, die zu dieser Vorschrift Jesu Gelegen­ heit gaben, daß wir keine Gastgebothe von einer andächtigen Art außer dem heiligen Abendmahl haben, wonach von Gott selbst Sünder eingela­ den werden und alle als gläubige Sünder erscheinen.« Tucker beschreibt, was er als Vorurteil der Juden erachtet (S. 9 f.): »derogatory Notions of God, as if he was a capricious Being«. Und in Bezug auf Paulus’ Anrede der ›Hei­ den‹ heißt es (S. 12): »As to the Gentiles, it is well known, that they held most of their Feasts in Honour of one or other of their Idol Gods. And their very Sports, Plays and Diversions were dedicated to the Purposes of their false Religion. Hence therefore appears the Propriety, as well as Necessity of St. Paul’s Advice to the Corinthians, not to partake to those Feasts, which were of a religious Concern«. Über den Brauch, die von der Gesellschaft Margi­ nalisierten zur Tafel zu laden (S. 16): »This Method [...] was a very common Thing among the Antients, and is continued among the Eastern Nations to this Day, to express their Sentiments by symbolical Actions. A Scene, a Gesture, a Representation, etc. was a silent Lecturs, well understood, and equally expressive with the most significant Language.« 24/9  gesunde Vernunft  Komm.: Zum Wortfeld, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. Vgl. außerdem HKB 153 (I 377/27–30, 27.  7.  1759, an Kant): »Dies muste der weise Mann [Sokrates] thun, weil er mit Sophisten umgeben war, und Priestern, deren gesunde Vernunft und gute Werke in der Einbildung bestanden. Es giebt eingebildete gesunde und ehrliche Leute, wie es malades imaginaires giebt.« Zur Unterscheidung Glaube/ Vernunft siehe Biblische Betrachtungen, LS 106/1–7: »Der Eingang, in dem Jesus um die Gunst seiner Zuhörer, wirbt ist gleichsam eine fortwährende Antithese der mosaischen und philosophischen, der jüdischen und heid­ nischen oder griechischen Denkungsart. Das Evangelium erlöst von den Flüchen des Gesetzes, und macht lauter seelige Leute. Diese Seeligkeit aber ist nicht sinnlich und nach dem Augenschein, sondern über die Vernunft und allen Menschensatzungen wiedersprechend.« In den Gedanken über

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Kommentar SD  24/11

meinen Lebenslauf heißt es, LS 349/12–16: »Alles was der irrdischen Ver­ nunft unwahrscheinl. v. lächerlich vorkommt, ist dem X sten unumgängl. v. unwiederleglich gewiß und tröstlich. Was die Vernunft unterdrückt v verzweifelnd v verzagt macht, richtet uns auf v macht uns stark in Gott.« 24/11  Muselmännern  Komm.: Vmtl. Subsumierung verschiedener religiöser Rich­ tungen, denen Gesetzesgläubigkeit und/oder Deismus vorgehalten wurde (Zedler 19, 512 ›Mahometischer Glaube‹). 24/12  Schönste unter den Menschenkindern  Komm.: Ps 45,2. 24/14  Mann der Schmerzen  Komm.: Jes 53,1–4; Joh 19,1–4; Mk 9,12. Hamann las im Sommer 1759 Forstmanns Predigten, vgl. HKB 148 (I 348/18, 22.  6.  1759, an J. G. Lindner); in Erfreuliche Nachrichten vor die Sünder ist dem in diesem Absatz eröffneten Thema eine ausführliche Predigt gewidmet (S. 80 ff.), welche die Vorstellung vom Mann der Schmerzen eindrücklich beschwört: »Das Bild Gottes, in welchem er unser Heil zu seyn, litte alle Schmerzen« (mit Bezug auf Lk 9,22 und Ps 38,18 bzw. Ps 40,13). Die (auch lutherische: bspw. WA 1, 362, »Heidelberger Disputation«) Gedankenfigur ist häu­ fig auch in den Biblischen Betrachtungen verwendet (u. a. LS 103/12–20, 161/16–20). 24/15  Wunden und Striemen  Komm.: Jes 1,6. 24/16–18  klugen Fabeln [...] Wiedersprüchen  Komm.: 2 Petr 1,16–17. Vgl. HKB  156 (I 394/10–19, 9.  8.  1759, an J. G. Lindner): »Auch die Heyden hatten ein Wörtchen von diesen Geheimnißen, in ihre Mythologie einzuflechten, ver­ nommen. Jupiter verwandelte sich um die Gunstbezeigungen seiner recht­ mäßigen Gemalinn zu genüßen, in einen elenden, mit von Regen träufen­ den, zitternden und halbtodten Guckuck – Der Jude, der Christ verwirft daher seinen König, weil er wie eine Henne um seine Keuchlein girrt, und in sanftmüthiger, elender Gestalt um die Rechte seiner Liebe wirbt. Der Heyde, der Philosoph erkennt die Allmacht, die Hoheit, die Heiligkeit, die Güte Gottes; aber von der Demuth seiner Menschenliebe weiß er nichts. Als ein schöner Stier, als ein Adler, Schwan und güldener Regen theilte sich Jupiter seinen Bulerinnen mit.« Außerdem: Biblische Betrachtungen, LS 107/21–25: »Es konnte zu den vorigen Zeiten nicht so unbegreiflich seyn Antipoden zu glauben, als es den Juden, die auf eine Universal­monarchie warteten, abgeschmackt vorkommen muste solche Menschen als Jesus ihnen beschreibt, für seelig und Kindes des Reiches zu halten.« Siehe auch Komm. SD 24/6–8.   24/17  Wiedersprüchen gewohnt  Annot. SD4*: Μή με οἷον πατραλοίαν ὑπολάβῃς γίγνεσθαί τινα· […] τὸν τοῦ πατρὸς Παρμενίδου λόγον ἀναγκαῖον ἡμῖν ἀμυνομένοις ἔσται βασανίζειν, καὶ βιάζεσθαι τό τε μὴ ὂν ὡς ἔστι κατά τι καὶ τὸ ὂν αὖ πάλιν ὡς οὐκ ἔστι πῃ. Der Gast von Elis in Platons Sophisten. 〈Plat. soph.

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241  d: »[Fremder:] Daß du mich nicht für einen ansehest, der seinem Vater Gewalt tut. […] Weil wir den Satz des Vater Parmenides notwendig, wenn wir uns verteidigen wollen, prüfen und erzwingen müssen, daß sowohl das Nichtseiende in gewisser Hinsicht ist, als auch das Seiende wiederum irgendwie nicht ist.«〉 24/18  bis ihre Sophisten  Annot. SD4*: – – οὐκ ἀλλόκοτον, ὦ Μενέξενε; καὶ ἡμῖν εὐθὺς ἅσμενοι ἐπιπηδήσονται οὗτοι οἱ πάσσοφοι ἄνδρες οἱ ἀντιλογικοί, καὶ ἐρήσονται εἰ οὐκ ἐναντιώτατον — — sagt Sokrates in Platons Lysis. 〈Plat. Lys. 216  a–b: »[Wohl, sprach ich,] ist es auch nicht ungereimt, Menexenos? Und werden nicht voller Freuden sogleich die hochweisen streitkundigen Männer auf uns losgesprungen kommen und uns fragen, ob nicht der stärkste Gegenstatz [zur Feindschaft die Freundschaft wäre?]«.〉 24/19  Vatermord  Komm.: Vgl. den Königsmörder Damiens am Schluss, SD 45/15. Hume: Philosophische Versuche, S. 304, beschreibt die philosophische Kritik am (Aber-)Glauben als Vergehen an den Eltern. 24/22  Von solchem Wiederspruch […] Delphischen Orakel  Annot. SD4*: – – si philoso­ phandi libido est, Socraten, sapientiae principem quisque vestrum tantus est, si potuerit, imitetur. Εius viri, quotiens de caelestibus rogabatur, nota responsio est: Quod supra nos, nihil ad nos. Merito ergo de oraculo testimo­ nium meruit prudentiae singularis; quod oraculum ipse persensit, idcirco universis esse praepositum, non quod omnia comperisset, sed quod nihil se scire didicisset. Ita confessae inperitiae summa prudentia est. Hoc fonte defluxit Arcesilae et multo post Carneadis et Academicorum plurimorum in summis quaestionibus tuta dubitatio: quo genere philosophari et caute indocti possunt et docti gloriose. Caecilius Natalis in Min. Felicis Octavio p. 12.13. 〈Min. Fel. 13,1–3: »Wenn euch [indes] die Lust überkommt zu phi­ losophieren, so soll, wer bei euch so fähig ist, wenn er es kann, Sokrates, den Fürsten der Philosophie nachahmen. Dieser Mann gab, sooft man ihn nach dem Himmlischen fragte, bekanntlich die Antwort: ›Was über uns ist, geht uns nichts an.‹ Verdientermaßen also verdiente er, daß ihm das Orakel einzigartige Klugheit bescheinigte. Denn er verstand genau, wie es das Ora­ kel meinte, nämlich daß er deswegen über alle Menschen gestellt worden sei, nicht weil er alles in Erfahrung gebracht hätte, sondern weil er gelernt hätte, daß er nichts wisse; so liegt im Eingeständnis der Unwissenheit höchste Klugheit. Aus dieser Quelle floß des Arkesilaos und viel später des Karneades und der meisten Akademiker sicheres Zweifeln in den letzten Fragen; auf diese Art können sowohl die Ungebildeten vorsichtig als auch die Gebildeten ruhmreich philosophieren.«〉 24/23  Delphischen Orakel  Komm.: Das Orakel befand sich im Apoll-Tempel der Stadt Delphi. Die Antwort auf die ihm gestellte Frage gab die Priesterin

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Kommentar SD  24/23–25

(Pythia) mittels Deutung von aufsteigenden, heißen Dämpfen (Zedler 7, 465–468 ›Delphi‹). Vielfach ist überliefert, es habe Sokrates zum weisesten Menschen erklärt (etwa Cic. Cato 78; Lael. 7,19; Xen. apol. u. Plat. apol. 21  a). Heumann (Acta, St. 1, S. 490 f.) übersetzt die entsprechenden Abschnitte aus den Apologien Platons und Xenophons. Da keiner von diesen den Wortlaut des Orakelspruchs überliefert, schließt er, dieser sei erst später erdichtet worden (S. 492). Dazu Zedler (7, 467 ›Delphi‹): »Die scheinbarsten oder stärcksten Gründe, welche Glauben machen, daß es mit diesem Oracel ein pur lauterer Betrug derer heydnischen Priester gewesen, und Satan sein Spiel, so wie man sich gemeinglich einbildet, nicht mit gemacht habe, sind folgende: 1) daß dieses Oraculum gar offt bestochen worden, und alsdenn gerade die Antworten gegeben, die man verlangt; 2) daß eine grosse Anzahl derer klügsten Leute in Griechenland, ja gantze Sectern derer Weltweisen, als die Academische und Epicurische, eben zu der Zeit, da dieses Oracel am meisten floriret, gleichsam dem Oraculo ins Angesicht geläugnet haben, daß da etwas übernatürliches fürgienge […]«. 24/23–25  denjenigen […] nichts wisse.  Komm.: Heumann (Acta, St. 1, S. 483 f.) sieht darin keinen Widerspruch: »Denn Socrates war so bescheiden/ daß er die Gräntzen seiner Wissenschaft wohl erkandte/ und sahe/ daß gar viel dinge/ sonderlich in physicis, wären/ deren Natur und Ursachen er nicht wüste: dahingegen andere Sophisten niemahls sagen wolten: Nescio, sondern die philosophische Allwissenheit affectireten. Von einem solchen Philosopho kan man ja mit Wahrheit sagen/ daß er der beste Philosophus sey/ nicht aber die Sophisten/ welche sich und andern einbilden/ sie hätten alle Weißheit gefressen/ und der Himmel selbst sey nicht capable, zu ihrer Wis­ senschaft einen Zusatz zuthun […]. Wie man nun von dem Apostel Paulo/ ohne eine Contradiction zu begehen/ sagen kan/ daß seine Thorheit weiser sey/ denn die grössesten Philosophi unter denen Heyden gewesen; Ebe­ nermassen stecket auch darinne nichts absurdes, wenn man spricht: des Socratis Thorheit ist weiser/ denn alle andere Philosophi, oder vielmehr Sophisten/ sind. Und also hat Athenaeus keine Ursach vorgebracht/ die wichtig genug wäre/ die gemeine Erzehlung über den Hauffen zu werffen.« Heumann bestreitet die Echtheit des Orakelsspruchs schließlich nicht aus logischen, sondern philologischen Gründen (siehe Komm. SD 24/23). Auch im Zedler (38, 284 ›Socrates‹) wird der Orakelspruch als nachträgliche Fabel beschrieben. 24/27  stärksten Geister  Komm.: Übers. von franz. »esprit fort«. Frisch: Nouveau Dictionnaire, Sp. 859: »esprit fort, einer der meint er darff gar nichts glau­ ben; der mehr will wissen als andere die eine Religion haben.« Bezeich­

bis 25/4

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nung für Skeptiker, die bspw. die Religion und die Unsterblichkeit der Seele leugnen; synonym zu ›Freigeist‹. 24/28  Priesterinn  Komm.: Pythia, siehe Komm 24/23. 24/30  Vater Sokrates  Komm.: Vgl. Komm. SD 19/5. Als Vater der Weltweisheit wird Sokrates auch von Charpentier 146 bezeichnet. 24/31  Ideoten zu spielen oder Göttern zu glauben  Komm.: Im Brief an J. G. Lind­ ner vom 22. Juni 1759, HKB 148 (I 353/14 f.), ist es noch Alkibiades, nicht So­krates, der »die Rolle eines Ideoten spielt«. Am Ende von Platos lehrreiches Gespräch (S. 119 f.) spricht Alkibiades davon, die Rollen mit Sokrates tauschen zu wollen. Sokrates hat Alkibiades im Verlauf des Gesprächs von dessen umfänglicher Unwissenheit und Unmündigkeit überzeugt: »Socrates. Wie wirst du dich denn heraus ziehen können? / Alcibiades. Ich werde mich herausziehen, wofern es dem Sokrates gefällig ist. / Socrates. Du sprichst sehr übel, Alcibiades. / Alcibiades. Wie soll ich denn sagen? / Sokrates. Du mußt sagen, wofern es Gott gefällig ist. / Alcibiades. Wohlan, ich sage denn, wenn es Gott gefällig ist; und füge noch hinzu, daß wir fürs künftige unsere Personen umwechseln wollen, du sollst die meinige, und ich will die deinige spielen, das ist, ich will dir die Aufwartung machen, wie du sie mir bisher gemachet hast.« Vgl. auch Quint. inst. 9,2,46: »[D]a ja sogar ein gesamtes Leben Ironie zu enthalten scheint, wie es bei Sokrates der Fall zu sein schien – denn deshalb hieß er ›Ironiker‹, weil er den Unwis­ senden spielte und Bewunderer anderer vermeintlich Weiser–;« Überliefert auch in Stanleys History of Philosophy (Tl. 3, S. 71). 24/31  Göttern zu glauben  Annot. SD4*: ἄριστον οὖν τῷ θεῷ πεπιστευκέναι, καὶ μὴ τοῖς ἀσαφέσι λογισμοῖς καὶ ταῖς ἀβεβαίοις εἰκασίαις. Philo Leg. Allegor. Lib. II, p. 103. 〈Phil. leg. all. 3,81: »Das Beste ist also, auf Gott zu vertrauen und nicht auf unsichere Berechnungen und haltlose Vermutungen.«〉 25/2  sich Apoll nach den Menschen richte  Annot. SD4*: in Sophokles Oedipus Tyran­ nus sagt der Chrous vom Apoll: / – – τῷ / γὰρ πλάκες ἀγρόνομοι πᾶσαι φίλαι· — 〈Soph. Oid. T. 1102 f.: »[Chor:] Denn / alle beweideten Fluren sind ihm lieb.«〉 25/4  zu philippisiren  Annot. SD4*: Demosthenes – – φιλιππίζειν Pythiam dicebat, id est, quasi cum Philippo facere: hoc autem eo spectabat, ut eam a Philippo corruptam diceret. Cic. de Divinat. II , 57. 〈Cic. div. 2,118: »Demosthenes […] [pflegte] zu sagen, die Pythia betreibe ein philippízein, d. h. sie halte es gleichsam mit Philipp. Das aber lief darauf hinaus, daß er meinte, sie sei von Philipp bestochen«.〉 25/4  philippisiren oder zu sokratisiren  Komm.: Im Krieg der Athener gegen den Mazedonierkönig Philipp beschuldigt Demosthenes das Orakel von Delphi,

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Kommentar SD  25/5

Phillips Partei zu ergreifen und bestochen zu sein, d. h. zu ›philippisieren‹ (vgl. Annot. SD 25/4 f. u. Plut. Dem. 20). 25/5  Apollos zu seyn  Komm.: In den Biblischen Betrachtungen hat Hamann diese Transformation in Bezug auf die Paradies-Geschichte (1 Mos 3,5) formu­ liert, LS 77/4–8: »Sie dachten daß Gott ihres gleichen wäre Ψ. L. 21. an statt wie Götter zu werden glaubten sie jetzt daß Gott ihnen gleich wäre.« Dazu gehört dann auch die Idee des Sündenbewusstseins: »Hierinn wurden ihre Augen geöfnet, v diese Erkenntnis hat jeder Bösewicht von den Folgen sei­ ner Handlung, die unsere Eltern hatten an ihrem Sündenfall.« Vgl. HKB 156 (I 394/10–19, 9.  8.  1759, an J. G. Lindner), zitiert in Komm. SD 24/16–18. 25/5  Apollos zu seyn  Annot. SD4*: θᾶττον γὰρ ἂν εἰς ἄνθρωπον θεὸν, ἢ εἰς θεὸν ἄνθρωπον μεταβαλεῖν. Philo de Legatione ad Cajum. p. 1008. 〈Phil. legat. 16,118: »Denn eher könnte sich Gott in einen Menschen als ein Mensch in Gott verwandeln«.〉 25/8  Komet  Komm.: Dem Aberglauben an Kometen als Zeichen des Zornes Gottes trat prominent Bayle (Lettre á M.L.A.D.C.) entgegen. Auf Whistons nova tellvris theoria geht die Theorie zurück, wonach die Erde aus einem Kometen entstanden und die mosaische Schöpfungsgeschichte anzuse­ hen ist als das Tagebuch der Transformation dieses zunächst unbewohn­ baren Klumpens durch Gott (dt. Übers. S. 3). Die Lichtwerdung (1 Mos 1,3) etwa beschreibe die Lichtung des die noch chaotische Erde umgebenden Dunstes (ebd. S. 27 f.). Auch die Sintflut sei auf einen Kometen zurück zu führen (ebd. S. 444 ff., vgl. dazu auch Kant: Allgemeine Naturgeschichte, S. 303 f. und Biblische Betrachtungen, LS 85/4–17). Whistons Theorie wurde in Deutschland vor allem durch die mehrfachen Auflagen von Gottscheds Erste Gründe der gesamten Weltweisheit popularisiert. Der Ansicht Heyns (Versuch einer Betrachtung über Die Cometen) zufolge handelt es sich auch beim Stern von Bethlehem um einen Kometen (siehe Vorbericht [S. 10]). Die unterschiedlichen Autoren vereint die Absicht, die Annahme von Wundern auf ein Minimum zu beschränken und die biblische Erzählung mit natur­ wissenschaftlichen Einsichten zu harmonisieren. Buffon, der seinerseits die Entstehung der Erde und der übrigen Planeten auf die Kollision eines Kometen mit der Sonne zurückführt (bspw. Allgemeine Historie, Bd. 1, S. 86), kritisiert Whiston als offenbarungsfeindlich (vgl. ebd. S. 102). Zu Buffon siehe auch Komm. SD 17/4. Whistons Theorie wurde von zahlreichen Dich­ tern verarbeitet, etwa von Wieland (Die Natur der Dinge, 1752) und Bodmer (Der Noah, 1752). 25/8  Philosophen von heutigem Geschmack  Komm.: Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 68/12–25, zitiert in Komm. SD 11/25–12/1.

bis 25/11 25/9–19  Wir müssen […] bewundern  Komm.: Die

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Aussortierung von Märchen erin­ nert an Voltaire, Bolingbroke oder die Eklektiker. »Schnörkel unserer Alpen­ dichter« (25/18) verweist aber auf Gottscheds Polemik gegen die Schweizer und Klopstock und deren vermeintliche Fortsetzung barocken Schwulstes. Vgl. Gottscheds Übertragung der Kritik an der Fülle an Erzählungen im jüdischen Talmud auf die zeitgenössischen »christlichen Epopeen« in sei­ nem Bescheidenen Gutachten davon (S. 68): »eine Menge kindischer Erzäh­ lungen [... Sie] meynen damit die Neugier der Einfältigen zu vergnügen: wenn sie ihnen ihre Hirngeburten, anstatt der Wahrheit erzählen.« Die­ ser Topoi bedient sich Hamann aber auch in seiner brieflichen Kritik an Wielands Der geprüfte Abraham, HKB 148 (I 349/17–36, 22.  6.  1759, an J. G. Lindner): »woran liegt es doch, daß ein Wieland den geprüften Abraham nicht mit eben der Sittsamkeit sondern so viele Ariostische episoden, alco­ ranische und talmudische Zierrathen – die nichts als das Vorurtheil der Mode, und den einmal angegebenen Ton rechtfertigen kann. Hat man da Erdichtungen nöthig, wo die Geschichte reich genung ist; [...] Nichts als eine blinde Gefälligkeit gegen die herrschenden Sitten unserer jetzigen Dichtkunst, oder eine durch die Gewohnheit erlangte Fertigkeit, die unser Urtheil partheyisch macht, und unsere Sinnen bezaubert – und der Trieb zu gähnen, weil wir andere gähnen sehen [vgl. SD 25/23] – können dergl. Gaukeleyen so ansteckend machen, daß die besten Köpfe davon hingerißen werden«. 25/10  Buche  Komm.: Vgl. Hume: Philosophische Versuche (S. 296): »Da haben wir denn erstlich ein Buch zu betrachten, welches uns durch ein ungesittetes und unwissendes Volk überliefert wird [so drückt sich auch Bolingbroke aus], welches in einer Zeit geschrieben worden, da dasselbe noch unge­ sitteter war, und aller Wahrscheinlichkeit nach, lange nach den geschehe­ nen Dingen, die es erzählt; welches durch keine damit übereinstimmende Zeugnisse bekräftiget wird, und denjenigen fabelhaften Nachrichten gleich sieht, welche eine jede Nation von ihrem Ursprunge giebt [vgl. SD 13/22]. Bey dem Durchlesen finden wir dieses Buch voller Wunderwerke und wun­ derbarer Begebenheiten.« 25/10  welches das thörichste Volk auf uns gebracht, und  Umarb. SD4*: welches das thö­ richste Volk auf uns gebracht, das für den Pöbel der Erde und zur Erbauung desselben gut genug ist und 25/11  das thörichste Volk  Komm.: 5 Mos 32,6; Hos 4,14. In der Erwählung dieses Volkes liegt für Hamann kein Widerspruch, vgl. LS 69/23–28: »Warum Gott dies Volk erwählt? Nicht ihrer Vorzüge wegen. Die Freygeister mögen ihre Tummheit v Boßheit in Ansehung anderer Völker so stark auszeichnen als

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Kommentar SD  25/14

sie wollen. Hat Gott das Evangelium nicht gleichfalls durch unwissende und unansehnl. Werkzeuge in den Augen der Welt fortpflanzen wollen?« 25/14  Marg.: Plinius [...] nullum est  Komm.: Plin. nat. 28,4,17: »Haec satis sint, exemplis ut appareat, ostentorum vires et in nostra potestate esse ac, prout quaeque accepta sint, ita valere. in augurum certe disciplina constat neque diras neque ulla auspicia pertinere ad eos, qui quamque rem ingredien­ tes observare se ea negaverint, quo munere divinae indulgentiae maius nullum est.« – »Dies mag genügen, um durch Beispiele zu zeigen, daß die Kräfte der Wunderzeichen auch in unserer Gewalt stehen und so die Wir­ kung haben, je nachdem sie ausgelegt werden. In der Lehre der Auguren ist doch jedenfalls festgelegt, daß weder Verwünschungen noch irgendwelche Vorzeichen diejenigen betreffen, die bei einer Unternehmung erklären, sie würden sie nicht beachten, und gewiß gibt es kein größeres Geschenk gött­ licher Gnade.« 25/14  Mährchen unserer Kinder und Ammen  Komm.: Vgl. Voltaire: Anmerkungen, über die Geschichte überhaupt (in: Kleinere Historische Schriften), worin er unter Berufung auf Fontenelle den Orakel-Glauben als politisches Macht­ instrument verwirft und die historische Darstellung von Charles Rollin, der den Wirklichkeitsbezug der Prophetien verteidigte, kritisiert (S. 6): »Was denjenigen, welche sich mit der Geschichte abgeben, gemeiniglich fehlet, ist der philosophische Geist. Die meisten, welche mit Männern die Thaten beurtheilen sollten, machen Mährchen für Kinder.« In diesem Sinne auch Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst (1730), S. 75: »Man sieht es ja an kleinen Kindern, wie begierig sie nach den Erzehlungen ihrer Wärterin­ nen sind; und diesen unerfahrnen und neugierigen Creaturen waren die ältesten Völcker gantz gleich. [...] Die wildesten Leute verließen ihre Wälder, und liefen einem Amphion oder Orpheus nach, welche ihnen nicht nur auf ihren Leyern was vorspielten; sondern auch allerley Fabeln von Göttern und Helden vorsungen: nicht viel besser als etwa itzo auf Messen und Jahr­ märckten die Bänckelsänger mit ihren Liedern von WunderGeschichten, den Pöbel einzunehmen pflegen.« Vgl. außerdem W 67/14–26 zu Kaiser Julian. Vielleicht steht auch die platonische Konzeption einer kritischen Pädagogik im Hintergrund: Plat. rep. 377  cf. 25/18  absondern  Komm.: Vgl. Heumann (Acta, St. 1, S. 12): »Der andere GeneralNützen der Historiae philosophicae bestehet darrinnen/ daß man seinen Verstand in Unterscheidung der Wahrheit von dem falschen übet/ und sich angewöhnet/ in allen Historien die Fabeln von den wahrhafften Geschich­ ten abzusondern.« Ähnlich auch Brucker: Kurtze Fragen (Bd. 1, Vorrede [o. Pag.; b4v]). 25/21  einer ihrer Propheten  Komm.: Mk 6,15.

bis 26/3 25/22  Kretenser  Komm.: Tit 1,12–14.

25/22  Marg.: φιλοσοφια [...] Protagoras  Komm.:

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Plat. Prot. 342  a/b: »φιλοσοφία γάρ

ἐστιν παλαιοτάτη τε καὶ πλείστη τῶν Ἑλλήνων ἐν Κρήτῃ τε καὶ ἐν Λακεδαίμονι, καὶ σοφισταὶ πλεῖστοι γῆς ἐκεῖ εἰσιν: ἀλλ᾽ ἐξαρνοῦνται καὶ σχηματίζ­

ονται ἀμαθεῖς εἶναι, ἵνα μὴ κατάδηλοι ὦσιν ὅτι σοφίᾳ τῶν Ἑλλήνων περίει-

σιν« – »Nämlich die älteste und meiste Philosophie unter den Hellenen ist

in Kreta und Lakedaimon. Auch die meisten Sophisten sind dort zu Lande, aber sie verleugnen es und stellen sich unwissend, damit sie nicht bekannt dafür werden, daß sie die übrigen Hellenen an Weisheit übertreffen«.   25/23  Marg.: Kritias [...] αποριας  Komm.: Plat. Charm. 169  c: »ὁ Κριτίας ἀκούσας ταῦτα καὶ ἰδών με ἀποροῦντα, ὥσπερ οἱ τοὺς χασμωμένους καταντικρὺ ὁρῶν­ τες ταὐτὸν τοῦτο συμπάσχουσιν, κἀκεῖνος ἔδοξέ μοι ὑπ᾽ ἐμοῦ ­ἀποροῦντος ἀναγκασθῆναι καὶ αὐτὸς ἁλῶναι ὑπὸ ἀπορίας.« – »Als nun Kritias dies hörte und mich ratlos sah, dünkte mich, daß gerade wie denen, welche einen andern gegenüber gähnen sehen, dasselbige zu begegnen pflegt, so auch er, von mir, dem Ratlosen, überwältigt, selbst in Ratlosigkeit gefangen war.« 25/24  Gamaliel  Komm.: Apg 5. 25/28  Eßays [...] Loisirs  Komm.: Damit übernimmt Hamann eine despektierliche Beschreibung eher essayistischer Stile, die auf seine Beylage zu Dangueil (N IV 225–242) in einer Rezension angewandt wurde, die man nämlich hätte »mit dem jetzt ziemlich gangbaren Titel, Gedanken, bezeichnen können: Denn dergleichen enthält diese Beylage würklich, von allerhand vermischten Gegenständen« (Freymüthige Nachrichten von Neuen Büchern, Jg. 15, St. 26 [1758], S. 207). 25/29  Bayle eyferte  Komm.: Bayles Toleranz-Appell auf die Revokation des Edikts von Nantes 1685 mit seiner Schrift Commentaire philosophique sur ces Pa­roles de Jésus-Christ: ›contrains-les d’entrer‹. 25/30  Act. V  Komm.: Apg 5,34–39. 26/3  Wunder veranlaßt  Komm.: Bayle: Cometen, S. 138 f.: »Es würde unmöglich seyn, den Schluß zu beantworten, welchen Cicero anführet [Anm.: Cic., div. I, 37]: Das Orakel zu Delphos würde nimmermehr so berühmt geworden seyn; und alle Völker und Könige würden nimmermehr so viel Geschenke dahin abgeschickt haben, wenn nicht alle Zeiten die Wahrheiten seiner Ant­ wort empfunden hätten. Das scheint wahrscheinlich genug zu seyn; und der Urheber dieses Gedankens glaubt nicht einmal, daß er nach Anfüh­ rung eines so bündigen Schlußes nöthig habe, durch gültige Zeugniße zu beweisen, wie solches der Philosoph Chrysippus gethan hatte: Daß Apollo unzählig wahre Göttersprüche gegeben habe. Aber das heißt alles nichts. Man darf nur den Grundsatz läugnen, darauf dieser Schluß gebaut ist, daß nämlich durchgehends angenommene Meynungen wahr seyn«. Zur poli­

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Kommentar SD  26/10

tischen Dimension des Wunderglaubens bzw. der Religion, ihres Zwecks zur »Erhaltung der Länder und Republiken«, siehe auch ebd. § 131, S. 437. 26/10  Hirngespinste  Komm.: Vgl. Komm SD 25/8 u. 25/24 f. Zur Verteidigung des Wunderglaubens zugunsten der sittlichen Ordnung vgl. Meier: Vertheidigung der Christlichen Religion, S. 144: »Wenn auch der Pöbel sich Gott als einen alten Mann mit einem langen Barte vorstelte [...] so heißt dieses tau­ sendmal gescheuter gedacht, als wenn man Gott für das Seyn aller Dinge ausgibt [...]«. Im Gegensatz dazu wendet sich Kant in der Erläuterung der Erdbebenkatastrophe von Lissabon gegen »Hirngespinste«, welche gött­ liche Strafen in kosmische oder planetare Geschehnisse hineininterpre­ tieren (Fortgesetzte Betrachtung der seit einiger Zeit wahrgenommenen Erd­ erschütterungen, AA I, 465). 26/11  Maschinerey  Komm.: Die Maschine, als ein Mittel zur göttlichen ›Regie­ rung‹ der Welt, ist vor dem Hintergrund des archimedischen Punkts ein vor allem in Bezug auf Leibniz’ Theodizee diskutierter Topos, schon von Bayle als Determinismus kritisiert (bspw. in Dictionnaire, Art. ›Rorarius‹, Anm. L), ausführlich ausgetragen in der Korrespondenz zwischen Leibniz und Samuel Clarke (1675–1729), der auch den Vergleich zwischen königlicher und göttlicher Regierung vornimmt, um die Vorstellung einer Schöpfung und Regierung allein mittels ursprünglicher Initiierung für unzureichend zu behaupten (Leibniz: Kleinere philosophische Schriften, S. 109 f.). 26/12  Firmament  Komm.: Vgl. Komm. SD 25/8 zum »Komet«. Vgl. zu Hamanns etymologischem Spiel damit Komm. W 66/22. 26/12  Geisterwelt  Komm.: Meier definiert in seiner Metaphysik (Bd. 2, Kap. »Cos­ mologie«, S. 164 f.): »Wir behaupten nicht, daß diese Geisterwelt, so zu reden, ein besonderes Revier in der Welt einnehme, und daß sie von den übrigen Verbindungen der Dinge dem Orte nach abgesondert sey: wie sich manche einbilden, daß ihre Seele, nach dem Tode des Körpers, in die Geis­ terwelt versetzt werde. Sondern die verschiedenen Verbindungen der Dinge in der Welt schlingen sich durch einander, und es können demnach Geister in der Welt, dem Orte nach, unter alle übrigen Substanzen zerstreuet seyn, und stehen demohngeachtet in einer eigenen allgemeinen Verbindung. [...] Diese Geisterwelt wird auch die verständige und moralische Welt genannt, weil nur denen Geistern Verstand und Moralität zukomt. Und da die Gnade nur Geister zu ihrem Gegenstande hat, wenn man das Wort in der gewöhn­ lichen Bedeutung nimmt; so kan man deswegen die Geisterwelt, auch im philosophischen Verstande, das Reich der Gnaden nennen.« 27/4  Kriton  Komm.: Charpentier 3, Cooper 16. Vmtl. soll in Kriton ein Typus für J. Chr. Berens gesehen werden.

bis 28/4 27/6  etymologischen Mine  Komm.:

Kriton leitet sich ab von griech.

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κρινειν,

dt.

urteilen. 27/11  Lehrmeister und Lehrmeisterinnen  Komm.: Stanley (Tl. 3, S. 71) listet Anaxago­ ras, Archelaus, Aspasia, Damon, Prodicus, Diotyma, Eunenus, Ichomachus, Theodorus, Aristagoras und Connus allesamt als Lehrmeister des Sokrates. Charpentier erwähnt nur die ersten drei. Ähnlich auch Brucker (Historia critica philosophiae, Bd. 1, S. 525) und Zedler (38, 278 f. ›Socrates‹). 27/14  Marg.: Κυνδυνευομεν [...] Menon  Komm.: Plat. Men. 96  d: »κινδυνεύομεν, ὦ Μένων, ἐγώ τε καὶ σὺ φαῦλοί τινες εἶναι ἄνδρες, καὶ σέ τε Γοργίας οὐχ ἱκανῶς πεπαιδευκέναι καὶ ἐμὲ Πρόδικος.« – »Wenigstens, Menon, scheint es fast, daß wir beide, ich und du, eben nicht sonderliche Leute sind, und daß weder dich Gorgias gehörig unterrichtet hat noch mich Prodikos.« 27/16  Klienten  Komm.: Schutzbefohlener. 27/19  Das Loos der Unwissenheit  Annot. SD4*: Aliquid ergo Socrates habuit cordis humani, qui quum intellegeret, haec non posse inveniri, ab ejusmodi quaestionibus se removit, vereorque ne in eo solo. Lact. Div. Inst. Lib. III . de falsa sapientia cap. 20. 〈Lact. fal. sap. 3,20,9 f.: »Sokrates bewies also ein Stück gesunden Menschenverstand; denn als er erkannte, daß er dies nicht herausfinden könnte, nahm er von Untersuchungen dieser Art Abstand. Ich fürchte aber, nur in diesem einen zeigte er sich so verständig.« Übers. nach Jüngel: Entsprechungen, S. 207.〉 27/19  Loos der Unwissenheit  Komm.: Vgl. Komm. SD 6/10. 27/24  ergrübeln, unwissend zu scheinen  Komm.: Siehe Komm. SD 6/12. Descartes’ methodischer Zweifel steht sicherlich im Hintergrund; außerdem Heu­ manns und Bruckers Bemühung, Sokrates eine konstruktive philosophi­ sche Methode zu attestieren (Unwissenheit als Strategie), womit sie die Möglichkeit einer tatsächlichen (geistigen) Armut ausschließen. Der naive (im Sinne von anmutige) Sokrates, als Gegenbild zu einer Kultur der Ver­ künstelung, wird besonders von Montaigne gezeichnet, bspw. in Essais III 12 (zu Beginn von »De la Physionomie / Von den Gesichtszügen«, S. 279). 27/29  Betrüger  Komm.: Vgl. Zedler 38, 283 ›Socrates‹, wo neben Aristophanes auch der Sophist Timon genannt wird. 28/1  Bauerstolz  Komm.: Adelung 1, 757 ›Bauerstolz‹: »ein mit Ungeschicklichkeit verbundener ungesitteter Stolz, der gemeiniglich einer schlechten Her­ kunft und Erziehung anklebt.« 28/4  Freundinn des Dummen  Komm.: Vgl. Huarte: Prüfung der Köpfe, S. 293: »Was das Glück für eine grosse Freundin des dummen Pöbels sey, beweiset schon Aristoteles durch die Aufgabe: […] Warum meistentheils die Reichthümer den Bösen zufallen und warum die Armuth größten Theils die Redlichen trift? Er antworter hierauf: […] [W]eil das Glück blind sey und das Beste

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Kommentar SD  28/5

weder zu erkennen noch zu wehlen wisse.« Siehe Ps.-Aristot. probl. 29,8. Außerdem Bolingbroke: The idea of a patriot king (dt. Übers. S. 12) in Bezug auf die häufige Unfähigkeit von Politikern: »Allein das Glück unterhält eine Art der Mitbuhlerey mit der Weisheit, und entscheidet oft zum Vortheil der Narren und Betrüger.« 28/5  entgehen die Einfälle  Annot. SD4*: Ῥῆμα δ’ ἐργμάτων χρονιώ- / τερον βιοτεύει, / ὅ, τι κε σὺν Χαρίτων τύχᾳ / γλῶσσα φρενὸς ἐζέλοι βαθείας. Pind. Nem. 4. 〈Pind. N. 4,6–8: »Das Wort bleibt längere Zeit als Taten am Leben, / sofern es mit der Chariten Gelingen / die Zunge herausholt aus des Sinnes Tiefe.«‌〉 28/6  Motten  Komm.: Vgl. im Gegensatz dazu Mendelssohn: Über die Empfindung, S. 51: »Ich habe den vermessenen Ausspruch jenes Franzosen [Anm.: Pluche] nicht ohne Erstaunen, oder vielmehr nie ohne eine Art von Mit­ leiden lesen können, der die Beschäftigung eines Reaumur, wenn er ein Mittel erfindet die Tapeten von Motten zu reinigen, höher schätzt, als die Beschäftigung eines Leibnitz, der dem System der besten Welt nachdenckt, oder eines Bernoulli, der sich in algebraischen Rechnungen vertieft.« 28/9  Staatsseher  Komm.: HKB 146 (I 344/26–28, 5.  6.  1759, an J. G. Lindner): »Ich weiß daß es meinen Freunden wie dem Alphonsus geht, der ein falsches Schul- und Zeit-System für den Plan der Natur ansahe, und durch diesen Irthum sich klüger dünkte als der Baumeister«. Alfons X . (1221–1284), König von Kastilien, wollte die Ptolemäischen Planetentafeln verbessern. Mit Verweis auf seine astronomischen Betrachtungen heißt es im Zedler (1, 1345 ›Alphonsus, römischer Kayser‹): »wenn ihn Gott zur Erschaffung der Welt mit gezogen hätte, wolte er vieles anders gemacht haben.« Leibniz benutzt die Anekdote in Von dem Verhängnisse; Hamann kannte sie auch aus Rapin: Les Reflexions sur l’eloquence, die er übersetzte (N IV 119 f.), und bezieht sich auch in den Biblischen Betrachtungen, LS 68/9–11, darauf. 28/10  Sokrates scheint  Annot. SD4*: Recte ergo Socrates et eum secunti Academici scientiam sustulerunt, quae non disputantis sed divinantis est. Superest, ut opinatio in philosophia sola sit. Lact. lib. III . de falsa sap. cap. 3. 〈Lact. fal. sap. 3,3,7 f.: »Zu Recht haben also Sokrates und die ihm nachfolgenden Aka­ demiker die Wissenschaft beseitigt, die nicht Sache des Erörterns, sondern des Weissagens ist. Übrig bleibt, dass in der Philosophie allein die Meinung liegt.« Übers. v. Lukas Reuß.〉 / Recte igitur Zenon ac Stoici opina­tionem repudiarunt. opinari enim te scire quod nescias non est sapientis, sed temerarii potius ac stulti. ergo si neque sciri quicquam potest, ut Socrates docuit, neque opinari oportet, ut Zenon, tota philosophia sublata est. cap. 4. 〈Lact. fal. sap. 3,4,1 f.: »Zu Recht also verachteten Zenon und die Stoiker die Meinung. Denn zu meinen, dass du weißt, was du nicht weißt, gehört nicht zum Weisen, sondern eher zum Unbesonnenen und Dummen. Wenn also

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weder etwas gewusst werden kann, wie Sokrates lehrte, und es auch nicht erlaubt ist, etwas zu meinen, wie Zenon es lehrte, ist die ganze Philosophie abgeschafft.« Übers. v. Lukas Reuß.〉 28/10f.  Unwissenheit […] Hypochondriaker  Komm.: Charpentier 63 f.: »Seine Beschei­ denheit war sehr groß, denn ob Er schon von so viel Leuten verlanget, und für einen verständigen und hochgelehrten Mann gehalten wurde, so protes­ tirte Er doch öffentlich, daß er nichts wüste, und trug sich stets mit dieser Redens-Art, daß Er nur eine einzige Sache gewiß wisse, nemlich: daß er nichts wisse.« Vgl. auch Cooper 84 f. 28/10  Marg.: Alcibiades [...] Symposio  Komm.: Plat. symp. 216  d: »Denn ihr seht ja, dass Sokrates ständig in die Schönen verliebt ist und immer in ihrer Nähe sich aufhält und von ihnen ergriffen ist, und andererseits alles nicht weiß und nichts weiß, so wie es seine Art ist«. 28/13  Milzsüchtigen  Komm.: Onomatologie medica completa (Bd. 1, Sp. 797 f.): »Hypochondriacum malum […] melancholia hypochondriaca, affectio flatulenta […] oder Milzsucht, ist ein besondere, vermischte, langwierige Krankheit, die aus vielerley Umständen bestehet, die sich zum Theil oft ganz zu widersprechen scheinen, die Kranke sind dabey meistens ausser dem Bett, und oft so erträglich, daß sie lediglich nichts zu klagen wissen, doch wechselt es aneinander bey ihnen ab, und das Gemüth leidet sehr bey ihnen Noth, so daß sie nicht nur oft gar aufmerksam auf alle Empfin­ dungen sind, und sich alles gegenwärtige viel ärger vorstellen, als es ist, sondern auch oft auf allerley solche wunderliche Einfälle kommen, die man nothwendig einer wirklichen Verrukung des Kopfs zuschreiben muß, und wie sie meistens in der Fröhlichkeit sehr ausschweiffend sind, also werden sie auch oft auf einmal ganz schwehrmüthig, murrisch, ungedultig, und verdrießlich […].« 28/14  so gehört vielleicht eine Sympathie  Annot. SD4*: – – δι’ ἐμᾶς / ᾖξ​ έν ποτε νηδύος​ ἅδ᾽ αὔρα. Euripid. in Ἱππολ 〈Eurip. Hipp. 165 f.: »Auch meinen Leib hat / Einst der Sturm durchzittert.«〉 / Alcibiades in Platons Symposio: Ἔτι δὲ τὸ τοῦ δηχθέντος ὑπὸ τοῦ ἔχεως πάθος κἄμ᾽ ἔχει. φασὶ γάρ πού τινα τοῦτο παθόντα οὐκ ἐθέλειν λέγειν οἷον ἦν πλὴν τοῖς δεδηγμένοις, ὡς μόνοις γνωσομένοις τε καὶ συγγνωσομένοις εἰ πᾶν ἐτόλμα δρᾶν τε καὶ λέγειν ὑπὸ τῆς ὀδύνης. ἐγὼ οὖν δεδηγμένος τε ὑπὸ ἀλγεινοτέρου καὶ τὸ ἀλγεινότατον ὧν ἄν τις δηχθείη, — τὴν καρδίαν γὰρ ἢ ψυχὴν ἢ ὅτι δεῖ αὐτὸ ὀνομάσαι πληγείς

τε καὶ δηχθεὶς ὑπὸ τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ λόγων, οἳ ἔχονται ἐχίδνης ἀγριώτερον, νέου ψυχῆς και μὴ ἀφυοῦς ὅταν λάβωνται, καὶ ποιοῦσι δρᾶν τε καὶ λέγειν

ὁτιοῦν, καὶ ὁρῶν αὖ Φαίδρους, Ἀγάθωνας, Παυσανίας, Ἀριστοδήμους τε καὶ Ἀριστοφάνας· Σωκράτη δὲ αὐτὸν τί δὴ και λέγειν, καὶ ὅσοι ἄλλοι; πάντες γὰρ

κεκοινωνήκατε τῆς φιλοσόφου μανίας τε καὶ βακχείας· διὸ πάντες ἀκούσεσ­

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Kommentar SD  28/15

〈Plat. Symp. 217  e–218  b: »Außerdem hat mich das Leiden dessen ergriffen, der von der Schlange gebissen wurde; denn man sagt, dass einer, der dies erlit­ ten hat, nicht bereit ist, anderen zu erzählen, wie es war, außer denen, die selbst gebissen wurden, da diese allein in der Lage wären, es zu verstehen und verständnisvoll zu sein, wenn er es wagte, vor Schmerz alles zu tun und zu sagen. Da ich von etwas noch Schmerzhafterem gebissen wurde und an der schmerzhaftesten Stelle, an der einer wohl gebissen werden könnte, da ich nämlich im Herzen oder in der Seele oder wie man das sonst nennen soll, getroffen und gebissen wurde von den Gedanken der Philosophie, die heftiger zupacken als eine Schlange, wenn sie eine junge, nicht unbegabte Seele zu fassen bekommen, und sie veranlassen, alles Mögliche zu tun und zu sagen – und wenn ich andererseits Leute wie Phaidros, Agathon, [Ery­ ximachos,] Pausanias, Aristodemos und Aristophanes sehe; wozu soll ich aber Sokrates selbst nennen und alle die anderen? Denn ihr habt alle etwas von der philosophischen Verrücktheit und Raserei abbekommen – deshalb sollt ihr alle es hören; ihr werdet nämlich Nachsicht üben gegenüber dem, was damals getan wurde, und dem, was jetzt gesagt wird.«〉 28/15  Sympathie  Komm.: Vgl. Biblische Betrachtungen, LS  66/27–33: »Die Nothwendigkeit uns als Leser in die Empfindungen des Schriftstellers, den wir vor uns haben, zu versetzen uns seiner Verfaßung so viel mögl. zu nähern, die wir durch eine glückl. Einbildungskraft uns geben können, zu welcher uns ein Dichter oder Geschichtschreiber so viel mögl. zu helfen sucht, ist eine Regel, die unter ihren Bestimmungen eben so nöthig als zu andern Büchern ist.« 28/17  Erkenne dich selbst  Annot. SD4*: Vide Cic. de Legibus I,22.23 〈Cic. leg. 1,22;23〉. 28/17  Marg.: Critias [...] Charmides  Komm.: Plat. Charm. 164  d–165  d, vgl. Annot. SD 29/3 (auch Plat. apol. 20  e–21  b). 28/19  Gott der Weisheit  Komm.: Apoll. 28/21  auswendig  Komm.: Bayle: Cometen, S. 56 f. (mit Verweis auf Fontenelle: Histoire des Oracles): »Diejenigen [delphischen Göttersprüche], welche die Wahrheit vorher verkündiget, kannte man auswendig, und redte überall davon; die aber das Gegentheil gesagt hatten, wurden vergessen, oder man verschwieg sie zum wenigsten: denn die Anhänger des Apollo erhoben bey aller Gelegenheit die wenigen Göttersprüche, da er sich nicht betrogen hatte, und berührten nicht mit einem Worte die große Anzahl der falschen Prophezeyungen.« 28/22f.  Stein […] vor der Stirn  Komm.: Vielleicht Anspielung auf die traditionell ­θε· συγγνώσεσθε γὰρ τοῖς τε τότε πραχθεῖσι καὶ τοῖς νῦν λεγομένοις.

bis 28/30

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von Juden während des Morgengebets auf der Stirn getragenen Tefillin, die auf 5 Mos 6,8 zurückgehen. 28/25  unter seinen güldenen Bart  Annot. SD4*: τοιαύτην τινὰ παίζειν παιδιὰν τὸν ἑαυτοῦ Δία Ἡράκλειτος λέγει. τί γὰρ ἄλλο εὐπρεπὲς ἔργον σοφῷ καὶ τελείῳ, ἢ παίζειν καὶ συνευφραίνεσθαι τῇ τῶν καλῶν ὑπομονῇ καὶ τῇ διοικήσει τῶν καλῶν, συμπανηγυρίζοντα τῷ θεῷ; Clem. Alex. Paedagog. Lib. I. cap. 5.

pag. 90. 〈Clem. Al. Paid. 1,22,1: »Ein Spiel dieser Art läßt Herakleitos seinen Zeus spielen. Denn welche andere Betätigung ist für den Weisen und Voll­ kommenen geziemend als zu spielen und sich mit der Geduld der Guten und der Verwaltung der Guten zu freuen und zusammen mit Gott Feste zu feiern?«〉 28/25  güldenen Bart  Komm.: Einen goldenen Bart hatte nach Val. Max. 1,3 Aescu­ lap, Sohn des Apollon, Gott der Heilkunst; Dionysius von Syrakus ließ dem Denkmal Aesculaps den goldenen Bart abnehmen. 28/27  Wer der weiseste  Annot. SD4*: Justini Martyris ad Graecos cohortatio. p. 33. Colon. 1686. fol 〈Iust. Mart. Cohortatio ad Graecos 36–37, bes. 36,1 f.〉. 28/27f.  Wer der weiseste [...] Euripides  Komm.: Charpentier 72 f.: »Diese ungemeine Qualitäten verursachten, daß das Oracul des Apollo aussprach, daß Socra­ tes der allerweiseste unter den Menschen wäre, und schiene also, durch dieses ruhmwürdige Zeugniß seine Tugend nach Verdienste zu beehren. Die Gelegenheit zu diesem Oracul erzehlet man also: Chaerephon, ein Freund des Socrates, dessen im andern Buch der merckwürdigen Dinge gedacht wird, als er nach Delphis gezogen, und daselbst in dem Tempel den Apollo gefraget: Ob auch ein weiserer Mann in der Welt wäre als Socrates? Bekam von derjenigen, die den Ausspruch des Oraculs herzusagen pflegte, zur Antwort: Es wäre niemand weiser als Socrates. Man trifft eben diese Antwort gantz an bey denen Autoribus, die über die Comoedien des Aris­ tophanes geschrieben haben: [Scholiastes Aristophanis ad Neb.] Sie ist bey nahe also eingerichtet: Sophokles ist zwar sehr weise, aber Euripides ist noch weiser/ am allerweisesten aber unter allen Menschen ist Socrates.« 28/28  Euripides  Annot. SD4*: Ἄξιος ὡς ἀληθῶς Σωκρατικῆς διατριβῆς ὁ Εὐριπίδης, εἰς τὴν ἀλήθειαν ἀπιδὼν, καὶ τοὺς θεατὰς ὑπεριδών. Clem. Alex. Cohort. ad gentes. p. 50. 〈Clem. Al. protr. 7,76,3: »Wahrhaftig würdig der Sokratischen Schule ist Euripides: er blickt auf die Wahrheit und kümmert sich nichts um die Zuschauer«.〉 28/30  Zergliederungskunst   Komm.: Zergliederungskunst wurde die anatomische Sektion und Obduktion genannt. Bei der Übertragung auf die Erforschung eines Gegenstandes oder Wesens zu künstlerischen Zwecken empfiehlt Batteux Zurückhaltung (Les Beaux Arts, dt. Übers. S. 196): »Wenn sie [die

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Kommentar SD  28/31f.

Vollkommenheit] nicht mehr durch die Sinne, sondern allein durch den Verstand erkannt und beurtheilet wird; wenn man sie in einer strengen Untersuchung allzugenau prüfet, durchforschet, zergliedert; so bleibt zwar wohl dem Gegenstande seine Vollkommenheit, ja unser Begriff davon kann noch erhöhet werden; aber die Schönheit verschwindet. Die Hochachtung für diesen Gegenstand wird vielleicht wachsen; und mit ihr zugleich die Bewunderung. Aber mit der Zergliederung vermindert sich, je weiter die­ selbe geht, der Reiz; und mit dem Reize zugleich, wegen der engen Ver­ bindung, darinnen die Seele mit dem Leibe und seinen Sinnen steht, das Wohlgefallen.« 28/31f.  Sokrates übertraf […] Selbsterkenntnis  Komm.: Ähnlich bei Heumann (Acta, St. 1, S. 500). 29/3  Apoll antwortete  Annot. SD4*: – – ὡς δὴ πρόσρησις οὖσα τοῦ θεοῦ τῶν εἰσιόν­ των ἀντὶ τοῦ χαῖρε, ὡς τούτου μὲν οὐκ ὀρθοῦ ὄντος τοῦ προσρήματος, τοῦ χαίρειν· οὐδὲ δεῖν τοῦτο παρακελεύεσθαι ἀλλήλοις ἀλλὰ σωφρονεῖν. οὕτω μὲν δὴ ὁ Θεὸς προσαγορεύει τοὺς εἰσιόντας εἰς τὸ ἱερὸν — […] αἰνιγματωδέστερον δὲ δή ὡς μάντις λέγει — […] καὶ γὰρ ξυμβουλὴν ᾠήθησαν εἶναι τὸ γνῶθι σαυτόν, ἀλλ᾽ οὐ τῶν εἰσιόντων ἕνεκεν ὑπὸ τοῦ Θεοῦ πρόσρησιν. Critias in Platons Charmides 〈Plat. Charm. 164  d–165  a: »[Denn in solchem Sinne scheint mir dieser Spruch hingestellt zu sein,] als eine Anrede des Gottes an die Eintretenden anstatt des ›Sei fröhlich‹, als ob nämlich jener Wunsch nicht recht wäre, fröhlich zu sein, und wir uns dazu nicht ermun­ tern müßten, sondern besonnen zu sein. Auf diese Art also begrüßt der Gott die Eintretenden in seinem Tempel […]. Etwas rätselhaft freilich, wie ein Wahrsager, drückt er sich aus. […] Denn [diese] haben geglaubt das ›Kenne dich selbst‹ wäre ein Rat, nicht aber eine Begrüßung des Gottes für die Eintretenden«.〉 29/7  Chärephon  Annot. SD4*: Χαιρεφῶν ἡ νυκτερίς. Aristoph. Av. 〈Aristoph. Av. 1564: »Chairephon die Fledermaus.«〉 / Aristophanes beschreibt uns diesen Mann als einen vertrauten Freund des Sokrates und großen Meß­ künstler: / – – Σωκράτης ὁ Μήλιος / καὶ Χαιρεφῶν, ὃς οἶδε τὰ ψυλλῶν ἴχνη 〈Aristoph. Nub. 830 f.: »Sokrates, der Melier, / Und Chairephon, der Flohfußstapfenspezialist.«〉 / Τὸ μὲν οὖν τοῦ Χαιρεφῶντος, διὰ τὸ τελέως σοφιστικὸν καὶ φορτικὸν διήγημα εἶναι, παρήσομεν. Colotes in Plutarcho adversus eundem. p. 1116. 〈Plut. Adv. col. 1116: »Von dem Geschichtchen des Chärephon wollen wir absehen, denn es ist nichts als ein spitzfindig ausgeklügeltes Märchen.«〉 29/7  Marg.: Χαιρεφων [...] ιχνη. Id.  Komm.: Siehe Annot. SD 29/7. 29/14–17  Paulus und Barnabas […] Zeiten  Komm.: Apg 14,17.

bis 30/8 29/19  Wohl [...] HErren!  Komm.:

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Letzter Vers der zweiten Strophe von Nikolaus Decius’ Lied: »Allein Gott in der Höh sei Ehr!« (EG 179). 29/21–24  Wie diese einen Körper […] auszuholen  Komm.: Die Formulierung entspricht zeitgenössischen Definitionen naturwissenschaftlicher Experimente, bspw. in Reimarus: Vernunftlehre, S. 266 ff. Bzgl. der Anwendung in Fragen der Sitten schreibt Helvétius zu Beginn der Vorrede von De l’esprit, er habe »geglaubet, man müsse die Morale eben so abhandeln, wie alle andere Wis­ senschaften abgehandelt werden, und nach dem Muster einer Experimen­ talphysik auch eine Experimentalmorale entwerfen.« (Dt. Übers., S. d3:1) Hamann berichtet von der Lektüre davon in HKB 167 (I 442/20). David Hume untertitelt seinen Treatise of Human Natur als »attempt to introduce the experimental method of reasoning into moral subjects«. 29/28  Energie  Annot. SD4*: Quintil. Lib. VI . cap. 2. ἐνάργεια, quae a Cicerone inlustratio et evidentia nominatur, non tam dicere videtur, quam ostendere: et adfectus non aliter, quam si rebus ipsis intersimus, sequentur. 〈Quint. inst. 6,2,32: »[Daraus ergibt sich] die ἐνάργεια (Verdeutlichung), die Cicero ›illustratio‹ (Ins-Licht-Rücken) und ›evidentia‹ (Anschaulichkeit) nennt, [die] nicht mehr in erster Linie zu reden, sondern vielmehr das Geschehen anschaulich vorzuführen scheint, und ihr folgen die Gefühlswirkungen so, als wären wir bei den Vorgängen selbst zugegen.«〉 30/1–4  Die Wörter […] wandelbar  Komm.: Siehe Komm. SD 7/13 u. 7/14.  30/5  Ihr werdet seyn wie Gott  Komm.: 1 Mos 3,5. 30/6  Siehe! Adam ist worden als Unser einer  Komm.: 1 Mos 3,22. Vgl. HKB  146 (I 339/32–340/1, 5.  6.  1759, an J. G. Lindner): »so braucht der Christ die Iro­ nie um den Teufel damit zu züchtigen. Diese Figur ist die erste in seiner Redekunst gewesen; und mit dieser Figur führte Gott die ersten Eltern zum Paradiese heraus; nicht sie sondern ihren Verführer damit zu spotten. Für die ersten mag dieser Einfall vielleicht damals verloren gewesen seyn, oder sehr dunkel geblieben, wenn ihn der Glaube nicht aufgeklärt; der letzte mag ihn zu seiner Unruhe mehr nachgedacht haben.« 30/8  Alles ist eitel  Annot. SD4*: This truth is never sufficiently discovered or felt by mere speculation, experience in this case is necessary for conviction, though perhaps at the expence of some morality. Lord Chesterfields’ Mis­ cellaneous Works Vol. II . Lond. 1778. Letters to his friends Book II . Letter XLI . to the Bishop of Waterford. p. 507 〈Chesterfield: Miscellaneous Works, Bd. 2, S. 507〉. 30/8  Alles ist eitel! [...] nachpfeift  Komm.: Pred 1,2. Vgl. dazu Biblische Betrachtungen, LS 284/21–286/4. Mit dem alten Geck ist wohl also ironisch Salomo gemeint.

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Kommentar SD  30/12–14

30/12–14  jeder Satz [...] Nebenbegriffe  Komm.:

Vgl. Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Bd. 1, Kap. »Von der Lebhaftigkeit der Gedanken«, S. 271: »Alle Begriffe, die vieles in sich enthalten, und also als ein Ganzes zu betrachten sind, welches aus vielen Theilen besteht, heissen nachdrück­ liche Begriffe (conceptus praegnantes) und es gehören hieher auch dieje­ nigen, welche aus einem Hauptbegriffe und aus Nebenbegriffen zusam­ mengesetzt sind (conceptus complexi). Die Hauptbegriffe sind diejenigen Begriffe in einem andern, auf welche man am meisten Achtung geben mus, die übrigen heissen die Nebenbegriffe. Alle ausdrückliche Begriffe sind lebhaft, weil sie eine grosse Mannigfaltigkeit enthalten. [...] Und da ein jeder heller Begriff sein Licht zugleich über diejenigen ausbreitet, wel­ che mit ihm verbunden werden: so können alle nachdrückliche Begriffe, wenn sie an den gehörigen Ort gestelt werden, erleuchtende Argumente seyn. [...] Dergleichen Begriffe, die gleichsam trächtig sind, verursachen das Körnichte in unsern Gedanken. So ofte man dieselben überdenkt, entdeckt man was neues in ihnen, welches man vorher noch nicht wahrgenommen, und man mus gleichsam in der Geschwindigkeit, einen weitläufigen Com­ mentarium über sie machen. Und diejenigen insonderheit, welche ausser dem Hauptbegriffe viele Nebenbegriffe enthalten, stellen uns gleichsam den ersten in der Nähe vor, und die letztern von ferne, welches der Seele einen ungemein angenehmen Prospect verursacht.« Hamanns Formulie­ rung stellt die Differenz von Haupt- und Nebenbegriff klarer als Ergeb­ nis der Rezeption dar. Damit bildet er vor allem einen Gegensatz zu den regelpoetischen Setzungen Klopstocks in Von der besten Art über Gott zu denken und Von der Sprache der Poesie, bspw. S. 226: »Die edlen und für die Poesie vorzüglich brauchbaren Wörter sind, fürs erste, diejenigen, die keine niedrige oder lächerliche Nebenbegriffe veranlassen. Der Richter von der Niedrigkeit oder dem Lächerlichen der Nebenbegriffe ist allein der Geschmack.« Dies, unmittelbar nach dem Verweis auf Luther, Opitz und Haller, vgl. Komm. SD 21/26–31. 30/20  neugierigen Athenienser  Komm.: Apg 17,21; so auch in SD 38/1. Vgl. dazu Biblische Betrachtungen, LS 284/21–286/4 und Platos lehrreiches Gespräch, S. 35. 30/21  seinen schönen Jünglingen  Annot. SD4*: Siehe die Liebhaber in Plato. βούλεσθε, ἔφην, ἐπειδὴ ἡμεῖς ἐν ἀπορίᾳ ἐσμέν, ἐρώμεθα ταυτὶ τὰ μειράκια; ἢ ἴσως αἰσχυνόμεθα, ὥσπερ ἔφη τοὺς μνηστῆρας Ὅμηρος, μὴ ἀξιούντων εἶναί τινα ἄλλον ὅστις ἐντενεῖ τὸ τόξον; ἐπειδὴ οὖν μοι ἐδόκουν ἀθυμεῖν πρὸς τὸν λόγον, ἄλλῃ ἐπειρώμην — 〈Plat. Anterastai 135  a: »[Sokrates:] Wollt ihr also, weil wir doch in Verlegenheit sind, dass wir diese Knaben fragen? Oder schämen wir uns etwa, wie Homeros von den Freiern sagt, sie hätten nicht gewollt, dass es einen andern geben sollte, der den Bogen spannen

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könnte? Da sie aber schienen unlustig zu sein zu dieser Untersuchung: so versuchte ich die Sache anderswie«〉 / Μόνῳ δὲ ὑπῆρχεν, οἶμαι, Σωκράτει καὶ σπανίοις τισὶν ἐκείνου ζηλωταῖς, εὐδαίμοσιν ἀληθῶς καὶ μακαρίοις γενομένοις, τὸν ἔσχατον ἀποδύσασθαι χιτῶνα τῆς φιλοτιμίας· φιλότιμον γὰρ δεινῶς τὸ πάθος, καὶ ἔσικεν ἐμφύεσθαι διὰ τοῦτο μᾶλλον ταῖς γενναίαις ψυχαῖς. Juliani Imper. Opp. ex edit. Spanh. Oratio II , p. 96. 〈Iul. or. 2,96  c: »Aber nur dem Sokrates, wie ich glaube, und den Verehrern von jenem, die ­wahrhaftig glücklich und glückselig waren, war es möglich, den letzten Chi­ ton des Ehrgeizes auszuziehen. Denn ehrgeizig ist in furchtbarer Weise die Leidenschaft und aus diesem Grund scheint mehr in den tapferen Seelen eingeboren zu sein.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 — οὔτι φαυλότερον ἔργον, ὡς ἐγὼ κρίνω, τοῦ Τροίαν ἑλεῖν καὶ φάλαγγα γενναίαν τρέψασθαι. p. 97. 〈Iul. or. 2,97  a: »Es ist keine verdorbenere Tat, wie ich beurteile, als Troja einzunehmen und eine tapfere Phalanx in die Flucht zu schlagen.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 30/21  Verleugnung ihrer Eitelkeit  Komm.: In Plut. qu. Plat. 1,3 wird die Enthaltsam­ keit des Sokrates im Meinungsstreit als Lehre der Vorurteilsfreiheit begrif­ fen. 30/31  Ich spiele nicht  Komm.: Vgl. Plut. de Vitioso 5 (Mor. 530  e/f ): »Ein Anderer fordert dich beim Trinken zum Würfelspiel auf; sey auch hier nicht ver­ schämt, und fürchte nicht den Spott, sondern mache es wie Xenophanes, welcher, als ihn Lassus von Hermione einen feigen Menschen nannte, weil er mit ihm nicht Würfel spielen wollte, geradezu erklärte, er sey allerdings bei schändlichen Dingen recht furchtsam und verzagt.« Siehe auch Bayle: Dictionnaire, ›Xenophanes‹ (dt. Übers., S. 455): »Die Antwort, die er [Xeno­ phanes] jemandem gab, mit dem er nicht Würfel spielen wollte, ist eines Philosophen höchst würdig. Dieser Mann beschimpfte ihn als feige. ›Ja‹, antwortete er, ›das bin ich bei schändlichen Handlungen in höchstem Maße‹.« 31/10  feinen Betrügern  Komm.: Adelung 2, 85 ›fein‹: »Geschickt, bey seinen Hand­ lungen seine wahre Absicht zu verbergen«. Vgl. SD 29/19. 32/5f.  Dorn […] Rücken  Komm.: Jos 23,13. 32/9  an dem Haupte Medusens  Annot. SD4*: – – ποικίλον κάρα / δρακόντων φόβαισιν – – Pind. Πυθ. Ι 〈Pind. P. 10,47 f.: »[…] ihr Haupt, bunt / von Natter­ strähnen«〉 / — τὰς ἐπισκιαζούσας τῷ λογισμῷ τῆς ἀγνοίας κόμας — Clem. Alex. Paedag. Lib. 1. cap. 2. pag. 80. 〈Clem. Al. Paid. 1,5,1: »[Den unfreiwil­ ligen Fehler nennt er hier einen plötzlichen Tod und sagt von ihm, daß er beflecke, weil er die Seele verunreinigt; deshalb gibt er auch schnellstens die Behandlung an, indem er rät, sofort das Haupt scheren zu lassen und damit anempfiehlt,] die den Verstand beschattenden Haare der Unwissen­

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Kommentar SD  32/9f.

heit abschneiden zu lassen[, so daß der Verstand (dieser thront nämlich im Gehirn), befreit von dem dichten Wald der Schlechtigkeit, wieder der Buße zueilen kann.]«〉 32/9f.  Haare […] Egide  Komm.: Auf dem Schild (Aigis) der Göttin Athene war mit­ tig (Nabel) das schreckenerregende Haupt der Medusa, eines weiblichen Ungeheuers, angebracht. Statt der Kopfhaare hatte die Medusa Schlangen. In Luthers Tischrede »Der Christen Waffen und Rüstung« ist vom Schild des Glaubens die Rede, »gleich wie Perseus das Häupt Gorgonis seinen Fein­ den fürwarf und furhielt und behielt also den Sieg: also sollen wir auch den Sohn Gottes als Gorgonis Häupt allen bösen Reizungen und Listen des Teufels fürwerfen« (WA TR 6, 627/39–41). Vgl. außerdem Komm. SD 36/26 u. 42,10–15. 32/11  Unwissenheit des Sokrates  Komm.: Ausführlich dazu mit Bezug auf die zeit­ genössische Philosophie: Biblische Betrachtungen, LS 284/21–286/22: »Die Neugierde ist eine Art des Aberglaubens und Abgötterey. Sokrates, dem die Weltweisen sich vereinigt den Namen eines Weisen beyzulegen, bekannte, er wüste nichts. Salomo, dem der Geist Gottes mit mehr Recht diesen Titel zusprach, hat uns in seinem Prediger ein Zeugniß hinterlassen, das noch betrübter ist. Nichts neu – – und Mühe, Gram, Eckel weise zu seyn. Der Vater der neueren Philosophie war genöthiget, alles was er wuste, zu ver­ gessen, zu leugnen und zu verwerfen, und sahe dies als das einzige Mittel an, die Wahrheit zu finden. Diese Wahrheit war gleichwohl nichts als ein Gebäude neu aufgeputzter und für neu angenommener Irrthümer. […].« Vgl. auch im Gegensatz dazu die besonders von Brucker auf Sokrates ange­ wandte Idee der docta ignorantia, Zitat in Komm. W 74/13. 32/12  Zwischen Empfindung aber und einen Lehrsatz  Annot. SD4*: Tecmessa in Soph. Ajas: / σοὶ μὲν δοκεῖν ταῦτ’ ἔστ’, ἐμοὶ δ’ ἄγαν φρονεῖν. 〈Soph. Ai. 942: »Du kannst den Schmerz verstehn, ich fühl’ ihn allzu tief.«〉 32/12f.  Empfindung [...] Lehrsatz  Komm.: Relevante Kontexte sind einerseits die skeptische Begriffsbestimmung etwa bei Hume: Philosophische Versuche (Kap. »Sceptische Auflösung dieser Zweifel«), S. 118: »Wollten wir ver­ suchen, eine Erklärung oder Beschreibung dieser Empfindung [bei der Wahrnehmung eines Gegenstands im Unterschied zu einer Phantasievor­ stellung] zu geben: so würden wir das Unternehmen gar schwer, wo nicht unmöglich finden; eben so, als wenn wir uns bemühen würden, das Gefühl der Kälte, oder die Leidenschaft des Zornes denjenigen zu beschreiben, welche diese Empfindung niemals aus der Erfahrung gekannt haben. Beyfall oder Glaube ist der wahre und eigentliche Name dieses Fühlens; und niemand ist verlegen, den Sinn dieses Wortes zu verstehen, weil ein jeder alle Augenblicke sich der Empfindung bewußt ist, die durch dasselbe

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ausgedrücket wird.« Andererseits die Kontroverse, die in Lessings Kritik an Klopstocks Konzept einer erhabenen Dichtung deutlich wird, wo dem Dichter des Messias-Epos vorgeworfen wird, den Begriff der Empfindung und den der Wahrheitserkenntnis missbräuchlich zu vermischen: 49. der Literaturbriefe (Tl. 3, 1759, S. 79 f.; siehe Komm. SD 21/26–31). Vgl. auch Mendelsohn: Über die Empfindung, S. 12: »Die, welche die Schriften der unsterblichen Alten nur deswegen lesen, um sie zu zergliedern und rhe­ torische Figuren, so wie ein Insectenkenner die getrockneten Gerippe der Würmer, zu sammeln; sind zu bedauern. Sie erfinden die Regeln der Bered­ samkeit; sie werden Gesetzgeber in den schönen Wissenschaften; aber sie empfinden die Schönheiten nicht mehr, die sie uns anpreisen. Ihr Gefühl verwandelt sich in einen logischen Schluß.« In der Antwort auf diesen ersten Brief, im dritten Brief, Palemon an Euphranor, wird die Gegenthese vertreten: Vergnügen am Schönen gebe es nur am erkannten Ganzen, also an der Synthese des zuvor Analysierten. 32/14  anatomischen Gerippe  Komm.: Siehe Komm. SD 28/30. 32/18  Stimme und Ohren  Komm.: Siehe die »Mine« im Briefzitat in Komm. SD 32/15. Die Äsop-Fabel »Der Esel und der Fuchs« wurde u. a. von La Fontaine übernommen: »L’Ane vetu de la peau du Lion«. Alberus wendet die Fabel in seiner Version auf das Verhältnis zwischen dem verkleideten ›Papst-Esel‹ und dem entlarvenden Luther an (Buch von der Tugend und der Weisheit, S. 124). Luther schreibt über die Kritiker seiner Bibelübersetzung, die er auch als Sophisten bezeichnet, dass sie sich durch ihre Stimme und Ohren verrieten, vor allem ihre Inkompetenz selbst entlarvten (Sendbrief vom Dolmetschen, WA 30.2, 632–646). 32/21  Wer aber so viel Scharfsinn  Annot. SD4*: Plato, inquit, agit Socrati gratias, quod ab illo didicit, quare Socrates sibi non agat, quod ipse se docuit? Seneca de Benef. Lib. V, c. 7 〈Sen. benef. 5,7,5: »Platon, heißt es, dankt dem Sokrates, daß er von ihm gelernt hat; warum sollte Sokrates nicht sich danken, daß er sich selbst belehrt hat?«〉 — Innumerabilia sunt, in quibus consuetudo nos diuidit — […] Multa praeterea eiusmodi, per quae unusquisque de se tamquam de altero loquitur. Ibid. 〈Sen. benef. 5,7,6;5,7,2: »Unzählbar sind die Situationen, in denen die Gewohnheit uns teilt; […] vieles darüber hin­ aus dieser Art, womit ein jeder über sich gleichsam wie über einen anderen spricht.«〉 32/26  Marg.: Δει γαρ [...] Cap. 2.  Komm.: Aristot. soph. el. 165  b: »δεῖ γὰρ πιστεύειν τὸν μανθάνοντα« – »Denn der Lernende muß vertrauen«. 32/27  muß geglaubt  Komm.: Vgl. Hume: Philosophische Versuche, S. 346: »Es scheint klar und gewiß, daß das Gemüthe der Menschen durch einen natürlichen Instinct und Trieb zum voraus eingenommen sey, den Sinnen

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Kommentar SD  32/27f.

Glauben beyzumessen; und daß wir, ohne einige Vernunftschlüsse, oder auch wohl gar vor dem Gebrauche der Vernunft, allezeit eine äußerliche Welt voraus setzen, die nicht von unserer Wahrnehmung und Empfindung abhange, sondern wirklich bestehen würde«. Sowie S. 349: »Dem [Gemü­ the] ist niemals etwas gegenwärtig, als die Begriffe und Vorstellungen, und es kann zu keiner Erfahrung von ihrer Verknüpfung mit den Gegenständen gelangen. Die Voraussetzung einer solchen Verknüpfung hat also in den Vernunftschlüssen nicht den geringsten Grund.« 32/27f.  muß geglaubt […] werden  Annot. SD4*: quoniam ridere nostram fidem consuestis atque ipsam credulitatem facetis iocularibus lancinare, dicite o festivi! et meraco sapientiae tincti et saturi potu, estne operis in vita nego­ tiosum aliquod atque actuosum genus, quod non fide praeeunte suscipiant, sumant atque adgrediantur actores? Arnobius adv. gentes. Lib. II, c. 8, p. 47 〈Arnob. 2,8: »[Und] weil ihr gewöhnt seyd, unsere Glaubenstreue zu ver­ lachen und die Leichtgläubigkeit selbst durch kurzweilige Scherze zu zer­ stäuben, so sagt an ihr Artige, vom lautern Weine der Weisheit erfüllt und durch den Trunk ersättigt, ist im Leben irgend ein Geschäft und Unterneh­ men, das die Verrichter nicht mit vorangehender Glaubenstreue beginnen, vornehmen und angreifen?«〉 / Philo pag. 917 〈Phil. praem. 7,43–46.〉. 32/28  Was ist gewisser als des Menschen Ende  Komm.: Ähnlich in den Biblischen Betrachtungen, LS 82/32 f.: »Welches Gesetz der Natur ist allgemeiner v gewisser als Mensch du must sterben.« Sowie in Bezug auf Hebr 11 u. Röm 1,16 f., LS 289/28–34: »Adam glaubte Gott nicht –– worinn? daß er des Todes sterben würde. Dies ist der zweyte Punct des Unglaubens und der zweyte Grund des seeligmachenden Glaubens. Warum die Verstoßung aus dem Paradies; die Sündfluth, die Verfolgungen, die Mühseligkeiten, das traurige Ende dieses Lebens, die Gefangenschaft, die Wüste, die Kriege, das abwechselnde und ungleiche Glück in derselben; Warum das Gesetz, die Flüche und Seegenssprüche, von Glauben zu Glauben.« Vgl. dazu Forst­ manns Predigten zur Vergänglichkeit, Komm. SD 34/9. 33/1–3  Moses [...] sterben müsse  Komm.: Ps 90,12. 33/2  zu bedenken, daß er sterben müsse  Annot. SD4*: εἰκότως μελέτη θανάτου — […] εἴρηται τῷ Σωκράτει ἡ φιλοσοφία. Clem. Alex. Stom. V, p. 580. 〈Clem. Al. strom. 5,67,2: »[Und vielleicht ist deswegen] die Philosophie von Sokrates mit Recht eine Vorbereitung auf den Tod genannt worden.«〉 33/5  ohne deswegen geglaubt zu werden  Annot. SD4*: Πίστις γὰρ μαθήσεως τελειότης. Clem. Alex. Paedag. Lib. I . c. 6. p. 94. 〈Clem. Al. Paid. 1,29,1: »Denn Glaube ist Vollendung der Lehre«.〉 / οὐκέτ’ οὖν πίστις γίνεται δι‘‌  ἀποδείξεως ὠχυρωμένη. Ejusd. Strom. Lib. II , p. 362. 〈Clem. Al. strom. 2,9,6: »Der Glaube hört also auf, Glaube zu sein, wenn er auf festem Beweis beruht.«〉

bis 33/15 33/7f.  Beweise [...] Anwendung  Komm.:

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Montesquieu unterscheidet in De l’Esprit des Lois (Buch 24, Kap. 19) zwischen der Wahrheit einer Lehre und der ethischen Nützlichkeit ihrer Anwendung, auch in Bezug auf die Unsterb­ lichkeit der Seele. Die christliche Lehre davon sei die richtige, weil sie in ihrer strengen Auslegung keine (verführerische) Antizipation des Seins im jenseitigen Zustand gewähre, sondern der Glaube sich diesbzgl. dem Schöpfer anvertraue. Vgl. auch die von u. a. Meier vertretene Logik von der gesellschaftlichen Notwendigkeit der Religion in Rettung der Ehre, S. 88: »Gesetzt die Religion sey falsch, so verhält es sich hier eben, als bey den Beweisen. Diese können falsch seyn, und demohnerachtet einen wahren Schlußsatz haben. Folglich können die Bewegungsgründe falsch seyn, und die Handlung, die dadurch bestimmt wird, kan demohnerachtet die Glück­ seligkeit der Menschen befördern. Ob nun gleich mit dem Unglauben alle dieienigen Tugenden bestehen können, welche zur zeitlichen Wohlfahrt erfodert werden [was besonders Bayles These war], so ist doch bekannt, daß die allerwenigsten Menschen ihre Theorie verstehen, und derselben gemäß leben.« 33/7  Marg.: Δυο ειδη [...] Gorgia  Komm.: Plat. Gorg. 454  e: »βούλει οὖν δύο εἴδη θῶμεν πειθοῦς, τὸ μὲν πίστιν παρεχόμενον ἄνευ τοῦ εἰδέναι, τὸ δ᾽ ἐπιστήμην;« – »Willst Du also, wir sollen zwei Arten der Überredung setzen, die eine, welche Glauben hervorbringt ohne Wissen, die andere aber, welche Erkenntnis?«. In Klammern kompiliert Hamann zwei Stellen aus Plat. Gorg. 454  e/455  a: »πειθοῦς πιστευτικῆς« (glaubmachende Überredung) und »πειθοῦς διδασκαλικῆς« (belehrende Überredung). 33/11  Hume  Komm.: Siehe Komm. SD 32/27. 33/12  Wiederlegungen  Komm.: In Königsberg bemühte sich Lilienthal um die Widerlegung verschiedener Kritiken oder Zweifel am Christentum bzw. der schriftlichen Offenbarung; im achten Teil von Die gute Sache (1758) beschäf­ tigt er sich mit Humes Einwänden gegen den Wunderglauben (S. 970 ff.), bspw. die Glaubwürdigkeit der Zeugen betreffend (vgl. Komm. SD 33/15). 33/13  Lehnsätze  Komm.: Adelung 2, 1983 ›Lehnsatz‹: »in der Logik, ein Satz, wel­ chen man aus einer andern Wissenschaft zu seiner gegenwärtigen Absicht entlehnet hat«. 33/15  Rabulisten  Komm.: Adelung 3, 906 ›Rabulist‹: »ein geschwätziger und dabey ränkvoller Sachwalter, welcher den Sinn des Gesetzes nach seinem Vortheile zu drehen weiß; ein Zungendrescher.« Vgl. Hume: Philosophische Versuche, S. 271: »Beredtsamkeit, in ihrer größten Stärke, läßt der Vernunft oder der Ueberlegung wenig Raum; [...] was ein Cicero oder Demosthenes auf das versammlete römische oder atheniensische Volk kaum wirken konnten, das kann ein jeder Capuciner, ein jeder herumreisender oder

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Kommentar SD  33/16

an einem Orte stehender Lehrer über den größten Haufen der Menschen, und zwar in einem höhern Grade ausrichten, indem er solche grobe und pöbelhafte Leidenschaften rühret.« Gegen diesen Einwand gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen von Wundern siehe Lilienthal: Die gute Sache, Tl. 8, S. 986, der betont, dass die Zeugen für die Wunder Christi gerade die Elenden der Gesellschaft gewesen seien, die sich keine Vorteile von ihren Reden versprechen konnten. Auch Knutzen argumentiert in Philosophischer Beweis mit dieser Kontextualisierung für die wahrscheinliche Glaubwürdig­ keit der Zeugen. 33/16  Glaube ist kein Werk der Vernunft  Komm.: Zum Wortfeld von ›Vernunft‹, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. Aus Hamanns zeitna­ hen philosophischen Lektüren vgl. Hume: Philosophische Versuche, S. 295: »Unsere heiligste Religion ist auf den Glauben, nicht auf die Vernunft gegründet; und das ist ein sicheres Mittel, sie bloß zu stellen, wenn man sie einer solchen Probe und Untersuchung unterwirft, die sie auf keine Weise auszuhalten geschickt ist.« Im Gegensatz dazu Kant: Allgemeine Naturgeschichte (S. 221 f.): »Ich habe nicht eher den Anschlag auf diese Unternehmung gefaßt, als bis ich mich in Ansehung der Pflichten der Religion in Sicherheit gesehen habe. Mein Eifer ist verdoppelt worden, als ich bei jedem Schritte die Nebel sich zerstreuen sah, welche hinter ihrer Dunkelheit Ungeheuer zu verbergen schienen und nach deren Zertheilung die Herrlichkeit des höchsten Wesens mit dem lebhaftesten Glanze hervor­ brach. Da ich diese Bemühungen von aller Sträflichkeit frei weiß, so will ich getreulich anführen, was wohlgesinnte oder auch schwache Gemüther in meinem Plane anstößig finden können, und bin bereit es der Strenge des rechtgläubigen Areopagus mit einer Freimüthigkeit zu unterwerfen, die das Merkmaal einer redlichen Gesinnung ist. Der Sachwalter des Glaubens mag demnach zuerst seine Gründe hören lassen.« 33/19  als Schmecken und Sehen  Annot. SD4*: Ναὶ μὴν καὶ ὁ Ἐπίκουρος – – […] πρόληψιν εἶναι διανοίας τὴν πίστιν ὑπολαμβάνει. Clem. Alex. Strom. Lib. II , p. 365. 〈Clem. Al. strom. 2,16,3: »Indessen hält auch Epikuros […] den Glauben für eine im Denken gebildete Vorstellung«〉 373 〈Clem. Al. strom 2,30,4–32,4‌〉 / οὐ πεισμονῆς τὸ ἔργον, ἀλλὰ μεγέθους ἐστὶν ὁ Χριστιανισμός. S. Ignat. ad Romanos §. 3 〈Ign. Röm. 3,3: »Nicht das Werk von Überredung, sondern etwas [wirklich] Großes ist das Christentum[, wenn irgend es von der Welt gehaßt wird].«〉 / – – καθάπερ μυρίοις συνέβη τῶν σοφιστῶν, οἵτινες ᾠήθησαν σοφίαν πιθανὴν εἶναι λόγων εὕρεσιν, ἀλλ᾿ οὐ πραγμάτων ἀληθεστάτην πίστιν. Philo p. 414. 〈Phil. migr. 3,171: »so erging es ja schon unzähligen Sophisten, die da glaubten, verläßliche Weisheit bedeute schon das Finden der Worte und nicht vielmehr das zuverlässige Erkennen der

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Dinge.«〉 914 〈Phil. praem. 4,25–5,30〉 / ἡ πίστις, ἡ τῶν ὅλων σφραγίς, ἡ ἀρχέτυπος ἰδέα, ᾗ τὰ πάντ᾿ ἀνείδεα ὄντα καὶ ἄποια σημειωθέντα ἐτυπώθη. Philo p. 1065 〈Phil. mut. 23,135: »Wem gehört der Ring, die Garantie, der Stempel des Alls, die Uridee, mit der das ungeformte qualitätslose All signiert und geformt wurde?«〉 / ἐχρῆν μὲν ὑμᾶς, ὦ ἄνθρωποι, αὐτοῦ πέρι ἐννοουμένους τοῦ ἀγαθοῦ, ἔμφυτον ἐπάγεσθαι μάρτυρα ἀξιόχρεων, πίστιν αὐτόθεν οἴκοθεν περιφανῶς αἱρουμένην τὸ βέλτιστον, μηδὲ ζητεῖν εἰ μεταδιωκτέον ἐκπονεῖν. Clem. Alex. Admonitio ad Gentes p. 60. 〈Clem. Al. protr. 10,95,3: »Wenn ihr über das Gute selbst nachdenken wollt, ihr Menschen, so müßtet ihr angeborenen Glauben zu Hilfe nehmen, einen ganz und gar glaubwürdigen Zeugen, der offenkundig das Beste wählt, und nicht erst untersuchen, ob [das Gute] zu erstreben ist, sondern euch eifrig darum bemühen.«〉 33/19  Schmecken und Sehen  Komm.: Ps 34,8. 33/23  musikalischen Composition und Malerey  Komm.: Die theoretischen Ausfüh­ rungen zur Ästhetik von Batteux und an diesen anknüpfend von Schröder, die Hamann 1758/59 las, führen den Begriff der Nachahmung als Nachah­ mung nicht der Dinge, sondern der Erkenntnis und/oder Empfindung aus (bspw. Schröder: Poesien, S. 638). Als »Gesetz der Nachahmung« gilt dabei die Herstellung von Ordnung (Ebenmaß, Symmetrie) in Bezug auf einen zentralen Punkt (einen Ton in der Musik, eine Farbe in der Malerei); dabei vmtl. angelehnt an Batteux: Einschränkung der schönen Künste, u. a. S. 75 f.   33/24f.  Philosoph [...] Nachahmung  Komm.: HKB 149 (I 356/19–26, 3.  7.  1759 an J. G. Lindner): »Hume mag das mit einer hönischen oder tiefsinnigen Mine gesagt haben [Hume: Philosophische Versuche, S. 297, über Wunderwerke]: so ist dies allemal Orthodoxie und ein Zeugnis der Wahrheit in dem Munde eines Feindes und Verfolgers derselben – Alle seine Zweifel sind Beweise seines Satzes – – – – – – Hat das Gesetz nicht mit der Vernunft einen gleichen Ursprung. Jenes waren ritus, Satzungen, entlehnte Gebräuche, wie Spencer will, von andern Völkern; sind unsere Vernunftlehren und Erkenntnis was anders als Traditionen der Sinne, der Väter ppp – – – –«. 33/26  Muse  Komm.: Auf das Verhältnis der Gläubigkeit des Musenanrufs in der Antike zur poetischen Nachahmung bei den Zeitgenossen macht Shaftes­ bury ironisch aufmerksam (in der Übers. von Hamann: Sendschreiben von der Begeisterung, N IV 133/24 f.), es sei »das Ansehen einer Begeisterung, welches an einen Alten so liebenswürdig aussieht, Neueren abgeschmackt und ungeschickt lasse.« 33/28–30  Ein Philosoph […] erzählt  Annot. SD4*: August. de Civit. Dei I ,22. de Cleom­ broto, der sich von der Mauer in’s Meer stürzte, nachdem er Platon von der Unsterblichkeit der Seele gelesen hatte 〈Aug. civ. 1,22〉 / Cic. Tusc. Quaest.

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I ,34.

Kommentar SD  33/28–30

Hoc quidem a Cyrenaico Hegesia sic copiose disputatur, ut is a rege Ptolomaeo prohibitus esse dicatur illa in scholis dicere, quod multi, iis auditis mortem sibii ipsi consciscerent. Callimachi quidem epigramma in Ambraciotam Theombrotum est, quem ait, cum ei nihil accidisset adversi, e muro se in mare abiecisse, lecto Platonis libro. 〈Cic. Tusc. 1,83 f.: »Dies hat ja auch der Kyrenaiker Hegesias so ausführlich dargelegt, daß berichtet wird, das Unterrichten sei ihm vom König Ptolemaios verboten worden, weil, viele, nachdem sie ihn gehört hatten, sich den Tod gegeben hätten. Es gibt auch das Epigramm des Kallimachos auf den Theombrotos von Ambrakia, von dem er erzählt, es sei ihm nichts Widriges zugestoßen, aber er habe das Buch Platons über die Seele gelesen und da habe er sich von einer Mauer ins Meer gestürzt.«〉 33/28–30  Ein Philosoph […] erzählt  Komm.: Vgl. Annot. SD 33/28–30 sowie Lact. Inst. 3,18. Vgl. die grundlegenden Überlegungen Hamanns zum Verhältnis von Wahrheit und Offenbarung angesichts seiner Lektüre von Chladenius’ Opuscula Academica: HKB 145 (I 336/10–19, 1.  6.  1759, an J. G. Lindner): »Nach den Gedanken des Augustinus von der Schreibart, sollte man den grösten Fehler in eine Schönheit verwandelt sehen; die Klarheit in einen unbestimmten vieldeutigen Sinn. Der Philosoph, der aber gar zu klar von der grösten Wahrheit näml. der Unsterblichkeit der Seelen redete, brachte den Entschluß des Selbstmordes, des grösten Lasters, in seinen Zuhörern zu wege. Wenn man also sich nicht anders als eine verkehrte Anwendung deutl. Wahrheiten versprechen kann, so erfordert es die Klugheit sie lieber einzukleiden, und den Schleyer der Falscheit wie Thamar auf Unkosten sei­ ner Ehre zu brauchen und sie mit der Zeit desto nachdrücklicher zu rächen, auf Unkosten seiner Ehrliebenden Richter.« 34/5  keine beste Welt  Komm.: Bezogen auf Voltaires Polemik gegen die Leibniz’sche Theodizee im Poème sur la destruction de Lisbonne und Candide und die daraus entstandene Kontroverse mit Rousseau, vgl. HKB 170 (I 452/1 ff., 12.  1759, an Kant) und HKB 163 (I 429/6–8, 12.  10.  1759, an J. G. Lindner). 34/7f.  Muse [...] Meta  Komm.: Margareta Klopstock war am 28.  11.  1758 gestor­ ben, deutschlandweit wurde in den Zeitungen darüber berichtet. HKB 156 (I 392/25–30, 9.  8.  1759, an G. I. Lindner): »Die hinterlaßene Schriften der Margarethe Klopstock gehören gleichfalls für Sie, Geliebtester Freund. Sie ist als eine Heldin im Kindbette oder vor demselben an den Wehen und Operations Schmerzen gestorben. Sollte es unserm Heldendichter auch so gehen, daß Seine Muse an der Meßiade unterläge? Dieses kleine Werk, das aus Fragmenten von Briefen zum Theil besteht, ist aus mehr als einem Gesichtspunct merkwürdig.« Klopstock: Hinterlaßne Schriften von Margare-

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tha Klopstock, S. 38. »Denn ich habe eine starke Vermuthung, daß Du mir diesen großen Segen deines Todes erbetet hast. Und so hätte ich Dich bey unserm Abschiede […] vielleicht nicht vergebens gebeten, mein Schutz­ engel zu sein, oder vielmehr, so hätte Gott diesen unsern letzten Wunsch erhört! —« 34/8–10  Einbildungskraft [...] Schöpferinn  Komm.: Vgl. dagegen d’Alembert im Discours préliminaire, S. xvi: »l’imagination est une faculté créatrice«. Die Idee von der beschränkten Leistung der Einbildungskraft vertritt auch Mon­ taigne (bes. in Essais II 12, »Apologie de Raimond Sébond/Schutzschrift für Raimond von Sebonde«, S. 259). 34/9  Sonnenpferd  Komm.: Apollon fährt auf einem Wagen, der von Sonnenpfer­ den gezogen wird. 34/9  Flügel der Morgenröthe  Annot. SD4*: Δικαίως μόνη πτεροῦται ἡ τοῦ φιλοσόφου διάνοια. Socrates in Phaedro. 〈Plat. Phaidr. 249  c: »[Deshalb] wird nun zu Recht allein der Verstand des Philosophen befiedert«〉 / ὅπερ τὸ τῶν ὀδον­ τοφυούντων πάθος περὶ τοὺς ὀδόντας γίγνεται ὅταν ἄρτι φύωσιν κνῆσίς τε καὶ ἀγανάκτησις περὶ τὰ οὖλα, ταὐτὸν δὴ πέπονθεν ἡ τοῦ πτεροφυεῖν ἀρχο-

μένου ψυχή· ζεῖ τε καὶ ἀγανακτεῖ καὶ γαργαλίζεται φύουσα τὰ πτερά. Ibidem.

〈Plat. Phaidr. 251  c: »wie die Empfindung bei denen, die Zähne bekommen, im Bereich der Zähne ist, wenn sie gerade wachsen, ein Ziehen und unan­ genehmes Gefühl am Zahnfleisch, genau so ist die Empfindung der Seele dessen, bei dem das Gefieder zu wachsen beginnt. Es brodelt und erzeugt ein unangenehmes Gefühl, wenn sie das Gefieder wachsen lässt.«〉 34/9  Flügel der Morgenröthe  Komm.: Ps 139,9; vgl. Forstmann: Reden, S. 13: »Nie­ mand ist jemals dem Tode entgangen. Niemand kan demselben auch heut zu Tage nicht entfliehen. Und inskünftige wird gleichfals kein Mensch sei­ ner Macht nicht ausweichen, und wenn er Flügel der Morgenröthe nähme, und auf denen Fittigen des Windes flöge, so wirds doch dabei bleiben: Es ist dem Menschen gesezt, einmal zu sterben. Ebr. 9,27.« 34/9  Marg.: Fidei […] S. S. Stylo  Komm.: Die Notiz ist ein kompiliertes Zitat aus Robert Boyles Cogitationes de S. Scripturae Stylo (S. 57 f., dt. Übers. S. 129 f.), Übers. nach Jørgensen 52: »Mit der Dämmerung hat der Glaube gemein, daß für beide eine Beimischung von Dunkel unvermeidlich ist, weil mit zunehmendem Licht dieser in Wissen, jene in Tag übergeht. Es gibt gewisse Geheimnisse, bei denen der Glaube eher dem Verstand die Fackel vorantra­ gen als dieser zur Erzeugung des Glaubens den Weg bereiten muß.« 34/10  Marg.: Socrates im Phädro  Komm.: Plat. Phaidr. 246  a–248  e. 34/11f.  Sokrates […] Unwissenheit  Annot. SD4*: si Socrati credimus, humanae sapi­ entiae apex in eo situs est, ut quàm ignari simus, probè cognoscamus; cui viro si quis adsenserit, judiciο suo meum etiam adscribat. Clerici Ars Cri­

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Kommentar SD  34/14

tica P. II . S. II . Cap. 2. §. 17 〈Le Clerc: Ars Critica, Bd. 1, S. 383 f.: »Wenn wir Sokrates glauben, liegt die Spitze menschlicher Weisheit darin, dass wir richtig erkennen, wie unwissend wir sind. Wenn irgendwer diesem Mann zustimmen sollte, dürfte er zu seinem Urteil auch das meinige dazu schrei­ ben.« Übers. v. Lukas Reuß〉 / Philo p. 408. de Migratione Abrahami 〈Phil. migr. 23,129–24,136〉. 34/14  Lehrers der Heyden  Komm.: 1 Tim 2,7 und 2 Tim 1,11: Paulus. 34/15–20  Ει δε τις […] erkannt  Komm.: 1 Kor 8,2 f.: »εἴ τις δοκεῖ ἐγνωκέναι τι, οὔπω ἔγνω καθὼς δεῖ γνῶναι· εἰ δέ τις ἀγαπᾷ τὸν θεόν, οὗτος ἔγνωσται ὑπ’ αὐτοῦ.« (NA28) – »So aber sich jemand düncken lesst / er wisse etwas / der weis noch nichts / wie er wissen sol. So aber jemand Gott liebet / derselbige ist von jm erkand.« (Luther 1545) 34/22f.  Korn […] vergehen  Komm.: Joh 12,24; 1 Kor 1,19–25; 1 Kor 2,6. 34/24  Nichts  Komm.: 1 Kor 1,28 u. 8,2. 34/25  Leben und Wesen  Komm.: 2 Tim 1,10. Vgl. auch Luther zu Hebr 2,14 in WA 57.3, 128 f. (Hebräervorlesung 1517/18), und dieselbe Thematik im Osterlied EKG 76: »Die Schrift hat verkündet das, wie ein Tod den andern fraß, ein Spott aus dem Tod ist worden.« 34/26  Marg.: Dans son […] Epitre V.  Komm.: Friedrich II .: Poësies Diverses, darin: »Epitre V a Dargens. Sur la faiblesse de l’Esprit humain«, S. 109 (dt. Übers.: »Aus seinem eigenen Nichts schöpft er die Weisheit«). Vgl. Komm. W 86/19. 34/26  so weit reicht die Nase eines Sophisten nicht  Annot. SD4*: Triephon beschreibt in Luciani Philopat. einen Galiläer mit einem kahlen Kopf und starker Nase, unter dem Baronius in Annalibus ad annum 68. den heil. Paulum versteht. Vergl. mit der Geschichte seiner Bekehrung auf dem Wege nach Damascus: Mahomet, als er Damascus von dem Gipfel eines hohen Hügels übersahe, wollte nicht weiter gehen, damit er nicht der Versuchung ihrer wollüstigen Lage Platz geben möchte. Er gieng mit dieser Anmerkung zurück: Nur Ein Paradies ist für den Menschen bestimmt. Das Meinige soll nicht von dieser Welt seyn. Maundrell in seiner Reisebeschreibung von Aleppo nach Jeru­ salem 〈vgl. Lucian philopatr. 12 und Maundrell: Gantz Neue Reise-Beschreibung, S. 168 (engl. S. 120)〉. 34/27  die Nase eines Sophisten  Komm.: Vermutlich eine Anspielung auf die Platt­ nase des Sokrates, auf die ausführlich Heumann (Acta, St. 1, S. 132–138) eingeht, vgl. Komm. SD 23/24 f. 34/29  Damesek  Annot. SD4*: Julianus im 24. Brief an Serapion nennt sie τὴν Διὸς πόλιν ἀληθῶς καὶ τὸν τῆς Ἑῴας ἁπάσης ὀφθαλμόν, das Auge des ganzen Morgenlandes, τὴν ἱερὰν καὶ μεγίστην Δαμασκὸν λέγω — p. 392 〈Iul. epist. 392  c: »Wahrhaftig die Stadt von Zeus und das Auge des ganzes Ostens, die heilige und größte, Damaskus meine ich.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉  /

bis 35/3–5

205

Hermann von der Hardt im Licht Jonae p. 61 nennt das Aramäische Land Adams, Abrahams und Pauli hohe Schule 〈von der Hardt: Licht Jonae, S. 61〉. 34/30  Hohelied Salom. VII.  Komm.: Hld 7,4. 34/30  [Marg.] Kein Ort [...] Jerusalem  Komm.: Zitat aus Henry Maundrells ­postum in mehreren Auflagen veröffentlichtem Journey from Aleppo to Jerusalem, vgl. Annot. SD 34/26 f. Das Zitat findet sich innerhalb von Maundrells Beschrei­ bung der Stadt Damaskus vom 27./28. April 1697, dt. Übers. S. 173, wo es »Koth« statt »Unflat« lautet; vmtl. hat Hamann selbst aus dem engl. Origi­ nal übersetzt, wo »sordidness« steht (S. 123).  35/1  Was ersetzt  Annot. SD4*: ὅσοις διδακτὸν μηδέν, ἀλλ’ ἐν τῇ φύσει / τὸ σωφρονεῖν εἴληχεν ἐς τὰ πάνθ’ ἀεὶ, / τούτοις δρἑπεσθαι, τοῖς κακοῖσι δ’ οὐ θέμις. / Euripid. in Ἱππολ. 〈Euripd. Hipp. 79–81: »Nur wer im allertiefsten Herz rein ist, darf / Hier ernten – andre haben hier kein Recht. / Nimm liebste Herrin, für dein goldnes Haar«.〉 35/2  Aristoteles  Komm.: Aristot. poet. 35/3–5  Shakesspear […] Das Genie  Komm.: Gottsched: Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache (Bd. 8, St. 29, 1742, S. 172): »Wo dieß [d. h. die Kenntnis der Regeln] nicht ist, so wird er nichts gescheidters, ordent­ lichers, und angenehmers hervorbringen, als oberwähnte englische Thea­ terndichter, und als der hochgepriesene Shakespear selbst, dessen Einfälle, sie mögen so poetisch seyn als sie wollen, und noch so vielen königlichen Ringen gleichen, seine Unwissenheit und Uebertretung der theatralischen Regeln nicht gut machen können.« Hamann kannte 1759 vmtl. noch nicht Youngs Conjectures on Original Composition, sicher jedoch Lessings Pole­ mik gegen Gottsched im 17. der Literaturbriefe (16. Februar 1759), in dem dieser Shakespeare als ein Genie preist, »das alles bloß der Natur zu dan­ ken zu haben scheinet« (S. 101). Aber schon in Addisons Spectator konnte Hamann lesen (No. 160, 1711, Bd. 2, S. 297): »There is no character more fre­ quently given to a writer, than that of being a genius [in dt. Ausg. aber mit ›Geist‹ übers.]. […] Among great genius’s, those few draw the admiration of all the world upon them, and stand up as the prodigies of Mankind, who by the mere strength of natural parts, and without any assistance of art or learning, have produced works that were the delight of their own times, and the wonder of posterity.« Woraufhin auch von Homer und Shakespeare die Rede ist. Hamann kann sich mit ›Genie‹ auf eine breite Wortverwendung beziehen, von geistreich über kunstfertig bis hin zu schöpferisch. Batteux behandelt Homers ›Genie‹ und rechtfertigt dafür auch die Wiederholungs­ strukturen, die nach bestimmten Kunstregeln widrig, in der Epik dieses Griechen aber adäquat seien, vor allem, weil sie in dessen Zeit adäquat gewesen seien (Cours de belles lettres, dt. Übers. Bd. 2 u. a. S. 180 f.).

206 35/7  einen Genius  Annot. SD4*:

Kommentar SD  35/7

– – Ζεῦ πάτερ, / – – – – – / – – εὔθυνε δαίμονος οὗρον. Pind. Ολυμπ. ΙΓ 〈Pind. O. 13,26;28: »Zeus Vater, / […] lenkt den Fahrtwind [von Xenophons] Schutzgeist geradeaus!«〉 / Διός τοι νόος μέγας κυβερνᾷ / δαίμον’ ἀνδρῶν φίλων. Πυθίων Ε. 〈Pind. P. 5,122 f.: »Zeus’ großer Geist steuert / den Daimon der Männer, die ihm lieb sind.«〉 35/7  Genius  Komm.: In der Streitsituation zwischen Hamann, Kant und Berens soll nach einem Brief des Ersteren vom 27. Juli 1759, HKB 153 (I 373/28–30), die Konstellation sein: Berens ist Alcibiades, Kant ist Sokrates und Hamann dessen Genius, vgl. Einführung S. L . 35/8  liebte und fürchtete als seinen Gott  Komm.: Vgl. Luthers Kleinen Katechismus, wo die Auslegung des ersten Gebots lautet: »Wir sollen Got uber alle ding fürchte liebe und vertrawen« (WA 30, 243). 35/9  Frieden ihm mehr gelegen  Komm.: Phil 4,7. 35/10  Vernunft der Egypter  Komm.: Apg 7,22. 35/11f.  Stimme [...] Wind  Komm.: Mt 1,18–24. Wind entspricht dem Heiligen Geist, griech. πνευμα. In Hamanns Briefen kann ›Wind‹ sowohl in diesem Sinne biblisch verstanden vorkommen, bspw. mit Ps 148,9 in HKB 146 (I 341/25, 5.  6.  1759, an J. G. Lindner), als auch mit 1 Kor 8,1 im Sinne von ›aufgeblasen‹ wie in HKB 148 (I 353/3, 22.  6.  1759, an J. G. Lindner). 35/12  Doctor Hill  Komm.: John Hills (1716–1775; englischer Apotheker, als Quack­ salber kritisiert) satirischen Text Lucina sine concubitu (Geburt ohne Bei­ schlaf ) erwähnt Hamann schon in HKB 150 (I 359/6–13, 16.  7.  1759, an den Bruder): »Mir geschehe, wie Du gesagt hast – – wie wiedernatürlich den Begriffen eines Mädchens, das von den Winderzeugungen eines Hills nichts wuste – wie nachhaltig ihrer Tugend und ihrem guten Namen, und doch glaubte sie nicht nur, sondern wünschte auch die Erfüllung des Unsinns und Spottes, den Engel reden, die vor Gott stehen. Ihre philosophi­ sche Neugierde: wie mag das zugehen, war biß zum Stillschweigen durch den alltäglichen Grundsatz aufgelöset: Bey Gott ist kein Ding unmöglich«. 35/12  Marg.: Wurmdoktor  Komm.: Adelung 4, 1631 ›Wurmarzt‹: »ein herum reisen­ der Arzt, oder Marktschreyer, welcher Mittel wider die Würmer im mensch­ lichen Leibe verkauft«. 35/16  Ob dieser Dämon  Annot. SD4*: – ἤκουσα, ὅτι τὸ Σωκράτους δαιμόνιον πταρμὸς (sternutatio) ἦν, ὅ τε παρ᾽ αὐτοῦ καὶ ὁ παρ’ ἄλλων. Plutarchus de Genio Socratis p. 581 c. 11 〈Plut. de gen. 581  a: »[…] der Schutzgeist des Sokrates sei ein Niesen gewesen, sein eigenes sowohl, wie das von Andern.«〉 / δαίμονα δὲ λέγεσθαι τὸ τῆς ψυχῆς ἡμῶν ἡγεμονικόν. Clem. Alex. Strom. II , p. 417 〈Clem. Al. strom. 2,131,4: »[M]it Dämon aber sei die beherrschende Kraft in unserer Seele gemeint«〉 / Εἵπετό τοι καὶ Σωκράτει δαιμονία φωνὴ, κωλύουσα πράττειν ὅσα μὴ χρεὼν ἦν. Julian. Orat. VIII . p. 249 〈Iul. or. 8,249  b: »Beglei­

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tet doch auch den Sokrates eine göttliche Stimme und sagte ihm, was er tun und lassen solle.«〉 / ἀλλὰ καὶ τόδ᾽ ἔγωγε θαυ- / μάζω τῆς ὑομουσίας / αὐτοῦ – – Aristoph. Ἱππ 〈Aristoph. Equ. 984–986: »[Chor:] Aber was mich auch wundert, ist / seine Schweinsmusikalität«〉 / Marsilius Ficinus in seiner Einleitung zu Sokratis Apologie, daß der Genius Sokratis feurig, aber nicht martialisch, sondern saturninisch gewesen sey 〈vgl. bspw. Plato: Opervm Omnivm Quae Extant, Ex Latina Marsilii Ficini, Bd. 2, S. 491‌〉 / Εos spiritus daemonas esse poetae sciunt, philosophi disserunt, Socrates novit, qui ad nutum et arbitrium adsidentis sibi daemonis vel decli­nabat nego­ tia vel petebat. M. Minucii Felicis Octavius ex edit. Ouzelii p. 29 〈Min. Fel. 26,9: »Daß diese Geister die Dämonen sind, wissen die Dichter, bespre­ chen die Philosophen, ist Sokrates aus Erfahrung bekannt, der nach dem Wink und Willen des Dämons, der ihm zur Seite stand, Geschäften bald aus dem Weg ging, bald nachging.«‌〉 / Socrates instrui se et regi ad arbitrium daemonii praedicabat; et Magis inde est ad perniciosa uel ludicra potenta­ tus, quorum tamen praecipuus Hostanes — Caecil. Cyprian. de ­idolorum vanitate p. 13.14. 〈Cypr. idol. 6: »Sokrates erklärte öffentlich, dass er unter­ wiesen und nach dem Willen eines Dämons gelenkt wurde, und daher haben die Magier die Macht zu Schädlichem oder Spielerischem: unter diesen gleichwohl der herausragende Ostanes«; Übers. v. Lukas Reuß.‌〉 / Parallel des Genius Sokra­tis mit den Wundern Christi. Von Hrn. D. Leß in Schlözers Briefwechsel Th. II . Heft XI . Nro. 44. Das deutsche Museum Junius 1777 〈Schlözer: Briefwechsel meist historischen und politischen Inhalts, Th.2, Heft VII–XII, S. 267–273; Boie: Deutsches Museum auf das Jahr 1777, Bd. 1, S. 481–510〉. 35/16–31  Ob dieser Dämon [...] kann  Annot. SD4*: Constantini oratio ad Sanctorum Coetum cap. 9. τὸ γάρ τοι πιθανὸν τῶν ἐν τοῖς διαλόγοις γινομένων ἀπάγει τὸ πλεῖστον ἡμῶν ἀπὸ τῆς τῶν ὄντων ἀληθείας. […] Σωκράτης γὰρ, ὑπὸ διαλεκτικῆς ἐπαρθεις, καὶ τοὺς χείρονας λόγους βελτίους ποιῶν, καὶ παίζων παρ’ ἕκαστα περὶ τοὺς ἀντιλογικοὺς λόγους ὑπὸ τῆς τῶν ὁμοφύλων τε καὶ πολιτῶν βασκανίας ἀνῄρηται. in Eusebii Hist. Eccl. 〈Konstantin: Oratio ad sanctorum coetum, 9,1–2: »Denn gewiß, das vertrauenswürdig Wirkende der in den (sc. philosophischen) Dialogen geführten [Forschungen] leitet die meisten von uns weg von der Wahrheit des Seienden; […] Sokrates nämlich, hochmütig geworden durch seine Disputierkunst, indem er die schlechte­ ren Argumente zu besseren machte und sich über alles und jedes mit ein­ ander widersprechenden Argumenten lustig machte, – Sokrates also wurde infolge der Boshaftigkeit seiner Phylengenossen und Mitbürger getötet.«〉 / Philo vergleicht den Sokrates mit dem Thara, dem Vater des Abraham, de somniis p. 574 〈Phil. somn. 10,55–11,62〉.

208 35/16  Dämon  Komm.:

Kommentar SD  35/16

Stanley (Tl. 3, S. 79–81) und Brucker (Historia critica philosophiae, Bd. 1, S. 543–549 und Zedler 38, 291–296 ›Socrates‹) sammeln unterschiedliche Aussagen über Sokrates’ Daimonion. Ersterer möchte es als ein Zeichen Gottes, bzw. als Engel, verstanden wissen (S. 80 f.). Letzterer schließt Übernatürliches aus und enthält sich eines abschließenden Urteils (S. 549 bzw. Sp. 296). Brucker konnte sich dafür bereits auf die ausführ­ lichen Darlegungen des Gottfried Olearius zum Genius des Sokrates stüt­ zen, die der lateinischen Übersetzung von Stanleys History of Philosophy eingefügt waren (Historia Philosophiae, S. 130–160). Charpentier 77–93 stellt die unterschiedlichen Ansichten unter dem Oberbegriff des spiritus familiaris zusammen. Er kommt zu dem Schluss, unter dem Daimon sei kein Geist, sondern nur die Urteilskraft des Sokrates zu verstehen (S. 92), »das Judicium oder die Lebhaftigkeit des Verstandes, ohne welches ohn­ möglich ist, einigen Nutzen von der Philosophie zu erlangen« (S. 87). Die Ansicht Tertullians, es handle sich um einen bösen Geist, wird dagegen verworfen. Auch für Cooper 88–96 ist das Daimonion kein Geist, sondern aus Erfahrung abgeleitete, intuitive Erkenntnis, »that inward Feeling inse­ parable from the Hearts of all good and wise Men, which (excited at first by probable Conjectures of future Events, collected from a retrospective View of the past, and a Consideration of the invariable Connection of human Contingencies) works itself by degrees even into our Constitution, and gives the Breast an almost prophetic Sensation of what ought to be done, before the flower Faculties of the Mind can prove the moral Rectitude of the Conduct.« Vgl. auch Komm. W 50/20.   35/17f.  herrschende Leidenschaft […] Sittenlehrern  Komm.: Die Wendung wird zeit­ genössisch tendenziell pejorativ gebraucht. Crusius definiert in Anweisung vernünftig zu leben, S. 329 f.: »Wenn ein lasterhafter Trieb so starck ist, daß die Freyheit des Willens denselben gar nicht mehr, oder wenigstens nicht so gleich überwinden kann; so kann man ihn eine Leidenschaft nennen [...] Diejenigen Leidenschaften, nach denen man am öftersten handelt, und welchen man im Collisions-Falle am meisten folget, heissen herrschende Leidenschaften.« Die populäre poetische Version des Themas stammt von Pope: Essay on Man, Ep. II, V. 123–134: »As man, perhaps, the moment of his breath, / Receives the lurking principle of death; / The young disease, that must subdue at length, / Grows with his growth, and strengthens with his strength: / So, cast and mingled with his very frame, / The mind’s disease, its ruling passion came; / Each vital humour which should feed the whole, / Soon flows to this, in body and in soul. / Whatever warms the heart, or fills the head, / As the mind opens, and its functions spread, / Imagination plies her dang’rous art, / And pours it all upon the peccant part.«

bis 35/20 35/19  Staatslist  Komm.:

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Charpentier 85 f.: »als er [Sokrates] sahe, daß man ins­ gemein davor hielte, als wenn ihm eine Gottheit beystünde, die ihm das zukünftige offenbahrete, dieweil dieses seinen Worten mehr Nachdruck gab, und das Volck bewegen konte, seine Vermahnungen zur Tugend desto freyer anzunehmen: Also er auch auf diese Frage nicht habe antworten wol­ len, aus Furcht, daß er nicht lügen dörfte, wenn er öffentlich das versicherte, was doch in der That sich nicht so verhielte [...]«. Vgl. auch Komm. W 87/14. 35/20  Engel  Komm.: Für die Deutung des Daimonions als Engel finden sich sowohl bei Stanley (Tl. 3, S. 80  f.) als auch Brucker (Historia critica philosophiae, Bd. 1, S. 545; Zedler 38, 295 ›Socrates‹) Belege, etwa mit Verweis auf Eusebius, Marsilius Ficinus und André Dacier. Charpentier 82 f. referiert ausführlich Plutarch (de gen. 588  c–589  f ), schreibt die Stelle aber Platon zu: »Simmias der Philosophus leget es beym Platone noch viel geistreicher aus, und sagt, daß es eine Intelligentia Divina (oder, nach unserer Art zu reden, ein Engel) gewesen, der den Verstand des Socrates unmittelbar erleuchtet, ohne daß er sich einer gewissen Stimme oder einiges andern Zeichens, das man mit den Sinnen begreiffen kan, bedienet habe. Denn es ist gewiß, sagt er, daß wir Menschen zwar unsere Gedancken vermittelst der Sprache ein ander entdecken und erklären müssen, weil sie an sich selbst gleichsam mit Finsterniß umwickelt wären; alleine weil die Gedancken der Engel lauter Licht wären, so würffen sie auch ihre Strahlen biß in daß innerste des Ver­ standes, und brauchten zu ihrer Erklärung weder Nahmen noch Worte, die bey den Menschen gebräuchlich sind. Es wäre genung, wenn man nur ein vollkommenes ruhiges Gemüthe hätte, und daher käme es, daß vielmehr Zeit währendes Schlaffes, als zu einer andern Zeit diese Engel vermittelst der Träume mit uns redeten, weil in der süssen Ruhe, der man in Schlaffe geniesset, unsere Seele viel fähiger sey, ein so subtiles Licht anzunehmen, welches uns im Wachen wegen des Tumults der Gemüths-Bewegungen, und der vielfältigen und unruhigen Geschäfte gleichsam entwischt. Daß aber selbiges dem Socrati nicht so entwischet, sey Ursache gewesen, weil er einen reinen und netten Verstand gehabt, der sich fast mit dem Leibe gantz nicht vermischt, und der also gantz leichtlich von dieser himmlischen Klar­ heit gerühret werden, und ohne Mühe die göttlichen Warnungen erkennen können, die die andern Menschen nicht zu entscheiden wüsten, weil ihre Gemühte allezeit von den Dünsten und Nebeln der Erde verfinstert wäre.« 35/20  Kobold  Komm.: In HKB 157 (I 398/35–399/1, 18.  8.  1759, an J. G. Lindner) heißt es: »An statt selbst zu kommen, rief meine Muse den Kobold des Sokrates aus dem Monde herab und schickte ihn in meinem Namen mit einer Granate, die aus lauter kleinen Schwärmern bestund.« (Vgl. Komm. SD 14/27) Eine Verknüpfung zum Daimonion ist etwa über den ›spiritus

210

Kommentar SD  35/21

familiaris‹ gegeben, der bei Charpentier 188 auch angeführt wird. Vgl. Walch: Philosophisches Lexikon, Sp. 1581: »Es sehen etliche die Kobolde und die so genannten spiritus familiares für eins an, welches zwar in so fern seine Richtigkeit hat, daß auf beyden Seiten der Teuffel darunter stecket; in Ansehung aber der Wirckungen und der Art und Weise, wie sie sich zu erkennen geben, sind sie unterschieden, wie denn auch die alten Philo­ sophi einen Unterschied darunter machten. Denn diese hatten die genios in engerm Verstand, welche sie den Menschen beylegten, und woraus die spiritus familiares entstünden; denn die penates und lares, die ihr Wesen in den Häusern hatten, zu welchen sich die häuslichen Kobolden eigentlich schicken.« Das griech. κόβαλος meint einen betrügerischen Schmeichler.   35/21  Idea seiner Einbildungskraft  Komm.: Charpentier 87: Der Dämon könnte »das Judicium oder die Lebhaftigkeit des Verstandes«, eine »subtile Natur« sein, die sich »das zukünftige lebhaftig vorstellet«. Siehe auch das Zitat aus Cooper in Komm. SD 22/24–28. Der Begriff der ›Idea‹ wurde philosophisch meist entsprechend der Verwendung von Descartes verstanden, d. h. im Sinne von Vorstellung. 35/23  mathematischen Unwissenheit  Komm.: Vgl. im Gegensatz dazu Wolff: Kleine Schriften, S. 500: »Socrates hat in Wahrheit mit einer grossen Hochachtung […] von der Mathematick gesprochen, daß das Werck-Zeug der Seele, wel­ ches sonsten durch andere Künste und Wissenschaften verdorben und ungeschickt gemacht worden, (er meinet den Verstand,) durch die mathe­ matischen Lehren sowol gereiniget, als aufgemuntert werde; auf diese aber mehr ankomme als auf 10tausend Augen.« Dass Sokrates mit maieutischer Methode einem unwissenden Knaben einen richtigen mathematischen Satz entlockt habe, ist in Plat. Men. 80  d–85  e ein Exempel für die Wieder­ erinnerungslehre. Mendelssohn bezieht sich in seiner Rezension darauf, Rez-SD 98/25. 35/25f.  Maschinen […] Leuwenhoeks  Komm.: Vgl. Komm. SD  11/8. »Maschine« bezeichnet im zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs allgemein den Körper der Lebewesen, bspw. auch die von van Leeuwenhoek entdeckten Bakterien. Auch Buffon bezeichnet in Allgemeine Historie der Natur, Tl. 1, Bd. 2 (1750), S. 134 die »Samenthierchen«, die unterm Mikroskop sichtba­ ren, kleinen bewegten Körper, als Maschinen. Leeuwenhoek verbesserte die Qualität von Lichtmikroskopen durch kleinere und reinere Linsen; er konnte so die Gestalt und Bewegung von Blutkörperchen, Protozoen, Bakte­ rien und auch Spermatozoen untersuchen; für seine ersten Beobachtungen erntete er anfänglich Spott in der englischen Royal Society (später wurde er dorthin berufen); bzgl. der Samenzellen vertrat er eine Präformationslehre, wonach die Gestalt des Wesens schon im Samen vorgebildet sei, wohin­

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gegen die Eizelle an der Bildung unbeteiligt, nur ernährend sei. Mit seinen Entdeckungen war die theologische Urzeugungslehre widerlegt. 35/25  Marg.: Bradleys  Komm.: James Bradley (1692–1762), englischer Astronom, war an der Entwicklung von Zenitteleskopen beteiligt, deren Spiegel mittels rotierenden Quecksilbers erzeugt wird; damit wies er die jährliche Aberra­ tion der Gestirne und also die Bewegung der Erde um die Sonne nach. 35/27  wahrsagendem Gefühl eines nüchternen Blinden   Komm.: Vgl. Brocken, LS 406/11–13: »Unsere Vernunft ist jenem blinden thebanischen Wahrsager Tieresias ähnlich, dem seine Tochter Manto den Flug der Vögel beschrieb, er prophezeyte aus ihren Nachrichten.«  35/29  Leichdornen  Komm.: Hühneraugen. 36/5  Sinnas […] Antwort  Komm.: Charpentier 85, vgl. auch Plut. de gen. 20 (Mor. 588  b/c): »Was nun Simmias auf die Ausführung des Galaxidorus [»über das Wesen und die Wirksamkeit des sogenannten Schutzgeistes des Sokrates«] erwiderte, haben wir nicht gehört; er sagte uns aber, er habe einmal den Sokrates darüber befragt, aber keine Antwort von ihm erhalten, und habe ihn deßwegen nicht wieder gefragt.« 36/7  Freunden von Genie  Komm.: Genie als Schöpferkraft und als geistige Bega­ bung werden hier unterschiedslos. Hamann attestiert in Briefen etwa seinem Freund J. G. Lindner »Genie«: HKB 128 (I 275/5, 10./11.  1758) und HKB 156 (I 392/23, 9.  8.  1759). 36/10  Aus dieser sokratischen Unwissenheit  Annot. SD4*: – – dulcem et facetum, festivique sermonis, atque in omni oratione simultatorem, quem είρωνα Graeci nominarunt, Socratem accepimus. Cicero de Offic. I ,30 〈Cic. off. 1,108: »[Unter den Griechen aber war,] wie wir erfahren haben, Sokrates angenehm und geistvoll, stets gut gelaunt im Gespräch und ein Meister in der Kunst der Verstellung, was die Griechen als ›Ironie‹ bezeichnet haben.«‌〉 / – – ἀγαθοὶ δὲ / καὶ σοφοὶ κατὰ δαίμον’ ἄνδρες / ἐγένοντ’. Pindar. Olymp. Θ. 〈Pind. O. 9,28–30: »tüchtig / aber und weise sind Männer durch die Gottheit / hervorgetreten«.〉 36/12  Marg.: nihil […] Val. Max. VIII. 7.  Komm.: Cic. inv. 1,31: »Hoc modo sermonis plurimum Socrates usus est propterea quod nihil ipse afferre ad persua­ dendum volebat, sed ex eo quod sibi ille dederat quicum disputabat, ali­ quid conficere malebat, quod ille ex eo quod iam concessisset necessario approbare deberet.« – »Diese Art der Gesprächsführung wandte am meis­ ten ­Sokrates an, deswegen weil er selbst nicht zur Überredung beitragen, sondern lieber aus dem, was der Gesprächspartner eingeräumt hatte, ein Ergebnis gewinnen wollte, welchem dieser aufgrund dessen, was er schon zugegeben hatte, notgedrungen zustimmen mußte.« und Val. Max. 8,8: »ergo dum ad discendum semper se pauperem crededit, ad docendum fecit

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Kommentar SD  36/12–37/7

locupletissimum.« – »Er [Sokrates] sah sich für so arm an, daß er glaubte, stets lernen zu müßen; dadurch aber erwarb er sich einen Reichthum, um viel lehren zu können.« 36/12–37/7  als daß […] nachzufolgen  Annot. SD4*: οὐχ ἥκιστα δὲ καὶ Σωκράτης, αὐτὸ δὲ τὸ λεγόμενον, ἐγένετο πῦρ ἐπὶ πυρί, καθάπερ αὐτὸς ἒφη Πλάτων· εὐφυέστατος γὰρ ὢν καὶ δεινὸς ἀπορῆσαι περὶ παντὸς ὁτουσῦν ἐπεισήνεγκε τάς τε ἠθικὰς καὶ πολιτικὰς σκέψεις, ἔτι δὲ τὴν περὶ τῶν ἰδεῶν πρῶτος ἐπιχειρήσας ὁρίζεσθαι· πάντα δὲ ἐγείρων λόγον, καὶ περὶ πάντων ζητῶν ἔφθη τελεθτήσας.

Euseb. Praepar. Evangel. Lib XI . cap. 3. ex Aristokles Peripatetici Libro VII . περὶ φυσιολογίας p. 510.511 〈Euseb. pr. ev. 11,3,2: »Besonders auch Sokrates, wie das Sprichwort besagt, ist Feuer auf Feuer geworden, genau wie Platon selbst sagte. Weil er besonders schlau und geschickt darin war, an jeglicher Sache zu zweifeln, führte er die moralischen und politischen Überlegungen ein, und außerdem war er der erste, der versuchte, die Ideen zu definie­ ren. Er begründete den ganzen Diskurs und starb, während er über alles forschte.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou. Die Stelle referiert eine verlorene Schrift Aristokles’ mit dem Titel περὶ φυσιολογίας, die nur durch Eusebius überliefert ist.〉 Ebendaselbst wird aus Aristoxeno Musico erzählt, wie Sokra­tes von einem Indianer ausgelacht worden, daß er menschliche Dinge ohne göttliche verstehen und erklären wolle 〈Siehe Euseb. pr. ev. 11,3,8〉 / Proinde Socrates scurra Atticus viderit, nihil se scire confessus, testimo­ nio licet fallacissimi daemonis gloriosus: Arcesilas quoque et Carneades et Pyrrho et omnis Academicorum multitudo deliberet: Simonides etiam in perpetuum conperendinet. philosophorum supercilia contemnimus, quos corruptores et adulteros novimus et tyrannos et semper adversus sua vitia facundos. M. Minucii Felicis Octavius p. 43 〈Min. Fel. 38,5: »So mag denn nun Sokrates, der attische Tagedieb, es so oder so gesehen haben, er, der eingestand, nichts zu wissen, und sich dabei mit dem Zeugnis eines freilich höchst trügerischen Dämons brüstete, so mögen auch Arkesilas, Karneades, Pyrrhon und die ganze große Schar der Akademiker hin und her überlegen, so mag sich auch Simonides in alle Ewigkeit vertagen: wir verachten das skeptische Stirnrunzeln überheblicher Philosophen, die wir als Verführer und als Ehebrecher kennen und als Tyrannen und als Leute, die stets gegen die eigenen Laster Reden schwingen.«〉 / Zeno Socratem scurram Atticum fuisse dicebat. Cic. I. de Nat. Deorum 〈Cic. nat. 1,93: »Zenon […] nannte […] Sokrates […] den ›attischen Hanswurst‹.«〉 / Lactant. III,19 〈vmtl. Lact. fal. sap. 3,20,15〉 / Non potest esse sapiens, qui pecuniam neglegit. Socra­ tes autem pecuniam neglegebat. non igitur sapiens erat. Cic. de Invent. I ,48. 〈Cic. inv. 1,48: »Nicht weise kann sein, wer auf Geld keinen Wert legt. So­krates aber legte auf Geld keinen Wert: Also war er nicht weise.«〉 Sapien­

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tia est pecuniae quaerendae intellegentia. I,49. 〈Cic. inv. 1,49: »Weisheit ist die geistige Fähigkeit, Geld zu erwerben.«〉 36/13  immer zu fragen  Annot. SD4*: Αὕτη ἡ Σωκράτους σοφία, beschuldigt ihn Thrasymachus in Platons Buch von der Staatskunst, αὐτὸν μὲν μὴ ἐθέλειν διδάσκειν, παρὰ δὲ τῶν ἄλλων περιιόντα μανθάνειν καὶ τούτων μηδὲ χάριν ἀποδιδόναι. Sokrates versetzt: ὅτι μέν μανθάνω παρὰ τῶν ἄλλων, ἀληθῆ εἶπες, ὦ Θρασύμαχε· ὅτι δὲ οὔ με φῂς χάριν ἐκτίνειν, ψεύδῃ. ἐκτίνω γὰρ ὅσην δύναμαι. δύναμαι δὲ ἐπαινεῖν μόνον· χρήματα γὰρ οὐκ ἔχω. ὡς δὲ προθύμως τοῦτο δρῶ, ἐάν τίς μοι δοκῇ εὖ λέγειν, εὖ εἴσῃ αὐτίκα δὴ μάλα, ἐπειδὰν ἀποκρίνῃ. οἶμαι γάρ σε εὖ ἐρεῖν — 〈Plat. rep. 338  a–c: »Dies ist die Weisheit des Sokrates, selbst will er nichts lehren, aber bei anderen geht er umher, um zu lernen, und weiß es ihnen dann nicht einmal Dank. Daß ich[, sprach ich,] von den anderen lerne, daran hast du recht gesagt, o Thrasymachos; daß du aber behauptest, ich erstatte ihnen keinen Dank, daran falsch. Denn ich erstatte ihn, soviel ich nur kann; ich kann aber nichts tun als nur sie loben; denn Geld habe ich nicht. Wie bereitwillig ich aber das tue, wenn jemand mir scheint gut zu reden, das wirst du gewiß sehr bald erfahren, wenn du deine Antwort gegeben hast, denn ich glaube, du wirst gut reden.«〉 36/13  immer zu fragen um klüger zu werden  Komm.: Charpentier 68; vgl. auch. Platos lehrreiches Gespräch, S. 36. 36/14  jedes Meynung für wahr  Komm.: Vgl. HKB 153 (I 377/25–29, 27.  7.  1759, an Kant): »Um Wahrheit ist mir so wenig als Ihrem Freunde zu thun; ich glaube wie Socrates alles, was der andere glaubt – und geh nur darauf aus, andere in ihrem Glauben zu stöhren. Dies muste der weise Mann thun, weil er mit Sophisten umgeben war, und Priestern, deren gesunde Vernunft und gute Werke in der Einbildung bestanden.« Vgl. auch Xen. mem. 4,6,15: »Wenn er aber selbst irgendwie eine Betrachtung anstellte, dann nahm er seinen methodischen Weg über durchaus allgemein Anerkanntes, da er meinte, dies biete die rechte Sicherheit für die Überlegung. […] Auch Homer, so meinte er, habe dem Odysseus das Prädikat eines überzeugenden Redners zuerteilt, weil er es verstanden habe, seine Betrachtungen auf allen Men­ schen einleuchtende Gründe zu stützen.« 36/15  Probe der Spötterey  Komm.: Shaftesbury, der u. a. in Sensus Communis selbst einen »Test of Ridicule« (vgl. Komm. SD 22/18) im Sinne eines Toleranzge­ bots wider einen dogmatischen Wahrheitsanspruch entwirft, hat in Soliloquy Sokrates als den Meister des angewandten Spottes apostrophiert (in Sämtliche Werke, Bd. 1.1, S. 92). 36/15  Spötterey und guten Laune  Annot. SD4*: ἀσθενεία τοῦ ἀληθοῦς, τὰ καλῶς ἐν αὐταῖς ἠσφαλισμένα, ὡς φιλοσκώπτης διέσυρεν etc. Socratis Hist. Eccles. III , 23. p. 200 〈Sokr. hist. eccl. 3,23,34–44: »Wegen der Schwäche des Wahrhafti­

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gen hat er die in jenen [Büchern] gut gesicherten Sachen wie ein Spottlus­ tiger geschmäht.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 de Porphyrio 〈Sokr. hist. eccl. 3,23,37–39〉 / Atticus in Cicer. Bruto. cap. 85. Ego ironiam iliam, quam in Socrate dicunt fuisse, qua ille in Platonis et Xenophontis et Aeschini libris utitur, facetam et elegantem puto. Est enim et minume inepti homi­ nis et eiusdem etiam faceti, cum de sapientia disceptetur, hanc sibi ipsum detrahere, eis tribuere illudentem, qui eam sibi adrogant: ut apud Plato­ nem Socrates in caelum effert laudibus Protagoram, Hippiam, Prodicum, Gorgiam, ceteros: se autem omnium rerum inscium fingit et rudem. decet hoc nescio quo modo illum: nec Epicuro, qui id reprehendit, assentior. 〈Cic. Brut. 85: »Gewiß halte ich die Ironie, die Sokrates zueigen gewesen sein soll und die er auch in den Dialogen des Platon, Xenophon und Aischines zeigt, für etwas Witziges und auch Geschmackvolles. Zeigt sich doch darin ein sicherlich nicht geschmackloser und jedenfalls humorvoller Mann, wenn jemand bei einer Diskussion über die Weisheit diese sich selbst abspricht und sie spöttisch jenen zuspricht, die sie sich selbst anmaßen – so wie bei Platon Sokrates mit seinen Lobsprüchen Protagoras, Hippias, Prodikos, Gorgias und die anderen in den Himmel hebt, sich selbst aber als völlig unwissend und ungebildet hinstellt. Das paßt irgendwie recht gut zu ihm, und ich kann Epikur, der das tadelt, nicht beistimmen.«〉 36/16  guten Laune  Komm.: Charpentier 58: »Xantippe war sehr übel mit diesem seinem humeur zufrieden, und zanckte sich deswegen offte mit ihm, aber er bezahlete sie allezeit mit einem angenehmen Schertz.« Charpentier 93: »Ja er hat endlich gar sehen müssen, daß seine Feinde über seine Unschuld triumphiret. Unterdessen ist er bey diesen Umständen allen niemahls aus der Gleichheit seines humeurs und Gesichts zuverrücken gewesen, sondern man hat ihn allemahl einmahl wie das andere mahl angetroffen, und ist mitten in dem Ungewitter unbeweglich gewesen, und je unbeständiger sein Glück gewesen, je beständiger hat sich seine Beständigkeit blicken lassen.« 36/17f.  Schlüsse […] Aehnlichkeit  Komm.: Charpentier 30: »Er bedienete sich zum öfftern in seinen Lehren solcher Gleichnisse, und nahme sie manchmal noch wohl von geringern Handwerckern her [vgl. SD 42/10], damit das Volck, das ihm zuhörete, ihn desto besser verstehen möchte. Dieses werffen ihm auch Critias und Caricles im 1. Buche der merkwürdigen Dinge vor«. 36/19  Dialectick  Komm.: Hier mglw. im Sinne von sophistischer Logik. 36/19  Marg.: Thrasymachus […] Staatskunst  Komm.: Plat. rep. 336  e–338  b. 36/19–22  gleichgültig [...] Atheniensern  Komm.: Vielleicht in Bezug auf Distanz zu einem Milieu, von dem Sokrates finanziell abhängig war (auch Montes­

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quieu hatte den Athenern eine Leidenschaft für den Handel nachgesagt, welche der Staatsräson im Wege gestanden habe; De l’Esprit des loix, Lib. 21, Kap. 7); vgl. Annot. SD 36/12–37/7 u. auch Cooper 82). Mit den Leidenschaf­ ten der »Edelsten unter den Atheniensern« könnte aber auch der Bezug zum Sport, zur Gymnastik und Olympiade mit dem entsprechenden Schön­ heitsideal gemeint sein, vgl. SD 22/27. 36/23  Ideoten  Komm.: Laie, Privatmann, Unwissender, im 18. Jhd. auch schon pejorativ gebraucht, vor allem im Engl. als Dummkopf, Naivling. 36/26  Minerva  Komm.: Göttin der Weisheit, Schutzgöttin Athens. Die Verbin­ dung mit dem Helm erinnert daran, dass Minerva Kriegsgöttin (mit der etymologischen Vorstellung, der Name käme von ›minuo‹, verringern) war, bevor sie der Weisheit zugeordnet wurde. Ihre Geburt aus Jupiters Kopf wird u. a. bei Hesiod beschrieben; dass sie ein mit dem Medusenhaupt bewappnetes Schild (siehe SD 32/9 f.) trägt, bei Pausanias. Die Nachteule wurde meist als Symbol der Weisheit, als Fähigkeit, auch im Dunkeln zu sehen, gedeutet (Zedler 21, 353–362 ›Minerva‹). 37/5  freyer Uebersetzungen  Komm.: Thomasius bezeichnet als solche auch seine Übertragung Charpentiers. In der Vorrede (unpag.) heißt es: »Zumahl ich mich hin und wieder ziemlicher Freyheit bedienet/ und mich nicht so wohl an die Worte des Französischen Scribenten gebunden/ als auf das/ was er sagen wollen/ oder nach Gelegenheit der Umstände/ und sonderlich derer denckwürdigen Dinge des Xenophons (den ich guten Theils darbey selb­ sten zu Rathe gezogen) sagen sollen/ mein Absehen gerichtet.« 37/9  Palingenesie  Komm.: Theologisch: Wiedergeburt, Wiederherstellung; Natur­ wissenschaftler des 17. Jhds. benutzten den Begriff auch für eher alchimis­ tische Fragestellungen, in denen es um Wiederbelebung ging, bspw. der in der hschr. Notiz SD 34/9 genannte Robert Boyle (Sur la palingénésie). Im späten 17. und im ganzen 18. Jhd. taucht der Begriff zusammen mit ›Metem­ psychosis‹ in der Philosophie auch weiter gefasst bei Fragen nach der See­ lenwanderung auf (bspw. bei Leibniz, Locke, Baumgarten, Meier) sowie bei Spekulationen zu naturimmanenten Regenerationsvorgängen; außerdem zur Bestimmung von Ideenzirkulation. 37/11  gemeinen Wesens  Komm.: Wohl im Sinne von: Gemeinwesen, Kollektiv. 37/14  Gemälde des Jahrhunderts und der Republik  Komm.: Hamann kannte Xeno­ phons Republick derer Athenienser (respublica Atheniensium). 37/16  künstlich  Komm.: Dass die sokratischen Gesprächssituationen als philo­ sophische Exempel künstlich seien, wird auch im Zedler beschrieben (38, 282 f. ›Socrates‹). 37/19  Arm eines Wegweisers  Komm.: Seit Beginn des 18. Jhds. wurden die Ge­

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richtsobrigkeiten in Preußen beauftragt, Armwegweisersäulen aus Holz (nach vorgegebenem Muster blau, orange, weiß gestrichen) systematisch zu verteilen und in Stand zu halten. 37/22f.  Parrhasius […] hogarthsches Gemälde  Komm.: Parrhasius, griech. Maler u. Zeitgenosse des Sokrates. Bei Winckelmann konnte Hamann lesen, dass der Versuch des Parrhasius auf Querelen reagierte, die nach dem Sieg der athenischen Flotte über die Lacedämonier entbrannten, nämlich über den Umgang der Befehlshaber mit den gefallenen Athenern (siehe SD 39/25). Diese waren nicht den Gebräuchen entsprechend beerdigt worden. Das erzürnte athenische Volk klagte die Befehlshaber an. Als Prytane nahm Sokrates an den Gerichtsverhandlungen teil und stimmte gegen eine Ver­ urteilung zum Tode. Hogarth war für seine satirischen Gemälde und Sti­ che populär, deswegen meint Hamann hier wohl eine Satire und nicht die ästhetische Theorie Hogarths, die Winckelmann mit ihm teilte. Hamann kannte aber Hogarths The Analysis of Beauty wahrscheinlich in der dt. Aus­ gabe, Zergliederung der Schönheit, übersetzt von Mylius, hg. v. Lessing. In Winckelmanns Beschäftigung mit dem Gemälde von Parrhasius geht es um die nicht-allegorische Darstellungsweise, die dennoch eine Idee ausdrückt (Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke, S. 40 u. 83). 37/25–29  Pinxit […] ostendere  Komm.: Plin. nat. 35,36,69: »pinxit demon Athe­ niensium argumento quoque ingenioso. ostendebat namque varium, ira­ cundum, iniustum, inconstantem, eundem exorabilem, clementem, miseri­ cordem, gloriosum …, excelsum, humilem, ferocem fugacemque et omnia pariter.« – »Er [Parrhasios] malte das Volk der Athener, hier auch im Gehalt geistvoll. Er zeigte es nämlich als launisch, zornig, ungerecht, unbeständig, ebenso aber als leicht zu erbitten, mild, barmherzig und ruhmsüchtig …, als erhaben und kleinmütig, als kühn und feig, und das alles zugleich mit gleicher Ausdruckskraft.« 38/1  Athenienser waren neugierig  Komm.: Apg 17,20 f.; so auch in SD 30/20. Vgl. dazu Biblische Betrachtungen, LS 284/21–286/4 und Platos lehrreiches Gespräch, S. 35. 38/2  Arzt für diese Lustseuche  Komm.: Charpentier 67: »In dieser Betrachtung nennet Plutarchus die Lehre des Socratis eine Artzeney, die verdorbenen Gemüther zu reinigen und zu saubern [Plut. qu. Plat. 1,3], und Eusebius nennet ihn selbst den reinigenden Philosophum, weil er hauptsächlich bemühet war, die Irrthümer und falsche Meinungen mit Strumpff und Stiel auszugetten, sonderlich aber diejenige, wenn man sich beredete, man wisse dasjenige, was man doch nicht wuste.« 38/7  ihr Gedächtnis  Annot. SD4*: Critias. — Girard vom Genie p. 367. Die meisten unrichtigen Folgerungen – – schwaches Gedächtnis bringt Unwissenheit

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hervor 〈Gerard: Versuch über das Genie, S. 367〉 / — οὕτως εἶ Κρόνος, ὥστε ἃ τὸ πρῶτον εἴπομεν, νῦν ἀναμιμνῄσκει, καὶ εἴ τι πέρυσιν εἶπον, νῦν ἀναμνησθήσει — rückt Dionysodorus dem Sokrates vor in Platons Euthydemus 〈Plat. Euthyd. 287  b: »[Also, Sokrates, nahm Dionysodoros das Wort,] bist du so altväterisch, daß du jetzt wieder vorbringst, was wir vorher sagten? Auch wenn ich vor dem Jahre etwas gesagt hätte, würdest du es wieder vor­ bringen«〉 — / Σωκράτη γε ἐγὼ ἐγγυῶμαι μὴ ἐπιλήσεσθαι, οὐχ ὅτι παίζει καί φησιν ἐπιλήσμων εἶναι, sagt Alcibiades in Platons Protagoras. 〈Plat. Prot. 336  d: »[Denn] für den Sokrates verbürge ich mich, daß er es nicht vergessen wird, ob er gleich scherzt und sagt, er sei vergeßlich.«〉 38/7f.  ihr Gedächtnis […] Urtheilskraft  Komm.: Platos lehrreiches Gespräch, S. 35 f.: »Sok.: Wenn ich voraus setze, Alcibiades, daß du, wie es wohl seyn kann, übel sprichst, und es sehr leicht sey, dich aus eben den Gründen, die ich schon angeführet habe, zu widerlegen, ist denn das, was du thust, wohl recht? Du willst neue Proben und neue Beweise haben, indem du mit den erstern, wie mit alten Kleidern umgehst, die du nicht mehr anzuziehen Lust hast. Du willst beständig etwas ganz Neues haben. Was mich aber anbe­ trifft, so werde ich, ohne mich an deine Abwege und Ausflüchte zu kehren, dich beständig, wie ich bisher gethan habe, fragen, woher du das, was nütz­ lich ist, gelernet hast, und wer darunter dein Lehrmeister gewesen ist; mit einem Worte, ich frage alles, was ich schon gefraget habe.« 38/9  Kurz, Sokrates lockte  Annot. SD4*: Sokrates sagt im Alcibiade δευτέρῳ· Ἀναγ­ καῖον ἐστι περιμένειν ἕως ἄν τις μάθῃ ὡς δεῖ πρὸς Θεοὺς καὶ πρὸς ἀνθρώπους

διακεῖσθαι. Alcibiades sagt: Πότε οὖν παρέσται ὁ χρόνος οὗτος, ὦ Σώκρατες;

καὶ τίς ὁ παιδεύσων; ἥδιστα γὰρ ἄν μοι δοκῶ ἰδεῖν τοῦτον τὸν ἄνθρωπον

Sokrat. οὗτος ᾧ μέλει περὶ σοῦ. 〈Plat. Alk. 2 150  d: »[Sokra­tes:] [Also] ist es nothwendig zu warten bis einer lernt, wie er sich muss gegen Götter und gegen Menschen verhalten. [Alkibiades:] Wann aber wird diese Zeit sein, o Sokrates? und wer der Unterrichtende? Denn gar gern, glaube ich, möchte ich diesen Menschen sehen, wer er ist. [Sokra­tes:] Dieser ist es, der Sorge für dich trägt.«〉 Die ganze folgende Stelle mit, wo Alcibia­ des dem Sokrates die Krone aufsetzt, die er für das Opfer bestimmt hatte 〈vgl. Plat. Alk. 2 151  a–c〉 / Klitophon: Ἐγὼ, ὦ Σώκρατες, σοὶ συγγιγνόμενος πολλάκις ἐξεπληττόμην ἀκούων, καί μοι ἐδόκεις παρὰ τοὺς ἄλλους ἀνθρώπους κάλλιστα λέγειν, ὁπότε ἐπιτιμῶν τοῖς ἀνθρώποις, ὥσπερ ἐπὶ μηχανῆς τραγικῆς Θεός, ὑμνοις λέγων »Ποῖ φέρεσθε, ὤνθρωποι, καὶ ἀγνοεῖτε οὐδὲν τῶν δε­­όντων πράττοντες,« – – – – – […] τούτοις δὴ τοῖς λόγοις καὶ ἑτέροις τ­ οιούτοις παμπόλλοις καὶ παγκάλως λεγομένοις — […] σχεδὸν οὔτ᾽ ἀντεῖπον πώποτε οὔτ᾽ οἶμαι μήποτε ὕστερον ἀντείπω· προτρεπτικωτάτους τε ἡγοῦμαι καὶ ὠφελιμωτάτους, καὶ ἀτεχνῶς ὥσπερ καθεύδοντας ἐπεγείρειν ἡμᾶς — — τίς ἐστιν.

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[…] νομίσας σε τὸ μὲν προτρέπειν εἰς ἀρετῆς ἐπιμέλειαν κάλλιστ᾽ ἀνθρώπων δρᾶν· δυοῖν δὲ θάτερον, ἢ τοσοῦτον μόνον δύνασθαι, μακρότερον δὲ οὐδέν — […] οὐ μὴν τό γε ἐμὸν οὕτως ἔχει. δυοῖν δὲ θάτερον, ἢ οὐκ εἰδέναι σε ἢ οὐκ ἐθέλειν αὐτῆς ἐμοὶ κοινωνεῖν. — […] μὴ μὲν γὰρ προτετραμμένωι σε ἀνθρώπωι, ὦ Σώκρατες, ἄξιον εἶναι τοῦ παντὸς φήσω· προτετραμμένωι δὲ σχεδὸν καὶ ἐμπόδιον τοῦ πρὸς τέλος ἀρετῆς ἐλθόντα εὐδαίμονα γενέσθαι. Platonis Clitophon 〈Kompiliertes Zitat aus Plat. Kleit. 407  a–b; 408  b; 408  c; 410  b; 410  c; 410  e: »[Kleitophon:] Oft [nämlich], o Sokra­tes war ich im Umgange mit dir ganz erstaunt, wenn ich dich hörte; und du scheinst mir vor allen andern Menschen am votreff­lichsten zu reden, so oft du die Leute strafend gleichsam wie ein Gott auf einer tragischen Maschine deine Stimme erhobst sagend, Wo treibt ihr hin, Leute, und wisst nicht dass ihr nichts thut von dem was ihr solltet […]. Diesen Reden also und andern solchen sehr vielen und sehr schön gesprochenen […] habe ich gewiss wol niemals widerspro­ chen, noch ist mir bange, dass ich es jemals in Zukunft thun werde, sondern ich halte sie für aufregend und heilsam im höchsten Grade, und die uns recht wie aus dem Schlafe aufwecken. […] [bis ich endlich müde geworden bin und die Meinung gefasst habe,] dass zum Fleiss in der Tugend auf­ regen, dieses du unter allen Menschen am trefflichsten leistest, aber eins von beiden, entweder nur soviel du könntest, weiter aber nichts […] Allein so meine ich es nicht, sondern nur eins von beiden, dass du dich entweder nicht darauf verstehest, oder mir nichts davon mittheilen willst. […] Denn dass du einem noch nicht aufgeregten Menschen alles werth bist, werde ich immer behaupten, aber einem schon aufgeregten Menschen kannst du fast sogar ein Hinderniss sein, dass er nicht zur Vollendung in der Tugend gelangend glückselig werde.«〉 / Justini Martyris Apologia II, p. 55.56 〈Iust. Mart. apol. 2 5,3 f.〉. 38/9  Sokrates lockte  Komm.: Charpentier 147: »Alleine, gleichwie man anders theils nicht verneinen kan, daß er öfters von einem einigen GOtt, der ewig, unsichtbar, und der Schöpffer dieser Welt wäre, geredet, und daß er der Poetischen Fabeln gespottet, auf welche die lächerlichen Geheimnisse sei­ ner Zeit sich gründeten; also kan man mit viel grösserer Wahrscheinlich­ keit glauben, daß wenn er zuweilen die Tempel besucht, solches nur des­ halben geschehen sey, damit er sich in einer so abergläubischen Republic desto weniger verhaßt machte, weil man ihn nimmermehr würde geduldet haben, wenn er die hergebrachte Religion öffentlich hätte verachtet.« 38/12  im Verborgenen  Komm.: Ps 51,6. 38/13  andächtigen und  staatsklugen Priester  Komm.: »Andacht«/»andächtig« kommt mehrmals vor (vgl. SD 11/19, 22/5 u. W 65/14): für zeitgenössische Kirchenkritiker war Andacht und Priesterbetrug nahezu synonym (bspw.

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auch in Humes Kritik am Katholizismus). Die Ambivalenz der Andacht zwischen Gottesdienst und dessen betrügerischer Zurschaustellung ist auch bei Luther öfter thematisch, bspw. in der Auslegung von 1 Mos 22,19 (Rückkehr vom Berg Morija).   38/14  Dienst eines unbekannten Gottes  Komm.: Apg 17,23. Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 296/30–33: »Alle Weisheit dieser Welt sollte nicht so weit reichen, Gott zu erkennen – – Und das dieses so war, that Gott aus weisem Rath, mit unerforschlichem Vorbedacht – – hierauf gefiel es Gott, diejenigen, die glaubeten, seelig zu machen durch Thorheit und Einfalt der Predigt.« Und LS 286/13–22: »Wenn Jesus sagte, daß er Gottes Sohn war, die tröst­ lichste, die wichtigste und neuste Wahrheit entdeckte, so hoben die Juden Steine auf – – so zerrissen sie ihre Kleider und verdammten ihn als einen Missethäter. Die Athenienser waren andächtig für einen unbekannten Gott niederzufallen, so bald ihnen dieser unbekannte Gott entdeckt war, ist ihnen nichts mehr daran gelegen; sie spotten darüber und glauben, an statt Neuigkeiten, sehr gleichgültige Dinge zu hören, die nichts werth sind, untersucht und in ihrem Zusammenhange erkannt zu werden – – auf die es nicht ankäme, ob und wann sie nähere Einsichten darüber erhielten.« 38/18  Nachfolge in der Tugend  Komm.: Charpentier 28: »Plato sagt [Anm.: in Apo­ log.] daß er denen Atheniensern von denen Göttern gegeben worden, daß er ihnen ihre Mängel zu erkennen gäbe, und sie zur Nachjagung der Tugend auffrischete.« 38/19  Sokrates unter den Propheten  Komm.: Siehe Einführung, S. LI f., LXII, LXXXV u. CVIII . Vgl. Heumann (Acta, St. 3, S. 483 f.) zu Sokrates: »Wie man nun von dem Apostel Paulo/ ohne eine Contradiction zu begehen/ sagen kann/ daß seine Thorheit weiser sey/ denn die grössesten Philosophi unter denen Heyden gewesen; Ebenermassen stecket auch darinne nichts absurdes, wenn man spricht: des Socratis Thorheit ist weiser/ denn alle anderen Phi­ losophi, oder vielmehr Sophisten/ sind.« 38/21  Wer der Propheten Vater sey?  Komm.: 1 Sam 10,12. Der Bezug auf die SamuelStelle und Saul findet sich in HKB 153 (I 380/8 f., 27.  7.  1759, an Kant) als Cha­ rakterisierung der Thesen Humes. Im zweiten Aufzug der Wolken ist Saul mehrmals Bezugsfigur. 38/22  Gott der Heyden  Komm.: Röm 3,29. Die Gegenposition, dass die Heiden aus dem Reich Gottes ausgeschlossen seien, war seit Augustinus dogmatische Voraussetzung für das Verhältnis von Theologie und Philosophie. Vgl. auch SD 16/21–27 mit Komm. 38/23  Marg.: Platons [...] Clitophon  Komm.: Vgl. Annot. SD 38/7 u. 38/9 f. 39/2–6  Feldzüge […] überließ  Komm.: Charpentier 8: »Indessen hielte sich Socrates bey der Armee so tapffer, daß man ihn für allen andern bewunderte, und

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die Autores selbiger Zeit schreiben, daß er den Preiß der Tapferkeit davon getragen, aber daß er selbigen freywillig dem Alcibiadi überlassen, weil er ihn sehr liebete, und wohl zufrieden war, ihn zur Tugend durch diese Ehre aufzumuntern. Denn Alcibiades gestund selbsten, daß Socrates ihme das Leben erhalten, und daß in einem gewissen Treffen, darinnen er sehr verwundet worden, Socrates alleine verhindert habe, daß weder er noch seine Waffen in die Gewalt der Feinde gekommen.« Vgl. Zedler 38, 279 f. ›Socrates‹; Plat. symp. 220  d–221  c; Diog. Laert. 2,22 f.; Plut. Alk. 7. 39/7  wich er wie ein Parther  Annot. SD4*: – – confiteorque me, si quae premat res vehementius, ita cedere solere, ut non modo non abiecto, sed ne reiecto quidem scuto fugere videar; sed adhibere quandam in dicendo speciem atque pompam et pugnae similem fugam: consistere vero in meo praesidio sic, ut non fugiendi hostis sed capiendi loci causa cessisse videbar. Cic. de Oratore II, 72 〈Cic. orat. 2,72: »[…] und ich bekenne: Wenn mich etwas allzu hart bedrängt, weiche ich zwar in der Regel, aber so, dass der Eindruck entsteht, ich würde fliehen, ohne dass ich meinen Schild weggeworfen, ja ihn nicht einmal auf den Rücken geworfen habe; vielmehr lege ich in meine Worte einen Anflug von Großspurigkeit und mache aus meiner Flucht ein Rückzugsgefecht, das einem Kampf ähnlich ist; dabei setze ich mich aber in meiner Verschanzung so fest, dass der Eindruck ensteht, ich sei nicht, um vor dem Feind zu fliehen gewichen, sondern um diese Stellung einzu­ nehmen.«‌〉 / Ἐν γὰρ τῇ ἀπὸ Δηλίου φυγῇ μετ᾽ ἐμοῦ συνανεχώρει, κἀγώ σοι λέγω ὅτι εἰ ἄλλοι ἤθελον τοιοῦτοι εἶναι, ὀρθὴ ἂν ἡμῶν ἡ πόλις ἦν καὶ οὐκ ἂν ἔπεσε τότε τοιοῦτον πτῶμα, erzählt Laches in Platons Gespräch dieses Namens 〈Plat. Lach. 181  b: »[Laches:] Denn bei der Flucht vor Delion ging er mit mir zurück, und ich versichere dich, wenn die übrigen sich hätten so beweisen wollen, unsere Stadt wäre damals bei Ehren geblieben und hätte nicht einen so schmählichen Sturz erlitten.«〉 / Nach der Schlacht bey Potidäa ist der Charmides gehalten. 39/7  wie ein Parther  Komm.: Eine Besonderheit der Reiterarmee der Parther war der sogenannte Partherschuss, bei dem die galoppierenden Reiter, eine Flucht vortäuschend, nach hinten schossen; vgl. Annot. SD 39/7. 39/10  Xenophon  Annot. SD4*: Ἑταίρων γνωριμώτατος. Euseb. praep. Evang. XV, 61 〈Euseb. pr. ev. 15,61,12: »Der bekannteste der Genossen«; Übers. v. Polyxeni Tarpinidou〉 — Strabo ΙΧ 〈bes. Strab. geogr. 9,2,7〉. 39/10f.  Xenophon […] Schlachtfeldes  Komm.: Charpentier 16 f.: »Man erzehlet auch, daß er in der Verwirrung den Xenophon, der vom Pferde gefallen war, daß Leben erhalten, ihn errettet, und auf seinen Achseln davon gebracht habe.« 39/10  Marg.: Laches  Komm.: Plat. Lach. 181  b.

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39/13  Pest  Komm.: Charpentier 10 f.: »Es gerieth um dieselbige Zeit eine grausame

Pest [...] Sie wurden hiermit nicht nur allein binnen ihren Mauren beängsti­ get, sondern es geriehte auch dieses Unglück in ihr Lager vor Potidaea, und wütete so gewaltig bey der Armée, daß in kurtzer Zeit bey 1100. Menschen durch die Contagion hingeraffet wurden. Unterdessen hatte Socrates keine Beschwerung davon weder im Felde, unerachtet sie daselbst so gemeine war, noch als er von der Belagerung wieder zurück nach Athen gelanget war, wo sie noch nicht aufgehöret hatte, und endlich auch, als dieses Ubel im fünfften Jahr des Krieges viel härter als zuvor wieder zu grassiren anfing. Diogenes [Anm.: Diogen. in Socrat. & Ælianus lib. 13. cap. 27.] sagt, daß er alleine unter denen Atheniensern nicht kranck worden sey, welches nicht nur scheinet eine Würckung seiner Nüchternheit und Mäßigkeit, sondern auch ein offenbares Zeichen des göttlichen Schutzes sey.« Vgl. Cooper 25. 39/15  Wort in seinem Herzen  Komm.: Lk 8,15; Röm 10,8; Hes 3,10. 39/17  Staatsversammlungen beyzuwohnen  Annot. SD4*: ἡ δημαγωγία γὰρ οὐ πρὸς μουσικοῦ / ἔτ᾽ ἐστὶν ἀνδρὸς οὐδὲ χρηστοῦ τοὺς τρόπους, / ἀλλ᾽ εἰς ἀμαθῆ καὶ βδελυρόν – – Aristophanes in Ἱππ. 〈Aristoph. Equ. 191–193: »Denn das Regieren ist nichts mehr für einen Mann / Von Bildung und charakterlicher Ehrbarkeit, / Nein, für den Groben, Widerlichen.«〉 39/17  Staatsversammlungen beyzuwohnen  Komm.: Charpentier 95: »Aber er antwor­ tet hierauf beym Plato, [Anm.: in Apologia.] daß die Gottheit, die ihn lei­ tete, und der er niemahls wiederstehen wolte, ihn allezeit abgehalten habe, daß er niemahls in diesen Zusammenkünften erschienen, und sich in die öffentlichen Affairen gemischet.« Auch wiedergegeben im Zedler (38, 280 ›Socrates‹) und Cooper 100 f. 39/19  Stelle im Rath  Komm.: Charpentier 98: »Wegen dieser Ursachen nun wolte es sich nicht schicken, daß Socrates sich unter die allgemeinen Versamm­ lungen gewagt, noch in die Affairen eines so verdorbenen Staats gemischet hätte. Nichts desto weniger, damit man ihm nicht vorwerffen könte, daß er sein Leben allzusehr geschonet hätte, so wolte er doch zum wenigsten einmahl das Amt eines Raths-Herrn verwalten, und praesentirte sich zu dieser Charge, als er allbereit 63. Jahr alt war, weil es ihm dünckte, daß er nunmehro sein edles Leben recht vortrefflich zu machen, gar wohl die Gelegenheit eines unverdienten Todes suchen könte.« 39/22  Unschicklichkeit  Komm.: Charpentier 101 f.: »Denn nachdem er aus seiner Zunfft zum Raths-Herrn gewehlet wurde, wurde er auch, als die Reihe an ihn kam, Praesident, und über dieses erlangete er auch die oberste Gewalt, daß er Epistata oder Ober-Aufseher der Republic wurde. [Anm.: Xeno­ phon l.i.memorabil.] Er redet selbst von sich in dem Gorgias des Plato, daß

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Kommentar SD  39/23

anfänglich seine Mit-Consorten seiner gespottet, weil er die kleinen For­ malitäten des Processes nicht wohl verstanden, und daß er sie zu lachen gemacht, als er die Vota seiner Beysitzer [...] colligiren muste«. 39/23  lächerlich  Annot. SD4*: ἄλλο αὖ τοῦτο εἶδος ἐλέγχου ἐστίν, ἐπειδάν τίς τι εἴπῃ, καταγελᾶν, ἐλέγχειν δὲ μή – – – […] ὦ Πῶλε, οὐκ εἰμὶ τῶν πολιτικῶν, καὶ πέρυσι βουλεύειν λαχών, ἐπειδὴ ἡ φυλὴ ἐπρυτάνευε καὶ ἔδει με ἐπιψηφίζειν, γέλωτα παρεῖχον καὶ οὐκ ἠπιστάμην ἐπιψηφίζειν. μὴ οὖν μηδὲ νῦν με κέλευε ἐπιψηφίζειν τοὺς παρόντας — Sokrates in Platons Gorgias. 〈Plat. Gorg. 473  e–474  a: »[Sokrates:] Ist auch dies wieder eine Beweisart, wenn jemand etwas sagt, es zu belachen und nicht zu widerlegen? […] O Polos, ich bin kein Staatsmann. Ja, zu Jahre, als es mich traf, im Rat zu sitzen und der Stamm den Vorsitz hatte und ich die Stimmen einsammeln sollte, berei­ tete ich mir Gelächter und verstand gar nicht, die Stimmen zu sammeln. Also mute mir auch jetzt nicht an, Stimmen zu sammeln von den Anwe­ senden.«〉 39/23  Marg.: Sokrates [...] Gorgia  Komm.: Vgl. Annot. SD 39/23. 39/25  Aufrührer  Komm.: Vgl. Komm. SD 37/22 f. Charpentier 103 f.: »Das Volck ließ sich nach seiner Gewohnheit zu seinem eigenen Unglück durch diesen Betrieger, und durch die mit Vorsatz ausgesonnen Klagen übereilen; es ver­ sammlete sich mit grossem Tumult, die Stimmen in einer Sache zu geben, darinnen das Leben so vieler vortrefflichen Bürger interessiret war, und die Obrigkeit wurde gezwungen, dieser Gewalt zu weichen. Socrates alleine war stets darwieder, und protestirete, daß er niemahln in einer Sache ein­ willigen würde, die wieder die Gesetze wäre, dergleichen damahls viel vor diesem Gerichte vorgingen. Die Redner, welche die Hauptleute angeklagt hatten, wolten ihn auch selbst als einen Aufrührer verklagen, und das Volck schrie überlaut, daß derjenige, der sich ihnen in diesem Vorhaben wieder­ setzte, ihnen die Freyheit nehmen wolte.« Cic. orat. 3,16,59 f.: »doch es fan­ den sich auch welche, die trotz ihrer überreichen Bildung und ihrer Talente sich dennoch gewissermaßen aus Prinzip gegen die mit dem politischen Engagement verbundenen Verpflichtungen sträubten und deswegen diese Betätigung als Redner sarkastisch verspotteten und verachteten. Deren füh­ render Vertreter war Sokrates, […]«. 39/26  verdächtig gemacht haben soll  Annot. SD4*: Xenoph. Memorab. Socr. IV, 4 〈Xen. mem. 4,4〉 Hist. Graec. I,7,15 〈Xen. hist. Graec. 1,7,15〉. 39/27  Marg.: Die Prytanes […] p. 262  Komm.: Curban: La Science du gouvernement. Dt. Übers.: Die Staatskunst, Bd. 1, S. 262, § 59. 40/1  kein Autor  Komm.: Charpentier 138 f.: »Ob nun wohl Socrates seine gantze Lebens-Zeit auf die Welt-Weißheit sich geleget, wie wir gesehen haben; so hat er doch niemahln etwas in Schrifften heraus gegeben. [Anm.: Cicero

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3. de Orat.] Er sagte: Er habe keine andere Verrichtung, als daß er machen sollte, daß andere dergleichen Geburten des Verstandes vorbrächten, aber was ihn beträfe, wäre ihm verbothen, etwas dergleichen zu thun. Und als ihn einer gefragt: Warum er nichts schriebe? hat er geantwortet: Es geschehe deswegen, weil ihm das Pappier viel kostbarer schiene, als das, was er drauf schreiben könte. [Anm.: Stobaeus Serm.21.] Ein andermahl antwortete er auf eine dergleichen Frage, daß er seine Gedancken mit nichten auf die Haut der Bestien, sondern vielmehr dieselbigen in die Hertzen der Men­ schen eingraben wolte. [Anm.: Otto Frising. lib. 2. c. 19.]« Shaftesbury hat in Miscellaneous Reflections, in: Characteristics, Bd. 3, S. 244 f. Sokrates und Christus, den Gründer der Philosophie auf der einen, den der Religion auf der anderen Seite, miteinander verglichen anhand der Tatsache, dass beide keine Autoren waren. In Plut. qu. Plat. 1,3 wird die Kinderlosigkeit Sokrates’ als Vorurteilsfreiheit interpretiert. 40/1  Marg.: Sokr. Phädrus und Gorgias  Komm.: Vgl. Annot. SD 40/2. 40/2  handelte er übereinstimmig mit sich selbst  Annot. SD4*: καίτοι ἔγωγε οἶμαι, ὦ βέλτιστε, καὶ τὴν λύραν μοι κρεῖττον εἶναι ἀνάρμοστόν τε καὶ διαφωνεῖν, καὶ χορὸν ᾧ χορηγοίην, καὶ πλείστους ἀνθρώπους μὴ ὁμολογεῖν μοι ἀλλ᾽ ἐναντία λέγειν, μᾶλλον ἢ ἕνα ὄντα ἐμὲ ἐμαυτῷ ἀσύμφωνον εἶναι καὶ ἐναντία λέγειν. Sokrates im Gorgias 〈Plat. Gorg. 482  b–c: »[Sokrates:] Und ich wenigstens, du Bester, bin der Meinung, daß lieber auch meine Lyra verstimmt sein und mißtönen möge oder ein Chor, den ich anzuführen hätte, und die meisten Menschen nicht mir einstimmen, sondern mir widersprechen mögen, als daß ich allein mit mir selbst nicht zusammenstimmen, sondern mir wider­ sprechen müßte.«〉 / Die Begriffe Sokrates von der Autorschaft sind vor­ trefflich im Phädrus entwickelt, kurz vor dem Ende. 40/3  Schlacht bey Marathon  Komm.: Vgl. W 68/24 f. Beide Schlachten, sowohl Leuktra (371 v. Chr., das thebanische Heer besiegt das bis dahin als unbe­ siegbar geltende spartanische) als auch Marathon (490 v. Chr., Sieg der Athener über ein Persisches Expeditionsheer), waren für Friedrich II . bedeutsam (Werke des Philosophen von Sans-Souci, S. 334), die erste auch sehr praktisch, weil er die ›schiefe Schlachtordnung‹ des Epaminondas (bspw. zuerst in Leuthen, Dezember 1757) übernahm; die zweite vor allem als Befreiungstopos. 40/3  Marathon  Annot. SD4*: Diese Ebene von Marathon war anfangs eine sump­ fichte ungesunde Gegend, bis Cimon selbige austrocknen ließ, und zu einer der lieblichsten und anmuthigsten Gegenden machte. Plato unterrichtete daselbst 〈von Loen: Neue Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten, Bd. 1, S. 201; vgl. W 68/24 f. (Marginalie)〉.

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Kommentar SD  40/3

40/3  keine Kinder nöthig hatte  Komm.: Nep. Epam. 10,1 f.: »Epameinondas hat nie­

mals geheiratet. Als er von Pelopidas, der selber einen missratenen Sohn hatte, dafür getadelt wurde, dass er keine Kinder hinterließ, und dieser ihm vorwarf, dass er aus diesem Grund schlecht für das Vaterland sorge, antwortete er: ›Sieh zu, dass du nicht noch schlechter für das Vaterland sorgst, da du ja einen solchen Sohn hinterlassen wirst. Außerdem habe ich doch Nachkommenschaft: Denn ich hinterlasse, als sei es meine Tochter, die Schlacht bei Leuktra, die sicherlich nicht nur mich überleben, sondern auch unsterblich bleiben wird.‹« 40/5  Seine Philosophie schickte sich  Annot. SD4*: Alcibiades in Symposio: ὁπότ᾽ ἀναγκασθεῖμεν ἀποληφθέντες που, οἷα δὴ ἐπὶ στρατείας, ἀσιτεῖν, οὐδὲν ἦσαν οἱ ἄλλοι πρὸς τὸ καρτερεῖν. ἔν τ᾽ αὖ ταῖς εὐωχίαις μόνος ἀπολαύειν οἷός τ᾽ ἦν τά τ᾽ ἄλλα καὶ πίνειν οὐκ ἐθέλων, ὁπότε ἀναγκασθείη, πάντας ἐκράτει, καὶ ὃ πάντων θαυμαστότατον, Σωκράτη μεθύοντα οὐδεὶς πώποτε ἑώρακεν ἀνθρώπων. 〈Plat. Symp. 219  e–220  a: »sooft wir gezwungen waren, ohne Nahrung auszukommen, weil wir (von der Versorgung) abgeschnitten waren, wie es auf einem Feldzug ja vorkommt, waren die anderen nichts im Vergleich zu ihm, wo es auszuhalten galt. Wenn es andererseits einmal gut ging, war er allein imstande, (richtig) zu genießen, wie in allem anderen so auch im Trinken, obwohl er es eigentlich nicht wollte; sooft er aber dazu gezwungen wurde, übertraf er alle und, was das Erstaunlichste von allem ist, niemand hat jemals den Sokrates betrunken gesehen.«〉 40/7f.  Markt […] Gefängnis  Komm.: Charpentier 23: »Er [Sokrates] trat nicht auf die Catheder, er nahm keine gewiße Zeit in acht/ daß er publicè gelesen hätte / er bestellte auch seine Freunde nicht auf eine gewisse Stunde mit ihme zu conferiren oder spatzieren zu gehen/ sondern er triebe seine Philosophie, indem er aße/ tranck und sich lustig machte/ wenn er im Felde war/ wenn er in der Stadt in Gesellschafft war; ja selbst in der Gefängniß, und da er das tödtliche Giftt verschluckte.« 40/9  Quodlibet  Komm.: Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst (1730), S. 492 f.: »Dieses ist nichts anders, als ein Mischmasch von einer Menge klei­ ner Satiren, die ohne Ordnung und Zusammenhang auf einander folgen. [...] Viele meynen, ein Quodlibet müsse nur ein Haufe ungereimter Ein­ fälle, ohne Sinn und Verstand, eine Vermischung der wiedrigsten Dinge, mit einem Worte, die Geburt eines rasenden Gehirnes seyn. Allein wenn das wäre, so müste man die Meister der Quodlibete in den Tollhäusern suchen. [...] Es muß kein Wort vergebens darinn seyn, sondern eine kleine Satire in sich schliessen: Gesetzt, daß sie nur von wenigen Personen, so um die Sache wissen, verstanden würde.«

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40/10  Saamen der Wahrheit  Komm.:

Charpentier 41: »also wendete er alle seine Mühe auf die Unterweisung der Jugend an, damit er den Saamen der Tugend in ein Feld säen möchte, welches die Menge des Unkrauts noch nicht unfruchtbar gemacht hatte.« Lk 8,5–8; Plat. Phaidr. 276  b–277  a.   40/14  von jungen rohen Leuten  Annot. SD4*: Philo p. 897.898 〈Phil. cont. 6,51–7,63‌〉. 40/14  jungen rohen Leute  Komm.: Vielleicht bezogen auf Charpentier 38; dort wird die Reaktion Sokrates’ auf die Wolken des Aristophanes verglichen mit sei­ ner Gelassenheit in Anbetracht »etlicher junger Leute, die ihn einsmahls, als er des Abends von einer Gasterey in der Stadt nach Hause ginge, wolten zu fürchten machen. Sie passeten ihm unterwegens auf, und hatten sich wie Furien, und so erschrecklich, als es nur möglich war, angekleidet. [...] Aber sie verwunderten sich sehr, als sie sahen, daß er nicht einen Tritt zurücke wiche, und daß er sie so kaltsinnig anredete, als wenn er in der Academie oder im Lyceo gelehret hätte. Zweiffels ohne waren sie mehr bestürtzt, als sie vermeyneten, den Socrates in Bestürtzung zu setzen.«   40/16  unbeweglich gestanden  Annot. SD4*: – ἄλλον δέ τινα τῶν παίδων ἥκειν ἀγγέλλοντα ὅτι Σωκράτης οὗτος ἀναχωρήσας ἐν τῷ τῶν γειτόνων προθύρῳ ἕστηκεν κἀμοῦ καλοῦντος οὐκ ἐθέλει εἰσιέναι. ἄτοπόν γ᾽, ἔφη (Ὰγάθων), λέγεις· οὔκουν καλεῖς αὐτὸν καὶ μὴ ἀφήσεις; καὶ ὃς (Ἀριστόδημος) ἔφη εἰπεῖν

Μηδαμῶς, ἀλλ᾽ ἐᾶτε αὐτόν. ἔθος γάρ τι τοῦτ᾽ ἔχει· ἐνίοτε ἀποστὰς ὅποι ἂν τύχῃ ἕστηκεν. ἥξει δ᾽ αὐτίκα, ὡς ἐγὼ οἶμαι. μὴ οὖν κινεῖτε ἀλλ᾽ ἐᾶτε. Ἀλλ᾽

οὕτω χρὴ ποιεῖν, εἰ σοὶ δοκεῖ, φάναι τὸν Ἀγάθωνα. ἀλλ᾽ ἡμᾶς, ὦ παῖδες, τοὺς

ἄλλους ἑστιᾶτε. πάντως παρατίθετε ὅτι ἂν βούλησθε, ἐπειδάν τις ὑμῖν μὴ ἐφε­στήκῃ, ὃ ἐγὼ οὐδεπώποτε ἐποίησα

— […]

Μετὰ ταῦτα ἔφη σφᾶς μὲν

­δειπνεῖν, τὸν δὲ Σωκράτη οὐκ εἰσιέναι, τὸν οὖν Ἀγάθωνα πολλάκις κελεύειν μεταπέμψασθαι τὸν Σωκράτη, αὐτὸν δὲ οὐκ ἐᾶν. ἥκειν οὖν αὐτὸν οὐ πολὺν χρόνον, ὡς εἰώθει διατρίψαντα. in Platonis Convivio. 〈Plat. Symp. 175  a–c: »Ein anderer Sklave sei mit der Meldung gekommen: ›Sokra­tes steht dort abgesondert im Vorhof der Nachbarn, und obwohl ich ihn mehrfach geru­ fen habe, will er nicht hereinkommen.‹ ›Seltsames sagst du‹, habe Agathon erwidert, ›willst du ihn nicht (noch einmal) rufen und nicht locker lassen!‹ Und er, Aristodemos, habe (darauf ) gesagt: ›Auf keinen Fall, sondern lasst ihn in Ruhe! Das hat er so als Gewohnheit, manchmal steht er weggetreten da, wo es sich gerade ergibt. Er wird aber gleich da sein, wie ich glaube. Stört ihn also nicht, sondern lasst ihn.‹ ›Also müssen wir es so tun, wenn es dir richtig erscheint‹, [habe] Agathon [gesagt], ›uns andere aber bewirtet, ihr Burschen! Ihr tischt ja in jedem Falle auf, was ihr wollt, wenn euch niemand beaufsichtigt – was ich noch niemals getan habe. […] Danach aber, sagte er, hätten sie gegessen, Sokrates sei jedoch nicht hereingekommen. Agathon habe nun öfter befohlen, den Sokrates hereinzuholen, er ­Aristodemos, habe

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Kommentar SD  40/16

es aber nicht zugelassen. Schließlich sei Sokrates gekommen, nachdem er weniger Zeit, als er es sonst zu tun pflegte, gebraucht hatte.«〉 40/16  unbeweglich gestanden  Komm.: Charpentier 8 f.: »Auf diesem Feldzuge geschahe es, daß er einen gantzen Tag und Nacht in einer so tiefen Medita­ tion zubrachte, daß er stetswährend in einer positur verbliebe, und sich im geringsten nicht rührte, und bliebe also (daß wie mit dem Philosopho Pha­ vorino reden) aufgericht stehend von einem Morgen bis zu dem andern, und zwar unbeweglicher als ein Klotz. Man lieset zwar beym Platone, daß er es sich angewehnet hatte, auch mitten auf der Strasse stille zu stehen und zu meditiren, welches denenjenigen sehr wunderlich vorkam, die seine Gewohnheit nicht wusten. [...] Indem er im stehen angefangen einem gewis­ sen Dinge nachzusinnen, und mit dieser Meditation nicht so geschwinde fertig werden konte, bewegte er sich nicht, und verblieb in einer gleichen attention. [...] Aber er bliebe die gantze Nacht durch in einem Stande, bis es völlig Tag worden, alsdenn ging er davon, nachdem er zuvor die Sonne gegrüsset hatte.« Auch wiedergegeben im Zedler (38, 280 ›Socrates‹). 40/19  Soliloquien  Komm.: Soliloquien/Selbstgespräche waren eine beliebte Gat­ tung, oft mit einer ironischen Haltung; für Hamann sicher am wichtigsten: Soliloquy, or Advice to an Author von Shaftesbury. 40/20f.  Spatziergang […] Abendbrodt  Komm.: Charpentier 61: »Man traffe ihn zuweilen an, daß er des Abends bis ziemlich in die Nacht hinein für sei­ nem Hause spatzieren ginge, und wenn ihn jemand fragte, was er machte, so gab er zur Antwort: Er mache sich eine Brühe oder Tütsche zu seinem Abend-Essen. [Anm.: Cicero Tuscul. lib. 5]«. 40/21  zu seinem Abendbrodt  Annot. SD4*: Socraten ferunt, cum usque ad vesperum contentius ambularet, quaesitumque esset ab eo, quare id faceret: respon­ disse, se, quo melius cenaret, obsonare abumlando famem. Cic. Tusc. Qu. V,34. 〈Cic. Tusc. 5,97: »Von Sokrates wird berichtet, als er bis zum Abend unentwegt herumging und man ihn fragte, weshalb er dies täte, da habe er geantwortet, er kaufe, um besser speisen zu können, durch das Gehen als Zukost noch den Hunger ein.«〉 40/22  Peripatetiker  Komm.: Von griech. περίπατος (dt. Wandelhalle); die philoso­ phische Schule des Aristoteles. 40/23  Marg.: Alcibiades […] Gastmal  Komm.: Alcibiades berichtet in Plat. symp. 220  c/d, dass Sokrates, wenn er über etwas nachdachte, den ganzen Tag über unbeweglich auf einer Stelle stand. Vgl. Komm. u. Annot. SD 40/16. 40/27  Traums  Komm.: Charpentier 130: Sokrates habe drei Tage vor seinem Ster­ ben im Traum eine überaus schöne Frau gesehen, die ihm den bevorste­ henden Tod ankündigte. Ein Zusammenhang mit dem Versuch, zu dichten, wird nicht erwähnt.

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40/27–31  lyrischen Dichtkunst […] Diana  Komm.: Diog. Laert. 2,5,42 f.: »Nach einigen

dichtet er auch einen Päan (Lobgesang) der mit den Worten anhebt: / Gruß dem Apollon, der Artemis auch, den hehren Geschwistern! / Dionysodor aber behauptet, der Päan rühre nicht von ihm her. Auch eine äsopische Fabel dichtete er, nicht besonders gelungen, deren Anfang lautet: / Richtet nicht über die Tugend mit Weisheit, der Masse entlehnet, / So sprach eins­ tens Äsop zu den Bewohnern Korinths.« Vgl. auch Charpentier 129, Cooper 147 (erwähnt Diana nicht) u. Zedler 38, 301 ›Socrates‹. 41/1f.  fehlt […] Ruhe, Stille und Heiterkeit  Komm.: Für Charpentier 11–14 ist Xan­ thippe ein Hausdrache, ebenso für Cooper 96 f. 41/6  ersten Claßischen Autor  Komm.: Mit Xenophon begann in den Gymnasien oft die Einführung in die griech. Literatur. Jedoch nur in Xen. mem. 2,2,7 wird die Heftigkeit der Xanthippe, nicht aber in abschätziger Weise, erwähnt. Eindeutig in der spöttischen Beschreibung ist hingegen Diog. Laert. 2,5,36 f. 41/8  Acta Philosophorum  Komm.: Heumann: Acta, St. 1, S. 103–125, Kap. »EhrenRettung der Xanthippe« (dazu HKB 128 [I 276/1, an G. I. Lindner]); dort auf S. 104 auch der Spruch, der SD 41/6 [Marg.] hschr. annotiert ist, »aus dem Nürnbergischen ABC Buche«, wohl einer Fibel (bspw. enthält eine 1748/50 in Wernigerode erschienene den Spruch zu Xanthippe zur Einprägung des Buchstabens ›X‹).  41/9  Marg.: Sokrates soll […] gewesen seyn  Komm.: Charpentier 11: »Die Athenienser als sie ihre Stadt dergestalt [durch die Pest] verwüstet sahen, legten ihren Bürgern auf zwey Weiber zu nehmen, damit sie den Schaden, so der Repub­ lic geschehen, dadurch desto ehe wieder ersetzen möchten. Dieses Gesetze war Ursache, daß Socrates auch zwey Weiber nahme. Die erste hieß Xan­ tippe, mit der er den Lamprocles zeugete; und die andere Mirto, eine Encke­ lin Aristidis des Gerechten, und eine Mutter des Menexenus und Sophro­ niscus.« Gesner versucht in Socrates sanctus Paederasta, die vor allem über Lucian überlieferten Vorwürfe der Knabenliebe zu widerlegen (erläutert dazu auch, dass sie gesetzlich verboten gewesen ist); die Bigamie des Sokra­ tes hält er ebenfalls für unwahrscheinlich, wenn sie auch zur Zeit nach der Pest-Epidemie gesetzlich erlaubt war. Siehe Komm. SD 22/27, 22/28 u. 23/3. 41/10  Unterdessen müssen wir  Annot. SD4*: Hic est enim ille voltus semper idem, quem dicitur Xanthippe praedicare solita in viro suo fuisse Socrate, eodem semper se vidisse exeuntem illum domo, et revertentem. frons tranquilla et serena: sic enim accepimus. Cic. Tusc. Qu. III,15 〈Cic. Tusc. 3,31: »Dies ist ja doch jene immer gleiche Miene, die nach dem Worte der Xanthippe ihr Gatte Sokrates gehabt haben soll: sie habe ihn immer gleich aus dem Hause gehen und zum Haus zurückkehren sehen. [Es war aber nicht] die Miene [jenes alten M. Crassus, von dem Licilius sagt, er habe in seinem gan­

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Kommentar SD  41/11

zen Leben ein einziges Mal gelacht, sondern] eine ruhige und heitere. So wird nämlich berichtet.«〉 / Vide Plutarch in Aristide p. 335. c. 27 〈vmtl. Plut. Arist. 22,335〉 / τί ποτε περὶ Σωκράτους ἐροῦμεν; — […] Σωκράτης δὲ τὴν θεωρίαν παραιτησάμενος, καὶ τὸν πρακτικὸν ἀγαπήσας βίον, οὐδὲ τῆς γαμετῆς ἦν τῆς αὑτοῦ κύριος οὐδὲ τοῦ παιδός. ἦπού γε δυοῖν ἢ τριῶν πολιτῶν ἐκείνῳ κρατεῖν ὑπῆρχεν. ἆρ᾿ οὖν οὐκ ἦν ἐκεῖνος πρακτικός, ἐπεὶ μηδενὸς ἦν κύριος. Ἐγὼ μὲν οὖν Ἀλεξάνδρου φημὶ μείζονα τὸν Σωφρονίσκου κατεργάσασθαι. Julianus ad Themistium p. 264 〈Iul. ad Them. 264  b–c: »[W]as wer­ den wir denn dann über Sokrates sagen müssen? […] Sokrates jedoch, der die Forschung verabscheute und sich mit dem tätigen Leben begnügte, war nicht einmal über seine eigene Frau und über seinen Sohn Herr, geschweige denn, daß er auch nur über zwei oder drei von seinen Mitbürgern hätte herrschen können. War jener also etwa kein Mann des tätigen Lebens, da er über niemand Herr war? Aber trotzdem behaupte ich für meine Person, daß der Sohn des Sophroniskos Größeres geleistet hat als Alexander«〉 / Plutarchus in Catone p. 347. ἐν ἐπαίνῳ δὲ μείζονι τίθεσθαι τὸ γαμέτην ἀγαθὸν ἢ τὸ μέγαν εἶναι συγκλητικόν· ἐπεὶ καὶ Σωκράτους οὐδὲν ἄλλο θαυμάζειν τοῦ παλαιοῦ πλὴν ὅτι γυναικὶ χαλεπῇ καὶ παισὶν ἀποπλήκ­τοις χρώμενος,

ἐπιεικῶς καὶ πρᾴως διετέλεσε. 〈Plut. Cato mai. 20,347: »In seinen Augen sei

es ein größeres Lob, ein guter Ehemann als ein großer Senator zu sein; er bewundere auch an dem alten Sokrates nichts anderes, als daß er gegen ein böses Weib und schwachbegabte Kinder sich immer mild und freundlich verhalten habe.«〉 41/11  Hauscreutz  Komm.: Charpentier 14: »Dieses Haus-Creutze [Xanthippe] nun hinderte ihn an Erforschung der Weltweißheit im geringsten nicht, und die Weltweißheit verhinderte ihn noch weniger, dem gemeinen Wesen das­ jenige zu leisten, was man von einem rechtschaffenen Unterthanen und tapffern Manne verlangen kan.« 41/13  Reitzbarkeit  Komm.: Der Begriff wurde durch die Forschung Hallers im naturwissenschaftlichen Diskurs etabliert, mit anthropologischen und phi­ losophischen Konsequenzen. Hamann kannte bspw. die Arbeit von Zim­ mermann Dissertatio physiologica de irritabilitate, das dem Nervensystem, seiner ›Reizbarkeit‹ und seiner ›Sensibilität‹ eine zentrale Rolle im Orga­ nismus einräumt. Als Empfindsamkeit wurde dies auch aufs Seelenleben übertragen, was wiederum in der Ästhetik Rezeptionstheorien motivierte. HKB 145 (I 335/27, 1.  6.  1759, an J. G. Lindner): »Ein kleiner Zusatz neuer Begriffe hat allemal die Sprache der Philosophie geändert; wie die Reitzbar­ keit in medicinischen Büchern und Dissertationen zu circuliren anfieng.« Sowie HKB 171 (I 453/24, undat. Entwurf, an Kant). 41/17  Nachtspiegel  Komm.: Vielleicht verblümt für Nachtgeschirr.

bis 42/6 41/19  Regierungsgeschäfte unvermögender Großviziern  Komm.:

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Großwesire: orien­ talische Würdenträger. Vielleicht bezogen auf Sokrates’ Ausbruch gegen Alcibiades in Platos Lehrreiches Gespräch, S. 53: »Mein lieber Alcibiades, du steckest in einer sehr schändlichen Unwissenheit, wie aus deinen eigenen Worten zu entnehmen, und du selber gegen dir bezeuget hast. Und eben deswegen verfällst du blindlings auf die Regierung, ehe du darinn unter­ richtet bist. Du bist aber nicht der einzige, dem dieß Unglück begegnet ist, du hast solches mit dem größesten Theile derer, die sich in die Angelegen­ heiten der Republik gemischet haben, gemein, und ich nehme hievon sehr wenige aus.« 41/24  Sokrates Heftigkeit  Komm.: Ficino: Über die Liebe, S. 31: »Sokrates war in den Worten und Gebärden lebhaft und hastig. Deshalb hatte ihn der Physio­ gnomiker Zopyrus für unbesonnen erklärt. Häufig pflegte er im Eifer der Rede die Hände zu schleudern und sich die Haare aus dem Bart zu reißen.« Dagegen Cic. off. 1,90: »Denn es ist ein Zeichen von Haltlosigkeit, mit der­ selben Maßlosigkeit auf Glück wie auf Unglück zu reagieren; lobenswert aber ist es, Ausgeglichenheit in jeder Lebenslage zu bewahren und immer denselben Gesichtsausdruck und dieselbe Stirn zu zeigen, wie wir es von Sokrates und genauso von C. Laelius gehört haben.« 41/30f.  sanftmüthigste […] Lehrer  Komm.: Mt 11,29. 42/1  Wehe  Komm.: Mt 23,23. 42/3  Marg.: S. Hippias, […] Suidas  Komm.: Plat. Hipp. Mai. 288  d, Plat. Gorg. 494  d, Plat. symp. 215  b. Hamann zitiert vmtl. aus Suidae Lexicon, ›Hierokles‹ (Bd. 2, S. 100; dt. Übers. nach Jørgensen 66): »Sokrates’ Worte sind wie Wür­ fel, denn wohin sie auch gefallen waren, blieben sie liegen.« 42/4f.  Styl […] Meissel  Komm.: Vgl. Plat. Hipp. Mai. 304  a, Zitat s. Komm. SD 21/15. 42/6  mehr plastisch als malerisch   Komm.: Hamann versieht die Spekulation von der Schreibart des Sokrates mit einem Vokabular aus der zeitgenössischen Ästhetik. Mit dem Attribut des Malerischen verteidigt Bodmer erstens die Dichtung bspw. Miltons oder Hallers (Vertheidigung der Schweitzerischen Muse) gegen Kritiker des Schwulstes (bspw. Gottsched). Zweitens behauptet er damit einen Vorzug der Dichtung vor der Malerei, weil sie alle Sinne anrege (Critische Dichtkunst, Bd. 1, S. 19). ›Plastisch‹ wird aber selten zur Beschreibung von Schreibstilen verwendet. Zur Assoziation mit skulptu­ raler Technik, die Material wegnimmt, anstatt zusammen­zusetzen, vgl. Komm. SD 21/9–12. Vgl. auch dazu das Lob der Kürze in den Biblischen Betrachtungen, LS 226/20–25: »Daher gehört es mit zu der Güte eines vorzüglichen Werks, alles unnütze, so viel möglich, abzuschneiden, die meisten Gedanken in den wenigsten Worten und die stärksten in den ein­ fältigsten zu sagen. Daher ist die Kürze ein Charakter eines Genies selbst

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Kommentar SD  42/7

unter menschlichen Hervorbringungen; und alle Menge, aller Ueberfluß eine gelehrte Sünde.« Das wiederum ähnelt Gottscheds Sprachpurismus, vgl. Komm. W 67/30. 42/7  Die Kunstrichter waren  Annot. SD4*: Da Sokrates vom schönen Topf bey Gele­ genheit eines schönen Werks über die schönen Wissenschaften redet, sagt Hippias: ὦ Σώκρατες, τίς δ᾽ ἐστὶν ὁ ἄνθρωπος ὡς ἀπαίδευτός τις, ὃς οὕτω φαῦλα ὀνόματα ὀνομάζειν τολμᾷ ἐν σεμνῷ πράγματι. Sokrates antwortet: τοιοῦτός τις, ὦ Ἱππία, οὐ κομψὸς ἀλλὰ συρφετός, οὐδὲν ἄλλο φροντίζων ἢ τὸ ἀληθές. Platon im Hippias Major 〈Plat. Hipp. mai. 288  d: »[Hippias:] O Sokrates, wer ist der Mensch? Wie ungeschliffen muß er sein, daß er so gemeine Dinge vorzubringen wagt bei einer ernsthaften Sache? [Sokrates:] Es ist eben so einer, Hippias, gar kein feiner Mann, sondern so aus dem Haufen, der sich um nichts kümmert als um das Wahre.«〉 / Callicles in Pla­ tons Gorgias: Νὴ τοὺς θεούς, ἀτεχνῶς γε ἀεὶ σκυτέας τε καὶ κναφέας καὶ μαγείρους λέγων καὶ ἰατροὺς οὐδὲν παύει, ὡς περὶ τούτων ἡμῖν ὄντα τὸν λόγον. Bey Gelegenheit der Krätze, die Sokrates zur Erklärung anführt, ruft Kallikles aus: ὡς ἄτοπος εἶ, ὦ Σώκρατες, καὶ ἀτεχνῶς δημηγόρος. 〈Plat. Gorg. 491  a: «[Kallikles:] Bei den Göttern, du hörst auch gar nicht auf, immer von Schustern und Gerbern und Köchen und Ärzten zu reden, als wenn davon die Rede wäre unter uns.« Plat. Gorg. 494  d: »[Kallikles:] Wie abgeschmackt du immer bist, Sokrates, und offenbar schlechte Kunstgriffe gebrauchst.«〉 42/8  Anspielungen  Komm.: Vgl. den Hinweis auf Bolingbroke in W 77/29. 42/10  pöbelhaft  Komm.: Vgl. Komm. SD 36/17 f. 42/10–15  Alcibiades […] Satyrs  Komm.: Plat. sym. 215  a–c, 216  c–e, 221  e–222  a, vgl. Annot. SD 42/11 f.  Charpentier 30 f.: »[…] aber Alcibiades vergleicht solche Discurse [Anm.: apud Platonem in convivio, Vide etiam Ælianum lib. 14. cap. 15., var. histor.] mit gewissen Schachteln, die damahls im Gebrauche waren, welche von aussen mit der Gestalt eines Satyri bezeichnet waren, und wenn man sie aufmachte, so funde man darinnen die Bildnisse der Götter und Göttinnen, weil die Discurse des Socratis, die zuweilen, wenn man nach den äußerlichen Schalen davon urtheilen wolte, sehr liederlich schienen, im Gegentheil wenn man sie auf dem Grunde betrachtete, mit der vortrefflichsten Weisheit angefüllet waren, und durchgehends das lebhafte Bildniß der Tugend bey sich führeten.« Vgl. auch Bacon: Über die Würde in Bezug auf den Schluss von körperlichen Merkmalen einer Person auf dessen geistige Fähigkeiten (S. 72): »Ja solche Art spöttischer Verläumder ist nach dem Lobspruch Platos von seinem Lehrer Sokrates zu recht zu weisen, als der ihn einigermaßen mit den Büchsen der Apothe­ ker verglichen, die außen auf ihren Schilden mit Eulen, Affen, Satyrs, und dergleichen bemahlt wären, innen aber die köstlichsten Säfte und edelsten

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Medikamente verschloßen hielten: dardurch er sagen wollte, daß er sich nach dem Begriff des Pöbels und der gemeinen Mode in solchen nichts bedeutenden Dingen äußerlich richtete, da doch sein Geist und seine Seele die gröstesten Kräften und Tugenden in sich enthielten […].« Das Gleich­ nis von den Apothekerbüchsen wird vielfach verwendet, bspw. zu Beginn von Fischarts Geschichtsklitterung als Leseanweisung, ähnlich in Christian Weises Die Drey ärgsten Ertz-Narren; Erasmus von Rotterdam wendet es auf Christus an u. a. in Adagiorum chiliades iuxta locos communes digestae (Sp. 1671). Siehe auch Annot. SD 14/3. 42/10  Marg.: Ορθως […] Σφηκες  Komm.: Aristoph. Vesp. (griech. Σφήκες) 46: »ὀρθῶς γε τοῦτ᾽ Ἀλκιβιάδης ἐτραύλισεν.« – »Ganz treffend hat gehaspelt Alkibia­ des.« Bezieht sich auf einen Versprecher, einen sinnverkehrenden Buch­ stabendreher Alkibiades’. 42/11  gewissen heiligen Bildern Annot. SD4*: φημὶ δὴ ὁμοιότατον αὐτὸν εἶναι τοῖς Σιληνοῖς τούτοις τοῖς ἐν τοῖς Ἑρμογλυφείοις καθημένοις, οὕστινας ἐργάζον­ ται οἱ δημιουργοὶ σύριγγας ἢ αὐλοὺς ἔχοντας, οἳ διχάδε διοιχθέν­τες φαίνον­ ται ἔνδοθεν ἀγάλματα ἔχοντες θεῶν. – – […] τοῖς δὲ Σιληνοῖς καὶ Σατύροις αὐτὸν καὶ τοὺς λόγους (ἀπεικάζοι τις). Καὶ γὰρ οὖν καὶ τοῦτο ἐν τοῖς πρώτοις παρέλιπον, ὅτι καὶ οἱ λόγοι αὐτοῦ ὁμοιότατοί εἰσι τοῖς Σιληνοῖς τοῖς διοιγομένοις. εἰ γὰρ ἐθέλοι τις τῶν Σωκράτους ἀκούειν λόγων, φανεῖεν ἂν πάνυ γελοῖοι τὸ πρῶτον· τοιαῦτα καὶ ὀνόματα καὶ ῥήματα ἔξωθεν περιαμπέχονται, Σατύρου δή τινα ὑβριστοῦ δοράν. ὄνους γὰρ κανθηλίους λέγει καὶ χαλκέας τινὰς καὶ σκυτοτόμους καὶ βυρσοδέψας, καὶ ἀεὶ διὰ τῶν αὐτῶν τὰ αὐτὰ φαίνεται λέγειν, ὥστε ἄπειρος καὶ ἀνόητος ἄνθρωπος πᾶς ἂν τῶν λόγων καταγε­ λάσειεν. διοιγομένους δὲ ἰδὼν ἄν τις καὶ ἐντὸς αὐτῶν γιγνόμενος πρῶτον μὲν νοῦν ἔχοντας ἔνδον μόνους εὑρήσει τῶν λόγων, ἔπειτα θειοτάτους καὶ πλεῖστα ἀγάλματ᾽ ἀρετῆς ἐν αὑτοῖς ἔχοντας καὶ ἐπὶ πλεῖστον τείνοντας, μᾶλλον δὲ ἐπὶ πᾶν ὅσον προσήκει σκοπεῖν τῷ μέλλοντι καλῷ κἀγαθῷ ἔσεσθαι. Plato Sympos. 〈Plat. Symp. 215  a–b; 221  d–22  a: »Ich behaupte [nämlich], dass er gewiss diesen Silenen gleicht, die in den Werkstätten der Bildhauer sitzen und welche die Künstler mit Pfeifen und Flöten darstellen und die, wenn man sie auseinander klappt, in ihrem Inneren Götterbilder zum Vor­ schein bringen. […] aber mit den Silenen und Satyrn, ihn selbst und seine Reden. Ich habe nämlich in meinen ersten Worten ausgelassen, dass auch seine Reden sehr ähnlich denen der geöffneten Silene sind; denn wenn einer die Reden und Gedanken des Sokrates anhören wollte, dürften sie ihm zunächst ganz lächerlich erscheinen, in derartige Worte und Ausdrücke sind sie äußerlich eingehüllt, so eine Art Fell eines frechen Satyrs, spricht er doch von Lasteseln und irgendwelchen Schmieden, Schustern und Gerbern und scheint immerfort mit denselben Worten dasselbe zu sagen, sodass

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jeder unerfahrene und unvernünftige Mensch seine Reden und Gedanken verspotten dürfte. Wenn einer sie aber geöffnet sehen und ihrer inne wer­ den sollte, wird er zuerst herausfinden, dass sie als Einzige unter den Reden Verstand haben, sodann die göttlichsten sind und die meisten Standbilder der Tugend in sich enthalten und sich auf das meiste oder vielmehr alles erstrecken, was der beachten soll, der schön und gut zu werden wünscht.«〉 42/16  Sokrates verglich sich mit einem Arzte  Annot. SD4*: κρινοῦμαι γὰρ ὡς ἐν παιδίοις ἰατρὸς ἂν κρίνοιτο κατηγοροῦντος ὀψοποιοῦ. σκόπει γάρ, τί ἂν ἀπολογοῖτο ὁ τοιοῦτος ἄνθρωπος ἐν τούτοις ληφθείς, εἰ αὐτοῦ κατηγοροῖ τις λέγων ὅτι Ὦ παῖδες, πολλὰ ὑμᾶς καὶ κακὰ ὅδε εἴργασται ἀνὴρ καὶ αὐτούς καὶ τοὺς νεωτάτους ὑμῶν διαφθείρει, τέμνων τε καὶ κάων καὶ ἰσχναίνων καὶ πνίγων ἀπορεῖν ποιεῖ, πικρότατα πώματα διδοὺς καὶ πεινῆν καὶ διψῆν ἀναγ­κάζων, οὐχ ὥσπερ ἐγὼ πολλὰ καὶ ἡδέα καὶ παντοδαπὰ ηὐώχουν ὑμᾶς. τί ἂν οἴει ἐν τούτῳ τῷ κακῷ ἀποληφθέντα ἰατρὸν ἔχειν; ἢ εἴποι τὴν ἀλήθειαν, ὅτι Tαῦτα πάντα ἐγὼ ἐποίουν, ὦ παῖδες, ὑγιεινῶς. πόσον οἴει ἂν ἀναβοῆσαι τοὺς τοιούτους δικαστάς; οὐ μέγα; — […] οὐκοῦν οἴει ἐν πάσῃ ἀπορίᾳ ἂν αὐτὸν ἔχεσθαι ὅτι χρὴ εἰπεῖν; — […] τοιοῦτον μέντοι καὶ ἐγὼ οἶδ’ ὅτι πάθος πάθοιμι ἂν εἰσελθὼν εἰς δικαστήριον. οὔτε γὰρ ἡδονὰς ἃς ἐκπεπόρικα ἕξω αὐτοῖς λέγειν, ἃς οὗτοι εὐεργεσίας καὶ ὠφελίας νομίζουσιν, ἐγὼ δὲ οὔτε τοὺς πορίζοντας ζηλῶ οὔτε οἷς πορίζεται· ἐάν τέ τίς με ἢ νεωτέρους φῇ διαφθείρειν ἀπορεῖν ποιοῦντα, ἢ τοὺς πρεσβυτέρους κακηγορεῖν λέγοντα πικροὺς λόγους ἢ ἰδίᾳ ἢ δημοσίᾳ, οὔτε τὸ ἀληθὲς ἕξω εἰπεῖν, ὅτι, Δικαίως πάντα ταῦτα ἐγὼ λέγω καὶ πράττω, τὸ ὑμέτερον δὴ τοῦτο, ὦ ἄνδρες δικασταί, οὔτε ἄλλο οὐδέν — Sokrates im Gorgias 〈Plat. Gorg. 521  e–522  c: »[Sokrates:] [I]‌ch werde nämlich gerichtet werden wie unter den Kindern ein Arzt, den der Koch verklagte. Denn bedenke nur, wie sich ein solcher Mensch, auf solchen Dingen ertappt, verteidigen wollte, wenn ihn einer anklagte und spräche: Ihr Kinder, gar viel Übles hat dieser Mann euch zugefügt, und auch die jüngsten unter euch verdirbt er und ängstigt euch, daß ihr euch nicht zu helfen wißt, mit Schneiden und Brennen und Abmagern und Schwitzen und mit den bittersten Getränken, und läßt euch hungern und dursten; gar nicht wie ich euch immer mit so viel und vielerlei Süßigkeiten bewir­ tete. Was glaubst du, wird ein Arzt, wenn er in solcher Not drinsteckt, wohl sagen können? Oder wenn er etwa die Wahrheit sagte: Ihr Kinder, das alles tat ich zu eurer Gesundheit, was meinst du wohl würden solche Richter für ein Geschrei machen? […] Glaubst du also nicht, daß er in der größ­ ten Verlegenheit sein wird, was er wohl sagen soll? […] Ebenso, weiß ich recht gut, würde es mir auch ergehen, wenn ich vor Gericht käme. Denn keine Lust, die ich ihnen bereitet, werde ich ihnen anführen können, was sie doch allein als Verdienst und Wohltat ansehen, ich aber beneide weder

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die, welche sie ihnen verschaffen, noch die, denen sie verschafft werden. Und wenn einer sagt, ich verderbe die Jugend, daß sie sich nicht zu helfen wisse, oder ich schmähe die Alten durch bittere Reden über ihr besonderes Leben und über ihr öffentliches, so werde ich weder die Wahrheit sagen können, nämlich: Mit Recht sage und tue ich das alles als nämlich euer Bestes, ihr Richter, noch sonst irgend etwas anderes«.〉 — Philo p. 271 〈Phil. ebr. 51,211–52,217〉 391 〈Phil. migr. 4,17–5,24〉 897 〈Phil. cont. 6,51–7,57〉. 42/16–22  Sokrates verglich sich [...] Schicksal entschieden  Komm.: Plat. Gorg. 464  d, 521  e–522  a, vgl. Annot. SD 42/16 f. Im Gespräch zwischen Sokrates und Kallikles geht es um Verstellungskünste, vor allem mit Bezug auf Rhetorik und deren Dienst zur Erziehung des Gemeinwesens. Vgl. Komm. SD 6/10.  42/17  gemeinen Wesen  Komm.: Wohl im Sinne von: Gemeinwesen, Kollektiv. 42/18  Kuchen- und Zuckernäschereyen  Umarb. SD4*: Kuchen und das Zuckerbrod 42/19  diese Kunstverwandten, sagte er  Umarb. SD4*: diese, sagte er 42/23  Anschläge an dem Glück der Götter  Komm.: Plat. Phaid. 108  e–114  c. Darauf geht Hume in The Natural History of Religion ein, ebenso sein deutscher Übersetzer in seinen Anmerkungen zu den Vier Abhandlungen, »1) Die natürliche Geschichte der Religion«, S. 79 f. Humes Untersuchung der Vielgötterei, die der Eitelkeit und dem Umgang mit Angst und Hoffnung nützlich ist, dient ihm dann aber zu dem Schluss, dass der Polytheismus toleranter als der mit Ausschließlichkeitsanspruch auftretende Monothe­ ismus sei (ebd. S. 86). 42/30  Encyclopedie der gesunden Vernunft  Komm.: Vgl. Komm. SD 14/22. Zum Wort­ feld von ›Vernunft‹, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 43/1  zu vereckeln suchte  Umarb. SD4*: zu verleiden suchte 43/1  zu vereckeln suchte  Annot. SD4*: Plato de Republ. Lib. III . (Ψέγεις ἄρα) καὶ Ἀττικῶν πεμμάτων τὰς δοκούσας εἶναι εὐπαθείας 〈Kompiliertes Zitat aus Plat. rep. 404  d: »(Du tadelst also) auch den gerühmten Wohlgeschmack des attischen Backwerkes?«〉 / Silenus sagt im Juliani Caesaribus p. 314 zum Bac­ cho: οὐκ οἶσθα, ὅτι καὶ ὁ Σωκράτης ἐοικὼς ἐμοί, τὰ πρωτεῖα κατὰ τὴν φιλοσοφίαν ἀπηνέγκατο τῶν καθ᾿ ἑαυτὸν ἀνθρώπων, εἰ τἀδελφῷ πιστεύεις, ὅτι ἐστὶν ἀψευδής; ἔα τοίνυν ἡμᾶς μὴ πάντα γελοῖα λέγειν, ἀλλὰ καὶ ­σπουδαῖα. 〈Iul. Caes. 314  d–315  a: »Weißt du nicht, daß auch Sokrates, der doch mir ähnlich war, bei seinen Zeitgenossen den ersten Preis in der Philosophie davontrug, wenn du denn von deinem Bruder (= Apollon) glaubst, daß er wahrhaftig kündet? So laß denn zu, daß wir nicht immer nur lächerlich, sondern auch einmal ernsthaft sprechen.«〉 43/1  zu vereckeln  Komm.: Charpentier 48: »Er entdeckte ihnen [den Sophisten] die große Gefahr dieses Abgrundes, um zu verhindern, daß sich künftig niemand weiter hinein stürtzen solte; bald hatte er seine Freude, wenn er

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jemand aus ihrer Schule anpacken konte, und hielte sie in ihrer Thorheit so feste, daß sie gezwungen wurden zu bekennen, daß sie nichts wüsten, und daß sie ihre Herren Professores betrogen hätten, indem sie ihnen an statt einer gegründeten Wahrheit nur oben hin etliche scheinbare Dinge beygebracht hätten«. 43/3  Homer als einen Rasenden  Komm.: Charpentier 134: »Nichts desto weniger merckt er [Diog. Laert. 2,5,43] an, daß Socrates nicht der erste berühmte Mann gewesen, dem die Athenienser übel mit gefahren. Denn Heracli­ des erzehlet, daß sie den Göttlichen Homerus in eine Geld-Busse von 50. Drachmis als einen Rasenden verurtheilet, und daß sie auch öffentlich den Tyrraeus beschimpffet, der gleichfalls ein vortrefflicher Poët war.« Als ›rasend‹ gilt auch Paulus in Apg 26,24. 43/5  Missethäter  Komm.: Mit der Hervorhebung ist vielleicht auch auf Jes 53,5 ff. angespielt, vgl. Biblische Betrachtungen, LS 152/1; sowie in Bezug auf Mt 26,65, ebd. LS 286/13–16: »Wenn Jesus sagte, daß er Gottes Sohn war, die tröstlichste, die wichtigste und neuste Wahrheit entdeckte, so hoben die Juden Steine auf – – so zerrissen sie ihre Kleider und verdammten ihn als einen Missethäter.« 43/6  erstes Verbrechen  Komm.: Charpentier 111 gibt die Anklageschrift wieder: »Socrates ist ein Ubelthäter/ weil er die Götter der Republic nicht ehret/ sondern neue Gottheiten einführen will.« 43/7  und neue hätte einführen wollen  Annot. SD4*: Euseb. Praeparatio Evangel. Lib. XIV. cap. 5. p. 728.729 〈Euseb. pr. ev. 14,5,3–13〉. Socratis Hist. Eccl. p. 192 〈Sokr. hist. eccl. 3,19,5–20,5〉. Justini Martyris Apologia I. pro Chris­ tianis p. 48 〈Iust. Mart. apol. 2 9,2–10,8; bes. 10,5〉 / Socrates — […] in con­ tumeliam deorum quercum et hircum et canem deierabat. Tertull. Apolog. cap. 14 〈Tert. apol. 14,7: »[…] Sokrates, [der] die Götter damit entehren wollte, daß er bei der Eiche, beim Bock und beim Hunde Schwüre leis­ tete.«‌〉 / Ἀθηναῖοι […] καὶ τοὺς ῥῆμα μόνον παρὰ τοὺς ἐκείνων νόμους φθεγξαμένους περὶ θεὼν ἀπαραιτήτως ἐκόλασαν. τίνος γὰρ ἑτέρου χάριν Σωκράτης ἀπέθανεν; οὐ γὰρ δὴ προεδίδου τὴν πόλιν τοῖς πολεμὶοις, οὐδὲ τῶν ἱερῶν ἐσύλησεν οὐδὲν. ἀλλ’ ὅτι καινοὺς ὅρκους ὤμνυεν, καί τι δαιμόνιου αὐτῷ σημαίνειν ἔφασκεν, ἢ διαπαίζων ὡς ἔνιοι λέγουσι, διὰ ταῦτα κατεγνώσθη κώνειον πιὼν ἀποθανεῖν. καὶ διαφθείρειν δὲ τοὺς νέους ὁ κατήγορας αὐτὸν ῂτιᾶτο, τῆς πατρίου πολιτείας καὶ τῶν νόμων ὅτι προῆγεν αὐτοὺς καταφρονεῖν. Σωκράτης μὲν οὖν πολίτης Ἀθηναίων τοιαύτην ὑπέμεινε τιμωρίαν. Flav. Joseph. contra Apionem Lib. II . § 37. p. 492.493. edit Havercampii. 〈Ios. c. ap. 2,262–264: »Wie jedoch die Athener, die ihre Stadt für Gemein­ gut ansahen, [in dieser Hinsicht sich verhielten, hat Apollonios (Molon) nicht gewusst,] dass sie nämlich auch diejenigen, die nur ein Wort anders

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über die Götter gesprochen hatten als ihre Gesetze, unerbittlich bestraften. Denn weswegen sonst ist Sokrates gestorben? Er hat ja nicht die Stadt an die Feinde verraten, noch von den Heiligtümern auch nur eines beraubt; son­ dern der Grund war: Er pflegte neue Eide zu schwören und zu behaupten, ein daimonion gebe ihm Zeichen – beim Zeus, (doch nur) im Scherz wie einige sagen –; deshalb wurde er dazu verurteilt, durch Trinken des Schier­ lingsbechers zu sterben. Auch der Verderbnis der Jugend beschuldigte ihn der Ankläger, weil er sie dazu verführe, die traditionelle Verfassung und die Gesetze zu verachten. Was nun Sokrates angeht, so erlitt er als athenischer Bürger eine derartige Bestrafung.«〉 43/7 Marg.: * Chaos [...] de republica Lib III.  Komm.: Aristoph. Nub. 423 f.: »ἄλλο τι δῆτ᾽ οὖν νομιεῖς ἤδη θεὸν οὐδένα πλὴν ἅπερ ἡμεῖς, / τὸ Χάος τουτὶ καὶ τὰς Νεφέλας καὶ τὴν γλῶτταν, τρία ταυτί;« – »Und ist es nun so, glaubst endlich du auch keinen anderen Gott, als wir glauben, / Den leeren Raum um uns und die Wolken und zum Reden die Zunge, die dreie?«. In der Ausgabe von Frischlin von 1597 steht auf S. 327 die lat. Übers.: »Ergo iam nihil alius esse Deum credes: numina praeter / Haec nostra, Chaos, Nubes & Linguam: tria primordia rerum«. Außerdem Plat. rep. 389  b–391  e. 43/8f.  Plato […] schwören  Komm.: Plat. rep. 386  a–389  b, 414  b–415  d. Außerdem: Platos lehrreiches Gespräch, S. 22: »Sokrates. Nein, ich schwöre es dir bey dem Gott, unter dessen Aufsicht unsere Freundschaft steht«, vgl. ebd. S. 87 und S. 98. Auch Hervey beschwert sich darüber, Erbauliche Betrachtungen, Tl. 2, S. 497 f.: »Ob ich gleich den Charakter des Sokrates liebe und bewundere, so kan ich doch seine ganze Aufführung nicht billigen. Was mir hauptsäch­ lich anstößig ist, ist seine eingewurzelte Gewohnheit des Schwörens, die in allen seinen Unterredungen mit seinen Schülern vorkömmt. [...] Ich habe mich oft gewundert, daß ein so feiner Schriftsteller, als Xenophon, derglei­ chen Ungereimtheiten in seinen Schriften könne Platz finden lassen, wel­ che, wenn man auch nicht einmal auf den Schein einer Gottlosigkeit, den sie veranlassen, sehen will, einem öfters aufgewärmten Gerichte gleichen, und so häufig vorkommen, bis sie einen würklichen Überdruß verursachen. Noch mehr aber wundere ich mich, daß sein vortreflicher Lehrmeister die Heiligkeit eines Eydes so gemein, und die Ehre seines Jupiters so wohlfeil hat werden lassen können.« 43/9  schwören  Annot. SD4*: τί ὠφέλησεν — […] Σωκράτην τὸ ὀμνύειν τὸν κύνα, καὶ τὸν χῆνα, καὶ τὴν πλάτανον, καὶ τὸν κεραυνωθέντα Ἀσκλήπιον, καὶ τὰ δαιμόνια ἃ ἐπεκαλεῖτο; πρὸς τί δὲ καὶ ἑκὼν ἀπέθνησκεν; Theophili ad Autolycum Lib. III . p. 118. in Justini Martyris et Philosophi Opp. p. 118. (ed. Colon. 1686.). 〈Theoph. Autol. 3,2: »Was haben […] Sokrates sein Schwö­ ren bei dem Hund oder bei der Gans, bei der Platane, bei dem vom Blitze

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getroffenen Äsculapius und bei den Dämonien, die er anrief[, geholfen]? Aus welchem Grunde doch ging er freiwillig in den Tod«.〉 43/10  Stutzer  Komm.: Adelung 4, 491 ›Stutzer‹: »derjenige, welcher andere seines Standes in zierlichen Kleidern zu übertreffen sucht«. 43/10  irrender Ritter  Komm.: Vielleicht kombinierte Anspielung auf Don Quijote sowie Hiob und dessen Klage über seine Geburt (Hiob 5); Luther entwirft in Bezug auf Hiob 7,1 die Figur der Ritters des Glaubens (in der Tischrede »Von Heuchlern und falschen Brüdern«, siehe Komm. SD 32/9 f.). 43/11  Furien  Komm.: Von den Griechen und Römern gefürchtete Rachegöttin­ nen. 43/11  In den letzten Augenblicken  Annot. SD4*: ἤδη δ’ ἀνέλκων κῶλον ἔκπλεθρον δρόμον / ταχὺς βαδιστὴς τερμὀνων ἂν ἥπτετο. / Euripid. Μήδεια 〈Eurip. Med. 1181 f.: »Und sie lag so lang, als ein Läufer braucht, / Um die Renn­ bahn ganz zu durchmessen«〉 / Socratis vox est: Si daemonium permittat! Idem et quum aliquid de veritate sapiebat, deos negans, Aesculapio tamen gallinaceum prosecari iam in fine iubebat. Credo, ob honorem patris eius, quia Socratem Apollo sapientissimum omnium cecinit. O Apollinem incon­ sideratum! sapientiae testimonium reddidit ei viro, qui negabat Deos esse. Tertull. Apologet. cap. 46. 〈Tert. apol. 46,5: »Sokrates pflegte zu sagen: ›falls das Daimonion es erlaubt‹. Ebenso hat er auch, obwohl er als Gottesleug­ ner ein wenig von der Wahrheit spürte, trotzdem dem Aesculap noch an seinem Ende einen Hahn schlachten lassen – wie ich glaube, zu Ehren von dessen Vater; denn Apollo hatte verkündet, Sokrates sei der Allerweiseste. Wie unüberlegt von Apollo! Weise zu sein, bezeugte er dem Manne, der das Dasein der Götter leugnete.«〉 / – παρὰ τοῖς βαρβάροισι πανταχοῦ καὶ νῦν ἔτι / μηδὲν Ἀττικοῦ — σφηκὸς ἀνδρικώτερον. / Aristoph. Σφῆκες. 〈Aristoph. Vesp. 1089 f.: »Weshalb es bei den Barbaren überall auch jetzt noch heißt, / Nichts sei heldenmütiger als eine Wespe aus Athen.«〉 43/12  letzten Augenblicken  Komm.: Sterbebett-Szenen gehören zum Standard­ repertoire der zeitgenössischen Reflexion über die Unsterblichkeit der Seele und werden auch apologetisch benutzt, um das Dilemma der ›Frei­ geister‹, zuweilen spöttisch in Komödien, zu schildern, wenn sie in der Stunde ihres Todes ihre im Leben gepflegte Gleichgültigkeit gegen die Frage nach dem Jenseits verlieren und in Verzweiflung geraten. 43/15f.  Hahn […] zu opfern  Komm.: Charpentier 133: »[…] dieses waren seine [Sokra­ tes’] letzte Worte: Ich bin dem Æsculapus einen Hahn schuldig, bezahlet diese Schuld und vergessets nicht.« U. a. überliefert in Plat. Phaid. 118  a. Hamanns Bezug ist vmtl. außerdem Lk 22,60–62. 43/20–25  Sokrates antwortete [...] ansehen sollen  Komm.: Charpentier 122: »Diese Rede und Vertheidigung hielte Socrates mit so einer freudigen Mine, ernst­

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haften Geberden, und unverändertem Gesichte, daß man ihn vielmehr für einen Gebiether seiner Richter, als für einen Beklagten hätte halten sollen.« Charpentier stützt sich auf Cic. orat. 1,54,231. 43/29f.  Er dictirte […] werden  Annot. SD4*: Cic. de Oratore I ,54 〈Cic. orat. 1,54‌〉. 43/29f.  Er dictirte […] werden  Komm.: Charpentier 124 f. gibt die direkte Rede Socra­ tes’ an die Richter wieder: »Versichert, meine Herren, ich halte sie etwas zu lange auf, ein Urte[i]l über mich selbst zu fällen; und weil sie mir demnach vergönnen, mich zu verdammen, was ich meyne verdienet zu haben, so ver­ damme ich mich, daß man mich die übrige Zeit meines Lebens, in Betrach­ tung derer Dienste, die ich meinem Vaterlande erwiesen, auf gemeine Unkosten der Republic in dem Prytaneo (welches ein zu dergleichen Fällen erbaueter Pallast in Athen war) ernähren solle.« 44/2  darüber hatte vergleichen können  Komm.: Nach dem Schuldspruch war der Angeklagte aufgefordert, selbst dem Gericht ein Strafmaß vorzuschlagen. Charpentier 124 trägt die abweichenden Überlieferungen bezüglich dieses Vorschlags von Seiten Sokrates’ zusammen. Nach dem ›giftigen Einfall‹ (siehe Komm. SD 43/29 f.) erfolgte das Todesurteil. 44/3  Ein Fest zu Athen  Annot. SD4*: Theoria, Gesandtschaft nach Delos, die The­ seus gestiftet hatte und noch zur Zeit des Ptolemäus Philadelphus = fast 1000 Jahre auf demselben Schiff fortgesetzt wurde. Dies gab zu dem Streit der gr. Philosophen Anlaß über die Identität dieses Schiffes. S. Banier IV. Band, Th. II . Buch II . Kap. VIII . Geschichte der beiden Minos. S. 419. 430. 431 〈Banier: Erläuterung der Götterlehre und Fabeln aus der Geschichte, Bd. 4, S. 419, 430 u. 431〉 / Tertullianus de anima Cap. I 〈bes. Tert. anim.1,2〉. 44/3–6  Fest zu Athen [...] Tode auf  Komm.: Charpentier 128: »Die Freunde des Socrates besuchten ihn fleißig die 30. Tage über, ehe sein Urtheil exeqviret wurde[.] [Anm.: Plato in Phaedone.] Die Ursache dieses langen Aufschubs war, weil die Athenienser alle Jahr ein Schif in die Insel Delos schickten, daselbst etwas zu opffern, und ihre Religion brachte es mit sich, daß man keinen Menschen in der Stadt tödten konte, von der Zeit an als der Priester des Apollo den Hintertheil dieses Schiffes gekrönet hatte, die Zeit seines Abzugs anzuzeigen, biß dasselbige wieder zurück kommen war.« Auch wie­ dergegeben im Zedler (38, 300 ›Socrates‹). 44/4–15  legte den Sokrates […] bekannt ist  Annot. SD4*: Ni Socrates cicutam innocen­ ter hausisset, graues illae de immortalitate animae orationes, vbi haerebant? Et num, aut vitam futuram alioqui crederes tu tam firmiter, aut praesentem tam facilè sperneres, seu patriae defendendae, seu veritatis tuendae causa? De veritate Religionis Christianae etc. a Philippo Mornaeo. p. 192. 〈de Mor­ nay: De Veritate Religionis Christianae, S. 192: »[Bistu ein Hayd/ bedencke das ende Socratis oder deß Papiani,] wann Socrates nicht vmb unschuld

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Kommentar SD  44/5

giffe hette getruncken/ wo bliben jene herzliche Orationes von der Seelen vnsterblichkeit? Vnd würdest du auch/ eintweder so be­stendig ein künfftig leben glauben/ oder aber das gegenwertige so leichtlich vmb deß Vatter­ lands oder vmb der Warheit willen verachten?«〉 44/5  dreyssigtägigen Gefängnisses  Annot. SD4*: Σωκράτης μετὰ τὴν καταδίκην φυγῆς αὐτῷ μεμηχανημένης ὑπὸ φίλων, οὐκ ἐχρήσατο, τοὺς νόμους βεβαιῶν, ἀλλὰ ἀδίκως ἀποθανεῖν εἵλετο μᾶλλον ἢ σωθῆναι παρανόμως. Plutarch. Colot. p. 1126. cap. 32 〈Plut. Adv. col. 32,1126  b: »Sokrates machte nach sei­ ner Verurteilung keinen Gebrauch von dem Angebot [seiner] Freunde ihm zur Flucht zu verhelfen, aus Achtung vor den Gesetzen; er wollte lieber eines ungerechten Todes sterben, als sich in gesetzloser Weise das Leben sichern.« Von Wiener aus den Plutarch-Exzerpten (vgl. Annot. W 47/1) ergänzt.〉 / – – οὐ τὰ αὐτὰ ἐφρόνουν Σωκράτει, ὃς ἐξὸν σῴζεσθαι καὶ ταῦτα ἀδίκως κώνειον μέλλων πίνειν, αἰδοῖ νόμων καθ‘ οὓς ἐγένετο καὶ ἐτράφη, καίπερ δυνάμενος, οὐκ ἀπέφυγε τὸ δεσμωτήριον. Sozomenus Hist. Eccles. VI ,35 〈Soz. hist. eccl. 6,35,11: »Sie hatten nicht dieselbe Gesinnung wie Sokra­tes, der, obwohl es ihm möglich war, sich zu retten, als es ihm bevor­ stand, ungerechterweise den Schierlingstrank zu trinken, aus Respekt vor den Gesetzen, mit denen er im Einklang geboren und aufgewachsen war, nicht aus dem Gefängnis flüchtete, obwohl er es konnte.« Übers. v. Poly­ xeni Tarpinidou〉 / The only passage I meet with in antiquity, where the obligation of obedience to government is ascribed to a promise, is in Plato in Critone; where Socrates refuses to escape from prison, because he had tacitly promised to obey the laws. Thus he builds a tory consequence of passive obedience, on a whig foundation of the original contract. Essays and Treatises on several Subjects, by David Hume, Esq. Vol. II . containing Essays, moral, political and literary. Part II . Lond. 1760. Essay XII . of the original Contract in der letzten Note I, p. 314.315 〈Hume: Essays and Treatises, Bd. 2, S. 314 f.〉. 44/8  Kyrsas  Komm.: Charpentier 137: »Er [Suidas] sagt, daß einige Zeit nach sei­ nem Tode einer, der Kyrsas geheissen, und aus der Insel Chius bürtig war, nach Athen gekommen sey, ihn zu sehen, indem er davor hielte, er lebte noch. Als nun dieser nicht weit von dem Ort seines Grabes eingeschlafen, sey ihm Socrates erschienen, und habe sich mit ihme unterredet, worauf auch dieser alsobald wieder in sein Vaterland gereiset sey.« 44/14  wegen seines herrlichen Weins  Annot. SD4*: Χῖον ἐκ λακαινᾶν κυλίκων μέθυ ἡδέως καὶ φίλως. Athenaeus lib. XI , p. 484. ex Aristophane. 〈Athen. deipn. 11,484 f.: »Chier-Wein zu schlürfen aus / Lakoner-Bechern in Gesellschaft lieber Freunde.« Athenaios zitiert an dieser Stelle aus dem nur fragmenta­ risch überlieferten Stück Aristoph. fr. 225,3–4.〉

bis 44/25

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44/16f.  Plato […] Sendung  Komm.: Charpentier 56: »[…] er bliebe freywillig arm die

gantze Zeit seines Lebens, und aus diesem Kennzeichen will Plato bewei­ sen, daß er wahrhaftig von GOtt dem Volck zu Athen geschencket worden.« 44/16  die freywillige Armuth  Annot. SD4*: – – et hunc inopem vidistis, Athenae, Nil praeter gelidas ausae conferre cicutas. Juvenalis Sat. VII .  205.  206. 〈Iuv. saturae 7,  205 f.: »Auch Letzteren sahst du, Athen, in seiner Not und konn­ test dich nicht dazu durchdringen, ihm etwas anderes anzubieten als den eisigen Schierlingsbecher.«〉 44/19  Propheten und Gerechten  Komm.: Mt 23,29. 44/19  Ein Bildsäule  Annot. SD4*: quum paenitentia sententiae Athenienses et cri­ minatores Socratis postea afflixerint, et imaginem eius auream in templo collocarint, rescissa damnatio testimonium Socrati reddit. Tertull. Apo­ log. cap. 14 〈Tert. apol. 14,8: »Da [jedoch] die Athener aus Reue über den Urteilsspruch die Ankläger des Sokrates später bestraft und ein goldenes Bild von ihm im Tempel aufgestellt haben, gibt das Aufheben der Verurtei­ lung Sokrates seinen guten Ruf wieder zurück.«〉 / Plutarch. de invidia et odio. p. 537.538. cap. 6. Τοὺς γοῦν Σωκράτη συκοφαντήσαντας ὡς εἰς ἔσχατον κακίας ἐληλακότας, οὕτως ἐμίσησαν οἱ πολῖται καὶ ἀπεστράφησαν, ὡς μήτε πῦρ αὔειν μήτε ἀποκρίνεσθαι πυνθανομένοις, μὴ λουομένοις κοινωνεῖν ὕδατος, ἀλλ᾿ ἀναγκάζειν ἐκχεῖν ἐκεῖνο τοὺς παραχύτας, ὡς μεμιασμένον, ἕως ἀπήγξαντο μὴ φέροντες τὸ μῖσος. 〈Plut. De Invidia 6,537 f.: »Die falschen Ankläger des Socrates waren, weil sie die Bosheit aufs äußerste getrieben, ihren Mitbürgern so sehr Gegenstand des Hasses und Abscheues gewor­ den, daß Niemand ihnen Feuer anzünden, Niemand ihnen auf eine Frage antworten, oder mit ihnen zusammen baden wollte, sondern man nöthigte sogar die Aufwärter, das Wasser, in dem jene sich gebadet, als verunreinigt, auszuschütten: bis sie, da sie den Haß nicht ertragen konnten, sich endlich erhängten.«〉 44/20  Bildsäule von Lysippus  Komm.: Charpentier 136: »[…] sie [die Athener] lies­ sen ihm auch eine Ehrne Seule von der Arbeit des Lysippus aufrichten, welche sie in einen den gemeinen Wesen zustehenden Palast, setzten. Den man das Pracht-Haus nennete, weil es sonderlich zum Pracht und EhrenGepräge bestellet war.« Vgl. auch Cooper 174. 44/24  Brosamen und Allmosen  Komm.: Mk 7,28; Apg 3,2; Mt 10,9. Vgl. aber auch Plat. Hipp. Mai. 304  a. 44/25  Raube  Komm.: Phil 2,6. 44/25  für ein Schwert  Komm.: Lk 22,36. 44/25  Marg.: Μαχαιραν [...] Nubes  Komm.: Aristoph. Nub. 1064–1066, in Bezug auf Peleus: »μάχαιραν; ἀστεῖόν γε κέρδος ἔλαβεν ὁ κακοδαίμων. /  Ὑπέρβολος δ᾽ οὑκ τῶν λύχνων πλεῖν ἢ τάλαντα πολλὰ / εἴληφε διὰ πονηρίαν, ἀλλ᾽ οὐ μὰ Δί᾽

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Kommentar SD  44/26

οὐ μάχαιραν.« – »Ein Schwert? Na, einen feinen Lohn erhielt der Unglück­

liche. / Hyperbolos, der Lampenhändler, kriegte bergeweise / Talente Geld durch Schlechtigkeit, und nicht, bei Zeus, ein Schwert bloß.« 44/26  Dienst der Wahrheit  Komm.: Siehe Komm. W 67/27–29. 45/2  brauchbarer, artiger Mann  Komm.: Die Inanspruchnahme der sokratischen Tugendhaftigkeit ist bei Charpentier wie auch Thomasius auf ein ideales bürgerliches Dasein bezogen. Zu diesem gehört die Affektkontrolle, wie bspw. Locke in den Thougths concerning education betont (§ 45). 45/3  Bücklinge machen und Teller lecken  Komm.: Vgl. Shaftesbury, der im Sendschreiben von der Begeisterung in Bezug auf Hiob 13 – also Hiobs Klage im Unterschied zur Verteidigung Gottes durch sein Freunde – bezweifelt, (nach Hamanns Übers.:) »[...] daß ihm [dem Schmeichler] die geringste Verläugnung seiner Vernunft und ein verstellter Zwang des Glaubens in einer Lehre, die für seinen Verstand zu schwer ist, ihm das Recht zu einem Glück in jener Welt geben könne. Dies heist ein Tellerlecker in der Religion und ein andächtiger Schmarotzer seyn. Dies heist, Gott so begegnen wie die verschmitzten Bettler [...] Unsere gröste Sorge ist, wie wir recht betteln« (N IV 146/14–26). 45/6  Ist es wahr, daß GOtt selbst  Annot. SD4*: οὐδὲν τῶν δυναμένων πιστοῦν, δύναται παγίως περὶ Θεοῦ πιστῶσαι· οὐδενὶ γὰρ ἔδειξεν αὑτοῦ τὴν φύσιν, ἀλλ᾿ ἀόρατον αὐτὴν παντὶ τῷ γένει παρεσκεύασε — […] βεβαιωτὴς οὖν ἰσχυρότατος ἑαυτοῦ τὸ πρῶτον, ἔπειτα καὶ τῶν ἔργων αὑτοῦ μόνος ὁ Θεός. Philo Leges Allegoriarum Lib. II, p. 99. 〈Phil. leg. all. 3,73,206 f.: »[W]er Sicherheit leisten kann, vermag es nicht auch vollständig in Beziehung auf Gott; denn keinem hat er sein Wesen gezeigt, hat es vielmehr für das ganze Menschen­ geschlecht unerkennbar gelassen. […] Gott allein ist also der stärkste Bürge, zunächst für sich selbst und dann auch für seine Werke«.〉 45/7  guten Bekenntnisse  Komm.: 1 Tim 6,12 ff. 45/10  die Wahrheit zeugen  Komm.: Joh 18,37 und 8,13 ff. 45/12  wie ein Sokrates  Komm.: Vgl. Biblische Betrachtungen, LS 250/28 f.: »wessen Namen schämt man sich mehr als Jesu, unterdessen der weise Sokrates und Plato mit Triumph und Ehrfurcht genannt werden.« 45/13  schmählichern  Komm.: Vom schmählichen Tod ist im Falle der Kreuzigung Christi wie auch in Bezug auf viele Märtyrer die Rede; vgl. Knutzen: Philosophischer Beweiß, S. 146, § 62: »Es ist gleichfals unwidersprechlich, daß bald nach dem Tode Jesu die christliche Religion sich ungemein in der Welt ausgebreitet, daß schon in den ersten Jahrhunderten nicht allein in Judäa, sondern auch in den übrigen Provinzen des Römischen Reiches, ja in Rom selbst die sehr große Anzahl der Christen, die Feinde der christli­ chen Religion in Verwunderung gesetzet; daß die ersten Christen JEsum

bis W 47/1

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göttlich verehret, die heftigsten Verfolgungen und Marter wegen ihres Bekänntnißes erduldet, ja so gar die schmählichsten Todesarten mit gro­ ßer Standhaftigkeit um der Lehre JEsu willen ausgestanden haben.« Die Unwahrscheinlichkeit dafür, dass das Zeugnis der Gemarterten überliefert wurde, ist für Knutzen ein Argument für die Wahrheit und Weisheit der göttlichen Offenbarung (ebd. S. 191 u. 194). 45/15  Vatermörder  Komm.: 1 Tim 1,9. Der gescheiterte Attentatsversuch RobertFrançois Damiens auf den franz. König Ludwig XV. am 5. Januar 1757 und die Hinrichtung am 28. März 1757 erregten in ganz Europa Aufsehen, er wurde als fanatischer Katholik bzw. Jesuit hingestellt. In England wurde die Härte der Strafe kritisiert. Zahlreiches Schrifttum beschäftigte sich mit dem Fall und beschrieb die langwierige grausame Hinrichtung bis ins Detail, bspw. Geschichte des Robert Franz Damiens. Die Bezeichnung als Vatermör­ der findet sich auch in der offiziellen Urteilsschrift (»patricide«). 45/15  allerchristlichsten Königes  Komm.: Allerchristlichster König (Rex christianis­ simus) war Titel der französischen Könige seit 1469. Für die Verschränkung der Geschichtsphilosophie und -theologie im französischen Königtum des 17. Jhds. war das Werk Jacques-Bénigne Bossuets maßgeblich (Discours sur l’histoire universelle), das zur Erziehung des Herrschers konzipiert und in Korrespondenz mit der römischen Kurie entstanden war. 45/16  Vielgeliebten  Komm.: 1744 war Ludwig XV. schwer erkrankt, seine Gene­ sung wurde mit großen Freudenkundgebungen gefeiert, auf denen ihm der Beiname »Le Bien-Aimé« gegeben wurde. Seine Steuer- und Kriegspolitik zerstörte diesen guten Ruf aber bald wieder, so dass er später »le Mal-Aimé« genannt wurde.

47/1  Wolken Nach

R VIII ,1 66 hatte das sog. durchschossene Exemplar W3* »auf den ersten 3 Blättern fortlaufende Excerpte aus Plutarch über Sokrates, ganz nach der Reihenfolge seiner moral. Werke«; genauere Stellenhinweise fehlen. Annot. SD 44/5 f. und Annot. W 71/22 geben einzelne Zitate aus die­ sen Plutarch-Exzerpten. 47/1  Wolken  Komm.: Hebr 12,1; Offb 1,7; Dan 7,13. Die Komödie des Aristopha­ nes Die Wolken, griech. αἱ Νεφέλαι, lat. nubes, 423 v. Chr. uraufgeführt, ist nur in einer überarbeiteten Fassung überliefert, deren Parabasis eine Abrechnung mit dem Publikum enthält, bei welchem die Wolken zuerst durchgefallen waren. Brucker hat eine Erklärung für den Titel von Aristo­ phanes’ Wolken: Sokrates war nicht abergläubisch wie die Athenienser, vielmehr stimme, dass er seine Gottesfurcht »in dem Dienst des einigen

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Kommentar W 47/3

wahren GOttes suchte, und nicht Holtz und Steine oder Creaturen, sondern das im Himmel wohnende und alle Himmel erfüllende Wesen verehrte«. (Kurtze Fragen, Bd. 1, 1731, S. 439) »Deswegen nennten ihn seine Feinde Nubicolam, und Aristophanes hat deswegen die auf ihn gemachte Comoe­ die [...] nubes genennt, weil er GOtt im Himmel angebetet, und davor gehal­ ten, er erweise diese Ehre den Wolcken.« (S. 443) Shaftesbury bezieht sich auf die Wolken in seinem Vergleich der Apostel mit Sokrates bzgl. der Auf­ gabe, eine Lehre gegen Ablehnung dennoch mitzuteilen, wofür sich Sokra­ tes eben auch der ihn verunglimpfenden Komödie bedient habe (Hamanns Übers., Sendschreiben von der Begeisterung, N IV 144/14–37). Im Sprachpu­ rismus, vor dessen Hintergrund auch das Urteil der Dunkelheit über die Denkwürdigkeiten gefällt wird, ist die Wolke Symbol dummer Wichtigtue­ rei, vgl. Gottsched: Versuch einer Critischen Dichtkunst (1751), S. 304: »Einige Neuere haben uns in diese Wolken und Nebel [der metaphernreichen Spra­ che] wieder zu verhüllen gesucht, und dieses zwar unter dem Scheine einer größern Scharfsinnigkeit. Sie haben uns die gemeinsten Gedanken durch dunkle Ausdrückungen schwer zu verstehen gemacht: damit wir glauben sollten, sie hätten uns neuerfundne und vorhin unerhörte Dinge gesagt. Einfältige haben sich betrügen lassen, sind aber nicht besser angekommen, als Ixion, der statt einer Göttinn eine Wolke umarmete.« 47/3  Nachspiel  Komm.: Zur Definition der Nachspiele erinnert Gottsched im Versuch einer Critischen Dichtkunst (1751), S. 781–783, an die griech. »Satiren«, die ordentlich in Akte konzipiert gewesen seien, und an die römischen »atellanischen Fabeln«, von denen man wenig wisse; die neueren Formen im Kontext von Komödien seien »aus dem Stegreife« gewesen, »[a]llein da sich viel schlechtes Zeug darunter gemenget, welches artigen Stadt- und Hofleuten einen Abscheu gemachet: so hat man endlich, nach dem Exem­ pel der Franzosen, kleine Stücke von der Art mit Fleiß ausgearbeitet, und sie wohl gar in Versen gemacht, damit die Komödianten sie auch auswen­ dig lernen müßten.« Und seine Meinung zur Gattung: »Allein, was die letz­ tern [Spiele mit phantastischem Inhalt] betrifft, so sind dieselben aus dem Lande der Hirngespinste, der arabischen Mährlein, oder aus dem Reiche der Hexen genommen: und haben folglich kein Vorbild in der Natur. Die Sittenlehren die darinn herrschen, sind auch gemeiniglich sehr unsicht­ bar, oder gehen bloß auf die schlüpfrige Liebe; ein glattes Eis, da­rauf auch ohne solche Anreizungen, schon Zuschauer genug zu straucheln pflegen. [...] Und was werden wir für eine Nachkommenschaft bekommen, wenn wir so eifrig an Verderbung der Sitten der Jugend arbeiten wollen? In diesem einen Stücke scheint mir der Verfasser der Abhandlung recht zu haben, der im vorigen Jahr den Preis der Akad. zu Dijon erhalten hat [d. i. Rousseau].

bis 48/1f.

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Nur die üppigen Poeten, und andere ihnen gleichgesinnte Schriftsteller, befördern die Verderbniß der Zeiten«. 47/4  Sokratischer Denkwürdigkeiten  Komm.: Vgl. Komm. SD 1/1. 47/6  CVM NOTIS VARIORVM  Komm.: Mit den Anmerkungen Verschiedener. Aus­ gaben cum notis variorum oder kurz variorum drucken nicht nur die Anmer­ kungen des Herausgebers, sondern auch die seiner Vorgänger. Gewöhnlich werden solche Ausgaben nur klassischen Schriftstellern zuteil. Ein Vorbild für Hamann könnte Pope gewesen sein. Die zweite Auflage seiner Satire The Dunciad. With Notes Variorum, die ohnehin schon eine Reaktion auf die spitzfindige Kritik an seiner Shakespeare-Ausgabe ist, parodiert Gelehr­ samkeit im Druckbild: ein überbordender Fußnotenapparat wird von den Kommentaren verdrängt. Bei diesen handelt es sich, trotz gegenteiliger Ver­ sicherung, allerdings um Popes eigene, mittels derer er sein Gedicht sowohl selbst erläutert als auch seine (realen) Kritiker karikiert. 47/8  IN VSVM DELPHINI  Komm.: Zum Gebrauch für den Dauphin. Ursprüng­ lich Bezeichnung einer Reihe von Ausgaben griechischer und römischer Klassiker, die auf Betreiben Ludwigs XIV. für den Unterricht seines Sohns Louis, Grand Dauphin, erstellt wurden. Auf dem Titelblatt dieser Ausgaben war zu lesen »Ad usum serenissimi delphini« (dt.: »zum Gebrauch für den höchst durchlauchtigen Dauphin«). Die Ausgaben enthielten Paraphrasen des Originaltextes in einfacherem Latein sowie grammatische und histori­ sche Anmerkungen mit der Absicht, es dem Lernenden leichter zu machen. Anstößige Stellen wurden teilweise zensiert. 47/10–13  χαιρ᾽ […] ΝΕΦ.  Komm.: Begrüßung des dummen Bauers Strepsiades und des Sokrates durch den Chor in Aristoph. Nub. (griech. Νεφέλαι) 358 f.: »χαῖρ᾽ ὦ πρεσβῦτα παλαιογενὲς θηρατὰ λόγων φιλομούσων, / σύ τε λεπτοτάτων λήρων ἱερεῦ, φράζε πρὸς ἡμᾶς ὅ τι χρῄζεις: « – »[Chor:] Gegrüßet sei, Alter aus alter Zeit, du Jäger poetischer Reden! / Und du auch, du Priester subtilster Possen, sag an uns, was ist dein Begehren?« 47/14  Altona  Komm.: Fingierter Druckort; richtig ist wohl Königsberg bei Johann Jakob Kanter, vgl. Einführung, S. XI . Mit Altona, als Nachbarstadt Hamburgs, die sich durch liberalere Verhältnisse auszeichnete, ist wohl ein Gegensatz zu Christian Ziegra, dem Hamburger Verfasser der polemischen Rezension, gebildet. Außerdem ist das Spiel mit dem fernen, ausländischen Druckort Amsterdam, worauf Ziegra ablehnend reagiert (W 53/3: »Die so weit her­ geholten Druck- oder Verlagsörter«), invertiert, da der Name ›Altona‹ auch von ›all zu nah‹ hergeleitet wurde. 48/1f.  ‫  אליהוא […] כמים‬Komm.: Zitat aus Hiob 32,2 u. 34,7. Hiob 32,2 lautet in Gänze: »Aber Elihu, der Sohn Barachels des Busiters, aus dem Geschlecht Ram, ward zornig. Er ward zornig über Hiob, weil er sich selber für gerech­

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Kommentar W 48/3–5

ter hielt als Gott.« (Luther 2017) Aus diesem zitiert Hamann nur die Angabe der Abstammung Baracheels ‫( אליהוא בן ברכאל הבוזי ממשפחת רם‬dt. Übers.: »Elihu, der Sohn Barachels des Busiters, aus dem Geschlecht Ram«), nicht aber Grund und Anlass des Zorns. Wie Elihu stammt auch David aus dem Geschlecht Rams, wodurch eine indirekte Beziehung zum Stammbaum Jesu gegeben ist; vgl. Lk 3,33. Ein Indiz dafür, dass Hamann möglicherweise auf diesen Zusammenhang anspielen möchte, liegt darin, dass Hiob 34,1 (»Und Elihu hob an und sprach:«) ebenso als Sprecherangabe hätte fun­ gieren können. Hiob 34,7 lautet: »Wo ist so ein Mann wie Hiob, der Hohn trinkt wie Wasser« (Luther 2017) bzw. »WEr ist ein solcher wie Hiob / der da spötterey trinckt wie wasser?« (Luther 1545). Im Zusammenhang der Rede Elihus ist der Vers nicht als Lob Hiobs gemeint, sondern als eine harsche Kritik der Selbstsicherheit Hiobs. Entsprechend wird der Vers in Hiob 34,8 fortgesetzt: »und auf dem Wege geht mit den Übeltätern und wandelt mit den gottlosen Leuten?« (Luther 2017) Erst die Dekontextualisierung von Hiob 34,7 durch Hamann erlaubt es, den Vers auch als Lob zu verstehen. 48/3–5  Ex versione noua […] aquam  Komm.: Hamann zitiert Hiob 34,7 nach der Neuübersetzung des Buches Hiob aus dem Hebräischen des Leidener Orien­talisten Albert Schultens: Liber Jobi cum Nova Versione, Bd. 2, S. 933 (dort beginnt der Vers allerding mit »Quis Vir, …«); dt. Übers. etwa: »Welch ein Mann ist dieser Hiob! Er trinkt Hohn wie Wasser.« Die Vulgata über­ liefert den Vers dagegen nicht als Ausruf, sondern als Frage: »quis est vir ut est Iob qui bibit subsannationem quasi aquam«, vgl. Komm. W 48/1 f. Allerdings hat sich Hamann wohl durchaus schwer getan mit Schultens’ Kommentar, HKB 200 (II 58/29–59/1, 17.  1.  1761, an J. G. Lindner): »Meine Arbeiten habe Gott Lob! diese Woche mit dem Evangelio vom 12jährigen Knaben angefangen und gestern den ersten Theil des Schultens über 20 Kap. des Hiobs beschloßen. Ich eile um mit diesem Buch fertig zu werden. Seine Weitläuftigkeit, womit er alle Ausleger zergliedert ist einem Qvalm ähnlich, wodurch Hiobs Gestalt verdunkelt wird und der Leser einer glei­ chen Prüfung der Gedult mit diesem Helden ausgesetzt wird – – und also auch Schultens ein leidiger Tröster für Leser, die mehr als den Buchstaben sehen und sehen wollen. Unter allen Schriften dieses Mannes ist keine ein­ zige die mir gefallen hat als seine Grammatik«. 49/1–4  HAMLET. […] SHAKESPEARE.  Komm.: Shakespeare: Hamlet 2,2,606 f. Die Stelle bezieht sich auf das Spiel im Spiel, das Bühnenstück, mit welchem der Bru­ dermörder entlarvt werden soll, indem sein Gewissen angesprochen wird. 49/7  patriotisches Denkmahl  Komm.: Vgl. SD  11/26 u. 22/13, wo das Attribut ›patriotisch‹ für Bolingbrokes historischen Rigorismus steht (vgl. Komm. W 76/15 f.); hier erhält es aber eine andere bzw. zusätzliche Bedeutung mit

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Bezug auf Hamburg, weil dort 1724–1726 eine der ersten moralischen Wochenschriften unter dem Titel Der Patriot erschien, u. a. hg. v. Barthold Heinrich Brockes; mit ihrer anspruchsvollen Sittenkritik, zu der sich die Beiträger mit Berufung auf eine unabhängige, ›gesunde‹ Vernunft berech­ tigt fühlten, kamen sie in Konflikt mit der lutherischen Orthodoxie. Das publizistische Unternehmen des Hamburger Periodikums war vorbildhaft für moralische Wochenschriften im ganzen deutschsprachigen Raum (Mar­ tens: Die Botschaft der Tugend, S. 515). 49/9–12  Hamburgischen Nachrichten […] Jahres  Komm.: Ziegra Rez-SD 106–109. 49/13  Heumonates  Komm.: Juli. 49/13  armen Sünder  Komm.: Bezeichnung für einen zum Tode Verurteilten. Als Denkmal für ihre Hinrichtung wurde gewöhnlich ein Holzkreuz aufgestellt. 49/15  vier Bogen in klein Octav  Komm.: Der Erstdruck der Denkwürdigkeiten umfasst insgesamt 64 Seiten, bestehend aus vier Bogen im Oktavformat zu je acht Blättern. 49/19  Schöpse  Komm.: Vgl. Zedler 12, 390 ›Hammel, Schöps, Vervex‹: »[E]‌in cas­ trirtes Lamm […]. Das Lamm wird darum geschnitten, damit kein SchafBock oder Widder draus werde; damit es sich desto besser mästen lasse, und fein niedlich bleibe.« 49/19  hinkende Boten  Komm.: Almanache, seit dem 17. Jhd. populär, darin mit Wettervorhersagen versehene Kalender, astrologisch abgeleitete Hand­ reichungen für den Alltag, politische Nachrichten. Dass sie sich teils auf bereits mehrere Jahre Zurückliegendes bezogen, machte den Unterschied zu Zeitungen aus. Die Langsamkeit und Nachträglichkeit sollte als Verspre­ chen eines größeren Wahrheitsgehaltes verstanden werden. Die Figur des hinkenden Botens trat auch innerhalb der Texte als Überbringer der Nach­ richten auf. Die Almanache richteten sich an ein ungebildetes und armes Publikum, dem der Zugang zu anderem Schrifttum weitgehend versagt war. Vgl. auch W 55/23. 49/21  Zahnbrecher  Komm.: Vermeintliche Zahnärzte, betrügerische Quacksalber. Vielleicht auch bezogen auf Pers. saturae 1,114 f.: »Lucilius hechelte Rom einst, / Dich, Lupus, Mucius, dich — und zerbiß sich den Backzahn an ihnen.« 49/22  O imitatores seruum p – – – Hor.  Komm.: Hor. epist. 1,19,19 f.: »O imitatores, servum pecus, ut mihi saepe / bilem, saepe iocum vestri movere tumul­ tus!« – »O ihr Nachahmer, ihr Sklavenherde, wie oft hat mir euer Getöse die Galle, wie oft mir Heiterkeit erregt!« Abgekürzt mglw. auch mit Rücksicht darauf, dass der Buchstabe ›p‹ zugleich die Abkürzung von franz. putain (dt. Hure) ist. Vgl. auch W 89/13. 50/1  Bart  Komm.: Vielleicht Anspielung auf Alexander Pope; in Bzg. auf Les­

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Kommentar W 50/1

sings und Mendelssohns gemeinsame Schrift Pope ein Metaphysiker! schreibt Hamann an J. G. Lindner, HKB 105 (II 227/32–228/4, 18.  8.  1756): »Es sind einige sehr feine und zweydeutige Züge auf die Akademie ­darinn, die dem critischen Geist des Leßings vollkommen ähnlich sehen. Der letzte ist sehr beißend. Es wird eine Stelle des Pope angeführt wo er über den philosophischen Bart in einem Briefe an Swift scherzt, den er sich in dem Versuch über den Menschen angemast. Pope würde sich also sehr wundern, schlüst der Autor, wenn er das Schicksal erlebt hätte, daß eine berühmte Akademie diesen seinen falschen Bart für werth erkannt hätte ernsthaffte Untersuchungen darüber anzustellen.«   50/1  Milchkinn  Komm.: 1698 verordnete Zar Peter I ., dass Männer ihren Vollbart abrasieren lassen müssen; seine Europareisen hatten ihm gezeigt, dass Vollbärte unmodisch sind. Mit der Bart-Verordnung zog er den Zorn der (orthodoxen) Kirchenangehörigen auf sich. 50/3f.  Schriftgelehrten [...] Denksäumen  Komm.: Mt 23,1–7. 50/5  Scarron  Komm.: Paul Scarron (1610–1660), franz. Dichter, bekannt für seine Parodie der Aeneis Le Virgile travesti (1648–1652) und den unvollendet gebliebenen Roman comique. Seine Frau, Marquise de Maintenon, führte nach dessen Tod, wohl seit 1683, eine geheim gehaltene Ehe mit Ludwig XIV. Hamann spielt auf ein unbetiteltes Sonett Scarrons an, das manchmal auch als »Sonett du coude« (dt. Sonett über den Ellbogen) bezeichnet wird. Die letzte Strophe lautet: »Wenn selbst euer [der »Erhabene(n) Denkmale des menschlichen Stolzes«, Str. 1] harter Marmor ihrer [der Zeit] Macht erle­ gen ist, soll ich dann klagen, daß ein elendes schwarzes Wams, das zwei Jahre lang hielt, nun vom Ellbogen durchgewetzt ist?« (Kemp: Das europäische Sonett, Bd. 1, S. 207). 50/7  Faß des Cynikers  Komm.: Der Kyniker Diogenes von Sinope (404–323 v. Chr.) lebte in einem Fass im Vorhof des Tempels der Demeter (Metroon) und pro­ vozierte die Athener, v. a. die Herrschenden (Alexander), vgl. Diog. Laert. 6,2,60. 50/8  Lehnstuhl gesetzlicher Vernunft  Komm.: Mt 23,2. Vgl. in Bzg. auf Moses auch W 89/31: »Orbil«. Vielleicht ist ›gesetzlich‹, neben der legalistischen Dimen­ sion, auch im Sinne der naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeit zu ver­ stehen; so gebraucht bspw. Crusius den Begriff in Weg zur Gewißheit, § 415, S. 741. Zum Wortfeld von ›Vernunft‹, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 50/9  lästern, da sie nichts von wissen  Komm.: 2 Petr 2,12. Vgl. auch Jud 1,10. 50/10–12  Stab [...] Zunge  Komm.: Vgl. 2 Mos 4,10–13. Zu den von Moses mit Hilfe des Stabes vollbrachten Wundern vgl. 2 Mos 4,2–17; 7,9–20; 8,16; 9,23; 10,13; 14,16; 17,5–9 u. 4 Mos 20,8–12.

bis 50/20 50/12f.  Bileam [...] Pethor  Komm.: 4 Mos 22,5–27. Vgl. W 86/23 f. 50/14  alle Thiere auf dem Felde  Komm.:

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Vgl. 1 Mos 3,1; 2,19; 9,2, Dan 4,12 u. ö. Da anschließend von Pythagoras die Rede ist, mag die ihm zugeschriebene Annahme von der Vernunftfähigkeit der Tiere (da die unsterbliche Seele auch in einen Tierkörper wandern könne) eine Rolle spielen. 50/15  Gerücht  Komm.: Vielleicht auf die lückenhafte Überlieferung für die sog. pythagoreische Philosophie bezogen, für die bspw. das Werk des Iambli­ chos von Chalkis und die Philosophiegeschichte des Kritikers am Chris­ tentum, Porphyrios, eine große Rolle spielt; in letzterer wird Pythagoras mit Jesus verglichen, jedoch im Sinne eines Manipulators/Betrügers, etwa anhand der Erzählungen von seinen Wundertaten (wie bspw. seiner golde­ nen Hüfte). Colbergs Theorie vom Platonisch-Hermetische[n] Christenthum, welche die Schwärmerkritik des 18. Jhds. prägte, stellt die pythagoreische Philosophie an den Anfang und behauptet dafür (S. 4 f.), sie strebe nach der Vergötterung des Menschen und der Weg dorthin beginne mit der Selbst­ erkenntnis. 50/16  Sprachkunde  Komm.: In Diog. Laert. 8,1,14 heißt es, dass Pythagoras’ Schü­ ler »Deuter der göttlichen Stimme« genannt wurden. 50/16  Ränken  Komm.: Der Tod des Pythagoras wird mit einem Streit unter sei­ nen Schülern bzw. mit den aus seiner Schule Ausgeschlossenen in Zusam­ menhang gebracht, siehe Zedler 29, 1862 ›Pythagoras‹. 50/17  Verschwiegenheit  Komm.: Zedler (29, 1862 ›Pythagoras‹): Die Schüler, die Pythagoras in Kroton einweihte, mussten fünf Jahre schweigen; das ent­ spricht Diog. Laert. 8,1,10. Für die ihm zugeschriebene Heilige Rede (hieròs lógos) ist, nach Diog. Laert. 8,1,7, nur der erste Vers überliefert: »Jünglinge, haltet in Ehren mit heiligem Schweigen dies alles«. 50/17  Reisen  Komm.: Pythagoras soll sich auf Reisen nach Ägypten, Persien u. zu den Chaldäern gebildet haben, Diog. Laert. 8,1,3. Vielleicht ist aber auch die Sage von seiner Reise in die Unterwelt gemeint, Diog. Laert. 8,1,14. 50/17  heiligen Magen  Komm.: Nach einer Volksetymologie wörtliche Übersetzung des Namens des Schildknappen Don Quijotes aus Cervantes’ gleichnami­ gen Roman: Sancho Pansa. Bzgl. Pythagoras sind Lehren der Enthaltsam­ keit überliefert, bspw. auch der Verzicht, etwas Beseeltes (Tiere) zu essen. 50/18  güldenen Hüfte  Komm.: Dass Pythagoras eine goldene Hüfte gehabt haben soll, überliefert u. a. Diog. Laert. 8,1,11. 50/18  krotonischen Sittenlehrers  Komm.: Im griechisch besiedelten Kroton in Unteritalien gründete Pythagoras um 530 v. Chr. eine Schule. Zu seiner Sit­ tenlehre vgl. Diog. Laert. 8,1,22–24. 50/20  durch ihre Vorfahren zu Ohren gekommen  Komm.: Dass hier im Prolog Pytha­ goras thematisiert wird, ist vielleicht dem Sokrates-Bild des Plutarch

248

Kommentar W 50/21

geschuldet, der in De genio socratis den Dämon (siehe Komm. SD 35/16 u. 35/20) als tatsächlichen Mittler zu den Göttern verstehbar macht und Sokra­tes damit (wider das gegen jede Schulphilosophie kritische Bild des Moralphilosophen mit einfachem Menschenverstand) an die Tradition der pythagoreischen Philosophie bindet. 50/21  Vögel unter dem Himmel  Komm.: Mt 6,26. 50/23  Katheder  Komm.: In der Vulgata hat Mt 23,2 »cathedram Mosi«, griech. »Μωϋσέως καθέδρας« (NA28), bei Luther mit: ›Stuhl des Mose‹ (Luther 2017) bzw. »Moses stuel« (Luther 1545) übersetzt. 51/1  königlichen Geschmack des Adlers  Komm.: Der Adler ist Symbol des Himmels, der göttlichen Herrschaft und Fürsorge (vgl. 2 Mos 19,4); in der Patristik ver­ weist er zudem auf Christi Himmelfahrt. Seit 1525 war der Adler das Wap­ pentier des Herzogtums Preußen und blieb es auch nach dessen Erhebung zum Königreich 1701. Auch die jährlich publizierten Sammelbände der Akademie in Berlin (Histoire de l’Académie Royale des Sciences et des B ­ elles Lettres) tragen auf dem Titelblatt einen Adler (auf einer Kanone ­sitzend). Russland verwandte den Doppeladler im Wappen, um die Nachfolge Roms zu bezeichnen. Im NT begegnet der Adler vor allem als Aasfresser, vgl. etwa Mt 24,28 u. Lk 17,37. Unter den Todsünden vertritt er die superbia (Hoch­ mut). 51/2  offenen Tafel  Komm.: Öffentliche Speisung von Bedürftigen. Siehe Komm. SD 24/6-8. 51/3  Nachrichters  Komm.: Bezeichnung für den Richter, dem die Urteilsvoll­ streckung, d. h. etwa die Hinrichtung, ebenso aufgetragen war wie die pein­ liche Befragung des Angeklagten bis zum Geständnis; auch Scharfrichter. Vgl. Ziegra Rez-SD 106–109. 51/5  Herolden  Komm.: Dieser moderiert bei Euripides das Blutgericht über Orest. Wappenträger. Zedler 12, 1772 ›Herolde, oder Ehrenholde‹: »Einige führen diese Benennung von dem Griechischen Wort Ηρως, welches so viel, als einen Helden bedeutet her, und sagen, daß Bacchus seine alten Solda­ ten in Indien zu Herolden oder Helden gemacht, daß sie gleichsam derer Könige Räthe seyn sollten. Andere schreiben es dem Alexandro zu, welcher sie nach des Aristotelis Rath soll angestellet haben. Andere meynen, Herold bedeute einen vornehmen Herrn, oder Herald, einen Diener des Heers, von dem Wort so einen Diener bedeutet.« 51/7–10  το […] Orest  Komm.: Eur. Or. 895–897: »τὸ γὰρ γένος τοιοῦτον: ἐπὶ τὸν εὐτυχῆ / πηδῶσ᾽ ἀεὶ κήρυκες: ὅδε δ᾽ αὐτοῖς φίλος, / ὃς ἂν δύνηται πόλεος ἔν τ᾽ ἀρχαῖσιν ᾖ.« – »Das ist ja dieser Menschen Art: den Glücklichen / Umschwärmen stets Herolde; wer die Macht besitzt, / Wen hohe Würden schmücken, der ist ihnen wert.«

bis 54/29

249

53/2  Amsterdam  Komm.: Siehe Komm. SD 1/16. Ziegra Rez-SD 106/1 beginnt auch

mit dieser Ortsangabe. 53/3–6  Die so weit […] erkannt  Komm.: Ziegra Rez-SD 106/2–6. Vgl. Komm. W 47/14. 53/7–29  »Man […] erfinden? ?«  Komm.: Im 57. St. der Hamburgischen Nachrichten werden neben den Denkwürdigkeiten u. a. auch Kästners Anfangsgründe der Analysis rezensiert. In der Rezension heißt es, S. 455 f.: »Weil der enge Raum ihm nicht verstatten wolte, jede Regel mit vielen Exempeln zu erläutern, so hat er nur so viel gesagt, als dazu nothwendig war. Zugleich hat er die Rich­ tigkeit derselben darzuthun gesucht, da andere nicht eben sich Mühe gege­ ben, alles völlig zu demonstriren. Denn man begnüget sich oft, allgemeine Gesetze anzunehmen, wenn man sich von der Richtigkeit derselben bey einigen besondern Fällen versichert hat. Er hat auch verschiedene Dinge mit abgehandelt, die man bisher nicht in den Anfangsgründen der Algebra angetroffen hat, und sich dabey der Schriften des Hn. Eulers bedienet. So handelt er unter andern auch von der Berechnung der Wahrscheinlichkeiten beym Lombre [Kästner, S. 403] und der modorum der Syllogismen [Kästner, S. 405], und hat dabey den lustigen Einfall, ob es nicht eine Preisfrage, so wichtig als sie manchmal von einigen französischen Academien der schö­ nen Wissenschaften pflegen aufgeworfen zu werden, seyn könte: ob mehr Nachdenken nöthig gewesen ist, das Lombre, oder die Figuren und modos der Syllogismen zu erfinden?« Hamann ändert im Zitat des letzten Satzes ›modos‹ zu ›Moden‹; die dem Anspruch nach unumstößlichen Schlußfigu­ ren werden zu willkürlichen und historisch bedingten P ­ räferenzen. 53/11  Herausgeber  Komm.: Christian Ziegra war der Herausgeber der Hamburgischen Nachrichten. 53/18  Wahrscheinlichkeiten  Komm.: Vgl. das Gleichnis vom Kartenspiel in SD 30/29–32/1 und die Rolle des Zufalls dabei. 53/21  seiner selbst eigenen Worte  Komm.: Das folgende Zitat ist seinerseits fast wörtlich dem rezensierten Werk Kästners (Anfangsgründe der Analysis) ent­ nommen, vgl. die Vorrede, S. [9]: »Ich glaube, es wäre eine Preisfrage, so wichtig als sie manchmahl von einigen französischen Akademien der schö­ nen Wissenschaften pflegen aufgegeben zu werden, ob mehr Nachdenken nöthig gewesen ist das Lombre, oder die Figuren und Modos zu erfinden.« 54/1–22  werden mögen […] unphilosophischen Schriftstellern  Komm.: Ziegra RezSD 106/6–107/21. 54/25  Motto aus dem Persius  Komm.: Vgl. Komm. SD 1/11–15. 54/25  vier Bogen in klein Octav  Komm.: Vgl. Komm. W 49/15. 54/29  Hinc illae laerumae  Komm.: Hor. epist. 1,19,41: »hinc illae lacrimae.« – »Daher diese Tränen«. Sprichwörtlich benutzt, wenn eine nicht offensicht­ liche Ursache erkannt wird (insbesondere im Hinblick auf niedere Motive);

250

Kommentar W 54/30f.

u. a. auch in Ter. Andr. 126 u. Juvenal 1,168. »laerumae« ist vmtl. ein Druck­ fehler, richtig: »lacrumae«. 54/30f.  Vorrede [...] Kundbaren  Komm.: SD 3–8. 54/32–55/16  Ihr […] Matth. VII.  Komm.: Mt 7,6. 55/1–13  als der Liebhaber […] verwahrloset  Komm.: Ziegra Rez-SD 107/21–108/5. 55/2  Er will witzig und philosophisch zugleich thun  Annot. W3*: Philocalia et Philosophia prope similiter cognominatae sunt et quasi gentiles inter se videri volunt et sunt. Quid est enim philosophia? Amor sapientiae. Qud philoca­ lia? Amor pulchritudinis. Quaere de Graecis. — […] Germanae igitur istae sunt prorsus et eodem parente procreatae; sed illa visco libidinis detracta caelo suo et inclusa cavea populari, viciniam tamen nominis tenuit ad com­ monendum aucupem, ne illam contemnat. Hanc igitur sine pennis sordi­ datam et egentem volitans libere soror saepe agnoscit, sed raro liberat; non enim Philocalia ista unde genus ducat agnoscit nisi Philosophia. Quam totam fabulam (nam subito Aesopus factus sum) – – Augustinus Lib. 2. con­ tra Academicos p. 198. Tom. I . (edit. Bened.). 〈Aug. c. acad. 2,3,7: »Schön­ heitskult und Weisheitskult sind nahezu auf ähnliche Weise benannt und wollen gleichsam untereinander stammverwandt erscheinen und sind es auch. Denn was ist Philosophie? Kult der Weisheit. Was ist Philokalie? Kult der Schönheit. Frage nur die Griechen, [was ist nun Weisheit?] […] Ver­ schwistert sind also die beiden in der Tat und stammen von demselben Vater ab. Doch jene ist durch die Leimrute der Wollust aus ihrem Himmel herabgezogen worden, und, in ein gemeines Bauer eingeschlossen, behielt sie dennoch ihren verwandten Namen und mahnt damit die Vogelsteller, sie ja nicht zu verachten. Diese in ihrer nackten Schande und Dürftigkeit erkennt die frei einherschwebende Schwester oft an, doch nur selten macht sie sie frei, denn die Philokalie erkennt ja nicht, von wo sie ihre Abstam­ mung herleitet außer mittels der Philosophie. Jene ganze Fabel – denn ich bin plötzlich ein Äsop geworden –«.〉 55/6  Charteque  Komm.: Vgl. Zedler 34, 558 f. ›Scarteke [...]‹: »[…] nichtswürdiges und daher auch sonderlich in denen Rechten bey Führung des Beweises untaugliches Stück Papier, [...] Sonst aber werden mit diesem Namen auch die Pasquille und andere anzügliche Schrifften beleget.« 55/6  Chimärische  Komm.: Ungeheuer der griech. Mythologie, vgl. Zedler 5, 2134– 2136 f. ›Chimaera‹: »Sie war ein ungeheures Thier, so 3. Köpffe, als einen Löwen- Ziegen- und Schlangen-Kopff hatte, anbey von vorn auch einem Löwen, in der Mitten einer Ziege und von hinten einem Drachen glieche, hiernächst Feuer aus dem Rachen spie […] und damit so ungemeinen Scha­ den in Lycien that, als es nicht nur Menschen und Vieh umbrachte, sondern auch selbst das Land weit und breit verwüstete.«

bis 56/25

251

55/9  chinesischen Gemälde  Komm.: Vgl. SD 14/23.

55/23  Hinkender Bote  Komm.: Vgl. Komm. W 49/19. 55/24  Spinn- und Raspelhause  Komm.:

Arbeitshaus, Zuchthaus. Baczko zum 1755 eingerichteten Königsberger »Arbeits- oder Spinnhaus«: »Es dient für sol­ che Personen, die arbeiten können und nicht wollen. Straßenbettler und von ihren Eltern verlassene Kinder, werden deshalb dahin abgeliefert; auch werden, nach gerichtlichem Erkenntniß ungetreue und liederliche Leute, Weibspersonen, die auf öffentliche Kosten von venerischen Krank­ heiten geheilt wurden, Schuldner, welche die Schuld abarbeiten sollen u. d. gl. während der ihnen zuerkannten Zeit, bei nothdürftigem Unterhalte zur bestimmten Arbeit, größtentheils Spinnen, angehalten.« (Königsberg, S. 511 f.). Vgl. W 56/3, 63/20 f. u. Ziegra Rez-SD 108/8. 56/1–13  Möchte man […] UNS Recht  Komm.: Ziegra Rez-SD 108/5–21. 56/6  gesunden Verstand  Komm.: Vgl. zum Wortfeld von ›Vernunft‹ und ›Verstand‹ vgl. Komm. SD 18/21 f. 56/18  Pfefferhüllen  Komm.: Hor. epist. 2,1,264–270: »Ich habe keine Zeit für eine Beflissenheit, die mich belästigt, und ich wünsche weder jemals mit einem Gesicht, das verunstaltet ist, in Wachs ausgestellt noch in schlecht gemach­ ten Versen gerühmt zu werden, damit ich nicht rot vor Wut werde, weil ich mit einer plumpen Gabe beschenkt wurde, mitsamt meinem Dichter in einem verschlossenen Bücherbehälter ausgestreckt liege und in den Stadt­ teil getragen werde, der Weihrauch, aromatische Kräuter, Pfeffer und alles das verkauft, was in dumme Papyrusblätter eingewickelt wird.« 56/22  Furcht  Komm.: Vgl. etwa Hiob 28,28; Ps 111,10; Spr 1,7 u. 9,10. 56/24  sieche Schriftsteller  Komm.: Vgl. W 56/2, 78/20, 80/9, 86/12 u. Ziegra RezSD 108/7. 56/25–32  zu laßen […] gerathen möchte.]  Umarb. W3*: zu lassen. 56/25  Schlaraffenland  Komm.: Häufig als dt. Übers. von Utopia, vgl. bspw. Zedler 34, 1828 ›Schlaraffenland‹, wo aber auch die politische Dimension (im Sinne eines platonischen Idealstaats) der »gantz vollkommenen Regie­ rung« genannt wird, »dergleichen wegen der natürlichen Verderbniß der Menschen in der Welt nicht ist, auch nicht seyn kan«. Für Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, Bd. 1, S. 204, tritt das Schlaraffenland in Opposition zu wahrhaftig Schönem und wird den unteren Seelenkräften zugeordnet: »Sachen, deren Ungereimtheit und Unmöglichkeit, wenn sie an sich betrachtet werden, auch sinlich und durch die untern Kräfte der Seele erkant werden kan, heissen utopische Dinge, Chimären, Träume [...] und eine ganze Menge derselben machen ein Schlaraffenland aus (mundus fabulosus.) Folglich kan kein utopischer und chimärischer Gedanke wahr­ haftig schön seyn.«

252 56/30  G---n  Komm.:

Kommentar W 56/30

Gibeon; bezieht sich entsprechend der hschr. Änderung vmtl. nicht auf Jos 19,21, sondern Jos 9,21. In Jos 9 wird die List der Gibeoni­ ter geschildert. Vgl. HKB 147 (I 348/5, 6.  1758, an den Bruder), hier »Gibeo­ niten« im Sinne von Staatsdienern; auch HKB 161 (I 415/33, 28.  9.  1758, an J. G. Lindner) und HKB 163 (I 428/14, 12.  10.  1759, an J. G. Lindner). 57/1–5  wiederfahren […] zur Sache  Komm.: Ziegra Rez-SD 108/21–27. 57/9–11  Swift […] Schatten war  Komm.: Young: Der nicht fabelhafte Centaur, im Brief »Ueber die Wollust«, S. 152 f.: »Wenige kennen die Unreinigkeit ihres eignen Herzens. Da einer von den berühmtesten Neuern im Alter [der Übers. löst in einer Anm. auf, dass es sich um Swift handelt] seinen Verstand verlohren hatte, so pflegte er, wenn er bey einem Spiegel vorbey gieng, aus Mitleiden auszurufen: Armer alter Mann! ohne zu wissen, daß er es selbst war. So wird auch der Ruchlose eben so unwissend, bey dem Anblicke dieses Spie­ gels, unfehlbar ausrufen: Abscheulicher Bösewicht! Ich antworte demnach auf die vorige Frage, ob die Wollüstlinge nicht ein schlimmeres Schicksal haben, als sie verdienen, daß sie, nach ihrem eignen Urtheilsspruche, das allerschlimmste verdienen.« 57/11  Marg.: οιον […] Phädro   Komm.: Plat. Phaidr. 255  d: »καὶ οὔθ᾽ ὅτι πέπονθεν οἶδεν οὐδ᾽ ἔχει φράσαι, ἀλλ᾽ οἷον ἀπ᾽ ἄλλου ὀφθαλμίας ἀπολελαυκὼς πρόφασιν εἰπεῖν οὐκ ἔχει, ὥσπερ δ᾽ ἐν κατόπτρῳ ἐν τῷ ἐρῶντι ἑαυτὸν ὁρῶν λέληθεν.« – »Er liebt nun also, was aber, weiß er nicht, und er weiß auch nicht, was ihm widerfahren ist, und er kann es nicht benennen, sondern wie einer, der sich von einem anderen ein Augenleiden eingefangen hat, den Grund nicht nennen kann, sieht er wie in einem Spiegel im Liebhaber sich selbst, ohne es zu merken.« 57/16  Nachrichter im Reich der Gelehrsamkeit  Komm.: Ziegra. Vgl. Komm. W 51/3. 57/20  Intermezzo  Komm.: Zwischenspiel, Gottsched in Versuch einer Critischen Dichtkunst (1751), S. 755: »kleine Singspiele [...] zwischen den Aufzügen, eines größern theatralischen Stückes gespielet werden können [...] auf der Opernbühne, bisweilen auch wohl auf der tragischen und komischen; und gemeiniglich sind sie von lustigem und possirlichen Inhalte, dazu nicht über ein Paar, höchstens drey singende Personen gehören.« 57/21  neufränkische Methode  Komm.: Vielleicht wie ›modisch französisch‹; Gott­ sched gab 1733/34 die satirischen Neufränkischen Zeitungen heraus: von gelehrten Sachen […] Darinnen alle die sinnreichen Einfälle der heutigen Gelehrten, die in andern Zeitungen nicht Raum haben, der galanten Welt zur Belustigung enthalten sind (Leipzig). 57/25  ansteckende Gift  Komm.: Vgl. W 60/4, SD  22/21 u. Ziegra Rez-SD  109/11, mglw. bezogen auf Bode Rez-SD 106/12 f.: »kleine Dosis von philosophischer Freydenkerey«.  

bis 58/17

253

57/29–31  schweift aus […] selbst  Komm.: Vgl. W 57/3 f. u. 59/3–5. 57/29  Marg.: redet von japanischen […] Ritterbüchern  Komm.:

60/7 f.

57/31–58/8  wie Saul […] 1 Sam. XIX,24.  Komm.:

Vgl. W 55/8 f., 58/3 f. u.

In 1 Sam 19,24 zieht Saul seine Klei­ der aus, bevor er vor Samuel prophezeite. 58/1–5  räumen, […] mehr  Komm.: Ziegra Rez-SD 108/27–109/1. 58/3f.  Namen […] Urtheilen  Komm.: Bode Rez-SD 105/4–11. 58/8  Marg.: Prophetare […] Vatablus ad 1 Sam XVIII. 10.  Komm.: Dt. Übers. nach N VI 31: »Prophezeien heißt es von den Dummen, das ist Ungereimtes heraus­ schwatzen, da sie selber nicht verstehen, was sie sagen; ähnlich wie die Propheten Ungereimtes und Lächerliches zu sagen scheinen in den Augen derer, die den Geist Gottes nicht verstehen können.« Die Bemerkung geht zurück auf Franciscus Vatablus (1493–1547), franz. Hebraist und Philosoph. Vgl. Biblia Sacra cvm dvplici translatione, S. 176v–177r. Hamanns Quelle ist mit großer Wahrscheinlichkeit das den Orakel-Glauben und Priester-Betrug dekonstruierende Werk von Anton van Dale: Dissertationes de Origine ac progressu Idololatriae et Superstitionum, S. 440, das besonders durch Fon­ tenelles Rezeption in Histoire des Oracles bekannt wurde. Die dort gege­ bene Zusammenfassung des Kommentars Vatablus’ stimmt wörtlich mit Hamanns Randbemerkung überein. Van Dale bezieht sich für seine Aber­ glaubenskritik auch ausführlich auf Aristophanes. 58/10  Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten  Komm.: Bode Rez-SD 104– 106. 58/15  Crusius  Komm.: Christian August Crusius (1715–1775); siehe Komm. W 58/17, 73/4 und Bode Rez-SD 105/7–11 sowie Einführung, S. LII f. 58/16–59/9  »Es war […] können.«  Komm.: Vmtl. fiktives Zitat; vgl. Bode RezSD 105/7–11. Mglw. steht bereits Hirzels 1761 erschienene Wirthschaft eines Philosophischen Bauers im Hintergrund. Der dort porträtierte Bauer Jakob Gujer, genannt Kleinjogg, wird im Nachgang an Hirzels Publikation zum Prototyp eines Menschen mit (im positiven Sinne) ›gesundem Bauerver­ stand‹. S. 73 lässt Hirzel den Bauern über »die Herren Prediger« ausfüh­ ren: »Diese Herren sind gemeinlich in ihren Predigten gar zu gelehrt, und geben weitläuftige Erklärungen von den Texten, die der einfältige Bauer nicht verstehet, hingegen sagen sie, nicht deutlich und einfältig genug, wie man thun sollte.« Vgl. auch Komm. W 59/16. 58/17  heiligen Rede  Komm.: Siehe die Rezension in Neue Beyträge von alten und neuen theologischen Sachen, Büchern, Urkunden [...] Auf das Jahr 1760 (Leipzig), S. 347–349, über die 2. Aufl. von Crusius’ Abhandlung von der Vorbereitung zum Tode: Als Reaktion auf den Vorwurf der Unverständ­ lichkeit wird Crusius’ Predigt eine »heilige Rede« genannt (S. 349), deren

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Kommentar W 58/27

Stil auch durch die Hörerschaft in einer Universitätskirche gerechtfertigt sei. Gegen die, bspw. von Gottsched favorisierte, gelehrte Predigt wurde vielfach polemisiert, bspw. von Meier, der 1753/54 die philosophische Pre­ digt eine »thörichte Sache« nennt, etwa mit diesem Argument: »Wer einen philosophischen und gelehrten Vortrag verstehen, und durch denselben gerühret werden will, der muß selbst gelehrt sein […] Nun ist klar, daß der gröste Haufe der Zuhörer einer Predigt aus den Leuten bestehet, die nicht einmal ein natürliches Geschick zur Gelehrsamkeit besitzen […] Und wenn auch ein Prediger lauter gelehrte Zuhörer haben solte, so muß er doch nicht philosophisch predigen, weil kein Gelehrter in eine Predigt gehen muß, um eine gelehrte Erkenntniß theologischer Wahrheiten zu erlangen.« (Gedancken vom philosophischen Predigen, S. 198) 58/27  gesunden Bauerverstand  Komm.: Zum Wortfeld von ›Verstand‹, zusammen mit ›Vernunft‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 59/1–5  - - Gott […] Schriftsteller, als  Komm.: Ziegra Rez-SD 109/1–7. 59/5  dunkeln  Komm.: Vgl. W 64/13, 68/6 und Mendelssohn Rez-SD 94/11 f., 95/1 u. Bode Rez-SD 105/13, Ziegra Rez-SD 109/6. 59/3–60/2  wiedersprechen […] Genie  Komm.: Bode Rez-SD 106/10 f. 59/14–20  »Man glaube […] sehr«  Komm.: Vmtl. fiktives Zitat. 59/16  Kirchenkruge  Komm.: Bezeichnung für ein Wirtshaus in Kirchennähe. Der in Hirzels Wirthschaft eines Philosophischen Bauers porträtierte Bauer Jakob Gujer war »Weinschenk in seinem Dorf« (S. 83), vgl. Komm. W 58/16–59/9. 59/23f.  solch Zeug […] Bauern an  Komm.: Vgl. W 58/4 u. 60/4. 60/1–8  wofür sie […] Qvichotte (9) thaten  Komm.: Ziegra Rez-SD 109/7–15. 60/8  Don Qvichotte  Komm.: In dt. Übers. lag der Don Quijote von Miguel de Cer­ vantes bereits seit Mitte des 17. Jhds. in mehreren (unvollständigen) Aus­ gaben vor, bspw. als Des berühmten Ritters Don Quixote von Mancha lustige und sinnreiche Geschichte. 60/10  semiotischen  Komm.: Begriff der Medizin, die Zeichen von Krankheit und Gesundheit betreffend, vgl. Zedler 36, 1758 ›Semiotica‹. 60/11–15  Φυσαν […] προγνωςτικω  Komm.: Hipp. prog. (griech. προγνωστικόν) 11: »φῦσαν δὲ ἄνευ ψόφου καὶ περδήσιος διεξιέναι ἄριστον: κρέσσον δὲ καὶ ξὺν ψόφῳ διελθεῖν ἢ αὐτοῦ ἀνειλέεσθα.« – »Wenn eine Blähung ohne Geräusch und Wind (aus dem Leib) austritt, ist es am besten. Es ist jedoch besser, sie geht auch unter Geräusch ab, als daß sie dort (im Leib) zurückgehalten und zusammengedrängt wird.« 60/16–19  Μετα […] προρρητ  Komm.: Hamann kompiliert drei unterschiedliche Stellen aus dem ersten ›Buch der Vorhersagungen‹ (griech. προρρητικόν) des Hippokrates zu einem Zitat. Hippokr. prorrh. 1,64: »Μετὰ ῥίγεος ἄγνοια

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κακόν· κακὸν δὲ καὶ λήθη.« – »Bewußtlosigkeit bei Fieberfrost ist schlimm;

schlimm auch Vergeßlichkeit.« Hippokr. prorrh. 1,84: » Ὄμματος κατάκλεισις ἐν ὀξέσι κακόν.« – »Schließen der Augen in hitzigen Krankheiten ein schlimmes Zeichen.« Hippokr. prorrh. 1,23: »Αἱ μετὰ λυγγὸς ἀφωνίαι κάκισ­ τον.« – »Sprachlosigkeit bei Schluckkrampf sehr übel.«. 60/20  Roßinante  Komm.: Das altersschwache Pferd Don Quijotes (vgl. W 60/8), das von ihm zu einem ehrwürdigen Ross eines fahrenden Ritters ernannt wird. Der Name setzt sich zusammen aus spanisch rocin (dt. Klepper/ Gaul) und ante (dt. vor): »Hierauf dacht er an seinen Gaul. Dieser kam ihm eben so schön vor, als des grossen Alexanders Bucephalus, oder des Cid sein Babiesa; ob er gleich an allen vier Beinen Schäden hatte, und so hager war, daß die Sonne hätte mögen durchscheinen. Er sonne vier gantze Tage ­darauf, was er ihm für einen Nahmen geben wollte; weil er es für sehr unrecht hielt, wenn ein Pferde eines so berühmten Ritters nicht auch einen Weltberühmten Nahmen führte. Demnach bemühete er sich einen zu erfin­ den, und zwar zugleich einen solchen, welcher seinen vorigen Zustand, ehe es zum Pferde eines irrenden Ritters geworden, und den gegenwärtigen, füglich andeuten möchte. Er hielt es für billig, daß, da er selbst seinen Zustand geändert, auch sein Pferd einen anderen Nahmen bekäme, wel­ cher prächtig wäre, und seiner neuerwehlten Lebensart zukäme. Nachdem er sich nun den Kopf lange zerbrochen, und durch vielfältiges Verstüm­ meln, Flicken und Zusammensetzen der Wörter, seine liebe Muttersprache erbärmlich geradebrecht hatte, so nennte er es endlich Rossinante.« (Cer­ vantes: Des berühmten Ritters Don Quixote von Mancha lustige und sinnreiche Geschichte, Tl. 1, S. 7 [Kap. 1]) 60/20  frist Disteln  Komm.: Vgl. Daphne, Tl. 2, St. 50, S. 80: »Wer überhaupt die Schönheiten witziger Schriften nicht empfindet, der straft sich selbst, und wenn man sie ohne Unterscheid verwerffen höret; so ist es besser, mit einem Gellert und Hagedorn zu leiden, als wider sie zu seyn. Man kan den Entschluß fassen, den der alte Regnier bereits aus einem gerechten Eifer über die schlechten Kenner der Dichtkunst in diesem artigen und scherz­ haften Einfall angerathen: Wenn, sagt er, in seinem fall, wenn man den Virgil, den Tasso, den Ronsard für Esel hält; so laßt uns nicht die Zeit mit dergleichen Reden verderben. Laßt uns lieber mit ihnen aufs Feld gehen und Disteln essen. [Anm.: Si Virgile, le Tasse, & Ronsard sont des Anes; / Sans perdre en ces discours, le tems que nous perdons, / Allons comme eux aux champs, & mangeons des chardons.]« Zitiert wird das Ende von Mathurin Régniers (1573–1613) neunter Satire (»A Monsieur Rapin«), auf die wiederum Nicolas Boileau Despréaux (1636–1711) am Ende seiner ach­

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Kommentar W 60/22f.

ten Satire (»A M..., Docteur de Sorbonne«), ein beißender Gelehrtenspott, anspielt, wobei die Disteln wohl als Bild der viehischen Mühe gelten. Esel sind sprichwörtlich dafür bekannt, Disteln zu fressen. 60/22f.  Metaphysicker [...] curiosas  Komm.: Vmtl. Anspielung auf die Lesegewohn­ heiten von Kant; vgl. HKB 153 (I 380/29, 27.  7.  1759, an Kant). Die von Happel hg. Grösten Denkwürdigkeiten der Welt, eines der erfolgreichsten Periodika seiner Zeit, erschienen von 1682 bis 1691 in Hamburg. Happel richtete sich an ein breites Publikum, für das er aus der gelehrten Literatur Nachrichten von Kuriositäten, aber auch wissenschaftliche Entdeckungen kompilierte. Nachahmungen erschienen auch noch im 18. Jhd., bspw. die von Feind betreuten Relationes Curiosae Oder Denckwürdigkeiten der Welt oder die von Schetelig hg. Hapelii Fortgesetzte Relationes Curiosae. 60/26  neuesten Schriftstellern  Komm.: Anspielung auf die Briefe, die Neueste Litteratur betreffend. 60/28  kluger Stallmeister  Komm.: Sancho Pansa ist der Stallmeister Don Quijotes, dessen Name einen »heiligen [vielleicht auch starken] Magen« ankündigt, vgl. W 50/17 f. Er verkörpert den Bauernverstand. 61/2–7  Zwillingspaar […] entweyhen darf  Komm.: Romulus und Remus, die der römi­ schen Mythologie zufolge 753 v. Chr. die Stadt Rom gegründet haben. Die Kinder von Mars und Rhea Silvia wurden nach der Geburt auf dem Tiber ausgesetzt und von einer Wölfin (Mamma Lupa) gerettet und gesäugt. Bei der Gründung der Stadt Rom gerieten die Zwillinge in Grenzstreitigkeiten. Nachdem Remus die nur symbolisch als Furche gezogene Stadtgrenze sei­ nes Bruders Romulus nicht anerkannte und spottend übersprang, erschlug dieser ihn. 61/8  Ende der ersten Handlung  Annot. W3* unterhalb: von Protagoras: – ἀλλὰ φυγῆς ἐπεμαίετο, ὄφρα μὴ οὕτως / Σωκρατικὸν πίνων ψυχρὸν πότον Ἀίδα δύῃ. Sext. Empiricus p. 565 ex Timonis Phliasii Σίλλοις = Sales seu Scommata. 〈Sext. Emp. adv. phys. 1,57: »[…] sondern er strebte nach der Flucht, damit er sich nicht so, / den kühlen Trank des Sokrates trinkend, in den Hades begebe.« Dort wird seinerseits aus dem zweiten Buch der Silli (Σίλλοις) des Timon von Phleius zitiert. Hamanns Ausgabe übersetzt diesen Titel als Sales seu Scommata, d. h. Sarkasmen oder Verhöhnungen.〉 62/2  Niederlage  Komm.: Kann sowohl Darniederliegen des Besiegten als auch Aufbewahrung bedeuten. 62/4  Riesenleichnam  Komm.: Anspielung auf Goliat, den riesenhaften Vorkämp­ fer der Philister (1 Sam 17,4). In vielen bildlichen Darstellungen tritt David nach der Erlegung des Riesen mit einem Fuß auf den Leichnam und hält den abgeschlagenen Kopf in die Höhe. Vgl. dazu HKB 146 (I 339/28–340/3, 5.  6.  1759, an J. G. Lindner), zitiert in Komm. SD 11/12.

bis 62/9–11

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62/4  zum Fußsteig dienen  Annot. W3*: Jes LI ,23.

62/7  verhüllten Muse  Komm.: Polyhymnia, die Muse der Hymnendichtung, wird

meist mit einem Schleier dargestellt. Vielleicht auch Anspielung auf Sokra­ tes’ bekleidete Gratien, vgl. SD 21/19–22/10. 62/9–11  Naturforscher […] besungen  Komm.: Karl Heinrich Rappolt (1702–1753), seit 1731 außerordentlicher Professor der Naturlehre an der Universität Königsberg; hielt Vorlesungen über Messkunst, Naturkunde, lateinische und englische Sprache; seit 1735 Mitglied der Berlinischen Akademie der Wissenschaften; verfasste naturkundliche Schriften sowie lateinische Gedichte. U. a. verzeichnet bei Strodtmann (Des Neuen Gelehrten Europa, Tl. 5, S. 150): »Caii Herennii Rapidii, de Pisis ad Pisones. Pisae Aestiorum. 1740.« (ebenso Dunkel: Historisch-Critische Nachrichten, S. 112–117). Mit dem Titel spielt das Gedicht u. a. auf die Pisonen, die Adressaten von Hor. ars an. Das sog. Erbsengedicht ist nur in Auszügen überliefert, die im 27. St. (2. April 1742) der Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen, S. 238 f. abge­ druckt sind: »Pisa. / Unter der Benennung dieses Orts geht ein aufgeweck­ tes lateinisches Gedichte herum, welches den Titel führet: Caii Herennii Rapidi Pisonis sermo ad Pisones und in 8o 1 Bog. gedruckt ist. Es ist solches ein artiges Scherzgedichte zum Lobe der Erbsen, welche der Herr Verfasser erstlich nach ihrer Gestalt, ihrer Beschaffenheit, und ihrem Wachsthume beschreibt; darauf besingt er wie man sie auf allerhand Art gekocht und ungekocht, grün und dürre essen könne. Nach diesem vergleicht er den Menschen mit einer Erbse, in diesen Versen: / An caput humanum differt ab imagine pisi? / Matre pia semper pisum duraque globatur, / Cranium & in lento spectandum cortice raui: / Interius scitis geminatum habitare cerebrum. / Sic itaque omnis homo, verus sane microcosmus, / Ruyschius euicit! primo caput, embryo, pisum est: / Explicat ast vtero matris talosque manusque, / Vt terrae gremio radicem & brachiu pisum. [Unterscheidet sich etwa der Kopf eines Menschen von dem Aussehen einer Erbse? / Eine Erbse ballt sich immer in einer frommen und harten Mutter, / und ein Schädel ist in der zähen Rinde einer gräulich-gelben Frucht zu betrachten: / Ihr wisst, dass drinnen ein doppeltes Gehirn wohnt. / So ist deshalb jeder Mensch wohl ein rechter Mikrokosmos, / – Ruyschius [Friedrich Ruysch] hat es bewiesen – anfangs Kopf, Embryo, Erbse. / Er entwickelt aber im Uterus der Mutter sowohl Knöchel als auch Hände, / wie eine Erbse im Schoß der Erde Wurzel und Äste.] / Darauf redet er verschiedene Sternseher an und fraget: / Dicite, nonne globus terrae, quin corpora coeli / Iuncta simul, pisis rauis aequantur & albis? / Sol, oculus mundi, pisum, qua candicat, album est, / Hilo nonnunquam, maculis faculisque notatus. / Quid macu­ losa soror? Venus, Hermes, Mars, aliique / Stipati reliquis? cum terra raua

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Kommentar W 62/12f.

bis octo, / Motibus assiduis solem saltantia circum: / Sol coquit illa; illis modulatio musica praesto. / Stellae aliae quid sunt, nisi circumstantia pisa? [Sagt, gleichen etwa nicht der Erdball, ja sogar zugleich die verbundenen Himmels- / körper, gräulich-gelben und weißen Erbsen? / Sol, das Auge des Kosmos, ist, insofern er weißlich ist, eine weiße Erbse, / bisweilen durch ein Fäserchen, Flecken und Flämmchen gezeichnet. / Was ist erst mit seiner fleckigen Schwester? Was mit Venus, Hermes, Mars und den anderen, / die mit den Übrigen zusammengedrängt sind? Zusammen mit der Erde sind es zweimal acht gräulich-gelbe Früchte, / die in beständigen Bewegungen um die Sonne springen: / Die Sonne kocht sie; bei ihnen zeigt sich ein musika­ lischer Rhythmus. / Die anderen Sterne, was sind sie anderes als herumste­ hende Erbsen?] / Er saget, der Erdbeschreiber untersuche den Erdball nicht anders, als wenn er eine Erbse vor Augen hätte und setzet hinzu: / Inspiciens ollam Copernicus omnia vidit, / Luminis vmbrarumque vices, vertiginem & ipsam. / Ergo, Mathematici! seruate mathemata raui. / Pisa, homines, tellus, sol, orbes, vniqueuersum / Harmonica sese ratione videtis habere. [Indem er einen Kochtopf betrachtete, hat Kopernikus alles erkannt, / die Wechsel von Licht und Schatten, sogar den Strudel selbst. / Daher, Mathematiker!, bewahrt die Wissenschaft der gräulich-gelben Frucht, / Erbsen, Menschen, Erde, Sonne, Kreise, Universum / verhalten sich, wie ihr seht, in harmo­ nischer Vernunft.] / Zuletzt widerleget er auch noch die Einwürfe, welche man wider die Vortrefflichkeit der Erbsen machen könnte. Aus den ange­ führten Stellen wird man sich von der Schreibart und dem Geiste dieses Dichters einen hinlänglichen Begriff machen können.« (dt. Übers. v. Jakob Rensinghoff ). Die grauen Felderbsen waren in Preußen ein sehr gewöhn­ liches Grundnahrungsmittel und wurden in großer Menge angebaut. 62/12f.  Credite […] MINERVAE  Komm.: Glaubt mir, ich vertrete die Sache des Volkes, die [Sache] des Schweines wie auch [die Sache] der Minerva. Vmtl. ein nicht überlieferter Vers aus Rappolts scherzhaftem Erbsengedicht, vgl. Komm. W 62/9–11. Der Anfang des Verses nimmt Pers. saturae 4,1 auf: »Rem populi tractas?«. 62/14–63/4  Hexe zu Endor […] auszurotten befiehlt  Komm.: In 1 Sam 28,8–14 wird geschildert, wie Saul eine Totenbeschwörerin in Endor aufsucht und sie bittet, den Geist Samuels zu beschwören. 62/19  Marg.: οτι […] Namens   Komm.: Plat. soph. 235  a: »ὅτι τῶν γοήτων ἐστί τις μιμητὴς ὢν τῶν ὄντων« – »daß er als ein Nachahmer des Wirklichen zu den Zauberern gehört«. 62/23–29  Dies Thier […] 1760. Jahres  Annot. W3*: Sokrates im Laches: κατὰ τὴν παροιμίαν τῷ ὄντι οὐκ ἂν πᾶσα ὗς γνοίη· οὐδ᾽ ἂν ἀνδρεία γένοιτο. 〈Plat. Lach. 196  d: »[Sokrates:] Nach dem Sprichwort [also] wird in der Tat nicht jedes

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Schwein dieses wissen noch auch tapfer sein.«〉 Vide Plutarchum in Theseo 〈Plut. Thes. 29〉. 62/23f.  Dies Thier [...] bedeutet haben  Komm.: Hamanns Quelle ist vmtl. de Hooghe: Hieroglyphica oder Denkbilder der alten Völker, S. 29. De Hooghe stellt dort Regeln auf für das Aufstellen von Merkbildern. Zur Erläuterung gibt er Negativbeispiele: »Einen Roßkäfer (wie gesaget worden) für eine oberste Gottheit, oder ein Ferkel, für einen tieffsinnigen Nachforscher und Unter­ sucher der Geheimnisse. Beyde sind von den Aegyptiern, ob wohl sehr ungeschickt, gebraucht worden: denn die Geringschätzigkeit und Unflätig­ keit dieser Zeichen verstößt wider die Achtung der Gottheit, und die Würde eines wackern Untersuchers.« 62/24–29  Verachtung […] Jahres.  Komm.: Hamann nimmt Bezug auf Burkius’ Psal­ menkommentar (Gnomon Psalmorum), der ebenfalls im 57. Stück der Hamburgischen Nachrichten besprochen wird. Dort (S. 455) heißt es anerken­ nend: »Mit den hebräischen, ägyptischen und arabischen Alterthümern, womit sich einige Gelehrte gewaltig brüsten, wie auch mit physicalischen und metaphysischen Grübeleyen, daran einige auch ein besonderes Ver­ gnügen finden, hat er sich wohlbedächtlich nicht abgegeben, aber allemal die Erbauung seiner Leser vor Augen gehabt.« 63/4  schwarzen Kunst  Komm.: Zedler 35, 1971 ›Schwarze Kunst‹: »heißt eine böse und verbotene Kunst, da man durch Hülffe des Satans, oder durch aller­ hand abergläubische und ungereimte Mittel, Dinge zu thun sich unter­ stehet, die in der Natur unmöglich sind«. Aber auch die Tätigkeiten der Drucker und Schriftsetzer werden als ›schwarze Kunst‹ bezeichnet. Vgl. auch W 68/8, 81/5, 84,20 f., 87/23. 63/7  Spiegel im Rätzel  Komm.: 1 Kor 13,12. 63/10  vter est insanior horum?  Komm.: Hor. sat. 2,3,102: »uter est insanior horum?« – »Wer von diesen beiden ist verrückter?« Die Frage ist gestellt mit Bezug auf den habgierigen Staberius einerseits, der seine Erben dazu verpflich­ tete, auf seinem Grabstein die Erbschaftssumme einzugravieren, sowie auf Aristipp andererseits, der seinen Sklaven befahl, das Gold wegzuwerfen, damit sie schneller vorankämen. 63/11–13  Wehmütter […] Schoß genommen  Komm.: Vgl. 2 Mos 1,15–22; 2 Mos 2,1–10; Apg 7,20 f. Vgl. W 77/14–17. Vgl. auch Sokrates und die Figur der Hebamme in SD 20/3. Vielleicht auch bezogen auf Mendelssohn Rez-SD 94/3 f.: »fand ein Schriftchen von vier kleinen Bogen«, nachdem dieser die Aufgabe der Literaturkritik wie den Umgang mit einem ungezogenen Kind beschrieben hatte, sowie Mendelssohn Rez-SD 104/6: das Fazit vom »Miniaturgemälde«. 63/11  Marg.: Briefe die neueste Litteratur betreffend  Komm.: Mendelssohn RezSD 93–104.

260 63/14  gemeine Wesen  Komm.:

Kommentar W 63/14

Mendelssohn Rez-SD 94/27 f.: »Ich bin einer von den gemeinen Lesern«, in Bzg. auf Hamanns gegen das Publikum und die »Zween« gerichtete Zuschriften in den SD 6/21 und 11/8. 63/19f.  Pharao […] Frohndienst  Komm.: 2 Mos 5,17 f. 63/20  Spinn- und Raspelhäusern  Komm.: Vgl. Komm. W 55/24. 63/21  Unbarmherzigkeit  Komm.: 2 Mos 1,13 f. 63/21f.  listiger […] Felde  Komm.: 1 Mos 3,1; Hes 37,1. Vgl. auch W 50/15. 63/25  lüstern und klug  Komm.: 1 Mos 3,6. 64/2  lügenhaften Geburtsort  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 106/1–11, W 53/3–54/5 u. Komm. SD 1/16. 64/3  Selbst- und Mitlauter in dem Namen  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD  108/29 f., W 58/3. 64/5  Person  Komm.: Zur ›Entdeckung‹ des Autors vgl. Ziegra Rez-SD 106/5 f. Vgl. dagegen SD 24/6 f.: »kein Ansehen der Person«, und die ebd. geforderte Bil­ ligkeit, SD 12/7, die gemäß Georg Friedrich Meiers Auslegungskunst nicht die Kenntnis der Person voraussetzt, sondern zuerst die Hypothese eines vernunftfähigen Autors. 64/6  lakonisch oder asiatisch  Komm.: Stilunterscheidung der klassischen Rheto­ rik, deren Bezeichnungen sich auf das Herkommen dieser Stile beziehen; lakonisch ist charakteristisch für die Bewohner Lakoniens (Sparta), eine lapidare, schmucklose Ausdrucksweise; asiatisch, ein kunstvoller, extra­ vaganter Stil, der besonders im 1. Jhd. v. Chr. den Schriftstellern Klein­asiens unterstellt wird. Gottsched lehnt diese Art der Stilunterscheidung für eine moderne Rhetorik ab, auch bspw. eine Übertragung der Definitionsweise nach vermeintlichem Herkommen, etwa zur Unterscheidung einer »schle­ sischen, fränkischen, meißnischen, und niedersächsischen Schreibart«. (Ausführliche Redekunst, S. 358 f.) 64/7  Völkerrecht oder Droit de convenance  Komm.: Vertragliches Recht vs. Gewohn­ heitsrecht. Ihre Anwendung zu Kriegs- bzw. imperialistischen Zwecken wurde zur Zeit des Siebenjährigen Krieges heiß diskutiert, vor allem in Bezug auf die Okkupation Sachsens durch Preußen (August 1756). Der Gegensatz von »herrschende[n] Sitten« und »unterdrückten Gesetzen« (W 64/12) ließe sich auch darauf beziehen. 64/13  Beschuldigung der Dunkelheit  Komm.: Vgl. W 59/5, 68/6 und Mendelssohn Rez-SD 94/11 f., 95/1, Bode Rez-SD 105/13, Ziegra Rez-SD 109/6. 64/19  Bildsäulen der Gratien  Komm.: Vgl. SD 21/19–22/10. 64/20  chimärischen  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 107/28 u. W 55/6. 64/20  chimärischen Einfällen  Annot. W3*: ἐοίκασι δέ πως οἱ Στρωματεῖς οὐ παραδείσοις ἐξησκημένοις, ἐκείνοις τοῖς ἐν στοίχῳ καταπεφυτευμένοις εἰς ἡδονὴν ὄψεως· ὄρει δὲ μᾶλλον συσκίῳ τινὶ καὶ δασεῖ, κυπαρίσσοις καὶ πλατάνοις,

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δάφνῃ τε καὶ κισσῷ, μηλέαις τε ὁμοῦ καὶ ἐλαίαις, καὶ συκαῖς καταπεφυτευμένῳ, ἐξεπίτηδες ἀναμεμιγμένης τῆς φυτείας καρποφόρων τε ὁμοῦ καὶ ἀκάρπων δένδρων, διὰ τοὺς ὑφαιρεῖσθαι καὶ κλέπτειν τολμῶντας τὰ ὥρια, ἐθε-

λούσης λανθάνειν τῆς γραφῆς. ἐξ ὧν δὴ μεταμοσχεύσας καὶ μεταφυτεύσας ὁ

γεωργὸς, ὡραῖον κατακοσμήσει παράδεισον, καὶ ἄλσος ἐπιτερπές. […] πολλὰ

γὰρ τὰ δελέατα καὶ ποικίλα, διὰ τὰς τῶν ἰχθύων διαφοράς. Clem. Alex. Strom.

Lib. VII, p. 766.767. 〈Clem. Al. strom. 7,111,1–3: »Unsere ›Teppiche‹ gleichen aber wohl nicht jenen sorgfältig angelegten Gärten, in denen zur Ergötzung der Augen alles in schöner Ordnung angepflanzt ist, sondern eher einer schattigen Berghalde, auf der Zypressen und Platanen, Lorbeer und Efeu dicht beieinander wachsen und auf der zugleich auch Apfelbäume und Ölbäume und Feigenbäume angepflanzt sind, indem wegen der Leute, die das Obst heimlich wegnehmen und stehlen wollen, mit Absicht Obstbäume und Bäume ohne genießbare Früchte untereinander gepflanzt sind; ebenso wollte der eigentliche Inhalt meiner Schrift verborgen bleiben. Wenn der Gärtner aus einem solchen Wald die Bäume umpflanzt und versetzt, so kann er aus ihm einen schönen Park und einen lieblichen Hain herstellen. […] Denn weil die Fische so verschieden sind, müssen auch die Lockmittel zahlreich und mannigfach sein.«〉 64/20f.  Marg.: Οταν […] Sophisten  Komm.: Plat. Soph. 267  a: »ὅταν οἶμαι τὸ σὸν σχῆμά τις τῷ ἑαυτοῦ χρώμενος σώματι προσόμοιον ἢ φωνὴν φωνῇ φαίνεσθαι ποιῇ, μίμησις τοῦτο τῆς φανταστικῆς μάλιστα κέκληταί που« – »[Fremder]: Wenn jemand, meine ich, seines eigenen Leibes sich bedienend deine Gestalt oder deine Stimme mittelst der seinigen ganz ähnlich erscheinen macht, so heißt dieser Teil der Trugbildnerei gewöhnlich Nachahmung.« 64/23f.  παραρυθμ’ [...] Χαριτων  Komm.: Aristoph. Thesm. (griech. Θεσμοϕοριάζουσαι) 120–122: »Λατώ τε κρούματά τ᾿ Ἀσιάδος / ποδὶ παράρυθμ᾿ εὔρυθμα Φρυγίων / διὰ νεύματα Χαρίτων.« – »Und Leto und asiat’scher Kithara / Widerrhythmische rhythmische Takte auf Wink / Der Chariten des Phry­ gischen Lieds.« 64/26  Nacht-[stück]  Komm.: Gemälde, auf dem eine Nachtszene abgebildet ist. 64/27  Schaustück  Komm.: Eine prunkvolle bzw. repräsentative Münze oder über­ haupt eine Münze, an der sich politische Herrschaft ablesen lässt. 64/28  Jäger  Komm.: Vgl. den Jäger nach poetischen Reden in Aristoph. Nub. 358 f. in W 47/10–13. 65/1  Symmetrie alcinoischer Lustgärten  Komm.: Vgl. Komm. W 65/26–28, »Symme­ trie« lässt sich auch auf die dort angeführte Verskunst Homers beziehen, der die Üppigkeit der Gärten mit Wiederholungsstrukturen ausdrückt. 65/1  Marg.: Η μεν […] Protagoras  Komm.: Plat. Prot. 356  d–e: »ἆρα ἡ μετρητικὴ τέχνη ἢ ἡ τοῦ φαινομένου δύναμις; ἢ αὕτη μὲν ἡμᾶς ἐπλάνα καὶ ἐποίει ἄνω τε καὶ

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Kommentar W 65/4

κάτω πολλάκις μεταλαμβάνειν ταὐτὰ καὶ μεταμέλειν καὶ ἐν ταῖς πράξεσιν καὶ ἐν ταῖς αἱρέσεσιν τῶν μεγάλων τε καὶ σμικρῶν, ἡ δὲ μετρητικὴ ἄκυρον μὲν

ἂν ἐποίησε τοῦτο τὸ φάντασμα, δηλώσασα δὲ τὸ ἀληθὲς ἡσυχίαν ἂν ἐποίησεν

ἔχειν τὴν ψυχὴν μένουσαν ἐπὶ τῷ ἀληθεῖ καὶ ἔσωσεν ἂν τὸν βίον;«

– »Was würde sich dann zeigen als das Heil unseres Lebens? Die Kunst zu mes­ sen oder die Gewalt des Scheins? Oder würde nicht die letzte uns gewiss irre führen und machen, daß wir oft das Unterste wieder zuoberst kehren müßten in derselben Sache und wieder andere Entschließungen fassen in unserer Hervorbringung und Auswahl des Großen und Kleinen, die Meß­ kunst hingegen dieses Trugbild unwirksam machen und durch deutliche Bezeichnungen des Wahren der Seele, welche dann bei der Wahrheit bliebe, Ruhe verschaffen und auf diese Art unserm Leben Heil bringen?« 65/4  Gesicht  Komm.: Hier vor allem im Sinne von Sicht-/Sehweise bzw. Perspek­ tive, nicht so sehr im Sinne von Vision. 65/6f.  Bäume [...] Berge  Komm.: Mk 8,24 u. Ri 9,36. Die Reihenfolge der Fußnoten in W 65/29 ist vertauscht, die Numerierung stimmt allerdings. Es entsteht so eine chiastische Struktur zwischen Zitat und Quellenangabe. Vielleicht ein Versehen Hamanns bzw. des Setzers, allerdings spiegelt die buchstäbli­ che Vertauschung von Zitat und Quellenangabe semantisch auch eben jene Verwechslung wider, von der im Text die Rede ist. 65/8  Schalksauge  Komm.: Mk 7,22. 65/14  Andacht  Komm.: Vgl. SD 11/19, 22/5 u. Komm. SD 38/13. 65/16–20  Um der Engel [...] erscheinen dürfen  Komm.: 1 Kor 11,5–10. Zur »Decke« vgl. auch W 90/7. Hamann kannte die Analyse dieser Stelle von Shuckford: Abhandlung von der Schöpfung, S. 77 f., der damit die körperliche Gott­ ebenbildlichkeit des Mannes betont; die Frau müsse sich als Nachahmung zweiten Grades bedecken. Zur ›Entdeckung‹ des Autors vgl. Ziegra RezSD 106/5 f. 65/17  eine Macht auf dem Haupte haben  Annot. W3*: ἐγκαλυψάμενος ἐρῶ, ἵνα ὅτι τάχιστα διαδράμω τὸν λόγον καὶ μὴ, βλέπων πρὸς σὲ, ὑπ᾽ αἰσχύνης διαπορῶμαι. Dieser List bedient sich Sokrates gegen den Phädrus. 〈Plat. Phaidr. 237  a: »[Sokrates:] Verhüllt will ich sprechen, damit ich so schnell wie möglich durch die Rede hindurchkomme und nicht aus Scham verwirrt bin, wenn ich dich anschaue.«〉 65/20  Marg.: Εγκαλυψαμενος […] Phaedrus  Komm.: Vgl. Annot. W 65/17 f. 65/21  Aufschrift  Komm.: SD 1. 65/26–28  Ογχη […] Odyss. VII.  Komm.: Die üppigen Gärten auf der Insel Corcyra (heutiges Korfu) des obersten Fürsten der Phäaken Alcinous werden in Hom. Od. 7,110–130 ausführlich beschrieben. Hamann zitiert Hom. Od. 7,120–121: »ὄγχνη ἐπ᾽ ὄγχνῃ γηράσκει, μῆλον δ᾽ ἐπὶ μήλῳ, / αὐτὰρ ἐπὶ στα-

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φυλῇ σταφυλή, σῦκον δ᾽ ἐπὶ σύκῳ.«

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– »Birnen reifen auf Birnen, auf Äpfel röten sich Äpfel, / Trauben auf Trauben erdunkeln, und Feigen schrumpfen auf Feigen.« 65/30–66/29  μη νυν […] Aristoph. in Nubib.  Komm.: Aristoph. Nub. 762–764: »μή νυν περὶ σαυτὸν εἶλλε τὴν γνώμην ἀεί, / ἀλλ᾽ ἀποχάλα τὴν φροντίδ᾽ ἐς τὸν ἀέρα / λινόδετον ὥσπερ μηλολόνθην τοῦ ποδός.« – »[Sokrates:] Nun zwäng doch deinen Geist nicht immer um dich selbst, / Lass vielmehr frei das Denken steigen in die Luft / Wie einen Maikäfer mit dem Faden um sein Bein.«  66/1–3  Schellen […] hören  Komm.: 2 Mos 28,33–35. Zum »Seidenrock« vgl. W 63/1 u. 88/8. 66/5  langweiligen Motto aus dem Persius  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 107/5, W 54/9 f. u. 75/21. 66/8–12  Εγω […] σωμ’ εχειν  Komm.: Aristoph. Thesm. (griech. Θεσμοφοριάζουσαι) 148–152: »ἐγὼ δὲ τὴν ἐσθῆθ᾽ ἅμα γνώμῃ φορῶ. / χρὴ γὰρ ποιητὴν ἄνδρα πρὸς τὰ δράματα / ἃ δεῖ ποιεῖν πρὸς ταῦτα τοὺς τρόπους ἔχειν. / αὐτίκα γυναικεῖ᾽ ἢν ποιῇ τις δράματα, / μετουσίαν δεῖ τῶν τρόπων τὸ σῶμ᾽ ἔχειν.« – »[Agathon:] Ich trag zu meiner Denkart passend das Kostüm. / Ein Dichter nämlich muss nach seinen Dramen, die / Er dichten soll, danach auch sein Verhalten richten. / Wenn man zum Beispiel eben Frauendramen macht, / Muss man auch körperlich daran beteiligt sein.«   66/15–17  μιμησαμενος […] χεαθαι  Komm.: Aristoph. Vesp. (griech. Σφήκες) 1019– 1020: »μιμησάμενος τὴν Εὐρυκλέους μαντείαν καὶ διάνοιαν, / εἰς ἀλλοτρίας γαστέρας ἐνδὺς κωμῳδικὰ πολλὰ χέασθαι:« – »Indem er, des Eurykles Seher­ kunst und Methode zu eigen sich machend, / In fremde Bäuche schlüpfte und so viel Komödiantisches abgab«. 66/21  Teppich von Dünsten  Komm.: Ps 104,2. 66/21  Veste seiner Tritte  Komm.: Vielleicht Anspielung auf Ps 17,5 bzw. Ps 37,31; vmtl. aber eher etymologisch, wie bei Adelung 2, 121 ›Fêste‹, bezogen auf den sichtbaren Himmel, lat. firmamentum, von firma; wie es auch in Luthers Bibelübers. vorkommt, bspw. 1 Mos 1,7. 66/26  Stachel  Komm.: Vmtl. Anspielung auf den Stachel der Wespe, der in Aris­ tophanes’ Komödie für die Aggression der Richter im öffentlichen Prozess steht, bspw. Aristoph. Vesp. 225 u. 406. Vgl. aber auch 2 Kor 7,12 zum Sta­ chel/Pfahl im Fleisch. 67/1–6  Kuh Mirons, [...] solet  Komm.: Myron war einer der berühmtesten griech. Bildhauer des 5. Jhds. v. Chr. Zu seinen bekanntesten Kunstwerken zählt eine realistische bronzene Kuh, die zahlreiche Epigramme anregte, so auch von Ausonius; vgl. besonders Plin. nat. 34,19,57 f. Hamann zitiert die letz­ ten beiden Verse von Ausonius’ 63. Epigramm In buculam aeream Myronis (Sämtliche Werke, S. 218 ff.): »Bucula sum caelo genitoris facta Myronis /

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Kommentar W 67/11

aerea; nec factam me puto, sed genitam. / sic me taurus init, sic proxima bucula mugit, / sic vitulus sitiens ubera nostra petit. / miraris, quod fallo gregem? gregis ipse magister / inter pascentes me numerare solet.« – »Eine Färse bin ich, vom Meißel meines Erzeugers Myron gemacht, / eine eherne; aber nicht für gemacht halte ich mich, sondern für gezeugt. / So dringt der Stier in mich ein, so blökt die nächste Färse, / so erstrebt das Kalb dürstend unsere Euter, / Du wunderst dich, dass ich die Herde täusche? Der Meister der Herde selbst / pflegt mich zu den Weidenden zu zählen.« Mglw. hat Hamann das Zitat aus einer Sammlung, die auch Epigramme von Ausonius enthielt, bspw. Opitz: Weltliche Poemata, S. 30 (vgl. Komm. W 77/23–25). 67/11  Unsinn  Komm.: Vgl. W 54/12, 67/11, 81/17, 83/23 f., 86/2, 87/17, Ziegra RezSD 107/9. 67/12–26  encyclischen Geschmack [...] ausgeartet wären  Komm.: Anspielung auf einen vermeintlichen Druckfehler in SD 14/22 (siehe Komm. dazu): »encyclopi­ schen«; nun, um eine weitere Silbe verkürzt, kommt die Anspielung auf ›Enzyklika‹ hinzu, also auf päpstliche Rundschreiben. Für die Zeitgenossen zuletzt bedeutend war der ›encyclische Brief‹ von 1756 (»Ex omnibus chris­ tiani«), mit dem u. a. die Jesuiten in Frankreich fester an die bischöf ­liche (von Ludwig XV. gestützte) Kirchenordnung gebunden werden sollten. Der philosophische, politische und dem Christentum gegenüber kritische Standpunkt Julians ist an zahlreichen Stellen seines fragmentarisch über­ lieferten Werks sichtbar, bspw. Iul. epist. 48,288  a–305  b oder Iul. c. Gal. 221  e–224  d, 229  c–235  d, bzgl. der Unterschiede in den Gottes-/Götterbil­ dern ebd. u. a. 44  b, 75  a. Bayle vergleicht in Pensées diverses Julians Metho­ den zur Verdrängung der Christen mit denen des franz. Katholizismus zur Verdrängung der Protestanten (in der dt. Übers. S. 280 u. 406 f.). Die Kritik an der jüdischen Philosophie bzw. Kabbala wird im 18. Jhd. auch durch Bruckers Analyse untermauert, bspw. in Historia critica philosophiae, Bd. 2, S. 995. Zum Zusammenhang von jüdischer Literatur und zeitgenössischer Dichtung vgl. SD 25/7–26/14 und die Kommentare dazu. 67/15  gekrönte Weltweise  Komm.: Als solcher wurden nicht nur Kaiser Julian und Alfons X . (vgl. SD 28/9 u. W 73/6), sondern auch Friedrich II . v. Preußen bezeichnet. 67/18  Literatur der Griechen  Komm.: Kaiser Julian favorisierte die platonische und pythagoreische Philosophie. 67/21  Poesie eines Originalgedankens  Komm.: Klopstock assoziiert in seinem apolo­ getischen Essay Betrachtung über Julian den Abtrünnigen denselben abfällig mit einem Originalgenie, zitiert in Komm. SD 13/11. 67/27–29  Freyheit zu Denken […] zu schreiben  Komm.: Vgl. SD 11/22–12/2. Zur Dif­ ferenzierung der Freiheit zu schreiben und der zu denken siehe Meiers

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Rettung der Ehre der Vernunft, worin die Freiheit zu denken allgemein affirmiert, die zu publizieren jedoch vom Zweck des gesellschaftlichen Friedens eingeschränkt wird. Die Freiheit zu schreiben ist demnach ein Euphemismus für den Imperativ der Anpassung. Die Freiheit zu denken sieht Meier vor allem von Leidenschaften eingeschränkt (§ 11 f.), die den Verstand in »sclavische Fesseln« schlagen; Freiheit wird mit Richtigkeit in Religionssachen gleichgesetzt (§ 9): »Ein Mensch besitzt also diese Freyheit zu dencken, in so fern es ihm nach seiner gantzen Gemüthsbeschaffenheit, ja in dem gantzen Zusammenhange in welchem er sich befindet, möglich ist, richtige Urtheile von Religionssachen zu fällen, und er denckt würcklich frey, in so fern er richtig denckt.« Dass Hamann Meiers Konzept im Sinn hatte, lässt sich auch plausibilisieren mit dem Versuch, für die Denkwürdigkeiten in Halle über denselben eine Druckerlaubnis zu erlangen; vgl. Einführung, S. XII sowie W 77/14 und HKB 182 (II 22/34 f., 21.  5.  1760, an den Bruder). 67/30  Unkraut  Komm.: Mt 13,24–30. Die Rede von Unkraut ist üblich bei Kon­ zepten der Sprach- und Gedankenreinigung, vgl. etwa Gottsched: Ausführliche Redekunst, S. 347: »Wenn man von einem Baume alle wilde Aeste abgeschnitten hat: so sind die übrigen Zweige gut. Wenn man aus einem Garten alles Unkraut ausgejätet hat: so ist alles übrige, so darinnen hervor schießt, gut. Eben so ist es mit unsern Gedanken, nach der Vernunftlehre davon zu urtheilen.« 67/31  Gewiße Schriftsteller  Komm.: Mit der Bezeichnung als ›gewiss‹, die eine unbestimmte Verdächtigung impliziert, beginnt Ziegra (Rez-SD 106/3, 108/15, vmtl. auf den Verfasser der Rezension im Hamburgischen Correspondeten anspielend); Hamann bringt sie daraufhin an zahlreichen Stellen: W 67/14, 70/11, 74/18, 79/3, dann wiederum Ziegra Rez-W 113/2 f., 114/25, 115/11, 116/15. 68/2  Dichtersprache [...] nachzulallen  Komm.: Wohl eine ironische Anlehnung an Klopstocks Reflexionen zur Sprache über den Allgegenwärtigen (S. 389): »Es giebt Gedanken, die beynahe nicht anders als poetisch ausgedrückt werden können; oder vielmehr, es ist der Natur gewisser Gegenstände so gemäß, sie poetisch zu denken, und zu sagen, daß sie zu viel verlieren würden, wenn es auf eine andere Art geschähe.« 68/3  Gottes zu Delphos  Komm.: Apollon. 68/4f.  ουτε [...] σημαινει  Komm.: Heraklit-Fragment, DK 22 B 93 (Bd. 1, S. 172): »ὁ ἄναξ, οὗ τὸ μαντεῖόν ἐστι τὸ ἐν Δελφοῖς, οὔτε λέγει οὔτε κρύπτει ἀλλὰ σημαίνει.« – »Der Herr, dem das Orakel in Delphi gehört, sagt nichts und birgt nichts, sondern er bedeutet.« Die Stelle wird u. a. zitiert in Plut. de Pyth. or. 21 (Mor. 404  d), vgl. Komm. W 68/27. In W2 findet sich ein vmtl. unbeab­

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Kommentar W 68/6

sichtigter Strich unter »ουτε λεγει«, mglw. handelt es sich aber auch um den Ansatz zu einer Unterstreichung. 68/6  Flecken  Komm.: Vgl. SD 23/6. 68/6  Dunkelheit  Komm.: Vgl. W 59/5, 64/13 und Mendelssohn Rez-SD  94/11 f., 95/1, Bode Rez-SD 105/13, Ziegra Rez-SD 109/6. 68/8  schwarz  Komm.: Vgl. W 63/4, 81/5, 84,20 f., 87/23. 68/10  Verständnis mit den Alten  Komm.: Mendelssohn Rez-SD 94/13 f. 68/13  Stuhl Vespasians  Komm.: Klosett, vgl. SD 8,4–7 u. Komm. SD 8/8. 68/15  löcherichten zu Rom  Annot. W3*: Sella perforata Lateranensis. Frid. Span­ hemii Opp. Tom. II, p. 610 〈Spanheim: Miscellaneorum ad Sacram Antiquitatem et Ecclesiae Historiam, Bd. 2, Sp. 610: »Durchlöcherter Lateranischer Stuhl«〉. 68/15  löcherichten zu Rom  Komm.: Vgl. etwa [Anonym]: Hinlänglicher Beweiß, S. 20: »Noch weiter gründen wir die Gewißheit dieser Sache auf einen annoch zu Rom befindlichen Stuhl, dieser hat nun wohl in der Mitten ein grossen Loch, dennoch aber wird unser Beweiß nicht durchfallen. Er wird bald sella perforata, bald stercoraria genennt, und kömmt mit einem Nacht-Stuhl unsrer Gattung ziemlich überein. Hierauf muste allemahl der neuerwehlte Pabst sitzen, und geschehen lassen, daß ein Unterer von denen Geistl. die Wahrzeichen seines männ­ lichen Herkommens untersuchte. Und, wenn mans bey Lichte besiehet, so ist dieser durch­ löcherte Stuhl zu keinem andern Endzweck erfunden worden, als daß sich die erwehler eines Pabsts hierdurch seiner Mannheit ver­ sichern wollten, weil sie besorgen musten, es möchte dergleichen Comödie [vgl. etwa Päps­ tin Johanna] noch mehr gespielet werden.« Vgl. auch Zedler 36, 991 f. ›Sedes Stercoraria‹. Annot. W 68/15 zitiert die Bildunterschrift einer Abbildung dieses Stuhles. 68/18  Nativitätstellers  Komm.: Astrologe, Sterndeuter, Wahrsager. Vielleicht ist Boureau-Deslandes gemeint, der in Betrachtungen über diejenigen Grossen Leute welche im Scherzen gestorben in einem kleinen Kapitel (S. 39 f.) über Vespasian behauptet, der Kaiser habe mit seinem Ausspruch (SD 8/8) die ihn umgebenden Schmeichler brüskieren wollen. 68/21  Bacon  Komm.: Siehe Komm. SD 8/8. 68/23  dithyrambische Figur  Komm.: Dithyrambos, Beiname des antiken Gottes Bacchus; danach auch Bezeichnung des hymnischen Chorlieds zu dessen

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Ehren. Als präziser Begriff taucht das Dithyrambische im zeitgenössischen Diskurs v. a. bzgl. musikalischer Phänomene im Rückgriff auf antike For­ men auf, bspw. in Dubos’ Kritische Betrachtungen, Tl. 3, u. a. S. 53 ff., wo es um das Verhältnis von theatralischer Deklamation und Musik geht. Für die Entwicklung der späteren deutschen Dithyrambendichtung ist vor allem Klopstock entscheidend. 1759 konnte Hamann in Schröders Poesien lesen (S. 105): »Zu der dithyrambischen Ode rechne ich die feurigen stürmenden Affeckten der Entzückung, des Erstaunens und den Zorn, und sie erfor­ dert einen wilden, ungehemmten, kurzen, feurigen, nicht zu regelmäßigen Gang des Sylbenmaaßes. Dahin gehören die Heldenoden und die Arten der Satyren, die Bitterkeit und zornige Galle haben; auch die jauchzende Freude, und was dem ähnlich, die Pindarischen Oden, Hymnen und Psal­ men von der Art haben ein Recht sie.« 68/23  Marg.: Εαν αρα [...] Phaedrus  Komm.: Plat. Phaidr. 238  d: »τῷ ὄντι γὰρ θεῖος ἔοικεν ὁ τόπος εἶναι, ὥστε ἐὰν ἄρα πολλάκις νυμφόληπτος προϊόντος τοῦ λόγου γένωμαι, μὴ θαυμάσῃς: τὰ νῦν γὰρ οὐκέτι πόρρω διθυράμβων φθέγγομαι.« – »denn göttlich scheint mir wahrhaftig der Ort zu sein, so dass du dich nicht wundern sollst, wenn ich vielleicht im Verlauf der Rede immer wieder von Nymphen ergriffen werde, bin ich doch schon jetzt nicht weit davon entfernt, in Dithyramben zu tönen.« 68/23  Frechheit  Komm.: Für die Beschäftigung mit den vor allem pindarischen Dithyramben war Mitte des 18. Jhds. die Vermittlung durch Horaz prägend; viel zitiert wurde Hor. carm. 4,2,10–12: »[…] seu per audaces nova dithyram­ bos / verba devolvit numerisque fertur / lege solutis« – »[…] ob er [Pindar] durch kühne Dithyramben neue / Wörter herabwälzt und dahineilt in Vers­ maßen, / die von Regeln frei sind«; bei Müller übersetzt mit: »Der, durch der Dithyramben neue Künste / Sein kühnes Saytenspiel in freche Töne zwingt.« (Historisch-critische Einleitung, Tl. 3, S. 444). 68/24  Schlacht bey Marathon mit der Leuctrischen  Komm.: Vgl. Komm. SD 40/3. 68/24f.  Marg.: Die Ebene [...] Schule hielt  Komm.: Vgl. Annot. SD 40/3. 68/27  Plutarch, de Oraculis Metricis  Komm.: Das Heraklit-Fragment in W 68/4 f. wird in Plut. de Pyth. or. 21 (Mor. 404  d) zitiert. Die Kernfrage ist dort, warum das Orakel Apollons Weissagungen nicht mehr in wohlmetrisier­ ten Versen formuliere, wo doch Apollon als Autor gilt. Theon erläutert in Kap. 21, dass sich Apollon der Pythia als eines Werkzeuges bediene: »Nun glaube ich den Ausspruch des Heraclit zu verstehen, daß der König, dessen Orakel zu Delphi ist, weder spreche noch verberge, sondern anzeige. Zu diesem richtigen Satze kannst du noch Das hinzufügen, daß Apollon sich der Pythia bedient zum Hören, so wie die Sonne sich des Mondes bedient zum Sehen; er zeigt und enthüllt zwar seine Gedanken, aber er zeigt sie

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Kommentar W 68/28f.

vermischt durch einen sterblichen Leib und eine Seele […]« (Moralia, Bd. 1, S. 698). In Kap. 22 führt er weiter aus, dass die Pythia gerade nicht in der Sprache der Dichter bewandert sein solle, sondern »unerfahren und unwis­ send fast in allen Dingen, eine wahre Jungfrau der Seele nach« (Moralia, Bd. 1, S. 699). Dass die Pythien früher in Versen weissagten, erkläre sich aus einer Veränderung des Sprachgebrauchs und der Neigung zum poetischen Ausdruck, nicht aus schwindender Inspirationskraft des Orakels (Kap. 23). 68/28f.  Serm fidel. [...] Deus fio  Komm.: Vgl. Komm. SD 8/8. 69/3  Plutarch  Komm.: Bezieht sich auf dessen Parallelbiographien (Plut. vit.) von jeweils einer bedeutenden griechischen und einer römischen Persönlich­ keit, die er nach biographischen Ähnlichkeiten einander zuordnet. 69/4  Simons zu Joppe und zu Athen  Komm.: Joppe ist der biblische/historische Name von Tel Aviv-Jaffa. Apg 10,1–8 und Diog. Laert. 2,122. Vgl. Komm. SD 19/11–15. 69/10  Lederschneider  Annot. W3*: Theodoretus Serm. 5.8. nennt Paulum auch τὸν οκυτοτόμον 〈»den Lederschneider«〉 und Julianus zum Spott diesen Apos­ tel gleichfalls den Näher oder Flicker 〈Stellen nicht ermittelt〉. 69/10  Lederschneider  Komm.: In SD 19/12 wird Simon als »Gerber[]« bezeichnet, in Diog. Laert. 2,12,122 als »Schuster«, griech. σκυτοτόμος, wörtlich: der Lederschneider. 69/12f.  Tychius […] Ajax  Komm.: Siehe Komm. W 69/24–27. 69/14  Gastfreyheit gegen den Rhapsodisten  Komm.: In der Vita Homeri des PseudoHerodot ist überliefert, dass der blinde Homer in Cyme von Tychius in seine Werkstatt eingeladen wurde, um dort unterzukommen. 69/16–18  Aeltermann […] Erklärung des N.T.  Komm.: Vgl. Heumann: Erklärung des Neuen Testaments, Tl. 5, S. 448: »Unser Simon wird von den Lateinischen Ubersetzern Simon coriarius genennet. Unter Socratis wohlgerathenen Schülern treffen wir auch bey Laërtio 2. B. Cap. 122. einen an, der in der Ubersetzung Simon coriarius heisset. Doch den Griechischen Benennun­ gen nach waren ihre Hand-Arbeiten unterschieden, ob sie gleich beyde mit Leder zu thun hatten. Indessen sind sie beyde als Liebhaber der Weißheit und Tugend ihres so langen Andenkens würdig.« Hamann benutzt Heu­ manns Erklärung ab März 1760 für sein Studium des griechischen Bibel­ textes. Vgl. HKB 179 (II 10/30 f. u. 11/16, 21.  3.  1760, an den Bruder). Die Benennung als »Aeltermann« mag damit zu tun haben, dass Lessing sich im 109. der Literaturbriefe, in der Kritik an Cramers Bild von Paulus als Volksdidaktiker (vgl. Komm. W 85/21 f.), auf Heumann als einziger exege­ tischer Autorität bezieht. 69/19  Münz, Till und Kümmel  Komm.: Mt 23,23. 69/22  Jacob Böhme  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 107/12 u. W 54/14. Der Mystiker

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Jakob Böhme (1575–1624) war in Görlitz als Schuhmachermeister nieder­ gelassen. Die Anspielung auf seine ›Dunkelheit‹ gehörte zum Repertoire der Gottschedianer in ihrer Kritik an den Dichtungen und Poetiken der Schweizer um Bodmer u. Breitinger sowie Klopstock u. in den 1750  ern besonders gegen die Ästhetik Meiers, bspw. in Gottscheds Handlexicon (Sp. 49, ›Aesthetisch‹): »Was es aber für Misbräuche mit sich führe, die sonst klare Lehre von Tropen in diesen dunkeln Begriff einzuhüllen, haben die neuen Beyspiele solcher ästhetischen Schriftsteller erwiesen, [...] daß sie recht sinnlich und ästhetisch schreiben als bis sie sich in den Wolken ver­ lieren, [...] unverständlich werden, als Jakob Böhme und Pordätsch, oder die herrenhuthischen Lieder, mit ihren Creuz-Luft-Vögelein.« 69/24–27  Αιας […] Iliad. VII. 220.  Komm.: Hom. Il. 7,219–221: »Αἴας δ᾽ ἐγγύθεν ἦλθε φέρων σάκος ἠΰτε πύργον / χάλκεον ἑπταβόειον, ὅ οἱ Τυχίος κάμε τεύχων / σκυτοτόμων ὄχ᾽ ἄριστος Ὕλῃ ἔνι οἰκία ναίων« – »Ajas nahte heran und trug den türmenden Schild vor, / Ehern und siebenhäutig, den Tychios klug ihm vollendet, / Hoch berühmt in des Leders Bereitungen, wohnend in Hyle«.  69/29  jener Kindheit  Komm.: Heumann: Erklärung des Neuen Testaments, Tl. 6, S. 280 beschreibt in Bzg. auf Apg 18,3, dass es für Juden zur Zeit des Paulus normal gewesen sei, neben dem Rabbiner-Amt auch noch ein Handwerk auszuüben, um auch dann ein Einkommen zu haben, wenn die Gelehrsam­ keit einmal nicht gefragt ist; nebenbei erwähnt er (S. 281), dass das auch für die Pfarrer seiner Zeit sinnvoll wäre. 70/3  Chamäleon  Komm.: Shakespeare: Hamlet 3,2,94–96: »Hamlet: Excellent, i’faith, of the chameleon’s dish. I eat the air, promise-crammed. You cannot feed capons so.« 70/4  Geist der Alten  Komm.: Vgl. Mendelssohn Rez-SD  94/13 f. Siehe auch die Anspielung auf »Palingenesie« in SD 37/9 u. W 88/27. 70/6  Schusters in Görlitz  Komm.: Jakob Böhme, vgl. Ziegra Rez-SD 107/12, W 54/14 u. Komm. W 69/22. Dass Böhme nur ein Handwerker gewesen sei, wird in der Böhme-Kritik betont, bspw. von Ehregott Daniel Colberg in PlatonischHermetisches Christenthum (Tl. 1, S. 308). 70/9  wahnwitzigen Schwärmers  Komm.: Siehe Komm. W 70/6. 70/11  gewißer  Komm.: Vgl. Komm. W 67/31. 70/15  verwahrlosen  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 108/5, W 55/13 u. 87/9. 70/18  Aufrichtigkeit oder Bescheidenheit  Komm.: Vgl. SD  20/22, 23/7, W 72/3 f., 75/18 f., Mendelssohn Rez-SD 98/19, 99/6 f. 70/20  Stelle  Komm.: 1 Kor 8,2 f., zitiert in SD 34/15–20. Vgl. Ziegra Rez-SD 107/19 f. 70/22  Cilicismen [...] Cyrenismen  Komm.: Cilicismen bezeichnen dialektale Einfär­ bungen der Sprache aus Kilikien, die der Kirchenvater Hieronymus in den Briefen Paulus’ bemerkte und in Epist. 151 ad Algas. quaest. 10 beschreibt

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Kommentar W 70/23f.

mit Bezug auf 1 Kor 3,4; 2 Kor 12,14; Kol 2,18 (Omnium operum, Bd. 4, fol. 76  b): »Multa sunt uerba, quibus juxta morem urbis & prouinciae suae familiarius Apostolus utitur: E quibus (exempli gratia) pauca ponenda sunt. Mihi autem parum est iudicari ab humana die: […], id est, nullus brauium accipiat aduersum uos. Quibus & alijs multis uerbis usque hodie utuntur Cilices. Nec hoc miremur in apostolo, si utatur eius linguae consuetudine, in qua natus est & nutritus, cum Vergilius alter Homerus apud nos, pat­ riae suae sequens consuetudinem, sceleratum frigus appellet.« Vgl. Komm. W 70/27 [Marg.]. Die »Cyrenismen« gelten für den Evangelisten Lukas, vgl. Heumann: Erklärung des Neuen Testaments, Bd. 6, S. 8 zu Apg 13,1: »In diesem Lande [Kyrene, Libyen] wurde, wie Herodotus in seinem zweyten Buche bezeuget, die Griechische Sprache geredet. Diese Nachricht ist uns dazu dienlich, daß wir uns nicht wundern, daß Lucas besser Griechisch schreibet, als die andern drey Evangelisten, deren Mutter-Sprache die Jüdi­ sche war. [...] Da in beyden Büchern Lucä einige Redens-Arten vorkommen, die bey andern Griechischen Schreibern nicht anzutreffen, so ist nichts wahrscheinlicher, als daß es Cyrenäische Redens-Arten sind, welche in andern Ländern, wo man die Griechische Sprache redete, nicht gebräuch­ lich waren. Gleichwie nun Hieronymus in Pauli Schriften, als welcher aus Cilicien bürtig war, Cilicismos gefunden zu haben vermeynete; also kan man nicht unbillig vermuthen, daß Lucas etliche Cyrenismos in seine Schriften habe einfliessen lassen.« 70/23f.  Ana […] warme Bäder  Komm.: 1 Mos 36,24. Luther 1545: »Die Kinder von Zibeon waren: Aja und Ana. Das ist der Ana, der in der Wüste Maulpferde erfand, da er seines Vaters Zibeons Esel hütete.« Die Vulgata spricht statt Maulpferden von ›aquas calidas‹, d. h. warmen Bädern: »et hii filii Sebeon Ahaia et Anam iste est Ana qui invenit aquas calidas in solitudine cum pas­ ceret asinos Sebeon patris sui«. Das zugrundeliegende, hebräische Wort  ‫ימם‬ ist ein Hapaxlegomenon innerhalb des Tanach. Luther 2017 gibt die Stelle mit »warmen Quellen« wieder. 70/26  seichte Oerter  Komm.: Vielleicht Hamanns Übers. von ›loci communes‹. 70/27  Marg.: Hieronimus [...] Scholiis  Komm.: Hieronymus: Omnium operum, Bd. 4, fol. 79  a: »In Tarso Ciliciae.) Cilicia pars est Asiae [...], in qua natus fuit Pau­ lus, loquebantur quidem Graece, sed corruptius. Idem queritur Origines, quod Hieronymus.«, vgl. Komm. W 70/22. 71/1  Senkbley  Komm.: Vgl. Adelung 4, 56 ›Senkbley‹: »in der Schiffahrt, ein Bley an einer Schnur, die Tiefe des wassers damit zu erforschen«. 71/1  philosophischen Verstandes (sensus communis)  Komm.: In seiner Übers. von Shaftesburys Sensus communis gibt Hamann für »sensus communis« »gesunde Vernunft« als Äquivalent (N IV 162/46 u. ö.); bzgl. der Definition

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derselben schildert Shaftesbury im fiktiven Gespräch Ratlosigkeit (ebd. 163/16 f.): »Das was einen Tag der gesunden Vernunft gemäs ist, würde den andern Tag oder bald nachher das Gegentheil seyn.« In Konsequenz sei die ›Einförmigkeit‹ der Meinungen in einer Gesellschaft nicht anzustreben – was die christlichen Kirchen aber versuchten. Zum Wortfeld von ›Verstand‹, zusammen mit ›Vernunft‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 71/4  starke Geister  Komm.: Vgl. Komm. SD 24/27. 71/5  Milch und Honig flüßt  Komm.: 2 Mos 3,8; 4 Mos 13,27; 5 Mos 6,3; Jer 11,5; Hld 4,11 u. ö. 71/8  vielbrüstigen  Komm.: Artemis/Diana von Ephesos wird vielbrüstig darge­ stellt, sie ist damit ein Symbol der Fruchtbarkeit; ihre Verehrung ist Thema von Apg 19 (vgl. W 83/8–13). Aber auch die römische Wölfin, die Remus und Romulus nährte, ist vielbrüstig (vgl. W 61/2–7). 71/9–12  Bienenschwarms […] Starken  Komm.: Ri 14,8–14. In den Biblischen Betrachtungen bezog sich Hamann bereits darauf, vgl. LS 230/34–41. 71/14  Hebammenkünsten des Sokrates  Komm.: Siehe SD 20/3–26. 71/16  Bescheidenheit eines Unwissenden  Komm.: Vgl. SD 20/22, 23/7, 27/22 f., 28/10, W 70/18, 72/3 f., 75/19 u. Mendelssohn Rez-SD 98/19, 99/6 f. Über die Schwie­ rigkeit, Bescheidenheit als tatsächliche Tugend oder als Schein zu erken­ nen, schreibt Klopstock in Von der Bescheidenheit. 71/18  eines Verschnittenen  Annot. W3*: – – αἰνίττεται δὲ — […] τὸν ἄθεον τρόπον τὸν τῆς θείας καὶ γονίμου δυνάμεως ἐστερημένον. Clem. Alex. Admonitio ad Gentes p. 15. 〈Clem. Al. protr. 2,25,2: »Er meint [aber mit den beiden ers­ ten] die Art der Gottesleugner, die der göttlichen, lebenszeugenden Kraft beraubt sind«.〉 71/20  Philosophen  Komm.: Vgl. SD 27/11–14. 71/22  Heimlichkeiten der Natur  Annot. W3*: Vide. Plutarchi Platonicas Quaestio­ nes. 〈R VIII ,1 72 zitiert hier aus den Plutarch-Exzerpten Hamanns (vgl. Annot. W 47/1): Plut. qu. Plat. 1,1,999  e–f: »τὸν οὖν ἐλεγκτικὸν λόγον ὥσπερ καθαρτικὸν ἔχων φάρμακον ὁ Σωκράτης ἀξιόπιστος ἦν ἑτέρους ἐλέγχων τῷ μηδὲν ἀποφαίνεσθαι, καὶ μᾶλλον ἥπτετο δοκῶν ζητεῖν κοινῇ τὴν ἀλήθειαν

οὐκ αὐτὸς ἰδίᾳ δόξῃ βοηθεῖν.« – »Indem nun Sokrates die Kunst der Wider­

legung wie ein Reinigungsmittel in Anwendung brachte, setzte er sich eben dadurch in großes Ansehen, daß er Andere widerlegte, ohne selbst etwas zu behaupten, und machte um so mehr Eindruck als er in Gemeinschaft mit den Anderen die Wahrheit zu suchen schien, anstatt seine eigene Mei­ nung zu vertheidigen.« und Plut. qu. Plat. 1,2,1000  a–3,1000  c: »καὶ καθάπερ Ἠλείους τῶν σοφῶν τις ἔφη βελτίους ἂν εἶναι τῶν Ὀλυμπίων ἀγωνοθέτας, εἰ μηδὲ εἷς Ἠλείων ἦν ἀγωνιστής, οὕτως ὁ μέλλων ἐν λόγοις ὀρθῶς ἐπιστατήσειν [καὶ βραβεύσειν] οὐ δίκαιός ἐστιν αὐτὸς φιλοστεφανεῖν οὐδ᾿ ἀνταγωνί-

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Kommentar W 71/22

ζεσθαι τοῖς κρινομένοις. […] εἰκότως ὁ θεὸς ἀπεκώλυσεν αὐτὸν ὑπηνέμια καὶ

[…].« – »Ein weiser Mann hat gesagt: die Eleer würden bessere Kampfrichter in den olympischen Spielen sein, wenn kein einziger Eleer sich um den Preis bewürbe. So darf auch derjenige welcher über Lehrmeinungen zu Gericht sitzen und richtig entscheiden will nicht selbst nach dem Siegeskranz trachten, und sich nicht mit den Parteien selbst in Wettstreit einlassen. […] so hat der Gott mit gutem Grund dem Sokrates verwehrt windige, falsche und grundlose Meinungen a­ uszubrüten […].«〉 71/22  Heimlichkeiten [...] Stuhl  Komm.: Vgl. SD 8/8 u. W 68/13–22. 71/27  züchtigen Umganges  Komm.: Vgl. SD 23/23–26. Die Nachwehen werden in Plut. qu. Plat. 1,3 als Wirkungen voreiliger Meinungen interpretiert, gegen die Sokrates’ Vorbild der Enthaltsamkeit die Kur biete zugunsten einer Weisheit der angeborenen Begriffe. 72/1  letzten Zeiten  Komm.: Vielleicht mit Bezug auf 1 Tim 4,1 und 1 Petr 1,20. 72/1f.  Verschnittene […] Baum!  Komm.: Jes 56,3. 72/7  Schürze von Feigenblättern  Komm.: 1 Mos 3,7. 72/8  Röcke von Fellen  Komm.: 1 Mos 3,21. 72/13  Gerechtigkeit [...] übersehen  Komm.: Vgl. Apg 17,30 f. 72/16  Archonten dieses Aeons  Komm.: Vgl. 1 Kor 2,6–8. 72/16  aufhalten  Komm.: Röm 1,18. 72/18–20  Preisfrage, […] Wißenschafften  Komm.: Siehe Komm. W 53/7–29. 72/21  trocken  Komm.: Vgl. SD 40/29. 72/22  Lehrsätze  Komm.: Vgl. SD 32/11–15. 72/24  Marg.: Μαιευεθαι [...] Theaetet.  Komm.: Plat. Tht. 150  c: »Tὸ δὲ αἴτιον τούτου τόδε· μαιεύεσθαί με ὁ θεὸς ἀναγκάζει, γεννᾶν δὲ ἀπεκώλυσεν« – »Die Ursa­ che davon aber ist diese, Geburtshilfe leisten nötiget mich der Gott, erzeu­ gen aber hat er mir gewehrt.« 72/27  Gebährmutter des Redegebrauchs  Komm.: Vgl. Luthers Galaterbrief-Vor­lesung (1531): »Verbum dei est uterus divinus, in quo nascor; et ista nativitate, qua fio, – haec me creat et facit filium.« (WA 40.1, 597/6 f.) 73/1  Geschichte des Worts Philosophie  Komm.: Vgl. SD 15/9–17. 73/3  =  Komm.: Mathematisches Zeichen für Gleichwertigkeit. 73/4  >  Komm.: Mathematisches Zeichen für Größer-als-Relation. 73/4  Marg.: Baumgarten Crusius  Komm.: Alexander Gottlieb Baumgarten, Chris­ tian August Crusius. Vielleicht wird auf diese beiden Metaphysiker ange­ spielt, weil Kant sich in seiner ersten Buchpublikation (Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio, 1755) besonders mit den Positionen der beiden zum Problem des zureichenden Grundes beschäftigt (bspw. AA I, 397), dabei Crusius zustimmt und dessen Begriff vom deter­ minierenden bzw. bestimmenden Grund übernimmt sowie auch dessen ψευδῆ καὶ ἀβέβαια γεννᾶν

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Wendung gegen die leibnizsche vorherbestimmte Harmonie bspw. in der Frage, ob die Vorstellungen (der Seele) mit den körperlichen Bewegungen verbunden seien (»Sectio 3: 1. Principium successionis«). In der Ankündi­ gung zur Vorlesung 1757 gibt Kant an, Vernunftlehre nach Meier und Meta­ physik nach Baumgarten zu lehren (Neue Anmerkungen zur Erläuterung der Theorie der Winde, AA I, 502). In seiner Theodizee-Vorlesung 1759 kritisiert Kant die vom Königsberger Daniel Weymann vertretene Crusianische Posi­ tion zur Frage der besten aller Welten (Betrachtungen über den Optimismus, AA  II , 34), jedoch ohne diesen namentlich zu nennen. Weymann antwor­ tete wiederum in seiner Dissertation, Dissertatio philosophica de mundo non optimo, später u. a. mit Betrachtung über den Unterschied der Crusianischen und Wolffia­nischen Weltweissheit, um die Freiheit Gottes in der Lenkung der Welt gegen die Idee der Determiniertheit zu retten. 73/5  Meister  Komm.: Mt 23,10. 73/5  W.z.E.  Komm.: Abkürzung für ›wie zu erweisen‹ und dt. Entsprechung von Q. E. D. (quod erat demonstrandum); wie dieses gebraucht, um den Abschluss eines Beweises anzuzeigen. 73/6  gekrönten Philosophen  Komm.: Vgl. SD  28/9 u. den Komm. dazu, sowie W 67/15. 73/10  der jenem Maler den Pinsel  Annot. W3*: Der König Demetrius mußte die Belagerung der Stadt Rhodus aufheben, weil er dieselbe nicht am rechten Ort angegriffen hatte, aus Furcht, er möchte das Gemälde des berühmten Pferdes des Jalysus oder nach anderer Meynung, des Protogenes, davon der Schaum ein Meisterstück seines Verdrusses gewesen war, beschädigen. Plin. XXXV,10 〈Plin. nat. 35,36,102 f.〉. Valerius Max. VIII,11 〈Val. Max. 8,11‌〉. 73/11  Maler den Pinsel  Komm.: Anekdote vom griech. Maler Protogenes (4. Jhd. v. Chr.), vgl. Annot. W 73/10 f.; dieser zufolge soll dem berühmtem Maler beim Malen eines Hundes der Schaum vor dessen Maul nicht gelungen sein, woraufhin er die Geduld verlor und den Schwamm auf die Leinwand warf – wo dieser eine Spur hinterließ, die perfekt den Schaum am Maul des Hundes abbildete. Hamann kannte die Anekdote mglw. aus der von Baumgarten hg. u. übers. Allgemeine[n] Welthistorie (Bd. 6, 1748, S. 538 f.). Vgl. auch W 73/5 »schäumen«. 73/15  Chrien  Komm.: Sentenz nebst deren weiterer logischer Ausführung; oder eine kleine (Zeremonial-)Rede mit strengem Aufbau, so bspw. von Gottsched: Ausführliche Redekunst, S. 240 f. beschrieben mit dem Schluss (S. 250): »man erkläret und beweiset nicht ernstlich genug; man erreget keine Gemüthsbewegung. […], man redet so, als ob man nicht einmal Wil­ lens wäre, seine Zuhörer zu überreden. Daher werden denn die meisten Chrieen mehrentheils ein Gewäsche, das weder Geist noch Leben hat.«

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Kommentar W 73/15

73/15  Soriten  Komm.: In der Rhetorik/Logik ein Kettenargument. 73/17  Stagyriten  Komm.:

Beiname des Aristoteles, nach seinem Geburtsort Sta­ geira auf der griechischen Halbinsel Chalikide. 73/18  vordern analitischen Büchern  Komm.: Aristot. an pr. 2,27,70  a/b, wo der phy­ siognomische Syllogismus als Schluss auf den Gemütszustand (anhand von Körpermerkmalen) behandelt wird. 73/20  Daß er aber keine andere Beweise  Annot. W3*: Eine vortreffliche Stelle von dem verschiedenen Gang in den Arbeiten unseres Geistes und der Natur in Buffon Nomenclature des Singes im Tom XII . à Paris 1770. p. 29–34 〈Buf­ fon: Histoire Naturelle, Bd. 12, S. 29–34〉. 73/24  Anacharsis  Komm.: Ein Skythe, dessen Existenz nicht nachgewiesen ist; er soll um 600 v. Chr. nach Griechenland gereist sein und den Ruf eines Weisen erlangt haben; nach seiner Rückkehr in die Heimat soll er getötet worden sein, weil er fremde Gebräuche pflegte; siehe Hdt. hist. 4,46. 73/24  Hyperbel  Komm.: Übertreibung bzw. im Syllogismus: etwas Fernliegendes wird als vermittelnde Vorstellung benutzt. 73/24  Zergliederung  Komm.: Vgl. Komm. SD 32/12 f. 73/28–31  Οτι […] Analyt. poster. lib. I. cap. 10.  Komm.: Aristot. an post. 1,13,78  b/32: »ὅτι έν Σκύθαις οὐκ εἰσὶν αὐλητρίδες, οὐδὲ γὰς ἄμπελοι« – »Bei den Sky­ then gibt es keine Flötenspielerinnen, es gibt da nämlich auch keine Wein­ stöcke.« 74/3  Theorie der Centripetal- und fugalkräfte  Komm.: Vgl. zu Kants Bezug auf New­ ton: Komm. SD 7/11; außerdem SD 21/1 f. 74/5  Marg.: Παραβολη [...] Aristotel. Rhetor. II. 20.   Komm.: Aristot. Rh. 2,20,1393  b: »παραβολὴ δὲ τὰ Σωκρατικά« – »Gleichnisse [Parabeln] sind die Aussprü­ che des Sokrates«. Aristot. Rh. 2,20,1394  a: »εἰσὶ δ᾽ οἱ λόγοι δημηγορικοί, καὶ ἔχουσιν ἀγαθὸν τοῦτο, ὅτι πράγματα μὲν εὑρεῖν ὅμοια γεγενημένα χαλεπόν, λόγους δὲ ῥᾷον: ποιῆσαι« – »Fabeln sind für Reden vor dem Volk geeignet und haben den Vorteil, daß es schwierig ist, passende Vorgänge aus der Vergangenheit zu finden, [leichter] jedoch, entsprechende Fabeln.« Viel­ leicht ist der Abschnitt bis Aristot. Rh. 2,20,1394  b: »ἀποδείξεως« gemeint, wo bestimmt wird, welches Beispiel bzw. Gleichnis mit einem Beweis ein­ hergehen muss und welches nicht: »Einen Beweis haben all diejenigen nötig, die etwas Unerwartetes oder Umstrittenes aussagen«. 74/9  Ungewißheit und Zuversicht  Komm.: Siehe SD 11/12 f. 74/13  göttlichen der Unwißenheit  Komm.: Im Unterschied zum Konzept der ›docta ignorantia‹, das bspw. Zedler/Brucker für Sokrates beanspruchen, »eine gelehrte und philosophische Unwissenheit; denn sie hat keine Ungewiß­ heit in allen Sachen zu ihrem Endzwecke, sondern sie erkennet mit Beschei­ denheit die Schrancken, mit welchen der menschliche Verstand umgeben

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ist, und sie wendet diese Erkänntnis zur Untersuchung der Wahrheit und der Erlangung der Wissenschafft an. Daß sich aber Socrates diesen End­ zweck in der Philosophie vorgesetzt habe, erhellet unter andern daraus, daß er die Weisheit das höchste Gut [genannt] hat, welches der Laertius durch sein Zeugniß in seinem II Buche bestätigt. Diejenigen also, welche den Socrates mit dem Huetius unter die Zweifler rechnen, haben dieses nicht in Betrachtung gezogen« (Zedler 38, 285 ›Socrates‹). 74/14  Marg.: Διαφερομενον […] Sophisten  Komm.: Plat. Soph. 242  e: »διαφερόμενον γὰρ ἀεὶ συμφέρεται, φασὶν αἱ συντονώτεραι τῶν Μουσῶν« – »Denn son­ dernd mische es sich immer, sagen die strengeren Musen«. 74/16  Adept  Komm.: Ein in esoterisches Wissen Eingeweihter, bspw. in der alchi­ mistischen Tradition, in der Antike in ägyptischen Kulten oder griechi­ schen (Eleusischen) Mysterien. 74/16  Ontologist  Komm.: Von griech. όντος (sein); zu Hamanns Zeit eher im Eng­ lischen gebräuchliche Übernahme des griech. Worts; einen Philosophen bezeichnend, der sich mit dem abstrakten Sein beschäftigt. 74/18  gewiße  Komm.: Vgl. Komm. W 67/31. 74/24  Marg.: Παυσανιου […] Freunde haben wollte  Komm.: Plat. symp. 185  c: »Παυσανίου δὲ παυσαμένου (διδάσκουσι γάρ με ἴσα λέγειν οὑτωσὶ οἱ σοφοί), ἔφη ὁ Ἀριστόδημος δεῖν μὲν Ἀριστοφάνη λέγειν, τυχεῖν δὲ αὐτῷ τινα ἢ ὑπὸ πλησ­ μονῆς ἢ ὑπό τινος ἄλλου λύγγα ἐπιπεπτωκυῖαν καὶ οὐχ οἷόν τε εἶναι λέγειν, […]« – »Da aber Pausanias pausiert hatte (denn die Sophisten lehren mich, auf diese Weise Gleichklingendes zu sagen), sagte Aristodemos, dass Aris­ tophanes (jetzt) habe reden sollen, dass ihn aber infolge seiner Völlerei oder durch irgendetwas anderes zufällig ein Schluckauf befallen habe und er nicht imstande gewesen sei, eine Rede zu halten, […]«. Plut. de Frat. amor 16 (Mor. 486  f ): »Sokrates sagte, er wolle lieber den Darius zum Freunde haben, als den Daricus [= Goldmünze]«. 74/27  Aristophanes  Komm.: Aristoph. Nub. 394.: »ταῦτ᾽ ἄρα καὶ τὠνόματ᾽ ἀλλήλοιν βροντὴ καὶ πορδὴ ὁμοίω.« – »Ach, darum sind auch die Wörter einander ähnlich: der Furz [πορδὴ] heißt auch Donner [βροντὴ].« 74/30  Allusion  Komm.: Andeutung (bspw. mittels Analogie). 75/2  Marg.: η ματην […] Plato de Leg. XII.  Komm.: Plat. leg. 12,957  c: »ἢ μάτην τοὔνομα νῷ προσῆκον κεκτῇτ᾽ ἂν ὁ θεῖος ἡμῖν καὶ θαυμαστὸς νόμος.« – »andernfalls würde unser göttliches und bewunderswürdiges Gesetz umsonst einen Namen führen, der mit der Vernunft verwandt ist.« 75/3  gebratenen Gans  Komm.: Anspielung auf die Prophezeiung durch Jan Hus, die dieser mit Verweis auf die Bedeutung seines Namens und vor seiner Verbrennung als Ketzer geäußert haben soll, wie Luther in seinen Glossen auf das vermeinte Kaiserliche Edikt überliefert (1531; WA 30.3, 387/6–10).

276 75/7  Coeca […] vestigia  Komm.:

Kommentar W 75/7

Verg. Aen. 6,28–30: »magnum reginae sed enim miseratus amorem / Daedalus ipse dolos tecti amabgesque resolvit, / caeca regens filo vestigia.« – »Daedalus selbst aber erbarmte sich der großen Liebe der Königstochter und entwirrte die trügerischen Irrwege des Hau­ ses, indem er die orientierungslosen Schritte mit einem Faden lenkte.« 75/9  doppelten Zuschrift  Komm.: SD 3–12. 75/9  meines Labyrinths  Komm.: Vgl. SD 38/10. 75/9f.  Marg.: ωσπερ [...] Euthydemo  Komm.: Plat. Euthyd. 291  b/c: »ὥσπερ εἰς λαβύρινθον ἐμπεσόντες, οἰόμενοι ἤδη ἐπὶ τέλει εἶναι, περικάμψαντες πάλιν ὥσπερ ἐν ἀρχῇ τῆς ζητήσεως ἀνεφάνημεν ὄντες« – »so gerieten wir eben da erst in ein neues Labyrinth, und wo wir glaubten, am Ende zu sein, mußten wir wieder umwenden und befanden uns wie am Anfang der Untersuchung«. 75/11  Druckfehler  Komm.: Vgl. W 92/1–6. 75/11  Oelgötze  Komm.: Götzenbild; von Luther häufig als Schimpfwort gegen die mit heiligem Öl gesalbten katholischen Priester, Bischöfe und den Papst gebraucht; figürlich auch für einen »eingebildeten, hochmütigen und dabei dummen menschen, der verehrung beansprucht« (DWB 13, 1278 ›Ölgötze‹). Vgl. SD 5–6. 75/13  andere Zueignung  Komm.: Vgl. SD 9: »An die Zween«. 75/16f.  Theil der Welt [...] Verstand  Komm.: Zum Wortfeld von ›Verstand‹, zusam­ men mit ›Vernunft‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 75/21  Vers des Persius  Komm.: Vgl. SD 1/14: »Vel DVO vel NEMO «; W 54/9 f. 75/27–30  – – ’T is […] Shakesp.  Komm.: Shakespeare: Hamlet 4,4,53–56. 76/1  Vanini  Komm.: Lugilio Vanini (1585–1619) wurde in der Apologetik häufig als typischer heuchlerischer Atheist herangezogen und verurteilt; bspw. beschrieben in Arnolds Unpartheyschen Kirchen- und Ketzer-Historie, Bd. 2, u. a. S. 212. Die Anekdote mit dem Strohhalm, die eine Szene vor seiner Verurteilung zum Scheiterhaufen (wegen der Publikation pantheistischer Thesen) wiedergeben soll, steht bspw. auch in einem Essay über Atheisten im Spectator, 389. St. (dt. Übers., Tl. 5, S. 346): »Selbst Vanini [...] bekannte vor seinen Richtern, daß er einen Gott glaubete, und nahm einen Stroh­ halm auf, der vor ihm auf dem Boden lag, mit der Versicherung: daß dieser allein schon zureiche, ihn davon zu überzeugen; indem er verschiedene Beweise anführte, um darzuthun, daß die Natur allein unmöglich etwas schaffen könne.« 76/2  Sachwalter  Komm.: Vgl SD 33/7–19. 76/4  Marg.: Conf. Phaedr.  Komm.: Vgl. Annot. W 76/4 f. 76/4  Der Eintheilung des menschlichen Körpers gemäß  Annot. W3*: Δεῖν πάντα λόγον ὥσπερ ζῷον συνεστάναι, σῶμά τι ἔχοντα αὐτὸν αὑτοῦ, ὥστε μήτε ἀκέφα-

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λον εἶναι μήτε ἄπουν, ἀλλὰ μέσα τε ἔχειν καὶ ἄκρα, πρέποντα ἀλλήλοις καὶ τῷ ὅλῳ γεγραμμένα

— […] Εἰς μίαν τε ἰδέαν συνορῶντα ἄγειν τὰ πολλαχῇ

διεσπαρμένα, ἵνα ἕκαστον ὁριζόμενος δῆλον ποιῇ περὶ οὗ ἂν ἀεὶ διδάσκειν

ἐθέλῃ — […] Τὸ πάλιν κατ᾽ εἴδη δύνασθαι διατέμνειν, κατ᾽ ἄρθρα ᾗ πέφυκεν, καὶ μὴ ἐπιχειρεῖν καταγνύναι μέρος μηδέν, κακοῦ μαγείρου τρόπῳ χρώμε-

νον· – – […] ὥσπερ δὲ σώματος ἐξ ἑνὸς διπλᾶ καὶ ὁμώνυμα πέφυκε, σκαιά, τὰ δὲ δεξιὰ κληθέντα, οὕτω καὶ τὸ τῆς παρανοίας ὡς ἓν ἐν ἡμῖν πεφυκὸς εἶδος

ἡγησαμένω τὼ λόγω, ὁ μὲν, τὸ ἐπ᾽ ἀριστερὰ τεμνόμενος μέρος, πάλιν τοῦτο

τέμνων οὐκ ἐπανῆκεν, πρὶν ἐν αὐτοῖς ἐφευρὼν ὀνομαζόμενον σκαιόν τινα

ἔρωτα ἐλοιδόρησεν μάλ᾽ ἐν δίκῃ, ὁ δ᾽ εἰς τὰ ἐν δεξιᾷ τῆς μανίας ἀγαγὼν ἡμᾶς, ὁμώνυμον μὲν ἐκείνῳ, θεῖον δ᾽ αὖ τινα ἔρωτα ἐφευρὼν καὶ προτεινάμενος ἐπῄνεσεν ὡς μεγίστων αἴτιον ἡμῖν ἀγαθῶν —

[…] Τούτων δὴ ἔγωγε αὐτός τε ἐραστής, ὦ Φαῖδρε, τῶν διαιρέσεων καὶ συναγωγῶν, ἵνα οἷός τε ὦ λέγειν τε καὶ φρονεῖν· ἐάν τέ τιν᾽ ἄλλον ἡγήσωμαι δυνατὸν εἰς ἓν καὶ ἐπὶ πολλὰ πεφυκός ὁρᾶν, τοῦτον διώκω κατόπισθε μετ᾽ ἴχνιον ὥστε Θεοῖο. καὶ μέντοι καὶ τοὺς δυναμένους αὐτὸ δρᾶν εἰ μὲν ὀρθῶς ἢ μὴ προσαγορεύω, Θεὸς οἶδεν, καλῶ δὲ οὖν μέχρι τοῦδε διαλεκτικούς. Socrates in Platonis ­Phae­dro. 〈Kompiliertes Zitat aus Plat. Phaidr. 264  c u. 265  d–266  b: »[Sokrates:] [Ich glaube,] dass eine jede Rede wie ein Lebewesen gebaut sein müsse: mit einem eigenen Körper, so dass sie weder kopflos noch ohne Füße ist, son­ dern eine Mitte und äußere Teile hat, die zueinander und zum Ganzen passend verfasst sind. […] Das vielfach Zerstreute durch Zusammenschau in eine Form zu überführen, damit man jedes genau bestimmt und so klar macht, worüber man jeweils belehren will, […] nach Formen zu zerteilen, wie etwas in seinen Gliedern gewachsen ist, und nicht zu versuchen, nach Art eines schlechten Kochs irgendeinen Teil zu zerbrechen, […] wie aus einem einzigen Körper zwei gleichnamige Teile herauswachsen, von denen der eine der linke, der andere der rechte genannt wird, so hielten auch die beiden Reden das Element des Wahnsinns für eine einzige in uns gewach­ sene Form: die eine, die den Teil auf der linken Seite aufschnitt, zerteilte diesen immer weiter und ließ nicht ab, bis sie darin eine links genannte Liebe gefunden und mit Recht geschmäht hatte, die andere aber, die uns in das Element des Wahnsinns auf der rechten Seite führte, fand eine jener anderen zwar gleichnamige, aber göttliche Liebe, zeigte sie vor und pries sie als die Ursache der größten Güter für uns. […] Hiervon nun bin ich selbst ein großer Verehrer, Phaidros, von den Trennungen und Zusammen­ führungen, damit ich zu sprechen und zu denken in der Lage bin. Wenn ich aber einen anderen für fähig halte, auf das von Natur aus Eine und Viele zu schauen, so folge ich ihm ›auf einer Spur nach wie auf der eines

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Kommentar W 76/10

Gottes‹. Und ob ich weiterhin diejenigen, die das zu tun vermögen, mit der richtigen Bezeichnung anspreche oder nicht, weiß Gott, ich aber nenne sie bis heute Dialektiker.«〉 76/10  Chöre  Komm.: Herrnhuter »Brüdergemeinen« waren in sog. Chöre einge­ teilt, Gruppen nach Geschlecht, Stand und Alter. 76/15f.  zweydeutigen Patriotismum [...] Bollingbroke  Komm.: Vgl. HKB 160 (I 410/12– 17, 11.  9.  1759, an J. G. Lindner). Bolingbroke trug wesentlich zur Populari­ sierung des Begriffs des Patriotismus bei (neben Montesquieu in Frank­ reich), wobei in England damit die Tradition der republikanischen ›Liberty‹ abgelöst werden sollte zugunsten eines monarchischen ›Vaterlands‹. Xeno­ phon wie Bolingbroke dienten im Laufe ihres Lebens jeweils verfeindeten Parteien. So war Xenophon, in Athen geboren, auch Soldat im Heer des Perserkönigs Kyros (Diog. Laert. 1,2,51 f. u. 58). Bolingbroke, einst Staats­ sekretär unter Königin Anne Stuart, floh nach der Krönung Georges I . nach Frankreich und schloss sich den Jakobiten an. Nach dem Tod Ludwigs XIV. verloren diese ihren Rückhalt am französischen Hof, woraufhin Boling­ broke 1716 die Seiten wechselte und sich fortan um die Zuneigung Georges I . bemühte. Es wurde der Verdacht verbreitet, dass er schon bei den Ver­ handlungen um den Frieden von Utrecht von Frankreich bestochen worden war. Der dt. Übers. der Letters on the Study and Use of History sind »Anmer­ kungen über das Leben des Lord Bolingbroke« vorangestellt, worin sein Verhalten bzgl. des Friedens von Utrecht positiv ausgelegt wird (S. XCV); insgesamt dient dieser Lebenslauf dazu, die Entwicklung eines irrenden Heißsporns zu einem Diener seiner Nation zu schildern (wenn auch der Mangel in seiner Religiosität bleibt). Vgl. auch Komm. SD 11/25–12/2. 76/17f.  zweydeutigen Enthusiasmum [...] Shaftesbury  Komm.: Vielleicht Anspielung darauf, dass Brucker Platons Seelenlehre (Kurtze Fragen, Tl. 1, S. 629; Histo­ ria Critica, Bd. 1, S. 721) wie seine Staatsphilosophie als ganze und die Lehre von den Philosophenkönigen insbesondere (Historia Critica, Bd. 1, S. 726) auf seinen philosophischen Enthusiasmus zurückführt. Ein kla­ res Urteil über Platon fällt auch Rapin in Betrachtungen, nach Hamanns Übers. (N IV 52/5–29): »Der schönste Schwätzer unter den Alten ist Plato [...] Der falsche Geschmack, der damals durch das Ansehen der Sophisten im Schwange war, nöthigte ihn diese blühende Schreibart anzunehmen. [...] er gesteht [...], daß er alle seine Lehren unter dem Nahmen des Socrates vorgetragen, damit er nicht von denselben Red und Antwort geben durfte zu einer Zeit, in der dem Volk von Athen alles anstößig zu seyn schien.« Bei Shaftesbury ist der Enthusiasmus Zeichen sowohl der echten als auch der falschen Religion. Dahinter verbirgt sich der Versuch, auch das Chris­ tentum unter Melancholieverdacht zu stellen und gleichzeitig einen dichte­

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rischen Enthusiasmus zu legitimieren, für den Shaftesbury sich auf Platon beruft. Vgl. auch Komm. SD 11/25–12/2. 76/21  Könige in Philosophen  Komm.: Plat. rep. 473  c/d. 76/22  Pedant  Komm.: Adelung 3, 680 ›Pedant‹: »ein Gelehrter, und in weiterer Bedeutung, eine Person, welche Kleinigkeiten als wichtige Dinge ansiehet und vertheidiget.« Vgl. Einführung, S. LIX . 76/28–30  Tres pateat […] habeto  Komm.: Verg. ecl. 3,104 f.: »Dic, quibus in terris – et eris mihi magnus Apollo – / tris pateat caeli spatium non amplius ulnas.« – »[Damoetas:] Sag, wo auf Erden – und sollst mir dann gelten als großer Apollo – / weiter nichts als drei Ellen der Raum des Himmels sich ausdehnt?«. Verg. ecl. 3,106 f.: »Dic, quibus in terris inscripti nomina regum / nascantur flores: et Phyllida solus habeto.« – »[Menalcas:] Sag, wo auf Erden Blumen, mit Königsnamen gezierte, / wachsen und blühn, und Phyllis sollst du als einziger haben.« Vergil soll die beiden Rätsel den Grammatikern zugedacht haben. Strittig im ersten ist das Verständnis von »caeli spatium«. Vgl. die Erläuterung von Götte, S. 260: »caeli oder caeli spa­ tium – der Raum des Himmels oder des Caelius, eines mantuanischen Ver­ schwenders, ist durch drei Ellen begrenzt durch den Rand eines Brunnens, in dem der Himmel sich spiegelt oder durch den Rand des Grabes, in dem Caelius ruht.« Die Lösung des zweiten soll auf den Blättern der Hyacinthe gestanden haben, auf welchen man die Anfangsbuchstaben AI bzw. YA zu erkennen glaubte, die als Abkürzung von Aiax bzw. Hyacinthus gedeutet wurden. Vgl. Ov. met. 13,382–398 (Aiax) und 10,162–219 (Hyacinthus).   77/2f.  Projecte [...] anakreontischer Aebte  Komm.: Um die Schläfen anakreontischer Poeten liegen eigentlich Lorbeer- oder Efeukränze. Der Lorbeer spielte auch in den Kulten um Apollon eine Rolle, weil Daphne in einen Lorbeerstrauch verwandelt wurde, um den Nachstellungen des Gottes zu entgehen. Sowohl im antiken Griechenland als auch in Rom wurde zum sportlichen Sieg und militärischen Triumph ein Lorbeerkranz aufgesetzt. Mit Konrad Celtis und seiner Selbstkrönung zum ›Poeta laureatus‹ 1486 wurde der Kranz auch zum Symbol im Wettbewerb um eine deutsche Nationalliteratur. Zuletzt wurde solche ›Krönung‹ 1752 von Gottsched für Christoph Otto von Schön­ aich und sein Hermann-Epos inszeniert, worüber u. a. Bodmer u. Breitinger spotteten. 77/5–10  Kleinmeister […] sitzen laßen  Komm.: Kant zitiert in der Naturgeschichte (S. 188) in dt. Übers. die Verse von Pope: »Superior beings, / when of late they saw / A mortal man unfold all natur’s law, / Admired such wisdom in an earthly shape, / And show’d a Newton as we show an ape.« (Essay on Man, Ep. II, V. 31–34) Kant bezieht das, wie auch Pope, auf die Stellung des Menschen als Mittelwesen zwischen Erhabenem und Niedrigem, jedoch

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Kommentar W 77/14

(ironisch) in Bezug auf Wesen auf den anderen Planeten des Sonnen­ systems: »Wenn die Vorstellung der erhabensten Classen vernünftiger Creaturen, die den Jupiter oder den Saturn bewohnen, ihre Eifersucht reitzet, und sie durch die Erkenntniß ihrer eigenen Niedrigkeit demüthi­ get; so kan der Anblick der niedrigen Stufen sie wiederum zufrieden spre­ chen und beruhi­gen, die in den Planeten Venus und Merkur weit unter der Vollkommenheit der menschlichen Natur erniedrigt seyn. Welch ein verwunderungswürdiger Anblick! Von der einen Seite sahen wir denkende Geschöpfe, bey denen ein Grönländer oder Hottentotte ein Newton seyn würde, und auf der andern Seite andere, die diesen als einen Affen bewun­ dern.« Hamann hatte das wiederum bereits in einem Brief auf Kant ange­ wandt, HKB 153 (I 381/3, 27.  7.  1759, an Kant). 77/14  Marg.: Herr Pr. Meyer  Komm.: Georg Friedrich Meier (1718–1777), seit 1748 Professor für Philosophie in Halle, wo er auch für die Bücherzensur zustän­ dig war. Hamann bzw. in verlegerischer Vertretung der Königs­berger Buch­ händler Friedrich David Wagner hatte versucht, über Meier die Druck­­ erlaubnis für die Denkwürdigkeiten zu erlangen. Der lehnte wohl ab und die Freigabe wurde letztlich vmtl. in Berlin erlangt; vgl. HKB 174 (II 2/7, 2.  1.  1760, an den Bruder), HKB 182 (II 22/34, 21.  5.  1760, an den Bruder). 77/14  Ausstattung gelehrter Fündlinge  Komm.: Vielleicht bezogen auf Meiers Pub­ likation von Wielands Die Natur der Dinge; im Vorwort behauptet Meier, das Gedicht anonym erhalten zu haben und es also unparteiisch als ein besonders schönes ›deutsches Originalgedicht‹ beurteilen zu können. Dem von ihm so bezeichneten ›Lehrgedicht‹ stellt er dann aber Anmerkungen voran, die den philosophischen Gehalt desselben größtenteils relativieren. Das Bild vom Findelkind passt aber auch zur Darstellung der Aufnahme der Denkwürdigkeiten in den Literaturbriefen, W 63/11–13. 77/16  Marg.: Overbeck […] Huren kinder  Komm.: Jobst von Overbeck (1663–1726), niederländischer Kaufmann in Hamburg; finanzierte 1709 dem Hiobs­ hospital (zur Verhütung des Kindesmordes) einen sog. Torno, d. i. eine Drehlade, an der Säuglinge anonym abgegeben werden konnten. Auch für die Erziehung der Kinder sollte gesorgt werden. Der Anlauf war allerdings so groß, dass der Torno 1714 wieder abgeschafft werden musste. Over­ beck versuchte, das Spital gegen starken Widerstand zu reformieren und die Armenvorsorge in die Stiftsstatuten aufzunehmen. Seine Vorschläge wurden in zahlreichen Flugschriften diskutiert. Kritiker warfen dem Calvi­ nisten Overbeck u. a. vor, mehr um sein Seelenheil besorgt zu sein als um die Armenfürsorge. Hamann hielt sich im November 1756 für eine knappe Woche in Hamburg auf, hat dabei vielleicht etwas vom Waisenhaus erfah­ ren.

bis 77/29 77/21–27  »daß es […] Anspielungen.**«  Komm.: Wohl

281

fiktives Zitat in Anspielung auf die vergeblichen Zensurbemühungen für die Denkwürdigkeiten bei Meier in Halle über den »masquirten« Buchhändler Wagner (siehe Komm. W 77/14) und Meiers nicht überlieferte Antwort, die Hamann in einem Brief vom 21. Mai 1760 (HKB 182 [II 22/34–36]) an den Bruder erwähnt. 77/23–25  libellos […] Statius  Komm.: Stat. silv. 1,1–5: »Diu multumque dubitavi, Stella, iuvenis optime et in studiis nostris eminentissime, qua parte [et] voluisti, an hos libellos, qui mihi subito calore et quadam festinandi volup­ tate fluxerunt, cum singuli de sinu meo pro, congregatos ipse dimitterem.« – »Sehr lange habe ich gezögert, Stella, bester junger Freund, der du dich in unseren Studien in der Sparte, in der du tätig sein wolltest, besonders ausgezeichnet hast, ob ich die Gedichte, die mir in plötzlicher Begeisterung und geradezu im Spaß am schnellen Dichten aus der Feder geflossen sind, ob ich diese, die mir, jedes einzeln, aus der Seele [] kamen, gesammelt herausgeben soll.« Opitz: Buch von der Deutschen Poeterey, S. 35: »Sylven oder wälder sind nicht allein nur solche carmina/ die auß geschwinder anregung vnnd hitze ohne arbeit von der hand weg gemacht werden/ von denen Quintilianus im dritten Capitel des zehenden buches saget: Diuersum est huic corum vitium, qui primùm discurrere per mate­ riam stylo quàm velocissimo volunt, & sequentes calorem atque impetum ex tempore scribunt: Hoc syluam vocant; vnd wie an den schönen syluis die Statius geschrieben zue sehen ist/ welche er in der Epistel für dem ersten buche nennet libellos qui subito calore & quadam festinandi voluptate ipsi fluxerant: sondern/ wie jhr name selber anzeiget/ der vom gleichniß eines Waldes/ in dem vieler art vnd sorten Baewme zue finden sindt/ genommen ist/ sie begreiffen auch allerley geistliche vnnd weltliche getichte/ als da sind Hochzeit- vnd Geburtlieder/ Glückwündtschungen nach außgestande­ ner kranckheit/ item auff reisen oder auff die zuerückkunfft von denselben/ vnd dergleichen.« Sowohl Opitz als auch Gryphius gaben Textsammlungen (bspw. auch anakreontischer Gedichte) unter dem Titel »Poetische Wälder« heraus. 77/29  a System of hints. Bollingbroke  Komm.: Vgl. Bolingbroke: Letters on the Study and Use of History, Bd. 2, S. 185. Im Brief mit dem Titel »A Plan for a Gene­ ral History of Europe« listet Bolingbroke eine Reihe von Ereignissen auf, die er für die derzeitige Situation Europas als konstitutiv erachtet. Die von Hamann zitierte Wendung fällt im Kontext der Bestimmung dessen, was ein Historiker, der diese zu erläutern versuche, zu leisten habe: »There is nothing in my opinion so hard to execute, as those political maps, if you will allow me such an expression, and those systems of hints, rather than relations of events, which are necessary to connect and explain them; and

282

Kommentar W 78/1–4

which must be so concise, and yet so full; so complicate, and yet so clear.« Vgl. auch SD 42/8. 78/1–4  Anpreisung […] 1760. Jahres  Komm.: Ironisch bezogen auf den Verriss von Ziegra Rez-SD 106–109. 78/10  bedenkliche Merkmale  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 109/8 f., W 60/2, 60/9 u. 82/16. 78/14–16  Motto […] abgeschreckt worden  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD  107/5–11 u. W 54/8–14. 78/20f.  kranke Körper [...] Gehirns  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD  107/18, 108/7 u. W 54/20, 56/2, 57/27, 82/18 f. u. 87/2. 78/24  Aeschylus nachgesagt  Komm.: Im Erstdruck ist das Spatium zwischen den beiden Wörtern defekt; der Defekt hat Ähnlichkeit mit einem Komma. 78/25  ωνειδισας […] καλον  Komm.: Eurip. Bacch. 652: »[Dionysos:] ὠνείδισας δὴ τοῦτο Διονύσῳ καλόν.« – »Mit dieser Schmähung trafst Du Bakchos’ schön­ stes Gut.« 78/26f.  Wein [...] Autor seiner Schauspiele  Komm.: Anspielung auf eine bei Athen. deipn. 1,22  a–b u. 10,428  e–429  a überlieferte Anekdote, nach der Aischylos seine Tragödien betrunken geschrieben haben und dafür von Sophokles kritisiert worden sein soll. Vgl. auch HKB 165 (I 438/35, 30.  10.  1759, an den Bruder), dort mit Bezug auf Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey, Kap. 3, »Von etlichen sachen die den Poeten vorgeworffen« [o. Pagn.]: »Das Wasser ist das beste das man findt. Mit welchem es Alceus/ Aristophanes/ Alcman/ Ennius vnd andere nicht gehalten hetten; auch Eschilus nicht/ dem Sopho­ cles vorgeworffen/ der wein hette seine Tragedien gemacht/ nicht er.« 78/29  Erzählung des Gespenstes, das der Chier  Komm.: Vgl. SD 44/7–15. 79/3  gewiße  Komm.: Vgl. Komm. W 67/31. 79/10–16  Geist […] mißtrauisch zu seyn  Komm.: Apg 2,1–4. Vgl. Ziegra Rez-SD 108/15–20 u. W 56/9–13 u. 57/22–27. 79/13  Evangelisten  Komm.: Griech. εὐαγγέλιον bedeutet so viel wie »gute Nach­ richt«, Evangelisten sind die Überbringer guter Nachrichten. 79/13  inspirirten  Komm.: Zeitgenössisch fast nur noch pejorativ, wie ›schwärme­ risch‹, gebraucht, vgl. Komm. SD 11/18 f.; im dt. Protestantismus im positi­ ven Sinne für die Evangelisten reserviert. 79/14  εγγαστριμυθους  Komm.: Bauchredner, Wahrsager. Vgl. 1 Sam 28,3 u. 9; Jes 8,19 u. 19,3 sowie W 63/2. 79/18  Most einer neuen Lehre  Komm.: Mk 2,22; Lk 5,37–39. 79/19  Füße zu decken  Komm.: 1 Sam 24,3: Die Redewendung bedeutet vmtl.: die Notdurft verrichten. 79/20–80/11  David […] 1 Sam. 21,9.  Komm.: Vgl. 1 Sam 21 u. 22. 79/22f.  Schaubrodte […] durfte  Komm.: Vgl. Mk 2,26 u. Mt 12,4.

bis 82/2–5 79/24–26  Messer Lodovico, […] Ariost  Komm.:

283

»Woher, zum Teufel, nehmt ihr, Ver­ ehrter Lodovico, den ganzen Unsinn her?« Ludovico Ariosto hatte 1516 sein Hauptwerk, das Epos Orlando Furioso, dem Kardinal Hippolyt von Este zugeeignet, dieser soll einer viel zitierten Anekdote zufolge mit dieser Äußerung sein Unverständnis für Ariosts Dichtung zum Ausdruck gebracht haben. 79/28–31  Der Wurstmacher Agorakoit […] χρωμαι  Komm.: Aristoph. Equ. (griech. Ἱππῆς) 888 f.: »οὔκ, ἀλλ᾽ ὅπερ πίνων ἀνὴρ πέπονθ᾽ ὅταν χεσείῃ, / τοῖσιν τρόποις τοῖς σοῖσιν ὥσπερ βλαυτίοισι χρῶμαι.« – »[Wursthändler:] Nein, ich tu nur wie einer, der zum Klo gehn will beim Trinken. / Ich nehme dein Verhalten zum Gebrauch mir wie Pantoffeln.« 80/5–7  Knoten […] Federmeßer  Komm.: Einerseits Anspielung auf die Knoten­ schrift der Inkas. Vgl. Zedler 27, 715 ›Peru‹: »Vor der Ankunft der Spanier gebrauchten sie sich keiner Schrift, sondern an statt dessen einer gewissen Art von groben Figuren oder Bildern, als z. E. der Mexiguanes oder Qvipes. Diese Quipes waren eine Art von Register-Büchern aus kleinen Schnüren gemacht, deren Farben und Knoten fast eben dasjenige thaten, was bey uns die 24 Buchstaben des Alphabets, wenn sie auf unterschiedliche Arten zusammen gesetzet werden.« Andererseits Verweis auf die Überlieferung, derzufolge Alexander den Gordischen Knoten, der demjenigen, der ihn lösen könne, die Herrschaft über die gesamte Erde prophezeite, durch­ schlug; geschildert bspw. in Plut. Alex. 18. 81/2  Amoris vitio […] fio  Komm.: Plaut. Persa 1,1,49: »Amoris vitio, non meo, nunc tibi morologus fio.« – »[Toxilus:] Durch Schuld der Liebe, nicht durch meine Schuld, rede ich jetzt närrisch mit dir.« 81/3  Vater Sokrates! Bruder Aristoteles!  Komm.: Diese Zusammenstellung bezieht sich mglw. auf beider Dunkelheit; zu Aristoteles vgl. SD 11/2, zu ›Vater‹ Sokra­tes SD 19/5. 81/5–7  schwarz, […] Salomo  Komm.: Hld 1,5 f.; 2 Sam 7,2. Vgl. auch Ps 120,5 und vgl. W 63/4, 68/8, 84,20 f., 87/23. 81/10  Fleisch und Blut  Komm.: Jes 58,7. 81/11–13  57sten Stück […] 1760sten Jahres  Komm.: Ziegra Rez-SD 106–109. 81/14–17  Wächter auf dem Thurm […] unsinnig wäre  Komm.: 2 Kö 9,17–20. 81/19–21  Menschenverstand [...] ausgebrütet  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 107/18 u. 108/6–13 u. W 54/19 f. u. 56/1–7. 81/22–24  Strauß […] arbeitet  Komm.: Vgl. Hiob 39,13–18. 81/24f.  über den Berg, […] irre  Komm.: Vgl. W 57/3 f., 57/29 f. u. Ziegra Rez-SD 108/24 f. 82/1  ängstliche Erwartung  Komm.: Rö 8,19. 82/2–5  Sohn Kis […] laßen?  Komm.: 1 Sam 9,1–24.

284 82/6  gesunde Vernunft  Komm.:

Kommentar W 82/6

Zum Wortfeld von ›Vernunft‹, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 82/8  unnatürliche  Komm.: Vgl. W 54/19 u. Ziegra Rez-SD 107/17 f. 82/8  Neigung zu! Wiedersprüchen  Komm.: W 57/31 zu Ziegra Rez-SD 109/5; außer­ dem W 74/15. 82/10  Hypochondrie und Miltzsucht  Komm.: In der Humoralpathologie ist die Milz­ sucht physiologische Ursache bzw. Begleiterscheinung der Hypochondrie wie auch der Melancholie. Vgl. Zedler 13, 1479 ›Hypochondrisches Ubel‹. 82/11  seine Vertrauten  Annot. W3*: ‫ידו ּעַ חֹלִ י‬, Jes LIII ,3. ein Bekannter der Krankheit. 82/12  Orestes  Komm.: Nach griech. Sage aus dem mykenischen Königs­geschlecht der Atriden, das häufig Thema der Tragödien von Aischylos und Euripi­ des ist. Für die Ermordung der Mutter schlugen die Erinnyen, als Rache­ göttinnen, Orest mit Wahnsinn. Vor Gericht in Athen wurde er, nach der Verteidigung durch Athene, freigesprochen. 82/14f.  καν μη […] γινεται  Komm.: Eurip. Or. 314 f.: »κἂν μὴ νοσῇς γάρ, ἀλλὰ δοξάζῃς νοσεῖν, / κάματος βροτοῖσιν ἀπορία τε γίγνεται.« – »[Elektra:] Und lebt die Krankheit nur in deinem Wahn, / Sie schafft die gleiche Mühe, gleiche Pein.« 82/16  Bedenkliche Merkmale  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 109/8 f. u. W 60/2, 60/9 f. u. 78/10 f. 82/18  Körper und Kopf  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 107/18 u. 108/7 u. W 54/20, 56/2, 78/20 f. u. 87/2. 82/21  polychrestisch  Komm.: Vielfältig brauchbar, besonders bei Arzneien: in vie­ len unterschiedlichen Krankheitsfällen der Genesung förderlich. Gebildet aus gr. πολύ (viel, mehrere) und gr. χρεσtός (brauchbar, nützlich). 82/22  Sibyllenblättern  Komm.: Der griechische Sibyllenkult wurde von den Römern in der Verehrung der Sibyllinischen Bücher adaptiert, einer Samm­ lung griechischer Hexameter mit prophetischem Anspruch. Schließlich wurden die Sibyllen auch von Christen als heidnische Propheten christ­ licher Lehren gedeutet und eine entsprechende Spruchsammlung ediert, die in Hamanns Zeit als Fälschung galt. Vgl. dazu Zedler 37, 872–876 ›Sibyl­ len‹. Zum Bild des (flüchtigen, wirren) Sibyllenblatts vgl. die Schilderung der Sibylle von Cumae, Verg. Aen. 3,440–453. Darauf bezieht sich auch Shaftesbury: Miscellaneous Reflections (in: Characteristics, Bd. 3, S. 233), wenn er den Zusammenhang von Religiosität und Kunst untersucht. 82/25  Gränzstreitigkeiten  Komm.: Vgl. W 61/1–7. Mit dem Verhältnis von Krank­ heit und Genialität, in der Antike wie auch zeitgenössisch, beschäftigt sich auch Shaftesbury im Sendschreiben von der Begeisterung (Hamanns Übers.: N IV 151 f.).

bis 83/5–8

285

82/25  Gränzstreitigkeiten des Genies mit der Tollheit  Annot. W3*: Εἰ μὲν γὰρ ἦν ἁπλοῦν

τὸ μανίαν κακὸν εἶναι, καλῶς ἂν ἐλέγετο· νῦν δὲ τὰ μέγιστα τῶν ἀγαθῶν ἡμῖν γίγνεται διὰ μανίας, θείᾳ μέντοι δόσει διδομένης. ἥ τε γὰρ δὴ ἐν Δελφοῖς προφῆτις αἵ τ᾽ ἐν Δωδώνῃ ἱέρειαι μανεῖσαι μὲν πολλὰ δὴ καὶ καλὰ ἰδίᾳ τε καὶ δημοσίᾳ τὴν Ἑλλάδα εἰργάσαντο, σωφρονοῦσαι δὲ βραχέα ἢ οὐδέν. καὶ, ἐὰν δὴ λέγωμεν Σίβυλλάν τε καὶ ἄλλους, ὅσοι μαντικῇ χρώμενοι ἐνθέῳ πολλὰ δὴ πολλοῖς προλέγοντες εἰς τὸ μέλλον ὤρθωσαν μηκύνοιμεν ἂν δῆλα παντὶ λέγοντες. τόδε μὴν ἄξιον ἐπιμαρτύρασθαι, ὅτι καὶ τῶν παλαιῶν οἱ τὰ

Socrates in Platonis Phaedro. 〈Plat. Phaidr. 244  a–b: »[Sokrates:] Wenn es nämlich so einfach wäre, dass es sich beim Wahnsinn (immer) um ein Übel handelte, dann wäre es zu Recht gesagt. Nun aber werden uns die größten Güter durch Wahnsinn zuteil, jedenfalls dann, wenn er durch eine göttliche Gabe verliehen wird. Denn die Seherin in Delphi und die Priesterinnen in Dodona haben ja im Wahnsinn für Griechenland im privaten wie im öffentlichen Bereich viel Gutes bewirkt, wenn sie aber bei klarem Verstand waren, Unbedeutendes oder gar nichts. Und wenn wir von der Sibylle und anderen sprechen wollten, die durch die Anwendung göttlich inspirierter Weissagekunst vielen vieles vorhergesagt und ihnen so für die Zukunft den richtigen Weg gezeigt haben, würden wir weitschweifig werden und (doch nur) von Dingen reden, die jedem bekannt sind. Dies freilich ist es wert, als Zeugnis angeführt zu werden, dass auch diejenigen unter den Altvorderen, die Wörter geprägt haben, den Wahnsinn nicht für etwas Schlechtes und Tadelnswertes hielten«.〉 82/26  [Marg.] S. Phädrum  Komm.: Vgl. Annot. W 82/25 f. 82/27  Schisma  Komm.: Joh 10,19–21. Griech. σχίσμα (Spaltung, Trennung) in Vers 19 wird in Luther 2017 mit »Zwietracht« übersetzt. 83/1  ΔΑΙΜΟΝΙΟΝ εχει και ΜΑΙΝΕΤΑΙ  Komm.: Joh 10,20: »δαιμόνιον ἔχει καὶ μαίνεται« (NA28) – »Er ist von einem Dämon besessen und ist von Sinnen« (Luther 2017). 83/4  gesunden Bauerverstande  Komm.: Zum Wortfeld von ›Vernunft‹, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 83/5–8  Festus […] Büchern schuld  Komm.: Festus war römischer Prokurator in Palästina. Apg 26,24: »Ταῦτα δὲ αὐτοῦ ἀπολογουμένου ὁ Φῆστος μεγάλῃ τῇ φωνῇ φησιν· μαίνῃ, Παῦλε· τὰ πολλά σε γράμματα εἰς μανίαν περιτρέπει.« (NA 28) – »Als er aber dies zu seiner Verteidigung sagte, sprach Festus mit lauter Stimme: Paulus, du bist von Sinnen! Das viele Studieren macht dich wahnsinnig.« (Luther 2017). Hamann zitiert in der dazugehörigen Fußnote nur den letzten Teil des Verses (»Das viele Studieren macht dich wahnsin­ ὀνόματα τιθέμενοι οὐκ αἰσχρὸν ἡγοῦντο οὐδὲ ὄνειδος μανίαν.

286

Kommentar W 83/7

nig.«) auf griechisch; seine Paraphrase gibt γράμματα als ›Belesenheit‹ bzw. schlicht als ›Bücher‹ wieder. Luther 1545 übersetzt die Stelle hingegen mit: »Die grosse kunst machet dich rasend.« 83/7  fanatischen Schwindel  Annot. W3*: ὡς γὰρ οἱ δῖνοι τῶν ἅμα κύκλῳ κατα­ φερομένων σωμάτων οὐκ ἐπικρατοῦσι βεβαίως, ἀλλὰ κύκλῳ μὲν ὑπ᾿ ἀνάγ­ κης φερομένων κάτω δὲ φύσει ῥεπόντων γίγνεταί τις ἐξ ἀμφοῖν ταραχώδης καὶ παράφορος ἑλιγμός, οὕτως ὁ καλούμενος ἐνθουσιασμὸς ἔοικε

μεῖξις εἶναι κινήσεων δυοῖν, τὴν μὲν ὡς πέπονθε τῆς ψυχῆς ἅμα, τὴν δ᾿  ὡς

Plutarchus de Pythiae oraculis c. 21. 〈Plut. de Pyth. or. 21,404  e–f: »Denn wie die Schwingungen der im Kreise sich bewegenden Körper nicht gleich fest sind, sondern blos durch Nothwendigkeit im Kreise sich halten, da sie von Natur nach unten sich senken, so entsteht aus bei­ den ein unruhiges und schwankendes sich Wälzen; und so scheint auch Das, was man Enthusiamus nennt, eine Mischung von zwei Bewegungen zu seyn, von denen die eine von außen her erfolgt, die andere in der Natur der Seele liegt.«〉 83/8  Landpfleger  Komm.: Der »Statthalter« Felix, vor dem Paulus nach Apg 24 angeklagt wird, ist nach Luther 1545 »Landpfleger«. 83/9f.  Aufruhr […] erregte  Komm.: Vgl. Apg 19,23–40. 83/12  jachzornigen Diana  Komm.: Vgl. Komm. W 71/8. Artemis/Diana ist die Göt­ tin der Jagd und der Fruchtbarkeit, ihre Attribute sind silberne Pfeile und ein silberner Bogen, sie ist die Zwillingsschwester Apollons. Artemis/Diana brachte mit ihren Pfeilen als Strafe Krankheiten über die Sterblichen. 83/14  Marg.: Platons Sophisten  Komm.: Plat. Soph. 216  c/d. 83/14–18  alle Meister, […] seyn soll  Komm.: Ps.-Aristot. probl. 30,1,953  a. Dt. Übers. in Werke, Bd. 19, S. 250: »Warum erweisen sich alle außergewöhnlichen Männer in Philosophie oder Politik oder Dichtung oder in den Künsten als Melancholiker; und zwar ein Teil von ihnen so stark, daß sie sogar von krankhaften Erscheinungen, die von der schwarzen Galle ausgehen, ergrif­ fen werden, wie man z. B. berichtet, was unter den Heroen dem Herakles widerfuhr? Denn auch jener scheint eine derartige Naturanlage gehabt zu haben, weshalb auch die Alten die Krankheiten der Epileptiker nach ihm ›heilige Krankheit‹ genannt haben. Sowohl der ekstatische Anfall gegen seine Kinder als auch das Aufbrechen seiner Wunden vor seiner Entrü­ ckung auf dem Öta zeigt dies an; denn auch das entsteht bei vielen von der schwarzen Galle her.« 83/15  die sich in der Philosophie  Annot. W3*: καλῶς γε, ὦ φίλε, πάντας τοὺς φιλοσόφους θείους προσαγορεύεις. τοῦτο μέντοι κινδυνεύει τὸ γένος οὐ πολύ τι ῥᾷον ὡς ἔπος εἰπεῖν εἶναι διακρίνειν ἢ τὸ τοῦ Θεοῦ. πάνυ γὰρ ἇνδρες οὗτοι παντοῖοι φανταζόμενοι διὰ τὴν τῶν ἄλλων ἄγνοιαν ἐπιστρωφῶσι πόληας, οἱ πέφυκε κινουμένης.

bis 84/3

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μὴ πλαστῶς ἀλλ᾽ ὄντως φιλόσοφοι, καθορῶντες ὑψόθεν τὸν τῶν κάτω βίον,

καὶ τοῖς μὲν δοκοῦσιν εἶναι τοῦ μηδενὸς τίμιοι, τοῖς δ᾽ ἄξιοι τοῦ παντός, καὶ τοτὲ μὲν πολιτικοὶ φαντάζονται, τοτὲ δὲ σοφισταί, τοτὲ δ᾽ ἔστιν οἷς δόξαν

παράσχοιντ᾽ ἂν ὡς παντάπασιν ἔχοντες μανικῶς, sagt Sokrates zum Theodor

in Platons Sophisten. 〈Kompiliertes Zitat aus Plat. Soph. 216  b–d: »[Sokra­ tes:] [Und] richtig, o Freund nennst du alle Philosophen göttlich. Nur mag wohl dieses Geschlecht, daß ich es heraussage, nicht viel leichter zu erken­ nen sein als das der Götter. Denn in gar mancherlei Gestalten erscheinen, wegen der Unwissenheit der anderen, diese Männer, die nicht angeblichen, sondern wahrhaften Philosophen, und durchgehen die Gebiete der Men­ schen, betrachtend von oben her der Niedern Leben, und einigen scheinen sie gar nichts wert zu sein, anderen über alles zu schätzen, und werden bald für Staatsmänner angesehen, bald für Sophisten; ja bisweilen sind sie einigen schon vorgekommen als gänzlich Verwirrte.«〉 83/18–84/2  Mann, lieblich […] Haus kommen?  Komm.: Vgl. 1 Sam 21,13–16. Siehe auch Komm. SD 6/22. 83/25  Ap. Gesch. 26,24  Komm.: Siehe Komm. W 83/5–8. 83/27–29  aut morbus […] Horat. ad Pis.  Komm.: Hor. ars. 453–456: »ut mala quem scabies aut morbus regius urget / aut fanaticus error et iracunda Diana, / vesanum tetigisse timent fugiuntque poetam / qui sapiunt, agitant pueri incautique sequuntur.« – »Wie einen, den die schlimme Krätze oder die Gelbsucht plagt oder religiöser Wahn und der Zorn der Diana, scheuen sich diejenigen, die Verstand haben, einen verrückten Dichter zu berühren und fliehen vor ihm; ihn verspotten die Knaben und laufen ihm unvorsichtig hinterher.« 84/3  Hippokrates dem Demokrit  Komm.: Vgl. Hippokr. ep. 10–17 und die briefliche Mitteilung Hamanns an J. G. Lindner über die Lektüre: HKB 198 (II 53/19– 54/32, 30.  12.  1760). Die Abderiten vermeinen, der Philosoph Demokrit leide an einer Geisteskrankheit (Symptome: Schlaf losigkeit, Einsam­ keit, Teilnahmslosigkeit, Glaube an die Unendlichkeit, Halluzinationen, Stumpfsinn, Einfalt und v. a. ein pathologisches Lachen über Freudiges wie Trauriges) und bitten Hippokrates um Hilfe. Hippokrates vermutet eine Fehleinschätzung der Abderiten und dass diese die eigentlich Verirrten seien. Vgl. Hippokr. ep. 13 (dt. Übers. S. 37): »Ich aber glaube gar nicht, daß er eine Krankheit hat, sondern ein Übermaß an (wissenschaftlicher Bil­ dung), das freilich in Wirklichkeit kein Übermaß ist, sondern nur nach der Meinung der Laien, da ja das Übermaß an einem Vorzug niemals schädlich ist.« Sein beständiges Lachen, so Demokrit, resultiere aus der Lächerlich­ keit der Menschen, die vergeblich ihr Glück im Unbeständigen suchen, nur um darüber zu verzweifeln. Abhilfe für diese wahre Geistesstörung schaffe

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Kommentar W 84/8–20

nur Selbsterkenntnis und Selbstgenügsamkeit. Die Abderiten galten schon in der Antike als Schildbürger, vgl. bspw. Cic. Att. 4,19,3. 84/8–20  dem Mund […] Galle  Annot. W3*: Ὅς δ᾽ ἂν ἄνευ μανίας Μουσῶν ἐπὶ ποιητικὰς θύρας ἀφίκηται, πεισθεὶς ὡς ἄρα ἐκ τέχνης ἱκανὸς ποιητὴς ἐσόμενος, ἀτελὴς αὐτός τε καὶ ἡ ποίησις· ὑπὸ τῆς τῶν μαινομένων ἡ τοῦ σωφρονοῦντος ἠφανίσθη. τοσαῦτα μέν σοι καὶ ἔτι πλείω ἔχω μανίας γιγνομένης ἀπὸ Θεῶν λέγειν καλὰ ἔργα, ὥστε τοῦτό γε αὐτὸ μὴ φοβώμεθα, μηδέ τις ἡμᾶς λόγος θορυβείτω, δεδιττόμενος ὡς πρὸ τοῦ κεκινημένου τὸν σώφρονα δεῖ ­ ροαιρεῖσθαι φίλον· — […] ἡμῖν δὲ ἀποδεικτέον αὖ τοὐναντίον, ὡς ἐπ᾽ εὐτυπ χίᾳ τῇ μεγίστῃ παρὰ Θεῶν ἡ τοιαύτη μανία δίδοται. ἡ δὲ δὴ ἀπόδειξις ἔσται δεινοῖς μὲν ἄπιστος, σοφοῖς δὲ πιστή. Socr. in Phaedro. 〈Plat. Phaidr. 245  a–c: »[Sokrates:] Wer aber ohne den Wahnsinn der Musen an die Pforten der Dichtkunst gelangt in der Überzeugung, er werde aufgrund seiner hand­ werklichen Begabung ein fähiger Dichter werden, der bleibt selbst unfertig und seine Dichtung, die auf Vernunft allein beruht, wird von derjenigen der Rasenden in den Schatten gestellt. So viele und noch mehr schöne Werke kann ich dir nennen, wenn von den Göttern gesandter Wahnsinn im Spiel ist. Daher wollen wir eben das nicht fürchten und keine Rede soll uns beunruhigen und (mit der Behauptung) in Angst versetzen, dass man anstelle des Inspirierten den Vernünftigen als Freund vorziehen solle, […] Von uns aber ist im Gegenteil zu beweisen, dass ein solcher Wahnsinn zum größten Glück von den Göttern geschenkt wird. Dieser Beweis wird bei den Redegewaltigen keinen Glauben finden, wohl aber bei den Weisen.«〉 84/9f.  gesunden Dichtern […] Helikons versagte  Komm.: Hor. ars. 295–298: »inge­ nium misera quia fortunatius arte / credit et excludit sanos Helicone poe­ tas / Democritus, bona pars non unguis ponere curat, / non barbam, secreta petit loca, balnea vitat.« – »Weil Demokrit Genie für gesegneter als arm­ selige Kunstfertigkeit hält und die geistig gesunden Dichter vom Helikon ausschließt, bemüht sich ein Gutteil der Dichter nicht, sich die Nägel, nicht, sich den Bart schneiden zu lassen, sucht eine entlegene Gegend auf und meidet Bäder.« Helikon ist nach griech. Sage der den Musen geweihte Berg in Böotien. 84/10–15  Jehu […] Elisa  Komm.: 2 Kön 9,11. 84/16–85/3  Aristoteles […] Eigenschaften  Komm.: Ps.-Aristot. probl. 30,1,953  a . Fortsetzung der Stelle in Komm. W 83/14–18 (Aristoteles: Werke, Bd. 19, S. 250 f.): »Auch mit den Wunden des Lysander aus Sparta geschah vor seinem Tod dasselbe, ferner bei Aias und Bellerophontes, von denen der eine völlig wahnsinnig wurde, der andere die Einsamkeit aufsuchte, weshalb Homer folgende Verse gedichtet hat: ›Aber nachdem auch jener verhaßt war allen Göttern, / da nun irrt er durch die Aleische Flur einsam

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umher, / sein Herz in Kummer verzehrend, das Gewimmel der Menschen meidend.‹ Aber auch vielen anderen Heroen ging es offenbar ähnlich wie diesen. Von den Späteren aber waren es Empedokles, Platon, Sokrates und viele andere bekannte Männer, ferner aber auch von den Dichtern die meis­ ten. [...] Wir müssen nun den Grund dafür zu erfassen, suchen, indem wir zuerst ein Beispiel anführen. Der Wein nämlich, in großer Menge genossen, bringt offenkundig am ehesten die Menschen in einen solchen Zustand, wie wir ihn den Melancholikern zuschreiben. Wenn man ihn trinkt, ruft er die verschiedensten seelischen Verfassungen hervor, indem er die Men­ schen zornig, menschenfreundlich, rührselig oder draufgängerisch macht, aber weder der Honig noch die Milch noch das Wasser oder irgendetwas anderes Derartiges.«  84/25–27  Mille […] Hor. Serm Lib. II. 3.  Komm.: Hor. sat. 2,3,197 f.: »›mille ovium insa­ nus morti dedit, inclitum Ulixen / et Menelaum una mecum se occidere clamans.‹« – »›Im Wahnsinn erschlug er [Ajax] tausend Schafe, wobei er schrie, er töte den berühmten Ulixes und Menelaus zusammen mit mir.‹« 84/28–31  Αυταρ […] Ομηρος  Komm.: Leicht modifiziertes Zitat aus Hom. Il. 4,200– 203 innerhalb der oben zitierten Stelle von Ps.-Aristot. probl. 30,1,953  a, vgl. Komm. W 84/16–85/3: »ἀλλ᾽ ὅτε δὴ καὶ κεῖνος ἀπήχθετο πᾶσι θεοῖσιν, / ἤτοι ὃ κὰπ πεδίον τὸ Ἀλήϊον οἶος ἀλᾶτο / ὃν θυμὸν κατέδων, πάτον ἀνθρώπων ἀλεείνων« – »Aber nachdem auch jener den Himmlischen allen verhaßt ward; / Irrt’ er umher einsam, sein Herz von Kummer verzehret, / Durch die aleische Flur, der Sterblichen Pfade vermeidend.« Vmtl. zitiert Hamann (vgl. HKB 198, II 53/22 f., 30.  12.  1760, an J. G. Lindner) nach einer griech.-lat. Aristoteles-Ausgabe von Isaac Causabon: Aristotelis Opera omnia, Bd. 2.2 (1629), S. 815, die dortigen diakritischen Zeichen auslassend. 85/5  Eli  Komm.: 1 Sam 1,9–17. 85/5–8  Juden […] Weins  Komm.: Apg 2,1–13. Vgl. Jes 28,1–13 u. 1 Kor 14,1–25. Zum Topos der Trunkenheit siehe auch W 73/29 f., 78/26 u. SD 44/15. 85/10–12  mancherley Seuchen […] Paralytischen  Komm.: Mt 4,24. Im griech. Text steht »παραλυτικούς« (NA28), in der Vulgata »paralyticos«; in Luther 2017 wird die Stelle hingegen mit »Gelähmte«, in Luther 1545 mit »Gicht­brüchige« übersetzt. 85/16  Θειον  Komm.: Griech.: Gott. 85/18f.  Abhandlung […] ΠΑΝΤΑ  Komm.: Hippokr. morb. sacr. (griech. περὶ ἱερῆς νούσου) 18,2: »ἀλλὰ πάντα θεῖα καὶ πάντα ἀνθρώπινα.« – »alle [Dinge] muß man für göttlich und alle für menschlich halten.« Hamann weicht in der Wort­ stellung von der modernen Edition ab und folgt dem Codice Vindobonensis medicus graecus 4. Die Stelle im Zusammenhang: »Die hier besprochene sogenannte heilige Krankheit entwickelt sich aus denselben Ursachen wie

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die übrigen, aus dem, was in uns hineingeht und aus uns weggeht, und durch Kälte, Sonne und Winde, die wechseln und immer in Bewegung sind. Diese Dinge aber sind göttlich, so daß man diese Krankheit nicht abtrennen und für göttlicher halten darf, sondern alle muß man für göttlich und alle für menschlich halten. Jede aber hat ihren natürlichen Ursprung und ihre spezielle Wirksamkeit, und gegen keine sind wir rat- und machtlos.« (dt. Übers. S. 88 f.) Bei der Fehlschreibung des Titels »ηερι ιερης υοσου« statt »περι ιερης νοσου« handelt es sich wohl um einen Fehler des Setzers, der die Lettern π/η und ν/υ verwechselte. 85/20  Paroxysmus  Komm.: Vgl. Zedler 26, 1014 ›Paroxysmus‹: »ein Anfall, Anstoß, ist die Zeit, in welcher eine Krankheit ihre Macht durch allerhand Zufälle ausübet; als in den Fiebern, wenn selbige den Patienten anfallen, nennet man es den febrilischen Paroxysmum, oder wenn jemand von der schwe­ ren Noth gerühret wird, u. s. w. […] Das Wort Paroxysmus kommt von παροζύνω, exacerbo, schärfen, vergrössern.« 85/20  langen Weile  Komm.: Vgl. SD 1/7. 85/21f.  Paulus zu Athen […] abgöttischen Stadt  Komm.: Paulus’ Auftritt in Athen ist auch Thema in der Kontroverse zwischen Lessing (bzw. den Literaturbriefen) und Cramer (bzw. dem Nordischen Aufseher, unterstützt von Basedow) in Bzg. auf Religionsdidaktik; Cramer attestiert dem Apostel eine aus­ gefeilte und auf Unwissende abgestimmte Rhetorik; Lessing hingegen beschreibt, dass die Rede des Paulus, die ohne didaktische Umschweife direkt auf den Kern der Glaubenslehre kommt, misslingt, viele Athener ihm nicht zuhören wollen oder sich gegen ihn wehren. Vgl. besonders den 109. der Literaturbriefe. 85/26–30  Ap. Gesch. 17,16. […] zankten  Komm.: Apg 17,16: »παρωξύνετο τὸ πνεῦμα αὐτοῦ« (NA 28) – »[Da aber Paulus ihrer zu Athen wartete,] ergrimmte sein Geist in ihm, [da er sah die Stadt so gar abgöttisch.]« (Luther 1545). Apg 17,18 erwähnt den Streit zwischen Paulus und den epikureischen und stoischen Philosophen. 86/1–9  Solon […] Weisen Griechenlands  Komm.: Vgl. Plut. Sol. 8: »Als die Athener eines langen und verlustreichen Krieges mit den Megarern um die Insel Salamis müde geworden waren und ein Gesetz gemacht hatten, daß nie­ mand wieder schriftlich oder mündlich einen Antrag auf Eröffnung des Krieges um Salamis stellen oder aber mit dem Tode bestraft werden sollte, da litt Solon schwer unter dieser Schmach, und da er bemerkte, daß viele der jungen Leute den Wiederbeginn des Krieges wünschten, aber nicht wagten, davon anzufangen, wegen des Gesetzes, so stellte er sich wahn­ sinnig und ließ aus seinem Hause in der Stadt das Gerücht verbreiten, daß er verrückt geworden sei. Indessen dichtete er heimlich eine Elegie, übte

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sie sich ein, daß er sie frei vortragen konnte, und sprang plötzlich auf den Markt, ein Hütchen auf dem Kopf. Als sich viel Volk versammelt hatte, stieg er auf den Stein des Heroldes und sang die Elegie [...] Als er es [das Lied] gesungen hatte, die Freunde ihn zu loben begannen und vor allem Peisis­ tratos die Bürger ermunterte und anspornte, dem Redner zu gehorchen, hoben sie das Gesetz auf, begannen wieder den Krieg und stellten Solon als Anführer an ihre Spitze.« In Plut. Sol. 2 wird Solon als Kaufmann vorge­ stellt, in Plut. Sol. 3 als Dichter, Plut. Sol. 5 stellt seine Gesetze vor und Plut. Sol. 5 schildert seine Gastfreundschaft gegenüber Anacharsis. Der oben zitierte Abschnitt Plut. Sol. 8 leitet seine Vorstellung als Feldherr ein und Plut. Sol. 3 f. stellt ihn als Weisen dar. 86/15–21  Tod Herodis […] Ehre geben + Marg.: Eule  Komm.: Apg 12,23. Flavius Josephus beschreibt die Vorahnung des Herodes in der Vision einer Eule; er soll an den darauffolgenden fünf Tagen erkrankt und letztlich gestorben sein (Ios. ant. Iud. 19,8.2). Brucker legt die Vision der Eule als Hinweis auf den Engel sowie die Bauchschmerzen als verheimlichten Wurmbefall aus (Die Heilige Schrift, Tl. 14, S. 272–274). Vom ›Geist‹ getrieben ist wohl der Evangelist Lukas. Heumann nennt Lukas’ Rede vom Engel des Herrn in Apg 12,23 eine hebräische Redensart (Erklärung des Neuen Testaments, Tl. 5, S. 551; vgl. Komm. W 70/22), er verweist auf die eher rationalistischen Deutungen der Krankheit in der exegetischen Tradition und paraphrasiert Josephus, der Herodes als reuigen Sünder darzustellen suche, kritisch. Der Bezugsrah­ men des Tods Herodes’ »durch die Kröte« (Z. 16) ist nicht ganz klar, mglw. handelt es sich um einen Schreibfehler. Kröte und Frosch sind durchweg negativ konnotierte Tiere; in der Kaiserchronik wird Nero bewusst diffamie­ rend nachgesagt, dass er einen Arzt gezwungen haben soll, ihm widerna­ türlich zu einer Schwangerschaft zu verhelfen; Nero soll sodann statt eines Kindes eine Kröte durch seinen Hals zur Welt gebracht haben, die wie ein Wurm in ihm gewachsen sei (Kap. 8, V. 4140–4149). 86/16  Kröte]  Umarb. W3*: Eule Bubu 86/19  Würmer  Komm.: Shakespeare: Hamlet 4,3,19–27. 86/19  Marg.: – – le grand […] Poesies diverses  Komm.: Friedrich II .: »Épitre XVIII . Au Marechal Keith. Sur les vaines terreurs de la mort et les frayeurs d’une autre vie« (dt. »Über die nichtige Furcht vor dem Tode und einem künf­ tigen Leben«), V. 20: »Tandis que le grand homme est rongé par les vers.« (Poësies diverses, S. 215) – »Der Würmer Speise ward der große Mann« (dt. Übers. nach Friedrichs des Zweiten Königs von Preussen bei seinen Lebzeiten gedruckte Werke, Bd. 4, S. 215). Das Gedicht nimmt den Tod von Her­ mann Moritz von Sachsen, auf den sich das Zitat bezieht, zum Anlass, die Unsterblichkeit zu leugnen. Mendelssohn, der das Gedicht im 98. und

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99. der Literaturbriefe rezensierte, interpretierte das Gedicht, gemäß dem Untertitel »Imitation du Troisieme Livre de Lucrece«, als bloß ironische Aufnahme epikureischer Motive. Vgl. die Marg. zu SD 34/26. 86/23f.  Was Bileam […] stehen.  Komm.: 4 Mos 22,21–33. Vgl. W 50/12 f. Der Wort­ laut entspricht dem Gedicht »Das neue Orakel« von Johann Peter Uz: Lyrische Gedichte, S. 41, in dem es um die Verführung eines Mädchens geht. 86/25–30  A Happiness, […] bewunderte  Komm.: Shakespeare: Hamlet 2,2,209–211: »[Polonius:] How pregnant sometimes his replies are – a happiness that often madness hits on, which reason and sanity could not so prosperously be delivered of.« Hamann gibt, dem szenischen Dialog entsprechend, »Trächtigkeit« für engl. »pregnant« (dt. bedeutungsvoll/prägnant). 87/2  verwirrt Gehirn und siechen Leib  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 107/18 u. 108/7 u. W 54/20, 56/2, 78/20 f. u. 82/18. 87/6  Ausgeburt dieser unnatürlichen Wahrheit  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 107/17 f. In zeitgenössischen Rhetoriken u. Poetiken finden sich Wendungen wie: »Mißgeburten einer schwärmenden und phantastischen Einbildungskraft«, die eine »unnatürliche Schreibart verursachen« (Justi: Anweisung, S. 125). Mit solchem polemischen Vokabular wurde auch der ›Dichterstreit‹ zwi­ schen der Partei Gottscheds und den Schweizern um Bodmer bzw. in Halle um Meier geführt; in Ankündigung einer Dunciade schreibt Wieland bspw. (S. 47): »Ja seit dem der Geist Miltons auf ein paar Deutsche herabgekom­ men, und sich in der Messiade und Noachide, ob gleich in jeder auf eine eigene Weise vervielfältiget hat, findet Hr. Gottsched seine Sprache nicht reich genug, seinen Abscheu vor diesen Miltonisch-Alpinischen Mißgebur­ ten auszudrucken. Diese Gedichte sind allzuweit über seinen Horizont, als daß sie ihm nicht übertrieben, verstiegen, unnatürlich und abentheuerlich vorkommen sollten.« Außerdem wurden ältere komödiantische Figuren auf der Theaterbühne von den Gottschedianern als Missgeburten des Witzes diskreditiert (bspw. Schwabe: Gesammlete Briefe, Vorrede, o. Pag. [a  4]). 87/9  verwahrloset  Komm.: Vgl. Ziegra Rez-SD 108/5 u. W 55/13. 87/9  sich ihrer wahren Ahnen  Annot. W3*: Quod si iam tunc locorum Diogenes de dolio latraret: non caenulentis pedibus, ut tori Platonici sciunt, sed omnino totum Empedoclem in adyta Cloacinarum detulisset, ut qui se caelitem delirarat, sorores prius suas, dehinc homines deus salutaret. Tertullianus de Pallio cap. IV. 〈Tert. pall. 4,7: »Hätte damals Diogenes schon aus seinem Fasse herausgekläfft, so würde er den Empedokles nicht bloß mit seinen kotigen Füßen, womit die Sofas des Plato Bekanntschaft machten, getre­ ten, sondern überhaupt den ganzen Kerl in die unnahbaren Heiligtümer der Kloakengöttinnen befördert haben, damit er, der faselte, ein Himmels­

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bewohner zu sein, erst seine Schwestern und dann als Gott die Menschen begrüße.«〉 87/9  ihrer wahren Ahnen  Komm.: Siehe Einführung, S. LXVf., zum Verhältnis zu den Berlinern, Lessing und Mendelssohn. 87/12  Nymphen  Komm.: Entsprechend der Geschichte von Egeria (vgl. Komm. W 87/14) ist eine Nymphe eine Geliebte/Beischläferin und Ratgeberin. Griech. Νύμφη ist lexikalisch mehrdeutig, heißt Braut, junge Frau, heirats­ fähiges Mädchen, aber auch Prostituierte. Mythische Nymphen galten als Erzieherinnen des Apollon, auch als Verleiherinnen der Dicht- und Wahr­ sagekunst. Vgl. auch das Zitat aus Plat. Phaidr. 238  d in der Marginalie zu W 68/23. Cooper 14 unterscheidet mit Verweis auf Hor. carm. 1,4 u. 1,30 u. 4,7 die nackten Nymphen und die »Gratiae decentes«, die bekleideten Gra­ tien, wie Sokrates sie dargestellt habe (vgl. Komm. SD 21/19–25). 87/14  Numa […] Egeria  Komm.: Numa Pompilius, der zweite König von Rom, soll, um die Gottesfurcht seiner Untertanen und damit auch deren Gehorsam zu sichern, die Legende erfunden haben, er sei mit der Quellennymphe Egeria liiert, die ihm nachts bei ihren Zusammenkünften einflüstere, welche Gesetze er erlassen solle. Vgl. Hederich 973 f. ›Egeria‹, Liv. 1,19–21 und Val. Max. 1,2,1. Cicero leg. 1,1 verweist auf diese Legende, um die unterschied­ lichen Ansprüche von Dichtung und Geschichtsschreibung zu erläutern: Wer Numas Erzählung für wahr ansehe, habe den Unterschied der beiden Gattungen nicht verstanden. Noch Machiavelli bezieht sich (Discorsi 1,11) positiv auf das Beispiel Numa, um zu demonstrieren, dass es politisch not­ wendig sei, die Religiösität des Volks zu fördern, weil Gottesfurcht auch Gehorsam gegen das Gesetz bedeute. Vgl. auch Komm. SD 35/19. 87/15–18  Baals […] 2 B. der Kön. X. 18, 27.  Komm.: 2 Kön 10,28–27. 87/18  zu heimlichen Gemächern  Annot. W3*: Ῥωμαῖοι δὲ τὰ μέγιστα κατορθώματα τῇ τύχῃ ἀνατιθέντες, καὶ ταύτην μεγίστην οἰόμενοι Θεόν, φέροντες εἰς τὸν κοπρῶνα ἀνέθηκαν αὐτήν, ἄξιον νεὼν τὸν ἀφεδρῶνα νείμαντες τῇ Θεῷ. Clem. Alex. Admonitio ad gentes p. 33 〈Clem. Al. protr. 4,51,1: »Die Römer aber, die ihre größten Erfolge der Tyche (dem Schicksal) zuschrieben und sie für die größte Gottheit hielten, brachten sie in den Abort und stellten sie dort auf, indem sie die Latrine der Göttin als würdigen Tempel zuwiesen.«‌〉 / οὐκ ἄτοπον δὲ χαριεντιζομένους ἡμᾶς τὸ δύστροπον ἀπαλεῖψαι τῶν ὑπὲρ λίαν συνετῶν. διὰ γὰρ τὸ κατὰ φύσιν ἀναγκαῖον, τούτον χάριν ἀποτρίψασθαι ἐπὶ τόπων τινῶν ἀφωρισμένων, ἐφ’ οὓς ἔθος ἐστὶν ἐνίοις προσποιητῶς ὑποχωρεῖν, καὶ τὸ τέλος τῆς κατά τινων σκέψεως ἐν τοῖς ἀφεδρῶσι συντάττειν. ὥσπερ δὲ ὁ κωμικὸς πατὴρ ἀσωτευόμενον τὸν υἱον βαστάζειν φησι, κἄν ὀσφρανθῇ τοῦ μύρου, μὴ ὀσφραίνεσθαι λέγει, δυσωδίᾳ περιγράφειν αὐτοῦ τὸ

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ἁμάρτημα πειρώμενος. οὕτως κἀγὸ συμβουλεύω τοῖς ἄγαν ἐσκληραγωγημένοις τοὺς φρονιμωτέρους ἐμφαίνειν, ὅτι μήτε ἅ πράττουσιν ­ἐπίστανται, μήτε ἅ λέγουσι γινώσκουσιν.

Justinus Martyr. in Epist. ad Zenam et Serenum p. 511. 〈Iust. Mart. Epistola ad Zenam et Serenum 11,511  a–b: »Es ist nicht verkehrt, dass wir als Scherzende das Verstockte auslöschen zugunsten der zu Klugen. Denn aufgrund des gemäß der Natur Notwendigen, wegen des Abwischens, haben manche die Gewohnheit, sich unter einem Vorwand an gewisse abgeschottete Orte zurückzuziehen und auf den Toiletten den Abschluss einer Überlegung über irgendwas zu gestalten. Wie der zur Komödie gehörige Vater sagt, dass er den verschwenderisch lebenden Sohn duldet, selbst wenn er Parfum riecht, sagt er, dass er es nicht riecht, und er versucht, seine Verfehlung mit üblem Geruch aufzuheben. So rate ich auch den Vernünftigeren, den zu streng Erzogenen zu zeigen, dass sie weder wissen, was sie machen, noch wissen, was sie sagen.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 87/20  keine Blonde [...] Apolls  Komm.: Die ›blonde Gespielin‹ wird als Gegenbild zur ›schwarzen Muse‹ aufgerufen, vgl. W 81/5 u. Hld 1,6. Siehe auch W 63/4, 68/8, 81/5, 84/20 f., 87/20 u. 87/22 . Im Hintergrund steht franz. ›la blonde‹ (dt. die Helle) und griech. Ξάνθη (dt. die Blonde; u. a. ein Beiname mehre­ rer Nymphen, die bei Verg. Georg. 4,334–344 aufgelistet werden); nach Ps.Aristot. col. ist ξανθόν (dt. gelb/blond) die Farbe des Feuers und der Sonne. Mglw. steht das Blonde, wie Henkel (Wandrers Sturmlied, S. 35) vermutet, auch für die bloß »geborgte Helligkeit« des Mondes. 87/21  Vrit enim fulgore suo  Komm.: Hor. epist. 2,1,13 f.: »urit enim fulgore suo qui praegravat artes / infra se positas; extinctus amabitur idem.« – »Denn wer Talente, die unter seinem Niveau sind, mit seinem Gewicht niederdrückt, verbrennt durch seinen feurigen Glanz; erst wenn er gestorben ist, wird man ihn schätzen.« Auch in Schwabe: Gesammlete Briefe (Vorrede, o. Pag. [a  4]) zitiert, um den Neid der Kritiker Gottscheds (bspw. Lessing) anzu­ greifen. 87/22f.  Seht […] verbrannt  Komm.: Hld 1,6. Siehe auch W 81/5–7 mit Komm. zur Schwärze vgl. W 63/4, 68/8, 81/5, 84/20 f. 87/24  Thorheit  Komm.: Vgl. 1 Kor 1,25. 87/27  Hauptknoten  Komm.: Der Term dient Batteaux dazu, die Anforderungen an ›epische Gedichte‹ zu benennen. Die Handlung müsse Interesse wecken, durch den Stoff der Handlung und durch die vom Helden zu überwin­ denden Hindernisse, die Knoten der Handlung; Einleitung in die schönen Wissenschaften, Bd. 2, S. 40: »Eine Handlung ohne Knoten ist fast allezeit unintereßant; weil nur allein die Schwierigkeit die Paßionen reitzt und große Tugenden in Arbeit bringt. [...] Der Hauptknoten muß nur ein ein­

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ziger seyn, die anderen werden nach Nothdurft und Wahrscheinlichkeit vermehrt.« Vgl. auch W 80/5. 87/28  DEVS […] nodus!  Komm.: Unter Weglassung der Verneinungspartikel modi­ fiziertes Zitat aus Hor. ars. 191: »nec deus intersit, nisi dignus vindice nodus / inciderit, nec quarta loqui persona laboret.« – »Auch soll kein Gott intervenieren, wenn es nicht zu einem Handlungsknoten kommt, der eines Retters wert ist, und keine vierte Person soll sich zu sprechen bemühen.« 87/29  Marg.: S. den Gast von Elis im Sophisten  Komm.: Vgl. Annot. W 87/31. 87/31  wie Protheus  Annot. W3*: ὕλην ἀλλάσσων ἱερὴν ἰδέαις πολυμόρφοις. Orphei Hymn. 24 〈Orph. h. 25,3: »Mit vielgestaltigen Bildern / Wandelnd den erha­ benen Urstoff«〉 / Ἄγε δή, νῦν ἡμέτερον ἔργον ἤδη τὸν θῆρα μηκέτ᾽ ἀνεῖναι· σχεδὸν γὰρ αὐτὸν περιειλήφαμεν ἐν ἀμφιβληστρικῷ τινι τῶν ἐν τοῖς λόγοις περὶ τὰ τοιαῦτα ὀργάνων, ὥστε οὐκέτ᾽ ἐκφεύξεται τόδε γε· […] τὸ μὴ οὐ τοῦ γένους εἶναι τοῦ τῶν θαυματοποιῶν τις εἷς. […] Δέδοκται τοίνυν καταβάντας εἰς τὴν εἰδωλοποιικὴν τέχνην, ἐὰν μὲν ἡμᾶς εὐθὺς ὁ Σοφιστὴς ὑπομείνῃ, συλλαβεῖν αὐτὸν κατὰ τὰ ἐπεσταλμένα ὑπὸ τοῦ βασιλικοῦ λόγου, κἀκείνῳ παραδόντας ἀποφῆναι τὴν ἄγραν· ἐὰν δ᾽ ἄρα κατὰ μέρη τῆς μιμητικῆς δύηταί πῃ, συνακολουθεῖν αὐτῷ διαιροῦντας ἀεὶ τὴν ὑποδεχομένην αὐτὸν μοῖραν, ἕωσπερ ἂν ληφθῇ. Plato im Sophisten. Der Gast von Elis. 〈Plat. Soph. 235  a–c: »[Fremder:] Wohlan also! Denn jetzt ist es unsere Sache, von dem Wilde nicht mehr abzulassen. Auch haben wir ihm fast, was unter dem Jagdzeug für Reden ein wahres Fangnetz ist, glücklich umgeworfen, so daß er dem wenigstens nicht mehr entkommen wird. […] Daß er nicht vom Geschlecht der Τaschenspieler einer ist. […] Ich schlage daher vor, aufs schnellste die nachbildnerische Kunst zu teilen, und wenn uns gleich[, wie wir hineingestiegen,] der Sophist stand hält, ihn dann zu fangen nach den Vorschriften des königlichen Gesetzes und diesem dann den Fang überreichend vorzulegen, wenn er sich aber wieder in Τeile der nachahmenden Kunst versteckt, ihm nachsetzend immer wieder den Teil, der ihn aufgenommen hat, abzuteilen, bis er gefangen ist.«〉 87/31–88/5  Protheus […] erschöpft war  Komm.: Hom. Od. 4,382–463. Vgl. auch HKB 152 (I 368/4, 20.  7.  1759, an J. G. Lindner). 88/1  Marg.: ου γινωσκεις […] Socrates zum Ion  Komm.: Plat. Euthyd. 288  b/c: »οὐ γιγνώσκεις τῶν ξένων τὴν σοφίαν ὅτι θαυμασία ἐστίν. ἀλλ᾽ οὐκ ἐ­ θέλετον ἡμῖν ἐπιδείξασθαι σπουδάζοντε, ἀλλὰ τὸν Πρωτέα μιμεῖσθον τὸν Αἰγύπτιον σοφισ­ τὴν γοητεύοντε ἡμᾶς. ἡμεῖς οὖν τὸν Μενέλαον μιμώμεθα, καὶ μὴ ἀφιώμεθα τοῖν ἀνδροῖν ἕως ἂν ἡμῖν ἐκφανῆτον ἐφ᾽ ᾧ αὐτὼ σπουδάζετον: οἶμαι γάρ τι αὐτοῖν πάγκαλον φανεῖσθαι, ἐπειδὰν ἄρξωνται σπουδάζειν. ἀλλὰ δεώμεθα καὶ παραμυθώμεθα καὶ προσευχώμεθα αὐτοῖν ἐκφανῆναι.« – »du begreifst nur die Weisheit dieser Fremdlinge nicht, wie bewundernswürdig sie ist

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Kommentar W 88/6–8

und wie sie nur noch nicht Ernst machen wolle, sie uns zu zeigen, sondern den Proteus nachahmen, den ägyptischen Sophisten, und uns bezaubern. Wir also wollen den Menelaos nachahmen und nicht ablassen von den Männern, bis sie uns das sehen lassen, womit es ihnen Ernst ist. Denn ich glaube, sie werden uns etwas gar Herrliches erscheinen lassen, wenn sie erst anfangen, Ernst zu machen. Also wollen wir sie bitten und flehen und ihnen zureden, daß sie es uns sehen lassen.« Plat. Ion 541  e: »ὥσπερ ὁ Πρωτεὺς παντοδαπὸς γίγνῃ στρεφόμενος ἄνω καὶ κάτω, ἕως τελευτῶν διαφυγών με στρατηγὸς ἀνεφάνης, […]« – »Sondern ordentlich wie Proteus verviel­ fältigst du dich und drehst dich von oben nach unten, bis du mir endlich ganz entschlüpfst […]« 88/6–8  Götter […] Seide schenkst  Komm.: 1 Sam 28,13 f. Siehe Komm. W 62/14– 63/4. 88/9–12  Kameele […] Heuschrecken  Komm.: Anspielung auf Johannes den Täufer, vgl. Mt 3,4 u. Mk 1,6. 88/10f.  Kiel […] Augen wacker  Komm.: Vgl. 1 Sam 14,27. 88/12f.  Heuschrecken […] Blindschleichen  Komm.: Ähnlich schreibt Hamann am 27. Juli 1759 an Kant, HKB 153 (I 379/24–27): »Jedes Thier hat im denken und schreiben seinen Gang. Der eine geht in Sätzen und Bogen wie eine Heu­ schrecke; der andere in einer zusammenhängenden Verbindung wie eine Blindschleiche im Fahrgleise, der Sicherheit wegen, die sein Bau nöthig haben soll. Der eine gerade, der andere krumm.« Der Bezug ist Hogarths Ästhetik der geschwungenen Linie (in The Analysis of Beauty) und Pred 1,15. 88/13  Proselytentaufe  Komm.: Proselyten, von griech. προσήλυτος (dt. Hinzuge­ kommener), war bei den Israeliten die Bezeichnung für Heiden, die zum Judentum konvertierten. Neben der Beschneidung war die Taufe ein mög­ liches Ritual dazu. 88/14  levitischen Heerdienst  Komm.: Jüdischer Tempeldienst der Priester. 88/15  Landesvater seine Balletmeisterinnen  Komm.: Anspielung auf die Affäre um Barbara Campanini (1721–1799), genannt Barbarina. Sie gilt als eine der bedeutendsten Balletttänzerinnen des 18. Jhds. Friedrich II . bemühte sich um ihr Engagement an der Berliner Hofoper, das Barbarina ablehnte, um von Venedig aus Lord Stuart de Mackenzie nach England zu folgen. Fried­ rich erwirkte, nicht zuletzt durch die Beschlagnahmung venezianischer Kutschen, eine Auslieferung der Tänzerin und ließ sie nach Berlin eskor­ tieren. Dort gab sie 1744 ihr Debut. Friedrich versah sie 1745 mit einem stattlichen Jahresgehalt von 7.000 Reichstalern bei fünf Monaten Urlaub im Jahr – verbunden mit der Auflage, nicht zu heiraten. 1748 fiel Barbarina in Ungnade beim König und verließ Berlin im selben Jahr, um 1749 zurückzu­ kehren und den Geheimrat Cocceji zu heiraten.

bis 89/19

297

88/16–18  Elias […] Jesreel  Komm.: 1 Kön 18,46.

88/19–22  pfeifen […] Markt saßen!  Komm.: Mt 11,16 f.; Lk 7,32. 88/20  Marg.: Cicero […] tollitur  Komm.:

Cic. Cael. 65: »Mimi ergo iam exitus, non fabulae; in quo cum clausula non invenitur, fugit aliquis e manibus, dein scabilla concrepant, aulaeum tollitur.« – »Das ist demnach das Ende einer Posse, nicht eines richtigen Theaterstücks: da man keine Lösung findet, läuft jemand seinen Widersachern davon; das Zeichen ertönt und schon schließt sich der Vorhang.« 88/23–26  Schriftgelehrten […] hinein wollen  Komm.: Mt 23,13; Lk 11,52. 88/27  Palingenesie  Komm.: Vgl. Komm. SD 37/9. 88/28  Esprit […] Helvetius  Komm.: Helvétius: De L’esprit (im Quartformat); dt. Übers. von Gottsched: Discurs über den Geist des Menschen (im Oktavfor­ mat). Das Buch wurde 1759 in Frankreich öffentlich verbrannt. 89/1–3  König in Juda […] erhöht hatte  Komm.: 2 Kön 18,4. 89/2–4  Moses [...] Menschensohnes  Komm.: Joh 3,14; 4 Mos 21,8 f. 89/4f.  GOTT mit Freudenöl […] Gesellen  Komm.: Ps 45,8; Heb 1,9. 89/6–8  Hoch erfreut […] ist der Bräutigam  Komm.: Joh 3,29. 89/8  Siehe! Er kommt mit den Wolken!  Komm.: Offb 1,7. 89/9  Marg.: Ουδε […] Sophisten  Komm.: Plat. Soph. 236  c–d: »οὐδὲ νῦν πω δύναμαι θεάσασθαι σαφῶς, ἀλλ᾽ ὄντως θαυμαστὸς ἁνὴρ καὶ κατιδεῖν παγχάλεπος, ἐπεὶ καὶ νῦν μάλα εὖ καὶ κομψῶς εἰς ἄπορον εἶδος διερευνήσασθαι καταπέφευγεν.«

– »[Fremder:] Aber der Mann ist eben wahrlich rätselhaft und schwer zu erkennen; denn auch jetzt ist er gar schön und schlau in einen höchst schwierig zu erforschenden Begriff hineingeschlüpft.« 89/10–12  Da stund […] Stimme  Komm.: Hiob 4,16. 89/12f.  Stimme eines Predigers […] Wüste  Komm.: Mt 3,3; Mk 1,3; Lk 3,4; Joh 1,23; Jes 40,3. 89/13  Heerden  Komm.: Vgl. Komm. W 49/22. 89/14  Wer Ohren hat zu hören, der höre!  Komm.: Mk 4,9; Offb 2,7. 89/15–17  Salz […] würzen?  Komm.: Lk 14,34; Mt 5,13; Mk 9,50. Vgl. HKB  163 (I 428/28, 12.  10.  1759, an J. G. Lindner). 89/17f.  ΜΩΡΙΑ […] 1 Kor. I. 21.  Komm.: 1 Kor 1,21: »ἐπειδὴ γὰρ ἐν τῇ σοφίᾳ τοῦ θεοῦ οὐκ ἔγνω ὁ κόσμος διὰ τῆς σοφίας τὸν θεόν, εὐδόκησεν ὁ θεὸς διὰ τῆς μωρίας τοῦ κηρύγματος σῶσαι τοὺς πιστεύοντας·« (NA28) – » DEnn die weil die Welt / durch jre weisheit / Gott in seiner weisheit nicht erkandte / Gefiel es Gott wol / durch törichte Predigte selig zu machen / die / so dar an gleu­ ben.« (Luther 1545) 89/19  Vernunft  Komm.: Zum Wortfeld von ›Vernunft‹, zusammen mit ›Verstand‹, vgl. Komm. SD 18/21 f. 89/19  heilig, recht und gut  Komm.: Röm 7,12.

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Kommentar W 89/20

89/20  Erkentnis der überaus sündigen Unwissenheit  Komm.: Röm 3,20. 89/23  ihr eigen Prophet  Komm.: Tit 1,12.

89/23  ihr eigen Prophet, der Methusalah  Annot. W3*:

Dialogue IV. entre les morts modernes. Guillaume de Cabestan (poëte provençal) et Albert-Frideric de Brandebourg. / Gu. de Cab. – La vraie sagesse distingueroit trop ceux qui la possederoint; mais l’opinion de sagesse égale tous les hommes et ne les satisfait pas moins 〈Fontenelle: Nouveaux dialogues des morts, Dialogue IV. des morts modernes: Guillaume de Cabestan, Albert Frideric de Brandenbourg, S. 58: »[de Cabestan:] Die wahre Weisheit entrückte diejenigen, die sie besäßen, unweigerlich in allzu hohe Sphären; die eingebildete Weisheit aber macht sie einander ähnlich und befriedigt sie nicht weniger.«‌〉  / Dia­ logue V. entre les morts anciens et les modernes morts. Straton et Raphael d’Urbin. / Straton. – – pour trouver la verité, il faut tourner le dos à la mul­ titude et les opinions communes sont la regle des opinions saines, pourveu qu’on les prenne à contre-sens. 〈Fontenelle: Nouveaux dialogues des morts, Dialogue V. des morts anciens et les modernes: Straton et Raphael d’Urbin, S. 101: »[Strato: …] daß man nämlich, um die Wahrheit zu finden, der Menge den Rücken kehren muß und daß die landläufigsten Meinungen die Leit­ linien der vernünftigen abgeben können, sofern man sie nur im umgekehr­ ten Sinne versteht.«〉 89/23  Methusalah  Komm.: 1 Mos 5,27. Hier ist der hundertjährige Bernard le Bovier de Fontenelle (1657–1757) gemeint. 89/24f.  Les sages [...] folie commune  Komm.: Die Weisen einer Nation sind verrückt in Anbetracht des allgemeinen Wahnsinns. Siehe Helvétius: De l’esprit, 2. Diskurs, Kap. 21 (dt. Übers. S. 213): »Sie [die Völker] hängen alle so fest an dem Interesse ihrer Eitelkeit, daß man in jedem Lande nur denen den Namen eines Weisen beylegen wird, welche, wie der Herr Fontenelle sagte, Narren aus der allgemeinen Classe sind. So wunderseltsam auch eine Fabel klingen mag, so wird sie doch immer von einem Volke geglaubet; und wer daran zweifelt, wird für einen Narren gescholten.« Der franz. Satz Fonte­ nelles ist in der dt. Übers. nicht zitiert. 89/25–90/3  Niemand […] 1 Kor. III. 18  Komm.: 1 Kor 3,18. 90/1  der werde ein Narr  Annot. W3*: – – subeamus imaginem stultitiae, ut ueram sapientiam tenere possimus. Lactantius in Div. Institut. Epitome. 〈Lact. epit. 52,8: »nehmen wir den Anschein der Torheit auf uns, um die wahre Weisheit behaupten zu können.«〉 90/5  Orbil zum Glauben  Komm.: Vgl. Gal 3,24 f. Die Bezeichnung Orbil für einen strengen Lehrer ist von einer römischen Anekdote abgeleitet, wonach Horaz bei einem Grammatiker dieses Namens Unterricht hatte (Hor. epist.

bis 91/11–13

299

2,1,71; auch bei Adelung 3, 609 ›Orbil‹). In HKB 178 (II 9/34, 19.  2.  1760, an den Bruder) bezieht sich Hamann ähnlich auf die (philologische) Kritik. 90/7–17  Decke […] 2 Kor. III, 17.18.  Komm.: 2 Kor 3,12–18. 90/8  wahrhaftige Licht  Komm.: Joh 1,9 u. 8,12. 90/9  Mutterwitzes  Komm.: In der von Gottsched besorgten dt. Ausg. von Helvé­ tius’ De l’Esprit wird zu Beginn des 4. Diskurses »Genie« als Mutterwitz übersetzt (S. 475). 91/2  Nymphen  Komm.: Siehe Komm. W 87/12 u. 87/13. 91/8–10  sterbenden Augustus […] PLAVDITE!  Komm.: Anspielung auf die bei Sueton überlieferte Sterbeszene Augustus’, Suet. Aug. 99,1: »Am letzten Tag sei­ nes Lebens fragte er [Augustus] immer wieder, ob seinetwegen im Reich bereits Aufruhr herrsche, bat um einen Spiegel, ließ sich sein Haar kämmen und die einfallenden Wangen zurechtmachen und erkundigte sich bei den Freunden, die er zu sich vorgelassen hatte, ob sie den Eindruck hätten, er habe das Possenspiel des Lebens trefflich bis zum Ende gespielt, und fügte dann die übliche Schlußformel hinzu: ›Wenn euch das Ganze wohl gefallen hat, so klatscht Beifall, und gebt mir alle als Freunde das Geleit.‹« 91/10  P L A V D I T E  Annot. W3*: Justinus Martyr in expositione fidei de recta Con­ fessione p. 390. ἴδε πῶς ἀθλήσας τὸν δρόμον ὁ λόγος νικητὴς ἀπεφάνθη, στεφανηφορείτω λοιπὸν, καὶ πομπευέτω, καὶ τοῖς τῆς νίκης στεφάνοις ὡρaϊζέσ­ ­θω, καὶ θριαμβευέτω τῶν ἀντιπάλων τὴν ἧτταν. 〈Ius. Mart. expositio rectae fidei 18,390  a: »Siehe, wie die Rede als Sieger erschien, als sie sich um den Weg mühte. Sie soll einen Kranz tragen, einher stolzieren, sich schön mit den Siegeskränzen machen und die Niederlage der Feinde feiern.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 91/11  Συμμιμηται  Annot. W3*: ὅστις τὸ τοῦ πλησίον ἀναδέχεται βάρος, ὅς ἐν ᾧ κρείσσων ἐστὶν, ἕτερον τὸν ἐλαττούμενον εὐεργετεῖν ἐθέλει, ὃς ἃ παρὰ τοῦ Θεοῦ λαβὼν ἔχει, ταῦτα τοῖς ἐπιδεσμένοις χορηγῶν, Θεὸς γίνεται τῶν λαμβανόντων· οὗτος μιμητές ἐστι Θεοῦ. Justinus Martyr in Epistola ad Diognetum p. 501. 〈Iust. Mart. Epistvla ad Diognetvm 10,501  a–b: »Wer [dagegen] des Nächsten Last auf sich nimmt, wer in einem Stücke, worin er stärker ist, den Schwachen zu unterstützen bedacht ist, wer das, was er durch Gottes Güte besitzt, den Bedürftigen verabreicht, wird für die Empfänger ein Gott – ein solcher also ist Nachahmer Gottes.« Übers. v. Polyxeni Tarpinidou.〉 91/11–13  Συμμιμηται […] ΧΡΙΣΤΟΥ  Komm.: »Folget mir, liebe Brüder, gleichwie ich Christi.« Kompiliertes Zitat aus Phil 3,17: »Συμμιμηταί μου γίνεσθε, ἀδελφοί, καὶ σκοπεῖτε τοὺς οὕτως περιπατοῦντας καθὼς ἔχετε τύπον ἡμᾶς« (NA 28) – »FOlget mir / lieben Brüder / vnd sehet auff die / die also wandeln / wie jr vns habt zum Furbilde.« (Luther 1545) und 1 Kor 11,1: »μιμηταί μου γίνεσθε

300

Kommentar W 92/2

καθὼς κἀγὼ Χριστοῦ.« (NA 28)

– »Seid meine Nachfolger / gleich wie ich

Christi.« (Luther 1545) 92/2  S. 9.  Komm.: Bezieht sich auf W 54/8 f.: »[…] Zuschrift an UNS und an Zween; nebst einem Motto aus dem Persius, das Niemanden zu langweilig […]«; vgl. Ziegra Rez-SD 107/4–6. 92/4  einer Stelle  Komm.: Bezieht sich auf W 56/13: »[…] und UNS Recht […]«; vgl. Ziegra Rez-SD 108/21.

Bibliographie Hamann-Editionen HfB = Johann Georg Hamann: Fliegender Brief. Historisch-kritische Ausgabe, mit einer Einführung, Komm. und Dokumenten zur Entstehungs­ geschichte hg. v. Janina Reibold. 2 Bde. (Hamburg 2018). HHE II = Fritz Blanke u. Lothar Schreiner (Hg.): Hamanns Hauptschriften erklärt. Bd. 2. Johann Georg Hamann. Sokratische Denkwürdigkeiten. Erklärt von Fritz Blanke (Gütersloh 1959). HKB = Johann Georg Hamann: Kommentierte Briefausgabe, hg. v. Leonard Keidel u. Janina Reibold, auf Grundlage der Vorarbeiten Arthur Henkels, unter Mitarbeit v. Gregor Babelotzky, Konrad Bucher, Christian Großmann, Carl Friedrich Haak, Luca Klopfer, Johannes Knüchel, Isabel Langkabel u. Simon Martens (Heidelberg 2020  ff.). URL: www.hamann-ausgabe.de Jørgensen = Johann Georg Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten. Aesthetica in nuce, hg. u. komm. v. Sven-Aage Jørgensen. LS = Johann Georg Hamann: Londoner Schriften. Historisch-kritische Neu­ edition, hg. v. Oswald Bayer u. Bernd Weißenborn (München 1993). N = Johann Georg Hamann: ­Sämtliche Werke, hg. v. Josef Nadler. 6 Bde. (Wien 1949–1957). O’Flaherty, James: Hamann’s »Socratic Memorabilia«: a translation and commentary (Baltimore 1967). R II = Johann Georg Hamann: Schriften. Zweiter Theil, hg. v. Friedrich Roth (Berlin 1821). R VIII,1 = Johann Georg Hamann: Schriften. Achter Theil. Erste Abthei-

lung: Nachträge, Erläuterungen und Berichtigungen, hg. v. Gustav Adolph Wiener (Berlin 1842). Hamann, Johann Georg: Entkleidung und Verklärung. Eine Auswahl aus Schriften und Briefen des »Magus in Norden«, hg. v. Martin Seils (Berlin 1993). SD = Johann Georg Hamann: Sokratische Denkwürdigkeiten, hier S. 1–45. W = Johann Georg Hamann: Wolken, hier S. 47–92. Siglierte Quellen und Nachschlagewerke AA = Kant’s Gesammelte Schriften [= Akademieausgabe]. Bisher 29 Bde. (Berlin 1900 ff.). Adelung = Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen [...] Zweyte, vermehrte und verbesserte Ausgabe (Leipzig 1793–1801). Bode Rez-SD = Johann Joachim Christoph Bodes Rezension der Sokratischen Denkwürdigkeiten, hier S. 104–106. Bode Rez-W = Johann Joachim Christoph Bodes Rezension der Wolken, hier S. 109–113. Charpentier = François Charpentier: Das Ebenbild Eines wahren und ohnpedantischen Philosophi, oder Das Leben Socratis, Aus dem Französischen Des Herrn Charpentier Ins Teutsche übersetzt von Christian Thomasius (Halle 1720). Cooper = John Gilbert Cooper: The life of Socrates collected from the Memorabilia of Xenophon and the Dialogues of Plato [...] (London 1749).

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Bibliographie

DK = Die Fragmente der Vorsokratiker, hg. v. Hermann Diels u. Walther Kranz. 3 Bde. (Berlin 1951/52). DWB = Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Tlbdn. (Leipzig 1854–1961). EG = Evangelisches Gesangbuch der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen, der Evangelischen Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich sowie der Kirche Augsbur­ gischer Konfession und der Reformierten Kirche im Elsass und in Lothringen (Frankreich). Hederich = Benjamin Hederichs Gründliches mythologisches Lexicon, worinnen so wohl die fabelhafte, als wahrscheinliche und eigentliche Geschichte der alten römischen, griechischen und ägyptischen Götter und Göttinnen [...] verbessert von Johann Joachim Schwaben (Leipzig 1770). Literaturbriefe = Gotthold Ephraim Lessing; Moses Mendelssohn; Friedrich Nicolai (Hg.): Briefe die neueste Litteratur betreffend. 24 Tle. (Berlin, Stettin 1759–1765). Luther 1545 = Die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Wittenberg 1545. Letzte zu Luthers Lebzeiten erschienene Ausgabe, Hg. v. Hans Volz unter Mitarbeit von Heinz Blanke. Textredaktion Friedrich Kur (Bonn 2008). Luther 2017 = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel. ­Revidiert 2017. Mit Apokryphen (­Stuttgart 2016). NA28 = Novum Testamentum Graece, begr. v. Nestle Eberhard, hg. v. Barbara u. Kurt Aland (Stuttgart 2012). Mendelssohn Rez-SD = Moses Mendels­ sohns Rezension der Sokratischen Denkwürdigkeiten, hier S. 93–104.

Vulgata = Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem […] recensuit et breve apparau critico instruxit Robert Weber. Editionem quintam emendatam retractatam praeparavit Roger Gryson (Stuttgart 2007). WA = D. Martin Luthers Werke [= ­Weimarer Ausgabe]. 120 Bde. (­Weimar 1883–2009). Zedler = Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste [...]. 64 Bde. (Halle, Leipzig 1731–1754). Ziegra Rez-SD = Christian Ziegras Rezension der Sokratischen Denkwürdigkeiten, siehe S. 106–109. Ziegra Rez-W = Christian Ziegras Rezension der Wolken, hier S. 113–120. Quellen Académie des Inscriptions et BellesLettres – Geschichte der Königlichen Akademie der Schönen Wissenschaften zu Paris: darinnen zugleich unzählige Abhandlungen aus allen freyen Künsten, gelehrten Sprachen und Alterthümern, enthalten sind, übers. v. Luise Adelgunde Victorie Gottsched (Leipzig 1756). Aelianus [Ael.] – Vermischte Forschung, übers. v. Kai Brodersen (Berlin, Boston 2018) [VH.]. Alberus, Erasmus – Das Buch von der Tugend und der Weisheit, nämlich 49 Fabeln (Frankfurt a. M. 1550). d’Alembert, Jean le Rond – Discours préliminaire des Éditeurs, in: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métier. Bd. 1 (Paris 1751). Allgemeines Verzeichniß derer Bücher, welche in der Frankfurter und

Quellen

Leipziger Ostermesse des 1760 Jahres entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige noch herauskommen sollen (Leipzig 1760). Allgemeines Verzeichniß derer Bücher, welche in der Frankfurter und Leipziger Ostermesse des 1761 Jahres entweder ganz neu gedruckt, oder sonst verbessert, wieder aufgelegt worden sind, auch ins künftige noch herauskommen sollen (Leipzig 1761). Anonym  – Hinlänglicher Beweiß, daß ehedessen Eine Weibes-Person Nahmens Gilberta, insgemein Pabst Agnese genannt, unter dem Nahmen Pabst Johann des Achten den Stuhl Petri würklich besessen und verunehret habe […] (s. l. 1741). – Geschichte des Robert Franz Damiens welche die besondern Umstände von dessen Königsmorde und Hinrichtung enthält (Leipzig 1757). – Beschreibung einer leichten und geschwinden Methode den genauen Inhalt aller krummen und geradlinigten Figuren zu erforschen (Königsberg 1759). Aristophanes [Aristoph.] – Nicodemi Frischlini Aristophanes Veteris Comoediae Princeps […] (­Frankfurt 1597). – Fragments, hg. u. übers. v. Jeffrey Henderson (Cambridge/MA 2008) [ fr.]. – Komödien, hg., übers., eingel. u. komm. v. Peter Rau. 4 Bde. (Darmstadt 2020) [Av.; Equ.; Nub.; Thesm.; Vesp.]. Aristoteles [Aristot.] – Aristotelis opera omnia quae extant, Graecè & Latinè, hg. v. Isaac Causabon. 2 Bde. (Paris 1629). – Art of Rhetoric, übers. u. hg., v. John Henry Freese, überarb. v. Gisela Striker (Cambridge/MA 2020) [Rh.].

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– Rhetorik, übers. u. hg. v. Gernot Krapinger (Stuttgart 2007) [Rh.]. – Posterior Analytics. Topica, hg. u. übers. v. Edward S. Forster (Cambridge/ MA 1960) [an. post.]. – Erste Analytik. Zweite Analytik, hg. u. übers. v. Hans Günther Zekl (Hamburg 1998) [an. pr.; an. post.]. – Topica et sophistici elenchi. Recensuit brevique adnotatione critica instruxit W. D. Ross (Oxford 1979) [soph. el.]. – Sophistische Widerlegungen, übers. v. Julius Hermann von Kirchmann (Heidelberg 1883) [soph. el.] – Werke in deutscher Übersetzung, hg. v. Ernst Grumach u. Hellmut Flashar. 19 Bde. (Berlin 1956 ff.). [probl.] Arnobius der Ältere [Arnob.] – Gegen die Heiden (Adversus Nationes), übers. v. Franz Anton von Bernard (Landshut 1842). – Adversus Nationes, hg. v. Concetto Marchesi (Turin u. a. 1953). Arnold, Gottfried – Unpartheysche Kirchen- und KetzerHistorie (Schaffhausen 1741). Arrian [Arr.] – Epictetus, The Discourses as reported by Arrian, The Manual, and Fragments, übers. v. William A. Oldfather. Bd. 1 (Cambridge/MA , London 1956) [Epict.]. – Epiktet. Was von ihm erhalten ist nach den Aufzeichnungen Arrians, übers. v. Johann G. Schulthess, überarb. v. Rudolf Mücke (Heidelberg 1926) [Epict.]. Athenaius [Athen.] – Das Gelehrtenmahl. Buch XI–XV, übers. u. eingel. v. Claus Friedrich, komm. v. Thomas Nothers (Stuttgart 2000) [deipn.]. – The Learned Banqueters, hg. u. übers. v. S. Douglas Olson. Bd. 5. (Cambridge/ MA 2009) [deipn.].

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Quellen

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Alten und Neuern erläutert wird. 2 Bde. (Zürich 1740). – Vertheidigung der Schweitzerischen Muse, Hrn. D. Albrecht Hallers (Zürich 1744). – Der Noah (Zürich 1752). Bolingbroke, Henry Saint-John – Letters on the Spirit of Patriotism: on the Idea of a Patriot King, and On the state of parties (London 1749). – Briefe den Staat von Engelland unter König Georg I betreffend (Erfurt, Leipzig 1763). – Letters on the study and use of ­history. 2 Bde. (London 1752). – Briefe über die Erlernung und Gebrauch der Geschichte, übers. v. Christian Gottlieb Bergmann. 2 Tle. (Leipzig 1758). – Heinrich St. Johann Vitzgraf Boling­ broke und Jakob Hervey, übers. v. Johann Georg Hamann (Mitau 1774). – The Philosophical Works of Henry St. John, Lord Viscount Bolingbroke. 5 Bde. (London 1754). Boureau-Deslandes, André-François – Reflexions sur les grands hommes qui sont morts en plaisantant (Amsterdam 1712). – Betrachtungen über diejenigen Grossen Leute welche im Scherzen gestorben (Leipzig 1747). – Histoire critique de la philosophie où l’on traite de son origine, de ses progrès, & des diverses révolutions qui lui sont arrivées jusqu’à notre tems. 10 Tle. (Amsterdam 1737). – Des Herrn Deslandes kritische Geschichte der Philosophie. 1 Bd. (Leipzig 1770). Bossuet, Jacques-Bénigne – Discours sur l’histoire universelle à Mgr le Dauphin (Paris 1681).

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­philologischen Wissenschaften verdienter Männer unter den Deutschen aus dem XV., XVI . und XVII . Jahrhunderte aufgestellet und ihre Geschichte, Verdienste und Merckwürdigkeiten entworfen sind (Augsburg 1747). – Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Tl. 14 (Leipzig 1761). Buffon, Georges-Louis Leclerc de – Histoire Naturelle Générale et particu­lière. Théorie de la terre; histoire naturelle de l’homme; animaux quadru­ pèdes. Par Buffon et Louis-Jean-Marie Daubenton. 15 Bde. (Paris 1749–1767). – Allgemeine Historie der Natur nach allen ihren besonderen Theilen abgehandelt; nebst einer Beschreibung der Naturalienkammer Sr. Majestät des Königes von Frankreich. Mit einer Vorrede Herrn Doctor Albrecht von Haller […]. 11 Bde. (Hamburg, Leipzig 1750–1774). Burkius, Philipp David – Gnomon psalmorum in quo ex nativa verborum vi, simplicitas, profunditas, concinnitas, salubritas sensuum coeles­ tium indicatur (Stuttgart 1760). Cassio Dio [Cass. Dio] – Roman History, übers. v. Earnest Cary, Herbert B. Foster. 9 Bde. (Cambridge/Ma 1914–1927) [Cass. Dio]. Cervantes, Miguel de – Des berühmten Ritters Don Quixote von Mancha lustige und sinnreiche Geschichte. 2 Tle. (Leipzig 1734). Charpentier, François – Les Choses mémorables de Socrate, ouvrage de Xénophon, traduit de grec en françois, avec la Vie de Socrate, nouvellement composée et recueillie des plus célèbres autheurs de l’Antiquité (Paris 1650). – Das Ebenbild eines wahren und ohnpedantischen Philosophi, oder Das Leben Socratis, Aus dem Französischen

Quellen

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– Über die Auffindung des Stoffes. De inventione, hg. u. übers. v. Theodor Nüßlein (Berlin 1998) [inv.]. – Über die Gesetze, hg., übers. u. erl. v. Rainer Nickel (München, Zürich 2004) [leg.]. – Über die Wahrsagung. De Divinatione, hg., übers. u. erl. v. Christoph Schäublin (Berlin 2013) [div.]. – Über die Ziele des menschlichen Handelns. De finibus bonorum et malorum, hg., übers. u. komm. v. Olof Gigon u. Laila Straume-Zimmermann (München, Zürich 1988) [ fin.]. – Vom Wesen der Götter. Drei Bücher, hg., übers. u. erl. von Wolfgang Gerlach u. Karl Bayer (München, Zürich 1990) [nat.]. Clemens von Alexandrien [Clem. Al.] – Clementis Alexandrini Opera Graece Et Latinae Quae Extant (Paris 1641). – Les Stromates, hg. v. Allain Le Boulluec u. a. 7 Bde. (Paris 1951–2020) [strom.]. – Teppiche wissenschaftlicher Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis), übers. v. Otto Stählin. 3 Bde. (München 1936–1938) [strom.]. – Paedagogus, hg. v. Miroslav Marcovich (Boston, Leiden 2002) [Paid.]. – Protrepticus und Paedagogus, hg. v. Otto Sählin (Berlin 1972) [Protr.]. – Mahnrede an die Heiden. Der Erzieher, übers. v. Otto Stählin. 2 Bde. (München 1934) [Paid.; Protr.]. Clemens von Rom [Clem.] – Die Pseudoklementinen, hg. v. Bernhard Rehm. Bd. 1 (Berlin 1992) [hom.]. Le Clerc, Jean – Ars Critica. Bd. 1 (Amsterdam 1730). Colberg, Ehregott Daniel – Platonisch-Hermetisches Christenthum. 3 Tle. in 1 Bd. (Frankfurt, Leipzig 1690).

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Vortheile und Nachtheile von Frankreich und Grossbritannien in Ansehung des Handels und der übrigen Quellen von der Macht der Staaten. Auszug eines Werks des Bernardo de Ulloa über die Wiederherstellung der Manufacturen und des Handels in Spanien; Beylage des deutschen Übersetzers (Leipzig, Mitau 1756). – Jakob Hervey’s Anmerkungen über Lord Bolingbroke’s Briefe, in so fern selbige die Geschichte des alten Testaments, und besonders den Fluch des Noah über den Kanaan betreffen (Mitau 1774). von der Hardt, Hermann – Das Licht Jonae Avs Der Historie der Gessuriter, Arameer, Chebroniter, Assyrier, Sardianer, Meden, Scythen, Israël und Juda (Helmstadt 1720). Hauswedell, Ernst Ludwig (­Sammlung) – Wertvolle Bücher, Autographen, Dekorative Graphik. Auktion 252: 23./24.  5.  1984 (Hamburg 1984). Hawkesworth, John – A new voyage, round the world, in the years 1768, 1769, 1770, 1771; Undertaken by Order of his present Majesty, Performed By, Captain James Cook […] And published by John Hawkesworth. Bd. 1 (New York 1774). Helvétius, Claude Adrien – De L’esprit (Paris 1758). – Discurs über den Geist des Menschen, übers. v. Johann Christoph Gottsched (Leipzig, Liegnitz 1760). Herodot [Hdt.] – Historien, hg. u. übers. v. Josef Feix. 2 Bde. (Düsseldorf 2006) [hist.]. Hervey, James – Meditations and Contemplations: In two volumes. Containing, [...] Meditations among the Tombs; And Reflections on a Flower-Garden. [...]

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berühmten Lehrers der Weltweisheit [...] Vorrede begleitet (Berlin, Leipzig 1742). Hieronymus, Sophronius Eusebius – Omnium operum divi Evsebii Hieronymi Stridonensis [...] cum argvmentis et scholiis Des. Erasmi Roterodami. 9 Bde. (Basel 1516). Hill, John – Lucina sine concubitu. A letter humbly address’d to the Royal Society; in which is proved, by most incontestable evidence, drawn from reason and practice, that a woman may conceive, and be brought to bed, without any commerce with man (London 1750). Hippokrates – Die Briefe des Hippokrates, in: Die Werke des Hippokrates, hg. v. Richard Kapferer. Erg.-Teil (Stuttgart 1938) [ep.]. – Die hippokratische Schrift »Über die Heilige Krankheit«, hg., übers. u. erl. von Hermann Grensemann (Berlin 1968) [morb. sacr.]. – Die kritischen Tage. Prognostikon, übers. v. Georg Sticker, in: Die Werke des Hippokrates, hg. v. Richard Kapferer. Bd. 10 (Stuttgart 1934) [ prorrh.]. Hirzel, Hans Caspar – Die Wirthschaft eines Philosophischen Bauers (Zürich 1761; Neudruck der Ausgabe von 1774 mit einem Nachwort v. Holger Böning: StuttgartBad Cannstatt 1998). Hogarth, William – The Analysis of Beauty. Written with a view of fixing the fluctuating ideas of taste (London 1753). – Zergliederung der Schönheit, die schwankenden Begriffe von dem Geschmack festzusetzen, übers. v. Christlob Mylius, hg. v. Gotthold Ephraim Lessing (Berlin, Potsdam 1754). Homer – Ilias und Odyssee. Zweisprachige Ausgabe: Altgriechisch und Deutsch,

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– Vier Abhandlungen, 1) die natürliche Geschichte der Religion, 2) von den Leidenschaften, 3) vom Trauerspiel, 4) von der Grundregel des Geschmacks (Leipzig, Quedlinburg 1759). Ignatius von Antiochien [Ign.] – Die Apostolischen Väter, hg. v. Joseph Fischer (Darmstadt 1956) [Röm.]. Isokrates [Isokr.] – Evagoras. Helen. Busiris. Plataicus. Concerning the Team of Horses. Trapeziticus. Against Callimachus. Aegineticus. Against Lochites. Against Euthynus. Letters, übers. v. La Rue van Hook, in: Works, hg. v. George Norlin u. Larue van Hook, Bd. 3. (Cambridge/MA 1945) [or.]. Josephus, Flavius [Ios.] – Jüdische Altertümer, übers. u. mit Anm. versehen v. Heinrich Clementz, überarb. v. Benedikt Niese (Wiesbaden 2011) [ant. Iud.]. – Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), hg. v. Folker Siegert. 2 Bde. (Göttingen 2008) [c. ap.]. Julian [Iul.] – Opera quae supersunt omnia et S. Cyrilli Alexandr. archiep. contra impium Iulianum libri decem (Leipzig 1696). – Contra Galilaeos, hg., übers. u. eingel. v. Emanuela Masaracchia (Rom 1990) [c. Gal.]. – Die beiden Satiren des Kaisers Julianus Apostata, hg. u. übers. v. Friedhelm L. Müller (Stuttgart 1998) [Caes.]. – Letters. Epigrams. Against the Galilaeans. Fragments, übers. v. Wilmer C. Wrigth (London 1923) [ad Them.]. – Orations 1–5, übers. v. Wilmer C. Wright (Cambridge/MA 1913) [or]. – Orations 6–8. Letters to Themistius, To the Senate and People of Athens, To a Priest. The Caesars. Misopogon, übers. v. Wilmer C. Wright (Cambridge/ MA 1913) [or].

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Bibliographie

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Quellen

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Lebzeiten erschienene Ausgabe, hg. v. Hans Volz unter Mitarbeit v. Heinz Blanke. Textredaktion Friedrich Kur (Bonn 2008) [Luther 1545]. – D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Achtzehnter Theil, Welcher die Streitigkeiten mit den Papisten enthält, nebst einer historischen Einleitung in dieselben und in die dahin gehörigen Schriften; herausgegeben von Johann Georg Walch (Halle 1746). – Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel. Revidiert 2017. Mit Apokryphen (Stuttgart 2016) [Luther 2017]. Maundrell, Henry – A Journey from Aleppo to Jerusalem at Easter A. D. 1697 (Oxford 1703). – Gantz Neue Reise-Beschreibung nach dem Gelobten Lande: Darinnen Die jetzige Beschaffenheit und der aller-neueste Zustand Des Heiligen Landes, Und aller darinnen Sehenswürdigen Städte, auch anderer in Heil. Schrifft vorkommenden Oerther befindlich; Welche Im Jahr 1700 mit möglichster Observantz verrichtet, und in Englischer Sprache beschrieben (Hamburg 1706). Meier, Georg Friedrich – Untersuchung einiger Ursachen des verdorbenen Geschmacks der Deutschen in Absicht auf die schönen Wissenschaften (Halle 1746). – Rettung der Ehre der Vernunft wider die Freygeister (Halle 1747; Neuausg, eingel. v. Björn Spiekermann in: Christian Wolff: Gesammelte Werke, hg. v. Jean Ècole u. a., Bd. 131 [Hildesheim u. a. 2012]). – Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. 3 Bde. (Halle 1748–1750).

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Quellen

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Quellen

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Zeitschriften

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lichste, auch reineste Teutsche erkläret worden; Teutschen Theile aber eine so grosse Verbesserung und Vermehrung geschehen, daß die Liebhaber beyder Sprachen dieses Buch mit grossem Nutzen gebrauchen können. Hg. v. Johann Leonhard Frisch, Mitglied der Kön. Preuß. Societ. der Wissenschaften in Berlin. Neue und vermehrte Auflage (Leipzig 1737). Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm – Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Tlbdn. (Leipzig 1854–1961). [DWB] Hederich, Benjamin – Benjamin Hederichs Gründliches mythologisches Lexicon, worinnen so wohl die fabelhafte, als wahrscheinliche und eigentliche Geschichte der alten römischen, griechischen und ägyptischen Götter und Göttinnen [...] verbessert von Johann Joachim Schwaben (Leipzig 1770). [Hederich] Kuster, Ludolph – Suidae Lexicon, Graece et Latine. 3 Bde. (Cambridge 1705). Lurker, Manfred – Wörterbuch der Symbolik (Stuttgart 1991). Walch, Johann Georg – Philosophisches Lexicon (Leipzig 1733). Zedler, Johann Heinrich (Hg.) – Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste [...]. 64 Bde. (Halle, Leipzig 1731–1754) [Zedler].

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Dank

Die vorliegende Ausgabe ist im Rahmen des Heidelberger Forschungsprojekts Kommentierte Hamann-Ausgabe entstanden, das seit 2018 von der Theodor Springmann Stiftung finanziert wird und am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg angesiedelt ist. Unser Dank gilt zunächst Konrad Bucher, der mit großem Engagement und Ausdauer am Kommentar gearbeitet hat. Gregor Babelotzky und Luca Klopfer haben in allen Phasen der Entstehung Korrektur gelesen. Maximilian Kramer hat eigens für die Edition vielsternige Asterisken gestaltet. Lukas Reuß, Jakob Rensinghoff und Polyxeni Tarpinidou haben Übersetzungen aus dem Lateinischen und Griechischen für den Kommentar erstellt. Im November 2019 fand in Münster ein dreitägiges HamannKolloquium zu den Wolken statt, an dem Eric Achermann, Gregor Babelotzky, Oswald Bayer, Anne Bohnenkamp, Tilman Borsche, Konrad Bucher, Sina Dell’Anno, Hans Graubner, Peter Heßelmann, Peter Klingel, Annelen Kranefuss, Johannes von Lüpke, Sabine Marienberg, Joachim Ringleben und Harald Steffes teilgenommen haben. Die Atmosphäre und Intensität der dortigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung sowie die großzügige gedankliche Unterstützung hat uns bis zum Abschluss dieser Ausgabe getragen. Besonders hervorheben möchten wir Joachim Ringleben, der uns seine Auflösung d ­ utzender Bibelstellen zur Verfügung gestellt hat, und Sina Dell’Anno, die kurz vor der Drucklegung den Kommentar Korrektur gelesen hat. Ihnen allen gilt unser Dank. Durch das Engagement und Entgegenkommen zahlreicher Menschen konnten wir trotz der über Monate geschlossenen Archive und Bibliotheken unsere Arbeit fertigstellen. Wir danken insbesondere den Mitarbeiter:innen des Goethe Museums Düsseldorf, der ULB Münster, der Stadtbibliothek Schaffhausen sowie der Heidelberger Institutsbibliotheken für ihre unbürokratische Unterstützung. Dem Felix Meiner Verlag, insbesondere Marcel Simon-Gadhof, danken wir für die verlegerische Obhut. Der Theodor Springmann Stiftung danken wir für die großzügige Ermöglichung dieser Ausgabe. Heidelberg, im September 2021

Leonard Keidel und Janina Reibold