Slowakei und faschistische Neuordnung Europas 1939–1941 [Reprint 2021 ed.] 9783112569849, 9783112569832


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German Pages 200 [201] Year 1973

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Slowakei und faschistische Neuordnung Europas 1939–1941 [Reprint 2021 ed.]
 9783112569849, 9783112569832

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D E U T S C H E A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU B E R L I N SCHRIFTEN DES ZENTRALINSTITUTS FÜR GESCHICHTE REIHE I: ALLGEMEINE UND DEUTSCHE GESCHICHTE B A N D 37

HANS DRESS

Slowakei und faschistische Neuordnung Europas 1939-1941

A K A D E M I E - V E R L A G • B E R L I N • 1972

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH. 108 Berlin,Leipziger Straße 3—4 Copyright 3972 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/261/72 Umschlag-Gestaltung: Helga Klein Herstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainlchen/DDR • 3534 Bestellnummer: 2083/1/37 . ES 14 D EDV 751 876 3 25,-

Inhalt

Vorwort Abkürzungsverzeichnis I . Die Zerschlagung der Tschechoslowakei u n d die E n t s t e h u n g des Slowakischen Staates als Satellit Hitlerdeutschlands 1. Die Pläne zur Vernichtung der Tschechoslowakei 2. D a s Münchener A b k o m m e n als entscheidender A u s g a n g s p u n k t f ü r die Liquidierung der Tschechoslowakei 3. Die beschleunigten Vorbereitungen zur Zerschlagung der Nachm ü n c h e n e r Tschechoslowakei 4. Die A u s r u f u n g des Slowakischen S t a a t e s u n d die E r r i c h t u n g des „Protektorates Böhmen und Mähren" 5. D a s Verhalten der fortschrittlichen sowie der r e a k t i o n ä r e n K r ä f t e des In- u n d Auslandes zu den Märzereignissen I I . Die U n t e r o r d n u n g des Slowakischen S t a a t e s u n t e r die Interessen des deutschen Imperialismus als Bestandteil der faschistischen N e u ordnung E u r o p a s (März 1939 - J u l i 1940) 1. Die m i t der U n t e r o r d n u n g der Slowakei verfolgten Ziele . . . . 2. Der deutsch-slowakische „ S c h u t z v e r t r a g " u n d d a s m i t i h m zus a m m e n h ä n g e n d e System der ungleichen Verträge 3. Die wichtigsten I n s t r u m e n t e zur U n t e r o r d n u n g des Slowakischen Staates a) Die Deutsche Gesandtschaft u n d ihre „ B e r a t e r " in den slowakischen „Regierungsstellen" b) Die Deutsche Militärkommission c) Die deutsche Minderheit in der Slowakei u n d ihr „ F ü h r e r " Franz Karmasin I I I . Die U n t e r o r d n u n g des Slowakischen S t a a t e s u n d ihre w i r t s c h a f t lichen, sozialen u n d politischen Folgen 1. Die Ü b e r n a h m e der entscheidenden wirtschaftlichen Machtpositionen d u r c h f ü h r e n d e deutsche Monopole 2. Die Militarisierung der slowakischen W i r t s c h a f t 3. Die klassenmäßigen u n d sozialen Auswirkungen der A u s b e u t u n g u n d Militarisierung

5 8

9 9 19 24 35 49

56 56 58 66 66 74 76

87 87 104 111

4

Inhalt 4. D a s Anwachsen der antifaschistischen Widerstandsbewegung u n t e r F ü h r u n g der Kommunistischen P a r t e i der Slowakei . . . .

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I V . Die Verschärfung des nazistischen Drucks auf den Slowakischen S t a a t im Z u s a m m e n h a n g mit den Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion

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1. Vorbereitung, Verlauf u n d Ergebnis der Salzburger Verhandlungen v o m J u l i 1940 2. Die E i n f ü h r u n g des „slowakischen Nationalsozialismus" . . . .

132 142

V. Die Aktivierung der antifaschistischen Widerstandsbewegung u n t e r F ü h r u n g der Kommunistischen P a r t e i der Slowakei n a c h d e m Überfall auf die Sowjetunion

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Zusammenfassung Quellen- u n d Literaturverzeichnis Personen Verzeichnis

171 179 197

Vorwort

Der Slowakische Staat wurde von den Vertretern des faschistischen deutschen Imperialismus als ein „Musterstaat" hingestellt. Er sollte ein Beispiel für ihr Verhältnis zu den kleinen „befreundeten" Nationen, ein Musterstaatsgebilde für die „Neuordnung" der internationalen Beziehungen Hitlerdeutschlands zu den ihres Selbstbestimmungsrechts beraubten Nationen Mittel- und Südosteuropas sein. Der Imperialismus in der B R D erhebt heute wiederum — allerdings verborgen hinter dem Terminus „europäische Friedensordnung" — Anspruch auf eine „Neuordnung Europas", was auch in den häufigen gemeinsamen Manifestationen der revanchistischen Sudetendeutschen und Karpatendeutschen Landsmannschaft sowie der slowakischen hlinkafaschistischen Emigranten zum Ausdruck kommt. Bis zum heutigen Tag erfreuen sich die revanchistischen Landsmannschaften der offiziellen Zustimmung und Unterstützung maßgeblicher Vertreter der Bundesregierung. I n ihrem Karlsruher Programm vom 28./29. Juli 1961 und in weiteren Erklärungen brachte die Karpatendeutsche Landsmannschaft unverhohlen ihre Feindschaft gegenüber der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zum Ausdruck, indem sie erklärte, die „slowakische Frage" sei noch nicht gelöst. Aus dieser „Feststellung" leitete sie dann die revanchistische Forderung nach Erneuerung des „selbständigen" Slowakischen Staates ab, in dem angeblich das freundschaftliche Zusammenleben von Deutschen und Slowaken in der Praxis demonstriert worden sei. Ähnlich verhält es sich mit den slowakischen Emigranten aus der ehemaligen klerikalfaschistischen Volkspartei Hlinkas. Sie lassen durch ihre Wortführer Durcansky, Kirschbaum und Fraiio Tiso, die sich vor dem September 1939 und vollends während des zweiten Weltkrieges als Helfershelfer des faschistischen deutschen Imperialismus entlarvt haben, erklären, sie wollten in ihrer Tätigkeit dort fortfahren, wo sie infolge der Siege der Sowjetarmee und des Slowakischen Nationalaufstandes aufhören mußten. Damit offenbaren sie den antinationalen und volksfeindlichen Charakter ihres Treibens. Obwohl sich ihre Pläne als völlig irreal erweisen, lassen sie davon nicht ab. So zählen die hlinkafaschistischen Emigranten auch heute wieder zu den aktiven Verbündeten der deutschen Imperialisten und dienen ihnen mit der gleichen Ergebenheit, wie sie ihnen zur Zeit Hitlers gedient haben. Die Ereignisse in der CSSR 1968 haben deutlich gezeigt, daß das Wesen der Politik der Monopolbourgeoisie in der B R D dem ihrer

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Vorwort

hitlerfaschistischen Vorgänger entspricht: aggressiv nach außen und antidemokratisch nach innen. So bleibt auch hinsichtlich der „neuen Ostpolitik" kein R a u m für irgendwelche Illusionen über die Grundorientierung der im Dienste des westdeutschen staatsmonopolistischen Systems stehenden politischen Gruppen. Darüber können selbst gewisse Unterschiede im Vorgehen der konservativen und der rechtssozialdemokratischen Kräfte der B R D nicht hinwegtäuschen. Den Beweis dafür haben nicht zuletzt die imperialistischen Pläne geliefert, die CS SR aus der Gemeinschaft der sozialistischen Staaten herauszubrechen, um damit einen Ausgangspunkt für weitergehende aggressive Maßnahmen zu schaffen. Dank dem entschlossenen Handeln der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten wurden diese Vorhaben durchkreuzt; es wurde dem Imperialismus nicht gestattet, das Kräfteverhältnis in Europa zu seinen Gunsten zu verändern. Aus all diesen Gründen ist es nicht nur von wissenschaftlicher, sondern auch von aktuell-politischer Bedeutung, das Räderwerk des deutschen staatsmonopolistischen Kapitalismus faschistischer Prägung, seines Herrschaftssystems und seines Machtmechanismus bei der Unterdrückung und Ausplünderung anderer Völker darzustellen und theoretisch zu verallgemeinern. Ich habe in meiner Arbeit versucht, diesem zentralen Anliegen am Beispiel des slowakischen Volkes gerecht zu werden. I n diesem Zusammenhang mußte auch mit aller gebotenen Deutlichkeit gezeigt werden, welche Rolle die deutsehe Minderheit unter ihrem faschistischen „Volksgruppenführer" Franz Karmasin, der heute unbehelligt als Geschäftsführer des extrem revanchistischen Witiko-Bundes in Westdeutschland lebt, in der „selbständigen" Slowakei spielte und welche tatsächliche Stellung der Slowakische Staat im Rahmen der faschistischen Neuordnung Europas einnahm, um die gestrigen und heutigen Lügengespinste des deutschen Imperialismus vom „Selbstbestimmungsrecht" der kleinen Nationen in einem „neugeordneten" oder „freien" Europa zu widerlegen. Nicht zuletzt waren auch die antifaschistischen Kräfte des slowakischen Volkes zu würdigen. Sie haben in der nationalen Befreiungsbewegung unter Führung der Kommunistischen Partei der Slowakei (KPS) im heroischen Nationalaufstand von 1944 gegen den deutschen und slowakischen Faschismus vor aller Welt bewiesen, daß sich das slowakische Volk nicht mit der fortschrittsfeindlichen und antisowjetischen Politik der Klerikalfaschisten identifizierte, ihre historisch und in der Praxis zum Scheitern verurteilte Variante zur Lösung der slowakischen Frage ablehnte und für eine national und sozial gerechtere Tschechoslowakei eintrat, wie sie von der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch) gefordert wurde. An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, allen, die mir bei der Fertigstellung dieser Arbeit ihre Hilfe und Unterstützung angedeihen ließen, herzlich zu danken. Mein besonderer Dank gilt den Herren Prof. Dr. Ernst Engelberg und Prof. Dr. Joachim Streisand, die die Arbeit begutachteten und wichtige Anregungen und Hinweise gaben, sowie Frau Dr. Maid Koehler, die den Werdegang meiner Arbeit mit kritischer Anteilnahme verfolgte. Eine wertvolle Hilfe waren mir auch die Bemerkungen und Ratschläge meiner Kollegen aus dem Bereich

Vorwort

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„1917—1945" des Zentralinstituts für Geschichte bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Schumann, Dr. Horst Bednareck, Dr. Wolfgang Bleyer, Dr. Karl Drechsler, Dr. Klaus Drobisch, Dr. Dietrich Eichholtz, Dr. Gerhart Hass, Dr. Olaf Groehler, Dr. Vera Koller, Dr. Klaus Scheel und Dr. Raimund Wagner. Schließlich möchte ich auch meiner Frau für ihre Unterstützung bei der Arbeit an diesem Buch danken, das eine im wesentlichen in den Jahren 1968/69 überarbeitete und gekürzte Fassung meiner an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigten Dissertation ist. Bei der Beschaffung des Archivmaterials haben mich die Mitarbeiter des Historicky Üstav der CSAV und der SAV, der Slovenskä Archivna Spräva und des Deutschen Zentralarchivs in Potsdam hilfsbereit unterstützt. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin förderte meine Arbeit durch Gewährung einer Studienreise. Hans Dress

Abkürzungsverzeichnis

AA A DA P

AMS AMZV Archiv N B S AÜD KSS A t i V KSÖ Bohemia DA DBFP DDTS

DMVWK DZA P o t s d a m Einheit

GdA GWTJ Hintergründe IMG

OKW RGBl. RAM RIM RSHA §A Bratislava Schultheß' SdP SSÜA SÜA ÜBA VjfZ ZfG ZfO

Auswärtiges A m t A k t e n zur deutsehen auswärtigen Politik 1918—1945. Aus d e m Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes. Serie D (1937—1945), Bde. I - X I I , 1950-1969 Archiv ministerstva spravedlnosti, P r a h a Archiv ministerstva zahranicnich veci, P r a h a Archiv Slovenskej n ä r o d n e j b a n k y Archiv Ü s t a v u dejin K S S , Bratislava Archiv üstredniho v y b o r u KSC, P r a h a Bohemia, J a h r b u c h des Collegium Carolinum, München Deutsche Außenpolitik, Berlin D o c u m e n t s on British Foreign Policy 1919-1939, Third Series Die Deutschen in der Tschechoslowakei 1933-1937. D o k u m e n t e n sammlung. Zusammengestellt, mit Vorwort u n d A n m e r k u n g e n versehen von V. Kral, P r a h a 1964 D o k u m e n t e u n d Materialien aus der Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges, Bde. I u n d I I , Moskau 1948 Deutsches Zentralarchiv P o t s d a m Einheit. Zeitschrift f ü r Theorie u n d P r a x i s des wissenschaftlichen Sozialismus. Herausgegeben v o m Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin Geschichte der Arbeiterbewegung in a c h t B ä n d e n , Berlin 1966 Geschichte in Wissenschaft u n d U n t e r r i c h t , S t u t t g a r t Die H i n t e r g r ü n d e des Münchener A b k o m m e n s von 1938, Berlin 1959 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor d e m I n t e r nationalen Militärgerichtshof, 14. N o v e m b e r 1945 bis 1. Oktober 1946, 42 Bde., N ü r n b e r g 1947-1949 O b e r k o m m a n d o der W e h r m a c h t Reichsgesetzblatt Reichsaußenministerium Reichsinnenministerium Reichssicherheitshauptamt S t ä t n y archiv Bratislava S c h u l t h e ß ' Europäischer Geschichtskalender Sudetendeutsche P a r t e i S t ä t n y slovensky ü s t r e d n y archiv, Bratislava S t ä t n i ü s t f e d n i archiv, P r a h a Ü s t r e d n y b a n s k y archiv, B a n s k a Stiavnica Vierteljahrshefte f ü r Zeitgeschichte, München Zeitschrift f ü r Geschichtswissenschaft, Berlin Zeitschrift f ü r Ostforschung, M a r b u r g / L a h n

I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei und die Entstehung des Slowakischen Staates als Satellit Hitlerdeutschlands

1. Die Pläne zur Vernichtung der Tschechoslowakei I n den Überlegungen des faschistischen deutschen Imperialismus zur „Neuordnung Europas" hatte die Tschechoslowakei stets eine große Rolle gespielt. Ihre Existenz war für seine Expansionsbestrebungen ein ernstes Hindernis, das die Hitlerregierung deshalb mit allen zu Gebote stehenden Mitteln aus dem Wege räumen wollte. Die Vernichtung der Tschechoslowakei wurde so zum Ausgangspunkt f ü r die Verwirklichung eines außerordentlich weitgesteckten expansiven außenpolitischen Programms, dessen Realisierung die Weltherrschaft des deutschen Monopolkapitals herbeiführen und sichern sollte. Durch die Liquidierung der Tschechoslowakei wurde, wie sich Hitler in einer Besprechung mit allen Oberbefehlshabern am 23. November 1939 selbst ausdrückte, „die Grundlage für die Eroberung Polens gelegt" 1 . Noch deutlicher äußerte sich Goebbels über den Sinn der Beherrschung der Tschechoslowakei und Polens für die faschistischen „Neuordnungs"pläne in seiner Ansprache an die nazistische Intelligenz vom 28. Oktober 1939. E r bezeichnete das Gebiet des tschechischen, slowakischen und polnischen Volkes als Eckpfeiler für drei Expansionen, und zwar nach Süden, Südosten und Osten, in deren Ergebnis das faschistische „Kontinentalreich" entstehen sollte. 2 Die Pläne der deutschen Imperialisten, dem europäischen Kontinent ihre Herrschaft aufzuzwingen, konnten nur durchzusetzen versucht werden, wenn es ihnen gelang, sich Mitteleuropa, vor allem die Tschechoslowakei unterzuordnen, durch deren Gebiet der Weg nach dem Balkan und nach Osteuropa führt. Die Beherrschung der Tschechoslowakei bildete aber auch eine wesentliche Voraussetzung für die faschistischen „Neuordnungs"pläne im Westen Europas. Sie bedeutete einen entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Liquidierung des Versailler Vertrags und erleichterte die Aggression gegen Frankreich erheblich, das einen wichtigen Verbündeten verlor. Allein die bloße Existenz einer selbständigen Tschechoslowakei war mit der Konzeption des faschistischen deutschen Imperialismus von der Errichtung eines „Großdeutschen Reichs" nicht zu ver1

Abgedruckt bei Jacobsen, H.-A., 1934-1945. Zweiter Weltkrieg, 5. Aufl., Darmstadt 1961, S. 134. 2 Vgl. A Ü D K S S , sb. sten. zäzn. 140/1/1.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

einbaren. Dieses „Reich" sollte, wie Hitler bereits im Sommer 1932 erklärte, aus einem „festen, stahlharten Machtkern . . . von achtzig oder hundert Millionen geschlossen siedelnder Deutscher" bestehen, auch die Tschechoslowakei umfassen und dem deutschen Imperialismus „ein für allemal das entscheidende Übergewicht über alle europäischen Nationen sichern. . ." 3 Die Vernichtung der Tschechoslowakei gehörte also schon 1933 zum außenpolitischen Programm des faschistischen deutschen Imperialismus. Er gab sich keineswegs nur mit einer diplomatischen Umorientierung der Tschechoslowakei auf das „Dritte Reich" und mit ihrer bloßen Einreihung in seine Machtsphäre zufrieden, wie dies die reaktionärsten Gruppen der tschechischen Großbourgeoisie erhofft hatten. Seinen Zielen entsprach einzig und allein die völlige Liquidierung der Tschechoslowakei und letztlich auch der nationalen Existenz der Tschechen und Slowaken. Aus zahlreichen Dokumenten und Äußerungen seiner führenden Vertreter geht mit aller Eindeutigkeit hervor, wie konsequent und programmgemäß der deutsche Faschismus bereits in der Periode vor dem Münchener Abkommen die militärische und politische Liquidierung des selbständigen tschechoslowakischen Staates in Angriff genommen hat, die ökonomisch durch eine verstärkte Einflußnahme des deutschen Monopolkapitals in der Tschechoslowakei vorbereitet worden war. 4 Bereits im Laufe des Jahres 19365 nannte die Hitlerregierung als ihre nächsten Angriffsobjekte Österreich und die Tschechoslowakei. 6 Die erforderlichen Maßnahmen in dieser Richtung enthielt die am 24. J u n i 1937 herausgegebene und am 1. Juli 1937 in K r a f t getretene „Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht" mit den Plänen für die bewaffnete Intervention in Österreich („Sonderfall Otto") und für eine militärische Aktion gegen die Tschechoslowakei. I m Falle „Grün" hieß es: „Das Endziel besteht in einem planmäßig im Frieden vorbereiteten strategischen Überfall auf die Tschechoslowakei, der ihre Befestigungen überraschend zu Fall bringt, ihre Wehrmacht noch in der Mobilmachung faßt und zerschlägt 3 4

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Rauschning, H., Gespräche mit Hitler, Zürich/New York 1940, S. 41 ff. Vgl. Kräl, V., Die Rolle der Monopole bei der Vorbereitung und Verwirklichung des Münchner Abkommens, in: Hintergründe, S. 153ff.; Badandt, H., Zur Vorbereitung der wirtschaftlichen Okkupation der Tschechoslowakei durch die deutschen Monopole, in: Hintergründe, S. 167ff.; derselbe, Die IG Farbenindustrie AG und Südosteuropa bis 1938, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Teil III, 1966, S. 146 ff. I m Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß wurde auf Grund eines Schriftwechsels der Generale Blomberg und Beck eine schon am 2. Mai 1935 beendete Studie „Schulung" erwähnt, die einen „Angriff" auf die Tschechoslowakei zum Gegenstand hatte. So z. B. Reichsaußenminister von Neurath am 18. 5. 1936 gegenüber dem amerikanischen Botschafter in Frankreich, Bullit. (Vgl. Holldack, H., Was wirklich geschah, München 1949, S. 31.)

1. Pläne zur Vernichtung

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und in Ausnutzung der völkischen Zersplitterung die Tschechoslowakei in kurzer Zeit zum Erliegen bringt." 7 I n den folgenden Monaten wurden dann die Vorbereitungen für die geplante Aggression gegen die Tschechoslowakei skrupellos vorangetrieben. Am 5. November erklärte Hitler den in der Reichskanzlei versammelten Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile ganz unverblümt, daß es „zur Lösung der deutschen Frage", d. h. zur Verwirklichung der faschistischen „Neuordnungs"pläne, „nur den Weg der Gewalt geben" könne. Dabei sei es das erste Ziel, „die Tschechei und gleichzeitig Österreich niederzuwerfen, um die Flankenbedrohung eines etwaigen Vorgehens nach Westen auszuschalten" 8 . I n den Überlegungen der deutschen Faschisten spielten aber schon damals nicht nur militärisch-politische Erwägungen eine Rolle, sondern es wurden bereits Prinzipien entwickelt, die der späteren Beherrschung des noch zu erobernden „Raumes" dienen sollten und die auf eine Kombination von unmenschlichen Methoden zur Besiedlung dieses „Raumes" mit Deutschen, auf Massendeportationen nicht„germanischer" Völker und auf eine gewaltsame Germanisierung hinausliefen. Der Plan, das böhmisch-mährische Becken mit deutschen Bauern zu besiedeln und die Tschechen aus Böhmen nach Sibirien zu verpflanzen, den Hitler schon im Sommer 1932 entwarf 9 , findet sich im Prinzip auch in der Hoßbach-Niederschrift, in der die Rede davon ist, daß „die Einverleibung der Tschechei und Österreichs den Gewinn von Nahrungsmitteln für 5—6 Millionen Menschen bedeuten" könne, „unter Zugrundelegung, daß eine zwangsweise Emigration aus der Tschechei von zwei, aus Österreich von einer Million Menschen zur Durchführung gelange" 10 . Die Besitzergreifung der gesamten Tschechoslowakei, in der vorwiegend slawische Völker lebten 11 , konnten die deutschen Faschisten nicht einfach wie im Falle Österreichs mit „nationalen" Gründen motivieren. Eine ungeschickt durchgeführte Aggression hätte den militärischen Widerstand des tschechischen und slowakischen Volkes sowie der Völker anderer Länder hervorrufen und so die faschistischen „Neuordnungs"pläne von vornherein vereiteln können. Man war sich im klaren darüber, daß jeder übereilte militärische Angriff auf die Tschechoslowakei, die über eine moderne Armee und starke Befestigungen verfügte und deren Bündnissystem mit Frankreich u n d der Kleinen E n t e n t e seit dem 16. Mai 1935 durch einen Beistandsvertrag mit der Sowjetunion vervollkommnet worden war, Krieg mit „einer überlegenen feindlichen Koalition" ? IMG, Bd. X X X I V , S. 741. Siehe auch die Besprechung Hitler-Keitel vom 21. 4. 1938 über Studie „Grün" in: A D AP, Bd. II, Nr. 133, S. 190f. 8 Hoßbach-Niederschrift über die Besprechung v o m 5. 11. 1937, in: A D AP, Bd. I, Nr. 19, S. 25ff. 9 Vgl. Rauschning, II., Gespräche mit Hitler, a. a. O. « A D AP, Bd. I, Nr. 19, S. 30. 11 In der CSR, die ein kapitalistischer Vielvölkerstaat war, lebten nach der Volkszählung von 1930: 7,4 Mill. Tschechen, 2,3 Mill. Slowaken, 3,2 Mill. Deutsche, 692000 Ungarn, 549000 Ukrainer und 81 000 Polen.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

bedeuten konnte.12 In einem solchen Krieg lag eine vernichtende Niederlage des faschistischen Deutschlands nicht nur im Bereich des Möglichen, sondern es mußte auch mit einer verstärkten Aktivität der antifaschistischen Widerstandsbewegung im eigenen Lande gerechnet werden, die das Weiterbestehen des Hitlerregimes in Frage stellte. Unter diesen Umständen sah sich der deutsche Imperialismus genötigt, zunächst andere Mittel als militärische Gewalt anzuwenden, um der Tschechoslowakei den Todesstoß zu versetzen. Diese Mittel reichten von diplomatischen Intrigen, bei denen die Nachgiebigkeit der Westmächte, insbesondere Englands, einkalkuliert wurde, über die künstliche Steigerung von Spannungen und die bedarfsweise Verschärfung der Situation, um die Angst vor dem Kriege auszunutzen, bis zur innenpolitischen Diversion in der Tschechoslowakei. Dabei nutzten die deutschen Faschisten vor allem die nationalen Widersprüche in der bürgerlichen Tschechoslowakei aus. Sie nahmen diese zum Yorwand, um die in der CSR lebenden Deutschen gegen den tschechoslowakischen Staat aufzuputschen und ihn dadurch von innen zu sprengen und zu vernichten. Eine entscheidende Rolle bei dieser Taktik, die darauf gerichtet war, den Eindruck zu erwecken, als zerfiele die CSR von selbst, spielten die nazistische „Sudetendeutsche Partei" und ihre Filiale in der Slowakei, die „Karpatendeutsche Partei". Beide Parteien hatten es auf Grund ihrer demagogischen und chauvinistischen Politik verstanden, die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung in der Tschechoslowakei unter ihren verderblichen Einfluß zu bringen.13 Mit ihrem angeblichen Kampf für das „Recht der Sudetendeutschen auf Selbstbestimmung" halfen sie der faschistischen Propaganda und Diplomatie, die Tschechoslowakei politisch und moralisch zu isolieren sowie von innen sturmreif zu machen. Als sich in den ersten Monaten des Jahres 1938 zeigte, daß die Tschechoslowakei nicht nach österreichischem Muster unter die Gewalt des faschistischen deutschen Imperialismus gebracht werden konnte, weil die demokratischen Kräfte des tschechischen Volkes es nicht zuließen, daß der Henleinpartei als Fünfter Kolonne der Nazis wichtige Positionen innerhalb der tschechoslowakischen Regierung in die Hand fielen, bediente sich die Hitlerregierung einer anderen Variante ihrer Taktik. Sie wies Henlein an, der tschechoslowakischen Regierung immer höhere, unerfüllbare Forderungen zu stellen. u Auf diese Weise sollte der „Beweis" erbracht werden, daß es unmöglich sei, sich mit der tschechoslowakischen Regierung friedlich zu einigen, und daß infolge dessen nur der „Anschluß" des Sudetengebietes an das „Reich" die einzig mögliche Lösung für die deutsche Bevölkerung darstelle. Das 8-Punkte-Programm Henleins vom 24. April 193815, 12 Vgl. IMG, B d . X X X I V , S. 741. Bei den Gemeindewahlen am 22. und 29. 5. sowie am 12. 6. 1938 stimmten 91,44 Prozent aller Deutschen in der Tschechoslowakei für die nazistische Henleinpartei. « Vgl. A D A P , B d . I I , Nr. 107, S. 158, und Nr. 109, S. 162ff. 15 y g l . D D T S , Dok. Nr. 127, S. 199f. 13

1. Pläne zur Vernichtung

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in dem die Unterstellung des tschechoslowakischen Grenzgebiets u n t e r die sudetendeutschen Faschisten gefordert wurde, schraubte weisungsgemäß die Forderungen a n die Prager Regierung höher. Gleichzeitig wurden von der Hitlerregierung weitere Vorbereitungen f ü r ein „blitzartiges H a n d e l n auf Grund eines Zwischenfalls" gegenüber der Tschechoslowakei getroffen. 1 6 I n den folgenden Monaten bereiteten sich die deutschen Faschisten politisch u n d militärisch intensiv auf den Zeitpunkt vor, zu dem sie ihren Aggressionsakt gegen die Tschechoslowakei durchführen wollten. W ä h r e n d die Vertreter der Henleinpartei mit der Prager Regierung über den sogenannten Nationalitätenstatus „verhandelten" und dabei das „Selbstbestimmungsrecht f ü r die Sudetendeutschen" verlangten, wurde in Henleins engerem Stab in Übereinstimmung mit der Berliner Verbindungsstelle der Auslandsorganisation der N S D A P zwischen Mai u n d August 1938 ein Aktionsprogramm — die „Grundplanung O. A." — zur Liquidierung nicht n u r des Selbstbestimmungsrechts, sondern auch der nationalen Existenz der Tschechen ausgearbeitet. Entsprechend dem Endziel des faschistischen deutschen Imperialismus gegenüber der Tschechoslowakei hieß es dort bezeichnenderweise: „Auf die böhmischen Länder h a t das Deutsche Reich aus tausendjährigen geschichtlichen Gegebenheiten das Reichsrecht wieder in Anspruch zu nehmen u n d die restlose Eingliederung bis zu der bis 1866 geltenden Reichsgrenze (Kleine Karpathen) durchzuführen. . . Die Slowakei soll selbständig bleiben. Ihre enge Anlehnung an das Deutsche Reich. . . wäre selbstverständlich. Auf diese Weise bleiben Slowakei u n d Karpathenrußland Trennungsschranke zwischen Polen u n d Ungarn u n d f ü r das Deutsche Reich eine Brücke nach Osten. . . Die völlig entgegengesetzte Behandlung der Tschechen u n d Slowaken wäre ein wichtiger Schachzug gegen panslawistische Gedankengänge." 1 7 Aus diesen wenigen Kernsätzen der „Grundplanung 0 . A." ergibt sich verblüffend genau, abgesehen von der Karpatenukraine, die Konzeption, die von den deutschen Faschisten nach dem Münchener Abkommen verwirklicht wurde. So ist es nicht verwunderlich, daß Henlein, der sich konsequent a n die ihm aus Berlin gegebenen Weisungen hielt, alle Angebote der tschechoslowakischen Regierung zur Lösung der „sudetendeutschen F r a g e " ablehnte. Selbst als die tschechoslowakische Regierung bereit war, seine Forderung nach E r r i c h t u n g eines eigenen, nach nazistischen Prinzipien regierten Staates der Sudetendeutschen innerhalb der C S R anzunehmen, antwortete er darauf mit einer Proklamation a n die Sudetendeutschen, in der er zum K a m p f gegen den tschechoslowakischen Staat aufrief. 1 8 Diese H a l t u n g beweist eindeutig, d a ß es Henlein u n d seinem Stab nicht u m das Schicksal der Sudetendeutschen oder u m die Verbesserung ihrer Lage ging, sondern u n t e r Mißbrauch der Losung v o m „Selbst16 Vgl. Besprechung Hitler - Keitel, in: AD AP, Bd. II, Nr. 133, S. 190f. " DDTS, Dok. Nr. 148, S. 221 f. « Vgl. AD AP, Bd. II, Nr. 490, S. 639 f.

14

I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

bestimmungsrecht", um die Realisierung der antitschechoslowakischen Pläne des faschistischen deutschen Imperialismus. 19 Nach der Niederschlagung ihres Putschversuchs flohen die führenden Funktionäre der Henleinpartei in das „Reich" und begannen dort mit Unterstützung der SA und SS sowie militärischer Stellen das „Sudetendeutsche Freikorps" zu organisieren. Seine Aufgabe bestand darin, Überfälle auf das tschechoslowakische Grenzgebiet durchzuführen und so den bewaffneten Angriff des faschistischen Deutschlands auf die Tschechoslowakei einzuleiten. 20 Inzwischen wurden von der faschistischen Führung in Deutschland die letzten Vorbereitungen zum Frontalangriff auf die Tschechoslowakei abgeschlossen. Das geschah zu der gleichen Zeit, als Hitler der Weltöffentlichkeit in seiner Rede im Berliner Sportpalast am 26. September 1938 heuchlerisch versicherte, nach der Abtretung des Sudetengebietes, die bis zum 1. Oktober erfolgen müsse, gebe es „für Deutschland in Europa kein territoriales Problem mehr", und er wolle gar keine Tschechen. 21 Am gleichen Abend wurde zwar in London verlautbart, England und Frankreich seien entschlossen, Deutschland den Krieg zu erklären, wenn deutsche Truppen die Tschechoslowakei überfielen 22 , aber noch in der Nacht vom 26. zum 27. September beeilte sich Chamberlain, Hitlers Sportpalastrede zu begrüßen und zu versichern, daß der deutsche Wunsch nach einer Vereinigung der Sudetendeutschen mit Deutschland erfüllt werden müsse. 23 I n diesen Tagen schwerster Bedrängnis, in denen die Westmächte vor dem aggressiven Auftreten Hitlers kapitulierten und die CSR an den faschistischen deutschen Imperialismus auslieferten, stand allein die Sowjetunion zur Tschechoslowakei. Sie hatte schon vor Eintreten der akuten Krise um die Tschechoslowakei beharrlich alle vom Faschismus bedrohten Staaten und vor allem die Westmächte zur gemeinsamen Abwehr der Kriegsgefahr und zu energischen Maßnahmen gegen die Aggressoren aufgerufen. 24 Sie stieß jedoch bei den Regierungen der Westmächte auf Ablehnung. Diese sabotierten letztlich alle Vorschläge der Sowjetunion für wirksame Friedenssicherungen und verfolgten eine 19

Weitere Materialien, die diese Haltung entlarven, enthält die Dokumentensammlung Nemeckij imperialismus proti CSE (1938—1939), Praha 1962, vor allem in ihren Dokumenten Nr. 130, S. 296, und Dok. Nr. 143, S. 319. 20 Vgl. D D T S , Dok. Nr. 226-232, S. 226ff.; Broszat, M., Das sudetendeutsche Freikorps, in: VjfZ, 1961, S. 30—49. Der Autor charakterisiert hier im wesentlichen die Rolle der SdP in der v o m Faschismus inszenierten „Sudetenkrise" richtig. Er überbetont jedoch die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den nazistischen Parteiorganen und Wehrmachtsstellen, so daß der Eindruck entsteht, als hätten sich die Wehrmachtsstellen mäßigend und korrekt verhalten. 21 Vgl. IMG, Bd. X X X I V , S. 28f. 22 Vgl. Schultheß' 1938, S. 314. 23 Vgl. Chamberlain, N., The Struggle for Peace, London 1939, S. 273. 24 Vgl. Minz, I.I., Die Außenpolitik der Sowjetunion in der Periode der Münchener Politik, in: Hintergründe, S. 69ff.

1. Pläne zur Vernichtung

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Politik, die insbesondere den faschistischen deutschen Imperialismus zu rücksichtsloser Gewaltpolitik ermunterte. Auch in den kritischen Monaten vom März bis zum September 1938 war es wiederum allein die Sowjetunion, die mit aller Entschiedenheit für die Erhaltung der Integrität der Tschechoslowakei und damit für die Wahrung des Friedens eintrat. Am 17. März, unmittelbar nach der Besetzung Österreichs, wandte sich die Sowjetregierung an die Regierungen Englands, Frankreichs, der USA und der Tschechoslowakei mit dem Vorschlag, sofort Beratungen aufzunehmen über „praktische Maßnahmen. . ., wie sie durch die Umstände diktiert werden", denn „in erster Linie ist die Tschechoslowakei bedroht, aber kraft des ansteckenden Charakters der Aggression kann sich die Gefahr zu neuen internationalen Konflikten auswachsen" 25 . Die USA-Regierung ließ die sowjetische Note unbeantwortet 2 6 , und die englische Regierung lehnte den sowjetischen Konferenzvorschlag rundweg ab, da sie keine Verpflichtungen im gemeinsamen Kampf gegen die Aggression übernehmen wollte. 27 Trotzdem bekundete die Sowjetunion weiterhin in der nun folgenden Zeit höchster faschistischer Gefahr die unerschütterliche Bereitschaft, ihre Hilfsverpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei, die sich aus dem sowjetisch-französischen und aus dem mit diesem verbundenen sowjetischtschechoslowakischen Beistandspakt vom Mai 1935 ergaben, unbedingt zu erfüllen. Um alle Zweifel in dieser Hinsicht zu beseitigen, gab die Sowjetregierung gegenüber dem tschechoslowakischen Gesandten in Moskau am 23. April 1938 eine autoritative Erklärung ab, in der es hieß: „Die Sowjetunion ist bereit, wenn sie darum gebeten wird, im Einverständnis mit Frankreich und der Tschechoslowakei alle Maßnahmen zu ergreifen, die zur Sicherheit der Tschechoslowakei notwendig sind. Sie verfügt über alle dazu nötigen Mittel. Der Zustand der Sowjetarmee und ihrer Luftflotte gibt eine solche Möglichkeit." 28 Ende April bestätigte der sowjetische Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, M. M. Litwinow, in einem Gespräch mit dem tschechoslowakischen Gesandten Fierlinger erneut, daß die Sowjetunion alle Verpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei erfüllen werde. 29 Ähnliche Erklärungen gaben auch Kalinin und Stalin im Laufe des Monats Mai ab. 30 Mit besonderer K r a f t entfaltete sich der Kampf der Sowjetunion um die kollektive Sicherheit in den Septembertagen des Jahres 1938, als sich die Krise um die Tschechoslowakei immer mehr zuspitzte. Am 20. September, also einen Tag nach Überreichung einer gemeinsamen englisch-französischen Note an die tschechoslowakische Regierung, 25 DMVWK, Bd. I, S. 96. 26 Vgl. Foreign Belations of the United States. Diplomatie Papers — The Soviet Union, 1933 - 1939, S. 539-541. 27 Vgl. DMVWK, a. a. O. 28 Neue Dokumente zur Geschichte des Münchener Abkommens, Prag 1959, S. 27. 29 Vgl. Fierlinger, Zd., Ve sluzbach ÖSR, Bd. I, Praha 1951, S. 86. 3« Vgl. Gottwald, Kl., Klement Gottwald 1896-1953, Prag 1954, S. 73.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

in der die Abtretung des Sudetengebietes an Deutschland als unumgänglich gefordert wurde 31 , beantwortete die Sowjetregierung eine Anfrage des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Benes nach ihrer Haltung im Falle eines militärischen Konflikts positiv. 32 Einen Tag später erklärte Litwinow vor dem Völkerbund: „Unsere Militärbehörde war bereit, augenblicklich an Beratungen mit Vertretern der französischen und tschechoslowakischen Militärbehörden teilzunehmen, um so über die von der Situation geforderten Vorkehrungen zu verhandeln." 3 3 Auch nachdem die Tschechoslowakei das englisch-französische Ultimatum vom 19. September angenommen hatte, sah die Sowjetunion ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der CSE. nicht als aufgehoben an, wie Litwinow in seiner Rede vom 23. September betonte. I n der schicksalsschweren Woche bis zur Annahme des Münchener Diktats bemühte sie sich, die Tschechoslowakei in ihrem Widerstand zu unterstützen. Sie hielt ihre Streitkräfte a n d e r Westgrenze in Bereitschaft und verhandelte mit Rumänien wegen des Durchmarschrechts der sowjetischen Truppen. Gleichzeitig regte sie die sofortige Einberufung einer repräsentativen internationalen Konferenz unter Beteiligung der UdSSR, der CSR und der anderen interessierten Länder an, um praktische Maßnahmen zur Abwehr der nazistischen Aggression und zur Rettung des Friedens durch kollektive Aktionen zu beraten. 3 4 Während so die Sowjetregierung konkrete Anstrengungen zur Rettung der Tschechoslowakei und des Weltfriedens unternahm, schreckte die englische Regierung schon nicht davor zurück, die CSR aufzugeben. Seit dem Besuch von Lord Halifax bei Hitler im November 1937 wurde deutlich, daß die regierenden englischen Kreise bereit waren, in Mittel- und Osteuropa das Feld für die Expansion des faschistischen Deutschlands zu räumen. Die von den deutschen Imperialisten angestrebten Veränderungen des „Status quo" sollten lediglich „im Wege friedlicher Evolution" zustande gebracht werden. 35 Grundsätzlich verfocht also die englische Regierung ein außenpolitisches Programm, das darauf abzielte, die deutschen Faschisten in ihren Aggressionsplänen zu bestärken. Sie sollten sich allerdings gegen den Osten, vor allem die Sowjetunion, und nicht gegen den Westen wenden. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß die englische Regierung Hitlers Forderungen gegenüber der Tschechoslowakei von vornherein als „gerecht" bezeichnete 36 und ihren Einfluß geltend machte, um die französische Regierung, die zeitweilig zu einem gewissen Zusammengehen mit der Sowjetunion neigte 37 , von dieser Haltung abzubringen, der mehrere einander widersprechende Tendenzen zugrunde lagen. Einerseits wollten die französischen 31

Vgl. Neue Dokumente zur Geschichte des Münchener Abkommens, a. a. O., S. 88ff. 32 Vgl. ebenda, S. 96ff. 33 Ebenda, S. 117. 34 Vgl. Uschakow, W.B., Deutschlands Außenpolitik 1917-1945, Berlin 1964, S. 288ff. 35 A D AP, Bd. I, Nr. 3, S. 7 ff., und Nr. 33, S. 56 ff. 36 Vgl. D B F P , Vol. I, S. 108ff.

1. Pläne zur Vernichtung

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Imperialisten ihre durch das Versailler Nachkriegssystem geschaffenen Machtpositionen in Europa erhalten, andererseits existierte aber auch bei den reaktionärsten Kräften in Frankreich, hinter denen die großen Konzerne, wie z. B. der de-Wendel-Konzern oder die Bank von Frankreich standen, die Tendenz, den deutschen Faschismus nachzuahmen und sich mit ihm aus klassenbedingten Gründen zu verständigen. 38 Hinzu kam, daß große Teile des französischen Volkes aus berechtigter Sorge ein Paktieren mit dem faschistischen deutschen Imperialismus ablehnten und Sicherheit für Frankreich forderten. Diesen Forderungen der französischen Volksmassen widersprach die französische Außenpolitik, die nicht an die K r a f t des eigenen Volkes glaubte, der antisowjetischen Propaganda von der „Schwäche der U d S S R " erlag und deswegen die Auffassung vertrat, Frankreich könne nur etwas gegen die Aggressoren tun, wenn England mitmache. Unter diesen Umständen wird klar, weshalb die französische Regierung ihre Außenpolitik so sehr vom Verhalten der englischen Regierung abhängig machte und trotz gelegentlichen Aufbegehrens gegen eine vollständige Kapitulation vor dem deutschen Faschismus schließlich doch auf die Linie der „Beschwichtigungspolitik" einschwenkte. Unter schärfstem diplomatischen Druck drängten dann die englische und die französische Regierung gemeinsam die tschechoslowakische Regierung zum Nachgeben gegenüber den Forderungen der Hitlerregierung. Auch die USA-Regierung unternahm nichts, um die faschistischen Aggressionsvorbereitungen gegen die Tschechoslowakei wirksam zu unterbinden, obwohl sie aus den Berichten ihrer Botschafter in den europäischen Hauptstädten wissen mußte, wie groß die Gefahr war, in der die CSR schwebte. 39 Ihre diplomatischen Verlautbarungen zur tschechoslowakischen Frage waren zwiespältig und wechselvoll. Sie zeugten davon, daß die relativ progressiven K r ä f t e in der amerikanischen Regierung unter dem Druck der reaktionären Kreise zurückgewichen waren und sich bis München in ihrem Schlepptau befanden. Das erleichterte den reaktionärsten Vertretern des englischen Imperialismus die Durchführung der profaschistischen Beschwichtigungspolitik, deren Initiatoren und treibende Kräfte sie zu dieser Zeit waren. Eine nicht unwesentliche Rolle bei der Kapitulation vor den deutschen Faschisten spielte auch die Haltung der Regierungen Polens, Ungarns, Rumäniens, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei selbst. 37

38

39

Vgl. Erklärung vom 22. 3. 1938, daß die englische Regierung Frankreich in einem Konflikt um die CSR nicht helfen werde ( D B F P , Vol. I, S. 85f.); Warnung an die französische Regierung vor etwaigen Illusionen wegen englischer Hilfeleistung (DBFP, Vol. I, S. 346f.); negative Antwort der englischen Regierung am 12. 9. 1938 auf eine nochmalige Anfrage der französischen Regierung wegen militärischer Hilfeleistung (DBFP, Vol. II, S. 303). Vgl. Berlioz, J., Der Verrat der französischen Regierung an der Tschechoslowakei und der Kampf der Kommunistischen Partei Frankreichs gegen das Münchener Abkommen, in: Hintergründe, S. 91 ff. Vgl. Hass, G., Von München bis Pearl Harbor, Berlin 1965, S. 73fF.

2 Dress, Slowakei

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Die polnische und die rumänische Regierung, die durch ein einseitig gegen die Sowjetunion gerichtetes Bündnis verbunden waren, weigerten sich hartnäckig, den sowjetischen Truppen das Durchmarschrecht durch ihr Gebiet zu gewähren, ohne das eine Hilfeleistung für die Tschechoslowakei nur schwer möglich war. Sie drohten sogar mit Krieg, falls sowjetische Truppen etwa den für die Verteidigung der CSR gegen den faschistischen Aggressor notwendigen Durchmarsch erzwingen sollten. 40 Auch das antitschechoslowakische Verhalten der an der Liquidierung des Versailler Vertragssystems interessierten ungarischen Regierung, das zwar den deutschen Faschisten noch nicht entschlossen genug war, beeinträchtigte die Position der ÖSR und förderte das aggressive Vorgehen Hitlers. 41 Schließlich konnte die Tschechoslowakei auch kaum auf eine Hilfeleistung ihrer Partner aus der Kleinen Entente rechnen, da deren Einstellung, wie im Falle der rumänischen Regierung, entweder profaschistisch oder, wie im Falle der jugoslawischen Regierung, neutralistisch war. 42 Zur Haltung der tschechoslowakischen Regierung muß festgestellt werden, daß sie ebensowenig wie die herrschenden Kreise der imperialistischen Westmächte eine Verteidigung der Unabhängigkeit ihres Landes durch ein Eingreifen der UdSSR wollte. Trotz der entschiedenen Erklärungen der Sowjetunion und der Forderungen der Masse des tschechischen und des slowakischen Volkes nach Verteidigung der CSR zog es die Prager Regierung nach kurzem Schwanken vor, sich dem in der englisch-französischen Note vom 19. September enthaltenen Ultimatum zu beugen. Die Ursache für den damit begangenen Verrat an den Interessen des tschechoslowakischen Volkes lag vor allem darin, daß nicht nur die reaktionäre tschechoslowakische Großbourgeoisie bereit war, sich im Interesse etwaiger Kriegsgewinne in die Machtsphäre des faschistischen deutschen Imperialismus einzugliedern. Auch die sogenannte demokratische Bourgeoisie mit Staatspräsident Benes an der Spitze, die auf die Lenkung des Staates entscheidenden Einfluß hatte, versuchte sich der Situation anzupassen und ein Abkommen mit dem faschistischen Deutschland zu erreichen, wozu ihr die Westmächte rieten. Sie entschloß sich deshalb lieber dazu, das tschechoslowakische Grenzgebiet abzutreten, als sich bei der Verteidigung der CSR auf die von der KPTsch geführten Volksmassen und die Sowjetunion zu stützen. Eine Zusammenarbeit mit der KPTsch und der Sowjetunion schien ihr für ihre Klasseninteressen gefährlicher zu sein als die Kapitulation vor Hitler. 43 Lange Zeit hinderte die von der KPTsch geführte Volksbewegung zur Verteidigung der Republik die tschechoslowakische Bourgeoisie wirksam daran, ihren 40 41

42 43

Vgl. Öelovsky, B., Das Münchener Abkommen 1938, Stuttgart 1958, S. 238. Vgl. Ädäm, M./Juhäsz, Gy./Kerekes, L., Allianz Hitler-Horthy-Mussolini, Budapest 1966, S. 26ff. Vgl. A D AP, Bd. II, Nr. 595, S. 739, Nr. 627, S. 764 und Nr. 650, S. 785. Vgl. Das Abkommen von München 1938. Tschechoslowakische diplomatische Dokumente 1937—1939. Zusammengestellt, mit Vorwort und Anmerkungen versehen von Kral, V., Praha 1968, S. 27.

1. Pläne zur Vernichtung

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Verrat am eigenen Volk zu vollenden und die Absichten, die der Weltimperialismus mit der CSR verfolgte, in die Tat umzusetzen. 44 Es bedurfte erst des schärfsten Drucks von seiten Deutschlands und der Westmächte sowie niederträchtiger Betrugsmanöver der tschechoslowakischen Bourgeoisie und ihrer reformistischen Helfershelfer gegenüber den kampfbereiten Volksmassen der Tschechoslowakei, bevor dieses Vorhaben gelang. 45 I n der Nacht vom 29. zum 30. September kam schließlich, nachdem der englische Premierminister zweimal zuvor mit Hitler in Berchtesgaden und Godesberg konferiert hatte, um ihm die Annexion von Gebietsteilen der CSE, auf dem Verhandlungswege anzubieten, das Münchener Abkommen zwischen Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler zustande. Es sah die sofortige Abtretung des von den deutschen Faschisten beanspruchten tschechoslowakischen Grenzgebietes und dessen Besetzung durch deutsche Truppen vor. Außerdem gestand es die Erfüllung der polnischen und ungarischen Territorialforderungen an die CSR zu. Der tschechoslowakischen Regierung, die zu den Beratungen nicht zugelassen worden war, wurde das fertige Abkommen ultimativ vorgelegt und aufgezwungen. Das Münchener Abkommen stellte zwar auch eine Garantie der neuen Grenzen der Tschechoslowakei in Aussicht, aber wenige Monate später kümmerte sich keine der Signatarmächte mehr darum. 4 6 2. Das Münchener Abkommen als entscheidender Ausgangspunkt für die Liquidierung der Tschechoslowakei Die Tschechoslowakische Republik, die 1918 nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie und der Niederlage des deutschen Imperialismus als Ergebnis der von der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution inspirierten nationalen Befreiungsbewegung des tschechischen und slowakischen Volkes entstanden war, wurde in den Tagen des Münchener Abkommens durch die westlichen Imperialisten und durch ihre eigene Großbourgeoisie an das faschistische Deutschland auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Auf Grund des Münchener Abkommens, das aus einem Hauptteil, einem Zusatz und drei zusätzlichen Erklärungen bestand, wurde die Abtretung der sogenannten sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei an Deutschland festgelegt.« Vom 1. bis 10. Oktober 1938 sollten die deutschen Truppen das Sudetengebiet in vier Etappen besetzen. Die tschechoslowakische Regierung wurde dafür verantwortlich gemacht, daß die Räumung des zu besetzenden Gebietes ohne Be44

Vgl. Chteli jsme bojovat, Dokumenty o boji KSÖ a lidu na obranu Ceskoslovenska 1938, Bde. 1 u. 2, Praha 1963. « Vgl. Kopecky, F., CSR a KSC, Praha 1960, S. 271f. 46 Vgl. GdA, Bd. 5, S. 211 f. 47 Vgl. A D A P , Bd. II, Nr. 675, S. 812f. Das Münchener Abkommen wurde am 29. 9. 1938 unterzeichnet, aber auf den 30. 9. 1938 datiert. 2*

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Schädigung irgendwelcher bestehender Einrichtungen durchgeführt würde. Ein Internationaler Ausschuß aus Vertretern Deutschlands, Englands, Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei sollte zugleich das restliche Gebiet vorwiegend deutschen Charakters unverzüglich feststellen, das bis zum 10. Oktober durch deutsche Truppen noch zu besetzen war, und die Gebiete bestimmen, in denen eine Volksabstimmung nach dem Muster der Saarabstimmung stattfinden sollte. Bis zum Abschluß der „Volksabstimmung", die für spätestens Ende November vorgesehen war, sollten die Abstimmungsgebiete durch internationale Formationen besetzt werden. Einwohner, die wegen der Übergabe des Sudetengebietes nach dort oder von dort umsiedeln wollten, erhielten das Optionsrecht zuerkannt. Des weiteren wurde die tschechoslowakische Regierung verpflichtet, innerhalb von vier Wochen alle Sudetendeutschen auf Wunsch aus ihren militärischen und polizeilichen Verbänden zu entlassen sowie alle verhafteten sudetendeutschen Faschisten freizugeben. Schließlich wurde die endgültige Festlegung der neuen Grenzen der Tschechoslowakei dem Internationalen Ausschuß übertragen, der die Berechtigung erhielt, den vier Mächten in bestimmten Ausnahmefällen geringfügige Abweichungen von der streng ethnographischen Bestimmung der ohne „Volksabstimmung" zu übertragenden Zonen zu empfehlen. I n einem „Zusatz" zum eigentlichen Abkommen erklärten sich die Teilnehmer der Münchener Konferenz bereit, die neuen Grenzen des tschechoslowakischen Staates gegen einen unprovozierten Angriff international zu garantieren, sobald die Beistandsverträge mit Frankreich und der Sowjetunion gelöst und die Frage der polnischen und ungarischen Minderheiten in der Tschechoslowakei geregelt sein würden. Für den Fall, daß das Problem der polnischen und ungarischen Minderheiten in der Tschechoslowakei nicht innerhalb von drei Monaten durch eine Vereinbarung unter den betreffenden Regierungen geregelt würde, sollte es nach der zweiten „Zusätzlichen Erklärung" den Gegenstand einer weiteren Zusammenkunft der Regierungschefs der vier Mächte bilden. Der Internationale Ausschuß, der sich nach der ersten „Zusätzlichen Erklärung" aus dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, von Weizsäcker, den in Berlin akkreditierten Botschaftern Englands, Frankreichs, Italiens und einem von der tschechoslowakischen Regierung ernannten Mitglied, dem Gesandten in Berlin — Mastny —, zusammensetzte, erfüllte alle deutschen Forderungen. So stimmte er beispielsweise in seiner 8. Sitzung in Berlin am 13. Oktober 1938 dem Vorschlag von Weizsäckers zu, in Gebieten mit gemischter Bevölkerung keine Volksabstimmung durchzuführen, da mit der Entscheidung der vier Großmächte vom 5. Oktober 1938 bereits eine Demarkationslinie gefunden war, die den Wünschen der deutschen Faschisten entsprach.™ Die genaue Festlegung der neuen Grenzen erfolgte direkt durch die Vertreter Deutschlands und der Tschechoslowakei im sogenannten Deutsch-Tschechoslowakischen Grenzziehungsausschuß.' 59 Aus dem Verlauf der Sitzungen dieses « Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 56, S. CO. « Vgl. ebenda, Nr. 110, S. 123.

2. Der Ausgangspunkt für die Liquidierung

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Ausschusses ist ersichtlich, daß dort die tschechoslowakischen Vertreter nur eine untergeordnete Rolle spielten. Sie wurden unter Druck gesetzt und gezwungen, nicht nur die am 5. Oktober 1938 festgesetzte Demarkations-Okkupationslinie anzuerkennen, sondern darüber hinaus weitere Gebietsforderungen zu akzeptieren, die von der ethnographischen Grenze erheblich abwichen. 50 Am 11. November 1938 unterwarf sich die tschechoslowakische Regierung den deutschen Grenzziehungsforderungen 51 , und am 21. November 1938 billigte der Internationale Ausschuß die von den Hitlerfaschisten erzwungene Vereinbarung über die Festsetzung der deutsch-tschechoslowakischen Grenze als endgültige Grenze im Sinne der Ziffer 6 des Münchener Abkommens. 52 Durch die Abtretung der an Deutschland grenzenden Randgebiete verlor die Tschechoslowakei 28679 km 2 . Nach der letzten Volkszählung im Jahre 1930 lebten dort insgesamt 3596804 Einwohner, von denen 727224 Tschechen waren. 53 In den abgetretenen Gebieten befand sich auch der größte Teil der gut ausgebauten tschechischen Befestigungsanlagen, die neben der französischen Maginotlinie zu den stärksten in Europa zählten. Bei der Bestimmung des neuen Grenzverlaufs war es den deutschen Faschisten nicht um „gerechte" nationale Grenzen, sondern vielmehr um die Durchsetzung ihrer strategischen und wirtschaftlichen Forderungen gegangen. Das ergibt sich aus verschiedenen Dokumenten zentraler faschistischer Dienststellen. So verlangte Hitler nach einer Aufzeichnung des Legationsrates Hewel (Persönlicher Stab des RAM) vom 24. Oktober 1938 für Staatssekretär von Weizsäcker, „. . .daß man alles versuchen möchte, die Grenze den Wünschen des Generalstabes anzugleichen" 54 . Auch Dr. Todt und der Reichsverkehrsminister wünschten aus „verkehrstechnischen" Gründen unter Hinweis auf die „Forderung des Reichskriegsministeriums nach einer zweigleisigen H a u p t b a h n " Gebiete für Deutschland, „auch wenn dadurch die Einvernahme eines größeren tschechischen Bestandteils erforderlich wird" 55 . Indem es den deutschen Faschisten gelang, ihre „Wünsche" geltend zu machen, wurden alle wichtigen Verteidigungslinien und Verkehrsverbindungen der Tschechoslowakei zerrissen und sie ihrer lebenswichtigen Rohstoff- imd Kohlevorkommen beraubt. Auf diese Weise verlor der tschechoslowakische Rumpfstaat nahezu jede Möglichkeit, sich künftig gegenüber dem faschistischen Aggressor erfolgreich zur Wehr zu setzen. Deutschland war jedoch nicht der einzige Staat, der von der Tschechoslowakei territoriale Abtretungen forderte. Das Münchener Abkommen machten sich die reaktionären Regierungen Polens und Ungarns ebenfalls zunutze. 60

Vgl. Berichte des tschechoslowakischen Gesandten Mastny (Berlin) v o m 1. 11. und 15. 12. 1938, abgedruckt in: Das Abkommen von München 1938, a. a. O., Dok. Nr. 276, S. 304ff. und Dok. Nr. 280, S. 318ff. 51 Vgl. A D A P , Bd. IV, Nr. 114, S. 128. 52 Vgl. ebenda, Nr. 135 (Anlage), S. 146. 53 Vgl. Kral, V., Pravda o ocupaci, Praha 1962, S. 99. 5« A D A P , Bd. IV, Nr. 88, S. 99 55 DZA Potsdam, AA, Pol. Abt., 61171, Bl. 12.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Am 2. Oktober besetzten polnische Truppen das überwiegend von Tschechen bewohnte Teschener Gebiet, dessen Bevölkerung nur zu 33,3 Prozent polnisch war, und Ende Oktober kleinere slowakische Gebiete an der Orava und in der Zips. Gleichzeitig unterstützte die polnische Regierung des Obersten Beck die Annexionsabsichten der ungarischen Reaktion gegenüber der Karpatenukraine, da sie der Schaffung einer gemeinsamen polnisch-ungarischen Grenze und, mit Unterstützung Italiens, der Bildung einer Achse Warschau-Budapest-Rom förderlich waren. Diese neue Achse sollte sich zwar in erster Linie gegen die Sowjetunion richten, war aber zugleich als Gegengewicht gegen die seit München verstärkten deutschen Expansionsbestrebungen nach Ost- und Südosteuropa gedacht. 56 Aus diesen Gründen wurde der Plan einer gemeinsamen polnisch-ungarischen Grenze auch in gewissen französischen und englischen Regierungskreisen günstig aufgenommen, zumal die Tschechoslowakei nach München ihren Wert als Bündnispartner für den Westen völlig verloren hatte. 5 7 Demgegenüber h a t t e Hitlerdeutschland, das der ungarischen Regierung ihre zögernde Haltung gegenüber der Tschechoslowakei in den kritischen Septembertagen übelnahm, in der gegebenen Situation weder Interesse an einer gemeinsamen polnisch-ungarischen Grenze, die seinen späteren Absichten widersprach, noch wollte es eine übermäßige Stärkung Ungarns, hinter dem Polen und Italien standen. Außerdem hatte Hitler bereits in den slowakischen Separatisten 5 8 ein geeignetes Instrument zur Liquidierung der Tschechoslowakei gefunden, das seinen Absichten besser entsprach als Horthy-Ungarn. Diesen Widerspruch in der Achse Berlin-Rom versuchte die tschechoslowakische Regierung zu ihren Gunsten auszunutzen, indem sie die nach dem 6. Oktober 1938 an die Macht gelangte autonome klerikalfaschistische Landesregierung der Slowakei, die offen von Berlin unterstützt wurde, mit der Leitung der Verhandlungen über die ungarischen Gebietsforderungen beauftragte. Die Verhandlungen zwischen der slowakischen und ungarischen Delegation in Komarno blieben jedoch nicht zuletzt auf Grund des deutsch-italienischen Widerspruchs in der slowakischen Frage ergebnislos. Er war nicht so ernster Natur und führte vor allem auch deshalb zu keinem Bruch, da beide Achsenmächte nicht wollten, daß sich England und Frankreich 56

67 58

Vgl. Äddm, M./Juhdsz, Gy./Kerekes, L., Allianz Hitler-Horthy-Mussolini, Budapest 1966, S. 41 ff. Vgl. O ceskoslovenske zahraniine politice, Praha 1956, S. 386. Mitte Oktober empfing Göring den slowakischen Minister ßurcansky zu einer Unterredung, bei der auch Mach, Karmasin und Seyß-Inquart anwesend waren. Durcansky erklärte bei dieser Unterredung als Vertreter der slowakischen Separatisten wörtlich: „Die Slowaken wollen volle Selbständigkeit unter stärkster politischer, wirtschaftlicher, militärischer Anlehnung an Deutschland." Göring versprach den slowakischen Separatisten, die durch Durcansky auch ihre Bereitschaft ausdrücken ließen, die Verhältnisse in der Slowakei nach nazistischem Vorbild umzugestalten, die „Bestrebungen der Slowaken in geeigneter Weise (zu) unterstützen" (ADAP, Bd. IV, Nr. 68, S. 76).

2. Der Ausgangspunkt für die Liquidierung

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in den tschechoslowakisch-ungarischen Streit einmischten. Andererseits war die Abhängigkeit der Tschechoslowakei und Ungarns von den faschistischen Achsenmächten bereits so groß geworden, daß beide Parteien übereinkamen, Deutschland und Italien in ihrem Streit als Schiedsrichter anzurufen. So wurde über die tschechoslowakisch-ungarische Grenze auf einer Konferenz der Außenminister von Ribbentrop und Ciano am 2. November 1938 in Wien entschieden.59 Auf Grund des Ersten Wiener Schiedsspruchs, der eine von den deutschen und italienischen Faschisten diktierte Kompromißlösung darstellte, mußten nicht nur die überwiegend ungarisch besiedelten Gebiete der Südslowakei und der Karpatenukraine an Horthy-Ungarn abgetreten werden, sondern auch Städte und Gemeinden mit slowakischer oder ukrainischer Bevölkerungsmehrheit. Die Gebietsverluste der Tschechoslowakei betrugen infolge des Münchener Abkommens, des Ersten Wiener Schiedsspruchs und der Abtretungen an Polen insgesamt 41098 km2 mit einer Gesamtbevölkerungszahl von 4879000 Einwohnern, von denen 1250000 Tschechen und Slowaken waren. Die so beschnittene Rumpftschechoslowakei war nur noch 99395km2 groß und hatte im ganzen 9680000 Einwohner. In ihr verblieben 378000 Deutsche und 92000 Ungarn.60 Das Münchener Abkommen hatte auch für die tschechoslowakische Wirtschaft ernste Verluste zur Folge. Nach Angaben des tschechoslowakischen Statistischen Amtes verlor die Tschechoslowakei durch die Okkupation ihrer Grenzgebiete 69,6 Prozent der Glasindustrie, 40 Prozent der chemischen Industrie, 89,9 Prozent der keramischen Industrie, 98 Prozent der Porzellanerzeugung, 60,5 Prozent der Zelluloseproduktion, 68 Prozent der Papierindustrie und 53,8 Prozent der Holzindustrie. Insgesamt gingen 2317 Industriebetriebe verloren, davon allein 443 Textilbetriebe. Besonders schmerzlich war der Verlust der Kohlenreviere in Nord- und Westböhmen sowie im Ostrauer Gebiet. Nur 3 Prozent der Braunkohlenförderung und 45 Prozent der Steinkohlenförderung verblieben der nachmünchener Republik.61 Dadurch wurde die tschechoslowakische Wirtschaft von Kohlenlieferungen aus Deutschland und Polen abhängig. Das entsprach den Bestrebungen der deutschen Imperialisten, die Tschechoslowakei als Industriekonkurrenten auszuschalten und in ein Agraranhängsel Deutschlands zu verwandeln. Außerdem waren die neuen Grenzen in so raffinierter Weise gezogen worden, daß sie die 59

60

61

Vgl. Vävra, F./Eibel, J., Viedenskä arbiträz — dösledok Mnichova, Bratislava 1963, S. 88ff. Vgl. SÜA — Ü P V — Protokoly ministerke rady - X X . - 8 - z 10. ledna 1939. Von diesen Angaben etwas abweichende Zahlen enthält der Dokumentenband „Mnichov v dokumentech", Bd. I I , Praha 1958, S. 355. Danach betrugen die Gebietsverluste der Tschechoslowakei 40 929 km 2 und die Bevölkerungsverluste 5 017356 Einwohner. Vgl. Kräl, F., Otäzky hospodärskeho a sociälniho v y v o j e v ceskych zemich 1938— 1945, Bd. I, Praha 1957, S. 105f.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Hauptverkehrsadern der nachmünchener Tschechoslowakei durchschnitten. Auf diese Weise machten sie sowohl die wirtschaftliche Konsolidierung als auch alle Möglichkeiten zur Verteidigung des Landes praktisch zunichte.

3. Die beschleunigten Vorbereitungen zur Zerschlagung der Nachmünchener Tschechoslowakei Das Münchener Abkommen war nicht nur ein Versuch, die Stoßkraft des faschistischen deutschen Imperialismus gegen die Sowjetunion zu lenken und die imperialistischen Widersprüche auf Kosten der kleinen Tschechoslowakei zu lösen, sondern es bedeutete auch, wie jedes imperialistische Abkommen, letztlich die Verschärfung dieser Widersprüche auf einer höheren Ebene. Mit den Ergebnissen des Münchener Abkommens waren nicht nur Frankreich und England unzufrieden, da sie trotz Opferung der Tschechoslowakei ihr Hauptziel, ein Abkommen der gesamten europäischen Reaktion gegen die Sowjetunion zu den ihnen genehmen Bedingungen, nicht erreichten. Auch Polen und Ungarn zeigten sich enttäuscht, weil ihre Forderungen nicht voll erfüllt wurden. Unzufrieden waren aber vor allem Hitlerdeutschland und das faschistische Italien, die im Münchener Abkommen nur den Beginn einer neuen Teilung Europas zu ihren Gunsten sahen. Dem faschistischen Deutschland genügte keineswegs die Abtretung des Sudetengebietes, die Beschneidung der Tschechoslowakei und die eventuelle ökonomisch-politische Botmäßigkeit der sogenannten Zweiten Republik. Das kam in Hitlers Ansprache an alle Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile vom 23. November 1939 mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Vom ersten Augenblick an war mir klar, daß ich mich nicht mit dem sudetendeutschen Gebiet begnügen könnte. Es war nur eine Teillösung. Der Entschluß zum Einmarsch in Böhmen war gefaßt. Dann kam die Errichtung des Protektorats, und damit war die Grundlage für die Eroberung Polens gelegt . . ." 6 2 Um die demokratische Weltöffentlichkeit zu beschwichtigen, die über das Münchener Diktat aufgebracht war und in ihm nur den ersten Schritt auf dem Wege der faschistischen Neuordnung Europas erblickte, sah sich das Auswärtige Amt genötigt, über seine diplomatischen Vertretungen beruhigend auf das Ausland einzuwirken. 63 Mit der betrügerischen Versicherung, daß das Münchener Ergebnis kein Diktat darstelle und auch nicht den ersten Schritt zur Erfüllung weiterer territorialer Wünsche Hitlerdeutschlands in Südosteuropa bedeute, sollten besonders die Befürchtungen der herrschenden Kreise Englands und Polens zerstreut werden. Das entsprach der damaligen taktischen Linie des 62

63

Abgedruckt bei Jacobson, H. A., 1939—1945. Zweiter Weltkrieg, 3. Aufl., Darmstadt 1959, S. 115. Vgl. Rundtelegramm des Staatssekretärs des AA vom 3. 10. 1938, in: A D A P , Bd. IV, Nr. 16, S. 20.

3. Vorbereitungen zur Zerschlagung der ÖSR

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faschistischen deutschen Imperialismus, die Aufmerksamkeit von der Vorbereitung weiterer Aggressionsakte abzulenken. I n diesem Geist war schließlich auch das vom Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Unterstaatssekretär Woermann, für Ribbentrop ausgearbeitete Memorandum vom 7. Oktober 1938 abgefaßt, das die Konzeption für das weitere deutsche Vorgehen gegenüber der Slowakei und der Karpatenukraine entwickelte. Unter Berücksichtigung des Gutachtens vom 5. Oktober 1938, das der Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Ministerialdirektor Wiehl, vorgelegt hatte, in dem bedingt die „Voraussetzungen für die wirtschaftliche Lebensfähigkeit einer selbständigen Slowakei" anerkannt wurden 6 ' 1 , hielt Woermann folgende Varianten der faschistischen Politik hinsichtlich der Slowakei für möglich: „1. Selbständige Slowakei, 2. slowakische Autonomie innerhalb des tschechoslowakischen Staatsverbandes, 3. autonome Slowakei mit Anlehnung an Ungarn, die vom Bündnisverhältnis bis zur Einverleibung gehen könnte, 4. autonome Slowakei mit Anlehnung an Polen." 05 Bei der Begründung dieser theoretischen Möglichkeiten gelangte Woermann zu dem Schluß, daß eine selbständige Slowakei für Deutschland die beste Lösung wäre. Sie „würde ein schwaches Staatsgebilde sein und daher dem deutschen Bedürfnis nach Vordringen und Siedlungsraum im Osten am ehesten Vorschub leisten. P u n k t des geringsten Widerstandes im Osten." 66 Außerdem hob Woermann hervor, daß die Slowakei einen großen Holzreichtum besitze und sich auf ihrem Gebiet ein Teil der tschechoslowakischen Rüstungsindustrie befinde. Die dritte theoretische Möglichkeit — autonome Slowakei mit Anlehnung an Ungarn — verwarf Woermann mit den Worten: „Deutscherseits kein Interesse an dieser Lösung." 6 7 Die vierte theoretische Möglichkeit — autonome Slowakei mit Anlehnung an Polen — verwarf Woermann noch entschiedener mit der Begründung: „Ein durch die Slowakei vermehrtes polnisches Wirtschaftsgebiet könnte den deutschen Wirtschaftsbestrebungen nach Südosten erhebliche Schwierigkeiten in den Weg legen." 68 Dagegen schien Woermann die zweite theoretische Möglichkeit - slowakische Autonomie innerhalb des tschechoslowakischen Staatsverbandes — annehmbar zu sein, weil sie auch „außenpolitisch am leichtesten zu erreichen sein" würde. 69 Für die Durchsetzung der dargelegten deutschen Konzeption, die einen Tag nach der am 6. Oktober 1938 erfolgten slowakischen Autonomie-Erklärung fertiggestellt wurde, empfahl Woermann folgendes taktisches Vorgehen: „Diesen beiden Mächten (d. h. Ungarn und Polen — d. Verf.) gegenüber hätten wir bei Ablehnung ihrer Wünsche mit dem Schlagwort Selbstbestimmung' eine gute 6

'' Zit. nach Hoensch, J. K., Die Slowakei und Hitlers Ostpolitik, Köln-Graz 1965, S. 100. es A D AP, Bd. IV, Nr. 45 (Anlage), S. 45. «e Ebenda, S. 46. 67 Ebenda. 6« Ebenda. 69 Ebenda.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Parole. Nach außen sollen keine anti-ungarischen und anti-polnischen Parolen ausgegeben werden." 7 0 Aus einer Aufzeichnung des Legationsrates Erich Kordt (Büro RAM) vom 8. Oktober 1938 geht hervor 71 , daß Hitler die im Woermann-Memorandum geschickt entwickelte Linie des deutschen Vorgehens billigte und sich zunächst für die Unterstützung der Beschlüsse von 2ilina 7 2 (Autonomie mit Anlehnung an Prag) aussprach. Diese Entscheidung, die maßgeblich vom faschistischen Generalstab aus militärisch-strategischen Erwägungen beeinflußt worden war 7 3 , verfolgte den Zweck, einerseits die unerwünschte gemeinsame polnisch-ungarische Grenze zu verhindern und andererseits die inneren Widersprüche der Tschechoslowakei zu verschärfen, um diese dadurch noch weiter zu schwächen. Sie wurde durch ein Rundtelegramm vom 10. Oktober 1938 den wichtigsten deutschen diplomatischen Vertretungen mitgeteilt, dessen erster Punkt besonders interessiert, weil er die getroffene Entscheidung im Gegensatz zu den gehegten Absichten folgendermaßen motiviert: „Ausgangspunkt ist Erwartung freundschaftlichen Verhältnisses mit Prag." 7 4 Gleichzeitig wurde die Parole „Selbstbestimmung" ausgegeben. Sie sollte vor allem Ungarn und Polen deutlich machen, daß sie die Zusatzerklärungen zum Münchener Abkommen einzuhalten hätten und ein militärischer Angriff auf die Tschechoslowakei, mit dem Ungarn drohte, zur Zeit unerwünscht sei, da er den deutschen Interessen widerspreche. In dem Rundtelegramm vom 10. Oktober 1938 wurde erneut unterstrichen, daß Deutschland den Beschlüssen von Zilina sympathisch gegenüberstehe. Auch England und Frankreich zeigten sich mit dieser Linie einverstanden. Überblickt man also die politische Gesamtsituation im Oktober 1938, so zeichneten sich für die deutschen Imperialisten drei Möglichkeiten zur Liquidierung der Tschechoslowakei a b : 7

7 ® Ebenda, S. 47. » Ebenda, Nr. 46, S. 48. A m 6. 10. 1938 schlössen auf einer Sitzung des Exekutivausschusses der klerikalfaschistischen Slowakischen Volkspartei Hlinkas (HSL'S) in Zilina alle bürgerlichen slowakischen Parteien mit Zustimmung der Sozialdemokratie ein Abkommen, in dem sie sich für die Verwirklichung des am 5. 6. 1938 im „Sloväk" veröffentlichten Vorschlages der H S L ' S auf Erlaß eines Verfassungsgesetzes über die Autonomie der Slowakei aussprachen. Am gleichen Tage verlas der Vizepräsident der HSL'S, Dr. Tiso, unter der Bezeichnung „Manifest des slowakischen Volkes" eine Entschließung des Exekutivausschusses seiner Partei, in der das „Selbstbestimmungsrecht" für das slowakische Volk durch augenblickliche Übernahme der Administrativ- und Regierungsgewalt in der Slowakei durch Slowaken sowie eine internationale Garantie für die Rechte der Slowakei gefordert wurden. Das Abkommen von Zilina (abgedruckt bei Kirschbaum, J. M,, Slovakia: Nation at the Crossroads of Central Europe, New York 1960, Dok. Nr. 7, S. 242f.) war ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung der separatistischen Forderungen der H S L ' S und der Beginn der Vorbereitungen zur Schaffung eines „selbständigen" Slowakischen Staates. « Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 39, S. 39. ™ Ebenda, Nr. 50, S. 50. 72

3. Vorbereitungen zur Zerschlagung der CSR

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1. Die vollständige Beherrschung des wirtschaftlichen und politischen Lebens der Tschechoslowakei durch einen Protektorats- oder Schutzvertrag, dessen Zustandekommen auf Initiative der tschechoslowakischen Regierung erfolgen sollte. Diese Lösung wäre damals vom Standpunkt des deutschen Imperialismus aus am annehmbarsten gewesen und hätte zur angestrebten Eingliederung der Tschechoslowakei in das faschistische Großdeutsche Reich geführt. 2. Die Bildung einer slowakischen „Fünften Kolonne", die für die Liquidierung der nachmünchener Tschechoslowakei ausgenutzt werden konnte. Auf die Wahl dieses Weges deuteten die häufigen Besuche slowakischer klerikalfaschistischer Politiker, besonders Tukas und Üurcanskys, seit Anfang Oktober 1938 in Berlin hin, die der Führer der nazistischen Deutschen Partei in der Slowakei, Franz Karmasin, vermittelte. Bei der Neuformierung der „Fünften Kolonne" spielten auch die in der Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen eine wichtige Rolle, die darüber enttäuscht waren, daß sie nicht zusammen mit den Sudetendeutschen ins „Reich" geholt wurden. 3. Die militärische Aktion, die für den Fall in Frage kam, daß sich die tschechoslowakische Regierung unter dem Druck der nach wie vor antifaschistisch eingestellten Volksmassen der völligen Unterwerfung unter den deutschen Imperialismus widersetzen sollte, indem sie das Garantieangebot für die neuen Staatsgrenzen annahm, das von der Sowjetunion seit dem 9. Oktober 1938 vorlag 75 . Die Realisierung aller drei Wege erforderte Zeit. Aus diesem Grunde h a t t e Hitler die im Woermann-Memorandum vorgeschlagene Taktik gebilligt und auch zum Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 seine Zustimmung gegeben. Von den Kräften, die zur Liquidierung der Tschechoslowakei aufgeboten werden sollten, war die deutsche Armee die sicherste K r a f t . Noch vor Abschluß der Besetzung des Sudetengebietes richtete Hitler an den Chef des OKW, General Keitel, geheim und dringend folgende Fragen: „1. Welche Verstärkungen sind notwendig, um aus jetziger Lage heraus jeden tschechischen Widerstand in Böhmen und Mähren zu brechen? 2. Wieviel Zeit ist für Umgruppierungen bzw. Heranführen der neuen K r ä f t e notwendig ? 3. Wieviel Zeit ist für den selben Zweck erforderlich, wenn er nach Durchführung der beabsichtigten Demobilmachungs- und Rückführungsmaßnahmen erfolgt? 4. Wieviel Zeit ist notwendig, um im Westen den Bereitschaftszustand vom 1. 10. wieder herzustellen?" 7 6 Keitel antwortete darauf am 11. Oktober, daß weder große Verstärkungen noch viel Zeit erforderlich seien. I m Sudetenland stünden bereits 24 Divisionen, darunter drei Panzer- und vier motorisierte Divisionen. Das OKW halte deshalb 75

Vgl. Das Abkommen von München, a. a. O., Dok. Nr. 264, S. 280f. 76 N. D. 388 - PS. Zit. bei Shirer, W. L., Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, Köln-(West-)Berlin 1961, S. 399.

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den Beginn der Operation bei derzeitigen Schwächeersclieinungen tschechischer Widerstandskraft ohne diese Verstärkungen für durchführbar. 7 7 Dennoch entschied sich die faschistische Führung nach einigem Zögern, die militärische Operation zur Liquidierung der Tschechoslowakei nicht im Anschluß an die Besetzung des Sudetengebietes durchzuführen. Dafür dürfte die Befürchtung maßgeblich gewesen sein, daß dieser Aggressionsakt schon im Oktober einen europäischen Konflikt mit langdauerndem Krieg auslösen könnte, auf den das faschistische Deutschland noch nicht genügend vorbereitet war. Für diese Annahme sprechen vor allem die Ausführungen Görings auf einer Besprechung am 14. Oktober 1938 im Reichsluftfahrtministerium. 7 8 Göring war gezwungen zuzugeben,in welch schwieriger wirtschaftlicher Situation sich damals Deutschland befand. Die Devisenbestände für die Einfuhr der notwendigen Rohstoffe waren erschöpft. Trotzdem verlangte Göring im Interesse der weiteren Durchführung der Aggressionspolitik der deutschen Monopole eine völlige Umstellung der Wirtschaft auf die Rüstung und den Export, die mit einer noch brutaleren Ausbeutung der in- und ausländischen Arbeiter einhergehen sollte. Verstärkte Rüstung bedeutete aber auch eine drastische Einschränkung des zivilen Bedarfs. So entstand ein unlösbarer Widerspruch zwischen Konsumtion und Rüstung, der durch die baldige Eroberung der Rumpftschechoslowakei wenigstens teilweise beseitigt werden sollte. In dieser Zwangslage, in die sich der deutsche Imperialismus hineinmanövriert hatte, erließ Hitler am 21. Oktober 1938 eine Weisung für die Wehrmacht, wonach diese jederzeit auf folgende Fälle vorbereitet zu sein h a t t e : „1. Sicherung der Grenzen des Deutschen Reiches und Schutz gegen überraschende Luftangriffe, 2. Erledigung der Rest-Tschechei, 3. Inbesitznahme des Memellandes." 79 Uns interessiert an dieser Weisung besonders der zweite P u n k t : Erledigung der Rest-Tschechei, weil er unwiderleglich beweist, daß die Zerschlagung der nachmünchener Tschechoslowakei schon seit Oktober 1938 vorsätzlich in Angriff genommen wurde und Hitler überhaupt nicht ernsthaft an einer zweiseitigen Lösung der Garantiefrage für die restliche CSR interessiert war, wie es einige westdeutsche Historiker behaupten. 8 0 So hieß es in der erwähnten Weisung bezeichnenderweise: 77

Vgl. ebenda. » Vgl. IMG, Bd. X X V I I , Dok. 1301 - PS, S. 160ff. ™ A D AP, Bd. IV, Nr. 81, S. 90f. 80 Schiefer, H., vertritt in seinem Artikel „Deutschland und die Tschechoslowakei vom September 1938 bis März 1939" (ZfO), 4/1955, S. 4 8 - 6 6 ) im Widerspruch zu den Tatsachen die unhaltbare Auffassung, Hitler sei zunächst an einer bloßen zweiseitigen Lösung der Garantiefrage für die restliche ÖSR interessiert gewesen. Bodensieck, H., teilt in der Studie „Der Plan eines ,Freundschaftsvertrages' zwischen dem Reich und der Tschecho-Slowakei im Jahre 1938" (ZfO, 3/1961, S. 4 6 2 476) diese Auffassung Schiefers, obwohl die von ihm benutzten Handakten des 7

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„Es muß möglich sein, die Rest-Tschechei jederzeit zerschlagen zu können, wenn sie etwa eine deutschfeindliche Politik betreiben würde. . . Organisation, Gliederung und Bereitschaftsgrad der dafür vorgesehenen Verbände sind schon im Frieden derart auf Überfall abzustellen, daß der Tschechei selbst jede Möglichkeit planmäßiger Gegenwehr genommen wird. Das Ziel ist die rasche Besetzung der Tschechei und die Abriegelung gegen die Slowakei." 8 1 Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß die neue tschechoslowakische Regierung zu den größten Zugeständnissen an das faschistische Deutschland bereit war. 8 2 Mit Drohungen und Druck erzwang die Hitlerregierung die Überführung bedeutender wirtschaftlicher Positionen in die Hände der wichtigsten deutschen Konzerne 83 , die sich damit schon vor der endgültigen Zerschlagung der Tschechoslowakei einen entscheidenden Einfluß auf wichtige Industrie- und Bankunternehmen in Prag sicherten. Die Hermann-Göring-Werke bemächtigten sich der Braunkohlenbergwerke in Nordböhmen, die noch einige Tage vor München von der jüdischen Kapitalistenfamilie Petscheck an die Zivno-Bank verkauft worden waren. Einen Monat später verkaufte die Zivno-Bank diese Bergwerke an Göring weiter und ließ sich noch eine besondere Vermittlungsprovision bezahlen. Die Überführung der westböhmischen Braunkohlenbergwerke im Falkenauer Revier organisierte für Göring die Familie Seebohm. 8 4 Ein Mitglied dieser Familie wurde später bundesdeutscher Verkehrsminister und war bis zu seinem Tode Sprecher der „Sudetendeutschen Landsmannschaft". Die IG-Farben brachten in den Oktobertagen 1938 die nordböhmische chemische Industrie in ihren Besitz. 85 Mit diesen „Erwerbungen" im Sudetengebiet, das außer dem Braunkohlenreichtum und der chemischen Industrie für die deutsche Rüstungsindustrie keine besondere Bedeutung hatte, gaben sich jedoch die deutschen Imperialisten nicht zufrieden. Ihr Augenmerk richtete sich Unterstaatssekretärs Woermann und die darin enthaltenen Aufzeichnungen des Botschafters Ritter eindeutig den Schluß zulassen, daß weder Hitler noch das AA ernsthaft daran dachten, mit der beschnittenen ÖSR einen „Freundschaftsvertrag" abzuschließen. Auch Hoensch, J. K., übernimmt in seinem Buch „Die Slowakei und Hitlers Ostpolitik", S. 221, kritiklos die Thesen von Schiefer und Boden sieck. « A D A P , a. a. O. 82 Die Bereitschaft der neuen tschechoslowakischen Regierung zu großen innen- und außenpolitischen Zugeständnissen an Hitlerdeutschland geht sehr klar aus der Aufzeichnung über die Unterredung Ribbentrops mit dem tschechoslowakischen Außenminister Chvalkovsky am 13. 10. 1938 in Berlin hervor (vgl. A D A P , Bd. IV, Nr. 55, S. 57ff.). 83 Die Rolle des faschistischen Staates beim Erwerb wichtiger Wirtschaftspositionen durch einige deutsche Monopole analysiert ausführlich Kral, F., a. a. O., Bd. II, S. 37ff. 84 Vgl. die Beiträge von Kral, V., Radandt, H., in: Hintergründe, S. 153. 85 Vgl. ebenda, S. 172.

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nunmehr auf die Schwerindustrie, die der Tschechoslowakei fast völlig verblieben war. Ihr Besitz versprach nicht nur eine beträchtliche Stärkung des faschistischen Rüstungspotentials, sondern auch ungewöhnliche Profite für die deutschen Konzerne. Darüber hinaus gab es noch andere gewichtige Gründe, die eine Liquidierung der Rumpftschechoslowakei zum erklärten Ziel der deutschen Imperialisten und ihrer Hitlerregierung machten. I n einer gänzlich besetzten Tschechoslowakei konnten sich die deutschen Konzerne des Monopols der Staatsmacht bedienen, um alle wichtigen Bergbau-, Hütten-, Maschinenbau-, Rüstungs- und chemischen Betriebe in ihren Besitz zu überführen, ohne dabei ihre Bankkonten zu belasten. Sie erhielten außerdem die Möglichkeit, den tschechoslowakischen Konkurrenten aus dem Handel mit den Donaustaaten auszuschalten und dessen Kapitalpositionen in diesen Ländern zur Stärkung des eigenen Einflusses auszunutzen. Das tschechische Finanzkapital war bereit, mit den deutschen Konzernen zu kollaborieren und sich an der deutschen Rüstungs- und Kriegskonjunktur als Partner zu den üblichen kapitalistischen Geschäftsbedingungen zu beteiligen. Es rechnete nicht damit, daß die deutschen Großbanken und Industriekonzerne seine Kollaborati.onswilligkeit dazu benutzen würden, ihre tschechischen Konkurrenten mit Hilfe des faschistischen Staates auszuschalten und deren Reichtümer an sich zu bringen. Die von den deutschen Monopolen durch Botschafter Ritter erhobene Forderung nach einer Zollunion zwischen beiden Ländern 8 6 stieß jedoch auf die Ablehnung des sonst zu allen Zugeständnissen bereiten tschechischen Finanzkapitals, das — ohne sich damit zugleich selbst aufzugeben — diese Forderung nicht akzeptieren konnte, da sie die Verwandlung der Zweiten Republik aus einem Vasallenstaat in einen Bestandteil des „Großdeutschen Reiches" bedeutet hätte. Es ist nicht von der H a n d zu weisen, daß sowohl die Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über eine deutsch-tschechoslowakische Zollunion als auch die Entwicklung der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen, die von der Bereitwilligkeit der tschechoslowakischen Regierung zu allen nur möglichen Zugeständnissen an das faschistische Deutschland zeugten, dazu beitrugen, daß am 17. Dezember 1938 der 2. Nachtrag zur Weisung vom 21. Oktober 1938 erlassen wurde. 87 Das geschah zu einem Zeitpunkt, als die Demobilisierung der tschechoslowakischen Armee den deutschen Wünschen entsprechend durchgeführt war. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes hieß es deshalb in der Nachtragsweisung: „Die Bearbeitung des Falles (d. h. die „Erledigung der Rest-Tschechei" — d. Verf.) hat unter der Voraussetzung zu erfolgen, daß kein nennenswerter Widerstand zu erwarten ist." 8 8 Diese Voraussetzung schloß ein, daß sich in der nachmünchener Tschechoslowakei die K r ä f t e immer stärker entwickelten, die bereit waren, bei ihrer Zerschlagung mitzuhelfen. Dadurch konnte der für die 86

Zu den Verhandlungen über eine Zollunion äußert sich ausführlich Kral, a. a. O., S. 117ff. 87 Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 152, S. 164. 88 Ebenda.

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Täuschung der Weltöffentlichkeit erforderliche Eindruck erweckt werden, als handle es sich bei der beschlossenen „Erledigung der Rest-Tschechei" nicht um eine militärische Besetzung, sondern um einen inneren Zerfall dieses Staates. Diese taktische Überlegung fand in der Nachtragsweisung vom 17. Dezember 1938 in folgender Passage ihren Niederschlag: „Auch nach außen muß klar in Erscheinung treten, daß es sich nur um eine Befriedungsaktion und nicht um eine kriegerische Unternehmung handelt." 8 9 I n dieser taktischen Überlegung liegt zugleich der Schlüssel zum Verständnis aller Ereignisse, die sich vom Oktober 1938 bis zum 14./15. März 1939 abspielten. Von den drei Möglichkeiten zur Liquidierung der Tschechoslowakei, die im Oktober 1938 bestanden, kristallisierten sich zu Ende des Jahres 1938 zwei als besonders geeignet heraus, die als kombinierte Methode Anwendung finden sollten: die militärische Besetzung im Zusammenwirken mit den Kräften, die bereit waren, die staatliche Einheit von innen zu zerschlagen. Diese Kombination wurde durch die außenpolitische Stellung der Tschechoslowakei nach dem Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 begünstigt, an dem sich die englischen und französischen Imperialisten nicht beteiligten. Sie wollten durch den Verzicht auf ihre Rechte aus dem Münchener Abkommen und die faktische Ablehnung einer gemeinsamen Garantie der neuen tschechoslowakischen Staatsgrenze erneut zum Ausdruck bringen, daß sie Hitlerdeutschland freie H a n d im Osten ließen. Ein solches Verhalten erzeugte bei den deutschen Faschisten die berechtigte Hoffnung, daß sie im Falle eines von ihnen provozierten Vorwandes ohne letztes Risiko militärisch intervenieren könnten. Diesen Vorwand sollte die innere Entwicklung der Zweiten Republik liefern, in die sich das faschistische Deutschland vorsätzlich einmischte, um vor allem die berechtigte Forderung des slowakischen Volkes nach Anerkennung seiner Existenz als eigenständige Nation zur Sprengung der Tschechoslowakei zu mißbrauchen. So wurde die „slowakische Frage", zu deren Lösung sich die reaktionäre tschechische Großbourgeoisie seit 1918 außerstande gezeigt hatte, durch ihre künstliche Komplizierung immer mehr als Grund für ein mögliches Eingreifen in den Vordergrund gerückt. 90 Die Münchener Ereignisse hatten die herrschende Stellung der tschechischen Bourgeoisie erschüttert und eine Staatskrise ausgelöst. Sie erfaßte insbesondere diejenigen Schichten der tschechoslowakischen Gesellschaft, die vor München eine Stütze des bisherigen innen-und außenpolitischen Kurses bildeten. Die alten bürgerlichen Parteien waren unglaubwürdig geworden, ihre Anhänger wandten sich von ihnen und ihren politischen Führern ab, da sie in der Münchener Katastrophe das Resultat ihrer bisherigen Politik erblickten. I n den Volksmassen reifte angesichts der Bedrohung der staatlichen Selbständigkeit und der natio89 Ebenda. 90 Vgl. Kräl, F., Pravda o okupaci, Praha 1962, S. l i l f f . Eine zutreffende Einschätzung der Entwicklung und des Wesens der „slowakischen Frage" gibt Husäk, G., in seinem Buch „Svedectvo o Slovenskom narodnom povstani", Bratislava 1964, S. 118ff.

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nalen Unabhängigkeit die Überzeugung von der Notwendigkeit der Konzentration aller ehrlichen nationalen Kräfte. Zugleich begann die Anschauung an Boden zu gewinnen, daß aus dem politischen Leben des Landes das „kleinliche und engstirnige Parteiwesen" zu verschwinden hätte. 9 1 Das spontane Streben nach nationaler Einheit und die berechtigte Kritik am parlamentarischen Regime der vormünchener bürgerlich-demokratischen Republik konnten jedoch von der KPTsch, deren legale Tätigkeit seit dem 9. Oktober in der Slowakei und seit dem 20. Oktober 1938 in den tschechischen Ländern verboten war, nicht in die Bahn eines festen Zusammenschlusses aller demokratischen Kräfte zum erfolgreichen Widerstand gegen den deutschen Faschismus gelenkt werden. Sehr erschwerend auf die Arbeit der KPTsch wirkte sich auch die in der Tschechoslowakei damals herrschende Atmosphäre des Unglaubens, der Verzweiflung und Depression aus, die der Verrat von München vorübergehend in breiten Kreisen des tschechischen und slowakischen Volkes hervorgerufen hatte. Diesen Umstand machten sich die reaktionären K r ä f t e der tschechischen Bourgeoisie zunutze, die hauptsächlich in der Agrarpartei vertreten waren. An Stelle der notwendigen Konzentration aller demokratischen und patriotischen Kräfte wurden nach und nach die bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten abgebaut. Die tschechische Reaktion steuerte auf die offene faschistische Diktatur zu. Die Forderung des Volkes nach nationaler Einheit wurde dabei demagogisch als Vorwand benutzt, um möglichst alle bürgerlichen Parteien einschließlich des größten Teils der Volkssozialistischen Partei in der neu gegründeten faschistischen Partei der nationalen Einheit 0 2 zusammenzuschließen, die ganz offen für die Unterordnung der Tschechoslowakei unter das faschistische Deutschland eintrat. Dagegen wurden alle wirklich demokratischen Organisationen mit der Kommunistischen Partei an der Spitze verboten und verfolgt. 93 Das Ziel dieser Faschisierungsmaßnahmen, nämlich die erschütterte Stellung der tschechischen Bourgeoisie zu festigen, wurde jedoch nicht mehr erreicht. Die Anhänger der ehemaligen tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und des linken Flügels der Volkssozialistischen Partei fanden sich 5)1

Diese Entwicklung veranlaßte vermutlich Schiefer, H., a. a. O., zu der Behauptung, nicht nur die tschechoslowakische Regierung, sondern auch breite Schichten des tschechischen Volkes hätten nach München fast alles getan, um die innenpolitische Entwicklung ihres Landes den Wünschen der deutschen Faschisten anzupassen. Die auch Schiefer bekannten Lageberichte des deutschen Geschäftsträgers Hencke aus Prag widersprechen dieser Behauptung eindeutig. Nicht zuletzt war gerade die patriotische und demokratische Einstellung der überwiegenden Mehrheit des tschechischen Volkes auch ein Grund für die deutschen Faschisten, sich nicht mit der Existenz der nachmünchener Tschechoslowakei abzufinden. 92 Vgl. Pfirucni slovnik k dejinäm KSÖ, Praha 1964, Bd. II, S. 854f. 93 Die Tätigkeit der KPTsch wurde schon am 9. 10. i 938 in der Slowakei und am 20.10. 1938 in den tschechischen Ländern verboten. Am 27. 12. 1938 wurde die KPTsch durch Anordnung des Innenministeriums der Beran-Regierung aufgelöst.

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in der sogenannten Nationalen Partei der Arbeit 94 zusammen, der vorübergehend die Rolle einer geduldeten loyalen Opposition zugedacht war. Ihre Führer, zumeist frühere sozialdemokratische Funktionäre wie Hampl und Lausmann, lehnten jede Zusammenarbeit mit der illegalen KPTsch ab und führten die einzige legale nichtfaschistische Partei im Lande auf den Weg der allmählichen Kapitulation vor der faschistischen Reaktion. Trotz der negativen Züge, die der „Nationalen Partei der Arbeit" anhafteten, gab die KPTsch ihren Mitgliedern die Weisung, dieser Partei beizutreten, um unter ihren ehrlichen, einfachen Anhängern Verbündete für den illegalen antifaschistischen Kampf zu gewinnen. 95 Die faschistischen Elemente in der Slowakei u n d Karpatenukraine nutzten mit deutscher Unterstützung die nach München entstandene Lage aus, um ihre Autonomieforderungen durchzusetzen, die einen wichtigen Schritt zur völligen Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates darstellten. 9 6 Dabei knüpften sie geschickt an antitschechische Stimmungen in der Slowakei an, die auf Grund der Unterdrückungspolitik der tschechischen Bourgeoisie in der Periode vor München genährt worden waren, und entfachten eine antitschechische Kampagne, die sie mit einer demagogischen Hetze gegen die J u d e n verbanden, um sich eine Massenbasis für ihre republikfeindliche Politik zu sichern. Am 6. Oktober 1938 nahmen alle slowakischen bürgerlichen Parteien das sogenannte Manifest von Zilina an, dem auch die Sozialdemokratie zustimmte. Es war ein Dokument, das den Übergang der gesamten slowakischen Bourgeoisie auf autonomistische Positionen verankerte und ihre politische Verschmelzung in einer Partei — der faschistischen Slowakischen Volkspartei Hlinkas (HSL'S) — zum Ausdruck brachte. Die von den Separatisten erzwungene Autonomie der Slowakei und Karpatenukraine wurde am 22. November 1938 durch ein verfassungswidriges Gesetz geregelt. 97 Dieses Gesetz sicherte der slowakischen und karpatenukrainischen Bourgeoisie einen wesentlichen Anteil an der politischen Macht, durch den sie ihre ökonomische Schwäche gegenüber der tschechischen Bourgeoisie kompensieren wollte. Staatsrechtlich verwandelte sich die nachmünchener Republik in einen Föderativstaat, was auch in der offiziellen Bezeichnung „Tschecho-Slowakei" seinen Niederschlag fand. Mit einer Befriedigung der berechtigten nationalen Forderungen der Slowaken und Karpatenukrainer hatte jedoch diese von den separatistisch-faschistischen Elementen erzwungene Föderalisierung nichts gemein. Sie trug zur Stärkung der faschistischen Kräfte im ganzen Lande bei, schwächte den Zusammenhalt und die innere Festigkeit des ganzen Staates und leistete 94

Vgl. Pfirucni slovnik k dejinäm KSÖ, a. a. O., Bd. I, S. 525. Dejiny Kommunistickej strany Ceskoslovenska (KSÖ), Bratislava 1961, S. 360. ä« Vgl. Kral, V., Pravda o okupapi, a. a. O., S. l l l f f . 97 C. 299 Zb. z. a. n. Die hauptsächlichsten Bestimmungen des Verfassungsgesetzes vom 22. 11. 1938 über die Autonomie des Landes Slowakei sind in deutscher Sprache abgedruckt bei Rabl, K. O., Zur jüngsten Entwicklung der slowakischen Frage, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. I X (1939/40), S. 299ff.

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somit den Liquidierungsplänen der deutschen Faschisten gegenüber der nachmünchener Tschechoslowakei Vorschub. Aus diesen Gründen verurteilte die KPTsch prinzipiell eine solche „Föderalisierung" und verlangte, daß zugleich mit der Erfüllung der nationalen Forderungen der Slowaken und Karpatenukrainer scharf gegen die dortigen Faschisten und Naziagenten vorgegangen werde. 98 Die Zentralregierung in Prag verhielt sich jedoch völlig anders. Nach dem Rücktritt der Regierung des Generals Syrovy hatte der am 30. November 1938 zum Präsidenten der „Zweiten Republik" gewählte hohe Staatsbeamte Hacha, der das Vertrauen sowohl der reaktionären tschechischen Großbourgeoisie als auch der deutschen Faschisten genoß, eine neue Regierung mit dem Vorsitzenden der tschechischen Agrarpartei, Rudolf Beran, an der Spitze ernannt, der als Mitglieder Faschisten und Kollaborateure wie Sidor, Chvalkovsky, Havelka, Syrovy, Feierabend u. a. angehörten. Diese Regierung, die den Faschisierungskurs durch den Erlaß eines „Ermächtigungsgesetzes" am 15. Dezember 1938 und die Auflösung der KPTsch am 27. Dezember 1938 wesentlich verschärfte", billigte einerseits das faschistische Programm der Slowakischen Volkspartei, andererseits jedoch hegte sie Befürchtungen wegen der politischen Tendenzen in der Slowakei. Diese ließen mit aller Deutlichkeit erkennen, daß die slowakische Bourgeoisie nach Beseitigung der Vorzugsstellung der tschechischen Bourgeoisie in der slowakischen Wirtschaft strebte. I m Hinblick auf ihre ökonomische Schwäche konnte die slowakische Bourgeoisie dieses Programm nur durch die Übernahme der gesamten Staatsmacht verwirklichen, die mit der Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates identisch war. 100 Unter den gegebenen Umständen war die Übernahme der Staatsmacht aber nur mit Hilfe des faschistischen Deutschlands möglich, das auf die Zentralregierung in Prag den notwendigen Druck ausüben konnte. I n ähnlicher Weise n i e die slowakische Bourgeoisie verfuhren auch die nationalistischen Elemente in der Karpatenukraine. Sie spekulierten darauf, daß ihnen durch die Unterstützung der faschistischen Pläne zur Eroberung der Sowjetukraine ein günstiger Platz im „neugeordneten" Europa eingeräumt werden würde. 101 Die einzige politische K r a f t , die in der nachmünchener Tschechoslowakei gegen Demoralisierung und Verfall kämpfte, war die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei. Sie bemühte sich auch unter den damaligen schwierigen 98 Vgl. Prirucni slovnik k dejinäm KSC, a. a. O., Bd. II, S. 637. 99 Trotz ihres ausgeprägten Faschisierungskurses behauptet Bodensieck, H. in seinem Artikel „Die Politik der Zweiten Tschecho-Slowakischen Republik (ZfO, 6/1957, S. 54—71) im Widerspruch zu den Tatsachen, die Regierung Beran habe die Faschisierungstendenzen unterdrückt und sich erst im März 1939 ihnen gegenüber wohlwollend verhalten. 100 Vgl. Fatus, J./Prücha, F., Prehl'ad hospodärskeho vyvoja na Slovensku v rokoch 1918-1945, Bratislava 1967, S. 317. 101 Vgl. Kral, F., Pravda o okupaci, Praha 1962, S. 116ff.; Jevsejev, I.F., Z dejin Zakarpatskö Ukrajiny, tschech. Ausgabe 1956.

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Umständen konsequent um die Erhaltung der demokratischen Rechte und Freiheiten, um die Verteidigung der nationalen Selbständigkeit, die volle staatliche Unabhängigkeit, um die Stärkung des Selbstbewußtseins des werktätigen Volkes und bekämpfte entschlossen resignierende und kapitulantenhafte Stimmungen.102

4. Die Ausrufung des Slowakischen Staates und die Errichtung des „Protektorates Böhmen und Mähren" Um die Jahreswende 1938/39 begann sich eine neue Etappe in den Beziehungen zwischen dem faschistischen Deutschland und der Tschechoslowakei zu entwickeln. Ende 1938 erklärten die deutschen Faschisten ganz unverhohlen, das weitere Schicksal der Tschechoslowakei hänge einzig und allein von Deutschland ab, daher seien Garantien überflüssig.103 Damit deuteten sie ihre Absicht an, über das Münchener Abkommen hinaus Forderungen zu stellen, das der Tschechoslowakei formell die Unabhängigkeit zugesichert hatte. Das war zu einer Zeit, als sich Hitlerdeutschland wegen seiner übersteigerten Ausgaben für militärische Zwecke in ernsten wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten befand, die es vor die Wahl stellten, entweder seine Aufrüstung zu verlangsamen und die Expansionspolitik aufzugeben oder sich in ein neues Aggressionsabenteuer zu stürzen, um seiner Schwierigkeiten Herr zu werden. Nachdem sich die deutschen Imperialisten und Militaristen davon überzeugt hatten, daß den Westmächten das Schicksal der Tschechoslowakei gleichgültig war, entschlossen sie sich zur Liquidierung dieses Staates. Nicht zufällig häuften sich deshalb seit Anfang des Jahres 1939 die bedrohlichen Anzeichen, die auf eine baldige deutsche Besetzung der Rumpftschechoslowakei hinwiesen. Beim Besuch des tschechoslowakischen Außenministers Chvalkovsky am 21. Januar 1939 in Berlin äußerten sowohl Hitler als auch Ribbentrop ihre Unzufriedenheit mit dem Tempo der Faschisierung in der Tschechoslowakei und damit, daß die Regierung Beran nicht imstande war, im tschechischen und slowakischen Volk für ihre Politik der Freundschaft mit Hitlerdeutschland Unterstützung zu finden. Für den Fall, daß sich dieser Zustand nicht ändern sollte, kündigte Ribbentrop drohend eine Situation an, „die für die Tschechoslowakei katastrophale Folgen haben müßte"104. Und je näher der Monat März heranrückte, um so häufiger wurden die Gerüchte, daß die „Einverleibung der Tschechoslowakei in das Reich kurz bevorstehe"105. Anfang Februar wurde dem tschechoslowakischen Außenministerium aus London berichtet, daß der Mitarbeiter der deutschen Botschaft in London, 9 Vgl. ADAP, Bd. IV, Nr. 171, S. 188. »o Ebenda, Nr. i77, S. 193.

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fassen würde, als mit den freundschaftlichen Beziehungen zwischen Berlin und Prag vereinbar wäre"; die Umorganisierungund Reduzierung der tschechoslowakischen Armee nach deutschen Wünschen und die Vermehrung der Zahl der deutschen Militärattaches in Prag als Kontrollorgane dafür; die Ausarbeitung eines Planes für eine enge wirtschaftliche und währungspolitische Zusammenarbeit der beiden Länder. Abschließend betonte Masafik, „daß jeder Wunsch von deutscher Seite hierzu oder darüber hinausgehend dankend entgegengenommen werden würde" 111 . Dieses von Masafik im Namen der Regierung Beran vorgetragene Angebot enthielt somit die Bereitschaft der von ihr vertretenen Kreise des tschechischen Finanz- und Agrarkapitals, de facto auf die staatliche Selbständigkeit der Tschechoslowakei zu verzichten, um dafür den Status eines Satellitenstaates Hitlerdeutschlands einzuhandeln. Für die Hitlerfaschisten war selbst dieses Angebot des nationalen Ausverkaufs noch ungenügend. Aus einer Aufzeichnung Altenburgs vom 3. März 1939 geht hervor, daß er Masafik im Auftrage Weizsäckers am Tage zuvor auf dessen Angebot ausweichend geantwortet habe, indem er ihm andeutete, die deutsche Regierung sei keineswegs von der Haltung der Tschechen gegenüber Deutschland befriedigt. 112 An dieser unnachgiebigen deutschen Haltung gegenüber der Tschechoslowakei vermochte auch die am 4. März 1939 zustande gekommene Vereinbarung nichts zu ändern, wonach sich die tschechoslowakische Nationalbank verpflichtete, einen Teil ihrer Gold- und Devisenbestände 113 an die Reichsbank zur Deckung für im sudetendeutschen Gebiet eingelöste tschechoslowakische Banknoten abzutreten. 114 Die Frage einer deutschen Garantie zugunsten der Tschechoslowakei wurde auch von den Botschaften Englands und Frankreichs in einer Verbalnote vom 8. Februar 1939 ohne Erfolg zur Sprache gebracht. 115 Die Hitlerregierung gab in ihrer Antwortnote vom 22. Februar 1939 zu verstehen, daß sie die Garantie der tschechoslowakischen Staatsgrenzen als ihre ausschließliche Angelegenheit betrachte und den Zeitpunkt dafür noch nicht für gekommen halte, da „zunächst eine Klärung der innerstaatlichen Entwicklung der Tschechoslowakei und die sich dann daraus ergebende Verbesserung der Beziehungen dieses Landes zu den umliegenden Staaten" abgewartet werden müsse. 116 Die Westmächte, Italien und schließlich auch die Tschechoslowakei gaben sich mit dieser Stellungnahme zufrieden und nahmen den deutschen Standpunkt schweigend zur Kenntnis. Die Haltung der Westmächte bestärkte die HitlerEbenda, S. 194. «« Ebenda, S. 195, Anm. 2. "3 Vgl. A DAP, Bd. IV, Nr. 201, S. 211; DZA Potsdam, Fall X I , Nr. 431, Bl. 172 (Sachverständigengutachten von JUDr. Leopold Chmela, Oberdirektor der Tschechoslowakischen Nationalbank, Prag, März 1946). H« Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 201, S. 211. »15 Vgl. ebenda, Nr. 164, S. 181. H6 Ebenda, Nr. 175, S. 191.

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regierung in der Auffassung, daß diese gegen die beschlossene deutsche Besetzung der Rumpftschechoslowakei keinen ernsthaften Widerstand leisten würden. I n dieser Situation entsandte Ministerpräsident Beran den faschistisch eingestellten Redakteur des „Venkov" 117 , Vladimir Krychtalek, als seinen Emissär nach Berlin, um dort zu erkunden, was die Hitlerregierung in naher Zukunft mit der Tschechoslowakei vorhabe. Krychtalek, der schon früher Verbindungen zum Auswärtigen Amt, zum Propagandaministerium und über Cäsar von Hofacker, den leitenden Prokuristen der Vereinigten Stahlwerke, zu bestimmten Kreisen des deutschen Monopolkapitals aufgenommen hatte 1 1 8 , wurde im Unterschied zu seinen vorhergehenden Besuchen in Berlin kühl aufgenommen. Der Gesandte Schmidt vom Auswärtigen Amt ließ ihn wissen, daß es sinnlos sei, wenn die tschechoslowakische Regierung versuche, zwischen Berlin und London zu balancieren. Man unterstelle zwar der gegenwärtigen Regierung in Prag gute Absichten, aber sie sei offensichtlich zu schwach, diese auch durchzusetzen. Ribbentrop, dem Krychtalek kurz begegnete, äußerte sich ähnlich wie Schmidt und fügte hinzu, man möge sich in Prag beeilen und die deutschen Andeutungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. 119 Kurze Zeit später wurde die Regierung Beran vom tschechoslowakischen Generalstab auf Grund authentischer Quellen über die deutschen Okkupationsvorbereitungen informiert, die auch den Westmächten schon bekannt waren. Doch diese unternahmen nichts dagegen und fanden sich mit dem einseitigen Bruch des Münchener Abkommens durch das faschistische Deutschland ab. Das geht aus einem Memorandum des Foreign Office vom 13. März 1939 an die englischen diplomatischen Auslandsvertretungen hervor, in dem es hieß: „It is clearly undesirable to make any protest which we are not prepared to implement or t o make Statement which would only irritate Herr Hitler without affecting his plans." 120 Und am 14. März konnte Botschafter von Dirksen beruhigend nach Berlin berichten, die englische Regierung betrachte den Konflikt zwischen Tschechen und Slowaken als eine innere Angelegenheit der Tschecho-Slowakei und fühle sich, da die Staatsgrenzen noch nicht endgültig festgelegt worden seien, auch durch das Münchener Garantieversprechen nicht gebunden. 121 Zur Zerschlagung der Tschechoslowakei von innen heraus bediente sich die Hitlerregierung einerseits der im Land verbliebenen deutschen Minderheit und andererseits der faschistischen Hlinka-Volkspartei in der Slowakei. Obwohl die 117

Der Venkov war das Zentralorgan der tschechischen Agrarpartei. Cäsar von Hofacker, der in der Pariser Gruppe der Verschwörung vom 20. Juli 1944 eine maßgebliche Rolle spielte, informierte Krychtalek über die Existenz einer oppositionellen Gruppe in den herrschenden Kreisen des faschistischen Deutschlands, die der nachmünchener ÖSR die Möglichkeit der Selbständigkeit lassen wollte. 119 Vgl. Hoensch, J. K., a. a. O., S. 236. 120 D B F P , Third Series, Vol. IV, Nr. 230, S. 240. 121 Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 220, S. 225; D B F P , Vol. IV, S. 277. 118

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deutsche Minderheit nach der Besetzung des Sudetengebietes kein größeres geschlossenes Territorium mehr bewohnte und in Sprachinseln oder verstreut lebte 122 , wurde von deutscher Seite ihre Anerkennung als sogenannte Volksgruppe verlangt, die ebenso wie das tschechische und slowakische Volk Träger der staatlichen Souveränität sein sollte. Dadurch sollte ihr die von Berlin zugedachte Rolle als Störenfried innerhalb der Tschechoslowakei erleichtert werden. Mit der Durchsetzung dieser Forderung wurde das Auswärtige Amt unter Hinzuziehung aller anderen interessierten Stellen beauftragt. I n einer Besprechung in der „Volksdeutschen Mittelstelle'' am 7. November 1938 wurde der vom Auswärtigen Amt ausgearbeitete Plan eines weitgehenden „Volksgruppenschutzvertrages" von Vertretern des Reichsinnenministeriums, des OKW, des Reichserziehungsministeriums und des Reichsführers SS beraten. Es wurde beschlossen, „den Schutz des Restdeutschtums durch eine deutsch-tschechoslowakische Minderheitenerklärung in Verbindung mit einem ständigen deutschtschechoslowakischen Regierungsausschuß zur Regelung der sich ergebenden Volkstumsfragen durchzuführen" 1 2 3 . Dagegen wurde der Plan des Auswärtigen Amtes, der den Abschluß eines zweiseitigen Vertrages mit der Prager Regierung vorsah, vor allem von den Vertretern der „Volksdeutschen Mittelstelle" (SSOberführer Behrends), des RIM (Ministerialdirektor Vollert) und des O K W mit folgender Begründung abgelehnt: „1. Wir wollen der tschechischen Volksgruppe keinesfalls die Stellung einräumen, die wir für unsere Volksgruppe in der Tschechoslowakei erwarten. . . 2. Wir selbst können noch nicht übersehen, was wir endgültig fordern werden . . . die Entwicklung der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen in den nächsten Monaten wird mitbestimmend sein." 124 Von diesem Geist war dann auch die deutsch-tschechoslowakische Erklärung über den Schutz der beiderseitigen Minderheiten geprägt, die am 20. November 1938 in Berlin unterzeichnet wurde. 125 Sie brachte die Anerkennung der deutschen Minderheit als sogenannte Volksgruppe. Das bedeutete praktisch, daß die Deutschen in der Tschechoslowakei „Reichsbürger" wurden. Was darunter zu verstehen war, brachte der „Führer" der deutschen Minderheit, K u n d t , im Prager Parlament am 14. Dezember 1938 zum Ausdruck, indem er erklärte, die 122

In einem Memorandum, das der ehemalige SdP-Abgeordnete Ernst Kundt im Oktober 1938 an das Auswärtige Amt in Berlin überreichte, wird die Zahl der Deutschen, die nach München in Böhmen und Mähren verblieben, auf rund 240000 und in der Slowakei und Karpatenukraine auf rund 180 000 geschätzt. Diese Zahlen enthielten auch die bei den letzten Volkszählungen sich zum Deutschtum bekennenden jüdischen Bürger. (Vgl. D D T S , Dokumentensammlung, zusammengestellt, mit Vorwort und Anmerkungen versehen von Vaclav Kral, Fraha 1964, Dok. Nr. 261, S. 359.) A D AP, Bd. IV, Nr. 125, S. 126. 12/ * Ebenda. 125 Ebenda, Anm. 2.; siehe hierzu Bodensieck, H., Volksgruppenrecht und nationalsozialistische Außenpolitik, in: ZfO, 1958, S. 502ff.

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Deutschen in der Tschechoslowakei seien Mitglieder der großen deutschen nationalsozialistischen Volksgemeinschaft unter Führung Adolf Hitlers. 126 Als solche besaßen sie eine Beihe von Ausnahmerechten. Sie hatten eine eigene Universität und Technische Hochschule, die als Instrumente der Germanisierungspolitik mißbraucht wurden. Die deutschen Jugendorganisationen wurden Bestandteil der Hitlerjugend, die „Ordnergruppen" — Freiwilliger Selbstschutz— unterstanden unmittelbar der SS, die SdP wurde in die NSDAP eingegliedert und konnte mit Zustimmung der Prager Begierung ihre staatsfeindliche Tätigkeit legal ausüben. Aber mit all diesen Zugeständnissen gab sich das faschistische Deutschland nicht zufrieden, da es ihm nicht um den Schutz der Bechte der deutschen Bevölkerung ging, sondern um die Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates. Deshalb wurde K u n d t als Führer der „Volksgruppe" von Berlin veranlaßt, deren Forderungen so zu steigern, daß sie unerfüllbar wurden. 127 Gleichzeitig wurde der deutsehen Minderheit die Aufgabe zuteil, Zwischenfälle zu provozieren, um der Hitlerregierung einen Vorwand für die bewaffnete Intervention gegen die Tschechoslowakei zu geben. Obwohl die Politik der Provokationen mit allen Mitteln betrieben wurde, gelang es den deutschen Faschisten nicht, größere Zwischenfälle zu organisieren. Diese Tatsache mußte selbst der deutsche Geschäftsträger in Prag, Hencke, in einem Telegramm am 13. März 1939 an das Auswärtige Amt mit folgenden Worten zugeben: „Sehr große Schwierigkeiten, Tschechen in Stimmung zu bringen. Am ehesten wohl noch in Brünn und Olmütz möglich. Trotzdem größere Gewaltaktionen erforderlich, um ernstere Zwischenfälle herbeizuführen." 1 2 8 J e weniger es gelang, ernste Zwischenfälle herbeizuführen, desto lauter tobte die Goebbelspresse gegen die Tschechen und die angebliche Unfähigkeit der Prager Begierung, die Sicherheit der Deutschen in der Tschechoslowakei zu garantieren. Die größte Hilfe bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei leisteten der Hitlerregierung die slowakischen Faschisten. Als Interessenvertreter des slowakischen Industrie- und Bankkapitals waren sie mit der bisher erreichten Autonomie unzufrieden, weil sie der slowakischen Bourgeoisie noch nicht die erhoffte Übernahme der wirtschaftlichen und politischen Positionen der tschechischen Bourgeoisie in dem gewünschten Umfang ermöglicht hatte. Dieses Ziel war nur durch die Eroberung der gesamten Staatsmacht in der Slowakei zu verwirklichen. Das erklärt auch, warum seit dem Abkommen von 2ilina am 6. Oktober 1938 die separatistischen Tendenzen )26 Vgl. auch Kundts Neujahrstelegramm v. 1. 1. 1940 an Hitler (Schultheß' 1940, S. 274). 127 Typisch für diese Politik sind die von E. Kundt als undatiertes Memorandum an die tschechoslowakische Regierung verfaßten „Grundzüge eines Statuts über die Rechtsstellung der deutschen Volksgruppen im Rahmen des tschechoslowakischen Staates" (vgl. D D T S , Dok. Nr. 272, S. 371 ff.). In ihnen werden für die in der Tschechoslowakei verbliebene deutsche Minderheit die Vorzugsrechte einer Herrenkaste beansprucht. 128 A D A P , Bd. IV, Nr. 197, S. 209.

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in der H S L ' S immer stärker die Oberhand gewannen, die vornehmlich und in entschiedener Weise von der Gruppe um Vojtéch Tuka vertreten wurden. 129 Zu dieser offen separatistischen Gruppe zählten damals neben Prof. Tuka hauptsächlich Minister fhircansky, der stellvertretende Kommandant der HlinkaGarde, Murgas, und Propaganda-Chef Mach. Diese Gruppe stand in ständiger Verbindung mit dem Führer der nazistischen Deutschen Partei in der Slowakei, Franz Karmasin, und den als Journalisten getarnten Hitleragenten Goldbach und Carbus, die dafür sorgten, daß die Politik der H S L ' S immer mehr auf separatistische Bahnen gelenkt wurde. Bereits am 6. Dezember 1938 sprach sich Tuka auf einer Kundgebung in Bratislava offen für einen selbständigen slowakischen Staat aus. 130 Drei Tage später sagte er : „Der große Kampf wird nur dann zu Ende sein, wenn das slowakische Volk in einem eigenen slowakischen Staat leben wird." 131 Desgleichen setzten sich auch Durcansky und Mach auf einer Kundgebung in Bardejov am 12. Dezember 1938 offen für einen slowakischen Staat ein, indem sie erklärten: „Vor zehn Jahren genügte die Autonomie, heute ist das slowakische Volk reif und braucht seinen eigenen Staat. . ," 132 Am 18. Dezember 1938, dem Tag der faschistischen Wahlen zum Slowakischen Landtag, erschien im Zentralorgan der H S L ' S ein Leitartikel von Mach mit der Überschrift „Der slowakische Staat". Darin hieß es : „Der Slowakische Landtag ist der erste Schritt zu einem slowakischen S t a a t . . . die Autonomie genügt nicht m e h r . . . Tiso, Tuka, Sidor, Durcansky oder wer auch immer sind für einen selbständigen Slowakischen Staat." 1 3 3 Am 5. Februar 1939 verlangte Mach auf einer großen Kundgebung unzweideutig die Abtrennung der Slowakei von den tschechischen Ländern. 134 Die Regierung Beran beobachtete die ansteigende separatistische Welle in der Slowakei mit großer Sorge. Mitte Februar fand eine inoffizielle und geheime Konferenz der tschechischen Minister in Prag statt, die sich mit der Entwicklung in der Slowakei befaßte. I m Verlaufe dieser Konferenz schlug Minister Havelka vor, gegen die slowakischen Separatisten militärisch vorzugehen. Sein Vorschlag scheiterte jedoch am Widerstand des Außenministers Chvalkovsky und anderer Regierungsmitglieder. 135 Ende Februar nahm die Situation in der Slowakei bedrohliche Formen an. Die separatistischen Tendenzen setzten sich immer deutlicher durch. I n seiner Regierungserklärung anläßlich der zweiten Tagung des Slowakischen Landtages vom 21. bis 23. Februar 1939 fand Ministerpräsident Tiso kein Wort mehr für den „gemeinsamen Staat" der Tschechen und Slowaken. Dagegen erhob er betont die Forderung nach einem weiteren Ausbau der slowakischen „Souveräns Vgl. Hoensch, J. K„ a. a. O., S. 129ff. wo Vgl. Slovdk v o m 11. 12. 1938. 131

Mutnansky, L., Slovenskä revolücia na vlnäch etera, Bratislava 1942, S. 77. «a Zit. bei Stanek, / . , Zrada a päd, Praha 1958, S. 137. 133 Slovdk vom 18. 12. 1938. 134 Vgl. Slovdk vom 6. 12. 1939. '35 Vgl. Feierabend, L. K., Ve vlädach Druhé republiky, New York 1961, S. 141 f.

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nität". 1 3 6 Kurz danach reisten die Minister der Slowakischen Landesregierung, I)urcansky und Pruzinsky, nach Berlin und wurden am 28. Februar 1939 von Göring empfangen. Ihre Reise verfolgte den Zweck, die Slowakei aus der finanziellen Abhängigkeit vom tschechischen Kapital durch Inanspruchnahme deutscher Finanzhilfe zu lösen, da ein eventueller slowakischer Staat ohne fremde Hilfe kaum existenzfähig war. Göring sagte deutsche Hilfe zu, machte sie aber von der augenblicklichen Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates abhängig. 137 Auch Ribbentrop empfing die slowakischen Minister und versicherte ihnen verbindlich, daß die Hitlerregierung die slowakischen Grenzen nach Ausrufung der Selbständigkeit der Slowakei zu garantieren bereit sei, wenn dieser Schritt zu einem dem faschistischen deutschen Imperialismus genehmen Zeitpunkt durchgeführt werde. 138 Die Regierung Beran wollte den separatistischen Umtrieben in der Slowakei nicht länger untätig zusehen und brachte das tschechisch-slowakische Verhältnis auf der Sitzung der Zentralregierung am 1. März 1939 zur Sprache, an der auch die Vertreter der Slowakischen Landesregierung, die Minister Sidor und Teplansky, teilnahmen. Ministerpräsident Beran verurteilte die Regierungserklärung Tisos vom 21. Februar 1939, während Sidor der Zentralregierung vorwarf, sie erfülle nicht die Verpflichtungen, die sich aus der gesetzlichen Verankerung der slowakischen Autonomie ergäben. Es kam zu keiner Annäherung der gegenseitigen Standpunkte, und die Sitzung mußte ergebnislos abgebrochen werden. 139 Obwohl die faschistische Slowakische Volkspartei gegenüber der Prager Zentralregierung geschlossen auftrat, gab es auch in ihren Reihen einige Gruppen, die Zweifel hatten, ob der beschrittene Weg zur staatlichen Selbständigkeit der Slowakei im gegenwärtigen Augenblick am besten den nationalistischen und Klassenzielen der slowakischen Bourgeoisie entspreche. 140 Die Hitlerregierung befürchtete, daß wegen dieser Zweifel ihre Pläne gestört werden könnten, die den inneren Zerfall des tschechoslowakischen Staates durch den Abfall der Slo130 Vgl. das offizielle stenographische Protokoll (Snem Slov. Kraj. 1939 I. vol. obd. I. zased. Tesnopiseckä spräva o 2. schödzke Sn. Sl. Kr. v Bratislave v dnoch 21., 22. a 23. febr. 1939), S. 6 ff. 137

138

139 140

Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 111, S. 184; Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Dokumenten, Freiburg im Br. 1953, S. 434; Stanek, I., a. a. O., S. 138. Vgl. DZA Potsdam, Fall X I , Nr. 1182, N G - 3 9 5 6 , Bl. 312. Danach wurde Durcansky am 1. 3. 1939 von Ribbentrop empfangen. Vgl. Hoensch, J. K., a. a. O., S. 240ff. Zu diesen Gruppen zählte die polnisch orientierte Gruppe um Sidor, die mit Ungarn kokettierende Gruppe um Polyak und die „gemäßigten" Volksparteiler, wie z. B. Sokol, Buday, Siväk und Stano, die bereit waren, sich unter bestimmten günstigen Bedingungen für ein Zusammenleben mit den Tschechen im Rahmen der CSR auszusprechen. (Vgl. Pred südom naroda, II, Bratislava 1947, Zeugenaussage von Dr. Martin Sokol, S. 201 f.; Stanek, / . , a. a. O., S. 214ff.)

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wakei von Prag vorsahen. Dies war die unerläßliche Voraussetzung für die Liquidierung der Tschechoslowakei ohne militärischen Konflikt. Deshalb entschloß sie sich zur direkten Einflußnahme auf die maßgeblichen Führer der H S L ' S . Am 7. März 1939 kamen Seyß-Inquart und sein persönlicher Referent Hammerschmidt nach Bratislava und verhandelten in Sidors Privatwohnung mit Tiso und Sidor über die Loslösung der Slowakei von Prag und über die Ausrufung eines selbständigen slowakischen Staates. 141 Dieses Gespräch hatte deshalb Bedeutung, weil ein führender Vertreter des faschistischen Deutschlands selbst den Standpunkt der führenden Funktionäre der H S L ' S zur augenblicklichen Zerschlagung der Tschechoslowakei zu erkunden versuchte. Diese h a t t e n sich am 6. März 1939 auf einer gemeinsamen Sitzung des Slowakischen Landtags- und des Parteipräsidiums sowie der Landesregierung entgegen den Vorschlägen Tukas und Machs für den „evolutionären" Weg zur staatlichen Selbständigkeit entschieden. Danach sollte die Proklamation der Selbständigkeit der Slowakei erst erfolgen, wenn sich Armee, Polizei und die wichtigsten Positionen im Staatsapparat fest in den Händen der slowakischen Separatisten befänden. 142 Ferner wollten Sidor und seine Anhänger die Zerschlagung der Tschechoslowakei nicht mit deutscher Hilfe, sondern mit Hilfe Polens durchführen. Diese Konzeption stimmte nicht mit den Plänen des faschistischen Deutschlands überein. Um sich aber mit den deutschen Absichten näher vertraut zu machen, reiste Tiso am 8. März 1939 nicht nach Prag zur Sitzung der Zentralregierung, sondern zu einem weiteren Treffen mit Seyß-Inquart nach Bruck an der Leitha. Dort erfuhr Tiso von der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Prag und Berlin. Außerdem teilte ihm Seyß-Inquart mit, daß das Schicksal der Slowakei davon abhängen werde, ob sie sich im Falle eines Konflikts auf die Seite Prags stellen werde oder nicht. 143 Zur gleichen Zeit wurden illegal Waffen aus Österreich in die Slowakei eingeschleust, um damit die faschistischen Stoßtrupps der deutschen Minderheit in der Slowakei auszurüsten. 1 4 4 Am 9. März 1939 tagte die Zentralregierung in Prag. Ministerpräsident Beran, der inzwischen über Seyß-Inquarts Besuch in Bratislava Informationen erhalten hatte, warf Sidor den Bruch seines Abgeordneten- und Ministereides vor, weil er ihm darüber keine Mitteilung gemacht habe. Er kritisierte scharf die Tatsache, daß die Minister Durcansky und Pruzinsky nicht zur Regierungssitzung erschienen waren, um über ihre Verhandlungen mit Göring Bericht zu erstatten. Sidor versuchte den Besuch Seyß-Inquarts abzustreiten, aber sein Ministerkollege Teplansky gab den Besuch Seyß-Inquarts zu und verriet auch den Inhalt der Verhandlungen Öurcanskys und Pruzinskys mit Göring. 145 Außenminister Chvalkovsky verließ daraufhin sofort die Sitzung und erbat telefonisch 141

Vgl. i « Vgl. 143 Vgl. 144 Vgl. 145 Vgl.

Pred südotn ndroda, II, S. 138. Hoensch, J. K., a. a. O., S. 245 f. Pred südom ndroda, II, S. 138. Das Abkommen von München 1938, a. a. O., Dok. Nr. 311, S. 352f. Jelinek, J., P Ü - Politicke üstredi domäciho odboje, Praha 1947, S. 31 f.

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den Besuch des deutschen Geschäftsträgers Hencke im Ministerpräsidium, um zu erfahren, „ob Reichsregierung den Wunsch habe, die Slowakei von Prag loszutrennen" 1 4 0 . Hencke t a t so, als ob er „nichts von irgendwelchen politischen Plänen der Reichsregierung bezüglich der Slowakei wisse", meldete aber den Inhalt des Gesprächs nach Berlin mit der Bitte um „Sprachregelung". Auf mündliche Weisung Ribbentrops wurde jedoch keine Antwort erteilt und das Brieftelegramm Henckes vom 9. März 1939 zu den Akten gelegt. 147 Durch Verweigerung einer Antwort wollten die deutschen Faschisten die Regierung Beran bewußt über ihre nächsten Maßnahmen gegen die Tschechoslowakei im unklaren lassen, um sie in eine ausweglose Situation hineinzumanövrieren, was schließlich auch gelang. Die Uneinheitlichkeit der slowakischen Separatisten und der nach dem Bericht Chvalkovskys über seine Aussprache mit Hencke entstandene Eindruck, daß diese keine Unterstützung von Berlin zu erwarten hätten, nährte bei der Regierung Beran die Hoffnung, sie könne durch ein militärisches Vorgehen gegen die separatistischen Umtriebe in der Slowakei doch noch die Integrität des tschechoslowakischen Staates retten. Sie entschloß sich daher als politische Vertreterin des tschechischen Finanzkapitals, das keinen anderen Ausweg zur Rettung seiner Positionen in der Slowakei sah, zu einem letzten verzweifelten Schritt. I n der Nacht vom 9. zum 10. März 1939 wurden vom Präsidenden der Republik, Hächa, alle Mitglieder der Slowakischen Landesregierung außer Teplansky abgesetzt, und die Armee übernahm die Macht in der Slowakei. Tuka, Mach, Cernak und andere führende Separatisten wurden verhaftet, während es ß u r c a n s k y gelang, nach Österreich zu fliehen. Hacha ernannte eine neue Slowakische Landesregierung, die nur aus zwei Mitgliedern — Sivak und Teplansky — bestand und überhaupt nicht arbeitsfähig war, da der zum neuen slowakischen Ministerpräsidenten ernannte Sivak zu dieser Zeit an den päpstlichen Krönungsfeierlichkeiten in Rom teilnahm. 148 Am 10. März 1939 verhandelten Sidor und der Präsident des Slowakischen Landtages, Sokol, in Prag mit Hacha über die Aufhebung des Ausnahmezustandes in der Slowakei und über die Ernennung einer neuen Slowakischen Landesregierung. 149 Nach ihrer Rückkehr fand eine gemeinsame Sitzung des engeren Präsidiums der H S L ' S und des Slowakischen Landtagspräsidiums statt, auf der eine Kandidatenliste für die neu zu ernennende Slowakische Landesregierung ausgearbeitet wurde. Als Ministerpräsident »4« A D AP, Bd. IV, Nr. 184, S. 200. 147 Vgl. ebenda, S. 201, Anm. 1. Aus diesem Vorgang leitet der westdeutsche Historiker J. K. Hoensch unverständlicherweise den Schluß ab, „daß am 9. März außer Hitler und seinem engsten Mitarbeiterstab noch niemand über die genaue Planung gegen die CSR wußte". Eine solche These läuft objektiv auf die „Alleinschuld" Hitlers hinaus und entlastet die an der Vorbereitung der Aggression gegen die CSR beteiligten ehemaligen Nazidiplomaten, die heute ungestört in der Bundesrepublik leben, wie z. B. Woermann, Altenburg, Kordt u. a. i « Vgl. Hoensch, J. K., a. a. O., S. 257. *« Vgl. A D A P , Bd. IV, Nr. 186, S. 203.

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wurde Tiso vorgeschlagen. Für den Fall jedoch, daß Hacha Tisos Kandidatur ablehnte, wurde beschlossen, Sidor als Ministerpräsidenten vorzuschlagen. Weil sich jedoch am 11. März 1939 die antitschechischen Provokationen und Demonstrationen der deutschen und slowakischen Faschisten verstärkten und Sidor alle Überredungsversuche nazistischer Emissäre aus Wien ablehnte, sofort vom Balkon des Regierungsgebäudes vor den versammelten Faschisten die Selbständigkeit der Slowakei auszurufen, ernannte Hächa noch am Abend des 11. März 1939 Sidor zum neuen slowakischen Ministerpräsidenten.150 Die Nachricht von der Ernennung Sidors, der es ablehnte, sofort einen selbständigen slowakischen Staat auszurufen, wurde noch am Abend des 11. März 1939 bekannt. Das rief in Berlin Nervosität hervor. Nachdem es Seyß-Inquart wider Erwarten nicht gelungen war, Tiso am 7./8. März 1939 zur Ausrufung der slowakischen Selbständigkeit zu provozieren, veranlaßte Hitler die Entsendung seines schon bei der Vorbereitung des österreichischen „Anschlusses" bewährten Agenten, des Staatssekretärs z. b. V. Wilhelm Keppler, nach Bratislava. Inzwischen hatte ßurcansky, der nach seiner Flucht im Wiener Rundfunk eine Propagandakampagne für die Lostrennung der Slowakei von den tschechischen Ländern entfesselte, nach Beratung mit Seyß-Inquart und Bürckel, die vor Keppler für den termingerechten Ablauf der Aktion in der Slowakei verantwortlich waren, eigenmächtig ein Telegramm an Hitler gesandt. Darin teilte er die Bildung eines selbständigen slowakischen Staates mit und bat um Schutz und Hilfe für die Regierung der selbständigen Slowakei, an deren Spitze Tiso als Ministerpräsident stehen sollte.151 Durch eine Indiskretion wurde der Inhalt des Telegramms noch vor der Selbständigkeitserklärung der Slowakei im Ausland bekannt. Das wiederum beeinflußte die Atmosphäre der Gespräche zwischen Sidor und Keppler ungünstig, die in Bratislava in der Nacht vom 11. zum 12. März 1939 ohne Erfolg geführt wurden. Nach seiner Rückkehr von Sidor berichtete Keppler telefonisch von Wien nach Berlin: „Die Situation sei seiner Ansicht nach ziemlich ,verkorkst'. Nach seinem Eindruck wären die beiden ,hohen Herren' (gemeint sind offenbar SeyßInquart und Bürckel) den Leuten drüben aufgesessen. Sidor sei anscheinend von den Tschechen bestochen, mit ihm sei nichts zu machen. In Preßburg herrsche zur Zeit Ruhe. Es würde ziemlich schwierig sein, neue Ansatzpunkte zu gewinnen. Er, Keppler, bliebe auf Weisung des Herrn Reichsaußenministers vorläufig in Wien." 152 Für das faschistische Deutschland, das durch den Mißerfolg der Keppler-Mission bei Sidor in eine unerwartete Terminnot geriet, wurde es also jetzt zu einer entscheidenden Frage, „neue Ansatzpunkte" in der Slowakei zu finden. Die Suche danach begann noch am 12. März 1939. Am selben Tag verlas auch der Führer der faschistischen Deutschen Partei in der Slowakei, Karmasin, vor den Vertretern der Auslandspresse in Bratislava 150 VgJ. Sidor, K., Moje poznämky k historickym dnom, S. 45. 151 V g l . Pred 152

südom

näroda,

V , S . 9.

A D AP, B d . IV, Nr. 193, S. 207.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

eine Erklärung, in der er betonte, die hiesigen Nazis würden den „Führer" um Hilfe ersuchen, falls es sich erweisen sollte, daß ihre Stellung bedroht sei. 153 Gleichzeitig ließ Karmasin seine mit deutschen Waffen ausgerüsteten Anhänger in Bratislava, die mit SD-Spezialisten zusammenwirkten, „Tag und Nacht in angestrengtestem Dienst" für Unruhen sorgen, um den deutschen Imperialisten und Militaristen die gewünschte Rechtfertigung zum Eingreifen in der Slowakei zu schaffen. I n den Abendstunden des 13. März 1939 kam es zu mehreren vom SD organisierten Sprengstoffanschlägen in Bratislava, darunter auch auf das Fabrikgebäude der deutschen Erdal-Werke. 154 Aber alle Versuche, die Bevölkerung in der Slowakei zu putschistischen Aktionen zu bewegen, schlugen fehl. Dennoch rühmte sich Karmasin am 16. März 1939 dieser umstürzlerischen Tätigkeit seiner Gruppe in einem Brief an Henlein mit den Worten: „Ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich behaupte, daß wir wenigstens ein kleines Rädchen in dem großen Getriebe waren . . .", das zu den „großen Ereignissen in der Tschechei . . . ein bißchen . . . beigetragen hat." 1 5 5 Geeigneter f ü r die Verwirklichung der faschistischen Pläne zur völligen Zerschlagung der Tschechoslowakei erwies sich jedoch Tiso. Er war nach der Absage Sidors die einzige Persönlichkeit in der Slowakei, die genügend Rückhalt und Prestige besaß, u m die nazistische Forderung in die Wege zu leiten, einen „selbständigen" slowakischen Staat durch „legale Maßnahmen" zu proklamieren. Deshalb wurde ihm mit Zustimmung Hitlers von deutschen Agenten in seiner Pfarrei Bänovce ein Brief Öurcanskys mit der Einladung nach Wien überbracht, die er unter Zusage einer Audienz bei Hitler annahm. 1 5 6 Tiso war von der slowakischen Bourgeoisie in Reserve gehalten worden, falls das faschistische Deutschland auf der unverzüglichen Proklamation der „Selbständigkeit" der Slowakei bestehen würde. Damit h a t t e es die slowakische Bourgeoisie verstanden, sich nicht nur mit Sidor als dem Vertreter des evolutionären Weges zur „Selbständigkeit" gegenüber Prag, sondern auch mit dem in den Augen der deutschen Faschisten wegen seiner Absetzung am 9. März 1939 nicht kompromittierten Tiso gegenüber Berlin abzusichern, um ihre Machtpositionen zu erhalten. Am Morgen des 13. März 1939 reiste Tiso aus Bänovce ab. E r unterrichtete die slowakische Regierung sowie das Präsidium des Landtags und der H S L ' S von seiner offiziellen Einladung zu Verhandlungen mit Hitler, die mit Mehrheit Tisos F a h r t nach Berlin billigten. Am selben Tag um 13 Uhr flog er schon mit Keppler und Öurcansky von Wien nach Berlin. Keppler hatte seinen Auftrag erfüllt. Er hatte den Mann gefunden, der im Gegensatz zu Sidor bereit war, den tschechoslowakischen Staat zu einem Zeitpunkt zu zerschlagen, der den Plänen des faschistischen deutschen Imperialismus entsprach. Am 13. März 1939 um 1840 Uhr wurden Tiso und f)urcansky im Beisein von Ribbentrop, Staatsminister Meißner, der Generale Keitel und Brauchitsch sowie 153

Vgl. Grenzbote vom 13. 3. 1939, Nr. 71. Vgl. DZA Potsdam, AA, Pol. Abt., 61154, Bl. 6 1 - 6 7 , und 61155, Bl. 2 7 - 2 8 . 155 D D T S , Dok. Nr. 282, S. 384. 156 Vgl. Hoensch, J. K., a. a. O., S. 287f.; DZA Potsdam, Fall X I , Nr. 121, Bl. 84f.

4, Ausrufung des Slowakischen Staates

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der Staatssekretäre Dietrich u n d Keppler von Hitler zu einer U n t e r r e d u n g in der neuen Reichskanzlei empfangen, die nur 35 Minuten dauerte. Alle Gesprächsteilnehmer h a t t e n es eilig: Hitler deshalb, weil er bis zum 16. März 1939, dem f ü r die Okkupation festgelegten äußersten Termin 1 5 7 , im Falle eines ungünstigen Gesprächsverlaufs einen neuen Grund und eine andere F o r m f ü r die Liquidierung der Tschechoslowakei finden m u ß t e ; Tiso wiederum deshalb, u m Hitlers Forderung nach Erklärung der Selbständigkeit der Slowakei bis zum 14. März 12 U h r entsprechen zu können. Aus der Aufzeichnung der Unterredung durch Legationsrat Hewel geht hervor, mit welchen Lügen u n d Drohungen Hitler seine slowakischen Gesprächspartner einerseits täuschte u n d andererseits erpreßte. 1 5 8 E r bezeichnete die Tschechoslowakei als Unruheherd, in dem „der alte Geist Beneschs wieder lebendig geworden sei" 159 . Mit größter Zurückhaltung h a b e Deutschland in München Verzicht geleistet, n u r u m der Tschechoslowakei einen normalen Lebensraum zu sichern. Der D a n k d a f ü r sei ausgeblieben. Deutschland könne aber in seinem eigenen K a u m niemals einen Unruheherd dulden u n d sei deshalb entschlossen, die tschechische Frage restlos zu lösen. Auch die H a l t u n g der Slowakei habe ihn enttäuscht, f ü r deren Eigenleben er in München eingetreten wäre, „was ihn seinem F r e u n d e Ungarn e n t f r e m d e t habe", denn Sidor habe seinem Abgesandten Keppler erklärt, er sei „ein Soldat Prags u n d würde sich einer Lösung der Slowakei aus dem tschechoslowakischen Verbände widersetzen" 1 6 0 . „Er habe n u n Minister Tiso herkommen lassen, u m in ganz kurzer Zeit über diese Frage Klarheit zu haben . . . Die Frage sei die, wolle die Slowakei ihr Eigenleben leben oder nicht . . . E s handele sich nicht u m Tage, sondern u m Stunden. E r habe damals gesagt, daß, wenn die Slowakei sich selbständig machen wolle, er dieses Bestreben unterstützen, sogar garantieren würde. E r stünde zu seinem Wort, solange die Slowakei den Willen zur Selbständigkeit klar ausspräche. W ü r d e sie zögern oder sich nicht von P r a g lösen wollen, so überlasse er das Schicksal der Slowakei den Ereignissen, f ü r die er nicht mehr v e r a n t wortlich sei." 161 Dieses „Schicksal" h a t t e mehrere Varianten. Am meisten fürchteten die slowakischen Klerikalfaschisten die Variante der ungarischen Okkupation, mit der Hitler Tiso noch während der Unterredung durch ein mit R i b b e n t r o p abgekartetes Spiel erpreßte. E r ließ sich von R i b b e n t r o p „eine gerade hereingekommene Meldung" vorlegen, die „von ungarischen Truppenbewegungen a n der slowakischen Grenze" berichtete. E r erwähnte sie Tiso gegenüber u n d drückte in diesem Zusammenhang vielsagend die Hoffnung aus, „daß sich die Slowakei 157

»58 159 «6» »61

Vgl. Hitlers Brief an Göring v o m 13. 3. 1939. Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 202, S. 212ff. Ebenda, S. 213. Ebenda. Ebenda.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

bald klar entscheide". Diese erpresserische Taktik verfehlte ihre Wirkung nicht. Der erschreckte Tiso versicherte eilfertig, „daß der Führer sich auf die Slowakei verlassen könne", seine Freunde und er würden zeigen, „daß sie der Fürsorge und des Interesses des Führers für ihr Land würdig seien" 102 . Noch in der Nacht vom 13. zum 14. März 1939 setzte Keppler zusammen mit Tiso ein Telegramm auf, das Tiso gleich nach seiner Rückkehr nach Bratislava an Hitler abschicken sollte. Es proklamierte die Unabhängigkeit der Slowakei und bat um den Schutz des neuen Staatswesens durch das faschistische Deutschland. 163 Außerdem gab Tiso vor seiner Abreise aus Berlin dem slowakischen Ministerpräsidenten Sidor telefonisch die Anweisung, den Slowakischen Landtag für den 14. März 1939 zu einer Sitzung einzuberufen, auf der Tiso Bericht über die Ergebnisse seiner Reise nach Berlin erstatten wollte. Nach der Eröffnung der Landtagssitzung ergriff Sidor als erster Redner das Wort. I n seiner Ansprache versuchte er sich von dem Verdacht zu reinigen, „ein Soldat Prags zu sein", und gab den Rücktritt seiner Regierung bekannt. 1 6 4 Dann erstattete Tiso Bericht über die Ergebnisse seiner Reise nach Berlin. Abschließend forderte er die überwiegend profaschistisch eingestellten Landtagsabgeordneten dazu auf, der Proklamation über die „Unabhängigkeit" der Slowakei 165 zuzustimmen, was auch geschah. Als einige Abgeordnete den Versuch unternahmen, über die Proklamation zu diskutieren, brachte sie der Führer der faschistischen Deutschen Partei in der Slowakei, Franz Karmasin, mit der Drohung zum Schweigen, daß jede Verzögerung der „Unabhängigkeiterklärung" den Einmarsch deutscher Truppen zur Folge haben werde. 166 Der Verlauf der Unterredung zwischen Hitler und Tiso sowie der Verlauf der Sitzung des Slowakischen Landtages unterstreichen — trotz aller späteren nationalistischen und chauvinistischen Legendenbildung —, daß es sich bei dem eben aus der Taufe gehobenen „Slowakischen Staat" in erster Linie um ein Produkt des faschistischen deutschen Imperialismus handelte. Seine Entstehung war die Voraussetzung für den nun beginnenden dramatischen Schlußakt, der die Liquidierung der Tschechoslowakei durch die Errichtung des „Protektorates Böhmen und Mähren" vollendete. Nachdem Hitler mit Sicherheit wußte, daß der Slowakische Landtag das Gesetz über die Proklamation der „Unabhängigkeit" der Slowakei ohne Protest angenommen hatte, bekam Hächa die Erlaubnis zu einem Empfang in Berlin, u m die Chvalkovsky bereits am 14. März 1939 gegen Mittag nachgesucht hatte. 1 6 7 »62 Ebenda, S. 214. Vgl. ebenda, Nr. 209, S. 218. «4 Vgl. Hoensch, J. K., a. a. O., S. 298f. 165 Das Gesetz „über den selbständigen slowakischen Staat" wurde veröffentlicht in: Slovensky zäkonnik, 1. Stück, ausg. am 14. März 1939. Der deutsche Wortlaut dieses Gesetzes ist abgedruckt bei Rabl, K. O., a. a. O., S. 319. 166 V g l . Shirer,

W. L., a. a. O., S. 4 1 2 .

16? Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 216, S. 2221.

5. Das Verhalten zu den Märzereignissen

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So konnte sich nun in der Nacht vom 14. zum 15. März 1939 das letzte Kapitel der Münchener Kapitulation abspielen. I n der nächtlichen Besprechung in der Reichskanzlei teilte Hitler dem tschechoslowakischen Staatspräsidenten mit, „die Würfel seien gefallen" und „er habe den Befehl gegeben zum Einmarsch der deutschen Truppen und der Eingliederung der Tschechoslowakei ins Deutsche Reich"168. Unter dramatischen Umständen wurden Hächa und Chvalkovsky schließlich gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der es hieß: „Der tschechoslowakische Staatspräsident hat erklärt, daß er, . . . um eine endgültige Befriedung zu erreichen, das Schicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches legt." 169 Der anfängliche Widerstand Hächas und Chvalkovskys gegen die Unterzeichnung dieser Erklärung wurde durch die Drohung Görings gebrochen, daß, „wenn sie bei ihrer Weigerung blieben, halb Prag innerhalb von zwei Stunden in Schutt und Asche liegen würde. Und das wäre nur der Anfang. Hunderte von Bombern warteten auf den Startbefehl, der um 6 Uhr früh herausgehe, wenn die Unterschriften nicht geleistet würden." 170 Nach der gesetz- und verfassungswidrigen Unterzeichnung dieses schändlichen Dokuments, das die brutale Aggression gegen die Tschechoslowakei zur Täuschung der Weltöffentlichkeit wenigstens formal verhüllen sollte, gaben Hacha und Chvalkovsky an Prag den telefonischen Befehl, der deutschen Besatzungsarmee keinen Widerstand zu leisten. 171 Am 15. März 1939 wurden Böhmen und Mähren besetzt. Am folgenden Tag traf Hitler in Prag ein und proklamierte das besetzte Gebiet in einem Erlaß zum „Protektorat Böhmen und Mähren" 172 . Damit hatte die Tschechoslowakei aufgehört zu bestehen. 5. Das Verhalten der fortschrittlichen sowie der reaktionären Kräfte des In- und Auslandes zu den Märzereignissen Die Annexion der Tschechoslowakei durch den deutschen Faschismus veränderte das Kräfteverhältnis zwischen den imperialistischen Mächten in Europa erheblich zugunsten Hitlerdeutschlands und zum Nachteil Englands und Frankreichs. Sie hatte gleichzeitig eine Vertiefung der Widersprüche innerhalb des imperialistischen Lagers zur Folge. Trotzdem unternahmen die Westmächte praktisch nichts, um die von ihnen in München feierlich garantierte Unabhängigkeit der Rumpftschechoslowakei zu retten und dem erneuten Vertragsbruch der deutschen Faschisten wirksam zu begegnen. I m Gegenteil, der englische und der französische Botschafter in Berlin „empfahlen" im Geiste der traditionellen Münchener Politik am 13. März 1939 dem tschechoslowakischen Gesandten «8 Ebenda, Nr. 228, S. 232. »69 Ebenda, Nr. 229, S. 235. 17 ° Jodls Tagebuch, N. D. 1780 - P S , zit. bei Shirer, W. L., a. a. O., S. 416. 171 Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 229 (Anlage 2), S. 236. 172 Vgl. ebenda, Nr. 246, S. 246 ff. 4 Dress, Slowakei

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Mastny dringend, seine Regierung solle nicht gegen Hitlerdeutschland auftreten, sondern mit Berlin „engen Kontakt halten und ins Gespräch kommen" 173 . Am 14. März 1939, also am Tage der Proklamierung der slowakischen „Selbständigkeit" und der Vorbereitung von Hachas Canossagang, berichtete der deutsche Botschafter Dirksen aus London in einem Telegramm an das Auswärtige A m t : „Britische Regierung ansieht staatsrechtliche Regelung der Verhältnisse zwischen Slowakei und Tschechei als innere Angelegenheit tschechoslowakischen Staates, an der England nicht beteiligt ist." 174 Am gleichen Tage versicherte der englische Botschafter Henderson dem Staatssekretär von Weizsäcker, seine Regierung werde sich nicht in die tschechoslowakischen Angelegenheiten einmischen und anerkenne „das ganz vorwiegende deutsche Interesse in der Tschechoslowakei" 175 . Diese Haltung wurde auch von Chamberlain im Unterhaus eingenommen, als er auf eine Anfrage Attlees im Zusammenhang mit den slowakischen Ereignissen und deren Auswirkung auf die für die Tschechoslowakei vorgesehene englische Garantie gegen Aggression am gleichen Tag antwortete: „Ich weiß nicht recht, was der Herr Abgeordnete meint, was wir t u n sollen. Ich möchte ihn daran erinnern, daß die erwähnte Garantie sich gegen unprovozierte Angriffe auf die Tschechoslowakei richtet. Ein solcher Angriff hat bisher nicht stattgefunden." 1 7 6 Nachdem jedoch dieser Angriff einen Tag später stattgefunden hatte, verschanzte sich Chamberlain hinter der von Hitler erpreßten slowakischen „Unabhängigkeitserklärung", um sich jeder Verpflichtung und Verantwortung gegenüber der Tschechoslowakei zu entziehen. Er bezeichnete die slowakische Sezession als „den Schlußstrich unter die innere Auflösung des Staates, dessen Grenzen zu garantieren wir uns verpflichtet hatten. Seiner Majestät Regierung kann sich daher nicht mehr an diese Verpflichtung gebunden fühlen" 177 . I n ähnlicher Weise reagierte die französische Regierung, deren Außenminister Bonnet schon vorher gegenüber dem englischen Botschafter in Paris geäußert hatte, diese Ereignisse bewiesen eigentlich die Unfähigkeit des tschechoslowakischen Staates, selbständig zu bestehen. 178 Das war genau die Reaktion, die der deutsche Faschismus bei seinem Vorgehen gegen die nachmünchener Tschechoslowakei erreichen wollte. Die englische und die französische Regierung gingen im Interesse der Fortsetzung der antisowjetischen reaktionären Münchener Politik auf seine Taktik ein und taten so, als ob es sich bei der von der Hitlerregierung erzwungenen Abtrennung der Slowakei und der darauf folgenden deutschen Besetzung von Böhmen und Mähren nicht um einen Aggressionsakt, sondern um den inneren Zerfall der Tschechoslowakei gehandelt habe. Ebenda, Nr. 213, S. 221; D B F P , Bd. 4, Nr. 220, S. 232. A DAP, Bd. IV, Nr. 220, S. 225. Ebenda, Nr. 213, S. 221. 176 Ebenda, Anm. 1. 177 Zit. nach Shirer, W. L., a. a. O., S. 419. 178 Vgl. D B F P , IV, 234.

5. Das Verhalten zu den Märzereignissen

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Die erste konkrete Reaktion der englischen Regierung auf den 15. März 1939 war die Anweisung an die Bank von England, unverzüglich die Auszahlung der nach München gewährten englischen Anleihe in Höhe von zehn Millionen P f u n d Sterling an die Tschechoslowakei einzustellen. 179 Nicht anders verhielten sich die englischen Monopole, deren geschäftsführender Ausschuß damals noch die Chamberlain-Regierung war. Selbst nach Erhalt der Nachricht von der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei setzten die Vertreter der Föderation der britischen Industrie ihre Verhandlungen mit den faschistischen Monopolgewaltigen von der Reichsgruppe Industrie fort und unterzeichneten ein Vorabkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit. 1 8 0 Damit wurde erneut die immer noch bestehende Bereitschaft führender Kreise der englischen Bourgeoisie unterstrichen, mit den deutschen Monopolisten einen Interessenausgleich herbeizuführen und die Münchener Politik fortzusetzen. Die demokratische Weltöffentlichkeit nahm jedoch die jüngste deutsche Aggression nicht ohne Protest hin und reagierte mit großer Empörung. I n der öffentlichen Meinung der westlichen Länder t r a t nach dem 15. März 1939 ein spürbarer Stimmungsumschwung ein. I n großen Teilen der Bevölkerung, die noch Ende September 1938 Chamberlain und Daladier nach ihrer Rückkehr aus München als „Friedensretter" begrüßt und bejubelt hatten, begann sich nach der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei die Erkenntnis durchzusetzen, d a ß ein friedliches Zusammenleben mit dem faschistischen Deutschland unmöglich sei. Angesichts der Erbitterung der Volksmassen und auch gewisser national eingestellter Kreise der Bourgeoisie sahen sich daher die englische und die französische Regierung zu formalen „Protestschritten" in Berlin veranlaßt, die von den deutschen Faschisten verächtlich abgetan wurden. Diese unentschlossene Haltung der englischen Regierung fachte die Empörung in England noch mehr an und rief einen Entrüstungssturm hervor, in den fast die gesamte Presse einstimmte. Sogar viele bisherige Anhänger Chamberlains im Parlament und in seiner eigenen Regierung begannen sich jetzt gegen die unpopulär gewordene Appeasement-Politik aufzulehnen. Chamberlain merkte nun, daß seine Stellung als Premierminister und als Führer der Konservativen Partei gefährdet war, wenn er nicht plötzlich einen scheinbaren Kurswechsel in seiner Politik vornahm. Zudem fühlte er sich von Hitler persönlich hintergangen, da nach Dirksens Worten „machtpolitisch durch die Angliederung Böhmens und Mährens und durch den Schutzstaat Slowakei der Machtzuwachs überschritten wurde, den England bereit war, Deutschland als Folge einseitiger Aktion ohne vorheriges Benehmen mit ihm zuzugestehen" 181 . Diesen scheinbaren Kurswechsel leitete Chamberlain mit seiner Birminghamer Rede vom 17. März 1939 ein, in der er Hitler den Bruch der von ihm gegebenen 179 Vgl. Kral, F., Otäzky hospodärskeho a sociälniho vyvoje v ßeskych zemich 1938-1945, Bd. I, Praha 1957, S. 115. "o Vgl. Uschakow, W. B., a. a. O., S. 309. !81 DMVWK, Bd. 2, Nr. 29, S. 172. 4*

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Versprechen vorwarf und ankündigte, daß England jeder weiteren deutschen Herausforderung „äußersten Widerstand entgegensetzen würde" 182 . Ein sichtbares Anzeichen für die doppelzüngige Politik Englands aber war die Zustimmung, das in der Bank von England deponierte tschechoslowakische Währungsgold an Hitlerdeutschland auszuliefern, und die Bereitschaft der Föderation der britischen Industrie, die in Düsseldorf am 14. und 15. März 1939 geführten Verhandlungen bis zum Abschluß eines umfassenden deutsch-englischen Abkommens fortzusetzen. 183 Außer England und Frankreich legten auch die USA mittels einer speziellen Note „Protest" gegen die Annexion der Tschechoslowakei durch das faschistische Deutschland ein, der in Berlin ebenfalls wirkungslos blieb. Die Vereinigten Staaten lehnten zwar die offizielle Anerkennung des „Protektorats Böhmen und Mähren" ab und verschärften durch die Einführung von Zuschlagzöllen auf die zollpflichtige deutsche Einfuhr den Wirtschaftskampf gegen den deutschen Rivalen, ergriffen jedoch genauso wie England und Frankreich keine wirksamen Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens in Europa und zur Bändigung des faschistischen deutschen Imperialismus. 184 I m Gegensatz dazu unternahm die Sowjetunion, die als einziger Staat entschieden ihre Stimme gegen die Annexion der Tschechoslowakei und deren gewaltsame Eingliederung in den deutschen „Lebensraum" erhoben hatte, neue Schritte, um eine kollektive Abwehrfront zu schaffen. Auf ihr Drängen mußte das deutsche Vorgehen gegen die Tschechoslowakei in die Tagesordnung der nächsten Völkerbundssitzung aufgenommen werden. Die Delegierten Englands und Frankreichs konnten jedoch eine Diskussion über diesen Tagesordnungspunktverhindern. 1 8 5 Bereits am 18.März 1939 hatte die Sowjetregierungin ihrer Note an das faschistische Deutschland die Besetzung der CSR durch die deutschen Truppen und ihre Verwandlung in ein deutsches Protektorat „als willkürlich, gewaltsam und aggressiv" gebrandmarkt und hinzugefügt, das Vorgehen der Hitlerregierung habe „die Elemente des schon früher in Europa entstandenen Alarmzustandes erhöht und dem Sicherheitsgefühl der Völker einen neuen Schlag versetzt" 186 . Dabei ließ es allerdings die Sowjetunion nicht bewenden, sondern schlug den Westmächten die Einberufung einer Beratung von Vertretern der meistinteressierten Länder vor, auf der Maßnahmen zur Verhinderung der faschistischen Kriegspläne beschlossen werden sollten. 187 182 Vgl. Shirer, W. L., a. a. O., S. 422; Schultheß', 1939, S. 325f. Vgl. A D AP, Bd. IV, Nr. 331, Anm. 2, S. 373. 184 Vgl. Hass, G., Von München bis Pearl Harbor, Berlin 1965, S. 124ff. 185 Vgl. Uschakow, W. B., a. a. O., S. 308. 186 Vgl. Die Außenpolitik der UdSSR (russ.), Bd. 4, S. 441. 187 Der westdeutsche Historiker J. K. Hoensch läßt in seinem bereits genannten Buch alle Schritte der Sowjetregierung, die durch die Annexion der Tschechoslowakei ausgelöst wurden, mit Ausnahme der Protestnote v o m 18. 3. 1939 unerwähnt und unterstellt ihr völlig tatsachenwidrig, sie habe „während der Märzkrise 1939 kein gesteigertes Interesse an den Vorgängen in der Ö-SR" gezeigt (a. a. O., S. 324).

5. Das Verhalten zu den Märzereignissen

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Am 21. März 1939 begannen tatsächlich diplomatische Verhandlungen zwischen der Sowjetunion, England und Frankreich, in deren Verlauf sich jedoch herausteilte, daß die Westmächte nicht aufrichtig an gemeinsamen Maßnahmen mit der Sowjetunion zur Erhaltung des Friedens in Europa interessiert waren. Diese Scheinverhandlungen wurden von den Westmächten vor allem dazu benutzt, ihre gleichzeitigen Geheimgespräche mit den deutschen Faschisten zu verschleiern und die Sowjetunion in einen Konflikt mit Hitlerdeutschland zu verwickeln. 188 Ebenso entschieden wie die Sowjetunion verurteilten auch die kommunistischen Parteien die Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakei. I n einem gemeinsamen Aufruf wandten sich die Kommunistischen Parteien Deutschlands, der Tschechoslowakei und Österreichs an die europäische Arbeiterklasse. Sie geißelten die Okkupation der Tschechoslowakei als ein Verbrechen, das die beteiligten Völker in die unmittelbare Gefahr bringe, „bei den nächsten Vorstößen des deutschen Faschismus auf die Schlachtbank des Krieges getrieben zu werden" 1 8 9 . Zugleich prangerten sie Hitlerdeutschland an, daß es mehr als neun Millionen Tschechen und Slowaken die staatliche und nationale Unabhängigkeit geraubt habe und damit vor der ganzen Welt demonstriere, „daß Hitlers Ziel nicht ,die nationale Befreiung der Deutschen' war und ist. sondern daß er auf nackte Raubzüge gegen die anderen Völker und Länder ausgeht" 1 9 °. Die kommunistischen Parteien riefen sodann im Sinne des VII. Kongresses der Kommunistischen Internationale die Arbeiterklasse ihrer Länder auf, sich an die Spitze des nationalen Befreiungskampfes zu stellen und eine Einheitsfront des Volkes gegen den barbarischen Faschismus zu schmieden. Der blitzartige Verlauf der Ereignisse vom 14./15. März 1939 überrumpelte die Völker der Tschechoslowakei, die von ihren westlichen „Verbündeten" im Stich gelassen und von der eigenen Großbourgeoisie systematisch demoralisiert worden waren. Dennoch stießen die deutschen Besatzungstruppen bei ihrem Einmarsch auf allgemeinen passiven Widerstand, der an manchen Stellen, wie z. B. in Mistek, in aktiven Widerstand überging. 191 Dieser elemen188

Vgl. hierzu Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, Bd. I, S. 191 ff.; Ponomarev, B. N./Gromyko, A. A./Chvostov, V. M., Geschichte der sowjetischen Außenpolitik 1917 bis 1945, 1. Teil, Berlin 1969, S. 418ff.; Andrejewa, M.j Dmitrijewa, K., Zu den militärischen Verhandlungen zwischen der U d S S R , Großbritannien und Frankreich im Jahre 1939, in: DA, 1959, H. 5; Basler, W., Die britisch-französisch-sowjetischen Militärbesprechungen im August 1939, in: ZfG, 1957, H. 1; Hass, G., Der komische Krieg in Westeuropa, Berlin 1961, S. 14ff. !«9 Zur Geschichte der KPD, Berlin 1954, S. 402. 190 Ebenda. Siehe auch den Aufruf des Arbeitsausschusses deutscher Sozialisten und der Revolutionären Sozialisten Österreichs, der K P D und der Kommunistischen Partei Österreichs „An die Arbeiter Deutschlands und Österreichs" v o m 30. 3. 1939, abgedruckt in: GdA, Bd. 5, S. 515f. 191 Vgl. Dejiny KSC, Bratislava 1961. S. 361.

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I. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei

tare Widerstand konnte allerdings nicht mehr den schändlichen Verrat des Präsidenten Hächa und der Regierung Beran, der sich in der Nacht vom 14. zum 15. März 1939 abgespielt hatte, paralysieren. Die einzige Organisation, die willens und fähig war, den Volkswiderstand zu leiten, die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KPTsch), vermochte es unter den Bedingungen der Illegalität in so kurzer Zeit nicht, die Folgen der bürgerlichen Kapitulation sowie die Stimmungen von Resignation und Passivität zu überwinden. Weder das innere noch das äußere Kräfteverhältnis waren in der Periode von München bis zum 15. März 1939 für die Erfüllung der Hauptaufgabe der KPTsch günstig, die Tschechoslowakei vor der Aggression des deutschen Faschismus und gegen die wachsende Faschisierung im Innern zu schützen. 192 Obwohl sich die KPTsch in einer außerordentlich schwierigen Lage befand und auch in ihren Reihen eine tiefe Enttäuschung und Niedergeschlagenheit wegen der Mißerfolge im Kampf gegen München und gegen die feige Kapitulation der Regierung zu spüren waren, gab sie nicht auf, sondern entwickelte in ihrem Aufruf zum 15. März 1939 193 , der an das gesamte Volk gerichtet war, ein Programm für den Kampf um die Freiheit. I n diesem Aufruf wurde hervorgehoben, daß der einzige Weg zur Rettung der Nation der Weg des Widerstandes und Kampfes gegen den deutschen Faschismus ist. Der Arbeiterklasse wurde die Aufgabe gestellt, in den vordersten Reihen des Kampfes für die Freiheit zu stehen und unzerbrechliches Rückgrat des nationalen Widerstandes zu werden. Die Kommunisten erhielten den Auftrag, das Volk zu mobilisieren und seine Kräfte auf den Kampf gegen die deutschen Okkupanten, für die Erneuerung der staatlichen Selbständigkeit und der nationalen Freiheit zu konzentrieren. Der 15. März 1939 — der Tag, 'an dem die tschechische Bourgeoisie die Staatsmacht verlor, an der sie sich durch ihren schändlichen Verrat gegenüber dem deutschen Faschismus wenigstens einen Anteil zu erkaufen hoffte — zeigte, welchen Grad der Verfallsprozeß dieser Klasse bereits erreicht hatte, die einst die führende K r a f t der Nation war. Er bedeutete den politischen Bankrott der tschechischen Bourgeoisie. Der 15. März 1939, an dem die Politik der Zugeständnisse des tschechischen Finanzkapitals gegenüber dem deutschen Imperialismus kläglich scheiterte, lehrte das Volk, daß man die nationale Unabhängigkeit nicht durch lakaienhafte Unterwürfigkeit retten kann, wie ihm Beran und Chvalkovsky einzureden versucht hatten, sondern nur durch Kampf an der Seite der fortschrittlichen Kräfte der Welt. Die kritischen Monate zwischen München und dem 15. März 1939 bewiesen den Völkern der Tschechoslowakei ebenfalls, daß die KPTsch die strenge Prüfung dieser Zeitperiode am besten von allen politischen Kräften des Landes bestand. Dies trug mit dazu bei, daß sich die Völker der Tschechoslowakei in der nun «2 Vgl. Dejiny KSÖ, Bratislava 1961, S. 361. 193 Vgl. Za slobodu ieskeho a slovenskeho näroda, Bratislava 1956, S. 40ff.; deutsch veröffentlicht in der Zeitschrift RundscJiau, Jg. 8, Nr. 16 vom 23. 3. 1939, S. 432.

5. Das Verhalten zu den Märzereignissen

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folgenden Periode des nationalen Befreiungskampfes immer mehr der Führung der KPTsch anvertrauten. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei im März 1939 enthüllte den offen kriegstreiberischen Charakter des Münchener Abkommens. Sie war der Gipfelpunkt der Politik von München, und es entbehrte daher jeglicher Logik, durch Berufung auf das Münchener Abkommen gegen die Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates zu protestieren; Hitlfer brach zwar formell durch die März Okkupation das Münchener Abkommen, erfüllte aber faktisch seinen Zweck. Wenn das Münchener Abkommen den Weg zum Krieg frei machte, so brachte die endgültige Zerschlagung der Tschechoslowakei diesen Krieg um ein beträchtliches Stück näher an die Tore Englands und Frankreichs heran. Das bedeutete zugleich, daß die Rechnung der westlichen Imperialisten nicht aufgegangen war. Ihre Hoffnungen und Wünsche, der deutsche Imperialismus möge seine Aggression gegen die sozialistische Sowjetunion richten, schlugen fehl. 194 Die Widersprüche zwischen dem faschistischen Deutschland einerseits und England und Frankreich andererseits erwiesen sich als stärker. Sie verschärften sich nach dem 15. März 1939 noch dadurch, daß die deutschen Imperialisten auf Kosten der englischen und französischen Imperialisten ihren Einfluß in Mittel- und Südosteuropa immer weiter ausdehnten. Besonders zwischen Deutschland und England entbrannte ein erbitterter Kampf um die wirtschaftliche und politische Beherrschung Südosteuropas, dessen Rolle als Rohstoff- und Nahrungsmittellieferant für die deutschen Faschisten am Vorabend des zweiten Weltkrieges zunehmend an Bedeutung gewann. 195 Die Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren" sowie die Schaffung des Slowakischen Staates stärkten nicht nur den politischen Einfluß des faschistischen Deutschlands in Mittel- und Südosteuropa, sondern verbesserten auch seine strategische Lage außerordentlich und trugen zu einer wesentlichen Vergrößerung seines Rüstungs- und Kriegspotentials bei. Nach Hitlers eigenen Angaben fiel den deutschen Faschisten bei der Besetzung der Tschechoslowakei folgendes militärisches Beutegut in die Hände: 1582 Flugzeuge, 501 Flakgeschütze, 2175 leuchte und schwere Geschütze, 785 Minenwerfer, 469 Panzerkampfwagen, 43876 Maschinengewehre, 114000 Pistolen, 1090000Gewehre, 1 Milliarde Schuß Infanteriemunition, 3 Millionen Schuß Artilleriemunition usw. 190 Diese Zahlen widerlegen eindeutig die Behauptung der englischen „Befriedungs"politiker, sie hätten Hitler deshalb in der tschechoslowakischen Frage Zugeständnisse gemacht, um Zeit für ihre eigenen Kriegsvorbereitungen zu gewinnen. Indem sich der faschistische deutsche Imperialismus des tschechoslowakischen Rüstungs- und Kriegspotentials bemächtigte, gelang es ihm in Wirklichkeit, einen großen Vorsprung gegenüber England und Frankreich zu erreichen. 194 y g i . Pieck, W., Reden und Aufsätze, Bd. I, Berlin 1954, S. 303; Ulbricht, W., Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. II, Berlin 1959, S. 204f. 195 Vgi_ Olsovsky, Pronikäni nemeckeho imperialismu do jihovychodni evropy (obdobi 1890-1940), Praha 1963, S. 98ff. 19

6 Vgl. Schultheß' 1039, S. 99.

II. Die Unterordnung des Slowakischen Staates unter die Interessen des deutschen Imperialismus als Bestandteil der faschistischen Neuordnung Europas (März 1939—Juli 1940)

1. Die mit der Unterordnung der Slowakei verfolgten Ziele Mit der Schaffung des „Großdeutschen Reiches" durch die gewaltsame Angliederung Österreichs und der Zerschlagung der Tschechoslowakei begann die erste Phase des Kampfes der deutschen Imperialisten um die „Neuordnung Europas" als Vorstufe zur Erringung der Weltherrschaft. Während die tschechischen Länder zu einem integrierenden Bestandteil des „Großdeutschen Reiches" werden sollten, war der Slowakei vorübergehend die Rolle eines deutschen Satellitenstaates zugedacht. Die Gründe für die unterschiedliche Behandlung beider Teile der Tschechoslowakei sind vor allem sozialökonomischer und politischer Natur. Die tschechischen Länder waren industriell hochentwickelte Gebiete mit einer eigenen monopolistischen Großbourgeoisie und einer starken und klassenbewußten Arbeiterschaft, die dem deutschen Faschismus unversöhnlich gegenüberstand. Deshalb erschien den deutschen Faschisten die direkte militärische Okkupation Böhmens und Mährens als die geeignetste und einzig mögliche Methode zur Erreichung ihrer Ziele in diesen Ländern. Die Slowakei dagegen befand sich auf einer erheblich niedrigeren Stufe der kapitalistischen Entwicklung und hatte überwiegend agrarischen Charakter. Ihre Bevölkerung war klassenmäßig weniger differenziert und polarisiert als in den tschechischen Ländern. Sie setzte sich aus einer ökonomisch schwachen Bourgeoisie und relativ starken Mittelschichten in Stadt und Land zusammen, während das Proletariat zahlenmäßig schwach und dazu noch wenig konzentriert war. 1 Diese klassenmäßige Zusammensetzung gab einen guten Nährboden für politische Desorientierung, Klerikalismus und nationalistische, meist anti1

Auf das Gebiet des „selbständigen" Slowakischen Staates bezogen, verteilten sich die Erwerbsgruppen nach der Volkszählung von 1938 wie folgt: Land- und Forstwirtschaft 57,00% Bergbau, Industrie und Gewerbe 19,80% Handel und Geldwesen 5,30% Verkehr (Eisenbahn, Post und übriger Verkehr) 4,60% öffentliche Dienste und freie Berufe 5,80% übrige Berufe 7,50% (Vgl. Adolf, B., Die Wirtschaft der Slowakei. Vertraulicher Bericht über die soziale Wirtschaftsstruktur, Prag 1941, S. 7.)

1. Die verfolgten Ziele

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tschechische Stimmungen .ab. Sie wurden besonders von der slowakischen faschistischen Volkspartei gefördert, die sich demagogisch als Kämpferin gegen die Ausbeutung der Slowakei durch fremdes Kapital aufspielte und es dadurch verstand, bedeutenden politischen Einfluß in der Slowakei zu gewinnen. Diese besondere Situation in der Slowakei machte sich das faschistische Deutschland zunächst bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei und später bei der Wahl seiner Formen und Methoden zur Unterordnung, Ausbeutung und Germanisierung beider Teile der Tschechoslowakei zunutze. Ein weiterer wichtiger Faktor, der die deutschen Faschisten zur Schaffung eines „selbständigen" Slowakischen Staates veranlaßt«, war, daß die Slowakei ihrer Struktur nach alle Voraussetzungen für einen Satellitenstaat nazistischer Prägung besaß, nach dessen Muster die Staatenbeziehungen, insbesondere in Südosteuropa, „neugeordnet" werden sollten. Darüber äußerte sich der deutsche Gesandte in Bratislava, Bernard, in einer Aufzeichnung vom 25. J u n i 1940 folgendermaßen : „Die Slowakei war die Visitenkarte, die wir den kleinen südosteuropäischen Staaten und besonders den slawischen Völkern hinhielten : so selbständig kann ein kleiner Staat leben, der sich unter den Schutz des Großdeutschen Reiches begibt. Es war klar, daß das ,Hinhalten der Visitenkarte' entsprechend der Entwicklung der politischen Lage in Europa zeitlich beschränkt sein würde." 2 Daraus folgt, daß der „selbständige" Slowakische Staat nicht nur dazu bestimmt war, die halbkoloniale Stellung der Slowakei vor den Augen des slowakischen Volkes zu verbergen. Er h a t t e auch die Aufgabe, die Völker in den kapitalistisch schwach entwickelten Ländern Südosteuropas darüber zu täuschen, also in jenem Gebiet, in dem vorübergehend die Sicherung der deutschen Hegemonie durch ein System abhängiger Staaten vorgesehen war. Das Beispiel der Slowakei sollte einerseits die „positiven" Beziehungen des faschistischen Deutschlands zu den kleinen, sich „freiwillig" unterordnenden Völkern demonstrieren und andererseits als Vorbild für die Errichtung weiterer Staaten ähnlichen Typs dienen. Darüber hinaus blieb es das erklärte Ziel des faschistischen deutschen Imperialismus, erstens die Slowakei im Rahmen der deutschen „Großraumwirtschaft" allmählich in ein halbkoloniales Rohstoff- und Landwirtschaftsanhängsel und schließlich in eine Kolonie des „Großdeutschen Reiches" zu verwandeln und zweitens sie als strategisches Ausfalltor zur Realisierung der Aggressionspläne gegen die südosteuropäischen Staaten und gegen die Sowjetunion zu benutzen. 2 A DAP, Bd. X , Nr. 17, S. 15.

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II. Die Unterordnung des Slowakischen Staates

2. Der deutsch-slowakische „Schutzvertrag" und das mit ihm zusammenhängende System der ungleichen Verträge Nach der Proklamierung des Slowakischen Staates durch den zum gesetzgebenden Parlament umgewandelten Landtag des Landes Slowakei am 14. März 1939 kam es zwischen Tiso und Hitler am 16. März 1939 zu folgendem Telegrammwechsel : „In starkem Vertrauen auf Sie, den Führer und Reichskanzler des Großdeutschen Reichs, unterstellt sich der slowakische Staat Ihrem Schutze. Der slowakische Staat bittet Sie, diesen Schutz zu übernehmen. gez. Tiso." Hitler antwortete sofort darauf: „Ich bestätige den Empfang Ihres gestrigen Telegramms und übernehme hiermit den Schutz des slowakischen Staates. Adolf Hitler. "3 Welchen Wert dieses „Schutzversprechen" Hitlers hatte, zeigte sich noch am selben Tag, als deutsche Truppen durch einen gewaltsamen Einfall in die Westslowakei die dort befindlichen Militärgarnisonen entwaffneten, militärische Objekte und Munitionsfabriken in Besitz nahmen sowie Kriegsmaterial, Proviant und andere Ausrüstungsgegenstände im Werte von etwa zwei Milliarden Ks. raubten. Bezeichnend für die willkürliche Auffassung der deutschen Faschisten vom „Schutz des slowakischen Staates" war auch ihre Reaktion auf die Versuche der Horthy-Clique, sich mit militärischer Gewalt slowakisches Gebiet anzueignen. Anstatt die Slowakei vor den ungarischen Annexionsgelüsten zu schützen, wurde sie von Hitlerdeutschland gezwungen, am 17. März 1939 einen Vertrag über die Abtretung eines Teiles der Ostslowakei an Ungarn zu unterzeichnen/* Mit diesem Vorgehen wollten die deutschen Imperialisten zweierlei erreichen: Einerseits wollten sie Horthy-Ungarn für geleistete Dienste bei der Zerstörung der CSR entschädigen, und andererseits sollte dadurch ein starker Druck auf die slowakische Regierung ausgeübt werden, um sie so fest wie möglich an das faschistische Deutschland zu ketten. I n der Zeit vom 18. bis 23. März fanden nämlich gerade in Wien die Verhandlungen über einen „ Schutzvert r a g " statt. Die slowakische Verhandlungsdelegation zeigte dabei wenig Neigung, den von der Hitlerregierung vorgeschlagenen Entwurf eines „Schutz Vertrages" zu akzeptieren. Sie wollte ihn lieber durch ein Bündnisabkommen ersetzen, das mit dem Makel eines deutschen „Protektorates" nicht so offensichtlich behaftet war wie der Begriff „Schutz" und besser der scheinbaren „Souveränität" des Slowakischen Staates Rechnung trug, die in der Propaganda der slowakischen 3 A D A P , Bd. VI, Nr. 10, S. 8. 4 Vgl. Rabl, K. O., Verfassungsrecht und Verfassungsleben in der neuen Slowakei, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Bd. X , Nr. 1/2 (Oktober 1940), S. 146ff.

2. Der deutsch-slowakische „ S c h u t z v e r t r a g "

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Klerikalfaschisten eine große Rolle spielte. Hitler und Ribbentrop bestanden jedoch auf ihrem „SchutzVertragsentwurf", der die Souveränität der Slowakei in erheblicher Weise beschränkte. 5 Der slowakischen Regierung blieb angesichts der ungarischen Aggression schließlich kein anderer Ausweg, als die deutschen Bedingungen für den „Schutz" ihres Landes anzunehmen. So kam der „Vertrag über das Schutzverhältnis zwischen dem Deutschen Reich und dem Slowakischen Staat" zustande, der am 18. März 1939 von Tuka und Durcansky in Wien und am 23. März 1939 von Ribbentrop in Berlin unterzeichnet wurde. 6 Ribbentrop hatte die Unterzeichnung des „Schutzvertrages" deshalb hinausgezögert, weil er am 21. März 1939 dem polnischen Botschafter Lipski slowakisches Gebiet als Entschädigung für den Fall angeboten hatte, daß die polnische Regierung „den deutschen fundamentalen Wünschen nach Danzig, nach einem Korridor durch den Korridor und einer deutsch-polnischen antisowjetischen Einheitsfront'' entgegenkäme. 7 Die Bestimmungen des „Schutzvertrages" ließen keinen Zweifel daran aufkommen, wer seit dem 14. März 1939 in Wirklichkeit Herr der Slowakei war. So hieß es im Artikel 1: „Das Deutsche Reich übernimmt den Schutz der politischen Unabhängigkeit des Slowakischen Staates und der Integrität seines Gebietes." Dieser „Schutz" wurde jedoch vom faschistischen Deutschland in keiner Weise garantiert, und die „Slowakische Regierung" hatte noch nicht einmal die formale vertragliche Handhabe, das „Schutzrecht" zu ihren Gunsten in Anspruch zu nehmen. Das Pehlen jeglicher „Schutzgarantie" machte somit die Existenz des Slowakischen Staates einzig und allein von den wechselnden Interessen des deutschen Imperialismus abhängig. Schon zwei Tage nach Unterzeichnung des „Schutzvertrages" gewann der damalige Oberbefehlshaber des Heeres, Brauchitsch, in einer Besprechung bei Hitler den Eindruck, „als ob sich Führer zu gegebener Zeit hiervon (vom „Schutzvertrag" — d. Verf.) frei macht und die Slowakei als politisches Handelsobjekt zwischen ihm, Polen und Ungarn benutzen wird" 8 . Es fehlte auch tatsächlich nicht an Versuchen, die Slowakei als politisches Handelsobjekt zu benutzen. Als Gegenleistung für die polnische Zustimmung zur Annexion Danzigs durch das „Großdeutsche Reich" stellte Ribbentrop u. a. sowohl über den polnischen Botschafter in Berlin als auch über die deutsche Botschaft in Warschau dem polnischen Außenminister Beck „die Möglichkeit einer gemeinsamen Behandlung des slowakischen Problems durch Deutschland, 5

Vgl. Hoensch, J. K., a . a . O . , S. 340ff.; interessante E i n z e l h e i t e n über das Zus t a n d e k o m m e n des „ S c h u t z v e r t r a g e s " , der i m Slowakischen Gesetzblatt erst 1940 veröffentlicht wurde, finden sich bei Hubenäk, L., N e m e c k o - s l o v e n s k a ochrannä, z m l u v a z roku 1939, in: P r ä v n y obzor, Nr. 4/1969, S. 354. 6 R G B l . 1939, II, S. 607. ? Polnisches W e i ß b u c h Nr. 61, zit. nach Hoensch, J. K., a. a. O., S. 333. 8 IMG, B d . X X X V I I I , S. 274£f.; A D A P , B d . VI, N r . 99, S. 98.

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II. Die Unterordnung des Slowakischen Staates

Polen und U n g a r n " in Aussicht 9 , h a t t e allerdings angesichts der Tiefe der deutschpolnischen Gegensätze keinen Erfolg mit diesem Angebot. Mehr Erfolg mit der Taktik, die Slowakei als politisches Handelsobjekt zu benutzen, war der faschistischen Diplomatie in Budapest beschieden. Sie n ä h r t e bei der Horthy-Regier u n g ständig die Hoffnung, d a ß die slowakische Frage noch nicht endgültig gelöst sei u n d d a ß m a n ihr gegenüber der Slowakei letztlich doch freie H a n d lassen werde, falls sie allen Wünschen des deutschen Imperialismus entspreche. 1 0 Gleichzeitig versicherten die faschistischen F ü h r e r der Tiso-Regierung in Bratislava, sie seien fest entschlossen, die „Selbständigkeit" der Slowakei zu erhalten u n d die slowakische Grenze gegen Ungarn zu „schützen", falls ihre a n die „Slowakische Regierung" gestellten politischen, wirtschaftlichen u n d militärischen Forderungen erfüllt würden. 1 1 I n der Regel wurden diese Forderungen, soweit sie sich auf die sogenannte Schutzzone bezogen, meist mit Artikel 2 des „Schutzvertrages" begründet, der folgenden W o r t l a u t h a t t e : „Zur D u r c h f ü h r u n g des vom Deutschen Reich übernommenen Schutzes h a t die deutsche W e h r m a c h t jederzeit das Recht, in einer Zone, die westlich von der Grenze des Slowakischen Staates u n d östlich von der allgemeinen Linie Ostrand der Kleinen K a r p a t e n u n d Ostrand des Javornik-Gebirges begrenzt wird, militärische Anlagen zu errichten u n d in der von ihr f ü r notwendig gehaltenen Stärke besetzt zu halten. Die Slowakische Regierung wird veranlassen, d a ß der f ü r diese Anlagen erforderliche Grund u n d Boden der deutschen W e h r m a c h t zur Verfügung gestellt wird. Ferner wird die Slowakische Regierung einer Regelung zustimmen, die zur zollfreien Belieferung der militärischen Anlagen aus dem Reich erforderlich ist. I n der im Absatz 1 beschriebenen Zone werden die militärischen Hoheitsrechte von der deutschen W e h r m a c h t ausgeübt. Personen deutscher Staatsangehörigkeit, die auf Grund eines privaten Vertragsverhältnisses mit der Errichtung militärischer Anlagen in der bezeichneten Zone befaßt sind, unterstehen insoweit der deutschen Gerichtsbarkeit." Dieser Artikel sowie der am 12. August 1939 abgeschlossene „ Schutzzonenvertrag" 1 2 gewährten der faschistischen W e h r m a c h t auf einem bedeutenden Teil des slowakischen Territoriums außerordentliche Rechte, die mit der Souver ä n i t ä t eines Staates unvereinbar waren. Nach Abschnitt I I des „Schutzzonenvertrages", der die in Artikel 2, Absatz 2 des „Schutzvertrages" genannten „Hoheitsrechte" der W e h r m a c h t näher umriß, gehörten d a z u : die Requirierung öffentlicher u n d privater Gebäude, die Benutzung sämtlicher Transportmittel 9 ADAP, Bd. VI, Nr. 73, S. 72; siehe auch ADAP, Bd. VI, Nr. 61, S. 59, u. Bd. VII, Nr. 43, S. 39. 10 Vgl. Hoensch, J. K„ a. a. O., S. 328.